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German Pages 1042 [1041] Year 2013
Immobilienökonomie II Rechtliche Grundlagen von
Prof. Dr. Karl-Werner Schulte Prof. Dr. Jürgen Kühling
Prof. Dr. Wolfgang Servatius Prof. Dr. Frank Stellmann
IREBS Institut für Immobilienwirtschaft, International Real Estate Business School, Universität Regensburg
Oldenbourg Verlag München
Lektorat: Dr. Stefan Giesen Herstellung: Tina Bonertz Titelbild: thinkstockphotos.de Einbandgestaltung: hauser lacour Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, 81671 München, Deutschland www.degruyter.com/oldenbourg Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.
ISBN 978-3-486-71359-6 eISBN 978-3-486-78049-9
Vorwort der Herausgeber zur dritten Auflage Eine wichtige Änderung gegenüber den früheren Auflagen besteht darin, dass sich der Kreis der Herausgeber erweitert hat. Nach meinem Wechsel an die Universität Regensburg habe ich dort die IREBS International Real Estate Business School mitgegründet und mich hier um die Einbindung jener Jura-Professoren bemüht, deren Fachgebiet eine enge Verbindung zum Immobilienrecht bzw. Immobilienwirtschaftsrecht aufweist. Das IREBS Institut für Immobilienwirtschaft ist stolz darauf, dass zu seinen Mitgliedern fünf Professoren der Fakultät für Rechtswissenschaft zählen. So lag es nahe, einige von ihnen zu Mit-Herausgebern des Werkes: „Immobilienoekonomie: Rechtliche Grundlagen“ zu berufen. Dadurch ändert sich nichts an dem Anliegen des Buches, das notwendige Basiswissen des Immobilienrechts Nicht-Juristen verständlich zu vermitteln, aber auch Jura-Studierenden und Juristen einen Überblick über dieses Fachgebiet zu geben. Die Einbeziehung der IREBS Rechtsprofessoren als Mit-Herausgeber dokumentiert auch eindrucksvoll den interdisziplinären Ansatz, für den IREBS steht. Danach stellt die Disziplin „(Immobilien-)Recht“ einen unverzichtbarer Bestandteil der betriebswirtschaftlichen Disziplin „Immobilienökonomie“ dar, der in Lehre und Forschung gelebt wird. Es versteht sich von selbst, dass in der dritten Auflage die Inhalte der Monographie auf den neuesten Stand gebracht wurden und auch das ein oder andere neue juristische Fachgebiet mit Immobilienbezug aufgenommen wurde. Für Anregungen und Kritik sind wir sehr dankbar.
April 2013
Prof. Dr. Karl-Werner Schulte mit Prof. Dr. Jürgen Kühling Prof. Dr. Wolfgang Servatius Prof. Dr. Frank Stellmann
Vorwort des Herausgebers zur zweiten Auflage Da der Gesetzgeber und die Gerichte regelmäßig für Änderungen sorgen, sind die „Rechtlichen Grundlagen“ der Immobilienökonomie in stetigem Wandel. Das Manuskript dieses Buches wurde abgeschlossen, als nach der Bundestagswahl CDU/CSU und SPD ihre Koalitionsgespräche aufnahmen. Damit sind weitere Gesetzesänderungen vorprogrammiert. Dennoch habe ich mich dazu entschlossen, die zweite Auflage jetzt herauszubringen. Formal wurde die neue deutsche Rechtschreibung verwandt, obwohl ich mich mit den neuesten „Reformen“ nicht anfreunden kann. Großen Anteil am Gelingen dieses Werkes hat mein Sohn Kai-Magnus, der die Formatierung dieser Auflage mit großem Engagement und Geschick durchgeführt und dabei auch sicher Nützliches für sein BWL-Studium mit Schwerpunkt Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg mitgenommen hat. Weiter bedanke ich mich bei Frau Claudia Mehlinger für das Korrekturlesen sowie bei Herrn Fritz Guthmann für die Erledigung der Korrespondenz mit den Autoren. Last but not least gilt mein besonderer Dank den Autoren für die Überarbeitung ihrer Beiträge. Für Anregungen und Kritik bin ich dankbar.
Johannisberg, im November 2005
Karl-Werner Schulte
Vorwort des Herausgebers Die Immobilienökonomie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das in Deutschland 1990 von der ebs IMMOBILIENAKADEMIE begründet und gemeinsam mit dem Stiftungslehrstuhl Immobilienökonomie der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs) Schloss Reichartshausen entwickelt wurde. Das Konzept wird visualisiert durch das Haus der Immobilienökonomie (vgl. Kap. 1, S. 6). Das Fundament der Immobilienökonomie bildet die Betriebswirtschaftslehre, denn immobilienbezogene Entscheidungen von Unternehmen stehen im Mittelpunkt der Disziplin. Aber dem Haus würde die notwendige Standfestigkeit fehlen, wenn es nur auf dem Grund einer einzelwirtschaftlichen Betrachtungsweise der verschiedenen Akteure gebaut wäre. Disziplinen, deren Erkenntnisse wichtige Bestandteile des Fachgebietes Immobilienökonomie bilden, sind die Volkswirtschaftslehre, die Raumplanung, die Architektur, das Ingenieurwesen – und nicht zuletzt die Rechtswissenschaft. Der interdisziplinäre Ansatz hat zur Konsequenz, dass das Gesamtwerk über Immobilienökonomie aus mehreren Bänden bestehen muss. Der erste Band über „Betriebswirtschaftliche Grundlagen“ erschien 1998 und war schnell vergriffen, so dass bereits zum Jahr 2000 die zweite Auflage erschien. Nun liegt der zweite Band über „Rechtliche Grundlagen“ vor, dem in zwei Jahren der dritte Band über „Raumplanerische Grundlagen“ folgen soll. Die Klammer zwischen den vorwiegend juristischen Beiträgen des Bandes II und dem Management-Fokus des Bandes I schlägt der erste Beitrag über „Rechtsordnung und Immobilienökonomie“. Hier verdanke ich wertvolle Anregungen meinen wissenschaftlichen Assistenten Frau Dipl.-Kfm. Sonja Gier und Herrn Dipl.-Kfm. Philipp Naubereit sowie einigen Studierenden, die sich im Rahmen von Seminararbeiten mit diesem Thema befasst haben. In den Folgekapiteln werden wichtige Rechtsthemen behandelt, die für die Praxis des Immobiliengeschäfts von höchster Relevanz sind: Grundstücksverkehr, Wohn- und Gewerberaummiete, Immobilienverwaltung, Schaffung von Bauland und Zulassung von Bauvorhaben, Immobilienvermittlung, Architekten- und Ingenieurverträge, Baukreditsicherung sowie die Besteuerung von Immobilien. Ausdrücklich möchte ich dabei feststellen, dass dabei nicht „juristischer Tiefgang“ angestrebt wird, sondern es darum geht, betriebswirtschaftlich Denkenden und Handelnden die notwendigen Grundkenntnisse vor allem von Immobilienrecht und Steuern nahe zu bringen. In diesem Sinne soll der vorliegende Band Studierenden des Fachgebietes Immobilienökonomie eine Lernhilfe bieten sowie dem Praktiker als Nachschlagewerk dienen. Für Spezialfragen ist auf die juristische Literatur zurückzugreifen oder der Rat des Anwalts einzuholen. Auch für Band II gilt, was ich bereits im Vorwort zum ersten Band geschrieben habe: Ein von 13 Autoren verfasstes Werk kann natürlich nicht „mängelfrei“ sein. Es bedarf nun noch der Abnahme durch die „Bauherren“, die Leser. Die „Mängelbeseitigung“ muss allerdings
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Vorwort des Herausgebers
späteren Auflagen vorbehalten bleiben. Hinweise und Verbesserungsvorschläge dazu sind stets willkommen. Die Verfasser der einzelnen Beiträge sind Dozenten der ebs IMMOBILIENAKADEMIE oder des Stiftungslehrstuhls Immobilienökonomie der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs) Schloss Reichartshausen. Sie sind ausnahmslos renommierte Experten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet und haben sich der nicht einfachen Aufgabe gestellt, ihr großes Fachwissen in konzentrierter, zielgruppenadäquater und auch für Nicht-Juristen verständlicher Form zu Papier zu bringen. Dafür möchte ich allen Beteiligten auf das Herzlichste danken. Sie haben einen wertvollen Beitrag zum „Haus der Immobilienökonomie“ geleistet. Bedanken möchte ich mich auch bei Frau Rechtsassessorin jur. Ruth Sroka, die mich bei der Konzeption dieses Bandes unterstützt hat, sowie bei Frau cand. rer. pol. Samira Rüttgers und insbesondere bei Herrn Dipl.-Bwt. Nico Rottke, MSRE für Korrekturen und Formatierung. Meine Assistentin, Frau Dipl.-Päd. Simone Schlager, behielt bei sechs parallel laufenden großen Buchprojekten stets den Überblick, einen Autor, der „wegen des Buches“ anrief, dem richtigen Werk zuzuordnen. Auch ihr sei herzlich gedankt. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie für die wohlwollende Gelassenheit, mit der sie meine vielfältigen beruflichen Aktivitäten begleitet.
Johannisberg, im April 2001
Karl-Werner Schulte
Inhaltsübersicht Vorworte Autorenverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4
2 2.1 2.2 3 3.1 3.2 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 5 5.1
V XIII
Rechtsordnung und Immobilienökonomie 1 Karl-Werner Schulte und Wolfgang Servatius Einleitung................................................................................................................... 3 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie ........................................................................................... 4 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie ............................................................................................... 23 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie ............................................................................................... 37 Literaturverzeichnis zu Kap. 1 ................................................................................. 44 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft 47 Michael Krautzberger und Jürgen Kühling Öffentliches Bau- und Planungsrecht ...................................................................... 54 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht .................................................................... 126 Literaturverzeichnis zu Kap. 2 ............................................................................... 155 Der Grundstückskaufvertrag 157 Jan Lindner-Figura Einführung ............................................................................................................. 159 Inhalt des Grundstückskaufvertrags ...................................................................... 168 Das Erbbaurecht 193 Wolfgang Usinger Vorbemerkung ....................................................................................................... 194 Inhalt des Erbbaurechts.......................................................................................... 194 Ergänzende Vereinbarungen .................................................................................. 203 Entstehung und Übertragung des Erbbaurechts ..................................................... 207 Kosten .................................................................................................................... 209 Die Beleihung und Beendigung des Erbbaurechts ................................................ 210 Grunderwerbsteuer ................................................................................................ 212 Literaturverzeichnis zu Kap. 4 ............................................................................... 217 Die Grundstücksbebauung 221 Eberhard Meincke, Andreas Helm und Volker Zerr Die Baubetreuung .................................................................................................. 227 Literaturverzeichnis zu Kap. 5.1 ............................................................................ 250
X 5.2 5.3 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Inhaltsübersicht Der Architekten- und Ingenieurvertrag ..................................................................251 Literaturverzeichnis zu Kap. 5.2.............................................................................292 Der Bauvertrag .......................................................................................................294 Literaturverzeichnis zu Kap. 5.3.............................................................................349 Das Wohnungseigentum 351 Joachim Schmidt Einleitung ...............................................................................................................352 Allgemeine Grundsätze, Begriffsbestimmung ........................................................353 Die Begründung des Wohnungseigentums.............................................................355 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer .......................................357 Die Jahresabrechnung .............................................................................................369 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums .....................................................370 Dauerwohnrecht/Dauernutzungsrecht ....................................................................381 Die Veräußerung des Wohnungseigentums ...........................................................382 Das Verfahren in Wohnungseigentumssachen .......................................................383 Literaturverzeichnis zu Kap. 6................................................................................385 Wohn- und Gewerberaummiete 387 Frank Stellmann Einführung ..............................................................................................................390 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages .................................................................392 Mietgebrauch ..........................................................................................................417 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses .......................................437 Das Vermieterpfandrecht ........................................................................................450 Literaturverzeichnis zu Kap. 7................................................................................457 Immobilienvermittlung 459 Joachim Schmidt Einleitung ...............................................................................................................461 Die gesetzlichen Grundlagen des Maklerberufes ...................................................462 Der Maklervertrag ..................................................................................................465 Die Maklertätigkeit .................................................................................................469 Sonderformen der Maklertätigkeit..........................................................................472 Der Hauptvertrag ....................................................................................................477 Kausalität ................................................................................................................482 AGB-Klauseln in Maklerverträgen ........................................................................490 Provision und Aufwendungsersatz .........................................................................494 Pflichten und Pflichtverletzungen ..........................................................................495 Der Makler im Wettbewerb ....................................................................................502 Literaturverzeichnis zu Kap. 8................................................................................505 Recht der Immobilienverwaltung 507 Joachim Schmidt Vorbemerkung ........................................................................................................509 Immobilienverwaltung............................................................................................510 Der Immobilienverwalter in der Immobilienwirtschaft ..........................................514 Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit ............................................517 Standards für die Immobilienverwaltung ...............................................................520
Inhaltsübersicht 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10 9.11 10 10.1 10.2 11 11.1 11.2 12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 13 13.1 13.2 13.3 13.4
XI
Der Verwaltervertrag ............................................................................................. 523 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung .................................. 532 Forderungseinzug/Risikominimierung von Forderungsausfällen .......................... 553 Immobilienverwaltung und öffentliches Recht ...................................................... 559 Checkliste für zu übergebende Unterlagen bei der Verwaltung von Wohnungseigentum und Mietobjekten .................................................................. 561 Checkliste Verwaltersuche .................................................................................... 563 Literaturverzeichnis zu Kap. 9 ............................................................................... 564 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien 565 Jochen Sigloch Grundlagen der Besteuerung ................................................................................. 569 Besteuerung von Immobilien ................................................................................. 821 Literaturverzeichnis zu Kapitel 10 ......................................................................... 848 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung 851 Wolfgang Rupp Darlehensrecht ....................................................................................................... 855 Grundpfandrechte .................................................................................................. 877 Literaturverzeichnis zu Kapitel 11 ......................................................................... 919 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung 921 Florian Beer Grundlagen des Kapitalmarktrechts....................................................................... 924 Der offene Immobilienfonds .................................................................................. 934 Immobilienspezialfonds ......................................................................................... 951 Geschlossener Fonds ............................................................................................. 953 REIT-AG (Real Estate Investment Trusts) ............................................................ 964 Immobilienaktiengesellschaft ................................................................................ 973 Literaturverzeichnis zu Kap. 12 ............................................................................. 975 Insolvenzrecht 977 Michael Nienerza und Michael Dahl Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens ............................................................... 979 Teil 2 – Besondere Verfahrensarten ...................................................................... 987 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz.......................................... 994 Teil 5 – Strukturierte Finanzierung von Immobilien und Insolvenz .................... 1006 Literaturverzeichnis zu Kap. 13 ........................................................................... 1008
Sachverzeichnis
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Autorenverzeichnis Florian Beer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht – Prof. Dr. Wolfgang Servatius in Regensburg. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den rechtlichen Rahmenbedingungen kapitalmarktorientierter Finanzierungsformen hauptsächlich im Bereich der Finanzierung mittelständischer Unternehmen und Immobilienbeteiligungen. Sein besonderes Interesse gilt hier den Schnittstellen zwischen Aufsichtsrecht und Privatrecht im Rahmen der Regulierung. Darüber hinaus arbeitet und forscht er im Vertrags- und Gesellschaftsrecht. Michael Dahl ist Counsel im Kölner Büro von GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Bielefeld und Köln wurde er im Jahr 2000 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Als Mitglied der Service-Line Insolvenz und Restrukturierung berät er Mandanten in allen Fragen des Insolvenz- und Sanierungsrechts, des Gesellschaftsrechts und der außergerichtlichen Liquidation und Reorganisation. Herr Dahl ist Lehrbeauftragter an der Hagen Law School und Verfasser zahlreicher insolvenzrechtlicher Zeitschriften- und Buchbeiträge. Er ist (Mit-)Herausgeber der Neuen Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung (NZI) sowie geschäftsführender Herausgeber und Schriftleiter der International Insolvency Law Review (IILR). Daneben verantwortet er für die NJW-Spezial als deren ständiger Autor die Rubrik Insolvenzrecht. Dr. Andreas Helm hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Rechtswissenschaften studiert und im Jahr 2001 sein 2. juristisches Staatsexamen abgelegt. In den Jahren 2000–2002 war er wissenschaftlicher Assistent an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er promovierte im Jahr 2004 zu einem zivilrechtlichen Thema bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris. Seit 2002 ist Dr. Andreas Helm als Rechtsanwalt und seit 2010 als Fachanwalt für Privates Bau- und Architektenrecht in der Kanzlei Wagensonner Luhmann Breitfeld Helm, München, tätig, seit 2006 als Partner. Als Dozent an der Immobilienakademie der European Business School hat er Vorlesungen im Baurecht und Insolvenzrecht gehalten und ist seit 2006 als Lehrbeauftragter für Privates Baurecht an der Universität Regensburg (IREBS International Real Estate Business School) tätig. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher baurechtlicher Veröffentlichungen. Prof. Dr. Michael Krautzberger, 1962 bis 1968 Studium der Rechts- und Politikwissenschaft, Soziologie und Kunstgeschichte an der Universität München und an der Hochschule für Politische Wissenschaften in München; 1967 Erste juristische Staatsprüfung; 1970 Promotion zum Dr. jur. an der Juristischen Fakultät der Universität München; 1971 Zweite juristische Staatsprüfung; 1993 Honorarprofessor an der Universität Dortmund; seit 1998 Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin; 1971 bis 1973 Landeshauptstadt München: Referat für Stadtforschung und Stadtentwicklung; seit 1973 im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, zuletzt (seit 1991) als Ministerialdirektor
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Leiter der Abteilung „Raumordnung und Städtebau“ und seit 1998 Leiter der Abteilung „Bauwesen und Städtebau“; November 2003: Beendigung der Tätigkeit im Bundesministerium; Präsident der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung bis 2013; Ordentliches Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Prof. Dr. Jürgen Kühling, LL.M., Jahrgang 1971, hat in Nancy und Trier (1. Staatsexamen 1995) sowie Brüssel (LL.M., 1995) als Stipendiat der Studienstiftung und als ErasmusStipendiat Rechtswissenschaften studiert. 1999 folgte das Referendarsexamen. Als Promotionsstipendiat schloss er 1998 an der Universität Bonn seine Dissertation ab und wurde dort 2003 auch habilitiert. Nach Lehrstuhlvertretungen in Hamburg und Karlsruhe war er von 2004 bis 2007 Professor für Öffentliches Recht an der Universität Karlsruhe. Seit April 2007 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht an der Universität Regensburg und Mitglied im IREBS-Institut für Immobilienwirtschaft und forscht auf den Gebieten seiner Lehrstuhldenomination. Kühling verfolgt einen interdisziplinären (juristisch-ökonomischen) Forschungsansatz und dies rechtsebenenübergreifend (v. a. unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben). Seine etwa 200 Publikationen befassen sich mit Fragen v. a. der Regulierung der Netzwirtschaften und Infrastrukturen (Energie, Telekommunikation, Verkehr) sowie ausgewählten Gebieten des (öffentlichen) Rechts der Immobilienwirtschaft (EU-Beihilfenrecht, Vergaberecht). Zuletzt kamen zunehmend baurechtliche Fragestellungen hinzu. Kühling gibt die Schriftenreihe zum Öffentlichen Immobilienrecht und Infrastrukturrecht heraus. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Regulierungsfragen (WAR) der Bundesnetzagentur, im Beirat der Plattform „Zukunftsfähige Energienetze“ und Vorsitzendes Mitglied des Sanktionsausschusses der EEX. Jan Lindner-Figura hat an der Freien Universität Berlin Rechtswissenschaften studiert und legte sein zweites Staatsexamen im Jahr 1991 ab. Seit 1991 ist er als Rechtsanwalt und seit 1997 zudem als Notar tätig. Bis Anfang 2005 war er Partner im Real Estate Department der internationalen Sozietät Clifford Chance. Im Februar 2005 wechselte er als Partner zu GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten und leitet dort seit mehreren Jahren den Fachbereich Immobilienwirtschaftsrecht. Jan Lindner-Figura ist auf das private Immobilienrecht spezialisiert. Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die umfassende Beratung von deutschen und internationalen Projektentwicklern und Investoren bei der Veräußerung bzw. dem Erwerb und der Entwicklung und/oder Vermarktung von Immobilien und komplexen Immobilienprojekten. Jan Lindner-Figura ist Mitherausgeber des im Beck Verlag erschienenen Handbuchs „Geschäftsraummiete“ sowie der „Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht“ und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Immobilienrecht. Des Weiteren ist er seit vielen Jahren Dozent für Immobilienrecht an der IREBS International Real Estate Business School und an der Universität Münster. Prof. Dr. Eberhard O. Meincke hat an den Universitäten Heidelberg, Freiburg und Hamburg studiert und sein zweites Staatsexamen vor dem gemeinsamen Prüfungsamt in Hamburg abgelegt. Im Jahre 1970 hat er auch seine Promotion in Hamburg abgeschlossen. Seit 1972 ist Eberhard Meincke als Rechtsanwalt, seit 1973 als Partner in der Hamburger Sozietät Scherzberg & Undritz tätig, die durch mehrere von Eberhard Meincke maßgeblich geförderte Fusionen heute in dem Hamburger Büro der internationalen Sozietät White & Case LLP
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aufgegangen ist. Seit 1992 ist Eberhard Meincke an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts tätig, seit 1997 als Honorarprofessor. Von 1992 bis 2007 war er auch Lehrbeauftragter an der Immobillienakademie der EBS. Für seine Lehrtätigkeit und sein ehrenamtliches Engagement erhielt Eberhard Meincke 2009 das Bundesverdienstkreuz am Bande und wurde schon 1997 zum Ritter des Danebroordens des Königreichs Dänemark ernannt. Eberhard Meincke ist Ko-Kommentator des mittlerweile in dritter Auflage erschienenen Kommentars von Bauer/von Oefele zur Grundbuchordnung (Verlag Franz Vahlen) und Autor zahlreicher Aufsätze in Fachzeitschriften und Festschriften zum Immobilien- und Bankrecht. Dr. Michael Nienerza hat an der Universität Köln studiert und sein zweites Staatsexamen 2002 bei dem Landesjustizprüfungsamt Düsseldorf abgelegt. Er promovierte 2005 an der Universität zu Köln. Herr Dr. Nienerza ist seit 2003 als Rechtsanwalt in der Kanzlei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten tätig und seit 2009 Partner der Kanzlei. Er berät regelmäßig in Insolvenz- und Krisensituationen. Dies umfasst sowohl die Vermeidung von Insolvenzen und der damit verbundenen Haftung als auch die Vertretung von Beteiligten in einer Insolvenz. Zu seinen Mandanten zählen bedeutende in- und ausländische Unternehmen, Finanzinstitute sowie die großen Servicer. Hinsichtlich Immobilienfinanzierungen berät er häufig in strukturierten Finanzierungen aus dem Londoner Kapitalmarkt einschließlich Commercial mortgage-backed securities (CMBS). Wolfgang Rupp, Dipl.-Jur. (Univ.), studierte 2006–2011 Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Immobilienrecht in München und Regensburg und ist seit 2011 Rechtsreferendar im Bezirk des OLG Nürnberg und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Regensburg. Joachim Schmidt hat an der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg studiert und das Zweite Staatsexamen vor dem Prüfungsamt in Frankfurt am Main 1978 abgelegt. Er ist Gründungspartner der Kanzlei factum rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Er lehrt seit vielen Jahren an der IREBS Immobilienakademie der Universität Regensburg. Er ist Generalbevollmächtigter des DDIV Dachverband Deutscher Immobilienverwalter e.V., Berlin, und Leiter der Strategiekommission der CEPI Conseil européen des Professions immobilières, Brüssel. Er ist Schiedsrichter am Deutschen Ständigen Schiedsgericht für Wohnungseigentum in Bonn. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind die Projektentwicklung, das Recht der Geschäftsraummiete, das Makler- und Bauträgerrecht und das Wohnungseigentumsrecht. Er ist Mitherausgeber der „NZM“, Autor des Buches „Gewerbeimmobilien vermieten & verwalten“, Mitautor im „Immobilien-Makler“ und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Immobilienrecht. Prof. Dr. Karl-Werner Schulte schloss im Jahre 1970 sein BWL-Studium als DiplomKaufmann an der Universität Münster ab und promovierte dort 1974 zum Dr.rer.pol. Im Jahre 1986 wurde er von der EBS European Business School auf eine Professur für Investition & Finanzierung berufen. Im Jahre 1990 gründete er die EBS Immobilienakademie und war deren Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführender Gesellschafter bis 2006. Im Jahre 1994 übernahm er den Stiftungslehrstuhl Immobilienökonomie, der durch die Berufung weiterer Professoren zum EBS Department of Real Estate ausgebaut wurde. Im Jahre 2006
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wechselten das Department of Real Estate und die Immobilienakademie an die IREBS International Real Estate Business School der Universität Regensburg. Dort war Karl-Werner Schulte bis Ende 2011 Inhaber der ECE Stiftungsprofessur für Immobilienwirtschaft am Institut für Immobilienwirtschaft und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie. Karl-Werner Schulte ist Gründungspräsident der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung und war Präsident der ERES European Real Estate Society und der IRES International Real Estate Society. Er wurde zum Ehrenmitglied der RICS Royal Institution of Chartered Surveyors, der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung, der Ehemaligenvereinigung und der Universität Regensburg gewählt. Besondere Auszeichnungen sind der IRES Service Award, der ERES Achievement Award, der Pioneer Award der ARES American Real Estate Society, der Leadership Award des ULI Urband Land Institute Germany und der Award of Excellence des GCSC German Council of Shopping Centers. Prof. Dr. Karl-Werner Schulte ist Herausgeber von über zehn Monographien, der Dissertationsreihe „Schriften zur Immobilionökonomie“ und der „Zeitschrift für Immobilienoekonomie“ sowie Autor zahlreicher Journal-Beiträge. Prof. Dr. Wolfgang Servatius ist seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg. Er ist Mitglied des IREBS-Instituts für Immobilienwirtschaft. Wolfgang Servatius studierte Rechtswissenschaft in Mainz, Glasgow und München. 1997 legte er das 1. Staatsexamen, 1999 das 2. Staatsexamen ab. Promoviert wurde er 2003 an der LMU München, er habilitierte sich dort im Jahr 2009. Seine Forschungsthemen sind im Bereich der Immobilienwirtschaft vor allem die Finanzierung sowie offene und geschlossene Fonds. Prof. Dr. Servatius veröffentlicht regelmäßig im Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht sowie Bank- und Kapitalmarktrecht. Prof. Dr. Jochen Sigloch studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg und an der Universität München mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann. 1971 erwarb er seine Promotion an der LMU München, wo er auch 1976 habilitierte. Er ist ordentlicher Professor an der Universität Bayreuth, wo er seit 1978 den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Wirtschaftsprüfung innehat. Zudem ist er Mitglied der Kommission Betriebswirtschaftliche Steuerlehre im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. Prof. Dr. Frank Stellmann hat an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studiert und sein zweites Staatsexamen 1991 vor dem gemeinsamen Prüfungsamt in Hamburg abgelegt. Im Jahre 1999 hat er auch seine Promotion in Kiel abgeschlossen. Nach ersten Anfangsjahren bei der Landesbank Girozentrale in Kiel war Frank Stellmann zwischen 1993 und 2009 Rechtsanwalt bei der internationalen Rechtsanwaltskanzlei CLIFFORD CHANCE, davon 13 Jahre als Partner. Seit 2009 ist er Partner bei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten. Im Jahre 2006 wurde er zum Honorarprofessor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht ernannt. Seit 2011 hält er als Honorarprofessor einen Lehrstuhl für Immobilienrecht an der Universität Regensburg. Er ist Mitherausgeber des Standardwerkes „Geschäftsraummiete“, das mittlerweile in der 3. Auflage im Beck Verlag erschienen ist. Ferner ist er Mitherausgeber der Zeitschrift für Immobilienökonomie.
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Wolfgang Usinger hat Jura studiert an den Universitäten Marburg und Genf und das zweite Staatsexamen 1972 abgelegt. Er ist Rechtsanwalt, Notar und Partner der Anwaltskanzlei Sammler Usinger in Berlin, der er 2009 nach langjähriger Tätigkeit als Partner von Clifford Chance (bis 31.12.1999: Pünder, Volhard, Weber und Axster) beitrat. Sein anwaltlicher Tätigkeitsschwerpunkt ist der gesamte Bereich des Immobilienwirtschaftsrechts. Seine Beratungstätigkeit umfasst u.a. Immobilientransaktionen (Asset und Share Deals), Erbbaurechtsverträge, gewerbliches Mietrecht, Joint Ventures, Hotelverträge, Bauträger-, GU- und GÜVerträge und alle sonstigen im Rahmen von Projektentwicklungen anfallenden Verträge. Wolfgang Usinger war langjähriger Dozent an der EBS Immobilienakademie, dem Vorgänger der IREBS Immobilienakademie. Er ist Mitherausgeber und Co-Autor des Handbuchs für die Immobilienwirtschaft „Immobilien – Recht und Steuern“ sowie Mitherausgeber und CoAutor des in englischer Sprache herausgegebenen Buches „Real Property in Germany“. Dr. Volker Zerr, MRICS, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität zu München studiert und 1997 das zweite Staatsexamen abgelegt. Im Jahre 1996 legte er die Promotion ab. Nach seiner Tätigkeit als Justiziar bei der Allianz Lebensversicherungs-AG ist er seit 1. Juli 2000 Rechtsanwalt und seit 2005 Partner bei CMS Hasche Sigle im Stuttgarter Büro und Leiter des Bereichs RealInvest. Er begleitet in- und ausländische Unternehmen bei Immobilientransaktionen und berät zu allen Fragen des gewerblichen Immobilien- und Baurechts. Volker Zerr ist seit Jahren Lehrbeauftragter der IREBS Immobilienakademie, Member of the Royal Institution of Chartered Surveyors, Vorsitzender des Prüfungsausschusses „Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht“ der Rechtsanwaltskammer Stuttgart und Mitglied der American Bar Association. Er veröffentlicht regelmäßig zu aktuellen Themen in der Fachliteratur, zuletzt im November 2012 in der Zeitschrift für Immobilienrecht zum Thema „Grundstückskaufvertrag – Haftungsausschluss bei zwischen Angebot und Annahme auftretenden Mängeln.“ 2009 hat er die CMS Real Estate Deal Point Study entwickelt und diese seither jährlich aktualisiert und publiziert.
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Rechtsordnung und Immobilienökonomie Karl-Werner Schulte und Wolfgang Servatius*
1.1 1.2 1.2.1 1.2.1.1 1.2.1.2 1.2.1.3 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3 1.2.3 1.2.3.1 1.2.3.2 1.2.3.3 1.2.4 1.2.4.1 1.2.4.2 1.2.4.2.1 1.2.4.2.1.1 1.2.4.2.1.2 1.2.4.2.2 1.2.4.3 1.2.5 1.2.5.1 1.2.5.1.1 1.2.5.1.2 1.2.5.2 1.2.5.2.1
*
Einleitung .......................................................................................................... 3 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie .................................................................................. 4 Recht und Immobilienanalyse ........................................................................... 4 Das Grundbuchrecht als Rechtsgrundlage der Standortanalyse ........................ 5 Das Städtebaurecht als Rechtsgrundlage der Standortanalyse........................... 7 Das Steuerrecht als Rechtsgrundlage der Standortanalyse ................................ 7 Recht und Immobilienbewertung ...................................................................... 8 Rechtliche Stellung der Sachverständigen......................................................... 8 Rechtliche Einbindung der Wertbegriffe ........................................................... 9 Rechtsgrundlagen der Verfahren der Wertermittlung ..................................... 10 Recht und Immobilienfinanzierung ................................................................. 11 Rechtliche Rahmenbedingungen der traditionellen Finanzierung ................... 12 Rechtliche Rahmenbedingungen des Immobilienleasing ................................ 12 Rechtliche Rahmenbedingungen der kapitalmarktorientierten Finanzierungsformen ....................................................................................... 14 Recht und Immobilieninvestition .................................................................... 14 Rechtliche Rahmenbedingungen der Miethöhe ............................................... 15 Steuerliche Rahmenbedingungen .................................................................... 16 Ertragsteuern ................................................................................................... 16 Ertragsteuern im Privatvermögen .................................................................... 17 Ertragsteuern im Betriebsvermögen ................................................................ 17 Substanz- und Verkehrsteuern ......................................................................... 17 Wirtschaftlichkeitsberechnung gemäß der II. Berechnungsverordnung .......... 18 Recht und Immobilienmarketing ..................................................................... 18 Die rechtlichen Aspekte des Kontraktmarketings im Rahmen der Distributionspolitik.................................................................................... 19 Gesetzliche Regelungen zum Maklervertrag ................................................... 20 Auftragsformen der Maklertätigkeit ................................................................ 21 Die rechtlichen Grundlagen der Kontrahierungspolitik................................... 21 Das Kaufvertragsrecht als rechtlicher Rahmen der Kontrahierungspolitik ...................................................................................... 22
unter Mitarbeit von Sonja Gier, Philipp Naubereit und Florian Beer
2 1.2.5.2.2 1.3 1.3.1 1.3.1.1 1.3.1.1.1 1.3.1.1.2 1.3.1.1.3 1.3.1.2 1.3.2 1.3.2.1 1.3.2.2 1.3.2.2.1 1.3.2.2.2 1.3.2.2.3 1.3.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.2.1 1.4.2.2 1.4.2.3 1.4.3 1.4.4
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie Das Mietrecht als gesetzliche Beschränkung der freien Mietpreisbildung ............................................................................................. 23 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie .................................................................................23 Recht und Projektentwicklung .........................................................................24 Projektinitiierung............................................................................................. 25 Ausgangssituationen einer Projektentwicklung .............................................. 25 Öffentlich-rechtliche Beschränkungen ............................................................ 27 Privatrechtliche Beschränkungen .................................................................... 28 Projektkonzeption ........................................................................................... 28 Recht und Bau-Projektmanagement .................................................................29 Projektsteuerungsverträge ............................................................................... 29 Architekten- und Ingenieurverträge ................................................................ 32 Die Aufgaben des Architekten und der zugrunde liegende Vertragstyp ......... 32 Die Haftung des Architekten ........................................................................... 33 Die Gestaltung von Bauverträgen ................................................................... 33 Recht und Facilities Management ....................................................................35 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie .................................................................................37 Recht und Immobilien-Portfoliomanagement ..................................................37 Recht und Corporate Real Estate Management ................................................38 Strategien der Immobilienbereitstellung ......................................................... 38 Strategien der Immobilienbewirtschaftung ..................................................... 39 Strategien der Immobilienverwertung ............................................................. 39 Recht und Public Real Estate Management......................................................40 Recht und Private Real Estate Management ....................................................41 Literaturverzeichnis zu Kap. 1 .........................................................................44
1.1 Einleitung
1.1
3
Einleitung
Die Schnittstellen zwischen der Immobilienökonomie und der Rechtswissenschaft sind umfangreich und vielfältig. Sämtliche Aspekte des Immobilienmanagements erfordern das Schließen von Verträgen, wobei zahlreiche Gesetze und Verordnungen zu berücksichtigen sind. Folglich bildet die Rechtswissenschaft, insbesondere das Immobilienrecht, neben der Betriebswirtschaftslehre, der Volkswirtschaftslehre, der Stadtplanung, der Architektur und dem Ingenieurwesen eines der Fundamente der Immobilienökonomie (vgl. Abb. 1.1).
Immobilienökonomie Management-Aspekte Portfoliomanagement
CREM
PREM
Immobilien- Immobilien- Immobilienanalyse bewertung finanzierung
Funktionsspezifische Aspekte
Phasenorientierte Aspekte
Immobilienprojektentwickler
Gewerbeimmobilien
Immobilieninvestoren
Wohnimmobilien
Bauunternehmen Immobilienfinanzinstitutionen
Industrieimmobilien
Immobiliendienstleister
Sonderimmobilien
Immobiliennutzer
Typologische Aspekte
Institutionelle Aspekte
Strategiebezogene Aspekte
Immobilien- Immobilien- Projekt- Bau-Projekt- Facilities investition marketing entwicklung management Management
Interdisziplinäre Aspekte Volkswirtschaftslehre
Rechtswissenschaft
Stadtplanung
Architektur
Ingenieurwesen
Betriebswirtschaftslehre
Abb. 1.1: Rahmengerüst zur Immobilienökonomie als wissenschaftlicher Disziplin („Haus der Immobilienökonomie“)
Die Immobilie ist essenzieller Bestandteil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltags und befindet sich daher im Zentrum sozialer und politischer Kalküle. Da Immobilien den Lebens- und Arbeitsraum moderner Gesellschaften darstellen, kommt ihnen als Produktionsfaktor und Kapitalanlage größte Bedeutung zu. Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass Immobilien sowohl bei privaten Haushalten als auch bei Unternehmen den größten Anteil am Gesamtvermögen darstellen (Bone-Winkel/Müller, S. 31). Aus dieser volkswirtschaftlichen Bedeutung und den besonderen Merkmalen von Immobilien resultiert sowohl gesetzlicher als auch vertraglicher Regelungsbedarf. So bettet der Gesetzgeber soziale Verpflichtungen des Staates im Hinblick auf den Schutz des Lebensraumes des Menschen und die Bereitstellung von Wohnraum als ein nicht substituierbares Gut in zahlreiche Gesetze ein. Die Eigenschaften von Immobilien wie der lange Lebenszyklus, der hohe Kapitaleinsatz und die stark eingeschränkte Flexibilität erfordern daneben die Bildung von Verträgen, die dazu dienen, das Risiko des Einzelnen zu verringern.
4
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
So reichen die Schnittpunkte der zwei Disziplinen von allgemeinen Gesetzeswerken wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Handelsgesetzbuch bis hin zu speziellen wie dem Baugesetzbuch und der Baunutzungsverordnung. Es ist zu betonen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen erhebliche Einwirkungen auf die Investitionsentscheidungen in Immobilien haben können, da sie nicht nur über die Art der baulichen Nutzung und die erzielbare Miete entscheiden, sondern auch die Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten beeinflussen. Zur systematischen Abhandlung der relevanten Gesetze empfiehlt sich eine Orientierung an den funktionsspezifischen, phasenorientierten und strategiebezogenen Managementaspekten der Immobilienökonomie, die dem Aufbau des ersten Bandes folgt. Dabei werden alle relevanten immobilienbezogenen Tätigkeiten erfasst. Es gilt jedoch auch zu berücksichtigen, dass Unterschiede zwischen den typologischen Aspekten der Immobilienökonomie auftreten. So ist bspw. der Wohnimmobilienmarkt aus sozialen Erwägungen wesentlich stärker reguliert als der Markt für Gewerbeimmobilien.
1.2
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
Die funktionsspezifischen Aspekte zählen wie die strategiebezogenen und phasenorientierten Aspekte zum Immobilienmanagement. Sie haben die immobilienbezogenen Besonderheiten einzelner betriebswirtschaftlicher Funktionen zum Gegenstand: Tab. 1.1: Funktionsspezifische Aspekte der Immobilienökonomie
Funktionsspezifische Aspekte der Immobilienökonomie Immobilienanalyse
Immobilienfinanzierung
Immobilienbewertung
Immobilienmarketing
Immobilieninvestition Daher sind sie als eine Adaption der klassischen betriebswirtschaftlichen Instrumente an die Besonderheiten und Bedürfnisse von Immobilien zu verstehen. Im Folgenden wird für jeden der funktionsspezifischen Aspekte dargelegt, welche rechtlichen Regelungen und Vorschriften Anwendung finden.
1.2.1
Recht und Immobilienanalyse
Prinzipiell lassen sich Immobilienanalysen in Basisanalysen und Spezialanalysen differenzieren (vgl. Isenhöfer/Hofmann, S. 391 ff.).
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
5
Tab. 1.2: Das Spektrum der Immobilienanalysen
Immobilienanalysen Basisanalysen
Spezialanalysen
Standortanalysen
Bewertungsanalysen
Marktanalysen
Investitionsanalysen
Gebäudeanalysen
Finanzierungsanalysen
Mietanalysen
Machbarkeitsstudien
Während sich Basisanalysen vornehmlich auf die Immobilie „an sich“, d. h. ihre Charakteristika, Potenziale und Probleme konzentrieren, integrieren Spezialanalysen die Ergebnisse der Basisanalysen mit dem Ziel, immobilienbezogene Entscheidungen vorzubereiten und zu unterstützen. Im Weiteren wird auf die Standortanalyse eingegangen, da sie eine Grundvoraussetzung für die Investition in Immobilien darstellt. Die Marktanalysen und die Gebäudeanalysen werden hier nicht behandelt, da rechtliche Rahmenbedingungen eher geringen Einfluss auf diese beiden Arten der Basisanalysen haben. Mietanalysen erfolgen auf der Grundlage des Mietrechts, auf das in Kap. 7 eingegangen wird. Die rechtlich relevanten Gebiete können Abb. 1.2 entnommen werden. Die zentrale Rolle der Standortanalyse lässt sich auf den großen Einfluss der Lage eines Objektes auf dessen Attraktivität, Nutzbarkeit und wirtschaftliche Entwicklung zurückführen. Zu den entscheidenden Merkmalen eines Standortes zählt vor allem das dort geltende Recht, insbesondere das Baurecht, das Grundbuchrecht und das Steuerrecht. Diese Aspekte sind zu den „harten Standortfaktoren“ zu zählen. Sie werden im Folgenden in ihrer Bedeutung für die Standortanalyse betrachtet. 1.2.1.1
Das Grundbuchrecht als Rechtsgrundlage der Standortanalyse
Das Grundbuchrecht steht an erster Stelle bei der rechtlichen Betrachtung eines Standortes. Die wichtigste Aufgabe des Grundbuchs ist die Bereitstellung einer sicheren Grundlage über den Rechtsverkehr von Grundstücken (vgl. Kap. 3.1). Weiterhin sollen alle Rechtsverhältnisse, die für ein Grundstück relevant sind, ebenso wie Rechtsänderungen klar und übersichtlich aus dem Grundbuch nachvollziehbar sein. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass trotz der großen Sicherheit, die das Grundbuchrecht für den Rechtsverkehr bietet, nicht alle Rechtsverhältnisse aus dem Grundbuch ersichtlich sein müssen. Ausnahmen können z. B. entstehen durch:
Briefgrundpfandrechte, Öffentlich-rechtliche Bindungen, insbesondere Baulasten, und Rechtsänderungen außerhalb des Grundbuches, insbesondere gesellschaftsrechtliche und erbrechtliche Vorgänge. Im Rahmen einer vollständigen Immobilienanalyse sind auch diese Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, da sie erheblichen Einfluss auf die Verwendbarkeit und den Wert eines Grundstücks haben können.
6
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Immobilienanalyse
Standortanalyse
Grundbuchrecht Städtebaurecht Steuerrecht
Landesbauordnung (BauO bzw. LBauO) Grundsteuergesetz (GrStG)
Gewerbesteuergesetz (GewStG) Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) Abb. 1.2: Übersicht über die für die Immobilienanalyse relevanten Rechtsgebiete
Das Grundbuchrecht ist charakterisiert durch eine Anzahl von Grundsätzen, von denen nur die aus immobilienökonomischer Sicht interessanten im Weiteren betrachtet werden. Zuerst ist der Eintragungsgrundsatz zu erwähnen. Danach sind Erwerb und Verfügungen von bzw. über Grundstückseigentum oder Grundstücksrechte grundsätzlich von der Eintragung im Grundbuch abhängig. Daraus lässt sich folgern, dass das Grundbuch in der Regel Aufschluss über den Eigentümer des Grundstückes gewährt, eine aus immobilienökonomischer Sicht höchst relevante Frage. Der Publizitätsgrundsatz besagt, dass die Eintragungen im Grundbuch öffentlichen Glauben genießen; demnach kann derjenige, der berechtigtes Interesse daran hat, das Grundbuch einsehen. Dies ist von grundlegender Bedeutung für die Immobilienanalyse, da die Informationen des Grundbuchs ohne Einsichtsmöglichkeit wertlos für die Analyse wären. Schließlich ist noch das Vorrangprinzip zu würdigen. Hiernach richtet sich der Rang von Grundstücksrechten in derselben Abteilung nach der Reihenfolge ihrer Eintragung im Grundbuch. Das Grundbuchblatt ist inhaltlich in vier Teile gegliedert: das Bestandsverzeichnis und drei Abteilungen. Das Bestandsverzeichnis gibt in Übereinstimmung mit dem Liegenschaftskataster Aufschluss über die Grundstücksbezeichnung, Gemarkung, Flurstück und Größe. Weiterhin werden Herrschvermerke (oder Aktivvermerke) zugunsten des Grundstücks über andere Grundstücke aufgeführt.
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
7
In der I. Abteilung wird der Eigentümer eingetragen, bei mehreren gemeinschaftlichen Eigentümern werden weiterhin die Eigentumsverhältnisse vermerkt. Zudem wird der Grund des Erwerbs notiert. Die II. Abteilung dient der Eintragung aller Belastungen des Grundstücks (mit Ausnahme der in der III. Abteilung einzutragenden Grundpfandrechte), wie z. B. Dienstbarkeiten, Nießbrauch, Vorkaufsrechte, Reallasten usw. Zudem enthält sie Vormerkungen und Widersprüche, die sich auf Eintragungen in der II. Abteilung beziehen. Speziell dort findet sich somit Aufschluss über die Verwendungsmöglichkeiten des Grundstücks. Daher sollte die II. Abteilung im Rahmen der Analyse besondere Aufmerksamkeit erfahren. In der III. Abteilung werden die finanziellen Belastungen des Grundstücks notiert. Es werden Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden einschließlich der sich auf sie beziehenden Vormerkungen und Widersprüche eingetragen. Vor allem für den potenziellen Käufer des Grundstücks können hier detailliert alle finanziellen Belastungen nachvollzogen werden. Es zeigt sich, dass das Grundbuchrecht eine der wichtigsten Informationsquellen für die Standortanalyse ist. Deshalb sollte im Rahmen einer Standortanalyse möglichst frühzeitig auf diese Quelle zurückgegriffen werden, da hier zum Teil schon Sachverhalte aufgedeckt werden können, die den Standort für weitere Erwägungen disqualifizieren. 1.2.1.2
Das Städtebaurecht als Rechtsgrundlage der Standortanalyse
Die durch den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) abgeleitete Baufreiheit wird unter anderem durch das Städtebau- und das Bauordnungsrecht begrenzt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Rahmen des Städtebaurechts regelt das Bauplanungsrecht die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke (vgl. Kap. 2.1). Es stellt damit eine wesentliche Grundlage bei der Bestimmung der Eignung eines Standortes dar. Sollte für die gewünschte Nutzung kein Baurecht vorliegen oder erwirkbar sein, führt dies zum automatischen Ausschluss des Standortes. Das Städtebaurecht wird im Rahmen der phasenorientierten Aspekte grundlegend betrachtet, weshalb hier nur darauf verwiesen sein soll. 1.2.1.3
Das Steuerrecht als Rechtsgrundlage der Standortanalyse
Steuerliche Erwägungen sind zwar generell von Bedeutung bei der Investition in Immobilien, bei der Wahl des Standortes sollten sie jedoch nur sekundär berücksichtigt werden, wie sich an der großen Zahl von Fehlinvestitionen im Rahmen des Fördergebietsgesetzes gezeigt hat. Mit dem Auslaufen dieses Gesetzes verschwindet zugleich der bedeutsamste ortsabhängige Steuerfaktor. Im Rahmen der Standortanalyse soll nicht eine umfassende steuerliche Konzeption untersucht, sondern vielmehr der Blick auf die steuerlichen Vor- bzw. Nachteile gerichtet werden, die mit einem Standort verbunden sind. Deshalb ist es sinnvoll, sich im Rahmen der Analyse nur auf die ortsabhängigen Steuerarten zu konzentrieren. Ortsunabhängige Steuerarten sollten per Definition keinen Einfluss auf die Wahl des Standortes haben. Nach dem Auslaufen des Fördergebietsgesetzes sind drei Steuerarten vorhanden, die ortsabhängig erhoben werden. Die Gewerbesteuer richtet sich an Gewerbebetriebe und ist vom Unternehmer, für dessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird, zu entrichten (vgl. Kap. 10.2).
8
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag. Der Gewerbeertrag wird nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes/Körperschaftsteuergesetzes ermittelt. Der Betrag wird um bestimmte Hinzurechnungen bzw. Kürzungen modifiziert (§§ 8 und 9 GewStG). Unter Anwendung der Steuermesszahl, die grundsätzlich 5 % beträgt (für Ausnahmen vgl. § 11 Abs. 3 GewStG), ergibt sich der einheitliche Steuermessbetrag, auf den im letzten Schritt der Hebesatz der Gemeinde angewendet wird. Aus diesem Vorgehen folgt eine gemeindeabhängige Gewerbesteuer je nach dem individuellen Hebesatz. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten ortsabhängigen Steuerart, der Grundsteuer (vgl. Kap. 10.2). Im Gegensatz zur Gewerbesteuer, die zu den Ertragsteuerarten zu zählen ist, stellt die Grundsteuer eine Substanzsteuer dar. Besteuert wird der Grundbesitz im Gebiet einer hebeberechtigten Gemeinde. Die Steuer ist von dem zu entrichten, dem das Steuerobjekt bei Feststellung des Einheitswertes zugerechnet wird. Analog zur Gewerbesteuer wird auch hier der Hebesatz der Gemeinde auf den Steuermessbetrag angewandt, um die Steuer zu ermitteln. Der Steuermessbetrag wird durch Anwendung einer Steuermesszahl auf den Einheitswert ermittelt. Die Steuermesszahl liegt, je nach Nutzung des Grundstücks, zwischen 3,1 und 6,0 von Tausend. Auch hier wird die Steuer maßgeblich durch den Hebesatz der Gemeinde beeinflusst. Darüber hinaus ist die Grunderwerbsteuer als dritte ortsabhängige Steuer zu berücksichtigen. Die Bundesländer dürfen seit dem 1. September 2006 den Steuersatz für die Grunderwerbsteuer selbst festlegen (Art. 105 Abs. 2a S. 2 Grundgesetz). Der Steuersatz liegt zurzeit zwischen 3,5 % und 5,5 % (Schleswig-Holstein ab 2014 6,5 %) der Bemessungsgrundlage. Die Grunderwerbsteuer ist eine sog. Verkehrsteuer, die an den Erwerb von inländischen Grundstücken anknüpft. Bemessungsgrundlage ist der Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 Grunderwerbsteuergesetz), z. B. beim Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Gewerbesteuer- und Grundsteuerhebesätze sowie Grunderwerbsteuer müssen im Rahmen der Standortanalyse in Betracht gezogen, aber, wie schon erwähnt, hinter die anderen Aspekte der Standortanalyse zurückgestellt werden. Die Standortanalyse sollte auf Ertragspotenziale und nicht auf Steuereinsparpotenziale ausgerichtet sein.
1.2.2
Recht und Immobilienbewertung
Die Bewertung von Immobilien zählt zu den zentralen Aufgaben des Immobilienmanagements und findet bei zahlreichen Anlässen Anwendung (vgl. dazu Leopoldsberger/ Thomas/Naubereit, S. 453 ff.). Der Immobilienbewertung ist in Deutschland durch die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) und die Wertermittlungsrichtlinien 2006 (WertR) ein solider rechtlicher Rahmen gegeben worden. Im Folgenden werden die rechtliche Stellung des Sachverständigen, die unterschiedlichen Wertbegriffe und die rechtliche Fundierung der Bewertungsverfahren betrachtet (vgl. Abb. 1.3). 1.2.2.1
Rechtliche Stellung der Sachverständigen
Es gibt prinzipiell drei Typen von Sachverständigen. Mangels eines Berufsgesetzes für Sachverständige kann prinzipiell jeder als Sachverständiger tätig werden. Im Allgemeinen versteht man unter freien Sachverständigen Personen, die über das nötige Fachwissen ver-
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
9
fügen, jedoch keinen öffentlich-rechtlichen Nachweis vorweisen können. Sie sind weiterhin nicht an die Vorschriften der ImmoWertV und der WertR gebunden. Dennoch ist die Einhaltung der Vorschriften wirtschaftlich geboten, da die ImmoWertV breite Anerkennung genießt. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige müssen eine Prüfung der Sachkunde und der persönlichen Eignung vor der bestellenden Industrie- und Handelskammer ablegen. Weiterhin soll die Vereidigung die gewissenhafte und unparteiische Pflichterfüllung sicherstellen. Auch hier gilt kein gesetzlicher Zwang zur Einhaltung der ImmoWertV, jedoch besteht, wie schon erwähnt, grundsätzlich Interesse an einer Einhaltung der Vorschriften. Immobilienbewertung
Rechtliche Stellung des Sachverständigen
Rechtliche Einbindung der Wertbegriffe
Baugesetzbuch (BauGB)
Rechtsgrundlagen der Verfahren der Wertermittlung
Immobilienwertermittlu ngsverordnung (ImmoWertV)
Immobilienwertermittlu ngsverordnung (ImmoWertV)
Wertermittlungsrichtlinien (WertR)
Wertermittlungsrichtlinien (WertR)
Baugesetzbuch (BauGB)
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Pfandbriefgesetz (PfandBG) Bewertungsgesetz (BewG) Gesetz über den Versicherungsvertrag (VVG)
Abb. 1.3: Übersicht über die für die Immobilienbewertung relevanten Rechtsgebiete
Weiter sind die Sachverständigen der Gutachterausschüsse zu nennen. Die rechtlichen Grundlagen der Gutachterausschüsse finden sich in den §§ 192 ff. BauGB, der ImmoWertV und den landesrechtlichen Verordnungen. Sie sind als einzige an die Befolgung der Regelungen der ImmoWertV und der WertR gebunden. Ziel der Gutachterausschüsse ist es, den Grundstücksmarkt für die Öffentlichkeit transparenter zu machen und so eine marktgerechte Preisfindung zu ermöglichen. Dies geschieht unter anderem durch die Einrichtung und Führung der Kaufpreissammlung, die Ermittlung von Bodenrichtwerten und die Bereitstellung von weiterem Datenmaterial, wie z. B. Aufstellungen über Liegenschaftszinssätze oder Bewirtschaftungsdaten. 1.2.2.2
Rechtliche Einbindung der Wertbegriffe
In Deutschland sind vier Wertbegriffe von besonderer Bedeutung. Zuerst ist der Verkehrswert zu nennen. Er ist nach § 194 BauGB der Preis, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des
10
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Der Verkehrswert hat noch weitere rechtliche Bezüge:
als Bemessungsgrundlage von Entschädigungen für Enteignung im § 95 Abs. 1 Satz 1 BauGB, bei Zwangsversteigerungen nach § 74a Abs. 5 des Zwangsvollstreckungsgesetzes, bei offenen Immobilienfonds nach § 79 des Investmentgesetzes (InvG) im Rahmen der jährlichen Ermittlung des Verkehrswertes der Bestandsobjekte oder nach § 67 Abs. 5 InvG bzw. § 82 Abs. 1 InvG beim Erwerb neuer Objekte bzw. bei der Veräußerung von Bestandsobjekten. Weitere Anwendungsbereiche finden sich noch im Haushaltsrecht, im Bergrecht sowie im Flurbereinigungsverfahren. Der Beleihungswert ist der Wert der Immobilie, der erfahrungsgemäß unabhängig von vorübergehenden, etwa konjunkturell bedingten Wertschwankungen am maßgeblichen Grundstücksmarkt und unter Ausschaltung von spekulativen Elementen während der gesamten Dauer der Beleihung bei einer Veräußerung voraussichtlich erzielt werden kann (§ 3 Abs. 1 Beleihungswertermittlungsverordnung, BelWertV). Der Beleihungswert ist für die Kreditvergabe einer Bank (z. B. § 18 Abs. 1 S. 3 Kreditwesengesetz) und die sich daraus ergebende Eigenkapitalunterlegung von Bedeutung. Darüber hinaus kommt er auch bei der Refinanzierung von Pfandbriefbanken zum tragen, vgl. § 14 Pfandbriefgesetz (PfandBG). Der Versicherungswert ist definiert in § 88 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG). Es handelt sich hierbei prinzipiell um die Wiederbeschaffungskosten der Gebäude, da Grund und Boden als unzerstörbar gelten. Der Einheitswert ist in § 19 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes definiert. Danach wird der Einheitswert nach einem gegenüber dem Verkehrswert vereinfachten Verfahren und zum Stichtag 1.1.1964 ermittelt. Er diente in der Vergangenheit als Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die Gewerbesteuer (zur Ermittlung der Kürzung gem. § 9 Nr. 1 GewStG beachte aber § 121a BewG), die Vermögensteuer sowie für die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Mittlerweile wird der Einheitswert nur noch zur Ermittlung der Grundsteuer und der Gewerbesteuer verwendet, für andere Zwecke wird eine Bedarfsbewertung vorgenommen. Bei der Bedarfsbewertung bestimmt sich der Wert der unbebauten Grundstücke nach ihrer Fläche und dem um 20 % ermäßigten Bodenrichtwert. Die Bewertung bebauter Grundstücke erfolgt auf Basis eines vereinfachten Ertragswertverfahrens. Danach errechnet sich der Wert des Grundstücks aus dem Zwölfeinhalbfachen der aus den letzten drei Jahren vor dem Besteuerungszeitraum durchschnittlich erzielten Netto-Jahresmiete abzüglich der Alterswertminderung. 1.2.2.3
Rechtsgrundlagen der Verfahren der Wertermittlung
Nach § 8 ImmoWertV stehen prinzipiell drei Verfahren zur Ermittlung des Verkehrswertes eines Grundstückes zur Verfügung:
das Vergleichswertverfahren, das Ertragswertverfahren und das Sachwertverfahren.
Gegenstand der Ermittlung des Verkehrswertes sind das Grundstück, die Bestandteile und Scheinbestandteile des Grundstücks, geregelt in den §§ 94 und 95 BGB, sowie das Zubehör nach § 97 BGB.
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
11
Das Vergleichswertverfahren wird i. d. R. zur Ermittlung des Bodenwertes von Grundstücken herangezogen. Zur Bewertung bebauter Grundstücke fehlen dem Sachverständigen meistens genügend zeitnahe, vergleichbare Transaktionen. Das Vergleichswertverfahren ist in den §§ 15 und 16 der ImmoWertV geregelt. Das Ertragswertverfahren wird i. d. R. bei bebauten Grundstücken, die zur Ertragserzielung durch Vermietung oder Verpachtung bestimmt sind, angewandt. Der Grundstückswert ist prinzipiell durch den nachhaltig erzielbaren Grundstücksertrag determiniert. Beispiele sind Mietwohn- und Geschäftsgrundstücke, gemischt genutzte Grundstücke, Gewerbe-, Industrie- und Garagengrundstücke. Das Ertragswertverfahren ist in den §§ 17 bis 20 ImmoWertV geregelt. Das Sachwertverfahren kommt nach Abschn. 3.1.3 der WertR i. d. R. bei Grundstücken zur Anwendung, bei denen es für die Werteinschätzung am Markt nicht in erster Linie auf den Ertrag ankommt. Das gilt vor allem für eigengenutzte Ein- und Zweifamilienhäuser. Die Wertermittlung findet in zwei Schritten statt. Zuerst wird der Bodenwert nach dem schon erwähnten Vergleichswertverfahren ermittelt, dann wird der Wert der baulichen Anlagen nach § 21 Abs. 3 ImmoWertV auf Grundlage des Herstellungswertes berechnet. Zur Ermittlung des Verkehrswertes können auch mehrere Verfahren herangezogen werden, wobei der Verkehrswert dann aus deren Ergebnissen unter Würdigung ihrer Aussagefähigkeit zu bemessen ist.
1.2.3
Recht und Immobilienfinanzierung
Immobilien erfordern hohe Investitionsvolumina und binden Kapital auf sehr lange Zeit (vgl. Kap. 11). Dies veranlasst viele Investoren, aus Mangel an Eigenkapital zur Nutzung des Leverage-Effektes auf Fremdfinanzierung zurückzugreifen.
Immobilienfinanzierung
Traditionelle Finanzierung
Immobilienleasing Pfandbriefgesetz (PfandBG)
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Kreditwesengesetz (KW G)
Immobilien-Leasingerlaß vom 21.03.1972 zu Vollamortisationsverträgen
Bausparkassengesetz (BausparkG)
Teilamortisationserlaß für Immobilien vom 23.12.1991 zu Teilamortisationsverträgen
Abb. 1.4: Übersicht über die für die Immobilienfinanzierung relevanten Rechtsgebiete
12
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Mit der Weiterentwicklung der Immobilienwirtschaft sind zu der klassischen Kreditfinanzierung eine Reihe innovativer, insb. kapitalmarktorientierter Finanzierungsformen hinzugetreten, aus denen der Investor die für seine Zwecke am besten geeignete wählen kann (vgl. Kap. 12). In Abb. 1.4 werden die Finanzierungsinstrumente mit ihren rechtlichen Grundlagen und Implikationen betrachtet. 1.2.3.1
Rechtliche Rahmenbedingungen der traditionellen Finanzierung
Die klassische Form der Finanzierung von Immobilien ist das grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen (vgl. Kap. 11). Ausgangspunkt jeder Immobilienfinanzierung ist der Wert der zu finanzierenden Immobilie. Hierbei spielt der Beleihungswert, der schon im Rahmen der Immobilienbewertung behandelt wurde, eine entscheidende Rolle. Aus dem Beleihungswert lässt sich die Beleihungsgrenze für die Finanzierung ermitteln. Bei Pfandbriefbanken beträgt die Beleihungsgrenze nach § 14 PfandBG 60 % des Beleihungswertes, wenn die erworbenen Grundpfandrechte durch Ausgabe von Hypothekenpfandbriefen refinanziert werden sollen. Bausparkassen haben die Möglichkeit, ohne ausreichende zusätzliche Sicherheit nach § 7 Abs. 1 Satz 3 BausparkG 80 % des Beleihungswertes zu beleihen. Das klassische grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen, das innerhalb der 60 %-igen Beleihungsgrenze liegt, bezeichnet man als Realkredit (vgl. Kap. 11.1). Der aus dem Hypothekenbankgesetz abgeleitete Begriff des Realkredits gilt gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) für alle Kreditinstitute. Grundpfandrechtlich besicherte Finanzierungen, die über die 60 %-ige Beleihungsgrenze hinausgehen, werden als dinglich gesicherte Personalkredite bezeichnet (vgl. Kap. 11.1). Hier spielt die Kreditprüfung, zu der Kreditinstitute in diesem Fall nach § 18 KWG verpflichtet sind, eine größere Rolle. Neben dem klassischen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen besteht bei selbstgenutzten Wohnungen auch noch die Möglichkeit eines Bauspardarlehens. Hierbei handelt es sich um einen langfristigen Kredit, der von Bausparkassen gewährt wird und sowohl zweck- als auch objektgebunden ist. Bausparkassen sind Kreditinstitute, deren Geschäftsbetrieb nach § 1 BausparkG darauf gerichtet ist, Einlagen von Bausparern entgegenzunehmen und aus den angesammelten Beiträgen den Bausparern für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen Bauspardarlehen zu gewähren. Nach § 2 BausparkG dürfen Bausparkassen nur in Form einer Aktiengesellschaft betrieben werden. Weiterhin ist es Bausparkassen nach § 4 Abs. 5 BausparkG nicht erlaubt, sich vor Zuteilung eines Bausparvertrages zu verpflichten, die Bausparsumme zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuzahlen. Die Finanzierung durch Bausparkassen ergänzt i. d. R. die Finanzierung durch Realkredite; sie deckt folglich den über die Beleihungsgrenze von 60 % hinausgehenden Fremdkapitalbedarf ab. 1.2.3.2
Rechtliche Rahmenbedingungen des Immobilienleasing
Für das Immobilienleasing gibt es keinen abschließenden Standardvertrag. Es kommen vielmehr unterschiedliche Gestaltungen zur Anwendung. Gegenstand des Immobilienleasingvertrags können Grundstücke, Gebäude und sonstige Betriebsanlagen sein. Während der im Leasingvertrag vereinbarten Grundmietzeit darf der Leasingnehmer den Leasinggegenstand gegen Zahlung von Leasingraten nutzen. Nach Ablauf der Grundmietzeit ist der Gegenstand zurückzugeben. Alternativ kann eine Mietverlängerungs- oder eine Kaufoption im Vertrag vorgesehen sein. Immobilienleasingverträge sind im Allgemeinen als Finanzie-
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
13
rungs-Leasingverträge gestaltet. Im Gegensatz zu Operate-Leasingverträgen sind sie während der Grundmietzeit nicht kündbar. Bei der rechtlichen Gestaltung wird aus Gründen der einfacheren Handhabung und der größeren Gestaltungsflexibilität eine Objektgesellschaft verwendet. Zum einen kann die Objektgesellschaft in Form einer GmbH gegründet werden, wobei die Leasinggesellschaft 100 % der Anteile hält, zum anderen kann die Objektgesellschaft als Personengesellschaft unter Beteiligung des Leasingnehmers gegründet werden. Mittlerweile werden Immobilienleasinggeschäfte zunehmend in der Form von Immobilienleasingfonds abgewickelt. Der Immobilienleasingfonds ist ein geschlossener Immobilienfonds, dem ein Immobilienleasinggeschäft zugrunde liegt. Hierbei beteiligen sich ein oder mehrere Eigenkapitalgeber an der Objektgesellschaft (vgl. Abb. 1.5).
Immobilienleasinggesellschaft Verwaltungsvertrag ggf. Gewinnabführungsvertrag
Leasingnehmer
Objektgesellschaft (LG und Bauherr) Leasingvertrag Ankaufsrecht Gesellschaftsvertrag
Bank Darlehensvertrag
Bauvertrag
Baudienstleister
Bauvertrag Direktvergabe möglich
Erbbaurechtsvertrag Grundstückskaufvertrag
Grundstücksverkäufer
Abb. 1.5: Funktionsweise des Immobilienleasing
Finanzierungsleasingmodelle für Immobilieninvestitionen lassen sich in Vollamortisationsmodelle und Teilamortisationsmodelle trennen. Wie der Name schon andeutet, ist im Rahmen eines Vollamortisationsvertrages die volle Amortisation während der unkündbaren Grundmietzeit vorgesehen. Bei den Teilamortisationsverträgen kann weiter in reine Teilamortisationsverträge und Teilamortisationsverträge mit Mieterdarlehensmodell unterschieden werden. Im Unterschied zum reinen Teilamortisationsvertrag, bei dem die zu zahlenden Leasingraten während der Grundmietzeit die Gesamtinvestitionskosten des Leasinggebers nur zum Teil decken, hat der Leasingnehmer zusätzlich dem Leasinggeber regelmäßige Leistungen aus Mietdarlehen zu erbringen. Zur Beurteilung der Voll- und Teilamortisationsverträge kann die im folgenden dargestellte Auffassung der Finanzverwaltung herangezogen werden: das Schreiben des Bundesministers der Finanzen bezüglich der ertragsteuerlichen Behandlung von Finanzierungs-Leasingverträgen über unbewegliche Wirtschaftsgüter vom 21. März 1972 und das Schreiben des Bundesministers der Finanzen in Bezug auf die ertragsteuerliche Behandlung von Teilamortisa-
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1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
tionsverträgen über unbewegliche Wirtschaftsgüter vom 23. Dezember 1991. Die Schreiben geben Aufschluss über die steuerliche Zurechnung des Gebäudes und des Grundstückes in Abhängigkeit von der Gestaltung des Leasingvertrages. Zu den entscheidenden Faktoren zählen das Vorhandensein bzw. die Gestaltung der Kaufoption, Mietverlängerungsoption oder eine Spezialleasinggestaltung. Spezialleasing liegt dann vor, wenn der Leasinggegenstand so auf die Bedürfnisse des Leasingnehmers zugeschnitten ist, dass eine Drittverwendungsmöglichkeit für den Leasinggeber nicht gegeben ist. Der Leasingvertrag ist rechtlich nicht eindeutig einzuordnen; der BGH beurteilt ihn wegen der entgeltlichen Gebrauchsüberlassung als atypischen Mietvertrag. 1.2.3.3
Rechtliche Rahmenbedingungen der kapitalmarktorientierten Finanzierungsformen
Der Einsatz der traditionellen Finanzierungsform ist für bestimmte Immobilienprojekte, z. . im Bereich der Gewerbeimmobilien (Bürogebäude, Einkaufszentren), begrenzt. Die notwendige Eigenleistung der Projektentwickler und eine zunehmend strengere Regulierung des Kreditgeschäfts der Banken lassen alternative Finanzierungsformen an Attraktivität gewinnen. Insbesondere kann die Kapitalaufnahme auch durch eine Finanzierung über den Kapitalmarkt erfolgen. Aus der Sicht des Anlegers handelt es sich um eine indirekte Investition in Form einer kollektiven Vermögensanlage. Zu den Instrumenten der indirekten Finanzierung über den Kapitalmarkt zählen der offene Immobilienfonds (ausführlich Kap. 12.2), der geschlossene Immobilienfonds (Kap. 12.4), die Immobilien-AG (12.6) sowie die deutsche REIT-AG (Kap. 12.5). Auch einer Finanzierung durch Immobilienverbriefung wird in der Zukunft bei den jetzigen Bedingungen eine größere Bedeutung zukommen. Der Projektentwickler kann sich demnach zwischen verschiedenen alternativen Finanzierungsmethoden entscheiden. Die Auswahl hängt im Wesentlichen auch von den kapitalmarktrechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Finanzierungsinstruments ab (vgl. Kap. 12).
1.2.4
Recht und Immobilieninvestition
Immobilien können wie Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Kapitallebensversicherungen als Kapitalanlage dienen. Im Wettbewerb um das Kapital müssen Immobilien hinsichtlich der Investitionsmotive des Anlegers mit den anderen Anlagen vergleichbar sein (vgl. dazu BoneWinkel/Schulte/Sotelo/Allendorf/Ropeter-Ahlers, S. 627 ff. sowie Schulte/Bone-Winkel/Thomas): Rentabilität, Sicherheit und Fungibilität. Zur Rentabilität sind auch die steuerlichen Vorteile, die mit einer bestimmten Form der Kapitalanlage verbunden sind, zu rechnen. Um diese Vergleichbarkeit herzustellen, bedarf es einer detaillierten Investitionsrechnung, welche die mit einer Anlage in Immobilien verbundenen Chancen und Risiken transparent macht und in allgemein anerkannten Kennzahlen ausdrückt. Die Investitionsrechnung selbst unterliegt keinen rechtlichen Vorschriften. Die Wahl der Methode und die Anwendung können frei nach den Interessen des Investors gewählt werden; somit kommt der Investitionsrechnung auch keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Hier ist
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
15
jedoch bei der Ermittlung oder Festlegung der Eingangsgrößen der Investitionsrechnung auf rechtliche Zusammenhänge zu achten, um eine möglichst genaue und wirklichkeitsgetreue Berechnung zu erhalten (vgl. Abb. 1.6). Als Beispiel seien Miethöhe und Abschreibungen genannt, die in verschiedenen Gesetzen geregelt sind. Im Folgenden werden die wesentlichen Parameter der Investitionsrechnung für Immobilien in ihrem rechtlichen Kontext betrachtet.
Im m ob ilien in v es titio n
R e c h tlic h e R a h m e nb e din g un g en d e r M ie th ö h e
S teu e rlic he R a h m e nb e din g un g e n
S tra fg e s etz b uc h (S tG B )
W irtsc h afts s trafge s e tz (W iS tG )
W irtsc h aflic h ke its be re c hn u n g g e m ä ß de r II. B e re c h n u ng s v e rord n un g
E in ko m m e n s te u erg es etz (E S tG ) K örp e rs c ha fts te ue rg es etz (K S tG ) U m s a tzs te ue rg es etz (U S tG ) G ru nd e rw e rb s te u erg e s e tz (G rE S tG ) E rb s c h afts teu e r- u nd S c h e nk un g s te u e rg e s e tz G ru n ds te ue rg es e tz (G rS tG )
Abb. 1.6: Übersicht über die für die Immobilieninvestition relevanten Rechtsgebiete
1.2.4.1
Rechtliche Rahmenbedingungen der Miethöhe
Im Gegensatz zum gewerblichen Immobilienmarkt unterliegt die Miete auf dem Wohnungsmarkt rechtlichen Vorschriften (vgl. Kap. 7.1). Klare Grenzen sind der Miethöhe durch den Wuchertatbestand nach § 291 StGB und das Verbot der Mietpreisüberhöhung nach § 5 WiStrG gegeben. Von Mietpreisüberhöhung kann i. d. R. bei einer Miete, die 20 % über dem marktüblichen liegt, ausgegangen werden. Der Wuchertatbestand wird bei einer 50 %-igen Überschreitung erfüllt. Die §§ 5 WiStrG und 291 StGB gelten grundsätzlich auch für Staffelmietvereinbarungen. Im Rahmen der Bestimmungen über die Wohnraummiete (§§ 557 ff. BGB) ist festgelegt, in welchem Ausmaß und unter welchen Umständen der Vermieter das Recht hat, die Miete anzuheben. Es bestehen danach zwei unterschiedliche Ansätze zur Erhöhung der Miete. Zum einem besteht die Möglichkeit, gemäß den §§ 559, 560 BGB durch Umlegungen von Modernisierungskosten und Betriebskostenerhöhungen einen Mieterhöhungsanspruch des Vermieters zu rechtfertigen. Zum anderen kann nach § 558 BGB die Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete vom Vermieter als Zustimmungsanspruch geltend gemacht werden. Das BGB regelt in § 557a auch Staffelmietvereinbarungen. Deshalb sollten aus Sicht des Vermieters folgende Voraussetzungen eingehalten werden:
16
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Während der Dauer der Staffelmietvereinbarung sind Erhöhungen der Miete nach den §§ 558 bis 559 b BGB ausgeschlossen, weiterhin muss die Miete jeweils mindestens ein Jahr unverändert bleiben und die jeweilige Miete oder die jeweilige Erhöhung muss in einem Geldbetrag ausgewiesen werden. Zudem sind Beschränkungen des Kündigungsrechtes des Mieters unwirksam, soweit sie sich auf einen Zeitraum von mehr als 4 Jahren seit Abschluss der Vereinbarung erstrecken. Weiterhin sind Indexmieten im BGB geregelt. Die Miete wird folglich an einen Preisindex gekoppelt. Wirksam sind derartige Vereinbarungen nur, wenn die Voraussetzungen des § 557b BGB eingehalten werden. Zu den zentralen Voraussetzungen zählen unter anderem, dass der Preisindex für die Gesamtlebenshaltung maßgeblich ist, die Anpassung höchstens der prozentualen Indexänderung entspricht, Anpassungen sowohl nach oben als auch nach unten vorgenommen werden, die Mietanpassung aufgrund Indexänderung höchstens einmal pro Jahr erfolgen darf und die Mietänderung durch Erklärung in Textform geltend zu machen ist. 1.2.4.2
Steuerliche Rahmenbedingungen
Bei Investitionen in Immobilien spielen steuerliche Überlegungen eine entscheidende Rolle. Deshalb ist schon im Rahmen der Investitionsrechnung darauf zu achten, dass alle Einflussgrößen hinsichtlich ihres Ansatzes steuerrechtlich anerkannt sind. Durch die frühzeitige Berücksichtigung von steuerlichen Bezügen ist es möglich, eine die Investition optimierende Steuerkonzeption zu erstellen. Eine wichtige Unterscheidung im Rahmen der steuerlichen Betrachtung ist die Zugehörigkeit eines Wirtschaftsgutes zum Privatvermögen oder zum Betriebsvermögen (vgl. Kap. 10.1). Mangels einer Definition des Begriffes Privatvermögen wird dieses negativ definiert durch die Nichtzugehörigkeit eines Wirtschaftsgutes zum Betriebsvermögen. Somit sind alle Wirtschaftsgüter betroffen, die sachlich weder notwendiges noch gewillkürtes Betriebsvermögen sind. Im Folgenden wird eine kurze Gliederung der verschiedenen Steuerarten gegeben. Grundsätzlich werden die drei Kategorien Ertragsteuern, Substanzsteuern und Verkehrsteuern unterschieden. 1.2.4.2.1
Ertragsteuern
Die wichtigsten Ertragsteuern sind die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer (vgl. Kap. 10.2). Der Einkommensteuer unterliegen natürliche Personen, der Körperschaftsteuer juristische Personen. Die Einkommensteuer unterscheidet sieben Einkunftsarten. Für Immobilien sind vor allem drei Einkunftsarten von Bedeutung: Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung und aus Spekulationsgeschäften im Rahmen der sonstigen Einkünfte. Die beiden letztgenannten Einkunftsarten zählen zu den Überschusseinkünften und unterliegen nicht der Gewerbesteuer. Aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung ist die Investitionsrechnung aus der individuellen Sicht des Investors aufzustellen. Von grundlegender Bedeutung ist hier, ob die Immobilie der Einkommensteuer oder der Körperschaftsteuer unterliegt. Im Folgenden werden die steuerlich relevanten Unterschiede behandelt, die sich aus der Zuordnung zum Privat- oder Betriebsvermögen ergeben.
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie 1.2.4.2.1.1
17
Ertragsteuern im Privatvermögen
Im Privatvermögen sind Werterhöhungen der Anlagesubstanz steuerfrei; die Investitionsrechnung des Anlegers wird also nicht durch Ertragsbesteuerung belastet. Es sind mögliche Ausnahmen von der Steuerfreiheit zu beachten: Zu nennen sind hier der Tatbestand des gewerblichen Grundstückhandels, Spekulationsgeschäfte und Veräußerungen wesentlicher Beteiligungen an Objektgesellschaften (vgl. Kap. 10.2). Laufende Erträge im Privatvermögen unterliegen dagegen grundsätzlich der Steuerpflicht, wie z. B. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Folglich sind korrespondierende Werbungskosten abzugsfähig. Beim Erstellen der Investitionsrechnung ist darauf zu achten, dass die angesetzten Werbungskosten später steuerlich anerkannt werden. Die rechtlichen Vorschriften hierzu finden sich in § 9 EStG. Zu den abzugsfähigen Werbungskosten zählen unter anderem Schuldzinsen, Geldbeschaffungskosten, Grundsteuer, Kosten der Verwaltung, Erhaltungsaufwendungen und Absetzungen für Abnutzung. Letztere haben wesentlichen Einfluss auf die Vorteilhaftigkeit einer Investition. Im Weiteren muss zwischen Erhaltungsaufwand und Herstellungsaufwand unterschieden werden. Während Erhaltungsaufwendungen als Werbungskosten abgezogen werden können, müssen Herstellungsaufwendungen aktiviert und über die Gesamtdauer der Nutzung abgeschrieben werden. Ein Beispiel hierfür ist der „anschaffungsnahe Herstellungsaufwand“. Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG werden Aufwendungen als Herstellungskosten behandelt, wenn die Instandsetzungs- oder Modernisierungsaufwendungen in den ersten drei Jahren nach dem Erwerb 15 % der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. Anschaffungs- und Herstellungskosten werden über die Nutzungsdauer abgeschrieben. Die entsprechenden Regelungen sind dem § 7 EStG zu entnehmen. 1.2.4.2.1.2
Ertragsteuern im Betriebsvermögen
Analog zum Privatvermögen sind die laufenden Erträge aus dem Betriebsvermögen steuerpflichtig. Absetzungen für Abnutzung, Erhaltungsaufwand und Herstellungskosten werden identisch zum Privatvermögen ermittelt, wobei sich die Abschreibungssätze unterscheiden. Im Gegensatz zum Privatvermögen sind Gewinne aus der Veräußerung einer Immobilie im Betriebsvermögen regelmäßig steuerpflichtig – es sei denn, eine steuerneutrale Übertragung stiller Reserven nach § 6b EStG kann wahrgenommen werden. 1.2.4.2.2
Substanz- und Verkehrsteuern
Bei den Substanzsteuern sind Vermögensteuer und Grundsteuer zu erwähnen (vgl. Kap. 10.2). Die Vermögensteuer wurde faktisch mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 22. Juli 1995 bis zu einer Neuordnung aufgehoben. Daher wird sie nicht näher betrachtet. Die Grundsteuer wurde bereits im Rahmen der Standortanalyse behandelt und wird daher hier nicht weiter ausgeführt. Zu den Verkehrsteuern zählen die Umsatzsteuer, die Grunderwerbsteuer und die Erbschaftsteuer (vgl. Kap. 10.2). I. V. m. der Umsatzsteuer ist insbesondere auf umsatzsteuerfreie Leistungen hinzuweisen; hierzu zählen die Veräußerung von Grundstücken, da diese unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen und nach § 4 Abs. 9a UStG grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit sind, sowie Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Weiterhin ist auf die in § 9
18
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
UStG geregelte Option zur Umsatzsteuer hinzuweisen. Durch das Optieren für die Umsatzsteuer kommt es zwar zu einer Verteuerung der Ausgangsumsätze, z. B. der Miete, jedoch besteht dann auch die Möglichkeit zum Abzug der Vorsteuer. Nach dem Grunderwerbsteuergesetz fällt beim Erwerb von Grundstücken oder entsprechenden Ersatztatbeständen eine Grunderwerbsteuer an (vgl. 1.2.1). Zu den steuerpflichtigen Tatbeständen zählen unter anderem Kaufverträge, Erwerbs- und Zwangsversteigerungsverfahren und Grundstückstausche. Der § 8 Abs. 1 GrEStG sieht als Bemessungsgrundlage den Wert der Gegenleistung vor. Steuerschuldner der Grunderwerbsteuer sind die am Erwerbsvorgang beteiligten Personen, im Falle eines Kaufvertrages also Käufer und Verkäufer als Gesamtschuldner. Grundsätzlich bleibt es dem Finanzamt überlassen, von welcher Partei die Steuer eingefordert wird. Der Innenausgleich zwischen den Parteien erfolgt nach den vertraglichen Vereinbarungen. Auf die Erbschaftsteuer wird hier nicht näher eingegangen. 1.2.4.3
Wirtschaftlichkeitsberechnung gemäß der II. Berechnungsverordnung
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung gemäß der II. Berechnungsverordnung (II. BV) wird vornehmlich im Zuge der Ermittlung der Kostenmiete für öffentlich geförderten Wohnungsbau eingesetzt. Sie gilt laut § 6 der II. BV als Maßstab für die Berechnung der Miete im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsberechnung. Hierbei sind nur die tatsächlich oder wahrscheinlich anfallenden Kosten anzusetzen. Zwingende Bestandteile der Wirtschaftlichkeitsberechnung sind in § 3 II. BV geregelt. Hierzu zählen Grundstücks- und Gebäudebeschreibungen, die Berechnung der Gesamtkosten, der Finanzierungsplan und die Aufstellung der laufenden Aufwendungen und Erträge. In § 12 II. BV werden Fremdmittel, die in § 13 II. BV näher beschrieben werden, verlorene Baukostenzuschüsse und Eigenleistungen als mögliche Finanzierungsquellen vorgesehen. Verlorene Baukostenzuschüsse dürfen nach § 14 II. BV nicht mit der Miete verrechnet werden. Die in der Wirtschaftlichkeitsberechnung anzusetzenden Bewirtschaftungskosten und die Höhe von Fremdkapitalzinsen sind in den §§ 22 bis 29 II. BV geregelt. Als Methode der Investitionsrechnung für Immobilien ist die Wirtschaftlichkeitsberechnung gemäß der II. Berechnungsverordnung grundsätzlich wenig geeignet (Schulte/Allendorf/Crommen, S. 99).
1.2.5
Recht und Immobilienmarketing
Das absatzpolitische Instrumentarium des Immobilienmarketings umfasst vier Gebiete (vgl. dazu Brade/Bobber/Schmitt/Sturm, S. 711 ff. sowie Schulte/Brade):
Produkt- und Servicepolitik, Kommunikationspolitik, Distributionspolitik und Kontrahierungspolitik.
Die für das Immobilienmarketing relevanten Rechtsgebiete gehen aus Abb. 1.7 hervor. Der rechtliche Einfluss auf die Produkt- und Servicepolitik wird ausführlich im Rahmen der Projektentwicklung (vgl. Kap. 8) und des Facilities Managements (vgl. Kap. 8) behandelt. Für die Kommunikationspolitik gilt auch im Immobilienbereich das Gesetz gegen den unlauteren
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
19
Wettbewerb. Die wesentlichen Regelungen sind Gegenstand der §§ 1 bis 11 UWG. Danach kann derjenige auf Schadenersatz verklagt werden, der vorsätzlich oder fahrlässig unlautere Wettbewerbshandlungen vornimmt. Irreführende Werbung kann nach § 5, 3 und 8 UWG zu Unterlassungsklagen führen, strafbare Werbung kann gem. § 16 UWG mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu einer Dauer von zwei Jahren bestraft werden. In den folgenden Abschnitten sollen die Distributions- und die Kontrahierungspolitik unter rechtlichen Gesichtspunkten untersucht werden.
Immobilienmarketing
Produktpolitik
Servicepolitik
Kommunikationspolitik
Vertragsrecht (BGB)
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
Öffentliches Recht auf Bundesebene: • Bauplanungsrecht (BauGB) • Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (BNatSchG) • Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) • Bundes –Immissionsschutzgesetz (BImSchG)
Distributionspolitik
Kontrahierungspolitik
Öffentliches Recht: • Gewerbeordnung (GewO) • Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV)
Verkauf • Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) • Kaufvertragsrecht (BGB)
Privatrecht: • Maklerrecht (BGB) • Wohnungsvermittlungsgesetz (WoVermG)
Vermietung • Mietrecht (BGB) • Strafgesetzbuch (StGB) • Wirtschaftsstrafgesetz (WiStrG)
Öffentliches Recht auf Landesebene: • Landesbauordnung (BauO bzw. LBauO) • Denkmalschutzgesetz (DSchG) • Landeswassergesetz (LWG) • Polizei- u. Ordnungsrecht • Landesnaturschutzgesetz (LNatSchG) Privatrecht: • Nachbarrecht (BGB) • materielles Grundstücksrecht (BGB)
Abb. 1.7: Übersicht über die für das Immobilienmarketing relevanten Rechtsgebiete
1.2.5.1
Die rechtlichen Aspekte des Kontraktmarketings im Rahmen der Distributionspolitik
Die Distributionspolitik hat die Funktion, die Immobilie am Absatzmarkt verfügbar zu machen und Angebot und Nachfrage zusammenzuführen. Als dazugehörige Rechtsgeschäfte kommen vor allem Miete, Pacht oder Kauf von projektierten oder vorhandenen Immobilien in Frage. Die Distribution von Immobilien kann entweder über Eigen- oder über Fremdvertrieb erfolgen. Der Vertrieb von Immobilien über externe Partner wird als Kontraktmarketing bezeichnet. Daneben gewinnen Sonderformen des Vertriebs wie z. B. Immobilienfonds immer mehr an Bedeutung. Hier werden Immobilien nicht mehr als Einheit, sondern vielmehr als Anteile an Immobilienvermögen mittels spezieller Vertriebssysteme vermarktet. Tabelle 1.3 stellt die möglichen Formen von Distributionssystemen dar.
20
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Zum Kontraktmarketing gehören alle vertraglich gestalteten, vertriebsbezogenen Kooperationsformen zwischen Marktteilnehmern. Diese kommen in der Immobilienwirtschaft in unterschiedlicher Form zum Einsatz. Tab. 1.3: Distributionssysteme im Immobilienmarketing
Distributionssysteme im Immobilienmarketing Eigenvertrieb
Eigentümer Angestellte unternehmenseigene Vertriebsorganisation
Fremdvertrieb
Makler, Berater Immobilienabteilungen von Banken/ Sparkassen Immobilienabteilungen von Versicherungen
Sonderformen des Vertriebs
offene/geschlossene Immobilienfonds Grundstücksauktionen Immobilienbörsen
Quelle: Bobber/Brade, S. 629 So können für den Fremdvertrieb Makler, Immobilienabteilungen von Banken und Sparkassen, Versicherungen sowie freiberufliche Anlageberater eingesetzt werden. Makler stellen in der Immobilienwirtschaft einen wichtigen externen Vertriebspartner dar, Sparkassen und Banken gewinnen jedoch zunehmend an Bedeutung. Die externen Vertriebspartner unterliegen den gesetzlichen Regelungen zum Maklervertrag und treten in verschiedenen Auftragsarten auf. 1.2.5.1.1
Gesetzliche Regelungen zum Maklervertrag
Gem. § 34c Gewerbeordnung bedarf die gewerbliche Maklertätigkeit einer behördlichen Genehmigung (vgl. Kap. 8.2). Die Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) enthält zudem Vorschriften über den Umfang der Verpflichtungen des Maklers bei der Ausübung seines Gewerbes (vgl. Kap. 8.2). Privatrechtliche, für den Immobilienmakler relevante Regelungen enthält vor allem das BGB (vgl. Kap. 8.3); das Maklerrecht des Handelsgesetzbuches findet keine Anwendung (vgl. dazu Oprée, S. 912). Das Rechtsverhältnis eines Maklervertrages beruht auf den §§ 652 bis 654 BGB. Diese Vorschriften regeln – sofern nicht ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen wurde – die Voraussetzungen, unter denen ein Makler für seine Tätigkeit eine Provision verlangen kann (vgl. Abb. 1.8). Die Vergütung eines Maklers erfolgt üblicherweise in Form einer Provision (vgl. Kap. 8.2). Der Provisionsanspruch ist in § 652 Abs. 1 BGB geregelt. Die Höhe der Provision kann i. d. R. frei ausgehandelt werden. Einer vertraglichen Absprache sind bei gewerblichen Immobilien nur durch die Wuchergrenze i. S. d. § 138 BGB Grenzen gesetzt. Für die Vermittlung von Mietwohnraum hat der Gesetzgeber jedoch im Rahmen des Wohnungsvermittlungsgesetzes (WoVermG) Spezialregelungen für die Maklertätigkeit geschaffen. Dort wird in § 3 Abs. 2 die Provisionshöhe auf maximal zwei Monatsmieten ohne Nebenkosten zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer limitiert.
1.2 Rahmenbedingungen der funktionsspezifischen Aspekte der Immobilienökonomie
21
K ontraktm arketing
A usübung der M aklertätigkeit
V ergütung des M aklers
G ew erbeordnung (G ew O )
BGB
M akler- und B auträgerv erordnung (M aB V )
W ohnungsv erm ittlungsgesetz (W oV erm G )
BGB
Abb. 1.8: Rechtliche Rahmenbedingungen des Kontraktmarketings
1.2.5.1.2
Auftragsformen der Maklertätigkeit
Zwischen dem Auftraggeber und dem Makler können unterschiedliche Vereinbarungen getroffen werden (vgl. Kap. 8.3). Der befristet vereinbarte Makleralleinauftrag garantiert dem Makler, dass der Auftraggeber keinen weiteren Makler einschaltet. Der qualifizierte Alleinauftrag enthält zusätzlich das individuell vereinbarte Verbot für den Auftraggeber, selbst mit Kunden abzuschließen, ohne den Makler einzuschalten. Der Auftraggeber kann aber auch mehrere Makler nebeneinander beauftragen, solange er mit keinem der Makler einen Alleinauftrag vereinbart hat. Der Provisionsanspruch steht dann dem Makler zu, der den Abschluss des Hauptvertrages herbeigeführt hat. Die Doppeltätigkeit des Maklers ist eine weitere Variante des Maklervertrages, die es dem Makler grundsätzlich erlaubt, für beide Parteien des Hauptvertrages tätig zu werden. Dementsprechend besteht die Möglichkeit einer doppelten Provisionszahlung. Die Projektvermarktung umfasst die Vermietung bzw. die Veräußerung des Objektes. Aus juristischer Perspektive steht dabei der Abschluss von Kauf- und Mietverträgen im Mittelpunkt. Die betreffenden Regelungen sollen daher im Folgenden behandelt werden. 1.2.5.2
Die rechtlichen Grundlagen der Kontrahierungspolitik
Die Kontrahierungspolitik umfasst alle Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Festlegung von Konditionen und Gegenleistungen für die vom Unternehmen angebotenen Sachund Dienstleistungen stehen. Die Aufgabe der Kontrahierungspolitik ist die Absatzförderung durch die Festsetzung der Preise und die Gewährung von Sonderkonditionen in Abstimmung mit den anderen Marketinginstrumenten. In der Immobilienpraxis sind zwei Preissysteme von Relevanz: Verkaufspreise und Mieten oder Pachten. Für die Bestimmung der Absatzpreise ist ein System von Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Dazu gehören vor allem die Herstellungskosten der Immobilie und die
22
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Preissituation auf den Absatzmärkten. Aber auch in juristischer Hinsicht ergeben sich Beschränkungen der freien Preisgestaltung in Abhängigkeit des zu vermarktenden Immobilientyps. Die für die Kontrahierungspolitik maßgeblichen gesetzlichen Regelungen gehen aus Abb. 1.9 hervor.
Kontrahierungspolitik
Verkauf
Vermietung Kaufvertragsrecht (BGB)
Makler- und Bauträgerverordnung (MABV)
Wohnraum
Gewerberaum
Mietrecht (BGB)
Mietrecht (BGB)
Wirtschaftsstrafgesetz (WiStrG)
Preisklauselgesetz (PreisklG)
Strafgesetzbuch (StGB)
Heizkostenverordnung (HKVO)
II. Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG)
II. Berechnungsverordnung (II. BV)
Heizkostenverordnung (HKVO) II. Berechnungsverordnung (II. BV)
Abb. 1.9: Übersicht über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Kontrahierungspolitik
1.2.5.2.1
Das Kaufvertragsrecht als rechtlicher Rahmen der Kontrahierungspolitik
Die rechtlichen Grundlagen des Kaufvertragsrechtes bilden die §§ 433 ff. BGB (vgl. Kap. 8.3). Demnach ist der Kaufvertrag ein gegenseitiger Vertrag, mit dessen Abschluss der Käufer sich zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet und der Verkäufer die Übereignung und Übergabe der Immobilie schuldet. Die Bestimmung des Kaufpreises unterliegt der ausschließlichen Regelungsbefugnis der Vertragsparteien. Dieser Preis ist in den meisten Fällen fest. Wenn aber ein unbebautes oder umzuwidmendes Grundstück verkauft werden soll und die baulichen Nutzungsmöglichkeiten und damit der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht feststehen, besteht auch die Möglichkeit, den Kaufpreis in Abhängigkeit von der später zu erteilenden Nutzungsmöglichkeit festzulegen. Wichtig ist hierbei die klare Definition der Parameter, von denen der spätere Kaufpreis abhängen soll, um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auch die Zahlungsbedingungen sind von den Vertragsparteien frei vereinbar. Besonderheiten ergeben sich nur bei Bauträgern, bei denen die Kaufpreiszahlungen gem. § 3 Abs. 2 MaBV nach Baufortschritt erfolgen (vgl. Kap. 8.8).
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie 1.2.5.2.2
23
Das Mietrecht als gesetzliche Beschränkung der freien Mietpreisbildung
Die Rechtsgrundlagen von gewerblichen und Wohnraummietverhältnissen bilden die §§ 535 ff. BGB (vgl. Kap. 7.2). Der Mietpreis ist grundsätzlich frei vereinbar. Eine Mietpreisbindung gilt lediglich für Fälle, in denen Wohnraum durch öffentliche Mittel, Wohnungsfürsorgemittel oder Steuerbegünstigungen und Zuschüsse oder Darlehen gefördert worden ist (§§ 6, 87a, 88–88c II. Wohnungsbaugesetz). In anderen Fällen erfolgt die Festlegung der Miethöhe zu Beginn des Wohnraummietverhältnisses frei. Hier sind jedoch durch den Wuchertatbestand i. S. d. § 291 StGB und das Verbot der Mietpreisüberhöhung gem. § 5 WiStrG klare Grenzen gesetzt. Das BGB enthält zusätzlich Vorschriften über die Mieterhöhungsmöglichkeiten bei Wohnungen. Genauere Ausführungen hierzu befinden sich in Kap. 2.4.1. Bei Geschäfts- und Gewerberaum herrscht bei der Ausgestaltung des Vertragsinhalts weitgehende Vertragsfreiheit. Hier besteht auch die Möglichkeit, die Miethöhe umsatz- oder gewinnabhängig zu gestalten. Das Gesetz sieht für die Vermietung von Gewerbeflächen im Gegensatz zum Wohnraummietrecht keine Mietzinssteigerungen vor. Daher muss eine Mietsteigerungsklausel vertraglich vereinbart werden, um Mietsteigerungen grundsätzlich zu ermöglichen. Neben der Umsatzmiete können hierfür Staffelmietvereinbarungen oder Wertsicherungsklauseln instrumentalisiert werden. Die Nebenkosten haben als „zweite Miete“ im Rahmen der Vertragsverhandlungen an Bedeutung gewonnen. So versuchen Mietinteressenten, sich bereits bei der Vertragsgestaltung vor einem nicht kalkulierbaren Anstieg der Nebenkosten abzusichern und verlangen eine höhenmäßige Begrenzung der umlagefähigen Kosten. Im Wohnraummietrecht hat laut § 556 BGB grundsätzlich der Vermieter die Nebenkosten zu tragen, sofern keine besondere Vereinbarung getroffen wird. Er kann aber die in der Betriebskostenverordnung aufgelisteten Betriebskostenarten auf die Mieter umlegen. Auf diese Aufstellung wird auch bei gewerblichen Mietverträgen häufig zurückgegriffen, obwohl es hierzu keine gesetzlichen Vorschriften gibt. Die verbrauchsabhängige Heizkostenabrechnung ist durch die Heizkostenverordnung (HKVO) sowohl für Gewerbe- als auch für Wohnraummietverhältnisse zwingend vorgeschrieben.
1.3
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
Anhand der einzelnen Phasen, die eine Immobilie durchläuft (vgl. dazu Rottke/Wernecke, S. 209 ff.), lässt sich plastisch darstellen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für die Immobilienentstehung und -nutzung von Relevanz sind. Unter Beachtung des Lebenszyklusgedankens von Immobilien sind drei Bereiche des ganzheitlichen Immobilienmanagements zu unterscheiden, die sich im Zeitablauf abwechseln, dabei jedoch auch gegenseitig überlagern: die Projektentwicklung, das Bau-Projektmanagement und das Facilities Management (vgl. Abb. 1.10). Der Lebenszyklus einer Immobilie beginnt mit der Bebauung des Grundstücks. Zu dieser Phase gehören die Projektentwicklung i. e. S. und das Bau-Projektmanagement. Die Realisierung eines Projektes ist zahlreichen exogenen Einflussfaktoren aus gesetzlichen und behördlichen Vorgaben, aus Belangen des Umweltschutzes und der Öffentlichkeit unterworfen. Aber auch die immer höhere Komplexität der Planung und Ausführung von Bauvorhaben sowie Zeit- und Budgetrestriktionen erfordern die genaue Kenntnis rechtlicher Zusammenhänge.
24
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Projektentw icklung Projektentwicklung i.e.S. Projektinitiierung
Projektkonzeption
Bau-Projektmanagement
Facilities Management
Projektvermarktung
Entstehungsphase
Nutzungsphase
Abb. 1.10: Phasen der Immobilienentstehung und -nutzung
Das Bau-Projektmanagement regelt daher nicht nur unter technischen und betriebswirtschaftlichen, sondern auch unter rechtlichen Gesichtspunkten den reibungslosen Ablauf der Projektentstehung. Zumeist parallel dazu verläuft die Projektvermarktung, die bereits im Rahmen der rechtlichen Aspekte des Immobilienmarketings untersucht wurde (vgl. Kap. 2.1). Von Relevanz sind dabei das Maklerrecht und das Miet- und Kaufvertragsrecht. Während der Objektnutzungsphase besteht die Aufgabe des Facilities Managements darin, die Immobilie inklusive ihrer technischen Einrichtungen mit dem Ziel optimaler Wertentwicklung nutzerorientiert und effizient zu bewirtschaften. Steht die Immobilie schließlich leer, weil sie den Nutzeranforderungen nicht mehr gerecht wird, kommt entweder ein Redevelopment oder der Abriss mit anschließender Projektentwicklung in Frage. Der Lebenszyklus eines Immobilienobjektes setzt demnach ein System von Institutionen voraus, bestehend aus Initiatoren, der öffentlichen Hand, Bauherren, Planungs-, Ausführungs- und Wartungsbetrieben sowie aus Nutzern und Betreibern. Betrachtet man das Zusammenwirken der Institutionen der Bau- und Immobilienwirtschaft, so steht am Beginn des Lebenszyklus einer Immobilie die Beziehung zwischen Bauherr/Investor und der öffentlichen Hand. Steht der Umsetzung der Projektkonzeption nichts mehr im Wege, müssen die Beziehungen zwischen dem Bauherrn als Auftraggeber und Architekten, Fachplanern und ausführenden Firmen als Auftragnehmer gestaltet werden. Zwischen dem Auftraggeber und dem späteren Nutzer kommt es dann zu Kauf- oder Mietverträgen. Diese Verhältnisse unterliegen jeweils bestimmten rechtlichen Rahmenbedingungen, die, eingebunden in die Phasen des Lebenszyklus einer Immobilie, Gegenstand der folgenden Ausführungen sein sollen.
1.3.1
Recht und Projektentwicklung
Die Projektentwicklung i. e. S. „umfasst die Phase vom Projektanstoß bis zur Entscheidung über die weitere Verfolgung der Projektidee durch Erteilung von Planungsaufträgen bzw. bis zur Entscheidung über die Einstellung aller weiteren Aktivitäten aufgrund zu hoher Projektrisiken“ und bedeutet, die Faktoren Standort, Projektidee und Kapital so miteinander zu kombinieren, dass eine einzelwirtschaftlich rentable und zugleich gesamtwirtschaftlich sozial- und umweltverträgliche Investition gewährleistet wird (Diederichs, S. 30). Diese Defi-
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
25
nition trägt der Tatsache Rechnung, dass öffentliche Interessen im Rahmen einer Projektentwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnen, was sich auch in neuen Entwicklungsformen wie der Public Private Partnership ausdrückt. Bei der Projektentwicklung, die einen komplexen Prozess beinhaltet (vgl. dazu BoneWinkel/Isenhöfer/Hofmann, S. 231 ff. sowie Schulte/Bone-Winkel) sind zahlreiche öffentlich- und privatrechtliche Restriktionen zu berücksichtigen. Die relevanten Rechtsgebiete sind in der Abb. 1.11 dargestellt.
Projektentwicklung
Öffentliches Recht
Bundesebene
Privatrecht
Landesebene
Baugesetzbuch (BauGB)
Landesbauordnung (LBauO bzw. BauO)
Bundes-Naturschutzgesetz (BNatSchG)
Denkmalschutzgesetz (DSchG)
Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG)
Polizei- und Ordnungsrecht
Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)
Landeswassergesetz (LWG)
Nachbarrecht (BGB) materielles Grundstücksrecht (BGB) Kaufvertragsrecht (BGB)
Landesnaturschutzgesetz (LNatSchG)
Abb. 1.11: Übersicht über die für die Projektentwicklung relevanten Rechtsgebiete
1.3.1.1
Projektinitiierung
1.3.1.1.1
Ausgangssituationen einer Projektentwicklung
Grundsätzlich kann man zwischen drei Ausgangssituationen einer Projektentwicklung unterscheiden: von einem bereits vorhandenen Grundstück, einer konkreten Projektidee für einen fiktiven Standort oder von anlagesuchendem Kapital (vgl. Abb. 1.12). Allen drei Ausgangssituationen ist gemein, dass die Realisierung des Vorhabens letztlich einer baurechtlichen Genehmigung bedarf. Die Ausgangssituationen sollen im Folgenden grob beschrieben werden, um daraufhin die rechtlichen Grundlagen im Detail zu behandeln. Soll ein bereits vorhandenes Grundstück entwickelt werden, beginnt die Projektentwicklung mit einer Standortanalyse. Hierbei stellt sich in juristischer Hinsicht die Frage nach der Bebaubarkeit und Nutzbarkeit des Grundstückes; diese gehen in erster Linie aus den öffentlichrechtlichen Vorschriften des Planungs- und Baurechts hervor. Die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks werden durch die im Baugesetzbuch geregelte gemeindliche Bauleitplanung durch Flächennutzungsplan und Bebauungspläne festgelegt. Weiterhin ist das Bauordnungs-
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1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
recht zu berücksichtigen, das auf Landesebene gefahrenrechtliche Gesichtspunkte regelt (vgl. Kap. 2.1). Daneben können auch privatrechtliche Beschränkungen bestehen, die aus Einträgen im Grundbuch hervorgehen, das Aufschluss über alle das Grundstück betreffenden Rechtsverhältnisse wie Eigentumsverhältnisse und Grundstücksbelastungen gewährt. Geht die Projektentwicklung von einer Projektidee aus, für die ein geeignetes Grundstück gesucht wird, empfiehlt sich die Einsicht in Flächennutzungs- und Bebauungspläne, um in Erfahrung zu bringen, in welchen Gebieten die vorgesehene Nutzung genehmigungsfähig ist. Auch hier erfolgt i. d. R. eine Einsicht in das Grundbuch, um die in die Auswahl fallenden Grundstücke näher zu prüfen. Unter Umständen bietet sich auch eine Untersuchung der Gewerbesteuerhebesätze in verschiedenen in Frage kommenden Gebieten an, die mitentscheidend für die Auswahl eines Grundstücks sein können. Auf dieser Grundlage lässt sich dann eine engere Auswahl treffen und im Rahmen der Projektkonzeption mit weiteren Detailanalysen fortfahren. Bereits in dieser noch relativ ungewissen Phase kann man sich auch ohne den vorschnellen Kauf eines Grundstückes durch eine entsprechende vertragliche Gestaltung die Option auf einen späteren Kauf sichern (vgl. Kap. 2.1). Sollte dem Eigentümer ein Optionsvertrag nicht ausreichen, so könnte sich der Projektentwickler auch für einen Kauf unter aufschiebender Bedingung (z. B. unter der Maßgabe, dass ein bestimmtes Baurecht realisiert wird) entscheiden. Zusätzlich ist beim Erwerb eines Grundstückes grundsätzlich auf klare Haftungsregeln im Kaufvertrag zu achten, falls nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, dass das Grundstück mit Altlasten behaftet ist.
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Abb. 1.12: Die Ausgangsfaktoren der Projektentwicklung
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Quelle: BONE-W INKEL, S. 44
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Investmentkapital für fixierten Standort
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Investmentkapital für fiktiven Standort
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Standort
ImmobilienProjekt
Kapital
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
27
Wird die Projektentwicklung von Kapital initiiert, das die Anlage in Immobilien sucht, muss der Frage nachgegangen werden, welche Zielsetzung mit dieser Anlage verbunden ist. In Deutschland spielte das Steuersparmotiv bislang eine herausragende Rolle, inzwischen gewinnen jedoch Renditeaspekte mehr und mehr an Bedeutung. Da die Bebauungs- und Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks essenziell für die Umsetzung einer Projektidee sind, werden im Folgenden die für die Projektentwicklung maßgeblichen rechtlichen Grundlagen behandelt. 1.3.1.1.2
Öffentlich-rechtliche Beschränkungen
Das Eigentum an Grund und Boden genießt durch Artikel 14 des Grundgesetzes verfassungsrechtlichen Schutz. Für den Eigentümer eines Grundstücks folgt hieraus die sog. „Baufreiheit“, also das Recht, sein Grundstück bebauen zu dürfen. Dieses Recht ist allerdings durch das öffentliche Baurecht beschränkt, welches bestimmt, ob und wie ein Grundstück bebaut und genutzt werden darf (vgl. Kap. 2.1). Die zum Inhalt des Grundeigentums zählende Baufreiheit gibt dem Eigentümer folglich die Befugnis, sein Grundstück im Rahmen der Gesetze baulich zu nutzen. Daraus erwächst ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn ein Vorhaben den Vorschriften des öffentlichen Baurechts entspricht (vgl. Kap. 2.1). Die Vorschriften des öffentlichen Baurechts lassen sich in zwei Gruppen unterteilen (vgl. Kap. 2.1): das sog. Bauplanungsrecht oder auch Bundesbaurecht und das Bauordnungsrecht. Das Bauplanungsrecht ist Teil des Städtebaurechts und in erster Linie im Baugesetzbuch des Bundes geregelt. Es reguliert die Planung, Lenkung und Ordnung der städtebaulichen Entwicklung und Erneuerung und ist somit maßgeblich für die Möglichkeiten der Projektentwicklung. Das Baugesetzbuch sieht für die Bebauungsplanung verschiedene Instrumente vor, die neben der hoheitlichen Planung durch die Gemeinde auch kooperative städtebauliche Entwicklungen zwischen der Gemeinde und privaten Initiatoren zulassen (vgl. Kap. 2.1). Das Bauordnungsrecht hat gefahrenrechtliche Gesichtspunkte zum Gegenstand und ist in den jeweiligen Landesbauordnungen niedergelegt; es enthält Vorschriften über die Ausführung des Bauvorhabens und über das Genehmigungsverfahren. Weitere rechtliche Beschränkungen für die Projektentwicklung können sich aus den Denkmalschutzgesetzen der Länder ergeben, die dem Schutz und der Pflege von Denkmälern der Kunst und der Geschichte und damit öffentlichen Interessen dienen sollen. Bei der Projektentwicklung ist – insbesondere vor dem Kauf eines Grundstückes – darauf zu achten, ob bauliche Anlagen auf dem Grundstück unter Denkmalschutz stehen oder aber Denkmalschutzbehörden ein vorhandenes Gebäude in Zukunft förmlich unter Denkmalschutz stellen könnten. Denn sofern ein Bauwerk unter Denkmalschutz steht, kann der Eigentümer Beschränkungen unterworfen werden, die – trotz einer Steuererleichterung für den Erhalt von denkmalgeschützten Häusern – negative Auswirkungen auf die Rentabilität der Nutzung haben könnten. Grundsätzlich muss bei jeder baulichen Veränderung am Denkmal eine Erlaubnis bei der Denkmalschutzbehörde eingeholt werden. Neben dem Baurecht und dem Denkmalschutz sind bei der Entwicklung eines Grundstückes Umweltbelange zu berücksichtigen; rechtliche Beschränkungen ergeben sich insbesondere aus dem Bundesnaturschutzgesetz, dem Bundes-Bodenschutzgesetz und dem BundesImmissionsschutzgesetz sowie weiteren Umweltgesetzen auf Landesebene.
28
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Auch wenn damit die klassischen Rechtgebiete des öffentlichen Rechts, nämlich das Bauund Planungsrecht und das Umweltrecht, von Belang sind, nehmen in letzter Zeit beihilfenund vergaberechtliche Themen an Bedeutung zu und zwar immer dann, wenn die Investoren mit der öffentlichen Hand kooperieren oder staatliche Subventionen fließen. Das EUBeihilfenrecht zielt dabei darauf ab, Wettbewerbsverfälschungen zwischen den verschiedenen Akteuren auf den (Immobilien-)Märkten zu verhindern. So wurde beispielsweise jüngst die restriktive Vergabepraxis öffentlicher Grundstücke an ausländische Einzelhandelsunternehmen in Schweden von der EU-Kommission kritisch unter die Lupe genommen. In Deutschland ist der Nürburgring ein aktuell besonders einprägsames Beispiel für die Konsequenzen einer zu späten Beachtung des Beihilfenrechts bei Immobilien- und Infrastrukturprojekten. Aber auch die vergaberechtlichen Anforderungen im Falle der Beteiligung der öffentlichen Hand – und sei es auch nur im Wege der Bereitstellung von Grundstücken – bedarf einer sorgfältigen Prüfung. 1.3.1.1.3
Privatrechtliche Beschränkungen
Während das öffentliche Baurecht Zulässigkeit und Grenzen der baulichen Nutzung von Grundstücken im öffentlichen Interesse regelt, dient das private Baurecht, insbesondere das zivile Nachbarrecht, dem Interessenausgleich zwischen Privaten. Das Nachbarrecht ist in den §§ 903 ff. BGB und im Landesrecht geregelt. Dabei geht es um den Schutz vor Immissionen, auf das Grundstück des Nachbarn fallende Früchte, den Bau von Gebäuden über die Grundstücksgrenze hinweg, die Beseitigung von Zweigen eines über die Grundstücksgrenze wachsenden Baumes, etc. (vgl. dazu Stellmann/Elshorst, S. 977 ff.). Das Grundbuch wird im Rahmen der Immobilienanalyse ausführlich behandelt (vgl. Kap. 2.1). Es gibt unter anderem Aufschluss über die Lasten und Beschränkungen des Grundstücks. Das Liegenschaftskataster informiert darüber hinaus über mögliche Beschränkungen der Bebaubarkeit eines Grundstücks. 1.3.1.2
Projektkonzeption
Im Rahmen der Projektkonzeption wird das bisher nur grob umrissene Projekt einer systematischen Analyse unterworfen, um die Realisierbarkeit des Vorhabens anhand detaillierter Daten und Prognosen zu verifizieren und die Entscheidung über die Durchführung zu fällen. Zu diesem Zweck ist eine Feasibility Analysis durchzuführen, die sich aus Standort- und Marktanalysen, Wettbewerbsanalysen, einer Analyse des Nutzungskonzeptes sowie Risikound Rentabilitätsanalysen zusammensetzt. Insbesondere die Standort- und Marktanalyse sowie die Risikoanalyse sind unter rechtlichen Gesichtspunkten für die Projektentwicklung von Relevanz. Die Standortanalyse dient der genaueren Untersuchung der Eignung des Grundstücks. Für eine vertiefende Betrachtung wird hier auf die Ausführungen im Rahmen der funktionsspezifischen Aspekte verwiesen (vgl. Kap. 2.1). Bei der Risikoanalyse gilt es vor allem zu erkennen, dass sowohl Zeit- bzw. Kosten- als auch Boden- und Baugrundrisiko durch professionelle Vertragsgestaltung erheblich reduziert werden können. Bezüglich des Genehmigungsrisikos kann festgehalten werden, dass das Risiko weniger darin besteht, dass die Baugenehmigung verweigert wird, da das Projekt hierfür öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen müsste; vielmehr könnten einerseits durch eine Verzögerung der Erteilung der Baugenehmigung vor allem die Finanzie-
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
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rungskosten erheblich ansteigen, andererseits könnte durch die Erteilung zusätzlicher Auflagen die Wirtschaftlichkeit des Projekts in Frage gestellt werden. Dieses Risiko ist aber durch die Durchführung eines Bauvoranfrageverfahrens (vgl. Kap. 5.1.3) sowie die frühzeitige Berücksichtigung öffentlicher Interessen deutlich reduzierbar. Diese Risiken können also durch ein professionell gestaltetes Projektmanagement minimiert werden; dies soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein.
1.3.2
Recht und Bau-Projektmanagement
Ist aufgrund positiver Ergebnisse der Feasibility Analysis die Entscheidung für eine Durchführung des Projektes gefallen, bedarf es einer zielgerichteten Abwicklung der Planung und Bebauung durch ein professionelles Bau-Projektmanagement, dessen Aufgabe es ist, die Planungs- und Ausführungstätigkeiten der an dem Bauprojekt beteiligten Parteien zu koordinieren (vgl. dazu Fischer/Bischoff, S. 301 ff.). Das Projektmanagement umfasst den Zeitraum der neun in § 15 HOAI aufgeführten Leistungsphasen und endet mit der Inbetriebnahme des Objektes. Projektmanagement beinhaltet gemäß DIN 69901 die Kombination von Führungsaufgaben, -organen, -techniken und -mitteln zur Abwicklung eines Projekts und lässt sich in zwei Komponenten aufteilen: die Projektleitung und die Projektsteuerung. Während die Projektleitung die nicht delegierbaren Aufgaben des Bauherren umfasst, bezieht sich die Projektsteuerung auf die Gesamtheit der i. d. R. delegierbaren Aufgaben; letztere werden bei komplexen Projekten zur technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Abwicklung des Bauvorhabens häufig externen Projektsteuerern übertragen. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines Projektes und für eine effektive Projektorganisation ist die Kenntnis der rechtlichen Zusammenhänge. So sollte eine bauvorbereitende und baubegleitende Rechtsberatung sowohl bei der Projektentwicklung als auch bei der Projektdurchführung stattfinden, die die Unsicherheit der Projektbeteiligten reduzieren und die effiziente Durchführung des Bauvorhabens gewährleisten soll. Die Abb. 1.13 gibt einen Überblick über die relevanten Rechtsgebiete sowie die Leistungsbeschreibung des Deutschen Verbandes der Projektsteuerer (DVP) als Grundlage für die Vertragsgestaltung. Da Bauprojekte nur dann durchgeführt werden sollten, wenn sie rentabel sind, müssen die Baukosten für den Investor kalkulierbar sein. Dafür bedarf es der vertraglichen Fixierung von Kosten, Terminen und Qualitäten, die durch ebenfalls vertraglich verankerte Sanktionsmechanismen wie Vertragsstrafen und Schadenersatzansprüche herbeigeführt werden können. Daher sollen im Folgenden die gesetzlichen Regelungen und die Gestaltungsmöglichkeiten für Architekten- und Ingenieurverträge sowie Bauverträge dargestellt werden. Insbesondere die Ausgestaltung der Vergabe der Projektsteuerungsaufgabe hat aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen eine große praktische Bedeutung. 1.3.2.1
Projektsteuerungsverträge
Die Leistungen der Projektsteuerung umfassen Beratungs-, Koordinations-, Informationsund Kontrollleistungen. § 31 der HOAI definiert diese Leistungen lediglich allgemein, erwähnt nur beispielhaft mögliche Einzelleistungen und ist daher nur als eine unzureichende rechtliche Grundlage für Projektsteuerungsverträge anzusehen (vgl. Löchner, S. 483).
30
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie BauProjektmanagement
Projektsteuerungsverträge
Architekten- und Ingenieurverträge
Bauverträge
Dienst- bzw. W erkvertragsrecht (BGB)
W erkvertragsrecht (BGB)
W erkvertragsrecht (BGB)
Verdingungsordnung für Bauleistungen/Teil B (VOB/B)
HOAI
Verdingungsordnung für Bauleistungen/Teil B (VOB/B)
HOAI
Verdingungsordnung für Bauleistungen/Teil C (VOB/C)
Leistungsbeschreibung des DVP
Abb. 1.13: Die rechtlichen Grundlagen des Bauprojektmanagements
Der DVP hat daher eine umfangreiche und sehr transparente Leistungsbeschreibung entwickelt, die sich an den Leistungsbildern der Architekten und Ingenieure orientiert und fünf Projektstufen umfasst: (1) (2) (3) (4) (5)
die Projektvorbereitung, die Projektplanung, die Ausführungsvorbereitung, die Ausführung und den Projektabschluss.
Zu diesen Projektstufen werden jeweils Grundleistungen und besondere Leistungen formuliert, die sich wiederum in die vier Handlungsbereiche
Organisation, Information, Koordination und Dokumentation, Qualitäten und Quantitäten, Kosten und Finanzierung sowie Termine
gliedern. Dies ermöglicht eine klare Beschreibung der Aufgaben in den Projektsteuerungsverträgen. Abb. 1.14 verdeutlicht diese Zusammenhänge. Die Projektvorbereitung umfasst den Zeitraum von der Projektidee bis zur Beauftragung der Planung. Die Projektplanungsphase beinhaltet die Vorplanung und Entwurfsplanung sowie die Genehmigungsplanung, d. h. die Organisation der Baugenehmigungs- und eventueller Widerspruchs- und Klageverfahren. Hierbei sind gute Kenntnisse der im Rahmen der Projektinitiierung ausführlich behandelten baurechtlichen Rahmenbedingungen ausschlaggebend. Während der Ausführungsvorbereitung wird die Entscheidung über die Ausführungsverträge gefällt; so kann die Vergabe z. B. an einen Fachunternehmer, einen Generalunternehmer oder einen Generalübernehmer erfolgen (vgl. Kap. 2.2). Zur Vorbereitung der Vergabe gehört zudem die Entscheidung über das Ausschreibungsverfahren und die hierfür bedeutsame Vorbereitung der Verdingungsunterlagen. Obwohl die Verdingungsordnung für Bauleistun-
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
31
gen/Teil A (VOB/A) nur für öffentliche Auftraggeber und juristische Personen, die für Bauvorhaben öffentliche Mittel bereitgestellt bekommen, bindend ist, wird sie auch in der Privatwirtschaft häufig angewandt. Struktur der Projektsteuerung nach HOAI und DVP Gliederung der Leistungen nach § 31 HOAI 1. Grundlagenerm ittlung 2. Vorplanung
Projektstufen nach DVP
Grund- und besondere Leistungen in den Handlungsbereichen
1. Projektvorbereitung 2. Projektplanung
3. Entwurf
1. Organisation, Inform ation, Koordination, Dokumentation
4. Genehm igungsplanung 5. Ausführungsplanung
3. Ausführungsvorbereitung
2. Qualitäten und Quantitäten
6. Vorbereiten der Vergabe 7. Mitwirken bei der Vergabe
3. Kosten und Finanzierung
8. Objektüberwachung
4. Ausführung
9. Betreuung und Dokumentation
5. Projektabschluß
4. Term ine
Abb. 1.14: Struktur der Projektsteuerung nach HOAI und DVP
Gem. § 9 VOB/A hat die Beschreibung der Leistung eindeutig und erschöpfend zu sein, damit die Beschreibung für alle Bewerber im gleichen Sinne zu verstehen ist und sie ihre Preise auf einer eindeutigen Grundlage berechnen können. Kernstück hierfür sind entsprechend erstellte Leistungsbeschreibungen und Leistungsverzeichnisse, die zugleich als Basis für Kosten-, Termin- und Qualitätsziele des Bauprojektes dienen. Die Aufgabe des Projektsteuerers in der Ausführungsphase wird maßgeblich durch die in der vorhergehenden Phase gewählte Vertragsform beeinflusst. Liegen Fachunternehmerverträge vor, so fällt dem Projektsteuerer die gesamte Projektorganisation und Projektkoordination zu. § 4 der VOB/B gibt in diesem Fall eine umfassende Beschreibung der Pflichten, die dann dem Projektsteuerer obliegen. Dazu gehören vor allem die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auf der Baustelle sowie die Regelung des Zusammenwirkens der beteiligten ausführenden Unternehmen. Der Projektsteuerer hat weiterhin für die Herbeiführung der erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen und Erlaubnisse Sorge zu tragen. Wird ein Generalunternehmer beauftragt, so werden diese Pflichten i. d. R. an ihn delegiert. Die Kontrolle der Qualität der Bauleistungen sowie die Bearbeitung von Nachtragsforderungen der Bauunternehmen verbleiben jedoch weiterhin beim Auftraggeber. Der Projektabschluss umfasst Objektbetreuung und Dokumentation. In diese Phase fallen die Fertigstellung des Baus, die Abnahme und die Inbetriebnahme des Objektes. Der Ab-
32
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
nahme kommt nach § 640 BGB eine entscheidende Bedeutung zu. Grundsätzlich wird der Vergütungsanspruch nach § 641 BGB erst bei der Abnahme fällig. Für die Gewährleistungsansprüche bewirkt die Abnahme, dass nur noch Mängelbeseitigung verlangt werden kann. Eine Kündigung ist dann nicht mehr möglich. Ansprüche wegen bekannter Mängel, die der Auftraggeber noch bei der Abnahme erwähnt, muss er sich ausdrücklich vorbehalten, andernfalls gehen sie unter. Besonders wichtig ist, dass die Verjährung der Gewährleistungsansprüche von der Abnahme an zu laufen beginnt. Die Abnahme kann beim Projektsteuerer nicht durch eine körperliche Entgegennahme erfolgen, sondern besteht darin, dass die Leistung gem. § 646 BGB vollendet und erfüllt worden ist und der Auftraggeber die Schlussabrechnung des Projektsteuerers entgegengenommen hat. Auch zur Abnahme sollten vertragliche Regelungen vereinbart werden, um Unklarheiten zu vermeiden. Die Rechtsprechung hat die Frage, ob es sich bei einem Projektsteuerungsvertrag um einen Dienst- oder einen Werkvertrag handelt, noch nicht abschließend geklärt. Die Einordnung findet danach statt, auf welche Aufgabenbereiche sich die Vertragspartner im konkreten Einzelfall geeinigt haben. Generell gilt demnach, dass sich die Anwendung des Dienst- oder Werkvertragsrechts aus der Auslegung des Projektsteuerungsvertrages ergibt. Auch die gesetzliche Haftung ist bislang nur unzureichend geregelt. Hier ergibt sich die Gewährleistungspflicht ebenfalls aus der individuellen vertraglichen Regelung. Es ist demnach sehr wichtig, dass etwaige Gewährleistungsansprüche gegen den Projektsteuerer detailliert vertraglich geregelt werden, damit ein Anspruch auf Nachbesserung und Schadenersatz entstehen kann. I. d. R. ist eine Nachbesserung bei Projektsteuerungsleistungen nicht mehr möglich, da der Auftraggeber Fehler der Projektsteuerung oftmals erst feststellen kann, wenn sie sich bereits im Bauwerk realisiert haben, sei es in terminlicher, kostenmäßiger oder qualitativer Hinsicht. Hat der Projektsteuerer den Mangel verschuldet, so kann der Auftraggeber Schadenersatz nach §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283 und 311 a BGB verlangen. 1.3.2.2
Architekten- und Ingenieurverträge
1.3.2.2.1
Die Aufgaben des Architekten und der zugrunde liegende Vertragstyp
Die Aufgabe des Architekten ist es, das vom Projektentwickler entworfene Nutzungskonzept in eine kostengerechte, funktionale, flexible und architektonisch anspruchsvolle Immobilie umzusetzen. Neben dieser Planungsaufgabe übernimmt er häufig auch beratende Funktionen sowie die Auswahl von Fachingenieuren und sonstigen Planern und darüber hinaus die Dokumentation des Bauprozesses. Architekten- und Ingenieurverträge sind aufgrund ihrer Ergebnisorientierung in aller Regel Werkverträge i. S. d. §§ 631 ff. BGB (vgl. Kap. 5.2). Der Werkvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass der Architekt oder Ingenieur einen Erfolg, d. h. eine in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht mängelfreie Planung und Umsetzung des Objektes schuldet. In Ausnahmefällen kann auch ein Dienstvertrag gem. § 611 BGB gewählt werden, falls der Architekt lediglich einzelne Teilleistungen zu erbringen hat. Danach schuldet der Architekt oder Ingenieur lediglich ein schlichtes Tätigwerden. Unter juristischen Gesichtspunkten ist neben dem BGB auch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) von Bedeutung, die zwar eigentlich nur Vergütungsregelungen enthält (vgl. Kap. 5.2), zudem aber auch für die vertragliche Ausgestaltung mit Architekten und Ingenieuren instrumentalisiert wird, indem die zu erbringenden Leistungen
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
33
durch Verweise auf das Leistungsbild des § 15 HOAI vertraglich fixiert werden. Das Leistungsbild ergibt sich aus den neun Leistungsphasen, die üblicherweise für vergleichbare Objekte erbracht werden müssen: (1) Grundlagenermittlung (2) Vorplanung (Projekt- und Planungsvorbereitung) (3) Entwurfsplanung (System- und Integrationsplanung) (4) Genehmigungsplanung (5) Ausführungsplanung (6) Vorbereitung der Vergabe (7) Mitwirken bei der Vergabe (8) Objektüberwachung (Bauüberwachung) (9) Objektbetreuung und Dokumentation Hierbei gibt es jeweils Grundleistungen und besondere Leistungen (vgl. § 15 HOAI). 1.3.2.2.2
Die Haftung des Architekten
Architekten können in zweierlei Hinsicht haftbar gemacht werden: einerseits bezüglich der Kosten und andererseits bezüglich der technischen Leistung (vgl. Kap. 5.2). Architekten sind verpflichtet, bei ihrer Planung den von ihrem Bauherren vorgegebenen wirtschaftlich-finanziellen Rahmen zu berücksichtigen. So können gem. §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283 und 311 a BGB im Falle einer Bausummenüberschreitung Schadenersatzansprüche an den Architekten oder Ingenieur geltend gemacht werden, sofern der Bauherr die Überschreitung nicht genehmigt hat und sie einen gewissen Grad erreicht, der als nicht mehr vertretbar angesehen wird. Die Haftung des Architekten für die Bausummenüberschreitung setzt ebenfalls voraus, dass den Architekten ein Verschulden an der Kostenüberschreitung trifft. Fehler im technischen Bereich betreffen die Planung, die Koordinierungspflicht und die Objektüberwachung. Die Planung ist fehlerhaft, wenn sie nicht genehmigungsfähig ist oder nicht dem Stand der Technik entspricht. Der Architekt muss außerdem die Arbeiten der Bauunternehmer und Sonderfachleute koordinieren und die wichtigen und kritischen Bauabschnitte des Bauablaufs überwachen. Gem. §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283 und 311 a BGB kann der Auftraggeber einen Schadenersatzanspruch gegen den Architekten geltend machen, sofern neben einem Planungs-, Vergabe- oder Überwachungsfehler ein Verschulden des Architekten vorliegt. 1.3.2.2.3
Die Gestaltung von Bauverträgen
Die Gestaltung von Bauverträgen kann für Immobilieninvestoren erheblichen Einfluss auf die zu erzielende Rendite haben, da sich das Risiko der Immobilienentwicklung je nach Gestaltung der Bauverträge in niedrigem oder hohem Umfang auf die Auftragnehmer abwälzen lässt. So kann ein zumindest teilweiser Übergang des Zeitrisikos durch die Vereinbarung von Vertragsstrafen erreicht werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine Abwälzung von Risiko höchstwahrscheinlich mit dem Aufschlag einer Risikoprämie seitens der Auftragnehmer einhergehen wird. Auch die Wahl der rechtlichen Grundlage von Bauverträgen kann Risiken und wirtschaftliche Vorteile zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer unterschiedlich verteilen. Je nach
34
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
der gewählten Rechtsgrundlage der Verträge ergeben sich nämlich erhebliche Unterschiede bezüglich der Gewährleistungsvereinbarungen, der Verjährungsfrist für die Gewährleistung sowie der zeitlichen Abfolge der Vergütung für Bauleistungen. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Bauunternehmen lassen sich grundsätzlich drei Auftragsarten unterscheiden: die Einzelvergabe von Gewerken, Generalunternehmerverträge und Generalübernehmerverträge. Der einfache Bauvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass der Vertrag zwischen dem Bauherrn und den ausführenden Unternehmen geschlossen wird. Der Auftraggeber vergibt hier also die Bauleistung im eigenen Namen und auf eigenes Risiko, die der einzelne Auftragnehmer im Rahmen seines eigenen Betriebes ausführt. Die Bauleistungen der einzelnen Auftragnehmer können aber auch in mehrstufigen Vertragsverhältnissen ausgeführt werden. Die Vertragsverhältnisse werden folgendermaßen systematisiert: Wenn der Auftragnehmer als Vertragspartner des Auftraggebers Teile der vereinbarten Leistungen an andere Unternehmen überträgt, wird er als Hauptunternehmer und werden die anderen Unternehmen als Nachunternehmer oder Subunternehmer bezeichnet. Unter einem Generalunternehmer ist ein Auftragnehmer zu verstehen, der die Bauleistungen aller Gewerke für ein Bauwerk erbringt; dabei werden meist wesentliche Teile der Leistungen an Subunternehmer vergeben. Ein Generalunternehmer, der auch alle Planungsleistungen übernimmt, wird als Totalunternehmer bezeichnet. Unter einem Generalübernehmer wird ein Unternehmen verstanden, das alle Bauleistungen für ein Objekt übernimmt, diese jedoch in vollem Umfang an Subunternehmer vergibt und selbst keinerlei Bauleistungen erbringt. Generalunternehmer- und -übernehmervertrag sind also dadurch gekennzeichnet, dass dem Auftraggeber nur noch ein einziger Vertragspartner zur Erfüllung der gesamten Bauleistung bis zur sog. Schlüsselfertigkeit gegenübersteht. Bauverträge sind grundsätzlich auf die Erfordernisse des Einzelfalles abzustimmen. Die Rechtsgrundlage für Bauverträge ist der Werkvertrag i. S. d. §§ 631 ff. BGB (Wodicka, S. 508). Gem. § 631 BGB besteht das Wesen des Werkvertrages darin, dass einerseits ein Unternehmer zur Herstellung einer Leistung verpflichtet ist und andererseits vom Auftraggeber eine vereinbarte Vergütung erhält. Das rechtliche Interesse bei der werkvertraglichen Unternehmerleistung konzentriert sich demnach allein auf das Ergebnis der unternehmerischen Tätigkeit, also das fertig gestellte Objekt, und nicht auf den Vorgang der Werkserrichtung. Der Vertragstyp des Werkvertrages ist in der Bauwirtschaft vorherrschend, da gerade hier der Erfolg in Form des fertig gestellten Bauwerkes geschuldet wird und nicht das reine Tätigwerden. Das Werkvertragsrecht stellt aber in den meisten Fällen nicht die alleinige Grundlage eines Bauvertrags dar, da die Besonderheiten des Bauwesens hier nur unzureichend berücksichtigt sind. Die Regelungen der Verdingungsordnung für Bauleistungen sind gezielt auf die Bedürfnisse der Bauwirtschaft ausgerichtet, insbesondere bezüglich der Vergütung und der Gewährleistung sowie der Verjährungsfristen für die Gewährleistung. Bauverträge werden daher in den meisten Fällen auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen/Teil B (VOB/B) vereinbart. Teil B der VOB enthält die allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführungen von Bauleistungen und ist gemeinsam mit den allgemeinen technischen Vertragsbedingungen des Teils C der VOB maßgeblich für den Aufbau und Inhalt des Bauvertrags, während Teil A, wie erwähnt, allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen enthält.
1.3 Rahmenbedingungen der phasenorientierten Aspekte der Immobilienökonomie
35
Ist das Projekt abgeschlossen, erfolgt die Abnahme und Übergabe des Objekts. Sofern die Immobilie nicht vom Nutzer selbst entwickelt worden ist, muss sie durch die Vermarktung Dritten zugänglich gemacht werden (vgl. Kap. 8). Ist im Falle der Notwendigkeit der Vermarktung für die Immobilie ein Käufer oder Mieter gefunden, kann sie nun der Nutzung bereitgestellt werden.
1.3.3
Recht und Facilities Management
Das Management von Immobilien kann während der Objektnutzungsphase unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden: einerseits aus der Perspektive eines Unternehmens, das die Immobilie als Produktionsfaktor zur Erstellung von Leistungen nutzt, und andererseits aus der Sicht eines Investors, der primär an der Erwirtschaftung einer Rendite und der Wertsteigerung seiner Anlage interessiert ist und das Facilities Management meist einem Dritten überträgt. Die Aufgaben dieser Bereiche sind jedoch zu einem großen Teil deckungsgleich, denn sowohl der Nutzer als auch der Investor verfolgen im Grunde die gleiche Zielsetzung: die Kostenminimierung bei der Bereitstellung einer nutzergerechten Immobilie. Facilities Management dient der kontinuierlichen Bereitstellung einer funktionsfähigen, kosteneffektiven und dabei möglichst flexiblen Arbeitsumgebung und soll damit den Primärprozess der Unternehmung gewährleisten und nachhaltig unterstützen (vgl. dazu Pierschke/Pelzeter, S. 343 ff. sowie Schulte/Pierschke). Facilities Management bezieht sich demnach auf die Immobilie inklusive aller Sachressourcen als Betriebsmittel, das im Rahmen der unternehmerischen Leistungserstellung benötigt wird. Dabei ist es unerheblich, ob die Gebäude sich im Eigentum des Unternehmens befinden, geleast oder gemietet sind. Das Facilities Management hat eine operative und eine strategische Dimension. Strategisches Facilities Management setzt bereits bei der Gebäudeplanung ein und soll zur Errichtung einer für den Leistungserstellungsprozess optimalen Immobilie führen. Neben der Funktionalität und der Flexibilität werden in dieser frühen Phase auch die später anfallenden Baunutzungskosten festgelegt (vgl. Abb. 1.15). Hier gilt es unter anderem, Gesetzesänderungen, wie bspw. zur Energiesteuer, zu berücksichtigen, um sprunghaft ansteigende Kosten der Nutzung des Gebäudes zu antizipieren. Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist jedoch vor allem das operative Facilities Management, d. h. das Management einer Immobilie während der Nutzungsphase von Belang. Dazu gehören das technische, das infrastrukturelle und das kaufmännische Management der Immobilie. Ein einheitlicher Rahmen bezüglich der Inhalte der jeweiligen Leistungen ist durch die Richtlinien des VDMA und der GEFMA gegeben. Zu den technischen Leistungen des Facilities Managements gehören danach das Betreiben, Instandhalten, Modernisieren, Sanieren und Umbauen, das Ver- und Entsorgen sowie das Energiemanagement. Hierbei müssen einschlägige Gesetze, wie z. B. das Energieeinsparungsgesetz und die behördlich vorgeschriebenen Pflichten zur Durchführung diverser Inspektionen, eingehalten werden. Das infrastrukturelle Gebäudemanagement umfasst das Flächenmanagement, das Umzugsmanagement, Sicherheitsdienste, Reinigungsdienste, Gartenpflege und Winterdienste sowie das Management von Parkflächen. Der kaufmännische Aspekt des Facilities Managements beinhaltet die Objektbuchhaltung, das Kostenmanagement und das Vertragsmanagement; bei letzterem handelt es sich um die Verwaltung von Miet- oder Leasingverträgen (vgl. Kap. 9) und Outsourcing-Verträgen für Teilleistungen des Facilities Managements.
36
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie 100%
Gesamtkosten
Ausführung
Ausschreibung
Projektplanung
Kosten Bedarfsplanung
Grad der Beeinflußbarkeit der Investitions- und Folgekosten
100%
0% Entwicklungs- und Bauphase
Möglichkeit der Kostenbeeinflussung
Nutzungsphase
0%
Abb. 1.15: Möglichkeit der Beeinflussung von Kosten bei Immobilieninvestitionen
Die Aufgaben des Facilities Managements können entweder von eigenem Personal übernommen oder externen Dienstleistungsunternehmen übertragen werden. Dabei können Einzelleistungen, z. B. Reinigungs- und Sicherheitsdienste, oder auch Leistungspakete extern vergeben werden. Infolge der Konzentration auf das Kerngeschäft vertrauen manche NonProperty-Unternehmen das Facilities Management sogar vollständig einem externen Anbieter an. Das Outsourcing soll einerseits die Bereitstellung einer nutzergerechten Immobilie und andererseits Kosteneinsparungen herbeiführen. Die erste Zielsetzung erfordert eine präzise Formulierung der Aufgabenstellung im Outsourcing-Vertrag, da standardisierte Verträge nicht existieren. Bei der Vertragsgestaltung sollten auch Möglichkeiten der Kontrolle des Vertragspartners geschaffen werden. Daneben ist es ratsam, Verpflichtungen zu Datenschutz und Informationssicherheit ebenfalls vertraglich zu verankern, um Sicherheitsrisiken soweit wie möglich zu reduzieren. Neben der generellen Problematik, die mit dem Outsourcing verbunden sind, wie der Entstehung von Abhängigkeiten gegenüber externen Anbietern, gibt es auch rechtliche Zwänge. Gem. § 613a BGB kann beim Outsourcing von Leistungen unter Umständen ein Betriebsübergang stattfinden, der zur Folge hat, dass diejenigen Arbeitnehmer, die die nun ausgegliederten Leistungen bisher unternehmensintern verrichtet haben, von dem externen Anbieter übernommen werden müssen (vgl. dazu Wörle, S. 585 ff.). Das Ziel der Kosteneinsparung lässt sich durch verschiedene, im Outsourcing-Vertrag verankerte Anreizstrukturen erreichen. Die Erstattung der Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlages, der sog. „Open-book-contract“, stellt den geringsten Anreiz dar. Das sog. Performance Contracting kann dagegen als wirksamer Anreiz zur Nutzung von Einsparungspotenzialen instrumentalisiert werden, da hierbei im Outsourcing-Vertrag festgelegt wird, dass ein Teil der realisierten Einsparungen anteilig dem externen Dienstleister zusteht.
1.4 Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie
1.4
37
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie
Die strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie umfassen langfristige Entscheidungen bezüglich des Immobilienbestandes. Dabei sind vier verschiedene Gruppen von Entscheidungsträgern zu berücksichtigen:
Unternehmen, deren Unternehmenszweck die Kapitalanlage in Immobilien darstellt (Institutionelle Immobilieninvestoren), Unternehmen, deren Kernkompetenzen außerhalb des Immobilienbereichs liegen (Nonproperty-companies), die öffentliche Hand sowie private Immobilieninvestoren. Immobilien-Portfoliomanagement beschäftigt sich mit der Strukturierung von Immobilienbeständen mit dem primären Ziel der Wertsteigerung der Immobilienbestände. Corporate Real Estate Management dient der effizienten Bereitstellung betriebsnotwendiger Immobilien und der rentablen Verwertung nicht betriebsnotwendiger Immobilien; dabei wird die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und die Steigerung des Shareholder Value verfolgt. Public Real Estate Management soll vor allem eine kostensparende Bereitstellung von Immobilien im öffentlichen Sektor bezwecken. Private Real Estate Management befasst sich mit den Immobilienanlagen einer Privatperson oder einer Familie. Diese vier Bereiche werden in den folgenden Abschnitten ausführlich unter rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet.
1.4.1
Recht und Immobilien-Portfoliomanagement
Ausgehend von einem bereits vorhandenen Portfolio an Immobilien soll die Immobilienportfolio-Analyse eine strukturierte Hilfestellung für die Diagnose und Visualisierung der Aktivitäten des Unternehmens geben, auf deren Basis eine Strategie für das Portfoliomanagement abgeleitet werden kann. Die Grundlage bildet die Immobilienanalyse auf die bereits in Kap. 1.2.1 ausführlich eingegangen wurde. Liegt ein nur in Immobilien investiertes Portfolio vor, dann bezieht sich das Portfoliomanagement auf die Frage der Strukturierung des Immobilienbestandes. Als wesentliche Streuungskriterien dienen die Nutzungsart, die Region sowie die Lage. Ziel des Portfoliomanagements ist es, durch die geeignete Auswahl und Strukturierung von Immobilien eine Mischung von Chancen und Risiken zu erreichen (vgl. dazu Bone-Winkel/Thomas/ Allendorf/Walbröhl/Kurzrock, S. 777 ff.). Um die rechtlichen Beschränkungen bei der Optimierung der Portfoliostruktur erläutern zu können, bietet sich ein knapper Überblick über die Institutionen an, die typischerweise als Immobilieninvestoren am Markt auftreten und Bestandsmanagement betreiben. Ein geschlossener Immobilienfonds enthält i. d. R. eine einzige Immobilie, in Ausnahmefällen bis zu fünf Immobilien. Galt der geschlossene Fonds wegen weniger gesetzlicher Regelung als Teil des sog. „Grauen Kapitalmarkts“, wird diese Anlageform zunehmend von kapitalmarktrechtlichen Normen reguliert (vgl. Kap. 12.4). Offene Immobilienfonds stellen das Pendant zu Aktien- und Rentenfonds dar und verwalten große Immobilienportfolios im ein- bis zweistelligen Milliardenvolumen. Als Investmentvermögen im Sinne des § 1 Investmentgesetz (InvG) handelt es sich dabei um Vermögen zur
38
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
gemeinschaftlichen Kapitalanlage, die nach dem Grundsatz der Risikomischung das bei ihnen eingelegte Geld in Immobilien anlegen (§ 66 InvG). Sie unterliegen keiner Beschränkung des Zeichnungsvolumens, müssen aber bezüglich der Anlagepolitik umfangreiche Schutzvorschriften des InvG (bzw. ab Mitte 2013 des KAGB) beachten (vgl. Kap. 12.2). Auch Versicherungsgesellschaften unterliegen bei Immobilienanlageentscheidungen rechtlichen Beschränkungen, die im Einzelnen in dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) geregelt sind. So sind nach § 54 Abs. 1 VAG die „Bestände des Sicherungsvermögens [...] und das sonstige gebundene Vermögen [...] unter Berücksichtigung der Art der betriebenen Versicherungsgeschäfte sowie der Unternehmensstruktur so anzulegen, dass möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität des Versicherungsunternehmens unter Wahrung angemessener Mischung und Streuung erreicht wird“. Immobilienaktiengesellschaften stellen Gesellschaften in der Rechtsform der AG dar, deren Kerngeschäft das Immobiliengeschäft ist. Sie unterliegen keinen Vorgaben zur Anlagepolitik. Soweit es sich um Bestandshalter handelt, kann das Immobilienportfolio nach den vom Management gewählten Kriterien, z. B. den Gesichtspunkten der Marktattraktivität und des relativen Wettbewerbsvorteils, gesteuert werden. Zur Immobilienaktiengesellschaft selbst Kap. 12.6.
1.4.2
Recht und Corporate Real Estate Management
Neben der Optimierung des betrieblichen Flächenbedarfs geht es beim Corporate Real Estate Management um die Erfassung, Bewertung, Entwicklung und Verwertung nicht betriebsnotwendiger Grundstücke von Non-property-companies. Das Corporate Real Estate Management soll, ausgehend von den strategischen Zielsetzungen der Unternehmung, durch eine systematische Planung, Steuerung und Kontrolle aller immobilienbezogenen Unternehmensaktivitäten einen Beitrag zur nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung leisten. Ziel ist es, die Erfolgspotenziale im betrieblichen Immobilienportfolio aktiv auszunutzen (vgl. dazu Schäfers/Gier, S. 841 ff. sowie Schulte/Schäfers). Entsprechend einer lebenszyklusorientierten Betrachtung lassen sich grundsätzlich die Entscheidungsfelder
Immobilienbereitstellung Immobilienbewirtschaftung und Immobilienverwertung
unterscheiden, innerhalb derer es gilt, phasenspezifische Strategien auszuformen. 1.4.2.1
Strategien der Immobilienbereitstellung
Grundsätzlich kann ein Unternehmen den Immobilienbedarf durch eigene, unternehmensinterne Projektentwicklung oder externe Quellen, d. h. Kauf, Leasing und Miete, decken. Die Strategiefindung der Immobilienbereitstellung wird demzufolge maßgeblich durch die rechtlichen Rahmenbedingungen von Kauf, Leasing und Miete beeinflusst. Die unternehmensinterne Projektentwicklung bedarf des Einsatzes eigener finanzieller, materieller und personeller Ressourcen. Hier muss das Unternehmen alle rechtlichen Gesichtspunkte der Immobilienprojektentwicklung berücksichtigen (vgl. Kap. 2.1).
1.4 Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie
39
Durch den Kauf erwirbt das Unternehmen das wirtschaftliche und rechtliche Eigentum und damit das alleinige Nutzungsrecht an der ihr übertragenen Immobilie. Dadurch wird die Kontrolle über Nutzung und Veränderbarkeit entsprechend den sich in der Zukunft ergebenden unternehmens- bzw. geschäftsfeldstrategischen Anforderungen gewahrt. Hierbei sind die rechtlichen Grundlagen des Kaufvertragsrechtes zu beachten (vgl. Kap. 3.1). Im Leasingvertrag wird meistens eine unkündbare Grundmietzeit festgelegt, die zwischen 40 % und 90 % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer liegt. Die spezifische Vertragsgestaltung via Kaufoption zwingt zudem den Leasingnehmer, am Ende der Grundmietzeit die weitere Nutzung des Objektes zu überdenken; einer unreflektierten Nutzung veralteter Objekte kann damit vorgebeugt werden. Durch die Kaufoption kann für die Zeit nach Vertragsablauf der Standort gesichert werden. Beim Leasingvertrag sind die durch die Leasingerlasse gesteckten Rahmenbedingungen zu beachten. Bei der Anmietung einer Immobilie wird lediglich ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht gegen Zahlung einer monetären Gegenleistung begründet. Raumkapazitäten sind relativ kurzfristig abbaubar, da Mietverhältnisse entweder auf kürzere Dauer eingegangen werden oder in Fristen kündbar sind. Hier gelten die Ausführungen zum Mietrecht (vgl. Kap. 7). 1.4.2.2
Strategien der Immobilienbewirtschaftung
Die Bewirtschaftung von Immobilien kann durch Mitarbeiter des eigenen Unternehmens und/oder durch die Vergabe an unternehmensexterne Anbieter erfolgen. Genaue Vorgaben über den Leistungsinhalt sind ebenso notwendig wie eine anreizkompatible Gestaltung der Vergütung für die jeweiligen Leistungen. Im Falle des Outsourcings ist vor allem aufgrund der Ermangelung an Regelungen durch den Gesetzgeber auf eine lückenlose vertragliche Gestaltung der Verträge zu achten, um eine einwandfreie Bewirtschaftung der Immobilien zu gewährleisten (vgl. Kap. 9). 1.4.2.3
Strategien der Immobilienverwertung
Die Strategien der Immobilienverwertung dienen der Verwertung frei werdender bzw. nicht betriebsnotwendiger Unternehmensimmobilien. Unter einer passiven Verwertung dieser Immobilien versteht man die Vermietung oder den Verkauf ohne Inhalts- und Strukturveränderungen. Für die Veräußerung des Immobilienbestandes gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. So können Immobilien direkt oder als selbstständige Aktiengesellschaft an der Börse veräußert werden. Einen bedeutenden Parameter bei der Wahl der Verkaufsalternative stellt das Steuerrecht dar. Während der direkte Verkauf von Immobilien im Betriebsvermögen grundsätzlich steuerpflichtig ist, besteht unter den Voraussetzungen des § 6b EStG die Möglichkeit der Steuerneutralität, sofern innerhalb einer Frist von vier Jahren – im Falle einer Entwicklung sogar von sechs Jahren – eine zulässige Übertragung auf ein anderes Wirtschaftsgut erfolgt. Die Veräußerung kann auch durch eine Ausgliederung des Immobilienvermögens in eine Aktiengesellschaft und die Veräußerung der Aktien erfolgen. Gemäß § 86 Abs. 2, 3 KStG sind Gewinne aus Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen zu 95 % von der Körperschaftsteuer befreit. Unter diesen Umständen kann es sinnvoll sein, die Ausgliederung von Immobilienbeständen in eine eigene Gesellschaft und deren spätere Veräußerung einer direkten Veräußerung des
40
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Immobilienbestandes vorzuziehen. Restriktionen ergeben sich jedoch aus der Haltefrist bei einbringungsgeborenen Anteilen; die Steuerneutralität ist in diesem Fall an die Bedingung geknüpft, dass die ausgegliederte Immobiliengesellschaft mindestens sieben Jahre von der Muttergesellschaft gehalten wurde (Haritz, S. 1537 ff.). Bei der Vorbereitung des Börsengangs ist das Börsen- und Handelssegment festzulegen. Hier müssen die förmlich-rechtlichen Voraussetzungen für die Börsenzulassung erfüllt werden. Dazu gehören je nach Marktsegment unterschiedliche Erfordernisse bezüglich des Emissionsvolumens, des minimalen Streubesitzes, der Herausgabe eines Börsenzulassungsprospektes sowie eines Mindestalters der zu notierenden Gesellschaft. Zudem besteht in manchen Marktsegmenten eine Haltefrist für die bei der Muttergesellschaft verbliebenen Anteile. Es ist zu beachten, dass die rechtlichen Zwänge der Börsennotierung auch Kosten verursachen. Einmalige Kosten entstehen bei der Erstellung und dem Druck der Aktien sowie der Emissionsprospekte, periodische Kosten werden durch den Publizitätszwang verursacht. Bei der aktiven Verwertungsstrategie erfolgt vor der Vermarktung ein Redevelopment. Hierfür gelten die rechtlichen Rahmenbedingungen der Projektentwicklung, die in Kap. 2.1 dargestellt wurden. Bei der Verwertung der Unternehmensimmobilien ist außerdem, insbesondere bei Industrieunternehmen, zu beachten, dass die Sanierung von Altlasten zur Auflage oder Bedingung einer Genehmigung gemacht werden kann. Das Recht der Altlasten ist eine Mischung aus öffentlichem und privatem Recht. Die verschiedenen Verantwortlichkeiten für eine Altlast sind in mehreren Gesetzen verstreut. Mit Altlasten sind verschiedene Risiken verbunden (z. B. Sanierungsrisiko, Abfallbeseitigungsrisiko, Bauzeitverlängerungsrisiko), die bei der aktiven Verwertungsstrategie berücksichtigt werden sollten.
1.4.3
Recht und Public Real Estate Management
Obwohl die öffentliche Hand in der Bundesrepublik Deutschland einer der größten Immobilieneigentümer ist, wurde bisher noch kein einheitliches Führungskonzept für die Optimierung des Immobilienbestandes eingeführt. Dies muss sich jedoch in Zukunft ändern, da unter dem wachsenden Druck der angespannten Haushaltslage auch die durch Immobilien induzierten Kosten, einer der größten Ausgabenblöcke des Verwaltungshaushaltes, berücksichtigt werden müssen. Das Public Real Estate Management soll als eine strategische Gesamtkonzeption für den öffentlichen Sektor verstanden werden, die den heterogenen Immobilienbestand auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene in Hinblick auf die politischen Ziele optimieren soll (vgl. dazu Brockhoff/Zimmermann, S. 895 ff.). Die Optimierung kann jedoch nicht nach privatwirtschaftlichen Vorgehensweisen erfolgen, da der öffentliche Sektor anderen Rahmenbedingungen unterliegt und nicht rein wirtschaftliche Ziele verfolgt. Unterschiede zwischen privater Wirtschaft und dem öffentlichen Sektor ergeben sich aus der Wettbewerbssituation (die öffentliche Hand hat ein Quasi-Monopol inne), Arten der Erfolgsmessung (Rentabilität vs. Kameralistik), Preisgestaltung (frei vs. einheitlich), Ressourcen- und Erfolgsverantwortung (Wirtschaftlichkeit vs. Budgetierung) und Personalführung (Anreiz- und Sanktionssysteme vs. Bundesbesoldungsgesetz). Um eine vollständige Berücksichtigung aller immobilienspezifischen und politischen Einflussfaktoren zu gewährleisten, bietet sich eine Implementierung des Public Real Estate
1.4 Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie
41
Managements in drei Phasen an: Bestandserfassung, Entwicklung einer Gesamtkonzeption und Umsetzung in mehreren Schritten. Speziell bei der Entwicklung der Gesamtkonzeption ist den rechtlichen Besonderheiten des öffentlichen Sektors Rechnung zu tragen (vgl. Abb. 1.16). Zu beachten sind hier im Rahmen der Budgetierung das Haushaltsgrundsätzegesetz, die Bundeshaushaltsordnung, insbesondere die §§ 7, 63 und 64, und die Landeshaushaltsordnungen. Bei nötigen organisatorischen Umstrukturierungen sind das Arbeits- und Beamtenrecht, das Bundesbesoldungsgesetz und der Bundes-Angestellten-Tarifvertrag von Relevanz. Auch das Vergaberecht, speziell die Verdingungsordnung für Bauleistungen/Teil A und die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) , ist bei der Entwicklung der Gesamtkonzeption zu berücksichtigen. Die rechtlichen Vorgaben des Vergaberechts haben entscheidenden Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten des öffentlichen Sektors und müssen daher von der Gesamtkonzeption reflektiert werden. P ub lic R eal E state M anagem e nt
H ausha ltsgrund sätze gesetz (H G rG )
B unde sbe so ld ung sgesetz
B unde sha usha ltsordnung (B H O )
V erding ung sord nung für Leistung e n (V O L)
Lande sha ushaltsordnung (LH O )
V erding ung sord nung für B aule istunge n (V O B )
A rbeits- und B eam tenrecht Abb. 1.16: Übersicht über die für das Public Real Estate Management relevanten Rechtsgebiete
1.4.4
Recht und Private Real Estate Management
Private Real Estate Management befasst sich mit der Planung, Realisierung, Steuerung und Kontrolle sämtlicher direkter und indirekter Immobilienanlagen einer Privatperson oder Familie, unabhängig von ihren juristischen Eigentumsverhältnissen und unter Berücksichtigung der rechtlichen, steuerlichen, finanziellen und familiären Rahmenbedingungen (vgl. Schaubach/Tilmes, S. 917 ff.) und gehört damit zum Private Wealth Management. Um alle Wirkungen und Wechselwirkungen von privat gehaltenen Immobilien zu erfassen, bietet sich ein Top-down Ansatz an. Nachdem der Bestand erfasst wurde, erfolgt eine strategische Gesamtausrichtung des gehaltenen gemischten Asset-Portfolios. Anschließend wird eine Immobilien-Portfoliooptimierung durchgeführt. Die Umsetzung der abgeleiteten Strategie kann abschließend in mehreren Schritten auf Einzelobjektebene erfolgen. In allen Phasen sind die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen zu beachten.
42
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Diese können in drei Ebenen systemisiert werden: Neben der persönlichen Ebene des Immobilieneigners, sind die Immobilien-Objektebene und die Anbieterebene eines Private Real Estate Managements unterscheidbar (vgl. Abb. 1.17). Die Übergänge der Ebenen sind fließend. Welche rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen auf den einzelnen Ebenen relevant sind, soll im Weiteren kurz umrissen werden. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll auf mögliche Problemfelder aufmerksam machen. Auf der persönlichen Ebene sind insbesondere Eigentumsverhältnisse (Einzeleigentum vs. Gesellschaftsanteil) und die damit verbundenen Rechte und Pflichten zu berücksichtigen. Hinzu kommen Schuldverhältnisse, beispielsweise aus Fremdfinanzierungen oder Vermietung. Aus finanzieller Sicht sind hauptsächlich steuerrechtliche Aspekte von Interesse. Hierzu gehören Fragen der Einkommensteuer ebenso wie eventuelle Fragen von Gewerblichkeit. In der Erwerbs bzw. Eigentumsübertragungsphase kommen neben steuerlichen Aspekten vor allem vertragliche Aspekte und gegebenenfalls erbschafts- und schenkungsrechtliche Seiten zum Tragen. Auf der Objektebene sind die rechtlichen Vorschriften vielfach abhängig von der Art des Immobilieninvestments und der Investitionsphase. Bei Direktimmobilien spielen beispielsweise in der Erstellungsphase schuld- und vertragsrechtliche Aspekte eine bedeutende Rolle. Unter Umständen sind auch Fragen des Erbbaurechtes, des Wohnungseigentumsgesetzes oder des Bau- und Planungsrechts von Bedeutung. In jedem Fall spielt bei Direktimmobilien das Mietrecht eine (immer wichtigere) Rolle. Auf der Ebene der Anbieter eines Private Real Estate Management kommen neben gesellschaftsrechtlichen Aspekten der Organisation und deren Besteuerung vor allem zivilrechtliche Fragestellungen zwischen Anbieter und Kunde zum Tragen. Hierzu gehören hauptsächlich vertragliche Rechte und Pflichten. In Abhängigkeit von der Rechtsform des Anbieters und des konkreten Leistungsspektrums werden auch steuerrechtliche und aufsichtsrechtliche Sachverhalte (wie z. B. im Falle eines Bank-Anbieters) relevant. Da rechtliche und steuerliche Vorgaben einen beträchtlichen Einfluss auf die optimale Immobilien-Allokation haben, müssen sie bei jeder Umsetzung eines Private Real Estate Management reflektiert und entsprechend berücksichtigt werden.
1.4 Rahmenbedingungen der strategiebezogenen Aspekte der Immobilienökonomie Private Real Estate
Management
Eigentümer
Objekt
Anbieter
Zivilrecht
Grundstücksrecht
Zivilrecht
• Vertragsrecht • Eigentumsrecht • Gesellschaftsrecht • Erbrecht • Sachenrecht …
• Grundbuchordnung (GBO) • Erbbaurecht (ErbbauG) • Grundstücksverkehrsrecht • Wohnungseigentumsrecht …
• Vertriebsverträg • Vertragsgestaltung • Maklerverträg • Werkvertragsrecht
Gesellschaftsrecht Zivilrecht
Steuerrecht (AO) • Grunderwerb (GrEStG) • Grundsteuer (GrStG) • Einkommen (EStG) • Erbschaft-und Schenkungsteuer (ErbStG/BewG) • Umsatz (UStG) • Gewerbe (GewStG) • Investment (InvStG) • Immobilienbesitz mit Auslandsbezug (EGBGB, DBA) ….
Investmentrecht
• Mietrecht • Kaufvertrag …
Öffentliches Recht • Baurecht • Stadt- und Planungsrecht …
Sonderverordnungen
Steuerrecht • Ertragssteuer (EStG • Gewerbe (GewStG) • Umsatzsteuer …
Aufsichtsrecht • Kreditwesengesetz …
• Bauträgerrecht • Baurecht • Architektenrecht • Vergabe-und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) …
Abb. 1.17: Übersicht über die für ein Private Real Estate Management relevanten Rechtsgebiete
43
44
1 Rechtsordnung und Immobilienökonomie
Literaturverzeichnis zu Kap. 1 Bone-Winkel/Stephan/Isenhöfer, Björn/Hofmann, Philip: Projektentwicklung, in: Schulte, KarlWerner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 231–300. Bone-Winkel, Stephan/Schulte, Karl-Werner/Sotelo, Ramon/Allendorf, Georg J./Ropeter-Ahlers, Sven-Eric: Immobilieninvestition, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 627–712. Bone-Winkel, Stephan/Thomas, Matthias/Allendorf, Georg J./Walbröhl, Victoria/Kurzrock, Björn-Martin: Immobilien-Portfoliomanagement, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 779–844. Brade, Kerstin/Bobber, Michael: Immobilienmarketing, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 713–778. Brockhoff, Petra/Zimmermann, Matthias: Public Real Estate Management, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 899–920. Diederichs, Claus Jürgen: Grundlagen der Projektentwicklung, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, 2. Aufl., Köln, 2002, S. 17–75. Fischer, Carsten/Bischoff, Thorsten: Bau-Projektmanagement, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 301–342. Haritz, Detlev: Unternehmensteuerreform 2001: Begünstigte Veräußerungsgewinne bei einbringungsgeborenen Anteilen, in: DStR, 38. Jahrgang, Heft 37/2000, S. 1537–1546. Iblher, Felix/Pitschke, Christoph/Rottke, Nico/Schreiber, Nicole/Breidenbach, Marc/Lucius, Dominik: Immobilienfinanzierung, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 529–626. Isenhöfer, Björn/Väth, Arno/Hofmann, Philip: Immobilienanalyse, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 391–452. Lebek, Stefan: Recht der Architekten und Ingenieure, in: Usinger, Wolfgang/Minuth, Klaus (Hrsg.): Immobilien – Recht und Steuern: Handbuch für die Immobilienwirtschaft, 3. vollständig überarb. und erw. Aufl., Köln 2004, S. 467–473. Leopoldsberger, Gerrit/Thomas, Matthias/Naubereit, Philipp: Immobilienbewertung, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 453–528. Löchner, Stefan: Projektsteuerung, in: Usinger, Wolfgang/Minuth, Klaus (Hrsg.): Immobilien – Recht und Steuern: Handbuch für die Immobilienwirtschaft, 3. vollständig überarb. und erw. Aufl., Köln 2004, S. 475–498. Oprée, Frank: Der Immobilienmakler und sonstige Vertriebssysteme für Immobilien, in: Usinger, Wolfgang/Minuth, Klaus (Hrsg.): Immobilien – Recht und Steuern: Handbuch für die Immobilienwirtschaft, 3. vollständig überarb. und erw. Aufl., Köln 2004, S. 907–941. Pierschke, Barbara/Pelzeter, Andrea: Facilities Management, in: Schulte, Karl-Werner (Hrsg.): Immobilienökonomie, Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., München 2008, S. 343–390.
Literaturverzeichnis zu Kap. 1
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2
Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Michael Krautzberger und Jürgen Kühling
2.1 2.1.1 2.1.1.1 2.1.1.2 2.1.1.2.1 2.1.1.2.2 2.1.1.2.3 2.1.1.3 2.1.1.3.1 2.1.1.3.2 2.1.1.3.3 2.1.1.3.4 2.1.1.3.5 2.1.1.4 2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3 2.1.2.3.1 2.1.2.3.2 2.1.2.4 2.1.2.5 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3 2.1.3.4 2.1.3.5 2.1.3.6 2.1.3.7
Öffentliches Bau- und Planungsrecht .............................................................. 54 Einführung in die Bedeutung des öffentlichen Planungs- und Baurechts für die Immobilienökonomie ........................................................................... 54 Öffentliches und privates Baurecht ................................................................. 54 Die Zweiteilung des öffentlichen Planungs- und Baurechts in Bundesund Landesrecht .............................................................................................. 55 Vorbemerkung ................................................................................................. 55 Überblick über das Städtebaurecht des Bundes ............................................... 56 Überblick über das Bauordnungsrecht der Länder .......................................... 57 Die vier notwendigen baurechtsbezogenen Fragen vor dem Erwerb von Grundstücken für Bauzwecke.......................................................................... 59 Vorbemerkung ................................................................................................. 59 Erste Frage: Wo soll gebaut werden? .............................................................. 59 Zweite Frage: Was kann dort gebaut werden? ................................................ 60 Dritte Frage: Wie groß kann dort gebaut werden? .......................................... 61 Vierte Frage: Wie kann (bzw. muss) dort gebaut werden?.............................. 62 Die Bedeutung der Bauvoranfrage für die Beantwortung der vier Fragen ...... 62 Die Instrumente für die Schaffung von Bauland durch städtebauliche Planungen, ihr Inhalt und ihre Rechtswirkungen ............................................ 63 Überblick über die (Raum-)Planung................................................................ 63 Der Flächennutzungsplan für das ganze Gemeindegebiet ............................... 63 Der Bebauungsplan ......................................................................................... 65 Die sog. qualifizierten Bebauungspläne .......................................................... 65 Die vorhabenbezogenen Bebauungspläne ....................................................... 67 Die Innenbereichssatzungen ............................................................................ 70 Die Außenbereichssatzungen .......................................................................... 71 Die Sachanforderungen an den Inhalt städtebaulicher Planungen ................... 72 Vorbemerkung ................................................................................................. 72 Erforderlichkeit der städtebaulichen Planung .................................................. 73 Bindung an die Ziele der Raumordnung (Landes- und Regionalplanung) ...... 73 Die gesetzlichen Oberziele für die städtebaulichen Planungen ....................... 75 Die zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Belange ....................... 75 Das Abwägungsgebot ...................................................................................... 76 Umweltprüfung ............................................................................................... 78
48 2.1.3.7.1 2.1.3.7.2 2.1.3.7.3 2.1.3.7.4 2.1.3.7.5 2.1.4
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Überblick ......................................................................................................... 78 Umweltprüfung ............................................................................................... 78 Umweltbericht ................................................................................................. 79 Monitoring ...................................................................................................... 79 Zusammenfassende Erklärung ........................................................................ 80 Die Verfahren zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung städtebaulicher Planungen ................................................................................80 2.1.4.1 Das Verfahren für den Flächennutzungsplan .................................................. 80 2.1.4.2 Das Verfahren für sog. qualifizierte und für einfache Bebauungspläne .......... 82 2.1.4.3 Das Verfahren für vorhabenbezogene Bebauungspläne .................................. 83 2.1.4.4 Das vereinfachte Verfahren ............................................................................. 83 2.1.4.5 Das Verfahren für Innenbereichssatzungen..................................................... 84 2.1.4.6 Das Verfahren für Außenbereichssatzungen ................................................... 84 2.1.4.7 Einschaltung eines Dritten .............................................................................. 84 2.1.4.8 Der Grundsatz der Planerhaltung .................................................................... 85 2.1.5 Städtebauliche Verträge ...................................................................................86 2.1.5.1 Die Bedeutung städtebaulicher Verträge für die Schaffung von Bauland ....... 86 2.1.5.2 Maßnahmenverträge ........................................................................................ 87 2.1.5.3 Zielbindungsverträge....................................................................................... 87 2.1.5.4 Folgekostenverträge ........................................................................................ 88 2.1.5.5 Andere städtebauliche Verträge ...................................................................... 88 2.1.5.6 Anforderungen an die Rechtmäßigkeit städtebaulicher Verträge .................... 89 2.1.5.7 Formerfordernisse ........................................................................................... 90 2.1.6 Sicherung der Bauleitplanung ..........................................................................90 2.1.6.1 Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen ........................... 91 2.1.6.2 Teilung von Grundstücken; Gebiete mit Fremdenverkehrsfunktionen ........... 92 2.1.6.3 Gesetzliche Vorkaufsrechte der Gemeinde ..................................................... 93 2.1.7 Verwirklichung der städtebaulichen Planungen ...............................................93 2.1.7.1 Umlegung ........................................................................................................ 93 2.1.7.2 Vereinfachte Umlegung .................................................................................. 94 2.1.7.3 Enteignung ...................................................................................................... 95 2.1.7.4 Erschließung.................................................................................................... 95 2.1.7.5 Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben ............................................................................................ 95 2.1.8 Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen .............................97 2.1.8.1 Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen ........................................................... 97 2.1.8.2 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen ....................................................... 98 2.1.9 Stadtumbau und Soziale Stadt ..........................................................................99 2.1.10 Wertermittlung von Grundstücken .................................................................100 2.1.11 Zulassung von Bauvorhaben ..........................................................................101 2.1.11.1 Vorbemerkung .............................................................................................. 101 2.1.11.2 Die bauordnungsrechtlichen Sachanforderungen an Bauvorhaben ............... 102 2.1.11.2.1 Zulässigkeit nach Bundesbaurecht ................................................................ 102 2.1.11.2.1.1 Anforderungen des Bundesbaurechts im Geltungsbereich städtebaulicher Planungen ............................................................................. 102 2.1.11.2.1.2 Anforderungen des Bundesbaurechts im unbeplanten Innenbereich............. 104 2.1.11.2.1.3 Anforderungen des Bundesbaurechts im Außenbereich ............................... 106
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft 2.1.11.2.2 2.1.11.2.3 2.1.11.2.4 2.1.11.2.5 2.1.11.2.6 2.1.11.2.7 2.1.11.2.8 2.1.11.2.9 2.1.11.2.10 2.1.11.2.11 2.1.11.3 2.1.11.3.1 2.1.11.3.2 2.1.11.3.3 2.1.11.3.4 2.1.11.4 2.1.11.5 2.1.11.5.1 2.1.11.5.2 2.1.11.5.3 2.1.12 2.1.12.1 2.1.12.2 2.1.12.3 2.1.12.4 2.1.12.5 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.3.1 2.2.1.3.1.1 2.2.1.3.1.2 2.2.1.3.1.3 2.2.1.3.1.4 2.2.1.3.1.5 2.2.1.3.1.6
49
Anforderungen an die Zuwegung zum Baugrundstück ................................. 108 Anforderungen an die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung............ 108 Einhaltung der Abstandsvorschriften (vgl. § 6 MBO) ................................... 108 Anforderungen an die Baugestaltung ............................................................ 109 Anforderungen des Umweltschutzes ............................................................. 109 Anforderungen in Bezug auf Kraftfahrzeug-Stellplätze und FahrradAbstellplätze .................................................................................................. 109 Anforderungen in Bezug auf Kleinkinderspielplätze sowie barrierefreies Bauen ...................................................................................... 110 Anforderungen bautechnischer Art ............................................................... 110 Anforderungen in örtlichen Bauvorschriften ................................................. 110 Abweichungen ............................................................................................... 111 Die Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Zulässigkeit des Neubaus, der Nutzungsänderung und des Abbruchs baulicher Anlagen ....................... 111 Das uneingeschränkte Baugenehmigungsverfahren (§ 64 MBO) ................. 112 Das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren (§ 63 MBO) .......................... 113 Genehmigungsfreie Bauvorhaben (§ 62 MBO) ............................................. 113 Verfahrensfreie Bauvorhaben (§ 61 MBO) ................................................... 114 Mögliche Rechtsfolgen unerlaubter Baumaßnahmen .................................... 114 Baulasten und Dienstbarkeiten zur Sicherung baurechtlich bedeutsamer Zustände ........................................................................................................ 115 Zweck der Baulasten und baubezogenen Dienstbarkeiten ............................ 115 Wichtige Anwendungsfälle der Baulasten..................................................... 116 Begründung und Aufhebung von Baulasten, Baulastenverzeichnis .............. 118 Rechtsschutz im öffentlichen Planungs- und Baurecht ................................. 119 Rechtsschutz bei städtebaulichen Planungen................................................. 120 Rechtsschutz des Adressaten gegen Bescheide der Bauaufsichtsbehörden und der Gemeinden ................................................... 122 Rechtsschutz von Nachbarn und sonstigen Dritten gegen Bauvorhaben ....... 122 Schadenshaftung der Bauaufsichtsbehörden und Gemeinden bei Amtspflichtverletzungen in Bausachen ......................................................... 124 Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus städtebaulichen Verträgen ...... 125 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht ............................................................ 126 Vergaberecht ................................................................................................. 126 Einführung ..................................................................................................... 126 Kaskadensystem als Herausforderung für den Rechtsanwender ................... 127 Besteht eine (europaweite) Ausschreibungspflicht? ...................................... 129 Handelt ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB? ................. 129 Die klassischen öffentlichen Auftraggeber (§ 98 Nr. 1 GWB) ...................... 129 Zu besonderen Zwecken gegründete juristische Personen (§ 98 Nr. 2 GWB) ............................................................................................................ 129 Verbände öffentlicher Auftraggeber (§ 98 Nr. 3 GWB) ................................ 131 Sektorenauftraggeber (§ 98 Nr. 4 GWB)....................................................... 131 Durch projektbezogene Subventionen begründete Auftraggebereigenschaft (§ 98 Nr. 5 GWB).................................................. 132 Baukonzessionäre (§ 98 Nr. 6 GWB) ............................................................ 132
50 2.2.1.3.2 2.2.1.3.2.1 2.2.1.3.2.2 2.2.1.3.2.3 2.2.1.3.2.4 2.2.1.3.2.5 2.2.1.3.2.5.1 2.2.1.3.2.5.2 2.2.1.3.2.5.3 2.2.1.3.2.5.4 2.2.1.3.2.5.5 2.2.1.3.2.5.6 2.2.1.3.3 2.2.1.3.4 2.2.1.4 2.2.1.5 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3 2.2.2.3.1 2.2.2.3.2 2.2.2.3.3 2.2.2.3.4 2.2.2.3.5 2.2.2.4 2.2.2.4.1 2.2.2.4.2 2.2.2.5 2.2.2.5.1 2.2.2.5.2 2.2.2.6
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Liegt ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB vor? ........................ 132 Liegt ein Vertrag vor? ................................................................................... 133 Ist der Vertrag entgeltlich? ............................................................................ 133 Hat der Vertrag eine Beschaffungstätigkeit zum Gegenstand? ..................... 134 Liegt eine von der Auftraggeberin verschiedene Person als Vertragspartnerin vor? .................................................................................. 135 Welche Auftragsart liegt vor? ....................................................................... 136 Bauaufträge, § 99 Abs. 3 GWB..................................................................... 136 Lieferaufträge, § 99 Abs. 2 GWB ................................................................. 137 Dienstleistungsaufträge, § 99 Abs. 4 GWB – Abgrenzung zur Dienstleistungskonzession ............................................................................ 138 Baukonzessionen, § 99 Abs. 6 GWB ............................................................ 139 Auslobungsverfahren, § 99 Abs. 5 GWB ...................................................... 139 Abgrenzung der Vertragsinhalte ................................................................... 139 Ist der Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 GWB i. V. m. § 2 VgV und der Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 erreicht? ................................................... 140 Liegt kein Ausnahmetatbestand vor (§ 100 Abs. 2 GWB)? .......................... 141 Nach welcher Verfahrensart muss vorgegangen werden? ............................. 142 Welche Risiken bestehen im Fall eines Verstoßes gegen die Ausschreibungspflichten bzw. das Vergaberecht? ........................................ 143 EU-Beihilfenrecht ..........................................................................................144 Einführung .................................................................................................... 144 Relevante Rechtsnormen und steuernde Kontrollfragen ............................... 146 Liegt eine verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vor? ..... 146 Erfolgt eine Begünstigung (Leistung der öffentlichen Hand ohne angemessene Gegenleistung)?....................................................................... 147 Erfolgt die Begünstigung durch eine hoheitliche Entität? ............................. 148 Wird ein bestimmtes Unternehmen etwa durch bestimmte Erschließungsmaßnahmen und Infrastrukturmaßnahmen begünstigt? .......... 149 Wird der Wettbewerb zwischen Immobilien- und Infrastrukturunternehmen beeinflusst? .......................................................... 150 Liegt eine Handelsbeeinträchtigung zwischen den Mitgliedstaaten vor? ...... 150 Lässt sich die Maßnahme rechtfertigen? ....................................................... 151 Greift eine Rechtfertigung nach Art. 107 Abs. 2 AEUV ohne Genehmigungserfordernis der Kommission? ................................................ 151 Greift eine Rechtfertigung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV mit Genehmigungserfordernis der Kommission? ................................................ 151 Ist eine Notifizierung bei der Kommission erforderlich? .............................. 152 Welches Verfahren ist nach Art. 108 AEUV einzuhalten?............................ 152 Wie läuft die Notifizierung ab, wie eine Rückforderung rechtswidriger Beihilfen? ...................................................................................................... 153 Welche rechtlichen Risiken oder Angriffsmöglichkeiten bestehen? ............. 154 Literaturverzeichnis zu Kap. 2 ...................................................................... 155
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
51
Rechtsgrundlagen mit Abkürzungen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der konsolidierten Fassung vom 9.5.2008 (ABl. Nr. 115 S. 47–388)
AEUV
Verordnung Nr. 800/2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) vom 6.8.2008 (ABl. EG, L 214, S. 3)
AllgGVO
Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.09.2004 (BGBl. I S. 2414), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.7.2011 (BGBl. I S. 1509)
BauGB
Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung – BauNVO) in der Neufassung vom 23.1.1990 (BGBl. I S. 132), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.4.1993 (BGBl. I S. 466)
BauNVO
Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.2002 (BGB1. I. S. 42, 2909, 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2182)
BGB
Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatschG) in der Neufassung der Bekanntmachung vom 25.3.2002 (BGBl. I S. 1193)
BNatschG
Verordnung Nr. 360/2012 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen (De-minimis-VO) vom 25.4.2012 (ABl. EU, L 114, S. 8)
De-minimis-VO
Europarechtsanpassungsgesetz Bau (EAG Bau) vom 24.6.2004 (BGBl. I S. 1359)
EAG Bau
Gesetz über das Erbbaurecht (Erbbaurechtsgesetz) vom 15.1.1919 (RGBl. S. 72, 122), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.12.2010 (BGBl. I S. 1864)
ErbbauRG
Verordnung Nr. 994/98 über die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (ErmächtigungsVO) vom 7.5. 1998 (ABl. EG, L 142, S. 1)
ErmächtigungsVO
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.7.2012 (BGBl. I S. 1478)
GG
52
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Mitteilung betreffend Elemente staatlicher Beihilfen bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand (Grundstücksmitteilung) vom 10.7. 1997 (ABl. C 209, S. 3)
Grundstücksmitteilung
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.7.2005 (BGBl. I S. 2114, 2004 I S. 3850), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044)
GWB
Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV) vom 19.5.2010 (BGBl. I S. 639)
ImmoWertV
Verordnung Nr. 70/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen (KMU-VO) vom 12.1.2001 (ABl. EU, L 10, S. 3342), zuletzt geändert durch Verordnung vom 20.12.2006 (ABl. EG, L 368, S. 85)
KMU-VO
Musterbauordnung in der Fassung von 2002, zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom Oktober 2008; abrufbar unter http://www.is-argebau.de/Dokumente/ 42311628.pdf (zuletzt abgerufen am 29.2.2012)
MBO
Verordnung über die Ausarbeitung der Bauleitpläne und die Darstellung des Planinhalts (Planzeichenverordnung 1990 – PlanzV) vom 18.12.1990 (BGBl. 1991 I S. 58)
PlanzV
RL 2007/66/EG zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (Rechtsmittelrichtlinie) vom 11.12.2007 (ABl. EU, L 335, S. 31)
RechtsmittelRL
Raumordnungsgesetz vom 22.12.2008 (BGBl. I S. 2986), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.7.2009 (BGBl. I S. 2585)
ROG
Verordnung zu § 6a Abs. 2 des Raumordnungsgesetzes (Raumordnungsverordnung – ROV) vom 13.12.1990 (BGBl. I S. 2766), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.2.2012 (BGBl. I S. 212)
ROV
Verordnung Nr. 1251/2011 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG, 2004/18/EG und 2009/81/EG im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren (Schwellenwertverordnung) vom 30.11.2011 (ABl. EU, L 319, S. 43)
SchwellenwertVO
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
53
RL 2004/17/EG zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Sektorenkoordinierungsrichtlinie) vom 31.3.2004 (ABl. EU, L 134, S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung vom 30.11.2011 (ABl. EU, L 319 S. 43)
SektKR
Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung) vom 23.9.2003 (BGBl. I S. 3110), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.12.2011 (BGBl. I S. 2570)
SektVO
Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (Verfahrensverordnung) vom 22.3.1999 (ABl. EG, L 83, S. 1)
VerfVO
Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung), in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.2.2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.7.2012 (BGBl. I S. 1508)
VgV
RL 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (Vergabekoordinierungsrichtlinie) vom 31.3.2004 (ABl. EU, L 134, S. 114), zuletzt geändert durch Verordnung vom 30.11.2011 (ABl. EU, L 319, S. 43)
VKR
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (Teil A: Allgemeine Bestimmungen über die Vergabe von Bauleistungen) vom 31.7.2009 (BAnz. Nr. 155a)
VOB/A
Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen vom 18.11.2009 (BAnz. Nr. 185a)
VOF
Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A vom 20.11.2009 (BAnz. Nr. 196a, berichtigt 2010 S. 755)
VOL/A
Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung vom 19.3.1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.7.2012 (BGBl. I S. 1577)
VwGO
Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.2003 (BGBl. I S. 102), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.8.2009 (BGBl. I S. 2827)
VwVfG
Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) vom 15.3.1951 (BGBl. I S. 175, 209), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.5.2012 (BGBl. I S. 1084)
WEG
54
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Das öffentliche Immobilienrecht wird im Wesentlichen durch das öffentliche Baurecht geprägt. Bei jedem neuen Immobilienprojekt muss vorab stets geklärt werden, ob die beabsichtigte Nutzung oder der geplante Bau planungs- und bauordnungsrechtlich an der beabsichtigten Stelle in der geplanten Art und Weise überhaupt zulässig ist. Das öffentliche Baurecht steht daher auch im Zentrum der vorliegenden Betrachtung. Insbesondere wenn Bauvorhaben unter Beteiligung der öffentlichen Hand realisiert werden, stellen sich jedoch ergänzend auch Fragen des Vergaberechts und in einzelnen Fällen auch des EU-Beihilfenrechts. Im ersten Fall geht es darum, ob möglicherweise eine Ausschreibung erfolgen muss, also das ganze Vorhaben oder Teile seiner Verwirklichung im Wettbewerb vergeben werden müssen, etwa im Fall der Renovierung einer Schule. Das EU-Beihilfenrecht ist von Bedeutung wenn beispielsweise Grundstücksgeschäfte unter Beteiligung der öffentlichen Hand so abgewickelt werden müssen, dass keine Begünstigung des privaten Projektpartners erfolgt, etwa weil im Rahmen der Verwirklichung eines Einkaufszentrums Grundstücke zwischen dem privaten Vorhabenträger und der öffentlichen Hand getauscht werden müssen. Die Beratungserfahrung zeigt, dass diese Fragen oftmals gar nicht oder zu spät geklärt werden. Daher werden sie im Folgenden aufgenommen, auch wenn sie nicht wie das öffentliche Baurecht bei jedem Bauprojekt eine Rolle spielen.
2.1
Öffentliches Bau- und Planungsrecht Michael Krautzberger und Jürgen Kühling*
2.1.1
Einführung in die Bedeutung des öffentlichen Planungs- und Baurechts für die Immobilienökonomie
„Ob“ und „wie“ ein Immobilienprojekt baulich oder nutzenseitig verwirklicht werden kann, hängt maßgeblich von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab. 2.1.1.1
Öffentliches und privates Baurecht
Dabei ist die Materie des Baurechts aufgespalten in das private und das öffentliche Baurecht. Das private Baurecht regelt insbesondere die Rechtsbeziehung zwischen Privaten, was regelmäßig für den Erwerb einer Immobilie und deren Planung sowie Errichtung durch private Bauunternehmen und Architekten und die anschließende Vermarktung (im Rahmen der Vermietung, Verpachtung, des Verkaufs etc.) relevant ist. Die privatrechtlichen Beziehungen sind überwiegend durch das BGB geregelt. Hierunter fallen z. B. Kauf-, Werkverträge und Architektenverträge. Das öffentliche Baurecht regelt hingegen die Rechtsbeziehungen zwischen der öffentlichen Hand (v. a. den Kommunen) und den Bürgern. Das öffentliche Baurecht lässt sich insoweit definieren als die „Gesamtheit derjenigen Rechtsvorschriften, die im öffentlichen Interesse die bauliche Nutzung von Grundstücken – genauer die Zulässigkeit von baulichen Anlagen, ihre Errichtung, Nutzung, Änderung und Beseitigung wie auch ihre notwendige Beschaffenheit sowie die Ordnung, Förderung und die Grenzen der baulichen Nutzung des Bodens – regeln“ (Brenner, Rn. 1). Die Gestaltung der bodenrechtlichen Nutz*
Die Verfasser danken Herrn Andreas Bäuml für wertvolle Hilfe bei der Anfertigung des Manuskriptes.
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
55
barkeit von Grundstücken durch Bebauungspläne und die Erteilung von Baugenehmigungen sind die zentralen Bestandteile des öffentlichen Baurechts. Zu beachten ist, dass die Materien des privaten und des öffentlichen Baurechts weitgehend selbstständig nebeneinander stehen (vgl. § 72 Abs. 4 MBO).
Baurecht
öffentliches Baurecht
privates Baurecht
Staat ↓ Bürger
Bürger ↔ Bürger Trennung
Abb. 2.1: Zweiteilung Baurecht
2.1.1.2
Die Zweiteilung des öffentlichen Planungs- und Baurechts in Bundes- und Landesrecht
2.1.1.2.1
Vorbemerkung
Die Ausgestaltung des öffentlichen Baurechts in Deutschland wird durch die föderale Struktur deutlich verkompliziert. So ergibt sich auch aus dem Grundgesetz (GG), dass Deutschland als Bundesstaat aus dem Bund und den Ländern besteht (vgl. Art. 20 bis 37 GG). Zu den wichtigsten Aufgaben der Verfassung für einen Bundesstaat gehört die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten. In diesem Sinne erstreckt sich nach Art. 74 Nr. 18 GG die sog. konkurrierende Gesetzgebung unter anderem auf den städtebaulichen Grundstücksverkehr und das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge). Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben nach Art. 72 Abs. 1 GG die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Sofern die zu regelnde Materie nicht der enumerativen Aufzählung in Art. 72 Abs. 2 GG unterfällt, kann der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis ohne Einschränkung Gebrauch machen. Von Vorschriften, die der Bundesgesetzgeber erlassen hat und die den in Art. 72 Abs. 3 GG (sog. Abweichungskompetenz) aufgezählten Gebieten unterfallen, können die Länder durch den Erlass einer eigenen, anderweitigen Regelung abweichen. In den Bereich dieser Abweichungsgesetzgebung fällt das Raumordnungsrecht (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG). Zur Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern auf dem Gebiet des öffentlichen Planungs- und Baurechts wurde schon sehr frühzeitig ein Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts eingeholt (vom 16.6.1954 – 1 PBvV
56
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
2/52 –, BVerfGE 3, S. 407 ff.). In ihm wurde dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der städtebaulichen Planung und die Maßnahmen zur Sicherung und zum Vollzug der städtebaulichen Planung zugesprochen. Den Ländern ist die Gesetzgebungszuständigkeit für die Regelungsgegenstände zuerkannt worden, die im bisherigen Sinne vom „Baupolizeirecht“ erfasst worden sind. Daraus ergibt sich die seit 1960 bestehende Zweiteilung des öffentlichen Planungs- und Baurechts zwischen dem Städtebaurecht des Bundes und dem Bauordnungsrecht der Länder. Anders als die beiden Bereiche des privaten und des öffentlichen Baurechts, die sich weitgehend selbstständig gegenüber stehen, sind das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht mannigfach miteinander verzahnt. Als Beispiel ist hier die Baugenehmigung zu nennen, deren verfahrensrechtliche Anforderungen ausschließlich in der jeweiligen Landesbauordnung (LBO) geregelt sind, wohingegen sowohl das Landesrecht (insb. LBO) als auch das Bundesrecht (insb. BauGB, BauNVO) nebeneinander den inhaltlichen (materiellen) Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Erteilung der Baugenehmigung darstellen.
öffentliches Baurecht
Bauplanungsrecht (Städtebaurecht) → flächenbezogen • Wo? • Was? • Wie groß? •
•
Kompetenz: Art. 74 I Nr. 18 GG („Bodenrecht“) → Bund
Bauordnungsrecht → objektbezogen • Wie? • Wo?
sonstige baurechtsrelevante Normen z.B.
•
•
Kompetenz: Art. 30, 70 GG → Länder
•
Immissionsschutzrecht
•
Wasserrecht
•
Straßenrecht
insb. LBO
insb. BauGB, BauNVO Verzahnung
Abb. 2.2: Öffentliches Baurecht
2.1.1.2.2
Überblick über das Städtebaurecht des Bundes
Das Städtebaurecht des Bundes ist erstmals im Bundesbaugesetz (BBauG) vom 23.6.1960 (BGB1. I S. 341) geregelt worden. Es gilt seit dem 20.7.2004 in der Fassung der Neubekanntmachung des Baugesetzbuchs (BauGB) vom 23.9.2004 (BGB1. I S. 2414), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.7.2011 (BGBl. I S. 1509).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
57
Das BauGB enthält im Wesentlichen Vorschriften zu den folgenden Regelungsgegenständen:
Bauleitplanung durch Flächennutzungs- und Bebauungsplanung (§§ 1 bis 13a), Sicherung der Bauleitplanung durch Veränderungssperre und gemeindliche Vorkaufsrechte (§§ 14 bis 28), Zulässigkeit von Vorhaben (§§ 29 bis 38), Entschädigung für sog. Planungsschäden (§§ 39 bis 44), Bodenordnung durch Umlegung (§§ 45 bis 79) und Grenzregelung (§§ 80 bis 84), Enteignung (§§ 85 bis 122), Erschließung (vgl. dazu Kap. 2.1.7.4) und Erhebung von Erschließungsbeiträgen (§§ 123 bis 135), wobei die Kompetenz für das Recht der Erschließungsbeiträge mit Wirkung vom 15.11.1994 auf die Länder übergegangen ist (vgl. Art. 1 Nr. 6 lit. a lit. bb Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994), Erhebung von Kostenerstattungsbeträgen für Maßnahmen des Naturschutzes (§§ 135a bis 135c), Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen (§§ 136 bis 164b), Förmliche städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen (§§ 165 bis 171), Stadtumbau und „Soziale Stadt“ (§§ 171a bis 171e), Erhaltungssatzung und städtebauliche Gebote (§§ 172 bis 179), Wertermittlung (§§ 192 bis 199), Allgemeine Vorschriften; Zuständigkeiten; Verwaltungsverfahren; Planerhaltung (§§ 200 bis 216) und Verfahren vor den Kammern (Senaten) für Baulandsachen (§§ 217 bis 232).
Ergänzt werden die Vorschriften des BauGB durch drei Rechtsverordnungen:
Die Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung – BauNVO). Sie enthält verbindliche Anweisungen für die Darstellungen in Flächennutzungsplänen und die Festsetzungen in Bebauungsplänen bezüglich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung sowie bezüglich der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Verordnung über die Ausarbeitung der Bauleitpläne und die Darstellung des Planinhaltes (Planzeichenverordnung 1990 – PlanzV 90). In ihr finden sich Bestimmungen über die Planunterlagen und die Planzeichen, die bei der Bauleitplanung zu verwenden sind. Die Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV). Wichtig sind in ihr, neben den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen und den Begriffsbestimmungen, vor allem die Regelungen über die drei Arten von Wertermittlungsverfahren: das Ertragswert-, das Vergleichswert- und das Sachwertverfahren.
2.1.1.2.3
Überblick über das Bauordnungsrecht der Länder
Alle sechzehn Bundesländer haben als Landesgesetze eigenständige Landesbauordnungen. Sie sollen sich bei der Weiterentwicklung des Bauordnungsrechts an der von der ARGEBAU (Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder) erarbeiteten und ständig fortgeschriebenen „Musterbauordnung für die Länder der Bundesrepublik Deutschland“ ausrichten, weisen aber vor allem in den Verfahrensbestimmungen nicht unerhebliche Unterschiede auf.
58
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Bezüglich der Regelungsgegenstände sind die Landesbauordnungen durchweg einheitlich: Allgemeine Vorschriften (Anwendungsbereich, Begriffe, allgemeine Anforderungen), das Grundstück und seine Bebauung, Anforderungen an die Gestaltung, allgemeine Anforderungen an die Bauausführung, Bauprodukte und Bauarten, Wände, Decken und Dächer, Treppen, Rettungswege, Aufzüge und Öffnungen, Haustechnische Anlagen und Feuerungsanlagen, Aufenthaltsräume und Wohnungen, besondere Anlagen, die am Bau Beteiligten, Aufsichtsbehörden und Verwaltungsverfahren und Ordnungswidrigkeiten, Rechtsverordnungen, örtliche Bauvorschriften der Gemeinden. Die meisten Unterschiede weisen die Landesbauordnungen in ihren Vorschriften über die Verwaltungsverfahren auf, in denen die Zulässigkeit der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung und des Abbruchs baulicher Anlagen geprüft wird. Für viele Baumaßnahmen von minderer Bedeutung bedarf es keiner baubehördlichen Überprüfung (mehr), vgl. § 61 MBO). Bei den genehmigungsbedürftigen Vorhaben ist zwischen den Baumaßnahmen zu unterscheiden, die einer umfassenden Prüfung unterworfen sind (vgl. § 64 MBO), und den Baumaßnahmen, die nur in einem vereinfachten Genehmigungsverfahren auf ihre Zulässigkeit überprüft werden (vgl. § 63 MBO) – mit länderweise unterschiedlichem Prüfungsumfang. Schließlich gibt es noch genehmigungsfreie Vorhaben (vgl. § 62 MBO), vornehmlich Wohnungsbauvorhaben in Geltungsbereichen von Bebauungsplänen, bei denen allerdings die Bauunterlagen bei der Bauaufsichtsbehörde oder bei der Gemeinde einzureichen und von dieser auf die Übereinstimmung mit den Festsetzungen des Bebauungsplans zu überprüfen sind. Fällt diese Prüfung negativ aus, wird die Durchführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens gefordert, andernfalls kann nach Ablauf eines Monats mit dem Bau begonnen werden (§ 62 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 MBO). Was für eine bestimmte Baumaßnahme gilt, ist im einzelnen Fall anhand der jeweils maßgebenden Landesbauordnung zu ermitteln. Das politische Streben nach Beschleunigung und Vereinfachung des Bauens, sowie nach Verwaltungsvereinfachung bringt immer wieder neue Verfahrensvarianten hervor, die für die Bauwilligen und ihre Planverfasser (Architekten und Bauingenieure) vielfach nur noch schwer zu erfassen sind. Wie das BauGB werden auch die Landesbauordnungen durch Rechtsverordnungen ergänzt. Dabei handelt es sich im Allgemeinen um Durchführungsverordnungen über
die Bauunterlagen und die Prüfung von Standsicherheitsnachweisen, den Bau und Betrieb von Garagen, den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, den Bau und Betrieb von Geschäftshäusern, die Prüfung haustechnischer Anlagen und Einrichtungen, Betriebsräume für elektrische Anlagen, Camping- und Wochenendplätze, die Anerkennung von Prüfingenieuren, Prüfstellen und Prüfämtern für Baustatik,
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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die Anerkennung von Entwurfsverfassern als Sachverständige und die Gebühren für Amtshandlungen der Bauaufsichtsbehörden und die Vergütung der Leistungen der Prüfingenieure für Baustatik. Weiterhin ermächtigen alle Landesbauordnungen die Gemeinden, örtliche Bauvorschriften in Satzungsform zu erlassen (vgl. 86 MBO). In ihnen können insbesondere Gestaltungsanforderungen für Neubaugebiete und Altbaubereiche in Bezug auf bauliche Anlagen, Werbeanlagen und Warenautomaten festgelegt und auch sonstige auf bestimmte Bereiche einer Gemeinde bezogene Baubestimmungen getroffen werden. Zum Beispiel können in örtlichen Bauvorschriften Regelungen zur Dachneigung, zur farbigen Gestaltung des Dachs oder zum Baumaterial von Fenstern enthalten sein. Solche örtlichen Bauvorschriften können aufgrund der Öffnungsklausel in § 9 Abs. 4 BauGB auch als Festsetzungen in Bebauungspläne aufgenommen werden. 2.1.1.3
Die vier notwendigen baurechtsbezogenen Fragen vor dem Erwerb von Grundstücken für Bauzwecke
2.1.1.3.1
Vorbemerkung
Bei der Beratung von Investoren und Projektentwicklern zeigt sich immer wieder, dass die Anforderungen, die vom Bauplanungsrecht des Bundes und vom Bauordnungsrecht des jeweiligen Landes und außerdem noch von bundes- und landesrechtlichen Umweltschutzvorschriften an die Inanspruchnahme von Grundflächen für die bauliche Nutzung für bestimmte Zwecke gestellt werden, kaum jemals umfassend erkannt sind. Dies gilt sowohl für unbebaute, bisher etwa landwirtschaftlich genutzte Grundstücke als auch für nicht mehr genutzte Gewerbe-, Industrie-, Verkehrs- und Militärflächen (sog. Konversionsflächen). Bevor daher im Folgenden die Rechtsgrundlagen für die Schaffung von Bauland und die Zulassung von Bauvorhaben systematisch dargestellt und erläutert werden, sind die vier Fragen zu behandeln, die vor dem Erwerb von Grundstücken für eine bestimmte bauliche Nutzung, vor der Bearbeitung der Bauvorlagen für das baubehördliche Zulassungsverfahren und auch vor einer baurechtlich bedeutsamen Nutzungsänderung bestehender Bauten gestellt und beantwortet werden müssen, wenn Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen vermieden werden sollen. Die Rechtsvorschriften, die zur Beantwortung dieser Fragen herangezogen werden müssen, lassen die grundlegende Bedeutung des bundesrechtlichen Städtebaurechts und des landesrechtlichen Bauordnungsrechts sowie der bundes- und landesrechtlichen baubezogenen Umweltschutzvorschriften für die Immobilienökonomie erkennen. Dabei stellen sich vier Fragen: 1. Wo soll gebaut werden? 2. Was kann dort gebaut werden? 3. Wie groß kann dort gebaut werden? 4. Wie kann (bzw. muss) dort gebaut werden? 2.1.1.3.2
Erste Frage: Wo soll gebaut werden?
Zunächst ist also die Frage zu stellen, wo gebaut werden soll. Diese Frage kann aber nicht isoliert von den Fragen zwei bis vier betrachtet werden. Vielmehr hängen diese untrennbar zusammen. So ist es möglich, dass an dem betrachteten Ort die weiteren Fragen zu keinem
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zufriedenstellenden Ergebnis führen, mit der Folge, dass man sich als Investor die Frage des „wo“ erneut stellen muss und gegebenenfalls auf einen Alternativstandort ausweichen muss. Die Frage nach dem „wo“ ist die Frage nach der Bebaubarkeit von Grundflächen. Ihre Beantwortung richtet sich nach den folgenden bundes- und landesrechtlichen Vorschriften. Nach dem Bundesbaurecht bestimmt sich die Zulässigkeit der baulichen und sonstigen baurechtlich bedeutsamen Nutzung von Grundflächen
im Geltungsbereich von Bebauungsplänen nach den §§ 30 und 31 BauGB, während der Aufstellung von Bebauungsplänen nach § 33 BauGB, innerhalb der im Zusammenhang bebauten (nicht beplanten) Ortsteile nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB, im Geltungsbereich einer Innenbereichs-Erweiterungssatzung nach § 34 Abs. 4 und 5 BauGB, im Außenbereich nach § 35 BauGB und im Geltungsbereich einer Außenbereichs-Bausatzung nach § 35 Abs. 6 BauGB. Aus dem Landesbauordnungsrecht ergeben sich im Wesentlichen die folgenden Anforderungen an die Bebaubarkeit von Grundflächen:
ausreichende Zuwegung zur nächsten öffentlichen Verkehrsfläche (§§ 5, 82 Abs. 2 S. 3 MBO), Benutzbarkeit der Ver- und Entsorgungsanlagen bei Beginn der Nutzung der baulichen Anlage (§ 82 Abs. 2 S. 3 MBO), bei Belastung der Grundfläche mit umweltgefährdenden Stoffen Bebaubarkeit nur, wenn der Nachweis erbracht wird, dass von den Stoffen keine Gefahren für die Umwelt, insbesondere die Gesundheit, ausgehen (vgl. § 3 Abs. 1 MBO), Einhaltung der Bestimmungen über die Abstandsflächen (§ 6 MBO), Bereitstellung sog. notwendiger Stellplätze für Kraftfahrzeuge sowie von erforderlichen Abstellflächen für Fahrräder (§ 49 MBO) und bei Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen Anlegung und Unterhaltung eines Kleinkinderspielplatzes (§ 8 Abs. 2 MBO). Bedeutsam für die Bebaubarkeit von Grundflächen können auch die flächenbezogenen Bestimmungen des Umweltschutzrechts sein. So können Flächen nach Naturschutzrecht als Naturpark, Naturschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet, geschützter Landschaftsbestandteil oder Naturdenkmal oder nach (Bundes- und Landes-) Wasserrecht als Wasserschutzgebiet oder Überschwemmungsgebiet festgesetzt sein (durch Rechtsverordnung). Ihre Bebaubarkeit ist dann zumindest erheblich eingeschränkt, wenn nicht sogar vollständig ausgeschlossen (maßgebend ist der Inhalt der Schutzverordnung). Baubeschränkungen können sich auch aus dem Denkmalschutzrecht des jeweiligen Landes ergeben (übrigens nach Bundesbaurecht auch aus einer Erhaltungssatzung nach den §§ 172 ff. BauGB). 2.1.1.3.3
Zweite Frage: Was kann dort gebaut werden?
Das ist die Frage nach der zulässigen Art der baulichen Nutzung. Da es äußerst unterschiedliche Arten der baulichen und sonstigen Nutzung von Grundflächen gibt (Wohn-, Gewerbe-, Industriebebauung usw.), die unter den Gesichtspunkten des Immissionsschutzes (Lärmbeschränkung, Luftreinhaltung, Erschütterungsschutz) nicht miteinander vereinbar sein können, werden für die städtebaulichen Planungen durch die BauNVO (§§ 2 bis 9) in be-
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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stimmten Arten von Baugebieten verschiedene Arten von baulichen und sonstigen Nutzungen der Grundflächen zusammengefasst, die im Hinblick auf den Immissionsschutz miteinander „verträglich“ sind (sog. typisierte Arten von Baugebieten). Da es sich dabei um eine bewährte Anleitung für die Planung der städtebaulichen Entwicklung handelt, werden die Art-Regelungen der BauNVO nicht nur bei städtebaulichen Planungen und bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer baulichen oder sonstigen Nutzung von Grundflächen in ihrem Geltungsbereich herangezogen (vgl. dazu insbesondere die §§ 30, 31 und 33 BauGB), sondern bei entsprechenden Sachlagen auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten (nicht beplanten) Ortsteile (vgl. § 34 Abs. 2 BauGB). Ansonsten ist bei Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB zu fragen, ob sie sich ihrer Art nach in die (vorhandene) Umgebungsbebauung („Eigenart der näheren Umgebung“) einfügen. Bei einem Bauvorhaben im Außenbereich ist nach § 35 BauGB zu prüfen, ob es seiner Art nach unter die sog. privilegierten Vorhaben (Abs. 1), die sonstigen Vorhaben (Abs. 2) oder die begünstigten Vorhaben (Abs. 4) fällt. Bei Innenbereichs-Erweiterungssatzungen (§ 34 Abs. 4 und 5 BauGB) und bei Außenbereichs-Bausatzungen (§ 35 Abs. 6 BauGB) ergeben sich nähere Einzelheiten zur zulässigen Art der baulichen Nutzung aus dem Satzungsinhalt. Soweit sich die Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen oder sonstigen Nutzung der Grundflächen mit der zulässigen Art dieser Nutzung befassen, dienen sie nicht nur einer geordneten städtebaulichen Entwicklung, sondern wegen ihrer Bedeutung für den Immissionsschutz (vgl. Kap. 2.1.1.3.2) auch dem Nachbarschutz, genauer dem Schutz nachteilig betroffener Dritter, die nicht Angrenzer sein müssen. Zahlreiche Streitigkeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechts gehen auf Rechtsbehelfe von Dritten zurück, die sich gegen die Zulassung bestimmter Arten baulicher Anlagen oder sonstiger Nutzungen auf benachbarten Grundstücken wenden. So ist es bei der Prüfung der Zulässigkeit baulicher Anlagen, deren zweckbestimmte Nutzung einen starken Kraftfahrzeugverkehr verursachen wird, bedeutsam, dass dem Vorhabenträger auch der Verkehrslärm zugerechnet wird, den die geplante Grundstücksnutzung in benachbarten Wohnbereichen oder sonstigen schutzwürdigen Gebieten (etwa Kurgebieten) hervorrufen kann. 2.1.1.3.4
Dritte Frage: Wie groß kann dort gebaut werden?
Das ist die Frage nach den zulässigen Ausmaßen der baulichen Nutzung, also beispielsweise die Frage nach der Höhe der Gebäude oder wie viel nutzbarer Raum geschaffen werden kann. Für den wirtschaftlichen Wert eines Grundstücks ist dies neben der Nutzungsart entscheidend. In städtebaulichen Planungen können die zulässigen Ausmaße der baulichen Nutzung nach den Vorgaben in § 16 BauNVO mit Hilfe der folgenden Faktoren festgesetzt sein:
Grundflächenzahl oder Größe der Grundfläche baulicher Anlagen (Näheres in § 19 BauNVO), Geschossflächenzahl oder Größe der Geschossfläche baulicher Anlagen (Näheres in § 20 Abs. 2 bis 4 BauNVO), Baumassenzahl oder Baumasse baulicher Anlagen (vgl. § 21 BauNVO), Zahl der Vollgeschosse (Näheres in § 20 Abs. 1 BauNVO), Höhe der baulichen Anlagen (Näheres in § 18 BauNVO).
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Zwingend ist die Festsetzung der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen. Die Zahl der Vollgeschosse oder die Höhe der baulichen Anlagen ist festzusetzen, wenn ohne diese Festsetzung öffentliche Belange, insbesondere das Orts- und Landschaftsbild, beeinträchtigt werden könnten. In § 17 BauNVO sind als weitere Vorgaben für städtebauliche Planungen „Obergrenzen“ für die Bestimmung der Ausmaße der baulichen Nutzung enthalten, von denen allerdings unter näher geregelten Voraussetzungen abgewichen werden kann. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (Innenbereich, hierzu näher Kap. 2.1.11.2.1.2) ist nach § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB für die Ermittlung der zulässigen Ausmaße der baulichen Nutzung auf die Eigenart der näheren Umgebung (vor allem auf die Umgebungsbebauung) abzustellen. Ist im Außenbereich (hierzu näher Kap. 2.1.11.2.1.3) ein Bauvorhaben seiner Art nach zulässig, so ist bei der Prüfung der zulässigen Ausmaße zu fragen, ob das Vorhaben mit den in § 35 Abs. 3 BauGB aufgelisteten öffentlichen Belangen vereinbar ist. Im Geltungsbereich einer Innenbereichs-Erweiterungssatzung nach § 34 Abs. 4 und 5 BauGB und einer AußenbereichsBausatzung nach § 35 Abs. 6 BauGB ist der Inhalt der Satzung maßgebend. Die Regelungen über die zulässigen Ausmaße der baulichen Nutzung sind (im Allgemeinen) nicht nachbarschützend. Allerdings sind in gewissem Sinne auch die landesrechtlichen Abstandsvorschriften (vgl. § 6 MBO) Regelungen bezüglich der zulässigen Ausmaße der baulichen Nutzung. Auf ihre Einhaltung haben die Grundstücksnachbarn einen Rechtsanspruch; diese Vorschriften sind daher nachbarschützend (drittschützend). Doch können sie für Gebäudeabstände keine größere „Rücksichtnahme“ fordern, als sie sich nach dem Willen des jeweiligen Landesgesetzgebers aus dem Bauordnungsrecht gemäß den gesetzlich festgelegten Abstandsmaßen ergeben. 2.1.1.3.5
Vierte Frage: Wie kann (bzw. muss) dort gebaut werden?
Das ist die Frage nach der Gestaltung der baulichen Anlagen und nach den bei ihrer Planung zu beachtenden Anforderungen der Bautechnik. Sie ist anhand der jeweiligen Landesbauordnung (und der zu ihrer Durchführung erlassenen Rechtsverordnungen sowie der örtlichen Bauvorschriften in Gemeindesatzungen und Bebauungsplänen) zu beantworten. So existieren beispielsweise Satzungen zum Schutz von Altstadtbildern, die Regelungen zur Fenstergestaltung (z. B. nur stehende Fenster) oder zu Solaranlagen (z. B. Unzulässigkeit derartiger Anlagen) enthalten. Im Hinblick auf die Lebensbedürfnisse behinderter Menschen existieren Bestimmungen über das hindernisfreie („barrierefreie“) Bauen (vgl. § 50 MBO). 2.1.1.4
Die Bedeutung der Bauvoranfrage für die Beantwortung der vier Fragen
In allen Landesbauordnungen sind Bestimmungen darüber enthalten, dass bei der Bauaufsichtsbehörde vor Einreichung eines Bauantrags zu einzelnen Fragen eines Bauvorhabens ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) beantragt werden kann (vgl. § 75 MBO). Dieses sog. Bauvoranfrageverfahren eignet sich vor allem dazu, eine rechtsverbindliche Antwort auf die drei Fragen „Wo kann gebaut werden?“, „Was kann dort gebaut werden?“ und „Wie groß kann dort gebaut werden?“ herbeizuführen. Einen Bauvorbescheid mit positiven Antworten auf diese Fragen bezeichnet man in der Baurechtspraxis als „Bebauungsgenehmigung“. Mit der Bauvoranfrage müssen noch keine vollständigen Bauunterlagen eingereicht werden, wie sie dem Bauantrag beizufügen sind. Es kann schon ein Lageplan mit der Einzeichnung
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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des Grundrisses der geplanten baulichen Anlage und die Beschreibung des Bauvorhabens nach Art und Ausmaß ausreichen. Ob der künftige Bauherr (das muss nicht der Grundstückseigentümer sein) dafür einen bauvorlageberechtigten Entwurfsverfasser (z. B. einen Architekten, § 65 Abs. 2 S. 1 MBO) hinzuziehen muss, ist in den Landesbauordnungen unterschiedlich geregelt. Die Bauaufsichtsbehörden dürfen Bauvoranfragen (weil sie noch keinen Baugenehmigungsantrag darstellen) nicht „auf die leichte Schulter nehmen“. Ein positiver Bauvorbescheid ist als endgültige Entscheidung über die Zulässigkeitsprobleme zu beurteilen, die mit den vom Bauinteressenten gestellten Fragen angesprochen worden sind. Sein Inhalt bildet eine Teilentscheidung über die Zulässigkeit des Bauvorhabens und er ist insoweit in die Baugenehmigung zu übernehmen. Zu beachten ist, dass der Bauvorbescheid nur für einen begrenzen Zeitraum wirkt (vgl. § 75 S. 2 MBO: drei Jahre), so dass sich der Bauantragsteller nach Ablauf dieses Zeitraums auf diesen Vorbescheid nicht mehr berufen kann. Das bedeutet aber auch, dass die Bauaufsichtsbehörden Probleme des Nachbarschutzes, die ein Bauvorhaben vor allem wegen der beabsichtigten Art der baulichen oder sonstigen Nutzung verursachen kann, nicht der Beurteilung und Lösung im (späteren) bauaufsichtlichen Verfahren vorbehalten dürfen. Die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Beteiligung der Nachbarn im bauaufsichtlichen Verfahren wird in den Landesbauordnungen auch auf das Bauvoranfrageverfahren bezogen. Wird eine rechtlich gebotene Beteiligung von Nachbarn am Bauvoranfrageverfahren versäumt und kommt es nach der Erteilung der Baugenehmigung dazu, dass diese Genehmigung auf Rechtsbehelfe von Nachbarn hin aufgehoben wird, so können die Voraussetzungen einer Schadenshaftung der Bauaufsichtsbehörde wegen Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) gegeben sein.
2.1.2
Die Instrumente für die Schaffung von Bauland durch städtebauliche Planungen, ihr Inhalt und ihre Rechtswirkungen
2.1.2.1
Überblick über die (Raum-)Planung
Die Bauleitplanung ist grundsätzlich zweistufig. Auf der „übergeordneten“ Stufe erfolgt eine Planung, die die Grundzüge der beabsichtigten Bodennutzung darstellt. Jene Darstellung der Grundzüge ist Inhalt der Flächennutzungspläne. Dieses grobe Raster des Flächennutzungsplans wird dann im Bebauungsplan auf der zweiten Stufe verfeinert, d. h. im Regelfall wird der Bebauungsplan aus dem Flächennutzungsplan entwickelt (vgl. § 8 Abs. 2 BauGB). Der Detaillierungsgrad von Bebauungsplänen ist dabei unterschiedlich (s. Kap. 2.1.2.3). Dieses System der örtlichen Bauleitplanung ist seinerseits in ein umfassendes System der Raumplanung in Deutschland eingebettet. 2.1.2.2
Der Flächennutzungsplan für das ganze Gemeindegebiet
Im Flächennutzungsplan ist nach § 5 Abs. 1 BauGB für das ganze Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung (Flächennutzung) nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in den Grundzügen darzustellen. Einzelne Flächen oder sonstige Darstellungen können ausgenommen werden, wenn dadurch die darzustellenden Grundzüge nicht berührt werden und die Gemeinde beabsichtigt, die Darstellung zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen; im Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan (Abs. 5) sind die Gründe hierfür darzulegen.
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Der Flächennutzungsplan soll nach § 5 Abs. 1 S. 3 BauGB spätestens 15 Jahre nach einer erstmaligen oder erneuten Aufstellung überprüft und, soweit erforderlich, geändert, ergänzt oder neu aufgestellt werden; die Verpflichtung hierzu beginnt im Jahre 2010 (§ 244 Abs. 5 BauGB). Im Flächennutzungsplan können nach § 5 Abs. 2 BauGB alle nur denkbaren Arten von Flächennutzungen dargestellt werden, für deren Entwicklung und Ordnung die Gemeinde im Rahmen ihrer Planungshoheit (vgl. § 2 Abs. 1 BauGB) zuständig ist, angefangen bei den für die Bebauung vorgesehenen Flächen bis zu den Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft. Dabei können nach Abs. 2a zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft i. S. d. § 1a Abs. 3 BauGB den Flächen, auf denen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, ganz oder teilweise andere Flächen zum Ausgleich zugeordnet werden (vgl. Kap. 2.1.3.5). Ergänzt werden die gesetzlich bezeichneten Darstellungsmöglichkeiten durch die Regelungen über Art und Maß der baulichen Nutzung in den §§ 1 bis 21a BauNVO. Nach § 5 Abs. 2b BauGB können sachliche Teilflächennutzungspläne aufgestellt werden (z. B. für Windenergieanlagen), um die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB (siehe am Ende dieses Abschnitts) zu erreichen. Nach § 5 Abs. 3 BauGB sollen Flächen, bei deren Bebauung sich wegen der Bodensituation Schwierigkeiten entgegenstellen können, gekennzeichnet werden. Planungen und sonstige Nutzungsregelungen, die nach anderen Vorschriften festgesetzt sind (Planfeststellungen nach den Fachplanungsgesetzen, insbesondere für den Straßen- und Bahnbau, sowie Schutzgebietsfestsetzungen nach Naturschutz- und Wasserrecht), sowie nach Landesrecht denkmalgeschützte Gesamtheiten von baulichen Anlagen, sollen nach § 5 Abs. 4 BauGB nachrichtlich in den Flächennutzungsplan übernommen werden. Sind derartige Festsetzungen (von den für sie zuständigen staatlichen Behörden) in Aussicht genommen, sollen sie im Flächennutzungsplan vermerkt werden. Ebenso ist mit Überschwemmungsgebieten, § 5 Abs. 4a BauGB zu verfahren. Dem Flächennutzungsplan ist nach § 5 Abs. 5 BauGB eine Begründung beizufügen. Der Flächennutzungsplan ist, wie die Abschnittüberschrift vor § 5 BauGB verdeutlicht, der vorbereitende Bauleitplan. Man kann ihn als ein Verwaltungsprogramm der Gemeinde bezeichnen, von dem eine Bindungswirkung gegenüber der Gemeinde selbst, wie auch in gewissem Umfang gegenüber den an der Planaufstellung beteiligten öffentlichen Planungsträgern ausgeht (vgl. § 7 BauGB). Mit seinen Darstellungen wird nicht unmittelbar Bauland geschaffen, doch bildet er die grundsätzliche Voraussetzung für die Schaffung von Bauland durch Bebauungspläne, die aus ihm nach § 8 Abs. 2 BauGB zu entwickeln sind; allerdings ist ein Flächennutzungsplan nicht erforderlich, wenn der Bebauungsplan ausreicht, um die städtebauliche Entwicklung zu ordnen. Wichtiger als diese selten vorkommende Ausnahme ist das sog. Parallelverfahren nach § 8 Abs. 3 BauGB: Danach kann mit der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans gleichzeitig auch der Flächennutzungsplan aufgestellt, geändert oder ergänzt werden. Der Bebauungsplan kann vor dem Flächennutzungsplan bekannt gemacht werden (zur Bekanntmachung des Bebauungsplans vgl. § 10 Abs. 3 BauGB), wenn nach dem Stand der Planungsarbeiten anzunehmen ist, dass der Bebauungsplan aus den künftigen Darstellungen des (aufgestellten, geänderten oder ergänzten) Flächennutzungsplans entwickelt sein
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
65
wird. Weniger häufig ist der Fall des sog. vorzeitigen Bebauungsplans nach § 8 Abs. 4 BauGB, für den dringende Gründe sprechen müssen. Gewisse Rechtswirkungen gehen von den Darstellungen im Flächennutzungsplan bei Bauvorhaben im Außenbereich aus. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange, die der Zulassung eines Vorhabens im Außenbereich entgegensteht, liegt nach § 35 Abs. 3 S . 1 Nr. 1 BauGB vor, wenn das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht. Öffentliche Belange stehen sog. privilegierten Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB (u. a. Windenergieanlagen) i. d. R. auch entgegen, soweit für sie durch Darstellungen im Flächennutzungsplan (oder als Ziele der Raumordnung in einem Regionalplan) eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist (§ 35 Abs. 3 S . 3 BauGB); vgl. auch den oben erwähnten Teilflächennutzungsplan nach § 5 Abs. 2b BauGB sowie die Möglichkeit der Zurückstellung von Vorhaben nach § 15 Abs. 3 BauGB (vgl. Kap. 2.1.6.1). 2.1.2.3
Der Bebauungsplan
Das wichtigste Instrument zur Schaffung von Bauland mit unmittelbarer Rechtsverbindlichkeit sind die Bebauungspläne. Man unterscheidet hierbei (vgl. § 30 BauGB) zwischen dem sog. qualifizierten Bebauungsplan, dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan und dem einfachem Bebauungsplan.
Bebauungsplan
qualifizierter Bebauungsplan
einfacher Bebauungsplan
vorhabenbezogener Bebauungsplan
Abb. 2.3: Bebauungsplan
2.1.2.3.1
Die sog. qualifizierten Bebauungspläne
Unter den Bebauungsplänen sind die sog. qualifizierten Bebauungspläne das wichtigste Instrument zur Schaffung von Bauland mit unmittelbarer Rechtsverbindlichkeit. Man bezeichnet einen Bebauungsplan als qualifiziert, wenn er aufgrund der in ihm enthaltenen Festsetzungen allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubare Grundstücksfläche und die örtlichen Verkehrsflächen nach § 30 Abs.1 BauGB die Entscheidung darüber ermöglicht, ob ein Bauvorhaben nach Bauplanungsrecht zulässig ist (wozu noch die gesicherte Erschließung kommen muss). Er enthält also alle wesentlichen Informationen, um die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens zu beantworten. Enthält er diese Informationen nicht, liegt ein einfacher Bebauungsplan vor.
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Bebauungsplan
enthält mindestens Festsetzungen über: • Art der baulichen Nutzung, § 9 I Nr. 1 BauGB, §§ 1 ff. BauNVO • Maß der baulichen Nutzung, § 9 I Nr. 1 BauGB, §§ 16 ff. BauNVO • überbaubare Grundstücksflächen, § 23 BauNVO • örtliche Verkehrsflächen, § 9 I Nr. 11 BauGB (+)
qualifizierter B-Plan, § 30 I BauGB
(-)
einfacher B-Plan, § 30 III BauGB
Abb. 2.4: Qualifizierter und einfacher Bebauungsplan
Die Auflistung der möglichen Gegenstände von Festsetzungen eines Bebauungsplans in § 9 Abs. 1 BauGB umfasst 26 Nummern. Davon sind für die Schaffung von Bauland vor allem die Festsetzungen nach den ersten vier Nummern von Bedeutung:
die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen, für die Größe, Breite und Tiefe der Baugrundstücke Mindestmaße und aus Gründen des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden auch Höchstmaße und die Flächen für Nebenanlagen, die aufgrund anderer Vorschriften für die Nutzung von Grundstücken erforderlich sind, wie Spiel-, Freizeit- und Erholungsflächen sowie Flächen für Stellplätze und Garagen mit ihren Einfahrten. Nähere Regelungen dazu finden sich in der BauNVO mit ihren Bestimmungen über die Art der baulichen Nutzung (§§ 1 bis 15), das Maß der baulichen Nutzung (§§ 16 bis 21a) sowie über die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche (§§ 22 und 23). Wichtig für die Schaffung von Bauland sind auch die Bestimmungen in § 9 Abs. 1a BauGB: Flächen und Maßnahmen zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft i. S. d. § 1a Abs. 3 BauGB können auf den Grundstücken, auf denen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, oder an anderer Stelle sowohl im sonstigen Geltungsbereich eines Bebauungsplans als auch in einem anderen Bebauungsplan festgesetzt werden. Die Flächen und Maßnahmen zum Ausgleich an anderer Stelle können den Grundstücken, auf denen Eingriffe zu erwarten sind (das sind vor allem die Baugrundstücke und die Erschließungsflächen), ganz oder teilweise zugeordnet werden. Dies gilt auch für Maßnahmen auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen (für die kein Bebauungsplan aufgestellt werden muss; vgl. zu den Anforderungen des § 1a Abs. 3 BauGB; Kap. 2.1.3.5).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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Nach § 9 Abs. 2 BauGB können in besonderen Fällen auch zeitlich befristete oder bedingte Festsetzungen vorgesehen werden; sog. „Baurecht auf Zeit“. Die Folgenutzung soll dabei gleichfalls festgesetzt werden. Bei Festsetzungen im Bebauungsplan kann nach § 9 Abs. 3 BauGB auch die Höhenlage (etwa von baulichen Anlagen oder Verkehrsanlagen einschließlich Brücken) festgesetzt werden. Festsetzungen für übereinander liegende Geschosse und Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen können gesondert getroffen werden; dies gilt auch, soweit Geschosse, Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen unterhalb der Geländeoberfläche vorgesehen sind (etwa für Tiefgaragen). Ergänzende Bestimmungen hierzu enthält § 1 Abs. 7 BauNVO. Nach § 9 Abs. 4 BauGB können die Länder durch Rechtsvorschriften bestimmen, dass auf Landesrecht beruhende Regelungen in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommen werden können und inwieweit auf diese Festsetzungen die Vorschriften des BauGB Anwendung finden. Aufgrund dieser Ermächtigung haben die Länder in den Landesbauordnungen die Möglichkeit eröffnet, örtliche Bauvorschriften in Bebauungspläne als Festsetzungen aufzunehmen. Wie im Flächennutzungsplan sollen auch in den Bebauungsplänen nach § 9 Abs. 5 BauGB Flächen gekennzeichnet werden, für deren Bebauung sich aufgrund der besonderen Bodenverhältnisse Schwierigkeiten ergeben können. Und ähnlich wie im Flächennutzungsplan sollen auch in die Bebauungspläne gem. § 9 Abs. 6 BauGB nach anderen gesetzlichen Vorschriften getroffenen Festsetzungen sowie Denkmäler nach Landesrecht in die Bebauungspläne nachrichtlich übernommen werden, soweit sie zu ihrem Verständnis oder für die städtebauliche Beurteilung von Baugesuchen notwendig oder zweckmäßig sind. Da es sich nur um Soll-Vorschriften handelt, führt allerdings ein Fehlen dieser Informationen im Bebauungsplan nicht per se zu dessen Unwirksamkeit. Die Bebauungspläne setzen nach § 9 Abs. 7 BauGB die Grenzen ihres räumlichen Geltungsbereichs fest. Nach § 9 Abs. 8 BauGB ist ihnen eine Begründung beizufügen, in der auch die Angaben nach § 2a BauGB enthalten sind (vgl. Kap. 2.1.3.7), in der die Ziele, Zwecke und wesentlichen Auswirkungen der Planung darzulegen sind. Die Bebauungspläne enthalten nach § 8 Abs. 1 S. 1 BauGB die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung. Sie sind deshalb von den Gemeinden nach § 10 Abs. 1 BauGB als Satzungen zu beschließen. In diesem Zusammenhang sei noch einmal § 30 Abs. 1 BauGB angeführt, in dem bestimmt ist, dass im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ein Vorhaben zulässig ist, wenn es diesen Festsetzungen entspricht und die Erschließung gesichert ist. Es ist aber auch möglich, ein Vorhaben zu verwirklichen, das nicht in jedem Punkt dem Bebauungsplan entspricht. Dies geschieht im Wege von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Voraussetzungen sind in § 31 BauGB geregelt. 2.1.2.3.2
Die vorhabenbezogenen Bebauungspläne
Unter der Überschrift „Vorhaben- und Erschließungsplan“ bestimmt § 12 BauGB in Abs. 1 S. 1, dass die Gemeinde durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen kann. Voraussetzung ist, dass der Vorhabenträger (Investor, Bauträger) auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung
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der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) bereit und in der Lage ist. Weiter muss sich der Vorhabenträger zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten (ganz oder teilweise) vor dem Beschluss der Gemeinde über den Bebauungsplan (vgl. § 10 Abs. 1 BauGB) verpflichten (Durchführungsvertrag). Die Anwendung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist nicht auf die Schaffung baulicher Nutzungsmöglichkeiten für bestimmte Zwecke, etwa für den Wohnungsbau, beschränkt, sondern umfasst alle städtebaurechtlich geregelten Nutzungsmöglichkeiten, insbesondere alle Baugebietsarten i. S. der BauNVO. So kommt ein vorhabenbezogener Bebauungsplan z. B. für die Errichtung eines Einkaufszentrums in Betracht. Anders als bei der Schaffung von Bauland nach dem herkömmlichen System der Bauleitplanung durch den Flächennutzungsplan und die aus ihm entwickelten (qualifizierten) Bebauungspläne i. S. d. § 30 Abs. 1 BauGB üblich, geht der Anstoß für einen städtebaulichen Entwicklungsvorgang i. d. R. nicht von der Gemeinde, sondern von einem Dritten (insbesondere einem Investor) aus. Der städtebauliche Entwicklungsvorgang mit einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan steht auf drei Beinen: dem Vorhaben- und Erschließungsplan, dem Durchführungsvertrag und dem Bebauungsplan. Der Vorgang beginnt i. d. R. damit, dass der (künftige) Vorhabenträger bezüglich eines Geländes, das er für die Durchführung von Bauvorhaben entsprechend seinen Interessen für geeignet hält, mit der Gemeinde vorab klärt, ob sie bereit ist, dafür auf der Grundlage eines Vorhabenund Erschließungsplans und eines Durchführungsvertrags einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufzustellen. Kommt es insoweit zu einer Übereinstimmung, so erarbeitet der Vorhabenträger den Entwurf eines Vorhaben- und Erschließungsplans. Aufgrund schlechter Erfahrungen von Vorhabenträgern sollte er dies aber nur tun, wenn er bezüglich aller Grundstücke im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans rechtlich sicher sein kann, dass sich der Herstellung der Erschließungsanlagen und der Ausführung der Bauvorhaben durch ihn später keine Hindernisse entgegenstellen können. Innerhalb des Bereichs eines Vorhaben- und Erschließungsplans als Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist eine Enteignung (§§ 85 ff. BauGB) nur bei Festsetzungen nach § 9 BauGB für öffentliche Zwecke, etwa für die Herstellung der erforderlichen Erschließungsanlagen, zulässig (vgl. § 12 Abs. 3 S. 3 BauGB). Eine Enteignung ist dagegen nicht möglich für private Zwecke wie die Schaffung von Baugrundstücken für Wohngebäude, Gewerbebetriebe und Industrieanlagen. Den Inhalt des Vorhaben- und Erschließungsplans hat der Vorhabenträger mit der Gemeinde abzustimmen. Das Ergebnis der „Abstimmung“ sollte aus Beweisgründen schriftlich festgehalten werden. Richtig verstanden ist schon darin der Abschluss eines städtebaulichen Vertrags i. S. d. § 11 BauGB zu erblicken. Der Vorhabenplan, den der Vorhabenträger aufstellt, muss materiell uneingeschränkt den Anforderungen eines Bebauungsplans entsprechen. Es bedarf deshalb eines Aufstellungsbeschlusses der Gemeinde, um die Beteiligungen nach §§ 3 ff. BauGB durchzuführen und den Vorhabenträger auch sonst in die Lage zu versetzen, ein städtebaulich abgewogenes Planwerk auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von Öffentlichkeit und Behörden und einschließlich der Begründung nach § 2a, auch mit Umweltbericht, erarbeiten zu können. Kommt die Abstimmung über den Inhalt des Vorhaben- und Erschließungsvertrags zwischen dem Vorhabenträger und der Gemeinde zustande, so haben beide den Durchführungsvertrag abzuschließen. Dazu muss der Vorhabenträger gegenüber der Gemeinde den Nachweis erbringen, dass er in der Lage ist, die sich aus dem Vorhaben- und Erschließungsplan ergebenden
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Erschließungs- und Baumaßnahmen durchzuführen. Die Gemeinde hat darauf zu achten, dass der Vorhabenträger ihr gegenüber in geeigneter Weise seine Finanzierungs-, Planungs-, Bauund Steuerungskapazitäten belegt. Zur Durchführung der Erschließungs- und Baumaßnahmen muss er sich nach dem Gesetz „innerhalb einer bestimmten Frist“ verpflichten. Diese Gesetzesbestimmung trägt dem mehrstufigen Ablauf der Erschließungs- und Bebauungsmaßnahmen nicht Rechnung, vor allem nicht der Abhängigkeit ihrer Zulässigkeit von vorgängigen, behördlichen Maßnahmen und ggf. sogar gerichtlichen Entscheidungen: Erlassen der Satzung über den vorhabenbezogenen Bebauungsplan durch die Gemeinde, erforderlichenfalls Genehmigung des Bebauungsplans durch die höhere Verwaltungsbehörde, Abstimmung der Tiefbauplanung mit der Gemeinde, Erteilung der für die Ausführung der Bauvorhaben notwendigen Genehmigungen durch die Bauaufsichtsbehörde, Entscheidung über Rechtsbehelfe von Nachbarn in verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Dem ist bei der Abfassung des Durchführungsvertrags Rechnung zu tragen. Insgesamt muss der Durchführungsvertrag die Bestandteile eines Erschließungsvertrags, wie er sonst nach § 124 BauGB zustande kommen kann, sowie eines Finanzierungsvertrags und eines Bauvorhaben-Durchführungsvertrags aufweisen. Auf der Grundlage des abgestimmten Vorhabens- und Erschließungsplans und des Durchführungsvertrags stellt die Gemeinde in dem für Bebauungspläne vorgeschriebenen Verfahren (dazu 2.1.4) den vorhabenbezogenen Bebauungsplan auf. Der Vorhaben- und Erschließungsplan wird nach § 12 Abs. 3 S. 1 BauGB Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, in dessen Geltungsbereich (vgl. § 9 Abs. 7 BauGB) nach § 12 Abs. 4 BauGB auch einzelne Flächen außerhalb des Bereichs des Vorhaben- und Erschließungsplans einbezogen werden können. Dabei wird es sich meist um Flächen für Erschließungsanlagen und für Ausgleichmaßnahmen i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 BauGB handeln. Was den (Festsetzungs-) Inhalt des vorhabenbezogenen Bebauungsplans angeht, so besteht für die planerische Ausgestaltung des Bereichs, der von dem Vorhaben- und Erschließungsplan abgedeckt wird, bezüglich der Bestimmung der Zulässigkeit von Bauvorhaben keine Bindung an die in § 9 BauGB und in der BauNVO geregelten Festsetzungsmöglichkeiten (§ 12 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB). Es sind jedoch Bestimmungen zumindest des Inhalts zu treffen, sodass mit ihnen im späteren Baugenehmigungs- oder sonstigen bauordnungsrechtlichen Zulassungsverfahren die Zulässigkeit der Bauvorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise, der überbaubaren Grundstücksflächen und dem Erfordernis der gesicherten Erschließung (vgl. § 30 Abs. 2 BauGB) abschließend beurteilt werden kann. Aus den Begriffen „Vorhaben- und Erschließungsplan“ und „vorhabenbezogener Bebauungsplan“ darf nicht gefolgert werden, dass für das oder die Bauvorhaben die Baugestaltung und die Zweckbestimmung näher festgelegt werden müssten. Jedenfalls gilt dies für die Planzeichnung und die Textfestsetzungen, während im Durchführungsvertrag die Vorhaben, zu deren Ausführung sich der Vorhabenträger verpflichten muss, bezüglich ihrer Zweckbestimmung näher bezeichnet werden können. Der Durchführungsvertrag wird allerdings nicht Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans; seine Bindungswirkung im Verhältnis der Vertragspartner zueinander ergibt sich aus dem Vertrag selbst. Im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans können auch innerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplans gem. § 12 Abs. 3 S. 3 BauGB nach § 9 BauGB Festsetzungen für öffentliche Zwecke getroffen werden. Es wird sich dabei meist um die Festsetzung von Flächen für Erschließungsanlagen (vgl. insbesondere § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB: Verkehrsflächen) handeln. Für solche öffentlichen Zwecke kann nach § 85 Abs. 1 Nr. 1
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
BauGB enteignet werden, nicht dagegen für private Zwecke wie die Schaffung von Baugrundstücken für Wohngebäude, Gewerbebetriebe und Industrieanlagen. Für die Flächen außerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplans, die nach § 12 Abs. 4 BauGB in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan einbezogen werden können, sind Festsetzungen nach § 9 BauGB, ggf. i. V. m. den Bestimmungen der BauNVO, zu treffen. Im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans sind nach § 12 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB die Vorschriften über die Veränderungssperre und die Zurückstellung von Baugesuchen (§§ 14 bis 18 BauGB), über Gebiete mit Fremdenverkehrsfunktionen (§ 22 BauGB), über die gesetzlichen Vorkaufsrechte der Gemeinde (§§ 24 bis 28 BauGB), über die Entschädigung für Planungsschäden (§§ 39 bis 44 BauGB), über die Umlegung (§§ 45 bis 79 BauGB) sowie über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (§§ 127 bis 135 BauGB) und Kostenerstattungsbeträgen (§§ 135a bis 135c BauGB) nicht anzuwenden. Der Ausschluss der Anwendbarkeit einer Kostenerstattungssatzung nach den §§ 135a bis 135c BauGB bedarf eines besonderen Hinweises. Wie in jeder Art von Bebauungsplan sind auch im vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 1a BauGB die umweltschützenden Belange zu berücksichtigen und im gebotenen Umfang Flächen und Maßnahmen zum Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft festzusetzen. Werden sie an anderer Stelle als auf den Eingriffsgrundstücken festgesetzt, so sind sie den Eingriffsgrundstücken nach § 9 Abs. 1a BauGB zuzuordnen (vgl. Kap. 2.1.3.5). Die Ausgleichsmaßnahmen „an anderer Stelle“ soll nach § 135a Abs. 2 S. 1 BauGB die Gemeinde an Stelle und auf Kosten der Vorhabenträger oder der Eigentümer der Grundstücke durchführen und auch die hierfür erforderlichen Flächen bereitstellen, „sofern dies nicht auf andere Weise gesichert ist“. Dieser letzte Satzteil weist auf die in § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BauGB ausdrücklich angesprochene Möglichkeit hin, dass die Gemeinde mit den Vorhabenträgern und Grundstückseigentümern zur „Durchführung des Ausgleichs i. S. d. § 1a Abs. 3“ städtebauliche Verträge schließen kann. Da die Gemeinden bei der Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen, denen Eingriffsgrundstücke innerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplans zugeordnet sind, aufgrund ihrer Kostenerstattungssatzungen (§ 135b BauGB) von den Vorhabenträgern und Grundstückseigentümern keine Kostenerstattungsbeträge erheben können, muss die Kostenerstattung im Durchführungsvertrag umfassend und abschließend geregelt werden. Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist nach § 30 Abs. 2 BauGB ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan (mit den Bestimmungen im Vorhabenund Erschließungsplan und den sonstigen Festsetzungen) nicht widerspricht. Auch im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans findet § 31 BauGB mit seinen Bestimmungen über Ausnahmen und Befreiungen Anwendung. Kommt der Vorhabenträger den Verpflichtungen aus dem Durchführungsvertrag nicht nach, so soll die Gemeinde den vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufheben (§ 12 Abs. 6 BauGB), ohne dass insoweit Entschädigungsansprüche gegen die Gemeinde entstehen. Zulässig ist der Trägerwechsel, sofern der (neue) Vorhabenträger die uneingeschränkte Gewähr erfüllt, das Vorhaben und die Erschließung durchzuführen; § 12 Abs. 5 BauGB. 2.1.2.4
Die Innenbereichssatzungen
Die Abgrenzung zwischen den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen (§ 34 Abs. 1 und 2 BauGB) und dem Außenbereich der Gemeinde (§ 35 BauGB) ist nicht immer leicht vorzunehmen. Das Bundesbaurecht ermächtigt deshalb die Gemeinden in § 34 Abs. 4 BauGB,
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1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festzulegen (sog. Klarstellungsoder Abgrenzungssatzung), 2. bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festzulegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind (sog. Entwicklungs- oder Festlegungssatzung) und 3. einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einzubeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind (sog. Ergänzungs- oder Einbeziehungssatzung). Die Satzung nach Nr. 1 schafft kein Baurecht, sondern stellt klar, was zum Innenbereich gehört. Die Satzung nach Nr. 2, vor allem aber die Satzung nach Nr. 3 eignet sich zur Schaffung von Bauland. Eine Beschränkung ergibt sich allerdings aus der Forderung, dass die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sein müssen. Eine Innenbereichssatzung nach Nr. 3 kann demnach nur mit dem Ziel aufgestellt werden, eine vorhandene Bebauung ihrer Art nach in den (bisherigen) Außenbereich zu erweitern. Auch in den Fällen der Nr. 2 ist zu beachten, dass der Zulässigkeitsmaßstab entsprechend § 34 Abs. 1 BauGB gefunden werden muss. Zu diesem Zweck können nach § 34 Abs. 5 S. 2 BauGB in der Satzung einzelne Festsetzungen nach § 9 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 BauGB getroffen werden. Dies erfordert, dass – ähnlich wie bei der Aufstellung eines Bebauungsplans – der Satzung eine Planzeichnung mit Textfestsetzungen beigefügt wird. Für die Satzungen nach Nr. 2 und Nr. 3 sieht das Gesetz als allgemeine Voraussetzung vor, dass sie mit der geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, dass die Zulässigkeit von UVP-pflichtigen Vorhaben nicht begründet wird und keine Anhaltspunkte bestehen, dass Schutzgüter nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchstabe b BauGB (FFH- und Vogelschutz-Richtlinie) beeinträchtigt werden. Deshalb besteht für die § 34-Satzungen auch kein Erfordernis für die Durchführung der Umweltprüfung. Auf die Satzung nach Nr. 3 sind nach § 34 Abs. 5 S. 4 BauGB die Bestimmungen des § 1a Abs. 2 und 3 und des § 9 Abs. 1a BauGB entsprechend anzuwenden. Das bedeutet, dass auch bei der Aufstellung dieser Satzungen die Vorschriften über die Berücksichtigung umweltschützender Belange in der Abwägung und in diesem Zusammenhang vor allem die Eingriffs- und Ausgleichsregelungen zu beachten sind. Falls es dazu erforderlich ist, kann in den Innenbereichs-Erweiterungssatzungen die Zuordnung von Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 1a BauGB vorgenommen werden. Auch ist den Satzungen entsprechend § 2a S. 2 Nr. 1 BauGB eine Begründung beizufügen, in der die Ziele, Zwecke und wesentlichen Auswirkungen der Satzung darzulegen sind. Ist eine Innenbereichssatzung rechtswirksam zustande gekommen (vgl. Kap. 2.1.4.3), so sind die bisherigen Außenbereichsflächen einem im Zusammenhang bebauten Innenbereich zuzuordnen. Die Zulässigkeit der baulichen Nutzung der von der Satzung erfassten Flächen richtet sich nach dem Satzungsinhalt und im Übrigen nach den § 34 Abs. 1 und 2 BauGB. 2.1.2.5
Die Außenbereichssatzungen
Jahrzehntelang galt als Grundsatz, dass eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch ein Vorhaben im Außenbereich und damit grundsätzlich seine Unzulässigkeit anzunehmen ist, wenn das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt (so immer noch § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB). Nunmehr kann die Gemein-
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de nach § 35 Abs. 6 BauGB für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich genutzt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB („sonstige Vorhaben“) nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben (mit etwa bis zu fünf Beschäftigten) dienen. In der Satzung können (ohne Bindung an die Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 BauGB und der BauNVO) nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit von Bauvorhaben getroffen werden. Dabei sind aber nach ausdrücklicher gesetzlicher Anweisung die Grundsätze einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (vgl. § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB) zu beachten. Die ergänzende Anwendbarkeit des § 1a und des § 9 Abs. 1a und 8 BauGB ist (anders als für die Innenbereichssatzung, vgl. Kap. 2.1.2.4) nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Eine Umweltprüfung ist nicht vorgesehen. Wie bei den Satzungen nach § 34 BauGB darf daher durch die Satzung weder die Zulässigkeit UVP-pflichtiger noch FFH- und Vogelschutzgebiete beeinträchtigender Vorhaben begründet werden.
2.1.3
Die Sachanforderungen an den Inhalt städtebaulicher Planungen
2.1.3.1
Vorbemerkung
Den Gemeinden steht aufgrund der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG für die Bauleitplanung die sog. Planungshoheit zu. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB sind die Bauleitpläne von der Gemeinde in eigener Verantwortung aufzustellen. Dies gilt auch für die sonstigen städtebaulichen Planungen: Innenbereichssatzungen nach § 34 Abs. 4 und 5 BauGB und Außenbereichssatzungen nach § 35 Abs. 6 BauGB werden als Gemeindesatzungen erlassen. Sofern Bauleitpläne oder sonstige städtebauliche Planungen der Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde bedürfen (vgl. Kap. 2.1.4), werden ihr Zustandekommen und ihr Sachinhalt nur auf Rechtsfehler überprüft (vgl. § 6 Abs. 2 i. V. m. § 10 Abs. 2 S. 2 BauGB). Die gemeindliche Planungshoheit für die städtebaulichen Planungen ist aber nicht unbeschränkt. Die Bauleitpläne sind nach § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist (vgl. Kap. 2.1.3.2). Dabei sind die Gemeinden nach § 1 Abs. 4 BauGB an die Ziele der Raumordnung gebunden (vgl. Kap. 2.1.2.3.2). Sie haben die in § 1 Abs. 5 BauGB angeführten Oberziele der Bauleitplanung zu beachten und die in § 1 Abs. 6 BauGB aufgelisteten öffentlichen und privaten Belange zu berücksichtigen (vgl. Kap. 2.1.3.4 und 2.1.3.5). Hinter diesen gesetzlichen Handlungsanweisungen steht zusammenfassend in § 1 Abs. 7 BauGB das Abwägungsgebot (vgl. Kap. 2.1.3.6). Eine Umweltprüfung stellt insbesondere die Berücksichtigung der umweltschützenden Belange in der Abwägung durch besondere Verfahrensanforderungen sicher (vgl. Kap. 2.1.3.7). Die angeführten Gesetzesbestimmungen stehen in dem Abschnitt, der die allgemeinen Vorschriften für die Bauleitplanung enthält (§§ 1 bis 4c BauGB). Sie sind aber auch bei der Aufstellung der sonstigen städtebaulichen Planungen zu beachten, weil sie die Grundsätze einer geordneten städtebaulichen Entwicklung darstellen. Für die Innenbereichssatzungen wird
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in § 34 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 BauGB und für die Außenbereichssatzungen in § 35 Abs. 6 S. 4 Nr. 1 BauGB ausdrücklich hervorgehoben, dass sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein müssen. 2.1.3.2
Erforderlichkeit der städtebaulichen Planung
Die Gemeinden haben nach § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Ordnung und Entwicklung erforderlich ist. Bauleitpläne sind dann erforderlich, wenn sie nach den städtebaulichen Entwicklungsvorstellungen der Gemeinde, die von der Mehrheit der Gemeindevertretung getragen sein müssen (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB), als erforderlich angesehen werden. Diese städtebaulichen Entwicklungsvorstellungen zu erarbeiten und zu konkretisieren und dabei die Schwerpunkte festzulegen, ist gerade die Aufgabe der Gemeinde aufgrund ihrer Planungshoheit. Es steht der Gemeinde ein Planungsermessen zu, das in einer gerichtlichen Kontrolle auch nur begrenzt überprüfbar ist. Es ist daher erfahrungsgemäß schwer, in Bezug auf Inhalte eines Bauleitplans, der in dem vorgeschriebenen Verfahren zustande gekommen und mit Mehrheit beschlossen wurde, den Nachweis zu führen, dass der gesamte Bauleitplan oder eine bestimmte Darstellung oder Festsetzung nicht „erforderlich“ ist. Nicht erforderlich ist jedoch eine sog. Negativplanung, d. h. eine Planung, die keine positive städtebauliche Zielvorstellung verfolgt, sondern nur auf die Verhinderung von Bauvorhaben zielt. Eine solche Negativplanung ist z. B. gegeben, wenn eine Gemeinde aus politischen Gründen den Bau einer Moschee in ihrem Gemeindegebiet verhindern möchte und sie infolgedessen auf dem in Frage kommenden Grundstück eine Grünfläche (ohne Bezug zu einem Grünanlagenkonzept) festsetzt. Eine gewisse Bewegung kommt in diese recht starre Beurteilung durch eine Besonderheit, die nach § 12 Abs. 2 BauGB für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan mit Vorhaben- und Erschließungsplan gilt (der in der städtebaulichen Entwicklungspraxis eine zunehmende Bedeutung verzeichnet, vgl. Kap. 2.1.2.3.2). Der Anstoß für das Zustandekommen eines solchen Bebauungsplans geht von einem Vorhabenträger (d. h. einem privaten oder öffentlichen Investor) aus, der der Gemeinde für einen bestimmten Bereich, für dessen Grundstücke er sich die Bebauungsrechte gesichert hat, den Entwurf eines Vorhaben- und Erschließungsplans zur Abstimmung vorlegt. Stößt er dabei auf (kommunalpolitische) Schwierigkeiten, so kann er den förmlichen Antrag stellen, dass die Gemeinde (das ist die Gemeindevertretung) über die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens „nach pflichtgemäßem Ermessen“ entscheidet. Damit kann er die „Erforderlichkeit“ eines Bauleitplans zumindest beeinflussen. Die Gemeinde muss aber immer selbst prüfen und eine eigene Sachentscheidung treffen. Ein Bebauungsplan, der einzig und allein auf Wunsch eines Investors erlassen wird (sog. Gefälligkeitsplanung), wäre nicht erforderlich i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB. 2.1.3.3
Bindung an die Ziele der Raumordnung (Landes- und Regionalplanung)
Die Bauleitpläne sind nach § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung anzupassen. Nähere Bestimmungen dazu finden sich im Raumordnungsgesetz (ROG) des Bundes und in den Landesplanungsgesetzen der Länder. Die Raumordnung gehört zum sog. Bereich der Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG), so dass Bund und Länder nebeneinander zum Erlass von Normen zuständig sind. Nach den Vorgaben des ROG sind der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume durch zusammenfassende, übergeordnete Raumordnungspläne und durch
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Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern (§ 1 Abs. 1 S. 1 ROG). Leitvorstellung bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist eine nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt (§ 1 Abs. 2 ROG). In den Grundsätzen der Raumordnung (vgl. § 2 ROG) wird diese Leitvorstellung näher erläutert. Nach dem Gegenstromprinzip (§ 1 Abs. 3 ROG) sollen sich die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Teilräume in die Gegebenheiten und Erfordernisse des Gesamtraumes einfügen und die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums sollen die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen. Die Länder haben für die Raumordnung in ihrem Gebiet (= Landesplanung) mit den Landesplanungsgesetzen weitere Rechtsgrundlagen der Raumordnung geschaffen. Die Grundsätze der Raumordnung sind nach der Maßgabe der Leitvorstellung und des Gegenstromprinzips für den jeweiligen Planungsraum und einen regelmäßig mittelfristigen Zeitraum durch Raumordnungspläne zu konkretisieren. Für das Gebiet eines jeden Landes ist ein zusammenfassender und übergeordneter Plan aufzustellen. In den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg kann ein Flächennutzungsplan die Funktion dieses Plans übernehmen (§ 8 Abs. 1 ROG). Die Raumordnungspläne sollen Festlegungen zur Raumstruktur enthalten, insbesondere zur anzustrebenden Siedlungs- und Freiraumstruktur und zu den zu sichernden Standorten und Trassen für die Infrastruktur. In Bezug auf die Freiraumstruktur kann bestimmt werden, dass unvermeidbare Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes an anderer Stelle ausgeglichen, ersetzt oder gemindert werden. Die Festlegungen zur Raumstruktur können ihren Ausdruck in der Form von Zielen, Grundsätzen und sonstigen Erfordernissen der Raumordnung finden. Ziele der Raumordnung, denen die Gemeinden ihre Bauleitpläne anzupassen haben, sind gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen und zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, ist ausdrücklich vorgeschrieben, dass Ziele der Raumordnung in den Raumordnungsplänen als solche zu kennzeichnen sind (§ 7 Abs. 4 ROG). Wenn die Gemeinden die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung „anzupassen“ haben, so bedeutet dies, dass diese Ziele nicht Gegenstand der Abwägung in der Planungsentscheidung (vgl. § 1 Abs. 7 BauGB) sein können. Dem schon erwähnten Gegenstromprinzip entspricht es aber, dass bei der Aufstellung der Regionalpläne die Flächennutzungspläne der Gemeinden und die Ergebnisse der von Gemeinden beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planungen in der Abwägung zu berücksichtigen sind. Zur Sicherung der Raumplanung kann die jeweils zuständige Raumordnungsbehörde raumbedeutsame Planungen, zu denen auch Bauleitpläne gehören, sowie raumbedeutsame Maßnahmen, die von den Bindungswirkungen der Ziele der Raumordnung erfasst werden, untersagen, und zwar unbefristet, wenn Ziele der Raumordnung entgegenstehen (§ 14 Abs. 1 ROG), oder zeitlich befristet, wenn zu befürchten ist, dass die in Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung befindlichen Ziele der Raumordnung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würden (§ 14 Abs. 2 ROG). Bei raumbedeutsamen Planungen
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und Maßnahmen (vgl. § 1 ROV) ist die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens vorgesehen (§ 15 ROG). Die vorstehend erörterte Bindung der Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung gilt auch für die Innenbereichs- und Außenbereichssatzungen. Für beide städtebaulichen Satzungen lautet die gesetzliche Forderung, dass ihr Inhalt mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein muss. Zu dieser geordneten städtebaulichen Entwicklung gehört auch die Bindung an die Ziele der Raumordnung. 2.1.3.4
Die gesetzlichen Oberziele für die städtebaulichen Planungen
Die Bestimmungen in § 1 Abs. 5 BauGB über die öffentlichen und privaten Belange, die bei der Bauleitplanung zu beachten sind, werden in Satz 1 und 2 mit Hinweisen eingeleitet, die man als die Oberziele für die städtebaulichen Planungen bezeichnen kann. Als erstes wird gefordert, dass die Bauleitpläne eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung gewährleisten sollen. Der Begriff „nachhaltig“ wird im Gesetz wie folgt erläutert: Die städtebauliche Entwicklung soll die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen in Einklang bringen. Weiterhin sollen die Bauleitpläne eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Soweit es mit dem Inhalt von Bauleitplänen möglich ist, soll die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung gefördert werden (vgl. § 89 Abs. 3 S. 1 und § 169 Abs. 6 S. 1 BauGB wegen der Veräußerungspflicht der Gemeinden). Die Bauleitpläne sollen auch dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern. Damit wird den Gemeinden schon ganz allgemein zur Pflicht gemacht, die für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Forderungen des Immissionsschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Boden- und Gewässerschutzes und des Denkmalschutzes zu berücksichtigen. Die Bauleitpläne sollen auch dazu beitragen, den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern. Sie sollen weiter das Orts- und Landschaftsbild baukulturell erhalten und entwickeln (§ 1 Abs. 5 BauGB). Schließlich wird den Gemeinden aufgegeben, mit den Bauleitplänen dazu beizutragen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln, auch in Verantwortung für den allgemeinen Klimaschutz. Die natürlichen Lebensgrundlagen sind Boden, Wasser, Luft, Klima sowie die Pflanzen- und Tierwelt. Durch diese Oberziele wird auch deutlich, dass der Gesetzgeber die Bauleitpläne nicht nur als Instrumente zur Schaffung von Bauland samt den erforderlichen Infrastrukturanlagen, sondern auch als Werkzeuge zum Schutz und zur Sicherung einer positiv funktionsfähigen Umwelt in ihren für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Ausprägungen verstanden haben will. 2.1.3.5
Die zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Belange
In § 1 Abs. 6 BauGB sind in zwölf Nummern die öffentlichen und privaten Belange aufgeführt, die bei der Aufstellung der Bauleitpläne „insbesondere“ zu berücksichtigen sind. Der Inhalt dieser „Kontrollliste“ ist sehr umfangreich und wegen seiner Einzelheiten ist auf den Gesetzestext zu verweisen. Soviel ist jedoch allgemein zu bemerken, dass er alle gesellschaftspolitisch bedeutsamen Interessen der Allgemeinheit wie auch der einzelnen Menschen umfasst, die für die städtebauliche Entwicklung in Stadt und Land erheblich sein können.
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Aus dem Blickwinkel der Immobilienökonomie ist vor allem die Nr. 8 von Interesse; sie nennt die Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, der Land- und Forstwirtschaft, des Verkehrs einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, der Versorgung, insbesondere mit Energie und Wasser, der Abfallentsorgung und der Abwasserbeseitigung sowie die Sicherung von Rohstoffvorkommen und die Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. 2.1.3.6
Das Abwägungsgebot
In § 1 Abs. 7 BauGB ist gewissermaßen wie ein „rechtsstaatliches Ausrufungszeichen“ am Schluss der Gesetzesbestimmung über „Aufgabe, Begriff und Grundsätze der Bauleitplanung“ das Abwägungsgebot enthalten: Bei der Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Ob es bei einer bestimmten städtebaulichen Planung beachtet worden ist, bildet die wichtigste Fragestellung bei der Überprüfung solcher Planungen im Normenkontrollverfahren, in Widerspruchs- und verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren bezüglich der Zulässigkeit von Bauvorhaben und in baulandgerichtlichen Verfahren (hinsichtlich der in § 217 Abs. 1 BauGB bezeichneten Verwaltungsakte, vor allem in Umlegungs- und Enteignungssachen). Die Abwägung lässt wie folgt grafisch veranschaulichen:
Abwägung
formelle Seite
materielle Seite
§ 2 III BauGB
§ 1 VII BauGB
I. Stufe
Ermittlung der Belange
II. Stufe
Bewertung/Gewichtung der Belange
III. Stufe
eigentliche Abwägung
Abb. 2.5: Abwägung
Es ist also zwischen einer formellen Seite und einer materiellen Seite der Abwägung zu differenzieren.
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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Nach § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind – das Abwägungsmaterial – zu ermitteln und zu bewerten. Die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung dienen insbesondere der vollständigen Ermittlung und der zutreffenden Bewertung der von der Planung berührten Belange (§ 4a Abs. 1 BauGB). Die Einhaltung des Abwägungsgebots fordert ein Vorgehen in drei Stufen: Zuerst sind für den Planungsraum umfassend die für die städtebauliche Entwicklung erheblichen Gegebenheiten, öffentlichen Entwicklungsvorstellungen und privaten Entwicklungsinteressen zu ermitteln (vgl. insbesondere die unter Kap. 2.1.4 zu erörternden Vorschriften über die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden in den §§ 3, 4 und 4a BauGB). Die Vorgaben für den Umfang der Ermittlungen sind zu finden in dem Gebot der Anpassung der Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung (§ 1 Abs. 4 BauGB), in den „Oberzielen der Bauleitplanung“ (§ 1 Abs. 5 BauGB) und in der Kontrollliste der zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Belange (§ 1 Abs. 6 BauGB) einschließlich der ergänzenden Gesetzesbestimmungen zum Umweltschutz in § 1a BauGB. Aus ihnen folgt i. d. R. die Notwendigkeit, bezüglich der Verhältnisse im Planungsgebiet Fachgutachten zu den Anforderungen des Immissionsschutzes (insbesondere der Lärmbeschränkung und der Luftreinhaltung), des Naturschutzes und der Landschaftspflege (meist in der Gestalt von Landschaftsplanungen), des Bodenschutzes (Altlastenproblematik), des Gewässerschutzes und des Denkmalschutzes einzuholen. Zum Beitrag der Umweltprüfung vgl. Kap. 2.1.3.7 Als Nächstes sind die als planungserheblich erkannten örtlichen und überörtlichen Gegebenheiten, öffentlichen Entwicklungsvorstellungen und privaten Entwicklungsinteressen bezüglich des Gewichts zu beurteilen, das sie für die städtebauliche Entwicklung in dem Planungsraum haben. Maßstäbe für die Bewertung können zur Berücksichtigung der Forderungen des „technischen“ Umweltschutzes den Normen mit Grenzwerten für die Lärmbelastung, die Luftverunreinigung, die Bodenbelastung und die Gewässerverunreinigung entnommen werden, bezüglich des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Denkmalschutzes sind sie den Ziel- und Begriffsbestimmungen der jeweiligen Spezialgesetze zu entnehmen und dementsprechend nur „verbal-argumentativ“ anzuwenden. Letzteres gilt auch für die vielen anderen Belange, für deren Gewichtung es keine Grenzwerte geben kann, wie etwa die im vorausgegangenen Kap. 2.1.3.5 angeführten Belange der Wirtschaft. Die dritte Stufe ist der eigentliche Abwägungsvorgang bei der Entscheidung über den Inhalt der städtebaulichen Planung. Erst dabei erlangt das aus der Planungshoheit der Gemeinden fließende sog. Abwägungsermessen seine Bedeutung, nicht etwa schon in der ersten Stufe bei der Ermittlung der planungserheblichen Gegebenheiten, Entwicklungsvorstellungen und Entwicklungsinteressen und auch (noch) nicht in der zweiten Stufe bei der Gewichtung der als planungserheblich erkannten Belange bezüglich ihrer Bedeutung für den Planungsraum. Die Ermittlungen in der ersten Stufe und die Bewertungen in der zweiten Stufe ergeben insgesamt das „Abwägungsmaterial“, über das von der Gemeindevertretung zu beraten ist. Enthalten diese Abwägungsgrundlagen „Zielkonflikte“, etwa zwischen der Inanspruchnahme noch naturhafter („unverbrauchter“) Flächen am Ortsrand oder im Außenbereich für bauliche oder sonst mit Bodenversiegelung verbundene Vorhaben einerseits und den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege andererseits, so ist in der Abwägung eine Lösung zu suchen, die den Anforderungen an eine geordnete städtebauliche Entwicklung (zumindest noch) gerecht wird. Damit dies ggf. im Genehmigungsverfahren, im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren oder in einem sonstigen Gerichtsverfah-
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
ren nachgeprüft werden kann, sind die Abwägungsüberlegungen in der Begründung (§ 2a BauGB) näher darzulegen. An sich begründen Abwägungsfehler grundsätzlich die rechtliche Mangelhaftigkeit und damit die Unwirksamkeit (dies bedeutet Unbeachtlichkeit) des Bebauungs-/Flächennutzungsplans. Davon machen jedoch die Bestimmungen in den §§ 214 und 215 BauGB bezüglich der Beachtlichkeit der Verletzung von Vorschriften über die Aufstellung des Flächennutzungsplans und der Plansatzungen sowie der Fristen für die Geltendmachung der Verletzung von Verfahrensund Formvorschriften und von Mängeln der Abwägung wichtige Ausnahmen. 2.1.3.7
Umweltprüfung
2.1.3.7.1
Überblick
Europarechtlich vorgegeben ist in die Verfahren der Bauleitplanung die sog. Umweltprüfung integriert, indem sie als Regelverfahren für grundsätzlich alle Bauleitpläne ausgestaltet worden ist und als einheitliches Trägerverfahren die bauplanungsrechtlich relevanten umwelt- und naturschutzrechtlichen Aspekte zusammenführt; § 2 Abs. 4 BauGB. Die UPPflicht besteht für alle Bauleitpläne. Die Umweltprüfung steht nicht „neben“ dem Bauleitplanverfahren, sondern ist ein Bestandteil mit der Aufgabe, die für die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB erforderlichen umweltschützenden Belange zu erfassen und die Prüfung dadurch in der Tendenz zu optimieren. Bei Umweltprüfungen auf verschiedenen Ebenen der Bauleitplanung kann durch eine Abschichtung innerhalb der Umweltprüfung vermieden werden, dass Belange unnötig doppelt geprüft werden. So müssen Belange, die auf der Ebene der Raumordnung geprüft werden, beim Flächennutzungsplan nicht nochmals abgearbeitet werden. In die Umweltprüfung sind auch andere naturschutzrechtliche Vorgaben einzustellen, soweit sie sich auf das Bauleitplanverfahren beziehen, wie beispielsweise Vorgaben der FFH-Richtlinie und der Vogelschutz-Richtlinie. 2.1.3.7.2
Umweltprüfung
Die Umweltprüfung ist ein Verfahren, in dem für die Belange des Umweltschutzes nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 und nach § 1a BauGB die voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen ermittelt sowie in einem Umweltbericht beschrieben und bewertet werden. Dies umfasst im einzelnen u. a. die Auswirkungen auf den Naturhaushalt, den Eingriff in Natur und Landschaft, den Bodenschutz, die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie, Umweltplanungen, die umweltbezogenen Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit, die erneuerbaren Energien usw. Die Einzelheiten der Umweltprüfung ergeben sich aus der Anlage zu § 2 Abs. 4 und § 2a BauGB. Die Umweltprüfung bezieht sich nur auf voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen. Die Gemeinde legt dabei Umfang und Detaillierungsgrad der Untersuchung (sog. Scoping) fest. Die Umweltprüfung bezieht sich danach auf das, was nach gegenwärtigem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Bauleitplans angemessenerweise verlangt werden kann. Die Ergebnisse der Umweltprüfung sind nach § 2 Abs. 4 S. 4 BauGB in der Abwägung zu berücksichtigen. Die Umweltprüfung dient der Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Umweltbelange als Bestandteile der Abwägung (§ 2 Abs. 4 S. 1 BauGB). In die Ermittlung sind die in § 1 Abs. 6 Nr. 7, § 1a BauGB benannten Umweltbelange einzubeziehen. Die Umweltbelange, die im
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
79
Umweltbericht zusammengefasst werden, treten dabei neben die anderen abwägungserheblichen Belange, die in der Begründung darzustellen sind (§ 2a BauGB). Unter diesen Belangen bilden die im Umweltbericht zusammengefassten Belange des Umweltschutzes eine besondere Gruppe, die allerdings in der Abwägung keinen qualitativ hervorgehobenen Stellenwert hat. § 2 Abs. 4 S. 5 BauGB eröffnet die Möglichkeit der Abschichtung bei der Umweltprüfung zur Vermeidung von Doppelprüfungen, indem ein nachfolgendes Verfahren auf andere oder zusätzliche Umweltauswirkungen beschränkt werden kann. Eine Umweltprüfung auf der Ebene der Raumordnungsplanung kann abschichtende Wirkung für die Flächennutzungsplanung haben; die integrierte Umweltprüfung auf der Ebene der Flächennutzungsplanung kann wiederum zur Abschichtung auf der Ebene der Bebauungsplanung genutzt werden. Die Inhalte der Landschaftsplanung und anderer umweltbezogener Planungen werden nach § 2 Abs. 4 S. 6 BauGB im Rahmen der Ermittlung und Bewertung herangezogen. Im Interesse der Verwaltungseffizienz soll damit eine Möglichkeit zur Begrenzung von Parallelplanungen eröffnet und „Doppelprüfungen“ vermieden werden. 2.1.3.7.3
Umweltbericht
Der Umweltbericht ist ein gesonderter Teil der Begründung (§ 2a S. 3 BauGB), in dem das Ergebnis der nach § 2 Abs. 4 BauGB durchgeführten Ermittlung und Bewertung der Umweltauswirkungen in einem eigenständigen Abschnitt beschrieben wird. Dies betrifft die Belange nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB einschließlich der in § 1a BauGB vorgesehenen besonderen Rechtsfolgen; weitere Einzelheiten zum Inhalt des Umweltberichts ergeben sich aus der Anlage zu §§ 2 Abs. 4, 2a BauGB. § 2a BauGB verdeutlicht insbesondere auch, dass der Umweltbericht bereits als Teil der Begründung des Bauleitplanentwurfs vorliegen soll und bis zum Beschluss über den Bauleitplan fortzuschreiben ist. 2.1.3.7.4
Monitoring
Nach § 4c BauGB sind die erheblichen Umweltauswirkungen der Planung zu überwachen, um u. a. erhebliche unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen der Durchführung der Planung festzustellen und in der Lage zu sein, geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. § 4c S. 1 BauGB sieht vor, dass die Gemeinden die erheblichen Umweltauswirkungen überwachen, die auf Grund der Durchführung der Bauleitpläne eintreten, um insbesondere unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen frühzeitig zu ermitteln und in der Lage zu sein, geeignete Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Nach § 4c S. 2 BauGB nutzen die Gemeinden dabei die im Umweltbericht nach Nummer 3 Buchstabe b der Anlage zu § 2 Abs. 4 BauGB und § 2a BauGB angegebenen Überwachungsmaßnahmen und die Informationen der Behörden nach § 4 Abs. 3 BauGB. Die Überwachung nach § 4c BauGB ist wie folgt strukturiert: Die Gemeinden werden zur Überwachungsbehörde bestimmt, da sie als Träger der kommunalen Planungshoheit die zu überwachenden Pläne aufgestellt haben. Bereits bei der Ausarbeitung des Plans hat eine Auseinandersetzung mit den geeigneten Überwachungsmaßnahmen stattzufinden. Das geplante Monitoring-Konzept ist im Umweltbericht zu beschreiben. Die geplanten Überwachungsmaßnahmen werden so im Rahmen des Umweltberichts Gegenstand der Beteiligung der Öffentlichkeit, sowie der Behörden und Träger öffentlicher Belange nach den §§ 3 bis 4a BauGB. Den Fachbehörden wird eine Verpflichtung auferlegt, die Kommunen darauf hinzuweisen, wenn sie Erkenntnisse insbesondere über unvorhergesehene nachteilige Umweltauswirkungen haben (§ 4 Abs. 3 BauGB). Hiermit sollen die Gemeinden von aufwändigen Ermittlungen entlastet und Doppelarbeit vermieden werden.
80 2.1.3.7.5
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Zusammenfassende Erklärung
Nach § 6 Abs. 5 S. 3 bzw. § 10 Abs. 4 BauGB ist dem Bauleitplan nach Beschlussfassung eine zusammenfassende Erklärung beizufügen, die Angaben zur Art und Weise der Berücksichtigung der Umweltbelange, Ergebnisse der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung und der geprüften anderweitigen Planungsmöglichkeiten in dem jeweiligen Bauleitplan zu enthalten hat. Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit des Bauleitplans gehen von der zusammenfassenden Erklärung nach § 214 BauGB nicht aus, da die Erklärung einen zustande gekommenen Bauleitplan voraussetzt.
2.1.4
Die Verfahren zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung städtebaulicher Planungen
2.1.4.1
Das Verfahren für den Flächennutzungsplan
Das Verfahren zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Flächennutzungsplänen (§§ 5 bis 7 BauGB) sowie von sog. qualifizierten und von einfachen Bebauungsplänen (§§ 8 bis 10, § 30 Abs. 1 und 3 BauGB) läuft weitgehend einheitlich ab. Dies liegt auch daran, dass die §§ 1 bis 4c BauGB als „allgemeine Vorschriften“ sowohl für Bebauungspläne als auch für Flächennutzungspläne gelten.
Bebauungsplan
Flächennutzungsplan
§§ 1-4c BauGB +
+
§§ 5-7 BauGB
§§ 8-10 BauGB
Abb. 2.6: Anwendbare Normen
Im Folgenden wird das Verfahren für die Flächennutzungsplanung dargestellt, auf das später (unter Kap. 2.1.4.2) für die sog. qualifizierten und die einfachen Bebauungspläne Bezug genommen wird. Soweit dabei das Wort „aufstellen“ gebraucht wird, ist immer auch „ändern“, „ergänzen“ und „aufheben“ mit gemeint (vgl. § 1 Abs. 8 BauGB). Das Verfahren der Flächennutzungsplanung beginnt mit dem Beschluss, einen solchen Plan aufzustellen. Dieser Beschluss ist nach § 2 Abs. 1 S. 2 BauGB ortsüblich bekannt zu machen. Als nächstes schreibt das Bundesbaurecht in § 3 BauGB die Beteiligung der Öffent-
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81
lichkeit vor. Damit sind Bürgerinnen und Bürger nicht nur i. S. d. Kommunalrechts (= Wahlberechtigte Einwohner einer Gemeinde) gemeint, sondern „jedermann“, und zwar sowohl natürliche wie auch juristische Personen. Sie sind nach § 3 Abs. 1 BauGB möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder die Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten. Ihnen ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben. Doch kann von der Unterrichtung und Erörterung abgesehen werden, wenn Unterrichtung und Erörterung bereits auf anderer Grundlage (etwa im Rahmen einer sonstigen städtebaulichen Planung i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB) erfolgt sind. Welcher Verfahren und Mittel sich die Gemeinde zur öffentlichen Unterrichtung der Bürger bedient (Erläuterungen in Amtsblättern oder Tageszeitungen, Verteilung von Informationsmaterial, Bürgerversammlungen usw.), ist ihr überlassen. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB hat die Gemeinde, die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt wird, über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung zu unterrichten und zur Äußerung aufzufordern, und zwar auch im Hinblick auf den erforderlichen Umfang und Detaillierungsgrad der Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB. Behörde ist z. B. die Nachbargemeinde. Naturschutzverbände sind keine Träger öffentlicher Belange und damit nicht erfasst und folglich auch nicht nach § 4 BauGB zu beteiligen. Sie fallen allerdings unter § 3 BauGB (Öffentlichkeitsbeteiligung). Die nach § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB vorgegebene frühzeitige Behördenbeteiligung dient vorrangig der Festlegung von Umfang und Detaillierungsgrad der Umweltprüfung (sog. Scoping). Stellungnahmen zum Inhalt der Planung sind noch nicht erforderlich. Die beteiligten Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange sollen die Gemeinde bei der Festlegung des auf der jeweiligen Planungsebene geeigneten Umfangs und Detaillierungsgrads der Umweltprüfung beraten. Die frühzeitigen Beteiligungen nach §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 BauGB sowie die regulären Beteiligungen nach §§ 3 Abs. 2 und 4 Abs. 2 BauGB können nach § 4a Abs. 2 BauGB jeweils gleichzeitig erfolgen. Daraus ergibt sich u. a., dass eine Behördenbeteiligung nicht deswegen vorgezogen werden muss, damit bei der Auslegung des Bebauungsplans nach § 3 Abs. 2 BauGB umweltbezogene Stellungnahmen ausgelegt werden können. Nach § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB sind neben den Entwürfen der Bauleitpläne einschließlich Begründung auch die nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen auszulegen. Unter Stellungnahmen sind nicht nur behördliche Stellungnahmen anzusehen, die im Rahmen einer Beteiligung nach §§ 4, 4a BauGB eingegangen sind. Darunter können auch im Vorfeld eingegangene Zuschriften von Behörden, Verbänden oder Privaten fallen. Die Gemeinde ist nicht verpflichtet, alle vorhandenen Stellungnahmen auszulegen. Die Verpflichtung beschränkt sich auf Stellungnahmen mit umweltbezogenem Inhalt und hierbei wiederum nur auf die wesentlichen Stellungnahmen. Ort und Dauer der Auslegung sind mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen; § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Anregungen während der Auslegungsfrist vorgebracht werden können. Anzugeben ist im Rahmen der Bekanntmachung, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind und ausgelegt werden; § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB.
82
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Eine weitere Hinweispflicht ergibt sich aus § 4a Abs. 6 S. 2 BauGB: Die sog. Präklusionswirkung des § 4a Abs. 6 BauGB setzt im Hinblick auf die Stellungnahmen in der Öffentlichkeitsbeteiligung voraus, dass auf diese in der Bekanntmachung nach § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB hingewiesen wurde. Erfolgt dies, so bleiben nach Maßgabe des § 4a Abs. 6 BauGB nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen unberücksichtigt. Unterbleibt der Hinweis, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Planung nicht, sondern hat nach § 4a Abs. 6 S. 2 BauGB lediglich zur Folge, dass die Präklusion verspäteter Stellungnahmen nicht eintritt. Der Flächennutzungsplan bedarf nach § 6 BauGB der Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn der Plan nicht in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen ist oder wenn er sachinhaltliche Mängel aufweist. Wenn bestimmte Versagungsgründe nicht ausgeräumt werden können, hat die höhere Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, räumliche oder sachliche Teile des Flächennutzungsplans von der Genehmigung auszunehmen. Über die Genehmigung ist grundsätzlich innerhalb von drei Monaten zu entscheiden (vgl. § 6 Abs. 4 BauGB). Die Erteilung der Genehmigung ist ortsüblich bekannt zu machen. Mit der Bekanntmachung wird der Flächennutzungsplan rechtswirksam. Jedermann kann den Flächennutzungsplan und den Erläuterungsbericht einsehen und über deren Inhalt Auskunft verlangen (§ 6 Abs. 5 BauGB). Da der Flächennutzungsplan nicht als Satzung beschlossen wird (vgl. demgegenüber für die Bebauungspläne § 10 Abs. 1 BauGB), stellt er keine Rechtsnorm dar, und er kann deshalb grundsätzlich nicht zum Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO gemacht werden. Dass er mit Verfahrens- oder Sachmängeln belastet ist, kann nur im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan oder in einem sonstigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, in dem sein Inhalt von rechtserheblicher Bedeutung ist. 2.1.4.2
Das Verfahren für sog. qualifizierte und für einfache Bebauungspläne
Dieses Verfahren unterscheidet sich von dem Verfahren für Flächennutzungspläne in Folgendem: Die Bebauungspläne sind von der Gemeinde nach § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung zu beschließen. Einer Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde bedürfen sie nach § 10 Abs. 2 BauGB nur in drei Fällen:
Ein Bebauungsplan wird nach § 8 Abs. 2 S. 2 BauGB in der Annahme aufgestellt, dass er ohne das Vorliegen eines Flächennutzungsplans geeignet sei, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen. Ein Bebauungsplan wird gemeinsam mit dem Flächennutzungsplan nach § 8 Abs. 3 BauGB im Parallelverfahren aufgestellt, und er soll vor dem Flächennutzungsplan bekannt gemacht werden. Ein Bebauungsplan soll nach § 8 Abs. 4 ohne das Vorliegen eines Flächennutzungsplans als vorzeitiger Bebauungsplan aufgestellt werden. Ein Bebauungsplan, der gem. § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB aus dem Flächennutzungsplan „entwickelt“ ist, bedarf weder einer Genehmigung noch einer Anzeige bei der höheren Verwaltungsbehörde. Das Bebauungsplanverfahren endet nach § 10 Abs. 3 BauGB damit, dass die Genehmigung oder, soweit eine Genehmigung nicht erforderlich ist, der Beschluss des Bebauungsplans durch die Gemeinde ortsüblich bekannt gemacht wird. Die Regelung, wie die ortsübliche Bekanntmachung zu erfolgen hat, ist im jeweiligen Landesrecht enthalten. Der Bebauungsplan ist sodann mit der Begründung (§ 9 Abs. 8 BauGB) zu jedermanns Einsicht bereitzuhal-
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
83
ten und über den Inhalt ist auf Verlangen Auskunft zu geben, § 8 Abs. 3 S. 2 BauGB. Mit der ortsüblichen Bekanntmachung tritt der Bebauungsplan in Kraft. Als Satzung nach dem Baugesetzbuch sind die Bebauungspläne der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO unterworfen. Den Normenkontrollantrag kann beim Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch den Bebauungsplan oder seine Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, ferner jede Behörde (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO). Der Antrag kann nur innerhalb einer Frist von einem Jahr nach der Bekanntmachung (§ 10 Abs. 3 BauGB) gestellt werden, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Stellt das Normenkontrollgericht einen Verfahrens- oder Sachmangel fest, der nicht nach den §§ 214, 215 BauGB unbeachtlich ist, so erklärt es den Bebauungsplan für unwirksam, § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO. Außerdem kann die verfahrensmäßige oder sachinhaltliche Rechtsfehlerhaftigkeit eines Bebauungsplans in jedem sonstigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§§ 42, 43 VwGO) und in jedem baulandgerichtlichen Verfahren (§§ 217 ff. BauGB) geltend gemacht werden, in dem es auf die Rechtmäßigkeit von Festsetzungen in Bebauungsplänen ankommt (und dies ohne zeitliche Begrenzung). 2.1.4.3
Das Verfahren für vorhabenbezogene Bebauungspläne
Die vorhabenbezogenen Bebauungspläne mit Vorhaben- und Erschließungsplan sind in § 12 BauGB geregelt (vgl. zu ihrer Zweckbestimmung und ihrem Sachinhalt Kap. 2.1.2.3.2). Das Verfahren zu ihrer Aufstellung beginnt damit, dass der Vorhabenträger (privater oder öffentlicher Investor) an die Gemeinde mit dem Vorschlag eines Vorhaben- und Erschließungsplans herantritt und sich darum bemüht, dessen Inhalt mit der Gemeinde „abzustimmen“. Wird dieser erste Verfahrensschritt erfolgreich begangen, ist als Nächstes zwischen der Gemeinde und dem Vorhabenträger der Durchführungsvertrag abzuschließen. Erst danach kann die Gemeinde das Verfahren zur Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, das selbstverständlich schon vorher eingeleitet worden sein kann (§ 2 Abs. 1 S. 2, §§ 3, 4 und 4a BauGB), mit dem Beschluss über den Bebauungsplan (§ 10 Abs. 1 BauGB) abschließen. Ansonsten gelten für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan die gleichen Verfahrensbestimmungen wie für die sog. qualifizierten und die einfachen Bebauungspläne (vgl. Kap. 2.1.2.3.1). Doch ist noch eine Besonderheit anzuführen: Nach § 12 Abs. 2 BauGB hat die Gemeinde auf Antrag des Vorhabenträgers über die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Eine ablehnende Entscheidung ist für den Vorhabenträger ein belastender Verwaltungsakt, den er mit den Rechtsbehelfen des Verwaltungsprozessrechts angreifen kann. 2.1.4.4
Das vereinfachte Verfahren
Im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB kann zur Verfahrensbeschleunigung 1. von der Unterrichtung und Erörterung nach § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 BauGB abgesehen werden, 2. der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist gegeben oder wahlweise die Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB durchgeführt werden und
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3.
den berührten Behörden und sonstigen Trägern öffentlicher Belange Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist gegeben oder wahlweise die Beteiligung nach § 4 Abs. 2 BauGB durchgeführt werden. Das Gesetz nennt als Grundvoraussetzung für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens, dass durch die Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans die Grundzüge der Planung nicht berührt werden oder durch die Aufstellung eines Bebauungsplans in einem Gebiet nach § 34 BauGB der sich aus der Eigenart der näheren Umgebung ergebende Zulässigkeitsmaßstab nicht wesentlich verändert wird. Es bedarf keiner Umweltprüfung. Als weitere Voraussetzung für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens ist daher in § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BauGB bestimmt, dass die Zulässigkeit von UVP-pflichtigen Vorhaben nach Anlage 1 zum UVPG oder nach Landesrecht nicht begründet wird (Nr. 1) und keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter bestehen; das sind FFH-Gebiete oder Europäische Vogelschutzgebiete (Nr. 2). Nach § 13 Abs. 3 S. 1 BauGB finden im vereinfachten Verfahren mehrere auf die Umweltprüfung zielende Vorschriften keine Anwendung: Umweltprüfung und Umweltbericht, Angaben nach § 3 Abs. 2 S. 2 sowie das Monitoring. Hieraus ergibt sich auch, dass der Gesetzgeber nicht auch noch ausdrücklich darauf hinweisen musste, dass in diesen Fällen auch kein Raum für eine „zusammenfassende Erklärung“ (§ 6 Abs. 5 S. 3 und § 10 Abs. 4 BauGB) ist. Bei den Beteiligungen ist darauf hinzuweisen, dass von einer Umweltprüfung abgesehen wird; § 13 Abs. 3 S. 2 BauGB. 2.1.4.5
Das Verfahren für Innenbereichssatzungen
Bei der Aufstellung von Innenbereichssatzungen (zu ihrer Zweckbestimmung und ihrem Sachinhalt vgl. Kap. 2.1.2.4) nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 3 BauGB ist gem. Abs. 6 dieser Gesetzesbestimmung das vereinfachte Verfahren nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauGB (vgl. Kap. 2.1.4.4) sinngemäß anzuwenden. Entsprechend § 10 Abs. 3 BauGB (vgl. § 34 Abs. 6 S. 2 BauGB) ist die Genehmigung der Satzung von der Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen. Die Satzung ist mit Begründung zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten. Über den Inhalt ist auf Verlangen Auskunft zu geben. In der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, wo die Satzung eingesehen werden kann. Mit der Bekanntmachung tritt die Satzung in Kraft. Satzungen nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB werden gemäß den allgemeinen Regeln des Verwaltungs- und Kommunalrechts aufgestellt. 2.1.4.6
Das Verfahren für Außenbereichssatzungen
Auch bei der Aufstellung von Außenbereichs-Bausatzungen (vgl. Kap. 2.1.2.5) gem. § 35 Abs. 6 BauGB ist nach Satz 5 dieser Gesetzesbestimmung das vereinfachte Verfahren nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauGB entsprechend anzuwenden. Im Übrigen gilt das zum Verfahren für Innenbereichs-Erweiterungssatzungen Ausgeführte (vgl. Kap. 2.1.4.4). 2.1.4.7
Einschaltung eines Dritten
Nach § 4b BauGB kann die Gemeinde insbesondere zur Beschleunigung des Bauleitplanverfahrens die Vorbereitung und Durchführung von Verfahrensschritten nach den §§ 2a bis 4a BauGB einem Dritten übertragen. Es handelt sich dabei insbesondere um die Verfahrensschritte der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach §§ 3 bis 4a BauGB. Die Vorbereitung und Durchführung dieser Verfahrensschritte kann die Gemeinde einem Dritten (dem
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85
sog. Projektmittler) übertragen, der allerdings auf die organisatorische Vorbereitung und Durchführung der ihm übertragenen Verfahrensschritte beschränkt ist. Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse, insbesondere die planerische Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB, einschließlich der dabei gebotenen (letztverantwortlichen) Prüfung der Anregungen von Öffentlichkeit und Behörden, muss uneingeschränkt bei der planenden Gemeinde verbleiben. Bestimmte Anforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Dritte mit einbringen muss, enthält die Gesetzesbestimmung nicht (vgl. demgegenüber die Anforderungen an einen Sanierungsträger in § 158 BauGB, an einen Entwicklungsträger in § 167 BauGB). Von dem Vorliegen der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten muss sich die Gemeinde überzeugen, die mit Dritten einen Werkvertrag (i. S. d. §§ 631 ff. BGB) abzuschließen hat (kein städtebaulicher Vertrag i. S. d. § 11 BauGB, vgl. Kap. 2.1.5). 2.1.4.8
Der Grundsatz der Planerhaltung
Aufgrund der eben dargelegten zahlreichen Anforderungen ist das Bauleitplanverfahren stark fehleranfällig und eine fehlerhafte Norm ist grundsätzlich unwirksam, d. h. von ihr gehen keine Rechtswirkungen aus und sie kann nicht Grundlage weiterer Akte der öffentlichen Hand (z. B. Erteilung einer Baugenehmigung) sein. Um deshalb die Rechtssicherheit zu erhöhen, wurde mit den §§ 214 ff. BauGB ein Regelungssystem geschaffen, dass den Bestand von Bauleitplänen erhöht. Mit anderen Worten führen die Regelungen der §§ 214 ff. BauGB dazu, dass nicht jeder fehlerbehaftete Plan unwirksam ist, sondern trotz seines Fehlers wirksam bestehen kann. In einem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren (vgl. dazu Kap. 2.1.12.1) wird der Plan daher nicht aufgehoben. An der Rechtswidrigkeit des Plans ändern die §§ 214 ff. BauGB aber nichts (vgl. § 214 Abs. 1 S. 1 BauGB: „nur beachtlich“). Die Rechtsaufsichtbehörde kann daher fehlerhafte und somit rechtswidrige Pläne im Genehmigungsverfahren immer beanstanden, § 216 BauGB. Die Systematik der §§ 214 ff. BauGB lässt sich wie folgt darstellen:
Fehler
von Anfang an unbeachtliche Fehler
grds. beachtliche Fehler
Unbeachtlichkeit nach Zeitablauf
absolut beachtliche Fehler
Heilung durch ergänzendes Verfahren
Abb. 2.7: Systematik der Fehlerlehre
immer beachtlich
86
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Von Anfang an unbeachtliche Fehler sind solche Fehler, die immer unbeachtlich sind. Diese sind enthalten in den §§ 214 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 2a und Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB. Ist ein Fehler nicht in diesen Normen genannt, so ist er grundsätzlich beachtlich. Einige dieser grundsätzlich beachtlichen Fehler können aber durch Zeitablauf unbeachtlich werden (§ 215 BauGB). Fehler sind unter den folgenden zwei Voraussetzungen unbeachtlich:
Erstens, der Fehler wurde nicht innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Flächennutzungsplans oder der Bebauungsplansatzung schriftlich unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts gerügt (§ 215 Abs. 1 S. 1 BauGB) und zweitens bei Inkraftsetzen des Flächennutzungsplans oder der Satzung wurde auf die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verletzung von Vorschriften sowie auf die Rechtsfolge hingewiesen (§ 215 Abs. 2 BauGB). Alle anderen Fehler sind immer beachtlich. Einige dieser absolut beachtlichen Fehler (z. B. Verstöße gegen Landesrecht) können in einem ergänzenden Verfahren (§ 214 Abs. 4 BauGB) geheilt werden. Heilung bedeutet, dass die Gemeinde den fehlerbehafteten Verfahrensschritt und das nachfolgende Verfahren (fehlerfrei) wiederholt. Eine Heilung scheidet jedoch in bestimmten Fällen, wie z. B. einer fehlenden städtebaulichen Erforderlichkeit des Plans (§ 1 Abs. 3 BauGB) oder einem Abwägungsmangel, der die Grundzüge der Planung berührt (dies ist beispielsweise der Fall, wenn große Teile der ursprünglichen Konzentrationsflächen für Windenergieanlagen gestrichen werden), aus.
2.1.5
Städtebauliche Verträge
2.1.5.1
Die Bedeutung städtebaulicher Verträge für die Schaffung von Bauland
Die Bestimmung des § 11 BauGB über die städtebaulichen Verträge ist in den Teil „Bauleitplanung“ des BauGB aufgenommen worden, weil solche Verträge vor allem bei der Vorbereitung, Ausgestaltung und Durchführung städtebaulicher Planungen von Bedeutung sind. Das wichtigste Beispiel ist der Durchführungsvertrag, der im Rahmen des Verfahrens zum Zustandekommen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans abgeschlossen werden muss (§ 12 Abs. 1 S. 1 BauGB). Zu nennen ist auch der Erschließungsvertrag (§ 124 BauGB), dessen Vereinbarung mit einer städtebaulichen Planung einhergeht. Auch im Recht der förmlichen städtebaulichen Entwicklung, die auf der Grundlage von Bebauungsplänen erfolgen muss, spielen städtebauliche Verträge eine wichtige Rolle, nämlich die sog. Abwendungsvereinbarung (§ 166 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 BauGB) und die Veräußerung entwickelter Baugrundstücke an Bauwillige durch die Gemeinden (§ 169 Abs. 6 bis 8 BauGB). Das sind aber nur wichtige Anwendungsfälle der städtebaulichen Verträge, für deren Anwendungsmöglichkeiten und Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen § 11 BauGB gewissermaßen grundsätzliche Hinweise gibt. Doch schließt diese Gesetzesbestimmung in Abs. 4 mit der Aussage, dass die Zulässigkeit anderer städtebaulicher Verträge unberührt bleibt (vgl. Kap. 2.1.5.5).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht 2.1.5.2
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Maßnahmenverträge
Als Erstes werden in § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB die städtebaulichen Verträge angeführt, die man unter dem Begriff der Maßnahmenverträge zusammenfassen kann. Gegenstand diesbezüglicher Verträge können die Vorbereitung oder Durchführung städtebaulicher Maßnahmen durch den Vertragspartner der Gemeinde auf dessen Kosten sein. Als wichtige Fallgruppen werden die Neuordnung der Grundstücksverhältnisse (sog. private Umlegung), die Bodensanierung und die Ausarbeitung der städtebaulichen Planungen einschließlich eines Umweltberichts genannt. Zu den in diesem Zusammenhang ganz allgemein erwähnten „sonstigen vorbereitenden Maßnahmen“ zählen vor allem Bestandsaufnahmen planungserheblicher Fakten, Daten und Entwicklungsmöglichkeiten, sowie diesbezügliche Fach- und auch Rechtsgutachten. Da der Vertragspartner sich nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung dazu verpflichten muss, diese Maßnahmen „auf eigene Kosten“ durchzuführen, handelt es sich nicht um städtebauliche Verträge, wenn die Gemeinde auf ihre Kosten Fachinstitutionen (Planungsbüros, Hochschulinstitute) damit beauftragt, solche Bestandsaufnahmen durchzuführen oder Gutachten zu erstatten. Darüber werden Werkverträge i.S. d. §§ 631 ff. BGB abgeschlossen. Es wird sich nur jemand verpflichten, solche Maßnahmen auf eigene Kosten durchzuführen, der an der vorzubereitenden städtebaulichen Maßnahme ein eigenes Interesse hat (etwa ein Grundstückseigentümer, Investor oder Projektentwickler). Das Gesetz hebt ausdrücklich hervor, dass die Verantwortung der Gemeinde für das gesetzlich vorgesehene Planungsverfahren unberührt bleibt. Dies besagt, dass dem Vertragspartner keine Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen übertragen werden können, die in den Bereich der Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB fallen, in dem bestimmt ist, dass die Bauleitpläne von den Gemeinden „in eigener Verantwortung“ aufzustellen sind (sog. Planungshoheit der Gemeinden). Folglich können nicht übertragen werden: die Beschlussfassung, dass ein Bauleitplan aufgestellt, geändert, ergänzt oder aufgehoben werden soll (§ 2 Abs. 1 BauGB), die Anordnung, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit und Behörden durchgeführt werden soll (§§ 3, 4 BauGB), die Anordnung, dass der Entwurf eines Bauleitplans mit Erläuterung bzw. Begründung öffentlich auszulegen ist (§ 3 Abs. 2 S. 1 BauGB), die Beratung und Beschlussfassung über vorgebrachte Anregungen (§ 3 Abs. 2 S. 4 BauGB), die Vorlage des beschlossenen Planentwurfs zur Genehmigung, sofern sie erforderlich ist (§§ 6, 10 Abs. 2 BauGB), die öffentliche Bekanntmachung der Genehmigung, sofern sie erforderlich ist (§§ 6, 10 Abs. 2 BauGB), oder des Beschlusses über den Bauleitplan (§§ 6 Abs. 5, 10 Abs. 3 BauGB). 2.1.5.3
Zielbindungsverträge
Die zweite Gruppe von Gegenständen städtebaulicher Verträge betrifft nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB „die Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele“. Dazu sind wiederum wichtige Beispiele genannt: Mit der Grundstücksnutzung ist die vertragliche Absicherung gemeint, dass durch die Bauleitplanung und ihren Vollzug (Umlegung und Erschließung) geschaffenes Bauland alsbald der baulichen Nutzung zugeführt wird (vgl. auch die Spezialregelungen für den Durchführungsvertrag im Zusammenhang mit dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan in § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB, für die Abwendungsvereinbarungen und Grundstücksübertragungen auf Bauwillige im Rahmen städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen gem. § 166 Abs. 3 S. 3 und § 169 Abs. 6 S. 1 BauGB).
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Ein weiterer Gegenstand von Zielbindungsverträgen kann darauf gerichtet sein, die Durchführung des Ausgleichs von Eingriffen in Natur und Landschaft i. S. d. § 1a Abs. 3 BauGB zu gewährleisten. Soweit Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle als am Eingriffsort entweder in demselben Bebauungsplan, in einem anderen Bebauungsplan oder auf von der Gemeinde dafür bereitgestellten Flächen den Grundstücken, auf denen Eingriffe zu erwarten sind, nach § 9 Abs. 1a BauGB zugeordnet sind, soll die Gemeinde diese Ausgleichsmaßnahmen auf Kosten der Vorhabenträger oder der Grundstückseigentümer gem. § 135a Abs. 2 S. 1 BauGB durchführen und auch die hierfür erforderlichen Flächen bereitstellen, „soweit dies nicht auf andere Weise gesichert ist“. Die Sicherung auf andere Weise kann durch den Abschluss eines städtebaulichen Vertrags erfolgen, in dem sich der Vorhabenträger (ggf. auch jemand anderes) verpflichten kann, die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen auf eigenen Grundstücken, auf Grundstücken der Gemeinde oder auf an die Gemeinde zu veräußernden Grundstücken durchzuführen. Schließlich werden als Gegenstände möglicher Zielbindungsverträge noch die Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen und die Deckung des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung angeführt. Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen sind vor allem kinderreiche Familien der unteren Einkommensschichten, sowie Umsiedler, Aussiedler und Asylanten. Allerdings wird man insoweit von Wohnungsbauunternehmen entsprechende Bauund Nutzungsverpflichtungen nur erwarten können, wenn sie gleichzeitig Finanzierungszuschüsse zugesagt erhalten. In Vereinbarungen, die der Deckung des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung dienen sollen, müssen sich Eigentümer von Grundstücken, die die Gemeinde durch städtebauliche Planung der Bebaubarkeit zuführt, Beschränkungen hinsichtlich des Verkaufs der unbebauten und bebauten Grundstücke unterwerfen, die nach notarieller Beurkundung (§ 311b Abs. 1 BGB) durch Eintragung in das Grundbuch (Auflassungsvormerkung nach § 883 BGB) abgesichert werden. 2.1.5.4
Folgekostenverträge
Gegenstand städtebaulicher Verträge nach § 11 Abs. 1 S . 2 Nr. 3 BauGB kann auch die Übernahme von Kosten oder sonstigen Aufwendungen sein, die der Gemeinde für städtebauliche Maßnahmen entstehen oder entstanden sind und die Voraussetzung oder Folge des vom Vertragspartner der Gemeinde geplanten Vorhabens sind. Gemeint sind mit städtebaulichen Maßnahmen in diesem Sinne vor allem Anlagen innerhalb und außerhalb des Baugebiets, ohne die das Bauvorhaben des Vertragspartners der Gemeinde aber nicht ausgeführt und entsprechend seiner Zweckbestimmung genutzt werden kann. Dazu gehört auch die Schaffung von Kindergartenplätzen. In den darauf bezogenen Verträgen können für die bezeichneten Anlagen vom Vertragspartner der Gemeinde auch Grundstücke bereitgestellt werden (im Falle der Eigentumsübertragung ist nach den §§ 311b Abs. 1, 873 und 925 BGB eine notarielle Beurkundung und die Eintragung in das Grundbuch erforderlich). 2.1.5.5
Andere städtebauliche Verträge
Die Bestimmung in § 11 Abs. 4 BauGB stellt klar, dass die Anführung möglicher Gegenstände städtebaulicher Verträge in § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 keine abschließende Bedeutung haben soll. Der Begriff des städtebaulichen Vertrags ist sehr weit aufzufassen. Mit
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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ihm können alle Verträge bezeichnet werden, die die Gemeinde auf allen Gebieten der städtebaulichen Entwicklung (ebenfalls im weitesten Sinne verstanden) mit Dritten zu dem Zweck abschließen, dass diese Dritten städtebauliche Maßnahmen, die an sich der Gemeinde obliegen, durchführen und/oder (ganz oder teilweise) finanzieren. Deshalb sind auch die Durchführungsverträge im Zusammenhang mit vorhabenbezogenen Bebauungsplänen (§ 12 Abs. 1 S. 1 BauGB), die Erschließungsverträge (§ 124 BauGB) und die Ablösungsverträge (§ 133 Abs. 3 BauGB), sowie die im Sanierungs- und Entwicklungsrecht vorgesehenen Vereinbarungen (vgl. etwa § 147 BauGB – Ordnungsmaßnahmen, § 154 BauGB – Ausgleichsbeträge, § 166 Abs. 3 BauGB – Abwendungsvereinbarungen, § 169 Abs. 6 – Veräußerung der „entwickelten“ Baugrundstücke an Bauwillige) städtebauliche Verträge i. S. d. § 11 BauGB. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Findung bzw. Erfindung von Gegenständen und Inhalten städtebaulicher Verträge in allen Bereichen der städtebaulichen Entwicklung. So kann eine Gemeinde, die den von einem Vorhabenträger vorgeschlagenen Weg der Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB (mit einem vom Vorhabenträger entworfenen Vorhaben- und Erschließungsplan) nicht mitgehen will, einen entsprechenden qualifizierten Bebauungsplan i. S. d. § 30 Abs. 1 BauGB nach der herkömmlichen Methode der Bauleitplanung aufstellen, dann aber die Maßnahmen zum Vollzug des Bebauungsplans (Grundstücksneuordnung, Erschließung) vertraglich auf den oder die Eigentümer der Grundstücke im Plangebiet übertragen und ihnen dabei eine fristgebundene Erschließungs- und Bauverpflichtung auferlegen. Auch die in § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 BauGB genannten Verträge zur Errichtung und Nutzung von Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder KraftWärme-Kopplung sind hier zu nennen, ebenso wie die Verträge i. S. d. § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 BauGB zu Anforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden. 2.1.5.6
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit städtebaulicher Verträge
Dazu ist in § 11 Abs. 2 S. 1 BauGB als Erstes bestimmt, dass die vereinbarten Leistungen den gesamten Umständen nach angemessen sein müssen. Auch wenn für die Beurteilung der Angemessenheit ein gewisser Spielraum eröffnet wird, sind doch rechtsstaatliche Grenzen verpflichtend, d. h. vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten dürfen nicht zu Lasten des Vertragspartners der Gemeinde missbraucht werden. Die in § 11 Abs. 2 S. 2 BauGB enthaltene Anforderung an die Rechtmäßigkeit städtebaulicher Verträge „greift“ schon eher: Die Vereinbarung einer vom Vertragspartner der Gemeinde zu erbringenden Leistung ist unzulässig, wenn er auch ohne sie einen (Rechts)Anspruch auf die Leistung der Gemeinde hätte. So darf sich z. B. eine Gemeinde von einem Bauwilligen, dem bereits nach besehender Rechtslage ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für sein konkretes Vorhaben zusteht, nicht mittels eines städtebaulichen Vertrags für die Erteilung der Baugenehmigung eine Gegenleistung gewähren lassen. Eine weitere Anforderung an die Rechtmäßigkeit städtebaulicher Verträge ist in der Vorschrift über die Folgekostenverträge (§ 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BauGB) enthalten: Gegenstand des Vertrags muss die Übernahme von Kosten oder sonstigen Aufwendungen der Gemeinde sein, die ihr für städtebauliche Maßnahmen entstehen oder entstanden sind „und die Voraus-
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
setzung oder Folge des geplanten Vorhabens sind“. Es handelt sich dabei um das Erfordernis des Ursachenzusammenhangs zwischen den städtebaulichen Maßnahmen der Gemeinde und dem vom Vorhabenträger geplanten Bauvorhaben. So wäre etwa die Auferlegung der Kosten einer Renovierung des Jugendzentrums, die nicht durch den Bau einer großen Wohnanlage veranlasst ist, unzulässig. 2.1.5.7
Formerfordernisse
Nach § 11 Abs. 3 BauGB bedarf ein städtebaulicher Vertrag der Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Für den Fall, dass durch Gesetz Schriftform angeordnet ist, bestimmt § 126 BGB, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sein muss. Wenn über einen Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden, genügt es, dass jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Die Schriftform kann durch die notarielle Beurkundung ersetzt werden. Auf der Seite der Gemeinden sind die kommunalrechtlichen Vorschriften über die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Übernahme von Verpflichtungen zu beachten, die in den Ländern unterschiedlich ausgestaltet sind. Ihnen ist zu entnehmen, wer zum Abschluss von Verpflichtungsverträgen befugt ist, und ob der oder den Unterschrift/-en die Amtsbezeichnung und das Dienstsiegel hinzuzufügen sind. Die (einfache) Schriftform nach dem bürgerlichen Recht und dem Kommunalrecht ist für den rechtswirksamen Abschluss eines städtebaulichen Vertrags aber nur ausreichend, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Eine andere Form, nämlich die notarielle Beurkundung gem. § 128 BGB, muss nach § 311b Abs. 1 BGB eingehalten werden, wenn sich in einem Vertrag der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück (oder Grundstücksteil) zu übertragen oder zu erwerben. Ein ohne Beachtung dieser Form geschlossener Vertrag ist nichtig. Er wird aber seinem ganzen Inhalt nach gültig, wenn die Auflassung gem. § 925 BGB vor einem Notar oder vor einer sonstigen zur Entgegennahme der Auflassung zuständigen Stelle erklärt wird und nach § 873 BGB die Eintragung im Grundbuch erfolgt. Entsprechende Formerfordernisse gelten für die Bestellung und den Erwerb eines Erbbaurechts (vgl. § 11 ErbbauRG), sowie für die Einräumung, den Erwerb und die Aufhebung von Wohnungs- und Teileigentum (vgl. § 4 WEG). Bei einem gerichtlichen Vergleich wird die notarielle Beurkundung gem. § 127a BGB durch die Aufnahme der Erklärungen der Parteien in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes Protokoll ersetzt.
2.1.6
Sicherung der Bauleitplanung
In aller Regel beansprucht das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplanes einen längeren Zeitraum. Währenddessen ist der Bauherr nicht daran gehindert, nach der (noch) geltenden Rechtslage Bauvorhaben umzusetzen. Dies kann aber dazu führen, dass die beabsichtigte künftige Planung nicht mehr umgesetzt werden kann. Daher gibt das Baugesetzbuch den Gemeinden Sicherungsinstrumente an die Hand. Dazu folgende Übersicht:
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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Sicherungsinstrumente
Veränderungssperre §§ 14, 16 ff. BauGB
Zurückstellen von Baugesuchen/ vorläufige Untersagung, § 15 BauGB
Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktion, § 22 BauGB
Gemeindliche Vorkaufsrechte, §§ 24 ff. BauGB
Abb. 2.8: Sicherungsinstrumente
2.1.6.1
Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen
Wenn die Gemeinde einen Beschluss über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans gefasst hat, kann sie für das Planungsgebiet gem. § 14 Abs. 1 BauGB „zur Sicherung der Planung“ eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass
Vorhaben i. S. d. § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen, erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen von Grundstücken und baulichen Anlagen, deren Veränderungen nicht genehmigungs-, zustimmungs- oder anzeigepflichtig sind, nicht vorgenommen werden dürfen. Von der Veränderungssperre kann nach § 14 Abs. 2 BauGB eine Ausnahme zugelassen werden, d. h. ein Bauvorhaben also trotz wirksamer Veränderungssperre zugelassen werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Die Entscheidung trifft die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen der Gemeinde. Unberührt von der Veränderungssperre bleiben nach § 14 Abs. 3 BauGB Vorhaben, die vor dem Inkrafttreten der Veränderungssperre baurechtlich genehmigt worden sind (auch wenn für sie ein positiver Bauvorbescheid mit dem Inhalt einer sog. Bebauungsgenehmigung erteilt worden ist), oder Vorhaben, von denen die Gemeinde nach Maßgabe des Bauordnungsrechts Kenntnis erlangt hat und mit deren Ausführung vor dem Inkrafttreten der Veränderungssperre hätte begonnen werden können (dies sind die genehmigungsfreien Vorhaben, § 62 MBO). Weiterhin gilt dies für Unterhaltungsarbeiten und die Fortführung einer bisher ausgeübten Nutzung. Durch die Einreichung oder das Vorliegen eines Baugesuchs wird die Gemeinde nicht an dem Erlass einer Veränderungssperre gehindert. Vielmehr wird die Gemeinde nicht selten gerade durch eine Bauvoranfrage oder einen Bauantrag dazu veranlasst, für bestimmte Grundstücke das Verfahren der Bebauungsplanung einzuleiten und damit den Erlass einer Veränderungssperre zu verbinden.
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Die Gemeinde hat nach § 16 BauGB die von ihr als Satzung zu beschließende Veränderungssperre ortsüblich bekannt zu machen. Nach § 17 BauGB tritt die Veränderungssperre nach Ablauf von zwei Jahren außer Kraft. Diese Frist kann jedoch zunächst um ein Jahr und unter besonderen Voraussetzungen nochmals um ein Jahr verlängert werden. Auch kann eine außer Kraft getretene Veränderungssperre von der Gemeinde ganz oder teilweise erneut beschlossen werden. Wenn die Veränderungssperre länger als vier Jahre über den Zeitpunkt ihres Beginns oder der ersten Zurückstellung eines Baugesuchs nach § 15 BauGB hinausdauert, ist nach § 18 BauGB den Betroffenen für dadurch entstandene Vermögensnachteile eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Wird eine Veränderungssperre nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder ist eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, hat die Baugenehmigungsbehörde nach § 15 BauGB auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Wird (aufgrund des Landesbauordnungsrechts) kein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt, so wird auf Antrag der Gemeinde anstelle der Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens eine vorläufige Untersagung innerhalb einer durch Landesrecht festgesetzten Frist ausgesprochen. Die vorläufige Untersagung steht der Zurückstellung gleich. Hat die Gemeinde beschlossen, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB einhergehen, hat die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde ein Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 für längstens ein Jahr zurückzustellen. Beispiel: Die Gemeinde hat beschlossen, einen Flächennutzungsplan aufzustellen. Dabei ist beabsichtigt, auf dem Grundstück A (rechtmäßig) eine Fläche für Windenergieanlagen vorzusehen. Will ein Investor nun auf Grundstück B (nach geltendem Flächennutzungsplan zulässigerweise) Windenergieanlagen (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) errichten, so kann die Gemeinde nach § 15 Abs. 3 S. 1 BauGB die Zurückstellung des Baugesuchs des Investors beantragen. Denn, wenn der geplante Flächennutzungsplan in Kraft treten würde, ständen dem Bau der Windenergieanlagen auf dem Grundstück B nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB öffentliche Belange entgegen und das Vorhaben wäre folglich nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB zulässig. 2.1.6.2
Teilung von Grundstücken; Gebiete mit Fremdenverkehrsfunktionen
Durch die Teilung eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans dürfen nach § 19 Abs. 2 BauGB keine Verhältnisse entstehen, die den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen. Die Gemeinden, die oder deren Teile überwiegend durch den Fremdenverkehr geprägt sind, können nach § 22 BauGB in einem Bebauungsplan oder durch eine sonstige Satzung bestimmen, dass zur Sicherung der Zweckbestimmung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum oder Teileigentum (i. S. d. § 1 WEG) der Genehmigung unterliegt. Über die Genehmigung entscheidet die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn durch die Begründung oder Teilung der Rechte die Zweckbestimmung des Gebiets für den Fremdenverkehr und dadurch die städtebauliche Entwicklung und Ordnung beeinträchtigt werden würde.
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht 2.1.6.3
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Gesetzliche Vorkaufsrechte der Gemeinde
Die gesetzlichen Vorkaufsrechte geben der Gemeinde das Recht, in einen Kaufvertrag einzutreten, der zwischen einem Grundstückseigentümer und einem Dritten abgeschlossen worden ist. Die Gemeinde hat also die Möglichkeit, ein Grundstück im Falle eines Verkaufs vorrangig zu erwerben; der ursprüngliche Käufer kommt dann nicht mehr zum Zug. Nach § 24 BauGB besteht das allgemeine Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken
im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke oder für Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich i. S. d. § 1a Abs. 3 BauGB festgesetzt ist, in einem Umlegungsgebiet (§§ 45 bis 79 BauGB), in einem Sanierungsgebiet (§§ 136 bis 164 BauGB) und städtebaulichen Entwicklungsbereich (§§ 165 bis 171 BauGB), im Geltungsbereich einer Satzung zur Sicherung des Stadtumbaus (§ 171 d BauGB) und einer Erhaltungssatzung (§ 172 BauGB), im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans, soweit es sich um unbebaute Flächen im Außenbereich handelt, für die im Flächennutzungsplan eine Nutzung als Wohnbaufläche oder Wohngebiet dargestellt ist (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BauNVO) und in Gebieten, die nach den §§ 30, 33 oder 34 Abs. 2 BauGB vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können, soweit diese Grundstücke unbebaut sind. Das Vorkaufsrecht steht der Gemeinde nicht beim Kauf von Rechten nach dem Wohnungseigentumsgesetz und von Erbbaurechten zu. Es darf nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Bei der Ausübung des Vorkaufsrechts hat die Gemeinde den Verwendungszweck des Grundstücks anzugeben. Zum besonderen Vorkaufsrecht bestimmt § 25 BauGB, dass die Gemeinde
im Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch Satzung ihr Vorkaufsrecht an unbebauten Grundstücken begründen kann und in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen kann, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Mehrere Fallgruppen, bei denen die Ausübung des Vorkaufrechts ausgeschlossen ist, sind in § 26 BauGB geregelt. Mit den Möglichkeiten, das Vorkaufsrecht abzuwenden, befasst sich § 27 BauGB. Die Gemeinde kann unter den Voraussetzungen des § 27a BauGB ihr Vorkaufsrecht zugunsten eines Dritten ausüben. Ausführliche Bestimmungen über das Verfahren, den von der Gemeinde zu zahlenden Betrag – Verkehrswert bzw. Entschädigungswert – und mögliche Entschädigungsverpflichtungen der Gemeinde sind in § 28 BauGB enthalten.
2.1.7
Verwirklichung der städtebaulichen Planungen
2.1.7.1
Umlegung
In den zahlreichen Fällen der Ausweisung von Bebauungsmöglichkeiten auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen haben die Grundstücke, die meist mehreren Eigentümern gehören, kaum jemals den Zuschnitt, der für die Verwirklichung der Festsetzungen des Bebau-
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
ungsplans bezüglich der Baugrundstücke und Erschließungsflächen erforderlich ist. Aber auch im unbeplanten Innenbereich kann es bspw. zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen geboten sein, die Grundstückszuschnitte zu verändern. Es muss deshalb eine Bodenordnung vorgenommen werden, die in diesen Fällen als Umlegung (§§ 45 bis 79 BauGB) durchgeführt wird. Der Zweck der Umlegung besteht nach § 45 BauGB darin, im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB) und innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) zur Erschließung oder Neugestaltung bestimmter Gebiete bebaute oder unbebaute Grundstücke in der Weise neuzuordnen, dass nach der Lage, Form und Größe für die bauliche oder sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltete Grundstücke entstehen. Zuständig für die Umlegung ist die Gemeinde, die die Umlegung durch einen Beschluss einleitet, in dem das Umlegungsgebiet zu bezeichnen ist und die in ihm gelegenen Grundstücke einzeln aufzuführen sind und der ortsüblich bekannt zu machen ist (§§ 46, 47 und 50 BauGB). Von der Bekanntmachung an gilt eine Verfügungs- und Veränderungssperre (§ 51 BauGB). In die Grundbücher der umzulegenden Grundstücke wird vom Grundbuchamt der Umlegungsvermerk eingetragen (§ 54 Abs. 1 S. 2 BauGB). Zuerst werden von der Umlegungsstelle (in den meisten Ländern der von der Gemeinde gebildete Umlegungsausschuss) die Bestandskarte und das Bestandsverzeichnis angefertigt, die für die Dauer eines Monats in der Gemeinde öffentlich auszulegen sind (§ 53 BauGB). Dann werden die im Umlegungsgebiet gelegenen Flächen rechnerisch zur Umlegungsmasse vereinigt, aus der der Gemeinde oder dem sonstigen Erschließungsträger vorweg die Flächen mit Zweckbestimmung für die Allgemeinheit zugeteilt werden, zu denen auch Flächen i. S. d. § 1 a BauGB zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft gehören (§ 55 Abs. 1 und 2 BauGB). Die danach verbleibende Masse ist die Verteilungsmasse. Für die Verteilung ist ein Maßstab festzulegen (§ 56 BauGB). Nähere Regelungen enthält das Gesetz über die Verteilung nach Werten und nach Flächen (§§ 57, 58 BauGB), über die Zuteilung und Abfindung (§ 59 BauGB), sowie über die Aufhebung, Änderung und Begründung von Rechten (§ 61 BauGB). Das Ergebnis ist der Umlegungsplan, der aus der Umlegungskarte und dem Umlegungsverzeichnis besteht (zur Bekanntmachung, zur Zustellung, zum Inkrafttreten und zu den Wirkungen der Bekanntmachung vgl. §§ 66 bis 72 BauGB). Am Schluss der Umlegung werden die durch den Umlegungsplan bewirkten Rechtsänderungen in das Grundbuch eingetragen und im Grundbuch bei den Altgrundstücken die Umlegungsvermerke gelöscht. Für die Grundstückseigentümer, die Grundstücke zugeteilt erhalten, stellt sich die Umlegung als Grundstückstauschverfahren dar. Der Umlegungsvorteil, der darin besteht, dass die Neugrundstücke nach Lage, Form und Größe für die bauliche oder sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltet sind, wird entweder durch einen entsprechenden Flächenabzug oder einen Ausgleich in Geld abgegolten. 2.1.7.2
Vereinfachte Umlegung
Mit der vereinfachten Umlegung (§§ 80 bis 84 BauGB) ist es möglich, nicht nur einen Tausch von Grundstücksteilen bzw. Grundstücken unter unmittelbar aneinander grenzenden Grundstücken (wie im geltenden Grenzregelungsrecht), sondern auch unter Einbeziehung weiterer Grundstücke zu ermöglichen, die in enger Nachbarschaft liegen. Darüber hinaus wurde das Umlegungsrecht selbst vor allem mit dem Ziel einer Verfahrensvereinfachung geändert.
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht 2.1.7.3
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Enteignung
Die Enteignung (§§ 85 bis 122 BauGB), als der schwerste Eingriff in das Eigentum oder in Rechte an Grundstücken, ist nach Art. 14 Abs. 3 GG nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, die unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen ist (sog. Junktimklausel). Nach dem BauGB kann vor allem enteignet werden, um entsprechend den Festsetzungen eines Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten (§ 85 BauGB). Durch Enteignung können insbesondere das Eigentum an Grundstücken entzogen oder belastet oder andere Rechte an Grundstücken entzogen oder belastet werden (§ 86 BauGB). Die Enteignung ist im Einzelfall nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann (§ 87 BauGB, zur Enteignung aus zwingenden städtebaulichen Gründen, vgl. § 88 BauGB). Die Vorschriften über die Entschädigung (§§ 93 bis 103 BauGB) stellen sicher, dass dem von der Enteignung Betroffenen eine Entschädigung gewährt wird, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Das Enteignungsverfahren ist in ausführlichen Regelungen förmlich ausgestaltet (§§ 104 bis 122 BauGB). 2.1.7.4
Erschließung
Erschließung ist die Ausstattung eines Baugebiets mit den erforderlichen Verkehrsanlagen (Straßen, Wegen, Plätzen, Parkflächen für Kraftfahrzeuge, Abstellflächen für Fahrräder, Lärmschutzwällen und -wänden), Versorgungsanlagen (Wasser-, Gas-, Wärme- und Elektrizitätsversorgungsanlagen) sowie Entsorgungsanlagen (Abwasser- und Abfallbeseitigungsanlagen). Die Erschließung ist grundsätzlich Aufgabe der Gemeinde (§ 123 Abs. 1 BauGB). Sie kann aber auch durch Vertrag auf einen Dritten übertragen werden (§ 124 BauGB). Die Erschließungsanlagen sollen entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs kostengünstig hergestellt werden und spätestens bis zur Fertigstellung der baulichen Anlagen, deren Erschließung sie dienen sollen, benutzbar sein (§ 123 Abs. 2 BauGB; vgl. dazu auch das Erfordernis der gesicherten Erschließung als Zulässigkeitsvoraussetzung in den §§ 30 Abs. 1 und 2, 33, 34 Abs. 1 und 35 Abs. 2 BauGB). Die Herstellung der im Bundesbaurecht näher bezeichneten Erschließungsanlagen (§ 127 Abs. 2 BauGB) setzt grundsätzlich einen Bebauungsplan voraus (vgl. § 125 BauGB). Zur Deckung des anderweitig nicht gedeckten Aufwands für diese Erschließungsanlagen erheben die Gemeinden Erschließungsbeiträge (§§ 127 bis 135 BauGB), für die anderen Erschließungsanlagen Beiträge nach dem Landes-Kommunalabgabenrecht. 2.1.7.5
Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben
Das eigentliche Ziel der Bebauungspläne (mit Festsetzungen über die bauliche Nutzbarkeit), sowie der Innenbereichs-Erweiterungssatzungen und der Außenbereichs-Bausatzungen ist die Bebauung von Grundstücken. Über ihre Zulässigkeit nach Bundesbaurecht ist aufgrund des Inhalts dieser städtebaulichen Planungen zu entscheiden (zur Entscheidung über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach dem Landes-Bauordnungsrecht vgl. Kap. Kap. 2.1.11).
96
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält (vgl. Kap. 2.1.2.3.1), ist ein Bauvorhaben nach § 30 Abs. 1 BauGB zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung (vgl. Kap. 2.1.7.4) gesichert ist. Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können nach § 31 Abs. 1 BauGB solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB kann erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und 1. entweder Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder 2. die Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans städtebaulich vertretbar ist oder 3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (vgl. Kap. 2.1.2.3.2) ist ein Bauvorhaben nach § 30 Abs. 2 BauGB zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Inhaltlich kann der vorhabenbezogene Bebauungsplan Bestimmungen über die bauliche Nutzbarkeit innerhalb des Bereichs des Vorhaben- und Erschließungsplans, in diesem Bereich aber auch Festsetzungen i. S. d. § 9 BauGB und der BauNVO und schließlich diesbezügliche Festsetzungen in seinem sonstigen Geltungsbereich aufweisen. Die Bestimmungen über Ausnahmen und Befreiungen in § 31 BauGB gelten auch für vorhabenbezogene Bebauungspläne. In Gebieten, für die die Gemeinde einen Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst hat, ist nach § 33 Abs. 1 BauGB ein Bauvorhaben zulässig, wenn die öffentliche Auslegung (§ 3 Abs. 1 und 2 BauGB) durchgeführt worden ist und die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange (§ 4 BauGB) beteiligt worden sind. Eine vorzeitige Zulassung kann nach § 33 Abs. 2 BauGB weiterhin in den Fällen der erneuten Beteiligung nach § 4a Abs. 3 S. 1 BauGB in Betracht kommen, wenn sich die vorgenommene Planänderung oder -ergänzung nicht auf das Vorhaben auswirkt. § 33 Abs. 3 BauGB regelt die vorzeitige Zulassung in den Fällen des § 13 BauGB. Im Geltungsbereich einer Innenbereichssatzung (vgl. Kap. 2.1.2.4) ist zunächst der Inhalt der Satzung maßgebend, soweit in ihr „einzelne Festsetzungen“ nach § 9 Abs. 1, 2 und 4 BauGB enthalten sind. Im Übrigen gelten die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB. Die Zulässigkeit von Ausnahmen und Befreiungen ist nicht vorgesehen. Im Geltungsbereich einer Außenbereichssatzung (vgl. Kap. 2.1.2.5) richtet sich die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach den in der Satzung enthaltenen „näheren Bestimmungen“, im Übrigen nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB. Auch insoweit ist die Zulässigkeit von Ausnahmen und Befreiungen nicht vorgesehen. Zur Zulässigkeit von Vorhaben ohne Bebauungsplan vgl. Kap. 2.1.11.2.1.
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
2.1.8
Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen
2.1.8.1
Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen
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Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen sind Maßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert oder umgestaltet wird (§ 136 Abs. 2 S. 1 BauGB). Die Sanierung soll von der Gemeinde mit den Eigentümern, Mietern und Pächtern und sonstigen Betroffenen in dem für die Sanierung in Aussicht genommenen Bereich möglichst frühzeitig erörtert werden; die Betroffenen sollen zur Mitwirkung bei der Sanierung und zur Durchführung der erforderlichen baulichen Maßnahmen angeregt und hierbei im Rahmen des Möglichen (auch bezüglich der öffentlichen Förderungs- und Bezuschussungsmöglichkeiten) beraten werden (§ 137 BauGB). Nach der Durchführung vorbereitender Untersuchungen über die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsmöglichkeit (§ 141 BauGB) wird das Gebiet, in dem die städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, von der Gemeinde durch Beschluss förmlich als Sanierungsgebiet festgelegt (Sanierungssatzung, § 142 BauGB). Die Sanierungssatzung ist von der Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen. Mit der Bekanntmachung wird sie rechtsverbindlich (§ 143 Abs. 1 BauGB). In die Grundbücher der im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke wird – außer im vereinfachten Verfahren – ein Sanierungsvermerk eingetragen (§ 143 Abs. 2 BauGB). In der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, ob die Sanierung als förmliches oder als vereinfachtes Verfahren durchgeführt wird (zu den verschiedenen Möglichkeiten vgl. § 142 Abs. 4 BauGB). Wird die Anwendung der Vorschriften über genehmigungspflichtige Vorhaben und Rechtsvorgänge (§§ 144 und 145 BauGB) nicht ausgeschlossen, so tritt mit dem Rechtswirksamwerden der Sanierungssatzung im Sanierungsgebiet eine Verfügungsund Veränderungssperre ein. Die Durchführung der Sanierung umfasst die Ordnungsmaßnahmen und die Baumaßnahmen innerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets, die nach den von der Gemeinde festgelegten Zielen und Zwecken der Sanierung erforderlich sind (§ 146 BauGB). Die Ordnungsmaßnahmen sind grundsätzlich von der Gemeinde durchzuführen (§ 147 BauGB), die Baumaßnahmen bleiben grundsätzlich den Grundstückseigentümern überlassen (§ 148 BauGB). Bestimmte Geschäfte und Verhandlungen bei der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen sind frei von Gebühren und ähnlichen nichtsteuerlichen Abgaben (§ 151 BauGB). Erfolgt die Sanierung nicht im vereinfachten Verfahren, so gelten besondere Vorschriften für die Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen, die Kaufpreise, die Umlegung sowie die Erhebung eines Ausgleichsbetrags von den Grundstückseigentümern, die ihre Grundstücke während der Sanierung nicht an die Gemeinde veräußern (§§ 152 bis 156 BauGB). Wenn sich nach der Durchführung der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme und der Übertragung eines Treuhandvermögens des Sanierungsträgers (vgl. §§ 160 und 161 BauGB) auf die Gemeinde bei ihr ein Überschuss der bei der Vorbereitung und Durchführung der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme erzielten Einnahmen über die hierfür getätigten Ausgaben ergibt, so ist dieser Überschuss auf die Eigentümer der im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke zu verteilen (§ 156a BauGB). Die Gemeinde kann sich zur Erfüllung von Aufgaben, die ihr bei der Vorbereitung oder Durchführung der Sanierung obliegen, eines Sanierungsträgers oder anderen Beauftragten bedienen (vgl. §§ 157 bis 161 BauGB). Bezüglich des Abschlusses der Sanierung ist bestimmt, dass die Sanierungssatzung aufzuheben ist, wenn die Sanierung durchgeführt ist
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oder die Sanierung sich als undurchführbar erweist oder die Sanierungsabsicht aus anderen Gründen aufgegeben wird. Sind diese Voraussetzungen nur für einen Teil des Sanierungsgebiets gegeben, ist die Satzung für diesen Teil aufzuheben (§ 162 Abs. 1 BauGB). Der Beschluss der Gemeinde, durch den die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets ganz oder teilweise aufgehoben wird, ergeht als Satzung, die ortsüblich bekannt zu machen ist. Die Gemeinde ersucht das Grundbuchamt, die Sanierungsvermerke zu löschen (§ 162 Abs. 2 und 3 BauGB). Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Gemeinde die Sanierung auch bezüglich einzelner Grundstücke für abgeschlossen erklären (§ 163 BauGB). 2.1.8.2
Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen
Mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen sollen Ortsteile u. a. Teile des Gemeindegebiets entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde oder entsprechend der angestrebten Entwicklung des Landesgebiets oder der Region erstmalig entwickelt oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zugeführt werden (§ 165 Abs. 2 BauGB). Einen Bereich, der diesen Zielen und Zwecken entspricht, kann die Gemeinde durch Beschluss förmlich als städtebaulichen Entwicklungsbereich festlegen, wenn 1. das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordert, insbesondere zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten, zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen oder zur Wiedernutzung brachliegender Flächen, 2. die zügige Durchführung der Maßnahme innerhalb eines absehbaren Zeitraums gewährleistet ist und 3. die mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme angestrebten Ziele und Zwecke durch städtebauliche Verträge nicht erreicht werden können oder Eigentümer der von der Maßnahme betroffenen Grundstücke und entsprechender Berücksichtigung der Abwendungsmöglichkeit (§ 166 Abs. 3 BauGB) nicht bereit sind, ihre Grundstücke an die Gemeinde oder den von ihr beauftragten Entwicklungsträger zu dem Entwicklungsanfangswert (§ 169 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 4 BauGB) zu veräußern. Dabei sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 165 Abs. 3 BauGB). Die Gemeinde hat vor der förmlichen Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs die vorbereitenden Untersuchungen durchzuführen oder zu veranlassen, die erforderlich sind, um Beurteilungsgrundlagen bezüglich der gerade angeführten Festlegungsvoraussetzungen zu gewinnen (§ 165 Abs. 4 S. 1 BauGB). Die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs ist von der Gemeinde als Satzung (Entwicklungssatzung) zu beschließen. Der Entwicklungssatzung ist eine Begründung beizufügen. Der Beschluss über die Entwicklungssatzung ist ortsüblich bekannt zu machen (§ 165 Abs. 8 BauGB). Auf Ersuchen der Gemeinde hat das Grundbuchamt in die Grundbücher der von der Entwicklungssatzung erfassten Grundstücke den Entwicklungsvermerk einzutragen (§ 165 Abs. 9 BauGB). Mit der Bekanntmachung der Entwicklungssatzung wird im Entwicklungsbereich eine Veränderungs- und Verfügungssperre wirksam und es wird die Bodenwertentwicklung gehemmt (§ 165 Abs. 8 in Verb. mit § 169 Abs. 1 Nr. 3 und 6 BauGB). Die Gemeinde hat für den städtebaulichen Entwicklungsbereich ohne Verzug Bebauungspläne aufzustellen und,
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soweit eine Aufgabe nicht nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften einem anderen obliegt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vorgesehene Entwicklung zu verwirklichen (§ 166 Abs. 1 S. 2 BauGB). Dazu gehört als Erstes, dass sie sich aufgrund des ihr eingeräumten Grunderwerbsrechts darum bemüht, die Grundstücke im städtebaulichen Entwicklungsbereich zu erwerben (§ 166 Abs. 3 S. 1 BauGB). Doch soll sie von dem Erwerb absehen (§ 166 Abs. 3 S. 3 BauGB), wenn 1. bei einem baulich genutzten Grundstück die Art und das Maß der baulichen Nutzung bei der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme nicht geändert werden sollen oder 2. der Eigentümer eines Grundstücks, dessen Verwendung nach den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme bestimmt oder mit ausreichender Sicherheit bestimmbar ist, in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist dementsprechend zu nutzen, und er sich hierzu (in einem städtebaulichen Vertrag) verpflichtet. Wenn die Gemeinde ein Grundstück aufgrund einer solchen Abwendungsvereinbarung nicht erwirbt, ist der Eigentümer verpflichtet, an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag zu zahlen, der der durch die Entwicklungsmaßnahme bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks (= dem Entwicklungsendwert) entspricht (§ 166 Abs. 3 S. 4 BauGB). Auf der Grundlage der für den Entwicklungsbereich aufgestellten Bebauungspläne führt die Gemeinde die Neuordnung der Grundstücksverhältnisse und die Erschließung durch. Danach sind die Grundstücke, soweit sie nicht für öffentliche Zwecke benötigt werden (vor allem als Erschließungs- und Ausgleichsflächen), unter Berücksichtigung weiter Kreise der Bevölkerung und unter Beachtung der Ziele und Zwecke der Entwicklungsmaßnahme an Bauwillige zu veräußern, die sich in städtebaulichen Verträgen verpflichten, die Grundstücke innerhalb angemessener Frist entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans und den Erfordernissen der Entwicklungsmaßnahme zu bebauen (vgl. § 169 Abs. 5 bis 8 BauGB). Einnahmen, die bei der Vorbereitung und Durchführung der Entwicklungsmaßnahme entstehen, sind zur Finanzierung der Entwicklungsmaßnahme zu verwenden (§ 171 Abs. 1 BauGB, der für den Fall, dass sich ein Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben ergeben sollte, § 156a BauGB für entsprechend anwendbar erklärt). Da die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen viele sachliche und verfahrensmäßige Gemeinsamkeiten mit den städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen aufweisen, werden zahlreiche Vorschriften des Sanierungsrechts für entsprechend anwendbar erklärt (§ 169 Abs. 1 BauGB). Die Enteignung ist im städtebaulichen Entwicklungsbereich unter erleichterten Bedingungen zulässig (§ 169 Abs. 3 BauGB), da bereits die satzungsmäßige Festlegung des Entwicklungsbereichs zur Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung hat, dass das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert (vgl. § 165 Abs. 3 Nr. 2 BauGB). Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass sich die Gemeinde zur Erfüllung von Aufgaben, die ihr bei der Vorbereitung oder Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme obliegen, eines geeigneten Beauftragten, insbesondere eines Entwicklungsträgers, bedienen kann (§ 167 Abs. 1 BauGB, mit Verweisung auf die entsprechend anzuwendenden Sanierungsvorschriften in § 157 Abs. 1 S. 1 und § 158 BauGB).
2.1.9
Stadtumbau und Soziale Stadt
Die Regelungen über den „Stadtumbau“ (§§ 171a – 171d BauGB ) und die „Soziale Stadt“ (§ 171e BauGB) greifen aktuelle städtebauliche Fragestellungen auf. Beide Verfahren sind von der Orientierung an „Gesamtkonzepten“ geprägt (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB). Wäh-
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rend die Maßnahmen der „Sozialen Stadt“ auf soziale Problemgebiete zielen und ihr besonderes Profil in integrierten Konzepten, der Bündelung öffentlicher und privater Initiativen und Förderungen und einer hohen Einbindung der betroffenen Öffentlichkeit finden, sind die Maßnahmen des Stadtumbaus ein sichtbarer Reflex des Städtebaurechts auf demographische und strukturelle Veränderungen und ihre räumlichen Implikationen. Die neuen Vorschriften bezwecken den Gemeinden die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen auch neben oder zusätzlich z. B. zu städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen zu geben, wenn es nämlich des Einsatzes dieser städtebaurechtlichen Instrumente nicht oder nicht flächendeckend bedarf und der Stadtumbau besonders auch auf Grund konsensualer Regelungen, vor allem mit den betroffenen Eigentümern, durchgeführt werden kann. Die Regelungen schaffen einen rechtlichen Rahmen für die Stadtumbaumaßnahmen einschließlich der dafür erforderlichen Gebietsfestlegung, für die Städtebauförderung sowie für die Regelungsgegenstände städtebaulicher Verträge. Ergänzend zum sonstigen Städtebaurecht wird die Möglichkeit eröffnet, durch städtebauliche Satzung den Rückbau und Stadtumbau vor gegenläufigen Entwicklungen zu sichern. § 171d BauGB ermächtigt zum Erlass einer Satzung zur Steuerung von Vorhaben und Rückbau entsprechend dem städtebaulichen Entwicklungskonzept oder eines Sozialplans. Eine weitere Aufgabe ist dem Stadtumbau für Klimaschutzaufgaben zugewiesen: Stadtumbaumaßnahmen können ebenfalls in Betracht kommen, wenn in gemeindlichen Gebieten die allgemeinen Anforderungen an den Klimaschutz und die Klimaanpassung nicht erfüllt werden. Die Länder können nach § 171 f. BauGB Vorschriften über „Private Maßnahmen der Stadtentwicklung“ erlassen, wonach städtebauliche Maßnamen, standortbezogen in privater Verantwortung und mit der Gemeinde abgestimmt, durchgeführt und gemeinsam finanziert werden können.
2.1.10
Wertermittlung von Grundstücken
Im Zusammenhang mit vielen Maßnahmen zur Anwendung des Bundesbaurechts ist es erforderlich, die Werte von Grundstücken zu ermitteln. Es seien nur die wichtigsten Vorgänge genannt: Wird die zulässige Nutzung eines Grundstücks innerhalb einer Frist von sieben Jahren ab Zulässigkeit aufgehoben oder geändert, bemisst sich die Entschädigung für eine nicht nur unwesentliche Wertminderung des Grundstücks nach dem Unterschied zwischen dem Wert des Grundstücks aufgrund der zulässigen Nutzung und seinem Wert, der sich infolge der Aufhebung oder Änderung ergibt (§ 42 Abs. 2 BauGB). Bei der Verteilung nach Werten in der Umlegung wird die Verteilungsmasse in dem Verhältnis verteilt, in dem die zu berücksichtigenden Eigentümer an der Umlegung beteiligt sind. Jedem Eigentümer soll ein Grundstück mindestens mit dem Verkehrswert zugeteilt werden, den sein früheres Grundstück im Zeitpunkt des Umlegungsbeschlusses hatte (§ 57 S. 1 und 2 BauGB). Bewirkt eine Grenzregelung Wertänderungen von Grundstücken oder ergeben sich bei ausgetauschten Grundstücken Wertunterschiede, so sind sie von den beteiligten Eigentümern in Geld auszugleichen (§ 81 Abs. 1 BauGB). Die Entschädigung für den durch die Enteignung eintretenden Rechtsverlust bemisst sich nach dem Verkehrswert des zu enteignenden Grundstücks oder sonstigen Gegenstands der Enteignung (§ 95 Abs. 1 S. 1 BauGB). Der Erschließungsaufwand umfasst auch den Wert der von der Gemeinde aus ihrem Vermögen bereitgestellten Flächen im Zeitpunkt der Bereitstellung (§ 128 Abs. 1 S. 2 BauGB). Die Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen sowie von Kaufpreisen in der städtebaulichen Sanierung ist ausführlich geregelt (§ 153 BauGB). Der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungs-
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
101
gebiet gelegenen Grundstücks hat zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks entspricht (§ 154 Abs. 1 S. 1 BauGB). Im förmlich festgelegten städtebaulichen Entwicklungsbereich hat die Gemeinde die Grundstücke zu dem Wert zu erwerben (sie werden erforderlichenfalls zu dem Wert enteignet), der ohne Rücksicht auf die städtebaulichen Entwicklungsabsichten zu ermitteln ist (= Entwicklungsanfangswert, § 166 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 169 Abs. 1 Nr. 6 und der dortigen Verweisung auf § 153 Abs. 1 bis 3 BauGB). Die „entwickelten“ Baugrundstücke sind an Bauwillige zu dem Verkehrswert zu veräußern, der sich durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs ergibt (= Entwicklungsendwert, § 169 Abs. 8 S. 1 BauGB). Für alle diese Fälle enthält das Bundesbaurecht Vorschriften über die Wertermittlung. So werden für die Ermittlung von Grundstückswerten und für sonstige Wertermittlungen Gutachterausschüsse gebildet. Ihre Gutachten haben allerdings grundsätzlich keine bindende Wirkung (§§ 192, 193 BauGB). Die wichtigste Vorschrift ist die Begriffsbestimmung des Verkehrswerts (§ 194 BauGB): Er wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Wertermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Weitere Vorschriften behandeln die Kaufpreissammlung, die Bodenrichtwerte, die Befugnisse des Gutachterausschusses und die Möglichkeit der Bildung Oberer Gutachterausschüsse (§§ 195 bis 198 BauGB). Eine wichtige Ergänzung der gesetzlichen Wertermittlungsbestimmungen stellt die Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV) dar. Die Landesregierungen sind ermächtigt, weitere ergänzende Bestimmungen in Rechtsverordnungen zu erlassen (§ 199 BauGB).
2.1.11
Zulassung von Bauvorhaben
2.1.11.1
Vorbemerkung
Ob Bauvorhaben der Zulassung durch eine Behörde bedürfen, und wenn ja, welche Sachanforderungen dabei gelten und in welchem Verfahren die Zulässigkeitsprüfung stattfindet, richtet sich nach dem Bauordnungsrecht der Länder. Eine bundesrechtliche Vorgabe besteht nur insoweit, als durch das Landesrecht sichergestellt sein muss, dass die bundesbaurechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit von Bauvorhaben (§§ 30, 31, 33 bis 35 BauGB) Beachtung finden. Erstmals im Jahre 1960 hat die ARGEBAU (Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder) nach mehrjährigen Beratungen eine „Musterbauordnung für die Länder der Bundesrepublik Deutschland“ herausgegeben. Sie wird ständig fortgeschrieben und den neuen gesellschaftspolitischen Anforderungen an das Bauordnungsrecht angepasst. Zurzeit liegt die Fassung vom November 2002 vor (zuletzt geändert 2008). Vergleicht man die Musterbauordnung mit den Landesbauordnungen und letztere auch untereinander, so gelangt man zur folgenden Feststellung: Bezüglich der Sachanforderungen an bauliche Anlagen weisen die Musterbauordnung und die Landesbauordnungen weithin Übereinstimmung auf, während bei den Verfahrensregelungen bezüglich
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
der Zulassung von Bauvorhaben erhebliche Unterschiede anzutreffen sind. Was in dem Bundesland gilt, in dem ein Bauvorhaben ausgeführt werden soll, kann daher nur der dort geltenden Landesbauordnung entnommen werden. Die anschließenden Darlegungen können deshalb nur Hinweise darauf geben, mit welchen Sachanforderungen an bauliche Anlagen zu rechnen ist und welche Verfahrensgestaltungen maßgebend sein können. 2.1.11.2
Die bauordnungsrechtlichen Sachanforderungen an Bauvorhaben
2.1.11.2.1
Zulässigkeit nach Bundesbaurecht
Bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens ist immer als Erstes zu fragen, ob es den Anforderungen entspricht, die das Bundesbaurecht an die Bebaubarkeit von Grundstücken stellt. Hierbei existieren verschiedene Prüfprogramme, die sich nachfolgender Grafik entnehmen lassen.
Liegt wirksamer B-Plan vor? (+)
(-)
§ 30 BauGB (Plangebiet)
B-Plan in Aufstellung? (+)
(-)
Art des B-Plans?
§ 30 I BauGB qualifizierter B-Plan
§ 30 II BauGB vorhabenbezogener B-Plan
§ 30 III BauGB einfacher B-Plan
§ 31 BauGB (Ausnahmen, Befreiungen)
§ 33 BauGB (Bauen im künftigen Planbereich)
Innenbereich = innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, § 34 I 1 BauGB (+)
entsprechend § 34 II Hs. 2 BauGB
§ 34 BauGB Innenbereich
(-)
§ 35 BauGB Außenbereich
Abb. 2.9: Prüfprogramme
2.1.11.2.1.1 Anforderungen des Bundesbaurechts im Geltungsbereich städtebaulicher Planungen Zu den Anforderungen, die im Geltungsbereich städtebaulicher Planungen (Bebauungspläne, Planaufstellungsverfahren, Innenbereichs-Erweiterungssatzungen und AußenbereichsBausatzungen) maßgebend sind, finden sich nähere Darlegungen bereits unter Kap. 2.1.2.3. Weitere Anforderungen ergeben sich aus dem sog. Rücksichtnahmegebot, § 15 Abs. 1 BauNVO. Ist ein Vorhaben im Allgemeinen zulässig, so kann es im Einzelfall doch einmal unzulässig sein.
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
Vorhaben im Planbereich eigentlich zulässig
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Tb (+) § 15 I BauNVO
Vorhaben im Einzelfall unzulässig
Abb. 2.10: § 15 BauNVO
§ 15 Abs. 1 BauNVO dient somit der Feinsteuerung der Zulässigkeit baulicher Anlagen. Erfasst von § 15 BauNVO ist nur die Art der baulichen Nutzung (Systematik des Gesetzes, da § 15 NVO im ersten Abschnitt steht). § 15 Abs. 1 BauNVO enthält seinerseits drei Tatbestände, die die Verwirklichung eines Vorhabens ausschließen. Der erste ist § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO (Vorhaben widerspricht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn in einem Mischgebiet (§ 6 BauNVO), in dem bereits die Einzelhandelsnutzung einen Flächenanteil von 70 % einnimmt, ein weiterer Supermarkt gebaut werden würde, mit der Folge, dass der Flächenanteil der Einzelhandelsnutzung auf 85 % steigen würde. Der neue Einzelhandelsbetrieb würde nach „Art und Umfang“ der Eigenart des Baugebiets „Mischgebiet“ widersprechen, da dieses sowohl dem Wohnen wie auch dem Gewerbe dient. Der zweite und dritte Tatbestand sind in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO enthalten. § 15 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BauNVO regelt den Fall, dass von dem geplanten Vorhaben Belästigungen oder Störungen ausgehen. So wird es sich i. d. R. verhalten, wenn man neben einem Krankenhaus einen Fußballplatz errichten möchte. § 15 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BauNVO regelt sozusagen den umgekehrten Fall: Das zu errichtende Vorhaben selbst darf seinerseits keinen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. So wurde beispielsweise die Errichtung eines Studentenwohnheims unmittelbar neben einer Schreinerei, die auch Lackierarbeiten durchführt, als unzulässig erachtet. Tab. 2.1: § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO
§ 15 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BauNVO
§ 15 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BauNVO
Vorhaben
Vorhaben
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Der Begriff der unzumutbaren Störung ist dem der schädlichen Umweltauswirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) gleichzusetzen. Anhaltspunkte, wann diese vorliegen, geben z. B. die TA-Lärm, die Verordnungen zum BImSchG und die VDI-Richtlinie. Im Rahmen der Zumutbarkeit ist auf objektive Kriterien abzustellen. Ein subjektives (Über-)Empfinden kann nicht berücksichtigt werden. 2.1.11.2.1.2 Anforderungen des Bundesbaurechts im unbeplanten Innenbereich Der Anwendungsbereich des § 34 BauGB ist eröffnet, wenn (1.) kein (oder kein wirksamer, also ein nichtiger) Bebauungsplan vorliegt oder wenn ein (nur) einfacher Bebauungsplan erlassen wurde und (2.) ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil existiert. Das Merkmal des im Zusammenhang bebauten Ortsteils dient der Abgrenzung des § 34 BauGB (sog. Innenbereich) von dem den Außenbereich regelnden § 35 BauGB. Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, wenn „die aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck von Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt“ (BVerwGE 31, 20 (21)). „Ortsteil ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist“ (BVerwGE 31, 22 (26)). Innerhalb der im Zusammenhang bebauten (nicht qualifiziert beplanten) Ortsteile ist ein Bauvorhaben nach § 34 BauGB zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Dies bedeutet, dass eine dreistufige Prüfung stattfindet. In einem ersten Schritt ist die nähere Umgebung zu identifizieren. Zweitens ist die Eigenart der näheren Umgebung zu klassifizieren und zuletzt ist zu subsumieren, ob es sich einfügt. § 34 BauGB übernimmt damit die Funktion eines Planersatzes. Dabei müssen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben (das Vorhaben darf also z. B. keinen schädlichen Immissionen, wie beispielsweise über den Grenzwerten liegendem Lärm ausgesetzt sein) und das Ortsbild darf nicht verunstaltet werden. Bei der Prüfung einer Verunstaltung sind nur städtebauliche Belange zu berücksichtigen, also nur solche Merkmale, die auch nach § 9 Abs. 1 BauGB in einem Bebauungsplan festgesetzt werden können. Möglich ist daher beispielsweise eine Verunstaltung des Ortsbildes durch die geplante Gebäudehöhe, unerheblich hingegen ist die Dachform, also eine Verunstaltung durch ein Flachdach beispielsweise ist ausgeschlossen. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung des für die Bebauung in Aussicht genommenen Grundstücks einem der Baugebiete, die in der BauNVO bezeichnet sind (vgl. §§ 2 – 15 BauNVO), so beurteilt sich die Zulässigkeit des Bauvorhabens seiner Art nach allein danach, ob es nach der BauNVO in diesem Baugebiet zulässig wäre (mit entsprechender Anwendbarkeit des § 31 BauGB zu Ausnahmen und Befreiungen), § 34 Abs. 2 BauGB. § 34 Abs. 3 BauGB sieht im Sinne eines zu berücksichtigenden öffentlichen Belangs vor, dass von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein dürfen. Unter einem zentralen Versorgungsbereich versteht man einen räumlich abgegrenzten Bereich einer Gemeinde, dem über den unmittelbaren Nahbereich hinaus aufgrund der bestehenden Einzelhandelsnutzungen eine Versorgungsfunktion zukommt. Erfasst sind also beispielsweise Innenstadtbereiche. Schädliche Auswirkungen sind dann anzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass ein Kaufkraftabfluss eintritt, der dazu führt, dass die zentralen Versor-
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
105
gungsbereiche generell oder auch nur bezüglich einzelner Branchen ihren Versorgungsauftrag nicht mehr substantiell erfüllen können. In der Praxis wird dies regelmäßig durch Gutachten geprüft. Relevant wird § 34 Abs. 3 BauGB vor allem beim Bau von Einzelhandelsbetrieben (die nicht großflächig i. S. d. § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauNVO sind).
Anwendungsbereich des § 34 BauGB (-)
kein B-Plan; nichtiger B-Plan
einfacher B-Plan, § 30 III BauGB
wirksamer qualifizierter oder vorhabenbezogener B-Plan, §§ 30 I, II BauGB
und
„im Zusammenhang bebauter Ortsteil“ § 34 I 1 BauGB
§ 34 BauGB alleiniger Prüfungsmaßstab
Außenbereich, § 35 BauGB
§ 34 BauGB ergänzender Prüfungsmaßstab zu den Festsetzungen
Abb. 2.11: Anwendungsbereich § 34 BauGB
§ 34 Abs. 3a BauGB erlaubt im Einzelfall eine „Befreiung“ von dem sich aus § 34 Abs. 1 BauGB ergebenden Zulässigkeitsmaßstab. Die Abweichung von § 34 Abs. 1 BauGB kommt nur der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines in zulässiger Weise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs in Betracht, sofern die Abweichung städtebaulich vertretbar und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Interessen vereinbar ist. Die Befreiung findet nach § 34 Abs. 3a S. 2 BauGB keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können.
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
2.1.11.2.1.3 Anforderungen des Bundesbaurechts im Außenbereich Im Außenbereich sind bezüglich der Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben nach § 35 BauGB drei Fallgruppen zu unterscheiden: die sog. privilegierten (§ 35 Abs. 1 BauGB), die sonstigen (§ 35 Abs. 2 BauGB) und die sog. begünstigten (teilprivilegierten, § 35 Abs. 4 BauGB) Vorhaben. Bauen im Außenbereich nach § 35 BauGB
sog. privilegierte Vorhaben, § 35 I BauGB
sog. nicht privilegierte Vorhaben, § 35 II BauGB („sonstige Vorhaben“)
sog. teilprivilegierte Vorhaben, § 35 IV BauGB
Zulassungstatbestand
Zulassungstatbestand
kein eigener Zulassungstatbestand
z.B. Windkraftrad, § 35 I Nr. 5 BauGB
z.B. Wochenendhaus grds. (-)
z.B. Neuerrichtung eines abgebrannten Gebäudes, § 35 IV Nr. 3 BauGB
Abb. 2.12: Normstruktur § 35 BauGB
Bei den sog. privilegierten Vorhaben handelt es sich um bauliche Anlagen, die im Hinblick auf ihre Zweckbestimmung oder auch ihre Auswirkungen in den Außenbereich gehören (Abs. 1), angefangen bei land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben, über Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie oder der energetischen Nutzung von Biomasse dienen, bis hin zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist. Alle nicht in der Auflistung der sog. privilegierten Vorhaben genannten baulichen Anlagen sind sonstige Vorhaben, die nur im Einzelfall zugelassen werden können, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist (Abs. 2). Öffentliche Belange, die einem sog. privilegierten Vorhaben entgegenstehen oder durch ein sonstiges Vorhaben beeinträchtigt werden können, führt das Gesetz in einer langen Auflistung auf (Abs. 3).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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Beeinträchtigung/Entgegenstehen öffentlicher Belange
privilegierte Vorhaben, § 35 I BauGB
Vorhaben unzulässig, wenn öffentliche Belange entgegenstehen
nicht privilegierte Vorhaben, § 35 II BauGB
qualitativer Unterschied
Vorhaben unzulässig, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt
Abwägungsentscheidung: Vorhaben ↔ öffentliche Belange = nachvollziehende Abwägung (≠ § 1 VII BauGB: „planerische Abwägung“) → Nachvollzug des gesetzgeberischen Willens → Ja-/Nein-Entscheidung
Privilegierung setzt sich idR durch
öffentliche Belange setzen sich idR durch
Abb. 2.13: Öffentliche Belange in § 35 BauGB
Die Aufzählung in § 35 Abs. 3 BauGB ist nicht abschließend („insbesondere“), es gibt also noch weitere, sog. ungeschriebene öffentliche Belange. Einer dieser ungeschriebenen Belange ist das sog. Planungserfordernis. Dieses kann aber nur nicht privilegierten Vorhaben i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB entgegengehalten werden. Dieser ungeschriebene öffentliche Belang steht einem Vorhaben z. B. dann entgegen, wenn durch das Vorhaben ein Koordinierungsbedarf ausgelöst wird, der nicht durch § 35 BauGB selbst gelöst werden kann, sondern der eine förmliche Planung erforderlich macht. Dies wird in aller Regel der Fall sein bei der Errichtung eines Factory Outlet Centers, d. h. ein solches wird im Außenbereich regelmäßig nicht zulässig sein, sondern den Erlass eines Bebauungsplans voraussetzen. Als weiterer ungeschriebener Belang ist das Rücksichtnahmegebot (vgl. dazu bereits Kap. 2.1.11.2.1.1) anerkannt. Einige der in Absatz 3 aufgelisteten Belange können bestimmten Bauvorhaben nicht entgegengehalten werden, die sich auf im Außenbereich vorhandene bauliche Anlagen beziehen. Das sind die sog. begünstigten Bauvorhaben (Abs. 4). Die im Außenbereich zulässigen Bauvorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen (Abs. 5 S. 1).
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
In § 35 Abs. 5 S. 2 BauGB ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB eine Verpflichtung vorgesehen, dass das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zu beseitigen und der Boden zu entsiegeln ist. 2.1.11.2.2
Anforderungen an die Zuwegung zum Baugrundstück
Bauliche Anlagen, deren Zweckbestimmung eine Erschließung erfordert, dürfen nur errichtet werden, wenn das Baugrundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt oder wenn das Baugrundstück (über andere Grundstücke) eine befahrbare, rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren, öffentlichen Verkehrsfläche hat (vgl. § 4 Abs. 1 MBO). Bei Wohnwegen kann ggf. auf die Befahrbarkeit verzichtet werden, wenn wegen des Brandschutzes keine Bedenken bestehen (vgl. Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO). 2.1.11.2.3
Anforderungen an die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung
Bauliche Anlagen mit Aufenthaltsräumen für Menschen dürfen nur errichtet werden, wenn die Versorgung mit Trinkwasser dauernd gesichert ist (vgl. § 82 Abs. 2 S. 3 MBO). Zur Brandbekämpfung muss eine ausreichende Wassermenge zur Verfügung stehen. Ausnahmen können für Einzelgehöfte in der freien Feldflur gestattet sein, da Gefahren und unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Bauliche Anlagen dürfen nur errichtet werden, wenn die einwandfreie Beseitigung der Abwässer und Niederschlagswässer dauernd gesichert ist (vgl. § 82 Abs. 2 S. 3 MBO). Die Anlagen sind so anzuordnen, herzustellen und zu unterhalten, dass sie betriebssicher sind und Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Bezüglich des Niederschlagswassers enthalten immer mehr landesrechtliche Vorschriften die Möglichkeit, in Bebauungsplänen und sonstigen Satzungen anzuordnen, dass es grundsätzlich nicht mehr in die gemeindliche Abwasserbeseitigungsanlage eingeleitet werden darf, sondern in Zisternen aufzufangen und auf dem Grundstück zu verwerten oder zu versickern ist. 2.1.11.2.4
Einhaltung der Abstandsvorschriften (vgl. § 6 MBO)
Vor den Außenwänden von Gebäuden sind grundsätzlich Abstandsflächen einzuhalten. Darüber, wie groß diese Abstandsflächen im Einzelfall sein müssen und wann keine Abstände zu wahren sind, enthalten die Landesbauordnungen ausführliche und differenzierte Regelungen. Ihre Beachtung ist geboten, weil die Abstandsvorschriften die wichtigsten nachbarschützenden Bestimmungen des Bauordnungsrechts sind und Zweifel bezüglich ihrer Einhaltung die häufigsten Anlässe für baurechtsbezogene Streitigkeiten vor den Widerspruchsbehörden und Verwaltungsgerichten bilden. Soweit nach den bauordnungsrechtlichen Vorschriften Abstände und Abstandsflächen auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen, kann es zulässig sein, sie ganz oder teilweise auf angrenzende Grundstücke zu erstrecken, wenn rechtlich gesichert ist, dass diese Grundstücke insoweit nicht überbaut und die übernommenen Abstände nicht auf die Abstände angerechnet werden, die auf diesen Grundstücken für sich genommen einzuhalten sind (vgl. auch Kap. 2.1.11.5.2).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht 2.1.11.2.5
109
Anforderungen an die Baugestaltung
Bauliche Anlagen müssen nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen zueinander, Werkstoff und Farbe so gestaltet sein, dass sie nicht verunstaltet wirken (§ 9 MBO). Mit ihrer Umgebung sind sie derartig in Einklang zu bringen, dass sie das Straßenbild, Ortsbild oder Landschaftsbild nicht verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung (vgl. die Ausführungen zu den örtlichen Bauvorschriften in Kap. 2.1.11.2.10) nicht stören. Auf erhaltenswerte Eigenarten der Umgebung (insbesondere Bau- und Naturdenkmäler) ist Rücksicht zu nehmen. Unter dem Gesichtspunkt der Baugestaltung haben die Anlagen der Außenwerbung und die an baulichen Anlagen angebrachten Warenautomaten ein erhebliches Gewicht. Mit ihrer Zulässigkeit befassen sich die Landesbauordnungen in ausführlichen Regelungen (vgl. die Ausführungen zu den örtlichen Bauvorschriften, Kap. 2.1.11.2.10). 2.1.11.2.6
Anforderungen des Umweltschutzes
Baubezogene Vorschriften des Umweltschutzes finden sich in den Landesbauordnungen schon seit jeher bezüglich des Immissionsschutzes (Lärmschutz, § 15 Abs. 2 MBO und Luftreinhaltung, vgl. § 44 S. 3 MBO). In zunehmendem Maße werden in das Landesbauordnungsrecht auch Bestimmungen bezüglich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Gewässerschutzes und des Bodenschutzes aufgenommen. Den Anforderungen des Umweltschutzes sind auch die Vorschriften des Denkmalschutzes zuzurechnen, die zwar in eigenständigen Landesgesetzen enthalten sind, in Bezug auf die unbeweglichen Denkmäler (Baudenkmäler und ihre schützenswerte Umgebung) aber vor allem in Zusammenhang mit Bauvorhaben (Abbruch, Um-, Aus- und Anbauten) ihre Wirksamkeit entfalten. Auch die bauordnungsrechtlichen Ermächtigungen der Gemeinden zum Erlass örtlicher Bauvorschriften werden immer mehr auf Belange des Umweltschutzes ausgedehnt (vgl. Kap. 2.1.11.2.10). 2.1.11.2.7
Anforderungen in Bezug auf Kraftfahrzeug-Stellplätze und FahrradAbstellplätze
Grundsätzlich soll der ruhende Kraftfahrzeugverkehr nicht die Flächen für den fließenden Kraftfahrzeugverkehr in Anspruch nehmen. Wer daher ein Bauvorhaben ausführen will, von dem ein Zu- und Abgangsverkehr von Kraftfahrzeugen zu erwarten ist (dies ist in der Regel bei jeder baulichen Anlage der Fall), hat grundsätzlich Abstellmöglichkeiten zu schaffen, die mit ihrer Aufnahmefähigkeit dem voraussichtlichen Zu- und Abgangsverkehr entsprechen (§ 49 MBO; Art. 47 BayBO). Dies hat auf dem Baugrundstück oder mit entsprechender rechtlicher Absicherung auf einem Grundstück in zumutbarer Nähe zu geschehen. Denkbar ist auch, dass diese „Stellplatzherstellungspflicht“ durch Geldleistungen an die Gemeinde „abgegolten“ wird. Die diesbezüglichen Vorschriften der Landesbauordnungen sind sehr umfangreich und vielgestaltig. Weiterhin bestehen auch Vorschriften über die Bereitstellung von Fahrrad-Abstellplätzen (vgl. § 50 Abs. 1 S. 3 BauO Bln).
110 2.1.11.2.8
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Anforderungen in Bezug auf Kleinkinderspielplätze sowie barrierefreies Bauen
Bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen ist auf dem Baugrundstück ein Spielplatz für Kleinkinder anzulegen, soweit nicht in unmittelbarer Nähe ein Gemeinschaftsspielplatz geschaffen wird oder vorhanden ist (§ 8 Abs. 2 MBO). Auf seine Herstellung kann verzichtet werden, wenn die Art und Lage der Wohnungen (etwa in einem Altenwohn- oder -pflegeheim) ihn nicht erfordert. Die Größe der Kleinkinderspielplätze richtet sich nach Zahl und Art der Wohnungen auf dem Grundstück. Bauliche Anlagen u. a. Anlagen und Einrichtungen, die öffentlich zugänglich sind, müssen in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen von Menschen mit Behinderungen, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können (§ 50 MBO). 2.1.11.2.9
Anforderungen bautechnischer Art
Obwohl in den vorausgehenden Abschnitten bereits zahlreiche Anforderungen beschrieben worden sind, die bei der Planung und Ausführung von Bauvorhaben zu beachten sind, beziehen sich die meisten Vorschriften der Landesbauordnungen auf bautechnische Anforderungen (allgemeine Anforderungen an die Bauausführung, Bauprodukte und Bauarten, Wände, Decken und Dächer, Treppen, Rettungswege, Aufzüge und Öffnungen, haustechnische Anlagen und Feuerungsanlagen, Aufenthaltsräume und Wohnungen, Stellplätze und Garagen, Ställe, Behelfsgebäude und untergeordnete Gebäude, bauliche Anlagen und Räume besonderer Art und Nutzung). Sie werden durch bautechnische Verwaltungsvorschriften, DIN-Normen und sonstige fachtechnische Normen ergänzt. 2.1.11.2.10
Anforderungen in örtlichen Bauvorschriften
Die Landesbauordnungen der Flächenländer ermächtigen die Gemeinden, örtliche Bauvorschriften in der Rechtsform von Satzungen zu erlassen oder in die Bebauungspläne aufzunehmen (§ 86 MBO). Mit diesen örtlichen Bauvorschriften können die Gemeinden in gewissem Umfang über die allgemeinen Gestaltungsvorschriften (vgl. Kap. 2.1.11.2.5) hinaus eine positive Baugestaltungspflege betreiben. Die in der Praxis am meisten genutzte Ermächtigung besteht darin, örtliche Bauvorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen (z. B. ein Verbot greller Farben) sowie von Werbeanlagen (z. B. Verbot sich drehender Werbeanlagen) und Warenautomaten zur Verwirklichung gestalterischer Absichten in bestimmten, genau abgegrenzten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebiets zu erlassen. Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen werden solche Baugestaltungsvorschriften vielfach in diese als Festsetzungen aufgenommen. Sie betreffen im Allgemeinen die Sockelhöhe von Gebäuden, die Fassadengestaltung, die Dachgestaltung (Dachneigung, Farbgebung, Beschränkung der Zulässigkeit von Dachgauben) und die zulässige Höhe von sog. Kniestöcken (Trempeln).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
111
Weiterhin ist die Möglichkeit bedeutsam, durch örtliche Bauvorschriften besondere Anforderungen an bauliche Anlagen, Werbeanlagen und Warenautomaten zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze und Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung sowie von Baudenkmälern und Naturdenkmälern zu stellen. Diesbezügliche Satzungen werden vor allem für historisch geprägte innerörtliche Bereiche erlassen und sie ergänzen die dort meist bereits wirksamen Denkmalschutzvorschriften oder Erhaltungssatzungen (§§ 172 ff. BauGB). Darüber hinaus ermächtigen die Landesbauordnungen die Gemeinden zum Erlass örtlicher Bauvorschriften mit dem unterschiedlichsten Inhalt, der in zunehmendem Maße auch Belange des Umweltschutzes zum Gegenstand hat (z. B. Beschränkung der Verwendung fossiler Heizstoffe, Begrünung von baulichen Anlagen und Baugrundstücken sowie Schaffung von Anlagen zum Sammeln und Verwenden von Niederschlagswasser). 2.1.11.2.11
Abweichungen
Es besteht die Möglichkeit, von den Anforderungen des Bauordnungsrechts und den auf Grundlage der Landesbauordnung erlassenen Rechtsvorschriften (insbesondere den örtlichen Bauvorschriften) abzuweichen, § 67 MBO. Dabei handelt es sich jedoch um eine ErmessensVorschrift („kann“), so dass es keinen Rechtsanspruch auf eine Abweichung gibt, sondern nur einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Behördenentscheidung. Z. B. kann durch einen atypischen Grundstückszuschnitt im Ausnahmefall eine Abweichung von den Abstandsflächen erreicht werden. 2.1.11.3
Die Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Zulässigkeit des Neubaus, der Nutzungsänderung und des Abbruchs baulicher Anlagen
Die Verfahrensvorschriften der Landesbauordnungen beginnen mit der Bestimmung, dass die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen, an die Vorschriften des Bauordnungsrechts Anforderungen stellen, der Baugenehmigung bedürfen, soweit in nachfolgenden Gesetzesregelungen nichts anderes bestimmt ist (§ 59 Abs. 1 MBO). In allen Landesbauordnungen folgen Vorschriften mit langen Listen genehmigungsfreier Vorhaben, die einen recht unterschiedlichen Inhalt haben (vgl. § 62 MBO). Gemeinsam ist ihnen nur die Bestimmung, dass die Freistellung von der Genehmigungspflicht nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen entbindet, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften (vor allem des Bundes- und Landesbaurechts und des Umweltrechts) an die baulichen u. a. Anlagen und Einrichtungen gestellt werden (vgl. § 59 Abs. 2 MBO). Bezüglich der Bauvorhaben, die in diesen Listen nicht angeführt sind, ist nach den recht vielseitigen Regelungen in den Landesbauordnungen zu unterscheiden, ob sie einem uneingeschränkten Baugenehmigungsverfahren (§ 64 MBO), einem vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 63 MBO) unterliegen oder ob sie verfahrensfrei (§ 62 MBO) sind. Einen Überblick über die verschiedenen Arten bauaufsichtlicher Zulassung enthält nachfolgende Grafik, wobei die wichtigsten Fälle hervorgehoben sind:
112
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Regel: Genehmigungspflicht, § 59 I Hs. 1 MBO
Regel: vereinfachtes Genehmigungsverfahren, § 63 MBO
Ausnahme: Genehmigungsverfahren, § 64 MBO
Vorrang anderer Gestattungsverfahren, § 60 MBO
Ausnahme: Art. § 59 I Hs. 2 MBO
Bauaufsichtliche Zustimmung, § 77 MBO
Fliegende Bauten, § 76 MBO
Genehmigungsfreistellung, § 62 MBO
Verfahrensfreiheit, § 61 MBO
Abb. 2.14: Überblick Genehmigungsverfahren
Wegen der Regelungsunterschiede wird im Folgenden nur der Ablauf eines uneingeschränkten Genehmigungsverfahrens ausführlich erläutert. Zudem ist dies das für Investoren wichtigste Verfahren, da größere Investitionsprojekte (wie z. B. ein neues Einkaufszentrum) immer dem uneingeschränkten Baugenehmigungsverfahren unterfallen. 2.1.11.3.1
Das uneingeschränkte Baugenehmigungsverfahren (§ 64 MBO)
Das uneingeschränkte Baugenehmigungsverfahren beginnt damit, dass bei der unteren Bauaufsichtsbehörde (in manchen Ländern bei der Gemeindeverwaltung) der Bauantrag einzureichen ist (vgl. § 68 Abs. 1 MBO). Mit dem Bauantrag sind alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen (§ 68 Abs. 2 MBO; vgl. dazu auch die Bauvorlagenverordnung des jeweiligen Landes). Bauvorlagen für die genehmigungspflichtige Errichtung und Änderung von Gebäuden (nach manchen Landesbauordnungen auch für bestimmte andere Anlagen und Einrichtungen) müssen von einem Entwurfsverfasser unterschrieben sein, der bauvorlageberechtigt ist (§ 68 Abs. 4 MBO). Wem diese Berechtigung zukommt, ist in den Landesbauordnungen geregelt (vgl. § 65 MBO). Dies sind immer jedenfalls die Personen, die die Berufsbezeichnung „Architekt“ führen dürfen. Vor der Entscheidung über die Befreiung von baurechtlichen Anforderungen sollen die Bauaufsichtsbehörden die Eigentümer benachbarter Grundstücke (Nachbarn) beteiligen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden (die Nachbarbeteiligung ist in den Landesbauordnungen sehr unterschiedlich ausgestaltet).
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
113
Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften (vor allem des Bundes- und Landesrechts und des Umweltrechts) entgegenstehen (§ 72 Abs. 1 MBO); sie bedarf der Schriftform, § 72 Abs. 2 Hs. 1 MBO. Zu begründen ist sie nur insoweit, als von nachbarschützenden Vorschriften befreit wird und der Nachbar der Befreiung nicht zugestimmt hat, § 72 Abs. 2 Hs. 2 MBO. Die Baugenehmigung gilt (als sog. dinglicher Verwaltungsakt) auch für und gegen den oder die Rechtsnachfolger des Bauherrn (§ 58 Abs. 3 MBO). Sie kann unter Auflagen, Bedingungen und dem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage sowie befristet erteilt werden (dafür müssen sachgerechte Gründe vorliegen), vgl. § 36 VwVfG. Von erheblicher rechtlicher Tragweite ist die in allen Landesbauordnungen enthaltene Bestimmung, dass die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter ergeht, § 18 Abs. 5 MBO. Dies bedeutet, dass die bürgerlich-rechtlichen Abwehransprüche (§§ 1004, 862, 906 BGB) unberührt bleiben und mit Hilfe der Zivilgerichte zur Einstellung von Bauarbeiten und sogar zur Beseitigung oder Untersagung der Nutzung baulicher Anlagen führen können. Dem Baugenehmigungsverfahren kann nach allen Landesbauordnungen ein Bauvoranfrageverfahren vorausgehen (vgl. Kap. 2.1.1.4). Mit der Bauausführung darf nicht vor Zugang der Baugenehmigung begonnen werden. Eine Bauüberwachung und eine Bauzustandsbesichtigung finden nicht mehr in jedem Fall statt. Ob sie vorgenommen werden, entscheiden die Bauaufsichtsbehörden nach ihrem Ermessen. 2.1.11.3.2
Das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren (§ 63 MBO)
Der Unterschied zwischen dem uneingeschränkten und dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren besteht darin, dass im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren bei dem geplanten Vorhaben nur 1. die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, 2. beantragte Abweichungen im Sinne des § 67 Abs. 1 und 2 Satz 2 MBO sowie 3. andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird (dies erfasst z. B. das Denkmalschutzrecht) geprüft werden. Besonders praxisrelevant ist, dass eine Prüfung der Abstandsflächenvorschriften nicht vorgesehen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass das Bauvorhaben nicht auch allen anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechen muss. Verstößt das Vorhaben gegen nicht vom Prüfungsumfang abgedeckte Vorschriften, so kann die Bauaufsichtsbehörde insbesondere von ihren Eingriffsbefugnissen Gebrauch machen (dazu Kap. 2.1.11.4), d. h. beispielsweise den Abriss des Bauwerks anordnen (§ 80 S. 1 MBO), § 55 Abs. 2 MBO. Bauvorhaben, die üblicher Weise im vereinfachten Genehmigungsverfahren genehmigt werden, sind etwa Einfamilienhäuser im Innenbereich (vgl. dazu Kap. 2.1.11.2.1.2). 2.1.11.3.3
Genehmigungsfreie Bauvorhaben (§ 62 MBO)
Das Verfahren der Genehmigungsfreistellung ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Bauantrag bei der Gemeinde einzureichen ist, in der Regel aber keine Baugenehmigung erteilt wird. Der Bauherr darf das Bauen beginnen, wenn die Gemeinde nicht innerhalb eines Mo-
114
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
nats dem Bauherrn mitteilt, dass ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren durchgeführt werden soll oder eine vorläufige Untersagung beantragt (vgl. § 62 Abs. 3 S. 2, Abs. 2 Nr. 4 MBO) oder die Gemeinde dem Bauherrn vor Ablauf eines Monats mitteilt, dass sie kein Genehmigungsverfahren oder eine vorläufige Untersagung beantragen wird (§ 62 Abs. 3 S. 3 MBO). Dieses Verfahren findet für die in der jeweiligen LBO enumerativ genannten Vorhaben (vgl. 62 Abs. 1 MBO) Anwendung. Dies sind etwa Wohngebäude im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (dazu Kap. 2.1.2.3.1). Das Vorhaben muss aber mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Einklang stehen (§ 55 Abs. 2 MBO). 2.1.11.3.4
Verfahrensfreie Bauvorhaben (§ 61 MBO)
In § 61 MBO ist eine Liste von Vorhaben aufgeführt, die verfahrensfrei sind (z. B. Solarenergieanlagen an Dächern, § 61 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b MBO oder Garagen mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Brutto-Grundfläche bis zu 30 m2, § 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. b MBO). Dies bedeutet, dass die dort genannten Vorhaben ohne Einreichung eines Bauantrags und ohne Baugenehmigung realisiert werden können. 2.1.11.4
Mögliche Rechtsfolgen unerlaubter Baumaßnahmen
Der Bauaufsichtsbehörde stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die eine unterschiedliche Eingriffsintensität aufweisen. Bei der Wahl des Mittels muss die Bauaufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Dies bedeutet, dass das intensivere Eingriffsinstrument nur dann angewendet werden kann, wenn das der niedrigeren Stufe bei gleicher Eignung nicht ebenso erfolgversprechend ist Bauordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse
Nutzungsuntersagung, § 80 S. 2 MBO
Baueinstellung, § 79 MBO
Generalklausel, § 58 Abs. 2 S. 2 MBO
Abb. 2.15: Eingriffsbefugnisse
Eingriffsintensität
Baubeseitigung, § 80 S. 1 MBO
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
115
Die Einstellung der Bauarbeiten kann von der Bauaufsichtsbehörde angeordnet werden, wenn die Ausführung eines genehmigungsbedürftigen oder sonst zulassungsbedürftigen Bauvorhabens ohne das Vorliegen der gesetzlich geforderten Voraussetzungen begonnen wurde, wenn bei der Ausführung eines Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen oder gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen wird oder wenn nicht vorschriftsgemäß gekennzeichnete Bauprodukte verwendet werden (§ 79 Abs. 1 MBO). Wenn trotz einer schriftlich oder mündlich verfügten Einstellung unzulässige Bauarbeiten fortgesetzt werden, kann die Bauaufsichtsbehörde die Baustelle versiegeln oder die an der Baustelle vorhandenen Bauprodukte, Geräte, Maschinen und Bauhilfsmittel in amtlichen Gewahrsam bringen (§ 79 Abs. 2 MBO). Werden bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert, so kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung der baulichen Anlage anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände herbeigeführt werden (§ 80 S. 1 MBO). Wenn bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften benutzt werden, kann die Benutzung untersagt werden (§ 80 S. 2 MBO). Die Landesbauordnungen enthalten umfangreiche Auflistungen von Tatbeständen, deren Verwirklichung als Ordnungswidrigkeit zu beurteilen ist. Der wichtigste Tatbestand ist gegeben, wenn jemand vorsätzlich oder fahrlässig ohne die erforderliche Genehmigung oder Teilbaugenehmigung oder abweichend davon bauliche Anlagen errichtet, ändert, benutzt oder abbricht. Die Ordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße geahndet werden, für die die Landesbauordnungen unterschiedliche Höchstsätze bestimmen (vgl. § 84 MBO). 2.1.11.5
Baulasten und Dienstbarkeiten zur Sicherung baurechtlich bedeutsamer Zustände
2.1.11.5.1
Zweck der Baulasten und baubezogenen Dienstbarkeiten
In vierzehn der sechzehn Bundesländer enthalten die Landesbauordnungen Vorschriften über die Baulasten und das Baulastenverzeichnis. In § 83 MBO findet sich ein Muster für diese Regelung. Lediglich in Bayern und Brandenburg fehlt es an dahingehenden Bestimmungen. Dabei besteht in allen Ländern das Bedürfnis, bestimmte Zustände, die für die Zulässigkeit von Bauvorhaben bedeutsam sein können, rechtlich abzusichern. So können sich der Ausführung von Bauvorhaben, die ihrer Art nach (etwa als Wohngebäude, Geschäftshaus oder Industrieanlage) in einem beplanten oder nicht beplanten Bereich an sich zulässig wären, aufgrund der Lage, des Zuschnitts und/oder der Größe des Grundstücks, das bebaut werden soll, Schwierigkeiten entgegenstellen, weil bestimmten Anforderungen des öffentlichen Baurechts nicht entsprochen werden kann. Es handelt sich dabei vor allem um Anforderungen an die Zuwegung zu öffentlichen Verkehrsflächen (vgl. Kap. 2.1.11.2.2), die Einhaltung der geforderten Abstandsflächen (vgl. Kap. 2.1.11.2.4), die Herstellung der notwendigen Stellplätze für Kraftfahrzeuge und der notwendigen Abstellflächen für Fahrräder (vgl. Kap. 2.1.11.2.7) sowie die Anlegung der erforderlichen Kleinkinderspielplätze (vgl. Kap. 2.1.11.2.8). Diese Schwierigkeiten können durch die Einbeziehung benachbarter Grundstücke (insgesamt oder mit einer Teilfläche) in die baurechtliche Beurteilung ausgeräumt werden, wenn rechtlich gesichert ist, dass das benachbarte Grundstück (ganz oder teilweise) dem Baugrundstück auf die Dauer des Bestands der zu errichtenden baulichen Anlage baurechtlich zuzurechnen ist.
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Diese rechtliche Sicherung kann dadurch bewirkt werden, dass der Eigentümer des benachbarten Grundstücks durch Erklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde eine entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu einem sein Grundstück betreffendes Tun, Dulden oder Unterlassen übernimmt, die dadurch Rechtsverbindlichkeit erlangt, dass sie von der Bauaufsichtsbehörde in das Baulastenverzeichnis eingetragen wird. Die Baulast ist auch mit dem Inhalt einer Eigentümerbaulast möglich, wenn sie von dem Eigentümer des Baugrundstücks an einem ihm ebenfalls gehörenden Grundstück bestellt wird. In Bayern und Brandenburg erfolgt die rechtliche Sicherung auf privatrechtlichem Weg, indem der Eigentümer des Grundstücks, auf dem ein Bauvorhaben ausgeführt werden soll, von dem Eigentümer eines benachbarten Grundstücks eine entsprechende Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB) eingeräumt erhält, die mit der Eintragung in das Grundbuch rechtswirksam wird (§ 873 BGB). Da der Eigentümer des begünstigten („herrschenden“) Grundstücks die Grunddienstbarkeit durch einseitige Erklärung aufheben kann (§ 875 BGB, rechtswirksam mit Löschung im Grundbuch), muss zusätzlich sichergestellt werden, dass er diese Erklärung nicht abgeben kann. Dies geschieht durch Bestellung einer entsprechenden beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§§ 1090 ff. BGB) zugunsten einer Gebietskörperschaft (Land, Landkreis, Gemeinde). Seit einiger Zeit besteht jedoch in Bayern die Möglichkeit, dass Abstandsflächen sich ganz oder teilweise auf Nachbargrundstücke erstrecken können, wenn der Nachbar gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich zustimmt (Näheres in Art. 6 Abs. 2 S. 3 der Bayerischen Bauordnung). 2.1.11.5.2
Wichtige Anwendungsfälle der Baulasten
Die Landesbauordnungen, die Vorschriften über Baulasten enthalten, weisen zwar gewisse Regelungsunterschiede auf, doch lassen sich die folgenden wichtigen Anwendungsfälle der Baulasten mit im Wesentlichen übereinstimmendem Zweck darstellen. Die Zufahrts-Baulast: Gebäude dürfen – von anderen Voraussetzungen abgesehen – auf Grundstücken nur errichtet werden, wenn gesichert ist, dass bis zum Beginn ihrer Nutzung das (Bau-)Grundstück entweder in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt oder eine öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche hat (vgl. oben Kap. 2.1.11.2.2); ein nicht befahrbarer Wohnweg genügt, wenn der Brandschutz gewährleistet ist. Die öffentlich-rechtliche Sicherung kann dadurch bewirkt werden, dass der Eigentümer des Grundstücks, über das die Zufahrt möglich ist, gegenüber der Bauaufsichtsbehörde eine entsprechende Baulast (Verpflichtung zu einem Dulden) übernimmt. Die Vereinigungs-Baulast: Das Bauordnungsrecht geht davon aus, dass ein Gebäude auf einem Grundstück errichtet wird. Gemeint ist das Grundstück im sachenrechtlichen (= grundbuchrechtlichen) Sinn, nämlich ein abgegrenzter und vermessener Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblatts unter einer eigenen Nummer eingetragen ist. Doch ist die Errichtung eines Gebäudes auf mehreren Grundstücken (in diesem Sinne) zulässig, wenn durch Baulast gesichert ist, dass sie für die Dauer der Bebauung baurechtlich als Grundstückseinheit zusammengefasst bleiben (Verpflichtung zu einem gemeinsamen Tun). Diese Grundstücke können auch mehreren Eigentümern gehören. Diese sog. Vereinigungs-Baulast eröffnet allerdings nicht die Möglichkeit, mehrere Grundstücke, auf denen mehrere Gebäude (etwa in Form einer Hausgruppe) errichtet werden sollen, im Hinblick auf bauplanungsrechtliche (= bundesbaurechtliche) Anforderungen bezüglich der zu-
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
117
lässigen Grund- und Geschossflächen zu einer baurechtlichen Beurteilungseinheit zusammenzufassen. Die Anbau-Baulast: Nach den Abstandsvorschriften (vgl. oben Kap. 2.1.11.2.4) der Landesbauordnungen sind vor Außenwänden von Gebäuden grundsätzlich Abstandsflächen freizuhalten. Doch sind Abstände nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Nachbargrenzen errichtet werden, wenn nach bauplanungsrechtlichen (= bundesbaurechtlichen) Vorschriften das Gebäude entweder an die Grenze gebaut werden muss oder an die Grenze gebaut werden darf und in diesem (letztgenannten) Fall öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass vom Nachbargrundstück her angebaut wird (Verpflichtung zu einem Tun, nämlich Anbauen). Die Abstandsübernahme-Baulast: Soweit Abstände oder Abstandsflächen (an sich) auf dem (Bau-)Grundstück liegen müssen, kann gestattet werden, dass sie sich ganz oder teilweise auf angrenzende Grundstücke erstrecken, wenn öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass die entsprechenden Flächen nicht überbaut und auf die Abstände oder Abstandsflächen, die auf diesen Grundstücken einzuhalten sind, nicht angerechnet werden. Die öffentlich-rechtliche Sicherung kann in der Form einer Abstandsübernahme-Baulast geschaffen werden (Verpflichtung zu einem Unterlassen). Die Stellplatz-Baulast: Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen, bei denen ein Zugangsund Abgangsverkehr zu erwarten ist, dürfen nur errichtet werden, wenn Stellplätze für Kraftfahrzeuge in ausreichender Zahl und Größe sowie in geeigneter Beschaffenheit hergestellt werden (dazu oben Kap. 2.1.11.2.7). Statt der Stellplätze können Garagen hergestellt werden. Die Stellplätze sind auf dem (Bau-)Grundstück oder, sofern öffentlich-rechtlich gesichert, auf einem in zumutbarer Entfernung liegenden anderen Grundstück herzustellen. Die öffentlich-rechtliche Sicherung kann durch die Bestellung einer Baulast erfolgen, die den Eigentümer verpflichtet, die Herstellung, Benutzung und Unterhaltung des Grundstücks (oder einer Teilfläche des Grundstücks) als Stellplatzfläche zu dulden. Die Landesbauordnungen lassen es allerdings auch zu, dass die Pflicht zur Herstellung sog. notwendiger Stellplätze durch Geldzahlungen an die Gemeinde abgelöst wird. Die Kleinkinderspielplatz-Baulast: Bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen ist grundsätzlich ein Spielplatz für Kleinkinder herzustellen, der nach seiner Lage und Beschaffenheit ein gefahrloses Spielen ermöglicht (dazu oben Kap. 2.1.11.2.8). Der Spielplatz ist grundsätzlich auf dem (Bau-)Grundstück herzustellen. Doch kann gestattet werden, ihn in unmittelbarer Nähe auf einem anderen Grundstück, auch in einer Gemeinschaftsanlage, herzustellen, wenn dieses Grundstück von den Kindern gefahrlos erreicht werden kann und seine Benutzung als Spielplatz öffentlich-rechtlich gesichert ist. Diese öffentlich-rechtliche Sicherung kann durch die Bestellung einer Spielplatz-Baulast herbeigeführt werden (Verpflichtung des Eigentümers, die Herstellung, Benutzung und Unterhaltung des Grundstücks als Kleinkinderspielplatz zu dulden). Die Leitungs-Baulast: Gebäude mit Aufenthaltsräumen dürfen nur errichtet werden, wenn die Versorgung mit Trinkwasser dauernd gesichert ist. Auch dürfen bauliche Anlagen nur errichtet werden, wenn die Beseitigung des Abwassers auf Dauer gesichert ist. Weiterhin dürfen Gebäude nur errichtet werden, wenn gesichert ist, dass bis zum Beginn ihrer Benutzung die erforderlichen Wasserversorgungs- und Abwasseranlagen benutzbar sind. Kann ein Grundstück nicht unmittelbar, sondern nur über ein anderes Grundstück an die öffentlichen (meist gemeindlichen) Wasserversorgungs- und Abwasseranlagen angeschlossen werden, so fordert das Bauordnungsrecht, anders als für die Zufahrt, keine öffentlich-rechtliche Sicherung. Es
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass der Eigentümer eines Grundstücks zugunsten eines anderen Grundstücks eine Baulast des Inhalts begründen kann, die Verlegung und Unterhaltung von Ver- und Entsorgungsleitungen (auch für Elektrizität, Fernwärme und Ferngas) auf seinem Grundstück zu dulden, damit auf diese Weise die (auch baurechtlich erforderliche) Ver- und Entsorgung einer baulichen Anlage auf einem anderen (meist sog. Hinterlieger-) Grundstück öffentlich-rechtlich gesichert ist. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Duldung von Leitungen für die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung erforderlichenfalls mit Hilfe von Bestimmungen des jeweiligen Landes-Nachbarrechtsgesetzes erreicht werden kann (je nach Landesrecht auch von Leitungen der Fernwärmeversorgung). Zu beachten ist, dass die Baulasten nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen begründen und die privatrechtlichen Verhältnisse der beteiligten Grundstücke zueinander unberührt lassen. Hat die Baulast (wie etwa die Zufahrts-, die Stellplatz- und die Spielplatz-Baulast) die Benutzung eines anderen Grundstücks (oder einer Teilfläche eines anderen Grundstücks) zum Gegenstand, so verschafften sie kein privatrechtlich abgesichertes Nutzungsrecht. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, sollte in solchen Fällen mit der Begründung der Baulast die Einräumung einer entsprechenden Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB) einhergehen. 2.1.11.5.3
Begründung und Aufhebung von Baulasten, Baulastenverzeichnis
Die Begründung einer Baulast erfordert zweierlei: 1. die Erklärung eines Grundstückseigentümers gegenüber der Bauaufsichtsbehörde, eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu einem das eigene Grundstück betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen übernehmen zu wollen, die sich nicht schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften (etwa aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans) ergibt, sowie 2. die Eintragung der Verpflichtungserklärung in das Baulastenverzeichnis durch die Bauaufsichtsbehörde (oder auf deren Anordnung hin, wenn das Baulastenverzeichnis nicht von ihr, sondern – wie in Baden-Württemberg – von der Gemeinde geführt wird). Die Erklärung des Grundstückseigentümers bedarf der Schriftform (vgl. § 126 BGB). Die Unterschrift muss öffentlich beglaubigt sein (vgl. § 129 BGB) oder sie muss vor der Bauaufsichtsbehörde geleistet oder von ihr anerkannt werden. Die Baulastenerklärung kann auch insgesamt zur Niederschrift der Bauaufsichtsbehörde abgegeben werden. Wenn an einem Grundstück ein Erbbaurecht bestellt ist, das durch die Übernahme der Baulast beeinträchtigt würde, bedarf der Grundstückseigentümer zur Begründung der Baulast der Zustimmung des Erbbauberechtigten. Dies ist zwar nur in einigen Landesbauordnungen ausdrücklich vorgeschrieben, gilt jedoch allgemein, weil der Erbbauberechtigte eine Beschränkung seiner Rechte, die ohne seine Zustimmung erfolgt, abwehren kann. Dagegen ist die Zustimmung der Inhaber von Grundpfandrechten, die an dem Grundstück bestehen (§§ 1113 ff. BGB: Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden), für die Begründung einer (nicht selten den Wert des Grundstücks schmälernden) Baulast durch den Grundstückseigentümer nicht erforderlich. Entsprechend der Zweckbestimmung der Baulast, einen für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens baurechtlich erforderlichen Zustand für die Dauer der Bebauung eines Grundstücks zu sichern, kann eine Baulast nur durch schriftlichen Verzicht der Bauaufsichtsbehörde, der mit der Eintragung in das Baulastenverzeichnis wirksam wird, aufgehoben werden. Dieser Verzicht ist zu erklären, wenn ein öffentliches Interesse an der Baulast nicht mehr
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
119
besteht (weil etwa das begünstigte und das belastete Grundstück grundbuchrechtlich vereinigt worden sind, vgl. § 890 BGB). Vor dem Verzicht sollen der Eigentümer des belasteten und der Eigentümer des begünstigten Grundstücks gehört werden. Auch sollen sie eine Benachrichtigung darüber erhalten, dass der Verzicht in das Baulastenverzeichnis eingetragen worden ist. Das Baulastenverzeichnis wird von der Bauaufsichtsbehörde geführt (in BadenWürttemberg von der Gemeinde). Die Eintragung in das Baulastenverzeichnis ist für jede Baulast eine zwingende Voraussetzung. Daneben können in das Baulastenverzeichnis eingetragen werden:
andere baurechtliche Verpflichtungen der Grundstückseigentümer zu einem ein Grundstück betreffendes Tun, Dulden oder Unterlassen, wenn ein öffentliches Interesse an der Eintragung besteht (die insoweit allerdings nicht rechts- oder pflichtenbegründend ist); Bedingungen, Befristungen und Widerrufsvorbehalte (soweit sie in Baugenehmigungsbescheiden enthalten sind). Wer ein berechtigtes Interesse darlegt, kann in das Baulastenverzeichnis Einsicht nehmen (oder durch einen von ihm Bevollmächtigten Einsicht nehmen lassen) und sich aus dem Baulastenverzeichnis (auf seine Kosten) Abschriften erteilen lassen. Aufgrund ihrer in § 17 des Beurkundungsgesetzes geregelten umfassenden Belehrungspflicht sind die Notare gehalten, sich bei Rechtsvorgängen in Bezug auf Baugrundstücke und bebaute Grundstücke über das Bestehen von Baulasten zu unterrichten und die Beteiligten ggf. über Inhalt und Tragweite bestehender Baulasten zu belehren.
2.1.12
Rechtsschutz im öffentlichen Planungs- und Baurecht
Die Rechtsschutzkonstellationen im öffentlichen Planungsrecht sind vielfältig. Einen ersten Überblick gibt die nachfolgende Grafik. Dabei kann man zunächst nach den verschiedenen bau(ordnungs)rechtlichen Materien differenzieren (Bauleitplanung, Baugenehmigungsverfahren, bauaufsichtliche Maßnahmen). In einem zweiten Schritt kann dann jeweils die Frage aufgeworfen werden, welchem Personenkreis Rechtsschutzmöglichkeiten offenstehen bzw. nach dem Angriffsgegenstand differenziert werden.
Rechtsschutz in der Bauleitplanung
• • •
F-Plan B-Plan Genehmigung F-/B-Plan
Abb. 2.16: Überblick Rechtsschutz
Rechtsschutz im Baugenehmigungsverfahren • • •
Bauwerber Nachbar Gemeinde
Rechtsschutz bei bauaufsichtlichen Maßnahmen • • •
Verfügungsadressat Nachbar Gemeinde
120 2.1.12.1
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Rechtsschutz bei städtebaulichen Planungen
Städtebauliche Planungen mit rechtsverbindlichem Inhalt (Bebauungspläne, InnenbereichsErweiterungssatzungen und Außenbereichs-Bausatzungen; vgl. Kap. 2.1.2.3.1 bis 2.1.2.5) werden in der Rechtsform von Gemeindesatzungen aufgestellt (vgl. § 10 Abs. 1 BauGB). Sie sind damit Rechtsnormen und können mit dem Normenkontrollantrag der verwaltungsgerichtlichen Prüfung unterworfen werden (§ 47 VwGO). Über den Normenkontrollantrag entscheidet in erster Instanz das Oberverwaltungsgericht bzw. der Verwaltungsgerichtshof. Gegen ihre Urteile und Beschlüsse ist die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zulässig, die jedoch der Zulassung bedarf (§§ 132, 133 VwGO). Den Normenkontrollantrag kann jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsnorm oder ihre Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, außerdem jede Behörde, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Das wichtigste Recht, das durch eine städtebauliche Planung verletzt sein kann, ist das Grundstückseigentum, so dass es im Allgemeinen die durch die Planungen nachteilig betroffenen Grundstückseigentümer sind, denen das Antragsrecht zusteht. Der Normenkontrollantrag kann nur innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsnorm gestellt werden, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Er ist gegen die Gemeinde zu richten, die die städtebauliche Planung aufgestellt hat, § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO. Im Normenkontrollverfahren wird geprüft, ob die städtebauliche Planung in dem vorgeschriebenen Verfahren unter Beachtung der sachinhaltlichen Anforderungen (vgl. Kap. 2.1.3 und 2.1.4) zustande gekommen ist. Diese Prüfung wird allerdings durch die Bestimmungen über die Beachtlichkeit der Verletzung von Vorschriften über die Aufstellung der Satzungen (§ 214 BauGB) sowie über die Frist für die Geltendmachung der Verletzung von Verfahrensund Formvorschriften sowie von Mängeln der Abwägung (§ 215 BauGB) eingeschränkt. Kommt das Normenkontrollgericht zu dem Ergebnis, dass die städtebauliche Planung an einem beachtlichen Verfahrens- oder Sachmangel leidet, erklärt sie die Planung für nichtig. In diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel ist von der Gemeinde ebenso zu veröffentlichen, wie die Rechtsnorm bekannt zu machen wäre, § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO. Das Normenkontrollgericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, § 47 Abs. 6 VwGO. Die einstweilige Anordnung kann den Inhalt haben, dass die angegriffene städtebauliche Planung bis zur Entscheidung des Normenkontrollgerichts nicht angewendet werden darf. Allerdings wird von dieser rechtlichen Möglichkeit seitens der Normenkontrollgerichte nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht, weil die städtebaulichen Planungen für sich genommen grundsätzlich noch nicht in Rechte eingreifen und gegen behördliche Vollzugsmaßnahmen einstweiliger Rechtsschutz nach den allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts (§§ 80, 80a, 123 VwGO) in Anspruch genommen werden kann. In dem Verfahren der Überprüfung der Vollzugsmaßnahme wird dann vom Verwaltungsgericht inzident der der behördlichen Entscheidung zugrundeliegende Bebauungsplan überprüft. Für den Fall, dass das Verwaltungsgericht den Bebauungsplan für unwirksam hält, kann dieser auch nicht mehr Grundlage der Vollzugsmaßnahme sein und diese wird aufgehoben. Somit entfaltet der Bebauungsplan im konkreten Fall keine Rechtswirkungen. Da der Flächennutzungsplan (vgl. Kap. 2.1.2.2) nicht als Satzung aufgestellt wird, sondern nur ein Verwaltungsprogramm ist, kann sein Inhalt grundsätzlich nicht zum Gegenstand
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
121
eines Normenkontrollverfahrens gemacht werden (Ausnahme: Darstellung von Konzentrationsflächen nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB). Verfahrens- und Sachmängel eines Flächennutzungsplans können jedoch als Ursache für die Mangelhaftigkeit eines Bebauungsplans in einem Normenkontrollverfahren gerügt werden, das einen Bebauungsplan betrifft. Ausgangspunkt ist § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB (Entwicklungsgebot). Ist der Flächennutzungsplan unwirksam, so liegt in der Regel ein Verstoß gegen das Entwicklungsgebot vor (Ausnahme: nur formelle Mängel des Flächennutzungsplans, § 214 Abs. 2 Nr. 3 BauGB). Entsprechendes gilt in sonstigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren (betreffend Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklagen nach den §§ 42 und 43 VwGO) und in baulandgerichtlichen Verfahren (§§ 217 ff. BauGB). In diesen Verfahren ist die Geltendmachung beachtlicher Verfahrens- und Sachmängel anders als im Normenkontrollverfahren nicht durch eine Jahres-Frist eingeschränkt. Eine eigenartige Situation zeigt sich in dem Verhältnis der Vorschrift über die Zulässigkeit von Bauvorhaben während der Planaufstellung (§ 33 BauGB) zur Normenkontrollmöglichkeit. Schon im Verlaufe des Verfahrens zur Aufstellung eines Bebauungsplans können, wenn ein fortgeschrittener Stand des Verfahrens erreicht ist (die sog. Planreife), Bauvorhaben zugelassen werden. Damit werden die entsprechenden Festsetzungen des noch im Entwurfszustand befindlichen Bebauungsplans im Verhältnis des Bauantragstellers zur Bauaufsichtsbehörde und zur Gemeinde (die dazu ihr Einvernehmen erteilen muss, vgl. § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB) gewissermaßen rechtlich festgeschrieben. Ein Grundstücksnachbar, der sich dadurch in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt, kann aber den Normenkontrollantrag noch nicht stellen, weil dies nur in Bezug auf einen rechtswirksamen Bebauungsplan (vgl. § 10 Abs. 3 BauGB) zulässig ist. Er kann nur das zugelassene Bauvorhaben angreifen und geltend machen, dass dieses Vorhaben zu seinen Gunsten wirkende drittschützende Vorschriften verletze. Nur insoweit wird dann auch die Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans überprüft, während sich die Prüfung im Normenkontrollverfahren auf die Einhaltung aller verfahrensmäßigen und sachinhaltlichen Rechtsmäßigkeitserfordernisse erstreckt. Mit dem Normenkontrollantrag können auch die folgenden Satzungen nach Bundesbaurecht zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung gebracht werden: Veränderungssperre (§§ 14 bis 17 BauGB), besonderes Vorkaufsrecht (§ 25 BauGB), Erhebung von Erschließungsbeiträgen (§ 132 BauGB), Kostenerstattung für Ausgleichsmaßnahmen (§ 135c BauGB), förmliche Festlegung eines Sanierungsgebiets (§ 142 BauGB), förmliche Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs (§ 165 Abs. 6 bis 8 BauGB), Sicherung des Stadtumbaus (§ 171d BauGB), Erhaltung baulicher Anlagen und der Eigenart von Gebieten (§ 172 BauGB). Bei städtebaulichen Planungen können nicht nur Rechtsstreitigkeiten zwischen den von den Planinhalten betroffenen natürlichen oder juristischen Personen und der Gemeinde entstehen, sondern auch zwischen der planenden Gemeinde und der höheren Verwaltungsbehörde, wenn deren Genehmigung erforderlich ist. Ein Genehmigungserfordernis besteht für Flächennutzungspläne (§ 6 BauGB) und für nicht aus einem Flächennutzungsplan entwickelte Bebauungspläne (§ 10 Abs. 2 BauGB). Verweigert die höhere Verwaltungsbehörde eine erforderliche Genehmigung vollständig oder zum Teil, so stellt ihre Entscheidung im Verhältnis zur planenden Gemeinde einen belastenden Verwaltungsakt dar. Die Gemeinde kann in diesem Fall gegen die Nichterteilung der Genehmigung mit einer Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) beim Verwaltungsgericht vorgehen. Von der Nachbargemeinde kann im Falle der Erteilung der Genehmigung diese mittels einer Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) angegriffen werden.
122 2.1.12.2
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Rechtsschutz des Adressaten gegen Bescheide der Bauaufsichtsbehörden und der Gemeinden
Die belastenden Bescheide von Bauaufsichtsbehörden und Gemeinden, die aufgrund baurechtlicher und sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften ergehen, und nicht den sog. Baulandsachen (§ 217 BauGB) zuzurechnen sind, können nach den Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts mit dem Widerspruch (Ausnahmen sind durch Landesrecht möglich, vgl. z. B. in Bayern Art. 15 Abs. 2 Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – BayAGVwGO) und nach erfolglosem Widerspruch mit der Klage beim Verwaltungsgericht angegriffen werden (§§ 40, 42, 68 ff. VwGO). Hierbei können zwei Grundkonstellationen unterschieden werden. Auf der einen Seite die Situation, dass von der Behörde ein (begünstigender) Verwaltungsakt (z. B. eine Baugenehmigung, § 72 Abs. 1 MBO) begehrt wird, dieser aber nicht erteilt wird. In diesem Fall ist eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen Konstellationen, in denen die Behörde dem Adressaten einen belastenden Verwaltungsakt übermittelt und ihn zu einem Tun (z. B. zur Baubeseitigung (§ 80 S. 1 MBO), zur Zahlung von Erschließungsbeiträgen (§§ 127 bis 135 BauGB) oder Unterlassen (z. B. Nutzungsuntersagung, § 80 S. 2 MBO) verpflichtet. In diesen Fällen ist eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft. Den nach dem Bundesbaurecht ergehenden Bescheiden ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Betroffene über den Rechtsbehelf, der gegen den Bescheid gegeben ist, über die Stelle, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist, und über die Frist belehrt wird (§ 211 BauGB). Auch in den übrigen Fällen ist aber eine Rechtsbehelfsbelehrung, insbesondere im Hinblick auf § 58 VwGO, in der Praxis üblich. Die Frist für die Einlegung des Widerspruchs und für die Erhebung der Klage beträgt einen Monat (§ 70 Abs. 1, § 74 Abs. 1 VwGO). Sie beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist, kann der Rechtsbehelf grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündigung angebracht werden (§ 58 VwGO). Besondere Vorschriften gelten aufgrund Verfassungsrechts (Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG) für die sog. Baulandsachen. Das sind (nach § 217 Abs. 1 BauGB) insbesondere Verwaltungsakte, die in Umlegungsverfahren (§§ 45 bis 79 BauGB), Grenzregelungsverfahren (§§ 80 bis 84 BauGB) und Enteignungsverfahren (§§ 85 bis 122 BauGB) ergehen oder die in sonstigen Verwaltungsverfahren Entschädigungsfragen zum Gegenstand haben (abschließende Einzelaufzählung im BauGB). Über diese Streitigkeiten entscheidet im ersten Rechtszug das (zuständige) Landgericht, Kammer für Baulandsachen, die mit zwei Richtern des Landgerichts einschließlich des Vorsitzenden sowie einem hauptamtlichen Richter eines Verwaltungsgerichts besetzt ist (§ 220 Abs. 1 BauGB). Die genannten Verwaltungsakte können, sofern nicht durch Landesrecht ein Vorverfahren eingehalten werden muss (§ 212 BauGB), nur mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch die zuständige Kammer für Baulandsachen angefochten werden. Der Antrag ist innerhalb eines Monats seit der Zustellung des Verwaltungsakts bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat, § 217 Abs. 2 S. 1 BauGB. 2.1.12.3
Rechtsschutz von Nachbarn und sonstigen Dritten gegen Bauvorhaben
Alle Landesbauordnungen enthalten Vorschriften über die Beteiligung der Nachbarn am Baugenehmigungsverfahren, die allerdings einen sehr unterschiedlichen Inhalt haben. Am
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
123
häufigsten ist die Regelung anzutreffen, dass die Bauaufsichtsbehörden die Eigentümer benachbarter Grundstücke (= Nachbarn) vor der Erteilung von Befreiungen benachrichtigen sollen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden. Die Benachrichtigung soll entfallen, wenn die zu beteiligenden Nachbarn die Lagepläne und Bauzeichnungen unterschrieben oder der Erteilung von Befreiungen schriftlich zugestimmt haben. Einwendungen der Nachbarn sind innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Benachrichtigung bei der Bauaufsichtsbehörde schriftlich oder zu deren Niederschrift vorzubringen. Wird den Einwendungen nicht entsprochen, so ist die Entscheidung über die Befreiung dem Nachbarn zuzustellen. Bei einer Mehrheit von Eigentümern eines angrenzenden Grundstücks genügt die Mitteilung an einen von ihnen. Ist der Eigentümer nur unter Schwierigkeiten zu ermitteln oder zu erreichen, so genügt die Mitteilung an einen unmittelbaren Besitzer. Dies ist nur eine verfahrensrechtliche Regelung, die über den Rechtsschutz von Nachbarn und sonstigen Dritten lediglich insoweit etwas aussagt, als sie im Zusammenhang mit Befreiungen von öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen spricht. Die maßgebende Rechtsgrundlage für den Rechtsschutz von Nachbarn und sonstigen Dritten gegen Bauvorhaben ist nicht im Bauordnungsrecht, sondern im Verfassungsrecht zu finden: Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg zu unabhängigen Gerichten offen (Art. 19 Abs. 4 und Art. 97 GG). Wann jemand durch eine Genehmigung, die einem anderen für ein Bauvorhaben erteilt wird, in seinen Rechten beeinträchtigt sein kann, hat die Verwaltungsrechtsprechung geklärt und dafür den Begriff der nachbarschützenden bzw. drittschützenden Vorschriften des Landes- und Bundesbaurechts sowie des für die Zulassung von Bauvorhaben bedeutsamen Umweltschutzrechts entwickelt. Danach ist eine Vorschrift nachbar- bzw. drittschützend, wenn sie nicht nur dem Wohl der Allgemeinheit (bauordnungsrechtlich: der öffentlichen Sicherheit und Ordnung), sondern auch den Interessen von Nachbarn (ggf. auch von sonstigen Dritten) zu dienen bestimmt ist. Im Bauordnungsrecht der Länder ist die wichtigste nachbarschützende Bestimmung die Abstandsflächenvorschrift (§ 6 MBO). Im Bauplanungsrecht werden als drittschützend (weil in ihren Auswirkungen räumlich weiter ausgreifend) vor allem die Vorschriften über die in einem Baubereich zulässigen Arten der baulichen Nutzung angesehen (vgl. insbesondere die Regelungen über die sog. typisierten Baugebietsarten in den §§ 2 bis 9 BauNVO), im Allgemeinen jedoch nicht die Bestimmungen über die zulässigen Ausmaße der baulichen Anlagen (§§ 16 bis 21a BauNVO). Aus dem Umweltschutzrecht werden im Wesentlichen nur die Vorschriften des Immissionsschutzes (vor allem bezüglich der Lärmbeschränkung und der Luftreinhaltung) als drittschützend beurteilt, wobei zu beachten ist, dass auch das Bundesbaurecht und das Bauordnungsrecht der Länder nicht geringe dahingehende Anforderungen aufweisen. Kann jemand (Grundstückseigentümer, Wohnungseigentümer, Erbbauberechtigter, ggf. auch Mieter oder Pächter) eine solche drittschützende Vorschrift als zu seinem Nachteil verletzt ins Feld führen, ist er klagebefugt. Ob er auch in der Sache Erfolg hat, hängt von der Prüfung aller entscheidungserheblichen Umstände des Falles ab. Dabei ist bedeutsam, dass das Verwaltungsgericht nur prüft, ob gegen eine dem Kläger zugute kommende drittschützende Vorschrift des öffentlichen Rechts verstoßen worden ist. Sollte das Bauvorhaben aus sonstigen Gründen unzulässig sein (etwa wegen Unvereinbarkeit mit nicht drittschützenden Regelungen der Vorschrift über die Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich, § 35 BauGB), so ist dies für die Entscheidung über den Rechtsbehelf des Nachbarn (Dritten) ohne Belang. Beispiel: Rügt der Nachbar beispielsweise unzutreffend, dass der Eigentümer bei dem Bau seines Wohnhauses die Abstandsflächen nicht einhalten würde, übersteigt sein Gebäude
124
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
jedoch die im Bebauungsplan festgesetzte Höhe, so ist der Nachbar klagebefugt, da § 6 MBO drittschützend ist. In der Sache würde er aber keinen Erfolg haben, da § 6 MBO nicht verletzt ist und die festgesetzte Höhe hingegen nicht drittschützend ist. In baurechtlichen Nachbarstreitigkeiten sind die Vorschriften über den einstweiligen Rechtsschutz von besonderer Bedeutung. An sich haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO). Da diese Rechtsbehelfe von Nachbarn in Bausachen aber vielfach nur mit dem Ziel eingelegt wurden, den Beginn oder die Fortsetzung von Baumaßnahmen zu unterbinden, ohne dass letztlich eine Rechtsverletzung festgestellt werden konnte, ist nunmehr im Bundesbaurecht mit Geltung für das gesamte öffentliche Baurecht bestimmt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung (also insbesondere der Baugenehmigung) eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung haben (§ 212a Abs. 1 BauGB). Der Dritte kann allerdings bei der Baugenehmigungs- oder der Widerspruchsbehörde die Aussetzung der Vollziehung beantragen (§§ 80a Abs. 1 Nr. 2,§ 80 Abs. 4 VwGO). Weiterhin kann er bei dem Gericht der Hauptsache, ohne dass diese schon anhängig sein muss, den Antrag anbringen, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (§§ 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO). 2.1.12.4
Schadenshaftung der Bauaufsichtsbehörden und Gemeinden bei Amtspflichtverletzungen in Bausachen
Dem Rechtsschutz ist auch die Schadenshaftung der Bauaufsichtsbehörden und Gemeinden bei Amtspflichtverletzungen in Bausachen zuzurechnen, die in der Praxis eine nicht geringe Bedeutung hat. Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes schuldhaft die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so ist dem Dritten dafür Schadensersatz zu leisten. Die Verantwortlichkeit trifft grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Schadensverursacher steht (§ 839 BGB, Art. 34 GG). Zu der Frage, wann Vorschriften des öffentlichen Baurechts für denjenigen, der sie in amtlicher Eigenschaft anzuwenden hat, eine Amtspflicht „einem Dritten gegenüber“ begründen, gibt es eine reichhaltige höchstrichterliche Rechtsprechung, die sehr differenziert ist, der aber doch einige Grundlinien entnommen werden können: Da die materiellrechtlichen Vorschriften des Bundes- und Landesbaurechts in erster Linie dem Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen, stellt sich ihre Anwendung grundsätzlich nicht als Amtspflicht gegenüber einem Bauantragsteller dar. Diese Vorschriften (etwa betreffend die einzuhaltenden Abstände, die Standsicherheit und den Brandschutz) sind nicht dazu bestimmt, den Bauantragsteller vor finanziellen Nachteilen zu bewahren. Ihn bzw. den von ihm zu beauftragenden Entwurfsverfasser (einschließlich Statiker) trifft die Verantwortlichkeit dafür, dass die Bauunterlagen (Lageplan, Planzeichnungen, Standsicherheitsberechnungen usw.) den rechtlichen und bautechnischen Anforderungen entsprechen (deren Beachtung nach den Vereinfachungsbestimmungen in den Landesbauordnungen von den Bauaufsichtsbehörden zum großen Teil nicht mehr geprüft wird). Dagegen ergeben sich aus den landes- und bundesbaurechtlichen Verfahrensvorschriften Amtspflichten der Bauaufsichtsbehörden und der Gemeinden gegenüber den Bauantragstellern und ggf. auch gegenüber sonstigen Personen. Dies gilt als Erstes für die in allen Landesbauordnungen enthaltene Bestimmung, dass die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Hieraus folgt die Amtspflicht der Bauaufsichtsbehörden gegenüber dem Bauantragsteller, eine rechtmä-
2.1 Öffentliches Bau- und Planungsrecht
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ßige Baugenehmigung zu erteilen, auf deren Bestandskraft der Bauantragsteller vertrauen können muss. Wird eine Baugenehmigung auf Widerspruch oder Klage eines Nachbarn (Dritten) hin wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben, weil von der Bauaufsichtsbehörde öffentlich-rechtliche Vorschriften (schuldhaft) nicht richtig angewendet worden sind, und entsteht daraus dem Bauantragsteller ein Vermögensschaden, so haftet die Bauaufsichtsbehörde. Entsprechendes gilt, wenn auf eine Bauvoranfrage hin ein positiver Bauvorbescheid erteilt wird, der der rechtlichen Überprüfung im Widerspruchsverfahren oder Verwaltungsprozess aus Gründen, die der Bauaufsichtsbehörde vorgeworfen werden können, nicht standhält. In die Amtspflicht einbezogen kann in diesem Fall auch jemand sein, der ein Grundstück im Vertrauen auf den Inhalt eines positiven Bauvorbescheids zu Baulandpreisen erwirbt, seine Bauabsichten jedoch nicht verwirklichen kann. Dagegen kann die Ablehnung der Bauaufsichtsbehörde, die beantragte Baugenehmigung oder den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen, für sich gesehen nicht zum Anlass für eine Schadensersatzklage aus Amtspflichtverletzung genommen werden, auch wenn die Ablehnung auf einem schuldhaften Rechtsverstoß beruht. Gegen diesen Rechtsnachteil kann und muss sich der Antragsteller mit den ihm nach dem Verwaltungsprozessrecht eröffneten Möglichkeiten des Widerspruchs und der Klage (ggf. auch der Berufung und der Revision) wehren. Hat allerdings die rechtswidrige Versagung einer Baugenehmigung zur Folge, dass sie aufgrund eines Urteils im Verwaltungsstreitverfahren erst nach längerer Zeit (nicht selten erst nach mehreren Jahren) erteilt wird und ist dem Bauantragsteller dadurch ein Vermögensschaden erwachsen, so kann er ihn nach den Amtshaftungsvorschriften ersetzt verlangen. Diese Rechtsfolge kann auch schon eintreten, wenn die Bauaufsichtsbehörde über einen Baugenehmigungsantrag erst mit unangemessener Verzögerung entscheidet. Eine Amtshaftung von Gemeinden kommt in Frage, wenn sie am Baugenehmigungs- oder Bauvoranfrageverfahren beteiligt werden und dabei eine unrichtige Stellungnahme abgeben oder fehlerhafte Entscheidung treffen, aufgrund deren die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung rechtswidrig verweigert. Am häufigsten sind in dieser Hinsicht die Fälle des erforderlichen, aber unrechtmäßig abgelehnten Einvernehmens (vgl. § 36 BauGB). An diese Ablehnung ist die Bauaufsichtsbehörde gebunden, auch wenn sie sie als rechtsfehlerhaft erachtet. Kann jedoch das rechtswidrig versagte Einvernehmen der Gemeinden durch die nach Landesrecht zuständige Behörde ersetzt werden (§ 36 Abs. 2 S. 3 BauGB), so besteht keine den Bauherrn schützende Amtspflicht und ein Anspruch gegen die Gemeinde scheidet aus. 2.1.12.5
Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus städtebaulichen Verträgen
Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus städtebaulichen Verträgen (§ 11 BauGB) können in der Gestalt von Feststellungs- oder Leistungsklagen den Gerichten zur Entscheidung vorgelegt werden. Obwohl sich die Regelungen über die städtebaulichen Verträge im Bundesbaurecht und damit im öffentlichen Recht befindet, müssen nicht alle städtebaulichen Verträge dem öffentlichen Recht zuzurechnen sein. Es hängt daher von ihrem jeweiligen Inhalt ab, ob für die Streitigkeiten die Verwaltungsgerichte (§ 40 Abs. 1 BauGB) oder die Zivilgerichte (§ 13 GVG) zuständig sind. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem oder zivilrechtlichem Vertrag sind Gegenstand und Zweck des Vertrags. Es kommt darauf an, ob der Streitgegenstand eine unmittelbare Folge des öffentlichen Rechts oder des Zivilrechts ist. So wird etwa für Baulandsicherungsverträge zwischen Grundeigentümern und Gemeinden angenommen, dass sie dem Zivilrecht zuzuordnen sind. Auf der anderen Seite sind die Durchführungsverträge, ohne deren Abschluss ein vorhabenbezogener Bebauungsplan nicht rechtswirk-
126
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
sam zustande kommen kann (vgl. § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB), grundsätzlich als öffentlichrechtlich zu beurteilen. Grundsätzlich deshalb, weil in einem Durchführungsvertrag, wie überhaupt in einem städtebaulichen Vertrag, auch Gegenstände mitgeregelt werden können, die dem Zivilrecht angehören. Dies kann zur Folge haben, dass über verschiedene Streitgegenstände, die sich aus einem städtebaulichen Vertrag ergeben können, einerseits die Verwaltungsgerichte und andererseits die Zivilgerichte zu befinden haben. Ob die Klage bei einem Verwaltungsgericht oder einem Zivilgericht (Amtsgericht oder Landgericht) erhoben wird, ist vor allem unter dem folgenden Gesichtspunkt von praktischer Bedeutung: In der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht im ersten Rechtszug vor dem Verwaltungsgericht kein Anwaltszwang (§ 67 Abs. 1 VwGO). Erst vor dem Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) und dem Bundesverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen (vgl. § 67 Abs. 4, Abs. 2 VwGO). In der Zivilgerichtsbarkeit müssen sich die Parteien vor den Landgerichten (und damit auch vor den Kammern für Baulandsachen) und vor allen Gerichten des höheren Rechtszugs durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 78 ZPO). Kein Anwaltszwang besteht vor den Amtsgerichten, die jedoch nur bis zu einem Streitwert von 5000 € zuständig sind (§ 23 GVG), der in Baurechtsstreitigkeiten durchweg überschritten wird. Verweist das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten an ein Zivilgericht oder umgekehrt und wird diese Entscheidung unanfechtbar, so ist sie für das Gericht, an das verwiesen worden ist, verbindlich, auch wenn dieses Gericht die Verweisung für rechtlich unzutreffend erachtet (vgl. § 17a Abs. 1 GVG).
2.2
Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht Jürgen Kühling
2.2.1
Vergaberecht†
2.2.1.1
Einführung
In allen Immobilienprojekten unter Beteiligung der öffentlichen Hand, und sei es auch nur, dass diese für die Projektverwirklichung Grundstücke oder Förderzahlungen bereit stellt, ist eine Prüfung indiziert, ob eine Ausschreibungspflicht besteht und sodann der Rigor des Vergaberechts Anwendung findet. Oberhalb bestimmter Summen von derzeit 5 Mio. € für Bauleistungen und 200.000 € für Dienstleistungen (etwa die Beauftragung von Architekten) finden dann die besonders strengen europarechtlichen Vorgaben Anwendung, die insbesondere eine europaweite Ausschreibung verlangen. Unterhalb jener Schwellenwerte greifen hingegen teils „lockerere“ nationale Vergaberegeln, die sodann im jeweiligen Landesrecht der Bundesländer teils unterschiedlich ausgestaltet sind. In der Sache gilt jedoch auch insoweit, dass ein transparentes, diskriminierungsfreies und offenes Ausschreibungsverfahren durchzuführen ist, wenn das Projekt nicht durch anschließende Nachprüfungsverfahren gefährdet werden soll. Da gerade die formalisierten europaweiten Vergabeverfahren durch strenge Fristvorgaben einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist die „vergaberechtliche Risikoprüfung“ schon zu einem †
Der Beitrag geht in Teilen zurück auf Kühling/Lehmberg, Das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe nach der GWB-Reform 2009, JURA 2009, S. 835–843 (dort auch zahlreiche Nachw.).
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
127
sehr frühen Projektzeitpunkt zu empfehlen. Dabei stellen sich letztlich drei Fragen: Besteht eine Ausschreibungspflicht (dazu ausführlich Kap. 2.2.1.3)? Wie muss ausgeschrieben werden (Kap. 2.2.1.4)? Welche Risiken bestehen im Fall eines Verstoßes gegen die Ausschreibungspflichten bzw. das Vergaberecht (Kap. 2.2.1.5)? Sinn und Zweck der Vergaberegeln ist dabei aus traditioneller nationaler Sicht der Schutz der öffentlichen Haushalte: Es soll also der wirtschaftlichste Anbieter mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis identifiziert werden. Mittelbar erfolgt damit zugleich eine Korruptionsbekämpfung. Aus europarechtlicher Sicht ist ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren v. a. deshalb gefordert, weil so ein fairer europaweiter Wettbewerb erfolgen kann. Es soll also nicht automatisch der „Haus- und Hof-Architekt“ der Kommune zum Zuge kommen, auch wenn dieser sich durchaus bewährt haben mag. Vielmehr soll ein entsprechender Wettbewerb um die Auswahl des besten Anbieters erfolgen und damit auch ein (EU-)ausländisches Unternehmen zum Zuge kommen können. 2.2.1.2
Kaskadensystem als Herausforderung für den Rechtsanwender
Die europarechtliche Überformung, aber auch die traditionell geprägte nationale Vergaberechtssystematik machen dem Anwender die Durchdringung des Vergaberechts nicht unbedingt leicht. Es greift ein sogenanntes „Kaskadensystem“. D. h., der Rechtsanwender muss beim Überschreiten der eingangs geschilderten Schwellenwerte (unter Beachtung der europarechtlichen Vorgaben) „über“ den vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabeverordnung (VgV) die sogenannten EG-§§ der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) im Falle einer Bauleistung bzw. der Vergabeund Vertragsordnung für Leistungen (VOL) im Falle einer Lieferleistung und im Übrigen die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) für freiberufliche Dienstleistungen beachten. Für das so geschaffene System von Gesetz, Rechtsverordnung und Vergabe- und Vertragsordnungen hat sich die Bezeichnung „Kaskadenprinzip“ herausgebildet. Unterhalb der Schwellenwerte gilt für die Vergabe öffentlicher Aufträge hingegen nach wie vor das nationale Haushaltsrecht. Aber auch dieses führt zur Anwendung der Vergabe- und Vertragsordnungen VOB, VOL und VOF, allerdings nur im Rahmen der sogenannten Basisparagrafen jener Bestimmungen. Zwar müssen danach die Auftragsvergaben nicht zwingend europaweit bekannt gemacht werden. Aber auch sie unterliegen gewissen Transparenz- und Verfahrensanforderungen, um einen schonenden Einsatz von Haushaltsmitteln zu gewährleisten. Im Übrigen ergibt sich unabhängig von den Vorgaben aus dem einfach-gesetzlichen Vergaberecht aus den allgemeinen Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Pflicht, Vergabeverfahren transparent, diskriminierungsfrei und offen durchzuführen. Das gilt jedenfalls, wenn der entsprechende Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug und damit eine Binnenmarktrelevanz aufweist. Das ist in Grenzregionen auch deutlich unterhalb der Schwellenwerte der Fall oder auch dann, wenn diese ungefähr erreicht werden und ein Interesse ausländischer Anbieter denkbar ist. Damit sind folgende Rechtsquellen für das Vergaberecht in der Immobilienwirtschaft relevant:
oberhalb der Schwellenwerte: – auf europäischer Ebene: • das EU-Sekundärrecht bestehend aus der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (VKR) aus dem Jahr 2004, welche die materiell-rechtlichen Teile regelt, abgesehen von den besonderen Daseinsvorsorgesektoren, die in der Sektorenkoordinierungsrichtlinie 2004/17/EG (SKR) ebenfalls aus dem Jahre 2004, geregelt sind, sowie die darauf bezogenen
128
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft •
Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EGW und 92/13/EGW, die zuletzt durch die RL 2007/66/EG überarbeitet wurden und Vorgaben zum Rechtsschutzsystem enthalten und • die Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 für die Festlegung der Schwellenwerte, – auf nationaler Ebene: • das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (GWB), das die wesentlichen materiell-rechtlichen Vergaberegeln, das Vergabeprozessrecht und in großen Teilen die Definition des Anwendungsbereichs des Vergaberechts enthält, • die darauf basierende Vergabeverordnung (VgV), die vor allem die Schwellenwerte fixiert, und • die EG-§§ der VOB/A und der VOL/A sowie der VOF und ferner • die Sektorenverordnung ausschließlich für die Sektoren unterhalb der Schwellenwerte: – auf europäischer Ebene: • die EU-Grundfreiheiten – auf nationaler Ebene: • das Haushaltsrecht auf Bundes- bzw. Landesebene • die VOB/A (Basisparagrafen) und die VOF Anwendbares Recht in grafischer Übersicht EU-Grundfreiheiten EU-Vergaberichtlinien ausgenommene Austauschverhältnisse
nationale Ebene: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) „KartellvergabeR“ Vergabeverordnung (VgV) Vertrags- und Verdingungsordnungen (EG-§§ in VOB/A und VOL/A + VOF)
< 5.000.000 € (Bauaufträge)
Schwellenwerte
< 130.000 € bzw. 200.000 € (Dienstleistungs- / Lieferaufträge)
Dienstleistungskonzessionen (z.B. Betrieb eines Parkplatzes)
Verkauf von Gebäuden oder Grundstücken
Basis-§§ der VOB/A, VOL/A + VOF Wertgrenzen < 100.000 € < 1.000.00(0) € Haushaltsrecht, teilweise Basis-§§ der VOB/A, VOL/A + VOF
Binnenmarktrelevanz
Abb. 2.17: Anwendbares Recht in graphischer Übersicht
etc.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht 2.2.1.3
129
Besteht eine (europaweite) Ausschreibungspflicht?
Im Rahmen einer ersten Projektbewertung stellt sich also vor allem die Frage nach einer (europaweiten) Ausschreibungspflicht. Vier „Unterfragen“ müssen allesamt bejaht werden, damit eine europaweite Ausschreibungspflicht vorliegt: 1. Handelt ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB (dazu Kap. 2.2.1.3.1)? 2. Liegt ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB vor (dazu Kap. 2.2.1.3.2)? 3. Ist der Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 GWB i. V. m. § 2 VgV und der Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 erreicht (dazu Kap. 2.2.1.3.3)? 4. Greift keiner der Ausnahmetatbestände, auf die § 100 Abs. 2 GWB verweist (dazu Kap. 2.2.1.3.4)? Nur wenn diese vier Voraussetzungen alle zusammen, also kumulativ, vorliegen, ist die Durchführung eines entsprechenden Vorhabens am Rigor des Kartell-Vergaberechts auszurichten. 2.2.1.3.1
Handelt ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB?
Einer Ausschreibungspflicht unterliegen nur diejenigen Akteure, die als öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB zu qualifizieren sind. Schwierigkeiten birgt hier der Umstand, dass eben nicht nur „klassische“ öffentliche Entitäten wie Bund, Land und Kommunen als öffentliche Auftraggeber zu qualifizieren sind, sondern dass ein weiter und funktional zu verstehender Auftraggeberbegriff greift. Entscheidend ist also, ob der Akteur öffentliche Aufgaben unter hoheitlicher Einflussnahme erbringt, und nicht unbedingt die rechtliche Handlungsform. Auch Vergabestellen, die formal gesehen nicht dem Staat zuzuordnen sind, können damit unter Umständen dem Vergaberegime unterstehen. Das führt in der Beratungstätigkeit und in der praktischen Anwendung des Vergaberechts oftmals zu unangenehmen „Überraschungen“, wenn etwa bestimmte Projektgesellschaften einer Ausschreibungspflicht unterliegen, weil ihr Projekt überwiegend öffentlich finanziert wird. 2.2.1.3.1.1
Die klassischen öffentlichen Auftraggeber (§ 98 Nr. 1 GWB)
§ 98 Nr. 1 GWB nennt zunächst Gebietskörperschaften und Sondervermögen als die klassischen öffentlichen Auftraggeber. Gebietskörperschaften sind insbesondere der Bund, die Länder und die Kommunen (Gemeinden, aber auch Landkreise etc.), die etwa eine Autobahn bauen, ein Hochwasserschutzsystem errichten oder eine Schule renovieren lassen. Als Sondervermögen sind solche hoheitlichen Entitäten zu verstehen, die über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen, aber haushalterisch und organisatorisch von den übrigen Verwaltungseinheiten getrennt sind. Das sind etwa Ministerien oder ein kommunales Wohnungsunternehmen, das als unselbstständiger kommunaler Eigenbetrieb agiert. 2.2.1.3.1.2
Zu besonderen Zwecken gegründete juristische Personen (§ 98 Nr. 2 GWB)
Eine erste Erweiterung hierzu bringt § 98 Nr. 2 GWB, der auch juristische Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts in den Auftraggeberbegriff einbezieht, sofern diese zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Voraussetzung ist jedoch, dass sie von Gebietskörperschaften oder deren Verbänden überwiegend finanziert oder hinreichend kontrolliert werden. Hintergrund dieser Vorschrift ist es nicht zuletzt, zu verhindern, dass die öffentliche Hand Aufträ-
130
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
ge am Vergaberecht „vorbei“ über entsprechend privatrechtlich organisierte Unternehmen abwickelt. Damit ist etwa eine als GmbH geführte städtische Wohnungsbaugesellschaft, die Wohnraum bauen lässt, genauso Adressatin des Vergaberechts wie die dahinter stehende Kommune selbst. Die nähere Anwendung dieser Vorschrift bereitet jedoch angesichts der zahlreichen komplexen Rechtsbegriffe, die sie enthält, nach wie vor große Schwierigkeiten in der Praxis und Rechtsprechung. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wann ein besonderer Zweck vorliegt und wann eine Aufgabe nichtgewerblicher Art gegeben ist, die im Allgemeininteresse liegt. Entscheidend ist, dass kein rein privater Zweck verfolgt wird, sondern eine Bedeutung für das öffentliche Wohl besteht. Das kann etwa bei einer Projektgesellschaft zum Bau eines Fußballstadions für eine Stadt der Fall sein. Die Nichtgewerblichkeit einer entsprechenden Aufgabe entfällt nicht bereits, wenn die betreffenden Unternehmen im Wettbewerb stehen. Entscheidend ist vielmehr, dass jedenfalls ein im Vergleich zur klassischen Privatwirtschaft reduzierter Wettbewerbsdruck vorliegt, so dass auch eine vergaberechtliche Kontrolle der Beschaffungstätigkeit erforderlich ist. Damit ist ein relevanter Anteil von Auftraggebern in der Immobilienwirtschaft dem Vergaberecht unterworfen, etwa im Gesundheitswesen öffentliche Krankenhäuser oder medizinische Forschungseinrichtungen, im sozialen Bereich Kindergärten oder Kurmittelbetriebe, im Kultursektor z. B. Museen oder Theater, im Sportbereich Schwimmbäder oder Sporteinrichtungen; ferner im Bildungs- und Wissenschaftsbereich die Universitäten, Hochschulen, aber auch Volkshochschulen oder Studentenwerke, im Bauwesen und in der Wohnungswirtschaft etwa soziale Wohnungsbaugesellschaften etc. Im Verkehrsbereich sind die Flughäfen erfasst, die nach wie vor (ganz überwiegend) von Bund, Ländern und Kommunen gesteuert werden. Auch die DB Netz AG ist angesichts der staatlichen Aufgabe, die dieses Unternehmen wahrnimmt, anders als die übrigen Gesellschaften der DB AG, öffentliche Auftraggeberin nach § 98 Nr. 2 GWB. Im Bankensektor sind nach wie vor die Landesbanken als öffentliche Auftraggeber zu qualifizieren. Im allgemeinen wirtschaftlichen Bereich werden etwa kommunale Messegesellschaften erfasst. Die besondere Nähe zu den klassischen öffentlichen Auftraggebern kommt im Übrigen regelmäßig darin zum Ausdruck, dass eine überwiegende staatliche Finanzierung der Einrichtung erfolgt. Das ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei der Bereitstellung von mehr als 50 % der Kapitalausstattung des Unternehmens der Fall. Alternativ greift die Norm auch, wenn die staatliche Kontrolle über die Leitungsstruktur oder die Zusammensetzung der Organe gewährleistet wird, etwa indem die Geschäftsführung einer GmbH oder der Vorstand einer AG im Wesentlichen von der öffentlichen Hand bestimmt wird. Die Beherrschung kann dabei auch über Tochter- und Enkelgesellschaften herbeigeführt werden. Nicht erfasst werden hier – die für die Bautätigkeit durchaus relevanten – katholischen und evangelischen Religionsgemeinschaften, da die Finanzierung durch die Kirchensteuer eine unabhängige Mittelzufuhr darstellt, auch wenn sie vom Staat eingezogen wird. Eine überwiegend staatlich finanzierte Schule in kirchlicher Trägerschaft unterliegt jedoch wiederum dem Vergaberecht nach § 98 Nr. 5 GWB. Sehr wohl erfasst werden nach der Rechtsprechung des EuGH auch öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten, trotz der rundfunkrechtlich gebotenen Staatsferne. Denn die hoheitlich festgesetzte und organisierte Gebührenfinanzierung wird hier einer staatlichen Finanzierung gleichgesetzt.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht 2.2.1.3.1.3
131
Verbände öffentlicher Auftraggeber (§ 98 Nr. 3 GWB)
Den öffentlichen Auftraggebern nach § 98 Nr. 1 und 2 GWB gleichgestellt werden sodann in § 98 Nr. 3 sinnvollerweise auch Verbände, deren Mitglieder entsprechende öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 und 2 GWB sind. Sind die Mitglieder öffentliche Auftraggeber, kann eine Auftraggebereigenschaft also nicht dadurch umgangen werden, dass diese einen eigenständigen Verband gründen. Auf diesem Wege sind beispielsweise Zweckverbände oder Kommunalverbände als öffentliche Auftraggeber erfasst. Das sind etwa Verkehrsverbünde oder Abfall-Zweckverbände, die kommunalen Spitzenverbände (Deutscher Städtetag etc.), aber auch Sonderfälle wie der Lippeverband in Nordrhein-Westfalen. 2.2.1.3.1.4
Sektorenauftraggeber (§ 98 Nr. 4 GWB)
Entsprechend den Vorgaben aus der Sektorenkoordinierungsrichtlinie (SKR) werden in § 98 Nr. 4 GWB staatlich beherrschte, aber eben auch private Unternehmen (!) dem Vergaberecht unterworfen, sofern sie auf dem Gebiet bestimmter Sektoren tätig werden. Hintergrund dieser Richtlinie und ihrer Umsetzung in nationales Recht ist der Gedanke, dass in bestimmten monopolistisch geprägten Wirtschaftsbereichen die dort agierenden Unternehmen einer vergaberechtlichen Kontrolle unterworfen werden müssen, da hier eine Kontrolle durch den Wettbewerb nicht hinreichend erfolgt. Wenn in diesen Bereichen also beispielsweise Bauaufträge vergeben werden, unterliegen sie vergaberechtlichen Anforderungen. Allerdings ergeben sich bestimmte Erleichterungen, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die fortschreitende Liberalisierung und Regulierung in den Sektoren Wettbewerbselemente eingeführt hat. So können Sektorenauftraggeber etwa das Ausschreibungsverfahren frei wählen. Nähere Einzelheiten ergeben sich aus der Sektorenverordnung. Teilweise wurden die liberalisierten Sektoren auch ganz aus dem Vergaberecht entlassen. So konnte die Telekommunikation (und auch der Postsektor) ganz aus dem Anwendungsbereich des § 98 Nr. 4 GWB gestrichen werden, da sich hier inzwischen ein lebhafter Wettbewerb entfaltet hat. Erfasst sind nach wie vor noch die Daseinsvorsorgebereiche der Trinkwasser- und Energieversorgung sowie der Verkehrssektor. Diese Bereiche werden in einer Anlage zum GWB näher ausdifferenziert. Voraussetzung einer Unterwerfung unter den Rigor des Vergaberechts ist allerdings, dass ein besonderes oder ausschließliches Recht gewährt wird. Derartige Rechte behalten die Ausübung bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten einem einzelnen oder mehreren bestimmten Unternehmen vor. Im Energiesektor genügen insoweit Enteignungen nach § 45 EnWG oder einfache Wegerechte nach § 46 Abs. 1 EnWG nicht, sehr wohl jedoch die Konzessionen auf Verteilernetzebene nach § 46 Abs. 2, 3 EnWG. Letzteres ist allerdings nicht unumstritten. So wird teilweise darauf abgestellt, ob die Konzessionsvergabe bereits in einem diskriminierungsfreien Wettbewerb vergeben wurde. Dann soll die Auftraggebereigenschaft im Anschluss für den Konzessionsnehmer entfallen. Je nachdem unterliegen die lokalen Energienetzbetreiber dem Vergaberecht. Im Trinkwasserbereich ist das Vorliegen ausschließlicher Rechte angesichts des Anschluss- und Benutzungszwangs in jedem Fall anzunehmen. Aber auch Flughafenbetreiber werden erfasst. So sind entsprechende Beschaffungsaktivitäten (etwa beim Bau einer Startbahn oder eines weiteren Terminals) auch hier ausschreibungspflichtig. Angesichts der zweiten Alternative eines staatsnahen Sektorenauftraggebers aufgrund eines entsprechenden beherrschenden öffentlichen Einflusses ergeben sich Überlappungen mit § 98 Nr. 2 GWB. Dieses Problem hat sich allerdings durch die Sektorenverordnung erledigt, die für alle Auftraggeber im Rahmen der Erbringung entsprechender Sektorentätigkeiten greift.
132 2.2.1.3.1.5
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Durch projektbezogene Subventionen begründete Auftraggebereigenschaft (§ 98 Nr. 5 GWB)
Gerade für die Immobilienwirtschaft relevant ist ferner § 98 Nr. 5 GWB. Diese Norm qualifiziert private und bestimmte öffentliche Stellen als Auftraggeber, wenn sie bei der Durchführung bestimmter Baumaßnahmen und damit in Verbindung stehender Dienstleistungen überwiegend öffentlich finanziert werden. Als Geldgeber werden die in § 98 Nr. 1 – 3 GWB genannten Einrichtungen erfasst. Sinn und Zweck der Vorschrift ist auch insoweit, eine Umgehung der Anwendung des Vergaberechts durch die Einschaltung privater Projektträger als subventionierte Entitäten zu verhindern. Die Schwelle liegt bei einer Finanzierung der Maßnahme von mehr als 50 % (in Abgrenzung zur Finanzierung des Unternehmens zu 50 %, vgl. oben Kap. 2.2.1.3.1.2. a.E.). Der Subventionsbegriff kann dabei analog zum EUBeihilfenrecht verstanden werden (dazu unten Kap. 2.2.2.3.1.). Es kommt also darauf an, ob einer Leistung keine angemessene Gegenleistung gegenübersteht. Ob die Vorteile durch direkte Geldzahlungen, Bürgschaften oder Darlehen zu marktunüblichen Konditionen, Grundstücksübertragungen o. ä. gewährt werden, ist irrelevant. Damit wird aber der Fall eines Generalübernehmers, der sich im Ausschreibungswettbewerb durchgesetzt hat und marktübliche Leistungen erbringt (bzw. arrangiert), gerade nicht erfasst. Entscheidend sind im Übrigen die projektbezogenen Subventionen und nicht institutionelle Subventionen. Als relevante Baumaßnahmen nennt § 98 Nr. 5 GWB vor allem Infrastrukturprojekte wie Tiefbaumaßnahmen (also Brücken, Autobahnen etc.) und die Errichtung bestimmter zweckgebundener Immobilien wie insbesondere Krankenhäuser, Sport-, Erholungs- und Freizeiteinrichtungen sowie (Hoch-)Schul- oder Verwaltungsgebäude. 2.2.1.3.1.6
Baukonzessionäre (§ 98 Nr. 6 GWB)
Durch § 98 Nr. 6 GWB werden zu guter Letzt die ausschließlich für die Immobilienwirtschaft relevanten so genannten Baukonzessionäre dem Vergaberegime unterstellt. Entscheidend ist hier, dass als Gegenleistung seitens der öffentlichen Hand ein bestimmtes Nutzungsrecht an der Nutzung der zu erstellenden baulichen Anlage (neben einer etwaigen Geldzahlung) eingeräumt wurde, also ein Fall des § 99 Abs. 6 GWB (siehe dazu unten Kap. 2.2.1.3.2.5.4) vorliegt. Während bereits jener erste Schritt der Erteilung einer Baukonzession ausschreibungspflichtig ist, geht es bei § 98 Nr. 6 GWB um den zweiten Schritt der anschließenden Unterauftragsvergabe an Dritte. Insoweit wird der Baukonzessionär als öffentlicher Auftraggeber qualifiziert. Damit wird auch dieser Schritt ausschreibungspflichtig. So soll die Möglichkeit des weitgehenden Ausschlusses der Anwendung vergaberechtlicher Regelungen für die nachfolgenden Beauftragungsverhältnisse seitens des Baukonzessionärs und eine diesbezügliche Umgehung des bzw. „Flucht“ aus dem Vergaberecht verhindert werden. Letztlich wird der Baukonzessionär dann jedoch nur einer Bekanntmachungspflicht unterworfen. Nur wenn er zugleich unter die Ziffern 1 sowie 3 bis 5 des § 98 GWB fällt, muss er auch die übrigen Vergabevorschriften beachten(vgl. § 22 EG Abs. 3 VOB/A). 2.2.1.3.2
Liegt ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB vor?
Ist die Frage geklärt, ob die beschaffende Stelle unter das Vergaberecht fällt, ist als Nächstes zu prüfen, ob überhaupt ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag vorliegt. Dieser wird in § 99 Abs. 1 GWB näher definiert. Nach jener Vorschrift sind öffentliche Aufträge „entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaf-
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
133
fung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, Baukonzessionen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen“. Damit stellen sich wiederum fünf Unterfragen: 1. Liegt ein Vertrag vor (Kap. 2.2.1.3.2.1)? 2. Ist dieser entgeltlich (Kap. 2.2.1.3.2.2)? 3. Hat der Vertrag eine Beschaffungstätigkeit zum Gegenstand (Kap. 2.2.1.3.2.3)? 4. Liegt eine von der Auftraggeberin verschiedene Person als Vertragspartnerin vor (Kap. 2.2.1.3.2.4)? 5. Sind diese notwendigen Anforderungen erfüllt, ist unter Bezug auf die Frage nach der Beschaffungstätigkeit schließlich zu prüfen, was genau beschafft wird. Welcher Auftragsgegenstand liegt also vor (Kap. 2.2.1.3.2.5.)? Diese letzte Frage ist insoweit wichtig, als für die unterschiedlichen Auftragsgegenstände unterschiedliche Schwellenwerte greifen (dazu unten Kap. 2.2.1.3.3). 2.2.1.3.2.1
Liegt ein Vertrag vor?
Erste Anforderung ist demnach der Abschluss eines Vertrages zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, also Angebot und Annahme mit einer Einigung über die wesentlichen Inhalte eines Austauschverhältnisses. Das Europarecht verlangt in Art. 1 Abs. 2 Buchstabe a VKR sinnvollerweise explizit, dass dieser Vertragsschluss auch schriftlich zu erfolgen hat. Im GWB ist das nicht ausdrücklich geregelt. Letztlich folgt das aber schon aus der Transparenzverpflichtung des § 97 Abs. 1 GWB, da nur so eine angemessene Dokumentation und anschließende Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Vergabe möglich ist. Dann sollte aber auch die Zuschlagserteilung schriftlich erfolgen, um auch insoweit eine angemessene Dokumentation zu ermöglichen – auch mit Blick auf etwaige Fristen, die nach dem Zuschlag zu laufen beginnen. Durch die Verfahrensanforderungen (dazu unten Kap. 2.2.1.4) wird im Übrigen eine Verschriftlichung schon beginnend mit den Ausschreibungsunterlagen initiiert. Der Vertrag kann sodann sowohl privatrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur sein – etwa im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages nach § 11 BauGB. 2.2.1.3.2.2
Ist der Vertrag entgeltlich?
Damit der Rigor des Vergaberechts zur Anwendung gelangt, muss eine Entgeltlichkeit des Vertrages vorliegen. Das leuchtet vor dem Hintergrund sowohl des haushalterischen als auch des wettbewerblichen Schutzzwecks des Beschaffungsrechts ein: Errichtet etwa ein Stifter nach den Vorstellungen der öffentlichen Hand unentgeltlich ein Museumsgebäude für moderne Kunst für diese, bedarf es nicht der Schaffung von Wettbewerb und des Schutzes der öffentlichen Haushalte. An diesem Beispiel wird jedoch zugleich deutlich, dass ein weiter Entgeltbegriff erforderlich ist. Denn erhält der Stifter etwa Grundstücke der öffentlichen Hand für die Realisierung des Museumsbaus und/oder weitere Gegenleistungen, die etwa eine Aufwertung der Stiftersammlung bedingen, und sichert sich zugleich auf einer Zeitschiene spätere Nutzungsrechte an seiner Sammlung, werden die Austauschverhältnisse komplexer und eine Entgeltlichkeit ist auch mit Blick auf die Verschaffung entsprechender Vorteile anzunehmen. Insoweit gilt ein dem EU-Beihilfenrecht vergleichbarer weiter Vorteilsbegriff (vgl. Kap. 2.2.2.3.1.). Dazu zählt auch ein marktunüblich niedriger Pachtzins für ein Grundstück oder der Verzicht der öffentlichen Hand auf die Erhebung der üblichen Erschließungsbeiträge. Irrelevant ist auch, ob diese Vorteile von einem Dritten (etwa einer anderen Gebietskörperschaft – beispielsweise vom Land) verschafft werden.
134 2.2.1.3.2.3
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Hat der Vertrag eine Beschaffungstätigkeit zum Gegenstand?
Mit der Vergaberechtsreform 2009 hat der Gesetzgeber im § 99 Abs. 1 GWB klargestellt, dass der Vertrag eine Beschaffungstätigkeit zum Gegenstand haben muss. Hintergrund dieser Klarstellung war eine hoch umstrittene Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, die seit Mitte 2007 erhebliche Verunsicherungen in der Immobilienbranche ausgelöst hatte. Das Gericht hatte in der Ahlhorn-Entscheidung festgestellt, dass auch der Verkauf eines Grundstücks ausschreibungspflichtig sein kann und in Folgeentscheidungen den Beschaffungsaspekt weit in den Hintergrund gerückt. Auch das typische Gebaren als Auftraggeber wurde nicht mehr verlangt. So forderte das Gericht nicht einmal eine Fixierung der Gegenleistung durch den Auftraggeber für die Annahme eines öffentlichen Auftrags. Schließlich hat das OLG Düsseldorf auch bloße städtebauliche Vorgaben im Rahmen des Verkaufsgeschäfts für die Bejahung eines ausschreibungspflichtigen Vorgangs genügen lassen. Nicht zuletzt aufgrund massiver Kritik in der Literatur sah sich der Gesetzgeber zur legislativen Klarstellung veranlasst, dass sehr wohl ein Beschaffungselement auf Seiten der öffentlichen Hand notwendig ist. So wurde auch vor dieser Rechtsprechungslinie überwiegend davon ausgegangen, dass der Verkauf von Grundstücken nicht dem vergaberechtlichen Rigor zu unterwerfen ist, auch wenn selbstverständlich eine diskriminierungsfreie transparente Verkaufstätigkeit zu marktüblichen Konditionen (auch aus EU-beihilfenrechtlichen Gründen, dazu Kap. 2.2.2.3.1.) als erforderlich angesehen wurde. Mit einer Entscheidung vom 25. März 2010 (Rs. C-451/08) hat der EuGH die Judikatur des OLG Düsseldorf mit klaren Worten zurückgewiesen. Danach gilt nun Folgendes: Der Verkauf eines Grundstücks ist ausschreibungspflichtig, wenn sich der Auftraggeber tatsächlich wie ein Auftraggeber verhält: Dazu muss er auf der Leistungsseite (1.) ein besonderes Interesse haben, (2.) den Auftragnehmer rechtsverbindlich verpflichten, die Leistung zu erbringen, und dies muss (3.) auch nach Erfordernissen des Auftraggebers erfolgen. Er muss also die Bauleistung definieren oder entscheidenden Einfluss auf sie ausüben. Eine Prüfung von bereits vorhandenen Bauplänen genügt ebenso wenig wie die Ausübung städtebaulicher Zuständigkeiten. Was das erste Erfordernis des besonderen Interesses anbelangt, ist hier der typische Fall, dass der Auftraggeber Eigentümer (etwa eines Verwaltungsgebäudes) wird. Es reicht jedoch auch ein Titel, der die Verfügbarkeit der Leistung gewährleistet, etwa wenn ein noch zu errichtendes Parkhaus gepachtet werden soll. Sonstige wirtschaftliche Vorteile (z. B. durch Einnahmen aus der Bewirtschaftung) genügen aber ebenso wie eine finanzielle Beteiligung (etwa durch die vergünstigte Bereitstellung eines Grundstücks) oder die Übernahme von Risiken (sei es auch nur durch die Übernahme von Bürgschaften). Auch auf der Gegenleistungsseite muss das typische Auftragnehmerverhalten vorliegen: Dieser erhält regelmäßig Geld, gegebenenfalls auch Konzessionseinnahmen (etwa aus der Bewirtschaftung des Parkhauses). Wird er allerdings Eigentümer des Grundstücks und errichtet dort mit eigenen Mitteln (ohne Förderung der öffentlichen Hand) ein Gebäude, scheidet die Einräumung eines Nutzungsrechts seitens des Auftraggebers schon denklogisch aus. Damit entfällt auch ein Auftrag und damit die Anwendung des GWB-Vergaberechts. Auch wenn in Randbereichen noch Unsicherheiten bleiben, die beispielsweise aus der Kombination von marktüblichen Grundstücksgeschäften der Kommune kombiniert mit Ansiedlungssubventionen einer anderen Körperschaft (wie dem Land) folgen können, sind damit klare Vorgaben geschaffen, die letztlich dem gesunden Menschenverstand entsprechen: Auftraggeber ist nur, wer sich auch wie ein Auftraggeber verhält, also eine Leistung definiert und finanziert.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
135
Die folgende Tabelle fasst die Anforderungen zusammen: Tab. 2.2: Beschaffungstätigkeit (bei Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand)
Leistung
Ausschreibungspflichtigkeit (+)
Interesse des öff. Auftraggebers (AG) und
AG wird Eigentümer und/oder AG erhält Titel, der Verfügbarkeit der Leistung sichert und/oder AG erhält wirtschaftliche Vorteile, ist finanziell beteiligt oder übernimmt Risiken
Ausschreibungspflichtigkeit (−) Erfüllung einer dem AG ansonsten obliegenden Aufgabe, die im allgemeinen Interesse liegt z. B. Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten
Verpflichtung Verpflichtung des AN rechtsverdes Auftragbindlich und einklagbar nehmers (AN) unerheblich, ob Leistung mit zur Leistung eigenen Mitteln oder durch Subunternehmer und
fehlender Vertragsschluss
Erfordernisse des AG
Definition der Bauleistung durch AG entscheidende Einflussnahme des AG
Prüfung von bereits vorhandenen, dem AG vorgelegten Bauplänen bloße Zuständigkeitsausübung durch AG
und Gegenleistung Geld oder Konzession
Verfügungsbefugnis des AG
Eigentum des AN kann kein Nutzungsrecht einräumen
2.2.1.3.2.4
AG
Liegt eine von der Auftraggeberin verschiedene Person als Vertragspartnerin vor?
Schließlich ist erforderlich, dass es sich beim öffentlichen Auftraggeber als Nachfrager und beim Unternehmen als Auftragnehmer um unterschiedliche Personen handelt. Der Hintergrund dieses Erfordernisses wird v. a. aus der Wettbewerbsperspektive deutlich: Nur wenn der Wettbewerb eröffnet wird, gibt es aus europarechtlicher Sicht einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu jenem Wettbewerb. Es gibt aber keinen Anspruch darauf, dass eine Beschaffung erfolgt. Aus der Perspektive der öffentlichen Hand formuliert: Sie ist frei in der Entscheidung, ob sie eine Leistung selbst erstellt oder diese am Markt beschafft („Make-or-buy-Entscheidung“). Entscheidet sie sich jedoch für eine Beschaffung am Markt, dann muss sie dies diskriminierungsfrei und transparent tun – also ausschreiben. Damit stellt sich angesichts der vielfältigen Organisationsformen der öffentlichen Hand die Frage, wann noch eine eigene Herstellung und wann schon eine Beschaffung am Markt anzunehmen ist. Diese Diskussion wird unter dem Titel der so genannten „In-House“Vergaben geführt. Der EuGH hat hier mittlerweile zwei sehr klare Kriterien entwickelt: Die Entität muss (1.) wie eine eigene Dienststelle kontrolliert werden und (2.) im Wesentlichen für die kontrollierende Stelle tätig werden. Damit führt die Beauftragung einer Entität, an der ein Privater, wenn auch nur in einem sehr geringen Umfang beteiligt ist, immer
136
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
zur Ausschreibungspflichtigkeit, da keine Kontrolle mehr wie über eine eigene Dienststelle möglich ist. Befindet sich die Person, etwa eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, dagegen zu 100 % im Eigentum der öffentlichen Hand, kann diese ohne Ausschreibung beauftragt werden. Dabei kann es sich auch um eine „Enkel- oder Schwestergesellschaft“ handeln oder um ein Unternehmen, an dem mehrere Kommunen (etwa im Rahmen einer Verbandsorganisation) beteiligt sind. Die interkommunale Zusammenarbeit ohne Einbindung Privater bleibt damit grundsätzlich ein ausschreibungsfreier Vorgang, auch wenn der Europäische Gerichtshof versucht, Umgehungen durch geschickt ausgestaltete Gesellschaftsverhältnisse zu unterbinden. Sämtliche „modernen Verwandtschaftsverhältnisse“ sind gleichwohl grundsätzlich erlaubt. Entscheidend ist jedoch in allen Fällen, dass das beauftragte Unternehmen im Wesentlichen für die öffentliche Hand tätig wird. So darf die 100 %ige städtische Wohnungsbaugesellschaft durchaus in Einzelfällen für sonstige Auftragnehmer tätig werden. Im Wesentlichen, d. h. regelmäßig zu mehr als 80 %, muss jedoch eine Tätigkeit für die spezifische öffentliche Auftraggeberin erfolgen, also für die Stadt. Ausschreibungspflichtig wird dann erst wieder die weitere Beschaffungstätigkeit durch die kommunale Wohnungsbaugesellschaft selbst, wenn diese also etwa Bauaufträge vergibt. Insoweit ist sie öffentliche Auftraggeberin (siehe Kap. 2.2.1.3.1). Die vorgelagerte Frage der Betrauung mit der Durchführung eines Projekts im öffentlichen Interesse – etwa die zügige Konzeption und Planung eines Olympischen Dorfes – darf dagegen ohne Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens zugunsten der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft beantwortet werden. 2.2.1.3.2.5
Welche Auftragsart liegt vor?
Das Vergaberecht erfasst nicht alle Arten denkbarer Vertragsinhalte. Vielmehr muss es sich um eine Beschaffung in Form von
Lieferaufträgen, § 99 Abs. 2 GWB, Bauaufträgen, § 99 Abs. 3 GWB, Dienstleistungsaufträgen, § 99 Abs. 4 GWB, Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen, § 99 Abs. 5 GWB, oder Baukonzessionen, § 99 Abs. 6 GWB, handeln. Anders als die Konzessionierung von Bauleistungen sind Dienstleistungskonzessionen – etwa zur Parkraumbewirtschaftung – nicht erfasst. Da sich durch die Einordnung eines bestimmten Beschaffungsvorhabens unter eine der in § 99 GWB genannten Auftragsarten die Anwendung der passenden Vergabe- und Vertragsordnung und der relevanten Schwellenwerte bestimmt, ist die Typisierung öffentlicher Aufträge vor allem in der Praxis unerlässlich. Für die Immobilienwirtschaft spielen v. a. die Bauaufträge und bei den Dienstleistungsaufträgen wiederum insbesondere die Architektenverträge eine Rolle. Lieferaufträge sind hingegen von geringer Bedeutung. 2.2.1.3.2.5.1 Bauaufträge, § 99 Abs. 3 GWB
Öffentliche Bauaufträge sind in § 99 Abs. 3 GWB definiert als „Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens oder Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll“. Ferner gelten als Bauaufträge auch „dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommende Bauleistungen durch Dritte
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
137
gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen“. Durch diese Definition werden drei unterschiedliche Typen von Bauaufträgen in den Anwendungsbereich des Vergaberechts einbezogen: 1. Die reine Ausführung von Bauvorhaben oder Bauwerken, 2. die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauvorhaben oder Bauwerken und 3. die Erbringung von Bauleistungen durch Dritte. Der Begriff des Bauwerks ist nach der Definition in § 99 Abs. 3 GWB zu verstehen als das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und/oder Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Damit erfolgt eine umfassende Einbeziehung der verschiedensten denkbaren Bauleistungen von der Herstellung über die Änderung und Instandhaltung bis zur Beseitigung. Zwar fehlen weitere Definitionen im Gesetz, aber in der VKR findet sich im Anhang ein äußerst ausdifferenzierter Katalog, der neben dem klassischen Tief- und Hochbau etwa auch Test- und Suchbohrungen oder Elektroinstallationen anführt. In Zweifelsfällen empfiehlt sich ein Blick in diesen Katalog. Da neben der reinen Bauausführung auch die Kombination mit Planungsleistungen erfasst ist, besteht eine hinreichende Ausschreibungsflexibilität für die vergebende Stelle. In der Sache hat das mit Blick auf die Schwellenwerte durchaus praktische Relevanz. Fallen etwa bei einer Bauleistung von 4 Mio. € Planungsleistungen im Wert von 400.000 € an, können diese kombiniert unterhalb des EU-Schwellenwertes von 5 Mio. € als Bauleistung ausgeschrieben werden, während eine Trennung zur europaweiten Ausschreibungspflichtigkeit der Planungsleistungen führen würde. Denn hier liegt der Schwellenwert bei 200.000 €. Vor diesem Hintergrund müssen die Planungsleistungen tatsächlich einen unselbständigen Bestandteil der gemeinsamen Bau- und Planungsleistung darstellen. Die im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung 2009 neu aufgenommene Voraussetzung, dass das Bauwerk bzw. Bauvorhaben für den öffentlichen Auftraggeber erbracht werden muss, liegt auf der Linie der klarstellenden Anführung des Beschaffungsmerkmals und betont jenen Beschaffungscharakter (dazu oben Kap. 2.2.1.3.2.3). Dass auch die dritte Konstellation der Beauftragung einer Person erfasst wird, die wiederum einen Dritten beauftragt, dient dem Ziel, die Umgehung des Vergaberechts durch entsprechende Vertragsausgestaltungen zu verhindern. Ausschreibungspflichtig ist danach aber nur der unmittelbar zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und seinem unmittelbaren Vertragspartner zu schließende Vertrag. Hinsichtlich der Subunternehmerverträge bleibt der Auftragnehmer nicht an das Vergaberecht gebunden, sofern der Auftragnehmer nicht aus sonstigen Gründen ohnehin unter das Vergaberecht fällt. Für die Qualifikation als Bauauftrag ist jedoch erforderlich, dass die Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen erbracht wird, so dass das Bauvorhaben sich Dank des planenden und bestimmenden Einflusses des Auftraggebers immer noch als dessen Beschaffungsvorhaben darstellt. Insoweit greifen die Ausführungen zum Beschaffungscharakter. 2.2.1.3.2.5.2 Lieferaufträge, § 99 Abs. 2 GWB Lieferaufträge sind nach § 99 Abs. 2 GWB Verträge zur Beschaffung von Waren. Dabei ist fraglich, ob auch unbewegliche Gegenstände wie Immobilien erfasst werden. Letztlich sind darauf bezogene Miet- oder Pachtverhältnisse sowie der Erwerb von Grundstücken aber ohnehin nach § 100 Abs. 5 GWB vom Vergaberecht ausgenommen. Damit spielt der Lieferauftrag in der Immobilienwirtschaft keine relevante Rolle.
138
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
2.2.1.3.2.5.3 Dienstleistungsaufträge, § 99 Abs. 4 GWB – Abgrenzung zur Dienstleistungskonzession Gleichwohl muss das Vorliegen eines Bau- und eines Lieferauftrags logisch vor der Prüfung des Vorliegens eines Dienstleistungsauftrags untersucht werden. Denn der Begriff der Dienstleistungsaufträge erschließt sich nach § 99 Abs. 4 GWB über eine Negativabgrenzung zu jenen Bau- und Lieferaufträgen. Als Auffangtatbestand greift die Vorschrift des § 99 Abs. 4 GWB für all diejenigen Leistungen, die sich keiner anderen Auftragsart zuordnen lassen und die auch nicht im Rahmen eines Ausnahmetatbestands vom Vergaberecht ausgeschlossen sind. Das EU-Vergaberecht und dem folgend die VOF differenziert dabei in § 1 VOF weiter zwischen sogenannten vorrangigen oder prioritären Dienstleistungen (Anhang I Teil A der VOF) und nachrangigen oder nicht-prioritären Dienstleistungen (Anhang I Teil B der VOF). Für Erstere wird eine höhere Wettbewerbsintensität und damit auch Diskriminierungsgefahr vermutet, so dass strengere Vergaberegeln gelten. Auf sie findet die gesamte VOF Anwendung. Das sind als relevante Leistungen in der Immobilienwirtschaft etwa Finanzdienstleistungen oder Unternehmensberatertätigkeiten oder Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten, die keinen Bauauftrag darstellen, sowie die Gebäudereinigung und die Hausverwaltung. Wichtigster Anwendungsfall sind aber vor allem die Architektenleistungen. Bei nachrangigen Dienstleistungen ist die Wettbewerbsintensität hingegen geringer. Das ist z. B. mit Blick auf die Besonderheiten der nationalen Rechtssysteme bei Rechtsberatungstätigkeiten der Fall. Nach § 1 Abs. 3 VOF gelten hier nur die Anforderungen an die Aufgabenbeschreibung nach § 6 Abs. 2 bis 7 VOF und die Informationspflicht über die Auftragserteilung gemäß § 14 VOF. Wichtig ist in bestimmten Fällen im Übrigen die Abgrenzung der Dienstleistungskonzession vom Dienstleistungsauftrag einerseits und von der Baukonzession andererseits. Denn anders als die beiden letzten Fälle wird die Dienstleistungskonzession nicht vom GWB-Vergaberecht erfasst. Bei Dienstleistungskonzessionen handelt es sich gemäß Art. 1 Abs. 4 VKR um Verträge, die sich von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen letztlich dadurch unterscheiden, dass als Gegenleistung für die Bereitstellung der Dienstleistung das Recht zur entgeltpflichtigen Bereitstellung der Dienstleistung (gegebenenfalls zuzüglich der Zahlung eines Preises) eingeräumt wird. Das Element der Entgeltlichkeit wird also durch die Einräumung eines entsprechenden Nutzungsrechts substituiert. Entscheidend ist dabei, dass das wirtschaftliche Betreiberrisiko anders als beim vergaberechtspflichtigen Dienstleistungsauftrag dem Privatunternehmer (= Konzessionär) überantwortet wird. Verbleiben Unsicherheiten in Bezug auf die Risikoverteilung muss im Zweifel das GWB-Vergaberecht angewendet werden. Wenn etwa eine Konzession für den Betrieb eines Parkplatzes vergeben wird und das Privatunternehmen die Kosten für den Betrieb des Parkplatzes dadurch finanziert, dass es anschließend von den Nutzern Entgelte erheben darf und die direkten Zahlungen der öffentlichen Hand dazu vergleichsweise gering sind, greift das GWB-Vergaberecht nicht. Denn hier verbleiben die wesentlichen Risiken (insbesondere das Auslastungsrisiko) beim Parkhausbetreiber. Mit der Einräumung des Nutzungsrechts an dem Parkplatz und der damit einhergehenden Eröffnung von Verdienstmöglichkeiten des Privatunternehmers verschafft der öffentliche Vertragspartner einem Wettbewerber allerdings wirtschaftliche Vorteile. Daher besteht hier immer noch eine Bindung an das EU-Primärrecht. Vor allem aus den Grundfreiheiten des EU-Vertrags sowie dem Diskriminierungsverbot werden im Hinblick auf nicht unter das Vergaberecht fallende Auftragsvergaben die Verpflichtungen zu Transparenz und
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
139
Diskriminierungsfreiheit abgeleitet. Eine Direktvergabe ohne die Durchführung eines – wie auch immer gestalteten – Auswahlverfahrens verbietet sich daher regelmäßig. Damit ist keine willkürliche Wahl des Vertragspartners möglich. Allerdings greifen nicht die strengen Verfahrensregeln des GWB-Vergaberechts. 2.2.1.3.2.5.4 Baukonzessionen, § 99 Abs. 6 GWB Anders als die Dienstleistungskonzession wird die Baukonzession nach § 99 Abs. 6 GWB sehr wohl vom GWB-Vergaberecht als atypischer Bauauftrag erfasst. Besonderheit ist auch hier – analog zur Dienstleistungskonzession –, dass anstatt oder zusätzlich zu einer Geldzahlung ein Nutzungsrecht eingeräumt wird. Ein Anwendungsfall ist etwa die „Warnowquerung“, ein Tunnelprojekt bei dem die Betreibergesellschaft das Mengenrisiko übernommen hatte. Letztlich ermöglichen derartige Projekte – auch im Autobahnbau – das Vorziehen von Investitionen, für welche die öffentliche Hand an sich über die notwendigen Mittel nicht verfügt. Angesichts der strenger werdenden Schuldenbremse in der Bundes- und in den Landesverfassungen dürften künftig noch mehr Bauprojekte als Baukonzessionen realisiert werden, was eine durchaus problematische Motivation darstellt. 2.2.1.3.2.5.5 Auslobungsverfahren, § 99 Abs. 5 GWB Mit Blick auf die Beauftragung von Planungsleistungen sind in der Immobilienwirtschaft neben den Dienstleistungsaufträgen – insbesondere für Architekten – auf einer Vorstufe als Sonderfall auch sogenannte Auslobungsverfahren von Bedeutung. Nach § 99 Abs. 5 GWB zielen hier entsprechende Aufträge darauf ab, der öffentlichen Hand im Rahmen ihrer planerischen Tätigkeit einen entsprechenden Plan zu verschaffen, auf deren Basis diese sodann ein spezifisches Projekt näher konzipieren bzw. realisieren kann. Die Besonderheit von Auslobungsverfahren besteht im Übrigen prozedural darin, dass die Auswahl durch ein Preisgericht vorgenommen wird. Üblicherweise setzt das Preisgericht sodann entsprechende Preise fest. Zwar wird die öffentliche Hand im Anschluss nicht verpflichtet, dem ersten Preisträger den Dienstleistungsauftrag zu erteilen. Sie muss jedoch in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren im Anschluss mit sämtlichen Preisträgern verhandeln, § 17 Abs. 1 VOF. Hier erfolgen in der Praxis häufig Fehler, etwa indem kurzerhand dem ersten Preisträger der Auftrag erteilt wird, ohne mit den weiteren Preisträgern Gespräche aufzunehmen. Auch die Arbeit des Preisgerichts unterliegt der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit und bestimmten formalen Anforderungen etwa an die Neutralität der Preisrichter, die in § 15 und 16 VOF näher dargelegt sind. Dessen ungeachtet verfügt das Preisgericht zu Recht über eine große Flexibilität und kann insbesondere schwer nachprüfbare ästhetische Aspekte berücksichtigen. 2.2.1.3.2.5.6 Abgrenzung der Vertragsinhalte Angesichts der Bedeutung für die Schwellenwertberechnung und der anschließenden Anwendung der Vergaberechtsregime ist es nicht erstaunlich, dass nicht selten um die zutreffende Einordnung des Beschaffungsverhältnisses in die verschiedenen Vertragskategorien gerungen wird. Das ist insbesondere für gemischte Verträge relevant. Hier finden sich in § 99 Abs. 10 bis 13 GWB Regelungen für den Umgang mit jenem Problem. Entscheidend für die Qualifikation des entsprechenden Vertrags ist danach, welche Auftragsart den inhaltlichen oder wertmäßigen Schwerpunkt des Auftrags darstellt.
140 2.2.1.3.3
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Ist der Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 GWB i. V. m. § 2 VgV und der Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 erreicht?
Wie bereits mehrfach betont, entscheidet die Berechnung des Auftragsvolumens darüber, welches Rechtsregime anwendbar ist. Zunächst stellt sich die Frage, ob der Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 i. V. m. § 2 VgV überschritten ist und daher das GWB-Kartellvergaberecht greift. Dabei gelten derzeit für die unterschiedlichen Auftragsarten folgende Schwellenwerte:
für Bauaufträge greift einheitlich ein Schwellenwert von 5.000.000 Euro, für Liefer- und Dienstleistungsaufträge liegt der Schwellenwert grundsätzlich bei 200.000 Euro, sofern es sich nicht um Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Sektorenbereich handelt (dann 400.000 Euro) bzw. um Liefer- und Dienstleistungsaufträge der obersten und oberen Bundesbehörden (dann 130.000 Euro). Wichtig sind sodann die näheren Vorgaben zur Berechnung der Schwellenwerte, die sich insbesondere in § 3 VgV finden. Danach hat eine Schätzung des Auftragswertes zu erfolgen, die jedoch nicht dem Ziel dienen darf, die Beschaffung dem Vergaberecht zu entziehen. Das gilt insbesondere auch für die in der Praxis nach wie vor zu beobachtende Losaufteilung eines an sich einheitlichen Auftragsvorgangs, um so unterhalb die Schwellenwerte zu gelangen und etwa den kommunalen „Haus- und Hof-Planer“ zu beauftragen. Vielmehr sind bei einem einheitlichen Projekt die entsprechenden Loswerte zusammenzurechnen. Zuletzt hat der EuGH (Rs. C-574/10) im Fall einer hessischen Gemeinde entschieden, dass die Aufteilung eines Sanierungsvorhabens in drei Planungsabschnitte nicht verhindern kann, dass für die anschließende Schwellenwertberechnung alle drei Vertragsvolumina zusammenzurechnen sind. Das gilt auch, wenn die Finanzmittel nur in entsprechenden Tranchen mit jeweiligem Sperrvermerk freigegeben werden. In diesem Fall sind die entsprechenden Leistungen gegebenenfalls unter dem Vorbehalt der Mittelbereitstellung zu vergeben. Schließlich ist zu betonen, dass auch das Unterschreiten der europarechtlich vorgegebenen Schwellenwerte nicht das Entfallen sämtlicher Ausschreibungs- oder gar Transparenzpflichten bedingt. Vielmehr greifen ab bestimmten von den Regelungen der Länder und Kommunen divergierend festgelegten Wertgrenzen entweder jedenfalls die Basisparagraphen der VOB/A bzw. der VOL/A und die VOF, oder zumindest die Pflicht, mehrere Angebote einzuholen. Diese Pflichten waren in jüngerer Zeit aber nachhaltig relativiert worden, was mit Blick auf die EU-primärrechtlichen Anforderungen an Transparenz, Wettbewerbsoffenheit und Diskriminierungsfreiheit nicht unproblematisch ist. So hat die Bundesregierung in einem Beschluss vom 14. Januar 2009 eine Vereinfachung des Vergaberechts vorgesehen. Zunächst befristet auf zwei Jahre sollten die „Schwellenwerte“ (besser „Wertgrenzen“) für beschränkte Ausschreibungen und freihändige Vergaben abgesenkt werden. Die Maßnahme war Teil des Konjunkturpakets II und sollte helfen, öffentliche Investitionen zu beschleunigen. Im Einzelnen war danach vorgesehen, dass bei Bauleistungen eine beschränkte Ausschreibung für Aufträge bis zur Höhe von 1 Mio. € und eine freihändige Vergabe für Projekte mit einem Auftragswert bis 100.000 € möglich ist. Für Dienst- und Lieferleistungen ist eine Grenze von 100.000 € sowohl für die Anwendung der beschränkten Ausschreibung als auch bei der freihändigen Vergabe eingeführt worden. Bei der beschränkten Ausschreibung wendet sich der öffentliche Auftraggeber von vornherein nur an eine beschränkte Anzahl von Unternehmen, die er zur Angebotsabgabe auffordert, wobei mindestens drei Bewerber aufzufordern sind. Die be-
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
141
schränkte Ausschreibung kann auch mit einem vorgeschalteten öffentlichen Teilnahmewettbewerb stattfinden, bei dem sich jedes Unternehmen bewerben kann, um später zu einer Angebotsabgabe aufgefordert zu werden. Die Bundesregierung wollte aber gerade ein Absehen von derartigen Teilnahmewettbewerben aus Beschleunigungsgründen ermöglichen. Auch bei der freihändigen Vergabe verhandelt der Auftraggeber direkt mit von ihm ausgesuchten Unternehmen, wobei ihm diese Vorgehensweise in ihrem weiteren Ablauf noch größere Flexibilität zugesteht als die beschränkte Ausschreibung. Die Möglichkeit, Vergaben im Wege der beschränkten Ausschreibung oder der freihändigen Vergabe vorzunehmen, ist sowohl in der VOB/A als auch in der VOL/A an strikte Vorgaben gebunden. Der Beschluss der Bundesregierung stellte allerdings ausdrücklich klar, dass beide Verfahrensarten ohne Nachweis eines Ausnahmetatbestandes durchgeführt werden können. Dem sind andere Landesministerien gefolgt und haben teils mehrfach verlängerte vergleichbare befristete Regelungen getroffen. Die meisten Länder sind jedoch (überwiegend Ende 2012) wieder zu der alten Regelung zurückgekehrt, dass bereits ab Wertgrenzen von meist 100.000 € für Bauleistungen die Basisparagrafen der VOB/A Anwendung finden und bereits bei Auftragsvolumina von 30.000 € die VOF. 2.2.1.3.4
Liegt kein Ausnahmetatbestand vor (§ 100 Abs. 2 GWB)?
Ausnahmen von der Anwendbarkeit des strengen Vergaberegimes sind als sogenannte Bereichsausnahmen in §§ 100 Abs. 3 bis 6 und 8 sowie 100a bis 100c GWB normiert, worauf § 100 Abs. 2 GWB abschließend verweist. Die Gründe dafür, bestimmte Auftragstypen auszuschließen, sind so vielfältig wie die betroffenen Bereiche selbst. Meist wird die wettbewerbsverfälschende Wirkung als gering eingestuft. Das liegt bei den in der Immobilienwirtschaft relevanten Aufträgen über den Erwerb oder die Miete von Grundstücken bzw. vorhandenen Gebäuden auf der Hand (§ 100 Abs. 5 GWB), da insoweit meist ganz spezifische Standorte bzw. Objekte anvisiert werden und ein grenzüberschreitender Wettbewerb deshalb regelmäßig ausscheidet. Allerdings ist hier vor allzu kreativen „Umgehungskonstruktionen“ zu warnen. Wenn eine Kommune etwa mit einem privaten Investor den Verkauf einer in ihrem Eigentum befindlichen, als Schule genutzten und in Teilen renovierungsbedürftigen Immobilie vereinbart und diese anschließend wieder zurückmietet, um bereits investiertes Eigenkapital der Kommune kurzfristig liquide zu machen und die Schuldenlast vorübergehend zu lindern, und der Investor zudem einige Sanierungsmaßnahmen durchführt, liegt ein Grenzfall vor. Der Verkauf kommunaler Immobilien ist zwar per se kein Akt der Beschaffung und damit vergaberechtsfrei. Ein vergaberechtspflichtiger Bauauftrag kann auch nicht bereits in jeder Investitionsverpflichtung des Käufers und anschließenden Vermieters gesehen werden. Denn die vertragliche Ausgestaltung zielt nicht auf die Ausführung eines Bauauftrags und dient daher gerade nicht einer Umgehung des Vergaberegimes. Vielmehr ist primäres Ziel der öffentlichen Hand, ihre Kapitalsituation zu verbessern. Die Stellung als Bauherr indes soll dem Privaten überlassen bleiben. Die weiter bezweckte Gewährleistung der kommunalen Aufgabenerfüllung im schulischen Bereich soll durch die Rückanmietung von Grundstück und Gebäude gesichert werden. Hierfür greift grundsätzlich der Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 5 GWB, der Mietverhältnisse über Grundstücke und Gebäude vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausnimmt. Ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag ist damit nicht anzunehmen. Je deutlicher jedoch die Renovierungsvorgaben in den Vordergrund treten, desto stärker relativiert sich dieser Befund und es liegt ein ausschreibungspflichtiger Vorgang vor (vgl. zum Beschaffungscharakter oben Kap. 2.2.1.3.2.3).
142
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
2.2.1.4
Nach welcher Verfahrensart muss vorgegangen werden?
Liegt eine Ausschreibungspflicht vor, stellt sich die Frage, in welchem Verfahren diese erfolgen kann, darf und sollte. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die dem Auftraggeber zur Verfügung stehenden Verfahrensarten bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags: Tab. 2.3: Verfahrensarten
ab Erreichen der EU-Schwellenwerte offenes Verfahren
unterhalb der EU-Schwellenwerte
=
nichtoffenes Verfahren
beschränkte Ausschreibung =
Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb
ohne Teilnahmewettbewerb
Wettbewerblicher Dialog
öffentliche Ausschreibung
=
mit Teilnahmewettbewerb
ohne Teilnahmewettbewerb
freihändige Vergabe ohne Teilnahmewettbewerb
mit Teilnahmewettbewerb ____
Für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Oberschwellenbereich sind gemäß § 101 Abs. 1 GWB die folgenden Verfahrensarten vorgesehen:
Das offene Verfahren, bei dem nach § 101 Abs. 2 GWB (vgl. § 3 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufzufordern ist, das nicht offene Verfahren, in dessen Rahmen nach § 101 Abs. 3 GWB (vgl. § 3 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A) öffentlich zur Teilnahme und sodann aus dem Bewerberkreis eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert wird, das in § 101 Abs. 5 GWB (vgl. § 3 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, § 3 Abs. 1 VOF) geregelte Verhandlungsverfahren, bei dem sich der Auftraggeber mit oder ohne vorherige öffentliche Aufforderung zur Teilnahme an ausgewählte Unternehmen wenden darf, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln und der wettbewerbliche Dialog gemäß § 101 Abs. 4 GWB (vgl. § 3 EG Abs. 1 Nr. 4 VOB/A) als Verfahren zur Vergabe besonders komplexer Aufträge (etwa innovative PPP-Projekte), bei dem eine Aufforderung zur Teilnahme und anschließend Verhandlungen mit ausgewählten Unternehmen über alle Einzelheiten des Auftrags erfolgen.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
143
Unter diesen dem öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung stehenden Verfahrensarten muss die öffentliche Hand grundsätzlich vorrangig das offene Verfahren anwenden, § 101 Abs. 7 S. 1 GWB (so auch § 3 EG Abs. 2 VOB/A, dagegen § 3 Abs. 1 VOF). Denn dieses gewährleistet die größtmögliche Transparenz und Diskriminierungsfreiheit. Der Rückgriff auf andere, weniger formalisierte Verfahren ist nur in eng begrenzten, abschließend vor allem in den Vergabe- und Vertragsordnungen normierten Ausnahmefällen möglich, vgl. §§ 3 EG Abs. 4 – 7 VOB/A, (3 Abs. 4 VOF). Ein solcher Grund ist beispielsweise die besondere Dringlichkeit etwa im Fall der raschen Beseitigung von Schäden, die durch eine Umweltkatastrophe eingetreten sind, §§ 3 EG Abs. 5 Nr. 4 VOB/A, 3 Abs. 4 Buchstabe c VOF. Die Eilbedürftigkeit darf aber nicht selbstverschuldet sein, etwa bedingt durch die verspätete Einsicht, dass eine Ausschreibungspflicht besteht. Ein in der Immobilienwirtschaft durchaus relevanter weiterer Grund ist die Vergabe an die Preisträger eines vorgeschalteten Architektenwettbewerbs, § 3 Abs. 4 lit. b VOF. Ein weiterer wichtiger Fall ist das Bestehen von Ausschließlichkeitsrechten eines Wettbewerbers. Das gilt etwa im Fall urheberrechtlich geschützter Werke, wenn also beispielsweise ein entsprechend geschütztes Bauwerk modifiziert und entsprechende Architektenleistungen beauftragt werden sollen, § 3 Abs. 4 Buchstabe a VOF. Auch § 3 EG Abs. 5 Nr. 3 VOB/A ermöglicht für diesen Fall die Vergabe eines Bauauftrags im Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung. Das Eigentum an einem Grundstück ist etwa ein derartiges ausschließliches Recht. Allerdings ist genau darauf zu achten, ob jenes Grundstück auch zwingend erforderlich ist. Das ist für die Errichtung eines Lifts in einem kleinen Skigebiet, für das aus geografischen und umweltpolitischen Gründen nur ein Grundstück in Betracht kommt, eher anzunehmen, als im Fall eines neuen Schulgebäudes, für das regelmäßig mehrere Grundstücke zur Verfügung stehen. Der Regelfall eines VOB-, VOL- oder VOF-Verfahrens erfolgt im Übrigen in folgenden zehn Schritten: 1. Ermittlung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, d. h. v. a. VOB/A (EG- oder nur Basisparagraphen) oder VOF? 2. Auswahl der richtigen Verfahrensart, §§ 3, 3 EG VOB/A, § 3 VOF, 3. Erstellung der Vergabeunterlagen, §§ 8, 8 EG VOB/A, § 6 VOF, 4. Bekanntmachung, §§ 12 Abs. 1–2, 12 EG Abs. 2–3 VOB/A, § 9 VOF, 5. Teilnahmewettbewerb, §§ 3 EG Abs. 1 S. 2, Abs. 4, 3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VOB/A; § 16 VOF bzw. Versendung der Vergabeunterlagen, § 12 EG Abs. 3–7, 12 Abs. 4–7 VOB/A, §§ 15 f. VOF, 6. Erstellung der Angebote, §§ 13, 13 EG VOB/A, 7. Eröffnungstermin, §§ 14, 14 EG VOB/A, 8. Aufklärung der Angebote, §§ 15, 15 EG VOB/A, 9. Prüfung und Wertung der Angebote, §§ 16, 16 EG VOB/A, 10. Zuschlag, §§ 18, 18 EG VOB/A, §§ 11 Abs. 5–7, 20 VOF, oder Aufhebung, §§ 17, 17 EG VOB/A, § 11 Abs. 7 VOF. 2.2.1.5
Welche Risiken bestehen im Fall eines Verstoßes gegen die Ausschreibungspflichten bzw. das Vergaberecht?
Bei der Beantwortung der Frage, welche Risiken bei einem Verstoß gegen die Ausschreibungspflichten bzw. das Vergaberecht im Übrigen bestehen, ist zu unterscheiden zwischen Verzögerungsrisiken, die im Rahmen eines sogenannten Primärrechtsschutzes entstehen, und
144
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
finanziellen Risiken durch den sogenannten Sekundärrechtsschutz. Zudem ist zwischen dem Ober- und dem Unterschwellenbereich zu unterscheiden. Der Primärrechtsschutz verfolgt das Ziel, den Zuschlag an einen Konkurrenten zu verhindern. Der Primärrechtsschutz ist in den §§ 102 ff. GWB geregelt und wird im Oberschwellenbereich durch ein vorgeschaltetes Überprüfungsverfahren bei den Vergabekammern eingeleitet, die gerichtsähnlich entscheiden. Erst im Rahmen der Beschwerde gegen jene Entscheidungen werden die Gerichte eingeschaltet. Zuständig sind die Vergabesenate beim jeweiligen Oberlandesgericht. Etwaige Fehler müssen rechtzeitig im Vergabeverfahren geltend gemacht werden, damit diese nicht verfristen. Vor Zuschlagserteilung ist im Übrigen die Informations- und Wartefrist des § 101a GWB einzuhalten. Etwaige Fehler bis hin zum rechtswidrigen Verzicht auf eine Ausschreibung verfristen spätestens 30 Tage bzw. sechs Monate nach Zuschlag, § 101b GWB. Allerdings verfügt der Konkurrent unabhängig davon auch über Rechtsschutzmöglichkeiten auf europäischer Ebene. Das betrifft insbesondere die formlose (und kostenlose!) Beschwerde an die Europäische Kommission. Diese kann daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren (gemäß Art. 258 AEUV) gegen den Mitgliedstaat einleiten, in dem das Vergabeverfahren durchgeführt wurde. Eine Fristbindung besteht insoweit nicht, so dass das Damoklesschwert späterer Rückabwicklungspflichten auch nach Ablauf der innerstaatlichen Rügefristen jederzeit zuschlagen kann. Die Risiken sind hier regelmäßig größer als bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen im Rahmen des sogenannten Sekundärrechtsschutzes. Hier kann insbesondere Ersatz der für die Angebotserstellung entstandenen Kosten verlangt werden, wobei nach § 126 S. 1 GWB schon dafür die Beeinträchtigung einer realistischen Zuschlagschance erforderlich ist. Das positive Interesse an der tatsächlichen Durchführung des Auftrags kann nur ersetzt verlangt werden, wenn bei rechtmäßiger Vergabe der Zuschlag an das Schadensersatz verlangende Unternehmen zwingend feststand. Das ist oftmals schwierig darzulegen. Im Unterschwellenbereich wirft vor allem die Möglichkeit des Primärrechtsschutzes Schwierigkeiten auf, da die hier einschlägigen Vorschriften unterlegenen Bietern keinen subjektiven Rechtsschutz gewähren. Vereinzelt haben die Zivilgerichte einen Rechtsschutz anerkannt. Die genaue Ausgestaltung dieses Rechtsschutzes ist jedoch sehr umstritten, wobei auch der Gesetzgeber eine Klärung im GWB erwogen hat. Das wäre zu begrüßen, da die jetzige Situation äußerst rechtsunsicher ist. Sekundäre Schadensersatzansprüche sind grundsätzlich wie im Oberschwellenbereich denkbar, aber nur selten durchsetzbar.
2.2.2
EU-Beihilfenrecht‡
2.2.2.1
Einführung
Während das nationale Subventionsrecht wenig strenge und durchsetzungsstarke Anforderungen an die Begünstigung von Unternehmen durch den Staat beinhaltet und daher für das öffentliche Immobilienrecht keine signifikante Rolle spielt, ist das EU-Beihilfenrecht insbesondere in Fällen einer Beteiligung der öffentlichen Hand an Immobilienprojekten zu beach‡
Der Beitrag basiert auf Kühling, § 29, Subventionsrecht, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht. Band 1: Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 30 ff. und greift zudem zurück auf Kühling/elBarudi, Grundzüge des Rechts der Wirtschaftsförderung, JURA 2006, S. 672 ff.; Koenig/Kühling/Ritter, EGBeihilfenrecht, 2. Aufl., 2005; Koenig/Kühling, Grundfragen des EG-Beihilfenrechts, NJW 2000, S. 1065 ff.; dort auch jeweils zahlreiche Nachw.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
145
ten. Manches Immobilienprojekt mit öffentlicher Beteiligung ist durch beihilfenrechtliche Kontrollverfahren schon verzögert oder gar ernstlich gefährdet worden. Besonders spektakulär gilt das etwa für den mit Landesmitteln finanzierten Aus- und Umbau des Nürburgrings. Daher lohnt eine überblicksartige Beschäftigung mit dieser Thematik, um erneut anhand einer „Check-Liste“ die beihilfenrechtliche Sensibilität eines geplanten Projektes zu bewerten. Im Rahmen einer Projektentwicklung empfiehlt sich im Falle einer Beteiligung der öffentlichen Hand eine sehr frühzeitige Klärung der beihilfenrechtlichen Fragen, um problematische Verzögerungen in einer späten Projektplanungsphase zu vermeiden. Dabei zielen die europäischen Regelungen der Art. 107 bis Art. 109 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wie das Vergaberecht darauf ab, Verfälschungen des Wettbewerbs zu unterbinden und die Wettbewerbsgleichheit zwischen den Unternehmen zu schützen, die durch eine unkontrollierte Beihilfenvergabe der Mitgliedstaaten gestört würde. Andererseits wird die Gewährung von Beihilfen als legitimes Mittel mitgliedstaatlicher wie unionsrechtlicher Wirtschaftspolitik angesehen, weil Beihilfen aus volkswirtschaftlicher Perspektive geeignet sein können, Fälle des Marktversagens zu kompensieren – etwa Anreize für umweltschützende Investitionen setzen können oder auch ein Mittel der Kohäsionspolitik darstellen können (etwa beim Wiederaufbau der Wirtschaftsstrukturen in den neuen Bundesländern). Ziel einer effektiven europäischen Beihilfenkontrolle ist daher nicht ein totales Beihilfenverbot. Art. 107 Abs. 1 AEUV untersagt vielmehr Beihilfen durch die Mitgliedstaaten zunächst nur prinzipiell, wobei Art. 107 Abs. 2 AEUV direkt durch die Mitgliedstaaten anwendbare Ausnahmen und Art. 107 Abs. 3 AEUV Ausnahmeklauseln in Form von Ermessenstatbeständen vorsieht, die grundsätzlich nach einer Genehmigung durch die Europäische Kommission in Brüssel verlangen. Da die Kommission das Hauptverwaltungsorgan der Europäischen Union darstellt, ist die Beihilfengewährung in verfahrensrechtlicher Hinsicht der umfassenden Kontrolle durch jene Behörde nach dem in Art. 108 AEUV vorgesehenen Aufsichtsverfahren unterstellt. Dabei überprüft sie repressiv nach Art. 108 Abs. 1 AEUV fortlaufend die etablierten mitgliedstaatlichen Beihilfen. Über neue Beihilfen übt sie ihre Kontrolle nach Art. 108 Abs. 3 AEUV in Form eines präventiven Verfahrens aus. Damit die Art. 107 und 108 AEUV zur Anwendung kommen, muss es sich um die Gewährung von Beihilfen handeln. Beihilfen lassen sich als Maßnahmen beschreiben, die in der Form des Tuns oder Unterlassens die Belastungen verringern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat. Sie erfassen in beliebiger Form gewährte Zuwendungen, die keine marktgerechte Gegenleistung für eine von diesem Wirtschaftsteilnehmer erbrachte Leistung darstellen. Im Rahmen von Art. 107 AEUV spielen Gründe oder Ziele der Beihilfengewährung keine Rolle, so dass bei einer Qualifikation als Beihilfe ausschließlich auf die Wirkung der Maßnahme abzustellen ist. Eine explizite Begleitgesetzgebung, die nicht nur den Vollzug des EU-Beihilfenrechts verbessern könnte, sondern auch für eine bessere Akzeptanz der EUbeihilfenrechtlichen Regelungen und eine stärkere terminologische und konzeptionelle Vereinheitlichung sorgen würde, existiert bislang in Deutschland – anders als in anderen Mitgliedstaaten wie etwa in Zypern – nicht. Auch für Teilbereiche – wie etwa die Rückforderung von Beihilfen – sind entsprechende Pläne einer spezifischen Gesetzgebung über das Entwurfsstadium nicht hinausgekommen. Daher gibt es noch immer trotz der in der Grundstruktur verständlichen Beihilfenvorgaben Vollzugsschwierigkeiten.
146 2.2.2.2
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Relevante Rechtsnormen und steuernde Kontrollfragen
Ausgehend von diesen drei Aspekten (Verbotstatbestand, Ausnahmevorschrift und Verfahrensvorgaben) ergeben sich folgende relevante Vorschriften§:
die grundlegenden Art. 107 bis Art. 109 AEUV, die das Verbot, die Ausnahmevorschriften und das Verfahren in den Grundstrukturen steuern, Mitteilungen, die den Verbotstatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV näher erläutern, und dabei in der Immobilienwirtschaft v. a. die Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand (Abl. v. 10.7.1997, Nr. C 209 S. 3 ff.) (Grundstücksmitteilung), für kleinere Beihilfen unterhalb von 200.000 Euro innerhalb von drei Jahren die Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission vom 15. Dezember 2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf De-minimis-Beihilfen (De-minimisVerordnung), eine Fülle von genehmigungssteuernden Regeln, die in der Verordnung (EG) Nr. 994/98 des Rates vom 7. Mai 1998 über die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (Ermächtigungsverordnung) und der Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 6. August 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) dem Grunde nach strukturiert werden, und schließlich die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (Verfahrensverordnung), die das Verfahren regelt. Anhand dieser Grundstruktur können sodann folgende Leitfragen gestellt werden, die für die Feststellung und Lösung eines etwaigen Beihilfenproblems im Rahmen eines Immobilienprojekts relevant sind: Liegt eine verbotene Beihilfe tatbestandlich im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vor (Kap. 2.2.2.3)? Lässt sich diese rechtfertigen nach Art. 107 Abs. 2 oder Abs. 3 AEUV (Kap. 2.2.2.4)? Empfiehlt sich eine Notifizierung bei der Europäischen Kommission (Kap. 2.2.2.5)? Welche rechtlichen Risiken oder Angriffsmöglichkeiten bestehen aus Sicht der beihilfenvergebenden Stelle, des beihilfenempfangenden Unternehmens und entsprechender Wettbewerber oder sonstiger Dritter (Kap. 2.2.2.6)? 2.2.2.3
Liegt eine verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vor?
Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Es müssen also kumulativ (!) fünf Fragen positiv beantwortet werden, bevor ein beihilfenrechtliches Problem zu attestieren ist: 1. Kommt es im Rahmen des Vorhabens zu einer Begünstigung (dazu Kap. 2.2.2.3.1.)? 2. Erfolgt diese aus staatlichen Mitteln (dazu Kap. 2.2.2.3.2.)? §
Verordnungen und Richtlinien sind im Internet abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/RECH_naturel.do.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht 3. 4. 5.
147
Kommen sie einem bestimmten Unternehmen zugute (dazu Kap. 2.2.2.3.3.)? Könnte dies zu einer Wettbewerbsverfälschung führen (dazu Kap. 2.2.2.3.4.)? Könnte die Maßnahme den zwischenstaatlichen Handel in der EU negativ beeinträchtigen (dazu Kap. 2.2.2.3.5.)?
2.2.2.3.1
Erfolgt eine Begünstigung (Leistung der öffentlichen Hand ohne angemessene Gegenleistung)?
Der Begriff der Begünstigung ist das zentrale Tatbestandsmerkmal des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Hier entscheidet sich, ob ein hoheitliches Handeln angesichts des beim betroffenen Unternehmen eintretenden begünstigenden Effekts in den Kontrollstrahl des europäischen Beihilfenrechts gelangt. Es muss zunächst eine Leistung gewährt werden, die in sehr weitem Sinne als die Gewährung eines wie auch immer gearteten geldwerten Vorteils zu verstehen ist. Das Merkmal der Begünstigung umfasst eine ganze Palette von Leistungen, wobei nicht nur direkte Zuwendungen wie verbilligte Darlehen oder die Übernahme von Bürgschaften etwa für einen Grundstückskauf erfasst sind, sondern ebenfalls Belastungsminderungen wie der Verzicht auf einen angemessenen Kaufpreis für jenes Grundstück. Eine Begünstigung ist ausgeschlossen, wenn der Vorteilsgewährung eine angemessene, d. h. marktübliche Gegenleistung gegenübersteht. Als Vergleichsmaßstab zur Bestimmung der Marktüblichkeit und damit der Angemessenheit des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung wird von der Kommission und der Rechtsprechung zunehmend der so genannte „Market-economy-investor-Test“ herangezogen. Im Rahmen dieses Tests ist zu prüfen, ob die staatliche Leistung unter Bedingungen erfolgt, die für einen hypothetischen privaten Vergleichsinvestor unter normalen marktwirtschaftlichen Voraussetzungen akzeptabel wären. Es wird also die hypothetische Frage beantwortet, ob auch ein privater Kapitalgeber, dessen Handeln allein an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet ist, eine vergleichbare Gegenleistung erbringen würde. Zur Beurteilung der Frage, ob die öffentliche Hand sich bei ihrem Handeln wie ein Privatinvestor verhielt, ist in zeitlicher Hinsicht nicht auf das Ergebnis des Handelns abzustellen, sondern auf eine Ex-ante-Prognose im Zeitpunkt der Entscheidung für das Handeln. Geht bei der Kommission also eine Beschwerde dahingehend ein, dass ein in der Vergangenheit liegender Verkaufsvorgang eines Grundstücks eine unzulässige Beihilfe beinhalte, muss sie der schwierig zu beurteilenden Frage nachgehen, was zum Zeitpunkt der Transaktion marktüblich gewesen wäre. Vom Vorliegen einer Beihilfe ist nicht nur bei einer einseitigen Vorteilsgewährung auszugehen, sondern auch dann, wenn das begünstigte Unternehmen zwar eine Gegenleistung – etwa die Kaufpreiszahlung für ein Grundstück – erbringt, diese aber der staatlichen Leistung im Wert nicht entspricht. Angesichts der Schwierigkeit der Bestimmung, haben sich verschiedene Methoden entwickelt, wie diese – insbesondere zum Zeitpunkt des Austauschgeschäfts – rechtssicher erfolgen kann. Dabei lassen sich relativ einfach regelmäßig die Fälle bewerten, in denen ein etablierter Marktpreis für die angebotene Leistung (etwa ein Börsenpreis) vorliegt. Wird dieser gezahlt bzw. vereinnahmt, ist keine Begünstigungswirkung anzunehmen. Die Kommission greift seit geraumer Zeit auf formale Kriterien zur Beurteilung der Begünstigungswirkung zurück. So entfällt eine Begünstigungswirkung, wenn die Höhe der Gegenleistung in einem objektiven Verfahren bestimmt worden ist, etwa wenn das in Rede stehende Projekt ausgeschrieben und damit gewissermaßen ein Markt für die betreffende Leistung geschaffen wurde. Für den bei Immobilienvorhaben wichtigen Fall des Grundstücksverkaufs hat die Kommission im Rahmen einer Mitteilung näher dargelegt, dass entweder das Grundstück im Rahmen eines
148
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
bedingungsfreien und offenen Wettbewerbs an den Meistbietenden verkauft werden muss oder eine Bewertung durch einen unabhängigen Wertgutachter zu erfolgen hat. Das sind in Deutschland die etablierten Gutachterausschüsse (s. o. Kap. 2.1.10). Entspricht der Verkaufspreis dem im Wertgutachten angegebenen Preis (abzüglich einer gewissen Toleranz), entfällt eine Begünstigung regelmäßig. Im Fall eines Ausschreibungsverfahrens berühren sich das Vergabe- und Beihilfenrecht und es wird offensichtlich, dass die Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens regelmäßig auch die Begünstigung und damit etwaige beihilfenrechtliche Probleme entfallen lässt. In der Rechtssache Altmark Trans (Rs. 280/00, Slg. 2003, I-7747) hat der Europäische Gerichtshof im Bezug auf Daseinsvorsorgeleistungen anerkannt, dass Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch die Mitgliedstaaten finanziell kompensiert werden dürfen, ohne dass dadurch ein der Beihilfenkontrolle unterliegender Tatbestand geschaffen wird. Im Fall ging es um Kompensationszahlungen für Busverkehrsdienste. Die Logik lässt sich jedoch auf andere Fallkonstellationen im Immobilien- und Infrastrukturvorhaben übertragen, etwa im Fall der Privatisierung eines Schwimmbads unter Aufrechterhaltung bestimmter Daseinsvorsorgevorgaben (beispielsweise kostenlose Bereitstellung für Schulen). Dabei hat der EuGH letztlich einen weiteren Bewertungsmechanismus entwickelt, um das Begünstigungsmerkmal auszuschließen. So müssen vier Kriterien eingehalten werden, damit die Begünstigung entfällt und in der Folge der EUBeihilfentatbestand sowie die Notifizierungspflicht. Erstens muss eine tatsächliche Betrauung mit klar definierten Gemeinwohlpflichten erfolgen (Transparenz des Betrauungsaktes). D. h. es muss klar gesagt werden, worin die besondere Daseinsvorsorgeleistung bestehen soll – etwa in der Bedienung unrentabler Busstrecken oder in der kostenlosen Bereitstellung eines Schwimmbades für Schulklassen zu bestimmten Uhrzeiten. Zweitens sind die Parameter, anhand derer der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent festzulegen (Transparenz und Objektivität der Ausgleichsparameter). Es muss also vorab klar definiert werden, für welche spezifischen Leistungen welche Gegenleistungen erbracht werden und wie die Ausgleichszahlungen bemessen werden. Drittens ist der Ausgleich auf die Höhe der Kostendeckung beschränkt (Nettomehrkosten-Prinzip). Es dürfen also nur diejenigen Kosten kompensiert werden, die durch die zusätzlichen Leistungen entstehen – etwa die Kosten der zusätzlichen unrentablen Busstrecke. Zudem müssen dadurch erlangte Vorteile (etwa Verbundvorteile durch den zusätzlichen Streckenbetrieb) abgezogen werden. Viertens muss dann, wenn die Kompensationszahlung nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge vergeben wird, als Kostenmaßstab ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen zugrunde gelegt werden (objektiver Kostenmaßstab). Es darf also nur soviel bezahlt werden, wie auch ein solches Unternehmen verlangen würde. Es liegt auf der Hand, dass die Zugrundelegung derartiger Parameter erhebliche Unsicherheiten generiert. Insofern empfiehlt sich bei Unsicherheiten eine plausible Aufbereitung, die prophylaktisch zu den Unterlagen für den Fall etwaiger beihilfenrechtlicher Angriffe genommen wird. Stehen entsprechende Angriffe bereits im Raume, ist eine gutachterliche Absicherung indiziert. 2.2.2.3.2
Erfolgt die Begünstigung durch eine hoheitliche Entität?
Das Tatbestandsmerkmal „staatlich oder aus staatlichen Mitteln“ ist ebenso wie der öffentliche Auftraggeber funktional und denkbar weit zu verstehen. Erfasst werden daher nicht nur Beihilfen der Mitgliedstaaten, also der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch von juristi-
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
149
schen Personen, die öffentlich beherrscht oder dem Staat zuzurechnen sind. Das gilt etwa für die Länder, Kommunen oder Landkreise, aber auch Anstalten des öffentlichen Rechts. Am Beispiel des Immobilienvorhabens des ZDF-Freizeitparks hat die Kommission hervorgehoben, dass sogar öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Adressat des EU-Beihilfenrechts sein können. Auch die Bereitstellung von Grundstücken erfolgt regelmäßig auf kommunaler Ebene. Aus der Unterscheidung zwischen „staatlich“ und „aus staatlichen Mitteln“ wird schließlich deutlich, dass nicht nur unmittelbar vom Staat gewährte Begünstigungen in den Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen, sondern (unter bestimmten Voraussetzungen) ebenfalls Beihilfen einzubeziehen sind, die über eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt werden. Das können etwa Landesbanken als Förderbanken bei Immobilienprojekten oder öffentliche Unternehmen sein. Auch in diesen Fällen muss eine Zurechnung erfolgen, da sich die Mitgliedstaaten ansonsten durch eine Ausgliederung der die Beihilfen vergebenden Einheiten aus der unmittelbaren Staatsverwaltung dem Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV entziehen könnten. Die Anforderungen an die staatliche Zurechenbarkeit sind dabei niedrig anzusetzen. Im Fall öffentlicher Unternehmen ist eine hinreichende Einflussmöglichkeit auf die entsprechende Einrichtung oder gar die konkrete Begünstigung erforderlich. Für eine Zurechnung muss jedoch eine Belastung öffentlicher Haushalte erfolgen, wozu auch die Haushalte der staatlich benannten Einrichtungen zu zählen sind. So ist etwa auch das kommunale Wohnungsbauunternehmen Adressat des Beihilfenrechts in seinen Geschäften mit Dritten und darf diese daher nicht begünstigen. 2.2.2.3.3
Wird ein bestimmtes Unternehmen etwa durch bestimmte Erschließungsmaßnahmen und Infrastrukturmaßnahmen begünstigt?
Die Begünstigung muss sich weiter zugunsten bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige auswirken. Das Merkmal der Bestimmtheit stellt die erforderliche Abgrenzung zu allgemeinen Fördermaßnahmen sicher, die der gesamten Wirtschaft zugute kommen. In der Immobilienwirtschaft ist das insbesondere für Erschließungsmaßnahmen relevant. Äußere Erschließungs- und Infrastrukturmaßnahmen bevorzugen dagegen in der Regel keine bestimmten Unternehmen, da sie durch die Schaffung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen den Investitionsstandort – etwa ein Gewerbegebiet – insgesamt verbessern. Die Abgrenzung im Einzelnen spielt hier gerade bei größeren Immobilienvorhaben eine gewisse Rolle. So ist etwa die Verlegung einer Buslinie zur besseren Anbindung eines Einkaufszentrums regelmäßig keine bestimmte Begünstigung, sondern eine allgemeine Infrastrukturmaßnahme, da sie schlichtweg eine bedarfsorientierte Verkehrsmaßnahme darstellt. Erschließungsmaßnahmen stellen im Übrigen solange grundsätzlich keine Begünstigung dar, wie für sie der übliche Erschließungsbeitrag entrichtet wird. Anders verhalten sich die Dinge jedoch, wenn Erschließungsmaßnahmen auf dem Grundstück des privaten Unternehmens vorgenommen werden, da diese regelmäßig ein bestimmtes Unternehmen begünstigen. Im Einzelfall ist hier eine Vielzahl von Abgrenzungsschwierigkeiten denkbar. So ist etwa die Verlegung eines Flusses für ein Gewerbegebiet, wovon sodann aber v. a. ein Unternehmen profitiert (nämlich eine Papierfabrik, die dies ganz besonders benötigt), eine bestimmte Begünstigung. Der Anschluss eines Fußballstadions an eine Autobahn ist dagegen solange eine allgemeine Infrastrukturmaßnahme, wie damit zugleich weitere Unternehmen in dem Gebiet Vorteile erhalten.
150 2.2.2.3.4
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft Wird der Wettbewerb zwischen Immobilien- und Infrastrukturunternehmen beeinflusst?
Schließlich muss die öffentliche Immobilien- oder Infrastrukturförderung den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Eine Wettbewerbsverfälschung ist zu bejahen, wenn die Beihilfe – tatsächlich oder potenziell – in ein bestehendes oder möglicherweise zur Entstehung kommendes Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen oder Produktionszweigen eingreift und damit den Ablauf des Wettbewerbs verändern kann. Eine Spürbarkeit der Einwirkung muss nicht gegeben sein. Ausreichend ist daher, dass Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil erhalten, den sie unter marktkonformen Voraussetzungen nicht erhielten. Von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung des Wettbewerbsverhältnisses ist die Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Marktes, die sich nach der Austauschbarkeit des betreffenden Produktes für den Nachfrager richtet (so genanntes Bedarfsmarktkonzept). Angesichts der hoch integrierten und kompetitiven Immobilien- und Infrastrukturmärkte ist grundsätzlich immer davon auszugehen, dass ein Wettbewerbsverhältnis vorliegt, das durch Förderzahlungen negativ beeinflusst werden kann. Die Anforderungen an die Feststellung einer möglichen Wettbewerbsbeeinträchtigung sind also gering. 2.2.2.3.5
Liegt eine Handelsbeeinträchtigung zwischen den Mitgliedstaaten vor?
Der wirtschaftliche Vorteil muss den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können, also möglicherweise negative grenzüberschreitende Effekte haben. Auch hier sind die Anforderungen sehr gering. So ist eine derartige Beeinträchtigung schon dann gegeben, wenn der Vorteil eine mögliche Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel hat, also geeignet ist, eine Handelsbeeinträchtigung herbeizuführen. Das Vorliegen dieses grenzüberschreitenden Elements wird man angesichts der kompetitiven und grenzüberschreitend integrierten Immobilien- und Infrastrukturmärkte in Europa nur ausnahmsweise verneinen können. So hat die Kommission mit sehr bedenklicher Argumentation etwa die Beeinträchtigung eines grenzüberschreitenden mitgliedstaatlichen Handels in einem Fall abgelehnt, in dem ein lokales Schwimmbad in Dorsten gefördert werden sollte, das mehr als 50 km von der niederländischen Grenze entfernt war. Zwar ging die Kommission hier zu Recht davon aus, dass zwischen den Schwimmbädern selbst kein signifikanter Wettbewerb besteht. Kein Niederländer wird also nach Dorsten fahren, weil dort der Eintritt in das Schwimmbad durch hoheitliche Fördermittel künstlich vergünstigt wurde. Anders sieht es dagegen auf den Betreibermärkten für das Schwimmbad aus. Hier kann selbstverständlich auch ein niederländischer Investor ein altes Schwimmbad übernehmen, sanieren und anschließend betreiben und sich dazu im Wettbewerb zu lokalen oder regionalen Betreibern begeben. Daher sind vorliegend letztlich nur geringfügige Beihilfen von der unionsrechtlichen Beihilfenkontrolle ausgenommen, die unterhalb bestimmter, von der Kommission festgelegter Schwellenwerte liegen. Der Rahmen für diese sogenannten De-minimis-Beihilfen beträgt zurzeit 200.000 Euro in einem Zeitraum von drei Jahren. D. h. ein Immobilien- oder Infrastrukturunternehmen darf innerhalb von drei Jahren von öffentlichen Stellen insgesamt keine Zahlungen von mehr als 200.000 Euro erhalten, ohne dass diese bei der Kommission notifiziert worden sind. Im Zuge der Finanzkrise waren diese Werte vorübergehend in den Jahren 2009 und 2010 auf 500.000 Euro erhöht worden, um Auswirkungen der Banken- und Finanzkrise auf die Realwirtschaft entgegenzuwirken. Ein entsprechendes Register, das auch diese geringfügigen Zahlungen erfasst, ist in Deutschland bislang – bedauerlicherweise – nicht aufgesetzt.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
2.2.2.4
151
Lässt sich die Maßnahme rechtfertigen?
Sind alle Tatbestandsmerkmale einer verbotenen Beihilfe erfüllt, besteht nur noch die Möglichkeit, dass aus Art. 107 Abs. 2 AEUV ein Rechtfertigungsgrund greift. Dieser bedarf keiner Genehmigung durch die Kommission. Die Rechtfertigungsgründe des Art. 107 Abs. 3 AEUV und der zu seiner Konkretisierung ergangenen Leitlinien bedürfen dagegen sehr wohl einer Notifizierung bei der Kommission, sofern nicht eine entsprechende Freistellungsverordnung greift. 2.2.2.4.1
Greift eine Rechtfertigung nach Art. 107 Abs. 2 AEUV ohne Genehmigungserfordernis der Kommission?
Art. 107 Abs. 2 AEUV nennt bestimmte Ausnahmen, denen zufolge eine öffentliche Förderung trotz ihres Beihilfencharakters mit dem Binnenmarkt vereinbar sein kann. Darunter fallen beispielsweise Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher (Art. 107 Abs. 2 Buchstabe a AEUV). Für die Immobilienwirtschaft relevant sind v. a. Beihilfen zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen (Art. 107 Abs. 2 Buchstabe b AEUV), wenn also etwa öffentliche Fördermittel für die Wiedererrichtung von Immobilien nach einer Flutkatastrophe gezahlt werden. Der Charakter als sogenannte Legalausnahme hat zur Folge, dass keine Notifizierungspflicht besteht. Die Beihilfen nach Abs. 2 sind somit per se mit dem Binnenmarkt vereinbar, d. h. es findet keine Abwägung zwischen dem Beihilfenzweck und dem Ausmaß der Wettbewerbsverfälschung bzw. Handelsbeeinträchtigung statt, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen der Legalausnahme vorliegen. Bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen kommt der Kommission hingegen ein Spielraum zu. So waren etwa die Beihilfen, die zur Beseitigung der Schäden der Flutkatastrophe an Elbe und Donau im August 2002 vergeben wurden, gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchstabe b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar. Der Rechtfertigungsgrund der Beseitigung von Folgen, die durch die Teilung Deutschlands bedingt sind, nach Art. 107 Abs. 3 Buchstabe c AEUV wurde von deutschen Unternehmen und Behörden erfolglos nach der Wiedervereinigung reklamiert. Er hat heute keine praktische Wirkung mehr. 2.2.2.4.2
Greift eine Rechtfertigung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV mit Genehmigungserfordernis der Kommission?
Art. 107 Abs. 3 AEUV eröffnet in viel größerem Umfang Rechtfertigungsmöglichkeiten, verlangt dafür aber regelmäßig eine Genehmigung durch die Kommission. Auf dieser Vorschrift gründen etwa umfassende Förderprogramme in finanzschwachen Regionen, also sogenannte Regionalbeihilfen (etwa in den neuen Bundesländern insbesondere unmittelbar nach der Wiedervereinigung). Hinzu treten horizontale Beihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sektorielle Beihilfen spielen in der Immobilienwirtschaft hingegen keine Rolle. Der Europäische Gerichtshof billigt der Kommission bei der Genehmigung derartiger Beihilfen einen erheblichen Ermessensspielraum zu. Dabei wird insbesondere bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten der Prüfungsumfang von den Unionsrichtern stark zurückgenommen. In der Folge einer verdichteten Genehmigungspraxis zu Art. 107 Abs. 3 AEUV hat sich die Kommission in ihrer Ermessensausübung allerdings vielfach durch so genannte Leitlinien oder Unionsrahmen selbst gebunden. So hat sie etwa während der Finanzkrise durch vier
152
2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
Bankenmitteilungen ein rasches Handlungsprogramm ermöglicht und so im Finanzsektor im Vergleich zur Beihilfenkontrolle in der Realwirtschaft einen sehr großzügigen Maßstab angelegt. Gerade aufgrund des der Kommission eingeräumten weiten Ermessensspielraums bei der Anwendung der Ausnahmeklauseln des Art. 107 Abs. 3 AEUV nehmen die Leitlinien und Unionsrahmen in der Beihilfenpraxis einen sehr hohen Stellenwert ein und haben nicht selten de facto verbindlichen Charakter. Einen Teil der ermessensleitenden Vorschriften hat die Kommission durch spezielle Gruppenfreistellungsverordnungen ersetzt, durch die einzelne Beihilfenkategorien unter bestimmten Voraussetzungen mit unmittelbar bindender Wirkung für zulässig erklärt werden. Das bedeutet, dass nunmehr auch innerhalb der Ermessenstatbestände des Art. 107 Abs. 3 AEUV auf eine Notifizierung verzichtet und eine Beihilfe ausgekehrt werden kann, ohne dass eine Genehmigung durch die Kommission erforderlich ist. Investiert etwa ein mittleres Unternehmen, wie ein Fußballverein, in ein Fußballstadion und erhält dafür Zuschüsse der Stadt, so sind diese, wenn bestimmte Fördersätze nicht überschritten werden (von 15 % des Investitionsvolumens) durch ein allgemeines Gesetz (nämlich die allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung in Verbindung mit der Verordnung für KMU) freigestellt. Werden die Bedingungen der Verordnung eingehalten, kann das Geld ausgekehrt werden. Über die Einhaltung der Verordnung wachen sodann neben der Kommission auch die nationalen Gerichte, die diese Verordnungen direkt anwenden können. 2.2.2.5
Ist eine Notifizierung bei der Kommission erforderlich?
2.2.2.5.1
Welches Verfahren ist nach Art. 108 AEUV einzuhalten?
Die Genehmigung und die Kontrolle mitgliedstaatlicher Beihilfenprojekte erfolgen im Rahmen der Durchführung eines Aufsichtsverfahrens vor der Kommission nach Art. 108 AEUV. Zudem wurden wesentliche Aspekte der Beihilfenaufsicht durch die Verfahrensverordnung in Beihilfensachen (VerfVO) konkretisiert, die die Anwendung des Art. 108 AEUV und das gesamte Verfahren im Beihilfenrecht kodifiziert. Erhält die Kommission Informationen „gleich welcher Herkunft“ über angeblich gewährte Beihilfen, so hat sie diese unverzüglich zu prüfen (Art. 10 Abs. 1 VerfVO). Insoweit bestehen auch im Fall einer formlosen Beschwerde beispielsweise durch ein konkurrierendes Unternehmen weitreichende Untersuchungspflichten der Kommission. Entscheidend ist dabei, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht einmal um ein konkurrierendes Unternehmen handeln muss und dass die formlose Beschwerde prinzipiell kostenlos ist. Das führt in der Praxis dazu, dass beispielsweise auch andere Gegner eines Immobilienvorhabens wie etwa Naturschützer kostenlos Kontrollverfahren initiieren können. Um hier Verzögerungsrisiken zu vermeiden, müssen die Projektbegleiter auf die entsprechenden Kritikpunkte vorbereitet sein. Art. 108 AEUV unterscheidet zwischen bestehenden Beihilferegelungen, die einer fortlaufenden Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt unterliegen (Abs. 1), und neu eingeführten bzw. umgestalteten Beihilfen, die, bevor sie tatsächlich anlaufen, von der Kommission zunächst einer vorläufigen Prüfung unterzogen werden (Abs. 3). Hierzu müssen neue oder umgestaltete Beihilfen durch den Mitgliedstaat vor ihrer Gewährung bei der Kommission notifiziert, d. h. angemeldet werden. Stellt die Kommission im Rahmen ihrer vorläufigen Prüfung fest, dass die bestehende oder neue Beihilfe mit dem Binnenmarkt unvereinbar erscheint, so ist sie verpflichtet, das förmliche Hauptprüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten.
2.2 Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht
153
Bis zu einer abschließenden positiven Entscheidung der Kommission innerhalb von zwei Monaten ist es dem Mitgliedstaat (und damit der beihilfengewährenden Stelle) verboten, jedwede beabsichtigte Beihilfe zu gewähren, sei sie notifiziert oder nicht, sei sie materiell zulässig oder nicht (Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, Art. 3 VerfVO, so genanntes Durchführungsverbot bzw. „Stillhaltepflicht“). Das Hauptprüfverfahren endet mit der endgültigen Entscheidung der Kommission. Darin kann sie eine Beihilfe entweder (gegebenenfalls unter Auflagen) genehmigen, die Genehmigung versagen oder feststellen, dass keine Beihilfe vorliegt (Art. 7 VerfVO). Insgesamt kann ein Notifizierungsverfahren samt Hauptprüfung durchaus bis zu 18 Monate dauern. Daher muss es im Rahmen von Pränotifizierungsgesprächen gut vorbereit sein, um anschließend einen möglichst reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Angesichts dieser Verzögerungsrisiken wird zugleich deutlich, dass eine Projektausgestaltung zu bevorzugen ist, die Begünstigungen ausschließt oder nur Beihilfen auskehrt, die von einem bereits notifizierten Programm erfasst werden (etwa der Tourismusförderung) oder unter eine Freistellungsverordnung fallen. 2.2.2.5.2
Wie läuft die Notifizierung ab, wie eine Rückforderung rechtswidriger Beihilfen?
In Deutschland gibt es keine eigenständige Behörde, die für die Einhaltung von Art. 108 Abs. 3 AEUV und Art. 14 VerfVO zuständig ist. Stattdessen wird lediglich ein Bundesministerium damit betraut, die Notifizierungen gegenüber der Europäischen Kommission technisch abzuwickeln. Der Anstoß zur Notifizierung kommt dagegen von der beihilfenvergebenen Stelle auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene. Zuständig war zunächst das Bundesministerium für Wirtschaft, seit 1998 sodann das Bundesministerium der Finanzen und aktuell das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Das BMWi ist selbst dann für das Notifizierungsverfahren zuständig, wenn die Beihilfe durch eine Behörde auf Landes- oder Kommunalebene bzw. durch eine sonstige juristische Person des öffentlichen Rechts gewährt werden soll. Darüber hinaus überwacht das BMWi die Durchsetzung von Rückforderungsverpflichtungen enthaltenden Kommissionsentscheidungen. Die Länder haben entsprechende Arbeitseinheiten in ihren Ministerien (meist den Wirtschaftsministerien) eingerichtet, die mit dem BMWi in Beihilfenfragen zusammenarbeiten. Die Entscheidung über die Vergabe von Subventionen wird allerdings durch eine Vielzahl von Bundes- und Landesministerien sowie sonstigen staatlichen Stellen getroffen, ohne dass ein einheitliches Verfahren bestünde, innerhalb dessen die Einhaltung der unionsrechtlichen Anforderungen einschließlich der Notifizierungspflicht überprüft würde. Dies stellt insbesondere dann ein Problem dar, wenn nicht geklärt ist, ob es sich um eine staatliche Beihilfe handelt, beispielsweise bei Verträgen im Rahmen einer Public-Private-Partnership oder beim Verkauf öffentlicher Grundstücke, durch den bestimmte Unternehmen möglicherweise begünstigt werden. Im Fall der Beteiligung kommunaler Behörden wiegt diese Problematik umso schwerer. Hier ist regelmäßig die mit der Kommunalaufsicht betraute Institution (Landkreis, Ministerien und/oder Bezirksregierung/Regierungspräsidium u. a.) mit der Überwachung der Notifizierungspflicht befasst und muss eine entsprechende Risikoabschätzung vornehmen. Das gilt gleichermaßen für den privaten Investor, der gegebenenfalls noch Jahre nach Projektdurchführung mit einer Rückforderungszahlung konfrontiert sein kann. Wird die Genehmigung von der Kommission verweigert und ist die Beihilfe bereits ausgezahlt, gibt diese in einem Beschluss dem Mitgliedstaat auf, sie zurückzufordern (Art. 11 und 14 VerfVO). Desgleichen kann die Kommission hinsichtlich lediglich formell rechtswid-
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2 Öffentliches Recht der Immobilienwirtschaft
riger, d. h. nicht notifizierter und damit unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ausgekehrter Beihilfen, dem Mitgliedstaat aufgeben, diese einstweilig zurückzufordern, bis die Kommission über deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt entschieden hat. Auch wenn sich die Rückforderungsanordnung der Kommission jeweils an den Mitgliedstaat richtet, ist die Beihilfe an diejenige Einrichtung zurückzuzahlen, die sie gewährt hat. Da unionsrechtliche Vorgaben zum Rückforderungsverfahren fehlen, bestimmt sich die Rückabwicklung nach den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften. Einer Rückforderung unter Umständen entgegenstehendes nationales Recht hat dabei wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs zurückzustehen. Angesichts der Rückforderungsmöglichkeit noch bis zu zehn Jahren nach Auskehrung einer rechtswidrigen Beihilfe, bestehen erhebliche LangfristRisiken, so dass etwa die „Due-diligence“-Prüfung bei Immobilienkäufen sinnvollerweise auch etwaige Beihilfenrisiken einbeziehen sollte. 2.2.2.6
Welche rechtlichen Risiken oder Angriffsmöglichkeiten bestehen?
Rechtsschutz im Beihilfenrecht gewährleisten einerseits die nationalen Gerichte. Sie sind mit der Aufgabe betraut, die Rechte des Einzelnen bei Verstößen gegen die resultierende Anmeldepflicht zu schützen. Wurde etwa im Rahmen eines begünstigenden Grundstücksverkaufs eine Beihilfe rechtswidrig und ohne Notifizierung ausgekehrt, kann dies dazu führen, dass die Nichtigkeit beihilfenrechtswidriger Verträge wegen Verstoßes gegen § 134 BGB gerichtlich festgestellt wird. Insofern bestehen also erhebliche Risiken auf Seiten der Investoren, da die Nichtigkeitsfolge komplizierte Fragen für den weiteren Fortgang des Projektes aufwirft. Unabhängig davon unterliegt die Ausübung der beihilfenrechtlichen Kontrollkompetenz der Kommission der Überprüfung durch die Unionsgerichte. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Beteiligtenrechte im Beihilfenverfahren relativ restriktiv ausgestaltet sind, gewinnt der gerichtliche Rechtsschutz an Bedeutung. Ein Interesse an der gerichtlichen Überprüfung eines Kommissionsbeschlusses kann für die Mitgliedstaaten und ihre Untergliederungen, den Beihilfenempfänger und Wettbewerber bestehen. Aber auch sonstige Akteure wie etwa Natur- oder Tierschützer, die ein Immobilienvorhaben verhindern wollen, können sich mit einer Beschwerde an die Kommission wenden. Im Vordergrund der Verfahren vor den Unionsgerichten steht die Nichtigkeitsklage, insbesondere wenn sich das begünstigte Unternehmen gegen eine ablehnende Genehmigungsentscheidung wehrt. Mittelbar können Fragen des Beihilfenrechts auch in einem Vorlageverfahren an den EuGH relevant werden, wenn in einem innerstaatlichen immobilienrechtlichen Prozess die Frage aufgeworfen wird, ob nicht eine unzulässige Beihilfe in einem Immobilienprojekt „versteckt“ ist. Schließlich kann die Kommission eine Überprüfung einleiten, die wie dargelegt auch von sonstigen Dritten angeregt werden kann. Sie kann in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen den Staat münden, dessen Körperschaft die Beihilfe vergeben hat. Das besonders Pikante an diesen Verfahren ist, dass noch bis zu zehn Jahren nach der rechtswidrigen Beihilfenvergabe ein entsprechendes Verfahren eingeleitet werden kann, an dessen Ende die Rückforderung der Fördersumme (samt Zins und Zinseszins!) steht. Als Klageform kommt daneben für negativ betroffene konkurrierende Unternehmen auch die Untätigkeitsklage in Betracht, wenn die Kommission gegen eine tatsächlich oder vermeintlich rechtswidrige Beihilfe nicht einschreitet.
Literaturverzeichnis zu Kap. 2
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Literaturverzeichnis zu Kap. 2 Battis, U./Krautzberger, M./Löhr, R.P.: Kommentar zum BauGB, 11. Auflage, Verlag C. H. Beck, München, 2009. Brenner, M.: Öffentliches Baurecht, 3. Auflage, C. F. Müller Verlag, Heidelberg, 2009. Brügelmann (Begr.): Kommentar zum BauGB, Loseblattausgabe, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart. Ernst, W./Zinkahn, W./Bielenberg, W./Krautzberger, M.: Kommentar zum BauGB, Loseblattausgabe, Verlag C. H. Beck, München. Fickert, H. C./Fieseler, H.: Baunutzungsverordnung, Kommentar, 11. Auflage, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2008. Gelzer,K./Bracher,C./Reidt,O.: Bauplanungsrecht, 7. Auflage, Otto Schmidt Verlag, Köln 2004. Jäde, H./Dirnberger, F./Weiß, J.: Baugesetzbuch und Baunutzungsverordnung, Kommentar, 6. Auflage, Verlag Boorberg, Stuttgart 2010. König, H./Roeser, T./Stock, J.: Baunutzungsverordnung, Kommentar, 2. Auflage, Verlag C. H. Beck, München 2003. Krautzberger, M./Söfker, W.: BauGB mit BauNVO, Leitfaden und Kommentierung, 7. Auflage, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, München 2004. Kühling, J.: Subventionsrecht, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1 (Öffentliches Wirtschaftsrecht), 3. Aufl. 2012, § 29 Schlichter, O./Stich, R./Driehaus,H./Paetow,S. (Hrsg.): Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Auflage, Loseblattausgabe, C. Heymanns Verlag. Schrödter, H. (Begr.): Baugesetzbuch, Kommentar, 7. Auflage, Verlag Vahlen, München 2006. Stüer, B.: Der Bebauungsplan, 4. Auflage, Verlag C. H. Beck, München 2009. Stüer, B.: Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Auflage, Verlag C. H. Beck, München 2009.
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Der Grundstückskaufvertrag Jan Lindner-Figura
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.2.1 3.1.2.1.1 3.1.2.1.2 3.1.2.1.3 3.1.2.1.4 3.1.2.1.5 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.2.4 3.1.2.5 3.1.2.6 3.1.3 3.1.3.1 3.1.3.2 3.1.3.3 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.4 3.2.4.1 3.2.4.2 3.2.4.3 3.2.4.4
Einführung ..................................................................................................... 159 Allgemeines ................................................................................................... 159 Klärung einschlägiger Vorfragen .................................................................. 159 Grundbuch ..................................................................................................... 159 Funktion des Grundbuchs .............................................................................. 159 Einteilung des Grundbuchs............................................................................ 160 Grundbucheinsicht......................................................................................... 162 Grundzüge des Grundbuchrechts................................................................... 162 Nicht eintragungsfähige Rechte und Beschränkungen .................................. 163 Liegenschaftskataster .................................................................................... 164 Baulastenverzeichnis ..................................................................................... 164 Bebaubarkeit.................................................................................................. 165 Steuerrecht ..................................................................................................... 165 Due Diligence ................................................................................................ 165 Formerfordernisse ......................................................................................... 165 Zweck des Beurkundungszwangs.................................................................. 165 Gegenstand des Beurkundungszwangs .......................................................... 166 Umfang des Beurkundungszwangs ............................................................... 167 Inhalt des Grundstückskaufvertrags .............................................................. 168 Die Vertragsparteien und ihre Vertretung ..................................................... 168 Verkäufer und Käufer .................................................................................... 168 Vertretung der Vertragsparteien .................................................................... 170 Kaufgegenstand ............................................................................................. 171 Grundstück, Teilfläche eines Grundstücks .................................................... 171 Wesentliche Bestandteile, Zubehör ............................................................... 172 Bauverpflichtung ........................................................................................... 172 Kaufpreis ....................................................................................................... 172 Kaufpreisbestimmung ................................................................................... 172 Steuerliche Erwägungen ................................................................................ 173 Kaufpreisfälligkeit und -zahlung ................................................................... 173 Eigentumsverschaffungsvormerkung ............................................................ 174 Rechtliche Fälligkeitsvoraussetzungen.......................................................... 174 Tatsächliche Fälligkeitsvoraussetzungen....................................................... 175 Fälligkeitsmitteilung ...................................................................................... 175
158 3.2.4.5 3.2.4.6 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.6 3.2.6.1 3.2.6.2 3.2.7 3.2.8 3.2.9 3.2.9.1 3.2.9.2 3.2.9.3 3.2.9.4 3.2.9.5 3.2.9.6 3.2.9.7 3.2.10 3.2.11 3.2.12 3.2.13 3.2.13.1 3.2.13.2 3.2.13.3
3 Der Grundstückskaufvertrag Notaranderkonto............................................................................................ 175 Lastenfreistellung .......................................................................................... 176 Sicherung der Kaufpreiszahlung, Verzug.......................................................177 Bürgschaft, Patronatserklärung ..................................................................... 177 Vollstreckungsunterwerfung ......................................................................... 177 Verzug, Rücktritt ........................................................................................... 178 Finanzierung des Kaufpreises ........................................................................178 Neuaufnahme von Darlehen .......................................................................... 178 Übernahme bestehender Darlehen und Grundpfandrechte ............................ 179 Übergang von Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten .........................................179 Übernahme von Mietverhältnissen .................................................................180 Mängelhaftung ...............................................................................................180 Rechte wegen Mängeln des Kaufgegenstands .............................................. 180 Rechtsmängel ................................................................................................ 181 Sachmängel ................................................................................................... 181 Garantien ....................................................................................................... 181 Haftungsausschluss bei Kenntnis/Kennenmüssen des Käufers ..................... 182 Vertragliche Haftungsbeschränkungen ......................................................... 182 Verjährung .................................................................................................... 182 Auflassungsvormerkung ................................................................................183 Auflassung .....................................................................................................185 Kosten, Steuern, Makler .................................................................................188 Sonstiges ........................................................................................................188 Einwilligung/Genehmigung des Ehegatten (§ 1365 BGB) ........................... 188 Bestehende Arbeitsverhältnisse..................................................................... 189 Vorkaufsrecht, Ankaufrechte ........................................................................ 189
3.1 Einführung
3.1
Einführung
3.1.1
Allgemeines
159
Durch einen Grundstückskaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer insbesondere, dem Käufer das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen; der Käufer verpflichtet sich insbesondere, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Auf einen solchen Vertrag ist schuldrechtlich das Kaufrecht des BGB (§§ 433 ff. BGB) anwendbar. Da der Grundstückskaufvertrag nach § 311b Abs. 1 BGB der notariellen Beurkundung bedarf und das Eigentum an einem Grundstück erst durch Eintragung im Grundbuch auf den Käufer übergeht, haben auch die Regelungen des Beurkundungsrechts (vgl. nachfolgend 3.1.3) und des Grundbuchrechts (vgl. nachfolgend 3.1.2.1) Bedeutung für den Inhalt des Grundstückskaufvertrags. Mit diesem Kapitel soll ein kurzer Überblick über die im Vorfeld des Abschlusses eines Grundstückskaufvertrags zu klärenden, einschlägigen Vorfragen sowie den üblichen Inhalt eines Grundstückskaufvertrags (Asset Deal) gegeben werden. Die folgenden Ausführungen gelten jedoch grundsätzlich auch für den Fall, dass Miteigentumsanteile an einem Grundstück, Wohnungseigentum oder ein Erbbaurecht verkauft werden.
3.1.2
Klärung einschlägiger Vorfragen
Vor Abschluss eines Grundstückskaufvertrags sind regelmäßig eine Reihe von Fragen zu klären und diverse Themen durch die Vertragsparteien zu prüfen. 3.1.2.1
Grundbuch
Vor dem Erwerb eines Grundstücks sollte unbedingt der (dingliche) Rechtszustand des Grundstücks festgestellt werden, wie er sich aus dem Grundbuch ergibt. Denn die wesentliche Aufgabe des Grundbuchs ist es, grundsätzlich alle Rechtsverhältnisse (insbesondere auch alle dinglichen Belastungen des Grundstücks, z. B. Hypotheken und Grundschulden), die im Hinblick auf ein Grundstück relevant sind, klar und übersichtlich darzustellen. Im Folgenden sollen aufgrund der erheblichen Bedeutung für die Praxis kurz die Funktion und die Einteilung des Grundbuchs sowie die Grundzüge des Grundbuchrechts dargestellt werden. 3.1.2.1.1
Funktion des Grundbuchs
Das Grundbuchrecht ist die formelle Seite des Grundstücksrechts. Das materielle Grundstücksrecht setzt voraus, dass es ein Grundbuchsystem und ein formelles Grundbuchverfahren gibt. Nach dem Eintragungssystem des materiellen Rechts ist regelmäßig keine Übertragung von Grundstücken und keine Rechtsveränderung von Grundstücksrechten ohne Eintragung im Grundbuch möglich (vgl. §§ 873, 875, 877, 925 BGB). Das Grundbuch und das Grundbuchrecht spiegeln die besondere Bedeutung wider, die dem Grundeigentum nach dem deutschen Rechtssystem beigemessen wird. Das Grundbuch hat die Aufgabe, dem Rechtsverkehr über Grundstücke eine sichere Grundlage zu geben. Alle Rechtsverhältnisse, die im Hinblick auf ein Grundstück von Bedeutung sind, sollen sich ebenso wie Rechtsänderungen klar und übersichtlich aus dem Grundbuch ergeben. Dies ist eine wesentliche Grundlage insbesondere auch für den Realkredit. Auch wenn das deutsche
160
3 Der Grundstückskaufvertrag
Grundbuchrecht eine besondere Sicherheit für den Rechtsverkehr für sich in Anspruch nehmen kann, folgt daraus jedoch nicht, dass sich sämtliche Rechtsverhältnisse eines Grundstücks aus dem Grundbuch ergeben müssen:
Davon ausgenommen sind z. B. Briefgrundpfandrechte, also Briefhypotheken und Briefgrundschulden. Der durch Urkunden legitimierte Inhaber des Rechts kann sich aber jederzeit im Grundbuch als Gläubiger des Grundpfandrechts eintragen lassen. Rechtsänderungen außerhalb des Grundbuches können dazu führen, dass Eintragungen im Grundbuch unrichtig oder unvollständig geworden sind (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 2, Rn. 356 ff.). Insbesondere gilt dies für erbrechtliche und für gesellschaftsrechtliche Vorgänge (z. B. überträgt ein Gesellschafter einer Grundstücksgesellschaft bürgerlichen Rechts seinen Anteil an der Gesellschaft auf einen Dritten). Öffentlich-rechtliche Bindungen sind häufig nicht aus dem Grundbuch ersichtlich, insbesondere nicht die öffentlich-rechtlichen Baulasten.
3.1.2.1.2
Einteilung des Grundbuchs
Die Einteilung eines Grundbuchblattes basiert auf § 4 der Grundbuchverfügung (GBV), wonach jedes Grundbuchblatt aus der Aufschrift (mit Bezeichnung des Amtsgerichts, des Grundbuchbezirks und jeweils der Nummer des Grundbuchbandes und des Grundbuchblattes), dem Bestandsverzeichnis und drei Abteilungen besteht. Bestandsverzeichnis Die Grundstücke, die in einem bestimmten Grundbuchblatt geführt werden (vgl. §§ 3 und 4 GBO) und auf die sich die dortigen Eintragungen beziehen, sind im Bestandsverzeichnis einzutragen. In Spalte 1 erhalten die Grundstücke laufende Nummern („lfd. Nr.“). Die Eintragungen in den Abteilungen I bis III verweisen auf diese laufende Nummer. Jedes Grundstück im Rechtssinn hat eine eigene laufende Nummer, auch wenn es aus verschiedenen Flurstücken besteht. Die genaue Bezeichnung des Grundstücks ist in Spalte 3, unterteilt in Unterspalten 3 a bis 3 e nach den Angaben im amtlichen Verzeichnis i. S. d. § 2 Abs. 2 GBO (insbesondere Liegenschaftskataster) aufzunehmen. In Unterspalte a wird die Gemarkung eingetragen, in Unterspalte b die vermessungstechnische Bezeichnung mit Flur- und Flurstücksnummer. In den Unterspalten c und d erscheinen die Nummern eines – falls noch geführten – Katasterbuches. Wirtschaftsart und Lage mit Straße, Hausnummer oder sonstiger ortsüblicher Bezeichnung erscheinen in der Unterspalte e. Spalte 4 zeigt die Größe des Grundstücks. Die übrigen Spalten dienen zur Kenntlichmachung von Veränderungen, insbesondere Zu- und Abschreibungen. Wegen der Einzelheiten wird auf § 6 GBV verwiesen. Im Bestandsverzeichnis werden ferner Rechte aufgeführt, die für ein herrschendes Grundstück und zu Lasten eines anderen Grundstücks eingetragen sind, z. B. Grunddienstbarkeiten wie Überfahrts- oder Leitungsrechte. Abteilung I (Eigentumsverhältnisse) In der ersten Abteilung des Grundbuchs wird der Eigentümer eingetragen. Diese Abteilung umfasst 4 Spalten; die dort vorgeschriebenen Eintragungen ergeben sich aus § 9 GBV. Bei mehreren gemeinschaftlichen Eigentümern müssen auch die Anteile der Berechtigung oder das für die Gemeinschaft maßgebliche Rechtsverhältnis (§ 47 GBO) eingetragen werden, so z. B. eine Beteiligung als Miteigentümer nach Bruchteilen oder als Gesamthands-
3.1 Einführung
161
eigentümer in Gesellschaft bürgerlichen Rechts bzw. als ungeteilte Erbengemeinschaft. In Spalte 4 ist der Grund des Erwerbs angegeben (z. B. aufgrund Auflassung, aufgrund Erbscheins oder aufgrund gesellschaftsrechtlichen Übertragungsvorgangs, etwa Anteilsübertragung). Die Spalten 1 und 3 enthalten die lfd. Nr. der Eintragung bzw. die lfd. Nr. des betroffenen Grundstücks im Bestandsverzeichnis. Abteilung II (Lasten und Beschränkungen) Die zweite Abteilung dient der Eintragung aller Belastungen des Grundstücks – mit Ausnahme von Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden – sowie der weiter in § 10 GBV aufgeführten Grundbuchvermerke, nämlich Vormerkungen und Widersprüche, die sich auf Eintragungen in Abteilung II und auf das Eigentum beziehen, Verfügungsbeschränkungen des Eigentümers und Grundbuchvermerke, die in öffentlich-rechtlichen Verfahren wie Enteignungsverfahren und in ähnlichen Fällen gesetzlich vorgesehen sind und auf diese Verfahren hinweisen, wie etwa Umlegungs- oder Entwicklungsvermerke. In Abteilung II werden die im Sachenrecht des BGB geregelten Belastungen eines Grundstücks durch Dienstbarkeiten, Nießbrauch, Vorkaufsrechte, Reallasten und Erbbaurechte sowie Dauerwohn- oder Dauernutzungsrechte gem. §§ 31 ff. Wohnungseigentumsgesetz (WEG) vermerkt. Zu den einzutragenden Verfügungsbeschränkungen gehören Vermerke über Testamentsvollstreckung, Nacherbschaft, Insolvenzvermerke, Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsvermerke und insbesondere auch zwischen verschiedenen Miteigentümern mit dinglicher Wirkung getroffene Vereinbarungen, z. B. über den Ausschluss der Aufhebung der Gemeinschaft nach § 1010 BGB. Nicht in Abteilung II eingetragen werden können dagegen persönliche Beschränkungen des Eigentümers, die sich aus der Geschäftsfähigkeit oder aus seinem Güterrecht ergeben mögen. Auch wenn schuldrechtliche Beziehungen wie Miete oder Pacht an sich nicht eintragungsfähig sind (vgl. 3.1.2.1.5), kann jedoch versucht werden, die Position des Mieters bzw. Pächters durch ein zusätzlich vereinbartes, durch Dienstbarkeit gesichertes Nutzungsverhältnis zu verbessern. Die zweite Abteilung ist in sieben Spalten unterteilt, die nähere Aufteilung in § 10 GBV geregelt. Abteilung III (Hypotheken, Grund- und Rentenschulden) In der dritten Abteilung des Grundbuchs werden die Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden einschließlich der sich auf diese Rechte beziehenden Vormerkungen und Widersprüche eingetragen (§ 11 Abs. 1 GBV). Die einzelne Aufteilung der aus zehn Spalten bestehenden dritten Abteilung ist in § 11 Abs. 2 ff. GBV geregelt. Auch hier gibt die erste Spalte die lfd. Nr. der Eintragung, die zweite Spalte die lfd. Nr. des belasteten Grundstücks an. In Spalte drei ist der Betrag des Rechts zu vermerken, in Spalte vier sein näherer Inhalt einschließlich der dinglichen Zinsen, einer etwaigen Nebenleistung, Angabe des Gläubigers, einer Zwangsvollstreckungsunterwerfung gem. § 800 ZPO sowie einer etwaigen Mithaft von anderen Grundstücken. Bei Hypotheken oder Grundschulden, die nur als solche bezeichnet sind, handelt es sich um Briefrechte; bei Buchrechten muss der Briefausschluss ausdrücklich vermerkt sein. Die weiteren Spalten der Abt. III dienen der Kenntlichmachung von Veränderungen, wie Abtretungen oder Aufteilungen, sowie von Löschungen.
162
3 Der Grundstückskaufvertrag
Zu empfehlen ist – für alle Abteilungen – die Überprüfung der Eintragungen in sämtlichen Spalten, insbesondere dann, wenn sich aus einer Grundbuchabschrift die bei gelöschten Eintragungen vorzunehmenden Rötungen (d. h. Unterstreichungen) nicht deutlich erkennen lassen. 3.1.2.1.3
Grundbucheinsicht
Eine Grundbucheinsicht ist gem. § 12 GBO jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Dieses muss kein rechtliches Interesse sein, jedes verständige, durch die Sachlage gerechtfertigte, auch wirtschaftliche, Interesse, genügt (Schöner/Stöber a. a. O., Rn. 525 ff.). Notare und Anwälte, die im nachgewiesenen Auftrag eines Notars handeln, sind von der Verpflichtung zur Darlegung eines berechtigten Interesses befreit, ebenso Vermessungsingenieure (§ 43 GBV). Z. B. wird bei einem Käufer nach Abschluss des Kaufvertrages, auch schon vor Beantragung der Auflassungsvormerkung, ein berechtigtes Interesse bejaht; ein Kaufinteressent muss darlegen, dass er bereits in Kaufverhandlungen eingetreten ist (Schöner/Stöber a. a. O., Rn. 525). Das Einsichtsrecht bezieht sich auch auf die Grundakten, insbesondere die dort verwahrten Eintragungsbewilligungen, auf die im Grundbuch Bezug genommen worden ist. Soweit ein Einsichtsrecht besteht, kann auch die Erteilung von Abschriften beantragt werden. Zuständig für Anträge auf Einsicht und Erteilung von Abschriften ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 12 c GBO). § 12 a GBO regelt die Einsicht in sonstige beim Grundbuchamt geführte Verzeichnisse, insbesondere Eigentümer- und Grundstücksverzeichnisse: Ein generelles Einsichtsrecht in diese Verzeichnisse besteht nicht. Der zuständige Beamte kann jedoch Auskunft erteilen, wenn dadurch eine Grundbucheinsicht entbehrlich wird. Das Gesetz regelt jedoch ausdrücklich, dass weder eine Verpflichtung besteht, diese Verzeichnisse auf dem neuesten Stand zu halten, noch eine Haftung bei unrichtiger Auskunft gegeben ist. Zu jedem Grundbuch werden Grundakten geführt. In diese sind die gem. § 10 GBO vom Grundbuchamt zu verwahrenden Urkunden zu nehmen, nämlich insbesondere die den Eintragungen zugrunde liegenden Urkunden wie Eintragungsbewilligungen (§ 19 GBO), Auflassungen (§ 20 GBO), Anträge (§ 13 GBO), aber auch behördliche Bescheinigungen wie die Abgeschlossenheitsbescheinigung gem. § 7 Abs. 4 Nr. 2 WEG. Aufzubewahren sind weiter Legitimationsurkunden, wie Vollmachten, Erbscheine, Testamentsvollstreckerzeugnisse u. ä. 3.1.2.1.4
Grundzüge des Grundbuchrechts
Das Grundbuchrecht ist nach folgenden Hauptgrundsätzen gestaltet:
Nach dem Eintragungssystem hängen der Erwerb von Grundstückseigentum oder Grundstücksrechten oder Verfügungen darüber grundsätzlich von der Eintragung im Grundbuch ab (Eintragungsgrundsatz). Materiell-rechtlich muss außer der Eintragung die Einigung der Beteiligten über die dingliche Rechtsänderung gegeben sein (Einigungsgrundsatz/formelles Konsensprinzip). Für den Grundbuchverkehr verlangt das formelle Konsensprinzip (sog. Bewilligungsgrundsatz) jedoch nur die Erfüllung geringerer Formalitäten: Zur Grundbucheintragung ist grundsätzlich die einseitige Bewilligung des Betroffenen erforderlich und ausreichend (§ 19 GBO). Nach materiellem Recht zur Rechtsänderung notwendige Wil-
3.1 Einführung
163
lenserklärungen brauchen dem Grundbuchamt grundsätzlich nicht nachgewiesen zu werden. Handelt es sich jedoch um die Auflassung eines Grundstücks oder die Bestellung, Änderung des Inhalts oder Übertragung eines Erbbaurechts, ist ausnahmsweise (§ 20 GBO) auch die (materiell-rechtliche) Einigung dem Grundbuchamt nachzuweisen. Eintragungen im Grundbuch werden grundsätzlich nur auf Antrag vorgenommen (§ 13 GBO; Antragsgrundsatz). Antragsberechtigt ist nicht nur der, dessen Recht im Grundbuch betroffen ist, sondern auch derjenige, der aus der Eintragung begünstigt wird (§ 13 Abs. 1 GBO). Nur ausnahmsweise wird das Grundbuchamt von Amts wegen tätig. Die Eintragungen im Grundbuch genießen öffentlichen Glauben (Publizitätsgrundsatz). Dem entspricht, dass derjenige das Grundbuch einsehen kann, der ein berechtigtes Interesse an einer Einsichtnahme hat. Aus Gründen der Rechtssicherheit müssen das vom Rechtsgeschäft betroffene Grundstück sowie Berechtigter und Inhalt von Grundstücksrechten klar und eindeutig festgelegt sein (Bestimmtheitsgrundsatz). Eine Eintragungsbewilligung muss dementsprechend eindeutig auf eine bestimmte Grundbucheintragung gerichtet sein. Sie darf weder Bedingungen noch Befristungen noch Vorbehalte enthalten. Davon macht § 16 Abs. 2 GBO eine Ausnahme; der Antragsteller kann bestimmen, dass eine Eintragung nicht ohne die andere erfolgen soll, wenn mehrere Eintragungen beantragt werden. Eingetragen werden können im Grundbuch nur Grundstücksrechte, die vom Gesetz zugelassen sind (Numerus clausus der Sachenrechte; Typenzwang). Beim Eintragungsverfahren ist die Zulässigkeit der beantragten Eintragung nur nach den Erfordernissen des formellen Grundbuchrechts zu überprüfen. Gemäß Legalitätsprinzip prüft das Grundbuchamt insbesondere, ob es zuständig ist, ob Eintragungsantrag und Eintragungsbewilligung den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, ob ein eintragungsfähiges Recht vorliegt, sowie die Voreintragung des Betroffenen (vgl. nachfolgend Voreintragungsgrundsatz). Nach materiellem Recht richtet sich der Rang von Grundstücksrechten nach der Reihenfolge ihrer Eintragung in das Grundbuch (§ 879 BGB; Vorrangsprinzip). Dem entspricht der formelle Grundsatz, dass die früher beantragte Grundbucheintragung den besseren Rang erhält (§§ 17, 45 GBO). Dementsprechend ist der Zeitpunkt des Antragseingangs beim Grundbuchamt von erheblicher Bedeutung. Eine später beantragte Eintragung darf nicht vorgenommen werden, bevor ein früher gestellter Antrag für dasselbe Recht erledigt ist (§ 17 GBO). Damit wird sichergestellt, dass sich die für die materielle Rechtsposition wesentliche Rangfolge eindeutig aus dem Grundbuch ergibt (vgl. §§ 45 GBO, 879 BGB). Eine Eintragung im Grundbuch soll grundsätzlich nur erfolgen, wenn – zunächst – der von ihr Betroffene und sein Recht eingetragen sind, § 39 Abs. 1 GBO (Voreintragungsgrundsatz). Ausnahmen gelten insbesondere, wenn der Betroffene Erbe des eingetragenen Berechtigten ist (§ 40 GBO), wenn es sich um Briefrechte (§ 39 Abs. 2 GBO) oder um die Eintragung einer Vormerkung oder eines Widerspruchs (§ 18 Abs. 2 GBO) handelt.
3.1.2.1.5
Nicht eintragungsfähige Rechte und Beschränkungen
Im Sachenrecht ist die Vertragsfreiheit in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: Die möglichen dinglichen Rechte, also Rechte an einer Sache/an einem Grundstück sind durch Gesetze abschließend geregelt (Typenzwang). Außerdem wird der Rechtsinhalt insoweit zwingend vorgeschrieben (Typenfixierung).
164
3 Der Grundstückskaufvertrag
Die Beschränkung auf die gesetzlich vorgesehenen Rechtsinstitute bedeutet, dass vom Gesetz nicht vorgesehene Rechte nicht im Grundbuch eingetragen werden können. Diese Einschränkungen der Vertragsfreiheit sind durch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit insbesondere im Grundstücksverkehr gerechtfertigt. Z. B. ist es nicht möglich, ein Mietrecht, ein Pachtrecht oder ein rechtsgeschäftliches Veräußerungsverbot (§ 137 BGB) in das Grundbuch eintragen zu lassen. Die Beschränkung der inhaltlichen Gestaltbarkeit der dinglichen Rechte an Grundstücken bedeutet, dass Vereinbarungen, die den Typenrahmen überschreiten, nicht zum Bestandteil des dinglichen Rechts werden, sondern nur schuldrechtliche Wirkungen haben können. Z. B. kann eine Dienstbarkeit den Eigentümer nicht zu einem positiven Tun als Hauptinhalt der Dienstbarkeit verpflichten (§§ 1018 BGB, 1090 BGB). Der Nießbrauch erlischt unabdingbar mit dem Tod des Berechtigten, entsprechend kann also kein vererblicher Nießbrauch eingetragen werden (§ 1061 BGB). Die Entgeltlichkeit einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit kann nur Gegenstand einer schuldrechtlichen Vereinbarung, aber nicht des dinglichen Rechts sein und ist demzufolge nicht eintragungsfähig. 3.1.2.2
Liegenschaftskataster
Gemäß § 2 Abs. 2 GBO sind Grundstücke im Grundbuch nach den in den Ländern eingerichteten amtlichen Verzeichnissen benannt (Liegenschaftskataster). Im Liegenschaftskataster werden die in Frage stehenden Grundstücke des betreffenden Gebiets in zweierlei Hinsicht erfasst: In einem Registerteil (dem Katasterbuch) ist eine Beschreibung des Grundstücks mit Lagebezeichnung, Nutzungsart und Fläche enthalten; in dem dazugehörigen Katasterkartenwerk befinden sich die nach Vermessung erstellten Katasterkarten. Es empfiehlt sich, vor Abschluss eines Grundstückskaufvertrags Einsicht in das Liegenschaftskataster zu nehmen, um insbesondere festzustellen, wie die genaue Lage des verkauften Grundstücks ist und ob gegebenenfalls Überbauungen der Grundstücksgrenzen vorhanden sind. Ein etwaiger Überbau durch eine Nachbarbebauung auf das Kaufgrundstück oder auch ein Überbau durch die Bebauung des Kaufgrundstücks auf Nachbargrundstücke kann dabei festgestellt werden, wenn der aktuelle Vermessungsstand in den Katasterplänen eingezeichnet ist. Durch eine Überbauung der Grundstücksgrenzen können sich diverse Rechte und Pflichten der betreffenden Grundstückseigentümer ergeben und kann gegebenenfalls die Bebaubarkeit des verkauften Grundstücks eingeschränkt werden. 3.1.2.3
Baulastenverzeichnis
In sämtlichen Bundesländern (mit Ausnahme von Bayern und Brandenburg) bestehen Baulastenverzeichnisse. Aus diesen ergibt sich, ob ein Grundstückseigentümer im Rahmen der Erteilung einer Baugenehmigung zugunsten eines anderen Grundstücks eine öffentlichrechtliche Baulast übernommen hat, die den (jeweiligen) Grundstückseigentümer gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen im Hinblick auf sein Grundstück verpflichtet. Um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob eine etwaige Baulast (z. B. die Belastung mit Wege- oder sonstigen Nutzungsrechten, die Duldung der Unterschreitung von Grenz- und Gebäudeabstandsflächen) auf den Käufer des verkauften Grundstücks übergeht, sollte vor Abschluss des Kaufvertrags eine amtliche Auskunft aus dem Baulastenverzeichnis eingeholt werden.
3.1 Einführung 3.1.2.4
165
Bebaubarkeit
Sofern der Käufer beabsichtigt, das verkaufte Grundstück anschließend zu bebauen oder im Hinblick auf die bestehende Bebauung Baumaßnahmen durchzuführen, sollte unbedingt vor Abschluss des Kaufvertrags bei der für die Bauplanung und die Erteilung der Baugenehmigung zuständigen Behörde eine Klärung im Hinblick auf die geplanten Baumaßnahmen durchgeführt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Käufer mit Vollzug des Grundstückskaufvertrags nicht nur Eigentümer wird, sondern anschließend auch die von ihm geplanten Baumaßnahmen tatsächlich durchführen kann. Sollte es dem Käufer nicht möglich sein, die Bebaubarkeit des Grundstücks vor Beurkundung des Kaufvertrags zu klären, sollte er gegebenenfalls im Kaufvertrag ein Rücktrittsrecht für den Fall vereinbaren, dass die Baugenehmigung versagt wird. 3.1.2.5
Steuerrecht
Sowohl der Verkäufer als auch der Käufer sollten vor Abschluss des Kaufvertrags prüfen, welche steuerlichen Folgen (z. B. im Hinblick auf Einkommensteuer oder Umsatzsteuer) Abschluss und Vollzug des Grundstückskaufvertrags auslösen und welche Konsequenzen sich hieraus für den Abschluss und den Inhalt des Kaufvertrags gegebenenfalls ergeben. 3.1.2.6
Due Diligence
Über die vorstehend aufgeführten Vorfragen hinaus, die regelmäßig im Vorfeld eines Grundstückskaufvertragsabschlusses zu klären sind, werden im Rahmen von Immobilientransaktionen (insbesondere über vermietete Gewerbeimmobilien) vom Verkäufer und/oder vom Käufer und deren Beratern häufig umfangreiche Due Diligence-Prüfungen des zu verkaufenden Grundstücks (nebst Gebäuden) durchgeführt. Dabei erstreckt sich die so genannte „Due Diligence“ (wörtlich übersetzt: „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“) des Käufers üblicherweise auf rechtliche, steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und umweltrechtliche Aspekte. Auf diesem Wege wollen der Verkäufer und/oder der Käufer bereits vor Abschluss des Grundstückskaufvertrags möglichst umfassende Kenntnis von sämtlichen wertmindernden (Rechts-)Verhältnissen und Umständen der Immobilie erlangen. Im Rahmen der Due Diligence sollen insbesondere auch etwaige Risiken und Schwachstellen der Immobilie identifiziert werden, um so eine fundierte Grundlage für eine sachgerechte Bewertung der Immobilie zu erhalten. Schließlich kommt der Due Diligence auch im Rahmen der dokumentierten Ankaufsprüfung eine Beweisfunktion zu (vgl. hierzu im Einzelnen van Kann, Immobilientransaktionen, Rn. 218 ff.).
3.1.3
Formerfordernisse
Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bedarf der notariellen Beurkundung (§ 311b Abs. 1 BGB). Dementsprechend ist jeder (wirksame) Grundstückskaufvertrag notariell zu beurkunden. 3.1.3.1
Zweck des Beurkundungszwangs
Der Zweck des Beurkundungszwangs ist insbesondere der Schutz des Verkäufers vor unüberlegtem Grundstücksverlust und des Käufers vor unangemessenen Erwerbsbedingungen.
166
3 Der Grundstückskaufvertrag
Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund werden drei Funktionen der Beurkundung unterschieden (Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Auflage 2012, § 311b Rn. 2): Warn- und Schutzfunktion Die Parteien werden durch das Formerfordernis auf die besondere Bedeutung des Geschäfts hingewiesen, rechtskundig und unparteiisch beraten (§ 17 BeurkG) und u. U. zur Überprüfung ihres rechtsgeschäftlichen Willens veranlasst. Beweisfunktion Durch die notarielle Urkunde wird der Beweis des Vertragsschlusses und des Vertragsinhalts gesichert. Gewährsfunktion Die Beurkundung soll die Gewähr dafür bieten, dass der Wille der Vertragsschließenden rechtswirksam, richtig und vollständig ausgedrückt wird. 3.1.3.2
Gegenstand des Beurkundungszwangs
Die den Beurkundungszwang auslösende Verpflichtung, ein Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, kann eine rechtliche Verpflichtung sein; ausreichend ist aber schon ein entsprechender wirtschaftlicher Zwang (z. B. durch Vereinbarung eines Bindungsentgelts), wenn einer Partei bei wirtschaftlich vernünftigem Handeln „nichts anderes übrig bleibt“, als den Vertrag abzuschließen. Beurkundungsbedürftig ist nach § 311b Abs. 1 BGB auch die Verpflichtung, Sondereigentum an einer Wohnung einzuräumen, zu erwerben oder aufzuheben, da das Sondereigentum mit einem ideellen Anteil am Grundstückseigentum verbunden sein muss (§§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 3 WEG). Ebenso ist die Verpflichtung, ein Erbbaurecht zu bestellen, zu veräußern oder zu erwerben, beurkundungsbedürftig (§§ 311b BGB, 11 Abs. 2 Erbbaurechtsgesetz – ErbbauRG). Der Beurkundungszwang erstreckt sich auch auf die getrennten Erklärungen von Angebot (zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrags) und dessen Annahme. Die getrennte Beurkundung ist zulässig (§ 128 BGB) und kann zweckmäßig sein, wenn sich vorerst nur eine Partei binden will. Die getrennte Beurkundung kommt auch in Betracht, wenn beide Parteien auf der Einschaltung „ihres“ Notars bestehen, weil z. B. der Notar, der den Entwurf des anderen prüft, honoriert werden soll. Für die Annahme des Angebots wird üblicherweise eine Frist gesetzt. Eine ausdrückliche Fristsetzung ist sinnvoll, weil andernfalls nach § 147 Abs. 1 BGB ein Angebot, das einem Anwesenden gemacht wird, nur sofort angenommen werden kann (nicht selten ist der Angebotsempfänger bei der Beurkundung anwesend, benötigt aber eine Überlegungsfrist zur Annahme). Oder das Angebot wird einem Abwesenden gemacht und kann dann nach § 147 Abs. 2 BGB nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Da der Zugang der Annahme maßgeblich ist (§ 130 BGB), muss ausdrücklich erklärt werden, dass die Beurkundung der Annahme innerhalb der Frist zu deren Wahrung genügen soll. Eine Verlängerung der Annahmefrist bedarf ebenfalls der Beurkundung. Vereinbaren die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen ein Rücktrittsrecht für eine Partei oder für beide Parteien, weil z. B. noch unklar ist, ob eine beabsichtigte Bebauung möglich ist, der Vertrag aber nur in diesem Falle fortbestehen soll, bedarf die Erklärung des Rücktritts nach dem Gesetz keiner Form. Die Änderung der von den Parteien vereinbarten Voraussetzungen für ein Rücktrittsrecht ist dagegen zu beurkunden (BGH DNotZ 1989, 228). Dies
3.1 Einführung
167
gilt nicht, wenn der Rücktritt im Belieben einer Partei steht und die Rücktrittsfrist dafür verlängert wird, soweit der Vertrag insoweit nicht ausdrücklich eine Form vorschreibt (BGH DNotZ 1976, 682). Auch wenn die Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb des Eigentums noch von einer Bedingung abhängig gemacht wird, ist das Rechtsgeschäft bereits beurkundungsbedürftig, wie z. B. im Falle eines Ankaufsrechts oder einer Option. Die Formbedürftigkeit folgt in diesem Falle daraus, dass der Verkäufer zur Übereignung verpflichtet ist, falls der Käufer von seinem Ankaufs- bzw. Optionsrecht Gebrauch macht. Die Ausübung des Ankaufsrechts bzw. der Option wird dagegen nicht als formbedürftig angesehen, obwohl erst durch sie die konkrete Erwerbsverpflichtung des Käufers und die Übertragungsverpflichtung des Verkäufers begründet werden. Das dingliche Vorkaufsrecht (§§ 1094 ff. BGB) bedarf als dingliches Recht zu seiner Entstehung der Eintragung im Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB). Es verpflichtet den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks, kann für mehrere, aber auch alle Verkaufsfälle bestellt werden (§ 1097 BGB) und gilt auch bei Insolvenz sowie Zwangsversteigerung. Nach einhelliger Meinung wird die Verpflichtung zur Bestellung des Vorkaufsrechts als beurkundungsbedürftig angesehen, obwohl dies nicht den allgemeinen Voraussetzungen für den Beurkundungszwang entspricht, weil sich weder der Verkäufer durch die Bestellung eines Vorkaufsrechts zur Übertragung verpflichtet noch der Käufer zur Ausübung des Vorkaufsrechts, d. h. zum Erwerb. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist nicht formbedürftig (§ 464 Abs. 1 Satz 2 BGB). Mit wenigen Ausnahmen bedarf die Änderung eines beurkundeten Kaufvertrages zu ihrer Wirksamkeit stets der Beurkundung, wenn die Leistungspflichten im Kern berührt werden. Das gilt also z. B. bei einer Änderung des Kaufpreises oder der Kaufpreisfälligkeit oder bei einer Änderung der Voraussetzungen für ein Rücktrittsrecht. Nicht erforderlich ist eine Beurkundung dagegen, wenn die Auflassung bereits beurkundet war (BGH NJW 1985, 266; BayObLG BB 1987, 711 f. – streitig) oder nur Abwicklungsschwierigkeiten beseitigt werden sollen, welche die Leistungspflichten nicht im Kern berühren (BGH NJW 1973, 37; BGH NJW-RR 1988, 185 f.; BGH JZ 1994, 524, 526 mit kritischer Anmerkung Tiedtke). Dagegen sind Änderungen von Erbbaurechtsverträgen stets beurkundungsbedürftig. Beurkundungsbedürftig ist auch die Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages, wenn der Vertrag im Grundbuch bereits vollzogen ist, denn in diesem Fall ist der Käufer zur (Rück) Übereignung verpflichtet, oder wenn für den Käufer ein Anwartschaftsrecht entstanden, also wenn die Auflassung bereits erklärt und der Umschreibungsantrag gestellt oder wenn zumindest die Eintragung einer Auflassungsvormerkung beantragt ist (BGH DNotZ 1982, 619 ff.). Für Grundstückskaufverträge kann als Faustregel gelten: Die Änderung ist nach, die Aufhebung vor der Auflassung formfrei. 3.1.3.3
Umfang des Beurkundungszwangs
Zur Wirksamkeit der Beurkundung ist es erforderlich, dass das Vereinbarte Gegenstand der notariellen Urkunde wird. Die Beurkundungspflicht erstreckt sich dabei nicht nur auf die Veräußerungs- oder die Erwerbsverpflichtung, sondern auf alle Vereinbarungen, aus denen sich nach dem Willen der Parteien das schuldrechtliche Veräußerungsgeschäft zusammensetzt. Alles, was nach dem Willen der Parteien eine rechtliche Wirkung erzeugen soll, ist zu beurkunden (BGHZ 85, 315, 317; BGH DNotZ 1979, 406). Daher sind auch
168
3 Der Grundstückskaufvertrag
Nebenabreden beurkundungsbedürftig, soweit sich die Parteien darüber einig sind, dass sie Vertragsinhalt werden sollen. Wenn verschiedene Verträge (z. B. zwei Grundstückskaufverträge oder ein Grundstückskaufvertrag und ein Bauvertrag/ein Mietvertrag) nach dem Willen der Parteien miteinander „stehen und fallen“ sollen, bilden sie nach der langjährigen Rechtsprechung eine rechtliche Einheit (BGHZ 101, 393, 396; BGH NJW 1987, 1069). Sie müssen entweder gemeinsam beurkundet werden oder bei getrennten Urkunden muss die Abhängigkeit entweder in jeder Urkunde verlautbart werden oder, wenn die zuletzt errichtete Urkunde lediglich eine Ergänzung der früher beurkundeten ist, in der zuletzt errichteten Urkunde (BGHZ 104, 23; BGH NJW 2000, 2017). Ist der Urkundeninhalt unrichtig, gibt es zum einen den Fall der unbewussten Unrichtigkeit des Inhalts; auch wenn die Parteien ihre Erklärungen, wenn diese nicht zutreffend in der Urkunde wiedergegeben sind, anfechten können, ist gleichwohl die Form gewahrt. Haben jedoch die Parteien bewusst Unrichtiges beurkunden lassen, handelt es sich um ein Scheingeschäft (§ 117 BGB). Zwar sind in diesem Falle die zum Schein abgegebenen Erklärungen beurkundet, aber sie sind nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig; die auf das verdeckte Rechtsgeschäft bezogenen Erklärungen der Parteien sind dagegen nicht beurkundet und daher wegen Formmangels nichtig (Palandt/Grüneberg a. a. O., § 311 b, Rn. 36 m.w.N.). Ein Vertrag, der nicht der durch Gesetz vorgeschriebenen Form entspricht, ist nichtig (§ 125 Abs. 1 BGB). Der Formmangel kann jedoch geheilt werden durch rechtswirksame Auflassung und die nachfolgende Eintragung der Eigentumsübertragung im Grundbuch; der Vertrag wird dann „seinem ganzen Inhalte nach gültig“ (§ 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB). Mit dieser Heilung des Beurkundungsmangels werden auch nicht beurkundete Nebenabreden, formunwirksame Vorverträge, sofern diese ihrem Inhalt nach nicht über den Hauptvertrag hinausreichen, und Verträge, die eine rechtliche Einheit mit dem Grundstückskaufvertrag bilden, wirksam.
3.2
Inhalt des Grundstückskaufvertrags
Im Folgenden soll ein Überblick über den üblichen Inhalt eines Grundstückskaufvertrags gegeben werden. Der Inhalt eines Grundstückskaufvertrags kann dabei jedoch sehr von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängig sein, die es notwendig machen, diverse weitere und/oder geänderte Regelungen in den Kaufvertrag aufzunehmen.
3.2.1
Die Vertragsparteien und ihre Vertretung
3.2.1.1
Verkäufer und Käufer
Die Vertragsparteien bzw. die für diese bei der Beurkundung des Kaufvertrags Erschienenen werden im Urkundseingang mit den persönlichen Daten (Vor-, Familien-, ggf. Geburtsname, Geburtsdatum und Anschrift) aufgeführt. Bei Personen- oder Handelsgesellschaften werden die Firma, die Gesellschaftsform, der Sitz und möglichst auch die Stelle des Handelsregisters angegeben, an der die Gesellschaft eingetragen ist.
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
169
Nur wenn der Verkäufer im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist, wird der gute Glaube an dessen Eigentum geschützt (§ 892 BGB). Ist daher der Verkäufer nicht als Eigentümer eingetragen, sondern will er als dessen Rechtsnachfolger, Gesamtrechtsnachfolger (insbesondere Erbe) oder als Testamentsvollstrecker verfügen, ist Vorsicht geboten. Will der Erbe des eingetragenen Eigentümers das Grundstück veräußern, ist seine vorherige Eintragung im Grundbuch im Wege der Grundbuchberichtigung nur dann erforderlich, wenn kein Erbschein vorliegt (§ 2353 BGB) und für den Käufer schon vor Eigentumsumschreibung ein Finanzierungsgrundpfandrecht eingetragen werden soll, bei dem der Verkäufer mitwirken muss. Für die Eintragung der Vormerkung und für die Umschreibung des Eigentums ist dagegen nicht erforderlich, dass der Erbe vor Eigentumsumschreibung ins Grundbuch eingetragen wird (§ 40 Abs. 1 GBO). Damit soll der Grundbuchverkehr erleichtert werden und die Beteiligten sollen Kosten sparen können. Unterbleibt jedoch die Grundbuchberichtigung, muss der Käufer auch noch im Zeitpunkt der Eigentumsumschreibung gutgläubig sein. Wird der Erbe vor der Umschreibung auf den Käufer in das Grundbuch eingetragen, braucht der Käufer nur bis zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Eintragung gutgläubig zu sein (§ 892 Abs. 2 BGB). Unabhängig davon, ob lediglich ein Erbschein vorliegt oder der Erbe im Wege der Grundbuchberichtigung auch im Grundbuch eingetragen wurde, bleibt also für den Käufer grundsätzlich das Risiko bestehen, dass ein Dritter, der sich als tatsächlicher Erbe herausstellt, die Herausgabe des Grundstücks und die Berichtigung des Grundbuchs verlangen kann. Für den Fall, dass der Erblasser Nacherben eingesetzt hat, ist der ihn unmittelbar Beerbende sog. Vorerbe. Dessen Verfügungsbefugnis ist im Interesse der Nacherben beschränkt (§ 2113 BGB), und zwar insbesondere für Grundstücks- und unentgeltliche Verfügungen. Bei Nacherbfolge ist die unentgeltliche oder auch teilweise unentgeltliche Verfügung eines Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde (§ 2113 Abs. 1 BGB). Dem Grundbuchamt ist die Entgeltlichkeit der Verfügung nachzuweisen. Daher empfiehlt es sich, den Nacherben zur Vermeidung eines späteren Streits über die Entgeltlichkeit bei der Verfügung mitwirken zu lassen. Ein Testamentsvollstrecker als Verkäufer eines (Nachlass-)Grundstücks muss eine Ausfertigung des Testamentsvollstreckerzeugnisses vorlegen. Daraus können sich Beschränkungen in der Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers ergeben. Der Testamentsvollstrecker kann inhaltlich in seiner Verfügungsbefugnis beschränkt sein (z. B. durch ein Verbot, das Grundstück zu veräußern) oder gegenständlich (z. B. unterliegt das Nachlassgrundstück nicht der Testamentsvollstreckung). Da das Amt des Testamentsvollstreckers erst mit der Annahme gegenüber dem Nachlassgericht beginnt (§ 2202 Abs. 2 BGB), muss der Testamentsvollstrecker die Amtsannahme nachweisen, wenn er schon vor Erteilung des Zeugnisses gehandelt hat. Für den Fall, dass mehrere Käufer auftreten, muss das Anteilsverhältnis, in dem sie das Eigentum erwerben, angegeben werden (§ 47 GBO). Sie erwerben als Miteigentümer „ideelle“ Anteile am Grundstück, über die sie jeweils wie Alleineigentümer verfügen können, wenn sie lediglich das Grundstück gemeinsam erwerben wollen, ohne damit einen weiteren gemeinschaftlichen Zweck zu verfolgen. Den Käufern steht nach dem Erwerb das Eigentum am Grundstück nach Bruchteilen zu. Das Grundstück wird also weder real geteilt noch steht es ihnen zur gesamten Hand zu. Vereinbaren dagegen die Käufer eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wird das Grundstück Gesamthandsvermögen. Die Nutzungs- und Verwertungsbefugnis daran steht nur allen Gesamthändern zu, alleine können sie nur über ihren Anteil an der Gesellschaft verfügen.
170 3.2.1.2
3 Der Grundstückskaufvertrag Vertretung der Vertragsparteien
Im Kaufvertrag sind bei der jeweils vertretenen Partei die Vertretungsverhältnisse anzugeben, sei es, dass sie auf Gesetz oder auf Rechtsgeschäft beruhen. Die Berechtigung zur Vertretung von Gesellschaften des Handelsrechts, Vereinen und Genossenschaften ist entweder durch aktuellen, beglaubigten Registerauszug oder durch eine Bescheinigung des Notars aufgrund Registereinsicht nachzuweisen. Wird eine Partei aufgrund Vollmacht vertreten, so ist die Vertretungsberechtigung durch Vorlage der Urschrift nachzuweisen; im Falle einer beurkundeten Vollmacht reicht auch eine Ausfertigung, nie jedoch eine beglaubigte Abschrift (BGHZ 102, 63). Der Fortbestand der Vollmacht wird nur solange vermutet, wie der Vertreter im Besitz der Vollmachtsurkunde selbst oder einer Ausfertigung ist (OLG Frankfurt RPfleger 1972, 306). Die Vollmacht bedarf grundsätzlich nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form (§ 167 Abs. 2 BGB), die Vollmacht zum Abschluss eines Kaufvertrages bedarf also nicht der Form des § 311 b Abs. 1 BGB. Materiell-rechtlich kann die Vollmacht sogar wirksam mündlich oder privatschriftlich erteilt werden. Um die abgegebenen Erklärungen im Grundbuch vollziehen zu können, ist jedoch eine Bestätigung der Vollmacht durch den Vertretenen oder seine Genehmigung der für ihn abgegebenen Erklärungen in notariell beglaubigter Form (§ 29 GBO) erforderlich. Ausnahmsweise ist die Beurkundung der Vollmacht erforderlich, wenn sie den Vollmachtgeber nach den konkreten Umständen bereits zur Übertragung oder zum Erwerb des Grundstücks bindet, z. B. wenn sie unwiderruflich ist (RGZ 110, 320; OLG Karlsruhe NJW-RR 1986, 101; ständige Rechtsprechung). Wird ein Vertrag lediglich von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen, ist er bis zur Genehmigung durch den Vertretenen schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Genehmigt der angeblich Vertretene die in seinem Namen abgegebenen Erklärungen nicht, dann haftet der Vertreter auf Erfüllung oder Schadensersatz (§ 179 Abs. 1 BGB). Der Vertreter kann diese Haftung nur ausschließen, wenn er ausdrücklich erklärt, ohne Vertretungsmacht zu handeln. Wird der Vertretene von der anderen Vertragspartei zur Genehmigung aufgefordert, kann diese nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Empfang dieser Aufforderung erklärt werden und gilt andernfalls als verweigert (§ 177 Abs. 2 BGB). Der Kaufvertrag müsste in diesem Falle ggf. erneut abgeschlossen (beurkundet) werden. Bei der Vertretung von Minderjährigen ist zu beachten, dass diese bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 1 BGB) und bis zur Volljährigkeit lediglich beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB) sind. Eigene Willenserklärungen, die der Geschäftsunfähige abgibt, sind nichtig (§ 105 BGB). Das gilt auch für die wegen krankhafter Störung Geschäftsunfähigen (§ 104 Nr. 2 BGB). Grundsätzlich können Willenserklärungen mit Wirkung für und gegen den Minderjährigen nur vom gesetzlichen Vertreter abgegeben werden. Soweit sie nicht unmittelbar vom gesetzlichen Vertreter vorgenommen werden, bedürfen sie zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung, d. h. der Einwilligung (§§ 107, 183 BGB) oder der nachträglichen Zustimmung, d. h. der Genehmigung (§§ 108, 184 BGB) des gesetzlichen Vertreters. Erlangt der Minderjährige durch die Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil, ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich (§ 107 BGB). Entscheidend sind dafür die rechtlichen Folgen der Erklärung (BGH LM Nr. 7; h. M. und ständige Rechtsprechung), nicht die wirtschaftliche Betrachtung. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass alle Geschäfte, die Verpflichtungen des Minderjährigen auslösen, zustimmungsbedürftig sind.
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
171
Der Minderjährige wird grundsätzlich durch die Eltern gemeinschaftlich vertreten (§§ 1626, 1629 BGB). Diese Regelung nimmt Bezug auf die Grundsätze für die Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter im Vormundschaftsrecht (§§ 1773 ff. BGB). Die Vertretungsbefugnis der Eltern im Zusammenhang mit Grundstückskaufverträgen unterliegt jedoch gesetzlichen Beschränkungen, insbesondere dem auch für Eltern geltenden allgemeinen Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB); die Eltern dürfen also nicht im eigenen Namen oder als Vertreter einen Dritten und gleichzeitig als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen ein Rechtsgeschäft abschließen. Die Erweiterung des Vertretungsverbots für den Vormund (§ 1795 BGB) gilt auch für Eltern (§ 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB). Im Falle von Grundstücksgeschäften i. S. d. § 1821 BGB können die Eltern das Kind zwar vertreten, benötigen dazu aber die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1643 Abs. 1 BGB). Zu beachten ist ferner die Kernvorschrift des Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes (§ 1629 a BGB), die die Haftung des Volljährigen für bestimmte Geschäfte auf das bei Eintritt der Volljährigkeit noch vorhandene Vermögen beschränkt, wenn diese Geschäfte während seiner Minderjährigkeit im Wesentlichen kraft der Vertretungsmacht der Eltern gem. § 1629 BGB zustande gekommen sind.
3.2.2
Kaufgegenstand
3.2.2.1
Grundstück, Teilfläche eines Grundstücks
Gegenstand eines Grundstückskaufvertrags sind in erster Linie (bebaute oder unbebaute) Grundstücke. Dabei sind Grundstücke im Rechtssinn (unabhängig von ihrer Nutzungsart) räumlich abgegrenzte Teile der Erdoberfläche, die im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblattes unter einer eigenen laufenden Nummer eingetragen (oder gemäß § 3 GBO gebucht) sind, sowie deren Bestandteile. Von diesem Grundstücksbegriff gehen das BGB, die Grundbuchordnung (GBO), das Baugesetzbuch (BauGB) und die Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Den Grundstücken gleichgestellt sind insbesondere das Erbbaurecht (vgl. Kap. 4) und das Wohnungseigentum (vgl. Kap. 6). Im wirtschaftlichen Sinn sind die Grundstücke Bodenflächen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden. Kaufgegenstand können auch Teilflächen eines oder mehrerer Flurstücke sein, die noch nicht vermessen sind. Regelmäßig wird für die Bestimmung der zu verkaufenden Teilfläche auf einen der Urkunde beizufügenden Lageplan verwiesen. Zulässig ist diese Verweisung nur, wenn auf den Lageplan in der Niederschrift hingewiesen wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Beurkundungsgesetz – BeurkG). Im Text des Kaufvertrages können die Grenzen der zu verkaufenden Teilfläche auch durch Verweisung auf bestimmte Merkmale in der Natur, wie Gräben, Bäume, Hecken, Zäune (BGH NJW 1969, 502) beschrieben werden, die als Eckpunkte für die Verbindungs- und Begrenzungslinien dienen sollen. Weder darf sich die Beschreibung der Teilfläche nur auf die Angabe der Grundstücksgröße (BGH NJW 1969, 132) noch auf eine Erklärung der Parteien beschränken, dass sie sich über den Grenzverlauf einig seien (BGH NJW 1979, 1350). Zusätzlich zu der Einzeichnung in einen Lageplan wird häufig eine ca.-Grundstücksgröße für die zu verkaufende Fläche im Vertragstext angegeben; im Zweifel soll der Plan, wenn sich Größenangabe und Zeichnung widersprechen, Vorrang haben (BGH DNotZ 1981, 235).
172 3.2.2.2
3 Der Grundstückskaufvertrag Wesentliche Bestandteile, Zubehör
Kaufgegenstand sind darüber hinaus, auch ohne ausdrückliche Erwähnung, sog. wesentliche Bestandteile. Können Bestandteile einer Sache voneinander nicht getrennt werden, ohne dass der abgetrennte oder der zurückbleibende Bestandteil durch die Trennung zerstört oder in seinem Wesen verändert wird, handelt es sich um wesentliche Bestandteile, die als solche nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können (§ 93 BGB). Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude (§ 94 Abs. 1 BGB), und zu denen eines Gebäudes die Sachen, die zu dessen Herstellung eingefügt wurden (§ 94 Abs. 2 BGB). Die Frage, ob Sachen fest verbunden sind, ist nach der Verkehrsanschauung zu beantworten (Palandt/Ellenberger a. a. O., § 94 Rn. 2 m. w.N.). Rechtlich selbstständige bewegliche Sachen (§ 97 BGB) sind ggf. Zubehör, nicht Bestandteile der Hauptsache (also des Grundstücks oder des Gebäudes). Die Eigenschaft als Zubehör ist zu bejahen, wenn dieses nach der gesetzlichen Definition dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache zu dienen bestimmt ist und zu ihr in einem räumlichen Verhältnis steht, das dieser Bestimmung entspricht. Wegen dieses wirtschaftlichen Zusammenhangs mit der Hauptsache soll es im Zweifel auch deren rechtliches Schicksal teilen (§ 926 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sind sich die Parteien einig darüber, dass sich die Veräußerung auch auf das Zubehör des Grundstücks erstrecken soll, geht auch das zum Zeitpunkt des Erwerbs vorhandene Zubehör, soweit es dem Verkäufer gehört, zusammen mit dem Grundstückseigentum auf den Käufer über (§ 926 Abs. 1 Satz 1 BGB). 3.2.2.3
Bauverpflichtung
Übernimmt der Verkäufer im Grundstückskaufvertrag auch eine Bauverpflichtung (z. B. zur Errichtung eines Gebäudes auf dem noch unbebauten Kaufgegenstand oder zur Durchführung von Baumaßnahmen in einem bereits bestehenden, mitverkauften Gebäude), bilden der Vertrag über den Verkauf des Grundstücks und dessen Bebauung in aller Regel eine rechtliche Einheit (vgl. Palandt/Grüneberg a. a. O., § 311, Rn. 33 m. w.N.). Verpflichtet sich der Käufer im rechtlichen Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag, mit dem Verkäufer oder einem Dritten einen Bauvertrag abzuschließen, liegt gegebenenfalls ebenfalls eine rechtliche Einheit vor. Entscheidend hierfür ist, ob die einzelnen Verträge in ihrem Bestand nach dem Willen der Parteien wechselseitig voneinander abhängig sein sollen. Ist der Grundstückskaufvertrag abhängig von einem (grundsätzlich formfreien) Bauvertrag (der auf die Bebauung des vom Käufer noch zu erwerbenden Grundstücks gerichtet ist), ist die rechtliche Einheit zu bejahen und erstreckt sich das Formerfordernis des § 311 b BGB – siehe hierzu vorstehend 3.1.3.3 – auch auf den Bauvertrag (vgl. Palandt/Grüneberg a. a. O., § 311 b, Rn. 32 ff.).
3.2.3
Kaufpreis
3.2.3.1
Kaufpreisbestimmung
Die Gestaltungsmöglichkeiten für den Kaufpreis (die bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit der ausschließlichen Regelungsbefugnis der Vertragsparteien unterliegen) können von einem Festpreis (der z. B. unter Berücksichtigung der Grundstücksgröße oder der Jahresnettomiete aller für den Kaufgegenstand bereits bestehenden Mietverhältnisse berechnet wird) bis zu
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
173
einem variablen Preis (der z. B. unter Zugrundelegung der Jahresnettomieten der noch vom Verkäufer abzuschließenden Mietverträge für den Kaufgegenstand berechnetet wird) reichen, der sich noch unter verschiedenen Umständen ändern oder erst festgelegt werden kann. Ist Kaufgegenstand ein bereits vermessenes Grundstück, werden Verkäufer und Käufer häufig einen Festpreis vereinbaren. Wird dagegen eine noch nicht vermessene Teilfläche verkauft, d. h. also, steht die endgültige Grundstücksgröße noch nicht fest, so wird der endgültige Kaufpreis häufig auf der Basis eines Kaufpreises pro Quadratmeter × Quadratmeter vermessener Teilfläche berechnet. Denkbar ist z. B. auch, dass in diesem Falle im Kaufvertrag bereits ein Kaufpreis festgelegt wird, der sich bei Flächenabweichungen entsprechend auf der Basis eines ebenfalls festgelegten Quadratmeterpreises ändern soll, ggf. auch nur, wenn die Flächenabweichung – nach oben oder unten – jeweils einen bestimmten Prozentsatz überschreitet; damit blieben Abweichungen bis zu einer bestimmten Größenordnung ohne Einfluss auf den Kaufpreis. Soweit der Kaufpreis bei Abschluss des Kaufvertrages noch nicht ermittelbar ist, weil z. B. Art und Umfang der Bebaubarkeit oder der endgültigen Vermietung und damit der Wert des Grundstücks noch nicht feststehen, ist es wichtig, zur Vermeidung späterer Auseinandersetzungen die Parameter für die spätere Kaufpreisermittlung so eindeutig wie möglich zu definieren, z. B. durch Quadratmeterpreise für die aufgrund der Baugenehmigung zulässigerweise zu errichtenden (z. B. Bruttogeschoß-)Flächen, ggf. gestaffelt nach der Art der Nutzung (z. B. Gewerbe, Wohnen). 3.2.3.2
Steuerliche Erwägungen
Soweit auf den Kaufpreis Umsatzsteuer zu zahlen ist (insbesondere: der Verkäufer ist Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne, die Grundstücksveräußerung ist keine Geschäftsveräußerung i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG), gehören zur Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer nach Inkrafttreten der Neufassung des § 13 b UStG (vgl. Art. 14 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004, Bundesgesetzblatt 2003, Teil I, Nr. 68, Bl. 3086) als Teil der Gegenleistung des Käufers nicht mehr 50 % der Grunderwerbsteuer. Gemäß der Neufassung wird der Käufer Steuerschuldner der Umsatzsteuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist.
3.2.4
Kaufpreisfälligkeit und -zahlung
Der in sonstigen Kaufverträgen über bewegliche Sachen übliche Leistungsaustausch Zug um Zug (Übereignung gegen Zahlung des Kaufpreises) ist im Falle des Grundstückskaufvertrages nicht möglich, da der Verkäufer im Austausch gegen die Kaufpreiszahlung (und ggf. sonstige Gegenleistungen) die Übertragung des Grundstücks, d. h. die Umschreibung im Grundbuch, nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt bewirken kann. Daher sind Lösungen für die unterschiedlichen Interessenlagen von Verkäufer und Käufer zu finden. Der Verkäufer möchte das Grundstück nicht übertragen (und auch nicht belasten), solange nicht sichergestellt ist, dass er den vereinbarten Kaufpreis erhält. Der Käufer möchte den Kaufpreis nur zahlen, wenn sichergestellt ist, dass ihm dann auch das Grundstück übertragen wird, und zwar in dem vereinbarten tatsächlichen und rechtlichen Zustand, also insbesondere ohne Belastungen, zu deren Übernahme er sich nicht verpflichtet hat.
174
3 Der Grundstückskaufvertrag
Der Verkäufer wird üblicherweise dadurch gesichert, dass die Eigentumsumschreibung erst beantragt werden darf, wenn der Kaufpreis an ihn oder auf ein Treuhandkonto gezahlt ist und in letzterem Falle alle Auszahlungsvoraussetzungen bis auf die Eigentumsumschreibung selbst vorliegen. Teilweise wird die Auflassung, also die dingliche Einigung, dass der Kaufgegenstand vom Verkäufer auf den Käufer übergehen soll, erst nach der Kaufpreiszahlung beurkundet. Um darüber hinaus den Verkäufer davor zu sichern, dass der Kaufvertrag mangels Kaufpreiszahlung nicht durchgeführt wird, leistet der Käufer nicht selten eine Anzahlung auf den Kaufpreis und unterwirft sich der Käufer häufig der Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde in sein gesamtes Vermögen (siehe hierzu 3.2.5.2). Die Kaufpreiszahlung kann auch durch die Stellung einer (Bank-)Bürgschaft durch den Käufer gesichert werden, ggf. auch durch Stellung der Bürgschaft einer Mutter- oder sonstigen verbundenen Gesellschaft (siehe hierzu 3.2.5.1). Zur Sicherung der Ansprüche des insoweit vorleistungspflichtigen Käufers werden üblicherweise folgende Fälligkeitsvoraussetzungen vereinbart: 3.2.4.1
Eigentumsverschaffungsvormerkung
Die Eigentumsverschaffungsvormerkung, auch Eigentumsvormerkung oder Auflassungsvormerkung genannt, wird im Range nur nach solchen Belastungen im Grundbuch eingetragen, die der Käufer nach dem Kaufvertrag übernimmt, die vor Eigentumsumschreibung zu löschen sind oder deren Eintragung er zugestimmt hat (z. B. der Eintragung einer Grundschuld zur Finanzierung des Kaufpreises). Um eine (vorzeitige) Kaufpreisfälligkeit insoweit unabhängig von der Eintragung der Eigentumsverschaffungsvormerkung herbeizuführen, besteht auch die Möglichkeit einer Notarbestätigung, in der der beurkundende Notar nach Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten bestätigt, dass die Eigentumsverschaffungsvormerkung demnach vertragsgerecht eingetragen wird. 3.2.4.2
Rechtliche Fälligkeitsvoraussetzungen
Der Kaufvertrag sollte rechtswirksam sein. Das heißt also, etwaige aufschiebende Bedingungen sollten eingetreten und etwa erforderliche Genehmigungen (z. B. aufgrund eines Sanierungsgebiets gemäß § 144 BauGB, aufgrund Kommunalrecht) sollten erteilt sein. Soweit die Kaufvertragsparteien bei der Beurkundung vertreten waren, sollten alle Genehmigungen oder Vollmachtsbestätigungen und Vertretungsnachweise (wie Registerauszüge) in grundbuchmäßiger Form (§ 29 GBO) vorliegen. Nach dem Grundstücksverkehrsgesetz kann für landwirtschaftliche Flächen ab einer bestimmten Grundstücksgröße, je nach Bundesland und dessen Spezialvorschriften unterschiedlich, eine Genehmigung bzw. ein Negativattest der zuständigen Landwirtschaftsbehörde notwendig sein, die ebenfalls vorliegen sollte (bei Überschreiten einer bestimmten Grundstücksgröße – in Hessen z. B. bei Flächen größer als 2.500 m² – besteht eine Genehmigungspflicht auch unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um eine landwirtschaftliche Fläche handelt). In den neuen Bundesländern sollte für Grundstücke auch die ggf. erforderliche Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung vorliegen.
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
175
Ferner ist Umschreibungsvoraussetzung – und sollte daher richtigerweise auch Fälligkeitsvoraussetzung sein – das Vorliegen der Verzichtserklärung bzw. des Negativattests für sämtliche gesetzlichen Vorkaufsrechte der Gemeinde (gem. §§ 24 ff. BauGB; nach Landesrecht z. B. nach Denkmal- und Naturschutzgesetzen oder einem Waldgesetz). Für alle Belastungen (z. B. Grundschulden, Hypotheken, Dienstbarkeiten), die der Käufer nach dem Vertrag nicht übernimmt, sollten die vollzugsfähigen Löschungsunterlagen vorliegen. Insbesondere gilt dies für nicht zu übernehmende Grundpfandrechte oder z. B. für Wegerechte oder sonstige Nutzungsbeschränkungen, die die vom Käufer beabsichtigte Nutzung oder Bebauung hindern. Zu beachten ist, dass diese Löschungsunterlagen nur unter solchen Treuhandauflagen der Gläubiger dem Notar überlassen sein dürfen, die dem Kaufvertrag nicht widersprechen. Z. B. darf dem Notar nicht zur Auflage gemacht werden, dass er von einer Löschungsbewilligung nur nach Zahlung des zur Ablösung der Belastung erforderlichen Kaupreisteils an den Gläubiger Gebrauch machen darf, wenn der für die Ablösung der Rechte des Gläubigers zu zahlende Betrag den Kaufpreis übersteigt oder wenn dieser Betrag bereits vor Kaufpreisfälligkeit gezahlt werden soll.
3.2.4.3
Tatsächliche Fälligkeitsvoraussetzungen
Im Einzelfall kann es darüber hinaus auch tatsächliche Fälligkeitsvoraussetzungen geben, wie z. B. die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung, die Räumung des Grundstücks, die Übergabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft oder die Durchführung bestimmter Arbeiten durch den Verkäufer auf dem Grundstück (z. B. Abriss von Baukörpern, Entfernen von Tanks o. ä.). 3.2.4.4
Fälligkeitsmitteilung
In aller Regel wird der Eintritt der Kaufpreisfälligkeit davon abhängig gemacht, dass der Notar dem Käufer die vertragsgemäße Eintragung der Eigentumsverschaffungsvormerkung sowie das Vorliegen der rechtlichen Fälligkeitsvoraussetzungen (siehe vorstehend 3.2.4.2) bestätigt. Das Vorliegen der tatsächlichen Fälligkeitsvoraussetzungen (siehe vorstehend 3.2.4.3), deren Erfüllung der Notar in aller Regel nicht beurteilen kann, wird zumeist von den Parteien selbst überwacht. 3.2.4.5
Notaranderkonto
Ist der Kaufgegenstand mit Grundpfandrechten oder sonstigen Belastungen belastet, so werden diese gewöhnlich aus der Kaufpreiszahlung abgelöst. Um dem Sicherungsbedürfnis beider Parteien Rechnung zu tragen, kann der Kaufpreis auf einem Anderkonto des beurkundenden Notars hinterlegt und der Notar mit der treuhänderischen Abwicklung beauftragt werden. Gegenstand dieser Treuhandabwicklung kann die Ablösung der Belastungen durch den auf dem Notar-Anderkonto hinterlegten Kaufpreis wie auch die Sicherstellung der Finanzierung sein. Der Notar geht in diesem Fall ein mehrseitiges Treuhandverhältnis gegenüber Verkäufer und Käufer, im Zweifel auch gegenüber Alt- und Neugläubigern ein und trägt damit eine besondere Verantwortung. Der Notar darf jedoch nur dann Geld zur Verwahrung entgegennehmen, wenn bei den Vertragsparteien hierfür ein berechtigtes Sicherungsinteresse besteht (§ 54 a Abs. 2 Nr. 1 BeurkG).
176
3 Der Grundstückskaufvertrag
Schon bei der Gestaltung des Grundstückskaufvertrags ist darauf zu achten, dass die Abwicklungsvoraussetzungen und die danach zulässigen Treuhandauflagen koordiniert und Vollzugshindernisse vermieden werden. Z. B. muss bereits durch die Vertragsgestaltung verhindert werden, dass ein Altgläubiger seine Löschungsbewilligung unter einer Auflage erteilen kann, die nach dem Kaufvertrag nicht erfüllt werden kann; z. B. unter der Auflage, dass von der Löschungsbewilligung erst Gebrauch gemacht werden darf, wenn als Ablösungsbetrag ein über dem vereinbarten Kaufpreis liegender Betrag an ihn gezahlt ist. Der Notar wird ferner darauf achten, dass ihm im Vertrag ausreichende Weisungen erteilt werden, wie mit dem hinterlegten Betrag zu verfahren ist (z. B. Festlegung von Auszahlungsvoraussetzungen, Bestimmung der Anlage des hinterlegten Geldes, Aufteilung auf verschiedene Konten bei mehreren Beteiligten, Entnahme von Notar- oder Bankgebühren etc.). Zu beachten ist, dass mit der Zahlung des Kaufpreises auf das Anderkonto nach herrschender Meinung noch nicht die Erfüllung der Zahlungspflicht des Käufers eintritt (BGH DNotZ 1983, 549), soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist. Vor Auszahlung des Kaufpreises an den Verkäufer oder an Altgläubiger oder sonstige Dritte gem. dem Vertrag gilt die Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises im Verhältnis zum Verkäufer dementsprechend noch nicht als erfüllt. 3.2.4.6
Lastenfreistellung
Hinsichtlich der im Grundbuch bei Abschluss des Kaufvertrages vorhandenen Belastungen des Kaufgegenstandes können die Vertragsparteien die Übernahme durch den Käufer vereinbaren. Dies geschieht häufig hinsichtlich in Abteilung II eingetragener Belastungen wie beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten (z. B. Leitungsrechte für ein Versorgungsunternehmen) oder Grunddienstbarkeiten (z. B. Wegerechte für Nachbarn). Aus der Sicht des Verkäufers müssen diese Rechte regelmäßig vom Käufer übernommen werden, da sie z. B. die Ver- und Entsorgung des Grundstücks sichern oder den Zugang und/oder die Zufahrt zu Nachbargrundstücken und somit keine Aussicht auf Löschung besteht. Gleichwohl sollte sich der Käufer, der das Grundstück ganz oder teilweise neu bebauen oder vorhandene Gebäude umbauen will, sorgfältig vergewissern, ob diese Rechte einen künftigen Neu- oder Umbau hindern können. Deswegen ist dringend anzuraten, sich die zugrunde liegenden Eintragungsbewilligungen zu beschaffen, die bei Eintragung der entsprechenden Rechte zu den Grundakten des Grundbuchamts genommen werden, um sich mit dem Umfang der sich daraus ergebenden Nutzungsbeschränkungen vertraut zu machen. Im Hinblick auf die in Abteilung III eingetragenen Belastungen des Kaufgegenstands (z. B. Grundschulden, Hypotheken) wird regelmäßig vereinbart, dass die entsprechenden Rechte vom Verkäufer zur Löschung zu bringen sind. Ist im Kaufvertrag keine Abwicklung über ein Notar-Anderkonto oder ein sonstiges Treuhandkonto vorgesehen, wird das Grundpfandrecht aus dem Kaufpreis regelmäßig in der Weise abgelöst, dass der Käufer unmittelbar an den abzulösenden Altgläubiger zahlt, wenn die Fälligkeitsvoraussetzungen gegeben sind und der Notar deren Vorliegen dem Käufer mitgeteilt hat. Dazu sollte der Kaufvertrag vorsehen, dass der Altgläubiger so rechtzeitig den zur Ablösung geforderten Betrag mitteilt, dass der Verkäufer zu seinem eigenen Schutz dessen Richtigkeit ebenfalls noch rechtzeitig vor Kaufpreisfälligkeit bestätigen kann. Die Ablösung anderer eingetragener Rechte, die nach dem Kaufvertrag vom Käufer nicht zu übernehmen sind, wie z. B. Vorkaufsrechte oder Dienstbarkeiten, kann entsprechend geregelt werden.
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
177
Handelt es sich bei dem Kaufgegenstand um eines von mehreren Grundstücken des Verkäufers (z. B. bei einer neuen Eigenheimsiedlung) oder um eine Eigentumswohnung, wird häufig für die gesamte Einheit ein Globalgrundpfandrecht eingetragen sein, das im Hinblick auf die anderen Grundstücke bzw. Eigentumswohnungseinheiten nicht gelöscht werden kann. In diesem Falle wird die Löschung des Rechts durch eine Freistellungserklärung für den Kaufgegenstand ersetzt.
3.2.5
Sicherung der Kaufpreiszahlung, Verzug
Sofern der Käufer (z. B. aus Kostengründen) nicht bereit ist, den Kaufpreis auf einem Notaranderkonto zu hinterlegen, bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Kaufpreiszahlung an den Verkäufer im Kaufvertrag auf andere Weise abzusichern. 3.2.5.1
Bürgschaft, Patronatserklärung
Eine häufig vereinbarte Form der Sicherung der Kaufpreiszahlung ist die Bürgschaft oder die Patronatserklärung. So wird nicht selten vereinbart, dass der Käufer dem Verkäufer vor Eintritt der Kaufpreisfälligkeit eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank gemäß §§ 765, 773 Abs. 1 Nr. 1, 771 BGB zu übergeben hat, nach der die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist (der Gläubiger also nicht erst die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner erfolglos versucht haben muss). Des Weiteren werden insoweit auch noch (je nach Vereinbarung des Bürgschaftsinhalts zwischen den Vertragsparteien) Einreden gemäß §§ 774 ff. BGB ausgeschlossen. Um dem Verkäufer eine reibungslose Inanspruchnahme der Bürgschaft zu ermöglichen, wird häufig auch verlangt, dass der Bürge sich verpflichtet, auf erstes Anfordern zu zahlen. Danach muss der Bürge nach Erfüllung der formalen Voraussetzungen, die in der Bürgschaftsurkunde niedergelegt sind, grundsätzlich ohne Rücksicht auf die (materielle) Berechtigung des Gläubigers zahlen (Palandt/Sprau a. a. O., Einf. v. § 765 Rn. 13 ff.). Nicht selten werden Bürgschaften auch von Mutter- oder Tochtergesellschaften des Käufers übernommen. Als Alternative zur Bürgschaft hat sich in der Praxis auch die Abgabe einer so genannten Patronatserklärung etabliert. Dabei wird unterschieden zwischen einer so genannten weichen und einer harten Patronatserklärung, in der sich eine Muttergesellschaft üblicherweise verpflichtet, ihre Tochtergesellschaft (den Käufer) jederzeit in die Lage zu versetzen, ihre Verpflichtungen aus dem Grundstückskaufvertrag zu erfüllen. Auch wenn eine Bürgschaft, die den vorgenannten Anforderungen entspricht, den Interessen eines Verkäufers regelmäßig eher entspricht (da der Verkäufer seine Ansprüche zumeist einfacher durchsetzen kann), geben Käufer einer Patronatserklärung häufig den Vorzug gegenüber der Bürgschaft. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die Patronatserklärung – im Vergleich zu einer Bankbürgschaft – keine Avalzinsen oder -gebühren auslöst und darüber hinaus auf der Passivseite der Bilanz des Patrons nicht als Verbindlichkeit auszuweisen, sondern allenfalls „unter der Bilanz“ zu vermerken ist (§ 251 HGB). 3.2.5.2
Vollstreckungsunterwerfung
Des Weiteren ist es üblich, die Zahlung des Kaufpreises durch eine Unterwerfung des Käufers unter die sofortige Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde in sein gesamtes Vermögen (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) abzusichern. Hierdurch erhält der Verkäufer einen voll-
178
3 Der Grundstückskaufvertrag
streckbaren Titel gegen den Käufer, den er ansonsten erst durch ein gerichtliches Verfahren gegen den Käufer erstreiten müsste. Dabei ist zu beachten, dass die Höhe des Geldbetrags und der Zinsen, wegen derer sich der Käufer der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft, im Kaufvertrag bestimmt oder zumindest bestimmbar sind. Im Hinblick auf etwaige Verzugszinsen sind daher ein bestimmter Verzugszinssatz sowie das Datum des Zinsbeginns anzugeben. 3.2.5.3
Verzug, Rücktritt
Zahlt der Käufer nicht zu dem im Kaufvertrag geregelten, kalendermäßig bestimmten Fälligkeitstermin oder nicht innerhalb der vertraglich vorgesehenen Frist nach Erhalt der Fälligkeitsmitteilung des Notars, kommt er gemäß § 286 Abs. 2 BGB mit der Kaufpreiszahlung in Verzug; einer Mahnung des Verkäufers bedarf es in diesem Fall in der Regel nicht. Ansonsten setzt der Verzug des Käufers voraus, dass der Verkäufer ihn noch einmal wegen der Kaufpreiszahlung gemahnt hat (§ 286 Abs. 1 BGB). Sofern die Parteien die Höhe etwaiger Verzugszinsen im Kaufvertrag nicht gesondert regeln, sind nach § 288 Abs. 1 BGB auf den säumigen Betrag Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten jährlich über dem von der Bundesbank veröffentlichten Basiszinssatz zu entrichten. Bei Grundstückskaufverträgen zwischen Unternehmern beträgt der Verzugszins gemäß § 288 Abs. 2 BGB 8 Prozentpunkte jährlich über dem Basiszinssatz. Zahlt der Käufer auch nach erfolgter Fristsetzung durch den Verkäufer den fälligen Kaufpreis nicht, kann der Verkäufer gemäß § 323 Abs. 1 BGB von dem Kaufvertrag zurücktreten. Dabei wird zum Schutz des Käufers vor einem Rücktritt bei lediglich kurzer Zahlungsverzögerung regelmäßig vereinbart, dass der Verkäufer dem Käufer erfolglos eine weitere Nachfrist zur Zahlung gesetzt hat.
3.2.6
Finanzierung des Kaufpreises
In der Regel wird der Käufer den Kaufpreis nicht vollständig aus eigenen Mitteln bezahlen, sondern zumindest teilweise über Kreditinstitute finanzieren. Häufig wird er dabei ein neues Darlehen aufnehmen. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, ein bestehendes Darlehen des Verkäufers oder auch lediglich die eingetragenen Grundschulden (ohne das durch diese gesicherte Darlehen) zu übernehmen. 3.2.6.1
Neuaufnahme von Darlehen
Nimmt der Käufer zur (teilweisen) Finanzierung des Kaufpreises ein Darlehen auf, so benötigt er in aller Regel das verkaufte Grundstück zur Absicherung des Darlehens. In der Praxis wird das Darlehen dabei häufig durch eine Sicherungsgrundschuld zugunsten des Finanzierungsinstituts und zu Lasten des verkauften Grundstücks abgesichert. Da die Kaufpreiszahlung üblicherweise vor der Eigentumsumschreibung erfolgen soll, bedarf er hierzu der Mitwirkung des Verkäufers bei der Bestellung der erforderlichen Finanzierungsgrundschuld. Zumeist erteilt der Verkäufer dem Käufer im Grundstückskaufvertrag zu diesem Zwecke eine Vollmacht zur Bestellung von Finanzierungsgrundschulden und zur Erklärung der dinglichen Zwangsvollstreckungsunterwerfung. Sofern sich der Verkäufer entsprechend zur Mitwirkung an der Belastung seines Grundstücks für die Kaufpreisfinanzierung verpflichtet, sollte jedoch sichergestellt werden, dass der
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
179
Grundpfandgläubiger die Grundschuld nur insoweit als Sicherheit verwerten oder behalten darf, als er tatsächlich Zahlungen mit Tilgungswirkung auf den Kaufpreis geleistet hat. Ferner sollte eine Anweisung in den Kaufvertrag und die Grundschuldbestellungsurkunde aufgenommen werden, dass Zahlungen gemäß der Sicherungsabrede bis zur Höhe des Kaufpreises ausschließlich an den Verkäufer zu leisten sind, soweit der Kaufpreis nicht anderweitig zur Freistellung des verkauften Grundbesitzes von eingetragenen Belastungen zu verwenden ist. 3.2.6.2
Übernahme bestehender Darlehen und Grundpfandrechte
Im Einzelfall können der Verkäufer oder der Käufer ein Interesse daran haben, ein bestehendes Darlehen und/oder die bereits eingetragenen Grundpfandrechte zu übernehmen. So ist es etwa auch möglich, allein die Grundpfandrechte ohne das durch diese gesicherte Darlehen zu übernehmen. Der Käufer, der für die Finanzierung des Grundstückskaufs selbst einen Kredit aufnimmt, kann mit dem Verkäufer vereinbaren, insoweit die eingetragenen Rechte zu übernehmen. Der Verkäufer spart die Kosten der Löschung, der Käufer zahlt nur die Kosten der Abtretung, die nur die Hälfte der Kosten für die Bestellung und Eintragung entsprechender neuer Grundpfandrechte betragen. Entsprechendes gilt für die Umschreibung der Vollstreckungsklausel statt einer neuen Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung. Zweckmäßigerweise ist in diesem Falle das Vorliegen der Abtretungserklärung des Inhabers des Rechts an den Gläubiger des Käufers zur Fälligkeitsvoraussetzung zu machen. In Betracht kommt auch – zusätzlich – die Übernahme des bestehenden Darlehens, das durch die eingetragenen Grundpfandrechte abgesichert ist. Der Verkäufer kann an der Darlehensübernahme, die eine Schuldübernahme i. S. d. § 415 BGB ist und zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch den Gläubiger bedarf, ein Interesse haben, wenn das Darlehen nicht zeitnah zur Rückzahlung fällig und damit zu rechnen ist, dass der Gläubiger eine Vorfälligkeitsentschädigung bei vorzeitiger Rückzahlung verlangt. Mangels abweichender Vereinbarung wäre sie vom Verkäufer zu tragen. Sie kann empfindlich hoch ausfallen, wenn das aktuelle Zinsniveau wesentlich unter die für das Darlehen geltenden Zinsen gefallen ist. Der Käufer mag an einer Schuldübernahme aus Gründen der Kostenersparnis interessiert sein (keine Notarkosten für die Grundschuldbestellung, Grundbuchkosten nur für die Abtretung, nicht für die Eintragung), wegen günstiger Kreditbedingungen für das bestehende Darlehen oder weil er sich mit der Schuldübernahme die Beschaffung einer eigenen Finanzierung ersparen möchte. Wegen des Genehmigungserfordernisses ist in diesen Fällen aber Vorsorge für den Fall zu treffen, dass der Gläubiger die Genehmigung der Schuldübernahme nicht fristgemäß erklärt oder sie verweigert, um in diesen Fällen noch rechtzeitig vor Kaufpreisfälligkeit eine Finanzierung durch den Käufer und ggf. die Bestellung neuer Grundpfandrechte zu ermöglichen. Insbesondere sollte der Verkäufer verpflichtet sein, an einer entsprechenden Bestellung neuer Grundpfandrechte mitzuwirken.
3.2.7
Übergang von Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten
Bestandteil eines Grundstückskaufvertrags ist üblicherweise auch eine Regelung über den Besitz-, Nutzen- und Lastenübergang (wirtschaftlicher Übergang). Häufig wird dieser Tag mit der Zahlung des Kaufpreises an den Verkäufer und dessen gegebenenfalls abzulösende Grundpfandgläubiger verknüpft. Zur Vereinfachung der Abrechnung wird darüber hinaus nicht selten ein Übergabetag zum Monatsersten geregelt.
180
3 Der Grundstückskaufvertrag
Mit der Übergabe der verkauften Sache, hier also mit der Besitzübergabe des Kaufgegenstandes, geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und einer zufälligen Verschlechterung auf den Käufer über; ab Übergabe stehen dem Käufer auch die Nutzungen (regelmäßig etwaige Mieteinnahmen) zu und er trägt die Lasten (§ 446 BGB). Zweck der Vorschrift ist, dass der jeweilige Besitzer die Sache zu schützen hat und daher der Gefahrübergang auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Übergabe vorverlegt wird. Der Gefahrübergang bedeutet, dass der Käufer den Kaufpreis auch dann an den Verkäufer zahlen muss, wenn sich das auf dem Kaufgrundstück aufstehende Gebäude „verschlechtert“, wenn es also z. B. durch ein Unwetter nach Übergabe (und vor Eigentumsübergang) beschädigt wurde, soweit die Umstände, die zu der Beschädigung geführt haben, nicht vom Verkäufer zu vertreten sind. Das Grundstück haftet auch für öffentliche Lasten, insbesondere Erschließungsbeiträge gemäß § 127 Abs. 1 BauGB (für Straßen, Wege und Plätze), Abgaben gemäß § 127 Abs. 4 BauGB und Anliegerbeiträge einschließlich Kostenerstattungsansprüche nach dem Kommunalabgabengesetz und den entsprechenden Gemeindesatzungen (für Anlagen zur Ableitungen von Abwasser, zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser). Nach § 436 Abs. 1 BGB ist der Verkäufer eines Grundstücks – vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung mit dem Käufer – verpflichtet, Erschließungsbeiträge und sonstige Anliegerbeiträge für Maßnahmen zu tragen, die bis zum Tag des Vertragsabschlusses bautechnisch begonnen sind, unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld. Üblicherweise wird im Grundstückskaufvertrag vereinbart, wer im Innenverhältnis der Vertragsparteien welche Erschließungskosten und Abgaben bis zu welchem Zeitpunkt zu tragen hat, und stellen sich die Vertragsparteien einander von jeglicher dieser Verteilung im Innenverhältnis widersprechenden Inanspruchnahme frei.
3.2.8
Übernahme von Mietverhältnissen
Der Käufer tritt gemäß § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete“) grundsätzlich anstelle des Vermieters mit dem Eigentumsübergang in die sich aus den bestehenden Mietverhältnissen ergebenden Rechte und Pflichten (einschließlich geleisteter Mietsicherheiten, § 566 a BGB) ein. In aller Regel übernimmt der Käufer jedoch (jedenfalls im Innenverhältnis gegenüber dem Verkäufer) bereits mit dem Tag der Besitzübergabe auch die für den Kaufgegenstand bestehenden Mietverhältnisse und Mietsicherheiten. Dementsprechend bevollmächtigt der Verkäufer den Käufer regelmäßig im Grundstückskaufvertrag, ab dem Übergabetag alle Rechte aus den Mietverträgen geltend zu machen einschließlich des Rechts, Kündigungen auszusprechen und Mietverträge zu ändern und abzuschließen.
3.2.9
Mängelhaftung
3.2.9.1
Rechte wegen Mängeln des Kaufgegenstands
Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Käufer das Grundstück frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB). Im Falle eines Mangels kann der Käufer gemäß § 437 BGB am Vertrag festhalten und dann zunächst nur Nacherfüllung (§ 439 BGB), d. h. Mängelbeseitigung, verlangen. Ist die Nacherfüllung unmöglich, verweigert der Verkäufer die Nacherfüllung (§ 439 Abs. 3 BGB), schlägt sie fehl oder ist sie dem Käufer nicht zuzumuten (§ 440 BGB), kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
181
mindern. Die Rechtsfolgen von Sach- und Rechtsmängeln unterscheiden sich dabei nicht. Neben Nacherfüllung, Rücktritt oder Minderung kann der Käufer im Falle eines Mangels auch Schadensersatz (§§ 437 Nr. 3, 280, 281, 276 Abs. 1 BGB) verlangen, wenn der Verkäufer die Lieferung der mangelhaften Sache zu vertreten oder insoweit eine Garantie übernommen hat, oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB). Rücktritt, Schadensersatz und im Ergebnis auch Minderung und Ersatz vergeblicher Aufwendungen setzen entsprechend den allgemeinen Vorschriften grundsätzlich eine erfolglose Fristsetzung zur Mängelbeseitigung voraus. 3.2.9.2
Rechtsmängel
Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn Dritte hinsichtlich des Kaufgegenstandes Rechte gegen den Käufer geltend machen können (§ 435 BGB). Dem steht gleich, wenn im Grundbuch ein Recht eingetragen ist, obwohl es nicht besteht (§ 435 Satz 2 BGB). Rechte Dritter können alle dinglichen Rechte sein, insbesondere alle Rechte, die in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen sind, wie Dienstbarkeiten oder Vorkaufsrechte. Obligatorische Rechte Dritter begründen nur dann einen Rechtsmangel, wenn sie dem Käufer durch Zurückbehaltungsrecht entgegengesetzt werden könnten, einem Dritten berechtigten Besitz verschaffen oder den Käufer in seiner Verfügungsbefugnis oder in der Nutzung des Kaufgegenstandes beeinträchtigen, z. B. Miet- oder Pachtverhältnisse (Palandt/Weidenkaff a. a. O., § 435 Rn. 10). Rechtsmängel können auch in öffentlich-rechtlichen Eingriffen, Bindungen oder Beschränkungen bestehen (BGH NJW 1967, 134; BGH NJW 1983, 275), wie z. B. der Sozialbindung einer Wohnung. Baulasten sind nur dann Rechtsmängel, wenn sie dem Eigentümer eine bestimmte Verpflichtung für die Nutzung bereits errichteter Gebäude auferlegen (OLG Hamm, NJW-RR 1989, 524), jedoch nicht, wenn sie eine Baubeschränkung für eine künftige Bebauung zum Inhalt haben (BGH NJW 1978, 1429). 3.2.9.3
Sachmängel
Der Kaufgegenstand ist frei von Sachmängeln, wenn er zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (in der Regel zum Zeitpunkt des Besitzübergangs) die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit hat (§ 434 BGB). Haben die Parteien eine Beschaffenheit nicht vereinbart, ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (§ 434 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder – wenn sich eine solche nicht feststellen lässt – wenn sich die Sache für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Sachmängel sind z. B. Boden- oder Grundwasserverunreinigungen des Kaufgrundstücks oder Baumängel bereits errichteter Gebäude. Ein Mangel des Grundstücks kann auch die Beschränkung der vom Käufer vorausgesetzten und vertraglich festgelegten Bebauungsmöglichkeit sein. 3.2.9.4
Garantien
Häufig gibt der Verkäufer im Hinblick auf den Kaufgegenstand (z. B. betreffend die bestehenden Gebäude, die hierzu erteilten Baugenehmigungen, deren Nutzbarkeit), die bestehenden Mietverhältnisse (z. B. betreffend Wirksamkeit und Inhalt der Verträge) und/oder sonstige Umstände, die für den Käufer von erheblicher Bedeutung sind, Garantien gemäß § 443 Abs. 1 BGB ab. Hierdurch übernimmt der Verkäufer die verschuldensunabhängige
182
3 Der Grundstückskaufvertrag
Haftung für eine bestimmte Beschaffenheit (Beschaffenheitsgarantie) des Kaufgegenstands (erfüllt der Verkäufer die Garantie nicht, stehen dem Käufer die in vorstehend 3.2.9.1 genannten Rechte zu). Nicht selten ist der Verkäufer insoweit jedoch lediglich bereit zu garantieren, dass ihm bestimmte Umstände, die für den Käufer von erheblicher Bedeutung sind (z. B. das Vorliegen wesentlicher oder verdeckter Mängel, Mietrückstände oder Kündigungen von Mietern) nicht bekannt sind. 3.2.9.5
Haftungsausschluss bei Kenntnis/Kennenmüssen des Käufers
Bei Mängeln befreit die Kenntnis des Käufers vom Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages den Verkäufer von der Haftung (§ 442 BGB). Ist dem Käufer ein Mangel in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, kann der Käufer Rechte wegen dieses Mangels nur dann geltend machen, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes übernommen hat. Allerdings gilt diese Haftungsbefreiung des Verkäufers nicht für im Grundbuch eingetragene Rechte (§ 442 Abs. 2 BGB). 3.2.9.6
Vertragliche Haftungsbeschränkungen
Bei der Gestaltung vertraglicher Haftungsbegrenzungsregelungen sind die verschiedensten, mehr oder weniger käufer- oder verkäuferfreundlichen Regelungen denkbar und in der Praxis auch üblich. Die entsprechende Regelung kann grundsätzlich jeden Inhalt haben: So wird die Haftung des Verkäufers für die Freiheit des verkauften Grundstücks (einschließlich der verkauften Bestandsgebäude) von Sachmängeln in Kaufverträgen vielfach beschränkt (z. B.: „Für Bodenverunreinigungen übernimmt der Verkäufer die Kosten einer notwendigen Entsorgung und Sanierung des Bodens nur, soweit sie nachweislich Euro … übersteigen.“) oder für einzelne oder alle Mängel ausgeschlossen (z. B.: „Das Grundstück wird übernommen, wie es steht und liegt.“). Des Weiteren wird die Haftung des Verkäufers häufig betragsmäßig begrenzt – z. B. durch eine Haftungshöchstgrenze (Deckel, Cap) und/oder Mindestgrenzen (Bagatell-Klausel, De-minimis). Die Rechte des Käufers wegen eines Mangels können jedoch nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden, soweit der Verkäufer einen Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 444 BGB). Werden Beschränkung oder Ausschluss der Mängelhaftung des Verkäufers bei neuen Gebäuden formularmäßig vereinbart, unterliegen sie der Inhaltskontrolle nach den Vorschriften der §§ 305 ff. BGB und sind danach möglicherweise unwirksam. Wird ein neues Gebäude verkauft, kann selbst ein individuell vereinbarter Haftungsausschluss für Mängel unwirksam sein (BGH BB 1989, 1506). In aller Regel werden die Mängelrechte des Käufers darüber hinaus auf eine Minderung des Kaufpreises und Schadensersatz in Geld beschränkt. Das Recht, vom Vertrag wegen eines Mangels zurückzutreten, wird dagegen häufig ausgeschlossen, um eine Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrags möglichst zu meiden. 3.2.9.7
Verjährung
Die gesetzliche Verjährungsfrist für Mängelansprüche des Käufers beginnt mit der Übergabe und beträgt grundsätzlich zwei Jahre für Grundstücke und fünf Jahre für Bauwerke (§ 438 Abs. 1 BGB). Die Verjährungsfrist kann grundsätzlich vertraglich verlängert oder verkürzt werden (§ 202 BGB). Die Verlängerung insbesondere der gesetzlichen Frist für
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
183
Grundstücke empfiehlt sich für den Käufer z. B., wenn Art und Umfang der zu entsorgenden Bodenverunreinigungen erst bei Bodenaushub oder eine etwa erforderliche Entsorgung von Altlasten des Gebäudes im Zuge von Umbauarbeiten festgestellt werden können. Die Verjährungsfrist beträgt dreißig Jahre, wenn der Mangel in einem dinglichen Recht eines Dritten, auf Grund dessen die Herausgabe des Kaufgegenstandes verlangt werden kann, oder in einem sonstigen Recht, das im Grundbuch eingetragen ist, besteht (§ 438 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
3.2.10
Auflassungsvormerkung
Der Auflassungsvormerkung kommt im Rahmen des Kaufvertrags und dessen Abwicklung eine besondere Bedeutung zu. Begriff Allgemein kann eine Vormerkung nach § 883 BGB als Mittel zur Sicherung des Anspruchs auf Einräumung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder an einem das Grundstück belastenden Recht oder auf Änderung des Inhalts oder des Rangs eines solchen Rechts in das Grundbuch eingetragen werden. Sie schützt den schuldrechtlichen Anspruch auf dingliche Rechtsänderung. Einen besonderen Fall der Vormerkung stellt die oft als solche bezeichnete Auflassungsvormerkung dar, die in der Vertragsgestaltung eine große Bedeutung als Sicherungsmittel für den Käufer hat. Zutreffender, aber seltener wird sie als Eigentumsverschaffungsvormerkung oder kürzer als Eigentumsvormerkung bezeichnet. Befürwortet wird teilweise auch die Benutzung des Begriffs „Eigentumsübertragungsvormerkung“. Zwar wird in der Literatur zunehmend nicht mehr der Begriff Auflassungsvormerkung benutzt, in der Praxis der Grundbuchämter und in der Rechtsprechung ist weiter von ihr die Rede. Formerfordernis Die Vormerkung ist kein Recht „am Grundstück“. Daher findet der Grundsatz, dass zum Erwerb von Rechten an einem Grundstück Einigung und Eintragung erforderlich sind (§ 873 BGB) keine Anwendung, sondern § 885 BGB regelt gesondert die Begründung der Vormerkung. Sie wird aufgrund der einseitigen Bewilligung des Betroffenen oder aufgrund einstweiliger Verfügung eingetragen. Die Eintragungsbewilligung durch den Betroffenen ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Notwendig ist eine gesonderte Bewilligung, die nicht etwa schon in der Einigung über die Rechtsänderung, hier also über den Eigentumsübergang, oder in der Eintragungsbewilligung für diese liegt. Die Erklärung ist gegenüber dem Gläubiger oder Grundbuchamt abzugeben. Materiell-rechtlich ist diese Bewilligung formfrei (BGH NJW-RR 1989, 198). Begrifflich davon zu trennen ist die formalrechtliche Eintragungsbewilligung, die in öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunde vorzulegen ist (§§ 19, 29 GBO). Eine Auflassungsvormerkung wird in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen, während der dadurch vorgemerkte Eigentümer später in Abteilung I eingetragen wird. Andere Vormerkungen werden dagegen in der Abteilung eingetragen, in der später auch das vorgemerkte Recht eingetragen wird. Sicherungswirkung Wie beschrieben, fallen die dingliche Einigung über den Übergang des Grundstücks auf den Käufer und die Eintragung dieser Rechtsänderung im Grundbuch zeitlich auseinander. Mit
184
3 Der Grundstückskaufvertrag
Eintragung der Vormerkung wird das Risiko des Käufers in der Zeit zwischen Verpflichtungsgeschäft (Beurkundung Grundstückskaufvertrag) und Eintragung (Eigentumsumschreibung im Grundbuch) überbrückt, denn sein vertraglicher Anspruch auf Übertragung des Rechts schließt dingliche Verfügungen des Verkäufers oder Zwangsverfügungen Dritter in das Grundbuch nicht aus. Die Vormerkung beschränkt nicht die Verfügungsbefugnis des Eigentümers, er könnte z. B. auch nach Abschluss des Kaufvertrages und Eintragung der Vormerkung zugunsten des Käufers einen weiteren Kaufvertrag über dasselbe Grundstück mit einem Dritten abschließen und auch für den Käufer dieses weiteren Kaufvertrages eine Vormerkung eintragen lassen. Die Vormerkung bewirkt auch nicht eine Grundbuchsperre. Trotz eingetragener Vormerkung muss das Grundbuchamt einen – im Übrigen ordnungsgemäßen – vormerkungswidrigen Antrag ausführen (Palandt/Bassenge a. a. O., § 883 Rn. 22). Die Vormerkung steht als vorläufiges Sicherungsmittel zur Verfügung. Wird dem Verkäufer die Vertragserfüllung, also vertragsgemäße Eigentumsübertragung, durch einen von ihm zu vertretenden Grund unmöglich (z. B., weil er das Grundstück an einen Dritten zu einem höheren Preis veräußert und auf ihn umgeschrieben hat oder das Grundstück entgegen den vertraglichen Vereinbarungen mit einer Grundschuld zugunsten eines Dritten belastet), so ist er dem Käufer zum Schadensersatz verpflichtet. Dieser Schadensersatzanspruch gibt dem Käufer keine Möglichkeit, die zugunsten eines Dritten eingetretene Rechtslage zu ändern. Der Schadensersatzanspruch oder der Bereicherungsanspruch, wenn der Käufer den Kaufpreis schon gezahlt hat, ist u. U. nicht durchsetzbar, wenn der Verkäufer zahlungsfähig geworden sein sollte oder ein Vollstreckungsverfahren erfolglos bleibt. Als vorläufiges Sicherungsmittel steht zur Überbrückung dieser Risikophase die Vormerkung zur Verfügung (§§ 883 bis 888 BGB). Die Auflassungsvormerkung sichert den Anspruch des vorgemerkten Käufers auf den Erwerb des Eigentums an der vorgemerkten Rangstelle (§ 883 Abs. 2 BGB). Wird später das vorgemerkte Eigentum eingetragen, sind alle Verfügungen, die nach der Vormerkung eingetragen wurden, zwar nicht generell, aber gegenüber dem Vormerkungsberechtigten relativ unwirksam, die den durch die Vormerkung geschützten Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würden (§ 883 Abs. 2 BGB). Neben rechtsgeschäftlichen Verfügungen gilt das auch für Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung oder Verfügungen des Insolvenzverwalters (§ 883 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die relative Verfügungsbeschränkung des Eigentümers und die relative Unwirksamkeit vormerkungswidriger Verfügungen bedeuten, dass Verfügungen, die den durch die Vormerkung gesicherten Anspruch beeinträchtigen, (nur) im Verhältnis zum Vormerkungsberechtigten (also relativ) unwirksam sind (§ 883 Abs. 2 BGB). Der Vormerkungsberechtigte kann von einem Dritten, der nach Eintragung der Vormerkung ein Recht an dem Grundstück erworben hat, verlangen (§ 888 BGB), dass der Dritte der zur Verwirklichung des vorgemerkten Anspruchs erforderlichen Eintragung (bei der Auflassungsvormerkung also der Eintragung des Vormerkungsberechtigten als Eigentümer) oder der Löschung (z. B. eines nach der Vormerkung eingetragenen Grundpfandrechts) zustimmt. Rangwirkung Die Vormerkung wahrt den Rang des einzutragenden Rechts (§ 883 Abs. 3 BGB). Die Vormerkung selbst ist zwar kein dingliches Recht am Grundstück, sie steht jedoch im Rangverhältnis zu den eingetragenen Rechten (§ 879 BGB; siehe auch 3.1.2.1.4 – Vorrangsprinzip). Die rangwahrende Wirkung der Vormerkung besteht darin, dass sich der Rang des vorgemerkten Rechts nicht nach dem Zeitpunkt seiner Eintragung richtet, sondern nach dem Zeit-
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
185
punkt, an dem die Vormerkung eingetragen wurde. Wird der vorgemerkte Anspruch auf Eigentumsumschreibung erfüllt, verwirklicht sich die Rangwahrung, indem das Eigentum des Käufers, in das die Auflassungsvormerkung umgeschrieben wird, den Rang der Vormerkung erhält. Der Zeitpunkt der Umschreibung wird damit für den Rang des Rechts unerheblich. Die Rangwahrung setzt allerdings voraus, dass die Vormerkung zum Zeitpunkt der Umschreibung noch besteht. § 884 BGB gewährt dem Vormerkungsberechtigten einen besonderen Schutz gegen den Erben dessen, gegen den sich der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch richtet. Der Erbe haftet gegenüber dem Vormerkungsberechtigten unbeschränkt, unbeschränkbar und ohne aufschiebende Einreden (§§ 1971 ff., 2016 BGB). Voraussetzung ist, dass die Vormerkung vor dem Erbfall aufgrund Bewilligung oder einstweiliger Verfügung oder nach dem Erbfall aufgrund Bewilligung des Erblassers oder des Erben eingetragen worden ist. Die Rangwirkung der Vormerkung besteht auch im Falle des gutgläubigen Erwerbs. Der gute Glaube des Vormerkungsberechtigten an die Richtigkeit des Grundbuchs braucht nur bis zu dem Zeitpunkt zu bestehen, zu dem die Eintragung der Vormerkung beantragt wird, wenn der Vormerkungsberechtigte von einem Nichtberechtigten erwirbt (BGH NJW 1972, 434). Der gutgläubige Erwerb wird in diesem Falle nicht dadurch gehindert, dass z. B. das Grundbuch nach Eintragung der Vormerkung berichtigt wird. Selbst wenn also bei der Umschreibung des Eigentums auf den Käufer feststehen sollte, dass entgegen der Eintragung im Grundbuch nicht sein Verkäufer, sondern ein Dritter der wahre Eigentümer des Grundstücks war, soll aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutze des Rechtsverkehrs dennoch der Käufer als Eigentümer aufgrund der zu seinen Gunsten eingetragenen Vormerkung und seines guten Glaubens an die Richtigkeit des Grundbuchs bei Beantragung der Eintragung der Vormerkung eingetragen werden.
3.2.11
Auflassung
Eine Auflassung ist zwingende Voraussetzung dafür, dass der Käufer Eigentum am verkauften Grundstück erwirbt. Begriff und Wirkung Auflassung (§ 925 BGB) ist die zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück erforderliche dingliche Einigung von Verkäufer und Käufer. Die Auflassung ist ein Rechtsgeschäft, das zu einem Wechsel des Rechtsträgers im Rahmen einer Einzelrechtsnachfolge (Rechtsnachfolge für ein bestimmtes Rechtsverhältnis) führt. Die Auflassung kommt also nicht zur Anwendung bei einem Erwerb kraft Gesetzes oder durch Staatsakt. Ferner findet sie keine Anwendung bei einem Erwerb im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (Rechtsnachfolge in das gesamte Vermögen wie bei der Erbfolge, auch wenn das Grundstück der einzige Vermögensgegenstand sein sollte). Die §§ 925, 873 BGB gelten auch nicht, wenn lediglich Anteile an einem Gesamthandsvermögen (z. B. Anteile an einer BGB-Gesellschaft, selbst wenn deren einziger Vermögensgegenstand das Grundstück ist) übertragen werden sollen. Die Einigung bewirkt allein noch keine Rechtsänderung und beschränkt den Verkäufer auch nicht in seiner Verfügungsbefugnis. Die Auflassung ist Teil eines mehraktigen Rechtsgeschäfts, da zum Eigentumsübergang noch die Eintragung im Grundbuch hinzukommen muss.
186
3 Der Grundstückskaufvertrag
Der Erfüllungsanspruch des Käufers auf Eigentumsübertragung (aus einem Grundstückskaufvertrag) erlischt erst mit seiner Eintragung im Grundbuch. Regelmäßig ist der Käufer mit der Auflassung zu Verfügungen über das Grundstück berechtigt, insbesondere zur Weiterveräußerung. Möglich ist z. B. die sog. Kettenauflassung, bei der der Zweitkäufer ohne Zwischeneintragung des Erstkäufers unmittelbar vom Verkäufer erwirbt. Solange die Kaufpreisforderung des Verkäufers noch nicht erfüllt ist, wird in der Auflassung aber noch nicht die Einwilligung zur Grundpfandrechtsbestellung durch den Käufer gesehen, sie muss ihm ggf. ausdrücklich eingeräumt werden, regelmäßig unter Sicherstellung der Kaufpreiszahlung. Die Auflassung bedeutet auch nicht die Einwilligung des Verkäufers, dass der Erstkäufer einen Übereignungsanspruch des Zweitkäufers gegenüber dem Verkäufer begründet oder für den Zweitkäufer zur Sicherung dessen Übereignungsanspruchs gegen den Erstkäufer eine Vormerkung bestellen kann. Ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung oder Eintragungsantrag auf Umschreibung im Grundbuch ist der Käufer nicht gegen weitere Verfügungen des Verkäufers gesichert. Ein ihn sicherndes Anwartschaftsrechts erwirbt er erst durch die Eintragung der Auflassungsvormerkung oder durch den Eingang seines Antrags auf Eigentumsumschreibung beim Grundbuchamt. Eine Bindung an die Auflassung tritt erst unter den Voraussetzungen des § 873 Abs. 2 BGB ein. Demnach sind die Beteiligten an die Einigung nur gebunden, wenn die Erklärungen notariell beurkundet, vor dem Grundbuchamt abgegeben oder bei diesem eingereicht sind, oder wenn der Berechtigte dem Vertragspartner eine Eintragungsbewilligung in grundbuchmäßiger Form ausgehändigt hat; die Erfüllung einer dieser Voraussetzungen genügt für den Eintritt der Bindung. Eine bedingte oder befristete Auflassung ist unzulässig (§ 925 Abs. 2 BGB). Auslegungsfrage im Einzelfall ist, ob das in gleicher Urkunde bedingt oder unter Rücktrittsvorbehalt geschlossene Grundgeschäft auch zu einer Bedingung der Auflassung führt. Das wird bei einem Rücktrittsvorbehalt in aller Regel nicht angenommen. Lediglich Vereinbarungen über Bedingungen für den Grundbuchvollzug, eine Bedingung der Auflassungsvollmacht oder eine fehlende Rechtsbedingung (d. h., einer gesetzlichen Voraussetzung für das Zustandekommen und die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts), z. B. die Genehmigung der vom vollmachtlosen Vertreter erklärten Auflassung, sollen nicht zur Unwirksamkeit führen (BGH NJW 1952, 1330; BayObLG RPfleger 1984, 11). Erforderlich ist eine zweifelsfreie Bezeichnung des zu veräußernden Grundstücks, ggf. einer noch zu vermessenden Teilfläche. Bei einer geringen Abweichung zwischen der ursprünglich bezeichneten und der tatsächlich vermessenen Fläche gilt die Auflassung auch noch für letztere, anderenfalls wird vor der Eintragung ins Grundbuch eine spätere Identitätserklärung der Vertragsparteien mit dem Inhalt erforderlich, dass das vermessene Grundstück vom Verkäufer und Käufer mit dem im Kaufvertrag verkauften Grundstück als identisch erklärt wird. Eine falsche Bezeichnung des Grundstücks ist dann unschädlich, wenn beide Parteien übereinstimmend denselben Kaufgegenstand meinen, ihn aber irrtümlich falsch bezeichnen (BGH BB 1967, 811), z. B.: Grundstück A soll verkauft werden, Grundstück B wird benannt, gleichwohl wird wegen des übereinstimmenden Willens abweichend vom Wortlaut Grundstück A aufgelassen. Decken sich dagegen die Erklärungen äußerlich (Grundstück A), meint aber jede Partei ein anderes Grundstück (Verkäufer will Grundstück A verkaufen, Käufer will Grundstück B kaufen), ist je nach dem Umständen die Auflassung nicht zustande gekommen oder der Irrende kann seine Erklärung anfechten. Im Falle mehrerer Käufer ist die Angabe des Gemeinschaftsverhältnisses der Käufer (z. B. zu gleichen ideellen Anteilen oder verbunden zu einer
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
187
Gesellschaft bürgerlichen Rechts) notwendiger Inhalt (BayObLGZ 83, 118) und Wirksamkeitsvoraussetzung der Auflassung (§ 47 GBO). Formerfordernis Die Auflassung muss bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor einer zuständigen Stelle erklärt werden (§ 925 Abs. 1 BGB). Unbeschadet der Zuständigkeit weiterer Stellen ist jeder – deutsche – Notar zuständig. Wie bei der Beurkundung des Kaufvertrages im Übrigen ist jedoch die Vertretung durch einen Bevollmächtigten oder durch einen vollmachtlosen Vertreter mit nachträglicher Genehmigung möglich. Für die Auflassungserklärung selbst ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben, sie wird in aller Regel mündlich abgegeben. Materiell-rechtlich wirksam wird die Erklärung aber nur, wenn sie unter gleichzeitiger Anwesenheit von Verkäufer und Käufer (Vertretung ist möglich) und vor der zuständigen Stelle erklärt wird. Zulässig sind Auflassungen auch in einem gerichtlichen Vergleich oder in einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan (§ 925 Abs. 1 Satz 3 BGB). Eintragung ins Grundbuch Die Eintragung des Käufers im Grundbuch als Eigentümer vollendet i. V. m. der Auflassung den Rechtserwerb (§ 873 Abs. 1 BGB). An die Eintragung knüpft sich die Vermutung der Richtigkeit des Grundbuchs (§ 891 BGB) und im Falle der Unrichtigkeit des Grundbuchs die Möglichkeit zum gutgläubigen Erwerb. Die dingliche Einigung muss grundsätzlich auch noch im Zeitpunkt der Eintragung ins Grundbuch fortbestehen. Da die Auflassung und die Umschreibung im Grundbuch regelmäßig zeitlich auseinander fallen, kann z. B. in der Zwischenzeit einer der Beteiligten sterben, seine Geschäftsfähigkeit verlieren oder der Verfügende wird in seinem Verfügungsrecht beschränkt. Weder der Tod eines Beteiligten noch der Verlust seiner Geschäftsfähigkeit nach Abgabe der Willenserklärung hat auf deren Wirksamkeit Einfluss (§ 130 Abs. 2 BGB). Die Verfügungsberechtigung des Verfügenden muss grundsätzlich noch im Zeitpunkt der Rechtsänderung, also im Zeitpunkt der Grundbucheintragung, bestehen. Ist die Erklärung jedoch für den Verfügenden bereits bindend geworden (§§ 873, 875, 877 BGB) und der Anspruch auf Eintragung gestellt, wird sie durch eine danach eintretende Verfügungsbeschränkung nicht unwirksam (§ 878 BGB). Zum Schutz des Erklärungsempfängers wird der maßgebliche Zeitpunkt praktisch auf die Stellung des Eintragungsantrages vorverlegt. Die spätere Verfügungsbeschränkung hindert den Rechtserwerb durch den Erklärungsempfänger in diesem Falle also nicht. Vom Grundbuchamt zu prüfende Eintragungsvoraussetzungen sind die Verzichtserklärung oder das Negativattest der zuständigen Behörde bezüglich aller gesetzlichen Vorkaufsrechte. Vorkaufsrechte können sich insbesondere aus den §§ 24 ff. BauGB sowie nach landesrechtlichen Denkmalschutz-, Naturschutz- oder Waldgesetzen ergeben. Ferner prüft das Grundbuchamt, ob der Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer unterliegt. Eintragungsvoraussetzung ist daher regelmäßig die Vorlage der sog. Unbedenklichkeitsbescheinigung, die das Finanzamt erteilt, wenn die anfallende Grunderwerbsteuer bezahlt ist oder der Rechtsvorgang nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt. In der Auflassungserklärung wird i. d. R. auch die notwendige Eintragungsbewilligung des Verkäufers gesehen. Mit Vorlage der Auflassungserklärung beim Grundbuch könnte also bereits die Umschreibung des Käufers bewirkt werden. Um sicherzustellen, dass die Um-
188
3 Der Grundstückskaufvertrag
schreibung nicht beantragt wird, bevor der Kaufpreis gezahlt ist, weisen die Beteiligten den Notar regelmäßig an, eine die Auflassung enthaltende Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Kaufvertrages erst herauszugeben und die Umschreibung erst zu beantragen, wenn dem Notar die Zahlung des Kaufpreises durch eine schriftliche Erklärung des Verkäufers oder der die Überweisung ausführenden Bank nachgewiesen ist. Dieselbe Sicherheit könnte auch dadurch erzielt werden, dass die Auflassung erst nach der Zahlung des Kaufpreises beurkundet wird. Die gesonderte Beurkundung der Auflassung löst allerdings eine zusätzliche halbe Gebühr aus.
3.2.12
Kosten, Steuern, Makler
Kostenschuldner ist jeder, der die Tätigkeit des Notars veranlasst hat, insbesondere jeder Beteiligte, dessen Erklärung beurkundet ist (§ 2 Nr. 1 Kostenordnung – KostO). Bei einem Grundstückskaufvertrag und einer Auflassung sind daher beide Vertragsparteien Kostenschuldner, unabhängig von der vertraglich getroffenen Kostenregelung, und zwar als Gesamtschuldner (§ 5 Abs. 1 Satz 1 KostO). In der Regel übernimmt jedoch jeder Beteiligte die Kosten für seine Vertretung, also für Vollmachtsbestätigungen oder Genehmigungen, sowie der Verkäufer die Kosten der Löschung der vom Käufer nicht übernommenen Belastungen. Der Käufer übernimmt i. d. R. die Kosten des Kaufvertrages (ggf. auch die Kosten eines Notaranderkontos und einer gesondert beurkundeten Auflassung) und der Durchführung des Vertrages. In aller Regel trägt der Käufer auch die Grunderwerbsteuer, wobei gesetzlich beide Teile für diese Steuer gesamtschuldnerisch haften. Ist der Kaufvertrag durch einen Makler vermittelt worden, so empfiehlt es sich gegebenenfalls, im Kaufvertrag zu regeln, wer die Maklerprovision zu tragen hat.
3.2.13
Sonstiges
Im Einzelfall kann es erforderlich sein, z. B. unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Kaufgegenstands oder der Vertragsparteien noch weitere Regelungen in den Grundstückskaufvertrags aufzunehmen (etwa zur Vertraulichkeit, zur kartellamtlichen Freigabe, zum anwendbaren Recht etc.). Nachfolgend sollen einzelne Fallgestaltungen kurz dargestellt werden, die in der Praxis von Bedeutung sind. 3.2.13.1
Einwilligung/Genehmigung des Ehegatten (§ 1365 BGB)
Einwilligungsbedürftig sind Rechtsgeschäfte, durch die sich ein Ehegatte (der im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt) zur Verfügung über sein Vermögen im Ganzen verpflichtet. Das gilt auch für Verfügungen über ein Grundstück, wenn dieses das ganze oder nahezu das ganze Vermögen ausmacht (BGH NJW 1961, 1301; BAG-NJW 1984, 609). Geht der Ehegatte die Verpflichtung ohne die erforderliche Genehmigung ein, hängt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von der Genehmigung des anderen Ehegatten ab (§ 1366 BGB). Es handelt sich nicht nur um ein relatives, sondern um ein absolutes Veräußerungsverbot. Die Einwilligung kann ggf. durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden (§ 1365 Abs. 2 BGB). Auf die Verfügungsbeschränkung, auch hinsichtlich einzelner Gegenstände, kann ver-
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
189
traglich verzichtet werden. Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des § 1365 BGB vorliegen, trägt derjenige, der sich auf die Nichtigkeit beruft. 3.2.13.2
Bestehende Arbeitsverhältnisse
Nach § 613 a BGB gehen die Rechte und Pflichten des Verkäufers eines Betriebs aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis auf den Käufer über. Dabei ist zu beachten, dass als Betrieb in diesem Sinne im Einzelfall selbst Mietshäuser anzusehen sind, in denen ein Hausmeister beschäftigt wird, wenn insoweit eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen vorliegt, die der Käufer in ähnlicher Weise fortführt (Erfurter Kommentar/Preis, 12. Auflage 2012, § 613 a, Rn. 22 m. w.N.). Sofern der Käufer nicht bereit ist, ein solches Arbeitsverhältnis zu übernehmen, kann er sich vom Verkäufer im Grundstückskaufvertrag garantieren lassen, dass ein solches Arbeitsverhältnis für den Kaufgegenstand jedenfalls zum Zeitpunkt des Besitzübergangs nicht (mehr) besteht und sich vom Verkäufer vorsorglich von sämtlichen Ansprüchen Dritter insoweit freistellen lassen. 3.2.13.3
Vorkaufsrecht, Ankaufsrechte
Im Einzelfall möchten der Grundstückseigentümer und der Kaufinteressent noch keinen Grundstückskaufvertrag abschließen, aber dennoch bereits ein Recht des Kaufinteressenten begründen, das Grundstück im Falle eines Verkaufs an einen Dritten (dann Vorkaufsrecht) oder unter sonstigen, bestimmten Voraussetzungen (dann Ankaufsrecht) zu erwerben. Arten des dinglichen Vorkaufsrechts Das Vorkaufsrecht ermöglicht es dem Berechtigten, das belastete Grundstück von dem Vorkaufsrechtsverpflichteten zu denselben Bedingungen zu kaufen, zu denen der nach dem Vorkaufsrecht Verpflichtete es an einen Dritten verkauft hat (§ 1094 BGB). Das dingliche Vorkaufsrecht kann an Grundstücken und an Miteigentumsanteilen (§ 1095 BGB), auch an Wohnungs- und Teileigentum (OLG Celle NJW 1955, 953) und an Erbbaurechten (§ 11 ErbbauRG) bestehen. Bestellt werden kann das dingliche Vorkaufsrecht für einen, für mehrere oder für alle Verkaufsfälle (§ 1097 BGB). Berechtigter des Vorkaufsrechts kann eine natürliche oder eine juristische Person sein (subjektiv-persönliches Vorkaufsrecht, § 1094 Abs. 1 BGB). Die Bestellung ist aber auch zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines anderen Grundstücks zulässig (subjektivdingliches Vorkaufsrecht, § 1094 Abs. 2 BGB); zu empfehlen ist in diesen Fällen regelmäßig die Aufnahme einer zeitlichen Beschränkung oder einer auflösenden Bedingung. Wird das Vorkaufsrecht für mehrere oder alle Verkaufsfälle bestellt, richtet es sich auch gegen den Eigentümer im Zeitpunkt eines späteren Verkaufsfalls. Ferner sind die Erben des Verpflichteten, die bei seinem Tode in dessen Stellung eintreten (§ 1922 BGB), in gleicher Weise durch das Vorkaufsrecht verpflichtet. Eine Bedingung oder Befristung für das Recht zur Ausübung des Vorkaufsrechts kann z. B. darin bestehen, dass die Ausübung nur bei Verkauf durch den Besteller des Vorkaufsrechts (also nicht durch dessen Erben) zulässig ist, dass das Vorkaufsrecht nur einheitlich für alle verkauften Grundstücke ausgeübt werden kann, oder dass es nach Ablauf einer bestimmten Frist oder aufgrund einer auflösenden Bedingung, z. B. einer Wiederverheiratung des Berechtigten, erlischt.
190
3 Der Grundstückskaufvertrag
Entstehung und Wirkung des Vorkaufsrechts Für die Bestellung des Vorkaufsrechts gilt § 873 BGB. Danach ist die Einigung über die Bestellung, deren Nachweis in der Form des § 29 GBO und die Eintragung in das Grundbuch erforderlich. Die Verpflichtung zur Bestellung eines Vorkaufsrechts wird als formbedürftig angesehen, weil das Vorkaufsrecht eine bedingte Verpflichtung zur Übertragung zum Gegenstand hat. Das subjektiv-persönliche Vorkaufsrecht (zugunsten eines Berechtigten) ist grundsätzlich nicht übertragbar oder vererblich (§§ 473 Abs. 1, 1098 BGB), sofern nichts Abweichendes vereinbart ist; das subjektiv-dingliche Vorkaufsrecht (zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines Grundstücks) gilt als Bestandteil des herrschenden Grundstücks (§ 96 BGB) und geht mit diesem über. Die Verpflichtung zur Bestellung eines Vorkaufsrechts kann auch durch eine Verfügung von Todes wegen begründet werden (Testament oder Erbvertrag). Danach wird der Erbe regelmäßig verpflichtet, dem Vermächtnisnehmer das vermachte Vorkaufsrecht zu bestellen, d. h., mit ihm die dingliche Einigung über die Begründung des Rechts zu vollziehen und die Eintragung im Grundbuch in grundbuchmäßiger Form (§ 29 GBO) zu bewilligen. Die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Eigentümer des Grundstücks und dem Vorkaufsberechtigten. Der Vorkaufsberechtigte erhält die Befugnis zum Vorkauf (§ 1094 BGB), er kann also bei einem Verkauf des belasteten Grundstücks durch den Eigentümer an einen Dritten verlangen, dass das Grundstück ihm aufgelassen und zu den gleichen Zahlungsbedingungen übertragen wird, wie sie der Eigentümer mit der Kaufvertragspartei vereinbart hat. Wird das Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung veräußert, ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen; ist das Vorkaufsrecht nur für einen Verkaufsfall bestellt, erlischt es (eine Ausnahme gilt bei der Teilungsversteigerung, § 180 ZVG). Das Vorkaufsrecht bleibt im Falle der Zwangsversteigerung jedoch bestehen, wenn es für mehrere Verkaufsfälle bestellt ist und wenn es dem betreibenden Gläubiger vorgeht, andernfalls erlischt es (§§ 52 Abs. 1 Satz 2, 92 ZVG). Dritten gegenüber hat das dingliche Vorkaufsrecht die Wirkung einer Vormerkung (§ 1098 BGB). Das eingetragene Vorkaufsrecht hindert nicht die Auflassung des Grundstücks durch den Verkäufer an den Käufer des vom Verkäufer abgeschlossenen Kaufvertrages und dessen Eintragung als Eigentümer im Grundbuch. Dieser Erwerb ist aber gegenüber dem Vorkaufsberechtigten unwirksam, weil die Vormerkung zur relativen Unwirksamkeit der vormerkungswidrigen Verfügung führt (§ 883 Abs. 2 BGB). Trotz der Umschreibung auf den Käufer bleibt der Verkäufer verpflichtet, die Auflassung an den Vorkaufsberechtigten, der sein Recht ausgeübt hat, zu erklären. Letzterer hat gegen den eingetragenen Käufer einen Anspruch auf Zustimmung zur Auflassung und Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch (BayObLG RPfleger 1982, 337). Ankaufsrechte (Option, Vorvertrag) Das Recht i. S. einer „Option“, ein Grundstück zu erwerben oder zu verkaufen, ist im Gesetz nicht definiert. Daher existiert auch kein einheitlicher Sprachgebrauch, unterschiedliche Fallgestaltungen sind möglich. Sind sich Verkäufer und Kaufinteressent noch nicht über den endgültigen Ankauf einig, sind insbesondere noch rechtliche oder tatsächliche Vorfragen zu klären oder vom Käufer noch eine Due Diligence durchzuführen, wird dem Kaufinteressenten das Grundstück nicht selten
3.2 Inhalt des Grundstückskaufvertrags
191
für einen bestimmten Zeitraum „an Hand gegeben“. Inhalt einer derartigen „Anhandgabe“ (häufig wird insoweit auch im Rahmen eines Letter of Intent eine befristete „Exklusivität“ vereinbart) ist z. B. die Verpflichtung des Verkäufers für diesen Zeitraum, das Grundstück nicht einem Dritten anzubieten oder mit einem Dritten über den Verkauf zu verhandeln. Solange sich der Verkäufer damit nicht schon zur Übertragung des Grundstücks verpflichtet, sind diese Erklärungen nicht beurkundungsbedürftig, geben dem Kaufinteressenten aber auch keinen Anspruch auf den Erwerb des Grundstücks. Soll für den Kaufinteressenten bereits ein Recht auf Erwerb des Grundstücks begründet werden, will er selbst sich aber noch nicht binden, kommt ein Verkaufsangebot des Verkäufers an den Kaufinteressenten in Betracht, das wegen der Bindung des Verkäufers zur Übertragung des Grundstücks der Beurkundung bedarf. Für die Annahme des Angebots, die dann ebenfalls der Beurkundung bedarf, wird regelmäßig eine bestimmte Frist gesetzt. Umgekehrt kann der Kaufinteressent sich bereits binden wollen, aber der Verkäufer hat sich noch nicht entschieden, ob er und, wenn ja, zu welchen Bedingungen er an diesen Kaufinteressenten verkaufen will. Für diesen Fall kann der Kaufinteressent dem Verkäufer das Angebot zum Erwerb des Grundstücks unterbreiten, bindet sich also bereits für den Fall, dass der Verkäufer sein Angebot annimmt. Für die Beurkundungspflicht gilt das zum Verkaufsangebot Gesagte entsprechend. Schließlich gibt es als solche bezeichnete Ankaufsrechte regelmäßig im Zusammenhang mit Leasingverträgen. Der Leasinggeber räumt dem Leasingnehmer nach Ablauf der Leasingzeit ein Ankaufsrecht für den Leasinggegenstand ein, verpflichtet sich also bereits für den Fall, dass der Leasingnehmer sein Ankaufsrecht – einseitig – ausübt, zur Übertragung des Leasinggegenstandes. Rechtlich liegt also ein Angebot des Leasinggebers zur Übertragung vor, und das oben Gesagte gilt entsprechend. Stehen dem Abschluss eines Grundstückskaufvertrages als Hauptvertrag noch rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegen, wollen sich die Beteiligten aber für den Fall, dass diese beseitigt werden können, bereits binden, sich also zum späteren Abschluss des Hauptvertrages verpflichten, kommt der Abschluss eines Vorvertrags in Betracht. Wegen der Bindungswirkung ist auch ein solcher Vorvertrag beurkundungsbedürftig (BGHZ 61, 48; BGH NJW 1989, 166 f.).
4
Das Erbbaurecht Wolfgang Usinger
4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3 4.2.1.4 4.2.1.4.1 4.2.1.4.2 4.2.1.5 4.2.1.5.1 4.2.1.5.2 4.2.1.6 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.2.1 4.2.2.2.2 4.2.2.2.3 4.2.2.2.4 4.2.2.2.4.1 4.2.2.2.4.2 4.2.2.2.4.3 4.2.2.2.4.4 4.2.2.2.5 4.2.2.2.6 4.2.2.2.7 4.2.2.2.7.1 4.2.2.2.7.2 4.2.2.2.7.3 4.2.2.2.7.4
Vorbemerkung ............................................................................................... 194 Anwendungsbereiche .................................................................................... 194 Begriff und Rechtsnatur ................................................................................ 194 Inhalt des Erbbaurechts ................................................................................. 194 Gesetzlicher Inhalt ......................................................................................... 194 Belastungsgegenstand ................................................................................... 194 Erbbauberechtigter ........................................................................................ 195 Das Bauwerk ................................................................................................. 195 Rangstelle ...................................................................................................... 196 Gebot der ersten Rangstelle ........................................................................... 196 Ausnahmen .................................................................................................... 196 Bedingungen und Befristungen ..................................................................... 196 Bedingungen.................................................................................................. 196 Befristungen .................................................................................................. 197 Veräußerbarkeit, Vererbbarkeit und Belastbarkeit des Erbbaurechts ............ 197 Vertraglicher Inhalt des Erbbaurechts ........................................................... 197 Allgemeines ................................................................................................... 197 Gesetzlich vorgesehene Ausgestaltung nach § 2 ErbbauRG im einzelnen........................................................................................................ 198 Errichtung, Instandhaltung und Verwendung des Bauwerks......................... 198 Versicherung und Wiederaufbau des Bauwerks ............................................ 198 Lastentragung ................................................................................................ 199 Heimfall ......................................................................................................... 199 Definition ...................................................................................................... 199 Zweck ............................................................................................................ 199 Heimfallgründe .............................................................................................. 199 Rechtsfolgen des Heimfalls ........................................................................... 200 Vertragsstrafen .............................................................................................. 201 Vorrecht auf Erneuerung des Erbbaurechts und Verpflichtung zum Verkauf des Grundstücks an den Erbbauberechtigen .................................... 201 Verfügungsbeschränkungen des Erbbauberechtigten .................................... 201 Allgemeines ................................................................................................... 201 Zustimmung zur Veräußerung ....................................................................... 202 Zustimmung zu sonstigen Verfügungen ........................................................ 202 Rechtsfolgen fehlender Zustimmung............................................................. 202
194 4.2.2.2.7.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.3.3.3 4.3.3.3.1 4.3.3.3.2 4.3.3.3.3 4.3.3.3.4 4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 4.4.1.3.1 4.4.1.3.2 4.4.2 4.5 4.5.1 4.5.1.1 4.5.1.2 4.5.2 4.5.2.1 4.5.2.2 4.6 4.6.1 4.6.1.1 4.6.1.2 4.6.1.2.1 4.6.1.2.2 4.6.1.2.3 4.6.2 4.6.2.1 4.6.2.2 4.7 4.7.1 4.7.1.1 4.7.1.2 4.7.1.3 4.7.1.4 4.7.1.5 4.7.1.6
4 Das Erbbaurecht Verpflichtung zur Zustimmung ..................................................................... 203 Ergänzende Vereinbarungen ..........................................................................203 Vorbemerkung ...............................................................................................203 Vorkaufsrechte ...............................................................................................203 Der Erbbauzins ...............................................................................................204 Gegenleistung für die Bestellung des Erbbaurechts ...................................... 204 Sicherung durch Reallast............................................................................... 204 Anpassung des Erbbauzinses ........................................................................ 205 Feste Bestimmung des Erbbauzinses ............................................................ 205 Schuldrechtliche und dingliche Anpassung des Erbbauzinses ...................... 205 Gleitender Leistungsumfang als Inhalt des Erbbaurechts ............................. 206 Besonderheiten bei Wohnerbbaurechten ....................................................... 206 Entstehung und Übertragung des Erbbaurechts .............................................207 Entstehung des Erbbaurechts .........................................................................207 Einigung und Eintragung .............................................................................. 207 Grundbuchlicher Vollzug .............................................................................. 207 Gesetzliche Rechtswirkungen ....................................................................... 207 Eigentum und Besitz am Bauwerk ................................................................ 207 Rechte an nichtüberbauten Grundstücksflächen ........................................... 208 Übertragung ...................................................................................................208 Kosten ............................................................................................................209 Begründung des Erbbaurechts ........................................................................209 Notarkosten ................................................................................................... 209 Grundbuchkosten .......................................................................................... 209 Verkauf des Erbbaurechts ..............................................................................209 Notarkosten ................................................................................................... 209 Grundbuchkosten .......................................................................................... 209 Die Beleihung und Beendigung des Erbbaurechts .........................................210 Beleihung des Erbbaurechts ...........................................................................210 Engerer Beleihungsrahmen ........................................................................... 210 Kollision von Sicherungsinteressen .............................................................. 210 Rechtslage bis zum 30.09.1994 ..................................................................... 210 Rechtslage seit dem 01.10.1994 .................................................................... 211 Fortbestehende Bedeutung der altrechtlichen Hilfslösungen ........................ 211 Beendigung des Erbbaurechts ........................................................................212 Aufhebung ..................................................................................................... 212 Beendigung durch Zeitablauf ........................................................................ 212 Grunderwerbsteuer .........................................................................................212 Zu versteuernde Rechtsvorgänge ...................................................................213 Bestellung des Erbbaurechts ......................................................................... 213 Übertragung des Erbbaurechts ...................................................................... 213 Aufhebung und Erlöschen des Erbbaurechts ................................................. 213 Heimfall des Erbbaurechts ............................................................................ 214 Verlängerung bzw. Erneuerung des Erbbaurechts ........................................ 214 Zwangsversteigerung des Erbbaurechts ........................................................ 215
4 Das Erbbaurecht 4.7.1.7 4.7.2 4.7.2.1 4.7.2.2 4.7.2.3 4.7.2.3.1 4.7.2.3.2 4.7.2.3.3 4.7.2.3.4
195
Erwerb des Erbbaugrundstücks durch den Erbbauberechtigten .................... 215 Besteuerungsgrundlagen................................................................................ 215 Bestellung des Erbbaurechts.......................................................................... 215 Übertragung des Erbbaurechts ...................................................................... 215 Erlöschen, Aufhebung des Erbbaurechts ....................................................... 216 Bei Entschädigung ......................................................................................... 216 Ohne Entschädigung...................................................................................... 216 Heimfall ......................................................................................................... 216 Verlängerung, Erneuerung ............................................................................ 216 Literaturverzeichnis zu Kap. 4....................................................................... 217
194
4 Das Erbbaurecht
4.1
Vorbemerkung
4.1.1
Anwendungsbereiche
Die Erbbaurechtsverordnung vom 15. Januar 1919 (nunmehr Erbbaurechtsgesetz – ErbbauRG) war vom damaligen Gesetzgeber vor allem als wohnungsbaupolitische Maßnahme gedacht. Auch heute noch liegt der Hauptanwendungsbereich des Erbbaurechts im Wohnungsbau, doch werden zunehmend auch gewerbliche und sonstige Bauten im Erbbaurecht errichtet (z. B. Bürogebäude, Lagerhallen, Industrieanlagen). Das Erbbaurecht als Alternative zum Grundstückskauf ist außerdem von Bedeutung, wo große Grundstücksflächen benötigt werden, der kapitalintensive Grundstückskauf sich aber nicht rechnet (z. B. bei Sportanlagen, Golfplätzen).
4.1.2
Begriff und Rechtsnatur
Das Erbbaurecht ist das veräußerliche und vererbliche Recht, ein Bauwerk auf – i. d. R. – fremdem Grund und Boden zu errichten und zu unterhalten. Es ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Gebäude wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks ist und nicht Gegenstand besonderer Rechte sein kann (§§ 93, 946 BGB). Die Errichtung und Unterhaltung eines Gebäudes kann auch im Rahmen eines Nießbrauchs (§§ 1030 ff. BGB), einer Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB), einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 ff. BGB) oder eines Miet- oder Pachtvertrages gestattet werden. Ein aufgrund einer solchen Gestattung errichtetes Gebäude wird jedoch i. d. R. Eigentum des Grundstückseigentümers und nicht des Rechtsinhabers (von Oefele/Winkler, Rn 1.33 und 1.35). Anders beim Erbbaurecht: Die kraft Erbbaurechts errichteten Gebäude stehen nicht im Eigentum des Grundstückseigentümers, sondern in dem des Erbbauberechtigten.
4.2
Inhalt des Erbbaurechts
4.2.1
Gesetzlicher Inhalt
4.2.1.1
Belastungsgegenstand
Die Anforderungen, die das Gesetz an den Inhalt des Erbbaurechts stellt, sind gering. Erforderlich ist gemäß § 1 Abs. 1 ErbbauRG, dass ein Grundstück in der Weise belastet wird, dass demjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, das veräußerliche und vererbliche Recht zusteht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben. Das Erbbaurecht darf nicht auflösend bedingt bestellt werden (§ 1 Abs. 4 Satz 1 ErbbauRG), und es muss die erste Rangstelle im Grundbuch haben (§ 10 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG). Ein Erbbaurecht kann nur an einem Grundstück als Ganzes bestellt werden. Soll nur ein Grundstücksteil mit dem Erbbaurecht belastet werden, muss dieser Teil zunächst vermessen, katasteramtlich abgeschrieben und im Grundbuch als selbstständiges Grundstück eingetragen sein.
4.2 Inhalt des Erbbaurechts
195
Wird nur ein Teil des Grundstücks für das Bauwerk benötigt, kann dennoch das gesamte Grundstück mit dem Erbbaurecht belastet werden (§ 1 Abs. 2 ErbbauRG), sofern das Bauwerk wirtschaftlich die Hauptsache bildet. Auch kann die Ausübung des Erbbaurechts auf einzelne Grundstücksteile und Gebäude beschränkt werden (BayOblGZ 1957,221; BayOblGZ 1984, 105; OLG Zweibrücken FG Prax 1996 S. 131; OLG Hamm FG Prax 2006, 2; a. A. Ingenstau/Hustedt, § 1 Rn 21). Ein Erbbaurecht kann auch zu Lasten mehrerer Grundstücke bestellt werden („Gesamterbbaurecht“). Das wird z. B. erforderlich, wenn durch ein zu errichtendes Gebäude mehrere Grundstücke überbaut werden. Keine Belastung des Grundstücks, sondern eine Belastung des Erbbaurechts, ist das sog. Untererbbaurecht. Es kommt in Betracht, wenn etwa an einem größeren Areal ein Erbbaurecht für einen Bauträger bestellt worden ist, der darauf errichtete Häuser an einzelne Erwerber veräußern will, ohne das Erbbaurecht real aufteilen zu wollen oder zu können. Das Untererbbaurecht wird als Belastung des Erbbaurechts in Abt. II des Erbbaugrundbuchs eingetragen, ist aus der Sicht des Bauträgers allerdings, sofern nach dem Erbbauvertrag überhaupt zulässig, nachteilig, weil er, anders als bei Aufteilung des Erbbaurechts in Einzelerbbaurechte und deren Veräußerung an die Erwerber, bei Bildung von Untererbbaurechten für den Erbbauzins weiter haftet. Außerdem sind Untererbbaurechte erfahrungsgemäß schwer beleihbar, was darauf beruht, dass sie im Falle des Heimfalls des Erbbaurechts, auf dem sie lasten, untergehen. Untererbbaurechte haben deshalb in der Praxis so gut wie keine Bedeutung erlangt. 4.2.1.2
Erbbauberechtigter
Erbbauberechtigter kann jede natürliche oder juristische Person sein. Das Erbbaurecht kann auch Personenmehrheiten zustehen. Hier gilt nichts anderes als bei Grundstücken oder anderen Rechten an einem Grundstück. Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich sogar selbst ein sog. Eigentümererbbaurecht bestellen, was allerdings i. d. R. nur geschieht, wenn er das Erbbaurecht dann veräußern will. Dadurch wird die Finanzierung für den Erwerber erleichtert, da bereits das Erbbaurecht für die Beleihung zur Verfügung steht. 4.2.1.3
Das Bauwerk
Als Bauwerk gilt jede „unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache“ (RGZ 56, 43). Bauwerk ist also nicht gleichbedeutend mit Gebäude. Demgemäß kann Gegenstand eines Erbbaurechts z. B. auch die Errichtung von Straßen, Brücken, Gleisanlagen, Industrie- und Hafenanlagen sowie Sportanlagen (z. B. Golfanlagen und Tennisplätzen) sein. Bei Bestellung des Erbbaurechts muss die Art des Bauwerks näher bestimmt werden. Allzu strenge Maßstäbe werden an eine Konkretisierung allerdings nicht gestellt. Grundsätzlich muss aus ihr aber mindestens hervorgehen, ob es sich z. B. um ein oder mehrere Bauwerke handeln oder ob ein Wohnhaus oder ein gewerblich genutztes Gebäude errichtet werden soll (BGH DNotZ 1974, 90; Linde/Richter Rn 76; Palandt/Bassenge, § 1 ErbbauRG Rn 8). Die Bestellung eines Erbbaurechts ist indes möglich, wenn zu dem Bauvorhaben noch keine konkreten Angaben gemacht werden können, weil mit der Bauplanung noch nicht begonnen
196
4 Das Erbbaurecht
wurde. Dies ist z. B. der Fall, wenn sich Wohnungsbauunternehmen Bauerwartungsland für künftige Bauvorhaben durch Erbbaurechte sichern wollen. Hier ist die Angabe ausreichend, dass der Erbbauberechtigte berechtigt ist, Gebäude aller Art in Übereinstimmung mit dem zu erstellenden Bebauungsplan zu errichten (BGH WM 1994, 1220 f.; BGH NJW 1987, 2674ff; OLG Hamm NJOZ 2002, 996). 4.2.1.4
Rangstelle
4.2.1.4.1
Gebot der ersten Rangstelle
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG muss das Erbbaurecht an ausschließlich erster Rangstelle im Grundbuch eingetragen werden, damit sein Ausfall in der Zwangsversteigerung des Grundstücks unmöglich und seine Beleihbarkeit gesichert ist (Palandt/Bassenge, § 10 ErbbauRG Rn 1). Die Eintragung nach vorrangigen Rechten ist eine inhaltlich unzulässige Eintragung, die kein wirksames Erbbaurecht entstehen lässt und gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 Grundbuchordnung von Amts wegen zu löschen ist (Palandt/Bassenge, § 10 ErbbauRG Rn 1). 4.2.1.4.2
Ausnahmen
Vorrangig können allerdings Rechte sein, die zu ihrer Wirksamkeit nicht im Grundbuch eingetragen werden müssen und auch durch gutgläubigen Erwerb des Grundstücks in ihrem Bestand nicht berührt werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG). Daher dürfen z. B. alte Dienstbarkeiten, die zu ihrer Entstehung nicht ins Grundbuch eingetragen werden mussten, dem Erbbaurecht im Rang vorgehen. Gleiches gilt für öffentlich-rechtliche Beschränkungen, wie sie sich z. B. aus der Durchführung von Umlegungs-, Sanierungs- und Entwicklungsverfahren nach dem BauGB ergeben, die zwar im Grundbuch vermerkt werden sollen (vgl. §§ 54 Abs. 1, 143 Abs. 2 und 165 Abs. 9 BauGB), zur Entfaltung ihrer beschränkenden Wirkung dieser Eintragung aber nicht bedürfen. Unschädlich sind auch Notwege- und Überbaurenten, öffentlich-rechtliche Vorkaufsrechte und Lasten, wie z. B. Erschließungsbeiträge nach BauGB. Gemäß § 10 Abs. 2 ErbbauRG können darüber hinaus durch landesrechtliche Bestimmungen Ausnahmen von dem Gebot der ausschließlich ersten Rangstelle des Erbbaurechts zugelassen werden. Der Bestand des Erbbaurechts in der Zwangsversteigerung ist durch diese Ausnahmeregelungen nicht gefährdet, da derartige Rechte entweder in keinem Rangverhältnis zum Erbbaurecht stehen oder aber § 25 ErbbauRG eingreift, wonach das Erbbaurecht bestehen bleibt, auch wenn ein gleich- oder vorrangig dinglich Berechtigter die Zwangsversteigerung betreibt. 4.2.1.5
Bedingungen und Befristungen
4.2.1.5.1
Bedingungen
Es ist zulässig, ein Erbbaurecht unter einer aufschiebenden Bedingung zu bestellen, z. B. unter der Bedingung, dass ein bestimmtes Baurecht für das Erbbaugrundstück geschaffen wird. Unzulässig ist es hingegen, das Erbbaurecht unter eine auflösende Bedingung zu stellen, also etwa zu vereinbaren, dass es bei Eintritt bestimmter Umstände (z. B. Insolvenz des Erbbauberechtigten oder Verzug mit der Zahlung des Erbbauzinses) ohne Weiteres erlischt.
4.2 Inhalt des Erbbaurechts
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Diese unterschiedliche Behandlung ist nötig, um die Beleihbarkeit des Erbbaurechts nicht zu gefährden. Andernfalls könnte es geschehen, dass mitsamt dem Erbbaurecht auch darauf eingetragene Grundpfandrechte und andere dingliche Rechte bei Bedingungseintritt erlöschen. Von der auflösenden Bedingung zu unterscheiden ist die Vereinbarung eines Heimfalls des Erbbaurechts gemäß § 2 Ziff. 4 ErbbauRG bei Eintritt bestimmter Bedingungen, die die Parteien nach Belieben vereinbaren können. Die Beleihbarkeit des Erbbaurechts beeinträchtigen solche Heimfallvereinbarungen nicht, da nach § 33 ErbbauRG Grundpfandrechte und Reallasten beim Heimfall bestehen bleiben. Da die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts für die Zeit nach Entstehung des Erbbaurechts im Ergebnis auf eine auflösende Bedingung hinausliefe, wird sie von der Rechtsprechung als unzulässig betrachtet, und zwar für den Grundstückseigentümer wie für den Erbbauberechtigten (BGH DNotZ 1988, 161). Dagegen ist ein Rücktrittsrecht für die Zeit bis zum grundbuchlichen Vollzug des Erbbaurechts möglich (BGH DNotZ 1961, 402). Dasselbe gilt sinngemäß für den Rücktritt vom Erbbaurechtsvertrag wegen eines Grundstücksmangels. 4.2.1.5.2
Befristungen
Zur Dauer des Erbbaurechts enthält das ErbbauRG keine Regelung. Das Erbbaurecht könnte unbefristet bestellt werden („ewiges Erbbaurecht“), doch ist eine Befristung üblich, früher häufig auf 99 Jahre, heute vermehrt auf 30 bis 60 Jahre – je nach der Interessenlage, namentlich auch entsprechend der angenommenen Lebensdauer des Bauwerks und der Tilgungsdauer der Finanzierung (Linde/Richter Rn 91, Brambring/Jerschke, Beck'sches Notarhandbuch, Erbbaurecht Rn 47). Eine zu kurze Dauer erschwert die Beleihbarkeit. 4.2.1.6
Veräußerbarkeit, Vererbbarkeit und Belastbarkeit des Erbbaurechts
Mit Ausnahme der §§ 925, 927 und 928 BGB sowie der Vorschriften über Ansprüche aus dem Eigentum gelten für das Erbbaurecht die Vorschriften über Grundstücke (§ 11 Abs. 1 ErbbauRG). Danach ist es veräußerlich und vererblich und kann belastet werden, insbesondere mit Grundpfandrechten.
4.2.2
Vertraglicher Inhalt des Erbbaurechts
4.2.2.1
Allgemeines
Die in § 1 ErbbauRG genannten Merkmale des Erbbaurechts sind der gesetzliche Mindestinhalt, ohne den das Erbbaurecht nicht entstehen kann. Diese Minimalanforderungen des Gesetzes reichen den Parteien regelmäßig jedoch nicht aus, weswegen sie vielfach ergänzende Regelungen treffen, z. B. über eine Gegenleistung für die Einräumung des Erbbaurechts, die Gestaltung und Nutzung des zu errichtenden Bauwerks, Verfügungsbeschränkungen, Vorkaufsrechte usw. Der Gesetzgeber hat mit dem ErbbauRG ein flexibles Regelungswerk geschaffen, das den Parteien eine weitgehende Gestaltungsfreiheit einräumt, die sich in der Praxis allerdings weitgehend als Gestaltungsfreiheit der Erbbaurechtsgeber manifestiert, deren Vertragsformulare i. d. R. den Charakter allgemeiner Geschäftsbedingungen haben und somit der Inhaltskontrolle der §§ 305 ff. BGB unterliegen.
198
4 Das Erbbaurecht
§ 2 ErbbauRG nennt vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Erbbauberechtigten, die mit Eintragung in das Grundbuch zum Inhalt des Erbbaurechts gemacht werden können und dann auch Wirkung für und gegen Rechtsnachfolger der Parteien entfalten. Ohne Grundbucheintragung entfalten solche Regelungen nur schuldrechtliche Wirkung zwischen den Parteien sowie für und gegen deren Rechtsnachfolger nur bei Übernahme durch diese (Palandt/Bassenge, § 2 ErbbauRG Rn 1; siehe hierzu unten 2.7.2.2.2). Die §§ 3 bis 8 ErbbauRG enthalten weitere Regelungen, die zum Inhalt des Erbbaurechts gemacht werden können. Die Parteien können darüber hinaus – lediglich beschränkt durch die allgemeinen Grenzen der Vertragsfreiheit – beliebige weitere Regelungen treffen. Diese werden allerdings nicht Inhalt des Erbbaurechts, sondern haben grundsätzlich nur schuldrechtliche Wirkung, d. h. sie wirken nur zwischen den Parteien, die sie vereinbart haben, und gehen bei einer Veräußerung des Grundstücks oder Erbbaurechts auf deren Rechtsnachfolger nur über, soweit das ausdrücklich mit diesen vereinbart wird. 4.2.2.2
Gesetzlich vorgesehene Ausgestaltung nach § 2 ErbbauRG im einzelnen
4.2.2.2.1
Errichtung, Instandhaltung und Verwendung des Bauwerks
§ 2 Nr. 1 ErbbauRG eröffnet die Möglichkeit, genaue Regelungen über die Errichtung, Instandhaltung und Verwendung des Erbbauwerks zum Inhalt des Erbbaurechts zu machen. Der Grundstückseigentümer hat in aller Regel ein eigenes Interesse daran, wann und wie das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück bebaut wird, da aus dem zu errichtenden Bauwerk der Erbbauzins erwirtschaftet werden muss und bei Beendigung des Erbbaurechts oder bei Geltendmachung eines Heimfallrechts das Bauwerk gegen Entschädigung zu übernehmen ist (§§ 32, 27 ErbbauRG). Insbesondere Gemeinden oder Kirchen als Erbbaurechtsausgeber wollen zudem oft überwachen, ob das Grundstück auch tatsächlich für die Zwecke genutzt wird, zu denen sie das Erbbaurecht ausgegeben haben. Im Rahmen des gesetzlichen Mindestinhalts des Erbbaurechts gemäß § 1 ErbbauRG genügt eine grobe Festlegung des Bauwerks. Zudem hat nach dieser Vorschrift der Erbbauberechtigte das Recht, nicht aber die Pflicht zu dessen Errichtung. § 2 Ziff. 1 ErbbauRG ermöglicht den Parteien hingegen mit dinglicher und für den Erbbauberechtigten verpflichtender Wirkung eine detaillierte vertragliche Regelung von Errichtung, Instandhaltung und Verwendung des Bauwerks. Entsprechende Verpflichtungen enthalten die Vertragsmuster fast aller Erbbaurechtsausgeber. 4.2.2.2.2
Versicherung und Wiederaufbau des Bauwerks
Gemäß § 2 Nr. 2 ErbbauRG kann zum dinglichen Inhalt des Erbbaurechts auch die Verpflichtung gemacht werden, das im Erbbaurecht errichtete Bauwerk z. B. gegen Feuer, Sturm- und Wasserschäden versichert zu halten und bei Zerstörung wiederaufzubauen. Eine solche Vereinbarung liegt im Interesse beider Vertragsparteien. Die Vereinbarung einer Wiederaufbaupflicht hat für die Parteien erhebliche Bedeutung, da es ohne sie dem Erbbauberechtigten freisteht, ob er ein zerstörtes Gebäude wieder errichten will.
4.2 Inhalt des Erbbaurechts 4.2.2.2.3
199
Lastentragung
Der Erbbauberechtigte wird üblicherweise gemäß § 2 Nr. 3 ErbbauRG verpflichtet, die auf dem Grundstück ruhenden Lasten und Abgaben zu tragen, vor allem die öffentlichen. Hierunter fallen alle an den Staat, an Gemeinden und andere öffentlich-rechtlichen Verbände zu erbringenden Steuern und Abgaben, insbesondere Grund- und Gebäudesteuern, aber auch Erschließungskosten und Anliegerbeiträge nach dem BauGB und kommunalen Satzungen. 4.2.2.2.4
Heimfall
4.2.2.2.4.1
Definition
Von großer praktischer Bedeutung ist § 2 Nr. 4 ErbbauRG, wonach die Parteien mit dinglicher Wirkung als Inhalt des Erbbaurechts die Verpflichtung des Erbbauberechtigten vereinbaren können, das Erbbaurecht bei Eintreten bestimmter Umstände an den Grundstückseigentümer oder einen von diesem zu bestimmenden Dritten zu übertragen („Heimfall“). 4.2.2.2.4.2
Zweck
Die Heimfallregelung ist der Ausgleich dafür, dass dem Grundstückseigentümer bei vertragswidrigem Verhalten des Erbbauberechtigten die sonst üblichen Mittel, wie Kündigung oder Rücktritt vom Vertrag, nach dem ErbbauRG versagt sind (§ 1 Abs. 4 ErbbauRG). Erbbauverträge enthalten daher regelmäßig eine Heimfallklausel. 4.2.2.2.4.3
Heimfallgründe
Grundsätzlich sind die Parteien bei der Vereinbarung der Heimfallgründe innerhalb der üblichen Grenzen der Vertragsfreiheit, also der Beachtung der guten Sitten (§ 138 BGB) und der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB), frei. Handelt es sich bei den Heimfallgründen um einseitig von einer Partei vorformulierte und nicht im einzelnen ausgehandelte Heimfallgründe, wie regelmäßig bei institutionellen Erbbaurechtsausgebern (z. B. Kirche, Gemeinde), sind außerdem die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) zu beachten. Zur Umschreibung des Heimfalls können unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden (BGH NZM 2003, 774), sie müssen aber mit dem Erbbaurecht zusammenhängen (KG NZM 2002, 967), z. B. Tod des Berechtigten oder des Grundstückseigentümers, Zahlungsunfähigkeit des Berechtigten oder bei einer Vernachlässigung, Veränderung oder Untergang des Bauwerks (BGH NJW-RR 1986, 1269). Nach der Rechtsprechung ist sogar die Vereinbarung eines Heimfallanspruchs für jeden Fall der Verletzung erbbauvertraglicher Verpflichtungen zulässig (BGH NJW 1984, 2213, DNotZ 1985, 370). Des Weiteren soll Heimfallsanspruch entstehen können, wenn ein „wichtiger Grund“ dafür vorliege (BGH-MittBayNot 1984, 252; LG Düsseldorf MittRhNotK 1989, 218) oder eine Fortdauer des Erbbaurechts für den Grundstückseigentümer eine „unbillige Härte“ darstellen würde (LG Oldenburg Rpfleger 1979, 383). Unzulässig soll hingegen das jederzeitige Verlangen des Grundstückseigentümers sein (LG Oldenburg, Rechtspfleger 1979, 383; Palandt/Bassenge, § 2 ErbbauRG Rn 5 m. w. N.). Aus Gründen der Rechtssicherheit sollten jedenfalls in Formularverträgen die Heimfallgründe im Einzelnen aufgeführt und die Ausübung des Heimfalls – außer im Fall des Zahlungsverzuges – von einer vorherigen fruchtlosen Abmahnung abhängig gemacht werden.
200
4 Das Erbbaurecht
Insbesondere der Erbbauberechtigte wird ohnehin darauf dringen, den Kreis der Heimfallgründe nicht zu weit zu ziehen und sie exakt festzulegen. Als Heimfallgründe kommen insbesondere die Nichterfüllung der Pflicht zur Errichtung und Instandhaltung eines Bauwerks und der Zahlungsverzug mit mindestens zwei vollen Jahresbeträgen des Erbbauzinses (§ 9 Abs. 4 ErbbauRG) oder der Vermögensverfall das Erbbauberechtigten in Betracht. Bei letzterem wird i. d. R. auf die Eröffnung eines Insolvenz- oder Vergleichsverfahrens abgestellt. Kirchliche Erbbaurechtsausgeber bedingen sich darüber hinaus regelmäßig den Heimfall des Erbbaurechts für den Fall aus, dass der Erbbaurechtsnehmer sich kirchenfeindlich verhält. 4.2.2.2.4.4
Rechtsfolgen des Heimfalls
Hat sich ein Heimfallgrund verwirklicht, so kann der Grundstückseigentümer die Rückübertragung des Erbbaurechts an sich oder einen Dritten verlangen (§ 3 ErbbauRG). Der Anspruch verjährt innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Heimfallberechtigte von den Heimfallvoraussetzungen Kenntnis erlangt hat, ohne Rücksicht darauf zwei Jahre ab deren Eintritt (§ 4 ErbbauRG). Zur Rückübertragung bedarf es der Einigung und Eintragung im Grundbuch. Bei Rückübertragung bleiben gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG die auf dem Erbbaurecht lastenden Hypotheken, Grund- und Rentenschulden sowie Reallasten bestehen, soweit sie nicht dem Erbbauberechtigten selbst zustehen. Gemäß §§ 42 Abs. 1, 31 WEG bleiben Dauerwohn- und Dauernutzungsrechte wirksam, ebenso die Vormerkung eines gesetzlichen Anspruchs auf Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 33 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG). Der Grundstückseigentümer muss sich außerdem darüber im Klaren sein, dass er bei persönlicher Haftung des Erbbauberechtigten für ein auf dem Erbbaurecht lastendes Grundpfandrecht dessen persönliche Schuld kraft Gesetzes übernimmt (§ 33 Abs. 2 ErbbauRG). Da Grundpfandrechte i. d. R. zur Absicherung von Darlehensverbindlichkeiten bestellt werden, ist die persönliche Haftung des Erbbauberechtigten und damit die Schuldübernahme des Grundstückseigentümers infolge Geltendmachung eines Heimfallanspruchs der Normalfall. Alle anderen auf dem Erbbaurecht lastenden Rechte erlöschen (§ 33 Abs. 1 Satz 3 ErbbauRG), insbesondere also Dienstbarkeiten, Nießbrauchrechte, Vorkaufsrechte und auch Untererbbaurechte. Die Beleihbarkeit von Untererbbaurechten ist aus diesem Grunde erschwert. Das Erlöschen tritt mit dem dinglichen Vollzug der Übertragung des Erbbaurechts auf den Grundstückseigentümer oder den von ihm benannten Dritten, i. d. R. also mit Eintragung der (Rück-) Übertragung im Grundbuch, kraft Gesetzes ein. Der Erbbauberechtigte erleidet ebenso wie die Gläubiger der zuvor genannten dinglichen Rechte einen vollständigen Rechtsverlust. Das Erbbaurecht besteht zwar fort, wird ihm aber entzogen. Allerdings steht ihm gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG hierfür eine Vergütung zu. Vereinbarungen über deren Höhe, aber auch – außer bei Wohnerbbaurechten für Minderbemittelte (§ 32 Abs. 2 ErbbauRG) – über deren Ausschluss können gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG zum dinglichen Inhalt des Erbbaurechts gemacht werden. Häufig wird bei für Wohnzwecke ausgegebenen Erbbaurechten in Anlehnung an die Regelung des § 32 Abs. 2 ErbbauRG eine Vergütung von 2/3 des gemeinen Werts des Erbbaurechts zur Zeit der Übertragung vereinbart (Linde/Richter Rn 112; von Staudinger/Rapp, § 32 ErbbauRG Rn 4, der allerdings von dem i. d. R. über dem gemeinen Wert liegenden Verkehrswert ausgeht.).
4.2 Inhalt des Erbbaurechts
201
Bei für gewerbliche Zwecke ausgegebenen Erbbaurechten ist die Schwankungsbreite der Vergütung für das heimfallende Erbbaurecht groß. Sie reicht vom gänzlichen Ausschluss (z. B. bei industriellen Zweckbauten, die ausschließlich für den Erbbauberechtigten von Nutzen sind) bis zur Entschädigung des vollen Verkehrswerts. Oft werden „Strafabschläge“ auf den Verkehrswert vereinbart, wenn die Ausübung des Heimfallrechts wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Erbbauberechtigten erfolgt. Unangemessen hohe Strafabschläge können allerdings, formularmäßig vereinbart, wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam sein. 4.2.2.2.5
Vertragsstrafen
Als Inhalt des Erbbaurechts können die Parteien gemäß § 2 Nr. 5 ErbbauRG auch die Verpflichtung des Erbbauberechtigten zur Zahlung einer Vertragsstrafe bei Verstoß gegen die übernommenen Verpflichtungen vereinbaren. Die Vertragsstrafe kann an dieselben Verstöße geknüpft werden wie das Heimfallrecht. Beide Sanktionen können kumulativ oder alternativ vereinbart werden. Der Vertragsstrafanspruch verjährt wie der Heimfallanspruch (§ 4 ErbbauRG). Handelt es sich bei dem Erbbaurechtsvertrag um Allgemeine Geschäftsbedingungen, unterliegen solche Vertragsstrafen der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB (dazu näher: Usinger/Minuth, Kap. 5 Rn 50). 4.2.2.2.6
Vorrecht auf Erneuerung des Erbbaurechts und Verpflichtung zum Verkauf des Grundstücks an den Erbbauberechtigen
Als dinglichen Erbbaurechtsinhalt können die Parteien festlegen, dass der Erbbauberechtigte einen Anspruch auf Neueinräumung des Erbbaurechts hat, wenn der Grundstückseigentümer innerhalb von drei Jahren nach Ablauf der Erbbaurechtszeit an demselben Grundstück einem Dritten ein Erbbaurecht bestellt (§ 2 Nr. 6 ErbbauRG i. V. m. § 31 ErbbauRG). Diese Regelung ist in der Praxis bislang bedeutungslos geblieben (Ingenstau/Hustedt § 2 Rn 95 m. w. N.). Dagegen ist von Bedeutung § 2 Nr. 7 ErbbauRG, wonach die Parteien vereinbaren können, dass der Grundstückseigentümer unter bestimmten Voraussetzungen zum Verkauf des Grundstücks an den Erbbauberechtigten verpflichtet sein soll. Wenn eine solche Verkaufsverpflichtung zum Inhalt des Erbbauvertrags gemacht wird, wirkt es für die gesamte Dauer des Bestehens des Erbbaurechts zugunsten des jeweiligen Erbbauberechtigten und zu Lasten des jeweiligen Grundstückseigentümers. Ein solches Ankaufsrecht ist für den Erbbauberechtigten insbesondere dann interessant, wenn er zunächst das Kapital für den Grunderwerb nicht einsetzen will oder kann, sich die Erwerbsoption für die Zukunft aber offenhalten will. Wenn – wie zumeist – Erbbaurechtsausgeber Staat, Kommune oder Kirche ist, lässt sich ein solches Ankaufsrecht allerdings i. d. R. nicht durchsetzen. 4.2.2.2.7
Verfügungsbeschränkungen des Erbbauberechtigten
4.2.2.2.7.1
Allgemeines
Gemäß §§ 5 bis 8 ErbbauRG kann auch zum Inhalt des Erbbaurechts gemacht werden, dass der Erbbauberechtigte zur Veräußerung des Erbbaurechts oder zu dessen Belastung mit bestimmten dinglichen Rechten der Zustimmung des Grundstückseigentümers bedarf. Aus der Sicht des Grundstückseigentümers ist das erwünscht, damit er Einfluss darauf nehmen kann, wer sein Vertragspartner als Erbbauberechtigter wird. Der Grundstückseigentümer hat
202
4 Das Erbbaurecht
außerdem ein großes Interesse daran, bei der Belastung des Grundstücks mit bestimmten dinglichen Rechten mitzubestimmen, da solche Rechte nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 ErbbauRG beim Heimfall des Erbbaurechts auf ihn übergehen. Für den Erbbauberechtigten sind Verfügungsbeschränkungen natürlich lästig, da sie die Veräußerung oder Beleihung des Erbbaurechts erschweren. Hierin liegt – neben der Nichtteilhabe des Erbbauberechtigten an der Entwicklung des Grundstückswerts – eine wesentliche Ursache dafür, dass Erbbaurechte im Bereich der nicht zu Wohnzwecken erfolgenden Bebauung bislang nur in relativ geringem Umfang Verbreitung gefunden haben. 4.2.2.2.7.2
Zustimmung zur Veräußerung
Ist die Zustimmung des Grundstückseigentümers zur Veräußerung des Erbbaurechts vorbehalten, gilt dies für jede Übertragung unter Lebenden und gemäß § 8 ErbbauRG auch für den Erwerb durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung. 4.2.2.2.7.3
Zustimmung zu sonstigen Verfügungen
Der Zustimmungsvorbehalt des Eigentümers zur Erbbaurechtsbelastung kann gemäß § 5 Abs. 2 ErbbauRG als Inhalt des Erbbaurechts, d. h. mit dinglicher Wirkung, nur für Hypotheken, Grund- oder Rentenschulden und Reallasten vereinbart werden. Diese Beschränkung hat ihre Entsprechung in § 33 ErbbauRG, der nur für diese Rechte das Bestehenbleiben beim Heimfall des Erbbaurechts anordnet. Da auch Dauerwohn- und -nutzungsrechte nach §§ 31 ff. WEG gemäß § 42 Abs. 2 WEG wie die vorgenannten Rechte beim Heimfall des Erbbaurechts bestehen bleiben, wird folgerichtig angenommen, dass auch für die Belastung des Erbbaurechts mit solchen Rechten die Zustimmung des Grundstückseigentümers mit dinglicher Wirkung vorbehalten werden kann. Auf andere Rechte, z. B. Nießbrauch oder Dienstbarkeiten, findet § 5 Abs. 2 ErbbauRG keine Anwendung. Die Parteien können allerdings schuldrechtlich, d. h. mit Wirkung nur zwischen ihnen und nicht gegenüber jedermann bzw. Rechtsnachfolgern, die Zustimmungsbedürftigkeit auch solcher Grundstücksbelastungen oder auch für schlichte schuldrechtliche Vereinbarungen, wie Miet- und Pachtverträge, vereinbaren. 4.2.2.2.7.4
Rechtsfolgen fehlender Zustimmung
Bedarf die Veräußerung und Belastung des Erbbaurechts nach dessen (dinglichem) Inhalt der Zustimmung des Grundstückseigentümers, ist die ohne sie vorgenommene Verfügung zunächst schwebend und – nach Verweigerung der Zustimmung – endgültig unwirksam. Wirkt das Zustimmungserfordernis nur schuldrechtlich, ist eine ohne Zustimmung vorgenommene Belastung oder eingegangene schuldrechtliche Verpflichtung (z. B. der Abschluss von Miet- oder Pachtverträgen) zwar wirksam (§ 137 BGB), doch kann sich der Grundstückseigentümer schützen, indem er im Erbbauvertrag festlegt, dass hierin ein Heimfallgrund liegen soll.
4.3 Ergänzende Vereinbarungen 4.2.2.2.7.5
203
Verpflichtung zur Zustimmung
Der Grundstückseigentümer darf seine Zustimmung nicht willkürlich verweigern. Insbesondere muss er der Veräußerung und der Belastung des Erbbaurechts zustimmen, wenn der mit dem Erbbaurecht verfolgte Zweck dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt wird und – bei Veräußerung – der Erwerber Gewähr für die ordnungsgemäße Erfüllung der sich aus dem Erbbaurechtsvertrag ergebenden Verpflichtungen bietet (§ 7 Abs. 1 und 2 ErbbauRG). Die ohne ausreichenden Grund verweigerte Zustimmung kann durch gerichtliche Entscheidung ersetzt werden (§ 7 Abs. 3 ErbbauRG). Da der Zustimmungsvorbehalt oft zu Problemen bei der Beleihung des Erbbaurechts führt, empfiehlt es sich, im Vertrag genau die Voraussetzungen zu regeln, unter denen eine Zustimmung zu erteilen ist. Oft wird der Eintragung von Grundpfandrechten zwecks Finanzierung der durchzuführenden Baumaßnahmen bereits im Erbbauvertrag zugestimmt, wenn sie einen bestimmten Prozentsatz der Investitionssumme oder des Werts des Bauwerks nicht übersteigen. Der Veräußerung im Wege der Zwangsversteigerung wird im Erbbauvertrag oft vorab für den Fall zugestimmt, dass der Ersteigerer in alle Verpflichtungen aus dem Erbbaurechtsvertrag eintritt und die Erbbauzinsreallast zur Sicherung des Erbbauzinses bestehen bleibt (Linde/Richter Rn 263 m. w. N.; Ingenstau/Hustedt § 5 Rn 11; die Zulässigkeit einer solchen einschränkenden Vereinbarung wurde jedoch noch nicht höchstrichterlich bestätigt).
4.3
Ergänzende Vereinbarungen
4.3.1
Vorbemerkung
Ergänzend zur dinglichen Ausgestaltung des Erbbaurechts treffen die Parteien i. d. R. noch zahlreiche Vereinbarungen, die nicht Inhalt des Erbbaurechts werden, sondern grundsätzlich nur schuldrechtliche Wirkung haben, z. B. die Vereinbarung einer Gegenleistung für das Erbbaurecht oder von Vorkaufs-, Ankaufs- und Wiederkaufsrechten. Manchmal wird auch eine Ankaufspflicht des Erbbauberechtigten, sog. Kaufzwangklausel, in Bezug auf das Grundstück ausbedungen, doch sind der Zulässigkeit einer solchen Verpflichtung recht enge Grenzen gesetzt (von Oefele/Winkler Rn 4.164; Palandt/Bassenge, § 2 ErbbauRG Rn 8 m. w. N.). Bei einer Vereinbarung in Formularverträgen ist besondere Vorsicht geboten, da vom gesetzlichen Leitbild abgewichen wird (BGH NJW 91, 2141). Derartige Rechte und Pflichten können zwar nicht dinglicher Inhalt des Erbbaurechts, aber zumindest teilweise dadurch verdinglicht werden – und damit gegenüber jedermann wirken –, dass sie als Belastungen des Erbbaurechts oder des Erbbaugrundstücks eingetragen werden. Dies gilt insbesondere für den Erbbauzins und das Vorkaufsrecht.
4.3.2
Vorkaufsrechte
Die meisten Erbbauverträge enthalten ein Vorkaufsrecht für den Grundstückseigentümer am Erbbaurecht und für den Erbbauberechtigten am Grundstück. I. d. R. werden diese wechselseitigen Vorkaufsrechte als dingliche Vorkaufsrechte ausgestaltet (§§ 1094 bis 1104 BGB), und zwar zugunsten des konkreten Grundstückseigentümers bzw. Erbbauberechtigten bei Vertragsschluss (§ 1094 Abs. 1 BGB) oder zugunsten des jeweiligen Grundstückseigentümers bzw. Erbbauberechtigten (§ 1094 Abs. 2 BGB), letzteres ist die Regel.
204
4 Das Erbbaurecht
Für den Grundstückseigentümer wird ein Vorkaufsrecht zugunsten des Erbbauberechtigten nicht von allzu großer Bedeutung sein, da er für die Dauer des Erbbaurechts ohnehin kaum einen Erwerber für sein Grundstück finden wird. Anders sieht es für den Erbbauberechtigten aus. Hat er die Absicht, sein Erbbaurecht zu veräußern, so kann das Vorkaufsrecht zugunsten des Grundstückseigentümers sich als ernstzunehmendes Hindernis erweisen. So müssen Kaufinteressenten mit der Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Grundstückseigentümer rechnen bzw. damit, dass dieser die Nichtausübung des Vorkaufsrechts von einer Zustimmung des Erwerbers zu Änderungen des Erbbauvertrages (z. B. der Anhebung des Erbbauzinses) abhängig macht. Aus diesen Gründen werden sie sich unter Umständen dar nicht erst auf Kaufverhandlungen einlassen. Beabsichtigt der Erbbauberechtigte, das Erbbaurecht nach Errichtung des Erbbaugebäudes zu veräußern, ist daher dringend anzuraten, das Vorkaufsrecht zumindest für diesen ersten Verkaufsfall auszuschließen.
4.3.3
Der Erbbauzins
4.3.3.1
Gegenleistung für die Bestellung des Erbbaurechts
Der Grundstückseigentümer verfolgt mit der Ausgabe eines Erbbaurechts neben ggf. ideellen, sozialen oder wohnungsbaupolitischen Zwecken regelmäßig wirtschaftliche Interessen. Er lässt sich daher als Gegenleistung für die Einräumung des Erbbaurechts den Erbbauzins versprechen (§ 9 ErbbauRG). Den Vereinbarungen über den Erbbauzins kommt neben den Bestimmungen über die Errichtung und Ausgestaltung des Bauwerks im Erbbaurechtsvertrag zentrale Bedeutung zu. Die Verpflichtung zur Zahlung des Erbbauzinses ist nicht gesetzlicher Inhalt des Erbbaurechts. Soll ein Erbbauzins gezahlt werden, müssen die Parteien darüber ausdrückliche Vereinbarungen treffen. Sie sind in allen Erbbauverträgen enthalten. Der Erbbauzins ist als Entgelt in wiederkehrenden Leistungen für die Bestellung des Erbbaurechts definiert (§ 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG). Über die Art der wiederkehrenden Leistungen trifft das Gesetz keine Aussage. Die Parteien sind daher nicht auf die Vereinbarung von Geldleistungen festgelegt, dies ist jedoch der Normalfall. Üblich ist ein bestimmter Prozentsatz des Grundstückswerts (meist zwischen 4 % und 6 % jährlich). Die Zahlungen erfolgen i. d. R. vierteloder halbjährlich im Voraus. Zulässig ist auch die Vereinbarung einer kapitalisierten einmaligen Erbbauzinszahlung (i. d. R. als Vorauszahlung) für die gesamte Dauer des Erbbaurechts oder die Vereinbarung einer Teilkapitalisierung für eine Teillaufzeit. 4.3.3.2
Sicherung durch Reallast
Die Erbbauzinsverpflichtung wird nicht dinglicher Inhalt des Erbbaurechts, sie kann zulasten des Erbbaurechts aber durch Bestellung einer Reallast im Erbbaugrundbuch „verdinglicht“ werden. Eine Reallast ist eine dingliche Grundstücksbelastung des Inhalts, dass an denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück zu entrichten sind (§ 1105 Abs. 1 BGB). Der Grundstückseigentümer ist auf diese Verdinglichung des Erbbaurechtszinses durch eine Reallast angewiesen, damit Dritte das Erbbaurecht nicht gutgläubig ohne die Verpflichtung zur Erbbauzinszahlung erwerben können. Für den Erbbauzins gelten die Reallastvorschriften des BGB (§ 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG i. V. m. §§ 1105 ff. BGB).
4.3 Ergänzende Vereinbarungen 4.3.3.3
205
Anpassung des Erbbauzinses
Bis zum 01.10.1994 bestimmte § 9 Abs. 2 Satz 1 ErbbauVO a. F., dass die den Erbbauzins dinglich absichernde Erbbauzinsreallast nach Zeit und Höhe für die ganze Erbbauzeit fest bestimmt sein muss. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG i. V. m. § 1105 Abs. 1 Satz 2 BGB haben die Beteiligten nunmehr auch die Möglichkeit, eine gleitende Anpassung des Leistungsumfangs zu vereinbaren. Von dem gleitenden Erbbauzins als Rechtsinhalt des Erbbaurechts zu unterscheiden sind sowohl dingliche als auch schuldrechtliche Ansprüche auf Anpassung der Erbbauzinsreallast (Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 4, 7). 4.3.3.3.1
Feste Bestimmung des Erbbauzinses
Die feste Bestimmung des Erbbauzinses ist für den Grundstückseigentümer regelmäßig unbefriedigend, weil die meist lange Laufzeit des Erbbaurechts den Erbbauzins wegen des Kaufkraftschwunds und der regelmäßig steigenden Bodenwerte zunehmend entwertet. 4.3.3.3.2
Schuldrechtliche und dingliche Anpassung des Erbbauzinses
Unter Geltung des früheren Rechts haben die Parteien regelmäßig schuldrechtlich vereinbart, dass der Erbbauzins einem bestimmten Prozentsatz des Bodenwertes entsprechen oder – bei Wohnungsbaurechten – der Entwicklung der Einkommen und/oder der Lebenshaltungskosten angepasst werden soll. Meist wurde als Bezugsgröße ein Preisindex für Lebenshaltungskosten (nunmehr i. d. R. Verbraucherpreisindex von Deutschland) gewählt. Bei solchen Klauseln ist i. d. R. der Erbbauzins derart mit dem Lebenshaltungskostenindex verbunden, dass er sich automatisch entsprechend der Veränderung des Index ändert, ohne dass es jedes Mal einer neuen Vereinbarung bedarf. Damit die Höhe des Erbbauzinses nicht allzu häufigen Änderungen unterworfen ist, wurden meist gewisse Zeiträume und/oder eine bestimmte Punkt- oder Prozentzahl des Index festgelegt, die überschritten sein müssen, ehe eine Anpassung verlangt werden kann. Die schuldrechtliche Anpassungsvereinbarung wirkt jedoch nur zwischen den Vertragsparteien, die sie ausgehandelt haben, ohne ausdrückliche Übernahme jedoch nicht für und gegen Rechtsnachfolger. Eine gewisse Verdinglichung des Anspruchs auf Erhöhung der Erbbauzinsreallast lässt sich allerdings dadurch erzielen, dass er durch Eintragung einer Vormerkung gemäß § 883 BGB im Grundbuch gesichert wird. Eine solche Vormerkung wahrt gegenüber nachrangig eingetragenen Rechten am Erbbaurecht den Rang für die ggf. erhöhte Erbbauzinsreallast. Einem Erwerber des Erbbaurechts gegenüber wirkt die schuldrechtliche Anpassungsklausel allerdings trotz Eintragung einer Vormerkung in das Erbbaugrundbuch nur, wenn er auch in die Pflichten aus der schuldrechtlichen Erbbauzinsanpassungsklausel eingetreten ist (BGH NJW-RR 1987, 74 f.). Wurde dies versäumt, muss der Gläubiger sein Erhöhungsverlangen zunächst – notfalls im Klageweg – gegenüber dem alten Erbbauberechtigten geltend machen, um es dann aufgrund der Erhöhungsvormerkung auch gegenüber dem Erwerber durchsetzen zu können (vgl. Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 9 ff.). Wird die Anpassungsverpflichtung jedoch als Inhalt der Erbbauzinsreallast in das Grundbuch eingetragen, wirkt sie dinglich. Der jeweilige Grundstückseigentümer kann einen (klagbaren) Anpassungsanspruch gegenüber dem jeweiligen Erbbauberechtigten geltend machen, und zwar auch dann, wenn dieser bei Erwerb des Erbbaurechts nicht ausdrücklich in die Pflichten aus der Anpassungsklausel eingetreten ist. Eine solche dingliche Wirkung für und
206
4 Das Erbbaurecht
gegen Sondernachfolger sowohl des Grundstückseigentümers als auch des Erbbauberechtigten kommt den Interessen des Grundstückseigentümers natürlich sehr entgegen. Dies führte dazu, dass in der Praxis fast nur noch dingliche Anpassungsklauseln oder aber dingliche Gleitklauseln vereinbart wurden (hierzu näher Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 8). Sowohl die auf schuldrechtlicher als auch auf dinglicher Grundlage vereinbarten Änderungen des Erbbauzinses treten gemäß § 877 BGB erst durch Einigung und Eintragung der Änderung in das Grundbuch ein (Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 7). 4.3.3.3.3
Gleitender Leistungsumfang als Inhalt des Erbbaurechts
Die Neufassung des § 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG mit ihrem Verweis auf die entsprechend anwendbaren Vorschriften des BGB über die Reallasten (§§ 1105 ff. BGB) ermöglicht die Vereinbarung eines gleitenden Leistungsumfangs als Inhalt des Erbbaurechts (§ 1105 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Änderung des Leistungsumfangs tritt automatisch mit Vorliegen ihrer Voraussetzungen ein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Leistungsumfang in der Weise bestimmbar ist, dass die höchstmögliche Belastung aufgrund der Eintragung erkennbar und der Haftungsumfang zu einem bestimmten Zeitpunkt aus in der Erbbauzinsreallast genannten Faktoren, die außerhalb des Grundbuchs liegen können, bestimmt werden kann (Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 4; BGH NJW 95, 2780). Die Zulässigkeit gleitender (automatischer) Preisklauseln als auch dinglicher und schuldrechtlicher Änderungsansprüche richtet sich seit dem 14.09.2007 nach § 4 Preisklauselgesetz. Danach sind Preisklauseln in Erbbaurechtsverträgen und Erbbauzinsreallasten mit einer Laufzeit von mindestens 30 Jahren generell zulässig. Auch bei einer geringeren Laufzeit als 30 Jahren ist eine Wertsicherung zulässig, die Klausel muss dann aber auch den Anforderungen des § 1 Abs. 2 und § 3 Preisklauselgesetz genügen (Palandt/Grüneberg, Anh zu § 245, § 4 PrKlG). Das Grundbuchamt hat die Klausel jedoch grundsätzlich nur auf ihre Bestimmbarkeit im Sinne des § 1105 Abs. 1 Satz 2 BGB (Anpassungsvoraussetzungen, Anpassungsmaßstab, z. B. Verbraucherpreisindex, Anpassungszeitpunkt), nicht auf ihre Wirksamkeit nach dem Preisklauselgesetz zu prüfen (Usinger, DNotZ 2009, 83 ff.; a.A. OLG Celle, NZM 2008, 301; siehe zu einzelnen Preisklauseln nach altem und neuem Recht näher Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 7 ff.). 4.3.3.3.4
Besonderheiten bei Wohnerbbaurechten
Wenn das Erbbaurecht Wohnzwecken dient, darf eine Erhöhung nur beansprucht werden, soweit sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht unbillig ist (§ 9 a Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG). Das Gesetz enthält keine Definition, was als „unbillig“ anzusehen ist. Einen Anhaltspunkt gibt § 9 a Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG, wonach ein Erhöhungsanspruch regelmäßig dann als unbillig anzusehen ist, wenn er sich nicht an der Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse orientiert. Den Billigkeitsmaßstab leitet die Rechtsprechung aus dem arithmetischen Mittel des Anstiegs der Lebenshaltungskosten und der Einkommensentwicklung ab (die Erhöhung entspricht dem Mittelwert der Steigerung der Lebenshaltungskosten und der Einkommen bezogen auf die Bruttoverdienste von Arbeitern und Angestellten in Industrie und Handel im Bezugszeitraum – BGHZ 75, 279, 286; BGH NJW 1993, 52; BGH NJW 2009, 679). Als weitere Besonderheit gilt für eine Anpassungsvereinbarung des Erbbauzinses bei Wohnerbbaurechten, dass die Erhöhung frühestens drei Jahre nach Vertragsabschluss bzw. nach der jeweils letzten Erhöhung bean-
4.4 Entstehung und Übertragung des Erbbaurechts
207
sprucht werden kann. Da das Preisklauselgesetz neben § 9 a ErbbauRG gilt, unterliegen grundsätzlich auch Anpassungsklauseln für Wohnerbbaurechte den inhaltlichen Anforderungen des Gesetzes. § 9 a ErbbauRG gilt nicht für gewerblich genutzte Erbbaurechte und bei gemischter Nutzung nur für den Teil des Erbbauzinses, der auf die Wohnnutzung entfällt. Der Erbbauzins ist in diesem Fall aufzuteilen nach dem Verhältnis der Mieteinnahmen oder der Bruttoertragswerte; eine Aufteilung nach Flächen wäre nicht angemessen (Schöner/Stöber Rn 1822).
4.4
Entstehung und Übertragung des Erbbaurechts
4.4.1
Entstehung des Erbbaurechts
4.4.1.1
Einigung und Eintragung
Das Erbbaurecht als dingliches Recht an einem Grundstück (§ 1 Abs. 1 ErbbauRG) bedarf zu seiner Entstehung der Einigung der Beteiligten über seine Bestellung und der Eintragung im Grundbuch (§ 873 BGB). Regelmäßig wird es in einem sog. Erbbauvertrag bestellt, in dem sich der Eigentümer zur Bestellung und der zukünftige Erbbauberechtigte zum Erwerb verpflichtet. Nach §§ 11 Abs. 2 ErbbauRG, 311 b Abs. 1 BGB bedarf dieser Vertrag der notariellen Beurkundung. Das gilt auch für alle Vereinbarungen, die die Parteien sonst noch zur näheren Ausgestaltung des Erbbaurechts treffen (z. B. über den Erbbauzins, den Heimfallanspruch, über Zustimmungserfordernisse bei der Erbbaurechtsbelastung oder -veräußerung) sowie für spätere Änderungen des Erbbauvertrags. Anlässlich der Beurkundung des Erbbauvertrags wird die als solche nicht beurkundungspflichtige dingliche Einigung über die Erbbaurechtsbestellung i. d. R. mitbeurkundet. Notarieller Beurkundung bedürfen auch nachträgliche Änderungen eines Erbbaurechtsvertrages. 4.4.1.2
Grundbuchlicher Vollzug
Das Erbbaurecht wird an erster Rangstelle in Abt. II des Grundbuchs des damit belasteten Grundstücks, außerdem als selbständiges Recht auf einem eigenen Grundbuchblatt im Erbbaugrundbuch gemäß § 14 Abs. 1 ErbbauRG eingetragen. Beide Vollzugsakte sind erforderlich, damit das Erbbaurecht mit dem im Erbbauvertrag näher festgelegten Inhalt entsteht (Münchener Kommentar, § 14 Rn 1; Linde/Richter Rn 93 und 94 m. w. N.). 4.4.1.3
Gesetzliche Rechtswirkungen
4.4.1.3.1
Eigentum und Besitz am Bauwerk
Der Erbbauberechtigte wird Eigentümer des auf dem Erbbaurechtsgrundstück errichteten Bauwerks, das als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts, nicht des Grundstücks, gilt (§ 12 Abs. 1 Satz 1, 2 ErbbauRG), und zwar selbst dann, wenn es anders als im Vertrag vorgesehen errichtet oder genutzt wird (h.M.: Linde/Richter Rn 79 m. w. N.; Ingenstau/Hustedt § 12 Rn 7; a. A. zumindest bei wesentlicher Abweichung: von Oefele/Winkler Rn 2.47). Der Grundstückseigentümer kann sich gegen vertragswidrige Errichtung und Nutzung durch Vereinbarung eines Heimfallrechts schützen.
208
4 Das Erbbaurecht
Besteht das Bauwerk, auf das sich das Erbbaurecht erstrecken soll, bei Bestellung des Erbbaurechts bzw. dessen Eintragung schon, geht es nach h. M. mit Eintragung des Erbbaurechts in das Eigentum des Erbbauberechtigten über (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG; von Oefele/Winkler Rn 2.51). Als Eigentümer des Bauwerks steht dem Erbbauberechtigen auch der Besitz zu. 4.4.1.3.2
Rechte an nichtüberbauten Grundstücksflächen
Nimmt das Bauwerk nicht die gesamte Fläche des Erbbaugrundstücks in Anspruch, kann das Erbbaurecht auf die restlichen Grundstücksteile erstreckt werden, wenn das Bauwerk wirtschaftlich die Hauptsache bleibt (§ 1 Abs. 2 ErbbauRG). Von dieser Erstreckungsmöglichkeit auf Nebenflächen wird in der Praxis in aller Regel Gebrauch gemacht. Werden auf diesen Nebenflächen weitere Bauwerke (z. B. Mauern, feste Straßen) errichtet, so erwirbt der Erbbauberechtigte auch daran Eigentum (von Oefele/Winkler Rn 2.68). Hingegen ist die Beschränkung des Erbbaurechts auf einen Teil eines Gebäudes, insbesondere ein Stockwerk, nicht zulässig (§ 1 Abs. 3 ErbbauRG).
4.4.2
Übertragung
Für den Kauf des Erbbaurechts gelten gemäß § 11 ErbbauRG bis auf wenige Ausnahmen die Vorschriften des BGB für Grundstücke. Ein Kaufvertrag über ein Erbbaurecht enthält daher – angepasst an die Besonderheiten des Erbbaurechts – grundsätzlich dieselben Regelungen wie ein Grundstückskaufvertrag. Wie ein Grundstückskaufvertrag bedarf das schuldrechtliche Grundgeschäft für die Übertragung der Form des § 311 b Abs. 1 BGB, d. h. es muss beurkundet werden (§ 11 Abs. 2 ErbbauRG). Die dingliche Übertragung erfolgt, da § 925 Abs. 1 BGB durch § 11 Abs.1 Satz 1 ErbbauRG ausgeschlossen wird, gemäß § 873 BGB durch Einigung und Eintragung im Erbbaugrundbuch. Im Kaufvertrag über das Erbbaurecht muss der Eintritt des Erwerbers in alle lediglich schuldrechtlichen Verpflichtungen des Erbbaurechtsvertrages vereinbart werden, da diese – anders als die dinglichen – sonst nicht auf ihn übergehen. Der Grundstückseigentümer besteht zudem i. d. R. darauf, dass sich der Erbbauberechtigte bei Bestellung des Erbbaurechts wegen aller im Erbbauvertrag übernommener Zahlungsverpflichtungen der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwirft. Dieser Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) wirkt allerdings nur gegen denjenigen Erbbauberechtigten, der sich konkret der Zwangsvollstreckung unterworfen hat, nicht gegen den jeweiligen Inhaber des Erbbaurechts. Soll auch für die künftig entstehenden Zahlungsverpflichtungen ein Vollstreckungstitel geschaffen werden, muss sich auch der Erwerber der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwerfen. Der Eintritt des Erwerbers in alle – auch schuldrechtlichen – Verpflichtungen aus dem Erbbauvertrag empfiehlt sich auch deshalb, weil der Grundstückseigentümer, der sich die Zustimmung zur Veräußerung im Erbbauvertrag vorbehalten hat, ihre Erteilung davon abhängig machen wird.
4.5 Kosten
209
4.5
Kosten
4.5.1
Begründung des Erbbaurechts
4.5.1.1
Notarkosten
Der für die Bemessung der Gebühren des Notars bei Beurkundung des Erbbaurechtsvertrages maßgebliche Geschäftswert bemisst sich gemäß §§ 21 Abs. 1, 30 Abs. 1 KostO nach 80 % des Grundstückswerts, wenn keine Gegenleistung für das Erbbaurecht vereinbart ist. Ist eine Gegenleistung (i. d. R. ein Erbbauzins) vereinbart, dann sind nach § 21 Abs. 1 KostO 80 % des Grundstückswerts und der nach § 24 Abs. 1 a KostO kapitalisierte Erbbauzins gegenüberzustellen. Der höhere Wert ergibt den Geschäftswert. Mit diesem Wert ist alles erfasst, was zum Inhalt des Erbbaurechts gehört. Abgegolten ist damit auch der größte Teil der ergänzend getroffenen Vereinbarungen, die nicht Inhalt des Erbbaurechts werden. Ein für den Grundstückseigentümer am Erbbaurecht vereinbartes Vorkaufsrecht und eine Wertsicherungsklausel sind allerdings zusätzlich zu bewerten (Ingenstau/Hustedt, Anhang II Rn 9 und 11). Der Notar erhält für die Beurkundung und die Abwicklung des Erbbaurechtsvertrages i. d. R. eine 20/10 Beurkundungsgebühr (§ 36 Abs. 2 KostO) sowie eine 1/10 oder 5/10 Vollzugsgebühr (§ 146 Abs. 1 KostO), wobei sich der Geschäftswert für die Vollzugsgebühr ohne Berücksichtigung eines etwaigen Vorkaufsrechts berechnet. 4.5.1.2
Grundbuchkosten
Das Grundbuchamt erhebt für die Eintragung des Erbbaurechts eine 10/10 Gebühr aus demselben Wert, den auch der Notar der Berechnung seiner Beurkundungsgebühren zugrunde legt (§ 62 Abs. 1 KostO). Für die Eintragung des Vorkaufsrechts und der Erbbauzinsreallast werden jeweils gesonderte Gebühren gemäß § 62 KostO erhoben, die sich nach dem jeweiligen Wert des Rechts berechnen.
4.5.2
Verkauf des Erbbaurechts
4.5.2.1
Notarkosten
Bei einem Verkauf des Erbbaurechts richtet sich der Geschäftswert für die Kostenrechnung des Notars nach dem Kaufpreis. Für die Beurkundung des Kaufvertrages erhält der Notar eine 20/10 Beurkundungsgebühr (§ 36 Abs. 2 KostO). Hinzu kommen Vollzugsgebühren, wenn dem Notar Aufgaben bei Abwicklung des Erbbaurechtskaufvertrages übertragen wurden. 4.5.2.2
Grundbuchkosten
Das Grundbuchamt behandelt den Verkauf eines Erbbaurechts wie den Verkauf eines Grundstücks. Für die Eintragung des Erwerbers wird eine 10/10 Gebühr (§ 60 KostO) erhoben. Die Eintragung einer Vormerkung löst eine 1/2 Gebühr, die Löschung dieser Vormerkung eine 1/4 Gebühr aus (§§ 66, 68 KostO).
210
4 Das Erbbaurecht
4.6
Die Beleihung und Beendigung des Erbbaurechts
4.6.1
Beleihung des Erbbaurechts
Die Beleihung von Erbbaurechten ist aus unterschiedlichen Gründen problematischer als die von Grundstücken. 4.6.1.1
Engerer Beleihungsrahmen
Die kreditgebende Bank kalkuliert stets ein, dass im Falle einer Zwangsversteigerung ein Erbbaurecht schlechter verwertbar ist als ein vergleichbares Grundstück, da weithin der Erwerb von Volleigentum am Grundstück dem Erwerb eines Erbbaurechts vorgezogen wird. Ein Erbbaurecht wird daher i. d. R. nicht so hoch beliehen wie ein Grundstück. Das wird allerdings z. T. dadurch kompensiert, dass der Erbbauberechtigte die Erwerbskosten für das Grundstück erspart und nur die Grundstücks-entwicklungs- und Baukosten finanzieren muss. 4.6.1.2
Kollision von Sicherungsinteressen
4.6.1.2.1
Rechtslage bis zum 30.09.1994
Die Kollision der Sicherungsinteressen des Grundstückseigentümers einerseits und der Grundpfandrechtsgläubiger an dem Erbbaurecht andererseits war nach dem bis zum 30.09.1994 geltenden Recht schwierig zu lösen. Das Problem ist auch gegenwärtig von praktischer Bedeutung, da noch zahlreiche nach alter Rechtslage geschlossene Erbbaurechtsverträge existieren. Wie ausgeführt, lässt sich der Grundstückseigentümer i. d. R. einen Erbbauzins versprechen, der in Form einer Reallast dinglich am Erbbaurecht gesichert wird. Darüber hinaus wurde meist eine nach altem Recht nur schuldrechtlich wirkende Anpassung an einen Lebenshaltungskostenindex vereinbart, die durch Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch gesichert wurde. Für die Erbbauzinsreallast und die Anpassungsvormerkung galten in der Zwangsversteigerung nach altem Recht keine Besonderheiten. Um zu verhindern, dass diese Rechte im Falle einer Zwangsversteigerung des Erbbaurechts ohne vollständige Befriedigung erlöschen, musste der Grundstückseigentümer daher darauf bestehen, dass die Erbbauzinsreallast sowie die Vormerkung auf Anpassung die erste Rangstelle im Erbbaugrundbuch erhalten. Das gleiche Sicherungsbedürfnis hat allerdings auch ein Kreditgeber, der sich zur Sicherung seines Darlehens ein Grundpfandrecht an dem Erbbaurecht bestellen lässt. Da die erste Rangstelle nur einmal verfügbar ist, musste eine Lösung zum Ausgleich der kollidierenden Interessen gefunden werden. Im häufigsten Fall, bei dem die Erbbauzinsreallast zugunsten des Grundstückseigentümers im Rang hinter das Finanzierungsgrundpfandrecht des Kreditgebers rückte, bestand die Lösung in einer mit dem Kreditgeber abzuschließenden sog. Stillhaltevereinbarung, wonach – vereinfacht ausgedrückt – die Erbbauzinsreallast im Falle einer Zwangsversteigerung bestehen bleiben und nicht kapitalisiert werden sollte. Eine solche Vereinbarung wirkt allerdings nur schuldrechtlich. Wird das Grundstück veräußert oder das Grundpfandrecht abgetreten, gehen die Verpflichtungen aus der Stillhalteerklärung auf den Erwerber nur über, wenn sie ihm ausdrücklich auferlegt werden. Unter Umständen ist die Mitwirkung weiterer am Zwangsversteigerungsverfahren Beteiligter erforderlich (§§ 59, 91 Abs. 2 ZVG), damit ein Recht bestehen
4.6 Die Beleihung und Beendigung des Erbbaurechts
211
bleiben kann, das nach den allgemeinen Grundsätzen des Zwangsversteigerungsgesetzes (§ 52 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 91 Abs. 2 ZVG) erlöschen würde. Im Falle einer Zwangsversteigerung verbleibt daher für ein nachrangiges Recht trotz Stillhalteerklärung ein Risiko (Muth, WM 1985, 1281 ff.; BGH NJW 1987, 1942 ff., der die Berechtigung des Grundstückseigentümers verneint, seine – vorbehaltene – Zustimmung zur Veräußerung in der Zwangsversteigerung davon abhängig zu machen, dass der Erwerber die Erbbauzinsreallast übernimmt). 4.6.1.2.2
Rechtslage seit dem 01.10.1994
Diese unbefriedigende Situation hat der Gesetzgeber mit dem am 01.10.1994 in Kraft getretenen, heutigen § 9 Abs. 3 ErbbauRG bereinigt. Nunmehr kann als Inhalt des Erbbauzinses vereinbart werden, dass die Erbbauzinsreallast im Falle der Zwangsversteigerung des Erbbaurechts mit ihrem Hauptanspruch auch dann bestehen bleibt, wenn aus der Reallast oder aus einem gleichrangigen oder vorrangigen dinglichen Recht die Zwangsversteigerung in das Erbbaurecht betrieben wird. Die Regelung verhindert, dass der Erwerber das Erbbaurecht in der Zwangsversteigerung erbbauzinsfrei erwirbt. Dies ermöglicht es dem Grundstückseigentümer, bei Bestellung neuer Erbbaurechte Grundpfandrechten den Vorrang vor dem Erbbauzins einzuräumen. Zudem kann vereinbart werden, dass der jeweilige Erbbauberechtigte dem jeweiligen Inhaber der Reallast gegenüber berechtigt ist, das Erbbaurecht mit Grundpfandrechten im Range vor der Erbbauzinsreallast zu belasten (§ 9 Abs. 3 Ziff. 2 ErbbauRG). Betreibt ein vorrangiger Grundpfandrechtsgläubiger die Zwangsversteigerung des Erbbaurechts, so würde das Grundpfandrecht erlöschen und die Reallast normalerweise im Rang aufrücken. Um dem Erwerber, der das Erbbaurecht in der Zwangsversteigerung erwirbt, diese Rangstelle für eine Beleihung freizuhalten, kann dann ein Rangvorbehalt vor der Reallast begründet werden, der im Zweifel nur zum Erhalt dieser Rangstelle ausgenutzt werden darf (Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn 15). Für Alt-Erbbaurechte kann ein Bestehenbleiben gemäß § 9 Abs. 3 Nr. 1 ErbbauRG noch nachträglich vereinbart werden. Ist das Erbbaurecht allerdings mit dinglichen Rechten belastet, ist die Zustimmung der Inhaber aller der Erbbauzinsreallast im Range vorgehenden oder gleichstehenden dinglichen Rechte erforderlich (§ 9 Abs. 3 Satz 2 ErbbauRG). Diese werden nämlich insofern in ihrer Rechtsstellung berührt, als eine bestehenbleibende Erbbauzinsreallast sich auf das Gebot eines Erwerbers in der Zwangsversteigerung und damit auf ihre Befriedigungsaussichten auswirkt. 4.6.1.2.3
Fortbestehende Bedeutung der altrechtlichen Hilfslösungen
Mit § 9 Abs. 3 ErbbauRG sind allerdings die auf der Grundlage des zuvor geltenden Rechts entwickelten Hilfskonstruktionen nicht bedeutungslos geworden. Zum einen ist das Bestehenbleiben der Erbbauzinsreallast in der Zwangsversteigerung auch gegenüber vorrangigen und gleichrangigen Rechten nur eine Regelungsmöglichkeit und nicht etwa ohne weiteres Inhalt der Erbbauzinsreallast. Die Parteien können sich also nach wie vor auch anders einigen. Zum anderen gilt das alte Recht für die vor der Gesetzesänderung bestellten Erbbaurechte und Erbbauzinsreallasten fort. Der Grundstückseigentümer hat keinen Anspruch darauf, dass seine Erbbauzinsreallast an das neue Recht angepasst wird. Wegen der regelmäßig langen Laufzeit von Erbbaurechten werden die altrechtlichen Hilfskonstruktionen daher noch geraume Zeit von Bedeutung sein.
212
4.6.2
4 Das Erbbaurecht
Beendigung des Erbbaurechts
Das Erbbaurecht endet durch Aufhebung (§ 26 ErbbauRG) oder durch Zeitablauf (§ 27 ErbbauRG), nicht aber durch Heimfall. 4.6.2.1
Aufhebung
Ein einseitiger Verzicht des Erbbauberechtigten auf sein Recht ist nicht zulässig. Die vorzeitige Aufhebung ist nur mit Zustimmung des Grundstückseigentümers möglich. Eine Verpflichtung zu vorzeitiger Aufhebung bedarf notarieller Beurkundung, die Aufhebung selbst ist formfrei. Für ihre Wahrung im Grundbuch ist allerdings eine öffentlich beglaubigte Aufgabeerklärung des Erbbauberechtigten erforderlich, ferner die öffentlich beglaubigte Eigentümerzustimmung. Das Erbbaugrundbuch wird dann von Amts wegen geschlossen (§ 16 ErbbauRG). Ist das Erbbaurecht mit Rechten Dritter, insbesondere Grundpfandrechten, belastet, so bedarf die Aufhebung deren Zustimmung (§ 876 BGB). Handelt es sich um Rechte, die dem jeweiligen Eigentümer eines anderen Grundstücks zustehen, ist außerdem die Zustimmung sämtlicher am herrschenden Grundstück dinglich Berechtigter erforderlich (§ 876 Satz 2 BGB). 4.6.2.2
Beendigung durch Zeitablauf
Das Erbbaurecht wird in aller Regel für einen bestimmten Zeitraum bestellt und erlischt dann durch Zeitablauf. Es erlischt aber nicht ersatzlos. Gemäß § 27 Abs. 1 ErbbauRG hat der Grundstückseigentümer vielmehr dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für das Bauwerk zu leisten, falls dies nicht in zulässiger Weise ausgeschlossen wurde, was nur in Ausnahmefällen geschieht. Diese Entschädigungsforderung tritt an die Stelle des Erbbaurechts mit dessen Rang (§ 28 ErbbauRG); etwa noch auf dem Erbbaurecht lastende Grundpfandrechte oder Reallasten erlöschen und werden kraft Gesetzes umgewandelt in Pfandrechte an der Entschädigungsforderung, soweit sie noch valutieren. In den Ausnahmefällen, in denen eine Entschädigungsforderung nicht zu zahlen ist, handelt es sich meistens um Erbbaurechte für industrielle Zweckbauten, die nur vom Erbbauberechtigten selbst betrieben werden können. In solchen Fällen wird regelmäßig auch vereinbart, dass der Erbbauberechtigte die von ihm errichteten Gebäude bzw. Anlagen bei Beendigung des Erbbaurechts zu entfernen hat. Ist, wie üblich, die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung vereinbart, kann der Grundstückseigentümer diese dadurch abwenden, dass er dem Erbbauberechtigten vor Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf die Verlängerung des Erbbaurechts für die voraussichtliche Standdauer des Bauwerks anbietet (§ 27 Abs. 3 S. 1 ErbbauRG). Lehnt der Erbbauberechtigte die Verlängerung ab, so erlischt sein Entschädigungsanspruch.
4.7
Grunderwerbsteuer
§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) stellt das Erbbaurecht den Grundstücken gleich. Die auf Grundstücke abgestellten Vorschriften sind daher auf Erbbaurechte und Untererbbaurechte entsprechend anzuwenden.
4.7 Grunderwerbsteuer
4.7.1
Zu versteuernde Rechtsvorgänge
4.7.1.1
Bestellung des Erbbaurechts
213
Wird für einen Dritten ein Erbbaurecht bestellt, so ist dieser Vorgang grunderwerbsteuerpflichtig (BFHE BStBl. 1968 II 223). Die Begründung eines Erbbaurechts am eigenen Grundstück unterliegt dagegen nicht der Grunderwerbsteuer, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Grundstück bereits bebaut ist oder nicht. In einem solchen Fall liegt weder ein schuldrechtliches Kausalgeschäft noch eine Einigung vor. Die einseitige Erklärung des Eigentümers, die Grundlage für die Begründung des Eigentümer- Erbbaurechts ist, betrifft keinen steuerpflichtigen Erwerbsvorgang i. S. des § 1 Abs. 1 GrEStG. Im Übrigen aber ist es gleichgültig, auf welche Art von Erbbaurechten sich der Gründungsakt bezieht. Grunderwerbsteuerpflichtig ist daher auch die Bestellung eines Untererbbaurechts (BFHE 91,191). Liegt dem Erwerbsvorgang bei der Erbbaurechtsbestellung kein Verpflichtungsgeschäft zugrunde, dann ist die auf die Bestellung des Erbbaurechts gerichtete dingliche Einigung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG grunderwerbsteuerpflichtig (BFH Betrieb 84, 1606). Im Übrigen setzt die Grunderwerbsteuerpflicht bereits beim Abschluss des kausalen Erbbaurechtsbestellungsvertrages ein. Die nachfolgende dingliche Einigung ist dann steuerrechtlich irrelevant. Ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Abtretung eines Anspruches auf Bestellung eines Erbbaurechts begründet, unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Ist kein Rechtsgeschäft vorausgegangen, so unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG die Abtretung selbst der Grunderwerbsteuer (BFH BStBl. 68 II 222). 4.7.1.2
Übertragung des Erbbaurechts
Auch die Übertragung eines Erbbaurechts bzw. der darauf gerichtete schuldrechtliche Vertrag unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Der steuerrechtlich erhebliche Tatbestand entsteht bereits mit dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages, der die Verpflichtung zur Übertragung des Erbbaurechts begründet. Ist ein solches Geschäft nicht vorausgegangen, entsteht die Steuer mit der dinglichen Einigung über die Übertragung des Erbbaurechts nach § 873 Abs. 1 BGB (Ingenstau/Hustedt, Anh. I Rn118). Ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Abtretung eines Anspruchs auf Bestellung eines Erbbaurechts begründet, unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG ebenfalls der Grunderwerbsteuer. Weiter unterliegt die Abtretung selbst gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG der Grunderwerbsteuer, wenn kein Rechtsgeschäft vorausgegangen ist (BFH BStBl. 68 II 222). Der Grunderwerbsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt auch die Übertragung des Erbbaurechts auf den Grundstückseigentümer vor Ablauf der vereinbarten Erbbaurechtszeit (Ingenstau/Hustedt, Anh. I Rn 120). 4.7.1.3
Aufhebung und Erlöschen des Erbbaurechts
Bei Ablauf der vereinbarten Dauer des Erbbaurechts erlischt das Erbbaurecht kraft Gesetzes. Grunderwerbssteuer fällt insoweit nicht an (Schöner/Stöber, Rn 1794a m.w.N.). Es liegt kein Übergang einer „Erbbaurechtsberechtigung“ i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 GrEStG vor. Vielmehr erlischt dieses kraft Gesetzes aufgrund der zeitlichen Begrenzung seines Inhalts und
214
4 Das Erbbaurecht
ist damit „verbraucht“. Hat der Erbbauberechtigte auf dem Grundstück ein Bauwerk errichtet, so geht das Eigentum daran auf den Grundstückseigentümer über. Auch dieser Vorgang ist nach der Rechtsprechung des BFH grunderwerbsteuerfrei (BStBl. 1995 II S. 334). Die rechtsgeschäftliche Aufhebung des Erbbaurechts unterliegt hingegen der Grunderwerbsteuer (Ingenstau/Hustedt, Anh. I Rn 124). Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG ist die vorzeitige Löschung eines nicht dem Grundstückseigentümer selbst zustehenden Erbbaurechts im Grundbuch grunderwerbsteuerpflichtig, wenn kein Rechtsgeschäft vorausgegangen ist, das den Anspruch auf Bestellung oder Übertragung des Erbbaurechts begründet (BFH BStBl. 80 II 136). 4.7.1.4
Heimfall des Erbbaurechts
Bei Ausübung des Heimfallrechts entsteht ein Anspruch des Grundstückseigentümers auf dingliche Übertragung des Erbbaurechts auf ihn oder einen von ihm zu benennenden Dritten. Es bedarf dazu also der dinglichen Einigung nach § 873 BGB. Dieser Vorgang ist grunderwerbsteuerpflichtig gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG. Die Grunderwerbsteuer entsteht also nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG erst mit der Übertragung des Erbbaurechts auf den Eigentümer oder den Dritten. Macht der Grundstückseigentümer einen Heimfallanspruch geltend, weil etwa der Erbbauberechtigte seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, könnte ein Fall des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG vorliegen. Danach wird auf Antrag die Grunderwerbsteuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen des Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf die Übereignung begründet hat, nicht erfüllt und das Rechtsgeschäft deshalb aufgrund eines Rechtsanspruches rückgängig gemacht wird (Ingenstau/Hustedt, Anh. I Rn 146). Der BFH hat eine Steuerbefreiung nach § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG in dem Fall bejaht, dass der Erbbauberechtigte seine vertragliche Bebauungspflicht aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfüllen konnte (BStB1 1983 II S. 683). Inwieweit § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG auch im Falle rückständiger Erbbauzinsen Anwendung findet, ist noch nicht abschließend geklärt. Allerdings erscheint dessen Anwendung zweifelhaft, insbesondere wenn der Heimfall-Fall erst nach einer verhältnismäßig langen Laufzeit des Erbbaurechts eingetreten ist. 4.7.1.5
Verlängerung bzw. Erneuerung des Erbbaurechts
Sowohl bei der Verlängerung der Erbbaurechtszeit als auch bei der Ausübung eines dem Erbbauberechtigten eingeräumten Vorrechts auf Erneuerung des Erbbaurechts fällt Grunderwerbssteuer an. Durch die Ausübung des Vorrechts auf Erneuerung gemäß § 2 Nr. 6, § 31 ErbbauRG kommt ein neuer Erbbaurechtsvertrag mit dem bisherigen Erbbaurechtsberechtigten zu den Bedingungen des zwischen dem Eigentümer und einem Dritten abgeschlossenen Vertrags über die Bestellung des Erbbaurechts zustande, die Regelungen des BGB über das Vorkaufsrecht (§§ 464 ff. BGB) finden entsprechende Anwendung (§ 31 Abs. 3 ErbbauRG). Die Erneuerung ist daher grunderwerbsteuerlich als Neubestellung zu behandeln (von Oefele/Winkler, Rn 10.56).
4.7 Grunderwerbsteuer 4.7.1.6
215
Zwangsversteigerung des Erbbaurechts
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG ist bei der Zwangsversteigerung des Erbbaurechts das Meistgebot grunderwerbsteuerpflichtig. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG ist auch das Verpflichtungsgeschäft zur Abtretung der Rechte aus einem Meistgebot grunderwerbsteuerpflichtig. Ist kein Rechtsgeschäft vorausgegangen, so unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG die Abtretung selbst der Grunderwerbssteuerpflicht. 4.7.1.7
Erwerb des Erbbaugrundstücks durch den Erbbauberechtigten
Der Erwerb des Grundstücks durch den Erbbauberechtigten ist in den in § 1 GrEStG genannten Konstellationen grunderwerbssteuerpflichtig. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 GrEStG gehört jedoch der Kaufpreisanteil, der beim Erwerb des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks auf den Erbbauzins anfällt, nicht mehr zur Gegenleistung als Bemessungsgrundlage für die Höhe der Grunderwerbssteuer.
4.7.2
Besteuerungsgrundlagen
4.7.2.1
Bestellung des Erbbaurechts
Gem. § 8 Abs. 1 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer grundsätzlich vom Wert der Gegenleistung des Erbbauberechtigten berechnet. In § 9 GrEStG ist einzeln aufgeführt, was als Gegenleistung i. S. des § 8 Abs. 1 GrEStG gilt. Als Gegenleistung des Erbbauberechtigten kommt in erster Linie der von ihm geschuldete Erbbauzins in Frage. Der Kapitalwert der Erbbauzinsverpflichtung wird nach § 13 BewG i. V. m. Anlage 9a ermittelt. Bei der Berechnung ist grundsätzlich die gesamte Laufzeit des Erbbauzinses vom Anfangszeitpunkt an zugrunde zu legen (BFHE 129, 223, 225). Neben dem zu kapitalisierenden Erbbauzins gehören auch alle vergleichbaren Zuzahlungen oder sonstigen Leistungen zur Gegenleistung i. S. des § 9 GrEStG. Dies ist z. B. der Fall, wenn anstelle oder zusätzlich zum Erbbauzins ein Kaufpreis geleistet wird. Das Gleiche gilt bei der Vergütung für das von der Erbbaurechtsbestellung umfasste bereits vorhandene Gebäude (von Oefele/Winkler, Rn 10.42); wenn der Vorgang grunderwerbsteuerpflichtig ist, aber keine Gegenleistung vorhanden ist, richtet sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG nach den §§ 138, 148 Bewertungsgesetz. 4.7.2.2
Übertragung des Erbbaurechts
Bei der Übertragung des Erbbaurechts ist der Erbbauzins wie bei der Erbbaurechtsbestellung zu kapitalisieren und gilt als Gegenleistung. Die Kapitalisierung betrifft jedoch nur die Erbbauzinszahlungspflicht durch den Erwerber für die Restlaufzeit des Erbbaurechts. Ferner zählen auch in diesem Fall ein ggf. vereinbarter Kaufpreis oder sonstige Leistungen gem. § 9 Abs. 1, Abs. 2 GrEStG zur Besteuerungsgrundlage. Liegen keine Gegenleistungen vor, gilt das Gleiche wie bei der Erbbaurechtsbestellung, d. h. es gelten gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG die §§ 138, 148 Bewertungsgesetz.
216
4 Das Erbbaurecht
4.7.2.3
Erlöschen, Aufhebung des Erbbaurechts
4.7.2.3.1
Bei Entschädigung
Erlischt das Erbbaurecht durch Zeitablauf, so löst der gem. § 27 ErbbauRG zu zahlende gesetzliche oder dinglich vereinbarte Entschädigungsanspruch des Erbbauberechtigten keine Steuerpflicht aus, da es an einem steuerbaren Rechtsvorgang fehlt. Bei rechtsgeschäftlicher Aufhebung hingegen ist Besteuerungsgrundlage der vertraglich vereinbarte Entschädigungsanspruch, insbesondere für das Bauwerk. Beim Erlöschen durch Enteignung ist Besteuerungsgrundlage die behördlich festgesetzte Enteignungsentschädigung. Hinzu kommen alle noch vereinbarten sonstigen Leistungen (von Oefele/ Winkler, Rn 10.60). 4.7.2.3.2
Ohne Entschädigung
Ist bei Erlöschen des Erbbaurechts durch rechtsgeschäftliche Aufhebung die Zahlung einer Entschädigung nicht vorgesehen, so richtet sich die Berechnung der Besteuerung nach der Bedarfsbewertung des Erbbaurechts zum Zeitpunkt der Aufhebung, § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, §§ 138, 148 BewG. 4.7.2.3.3
Heimfall
Für den Heimfall ist Besteuerungsgrundlage die nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG an den Erbbauberechtigten zu zahlende Vergütung einschließlich etwaiger sonstiger Leistungen. Dies betrifft etwa vom Grundstückseigentümer gem. § 33 Abs. 2 ErbbauRG zu übernehmende Hypothekenschulden, soweit sie die Vergütung gem. § 32 ErbbauRG übersteigen, da sie sonst auf die Vergütung angerechnet werden, § 33 Abs. 3 ErbbauRG. Ist gemäß § 32 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG durch dingliche Vereinbarung die Vergütung beim Heimfall ausgeschlossen, so bestimmt sich die Grunderwerbsteuer aus der seit 01.01.1997 durchzuführenden Bedarfsbewertung des Erbbaurechts gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, §§ 138, 148 BewG. Zu übernehmende Hypothekenschulden sind gemäß § 33 ErbbauRG abzuziehen. 4.7.2.3.4
Verlängerung, Erneuerung
Mit der Vereinbarung der Verlängerung des Erbbaurechts fällt Grunderwerbsteuer insoweit an, als bei der Verlängerung des Erbbaurechts eine Gegenleistung vereinbart worden ist. Neben etwaigen sonstigen Gegenleistungen ist der für die Verlängerungszeit vereinbarte Erbbauzins kapitalisiert anzusetzen (von Oefele/Winkler, 10.Kap. Rn 10.55). Die Erneuerung ist grunderwerbssteuerlich als Neubestellung zu behandeln. Es kann also zu den dort gemachten Ausführungen verwiesen werden.
Literaturverzeichnis zu Kap. 4
217
Literaturverzeichnis zu Kap. 4 Brambring/Jerschke (Hrsg.): Beck’sches Notarhandbuch, 5. Auflage, 2009. Eickmann: Sachenrechtsbereinigung, Stand Oktober 2004. Ingenstau/Hustedt: ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 9. Auflage, 2010. Kirchhoff: Das Verbot von Wertsicherungsklauseln im neuen Preisklauselgesetz, DNotZ 2007, 913 ff. Linde/Richter: Erbbaurecht und Erbbauzins, 3. Auflage, 2001. Münchener Kommentar: BGB, 5. Auflage, 2009. Muth: Der Rang des Erbbauzines als Streitpunkt zwischen Darlehensgeber und Grundstückseigentümer, WE 1985, 1281 ff. von Oefele/Winkler: Handbuch des Erbbaurechts, 4. Auflage, 2008. Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage, 2013. Schöner/Stöber: Grundbuchrecht, 14. Auflage, 2008. von Staudinger: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 3 (Sachenrecht), 2009. Usinger/Minuth (Hrsg.): Immobilien – Recht und Steuern, Handbuch für die Immobilienwirtschaft, 3. Auflage 2004.
5
Die Grundstücksbebauung Eberhard Meincke, Andreas Helm und Volker Zerr
5.1 5.1.1 5.1.1.1 5.1.1.2 5.1.2 5.1.2.1 5.1.2.2 5.1.2.2.1 5.1.2.2.2 5.1.2.2.3 5.1.2.2.4 5.1.2.2.5 5.1.2.2.6 5.1.2.2.7 5.1.2.2.8 5.1.3 5.1.3.1 5.1.3.1.1 5.1.3.1.2 5.1.3.1.3 5.1.3.2 5.1.3.2.1 5.1.3.2.2 5.1.3.2.3 5.1.3.3 5.1.3.4 5.1.3.4.1 5.1.3.4.2 5.1.3.4.3 5.1.3.4.4 5.1.3.4.5 5.1.3.5 5.1.3.5.1 5.1.3.5.2 5.1.3.6 5.1.3.7
Die Baubetreuung .......................................................................................... 227 Einleitung ...................................................................................................... 227 Wirtschaftlicher Hintergrund......................................................................... 227 Formen der Baubetreuung ............................................................................. 228 Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen ................................................... 228 Besondere Gewerbeerlaubnis ........................................................................ 228 Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) .................................................. 229 Buchführungs- und Informationspflichten .................................................... 230 Sicherungspflichten ....................................................................................... 230 Raten nur nach Baufortschritt ........................................................................ 232 Befreiungsmöglichkeiten ............................................................................... 232 Vermögenswerte des Auftraggebers nur für sein Bauvorhaben .................... 232 Getrennte Vermögensverwaltung .................................................................. 233 Rechnungslegung .......................................................................................... 233 Verstöße ........................................................................................................ 233 Der Bauträgervertrag ..................................................................................... 234 Begriff und Rechtsnatur des Bauträgervertrages ........................................... 234 Begriff ........................................................................................................... 234 Rechtsnatur des Bauträgervertrages .............................................................. 235 Abgrenzung von anderen Vertragstypen ....................................................... 236 Abschluss des Bauträgervertrages ................................................................. 236 Form .............................................................................................................. 237 AGB-Prüfung ................................................................................................ 238 Anwendbarkeit der VOB Teil B .................................................................... 239 Bestimmung des Vertragsgegenstandes ........................................................ 240 Entgelt und Zahlung ...................................................................................... 241 Preis ............................................................................................................... 241 Zahlungsmodalitäten ..................................................................................... 242 Verzug des Erwerbers.................................................................................... 242 Sicherungen für Zahlungsansprüche ............................................................. 242 Verjährung ..................................................................................................... 243 Fertigstellung und Abnahme ......................................................................... 244 Fertigstellung ................................................................................................. 244 Abnahme ....................................................................................................... 244 Sachmängelhaftung ....................................................................................... 245 Kündigung ..................................................................................................... 246
222 5.1.4 5.1.4.1 5.1.4.2 5.1.4.3 5.1.4.4 5.2 5.2.1 5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.1.3 5.2.1.4 5.2.1.5 5.2.1.5.1 5.2.1.5.2 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.1.1 5.2.2.1.2 5.2.2.1.3 5.2.2.1.4 5.2.2.2 5.2.2.2.1 5.2.2.2.2 5.2.2.2.3 5.2.2.3 5.2.2.3.1 5.2.2.3.2 5.2.2.3.3 5.2.2.3.4 5.2.2.3.5 5.2.2.3.6 5.2.2.3.7 5.2.2.3.8 5.2.2.4 5.2.2.5 5.2.2.6 5.2.2.7 5.2.2.7.1 5.2.2.7.2 5.2.2.8
5 Die Grundstücksbebauung Baubetreuung und Bauherrenmodell ..............................................................247 Entwicklung des Bauherrenmodells .............................................................. 247 Die Beteiligten .............................................................................................. 248 Haftung.......................................................................................................... 249 Geschlossene Immobilienfonds..................................................................... 249 Literaturverzeichnis zu Kap. 5.1 ....................................................................250 Der Architekten- und Ingenieurvertrag ..........................................................251 Allgemeine Grundlagen .................................................................................251 Einsatz von Architekten und Ingenieuren / Schnittstellen zu anderen fachlich Beteiligten ....................................................................................... 251 Verfassungs- und europarechtliche Aspekte ................................................. 252 Koppelungsverbot ......................................................................................... 252 Rechtsnatur des Architekten- und Ingenieurvertrages und des Projektsteuerungsvertrages............................................................................ 253 Abschluss des Architekten- und Ingenieurvertrages ..................................... 255 Stufenweise Beauftragung............................................................................. 256 Vorzeitige Vertragsbeendigung..................................................................... 257 Vergütungsanspruch des Architekten/Ingenieurs ...........................................258 Die HOAI als Rechtsgrundlage für die Berechnung des Architektenund Ingenieurhonorars .................................................................................. 258 Objekt außerhalb der Tafelwerte ................................................................... 259 Beratungsleistungen ...................................................................................... 259 Besondere Leistungen ................................................................................... 259 Andere Leistungen / Erfassung von Planungsänderungen / Geänderte Leistungen ..................................................................................................... 259 Schriftliche Vereinbarung des Honorars im Rahmen der durch die HOAI festgesetzten Mindest- und Höchstsätze ............................................. 260 Mindestsatzunterschreitung nur in Ausnahmefällen ..................................... 261 Nachforderung des Mindestsatzhonorars ...................................................... 262 Bindung an die erteilte Honorarschlussrechnung .......................................... 263 Berechnungsfaktoren für die Honorarberechnung ........................................ 264 Anrechenbare Kosten .................................................................................... 264 Honorarzone .................................................................................................. 266 Honorarsatz ................................................................................................... 267 Leistungsbild ................................................................................................. 267 Baukostenvereinbarung ................................................................................. 269 Bonus-Malus-Regelung................................................................................. 269 Anzahl der Objekte ....................................................................................... 269 Leistungen im Bestand .................................................................................. 270 Fälligkeit des Honorars – Prüffähige Rechnung ........................................... 270 Abschlagszahlungen ...................................................................................... 272 Nebenkosten .................................................................................................. 273 Sicherung des Vergütungsanspruchs ............................................................. 273 Erbrachte Leistungen .................................................................................... 273 Noch zu erbringende Leistungen................................................................... 274 Verjährung des Vergütungsanspruchs ........................................................... 275
5 Die Grundstücksbebauung 5.2.3 5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.3.3 5.2.3.4 5.2.3.5 5.2.4 5.2.4.1 5.2.4.2 5.2.4.2.1 5.2.4.2.2 5.2.4.2.3 5.2.4.3 5.2.4.4 5.2.4.5 5.2.4.5.1 5.2.5 5.2.5.1 5.2.5.1.1 5.2.5.1.2 5.2.5.1.3 5.2.5.1.4 5.2.5.2 5.2.5.3 5.2.5.4 5.2.5.5 5.2.5.5.1 5.2.5.5.2 5.2.5.5.3 5.2.5.6 5.2.6 5.2.6.1 5.2.6.2 5.2.6.3 5.3 5.3.1 5.3.1.1 5.3.1.2 5.3.1.3 5.3.1.3.1 5.3.1.3.2 5.3.1.3.3 5.3.2 5.3.2.1 5.3.2.2
223
Urheberrecht des Architekten/Ingenieurs ...................................................... 275 Architektenwerk und Urheberrechtsschutz.................................................... 275 Änderungsverbot ........................................................................................... 276 Mehrfache Verwendung ................................................................................ 276 Übertragung der Nutzungs- und Verwertungsrechte ..................................... 277 Folgen der Urheberrechtsverletzung ............................................................. 277 Leistungspflichten und Haftung des Architekten/Ingenieurs ........................ 278 Umfang der Einstandspflicht des Architekten/Ingenieurs ............................. 278 Die Mängelrechte des Auftraggebers ............................................................ 279 Nacherfüllungsanspruch ................................................................................ 279 Minderung ..................................................................................................... 280 Schadensersatzanspruch ................................................................................ 280 Verjährung der Mängelansprüche des Auftraggebers ................................... 280 Verletzung von Nebenpflichten ..................................................................... 281 Falsche Beratung des Auftraggebers in Bezug auf die eigene Haftung ......... 281 Organisationsverschulden.............................................................................. 282 Einzelfälle der Haftung des Architekten/Ingenieurs...................................... 283 Planungsfehler ............................................................................................... 284 Fehler bei der Einschaltung von Sonderfachleuten ....................................... 284 Technische Fehler.......................................................................................... 284 Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften...................................... 284 Wirtschaftliche Fehler ................................................................................... 285 Koordinierungsfehler..................................................................................... 285 Bauaufsichtsfehler ......................................................................................... 286 Terminüberschreitungen ................................................................................ 286 Kostenüberschreitungen ................................................................................ 287 Kostenrahmen/Kostenlimit als Beschaffenheitsvereinbarung ....................... 287 Schaden und Schadensberechnung ................................................................ 288 Kein Versicherungsschutz im Kostenbereich ................................................ 288 Haftungsbeschränkungen .............................................................................. 289 Deliktshaftung des Architekten/Ingenieurs ................................................... 289 Verkehrssicherungspflicht ............................................................................. 289 Eigentumsverletzung ..................................................................................... 290 Verjährung der Deliktshaftung ...................................................................... 291 Literaturverzeichnis zu Kap. 5.2.................................................................... 292 Der Bauvertrag .............................................................................................. 294 Einführung ..................................................................................................... 294 Abgrenzung privates und öffentlches Baurecht ............................................. 294 Rechtsgrundlagen des Bauvertrages bei der Grundstücksbebauung ............. 294 Unternehmerformen ...................................................................................... 295 Generalunternehmer/ Nachunternehmer/ Generalübernehmer ...................... 295 Totalunternehmer/ Totalübernehmer ............................................................. 296 Arbeitsgemeinschaft (ARGE) ....................................................................... 296 Inhalt, Ausgestaltung und Zustandekommen des Bauvertrages .................... 296 Grundsätze des Vertragsrechts ...................................................................... 297 Stellvertretung ............................................................................................... 298
224 5.3.2.3 5.3.2.4 5.3.2.5 5.3.3 5.3.3.1 5.3.3.1.1 5.3.3.1.2 5.3.3.1.3 5.3.3.1.4 5.3.3.2 5.3.3.2.1 5.3.3.2.2 5.3.3.3 5.3.3.4 5.3.3.4.1 5.3.3.4.1.1 5.3.3.4.1.2 5.3.3.4.1.3 5.3.3.4.1.4 5.3.3.4.1.5 5.3.3.4.2 5.3.3.4.3 5.3.3.5 5.3.3.5.1 5.3.3.5.1.1 5.3.3.5.1.2 5.3.3.5.1.3 5.3.3.5.1.4 5.3.3.5.2 5.3.3.5.3 5.3.3.5.3.1 5.3.3.5.3.2 5.3.3.5.4 5.3.3.5.5 5.3.3.6 5.3.4 5.3.4.1 5.3.4.1.1 5.3.4.1.2 5.3.4.2 5.3.4.2.1 5.3.4.2.2 5.3.4.3 5.3.4.4 5.3.5 5.3.5.1 5.3.5.2
5 Die Grundstücksbebauung Leistungsvereinbarung .................................................................................. 299 Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ................................................... 300 VOB-Vertrag ................................................................................................. 301 Vergütung.......................................................................................................302 Vergütungsarten ............................................................................................ 303 Einheitspreisvertrag....................................................................................... 303 Pauschalpreisvertrag ..................................................................................... 303 Stundenlohnvertrag ....................................................................................... 304 Selbstkostenerstattungsvertrag ...................................................................... 304 Vergütung bei Leistungsänderung/ Nachtragsforderungen ........................... 304 Einheitspreisvertrag....................................................................................... 305 Pauschalpreisvertrag ..................................................................................... 305 Fälligkeit der Vergütung ............................................................................... 305 Sicherung des Vergütungsanspruches ........................................................... 305 Bauhandwerkersicherung gemäß § 648 a BGB............................................. 306 Voraussetzungen ........................................................................................... 306 Umfang der Sicherheitsleistung .................................................................... 307 Art der Sicherheitsleistung ............................................................................ 307 Kosten der Sicherheitsleistung ...................................................................... 308 Verhältnis zu anderen Sicherheiten ............................................................... 308 Unternehmerpfandrecht nach § 647 BGB ..................................................... 308 Sicherungshypothek des Bauunternehmers gemäß § 648 BGB .................... 308 Zahlung der Vergütung ................................................................................. 309 Abschlagszahlung ......................................................................................... 309 Voraussetzungen ........................................................................................... 310 Höhe der Abschlagszahlung .......................................................................... 310 Verhältnis zum Schlusszahlungsanspruch..................................................... 311 Abschlagszahlungen im VOB-Vertrag .......................................................... 311 Vorauszahlung .............................................................................................. 311 Schlusszahlung .............................................................................................. 311 Prüfbare Schlussrechnung im BGB-Vertrag ................................................. 312 Prüfbare Schlussrechnung im VOB-Vertrag ................................................. 312 Teilschlusszahlung ........................................................................................ 313 Skonto ........................................................................................................... 313 Verjährung der Vergütungsforderung ........................................................... 314 Beendigung des Vertrages durch Kündigung .................................................314 Kündigung durch den Besteller ..................................................................... 314 Freie Kündigung gemäß § 649 BGB bzw. § 8 VOB/B ................................. 314 Kündigungsrecht wegen Überschreitung des Kostenanschlags .................... 316 Kündigung durch den Unternehmer .............................................................. 317 Kündigungsrecht gemäß § 643 BGB............................................................. 317 Kündigungsrecht gemäß § 9 VOB/B............................................................. 317 Kündigungsrecht gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B ................................................. 318 Weitere Lösungsmöglichkeiten ..................................................................... 318 Abnahme ........................................................................................................318 Voraussetzungen ........................................................................................... 319 Rechtswirkungen der Abnahme .................................................................... 319
5 Die Grundstücksbebauung 5.3.5.3 5.3.5.3.1 5.3.5.3.2 5.3.5.3.3 5.3.5.4 5.3.5.5 5.3.6 5.3.6.1 5.3.6.1.1 5.3.6.1.2 5.3.6.1.3 5.3.6.2 5.3.6.3 5.3.7 5.3.7.1 5.3.7.2 5.3.7.2.1 5.3.7.2.2 5.3.7.2.3 5.3.7.3 5.3.8 5.3.8.1 5.3.8.2 5.3.8.2.1 5.3.8.2.2 5.3.8.2.3 5.3.8.2.4 5.3.8.2.5 5.3.8.2.6 5.3.8.3 5.3.8.3.1 5.3.8.3.2 5.3.8.3.3 5.3.8.3.4 5.3.8.3.5 5.3.8.4 5.3.8.4.1 5.3.8.4.2 5.3.8.4.3 5.3.8.5 5.3.8.6 5.3.8.6.1 5.3.8.6.2 5.3.8.6.3 5.3.8.7 5.3.8.8
225
Abnahmeformen ............................................................................................ 321 Förmliche und konkludente Abnahme .......................................................... 321 Abnahmefiktion gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB ........................................ 322 Abnahmefiktion gemäß § 12 Abs. 5 VOB/B ................................................. 323 Vorbehalt bei Abnahme ................................................................................. 324 Teilabnahme .................................................................................................. 325 Sicherung der Werkleistungen ...................................................................... 325 Arten der Sicherheitsleistung ........................................................................ 325 Baubürgschaften ............................................................................................ 325 Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren.................................................... 326 Einbehalt........................................................................................................ 326 Rückgewähr der Sicherheiten ........................................................................ 326 Leistungsverweigerungsrecht des Auftraggebers nach Werkvertragsrecht ......................................................................................... 327 Verspätete Herstellung der Bauleistung ........................................................ 327 Fälligkeit der Leistung................................................................................... 327 Rechtsfolgen der verspäteten Herstellung ..................................................... 328 Verzug ........................................................................................................... 328 Weitere Rechtsfolgen .................................................................................... 329 Vertragsstrafe ................................................................................................ 329 Verzug des Bestellers .................................................................................... 330 Mängelhaftungsrecht ..................................................................................... 330 Mangelbegriff ................................................................................................ 330 Nacherfüllung ................................................................................................ 331 Vorrang der Nacherfüllung............................................................................ 332 Fristsetzung ................................................................................................... 332 Nacherfüllungsverlangen ............................................................................... 333 Umfang .......................................................................................................... 334 Ausschluss der Nacherfüllungspflicht ........................................................... 334 Nacherfüllung im VOB-Vertrag .................................................................... 335 Selbstvornahme ............................................................................................. 335 Voraussetzungen ........................................................................................... 335 Erforderliche Aufwendungen ........................................................................ 335 Kostenbeteiligung des Bestellers ................................................................... 336 Anspruch auf Vorschuss ................................................................................ 336 Kostenersatz für die Selbstvornahme im VOB-Vertrag ................................ 336 Rücktritt ......................................................................................................... 336 Voraussetzungen ........................................................................................... 337 Rechtsfolgen des Rücktritts ........................................................................... 337 Rücktritt im VOB-Vertrag ............................................................................. 338 Minderung ..................................................................................................... 338 Schadensersatzanspruch ................................................................................ 339 Schadensersatz neben der Leistung ............................................................... 339 Nutzungsausfall als Schaden ......................................................................... 340 Schadensersatz statt der Leistung .................................................................. 340 Ersatz vergeblicher Aufwendungen............................................................... 342 Ausschluss der Mängelhaftung...................................................................... 343
226 5.3.8.8.1 5.3.8.8.2 5.3.8.8.3 5.3.8.8.4 5.3.9 5.3.9.1 5.3.9.2
5 Die Grundstücksbebauung Bedenkenhinweispflicht ................................................................................ 343 Ausschluss nach § 640 Abs. 2 BGB .............................................................. 344 Vereinbarter Haftungsausschluss .................................................................. 344 Haftungsausschluss in AGB .......................................................................... 345 Verjährung der Mängelrechte.........................................................................345 Verjährung gemäß § 634 a BGB ................................................................... 345 Verjährung nach VOB/B ............................................................................... 347 Literaturverzeichnis zu Kap. 5.3 ....................................................................349
5.1 Die Baubetreuung
5.1
227
Die Baubetreuung Eberhard Meincke
Wegen des insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen großen Bedarfs an Wohn- und Gewerberaum, der besonderen Förderung von Eigentumsmaßnahmen in diesem Bereich sowie der wachsenden Kompliziertheit der Abwicklung von Immobilienkauf- und -errichtungsverträgen hat die Baubetreuung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Dabei sind die rechtlichen Grundlagen von Baubetreuungsverträgen nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im öffentlichen Recht zu suchen. Maßgeblich wird die Gestaltungsform auch von dem jeweils geltenden Steuerrecht und – mit wachsender Bedeutung – von den Leitgedanken des Verbraucherschutzes beeinflusst.
5.1.1
Einleitung
Die Bedeutung von Baubetreuungsmaßnahmen ist nicht von deren jeweiligem wirtschaftlichen Hintergrund zu trennen. Bau- und Eigentumsförderung einerseits und steuerliche Anreize andererseits haben die Baubetreuung in verschiedenen Ausprägungen entstehen lassen und entwickelt. 5.1.1.1
Wirtschaftlicher Hintergrund
Auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es Programme zur Eigentumsförderung insbesondere im Wohnungsbau. Hierfür wurden sowohl öffentliche Mittel bereitgestellt als auch gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen. Es sei hierzu nur beispielhaft auf das Reichsheimstättengesetz vom 25. November 1937 verwiesen. Insbesondere die Zerstörungen der deutschen Städte während des Zweiten Weltkrieges und die Notwendigkeit der Eingliederung von Flüchtlingen machten es jedoch erforderlich, die staatlichen Förderungen von Wohnungsbau zu intensivieren und große Baumaßnahmen zur Sanierung der zerstörten Stadtgebiete und Neubauviertel zur Schaffung neuen Wohnraums zu errichten. Dies erfolgte zunehmend auch durch private Träger, die dann wiederum Einzelimmobilien an Erwerber vertrieben. Beschleunigt wurde diese Entwicklung auch dadurch, dass sich größere Familienverbände frühzeitiger auflösten und durch die „Single“Entwicklung weitere Einzelwohnungen benötigt wurden. Soweit derartige Gesamtbaumaßnahmen von privaten Trägern durchgeführt wurden, erkannten diese bald, dass die Veräußerung von erst fertig gestellten Wohnungen durch die vom Träger zu erbringende Zwischenfinanzierung kalkulatorisch teuer wurde und es deshalb vorzuziehen sei, bereits während der Bauphase Mittel des späteren Erwerbers in Anspruch zu nehmen oder sogleich sich auf die Rolle eines reinen Baubetreuers zurückzuziehen, während der spätere Bewohner – zusammen mit den übrigen späteren Inhabern der Baumaßnahme – die Bauherreneigenschaft erlangte. Während einerseits steuerliche Anreize für den Erwerber bzw. ersten Bauherren derartige Modelle attraktiv machten, wuchs andererseits das Bedürfnis nach festen Rahmenbedingungen zum Schutz des einzelnen Erwerbers, die dann sowohl im öffentlich-rechtlichen Bereich als auch nach den Leitgedanken des Verbraucherschutzes entwickelt wurden.
228
5 Die Grundstücksbebauung
Wenn auch überwiegend im Wohnungsbau die Baubetreuung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zu beobachten war, so beschränkt sie sich jedoch keineswegs auf diesen Bereich, sondern findet sich auch heute im Gewerbebau wieder. 5.1.1.2
Formen der Baubetreuung
Baubetreuende Maßnahmen sind in verschiedenen Formen verwirklicht worden, von denen hier nur die Baubetreuung im engeren Sinne (sog. Bauherrenmodelle) und die Bauträgerschaft behandelt werden sollen. Baubetreuung im weiteren Sinne gliedert sich daher in die Betreuung von Bauherren (Baubetreuung im engeren Sinne) einerseits und die Bauträgerschaft andererseits. Daneben bestehen allerdings weitere Vertragsausgestaltungen, die ebenfalls Elemente der Baubetreuung enthalten, auch wenn sie nach überwiegender Ansicht nicht zu den Baubetreuungsverträgen zu zählen sind. Hier sind insbesondere der Generalunternehmervertrag und der Vertrag mit einem Generalübernehmer zu erwähnen. Auch die Baubetreuung im engeren Sinne (Bauherrenmodelle) und die Bauträgerschaft sind keine etwa durch ein Gesetz festgelegten Vertragstypen, sondern Vertragswerke eigener Art, so dass auch unter den Baubetreuungsverträgen im engeren Sinne und den Bauträgerverträgen unterschiedliche Ausgestaltungen vorkommen.
5.1.2
Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen
Aufgrund der zunehmenden Kompliziertheit von Großbaumaßnahmen, in denen der einzelne Erwerber entweder als Bauherr oder als Erwerber nur einer von vielen Beteiligten war, ergab sich ein besonderes Schutzbedürfnis für den Bauherren oder Erwerber gegenüber dem Baubetreuer oder Bauträger. Dies wurde noch durch die zunehmende vertragliche Verpflichtung des einzelnen Bauherrn oder Erwerbers, bereits während der Bauphase finanzielle Mittel einzusetzen, verstärkt. Der Gesetzgeber hat deshalb durch Gesetz vom 16. August 1972 (Bundesgesetzblatt I Seite 1465) die Vorschrift des § 34 c in die Gewerbeordnung eingeführt, wonach bestimmte Berufsgruppen des Immobilienbereichs, unter ihnen auch die Baubetreuer und Bauträger, einer besonderen Gewerbeerlaubnis bedürfen. Auf der Grundlage dieser Vorschrift der Gewerbeordnung und der in § 34 c Abs. 3 Gewerbeordnung (GewO) enthaltenen Ermächtigung ist die Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehensund Anlagenvermittler, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträgerverordnung – MaBV –) vom 20. Juni 1974 (Bundesgesetzblatt I Seite 1314) erlassen worden. In der MaBV sind im Einzelnen die Pflichten sowohl der Baubetreuer als auch der Bauträger geregelt, die diese gegenüber den Bauherren oder Erwerbern treffen und die gleichzeitig den Schutz dieses Personenkreises gegen Missbräuche seitens der Baubetreuer oder Bauträger bezwecken. 5.1.2.1
Besondere Gewerbeerlaubnis
Wer als Baubetreuer im weiteren Sinne, also entweder als Bauträger oder als Baubetreuer im engeren Sinne Baumaßnahmen gewerbsmäßig durchführen will, bedarf gem. § 34 c Abs. 1 GewO (in der heutigen Fassung geltend ab 28. Dezember 2009) der Erlaubnis der zuständigen Behörde.
5.1 Die Baubetreuung
229
Die Erlaubnispflicht gilt für Baubetreuer, die im fremden Namen für fremde Rechnung Bauvorhaben wirtschaftlich vorbereiten oder durchführen (also für die Baubetreuung im engeren Sinne) gem. § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b GewO. Die Erlaubnispflicht gilt aber auch für Bauträger, die Bauvorhaben gewerbsmäßig im eigenen Namen durchführen, wenn die Bauträger insoweit Vermögenswerte von Erwerbern während der Bauphase in Anspruch nehmen, sog. „Treuhandbau“ (§ 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a GewO). Die Erlaubnispflicht gilt also nicht für einen Bauträger, der ein Bauvorhaben im eigenen Namen durchführt und bis zur Fertigstellung keine Mittel des Erwerbers in Anspruch nimmt, sog. „Vorratsbau“. Die Tätigkeit des Baubetreuers oder Bauträgers muss „gewerbsmäßig“ sein, ist also abzugrenzen von rein privater Bautätigkeit. Wo im Einzelnen die Grenze zwischen privater Bautätigkeit (Vermögensverwaltung) und gewerbsmäßiger Betätigung liegt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Jedoch geht die Tendenz der Rechtsprechung – ähnlich wie bei der Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerbsmäßiger Betätigung beim Anund Verkauf von Immobilien – in die Richtung, die der Bundesfinanzhof durch maßgebliche Urteile geprägt hat und die eine gewerbsmäßige Betätigung i. d. R. bereits dann annimmt, wenn mehr als drei Immobilienobjekte innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren erworben oder errichtet und wieder veräußert wurden. Die Schwelle zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerbsmäßiger Betätigung im Immobilienbereich ist somit sehr niedrig gesetzt. Nicht erforderlich ist die Absicht der Gewinnerzielung. Nicht erforderlich ist auch eine besondere Ausbildung oder Branchenkenntnis. Insofern können auch solche Personen zu gewerbsmäßigen Baubetreuern oder Bauträgern werden, die sich ansonsten auf völlig anderen wirtschaftlichen Betätigungsfeldern bewegen. Die Erlaubnis nach § 34 c GewO ist eine Berufszulassungsregelung. Inhaber der Erlaubnis ist der Gewerbetreibende selbst, also die natürliche oder juristische Person, die die Erlaubnis beantragt hat. Bei Personengesellschaften, die nicht juristische Personen sind, ist eine Erlaubnis für jeden geschäftsführenden Gesellschafter erforderlich. Voraussetzungen, die zur Erlangung der Erlaubnis in der Person des Antragstellers gegeben sein müssen, definiert § 34 c GewO – erstaunlicherweise – nicht. Insbesondere ist nicht etwa das Fachwissen nachzuweisen. Dagegen beinhaltet § 34 c Abs. 2 GewO Gründe, bei deren Vorliegen die Erlaubnis zu versagen ist. Dies gilt nach § 34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO, wenn der Antragsteller oder der mit der Leitung des Betriebes Beauftragte nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn der Antragsteller in den letzten fünf Jahren vor Stellung des Antrages insbesondere wegen eines Verbrechens oder eines Vermögensdelikts rechtskräftig verurteilt worden ist. § 34 c Abs. 2 Nr. 2 GewO gibt als weiteren Versagungsgrund an, dass der Antragsteller in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt, was insbesondere der Fall sein soll, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist oder er in das vom Insolvenzgericht zu führende Verzeichnis nach § 26 Abs. 2 Insolvenzordnung eingetragen ist. Gem. § 34 c Abs. 5 GewO sind bestimmte Unternehmen von der Erlaubnispflicht ausgenommen, z. B. Kreditinstitute, Finanzierungsvermittler oder Gewerbetreibende, die lediglich zur Finanzierung der von ihnen abgeschlossenen Warenverkäufe Darlehensverträge vermitteln. 5.1.2.2
Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV)
Die MaBV aus dem Jahr 1974 ist zuletzt durch Verordnung vom 22. Juni 2011 (Bundesgesetzblatt I S. 1126) geändert worden. Sie bezieht sich nicht nur auf Baubetreuer und Bauträ-
230
5 Die Grundstücksbebauung
ger, sondern auch auf andere, im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften tätige Personen, wie etwa die Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler. Die MaBV enthält zwingendes Recht. Soweit die Verordnung also selbst nicht Ausnahmen schafft, müssen die Vertragsparteien die Vorschriften der MaBV berücksichtigen. Für die Baubetreuer und Bauträger beinhaltet die MaBV eine Reihe von wichtigen Vorschriften. 5.1.2.2.1
Buchführungs- und Informationspflichten
Der Bauträger und Baubetreuer – von der MaBV mit „Gewerbetreibender“ bezeichnet – hat seinem Vertragspartner – die MaBV spricht insofern von dem „Auftraggeber“ – bereits spätestens bis zum Vertragsschluss Informationen schriftlich zu übermitteln, die im Einzelnen in § 10 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 MaBV genannt sind und die sich auf das Bauvorhaben selbst und dessen Durchführung sowie auf die von dem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Vermögenswerte beziehen (§ 11 Nr. 3 MaBV). Aber auch während der Durchführung und Abwicklung des Vertragsverhältnisses treffen den Gewerbetreibenden nach der MaBV (§§ 10, 11) umfangreiche Dokumentations-, Buchführungs- und Informationspflichten. Dem entspricht auch, dass der Gewerbetreibende gem. § 14 MaBV diese Dokumentationen (Geschäftsunterlagen) über fünf Jahre in seinen Geschäftsräumen aufzubewahren hat, wobei dieser Zeitraum mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der letzte aufzeichnungspflichtige Vorgang für den zur Rede stehenden Auftrag angefallen ist, beginnt. Durch diese umfangreichen Dokumentations- und Informationspflichten des Gewerbetreibenden hat der Auftraggeber die Möglichkeit, seinerseits nachzuvollziehen, ob der Gewerbetreibende seinen Verpflichtungen aus der MaBV nachgekommen ist. 5.1.2.2.2
Sicherungspflichten
Der Baubetreuer, der ein Gewerbe nach § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b GewO durchführt, hat dem Auftraggeber Sicherheit zu leisten, bevor er Vermögenswerte des Auftraggebers zur Ausführung des Auftrages erhält oder zu deren Verwendung ermächtigt wird (§ 2 Abs. 1 MaBV). Dabei kann die Sicherheit nur durch Bürgschaft geleistet werden, die durch Kreditinstitute oder Versicherungsunternehmen zu stellen ist (§ 2 Abs. 2 MaBV). Die Verpflichtung zur Stellung einer derartigen Bürgschaft endet jedoch, falls der Gewerbetreibende Vermögenswerte des Auftraggebers, die er in Teilbeträgen erhalten hat, ordnungsgemäß verwendet und dies dem Auftraggeber nachgewiesen hat (§ 2 Abs. 5 MaBV). Da der Bauträger seinem Auftraggeber Eigentum an einem Grundstück überträgt, gilt für ihn § 2 MaBV nicht. Für den Bauträger schreibt § 3 Abs. 1 MaBV besondere Sicherungspflichten vor, wenn der Bauträger gem. § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a GewO Vermögenswerte des Auftraggebers während der Bauphase in Anspruch nehmen will und das Eigentum an einem Grundstück dem Auftraggeber erst nach Fertigstellung des Bauvorhabens übertragen werden soll. Zunächst muss vor Inanspruchnahme von Vermögenswerten des Auftraggebers der Vertrag zwischen dem Bauträger und dem Auftraggeber rechtswirksam sein (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MaBV). Insbesondere müssen die für den Vollzug des Vertrages etwa erforderlichen schuldrechtlichen (z. B. des vollmachtlos Vertretenen) und öffentlich-rechtlichen (z. B. nach den §§ 19, 22 Baugesetzbuch) Genehmigungen vorliegen. Der beurkundende Notar muss diese Voraussetzungen dem Auftraggeber durch schriftliche Mitteilung bestätigen und dabei auch berücksichtigen, ob vertragliche Rücktrittsrechte des Bauträgers (noch) bestehen. Dies be-
5.1 Die Baubetreuung
231
deutet allerdings keinen Ausschluss etwaiger gesetzlicher Rücktrittsrechte, wie z. B. des Rücktrittsrechts nach vergeblicher Nachfristsetzung gem. § 323 BGB. Weitere Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Vermögenswerten des Auftraggebers ist die Eintragung der Auflassungsvormerkung für den Auftraggeber an der vereinbarten Rangstelle im Grundbuch (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MaBV). Hierdurch wird der schuldrechtliche Anspruch des Auftraggebers auf dingliche Rechtsänderung gesichert, da eine entgegenstehende Verfügung des Bauträgers als Grundstückseigentümer gegenüber dem Auftraggeber unwirksam sein würde, wenn sie den Anspruch auf Eigentumsverschaffung beeinträchtigen würde. Nach herrschender Ansicht genügt hier nicht die Abtretung einer Auflassungsvormerkung, die für den Bauträger im Grundbuch eingetragen ist, sofern der Bauträger selbst noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurde. Sofern sich der Anspruch des Auftraggebers auf Übertragung des Eigentums auf Wohnungs- oder Teileigentum bezieht, muss außerdem die Begründung dieses Rechtes im Grundbuch bereits vollzogen sein, also eine wirksame Teilungserklärung vorliegen und ein Wohnungsgrundbuch angelegt sein. Die dritte Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Vermögenswerten durch den Bauträger beschreibt § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MaBV dahingehend, dass das Vertragsobjekt von allen Grundpfandrechten, die der Vormerkung zugunsten des Auftraggebers im Range vorgehen oder gleich stehen und nicht übernommen werden sollen, freigestellt ist oder die Freistellung gesichert ist, und zwar auch für den Fall, dass das Bauvorhaben nicht vollendet wird. Die MaBV beschreibt dabei die Freistellung als gesichert, wenn gewährleistet ist, dass die nicht zu übernehmenden Grundpfandrechte im Grundbuch gelöscht werden, und zwar entweder, wenn nämlich das Bauvorhaben vollendet wird, unverzüglich nach Zahlung der geschuldeten Vertragssumme oder andernfalls, wenn also das Bauvorhaben nicht vollendet wird, unverzüglich nach Zahlung des dem erreichten Bautenstand entsprechenden Teils der geschuldeten Vertragssumme durch den Auftraggeber. Im letzteren Falle kann sich im Übrigen nach § 3 Abs. 1 MaBV der Kreditgeber noch vorbehalten, seinerseits an Stelle der Freistellung alle vom Auftraggeber bereits geleisteten Zahlungen bis zum anteiligen Wert des Vertragsobjektes zurückzuzahlen. Die zur Sicherung der Freistellung erforderlichen Erklärungen müssen dem Auftraggeber ausgehändigt werden, und wenn sie bereits bei Abschluss des notariellen Vertrages vorliegen, muss hierauf im Vertrag ausdrücklich Bezug genommen oder im Vertrag ein ausdrücklicher Hinweis auf die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zur Aushändigung der Erklärungen und deren notwendigen Inhalt enthalten sein. Schließlich ist Voraussetzung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 MaBV für die Inanspruchnahme von Vermögenswerten des Auftraggebers die Erteilung der Baugenehmigung oder eine Bestätigung der zuständigen Behörde dahingehend, dass eine Baugenehmigung nicht erforderlich ist oder als erteilt gilt oder dass nach den baurechtlichen Vorschriften mit dem Bau begonnen werden darf. Dabei kann die vorgenannte behördliche Bestätigung, wenn diese nicht vorgesehen ist, auch durch eine schriftliche Bestätigung des Bauträgers ersetzt werden dahingehend, dass die Baugenehmigung als erteilt gilt oder nach den baurechtlichen Vorschriften mit dem Bauvorhaben begonnen werden darf. Allerdings muss nach Eingang dieser Bestätigung beim Auftraggeber mind. ein Monat vergangen sein. Umstritten ist, ob die erteilte Baugenehmigung auch bereits rechtskräftig sein muss. Diese vier wesentlichen Sicherungspflichten treffen den Bauträger zum Schutze seines Auftraggebers und von dessen Vermögenswerten.
232 5.1.2.2.3
5 Die Grundstücksbebauung Raten nur nach Baufortschritt
Wenn der Bauträger gem. § 3 Abs. 1 MaBV die Voraussetzungen geschaffen hat, um Vermögenswerte des Auftraggebers in Anspruch zu nehmen, so darf er dies jedoch auch nur im Rahmen der im Einzelnen in § 3 Abs. 2 MaBV vorgeschriebenen Raten nach Baufortschritt tun und nicht zu Lasten des Auftraggebers von den dort genannten Vorschriften abweichen. Die seit 1997 weiter ausdifferenzierte Vorschrift über die Prozentsätze der Inanspruchnahme nach Baufortschritt (Zahlungsplan) beinhaltet nunmehr höchstens sieben Raten, die der Bauträger entsprechend dem Baufortschritt entgegennehmen darf, wobei die höchstens sieben Raten im Einzelnen sich aus den in der MaBV (§ 3 Abs. 2 Satz 2) aufgeführten Prozentsätzen nach den dort genannten 13 Bauabschnitten ergeben und in den dort genannten Ratenhöhen für die Bauabschnitte (in Prozentsätzen) gestaltet werden können. Die in § 3 Abs. 2 Satz 2 MaBV im Einzelnen genannten Bauabschnitte können allerdings nicht zu Ungunsten des Auftraggebers weiter aufgegliedert werden. Das Gleiche gilt für die im Hinblick auf die einzelnen Bauabschnitte genannten Prozentsätze. Es können lediglich Bauabschnitte und damit auch Prozentsätze zusammengefasst werden, wobei natürlich vom Bauträger sichergestellt sein muss, dass diese Bauabschnitte dann auch bei Inanspruchnahme der entsprechenden Rate erbracht sind. Bei den in § 3 Abs. 2 Satz 2 MaBV genannten Prozentsätzen handelt es sich um Höchstbeträge. Die dort genannten Prozentsätze beziehen sich auf den zwischen Bauträger und Auftraggeber vereinbarten Gesamtpreis im Bauträgervertrag, umfassen also auch das Grundstück. Im Einzelnen können also die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 MaBV genannten bis zu sieben Raten zwischen Bauträger und Auftraggeber im Rahmen der zu den einzelnen Bauabschnitten festgelegten Höchstprozentsätze nach § 3 Abs. 2 Satz 2 MaBV zusammengestellt werden. 5.1.2.2.4
Befreiungsmöglichkeiten
Allerdings gibt die MaBV in § 7 eine eigene Ausnahmevorschrift, die es dem Baubetreuer und dem Bauträger ermöglicht, sich von den Sicherungspflichten nach §§ 2 und 3 MaBV zu befreien. Dies ist gem. § 7 Abs. 1 MaBV dann möglich, wenn der Baubetreuer und der Bauträger Sicherheit leisten für alle etwaigen Ansprüche des Auftraggebers auf Rückzahlung seiner Vermögenswerte durch Beibringung einer Bürgschaft einer Bank oder Versicherung. Eine weitere Befreiungsmöglichkeit besteht, wenn der Auftraggeber eine juristische Person des öffentlichen Rechts, ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen oder ein in das Handelsregister oder Genossenschaftsregister eingetragener Kaufmann ist und der Auftraggeber in gesonderter Urkunde auf die Sicherungspflichten verzichtet hat (§ 7 Abs. 2 MaBV). In der Praxis wird von diesen Ausnahmevorschriften häufig Gebrauch gemacht. Insbesondere kann der Bauträger in diesem Falle schon frühzeitiger, als es § 3 Abs. 1 MaBV zulassen würde, Vermögenswerte des Auftraggebers in Anspruch nehmen und überdies einen von § 3 Abs. 2 MaBV abweichenden Zahlungsplan mit dem Auftraggeber vereinbaren. 5.1.2.2.5
Vermögenswerte des Auftraggebers nur für sein Bauvorhaben
Der Baubetreuer und der Bauträger dürfen Vermögenswerte des Auftraggebers nur für das konkrete Bauvorhaben verwenden, auf das sich der Auftrag bezieht. Der Baubetreuer darf darüber hinaus Vermögenswerte der Auftraggeber, wenn sich das Bauvorhaben auf mehrere
5.1 Die Baubetreuung
233
Auftraggeber bezieht, nur im Verhältnis der Kosten der einzelnen Einheiten zu den Gesamtkosten des Bauvorhabens verwenden (§ 4 MaBV). Auch von diesen Verpflichtungen können sich Baubetreuer und Bauträger gem. der Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 MaBV befreien. 5.1.2.2.6
Getrennte Vermögensverwaltung
Gem. § 6 MaBV hat der Gewerbetreibende solche Vermögenswerte, die er von seinem Auftraggeber erhält, von seinem eigenen Vermögen und dem Vermögen seiner sonstigen Auftraggeber getrennt zu verwalten. Diese Vorschrift gilt allerdings nicht für Bauträger, die Vermögenswerte ihres Auftraggebers vertragsgemäß lediglich im Rahmen des Zahlungsplans gem. § 3 Abs. 2 MaBV entgegengenommen haben. Sofern der Baubetreuer oder Bauträger von den Ausnahmebestimmungen des § 7 Abs. 1 oder 2 MaBV Gebrauch macht, entfällt seine Verpflichtung aus § 6 MaBV. 5.1.2.2.7
Rechnungslegung
Grundsätzlich hat der Gewerbetreibende gem. § 8 MaBV über die von seinem Auftraggeber entgegengenommenen Vermögenswerte und deren Verwendung nach Beendigung des Auftrages Rechnung zu legen. Diese Verpflichtung entfällt allerdings, wenn der Auftraggeber nach Beendigung des Auftrages entweder schriftlich auf die Rechnungslegung verzichtet hat oder wenn sich der Gewerbetreibende und der Auftraggeber auf einen Festpreis geeinigt haben. Dies ist i. d. R. bei Bauträgerverträgen der Fall. 5.1.2.2.8
Verstöße
Verstöße des Baubetreuers oder Bauträgers gegen die zwingenden Vorschriften der MaBV werden als Ordnungswidrigkeiten gem. § 18 MaBV geahndet und können überdies auch Straftatbestände erfüllen, wie z. B. Betrug, Untreue oder Unterschlagung. Darüber hinaus können den Gewerbetreibenden gewerberechtliche Maßnahmen zur Entziehung der Gewerbeerlaubnis nach § 34 c GewO treffen. Zivilrechtlich bleibt nach herrschender Ansicht das Vertragswerk auch bei Verstößen gegen die MaBV wirksam, wobei nur die gegen die zwingenden Vorschriften der MaBV im Einzelnen verstoßenden Vertragsbestimmungen unwirksam sind. Die Regelung des § 139 BGB, wonach bei Teilunwirksamkeit von Verträgen im Zweifel anzunehmen ist, dass die Verträge insgesamt unwirksam sind, trifft hier deshalb nicht zu, weil davon auszugehen ist, dass jedenfalls der Auftraggeber den Vertrag auch dann geschlossen hätte, wenn von vornherein die zwingenden Vorschriften der MaBV beachtet worden wären. An die Stelle der unwirksamen Bestimmungen treten aber nicht notwendig die Bestimmungen der MaBV. Beispielsweise hat der BGH entschieden, dass an die Stelle einer Abschlagszahlungsvereinbarung, die gegen § 3 Abs. 2 MaBV verstößt, die Vorschrift des § 641 BGB tritt. Überdies muss der Gewerbetreibende mit Schadensersatzansprüchen rechnen, wenn sein Auftraggeber durch die Verstöße gegen die MaBV Schäden erlitten hat und diese schuldhaft (also zumindest fahrlässig) von dem Gewerbetreibenden verursacht wurden.
234
5.1.3
5 Die Grundstücksbebauung
Der Bauträgervertrag
Im Rahmen der vorstehend erörterten öffentlich-rechtlichen Vorschriften kann nunmehr die Baubetreuung mit dem Auftraggeber im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zivilrechtlich vertraglich geregelt werden. Hier ist zunächst der Bauträgervertrag zu behandeln als der heute im Mittelpunkt der Baubetreuung im weiteren Sinne stehende Vertragstypus. Dagegen hat die Baubetreuung im engeren Sinne (Bauherrenmodelle), auf die unten unter 7.1.4 einzugehen sein wird, an wirtschaftlicher Bedeutung gegenüber ihrer Blütezeit in den siebziger Jahren verloren. 5.1.3.1
Begriff und Rechtsnatur des Bauträgervertrages
Der Begriff des Bauträgervertrages ist gesetzlich nicht definiert, obwohl das Gesetz (GewO, MaBV) diesen Begriff durchaus verwendet. Nicht nur in der immobilienrechtlichen Literatur, sondern auch in den Bereichen des Steuerrechts und der Bauwirtschaft spricht man vom Bauträger, allerdings häufig in unterschiedlicher Ausprägung. Dies liegt daran, dass das Verhältnis zwischen Bauträger und Erwerber von einer Vielzahl von rechtlichen Bestimmungen geprägt wird, die verschiedenen Vertragstypen entstammen. Damit stellt sich auch die Frage nach der Rechtsnatur des Bauträgervertrages, deren Beantwortung insbesondere Bedeutung hat für die Anwendung von gesetzlichen Vorschriften, die entweder zwingendes Recht sind oder die zur Anwendung gelangen, weil die Vertragsparteien keine eigenen vertraglichen Regelungen geschaffen haben. 5.1.3.1.1
Begriff
Wie schon dargestellt, ist der Bauträgervertrag unter dem Oberbegriff der Baubetreuung im weiteren Sinne einzuordnen. Auch er enthält Elemente der Baubetreuung, also der entgeltlichen Geschäftsbesorgung i. S. d. § 675 BGB. Dennoch unterscheidet sich der Bauträgervertrag nicht unerheblich von der Baubetreuung im engeren Sinne, wozu bereits § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GewO Anzeichen bietet. Während der Baubetreuer im engeren Sinne einen Bauherrn betreut und für ihn Verträge in fremdem Namen und auf fremde Rechnung abschließt, handelt der Bauträger grundsätzlich im eigenen Namen und i. d. R. auch für eigene Rechnung bei der Durchführung des Bauvorhabens. Während also der Baubetreuer im engeren Sinne dafür sorgt, dass Verträge zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmen direkt abgeschlossen werden, schließt der Bauträger Verträge mit den am Bau Beteiligten im eigenen Namen ab. Denn der Bauträger errichtet ein Gebäude im eigenen Namen – i. d. R. auch auf eigenem Grundstück – und verpflichtet sich, Grundstück und Gebäude nach Fertigstellung an den Erwerber zu übertragen. Insofern besteht seitens des Erwerbers lediglich eine unmittelbare Rechtsbeziehung zu dem Bauträger und nicht zu den am Bau Beteiligten. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Bauträger bereits während der Bauphase Mittel des Erwerbers in Anspruch nimmt. Wenn der Bauträger sich das Entgelt erst Zug um Zug gegen Übergabe des Grundstücks und des auf diesem fertig gestellten Gebäudes zahlen lässt, handelt es sich um einen sog. „Vorratsbau“. Während der Bauphase werden also insofern keine Mittel des Erwerbers in Anspruch genommen. Deshalb benötigt auch ein derartiger Bauträger nicht die besondere Gewerbeerlaubnis nach § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a GewO. Anders aber bei dem „Treuhandbau“, bei dem der Bauträger bereits während der Bauphase finanzielle Mittel des Erwerbers erhält und diese also wie ein Treuhänder aufgrund der be-
5.1 Die Baubetreuung
235
sonderen Bestimmungen der MaBV zu verwalten hat. Hierfür benötigt der Bauträger die besondere Gewerbeerlaubnis nach § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a GewO. Beim Treuhandbau handelt es sich um die wesentliche Erscheinungsform der Bauträgerschaft. Der Vorratsbau kommt insbesondere bei Gewerbeobjekten vor. Bauträger ist demnach, wer gewerbsmäßig auf Grundstücken, die nicht dem Erwerber, sondern dem Bauträger selbst gehören, Gebäude im eigenen Namen errichtet und sich gleichzeitig verpflichtet, Grundstück und Gebäude an den Erwerber nach Fertigstellung des Gebäudes zu übertragen. Dies unterscheidet den Bauträger vom Baubetreuer im engeren Sinne, der für den Bauherrn Verträge in dessen Namen und auf dessen Rechnung abschließt und mit dem Bauherrn lediglich durch den Baubetreuungsvertrag verbunden ist. Baubetreuer im engeren Sinne ist also, wer gewerbsmäßig Bauvorhaben in fremdem Namen für fremde Rechnung vorbereitet und durchführt (vgl. auch § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b GewO). 5.1.3.1.2
Rechtsnatur des Bauträgervertrages
Da der Bauträger sich gegenüber dem Erwerber im Bauträgervertrag verpflichtet, diesem ein Grundstück zu übertragen, auf dem Grundstück ein Gebäude (oder eine Wohnung) zu errichten und dieses Gebäude nach Fertigstellung ebenfalls auf den Erwerber zu übertragen, handelt es sich bei dem Bauträgervertrag um einen gemischten Vertrag, der Elemente des Kaufvertrages, des Werkvertrages und der entgeltlichen Geschäftsbesorgung enthält. Dabei hat sich in der Praxis immer wieder die Frage gestellt, welchem Vertragstypus der Bauträgervertrag unterliegen soll – etwa im Hinblick auf die Gewährleistungsrechte –, wenn die Parteien in dem Vertrag nichts ausdrücklich geregelt haben, oder welche zwingenden Gesichtspunkte eine Rolle spielen können, die sich aus dem einen oder anderen Vertragstypus ergeben mögen. Diese Frage spielt seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 eine geringere Rolle als zuvor, weil die Gewährleistungsregeln des Kauf- und des Werkvertragsrechts durch die Reform einander weitgehend angeglichen worden sind. So wäre ein Nachbesserungsanspruch des Erwerbers bei Baumängeln jetzt nicht mehr nur nach Werkvertragsrecht, sondern auch nach Kaufrecht gegeben. Ferner bestünden Schadensersatzansprüche für den Erwerber jeweils generell bei einer Pflichtverletzung. Schließlich sind jetzt die Gewährleistungsfristen mit fünf Jahren im Kauf- und im Werkvertragsrecht identisch. Der wichtigste verbleibende Unterschied zwischen dem Gewährleistungsrecht bei Kaufund bei Werkverträgen betrifft die Abgrenzung zwischen dem Erfüllungs- und dem Gewährleistungsstadium: Während im Kaufrecht der Übergang von Erfüllungs- zu Gewährleistungsansprüchen schon mit der Übergabe erfolgt, sieht das Werkvertragsrecht als Schnittstelle ausdrücklich die Abnahme vor. Daher begänne die Verjährungsfrist nach Kaufrecht mit der Übergabe, nach Werkvertragsrecht aber erst mit der Abnahme des Bauwerks zu laufen. Ferner liegt das Wahlrecht zwischen den Formen der Nacherfüllung (Mängelbeseitigung oder Neuherstellung) im Kaufrecht beim Käufer (Erwerber), im Werkvertragsrecht hingegen beim Unternehmer (Bauträger). Außerdem sieht nur das Werkvertragsrecht einen Anspruch des Unternehmers auf Abschlagszahlungen vor. Wenn auch der Bauträgervertrag im Rahmen der Grundstücksübertragung kaufvertragliche Elemente enthält, so ist doch nicht zu verkennen, dass die Verpflichtung des Bauträgers zur Errichtung des Bauvorhabens im Mittelpunkt steht und deshalb die Anwendung des Werkvertragsrechts jedenfalls für diesen Bereich vorrangig ist. Die Rechtsprechung hat
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5 Die Grundstücksbebauung
den Bauträgervertrag daher im Wesentlichen den Regelungen des Werkvertragsrechts unterstellt und allenfalls die Regelungen über die Übertragung des Grundstückes unter dem Gesichtspunkt des Kaufrechts betrachtet. So sieht es auch die überwiegende Literatur. Insbesondere hat auch die Schuldrechtsreform nichts daran geändert, dass der Bauträgervertrag zwar ein einheitlicher, aber gemischter Vertrag ist. Daraus folgt zum einen, dass auf dessen Elemente jeweils die spezifischen gesetzlichen Regelungen Anwendung finden. Zum anderen kann von dem Bauträgervertrag grundsätzlich nur einheitlich zurückgetreten werden. Der BGH hat allerdings entschieden, dass eine isolierte Kündigung der Bauerrichtungsverpflichtung unter Beibehaltung des Rechts auf Übertragung des Grundstückes zwar nicht nach § 649 BGB, aber aus wichtigem Grund möglich sein soll. Festzuhalten ist also, dass jedenfalls auf die Verpflichtung des Bauträgers zur Errichtung des Bauwerks das Gewährleistungsrecht des Werkvertragsrechts des BGB Anwendung findet und nur in Ausnahmefällen einmal hinsichtlich der Übertragung des Grundstückes isoliertes Gewährleistungsrecht des Kaufrechts zur Anwendung gelangen kann. Innerhalb des Werkvertragsrechts ist der Bauträgervertrag als Werklieferungsvertrag über eine nicht vertretbare Sache zu charakterisieren i. S. d. § 651 Satz 3 BGB mit der Folge der Anwendbarkeit der wesentlichen Vorschriften des Werkvertragsrechts. 5.1.3.1.3
Abgrenzung von anderen Vertragstypen
Der Bauträgervertrag unterscheidet sich von dem typischen Generalunternehmervertrag dadurch, dass beim Generalunternehmervertrag der Bauherr den Unternehmer mit der Erstellung eines Bauvorhabens beauftragt. Der Bauherr trägt das typische Bauherrenrisiko, während der Generalunternehmer einzelne Gewerke an Subunternehmer vergeben kann. Die Erstellung des Bauvorhabens erfolgt auf der Grundlage der von dem Bauherrn oder seinem beauftragten Architekten gelieferten Planung. Für die Tätigkeit als Generalunternehmer ist eine Gewerbeerlaubnis nach § 34 c GewO nicht erforderlich. Der Bauträgervertrag unterscheidet sich auch vom Generalübernehmervertrag, der hier so verstanden werden soll, dass der Generalübernehmer neben der Stellung als Generalunternehmer auch noch die planerischen Tätigkeiten übernimmt (von manchen Autoren auch als „Totalunternehmer“ bezeichnet). Auch der Generalübernehmer kann einzelne Gewerke, aber auch die Errichtung des Bauvorhabens insgesamt an Subunternehmer vergeben. Auch der Generalübernehmer benötigt nicht die Gewerbeerlaubnis nach § 34 c GewO. Während der Bauträger also selbst als Bauherr das Bauvorhaben errichtet oder durch Dritte errichten lässt, steht dem Generalübernehmer und Generalunternehmer immer der Bauherr gegenüber, der mit ihm den Bauvertrag schließt. 5.1.3.2
Abschluss des Bauträgervertrages
Beim Abschluss des Bauträgervertrages ist das strenge Formerfordernis der notariellen Beurkundung zu beachten. Weiterhin spielen hier die zivilrechtlichen Schutzvorschriften eine Rolle, die aus den Leitgedanken des Verbraucherschutzes entwickelt und als Regelungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) mittlerweile Eingang in das BGB gefunden haben. Schließlich ist zu beachten, ob die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB), insbesondere deren Teil B, von den Parteien an die Stelle des Werkvertragsrechts gesetzt werden kann.
5.1 Die Baubetreuung 5.1.3.2.1
237
Form
Gem. § 311 b Abs. 1 BGB ist die notarielle Beurkundung von Verträgen erforderlich, bei denen sich ein Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben. Da dies beim Bauträgervertrag der Fall ist, es sich darüber hinaus bei der Verpflichtung des Bauträgers zur Errichtung des Bauvorhabens selbst um einen untrennbaren Teil des damit verbundenen Grundstücksgeschäftes handelt, bedarf der Bauträgervertrag insgesamt der notariellen Beurkundung. Es handelt sich um ein einheitliches Geschäft, da der eine Teil (hier: Grundstücksübertragung) nicht ohne den anderen Teil (hier: Bauerrichtungsverpflichtung) abgeschlossen würde. Die Verpflichtung zur notariellen Beurkundung ist umfassend. Sie ergreift auch etwaige Vorverträge oder auch Anzahlungsvereinbarungen und selbstverständlich auch ein einseitiges Angebot eines Vertragsteils und dessen Annahme, die beide notariell beurkundet sein müssen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Erfordernis der Vollständigkeit der Beurkundung. Alle mit dem Grundstücksgeschäft zusammenhängenden Verpflichtungen müssen vollständig notariell beurkundet sein, wobei nicht alle Bestimmungen unbedingt in einer einzigen notariellen Urkunde zusammengefasst werden müssen, sondern sich auch in mehreren notariellen Urkunden befinden können. Sofern neben den Bestimmungen, die notariell beurkundet worden sind, noch sonstige mit dem Grundstücksgeschäft im Zusammenhang stehende Vereinbarungen ohne Beachtung der notariellen Beurkundungsform getroffen wurden, sind diese gem. § 125 BGB unwirksam. Daneben ist auch der notariell beurkundete Vertrag deshalb unwirksam, weil er nicht vollständig beurkundet war. Deshalb muss in der Praxis in jedem Einzelfall geprüft werden, ob mit dem Grundstücksgeschäft untrennbare weitere Vereinbarungen getroffen worden sind, die vielleicht ihrerseits isoliert nicht der Form der notariellen Beurkundung bedürften, diese aber nun doch gem. § 311 b Abs. 1 BGB einhalten müssen, weil das Grundstücksgeschäft nicht ohne diese weiteren Bestimmungen abgeschlossen worden wäre. Ein typischer Fall hierfür ist das sog. Sale-and-Lease-Back-Geschäft bei Grundstücken, bei denen dann auch der Mietvertrag oder Leasingvertrag notariell zu beurkunden ist. Das Vollständigkeitserfordernis der notariellen Beurkundung bei Grundstücksverträgen kann also in seiner Bedeutung in der Praxis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Soll der so beurkundete Bauträgervertrag in der Folge geändert werden, so ist nicht unumstritten, ob und inwieweit derartige Änderungen ihrerseits wiederum der notariellen Beurkundung unterliegen. Wenn bereits die Auflassung, also die Einigung über den Eigentumsübergang zwischen Veräußerer und Erwerber i. S. d. § 925 BGB erklärt wurde und die Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch erfolgt ist, soll jede Änderung des notariellen Vertrages formfrei möglich sein (Argument aus § 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB). Nach wohl herrschender Meinung soll grundsätzlich auch dann eine Änderung des notariellen Vertrages formfrei möglich sein, wenn zwar die Auflassung schon in notarieller Urkunde erklärt, der Erwerber aber noch nicht als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Nach dieser Ansicht ist jedoch jede Änderung des notariellen Vertrages vor Erklärung der Auflassung formbedürftig. Nur eine Minderansicht vertritt die Meinung, dass vor Erklärung der Auflassung ein Formzwang nur besteht, wenn die Änderungen die Übereignungsverpflichtung, die Annahmeverpflichtung oder die Zahlungsverpflichtung betreffen.
238
5 Die Grundstücksbebauung
In der Praxis wird der Bauträgervertrag immer mehr dadurch gekennzeichnet, dass die wesentlichen Anlagen, auf die der Vertrag Bezug nimmt (z. B. Baubeschreibung, Planunterlagen, Baugenehmigung), in einer sog. Bezugsurkunde gem. § 13 a Beurkundungsgesetz zusammengefasst werden, auf die dann in dem Bauträgervertrag lediglich verwiesen wird. Es ist selbstverständlich, dass diese Bezugsurkunde dem Erwerber zur Verfügung gestellt und von diesem auch vor Beurkundung des Bauträgervertrages durchgesehen werden muss. Der Vorteil einer derartigen Bezugsurkunde besteht darin, dass bei einer Vielzahl gleicher Erwerbsvorgänge nicht in jedem Falle die Anlagen jedem Bauträgervertrag beigefügt und damit von dem beurkundenden Notar verlesen werden müssen. In der Bezugsurkunde kann auch bei der Veräußerung von Wohnungseigentum die Teilungserklärung, bei der Veräußerung eines Erbbaurechtes der Erbbaurechtsvertrag aufgenommen werden. 5.1.3.2.2
AGB-Prüfung
Im Zusammenhang mit dem immer stärker in den Vordergrund tretenden Schutzbedürfnis des Erwerbers einer Bauträgermaßnahme sind nun nicht nur öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber geschaffen worden, sondern auch nach den Leitgedanken des Verbraucherschutzes die Vorschriften zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) – nach der Schuldrechtsreform: §§ 305 ff. BGB – immer häufiger angewandt worden, welche die Vertragsfreiheit bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht unerheblich einschränken und dadurch denjenigen schützen, demgegenüber die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Verwendung finden sollen. Die AGB-Vorschriften gelten bei Individualvereinbarungen nicht, sondern nur, wenn Bestimmungen in einer „Vielzahl“ von Fällen verwendet werden sollen und damit Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. Gesetzes sind (§ 305 BGB). Allerdings hat die Rechtsprechung eine solche Vielzahl schon dann angenommen, wenn gleichartige Vertragsbestimmungen in drei oder mehr Fällen verwendet werden sollen. Zu beachten ist, dass bereits die bloße Absicht einer Mehrfachverwendung genügt, so dass bereits die erstmalige Verwendung den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eröffnen kann. Dies bedeutet, dass bei sehr vielen Bauträgermaßnahmen die AGB-Vorschriften zu berücksichtigen sind, da gleichartige Notarurkunden dann als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu charakterisieren sind. Derartige Bauträgerverträge sind, wenn sie mit Verbrauchern i. S. d. § 13 BGB abgeschlossen werden, insbesondere auf folgende Bestimmungen zu prüfen: § 305 c Abs. 1 BGB bestimmt, dass Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders der Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit ihnen nicht zu rechnen brauchte (Unwirksamkeit von überraschenden Klauseln). Gem. § 305 c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders (Unklarheiten zu Lasten des Verwenders). § 309 BGB enthält eine Aufzählung von Klauselverboten, die im Einzelnen zwingendes Recht beinhalten und entgegenstehende Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam werden lassen (Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit). Darüber hinaus enthält auch § 308 BGB eine Liste mit Klauselverboten, durch die allerdings Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann unwirksam werden, wenn
5.1 Die Baubetreuung
239
die Bewertung eine unangemessene Benachteiligung desjenigen zum Ergebnis hat, demgegenüber die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet werden (Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit). Schließlich ist § 307 BGB zu beachten, wonach grundsätzlich Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Diese Generalklausel fängt also alle unangemessenen Bestimmungen auf und macht sie unwirksam, wenn die Bestimmungen nicht schon nach den vorangegangenen Prüfungsmaßstäben der §§ 305 c Abs. 1 und 2, 308 und 309 BGB unwirksam sind. Es handelt sich bei § 307 BGB um eine typische Generalklausel. Sollen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, also die „Vielzahl“ von gleichartigen Bauträgerverträgen gegenüber einem Unternehmer bei Ausübung seiner gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts verwendet werden, finden zwar die vorgenannten Vorschriften der §§ 308 und 309 BGB keine unmittelbare Anwendung (§ 310 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie sind aber im Rahmen des § 307 BGB zu berücksichtigen (§ 310 Abs. 1 Satz 2 BGB). Im Übrigen bleibt der Prüfungsmaßstab von § 305 c Abs. 1und 2 sowie § 307 BGB auch gegenüber derartigen Personen erhalten. 5.1.3.2.3
Anwendbarkeit der VOB Teil B
Die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) enthält in Teil B Vertragsbestimmungen, die typischerweise zwischen Bauherr und Bauunternehmen gelten können. Es handelt sich rechtlich dabei um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die ausdrücklich zwischen den Vertragsparteien zu vereinbaren sind. Insbesondere die Gewährleistungsregeln der VOB/B und die Gewährleistungsfrist weichen von den Vorschriften des Werkvertragsrechts des BGB ab. Während in Verträgen über die Errichtung eines Bauwerkes häufig die VOB/B vereinbart wird, stellt sich die Frage, ob dies auch für Bauträgerverträge gelten kann, bei denen der Erwerber deshalb besonders schützenswert ist, weil er noch nicht Eigentümer des Grundstückes ist, dennoch aber finanzielle Mittel bereits zur Errichtung des Bauvorhabens an den Bauträger zu entrichten hat. Die Rechtsprechung hat bislang jedenfalls deutlich gemacht, dass von dem Werkvertragsrecht des BGB abweichende Regelungen der VOB/B hinsichtlich der Gewährleistung nicht Vertragsinhalt bei einem Bauträgervertrag werden können, sondern es insoweit bei dem Werkvertragsrecht des BGB bleibt. Ob dies auch zur Konsequenz hat, dass die Regelungen der VOB/B überhaupt nicht als Allgemeine Geschäftsbedingungen in dem Bauträgervertrag vereinbart werden können, hat die Rechtsprechung bisher offen gelassen. In der Konsequenz wird dies aber zu bejahen sein, weil die VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann nicht der Inhaltskontrolle der AGB-Vorschriften und damit der Gerichte unterliegen, wenn sie insgesamt, d. h. ohne Änderungen oder Abstriche vereinbart werden. Da die Rechtsprechung aber in jedem Falle die Gewährleistungsrechte und -fristen dem Werkvertragsrecht des BGB zwingend unterstellen will, dürfte auch die übrige Anwendbarkeit der VOB/B im Bauträgervertrag ausgeschlossen sein. Im Übrigen dürfte es jedenfalls in Verträgen mit Verbrauchern mit § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht zu vereinbaren sein, sollte man die VOB/B insgesamt im Bauträgervertrag vereinbaren.
240 5.1.3.3
5 Die Grundstücksbebauung Bestimmung des Vertragsgegenstandes
Vertragsgegenstand des Bauträgervertrages ist sowohl die Veräußerung eines Grundstückes an den Erwerber als auch die Verpflichtung des Bauträgers zur Errichtung eines Bauvorhabens. Hierbei ist der genaue Gegenstand des Vertrages möglichst detailliert zu beschreiben. Hinsichtlich des Grundstückes kann allerdings auf das Grundbuch Bezug genommen werden, wenn ein dort verzeichnetes Flurstück veräußert werden soll. Wenn es sich allerdings dabei nur um ein Trennstück aus einem Flurstück handeln sollte und dieses noch nicht vermessen ist, bedarf auch die Bezeichnung des Trennstückes einer genauen Charakterisierung durch Circa-Angabe der Grundstücksgröße und Beifügung eines Lageplans mit Einzeichnung der von den Parteien beabsichtigten Grundstücksgrenzen. Der Erwerber muss darauf achten, ob für die Teilung des Flurstückes einer Teilungsgenehmigung Hindernisse entgegenstehen könnten, was durch entsprechende Nachfragen bei dem für die Erteilung der Teilungsgenehmigung zuständigen Amt erfolgen sollte. Sofern Wohnungseigentum veräußert werden soll, ist die Bezugnahme auf die Teilungserklärung und deren Bestimmungen erforderlich. Der Erwerber muss die Teilungserklärung inhaltlich zur Kenntnis nehmen, damit in dem Bauträgervertrag nicht ein Vertragsgegenstand beschrieben wird, der mit der Teilungserklärung nicht im Einklang steht. Das Gleiche gilt bei der Veräußerung eines Erbbaurechts für den Erbbaurechtsvertrag. Schließlich ist zu regeln, ob Zubehör zu dem Grundstück mit veräußert werden soll, was mangels einer besonderen Bestimmung gem. § 311 c BGB der Fall wäre. Besondere Sorgfalt ist beim Bauträgervertrag jedoch auch auf die Beschreibung des zu errichtenden Gebäudes zu verwenden. Zumindest sollten eine Baubeschreibung, die Baupläne und ggf. die Baugenehmigung dem Bauträgervertrag entweder unmittelbar oder über den Weg einer Bezugsurkunde beigefügt werden. Wie detailliert die Baubeschreibung im Einzelnen sein sollte, wird nur anhand des einzelnen Bauvorhabens entschieden werden können. Jedenfalls sollte aus der Baubeschreibung oder aus dem Bauträgervertrag selbst der Qualitätsstandard hervorgehen, nach dem sich das Bauwerk und seine einzelnen Teile richten sollen, selbst wenn die Baubeschreibung hierzu im Einzelfalle einmal nichts sagen sollte. Es ist deshalb sehr häufig zweckmäßig, hinsichtlich des Qualitätsstandards ein konkretes Referenzobjekt im Bauträgervertrag zu benennen. Im Hinblick auf die Beschreibungen des zu errichtenden Gebäudes sollte geklärt sein, welche Beschreibung Vorrang hat, falls Widersprüche auftreten. Hier könnte den Bauplänen die entscheidende Bedeutung beigemessen werden, wenn etwa die Baubeschreibung Widersprüche zu den Bauplänen enthalten sollte. Soweit allerdings Auflagen oder Bedingungen der Baugenehmigung die Baupläne wiederum ändern, muss es deutlich sein, dass derartige öffentlich-rechtliche Bestimmungen in jedem Falle den Vorrang haben müssen, selbst wenn die Planungen oder die Baubeschreibung diesen Auflagen und Bedingungen nicht im Einzelnen nachgekommen sein sollten. Die Beschreibung des Gegenstandes des Bauträgervertrages sollte schließlich auch etwaige Zusatzwünsche des Erwerbers enthalten, die bereits bei Vertragsabschluss mit dem Bauträger vereinbart sind.
5.1 Die Baubetreuung 5.1.3.4
241
Entgelt und Zahlung
Auf die Regelungen hinsichtlich des Entgelts und der Zahlungsmodalitäten ist deshalb besonderes Gewicht zu legen, weil der Bauträgervertrag sowohl die Übertragung eines Grundstückes als auch eines zu errichtenden Gebäudes vorsieht, also mehrere Gegenleistungen, die mit dem Entgelt insgesamt vergütet werden sollen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Bauträger das Entgelt nicht erst bei Übertragung des Grundstückes und Gebäudes auf den Erwerber, sondern bereits vorher in Teilbeträgen sich versprechen lassen will. Schließlich sind Regelungen bei Zahlungsrückstand und auch Sicherungsrechte zu berücksichtigen. 5.1.3.4.1
Preis
I. d. R. wird zwischen dem Bauträger und dem Erwerber ein Festpreis für die Leistungen des Bauträgers vereinbart. Für den Bauträger hat eine solche Festpreisvereinbarung den Vorteil einer eindeutigen und dem Streit über Angemessenheit entzogenen Regelung. Weiterhin braucht der Bauträger in diesem Falle nicht gem. § 8 Abs. 2 MaBV nach Abschluss der Bauträgermaßnahme spezifisch Rechnung zu legen. Nachteilig für den Bauträger ist allerdings eine Festpreisvereinbarung dann, wenn sich während der Bauerrichtung erhebliche Lohnoder Materialpreiserhöhungen ergeben, weil diese nicht an den Erwerber weitergegeben werden können. Zudem ist es bei einer Festpreisregelung zweckmäßig, zwischen den Parteien das Risiko von unerwarteten Störungen auf der Baustelle zu verteilen, etwa dann, wenn sich der Baugrund nicht als ausreichend tragfähig erweist oder durch nachbarrechtliche oder denkmalschützende Maßnahmen Verzögerungen bei der Durchführung des Bauvorhabens eintreten. Neben der Vereinbarung eines Festpreises kommt auch die Vereinbarung eines Pauschalpreises in Betracht, die häufig mit der Festpreisvereinbarung gekoppelt wird. Eine Pauschalpreisvereinbarung bedeutet, dass das Bauvorhaben schlüsselfertig und betriebsbereit herzustellen ist und dass dazu alle Maßnahmen gehören, die für die Erstellung eines derartigen schlüsselfertigen und betriebsbereiten Gebäudes notwendig sind, auch wenn sie nicht ausdrücklich in den vertraglichen Vereinbarungen, z. B. in der Baubeschreibung, enthalten sind. Hier können sich allerdings Probleme dann ergeben, wenn der Qualitätsstandard der Ausstattung nicht oder nicht ausreichend beschrieben ist. Auch insofern empfiehlt sich die Vereinbarung eines Referenzobjektes. Während Erhöhungsklauseln hinsichtlich des Preises – etwa bei nach Vermessung festgestellter höherer Quadratmeterzahl des Grundstückes oder bei späteren, nicht schon bei Vertragsabschluss bekannten Zusatzwünschen des Erwerbers beim Bauvorhaben – unter gleichzeitiger Vereinbarung von angemessenen Maßstäben im Vertrage vorgesehen werden können, kommt es bei späteren Minderleistungen des Bauträgers häufig zu Konfliktsituationen im Hinblick auf eine angemessene Herabsetzung des vereinbarten Preises. Da der Bauträger i. d. R. nicht bereit sein wird, seine interne Kalkulation offen zu legen, kann der Erwerber auch nicht objektivierte Maßstäbe zur Preisminderung aus dem Vertragswerk selbst ermitteln. Insofern wird es sehr häufig der Einschaltung eines Sachverständigen bedürfen, der allerdings auch schon im Vertrage als Schiedsgutachter vorgesehen werden kann, um derartige Konflikte endgültig zu entscheiden. Ein solcher Schiedsgutachter kann auch dann zur Ermittlung eines angemessenen Mehrpreises vorgesehen werden, wenn der Erwerber nach Vertragsabschluss noch Sonderwünsche auf Mehrleistungen hat, die nur der Bauträger
242
5 Die Grundstücksbebauung
selbst im Rahmen der Errichtung des Bauvorhabens erfüllen kann und die später nicht mehr durch Dritte geleistet werden könnten. Hier könnte nämlich der Bauträger durch unangemessene Forderungen dem Erwerber erheblichen Schaden zufügen, weil der Erwerber auf die Leistung des Bauträgers angewiesen ist. Schließlich sollte i. S. steuerlicher Klarheit der Grundstückspreis von dem Bauerrichtungspreis gesondert ausgewiesen werden. Wenn auch die Steuerverwaltung nicht an eine derartige Aufteilung letztlich gebunden ist, so gibt diese doch einen Maßstab an, der i. d. R. nach Plausibilitätsprüfung übernommen werden kann. 5.1.3.4.2
Zahlungsmodalitäten
Beim Bauträgervertrag regelt § 3 Abs. 2 MaBV die einzelnen Zahlungsraten, von denen der Bauträger zu Ungunsten des Erwerbers nicht abweichen darf, wenn denn nicht zwischen Bauträger und Erwerber die Ausnahmevorschriften des § 7 Abs. 1 und 2 MaBV zum Zuge kommen. Unter der Voraussetzung dieser Ausnahmevorschriften kann allerdings zwischen Bauträger und Erwerber ein von den Regelungen des § 3 Abs. 2 MaBV abweichender Zahlungsplan als Anlage zum Bauträgervertrag vereinbart werden. Bei diesem Zahlungsplan sind die Fälligkeiten der Raten gem. dem Baufortschritt zu bestimmen. Die Fälligkeitsvoraussetzungen der einzelnen Raten sind möglichst detailliert zu beschreiben. Vorgesehen werden kann auch die Einschaltung eines Sachverständigen als Schiedsgutachter, der verbindlich für beide Parteien im Konfliktfalle zu entscheiden hat, ob die eine oder andere Rate, deren Bezahlung der Bauträger verlangt, tatsächlich schon fällig ist. Im Übrigen stellt die Verordnung über Abschlagszahlungen bei Bauträgerverträgen (Hausbauverordnung) aus dem Jahr 2001 klar, dass Zahlungspläne, die der Makler- und Bauträgerverordnung genügen, auch nach Verschärfung der allgemeinen Anforderungen an Abschlagszahlungen (§ 632 a BGB) zulässig sind. 5.1.3.4.3
Verzug des Erwerbers
Der Bauträgervertrag wird i. d. R. Bestimmungen darüber enthalten, mit welchen Verzugsfolgen der Erwerber zu rechnen hat, wenn er denn mit einer Teilleistung in Verzug geraten ist. Aber auch wenn der Bauträgervertrag hierüber nichts aussagt, gelten in jedem Falle die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 286 ff. BGB über die Folgen des Verzugs. Hierfür müssen die allgemeinen Verzugsvoraussetzungen (Fälligkeit, Nichtleistung trotz Mahnung, Verschulden) gegeben sein. Verzugszins und Geltendmachung eines weiteren Verzögerungsschadens hat der Erwerber zu gegenwärtigen. Darüber hinaus bleibt dem Bauträger in jedem Falle das gesetzliche Recht, dem Erwerber eine angemessene Nachfrist zu setzen, nach deren fruchtlosem Ablauf der Bauträger zum Schadensersatz oder Rücktritt vom Vertrage berechtigt ist (§ 323 BGB). 5.1.3.4.4
Sicherungen für Zahlungsansprüche
Der Bauträger wird ein großes Interesse daran haben, sich möglichst im Hinblick auf seine Zahlungsansprüche gegenüber dem Erwerber zu sichern. Die in Grundstückskaufverträgen übliche Bestimmung, wonach sich der Erwerber der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwirft und beide Vertragsparteien den Notar bereits in der notariellen Urkunde anweisen, dem Verkäufer auch ohne Nach-
5.1 Die Baubetreuung
243
weis der Fälligkeit eine vollstreckbare Ausfertigung dieser Urkunde zu erteilen, wird von der Rechtsprechung nunmehr in Bauträgerverträgen für unzulässig gehalten. Der Bundesgerichtshof sieht hierin eine Einschränkung der Pflichten des Bauträgers gem. § 3 MaBV, die nicht mit § 1 MaBV im Einklang steht und deshalb unwirksam ist. In Rechtsprechung und Literatur noch nicht geklärt ist die Frage, ob eine Zwangsvollstreckungsunterwerfung dann zulässig ist, wenn der Verkäufer die Fälligkeit nachweisen muss, um eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde zu erhalten. Wenn dagegen der Bauträger sich von dem Erwerber in dem Bauträgervertrag hinsichtlich seiner Zahlungsansprüche Sicherheiten, etwa in Form einer Bankbürgschaft oder durch auf anderen Grundstücken des Erwerbers bestellte Grundpfandrechte, versprechen lässt, so muss unter dem Gesichtspunkt der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu der Zwangsvollstreckungsunterwerfungsklausel letztlich bezweifelt werden, ob nicht auch insofern die Rechte des Erwerbers aus § 3 MaBV zumindest erheblich beschränkt werden. Dies dürfte in jedem Falle dann gelten, wenn der Bauträger sich eine Bürgschaft „auf erstes Anfordern“ versprechen lässt, weil der Bauträger diese Bürgschaft ohne weitere Nachweise jederzeit in Anspruch nehmen könnte. Wenn allerdings die Bürgschaft nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn auch die Hauptschuld fällig ist, dürfte gegen derartige Sicherungsmittel ein Bedenken i. S. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Zwangsvollstreckungsunterwerfungsklausel nicht erhoben werden können. Lässt sich der Bauträger bei Abschluss des Bauträgervertrages von dem Erwerber eine Finanzierungsbestätigung der Bank des Erwerbers übergeben mit dem Inhalt, dass die Bank die Finanzierung des Erwerbs für gesichert hält, erlangt der Bauträger zwar dadurch keine in unmittelbare Liquidität umwandelbare Sicherheit. Immerhin aber kann der Bauträger hieraus entnehmen, dass der Erwerber eine ordnungsgemäße Finanzierung des Erwerbs vorgenommen hat. Eine Sicherungshypothek nach § 648 BGB kommt für den Bauträger deshalb nicht in Betracht, weil er selbst Eigentümer des Grundstückes bis zur Übereignung an den Erwerber bleibt. Diese Übereignung findet ja erst mit der Übergabe des fertig gestellten Bauvorhabens an den Erwerber statt. Auch § 648 a BGB, in dem die Bauhandwerkersicherung geregelt ist, findet auf den Bauträgervertrag keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift soll der Bauhandwerker einen Anspruch auf Sicherheit für Vorleistungen erhalten und das Zurückbehaltungsrecht ausüben können, wenn ihm keine Sicherheit geleistet wird. Für die Errichtung von Einfamilienhäusern ergibt sich die Nichtanwendbarkeit von § 648 a BGB aus dessen Abs. 6 Nr. 2, im Übrigen, also bei Bauträgerverträgen über Eigentumswohnungen, aus einer einschränkenden Auslegung der Vorschrift, die nur den Schutz des auf fremdem Grund bauenden und vorleistenden Unternehmers bezweckt, nicht aber den Schutz des Bauträgers, der auf eigenem Grund baut. 5.1.3.4.5
Verjährung
Der Vergütungsanspruch des Bauträgers verjährt gem. § 196 BGB in zehn Jahren, wobei die Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs beginnt (§ 200 BGB), also mit seiner Fälligkeit. Dementsprechend endet die Verjährungsfrist – anders als die regelmäßige, dreijährige Verjährungsfrist (§§ 195, 199 BGB) – auch nicht zum Jahresende. Beim Bauträgervertrag kommt es auch hinsichtlich der Verjährung auf die Fälligkeit der einzelnen Raten an.
244 5.1.3.5
5 Die Grundstücksbebauung Fertigstellung und Abnahme
Zu den Erfüllungspflichten des Bauträgers gehört insbesondere auch die rechtzeitige Fertigstellung. Mit der Abnahme geht der Bauträgervertrag von der Erfüllungs- in die Gewährleistungsphase über. 5.1.3.5.1
Fertigstellung
Im Bauträgervertrag ist der Fertigstellungstermin zu vereinbaren und für den Erwerber möglichst auch zu sichern. Ist kein Fertigstellungstermin vereinbart, ist dieser aus den Umständen des vereinbarten Bauvorhabens zu ermitteln. In der Praxis finden sich jedoch Bauträgerverträge ohne Vereinbarung eines Fertigstellungstermins äußerst selten. Die Sicherung des Fertigstellungstermins für den Erwerber erfolgt durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe. Insbesondere in Bauträgerverträgen mit einem gewerblichen Erwerber wird i. d. R. eine Vertragsstrafe für jeden Tag der nicht rechtzeitigen Fertigstellung vereinbart, deren Höhe der Erwerber nach dem zu erwartenden finanziellen Verlust bemessen wird. Dagegen wird üblicherweise eine Höchstgrenze der Vertragsstrafe von etwa 5 % des Entgelts für die Errichtung des Bauvorhabens vereinbart. Die Vertragsstrafe ist auf die möglichen weitergehenden Schadensersatzansprüche des Erwerbers, die dieser sich i. d. R. vorbehält, anzurechnen. Eine Herabsetzung der Vertragsstrafe als unangemessen kommt unter Kaufleuten gem. § 348 HGB nicht in Betracht. Neben der Vereinbarung einer Vertragsstrafe wird jedenfalls der gewerbliche Erwerber eine Fertigstellungsgarantie durch die Hausbank des Bauträgers verlangen, die den Erwerber dagegen schützt, dass der Bauträger während der Errichtung des Bauvorhabens nicht mehr dazu in der Lage ist (etwa durch Insolvenz) und das Bauvorhaben durch einen Dritten vollendet werden muss, was immer mit Mehrkosten verbunden ist. Eine derartige Fertigstellungsgarantie wird üblicherweise i. H. v. 10 % des Entgelts für die Errichtung des Bauvorhabens akzeptiert, wenn es sich um eine gewerbliche Bauträgermaßnahme handelt. Daneben verbleiben dem Erwerber die Rechte aus dem Verzug des Bauträgers. Für die Voraussetzungen des Verzuges gelten die schon erwähnten §§ 286 ff. BGB. Der Bauträger muss also mit einer fälligen Leistung nach Mahnung des Erwerbers in Rückstand sein und diesen Rückstand auch verschuldet haben. Der Erwerber kann sodann seinen Verzugsschaden geltend machen. Auf den Verzugsschaden wird allerdings eine vereinbarte Vertragsstrafe anzurechnen sein. Weiterhin ist der Erwerber nach §§ 636, 323 BGB berechtigt, dem Bauträger im Falle des Verzuges des Bauträgers eine angemessene Nachfrist zu setzen. Sollte dann die Nachfrist fruchtlos verstrichen sein, ist der Erwerber zum Rücktritt vom Vertrage oder zur Geltendmachung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung berechtigt. Dieses Recht des Erwerbers kann nicht ausgeschlossen werden. Bei der Geltendmachung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung ist allerdings auch insofern eine etwaig bezahlte Vertragsstrafe anzurechnen. 5.1.3.5.2
Abnahme
Im Rahmen des auf den Bauträgervertrag anzuwendenden Werkvertragsrechts bestimmt die Abnahme gem. § 640 BGB die Schnittstelle zwischen Erfüllung und Gewährleistung. Mit der Abnahme wird das Bauwerk an den Erwerber übergeben. Dieser erklärt gleichzeitig i. d. R. mit der Abnahme, dass er das Werk – wenn auch möglicherweise unter Vorbehalten – als vertragsgerecht hergestellt anerkennt.
5.1 Die Baubetreuung
245
Zwar ist eine besondere Form für die Abnahme nicht vorgesehen. Üblicherweise wird aber ein Abnahmeprotokoll erstellt und von dem Bauträger und dem Erwerber unterzeichnet, in dem der Erwerber auch Mängel vermerken kann, die von dem Bauträger noch zu beseitigen sind. Der Erwerber ist grundsätzlich zur Abnahme verpflichtet, wenn das Bauwerk vollständig hergestellt ist. Das Vorhandensein von lediglich für das Bauvorhaben unwesentlichen Mängeln berechtigt nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme. Durch die Abnahme wird auch die Gewährleistungsfrist in Gang gesetzt. Im Rahmen der Gewährleistung ist der Bauträger verpflichtet, die im Abnahmeprotokoll niedergelegten und von ihm anerkannten Mängel zu beseitigen. Der Bauträger hat, sofern der Bauträgervertrag nichts anderes bestimmt, keinen Anspruch auf Teilabnahmen durch den Erwerber. Häufig wird allerdings in Bauträgerverträgen die Zulässigkeit von Teilabnahmen vereinbart. Aus der Sicht des Erwerbers sollte in diesem Falle Gewicht darauf gelegt werden, dass die Gewährleistungsfrist erst einheitlich mit der letzten Teilabnahme für das gesamte Bauwerk zu laufen beginnt, um das Vertragsmanagement einfacher zu gestalten. Schließlich geht mit der Abnahme auch die Gefahr des zufälligen Unterganges des Bauwerkes auf den Erwerber über. Den Erwerber trifft insofern die Obliegenheit, das Bauwerk entsprechend gegen derartige Risiken zu versichern. 5.1.3.6
Sachmängelhaftung
Die Sachmängelhaftung im Bauträgervertrag richtet sich – wie dargelegt – im Wesentlichen nach dem Werkvertragsrecht des BGB, d. h. nach den §§ 633 ff. BGB. Hinsichtlich der Gewährleistung für Mängel an dem zu übertragenden Grundstück ist grundsätzlich das kaufvertragliche Gewährleistungsrecht der §§ 437 ff. BGB anzuwenden. Nach gewichtigen Literaturstimmen kann aber auch auf einen Mangel des Grundstücks das Werkvertragsrecht Anwendung finden, wenn dieser Mangel auf das Bauwerk durchschlägt, etwa wenn das Grundstück mit Altlasten belastet ist und deshalb das Bauwerk nur eingeschränkt genutzt werden kann. Für Mängel des Bauwerkes haftet der Bauträger nach §§ 633 ff. BGB. Er hat dem Erwerber das Bauwerk insbesondere frei von Sachmängeln zu verschaffen. Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart wurde, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung eignet und sonst – hilfsweise – sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und dabei die Beschaffenheit vergleichbarer Bauleistungen aufweist und der Besteller diese Beschaffenheit erwarten durfte. Im Falle eines Mangels stehen dem Erwerber die in § 634 BGB aufgeführten Mängelrechte zu. Zunächst ist der Bauträger zur Nacherfüllung (Nachbesserung) gem. §§ 634 Nr. 1, 635 BGB aufzufordern. Der Bauträger hat dann gem. § 635 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Wahl zwischen Mängelbeseitigung und Neuherstellung, wobei freilich für Leistungen des Bauträgers die Neuherstellung praktisch nicht in Betracht kommt. Kann der Erwerber Mängelbeseitigung verlangen, darf er gem. § 641 Abs. 3 BGB nach Abnahme des Bauwerkes einen angemessenen Teil der Vergütung einbehalten, und zwar in der Regel das Doppelte der Mängelbeseitigungskosten (sog. Druckzuschlag). Erst wenn der Bauträger eine angemessene Frist zur Nachbesserung ungenutzt verstreichen lässt, kann der Erwerber auf die weiteren Mängelrechte zurück-
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5 Die Grundstücksbebauung
greifen. Der Fristsetzung bedarf es gem. § 636 BGB nicht, wenn der Bauträger die Nacherfüllung verweigert oder wenn sie dem Erwerber nicht zumutbar oder fehlgeschlagen ist; von einem Fehlschlagen kann in der Regel nach einem zweiten erfolglosen Nacherfüllungsversuch ausgegangen werden. Nach fruchtlosem Ablauf der angemessenen Nachfrist kann der Erwerber gem. §§ 634 Nr. 2, 637 BGB den Mangel im Wege der Selbstvornahme (Ersatzvornahme) selbst beseitigen und dem Bauträger die entsprechenden Kosten als Aufwendungen in Rechnung stellen. Statt diese Kosten vorzuschießen, kann der Besteller vom Bauträger auch einen Vorschuss für die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen verlangen. Von dieser Möglichkeit wird in der Praxis reger Gebrauch gemacht. Wenn dem Bauträger vergeblich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben wurde, kann der Erwerber ferner gem. §§ 634 Nr. 3, 636, 323, 326 Abs. 5 BGB von dem Vertrag zurücktreten oder gem. §§ 634 Nr. 3, 638 BGB die Vergütung des Bauträgers mindern. Während der Rücktritt wegen unwesentlicher Mängel gem. § 323 Abs. 5 BGB ausgeschlossen ist, gilt diese Bagatellgrenze bei der Minderung nicht. Wenn sich der Erwerber für die Minderung entscheidet, bestimmt sich deren Höhe in der Regel nach den Kosten für die Nachbesserung durch einen Dritten und einem Minderwert des Bauwerkes bei späterem Verkauf (sog. merkantiler Minderwert). Schließlich kann der Erwerber im Falle eines Mangels vom Bauträger gem. § 634 Nr. 4 BGB Schadensersatz verlangen. Dessen Höhe richtet sich nach den allgemeinen Regeln des BGB. Ein Haftungsausschluss ist dem Bauträger nur in äußerst begrenztem Umfang möglich. Anerkannt ist, dass der Bauträger sich nicht von jeglicher Haftung dadurch befreien kann, dass er seine eigenen Mängelrechte gegen seine Subunternehmer an den Erwerber abtritt (sog. Subsidiaritätsklausel). Die Rechtsprechung entlässt den Bauträger nicht aus seiner zumindest subsidiären Haftung, die immer dann eingreift, wenn der Erwerber aufgrund einer derartigen Abtretung gegenüber dem Subunternehmer – aus welchen Gründen auch immer – nicht zum Zuge käme. Der Erwerber kann dann immer auf den Bauträger zurückgreifen. Auch eine vertragliche Haftungsbeschränkung zwischen Bauträger und Erwerber in der Weise, dass das Rücktrittsrecht des Erwerbers bei Scheitern der Nacherfüllung ausgeschlossen wird, ist nach neuerer Rechtsprechung nicht möglich. Eine Abkürzung der Verjährungsfristen für Mängelansprüche ist gem. § 309 Nr. 8 a ff BGB unwirksam, weil – wie dargelegt – die VOB/B in Bauträgerverträge nicht einbezogen werden können. 5.1.3.7
Kündigung
Das Werkvertragsrecht des BGB sieht in § 649 eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des Bestellers vor. Zwar muss der Besteller die vereinbarte Vergütung zahlen. Von dieser Vergütung ist jedoch dasjenige abzusetzen, was der Werkunternehmer an Aufwendungen erspart hat. Diese Vorschrift gilt nach der Rechtsprechung im Bauträgervertrag nicht. Der Bauträgervertrag bietet demnach als Dauerschuldverhältnis lediglich die Möglichkeit der nicht ausschließbaren Kündigung aus wichtigem Grunde nach der für Dauerschuldverhältnisse geltenden Vorschrift des § 314 BGB. Die Kündigung muss innerhalb einer angemessenen Frist ausgesprochen werden, nachdem der Besteller von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.
5.1 Die Baubetreuung
5.1.4
247
Baubetreuung und Bauherrenmodell
Neben dem Bauträgervertrag steht die Baubetreuung im engeren Sinne, bei der der Baubetreuer in fremdem Namen und auf fremde Rechnung, nämlich auf Namen und auf Rechnung des Bauherrn, handelt. Aus einer Zusammenfassung von mehreren Bauherren innerhalb eines Gesamtbauvorhabens entstanden insbesondere in den siebziger Jahren die sog. Bauherrenmodelle, die sich auch und gerade wegen der damit verbundenen steuerlichen Vorteile zu einem wesentlichen Bereich der Baubetreuung entwickelten. Heute ist infolge der Änderungen des Steuerrechts die Bedeutung der Bauherrenmodelle gesunken, wenn auch durchaus nicht verschwunden. Außerdem stehen die gerade nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu erfolgreichen geschlossenen Immobilienfonds der Baubetreuung und den Bauherrenmodellen nahe. 5.1.4.1
Entwicklung des Bauherrenmodells
Für die Entwicklung des Bauherrenmodells war im Wesentlichen das Steuerrecht verantwortlich, welches Steuervorteile für denjenigen bot, der als Bauherr und nicht als Erwerber eine Baumaßnahme übernahm. Dass dabei der Bauherr auch das Bauherrenrisiko zu übernehmen hatte, blieb häufig unberücksichtigt. Die wesentlichen Steuervorteile wurden darin gesehen, dass Werbungskosten in erheblichem Umfange für den Bauherrn sofort abzugsfähig waren. Aufgrund dieser hohen Werbungskosten und der sofortigen Abzugsfähigkeit konnte der Bauherr auch seine Steuervorauszahlungen sogleich herabsetzen lassen. Außerdem konnte der Bauherr nach den damals noch landesrechtlich geltenden Grunderwerbsteuergesetzen mit einer Grunderwerbsteuerbefreiung rechnen, die bei einer Grunderwerbsteuer i. H. v. damals 7 % erheblich ins Gewicht fiel. Schließlich hatte der Erwerber die Möglichkeit zum umsatzsteuerlichen Vorsteuerabzug nach Ausübung der entsprechenden Option. Der Bauherr vermietete dann das Vorhaben an einen gewerblichen Zwischenmieter, war allerdings an seine MwSt-Option für zehn Jahre gebunden. Häufig hatte der Bauherr nur die ihm gebotene Möglichkeit der Vorsteuererstattung der Baukosten im Auge, jedoch nicht die Bonität des gewerblichen Zwischenmieters und die Bindung des Bauherrn an die MwSt-Option für zehn Jahre. Diese steuerlichen Aspekte standen beherrschend im Vordergrund, so dass die Risiken, die mit der Bauherrenstellung verbunden waren, häufig nicht gesehen wurden. Durch die sofortige Abzugsfähigkeit der Werbungskosten wurden diese insbesondere im Hinblick auf die Entgelte für Baubetreuung, Finanzierung etc. so aufgebläht, dass sie einen großen Teil der steuerlichen Vorteile bereits zunichte machten. Zudem wurden dadurch die Objekte häufig so teuer, dass sie späterhin nur mit großen Abschlägen verkäuflich waren. Infolge des mit den überhöhten Werbungskosten betriebenen Missbrauchs wurde durch die Rechtsprechung diese Möglichkeit erheblich begrenzt. Durch Einführung eines bundeseinheitlichen Grunderwerbsteuergesetzes wurden die Befreiungstatbestände weitgehend gestrichen und ein einheitlicher Steuersatz von 2 % eingeführt, der inzwischen auf 3,5 % angehoben wurde. Dieser Steuersatz ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auf den Gesamtaufwand und nicht nur auf den Grundstücksanteil zu entrichten.
248
5 Die Grundstücksbebauung
Die MwSt-Option wurde stark eingeschränkt, so dass die Einschaltung eines gewerblichen Zwischenmieters weitgehend obsolet wurde. Schließlich wurde auch die Möglichkeit zur sofortigen Herabsetzung der Steuervorauszahlungen durch eine Änderung des § 37 EStG zum Nachteil des Bauherrn zeitlich hinausgeschoben. 5.1.4.2
Die Beteiligten
Bei allen Unterschieden der gebräuchlichen Bauherrenmodelle hat sich doch um die zentrale Figur des Bauherrn herum ein Kreis von weiteren Beteiligten als üblich herausgeschält. Derjenige, der die Bauherren zusammengeführt und somit die Initiative zur Gründung der Bauherrengemeinschaft entwickelt hat, wird als Initiator bezeichnet. Sehr häufig ist er mit demjenigen, der als Baubetreuer mit der Beratung und Abwicklung bei dem Vertrage befasst ist, also dem Baubetreuer, identisch. Der Baubetreuungsvertrag zwischen Bauherrn und Baubetreuer überlässt diesem die wirtschaftliche Beratung des Bauherrn, also insbesondere die Vorbereitung und Durchführung des Bauvorhabens, Vertragsabschlüsse mit den am Bau Beteiligten, Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen etc. Darüber hinaus kann der Baubetreuer auch finanzielle und technische Betreuungsleistungen erbringen. Der Baubetreuungsvertrag ist insoweit typischer Dienstvertrag mit entgeltlichem Geschäftsbesorgungscharakter. Der Baubetreuer bedarf der besonderen Gewerbeerlaubnis nach § 34 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b GewO. Üblicherweise gibt der Bauherr dem Baubetreuer Vollmachten zum Abschluss der Bauverträge, die der Baubetreuer im Namen des Bauherrn und auf dessen Rechnung abschließt. Neben dem Bauherrn und dem Baubetreuer/Initiator steht der Treuhänder, der die Vermögensinteressen des Bauherrn aufgrund eines zwischen ihm und dem Bauherrn abgeschlossenen Vertrages wahrzunehmen hat. Dabei wird unterschieden, ob es sich um einen sog. Kontotreuhänder handelt, der zu Lasten eines Kontos des Bauherrn Zahlungen an dessen Vertragspartner vornimmt, oder ob der Treuhänder die Eigenschaft eines sog. Basistreuhänders hat, der den Bauherrn im Wesentlichen bei allen im Rahmen des Bauvorhabens durchzuführenden Rechtsgeschäften vertritt. Je mehr Vollmachten der Treuhänder vom Bauherrn erhält, umso geringer wird entsprechend die Leistung des Baubetreuers, die sich häufig dann im Wesentlichen auf die Initiatoreigenschaft beschränkt. Der Treuhänder erlangte bei den typischen Bauherrenmodellen häufig eine derartige Position, dass er im Namen des Bauherrn das gesamte Bauvorhaben rechtlich und wirtschaftlich – allerdings im Namen und auf Rechnung des Bauherrn – in Händen hatte. Der Treuhänder war allerdings auch verpflichtet, die nötige Sorgfalt walten zu lassen und insbesondere darauf zu achten, dass die veranschlagten Gesamtkosten nicht zu Lasten des Bauherrn überschritten wurden. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Treuhänder in einer Bauherrengemeinschaft für alle Bauherren tätig war, so wird deutlich, welch starke Stellung der Treuhänder im Rahmen der Bauherrenmodelle hatte, zumal er die Bauherren auch gegenüber der Finanzverwaltung vertrat. Die Kontakte zu der das Bauvorhaben finanzierenden Bank wurden i. d. R. bereits von dem Initiator geknüpft, während die eigentlichen Darlehensverträge dann von dem Treuhänder im Namen des Bauherrn mit der Bank abgeschlossen wurden. Als weitere Beteiligte waren – je nach Konstellation – anzutreffen der Grundstücksmakler, der Finanzierungsvermittler, die am Bau Beteiligten, ein Mietgarant, ein gewerblicher Zwi-
5.1 Die Baubetreuung
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schenmieter, der Verwalter von Wohnungseigentum sowie Steuerberater und Rechtsanwälte als Berater. Die Bauherren untereinander waren regelmäßig in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts organisiert, die sich bei einer Wohnungseigentumsmaßnahme nach Fertigstellung dann in eine Wohnungseigentümergemeinschaft umwandelte. 5.1.4.3
Haftung
Da Bauherrenmodelle i. d. R. auf der Grundlage von Prospekten vertrieben wurden, kommen die Grundsätze der Haftung in Betracht, die die Rechtsprechung für Prospekte bei Anlageentscheidungen allgemein, aber insbesondere auch für Prospekte beim Bauherrenmodell für Initiatoren und Treuhänder entwickelt hat. Die Rechtsprechung hat gefordert, dass die Prospekte inhaltlich richtig und vollständig sein müssen und den Anleger, also den künftigen Bauherrn, nicht durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu einer Anlageentscheidung beeinflussen dürfen. Neben Initiator und Treuhänder können für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospektes auch solche Personen haften, die im Übrigen an der Gestaltung des Prospektes – etwa als Berater – mitgewirkt haben. Daneben kommt die Haftung des Treuhänders selbstverständlich auch aus Pflichtverletzungen in Betracht, die er während seiner Treuhänderschaft gegenüber dem Bauherrn begeht. Gleiches gilt für den Baubetreuer/Initiator sowie für die übrigen mit dem Bauherrn vertraglich gebundenen Beteiligten. Sofern nicht die Verträge etwas anderes vorsahen, kam eine Haftung i. d. R. nur bei Verschulden in Betracht. Mehrere Beteiligte hafteten als Gesamtschuldner gegenüber dem Bauherrn. 5.1.4.4
Geschlossene Immobilienfonds
Während die Bauherrenmodelle aufgrund der Änderungen des Steuerrechts an Attraktivität verloren haben, sind die geschlossenen Immobilienfonds gerade in den ersten Jahren nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wieder in das Blickfeld des Anlegerinteresses geraten. Ein solcher geschlossener Immobilienfond wird i. d. R. in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft geführt, wobei die einzelnen Anleger entweder unmittelbare Kommanditisten werden oder sich an einer sog. Treuhandkommanditistin beteiligen. Die Anleger sind zwar nicht Bauherren – dies ist die Fondsgesellschaft selbst –, sind aber unmittelbar an dem Bauherrn beteiligt und als Personengesellschafter auch unmittelbare Adressaten der steuerlichen Konsequenz. Im Einzelnen regelt dies der sog. 5. Bauherrenerlass (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Oktober 2003) unter dem Teil II über geschlossene Immobilienfonds. Auch bei dem geschlossenen Immobilienfond spielt der Treuhänder eine zentrale Rolle. Seine Rechte und Pflichten ähneln denen, die dem Treuhänder bei den Bauherrenmodellen oblagen. Der Treuhänder hat die Interessen der Anleger zu vertreten und wird häufig auch als Treuhandkommanditist im Handelsregister eingetragen, während die Anleger sich lediglich an dem Treuhandkommanditisten unterbeteiligen. Geschlossene Immobilienfonds erlebten ihre Blütezeit durch die Sonderabschreibungsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern. Es ist aber davon auszugehen, dass sie als „indirekte“ Immobilienanlagen auch weiterhin immer ihre Rolle als Anlageinstrument spielen werden, weil es Anleger geben wird, die diese Form der indirekten Beteiligung an Immobilien einer direkten Beteiligung vorziehen.
250
5 Die Grundstücksbebauung
Literaturverzeichnis zu Kap. 5.1 Basty: Der Bauträgervertrag, 7. Aufl. Köln 2012. Koeble: Rechtshandbuch Immobilien, Loseblattsammlung München Stand April 2010. Marcks: Makler- und Bauträgerverordnung, 8. Aufl. München 2009. Pause: Bauträgerkauf und Baumodelle, 4. Aufl. München 2004.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
5.2
251
Der Architekten- und Ingenieurvertrag Andreas Helm
5.2.1
Allgemeine Grundlagen
5.2.1.1
Einsatz von Architekten und Ingenieuren / Schnittstellen zu anderen fachlich Beteiligten
Die Übertragung von Aufgaben an Architekten und Ingenieure bei größeren Bauvorhaben orientiert sich an der Bedarfssituation des Auftraggebers. Manche Projektentwickler und institutionelle Bestandshalter verfügen über eigene Planungsabteilungen, so dass sich die Aufgabenstellung des Architekten auf die Bereiche der Vorplanung, Entwurfsplanung sowie der Genehmigungsplanung (teilweise unter Einschluss der Ausführungsplanung) beschränken kann. Der Architekt ist dabei der „Ideenspender“ für das Projekt. Die handwerklichen planerischen Aufgaben übernimmt der Auftraggeber selbst. In diesen Fällen nehmen die Fachplanungsbüros eine bedeutende Rolle ein, da sie meistens über spezielles Know-how verfügen, das auch bei größeren Projektentwicklern oder Bestandshaltern nicht ohne weiteres vorhanden ist. So gibt es Fachplanungsbüros für die technische Gebäudeausrüstung, die Tragwerksplanung, aber auch für die Ausbildung und Planung einer komplexen Baugrubensituation. Sofern Projektentwickler nicht über eigene Planungsabteilungen verfügen, verbleibt es regelmäßig bei einer umfassenden Beauftragung des Architekten einschließlich der Leistungen der Objektüberwachung und gegebenenfalls der Objektbetreuung. Auftraggeber sind dabei gut beraten, gerade die Leistungen der Objektüberwachung aus Haftungsgründen an einen externen Architekten zu delegieren. Das muss nicht zwingend der planende Architekt sein, sondern kann auch ein hierauf spezialisiertes Büro sein. Zur Vermeidung von Schnittstellen kann es sinnvoll sein, wenn der Planer auch die Objektüberwachung übernimmt. Die Leistungen der Objektüberwachung können dabei auf den jeweiligen Bedarf hin eingegrenzt werden, wenn beispielsweise Bauleistungen an einen Generalunternehmer vergeben werden. Die Leistungen des Generalunternehmers begründen grundsätzlich geringere Anforderungen im Bereich der Koordination der Bauaufgabe durch den Architekten, als es bei einer Einzelgewerkevergabe der Fall ist. Bei komplexen Bauvorhaben wird vom Auftraggeber regelmäßig auch ein Projektsteuerer hinzugezogen, der quasi übergeordnet oder auch neben dem Architekten Leistungen der Terminkontrolle, Kostenkontrolle und Qualitätskontrolle übernimmt. Auch in diesen Bereichen sollte bei der Gestaltung des Architektenvertrages auf eine klare Abgrenzung der Leistungsbereiche Wert gelegt werden. Bei der Gestaltung von Architekten- und Ingenieurverträgen liegt ein wesentlicher Aspekt in der präzisen Darstellung und Vereinbarung der Planungsschnittstellen. Dies gilt sowohl für die Schnittstellen zwischen dem Architekten sowie den Ingenieuren, als auch im Hinblick auf die weiterführenden Planungsleistungen der jeweiligen Unternehmer, wie z. B. die Werkstattplanung des Generalunternehmers. Gerade in letzterem Bereich läuft der Auftraggeber bei einer unsauberen Definition von Planungsschnittstellen regelmäßig Gefahr, dass sich aufgrund von begründeten Behinderungsanzeigen der Bauunternehmen gem. § 6 VOB/B die vereinbarten Termine zur Fertigstellung verschieben.
252
5 Die Grundstücksbebauung
Es stellt eine wesentliche Herausforderung dar, den Architektenvertrag so auszugestalten, dass die wirtschaftlichen Vorgaben des Auftraggebers bei der Planung des Bauwerks Niederschlag finden. Zu diesem Zweck können im Architektenvertrag Regelungen zu einem Kostenlimit zur Höhe der anrechenbaren Kosten und zu einer Kostengarantie aufgenommen werden. Aufgrund der damit für den Architekten verbundenen erheblichen Haftungsrisiken werden derartige Regelungen vom Architekten nur selten akzeptiert. Zwar gelingt es Projektentwicklern häufig, bei Beauftragung des Architekten und der Planer „günstige“ Pauschalhonorare zu vereinbaren. Dabei wird aber häufig unterschätzt, dass die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) bindendes Preisrecht darstellt und dem Planer grundsätzlich erlaubt, Honorar bis zum Betrag der Mindestsätze nachzufordern, soweit die Leistungen der HOAI unterliegen. Die zu beachtenden Honorarreglungen bilden einen Schwerpunkt der nachfolgenden Darstellung. 5.2.1.2
Verfassungs- und europarechtliche Aspekte
Die HOAI ist eine sog. Rechtsverordnung, also ein Rechtssetzungsakt der Exekutive. Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der HOAI ist Art. 10 des „Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur – und Architektenleistungen“ (MRVG) vom 4.11.1971 (BGBl. I S. 1749). Die Regelungen der HOAI sind daher nur in dem Umfang verfassungsgemäß, als sie von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage abgedeckt sind. Die HOAI kann keine bindenden zivilrechtlichen Regelungen enthalten, da es dem Verordnungsgeber insoweit an der erforderlichen Gesetzgebungskompetenz fehlt. Teilweise wird vorgetragen, die Verordnung sei verfassungswidrig, da die Ungleichbehandlung von Architekten und Ingenieuren mit Sitz im Inland und Ausland das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletze (vgl. Deckers, Die neue HOAI in der Praxis, Rn. 117 ff.). In europarechtlicher Hinsicht wird teilweise vertreten, die HOAI schränke die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) in unzulässiger Weise ein und verstoße gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV). 5.2.1.3
Koppelungsverbot
Die Koppelung von Grundstückskaufverträgen mit Ingenieur- und Architektenverträgen – so genannte Architektenbindung – ist nach Art. 10 § 3 MRVG unzulässig. Zweck des Gesetzes ist, Wettbewerbsverzerrungen unter freiberuflich tätigen Architekten und Ingenieuren zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr entschieden, dass das Koppelungsverbot mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 12 GG (Berufsfreiheit) vereinbar ist (BVerfG, IBR 2011, 591). Das Koppelungsverbot hat zur Folge, dass eine Vereinbarung, durch die sich der Erwerber eines Grundstücks im Zusammenhang mit dem Erwerb verpflichtet, bei der Planung oder Ausführung eines Bauwerks auf dem Grundstück die Leistungen eines bestimmten Ingenieurs oder Architekten in Anspruch zu nehmen, unwirksam ist. Die Wirksamkeit des auf den Erwerb des Grundstücks gerichteten Vertrages bleibt davon jedoch unberührt; nur der im Zusammenhang mit einem solchen Grundstückskaufvertrag abgeschlossene Architektenund/oder Ingenieurvertrag ist unwirksam.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
253
Der Architekt/Ingenieur hat einen bereicherungsrechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Auftraggeber in Höhe der Mindestsätze der HOAI (BGH, NJW 1984, 1035; KG 1995, 395), wenn er auf den nichtigen Vertrag bereits Leistungen erbracht hat und diese Leistungen vom Auftraggeber verwertet wurden. Der Auftraggeber kann dabei entgegenhalten, er hätte die Architektenleistungen von anderer Seite zu geringeren Kosten oder kostenlos erhalten (OLG Hamm, BauR 1986, 711 = MDR 1986, 410). In diesem Fall erhält der Architekt nur die geringere bzw. keine Vergütung. Entscheidend ist, ob eine Abhängigkeit zwischen Veräußerung des Grundstückes und Übernahme der Planung besteht; nur dann liegt ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot vor. Kein Verstoß gegen das Koppelungsverbot liegt daher vor, wenn der Veräußerer des Grundstücks den Architekten bereits rechtsverbindlich beauftragt hat und das Architektenhonorar lediglich einen Kalkulationsposten für den Kaufpreis darstellt, ohne dass der Erwerb des Grundstücks von der Übernahme der Planung abhängig ist (KG, BauR 2004, 385 = IBR 2004, 22; vgl. auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1995, 1484 = IBR 1995, 168 = OLGR 1995,2). Ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot liegt auch nicht vor, wenn sich ein Grundstückserwerber verpflichtet, dem Verkäufer bereits bezahlte grundstücksbezogene Architektenleistungen zu erstatten, sofern die Verpflichtung des Erwerbers, nach den Plänen des Architekten zu bauen, nicht vereinbart wird (KG, IBR 2004, 147). Ferner gilt das Koppelungsverbot dann nicht, wenn ein Bauwilliger an einen Architekten mit der Bitte herantritt, ein passendes Grundstück für ein bestimmtes Projekt zu vermitteln und ihm gleichzeitig in Aussicht stellt, ihn im Erfolgsfall mit Architektenleistungen zu beauftragen (BGH, NJW 2008, 3633). Eine verfassungskonforme Auslegung des Artikels 10 § 3 MRVG erlaubt es auch, dass dem Architekt als Sieger in einem gemeindlichen Architektenwettbewerb zur Verwirklichung der Zielvorstellung das Wettbewerbsgrundstück von der Gemeinde an die Hand gegeben und die Bauwilligen an ihn verwiesen werden (BGH, NJW 2010, 3154). 5.2.1.4
Rechtsnatur des Architekten- und Ingenieurvertrages und des Projektsteuerungsvertrages
Die Rechtsnatur des Architekten- und Ingenieurvertrages ist dahingehend geklärt, dass es sich in den meisten Fällen um einen Werkvertrag i. S. der §§ 631 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) handelt. Das gilt sowohl bei der so genannten Vollarchitektur (BGH, NJW 1960, 431 = BGHZ 31, 224; BGH, NJW 2000, 133 = BauR 2000, 128 = ZfBR 2000, 97; KG 2008, 1165) als auch dann, wenn der Architekt/Ingenieur nur die Planung oder nur die Bauleitung (Objektüberwachung) übernimmt. Vom Bauvertrag, der ebenfalls Werkvertrag ist, unterscheidet sich der Architekten- und Ingenieurvertrag dadurch, dass der Architekt/Ingenieur nicht das Bauwerk als körperliche Sache schuldet, sondern dessen mangelfreie und vertragsgerechte Entstehung als geistige Leistung. Insofern ist der Gegenstand des Werkvertrages in beiden Fällen ein anderer, beim Bauvertrag ist er das Bauwerk, beim Architekten- und Ingenieurvertrag das Architektenbzw. Ingenieurwerk, wobei die Leistungen der Architekten und Ingenieure in dem „mangelfreien Entstehenlassen des Bauwerks“ liegen. Die Einordnung als Dienstvertrag gem. §§ 611 ff. BGB, bei dem kein Erfolg, sondern nur eine Tätigkeit, also ein allgemeines Wirken geschuldet wird, kommt beim Architekten- und Ingenieurvertrag allenfalls dann in Betracht, wenn die Tätigkeit aufgrund eines Anstellungsverhältnisses erfolgt.
254
5 Die Grundstücksbebauung
Die Rechtsnatur des Projektsteuerungsvertrages hängt dagegen vorwiegend vom Inhalt der vom Projektsteuerer übernommenen Aufgaben ab (dazu ausführlich Eschenbruch, Recht der Projektsteuerung, 3. Aufl. 2009). Dies ist auf die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und Vertragspflichten, die einem Projektsteuerer übertragen werden können, zurückzuführen. Der Bundesgerichtshof hat den Projektsteuerungsvertrag früher als einen „Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungselementen“ eingeordnet (BGH NJW-RR 1995, 855 = BauR 1995, 572 = ZfBR 1995, 189; ebenso im Ergebnis OLG Düsseldorf, BauR 1999, 508 und NJW 1999, 3129 = BauR 1999, 1049) und verlangte für die Einordnung als Werkvertrag den Nachweis der Vereinbarung werkvertraglicher Erfolgsverpflichtungen. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH (NJW 1999, 3118 = BauR 1999, 1317 = ZfBR 1999, 336; BGH NJW 2002, 749 = BauR 2002, 315L = ZfBR 2002, 243; OLG Düsseldorf, BauR 2009, 1483) steht nunmehr fest, dass stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob die tätigkeitsbezogenen oder die erfolgsorientierten Elemente des Vertrages den Schwerpunkt bilden. Ist Vertragsziel die weitgehende Entlastung des Auftraggebers und die Sicherung und Steuerung der Kosten, Termine und Qualitäten sowie die gesamte Koordinierung des Bauablaufs (OLG Naumburg, NZBau 2009, 318) oder wird der Projektsteuerer mit der Ermittlung von Vorgaben für die Projektbeteiligten, mit deren Überwachung und dem steuernden Eingreifen beauftragt, überwiegen die werkvertraglichen Elemente (OLG Düsseldorf, BauR 2009, 1483). Der Einsatz eines Projektsteuerers zusätzlich zu den mit Planung und Bauleitung beauftragten Architekten und Ingenieuren hat sich insbesondere bei Großbauvorhaben zunehmend durchgesetzt, weil ein Bau-Auftraggeber oder Investor, der keine eigene Planungs- und Bauabteilung hat, zeitlich und fachlich kaum in der Lage ist, die Vielzahl der Entscheidungen, die sich aus Ausbaudetails sowie Sonderwünschen von Nutzern und Mietern ergeben, rechtzeitig und sachgerecht zu treffen. Gleiches gilt für die Koordinierung der am Bau Beteiligten sowie für die Termin- und Kostenkontrolle. Der Projektsteuerer gerät bei seiner diesbezüglichen Tätigkeit, der technisch-wirtschaftlichen Betreuung des Auftraggebers, schnell in den Bereich unerlaubter Rechtsbesorgung, z. B. bei der Vertragsgestaltung, der Prüfung von Nachträgen und allen Tätigkeiten, die mit der Beantwortung von Rechtsfragen verbunden und deshalb Rechtsbesorgung sind. Diese ist aber nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) erlaubnispflichtig. Eine Rechtsdienstleistung ist gem. § 2 Abs. 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Keine Rechtsdienstleistung liegt hingegen bei der Erstattung rechtswissenschaftlicher Gutachten, der Tätigkeit von Einigungs- und Schlichtungsstellen, Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern sowie unter anderem bei der Mediation oder vergleichbaren Formen der alternativen Streitbeilegung vor. Eine Ausnahme ergibt sich aus § 5 Abs. 1 RDG. Erlaubt sind danach Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Kenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Der Projektsteuerer kann Aspekte des öffentlichen Baurechts beurteilen oder Potenziale mit Vertragauswirkungen in qualitativer, kostenmäßiger und terminlicher Hinsicht hin prüfen (vgl. Eschenbruch, Projektmanagement und Projektsteuerung, 3. Auflage Rn. 983). Kritisch ist dagegen die Grenze zur erlaubten Rechtsdienstleistung im Bereich des Vertragswesens. Auch hier kommt es auf die konkret übernommenen Verpflichtungen an. Liegen beispielsweise die Anfertigung „wasserdichter" Verträge im Vordergrund, so dass die Termins-,
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
255
Kosten- und die Qualitätskontrolle das Produkt vernünftiger Verträge und nicht die Verträge als Hilfsmittel für sonstige Aufgaben darstellen, will der Projektsteuer in der Hauptsache Rechtsbesorgung betreiben, was unzulässig ist (vgl. Kniffka, ZfBR 1995, 10, 13). Da aber technisch-wirtschaftliche Fragen häufig eng mit Rechtsfragen verknüpft sind, ist bei größeren Bauvorhaben eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kooperation von Projektsteuerern und baurechtlich versierten Anwälten in der Form des technisch-juristischen Projektmanagements heute unerlässlich. Die damit verbundenen Kosten wiegen die Nachteile späterer Streitigkeiten über Nachforderungen, Verzugs- und Schadensersatzansprüche sowie Mängel in der Regel auf. 5.2.1.5
Abschluss des Architekten- und Ingenieurvertrages
Der Abschluss des Architekten- und Ingenieurvertrages bedarf an sich keiner besonderen Form, kann also auch mündlich erfolgen. Eine Ausnahme gilt aber für Architekten- und Ingenieurverträge mit öffentlichen und kirchlichen Auftraggebern. Für sie ist nach den einschlägigen Vorschriften des Kommunal- bzw. Kirchenverwaltungsrechts Schriftform zwingend vorgeschrieben (OLG Hamm, NJW-RR 1988, 467 = BauR 1988, 742; OLG Frankfurt, NJW-RR 1989, 1425 = BauR 1989, 378L). Allerdings handelt es sich dabei nicht um Formvorschriften i. S. der § 126 BGB, sondern um Zuständigkeitsregelungen über die Vertretungsbefugnis i. S. der §§ 177 ff. BGB (so OLG Hamm, NJW-RR 1995, 274 = BauR 1995, 129 = ZfBR 1995, 33). Kommt in derartigen Fällen ein Architektenvertrag nicht wirksam zustande, hat der Architekt aber Leistungen erbracht, so richtet sich dessen Vergütung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen, wobei sich der Wertersatz nach der üblichen Vergütung richtet, d. h. im Zweifel nach den geltenden Mindestsätzen (OLG Brandenburg, IBR 2012, 153). Unabhängig davon empfiehlt es sich, Architekten- und Ingenieurverträge schriftlich abzuschließen, damit Inhalt und Umfang der Beauftragung klargestellt und Streitigkeiten darüber vermieden werden. Das gilt insbesondere für die Abgrenzung zur honorarfreien vorvertraglichen Akquisition. Architekten werden manchmal zunächst auf eigenes Risiko tätig und machen Bebauungsvorschläge, um dadurch eine Beauftragung erst zu erreichen. Das Interesse des Auftraggebers geht dabei dahin, Leistungen des Planers möglichst so lange unentgeltlich zu erhalten, bis die Realisierung eines Projekts feststeht. Erfolgt die Beauftragung später nicht, wird oftmals versucht, die ursprünglich als unentgeltlich gedachte akquisitorische Tätigkeit in Rechnung zu stellen. Grundsätzlich muss der Architekt, um Honorar verlangen zu können, den Auftrag und Auftragsumfang beweisen. Der alleinige Verweis auf die Vermutung einer Vergütungsvereinbarung gem. § 632 Abs. 1 BGB reicht für den Beweis eines tatsächlichen Auftrages nicht aus. Denn diese Vermutung erstreckt sich nicht auf die Auftragserteilung selbst, sondern nur darauf, dass ein zustande gekommener Vertrag im Zweifel entgeltlich erfolgt (OLG Düsseldorf, BauR 2003, 1251 = NZBau 2003, 442 = ZfBR 2003, 463L). Wenn der Bauherr erkennt, dass ein Architekt sich mit seinen Bauabsichten befasst oder klärt, wie ein von ihm in Aussicht genommenes Grundstück bebaut werden kann, kommt durchaus auch der konkludente Abschluss eines stillschweigenden Architektenvertrages in Betracht (OLG München/ Augsburg, NJW-RR 1996, 341 = BauR 1996, 417; OLG Koblenz, NJW-RR 1996, 1045 = BauR 1996, 888; OLG Hamm IBR 2003, 138). So bewegt sich die Tätigkeit eines Architekten nicht mehr im akquisitorischen vergütungsfreien Bereich, wenn sich der Bauherr die Planungsleistungen im Rahmen einer
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5 Die Grundstücksbebauung
Bauvoranfrage nutzbar macht (OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1035 = BauR 2000, 753; vgl. auch OLG Rostock, IBR 2002, 371) und eine Genehmigungsplanung einreicht (OLG Düsseldorf, IBR 2011, 529). Dementsprechend hat das OLG Hamm entschieden, dass die Grenze zwischen vergütungsfreier Akquisition und honorarpflichtiger Architektentätigkeit dort liegt, wo der Architekt absprachegemäß in die konkrete Planung übergeht (OLG Hamm, BauR 2001, 1466 = NZBau 2001, 508 = ZfBR 2001, 329). Andererseits soll einer rechtsgeschäftlichen Bindung die Kenntnis des Architekten entgegenstehen, dass die Finanzierung für ein Großprojekt noch nicht gesichert und ein Baugrundstück noch nicht erworben ist (OLG Düsseldorf, IBR 2008, 333). Streit besteht oft auch darüber, wie weit die (stillschweigende) Beauftragung des Architekten geht und welchen Inhalt bzw. Umfang der (konkludent) abgeschlossene Architektenvertrag hat. Eine Vermutung dafür, dass in einem solchen Fall das volle Leistungsbild des § 33 HOAI übertragen und ein Auftrag über die so genannte Vollarchitektur erteilt worden ist, gibt es zwar nicht (BGH, NJW 1980, 122 = MDR 1980, 223; OLG Hamm, BauR 1990, 636 = NJW-RR 1990, 91; OLG München/Augsburg a. a. O.; a.A.: KG, BauR 2001, 1929, wonach bei einem Großprojekt eine Vermutung gelten soll, dass Architektenverträge unter dem Vorbehalt der Schriftform stehen). Um Streit zu vermeiden, sollte aber auch diese Frage geregelt werden, da die Anforderungen an die Darlegungslast des Architekten nicht besonders hoch sind. Das gilt umso mehr, als der Bauherr/Auftraggeber es in der Hand hat und selbst bestimmen kann, wie weit und in welchem Umfang er den Architekten/Ingenieur beauftragen will. Er braucht nicht gleich das volle Leistungsbild im Sinne der Vollarchitektur in Auftrag geben. Das sollte er schon deshalb nicht, wenn unklar ist, ob die Baugenehmigung erteilt wird oder ob er nicht aus irgendwelchen anderen, unter Umständen auch persönlichen Gründen von dem Bauvorhaben Abstand nehmen muss. Andernfalls geht er das Risiko ein, dass er bei einer freien Auftraggeberkündigung gem. § 649 S. 1 BGB dem Architekten für die nicht mehr zu erbringenden Leistungen anteilig Vergütung gem. § 649 S. 2 und S. 3 BGB schuldet. 5.2.1.5.1
Stufenweise Beauftragung
Der Auftraggeber kann den Architekten/Ingenieur auch stufenweise beauftragen, um diesen Risiken zu begegnen und um eine größere Flexibilität zu erreichen. Bei einer stufenweisen Beauftragung bindet sich nur der Architekt dahingehend, dass er weiterführende Leistungen erbringt, wenn die weitere Leistungsstufe abgerufen wird. Der Auftraggeber bleibt in seiner Entscheidung jedoch frei, weitere Stufen abzurufen. Üblich sind folgende Leistungsstufen:
Stufe 1: Stufe 2: Stufe 3: Stufe 4: Stufe 5: Stufe 6:
Grundlagenermittlung und Vorplanung (Leistungsphasen 1 und 2) Entwurfs- und Genehmigungsplanung (Leistungsphasen 3 und 4) Ausführungsplanung (Leistungsphase 5) Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe (Leistungsphasen 6 und 7) Objektüberwachung (Leistungsphase 8) Objektbetreuung (Leistungsphase 9).
Der Auftraggeber hat so die Möglichkeit, die nächstfolgende Stufe erst zu beauftragen, wenn er die Leistungen der vorangegangenen Stufe geprüft und für gut befunden hat. Er kann die Zusammenarbeit mit dem Architekten/Ingenieur nach jeder Stufe beenden, ohne kündigen zu müssen und einen wichtigen Grund dafür zu benötigen, weil keine weitergehende vertragliche Bindung besteht. Das ist gerade bei Großbauvorhaben wichtig, wenn sich der Auftraggeber/Investor nach Erteilung der Baugenehmigung entschließt, einen General-
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
257
unternehmer zu beauftragen und diesem auch die Ausführungsplanung zu übertragen. Dann wird er in der Regel die Architektenleistungen der Leistungsphasen 5–7 nicht mehr in Anspruch nehmen wollen. Bei einer stufenweisen Beauftragung steht die Honorarvereinbarung unter der aufschiebenden Bedingung, dass die in Aussicht genommenen Leistungen tatsächlich in Auftrag gegeben werden. Danach ist die zum Zeitpunkt einer jeden beauftragten Stufe gültige HOAI anzuwenden. Denn erst mit dem Abruf dieser Leistungen wird die jeweilige Honorarvereinbarung wirksam (BGH BauR 2009, 264 = NZBau 2009, 257). 5.2.1.5.2
Vorzeitige Vertragsbeendigung
Nach § 649 S. 1 BGB kann der Auftraggeber den Werkvertrag zwar jederzeit – auch ohne wichtigen Grund – kündigen. Der Auftragnehmer hat dann aber gemäß § 649 S. 2 BGB Anspruch auf entgangenen Gewinn, wobei dieser Begriff insofern irreführend ist, als das Kündigungshonorar für die entfallenden, nicht mehr zur Ausführung kommenden Leistungen in erster Linie Kostendeckungsbeitrag ist und nur zu einem geringen Teil Gewinn enthält. Der Auftragnehmer behält nämlich in diesem Fall seinen vollen Vergütungsanspruch und braucht sich hinsichtlich der infolge der Kündigung nicht mehr zu erbringenden Leistungen nur anrechnen bzw. abziehen zu lassen, was er durch die vorzeitige Vertragsbeendigung/Kündigung tatsächlich erspart oder anderweitig erwirbt bzw. zu erwerben böswillig unterlässt. Dieser Abzug ist zunächst in jahrzehntelanger Praxis vertraglich mit 40 % pauschaliert worden, so dass der Architekt/Ingenieur 60 % Kündigungshonorar/entgangenen Gewinn behielt. Der Bundesgerichtshof hat diese 60:40-Klausel inzwischen jedoch mehrfach für unwirksam erklärt und verlangt einen Einzelnachweis der ersparten Aufwendungen und des evtl. anderweitigen Verdienstes (seit BGH, NJW 1996, 1751 = BauR 1996, 412 = ZfBR 1996, 200, ständige Rechtsprechung; z. B. BGH, NJW 1999, 418 = BauR 1999, 167 = ZfBR 1999, 95; NJW 2000, 653 = BauR 2000, 430 = ZfBR 2000, 118; vgl. für neuere Pauschal-Formulierungen aber auch OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 686 = BauR 2002, 1583). Mit dem ab 1.1.2009 geltenden Forderungssicherungsgesetz enthält § 649 S. 3 BGB die gesetzliche Vermutung, dass der Anspruch 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung beträgt. Der Gesetzgeber wollte damit dem Werkunternehmer die Durchsetzung seines Vergütungsanspruchs erleichtern und ihm die Möglichkeit einräumen, ohne Probleme mit Fragen der Prüffähigkeit und der Darlegungslastlast auf einem einfachen Weg zu einem Titel zu gelangen. Denn in der Praxis hat sich gezeigt, dass insbesondere der Nachweis der ersparten Aufwendungen dem Werkunternehmer (vor allem: Bauunternehmer) regelmäßig schwer fiel. Im Bereich der Architektenverträge wiegt diese Gesetzesänderung allerdings schwer zulasten der Architekten, da bis zu der Entscheidung des BGH im Jahr 1996 Architekten bei einer entsprechenden vertraglichen Regelung ohne jeden Nachweis einen Vergütungsanteil von 60 % beanspruchen konnten (vgl. oben). Eine Beschränkung des entgangenen Gewinns der Architekten / Ingenieure auf 5 % wird in der Praxis zu Recht als nicht angemessen angesehen. Will der Architekt einen höheren Anspruch als 5 % durchsetzen, trifft ihn zudem die Darlegungslast und Beweislast, nicht nur für die Höhe der ersparten Aufwendungen, sondern auch für den Umfang eines anderweitigen Erwerbs bzw. eines böswillig unterlassen anderweitigen Erwerbs. Damit muss er auch den Negativbeweis führen, etwa für die Behauptung, dass kein Ersatzauftrag angenommen bzw. ein solcher Auftrag nicht mutwillig abgelehnt wurde.
258
5 Die Grundstücksbebauung
Aus diesem Grund ist es sachgerecht, im Vertrag eine ausgewogene Regelung zur Abwicklung eines auftraggeberseitig gekündigten Architektenvertrags vorzusehen. Zwar kann der Anspruch auf entgangenen Gewinn nach § 649 S. 2 und S. 3 BGB nicht völlig ausgeschlossen werden, weil er zum so genannten Kerngehalt des Gesetzes gehört (BGH, NJW 1985, 631 = BauR 1985, 77 = ZfBR 1985, 37). Zu beachten ist dabei, dass sich bei Verwendung einer AGB-widrigen Pauschalierungsklausel nur der Vertragspartner des Verwenders auf deren Unwirksamkeit berufen kann (BGH, BauR 1998, 357). Dem Architekten ist es deshalb untersagt, sich auf die Unwirksamkeit einer von ihm verwendeten 40 %-Klausel zu berufen und mittels einer konkreten Abrechnung einen höheren Anspruch nach § 649 S.2 BGB geltend zu machen. Ist dagegen der Auftraggeber Verwender einer unwirksamen Pauschalierungsklausel, kann der Architekt entweder die darin enthaltene Pauschale verlangen oder einen höheren Anspruch im Wege einer konkreten Berechnung geltend machen (Locher/Koeble/Frik, Kommentar zur HOAI, 10. Auflage, Einleitung 258).
5.2.2
Vergütungsanspruch des Architekten/Ingenieurs
Das Honorar des Architekten/Ingenieurs ist entgegen dem ansonsten geltenden Grundsatz der Vertragsfreiheit regelmäßig nicht frei vereinbar. Das unterscheidet den Architekten/Ingenieur vom Werkunternehmer, der seinen Werklohn frei vereinbaren kann. Den Werklohn frei vereinbaren können auch:
Generalunternehmer/Bauträger, die neben Bauleistungen auch Planungsleistungen erbringen, für deren Berechnung sie jedoch nicht an die HOAI gebunden sind (BGH, NJW 1997, 2329 = BauR 1997, 677 = ZfBR 1997, 250; OLG Köln, NJW-RR 2000, 611 = BauR 2000, 910 = NZBau 2000, 205), Projektentwickler, deren Leistungen erheblich von dem, einen Architektenvertrag prägenden, Werkerfolg abweichen (BGH, NJW 1998, 1228 = BauR 1998, 193 = ZfBR 1998, 94; abw. OLG Oldenburg, NJW-RR 2002, 747 = BauR 2002, 332 = NZBau 2002, 283), Projektsteuerer, die mit ihren Leistungen Bauherrenaufgaben erfüllen und von daher nicht – wie Architekten und Ingenieure – „Auftragnehmer“ i. S. der HOAI sind.
5.2.2.1
Die HOAI als Rechtsgrundlage für die Berechnung des Architekten- und Ingenieurhonorars
Die Vergütung von Architekten- und Ingenieurleistungen richtet sich grundsätzlich zwingend nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), derzeit in der Fassung vom 18.08.2009, zuletzt geändert im Rahmen der 6. HOAI-Novelle. Die Honorarregelungen der HOAI sind leistungsbezogen, nicht berufsstandsbezogen, es kommt also nicht darauf an, ob der Auftragnehmer Architekt oder Ingenieur ist, sondern ob er Leistungen erbringt, aufgrund derer er den preisrechtlichen Schutz der HOAI verdient. Sie sind nicht anwendbar auf Anbieter, die neben oder zusammen mit Bauleistungen auch Architekten- oder Ingenieurleistungen erbringen (BGH, NJW 1997, 2329), wie zum Beispiel Bauträger und Projektentwickler.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag 5.2.2.1.1
259
Objekt außerhalb der Tafelwerte
Nach § 7 Abs. 2 HOAI sind die Honorare frei vereinbar, wenn die ermittelten anrechenbaren Kosten, Werte oder Verrechnungseinheiten außerhalb der Tafelwerte der HOAI liegen. Das gilt
für Architektenleistungen mit anrechenbaren Kosten ab rund 25,57 Mio. Euro (Honorartafel zu § 34 Abs. 1 HOAI), für Leistungen bei Freianlagen ab rund 1,53 Mio. Euro (Honorartafel zu § 39 Abs. 1 HOAI), für Ingenieurleistungen der Tragwerksplanung/Statik mit anrechenbaren Kosten ab rund 15,34 Mio. Euro (Honorartafel zu § 50 Abs. 1 HOAI) und für Ingenieurleistungen der Technischen Ausrüstung/Haus- und Gebäudetechnik mit anrechenbaren Kosten ab rund 3,84 Mio. Euro (Honorartafel zu § 54 Abs. 1 HOAI).
5.2.2.1.2
Beratungsleistungen
Nach den neuen Regelungen der 6. Novelle der HOAI unterliegen die in der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 HOAI aufgeführten Beratungsleistungen auch nicht dem verbindlichen Preisrecht, sondern sind frei zu vereinbaren. Hierzu zählen:
Umweltverträglichkeitsstudie thermische Bauphysik Schallschutz und Raumakustik Bodenmechanik, Erd- und Grundbau Vermessungstechnische Leistungen.
5.2.2.1.3
Besondere Leistungen
Ferner können gem. § 3 Abs. 2 HOAI Besondere Leistungen nach der Anlage 2 der HOAI frei vereinbart werden. Die in Anlage 2 genannten Besonderen Leistungen sind jedoch nicht als abschließend zu verstehen (§ 3 Abs. 3 S. 1 HOAI). Besondere Leistungen können jedenfalls keine Leistungen sein, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrages im Allgemeinen erforderlich sind (e contrario § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI). Nicht zu den Besonderen Leistungen, sondern zu den Grundleistungen gehören nach neuerer Rechtsprechung des BGH auch die Leistungen des Brandschutzes als Teil der konstruktiven Gebäudeplanung. Solche Leistungen sind daher grundsätzlich mit dem Honorar für die Grundleistungen abgegolten (BGH, Urteil vom 26.01.2012 – VII ZR 128/11). 5.2.2.1.4
Andere Leistungen / Erfassung von Planungsänderungen / Geänderte Leistungen
Nach wie vor problematisch ist die Bewertung und honorartechnische Erfassung von Planungsänderungen. § 3 Abs. 2 Satz 2 HOAI ordnet an, dass andere Leistungen, die durch eine Änderung des Ziels, des Umfangs, des Leistungsablaufs oder durch andere Anordnungen des Auftraggebers erforderlich werden, von den Leistungsbildern nicht erfasst und gesondert frei zu vereinbaren und vergüten sind. Diese Bestimmung ermöglicht den Vertragsparteien eine von den Honorarberechnungsfaktoren der HOAI abweichende Vereinbarung. Die Vereinbarung kann zudem frei, also auch mündlich getroffen werden. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, dürfen die Anforderungen nicht geringer sein, als bei
260
5 Die Grundstücksbebauung
den Änderungen, die „grundlegend verschiedene Anforderungen“ gem. § 10 HOAI zum Gegenstand haben, da es bei letzteren immerhin bei der Bindung an die Honorarregelungen der HOAI verbleibt, während andere Leistungen gem. § 3 Abs. 2 S. 2 HOAI frei vereinbart werden können (Deckers, Die neue HOAI in der Praxis, Rn. 164 ff.). Davon zu unterscheiden ist die Fallgestaltung, in der dem Auftragnehmer einen Auftrag für ein anderes Objekt erteilt wird. Ein solcher Auftrag steht neben dem ursprünglichen Auftrag und die Honorierung erfolgt für beide Bauvorhaben gesondert (§ 11 Abs. 1 HOAI). Dies gilt zum Beispiel auch, wenn sich die zusätzliche Leistung auf ein anderes Grundstück bezieht (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 1317). Während im Rahmen der Vorplanung Varianten nach gleichen Voraussetzungen kostenlos erbracht werden müssen, und der Architekt im Rahmen der Ausführungsplanung die Fortschreibung der Ausführungsplanung während der Bauausführung schuldet, ordnet § 10 HOAI bei „grundsätzlich verschiedenen Anforderungen“ ein gesondertes Honorar an. Werden danach auf Veranlassung des Auftraggebers mehrere Vorentwurfs- oder Entwurfsplanungen für dasselbe Objekt nach grundsätzlich verschiedenen Anforderungen gefertigt, so sind für die vollständige Vorentwurfs- oder Entwurfsplanung die vollen Prozentsätze dieser Leistungsphasen nach § 3 Abs. 4 HOAI vertraglich zu vereinbaren. Bei der Berechnung des Honorars für jede weitere Vorentwurfs- oder Entwurfsplanung sind die anteiligen Prozentsätze der entsprechenden Leistungen vertraglich zu vereinbaren. Maßgeblich ist also, was unter „verschiedenen Anforderungen“ – zu verstehen ist. Hierfür müssen die Pläne wesentliche Unterschiede aufweisen und dürfen nicht nur geringe Verschiebungen zum Gegenstand haben. Dies ist z. B. der Fall, wenn sich das Raum- oder Funktionsprogramm wesentlich ändert, aber noch das gleiche, ursprünglich geplante Gebäude vorliegt; oder wenn sich das Bauvolumen und der Grundriss des Kellers und des EG eines viergeschossigen Gebäudes ändern oder Ansichtszeichnungen neu erstellt werden müssen (OLG Düsseldorf, BauR 2002, 1282). Eine wesentliche Erweiterung oder Reduzierung des Bauvolumens und/oder der Wohn- bzw. Nutzfläche reicht für die Annahme grundsätzlich verschiedener Anforderungen im Normalfall aus. Probleme in der Praxis bereitet nach wie vor die Einordnung einer Änderung des beauftragten Umfangs. Hiernach soll gemäß § 7 Abs. 5 HOAI die dem Honorar zu Grunde liegende Vereinbarung durch schriftliche Vereinbarung anzupassen sein, wenn auf Veranlassung des Auftraggebers während der Laufzeit des Vertrages der beauftragte Leistungsumfang mit der Folge von Änderung der anrechenbaren Kosten, Werten oder Verrechnungseinheiten geändert wird. Welche konkreten Rechtsfolgen sich hieraus ergeben, ist nach Rechtsprechung und Literatur derzeit jedoch noch offen (vgl. Deckers, Die neue HOAI in der Praxis, Rn. 288 ff). 5.2.2.2
Schriftliche Vereinbarung des Honorars im Rahmen der durch die HOAI festgesetzten Mindest- und Höchstsätze
Abgesehen von vorgenannten Ausnahmen gilt die HOAI als zwingendes Preisrecht mit festgesetzten Mindest- und Höchstsätzen (Von-bis-Sätzen), die grundsätzlich nicht unterbzw. überschritten werden dürfen. Ein über die Mindestsätze hinausgehendes Honorar, z. B. der Mittelsatz, kann nach § 7 Abs. 1, Abs. 6 HOAI nur wirksam vereinbart werden wenn dies schriftlich und bei Auftragserteilung geschieht. Schriftlich bedeutet dabei beiderseitige Schriftform in Sinne des § 126 Abs. 2 BGB. Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden mehrere gleich lautende Vertragsurkunden erstellt, genügt es, wenn jede Partei die
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
261
für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 S. 2 BGB). Ein Honorarangebot des Architekten, das der Auftraggeber durch gesondertes Schreiben annimmt und bestätigt, erfüllt diese Voraussetzungen nach der Rechtsprechung nicht. Nicht ausreichend ist auch, wenn dem Auftraggeber des Architektenvertrages eine Honorarvereinbarung per Telefax mit der Unterschrift des Architekten übermittelt wird und dieser das zu erhaltene Telefax unterschrieben – auch per Telefax – zurücksendet. Das Kammergericht (KG, IBR 1995, 22) hält dies zwar ausdrücklich für zulässig; dies steht aber im Widerspruch zu einer Entscheidung des BGH (BGH, NJW 1997, 3169). Erforderlich ist danach, dass das per Fax übermittelte Angebot unterzeichnet zurück gesendet wird. In Ausnahmefällen kann sich der Architekt jedoch auf einen Verstoß gegen das Schriftformerfordernis nicht berufen, namentlich dann, wenn er bei seinem Auftraggeber aktiv das berechtigte Vertrauen weckt, eine formwirksame Pauschalhonorarvereinbarung zu schließen (OLG Düsseldorf, IBR 2011, 647). Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart ist, gelten nach § 7 Abs. 6 HOAI die jeweiligen Mindestsätze als vereinbart. Diese Mindestsatzfiktion gilt bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens und kann auch durch eine nachträgliche schriftliche Vereinbarung nicht mehr abgeändert werden. Deshalb gelten die Mindestsätze selbst dann, wenn im Architekten-/Ingenieurvertrag etwas anderes schriftlich vereinbart ist (z. B. der Mittel-, Dreiviertel- oder Höchstsatz), der Architekt/Ingenieur im Zeitpunkt des Vertragsschlusses aber bereits mit seiner Tätigkeit begonnen und schon honorarpflichtige Leistungen erbracht hat. Auch in diesem Fall ist die schriftliche Honorarvereinbarung nachträglich und nicht schon „bei Auftragserteilung“ zustande gekommen. Deshalb lohnt es sich in der Praxis durchaus, die Daten der ersten Pläne etc. mit dem Datum des schriftlichen Vertrages zu vergleichen. Allerdings kann sich der Auftraggeber nach Treu und Glauben nicht auf eine fehlende schriftliche Vereinbarung höherer Sätze bei Auftragserteilung berufen, wenn der Architekt/Ingenieur vor Beginn seiner Tätigkeit einen schriftlichen Vertrag mit entsprechender Mittel- oder Höchstsatzvereinbarung vorgelegt und der Auftraggeber diesen erst Wochen oder Monate später unterschrieben hat. Denn aus der von ihm selbst verursachten verspäteten Gegenzeichnung kann er nichts herleiten (OLG Köln, NJW-RR 1997, 405 = IBR 1997, 289). Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, vor allem bei Aufträgen der öffentlichen Hand, in denen die Schriftform von vornherein vereinbart bzw. grundsätzlich einzuhalten ist. Wird entgegen dieser Vereinbarung der Vertrag ohne Schriftform abgeschlossen, so ist der Vertrag im Ganzen gem. § 154 Abs. 2 BGB unwirksam. Erst mit Vertragsunterzeichnung kommt der Vertrag zustande, so dass auch noch in diesem Zeitpunkt eine über den Mindestsätzen liegende Honorarvereinbarung getroffen werden kann, da das Merkmal „bei Auftragserteilung“ damit eingehalten wurde. Werden die Leistungen stufenweise beauftragt, reicht eine schriftliche Beurkundung vor Auftragserteilung, da diese Honorarvereinbarung mit dem Abruf der Leistungen wirksam wird und deshalb bei Auftragserteilung getroffen ist (BGH, BauR 2009, 264). 5.2.2.2.1
Mindestsatzunterschreitung nur in Ausnahmefällen
Aufgrund des starken Wettbewerbsdrucks sind Architekten und Ingenieure oftmals bereit, auch weit unter den Mindestsätzen tätig zu werden. Eine solche Honorarvereinbarung muss nach § 7 Abs. 3 HOAI jedoch ebenfalls schriftlich getroffen werden und ist außerdem nur „in Ausnahmefällen“ zulässig. Wann diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Anerkannt ist, dass innerhalb von Familie und Verein (Architek-
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5 Die Grundstücksbebauung
tenleistungen für das Clubhaus), aber auch in sozialen Härtefällen (Wiederaufbau eines abgebrannten Kindergartens durch eine Eltern-Initiative) keine Bindung an die HOAIMindestsätze besteht. Darüber hinaus ist eine Unterschreitung der Mindestsätze zulässig, „wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Zwecks der Mindestsatzregelung ein unter den Mindestsätzen liegendes Honorar angemessen ist“ (BGH, NJW 1997, 2329 = BauR 1997, 677 = ZfBR 1997, 250; vgl. auch OLG Nürnberg NJW-RR 2003, 1326 = NZBau 2003, 686 = IBR 2001, 495; OLG Saarbrücken, IBR 2004, 210). Das kann hiernach z. B. der Fall sein bei mehrfacher Verwendung einer Planung (BGH, BauR 1999, 1044) und „bei engen Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher oder persönlicher Art“, die das Vertragsverhältnis „deutlich von den üblichen Vertragsverhältnissen unterscheiden“. Dafür genügt es jedoch nicht, wenn „sich im Laufe der geschäftlichen Zusammenarbeit der Vertragsparteien Umgangsformen entwickeln, die als freundschaftlich zu bezeichnen sind“ (BGH NJW-RR 1997, 1448 = BauR 1997, 1062 = ZfBR 1997, 305; NJW-RR 1999, 1108 = BauR 1999, 1044 = ZfBR 1999, 272: Architekt als "Duzfreund" und Mitglied desselben Tennisvereins). Ausreichend ist auch nicht, wenn ein Ingenieur als Nachunternehmer über längere Zeit eine Vielzahl von Aufträgen zu einem unter dem Mindestsatz liegenden Pauschalhonorar ausgeführt hat (BGH, BauR 2012, 271). 5.2.2.2.2
Nachforderung des Mindestsatzhonorars
Liegt kein Ausnahmefall vor, ist eine Honorarvereinbarung, die die Mindestsätze unterschreitet, grundsätzlich unwirksam, nicht jedoch der Architekten-/Ingenieurvertrag. Das hat zur Folge, dass der Architekt/Ingenieur das Differenzhonorar bis zu den Mindestsätzen nachfordern kann. Bei dieser Beurteilung kommt es nach dem BGH darauf an, ob das für die Leistungen insgesamt vereinbarte Honorar unter den Mindestsätzen liegt. Eine isolierte Prüfung, ob einzelne in der Honorarordnung vorgesehene Abrechnungseinheiten unterhalb der Mindestsätze honoriert werden, ist nicht zulässig (BGH, Urteil vom 9.2.2012). Überhaupt sind – mit Ausnahme der Überschreitung der Höchstsätze, die eine Anpassung an dieselben zur Folge hat – die Mindestsätze immer dann heranzuziehen, wenn eine andere Honorarvereinbarung getroffen wurde, diese aber unwirksam ist. Für den Bauherrn und Auftraggeber bedeutet dies oft eine unliebsame Überraschung, wenn er auf die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung unterhalb der Mindestsätze vertraut und nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ davon ausging, dass der Architekt/Ingenieur sich daran halten würde. Da die HOAI-Mindestsätze jedoch zwingendes Preisrecht sind, gehen sie grundsätzlich dem Gebot der Vertragstreue vor. Die fehlende Aufklärung durch den Architekten über die mögliche Unwirksamkeit einer Pauschalhonorarvereinbarung, die die Mindestsätze unterschreitet, begründet nach der Rechtsprechung (BGH, NJW-RR 1997, 1448 = BauR 1997, 1062 = ZfBR 1997, 305) auch keinen Schadensersatzanspruch des Auftraggebers gegen den Architekten aus vorvertraglicher Pflichtverletzung, etwa auf Ersatz des Differenzbetrages zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen, weil der Auftraggeber mit einem anderen Architekten ebenfalls keine wirksame Vereinbarung hätte treffen können, die die Mindestsätze unterschreitet. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn der Auftraggeber nach den Kosten fragt und für den Architekten erkennbar völlig falsche Vorstellungen über die Höhe der anfallenden Kosten hat.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
263
Nur in Ausnahmefällen ist ein nachträgliches „Hochrechnen“ eines niedriger vereinbarten Pauschalhonorars auf die Mindestsätze wegen widersprüchlichen Verhaltens des Architekten/Ingenieurs treuwidrig (BGH, NJW 1997, 2329 = BauR 1997, 677 = ZfBR 1997, 250). Das ist nur dann der Fall,
wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung unterhalb der Mindestsätze vertraut hat, wenn er darauf auch vertrauen durfte, also nicht bösgläubig war, wenn er sich auf das niedrigere Honorar tatsächlich eingerichtet hat und wenn ihm die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann. Dem lag aber der Sonderfall eines Bauträgers zugrunde, der behauptete, er habe das unter den Mindestsätzen liegende und damit unwirksame Pauschalhonorar des Architekten der Preiskalkulation für seine Eigentumswohnungen zugrunde gelegt. Diese seien inzwischen verkauft, so dass er die Nachforderung des Architekten nicht mehr an die Erwerber weitergeben könne. Entsprechend hat der BGH entschieden (NJW 1998, 2672 = BauR 1998, 813 = ZfBR 1998, 239), dass der Auftragnehmer eines Architekten- oder Ingenieurvertrages, der ein Pauschalhonorar vereinbart hat, i. d. R. die Mindestsätze verlangen kann, wenn das Pauschalhonorar die Mindestsätze unterschreitet. Gleiches soll nach Ansicht des OLG Frankfurt gelten, wenn der Bauherr von einem Projektsteuerer und einem Anwalt vertreten wird (OLG Frankfurt, BauR 2007, 1906). Jedenfalls ist das Gesamtverhalten des Architekten zu bewerten, u. a. auch, ob er die Pauschalvereinbarung initiiert hat (OLG Düsseldorf, IBR 2011, 646). In diesem Fall können die nach dem BGH erforderlichen Anforderungen an die Treuwidrigkeit der Forderung des Mindestsatzes gegeben sein. Eine Abrechnung nach Mindestsätzen kann nach Ansicht des BGH ausnahmsweise treuwidrig sein, wenn der Statiker durch sein Verhalten ein besonderes Vertrauen des Auftraggebers dahin erweckt hat, er werde sich an die Vereinbarung halten. Das kann der Fall sein, wenn die Parteien in einer ständigen Geschäftsbeziehung stehen und der Architekt oder Ingenieur eine Vielzahl von Verträgen unter den Mindestsätzen abschließt und ihm nicht verborgen bleiben kann, dass sich sein Auftraggeber aufgrund dieser Geschäftspraxis bei der Gestaltung seiner Verträge auf die Einhaltung dieser Praxis verlässt (BGH, BauR 2012, 271). 5.2.2.2.3
Bindung an die erteilte Honorarschlussrechnung
Eine Nachforderung durch „Hochrechnen“ auf die Mindestsätze oder aus anderen Gründen kann ausgeschlossen sein, wenn der Architekt über das niedriger vereinbarte Honorar selbst Schlussrechnung gestellt hat und diese vom Auftraggeber bezahlt worden ist. Dann ist der Architekt/Ingenieur auch nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die von ihm erteilte Honorarschlussrechnung gebunden, wenn der Auftraggeber auf eine abschließende Berechnung des Honorars vertrauen durfte und er sich im berechtigten Vertrauen auf die Endgültigkeit der Schlussrechnung in schutzwürdiger Weise so eingerichtet hat, dass ihm eine Nachforderung nicht mehr zugemutet werden kann (BGH, BauR 2010, 1249). Wenn ein Architekt Schlussrechnung erteilt, liegt darin regelmäßig die Erklärung, dass er seine Leistung abschließend berechnet hat. Allerdings stellt auch dann eine Nachforderung zur Schlussrechnung nicht stets ein treuwidriges Verhalten nach § 242 BGB dar. Es müssen
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5 Die Grundstücksbebauung
vielmehr in jedem Einzelfall die Interessen des Architekten und des Auftraggebers umfassend geprüft und gegeneinander abgewogen werden (OLG Saarbrücken, IBR 2004, 210). Dies deshalb, weil nicht jede Änderung einer Schlussrechnung des Architekten nach Treu und Glauben ein unzulässiges widersprüchliches Verhalten ist. So ist ein widersprüchliches Verhalten z. B. dann anzunehmen, wenn der Architekt dem Auftraggeber u. a. wegen dessen schwerer Erkrankung finanziell entgegengekommen ist und er sich sodann auch deshalb auf die Unwirksamkeit beruft, weil er damit dessen „Undankbarkeit“ sanktionieren möchte (OLG Köln, NJW-RR 1999, 1109 = BauR 1999, 788L = NZBau 2000, 147L). Weiterhin ist der Architekt an seine Schlussrechnung dann gebunden, wenn er erstmals 3 ½ Jahre nach Erteilung der Schlussrechnung diese korrigieren will (OLG Hamm, OLGR 1996, 232). Es kommt daher darauf an, ob auf Seiten des Auftraggebers ein schutzwürdiges Vertrauen begründet worden ist. Denn nicht jede Schlussrechnung eines Architekten begründet beim Auftraggeber ein solches Vertrauen und nicht jedes erwirkte Vertrauen ist schutzwürdig. Hierbei ist zu beachten, dass im Einzelfall auch ein auf dem Bausektor seit Jahrzehnten tätiges Wohnungsbauunternehmen als Auftraggeber nicht weniger schutzwürdig sein kann als andere, deren Erfahrung nicht vergleichbar ist (LG Bonn, BauR 2004, 1199L = IBR 2004, 1106). Die Schutzwürdigkeit ist aber z. B. dann zu verneinen, wenn von Anfang an Streit über die Zahlungsverpflichtung aus der zunächst erteilten Schussrechnung besteht (OLG Koblenz, BauR 2001, 825). Entgegen der bisherigen Rechtsprechung ist aber allein die Bezahlung der Schlussrechnung keine Maßnahme, mit der sich der Auftraggeber in schutzwürdiger Weise auf die Endgültigkeit der Schlussrechnung einrichtet. Die Unzumutbarkeit der Nachforderung setzt immer voraus, dass die dadurch entstehende zusätzliche Belastung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für den Auftraggeber eine besondere Härte bedeutet (BGH, BauR 2010, 1249). Mit dieser neueren Rechtsprechung des BGH dürfte eine Bindungswirkung an die Honorarschlussrechnung nur in den seltensten Fällen gegeben sein. Ausgeschlossen ist die Bindungswirkung jedenfalls, wenn der Rechnungsprüfer die Zahlungsverpflichtungen bestreitet (OLG Düsseldorf, IBR 2010, 490). 5.2.2.3
Berechnungsfaktoren für die Honorarberechnung
Für die Honorarberechnung sind folgende vier Berechnungsfaktoren maßgebend:
anrechenbare Kosten Honorarzone Honorarsatz Leistungsbild.
5.2.2.3.1
Anrechenbare Kosten
Diese sind der Ausgangspunkt für die Honorarberechnung des Architekten/Ingenieurs und nicht identisch mit den Baukosten. Denn in den Baukosten sind z. B. auch die Baunebenkosten enthalten, insbesondere das Architekten- und Ingenieurhonorar selbst, das natürlich nicht zu den anrechenbaren Kosten zählt. Die Regelungen zu den anrechenbaren Kosten finden sich in § 4 HOAI und für die Leistungen bei Gebäuden und raumbildenden Ausbauten in § 32 HOAI. Bei der Beauftragung sollte sich der Auftraggeber jedenfalls die zum Zeitpunkt der Beauftragung geschätzten anrechenbaren Kosten vom Architekten vorlegen lassen. Bei größeren Baumaßnahmen gehört es unter
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
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anderem zum Aufgabenbereich des Projektsteuerers, die vom Architekten errechneten anrechenbaren Kosten zu prüfen. Aus § 6 Abs. 2 HOAI wird teilweise abgeleitet, dass bei Abschluss der Honorarvereinbarung eine Ermittlung von anrechenbaren Kosten vorliegen muss (e contrario § 6 Abs. 2 HOAI). Bei der Ermittlung der anrechenbaren Kosten als Honorarbasis spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob und in welchem Umfang der Architekt/Ingenieur tatsächlich auch Leistungen erbracht hat. Das ist erst im Rahmen des so genannten Leistungsbildes von Bedeutung, auf das nachstehend eingegangen wird. Grundsatz: Anrechenbare Kosten sind gem. § 4 Abs. 1 HOAI Teil der Kosten zur Herstellung, zum Umbau, zur Modernisierung, Instandhaltung oder Instandsetzung von Objekten sowie den damit zusammenhängenden Aufwendungen. Sie sind nach fachlich allgemein anerkannten Regeln der Technik oder nach Verwaltungsvorschriften (Kostenvorschriften) auf der Grundlage ortsübliche Preise zu ermitteln. Wird in der HOAI die DIN 276 in Bezug genommen, so ist die Fassung vom Dezember 2008 (DIN 276 – 1:2008 – 12) bei der Ermittlung der anrechenbaren Kosten zugrunde zu legen. Die auf die Kosten von Objekten entfallende Umsatzsteuer ist aber nicht Bestandteil der anrechenbaren Kosten. In § 4 Abs. 2 HOAI wird bestimmt, dass als anrechenbare Kosten ortsübliche Preise gelten, wenn der Auftraggeber selbst Lieferungen oder Leistungen übernimmt, von bauausführenden Unternehmen oder von Lieferanten sonst nicht übliche Vergünstigungen erhält, Lieferungen oder Leistungen in Gegenrechnung ausführt oder vorhandene oder vorhandene Baustoffe oder Bauteile einbauen lässt. Die stets anrechenbaren Kosten setzen sich gemäß § 32 Abs. 1 HOAI zusammen aus den Baukosten der DIN 276 und den Kosten für die vorhandene Bausubstanz. Stets voll anrechenbar sind somit die Kosten aus der Kostengruppe 300, also die Kosten für die Baugrube, Gründung, Außenwände, Innenwände, Decken, Dächer, baukonstruktive Einbauten, sonstige Maßnahmen der Baukonstruktion (zum Beispiel Baustelleneinrichtungen, Gerüste, Sicherungsmaßnahmen, Abbruchmaßnahmen, Instandsetzungen, Materialentsorgung). Problematisch ist nach der neuen HOAI die Frage, inwieweit die Kosten vorhandener Bausubstanz, zum Beispiel bei Sanierungsvorhaben, berücksichtigt werden. Die ursprüngliche Regelung des § 10 Abs. 3a HOAI a. F. wurde gestrichen. Nach der neuen HOAI könnte die vorhandene Bausubstanz gemäß § 4 Abs. 2 Ziffer 4 HOAI bei den anrechenbaren Kosten Berücksichtigung finden. Bei der vorhandenen Bausubstanz handelt es sich letztlich um vorhandene Bauteile. Diese Vorschrift setzt allerdings voraus, dass die betreffenden Bauteile wieder „eingebaut“ werden. Dies ist nur gegeben, wenn die Bauteile abgebrochen oder ausgebaut werden und später wieder verwendet werden. Bei vorhandener Bausubstanz handelt es sich aber gerade nicht um solche Bauteile, sondern um Bauteile, die lediglich in die Planung technisch oder gestalterisch einbezogen worden sind. Teilweise wird daher darauf verwiesen, dass vorhandene Bausubstanz im Rahmen des Umbauzuschlags berücksichtigt wird. Anrechenbar für Leistungen bei Gebäuden und raumbildenden Ausbauten sind gemäß § 32 Abs. 2 HOAI auch die Kosten für technische Anlagen, die der Auftragnehmer nicht fachlich plant oder deren Ausführung er nicht fachlich überwacht. Erforderlich ist dabei aber, dass der Planer für die Kosten der Installationen, zentralen Betriebstechnik und betrieblichen Einbauten Leistungen der Integration und Koordination erbracht hat (BGH, IBR 2006, 208). Solche Kosten sind vollständig anrechenbar bis zu 25 % der sonstigen anrechenbaren
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5 Die Grundstücksbebauung
Kosten und zur Hälfte mit dem 25 % der sonstigen anrechenbaren Kosten übersteigenden Betrag. Schließlich bestimmt § 32 Abs. 3 HOAI, dass nicht anrechenbar insbesondere die Kosten für das Herrichten, die nicht-öffentliche Erschließung, sowie Leistungen für Ausstattung und Kunstwerke sind, soweit der Auftragnehmer sie nicht plant, bei der Beschaffung mitwirkt oder ihre Ausführung oder ihren Einbau fachlich überwacht. Im Umkehrschluss heißt dies, dass diese anrechenbaren Kosten zu berücksichtigen sind, wenn die Voraussetzungen für Planen, Beschaffung, Mitwirken und Überwachen des Einbaus vorliegen. Ein Mitwirken bei der Beschaffung liegt beispielsweise vor, wenn der Planer den Bauherrn bei der Auswahl der Leistungen berät, die Materialien aussucht, Bemusterung vornimmt etc. Ein Überwachen des Einbaus liegt vor, wenn der Planer die bauüberwachende Tätigkeit des Einbaus der Anlage mit überwacht. Durch die Formulierung des § 32 Abs. 3 HOAI gibt es somit keine so genannten „nie anrechenbaren Kosten“ mehr. Alle Kosten können anrechenbar Kosten sein, wenn der Planer Leistungen für diese erbringt. 5.2.2.3.2
Honorarzone
Diese bestimmt den Schwierigkeitsgrad des Bauvorhabens. Dafür sind folgende Bewertungsmerkmale maßgebend: Einbindung in die Umgebung, Funktionsbereiche, gestalterische Anforderungen, Konstruktion, technische Ausrüstung und Ausbau. Hierfür sind bestimmte Punkte vorgesehen, nach denen die Honorarzone im Einzelfall ermittelt werden kann (§ 5 HOAI). Honorarzone I sehr geringe Anforderungen, Honorarzone II geringe Anforderungen, Honorarzone III durchschnittliche Anforderungen, Honorarzone IV überdurchschnittliche Anforderungen, Honorarzone V sehr hohe Anforderungen. Anlage 3 zu § 5 Abs. 4 Satz 2 enthält dann eine Objektliste, in der anhand häufiger Beispielsfälle eine Zuordnung erfolgt, z. B.
Behelfsbauten u. ä., Garagen und Parkhäuser, Wohnhäuser u. ä., aufwendige Einfamilienhäuser und Bungalows, Brauereien, Schulen und Hochschulen, Hotels, Banken und Kaufhäuser, Krankenhäuser, Konzerthallen u. ä., Honorarzone V Universitätskliniken und Forschungslabors, Rundfunk- und Fernsehstudios, aufwendige Theater- und Konzertgebäude. Auch die Honorarzone ist nicht frei vereinbar, sondern muss entsprechend der HOAI ermittelt werden. Denn je höher die Honorarzone ist, desto höher ist auch das Honorar. Die Parteien haben bei der Bestimmung der Honorarzone einen gewissen Beurteilungsspielraum, der nicht der richterlichen Kontrolle unterliegt. Nur wenn die Parteien bewusst eine zu niedrige Honorarzone außerhalb dieses Beurteilungsspielraums vereinbaren, liegt eine Mindestsatzunterschreitung vor. Die Honorarvereinbarung ist dann gemäß §§ 7 Abs. 1, 2 Honorarzone I Honorarzone II Honorarzone III Honorarzone IV
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
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und 6 HOAI unwirksam (OLG Zweibrücken, IBR 1998, 259; OLG Köln, IBR 1996, 193; BGH, Urteil vom 13.11.2003). Sofern sich das Bauvorhaben im Laufe der vom Architekten erbrachten Leistungen schwieriger als geplant darstellt und die Honorarzone deshalb zunächst vertraglich zu niedrig angesetzt wurde, so ist nach wie vor umstritten, ob das Honorar nach dem Mindestsatz der nächst höheren Honorarzone zu ermitteln ist (so Werner/Pastor, Rn. 816) oder nach dem mit dem Planer vereinbarten Honorarsatz der richtigen (höheren) Honorarzone. Wenn das Bauvorhaben im Verlauf der Planungsaufgabe einfacher wird, ist dem Architekten der Höchstsatz der niedrigeren Honorarzone zuzubilligen (BGH, Urteil vom 11.10.2007). Dies gilt auch dann, wenn die Parteien bewusst eine zu hohe Honorarzone vereinbart haben. 5.2.2.3.3
Honorarsatz
Insoweit hängt die Höhe des Honorars davon ab, ob lediglich der Mindestsatz gilt oder der Mittel-, Dreiviertel- oder Höchstsatz wirksam vereinbart ist. Das Honorar kann innerhalb der Mindest und Höchstsätze schriftlich bei Auftragserteilung frei vereinbart werden. Diese Vereinbarung ist unabhängig davon zu sehen, welchen Schwierigkeitsgrad das jeweilige Objekt aufweist. Dieser Aspekt spielt lediglich bei der Einordnung in die jeweilige Honorarzone eine Rolle. 5.2.2.3.4
Leistungsbild
Aus den anrechenbaren Kosten, der Honorarzone und dem Honorarsatz ergibt sich nach den jeweiligen Honorartafeln, wie viel das volle Honorar bei vollem Leistungsbild = 100 % Architekten- bzw. Ingenieurleistung beträgt. Dieses Honorar wird dann entsprechend dem Leistungsbild mit bestimmten Prozentsätzen den einzelnen Leistungsphasen zugeordnet, in § 33 HOAI für das Architektenhonorar (und entsprechend in § 49 HOAI für die Tragwerksplanung/Statik, in § 53 HOAI für die Technische Ausrüstung/Haus- und Gebäudetechnik). Für Architektenleistungen bei Gebäuden verteilt sich das volle Honorar wie folgt auf die einzelnen Leistungsphasen:
Leistungsphase 1 – Grundlagenermittlung Leistungsphase 2 – Vorplanung Leistungsphase 3 – Entwurfsplanung Leistungsphase 4 – Genehmigungsplanung Leistungsphase 5 – Ausführungsplanung Leistungsphase 6 – Vorbereitung der Vergabe Leistungsphase 7 – Mitwirkung bei der Vergabe Leistungsphase 8 – Objektüberwachung Leistungsphase 9 – Objektbetreuung
3% 7% 11 % 6% 25 % 10 % 4% 31 % 3% 100 % Die Parteien sind hinsichtlich des Umfangs der dem Architekten/Ingenieur beauftragten Leistungen frei. Folglich können sie den prozentualen Umfang der Beauftragung einschränken. Bei Vergabe an einen Generalunternehmer werden für die Architektenleistungen ab Leistungsphase 6 ff. häufig geringere Honorarprozentsätze vereinbart, weil der Architekt in diesem Fall seine Leistungen nur bezogen auf einen einzigen Unternehmer zu erbringen und damit deutlich weniger Arbeitsaufwand hat. Jedoch muss eine derartige Reduzierung der Leistungsprozentsätze vereinbart werden und gilt nicht automatisch nur deshalb, weil die Leistungen an einen Generalunternehmer statt an eine Vielzahl von Gewerken vergeben
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5 Die Grundstücksbebauung
werden. Denn die Honorierung des Architekten/Ingenieurs ist grundsätzlich nicht zeit- und leistungsbezogen, sondern allein ergebnisorientiert (= erfolgsbezogen). Im Bereich der konkreten Vereinbarung der einzelnen Leistungen liegt für den Auftraggeber ein entscheidendes Potenzial, das Leistungsbild den gegebenen Anforderungen hin entsprechend zu vereinbaren und Honorar einzusparen, indem Leistungen, die vom Auftraggeber nicht benötigt werden, schlechterdings auch nicht beauftragt werden. Nach § 8 Abs. 1 HOAI darf, wenn nicht alle Leistungen einer Leistungsphase übertragen werden, für die übertragenen Leistungen nur ein Honorar berechnet und vereinbart werden, dass dem Anteil der übertragenen Leistungen an der gesamten Leistungsphase entspricht. Das gleiche gilt nach § 8 Abs. 2 HOAI, wenn wesentliche Teile von Leistungen dem Auftragnehmer nicht übertragen werden. Je nachdem, ob Auftraggeber über eine eigene Planungsabteilung verfügen, einen Projektsteuer beauftragen, einen Generalunternehmer anstatt eine Einzelgewerkevergabe wählen, ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Architektenleistungen und damit auch unterschiedliche Variationen von Einsparpotenzialen im Hinblick auf das Architektenhonorar. Problematisch ist der Fall, in dem der Architekt von sich aus Teilleistungen innerhalb einer Leistungsphase nicht erbringt. Der BGH vertrat dazu früher eine ergebnisorientierte Auffassung und betonte den Werkvertragscharakter des Architektenvertrags (BGHZ 45, 376). Der werkvertraglichen Erfolg wurde in dem mangelfreien Entstehenlassen des Bauwerks gesehen. Dem Architekten verblieb somit grundsätzlich das ungekürzte Honorar, wenn dieses Ergebnis erreicht wurde. Die aktuelle Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass der Honoraranspruch ganz oder teilweise entfallen kann, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht (BGH, BauR 2004, 1640; BGH, BauR 2005, 400; BGH, BauR 2005, 588). Denn nach einer interessengerechten Auslegung seien auch die Interessen des Auftraggebers an den jeweiligen Arbeitsschritten zu berücksichtigen, die sich aus den Leistungsphasen der HOAI ergeben. Dies gelte beispielsweise auch, wenn die Parteien bestimmte Leistungen zum Vertragsgegenstand gemacht haben. Dann gehören diese Leistungen zum Leistungsumfang des Architekten. Dabei sollen nach Ansicht des BGH diejenigen Teilleistungen aus der Betrachtung ausscheiden, die dienstvertraglich zu qualifizieren sind. Noch nicht abschließend geklärt ist insoweit, welche Einzelleistungen tatsächlich werkvertragliche Teilerfolge darstellen und welche nicht. Der Auftraggeber wird aber im Regelfall ein Interesse an den Arbeitsschritten haben, die als Vorgaben aufgrund der Planung des Architekten für die Bauunternehmer erforderlich sind, damit diese die Planung vertragsgerecht umsetzen können. Ferner sind in jedem Fall die Leistungen zu erbringen, die den Auftraggeber in die Lage versetzen, etwaige Gewährleistungsansprüche gegen Bauunternehmer durchzusetzen. So entscheid der BGH, dass das Honorar zu kürzen ist, wenn der Architekt kein Bautagebuch geführt hat (BGH, IBR 2011, 588). Gleiches gilt auch für die Leistungen im Zusammenhang mit der Kostenkontrolle und Kostenermittlung. Sofern nach Maßgabe dieser Rechtsprechung bestimmte Teilleistungen so wesentlich sind, dass deren Nichterbringung zu Sachmängelansprüchen des Auftraggebers führt, soll nach Maßgabe der Entscheidung des BGH dem Auftraggeber die Minderung des Honorars oder auch der Schadensersatz zur Verfügung stehen, wenn die Nachholung einer Leistung für den Auftraggeber nicht mehr von Interesse ist (BGH, BauR 2005, 400; OLG Hamm, BauR 2007,
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
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1773). Im Rahmen der Minderung des Architektenhonorars besteht Einigkeit darüber, dass in diesen Fällen keine Verringerung der anrechenbaren Kosten, sondern eine Minderung des Prozentsatzes für die erbrachten Leistungen vorzunehmen ist (OLG Düsseldorf, BauR 2007, 1767). Nach Auffassung des BGH kann eine entsprechende Kürzung über Berechnungswerke wie zum Beispiel die sog. Steinfort-Tabelle oder die Siemon-Tabelle vorgenommen werden. 5.2.2.3.5
Baukostenvereinbarung
Wenn zum Zeitpunkt der Beauftragung noch keine Planungen als Voraussetzung für eine Kostenschätzung und Kostenberechnung vorliegen, können die Vertragsparteien gem. § 6 Abs. 2 HOAI schriftlich vereinbaren, dass das Honorar auf der Grundlage der anrechenbaren Kosten einer Baukostenvereinbarung nach den Vorschriften der HOAI berechnet wird. Dabei werden nachprüfbarer Baukosten einvernehmlich festgelegt. Die Praktikabilität dieser Regelung erscheint fragwürdig: So stellt es bereits ein Problem dar, dass zum Zeitpunkt der Beauftragung noch keine Vorplanung oder gar Entwurfsplanung und damit keine Kostenschätzung und Kostenberechnung vorliegen dürfen. Dennoch ordnet die Regelung an, dass die zu vereinbarenden Baukosten „nachprüfbar“ sein sollen. Entsprechenden Nachweise können also allenfalls über Referenzobjekte und Vergleichsobjekte geführt werden (vgl. Locher/Koeble/Frik, Kommentar zur HOAI, § 6 Rn. 45). Hinzu kommt, dass eine solche Honorarvereinbarung auch dann wirksam sein soll, wenn der objektiv richtige Mindestsatz nach der HOAI außer Kraft gesetzt wird. Dies steht jedenfalls in Widerspruch zu der gesetzlichen Grundlage der HOAI, wonach Mindest- und Höchstsätze festzulegen sind. Für den Architekten problematisch ist ferner, dass die Baukostenvereinbarung gleichzeitig die Wirkung einer Art „verbindlichen Kostenobergrenze“ darstellen soll. Allerdings ist die HOAI als Honorarordnung nicht geeignet, bürgerlichrechtliche Pflichten zu normieren. Schließlich stellt sich als Problem dar, dass die Honorartafeln der HOAI auf anrechenbare Kosten ausgerichtet sind und ein Honorar für die vereinbarten Baukosten nicht vorgesehen ist. 5.2.2.3.6
Bonus-Malus-Regelung
Für Kostenunterschreitungen, die unter Ausschöpfung technisch-wirtschaftlicher oder umweltverträglicher Lösungsmöglichkeiten zu einer wesentlichen Kostensenkung ohne Verminderung des vertraglich festgelegten Standards führen, kann ein Erfolgshonorar schriftlich vereinbart werden, das bis zu 20 % des vereinbarten Honorars betragen kann. In Fällen des Überschreitens der einvernehmlich festgelegten anrechenbaren Kosten kann ein MalusHonorar in Höhe von bis zu 5 % des Honorars vereinbart werden. 5.2.2.3.7
Anzahl der Objekte
Bei der Honorarberechnung ist ferner zu beachten, dass gemäß § 11 Abs. 1 HOAI die Honorare grundsätzlich für jedes Objekt getrennt zu berechnen sind, wenn ein Auftrag mehrere Objekte umfasst. Objekte sind dabei Gebäude, raumbildende Ausbauten, Freianlagen, Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen, Tragwerke und Anlagen der technischen Ausrüstung. § 11 Abs. 2–4 HOAI enthalten detaillierte Regelungen zu diesem Modell. Der wirtschaftliche Hintergrund liegt darin, dass die Aufteilung eines Projekts in mehrere Objekte dem Architekten/Ingenieur nach den Honorartafeln ein höheres Honorar verschafft, als bei einer
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5 Die Grundstücksbebauung
Honorarermittlung, bei der die anrechenbaren Kosten zusammengefasst werden. Denn die Werte in den Honorartafeln sind degressiv. Neu ist nach der HOAI 2009 die Zusammenrechnung der anrechenbaren Kosten bei Objekten mit weitgehend vergleichbaren Objektbedingungen derselben Honorarzone gem. § 11 Abs. 1 HOAI, die im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang als Teil einer Gesamtmaßnahme geplant, betrieben und genutzt werden. Wann allerdings vergleichbare Objektbedingungen vorliegen, bleibt der Beurteilung durch das Gericht vorbehalten. Griffige Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der HOAI hierzu nicht. 5.2.2.3.8
Leistungen im Bestand
Für Leistungen im Bestand, d. h. bei Umbauten und Modernisierungen kann gem. § 35 Abs. 1 HOAI für Objekte ein Zuschlag bis zu 80 % vereinbart werden. Sofern kein Zuschlag schriftlich vereinbart ist, fällt für Leistungen ab der Honorarzone II ein Zuschlag von 20 % an. Das ist von Auftraggebern von Sanierungsobjekten zu beachten. Für Leistungen bei Instandhaltungen und Instandsetzungen von Objekten kann gemäß § 36 Abs. 1 HOAI vereinbart wird, den Prozentsatz für die Bauüberwachung bis zu 50 % zu erhöhen. 5.2.2.4
Fälligkeit des Honorars – Prüffähige Rechnung
Nach § 15 Abs. 1 HOAI wird das Honorar fällig, wenn die Leistung vertragsgemäß erbracht und eine prüffähige Honorarschlussrechnung überreicht worden ist. Dafür ist erforderlich, dass die vorgenannten Berechnungsfaktoren für das Honorar nachvollziehbar dargelegt sind: Anrechenbare Kosten, Honorarzone, Honorarsatz und Leistungsbild. Die anrechenbaren Kosten sind, wie schon erwähnt, nach § 4 Abs. 1 HOAI unter Zugrundelegung des Kostenermittlungsverfahrens nach DIN 276 in der Fassung vom Dezember 2008 zu ermitteln. Deren Gliederungssystem ist vom Architekten im Rahmen der Ermittlung der anrechenbaren Kosten zu verwenden. Die Prüfbarkeit einer Architektenhonorarrechnung ist kein Selbstzweck. Die Anforderungen an sie ergeben sich vielmehr aus den Informations- und Kontrollinteressen des Auftraggebers. Diese bestimmen und begrenzen Umfang und Differenzierung der für die Prüfbarkeit erforderlichen Angaben. Welche Anforderungen an eine prüffähige Rechnung zu stellen sind, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von den Kenntnissen und Fähigkeiten des Auftraggebers und seiner Hilfspersonen (BGH, NJW 1998, 3123 = BauR 1998, 1108 = ZfBR 1998, 299; NJW-RR 1999, 95 = BauR 1999, 63 = ZfBR 1999, 37). Der Auftraggeber kann sich daher nach Treu und Glauben nicht auf die fehlende Prüffähigkeit der Schlussrechnung berufen, wenn diese auch ohne die objektiv unverzichtbaren Angaben seinen Kontroll- und Informationsinteressen genügt. Allerdings ist der Auftraggeber nach Treu und Glauben mit solchen Einwendungen gegen die Prüffähigkeit der Schlussrechnung ausgeschlossen, die er nicht spätestens innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zugang der Rechnung vorgebracht hat (BGH, NJW-RR 2004, 445 = BauR 2004, 316 = ZfBR 2004, 262). Die Rüge der
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
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fehlenden Prüffähigkeit kann nicht in pauschaler Weise erfolgen, sondern muss die Teile der Rechnung und die Gründe bezeichnen, die nach Auffassung des Auftraggebers zum Mangel der fehlenden Prüffähigkeit führen (BGH, BauR 2010, 1249). Die Aufteilung der Rechnung in drei Teile, nämlich die Leistungsphasen 1–4, Leistungsphasen 5–7 und Leistungsphasen 8–9 ist nach der neuen HOAI entfallen. Nach § 6 Abs. 1 HOAI ist nur noch die Kostenberechnung als Grundlage maßgebend. Soweit die Kostenberechnung nicht vorliegt, ist auf der Grundlage der Kostenschätzung abzurechnen. Die Kostenschätzung ist zum Beispiel maßgebend, wenn der Architekt nur einen Auftrag für Leistungsphasen 1 und 2 gehabt hat oder die Vertragsbeziehungen in einem Stadium wirksam beendet werden, in dem die Kostenberechnung in Leistungsphase 3 noch nicht erbracht werden musste (OLG München, BauR 1991, 651). Die Parteien sind an die Kostenberechnung grundsätzlich gebunden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kostenberechnung vom Architekten schuldhaft erheblich zu hoch angesetzt wurde (OLG Düsseldorf, BauR 1987, 708). Es muss sich dabei allerdings um eine grobe Fehleinschätzung handeln. Die Toleranzrahmen schwanken dabei zwischen 20 % und 5–7 % bei der Kostenberechnung. Problematisch ist bei dem Kostenberechnungsmodell der Anstieg von Baupreisen. Dabei kann es notwendig werden, dass eine Art fortgeschriebener Kostenberechnung für die Ermittlung des Honorars zugrunde gelegt wird. Das gilt zum Beispiel bei Änderungen und Erweiterungen des Objekts aber auch bei Nachträgen, die allesamt nicht durch Fehler des Architekten verursacht wurden. In diesen Fällen ist die Kostenberechnung auf der Grundlage des vollständigen Entwurfs maßgebend. In Abkehr von der bisher wohl herrschenden Meinung hat der BGH entschieden, dass bei der Abrechnung der Leistungsphasen 5–7 des § 15 Abs. 2 HOAI a. F. nach dem dabei maßgeblichen Kostenanschlag Nachträge, die nach der Vergabe an einen Bauunternehmer entstehen, in die Berechnung der anrechenbaren Kosten für diese Leistungsphasen nicht einbezogen werden dürfen. Dies wurde vom BGH mit der Systematik der HOAI und mit dem Ziel des Verordnungsgebers, die Architektenkosten von den tatsächlichen Baukosten abzukoppeln, begründet (BGH, BauR 2010, 1957). Allerdings ist nach richtiger Auffassung zu differenzieren: Die nach dem BGH geltende Einschränkung gilt lediglich für die bereits geschuldeten Planungsleistungen. Sofern allerdings im Zusammenhang mit der Ausführung von Nachträgen erneute Grundleistungen zu erbringen sind, steht dem Architekten hier für einen gesondertes Honorar nach den hierfür geltenden Regelungen der HOAI zu (BGH, a.a.O.). Inwieweit diese Rechtsprechung auch auf die neue HOAI anzuwenden sein wird, bleibt abzuwarten. Hiervon zu unterscheiden sind die Kostenermittlungen, die der Architekt innerhalb der jeweiligen Leistungsphasen zu erbringen hat:
Kostenschätzung Diese ist in der Leistungsphase 2 vorgesehen und als erste überschlägige Kostenermittlung, die in der Regel nur nach Kubikmeter umbautem Raum X Einheitspreis erfolgt, noch relativ grob.
Kostenberechnung Sie ist Teil der Leistungsphase 3, wo schon vermasste 1:100-Pläne vorliegen, und muss deshalb entsprechend genauere Berechnungen für die wichtigsten Gewerke von Rohbau und Ausbau enthalten.
272
5 Die Grundstücksbebauung Kostenanschlag Er ist in Leistungsphase 7 vorgesehen, nachdem die – meist aufgrund entsprechender Ausschreibung – eingeholten Angebote geprüft, in Form eines Preisspiegels gegenübergestellt sind und zu den einzelnen Gewerken ein Vergabevorschlag gemacht ist, welches von mehreren Angeboten für den Rohbau und die Ausbaugewerke das jeweils preisgünstigste bzw. annehmbarste ist. In diesem Sinne ist der Kostenanschlag das Ergebnis von Ausschreibung und Vergabe in Form der Summe aller Angebote, zu denen nach dem Vergabevorschlag der Auftrag erteilt werden soll. Damit liegen – nach der Kostenschätzung und Kostenberechnung des Architekten – nunmehr auch Unternehmerpreise vor, die erkennen lassen, was der Bau – im Vergleich zur Kostenschätzung bzw. Kostenberechnung – tatsächlich kosten wird. Hier sind nur noch die der Ausschreibung zugrunde liegenden Massen geschätzt oder beruhen auf der Ermittlung des Architekten.
Kostenfeststellung Dies ist die in Leistungsphase 8 vorgesehene Zusammenstellung der endgültigen Herstellungskosten gemäß den Schlussrechnungen der ausführenden Firmen, wobei auch die Gründe für etwaige Abweichungen gegenüber dem Kostenanschlag darzulegen sind, wenn und soweit sich Mehr- und/oder Minderkosten ergeben haben. Zusätzlich sind alle vier Kostenermittlungsarten durch die Pflicht zu ständiger Kostenkontrolle und Kostenfortschreibung miteinander verbunden, damit der Auftraggeber jederzeit feststellen kann, ob die Baukosten im Rahmen bleiben bzw. wie sie sich entwickeln.
5.2.2.5
Abschlagszahlungen
Nach § 15 Abs. 2 HOAI können Abschlagszahlungen zu den vereinbarten Zeitpunkten oder in angemessenen zeitlichen Abständen für nachgewiesene Leistungen gefordert werden. Auch dafür ist aber eine prüffähige Abschlagsrechnung erforderlich, für die im Prinzip dieselben Grundsätze gelten, wie vorstehend für die Architekten-Honorarschlussrechnung dargelegt. Entgegen verbreiteter Annahme können Abschlagszahlungen nicht nur für vollständig abgeschlossene Leistungsphasen verlangt werden, sondern auch für halbfertige Leistungen innerhalb einer Leistungsphase. Das ist zutreffend, weil der Architekt sonst für die gesamte Ausführungsplanung, die allein 25 % des Leistungsbildes ausmacht, vor vollständiger Fertigstellung keine Abschlagszahlungen verlangen könnte und für die Objektüberwachung, die 31 % des Leistungsbildes ausmacht, ebenfalls erst nach Baufertigstellung. Das Verhältnis zu § 632 a BGB ist allerdings problematisch. Danach kann der Unternehmer von dem Besteller für eine vertragsgemäß erbrachte Leistung eine Abschlagszahlung in der Höhe verlangen, in der der Besteller durch die Leistung einen Wertzuwachs erlangt hat. Danach genügt es, wenn Planunterlagen, Leistungsbeschreibungen und andere Dinge (Kostenermittlungen, Modelle usw.) in den Besitz des Auftraggebers kommen, so dass er damit das Projekt vorantreiben kann. Ein Baubeginn muss dabei noch nicht vorliegen (a.A.: OLG Hamburg, BauR 2009, 1452). Zu beachten ist dabei, dass die Abschlagszahlungen wegen wesentlicher Mängel verweigert werden können. Hinzu kommt, dass der Architekt einem Verbraucher als Auftraggeber Sicherheit in Höhe von 5 % des Vergütungsanspruchs (§ 632a Abs. 3 Satz 1 BGB) leisten muss.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
273
Ob eine Klausel, nach der dem Architekten oder Ingenieur von Abschlagszahlungen 5 % des Honorars als Sicherheit abgezogen wird, für sich genommen wirksam ist, hat der BGH offen gelassen (BGHZ 165, 332). Eine solche Klausel ist aber jedenfalls dann unangemessen, wenn der Auftragnehmer sämtliche Leistungsphasen des Leistungsbildes Objektplanung einschließlich Leistungsphase 9 zu erbringen hat, eine Teilschlussrechnung lediglich nach Abschluss der Leistungsphase 4 gestellt werden kann und die Schlussrechnung für die Leistungsphasen 5–9 erst dann gestellt werden darf, wenn seine Leistungen abgeschlossen sind (BGH a. a. O.). 5.2.2.6
Nebenkosten
Die bei der Ausführung des Auftrags entstehenden Nebenkosten des Architekten können gem. § 14 Abs. 1 HOAI, soweit sie erforderlich sind, abzüglich der nach § 15 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz abziehbaren Vorsteuer neben den Honoraren der HOAI berechnet werden. Die Parteien können bei Auftragserteilung schriftlich vereinbaren, dass abweichend hiervon eine Erstattung ganz oder teilweise ausgeschlossen ist. § 14 Abs. 2 HOAI benennt die wesentlichen Nebenkosten. Nach § 14 Abs. 3 HOAI können Nebenkosten auch pauschal oder nach Einzelnachweis abgerechnet werden. Sie sind nach Einzelnachweis abzurechnen, sofern bei Auftragserteilung keine pauschale Abrechnung schriftlich vereinbart worden ist. Üblich ist es, dass Nebenkosten über Pauschalen (z. B. 5 % des Gesamthonorars netto) abgerechnet werden. 5.2.2.7
Sicherung des Vergütungsanspruchs
Hinsichtlich der Absicherung des offenen Honoraranspruchs des Architekten/Ingenieurs ist zu unterscheiden: 5.2.2.7.1
Erbrachte Leistungen
Für sie gibt § 648 BGB auch dem Architekten/Ingenieur einen Anspruch auf Bewilligung einer im Grundbuch einzutragenden Bauhandwerkersicherungshypothek, allerdings nur, soweit nach seinen Plänen bereits gebaut worden ist. Denn nur dann ist davon auszugehen, dass sich dadurch der Wert des Baugrundstücks erhöht hat (BGHZ 51, 190). Bei einer Kündigung des Auftraggebers und bei fehlendem Baubeginn kann dies unter Umständen nicht gegeben sein. Allerdings hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass die Eintragung einer Sicherungshypothek bei Kündigung eines Architektenvertrages unabhängig von der Wertsteigerung des Grundstücks möglich sein muss (OLG Düsseldorf, IBR 2007, 624). Wenn nach der Planung gebaut worden ist, kann für das dadurch verdiente, offene Honorar die Bewilligung einer Sicherungshypothek im Grundbuch verlangt und notfalls klageweise durchgesetzt werden. Allerdings besteht in diesen Fällen die Gefahr, dass der Auftraggeber vor Erlangung eines entsprechenden Titels durch den Architekten, der ihn zur Eintragung einer Sicherungshypothek im Grundbuch verpflichtet, das Grundstück veräußert oder anderweitig mit Grundschulden und Hypotheken belastet, so dass für den Architekten allenfalls eine nachrangig eingetragene Hypothek als Sicherung bereit stehen würde. Deshalb wird in solchen Fällen üblicherweise gem. § 885 BGB verfahren und eine einstweilige Verfügung auf Eintragung einer Vormerkung erwirkt, durch die der Anspruch auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek an nächst freier Rangstelle vorgemerkt wird.
274
5 Die Grundstücksbebauung
Trotzdem ist dies nur in seltenen Fällen ein wirksames Sicherungsmittel, denn zum einen kann dadurch eine Absicherung nur auf dem Baugrundstück erreicht werden, nicht auch auf anderen Grundstücken des Bauherrn und Auftraggebers. Zum anderen sind in der Regel und meist bis zur Grenze der Beleihbarkeit bereits vorrangige Baufinanzierungsmittel eingetragen. Außerdem besteht ein Anspruch auf Vormerkung bzw. Bauhandwerkersicherungshypothek nur, wenn der Bauherr und Auftraggeber auch Eigentümer des Baugrundstücks ist, in der Regel also nicht, wenn der Auftraggeber z. B. eine GmbH ist, das Baugrundstück aber dem Geschäftsführer persönlich gehört. Hier ist die fehlende rechtliche Identität zwischen Auftraggeber und Grundstückseigentümer nur dann kein Hindernis, wenn die AuftraggeberGmbH lediglich vorgeschoben ist und von dem Grundstückseigentümer, dem die baubedingte Werterhöhung des Grundstücks zugute kommt, faktisch beherrscht wird. In solchen Fällen muss sich der Grundstückseigentümer trotz fehlender Identität nach den in § 242 BGB niedergelegten Grundsätzen von Treu und Glauben als Auftraggeber/Besteller behandeln lassen (BGH, NJW 1988, 255 = BauR 1988, 88 = ZfBR 1988, 72; OLG Hamm, NJW-RR 1989, 1105 = BauR 1990, 365; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 851; KG, BauR 1999, 921). Aber selbst dann bleibt, wie in allen anderen Fällen der Bauhandwerkersicherungshypothek bzw. Vormerkung der Nachteil, dass dadurch nur erbrachte Leistungen gesichert werden können, der Architekt also seinem verdienten Geld hinterherlaufen muss und dieses verliert, wenn der Auftraggeber insolvent wird. 5.2.2.7.2
Noch zu erbringende Leistungen
Das in der Praxis wesentlich häufiger gebrauchtes Sicherungsmittel ist die Bauhandwerkersicherheit nach § 648 a BGB. Danach hat der Architekt/Ingenieur „für die von ihm zu erbringenden Vorleistungen“ Anspruch auf Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft oder Zahlungsversprechen eines Kreditinstitutes oder Kreditversicherers, und zwar in Höhe des voraussichtlichen Vergütungsanspruchs. Gesichert ist auch der Vergütungsanspruch nach Kündigung gemäß § 649 S. 2, S. 3 BGB. Die Kosten für diese Sicherheit muss aber bis zu einem Höchstsatz von 2 % pro Jahr der Auftraggeber/Ingenieur tragen, der die Sicherheitsleistung verlangt. Die Sicherheitsleistung kann vom Architekt/Ingenieur selbstständig eingeklagt werden. Ferner hat der Auftraggeber/Ingenieur die Möglichkeit, das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 320 BGB geltend zu machen. Der Architekt kann gemäß § 648 a Abs. 5 BGB dem Besteller eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit setzen und nach erfolglosem Fristablauf den Vertrag kündigen. Kündigt er den Vertrag, ist der Architekt/Ingenieur berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es wird auch hier – wie bei § 649 S. 3 BGB – vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. § 648 a BGB sichert außer zukünftigen auch bereits erbrachte Leistungen, solange diese noch nicht durch Abschlags- oder Vorauszahlungen abgegolten sind (OLG Karlsruhe, NJW 1997, 263 = BauR 1996, 556). Verlangt der Architekt/Ingenieur eine überhöhte Sicherheit, so kann der Auftraggeber dieses Verlangen nicht einfach ignorieren, er ist vielmehr zur
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
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Stellung einer „angemessenen“ Sicherheit verpflichtet (OLG Düsseldorf, BauR 1999, 47). Des Weiteren hat das OLG Düsseldorf (BauR 2005, 155L = IBR 2005, 28) entschieden, dass auch der lediglich planende Architekt Sicherheit gem. § 648 a BGB verlangen kann, ohne dass seine Planungsleistungen in einem konkreten Bauerfolg oder sonst in einer Werterhöhung des Bauwerks Niederschlag gefunden haben müssen. Nach § 648 a Abs. 7 BGB sind diese Regelungen zwingend und können nicht abbedungen werden. Eine hiervon abweichende Vereinbarung ist unwirksam. Zu beachten ist noch § 648 a Abs. 6 BGB. Danach finden die vorgenannten Regelungen keine Anwendung, wenn Auftraggeber eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen ist, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren unzulässig ist. In diesen Fällen besteht der Schutzzweck des § 648 a BGB nicht. Das gleiche gilt für eine natürliche Person als Auftraggeber, die Bauarbeiten zur Herstellung oder Instandsetzung eines Einfamilienhauses ausführen lässt, ausgenommen hiervon etwaige Baubetreuer und Bauträger. Bauherrn sind deshalb gut beraten, im Rahmen der Projektfinanzierung dafür zu sorgen, dass zur Befriedigung der Ansprüche etwaiger Auftragnehmer auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheitsleistung entsprechende Vorsorge getroffen ist, damit solchen Sicherungsverlangen kurzfristig Rechnung getragen werden kann. 5.2.2.8
Verjährung des Vergütungsanspruchs
Für die Verjährung des Honoraranspruchs des Architekten/Ingenieurs gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger (Auftraggeber) von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Entstehung des Anspruches ist mit der Fälligkeit gleichzusetzen (BGH, NJW 1990, 1170 = BauR 1990, 95 = ZfBR 1990, 14), so dass hier § 15 HOAI zu beachten ist. Für Abschlagsforderungen gelten die vorgenannten Grundsätze entsprechend, d. h. Ansprüche auf Abschlagszahlungen verjähren selbstständig in drei Jahren ab dem Jahresende, in dem für sie eine prüfbare Abschlagsrechnung vorgelegt worden ist. Jedoch kann der Architekt/Ingenieur auch verjährte Abschlagsforderungen wieder in seine Honorarschlussrechnung einstellen und mit dieser erneut geltend machen, ohne dass die Verjährung der Abschlagsforderungen dem entgegensteht (BGH, NJW 1999, 713 = BauR 1999, 267 = ZfBR 1999, 98).
5.2.3
Urheberrecht des Architekten/Ingenieurs
5.2.3.1
Architektenwerk und Urheberrechtsschutz
Aus § 2 Abs. 1 Ziffer 4 Urheberrechtsgesetz folgt, dass zu den geschützten Werken solche der bildenden Künste, Werke der Baukunst und der angewandten Kunst sowie Entwürfe solcher Werke gehören. Daraus wird abgeleitet, dass nicht jedes vom Architekten gestaltete Bauwerk urheberrechtlichen Schutz genießt. Die Werke der Baukunst sind als besondere Art der Werke "Werke der bildenden Künste" aufgeführt. Damit ergibt sich die Problematik, dass der Begriff des Kunstwerks definiert werden muss (BGHZ 24, 63). Dabei wird eine gewisse
276
5 Die Grundstücksbebauung
Höhe verlangt, das heißt Individualität, die Handschrift des Architekten, eine eigenpersönliche Leistung. Der Gebrauchswert des Bauwerks steht der Bejahung des Kunstwerkcharakters nicht entgegen (BGH, BauR 1999, 273). Allerdings sind hier keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Sobald ein Bauwerk oder ein Teil eines Bauwerks oder Pläne eine gewisse Individualität aufweisen und den Bereich eines anspruchslosen Zeugnisses verlassen, besteht Urheberrechtsschutz (statt vieler: Neuenfeld, BauR 2011, 180). 5.2.3.2
Änderungsverbot
Der Urheber hat gemäß §§ 14, 23, 39 Urheberrechtsgesetz grundsätzlich ein Recht auf Erhaltung der unveränderten Gestalt seines Werks. Das Änderungsverbot richtet sich aber nur gegen Veränderungen, die aus rein geschmacklichen Gründen vorgenommen werden und eine künstlerische Verschlechterung oder Verfälschung darstellen. Denn der Urheber einer Planung oder eines Bauwerks hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass das von ihm geschaffene Werk, in dem seine individuelle künstlerische Schöpferkraft ihren Ausdruck gefunden hat, der Mit- und Nachwelt in seiner unveränderten individuellen Gestaltung zugänglich gemacht wird (BGH, NJW 1999, 790 = BauR 1999, 272). In einem Spannungsverhältnis hierzu stehen das Eigentumsrecht des Bauherrn und sein grundsätzliches Recht mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren. Wie dieses Spannungsverhältnis aufzulösen ist, hängt von der Art und Umfang des konkreten Eingriffs sowie von den schutzwürdigen Interessen des Urhebers ab, also vom „individuellen Schöpfungsgrad, vom Charakter, von der Zweckbestimmung des Werks“. Sofern keine Entstellung vorliegt, ist eine Interessenbilanz vorzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass Bauwerke nicht vom technischen Fortschritt ausgeschlossen werden dürfen (Locher, Das Private Baurecht, Rdn. 547). Ferner liegt eine urheberrechtlich beachtliche Änderung nur vor, wenn auch ein Eingriff in die Werksubstanz vorliegt. Änderungen, die aus technischen oder wirtschaftlich-kostenmäßigen Gründen erfolgen, sind prinzipiell zulässig, z. B. die Aufsattelung eines undichten Flachdachs zum Schutz gegen Feuchtigkeitsschäden (OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 546 = BauR 1986, 466; KG, KGR Berlin 1997, 3 = IBR 1997, 113: Änderung eines geplanten gläsernen in einen gemauerten Aufzugsschacht). Auch der Abriss eines Gebäudes, sofern dies nicht unter kränkenden Umständen geschieht, kann vom Urheber nicht verhindert werden (statt vieler: Neuenfeld, BauR 2011, 180). Vor dem Hintergrund dieser Auffassung erweist sich der Teilabriss als problematisch, weil er sich exakt auf der Grenze zwischen dem zulässigen Gesamtabriss und der (unzulässigen) Entstellung des bestehenden Gebäudes bewegt. Dabei ist davon auszugehen, dass das Bauwerk in urheberrechtlich relevantem Umfang nur vollständig vernichtet ist, wenn der verbleibende Rest nicht mehr auf das frühere Werk durch irgendwelche Merkmale, die keinen selbstständigen Urheberrechtsschutz begründen müssen, hinweist oder erinnert (OLG München, ZUM 2001, 339). In den meisten Fällen ist daher auch bei einem Teilabriss davon auszugehen, dass ein (ggfls. unzulässiger) Eingriff in die Rechte des Urhebers erfolgt. 5.2.3.3
Mehrfache Verwendung
Der Architekt stellt sein Urheberrecht nur für die einmalige Errichtung eines Bauwerks zur Verfügung. Ein Nachbau durch den Auftraggeber ist nicht zulässig. Dagegen darf der Architekt grundsätzlich nachbauen, sofern nicht im Architektenvertrag eine entgegenstehende
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
277
Verpflichtung des Architekten statuiert wurde. Freilich kann sich hier auch aus dem Zweck des Architektenvertrages ergeben, dass ein Nachbau ausgeschlossen ist. 5.2.3.4
Übertragung der Nutzungs- und Verwertungsrechte
Von dem geschuldeten Architektenhonorar abgegolten ist die urheberrechtliche Befugnis an den Plänen, soweit diese zur Errichtung des Bauwerks benötigt werden. Nach einer Entscheidung des BGH (NJW 1975, 1165 = BauR 1975, 363) überträgt der mit den Leistungsphasen 1–4, d. h. bis zur Baugenehmigung beauftragte Architekt dem Auftraggeber stillschweigend die Nutzungsbefugnis an den diesbezüglichen Leistungen, ohne über die ihm dafür zustehende Vergütung hinaus ein Entgelt für die Verwendung seiner Pläne bei der Ausführung des Bauwerks durch den Auftraggeber verlangen zu können. Denn es ist gerade der Sinn und Zweck eines solcherart beschränkten Auftrags, dass der Auftraggeber nach der erwirkten Baugenehmigung bauen kann, ohne weiter an den Architekten gebunden zu sein. Schon das ist aber nicht unbestritten, und auch in allen anderen in Betracht kommenden Fällen ist im Zweifel keine stillschweigende Übertragung der Nutzungsbefugnis anzunehmen. Demgemäß hat der für Urheberrechtsfragen zuständige I. Zivilsenat des BGH entschieden (NJW 1984, 2818 = BauR 1984, 416 = ZfBR 1984, 194), dass aus der Übernahme eines Einzelauftrags für die Leistungsphasen 1 und 2 zur Erstellung eines Vorentwurfs, d. h. bei bloßer Vorplanung regelmäßig noch nicht auf die Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsbefugnisse insbesondere des Nachbaurechts, geschlossen werden kann (ebenso OLG Hamm, NJW-RR 2000, 191 = BauR 1999, 1198). Nicht abschließend geklärt ist auch, wie weit der Urheberrechtsschutz für den Architekten/Ingenieur geht, wenn etwa trotz voller Beauftragung nach den bis zur Genehmigungsplanung fertig gestellten urheberrechtlich geschützten Plänen ohne den Architekten gebaut wird. Das OLG Köln hat in einem solchen Fall einen Schadensersatzanspruch in Höhe des üblichen Honorars bis zur Leistungsphase 8 zugesprochen (BauR 1991, 647= IBR 1991, 501). Das OLG München dagegen ist – wohl eher zutreffend – der Meinung, dass der Architekt nur bis zur Leistungsphase 5 (Ausführungsplanung) eine urheberrechtlich relevante schöpferische Leistung erbringt (NJW-RR 1995, 474 = OLGR 1995, 14 = IBR 1995, 213); ebenso OLG Nürnberg, NJW-RR 1998, 47 = BauR 1998, 168; OLG Jena, BauR 1999, 672 = IBR 1999, 328; OLG Hamm NJW-RR 2000, 191 = BauR 1999, 1198). Sofern der Architektenvertrag gekündigt wird, ist davon auszugehen, dass die Nutzungsrechte beim Auftraggeber verbleiben, da dem Architekten nach § 649 S. 2 BGB ein Anspruch auf die volle Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zusteht und das Nutzungsrecht bereits bei Beauftragung mit der Vollarchitektur übertragen wird. 5.2.3.5
Folgen der Urheberrechtsverletzung
Sofern der Auftraggeber oder ein Dritter das Urheberrecht des Architekten verletzt, kann dieser einen Unterlassungsanspruch geltend machen, der gegebenenfalls auch durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann. Eine solche einstweilige Verfügung kann zu einer Baueinstellung führen. Ferner ergeben sich bei einer Urheberrechtsverletzung Schadensersatzansprüche. Der Schadensersatzanspruch richtet sich grundsätzlich danach, welchen Anspruch der Urheber auf Honorierung nach der HOAI für die Leistungen erhalten hätte, die er erbracht haben würde,
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5 Die Grundstücksbebauung
wäre er mit der Veränderung beauftragt worden (BGHZ 61, 88). Nach den meisten Entscheidungen der OLG`s ist die „Lizenzgebühr“ nur von den urheberrechtlich relevanten Leistungsphasen 1–5 zu berechnen. Der Urheber muss sich allerdings ersparte Aufwendungen abziehen lassen. Daneben berechtigt § 97 Abs. 2 Satz 4 UrhG den Urheber auch zur Liquidation eines Schadens, der nicht als Vermögensschaden eingestuft werden kann, also zu einem „Schmerzensgeldanspruch“. Dies hat jedenfalls das OLG Hamm in einem sehr umstrittenen Urteil entschieden (OLG Hamm, Urteil vom 21.11.1991 – 4 U 2/91).
5.2.4
Leistungspflichten und Haftung des Architekten/Ingenieurs
Die Leistungspflichten des Architekten und Ingenieurs ergeben sich nicht aus der HOAI. Die Regelungen HOAI können auch nicht dahin interpretiert werden, weil dem Verordnungsgeber hierfür die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Als bloße Honorarordnung enthält diese keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind lediglich Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach (BGH, NJW 1997, 586 = BauR 1997, 154 = ZfBR 1997, 74 und NJW 1999, 427 = BauR 1999, 187 = ZfBR 1999, 92). Insbesondere beschränken sich die Leistungspflichten des Architekten/Ingenieurs nicht auf die Leistungsbilder der HOAI, sondern gehen unter Umständen darüber hinaus und umfassen alles, was zur Erreichung des werkvertraglich geschuldeten Erfolgs erforderlich ist. Denn was ein Architekt oder Ingenieur vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem geschlossenen Vertrag, hier: aus dem Recht des Werkvertrages bzw. dem Inhalt der getroffenen vertraglichen Vereinbarung. Der Inhalt dieses Architekten-/Ingenieurvertrages ist nach allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts durch Auslegung zu ermitteln. Auch für einen Architekten- und Ingenieurvertrag ist der funktionale Mangelbegriff maßgebend. Danach kommt es für die Planung und Überwachung im Ergebnis darauf an, dass ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk hergestellt wird (BGH, BauR 2000, 411). 5.2.4.1
Umfang der Einstandspflicht des Architekten/Ingenieurs
Wofür der Architekt/Ingenieur einstehen muss, ist eine Frage des Einzelfalles und von dem konkreten Inhalt des übernommenen Auftrags abhängig. Generell lässt sich sagen, dass es Aufgabe des Architekten/Ingenieurs ist, die Bauwünsche seines Auftraggebers zu ermitteln und so zu planen, dass dessen Zielvorstellungen in vollem Umfang verwirklicht werden können (BGH NJW-RR 1998, 668 = BauR 1998, 356 = ZfBR1998, 148). Dazu gehört auch eine frühzeitige Klärung des Kostenrahmens und der zur Verfügung stehenden Mittel einschließlich der Prüfung und Aufklärung des Auftraggebers, ob und inwieweit seine Bauwünsche damit vereinbar sind. Denn vielfach sind die Bauwünsche des Bauherrn größer als sein Budget. Der Architekt/Ingenieur darf deshalb nicht einfach „darauf los planen“ und dem Auftraggeber eine Planung liefern, die zwar seinen Bauwünschen entspricht, die vorhandenen finanziellen Mittel aber weit übersteigt. Aus diesem Grunde ist die Vereinbarkeit von Bauwünschen und Budget so früh wie möglich zu klären. Damit nicht später unvorhergesehene Mehrkosten entstehen, muss der Architekt/Ingenieur auch die Boden- und Grundwasserverhältnisse möglichst früh klären und die Einholung eines entsprechenden Bodengutachtens durch den Bauherrn veranlassen. Denn gerade
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
279
Gründungsprobleme aufgrund ungünstiger Boden- und Grundwasserverhältnisse, aber auch Altlasten u. a. Kontaminationen, verursachen oft hohe Mehrkosten, etwa für Bodenaustausch, Wasserhaltung und Grundwasserisolierung. Sie führen zu keiner Wertsteigerung des Bauwerks, machen dieses von vornherein unrentabel und müssen deshalb möglichst frühzeitig erkannt werden. Aufgrund der werkvertraglichen Erfolgsbezogenheit des Architekten- und Ingenieurvertrages schuldet der Architekt/Ingenieur dem Auftraggeber grundsätzlich auch eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung (BGH, NJW-RR 1999, 1105 = BauR 1999, 1195 = ZfBR 1999, 315), und zwar eine solche, die in vollem Umfang dem Vertrag mit dem Auftraggeber entspricht. Auflagen der Genehmigungsbehörde, die eine vom Vertrag abweichende Bauausführung zur Folgen haben, begründen deshalb einen Mangel, wenn dadurch die Gebrauchsfähigkeit des Werkes beeinträchtigt wird (BGH, NJW-RR 1998, 952 = BauR 1998, 579 = ZfBR 1998, 186). Gleiches gilt, wenn die Baugenehmigung zwar zunächst erteilt, später aber von Dritten erfolgreich angefochten wird (BGH, NJW 1999, 2112 = BauR 1999, 934 = ZfBR 1999, 202; OLG Hamm, NZBau 2000, 434 = BauR 2000, 918: Nichteinhaltung der Abstandsflächen). Kann der Architekt/Ingenieur den geschuldeten Erfolg (dauerhafte Genehmigungsfähigkeit) nicht erbringen, so erhält er kein Honorar. Abweichendes können die Beteiligten im Rahmen der Privatautonomie selbstverständlich vereinbaren. Allerdings reicht nach Ansicht des BGH (NJW 2003, 287 = BauR 2002, 1872 = ZfBR 2003, 31) die bloße Kenntnis des Auftraggebers von Genehmigungsrisiken nicht als Grundlage für die Annahme aus, die Parteien hätten abweichend von dem schriftlichen Vertrag vereinbart, dass der Auftraggeber das Genehmigungsrisiko tragen solle. Weiterhin ist der Auftraggeber auch nicht verpflichtet, das vertragliche Leistungsprogramm auf das genehmigungsfähige Maß zu beschränken (BGH, a. a. O.). Aus diesem Grund muss der Architekt/Ingenieur die Genehmigungsfähigkeit des geplanten Bauvorhabens bereits im Stadium der Vorplanung der Leistungsphase 2 durch eine Bauvoranfrage klären, obwohl dies keine Grundleistung, sondern eine Besondere Leistung ist, für die zusätzliches Honorar verlangt werden kann. Trotzdem ändert das nichts daran, dass der Architekt/Ingenieur diese Besondere Leistung auch dann, wenn der Auftraggeber dafür kein zusätzliches Honorar zu zahlen bereit ist, haftungsrechtlich erbringen muss, weil er, um den versprochenen Erfolg zu erreichen, nach dem Inhalt seines Vertrages nicht nur die Leistungen schuldet, die nach dem Leistungsbild des § 33 HOAI als Grundleistungen honoriert werden. 5.2.4.2
Die Mängelrechte des Auftraggebers
Welche Mängelrechte der Bauherr hat, wenn der Architekt/Ingenieur den werkvertraglich geschuldeten Erfolg nicht erbringt, ergibt sich aus den Regelungen des Werkvertragsrechts gem. §§ 633 ff. BGB. 5.2.4.2.1
Nacherfüllungsanspruch
Eine Nacherfüllung, wie sie gem. § 635 BGB vom Bauunternehmer bei Mängeln des Bauwerks in erster Linie geschuldet wird, kommt beim Architektenwerk nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die Planung als solche nacherfüllungsfähig ist und sich der Mangel noch nicht im Bauwerk verkörpert hat.
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5 Die Grundstücksbebauung
Die fehlende Genehmigungsfähigkeit der Planung, z. B. im Falle eines Nachbareinspruchs, kann unter Umständen nacherfüllt werden, ebenso können Fehler bei der Rechnungsprüfung im Rahmen der Nacherfüllung korrigiert werden, solange noch keine Zahlung erfolgt ist. Ferner besteht an Plänen und Ausschreibungsunterlagen ein Nacherfüllungsrecht des Architekten, solange noch nicht danach gebaut bzw. vergeben worden ist (BGH, BauR 2007, 2083). Auch bei Fehlern im Rahmen der Baukostenermittlung kann der Architekt regelmäßig nacherfüllen, solange sich die erhöhten Baukosten noch nicht durch die Umsetzung der Maßnahme manifestiert haben. 5.2.4.2.2
Minderung
Isoliert, aber auch zusätzlich zum Schadensersatzanspruch neben der Leistung kann der Auftraggeber die Minderung der Vergütung gemäß § 634 Nr. 3 BGB in Verbindung mit § 638 BGB geltend machen. Die Berechnung der Minderung orientiert sich daran, in welchem Verhältnis der Wert des Werks in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Dabei sind nicht die Kosten für die tatsächliche Mängelbeseitigung, sondern der entsprechende Honoraranteil für die ordnungsgemäße Leistung im Verhältnis zur nicht ordnungsgemäßen Leistung zu ermitteln. Neben dem Hauptanwendungsfall einer Minderung bei Vorliegen von Mängeln des Architektenwerks kommt die Minderung auch dann in Betracht, wenn der Architekt nicht alle nach den Grundleistungen zu erbringenden Einzelleistungen erbringt, soweit diese werkvertragliche Teilerfolge darstellen. 5.2.4.2.3
Schadensersatzanspruch
Wenn bereits ein Bauwerksmangel vorliegt, ist der Primärmangel des Architekten- bzw. Ingenieurwerks nicht mehr behebbar, die Beseitigung des darauf beruhenden Folgemangels am Bauwerk wird vom Architekten/Ingenieur dagegen nicht geschuldet, weil er insoweit nicht – wie der Bauunternehmer – Mängelbeseitigung in Natur als körperliche Leistung zu erbringen hat, sondern das mangelfreie Entstehen des Bauwerks als geistige Leistung schuldet. Deshalb steht dem Auftraggeber für Bauwerksmängel, die auf Mängeln des Architekten/Ingenieurwerks beruhen, grundsätzlich nur Schadensersatz in Geld zu (§§ 634 Nr. 4,636, 280 ff. BGB). Dieser Anspruch setzt Verschulden voraus, das regelmäßig in Form der Fahrlässigkeit gegeben ist. Im Übrigen hat der Architekt gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB den Entlastungsbeweis für sein fehlendes Verschulden zu erbringen. Eine vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung ist entbehrlich, wenn eine Nacherfüllung nicht mehr möglich ist. 5.2.4.3
Verjährung der Mängelansprüche des Auftraggebers
Die Mängelansprüche des Auftraggebers gegen den Architekten/Ingenieur verjähren nach § 634 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB grundsätzlich in fünf Jahren, beginnend mit der Abnahme der letzten nach dem Vertrag geschuldeten Leistung, sofern Planungs- oder Überwachungsleistungen für Bauwerk vorliegen. Wenn sämtliche Architekten-/Ingenieurleistungen einschließlich der Leistungsphase 9 in Auftrag gegeben sind, beginnt diese Frist erst mit dem Ablauf der Gewährleistungsfristen der bauausführenden Firmen, die üblicherweise ebenfalls mit fünf Jahren vereinbart werden. Das hat zur Folge, dass der Architekt/Ingenieur in diesen Fällen bis zu zehn Jahre nach Baufertigstellung haftet (KG, NZBau 2004, 337 = KGR Berlin 2004, 321 = IBR 2004, 436).
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
281
Aus diesem Grund lehnen viele Architekten/Ingenieure (zu Recht) die Übernahme der Leistungsphase 9 ab oder versuchen zu vereinbaren, dass die Verjährung der Mängelrechte für Leistungen der Leistungsphasen 1–8 mit der Fertigstellung des Bauwerks und der Leistungsphase 9 mit deren Beendigung beginnt. Zu beachten ist bei Beauftragung der Leistungsphase 9 ebenfalls, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Verjährungsfrist für Mängelansprüche dann nicht zu laufen beginnt, wenn der Architekt/Ingenieur auf die Frage des Auftraggebers nach der Verantwortlichkeit für einen Mangel seine eigenen Planungs- oder Überwachungsfehler nicht zugibt. Denn der Architekt/Ingenieur hat als Sachwalter des Bauherrn die Ursachen sichtbar gewordener Baumängel unverzüglich aufzuklären und den Auftraggeber ohne schuldhafte Verzögerung vom Ergebnis der Untersuchung und der sich daraus ergebenden Rechtslage zu unterrichten. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Architekt von sich aus ungefragt zur Offenbarung auch der eigenen Fehler verpflichtet ist (vgl. u. a. BGH: NJW-RR 1986, 182 = BauR 1986, 112; NJW-RR 2002, 1531 = BauR 2002, 1718 = ZfBR 2002, 769). Geschieht dies nicht, so kann er sich wegen der Verletzung dieser Aufklärungspflicht nicht auf den Verjährungseintritt hinsichtlich seines mangelhaften eigenen Werkes berufen. Eine formularmäßige Abkürzung der fünfjährigen Verjährungsfrist für die Mängelhaftung der Architekten und Ingenieure kommt regelmäßig nicht in Betracht, da eine solche nach den AGB-rechtlichen Vorschriften (§ 309 Nr. 8 lit. b ff BGB) unwirksam ist. 5.2.4.4
Verletzung von Nebenpflichten
Neben dem Schadensersatzanspruch wegen Mängeln steht dem Auftraggeber gegen den Architekten/Ingenieur auch ein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung von Nebenpflichten gem. §§ 634 Nr. 4, 280 ff. BGB zu. Auch hierfür gilt grundsätzlich die einheitliche Verjährungsfrist von 5 Jahren nach § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB. In Ausnahmefällen, wenn die Pflichtverletzung nicht zu einem Mangel am Werk selbst führt, gilt aber die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB, die mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Auftraggeber/Gläubiger von der Person des Schuldners und den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat, nicht jedoch vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB endet. Umstritten ist nach wie vor, wenn es sich bei Ansprüchen wegen Bausummenüberschreitung um Mängelansprüche handelt (dann Frist von fünf Jahren, gerechnet ab Abnahme; so OLG Stuttgart BauR 1987, 462; OLG Düsseldorf BauR 2003, 160; OLG Düsseldorf BauR 2006, 547) oder um Ansprüche aus einer Nebenpflichtverletzung (dann Frist von drei Jahren, gerechnet ab Ende des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist; so OLG Stuttgart, BauR 2000, 1893). 5.2.4.5
Falsche Beratung des Auftraggebers in Bezug auf die eigene Haftung
Nach der Rechtsprechung des BGH obliegt dem umfassend, d. h. auch mit Leistungsphasen 8 und 9 beauftragten Architekten im Rahmen seiner Betreuungsaufgabe nicht nur die Wahrung der Auftraggeberrechte gegenüber den Bauunternehmern, sondern auch die objektive Klärung der Mängelursachen, selbst wenn zu diesen eigene Planungs- oder Aufsichtsfehler gehören.
282
5 Die Grundstücksbebauung
Eine Vertragsverletzung durch pflichtwidrige Unterlassung jeglicher Untersuchung und Beratung, mit der der Architekt möglicherweise die Verjährung der gegen ihn selbst bestehenden Ansprüche herbeiführt, begründet – nicht anders als eine falsche Beratung – einen weiteren Schadensersatzanspruch dahin, dass die Verjährung der gegen ihn gerichteten Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche als nicht eingetreten gilt. Anknüpfungspunkt für diese Sekundärhaftung des Architekten ist der übernommene Aufgabenkreis. Solche weitgehenden Betreuungspflichten folgen für den umfassend beauftragten Architekten daraus, dass er die Objektüberwachung und die Objektbetreuung übernommen hat. Mit der umfassenden Beauftragung eines Architekten räumt der Besteller diesem eine zentrale Stellung bei der Planung und Durchführung des Bauwerks ein. Er ist der primäre Ansprechpartner des Bestellers, wenn es zu Problemen bei der Bauabwicklung kommt, der sog. Sachwalter. Dies setzt sich auch nach der Fertigstellung des Bauvorhabens fort. Deshalb ist der Architekt auch nach der Fertigstellung des Bauvorhabens Sachwalter des Bestellers, der ihm bei der Durchsetzung der Ansprüche gegen die anderen Bau- und Planungsbeteiligten behilflich sein muss (BGH, NZBau 2009, 789 = ZfBR 2009, 781). Die Anwendung dieser Grundsätze, ist nicht auf den Architekten beschränkt. Sie gelten auch für den umfassend beauftragten Ingenieur, der mit der Errichtung eines Ingenieurbauwerks, § 51 Abs. 1 HOAI a. F., § 40 HOAI n. F., betraut wurde. Sie gelten dagegen nicht für den Tragwerksplaner (BGH, BauR 2002, 108 = NZBau 2002, 42 = ZfBR 2002, 61; vgl. nunmehr auch § 3 Abs. 5 HOAI). Sie sind nach überwiegender Auffassung grundsätzlich auch nicht auf andere Sonderfachleute anzuwenden. Sonderfachleute haben regelmäßig keine dem umfassend beauftragten Architekten vergleichbare Stellung. Sie werden zusätzlich zu dem Architekten für die Bearbeitung von Teilbereichen des Bauvorhabens hinzugezogen. Ihnen kommt keine zentrale Stellung als primärer Ansprechpartner des Bauherrn für das Bauvorhaben als Ganzes zu. 5.2.4.5.1
Organisationsverschulden
Dies ist ein von der Rechtsprechung entwickelter Auffangtatbestand für den Fall, dass arglistiges Verschweigen nicht nachgewiesen werden kann. Denn die Haftung für arglistiges Verschweigen setzt den Nachweis voraus, dass derjenige, der gegenüber dem Vertragspartner offenbarungspflichtig ist, vom Vorliegen von Mängeln positive Kenntnis hat und diese trotzdem nicht offenbart hat. Das ist jedoch nur sehr schwer zu beweisen. Für solche Fälle gilt die 3-jährige Verjährungsfrist gem. § 634 a Abs. 3 BGB, die mit dem Ende des Jahres beginnt, in dem der Auftraggeber von dem Schaden, den der Architekt/Ingenieur durch sein Verhalten verursacht hat, Kenntnis erlangt. Diese Frist läuft jedoch nicht vor der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB ab, weil es anderenfalls zu einer Verkürzung der Verjährung kommen könnte (§ 634 a Abs. 3 S. 2 BGB). In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen „Dachpfettenfall“ (BGH, NJW 1992, 1754 = BauR 1992, 500 = ZfBR 1992, 168) waren die Fertigteile für die Dachpfetten/Dachbalken eines Hallendachs zu kurz hergestellt worden. Sie konnten deshalb nicht vollflächig auf dem umlaufenden Mauerwerk aufgelegt und insbesondere nicht in den dort vorgesehenen Dornen verankert werden. Die Arbeiter der Hallenbaufirma legten die Dachpfetten gleichwohl auf und schmierten die verbleibenden Lücken einschließlich der funktionslos freistehenden Auffangdorne, die die Fertigteile festhalten sollten, mit Mörtel zu.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
283
Nach mehr als zehn Jahren rutschten die Dachpfetten ab, weil sie auf den Rändern des umlaufenden Mauerwerks nicht ausreichend auflagen, und das gesamte Hallendach stürzte ein. Der Inhaber der Hallenbaufirma berief sich auf den Ablauf der normalen fünfjährigen Gewährleistungsfrist und wies den Vorwurf arglistigen Verschweigens der Mängel zurück, weil er von der mangelhaften Arbeit seiner Leute keine Kenntnis gehabt hatte. Das ließ der Bundesgerichtshof jedoch nicht gelten und entschied, dass der Werkunternehmer, der ein Bauwerk arbeitsteilig herstellen lässt, die organisatorischen Voraussetzungen schaffen muss, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das Bauwerk bei Ablieferung mangelfrei ist. Unterlässt er dies, so verjähren Gewährleistungsansprüche des Bestellers – wie bei arglistigem Verschweigen eines Mangels – drei Jahre nach Kenntnis von Schaden und Schädiger, frühestens 5 Jahre nach Abnahme, wenn der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre, weil er derart auffällig war, dass er bei entsprechender Eigenüberwachung und Qualitätskontrolle der eigenen Leistungen schlechterdings nicht hätte verborgen bleiben können. Dieser Rechtsprechung sind inzwischen zahlreiche Instanzgerichte gefolgt:
OLG Oldenburg, BauR 1995, 105 = IBR 1995, 151: Mangelnde Betonüberdeckung der Bewehrung,
OLG Köln, NJW-RR 1995, 180 = BauR 1995, 107: mangelnde Überdeckung von Estrichmatten,
OLG Stuttgart, BauR 1997, 317 = IBR 1997, 234: unzureichende Betongüte von Spannbeton-Deckenplatten und
OLG Frankfurt/Kassel, NJW-RR 1999, 24 = BauR 1999, 283 L: Mängel eines Flachdaches.
Der BGH hat zuletzt Arglist im Sinne eines Organisationsverschuldens bejaht, weil der mit der Bauüberwachung beauftragte Architekt nicht kontrolliert hatte, ob eine geplante Dampfsperre eingebaut wurde. Bei der Abnahme verschwieg er dies dem Bauherrn. Als später Feuchtigkeit im Mauerwerk aufstieg, nahm ihn der Bauherr wegen Arglist in Anspruch. Der Architekt wäre verpflichtet gewesen, den Bauherrn darüber aufzuklären, dass er die Überwachung des Einbaus der Dampfsperre nicht vorgenommen hat (BGH, BauR 2010, 1966). Eine Organisationspflichtverletzung im vorgenannten Sinn hat der BGH allerdings in einem Fall verneint, in dem vom Architekten ein Mangel als solcher nicht wahrgenommen wurde (BGH, BauR 2010, 1959), weil er davon ausging, dass er bestimmte Arbeiten, die aus seiner Sicht eine „handwerkliche Selbstverständlichkeit“ darstellten, nicht hätte überwachen müssen.
5.2.5
Bereiche der Haftung des Architekten/Ingenieurs
Die Haftung des Architekten/Ingenieurs im Einzelnen lässt sich in folgenden fünf Fallgruppen zusammenfassen:
284 5.2.5.1
5 Die Grundstücksbebauung Planungsfehler
Diese unterteilen sich im Wesentlichen in folgende Bereiche: 5.2.5.1.1
Fehler bei der Einschaltung von Sonderfachleuten
Da der Architekt kein Fachmann für Bodenmechanik, Statik/Tragwerksplanung oder Hausund Gebäudetechnik ist, muss er dafür sorgen, dass für diese Sondergebiete rechtzeitig, d. h. nicht zu früh und nicht zu spät vom Bauherrn/Auftraggeber entsprechende Fachingenieure beauftragt/eingeschaltet werden. Beispiel: Wenn der Bodengutachter erst eingeschaltet wird, nachdem die Baugrube im Grundwasser steht, ist dies zu spät. Wenn dagegen der Statiker bereits beauftragt wird, ehe die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens durch Bauvoranfrage und positiven Bauvorbescheid geklärt ist, kann dies verfrüht sein. Die Prüfung des Baugrunds ist eine Hauptleistungspflicht des Architekten.Liegen bekanntermaßen besondere Baugrundverhältnisse vor und bestehen spezielle Anforderungen an die Gründung des konkreten Bauvorhabens, reichen allgemeine Kenntnisse des Architekten über die Bodenverhältnisse in der betreffenden Region nicht aus. Kommt es in einer solchen Konstellation aufgrund einer fehlenden Baugrunduntersuchung zu Setzungsrissen, ist der Architekt dem Besteller zum Schadensersatz verpflichtet (OLG Rostock, Urteil vom 3.3.2010 – Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen). 5.2.5.1.2
Technische Fehler
Dies sind die Planungsfehler im eigentlichen Sinne, wozu auch die Nichtplanung erforderlicher Details zählt, z. B. einer Feuchtraumisolierung, einer Treppe, eines Dachanschlusses u. ä. 5.2.5.1.3
Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften
Dazu zählen insbesondere die Gebäudehöhen, Grenzabstände zum Nachbarn u. a. bauordnungsrechtlich vorgeschriebene Punkte. Nach der Rechtsprechung ist der Architekt/Ingenieur insoweit verpflichtet, in jedem Fall den „sicheren Weg“ zu gehen und für eine zweifelsfrei genehmigungsfähige Planung zu sorgen. Wird die vorgelegte Planung nicht genehmigt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Architekt/Ingenieur den geschuldeten Erfolg nicht erbracht hat. Zum Widerspruch gegen die Ablehnung und erst recht zu einer anschließenden Klage auf Baugenehmigung ist der Auftraggeber nur verpflichtet, wenn die Ablehnung offenkundig rechtswidrig oder ermessensfehlerhaft ist. Außerdem ist die Genehmigung nur dann vertragsgemäß, wenn sie den getroffenen Vereinbarungen und vereinbarten Vorgaben entspricht. Denn der Architekt, der sich dazu verpflichtet hat, eine genehmigungsfähige Planung zu erstellen, schuldet eine dem Vertrag entsprechende genehmigungsfähige Planung. Auflagen der Genehmigungsbehörde, die auf eine vom Vertrag abweichende Bauausführung hinauslaufen, begründen einen Mangel des Architektenwerks, wenn deshalb eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder der Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufgehoben oder gemindert ist (BGH, NJW-RR 1998, 952 = BauR 1998, 579 = ZfBR 1998, 186).
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
285
Ebenso hat ein Architekt, der eine genehmigungsfähige Planung übernommen hat, seine vertraglich zugesagte Leistung nicht erbracht, wenn die angestrebte Baugenehmigung zunächst zwar erteilt, später jedoch von einem Dritten, z. B. einem Nachbarn, erfolgreich angefochten worden ist (BGH, NJW 1999, 2112 = BauR 1999, 934 = ZfBR 1999, 202; OLG Hamm, BauR 2000, 918: Nichteinhaltung der Abstandflächen). Oftmals werden in Gegenden, in denen der Grund und Boden besonders teuer ist, Grundstücke auf Wunsch des Eigentümers/Auftraggebers bewusst „überplant“, um notfalls im Dispensweg eine größtmögliche Ausnutzung zu erreichen. In diesen Fällen tut der Architekt/Ingenieur gut daran, möglichst auch eine zweifelsfrei genehmigungsfähige Planung vorzulegen und sich von den Risiken der darüber hinausgehenden Planung, was deren Genehmigungsfähigkeit angeht, freistellen zu lassen, damit er bei Ablehnung der Baugenehmigung nicht in Anspruch genommen werden kann und sein Honorar verliert, was der Fall wäre, wenn die Planung infolge der fehlenden Genehmigungsfähigkeit für den Bauherrn und Auftraggeber wertlos ist und dieser sich nicht daran erinnern will, dass er selbst es war, der eine derart riskante Planung gewünscht hatte. 5.2.5.1.4
Wirtschaftliche Fehler
Anerkanntermaßen schuldet der Architekt/Ingenieur nicht nur eine technisch fehlerfreie Planung, sondern auch eine solche, die wirtschaftlich-kostenmäßig fehlerfrei, d. h. zumindest vertretbar ist. Das gilt auch dann, wenn kein bestimmter Kostenrahmen im Sinne eines Budgets oder Kostenlimits vereinbart war. Denn ein Mangel des Architekten-/Ingenieurwerks kann auch dann vorliegen, wenn gemessen an der vertraglichen Leistungsverpflichtung übermäßiger Aufwand getrieben wird oder die geschuldete Optimierung der Nutzbarkeit eines Gebäudes, bspw. im Verhältnis Nutzfläche/Verkehrsfläche nicht erreicht wird. Vorgaben des Bauherrn sind insoweit selbst dann verbindlich, wenn sie erst im Laufe des Planungsprozesses gemacht werden (BGH, NJW 1998, 1064 = BauR 1998, 354 = ZfBR 1998, 149). Beispiel: Bei einem Gebäude werden vom Architekten Decken und Wände stärker dimensioniert, als dies nach den getroffenen Vereinbarungen und der vorgesehenen Nutzung des Gebäudes erforderlich ist. Oder der Statiker rechnet zu viele so genannte „Angsteisen“ ein und sieht eine Bewehrungsstärke vor, die zu einer unnötigen Baustahl-Verteuerung führt. 5.2.5.2
Koordinierungsfehler
Sie sind rechtlich wie Planungsfehler zu behandeln und im Verhältnis zum Bauunternehmer dem Bauherrn/Auftraggeber selbst zuzurechnen, weil dieser dem Unternehmer nicht nur eine ordnungsgemäße Planung schuldet, sondern auch eine richtige Koordinierung der Arbeiten der einzelnen Gewerke. Insofern hat der Architekt/Ingenieur eine ähnliche Aufgabe wie der Dirigent eines Orchesters: er muss die Einsätze geben und dafür sorgen, dass zur rechten Zeit das richtige Gewerk tätig wird, auch hier wieder. Beispiel: Der Architekt/Ingenieur darf den Estrich nicht schon aufbringen lassen, ehe die auf der Rohbetondecke liegenden Leitungsrohre ausreichend isoliert sind, weil diese sonst korrodieren. Wenn der Architekt/Ingenieur dagegen den Dachdecker erst kommen lässt, wenn es in das offen stehende Dach hineingeregnet hat, ist dies im Zweifel zu spät.
286 5.2.5.3
5 Die Grundstücksbebauung Bauaufsichtsfehler
Während der Bauherr und Auftraggeber dem Unternehmer eine ordnungsgemäße Planung und Koordinierung der Arbeiten schuldet und sich diesbezügliche Fehler des Architekten, der insoweit sein Erfüllungsgehilfe ist, deshalb zurechnen lassen muss (§§ 254, 278 BGB), hat der Unternehmer grundsätzlich keinen Anspruch auf Beaufsichtigung, sondern muss die ihm übertragenen Arbeiten eigenverantwortlich erbringen. Wenn und soweit der Architekt/Ingenieur zur Bauaufsicht verpflichtet ist, mindert dies deshalb nicht die Haftung des Unternehmers. Beide – Bauunternehmer und Architekt/Ingenieur – haften dem Auftraggeber für Mängel am Bauwerk vielmehr als Gesamtschuldner, wenn der Architekt/Ingenieur seine Bauaufsichtspflicht verletzt hat. Allerdings ist nicht jeder Baumangel automatisch auch ein Mangel des Architektenwerks im Sinne einer Verletzung der Bauaufsichtspflicht. Denn der Architekt/Ingenieur ist nicht verpflichtet, so genannte handwerkliche Selbstverständlichkeiten zu überwachen, und braucht auch nicht ständig auf der Baustelle präsent zu sein. Vielmehr genügt eine stichprobenartige Überwachung. Nur bei kritischen und schadensträchtigen Arbeiten besteht eine erhöhte Aufsichtspflicht. Zu diesen Einzelfällen mit „Signalwirkung“, in denen beim Architekten/Ingenieur eine Warnlampe angehen muss, zählt die Rechtsprechung allerdings fast alles, von Ausschachtungs-, Bewehrungs- und Betonierarbeiten bis zum Dachstuhl und abgehängten Decken. Hinzu kommt, dass die Gerichte insoweit aus der Sicht des Schadensfalles urteilen und bei einer derartigen ex-postBetrachtung leicht zu dem Ergebnis kommen, dass der jeweilige Mangel hätte vermieden werden können, wenn der Architekt/Ingenieur auf der Baustelle gewesen wäre. Das gilt erst recht, wenn – wie nicht selten – beim Bauunternehmer nichts mehr zu holen ist, während der Architekt/Ingenieur für von ihm zu vertretende Baumängel haftpflichtversichert ist. Im Rahmen der Leistungsphase 7 verlangt die Rechtsprechung vom Architekten auch Kenntnisse der VOB/B. Es wird von ihm z. B. verlangt, dem Bauherrn gängige Vertragsmuster zum Abschluss vorzulegen. Bei der Vereinbarung der VOB/B hat der Architekt den Bauherrn von der zweijährigen Verjährungsfrist abzuraten und auf den Abschluss einer fünfjährigen Frist hinzuwirken (OLG Nürnberg, BauR 2010, 649). 5.2.5.4
Terminüberschreitungen
Eine Haftung des Architekten/Ingenieurs für Terminüberschreitungen ist in der Praxis selten, weil für die Leistungen des Architekten/Ingenieurs – anders als für die des Bauunternehmers – i. d. R. keine Vertragsfristen vereinbart werden. Jedoch muss der Architekt/Ingenieur, wenn er für die Leistungen des Bauunternehmers einen Bauzeitenplan erstellt hat, auch seine eigenen Leistungen danach ausrichten und die erforderlichen Pläne so rechtzeitig liefern, dass der Bauunternehmer den Bauzeitenplan einhalten kann. Insofern ist auch der Architekt/Ingenieur an seinen eigenen Bauzeitenplan gebunden: so genannte Selbstbindung. Aus diesem Grunde kann eine verspätete Planlieferung durchaus zu einer Haftung des Architekten/Ingenieurs für Terminüberschreitungen führen, für die er dann persönlich einstehen muss. Denn dafür besteht nach den Bedingungen für die Haftpflichtversicherung von Architekten und Ingenieuren kein Versicherungsschutz.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag 5.2.5.5
287
Kostenüberschreitungen
Wie schon erwähnt, muss die Leistung des Architekten/Ingenieurs nicht nur technisch fehlerlos, sondern auch wirtschaftlich-kostenmäßig einwandfrei sein. Denn der Architekt/Ingenieur „bewegt sich wirtschaftlich nicht im freien Raum“ (Locher, Das private Baurecht, Rn. 272). Deshalb muss der Architekt/Ingenieur schon im Rahmen der Leistungsphasen 1 und 2 – Grundlagenermittlung und Vorplanung – die dem Bauherrn für die Bauaufgabe zur Verfügung stehende Mittel erfragen und klären, ob und ggf. welcher Kostenrahmen im Sinne eines Budgets oder Kostenlimits vorhanden ist (BGH BauR 2005, 400ff.). Weiter muss der Architekt/Ingenieur dem Bauherrn und Auftraggeber in jeder Phase des Bauvorhabens einen genauen Kostenüberblick geben und zu diesem Zweck die in den einzelnen Leistungsphasen vorgesehenen Kostenermittlungen nach DIN 276 vornehmen:
in Leistungsphase 2: Vorplanung in Leistungsphase 3: Entwurfsplanung in Leistungsphase 7: Mitwirkung bei der Vergabe in Leistungsphase 8: Objektüberwachung
die Kostenschätzung, die Kostenberechnung, den Kostenanschlag, die Kostenfeststellung.
Diese Kostenermittlungen sind nicht nur für eine prüffähige Berechnung des Honorars erforderlich (vorstehend 7.2.2.4). Sie gehören grundsätzlich auch zu den Leistungspflichten des Architekten/Ingenieurs im Kostenbereich, ebenso wie die darauf beruhende Pflicht zur Kostenkontrolle und Kostenfortschreibung. Denn der Architekt/Ingenieur ist verpflichtet, den Bauherrn zu den Baukosten zu beraten und auf eintretende oder zu erwartende Kostensteigerungen hinzuweisen (BGH, NJW-RR 1997, 1376 = BauR 1997, 1067 = ZfBR 1998, 22). Eine an den Leistungsphasen des § 33 HOAI orientierte vertragliche Vereinbarung (Leistungsphasen 1 bis 9) begründet sogar im Regelfall, dass der Architekt die vereinbarten Arbeitsschritte, und damit auch die Kostenermittlungen, als Teilerfolge des geschuldeten Gesamterfolges schuldet, die grundsätzlich in den Leistungsphasen erbracht werden müssen, denen sie in der HOAI zugeordnet sind (BGH, NJW 2004, 2588 = BauR 2004, 1640 = ZfBR 2004, 781; BGH NZBau 2005, 158 = IBR 2005, 96). Erfolgt dies nicht, ist das Werk des Architekten/Ingenieurs insoweit mangelhaft. 5.2.5.5.1
Kostenrahmen/Kostenlimit als Beschaffenheitsvereinbarung
Von einer Baukostenüberschreitung kann, wie schon der Name sagt, nur gesprochen werden, wenn zwischen Bauherrn und Architekt/Ingenieur eine Kostengrenze ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart war. Dafür genügt es nicht, dass der Bauherr während der Vertragsverhandlungen seine diesbezüglichen Vorstellungen geäußert hat und über Kosten gesprochen worden ist. Ein Kostenrahmen als Kostengrenze/Kostenlimit ist erst dann verbindlich und verpflichtend, wenn er als Beschaffenheitsvereinbarung der Architekten/Ingenieurleistung Vertragsbestandteil geworden ist (BGH, NJW-RR 1997, 850 = BauR 1997, 494 = ZfBR 1997, 195). In diesen Fällen stellt der im Wege des Baukostenlimits festgelegte Betrag gleichzeitig die Obergrenze der anrechenbaren Kosten dar (BGH BauR 2003, 566 f.). In diesem Fall muss der Architekt/Ingenieur den Kostenrahmen einhalten und hat insoweit auch keinen Toleranzspielraum (BGH wie vor). Bei den Kostenermittlungen soll dem Architekt allerdings ein Toleranzrahmen zur Seite stehen (bei der Kostenschätzung in Leistungsphase 2 ca. 30 %, bei der Kostenberechnung in Leistungsphase 3 auf ca. 20 %, beim Kostenanschlag in Leistungsphase 7 ca. 10 %). Bei der Annahme eines Toleranzrahmens ist
288
5 Die Grundstücksbebauung
jedoch Vorsicht geboten, da nach der Auffassung des BGH hier immer auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen ist und ein Toleranzrahmen jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn dem Architekten grobe Fehler bei der Kostenermittlung unterlaufen sind. Fehlt es an einer vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich der Baukosten und ist deshalb kein Kostenrahmen/Kostenlimit vereinbart, haftet der Architekt nur dann, wenn ein – gemessen an seiner Leistungsverpflichtung – übertriebener, übermäßiger Aufwand vorliegt (BGH NJW 1998, 1064 = BauR 1998, 354 = ZfBR 1998, 149). Wird ein Bauvorhaben als Renditeobjekt zur Finanzierung eines weiteren Vorhabens errichtet und ist dem Architekten das Investitionskonzept bei Auftragsvergabe und Vereinbarung eines verbindlichen Kostenrahmens bekannt, muss er den Kosten sogar erhöhte Aufmerksamkeit widmen. Eine Toleranz bei einer Kostenüberschreitung kommt nicht in Betracht, wenn der Architekt keine ausreichende Kostenkontrolle vornimmt (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2011 – 12 U 71/10). 5.2.5.5.2
Schaden und Schadensberechnung
Der Architekt haftet für Fehler im Kostenbereich, wenn er diese schuldhaft zu vertreten hat, es sei denn, er hat eine Bausummengarantie mit dem Auftraggeber abgeschlossen, was aber aufgrund der erheblichen Haftungsrisiken, denen sich der Architekt aussetzen würde, in den seltensten Fällen angenommen werden kann. Fehler bei der Kostenschätzung und Kostenberechnung führen vielfach noch nicht zu einer Baukostenüberschreitung, weil sie bis zum Kostenanschlag bzw. Baubeginn erkannt und durch kostenreduzierende Maßnahmen und sog. „Abspecken“ ausgeglichen werden können. Eine Baukostenüberschreitung kommt meist erst in Betracht, wenn die den Kostenanschlag bildenden Auftrags-/Vergabesummen während der Bauzeit nicht eingehalten werden und dadurch der als Beschaffenheitsvereinbarung festgelegte Kostenrahmen gesprengt wird. Damit ist aber in vielen Fällen noch kein Schaden des Bauherrn gegeben, weil dieser für die Mehrkosten oft auch einen Mehrwert erhält, den er sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen muss. Denn ob ein Schaden entstanden ist, ergibt sich erst aus der Gegenüberstellung der Aufwendungen/Kosten und des Wertes des dadurch geschaffenen Bauobjekts (BGH NJW 1970, 2018 = BauR 1970, 246; OLG Celle BauR 1998, 1030 = OLGR 1998, 158; OLG Koblenz NZBau 2002, 231). Dafür ist nach der Rechtsprechung des BGH der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH NJW-RR 1997, 402 = BauR 1997, 335 = ZfBR 1997, 145; NJW-RR 1997, 850 = BauR 1997, 494 = ZfBR 1997, 195; OLG Koblenz, a. a. O.). Das ist insofern nicht einsehbar, als dadurch eine zwischenzeitliche Wertsteigerung, die dem Bauherrn so oder so zugeflossen wäre, schadensmindernd zugunsten des Architekten/Ingenieurs berücksichtigt wird. Für den Bauherrn und Auftraggeber sind deshalb Schadensersatzansprüche wegen Kostenüberschreitung im Endeffekt kaum zu realisieren. Denn selbst wenn zunächst und bei Prozessbeginn ein Schaden gegeben war, schmilzt dieser, wenn der Architekt/Ingenieur nur lange genug prozessiert, bei zwischenzeitlicher Wertsteigerung des Objekts. 5.2.5.5.3
Kein Versicherungsschutz im Kostenbereich
Außerdem sind Prozesse wegen Baukostenüberschreitung deshalb langwierig und schwierig, weil Architekten und Ingenieure dafür und für Fehler bei der Kostenermittlung – ebenso wie bei Terminüberschreitungen – keinen Versicherungsschutz haben. Sie haften also ggf. mit
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag
289
ihrem Privatvermögen und wehren sich entsprechend heftig. Wenn dagegen bei ihnen ohnehin nichts zu holen ist, hat der Bauherr aus einem weiteren Grund das Nachsehen. Nach allem kann gar nicht genug Wert darauf gelegt werden, dass der Architekt/Ingenieur seine Pflichten im Kostenbereich in allen Leistungsphasen, vor allem aber während der Bauzeit, peinlich genau erfüllt. Und der Bauherr sollte darauf achten, dass er ständig einen genauen Kostenüberblick hat und die Entwicklung der Baukosten im Griff behält. 5.2.5.6
Haftungsbeschränkungen
Vielfach ist in Architekten- und Ingenieurverträgen formularmäßig vorgesehen, dass sich die Haftung des Architekten/Ingenieurs auf die Versicherungs-Deckungssumme beschränkt. Ob eine solche Haftungsbeschränkung der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht standhält, ist umstritten und bislang ungeklärt. Außerdem kann sie sich nur auf versicherte Schäden beziehen und nicht auch für Terminüberschreitungen und Fehler im Kostenbereich gelten, für die kein Versicherungsschutz besteht. Unabhängig davon sollte ein Bauherr, der sich auf eine solche Haftungsbeschränkung einlässt, darauf achten, dass eine ausreichend hohe Versicherungssumme zur Verfügung steht, und notfalls auf dem Abschluss einer Exzedenten-Haftpflichtversicherung bestehen. Die früher übliche Vereinbarung, dass der Architekt/Ingenieur nur subsidiär und nachrangig haftet, wenn der Bauherr vom Bauunternehmer keinen Ersatz erlangen kann, verstößt dagegen eindeutig gegen § 309 Nr. 8 Lit. b aa BGB, der es verbietet die eigene Haftung von der vorherigen gerichtlichen Inanspruchnahme Dritter abhängig zu machen. Seitdem sind derartige Subsidiaritätsklauseln, mit denen zugleich die gesamtschuldnerische Haftung von Architekt/Ingenieur und Bauunternehmer unterlaufen wurde, unwirksam. Ebenso unwirksam ist eine Verkürzung der fünfjährigen Verjährung der Gewährleistung des Architekten/Ingenieurs, etwa auf vier Jahre, wie sie nach § 13 Abs. 4 VOB/B für den Bauunternehmer gelten, wenn nichts anderes vereinbart ist. Denn die Verdingungsordnung für Bauleistungen – VOB/B – kann nicht für Architekten- und Ingenieurleistungen vereinbart werden, weshalb eine Verkürzung der fünfjährigen gesetzlichen Gewährleistungsfrist für diese Leistungen gegen § 309 Nr. 8 lit. b ff BGB verstößt.
5.2.6
Deliktshaftung des Architekten/Ingenieurs
Neben der vorstehend skizzierten vertraglichen Haftung ist auch eine außervertragliche Haftung des Architekten/Ingenieurs aus unerlaubter Handlung im Sinne der §§ 823 ff. BGB denkbar. Diese besteht nicht nur gegenüber dem Bauherrn und Auftraggeber, wenn er durch eine solche unerlaubte Handlung geschädigt wird, sondern gegenüber jedem Dritten, der dadurch Schaden erleidet. 5.2.6.1
Verkehrssicherungspflicht
Hierzu gehört insbesondere die Sicherung der Baustelle gegen Unfallgefahren, z. B. die Einzäunung des Baugeländes und der Baugrube, damit nicht spielende Kinder oder Besucher zu Schaden kommen.
290
5 Die Grundstücksbebauung
Beispiel: In dem so genannten Wendeltreppen-Fall (BGH, NJW 1970, 2290 = BauR 1971, 64) war mehrere Jahre nach Baufertigstellung und Gebrauchsabnahme durch das Bauamt eine Besucherin auf einer Wendeltreppe gestürzt und verletzt worden, weil die Treppe laut Sachverständigengutachten „gegen so gut wie alle Regeln für den Treppenbau“ errichtet worden war. Dafür wurde neben dem Bauunternehmer auch der Architekt verurteilt, weil er durch mangelnde Überwachung des Bauunternehmers seine Verkehrssicherungspflicht verletzt hatte. Ebenso muss der Architekt/Ingenieur aber auch im Interesse der auf der Baustelle tätigen Arbeiter auf die Sicherheit von Gerüsten und darauf achten, dass Öffnungen abgedeckt und alle Stellen, an denen Absturzgefahr besteht, mit Notgeländern versehen sind (OLG Stuttgart, NJW-RR 2000, 752 = BauR 2000, 748). 5.2.6.2
Eigentumsverletzung
Außer Körper und Gesundheit, zu deren Schutz vor allem die Verkehrssicherungspflicht dient, schützen die §§ 823 ff. BGB das Eigentum (nicht dagegen das Vermögen). Deshalb kann es durch Planungs- und Bauaufsichtsfehler auch zu Schäden am Eigentum des Bauherrn oder Dritter kommen, für die dann nach allgemeinem Deliktsrecht Ersatz zu leisten ist. So war es in einem vom BGH entschiedenen Fall aufgrund von Planungs- und Aufsichtsfehlern des Architekten, der bereits verstorben war, zehn Jahre nach Baufertigstellung zu Dachundichtigkeiten bei einem Warenhaus gekommen. Dieses war bereits mehrfach verkauft worden und auch die Mieter der einzelnen Läden hatten gewechselt. Aufgrund der Wasserschäden machten die derzeitigen Mieter dann Schadensersatzansprüche geltend, die an die Witwe des verstorbenen Architekten bzw. dessen Haftpflichtversicherung weitergegeben wurden. Mit Erfolg, denn der Bundesgerichtshof entschied, dass der Architekt gegenüber den Mietern für die Feuchtigkeitsschäden an ihren eingebrachten Sachen aus unerlaubter Handlung deliktisch einstandspflichtig war, weil er für diese Schäden wegen fehlerhafter Ausführungszeichnungen oder mangelhafter Bauaufsicht verantwortlich war (BGH NJW 1987, 1013 = BauR 1987, 116 = ZfBR 1987, 75). Ebenso hat der Bundesgerichtshof einige Jahre später einen Architekten aufgrund von Kellerundichtigkeiten für Rostschäden an Maschinen verurteilt, die ein Mieter in dem Keller eingelagert hatte, weil aufgrund mangelnder Bauausführung, die der Architekt nicht ausreichend überwacht hatte, in den Keller Feuchtigkeit eingedrungen war (BGH NJW 1991, 562 = BauR 1991, 111 = ZfBR 1991, 17). Denn: „Ein Architekt, der im Rahmen der ihm übertragenen Bauaufsicht die Ausführung gefahrträchtiger Isolierarbeiten pflichtwidrig nicht hinreichend überwacht, haftet einem Mieter deliktisch auf Schadensersatz, wenn eingebrachte Sachen des Mieters infolge der Mängel des Bauwerks zu Schaden kommen“. Das OLG Köln entschied in einem späteren Fall (NJW 1995, 156 = BauR 1994, 649), dass ein bauaufsichtführender Architekt deliktisch für Feuchtigkeitsschäden an einem Nachbargebäude haftet, die auf den Nichtanschluss eines Regenfallrohres an den Abwasserkanal herrühren, wenn er es unterlassen hat, die Arbeiten des mit der Rohrverlegung befassten Subunternehmers zu überwachen, obgleich sich hierfür Anlass bot.
5.2 Der Architekten- und Ingenieurvertrag 5.2.6.3
291
Verjährung der Deliktshaftung
Die Dauer der Deliktshaftung des Architekten/Ingenieurs ist, wie die vorerwähnten Beispiele zeigen, insofern nahezu unbegrenzt, als sie nicht, wie die fünfjährige Verjährung der vertraglichen Mängelansprüche, schon mit der Abnahme beginnt (§ 634 a Abs. 1, 2 BGB), hier der Abnahme des Architekten- bzw. Ingenieurwerks. Die Verjährung der deliktischen Schadensersatzansprüche beginnt vielmehr gem. § 199 BGB – ebenso wie die Verjährung der Schadensersatzansprüche aus Nebenpflichtverletzungen, die nicht zu einem Schaden am Werk selbst führen – erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Auftraggeber/Gläubiger von der Person des Schuldners und den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat, also nicht vor Eintritt des Schadens, der viele Jahre später sein kann. Die deliktische Verjährungsfrist beträgt dann drei Jahre (§ 195 BGB), unabhängig davon 10 bzw. 30 Jahre in den Fällen des § 199 Abs. 3 BGB.
292
5 Die Grundstücksbebauung
Literaturverzeichnis zu Kap. 5.2 Eschenbruch: Projektmanangment und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 3. Aufl. 2009.
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Kapellmann (Hrsg.): Juristisches Projektmanagement, 2. Aufl. 2007. Kaufmann, Die Baukostenvereinbarung nach § 6 Abs. 2 HOAI – Grundlage für die Honorarermittlung und zugleich Haftungsfalle für Architekten?, BauR 2011, S. 1387 ff.
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Morlock/Meurer, Die HOAI in der Praxis, 7. Aufl. 2010. Neuenfeld, Die Rechtsprechung des Jahres 2010 zum Architekten- und Ingenieurvertragsrecht – Teil 1, NZBau 2011, S. 530 ff.
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Pott/Dahlhoff/Kniffka: Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), 9. Aufl. 2011. Quack: Verträge über Projektmanagement, Projektentwicklung, Projektsteuerung, Nachtragsmanagement, Vertragsmanagement, Baubegleitende Rechtsberatung – Neue Dienstleistungen am Bau in: Seminar „Rechtliche Problemstellungen beim Projektmanagement“, Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Baurecht e.V. Band 23, 1994 S. 7 ff.
Quack/Seiffert, Gehören Leistungen für den baulichen Brandschutz zu den Grundleistungen nach der HOAI?, BauR 2011, S. 915 ff.
Schulte/Bone-Winkel (Hrsg.): Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, 2. Aufl. 2002. Werner/Pastor: Der Bauprozess, 13. Aufl. 2011.
Literaturverzeichnis zu Kap. 5.2
293
Zeitschriften:
BauR: Baurecht: Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht, Werner Verlag, Düsseldorf.
IBR: Immobilien- und Baurecht, Zeitschrift, id-Verlags GmbH, Mannheim. KG-Report Berlin: Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Kammergerichts Berlin, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln.
MDR: Monatsschrift für deutsches Recht, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln. NJW: Neue juristische Wochenschrift, Verlag C.H. Beck, München und Frankfurt a.M. NJW-RR: NJW-Rechtsprechungsreport – Zivilrecht, Verlag C.H. Beck, München und Frankfurt a.M. NZBau: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht, Verlag C.H. Beck, München und Frankfurt a.M.
OLGR: OLG-Report, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln. ZfBR: Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht, Bauverlag, Wiesbaden.
294
5.3
5 Die Grundstücksbebauung
Der Bauvertrag Volker Zerr
5.3.1
Einführung
Der Bauvertrag ist das rechtliche Grundgerüst eines jeden Bauvorhabens. Er regelt die Rechtsbeziehungen der am Bau Beteiligten und legt die einzelnen Bauleistungen und Bauzeiten, Zahlungsmodalitäten, die Gewährleistung, Sicherheiten etc. fest. 5.3.1.1
Abgrenzung privates und öffentliches Baurecht
Das Baurecht besteht aus einem öffentlichen und einem privaten Teil. So ist öffentliches Baurecht immer dann gegeben, wenn staatliche Einrichtungen aufgrund ihrer Hoheitsgewalt durch Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsakt die Beziehungen zu den Bürgern gestalten können. Hierunter fallen etwa die Erteilung einer Baugenehmigung durch die Baurechtsbehörde oder der Erlass eines Bebauungsplans durch die Gemeinde. Regelungsgegenstand des öffentlichen Baurechts ist vor allem das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht. Dessen Rechtsvorschriften finden sich insbesondere im Baugesetzbuch, in den Bauordnungen der einzelnen Bundesländer sowie in den einzelnen Raumordnungs- und Landesplanungsgesetzen. Privates Baurecht liegt hingegen vor, wenn Bürger (bzw. Unternehmen) untereinander oder mit staatlichen Einrichtungen auf der Ebene der Gleichordnung agieren (Bsp.: Abschluss eines Bauvertrages über die Erstellung einer Stadthalle zwischen einer Gemeinde und einem Bauunternehmer oder die Beauftragung eines Subunternehmers durch einen Bauunternehmer). Der Bauvertrag ist also dem privaten Baurecht zuzuordnen. 5.3.1.2
Rechtsgrundlagen des Bauvertrages bei der Grundstücksbebauung
Das Gesetz sieht keinen eigenständigen Vertragstyp „Bauvertrag“ vor. Der Bauvertrag ist vielmehr ein Unterfall des Werkvertrages und daher grundsätzlich nach den §§ 631 ff. BGB zu beurteilen. Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, findet gemäß § 651 BGB nicht das Werkvertragsrecht, sondern das Kaufrecht Anwendung. In Ausnahmefällen kann daher auch im Bereich des Baurechts Kaufrecht zur Anwendung kommen. Soweit es sich um nicht vertretbare Sachen handelt, ordnet § 651 Satz 3 BGB an, dass auch einzelne werkvertragliche Vorschriften, wie z. B. die Regelungen über die Mitwirkung des Bestellers (§§ 642 ff. BGB) und das Kündigungsrecht des Bestellers (§ 649 BGB), Anwendung finden. Vertretbare Sachen sind solche Sachen, die durch die Art ihrer Herstellung den Bestellerwünschen angepasst sind und deshalb individuelle Merkmale besitzen und somit nicht austauschbar sind (Palandt/Sprau, § 651, Rdnr. 8). Einen großen und wichtigen Teil des Bauvertrages nehmen häufig Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ein. Neben den Vorschriften des BGB sind zahlreiche weitere Vorschriften aus unterschiedlichen Gesetzen für das private Baurecht von Bedeutung und zwar beispielsweise aus
5.3 Der Bauvertrag
295
dem Handelsgesetzbuch der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV, gewerberechtliche Vorschriften) dem Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (BauFordSiG) Auch die Regelungen in der Vergabe- und Vertragsordnung (VOB) können Vertragsbestandteil werden. Die VOB ist unterteilt in einen Teil A (Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen), einen Teil B (Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen) sowie einen Teil C (Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen). Teil A gilt grundsätzlich für den öffentlichen Auftraggeber und nicht für den privaten Bauherrn. Teil C enthält DIN-Normen, die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VOB/B auch ohne Vereinbarung Vertragsbestandteil werden. Die Regelungen in Teil B enthalten Bestimmungen, die in den Bauvertrag einbezogen werden können (zu Einzelheiten siehe 5.3.2.5). 5.3.1.3
Unternehmerformen
Im Bauwesen kursieren verschiedene Unternehmerformen. Eine einheitliche oder gar gesetzliche Definition existiert nicht. Folgende Abgrenzungskriterien haben sich herauskristallisiert: 5.3.1.3.1
Generalunternehmer/ Nachunternehmer/ Generalübernehmer
Der Generalunternehmer (GU) ist der Hauptunternehmer, der sämtliche für die Herstellung eines Bauwerks erforderlichen Bauleistungen zu erbringen hat und wesentliche Teile hiervon selbst ausführt (Ingenstau/Korbion/Vygen/Kratzenberg, VOB/B, Anh. 2, Rdnr. 159). Die anderen Bauleistungen vergibt er an Nachunternehmer (auch Subunternehmer genannt). Der Generalunternehmer ist daher im Verhältnis zum Bauherrn Auftragnehmer und im Verhältnis zu den Nachunternehmern Auftraggeber (Ingenstau/Korbion/Vygen/Kratzenberg, VOB/B, Anh. 2, Rdnr. 156). Vertragliche Beziehungen bestehen nur zwischen dem Generalunternehmer und dem Bauherrn einerseits und zwischen dem Generalunternehmer und dem jeweiligen Nachunternehmer andererseits, nicht aber zwischen dem Bauherrn und dem Nachunternehmer. Daher bestehen unmittelbar zwischen Bauherr und Nachunternehmer keine vertraglichen Ansprüche und Pflichten. Ansprüche hat der Nachunternehmer alleine gegen den Generalunternehmer. Diese bestimmen sich ausschließlich anhand des zwischen ihm und dem Generalunternehmer getroffenen Vertrages und sind unabhängig von den Rechtsbeziehungen des Generalunternehmers zum Bauherrn. Lediglich die Fälligkeit der Werklohnforderung des Nachunternehmers ist seit der Schuldrechtsmodernisierung mit der Zahlung bzw. Abnahme der Werklohnforderung des Generalunternehmers durch den Bauherrn verbunden. Denn gemäß § 641 Abs. 2 BGB wird die Werklohnforderung des Nachunternehmers spätestens dann fällig, soweit entweder der Generalunternehmer von dem Bauherrn die für das betreffende Werk vereinbarte Vergütung erhält (§ 641 Abs. 2 Nr. 1 BGB), der Bauherr das betreffende Werk abgenommen hat oder dieses als abgenommen gilt (§ 641 Abs. 2 Nr. 2 BGB), oder der Nachunternehmer dem Generalunternehmer erfolglos eine angemessene Frist zur Auskunft über die in Nr. 1 und 2 bezeichneten Umstände bestimmt hat (§ 641 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Hat allerdings der Generalunternehmer dem Bauherrn wegen möglicher Mängel Sicherheit geleistet, so gilt dies nur, wenn der Nachunternehmer dem Generalunternehmer in entsprechender Höhe Sicherheit leistet. Vom Generalunternehmer zu unterscheiden ist der Generalübernehmer. So ist zwar auch der Generalübernehmer der Hauptunternehmer, der sämtliche für die Herstellung eines Bau-
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5 Die Grundstücksbebauung
werks erforderlichen Bauleistungen zu erbringen hat, er führt diese jedoch nicht selbst aus (Werner/Pastor, Der Bauprozess, Rdnr. 1342). Damit unterscheidet sich der Generalübernehmer vom Generalunternehmer dadurch, dass er keinerlei Bauleistungen im eigenen Betrieb ausführt, sondern diese in vollem Umfang weiter vergibt. Im Ergebnis schulden sowohl der Generalübernehmer als auch der Generalunternehmer sämtliche Bauarbeiten, die erforderlich sind, um das vereinbarte Bauwerk herzustellen. Diese umfassende Leistungsverpflichtung wird auch als „schlüsselfertige Herstellung“ bezeichnet und bedeutet die zur bestimmungsgemäßen Nutzung gebrauchsfertige Herstellung. Der Auftraggeber hat durch den Abschluss eines Generalübernehmer- oder Generalunternehmervertrages den Vorteil, dass ihm bei der Durchführung des Bauvorhabens nur ein einziger Vertragspartner gegenübersteht, der für die rechtzeitige und vertragsgemäße Ausführung der Gesamtleistung allein verantwortlich ist. Dieser muss insbesondere auch für die fachliche und terminliche Koordination der Gewerke untereinander sorgen. Zudem entsteht für die Gesamtleistung ein einheitlicher Vergütungsanspruch an Stelle einer Vielzahl von Abrechnungen einzelner Gewerke. 5.3.1.3.2
Totalunternehmer/ Totalübernehmer
Der Totalunternehmer oder -übernehmer hat zusätzlich zu sämtlichen Bauleistungen auch noch Planungsleistungen zu erbringen. Zusätzlich hierzu kann der Totalunternehmer oder -übernehmer sogar mit der Grundstücksbeschaffung und der Finanzierung beauftragt werden (Vygen/Joussen, Bauvertragsrecht nach VOB und BGB, Rdnr. 40). 5.3.1.3.3
Arbeitsgemeinschaft (ARGE)
Die ARGE besteht aus mehreren Unternehmern, die sich zur Erbringung einer Bauleistung zusammengeschlossen haben. Denn aufgrund der Komplexität größerer Bauvorhaben stoßen die Kapazitäten und das Können einzelner Unternehmer in der Regel an ihre Grenzen (Locher, Das private Baurecht, 7. Aufl., Rn. 586). Die ARGE ist meist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Sinne der §§ 705 ff. BGB („GbR“), mitunter auch eine offene Handelsgesellschaft im Sinne der §§ 105 ff. HGB („oHG“). Alle ARGE-Mitglieder treten gegenüber dem Auftraggeber als einheitlicher Vertragspartner auf und haften gemäß § 128 HGB im Außenverhältnis als Gesamtschuldner (§ 128 HGB wird bei der GbR analog angewendet). Vor Auftragserteilung, d. h. in der Phase der Bewerbung, wird die ARGE als Bietergemeinschaft bezeichnet.
5.3.2
Inhalt, Ausgestaltung und Zustandekommen des Bauvertrages
Der Bauvertrag kommt wie jeder Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande (§§ 145 ff. BGB). Mit Abschluss des Bauvertrages verpflichten sich der Bauunternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes und der Bauherr zur Abnahme des fertiggestellten Werkes und Vergütung. Die Herstellung erfolgt durch Bauarbeiten, wobei der BGH hierunter bauhandwerkliche Maßnahmen versteht, durch die Bauwerke unmittelbar geschaffen, verändert oder erhalten werden (BGH, Urt. v. 21.12.1972 – VII ZR 215/71, NJW 1973, 368). Bauleistungen sind demgegenüber gemäß § 1 VOB/A Arbeiten jeder Art, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, instand gehalten, geändert oder beseitigt wird.
5.3 Der Bauvertrag
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Haben die Parteien keine individuellen Vereinbarungen getroffen, gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Der Grundtypus des Bauvertrages ist der Bauwerkvertrag gemäß den §§ 631 ff. BGB. So regelt § 631 Abs. 1 BGB die vertragstypischen Pflichten des Werkvertrages, namentlich die Herstellung des Werkes durch den Unternehmer und die Abnahme des Werkes durch den Besteller. Auch beim Bauvertrag wird daher, wie bei jedem Werkvertrag, die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges geschuldet. Des Weiteren enthält das Werkvertragsrecht Regelungen zur Vergütung (§ 632 BGB), zum Mängelhaftungsrecht (§§ 633 ff. BGB), zur Bauhandwerkersicherung (§ 648 a BGB) sowie zum Kündigungsrecht des Bestellers (§ 649 BGB). Die Vertragsparteien können für den konkreten Einzelfall von den gesetzlichen Regelungen abweichende vertragliche Regelungen treffen. Allerdings sind bestimmte gesetzliche Vorschriften, wie etwa § 648 a Abs. 1–5 i.V.m. Abs. 7 BGB (Regelungen zur Bauhandwerkersicherung) oder § 276 Abs. 3 BGB (Haftung des Schuldners für Vorsatz), vertraglich nicht veränderbar (sog. unabdingbare bzw. zwingende Vorschriften). Darüber hinaus enthalten Bauverträge zudem regelmäßig umfassende Regeln, die die gesetzlichen Bestimmungen abändern oder ergänzen. Hierzu gehören häufig die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB), sog. Zusätzliche Vertragsbedingungen (ZVB), die VOB/B, die Leistungsbeschreibung sowie ergänzende technische Regelwerke. Wegen möglicher Widersprüche zwischen den einzelnen Vertragsbestandteilen empfiehlt sich eine klare Rangfolgeregelung im Bauvertrag. Neben dem Grundtypus des Werkvertrages existieren vertragliche Sonderformen, wie etwa der Architekten- oder Ingenieurvertrag. 5.3.2.1
Grundsätze des Vertragsrechts
Im Bauvertragsrecht gilt der Grundsatz der Abschlussfreiheit, d. h. das Recht der Vertragsparteien, über den Abschluss eines Vertrages frei entscheiden zu können. Die Abschlussfreiheit ist Ausfluss der verfassungsrechtlich garantierten Privatautonomie. Lediglich die VOB/A sieht ein bestimmtes Verfahren für den Abschluss von Bauverträgen für die öffentliche Hand vor. Den Vertragsschließenden obliegt es grundsätzlich selbst, den Inhalt ihres Vertrages festzulegen. Im Rahmen des gesetzlich Zulässigen können sie den Vertrag individuell gestalten. Die Vertragsfreiheit findet ihre Grenzen in § 138 BGB (Verstoß gegen die guten Sitten, z. B. bei wucherischen Preisen oder bei einer erheblichen anfänglichen Übersicherung) und in § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, z. B. die Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung durch den Erwerber wegen des Entgeltanspruchs gemäß §§ 3 Abs. 1 und 2, 12 MaBV). Ferner können, dem allgemeinen Prinzip der Formfreiheit entsprechend, Bauverträge ohne Einhaltung einer Form, d. h. auch mündlich oder konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, geschlossen werden. Formlose Verträge bergen allerdings das Risiko von Beweisschwierigkeiten. Daher sollten Bauverträge stets schriftlich geschlossen werden. Denn eine schriftliche Vereinbarung gilt zunächst als richtig und vollständig. Derjenige, der dann eine abweichende mündliche Vereinbarung vorbringt, muss diese beweisen. Der Grundsatz der Formfreiheit kennt Ausnahmen. So bedürfen unter anderem Schieds(§ 1031 ZPO) und Honorarvereinbarungen der Architekten, die die Mindestsätze der HOAI
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5 Die Grundstücksbebauung
überschreiten (§ 7 HOAI) der Schriftform. Im Zusammenhang mit dem Bauvertrag ist häufig § 311 b Abs. 1 BGB relevant. Danach muss ein Vertrag über den Erwerb eines Grundstücks notariell beurkundet werden. Besteht in rechtlichem Zusammenhang mit einem Bauvertrag die Verpflichtung, Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, „stehen und fallen“ also beide Vereinbarungen miteinander, ist ausnahmsweise eine notarielle Beurkundung auch des Bauvertrages notwendig (BGH, Urt. v. 27.10.1982 – V ZR 136/81, NJW 1983, 565; BGH, Urt. v. 12.02.2009 – VII ZR 230/07, NJW-RR 2009, 953; BGH, Urt. v. 22.07.2010 – VII ZR 246/08, BauR 2010, 1754). Dies ist insbesondere bei Bauträger- und Baubetreuungsverträgen (BGH, Urt. v. 12.02.2009 – VII ZR 230/07, BauR 2009, 1138) der Fall. Die Vertragsparteien können abweichend von der grundsätzlich geltenden Formfreiheit ein Schriftformerfordernis vereinbaren. Jedoch ist in diesen Fällen die Aufhebung einer Schriftformvereinbarung konkludent, also durch schlüssiges Verhalten möglich (BGH, Urt. v. 26.11.1980 – VIII ZR 298/79, WM 1981,121). Von einer solchen konkludenten Abbedingung wird regelmäßig dann auszugehen sein, wenn die Parteien trotz Vereinbarung der Schriftform mündliche Vereinbarungen getroffen haben (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.1992 – VIII ZR 196/91, BGHZ 191, 283). Die mündliche Abbedingung des Schriftformerfordernisses kann durch eine so genannte qualifizierte Schriftformklausel ausgeschlossen werden. Danach hat eine Aufhebung der Schriftform schriftlich zu erfolgen. Allerdings kann von einer nicht individuell ausgehandelten qualifizierten Schriftformklausel – also einer AGB – durch mündliche Individualabsprache abgewichen werden. Hier gilt der Vorrang der Individualvereinbarung (§ 305b BGB). Die Nichteinhaltung eines gesetzlichen Formerfordernisses führt gemäß § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages. Gleiches gilt im Zweifel auch für ein vertraglich vereinbartes Formerfordernis, § 125 Satz 2 BGB. 5.3.2.2
Stellvertretung
Ein Vertragspartner handelt oft nicht selbst, sondern durch einen Vertreter. Hier finden die allgemeinen Grundsätze der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) Anwendung. So muss der Vertreter gemäß § 164 BGB eine eigene Willenserklärung im Namen des Vertretenen und innerhalb seiner Vertretungsmacht abgeben, um den Vertretenen wirksam zu verpflichten. Dabei wird im Unterschied zur gesetzlichen Vertretungsmacht die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht auch als Vollmacht bezeichnet, § 166 Abs. 2 BGB. Im Bereich des Bauvertrages tritt besonders häufig ein Architekt als Vertreter des Bauherrn auf. Ist im Vertrag der Umfang der Architektenvollmacht nicht näher geregelt, bestimmt sich dieser nach den allgemeinen Grundsätzen anhand der Verkehrssitte und den Umständen des Einzelfalls. Beim Architektenvertrag spricht man von der „originären“ Architektenvollmacht. Sie betrifft bestimmte Befugnisse, die sich bereits ohne ausdrückliche Bevollmächtigung allein aus der Beauftragung als Architekt ergeben. Diese berechtigt den Architekten zu Tatsachenerklärungen wie Mängelrügen, Aufforderung zur Mängelbeseitigung unter Setzung einer Frist oder die Erstellung des Aufmaßes (Werner/Pastor, Der Bauprozess, Rdnr. 1342). Nicht umfasst ist dagegen die Abgabe von Willenserklärungen wie etwa die Änderung des Bauvertrages, z. B. durch wesentliche Erweiterung der Bauleistungen (für kleinere Zusatzleistungen bejahend: BGH, Urt. v. 20.04.1978 – VII ZR 67/77, NJW 1978, 1631). Auch die Anerkennung von Werklohnforderungen, die Abnahme von Bauleistungen, die Kündigung oder die Beauftragung einer Ersatzvornahme ist nicht von der originären Architektenvollmacht gedeckt. Im Zweifel sollte die Architektenvollmacht daher stets eng ausgelegt werden
5.3 Der Bauvertrag
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(OLG Hamm, Urt. v. 05.05.2011 – 24 U 147 /08, I-24 U 147 /08, IBR 2011, 687). Der Bauherr kann aber ohne weiteres den Architekten zu rechtsgeschäftlichem Handeln als Vertreter ermächtigen. Wie weit diese Vollmacht reicht, kann nur den Umständen des Einzelfalles entnommen werden. In der Praxis sollte der Unternehmer stets prüfen, zu welchen Handlungen der Architekt bevollmächtigt wurde. Handelt der Architekt ohne Vertretungsmacht, wird der Bauherr nicht gebunden. Hat der Bauherr allerdings den Architekten nicht bevollmächtigt, duldet er aber, dass der Architekt für ihn rechtsgeschäftlich handelt, so setzt der Bauherr nach Außen den Rechtsschein einer Bevollmächtigung (Duldungsvollmacht). Er kann sich dann gegenüber einem gutgläubigen Dritten nicht auf die fehlende Bevollmächtigung berufen. Dabei kann der Anschein bereits beim ersten Auftreten erweckt werden, wenn und soweit der Geschäftspartner die Duldung so verstehen kann, dass eine Bevollmächtigung vorliegt (Palandt/Ellenberger, § 172, Rdnr. 8 ff). Kennt hingegen der Bauherr das Handeln des Scheinvertreters nicht, hätte er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen und verhindern können und durfte der andere Teil annehmen, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters, liegt unter Umständen eine Anscheinsvollmacht vor (BGH, Urt. v. 12.03.1981 – III ZR 60/80, NJW 1981, 1727 ff). Auch in diesem Fall kann sich der Bauherr gegenüber einem gutgläubigen Dritten nicht auf die fehlende Bevollmächtigung des Architekten berufen. 5.3.2.3
Leistungsvereinbarung
Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Bauvertrages ist die Festlegung der vertraglich geschuldeten Leistung einer der wichtigsten Bestandteile des Bauvertrages. In der Praxis wird hierfür häufig der Begriff des Bausolls verwendet. Dieser umfasst die durch den Bauvertrag nach Bauinhalt (was?) und nach Bauumständen (wie?) näher bestimmten Leistungen des Bauunternehmers zur Erreichung des werkvertraglichen Erfolges (Kappellmann/Schiffers, Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Band 1: Einheitspreisvertrag, Rdnr. 4). Dieser Begriff wird in der juristischen Literatur aufgrund der unbestimmten Definition anhand von Bauinhalt und Bauumständen sowie aufgrund der werkvertragsatypischen Hervorhebungen der Herstellung unter Vernachlässigung der Erfolgskomponente kritisiert (Thode, ZfBR 2006, 309 ff; Quack, ZfBR 2006, 731 ff.). Unabhängig hiervon kommt jedenfalls der vertraglichen Festlegung der Leistungsverpflichtung jedenfalls eine überragende Bedeutung zu. Seit Jahren steigt die Anzahl der Streitigkeiten zwischen Bauherren und Bauunternehmer über die vertragliche Leistungsverpflichtung. Ihre Ursache finden diese Streitigkeiten häufig in unklaren Leistungsbeschreibungen des Bauvertrages (Kummermehr, BauR 2004, 161 ff.). Denn die durch den Bauvertrag festgelegte Leistungsverpflichtung bildet nicht nur die Grundlage für die Berechnung eines zusätzlichen Vergütungsanspruches bei zusätzlicher bzw. geänderter Leistung. Sie ist vor allem auch Ausgangspunkt für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit des Bauwerkes. Denn nur anhand der vertraglichen Festlegung des Leistungsinhalts kann bestimmt werden, ob der Bauunternehmer seine aus dem Vertrag resultierenden Pflichten entsprechend der Vereinbarung erfüllt hat oder nicht. Unklare oder unvollständige Leistungsbeschreibungen führen daher regelmäßig zu Missverständnissen und Unstimmigkeiten bezüglich der Vergütung oder der Mängelansprüche, die bei besserer Ausarbeitung des Leistungsverzeichnisses im Vorfeld des Vertragsschlusses hätten vermieden werden können.
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5 Die Grundstücksbebauung
Zur Ermittlung der Leistungsverpflichtung sind die Vertragsunterlagen und die Ausschreibungsunterlagen, insbesondere das Leistungsverzeichnis, heranzuziehen. Eine Position des Leistungsverzeichnisses setzt sich typischerweise beim Einheitspreisvertrag aus Vordersatz (voraussichtliche Leistungsmenge), Leistungsbeschreibung und Einheitspreis zusammen. Bei Unklarheiten ist die Vereinbarung der Parteien gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Für den öffentlichen Auftraggeber legt ferner § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A fest, dass die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben ist, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten ist dies auch außerhalb des Geltungsbereichs der VOB/A zu empfehlen. Haben die Parteien die Geltung der VOB/B vereinbart, so sind gemäß § 1 Abs. 1 VOB/B auch die in der VOB/C geregelten allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen für die Bestimmung der Leistungspflicht heranzuziehen (BGH, Urt. v. 27.07.2006 – VII ZR 202/04, NJW 2006, 3413 ff.). Neben den vertraglichen Festlegungen wird die Leistungsverpflichtung des Bauunternehmers auch durch die allgemein anerkannten Regeln der Technik bestimmt. So können, soweit vertraglich keine abweichende Vereinbarung getroffen wurden, die allgemein anerkannten Regeln der Technik zur Bestimmung der Leistungsverpflichtung ergänzend herangezogen werden. Immer vorrangig sind jedoch die vertraglichen Vereinbarungen. Für die bauvertragliche Herstellungspflicht haben ferner die gewerbliche Verkehrssitte, Gesetze, Rechtsverordnungen, öffentlich-rechtliche Satzungen sowie die Baugenehmigung und behördliche Anordnungen Bedeutung. Beispielsweise regeln Unfallverhütungsvorschriften unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Art und Weise der Baudurchführung. 5.3.2.4
Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss stellt, § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Problematisch ist dabei die Einseitigkeit der Vertragsgestaltung durch den Verwender. Um den Vertragspartner vor allzu belastenden vertraglichen Regelungen zu schützen, die für ihn oftmals aufgrund der unübersichtlichen Gestaltung der AGB noch nicht einmal klar erkennbar sind, hat der Gesetzgeber das Recht der AGB in den §§ 305 ff. BGB geregelt. Aufgrund dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist daher zu beachten, dass sich niemals der Verwender der AGB auf den Schutz der Vorschriften der §§ 305 ff. BGB berufen kann, sondern immer nur der Vertragspartner. Typische AGB in Bauverträgen sind standardisierte Leistungsbeschreibungen, zusätzliche technische Vorschriften, die Allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) sowie die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B). Keine AGB sind hingegen die Regelungen der VOB/A. Diese werden nicht Vertragsinhalt, sondern regeln lediglich das Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber bis zum Abschluss des Bauvertrages. Die VOB/A ist mithin eine öffentliche Verwaltungsvorschrift. Die Regelungen müssen vorformuliert sein, d. h. schriftlich oder in anderer Weise für eine mehrfache Verwendung fixiert sein. Sie müssen für eine Vielzahl von Fällen, d. h. für mehr
5.3 Der Bauvertrag
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als zwei Fälle gedacht sein, wobei bereits ab dem ersten Verwendungsfall AGB angenommen werden können (vgl. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Die Regelungen müssen darüber hinaus vom Verwender gestellt sein und dürfen nicht individuell ausgehandelt worden sein (vgl. § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB). Ist der Vertragspartner Verbraucher i. S. d. § 13 BGB, muss gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB ein ausdrücklicher Hinweis auf die Geltung der AGB oder mindestens ein deutlich sichtbarer Aushang vor Ort erfolgen. Ist der Vertragspartner ein Unternehmer i. S. d. § 14 BGB, findet gemäß § 310 Abs. 1 BGB die Regelung des § 305 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB keine Anwendung. Damit genügt hier eine ausdrückliche oder konkludente, also durch schlüssiges Verhalten getroffene Einigung über die Einbeziehung in den Vertrag sowie die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Eine Aushändigung ist nicht erforderlich. Überraschende Klauseln werden nach § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil. Überraschend ist eine Klausel, die so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihr zu rechnen braucht. Zweifel gehen zu Lasten des Verwenders. Der Überraschungseffekt kann sich entweder aus dem Inhalt der Klausel oder aus ihrer Position im Vertrag ergeben. Die §§ 305 b, 305 c Abs. 2 BGB enthalten spezielle Auslegungsregeln, die der besonderen Eigenart der AGB Rechnung tragen sollen. Bleiben z. B. nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel, gehen diese Zweifel gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Es bleibt dann bei der gesetzlichen Regelung. Gemäß § 306 Abs. 1 BGB ist ein Vertrag im Übrigen wirksam, wenn die AGB ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind. Die §§ 308 und 309 BGB nennen typische Fallgruppen von Klauseln, die in AGB unwirksam sind. Zu beachten ist, dass diese Vorschriften gegenüber einem Unternehmer keine Anwendung finden, wobei die Vertragsbestimmungen dann aber gegen § 307 BGB verstoßen können, § 310 Abs. 1 BGB. Des Öfteren kommt es vor, dass beide Vertragsparteien eigene AGB in den Vertrag mit einbeziehen wollen. Widersprechen sich die jeweiligen AGB inhaltlich, ohne dass die Vertragsparteien für diesen Fall eine Regelung getroffen haben, werden die AGB beider Parteien, soweit sie übereinstimmen, in vollem Umfang Vertragsinhalt. Soweit sie sich widersprechen, werden sie nicht Vertragsinhalt. Lücken werden durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen. Und soweit eine Frage nur in den AGB des einen Teils geregelt ist, ist die Regelung dann wirksamer Vertragsbestandteil, wenn eine Auslegung ergibt, dass der andere Teil stillschweigend sein Einverständnis erklärt hat. 5.3.2.5
VOB-Vertrag
Die VOB/B ist ein vorformuliertes, für eine Vielzahl von Verträgen vorgesehenes Klauselwerk. Sie wurde vom Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) zusammengestellt und soll den besonderen Ansprüchen des Bauvertrages besser gerecht werden, als die allgemeinen werkvertraglichen Regelungen im BGB, die ebenso für den Bauvertrag wie für die Herstellung eines Maßanzuges gelten. So sorgt sie durch ihre Anpassung an die „Eigenarten des Bauvertrages“ für einen gerechten Ausgleich zwischen den Belangen des Bauherrn und Bauunternehmers (BGH, Urt. v. 30.10.1958 – VII ZR 24/58, NJW 1959, 142). Die VOB/B ist kein Gesetz, sondern hat den Charakter von Allgemeinen Vertragsbedingungen und muss von den Parteien ausdrücklich in den Vertrag einbezogen werden. Andernfalls bleibt es bei der Geltung der unveränderten Regelungen des BGB.
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5 Die Grundstücksbebauung
Kennt der Vertragspartner die VOB/B, so ist ein Verweis in dem Bauvertrag auf die Geltung der VOB/B ausreichend für die Einbeziehung in den Vertrag. Dies ist regelmäßig bei im Baugeschäft erfahrenen Vertragspartnern der Fall. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes ist ein solcher Verweis alleine jedoch dann nicht ausreichend, wenn der Vertragspartner nicht im Baugeschäft tätig ist (BGH, Urt. v. 09.11.1989 – VII ZR 16/89, BGHZ 109, 192 = BauR 1990, 205; bestätigt durch BGH Urt. v. 26.03.1992 – VII ZR 258/ 90, NJW-RR 1992, 913). Insbesondere bei Verträgen mit privaten Bauherren sollte daher diesem nachweisbar ein VOB/BText unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Das gilt auch bezüglich Zusatz- und Ergänzungsverträgen (OLG Hamm, Urt. v. 10.11.1986 – 6 U 74/85, BauR 1987, 479; OLG Hamm, Urt. v. 05.07.1996 –12 U 168/95, BauR 1997, 472; OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.6.1981 – 23 U 37/81, BauR 1982, 587). Die VOB/B wird darüber hinaus regelmäßig der aktuellen Gesetzeslage angepasst. Bei der Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag sollte folglich klargestellt werden, welche Fassung gewollt ist. Nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fand eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen der VOB/B dann nicht statt, wenn die VOB/B als Ganzes und ohne Änderungen in den Bauvertrag einbezogen wurde. Dahinter steckte der Gedanke, dass die VOB/B einen gerechten Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Besteller darstelle (BGH, Urt. v. 22.01.2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346). Die seit der Schuldrechtsreform unklare Frage der Privilegierung der VOB/B wurde durch das FoSiG (Forderungssicherungsgesetz v. 23.10.2008, BGBl. I, S. 2022) beantwortet. Für Verträge, die ab dem 01.01.2009 geschlossen wurden oder werden gilt damit Folgendes: Gegenüber Verbrauchern gibt es keine Privilegierung der VOB/B mehr. Grund für die Aufhebung der bisherigen Privilegierung waren Zweifel an der Vereinbarkeit mit einer EURichtlinie sowie die mangelnde Ausgewogenheit hinsichtlich der Interessen von Verwender und Verbraucher. Dieses Ergebnis hatte der BGH durch eine Entscheidung im Jahr 2008 bereits vorweggenommen (BGH, Urt. v. 24.07.2008 – VII ZR 55/07, BauR 2008, 1603 ff.). Eine Kontrolle nach § 307 BGB erfolgt damit bei Verwendung gegenüber Verbrauchern auch bei Vereinbarung der VOB/B als Ganzes. Dagegen wurde die Privilegierung bei Verwendung im geschäftlichen Verkehr nun in § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB ausdrücklich festgeschrieben. Voraussetzung für eine Privilegierung ist jedoch, dass die VOB/B als Ganzes, ohne jegliche Änderung einbezogen wird. Dies ist in der Praxis nur in den seltensten Fällen gegeben! In diesen wenigen Fällen findet dann keine Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen statt. Noch nicht geklärt ist, ob damit auch eine Inhaltskontrolle der VOB/B als Ganzes ausgeschlossen ist.
5.3.3
Vergütung
Der Vergütungsanspruch des Bauherrn ergibt sich aus § 631 Abs. 1 BGB. Ist die Vergütung vertraglich nicht bestimmt, gilt § 632 Abs. 1 BGB. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werkes den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Davon ist bei einem Bauvertrag in der Regel auszugehen. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich dann gemäß § 632 Abs. 2 BGB nach der üblichen Vergütung. Vergleichsmaßstab sind Bauleistungen gleicher Art, gleicher Güte und gleichen Umfangs am Ort der Leistung. In aller Regel wird die Höhe der Vergütung im Bauvertrag
5.3 Der Bauvertrag
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jedoch ausdrücklich geregelt sein. Ausführlichere Regelungen zur Vergütung enthält ferner die VOB/B (vgl. §§ 2 ff. VOB/B). 5.3.3.1
Vergütungsarten
Die Vergütungsarten bestimmen sich zunächst anhand des zwischen dem Bauherrn und Bauunternehmer vereinbarten Vertragstyps. Anhand der jeweiligen Leistungsvereinbarung unterscheidet man zwischen Einheitspreis-, Pauschalpreis-, Detailpauschal-, Globalpauschal-, Stundenlohn- und Selbstkostenerstellungsvertrag. Zu beachten ist, dass diese Begriffe gesetzlich nicht definiert sind (§ 4 VOB/A ist kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsvorschrift) und auch keine eigenen Vertragstypen analog zu denen des besonderen Schuldrechts schaffen sollen (Quack, a.a.O., 731). Diese Begriffe dienen lediglich der Unterscheidung der verschiedenen Arten der Preisbildung und können für unterschiedliche Leistungsteilbereiche eines Bauwerks innerhalb eines Bauvertrags gemischt vereinbart werden. 5.3.3.1.1
Einheitspreisvertrag
Ein Einheitspreisvertrag liegt dann vor, wenn im Vertrag Einheitspreise für technisch und wirtschaftlich einheitliche Teilleistungen, deren Menge nach Maß, Gewicht oder Stückzahl vom Besteller in den Verdingungsunterlagen anzugeben ist, vereinbart werden. Die Vergütung bestimmt sich bei diesem Vertrag nach der tatsächlich ausgeführten Menge und nicht nach dem im Leistungsverzeichnis genannten Vordersatz. Damit ergibt sich die Vergütung für die betreffende Teilleistung rechnerisch aus dem Produkt der tatsächlich erbrachten Menge und dem hierfür vereinbarten Einheitspreis. 5.3.3.1.2
Pauschalpreisvertrag
Ein Pauschalpreisvertrag liegt vor, wenn die Leistung nach Ausführungsart und Umfang genau bestimmt ist und mit einer Änderung bei der Ausführung nicht zu rechnen ist (vgl. § 4 Abs. 1 a+b VOB/A für die öffentliche Auftragsvergabe). Die Vergütung erfolgt nicht entsprechend der tatsächlich ausgeführten Menge, sondern entsprechend dem bei Vertragsschluss vereinbarten Pauschalpreis. Anders als beim Einheitspreisvertrag ist für den Pauschalvertrag kennzeichnend, dass die Vergütung von Anfang an festgelegt ist. Änderungen können sich hier nur dann ergeben, wenn der Bauherr nach Vertragsschluss die vertraglich vereinbarten Mengen ändert. Ohne eine solche Änderung der vereinbarten Menge durch den Auftraggeber trägt der Auftragnehmer damit das Risiko, dass die der Kalkulation der Pauschalsumme zugrunde gelegten Mengen überschritten werden. Mehrmassen sind dann zum selben Preis zu erbringen. Umgekehrt trägt der Auftraggeber das Risiko, dass weniger Leistungen als angenommen zu erbringen sind. Im Unterschied zum Globalpauschalvertrag liegt ein Detailpauschalvertrag nach der in der Baupraxis verwendeten Terminologie dann vor, wenn die für die Pauschalsumme zugrunde gelegte Leistung auf einem Leistungsverzeichnis beruht (Vygen/Joussen, Bauvertragsrecht nach VOB und BGB, Rdnr. 798). Damit wird beim Detailpauschalvertrag der Abgeltungsumfang des Pauschalpreises durch eine vollständige und detaillierte Leistungsbeschreibung bestimmt. Demgegenüber richten sich die Leistungsverpflichtung des Bauunternehmers und der Abgeltungsumfang des Pauschalpreises beim Globalpauschalvertrag nach dem vereinbarten Leistungsziel bzw. funk-
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5 Die Grundstücksbebauung
tional beschriebenen Leistungserfolg. In der Praxis gibt es unterschiedliche Mischformen, bei denen die Leistungen teils detailliert, teils pauschal beschrieben werden. 5.3.3.1.3
Stundenlohnvertrag
In einem Stundenlohnvertrag vereinbaren die Parteien eine Abrechnung nach Zeitaufwand (vgl. § 4 Abs. 2 VOB/A und § 15 VOB/B). In VOB/B-Verträgen ist jedoch gemäß § 2 Abs. 10 VOB/B eine Stundenlohnvergütung nur zulässig, wenn dies ausdrücklich vereinbart worden ist. 5.3.3.1.4
Selbstkostenerstattungsvertrag
Beim Selbstkostenerstattungsvertrag kann der Bauunternehmer seine angefallenen Selbstkosten zuzüglich Gemeinkosten und einen angemessenen Gewinnzuschlag geltend machen. Diese Vertragsart ist dann zweckmäßig, wenn die Bauleistung vor der Vergabe noch nicht eindeutig bestimmt werden kann. 5.3.3.2
Vergütung bei Leistungsänderung/Nachtragsforderungen
In den wenigsten Fällen wird es im Laufe der Bauausführung bei der anfänglich vereinbarten Leistung bleiben. Dann stellt sich die Frage, wie Leistungsänderungen bzw. zusätzliche Leistungen preislich zu bewerten sind (vgl. § 1 Abs. 3 VOB/B). Bei Änderung der Preisgrundlagen für eine im Vertrag vorgesehene Leistung durch Änderung des Bauentwurfs oder anderer Anordnungen des Bauherrn ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren. Ausdrücklich geregelt ist dies in § 2 Abs. 5 VOB/B (vgl. BGH, Urt. v. 20.08.2009 – VII ZR 205/07, BauR 2009, 1724 ff.). Anspruch auf besondere Vergütung hat der Bauunternehmer aber auch dann, wenn eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung gefordert wird. Dies ergibt sich aus allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen i.V.m. § 632 BGB. Im Geltungsbereich der VOB/B ordnet § 2 Abs. 6 Nr. 1 ferner an, dass der Anspruch auf besondere Vergütung nur dann besteht, wenn der Bauunternehmer dem Bauherrn vor Beginn der Leistungsausführung dieses Verlangen ankündigt. Nicht vergütet werden Leistungen, die der Bauunternehmer ohne Auftrag ausführt, es sei denn, der Bauherr erkennt die Leistungen nachträglich an oder die Leistungen waren für die Erfüllung des Vertrags notwendig, entsprachen dem mutmaßlichen Willen des Bauherrn und wurden ihm unverzüglich angezeigt (vgl. §§ 677 ff. BGB sowie § 2 Abs. 8 VOB/B). Bezüglich der nachträglichen Leistungsänderung bestimmt § 2 VOB/B, dass durch die vereinbarten Preise alle Leistungen abgegolten werden, die nach der Leistungsbeschreibung, den besonderen Vertragsbedingungen, den zusätzlichen Vertragsbedingungen, den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen, den allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen und der gewerblichen Verkehrssitte zur vertraglichen Leistung gehören. Dabei finden die Regelungen der VOB/B zwar nur dann Anwendung, wenn die Geltung der VOB/B vertraglich vereinbart wurde. Doch auch außerhalb des Geltungsbereichs der VOB/B kann dies als allgemeiner Grundsatz gelten, wenn und soweit die in § 2 Abs. 1 VOB/B aufgezählten Vertragsbedingungen ausdrücklich vereinbart wurden oder mittels Auslegung des Bauvertrags zur vertraglichen Leistung gehören. Wie eine zusätzliche oder geänderte Leistung letztlich zu vergüten ist, hängt auch davon ab, ob der Bauvertrag ein Einheits- oder ein Pauschalpreisvertrag ist.
5.3 Der Bauvertrag 5.3.3.2.1
305
Einheitspreisvertrag
Haben die Parteien die Geltung der VOB/B vereinbart, so ist gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B für eine über 10 % hinausgehende Überschreitung des Mengenansatzes auf Verlangen ein neuer Einheitspreis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren. Gleiches gilt gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B bei einer über 10 % hinausgehenden Unterschreitung des Mengenansatzes, soweit der Bauunternehmer nicht in anderer Weise einen Ausgleich erhält. § 2 Abs. 3 Nr. 2 und 3 VOB/B bezieht sich aber nur auf den Preisansatz des vereinbarten Einheitspreises. Die Berechnung des Gesamtpreises richtet sich beim Einheitspreisvertrag ohnehin nach der ausgeführten Menge. 5.3.3.2.2
Pauschalpreisvertrag
Dem Pauschalpreisvertrag ist es immanent, dass trotz einer Mengenänderung die Vergütung unverändert bleibt (vgl. § 2 Abs. 7 Nr. 1 Satz 1 VOB/B). Nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB ist jedoch, wenn die ausgeführte Leistung von der vertraglich vorgesehenen Leistung so erheblich abweicht, dass ein Festhalten an der Pauschalsumme nicht mehr zumutbar ist, auf Verlangen ein Ausgleich unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu gewähren. 5.3.3.3
Fälligkeit der Vergütung
Der Vergütungsanspruch entsteht bereits mit Abschluss des Vertrages, er wird gemäß § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB jedoch erst mit Abnahme i. S. d. § 640 BGB fällig. Der Unternehmer ist somit also vorleistungspflichtig. Er kann grundsätzlich erst nach seiner vertragsgemäßen, abnahmereifen Werkleistung die Zahlung verlangen. Dies gilt nicht, soweit der Unternehmer gemäß § 632 a BGB Abschlagszahlungen verlangen kann oder die Abnahme ausnahmsweise für die Fälligkeit der Vergütung entbehrlich ist. Sofern die Vergütung nicht gestundet ist, hat der Besteller gemäß § 641 Abs. 4 BGB von der Abnahme des Werkes an die Vergütung zu verzinsen (sog. Fälligkeitszinsen). Der gesetzliche Zinssatz beträgt gemäß § 246 BGB 4 %, im Handelsverkehr gemäß § 352 HGB 5 % pro Jahr. Darf der Besteller nach der Abnahme die Zahlung des Werklohns wegen noch vorhandener Mängel verweigern, fehlt es allerdings an der Fälligkeit der Werklohnforderung, so dass diese nicht zu verzinsen ist (BGH, Urt. v. 06.05.1999 – VII ZR 180/98, NJW 1999, 2110). Diese Verzinsungspflicht aus § 641 Abs. 4 BGB ist im Geltungsbereich der VOB/B durch § 16 Abs. 5 Nr. 3 VOB/B modifiziert. Danach können Zinsen grundsätzlich erst nach einer dem Besteller nach Fälligwerden der Werklohnforderung gesetzten angemessenen Nachfrist verlangt werden. Hinsichtlich der Zinshöhe verweist § 16 Abs. 5 Nr. 3 VOB/B auf § 288 BGB, der für Rechtsgeschäfte zwischen Unternehmern einen Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und für Geschäfte, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vorsieht. 5.3.3.4
Sicherung des Vergütungsanspruches
Der Unternehmer hat insbesondere wegen eines möglichen Insolvenzrisikos des Auftraggebers regelmäßig ein Interesse daran, seinen Vergütungsanspruch abzusichern.
306 5.3.3.4.1
5 Die Grundstücksbebauung Bauhandwerkersicherung gemäß § 648 a BGB
Der Unternehmer eines Bauwerks ist – wie bereits erwähnt – in hohem Maße vorleistungspflichtig. Um trotz dieser gesetzlichen Wertung eine Absicherungsmöglichkeit des Unternehmers hinsichtlich des Insolvenzrisikos des Bestellers zu erreichen, ordnet § 648 a BGB an, dass der Unternehmer vom Besteller Sicherheit für die von ihm zu erbringenden Vorleistungen einschließlich der dazugehörigen Nebenforderungen verlangen kann. Hier hat das FoSiG einschneidende Veränderungen gebracht. Leistete der Besteller die verlangte Sicherheit nicht fristgemäß, so konnte der Unternehmer nach früher geltendem Recht nur die Arbeiten einstellen oder sich vom Vertrag lösen. Einen einklagbaren Anspruch auf Stellung der Sicherheit hatte der Unternehmer dagegen nicht. Nach der durch das FoSiG erfolgten Gesetzesänderung hat der Unternehmer nun zusätzlich einen echten Erfüllungsanspruch gegen den Besteller. Er kann also – nach erfolgloser Fristsetzung – nach seiner Wahl entweder die Arbeit einstellen und den Vertrag ggfls. kündigen oder den Besteller auf Sicherheitsleistung verklagen. Der einklagbare Anspruch hat eine Reihe von Vorteilen für den Bauunternehmer. So kann der Besteller in einem isolierten Prozess auf Leistung der Sicherheit keine Mängel einwenden. Der Mangeleinwand ist in Werklohnprozessen eine „beliebte“ Verzögerungstaktik. Durch den Wegfall dieser Möglichkeit dürfte auch die Vergleichsbereitschaft insgesamt steigen. Anders als nach bisherigem Recht ist die Sicherheit nun auch tatsächlich „insolvenzfest“ (als klagbarer Anspruch handelt es sich nun um eine kongruente Deckung während es sich bislang nur um eine Obliegenheit, und damit eine inkongruente Deckung handelte). Außerdem kann er sich durch solch eine isolierte Klage weiterhin die gesamte Vergütung verdienen. Entscheidet sich der Unternehmer nach erfolgloser Fristsetzung für die Kündigung des Vertrages, etwa weil sein Vertrauen in den Besteller nachhaltig beschädigt ist, kann der Unternehmer gemäß § 648 a Abs. 5 BGB auch Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hat. Dasselbe gilt gemäß § 649 BGB, wenn der Besteller den Vertrag kündigt, um der Stellung der Sicherheit zu entgehen. Aufgrund der Bedeutung für den Unternehmer ist § 648 a BGB vertraglich unabdingbar (§ 648 a Abs. 7 BGB). 5.3.3.4.1.1
Voraussetzungen
Der sachliche Anwendungsbereich des § 648 a BGB ist eröffnet, wenn Vertragsgegenstand Arbeiten an einem Bauwerk, einer Außenanlage oder einem Teil davon ist (zur Frage, wann nach der Rechtsprechung „Arbeiten an einem Bauwerk“ vorliegen, vgl. BGH, Beschl. v. 24.02.2005 – VII ZR 86/04, BauR 2005, 1019 f.). Dazu gehören die Tätigkeit eines planenden Architekten, das Ausheben der Baugrube, aber nicht Rodungs- und Abbrucharbeiten. Erforderlich ist, dass der Unternehmer vom Besteller Sicherheit in dem von § 648 a BGB gewährten Umfang verlangt. Ferner muss er dem Besteller eine angemessene Frist zur Sicherheitsleistung setzen und dies mit der Erklärung verbinden, dass er nach erfolglosem Ablauf der Frist seine Leistung verweigere. Lässt der Besteller diese Frist verstreichen, ist der Anwendungsbereich von § 648 a BGB eröffnet. Für eine Sicherheit nach § 648 a BGB ist es unerheblich, ob der Besteller Eigentümer des Baugrundstücks ist. Demnach kann auch der Nachunternehmer vom Hauptunternehmer Sicherheit in Gemäßheit des § 648 a BGB verlangen.
5.3 Der Bauvertrag
307
§ 648 a BGB findet gemäß § 648 a VI Satz 1 BGB keine Anwendung, wenn der Besteller entweder eine juristische Person des öffentlichen Rechts, ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen ist, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren unzulässig ist, oder eine natürliche Person ist und die Bauarbeiten zur Herstellung oder Instandsetzung eines Einfamilienhauses mit oder ohne Einliegerwohnung ausführen lässt. 5.3.3.4.1.2
Umfang der Sicherheitsleistung
Die Höhe der Sicherheit, die der Unternehmer verlangen kann, bestimmt sich nach § 648 a Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach kann er bis zur Höhe des voraussichtlichen Vergütungsanspruchs, wie er sich aus dem Vertrag oder einem nachträglichen Zusatzauftrag ergibt, sowie wegen Nebenforderungen Sicherheit verlangen. Nebenforderungen sind dabei pauschal mit 10 % des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen. Ausreichend für die Sicherheit ist es gemäß § 648 a Abs. 1 Satz 5 BGB auch, wenn der vom Besteller verschiedene Sicherungsgeber – in der Regel also die Bank – sich das Recht vorbehält, sein Versprechen im Falle einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Bestellers mit Wirkung für Vergütungsansprüche aus Bauleistungen zu widerrufen, die der Unternehmer bei Zugang der Widerrufserklärung noch nicht erbracht hat. Dies ist auch nicht unbillig, da der Unternehmer spätestens zu diesem Zeitpunkt sowohl Kenntnis über die finanziellen Schwierigkeiten des Bestellers als auch über das Ende seiner Sicherungen im Sinne des § 648 a BGB für künftige Leistungen bekommt. Kann der Besteller ihm nun keine neue Sicherheit gewähren, kann der Unternehmer nach seiner Wahl die noch ausstehenden Leistungen ohne Sicherheitsleistung des Bestellers erbringen oder in Gemäßheit des § 648 a BGB die weiteren Leistungen verweigern. Der Unternehmer ist auch dann berechtigt, Sicherheit in Höhe des gesamten Werklohns zu fordern, wenn er mit dem Besteller Raten- oder Abschlagszahlungen vereinbart hat (BGH, Urt. v. 09.11.2000 – VII ZR 82/99, NJW 2001, 822). Soweit der vertragliche Vergütungsanspruch jedoch erfüllt ist – beispielsweise durch Vorauszahlungen oder Abschlagszahlungen, aber auch durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung (BGH, a. a. O.) – kann der Unternehmer keine Sicherheit mehr verlangen. Zweck des § 648 a BGB ist es, den Unternehmer für seine Vorleistungen abzusichern. Vorleistungen i. S. d. Gesetzes liegen (erst) dann nicht mehr vor, wenn die erbrachten Leistungen bezahlt sind (BGH, a. a. O.). Nach der Neuregelung kann Sicherheit nun auch für Ansprüche verlangt werden, die an die Stelle der Vergütung treten, § 648 a Abs. 1 Satz 2 BGB. 5.3.3.4.1.3
Art der Sicherheitsleistung
Sicherheit kann nach der allgemeinen schuldrechtlichen Regel des § 232 BGB, insbesondere also durch Hinterlegung von Geld, geleistet werden. Die zulässige Art der Sicherheitsleistung wird durch § 648 a Abs. 2 BGB erweitert. Der Besteller kann die Sicherheit auch durch eine Bankbürgschaft gemäß § 648 a Abs. 2 BGB leisten. Nimmt der Unternehmer die Bank dann in Anspruch, darf diese gemäß § 648 a Abs. 2 Satz 2 BGB nur leisten, soweit der Besteller den Vergütungsanspruch des Unternehmers anerkennt oder durch vorläufig vollstreckbares Urteil zur Zahlung der Vergütung verurteilt worden ist und die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Zwangsvollstreckung begonnen werden darf.
308 5.3.3.4.1.4
5 Die Grundstücksbebauung Kosten der Sicherheitsleistung
Nach § 648 a Abs. 3 Satz 1 BGB hat der Unternehmer dem Besteller die üblichen Kosten der Sicherheitsleistung bis zu einem Höchstsatz von 2 % für das Jahr zu erstatten. Dies gilt allerdings nicht, soweit eine Sicherheit nur wegen Einwendungen des Bestellers gegen den Vergütungsanspruch des Unternehmers aufrechterhalten werden muss und sich die Einwendungen dann später als unbegründet erweisen. Denn in diesem Fall hat der Besteller unbegründet die Vergütung hinausgeschoben, § 648 a Abs. 3 Satz 2 BGB. 5.3.3.4.1.5
Verhältnis zu anderen Sicherheiten
Soweit der Unternehmer für seinen Vergütungsanspruch eine Sicherheit nach § 648 a BGB erlangt hat, ist der Anspruch auf Einräumung einer Sicherungshypothek nach § 648 Abs. 1 BGB (siehe hierzu unten) ausgeschlossen, § 648 a Abs. 4 BGB. Hat der Unternehmer eine Sicherungshypothek gemäß § 648 BGB erlangt, kann er Sicherheiten i.S.v. § 648 a BGB nur verlangen, wenn und soweit die Sicherungshypothek nach § 648 BGB nicht ausreicht. 5.3.3.4.2
Unternehmerpfandrecht nach § 647 BGB
Der Unternehmer hat für seine Forderungen aus dem Vertrag ein Pfandrecht an den von ihm hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen des Bestellers. Das Pfandrecht umfasst alle aus dem Werkvertrag resultierenden Forderungen. Neben der Vergütungsforderung sind daher auch alle sekundären Forderungen, wie beispielsweise die Forderung auf Entschädigung gemäß § 642 BGB oder die Forderung auf Schadensersatz gemäß § 280 BGB umfasst. Voraussetzung für das Entstehen eines Pfandrechtes ist, dass die Sachen bei der Herstellung oder zum Zwecke der Ausbesserung in den Besitz des Unternehmers gelangt sind. Ausgeschlossen ist damit der Erwerb eines gesetzlichen Pfandrechts an Sachen, die der Besteller dem Unternehmer als Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt hat. Die Forderung muss bereits entstanden sein. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Forderung bereits fällig ist. Allerdings entsteht das Verwertungsrecht aus dem Pfandrecht erst mit der Fälligkeit der Forderung. Gegenstand des Unternehmerpfandrechts gemäß § 647 BGB können nur bewegliche Sachen des Bestellers sein. Ein solches Pfandrecht ist daher im Bereich des Baurechts eher selten. Der Unternehmer kann nur ein Pfandrecht an Sachen erwerben, die im Eigentum des Bestellers stehen. Ist der Besteller nicht Eigentümer der Sache, kann der Unternehmer selbst dann kein Pfandrecht erwerben, wenn der Eigentümer mit der Übergabe der Sache an den Unternehmer einverstanden war (so bereits BGH, Urt. v. 21.12.1960 – VIII ZR 89/59, BGHZ 34, 122 ff.). Ein gutgläubiger Erwerb des gesetzlichen Pfandrechts an Sachen, die Dritten gehören, ist nicht möglich (Palandt/Bassenge, § 1257, Rdnr. 2). 5.3.3.4.3
Sicherungshypothek des Bauunternehmers gemäß § 648 BGB
Der Unternehmer eines Bauwerks oder eines einzelnen Teiles eines Bauwerks kann nach § 648 BGB für alle aus dem Werkvertrag resultierenden Ansprüche die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück des Bestellers verlangen. Sie dient dazu, dem Unternehmer die Möglichkeit einer schnellen dinglichen Sicherung zu eröffnen. Eine gesicherte
5.3 Der Bauvertrag
309
Stellung erreicht der Unternehmer bereits durch die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch gemäß § 883 BGB. Der Umfang der Sicherung bestimmt sich nach der Eintragung im Grundbuch. Ist das Werk noch nicht vollendet, so kann er die Einräumung der Sicherungshypothek für einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und für die in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen. Aus der Formulierung des § 648 BGB geht hervor, dass der Gesetzgeber Identität zwischen Besteller und Eigentümer des Grundstücks voraussetzt (BGH, Urt. v. 22.10.1987 – VII ZR 12/87, NJW 1988, 255 ff.). Der Schutz durch eine Bauhandwerkersicherungshypothek ist faktisch beschränkt. Das Baugrundstück wird oftmals zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sicherungshypothek geltend gemacht werden kann, so hoch vorbelastet sein, dass die – dann nachrangige – Sicherungshypothek nicht mehr zu einer effektiven Sicherung des Bauunternehmers führt. Zudem steht das Baugrundstück häufig – bei Nachunternehmerverträgen ist dies generell der Fall – nicht im Eigentum des Auftraggebers, so dass das Sicherungsmittel von vornherein ausscheidet. Gerade wegen dieser Unzulänglichkeiten der Bauhandwerkersicherungshypothek hat der Gesetzgeber im Jahre 1993 den oben dargestellten § 648 a BGB als weiteres Recht des Bauunternehmers zur Sicherung seiner Vergütungsansprüche eingeführt. 5.3.3.5
Zahlung der Vergütung
Für die Zahlung der Vergütung sind neben der gewöhnlichen Bezahlung bei Abnahme des Werkes i. S. d. § 641 Abs. 1 BGB noch weitere ausdrücklich in der VOB/B geregelte Arten der Bezahlung möglich. 5.3.3.5.1
Abschlagszahlung
Da der Unternehmer im Werkvertragsrecht vorleistungspflichtig ist und eine Vergütung grundsätzlich erst nach Abnahme des Werkes verlangen kann, konnte er bislang nur für in sich abgeschlossene Teile des Werkes sowie für Baustoffe Abschlagszahlungen verlangen. Nach der Neufassung des § 632 a BGB kann er dies nun für jegliche Art von vertragsgemäß erbrachter Leistung verlangen. Dies entspricht auch den Bedürfnissen der Baupraxis. Abschlagszahlungen sind ihrer Natur nach vorläufige Zahlungen auf der Grundlage vorläufiger Berechnung (BGH, Urt. v. 09.01.1997 – VII ZR 69/96, NJW 1997, 1444; Urt. v. 15.04.2004 – VII ZR 471/01, NJW-RR 2004, 957 ff). Aufgrund des vorläufigen Charakters der Abschlagszahlungen muss der Unternehmer nach der vollständigen Erbringung seiner Bauleistungen die Leistungen abrechnen und den Überschuss zu seinen oder des Bestellers Gunsten ermitteln. Verweigert der Besteller die Zahlung zu Unrecht, steht dem Unternehmer ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 BGB zu, wobei er im Geltungsbereich der VOB/B dem Bauherrn zuvor eine Nachfrist setzen muss und erst nach deren erfolglosem Verstreichen gemäß § 16 Abs. 5 Nr. 5 VOB/B die Arbeiten bis zur Zahlung einstellen kann. Unter Umständen kann ihm auch ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zustehen (BGH, Urt. v. 29.06.1989 – VII ZR 330/87, NJW-RR 1989, 1248 ff.).
310 5.3.3.5.1.1
5 Die Grundstücksbebauung Voraussetzungen
Gemäß § 632 a Abs. 1 BGB dürfen Abschlagszahlungen nun für jede Art von vertragsgemäß erbrachter Leistung gefordert werden, sofern diese nur zu einem Wertzuwachs beim Besteller führt. Die Höhe der Abschlagszahlung richtet sich nach diesem Wertzuwachs. Der Wertzuwachs ist dabei unabhängig vom Eigentumserwerb des Bestellers und wird zu bejahen sein, wenn die Leistung vertragsgemäß abgearbeitet und übergeben wurde. Wegen unwesentlicher Mängel kann eine Abschlagszahlung nicht verweigert werden, § 632 a Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Wesentlichkeit eines Mangels ist ein auslegungsbedürftiger Begriff. Voraussetzung für dessen Bejahung ist eine fühlbare Beeinträchtigung der Funktionalität. Abgesehen davon ist ein Mangel stets wesentlich, wenn die Sicherheit beeinträchtigt ist (z. B. fehlendes Geländer). Noch nicht geklärt ist, ob bei wesentlichen Mängeln überhaupt keine Abschlagszahlungen verlangt werden können (dafür spricht § 632 a Abs. 1 Satz 1 BGB) oder über § 632 a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 641 Abs. 3 BGB lediglich ein Zurückbehaltungsrecht des Bestellers besteht (so die bisherige BGHRechtsprechung). Der Wortlaut ist insoweit widersprüchlich. Wie der BGH mit der Neuregelung umgeht ist offen. Eine Interessenabwägung (Vorleistungspflicht; bauherrenfreundliche Darlegungs- und Beweislast) spricht aber für die Beibehaltung der bisherigen BGH-Position. Auch für erforderliche Stoffe oder Bauteile, die angeliefert oder eigens angefertigt oder bereitgestellt sind, können Abschlagszahlungen verlangt werden, allerdings nur, wenn dem Besteller nach dessen Wahl entweder das Eigentum an den Stoffen oder Bauteilen übertragen oder ihm entsprechende Sicherheit hierfür geleistet wird, § 632 a Abs. 1 Satz 5 BGB. Die Sicherheitsleistung des Unternehmers erfolgt auch hier nach den allgemeinen Regeln des § 232 BGB. Ist eine Leistung abgenommen, kann keine Abschlagszahlung mehr verlangt werden, denn dann ist bereits die Schlusszahlung hierfür fällig. Voraussetzung ist auch, dass die Parteien keine Abnahme des Werkes in Teilen gemäß § 641 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbart haben, da ansonsten bereits ein Anspruch auf (Teil-)Vergütung gemäß § 641 BGB besteht. Dieser hat nicht den vorläufigen Charakter einer Abschlagszahlung. Werden die Voraussetzungen für die Abschlagszahlungen in AGB formuliert, ist zu beachten, dass die – neuerdings sehr ausführliche – Regelung in § 632 a BGB als gesetzliches Leitbild für die Klauselkontrolle anzusehen ist. 5.3.3.5.1.2
Höhe der Abschlagszahlung
Maßgebend für die Höhe der Abschlagszahlung ist die für die jeweilige vertragsgemäße Leistung vereinbarte Vergütung einschließlich der Mehrwertsteuer. Haben die Parteien die Vergütungshöhe der einzelnen Leistungsteile nicht vereinbart (bspw. bei einem Pauschalpreisvertrag), so ist die Höhe der Abschlagszahlung entsprechend des Verhältnisses des Werts der Teilleistung zum Gesamtwert des Werkes anteilig zu bestimmen. Da die Neufassung des § 632 a Abs. 1 BGB nun ausdrücklich zur Höhe der Abschlagszahlung Stellung nimmt, besteht ein allgemeines Kürzungsrecht, wie es früher sog. „Zahlungsmodalitäten“ vorsahen – 90 oder 95 %-Klauseln – nicht mehr. Möglich bleibt dagegen die Vereinbarung einer Vertragserfüllungssicherheit durch Einbehalt. Allerdings muss diese durch Bürgschaft ablösbar sein. Entscheidend ist somit das Wahlrecht des Bauunternehmers (BGH, Beschl. v. 28.02.2008 – VII ZR 51/07, BauR 2008, 995 f.). Die Höhe der Vertragserfüllungs-
5.3 Der Bauvertrag
311
sicherheit darf dabei in AGB maximal 10 % der Vergütung betragen (OLG Dresden, Beschl. v. 15.07.2008 – 12 U 781/08, BauR 2008, 1670). Beim Bauträgervertrag sind darüber hinaus § 632 a Abs. 2 BGB und Spezialvorschriften außerhalb des BGB (AbschlagsV, § 3 MaBV) zu beachten. 5.3.3.5.1.3
Verhältnis zum Schlusszahlungsanspruch
Sobald der Unternehmer seine Gesamtvergütung abschließend berechnen und geltend machen kann, ist der Anspruch auf Abschlagszahlung ausgeschlossen (OLG Hamm, Urt. v. 29.10.1998 – 17 U 38/98, NJW-RR 1999, 528 f.). Ist in einem solchen Fall der Anspruch auf Abschlagszahlung u. U. bereits rechtshängig, ist also bereits eine hierauf gerichtete Klage dem Besteller zugestellt, so kann der Unternehmer, ohne den Erfordernissen einer Klageänderung genügen zu müssen, gemäß § 264 ZPO nun den Schlusszahlungsanspruch geltend machen (BGH, Urt. v. 11.11.2004 – VII ZR 128/03, NJW-RR 2005, 318 ff.; Urt. v. 08.12.2005 – VII ZR 191/04, NJW-RR 2006, 390 f.) Im Gegensatz zum Schlusszahlungsanspruch wird der Anspruch auf Abschlagszahlung mit dem entsprechenden Verlangen sofort fällig, ohne dass hierfür eine Abnahme oder Rechnungsstellung erforderlich ist (Palandt/Sprau, § 632 a, Rdnr. 13). 5.3.3.5.1.4
Abschlagszahlungen im VOB-Vertrag
Anders als im BGB-Vertrag hat im VOB-Vertrag der Unternehmer generell einen Anspruch auf Abschlagszahlungen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine in sich abgeschlossene Teilleistung handelt. Zentrale Vorschrift für Abschlagszahlungen im VOB-Vertrag ist der § 16 Abs. 1 VOB/B. Danach sind auf Antrag – anders als beim BGB-Vertrag – Abschlagszahlungen in Höhe des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich des ausgewiesenen, darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrages in möglichst kurzen Zeitabständen zu gewähren. Der Unternehmer muss die Leistungen durch eine prüfbare Aufstellung, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglicht, nachweisen. Der Anspruch auf Abschlagszahlung wird gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/B binnen 18 Werktagen nach Zugang der Aufstellung fällig. 5.3.3.5.2
Vorauszahlung
Bei der Vorauszahlung nach § 16 Abs. 2 VOB/ B erfolgt die Bezahlung schon im Vorfeld der Leistungen. Sie setzt nicht die Ausführung entsprechender Leistungen voraus (BGH, Urt. v. 23.01.1986 – IX ZR 46/85, NJW 1986, 1681). Die Vorauszahlung muss ausdrücklich vereinbart worden sein. Ihre Fälligkeit richtet sich bei einem VOB/B-Vertrag nach den zu Grunde liegenden Vereinbarungen (Vygen/Joussen, Bauvertragesrecht nach VOB und BGB, Rdnr. 25229). 5.3.3.5.3
Schlusszahlung
Eine Schlusszahlung i.S.v. § 16 Abs. 3 VOB/B liegt vor, wenn für den Bauunternehmer eindeutig und zweifelsfrei zu erkennen ist, dass mit dieser Zahlung des Auftraggebers die letzte Zahlung bzw. die restliche Vergütung zur Abrechnung des Bauvorhabens getätigt
312
5 Die Grundstücksbebauung
wurde. Dazu reicht eine Erklärung des Auftraggebers, er werde weiter nichts mehr zahlen, aus. Eine Schlusszahlung kann gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B auch dann angenommen werden, wenn der Bauherr unter dem Hinweis auf geleistete Zahlungen weitere Zahlungen endgültig und schriftlich ablehnt. Im Geltungsbereich der VOB/B führt die vorbehaltlose Annahme der Schlusszahlung gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B zum Ausschluss von Nachforderungen. Voraussetzung ist hierfür, dass eine ordnungsgemäße Schlussrechnung erstellt wurde, der Bauherr auf diese Schlussrechnung die Schlusszahlung geleistet hat und der Bauunternehmer über die Schlusszahlung schriftlich unterrichtet sowie auf die Ausschlusswirkung hingewiesen worden ist. Die Schlusszahlung erfolgt auf der Grundlage einer Schlussrechnung (vgl. § 14 Abs. 3 VOB/B). Wegen der Möglichkeit des oben erwähnten Nachforderungsausschlusses hat der Bauherr auch ein berechtigtes Interesse an der Erstellung einer ordnungsgemäßen Schlussrechnung (Voit, in: Ganten/Jagenburg/Motzke, § 14 Abs. 3, Rn. 1). 5.3.3.5.3.1
Prüfbare Schlussrechnung im BGB-Vertrag
Im BGB-Vertrag ist die Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung keine Fälligkeitsvoraussetzung (BGH, Urt. v. 18.12.1980 – VII ZR 41/80, NJW 1981, 814). In vielen Fällen wird eine Schlussrechnung jedoch auch im BGB-Vertrag notwendig sein, um den Vergütungsanspruch schlüssig darzulegen. Insbesondere kann eine Klage auf Zahlung der Vergütung unter Umständen mangels schlüssiger Darlegung des Werklohnanspruchs abgewiesen werden, wenn der Unternehmer keine prüfbare Rechnung erteilt hat 5.3.3.5.3.2
Prüfbare Schlussrechnung im VOB-Vertrag
Im VOB-Vertrag ist die Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung Fälligkeitsvoraussetzung. Nach § 16 Abs. 3 VOB/B wird der Anspruch auf die Schlusszahlung alsbald nach Prüfung und Feststellung der vom Bauunternehmer vorgelegten Schlussrechnung, spätestens jedoch innerhalb von zwei Monaten nach Zugang fällig. Die Anforderungen an eine Schlussrechnung in einem VOB-Vertrag sind in § 14 Abs. 1 VOB/B geregelt. Danach hat der Bauunternehmer die Rechnung übersichtlich aufzustellen und dabei die Reihenfolge der Posten einzuhalten und die in den Vertragsbestandteilen enthaltenen Bezeichnungen zu verwenden. Die zum Nachweis von Art und Umfang der Leistung erforderlichen Mengenberechnungen, Zeichnungen und andere Belege sind beizufügen. Änderungen und Ergänzungen des Vertrags sind in der Rechnung besonders kenntlich zu machen und auf Verlangen getrennt abzurechnen. Für die Frage der Prüfbarkeit einer Schlussrechnung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere muss die Rechnung dem Kontroll- und Informationsinteresse des Bestellers im konkreten Fall genügen. Rügt der Besteller die fehlende Prüfbarkeit der Schlussrechnung, muss die Rüge so konkret sein, dass der Unternehmer in die Lage versetzt wird, die fehlenden Anforderungen an die Prüfbarkeit nachzuholen. Die Prüfung der Schlussrechnung ist nach Möglichkeit zu beschleunigen. Verzögert sie sich, so hat der Besteller das unbestrittene Guthaben gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 Satz 4 VOB/B als Abschlagszahlung sofort zu zahlen. Nach § 14 Abs. 3 VOB/B muss die Schlussrechnung bei Leistungen mit einer vertraglichen Ausführungsfrist von höchstens drei Monaten spätestens zwölf Werktage nach Fertigstel-
5.3 Der Bauvertrag
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lung eingereicht werden, es sei denn, es wurde etwas anderes vereinbart. Diese Frist wird um je sechs Werktage für je weitere drei Monate Ausführungsfrist verlängert. Hält sich der Unternehmer nicht an diese Fristen, so kann der Besteller ihm eine angemessene Frist zur Erteilung der Schlussrechnung setzen. Reicht der Besteller eine prüfbare Rechnung auch innerhalb dieser ihm vom Bauherrn gesetzten angemessenen Frist nicht ein, so kann der Besteller gemäß § 14 Abs. 4 VOB/B eine prüfbare Rechnung selbst auf Kosten des Bauunternehmers aufstellen. Da im VOB-Vertrag eine prüfbare Schlussrechnung Fälligkeitsvoraussetzung für den Vergütungsanspruch des Unternehmers ist und dieser somit ohne prüfbare Schlussrechnung auch nicht verjähren kann, kann der Besteller daher, wenn er gemäß § 14 Abs. 4 VOB/B die Rechnung selbst erstellt, die Verjährung des Vergütungsanspruchs beschleunigen. Klagt der Unternehmer, so ist – anders als in einem BGB-Vertrag – in einem VOB-Vertrag die Schätzung einer Mindestvergütung beim Fehlen einer Schlussrechnung nicht möglich, da – wie bereits erwähnt – eine prüfbare Rechnung Fälligkeitsvoraussetzung ist (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B). 5.3.3.5.4
Teilschlusszahlung
Die Teilschlusszahlung nach § 16 Abs. 4 VOB/ B wird dem Umstand gerecht, dass in sich abgeschlossene Teile ohne Rücksicht auf die Vollendung der übrigen Leistungen nach Überprüfung und Feststellung abgenommen werden können. Voraussetzung ist aber auch hier eine Teilschlussrechnung. 5.3.3.5.5
Skonto
Das Skonto ist definiert als prozentualer Abzug vom Rechnungsbetrag, der bei sofortiger oder kurzfristiger Zahlung gewährt wird (OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.06.1992 – 23 U 220/91, BauR 1992, 783 ff.). Ein Anspruch auf Skonto ergibt sich weder aus den allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen des BGB noch aus denen des Werkvertragsrechts. Auch die Vereinbarung der Geltung der VOB/B reicht allein nicht aus, um einen Anspruch auf Skontoabzug zu begründen. Dies ergibt sich bereits aus § 16 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B, wonach nicht vereinbarte Skontoabzüge unzulässig sind. Ein Anspruch auf Skonto besteht daher nur dann, wenn die Parteien vertraglich eine Skontoabrede getroffen haben. Diese Vereinbarung muss hinreichend klar formuliert sein. Insbesondere zählt hierzu, dass – um den Skontoabzug zu begründen – die Parteien die Frist festlegen, innerhalb derer die Zahlung zu erfolgen hat. Festlegen müssen die Parteien ferner den Zeitpunkt für den Fristbeginn. Dieser wird aber in der Regel der Rechnungseingang sein. Empfehlenswert ist auch, dass genau vereinbart wird, welche Zahlungen die Skontoabrede umfassen soll. Mangels diesbezüglicher Abrede kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Skonto für alle Zahlungen, also auch für Vorauszahlungen, Abschlagszahlungen, Teilschlusszahlungen und Schlusszahlungen gelten soll. Im Zweifel ist dann vielmehr anzunehmen, dass lediglich auf die Schlusszahlung ein Skontoabzug zulässig ist (OLG Düsseldorf, a. a. O.). Haben die Parteien für verschiedene Zahlungen Skontoabzüge vereinbart, so bleibt der Skontoabzug für die eine Zahlung auch dann berechtigt, wenn die andere Zahlung zu spät erfolgt. Haben die Parteien z. B. sowohl für die Abschlags- als auch für die Schlusszahlung eine Skontoabrede getroffen und zahlt der Bauherr die Abschlagszahlung verspätet, die Schlusszahlung jedoch innerhalb der vereinbarten Frist, bleibt für die Schlusszahlung der Skontoabzug zulässig (OLG Köln, Urt. v. 30.01.1990 – 22 U 181/90, NJW-RR 1990, 525 f.).
314
5 Die Grundstücksbebauung
Der Besteller kann den Skontoabzug nur dann vornehmen, wenn die Zahlung innerhalb der in der Skontoabrede vereinbarten Frist erfolgt. Nach § 270 BGB sind Geldschulden vom Schuldner im Zweifel auf seine Gefahr und seine Kosten dem Gläubiger zu übermitteln. Ausreichend ist es, wenn der Besteller seiner Bank innerhalb der Skontofrist einen Überweisungsauftrag erteilt und sein Konto eine hinreichende Deckung aufweist. Das Datum der Gutschrift auf dem Konto des Bauunternehmers ist nicht entscheidend (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.1999 – 22 U 90/99, NJW-RR 2000, 545). Ausreichend ist es auch, wenn ein Verrechnungsscheck innerhalb der Skontofrist abgesendet wird (BGH, Urt. v. 11.02.1998 – VIII ZR 287/97, NJW 1998, 1302 f.). 5.3.3.6
Verjährung der Vergütungsforderung
Die Vergütungsforderung verjährt in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren des § 195 BGB. Diese beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Voraussetzung für den Verjährungsbeginn ist damit unter anderem, dass der Vergütungsanspruch fällig ist.
5.3.4
Beendigung des Vertrages durch Kündigung
Aufgrund der mitunter langen Bauphasen stellt sich häufig die Frage, wie sich die Parteien vorzeitig vom Vertrag lösen können. 5.3.4.1
Kündigung durch den Besteller
Der Besteller hat neben dem allgemeinen Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, auch das Recht zur freien Kündigung und zur Kündigung wegen Überschreitung des Kostenvoranschlags. 5.3.4.1.1
Freie Kündigung gemäß § 649 BGB bzw. § 8 VOB/B
Dem Besteller steht gemäß § 649 BGB ab Vertragsschluss jederzeit, ohne Fristsetzung und ohne Angabe von Gründen bis zur Vollendung des Werkes das freie Kündigungsrecht zu. Eine inhaltsgleiche Regelung zu § 649 BGB findet sich in § 8 Abs. 1 VOB/B. Das Kündigungsrecht gilt auch dann, wenn nur noch die Beseitigung behebbarer Mängel aussteht (OLG Dresden, Urt. v. 16.10.1997 – 7 U 1476/97, NJW-RR 1998, 882 ff.). Die Kündigung beendigt das bis dahin zwischen den Parteien bestehende Bauvertragsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft. Anders als der Rücktritt entfaltet die Kündigung keine Rückwirkung und lässt daher den Vertrag und damit auch den Vergütungsanspruch als Rechtsgrund für die vor der Kündigung erbrachten Leistungen bestehen (BGH, Urt. v. 13.11.1981 – I ZR 168/79, NJW 1982, 2553 ff.). Hinsichtlich der bereits erbrachten Teilleistungen bleiben die Ansprüche des Bestellers auf Mängelbeseitigung erhalten (zum Mängelhaftungsrecht siehe unten unter 5.3.8). Auch hier gilt jedoch der Vorrang der Nacherfüllung (siehe unten 5.3.8.2.1), so dass bei Mangelhaftigkeit der bereits erbrachten Teilleistung dem Unternehmer die Möglichkeit zur Nachbesserung bzw. Nachlieferung eingeräumt werden muss, bevor der Besteller andere Rechte, wie beispielsweise den Anspruch auf Kostenersatz bei einer Selbstvornahme oder auch die Minderung des Kaufpreises, geltend machen kann.
5.3 Der Bauvertrag
315
Der Besteller muss die Kündigung erklären, wobei er nicht wörtlich von „Kündigung“ sprechen muss. Ausreichend ist, dass er erklärt, den Vertrag nicht mehr fortführen zu wollen. Dies kann auch konkludent erfolgen, indem der Besteller durch sein Verhalten, z. B. durch Selbstausführung der ausstehenden Leistungen, den Wunsch nach Vertragsbeendigung eindeutig zum Ausdruck bringt. Der Unternehmer ist im Falle einer Kündigung jedoch berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen, so dass er nicht unangemessen benachteiligt ist. Doch er soll durch die Kündigung keine Vorteile erlangen. Daher ist der Vergütungsanspruch auf der Grundlage des Vertrags zu bestimmen. Er besteht sodann in Höhe der Differenz zwischen der vereinbarten Vergütung und den infolge der Vertragsaufhebung ersparten Aufwendungen bzw. durch anderweitigen Einsatz der Arbeitskraft erzielte oder böswillig nicht erzielte Erlöse (BGH, Urt. v. 14.01.1999 – VII ZR 277/97, NJW 1999, 1253 ff.). Wegen der in § 649 Satz 3 BGB normierten gesetzlichen Vermutung, kann der Unternehmer nunmehr pauschal 5 % der Vergütung verlangen, ohne entsprechende Nachweise erbringen zu müssen. Unbenommen bleibt ihm selbstverständlich das Recht, einen größeren Teil der vereinbarten Vergütung zu verlangen. Dann ist allerdings im Einzelnen zu prüfen, was er sich i. S. v. § 649 Satz 2 BGB anrechnen lassen muss. Haben die Parteien wirksam eine Pauschalierung des Vergütungsanspruches bei vorzeitiger Kündigung des Vertrages vereinbart, so ist der Vergütungsanspruch des Unternehmers durch diesen pauschalierten Betrag begrenzt (BGH, Urt. v. 04.12.1997 – VII ZR 187/96, NJW-RR 1998, 594 ff.). Fälligkeitsvoraussetzung für den Vergütungsanspruch des Unternehmers ist auch bei einer Kündigung die Abnahme des erbrachten Teils des Werkes (BGH, Urt. v. 11.05.2006 – VII ZR 146/04, NJW 2006, 2475 ff.). Dies ist für den VOB-Vertrag ausdrücklich in § 8 Abs. 6 VOB/B geregelt. Die Abnahme nach der Kündigung ist grundsätzlich in allen Abnahmeformen möglich. Ausgeschlossen ist jedoch die fiktive Abnahme nach § 12 Abs. 5 VOB/B (BGH, Urt. v. 19.12.2002 – VII ZR 103/00, NJW 2003, 1450 ff.; zur fiktiven Abnahme nach VOB/B siehe unten 5.3.5.3.2). Der Unternehmer hat einen Anspruch auf die Abnahme, wenn die von ihm bis zur Kündigung erbrachte Leistung die Voraussetzungen für die Abnahmepflicht des Bestellers erfüllt. Die Abnahme der durch die Kündigung beschränkten vertraglich geschuldeten Werkleistung beendet das Erfüllungsstadium des gekündigten Vertrages und führt die Erfüllungswirkungen der Werkleistung herbei (BGH, Urt. v. 19.12.2002 – VII ZR 103/00, NJW 2003, 1450 ff.). Für die Berechnung des Vergütungsanspruches ist zwischen Einheitspreis- und Pauschalpreisvertrag zu unterscheiden. So sind bei einem Einheitspreisvertrag die bereits erbrachten Teilleistungen anhand der Positionen des Leistungsverzeichnisses zu den vertraglichen Einheitspreisen abzurechnen. Erforderlich hierfür ist ein Aufmaß. Besonderheiten für die Berechnung des Preises im Vergleich zur Berechnung des Preises bei vollständiger Vertragsdurchführung ergeben sich insoweit nicht. Der Unternehmer hat ferner einen Anspruch auf die Abnahme nur, wenn die von ihm bis zur Kündigung erbrachte Leistung die Voraussetzungen einer Abnahmeverpflichtung des Bestellers erfüllt. Denn auch hier beendet nur die Abnahme die beschränkt vertraglich geschuldete Werkleistung bzw. das Erfüllungsstadium des gekündigten Vertrages und führt damit die Erfüllungswirkungen der Werkleistung herbei (BGH, Urt. v. 19.12.2002 – VII ZR 103/00, NJW 2003, 1450 ff.).
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5 Die Grundstücksbebauung
Dagegen werden bei einem Pauschalpreisvertrag bereits erbrachte Teilleistungen mittels des Verhältnisses des Wertes der erbrachten Teilleistung zu dem Wert der nach dem Pauschalpreisvertrag geschuldeten Gesamtleistung ermittelt. Der Unternehmer muss hierfür das Verhältnis der bewirkten Leistungen zur vereinbarten Gesamtleistung und den Preisansatz für die Teilleistungen zum Pauschalpreis darlegen (BGH, Urt. v. 26.10.2000 – VII ZR 99/99, NJW 2001, 521 f.). Für Teilleistungen vereinbarte Abschlagszahlungen sind nicht ohne weiteres maßgebend, denn die Vergütung von Teilleistungen mit Teilzahlungen bedeutet nicht zwingend, dass die Vertragsparteien die einzelnen Teilleistungen tatsächlich mit den ihnen zugeordneten Raten bewerten (BGH, Urt. v. 20.01.2000 – VII ZR 97/99, NJW 2000, 1257). Haben die Parteien allerdings den Pauschalpreis auf der Grundlage eines nach Einheitspreisen aufgeschlüsselten Angebotes des Unternehmers, insbesondere durch Abrundung vereinbart, so kann dies ein brauchbarer Anhaltspunkt für die Berechnung der Vergütung für die erbrachten Leistungen sein (BGH, a. a. O.). Nicht erbrachte Leistungen sind nach den gleichen Grundsätzen anzusetzen. Hier sind jedoch ersparte Aufwendungen und anderweitiger Erwerb anzurechnen, soweit die Ersparnis bzw. der Erwerb infolge der Vertragsaufhebung eingetreten, d. h. zweifelsfrei durch die Kündigung bedingt worden sind. Mithin hängt die Anrechnung des aus einem Ersatzauftrag erzielten Erlöses davon ab, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kündigung des Werkvertrages und der Erteilung des Ersatzauftrages besteht (OLG Saarbrücken, Urt. v. 31.05.2005 – 4 U 216/04, BauR 2006, 854 ff.). Auch die dem Unternehmer ersparten Aufwendungen sind hierbei zu berücksichtigen. Darunter fallen diejenigen Aufwendungen, die der Unternehmer bei Ausführung des Vertrages hätte machen müssen, wie sie sich für den konkreten Vertrag nach den Vertragsunterlagen tatsächlich ergeben (BGH, Urt. v. 22.09.2005 – VII ZR 63/04, NJW-RR 2006, 29 ff.). Der Unternehmer muss deshalb die konkrete Entwicklung der Kosten vortragen, die bei Durchführung des Auftrages tatsächlich entstanden wären und die er erspart hat. Da dies in der Praxis kaum möglich ist, stellt die Rechtsprechung hier keine allzu hohen Anforderungen. Solange sich keine Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung ergeben, ist es ausreichend, wenn der Unternehmer die Ersparnis auf der Grundlage seiner ursprünglichen Kalkulation berechnet (BGH, Urt. v. 24.06.1999 – VII ZR 342/98, NJW-RR 1999, 1464 ff.). Als anderweitige Verwendung der Arbeitskraft können auch später anfallende Arbeiten angesehen werden, wenn infolge der Kündigung bereits vorhandene Aufträge vorgezogen werden (BGH, Urt. v. 21.12.1995 – VII ZR 198/94, NJW 1996, 1282 ff.; siehe hierzu auch Palandt/ Sprau, § 649, Rdnr. 9). 5.3.4.1.2
Kündigungsrecht wegen Überschreitung des Kostenanschlags
Das Kündigungsrecht wegen Überschreitung des Kostenanschlages aus § 650 BGB regelt wie das Kündigungsrecht aus § 314 BGB eine Kündigung aus wichtigem Grund mit einer eigenen Rechtsfolgenregelung. Der wichtige Grund ist die absehbare wesentliche Überschreitung des Kostenanschlages. Abweichend von § 649 Satz 2 und 3 BGB ist die Rechtsfolge eine Vergütung nach § 645 BGB. Die dahinter stehende Grundüberlegung ist, dass die Überschreitung des Kostenanschlages für das eigene Werk dem Risikobereich des Unternehmers entstammt. Daher steht dem Besteller kein Kündigungsrecht nach § 650 BGB gegenüber dem Architekten zu, wenn lediglich die zur Grundlage des Architektenvertrages gemachte Bausumme überschritten wird und der Architekt die Kostenüberschreitung nicht zu
5.3 Der Bauvertrag
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vertreten hat und auch keine Kostengewähr übernommen hat (BGH, Urt. v. 23.10.1972 – VII ZR 50/72, NJW 1973, 140 ff.). Für die Überschreitung des Kostenanschlages ist maßgeblich, ob der veranschlagte Endpreis überschritten ist, nicht inwieweit von einzelnen Positionen abgewichen wird (Honig, BB 1975, 447). Für die Wesentlichkeit einer Überschreitung gibt es keine allgemeingültige Grenze, es kommt insoweit auf den Einzelfall an. In der Regel ist aber eine Abweichung von 15 bis 20 % wesentlich (Palandt/Sprau, § 650, Rdnr. 2). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist eine Überschreitung dann wesentlich, wenn sie so erheblich ist, dass sie einen redlich denkenden Besteller zur Änderung seiner Dispositionen, insbesondere zur Kündigung veranlassen kann (Köhler, NJW 1983, 1633 ff.). Eine Überschreitung des Kostenanschlages liegt deshalb in der Risikosphäre des Unternehmers, da dieser in der Regel am besten in der Lage ist, die Fehleinschätzung der Kosten im Kostenanschlag zu erkennen. Da es hier also allein auf die Risikosphäre ankommt, ist ein Verschulden des Unternehmers bei der Erstellung des Kostenanschlages nicht erforderlich. Die Rechtsfolgen einer Kündigung wegen Überschreitung des Kostenanschlages entsprechen grundsätzlich denen der Kündigung nach § 649 BGB mit Ausnahme der Vergütung des Unternehmers. Danach hat der Unternehmer lediglich einen Anspruch auf Vergütung nach § 645 BGB und kann somit lediglich einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen. Vergütet wird somit nur die Leistung, die beim Besteller verbleibt. Der Unternehmer kann aber Planungsleistungen für die noch nicht erbrachten Werksteile sowie Werkstattleistungen als Auslagen erstattet bekommen. Damit der Besteller die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Kündigungsrechts hat, normiert § 650 Abs. 2 BGB die Pflicht des Unternehmers, dem Besteller unverzüglich Anzeige zu machen, sobald eine Überschreitung des Kostenanschlags zu erwarten ist. 5.3.4.2
Kündigung durch den Unternehmer
Dem Unternehmer steht kein freies Kündigungsrecht zu. Dieser kann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen kündigen. So enthalten die Regelungen in § 643 BGB und in § 9 VOB/B spezielle Kündigungsrechte nur für den Unternehmer. 5.3.4.2.1
Kündigungsrecht gemäß § 643 BGB
Ist bei der Herstellung des Werkes eine Handlung des Bestellers i. S. d. § 642 Abs. 1 BGB erforderlich (z. B. die Bereitstellung des Baugrundstücks, die rechtzeitige Übergabe der für die Bauausführung nötigen Unterlagen) und ist der Besteller mit dieser Handlung in Verzug, so kann der Unternehmer gemäß § 643 BGB nach erfolglosem Verstreichen einer angemessenen Frist den Vertrag kündigen. Erforderlich ist auch hier die Erklärung der Kündigung. Aus ihr muss hervorgehen, dass der Unternehmer bei Untätigbleiben des Bestellers den Vertrag beenden wird. Nach der Kündigung kann der Unternehmer Vergütung entsprechend § 645 BGB verlangen. Daneben kann er nach § 642 BGB für die Verzugszeit bis zur Kündigung Entschädigung verlangen. 5.3.4.2.2
Kündigungsrecht gemäß § 9 VOB/B
Für den VOB-Vertrag regelt § 9 VOB/B die Kündigungsrechte des Unternehmers in Entsprechung zu denen des BGB-Vertrages. Der Unternehmer kann gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1
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5 Die Grundstücksbebauung
VOB/B den Vertrag kündigen, wenn der Besteller eine ihm obliegende Handlung unterlässt, mithin in Annahmeverzug i. S. d. §§ 293 ff. BGB gerät. Ein Kündigungsrecht besteht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B auch dann, wenn der Bauherr eine fällige Zahlung nicht leistet oder sonst in Schuldnerverzug gerät. Nach § 9 Abs. 2 VOB/B kann die Kündigung des Unternehmers grundsätzlich nur nach einer Fristsetzung mit Kündigungsandrohung sowie fruchtlosem Ablauf dieser Frist ausgesprochen werden. Sie bedarf der Schriftform. § 9 Abs. 3 VOB/B ordnet an, dass die bisherigen Leistungen nach Vertragspreisen abzurechnen sind und dem Unternehmer zusätzlich Anspruch auf angemessene Entschädigung nach § 642 BGB zusteht. Etwaige weitergehende Ansprüche des Unternehmers bleiben unberührt. 5.3.4.3
Kündigungsrecht gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B
Sowohl der Besteller als auch der Unternehmer können gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B bei einer Unterbrechung der Bauausführung von mehr als drei Monaten kündigen. Die ausgeführten Leistungen sind dann nach den Vertragspreisen abzurechnen. 5.3.4.4
Weitere Lösungsmöglichkeiten
Beide Vertragspartner können gemäß § 314 BGB aus wichtigem Grund kündigen. Die Vertragsfortsetzung muss hier dem Vertragspartner unzumutbar sein. Ob dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu ermitteln. Die Kündigung muss gegenüber dem Vertragspartner binnen einer angemessenen Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erklärt werden. Bei einer Pflichtverletzung durch eine Vertragspartei, steht der anderen Vertragspartei ferner ein Rücktrittsrecht gemäß den §§ 323 ff. BGB zu.
5.3.5
Abnahme
Sofern nicht die Abnahme nach der Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen ist, ist der Besteller gemäß § 640 Abs. 1 BGB verpflichtet, das vertragsmäßig hergestellte Werk abzunehmen. Der Abnahme steht es gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB gleich, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist (Abnahmefiktion). Die Abnahme ist gesetzlich nicht definiert. In der Rechtsprechung wird sie als die Hinnahme des Werks durch den Besteller als in der Hauptsache dem Vertrag entsprechende Leistung verstanden (BGH, Urt. v. 18.09.1967 – VII ZR 88/65, NJW 1967, 2259 f.; Urt. v. 15.11.1973 – VII ZR 110/71, NJW 1974, 95 f.; bestätigt durch OLG Hamm, Urt. v. 11.06.2008 – 12 U 22/08, IBR 2009, 133). Sie erfordert von Seiten des Unternehmers jedenfalls bei körperlich abnehmbaren Werken grundsätzlich die Übergabe in dem Sinne, dass der Unternehmer das Werk ausdrücklich oder stillschweigend als im Wesentlichen fertig gestellt dem Besteller überlässt (BGH, Urt. v. 30.06.1983 – VII ZR 185/81, BauR 1983, 573 ff.). Der Besteller hat durch die Abnahme die Gelegenheit, die Leistung daraufhin zu überprüfen, ob sie vertragsgerecht erbracht worden ist.
5.3 Der Bauvertrag
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Die rechtsgeschäftliche Abnahme nach § 640 BGB ist nicht mit einer behördlichen Bauabnahme zu verwechseln. Die behördliche Bauabnahme hat keine vertraglichen Abnahmewirkungen zur Folge. Sie dient allein der Überprüfung durch die Baubehörde, ob das Bauwerk den öffentlich-rechtlichen Vorschriften genügt. 5.3.5.1
Voraussetzungen
Der Besteller ist gemäß § 640 BGB grundsätzlich nur verpflichtet, ein vertragsmäßig hergestelltes Werk abzunehmen. Wegen unwesentlicher Mängel kann die Abnahme nicht verweigert werden, § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beweislast für die Unwesentlichkeit der Mängel trägt der Unternehmer. Unwesentlich ist ein Mangel, wenn es dem Besteller zumutbar ist, die Leistung als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung anzunehmen und sich mit den Mängelrechten gemäß § 634 BGB zu begnügen. Die Wesentlichkeit des Mangels ist anhand von Art und Umfang des Mangels sowie seiner konkreten Auswirkungen nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen (BGH, Urt. v. 26.02.1981 – ZR 287/79, NJW 1981, 1448 f.). Ist die Funktionalität eines Bauwerks fühlbar beeinträchtigt, so dürfte der Mangel in aller Regel wesentlich sein. Dies gilt auch bei einer Gefährdung der Sicherheit oder Gesundheit von Personen durch den Mangel. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist der Abnahmetermin (BGH, Urt. v. 30.04.1992 – VII ZR 185/90, NJW 1992, 2481 f.). Im Geltungsbereich der VOB/B kann der Besteller gemäß § 4 Abs. 7 VOB/B die Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig anerkannt werden, durch mangelfreie ersetzt verlangen. Die Abnahme ist im VOB-Vertrag innerhalb von zwölf Tagen nach dem entsprechenden Verlangen des Unternehmers vom Besteller durchzuführen, sofern nichts anderes vereinbart ist, § 12 Abs. 1 VOB/B. Der Unternehmer kann sich bei der Abnahme durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die übliche Architektenvollmacht beinhaltet allerdings i. d. R. lediglich Leistungen der Objektüberwachung und keine Vollmacht zur rechtsgeschäftlichen Abnahme (KleineMöller/Merl, Handbuch des privaten Baurechts, § 14, Rdnr. 217). Eine solche Vollmacht kann dem Architekten aber im Einzelfall erteilt werden. Verweigert der Besteller die Abnahme zu Unrecht, so gerät er in Annahmeverzug. Dies hat u. a. zur Folge, dass die Vergütungsgefahr auf den Besteller übergeht und dass dem Unternehmer diejenigen Mehrkosten erstattet werden müssen, die ihm durch das erfolglose Anbieten der Leistung entstehen. Handelt der Besteller darüber hinaus schuldhaft, so gerät er nach Mahnung des Unternehmers in Schuldnerverzug gemäß § 286 BGB. Dem Unternehmer steht dann u. a. ein Schadensersatzanspruch zu. Demnach kann er verlangen, so gestellt zu werden, wie er bei rechtzeitiger Abnahme stehen würde. Dies bedeutet u. a., dass die Durchführung der Abnahme zum Zeitpunkt des Verzugseintritts unterstellt wird (Kleine-Möller/Merl, Handbuch des privaten Baurechts, § 14, Rdnr. 214). 5.3.5.2
Rechtswirkungen der Abnahme
Mit der Abnahme treten die Erfüllungswirkungen ein. Der Erfüllungsanspruch des Bestellers beschränkt sich nach der Abnahme auf das konkret abgenommene Werk, so dass der
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5 Die Grundstücksbebauung
Unternehmer nur noch etwaige Mängel dieses Werkes zu beseitigen hat, sofern nicht der Besteller den Anspruch auf Mängelbeseitigung infolge der Abnahme überhaupt verloren hat, § 640 Abs. 2 BGB. Die Abnahme ist grundsätzlich auch Fälligkeitsvoraussetzung für den Vergütungsanspruch, § 641 BGB. Der auf Zahlung der Vergütung in Anspruch genommene Besteller kann diese gemäß § 320 Abs. 1 BGB verweigern, solange er das Werk nicht abgenommen hat und er dazu auch nicht verpflichtet ist und die Abnahme nicht fingiert wird. Der Unternehmer ist somit also vorleistungspflichtig. Er kann grundsätzlich erst nach seiner vertragsgemäßen, abnahmereifen Werkleistung die Zahlung verlangen. Dies gilt nicht, soweit der Unternehmer gemäß § 632 a BGB Abschlagszahlungen verlangen kann oder die Abnahme ausnahmsweise für die Fälligkeit der Vergütung entbehrlich ist. Mit erfolgter Abnahme entfällt die Vorleistungspflicht des Unternehmers. Macht der Besteller danach weitere Ansprüche – etwa die Mangelbeseitigung – geltend, so ist der Unternehmer hierzu nur Zug um Zug gegen Zahlung des Werklohns verpflichtet (BGH, Urt. v. 04.06.1973 – VII ZR 112/71, BGHZ 61, 42 ff.). Mit der Abnahme ist der Unternehmer zur Schlussabrechnung verpflichtet und kann keine Abschlagszahlungen mehr verlangen. Die Abnahme bewirkt gemäß § 644 BGB auch, dass die Leistungsgefahr auf den Besteller übergeht. Bis die Abnahme erfolgt ist hat der Unternehmer die Leistung auch dann erneut zu erbringen, wenn sie ohne sein Verschulden beschädigt, untergegangen oder gestohlen wurde, sofern kein Fall der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) vorliegt. Wird daher z. B. ein bereits errichtetes Wohnhaus vor der Abnahme durch ein Erdbeben zerstört, muss der Unternehmer dieses Haus erneut errichten. Dies gilt nicht, wenn sich der Besteller in Annahmeverzug befindet. Für den VOB-Vertrag trifft der § 7 VOB/B eine von § 644 Abs. 1 BGB abweichende Regelung der Leistungsgefahr. Wird die ganz oder teilweise ausgeführte Leistung vor der Abnahme durch höhere Gewalt Krieg, Aufruhr oder andere objektiv unabwendbare, vom Unternehmer nicht zu vertretende Umstände beschädigt oder zerstört, so stehen diesem für die ausgeführten Teile der Leistung die Ansprüche nach § 6 Abs. 5 VOB/B zu. Die ausgeführten Leistungen sind nach den Vertragspreisen abzurechnen und außerdem die Kosten, die dem Bauunternehmer bereits entstanden und in den Vertragspreisen des nicht ausgeführten Teils der Leistung enthalten sind, zu vergüten. Anders als im BGB-Vertrag trägt damit im VOB-Vertrag weitgehend der Besteller die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Beschädigung des Werkes, sofern diese objektiv unabwendbar war. Dies ist dann der Fall, wenn das Ereignis nach menschlicher Einsicht und Erfahrung in dem Sinne unvorhersehbar ist, dass es – oder seine Auswirkungen – trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch die äußerste nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder in seinen Wirkungen bis auf ein erträgliches Maß unschädlich gemacht werden kann (BGH, Urt. v. 31.01.1991 – VII ZR 291/88, NJW 1991, 1812 ff.). Zur Abdeckung der Risiken der Parteien aus den Gefahrtragungsregelungen werden in der Baupraxis meist Bauleistungsversicherungen abgeschlossen. Mit der Leistungsgefahr gleichlaufend trägt der Unternehmer gemäß § 644 BGB auch die Vergütungsgefahr und kann daher grundsätzlich auch dann keine Vergütung verlangen, wenn das Werk vor der Abnahme zufällig untergeht (BGH, Urt.v. 30.11.1972 – VII ZR 239/71, BGHZ 60, 14 ff.; Urt. v. 11.03.1982 – VII ZR 357/80, NJW 1982, 1458 ff.). Diese Vergütungsgefahr geht mit der Abnahme auf den Besteller über. Für den VOB-Vertrag
5.3 Der Bauvertrag
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trifft § 7 VOB/B entsprechend der Leistungsgefahr eine von § 644 Abs. 1 BGB abweichende Regelung der Vergütungsgefahr. Eine sehr bedeutende Wirkung der Abnahme liegt in der Umkehrung der Beweislast. Bis zur Abnahme trägt der Unternehmer die Beweislast für die Mangelfreiheit des Werkes. Ist die Abnahme erfolgt, muss sodann der Besteller die behaupteten Mängel beweisen (BGH, Urt. v. 04.06.1973 – VII 112/71, BGHZ 61, 42 ff.; Urt. v. 29.06.1981 – VII ZR 299/80, NJW 1981, 2403 f.; BGH, Urt. v. 23.10.2008 – VII ZR 64/07, NJW 2009, 360 ff). Zu beachten ist jedoch, dass der Unternehmer, wenn er einen Mangel im Gerichtsverfahren zwar unstreitig stellt, aber behauptet, diesen bereits beseitigt zu haben, hierfür die Beweislast trägt (BGH, Urt. v. 31.03.2005 – VII ZR 180/04, NJW-RR 2005, 919 f.; BGH, Urt. v. 23.10.2008 – VII ZR 64/07, NJW 2009, 360 ff.). Gemäß § 4 Abs. 5 VOB/B hat der Bauunternehmer die von ihm ausgeführten Leistungen und die ihm für die Ausführung übergebenen Gegenstände vor Beschädigung zu schützen. Diese Schutzpflicht endet mit der Abnahme. 5.3.5.3
Abnahmeformen
Die Art und Weise der Abnahme ist in § 640 BGB nicht näher beschrieben. Sie kann durch verschiedene Arten erfolgen. Die VOB/ B enthält in § 12 VOB/B eine differenzierte Auflistung. 5.3.5.3.1
Förmliche und konkludente Abnahme
Die Abnahme kann förmlich durch Unterzeichnung eines Abnahmeprotokolls oder auch konkludent durch schlüssiges Verhalten des Bestellers erfolgen (OLG Stuttgart, Urt. v. 21.04.2009 – 10 U 9/09, BauR 2010, 1083). Aufgrund der einschneidenden Rechtswirkungen der Abnahme und der damit verbundenen Bedeutung des Abnahmezeitpunktes ist eine Protokollierung sehr empfehlenswert. Die Parteien können im Vertrag auch vereinbaren, dass eine Abnahme förmlich zu erfolgen hat. Jedoch ist trotz einer solchen Vereinbarung eine konkludente Abnahme nicht ausgeschlossen. Möglich ist nämlich, dass die Parteien die Vereinbarung hinsichtlich der förmlichen Abnahme einvernehmlich aufgehoben haben. Dies kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen (BGH, Urt. v. 22.12.2000 – VII ZR 310/99, NJW 2001, 818 ff.). An die Voraussetzungen einer konkludenten Aufhebung sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Urt. v. 21.04.1977 – VII ZR 108/76, BauR 1977, 344 ff.). Von einer konkludenten Aufhebung der Vereinbarung über die förmliche Abnahme ist in der Regel auszugehen, wenn der Besteller das Bauwerk längere Zeit nutzt und keine der Parteien auf die förmliche Abnahme zurückkommt. Hierfür spielt es keine Rolle, ob sich die Parteien bewusst sind, dass eine förmliche Abnahme vorgesehen war, oder ob sie die Vereinbarung über eine förmliche Abnahme vergessen haben (BGH, a. a. O.). Für den VOB-Vertrag enthält § 12 VOB/B differenzierte Regelungen bezüglich der Abnahmeformen. Gemäß § 12 Abs. 4 VOB/B ist eine förmliche Abnahme durchzuführen, wenn eine Partei dies verlangt. Die Parteien müssen dabei das Ergebnis der förmlichen Abnahme in einer gemeinsamen Niederschrift festhalten. Es ist ein Abnahmeprotokoll zu fertigen, in welchem sowohl die Mängelrügen des Auftraggebers als auch darauf bezogene Erklärungen
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5 Die Grundstücksbebauung
des Bauunternehmers, Anerkenntnisse oder Einwendungen festgehalten werden. Jede Partei erhält eine Ausfertigung dieses Abnahmeprotokolls. Der Inhalt der Niederschrift ist gemeinsam von den Parteien festzulegen und von beiden Parteien zu unterzeichnen. Durch ihre Unterschrift erkennen die Parteien nicht die im Abnahmeprotokoll enthaltenen Erklärungen der anderen Partei als richtig an, selbst wenn sie diesen im Protokoll nicht ausdrücklich entgegentreten. Insbesondere liegt in der Unterschrift des Bauunternehmers kein Anerkenntnis für die vom Bauherr im Abnahmeprotokoll gerügten Mängel. Das Abnahmeprotokoll erbringt nur den Beweis für den Ablauf des Abnahmetermins, nicht für die Richtigkeit der Erklärungen der einen oder anderen Partei (KleineMöller/Merl, Handbuch des privaten Baurechts, § 14, Rdnr. 55). Ist keine förmliche Abnahme vereinbart oder verlangt worden, so kann die Abnahme formfrei erklärt werden. Da die Abnahme – wie erwähnt – auch konkludent erfolgen kann, kann dem Verhalten des Bestellers eine Abnahmewirkung zugesprochen werden, wenn ihm zu entnehmen ist, dass er die Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt (BGH, Urt. v. 10.06.1999 – VII ZR 170/98, NJW-RR 1999, 1246 f.). In der Regel ist in dem Bezug und der Nutzung des Gebäudes eine konkludente Abnahme zu sehen (BGH, Urt. v. 25.01.1996 – VII ZR 26/95, 1996, 1280 f.). Anders ist dies zu beurteilen, wenn der Einzug unter dem „Zwang der Verhältnisse“ vorgenommen wurde (BGH, a. a. O.) oder wenn der Besteller keine Gelegenheit hatte, das Werk binnen einer angemessenen Frist zu prüfen und zu bewerten (BGH, Urt. v. 28.04.1992 – X ZR 27/91, NJW-RR 1992, 1078 ff.). Auch wenn der Besteller zuvor aufgrund von Mängeln die Abnahme verweigert hat, kann in dem Einzug oder der Nutzung in der Regel keine konkludente Abnahme gesehen werden, wenn die Mängel zu diesem Zeitpunkt nicht beseitigt worden sind. Auch hier ist eine weitere ausdrückliche Abnahmeverweigerung nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 10.06.1999 – VII ZR 170/98, NJW-RR 1999, 1246 f.). Rügt der Besteller die Mangelhaftigkeit, hängt die Beurteilung, ob die Nutzung als konkludente Abnahme zu werten ist, vom Einzelfall ab. In der Regel kann hier von einer Abnahme ausgegangen werden, wenn die Rüge des Bestellers nur unwesentliche Mängel betrifft. Abzustellen ist hierbei insbesondere auch auf die Gebrauchsfähigkeit des Werkes. Handelt es sich hingegen um die Rüge wesentlicher Mängel, wird zumeist eine konkludente Abnahme auch ohne ausdrückliche Abnahmeverweigerung nicht anzunehmen sein. Die Abnahme durch einen Dritten kann gegen den Besteller nur dann wirken, wenn der Dritte im Verhältnis zu dem Besteller zur Abgabe derartiger Erklärungen ermächtigt ist oder dieser die Erklärungen des Dritten aus anderen Gründen gegen sich gelten lassen muss (BGH, Urt. v. 29.06.1993 – X ZR 60/92, NJW-RR 1993, 1461 ff.). Rechtlich gelten für die Abnahme eines Architekten- oder Ingenieurwerkes keine Besonderheiten. Allerdings wird in der Praxis das Architektenwerk selten ausdrücklich abgenommen. 5.3.5.3.2
Abnahmefiktion gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB
Der Unternehmer kann dem Besteller eine angemessene Frist zur Abnahme setzen. Nimmt der Besteller das Werk innerhalb dieser Frist nicht ab, obwohl er dazu verpflichtet ist, sieht § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB eine gesetzliche Abnahmefiktion vor (diese Regelung gilt auch im VOB-Vertrag). Ist die Frist, innerhalb derer der Besteller das Werk abnehmen muss, zu kurz bemessen, so ist diese nicht unwirksam, sondern setzt nach den allgemeinen Regeln eine objektiv angemessene Frist in Lauf.
5.3 Der Bauvertrag
323
Es bedarf einer tatsächlichen Aufforderung seitens des Unternehmers, das Werk innerhalb einer bestimmten Frist abzunehmen. Nicht ausreichend hierfür ist der Vorschlag zur Abnahme an einem bestimmten Termin. Strittig und von der Rechtsprechung noch ungeklärt ist die Frage, ob eine Fristsetzung nach allgemeinen Grundsätzen entbehrlich ist, wenn der Besteller die Abnahme von vornherein endgültig verweigert (offen gelassen in BGH, Urt. v. 15.10.2002 – X ZR 69/01, NJW 2003, 200 ff.; dagegen Palandt/Sprau, § 640 Rdnr. 10). Dafür spricht, dass die Rechtsprechung bereits einige Abnahmewirkungen, wie etwa den Lauf der Gewährleistungsfrist, an die endgültige Abnahmeverweigerung geknüpft hat. Allerdings stellt schon die Abnahmefiktion in § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB eine enorme Ausweitung der Abnahmesachverhalte dar. Einer darüber hinausgehenden weiteren Ausdehnung zu Lasten des Bestellers bedarf es wohl nicht. Somit treten nach fruchtlosem Fristablauf grundsätzlich alle Abnahmewirkungen (zu Einzelheiten siehe 5.3.5.2) ein. Jedoch ist die Regelung des § 640 Abs. 2 BGB, wonach der Besteller bei Kenntnis der Mängel sich seine Gewährleistungsrechte bei Abnahme vorbehalten (zu Einzelheiten siehe unten 5.3.5.4) muss, auf Fälle dieser fiktiven Abnahme nicht anzuwenden. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung des § 640 Abs. 2 BGB, der sich ausdrücklich nur auf eine Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 BGB bezieht. Zielsetzung des Gesetzgebers bei der Einführung der Abnahmefiktion war es, dem Werkunternehmer die Möglichkeit zu geben, die vereinbarte Vergütung zu fordern, auch wenn der Besteller die Abnahme zu Unrecht verweigert. Wenngleich § 640 BGB klarstellt, dass es bei einer fiktiven Abnahme eines Rechtsvorbehaltes des Bestellers nicht bedarf, so ist die Wirkung der Abnahmefiktion für die Geltendmachung einer Vertragsstrafe noch unklar. Häufig vereinbaren die Parteien für den Fall, dass der Unternehmer nicht wie geschuldet, insbesondere nicht zu der bestimmten Zeit leistet, die Zahlung einer Geldsumme als Vertragsstrafe. Diesbezüglich regelt § 341 Abs. 3 BGB, dass der Besteller die verwirkte Strafe nur verlangen kann, wenn er sich das Recht dazu bei der Abnahme vorbehält. Ob dies auch bei der fiktiven Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB gilt, ist fraglich. Für den Vorbehalt spricht, dass der Gesetzgeber die fingierte Abnahme in § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB der tatsächlichen Abnahme gleichgestellt hat. Dies würde auch dem Sinn des § 341 Abs. 3 BGB entsprechen. Dieser liegt darin, dem Schuldner Klarheit über die Frage zu verschaffen, ob die Vertragsstrafe geltend gemacht wird. Jedoch zeigt § 640 Abs. 2 BGB anhand der vergleichbaren Interessenlage bezüglich des Vorbehalts der Mängelrechte bei der Abnahme, dass der Gesetzgeber diese Wirkung für eine fiktive Abnahme für zu einschneidend erachtet hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass die fiktive Abnahme zur Beschleunigung fälliger Zahlungen in das Gesetz aufgenommen wurde und dem Zweck dient, dem Werkunternehmer die Möglichkeit zu geben, die vereinbarte Vergütung zu fordern, auch wenn der Besteller die Abnahme zu Unrecht verweigert. Einer derart weiten Ausdehnung auch auf Sachverhalte, die eine Vertragsstrafe betreffen, bedarf es hierfür nicht. 5.3.5.3.3
Abnahmefiktion gemäß § 12 Abs. 5 VOB/B
Ist die VOB/B Vertragsbestandteil, so gilt die Leistung mit Ablauf von zwölf Werktagen nach schriftlicher Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung (§ 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B) bzw. mit Ablauf von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung der Leistung durch den Besteller (§ 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B) als abgenommen. Eine fiktive Abnahme scheidet jedoch ausnahmsweise aus, wenn entweder der Besteller die Abnahme ausdrücklich abgelehnt
324
5 Die Grundstücksbebauung
hat (BGH, Urt. v. 12.06.1975 – VII ZR 55/73, NJW 1975, 1701 ff.), eine förmliche Abnahme vereinbart ist (BGH, Urt. v. 10.11.1983 – VII ZR 373/82, NJW 1984, 725 ff.) oder eine Abnahme verlangt wurde. Dass ein Abnahmeverlangen der fiktiven Abnahme vorgeht, ergibt sich bereits aus der Formulierung des § 12 Abs. 5 VOB/B. Die Abnahmefiktion nach § 12 Abs. 5 VOB/B kann auch ausgeschlossen sein, wenn die Bauleistung grobe ersichtliche Mängel aufweist oder wenn der Einzug aufgrund einer dem Besteller bekannten Zwangslage erfolgte (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.11.1993 – 22 U 91/93, NJWRR 1994, 408 f.). Eine fiktive Abnahme nach § 12 Abs. 5 VOB/B ist nach Kündigung des Werkvertrages nicht mehr möglich (BGH, Urt. v. 19.12.2002 – VII ZR 103/2000, NJW 2003, 1450 ff.). Auch bei der fiktiven Abnahme nach § 12 Abs. 5 VOB/B stellt sich das Problem, ob sich der Besteller das Recht, eine Vertragsstrafe zu verlangen, vorbehalten muss (vgl. oben zur Parallelüberlegung zur Abnahmefiktion nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB). Für die Abnahmefiktion nach § 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B wurde bereits obergerichtlich entschieden, dass der Besteller innerhalb von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung den Vorbehalt einer Vertragsstrafe erklären muss (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.11.1993 – 22 U 91/93, NJWRR 1994, 408 f.). 5.3.5.4
Vorbehalt bei Abnahme
Das Gesetz knüpft an die vorbehaltlose Abnahme – mit Ausnahme von Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüchen – sowohl den Verlust von Mängelansprüchen (§ 640 Abs. 2 BGB) als auch den Verlust von etwaigen Ansprüchen auf Zahlung einer Vertragsstrafe (§ 341 Abs. 3 BGB bzw. § 11 Abs. 4 VOB/B). Die gleiche Regelung bezüglich einer Vertragsstrafe trifft im VOB-Vertrag der § 11 Abs. 4 VOB/B. Bei einer förmlichen Abnahme muss hier gemäß § 12 Abs. 4 VOB/B der Vorbehalt im Abnahmeprotokoll enthalten sein. Nimmt der Besteller ein mangelhaftes Werk ausdrücklich oder konkludent ab (Ausnahme: Abnahmefiktion nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB; siehe oben), obwohl er den Mangel kennt, so bleiben ihm gemäß § 640 Abs. 2 BGB seine Mängelrechte aus § 634 BGB nur erhalten, wenn er sich diese bei der Abnahme vorbehält. Denn hat der Besteller trotz Kenntnis der Mängel das Werk vorbehaltlos abgenommen, so ist diesbezüglich die spätere Geltendmachung von Mängelrechten ein Verstoß gegen Treu und Glauben. Für einen Ausschluss der Mängelrechte nach § 640 Abs. 2 BGB muss der Besteller bei der Abnahme positive Kenntnis über die Mängel haben. Zum Tatbestand der Kenntnis zählt bereits das Wissen des Bestellers, durch welchen Fehler der Wert oder die vertragsmäßige Tauglichkeit des Werks aufgehoben oder gemindert wird (BGH, Urt. v. 22.10.1969 – VIII ZR 196/67, NJW 1970, 383). Ein Kennenmüssen des Mangels ist nicht ausreichend (Palandt/Sprau, § 640, Rdnr. 13). Erhalten bleiben nach der ausdrücklichen Formulierung des § 640 Abs. 2 BGB die Schadensersatzansprüche in Geld, gegebenenfalls einschließlich der Mangelbeseitigungskosten (BGH, Urt. v. 12.05.1980 – VII ZR 228/79, NJW 1980, 1952 f). Die Erklärung des Vorbehalts muss nicht ausdrücklich erfolgen. Ausreichend ist vielmehr, dass der Besteller zu erkennen gibt, dass er nicht gewillt ist, die erkannten Mängel hinzunehmen. Dies kann beispielsweise durch die Aufnahme der Mängel in ein Mängelprotokoll bei der Abnahme erfolgen.
5.3 Der Bauvertrag 5.3.5.5
325
Teilabnahme
§ 640 BGB sieht nur die Abnahme der geschuldeten Bauleistung nach ihrer vollständigen Fertigstellung vor. Die Parteien können jedoch vertraglich auch vereinbaren, dass das Werk in Teilen abzunehmen ist (vgl. § 641 Abs. 1 Satz 2 BGB). Im VOB-Vertrag hat der Unternehmer auch ohne individuelle Vereinbarung gemäß § 12 Abs. 2 VOB/B Anspruch auf die Teilabnahme von in sich abgeschlossenen Leistungen. Abgeschlossen ist eine Teilleistung, wenn sie nach der Verkehrsanschauung als selbstständig und von den übrigen Teilleistungen aus dem Bauvertrag unabhängig anzusehen ist und sich ihre Gebrauchsfähigkeit abschließend beurteilen lässt. Eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung spielt hierbei die Frage, ob die Leistung nach der Vertragsgestaltung selbstständig bewertbar ist. Hier ist ein wesentlich strengerer Maßstab als bei § 632 a BGB anzulegen, weil bei der Teilabnahme hinsichtlich der Teilleistung auch eine Erfüllungswirkung eintritt.
5.3.6
Sicherung der Werkleistungen
Um die vertragsgemäße Ausführung der Leistung und die Mängelansprüche sicherzustellen, können die Vertragsparteien Sicherheitsleistungen des Unternehmers vereinbaren. Große praktische Bedeutung haben hierbei Bürgschaften und der Einbehalt von Zahlungen durch den Auftraggeber. Für den VOB-Vertrag werden die Anspruchsvoraussetzungen und die Art und Weise wie die Sicherheitsleistung zu gewähren und zu verwahren ist, in § 17 VOB/B bestimmt. Zentrale Bedeutung hat bei dieser Regelung das Wahlrecht des Unternehmers, welche Art der Sicherheit er leisten will. Damit bleibt es ihm überlassen, ob er auf Liquidität verzichten will; hierdurch wird der Interessenausgleich gewahrt. Ebenso wichtig ist es, dass durch die Regelungen des § 17 VOB/B der Unternehmer im Hinblick auf seine Sicherheitsleistungen stets vor der Insolvenz des Bestellers geschützt ist. Der Unternehmer hat die Sicherheit gemäß § 17 Abs. 7 VOB/B binnen 18 Werktagen nach Vertragsschluss zu leisten, es sei denn, die Parteien haben etwas anderes vereinbart. Soweit der Unternehmer diese Verpflichtung nicht erfüllt, ist der Besteller berechtigt, vom Guthaben des Unternehmers einen Betrag in Höhe der vereinbarten Sicherheit einzubehalten. 5.3.6.1
Arten der Sicherheitsleistung
Bei einem Bauvertrag kann Sicherheit durch Einbehalt oder Hinterlegung von Geld oder durch Bürgschaft eines in der VOB/B näher beschriebenen Kreditinstituts geleistet werden. Der Unternehmer hat gemäß § 17 Abs. 3 VOB/B die Wahl unter den verschiedenen Arten der Sicherheit. Er kann eine Sicherheit auch durch eine andere ersetzen oder sie miteinander kombinieren (Austauschrecht). Große praktische Bedeutung haben vor allem die Bürgschaft und der Einbehalt von Zahlungen durch den Besteller. 5.3.6.1.1
Baubürgschaften
Gängige Baubürgschaften sind Vorauszahlungs-, Abschlagszahlungs-, Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften. Letztere sichert Mängelansprüche und umfasst in der Regel alle Mängel, auch diejenigen, die bereits vor der Abnahme entstanden sind (BGH, Urt. v. 04.12.1997 – IX ZR 247/96, NJW 1998, 1140). Nach § 17 Abs. 4 VOB/B ist Voraussetzung,
326
5 Die Grundstücksbebauung
dass der Besteller den Bürgen als tauglich anerkannt hat. Die Bürgschaftserklärung ist schriftlich unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) abzugeben und darf nicht auf bestimmte Zeit begrenzt sein. In AGB des Auftraggebers darf sie 5 % der Auftragssumme nicht überschreiten (BGH, Urt. v. 16.06.2009 – XI ZR 145/08, WM 2009, 1643 ff.; Urt. v. 26.02.2004 – VII ZR 247/02, NJW-RR 2004, 814 ff.; vgl. auch BGH, Urt. v. 13.11.2003 – VII ZR 57/02, WM 2004, 96 ff.). Vertragserfüllungsbürgschaften sind bis 10 % der Auftragssumme auch in AGB zulässig (BGH, Urt. v. 09.12.2010 – VII ZR 7/10, WM 2011, 598 ff.) 5.3.6.1.2
Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren
Wählt der Unternehmer die Sicherheitsleistung durch Hinterlegung von Geld, so hat er den Betrag gemäß § 17 Abs. 5 VOB/B bei einem zu vereinbarenden Geldinstitut auf ein Sperrkonto einzuzahlen, über welches Unternehmer und Besteller nur gemeinsam verfügen können („Und-Konto“). Etwaige Zinsen stehen dem Unternehmer zu. 5.3.6.1.3
Einbehalt
Haben die Parteien vereinbart, dass der Besteller die Sicherheit in Teilbeträgen von seinen Zahlungen einbehalten soll, so darf er – bis die vereinbarte Sicherheitssumme erreicht ist – gemäß § 17 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B jeweils die Zahlung um höchstens 10 % kürzen. Den jeweils einbehaltenen Betrag hat er aber dem Unternehmer mitzuteilen und binnen 18 Werktagen nach dieser Mitteilung bei einem zu vereinbarenden Geldinstitut auf ein Sperrkonto („Und-Konto“) einzuzahlen. Gleichzeitig muss er veranlassen, dass dieses Geldinstitut den Unternehmer von der Einzahlung des Sicherheitsbetrags zu benachrichtigen. Auch hier stehen etwaige Zinsen dem Unternehmer zu. Allerdings ist es bei kleineren oder kurzfristigen Aufträgen gemäß § 17 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B zulässig, dass der Besteller den einbehaltenen Sicherheitsbetrag erst bei der Schlusszahlung auf ein Sperrkonto einzahlt. Zahlt der Besteller den einbehaltenen Betrag nicht rechtzeitig auf das Sperrkonto ein, so kann ihm der Unternehmer gemäß § 17 Abs. 6 Nr. 3 VOB/B hierfür eine angemessene Nachfrist setzen. Bei fruchtlosem Verstreichen dieser Nachfrist kann der Unternehmer die sofortige Rückzahlung des einbehaltenen Betrags verlangen und braucht dann keine Sicherheit mehr zu leisten. Ein abweichende Regelung trifft der § 17 Abs. 6 Nr. 4 VOB/B für öffentliche Auftraggeber. Diese sind berechtigt, den als Sicherheit einbehaltenen Betrag auf ein eigenes Verwahrgeldkonto zu nehmen und müssen den Betrag nicht verzinsen. 5.3.6.2
Rückgewähr der Sicherheiten
Die VOB/B unterscheidet zwischen Sicherheiten, die für die vertragsgemäße Leistung gewährt werden und Sicherheiten, die für etwaige Mängelansprüche gewährt werden. Der Besteller hat eine für die Sicherung der vertragsgemäßen Leistung gewährte und nicht verwertete Sicherheit gemäß § 17 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B zum vereinbarten Zeitpunkt, spätestens jedoch nach Abnahme und Stellung der Sicherheit für Mängelansprüche zurückzugeben, es sei denn, dass Ansprüche des Bestellers, die nicht von der bestellten Sicherheit für Mängelansprüche umfasst sind (d. h. solche die die primäre vertragsgemäße Leistung betreffen), noch nicht erfüllt sind.
5.3 Der Bauvertrag
327
Der Besteller hat gemäß § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche nach Ablauf von zwei Jahren zurückzugeben, sofern kein anderer Rückgabezeitpunkt vereinbart worden ist. Soweit jedoch zu diesem Zeitpunkt seine geltend gemachten Ansprüche noch nicht erfüllt sind, darf er einen entsprechenden Teil der Sicherheit zurückhalten. 5.3.6.3
Leistungsverweigerungsrecht des Auftraggebers nach Werkvertragsrecht
Bei Mängeln der Bauleistung kann der Auftraggeber gemäß § 641 Abs. 3 BGB die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung verweigern. Angemessen ist in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten. Dieser Einbehalt wird Druckzuschlag genannt, da auf diese Weise auf den Unternehmer Druck zur Mängelbeseitigung ausgeübt werden kann. Voraussetzung ist, dass sich der Besteller bei Abnahme des mangelhaften Werkes seine Rechte wegen der Mängel vorbehält.
5.3.7
Verspätete Herstellung der Bauleistung
Die VOB/B enthält in §§ 5 und 11 VOB/B Regelungen zu Ausführungsfristen und Rechtsfolgen einer Nichteinhaltung der Ausführungsfristen. Das BGB behandelt diese Fälle nach den allgemeinen Vorschriften über den Vertrag. 5.3.7.1
Fälligkeit der Leistung
Die Fälligkeit bestimmt sich vorrangig nach der vertraglichen Vereinbarung. Haben die Parteien keine Vereinbarung über die Fälligkeit der Leistungen getroffen und ist diese auch nicht den Umständen zu entnehmen, so ist auf § 271 BGB zurückzugreifen. Hiernach kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen, der Schuldner kann sie sofort erbringen. In Bausachen bedarf die Leistung in der Regel aber einer gewissen Herstellungszeit. Im Zweifel hat der Unternehmer nach Vertragsschluss mit der Herstellung alsbald zu beginnen und sie in angemessener Zeit zügig zu Ende zu führen. Dabei ist die für die Herstellung notwendige Zeit in Rechnung zu stellen. Zur Bestimmung der notwendigen Zeit ist ferner auf den vertraglich vereinbarten Bauablauf sowie auf die konkreten Bauleistungen abzustellen. Mit Ablauf der angemessenen Fertigstellungsfrist tritt Fälligkeit ein (BGH, Urt. v. 08.03.2001 – VII ZR 470/99, NJW-RR 2001, 806). Erfordert das Werk z. B. eine nach öffentlichem Recht für die Bebauung notwendige Genehmigung oder Baufreigabe und liegt diese noch nicht vor, so kann die Bauleistung nicht fällig sein (BGH, Urt. v. 31.03.1974 – VII ZR 139/71, NJW 1974, 1080 f.). Der Unternehmer darf in diesem Fall vor Erteilung der Genehmigung nicht mit der Leistungserbringung beginnen. Die vertraglich geregelten Fälligkeitstermine können den Zeitpunkt der Aufnahme der Arbeiten, den Zeitpunkt für die Fertigstellung von Teilleistungen oder auch den Zeitpunkt für die Fertigstellung der gesamten Bauleistung regeln. Die Vereinbarung von Bauzeitplänen beinhaltet nicht immer auch eine Fälligkeitsvereinbarung. Dies ist im BGB-Vertrag anhand der Vertragsauslegung zu ermitteln. Im Geltungsbereich der VOB/B ist darin nur dann eine Vertragsfrist zu sehen, wenn die Parteien hierüber eine ausdrückliche Vereinbarung im Vertrag getroffen haben, § 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B.
328
5 Die Grundstücksbebauung
Bei einem VOB-Vertrag können sich die Ausführungsfristen im Einzelfall bei Behinderung und Unterbrechung der Ausführung der Leistung verlängern (§ 6 VOB/B). Wird der Unternehmer in der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistung durch höhere Gewalt, durch einen Streik oder durch einen Umstand aus dem Risikobereich des Bestellers behindert, so werden die Ausführungsfristen verlängert (§ 6 Abs. 2 VOB/B). Aus der Sphäre des Bestellers kommen beispielsweise Behinderungen, die auf verspätete Lieferung von Plänen und sonstigen für die Bauausführung erforderlichen Unterlagen beruhen, z. B. auf verspäteter Lieferung von Schal- und Bewehrungsplänen. Ebenso kommen eine verspätete Bereitstellung des Baugrundstücks oder eine nicht rechtzeitige Bereitstellung der erforderlichen Baugenehmigung in Betracht. Witterungseinflüsse werden nur dann berücksichtigt, wenn mit ihnen bei Abgabe des Angebots normalerweise nicht gerechnet werden musste (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B). Der Unternehmer muss eine Behinderung in der Regel dem Besteller unverzüglich schriftlich anzeigen, um eine Verlängerung der Ausführungsfristen verlangen zu können, (§ 6 Abs. 1 VOB/B). Bei der Fristverlängerung sind die in § 6 Abs. 4 VOB/B aufgezählten Umstände zu berücksichtigen. Der Unternehmer kann die Mehrkosten, die ihm aus Bauzeitverlängerungen entstehen, unter Umständen vom Besteller ersetzt verlangen (§ 642 BGB, § 6 Abs. 6 VOB/B). 5.3.7.2
Rechtsfolgen der verspäteten Herstellung
Kommt der Unternehmer trotz Fälligkeit seiner Leistungsverpflichtung nicht nach, gerät er unter den nachfolgend darzustellenden Voraussetzungen in Verzug. 5.3.7.2.1
Verzug
Hat der Unternehmer den Verzug verschuldet, kann der Besteller unter den Voraussetzungen des § 286 BGB Schadensersatz bzw. einen Verzögerungsschaden (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB und §§ 5 Abs. 4, 6 Abs. 6 VOB/ B) verlangen. Aufgrund der Formulierungsweise des § 286 Abs. 4 BGB trägt der Unternehmer die Beweislast dafür, dass er den Verzug nicht zu vertreten hat. Der Besteller kann den Schaden geltend machen, der ihm aufgrund der Verzögerung der Leistung entstanden ist. Grundsätzlich ist gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB die Mahnung Voraussetzung für den Eintritt des Verzuges. Unter einer Mahnung ist die ernsthafte Aufforderung zur Leistung zu verstehen. Einer Mahnung bedarf es gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausnahmsweise dann nicht, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn die kalendermäßige Fristbestimmung bei Vertragsschluss erfolgt, sondern auch dann, wenn sie einvernehmlich im Laufe der Vertragsdurchführung vereinbart wird. Einer Mahnung bedarf es gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch dann nicht, wenn der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Verweigert der Unternehmer die Leistung ernsthaft und endgültig, so ist die Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ebenfalls entbehrlich. An das Vorliegen einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Durch die Erfüllungsverweigerung werden neben der Mahnung auch die zur Leistung erforderlichen Mitwirkungshandlungen des Bestellers entbehrlich (Palandt/Grüneberg, § 286, Rdnr. 24). Ist aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt, so ist gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB eine Mahnung ebenfalls nicht erforderlich.
5.3 Der Bauvertrag
329
Der Unternehmer hat während des Verzuges jede Fahrlässigkeit zu vertreten (Verschärfte Haftung). Er haftet gemäß § 287 BGB für die Leistung auch bei zufälliger Verschlechterung, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Für den Schadensersatzanspruch wegen Verzögerung gelten in der VOB/B grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen wie im BGB. § 5 Abs. 4 VOB/B unterscheidet zwischen der Verzögerung des Ausführungsbeginns, der Vollendung und der Verzögerung einer der in § 5 Abs. 3 VOB/B genannten Verpflichtungen. 5.3.7.2.2
Weitere Rechtsfolgen
Der Besteller kann gemäß § 281 Abs. 1 BGB neben dem Verzögerungsschaden auch Schadensersatz statt der Leistung verlangen (zu Einzelheiten siehe 5.3.8.6.3) und nach § 323 BGB vom Vertrag zurücktreten. § 5 Abs. 4 VOB/B gewährt dem Besteller ferner ein Kündigungsrecht. 5.3.7.2.3
Vertragsstrafe
Die Parteien können in dem Bauvertrag eine Vertragsstrafe für den Fall der Leistungsverzögerung vereinbaren. Die Vertragsstrafe hat eine „doppelte Zielrichtung“: Sie soll zum einen als Druckmittel den Unternehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen Leistung anhalten, zum anderen soll sie dem Besteller im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung ohne Einzelnachweis eröffnen“ (BGH, Urt. v. 08.10.1992 – IX ZR 98/91, NJW-RR 1993, 243 ff.). Entsteht dem Besteller durch die Verzögerung der Leistung ein Schaden, so kann er, falls die Parteien im Vertrag nichts anderes vereinbart haben, gemäß § 341 Abs. 2 BGB i. V. m. § 340 Abs. 2 BGB die Vertragsstrafe als Mindestbetrag des Schadens ersetzt verlangen (vgl. auch § 11 VOB/B). Die Geltendmachung eines darüber hinaus gehenden Schadens ist nicht ausgeschlossen. Die Vertragsstrafe dient somit auch der Pauschalierung des Schadens, um Beweis- und Berechnungsprobleme zu umgehen. Individuell vereinbarte Vertragsstrafen sind wirksam, sofern sie nicht gegen die guten Sitten verstoßen (§ 138 BGB) oder aufgrund anderer allgemeiner gesetzlicher Regelungen nichtig sind. Neben der Höhe der Vertragsstrafe ist für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit vor allem maßgeblich, ob die doppelte Zielrichtung der Vertragsstrafe durch die Vereinbarung erreicht werden kann (OLG Celle, Urt. v. 22.03.2001 – 13 U 213/00, BauR 2001, 1108 f.). Auch eine Vereinbarung der Vertragsstrafe in AGB ist grundsätzlich möglich (BGH, Urt. v. 16.07.1998 – VII ZR 9/97, NJW 1998, 3488 f.). Sie unterliegt dann allerdings einer Inhaltskontrolle zu Lasten des Verwenders gemäß den §§ 305 ff. BGB. Der BGH hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass eine in AGB des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel in einem Bauvertrag den Bauunternehmer unangemessen benachteiligt, wenn sie eine Höchstgrenze von über 5 % der Auftragssumme vorsieht (BGH, Versäumnisurt. v. 23.01.2003 – VII ZR 210/01, NJW 2003, 1805 ff). Eine unangemessen hohe Vertragsstrafe führt zur Nichtigkeit der Vertragsklausel gemäß § 307 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht statt (so bereits für das AGB-Gesetz BGH, Urt. v. 12.03.1981 – VII ZR 293/79, NJW 1981, 1509). Oftmals wird in der Praxis eine Vertragsstrafe für die Überschreitung des Fertigstellungstermins vereinbart, ohne dass es hierfür auf die weiteren Voraussetzungen des Verzuges, wie Mahnung
330
5 Die Grundstücksbebauung
bzw. Verschulden, ankommen soll. Eine solche verschuldensunabhängige Vertragsstrafenvereinbarung ist im Rahmen von AGB nicht möglich (BGH, Urt. v. 24.04.1991 – VIII ZR 180/90; NJW 1991, 1013 ff.; Urt. v. 26.09.1996 – VII ZR 318/95, NJW 1997, 135 f.). 5.3.7.3
Verzug des Bestellers
Ist bei der Herstellung des Werkes eine Handlung des Bestellers erforderlich, so kann der Besteller in Verzug kommen. Der verschuldensunabhängige Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB setzt den Annahmeverzug des Bestellers gemäß den §§ 293 ff. BGB voraus. Der Besteller muss also durch den Verzug der ihm obliegenden Handlung in den Verzug der Annahme der Leistung des Unternehmers gekommen sein. Der Unternehmer muss seine Leistung dem Besteller gemäß der §§ 294 ff. BGB angeboten haben, so dass dieser die Mitwirkungshandlung tatsächlich auch hätte erbringen können. Dafür ist es unter Umständen ausreichend, wenn der Unternehmer seine Arbeitnehmer auf der Baustelle bereit hält und erkennbar leistungsbereit ist (BGH, Urt. v. 19.12.2002 – VII ZR 440/01, NJW 2003, 1601 f.). Ist der Besteller im Annahmeverzug, kann der Unternehmer zudem gemäß § 304 BGB Aufwendungsersatz verlangen. Darunter fällt der Ersatz der Mehraufwendungen, die er für das erfolglose Anbieten der Leistung an den Besteller sowie für die Aufbewahrung und Erhaltung des geschuldeten Gegenstandes machen musste. Darüber hinaus gewährt § 642 BGB dem Unternehmer einen Anspruch auf angemessene Entschädigung. § 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch bei Gläubigerverzug, der an die Obliegenheit des Bestellers, bei der Herstellung des Werkes mitzuwirken, anknüpft (BGH, Urt. v. 21.10.1999 – VII ZR 185/98, NJW 2000, 1336 ff.). Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich gemäß § 642 Abs. 2 BGB einerseits nach der Dauer des Verzugs und der Höhe der vereinbarten Vergütung, andererseits nach demjenigen, was der Unternehmer infolge des Verzugs an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann. Es kommt hier maßgeblich auf die tatsächliche Ersparnis an. § 642 BGB findet auch im VOB-Vertrag Anwendung (BGH, Urt. v. 21.10.1999 – VII ZR 185/98, ZfBR 2000, 248 ff.).
5.3.8
Mängelhaftungsrecht
In der Regel dauert die Leistungspflicht des Unternehmers bis weit über die Abnahme hinaus. Denn der Unternehmer hat gemäß § 633 Abs. 1 BGB dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. 5.3.8.1
Mangelbegriff
Gemäß § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit (subjektiver Mangelbegriff) hat. In der Praxis ist die Feststellung der Mangelhaftigkeit häufig nicht einfach, da die Leistungsbeschreibungen in dem Vertrag oftmals sehr ungenau bzw. unvollständig sind. Trotz des subjektiven Fehlerbegriffs wohnt dem werkvertraglichen Mangel auch ein funktionales Element inne. So hat der Unternehmer nicht nur für die vereinbarte Beschaffenheit, sondern auch
5.3 Der Bauvertrag
331
für die Funktionstauglichkeit des Werkes zu sorgen (BGH, Urt. v. 27.07.2006 – VII ZR 202/04, NJW 2006, 3413 ff.; BGH, Urt. v. 16.07.1998 – VII ZR 350/96, BGHZ 139, 244, 247 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 25.01.2007 – VII ZR 41/06, NJW-RR 2007, 597 ff.). Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB). Wurde in dem Vertrag keine spezifische Verwendung vorausgesetzt, so ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB). Die Beurteilung der Mangelhaftigkeit erfolgt somit in einem Stufenverhältnis. Erfüllt der Unternehmer seine Pflicht zur mangelfreien Verschaffung nicht, so stehen dem Besteller die in § 634 BGB genannten Rechte und Ansprüche zu: Nacherfüllung Selbstvornahme Rücktritt Minderung Schadensersatz Ersatz vergeblicher Aufwendungen Der Unternehmer hat bei der Herstellung auch die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Dies ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 633 BGB (vgl. aber §§ 4 Abs. 2, 13 Abs. 1 VOB/B), ist aber in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (BGH, Urt. v. 20.03.1975 – VII ZR 221/73, BauR 1975, 341, 342; BGH, Urt. v. 09.07.1981 – VII ZR 40/80, NJW 1981, 2801; Ingenstau/Korbion/Vygen/Kratzenberg, VOB/B, § 13, Rdnr. 11; Heiermann/Riedl/ Rusam, VOB/B, § 13 Abs. 1, Rdnr. 3). Der Gesetzgeber hat von einer Aufnahme der anerkannten Regeln der Technik in § 633 BGB abgesehen, da eine derartige Regelung zu dem Missverständnis führen könnte, dass der Unternehmer seine Leistungspflicht schon dann erfüllt hat, sobald die anerkannten Regeln eingehalten sind, obwohl die vertragsgemäße Beschaffenheit nicht erlangt ist (BT-Drs. 14/6040, S. 261). Ein Werk kann daher auch dann mangelhaft sein, wenn zwar die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten wurden, aber eine vertraglich vereinbarte Leistungsausführung, die von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweicht, nicht erbracht wurde (BGH, Urt. v. 09.07.2002 – X ZR 242/99, NJW-RR 2002, 1533 ff.). Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind vielfach in Regelwerken wie z. B. in den DIN-Normen, den Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektroingenieure (VDE) und den Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) enthalten. Der Sachmangelbegriff des § 13 VOB/B entspricht genau dem des § 633 BGB. Nach § 13 Abs. 1 VOB/B hat der Unternehmer dem Besteller seine Leistung zum Zeitpunkt der Abnahme frei von Sachmängeln zu verschaffen. 5.3.8.2
Nacherfüllung
Verlangt der Besteller Nacherfüllung, so kann der Unternehmer gemäß § 635 BGB nach seiner Wahl den Mangel beseitigen oder ein neues Werk herstellen (im Kaufrecht hat der Käufer das Wahlrecht zwischen der Nachbesserung und der Neulieferung). Hierbei hat er gemäß § 635 Abs. 2 BGB die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu
332
5 Die Grundstücksbebauung
tragen. Entscheidet sich der Unternehmer für die Herstellung eines neuen Werkes, so kann er vom Besteller gemäß § 635 Abs. 4 BGB die Rückgabe des mangelhaften Werkes entsprechend der für den Rücktritt geltenden Regelungen (§§ 346 ff. BGB) verlangen. Die Erfolgshaftung des Unternehmers im Werkvertragsrecht ist verschuldensunabhängig. Der Unternehmer muss einen Mangel daher auch dann beseitigen, wenn ihm kein Vorsatz- bzw. Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2005 – VII ZR 147/04, NJWRR 2006, 240 f.). 5.3.8.2.1
Vorrang der Nacherfüllung
Mit dem Nacherfüllungsanspruch des Bestellers korrespondiert das Nacherfüllungsrecht des Unternehmers. Dem Unternehmer muss zuerst Gelegenheit gegeben werden, die von ihm zu verantwortenden Mängel selbst zu beseitigen. Der Vorrang der Nacherfüllung beruht auf dem Gedanken, dass der mit den Verhältnissen am besten vertraute Unternehmer im Allgemeinen schneller und kostengünstiger als ein Fremdunternehmer die Mängelbeseitigung durchführen kann (vgl. BGH, Urt. v. 07.03.2002 – III ZR 12/01, NJW 2002, 1571 ff.). Außerdem soll dem Unternehmer hierdurch auch die Möglichkeit geschaffen werden, den Mangel erst selbst zu überprüfen, bevor der Besteller den Mangel beseitigt bzw. beseitigen lässt. Erst wenn der Unternehmer die Möglichkeit der Mängelbeseitigung nicht nutzt, kann der Besteller die weiteren Gewährleistungsansprüche geltend machen. 5.3.8.2.2
Fristsetzung
Aus dem Grundsatz des Nacherfüllungsvorrangs folgt auch die Pflicht zur Fristsetzung. Das bedeutet, dass der Besteller dem Unternehmer grundsätzlich eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung setzen muss. Die Angemessenheit der Fristsetzung kann sich nur nach den Umständen des Einzelfalles bestimmen. Sie muss so bemessen sein, dass der Unternehmer in der Lage ist, den Mangel zu beseitigen. Bemisst der Besteller die Frist zu kurz, so ist die Fristsetzung nicht unwirksam. Es wird vielmehr eine objektiv angemessene Frist in Lauf gesetzt (BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640 ff.; Urt. v. 10.02.1982 – III ZR 27/81, NJW 1982, 1279 f.). Eine Fristsetzung kann gemäß §§ 636 und 637 Abs. 2 BGB entbehrlich sein. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn der Unternehmer die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Darf der Unternehmer die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern, ist die Fristsetzung gemäß § 636 Alt. 1, § 635 Abs. 3 BGB auch entbehrlich. Nach § 636 Alt. 3, § 637 Abs. 2 Satz 2 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn die Nacherfüllung dem Besteller unzumutbar ist. Unzumutbarkeit kann angenommen werden, wenn der Unternehmer durch sein vorheriges Verhalten das Vertrauen in seine Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft derart erschüttert hat (so bereits BGH, Urt. v. 08.12.1966 – VII ZR 144/64, BGHZ 46, 242 ff.), dass es dem Besteller nicht zumutbar ist, diesen Unternehmer noch mit der Nacherfüllung zu befassen. Die Unzumutbarkeit orientiert sich allein an den Interessen des Bestellers (Palandt/Sprau, § 637, Rdnr. 3/4 mit Verweis auf § 636 Rdnr. 16). Ferner ist eine Fristsetzung bei Fixgeschäften entbehrlich. Hierbei handelt es sich um Geschäfte, bei denen der Besteller infolge der Überschreitung des fixen Termins kein Interesse mehr an der Leistung hat und er dies vertraglich abgesichert hat (§§ 636, 637 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die bloße Vereinbarung eines genauen Leistungstermins reicht nicht aus. Es muss vielmehr aus dem Vertrag hervorgehen, dass der Besteller bei Überschreitung
5.3 Der Bauvertrag
333
dieses Termins kein Interesse mehr an der Leistung hat (z. B. bei Lieferung der bestellten Hochzeitstorte nach der Hochzeit). Ist die Nacherfüllung fehlgeschlagen, ist die Fristsetzung gemäß § 636 Alt. 2, § 637 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BGB entbehrlich. Je nach Umständen kann ein Fehlschlagen schon nach einem einmaligen Nachbesserungsversuch oder erst nach mehreren Versuchen der Fall sein. Auch aus dem Vorliegen besonderer Umstände, die die sofortige Geltendmachung der Gewährleistungsrechte rechtfertigen, kann sich die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ergeben (§§ 636, 637 Abs. 2, § 280 Abs. 2, § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Gemessen an den anderen normierten Ausnahmetatbeständen kommt dieser Regelung Auffangcharakter zu. 5.3.8.2.3
Nacherfüllungsverlangen
Der Besteller ist hierbei nicht an die Einhaltung einer Form gebunden. Er kann die Nacherfüllung auch mündlich fordern. Auch eine Fristsetzung ist nicht erforderlich, um das Leistungsverweigerungsrecht des Auftraggebers auszuüben (BGH, Urt. v. 08.07.2004 – VII ZR 317/02, NJW-RR 2004, 1461 f.; anders bei der Selbstvornahme). Der Besteller muss den Mangel jedoch so genau bezeichnen, dass der Unternehmer nacherfüllen kann, er also aus der Beschreibung der Mängel erkennen kann, was der Besteller verlangt (BGH, Urt. v. 08.10.1994 – VII ZR 272/90, NJW 1993, 1394 ff.). Eine „allgemeine Mängelrüge“ ohne nähere Bezeichnung ist nicht ausreichend. Der Mangel muss auch so lokalisiert werden, so dass der Unternehmer ihn auffinden kann (BGH, Urt. v. 25.09.1967 – VII ZR 46/65, NJW 1967, 2353). Die Beschreibung der Mängel muss aus sich heraus verständlich sein und erkennen lassen, was der Gläubiger vom Schuldner verlangt (BGH, Urt. v. 08.10.1994 – VII ZR 272/90, NJW 1993, 1394 ff.). Der Besteller ist jedoch nicht verpflichtet, den Mangel in allen Einzelheiten zu beschreiben. Dies wird er oftmals mangels Fachwissen nicht können. Ausreichend ist eine genaue Beschreibung der Mangelerscheinung, mit der der Besteller den Mangel selbst zum Gegenstand seiner Rüge macht (so genannte Symptomtheorie des BGH, vgl. BGH, Urt. v. 07.03.1985 – VII ZR 60/83, BauR 1985, 355 ff.; Urt. v. 13.09.2001 – VII ZR 113/00, NJW-RR 2002, 160 ff.). Verlangt der Besteller mit seinem Nacherfüllungsverlangen mehr als ihm rechtlich zusteht, so wird die Aufforderung den Anforderungen des § 635 BGB nur dann gerecht, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben der Unternehmer die Erklärung als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Besteller auch zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (so BGH, Urt. v. 25.06.1999 – V ZR 190/98, NJW 1999, 3115 ff., zur Zuvielforderung in einer Mahnung). Diese vom BGH zur Unwirksamkeit von Mahnungen bei Zuvielforderung entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen im Werkvertragsrecht (BGH, Urt. v. 05.10.2005 – X ZR 276/02, NJW 2006, 769 ff.). Jedoch sind auf die Besonderheiten des Werkvertragsrechts Rücksicht zu nehmen. So ist bei der Auslegung der Aufforderungserklärung im Bereich des Werkvertragsrechts zu berücksichtigen, dass der Besteller Nachbesserungen, die ihm die vertraglich vereinbarte Nutzung des Werks gestatten, in der Regel auch dann nicht zurückweisen wird, wenn er meint, noch mehr verlangen zu können (BGH, a. a. O.). Eine Zuvielforderung muss nicht zwingend die Leistungsmenge betreffen. Sie ist beispielsweise auch dann gegeben, wenn der Besteller eine Maßgenauigkeit verlangt, auf die er rechtlich keinen Anspruch hat (BGH, a. a. O.).
334 5.3.8.2.4
5 Die Grundstücksbebauung Umfang
Die Nacherfüllungspflicht bezieht sich immer nur auf die eigene Leistung des Unternehmers. Führt der Mangel des Werkes zu einem Schaden an einem anderen Werk, liegt mit anderen Worten ein Mangelfolgeschaden (zur näheren Erläuterung siehe Palandt/Grüneberg, § 280 Rdnr. 18) vor, so hat der Besteller gegenüber dem Unternehmer aus der Nacherfüllungspflicht keinen Mangelbeseitigungsanspruch bezüglich dieses anderen Werkes. Der Unternehmer muss den Mangel vollumfänglich beseitigen, ansonsten muss der Besteller die Nacherfüllung grundsätzlich nicht akzeptieren. Bei der Nacherfüllung hat der Unternehmer darauf zu achten, dass auch die anderen vertraglichen Vereinbarungen eingehalten werden (er kann beispielsweise Fenster mit fehlerhaftem Wärmedurchlass nicht gegen Fenster austauschen, die nicht der vereinbarten Optik entsprechen; BGH, Urt. v. 23.06.2005 – VII ZR 200/04, NJW 2005, 3420 ff.). Einigen sich die Parteien über eine bestimmte Art der Nacherfüllung, so sind sie hieran gebunden. Dies gilt nicht, wenn sich der Mangel später in einem zuvor nicht erkannten Umfang zeigt und somit die Grundlage für die Vereinbarung entfallen ist. 5.3.8.2.5
Ausschluss der Nacherfüllungspflicht
Ist die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich, so kann der Unternehmer sie gemäß § 635 Abs. 3 BGB verweigern. Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn der mit der Beseitigung des Mangels zu erzielende Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür erforderlichen Geldaufwands steht (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2005 – VII ZR 137/04, NJW-RR 2006, 453 f.; Urt. v. 30.04.1992 – VII ZR 185/90, NJW 1992, 2481 f.). Ist die Funktionsfähigkeit des Werkes spürbar beeinträchtigt, kann die Nachbesserung regelmäßig nicht wegen hoher Kosten verweigert werden (vgl. BGH, Urt. v. 04.07.1996 – VII ZR 24/95, NJW 1996, 3269 f.). Je erheblicher der Mangel ist, umso weniger Rücksicht wird auf die Kosten zu nehmen sein. Dies gilt insbesondere für Mängel, die den Wohnwert eines Bauwerkes erheblich beeinträchtigen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit der Unternehmer den Mangel verschuldet hat (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2005 – VII ZR 64/04, NJWRR 2006, 304 ff.; Urt. v. 23.02.1995 – VII ZR 235/93, NJW 1995, 1836 f.). Auf der anderen Seite wird sich der Unternehmer bei hohen Mängelbeseitigungskosten regelmäßig dann auf § 635 Abs. 3 BGB berufen können, wenn es sich um so genannte Schönheitsmängel oder um Mängel handelt, die zu einer lediglich geringwertigen Funktionsbeeinträchtigung führen. Neben dem werkvertraglichen Nacherfüllungsverweigerungsrecht aus § 635 Abs. 3 BGB steht dem Unternehmer auch das Recht aus § 275 Abs. 2 BGB zu. Nach dieser allgemeinen schuldrechtlichen Vorschrift kann sich der Schuldner auf Unmöglichkeit berufen, soweit die Nacherfüllung einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. § 275 Abs. 2 BGB findet nur in extremen Ausnahmefällen Anwendung. Der Nacherfüllungsanspruch besteht auch nicht, wenn die Beseitigung des Mangels für den Unternehmer oder für jedermann unmöglich i. S. d. § 275 Abs. 1 BGB ist. Dem Besteller verbleiben dann die weiteren Gewährleistungsrechte wie Schadensersatz oder Rücktritt (siehe unten).
5.3 Der Bauvertrag 5.3.8.2.6
335
Nacherfüllung im VOB-Vertrag
Anders als das gesetzliche Werkvertragsrecht enthält die VOB/B für den Mängelbeseitigungsanspruch des Bestellers vor bzw. nach Abnahme jeweils eigenständige Anspruchsgrundlagen. Vor der Abnahme ergibt sich der Mängelbeseitigungsanspruch aus § 4 Abs. 7 VOB/B. Nach fruchtlosem Fristablauf zur Mängelbeseitigung kann der Besteller den Vertrag kündigen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Anders als beim BGBWerkvertrag ist der Besteller beim VOB-Vertrag nicht berechtigt, ohne Kündigung des Vertrages die Mängel im Wege der Ersatzvornahme beseitigen zu lassen. Führt der Besteller die Ersatzvornahme ohne Kündigung durch, so hat er die Kosten der Mängelbeseitigung selbst zu tragen (BGH, Urt. v. 02.10.1997 – VII ZR 44/97, NJW-RR 1998, 235 f.). Nach der Abnahme kann der Bauherr die Mängelbeseitigung nach § 13 Abs. 5 VOB/B verlangen. Der Anspruch auf Mängelbeseitigung nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 VOB/B ist inhaltsgleich mit dem Anspruch auf Nacherfüllung nach § 635 BGB. 5.3.8.3
Selbstvornahme
Das Werkvertragsrecht weist die Besonderheit auf, dass der Besteller bei Mangelhaftigkeit des Werks unter den Voraussetzungen des § 637 BGB Aufwendungsersatz für eine Selbstvornahme verlangen kann. 5.3.8.3.1
Voraussetzungen
Verweigert der Unternehmer die Nacherfüllung etwa nach § 635 Abs. 3 BGB zu Recht, hat der Besteller gemäß § 637 Abs. 1 BGB keinen Anspruch auf Kostenersatz. Der Besteller muss zunächst gemäß § 637 Abs. 1 BGB dem Unternehmer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben. Beseitigt der Unternehmer innerhalb dieser Frist den Mangel nicht oder ist die Fristsetzung gemäß § 637 Abs. 2 BGB ausnahmsweise entbehrlich, kann der Besteller den Mangel selbst beseitigen oder ihn durch Dritte beseitigen lassen. Beseitigt der Besteller den Mangel ohne dem Unternehmer die erforderliche Frist zur Nacherfüllung zu setzen, so kann er diesem gegenüber keinerlei Kosten geltend machen. Er bleibt dem Unternehmer weiterhin zur vollen Zahlung des Werklohnes verpflichtet und kann ihm von seiner Lohnforderung selbst das nicht abziehen, was der Unternehmer an eigenen Aufwendungen erspart hat. 5.3.8.3.2
Erforderliche Aufwendungen
Liegen die Voraussetzungen für eine Selbstvornahme vor, hat der Besteller gemäß § 637 Abs. 1 BGB Anspruch auf Ersatz der für die Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen. Maßgeblich für die Bewertung der Erforderlichkeit sind die Kosten der Mängelbeseitigung, welche der Besteller im Zeitpunkt der Selbstvornahme als vernünftiger, wirtschaftlich denkender Bauherr aufgrund sachkundiger Beratung oder Feststellung aufwenden durfte und musste. Die Kostenhöchstgrenze für den Aufwendungsersatzanspruch des Bestellers liegt dort, wo der Unternehmer auch bei der Nacherfüllung von seiner Nacherfüllungspflicht gemäß § 635 Abs. 3 BGB befreit sein würde.
336 5.3.8.3.3
5 Die Grundstücksbebauung Kostenbeteiligung des Bestellers
Der Besteller muss sich an den so genannten Sowiesokosten beteiligen (BGH, Urt. v. 17.05.1984 – VII ZR 169/82, NJW 1984, 2457 ff.). Hat der Besteller den Mangel mit verursacht, so ist sein Aufwendungsersatzanspruch in der Höhe seines Mitverschuldens zu schmälern. Nach allgemeinen Grundsätzen muss sich der Besteller auch die Vorteile anrechnen lassen, die er durch eine Mängelbeseitigung erhält (BGH, a. a. O.). 5.3.8.3.4
Anspruch auf Vorschuss
Der Besteller kann nach § 637 Abs. 1 BGB seine Aufwendungen grundsätzlich erst nach der Selbstvornahme ersetzt bekommen. Die Rechtsprechung hat dem Besteller jedoch ein schutzwürdiges Interesse an der Bevorschussung der Mängelbeseitigungskosten zuerkannt (BGH, Urt. v. 02.03.1967 – VII ZR 215/64, BGHZ 47, 272 ff.; Urt. v. 05.05.1977 – VII ZR 36/76, NJW 1977, 1336 ff.). Der BGH sieht den Anspruch des Bestellers auf Kostenvorschuss als vorweggenommenen und abzurechnenden Aufwendungsersatz (BGH, Urt. v. 14.04.1983 – VII ZR 258/82, NJW 1983, 2191). Er soll durch den Kostenvorschuss in der Lage sein, die eigentlich vom Unternehmer geschuldete Nachbesserung – ohne den Einsatz eigener Mittel – von dritter Seite durchführen zu lassen (BGH, a. a. O.). Der Anspruch auf Kostenvorschuss besteht nur, wenn auch die Voraussetzungen für eine Selbstvornahme (vgl. oben) gegeben sind. Wird der geleistete Kostenvorschuss durch die Selbstvornahme nicht vollständig aufgebraucht, so ist der verbleibende Betrag dem Unternehmer zurückzuzahlen (BGH, Urt. v. 20.05.1985 – VII ZR 266/84, NJW 1985, 2325; Urt. v. 07.07.1988 – VII ZR 320/87, NJW 1988, 2728 f.). 5.3.8.3.5
Kostenersatz für die Selbstvornahme im VOB-Vertrag
Der Kostenersatz für die Selbstvornahme ist in § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B geregelt. Er ist weitgehend inhaltsgleich mit dem entsprechenden Anspruch im BGB-Vertrag. Eine Besonderheit im VOB-Vertrag besteht allerdings für das Selbstvornahmerecht vor der Abnahme. Der Mängelbeseitigungsanspruch wird gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 VOB/B auch vor der Abnahme sofort fällig. Daher könnte an und für sich das Selbstvornahmerecht sofort entstehen. Um Konflikte zu vermeiden, ist grundsätzlich eine Fristsetzung mit Kündigungsandrohung gemäß § 4 Abs. 7 VOB/B und eine schriftliche Kündigung gemäß § 8 Abs. 3 und Abs. 5 VOB/B erforderlich, bevor das Selbstvornahmerecht geltend gemacht werden kann (siehe auch BGH, Urt. v. 15.05.1986 – VII ZR 176/85, BauR 1986, 573 ff.). Die Kündigung kann sich entweder auf den ganzen Vertrag beziehen oder sich nur auf in sich abgeschlossene Teilleistungen beschränken. 5.3.8.4
Rücktritt
Die Erklärung des Rücktritts ist eine Gestaltungserklärung, die den Vertrag beendet und Erfüllungsansprüche aus dem Vertrag fortan ausschließt. Das Rücktrittsrecht des Bestellers ist unabhängig vom Verschulden des Unternehmers. Seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz kann der Besteller neben dem Rücktritt auch Schadensersatz verlangen, § 325 BGB.
5.3 Der Bauvertrag 5.3.8.4.1
337
Voraussetzungen
Unter den Voraussetzungen der §§ 634 Nr. 3, 636 i. V. m. den §§ 323 und 326 Abs. 5 BGB kann der Besteller vom Vertrag zurücktreten. Ist offensichtlich, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, so kann der Besteller bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung nach § 323 Abs. 4 BGB vom Vertrag zurücktreten. Der Besteller muss auch hier eine angemessene Frist zur Nacherfüllung erfolglos gesetzt haben oder die Fristsetzung muss entbehrlich sein, §§ 323 Abs. 1 und 2, 636 BGB. Hat der Unternehmer eine Teilleistung bewirkt, so kann der Besteller vom ganzen Vertrag gemäß § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB nur dann zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Bei unerheblichen Mängeln ist der Rücktritt gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Aufgrund der Regelung in § 323 Abs. 6 BGB kann der Besteller vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn er selbst für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn der vom Unternehmer nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Besteller im Verzug der Annahme ist. In Bausachen betrifft dies in erster Linie die Fälle, in denen der Mangel auf einer fehlerhaften Leistungsbeschreibung beruht und dieser Planungsfehler zur weit überwiegenden Verantwortlichkeit des Bestellers führt. Hier ist zu unterscheiden, ob der Planungsfehler erkennbar war oder nicht. War er nicht erkennbar, so hat der Besteller die Verantwortung alleine zu tragen. War der Fehler jedoch erkennbar, so ist dem Unternehmer der Vorwurf der fehlenden oder unzureichenden Prüfung der Planung zu machen, so dass dieser in aller Regel einen recht großen Teil der Verantwortung zu tragen hat. 5.3.8.4.2
Rechtsfolgen des Rücktritts
Durch den Rücktritt wird das bisherige Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt. Als Folge davon bestehen keine Leistungsansprüche und -pflichten mehr aus dem Vertragsverhältnis. Gemäß § 346 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen Zug um Zug zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Ob auch eine Pflicht zur Rücknahme der Bauleistungen besteht, ist fraglich. Eine Rücknahmeverpflichtung ergibt sich jedenfalls nicht direkt aus den §§ 346 ff. BGB. Sie kann sich zumindest jedoch dann ergeben, wenn der Rücktrittsberechtigte ein schutzwürdiges Interesse an der Rücknahme hat (Palandt/Grüneberg, § 346, Rdnr. 5). Die Pflicht zur Rückgewähr entfällt gemäß § 346 Abs. 2 BGB, soweit sie nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist, der empfangene Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet ist oder der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist. Bauleistungen sind meist ihrer Natur nach nicht rückgewährbar, denn sie können in der Regel nicht ohne Zerstörung oder Eingriff in die restliche Bausubstanz entfernt werden. Beim Rücktritt von einem Bauvertrag hat der Besteller daher zumeist gemäß §§ 346 Abs. 3 Satz 2, 818 Abs. 2 BGB Wertersatz für die bei ihm verbleibenden Bauleistungen zu gewähren. Bei der Berechnung des Wertersatzes sind gemäß § 346 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BGB die vertraglich vereinbarte Vergütung und etwaige Sachmängel zu berücksichtigen. Der Unternehmer hat dem Besteller den bereits empfangenen Werklohn sowie die damit erwirtschafteten Zinsen zurückzuzahlen. Konnte der Besteller das Bauwerk bereits nutzen, so hat er dem Unternehmer Wertersatz für die Gebrauchsvorteile zu leisten. Die Wertmin-
338
5 Die Grundstücksbebauung
derung des Bauwerkes, die dadurch entsteht, dass der Besteller das Werk bestimmungsgemäß in Gebrauch nimmt, das heißt der merkantile Minderwert, ist nicht auszugleichen (Palandt/Grüneberg, § 346, Rdnr. 9). Eine für Immobilienkredite wichtige Einschränkung des Wertersatzes enthält § 346 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB. Haben sich die Parteien auf eine Verzinsung geeinigt, die über dem üblichen Marktpreis liegt, wird bei entsprechendem Nachweis der Wertersatz auf die Höhe des marktüblichen Zinses beschränkt (Palandt/Grüneberg, § 346, Rdnr. 10). Bei der Rückabwicklung des Vertrages sind notwendige Verwendungen gemäß § 347 Abs. 2 Satz 1 BGB zu ersetzen. Notwendige Verwendungen sind solche Vermögensaufwendungen, die zur Erhaltung oder ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Sache objektiv erforderlich sind oder der Wiederherstellung oder Verbesserung der Sache dienen (so bereits BGH, Urt. v. 14.12.1954 – I ZR 134/53, NJW 1955, 340 ff.). Andere Aufwendungen – also keine notwendigen Verwendungen – sind zu ersetzen, soweit der Rückgewährgläubiger durch sie bereichert wird, § 347 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dies erlangt bei Bausachen besondere Bedeutung in den Fällen, in denen der Besteller ein Gebäude bereits umgestaltet oder notwendige Reparaturen an dem Gebäude vorgenommen hat. Die Pflicht zum Wertersatz entfällt gemäß § 346 Abs. 3 BGB, wenn sich entweder der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstands gezeigt hat, der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre. Er entfällt im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts ferner dann, wenn die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Selbst wenn die Pflicht zum Wertersatz nach diesen Vorschriften entfallen ist, ist gemäß § 346 Abs. 3 Satz 2 BGB eine etwaige verbleibende Bereicherung herauszugeben. 5.3.8.4.3
Rücktritt im VOB-Vertrag
Die VOB/B enthält keine ausdrückliche Regelung zum Rücktritt. In der Literatur wird daher vertreten, aus der Gesamtregelung zur Gewährleistung in der VOB/B folge, dass der Rücktritt im VOB-Vertrag ausgeschlossen sei (Ingenstau/Korbion/Vygen/Kratzenberg, VOB/B, § 13 Abs. 6, Rdnr. 73 ff.). Für einen Rücktritt bestehe kein praktisches Bedürfnis, da die wirtschaftlichen Effekte eines Rücktritts in Extremfällen im Wege der Minderung bzw. im Wege des Schadensersatzes erreicht werden könnten. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bisher offen gelassen (BGH, Urt. v. 29.10.1964 – VII ZR 52/63, BGHZ 42, 232 ff.). 5.3.8.5
Minderung
Der Besteller kann anstatt zurückzutreten die Vergütung gemäß § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB mindern. Als Gestaltungsrecht bedarf die Minderung einer Erklärung. Die Minderung ist die Herabsetzung der Vergütung des Unternehmers um einen der Wertminderung durch den Mangel entsprechenden Betrag. Diese Möglichkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass der Besteller trotz einer mangelhaften Leistung Interesse daran haben kann, diese zu behalten und den Werklohn herabzusetzen. Mit der Erklärung hat der Besteller seine Wahl zwischen den ihm zustehenden Mängelrechten getroffen. Ist die Minderung berechtigt, kann er daher wegen desselben Mangels nicht
5.3 Der Bauvertrag
339
mehr zurücktreten. Eine unberechtigte Minderung ist demgegenüber unwirksam und löst keinerlei Bindung aus. Durch die Formulierung des § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB, demzufolge der Besteller statt zurückzutreten auch mindern kann, unterliegt die Minderung den gleichen Voraussetzungen wie der Rücktritt. Doch abweichend vom Rücktrittsrecht regelt § 638 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich, dass es für ein Recht zur Minderung nicht auf die Erheblichkeit der Pflichtverletzung ankommt. Im Übrigen finden die zum Rücktrittsrecht in § 323 BGB getroffenen Regelungen entsprechende Anwendung. Die Berechnung der Minderung erfolgt nach der von § 638 Abs. 3 BGB aufgestellten Regel. Danach ist bei der Minderung die Vergütung in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert des Werkes in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. In Anlehnung hieran lässt sich der geminderte Lohn daher mit folgender Formel berechnen: mangelhafter Verkehrswert geminderter Werklohn voller Werklohn mangelfreier Verkehrswert Der Minderung dürfen aber nicht die Kosten der Mängelbeseitigung zugrunde gelegt werden, da ansonsten die Wertungen des § 635 Abs. 3 BGB umgangen werden würden. Der bei der Minderung zu berücksichtigende Minderwert bestimmt sich vielmehr nach den merkantilen und technischen Nachteilen, die dem Besteller entstehen. Hat der Besteller mehr als die geminderte Vergütung bezahlt, ist der Mehrbetrag gemäß § 638 Abs. 4 BGB vom Unternehmer zu erstatten. Über § 638 Abs. 4 Satz 2 BGB finden die §§ 346 Abs. 1 und 347 Abs. 1 BGB entsprechende Anwendung. Nach § 13 Abs. 6 VOB/B kann der Besteller durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer nur dann die Vergütung mindern, wenn die Beseitigung des Mangels für den Besteller unzumutbar oder unmöglich ist oder sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und deshalb vom Unternehmer verweigert wird. 5.3.8.6
Schadensersatzanspruch
Ist das Werk mangelhaft, so kann der Besteller gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 ff., 311 a BGB auch Schadensersatzansprüche geltend machen. Die mangelhafte Herstellung eines Werkes ist die Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis i.S.v. § 280 Abs. 1 BGB. § 280 BGB bildet die Grundnorm der allgemeinen schuldrechtlichen Schadensersatzvorschriften. Voraussetzung für jeden Schadensersatzanspruch ist daher auch das Vorliegen eines Verschuldens. Aus der Formulierung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB („Dies gilt nicht, wenn…“) ergibt sich eine Beweislastumkehr. Das bedeutet, der Unternehmer hat zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Ein Verschulden kann gemäß § 276 Abs. 1 BGB bejaht werden, wenn der Unternehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. 5.3.8.6.1
Schadensersatz neben der Leistung
§ 280 Abs. 1 BGB gewährt nur Schadensersatz neben der Leistung. Er kommt dann zur Anwendung, wenn ein Mangel – zusätzlich zu dem allein durch die Mangelhaftigkeit bestehenden Schaden am Werk – zu einem weiteren Schaden geführt hat. Über § 280 Abs. 1 BGB alleine kann daher typischerweise der Ersatz von Mangelfolgeschäden (zur Definition vgl. Palandt/Grüneberg, § 280 Rdnr. 18) geltend gemacht werden.
340 5.3.8.6.2
5 Die Grundstücksbebauung Nutzungsausfall als Schaden
Auch ein Nutzungsausfall kann einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen, wenn der Eigentümer infolge eines Mangels eine von ihm selbst genutzte Sache vorübergehend nicht benutzen kann. Bei Sachen, auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des Menschen angewiesen ist, kann der zeitweise Verlust der Nutzungsmöglichkeit daher ein Vermögensschaden sein (dies gilt jedenfalls für ein vom Eigentümer selbst bewohntes Haus; vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. vom 09.07.1986 – GSZ 1/86, NJW 1987, 50 ff.). Nach dieser Rechtsprechung können allerdings für gewerblich genutzte Bauwerke entgangene Nutzungen von vornherein nicht geltend gemacht werden. Bezüglich dieser Bauwerke kann nur entgangener Gewinn bzw. die Kosten für Ersatznutzung geltend gemacht werden. Auch ein merkantiler Minderwert, der von vornherein trotz ordnungsgemäßer Nachbesserung verbleibt, kann als Schaden geltend gemacht werden (BGH, Urt. v. 19.09.1985 – VII ZR 158/84, NJW 1986, 428 f.; vgl. auch BGH, Urt. v. 11.07.1991 – VII ZR 301/90, NJW-RR 1991, 1429). 5.3.8.6.3
Schadensersatz statt der Leistung
Ist der Unternehmer trotz angemessener Fristsetzung bzw. Entbehrlichkeit der Fristsetzung seiner Nacherfüllungspflicht nicht nachgekommen, kann der Besteller gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung verlangen. Im Unterschied zum Schadensersatz neben der Leistung erfasst § 281 Abs. 1 BGB die Schäden, die durch eine Nacherfüllung verhindert werden könnten. Es ist zwischen kleinem und großem Schadensersatz zu unterscheiden. Der kleine Schadensersatzanspruch ist gegeben, wenn der Besteller das Werk behält und nur für den durch die mangelhafte Ausführung verursachten Schaden Ersatz verlangt. Da der Bauherr in den seltensten Fällen das mangelhafte Bauwerk insgesamt zurückweist, ist diese Art des Schadensersatzes in Bausachen die am häufigsten vorkommende. Aus dem Wortlaut des § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich bereits, dass der Schadensersatzanspruch lediglich Kompensation für den nicht oder schlecht erbrachten Teil der Leistung darstellt und hinsichtlich des restlichen Teils der originäre Erfüllungsanspruch bestehen bleibt. Der unter Berücksichtigung der Mängelbesteigungskosten berechnete Schadensersatzanspruch bleibt nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch dann fortbestehen, wenn der Besteller das Grundstück veräußert, bevor er den zur Mängelbeseitigung erforderlichen Geldbetrag erhalten hat (BGH, Urt. v. 22.07.2004 – VII ZR 275/03, NJW-RR 2004, 1462 f.; Urt. v. 06.11.1986 – VII ZR 97/85, NJW 1987, 645 ff.; Urt. v. 25.04.1996 – VII ZR 157/94, NJW-RR 1996, 1044 f.). Er kann insoweit nicht auf den Ersatz der Minderung des Verkaufswertes beschränkt werden. Der Schaden besteht in dem mangelbedingten Minderwert. Die Berechnung der Schadenshöhe erfolgt mit der so genannten Differenzhypothese. Der Besteller kann nach § 281 Abs. 1 BGB auch Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen (großer Schadensersatz). Er weist damit die ganze Leistung insgesamt zurück und will auch in diesem Umfang Entschädigung. Dabei kann er den gesamten durch die Nichterfüllung des Vertrags entstandenen Schaden geltend machen.
5.3 Der Bauvertrag
341
Macht der Besteller den großen Schadensersatzanspruch geltend, so führt dies jedenfalls vor der Abnahme dazu, dass der Werklohnanspruch des Unternehmers untergeht (BGH, a. a. O.). Dies hat insoweit Bedeutung, als der Unternehmer auch dann nichts verlangen kann, wenn die Kosten der Errichtung des Werkes durch einen anderen Unternehmer den Werklohn nicht erreichen. Der Schadensersatzanspruch wird insofern nicht mit dem Werklohnanspruch aufgerechnet (anders beim so genannten kleinen Schadensersatzanspruch). Denkbar ist auch, dass der Besteller das Werk gar nicht mehr anfertigen lässt. Er hat dann einen Schadensersatzanspruch in der Höhe, in der er durch das Scheitern des Projekts einen Schaden erlitten hat. Der Unternehmer kann in jedem Fall das von ihm bereits Geleistete gemäß den §§ 346 ff. BGB vom Besteller zurückfordern. Der Besteller muss sich aufgrund des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots die Gebrauchsvorteile, die er durch die Nutzung erlangt hat, anrechnen lassen. Ist der Mangel unerheblich, kann gemäß § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB kein Schadensersatz statt der ganzen Leistung gefordert werden. Der Besteller muss dann am Vertrag festhalten und bleibt auf den Ersatz des kleinen Schadensersatzanspruchs, mithin auf den Ersatz der Mängelbeseitigungskosten und der Folgeschäden beschränkt. Bei der Frage, ob ein Mangel unerheblich ist, kommt es vor allem darauf an, ob das Interesse des Bestellers an einer ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrages ausreichend gewahrt ist, wenn er auf den kleinen Schadensersatzanspruch verwiesen wird. Zu überprüfen ist daher, ob dem Erfüllungsinteresse des Bestellers noch Genüge getan ist, wenn er darauf verwiesen wird, gegen seinen Willen die Mängelbeseitigung mit dem ihm zur Verfügung gestellten Mittel selbst vornehmen zu müssen. Hat der Unternehmer eine Teilleistung bewirkt, so kann der Besteller Schadensersatz statt der ganzen Leistung gemäß § 281 Abs. 1 Satz 2 BGB nur verlangen, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Dies ist nach der Begründung des Gesetzgebers nur dann der Fall, wenn das Leistungsinteresse des Bestellers nicht durch den erbrachten Teil der Leistung zusammen mit dem Schadensersatz statt dem ausgebliebenen Teil der Leistung voll abgedeckt ist (BT-Drs. 14/ 6040, S. 140). Dies gilt nicht für eine mangelhaft, aber quantitativ vollständig erbrachte Leistung. Auf sie ist vielmehr § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB anzuwenden. Der Erfüllungsanspruch ist ausgeschlossen, sobald der Besteller vom Unternehmer Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat, § 281 Abs. 4 BGB. Dies gilt jedoch nur hinsichtlich des Teils der Leistung, für den der Besteller Schadensersatz verlangt. Daher hindert die Wahl des kleinen Schadensersatzanspruchs eine spätere Wahl des großen Schadensersatzanspruchs nicht. Die Wahl des großen Schadensersatzanspruchs schließt hingegen jeglichen Erfüllungsanspruch aus, so dass eine spätere Beschränkung auf den kleinen Schadensersatzanspruch, neben dem ja der originäre Erfüllungsanspruch weiter bestehen bleibt, nicht mehr möglich ist. Der Erfüllungsanspruch erlischt aber erst mit der rechtsgestaltenden Erklärung, mit der der Besteller Schadensersatz geltend macht. Braucht der Unternehmer nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB (Unmöglichkeit der Leistung) nicht zu leisten, kann der Besteller auch hier Schadensersatz statt der Leistung verlangen, §§ 280 Abs. 1, 283 BGB. Da die Nacherfüllung in diesen Fällen nicht möglich ist, ist die Setzung einer angemessenen Nacherfüllungsfrist entbehrlich. Die Einschränkungen des § 281 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB hinsichtlich Teilleistungen bzw. unerheblicher Pflichtverlet-
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5 Die Grundstücksbebauung
zungen sowie die Rückgabepflicht aus § 281 Abs. 5 BGB finden auf diese Fälle gemäß § 283 Satz 2 BGB entsprechende Anwendung. Schließlich kann der Besteller unter Umständen gemäß §§ 280, 282 BGB Schadensersatz statt der Leistung wegen Verletzung einer Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB geltend machen. Da es sich bei diesem Anspruch um die Verletzung nichtleistungsbezogener Pflichten, wie etwa die Pflicht, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen, handelt und das Mängelhaftungsrecht die Rechtslage bei Verletzung von Leistungspflichten regelt, spielt dieser Anspruch im Zusammenhang mit dem werkvertraglichen Mängelhaftungsrecht nur eine untergeordnete Rolle. Für den VOB/B-Vertrag sieht § 13 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B vor, dass der Unternehmer bei schuldhaft verursachten Mängeln für die Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit haftet. Dies trägt dem § 309 Nr. 7 a BGB Rechnung, wonach in AGB ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einem schuldhaften Verhalten beruhen, im Geltungsbereich der §§ 309, 310 Abs. 1 BGB nicht vereinbart werden können. Bei vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten Mängeln haftet der Unternehmer gemäß § 13 Abs. 7 Nr. 2 VOB/B für alle Schäden. Dies trägt dem § 309 Nr. 7 b BGB Rechnung (vgl. unten zum Ausschluss der Sachmängelhaftung in AGB). Gemäß § 13 Abs. 7 Nr. 3 Satz 1 VOB/B ist im Übrigen dem Besteller der Schaden an der baulichen Anlage zu ersetzen, zu deren Herstellung, Instandhaltung oder Änderung die Leistung dient. Diese müssen auf einen schuldhaft verursachten Mangel des Unternehmers zurückzuführen sein und die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt haben. Ein darüber hinausgehender Schaden ist nach § 13 Abs. 7 Nr. 3 Satz 2 VOB/B nur dann zu ersetzen, wenn entweder der Mangel auf einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik beruht, der Mangel im Fehlen einer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit besteht oder soweit der Unternehmer den Schaden durch Versicherung seiner gesetzlichen Haftpflicht gedeckt hat oder durch eine solche zu tarifmäßigen, nicht auf außergewöhnliche Verhältnisse abgestellten Prämien und Prämienzuschläge bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherer hätte decken können. 5.3.8.7
Ersatz vergeblicher Aufwendungen
Anstatt Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen, kann der Besteller gemäß § 284 BGB unter den gleichen Voraussetzungen Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. In Abgrenzung zum Schaden sind vergebliche Aufwendungen freiwillige Vermögensopfer, die der Besteller im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung erbracht hat, die sich aber wegen der Nichtleistung oder der nicht vertragsgerechten Leistung des Unternehmers als nutzlos erwiesen haben. Aufwendungen des Bestellers auf eine bestellte Sache, die sich später als mangelhaft herausstellt, sind in der Regel vergeblich, wenn der Besteller die herzustellende Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit zurückgibt oder sie jedenfalls nicht bestimmungsgemäß nutzen kann und deshalb auch die Aufwendungen nutzlos sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 275/04, NJW 2005, 2848 ff.). Der Ersatzanspruch aus § 284 BGB ist auf die so genannten frustrierten Aufwendungen gerichtet. Im Bereich des Bauvertrages fallen hierunter insbesondere bereits gezahlter Werklohn, Notarkosten, Maklerkosten, Kosten für den Grunderwerb, Steuern usw., aber
5.3 Der Bauvertrag
343
auch solche Aufwendungen, die in das erworbene Objekt investiert worden sind und die sich durch die Rückabwicklung als nutzlos erweisen. Wäre der Zweck der Aufwendungen auch ohne die Pflichtverletzung des Unternehmers nicht erreicht worden, sind die Aufwendungen nicht ersatzfähig, § 284 BGB a. E. Abzustellen ist dabei nicht ausschließlich auf eine kommerzielle Zweckmäßigkeit, sondern auf jeglichen subjektiv vom Besteller gesetzten und im Rahmen der Billigkeit liegenden Zweck, also auch ideelle, konsumtive sowie spekulative Zwecke usw. (BT-Drs. 14/ 6040, S. 144). Steht dem Besteller ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen zu, so ist dieser jedoch um den Anteil zu kürzen, um den ihm die Aufwendungen zu Gute gekommen sind. Der Anspruch auf Aufwendungsersatz kann neben dem Rücktritt geltend gemacht werden, wobei er neben den Verwendungsersatzanspruch aus § 347 Abs. 2 BGB tritt (BGH, a. a. O.). Entgegen der etwas missverständlichen Formulierung kann der Besteller nicht entweder nur Schadensersatz oder nur Aufwendungsersatz verlangen. Durch die Fassung des § 284 BGB soll vielmehr nur klargestellt werden, dass nicht sowohl Schadensersatz statt der Leistung als auch Aufwendungsersatz und damit doppelte Kompensation für den selben Rechnungsposten verlangt werden kann. 5.3.8.8
Ausschluss der Mängelhaftung
Die Mängelhaftung des Unternehmers kann durch gesetzliche oder vertragliche Regelungen begrenzt oder ausgeschlossen werden. 5.3.8.8.1
Bedenkenhinweispflicht
Die Mängelhaftung ist u. a. dann ausgeschlossen, wenn das Werk zwar einen Sachmangel aufweist, der Unternehmer bei der Ausführung des Werkes jedoch seiner Bedenkenhinweispflicht nachgekommen ist. Die Bedenkenhinweispflicht ist eine vertragliche Pflicht des Unternehmers, die ihm aufgrund seiner überlegenen Sachkunde zukommt. Obgleich sie auch im BGB-Vertrag zu beachten ist, ist sie ausdrücklich nur in § 4 Abs. 3 VOB/B normiert. Hiernach hat der Unternehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung (auch bezüglich der Sicherung gegen Unfallgefahren), gegen die Güte der vom Besteller gelieferten Stoffe oder Bauteile oder gegen die Leistungen anderer Unternehmer dem Bauherrn unverzüglich – möglichst schon vor Beginn der Arbeiten – schriftlich mitzuteilen. Der Unternehmer trägt die Beweislast dafür, dass er dieser Mitteilungspflicht nachgekommen ist. Dies wird durch den Wortlaut des § 13 Abs. 3 VOB/B deutlich. Die gleichen Pflichten gelten auch im BGB-Vertrag (BGH, Urt. v. 23.10.1986 – VII ZR 48/85, NJW 1987, 643 ff.). Voraussetzung für die Haftungsbefreiung ist jedoch, dass der Mangel auf die Leistungsbeschreibung, auf die Anordnung oder auf die von dem Besteller gelieferten oder vorgeschriebenen Stoffe oder Bauteile oder die Beschaffenheit der Vorleistung eines anderen Unternehmers zurückzuführen ist. Mit anderen Worten kann sich der Unternehmer immer dann von der Haftung befreien, wenn er seiner Bedenkenhinweispflicht nachgekommen ist und die Ursache des Mangels nicht in seinem Verantwortungsbereich liegt. § 13 Abs. 3 VOB/B setzt hierfür voraus, dass eine Anweisung des Bestellers vorliegt, die dem Unternehmer keine Wahl lässt und absolute Befolgung erfordert (BGH, Urt. v. 17.05.1984 – VII ZR 169/82, NJW 1984, 2457 ff.).
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5 Die Grundstücksbebauung
Da der Unternehmer grundsätzlich auch ohne Verschulden für die mangelhafte Herstellung des Werkes einzustehen hat, wird er von der Haftung nur dann frei, wenn er die Prüfungsund Hinweispflicht, wie sie der Regelung des § 13 Abs. 3 VOB/B zugrunde liegt, gewissenhaft erfüllt hat. Maßgeblich ist, ob dem Unternehmer – bei der von ihm als Fachunternehmer zu erwartenden Prüfung – Bedenken gegen die Eignung des verwendeten Stoffes hätten kommen müssen (BGH, Urt. v. 12.12.2001 – X ZR 192/00, BauR 2002, 945 f.). In diesem Fall ist er verpflichtet, auf die Bedenken hinzuweisen. Dieser Verpflichtung kann er sich grundsätzlich nicht dadurch entziehen, dass er auf seine fehlenden Erfahrungen und Kenntnisse hinweist (BGH, Urt. v. 12.05.2005 – VII ZR 45/04, BauR 2005, 1314 ff.). In einem VOB-Vertrag kann in Ausnahmefällen trotz der in § 4 Abs. 3 VOB/B geforderten Schriftform ein mündlicher Hinweis für eine vollständige Haftungsbefreiung ausreichen, wenn er eindeutig, d. h. inhaltlich klar, vollständig und erschöpfend ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.08.1995 – 22 U 11/95, NJW-RR 1996, 401 f.; BGH, Urt. v. 10.04.1975 – VII ZR 183/74, NJW 1975, 1217). In einem BGB-Vertrag, in dem die Bedenkenhinweispflicht und damit auch die Schriftform der Hinweispflicht nicht ausdrücklich normiert ist, ist ein mündlicher Hinweis ausreichend. Zu Beweiszwecken ist allerdings ein schriftlicher Hinweis zu empfehlen. Adressat des Bedenkenhinweises sollte grundsätzlich der Besteller sein. Ob der Hinweispflicht Genüge getan wurde, wenn der Unternehmer dem Architekten des Bestellers seine Bedenken mitteilt, hängt vom Vertragsverhältnis zwischen Architekt und Besteller ab. In der Regel wird aber zumindest der bauleitende Architekt als Empfangsbote zur Entgegennahme von an den Besteller gerichteten Erklärungen ermächtigt sein. Anders liegt der Fall, wenn der Architekt nicht an der Bauausführung beteiligt ist, sondern nur planend tätig wird. 5.3.8.8.2
Ausschluss nach § 640 Abs. 2 BGB
Wie oben bereits dargelegt, ist gemäß § 640 Abs. 2 BGB die Mängelhaftung des Unternehmers ausgeschlossen, wenn dem Besteller der Mangel bei der Abnahme bekannt war und er sich seine diesbezüglichen Rechte nicht vorbehalten hat. 5.3.8.8.3
Vereinbarter Haftungsausschluss
Grundsätzlich ist eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Bestellers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, möglich. Sie findet ihre Grenzen in den Regeln des allgemeinen Schuldrechts (vgl. z. B. § 276 Abs. 3 BGB). Für das Werkvertragsrecht ordnet § 639 BGB an, dass sich der Unternehmer nicht auf einen Haftungsausschluss berufen kann, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit des Werkes übernommen hat. Nach der Gesetzesbegründung ist die Übernahme einer Garantie die Zusicherung einer Eigenschaft verbunden mit dem Versprechen, für alle Folgen ihres Fehlens ohne weiteres Verschulden einzustehen (BTDrs. 14/ 6040, S. 132). Demgegenüber verschweigt arglistig, wer sich bewusst ist, dass ein bestimmter Umstand für die Entschließung seines Vertragspartners erheblich ist und er nach Treu und Glauben diesen Umstand mitzuteilen verpflichtet ist und ihn trotzdem nicht offenbart (BGH, Urt. v. 02.05.1963 – VII ZR 233/61, VersR 1963, 881 ff.). Arglistig handelt auch, wer auf Fragen des Erwerbers ohne tatsächliche Anhaltspunkte ins Blaue hinein unrichtige Angaben über die Mängelfreiheit macht (BGH, Urt. v. 16.03.1977 – VIII ZR 283/75, NJW 1977, 1055 f.).
5.3 Der Bauvertrag
345
Ein Unternehmer, der seine Organisationspflichten bei der Herstellung und Abnahme des Bauwerks verletzt hat und infolge dieser Verletzung einen Mangel nicht erkannt hat, wird nach der Rechtsprechung so behandelt, als habe er den Mangel arglistig verschwiegen (BGH, Urt. v. 12.03.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 f.). 5.3.8.8.4
Haftungsausschluss in AGB
Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in AGB sind einer Inhaltskontrolle gemäß den §§ 305 ff. BGB unterworfen. Während dabei § 308 BGB solche Fallgruppen betrifft, die aufgrund eines unbestimmten Rechtsbegriffs erst einer richterlichen Wertung bedürfen, betrifft § 309 BGB solche Fallgruppen, die in jedem Falle, also ohne Rücksicht auf die vertragstypischen Interessenslagen, unwirksam sind. § 307 BGB enthält eine Generalklausel, die als Auffangtatbestand fungiert. Demnach sind AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
5.3.9
Verjährung der Mängelrechte
Nach Eintritt der Verjährung ist der Schuldner gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Leistung zu verweigern. Dies hat den Sinn, dass unabhängig von der Frage, ob der Anspruch begründet oder unbegründet war, nach Ablauf einer angemessenen Zeit Rechtsfrieden eintreten muss (Palandt/Ellenberger, Überbl. v. § 194, Rdnr. 7 ff.). 5.3.9.1
Verjährung gemäß § 634 a BGB
Neben den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB, enthält § 634 a BGB eine Sonderregelung für das werkvertragliche Mängelhaftungsrecht. § 634 a BGB ist so aufgebaut, dass je nach Art des Werkes unterschiedliche Verjährungsfristen und auch unterschiedliche Anknüpfungspunkte für den Beginn dieser Fristen gelten. Nach § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB verjähren die in § 634 Nr. 1, 2 und 4 BGB genannten Ansprüche wegen Mängeln an einem Bauwerk in fünf Jahren nach der Abnahme. In diese Gruppe fallen Ansprüche aus Mängeln werkvertraglicher Leistungen, die zur Herstellung eines Bauwerks erbracht worden sind. Unter einem Bauwerk versteht die Rechtsprechung eine unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache (so schon das Reichsgericht: RGZ 56, 41, 43; BGH, Urt. v. 16.09.1971 – VII ZR 5/70, BGHZ 57, 60 ff.). Zu den Arbeiten an einem Bauwerk in diesem Sinne zählen nicht nur die Ausführungen eines Baus im Ganzen, sondern auch die Herstellung der einzelnen Bauteile und Bauglieder, und zwar unabhängig davon, ob sie als äußerlich hervortretende, körperlich abgesetzte Teile in Erscheinung treten (BGH, Urt. v. 20.05.2003 – X ZR 57/02, NJW-RR 2003, 1320 f.). Dabei ist für die Zuordnung einer Werkleistung zu den Arbeiten bei Bauwerken auf den Zweck des Gesetzes abzustellen und damit auf das spezifische Risiko, das mit der Gebäudeerrichtung verbunden ist (BGH, Urt. v. 30.01.1992 – VII ZR 86/90, NJW 1992, 1445 f.). Maßgeblich ist hierbei nicht die konkrete Einzelleistung, sondern vielmehr der funktionelle Zusammenhang der Arbeiten an einem Bauwerk.
346
5 Die Grundstücksbebauung
Soweit die Werkleistung Arbeiten an einem bestehenden Bauwerk betrifft, unterscheidet die Rechtsprechung anhand des unterschiedlichen Zwecks der Arbeiten. Danach fallen nur solche Arbeiten an bestehenden Bauwerken unter die Verjährungsfrist des § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB, die für Konstruktion, Bestand, Erhaltung und Benutzbarkeit des Gebäudes von wesentlicher Bedeutung sind, wenn die eingebauten Teile mit dem Gebäude fest verbunden sind (BGH, Urt. v. 06.11.1969 – VII ZR 159/67, BGHZ 53, 43 ff; vgl. auch BGH, Urt. v. 21.12.1955 – VI ZR 246/54, NJW 1956, 1195 – neue Dacheindeckung; BGH, Urt. v. 22.11.1973 – VII ZR 217/71, NJW 1974, 136 – Einbau einer Klimaanlage; BGH, Urt. v. 15.02.1990 – VII ZR 175/89, NJW-RR 1996, 1010 – Montage einer Einbauküche). Allerdings sind Renovierungsarbeiten von untergeordneter Bedeutung und geringfügige Reparaturen oder auch Wartungsarbeiten (bspw. Heizungsreparatur – OLG Köln, Urt. v. 26.08.1994 – 19 U 292/93, NJW-RR 1995, 337 ff.; Ausbesserung am Parkettfußboden – OLG Hamm, Urt. v. 28.10.1998 – 12 U 99/97, NJW-RR 1999, 462) keine Arbeiten am Bauwerk im Sinne des § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB. Auf solche Werkleistungen ist die zweijährige Gewährleistungsfrist nach § 634 a Abs. 1 Nr. 1 BGB anzuwenden. Ansprüche wegen Mängeln einer Werkleistung, die die Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache, die kein Bauwerk ist, zum Gegenstand hat oder in der Erbringung von Planungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht, verjähren gemäß § 634 a Abs. 1 Nr. 1 BGB in zwei Jahren. Ansprüche aus Mängeln von Werken, die nicht die Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache zum Gegenstand haben – also unkörperliche Werkserfolge (vgl. hierzu § 631 Abs. 2 BGB) – verjähren nach § 634 a Abs. 1 Nr. 3 BGB in der regelmäßigen Verjährungsfrist. Diese beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre (Beispiel aus der Rechtsprechung: Baugrundgutachten, BGH, Urt. v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, NJW 1995, 392 ff.). Je nach verletztem Rechtsgut unterliegen Schadensersatzansprüche gemäß § 199 Abs. 2 und 3 BGB einer Verjährungshöchstfrist von 10 oder 30 Jahren. Unabhängig davon, was Gegenstand des Werkvertrages ist, verjähren Ansprüche wegen Mängeln, die der Unternehmer arglistig verschwiegen hat (vgl. oben) in der regelmäßigen Verjährungsfrist. Bei Bauwerken jedoch fünf Jahre nach Abnahme, § 634 a Abs. 3 BGB. In den Fällen des § 634 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB beginnt die Verjährung gemäß Abs. 2 mit der Abnahme. Dies gilt nach neuer Rechtsprechung auch nach einem gekündigten Vertrag (BGH, Urt. v. 19.12.2002 – VII ZR 103/00, NJW 2003, 1450 ff.) und für Gewährleistungsansprüche, die bereits vor der Abnahme entstanden sind (BGH, Urt. v. 08.07.2010 – VII ZR 171/08, NJW 2010, 3573). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Verjährungsfrist darüber hinaus mit der ernsthaften und endgültigen Ablehnung der Abnahme durch den Besteller beginnen – selbst wenn die Abnahme zu Recht verweigert wird (BGH, Urt. v. 02.05.1963 – VII ZR 233/61, JZ 1963, 596 f.; Urt. v. 03.03.1998 – X ZR 4/95; NJWRR 1998, 1027 f.; Urt. v. 30.09.1999 – VII ZR 162/97, NJW 2000, 133 f.; BGH, Urt. v. 8.07.2010 – VII ZR 171/08, BauR 2010, 1778 ff.). In den Fällen des § 634 a Abs. 1 Nr. 3 BGB beginnt die Verjährungsfrist nach Maßgabe des § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Besteller von den Mängeln Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mängel verjähren die Ansprüche gemäß § 199 Abs. 4 BGB in zehn Jahren von ihrer Entstehung an, sofern es sich nicht um Schadensersatzansprüche handelt (hier beginnt die Verjährung nicht erst mit Ablauf des Jahres).
5.3 Der Bauvertrag
347
Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen der Hemmung und dem Neubeginn der Verjährung. Die Verjährung wird bei Verhandlungen zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger (§ 203 BGB), durch rechtliche Verfolgung der Ansprüche (§ 204 BGB), durch Vereinbarung eines Leistungsverweigerungsrechts (§ 205 BGB) und wenn der Gläubiger durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist (§ 206 BGB), gehemmt. Die Hemmung bewirkt, dass die Verjährungsfrist für den Zeitraum, während dem die Verjährung gehemmt ist, nicht weiter läuft, diese Zeitspanne also in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird, § 209 BGB. Im Gegensatz dazu hat der Neubeginn der Verjährung zur Folge, dass die betreffende Verjährungsfrist neu zu laufen beginnt, § 212 BGB. Die Verjährung beginnt gemäß § 212 BGB erneut, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. 5.3.9.2
Verjährung nach VOB/B
Gemäß § 13 Abs. 5 VOB/B ist der Bauunternehmer verpflichtet, alle während der Verjährungsfrist hervortretenden Mängel, die auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind, auf seine Kosten zu beseitigen, wenn der Bauherr dies vor Ablauf der Frist schriftlich verlangt. Eine Besonderheit der VOB/B ist, dass durch den Zugang eines schriftlichen Mängelbeseitigungsverlangens die Verjährung unterbrochen wird. Der Anspruch auf Beseitigung der gerügten Mängel verjährt in zwei Jahren, gerechnet vom Zugang des schriftlichen Verlangens an, jedoch nicht vor Ablauf der Regelfristen nach § 13 Abs. 4 VOB/B oder der an ihrer Stelle vereinbarten Frist. Nach Abnahme einer Mängelbeseitigungsleistung für diese Leistung beginnt die Verjährungsfrist von zwei Jahren neu, sie endet jedoch nicht vor Ablauf der Regelfristen nach § 13 Abs. 4 VOB/B oder der an ihrer Stelle vereinbarten Frist. Auch im Geltungsbereich der VOB/B sind jedoch die gesetzlichen Vorschriften über die Hemmung oder den Neubeginn der Verjährung nicht ausgeschlossen. Eine Verjährungsfrist nach § 13 Abs. 4 VOB/B kann daher nach den Bestimmungen des BGB unterbrochen und nach dem Ende der Unterbrechung neu in Gang gesetzt werden (BGH, Urt. v. 13.01.2005 – VII ZR 15/04, NJW-RR 2005, 605 f.). Solange die VOB/B im Ganzen vereinbart wird, unterliegt die Verjährungserleichterung nach § 13 Abs. 4 VOB/B bei Verwendung im geschäftlichen Verkehr keiner Inhaltskontrolle gemäß den §§ 305 ff. BGB (§ 310 Abs. 1 Satz 3 BGB). Gegenüber Verbrauchern ist nunmehr § 309 Nr. 8 b) ff) BGB zu beachten. Im Geltungsbereich der VOB/B gelten andere Verjährungsfristen als im BGB. Gemäß § 13 Abs. 4 Nr. 3 VOB/B beträgt die Verjährungsfrist für Bauwerke vier Jahre (gegenüber Verbrauchern unwirksam) für andere Werke, deren Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache besteht und für die vom Feuer berührten Teile von Feuerungsanlagen zwei Jahre, sofern im Vertrag keine andere Verjährungsfrist vereinbart wurde. Für feuerberührte und abgasdämmende Teile von industriellen Feueranlagen beträgt die Verjährungsfrist demgegenüber ein Jahr. Für maschinelle und elektronische bzw. elektrotechnische Anlagen oder Teile davon, bei denen die Wartung Einfluss auf die Sicherheit und Funktionsfähigkeit hat, beträgt die Verjährungsfrist für Mängelansprüche zwei Jahre. Dies gilt aber nur, wenn der Besteller sich dafür entschieden hat, dem Unternehmer
348
5 Die Grundstücksbebauung
die Wartung für die Dauer der Verjährungsfrist nicht zu übertragen. Abweichend von der in § 13 Abs. 4 VOB/B geregelten Verjährungsfrist ordnet § 13 Abs. 7 Nr. 4 VOB/B für versicherbare Schäden die Geltung der gesetzlichen Verjährungsfristen nach dem BGB an. Die Frist beginnt gemäß § 13 Abs. 4 Nr. 3 VOB/B mit der Abnahme der gesamten Leistung. Nach einer jüngst ergangenen Entscheidung des BGH (BGH, Urt. v. 12.01.2012 – VII ZR 76/11) gilt dies nun auch für Mängelbeseitigungsansprüche, die bereits vor der Abnahme des Bauwerks entstanden sind. Die Verjährung beginnt hier daher erst mit Abnahme. Für in sich abgeschlossene Teile der Leistung beginnt die Verjährung jedoch bereits mit der Teilabnahme.
Literaturverzeichnis zu Kap. 5.3
349
Literaturverzeichnis zu Kap. 5.3 Ganten/Jagenburg/Motzke: Beck'scher VOB- und Vergaberechts-Kommentar: Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B – Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen, 2. Aufl. 2008. Heiermann/Riedl/Rusam: Handkommentar zur VOB : Teile A und B ; Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen mit Rechtsschutz im Vergabeverfahren, 12. Aufl. 2011. Honig: Probleme um die Vergütung beim Werkvertrag, in: Betriebsberater 1975, 447 ff. Ingenstau/Korbion/Vygen/ Kratzenberg: Kommentar zur VOB: Teile A und B, 17. Aufl. 2010. Kappellmann/Schiffers: Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Band 1: Einheitspreisvertrag, 6. Aufl. 2011. Kleine-Möller/Merl: Handbuch des privaten Baurechts, 4. Aufl. 2009. Korbion/Hochstein/Keldungs: Der VOB-Vertrag, 8. Aufl. 2002. Kummermehr: Angebotsbearbeitung und Kalkulation des Bieters bei unklarer Leistungsbeschreibung, in: Baurecht 2004, 161 ff. Locher: Das private Baurecht, 7. Aufl. 2005. Palandt: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 70. Aufl. 2011. Quack: Bausoll, Risikosphären, originäre Bauherrenpflichten und allerlei „Verträge“ – über einige problematische Begriffsbildungen im privaten Baurecht, in: Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht 2006, 731 ff. Thode: Die Infiltration des Rechts durch metajuristische Begriffe – erläutert am Beispiel des „Bausolls“, in: Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht 2006, 309 ff. Vygen/Joussen: Bauvertragsrecht nach VOB und BGB, Handbuch des privaten Baurechts, 4. Aufl. 2008. Vygen/Wirth/Schmidt: Bauvertragsrecht, Grundwissen, 6. Aufl. 2011. Werner/Pastor: Der Bauprozess, Prozessuale und materielle Probleme des zivilen Bauprozesses, 13. Aufl. 2011.
6
Das Wohnungseigentum Joachim Schmidt
6.1 6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7 6.4.8 6.5 6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4 6.6.5 6.6.6 6.7 6.8 6.9
Einleitung ...................................................................................................... 352 Allgemeine Grundsätze, Begriffsbestimmung............................................... 353 Die Begründung des Wohnungseigentums.................................................... 355 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer .............................. 357 Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft ...................................... 357 Die werdende oder faktische Wohnungseigentümergemeinschaft ................ 357 Vereinbarungen, Gemeinschaftsordnung ...................................................... 358 Beschlussfassung in der Gemeinschaft.......................................................... 362 „Zitterbeschlüsse“ ......................................................................................... 363 Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer ........................................... 363 Sondernutzungsrechte ................................................................................... 365 Kostenbeiträge der Wohnungseigentümer, Erwerberhaftung, Insolvenz ...... 366 Die Jahresabrechnung.................................................................................... 369 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ............................................ 370 System der Selbstverwaltung ........................................................................ 371 Grundlagen und Inhalt der Verwaltungsmaßnahmen .................................... 372 Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums ................ 373 Geltendmachung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum ........................ 375 Bauliche Veränderungen/modernisierende Instandsetzung/Modernisierung .................................................................... 376 Die Wohnungseigentümerversammlung ....................................................... 379 Dauerwohnrecht/Dauernutzungsrecht ........................................................... 381 Die Veräußerung des Wohnungseigentums................................................... 382 Das Verfahren in Wohnungseigentumssachen .............................................. 383 Literaturverzeichnis zu Kap. 6....................................................................... 385
352
6.1
6 Das Wohnungseigentum
Einleitung
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) lässt echtes Eigentum an realen Teilen eines Gebäudes nicht zu. Gem. §§ 93, 94 BGB sind einzelne Gebäudeteile nicht sonderrechtsfähig. Das bedeutet, dass sie nicht losgelöst vom übrigen Gebäude Gegenstand von Sondereigentum sein können. Es gibt weder eine funktionelle Teilung des Eigentumsrechts noch eine Teilung der konkreten Sache. Das früher in Deutschland verbreitete echte Stockwerkseigentum erwies sich als nicht praktikabel, weil es zwar Miteigentum an einem Grundstück und Alleineigentum an Räumen ermöglichte, die Räume aber nicht in sich abgeschlossene Wohnungen zu sein brauchten. Nach Inkrafttreten des BGB entfiel die Möglichkeit, Stockwerkseigentum neu zu begründen. Zur Verhinderung der Wohnungsnot musste nach dem 2. Weltkrieg in erheblichem Umfange Wohnraum neu geschaffen werden. Dies wurde möglich durch das Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht vom 15.03.1951. Nach dem Wohnungseigentumsgesetz kann Eigentum auch an Wohnungen (Wohnungseigentum) oder an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes (Teileigentum) begründet werden. Die mit dem Erwerb von Wohnungseigentum erreichbaren Ziele der Eigennutzung, der Kapitalanlage und des Erwerbs zum Zwecke der Altersversorgung werden von einer immer größeren Anzahl von Erwerbern verfolgt. Das Wohnungseigentum erfreut sich steigender Beliebtheit. Der Gesetzgeber hat durch die WEG-Reform 2007 der Verfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft ein klares Profil gegeben. Er hat die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer gestärkt. Geänderte Mehrheitserfordernisse insbesondere bei Modernisierungsmaßnahmen und bei Anpassungen der Gebäude an den Stand der Technik können besser als früher die Ziele der Werterhaltung der Wohnungseigentumsanlagen sichern. Für Selbstnutzer wie für Anleger gleichermaßen soll auch hierdurch das Wohnungseigentum attraktiv bleiben. Auch die (bis auf wenige Ausnahmen) uneingeschränkte Geltung der Zivilprozessordnung (ZPO) für Wohnungseigentumsverfahren und die dadurch für diese bewirkte Straffung stellt eine positive Entwicklung dar. Mit der Entwicklung des Wohnungseigentums geht aber auch ein Anstieg bei den Wohnungseigentümergemeinschaften einher, in denen diese Gemeinschaften Beitragsausfälle zu verkraften haben. Durch Wohngeldausfall steigen nicht nur die Defizite bei der Werterhaltung, vielmehr müssen insbesondere die übrigen Wohnungseigentümer für die Ausfälle einstehen. Die Fälle von Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung sowie von Verbraucherinsolvenz belasten die wirtschaftliche Situation der Wohnungseigentümergemeinschaften. Viele der Entwicklungen des Wohnungseigentumsrechts wurden vorausgesehen, einige nicht oder anders beurteilt: Als das Wohnungseigentum 1981 30 Jahre alt wurde, trafen sich Experten und diskutierten (sehr lesenswert: Partner im Gespräch, Bd. 8 (1982), S. 25 ff.). Weitnauer lehnte damals Bestrebungen, eine Änderung der Gemeinschaftsordnung durch Mehrheitsbeschluss, auch qualifizierten Mehrheitsbeschluss, zuzulassen, als „verfehlt und gefährlich entschieden ab“. Bärmann sah Fortschritte der Rechtsprechung im Bereich der baulichen Veränderungen. Er lobte die Lebendigkeit der Praxis zur Entwicklung des Instituts des Wohnungseigentums und warnte vor Missbräuchen. Seuß schilderte aus der Verwaltungspraxis beispielhaft die Probleme, die das Wohnungseigentumsrecht habe: Instandhaltung, Instandsetzung, Modernisierung und Energieeinsparung unter dem Gesichtspunkt des
6.2 Allgemeine Grundsätze, Begriffsbestimmung
353
Alterns der Wohnungseigentumsanlagen; ständig steigende Bewirtschaftungskosten, deren Handhabung, Verteilung und Abrechnung. Schlägt man 2013 ein Fachmagazin für den Immobilienverwalter auf (DDIV aktuell, Ausgabe 01/13), so findet man die Themen: Jahresabrechnung und die häufigsten Abrechnungsfehler; Solarthermie im Wohnungsbestand; energetische Sanierung. Nach seiner Struktur werden auch in Zukunft die Rechtsprechung, die Lehre und die Praxis des Wohnungseigentums in dem Ringen verhaftet bleiben, das sich aus seiner Struktur ergibt: Leben im Eigentum – und gleichzeitig leben in einer Gemeinschaft.
6.2
Allgemeine Grundsätze, Begriffsbestimmung
Nach dem Wohnungseigentumsgesetz kann Eigentum in Durchbrechung des Grundsatzes, dass Gebäude und Grundstück rechtlich eine Einheit bilden, auch an Wohnungen oder an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes begründet werden. § 1 Abs. 2 WEG definiert das Wohnungseigentum: Wohnungseigentum ist das Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört. Soweit das Sondereigentum nicht zu Wohnzwecken dient, ist es Teileigentum in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört (§ 1 Abs. 3 WEG). Das Sondereigentum ist echtes Alleineigentum und ist mit dem Miteigentumsanteil untrennbar verbunden. Beide können nur gemeinsam veräußert oder belastet werden (§ 6 WEG). Demgegenüber sind gemeinschaftliches Eigentum das Grundstück sowie die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen. Nicht definiert wird im Gesetz das sog. Sondernutzungsrecht (der Begriff taucht nur in § 5 Abs. 4 WEG auf). Das Sondernutzungsrecht ist eine Gebrauchsregelung für den Gebrauch des Gemeinschaftseigentums. Über das Gemeinschaftseigentum können die Eigentümer Vereinbarungen hinsichtlich seines Gebrauchs treffen (§ 15 WEG). Die Einräumung eines Sondernutzungsrechts bedeutet, dass einem Wohnungseigentümer der Gebrauch eines Teils des gemeinschaftlichen Eigentums unter Ausschluss aller anderen Eigentümer zustehen soll. Ein solches Sondernutzungsrecht kann nur durch Vereinbarung begründet oder verändert werden (BGH, NZM 2000, 1184; Deckert, NZM 2002, 414, 415, Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 13 Rn. 35). Ein Mehrheitsbeschluss zur Begründung eines Sondernutzungsrechts ist mangels Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerversammlung nichtig. Das gilt aber nicht, wenn die Gemeinschaftsordnung eine Öffnungsklausel enthält, die diese Möglichkeit ausdrücklich begründet (Kümmel, a.a.O., Rn. 43). Negativ grenzt § 5 Abs. 2 WEG ab, dass Teile des Gebäudes, die für dessen Bestand oder Sicherheit erforderlich sind, sowie Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, nicht Gegenstand des Sondereigentums sind, selbst wenn sie sich im Bereich der im Sondereigentum stehenden Räume befinden. So sind konstruktive Teile wie die Fundament- und Brandmauern oder etwa die tragenden Innenwände, das Dach und die Schornsteine, die Isolierschichten und Schichten zur Wärmedämmung unter einer Dachterrasse zwingend Gemeinschaftseigentum (BayObLG, WM 1994,
354
6 Das Wohnungseigentum
152). Das gleiche gilt für die Balkonbrüstungen (BayObLG, NZM 1999, 27). Soweit Teile des Gebäudes durch Veränderung, Beseitigung oder auch Einfügen eine Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes erfahren, wie etwa durch einen Außenanstrich oder Außenverkleidungen, so sind auch diese nicht sondereigentumsfähig (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 5 Rn. 28). Viele Abgrenzungen sind hier streitig und Gegenstand zahlreicher wohnungseigentumsrechtlicher Verfahren, weil Wohnungs- und Teileigentümer immer wieder unterschiedliche Auffassungen über die Zugehörigkeit zum Sondereigentum oder zum Gemeinschaftseigentum haben, und insbesondere auch deshalb, weil immer wieder in Teilungserklärungen kraft Vereinbarung Gebäudeteile als zum Sondereigentum zugehörig bezeichnet werden, obwohl sie zwingend Gemeinschaftseigentum sind. Das gilt bspw. für die Fenster, die in vielen Teilungserklärungen/Gemeinschaftsordnungen zum Sondereigentum erklärt werden, obwohl das gegen § 5 Abs. WEG verstößt. Eine derartige Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung ist nichtig (Drabek, in: Köhler (Hrsg.), Anwaltshandbuch Wohnungseigentumsrecht, Teil 9, Rz. 404). Das gilt auch für Balkone, die selbst sondereigentumsfähig sind, bestimmte Teile davon – wie die Schichten zur Isolierung gegen Feuchtigkeit oder auch die Balkonbrüstungen – hingegen nicht (Drabek, a.a.O., Teil 9, Rz. 148 b und 404). Denn Eigentümer haben es nicht in der Hand, zwingend zum Gemeinschaftseigentum zählende Teile „zum Sondereigentum zu machen“. Das ist unzulässig, und es gilt insbesondere das Regel-Ausnahme-Prinzip zu beachten: Es besteht zunächst immer eine Vermutung für das Gemeinschaftseigentum, denn Gemeinschaftseigentum ist das Gesamteigentum am Grundstück und am Gebäude abzüglich derjenigen Gegenstände, die im Sondereigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen (Rapp in: Bub (u. a.) WEG, § 1 Rz. 43; MünchKomm, WEG/Commichau, § 1, RdNr. 33). Insoweit dienen Aufzählungen in Teilungserklärungen allenfalls der Orientierung in Fällen schwieriger Abgrenzung, stellen aber selbst nur in den Fällen eine verbindliche Regelung dar, in denen sondereigentumsfähige Gebäudeteile als Gemeinschaftseigentum vereinbart werden. Nach § 3 Abs. 2 soll Sondereigentum nur eingeräumt werden, wenn die Wohnungen oder sonstigen Räume in sich abgeschlossen sind. Was eine abgeschlossene Wohnung ist, ist in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Ausstellung von Bescheinigungen über die Abgeschlossenheit vom 19.03.1974 (BAnz. Nr. 58 v. 23.03.1974) im Anschluss an DINBlatt 283 geregelt. Abgeschlossene Wohnungen sind danach solche Wohnungen, die durch Wände und Decken unter Einhaltung der baupolizeilichen Anforderungen einen eigenen abschließbaren Zugang unmittelbar vom Freien, von einem Treppenhaus oder einem Vorraum haben, und die zumindest Wasserversorgung, Toilette, Bad oder Dusche und Küche oder Kochgelegenheit haben: „Eine Wohnung ist die Summe der Räume, welche die Führung eines Haushalts ermöglichen; dazu gehören stets eine Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit sowie Wasserversorgung, Ausguss und WC“ (Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Ausstellung von Bescheinigungen, Kap. IV, Nr. 4). Sonderregelungen bezüglich der Abgeschlossenheit gelten gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 WEG. Garagenstellplätze gelten als abgeschlossene Räume, wenn ihre Flächen durch dauerhafte Markierungen ersichtlich sind (MünchKomm, WEG/Commichau, § 1, RdNr. 43). Solche Garagenstellplätze können auch als Sondereigentum verbunden mit einem Miteigentumsanteil Teileigentum bilden. Anderes gilt für außerhalb eines Gebäudes liegende Abstellplätze, weil es hier an dem Erfordernis des Raumes fehlt (BayObLG NJW-RR 1995, 783).
6.3 Die Begründung des Wohnungseigentums
355
Wer einen Garagenstellplatz als Teileigentum verbunden mit einem Miteigentumsanteil erwirbt, hat grundsätzlich dieselbe Rechtstellung wie ein Wohnungseigentümer. Er hat an den Nutzen und Lasten des Gemeinschaftseigentums teil, wenn nicht in Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung etwas anderes geregelt ist. In dieser Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung und/oder im Aufteilungsplan erfolgt die Abgrenzung zwischen Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum. Bei der Schaffung der Eintragungsvoraussetzungen ist besonders darauf zu achten, dass die beigefügten Pläne den Anforderungen an eine Baubestandszeichnung im Sinne der Abgeschlossenheit von § 7 Abs. 4 Nr. 1 WEG entsprechen. Auch für selbstständige Garagen müssen Grundriss, Schnitte und Ansichten planmäßig erfasst werden (OLG Düsseldorf, NZM 2000, 666).
6.3
Die Begründung des Wohnungseigentums
Das WEG bietet zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Begründung von Wohnungseigentum, nämlich einerseits durch vertragliche Einräumung von Sondereigentum gem. § 3 WEG oder durch eine Teilung gem. § 8 WEG. Es können entweder Miteigentümer eines Grundstücks jedem von ihnen gem. § 3 WEG das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung vertraglich einräumen. Hierzu müssen die künftigen Wohnungseigentümer als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen sein. Für den Verpflichtungsvertrag zur Einräumung des Sondereigentums gilt § 313 BGB entsprechend (§ 4 Abs. 3 WEG). Das heißt, dass das Verpflichtungsgeschäft der notariellen Beurkundung bedarf. Die Beteiligten müssen sich über den Eintritt der Rechtsänderung einig sein. Die Rechtsänderung erfolgt durch Eintragung in das Grundbuch. Auch diese dingliche Einigung ist notariell zu beurkunden. Bei der Bildung der Größe der Miteigentumsanteile sind die Miteigentümer frei. Sie werden aber grundsätzlich darauf achten, dass sich die Verpflichtung zur Tragung von Kosten und Lasten nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile bestimmt und hiermit den Erfordernissen des § 16 Abs. 1, 2 Rechnung getragen wird. Ein üblicher Maßstab ist das Verhältnis der Wohn- und Nutzflächen der einzelnen Einheiten zueinander. Abweichungen können sich durch die besondere Lage innerhalb der Wohnungseigentumsanlage rechtfertigen. Zur Vermeidung von rechtlichen Fehlern ist äußerste Sorgfalt geboten. Solche Fehler können nämlich bei Nichtwahrung der Form die Nichtigkeit und damit die Nichtentstehung von Wohnungseigentum zur Folge haben. Auch können in unzulässiger Weise isolierte und damit freie Miteigentumsanteile entstehen (solche Fehler sind nur durch Vereinigung oder Zuschreibung zu beseitigen). Es kann aber auch zu technischen Mängeln kommen, etwa weil Abweichungen zwischen dem Aufteilungsplan und der tatsächlichen Bauausführung oder auch Abweichungen zwischen Teilungserklärung und Aufteilungsplan vorliegen. Hier ist nicht immer leicht zu klären, was Vorrang haben soll (Rapp in: Bub (u. a.) WEG, § 3 Rz. 83; OLG Hamm, NZM 2000, 659 für den Fall fehlender Abgrenzung von einzelnen Sondernutzungsflächen). Wenn das Grundstück im Eigentum mehrerer Personen steht, so können sich die Miteigentümer im Rahmen einer vertraglichen Teilungserklärung gem. § 3 WEG Sondereigentum einräumen.
356
6 Das Wohnungseigentum
Die andere Möglichkeit der Begründung von Wohnungseigentum ist die Vorratsteilung durch den Alleineigentümer des Grundstücks gem. § 8 WEG (MünchKomm, WEG/Commichau, § 8, RdNr. 2). Diese Begründung von Wohnungseigentum durch den Alleineigentümer wird auch „Bauträgermodell“ genannt. Das Grundstück wird in mit Sondereigentum verbundene Miteigentumsanteile im Wege der Vorratsteilung ideell geteilt, und dann erfolgt der „Abverkauf“ der einzelnen Einheiten. Er gibt gegenüber dem Grundbuch die Erklärung ab, dass das Eigentum in Miteigentumsanteile dergestalt geteilt werden, dass mit jedem Miteigentumsanteil das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung oder an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen in einem entweder auf dem Grundstück bereits errichteten oder noch zu errichteten Gebäude verbunden ist (§ 8 WEG). Der Vorteil dieser Handhabung liegt darin, dass der Grundstückseigentümer bereits vor Baubeginn oder auch während des Baus die in seiner Hand vereinigten Miteigentumsanteile verbunden mit dem Sondereigentum an Dritte einzeln veräußern kann und nicht mit der Aufteilung warten muss, bis er Interessenten gefunden hat. Bei der Teilung nach § 8 sind Miteigentumsanteile nach Bruchteilen zu bilden und mit dem Sondereigentum zu verbinden. Auch hier gibt es keine Vorschriften über die Größe der Miteigentumsanteile. Solange der teilende Eigentümer Eigentümer aller Einheiten ist, kann er die Teilungserklärung jederzeit ändern. Dieses Recht endet in dem Moment, in welchem zu Gunsten eines Erwerbers eine Eigentumsübertragungsvormerkung eingetragen ist. Dann muss dieser der Änderung der Teilungserklärung ausdrücklich zustimmen (MünchKomm, WEG/Commichau, § 8, RdNr. 25). Oft sind dabei in Bauträgerverträgen unzulässig weitreichende Vollmachten zu Gunsten des Bauträgers erteilt. Dieser darf nämlich in keinem Falle das Recht behalten, für den Erwerber nicht zumutbare Änderungen seiner vertraglichen Leistung einseitig bestimmen zu können. Ihm dürfen durch die Änderung keine zusätzlichen Verpflichtungen entstehen, sein Sondereigentum und seine Sondernutzungsrechte müssen unangetastet bleiben und die Benutzung des Gemeinschaftseigentums darf nicht unzumutbar eingeschränkt werden. Sobald das letzte Wohnungsgrundbuch angelegt ist, tritt die Wirkung der Teilung ein (§ 8 Abs. 2 Satz 2 WEG). Die Miteigentumsanteile können nunmehr (auch einzeln) veräußert und/oder belastet werden. Der teilende Eigentümer ist berechtigt, in einer Gemeinschaftsordnung all das zu regeln, was sonst Gegenstand einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer sein kann. Der Alleineigentümer kann alle Bestimmungen über das Verhältnis der späteren Wohnungseigentümer untereinander bindend festlegen, die Gegenstand von Vereinbarungen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 sein können. Er kann also die künftige Gemeinschaftsordnung aufstellen, ohne dass sie ausdrücklich zum Inhalt des Erwerbsvertrags gemacht werden muss (Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 8 Rn, 14). Diese Bestimmungen werden dann Teil der Eintragung im Wohnungs-/Teileigentums-Grundbuch. Treten jetzt durch Erwerb und Eintragung im Grundbuch Wohnungseigentümer hinzu, so wirken diese Bestimmungen wie eine Vereinbarung. Ein wesentlicher Unterschied zur Teilung nach § 3 WEG stellt bei der Vorratsteilung nach § 8 WEG der Umstand dar, dass bei der Vorratsteilung keine notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist. Es reicht ein Antrag im Sinne der §§ 13, 30 der Grundbuchordnung (GBO) aus. Lediglich müssen die Unterschriften beglaubigt werden (§ 29 GBO). Tatsächlich wird
6.4 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
357
aber üblicherweise von der Möglichkeit der Beurkundung auch in diesen Fällen Gebrauch gemacht, damit bei der Beurkundung der Erwerberverträge auf andere Urkunden (Teilungserklärung mit Plänen und Baubeschreibung) gem. § 13a Beurkundungsgesetz verwiesen werden kann, diese Urkunden also nicht mitbeurkundet werden müssen.
6.4
Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
6.4.1
Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft
Mit der Veräußerung eines Miteigentumsanteils und der Eintragung des Erwerbers im Grundbuch entsteht rechtlich die Wohnungseigentümergemeinschaft (aus dann zunächst zwei Eigentümern). Die ursprünglich vom Alleineigentümer aufgestellte Gemeinschaftsordnung regelt jetzt das Verhältnis der Eigentümer untereinander. Bis zur Anlegung der Wohnungsgrundbücher kann der Eigentümer durch einseitige Erklärung jederzeit den Gegenstand und den Inhalt des Sondereigentums verändern. Dieser Zustand und diese Möglichkeit bestehen fort, auch nach Anlegung der Wohnungsgrundbücher, bis zur Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft. Mit der Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft verliert der Alleineigentümer das Recht, einseitig das Sondereigentum zu verändern und auch das Recht, solche Veränderungen an der Gemeinschaftsordnung vorzunehmen (Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 8, Rn. 24). Will etwa der Mehrheitseigentümer den Kostenverteilungsschlüssel ändern oder etwa Änderungen am Gemeinschaftseigentum vornehmen, so bedarf er hierzu der Zustimmung des bzw. der hinzugetretenen und im Grundbuch eingetragenen Eigentümer. Die rechtliche Invollzugsetzung der Wohnungseigentümergemeinschaft durch Eintragung des teilenden Grundstückseigentümers um mindestens einen weiteren Erwerber im Grundbuch hat keinen Einfluss auf die Rechte eines dritten Erwerbers, der bereits vor Umschreibung des Eigentums auf den zweiten Erwerber einen durch Vormerkung gesicherten Übereignungsanspruch hatte, und auf den bereits Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahren übergegangen war. Dieser Erwerber bleibt Mitglied der werdenden Eigentümergemeinschaft, die sogleich behandelt wird. Vor Entstehung der werdenden Eigentümergemeinschaft treffen alle Verpflichtungen zur Unterhaltung des Gebäudes und seiner Anlagen den teilenden Eigentümer. Den Käufer treffen bis dahin keine Kostentragungspflichten betreffend das Eigentum. Es existiert auch noch kein Verwalter für das Gemeinschaftseigentum, die alleinige Entscheidungsmacht hat der Eigentümer.
6.4.2
Die werdende oder faktische Wohnungseigentümergemeinschaft
Von einer werdenden oder faktischen Wohnungseigentümergemeinschaft spricht man, wenn nach Aufteilung mindestens ein Erwerber (mit einem gültigen Erwerbsvertrag) eine Auflassungsvormerkung besitzt und der Besitz an der Wohnung auf ihn übergangen ist (Köhler, Teil 1, Rz. 32a). Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsfigur der „werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft“ anerkannt (BGH, NJW 2008, 2639; NJW 2010, 933). Er trägt damit dem Umstand
358
6 Das Wohnungseigentum
Rechnung, dass möglichst in der Zeit zwischen dem Übergang von Nutzen und Lasten auf den durch eine Vormerkung im Grundbuch gesicherten Wohnungseigentümer hinsichtlich notwendiger Verwaltungsmaßnahmen keine Lücke entstehen soll. Auch soll der werdende Eigentümer gegen einseitige Handlungen und Rechtsakte des noch eingetragenen Eigentümers geschützt werden (Köhler, Teil 1, Rz. 31, 32 a). Der Ersterwerber einer Wohnungseigentumseinheit soll bereits vor Eintragung im Grundbuch wie ein Wohnungseigentümer mit allen Rechten und Pflichten eines Volleigentümers behandelt werden. Er haftet insbesondere anstelle des Veräußerers für die fällig werdenden Wohngeldbeträge und ist Träger des auf die Einheit entfallenden Stimmrechts (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 10, Rn. 8; BGH, NJW 2012, 2650). Auf die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft sind die Vorschriften des WEG entsprechend anzuwenden (OLG Frankfurt ZMR 1993, 125). Das gilt aber nur für den Ersterwerber vom Bauträger, nicht für den (Zweit-)Erwerber, der bereits von einem eingetragenen Ersterwerber erwirbt. Der BGH will aber offensichtlich unter bestimmten Voraussetzungen auch den Zweiterwerber als werdenden Eigentümer behandeln (BGH, NJW 2008, 2639; BGH, NJW 2012, 2650). Im Falle der faktischen Wohnungseigentümergemeinschaft setzt sich die Gemeinschaft in dieser Phase aus Volleigentümern und werdenden Eigentümern zusammen. Das ist wichtig für die Frage, ob der werdende Eigentümer bereits ein Stimmrecht hat und schon vor seiner Eintragung im Grundbuch zu Wohnungseigentümerversammlungen eingeladen werden muss. Das ist zu bejahen. § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG ist entsprechend anzuwenden, wonach jeder Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung in der Wohnungseigentümerversammlung eine Stimme hat. Es hat also auch der werdende Eigentümer diese Stimme (BayObLG, Wohnungseigentum (WE) 1998, 157; Bub in: Bub (u. a.) WEG, § 25 Rz. 115; Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 10 Rn. 8). Hat der Bauträger an sämtlichen errichteten Wohnungen Anwartschaften bestellt und den Besitz auf Erwerber übertragen, so steht ihm kein eigenes Stimmrecht mehr zu.
6.4.3
Vereinbarungen, Gemeinschaftsordnung
Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist eine Miteigentümergemeinschaft nach Bruchteilen (BGH, NZM 2005, 543), geht aber über diese hinaus, weil sie als individueller Verband der juristischen Person näher steht. Bis zum Beschluss des BGH vom 02.06.2005 (NZM 2005, 543) galt: Die Wohnungseigentümergemeinschaft war nicht rechts- und auch nicht parteifähig. Sie konnte weder klagen noch verklagt werden. Es klagten die Wohnungseigentümer, welche die Wohnungseigentümergemeinschaft bilden. Ebenso wurden Wohnungseigentümer verklagt, welche die Wohnungseigentümergemeinschaft bilden. Diese Rechtslage gilt nicht mehr. Mit der genannten Entscheidung hat der BGH die Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft anerkannt. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist rechtsfähig, soweit sie bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnimmt. Wie ein rechtsfähiger Verband hat die Wohnungseigentümergemeinschaft eine eigene Satzung (auch als Gesellschaftsvertrag zu bezeichnen, BGHZ 163, 154, 171), nämlich die Gemeinschaftsordnung. Die Gemeinschaftsordnung ist quasi die Verfassung einer Gemeinschaft (Elzer in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts, Miet- und Wohnungseigentumsrecht,
6.4 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
359
Kap. 17, Rn. 30). Wie ein Verband ist die Gemeinschaft befugt, in zahlreichen Angelegenheiten der laufenden Verwaltung durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden. Sie hat eigene Organe, nämlich die Eigentümerversammlung, den Verwalter und den Verwaltungsbeirat. Der Gesetzgeber hat die Rechtsprechung des BGH nachvollzogen und § 10 Abs. 6 Satz 1 neu in das WEG eingefügt. Die Vorschrift erklärt, dass die WEG rechtsfähig ist, soweit sie bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnimmt. Sie kann (§ 10 Abs. 6 Satz 2) selbst als Rechtssubjekt Rechte erwerben und Verpflichtungen eingehen. § 10 Abs. 7 bestimmt, dass das Verwaltungsvermögen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gehört und sich aus den Sachen und Rechten sowie den entstandenen Verbindlichkeiten zusammensetzt. Auch eingenommene Gelder gehören zum Verwaltungsvermögen der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr (§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG). Sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden (§ 10 Abs. 6 Satz 5 WEG). Durch das Gesetz zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes vom 26.03.2007 ist jetzt die Existenz eines neben den Wohnungseigentümern bestehenden rechtskräftigen Verbandes im Gesetz verankert (§ 10 Abs. 1, 6 bis 8, und § 27) (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 10, Rn. 2). Neben der Gemeinschaft haftet der einzelne Eigentümer Gläubigern gegenüber nicht mehr persönlich gesamtschuldnerisch. Vielmehr bedarf die Haftung neben dem Verband entweder der Übernahme einer persönlichen Schuld oder einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers, welcher aber im WEG fehlt (BGH, NZM 2005, 543, 548). Es sind drei Säulen, die das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander bestimmen: Das sind zunächst die gesetzlichen Regelungen des WEG, sodann Vereinbarungen im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 3 WEG und schließlich Beschlüsse im Sinne von § 10 Abs. 4 WEG. In den Grenzen der §§ 134, 138 und 242 BGB, also in den Grenzen gesetzlicher Verbote, sittenwidriger Vereinbarungen und von Treu und Glauben herrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Das bedeutet, dass die Eigentümer ihr Zusammenleben durch Vereinbarungen und Beschlüsse regeln können. Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung unterliegen nicht der Kontrolle nach dem Gesetz über allgemeine Geschäftsbedingungen, weil Aufteilungen nach § 8 nicht die Merkmale eines Vertrages erfüllen (str.: wie hier: Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 7, Rn. 43; offen gelassen vom BGH, NZM 2012, 157). In diesen Grenzen haben die Eigentümer das Recht, durch Vereinbarungen weitestgehend das Verhältnis untereinander zu regeln. Solche Regelungen betreffen etwa bauliche Maßnahmen, die Nutzung des Gemeinschaftseigentums, die Haftung eines Erwerbers für Rückstände des Veräußerers (str.), die Erstellung einer Hausordnung, die Verteilung der Kosten und Lasten in Abänderung von § 16 WEG, Gebrauchsregelungen, etwa hinsichtlich der Nutzung von Wohnungen zu freiberuflichen Zwecken, Stimmrechtsregelungen, Tierhaltung, Regelung über die Jahresabrechnung, Regelung betreffend den Verwalter (Einzelbeispiele bei Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 10 Rz. 28 ff.; Kreuzer in: Bub (u. a.) WEG, § 10 Rz. 70 ff.). Eine wertvolle Checkliste für Rechnungsinhalte der Gemeinschaftsordnung gibt H. Müller (Beck’sches Formularbuch, Wohnungseigentumsrecht, Teil D I, S. 83 ff.).
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6 Das Wohnungseigentum
Gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG können die Wohnungseigentümer von den Vorschriften des WEG abweichen und Vereinbarungen treffen, soweit nicht etwa anderes ausdrücklich bestimmt ist. § 10 Abs. 3 regelt aber, dass Vereinbarungen, durch die die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander regeln – das gleiche gilt auch für Abänderungen oder Aufhebungen solcher Vereinbarungen – gegen einen Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nur gelten, wenn sie als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen sind. Um im Grundbuch eingetragen zu werden, muss die Bewilligung der Eintragung eine Vereinbarung durch öffentliche oder öffentlich-beglaubigte Urkunden i. S. v. § 29 der Grundbuchordnung (GBO) vollzogen werden. Obwohl eine eingetragene Vereinbarung kein dingliches Recht ist, entfaltet die Eintragung im Grundbuch doch Wirkung. Ganz gleich, ob ein Erwerber Wohnungseigentum durch Rechtsgeschäft oder durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung erhält: Er tritt in die aus der Vereinbarung sich ergebenden Rechte und Pflichten ein. Unabhängig hiervon kann jede Vereinbarung formlos getroffen werden. Soll sie aber zum Inhalt des Sondereigentums durch Eintragung im Grundbuch gemacht werden, ist die Eintragungsbewilligung sämtlicher Wohnungseigentümer erforderlich (Müller, NJW-Schriften 43, Rdn. 321). Regelungen in einer Gemeinschaftsordnung, wonach die Gemeinschaftsordnung selbst mit – ggf. qualifizierter – Mehrheit der Wohnungseigentümer abgeändert werden kann, sind wirksam (BGH NJW 1985, 2832). Es muss jedoch ein sachlicher Grund vorliegen, kraft dessen die Wohnungseigentümer gegenüber einem etwa früheren Zustande nicht unbillig beeinträchtigt werden (Müller, NJW-Schriften 43, Rdn. 321). Aufgrund der Vertragsfreiheit haben die Eigentümer eine weitreichende Regelungsbefugnis, die Rechte und Pflichten untereinander durch Vereinbarungen zu regeln. Allerdings gibt es zwingende Regelungen im WEG, die weder durch Vereinbarung noch (erst recht) durch Beschlüsse der Gemeinschaft abgeändert werden können. Grundsätzlich sind solche Vereinbarungen unzulässig, die gegen die §§ 134, 138 BGB wegen Gesetzeswidrigkeit oder Sittenwidrigkeit verstoßen. Hier endet die Gestaltungsfreiheit der Wohnungseigentümer. So sind weder durch Vereinbarung noch durch Beschluss folgende zwingenden gesetzlichen Regelungen abänderbar:
Gebäudeteile i. S. d. § 5 Abs. 2 sind zwingend Gemeinschaftseigentum; Sondereigentum ist unselbstständig und kann nicht ohne den Miteigentumsanteil veräußert werden; Die Gemeinschaft ist grundsätzlich unauflöslich (Ausnahme § 11 Abs. 1 Satz 3 WEG); Eine Genehmigung zur Veräußerung kann nur aus wichtigem Grund versagt werden; Das Wohnungseigentum kann unter bestimmten Voraussetzungen dem Eigentümer entzogen werden; Auf Verlangen von Wohnungseigentümern ist ein Verwalter zu bestellen (§ 20 Abs. 2 WEG); Schriftliche Beschlüsse (Umlaufbeschlüsse) können nur einstimmig ergehen; Der Minderheitenschutz (etwa das Einberufungsrecht von ¼ der Wohnungseigentümer) ist nur modifizierbar, aber nicht ausschließbar; Die grundsätzlichen Regelungen zur Berufung, zur Dauer und zur Abberufung des Verwalters, sowie seine grundsätzlichen Aufgaben und Befugnisse gem. den §§ 26 Abs. 1 und 2 sowie 27 WEG sind nur eingeschränkt abänderbar;
6.4 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
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Die Anordnung der Erwerberhaftung für den Fall der Zwangsversteigerung des Objekts durch Vereinbarung ist nichtig. Auch weitere und grundsätzlich zwingende Regeln des WEG sind durch Vereinbarung nicht abänderbar (Bub in: Bub u. a. (WEG), § 10 Rz. 23 ff). Grundsätzlich kann man sagen, dass die Vereinbarung das Grundverhältnis der Wohnungseigentümer untereinander erfassen soll, der hiervon zu trennende Beschluss die laufende Verwaltung durch die Wohnungseigentümer untereinander (§§ 10 Abs. 2, 23 WEG). Es ist also grundsätzlich zu prüfen, ob eine Regelung das Grundverhältnis berührt oder die laufende Verwaltung. Eine Eigenart des WEG ist es, dass Beschlüsse gem. § 23 WEG, die in der Eigentümerversammlung oder im schriftlichen Umlaufverfahren gefasst werden, gegen einen Sonderrechtsnachfolger auch ohne Eintragung in das Grundbuch wirken (Bub a. a. O., Rz 99), obwohl sie „nur“ die laufende Verwaltung und deren Probleme regeln, während – wie dargestellt – Vereinbarungen zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Grundbuch bedürfen. Jeder Erwerber von Wohnungseigentum tut also gut daran, sich bei dem Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft vor Unterzeichnung des Erwerbervertrages über den Inhalt von solchen Beschlüssen der Wohnungseigentümergemeinschaft zu vergewissern, da diese zum Teil in nicht unerheblichem Umfange von den Regelungen der Gemeinschaftsordnungen und dem Inhalt des Grundbuchs im Übrigen abweichen. Aus dem Grundbuch kann der Erwerber sie nicht erkennen, da solche Beschlüsse ja nicht eintragungsfähig sind. Vereinbarungen können die Eigentümer etwa treffen zu baulichen Maßnahmen, zur Nutzung des Gemeinschaftseigentums, zur Haftung eines Erwerbers für Rückstände des Veräußerers (str.), zur Erstellung einer Hausordnung, zur Verteilung der Kosten und Lasten in Abänderung von § 16 WEG, zu Gebrauchsregelungen, Stimmrechtsregelungen, zur Tierhaltung, zur Jahresabrechnung oder auch betreffend den Verwalter. Da die Gemeinschaftsordnung die Grundordnung, quasi die Satzung, der Wohnungseigentümergemeinschaft darstellt, steht sie in der Rangordnung über den in Eigentümerversammlungen zu fassenden Beschlüssen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Das hat logischerweise zur Konsequenz, dass eine Vereinbarung auch nur grundsätzlich wiederum durch eine Vereinbarung aller Wohnungseigentümer abgeändert werden kann – und eben nicht im Beschlusswege – und hiervon nur eine Ausnahme für die Fälle zu machen ist, in denen die Gemeinschaftsordnung ausdrücklich vorsieht, dass eine ihrer Regelungen auch durch eine qualifizierte Mehrheit (etwa eine Dreiviertel-Mehrheit) im Beschusswege abgeändert werden können soll. Die Möglichkeit im Wege einer solchen Öffnungsklausel auch durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss eine Gemeinschaftsordnung zu ändern, ist seit der grundlegenden Entscheidung des BGH (NZM 2000, 1184 – auch als Jahrhundertentscheidung bezeichnet) ausdrücklich gegeben und nach der WEG-Novelle 2007 auch gesetzlich geregelt (§ 10 Abs. 4 Satz 2 WEG) (Müller/Müller, Beck’sches Formularbuch Wohnungseigentumsrecht, D I, S. 94). Da es an einer gesetzlichen Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer zur Änderung der Gemeinschaftsordnung fehlt, oft aber die Wohnungseigentümer ihre Beschlusskompetenzen gerne erweitern möchten, können sie in der Gemeinschaftsordnung eine sog. Öffnungsklausel vorsehen. Eine solche Öffnungsklausel ist insbesondere dann dienlich, wenn die Wohnungseigentümer eine Regelung über den Einzelfall hinaus erreichen wollen, hieran aber durch ihre begrenzte Beschlusskompetenz gehindert werden (Becker in: Köhler, a.a.O., Teil 4, Rz. 138). § 23 Abs. 1 WEG erlaubt Öffnungsklauseln, und § 10 Abs. 4 Satz 2 fixiert, dass aufgrund
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6 Das Wohnungseigentum
einer Vereinbarung auch Beschlüsse gefasst werden können, die vom Gesetz abweichen oder eine Vereinbarung ändern.
6.4.4
Beschlussfassung in der Gemeinschaft
Beschlüsse fassen können die Wohnungseigentümer in der Wohnungseigentümerversammlung nur zu solchen Angelegenheiten, über die auch durch Beschluss entschieden werden darf. Bis zur WEG-Reform 2007 gab es ein Über-Unter-Verhältnis insoweit, als nur nachrangige Verhältnisse der Wohnungseigentümer durch Beschluss geregelt werden durften. Mit der Reform ist die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft erweitert worden. Das betrifft etwa die Möglichkeit, jetzt mit Stimmenmehrheit eine anderen Verteilungsschlüssel für die Betriebskosten zu beschließen (§ 16 Abs. 3 WEG). Das betrifft auch die Möglichkeit, im Wege der Beschlussfassung im Einzelfall Maßnahmen zur Instandhaltung und Instandsetzung oder zu baulichen Veränderungen abweichend von § 16 Abs. 2 zu regeln. Aber immer noch gilt: Beschlüsse der Gemeinschaft betreffen in der Regel die laufende Verwaltung der Angelegenheiten der Wohnungseigentümer. Dafür haben die Wohnungseigentümer eine Beschlusszuständigkeit. Diese Beschusszuständigkeit üben sie in der Eigentümerversammlung aus und nicht im Wege einer Vereinbarung außerhalb dieser Eigentümerversammlung. Die klare Unterscheidung zwischen der Beschlusszuständigkeit der Wohnungseigentümer, Angelegenheiten durch Mehrheitsbeschluss zu regeln oder aber hierzu einer Vereinbarung zu bedürfen, war in der Vergangenheit durch ein besonderes Phänomen in der WEGRechtsprechung und herrschenden Meinung verwässert. Denn es wurde für zulässig erachtet, grundlegende, in der Gemeinschaftsordnung geregelte Sachverhalte durch unangefochtenen Mehrheitsbeschluss neu zu regeln und damit die Gemeinschaftsordnung abzuändern. Solche Beschlüsse wurden als „Ersatzvereinbarung“, „Pseudo-Vereinbarungen“ und „Zitterbeschlüsse“ bezeichnet. Durch den Beschluss vom 20.09.2000 (BGH, NZM 2000, 1184) hat sich an dieser grundsätzlichen Möglichkeit Erhebliches geändert: Das Gesetz räumt den Wohnungseigentümern (nur) die Beschlusskompetenz in Angelegenheiten der Verwaltung gem. § 21 Abs. 1 und 3 WEG und des Gebrauchs i.S.v. § 15 Abs. 2 WEG ein (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 23 Nr. 14). Keine Beschlusskompetenz haben die Wohnungseigentümer, wenn sie das Gemeinschaftsverhältnis durch gesetzes- und/oder vereinbarungsändernde Beschlüsse beeinflussen wollen. Solche Beschlüsse sind nichtig. Das gilt für Stimmrechte ebenso wie z. B. für die Überbürdung der Instandhaltung und Instandsetzung für Fenster auf den einzelnen Wohnungseigentümer. Nichtig ist etwa auch ein Beschluss über die Fortgeltung eines Wirtschaftsplans grundsätzlich bis zur Verabschiedung eines neuen Wirtschaftsplans (zur Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer zur Aufhebung einer vereinbarten Veräußerungszustimmung: Schneider in: Müller, Beck’sches Formularbuch Wohnungseigentum, G.III, 4. Anm., 4). Nichtige Beschlüsse haben die Besonderheit, dass sie nicht angefochten werden müssen. Sie müssen nicht gem. § 23 Abs. 4 WEG für unwirksam erklärt werden. Jeder kann sich jederzeit auf die Nichtigkeit berufen. Nichtig sind alle Beschlüsse, die gegen zwingende Vorschriften verstoßen (die Unauflöslichkeit der Gemeinschaft etwa oder auch die Entziehung des Wohnungseigentums oder der Ausschluss der Bestellung eines Verwalters). Nichtig sind auch alle Beschlüsse, für die eben die Wohnungseigentümergemeinschaft keine Beschlusskompetenz
6.4 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
363
hat. Eine solche hat sie nicht, wenn entweder der Sachverhalt schon Gegenstand einer Vereinbarung ist oder aber in den Kernbereich des Miteigentumsanteils eines Wohnungseigentümers eingegriffen wird (Peter in: Köhler, Teil 10, Rz. 606 ff., 612 ff.).
6.4.5
„Zitterbeschlüsse“
Die Frage, ob ein Beschluss nichtig oder nur anfechtbar ist, hat besondere Bedeutung. Hat die Gemeinschaft grundsätzlich eine Beschlusskompetenz, so erwächst ein Mehrheitsbeschluss in Bestandskraft, wenn er nicht rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 46 Abs. 1 WEG i. V. m. § 23 Abs. 4 WEG angefochten wird. Auch die überstimmte Minderheit muss dann einen solchen Beschluss mangels Anfechtung gegen sich gelten lassen. Auch ein Sonderrechtsnachfolger ist – ohne Eintragung des Beschlusses im Grundbuch – an den Beschluss und sein Ergebnis gebunden. Sog. „Zitterbeschlüsse“, die mangels fristgerechter Anfechtung rechtsbeständig werden, können in dem Bereich immer noch gefasst werden, wo die Beschlüsse nicht gesetzes- oder vereinbarungsändernd, sondern gesetzes- oder vereinbarungswidrig sind. Das sind Beschlüsse, mit denen die Wohnungseigentümer bei einer konkreten Verwaltungsentscheidung gegen das Gesetz oder eine bestehende Vereinbarung (Gemeinschaftsordnung) verstoßen. Solche Beschlüsse betreffen lediglich eine konkrete Verwaltungsentscheidung. Da aber die Gemeinschaft generell für Verwaltungsentscheidungen Beschlusskompetenz hat, müssen solche Beschlüsse angefochten werden, sollen sie nicht rechtsbeständig werden (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 23 Rn. 25). In dem weiten Bereich der baulichen Veränderungen werden oft Beschlüsse gefasst, die ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen. Da aber die Wohnungseigentümer grundsätzlich gem. § 21 WEG eine Beschlusskompetenz für Verwaltungsentscheidungen haben, muss auch ein solcher Beschluss angefochten werden, weil er sonst in Rechtskraft erwächst. Denn § 22 Abs. 1 WEG bestimmt nach der WEG-Reform jetzt ausdrücklich, dass über bauliche Veränderungen die Wohnungseigentümer beschließen können.
6.4.6
Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer
Da die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer unauflöslich ist (§ 11 WEG), kommt dem Verhalten der Wohnungseigentümer, insbesondere gegenüber den übrigen Miteigentümern, besondere Bedeutung zu. Gem. § 14 WEG ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, sein Sondereigentum instand zu halten und von dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Wohnungseigentum ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers vollwertiges Eigentum (FAMietRWEG/Abramenko, Kap. 21, Rdn. 436). Jeder Eigentümer ist berechtigt, soweit dem nicht Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, von seinem Sondereigentum so Gebrauch zu machen, wie er dies für richtig hält. Er darf es insbesondere bewohnen, vermieten, verpachten oder in sonstiger Weise nutzen und andere von Einwirkungen ausschließen (§ 13 Abs. 1 WEG). Die Einschränkungen erwachsen aus der besonderen Treuepflicht der Wohnungseigentümer untereinander. Jeder hat lediglich das Recht, sein Sondereigentum und
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6 Das Wohnungseigentum
das gemeinschaftliche Eigentum „maßvoll“ zu gebrauchen bzw. mitzugebrauchen (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 14, Rn. 2). Das betrifft Bereiche wie Lärm, Tierhaltung, Musikausübung und anderes mehr. Gebrauchsregelungen, die etwa durch die Gemeinschaftsordnung vorgegeben sind, hat der einzelne Miteigentümer einzuhalten. Insbesondere hat er zu beachten, dass er sein Wohnungs- bzw. Teileigentum grundsätzlich zu anderen Zwecken nur dann nutzen darf, wenn dort diese Nutzung nicht mehr stört, als die bestimmungsgemäße Nutzung (BayObLG WuM 1998, 49). In diesem Bereich existiert eine umfangreiche Kasuistik (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, a. a. O., § 15 Rn. 13). Im Einzelnen ist die Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Nutzungen des Wohnungseigentums schwierig, weshalb immer im Einzelfall zu überprüfen ist, ob eine andere Nutzung als die gewidmete Nutzung ihrer Art nach typischerweise nicht stärker die übrigen Miteigentümer beeinträchtigt. Diese typisierende Betrachtungsweise kann durchaus dazu führen, dass eine als Wohnung gewidmete Einheit auch als Büro genutzt werden kann, wenn bei diesem Büro kein oder nur geringer Publikumsverkehr zu erwarten ist bzw. auftritt (OLG Saarbrücken, ZMR 2006, 555; LG Hamburg, ZMR 2011, 230). Umgekehrt ist die Nutzung von Wohneinheiten als Pflegeheim jedenfalls dann unzulässig, wenn es im Rahmen der Organisation des Betriebes zwangsweise zu einer verstärkten Nutzung kommen muss. Gerade dieses Thema (OLG Köln, NJW-RR 2007, 87) wird in Zukunft virulent werden, da in immer mehr Eigentümergemeinschaften darüber nachgedacht wird, wie man den Wunsch gerade älterer Eigentümer umsetzen kann, in der Wohnungseigentumsanlage auch weiterhin zu wohnen und dort ihren Lebensabend zu verbringen – und gleichzeitig in geeigneter Weise betreut und versorgt zu werden. Die immer wieder diskutierten Fälle der Nutzung einer Wohnung als Ladenlokal sind nicht die schwierigen Entscheidungen, die es in der Eigentümergemeinschaft zu treffen gilt. Es sind in weitem Umfange Fälle, in denen eine gewerbliche Nutzung mit einer konkreten Zweckbestimmung zulässig ist, diese aber geändert wird oder geändert werden soll. Je genauer die Zweckbestimmung in der Teilungserklärung bezeichnet ist, desto leichter fällt die objektive typisierende Betrachtung für den Fall der Abweichung. So kann durchaus ein Keller als Hobbyraum genutzt werden oder auch eine Garage als Werkstatt und eine Wohnung als Anwaltskanzlei, wenn jedenfalls die Kanzlei keine Laufkundschaft hat (Patentanwalt). Auch ist die Vermietung einer Wohnung an Feriengäste statthaft (BGH, NZM 2010, 285). Umgekehrt dürfen aber nicht Geschäftsräume als Gaststätte genutzt werden, ein Lagerraum als Gymnastik- oder eine Praxis als Ballett-Studio und auch nicht ein Weinkeller als Diskothek. Gerade weil so unterschiedliche Interessen innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft aufeinander treffen, wird die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit oder der fehlenden Ordnungsmäßigkeit einzelner Gebrauchsregelungen durch die Gerichte auch immer wieder erforderlich (ausführliche Fallsammlung bei: FA-MietRWEG/Abramenko, Kap. 21, Rdn. 481 ff. und 482 ff.). Häufig regeln auch Hausordnungen den zulässigen Gebrauch von Sonder- und Gemeinschaftseigentum. Auch die Hausordnung ist eine Gebrauchsregelung i.S.v. § 15 WEG. Wird ein Wohnungseigentümer in seinem Mitgebrauch des Gemeinschaftseigentums behindert, so kann er im Rahmen eines Individualanspruchs, d. h. auch ohne zustimmenden Beschluss der Gemeinschaft, Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung gem. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. §§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 3 WEG geltend machen.
6.4 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
6.4.7
365
Sondernutzungsrechte
Eine ausdrückliche Definition des Sondernutzungsrechts im WEG fehlt. Das führt zu manchem Irrtum, z. B. demjenigen, ein Sondernutzungsrecht sei isoliert veräußerbar bzw. übertragbar. Auch werden häufig Sondernutzungsrecht und Sondereigentum als gleiche sedes materiae angesehen. Das Sondernutzungsrecht ist keine Gebrauchsregelung i.S.v. § 15 WEG, sondern eine Abänderung des § 13 Abs. 2 WEG, weil eine Gebrauchsregelung nicht den endgültigen Ausschluss vom Gebrauch des Gemeinschaftseigentums bedeutet (BGH, NJW 2000, 3500; Müller/Müller, Beck’sches Formularbuch, Wohnungseigentum, D.I, S. 84). Ein Sondernutzungsrecht regelt den Fall, dass einem Sondereigentümer die alleinige Nutzung an Teilen des Gemeinschaftseigentums auf Dauer eingeräumt werden soll. Oft „parkt“ auch der Bauträger, d. h. er begründet sie und ordnet sie sämtlich einer potentiell bis zuletzt dem Bauträger verbleibenden Einheit zu (Schneider, ZWE 2012, 171; BGH, ZWE 2012, 175). Das Sondernutzungsrecht kann als rein schuldrechtliche Vereinbarung zustande kommen. Wird es nicht im Grundbuch eingetragen, also verdinglicht, so wirkt es nicht gegenüber einem Sonderrechtsnachfolger. Häufig werden bereits in der Teilungserklärung und nicht erst durch spätere Vereinbarung der Wohnungseigentümer Sondernutzungsrechte begründet. Dann ist es besonders wichtig, auch bereits in der Teilungserklärung unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, auf welche Flächen es sich bezieht und zu welcher Nutzung einschließlich etwa zuvor erforderlicher baulicher Maßnahmen der Inhaber des Sondernutzungsrechts berechtigt sein soll. Ein klassischer Fall ist hier das Sondernutzungsrecht an einem Spitzboden (BayObLG, NJW-RR 2001, 801). Die Begründung eines Sondernutzungsrechts erfolgt durch Vereinbarung. Durch früher so genannte „Zitterbeschlüsse“ (vereinbarungsersetzende Beschlüsse) können Sondernutzungsrechte nicht begründet werden, weil derartige Beschlüsse immer in den Kernbereich des Eigentums eingreifen (BGH, NZM 2000, 1184) und der Eigentümergemeinschaft hierzu die Zuständigkeitskompetenz fehlt. Meist werden Sondernutzungsrechte bereits durch Teilungserklärung oder Vereinbarung zum Inhalt des Sondereigentums gemacht. Dann genügt zur Eintragung in das Wohnungsgrundbuch die Bezugnahme auf die Eintragsbewilligung in der Teilungserklärung. Wozu das Sondernutzungsrecht inhaltlich berechtigt, wird insbesondere bei der Nutzung von Spitzböden deutlich. Nach herrschender Rechtsprechung hat der Sondernutzungsberechtigte im Zweifel nicht das Recht, einen Spitzboden zu Wohnraumzwecken auszubauen und etwa eine Wendeltreppe oder Dachflächenfenster einzubauen. Das gilt jedenfalls dann, wenn durch die beabsichtigte oder tatsächlich durchgeführte Nutzung zu Wohnzwecken Mängel bzw. Nachteile durch mangelnden Schallschutz oder nicht ausreichenden Brandschutz entstehen (Kreuzer in: Bub (u. a.) WEG, § 15 Rn. 32). Häufig räumt der Bauträger im Erwerbervertrag dem Erwerber ein Sondernutzungsrecht ein. Dieses wirkt aber nur inter parties und ausschließlich schuldrechtlich, d. h. nicht für alle Wohnungseigentümer. Selbst wenn es von allen Wohnungseigentümern dem Berechtigten eingeräumt wird, entfaltet es kraft Mehrheitsbeschlusses nach § 15 Abs. 2 keine Wirkung gegenüber einem Sonderrechtsnachfolger des Begünstigten. Häufige Streitpunkte sind Art und Umfang des Sondernutzungsrechtes an Grünflächen und an Terrassen. Hier muss sorgfältig der genaue Inhalt des Sondernutzungsrechtes jeweils und
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6 Das Wohnungseigentum
im Einzelfalle festgestellt werden. Auf Dritte ist das Sondernutzungsrecht isoliert nicht übertragbar, ohne dass auch das Miteigentum übertragen wird, es sei denn, der Erwerber ist ebenfalls Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft (BGH, NZM 2008, 732). Stets gilt für den Sondernutzungsberechtigten das, was für jeden Berechtigten am Gemeinschaftseigentum gilt. Er darf von dem Sondernutzungsrecht nur einen solchen Gebrauch machen, durch den andere Miteigentümer nicht beeinträchtigt werden (OLG Köln, NJW-RR 1997, 14). Das Sondernutzungsrecht ist begrifflich ein Recht zur ausschließlichen Nutzung eines Teils des Gemeinschaftseigentums. Das bedeutet andererseits aber auch, dass mangels einer Vereinbarung über eine diesem Recht entsprechende Kostentragungspflicht der Sondernutzungsberechtigte die auf sein Sondernutzungsrecht entfallenden Kosten des Gemeinschaftseigentums nicht alleine zu tragen hat, sondern nur nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung oder der Gemeinschaftsordnung, meist also nur in Höhe seines Miteigentumsanteils. Nur dann, wenn der Sondernutzungsberechtigte durch die Regelungen der Gemeinschaftsordnung ausdrücklich verpflichtet wurde, die Erhaltungslast für die Flächen seines Sondernutzungsrechts allein zu tragen, kann hieraus auch die entsprechenden Kostentragungspflicht entnommen werden. Viele notarielle Verträge regeln leider die Kostentragungspflicht des Sondernutzungsberechtigten nicht. Ein weit verbreiteter Irrtum ist die Annahme, der Sondernutzungsberechtigte sei quasi automatisch für die Instandhaltung und Instandsetzung der vom Sondernutzungsrecht betroffenen Flächen verantwortlich. Da das Sondernutzungsrecht am Gemeinschaftseigentum begründet wird, besteht hingegen die Kostentragungspflicht für solche Maßnahmen mangels anderweitiger Regelung in der Gemeinschaftsordnung ausschließlich zulasten der Wohnungseigentümergemeinschaft. Um eine abweichende Regelung in der Gemeinschaftsordnung festzustellen, bedarf es in vielen Fällen der genauen Auslegung, weil es häufig an ausdrücklichen Kostentragungsregelungen für Sondernutzungsrechte fehlt.
6.4.8
Kostenbeiträge der Wohnungseigentümer, Erwerberhaftung, Insolvenz
Die WEG-Novelle 2007 hat der Wohnungseigentümerversammlung eine erweiterte Beschlusskompetenz für die Verteilung bestimmter Kosten (Betriebskosten und Kosten der Verwaltung) in § 16 Abs. 3 gegeben. Außerdem können seitdem die Wohnungseigentümer im Einzelfalle zur Instandhaltung und Instandsetzung i.S.v. § 21 Abs. 5 Nr. 2 oder zu baulichen Veränderungen oder Aufwendungen i. S. d. § 22 Abs. 1 und 2 die Kostenverteilung auch abweichend von der üblichen Regelung des § 16 Abs. 2 WEG, unter bestimmten Voraussetzungen regeln. Die Erweiterung der Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerversammlung soll dem Wunsch der Eigentümergemeinschaften im Allgemeinen Rechnung tragen, flexibler auf technische Veränderungen und damit verbundene Veränderungen der Kostenstrukturen reagieren zu können. Besondere qualifizierte Mehrheiten (§ 16 Abs 4 Satz 2) ermöglichen diese Flexibilität und sind Schutz der Minderheiten zugleich. Grundsätzlich gilt: Jeder Wohnungseigentümer ist auch den anderen Wohnungseigentümern verpflichtet, die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums und auch die Kosten der Instandhaltung, Instandsetzung und sonstigen Verwaltung nach dem Verhältnis seines Miteigentumsanteils zu tragen (§ 16 Abs. 2 WEG). Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn Notmaßnahmen ergriffen werden müssen, denn im Übrigen werden solche Verpflichtungen aus beschlossenen Wirt-
6.4 Das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
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schaftsplänen oder auch Sonderumlagen finanziert oder aus Nachzahlung aus beschlossenen Jahresabrechnungen im Sinne von § 28 Abs. 5 WEG. Die Beiträge der Wohnungseigentümer zu den Kosten und Lasten werden im Rahmen von Wirtschaftsplänen (§ 28 Abs. 1, 2 WEG) bevorschusst und gem. § 28 Abs. 3 WEG vom Verwalter kalenderjährlich abgerechnet. Die Gemeinschaft ist nicht befugt, einen Wirtschaftsplan ohne die jeden einzelnen Eigentümer betreffenden Einzelwirtschaftspläne zu beschließen. Denn der Einzelwirtschaftsplan gehört zu den unverzichtbaren Bestandteilen des Wirtschaftsplans. Die Genehmigung eines Wirtschaftsplans ohne Einzelwirtschaftsplan ist auf Antrag hin für ungültig zu erklären (BGH, NZM 2005, 543). Auch werdende Eigentümer, die vor Eintragung eines zweiten Wohnungseigentümers im Grundbuch ihr Wohnungseigentum übernommen haben und für die eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist, haften ebenfalls gem. § 16 Abs. 2 WEG für Verbindlichkeiten, die von der in Vollzug gesetzten Wohnungseigentümergemeinschaft begründet wurden. Ob das auch gilt für die Erwerber, die nach rechtlicher Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft als Zweiterwerber eintreten, ist zweifelhaft. Hier ist die Rechtsprechung im Fluss. Von der Tendenz her will der BGH jeden Erwerber, der das Wohnungseigentum vom Aufteiler erlangt, für einen noch zu bestimmenden Übergangszeitraum wie einen werdenden Wohnungseigentümer behandeln (BGH, NJW 2008, 2639; Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 10, Rn. 12). Viel Streit gibt es in Wohnungseigentümergemeinschaften zu der Frage, wer bei einem Eigentumswechsel für die Kostenbeiträge haftet. Im Innenverhältnis können der Veräußerer und der Erwerber beispielsweise eine Mithaftung des Erwerbers begründen. Im Außenverhältnis, also im Verhältnis zur Gemeinschaft, gilt folgendes: Zahlungsrückstände können zunächst aus dem Wirtschaftsplan resultieren. Komplex ist die Frage, wer bei Eigentumswechsel für die Beitragszahlung haftet. Soweit die Beträge bereits vor Eigentumswechsel fällig waren, haftet für Zahlungsrückstände aus diesen aus dem Wirtschaftsplan begründeten Vorauszahlungen ausschließlich der frühere Eigentümer. Eine Haftung des Erwerbers entfällt, denn dieser haftet ausschließlich für die nach seiner Eintragung als Eigentümer fällig gewordenen Wohngeldvorschüsse (BGH NJW 1994, 1866, 1867; BGH NJW 1996, 725). Anderes gilt für den werdenden Eigentümer. Die Mitgliedschaft in einer werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft verpflichtet den werdenden Miteigentümer anstelle des noch eingetragenenen Eigentümers zur Zahlung der jeweils aktuell fälligen Beiträge (BGH, NJW 2008, 2639). Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Abrechnung über die Periode erfolgt, aus welcher auch ganz oder teilweise die rückständigen Vorauszahlungen resultieren. Denn auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Abrechnung bereits der Erwerber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen war, entfaltet die Abrechnung keine Schuldumschaffung im Sinne einer Novation, vielmehr bestätigt bzw. bestärkt sie insoweit nur den Wirtschaftsplan (BGH NJW 1994, 1866, 1867; BGHZ 131, 228, 231). Als Mitglied einer werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft ist auch der Erwerber zu behandeln, der seinen Erwerbsvertrag bereits vor dem Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft abgeschlossen hat und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist. Für seine Stellung als werdender Eigentümer kommt es nicht darauf an, dass er den Besitz womöglich erst nach dem (rechtlichen) Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft erlangt hat (BGH, NJW 2012, 2650). Rechtlich entstan-
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6 Das Wohnungseigentum
den ist ja die Wohnungseigentümergemeinschaft erst, wenn mindestens zwei Wohnungseigentümer im Grundbuch eingetragen sind. Für die Zeit davor greifen unter den genannten Voraussetzungen die Grundsätze für die sog. „werdende Wohnungseigentümergemeinschaft“. Für Fehlbeträge aus der Jahresabrechnung haftet grundsätzlich der Eigentümer, der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Abrechnung im Grundbuch eingetragen ist. Das gilt nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber nicht uneingeschränkt. Denn wenn ein Fehlbetrag aus der Abrechnung rechnerisch (auch) auf Rückständen beruhte, die wegen der Verletzung der Vorschusspflicht des Voreigentümers entstanden sind, so begründet der Abrechnungsbeschluss der Gemeinschaft keine Schuld des Erwerbers in Höhe des gesamten Abrechnungsfehlbetrages. Denn sonst hätte es die Wohnungseigentümergemeinschaft in der Hand, durch geschicktes „Timing“ der Beschlussfassung den Erwerber für Rückstände des Veräußerers haften zu lassen. Wichtig ist nun, dass der BGH mit Beschluss vom 23.09.1999 (NZM 1999, 1101) diese Erwerberhaftung auch für den Fall verneint hat, dass der Beschluss über die den Rückstand des Veräußerers einbeziehende Jahresabrechnung bestandskräftig wird (hierzu: Wenzel, NZM 2000, 65, 68). Hierzu wird darauf verwiesen, dass die Ausweisung der Beitragsrückstände in der Einzelabrechnung als Schuld des Wohnungseigentümers nur der Nachvollziehbarkeit der Abrechnung dient. Der Beschluss braucht also nicht angefochten zu werden und wirkt auch dann nicht gegen den Erwerber, wenn dieser nicht angefochten hat. Nach wie vor gilt aber für den rechtsgeschäftlichen Erwerber, dass eine in der Teilungserklärung enthaltene Bestimmung, wonach der Erwerber für Wohngeldrückstände des Voreigentümers haftet, grundsätzlich wirksam ist (BGH NJW 1994, 2950). Hingegen ist eine Bestimmung in der Gemeinschaftsordnung, wonach der Ersteher auch für Wohngeldrückstände haftet, wenn er das Eigentum im Wege der Zwangsversteigerung erworben hat, nichtig (BGHZ 99, 358; Niedenführ in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 16 Rn. 143). Wichtig für den Erwerber ist es, dass er nur für solche Beiträge i.S.v. § 16 Abs. 2 WEG haftet, die nach seiner Eintragung als Eigentümer im Grundbuch durch Beschluss der Wohnungseigentümer begründet wurden. Hat der Voreigentümer Wohngeldvorauszahlungen nicht geleistet, so handelt es sich um eine Verbindlichkeit des Alteigentümers. Diese war bereits vor Eigentumserwerb begründet und fällig und verbleibt als Schuld des Alteigentümers. Es haftet aber der Erwerber für solche Beiträge, die bereits vor Eigentumswechsel begründet wurden, aber erst nach Eigentumswechsel fällig werden. Das ist häufig dann der Fall, wenn Wohnungseigentümergemeinschaften größere Sanierungsmaßnahmen über mehrere Jahre hinweg planen, finanzieren und durchführen und hierzu die Fälligkeit der Sonderumlagen bzw. deren Teile staffeln. Erwerber sollen auch aus diesem Grunde unbedingt vor Erwerb Einblick in das Beschlussbuch nehmen. Auch muss der Erwerber damit rechnen, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft nach der Umschreibung des Eigentums im Grundbuch Sonderumlagen zur Beseitigung von Liquiditätsproblemen beschließt. Hierzu ist sie oft gezwungen gerade in den Fällen, in denen ein Voreigentümer seinen Zahlungsverpflichtungen zur Leistung der Wohngeldvorauszahlungen oder der Nachforderungen aus Wohngeldabrechnungen nicht nachgekommen ist. Denn die so beschlossene Sonderumlage ist die erstmalige Begründung einer neuen Verbindlichkeit. Bei Insolvenz eines Eigentümers gehören die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordenen Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums und die auf die entsprechende Eigentumswohnung entfallenden Beiträge hieraus zu den gem. § 53 InsO vorweg zu
6.5 Die Jahresabrechnung
369
berichtigenden Masseverbindlichkeiten. Die Zahlungen schuldet der Insolvenzverwalter. Anderes gilt für bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewesene Beitragsverpflichtungen. Diese sind einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO). Eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der beschlossenen Abrechnung resultierende Abrechnungsspitze (das ist die unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen aus der Jahresabrechnung sich ergebende und sodann beschlossene Nachforderung) ist bei Beschlussfassung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeit und vom Insolvenzverwalter zu begleichen. Masseverbindlichkeit ist auch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Sonderumlage. Bei einem Antrag auf Restschuldbefreiung können Insolvenzgläubiger während der Wohlverhaltensperiode nicht gegen den Schuldner vollstrecken.
6.5
Die Jahresabrechnung
Eine der wesentlichen Aufgaben des Verwalters ist die Erstellung der Jahresabrechnung. Da viele Eigentümergemeinschaften nur einmal im Jahr eine Versammlung abhalten, auf der dann auch die Jahresabrechnung zu beschließen ist, stellt sie ein Herzstück des Wohnungseigentums dar. Die Jahresabrechnung besteht aus der Gesamtabrechnung und den Einzelabrechnungen. Beide sind zusammen zu beschließen. Die Abrechnung ist keine Bilanz. Sie ist vielmehr eine Einzahlungs-/Auszahlungsrechnung oder, anders ausgedrückt, eine Kassenabrechnung. Die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben sind darin aufzunehmen. Die Abrechnung stellt keine Gewinn- und Verlustrechnung dar und ist nicht in dieser Form zulässig. Abgrenzungen sind nicht zulässig. Die gesamten im Wirtschaftsjahr angefallenen tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben sind in der Jahresabrechnung auszuweisen. Das Wirtschaftsjahr ist das Kalenderjahr. Die Wohnungseigentümer sollen aus der Abrechnung ersehen können, welche tatsächlichen Ausgaben (Auszahlungen) und welche tatsächlichen Einnahmen (Einzahlungen) die Wohnungseigentümergemeinschaft im Abrechnungszeitraum hatte (BGH, NJW 2010, 2127; BGH, WuM 2012, 222). Zur Jahresabrechnung gehört die Mitteilung der Kontenstände der gemeinschaftlichen Konten zum Beginn und am Ende des Abrechnungszeitraums. Weiterhin ist im Zusammenhang mit der Jahresabrechnung auch die Entwicklung der Instandhaltungsrücklage darzustellen, aber außerhalb der Abrechnung selbst. Auch außerhalb der Abrechnung ist ein Vermögensstatus sinnvoll, insbesondere zur Information für die Eigentümer über die Vermögenslage (Niedenführ, ZWE 2011, 65, 67). Bislang wurde eine Abweichung von diesem strengen Einzahlungs-/Auszahlungs-Prinzip der Kassenabrechnung durch die Rechtsprechung in der Form gestattet, bei den Heizkosten doch – wie bei einer Bilanz – abzugrenzen. Diese Abgrenzungsbefugnis wurde damit begründet, dass ja die Heizkostenverordnung eine Abrechnung nach Verbrauch vorschreibt und dieser Umstand mit dem Einzahlungs- und Auszahlungsprinzip kollidiert. Es wurde häufig ein Restbestand an Heizöl im Heizöltank „bewertet“. Jetzt gilt: In die Gesamtabrechnung sind alle Anschaffungskosten für Heizöl bzw. für die Brennstoffe einzustellen. Bei den Einzelabrechnungen sind die nach der Heizkostenverordnung zu ermittelnden Beträge einzustellen. So wird an dem Einzahlungs-Auszahlungs-Prinzip festgehalten. Alle Zahlungen sind im jeweiligen Wirtschaftsjahr in der Gesamtabrechnung auszuweisen. Dabei entsteht in einer Übergangsphase eine temporäre Doppelbelastung bei den Heizkosten, weil einerseits die Wohnungseigentümer mit den Anschaffungskosten belastet werden im Rahmen des allgemeinen Kostenverteilungsschlüssels, andererseits aber (auch) mit den Kosten aus der Heizkostenabrechnung (hierzu Köhler, Anwaltshandbuch Wohnungseigentumsrecht, Teil 7, Rz. 55 ff.).
370
6 Das Wohnungseigentum
Für die Instandhaltungsrücklage gilt (BGH, NJW 2010, 2127): Die Darstellung der Instandhaltungsrücklage muss Ist-Beträge enthalten. Das sind die Zuflüsse zur Instandhaltungsrücklage und die in Form von Ausgaben erfolgten Abflüsse von der Instandhaltungsrücklage. Dabei muss auch ein Rückstand von Wohnungseigentümern mit der Instandhaltungsrücklage ausgewiesen werden. Die tatsächlichen und geschuldeten Zahlungen der Wohnungseigentümer auf die Instandhaltungsrücklage sind nach der Rechtsprechung des BGH in der Jahresabrechnung weder als Ausgabe noch als sonstige Kosten aufzunehmen. Denn Ausgaben entstehen erst, wenn das Geld das Verbandsvermögen wieder verlässt (Häublein, ZWE 211, 1, 3). Sind Zahlungen auf die Instandhaltungsrücklage erfolgt, so sind sie eine Einnahme der Gesellschaft. Zahlen Eigentümer Instandhaltungsrücklagebeträge auf das Girokonto der Gemeinschaft und überweist sodann der Verwalter vom Girokonto auf das Instandhaltungsrücklagenkonto, so findet keine Auszahlung statt, die in der Jahresabrechnung als Auszahlung auszuweisen wäre. Deshalb dürfen mit diesen Überweisungen auf das Instandhaltungsrücklagekonto auch nicht die einzelnen Wohnungseigentümer belastet werden (Beispiel für die Darstellung der Beiträge zur Instandhaltungsrücklage im Rahmen der Jahresabrechnung (Gesamt-/Einzelabrechnungen) bei: Köhler, a.a.O., Teil 7, Rz. 44 g; Beispiel für die Darstellung der Entwicklung der Rücklage: Häublein, ZWE 2011, 1, 5). Enthält die Abrechnung Fehler, weil eine Ausgabe nicht berücksichtigt wurde oder eine Einnahme falsch gebucht, so kann die Jahresabrechnung angefochten werden (§ 23 Abs. 4 WEG). Dabei kann die Anfechtung auf einzelne Positionen beschränkt werden (und sollte es auch wegen des Kostenrisikos). Anfechtungen von Jahres- und Einzelabrechnungen gehören zu den häufigsten Streitthemen innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft. Zu den regelmäßigen Missverständnissen gehört es dabei, dass Wohnungseigentümer zu Unrecht meinen, wirtschaftlich nicht notwendige oder nicht beschlossene Ausgaben dürften in der Jahresabrechnung nicht auftauchen. Auch meinen sie zu Unrecht, eine etwa notwendige Zuordnung von Kosten ausschließlich zulasten einzelner Eigentümer dürften gar nicht erst in der Gesamtabrechnung auftauchen. Umgekehrt meinen viele Eigentümer, auch Forderungen gegen Dritte müssten in die Jahresabrechnung aufgenommen werden. Und schließlich wird oft verkannt, dass die Abrechnung selbst keinen „Vermögensstatus“ zu enthalten hat. Häufig wird auch mit dem Beschluss über die Genehmigung der Abrechnung eine Entlastung des Verwalters beschlossen. Ein Anspruch auf Entlastung besteht nicht, jedoch widerspricht auch ein Entlastungsbeschluss nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
6.6
Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
Die Verwaltung nach dem WEG ist die Selbstverwaltung der Wohnungseigentümer auf der Grundlage einer Zuständigkeitsordnung für Verwaltungsentscheidungen und Verwaltungsmaßnahmen (Bub in: Bub u. a. (WEG), WEG § 20 Rz. 3). Sie betrifft das Innenverhältnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die maßgeblichen Vorschriften der §§ 20–29 WEG lehnen sich zum Teil an die Vorschriften über die Verwaltung der Gemeinschaft gem. §§ 741ff (dort insbesondere 744, 745 BGB).
6.6 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
6.6.1
371
System der Selbstverwaltung
Zunächst bestimmt § 20 Abs. 1, wer die Verwaltungsorgane sind. Es sind dies die Wohnungseigentümer, der Verwalter und der Verwaltungsbeirat. Während das Recht, einen Verwalter zu bestellen, unabdingbar ist, ist der Verwaltungsbeirat nur fakultativ. Besteht ein solcher, so ist er zur Mitwirkung bei der Verwaltung verpflichtet (Niedenführ in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 20 Rz. 3). Der Verwaltungsbeirat gewinnt dabei immer mehr an Bedeutung. Gem. § 29 Abs. 2 WEG unterstützt der Verwaltungsbeirat den Verwalter bei der Durchführung seiner Aufgaben. § 29 Abs. 3 WEG bestimmt, dass der Wirtschaftsplan, die Abrechnung über den Wirtschaftsplan, Rechnungslegungen und Kostenanschläge vom Verwaltungsbeirat geprüft und mit dessen Stellungnahme versehen werden sollen, bevor über sie die Wohnungseigentümerversammlung beschließt. Eine seiner – oft verkannten – Hauptfunktionen ist die Beratung des Verwalters und die Vermittlung zwischen dem Verwalter und den Wohnungseigentümern und natürlich die laufende Überwachung der Verwaltungstätigkeit. Ihm werden z. T. schwierige Aufgaben („Verwaltungsbeirat als Baurat“) übertragen. Da das Amt des Verwaltungsbeirats ein ehrenamtliches ist, und solche Ehrenämter zu fördern sind, sollte die Gemeinschaft den Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Beiräte ausdrücklich beschließen. Denn der Haftungsmaßstab für einen Beirat ist kein anderer als z. B. für den Verwalter – trotz der ehrenamtlichen Tätigkeit des Beirats. Oft wird wegen der ehrenamtlichen Tätigkeit des Beirats die Ansicht vertreten, die Mitglieder des Verwaltungsbeirats seien in der Haftung privilegiert. Allerdings kann die Haftung der Beiratsmitglieder nur auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden (Elzer/Riecke, ZMR 2012, 171). Grundsätzlich ist der Verwaltungsbeirat nicht Repräsentant der Wohnungseigentümergemeinschaft, vielmehr lediglich im Einzelfall. Deswegen muss auch im Einzelfall geprüft werden, ob eine Kenntnis des Verwaltungsbeirats über Handlungen oder Unterlassungen des Verwalters den Wohnungseigentümern zuzurechnen ist. Das wiederum kann für die ordnungsgemäße Geschäftsführung des Verwalters und für dessen Entlastung von Bedeutung sein (eine umfassende Darstellung im Rahmen von 300 Fragen und Antworten zum Verwaltungsbeirat im WEG gibt Wolicki, Der Verwaltungsbeirat im WEG). Verwaltung im Sinne von § 20 Abs. 1 sind die Verwaltungsentscheidung und auch die Verwaltungsmaßnahme. Sie stehen den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu, und jeder Wohnungseigentümer kann eine Verwaltung verlangen, die den Vereinbarungen und Beschlüssen bzw. dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht (§ 21 Abs. 4 WEG). Diese Vorschrift des § 21 Abs. 4 WEG ist die zentrale Vorschrift für den Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung. Diesen Anspruch kann jeder Wohnungseigentümer gegen die übrigen Wohnungseigentümer richten. Er ist unverjährbar (BGH, ZWE 2012, 325). Ausnahmsweise richtet er sich gegen den Verwalter, wenn dieser gefasste Beschlüsse nicht umsetzt oder falsch umsetzt. Die ordnungsgemäße Verwaltung durch die Wohnungseigentümer bestimmt sich nach den §§ 21–25 WEG. § 21 Abs. 5 bestimmt dabei die Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung. Dazu gehören u. a. die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums, die Ansammlung einer angemessenen Instandsetzungsrückstellung und die Aufstellung eines Wirtschaftsplans. Nur ausnahmsweise darf ein einzelner Eigentümer Notmaßnahmen ergreifen. Davon wird dann auszugehen sein, wenn ihm ein Abwarten der Tätigkeit des Verwalters oder die Zu-
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6 Das Wohnungseigentum
stimmung der anderen Miteigentümer nicht zugemutet werden kann. Notmaßnahmen sind z. B. die Behebung baulicher Schäden durch Wassereinbruch oder auch die Einleitung eines Rechtsstreits zur Unterbrechung drohender Verjährung, falls die Gemeinschaft selbst nicht handelt. § 21 gibt i. V. m. § 10 Abs. 2 und 4 eine Rangfolge der Rechtsgrundlagen für Verwaltungsmaßnahmen aller Art (Bub in: Bub (u. a.), WEG § 21 Rz. 3):
zwingende gesetzliche Vorschrift die Vereinbarung der Wohnungseigentümer (ihr stehen die Teilungserklärung und die Gemeinschaftsordnung gleich) Vereinbarungen der Wohnungseigentümer gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 Mehrheitsbeschlüsse der Wohnungseigentümer gem. § 21 Abs. 3 vereinbarungsersetzende oder vereinbarungswidrige Mehrheitsbeschlüsse (die die Vereinbarungen der Wohnungseigentümer ändern oder dispositive gesetzliche Vorschriften abbedingen und weder nichtig sind noch auf Antrag für ungültig erklärt wurden) die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung gem. § 21 Abs. 4 WEG bei Fehlen einer Vereinbarung oder eines Mehrheitsbeschlusses. Kernstück der ordnungsgemäßen Verwaltung durch die Wohnungseigentümer ist dabei § 21 Abs. 3, die Verwaltung durch Mehrheitsbeschluss. Diese sind sofort nach Beschlussfassung wirksam und umzusetzen, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Erwartet der Verwalter eine erfolgversprechende Anfechtung eines Beschlusses, den er durchzusetzen hat, so sollte er sich vom zuständigen Amtsgericht ausdrücklich ermächtigen lassen, entweder die Durchführung des Beschlusses zu stoppen oder den Beschluss umzusetzen. Eigenmächtig die Umsetzung eines Eigentümerbeschlusses zu verzögern, liegt nicht in der Kompetenz des Verwalters, vielmehr macht er sich haftbar.
6.6.2
Grundlagen und Inhalt der Verwaltungsmaßnahmen
In § 21 Abs. 3 WEG sind die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung normiert. Dabei sind ordnungsgemäß alle Maßnahmen, die im objektiven Interesse aller Wohnungseigentümer getroffen werden. Natürlich haben die Wohnungseigentümer dabei einen gewissen Ermessensspielraum. Diese Grundsätze sind Maßstab für den Inhalt der Mehrheitsbeschlüsse, und dementsprechend hat jeder Wohnungseigentümer Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG). Soweit in Abs. 5 einzelne Maßnahmen aufgeführt sind, ist diese Aufzählung nur beispielhaft. Zwar ist § 21 Abs. 5 abdingbar. Fehlt aber eine der hier aufgeführten Maßnahmen, so hat dennoch jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch auf deren Durchführung (Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 21 Rn. 42; Bub in: Bub u. a. (WEG), § 21 Rn. 4, 11). Die Rechte auf Selbstverwaltung und ordnungsgemäße Verwaltung gehören zum dinglichen Kerngehalt des Eigentums und können nicht vollständig entzogen werden (BGH NJW 1995, 2036). Was ist nun im Einzelnen ordnungsgemäße Verwaltung? Hierunter versteht man die Gesamtheit der Maßnahmen, die objektiv, vernünftig und wirtschaftlich denkende Wohnungseigentümer ergreifen würden, um die Tauglichkeit der jeweiligen Wohnungseigentumsanlage zum vertragsgemäßen Gebrauch zu erhalten und außerdem – gegebenenfalls auch durch Anpassung an einen zeitgemäßen Stand – den Wert der Anlage zu erhalten, und außerdem die Maßnahmen, die zur Gewährleistung eines geordneten und
6.6 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
373
friedlichen Zusammenlebens erforderlich sind (Bub, a. a. O., § 21 Rn. 83; Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 21, Rn. 28). Ordnungsgemäße Verwaltung können demnach neben den gesetzlich normierten Fällen: Aufstellung einer Hausordnung (Nr. 1), ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums (Nr. 2), Abschluss der erforderlichen Feuer-, Hausund Grundstückshaftpflichtversicherungen (Nr. 3), Ansammlung einer Instandhaltungsrücklage (Nr. 4), Aufstellung eines Wirtschaftsplanes (Nr. 5), Duldung von Anschlüssen zur Herstellung einer Fernsprechteilnehmeranlage, einer Rundfunkempfängeranlage oder eines Energieversorgungsanschlusses (Nr. 6) insbesondere folgende Verwaltungsmaßnahmen sein: Abschluss von Verträgen mit Dritten, Führung von Aktiv- und Passivprozessen, Bestellung bzw. Abberufung des Verwalters, Finanzierung der Verwaltungsschulden, Maßnahmen zur Kosteneinsparung und Gartenpflege. Selbstverständlich entsprechen ordnungsgemäßer Verwaltung auch alle Handlungen, die zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten oder der Verkehrssicherungspflichten erforderlich sind, ebenso die Handlungen, die die Erfüllung baupolizeilicher Maßnahmen bewirken. Aktuell können zu diesen Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung auch Programme zur Bekämpfung des Leerstandes, Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Immobilie und zur Verbesserung der Telekommunikation (Darstellung von Sanierungsplänen über Hausfernsehprogramme bzw. Internet) und schließlich auch Maßnahmen zum günstigen Einkauf von Produkten (Nachfragepool) und Dienstleistungen zum Betrieb der Immobilie mittels Servicegesellschaften gehören, außerdem die Prüfung von Förderprogrammen/Fördermitteln (KfW) zur Finanzierung von Modernisierungsmaßnahmen.
6.6.3
Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums
Eine der Hauptaufgaben der Wohnungseigentümer untereinander ist die Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Zustandes des Gemeinschaftseigentums im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung. Hierzu zählen Beschlussfassungen und Veranlassung von laufender Inspektion, Wartung und etwa erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen. Bei den Entscheidungen – insbesondere bei den Beschlüssen der Eigentümer – sind dabei rechtliche Rahmenbedingungen von besonderer Tragweite zu beachten: Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung bedürfen nicht eines einstimmigen oder gar allstimmigen Beschlusses, können vielmehr mit Mehrheit beschlossen werden. Das betrifft insbesondere den Beschluss über die Instandsetzung von mangelhaftem Gemeinschaftseigentum wie etwa einer undichten Außenfassade oder eines funktionsunfähig gewordenen Aufzugs. Wichtig ist, dass der Verwalter im Rahmen der ordnungsgemäßen Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums zwar berechtigt ist, neben Notmaßnahmen auch die laufenden Maßnahmen der erforderlichen ordnungsgemäßen Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums als Vertreter der Wohnungseigentümergemeinschaft Dritten in Auftrag zu geben; das gilt auch für laufende Reparaturen und Maß-
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6 Das Wohnungseigentum
nahmen geringeren Umfangs (Ersatzteile für Verschleiß). Bei größeren Maßnahmen muss aber der Verwalter einen Beschluss der Wohnungseigentümer herbeiführen. Er selbst schuldet nicht als Erfolg den ordnungsgemäßen Betrieb der Wohnungseigentumsanlage, sondern muss nur im Rahmen der Umsetzung der Beschlüsse der Gemeinschaft und der ihm im Rahmen des Verwaltervertrags übertragenen Aufgaben Maßnahmen veranlassen. Gerade bei der Beschlussfassung über Sanierungsmaßnahmen haben die Wohnungseigentümer in weitem Umfange ein Ermessen. So können sie insbesondere darüber entscheiden, ob sie zunächst nur provisorische Maßnahmen treffen, billigere Lösungen wählen oder aber im Hinblick auf längere Lebensdauer der Immobilie eine aufwendigere Maßnahme wählen. Immer ist eine objektiv vernünftige Betrachtungsweise maßgeblich (Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 21, Rn. 68). Wichtig ist, dass die Gemeinschaft nicht lediglich Beschluss fasst über eine Sanierung selbst, sondern auch über deren Finanzierung. Denn nur, wenn auch das beschlossen wird, entspricht ein Beschluss über eine Sanierung ordnungsgemäßer Verwaltung (OLG München, ZMR 2009, 630). Wenn die Rücklage nicht ausreicht oder aber aus ihr auch noch andere beschlossene Maßnahmen zu finanzieren sind, müssen die Wohnungseigentümer zur Finanzierung einer Sanierungsmaßnahme (oft verbunden gleichzeitig mit einer Modernisierungsmaßnahme) Sonderumlagen bilden. Gerade letzterer Umstand bewegt oft finanzschwache Eigentümer oder auch Eigentümer, die den wirtschaftlichen Nutzen einer anlässlich einer Instandsetzung mit beschlossener Modernisierung nicht einsehen wollen, zur Anfechtung von Beschlüssen über modernisierende Instandsetzung (z. B. das Anbringen einer Wärmedämmung anlässlich einer notwendigen Fassadensanierung). Schwierigkeiten macht auch immer wieder die Frage, wann die Gemeinschaft zum Ersatz von Schäden am Sondereigentum verpflichtet ist. Grundsätzlich hat jeder Sondereigentümer sein Sondereigentum alleine und auf eigene Kosten und Risiko Instand zu halten und Instand zu setzen. Das gilt auch dann, wenn durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum ein Mangel am Sondereigentum entstanden ist (Eindringen von Feuchtigkeit durch das Gemeinschaftseigentum in das Sondereigentum) (BGH, NZM 2010, 556). Hier ist nicht etwa die Gemeinschaft verpflichtet, auch das Sondereigentum Instand zu setzen, es sei denn, sie hat die Entstehung des Schadens am Sondereigentum deshalb zu vertreten, weil sie eine längst überfällige Reparatur verzögert hat oder weil sie mit der Beseitigung der Mängel am Gemeinschaftseigentum ein fachlich ungeeignetes Unternehmen beauftragt hat, das im Rahmen seiner Arbeiten erst die Schäden am Sondereigentum verursacht hat. Insbesondere gilt, dass sich die Wohnungseigentümergemeinschaft das Verschulden eines von ihr mit der Reparatur des Gemeinschaftseigentums beauftragten Fachunternehmens zurechnen lassen muss, wenn erst durch dessen Tätigkeit Schäden am Sondereigentum entstanden sind (BGH NJW 1999, 2108). Ist ein Sondereigentum intakt und muss es beschädigt werden, damit Mängel bzw. Schäden am Gemeinschaftseigentum erst beseitigt werden können, so ist die Gemeinschaft zur Beseitigung der Schäden am Sondereigentum verpflichtet. Aus den Grundsätzen der „Aufopferung“ hat in diesen Fällen der Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Schadloshaltung (OLG Frankfurt, ZMR 2009, 382).
6.6 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
6.6.4
375
Geltendmachung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum
Wohnungseigentum wird üblicherweise durch Kauf vom Bauträger erworben. Das hat zunächst zur Folge, dass bezüglich des Sondereigentums jeder Erwerber alleine berechtigt ist, Ansprüche aus seinem Erwerbervertrag gegen den Bauträger geltend zu machen. Anderes gilt hinsichtlich der Ansprüche wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum. Zwar ist aufgrund des Erwerbervertrages der Veräußerer gegenüber jedem Erwerber auch zur Verschaffung mangelfreien Gemeinschaftseigentums verpflichtet, und es kann jeder Erwerber selbstständig eine solche mangelfreie Herstellung des Gemeinschaftseigentums verlangen. Das hat beispielsweise zur Folge, dass – sofern eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums jedenfalls noch nicht stattgefunden hat – jeder Erwerber noch Gewährleistungsansprüche wegen mangelhaften Gemeinschaftseigentums geltend machen kann, wenn solche Ansprüche aufgrund früheren Erwerbs anderer Eigentümer bereits verjährt sein sollten. Dass es dabei oft auch noch nach vielen Jahren zu einer fortdauernden Haftung des Bauträgers kommt, wird von der Rechtsprechung hingenommen. Zunächst kann jeder Eigentümer Erfüllungsansprüche und die sogenannten primären Gewährleistungsansprüche alleine geltend machen. Das ergibt sich aus § 634 Nr. 1 (Nacherfüllung gem. § 635 BGB) und § 634 Nr. 2 BGB (Recht zur Selbstvornahme und Verlangen des Ersatzes der erforderlichen Aufwendungen gem. § 637 BGB). Die Ansprüche des Erwerbers richten sich bei einem vom Veräußerer darauf zu errichtenden Haus oder einer Eigentumswohnung nach Werkvertragsrecht, und zwar unabhängig davon, ob der Vertrag als Werkvertrag oder – wie meistens – als Kaufvertrag bezeichnet wird. Gleiches gilt, wenn sich die veräußerte Eigentumswohnung zwar in einem Altbau befindet, dieser Altbau aber in eine Wohnungseigentumsanlage umgewandelt wird und der Veräußerer dabei eine der Neuerrichtung vergleichbare Herstellungsverpflichtung übernimmt (Niedenführ in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, Anhang zu § 21, Rn. 7; BGH, NZM 2007, 519). Da die Beseitigung anfänglicher Baumängel des Gemeinschaftseigentums die Interessen aller Eigentümer berührt und zu den Verwaltungsaufgaben der Gemeinschaft gehört, kann die Gemeinschaft der Eigentümer mit Mehrheit im Rahmen der gemeinschaftlichen Verwaltung beschließen, die Gewährleistungsrechte gegen den Veräußerer an sich zu ziehen und so einheitlich zu verfolgen, um zu vermeiden, dass sich die einzelnen Rechtsbeziehungen unterschiedlich entwickeln (Wenzel in: Hagen/Brambring, Immobilienrecht 1998, 51, 61; Niedenführ in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, Anhang zu § 21; BGH, NJW 2010, 3089). Beschließt die Gemeinschaft, die Ausübung der auf die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums gerichteten Ansprüche der einzelnen Erwerber an sich zu ziehen, so verliert der einzelne Erwerber die Aktivlegitimation für die Durchsetzung der Nacherfüllungsansprüche und auch der Ansprüche auf Mängelbeseitigungskostenvorschuss bzgl. der Mängel am Gemeinschaftseigentum, da diese Ansprüche nunmehr der Gemeinschaft zustehen (hierzu ausführlich und mit Musterbeschluss: Müller/Hügel, Beck’sches Formularbuch, Wohnungseigentumsrecht, O.I.3.II). Was ihm verbleiben muss und verbleibt, ist die Entscheidung, vom Vertrag zurückzutreten bzw. den sog. großen Schadensersatz geltend zu machen (BGH, NJW 2010, 3089). Kann auch nur ein einziger Wohnungseigentümer noch in unverjährter Zeit Mängel am Gemeinschaftseigentum geltend machen, so hindert auch das die Gemeinschaft nicht daran, diesen Anspruch an sich zu ziehen. Das rechtfertigt sich aus dem übergeordneten Interesse der Gemeinschaft, noch bestehende Ansprüche auch durchzusetzen.
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6 Das Wohnungseigentum
Anders verhält es sich mit den sogenannten sekundären Gewährleistungsansprüchen. Das sind die Ansprüche, die nicht auf Erfüllung bzw. Nachbesserung, sondern auf Minderung, Wandelung oder Schadensersatz gerichtet sind. Unterschieden werden muss hier zwischen Wandelung und großem Schadensersatz auf der einen und Minderung oder kleinem Schadensersatz auf der anderen Seite. Für Ansprüche auf Wandelung und großen Schadensersatz hat die Gemeinschaft keine Regelungskompetenz. Diese Rechte sind nicht gemeinschaftsbezogen (BGH, NJW 2010, 3089). Nach entsprechender Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung kann jeder einzelne Eigentümer ohne entsprechenden Mehrheitsbeschluss seine Rechte insoweit selbst durchsetzen (Wenzel a. a. O., S. 62; BGH, NJW 2010, 3089). Hingegen steht die Wahl zwischen den primären Gewährleistungsansprüchen und den sekundären Gewährleistungsansprüchen auf Minderung oder kleinen Schadensersatz nicht jedem einzelnen Wohnungseigentümer alleine zu, vielmehr muss diese Wahl gemeinschaftlich getroffen werden (BGHZ 74, 258, 265; Wenzel a. a. O. S. 62; BGH, NJW 2007, 1952). Grund hierfür ist der notwendige Schuldnerschutz des Bauträgers. Es soll verhindert werden, dass der Bauträger von einzelnen Wohnungseigentümern in vollem Umfange auf Mängelbeseitigung in Anspruch genommen wird, von anderen Erwerbern aber auf Schadensersatz oder Minderung. Um sich rasch einen gesicherten Überblick darüber zu machen, welche Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen sind, welche Ursachen sie haben und vor allem auch welche Mängelbeseitigungsmaßnahmen und -kosten erforderlich sind, muss und wird die Gemeinschaft in der Regel nach ergebnislosem Ablauf gesetzter Nachbesserungsfristen an den Bauträger der zu erhebenden Klage (in der Regel ist dies eine Mängelbeseitigungskostenvorschussklage) ein selbstständiges Beweisverfahren vorschalten. Dies kann – über die bisher üblichen Anträge hinaus – von der Gemeinschaft so gelenkt werden, dass sie jederzeit Herr dieses Verfahrens bleibt, und nicht über Jahre hinweg die Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustands blockiert ist (J. Schmidt, PiG (Bd. 66), 2003, 203, 217). So kann sie Mängelschwerpunkte und -gruppen bilden, sich die Geltendmachung weiterer Mängel vorbehalten und die Erstattung auch von Teilgutachten beantragen.
6.6.5
Bauliche Veränderungen/modernisierende Instandsetzung/Modernisierung
Zu den schwierigen Aufgaben und Entscheidungen der Wohnungseigentümergemeinschaft wie auch des Verwalters gehört die Befassung mit den sog. baulichen Veränderungen gem. § 22 WEG. Schon die Definition ist schwierig. Nach herrschender Meinung ist unter den baulichen Veränderungen die gegenständliche Umgestaltung des gemeinschaftlichen Eigentums durch Eingriff in die Substanz oder die Veränderung des Erscheinungsbildes des gemeinschaftlichen Eigentums ohne Substanzeingriff zu verstehen (Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 22, Rn. 11). Die gesetzliche Regelung ist durch die WEG-Novelle 2007 vollständig neu gefasst worden. Wesentliche Verständnisfragen sind aber noch nicht vollständig gelöst. In jedem Falle hat sich entscheidend gegenüber der früheren Gesetzeslage geändert, dass bauliche Veränderungen, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, beschlossen werden können. Dabei muss
6.6 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
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jeder Wohnungseigentümer zustimmen, dessen Rechte durch die Maßnahmen über das in § 14 Nr. 1 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Umgekehrt ist die Zustimmung nicht erforderlich, soweit die Rechte eines Wohnungseigentümers nicht in der in § 22 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Weise beeinträchtigt werden. Jetzt haben also die Wohnungseigentümer Beschlusskompetenz für bauliche Veränderungen. Haben die beeinträchtigten Miteigentümer dem Beschluss zugestimmt, so entspricht er ordnungsgemäßer Verwaltung. Aber wer muss zustimmen? Wer ist beeinträchtigt? Das ist wichtig, weil eine Zustimmung nur durch eine positive Zustimmung im Rahmen des Eigentümerbeschlusses erfolgen kann. Einfach sind die Fälle, in denen bei einer Mehrhausanlage nur ein Haus betroffen ist. Aber schon die Frage, was eine unerhebliche Beeinträchtigung ist, die das Zustimmungserfordernis entfallen lässt, ist schwer zu beantworten. Die Abgrenzung solcher Maßnahmen, die als bauliche Veränderungen unter § 22 Abs. 1 fallen, von solchen Maßnahmen, die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung i. S. v. § 21 Abs. 3, Abs. 5 sind, stellt die Praxis vor erhebliche Probleme. Auch ist im Einzelnen ist die Frage nach dem Zustimmungserfordernis schwer zu beantworten, weil bei baulichen Veränderungen auch das Kriterium der nachteiligen Veränderung des optischen Gesamteindrucks zu prüfen ist. Nicht dogmatisch zu erfassen ist die Frage, wann eine optische Veränderung als Nachteil einzustufen ist. Hier ist jede Entscheidung einer Eigentümergemeinschaft der Wertung durch ein Gericht ausgesetzt. Auch nicht einfach zu klären ist, wann eine bauliche Veränderung etwa deshalb unzulässig ist, weil sie der Zweckbestimmung des Sondereigentums widerspricht. Denn im Zweifel führt eine geänderte Zweckbestimmung nur dann zu Unzuträglichkeiten, wenn sie zu einer anderen, womöglich intensiveren Nutzung, zu Immissionen oder Einschränkungen der anderen Eigentümer in deren Recht auf Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums führt (Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 22 WEG, Rn. 97). Jeder Fall einer Behauptung einer nachteiligen Veränderung des optischen Gesamteindrucks muss einzeln überprüft werden. Dabei geht es auch darum, ob und von wo aus (auf demselben Grundstück oder nur vom Nachbargrundstück aus) der Betrachter sich überhaupt einen Gesamteindruck z. B. eines (veränderten oder zu verändernden) Daches, einer Fassade, einer Loggia- und Balkon-Verglasung, machen kann. Auch kann eine dichte Bepflanzung den Veränderungscharakter entfallen lassen, weil sie keinen freien Blick auf die bauliche Veränderung zulässt. Andererseits ist auch klar, warum Eigentümergemeinschaften überhaupt so häufig das Risiko einer prozessualen Auseinandersetzung über bauliche Veränderungen eingehen. Denn natürlich zieht eine Loggia-Verglasung oder die Errichtung einer SAT-„Schüssel“ Nachahmer an, wodurch die Gesamtsituation des Gebäudes für die Gemeinschaft unkontrollierbar werden könnte. Eine umfassende, 90 Einzelbeispiele umfassende Auflistung aus der Rechtsprechung für zustimmungsfreie und zustimmungspflichtige bauliche Maßnahmen bietet Abramenko (FA-MietRWEG/Abramenko, Kap. 21, Rdn. 318 ff.). Bauliche Veränderungen können aber gleichzeitig auch eine verbessernde Maßnahme sein, die anlässlich einer ohnehin erforderlichen Reparatur als technisch i. S. einer modernisierenden Instandsetzung (§ 22 Abs. 3 WEG) bessere und wirtschaftlich sinnvollere Lösung angestrebt wird (Bub a. a. O., Rz. 164; Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 22 Rn. 164); müsste also ein defektes Teil des Gemeinschaftseigentums ohnehin repariert werden und wird nun nach dem Maßstab eines vernünftig, verantwortungsbewuss-
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6 Das Wohnungseigentum
ten, wirtschaftlich denkenden und erprobten Neuerungen gegenüber aufgeschlossenen Wohnungseigentümers (Bub a. a. O., Rz. 166) und unter Berücksichtigung einer Kosten-NutzenAnalyse zu Recht die Amortisierung der Anschaffungs- und Montagekosten durch künftige Kostenersparnisse bejaht, so ist die modernisierende bzw. verbessernde Maßnahme trotz ihres Charakters als bauliche Veränderung eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung. Sie kann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Ob bzw. inwieweit eine Reparatur bereits unmittelbar erforderlich sein oder bevorstehen muss, wird von der herrschenden Meinung bejaht, ist aber durchaus nicht eindeutig zu beantworten. Denn eine planende und vorausschauende Eigentümergemeinschaft wird nicht erst den Fall des eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Schadenseintritts abwarten wollen, bevor sie geeignete Maßnahmen ergreift. Gemäß § 22 Abs. 3 WEG verbleibt es für Maßnahmen der modernisierenden Instandsetzung i. S. d. § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG bei den Vorschriften des § 21 Abs. 3 und 4 WEG. Das bedeutet, dass anlässlich einer notwendigen Instandsetzung durchzuführende und sinnvolle Modernisierungsmaßnahmen zur ordnungsgemäßen Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums zählen und deshalb mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden können. Von den „reinen“ baulichen Veränderungen und den Fällen der „modernisierenden Instandsetzung“ ist der Fall der „echten“ Modernisierung zu unterscheiden. Natürlich ist eine solche Modernisierung auch eine bauliche Veränderung. Sie ist aber unter anderen Voraussetzungen möglich und zustimmungsfähig als die „reine“ bauliche Veränderung (ohne Modernisierung). Denn Maßnahmen, die der Modernisierung oder der Anpassung des gemeinschaftlichen Eigentums an den Stand der Technik dienen, die die Eigenart der Wohnanlage nicht ändern und keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig beeinträchtigen können, können durch eine Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer und mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen werden (§ 22 Abs. 2 Satz 1 BGB). Auch hier hat die WEG-Reform die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft gestärkt. Ziel ist es, die Werterhaltung von Wohnungseigentumsanlagen zu fördern und durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen Modernisierungen bzw. Anpassungen an den Stand der Technik zu ermöglichen. Maßgeblich für die Frage, was denn eine Modernisierung ist, ist nach dem Willen des Gesetzgebers die mietrechtliche Regelung des § 559 Abs. 1 BGB. Danach kann die Modernisierung in einer nachhaltigen Erhöhung des Gebrauchswerts (Einbau von Schallschutzfenstern, Anbau eines Balkons, liegen, in der dauerhaften Verbesserung der Wohnverhältnisse (Einbau eines Fahrstuhls) und natürlich auch in der nachhaltigen Einsparung von Energie und Wasser. In der Literatur wird im Rahmen der vorsorgenden Instandhaltung das Kriterium der sicheren Verfügbarkeit erörtert. Hierunter wird eine dauerhafte und uneingeschränkte Möglichkeit der Inanspruchnahme der Immobilie verstanden. Die Verfügbarkeit wird unter Berücksichtigung der Kriterien von technischer Lebensdauer bzw. Restnutzungsdauer ermittelt (J. Schmidt in: Festschrift für Werner Merle, Heidelberg 2000, S. 265, 275 ff.). Konsequenz dieser Auffassung ist eine größere Flexibilität der Gemeinschaft, die werterhaltende Maßnahmen auch ohne unmittelbaren Schadenseintritt mit Mehrheit im Rahmen ordnungsgemäßer Planung der Restlebensdauer bzw. Restnutzungsdauer des in Frage kommenden Teils des Gemeinschaftseigentums beschließen kann.
6.6 Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
6.6.6
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Die Wohnungseigentümerversammlung
Die Versammlung ist das Parlament der Wohnungseigentümer. Dort erfolgt die Willensbildung der Gemeinschaft. In dieser Versammlung beschließt die Gemeinschaft u. a. über ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahmen (§ 21 Abs. 3, 5), über die Bestellung und Abberufung des Verwalters (§ 26 Abs. 1), über den Wirtschaftsplan, die Abrechnung und Rechnungslegung (§ 28 Abs. 5), über bauliche Veränderungen i. S. v. § 22 und selbstverständlich auch über Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen. Die Willensbildung erfolgt durch Stimmabgabe. Entweder nimmt der Wohnungseigentümer teil oder lässt sich – in dem nach Gesetz und Gemeinschaftsordnung erlaubten Rahmen – vertreten. Die Versammlung ist unter Einladung und Angabe der Tagesordnungspunkte ordnungsgemäße einzuberufen. Die Einladungsfrist soll zwei Wochen betragen, kann aber in Einzelfällen auch kürzer sein (§ 24 Abs. 4 Satz 2 WEG). In aller Regel wird sie vom Verwalter geleitet, und über die Versammlung und die in ihr gefassten Beschlüsse wird eine Niederschrift aufgenommen. Die Versammlung muss mindestens einmal im Jahr einberufen werden (§ 24 Abs. 1 WEG) oder in den Fällen, die in der Gemeinschaftsordnung die Einberufung regeln. Aber auch dann, wenn mehr als ¼ der Wohnungseigentümer unter Angabe des Zwecks und der Gründe schriftlich eine Versammlung verlangen, muss zu einer Eigentümerversammlung eingeladen werden (§ 24 Abs. 2, 2. Halbsatz, WEG). Einzuladen sind alle Wohnungseigentümer, die in der Versammlung ein Stimmrecht haben. Regelmäßig sind das die im Grundbuch eingetragenen Wohnungseigentümer. Einzuladen sind darüber hinaus die Personen, denen anstelle eine Eigentümers ein Stimmrecht zusteht. Das sind der Zwangsverwalter, der Insolvenzverwalter, der Nachlassverwalter und der Testamentsvollstrecker (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 24 Rn. 31). Bei einer werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft sind auch die Personen einzuladen, die die Eigentümergemeinschaft faktisch in Vollzug gesetzt haben (Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 24 Rn. 31; Bub a. a. O., § 23 Rz. 91). Mindestvoraussetzung für eine werdende Wohnungseigentümergemeinschaft ist, dass der Wohnungseigentumsanwärter die Eigentumswohnung in Besitz genommen hat und sein Anspruch auf Erlangung des Eigentums an der Wohnung durch eine im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung gesichert ist (OLG Frankfurt, ZMR 1993, 125; Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, § 10, Rn. 8 ff.). Auch müssen die Wohnungsgrundbücher bereits angelegt sein. Wenn außer dem teilenden Eigentümer ein Erwerber in das Grundbuch eingetragen wird, ist bereits (rechtlich) eine Wohnungseigentümergemeinschaft entstanden. Dann setzt sich die Wohnungseigentümergemeinschaft aus Volleigentümern und bereits vorhanden gewesenen werdenden Eigentümern als Erstwerbern zusammen (Kümmel, a. a. O.). Über die gesetzlichen Regelungen des § 24 hinaus müssen Verwalter, Beiräte und Eigentümer die Grundsätze der Einberufung und Durchführung einer Eigentümerversammlung kennen und umsetzen (J. Schmidt, in: Kippes/Sailer (Hrsg.), 239, 262 ff.). Die Versammlung ist nicht öffentlich (BGH, NJW 1993, 1329). Das muss der Einladende schon bei der Wahl des Versammlungslokals bzw. des Versammlungsraums berücksichtigen. Weil die Versammlung nicht öffentlich ist, haben Beistände und Berater im Interesse Einzelner nicht das Recht, an den Versammlungen teilzunehmen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Beiziehung eines Beraters in der Gemeinschaftsordnung ausdrücklich zugelassen ist oder – aber nur in engen Einzelfällen – die rechtliche Schwierigkeit einer Angelegenheit besondere Fachkenntnisse
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6 Das Wohnungseigentum
erfordert. Grundsätzlich gilt aber, dass sich ein Eigentümer vorher mit einem Rechtsbeistand zu beraten hat, und dann, gut instruiert, in die Versammlung allein gehen kann. Üblicherweise enthalten Gemeinschaftsordnungen (nur) die Erlaubnis, sich in der Eigentümerversammlung durch einen Angehörigen, einen anderen Wohnungseigentümer oder den Verwalter vertreten zu lassen. Enthält die Gemeinschaftsordnung dazu nichts, kann anstelle des Eigentümers und als dessen Vertreter auch ein anwaltlicher Berater mit Vollmacht auftreten (aber eben nicht als Beistand des anwesenden Eigentümers). Während der Erwerber eines bereits bestehenden Wohnungseigentumsrechts bis zum Zeitpunkt seiner Eintragung als Eigentümer kein eigenes Stimmrecht hat, hat das Mitglied einer werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft (Ersterwerber) in der Tat ein solches (BGH, NZM 2008, 649). Das Gesetz sieht in § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG vor, dass jeder Wohnungseigentümer eine Stimme hat. Dieses Regelprinzip kann aber durch Vereinbarung der Eigentümer (die oft bereits in der Gemeinschaftsordnung erfolgt ist) abgeändert werden. So kann jedes Wohnungseigentumsrecht eine Stimme haben (Objektprinzip) oder aber es kann ein Stimmrecht nach den Miteigentumsanteilen bewertet werden (Wertprinzip). Das Gesetz sieht außerdem in § 25 Abs. 5 WEG Einzelfälle vor, in denen der Stimmberechtigte von seinem Stimmrecht ausgeschlossen ist. In diesem Falle dürfen die Miteigentumsanteile von Wohnungseigentümer, bei denen ein Stimmrechtsausschluss vorliegt, bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit nicht mitgezählt werden. Viele Gemeinschaftsordnungen sehen vor, dass Wohnungseigentümerversammlungen ohne Rücksicht auf die Anzahl der erschienenen stimmberechtigten Wohnungseigentümer beschlussfähig sind. Fehlt eine solche Regelung, so müssen die erschienenen Wohnungseigentümer mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile vertreten. Ein Beschluss bedarf eines Antrags, einer Abstimmung über ihn und einer klaren Feststellung des Ergebnisses. Es reicht nicht aus, dass der Vorsitzende der Versammlung lediglich die Ja-Stimmen, die Nein-Stimmen und die Enthaltungen aufführt, ohne hierzu das Ergebnis vorzutragen, ob denn nun der Beschlussantrag angenommen wurde oder abgelehnt ist. Die Verkündung des Beschlussergebnisses ist für die Beschlussfassung konstitutiv, also Voraussetzung für seine Wirksamkeit (BGH, NJW 2001, 3339). Das Beschlussergebnis ist zu protokollieren in einer Niederschrift der Eigentümerversammlung (§ 24 Abs. 6 WEG). Die Beschlüsse sind gem. § 24 Abs. 7 Satz 1 WEG in einer Beschlusssammlung (§ 24 Abs. 7, 8 WEG; Briesemeister, ZWE 2012, 397) zu führen. Das kann ein Beschlussbuch sein, eine Loseblattsammlung oder auch eine elektronische Datei (Vandenhouten in: Köhler, Teil 5, Rz. 311). Immer wieder begehen Eigentümer den Fehler zu glauben, für den Lauf der einmonatigen Anfechtungsfrist komme es nicht auf die Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung, sondern auf die Kenntnis von dem Beschluss oder gar auf den Zugang des Sitzungsprotokolls an.
6.7 Dauerwohnrecht/Dauernutzungsrecht
6.7
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Dauerwohnrecht/Dauernutzungsrecht
Insbesondere das Dauernutzungsrecht an nicht zu Wohnzwecken bestimmten Räumen (Läden, Büros, Lagerräumen) erfreut sich aktuell wieder größerer Beliebtheit. Ein Dauerwohnrecht gibt ein Nutzungsrecht an einer bestimmten Wohnung, das Dauernutzungsrecht das Recht an nicht zu Wohnzwecken bestimmten Räumen. (Im Folgenden wird wegen der größeren Bedeutung synonym vom Dauernutzungsrecht gesprochen.) Das Dauernutzungsrecht kann auch an einem ganzen Gebäude bestellt werden. Kraft dieses Rechts ist der Begünstigte berechtigt, unter Ausschluss des Eigentümers Räume in einem auf dem Grundstück errichteten oder zu errichtenden Gebäude zu nutzen. Es bietet sich immer dort als Gestaltungsinstrument an, wo etwa ein Mieter zum Zwecke der Modernisierung erheblich in ein dem Eigentümer gehörendes Objekt investiert hat und/oder ein langfristig gesichertes Nutzungsrecht an den Räumen bzw. dem Grundstück auch über 30 Jahre hinaus erlangen will. Das Dauernutzungsrecht ist ein selbstständiges dingliches Recht mit Wirkung gegen und unter Ausschluss des Eigentümers (§ 31 WEG). Es ist ein beständiges und bedingungsfeindliches Recht (§ 33 Abs. 1 Satz 2). Das Dauernutzungsrecht ist veräußerlich und vererblich und unterscheidet sich gerade hierdurch vom Wohnungsrecht (MünchKomm BGB/Engelhardt, WEG § 33 Rz. 2). Es wird in Abt. II des Grundbuchs gleich einer Dienstbarkeit eingetragen. Ist an einem Wohnungseigentum ein Dauerwohnrecht oder an einem Teileigentum ein Dauernutzungsrecht eingeräumt, so ist der Wohn- bzw. Nutzungsberechtigte gegenüber der Eigentümergemeinschaft nicht verpflichtet, irgendwelche Hauslasten zu tragen (Wolicki in: Köhler, Teil 16, Rn. 119). Wichtig ist, dass als Inhalt des Dauernutzungsrechts vereinbart werden kann, dass das Dauernutzungsrecht im Falle der Zwangsversteigerung des Grundstücks abweichend von § 44 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung auch dann bestehen bleiben soll, wenn der Gläubiger einer dem Dauernutzungsrecht im Range vorgehenden oder gleichstehenden Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld oder Reallast die Zwangsversteigerung in das Grundstück betreibt (§ 39 Abs. 1 WEG). Diese Zweckbestimmung wird dann als besondere Versteigerungsbedingung im Zwangsversteigerungsverfahren behandelt und Inhalt des geringsten Gebotes. Auch ein Heimfallanspruch kann (wie beim Erbbaurecht) als Inhalt des Dauernutzungsrechtes vereinbart werden (§ 36 Abs. 1 WEG). Dabei kann (§ 36 Abs. 2 WEG) auch geregelt werden, dass der Eigentümer dem Berechtigten eine Entschädigung zu gewähren hat, wenn er von dem Heimfallanspruch Gebrauch macht. Die Formvorschriften des Mietrechts sind auf ein dinglich gesichertes Dauernutzungsrecht nicht anwendbar. Dauernutzungsrecht als dingliches Recht und Mietvertrag als schuldrechtliches Verhältnis schließen einander grundsätzlich aus, auch wenn beide das gleiche wirtschaftliche Ziel verfolgen (LG Frankfurt, NZM 2000, 877).
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6.8
6 Das Wohnungseigentum
Die Veräußerung des Wohnungseigentums
Jeder Wohnungseigentümer kann über sein Wohnungseigentum rechtlich verfügen, es insbesondere auch veräußern. Eine isolierte Veräußerung des Sondereigentums ohne die Verbindung mit dem Miteigentumsanteil ist nicht zulässig (§ 6 Abs. 1 WEG). Es können auch nicht einzelne Räume des Sondereigentums ohne Miteigentumsanteile übertragen werden. Eine Ausnahme gilt für den Tausch etwa von Kellerräumen oder Garagen zwischen Eigentümern untereinander. Hier ist ausnahmsweise die Veräußerung zulässig, ohne gleichzeitig die Miteigentumsanteile zu veräußern (BayObLG DNotZ 1984, 381). Bei einem Tausch ist aber immer darauf zu achten, ob hierdurch eine wesentliche Veränderung der Werthaltigkeit des Miteigentumsanteils stattfindet. Denn im Zweifel ist zu einem solchen Tausch auch die Zustimmung des Drittpfandgläubigers, z. B. der finanzierenden Bank, erforderlich. Diese wird nur zustimmen, wenn ihr Sicherungsinteresse insoweit nicht beeinträchtigt wird. Stets muss der Veräußerer darauf achten, dass er dem Erwerber nicht mehr oder etwas anderes verkauft, als ihm selbst zusteht. Eigentümer ist er nur an dem Grundbesitz, der im Wohnungseigentumsgrundbuch auch eingetragen ist. Jeder Eigentümer muss sich beim Verkauf seiner Eigentumswohnung zunächst deutlich vor Augen führen, welche Soll-Beschaffenheit er veräußern möchte. In diese Überlegungen einzubeziehen ist die Frage, ob und ggf. welche Mängel für einen Erwerbsinteressenten nicht sichtbar sind, so dass insoweit den Verkäufer eine Aufklärungspflicht trifft, sofern nicht der Kaufinteressent einen etwaigen Mangel auch selbst erkennen könnte. Insbesondere sollte der Veräußerer keine Erklärungen „ins Blaue hinein“ abgeben („das Dach ist absolut dicht“), ohne dass er eine entsprechende Überprüfung hat vornehmen lassen. Im Zweifel sollte er im Rahmen der Verkaufsverhandlungen bei entsprechenden Fragen ausdrücklich darauf hinweisen, dass er von Mängeln zwar nichts wisse, aber selbst an der Bausubstanz oder auch an dem Grundstück keine Untersuchungen vorgenommen habe. Auf ausdrückliche Befragung hin, aber auch ohne eine solche, muss er über eine frühere Nutzung eines Grundstücks Auskunft erteilen, wenn eine derartige frühere Nutzung die Möglichkeit der Verunreinigung des Bodens (die Verursachung von Altlasten) hervorgerufen haben könnte. Vorsicht ist geboten hinsichtlich der Erklärung bestimmter Flächeninhalte. Es gibt im Wohnungseigentumsrecht bei der Frage, ob eine Flächenminderung einen Mangel darstellt, der Gewährleistungs- oder Schadensersatzansprüche auslöst, nicht eine dem Mietrecht vergleichbare Rechtsprechung, wonach bestimmte Toleranzen einzuräumen wären. Abweichungen in der tatsächlichen Wohnfläche von der vertraglich vereinbarten führen zu einer Kaufpreisminderung, wenn sich der Verkehrswert entsprechend gemindert hat. Nur dann, wenn die Flächenunterschreitung geringfügig ist, wird es an einer solchen Verkehrswertminderung fehlen – und es bedarf keiner Toleranzen (Aschenbrenner/Gantert in: Köhler, Teil 13, Rz. 431). Allerdings kann der Kaufvertrag die Frage nach den Toleranzen eröffnen, wenn zur Wohnfläche lediglich eine Circa-Angabe im Vertrag existiert. Dann sind geringfügige – aber nur geringfügige – Abweichungen hinzunehmen (bei 1,94 % dürfte das noch der Fall sein: Aschenbrenner/Gantert, a.a.O., Teil 13, Rn. 434, unter Bezugnahme auf OLG Celle, Baurecht 1999, 663). Besonders sorgfältig muss der Veräußerer auch bei einem Ausschluss jeglicher Gewährleistung für den Zustand des Wohnungs- oder Teileigentums vorgehen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Veräußerer aufgrund der Beschlüsse der Wohnungseigentümergemein-
6.9 Das Verfahren in Wohnungseigentumssachen
383
schaft von der Existenz von Mängeln am Gemeinschaftseigentum weiß (Feuchtigkeit an der Tiefgarage ist Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens gegenüber dem Bauträger). Dann muss er derartige Mängel oder auch entsprechend eingeleitete Verfahren dem Erwerber gegenüber offenbaren. Nicht selten wird in Teilungserklärungen/Gemeinschaftsordnungen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht und als Inhalt des Sondereigentums vereinbart, dass ein Wohnungseigentümer zur Veräußerung seines Wohnungseigentums die Zustimmung anderer Wohnungseigentümer oder eines Dritten, etwa des Verwalters, bedarf. Die Zustimmung darf nur aus wichtigem Grund versagt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 1 WEG). Solche wichtigen Gründe müssen ihre Ursache ausschließlich in der Person des Erwerbers haben: Der Erwerber befindet sich in schlechten Vermögensverhältnissen, die Ausfälle von Wohngeldzahlungen befürchten lassen; der Erwerber beabsichtigt, sein Wohnungseigentum entgegen der Bestimmung in der Teilungserklärung zu gewerblichen Zwecken zu nutzen, wodurch Störungen hervorgerufen werden können; der Erwerber will die Wohnung zu sittenwidrigen Zwecken nutzen. Ist dem Verwalter die Befugnis zur Erteilung der Zustimmung übertragen und vermag er anhand der ihm zur Verfügung gestellten Informationen bzw. Unterlagen keine gesicherten Grundlagen für seine Entscheidung zu finden, so ist er berechtigt, die Entscheidung an die Eigentümergemeinschaft zurück zu übertragen. Im Zweifel sollte der Verwalter auch so agieren, weil er sich ansonsten – etwa bei rechtswidrig verweigerter Zustimmung zur Veräußerung – schadensersatzpflichtig machen kann. In jedem Falle muss der Verwalter schnell entscheiden, denn es drohen Schadensersatzansprüche, wenn der Erwerber nach Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktritt. Solange die Zustimmung nicht erteilt ist, ist der Erwerbervertrag schwebend unwirksam; eine unter der Bedingung ausgesprochene Zustimmung, etwa dahingehend, dass der Erwerber bis zu einem bestimmten Datum die Wohngeldrückstände des Veräußerers gezahlt haben müsse, ist wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Zustimmung als Ablehnung zu behandeln. In vielen Fällen hat sich das Zustimmungserfordernis des § 12 WEG als Veräußerungshindernis gezeigt, weshalb der Reformgesetzgeber es den Wohnungseigentümern ermöglicht hat, durch Stimmenmehrheit zu beschließen, dass eine Veräußerungsbeschränkung gem. § 12 Abs. 1 aufgehoben wird (§ 12 Abs. 4 Satz 1 WEG).
6.9
Das Verfahren in Wohnungseigentumssachen
Bis zur WEG-Reform 2007 war das Verfahren in Wohnungseigentumssachen ein echtes Streitverfahren im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Es galt das Amtsermittlungsprinzip. Die WEG-Reform hat das grundlegend geändert. Für das WEG-Verfahren gelten jetzt die Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO). Einige „Überreste“ aus dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind in das neue Verfahrensrecht übernommen worden (Hinweispflichten im Anfechtungsverfahren, Beiladung, Kostenverteilung). Jetzt können die Verfahren schneller durchgeführt werden. Es gibt Anerkenntnis- und Versäumnisurteile. Es kann auch im Urkundsprozess Klage erhoben werden. Bevor sich die Frage nach der Einleitung eines Rechtsstreits vor dem örtlich zuständigen Gericht stellt (Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 bis 6 WEG), muss immer geprüft werden, ob nicht ein schiedsgerichtliches Verfahren i.S.v.
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6 Das Wohnungseigentum
§§ 1029, 1030 ZPO durchzuführen ist. Denn dann wäre die staatliche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen. Eine entsprechende Schiedsabrede oder Schiedsklausel ist in der Gemeinschaftsordnung oder durch gesonderte Vereinbarung zu treffen. Das einzige private, ausschließlich auf Wohnungseigentumsrecht ausgerichtete Schiedsgericht für Streitigkeiten der Wohnungseigentümer untereinander sowie für Streitigkeiten zwischen den Wohnungseigentümern und dem Verwalter ist das Deutsche Ständige Schiedsgericht für Wohnungseigentum e.V., Bonn (zum Verfahrensablauf und zur Wirkung der Schiedsvereinbarung: Scheuer in: Köhler, Teil 14, Rz. 28 ff.; FA-MietRWEG/Abramenko, Kap. 35, Rdn. 22; zur Schiedsfähigkeit der WEG-Streitigkeiten: Elzer, ZWE 2010, 442). Welche Streitigkeiten vor dem zuständigen Gericht auszutragen sind, bestimmt § 43 Nr. 1 bis 6 WEG. Es sind: Streitigkeiten der Wohnungseigentümer untereinander (§ 43 Nr. 1), Streitigkeiten der Wohnungseigentümer mit der Gemeinschaft (§ 43 Nr. 2), Streitigkeiten mit dem Verwalter (§ 43 Nr. 3), Entscheidungen über die Gültigkeit von Beschlüssen nach Erhebung einer Anfechtungsklage oder einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses (u. a.) (§ 43 Nr. 4), Klagen Dritter (§ 43 Nr. 5 (z. B. Klage eines Lieferanten gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft)), Mahnverfahren (§ 43 Nr. 6). Seit es die Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit des Verbandes gibt, ist zunächst besonders genau zu prüfen, ob und wann überhaupt noch eine Klage gegen alle Wohnungseigentümer zulässig ist. Eine solche kommt nur noch in Verfahren gem. § 43 Nr. 4 WEG in Betracht, nämlich dann, wenn es um einen Streit um die Gültigkeit von Eigentümerbeschlüssen geht, also um die Willensbildung der Eigentümer. Hier ist die Beschlussanfechtungsklage gegen die übrigen Eigentümer zu richten. Das ergibt sich aus § 46 WEG (BGH, NZM 2010, 46). Ist eine Klage gegen den Verband zu richten, so ist der Verwalter Zustellungsbevollmächtigter für gemeinschaftsbezogene Klagen gegen die Gemeinschaft. Bei möglichen Kollisionen ist ein Ersatz-Zustellungsbevollmächtigter zu bestellen (§ 45 Abs. 3 WEG). Sowohl in Aktiv- als auch in Passivprozessen müssen – ggf. durch gerichtliche Auflage – die Wohnungseigentümer namentlich mit ladungsfähigen Anschriften zu bezeichnen sein, wenn die Klage durch oder gegen alle Wohnungseigentümer erhoben wird. Nähere Einzelheiten hierzu regelt § 44 WEG. Besonderheiten gelten hinsichtlich der Erhebung einer Anfechtungsklage auf Erklärung der Ungültigkeit eines Beschlusses. Dies muss innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben werden und innerhalb zweier Monate nach der Beschlussfassung begründet werden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 WEG). Es kommt nicht auf die schriftliche Abfassung des Protokolls und auch nicht auf die Übersendung des Protokolls, sondern auf die Beschlussfassung an. Eine Besonderheit gegenüber den grundsätzlich geltenden Regelungen über die Kostenentscheidung nach §§ 91 ff. ZPO gilt für die Kostenentscheidung im WEG-Verfahren gem. § 49 WEG. § 49 WEG enthält Ausnahmen von §§ 91 ff. ZPO. Das gilt einmal für den Fall, dass das Gericht in der Hauptsache gem. § 21 Abs. 8 WEG nach billigem Ermessen entscheidet. Gem. § 49 Abs. 1 WEG gilt dann derselbe Maßstab auch für die Kostenentscheidung. § 49 Abs. 2 WEG bestimmt, dass dem Verwalter die Prozesskosten auferlegt werden können (unabhängig davon, ob er Partei war oder nicht). Das ist dann der Fall, wenn die Entstehung der Kosten auf einer Verletzung der Vertragspflichten durch den Verwalter beruht. Ob die Besonderheiten des § 49 Abs. 2 angewandt werden, steht wiederum im Ermessen des Gerichts. Dabei wird es insbesondere zu prüfen haben, ob dem Verwalter grobes Verschulden zur Last fällt.
Literaturverzeichnis zu Kap. 6
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Literaturverzeichnis zu Kap. 6 Beck’sches Formularbuch: Wohnungseigentumsrecht, Horst Müller (Hrsg.), 2. Aufl., München 2011. Bärmann: Wohnungseigentumsgesetz, 10. Aufl., München 2008. Bub: Das Finanz- und Rechnungswesen der Wohnungseigentümergemeinschaft, 2. Aufl., München 1996. Harz/Riecke/Schmid: Handbuch des Fachanwalts Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 4. Aufl., Köln 2013. Köhler (Hrsg.): Anwalts Handbuch Wohnungseigentumsrecht, 3. Aufl., Köln 2013. Münchener Kommentar: Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 6, 5. Aufl., München 2009. Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten: WEG, Kommentar und Handbuch zum Wohnungseigentumsrecht, 10. Aufl., Bonn 2013. Staudinger/Bub: Wohnungseigentumsgesetz, Kommentar, Berlin 2005. Hagen/Brambring: Immobilienrecht 1998. Wolicki: Der Verwaltungsbeirat im WEG, Hamburg 2005. Info M: Zeitschrift, Berlin (verschiedene Autoren). NJW: Neue Juristische Wochenschrift, Zeitschrift, Frankfurt (verschiedene Autoren). NZM: Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnrecht, München und Frankfurt (verschiedene Autoren). WuM: Wohnungswirtschaft und Mietrecht, Zeitschrift, Berlin (verschiedene Autoren). ZMR: Zeitschrift für Miet- und Raumrecht, Zeitschrift (verschiedene Autoren).
7
Wohn- und Gewerberaummiete Frank Stellmann
7.1 7.1.1 7.1.1.1 7.1.1.2 7.1.1.3 7.1.1.4 7.2 7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.1.4 7.2.1.5 7.2.1.6 7.2.1.7 7.2.1.8 7.2.1.9 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.5.1 7.2.5.2 7.2.5.3 7.2.5.4 7.2.5.4.1 7.2.5.4.2 7.2.5.4.3 7.2.5.4.4 7.2.5.4.5 7.2.5.5 7.2.5.6 7.2.5.7
Einführung ..................................................................................................... 390 Rechtsnatur und Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten ............................. 390 Abgrenzung zur Leihe ................................................................................... 390 Abgrenzung zur Pacht ................................................................................... 390 Abgrenzung zum Leasing .............................................................................. 391 Abgrenzung zwischen Wohn- und Gewerberaummiete ................................ 391 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages ........................................................ 392 Form .............................................................................................................. 392 Allgemeines ................................................................................................... 392 Das Prinzip der Einheitlichkeit der Urkunde ................................................. 392 Die Unterschriften ......................................................................................... 393 Verspätete Annahme des Angebots ............................................................... 393 Vertretungsverhältnisse bei Gesellschaftsformen.......................................... 394 Vorsorgeklausel ............................................................................................. 394 Nachtragsproblematik ................................................................................... 394 Heilung der Schriftform ................................................................................ 395 Notarielle Beurkundung des Mietvertrages ................................................... 395 Parteien des Mietvertrages ............................................................................ 396 Wechsel der Parteien ..................................................................................... 396 Gegenstand des Mietvertrages ....................................................................... 397 Vereinbarung der Miethöhe und diesbezügliche Begrenzung der Vertragsfreiheit .............................................................................................. 398 Preisgrenzen .................................................................................................. 398 Umsatzmiete .................................................................................................. 399 Staffelmietvereinbarungen ............................................................................ 400 Wertsicherungsklauseln................................................................................. 400 Bezugsgröße .................................................................................................. 400 Mindestens 10-jährige Bindung des Vermieters............................................ 400 Erhöhung und Ermäßigung............................................................................ 401 Keine Überproportionalität ............................................................................ 401 Beispiel .......................................................................................................... 401 Leistungsvorbehaltsklauseln.......................................................................... 402 Spannungsklauseln ........................................................................................ 403 Gesetzliche Mieterhöhungsmöglichkeiten nach §§ 558 ff. BGB .................. 403
388 7.2.6 7.2.6.1 7.2.6.2 7.2.6.3 7.2.7 7.2.7.1 7.2.7.2 7.2.7.3 7.2.7.4 7.2.7.5 7.2.7.6 7.2.8 7.2.8.1 7.2.8.2 7.2.8.3 7.2.8.4 7.2.8.5 7.2.8.6 7.2.9 7.2.9.1 7.2.9.2 7.2.10 7.2.10.1 7.2.10.2 7.2.10.3 7.2.10.4 7.3 7.3.1 7.3.1.1 7.3.1.2 7.3.1.3 7.3.1.4 7.3.1.5 7.3.2 7.3.2.1 7.3.2.2 7.3.2.3 7.3.2.4 7.3.2.5 7.3.2.6 7.3.3 7.3.3.1 7.3.3.2 7.3.3.3
7 Wohn- und Gewerberaummiete Miete und Umsatzsteuer .................................................................................404 Einführung .................................................................................................... 404 Frühere Rechtslage ........................................................................................ 405 Neue Rechtslage im Überblick ...................................................................... 405 Nebenkosten ...................................................................................................406 Einführung .................................................................................................... 406 Umlagefähigkeit der Nebenkosten ................................................................ 406 Grundsätze für vertragliche Vereinbarungen ................................................ 406 Gesetzliche Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) ........................................................................................... 407 Umlegungsmaßstab ....................................................................................... 409 Erhebungsformen .......................................................................................... 410 Mietkaution ....................................................................................................410 Zweck und Umfang der Mietsicherheit ......................................................... 410 Form der Mietsicherheit ................................................................................ 411 Zeitpunkt der Überlassung der Mietsicherheit .............................................. 412 Verwertung der Mietsicherheit...................................................................... 412 Abrechnung und Rückgabe der Mietsicherheit ............................................. 413 Wechsel des Eigentümers.............................................................................. 414 Vertragsdauer .................................................................................................414 Praktische Erscheinungsformen .................................................................... 414 Gesetzliche Grenzen...................................................................................... 415 Vorvertrag und ähnliche Sachverhalte ...........................................................415 Vorvertrag ..................................................................................................... 415 Vormietrecht ................................................................................................. 416 Anmietrecht ................................................................................................... 417 Anbietungsverpflichtung ............................................................................... 417 Mietgebrauch .................................................................................................417 Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters ...............................................417 Vorbemerkung .............................................................................................. 417 Vertragsgemäßer Zustand der Mietsache bei Überlassung ........................... 418 Gewährleistung des Vermieters .................................................................... 419 Ausschluss und Beschränkung der Gewährleistung ...................................... 423 Gebrauchsgewährung, Instandhaltung und Instandsetzung der Mietsache ...................................................................................................... 425 Konkurrenzschutz des Mieters einer Gewerbeimmobilie ..............................428 Allgemeines .................................................................................................. 428 Räumliche Reichweite .................................................................................. 428 Inhaltliche Reichweite ................................................................................... 428 Die Grenzen .................................................................................................. 429 Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ........................................................ 429 Rechtsfolgen beim Verstoß ........................................................................... 429 Betriebspflicht des Mieters einer Gewerbeimmobilie ....................................430 Ausgangssituation ......................................................................................... 430 Vertragliche Vereinbarung der Betriebspflicht ............................................. 430 Verstoß gegen die Betriebspflicht ................................................................. 431
7 Wohn- und Gewerberaummiete 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.3.7 7.3.8 7.3.8.1 7.3.8.2 7.3.8.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.3.1 7.4.3.2 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.6.1 7.4.6.2 7.4.6.3 7.4.6.4 7.4.6.5 7.4.6.6 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5
389
Überschreitung des vertragsgemäßen Gebrauchs .......................................... 431 Zahlungspflicht des Mieters .......................................................................... 432 Untermiete ..................................................................................................... 433 Gewerbliche Weitervermietung ..................................................................... 435 Dingliche Sicherung des Mieters................................................................... 435 Bedürfnis nach dinglicher Sicherung ............................................................ 435 Beschränkte persönliche Dienstbarkeit ......................................................... 436 Dauernutzungsrecht/Dauerwohnrecht nach § 31 WEG ................................. 436 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses .............................. 437 Beendigung durch Ablauf der Mietzeit ......................................................... 437 Ordentliche Kündigung/Kündigungsfristen/Sozialklausel ............................ 437 Außerordentliches Kündigungsrecht ............................................................. 438 Fristlose Kündigung ...................................................................................... 438 Befristete Kündigung .................................................................................... 439 Kündigungsschutz bei Wohnraummietverhältnissen..................................... 440 Aufhebungsvertrag ........................................................................................ 441 Rückgabepflicht der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses ..... 441 Rückgabepflicht............................................................................................. 441 Zustand der vermieteten Sache bei der Rückgabe ......................................... 442 Ansprüche des Vermieters bei Nicht- oder Schlechterfüllung der Rückgabepflicht............................................................................................. 444 Schadenersatz wegen Nicht- oder Schlechterfüllung von Renovierungsund Rückbaumaßnahmen .............................................................................. 445 Verjährung ..................................................................................................... 446 Vom Mieter herrührende Altlasten der Mietsache ........................................ 448 Das Vermieterpfandrecht............................................................................... 450 Entstehen des Vermieterpfandrechtes ........................................................... 450 Untergang des Pfandrechts ............................................................................ 453 Selbsthilferecht des Vermieters ..................................................................... 454 Das Vermieterpfandrecht bei Insolvenz des Mieters ..................................... 455 Verwertung der Pfandsachen ......................................................................... 455 Literaturverzeichnis zu Kap. 7....................................................................... 457
390
7 Wohn- und Gewerberaummiete
7.1
Einführung
7.1.1
Rechtsnatur und Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten
Was unter dem Begriff Miete im weiten Sinne zu verstehen ist, beschreibt § 535 BGB, der die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über das Mietrecht einleitet: Durch den Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Der Vermieter hat dem Mieter die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Er hat die auf der Mietsache ruhenden Lasten zu tragen. Der Mieter ist verpflichtet, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten. Eine zentrale Hauptpflicht des Vermieters ist also die auf Dauer angelegte Gebrauchsüberlassung. Das Merkmal „Gebrauchsüberlassung“ kennzeichnet jedoch auch andere Vertragstypen des Zivilrechts, wie Leihe, Pacht und das in der Praxis entwickelte Leasinggeschäft. Bevor die Abgrenzung zu diesen Vertragstypen erläutert wird, sei allgemein angemerkt: Nicht entscheidend ist, welche Bezeichnung die Parteien für ein Vertragswerk gewählt haben. Maßgeblich ist vielmehr, welcher Vertragsinhalt vereinbart wurde. 7.1.1.1
Abgrenzung zur Leihe
Durch den Leihvertrag wird der Verleiher einer Sache verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten (§ 598 BGB). Wie bei der Miete wird also bei der Leihe der Gebrauch einer Sache überlassen. Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist jedoch die Entgeltlichkeit. Während die Leihe unentgeltlich erfolgt, hat der Mieter für den Gebrauch der Mietsache die vereinbarte Miete zu zahlen. Bereits ein ganz geringes Entgelt schließt Leihe aus und begründet Miete. 7.1.1.2
Abgrenzung zur Pacht
Schwieriger ist die Abgrenzung zwischen Miete und Pacht. Eine Grenzziehung zwischen beiden Vertragstypen ist praktisch jedoch außerordentlich relevant. Zwar gelten für die Pacht grundsätzlich die Vorschriften des Mietrechts entsprechend (§ 581 Abs. 2 BGB), jedoch prägen das Pachtrecht darüber hinaus besondere Vorschriften. Beispielsweise können Pachtverträge, in denen die Pachtzeit nicht bestimmt ist, gemäß § 584 Abs. 1 BGB nur für den Schluss eines Pachtjahres mit einer Frist von einem halben Jahr gekündigt werden („spätestens am dritten Werktag des halben Jahres ... mit dessen Ablauf die Pacht enden soll“). Mietverträge über Geschäftsräume, die auf unbestimmte Zeit laufen, können dagegen spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres für den Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres gekündigt werden (§ 580 a Abs. 2 BGB). Miete und Pacht unterscheiden sich nach dem Vertragszweck. Bei der Miete wird nur der Gebrauch einer Sache gewährt; bei der Pacht hat der Pächter zusätzlich das Recht, Früchte nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu ziehen. Dabei sind Früchte einer Sache die Erzeugnisse einer Sache oder die sonst bestimmungsgemäß gewonnene Ausbeute (§ 99 Abs. 1 BGB). Nicht zu verkennen ist, dass auch der Mieter gewerblicher Räume regelmäßig versucht, mit der Mietfläche eine Ausbeute zu erzielen. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt jedoch Pacht vor, wenn neben den Räumlichkeiten auch Inventar überlassen
7.1 Einführung
391
wird, mit dem der Nutzer seine „Ausbeute“ gewinnt (BGH, WM 1981, 226). Ferner soll Pacht schon dann vorliegen, wenn für den Geschäftsbetrieb geeignetes Inventar tatsächlich in den Räumen vorhanden ist und der Gebrauchsüberlassende dazu wesentlich beigetragen hat (BGH, NJW-RR 1991, 906). Das soll z. B. bereits dann der Fall sein, wenn eine günstige Bezugsquelle vom Gebrauchsüberlassenden für das Inventar nachgewiesen wird. Auf dieser Grundlage wird Pacht in der Regel jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn die Mietsache mit Einrichtungsgegenständen zum Gebrauch überlassen wird und der Nutzer insbesondere mit den Einrichtungsgegenständen seinen Umsatz erwirtschaftet (bei Gaststätten z. B. Tresen, Schankanlage, Spülung, Beleuchtung). 7.1.1.3
Abgrenzung zum Leasing
Das Leasinggeschäft ist üblicherweise durch eine Kombination von Miet-, Darlehens- und Kaufelementen geprägt. Typische Gestaltungen bei Immobilien sind der Sale-and-LeaseBack-Vertrag und das Bruttoleasing, die regelmäßig beide steuerlich motiviert sind. Beim Sale-and-Lease-Back-Vertrag wird ein Gegenstand in einem ersten Schritt veräußert und in einem zweiten Schritt vom Veräußerer angemietet. Am Ende einer Leasingperiode hat der Veräußerer als Mieter häufig das Recht, den Gegenstand zurückzuerwerben. Ist das Veräußerungsgeschäft nach § 311 b Abs. 1 BGB beurkundungsbedürftig (so, wenn der Veräußerungsgegenstand ein Grundstück ist), ist auch das Leasinggeschäft zwingend mitzubeurkunden. Ansonsten ist es wegen Nichteinhaltung der Form nach § 125 BGB unwirksam. Mit Umschreibung des Eigentums im Grundbuch kann die Formnichtigkeit allerdings unter bestimmten Voraussetzungen geheilt werden (Auflassung und Eintragung in das Grundbuch, § 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB). 7.1.1.4
Abgrenzung zwischen Wohn- und Gewerberaummiete
Zwischen der Wohnraummiete und der Gewerbemiete gibt es ganz erhebliche Unterschiede: Das Wohnraummietrecht ist gekennzeichnet durch den sozialen Mieterschutz. Eine Vielzahl zivilrechtlicher Normen ist zum Schutze des Mieters unabdingbar. So kann beispielsweise der Vermieter von Wohnraum ein Mietverhältnis regelmäßig nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse hat (z. B. Eigenbedarf; näheres siehe Ziffer 7.4.4). Die Vereinbarung der Miethöhe ist im Wohnraummietrecht begrenzt (§ 5 WiStG, § 291 StGB näheres dazu Ziffer 7.2.5.1), während im gewerblichen Mietrecht die Miethöhe ganz grundsätzlich unbegrenzt vereinbar ist. Wohnraum ist ferner durch das Zweckentfremdungsverbot vor einer Umwidmung geschützt. Abgerundet wird das betont mieterfreundliche Bild des Wohnraummietrechts durch eine Rechtsprechung, die tendenziell den Mieter schützt. Eine Unmenge täglich neu ergehender landgerichtlicher, oberlandesgerichtlicher und sogar höchstrichterlicher Entscheidungen belegt dies. Maßgebend für die Zuordnung eines Mietverhältnisses zum Wohnraummietrecht oder Gewerbemietrecht ist der Wille der Vertragsparteien (BGH, WM 1982, 1390). Unerheblich ist also, worin die gewollte Endnutzung der Mietsache liegt. Mietet beispielsweise ein Landkreis Unterkünfte an, um darin Asylanten unterzubringen, ist im Verhältnis des Landkreises zum Vermieter gewerbliches Mietrecht anwendbar. Der Mietzweck liegt schließlich in der Weitergabe der Mietsache an Dritte. Problematisch kann die Einordnung bei einer gemischten Nutzung der Mietsache für Wohnund auch für Gewerbezwecke sein. Die Rechtsprechung des BGH stellt insoweit darauf ab,
392
7 Wohn- und Gewerberaummiete
auf welcher Nutzungsart das Übergewicht liegt (sog. Übergewichtstheorie, BGH, ZMR 1977, 244). Mietet beispielsweise ein Rechtsanwalt 400 qm Nutzfläche zum Betreiben seiner Kanzlei und richtet sich in einem der 10 Zimmer häuslich ein, wird der Schwerpunkt im gewerblichen Mietvertrag liegen. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen der Schwerpunkt nur sehr unsicher zu bestimmen ist.
7.2
Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
7.2.1
Form
7.2.1.1
Allgemeines
Zunächst ist festzustellen, dass Mietverträge zu ihrer Wirksamkeit grundsätzlich keiner besonderen Form bedürfen. Sie können in aller Regel wirksam durch mündliche Erklärungen ebenso wie durch schlüssiges Handeln zustande kommen. Mietverträge, die für eine längere Zeit als ein Jahr abgeschlossen werden, bedürfen aber der gesetzlichen Schriftform. Wird die Schriftform nicht eingehalten, so gilt der Mietvertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen und kann von jeder Partei mit der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden, nicht jedoch für eine frühere Zeit als für den Schluss des ersten Jahres (§ 550 BGB). Dies bedeutet: Halten die Parteien bei längerfristigen Mietverträgen die Schriftform nicht ein, besteht das Risiko (je nach Interessenlage aber auch die Chance) einer vorzeitigen Kündigung (Achtung: Der Mietvertrag ist wirksam, aber vorzeitig kündbar!; dies ist eine Abweichung von § 125 BGB, wonach die Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform zur Unwirksamkeit des Vertrages führt). Die in § 550 BGB bestimmte Jahresfrist beginnt mit der Überlassung der Mietsache. Wer also bei längerfristigen Mietverträgen Wert darauf legt, dass die vereinbarte Vertragsdauer auch tatsächlich rechtlichen Bestand hat, sollte tunlichst bei Vertragsabschluss auf die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform achten. Im Vordergrund des Normzwecks von § 550 BGB steht der Schutz eines möglichen Grundstückserwerbers. Da er nach § 566 BGB mit Eigentumsumschreibung im Grundbuch neuer Vermieter wird, soll er sich vor dem Ankauf mittels eines schriftlichen Mietvertrages zuverlässig über den Bestand und den Inhalt der mietrechtlichen Vereinbarungen informieren können. Es ist jedoch heute anerkannt, dass der Normzweck des § 550 BGB über den Fall des Grundstückswechsels hinausgeht. Bereits zum Schutze der am Vertragsschluss beteiligten Parteien wird § 550 BGB eine Beweis- und Warnfunktion zugesprochen. 7.2.1.2
Das Prinzip der Einheitlichkeit der Urkunde
Bei einem Vertrag gehört zur Einhaltung der Schriftform, dass die Parteien auf derselben Urkunde unterzeichnen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB). Damit ist das Prinzip der Einheitlichkeit der Urkunde beschrieben. Wann dieses Prinzip eingehalten ist, ergibt sich nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich wie folgt entwickelt hat: In der Vergangenheit war – gestützt auf eine BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1963 – von folgenden strengen Anforderungen auszugehen: Die Schriftform ist beim Abschluss langfristiger Mietverträge nur dann gewahrt, wenn sämtliche Schriftstücke (Textseiten, Blätter, Plä-
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
393
ne, Baubeschreibungen, Hausordnungen, Nebenkostenaufstellungen, Zusatzvereinbarungen etc.), die den wesentlichen Inhalt des Mietverhältnisses bilden, so zu einer festen körperlichen Einheit verbunden worden sind (z. B. durch Ösen, Nieten oder Schnurbindung etc.), dass diese Verbindung nur mit Gewalt bzw. unter Hinterlassung von Spuren der Gewaltanwendung wieder aufgelöst werden kann. Nicht alle, aber viele Gerichte sind dieser strengen Auffassung gefolgt. Nur bei Nachträgen gab es die seit Anfang der 90er Jahre anerkannte Auflockerung, dass zur Wahrung der Schriftform eine klare Bezugnahme auf den Ursprungsvertrag und frühere Nachträge sowie die Klarstellung, was von den alten Vereinbarungen weiter gilt, ausreichen. Seit seinem Urteil vom 24.09.1997 vertritt der BGH (BGH, NJW 1998, 58) die gelockerte Ansicht, dass die Zusammengehörigkeit einer aus mehreren Blättern bestehenden Urkunde nicht notwendig eine feste körperliche Verbindung voraussetzt. Entscheidend sei nur, dass die Zusammengehörigkeit aus bestimmten Umständen ersichtlich werde, von denen die feste körperliche Verbindung nur eine der Möglichkeiten darstelle. Die Einheit der Urkunde könne sich auch (dann aber notwendigerweise zweifelsfrei!) aus der Gestaltung der Urkunde wie fortlaufender Paginierung, fortlaufender Nummerierung der einzelnen Bestimmungen, einheitlicher grafischer Gestaltung und dem inhaltlichen Zusammenhang des Textes oder vergleichbaren äußeren Merkmalen ergeben. 7.2.1.3
Die Unterschriften
Nach § 126 Abs. 1 Satz 2 BGB müssen die Parteien des Mietvertrages den Vertrag unterzeichnen. Konkret muss die Urkunde von den Parteien eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. Die Wahl einer dieser Formen steht dem Unterzeichnenden frei. Bei der Namensunterschrift muss der Name grundsätzlich ausgeschrieben werden; die Verwendung von Anfangsbuchstaben bzw. Initialien oder sonstigen Buchstabenfolgen, wie Paraphe, reicht nicht aus. Auf die Leserlichkeit der Unterschrift kommt es nicht an, jedoch muss der Schriftzug eine Zusammensetzung von Buchstaben erkennen lassen. Es genügt, dass der Schriftzug nach dem objektiven Erscheinungsbild individuell und einmalig ist, charakteristische Merkmale aufweist und sich so als eine die Identität des Unterzeichners ausreichend gekennzeichnete Unterschrift seines Namens darstellt (BGH, NJW 1994, 55). Somit reicht die Übermittlung einer unterzeichnenden Vertragsfassung nur per Telefax nicht aus, um die Schriftform einzuhalten. 7.2.1.4
Verspätete Annahme des Angebots
In der Praxis ist es durchaus üblich, dass zunächst erst eine Partei den Mietvertrag unterzeichnet und den einseitig unterzeichnenden Mietvertrag sodann der anderen Partei zusendet mit der Aufforderung zur Gegenunterschrift und Rücksendung des allseits unterzeichnenden Mietvertrages. Dieser Sachverhalt wird in § 147 Abs. 2 BGB rechtlich abgehandelt. Danach kann der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragsende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Die Bestimmung der Annahmefrist ist stets im Einzelfall zu treffen. Eine Gesamtschau der Rechtsprechung dazu ergibt allerdings, dass die Annahmefrist in aller Regel jedenfalls nach vier Wochen abgelaufen ist. Wenn der Angebotsempfänger den Mietvertrag erst nach Ablauf der Annahmefrist unterzeichnet, stellt seine Willenserklärung nach § 150 Abs. 1 BGB einen neuen Antrag dar. Zur Einhaltung der Schriftform müsste sodann
394
7 Wohn- und Gewerberaummiete
innerhalb der (neu laufenden) Annahmefrist die andere Partei erneut ihre Unterschrift leisten, was in der Praxis regelmäßig übersehen wird. Dies führt dann zu einem Schriftformfehler. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren dieser tückischen Fallgruppe angenommen und im Ergebnis praxisfreundlich entschieden: Ist ein formgerechter Mietvertrag mangels rechtzeitiger Annahme zunächst nicht abgeschlossen worden, so kommt durch eine insoweit formgerechte Nachtragsvereinbarung, die auf eine ursprüngliche Urkunde Bezug nimmt, ein insgesamt formwirksamer Mietvertrag zustande (BGH, Urteil vom 29.04.2009, XII ZR 142/07). Mittels eines formgerechten Nachtrags kann dieses Schriftformproblem also geheilt werden. Zur Wahrung der Schriftform genügt es ferner, wenn die Vertragsbedingungen eines konkludent abgeschlossenen Mietvertrages in einer der „äußeren Form“ des § 126 Abs. 2 BGB genügenden Urkunde enthalten sind (BGH, Urteil vom 24.04.2010, XII ZR 120/06). Liegt also ein Schriftformfehler vor, weil das Angebot zum Abschluss des Mietvertrages verspätet angenommen wurde, kann allein die vollzogene Übernahme der Mietsache durch den Mieter diese Schriftformproblem ebenfalls heilen. 7.2.1.5
Vertretungsverhältnisse bei Gesellschaftsformen
Der Bundesgerichtshof hat eine Reihe von Entscheidungen getroffen, zu den Fällen, in denen jemand als Vertreter für eine Gesellschaft den Mietvertrag schließt (z. B. BGB-Gesellschaft, GmbH oder AG). Bei einer Gesamtbetrachtung der Entscheidungen ist die Empfehlung naheliegend, bei der Abfassung der Mietverträge ähnlich genau vorzugehen wie bei notariellen Urkunden. Schriftformfehler lassen sich insofern vermeiden, indem man die Vertretungsverhältnisse im Vertrag exakt beschreibt und – idealerweise – dem Mietvertrag als Anlage sämtliche Nachweise über die Vertretungsverhältnisse lückenlos beifügt. 7.2.1.6
Vorsorgeklausel
Die Verfasser von Mustermietverträgen versuchen etwaigen Schriftformfehlern dadurch vorzubeugen, dass sie in den Mietvertrag eine sogenannte Vorsorgeklausel mitaufnehmen. Diese soll beiden Vertragsparteien einen Anspruch darauf verschaffen, auch nach Mietvertragsabschluss die Schriftform einvernehmlich herzustellen. Derartige Klauseln sind mittlerweile weit verbreitet. Ob sie allerdings einer (formular-)rechtlichen Überprüfung standhalten (und damit wirksam sind) ist bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die derzeit herrschende Meinung tendiert aber dazu, derartige Vorsorgeklauseln als wirksam anzusehen. 7.2.1.7
Nachtragsproblematik
Bei Nachträgen gilt – wie bisher auch – die Auflockerungsrechtsprechung des BGH, die sich kurz folgendermaßen beschreiben lässt: Besteht ein Nachtrag selbst aus mehreren Schriftstücken (Blättern, Seiten, Plänen etc.), ist in denjenigen Fällen eine feste körperliche Verbindung dieser Schriftstücke erforderlich, in denen dies auch für den Hauptvertrag verlangt würde. Eine feste körperliche Verbindung zwischen dem Nachtrag und dem Hauptvertrag bzw. früheren Nachträgen ist jedoch nicht unbedingt erforderlich. Es genügt statt dessen, wenn im Nachtrag klar auf den Hauptvertrag und frühere Nachträge Bezug genommen wird und aus dem Text des Nachtrages auch deutlich ersichtlich ist, welche früheren vertraglichen Bestimmungen weiterhin gelten sollen.
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages 7.2.1.8
395
Heilung der Schriftform
Um einen wegen Nichteinhaltung der Schriftform vorzeitig kündbaren Mietvertrag in einen schriftformgemäßen Mietvertrag umzuwandeln, genügt es nicht etwa, dass eine Vertragspartei einseitig die körperliche Verbindung der einzelnen Mietvertragsblätter nachträglich herstellt, denn die Form muss bereits bei der Vertragsunterzeichnung eingehalten werden. Vielmehr ist es erforderlich, den Vertrag nach Herstellung der körperlichen Verbindung von beiden Parteien noch einmal unterzeichnen zu lassen. Gemäß OLG München (NJW-RR 1996, 654) ist es auch möglich, den ursprünglich nicht zusammengehefteten Vertrag später einvernehmlich durch Hinzuheften von Nachträgen zu einer einheitlichen Urkunde zu verbinden. Wer insoweit aber nicht „schlafende Hunde“ bei seinem Vertragspartner wecken will, sollte die Heilung der Schriftform allerdings mit viel Fingerspitzengefühl arrangieren. 7.2.1.9
Notarielle Beurkundung des Mietvertrages
In bestimmten Fällen bedarf ein Mietvertrag zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung. Ein Mietvertrag ist notariell zu beurkunden, wenn er mit einem Grundstücksvertrag „rechtlich“ zusammenhängt. Dies ist dann der Fall, wenn die Vereinbarungen nach dem Willen der Parteien derart voneinander abhängig sind, dass sie miteinander „stehen und fallen“ sollen (BGHZ 76, 43). Dieses miteinander Stehen und Fallen ist schneller erreicht, als man zunächst denken mag: Es genügt, wenn nur einer der Vertragspartner einen solchen Einheitswillen erkennen lässt und der andere ihn anerkennt oder zumindest hinnimmt. Es ist noch nicht einmal erforderlich, dass an jedem der Rechtsgeschäfte, die die Einheit bilden, jeweils dieselben Parteien beteiligt sind. Ein Trost ist jedoch, dass grundsätzlich alle Formmängel insoweit durch den Vollzug des Grundstückskaufvertrages im Grundbuch gem. § 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt werden. Auch die Ankaufsoption des Leasingnehmers nach dem Immobilien-Leasing-Vertrag führt zur Beurkundungspflichtigkeit des Gesamtgeschäfts, da der Leasinggeber ein bindendes Verkaufsangebot unterbreitet. Weil die Kaufoption jedoch erst nach Ablauf der Leasingzeit im Grundbuch abgewickelt wird, falls sich der Leasingnehmer zum Kauf entscheidet, gilt hier die Besonderheit, dass während der gesamten Mietzeit keine Heilung der Formmängel nach § 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB eintritt. Wenn im Mietvertrag dem Mieter schuldrechtlich ein Vorkaufsrecht für das Grundstück eingeräumt wird, so bedarf dies ebenfalls der notariellen Beurkundung. Der Beurkundungszwang gilt auch für die Bestellung eines Vorkaufsrechts, und zwar sowohl für das persönliche wie für das dingliche, und erstreckt sich auf die Bestellung selbst wie auch auf die Verpflichtung dazu (so wörtlich BGH, NJW – RR 1991, 205, 206). Wenn ein Vor- oder Ankaufsrecht formnichtig in den Mietvertrag aufgenommen worden ist, stellt sich die Frage, ob diese nichtige Abrede den gesamten Mietvertrag formunwirksam gemacht hat. Die Optimisten verweisen auf die Salvatorische Klausel, die heutzutage in kaum einem Mietvertrag fehlt und die besagt, dass die Unwirksamkeit einer vertraglichen Bestimmung die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen unberührt lässt. Wenn es sich beim Vor- und Ankaufsrecht allerdings um einen zentralen Punkt des Mietvertrages handelt, dürfte die Salvatorische Klausel aber nicht stark genug sein, um die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen zu erhalten (so OLG Düsseldorf, OLG-Report 2002, 62).
396
7.2.2
7 Wohn- und Gewerberaummiete
Parteien des Mietvertrages
Wer die Parteien des Mietvertrages sind, ergibt sich aus dem Mietvertrag. Was dort vereinbart wurde ist maßgeblich. Der Vermieter muss nicht zwingend Eigentümer der Mietsache sein. Insbesondere bei der Untervermietung ist es regelmäßig so, dass der Untermieter einen Vertragspartner hat, der nicht Eigentümer ist. Bei derartigen Konstellationen sollte sich der Mieter bewusst sein, dass der vermietende Eigentümer im Falle der Beendigung des Hauptmietverhältnisses nach § 546 Abs. 2 BGB jedenfalls im gewerblichen Mietrecht einen Durchgriffsanspruch gegen den Untermieter auf Herausgabe der Mietsache hat. Dies kann für den Untermieter zu unliebsamen Rechtsfolgen führen, vor denen er sich vertraglich schützen sollte. Vermieter und Mieter können natürliche oder juristische Personen (z. B. GmbH, Aktiengesellschaft) sein. Steht fest, dass der Vertragspartner keine natürliche Person ist, sollte man sich möglichst einen aktuellen Handelsregisterauszug besorgen. Dieser gibt verlässlich Auskunft über die konkrete Rechtsqualität des Verhandlungspartners. Dem Auszug ist auch zu entnehmen, wer das Unternehmen bei Vertragsabschluss wirksam vertreten kann. Problematisch kann es werden, wenn auf Vermieter- und/oder auf Mieterseite mehrere Personen beteiligt sind. Mehrere Vermieter können nur gemeinsam die Miete fordern. Mehrere Mieter können nur gemeinsam die Gebrauchsüberlassung fordern. Soll das Recht auf Gebrauchsüberlassung gegen den Vermieter eingeklagt werden, muss also Leistung von allen an alle gefordert werden. Seit dem Urteil des BGH vom 29.01.2001 (ZMR 2001, 338) können nunmehr auch BGBGesellschaften in der Form der Außen-GbR eigenständiger Vertragspartner werden. Ist dies der Fall, haften aber alle Gesellschafter der BGB-Gesellschaft neben dieser persönlich. Alle Vermieter haften gemäß § 427 BGB grundsätzlich als Gesamtschuldner. Ebenso haften mehrere Mieter für die Verpflichtungen aus dem Mietvertrag als Gesamtschuldner. Je nach dem Inhalt des Mietvertrages kann es dem Mieter freistehen, Dritte vorübergehend in der Mietsache aufzunehmen. Bei der Wohnraummiete können sogar dauerhaft Ehegatten, nächste Familienangehörige (wie Eltern und Kinder) und Lebensgefährten – solange die Lebensgemeinschaft besteht – aufgenommen werden.
7.2.3
Wechsel der Parteien
Wenn nichts anderes im Mietvertrag vereinbart ist, kommt es zu einem Parteiwechsel grundsätzlich nur, wenn der Vertragspartner dem zustimmt. Vor allem im Bereich des gewerblichen Mietrechts werden insbesondere Vermieter hin und wieder mit Mieteranzeigen konfrontiert, wonach es zu einem Mieterwechsel gekommen sein soll. Hier sollte der Vermieter unmittelbar reagieren, um nicht Gefahr zu laufen, einem Mieterwechsel durch die stillschweigende Hinnahme einer derartigen Anzeige und anschließende Abwicklung des Mietverhältnisses mit dem „neuen“ Mieter konkludent zugestimmt zu haben. Wer als Vermieter in derartigen Fällen gut beraten sein will, sollte juristischen Rat in Anspruch nehmen. So gibt es eine Reihe gesetzlich normierter Ausnahmetatbestände, die es erlauben, ohne Zustimmung des Vertragspartners einen Mietvertrag zu übertragen. Das wohl bekannteste Beispiel findet sich in § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete“). Danach wird der Erwerber mit Umschreibung des Eigentums im Grundbuch automatisch neuer Vermieter.
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
397
Daneben eröffnet vor allem das Umwandlungsgesetz weitere Möglichkeiten, Verträge ohne Zustimmung des Vertragspartners zu übertragen. Im Wohnraummietrecht taucht in diesem Zusammenhang immer wieder die Mär von der Nachmieterstellung auf: „Wenn ich dem Vermieter 3 Nachmieter stelle, muss mich der Vermieter aus einem längerfristigen Mietvertrag entlassen“. Richtig ist hingegen allein folgendes: Mietverhältnisse, auch Wohnraummietverhältnisse, die für eine bestimmte Zeit abgeschlossen wurden, können von keiner Mietvertragspartei bis zum Ablauf der vereinbarten Zeit vorzeitig ordentlich gekündigt werden. Der Mieter hat also keinen Anspruch darauf, vorzeitig aus dem Mietvertrag entlassen zu werden, wenn der Mietvertrag keine entsprechende Nachmieterklausel enthält. Nur in besonderen Ausnahmefällen muss der Vermieter seinen Mieter vorzeitig aus dem Mietvertrag entlassen (Grundsatz von Treu und Glauben). Derartige Ausnahmefälle werden in der Rechtsprechung nur dann anerkannt, wenn das berechtigte Interesse des Wohnraummieters an der vorzeitigen Aufhebung des Mietvertrages das Interesse des Vermieters an der Einhaltung des Vertrages erheblich überwiegt und der Mieter dem Vermieter einen geeigneten Nachmieter stellt (vgl. z. B. LG Berlin, ZMR 1999,27). Will der Vermieter einem Mieterwechsel zustimmen, muss er besonderes Augenmerk auf die gestellte Mietsicherheit legen. Ist auf Veranlassung des Mieters eine Bürgschaft gestellt, sichert diese nur Ansprüche gegenüber diesem Mieter ab – nicht gegenüber dem „neuen“ Mieter. Der Vermieter sollte in diesen Fällen einem Mieterwechsel nur zustimmen, wenn die Bürgin die Bürgschaft entsprechend erweitert oder der „neue“ Mieter eine eigene Mietsicherheit stellt.
7.2.4
Gegenstand des Mietvertrages
Der Gegenstand des Mietvertrages sollte möglichst exakt im Vertrag definiert werden, denn darüber sollten die Parteien tunlichst nicht in Streit geraten. In Kenntnis dieser Tatsache hat es sich in der Praxis bewährt, die Mietsache in einem dem Mietvertrag beigefügten Plan zu markieren. Ist die Mietsache bei Vertragsabschluss noch nicht fertig gestellt, sollte man sie mittels Baubeschreibung und Grundrissplänen beschreiben. In diesem Zustand schuldet der Vermieter dann die Mietsache zum Übergabetermin. Besondere Aufmerksamkeit ist geboten, wenn im Mietvertrag Quadratmeterzahlen angegeben werden. Im Wohnraummietrecht gibt es verbindliche Berechnungsmethoden (weiterhin §§ 42 ff. II. Berechnungsverordnung, DIN 283; für Berechnungen, die ab dem 01.01.2004 erstmals durchgeführt werden oder für Neuberechnungen, die ab diesem Zeitpunkt aufgrund wesentlicher baulicher Änderungen erforderlich sind, ist die Wohnflächenverordnung anzuwenden), die es jederzeit ermöglichen, die mietvertraglichen Flächenangaben zu überprüfen. Je nach Einzelfall kann der Mieter insbesondere zur Mietminderung berechtigt sein, wenn die vertraglich vereinbarte Quadratmeterzahl tatsächlich nicht erreicht wird (vgl. zur umfangreichen und teils uneinheitlichen Rechtsprechung OLG Dresden, NJW-RR 1998, 512; BGH, ZMR 2004, 495). Vermieter von Wohnraummietverträgen sollten daher überlegen, ob sie überhaupt Quadratmeterzahlen im Mietvertrag nennen. Für gewerbliche Mietflächen gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Berechnungsmethode (in der Praxis werden allerdings vielfach die DIN 277 oder die gif-Richtlinie vereinbart). Ist im Mietvertrag keine Vereinbarung getroffen worden, wie die Flächengröße zu bestimmen ist, und ergibt sich dies auch nicht aus den beigefügten Plänen oder anderen Umständen, kann die Größe nicht exakt bestimmt werden. Der Mieter wird sich in diesen Fällen sehr schwer tun, nachzuweisen, dass die vereinbarte Flächengröße tatsächlich nicht erreicht wird.
398
7 Wohn- und Gewerberaummiete
7.2.5
Vereinbarung der Miethöhe und diesbezügliche Begrenzung der Vertragsfreiheit
7.2.5.1
Preisgrenzen
Zwar sind die Parteien eines Mietvertrages grundsätzlich frei, die Höhe der Miete frei zu verhandeln (Ausnahmen: Wohnraum, der mit Fördermitteln im Sinne von § 2 Wohnraumförderungsgesetz gefördert worden ist; Wohnraum, der mit Wohnungsfürsorgemitteln gefördert worden ist, § 87a II. Wohnungsbaugesetz; Wohnraum, der als steuerbegünstigt anerkannt und mit Aufwendungszuschüssen oder -darlehen gefördert worden ist, §§ 88–88c II. Wohnungsbaugesetz). Im Wohnraummietrecht sind aber klare Grenzen durch den Wuchertatbestand, § 291 StGB, und das Verbot der Mietpreisüberhöhung, § 5 WiStG, vorgegeben. Folgender Überblick verdeutlicht die gesetzlichen Voraussetzungen: Tab. 4: Gesetzliche Voraussetzungen
§ 291 StGB
§ 5 WiStG
Vermietung von Wohnraum
Vermietung von Wohnraum
Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche
Fordern, sich versprechen lassen oder annehmen
Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lassen Auffälliges Missverhältnis zwischen Vermieterleistung und Miete/ 50 %-Regel
Unangemessen hohe Miete/ 20 %-Regel
Vorsatz
Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe; in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren
Geldbuße bis EUR 50.000,00
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
399
Unangemessen hoch ist die Miete im Sinne von § 5 WiStG, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 20 % überschritten wird und ein geringes Angebot an vergleichbarem Wohnraum ausgenutzt wird. Letzteres ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn die Leerstandsreserve vergleichbarer Wohnungen 5 % nicht übersteigt. Auch bei einer Überschreitung der 20 %-Grenze ist die Miete unter bestimmten Voraussetzungen nicht unangemessen hoch, soweit dies zur Deckung der laufenden Aufwendungen des Vermieters für die betroffenen Wohnung erforderlich ist, § 5 Abs. 2 WiStrG. Jedoch darf dann die ortsübliche Vergleichsmiete um nicht mehr als 50 % überschritten werden. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Vermieterleistung und Miete im Sinne von § 291 StGB wird erst angenommen, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 50 % überschritten wird. Die §§ 5 WiStG und 291 StGB gelten grundsätzlich auch für Staffelmietvereinbarungen. Zivilrechtlich wirkt sich ein Verstoß gegen §§ 5 WiStG und 291 StGB wie folgt aus: Die Mietvereinbarung ist wegen des Verstoßes gegen eine gesetzliche Bestimmung nach § 134 BGB unwirksam, soweit die jeweiligen Grenzen (20 % oder 50 %) überschritten sind. Im Übrigen bleibt der Vertrag wirksam. Zuviel gezahlte Miete kann nach § 812 BGB zurückgefordert werden. Wer als Vermieter von Gewerbeimmobilien auf Mietsteigerungen Wert legt, muss im Mietvertrag entsprechend Vorsorge treffen. Versäumt er dies, muss er wissen: Das Gesetz gewährt im gewerblichen Mietrecht dem Vermieter kein Recht auf Mietsteigerungen; anders im Wohnraummietrecht, für das § 558 BGB (Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete) gilt. Folgende Möglichkeiten der vertraglichen Gestaltung kommen in Betracht: 7.2.5.2
Umsatzmiete
Vor allem bei der Vermietung von Ladenflächen und Hotels sind Umsatzmietklauseln verbreitet. Die Miete kann in der Weise bestimmt werden, dass der Mieter einen bestimmten Prozentsatz des Umsatzes aus der geschäftlichen oder gewerblichen Nutzung der überlassenen Räume zu zahlen hat (BGH, NJW 1979, 2351). Da sich Vermieter jedoch nach aller Erfahrung nicht vollständig am Geschäftsrisiko des Mieters beteiligen und sie ihre Kosten auch bei niedrigen Umsätzen des Mieters sichern wollen, wird üblicherweise zusätzlich zur Umsatzmiete eine bestimmte Mindestmiete vereinbart. Den Interessen des Mieters, eine angemessene Miete nicht zu überschreiten, kann andererseits durch eine vertragliche Begrenzung der Miete nach oben Rechnung getragen werden. Sieht der Mietvertrag für die Mindestmiete keine Anpassungsmöglichkeit vor, so kann der Vermieter nicht verlangen, dass sie angehoben wird, etwa auf den Betrag der ortsüblichen Miete für vergleichbare Räume (BGH, NJW 1969, 1383), selbst wenn die Kosten des Vermieters durch die Mindestmiete nicht mehr abgedeckt werden. Es ist dringend zu empfehlen, den Umsatzbegriff in den Mietverträgen ausreichend zu bestimmen. Die Parteien sind hierbei nicht an bestimmte steuerrechtliche oder zivilrechtliche Begriffe gebunden, sondern es ist anhand des Vertrages im Einzelfall auszulegen, welche Umsätze zugrunde gelegt werden sollen. Ferner empfiehlt es sich, einen detaillierten Mechanismus zu regeln, wie der Umsatz verlässlich und verbindlich zu ermitteln ist (z. B. durch einen Wirtschaftsprüfer).
400
7 Wohn- und Gewerberaummiete
7.2.5.3
Staffelmietvereinbarungen
Sowohl in gewerblichen Mietverträgen als auch in Wohnraummietverträgen verbreitet sind Staffelmietvereinbarungen. In einer Staffelmietvereinbarung ist von vornherein festgelegt, in welchem Umfang sich die Miete zu bestimmten Zeitpunkten erhöht. Hierdurch wird gewährleistet, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen des Mietverhältnisses für beide Vertragsparteien bereits bei Vertragsabschluss vorhersehbar sind. Während im gewerblichen Mietrecht den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt sind, regelt für das Wohnraummietrecht § 557 a BGB die zwingend einzuhaltenden Voraussetzungen. Diese sind:
Die Vereinbarung muss schriftlich getroffen sein, während der Dauer der Staffelmietvereinbarung sind Erhöhungen des Miete nach den §§ 558 bis 559 b BGB ausgeschlossen, die Miete muss jeweils mindestens ein Jahr unverändert bleiben und die jeweilige Miete oder die jeweilige Erhöhung muss betragsmäßig ausgewiesen werden.
Nach § 557 a Abs. 3 BGB ist eine Beschränkung des Kündigungsrechtes des Mieters unwirksam, soweit sie sich auf einen Zeitraum von mehr 4 Jahren seit Abschluss der Vereinbarung erstreckt. Das bedeutet bei Staffelmietvereinbarungen im Wohnraummietrecht: Selbst bei einer fest vereinbarten Laufzeit von z. B. 5, 6 oder mehr Jahren kann der Mieter vorzeitig zum Ablauf des 4. Mietjahres kündigen. 7.2.5.4
Wertsicherungsklauseln
In der Vertragspraxis überaus verbreitet sind Wertsicherungsklauseln (oder Preisklauseln bzw. Indexklauseln genannt). Gegenüber Leistungsvorbehaltsklauseln haben Wertsicherungsklauseln den Vorteil, dass eine Veränderung des Wertmessers automatisch zu einer Mietänderung führt. Mit ihrer Vereinbarung kann der Vermieter deshalb bereits bei Mietvertragsabschluss lästige Mietverhandlungen mit ungewissem Ergebnis abwenden. Nach § 1 Abs. 1 Preisklauselgesetz sind Wertsicherungsklauseln grundsätzlich verboten. Sie sind ausnahmsweise aber im gewerblichen Mietrecht nach §§ 2 und 3 Preisklauselgesetz zulässig, wenn folgende Voraussetzungen beachtet werden: 7.2.5.4.1
Bezugsgröße
Die Entwicklung der Miete muss
durch die Änderung eines vom Statistischen Bundesamt oder einem Statistischen Landesamt ermittelten Preisindexes für die Gesamtlebenshaltung oder eines vom Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaft ermittelten Verbraucherindexes oder durch die Änderung der künftigen Einzel- oder Durchschnittsentwicklung der Preise oder Werte für Güter oder Leistungen, die der Schuldner in seinem Betrieb erzeugt, veräußert oder erbringt, bestimmt werden. 7.2.5.4.2
Mindestens 10-jährige Bindung des Vermieters
Der Mietvertrag muss
für eine feste Mindestlaufzeit von 10 Jahren oder
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
401
mit dem Recht des Mieters, die Vertragsdauer auf mindestens 10 Jahre zu verlängern, in der Regel durch Ausübung einer Option, oder in der Weise abgeschlossen sein, dass er vom Vermieter durch Kündigung frühestens nach Ablauf von 10 Jahren beendet werden kann.
7.2.5.4.3
Erhöhung und Ermäßigung
Die Klausel muss bei einem Preis- oder Wertanstieg eine Erhöhung und bei einem Preisoder Wertrückgang eine entsprechende Ermäßigung des Zahlungsanspruchs bewirken. 7.2.5.4.4
Keine Überproportionalität
Der geschuldete Betrag darf sich gegenüber der Entwicklung der Bezugsgröße nicht überproportional ändern können. Nicht zulässig sind danach Vereinbarungen, in denen Indexpunkte mit dem Prozentsatz der Änderung der Geldschuld gleichgesetzt werden; denn eine Erhöhung des Indexes beispielsweise von 150 Punkten um 30 Punkte auf 180 Punkte entspricht keineswegs einer Steigerung um 30 %, sondern lediglich einer solchen um 20 %. Überproportionale Auswirkung haben auch Vereinbarungen, die ausdrücklich einen Multiplikator verwenden, z. B. wenn sich die Miete um das Doppelte der Indexänderung erhöhen soll. Zulässig sind jedoch Vereinbarungen, nach denen sich die Miete gegenüber der Entwicklung der Bezugsgröße unterproportional ändern kann. So ist es bei schwacher Konjunktur vor allem im Einzelhandelsbereich nicht unüblich, dass in Mietverträgen eine Mietanpassung nur in Höhe von beispielsweise 70 % der Indexänderung vereinbart wird. 7.2.5.4.5
Beispiel
Eine Wertsicherungsklausel, die den vorerwähnten Vorgaben entspricht, könnte danach etwa wie folgt lauten: „1. Die Miete ändert sich automatisch, sofern sich der Verbraucherpreisindex (Basis 2010 = 100), herausgegeben vom Statistischen Bundesamt, gegenüber dem Stand bei Beginn des Mietverhältnisses bzw. gegenüber dem Stand bei der letzten Mietangleichung um mehr als 10 Punkte nach oben oder unten verändert hat. 2. Die Mietveränderung entspricht der Veränderung des Verbraucherpreisindexes. Sie wird erstmals wirksam für denjenigen Monat, zu dem sich der Index entsprechend obiger Ziffer 1 geändert hat. 3. Sollte während der Dauer des Mietverhältnisses der in obiger Ziffer 1 in Bezug genommene Index vom Statistischen Bundesamt nicht mehr herausgegeben werden, tritt an seine Stelle der vom Statistischen Bundesamt oder gegebenenfalls dessen Nachfolgeorganisation herausgegebene Kostenindex.“ Vereinbaren die Parteien eine unzulässige Wertsicherungsklausel, gilt § 8 Preisklauselgesetz: Die Unwirksamkeit der Klausel tritt zum Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verbotes ein, soweit nicht eine frühere Unwirksamkeit vereinbart ist. Die Rechtswirkungen der Klausel bleiben bis zum Zeitpunkt der Unwirksamkeit unberührt. Die Wirksamkeit von Wertsicherungsklauseln in Wohnraummietverträgen beurteilt sich allein nach § 557 b BGB. Danach sind folgende Voraussetzungen zwingend zu beachten:
402
7 Wohn- und Gewerberaummiete Die Vereinbarung muss schriftlich getroffen sein, maßgeblicher Preisindex muss der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland sein, das Ausmaß der Mietanpassung darf höchstens der prozentualen Indexänderung entsprechen, während der Geltungsdauer einer Mietanpassungsvereinbarung muss die Miete, von Erhöhungen nach den §§ 559 bis 560 BGB abgesehen, jeweils für mindestens 1 Jahr unverändert bleiben, eine Änderung der Miete aufgrund der Mietanpassungsvereinbarung muss durch Erklärung in Textform (§ 126 b BGB) geltend gemacht werden, in der Erklärung ist die jeweils eingetretene Änderung des vereinbarten Indexes anzugeben sowie die jeweilige Miete oder die Erhöhung in einem Geldbetrag und die geänderte Miete ist mit Beginn des übernächsten Monats nach dem Zugang der Erklärung zu zahlen.
7.2.5.5
Leistungsvorbehaltsklauseln
Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 Preisklauselgesetz gilt das grundsätzliche Verbot von Wertsicherungsklauseln nur für Klauseln, die hinsichtlich des Ausmaßes der Änderung des geschuldeten Betrages einen Ermessensspielraum zulassen, der es ermöglicht, die neue Höhe der Geldschuld nach Billigkeitsgrundsätzen zu bestimmen. Charakteristisch für einen Leistungsvorbehalt ist, dass die Anpassung bzw. Neufestsetzung der Geldschuld nicht automatisch der Bewegung des Wertmessers folgt. Vielmehr ist nach Eintritt einer bestimmten Veränderung der Bezugsgröße oder Ablauf einer bestimmten Zeit eine Anpassung oder Neufestsetzung durch einen selbstständigen Akt der Leistungsbestimmung erforderlich. Für die Leistungsbestimmung muss hierbei ein Spielraum verbleiben, d. h. Billigkeitserwägungen Raum gegeben werden. Die Anpassung bzw. Neufestsetzung kann erfolgen durch: Verhandlungen der Parteien, Festsetzung durch einen Vertragsteil nach billigem Ermessen gemäß §§ 315, 316 BGB oder Festsetzung durch einen Dritten, insbesondere durch einen Schiedsgutachter. Zur Vermeidung späterer Auseinandersetzungen empfiehlt es sich jedoch dringend, unter Beachtung und Beibehaltung des erforderlichen Spielraums den Erhöhungsmaßstab zu regeln. Hierbei sind die Parteien nicht an Grenzen gebunden. Sie können als Maßstab ebenso die Indexveränderung wie die aktuelle Marktmiete, also die bei Neuvermietung zu erzielende Miete, wählen. Im letzteren Fall kann – was bei guten Standorten und Lagen für den Vermieter ratsam ist – geregelt werden, dass zur Ermittlung dieser Marktmiete Vergleichsdaten nur aus bestimmten Lagen herangezogen werden dürfen. Da Leistungsvorbehaltsklauseln im BGB nicht erwähnt sind, können sie in Wohnraummietverträgen nicht wirksam vereinbart werden. Praktischer Anwendungsbereich besteht also nur für das gewerbliche Mietrecht.
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages 7.2.5.6
403
Spannungsklauseln
Weiterhin sind gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Preisklauselgesetz vom grundsätzlichen Verbot von Wertsicherungsklauseln Klauseln ausgenommen, bei denen die in ein Verhältnis zueinander gesetzten Güter oder Leistungen im Wesentlichen gleichartig oder zumindest vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit der Leistungen als Wertmesser für die Anpassung und somit eine genehmigungsfreie Spannungsklausel liegt beispielsweise vor, wenn eine zwischen den Parteien vereinbarte gewerbliche Miete sich jeweils der vergleichbaren Miete für gewerblich genutzte Räume gleicher Art und Lage anpassen soll. 7.2.5.7
Gesetzliche Mieterhöhungsmöglichkeiten nach §§ 558 ff. BGB
Wenn die Parteien keine Vereinbarung über die Mietanpassung getroffen haben, kann der Vermieter (nur) im Wohnraummietrecht nach Maßgabe der §§ 558 ff. BGB einseitig eine Mieterhöhung durchsetzen. Das BGB regelt zwei systematisch grundverschiedene Erhöhungsverfahren. Während in § 559 BGB (Mieterhöhung bei Modernisierung) und § 560 BGB (Veränderungen von Betriebskosten) jeweils ein einseitiges Mieterhöhungsrecht des Vermieters geregelt ist, kann vom Vermieter nach § 558 BGB die Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete nur als Zustimmungsanspruch geltend gemacht werden. § 558 BGB ist die praktisch wohl bedeutsamste Vorschrift zur Mieterhöhung im Wohnraummietrecht. Hiernach kann jeweils binnen einer Frist von 15 Monaten die Miete an die ortsübliche Vergleichsmiete angepasst werden. Damit ist einerseits ein marktorientierter Ertrag für den Vermieter gewährleistet, andererseits ist der Mieter vor überhöhten Mietforderungen geschützt, zumal Mietsteigerungen nur im Rahmen der Kappungsgrenzen erfolgen können. Das Mieterhöhungsverlangen nach § 558 Abs. 1 BGB ist ein besonders formalisierter Antrag im Sinne des § 558 a BGB auf Abschluss eines Änderungsvertrages, der der Zustimmung des Mieters bedarf und durch dessen Zugang beim Mieter das förmliche außergerichtliche Verfahren nach § 558 b BGB eingeleitet wird. Folgende Voraussetzungen muss der Vermieter einhalten:
Kein Ausschluss der Erhöhung durch Vereinbarung (§ 557 Abs. 3 BGB). Ein derartiger Ausschluss kann auch stillschweigend vereinbart worden sein. So wird ein solcher Ausschluss in der Regel in der Vereinbarung eines Mietverhältnisses auf bestimmte Zeit mit einer festen Miete angenommen, eine Erhöhung der Miete nach § 558 BGB kann nur verlangt werden, wenn die Miete seit einem Jahr unverändert ist (Sperrfrist). Hierbei bleiben Erhöhungen nach den §§ 559 bis 560 BGB unberücksichtigt, mit der Kappungsgrenze besteht neben der ortsüblichen Vergleichsmiete eine weitere Obergrenze. Die Miete darf innerhalb eines Zeitraumes von 3 Jahren nicht um mehr als 20 % erhöht werden. Dieser Prozentsatz kann innerhalb der 3-Jahres-Frist in vollem Umfang bereits zu Beginn des Zeitraums ausgeschöpft werden und der Erhöhungsanspruch ist dem Mieter in Textform (§ 126 b BGB) zu erklären und zu begründen. Die erhöhte Miete muss betragsmäßig ausgewiesen sein (Benennung des Endbetrages oder des Erhöhungsbetrages). Begründungsmittel können sein: Mietspiegel, Auskunft aus einer Mietdatenbank, Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten
404
7 Wohn- und Gewerberaummiete
Sachverständigen, Benennung entsprechender Entgelte für mindestens drei vergleichbare Wohnungen. Im Gegensatz zu den einseitigen Erhöhungserklärungen nach den §§ 559, 560 BGB bewirkt ein Mieterhöhungsverlangen nach § 558 BGB erst dann eine Erhöhung der Miete, wenn der Mieter dem Erhöhungsverlangen zustimmt. Der Mieter ist zur Zustimmung verpflichtet, wenn das Erhöhungsverlangen wirksam und materiell-rechtlich begründet ist. Stimmt der Mieter dem Erhöhungsverlangen nicht bis zum Ablauf des zweiten Kalendermonats zu, der auf den Zugang des Verlangens folgt, so kann der Vermieter bis zum Ablauf von drei weiteren Monaten auf Erteilung der Zustimmung klagen (§ 558 b Abs. 2 BGB). Nach § 559 BGB kann der Vermieter in gewissen Grenzen die Miete erhöhen bei Modernisierungen oder baulichen Änderungen, die er nicht zu vertreten hat. Zur Begründung der Erhöhungserklärung des Vermieters (ebenfalls in der Textform des § 126 b BGB, § 559 b Abs. 1 BGB) gehört die Berechnung der Erhöhung aufgrund der entstandenen Kosten. Die jährliche Miete kann bis um 11 % der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöht werden. Nach wohl herrschender Meinung stellt jedoch § 5 WiStG eine Obergrenze für Mieterhöhungen nach § 559 BGB dar. Hat der Vermieter bauliche Maßnahmen im Sinne von § 559 BGB durchgeführt, so hat er grundsätzlich ein Wahlrecht: Er kann sowohl unter Berücksichtigung der bereits durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Zustimmung zur Mieterhöhung nach § 558 BGB verlangen, als auch die Miete einseitig nach § 559 BGB erhöhen. Die Modernisierung darf aber nicht kumulativ, sowohl bei der Erhöhung nach § 558 BGB, als auch bei der nach § 559 BGB, berücksichtigt werden; hat der Vermieter die Zustimmung zur Erhöhung nach § 558 BGB unter Berücksichtigung des bereits modernisierten Zustands verlangt, ist eine zusätzliche Erhöhung nach § 559 BGB nicht möglich.
7.2.6
Miete und Umsatzsteuer
7.2.6.1
Einführung
Die Vermietung von Wohnräumen, Gewerberäumen oder auch unbebauten Grundstücken ist gemäß § 4 Nr. 12a Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerbefreit. Auf diese Umsatzsteuerbefreiung kann (nur) der Vermieter von gewerblichen Flächen unter den Voraussetzungen des § 9 UStG freiwillig verzichten (sog. Umsatzsteueroption). Der wirtschaftliche Hintergrund einer derartigen Umsatzsteueroption soll an folgendem einfachen Beispiel verdeutlicht werden: Ein Unternehmer erwirbt ein neu errichtetes Bürogebäude zu einem Kaufpreis von EUR 6.000,– zuzüglich 19 % Umsatzsteuer pro Quadratmeter vermietbarer Bürofläche. Der von dem Unternehmer zu zahlende Kaufpreis inklusive Umsatzsteuer beträgt somit EUR 7.140,00 pro Quadratmeter. Der Unternehmer vermietet das Bürogebäude an verschiedene Mieter und erzielt hierbei eine Jahresmiete pro Quadratmeter vermieteter Fläche von EUR 400,– zuzüglich Umsatzsteuer. Der Mietpreis inklusive Umsatzsteuer beträgt also insgesamt EUR 476,00 p. a. pro Quadratmeter. Angenommen, der Vermieter ist in dieser Konstellation zum Vorsteuerabzug berechtigt, so kann er die dann gezahlte Umsatzsteuer aus dem Erwerb des Gebäudes als Vorsteuer geltend machen. Er ist im Ergebnis somit nur liquiditätsmäßig mit EUR 6.000,– pro Quadratmeter
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
405
und nicht mit EUR 7.140,00 als Anschaffungskosten belastet. Der Vorsteuerabzug von EUR 1.140,00 pro Quadratmeter ist liquiditätsmäßig günstig. Die Verpflichtung, aus der vereinnahmten Miete Jahr für Jahr EUR 76,00 pro Quadratmeter an das Finanzamt als Umsatzsteuer auf die Vermietungsumsätze abzuführen, ist deutlich weniger belastend als die Situation, in der der Unternehmer keinen Vorsteuerabzug hätte. 7.2.6.2
Frühere Rechtslage
Bereits nach der früheren Rechtslage war die Option zur Umsatzsteuer, also der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12a UStG, nicht uneingeschränkt möglich. Voraussetzung der Optionsmöglichkeit war bereits nach früherer Rechtslage, dass der Mieter selbst wiederum Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts war. Darüber hinaus durfte das auf dem vermieteten Grundstück errichtete Gebäude nicht zu Wohnzwecken dienen oder zu dienen bestimmt sein, und es durfte nicht anderen „nichtunternehmerischen“ Zwecken dienen oder zu dienen bestimmt sein. Was unter dem Begriff „Wohnzwecken“ zu verstehen ist, liegt auf der Hand. Andere nichtunternehmerische Zwecke im Sinne des UStG sind im Wesentlichen hoheitliche Zwecke, also die Ausübung staatlicher oder kommunaler Funktionen. Auch Kirchenund Sozialversicherungsträger haben nichtunternehmerische Zwecke und sind daher schädlich als Nutzer der Räume, wenn der Vermieter es bezweckt, zur Umsatzsteuer zu optieren. Unproblematisch waren nach früherer Rechtslage die Fälle, in denen der Mieter bzw. der Endmieter Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts war. Zu den Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuerrechts zählen auch Banken und Versicherungen. 7.2.6.3
Neue Rechtslage im Überblick
Gemäß § 9 UStG kann der vermietende Unternehmer einen im Grundsatz umsatzsteuerbefreiten Vermietungsvorgang dann als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Eine solche Option ist jedoch nur dann zulässig, wenn der Leistungsempfänger – das ist der Mieter – das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 UStG hat der Vermieter die Voraussetzungen dafür nachzuweisen, dass der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die einen Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Diese neue Regelung hat einschneidende Konsequenzen. Denn nunmehr ist nicht mehr allein Voraussetzung, dass der Mieter und eventuell der Untermieter Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts sind, sondern dieser Mieter – und gegebenenfalls der Untermieter – muss als Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwenden oder zu verwenden beabsichtigten, die bei ihm, dem Leistungsempfänger, den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Gemäß § 27 Abs. 2 UStG ist der neugefasste § 9 Abs. 2 UStG, der die Option nur noch beschränkt zulässt, dann nicht anzuwenden, wenn das auf dem Mietgrundstück errichtete Gebäude vor dem 1. Januar 1998 fertig gestellt wurde und mit der Errichtung des Gebäudes vor dem 11. November 1993 begonnen wurde. Es handelt sich um eine doppelte Bedingung. Für Altgebäude bleibt es aber bei der alten Rechtslage (s. o. Ziffer 7.2.6.2).
406
7 Wohn- und Gewerberaummiete
7.2.7
Nebenkosten
7.2.7.1
Einführung
Immer häufiger kommt es vor Abschluss von Mietverträgen zu ausgiebigen Debatten der Vertragsparteien über die Nebenkosten. Dies überrascht nicht angesichts der Tatsache, dass bei den Nebenkosten in den letzten Jahren ein deutlicher Preisauftrieb festzustellen ist. Das geläufige Stichwort „Nebenkosten als zweite Miete“ verdeutlicht diese Entwicklung. Insbesondere der Anteil der öffentlichen Abgaben (z. B. Müllgebühren, Straßenreinigung, Grundsteuern) an den Gesamtnebenkosten ist kräftig gestiegen. In Kenntnis dieser Umstände versuchen immer mehr Mietinteressenten, sich bereits bei der Vertragsgestaltung vor einer Explosion der Nebenkosten abzusichern. So wird im gewerblichen Mietbereich von Mietinteressenten mitunter verlangt, die umlegbaren Nebenkosten der Höhe nach zu begrenzen („Nebenkostencap“). Diese kurze Einführung mag die Praxisrelevanz der „Nebenkosten“ verdeutlichen. Jeder, der heute in Vertragsverhandlungen einbezogen wird, sei es als Vermieter, Mieter, Makler, Verwalter oder rechtlicher/finanzieller Berater, muss insoweit mit den Einzelheiten vertraut sein, um sachgemäße Entscheidungen treffen zu können. Zu den Details: 7.2.7.2
Umlagefähigkeit der Nebenkosten
Nach § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB hat grundsätzlich der Vermieter die auf der Mietsache ruhenden Lasten zu tragen. Danach sind, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben, durch die Miete grundsätzlich sämtliche Leistungen des Vermieters abgegolten. Jede Abweichung hiervon bedarf einer besonderen Vereinbarung. Dies bedeutet: Hat es der Vermieter versäumt, im Mietvertrag die Umlage der Nebenkosten zu regeln, hat er insoweit keinen Anspruch gegenüber dem Mieter. Versäumtes kann der Vermieter nicht mehr einseitig nachholen. Daher ist es durchweg üblich, dass Vermieter ihren Mietinteressenten Vertragsentwürfe präsentieren, die eine Vereinbarung über die Umlage der Nebenkosten enthalten. 7.2.7.3
Grundsätze für vertragliche Vereinbarungen
Grundsätzlich sind die Vertragspartner frei in der Vereinbarung der Umlage der Nebenkosten. Sie können also ungehindert Regelungen treffen über die umzulegenden Nebenkostenarten, den Umlageschlüssel, die Abrechnung über die Nebenkosten u. v. m. Dem Grundsatz der Vertragsfreiheit sind jedoch gesetzlich Grenzen gesetzt. Soweit praktisch von Bedeutung, werden diese nachfolgend dargestellt: Die in der Betriebskostenverordnung katalogisierten Betriebskostenarten sind für das Wohnraummietrecht praktisch verbindlich. Obwohl im gewerblichen Mietrecht nicht gesetzliche Schranke, kommt der Betriebskostenverordnung doch auch hier erhebliche praktische Bedeutung zu. So erklären Mietverträge üblicherweise zumindest die in dieser Anlage genannten Betriebskostenarten für umlegbar auf den Mieter. Seit 1984 ist die verbrauchsabhängige Heizkostenabrechnung im Rahmen der Heizkostenverordnung zwingend vorgeschrieben. Die Verordnung gilt gleichermaßen für Wohnungen wie für Geschäftsräume, gemischt genutzte Gebäude und Genossenschaftswohnungen. Die Anwendung der Heizkostenverordnung kann nur für Zweifamilienhäuser vertraglich abbedungen werden, also für Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen, von
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
407
denen eine der Vermieter selbst bewohnt (§ 2 Heizkostenverordnung). Zu den wesentlichen Einzelheiten der Verordnung: Die Heizkostenverordnung findet Anwendung auf die Verteilung von Kosten für Heizung und Warmwasser durch den Gebäudeeigentümer auf eine Mehrheit von Nutzern, die von derselben Anlage mit Heizenergie oder Warmwasser versorgt werden (§ 1 Heizkostenverordnung). Die Verordnung gilt also nicht, wenn sich die Nutzer selbst versorgen, sei es durch Einzelöfen oder Etagenheizungen oder wenn eine Mietsache komplett an einen Mieter vermietet wird. Gemäß § 2 Heizkostenverordnung gehen die Vorschriften der Verordnung grundsätzlich rechtsgeschäftlichen Bestimmungen vor. Das bedeutet, dass – außer bei Zweifamilienhäusern (siehe oben) – die Heizkostenverordnung in Verträgen weder insgesamt noch einzelne Vorschrift derselben vertraglich abbedungen werden können. Insbesondere ist auch eine vor dem Inkrafttreten der Verordnung vereinbarte Warmmiete oder Heizkostenpauschale nicht mehr zulässig. Ist trotzdem eine Nebenkostenpauschale vereinbart, so soll es auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, wie die Nebenkostenpauschale aufzuspalten und auf die Heizkosten und die übrigen Nebenkosten zu verteilen ist. Auf der Grundlage der Verbrauchserfassung hat der Gebäudeeigentümer die Verteilung der Heiz- und Warmwasserkosten vorzunehmen (§ 6 Abs. 1 Heizkostenverordnung). Der erfasste Verbrauch bildet jedoch nicht den ausschließlichen Maßstab für die Verteilung der Heizund Warmwasserkosten. Die Heizkostenverordnung sieht vielmehr einen kombinierten Maßstab vor, der sich teilweise am Verbrauch, im Übrigen an festen Kriterien orientiert. Der nach Verbrauch abzurechnende Teil der Kosten ist für die Heiz- und Warmwasserkosten auf mindestens 50 % und höchstens auf 70 % festgelegt. Die übrigen Kosten, d. h. mindestens 30 % und höchstens 50 % sind nach der Wohn- und Nutzfläche zu verteilen (§§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 Heizkostenverordnung). Mit dieser Methode trägt die Heizkostenverordnung dem Umstand Rechnung, dass im Einzelfall bis zu 1/3 der Heiz- und Warmwasserkosten unabhängig von der individuellen Nutzung entsteht. 7.2.7.4
Gesetzliche Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB)
Der Vertragsfreiheit der Parteien sind bei der formularmäßigen Abwälzung der Nebenkosten besondere Grenzen durch die formularrechtlichen Vorschriften des BGB (§§ 305 ff. BGB) gesetzt. Besonders zu beachten ist im gewerblichen Mietrecht § 307 BGB. Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessenen Benachteiligung kann sich beispielsweise aus der Unklarheit oder Undurchschaubarkeit einer Regelung ergeben (sog. „Transparenzgebot“, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). In der Praxis sind immer wieder Vereinbarungen anzutreffen, die gegen das Transparenzgebot verstoßen. Dies kann für einen Vermieter bittere Folgen haben. Ist nämlich eine von ihm verwendete Allgemeine Geschäftsbedingung über die Umlage der Nebenkosten nach den §§ 305 ff. BGB unwirksam, gilt stattdessen das Gesetz (§ 306 Abs. 2 BGB). Nach § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB hat der Vermieter die Nebenkosten dann selbst zu tragen (siehe Ziffer 7.2.7.2). Was ist zu beachten? Dem Mieter sollten die Nebenkostenarten, die er anteilig tragen soll, im Vertrag abschließend vor Augen geführt werden. Unbedingt vermieden werden sollten offene Formulierungen wie „trägt sämtliche Nebenkosten, insbesondere die Kosten ...“ oder „trägt die anfallenden Nebenkosten wie z. B. die Kosten ...“ (wenngleich das OLG München, ZMR 1997, 233, die Formu-
408
7 Wohn- und Gewerberaummiete
lierung „Es besteht Einigkeit zwischen den Parteien darüber, dass der Mieter alle anfallenden Nebenkosten – soweit gesetzlich zulässig – zu tragen hat“ für vereinbar mit § 307 BGB bewertet hat. In dem Fall war Mieter jedoch ein Rechtsanwalt, den das OLG offenbar für nicht schutzwürdig gehalten hat. Dieses Urteil dürfte daher nicht zu verallgemeinern sein). Es ist anzuraten, dem Vertrag einen Abdruck der Betriebskostenverordnung beizufügen. Nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nämlich nur dann Vertragsbestandteil, wenn der Verwender bei Vertragsabschluss der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Dies gilt auch für Verweisungen auf Texte, die dem Vertrag selbst nicht beigefügt sind (BGH, NJW 1983, 816). Zwar ist in einer Reihe gerichtlicher Entscheidungen zu lesen, ein bloßer Hinweis auf die Betriebskostenverordnung genüge auch in Formularmietverträgen (z. B. OLG Hamm, WuM 1997, 542; BayObLG, ZMR 1984, 203). In der Literatur wird das Beifügen der Betriebskostenverordnung zum Vertrag jedoch teilweise für erforderlich gehalten (z. B. Sternel, Mietrecht, 4. Aufl., 2009, S. 548). Der Literatur hat sich u. a. das Amtsgericht Dortmund angeschlossen (WuM 1996, 425). Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet eindrucksvoll: „Der bloße Verweis im Formularmietvertrag auf Anlage 3 zu § 27 Abs. 1 II. Berechnungsverordnung (heute Betriebskostenverordnung) ist als Betriebskostenvereinbarung unverständlich mit der Folge der Unwirksamkeit der Betriebskostenumlage“. Ferner sollten Unklarheiten, insbesondere Widersprüche in der Nebenkostenvereinbarung, vermieden werden. Nach § 305 c Abs. 2 BGB gehen nämlich Zweifel bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Sind beispielsweise in einem Formularmietvertrag einzelne Nebenkosten aufgeführt, sind nur diese als abrechenbar vereinbart, auch wenn an anderer Stelle in vollem Umfang auf die Betriebskostenverordnung Bezug genommen wird (AG Münden, WuM 1990, 32). Nach alledem kann man Vermietern für ihre gewerblichen Verträge eine Nebenkostenregelung etwa wie folgt empfehlen: Zunächst werden die Nebenkostenarten abschließend aufgezählt, die bei Mietbeginn auf den Mieter abgewälzt werden. Dabei werden in einem ersten Schritt die in der Betriebskostenverordnung genannten Betriebskostenarten wiedergegeben (entweder in einer Anlage zum Vertrag oder im Vertragstext selbst) und für umlegbar erklärt. Für die jeweilige Immobilie wird dieser Betriebskostenkatalog gegebenenfalls explizit erweitert, insbesondere um die Kosten der Hausverwaltung. Ergänzend sollten diejenigen Nebenkostenarten, die zukünftig neu entstehen, ebenfalls für umlegbar erklärt werden. Ob dies wirksam formularmäßig vereinbart werden kann, erscheint zweifelhaft (Transparenzgebot). Letzteres dürfte aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zulässig sein (vgl. BGH, WM 1984, 1007). Eine typische Vereinbarung über die Abwälzung von Nebenkosten in einem gewerblichen Formularvertrag könnte danach lauten: „1. Zusätzlich zur Miete tragen die Mieter alle Betriebskosten im Sinne der Betriebskostenverordnung, Anlage 1 zu diesem Vertrag, sowie die Kosten der Hausverwaltung und der Reinigung der Außenfassade. 2. Ferner umlegbar auf die Mieter sind alle künftig etwa neu entstehenden Nebenkosten.“
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages 7.2.7.5
409
Umlegungsmaßstab
Abgesehen von den Heiz- und Warmwasserkosten ist im gewerblichen Mietrecht ein bestimmter Umlegungsmaßstab für die Nebenkosten nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es bleibt somit den Vertragsparteien überlassen, einen konkreten Verteilungsmaßstab festzulegen. Fehlt eine einvernehmliche Festlegung, kann der Vermieter von sich aus einen Maßstab bestimmen (AG Köln, ZMR 1997, 30). Er hat hierbei die Vorschriften der §§ 315, 316 BGB zu beachten, d. h. er darf den Maßstab nicht beliebig festsetzten, sondern hat darauf zu achten, dass die Bestimmung der Leistung der Billigkeit entspricht. Dazu gehört insbesondere, dass der gewählte Verteilungsmaßstab so verbrauchsnah wie möglich ist (LG Hannover, WuM 1985, 346; AG Köln, WuM 1985, 343). Im gewerblichen Mietbereich haben sich durchweg Vertragsabreden durchgesetzt, nach denen die Nebenkosten zunächst nach dem individuellen Verbrauch, dann im Verhältnis der angemieteten Fläche zur Gesamtmietfläche der Mietsache umgelegt werden. Die jeweiligen Flächen sollten dabei möglichst exakt bestimmt werden. Dieses System verdeutlicht folgende Klausel, die für gewerbliche Mietverträge durchaus typisch ist: „Die Nebenkosten werden, soweit sie nicht vom Mieter unmittelbar beglichen oder nach Verbrauch ermittelt werden, im Verhältnis der angemieteten Fläche (110 qm) zur Gesamtmietfläche (2.600 qm) auf die Mieter umgelegt. Welche Nebenkosten nach Verbrauch umgelegt werden, entscheidet, soweit nicht gesetzliche Regelungen bestehen, der Vermieter.“ Man wird davon ausgehen können, dass bei den verbrauchsabhängigen Nebenkosten ein am Verbrauch orientierter Maßstab den Verhältnissen am besten Rechnung trägt. Ungerechtigkeiten können aber bei der Verteilung der nicht verbrauchsabhängigen Nebenkosten (Grundsteuern, Kosten des Hausmeisters, der Versicherungen, der Hausverwaltung etc.) auftreten, wenn man – wie im vorgenannten Beispiel – als Umlagemaßstab einen Flächenschlüssel vereinbart. Folgender Fall mag dies verdeutlichen: Ein Gastwirt mietet in einem Bürokomplex im Erdgeschoss verhältnismäßig wenig Fläche (100 qm) aber verhältnismäßig viel Lagerfläche (300 qm) im Kellergeschoss an. Legt man hier die nicht verbrauchsabhängigen Nebenkosten nach einem Flächenschlüssel um, trägt der Gastwirt für jeden Quadratmeter der im Verhältnis zur Mietfläche im Erdgeschoss wenig attraktiven Lagerfläche genauso hohe Nebenkosten wie für jeden Quadratmeter oberirdische Mietfläche. Insoweit ist eine Schwäche des Flächenschlüssels nicht zu leugnen. Idealerweise könnte man die Nebenkosten für das Kellergeschoss und die oberirdischen Mietflächen gesondert erfassen und entsprechend getrennte Nebenkostenabrechnungen erteilen. Nach aller Erfahrung können jedoch die Nebenkosten nicht den einzelnen Flächenarten zugeordnet werden, ohne dass es darüber bei der Nebenkostenabrechnung zwischen den Parteien zum Streit kommt. Hier könnte nur eine detaillierte vertragliche Vereinbarung Abhilfe leisten, die die Zuordnung der einzelnen Nebenkostenarten zu den unterschiedlichen Flächenarten bestimmt. Dadurch würden jedoch die oftmals ohnehin zeitraubenden Vertragsverhandlungen um eine weitere Detaildebatte bereichert. Dies dürfte nicht unbedingt sachdienlich sein. Für die Praxis erscheint daher für Vermieter die Empfehlung geboten, die nicht verbrauchsabhängigen Nebenkosten im Verhältnis der Mietfläche zur Gesamtfläche umzulegen. Sofern Tiefgaragenstellplätze vermietet werden, ist jedoch darauf zu achten, dass im Mietvertrag zum Zwecke der Umlage der Nebenkosten pro Kfz-Stellplatz eine bestimmte Quadratmeterzahl angesetzt wird. Sonst lässt sich der Flächenschlüssel nicht konsequent
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
umsetzen. In Wohnraummietverträgen können die Nebenkosten nach dem Flächenschlüssel „Wohnraumfläche zur Gesamtwohnraumfläche“ und für einzelne Nebenkostenarten (z. B. Müllgebühren) nach Köpfen verteilt werden. 7.2.7.6
Erhebungsformen
In aller Regel hat der Mieter die Nebenkosten nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht in einer Summe, sondern als Teilzahlungen in Form von Vorauszahlungen oder Pauschalen zu bezahlen. Üblich sind Vereinbarungen, wonach solche Teilzahlungen zusammen mit den jeweiligen Mietzahlungen, meist in Monatsraten, fällig sein sollen. Leistet der Mieter Pauschalzahlungen auf die Nebenkosten, sind diese Kosten hiermit abgegolten, also nicht abzurechnen. Bei Vorauszahlungen hingegen ist der Vermieter verpflichtet, am Ende der jeweiligen Abrechnungsperiode eine Abrechnung zu erteilen. Ergibt sich bei der Abrechnung ein Guthaben des Mieters, so kann er die Rückzahlung der zuviel geleisteten Vorauszahlungen verlangen (§ 812 BGB). Der Anspruch verjährt gemäß § 195 BGB in drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Vermieter Rechnung gestellt hat (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Reichen die Vorauszahlungen des Mieters nicht aus, den auf ihn entfallenden Nebenkostenanteil zu decken, so ist er zu einer Nachzahlung verpflichtet. Diese wird aber erst fällig, wenn der Vermieter eine ordnungsgemäße Abrechnung vorgelegt hat (BGH, WuM 1984, 127).
7.2.8
Mietkaution
Das Gesetz räumt dem Vermieter als Sicherheit für seine Ansprüche aus dem Mietvertrag ein Pfandrecht an den vom Mieter eingebrachten Gegenständen ein (siehe Ziffer 7.6). In der mietrechtlichen Praxis hat jedoch die Kaution, insbesondere in Form der Barkaution oder der Bürgschaft, erheblich größere Bedeutung erlangt. 7.2.8.1
Zweck und Umfang der Mietsicherheit
Die Mietsicherheit dient der Sicherung der Erfüllung aller Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis und seiner Abwicklung gegen den Mieter während und nach Beendigung der Mietzeit, soweit die Ansprüche auf Geld gerichtet sind oder sich in Ansprüche auf Geld verwandeln können (z. B. Schadenersatz wegen unterlassener Renovierung). Dazu gehören nicht nur die Miete, sondern auch Ansprüche auf Schadenersatz, Nutzungsentschädigung (§ 546 a BGB) sowie Nebenansprüche (z. B. Kosten der Rechtsverfolgung gegen den Mieter). Bei gewerblichen Mietverhältnissen ist die Vereinbarung einer Sicherheit – anders als bei Wohnraummietverträgen (dort maximal drei Monatsmieten, § 551 Abs. 1 BGB) – der Höhe nach nicht beschränkt. Eine Begrenzung ergibt sich lediglich bei Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und bei formularmäßig vereinbarten Mietsicherheiten durch §§ 305 ff. BGB, wenn die Höhe der Mietsicherheit überraschend ist oder den Mieter unangemessen benachteiligt. Letzteres ist zu bejahen, wenn die vom Vermieter geforderte Mietsicherheit sein Sicherungsbedürfnis übersteigt.
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages 7.2.8.2
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Form der Mietsicherheit
Die üblichsten Formen der Mietsicherheit sind die Barkaution und die (Bank-)Bürgschaft. Dabei ist seitens des Vermieters zu beachten, dass die Art der Sicherheitsleistung im Mietvertrag stets festgelegt werden sollte. Andernfalls kann der Mieter wählen, welche Art der Sicherheitsleistung er erbringen möchte (§ 262 BGB). Die Verpflichtung zur Erstellung einer Barkaution wird durch Zahlung des erforderlichen Betrages erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB), also durch Übergabe des Geldbetrages oder durch Banküberweisung. Wegen des Sicherungszweckes der Mietsicherheit ist der Mieter nicht berechtigt, seine Verpflichtung zur Leistung der Barkaution mit Gegenforderungen aufzurechnen (LG Hamburg, WuM 1991, 586). Bei Wohnraummietverträgen hat der Vermieter die Barkaution von seinem Vermögen getrennt bei einem Kreditinstitut, zu dem für Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist üblichen Zinssatz anzulegen (§ 551 Abs. 3 BGB). Die Zinsen stehen dem Mieter zu. Sie erhöhen die Sicherheit. Die obergerichtliche Rechtsprechung vertritt für das gewerbliche Mietrecht überwiegend die Auffassung, dass der Vermieter – anders als beim Wohnraummietvertrag – nicht verpflichtet ist, die überlassene Kautionssumme insolvenzfest von seinem Vermögen anzulegen (OLG Düsseldorf, NJW 1978, 2511; LG Stuttgart, ZMR 1997, 472; LG Bonn, NJW-RR 1997, 1099; a. A. OLG Frankfurt, NJW-RR 1991, 1416). Eine Entscheidung des BGH liegt dazu noch nicht vor (offen gelassen in BGHZ 84, 345 und BGHZ 127, 138). Den Parteien eines Mietvertrages bleibt es jedoch unbenommen, eine entsprechende Verpflichtung des Vermieters zu vereinbaren. Zweck einer solchen Vereinbarung ist es, den Mieter davor zu schützen, seinen Anspruch auf Rückzahlung der Barkaution einschließlich der Zinsen bei Vermögensverfall des Vermieters zu verlieren. Ohne treuhänderische Absonderung der Kaution vom Vermögen des Vermieters ist der Mieter im Falle der Insolvenz auf die Geltendmachung eines meist wertlosen Schadenersatzanspruches beschränkt. Die Stellung einer Bürgschaft einer Bank oder eines anderen Kreditinstitutes ist vor allem bei gewerblichen Mietverhältnissen weit verbreitet. Die Verpflichtung zur Stellung einer Bürgschaft kann auch in Formularverträgen wirksam vereinbart werden. Die Bürgschaft tritt dann an die Stelle der sonst üblichen Barkaution. Aus diesem Grund kann der Inhalt der Bürgschaft so ausgestaltet werden, dass die Inanspruchnahme des Bürgen für den Vermieter erleichtert wird. Zulässig ist in Formularverträgen die Anforderung, dass die Bürgschaft den Verzicht auf die Einrede der Anfechtbarkeit (BGH, NJW 1986, 43) oder den Verzicht auf das Recht zur Hinterlegung enthalten muss. Ebenso kann vom Vermieter eine Bürgschaft ausbedungen werden, in der sich der Bürge zur Zahlung auf erstes Anfordern verpflichtet. Dies hat den Zweck, dem Vermieter unmittelbar liquide Mittel zur Verfügung zu stellen. Dies ist nach ganz herrschender Ansicht auch formularmäßig zulässig, weil schon bei der Barkaution der Vermieter unmittelbar auf die Geldmittel zugreifen kann (die Rechtsprechung zu Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften im Baugewerbe ist nicht übertragbar!). Zu beachten ist jedoch, dass die Übernahme einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Kreditinstituten und Versicherungsgesellschaften sowie Kaufleuten, in deren Geschäftsbereich derartige Bürgschaften üblich sind, vorbehalten ist.
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Häufig entsteht zwischen den Parteien eines Mietvertrages Streit darüber, ob die vom Mieter gestellte Bürgschaft den mietvertraglichen Anforderungen entspricht. Dies kann durch Beifügung eines Mustertextes als Anlage zum Mietvertrag, dem die Bürgschaft entsprechen muss, vermieden werden. 7.2.8.3
Zeitpunkt der Überlassung der Mietsicherheit
Im Regelfall vereinbaren die Parteien eines gewerblichen Mietvertrages, dass die Mietsicherheit innerhalb einer bestimmten Frist vor Beginn des Mietverhältnisses, ansonsten aber bei Übergabe der Mietsache, dem Vermieter übergeben wird. Hat der Wohnraummieter eine Barkaution zu stellen, so darf er diese in drei gleichen monatlichen Teilleistungen erbringen. Die erste Teilleistung ist dann zu Beginn des Mietverhältnisses fällig (§ 551 Abs. 2 Satz 2 BGB). Davon kann in einem Wohnraummietvertrag nicht abgewichen werden (§ 551 Abs. 4 BGB). Der Vermieter hat einen einklagbaren Anspruch auf Übergabe der vereinbarten Mietsicherheit. Unerheblich ist, ob tatsächlich zu befürchten ist, dass der Mieter seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen wird. Etwaige Mängel der Mietsache berechtigen den Mieter nicht, die Stellung der Mietsicherheit zu verweigern. Der Mieter ist in einem solchen Fall auf die Ausübung seiner Gewährleistungsrechte (§§ 536 ff. BGB) beschränkt. Die Nichterfüllung der Pflicht zur Leistung der Mietsicherheit berechtigt den Vermieter zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB (BGH, NZM 1998, 766). Er kann demgemäß die Überlassung der Mieträume verweigern, wenn die Mietsicherheit nicht bis zur Übergabe der Mietsache vertragsgemäß gestellt worden ist; ferner kann er die Durchführung sonstiger von ihm übernommener Verpflichtungen (z. B. Ausbauarbeiten) verweigern (BGH, a. a. O.). Nach Beginn des Mietverhältnisses kann die Nichterfüllung im Einzelfall einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB darstellen (BGH, WuM 1988, 126). Erforderlich ist, dass das Sicherungsbedürfnis des Vermieters erheblich tangiert wird. Dies wird bei einer Weigerung des Mieters, die Sicherheit zu erbringen oder bei Zahlungsunvermögen angenommen. Zur Klarstellung empfiehlt sich, im Mietvertrag dem Vermieter ein Recht zur Kündigung für den Fall, dass die Sicherheitsleistung trotz angemessener Nachfristsetzung nicht gestellt wird, einzuräumen. 7.2.8.4
Verwertung der Mietsicherheit
Die Verwertung der Mietsicherheit richtet sich nach dem Sicherungszweck, für den die Mietsicherheit gegeben wurde. Die Barkaution wird durch Verrechnung des zur Befriedigung des Vermieters benötigten Betrages verwertet, die Bürgschaft durch Inanspruchnahme des Bürgen. Der Vermieter ist erst zur Verwertung der Mietsicherheit berechtigt, wenn der Mieter mit der Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung aus dem Mietverhältnis in Verzug gerät. Den Vermieter trifft keine Verpflichtung, sich vor Abwicklung des Vertrages aus der Sicherheit zu befriedigen; es steht ihm also frei, z. B. rückständige Miete auch kurz vor dem Ende der Mietzeit einzuklagen anstelle zur Verwertung der Mietsicherheit zu schreiten. Allerdings ist der Vermieter grundsätzlich auch während des Mietverhältnisses berechtigt, sich aus der Mietsicherheit zu befriedigen, wenn die vorgenannten Voraussetzungen zur Verwer-
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages
413
tung vorliegen (BGH, WuM 1972, 57). Durch die Verwertung erlischt die rückständige Zahlungsverpflichtung des Mieters. Auf Verlangen des Vermieters ist der Mieter jedoch nach Verwertung verpflichtet, eine Barkaution wieder aufzufüllen bzw. die in Anspruch genommene Mietbürgschaft durch eine neue Mietbürgschaft zu ersetzen. Für den Fall, dass der Mieter dieser Verpflichtung nicht nachkommt, sollte der Mietvertrag ein Recht zur fristlosen Kündigung für den Vermieter vorsehen. Für die Inanspruchnahme einer Mietbürgschaft gelten folgende Besonderheiten: Bei einer Mietbürgschaft, die auf erstes Anfordern zahlbar ist, genügt für die Inanspruchnahme des Bürgen die bloße Aufforderung zur Zahlung unter Angabe der rückständigen Ansprüche gegen den Mieter. Der Bürge kann die Zahlung nicht verweigern, sondern ist hinsichtlich ihm etwa zustehender Einwendungen und Einreden gegen den Zahlungsanspruch auf einen Rückforderungsprozess verwiesen. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung nur dann, wenn das Nichtbestehen der Hauptforderung offensichtlich und für jedermann klar erkennbar oder liquide beweisbar ist. In diesem Fall ist die Ausnutzung der formalen Rechtsstellung durch den Bürgschaftsgläubiger missbräuchlich und bei allen anderen Bürgschaftsformen muss der Vermieter die rückständige Forderung schlüssig darlegen und dem Bürgen die Möglichkeit zur Überprüfung einräumen. Der Bürge ist insbesondere berechtigt, Einwendungen und Einreden, die dem Mieter zustehen, der Inanspruchnahme entgegenzuhalten (§ 768 BGB). 7.2.8.5
Abrechnung und Rückgabe der Mietsicherheit
Der Anspruch des Mieters auf Rückzahlung der Barkaution zzgl. etwaiger Zinsen bzw. Rückgabe der Mietbürgschaft ist aufschiebend bedingt durch die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrag. Der Anspruch entsteht mithin frühestens mit dem Ende des Mietverhältnisses. Der Anspruch auf Rückgabe der Mietsicherheit wird erst fällig, wenn der Sicherungszweck entfallen ist. Dies ist der Fall, wenn der Vermieter zum Ergebnis kommt, dass keine Ansprüche gegen den Mieter bestehen oder er aus sonstigen Gründen auf eine Inanspruchnahme verzichtet. Dem Vermieter steht dabei ein angemessener Zeitraum zu, innerhalb dessen er prüfen und entscheiden kann, ob und in welcher Höhe noch Ansprüche gegen den Mieter bestehen, die durch Inanspruchnahme der Sicherheit befriedigt werden sollen. Auch während dieser Zeit ist eine Aufrechnung des Mieters mit dem Anspruch auf Rückzahlung der Barkaution ausgeschlossen. Der Anspruch des Mieters auf Rückzahlung bzw. Rückgabe der Mietsicherheit wird daher erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraumes fällig (BGH, WuM 1987, 310). Die obergerichtliche Rechtsprechung vertritt dabei überwiegend die Auffassung, angemessen sei stets ein Zeitraum von sechs Monaten (z. B. OLG Hamm, NJW-RR 1992, 1036; OLG Frankfurt, ZMR 1991, 105). Richtigerweise hängt die Dauer des Zeitraums von den Umständen des Einzelfalles ab, so dass auch ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten angemessen sein kann (BGH, WuM 1987, 310). Bei der Bemessung des Zeitraumes ist insbesondere zu berücksichtigen, innerhalb welcher Frist der Vermieter über die Nebenkosten abrechnen kann. Dies ist häufig problematisch, wenn der Auszugszeitpunkt am Anfang einer Abrechnungsperiode liegt. Die Art und Weise der Rückgabe richtet sich nach der vom Mieter erbrachten Sicherheit. Ist eine Barkaution erbracht, ist dem Mieter der Kautionsbetrag einschließlich Kautionszin-
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sen zu leisten. Bei einer Bürgschaft muss der Vermieter dem Bürgen unter Umständen wahlweise auch dem Mieter die Bürgschaftsurkunde herausgeben. Der Mieter kann auch verlangen, dass der Vermieter gegenüber dem Bürgen eine Verzichtserklärung abgibt. 7.2.8.6
Wechsel des Eigentümers
Im Falle der Veräußerung des Grundstückes tritt der Erwerber mit dem Tag der Umschreibung des Eigentums im Grundbuch in alle Rechte und Pflichten des Vermieters aus dem Mietvertrag ein (§ 566 BGB). § 566 a BGB bestimmt weiter, dass der Erwerber kraft Gesetzes auch in bestehende Sicherungsrechte eintritt. Die Rechte einer Mietsicherheit gehen daher ohne weiteres auf den Erwerber über. Soweit der Mieter die Mietsicherheit vor dem Eigentümerwechsel nicht vollständig gestellt hat oder die Mietsicherheit in Anspruch genommen worden ist, kann der Erwerber vom Mieter die Stellung bzw. Wiederauffüllung der Mietsicherheit verlangen. Der bisherige Vermieter ist mit dem Eigentumswechsel grundsätzlich verpflichtet, die Mietsicherheit dem Erwerber zu übergeben (Überweisung der Mietkaution, Übergabe der Bürgschaft). Diesen Anspruch können sowohl der Erwerber als auch der Mieter gegen ihn geltend machen. Der Vermieter ist berechtigt, die Weiterleitung zu verweigern, wenn und soweit er die Sicherheit noch zur Befriedigung rückständiger Ansprüche benötigt (OLG Karlsruhe, ZMR 1989, 89). Unterlässt es der alte Vermieter, die Kaution entgegen seiner Verpflichtung weiterzuleiten, ist der Mieter gegenüber dem Erwerber nicht zur Stellung einer neuen Kaution verpflichtet, denn mit Stellung der Sicherheit hat er seine diesbezügliche Verpflichtung aus dem Mietvertrag zunächst erfüllt. Selbst wenn die Mietsicherheit an den Erwerber weitergeleitet wird, ist der bisherige Vermieter aber weiterhin zur Rückgabe der Sicherheit verpflichtet, sofern der Mieter die Sicherheit nicht vom Erwerber erlangen kann (§ 566 a Satz 2 BGB). Im Falle eines Mieterwechsels ist seitens des Vermieters bei Bürgschaften auf Besonderheiten zu achten (siehe Ziffer 7.2.3).
7.2.9
Vertragsdauer
7.2.9.1
Praktische Erscheinungsformen
Grundsätzlich sind die Parteien eines Mietvertrages frei in der Bestimmung der Vertragsdauer. Entweder wird der Vertrag auf unbestimmte Zeit (dann ist er von jeder Partei unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen ordentlich kündbar) oder für einen bestimmten Zeitraum (dann ist er während der festen Vertragsdauer von keiner Partei ordentlich kündbar) abgeschlossen. Insbesondere im gewerblichen Mietrecht weit verbreitet ist, dass sich der Mieter eine oder mehrere Optionsmöglichkeiten einräumen lässt. Diese Option(en) gestatten es dem Mieter, einseitig den Mietvertrag um einen vertraglich vereinbarten Zeitraum (zum Beispiel drei oder fünf Jahre) fest zu verlängern. Wer als Mieter insoweit auf besonders hohe Flexibilität wert legt, kann sogar versuchen, zu vereinbaren, dass er die Option auch nur für Teilflächen ausüben darf. Alternativ zur Gewährung von Optionen können die Parteien auch einen sehr langfristigen Vertrag schließen mit der Möglichkeit des Mieters, den Vertrag vorzeitig zu bestimmten Terminen sonderzukündigen.
7.2 Abschluss und Inhalt des Mietvertrages 7.2.9.2
415
Gesetzliche Grenzen
Wird ein Mietvertrag für eine längere Zeit als 30 Jahre abgeschlossen, so kann nach 30 Jahren jeder Teil das Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen (§ 544 Satz 1 BGB). Die Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag für die Lebenszeit des Vermieters oder Mieters geschlossen ist (§ 544 Satz 2 BGB). Schließen also die Parteien einen Mietvertrag auf 40 Jahre fest ab, können Vermieter und Mieter den Vertrag vorzeitig nach Ablauf von 30 Jahren kündigen. Der Gesetzgeber hat insoweit eine zwingende gesetzliche Zäsur vorgeschrieben. Wollen die Parteien bei Vertragsabschluss das Nutzungsrecht für eine längere Zeit als 30 Jahre fest begründen, können sie dies durch die Bindung an die Lebenszeit des Vermieters oder Mieters sowie eine „Verdinglichung“ des Mietrechts über die Vereinbarung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit oder eines Dauernutzungsrechts erreichen (siehe Ziffer 7.3.8). Ist im Mietvertrag eine Wertsicherungsklausel enthalten (siehe oben Ziffer 7.2.5.4), ist diese nur wirksam, wenn sich der Vermieter im Mietvertrag mindestens 10 Jahre fest bindet. Dies sollte der Vermieter bei der Vertragsgestaltung tunlichst beachten. In Hinsicht auf die Mietdauer besonders hinzuweisen ist auf § 545 BGB, eine tückische Vorschrift. § 545 BGB bestimmt: Wird nach dem Ablaufe der Mietzeit der Gebrauch der Sache fortgesetzt, so gilt das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern nicht der Vermieter oder der Mieter seinen entgegengesetzten Willen binnen einer Frist von zwei Wochen dem anderen Teil gegenüber erklärt. Die Frist beginnt für den Mieter mit der Fortsetzung des Gebrauchs, für den Vermieter mit dem Zeitpunkt, in welchem er von der Fortsetzung Kenntnis erhält. Setzt also der Mieter nach dem Mietende den Gebrauch der Mietsache fort und widerspricht der Vermieter diesem Fortgebrauch nicht innerhalb der 2-WochenFrist, wird das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit fortgesetzt fingiert. Will der Vermieter die Mietsache dann zurück, muss er dem Mieter (erneut) kündigen. Um diese unliebsame Rechtsfolge zu vermeiden, versuchen die meisten Vermieter, § 545 BGB im Mietvertrag auszuschließen, was selbst formularmäßig zulässig ist, wenn im Mietvertrag der Inhalt von § 545 BGB wiedergegeben wird. Ist § 545 BGB nicht im Mietvertrag ausgeschlossen worden, ist der Vermieter im Falle der Kündigung des Mietvertrages gut beraten, bereits in der Kündigung seinen der Fortsetzung des Mietverhältnisses entgegenstehenden Willen zu erklären. Dies ist möglich.
7.2.10
Vorvertrag und ähnliche Sachverhalte
7.2.10.1
Vorvertrag
Ein Vorvertrag, der gesetzlich nicht geregelt ist, zeichnet sich dadurch aus, dass er die Vertragsparteien lediglich verpflichtet, erst künftig einen gültigen Mietvertrag abzuschließen, ohne selbst unmittelbare Leistungspflichten zu begründen. Mietvorverträge kommen in der Praxis eher selten vor, da den Parteien eigentlich immer daran gelegen ist, ihre vertraglichen Beziehungen bereits endgültig zu regeln oder sich eben noch nicht zu binden. Die Annahme eines Vorvertrages ist nur dann gerechtfertigt, wenn besondere Umstände darauf schließen lassen, dass die Parteien sich ausnahmsweise schon binden wollten, bevor sie alle Vertragspunkte abschließend geregelt haben und nur deshalb vom Abschluss des eigentlichen Mietvertrages abgesehen haben. Vormietverträge haben beispielsweise ihre eigenständige Bedeutung
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bei Vorliegen von Hindernissen rechtlicher oder tatsächlicher Art, die dem Abschluss des erstrebten Hauptvertrages entgegenstehen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das zu vermietende Objekt anderweitig vermietet ist oder das Gebäude noch erst errichtet werden muss, die Parteien aber eine Bindung schon jetzt begründen wollen, um die Erreichung des Vertragszieles schon frühzeitig zu sichern. Mit Abschluss des Vormietvertrages besteht die Verpflichtung, alsbald nach Fortfall der noch bestehenden Hindernisse den Hauptvertrag abzuschließen. Den Inhalt des erstrebten Mietvertrages braucht nach herrschender Meinung der Vorvertrag nicht so bestimmt oder bestimmbar zu umschreiben wie der eigentliche Mietvertrag. Es liegt im Wesen des Vorvertrages, dass die Vertragsbedingungen nicht vollständig festgelegt sind und ein Verhandlungsspielraum verbleibt, der bei Abschluss des Hauptvertrages auszufüllen ist. Die Parteien müssen sich aber über alle wesentlichen Punkte so geeinigt haben, dass der Inhalt des abzuschließenden Hauptvertrages zumindest bestimmbar ist. Enthält der Vorvertrag keine Regelungen zu Nebenpunkten, sind i. d. R. die gesetzlichen Bestimmungen heranzuziehen. Zum wesentlichen Vertragsinhalt, über den Einigung bestehen muss, gehören die Vertragsparteien, die Mietsache, die Miete und die Mietzeit (BGH, NJW-RR 1993, 139). Problematisch ist dies jedoch, wenn der Abschluss des Hauptvertrages gerichtlich durchgesetzt werden soll. Hier muss der klagende Vertragspartner dem anderen grundsätzlich ein genaues Vertragsangebot unterbreiten und beantragen, diesen zur Annahme des Vertragsangebotes zu verurteilen (BGHZ 97, 147). Der Kläger muss daher, soweit Unsicherheiten über den Umfang der vertraglichen Bindung bestehen, entsprechende Hilfsanträge stellen. Voraussetzung für ein gerichtliches Vorgehen ist daher, dass der Vorvertrag einen engen Rahmen für den in Aussicht genommenen Mietvertrag gesteckt hat. Lässt er dem Beteiligten einen breiten Verhandlungsspielraum, so ist es nicht Aufgabe des Gerichtes, den Inhalt des Vertrages festzulegen; dies ginge über eine zulässige ergänzende Vertragsauslegung hinaus. Der Mietvorvertrag weist zudem eine weitere Besonderheit auf: Nach der umstrittenen Rechtsprechung des BGH bedarf er – anders als der endgültige Mietvertrag – nicht der strengen gesetzlichen Schriftform (BGH, NJW 1984, 479). Ein Mietvorvertrag ist daher insgesamt kaum zu empfehlen. 7.2.10.2
Vormietrecht
Im gewerblichen Mietrecht verbreitet ist das sogenannte Vormietrecht. Damit wollen sich Mieter regelmäßig den ersten Zugriff auf bestimmte, frei werdende Mietflächen sichern. Was ist ein Vormietrecht genau? Das Vormietrecht ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Die Juristen sind sich jedoch einig, dass – mangels anderslautender Vereinbarungen – die gesetzlichen Vorschriften über das Vorkaufsrecht (§ 463 ff. BGB) entsprechend gelten. Das hat für einen Vermieter unangenehme Rechtsfolgen, denn der vormietberechtigte Mieter kann durch einseitige Erklärung gegenüber dem Vermieter für die Vormietfläche einen Mietvertrag zustande bringen, wie ihn der Vermieter mit einem Dritten vereinbart hat. Folgendes Beispiel soll die Brisanz für den Vermieter verdeutlichen: Der Vermieter V räumt dem Gewerbemieter G für die 1. Etage des Mietobjekts das Vormietrecht ein. Als die 1. Etage frei wird, bietet V dem G die 1. Etage zur Anmietung an. G kann sich jedoch zunächst nicht entscheiden. So vermietet V die 1. Etage an den M. Daraufhin übt G gegenüber V sein Vormietrecht aus.
7.3 Mietgebrauch
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Im vorgenannten Beispiel sind über dieselbe Mietfläche (1. Etage) zwei Mietverträge mit identischen Bedingungen zustande gekommen, wovon V allerdings nur einen erfüllen kann. Will V sich nicht schadenersatzpflichtig machen, müsste er sich in dem Mietvertrag mit dem M unter Ausschluss von Schadenersatzansprüchen den Rücktritt vorbehalten für den Fall, dass G sein Vormietrecht ausübt (möglich ist auch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung). Das wird die Anmietaktivitäten des M bremsen, so dass sich Vormietrechte für Vermieter in der Praxis als Vermietungshindernisse erweisen können. 7.2.10.3
Anmietrecht
Allgemein wird unter dem (gesetzlich nicht geregelten) Anmietrecht das dem Mieter eingeräumte Gestaltungsrecht verstanden, durch einseitige Erklärung einen inhaltlich feststehenden oder zumindest nach vereinbarten Bedingungen inhaltlich festzulegenden Mietvertrag zu begründen. Wird also Mietfläche in dem Mietobjekt frei, auf die sich das Anmietrecht des Mieters bezieht, kann der Mieter nach Maßgabe der vertraglich vereinbarten Konditionen diese Fläche einseitig anmieten. Mit der Einräumung des Anmietrechts hat sich der Vermieter also einseitig bereits gebunden, was dieses Recht für ihn nicht sonderlich attraktiv macht. 7.2.10.4
Anbietungsverpflichtung
Die Anbietungsverpflichtung ist gesetzlich nicht definiert und der Begriff wird nicht einheitlich verwendet. Allgemein lässt sich sagen, dass es sich um eine Parteivereinbarung handelt, mit der dem Berechtigten eine Verzugsstellung eingeräumt wird. Konkret wird einem Mietinteressenten (oder dem vorhandenen Mieter) vertraglich versprochen, dass ihm eine bestimmte Mietsache oder ggf. weitere Mietflächen zur Anmietung angeboten werden, bevor der Vermieter die Mietsache bzw. die weiteren Flächen an einen anderen vermietet. Dabei können wiederum die Mietkonditionen bereits festgelegt oder offen gelassen werden. Dem Vermieter steht es jedoch frei, ob, wann und zu welchen Bedingungen er vermieten will. Er ist lediglich verpflichtet, bei beabsichtigter Vermietung zunächst in Vertragsverhandlungen mit dem Berechtigten einzutreten, ggf. ihm auch Angebote anderer Interessenten mitzuteilen. Solche Leistungsverpflichtungen sind aus der Sicht des Vermieters jedenfalls dann gefährlich, wenn der Berechtigte die Weitervermarktung der Mietflächen durch allzu lange Überlegungsfristen blockieren kann. Ein Risiko besteht auch, wenn der Vermieter großzügig verschiedenen Mietern Anbietungsverpflichtungen zusagt, und dann den Überblick über die Anbietungssituation verliert. Dies kann Schadenersatzverpflichtungen nach sich ziehen. Alles in allem ist die Anbietungsverpflichtung gegenüber dem Anmietrecht oder dem Vormietrecht aber die Alternative, der der Vermieter noch am ehesten zustimmen kann.
7.3
Mietgebrauch
7.3.1
Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters
7.3.1.1
Vorbemerkung
Vertragliche Hauptpflicht des Vermieters ist es, dem Mieter den Gebrauch der vermieteten Sache während der Mietzeit zu gewähren. § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB konkretisiert diese Pflicht dahingehend, dass der Vermieter dem Mieter die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen
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Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und ihn während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten hat. Nach dem gesetzlichen Leitbild liegen also die mit der Erfüllung dieser Hauptpflicht verbundenen Risiken und Kosten in der Risiko- und Verantwortungssphäre des Vermieters. Etwas anderes gilt nur, wenn und soweit die Parteien im Einzelfall davon abweichende Vereinbarungen getroffen haben. In der Praxis versuchen Vermieter daher sehr häufig diesen Grundsatz vor allem in gewerblichen Mietverträgen zu Lasten der Mieter abzuändern. Soweit solche Regelungen Gegenstand individueller Vereinbarungen sind, bestehen gegen ihre Wirksamkeit – jedenfalls im gewerblichen Mietrecht – in aller Regel keine Bedenken. Problematisch ist hingegen die Zulässigkeit derartiger Klauseln in Formularverträgen. Diese Klauseln sind Gegenstand einer umfangreichen, sich laufend fortentwickelnden Rechtsprechung, die bei der Abfassung von Formularverträgen im Einzelfall jeweils neu überprüft werden muss. Der Vermieter hat dem Mieter die Mietsache zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt zu überlassen. Ist für die Überlassung kein Termin vereinbart worden, kann der Mieter sie unmittelbar nach Abschluss des Mietvertrages verlangen (§ 271 BGB). Zur Erfüllung der Überlassungspflicht reicht es aus, dass der Vermieter dem Mieter den unmittelbaren Besitz an der gesamten Mietsache einräumt (BGH, NJW 1976, 105). Die Gebrauchsgewährungspflicht ist als Hauptpflicht des Vermieters grundsätzlich unabdingbar. Der Vermieter bleibt dazu verpflichtet, auch wenn der Mieter mit der Zahlung der Miete in Verzug gerät. Kommt der Vermieter seiner Verpflichtung zur Überlassung nicht nach, kann der Mieter dem Vermieter eine angemessene Nachfrist setzen und nach deren fruchtlosen Ablauf den Mietvertrag fristlos kündigen (§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB). Die Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn die Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung auf Verschulden oder Mitverschulden des Mieters, wie z. B. bei einem vom Mieter verursachten Brand, zurückzuführen ist. Mit den Risiken einer fristlosen Kündigung des Mieters gemäß § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen nicht rechtzeitiger Gewährung des Gebrauchs der Mietsache, wird der Vermieter in der Praxis vor allem bei zwei Fallgestaltungen konfrontiert:
werden vermietete Räume vor Auszug des Vormieters an einen Nachmieter vermietet, kann der Verzug des Vormieters mit der Räumung der Mietsache deren rechtzeitige Übergabe an den Nachmieter vereiteln; werden noch in der Erstellung begriffene Mietsachen vermietet, kann sich deren Fertigstellung über den mit dem Mieter vereinbarten Übergabetermin hinaus verzögern. Bei im Bau befindlichen Gebäuden sollte diese Problematik in einer Individualvereinbarung mit flexiblen Zeitkorridoren für den Übergabetermin geregelt werden. Dasselbe gilt bei Auszugsverzögerungen des Vormieters, soweit sie bei Abschluss des Mietvertrages mit dem Nachmieter absehbar sind. Der Mietvertrag begründet – soweit dies nicht ausdrücklich vereinbart wird – keine Pflicht des Mieters zur Übernahme der Mietsache. Der Mieter gerät jedoch, wenn er die ihm fristgerecht angebotene Mietsache nicht übernimmt, in Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB). 7.3.1.2
Vertragsgemäßer Zustand der Mietsache bei Überlassung
Die Mietsache muss dem Mieter in vertragsgemäßem Zustand übergeben werden. Der Inhalt dieser Verpflichtung bestimmt sich nach dem Vertragszweck, in erster Linie also der vertraglich vorgesehenen Nutzung durch den Mieter und der vereinbarten Ausstattung. Soweit der Mietvertrag dazu keine genauen oder nur unzureichende Angaben enthält, gilt die Ortsüblichkeit.
7.3 Mietgebrauch
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Im Rahmen seiner Verpflichtung zur Überlassung der Mietsache in einem vertragsgemäßen Zustand ist der Vermieter verpflichtet, dem Mieter die Mietsache mangelfrei zu übergeben. Die Mietsache muss dem Mieter so bereitgestellt werden, dass er in der Lage ist, den üblichen oder vertraglich vereinbarten Gebrauch auszuüben. Die Tauglichkeit der Mietsache dazu darf weder aufgehoben noch gemindert sein. Liegt ein Mangel im Sinne der §§ 536 ff. BGB vor, kann der Mieter nach Überlassung der Mietsache gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bzw. Mängelbeseitigung verlangen und/oder die Gewährleistungsrechte nach §§ 536 ff. BGB geltend machen, ggf. auch das Mietverhältnis nach § 543 BGB fristlos kündigen. Der Vermieter steht also für die vertraglich vereinbarte oder übliche Beschaffenheit der Mietsache insoweit verschuldensunabhängig ein. Die Beweislast dafür, dass die Mietsache sich bei Überlassung an den Mieter in einem vertragsgemäßen Zustand befindet, trägt der Vermieter (OLG Köln, ZMR 1997, 230). Die Verpflichtung zur Übergabe im vertragsgemäßen Zustand bezieht sich nicht nur auf den substanziellen Zustand der Mietsache selbst, sondern auch auf die für ihre Benutzbarkeit maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse. So muss der Vermieter z. B. für einen ungehinderten Zugang zu den Mieträumen (auch durch Kunden bzw. Lieferanten des Mieters) sowie ggf. für den Mitgebrauch beeinträchtigende und bei Abschluss des Mietvertrages nicht vorausgesetzte Immissionen durch Lärm, Gerüche oder Staub ebenso einstehen wie für sonstige Störungen des Mietgebrauchs durch Dritte. Zu dem vertragsgemäßen Zustand gehört auch die Möglichkeit, die Mietsache zu dem vertraglich vorgesehenen Zweck ohne Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Bestimmungen (z. B. baurechtliche Nutzungsbestimmung, Apothekenbetriebs-VO, Warenhaus-VO etc.) nutzen zu können. Auf ein Verschulden des Vermieters kommt es insoweit ebenso wenig an wie darauf, ob die den vereinbarten Mietgebrauch behindernden Umstände seiner Einflusssphäre entzogen sind. Vielmehr trägt der Vermieter das Risiko mangelnder Tauglichkeit der Mieträume zu dem vereinbarten Verwendungszweck bzw. zu dem vertragsgemäßen Gebrauch. Von den hiermit verbundenen Prüfungs- und Regelungspflichten kann sich der Vermieter in Formularverträgen nicht wirksam freizeichnen, sondern wiederum nur von seiner Schadenersatzhaftung. Um das Risiko späterer Streitereien über den Zustand der Mietsache bei Übergabe zu reduzieren, empfiehlt es sich grundsätzlich für den Vermieter und den Mieter die Mietsache bei der Übergabe gemeinsam zu besichtigen. Die dabei etwa festgestellten Mängel und deren Behandlung (z. B. Beseitigung) sollten in ein von beiden Parteien zu unterzeichnendes Übergabeprotokoll aufgenommen werden. Soweit der Mieter in einer individuellen Vereinbarung, wozu auch ein Übergabeprotokoll gehört, auf eine Beseitigung der vorhandenen Mängel verzichtet, kommt dem nur eingeschränkt rechtliche Bedeutung zu. Wird ein Mangel, den der Mieter kannte oder erkennen konnte, von ihm nicht gerügt, so werden dadurch nach § 536 c Abs. 2 BGB regelmäßig nur die Gewährleistungsansprüche des Mieters ausgeschlossen. Unberührt davon bleibt der Erfüllungsanspruch des Mieters, also der Anspruch auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes (BGH, NJW 1980, 777). 7.3.1.3
Gewährleistung des Vermieters
Weist die Mietsache bei der Überlassung an den Mieter einen Mangel auf oder entsteht ein solcher während der Mietzeit, stehen dem Mieter grundsätzlich folgende Rechte gegen den Vermieter zu: Erfüllung durch Beseitigung des Sachmangels (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB), Minderung der Miete (§ 536 BGB),
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Schadenersatz wegen Nichterfüllung (§ 536 a BGB), Kündigung des Mietvertrages ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist (§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Der Mieter kann diese Rechte wahlweise nebeneinander geltend machen. Er kann also gleichzeitig die Miete mindern und Schadenersatz fordern; er kann aber auch Erfüllung verlangen und daneben die Rechte aus §§ 536, 536 a BGB ausüben. Ferner kann der Mieter kündigen und Schadenersatz nach § 536 a BGB verlangen. Die mietrechtlichen Regelungen zur Gewährleistung des Vermieters verdrängen nach der Überlassung der Mietsache die allgemeinen schuldrechtlichen Bestimmungen über die Leistungsstörungen (insbesondere §§ 275 ff., 320 ff. BGB). Ansprüche auf Schadenersatz aus positiver Vertragsverletzung können daher neben § 536 a BGB nur geltend gemacht werden, soweit die Vertragsverletzung des Vermieters nicht unmittelbar die Beschaffenheit der Mietsache betrifft, wie z. B. bei Schutz- und Fürsorgepflichten. Ebenso sind nach der Übergabe Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (c. i. c.), z. B. wegen unrichtiger Angaben des Vermieters zur Beschaffenheit der Mietsache, durch die insoweit vorrangigen Gewährleistungsrechte des Mietrechtes ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nur, soweit der Vermieter arglistig falsche Angaben gemacht hat (BGH, NJW 1997, 2813). Nach § 536 BGB liegt ein Mangel der Mietsache vor, wenn ein Fehler der Mietsache seine Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder erheblich mindert oder eine zugesicherte Eigenschaft der Mietsache fehlt oder später wegfällt. Zum Begriff des „Fehlers“ der Mietsache haben sich in der Rechtsprechung im Laufe der Zeit folgende fünf Fallgruppen gebildet: 1. Gruppe: Sachmängel, die der Mietsache unmittelbar anhaften, wie z. B. 2. Gruppe: 3. Gruppe:
ungenügende Sicherung gegen Regenwasser (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 906; OLG, Hamm NJW-RR 1988, 529); unzureichende Heizung (NJW-RR 1994, 399); bauliche Mängel des Gebäudes (Mangel an Schallschutz, mangelhafte Elektroinstallationen oder Abwasserleitungen); gesundheitsgefährdender Zustand wie bei Asbest, Hausschwamm, Formaldehydkonzentration oberhalb der zulässigen Grenzwerte. Sachmängel, die sich außerhalb der Mietsache am Gebäude oder seinen Zuwegungen befinden, wie z. B. mangelhafter Zustand von Treppenhäusern (RGZ 165, 155; BGH, NJW 1967, 154); Störung des ungehinderten Zugangs zur Mietsache durch Straßenbauarbeiten (BGH, NJW 1981, 2405). Leistungsmängel, die sich darauf beziehen, dass der Vermieter seinen Versorgungspflichten nicht nachkommt, wie z. B.
unzureichende Wärme- oder Wasserversorgung; nicht ordnungsgemäße Reinigung und Beleuchtung von Gemeinschaftsflächen. Störungen durch Nachbarn und sonstige Dritte, wie z. B.
Baustellenlärm (OLG München, NJW-RR 1994, 654);
4. Gruppe:
7.3 Mietgebrauch
421
Belästigung durch Lärm, Gerüche, Staub und dergleichen, die von Mitmietern, Nachbarn oder sonstige Dritte verursacht werden, wobei der Vermieter regelmäßig jedoch nicht für kriminelles Verhalten Dritter einstehen muss. Behördliche Nutzungsbeschränkungen, wie z. B.
Fehlen einer für die konkrete Nutzung erforderlichen bauaufsichtsrechtlichen Nutzungsgenehmigungen (BGH, NJW-RR 1991, 1102); Bebauungsverbote; Zweckentfremdungsverbote.
5. Gruppe:
Der mietrechtliche Begriff des Mangels wird subjektiv verstanden. Deshalb kommt es für die Frage, ob ein Mangel vorliegt, maßgeblich auf den vom Mieter bezweckten und vertraglich vereinbarten Verbrauch der Mietsache an. Das Vorliegen eines Mangels der Mietsache kann bejaht werden, wenn sie von der im Mietvertrag vereinbarten Beschaffenheit abweicht und dadurch ihr Wert oder ihre Tauglichkeit zum vertraglich vorausgesetzten Verbrauch nicht nur unwesentlich aufgehoben oder gemindert wird. Unwesentliche Beeinträchtigungen der Gebrauchsfähigkeit bleiben außer Betracht (§ 536 Abs. 1 Satz 3 BGB). Die Prüfung, ob ein Sachmangel vorliegt, erfolgt also anhand der Zweckbestimmung der Vertragsparteien. Je genauer der Mietvertrag den Gebrauchszweck umschreibt, umso weitgehender ist das vom Vermieter übernommene Risiko für die Verwendbarkeit der Mietsache für die vom Mieter beabsichtigte und ausgeübte Nutzung. Das Fehlen oder der Wegfall einer zugesicherten Eigenschaft begründet ebenfalls einen Mangel der Mietsache, und zwar auch, wenn dadurch der Gebrauch nur unerheblich beeinträchtigt wird (§ 536 Abs. 2 BGB). Eigenschaft ist jede Beschaffenheit der Mietsache sowie jedes tatsächliche oder rechtliche Verhältnis, dass für den Gebrauch der Mietsache von Bedeutung ist, wie z. B. ihre Größe, die Tragfähigkeit einer Decke oder der künftige Umsatz, der aus einer Mietsache erzielt werden kann. Die Zusicherung ist eine ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Vermieters, die zum Inhalt des Mietvertrages geworden ist, durch die er dem Mieter zu erkennen gibt, dass er für den Bestand einer bestimmten Eigenschaft der Mietsache und alle Folgen ihres Fehlens einstehen will. Den üblichen Anpreisungen oder Beschreibungen der Mietsache durch den Vermieter kommt ein solcher Erklärungswert jedoch nicht zu. So liegt in der bloßen Angabe einer Quadratmeterzahl (OLG Dresden, NZM 1998, 184) oder einer Umsatzhöhe im Zweifel noch keine Zusicherung. Ein Rechtsmangel (§ 536 Abs. 3 BGB) liegt vor, wenn der Mieter die (im Übrigen gebrauchsfähige) Mietsache dem Mieter wegen des Rechtes eines Dritten nicht zur Verfügung stellen kann. Rechte im Sinne des § 536 Abs. 3 BGB sind nur Privatrechte (BGHZ 114, 277). Die oben dargestellten Sachmängel der Fallgruppe 5 (behördliche Nutzungsbeschränkungen) fallen daher nicht unter die Rechtsmängel. Ein Rechtsmangel liegt vor z. B. bei einer Doppelvermietung der Mietsache oder, wenn nach Beendigung des Hauptmietvertrages der Eigentümer vom Untermieter die Herausgabe der Mietsache verlangt. Ebenso, wenn der Nutzung der Mietsache ein Nießbrauch oder eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten eines Dritten entgegensteht. Die Gewährleistung des Vermieters für Rechtsmängel richtet sich nach den Vorschriften über die Gewährleistung von Sachmängeln gemäß §§ 536 ff. BGB. Der Mieter trägt die Beweislast für die von ihm behaupteten Mängel und die dadurch bedingte Aufhebung bzw. Minderung der Tauglichkeit der Mietsache. Dies gilt auch, wenn der
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
Mieter nach der Übergabe das Vorliegen eines anfänglichen Sachmangels behauptet (§ 363 BGB). Eine Klausel, in der der Mieter bestätigt, die Mietsache in mangelfreiem Zustand erhalten oder sogar eingehend geprüft zu haben, verändert nicht die Beweislast zu seinen Ungunsten (vgl. § 309 Nr. 12 BGB). Sie ist jedoch unangemessen, weil sie letztendlich den Ausschluss von Gewährleistungsrechten bezweckt (§ 307 BGB). Im Falle eines (Sach- oder Rechts-)Mangels der Mietsache mindert sich der Anspruch des Vermieters auf Zahlung der Miete nach § 536 BGB entsprechend den Regeln über die Minderung des Kaufpreises bei einem Mangel des Kaufgegenstandes. Eine Befreiung des Mieters von der Pflicht zur Mietzahlung kommt nur bei einer völligen Beseitigung der Gebrauchsfähigkeit der Mietsache in Betracht. Die Mietminderung erfolgt unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Vermieters. Die Minderung der Miete tritt kraft Gesetzes ein. Der Mieter muss sich nicht darauf berufen; es gilt „automatisch“ die geminderte Miete, die dem durch den Fehler beeinträchtigten Gebrauch der Mietsache entspricht, als zwischen den Parteien vereinbart. Folglich kann der Mieter nur mit der herabgesetzten Miete in Verzug geraten und den (teilweisen) Wegfall seiner Mietschuld auch noch nachträglich gegenüber einem Zahlungsverlangen des Vermieters einwenden. Dieser Einwand unterliegt zwar nicht der Verjährung, kann aber unter Umständen durch Zeitablauf verwirkt werden. Durch eine vorbehaltlose Zahlung der ungeminderten Miete trotz Kenntnis des Mangels für einen gewissen Zeitraum verliert der Mieter nicht sein Minderungsrecht für die zurückliegende Zeit mit der Folge, dass er nachträglich mindern kann und überzahlte Beträge zurückfordern oder mit später fälliger Miete verrechnen kann (BGH, NJW 2003, 2601). Die Höhe des Minderungsbetrages hängt von der Beeinträchtigung des Gebrauchswerts der Mietsache im Einzelfall ab. Allgemein gültige Bewertungskriterien lassen sich nicht angeben. Bei der Ermittlung des Minderungsbetrages müssen jedoch stets die Art und Umfang der Funktionseinbuße, die Dauer und die Häufigkeit der Beeinträchtigung und der Qualitätsanspruch im Hinblick auf die Miethöhe berücksichtigt werden. Bei gewerblichen Mietsachen ist vornehmlich auf die Störung der Betriebsausübung abzustellen. Einem lediglich optischen Mangel wird daher regelmäßig weniger Bedeutung zuzumessen sein, es sei denn, er betrifft z. B. Geschäftsräume, die zu Repräsentationszwecken verwendet werden sollen. In der Praxis haben sich gewisse Minderungsrichtsätze herausgebildet, die sich aber vor allem an der Wohnraummiete orientieren. Eine Minderung der Miete ist ausgeschlossen, wenn der Mieter den Mangel zu vertreten hat. Das gilt entsprechend bei Verstößen des Mieters gegen die Pflicht zur Mängelanzeige (§ 536 c BGB). Die Minderung der Miete lässt den Anspruch des Mieters, vom Vermieter die Beseitigung des Mangels (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu verlangen, unberührt, solange er am Vertrag festhält (BGH, NJW 1982, 874). Der Vermieter muss also etwaige Schäden beheben, Störungen abwenden oder die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache beibringen (soweit diese Verpflichtungen nicht wirksam dem Mieter auferlegt worden sind). Kommt der Vermieter mit der Beseitigung des Mangels in Verzug, kann der Mieter nach § 536 a Abs. 2 BGB den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der Hilfe erforderlicher Aufwendungen verlangen. Dieses Recht schließt eine gleichzeitige Mietminderung bis zum Zeitpunkt der Beseitigung des Mangels oder weitergehende Schadenersatzansprüche (z. B. wegen
7.3 Mietgebrauch
423
Gewinnausfall) nicht aus. Zu beachten ist, dass eine Verpflichtung des Mieters zur Selbstbeseitigung nicht besteht, ggf. aber ein Unterlassen bei einem daraus resultierenden Schaden für den Vermieter Mitverschulden des Mieters begründen kann (§ 254 BGB). § 536 a BGB räumt dem Mieter wegen eines durch Mängel der Mietsache verursachten Schadens in drei Fällen Schadenersatz wegen Nichterfüllung ein:
für einen Mangel, der schon bei Vertragsschluss vorhanden ist (sog. „anfänglicher Mangel“) haftet der Vermieter verschuldensunabhängig („Garantiehaftung“); für einen nach Vertragsschluss entstandenen Mangel (sog. „nachträglicher Mangel“) haftet der Vermieter, wenn er den Mangel schuldhaft (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) zu vertreten hat; der Vermieter kommt mit der Beseitigung eines (anfänglichen oder nachträglichen) Mangels in Schuldnerverzug. Dabei ist zu beachten, dass fehlendes Verschulden des Vermieters Verzug ausschließt (§ 286 Abs. 4 BGB). Liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung vor, ist der Vermieter verpflichtet, dem Mieter sämtliche auf den Mangel zurückzuführenden Schäden und Folgeschäden zu erstatten. Dazu gehören insbesondere etwaige Mehrkosten für die Anmietung von Ersatzräumen, Kosten für die Beauftragung eines Sachverständigen, Kosten eines Beweissicherungsverfahrens zur Feststellung eines Mangels, entgangener Gewinn sowie auch etwaige durch den Sachmangel verursachte Sach- und Personenschäden (jedoch kein Schmerzensgeld). Der Mieter kann das Mietverhältnis schließlich fristlos kündigen, wenn ihm durch den Sachmangel der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil entzogen wird (§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Voraussetzung ist aber der fruchtlose Ablauf einer angemessenen Frist zur Abhilfe (§ 543 Abs. 3 BGB). Ist die Benutzung einer für den Aufenthalt von Personen bestimmten Mietsache (z. B. Büro, Arztpraxis, Ladenlokal etc.) mit einer erheblichen Gefährdung von deren Gesundheit oder Leben verbunden, ist der Mieter ebenfalls zur fristlosen Kündigung berechtigt (§§ 569 Abs. 1, 578 Abs. 2 Satz 2 BGB). Einer Fristsetzung bedarf es in diesen Fällen nicht. Die Gesundheitsgefährdung muss noch nicht eingetreten sein, jedoch auf einer dauernden Eigenschaft der Räume beruhen. Eine solche Gefährdung wird bejaht z. B. bei Einsturzgefahr (OLG Koblenz, NJW-RR 1992, 1228), Asbest oder übermäßiger Formaldehyd-Konzentration (LG München I, NJW-RR 1991, 975). 7.3.1.4
Ausschluss und Beschränkung der Gewährleistung
Gewährleistungsansprüche des Mieters sind kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn
der Mieter die Mietsache in Kenntnis des Mangels anmietet (§ 536 b Satz 1 BGB); der Mieter die Mietsache in grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels anmietet, es sei denn, der Vermieter verschweigt den Mangel arglistig (§ 536 b Satz 2 BGB); der Mieter die mangelhafte Mietsache in Kenntnis des Mangels vorbehaltlos übernimmt (§§ 536 b Satz 3 BGB); der Mieter es unterlässt, dem Vermieter einen Mangel anzuzeigen und die Beseitigung der Mängel deshalb unterbleibt (§ 536 c Abs. 2 BGB). Die gesetzlichen Bestimmungen über die Gewährleistung des Vermieters bei Mängeln der Mietsache sind mieterfreundlich. In der Praxis sind gewerbliche Vermieter daher nicht – oder
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
jedenfalls nur eingeschränkt – bereit, diese weitgehende Haftung in vollem Umfang zu übernehmen. Gewerbliche Mietverträge enthalten daher regelmäßig umfassende Bestimmungen, die die gesetzliche Gewährleistung des Vermieters entweder einschränken oder gar vollständig ausschließen. Soweit diese Bestimmungen in den Grenzen von Treu und Glauben individuell ausgehandelt wurden, bestehen dagegen keine rechtlichen Vorbehalte. In Formularmietverträgen sind derartigen Klauseln jedoch Grenzen gesetzt. Während bei Wohnraummietverträgen formularmäßige Abweichungen vom Gesetz in aller Regel unwirksam sind, besteht im gewerblichen Mietrecht deutlicher Spielraum: Die Minderungsbefugnis des Mieters kann formularmäßig dahingehend eingeschränkt werden, dass der Minderungsanspruch rechtskräftig festgestellt worden sein muss (OLG Hamm, ZMR 1998, 342). Ebenso zulässig ist es, die Minderung an eine vorherige Ankündigung ihrer Ausübung zu knüpfen (BGHZ 91, 375). Zur Begründung wird in der Rechtsprechung ausgeführt, dass diese Einschränkungen den Mieter nicht hindern, die zu viel geleisteten Beträge nach § 812 BGB zurückzufordern. Der Ausschluss dieses gesetzlichen Rückforderungsrechtes ist daher unwirksam. Der Ausschluss der verschuldensunabhängigen Garantiehaftung für anfängliche Mängel, ist – auch in Formularverträgen – wirksam (BGH, NJW-RR 1991, 74; BGH, NJW-RR 1993, 519). Der Vermieter kann seine Haftung grundsätzlich formularmäßig für anfängliche und nachträgliche Sachmängel, Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken (OLG Stuttgart, WuM 1984, 187). Ein Ausschluss der Haftung für grobe Fahrlässigkeit ist dagegen formularmäßig unzulässig (§ 309 Nr. 7 BGB). Der Anspruch des Mieters auf Selbsthilfe und Aufwendungsersatz gemäß § 536 a Abs. 2 BGB ist ebenfalls nicht abdingbar. Die Einschränkung der Haftung des Vermieters auf Ersatz des durch den Verzug mit der Mängelbeseitigung entstandenen Schadens ist ebenfalls unwirksam. Der völlige Ausschluss sämtlicher Gewährleistungsrechte des Mieters bei einem Sachmangel ist unwirksam. Im Übrigen ist ein Gewährleistungsausschluss jedenfalls dann nach § 536 d BGB nichtig, wenn der Vermieter den Mangel der Mietsache arglistig verschweigt. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die nachfolgenden Gewährleistungsausschlüsse bzw. -beschränkungen formularrechtlich unwirksam sind:
„Die Gewährleistungsansprüche des Mieters gegen den Vermieter sind ausgeschlossen“; „die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen durch den Mieter wegen eines Mangels der Mietsache oder wegen Verzug des Vermieters mit der Beseitigung des Mangels ist ausgeschlossen“; „die Verpflichtung des Vermieters zum Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Mietvertrages aufgrund von Mängeln und zum Aufwendungsersatz im Falle der Selbstbeseitigung durch den Mieter ist ausgeschlossen“. Folgende Bestimmungen dürften nach derzeitiger Rechtslage jedenfalls bei gewerblichen Mietverhältnissen auch formularrechtlich wirksam sein:
„Eine Minderung der Miete ist nur bei einer wesentlichen Minderung der Gebrauchstauglichkeit und auch nur dann zulässig, wenn die Minderung unbestritten ist oder dem Grund und der Höhe nach rechtskräftig festgestellt ist“; „die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen durch den Mieter wegen bei Abschluss des Vertrages vorhandener Mängel der Mietsache ist ausgeschlossen“.
7.3 Mietgebrauch 7.3.1.5
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Gebrauchsgewährung, Instandhaltung und Instandsetzung der Mietsache
Nach Überlassung der Mietsache in vertragsgemäßem Zustand trifft den Vermieter nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB auch die Verpflichtung, die Mietsache selbst und auf eigene Kosten während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Die Pflicht zur Erhaltung umfasst nicht nur die Instandhaltung und Instandsetzung (einschließlich der Schönheitsreparaturen) der Mietsache, sondern auch generell die Gewährleistung der ungestörten vertragsmäßigen Nutzung. Die Instandhaltungs- und Instandsetzungsverpflichtung bezieht sich dementsprechend nicht nur auf die jeweilige Mietsache, sondern auch auf alle Grundstücks- und Gebäudeteile, die im Rahmen des Mietgebrauchs vom Mieter mitbenutzt werden dürfen (z. B. Treppenhaus und Zugänge). In der Praxis wird die Erhaltungspflicht des Vermieters, insbesondere hinsichtlich der Schönheitsreparaturen, vertraglich auf den Mieter überwälzt. Dies ist grundsätzlich zulässig, weil § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB eine abdingbare Bestimmung ist. Die Übernahme einer derartigen Verpflichtung durch den Mieter bedarf jedoch stets einer inhaltlich bestimmten Vereinbarung. Unklarheiten gehen – insbesondere in Formularverträgen (§ 305 c Abs. 2 BGB) – zu Lasten des Vermieters. Die Abrede, die Mietsache zu schonen und ordnungsgemäß zurückzugeben genügt dafür mithin nicht. Unter Instandhaltung werden insbesondere vorbeugende Maßnahmen zur Erhaltung des vertragsgemäßen Zustandes der Mietsache, Wartungsarbeiten aber auch die Beseitigung von abnutzungs-, alters- und witterungsbedingter Verschleißerscheinungen verstanden (OLG Köln, NJW-RR 1994, 524). Die Instandsetzung betrifft dagegen die Reparatur und Beseitigung von Mängeln bzw. Schäden der Mietsache oder die notwendige Erneuerung defekter Teile oder Einrichtungen der Mietsache. Die Grenzen zwischen den beiden Begriffen sind fließend, was ihre Abgrenzung voneinander im Einzelfall problematisch macht. Die Abgrenzung wird jedoch dann bedeutsam, wenn der Mieter nur eine der beiden Pflichten vertraglich übernommen hat. Die Durchführung der notwendigen Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen obliegt dem Vermieter auf eigene Kosten. Der Mieter hat einen einklagbaren Anspruch auf Erhaltung des vertragsgemäßen Zustands. Der Mieter ist seinerseits jedoch verpflichtet, die zur Erhaltung der Mieträume und des Gebäudes erforderlichen Maßnahmen zu dulden (§ 554 BGB). Die Duldungspflicht ist im Hinblick auf die uneingeschränkte Verpflichtung des Vermieters uneingeschränkt. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die Mietsache geräumt werden muss (mit der Folge, dass der Mieter ggf. den Mietsatz mindern kann). Bei der Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen sind allerdings unnötige Beeinträchtigungen des Mieters zu vermeiden. Die Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht des Vermieters nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB beinhaltet auch die Pflicht zur Erledigung der sogenannten „Schönheitsreparaturen“. In Anlehnung an § 28 Abs. 4 der – für Wohnraum geltenden – II. Berechnungsverordnung werden darunter auch bei der Geschäftsraummiete das Streichen oder Tapezieren von Wänden, Decken, Böden, Heizkörpern einschließlich der Heizrohre, Innentüren sowie der Fenster und Außentüren verstanden. Die Schönheitsreparaturen umfassen grundsätzlich also nur Maler- und Tapezierarbeiten, die zur Herstellung der äußeren Ansehnlichkeit der Mieträume, nicht jedoch eigentliche Reparaturen wie z. B. Beseitigung von Schäden an der Bausubstanz wie Putz oder Mauerwerk, dienen. Ebenso gehört das Abschleifen und Versiegeln von Parkettböden ebenso wenig wie die Erneuerung eines verschlissenen Teppichbodens zu den Schönheitsreparaturen (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 1995, 1101; a. A. OLG, Düsseldorf NJW-RR 1989, 663).
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
Zu Erhaltung gehört auch die ordnungsgemäße Reinigung der Mietsache. Gegen Übertragung dieser Verpflichtung auf den Mieter bestehen aber keine Bedenken. Die Verpflichtung des Vermieters zur Erhaltung des vertragsgemäßen Zustandes ist unabhängig davon, ob er den Schaden oder Mangel der Mietsache verursacht oder aus sonstigen Gründen zu vertreten hat. Die Instandsetzungsverpflichtung entfällt nur dann, wenn insoweit der Mangel oder der Schaden vom Mieter zu vertreten ist. Der Mieter hat sich dabei auch das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zurechnen zu lassen (§ 278 BGB). § 538 BGB stellt jedoch klar, dass Schäden, die nur durch die vertragsgemäße Abnutzung der Mietsache entstanden sind, vom Mieter nicht zu vertreten sind. Dabei trägt der Vermieter die Beweislast für die Mangelfreiheit der Mietsache bei Übergabe, der Mieter hingegen dafür, dass die eingetretene Veränderung oder Verschlechterung nur auf vertragsgemäßen Gebrauch zurückzuführen ist (BGH, NJW 1994, 1880). Bei einer völligen Zerstörung der Mietsache (z. B. Brand) begründet die Instandsetzungspflicht keinen Anspruch gegen den Vermieter, die Mietsache wieder aufzubauen; der Vermieter ist auch nicht verpflichtet, etwaige Versicherungsleistungen zur Neuerstellung oder zum Wiederaufbau zu verwenden. Bei einer nur teilweisen Zerstörung der Mietsache entscheidet nach der Rechtsprechung das Ergebnis einer Zumutbarkeitsprüfung, ob der Vermieter im Rahmen der Instandsetzung zum Wiederaufbau verpflichtet ist. Einen Anspruch auf Modernisierung der Mietsache oder des Gebäudes, in dem sich dieser befindet, hat der Mieter regelmäßig nicht. Im Rahmen des § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB kann er vom Vermieter die Erhaltung der Mietsache, nicht aber eine Verbesserung ihres bei Vertragsschluss vereinbarten Zustandes verlangen. Der Übertragung von Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten auf den Mieter sind individualvertraglich keine Schranken gesetzt, gegebenenfalls kann der Mieter sogar zur Sanierung oder Modernisierung verpflichtet werden. Der formularmäßigen Übertragung von Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten auf den Mieter sind hingegen Grenzen gesetzt. Für Gewerberaummietverträge gilt folgendes: Klauseln, die dem Mieter vollständig die Erhaltung, also die Instandhaltung und Instandsetzung, z. B. auch an „Dach und Fach“ überbürden, werden regelmäßig als überraschend erachtet (§ 305 c Abs. 1 BGB) und können nicht wirksam vereinbart werden (BGH, NJW 1977, 195). Im Übrigen können dem Geschäftsraummieter ohne betragsmäßige Begrenzung und sonstige Beschränkungen die über die Schönheitsreparaturen hinausgehenden Pflichten zur Instandhaltung und Instandsetzung im Inneren des Mietsache nur auferlegt werden, als diese durch den Mietgebrauch veranlasst oder dem Risikobereich des Mieters zuzuordnen sind (BGH, WuM 1987, 154). Derartige Klauseln sind jedoch restriktiv auszulegen. Sie verpflichten den Mieter weder zur Behebung von anfänglichen Mängeln, noch zum Ersatz von irreparabel gewordenen Bestandteilen der Mietsache, von Anlagen, Einrichtungen oder Inventar. Ebenso wenig können sie eine Verpflichtung zur Beseitigung von auf höherer Gewalt (z. B. Blitzeinschlag) oder Handlungen Dritter (z. B. Graffitibesprühung auf Wänden) beruhenden Schäden begründen (BGH, NJWRR 1987, 906). Eine Übernahme von Erhaltungspflichten unabhängig vom Risiko des Mietgebrauchs kann wohl nur wirksam vereinbart werden, wenn die entsprechende Klausel eine Kostenbegrenzung auf jährlich höchstens 10 % der Jahresnettomiete vorsieht. Die Verpflichtung des Mieters zur Durchführung der Schönheitsreparaturen einschließlich der Bestimmung, dass diese fachmännisch zu erfolgen haben, ist sowohl individualvertraglich als auch – jedenfalls im Grundsatz – formularmäßig möglich (BGH, WuM 1988, 294).
7.3 Mietgebrauch
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Aus den vorgenannten Ausführungen folgt, dass im Bereich gewerblicher Mietverhältnisse folgende Formularklauseln unwirksam sind: „Der Mieter übernimmt die Unterhaltung des Mietgebäudes an Dach und Fassade“; „Der Mieter übernimmt die dachfeste Instandhaltung des Hauses“; „Der Mieter ist verpflichtet, die Renovierung durch die Firma X vorzunehmen.“ Die folgenden Klauseln dürften nach derzeitiger Rechtslage hingegen wirksam sein:
„Die laufenden Instandhaltungs- und Instandsetzung im Inneren der Räume ist Verpflichtung des Mieters“; „Der Mieter ist verpflichtet, Schönheitsreparaturen bei Beginn des Mietverhältnisses durchzuführen“; „Die Schönheitsreparaturen sind vom Mieter fachmännisch (fachgerecht) durchzuführen“. Anders als in gewerblichen Mietverträgen ist es in Wohnraummietverträgen formularmäßig kaum möglich, die Instandhaltung und Instandsetzungsverpflichtung auf den Mieter abzuwälzen. Ausnahmen lässt die Rechtsprechung in gewissen Grenzen für Schönheitsreparaturen und Kleinreparaturen zu. Klauseln über Schönheitsreparaturen geben den Gerichten ständig Anlass, Urteile zu verkünden. Der Mieter kann an den Kosten für Kleinreparaturen beteiligt werden. Diese Verpflichtung muss sich jedoch auf Gegenstände beschränken, die seinem häufigen Zugriff ausgesetzt sind. Zudem muss eine angemessene Höchstgrenze je Einzelfall (EUR 75,00) und eine angemessene Höchstgrenze je Jahr (derzeit zulässig: 6 % der Jahresnettomiete) festgelegt werden. Nicht auf den Mieter übertragbar ist die Vornahmepflicht für Reparaturen, auch nicht für Kleinreparaturen (vgl. BGHZ 118, 194). Danach hält eine Klausel über Schönheitsreparaturen einer AGB-rechtlichen Überprüfung stand, wenn in der Klausel folgendes berücksichtigt wird:
Die Zeitfolge für Schönheitsreparaturen beträgt bei Küchen, Bädern und Duschen 3 Jahre, bei Wohn- und Schlafräumen, Fluren, Dielen und Toiletten 5 Jahre und in allen Nebenräumen 7 Jahre; diese Fristen dürfen nicht „starr“ sein, sondern kommen nur zur Anwendung, soweit auch tatsächlicher Renovierungsbedarf besteht; der Mieter ist bei Beendigung des Mietverhältnisses nur dann zur Vornahme von Schönheitsreparaturen verpflichtet, wenn die Fristen seit der Übergabe der Mietsache bzw. seit den letzten durchgeführten Schönheitsreparaturen verstrichen sind und tatsächlich Renovierungsbedarf besteht; dem Mieter darf nicht das Recht genommen werden, selbst die Schönheitsreparaturen vorzunehmen; der Begriff der Schönheitsreparaturen i. S. v. § 28 Abs. 4 II. Berechnungsverordnung darf nicht ausgedehnt werden. Auch soweit der Mieter wirksam Instandsetzungs- und Instandhaltungspflichten übernimmt, verändern diese ihren Charakter als vertragliche Hauptpflicht nicht. Die übernommene Verpflichtung ist dann rechtlich und wirtschaftlich Teil der Gegenleistung des Mieters für die Gebrauchsüberlassung (BGHZ 101, 253). Für den Fall der Nichterfüllung der Instandhaltungspflicht des Mieters kann der Vermieter demgemäß Schadenersatz wegen Nichterfüllung, insbesondere die Kosten der Ersatz Vornahme, erst dann verlangen, wenn er den Mieter in Verzug und ihm eine angemessene mit Ablehnungsandrohung verbundene Frist zur Erfüllung einer Pflicht gesetzt hat. Im Übrigen kann der Vermieter nur – ohne Einhaltung
428
7 Wohn- und Gewerberaummiete
dieser Voraussetzungen – eine Mängelbeseitigung im Wege der Ersatz-Vornahme durchführen, soweit dies vertraglich vorgesehen ist. Allgemein ist zu beachten, dass dem Mieter in dem Umfang der ihm überbürdeten Instandsetzungspflichten gleichzeitig Gewährleistungsansprüche wegen der von ihm selbst zu beseitigenden Mängel der Mietsache entzogen sind.
7.3.2
Konkurrenzschutz des Mieters einer Gewerbeimmobilie
7.3.2.1
Allgemeines
Auch wenn in einem Mietvertrag über Gewerbeflächen nichts zum Thema Konkurrenzschutz geregelt ist, muss der Vermieter dem Mieter Konkurrenzschutz gewähren (sog. vertragsimmanenter Konkurrenzschutz; in der Literatur wird dieser Schutz vereinzelt mit dem Hinweis auf den Wettbewerb und die Berufsfreiheit kritisiert). Dies folgt gemäß Treu und Glauben aus der Pflicht des Vermieters, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache zu gewähren (§ 535 Abs. 1 Satz 1 BGB). Voraussetzung für den vertragsimmanenten Konkurrenzschutz ist jedoch, dass ein bestimmter Geschäftszweck vereinbart wurde, was auch stillschweigend geschehen kann (gilt nicht nur gegenüber Gewerbetreibenden, sondern auch gegenüber Angehörigen der freien Berufe). Im Einzelnen: 7.3.2.2
Räumliche Reichweite
Die ständige Rechtsprechung begrenzt den Konkurrenzschutz grundsätzlich auf die jeweilige Mietsache und auf die unmittelbar angrenzenden Grundstücke, wenn diese auch dem Vermieter gehören (z. B. BGHZ 70, 79; OLG Düsseldorf, ZMR 1992, 445). Die Grenzen sind insoweit aber fließend (so hat das OLG Hamm die Geltung des Konkurrenzschutzes verneint, wenn zwischen der Mietsache und dem Konkurrenzbetrieb ein weiteres Grundstück liegt, NJW-RR 1991, 975). Es kommt auf den Einzelfall an. 7.3.2.3
Inhaltliche Reichweite
Der Konkurrenzschutz bezieht sich grundsätzlich nur auf das Hauptsortiment, also die vom Mieter geführten Hauptartikel, die seinem Geschäft das Gepräge geben. Nebenartikel werden nicht umfasst (OLG Köln, WuM 1998, 342; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1017; OLG Köln, ZMR 1998, 347; OLG Hamm, NJW-RR, 1998, 1019), es sei denn, es ist vertraglich vereinbart. Maßgeblich ist insoweit die Kundenperspektive, die darüber befindet, ob zwischen den konkurrierenden Geschäften ein gleichartiges Warenangebot besteht oder nicht. Schwierig ist die Beurteilung freilich bei Supermärkten. Dieser kann, je nach Ausgestaltung des Sortiments, durch seine starke Sogwirkung auf breite Käuferschichten für die Fachgeschäfte Vor- und Nachteile haben. Die Rechtsprechung hat zu diesem Themenkomplex keine klaren Maßstäbe entwickelt. Der BGH stellt in mehreren Entscheidungen jedoch auf die allgemeinen Grundsätze ab, wonach eine Konkurrenzsituation dann vorliegen soll, wenn der betreffende Artikel in der Vielfalt, Auswahlmöglichkeit, Geschlossenheit und Übersichtlichkeit eines Fachgeschäfts angeboten wird.
7.3 Mietgebrauch 7.3.2.4
429
Die Grenzen
Mietet ein Mieter Gewerbeflächen an in Kenntnis einer vorhandenen Konkurrenzsituation, kann er sich nicht auf den vertragsimmanenten Konkurrenzschutz berufen (vgl. § 536 b BGB). Gleiches gilt, wenn der Mieter unerlaubt sein Hauptsortiment erweitert und dadurch eine Konkurrenzsituation herbeiführt. Anders ist die Rechtslage freilich, wenn der Mieter in Unkenntnis der Wettbewerbssituation (so häufig bei noch zu erstellenden Mietsachen) den Mietvertrag abgeschlossen hat. 7.3.2.5
Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
Die Ausführungen zeigen, dass der Vermieter von Gewerbeflächen tunlichst den Konkurrenzschutz im Mietvertrag ausschließen sollte. Dies kann individualvertraglich aber auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschehen. Allerdings ist die formularmäßige Kombination von Klauseln, die die Betriebspflicht festlegen und den Konkurrenzschutz ausschließen, nicht unbedenklich. Jedenfalls dann, wenn dem Mieter im Rahmen der Betriebspflicht eine strikte Sortimentsbindung auferlegt wird und der Konkurrenzschutz ausgeschlossen wird, wird vereinzelt von der AGB-Widrigkeit einer Betriebspflichtklausel ausgegangen (so. z. B. OLG Schleswig, NZM 2000, 1008; a. A. jedoch OLG Hamburg, ZMR 2003, 254). Durch diese Kombination würde das unternehmerische Risiko des Mieters in unzumutbarer Weise erweitert, was eine unangemessene Benachteiligung des Mieters gemäß § 307 BGB darstelle. Wer insoweit als Vermieter jedes Risiko vermeiden will, muss zumindest die Betriebspflichtoder die Konkurrenzschutzausschlussklausel individuell aushandeln. 7.3.2.6
Rechtsfolgen beim Verstoß
Verstößt der Vermieter gegen das Konkurrenzschutzgebot, kann der Mieter hierauf vielfältig reagieren: Der Mieter kann die Miete mindern oder – unter bestimmten Voraussetzungen – ganz einbehalten. Die Verletzung des Konkurrenzschutzes durch den Vermieter rechtfertigt in der Regel die Annahme eines zur Minderung berechtigenden Sachmangels der Mietsache, ohne dass es der Feststellung bedürfte, dass es gerade im Hinblick darauf zu Umsatzeinbußen innerhalb des Gewerbebetriebes des Mieters gekommen ist (OLG Düsseldorf, NJW-RR, 1998, 514). Ferner kann der Mieter Schadenersatz geltend machen (§ 536 a BGB oder positive Vertragsverletzung). Wegen der Schwierigkeit, den entstandenen Schaden substanziiert darzulegen und zu beweisen, sollte die Praxis nicht zu hohe Anforderungen stellen. Im Übrigen werden die Gerichte den Schaden nach freier Überzeugung gemäß § 287 ZPO schätzen können. Der Mieter kann den Vermieter auf Unterlassen der Vermietung an den Konkurrenten in Anspruch nehmen, notfalls mittels einer einstweiligen Verfügung. Ist der Mietvertrag mit dem hinzugekommenen Konkurrenten auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann der geschädigte Mieter die Kündigung durch den Vermieter verlangen. Läuft der Mietvertrag mit dem zweiten, hinzugekommenen Mieter langfristig, kann der geschädigte Mieter dennoch vom Vermieter die Unterbindung der Konkurrenz verlangen. Eine objektiv unmögliche Leistung wird vom Vermieter damit nämlich nicht gefordert (BGH, NJW 1974, 2317).
430
7 Wohn- und Gewerberaummiete
Der durch die Konkurrenzsituation benachteiligte Mieter ist nach erfolgloser Aufforderung, für Abhilfe zu sorgen, gemäß § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (Nichtgewährung des Mietgebrauchs) zur fristlosen Kündigung berechtigt. Aufgrund des ihm vom Vermieter geschuldeten Konkurrenzschutzes kann der ansässige Mieter den hinzukommenden, der zu ihm in Wettbewerb tritt, nicht in Anspruch nehmen, weil der zweite Mieter durch diese Verpflichtung nicht gebunden ist. Ein Unterlassungsanspruch des ersten gegen den zweiten Mieter ist allenfalls dann begründet, wenn gegen den zweiten der Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs begründet ist. Dies kann der Fall sein, wenn sich der zweite Mieter bewusst am Vertragsbruch des Vermieters beteiligt (vgl. BGH, NJW 1976, 2301) hat oder ein sonstiges Unlauterbarkeitsmoment hinzutritt (vgl. BGH, NJW 1987, 3132).
7.3.3
Betriebspflicht des Mieters einer Gewerbeimmobilie
7.3.3.1
Ausgangssituation
Insbesondere der Vermieter von Shopping-Centern hat ein deutliches Interesse daran, dass seine Center insgesamt florieren. Schließlich sollen die dauerhafte Präsenz der Gewerbetreibenden und die Vielfalt des Angebots Kunden anlocken. Wird im Mietvertrag insoweit nichts geregelt, kann der Mieter allerdings während der Dauer der Mietzeit ungehindert den Betrieb seiner Mietfläche einstellen. Der Mieter ist nämlich nach dem Gesetz nicht verpflichtet, seinen Betrieb aufrecht zu erhalten, da er nur ein Gebrauchsrecht und keine Gebrauchspflicht hat (BGH, NJW 1969, 1383). Insbesondere kann von ihm nicht verlangt werden, einen möglichst hohen Umsatz oder Gewinn zu erzielen. Dies widerspricht also deutlich den Interessen des Vermieters. Was sollte der Vermieter für die Vertragsgestaltung beachten? 7.3.3.2
Vertragliche Vereinbarung der Betriebspflicht
Die Mietvertragsparteien können individuell, aber grundsätzlich auch formularvertraglich wirksam eine Betriebspflicht vereinbaren (BGH, NJW-RR 1992, 1032). Natürlich kann eine derartige Vereinbarung den Mieter empfindlich treffen, insbesondere wenn er im Falle geschäftlicher Verluste seinen Betrieb fortführen muss. Dennoch fällt dies regelmäßig in sein unternehmerisches Risiko. Die Betriebspflicht kann im Mietvertrag inhaltlich ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Der Mietvertrag kann sich darauf beschränken, nur eine Betriebspflicht ohne nähere Angaben vorzusehen. Üblich ist das wohl nicht. Meist wird zumindest hinzugesetzt „zu den üblichen Ladenöffnungszeiten“. Dies soll aber nicht ausschließen, dass der Mieter Betriebsferien macht. Der Mietvertrag kann die Ausgestaltung der Betriebspflicht auch detailliert regeln, was bei Mietverträgen für Shopping-Center häufig unter dem Stichwort „Wahrung des Gesamtinteresses“ geschieht. Inwieweit detaillierte Vorgaben für den Inhalt der Betriebspflicht rechtswirksam in einem Formularvertrag vorgesehen werden können, ist nicht zweifelsfrei. Es gibt relativ wenig Rechtsprechung hierzu. Da der Vermieter bei Shopping-Centern diese Konditionen schon aus Zeitgründen nicht stets individuell aushandeln kann, sollte er die Regelungen jedenfalls sprachlich und inhaltlich genau formulieren. Weiterhin sollten die Pflichten jeweils in gesonderten Sätzen oder Satzteilen formuliert werden, damit bei einer AGB-Inhaltskontrolle durch die Gerichte nur einzelne Sätze und deren Regelungsbereich als ggf. AGB-widrig aus dem Vertrag herausfallen. Nach OLG Düsseldorf (ZMR 1999, 124) ist bereits eine allgemeine
7.3 Mietgebrauch
431
Regelung wie „während der gesamten Mietzeit (ihrer) Zweckbestimmung entsprechend ununterbrochen zu nutzen“ AGB-rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings belässt diese Klausel dem Mieter Freiraum, rechtzeitig vor Beendigung des Mietverhältnisses den Betrieb in Hinsicht auf die Auszugsaktivitäten zu reduzieren oder auch einzustellen. 7.3.3.3
Verstoß gegen die Betriebspflicht
Verstößt der Mieter gegen seine Betriebspflicht, stellt dies eine positive Vertragsverletzung dar. Der Vermieter kann auf Erfüllung der Betriebspflicht klagen und gegen den Mieter Zwangsgeld festsetzen lassen (OLG Celle, NJW-RR 1996, 585). Erforderlichenfalls kann der Vermieter gegen den Verstoß mit einer einstweiligen Verfügung vorgehen (so ausdrücklich z. B. OLG Düsseldorf, NZM 2001, 131 (132); a. A. OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 873). Ferner kann der Vermieter gemäß § 543 BGB (fristlose Kündigung bei unzumutbarem Mietverhältnis) berechtigt sein, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen (so das OLG Düsseldorf, WuM 1997, 266.). Er sollte aber zur Sicherheit den Mieter vorher abmahnen (vgl. § 543 Abs. 3 BGB). Ein besonders gut beratener Vermieter versucht, im Mietvertrag den Verstoß gegen die Betriebspflicht mit einer Vertragsstrafe zu belegen. Dies ist grundsätzlich möglich, auch formularmäßig. Die Regelung sollte aber unbedingt transparent und verhältnismäßig sein, wenn man nicht die Unwirksamkeit riskieren will.
7.3.4
Überschreitung des vertragsgemäßen Gebrauchs
Überschreitet der Mieter den vertragsgemäßen Gebrauch, steht dem Vermieter eine breite Palette von Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung: Macht der Mieter von der gemieteten Sache vertragswidrig Gebrauch und setzt er den vertragswidrigen Gebrauch ungeachtet einer Abmahnung des Vermieters fort, so kann der Vermieter auf Unterlassung klagen (§ 541 BGB). Jedes nicht vertragsgemäße Verhalten ist zugleich vertragswidrig. Beispiele: Unerlaubte Haustierhaltung, unbefugte Gebrauchsüberlassung, ruhestörender Lärm, Geruchsbelästigungen. Ein vertragswidriges Verhalten setzt kein Verschulden des Mieters voraus. Es muss nur objektiv begründet sein. Dieser Anspruch kann auch mit einer einstweiligen Verfügung verfolgt werden. Daneben kommt ein Schadenersatzanspruch des Vermieters aus unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB oder aus positiver Vertragsverletzung in Betracht, wenn der Mieter den vertragswidrigen Gebrauch verschuldet hat. Der Vermieter kann ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist das Mietverhältnis kündigen, wenn der Mieter ungeachtet einer Abmahnung des Vermieters den vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache fortsetzt und dadurch die Rechte des Vermieters in erheblichem Maße verletzt (§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB). In der Abmahnung muss das vertragswidrige Verhalten konkret beschrieben und der Mieter muss zum Unterlassen aufgefordert werden. Fristsetzung oder Androhung vor Folgen ist jedoch nicht erforderlich. Jedenfalls im gewerblichen Mietrecht kommt es auf ein Verschulden des Mieters nicht an (für Wohnraummietverhältnisse wird z. T. wegen § 573 Abs. 2 Ziffer 1 BGB ein Verschulden gefordert).
432
7 Wohn- und Gewerberaummiete
Daneben folgt aus § 569 BGB (Kündigung aus wichtigem Grund) ein weiteres Recht zur fristlosen Kündigung. Danach kann der Vermieter fristlos kündigen, wenn der Mieter schuldhaft in solchem Maße seine Verpflichtungen verletzt, insbesondere den Hausfrieden nachhaltig stört, dass dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Eine Abmahnung ist in diesem Fall nicht erforderlich. Im gewerblichen Mietrecht kann der Vermieter in gewissen Grenzen auch formularmäßig versuchen, die gesetzlichen Bestimmungen zu seinen Gunsten zu verändern. Im Wohnraummietrecht ist dies aber nicht möglich (§ 569 Abs. 5 BGB). Rechtlich unwirksam ist auch eine Formulierung, wonach der Wohnraummieter für den vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache eine Vertragsstrafe schuldet (§ 555 BGB).
7.3.5
Zahlungspflicht des Mieters
Ist die Miete – wie bei fast allen Mietverträgen – nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie spätestens bis zum dritten Werktag der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten (§ 556 b Abs. 1 BGB). Ist die Miete also monatlich zu zahlen, schuldet der Mieter die Miete im Voraus spätestens bis zum dritten Werktag eines jeden Monats. Der Mieter ist also nach dem Leitbild des Gesetzes größtenteils vorleistungspflichtig. In Mietverträgen wird dies in aller Regel klarstellend wiederholt (z. B.: „Die Miete ist monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines Monats zu zahlen“). Für die Rechtzeitigkeit der Entrichtung der Miete i. S. d. § 556 b Abs. 1 BGB kommt es auf die Leistungshandlung an, also ob der Mieter das seinerseits zur Erfüllung Erforderliche veranlasst hat. So hat ein Mieter z. B. bei einer Banküberweisung das seinerseits Erforderliche bereits dann veranlasst, wenn der Überweisungsvertrag (§ 676 a BGB) mit der Bank geschlossen wird, also der Mieter den Überweisungsauftrag bei der Bank eingereicht und diese den Auftrag durch Bearbeitung konkludent angenommen hat. Will der Vermieter also bereits spätestens am dritten Werktag die Miete auf seinem Konto haben, muss er dies entsprechend vertraglich vereinbaren (z. B. „maßgeblich für die Fristwahrung ist die Gutschrift auf dem Konto des Vermieters“). Ergänzend ist zu beachten, dass in Hinsicht auf die Mietervorleistungsverpflichtung der Samstag wie ein „Werktag“ ist (BGH, NJW 2010, 2879). Lässt sich der Vermieter formularmäßig eine Abbuchungsermächtigung erteilen, wird dies rechtlich nicht zu beanstanden sein. Schließlich kann der Mieter der Abbuchung im Einzelfall zumindest während der ersten 6 Wochen bei seiner Bank widersprechen und so eine Rücküberweisung herbeiführen. Die Vorleistungspflicht des Mieters birgt die Gefahr in sich, dass der Mieter die Miete im Voraus entrichtet und erst am Monatsende feststellt, dass er – bei Mangelhaftigkeit der Mietsache – zu viel gezahlt hat. Dann steht dem Mieter ein entsprechender Rückzahlungsanspruch zu, mit dem er im Folgenden gegen den Mietzahlungsanspruch des Vermieters aufrechnen könnte. Üblicherweise beschränken aber Vermieter in Mietverträgen die Aufrechnungsmöglichkeit dergestalt, dass nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen aufgerechnet werden kann, was auch nach den formularrechtlichen Vorschriften möglich ist (§ 309 Nr. 3 BGB). Das führt im Ergebnis dazu, dass der Mieter zunächst nicht aufrechnen kann, wenn der Vermieter blockiert. Dem begegnet § 556 b Abs. 2 BGB, nach welchem der Mieter im Wohnraummietverhältnis selbst dann mit Forderungen aus §§ 536 a, 539 oder 812 BGB aufrechnen bzw. gegenüber derartigen Forderungen ein Zurückbehaltungsrecht
7.3 Mietgebrauch
433
ausüben kann, wenn vertragliche Vereinbarungen entgegenstehen, sofern der Mieter dies dem Vermieter mindestens einen Monat vor Fälligkeit der Miete in Textform angezeigt hat. Gerät der Vermieter in Vermögensverfall und kann sich der Mieter deshalb in Ansehung seiner Gegenforderung nur noch durch Aufrechnung befriedigen, wird sich der Vermieter auch im gewerblichen Mietverhältnis nicht auf den Ausschluss oder die Beschränkung der Aufrechnungsbefugnis berufen können (vgl. BGH, MDR 1987, 816). Das Zurückbehaltungsrecht des Mieters aus § 320 BGB kann bereits nach den formularrechtlichen Vorschriften des BGB (§§ 305 ff. BGB) nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden (§ 309 Nr. 2 a BGB). Das Zurückbehaltungsrecht des Mieters aus § 273 BGB kann jedenfalls dann nicht formularmäßig ausgeschlossen werden, soweit es auf demselben Vertragsverhältnis beruht (§ 309 Nr. 2 b BGB). Daneben ist bei Ausschlüssen des Zurückbehaltungsrechts die Regelung des § 556 b BGB zu beachten (siehe oben). Kommt der Mieter mit der Zahlung der Miete in Verzug, kann der Vermieter ihm unter bestimmten Voraussetzungen fristlos kündigen. Die Einzelheiten sind in § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB geregelt: Danach ist der Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn der Mieter
für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete im Verzug ist. Ob der rückständige Teil erheblich oder unerheblich ist, ist mit Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Jedenfalls im Wohnraummietrecht muss die rückständige Miete jedenfalls eine Monatsmiete übersteigen, ansonsten berechtigt der Rückstand nicht zur Kündigung nach § 543 BGB (vgl. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB); in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug gekommen ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Zur „Miete“ im vorgenannten Sinne zählen auch die laufend zu zahlenden Entgelte für Nebenkosten. Hat der Vermieter danach wirksam gekündigt, steht dem Mieter von Wohnraum die nicht abdingbare (§ 569 Abs. 5 BGB) Möglichkeit zu, die Wirksamkeit der Kündigung zu beseitigen. Nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird im Wohnraummietrecht die Kündigung wegen Zahlungsverzug des Mieters unwirksam, wenn bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Nutzungsentschädigung nach § 546 a Abs. 1 BGB der Vermieter befriedigt wird oder eine öffentliche Stelle (insbesondere Sozialhilfestelle) sich zur Befriedigung verpflichtet, es sei denn, der Kündigung ist vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine unwirksame Kündigung im vorgenannten Sinne vorausgegangen.
7.3.6
Untermiete
Die Untermiete ist ein Mietverhältnis zwischen Mieter (dem sog. Hauptmieter) und dem Untermieter. Im Falle der Untermiete bestehen also zwischen Vermieter und Untermieter keine vertraglichen Rechtsbeziehungen. Wird das Hauptmietverhältnis zwischen Vermieter und Hauptmieter beendet, kann der Vermieter auch vom Untermieter die Herausgabe der Mietsache verlangen (§ 546 Abs. 2 BGB). Dies kann für einen Untermieter eine böse Überraschung bedeuten, weshalb sich Mieter bei Abschluss des Mietvertrages vergewissern sollten, dass ihr Vermieter möglichst Eigentümer und nicht (nur) seinerseits Mieter der Miet-
434
7 Wohn- und Gewerberaummiete
sache ist. Untermieter von Wohnraum können sich gegebenenfalls auf den sozialen Kündigungsschutz berufen oder § 565 BGB über die gewerbliche Weitervermietung hilft ihnen (siehe Ziffer 7.3.7). Will der Mieter untervermieten, bedarf er dazu der Erlaubnis des Vermieters (§ 540 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese ist – soweit nicht anders vereinbart – formlos gültig und kann stillschweigend erteilt werden. Bittet der Mieter um Erteilung und verweigert der Vermieter diese oder äußert sich nicht innerhalb einer im Einzelfall zu bestimmenden Prüfungs- und Überlegungsfrist, besteht das Risiko, dass der Mieter den Mietvertrag vorzeitig kündigt. Das Recht dazu kann aus § 540 Abs. 1 Satz 2 BGB folgen: Verweigert der Vermieter die Erlaubnis, so kann der Mieter das Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen, sofern nicht in der Person des Dritten ein wichtiger Grund vorliegt. Der wichtige Grund, für den der Vermieter beweispflichtig ist, muss in den persönlichen Verhältnissen des Untermieters begründet sein. Rücksichtnahme auf die Hausgemeinschaft und die berechtigten Interessen des Vermieters sind maßgebend. Ist der Untermieter nicht zahlungsfähig, reicht das allein nach verbreiteter Rechtsprechung (z. B. LG Berlin, NZM 2002, 947) noch nicht, um das Sonderkündigungsrecht des Mieters entfallen zu lassen. Schließlich bleibt der Hauptmieter dem Vermieter gegenüber Schuldner der Miete. Ob die Untervermietung insbesondere in Formularmietverträgen bei der Gewerberaummiete wirksam ausgeschlossen werden kann, ist fraglich. Es liegt bisher zumindest aber eine landgerichtliches Entscheidung vor, wonach ein derartiger Ausschluss einen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt (LG Bonn, NJW-RR 2002, 1234). Der BGH hat diese Frage bis heute nicht beantwortet. Sicher ist jedoch: Ist das Recht zur Untervermietung vertraglich nicht ausgeschlossen worden, kann das Sonderkündigungsrecht gemäß § 540 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht formularmäßig ausgeschlossen werden (BGH, ZMR 1995, 397). Einen gesetzlichen Anspruch auf Erlaubnis hat der Mieter im gewerblichen Mietrecht nicht. Im Wohnraummietrecht existiert dazu die Sondervorschrift des § 553 Abs. 1 BGB: Entsteht für den Mieter nach dem Abschluss des Mietvertrages ein berechtigtes Interesse, einen Teil des Wohnraums an einen Dritten zum Gebrauch zu überlassen, so kann er von dem Vermieter die Erlaubnis hierzu verlangen; dies gilt nicht, wenn in der Person des Dritten ein wichtiger Grund vorliegt, der Wohnraum übermäßig belegt würde oder sonst dem Vermieter die Überlassung nicht zugemutet werden kann. Ist dem Vermieter die Überlassung nur bei einer angemessenen Erhöhung der Miete zuzumuten, so kann er die Erlaubnis davon abhängig machen, dass der Mieter sich mit der Erhöhung einverstanden erklärt (§ 553 Abs. 2 BGB). Im gewerblichen Mietverträgen häufig anzutreffen sind Zuschlagsklauseln (z. B.: „der Mieter hat im Fall der Untervermietung 10 % mehr Miete zu zahlen“) oder Gewinnabschöpfungsklauseln (z. B.: „Der Mieter hat im Fall der Untervermietung 50 % des durch die Untervermietung erzielten Mietgewinns an den Vermieter abzuführen“). Jedenfalls die Gewinnabschöpfungsklausel ist grundsätzlich, wenn sie hinreichend bestimmt formuliert ist, AGB-rechtlich unbedenklich, denn der Vermieter nimmt dadurch lediglich am Gewinn des Mieters teil. Überlässt der Mieter den Gebrauch einem Dritten, so hat er ein dem Dritten bei dem Gebrauche zur Last fallendes Verschulden zu vertreten, auch wenn der Vermieter die Erlaubnis zur Überlassung erteilt hat (§ 540 Abs. 2 BGB). Das Verschulden des Untermieters wird dem Mieter also zugerechnet.
7.3 Mietgebrauch
7.3.7
435
Gewerbliche Weitervermietung
§ 565 BGB bestimmt gesetzlich, was früher bereits im Falle der gewerblichen Weitervermietung von der Rechtsprechung zum Schutz des Wohnraummieters anerkannt wurde. In die Problematik einführen soll folgender einfacher Fall aus einem typischen Bauherrenmodell: Der Vermieter V vermietet aus steuerlichen Motiven seine Wohnung an einen gewerblichen Zwischenmieter, der die Wohnung weiter an den M (der M ist dann Untermieter) vermietet. Im 3. Mietjahr erhält der M vom V ein Schreiben, worin dieser ihm die Beendigung des Hauptmietverhältnisses mitteilt und nach § 546 Abs. 2 BGB die Herausgabe der Wohnung verlangt. Auf der Grundlage des im Wohnraummietrecht vorherrschenden Grundsatzes des sozialen Kündigungsschutzes will es nicht einleuchten, dass M dem Verlangen des V schutzlos ausgeliefert sein soll. Diesem Gedanken folgend bestimmt § 565 BGB zwingend: Soll der Mieter nach dem Inhalt des Mietvertrages den gemieteten Wohnraum gewerblich einem Dritten weitervermieten, so tritt der Vermieter bei der Beendigung des Mietverhältnisses in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis zwischen dem Mieter und dem Untermieter ein. Schließt der Vermieter erneut einen Mietvertrag zum Zwecke der gewerblichen Weitervermietung ab, so tritt der neue (Zwischen-)Mieter anstelle des bisherigen Vertragspartners in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis mit dem Dritten ein. Damit ist gesetzlich verhindert, dass der soziale Mieterschutz durch das Modell der gewerblichen Weitervermietung unterwandert wird.
7.3.8
Dingliche Sicherung des Mieters
7.3.8.1
Bedürfnis nach dinglicher Sicherung
Das Nutzungsrecht des Mieters ist grundsätzlich weder „zwangsversteigerungsfest“ noch „insolvenzsicher“. Der Ersteher in der Zwangsversteigerung tritt zwar gemäß § 566 BGB in das Mietverhältnis ein; er kann jedoch nach § 57 a ZVG außerordentlich kündigen (der Ersteher von Wohnraum muss zusätzlich aber ein berechtigtes Interesse an der Kündigung haben). Gleich gelagert ist der Fall, in dem der Insolvenzverwalter die Mietsache veräußert. Der Erwerber hat dann ebenfalls ein außerordentliches Kündigungsrecht (§ 111 InsO). Die Ausübung des Kündigungsrechts kann zwar missbräuchlich sein, wenn Vermieter und Ersteher zusammenwirken, um die Folgen eines rechtsgeschäftlichen Erwerbs zu umgehen und einen langfristigen Mietvertrag zu beseitigen. Ein solcher Missbrauch lässt sich aber meist nur schwierig darlegen und beweisen. Die folgenden Ausführungen zeigen, wie ein Mieter dem Sonderkündigungsrecht des Erwerbers im Falle der Zwangsversteigerung wirksam begegnen kann: Mieter von Gewerberaum können eine dingliche Sicherung ihres Nutzungsrechts im Grundbuch verlangen. Da Dienstbarkeiten oder dienstbarkeitsähnliche dingliche Rechte in der Zwangsversteigerung nach § 44 ZVG erlöschen, wenn sie nicht in das geringste Gebot aufgenommen werden, d. h., wenn ein vorangehender Grundpfandgläubiger die Zwangsversteigerung betreibt, kommt es darauf an, dass das dingliche Recht möglichst vorrangig vor Grundpfandrechten eingetragen wird.
436 7.3.8.2
7 Wohn- und Gewerberaummiete Beschränkte persönliche Dienstbarkeit
Ohne dass der Mietvertrag damit der notariellen Beurkundung bedürfte, könnte die Verpflichtung zur Bewilligung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 BGB) in den Mietvertrag aufgenommen werden. Der Inhalt der Dienstbarkeit könnte dabei etwa wie folgt lauten: „Der Berechtigte (Mieter) ist berechtigt, die Räume ... in dem Gebäude ... zum Zwecke des Betriebes eines Warenhauses ausschließlich zu benutzen. Hiermit verbunden ist das Recht der Mitbenutzung des zum gemeinschaftlichen Gebrauch mit den weiteren Nutzern des Gebäudes bestimmten Räume und Flächen. Dem Berechtigten ist gestattet, die Ausübung der Dienstbarkeit Dritten zu überlassen. Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit ist in Abteilung II des Grundbuchs mit Rang vor den Rechten ... und allen etwa nachfolgenden Rechten, und mit Rang vor allen Rechten in Abteilung III des Grundbuchs einzutragen ...“ Schuldrechtlich könnte dazu dann vereinbart werden, wann der Eigentümer einen Anspruch auf Löschung der Dienstbarkeit hat, z. B. für den Fall der Beendigung des zugrunde liegenden Mietverhältnisses (allerdings darf die Kündigung gemäß § 57 a ZVG keine „Beendigung“ in diesem Sinne darstellen). Ggf. kann bereits bei einem Dritten treuhänderisch eine Löschungsbewilligung hinterlegt werden mit der Anweisung, die Bewilligungserklärung unter bestimmten Voraussetzungen an den Eigentümer herauszugeben. Zu bedenken ist jedoch, dass die Dienstbarkeit dem Berechtigten nur das Recht gibt, das Grundstück in einzelnen Beziehungen unter Ausschluss des Eigentümers zu nutzen. Daraus wird von der Rechtsprechung gefolgert, dass Dienstbarkeiten den Eigentümer des Grundstücks nicht auf eine nur unwesentliche Möglichkeit der Nutzung einschränken dürfen (siehe Rechtsprechungsüberblick in BGH, NJW 1992, 1101). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung wird es wohl schwierig sein, dem Mieter eine Dienstbarkeit an einem Grundstück insgesamt einzuräumen (sog. „verdrängende Dienstbarkeit“). Hier stößt das „Dienstbarkeitsmodell“ an Grenzen. 7.3.8.3
Dauernutzungsrecht/Dauerwohnrecht nach § 31 WEG
Während das Dauerwohnrecht durchaus verbreitet ist, ist von bisher wenig praktischer Bedeutung die Vereinbarung eines Dauernutzungsrechts (bei Gewerberaum) nach § 31 WEG. Dieses stiefmütterliche Dasein resultiert jedoch nicht aus der Ungeeignetheit des Dauernutzungsrechts sondern vielmehr aus der Unkenntnis der beteiligten Rechtskreise. Das Dauernutzungsrecht ist – wie das Dauerwohnrecht – ein dienstbarkeitsähnliches dingliches Recht, wonach ein Grundstück oder auch ein Erbbaurecht dergestalt belastet wird, dass bestimmte Räume eines vorhandenen oder noch zu errichtenden Gebäudes ausschließlich von einem anderen benutzt werden dürfen. Daher wird das Dauernutzungsrecht als Dauerwohnrecht für gewerbliche Räume bezeichnet. Das Dauernutzungsrecht wird im Grundbuch eingetragen. Es ist „verkehrsfähig“, also veräußerlich, vererblich und kann verpfändet werden. Es kann nur an solchen Räumen bestellt werden, für die die bauamtliche Abgeschlossenheitsbestätigung vorliegt. Der auf die Bestellung des Dauernutzungsrechts gerichtete Vertrag bedarf nicht der notariellen Beurkundung.
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
437
Das Dauernutzungsrecht kommt in der Praxis eigentlich nur in zwei Fällen vor:
der Bestand des Nutzungsverhältnisses soll auf eine Dauer von länger als 30 Jahren abgesichert werden (was im Rahmen eines normalen Mietverhältnisses nicht möglich ist, da § 544 BGB ein Sonderkündigungsrecht nach Ablauf von 30 Jahren vorsieht); der Nutzungsberechtigte hat erhebliche Investitionen in das Objekt getätigt oder erhebliche Baukostenzuschüsse geleistet und als Ausgleich soll zu seiner Sicherung das Nutzungsverhältnis verdinglicht werden, ohne den Berechtigten schon zum Eigentümer oder Miteigentümer zu machen.
7.4
Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
7.4.1
Beendigung durch Ablauf der Mietzeit
Ist ein Mietvertrag befristet abgeschlossen, endet er – mangels abweichender Vereinbarung – automatisch zum Ende dieser Laufzeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf (§ 542 Abs. 2 BGB). Ein befristetes Mietverhältnis liegt vor, wenn der Endzeitpunkt kalendermäßig feststeht (z. B.: „Das Mietverhältnis endet am 31.1.2007“) oder zumindest bestimmt werden kann (z. B.: „Das Mietverhältnis endet 5 Jahre nach Mietbeginn“). Während der festen Mietzeit kann das Mietverhältnis grundsätzlich nur außerordentlich gekündigt werden. Ein echter Zeitmietvertrag kann unter bestimmten Voraussetzungen auch im Wohnraummietrecht vereinbart werden (§ 575 BGB). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen sich die Parteien eines Mietvertrages nicht länger als 30 Jahre fest binden können. Wir ein Vertrag über längere Zeit als 30 Jahre abgeschlossen, so kann nach 30 Jahren jeder Teil das Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen. Allerdings ist die Kündigung unzulässig, wenn der Vertrag für die Lebenszeit des Vermieters oder Mieters geschlossen ist (§ 544 BGB). Bei der Bestimmung, ob der Vertrag über längere Zeit als 30 Jahr abgeschlossen ist, werden Verlängerungsoptionen zugunsten einer Partei berücksichtigt. Wer also ein Nutzungsrecht für eine längere Zeit als 30 Jahre sicher vereinbaren, den Mietvertrag aber nicht an die Lebenszeit einer Partei koppeln will, kann diese lange Bindung nur über eine Verdinglichung des Nutzungsrechts erreichen (siehe oben Ziffer 7.3.8). Denkbar ist auch, dass das Mietverhältnis unter einer auflösenden Bedingung abgeschlossen ist (z. B.: „Das Mietverhältnis endet in dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Mietsache verkauft“). Mit Eintritt der auflösenden Bedingung endet dann das Mietverhältnis automatisch. Allerdings im Wohnraummietrecht kann sich der Vermieter nicht auf eine Vereinbarung berufen, nach der das Mietverhältnis zum Nachteil des Mieters auflösend bedingt ist (§ 572 Abs. 2 BGB).
7.4.2
Ordentliche Kündigung/Kündigungsfristen/Sozialklausel
Ist ein Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann jede Partei das Mietverhältnis ordentlich kündigen. Im Wohnraummietrecht kann der Vermieter grundsätzlich allerdings nur dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse gemäß § 573 BGB hat. Bei mehreren Mietern muss die Kündigung sämtlichen Mietern zugehen, wenn sich die Mieter nicht gegenseitig zum Empfang der Kündigung auch für den anderen bevollmächtigt
438
7 Wohn- und Gewerberaummiete
haben (was im Mietvertrag auch formularmäßig geregelt sein kann). Bei einem Mietverhältnis über Gewerberaum muss die Kündigung der anderen Partei spätestens am 3. Werktag für den Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres zugehen (§ 580 a Abs. 2 BGB). Für Mietverhältnisse über Wohnraum ist die Kündigung spätestens am 3. Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats zulässig. Nach fünf und acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraums verlängert sich die Kündigungsfrist zu Lasten des Vermieters um jeweils drei Monate (§ 573 c Abs. 1 Satz 2 BGB; sog. asymmetrische Kündigungsfristen). Werktage sind in diesem Zusammenhang auch Samstage, soweit nicht der 3. Werktag auf einen Samstag fällt. Dann ist der 3. Werktag erst der an die Stelle des Samstages tretende nächste Werktag (§ 193 BGB). Im gewerblichen Mietrecht kann die Kündigung formlos erfolgen. Haben die Parteien dafür im Mietvertrag Schriftform vereinbart, genügt – sofern nicht anders vereinbart – eine Kündigung per Telefax (§ 127 Abs. 2 BGB). Anders ist die Rechtslage im Wohnraummietrecht. Dort muss die Kündigung (ob ordentlich oder außerordentlich) zwingend schriftlich erfolgen (§ 568 Abs. 1 BGB). In dem Kündigungsschreiben des Vermieters sind die Gründe der Kündigung anzugeben (§§ 573 Abs. 3, 573 a Abs. 3 BGB). Ferner soll der Mieter grundsätzlich auf die Möglichkeit des Widerspruchs nach den §§ 574 bis 574 d BGB sowie auf die Form und Frist des Widerspruchs rechtzeitig hingewiesen werden (§ 568 Abs. 2 BGB). Um die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform einzuhalten, muss bei der Wohnraummiete dem Vertragspartner die Kündigung im Original zugehen. Ein Telefax reicht nicht aus. Unsicherheiten bestehen in der Praxis nicht selten bei der Frage, ob in der Kündigungserklärung ein Kündigungstermin genannt werden muss. Fest steht: Die Angabe eines Kündigungstermins ist nicht Voraussetzung für eine wirksame Kündigung. Die fehlende Angabe führt nur dazu, dass die Kündigung auf den nächst zulässigen Termin wirkt. Denkbar ist also „zum nächstzulässigen Termin“ zu kündigen. Hat der Kündigende die Kündigungsfrist länger als im Gesetz oder Vertrag geregelt bemessen, so wirkt die Kündigung erst zu dem späteren Termin. Will jemand in Vertretung einer Vertragspartei die Kündigung erklären, sollte er der Kündigung unbedingt die auf ihn lautende Originalvollmacht beifügen. Ansonsten kann der Empfänger die Kündigung unverzüglich zurückweisen, es sei denn, der Vollmachtgeber hatte ihn von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt (§ 174 BGB).
7.4.3
Außerordentliches Kündigungsrecht
Im BGB sind eine Reihe von Sondertatbeständen geregelt, die eine Mietvertragspartei zur außerordentlichen Kündigung berechtigen können. Bei besonders schwerwiegenden Veränderungen des Leistungsgefüges, die einer Partei die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar machen, kann eine Partei zur fristlosen Kündigung berechtigt sein. Bei weniger schwerwiegenden Leistungsstörungen kommt eine außerordentliche befristete Kündigung in Betracht. Die wichtigsten Sonderkündigungstatbestände sollen im Folgenden kurz skizziert werden. 7.4.3.1
Fristlose Kündigung
Fristlose Kündigungen einer Mietvertragspartei sind möglich wie folgt:
Der Mieter verletzt die Rechte des Vermieters trotz Abmahnung dadurch in erheblichem Maße, dass er die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt er-
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
439
heblich gefährdet oder sie unbefugt einem Dritten überlässt (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB, siehe oben Ziffer 7.3.4); schuldhafte Verletzung der vertraglichen Pflichten in solchem Maße, dass dem Vertragspartner die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 543 Abs. 1 BGB, siehe oben Ziffer 7.3.4); der Mieter befindet sich mit der Zahlung der Miete in bestimmter Höhe im Verzug (§ 543 Abs. 2 Nr. 3, § 569 Abs. 3 BGB, siehe oben Ziffer 7.3.5); der Vermieter gewährt den Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig oder der Gebrach wird dem Mieter wieder entzogen (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB, siehe oben Ziffer 7.3.1.1); die Beschaffenheit der Mieträume ist gesundheitsgefährdend (§ 569 Abs. 1 BGB); bei nachhaltiger Störung des Hausfriedens (§ 569 Abs. 2 BGB); Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB), wenn durch das Verhalten einer Partei das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört ist, dass ein gedeihliches Zusammenwirken der Parteien nicht mehr zu erwarten ist oder wenn die Durchführung des Vertrages durch die nachträgliche Veränderung der Verhältnisse erheblich gefährdet ist und deshalb eine Fortsetzung dem Kündigenden nicht mehr zugemutet werden kann.
7.4.3.2
Befristete Kündigung
Ist bei einem längerfristigen Mietvertrag die gesetzliche Schriftform nicht eingehalten, kann jede Partei gemäß § 550 BGB mit der gesetzlichen Frist kündigen (der Vermieter von Wohnraum muss jedoch ein berechtigtes Interesse haben, siehe oben Ziffer 7.2.1);
ist ein Mietvertrag für eine längere Zeit als 30 Jahre geschlossen, kann jede Partei das Mietverhältnis nach 30 Jahren mit der gesetzlichen Frist kündigen (§ 544 BGB, siehe oben Ziffer 7.2.9.2); stirbt der Mieter, können sowohl seine Erben als auch der Vermieter das Mietverhältnis innerhalb eines Monats, nachdem sie vom Tod des Mieters Kenntnis erlangt haben, unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen (§ 580, 564 Satz 2 BGB); bei Wohnraum kommt es unter bestimmten Voraussetzungen im Fall des Todes des Mieters zu einer Sonderrechtsnachfolge durch bestimmte Personen, mit denen der Verstorbene einen gemeinsamen Haushalt führte (z. B. Ehegatten), § 563 BGB; versagt der Vermieter seine Erlaubnis zur Untervermietung, kann der Mieter gemäß § 540 Abs. 1 Satz 2 BGB unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen (siehe oben Ziffer 7.3.6); der Mieter erhält eine Mieterhöhung nach § 558 BGB (Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete) oder § 559 BGB (Mieterhöhung bei Modernisierung), § 561 Abs. 1 BGB; der Vermieter führt Baumaßnahmen durch (§ 554 Abs. 3 BGB); wird die Mietsache zwangsversteigert, kann der Ersteher nach § 57 a ZVG zum erst zulässigen Termin kündigen (siehe oben Ziffer 7.3.8.1); bei Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf kann der Eigentümer mit der gesetzlichen Frist für einen der beiden ersten Termine kündigen (§ 30 Abs. 2 Erbbaurechtsgesetz); der Eigentümer hat nach § 1056 Abs. 1 BGB das Recht, bei Erlöschen des Nießbrauchsrechts das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist zu kündigen.
440
7.4.4
7 Wohn- und Gewerberaummiete
Kündigungsschutz bei Wohnraummietverhältnissen
Mietverträge über Wohnraum (anders im gewerblichen Mietrecht!) können gemäß § 573 BGB vom Vermieter grundsätzlich nur gekündigt werden, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Dies ist eine der fundamentalen Bestimmungen des sozialen Mieterschutzes. Als berechtigtes Interesse nennt das Gesetz beispielhaft („insbesondere“):
Nicht unerhebliche schuldhafte Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Mieter; Eigenbedarf des Vermieters für sich, die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder die Familienangehörige des Vermieters; Hinderung des Vermieters an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks, soweit der Vermieter dadurch erhebliche Nachteile erleidet. Eine Teilkündigung von nicht zu Wohnraum bestimmten Nebenräumen ist dem Vermieter aber möglich, wenn er die gekündigten Räume z. B. zur Schaffung von Wohnraum, verwenden will (§ 573 b BGB). Ob dem Mieter eine nicht unerhebliche schuldhafte Verletzung vertraglicher Pflichten vorzuwerfen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Maßgeblich ist, ob die Belange des Vermieters in einem solchen Maße beeinträchtigt sind, dass dem Vermieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Die „Eigenbedarfskündigung“ ist die in der Praxis häufigste Form der Kündigung durch den Vermieter. Hausstandsangehörige sind Personen, die der Vermieter auf Dauer in seine Wohnung aufgenommen hat, die mit ihm in enger Hausgemeinschaft leben und die dort keinen eigenen Hausstand führen. Dies können z. B. Familienmitglieder des Vermieters sein oder Personen, mit denen der Vermieter sein Leben teilt („Lebensgefährte“). „Familienangehörige“ des Vermieters sind seine Eltern, Kinder, Geschwister und sein Ehepartner. Weitere Personen können Familienangehörige sein, wenn sie mit dem Vermieter verwandt oder verschwägert sind. Die Eigenbedarfskündigung ist nur rechtmäßig, wenn der Vermieter die Wohnung zum Eigenbedarf „benötigt“. Dafür bedarf es nach der Rechtsprechung vernünftige, nachvollziehbare Gründe. Der Selbstnutzungswunsch des Vermieters allein ist also nicht ausschlaggebend. Im Streitfall kommt es zu einer gerichtlichen Abwägung des Selbstnutzungsinteresses des Vermieters mit dem Bestandsinteresse des Mieters. Das Ergebnis dieser Abwägung obliegt im Einzelfall dem Tatrichter. Die Kündigung wegen Eigenbedarf ist wesentlich erschwert, wenn nach Überlassung der Wohnung an den Mieter an der Wohnung Wohnungseigentum begründet wurde (siehe § 577 a BGB). Mit der Formulierung „wirtschaftliche Verwertung“ ist jeder Einsatz eines Grundstücks zu wirtschaftlichen Zwecken des Vermieters gemeint. Dies kann z. B. geschehen durch Verkauf, Vermietung oder durch bauliche Veränderung. Angemessen ist die Verwertung, wenn sie rechtmäßig ist, sich also im Rahmen der geltenden Rechts- und Sozialordnung hält. Zu bedenken ist jedoch, dass der Vermieter durch den Fortbestand des Mietverhältnisses an der konkret beabsichtigten Verwertung gehindert werden muss. Mit anderen Worten: Die Durchführung der Verwertung muss von der Beendigung des Mietverhältnisses abhängen. Eine bloße Erschwerung der Verwertung genügt nicht. Somit wird ein Vermieter nicht wirksam kündigen können, wenn er die leerstehende Wohnung zu einem höheren Preis veräußern kann, als wenn sie vermietet ist.
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
7.4.5
441
Aufhebungsvertrag
Die Parteien können jederzeit den Mietvertrag vorzeitig einvernehmlich im Rahmen eines Mietaufhebungsvertrages auflösen. An diesem Vertrag müssen alle Parteien des Mietvertrages mitwirken, ansonsten ist er nicht wirksam (es sei denn, es liegen entsprechende Bevollmächtigungen vor). Die Aufhebung des Mietverhältnisses ist formfrei und unterliegt nach herrschender Meinung nicht dem Formerfordernis, das für Vertragsänderungen nach § 550 BGB gilt (BGHZ 65, 49). Wesentlicher Inhalt des Aufhebungsvertrages ist der Zeitpunkt, zu dem das Mietverhältnis beendet werden soll. Typischerweise kommt es zu derartigen Vereinbarungen, wenn der Vermieter die Mietsache im Anschluss an das zu vereinbarende Mietende weiter vermieten kann. Der Vermieter ist in diesen Fällen gut beraten, den Aufhebungsvertrag unter die aufschiebende Bedingung zu stellen, dass der Mietvertrag mit dem Nachmieter auch zustande kommt. Ansonsten kann es passieren, dass er den Mietvertrag mit dem Mieter vorzeitig aufhebt, der Vertrag mit dem potenziellen Nachmieter aber nicht abgeschlossen wird. In Einzelfällen kann ein Mietaufhebungsvertrag auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Das Zustandekommen ist beispielsweise bejaht worden, wenn eine unzulässige oder unbegründete Kündigung vom Kündigungsempfänger akzeptiert worden ist. Allerdings wird man an ein schlüssiges Zustandekommen einer Aufhebungsvereinbarung hohe Anforderungen stellen müssen. Insbesondere wird man aus bloßem Schweigen auf die unwirksame Kündigung nicht auf das Einverständnis auf Mietaufhebung schließen können. Ebenso wenig wird man die Duldung des Mieterauszuges als Einverständnis zur Mietaufhebung werten können.
7.4.6
Rückgabepflicht der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses
Zu Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter kommt es häufig bei der Abwicklung beendeter Mietverhältnisse. Ihre Ursache haben derartige Auseinandersetzungen zumeist darin, dass der Mieter die Mietsache nicht rechtzeitig zum Ende des Mietverhältnisses oder nicht in vertragsgemäßem Zustand zurückgibt. 7.4.6.1
Rückgabepflicht
Nach der Beendigung des Mietverhältnisses ist der Mieter verpflichtet, die gemietete Sache an den Vermieter zurückzugeben (§ 546 Abs. 1 BGB). Dies erfordert, dass der Mieter dem Vermieter den unmittelbaren Besitz an der Mietsache einräumt. Die bloße Besitzaufgabe durch den Mieter genügt nicht. Zu einer teilweisen Rückgabe der Mietsache ist der Mieter nach § 266 BGB nicht berechtigt (BGHZ 104, 285). Fehlt jedoch nur untergeordnetes Zubehör, z. B. einzelne Schlüssel, hat der Mieter seine Rückgabepflicht erfüllt, ist dem Vermieter wegen des fehlenden Zubehörs aber schadenersatzpflichtig. Zur Räumung gehört auch, dass der Mieter alle Sachen aus der Mietsache entfernt, die er oder Personen eingebracht haben, denen er den (Mit-)Gebrauch überlassen hat, es sei denn,
442
7 Wohn- und Gewerberaummiete
er ist aufgrund des Vermieterpfandrechts hieran gehindert. Das Zurücklassen von Gerümpel in geringem Umfang hindert dagegen die Rückgabe nicht (BGHZ 104, 285). Grundsätzlich ist der Mieter verpflichtet, die gemietete Sache in dem Zustand zurückzugeben, indem er sie erhalten hat. Daher ist die Anfertigung eines exakten Übergabeprotokolls zum Mietbeginn von besonderer Bedeutung. Vom Mieter vorgenommene Ein- und Umbauten sowie von ihm veranlasste bauliche Maßnahmen sind somit zu beseitigen, auch wenn der Mieter sie vom Vormieter übernommen hat (OLG Hamburg, ZMR 1990, 341). Unerheblich ist, mit welchem Kostenaufwand die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands für den Mieter verbunden ist. Die Verpflichtung des Mieters zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands entfällt ausnahmsweise in folgenden Fällen:
Der Vermieter hat ausdrücklich oder stillschweigend auf den Wiederherstellungsanspruch verzichtet. Willigt der Vermieter in Ein- und Umbauten sowie sonstigen baulichen Maßnahmen des Mieters ein, ist damit noch kein Verzicht auf den Wiederherstellungsanspruch verbunden; der Mieter hat sich gegenüber dem Vermieter vertraglich zur Durchführung der baulichen Maßnahmen oder zur Errichtung der Einrichtungen verpflichtet; der Mieter hat bauliche Maßnahmen vorgenommen, um den vertragsgemäßen Zustand der Mietsache herzustellen (OLG Düsseldorf, ZMR 1990, 218). Derartige Maßnahmen kann der Mieter unter den Voraussetzungen des § 536 a Abs. 2 BGB ohne Zustimmung des Vermieters vornehmen; der Vermieter will die Mietsache nach der Rückgabe derart umbauen, dass die Wiederherstellungsarbeiten des Mieters entfernt werden müssen (BGHZ 96, 141). In diesem Fall steht dem Vermieter auch kein Ausgleichsanspruch in Geld gegen den Mieter zu. Mit der Verpflichtung des Mieters zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes korrespondiert sein Recht, Einrichtungen, mit denen er die Mietsache versehen hat, wegzunehmen (§ 539 Abs. 2 BGB). Einrichtungen sind Sachen, die der Mieter mit der vermieteten Sachen verbunden hat und die ihr zu dienen bestimmt sind (BGHZ 101, 37). Sie können durch Verbindung mit den vermieteten Sachen deren wesentlicher Bestandteil werden. Es handelt sich z. B. um Einbauschränke, Sanitäreinrichtung etc. Hat der Vermieter ein Interesse daran, dass derartige Einrichtungen nach der Beendigung des Mietverhältnisses in der Mietsache verbleiben, kann er das Wegnahmerecht des Mieters durch Zahlung einer angemessenen Entschädigung abwenden. Allerdings besteht diese Möglichkeit nicht, wenn der Mieter ein berechtigtes Interesse an der Wegnahme der Einrichtung hat (§ 552 Abs. 1 BGB). Als Entschädigung ist in der Regel der Zeitwert der Einrichtung zu vergüten. Hat der Mieter die Mietsache geräumt, jedoch ihm gehörende Sachen zurückgelassen, trifft den Vermieter eine Obhutspflicht, soweit es sich nicht um wertloses Gerümpel handelt, die aber zeitlich befristet ist. Kosten, die dem Vermieter hierdurch entstehen, z. B. Einlagerungskosten, hat der Mieter als Verzugsschaden zu ersetzen. 7.4.6.2
Zustand der vermieteten Sache bei der Rückgabe
Schäden, die über die vertragsgemäße Abnutzung der Mietsache hinausgehen und von ihm zu vertreten sind (§ 538 BGB), hat der Mieter dem Vermieter zu ersetzen. Der Mieter haftet somit für die Folgen einer vertragswidrigen Nutzung der Mietsache und einer Verletzung seiner Obhutspflicht.
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
443
Darüber hinaus können dem Vermieter zum Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses Ansprüche aufgrund einer vom Mieter vertraglich übernommenen Instandhaltungsund Instandsetzungspflicht zustehen, insbesondere aufgrund einer Endrenovierungspflicht des Mieters. Schließlich ist der Mieter gegebenenfalls zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Mietsache verpflichtet (vgl. Ziffer 7.4.6.1). Ansprüche wegen eines nicht vertragsgerechten Zustandes der Mietsache bei der Rückgabe kann der Vermieter mit Aussicht auf Erfolg nur durchsetzen, wenn er den Zustand der Mietsache bei der Übergabe an den Mieter wie auch bei der Rückgabe durch diesen beweiskräftig dokumentiert hat. Dieses Ziel lässt sich erreichen, indem sowohl bei der Übergabe wie auch bei der Rückgabe jeweils Begehungen der Mietsache mit dem Mieter stattfinden, bei denen detaillierte Protokolle über den Zustand der Mietsache erstellt und von beiden Vertragsparteien unterschrieben werden. Derartige Protokolle können von unterschiedlicher rechtlicher Qualität sein: Verpflichtet sich der Mieter im Rückgabeprotokoll zur Beseitigung von festgestellten Schäden, handelt es sich bei dem Protokoll um ein deklaratorisches oder sogar ein konstitutives Schuldanerkenntnis, aus dem der Mieter unmittelbar in Anspruch genommen werden kann. Wird im Protokoll hingegen lediglich der Zustand der Mietsache beschrieben, stellt es eine Beweisurkunde über den Zustand der vermieteten Sache bei der Übernahme bzw. Rückgabe dar. Falls der Vermieter die Mietsache vorbehaltlos zurücknimmt, kann er mit Ansprüchen gegen den Mieter ausgeschlossen sein. Wird in einem Rückgabeprotokoll der ordnungsgemäße Zustand der Mietsache vom Vermieter bestätigt, hat das Protokoll die rechtliche Qualität eines negativen Schuldanerkenntnisses, so dass der Vermieter mit weiteren Ansprüchen gegen den Mieter ausgeschlossen ist. Aus diesem Grunde sollte der Vermieter eine sachkundige Person zuziehen und sich im Rückgabeprotokoll Ansprüche gegen den Mieter wegen Schäden vorbehalten, die bei der Rückgabe nicht erkannt worden sind. Anlässlich der Rückgabe der Mietsache kommt es häufig zu Streit zwischen den Vertragsparteien, sei es, dass der Mieter seine Mitwirkung an der förmlichen Rückgabe verweigert, oder dass Meinungsverschiedenheiten über Ansprüche des Vermieters im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache entstehen. In diesen Fällen muss der Vermieter für eine beweiskräftige Feststellung des Zustandes der Mietsache Sorge tragen. In Betracht kommen zunächst Fotografien, Videoaufnahmen und sachkundige Personen, die in einem gerichtlichen Verfahren als Zeugen benannt werden können. Auf diese Beweismittel sollte sich der Vermieter jedoch nicht beschränken, wenn es schon zu Meinungsverschiedenheiten über das Bestehen von Schäden und über die Frage der Verantwortlichkeit für Schäden gekommen ist. Von deutlich größerem Beweiswert ist das Privatgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, der im Auftrag des Vermieters tätig wird. Das schriftliche Gutachten dient als Beweisurkunde; der Gutachter kann als sachverständiger Zeuge gehört werden. Stehen erhebliche Schadenersatzforderungen des Vermieters im Raum, empfiehlt sich die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO). In diesem Verfahren lässt sich für die Parteien schnell und verbindlich auch die Frage klären, worin die Ursache von Schäden zu suchen und mit welchen Kosten ihre Beseitigung verbunden ist. Von Nachteil ist allerdings, dass die Schäden zumindest bis zur Durchführung des Ortstermins
444
7 Wohn- und Gewerberaummiete
mit dem vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen nicht behoben werden können und daher zusätzliche Mietausfallschäden entstehen. Der Vermieter muss somit im Einzelfall abwägen und entscheiden, für welche Form der Beweissicherung er sich entscheidet. 7.4.6.3
Ansprüche des Vermieters bei Nicht- oder Schlechterfüllung der Rückgabepflicht
Räumt der Mieter nicht freiwillig, muss er gerichtlich auf Räumung in Anspruch genommen werden. Gelegentlich wird in Formularmietverträgen der Versuch unternommen, dem Vermieter ein Selbsthilferecht einzuräumen. Derartige Klauseln sind unwirksam. Eine individualvertragliche Vereinbarung, die es dem Vermieter erlaubt, die Räumung im Wege der Selbsthilfe vorzunehmen, ist grundsätzlich wirksam. Der Vermieter kann sich auf eine derartige Absprache aber nicht berufen, wenn das Einverständnis des Mieters zum Zeitpunkt der Ausübung des Selbsthilferechts nicht mehr vorliegt (BGH, NJW 1977, 1818). Hat der Mieter die Mietsache ganz oder zum Teil Dritten zum Gebrauch überlassen, insbesondere untervermietet, kann der Vermieter diese unmittelbar auf Räumung in Anspruch nehmen (§ 546 Abs. 2 BGB). Falls der Vermieter Eigentümer der Mietsache ist, kann er den Herausgabeanspruch gegen Dritte auch auf § 985 BGB stützen. Mangels vertraglicher Absprachen kann der Vermieter Dritte auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Mietsache nur in Anspruch nehmen, wenn er Eigentümer der Mietsache ist und der Dritte selbst die Mietsache mit Einrichtungen versehen oder bauliche Änderungen vorgenommen hat. Oft versuchen Mieter wegen bestehender oder vermeintlicher Ansprüche gegen den Vermieter ein Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen und bieten die Rückgabe der Mietsache nur Zug um Zug gegen Erfüllung dieser Ansprüche, z. B. gegen Herausgabe der Kaution, an. Nach § 570 BGB kann der Mieter von Grundstücken und Räumen die Rückgabe der gemieteten Sache nach Beendigung des Mietverhältnisses jedoch nicht wegen etwaiger Ansprüche gegen den Vermieter zurückbehalten. Geben der Mieter oder Personen, denen er den Gebrauch der Mietsache überlassen hat, diese nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurück, kann der Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete verlangen. Alternativ kann er nach seiner Wahl die ortsübliche Miete geltend machen (§ 546 a Abs. 1 BGB). Die Nutzungsentschädigung tritt an die Stelle der vertraglich geschuldeten Miete und ist nicht davon abhängig, dass den Mieter ein Verschulden an der Vorenthaltung der Mietsache trifft. Die Mietsache wird dem Mieter vorenthalten, wenn ihm gegen seinen Willen der Besitz nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht übertragen wird (BGHZ 104, 285). Zieht der Mieter vor Ablauf einer vertraglich oder gerichtlich eingeräumten Räumungsfrist aus, endet die Vorenthaltung mit der Erfüllung der Rückgabepflicht. Da der Mieter grundsätzlich nicht berechtigt ist, die Mietsache teilweise zurückzugeben, schuldet er die Nutzungsentschädigung in voller Höhe, bis er die Mietsache vollständig zurückgegeben hat (BGHZ 104, 285). Hat der Mieter die Mietsache einem Dritten überlassen, z. B. untervermietet, kann er den Vermieter nicht auf dessen Rückgabeanspruch gegen den Dritten (§ 546 Abs. 2 BGB) verweisen (BGHZ 90, 145). Auch in diesem Fall schuldet der Mieter für die Dauer der Vorenthaltung die Nutzungsentschädigung. Da dieser Anspruch verschuldensunabhängig ist, kommt es nicht darauf an, ob der Untermieter die Mietsache gegen den Willen des Mieters nicht herausgibt.
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
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Obgleich das Mietverhältnis beendet ist, bestimmen sich die nachvertraglichen Rechte und Pflichten der Parteien nach dem Mietvertrag, solange die Mietsache dem Vermieter vorenthalten wird. Nutzungsentschädigung schuldet der Mieter auch dann, wenn er die Mietsache während der Dauer der Vorenthaltung tatsächlich nicht nutzt. Der Mieter kann dem Vermieter auch nicht entgegenhalten, dass diesen ein Mitverschulden (§ 254 BGB) trifft, etwa weil der Vermieter Teilbereiche der Mietsache, die der Mieter bereits geräumt hat, nicht anderweitig vermietet (BGHZ 104, 285). Verlangt der Vermieter Nutzungsentschädigung in Höhe der vertraglichen vereinbarten Miete, kann er sowohl die Grundmiete wie auch die vereinbarten Nebenkostenvorauszahlungen beanspruchen. Hinsichtlich der Umsatzsteuer ist die Nutzungsentschädigung wie die Miete zu behandeln, an deren Stelle sie tritt (BGHZ 104, 285). Die Fälligkeit richtet sich nach den vertraglichen Absprachen. Das Gleiche gilt für vertraglich vereinbarte Änderungen der Miete, insbesondere aufgrund einer Wertsicherungsklausel (BGH, ZMR 73, 238). Falls der Vermieter anstelle der vereinbarten Miete die ortsübliche Miete wählt, ist diese ab Ausübung des Wahlrechts für die Zukunft geschuldet. Rückwirkend kann der Vermieter sein Wahlrecht nicht ausüben. Gibt der Mieter die Mietsache zurück, wird sie dem Vermieter nicht mehr vorenthalten. Der Zustand der Mietsache bei der Rückgabe ist grundsätzlich unerheblich (BGHZ 104, 285). Dies gilt auch, wenn der Mieter Einrichtungen zurücklässt, es sei denn, dass eine unzulässige teilweise Räumung vorliegt (BGH, NJW 1988, 2665). Der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung schließt einen darüber hinausgehenden Schadenersatzanspruch nicht aus (§ 546 a Abs. 2 BGB). Ein weiterer Schaden kann dem Vermieter als Verzugsschaden beispielsweise entstehen, wenn er die Mietsache während der Dauer der Vorenthaltung anderweitig zu einem Mietpreis hätte vermieten können, der über der Nutzungsentschädigung liegt. In diesem Fall entsteht dem Vermieter ein Schaden in Höhe der Differenz zwischen der Miete, die er durch die anderweitige Vermietung hätte erzielen können, und der Nutzungsentschädigung. Diesen Schaden muss der Mieter ersetzen, sofern er sich mit der Rückgabe der vermieteten Sachen im Verzuge befindet. 7.4.6.4
Schadenersatz wegen Nicht- oder Schlechterfüllung von Renovierungsund Rückbaumaßnahmen
In der Regel legen gewerbliche Mietverträge fest, dass der Mieter die vermietete Sache bei Beendigung des Mietverhältnisses vollständig renovieren, insbesondere sämtliche Schönheitsreparaturen ausführen muss. Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich hierbei um eine Hauptpflicht des Mieters aus dem Mietvertrag (BGHZ 85, 267 und BGHZ 92, 363). Kommt der Mieter seiner vertraglichen Renovierungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, kann der Vermieter Schadenersatz wegen Verzögerung der Leistung erst verlangen, wenn sich der Mieter mit dem ihm obliegenden Leistungen in Verzug befindet (§§ 280, 286 BGB). Will der Vermieter Schadensersatz statt der Leistung, muss er dem Mieter grundsätzlich noch erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung setzen (§§ 280, 281 BGB).
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
Häufig wird in Formularverträgen der Versuch unternommen, die für den Vermieter lästigen, formalen Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs abzubedingen. Der Vermieter soll ohne weiteres Schadenersatz beanspruchen können, wenn die Renovierungsarbeiten nicht bis zur Rückgabe der Mietsache ausgeführt worden sind. Derartige Klauseln in Formularverträgen sind jedoch unwirksam (BGH, NJW 1986, 842). Die für den Schadenersatzanspruch statt der Leistung nach § 281 Abs. 1 BGB erforderliche Nachfrist ist nur ausnahmsweise in folgenden Fällen entbehrlich:
Der Mieter verweigert endgültig und ernsthaft die von ihm geschuldeten Renovierungsarbeiten (§ 281 Abs. 2 BGB). An eine derartige Erfüllungsverweigerung stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen. Insbesondere reichen bloße Meinungsverschiedenheiten über Inhalt und Umfang der vertraglichen Pflichten nicht aus. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 49, 56) verweigert der Mieter die bei Beendigung des Mietverhältnisses fälligen Schönheitsreparaturen endgültig, wenn er auszieht ohne die Arbeiten ausgeführt zu haben. Es ist jedoch Vorsicht geboten, da viele Untergerichte dieser Rechtsprechung des BGH nicht folgen und letztlich immer nur im Einzelfall beurteilt werden kann, ob der Mieter die ihm obliegenden Leistungen endgültig und ernsthaft verweigert hat; die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 BGB). Der BGH nimmt einen derartigen Fall an, wenn die Zeit zwischen dem Auszug des Mieters, der die Schönheitsreparaturen nicht ausgeführt hat, und dem Beginn des neuen Mietverhältnisses für eine Nachfristsetzung nicht ausreicht. Hat der Mieter die von ihm geschuldeten Renovierungsarbeiten nicht ausgeführt, obwohl er hierzu unter Nachfristsetzung (§§ 280, 281 BGB) aufgefordert wurde, schuldet er Schadenersatz statt der Leistung. Zum Schaden gehören die Kosten für die unterbliebenen Renovierungsarbeiten, die auch anhand eines Kostenvoranschlags ermittelt werden können. Nicht notwendig ist, dass der Vermieter die Arbeiten tatsächlich ausführen lässt. Zu ersetzen sind darüber hinaus die Kosten für Sachverständigengutachten zur Feststellung des Zustandes der Mietsache, sofern dieser streitig war, sowie verzögerungsbedingte Kosten, z. B. der Mietausfall in Höhe der üblichen Miete für die Dauer der Arbeiten (BGH, NJW 1991, 2416). Allerdings ist der Vermieter verpflichtet, die Renovierungsarbeiten zügig ausführen zu lassen; ansonsten kann ihm der Mieter den Einwand des Mitverschuldens (§ 254 BGB) entgegenhalten. Erübrigen sich die vom Mieter geschuldeten Renovierungsarbeiten, weil der Vermieter Umbauarbeiten durchführen will, kann er vom Mieter einen Geldausgleich beanspruchen (BGHZ 92, 363). 7.4.6.5
Verjährung
Im Mietrecht sollten die Parteien dringend die kurze Verjährungsvorschrift des § 558 Abs. 1 BGB beachten. Danach verjähren Ersatzansprüche des Vermieters gegen den Mieter wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der vermieteten Sache in sechs Monaten (§ 548 Abs. 1 BGB). Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Mietsache zurückerhält. Diese Bestimmung wird von der Rechtsprechung weit ausgelegt; sie erfasst insbesondere folgende Fallgruppen:
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
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Ansprüche aufgrund einer vom Mieter vertraglich übernommenen Verpflichtung zur Durchführung von Renovierungsarbeiten, insbesondere Schönheitsreparaturen; Ansprüche aufgrund einer vom Mieter vertraglich übernommenen Verpflichtung zur Instandhaltung und Instandsetzung der gemieteten Sachen oder Teilen hiervon; Ansprüche auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Mietsache; Schadenersatzansprüche wegen der Nicht- oder Schlechterfüllung der Ansprüche auf Wiederherstellung des vertragsmäßigen Zustandes zum Mietende; Ansprüche wegen einer Verletzung der dem Mieter obliegenden Obhutspflicht und wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache, die zu Schäden an der Mietsache führen; Schadenersatz wegen Unterlassung der dem Mieter obliegenden Mängelanzeige (§ 536 c Abs. 1 BGB); Schadenersatzansprüche wegen entgangenem Gewinn (insbesondere Mietausfall) im Zusammenhang mit den vorstehend aufgeführten Ansprüchen (BGH, MDR 95, 141); Kosten für Gutachten zur Feststellung von Veränderungen und Verschlechterungen der Mietsache; Regressansprüche des Vermieters gemäß BBodSchG (LG Hamburg, NZM 2001, 339; LG Frankenthal, NJW-RR 2002, 1090). Nicht unter § 558 Abs. 1 BGB fallen:
Der Anspruch des Vermieters auf Rückgabe der Mietsache und Ansprüche allein wegen Schlechterfüllung des Räumungsanspruchs, die erst nach Ablauf der Mietzeit entstehen und bei Vertragsende noch nicht voraussehbar waren, z. B. Zurücklassung von Gift nach Räumung einer Apotheke; Ansprüche des Vermieters wegen vollständiger Zerstörung der Mietsache (BGHZ 49, 278); Personenschäden; Schäden, die nicht im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache stehen, insbesondere Nutzungsentschädigung oder Schadenersatz wegen Mietausfall aufgrund der fristlosen Kündigung eines befristeten Mietverhältnisses bis zum Ende der vertraglich vereinbarten Mietzeit. Räumlich gilt die Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 BGB für die Mietsache einschließlich der mitvermieteten Sachen. Erfasst werden aber auch Schäden an Teilen des Gebäudes und des Grundstücks, die nicht Mietsache sind (BGHZ 61, 227), zum Teil sogar Schadenersatzansprüche des mit dem Vermieter nicht identischen Eigentümers der Mietsache (BGH, ZMR 1997, 400). Allerdings muss der Schaden hinreichenden Bezug zur Mietsache selbst haben (BGH, ZMR 1994, 63). Die sechsmonatige Verjährungsfrist beginnt für den Vermieter, wenn er die Mietsache zurück erhält. Vereinbaren die Mietvertragsparteien, dass vom Mieter geschuldete Renovierungsarbeiten erst einige Zeit nach Beendigung des Mietverhältnisses zu erbringen sind, so beginnt die Verjährungsfrist gemäß § 548 BGB nicht vor Ablauf der Renovierungsfrist (OLG München, ZMR 1997, 178). Der Vermieter kann die Mietsache bereits vor Beendigung des Mietverhältnisses zurück erhalten, so dass die Verjährungsfrist vor Mietende in Lauf gesetzt werden kann. Allerdings muss der Vermieter durch Inbesitznahme der Mietsache in die Lage versetzt worden sein, sich ungestört ein umfassendes Bild von Beschädigungen an der Mietsache zu machen (BGH, NJW 1991, 2418). Der Vermieter erhält die Mietsache auch zurück im Sinne von § 548 Abs. 1 BGB,
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wenn er mit dem Untermieter seines bisherigen Mieters noch während des Bestehens des Hauptmietverhältnisses einen neuen Mietvertrag abschließt, der sich zeitlich an den auslaufenden Hauptmietvertrag anschließt und die Mietsache vereinbarungsgemäß im unmittelbaren Besitz des Untermieters und neuen Mieters bleibt (OLG München, ZMR 1997, 178). Der Beginn der kurzen Verjährungsfrist ist nicht davon abhängig, dass der Vermieter Kenntnis von den Schäden hat. Wegen der kurzen Verjährungsfrist und zur Vermeidung von Mietausfallschäden ist dem Vermieter anzuraten, die notwendigen Feststellungen zum Zustand der Mietsache unverzüglich zu treffen, sobald er die Mietsache zurückerhalten hat. Hat der Mieter eine Kaution gestellt, sind vorrangig Ansprüche, die der sechsmonatigen Verjährung unterliegen, gegen die Kaution zu verrechnen. Obgleich eine Aufrechnung mit derartigen Ansprüchen auch nach Eintritt der Verjährung möglich ist, soweit sich die Ansprüche vor Verjährungseintritt aufrechenbar gegenüber gestanden haben, muss die Aufrechnung alsbald erklärt werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Mieter nur für einen begrenzten Zeitraum (zwischen drei und sechs Monaten) gehindert, seinerseits die Aufrechnung mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch zu erklären. Der Mieter hat somit spätestens nach Ablauf von sechs Monaten die Möglichkeit, seinen Kautionsrückzahlungsanspruch gegen nicht verjährte Forderungen (z. B. Mietrückstände) aufzurechnen, mit der Folge, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgerechnete Forderungen des Vermieters, die der kurzen, sechsmonatigen Verjährung unterliegen, nicht mehr durchgesetzt werden können. 7.4.6.6
Vom Mieter herrührende Altlasten der Mietsache
Zum 01.03.1999 sind die wesentlichen Teile des neuen Bundesbodenschutzgesetzes (BBodSchG) in Kraft getreten. Zweck des Gesetzes ist es, nachhaltig die Funktion des Bodens zu sichern und wiederherzustellen. Hierzu sind schädliche Bodenverunreinigungen abzuwehren, der Boden und Altlasten sowie hierdurch verursachte Gewässerverunreinigungen zu sanieren und Vorsorge gegen nachteilige Einwirkung auf den Boden zu treffen (§ 1 BBodSchG). Hat der Mieter schädliche Bodenveränderungen verursacht, sind die Bestimmungen des neuen Gesetzes auch im Verhältnis zwischen dem Vermieter und dem Mieter von Bedeutung; sie sind auch bei der Abwicklung von Mietverhältnissen zu berücksichtigen. Unter „Altlasten“ versteht das BBodSchG nur Altablagerungen und Altstandorte, durch die schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgerufen werden (§ 2 Abs. 5 BBodSchG). Dies ist zu beachten, wenn künftig – nicht nur in Verträgen – der Begriff „Altlasten“ verwandt wird. Darüber hinaus behandelt das BBodSchG andere schädliche Bodenveränderungen (z. B. § 2 Abs. 3 BBodSchG). Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter sind insbesondere folgende Bestimmungen des BBodSchG zu berücksichtigen:
Der Grundstückseigentümer (in der Regel der Vermieter) und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt (in der Regel der Mieter) über ein Grundstück sind verpflichtet, Maßnahmen zur Abwehr der von ihrem Grundstück drohenden schädlichen Bodenveränderungen zu ergreifen (§ 4 Abs. 2 BBodSchG); der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast (der Mieter oder Personen für die er einzustehen hat) sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer (der Vermieter) und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück (der Mieter) sind verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie durch schädliche Boden-
7.4 Die Beendigung und Abwicklung des Mietverhältnisses
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veränderungen verursachte Verunreinigung von Gewässern so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen (§ 4 Abs. 3 BBodSchG); veräußert der Vermieter das vermietete Grundstück, ist er als früherer Eigentümer zur Sanierung verpflichtet, wenn er sein Eigentum nach dem 01.03.1999 übertragen hat und die schädlichen Bodenveränderungen oder Altlast hierbei kannte oder kennen musste (§ 4 Abs. 6 BBodSchG); der Grundstückseigentümer (der Vermieter) und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück (der Mieter) und derjenige, der Verrichtungen auf einem Grundstück durchführt oder durchführen lässt, die zu Veränderungen der Bodenbeschaffenheit führen können, sind verpflichtet, Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Bodenveränderungen zu treffen, die durch ihre Nutzung auf dem Grundstück oder in dessen Einwirkungsbereich hervorgerufen werden können (§ 7 BBodSchG). Mehrere Verpflichtete haben unabhängig von ihrer Heranziehung untereinander einen Ausgleichsanspruch. Soweit nichts anderes vereinbart wird, hängt die Verpflichtung zum Ausgleich sowie der Umfang des zu leistenden Anspruch davon ab, inwieweit die Gefahr oder der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist; § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB findet entsprechende Anwendung. Der Ausgleichsanspruch h verjährt nach § 24 Abs. 2 Satz 3 BBodSchG in drei Jahren. Diese Verjährungsfrist soll wegen der kürzeren Verjährungsregelung in § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB (sechs Monate) nach der Rechtsprechung allerdings nicht anzuwenden sein, soweit es um Ansprüche aus einem nicht vertragsgerechten Zustand des Mietgrundstücks zum Mietende geht (LG Hamburg, NZM 2001, 339; LG Frankenthal, NJW-RR 2002, 1090). Das bedeutet: Wird der Vermieter nach Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist (§ 548 Abs. 1 Satz 1 BGB) behördlich wegen Altlasten in Anspruch genommen, die der Mieter verursacht hatte, kann er nicht mehr seinen Mieter gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 BBodSchG in Regress nehmen. Die kurze mietrechtliche Verjährungsfrist verdrängt also auf der Grundlage der dargestellten Rechtsprechung die längere Verjährungsfrist gemäß § 24 BBodSchG. Nach der gesetzlichen Regelung kann der Vermieter somit nach Beendigung des Mietverhältnisses und sogar nach Veräußerung des Grundstücks als (früherer) Eigentümer behördlich für Sanierungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden. In diesem Fall hat er zwar grundsätzlich nach § 24 Abs. 2 BBodSchG einen Ausgleichsanspruch gegen den Mieter, sofern dieser die schädlichen Bodenveränderungen verursacht hat. Dieser Ausgleichsanspruch verjährt jedoch aufgrund des § 548 Abs. 1 BGB bereits in sechs Monaten nach Rückgabe der Mietsache. Im Verhältnis der Mietvertragsparteien stellt sich zunächst die Frage, ob Kontaminationen des Bodens und schädliche Veränderungen der Bauwerke in gewissem Umfang zum vertragsgemäßen Gebrauch des Mieters gehören, wenn mit der Art des von ihm betriebenen Gewerbes üblicherweise derartige Beeinträchtigungen der Mietsache, insbesondere Kontaminationen verbunden sind. Das Brandenburgische OLG (ZMR 1999, 166) hatte diese Frage bei der Vermietung eines Grundstücks zum Zwecke eines Tankstellenbetriebes zu entscheiden und ist zu folgendem Ergebnis gelangt: Aus der Natur eines Tankstellenbetriebes heraus kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu Beeinträchtigungen des Mietgrundstückes durch Verspritzen von Treibstoff beim Befüllen der Tanks bzw. der Kraftfahrzeuge und der Legaten kommt. Ein Vermieter, der unter diesen Umständen ein Grundstück zum Betrieb einer Tankstelle vermietet, ist verpflichtet, derartige Folgen in gewissem Umfang hinzuneh-
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men. In dem Umfang, in dem die Bodenkontaminationen auf den vertragsgemäß vereinbarten Gebrauch der Mietsache als Tankstelle zurückzuführen waren, unterfielen sie nach Auffassung des OLG Brandenburg dem vom Vermieter vertraglich geschuldeten Gebrauch der Mietsache und waren von diesem entschädigungslos hinzunehmen (§ 538 BGB). Dem Vermieter ist daher anzuraten, dem Mieter vertraglich die Beseitigung jedweder Verunreinigungen des Grundstücks und der Mietsache aufzuerlegen, auch soweit die vertragsgemäße Nutzung der Mietsache derartige Verunreinigungen üblicherweise mit sich bringen. Ansprüche des Vermieters gegen den Mieter aufgrund derartiger Vereinbarungen verjähren nach § 548 Abs. 1 BGB binnen sechs Monaten. Das Gleiche gilt, wenn der Mieter durch eine vertragswidrige Nutzung der Mietsache schädliche Veränderungen des Bodens und der Mietsache verursacht hat. Zu beachten ist, dass sich Ausgleichsansprüche nach § 24 Abs. 2 BBodSchG nicht auf schädliche Veränderungen des Gebäudes durch den Mieter erstrecken, die sich nicht auf den Boden auswirken. Steht zu befürchten, dass der Mieter schädliche Veränderungen des Bodens oder der Mietsache verursacht hat, ist es dem Vermieter anzuraten, unmittelbar nach Beendigung des Mietverhältnisses durch ein privates Sachverständigengutachten oder durch ein selbstständiges Beweisverfahren im Sinne von § 485 ff. ZPO die notwendigen Feststellung treffen zu lassen und den Mieter noch innerhalb der kurzen Verjährungsfrist von sechs Monaten (§ 548 Abs. 1 BGB) gerichtlich in Anspruch zu nehmen. Um diesen Ausgleichsanspruch durchsetzen zu können, sollte der Vermieter gegebenenfalls dafür Sorge tragen, dass vor Durchführung von Sanierungsmaßnahmen durch ein privates Sachverständigengutachten oder ein selbstständiges Beweisverfahren die Beweise gesichert werden, damit der Mieter später erfolgreich gerichtlich auf Ausgleich in Anspruch genommen werden kann.
7.5
Das Vermieterpfandrecht
7.5.1
Entstehen des Vermieterpfandrechtes
Nach § 562 Abs. 1 BGB erwirbt der Vermieter eines Grundstücks oder von Räumen, sofern dies nicht vertraglich ausgeschlossen ist, ein Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters. Eingebracht sind Sachen des Mieters, die dieser willentlich nicht lediglich vorübergehend in die Mieträume geschafft hat. Das Vermieterpfandrecht kann nur an Sachen entstehen, nicht an Forderungen, so dass zwar Geld und Wertpapiere darunter fallen können, nicht aber bloße Legitimationspapiere, wie zum Beispiel Sparbücher und Kfz-Briefe. Die Einbringung darf bestimmungsgemäß nicht nur vorübergehend erfolgen. Ein Kraftfahrzeug beispielsweise, das der Mieter regelmäßig auf dem Mietgrundstück abstellt, wird deshalb eingebracht im vorgenannten Sinne. Auch das Warenlager eines Kaufmanns befindet sich nicht nur vorübergehend in den Mieträumen, auch wenn die einzelnen Waren dazu bestimmt sind, alsbald wieder veräußert und damit entfernt zu werden; auch am Warenlager kann deshalb ein Vermieterpfandrecht entstehen. Die Tageskasse gilt hingegen nicht als eingebracht.
7.5 Das Vermieterpfandrecht
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Grundsätzlich ist die Einbringung nur während der Laufzeit eines gültigen Mietvertrages möglich. Wenn aber dem Mieter aufgrund des Vertrages gestattet ist, schon vorzeitig einzuziehen, so sind die aufgrund dieser Befugnis in die Räume verbrachten Sachen ebenfalls als eingebracht im Sinne des § 562 BGB anzusehen. Dem Pfandrecht unterliegen nicht mehr solche Sachen, die erst nach Vertragsende eingebracht werden, wie zum Beispiel Warenvorräte zwecks Weiterführung des Betriebs bis zur Räumung. Als eingebracht gelten auch bereits in den Mieträumen befindliche Sachen des Vermieters oder des Vormieters, die der Mieter von diesem erworben hat und in den Mieträumen belässt. Weiterhin sind eingebracht Sachen, die in den Mieträumen überhaupt erst hergestellt werden. Werden mehrere Räume in einem Gebäude gesondert vermietet, so sichert das Pfandrecht immer nur die Forderungen des Vermieters wegen der Vermietung derjenigen Räume, in die die betreffenden Sachen eingebracht worden sind. So verhält es sich namentlich bei getrennter Vermietung von Wohnung und Geschäftslokal; ebenso wenig können Sachen, die sich auf Grundstücksteilen befinden, die nicht mitvermietet sind, als eingebracht behandelt werden. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, ob etwa das in die Garage eingestellte Kfz des Mieters auch dessen Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsraummietverhältnis sichert und nicht lediglich die Verbindlichkeiten aus dem Garagenmietvertrag. Diese Frage ist – mangels anderweitiger ausdrücklicher Regelung im Mietvertrag – danach zu beantworten, ob es sich bei dem Garagenmietverhältnis um ein isoliertes oder um ein Mietverhältnis handelt, das als rechtliche Einheit mit dem Geschäftsraummietverhältnis zu behandeln ist. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass es sich um ein Fahrzeug handeln muss, das im Eigentum des Mieters steht, nicht etwa z. B. im Eigentum von dessen Angestellten. Dem gesetzlichen Pfandrecht des Vermieters unterliegen nur Sachen, die im Eigentum des Mieters stehen. Ist der Mieter lediglich Miteigentümer, so erstreckt sich das Vermieterpfandrecht nur auf den Miteigentumsanteil des Mieters. Wenn die Mietsache „an eine BGB-Gesellschaft“ vermietet ist, sind alle Gesellschafter Mieter; diese haften persönlich für die Miete. Folglich unterliegen sämtliche eingebrachten Sachen, die im Eigentum der Gesellschafter stehen, dem Pfandrecht des Vermieters. Dasselbe gilt selbstverständlich für die zum Gesellschaftsvermögen gehörenden eingebrachten Sachen. Hat der Mieter die Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft, so ist er noch nicht Eigentümer, so dass an der für ihn noch fremden Sache kein Pfandrecht des Vermieters entstehen kann. Dem Vermieter wird hier jedoch ein Pfandrecht an dem Anwartschaftsrecht des Mieters zugestanden. Das Pfandrecht am Anwartschaftsrecht erstarkt zum Pfandrecht an der Sache mit Erwerb des Eigentums an der Sache durch den Mieter. Dies gilt nicht nur, wenn der Mieter die Kaufpreisschuld tilgt, sondern auch dann, wenn der Vermieter den (Rest-) Kaufpreis zahlt, um den Rücktritt des Vorbehaltsverkäufers vom Kaufvertrag auszuschließen und das Pfandrecht an der Sache selbst zu erwerben. Eine Sicherungsübereignung an Dritte, etwa des Warenlagers, das sich in den Mieträumen befindet, beeinträchtigt nicht den Vorrang des Vermieterpfandrechts, wenn die Sicherungsübereignung nach der Einbringung erfolgt. Wird die Sicherungsübereignung hingegen wie das Vermieterpfandrecht mit Einbringung in die Mieträume wirksam, wie dies zum Beispiel bei Raumsicherungsübereignungsverträgen mit Kreditinstituten in der Regel der Fall ist, bleibt nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 1992, 1156) der Vorrang des
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
Vermieterpfandrechts jedenfalls dann unberührt, wenn die Sicherungsübereignung nach Abschluss des Mietvertrages vereinbart worden war. Der Vermieter trägt die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des Entstehens seines Pfandrechts, insbesondere auch dafür, dass der Vermieter Eigentümer der Sache ist. Da sich die eingebrachten Sachen in der Regel im Besitz des Mieters befinden, spricht für den Vermieter die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB, so dass der Mieter oder ein Dritter, der das Pfandrecht des Vermieters bestreitet, nachzuweisen hat, dass der Mieter trotz Besitzes nicht Eigentümer der eingebrachten Sache ist. Das Vermieterpfandrecht erstreckt sich nicht auf unpfändbare Sachen, § 562 Abs. 1 BGB. Die Regelung des Gesetzgebers ist zwingend; auch die vertragliche Begründung etwa eines Zurückbehaltungsrechtes an einer unpfändbaren Sache stellt eine unzulässige Umgehung dieses Verbots dar. Bei Geschäftsraummietverträgen sind insbesondere § 811 Ziffern 5, 7, 9 und 11 ZPO von Bedeutung. So sind z. B. die zur Fortführung des Betriebes oder die zur Ausführung des Berufs notwendigen Gegenstände, etwa Maschinen, Büroeinrichtungen und -geräte, ärztliche Apparate, gegebenenfalls auch Kraftfahrzeuge und halbfertige, noch nicht zum Verkauf bestimmte Fabrikate unpfändbar. Dagegen können bereits zum Verkauf bestimmte Waren und Fertigfabrikate gepfändet werden und unterliegen somit auch dem Vermieterpfandrecht. Geschäftsbücher im Sinne des § 811 Ziffer 11 ZPO sind sämtliche Geschäftsunterlagen einschließlich der Kundenkartei. Durch das Pfandrecht des Vermieters werden nur solche Forderungen gesichert, die sich aus dem Wesen des Mietvertrages als entgeltlicher Gebrauchsüberlassung ergeben. Hierzu gehören u. a.
Ansprüche auf Miete und Nebenkosten; Schadenersatzansprüche wegen Veränderung oder Verschlechterung der Mietsache, wegen Verletzung der Anzeigepflicht, wegen Nichterfüllung der Rückgabepflicht und wegen einer vom Mieter zu vertretenden vorzeitigen Vertragsauflösung; Kosten der Kündigung und der Rechtsverfolgung. Mit Rücksicht auf die Belange anderer Gläubiger darf der Kreis der gesicherten Forderungen nicht zu weit gezogen werden. Demgemäß sind z. B. nicht gesichert
der Anspruch auf Rückerstattung eines Darlehens, das der Vermieter dem Mieter zur Durchführung vertraglich vorgenommener Umbaumaßnahmen gewährt hat und der Anspruch des Vermieters auf Stellung einer Kaution.
Zukünftige Mietforderungen unterliegen dem Pfandrecht, soweit sie im laufenden und im folgenden Mietjahr (nicht Kalenderjahr) fällig werden. Hierzu gehören auch Nebenkostenvorauszahlungen, nicht aber Nebenkostennachforderungen aufgrund von Nebenkostenabrechnungen. Für zukünftige Entschädigungsforderungen und für die Miete für eine spätere Zeit als das laufende und das folgende Mietjahr kann das Pfandrecht nicht geltend gemacht werden (§ 562 Abs. 2 BGB). Hierzu zählen u. a. die Ansprüche auf Nutzungsentschädigung gemäß § 546 a BGB und auf Ersatz des Mietausfallschadens bei einer vom Mieter zu vertretenden vorzeitigen Vertragsauflösung. Für die Frage, ob es sich um eine zukünftige Entschädigungsforderung handelt, kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem sich der Vermieter erstmals auf sein Pfandrecht beruft. Diese Geltendmachung des Vermieterpfandrechts erfolgt durch jede Handlung, mit der der Vermieter sein Pfandrecht nach außen erkennbar zur Geltung bringt, was in
7.5 Das Vermieterpfandrecht
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der Regel durch schriftliche Erklärung oder tatsächliche Inbesitznahme der Sachen geschieht. Nicht notwendig ist in diesem Zusammenhang eine gerichtliche Geltendmachung des Pfandrechts. Das Vermieterpfandrecht kann während der Dauer des Miet- und auch eines sich anschließenden Nutzungsverhältnisses erneut geltend gemacht werden. Der Vermieter muss sich dann jedoch den Vorrang zwischenzeitlich entstandener Pfand- oder Sicherungsübereignungsrechte gefallen lassen.
7.5.2
Untergang des Pfandrechts
Das Vermieterpfandrecht erlischt gemäß § 562 a Satz 1 BGB mit der Entfernung der Sachen aus der Mietsache, es sei denn, dass die Entfernung ohne Wissen oder unter Widerspruch des Vermieters erfolgt. Streitig ist, ob der Pfandgegenstand erst dann im Sinne des § 562 a Satz 1 BGB entfernt ist, wenn er nicht nur aus den Mieträumen, sondern vom gesamten Grundstück des Vermieters, auf dem sich die Mieträume befinden, fortgeschafft worden ist. Denn solange er sich noch auf dem Grundstück des Vermieters befindet, etwa in anderen Räumen des Mieters in demselben Gebäude, gehört der Gegenstand nach einer Meinung noch zu dessen „Machtbereich“. Nach anderer Auffassung genügt bereits die Entfernung aus den gemieteten Räumen, wobei allerdings die mitvermieteten Grundstücksteile wie Treppen, Flure, Zugänge, wohl auch Garage, den vermieteten Räumen gleichgestellt wird. Auch die vorübergehende Entfernung von eingebrachten Sachen des Mieters bringt nach wohl herrschender Meinung das Vermieterpfandrecht zum Erlöschen, falls die Voraussetzungen des § 562 a Satz 1 BGB vorliegen und der Vermieter nicht zwischenzeitlich bereits das Vermieterpfandrecht geltend gemacht hatte. Dies gilt insbesondere für Kraftfahrzeuge, sobald sie aus der Garage vom Grundstück gefahren werden, wie auch für sonstige Sachen des Mieters, die zum Beispiel zu Reparatur- oder Reinigungszwecken vom Grundstück verbracht werden. Kuriose Folge ist aber, dass das mit der vorübergehenden Entfernung erloschene Vermieterpfandrecht etwa in einem Kraftfahrzeug jedes Mal dann, wenn dieses Fahrzeug wieder in die Garage gefahren wird, neu entsteht, unter Umständen zwischenzeitlich belastet mit einem dann dem Vermieterpfandrecht im Range vorhergehenden Sicherungsrecht, zum Beispiel einer Sicherungsübereignung zugunsten eines Dritten. Diese Auffassung wird daher von Teilen der Literatur abgelehnt; danach kann nur ein auf Dauer angelegtes Entfernen das Vermieterpfandrecht zum Erlöschen bringen. Die Wegnahme des Pfandgegenstandes durch den Gerichtsvollzieher ist auch „Entfernung“ im Sinn des § 562 a Satz 1 BGB, auch dann erlischt also das Vermieterpfandrecht, an dessen Stelle jedoch das Recht des Vermieters tritt, sich vorzugsweise aus dem Erlös zu befriedigen oder aber diesen vom Pfändungspfandgläubiger, an den der Erlös bereits ausgekehrt worden ist, heraus zu verlangen. Das Pfandrecht bleibt trotz Entfernung des Pfandgegenstandes bestehen, wenn die Entfernung entweder ohne Wissen des Vermieters oder unter dessen Widerspruch erfolgt, § 562 a Satz 1 BGB. Wissen des Vermieters von der Entfernung der Sachen des Mieters ist nur positive Kenntnis, nicht bereits grob fahrlässige Unkenntnis.
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
Für den Widerspruch ist keine bestimmte Form vorgeschrieben. Er kann sich auch aus den Umständen ergeben, muss sich aber immer auf einen bestimmten Entfernungsfall beziehen und deshalb grundsätzlich unmittelbar vor oder während der Entfernung erklärt werden. Ein allgemein im Voraus, z. B. im Mietvertrag, erklärter Widerspruch ist ebenso wirkungslos wie ein erst nach Entfernung der Sachen erklärter. Der Widerspruch muss nach herrschender Meinung nicht notwendig dem Mieter gegenüber erklärt werden; eine Erklärung gegenüber dem Wegschaffenden reicht regelmäßig aus. Der Widerspruch kann pauschal erfolgen; er erfordert zu seiner Wirksamkeit nicht die konkrete Bezeichnung einzelner Gegenstände, zu der der Vermieter vielfach mangels Zutritts zu den Mieträumen gar nicht imstande ist. Das Vermieterpfandrecht erlischt durch die Entfernung der Gegenstände trotz Kenntnis des Vermieters bzw. dessen Widerspruchs, wenn die Entfernung den gewöhnlichen Lebensverhältnissen entspricht oder wenn die zurückbleibenden Sachen zur Sicherung des Vermieters offenbar ausreichen (§ 562 a Satz 2 BGB). Sind die Sachen ohne Wissen oder unter Widerspruch des Vermieters entfernt worden und war der Vermieter nicht zur Duldung der Entfernung verpflichtet, muss der Vermieter, will er das Erlöschen des Vermieterpfandrechts verhindern, binnen eines Monats seinen Anspruch auf Herausgabe der entfernten Sachen gerichtlich geltend machen, nachdem er von der Entfernung der Sachen Kenntnis erlangt hat (§ 562 b Abs. 2 BGB). Der Vermieter kann allerdings die Herausgabe der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen so lange nicht an sich selbst, sondern nur an den Mieter in dessen Mieträumen verlangen, wie der Mieter noch nicht ausgezogen ist (§ 562 b Abs. 2 Satz 1 BGB), es sei denn, dass dem Vermieter bereits fällige Forderungen gegen den Mieter zustehen und er das Vermieterpfandrecht geltend macht, um die dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen zu verwerten (Bub/Treier, a. a. O., III Rn. 899). Der Herausgabeanspruch richtet sich gegen den Mieter und gegen jeden dritten unmittelbaren oder mittelbaren Besitzer und zwar unabhängig davon, ob der betreffende Besitzer selbst es war, der die Pfandgegenstände entfernt hat. Die Frist von einem Monat seit Kenntniserhalt von der Entfernung der Sachen ist eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf das Vermieterpfandrecht erlischt. Diese Frist kann nicht durch Vereinbarung verlängert werden. Die Frist läuft und endet auch dann, wenn der Vermieter keine Kenntnis davon hat, wo und in wessen Besitz sich die dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen befinden.
7.5.3
Selbsthilferecht des Vermieters
Nach § 562 b Abs. 1 BGB darf der Vermieter die Entfernung der seinem Pfandrecht unterliegenden Sachen, soweit er ihr zu widersprechen berechtigt ist, auch ohne Anrufen des Gerichts verhindern und, wenn der Mieter auszieht, die Sachen in seinen Besitz nehmen. Die Ausübung des Selbsthilferechts des Vermieters, das sowohl ein Recht zur Verhinderung der Entfernung als auch – bei Auszug des Mieters – ein Recht zur Inbesitznahme der Pfandgegenstände beinhaltet, kann in engen Grenzen sogar mit Gewalt erfolgen, zum Beispiel durch Auswechslung der Türschlösser oder sonstiges Versperren der Eingangstür. Das Selbsthilferecht darf jedoch nur während der Entfernung ausgeübt werden. Weder Präventivmaßnahmen noch die sogenannte Nacheile sind zulässig.
7.5 Das Vermieterpfandrecht
455
Da das Selbsthilferecht in der Praxis nur selten von Bedeutung ist, soll hierauf in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden.
7.5.4
Das Vermieterpfandrecht bei Insolvenz des Mieters
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters gewährt das Vermieterpfandrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters dem Vermieter ein Recht auf abgesonderte Befriedigung, § 50 Abs. 1 InsO. Die abgesonderte Befriedigung aus dem Pfandgegenstand erfolgt außerhalb des Insolvenzverfahrens nach den Regeln der Verwertung der Pfandsachen, d. h. an den Vermieter wird der Erlös der Verwertung abzüglich der Verwertungskosten ausgekehrt und mit dessen Forderungen verrechnet. Sachen, die der Mieter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einbringt, unterliegen nicht dem Vermieterpfandrecht. Hingegen kann der Insolvenzverwalter Sachen einbringen, zum Beispiel bei Fortführung des Mietverhältnisses oder bei Invollzugsetzen im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Überlassung der Mietsache.
7.5.5
Verwertung der Pfandsachen
Die Befriedigung des Vermieters aus den dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen des Mieters, erfolgt entweder im Wege der öffentlichen Versteigerung bzw. des privatrechtlichen Verkaufs und durch Auskehr des Erlöses an den Vermieter und Verrechnung mit dessen Forderungen, oder dadurch, dass der Vermieter den Erlös des Pfandgegenstandes von einem Pfändungspfandgläubiger erlangt, der die Sache in den Mieträumen hatte pfänden und sodann versteigern lassen. Inbesitznahme und Verwertung der Mietsicherheit setzen die Fälligkeit der Forderungen des Vermieters (§§ 1257, 1228 Abs. 2 BGB) und in der Regel eine Verkaufsandrohung unter Einhaltung einer Wartefrist von einem Monat (§§ 1257, 1234 BGB) voraus. Bei fälligen Forderungen des Vermieters aus dem Mietverhältnis kann der Vermieter die dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen auch schon während des Miet- oder Nutzungsverhältnisses, d. h. also bereits vor Auszug des Mieters, herausverlangen. Bis zur Verwertung hat der Vermieter die in Besitz genommenen Pfandgegenstände sorgfältig zu verwahren. Der Vermieter muss nach Inbesitznahme der Pfandgegenstände diese alsbald zu verwerten versuchen oder sie dem Mieter zurückgeben. Denn er hat aufgrund des Vermieterpfandrechts kein Recht, die Sache selbst zu behalten, es sei denn, er ersteigerte diese selbst unter Anrechnung auf seine Forderung oder erwürbe sie unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensgrundsätze durch Kauf. Ersatz von Lagerkosten, die der Vermieter ohnehin so gering wie möglich halten muss, kann der Vermieter gemäß §§ 1257, 1215, 1216 BGB daher nur für eine kurze Übergangszeit, innerhalb der er den Pfandverkauf betreiben kann, beanspruchen. Nutzt der Vermieter die dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen, während er sie in Besitz hat, etwa durch Vermietung an Dritte, so hat er die Nutzungen dem Mieter herauszugeben. Verwahrt er sie hingegen lediglich, ohne sie darüber hinausgehend zu nutzen, so besteht ein solcher Anspruch nicht. Hat der Vermieter an den dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen des Mieters sowohl ein Pfändungspfandrecht als auch ein Vermieterpfandrecht erlangt, was nebeneinander
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7 Wohn- und Gewerberaummiete
zulässig ist, so muss er, wenn er die Sachen nach den für das Vermieterpfandrecht geltenden Vorschriften verwerten will, zuvor auf sein Pfändungspfandrecht verzichten, weil er nur so anstelle des Gerichtsvollziehers den Besitz an den Sachen erlangen kann. In der Regel ist es für den Vermieter jedoch günstiger, die Gegenstände aufgrund eines Pfändungspfandrechtes, das der Vermieter aufgrund eines vollstreckbaren Titels gegen den Mieter auf Zahlung einer Geldsumme erworben hat, verwerten zu lassen. In diesem Fall erfolgt die Verwertung durch den Gerichtsvollzieher nach den Regeln der Zivilprozessordnung. Eine Verkaufsandrohung sowie die Einhaltung einer Wartefrist sind in diesem Fall nicht notwendig. Der Verkauf der Gegenstände geschieht entweder nach den Grundsätzen der öffentlichen Versteigerung (§§ 1257, 1235 Abs. 1, 363 Abs. 3 BGB) oder durch freihändigen Verkauf (§§ 1257, 1235 Abs. 2, 1221 BGB). Mit dem Verkauf im Wege der öffentlichen Versteigerung wird in der Regel der Gerichtsvollzieher beauftragt. Ein freihändiger Verkauf kommt nur in Betracht, wenn das Pfand einen Börsen- oder Marktpreis hat. Der Vermieter darf den Pfandgegenstand selbst erwerben, jedoch ist er nicht selbst zum Verkauf berechtigt. Zum Verkauf berechtigt sind beispielsweise Gerichtsvollzieher oder öffentliche Versteigerer, die durch den Vermieter mit dem freihändigen Verkauf beauftragt werden können. Leistet der Mieter Sicherheit in Höhe des Wertes der Forderung des Vermieters oder – wenn der Wert der Sachen geringer ist – in Höhe dieses Wertes, so sind die Geltendmachung und natürlich auch Inbesitznahme und Verwertung der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen nicht mehr möglich. Erbringt der Mieter für jede einzelne Sache in Höhe ihres Wertes Sicherheit, so erlischt das Pfandrecht. Die Verwertung der Pfandgegenstände durch den Vermieter ist auch ausgeschlossen, wenn sie – ohne sich im Besitz des Vermieters zu befinden – zugunsten eines Dritten gepfändet sind. Der Vermieter kann sich weder gegen die Pfändung noch gegen die Wegschaffung durch den Gerichtsvollzieher oder die Verwertung durch den Pfandgläubiger zur Wehr setzen. Er ist auf das Recht auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös beschränkt. Dieses Recht kann er bis zum Ende der Zwangsvollstreckung im Klageweg durchsetzen; ist der Verwertungserlös bereits an den Pfändungspfandgläubiger ausgekehrt, verbleibt dem Vermieter gegen diesen nur noch der materielle Anspruch auf Herausgabe des ausgekehrten Erlöses. Bei schuldhaft unberechtigter Ausübung des Vermieterpfandrechts, insbesondere bei unberechtigter Inbesitznahme und Verwertung von eingebrachten Sachen, wird der Vermieter dem Mieter sowie Dritten gegenüber, deren Besitz und Eigentumsrechte an den zu verwertenden Sachen verletzt worden sind, zu Schadenersatz verpflichtet. An die Sorgfaltspflicht des Vermieters bei der Ausübung des Vermieterpfandrechts werden strenge Anforderungen gestellt. Im Interesse der übrigen Gläubiger beschränkt § 562 d BGB die gesicherten Forderungen des Vermieters und damit den Vorrang des Vermieterpfandrechts gegenüber den übrigen Pfändungspfandrechten für rückständige Mietforderungen insoweit, als das Pfandrecht den anderen Gläubigern gegenüber nicht wegen der Miete für eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Pfändung geltend gemacht werden kann.
Literaturverzeichnis zu Kap. 7
Literaturverzeichnis zu Kap. 7 Lindner – Figura/Oprée/Stellmann: Geschäftsraummiete, 3. Auflage, München 2012. Bub/Treier: Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage, München 1994. Fritz: Gewerberaummietrecht, 4. Auflage, München 2005. Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage, München 2013. Schmidt – Futterer: Mietrecht, 11. Auflage, München 2013. Sternel: Mietrecht, 4. Auflage, Köln 2009. Wolf/Eckert/Ball: Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 10. Auflage, Köln 2009.
457
8
Immobilienvermittlung Joachim Schmidt
8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4 8.6 8.6.1 8.6.2 8.7 8.7.1 8.7.2 8.7.3 8.7.4 8.7.5 8.7.6 8.8 8.8.1
Einleitung ...................................................................................................... 461 Die gesetzlichen Grundlagen des Maklerberufes .......................................... 462 § 34c Gewerbeordnung.................................................................................. 462 Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ............................. 463 Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) .................................................. 464 Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung (WoVermittG) .................. 464 Die Vorschriften über den Fernabsatz (§§ 312 b bis f BGB) ........................ 465 Der Maklervertrag ......................................................................................... 465 Rechtsnatur des Maklervertrages................................................................... 465 Formerfordernisse ......................................................................................... 466 Zustandekommen des Maklervertrages ......................................................... 467 Der konkludent abgeschlossene Maklervertrag ............................................. 467 Die Maklertätigkeit........................................................................................ 469 Inhalt des Maklervertrages ............................................................................ 469 Tätigkeit des Nachweismaklers ..................................................................... 469 Tätigkeit des Vermittlungsmaklers................................................................ 471 Sonderformen der Maklertätigkeit................................................................. 472 Der Maklersuchauftrag .................................................................................. 472 Der Alleinauftrag ........................................................................................... 474 Mehrheit von Maklern ................................................................................... 475 Doppelmaklertätigkeit ................................................................................... 476 Der Hauptvertrag ........................................................................................... 477 Voraussetzungen für den Provisionsanspruch ............................................... 477 Maklerklausel im Hauptvertrag ..................................................................... 479 Kausalität ....................................................................................................... 482 Überblick ....................................................................................................... 482 Abweichungen in der Person des Erwerbers ................................................. 483 Abweichungen im Kaufpreis ......................................................................... 484 Abweichungen im Vertragsgegenstand ......................................................... 485 Vorkenntnis ................................................................................................... 485 Unterbrechung des Kausalzusammenhangs .................................................. 487 AGB-Klauseln in Maklerverträgen ............................................................... 490 Vorbemerkung ............................................................................................... 490
460 8.8.2 8.8.3 8.8.4 8.8.5 8.9 8.9.1 8.9.2 8.10 8.10.1 8.10.2 8.10.3 8.10.4 8.10.5 8.10.6 8.11 8.11.1 8.11.2
8 Immobilienvermittlung Abgrenzung Allgemeine Geschäftsbedingung zur Individualvereinbarung ..................................................................................491 Inhaltskontrolle ..............................................................................................492 Nachweis über das Zustandekommen einer Individualvereinbarung .............493 Rechtsfolgen der Unwirksamkeit von AGB ...................................................493 Provision und Aufwendungsersatz .................................................................494 Provision ........................................................................................................494 Aufwendungsersatz ........................................................................................495 Pflichten und Pflichtverletzungen ..................................................................495 Nebenpflichten des Maklerkunden .................................................................495 Pflichten des Maklers .....................................................................................496 Folgen von Pflichtverletzungen .....................................................................498 Die Verwirkung des Provisionsanspruchs ......................................................498 Verflechtung als besonderer Fall der Verwirkung .........................................500 Haftung für den Inhalt eines Exposés.............................................................501 Der Makler im Wettbewerb............................................................................502 Die Regelungen des UWG .............................................................................502 Rechtsfolgen und Verfahren...........................................................................504 Literaturverzeichnis zu Kap. 8 .......................................................................505
8.1 Einleitung
8.1
461
Einleitung
Als Sammelstelle von Angebot und Nachfrage beherrschen die Makler z. T. den Markt. Ihrer Bedeutung entspricht nicht die stiefmütterliche Behandlung durch den Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches (Hamm/Schwerdtner, Rn. 1, 5). Maklerrecht gilt als Spezialistenreservat (Würdinger, NZM-info 2012 (Heft 19), VI). Weil es Fallrecht reinsten Wassers geblieben ist (MüKoRoth, § 652, Rn. 3) hatte und hat es die Chance, sich geänderten Anforderungen des Marktes anzupassen. Wie sehr das Bild der Leistung des Immobilienmaklers im Wandel begriffen ist, und damit auch sein Berufsbild insgesamt, wird nicht nur an der immer weiter fortschreitenden Diversifizierung und Spezialisierung der zu vermittelnden Immobilien (Hotels, Logistik-Immobilien) deutlich, sondern vor allem auch an der Komplexität der dem Makler erteilten Aufträge. Wenn ein Makler beauftragt wird, „den Klinikmarkt zu sondieren und Kontakte zu Eigentümern von zum Verkauf stehenden Klinikbetrieben aufzubauen“ und letztendlich den Nachweis einer Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrags über den Erwerb einer aus 26 Kommanditgesellschaften bestehenden Unternehmensgruppe erbringt (vgl. BGH, NZM 2005, 346), und wenn sich BGH bei der Frage nach dem Nachweis eingehend mit der Frage befasst, ob und in welcher Form ein solcher Nachweis – nämlich entweder als Unternehmenskauf i. S. des Erwerbs der Gesamtheit der einzelnen Wirtschaftsgüter bestimmter Klinikunternehmen als asset deal oder durch die mehrheitliche Übernahme der Gesellschaftsanteile als share deal – zu erbringen ist, so wird deutlich, welches gesteigerte Anforderungsprofil der Markt an den Makler richtet. Mangels eines gesetzlichen Leitbildes für die Maklertätigkeit wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob der Makler ein Mittler oder ein Interessenvertreter ist. Noch ist es dem deutschen Recht (anders als z. B. im Recht der Niederlande) eigen, dass der Makler für beide Parteien tätig werden darf, es sei denn, er geriete hierdurch im Einzelfalle in einen unauflöslichen Interessenkonflikt (vgl. BGH; NZM 2003, 522). Nach wie vor lässt sich aber auch angesichts der gesteigerten Anforderungen des Marktes an professionelle Dienstleistung des Maklers die sich aus der gesetzlichen Systematik ergebenden Dreiecks-Stellung, in der der Makler als quasi neutraler Dritter zwischen den Parteien steht, ernsthaft in Frage stellen. Da Maklerleistung als kontinuierliche Beratungsleistung angesehen und nachgefragt wird, tritt zunehmend neben die erfolgsabhängige Nachweis- und/oder Vermittlungsprovision die auch selbstständig und erfolgsunabhängig vereinbarungsfähige Vergütung für Leistungen, wie etwa die Erstellung eines Nutzungs- oder eines Vermarktungskonzepts, also Leistungen, deren Ergebnisse der Auftraggeber auch losgelöst und unabhängig von der konkreten Bedarfssituation zukünftig verwerten kann. Gerade für solche Leistungen wird zunehmend auch eine pauschale Vergütung vereinbart. Formen neuer Kommunikationswege und -mittel ändern das Leistungsbild des Maklers. Im Standardgeschäft läuft das in seinen Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpfte Internet der Tageszeitung zunehmend den Rang ab, weil differenzierte Suchvorgaben gemacht werden können und Cluster-Bildungen ermöglicht werden (vgl. Branchen Special des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Bericht Nr. 90 – Nov. 2003). Der Kommunikationsweg über das Internet wirft für die Maklertätigkeit auch neue Rechtsfragen auf („Immobilienscout 24“-Entscheidung des BGH, GuT 2012, 262; Info M 2012, 284). Auch hat die Maklerleistung einen erheblichen Wandel erfahren wegen des Bedarfs an Umstrukturierung gewerblicher Immobilien, die im Rahmen von Produktion und Verwaltung in
462
8 Immobilienvermittlung
vielen Unternehmen nicht mehr zu den ursprünglichen Zwecken benötigt werden. Flexible Nutzerwünsche und damit auch die Mobilität der Immobilie erfordern zusätzlich qualifizierte Maklerleistungen. Die Nutzerwünsche und Nutzerfragen werden meist wie folgt gestellt: Wo kann ich am besten mein Nutzungskonzept verwirklichen? Wo ist das Verhältnis der Nutzflächen zu den sonstigen Flächen (z. B. anteilige Verkehrsflächen) für mich am günstigsten gelöst? Wo ist die Entwicklung des Mietzinses über die gesamte Vertragslaufzeit für mich kalkulierbar? Wo gibt es die Möglichkeit, später weitere Flächen hinzuzumieten (oder umgekehrt Teilkündigungen auszusprechen)? Wo ist im Rahmen des Benchmarking die Nebenkostenbelastung besonders niedrig? Wo amortisieren sich meine Investitionen im Verhältnis zur Dauer der Laufzeit des Mietvertrages am besten? Wo erreiche ich die beste Netzoptimierung? Wo habe ich die größte Kundennähe und wo erfasse ich am besten die Kundenströme? Wo ist ein Gebäude, das in besonderer Weise die Corporate Identity meines Unternehmens widerspiegelt? Wo sind Instandhaltung und Instandsetzung auf Bereiche begrenzt, die ich auch tatsächlich nutze? Wo finde ich eine positive Infrastruktur (Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitsport, Abstellplätze, Verkehrsanbindungen)? Wo kommt der Mieter-Mix meinem Nutzungsinteresse entgegen?
8.2
Die gesetzlichen Grundlagen des Maklerberufes
8.2.1
§ 34c Gewerbeordnung
Nach wie vor ist einzige Zulassungsvoraussetzung (Berufszulassungsregelung) für die Ausübung der meisten Tätigkeiten im Bereich des Gewerbes Immobilienmakler die Erlaubnis der zuständigen Behörde nach § 34 c Gewerbeordnung (GewO) in der Neufassung vom 22.02.1999, BGBl. I, S. 202. Überprüft wird, ob der Antragsteller zuverlässig ist und in geordneten Vermögensverhältnissen lebt. Ohne diese Erlaubnis darf das Maklergewerbe nicht begonnen werden (hierzu ausführlich: Weiss in: Sailer/Kippes/Rehkugler, S. 590 ff.). Allerdings enthält § 34 c GewO keinen Hinweis auf eine gesetzlich normierte Fachkenntnis als Zugangsvoraussetzung. Eine solche Normierung war ursprünglich vorgesehen, jedoch meinte der Wirtschaftsausschluss des Deutschen Bundestages seinerzeit, es müsse dem Gewerbe selbst überlassen bleiben, eigenverantwortlich dafür zu sorgen, dass die Berufsangehörigen die für die Gewerbeausübung erforderlichen Voraussetzungen mitbringen und sich darüber hinaus ständig fachlich weiterbilden. Auf europäischer Ebene sind allerdings im Jahre 2004 von der CEPI (www.cepi.be) in Brüssel (Conseil européen des Professions immobilières) ein Ausbildungsumfang und eine Bestimmung der Ausbildungsinhalte für den Beruf des Immobilienmaklers verabschiedet worden. Die in den EU-Staaten organisierten Maklerverbände sind aufgefordert, diese Mindestanforderungen jeweils national umzusetzen. Die CEI (Confederation Europeenne d‘Immobilier) propagiert die Standards der EN 15733
8.2 Die gesetzlichen Grundlagen des Maklerberufes
463
als Standard für ein höheres Niveau der Maklerdienstleistungen. Noch in 2012 hat die CEPI der Europäischen Kommission u. a. einen Katalog der möglichen Inhalte eines Immobiliendienstleisternachweises (Professional Card) entworfen, dessen Einführung – auf freiwilliger Basis – durch die Europäische Kommission derzeit erwogen wird. Die nach § 34 c GewO erteilte Erlaubnis kann widerrufen werden, wenn der Makler nicht (mehr) die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit besitzt (vgl. zur gleichartigen Problematik des Entzugs der Gewerbeerlaubnis eines Immobilienverwalters BVerwG, NVwZRR 1995, 197; J. Schmidt, Entzug der Gewerbeerlaubnis, Partner im Gespräch (PiG), Bd. 48 (1995), S. 221).
8.2.2
Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
Nach dem überkommenden – und unvollkommen gebliebenen – gesetzgeberischen Leitbild soll der Makler ein Gelegenheitsmakler sein (vgl. Mugdan II, S. 285, 286). Nur ausnahmsweise sollen ein Eigentümer oder Vermieter oder ein Kauf- oder Mietinteressent danach einen Makler benötigen. Deshalb fehlt es in den Vorschriften, die im BGB den Immobilienmakler betreffen, an der notwendigen Ausformung des Berufsbildes und auch des Leistungsbildes des Maklers. Der Gesetzgeber maß dem Vertragstyp keine besondere Regelungsbedürftigkeit zu, weil vor allem das Grundstück als nicht negotiables Gut angesehen wurde (MüKo BGB/Roth, § 652, 4). Nur so ist zu verstehen, warum immer wieder neu die Frage behandelt wird, ob der Makler ein Mittler oder ein Interessenvertreter ist, und auch die Frage, ob der Makler als sog. Doppelmakler für beide Parteien tätig werden kann. Schließlich ist auch die Frage von erheblicher Bedeutung, ob zukünftig ein Makler überhaupt ohne Zustimmung des Berechtigten (des Eigentümers, Vermieters oder Verpächters) dessen Objekt am Markt platzieren darf. Noch gilt aber die sich aus der gesetzlichen Systematik ergebende Dreiecks-Stellung, in der der Makler als quasi neutraler Dritter zwischen den Parteien steht (Weiss in: Sailer/Kippes/Rehkugler, S. 589). Dass das nicht den Bedürfnissen der Praxis entspricht, liegt auf der Hand. Der IVD Immobilienverband Deutschland drängt darauf, dass jedenfalls der Berechtigte von der Tätigkeit des Maklers wissen und diese auch wollen muss. Zunehmend tritt auch die Maklertätigkeit als rein erfolgsabhängige Tätigkeit, die auf den Abschluss eines Hauptvertrags gerichtet ist, zwar nicht in den Hintergrund, jedoch wächst die Bedeutung der mit Maklern vereinbarten Dienstleistungen in anderen Bereichen deutlich. Das gilt z. B. für laufend geschuldete Marktbeobachtungen ebenso wie etwa für die Organisation eines Umzugs des Nutzers und schließlich auch für die Anforderungen an die Marktfähigkeit der Gebäudesubstanz und -struktur selbst. Das Maklerrecht des BGH ist im Bereich des Immobilienmaklers in lediglich drei Paragrafen (§§ 652 bis 654 BGB) geregelt. Dieses Maklerrecht ist weitgehend dispositives Recht (in den Grenzen der Gesetzwidrigkeit und der Sittenwidrigkeit und insbesondere auch in den Grenzen der im BGB aufgegangenen Regelungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den §§ 305 bis 310 BGB). Weil die gesetzlichen Vorschriften sich gerade mit den zentralen Fragen des Zustandekommens des Maklervertrags, der Maklerleistung und deren Ursächlichkeit für das Zustandekommen des Hauptvertrags, mit der Frage der Vereinbarung einer Maklerprovision durch konkludentes Handeln oder auch mit der Frage einer Verwirkung des Provisionsanspruches nur ganz unvollständig befassen, hat sich ein Richterrecht herausgebildet (etwa zur Doppelmaklertätigkeit: BGH, NZM 2003, 522; BGH,
464
8 Immobilienvermittlung
NJW 2002, 1945; OLG Köln, NZM 2004, 266); das gilt z. B. auch für die Tätigkeit des Verwalters als Makler (vgl. BGH, NZM 2003, 284; BGH, NZM 2003, 358).
8.2.3
Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV)
Die MaBV (in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.11.1990 (BGBl. I. S. 2479) ist die Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Bauträger und Baubetreuer. Sie enthält für diese Berufe besondere Berufsausübungsregelungen. Sie regelt, bezogen auf den Makler, dessen Buchführungspflicht (§§ 10, 11 MaBV), die Aufbewahrungspflichten für die Buchführungsunterlagen (§§ 10, 14 MaBV) und die Pflicht zur Sicherheitsleistung oder zum Abschluss einer Versicherung (§ 2 MaBV – eine Regelung, die den Makler meist nicht berührt, weil er nur selten Vermögenswerte des Auftraggebers entgegen nimmt). Verstöße gegen die MaBV können Bußgelder nach sich ziehen.
8.2.4
Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung (WoVermittG)
Die Voraussetzungen, unter denen ein Vermittler von Wohnraum tätig werden darf, sind gesetzlich normiert (WoVermG v. 04.11.1971 (BGBl. I, S. 1745, 1747)). Diese Regelungen überlagern die §§ 652 BGB. So muss ein Wohnungsvermittler einen Auftrag vom Vermieter oder einem anderen Berechtigten haben. In Zeitungsanzeigen und Annoncen muss er seinen Namen und einen Hinweis auf die Vermittlungstätigkeit aufnehmen lassen. Die Geltendmachung einer Provision ist ihm nur in Höhe von maximal 2 Monatsmieten netto zzgl. Umsatzsteuer gestattet (§ 3 Abs. 2 WoVermittG). Verstöße gegen diese Grundsätze können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Auch Umgehungen werden verfolgt. So verliert ein Wohnungsvermittler seinen Provisionsanspruch nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WoVermittG auch dann, wenn nicht er selbst, sondern sein Gehilfe die vermittelte Wohnung verwaltet. Bei der gewerbsmäßigen Wohnungsvermittlung bedarf der Makler eines ausdrücklichen Auftrags des Vermieters bzw. des Berechtigten. Das ist m.E. auch bei der Vermittlung von nicht zu Wohnzwecken vermieteten Flächen de lege ferenda entsprechend zu regeln. Außer einem stets erfolgsabhängigen Entgelt dürfen nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoVermittG für Tätigkeiten, die mit der Vermittlung oder dem Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss von Mietverträgen über Wohnräume zusammenhängen, sowie für etwaige Nebenleistungen keine Vergütungen irgendwelcher Art vereinbart werden. Hierunter fällt bspw. auch eine „Immobilienpublikation für courtagefreie Mietobjekte“ für Mietinteressenten mit der Erstellung eines persönlichen Profils für den gewünschten Wohnraum gegen Zahlung eines Service-Entgelts. Ein solches kann daher nicht verlangt werden (BGH, NZM 2010, 629; hierzu ausführlich: Fischer, NZM 2011, 529, 536, 537). Dasselbe gilt auch für auf dem Markt anzutreffende pauschale „Besichtigungsgebühren“ bei Wohnungsbesichtigungen. Breiten Raum nimmt die Diskussion ein, wann die Tätigkeit als WEG-Verwalter für das Entstehen des Provisionsanspruches des Maklers von Bedeutung ist. In zwei grundsätzlichen Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof die bislang strenge Rechtsprechung aufgelockert: Zum einen liegt kein Fall einer provisionsschädlichen Verflechtung vor, wenn der Käufer einer Eigentumswohnung Kenntnis davon hat, dass der Wohnungseigentumsverwalter gem. § 12 WEG zu der Veräußerung seine Zustimmung zu erteilen hat. Hat der Käufer tatsächlich Kenntnis von der Verflechtung, so liegt ein wirksames selbstständiges Provisionsversprechen vor (vgl. BGH, NZM 2003, 284). Außerdem ist der Verwalter von Woh-
8.3 Der Maklervertrag
465
nungseigentum i. S. d. WEG (Gemeinschaftseigentum) nicht Verwalter von Wohnräumen i. S. d. WoVermG, wenn er einen Mietvertrag vermittelt (vgl. BGH, NZM 2003, 358). Damit ist ein langjähriger Streit entschieden (vgl. Löhlein, NZM 2000, 119; Windisch, NZM 2000, 478; J. Schmidt, Festschrift für Wolf-Dietrich Deckert (2002), 469 ff.; zu den Grenzen der Verwaltertätigkeit des Maklers: Morath, NZM 2006, 330).
8.2.5
Die Vorschriften über den Fernabsatz (§§ 312 b bis f BGB)
Ob die Vorschriften über den Fernabsatz auf Maklerverträge anzuwenden sind, hängt wohl in erster Linie davon ab, ob der entsprechende Maklervertrag ein sog. „einfacher“ Maklervertrag ist oder ein Alleinauftrag. Bei ersterem sollen die Vorschriften für Fernabsatz nicht anwendbar sein, bei letzterem hingegen ja (vgl. Morath, NZM 2001, 883, 885; im Ergebnis so auch Neises, NZM 2000, 889, 890). In der Regel erbringen Makler ihre Dienstleistungen nicht ausschließlich unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln; ist dies aber doch der Fall, so ermöglichen es die Vorschriften über den Fernabsatz insbesondere, innerhalb angemessener Bedenkzeit den Maklervertrag zu widerrufen (§ 312 d Abs. 1 BGB). Vieles ist hier noch nicht abschließend geklärt (LG Hamburg IMR 2013, 301; LG Bochum, IMR 2013, 300), jedoch kann festgehalten werden, dass der Gesetzgeber sicherlich nicht beabsichtigt hat, dem Verbraucher die Möglichkeit zu eröffnen, nach Abschluss des Maklervertrags erlangte Informationen ohne Risiko zu verwenden, nachdem er seine Willenserklärung widerrufen hat (vgl. J. Schmidt, Immobilienmakler, Heft 2/2000, Gruppe 2, S. 139, 140). Ein Maklervertrag wird nach aktueller Rechtslage nur ausnahmsweise als Haustürwiderrufsgeschäft oder als Fernabsatzgeschäft zu qualifizieren sein (Fischer, Maklerrecht, S. 11). Es sind aber insoweit ganz wesentliche Änderungen von der Umsetzung der EUVerbraucherrichtlinie vom 25.10.2011 (Amtsbl. der Europäischen Union, L 304/64) zu erwarten, die am 12.12.2011 in Kraft getreten ist. Es wird jetzt schon die Ansicht vertreten (Johns in: Ummen/Johns, Immobilienjahrbuch 2012, 148, 150), dass Maklerverträge in Zukunft unter das Widerrufsrecht fallen. Das würde bedeuten, dass der Immobilienmakler für alle elektronisch abgeschlossenen Maklerverträge jeden Interessenten, mit dem ein Vertrag angebahnt wird, über dessen Recht zum Widerruf seiner Erklärung binnen 14 Tagen aufklären müsste (Johns, a.a.O., S. 150). Ob im Falle des Widerrufs für den Wertersatz auf den objektiven Wert (s. BGH, NZM 2012, 689) oder auf die tatsächlichen Aufwendungen des Maklers (so Fischer, NJW 2012, 3284, 3285) abzustellen ist, ist noch nicht abschließend geklärt.
8.3
Der Maklervertrag
8.3.1
Rechtsnatur des Maklervertrages
Der Maklervertrag ist ein Vertrag eigener Art. Beim gewöhnlichen Maklervertrag stehen sich zu keinem Zeitpunkt Hauptleistungspflichten in einem Gegenseitigkeitsverhältnis gegenüber (vgl. Palandt/Sprau, Vorbemerkung vor § 652 Rn.1). Das bedeutet, dass beim einfachen Maklervertrag – anders als beim Alleinauftrag – der Makler keine Leistung erbringen muss. Umgekehrt ist aber auch der Maklerkunde nicht verpflichtet, die Maklerleistung entgegen zu nehmen.
466
8 Immobilienvermittlung
Der Maklervertrag ist als erfolgsbedingter Vertrag strukturiert. Die Annahme der Leistung des Maklers ist Bedingung für die Entstehung des Provisionsanspruches. Beim gewöhnlichen Maklervertrag handelt es sich daher um einen einseitigen, nur den Auftraggeber im Falle des erfolgreichen Nachweises oder erfolgreichen Vermittlung verpflichtenden Vertrag (vgl. Hamm/Schwerdtner, Rn. 28).
8.3.2
Formerfordernisse
Nur das Angebot auf Abschluss eines provisionspflichtigen Vertrags und dessen Annahme kann einen Maklervertrag zustande bringen (§ 652 Abs. 1 BGB). Ohne Vereinbarung einer Provision gilt nicht Maklerrecht, sondern Auftragsrecht (§ 662 BGB). Ein Auftrag wird unentgeltlich vereinbart und erfüllt. Ein Maklervertrag ist grundsätzlich nicht formbedürftig. Er kann in folgender Weise zustande kommen: ausdrücklich schriftlich ausdrücklich mündlich durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben konkludent (§ 653 BGB) durch Unterzeichnung eines Objektnachweises durch Unterzeichnung einer Reservierungsvereinbarung im Internet via Mouse-Klick. Ausnahmsweise ist auch ein Maklervertrag gem. § 311 b BGB beurkundungspflichtig, wenn sich entweder der Auftraggeber gegenüber dem Makler verpflichtet, an einem vom Makler vermittelten Interessenten zu verkaufen oder von einem vom Makler vermittelten Interessenten ein Grundstück zu erwerben. Das Schriftformerfordernis ist auch dann gegeben und zu beachten, wenn sich der Makler zur Leistung pauschalen Schadensersatzes für den Fall des Nichtzustandekommens des Hauptvertrags versprechen lässt, weil hier tatsächlich eine erfolgsunabhängige Provision vereinbart werden soll. Jede Entgeltvereinbarung, die einen mittelbaren Zwang zum Grundstückserwerb oder zum Grundstücksverkauf enthält, bedarf aber der Schriftform des § 311 b BGB (so bereits zu § 313 a. F. BGB: BGH, NJW 1980, 1622). Ein erfolgsunabhängiges (selbstständiges) Provisionsversprechen, das das Versprechen einer Geldzahlung ohne Gegenleistung beinhaltet, ist ein Schenkungsversprechen, das nach § 518 BGB zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung bedarf. Das gilt nur dann nicht, wenn dargetan werden kann, dass das Provisionsversprechen doch nicht unentgeltlich ist, weil der Makler eine Dienst- oder Werkleistung erbringt, einen Maklerbeitrag zum Zustandekommen des Hauptvertrags unterhalb der Schwelle eines ordnungsgemäßen Nachweises oder einer ordnungsgemäßen Vermittlung entgelten soll (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 196, wobei vieles streitig ist, was im Zweifel eine Beurkundung erforderlich macht). Lässt sich z. B. auch für den Fall der Absage einer Transaktion der Makler vom Auftraggeber eine Aufwandsentschädigung i. H. v. 40 % des Erfolgshonorares versprechen, so bedarf eine derartige Vereinbarung der notariellen Beurkundung (§ 311 b Abs. 1 S. 1 BGB; OLG Frankfurt, IMR 2011, 36). Ein pauschaler Aufwendungsersatz i. H. v. 10 % der in Betracht kommenden Provision wird teilweise als wirksam angesehen (Fischer, Maklerrecht, S. 86; a.A.: BGHZ 99, 374, 383; Hamm/Schwerdtner, Rn. 839, Fußn. 13).
8.3 Der Maklervertrag
8.3.3
467
Zustandekommen des Maklervertrages
Zunächst sind für das Zustandekommen des Maklervertrags die allgemeinen Regeln des BGH (§ 145 ff. BGB) maßgeblich. Es bedarf eines Angebots auf Abschluss eines Maklervertrags und einer Annahme des Angebots. Da der Maklervertrag i. d. R. gerade nicht durch Unterschrift beider Parteien auf einer Urkunde zustande kommt, finden sich im Maklerrecht in einem auffälligen Übergewicht zu anderen Rechtsgebieten zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, die sich im Schwerpunkt mit dem Zustandekommen oder Nichtzustandekommen des Vertrags befassen. Insbesondere beim ersten telefonischen Kontakt ist von den Gesprächspartnern deshalb mit großer Sorgfalt darauf zu achten, ob in Kenntnis einer Provisionspflicht Informationen eingeholt bzw. Informationen nur deshalb erteilt werden, weil bereits die Verpflichtung zur Zahlung einer Provision für den Erfolgsfall abgegeben worden war (hierzu besonders instruktiv: OLG Koblenz, NZM 2004, 146). Unklarheiten gehen zu Lasten des Maklers. Reden die Parteien „aneinander vorbei“, so ist keine Vergütungsvereinbarung zustande gekommen (OLG Koblenz, IMR 2010, 69).
8.3.4
Der konkludent abgeschlossene Maklervertrag
Das Gesetz hat diesen Fall des Zustandekommens des Maklervertrags gesondert geregelt (§ 653 Abs. 1 BGB). Danach kommt ein Maklervertrag auch ohne ausdrückliche Provisionsvereinbarung zustande, wenn der Interessent dem Makler eine Leistung überträgt, die er nach den Umständen nur gegen eine Vergütung erwarten kann. Das ist dann der Fall, wenn nach Kenntnis des Provisionsverlangens der Interessent den Makler auffordert bzw. bittet, ihm (weitere) Dienste zu erbringen (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 371; BGH, NJW 1986, 177). In einem solchen Fall kommt der Maklervertrag durch konkludentes, d. h. schlüssiges Verhalten zustande, weil der Maklerkunde nach Kenntnis des Provisionsverlangens dem Makler Leistungen abverlangt. Dem stillschweigenden Vertragsabschluss kommt in der Praxis eine zentrale Bedeutung zu (Drasdo, NJW-Spezial 2012, 353; Fischer, NJW 2012, 3283). An sein Zustandekommen werden zu Recht strenge Anforderungen gerichtet. Zunächst muss ein eindeutiges Provisionsverlangen vorliegen. Wendet sich ein Makler unaufgefordert mit „Angeboten“ werbend im Geschäftsverkehr an einen potenziellen Kaufinteressenten, ohne dass er von diesem vorher angesprochen wurde, so kann zunächst der Interessent immer davon ausgehen, dass der Makler von der „anderen Seite“ beauftragt wurde und von dieser auch provisioniert wird (BGH, NZM 2007, 169; OLG Düsseldorf, IMR 2012, 120). Ist dies anders gewollt, so muss der Makler deutlich machen, von wem er eine Provisionszahlung für den Erfolgsfall erwartet. Aus dem Verhalten des Kunden muss umgekehrt unmissverständlich klar werden: „Ich weiß, dass ich eine Provision zahlen muss, wenn der Hauptvertrag durch kausales Handeln des Maklers zustande kommt.“ Der Makler hat es in der Hand, die Vertragsgelegenheit erst nach Abgabe eines Provisionsversprechens zu benennen. Ein solches, die eigenen Interessen wahrendes Geschäftsgebaren ist dem Makler zuzumuten (vgl. BGH, NJW 1986, 177, 178; BGH, NJW 1972, 940). Dabei verkennt die Rechtsprechung nicht, dass der Makler ein Risiko eingeht, indem er womöglich vor Annahme des Vertragsangebots seitens des Interessenten Informationen preis gibt, die es dem Interessenten ermöglichen, „auf eigene Faust“ zu recherchieren, insbesondere mit dem Berechtigten (Verkäufer/Vermieter) zu verhandeln und mit diesen sodann den Hauptvertrag
468
8 Immobilienvermittlung
abzuschließen – und zwar unter Umgehung des Maklers. Schafft der Makler keine klaren Verhältnisse, so handelt er grundsätzlich auf eigenes Risiko (vgl. BGH, NZM 2002, 171; Langemaack, NZM 2002/S. V). Eine Übertragung von Diensten i. S. d. § 653 BGB liegt bspw. vor, wenn der Kunde – nach Kenntnis des Provisionsbegehrens – dem Makler z. B. folgende Dienste anträgt bzw. Leistungen überträgt: Einholung eines Grundbuchauszugs Vereinbarung eines Besichtigungstermins Einsicht in das Baulastenverzeichnis Beschaffung eines Exemplars einer Stellplatzverordnung Beschaffung einer Finanzierungsvermittlung Übersendung eines Grundrisses Erstellung eines Belegungsplans Erstellung eines Umzugsplans. Ein konkludenter Maklervertrag kommt auch dann zustande, wenn nach Erhalt des Exposés der Empfänger im Rahmen diversen email- und Telefonkontakts ergänzende Fragen zu Fotos, Größe, Ausstattung und Nebenkosten des Kaufobjekts stellt – und diese Fragen auch beantwortet erhält. Ein späterer Widerspruch gegen ein Provisionsverlangen erfolgt nach Inanspruchnahme der Maklerdienste verspätet und ist unerheblich (LG Hamburg, NZM 2011, 284, 285; BGH, NZM 2002, 533). Das OLG Frankfurt (vgl. OLG-Report Frankfurt 1993, 141) hat deutliche Hinweise gegeben, wie die Parteien ihr Verhalten im Hinblick auf einen Vertragsabschluss einzurichten haben: Der Makler hat – spätestens im Exposé – klar herauszustellen, dass die Maklercourtage vom Interessenten, dem er das Exposé übersendet, zu zahlen sei. Der Interessent muss, will er keinen Maklervertrag zustande bringen, jegliche Inanspruchnahme weiterer Dienste nach Erhalt des Exposés unterlassen. Mangels Angebots kommt kein Maklervertrag zustande, wenn der Interessent den Makler um ein Exposé bittet und nicht bereits vorher eine Provisionspflicht vereinbart wurde (vgl. OLG Koblenz, PUR 1993, 65). Kein Maklervertrag kommt mangels Annahme eines Angebots zustande, wenn der Interessent ein Exposé entgegen nimmt, das erstmals eine Provisionspflicht aufzeigt, und er jetzt dem Makler keine weiteren Leistungen i. S. d. § 653 BGB überträgt. Übergibt der Makler ein Exposé mit einer Courtageforderung erst während der Besichtigung eines Grundstücks und setzt der Interessent die Besichtigung fort, nimmt aber danach keine weiteren Leistungen des Maklers mehr entgegen, fehlt es an einer Annahme des Angebots des Maklers (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 371; BGH, NJW 1986, 177). Verwickelt der Makler den potenziellen Kunden in ein Gespräch und erkundigt er sich dabei nach den Kalkulations- und Preisvorstellungen des Kunden, und gibt er in diesem Zusammenhang weitere Einzelheiten bekannt, die den potenziellen Kunden in die Lage versetzen, jetzt selbst zu verhandeln und einen Abschluss zu erwirken, so erwirbt der Makler mangels ausdrücklicher Provisionsvereinbarung keinen Provisionsanspruch (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2000, Immobilienmakler, Gruppe 2/S. 140, mit Anmerkung J. Schmidt). Der BGH hat in seinem Urteil vom 03.05.2012 (GuT 2012, 262; Info M 2012, 284; NJW 2012, 2268) seine Rechtsprechung zum konkludent zustande gekommenen Maklervertrag
8.4 Die Maklertätigkeit
469
vertieft: Enthält bereits das Inserat im Internet oder in der Zeitung ein für den Leser unmissverständliches ausdrückliches Provisionsverlangen und erfragt daraufhin der Interessent Namen und Anschrift des Verkäufers, so löst das im Erfolgsfalle den Anspruch auf Provision aus. Der Interessent hat das Angebot des Maklers konkludent, d. h. durch sein schlüssiges Verhalten, angenommen (offen bleiben kann, ob auch umgekehrt in der Anfrage des Interessenten, der Kenntnis von der Provisionspflicht hat, ein Angebot auf Abschluss des Maklervertrags gesehen werden kann, das wiederum der Makler durch Nennung von Namen und Anschrift annimmt).
8.4
Die Maklertätigkeit
8.4.1
Inhalt des Maklervertrages
Der Inhalt des Maklervertrages legt fest, ob der Makler als Nachweismakler und/oder als Vermittlungsmakler tätig sein soll. Nach der gesetzlichen Regelung (§ 652 Abs. 1 Satz 1 BGB) hat der Makler Anspruch auf eine Maklerprovision, wenn er entweder die Gelegenheit zum Abschluss eines Vertragsnachweis oder einen Vertrag vermittelt, und wenn dieser vermittelte Vertrag sodann infolge des Nachweises oder infolge der Vermittlung des Maklers zustande kommt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind beide Tätigkeiten als gleichwertig anzusehen. Der Markt dagegen bewertet aufgrund der zunehmenden Transparenz der Angebote häufig die Vermittlung des Vertrages höher und die Vertragspraxis formuliert daher oft kumulativ. Die Abgrenzung der Nachweis- von der Vermittlungstätigkeit führt gelegentlich zu Problemen und Verwirrungen. Vermittlungsprovision umfasst nämlich auch den Anspruch für eine Nachweistätigkeit. Das gilt jedenfalls für Neubauwohnungen, denn dort ist die Vermittlung im engeren Sinne, also das finale Herbeiführen der Abschlussbereitschaft des Vertragspartners, die Ausnahme und nicht die Regel. Unter „Vermittlung“ ist daher jede Tätigkeit in einem solchen Falle zu verstehen, durch die die bis dahin nicht oder nicht mehr gegebene Kontaktmöglichkeit eröffnet oder wieder aufgeschlossen oder gefördert wird. Der Begriff der Vermittlung umfasst damit vermittelnde Tätigkeiten i. w. S. (vgl. OLG München, Urt.v. 05.04.1995, Immobilienmakler, Gruppe 2/S. 6). Ob Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit geschuldet ist, ist nötigenfalls durch Auslegung zu ermitteln (Mäschle in: Sailer/Kippes/Rehkugler, S. 648).
8.4.2
Tätigkeit des Nachweismaklers
Die Tätigkeit des Nachweismaklers ist der Erstnachweis oder der entscheidende Anstoß, der zu der Gelegenheit zum Abschluss des Vertrages führt. Dieser Nachweis ist auch erfüllbar, wenn zu der Nachweistätigkeit die Vermittlungstätigkeit eines anderen Maklers tritt. Denn eine erfolgreiche Nachweistätigkeit ist auch bei Aktivität mehrerer Makler möglich, weil diese unterschiedliche Kausalbeiträge leisten können. Eine zeitliche Nähe zwischen der Tätigkeit des Maklers und dem Vertragsabschluss spricht für die Vermutung, dass diese Tätigkeit kausal war. Beweispflichtig für das Gegenteil ist der Maklerkunde. Was ist nun die konkrete Nachweistätigkeit? Der Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrags ist erbracht, wenn der Kunde aufgrund einer Mitteilung des Maklers in die Lage versetzt wird, selbst in konkrete Verhandlungen mit einem potentiellen Vertragspartner über den von ihm angestrebten Hauptvertrag einzutreten. Der Hinweis auf einen
470
8 Immobilienvermittlung
möglichen Eintritt in Vertragsverhandlungen über eine inhaltlich völlig offene Beteiligung in Bezug auf ein Grundstück reicht nicht (Fischer, NJW2009, 3210, 3211; BGH, NZM 2009, 627; OLG Frankfurt, NJW-RR 2009, 624). Die Vorlage von Objektlisten ist dann – aber nur dann – ausreichend, wenn sie auf das jeweils angegebene individuelle Suchprofil zugeschnitten sind und ins Einzelne gehende, individuelle Informationen (Angabe des Vermieters/Verkäufers, Telefonnummer, Beschreibung der Flächen, Adresse) enthalten (BGH, IMR 2010, 302). Es reicht nicht, dass die Maklertätigkeit „auf irgendeinem Wege“ adäquat kausal für den Abschluss ist. Vielmehr muss sich der Hauptvertrag zumindest auch als Ergebnis einer dafür wesentlichen Maklerleistung darstellen (LG Marburg, IMR 2012, 123). Ein verbreiteter Irrtum ist die Annahme, der Nachweismakler habe Anspruch auf einen Maklerlohn, wenn er dem Kunden ein Objekt nachweise. Vielmehr ist die nach § 652 BGB dem Nachweismakler obliegende Leistung der „Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrags“ (des sog. Hauptvertrags). Damit ist eine Mitteilung des Maklers an seinen Kunden gemeint, durch die dieser in die Lage versetzt wird, in konkrete Verhandlungen über den von ihm angestrebten Hauptvertrag einzutreten (vgl. BGH, NJW-RR 1996, 113; BGH, NZM 2005, 346, 347). Der Nachweis ist erfüllt, wenn der Makler dem Auftraggeber Kenntnisse übermittelt, die jenen in die Lage versetzen, die Verhandlungen mit dem Ziel des Vertragsabschlusses selbst zu führen. Dazu gehört auch die Nennung des Namens des Veräußerers bzw. des Berechtigten (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1998, 778; OLG Düsseldorf, NZM 2009, 824). Es sind also gefordert die eindeutige Bezeichnung des Objekts und Eckdaten zum Vertrag sowie konkrete Angaben zu der Person, die zu substanziellen Verhandlungen über den Vertragsabschluss berechtigt ist. Das ist der zur Verfügung über das Objekt Berechtigte, also i. d. R. der Eigentümer (vgl. BGH, NJW-RR 1996, 113; BGH, NZM 2005, 346, 347). Entscheidend sind für den Vertragsabschluss nur wesentliche Informationen (vgl. OLG Dresden, NJW-RR 1998, 411). Der Makler muss nicht selbst die Verhandlungen führen. Er muss sie lediglich ermöglichen. Das ist aber eben nur dann möglich, wenn auch der potenzielle Vertragspartner mit Name und Anschrift benannt wird (vgl. BGH, NJW-RR 1997, 506; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 349; LG Düsseldorf, Urt. v. 09.05.2001, Immobilienmakler Gruppe 2/S. 200). Sehr oft versucht der Makler, seinen Provisionsanspruch dadurch zu sichern, dass er diese notwendigen Angaben (Kontaktdaten) zurückhält. Er will verhindern, dass sich der Kunde „an ihm vorbei“ oder „über ihn hinweg“ direkt mit dem Berechtigten in Verbindung setzt. Ein schutzwürdiges Interesse des Maklers daran, „Alleingänge“ des Auftraggebers bei den Verhandlungen mit dem nachgewiesenen Interessenten im Interesse der Sicherung seines Provisionsanspruchs zu verhindern, gibt es nicht. Auf diesem Wege kann es also der Makler nicht erreichen, durch zurückgehaltene Informationen den Auftraggeber von sich abhängig zu machen (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 35). In solchen Fällen ist der Nachweis nicht erbracht, jedenfalls dann nicht, wenn es dem Auftraggeber gerade auch auf die Nennung des Namens des Verkäufers/Vermieters oder des Berechtigten ankam (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 352; OLG Düsseldorf, NZM 2009, 824). In diesem Zusammenhang ist nun aber wichtig, dass auch der Kunde tatsächlich zum Ausdruck bringt, dass es ihm auf diese Kontaktaufnahmemöglichkeit ankommt. Denn häufig reicht ihm die Aktivität des Maklers ohne Nennung der Kontaktdaten. Dann ist ein „stiller“ Vorbehalt des Kunden nicht ausreichend. Er muss dem Makler deutlich machen, dass er selbst und direkt mit dem Berechtigten in Kontakt treten und verhandeln will (OLG Düsseldorf,
8.4 Die Maklertätigkeit
471
NZM 2009, 824). Lehnt dies der Makler ab und ist es dem Kunden erst aufgrund einer Recherche möglich, selbst Name und Anschrift des Berechtigten zu erlangen, so ist eine ausreichende Nachweistätigkeit nicht erbracht (vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1997, 887). Das Zurückhalten des Namens des Berechtigten ist also „kein Faustpfand“, das der Makler ohne Gefahr für den Verlust des Provisionsanspruches in der Hand behalten kann. Ein solches Verhalten ist vielmehr provisionsfeindlich. Es ist alleine Sache des Maklers, die Leistung zu erbringen, für die er Provision begehrt. Eine stillschweigende Bereitschaft zur Benennung des Berechtigten reicht nicht aus, um die Maklerleistung zu erbringen (vgl. Kammergericht, MDR 2000, 23). Weiterhin ist es Bestandteil des Nachweises einer Gelegenheit zum Abschluss des Vertrages, dass der nachgewiesene Abschlussberechtigte im Nachweiszeitpunkt auch vertragsbereit ist (vgl. BGH, NJW 1999, 1255); eine generelle Vertragsbereitschaft reicht allerdings aus, es muss also noch kein endgültiger Verkaufsentschluss vorliegen (vgl. Bethge, InfoM 2/05, 100). Es ist nicht ungefährlich, sich auf den Standpunkt zu stellen, die Feststellung von Name und Anschrift des Berechtigten sei ja ohne großen Aufwand möglich gewesen. Zu einer solchen Recherche ist der Kunde nicht verpflichtet. Muss der Kunde sich erst über einen Dritten und den Kontakt zu diesem in die Möglichkeit versetzen, mit einem Eigentümer/Berechtigten Kontakt aufzunehmen, um die Vertragsverhandlungen zu führen, ist ihm dieser Kontakt nicht durch den Makler ermöglicht worden, so hat der Makler keine provisionsauslösende Leistung i. S. v. § 652 BGB erbracht (vgl. OLG München, PuR 1994, 66). Grundsätzlich zeigt zwar die Rechtsprechung Verständnis dafür, dass der Nachweismakler zunächst die vollständige Namhaftmachung bewusst vermeiden möchte, um seine Hinzuziehung zu weiteren Verhandlungen zu erreichen. Genau hierauf hat aber der Makler keinen Anspruch, denn ein solches Verhalten nimmt dem Kunden die Möglichkeit zu eigenen Verhandlungen mit dem potenziellen Hauptvertragspartner. Keine Hilfe sind für den Makler in Allgemeinen Geschäftsbeziehungen etwa vereinbarte Rückfrage-, Verweisungs- und Hinzuziehungsklauseln, kraft derer der Kunde verpflichtet ist, den Makler zu involvieren, denn solche Klauseln sind unwirksam (vgl. BGH, NJW 1971, 1133; BGH, NJW 1973, 1194) und sie würden zudem eine wesentliche Maklerleistung dem Kunden überbürden. Der Makler muss solche Klauseln im Wege der Individualvereinbarung absprechen (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 35).
8.4.3
Tätigkeit des Vermittlungsmaklers
Im Gegensatz zum Nachweismakler hat der Auftragnehmer bei vereinbarter Vermittlungstätigkeit nicht die Vertragsgelegenheit nachzuweisen und auch nicht den entscheidenden Anstoß hierzu zu leisten. Er hat vielmehr den Abschluss des späteren Hauptvertrages zu fördern. Dabei hat er zwischen Interessenten der Parteien zu vermitteln, selbst Nachforschungen anzustellen und Unterlagen und Belege zu beschaffen, die für die Herbeiführung des Vertragsabschlusses förderlich sind. Er muss mit beiden Parteien verhandeln, es ist also weder notwendig noch ausreichend, dass der Makler (nur) seinem Auftraggeber mit Rat und Tat zur Seite steht (BGH, NZM 2009, 627). Denn Vermittlungstätigkeit ist die bewusste finale Herbeiführung der Abschlussbereitschaft des Vertragspartners des zukünftigen Hauptvertrags. Allerdings ist eine Verhandlung mit beiden Seiten gleichzeitig entbehrlich.
472
8 Immobilienvermittlung
Zwischen einer solchen (notwendigen) Einwirkung auf beide Parteien (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 42) und der Einhaltung der Verpflichtung des Vermittlungsmaklers, neutraler Mittler zwischen den Parteien zu sein, ist ein schmaler Grad. Der Vermittlungsmakler hat alles zu unterlassen, was diese Neutralität gefährdet, will er nicht seinen Provisionsanspruch gem. § 654 BGB verwirken. Die Anforderungen der Rechtsprechung sind streng. Der Vermittlungsmakler darf auf der einen Seite nicht nur Bote sein. Er muss andererseits ausgewogen von seinen Vorstellungen, gerichtet auf den Abschluss des Hauptvertrages, beiden Parteien berichten. Man wird das Vermitteln so definieren können: Vermitteln ist die bewusste, finale Herbeiführung der Abschlussbereitschaft des Vertragspartners des künftigen Hauptvertrages (vgl. BGH, NJW-RR 1997, 884; BGH, NZM 2009, 627). Der Einwand der Vorkenntnis kann dem Vermittlungsmakler nicht entgegen gesetzt werden (anders als beim Nachweismakler). Deshalb kann auch der Dritte dem Maklerkunden bereits als potenzieller Vertragspartner bekannt sein (vgl. MünchKomm BGB/Roth, § 652 Rdnr. 105, 108 m. w. N.). Sehr häufig wird dem seine Maklerlohn-Rechnung präsentierenden Vermittlungsmakler entgegen gehalten, es sei zwar ein Hauptvertrag zustande gekommen, jedoch habe der Makler beispielsweise das Objekt am Markt falsch platziert oder ohne Absprache die Möglichkeit eines Verhandlungsspielraums eingeräumt, der nicht hätte gewährt werden dürfen. Von diesem Handeln des Maklers habe man sich auf Seiten des Auftraggebers während der Vertragsverhandlungen gezwungenermaßen dann leiten lassen müssen. Um solche Einwände zu verhindern, die – wenn sie zutreffen – zum Einwand der Verwirkung der Provisionsforderung führen können (§ 654 BGB), wird der Vermittlungsmakler zusammen mit dem Auftraggeber Zuständigkeit und Aufgaben definieren und eingrenzen und – jedenfalls bei größeren Projekten – Änderungen der Vorgehensweise in regelmäßigen Besprechungen („Jour Fixe“) vereinbaren und in Protokollen dokumentieren.
8.5
Sonderformen der Maklertätigkeit
8.5.1
Der Maklersuchauftrag
Tritt ein Kunde an den Makler heran und beauftragt ihn, für ihn ein geeignetes Objekt mit einem bestimmten Anforderungsprofil zu suchen, so kommt ein sog. Maklersuchauftrag zustande, wenn uns sobald sich der Makler daraufhin Namen und Anschrift des Kunden in seinen Unterlagen notiert und erklärt, er wolle nun suchen (BGH, NZM 2009, 869). Ganz wesentlich unterscheidet sich der Maklersuchauftrag von allen anderen Formen des Maklervertrags hinsichtlich der Erwähnung einer Provisionspflicht des Kunden: Beim Maklersuchauftrag bedarf es dieser Erwähnung nicht (OLG München, NZM 2005, 71). Für das Zustandekommen eines Maklersuchauftrags ist es ferner erforderlich, dass der Interessent den Makler bittet, für ihn nach außen hin auch suchend tätig zu werden. Daran soll es fehlen, wenn der Makler (nur) Objekte aus seinem „Bestand“ nachweisen soll (BGH, NZM 2005, 1956; OLG Frankfurt, IMR 2011, 206; OLG Hamm, NJW-RR 1994, 1540; hierzu kritisch: Dehner, Die Entwicklung des Maklerrechts seit 1994, NJW 1997, 18, 19; wie OLG Hamm auch: Saarländisches OLG vom 22.04.2004, Immobilienmakler 2/2005, 8). Worin
8.5 Sonderformen der Maklertätigkeit
473
liegt der Unterschied? Soll der Makler aus einem Bestand Objekte benennen, so geht der Interessent gerade nicht davon aus, dass der Makler für ihn eine typische Maklertätigkeit entfalten soll, nämlich die Suche auf dem Markt nach geeigneten Objekten. Er erwartet vielmehr (so der BGH), dass der Makler bereits im Auftrag eines Dritten tätig ist (Fischer, NZM 2011, 529, 531). Wer hingegen einen Makler beauftragt, für ihn am Markt ständig kraft eines übergebenen Anforderungsprofils geeignete Objekte zu suchen, verpflichtet sich, dem Makler die ortsübliche Maklerprovision auch dann zu zahlen, wenn diese nicht ausdrücklich diskutiert worden ist. Denn derjenige, der sich in dieser Weise von sich aus an einen Makler wendet, kann nicht davon ausgehen, dass dieser für ihn kostenlos arbeiten will. Wer in einer bestimmen Gegend kraft Anforderungsprofil ein Objekt sucht und hierzu einen Makler beauftragt, kann nicht davon ausgehen, dass der Makler für einen Verkäufer entgeltlich handelt (Fischer, NZM 2011, 529, 531). Ein Maklervertrag kommt aber nicht dadurch zustande, dass der Makler von einem Bedarf eines anderen an bestimmten Objekten weiß und diesem ständig unaufgefordert Objektangaben/Exposés übersendet. Die Übersendung selbst stellt noch keinen Maklervertrag dar. Es kann sich allerhöchstens um ein Angebot auf Abschluss eines Maklervertrags handeln, wenn sich in der Objektbeschreibung/dem Exposé ein unmissverständliches Provisionsbegehren, gerichtet an den Adressaten, befindet. Übersendet ein Makler andererseits ständig unaufgefordert Listen mit Objekten, von denen er meint, dass sie für eine bestimmte Person oder ein bestimmtes Unternehmen geeignet sein könnten, hat er keinen Anspruch auf Maklerprovision, wenn sich der Empfänger der Information diese zunutze macht und anschließend ohne Mitwirkung des Maklers einen Hauptvertrag abschließt. Schwierig ist die Abgrenzung dann, wenn es zwischen dem Makler und einem potenziellen Interessenten bereits früher eine Zusammenarbeit, womöglich über vergleichbare Objekte, gab und der Zeitraum seit der letzten Geschäftsbeziehung, die provisionsauslösend war, noch angemessen ist („ständige Suche“). Fehlt es dann an einer Erklärung des Marktteilnehmers gegenüber dem Makler, er solle nicht oder nicht mehr suchen bzw. in diesem konkreten Falle nicht suchen, so kann und wird der Makler aus der nahe zurückliegenden Geschäftsbeziehung herleiten, er suche „weiter“, also „das nächste Objekt“. In einem solchen Falle ist eine unmissverständliche Äußerung über das Versprechen einer Provision für den Erfolgsfall oder gerade über die Nichtanerkennung einer provisionspflichtigen Tätigkeit erforderlich, um Streit zu vermeiden. Manche Marktteilnehmer erklären ausdrücklich und schriftlich (auch in Anzeigen), dass sie ihr Provisionsversprechen nur ausdrücklich in einem schriftlich abgeschlossenen Maklervertrag abgeben. Eine solche Anzeige lautet etwa: „Wir sind ein Unternehmen, das sich weltweit mit ... befasst. Wir suchen ständig Produktionshallen, die folgendes Anforderungsprofil erfüllen sollten ... Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir wegen der Vielzahl der uns laufend zugehenden Informationen verbindliche Regelungen über Courtage auslösende Tätigkeiten ausschließlich durch schriftliche Vereinbarungen treffen können.“
474
8.5.2
8 Immobilienvermittlung
Der Alleinauftrag
Das Gesetz kennt den Alleinauftrag als besondere Form des Maklervertrags nicht. Er hat sich als eigenständiger Vertragstyp herausgebildet (MüKoRoth, § 652, Rn. 227). Der Markt sieht zu recht für eine derartige besondere Vertragsgestaltung Raum und Notwendigkeit. Denn aufgrund eines einfachen Maklervertrags entstehen für die Parteien wechselseitig keine besonders weitreichenden Verpflichtungen. Der Makler muss nichts leisten und erhält dann natürlich entsprechend auch keine Vergütung; der Maklerkunde muss eine erbrachte Leistung nicht umsetzen, d. h. er muss die nachgewiesene Vertragsgelegenheit bzw. den vermittelten Vertrag nicht abschließen. Hier schafft der Alleinauftrag insofern Abhilfe, als der Makler verpflichtet ist, intensiven Einsatz zu leisten (vgl. BGH, NJW 1969, 1626), dem Auftraggeber möglichst günstige Vertragsbedingungen zu verschaffen und diesen Einsatz insbesondere innerhalb der Bindungsfrist durchgängig zu leisten (vgl. BGH, NJW 1969, 1626). Der Makler hat eine gesteigerte Beratungspflicht, die insbesondere darauf hin ausgerichtet ist, für einen angemessenen und zweckmäßigen Vertragsinhalt zu sorgen (MüKoRoth, § 652, Rn. 229). Der Alleinauftrag existiert in zwei Formen, nämlich einmal in der Form des sog. einfachen Alleinauftrags und sodann in derjenigen des sog. qualifizierten Alleinauftrags. Beiden gemeinsam ist, dass sie nicht schriftlich abgeschlossen werden müssen, um wirksam zu sein (sie sollten es aber). Einfacher Alleinauftrag Der wesentliche Unterschied zum einfachen Maklervertrag ist der Umstand, dass der Auftraggeber keinen weiteren Makler beauftragen darf. Die Rechtsstellung des Maklers wird also dadurch verbessert, dass er exklusiv für den Auftraggeber tätig wird und keine Konkurrenz spürt. Der Makler seinerseits kann als Doppelmakler tätig werden, nämlich einerseits für seine Vertragspartner und andererseits auch für den potentiellen Vertragspartner seines Kunden. Üblicherweise wird aber diese Doppelmaklertätigkeit ausdrücklich vertraglich ausgeschlossen oder eingeschränkt. Vor Ablauf der vereinbarten Bindungsfrist darf der Makler seine Tätigkeit nicht aufgeben (BGH, NJW-RR 1987, 94). Er schuldet bis zum Ablauf dieser Bindungsfrist intensiven Einsatz. Das unterscheidet den Alleinauftrag vom einfachen Maklervertrag. Der Makler kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er seine Pflicht zum Tätigwerden schuldhaft verletzt. Die Stellung des Auftraggebers wiederum verändert sich durch den Abschluss eines einfachen Alleinauftrags nur hinsichtlich der bereits erörterten Verpflichtung, keinen weiteren Makler beauftragen zu dürfen. Hingegen ist der Auftraggeber des Maklers nicht verpflichtet, den vom Makler nachgewiesenen oder vermittelten Hauptvertrag auch abzuschließen, mag sich der Makler auch noch so intensiv eingesetzt haben. Sodann muss bei Abschluss eines einfachen Alleinauftrags der Auftraggeber nicht etwa eigene Aktivitäten einstellen. Vielmehr bleibt er berechtigt, neben dem Makler sich selbst auf dem Markt um den Abschluss eines Hauptvertrags zu bemühen und entsprechende Verhandlungen auch ohne Hinzuziehung des Maklers zu führen. Das schwächt die Stellung des Maklers häufig erheblich.
8.5 Sonderformen der Maklertätigkeit
475
Der qualifizierte Alleinauftrag Beim qualifizierten Alleinauftrag darf der Auftraggeber nicht nur keinen weiteren Makler beauftragen; er ist vielmehr auch zur Unterlassung eigener Aktivitäten verpflichtet. Es ist ihm also verboten, Eigengeschäfte ohne Hinzuziehung des Maklers abzuschließen. Wenden sich Interessenten an ihn, so hat er diese an den Makler zu verweisen bzw. den Makler hinzuzuziehen, wenn er Gespräche bzw. Verhandlungen führen will. Entsprechend enthält ein qualifizierter Alleinauftrag in aller Regel eine solche Hinzuziehungs- und Verweisungsklausel, die diese Verpflichtung des Kunden regelt. Das oben beschriebene „Herzstück“ des Alleinauftrags in seiner Form als qualifizierter Alleinauftrag kann nun allerdings nur wirksam als Individualvereinbarung geregelt werden, nicht im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. BGHZ 99, 374; OLG Frankfurt, NZM 2002, 181; MüKoRoth, § 652 Rn. 236). Wird lediglich eine Hinzuziehungs- und Verweisungsklausel im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbart, so hat der Makler mangels individualrechtlicher Vereinbarung für den Fall, dass er nicht hinzugezogen wird, keinen Anspruch auf die Maklerprovision. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Verbot von Eigengeschäften beim Zustandekommen einer Individualvereinbarung ist ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung, wobei Schaden auch die entgangene Provision sein kann. Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, dass der Makler neben der Pflichtverletzung auch die Kausalität dieser Pflichtverletzung für den Schaden, also die entgangene Provision, darlegen und ggf. beweisen muss. Er muss also belegen können, dass bei seiner Hinzuziehung der Hauptvertrag ebenfalls zustande gekommen wäre BGH, NJW-RR 1996, 1276). Es wird auch vertreten, dass dann, wenn individualrechtlich das Verbot eines Eigengeschäfts mit einer Provisionszahlungsverpflichtung in Form eines sog. erweiterten oder erfolgsunabhängigen Provisionsversprechens verbunden wird, der Makler bei entsprechendem Verstoß seitens des Auftraggebers den Provisionsanspruch als Erfüllungsanspruch durchsetzen könne (vgl. Hamm/Schwerdtner, Rn. 1002; LG Rostock PUR 1995, 308, 309; MüKoRoth, § 652, Rn. 243).
Empfehlung: Der Alleinauftrag sollte nicht überschätzt werden (viele Regelungen sind in AGB unzulässig, eben z. B. Hinzuziehungs- und Verweisungsklauseln (BGH, NJW 1973, 1194; Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 231). Wesentliche Inhalte sollten nach ihrer Vereinbarung in ein Anschreiben zum eigentlichen Auftrag aufgenommen werden, das das Zustandekommen einer tatsächlich getroffenen Individualvereinbarung belegen kann.
8.5.3
Mehrheit von Maklern
Der Einsatz mehrerer Makler kann vom Auftraggeber gewollt sein. So ist es möglich, dass der Auftraggeber mehrere Makler gemeinsam mit der Vermittlung oder dem Nachweis beauftragt. In diesem Falle handelt es sich um sogenannte „Mitmakler“. Mehrere Makler können aber auch deshalb tätig sein, weil der beauftragte Makler sich eines Untermaklers bedient. In diesem Falle bestehen Rechtsbeziehungen alleine zwischen den Untermakler und
476
8 Immobilienvermittlung
dem Makler. Mehrere Makler können schließlich auch in Form eines Gemeinschaftsgeschäfts tätig sein. Von einem solchen spricht man nicht, wenn mehrere Makler auf derselben Seite, sondern wenn sie auf entgegen gesetzter Seite tätig werden. Das ist dann der Fall, wenn jeweils eine Vertragspartei einen Makler beauftragt hat, und sich nun diese Makler mit Zustimmung beider Auftraggeber zu eben einem Gemeinschaftsgeschäft zusammenschließen und eine Provisionsteilungsabsprache treffen. In der Praxis wird heute ein Gemeinschaftsgeschäft dann (entgegen der obigen Definition) als solches bezeichnet, wenn sich zwei ursprünglich unabhängig voneinander für den Auftraggeber tätige Makler – mit Zustimmung des Auftraggebers – zusammenschließen und eine Provisionsabsprache treffen.
8.5.4
Doppelmaklertätigkeit
Eine Tätigkeit des Maklers im Rahmen eines sog. Doppelauftrags liegt vor, wenn der Makler sowohl für den einen als auch für den anderen potentiellen Vertragspartner des Hauptvertrags im Rahmen eines Maklervertrags tätig wird. Das Gesetz sieht grundsätzlich eine solche Möglichkeit vor. Denn § 654 BGB bestimmt, dass der Anspruch auf den Maklerlohn und den Ersatz von Aufwendungen ausgeschlossen ist, wenn der Makler dem Inhalt des Vertrags zuwider auch für den anderen Teil tätig gewesen ist. Der Umkehrschluss zeigt, dass Doppelmaklertätigkeit nicht ausgeschlossen ist. Anders als in anderen Rechtssystemen (etwa demjenigen der Niederlande) ist damit in Deutschland eine Doppelmaklertätigkeit grundsätzlich erlaubt (vgl. BGH, NZM 2003, 522). Ob sie ausdrücklich vereinbart werden muss (vgl. Hamm/Schwerdtner, Rn. 869) oder sich auch stillschweigend aus dem Vertragsinhalt ergeben kann (vgl. Zopf, Das Maklerrecht in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, RWS-Skript 181, Köln 1886, Rn. 76), ist umstritten. Der als Doppelmakler tätige Makler hat aber folgende Grundsätze zu beachten: Der Doppelmakler hat jeden Vertragspartner über seine Tätigkeit für den anderen Auftraggeber zu informieren. Das für die Zulässigkeit der Doppeltätigkeit erforderliche vertragliche Einverständnis beider Seiten schließt im Zweifel die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht ein (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 663, Rn.: 225). Der Doppelmakler hat neutral zu sein. Betrifft die Aufklärung einen Umstand, hinsichtlich dessen einerseits die Verschwiegenheitspflicht und andererseits die Aufklärungspflicht nicht als abbedungen angesehen werden kann, so muss der Makler die Tätigkeit für beide Seiten einstellen (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 225). Der Doppelmakler darf nicht zu Lasten einer Partei oder zu Gunsten der anderen den Kaufpreis nach oben oder unten treiben (vgl. OLG Köln, NZM 2004, 206). Es ist nachvollziehbar, dass ein Makler, der den Verkäufer bei Verhandlungen über die Höhe des Kaufpreises berät, nicht auch den Käufer bei der Angemessenheit des Kaufpreises beraten kann. Provisionsverlangen auch gegenüber dem anderen Teil muss ausdrücklich sein (vgl. BGH, NJW 2002, 1945). Der Doppelmakler hat den anderen Vertragspartner vollständig zu informieren (Zustimmungspflicht aber nur, wenn Makler für beide Seiten als Vermittlungsmakler tätig werden sollte (vgl. BGH, NZM 2003, 522); dabei maßgeblich ist die tatsächliche Vermittlungstätigkeit (vgl. OLG Köln, NZM 2004, 266)).
8.6 Der Hauptvertrag
477
M.E. ist die Doppeltätigkeit des Maklers für das Berufsbild des Maklers eher nachteilig als von Vorteil. Es wäre daher mit Schwerdtner (a. a. O., Rn. 65) zu begrüßen, wenn eine Doppeltätigkeit generell verboten würde. Denn die vom BGH stets postulierte strenge Unparteilichkeit, mit der der Doppelmakler die ihn übertragenen Aufgaben wahrzunehmen hat (vgl. BGH, NJW-RR 1998, 992), führt oft entweder zur Lähmung effektiven Handelns des Maklers oder aber zu einem erheblichen Risiko für die Provision wegen des nicht immer schwer zu konstruierenden Vorwurfs der Vertragsuntreue. Jedenfalls hat der Doppelmakler jeden seiner Vertragspartner darüber zu informieren, dass er auch für den anderen Teil provisionspflichtig tätig ist. Unterlässt er dies, so verwirkt er seinen Provisionsanspruch (vgl. Hamm/Schwerdtner, a. a. O., Rn. 877 m. w. N.). Zur notwendigen Information gehört auch die Auskunft des Doppelmaklers, dass er auch von dem anderen Auftraggeber eine Provision erhält. Dazu gehört auch die Information über deren Höhe. Der Doppelmakler hat kein Recht, unter Hinweis auf eine etwaige Geheimhaltungsverpflichtung Informationen, die er von einem Vertragsteil erhalten hat, und die für den anderen Vertragsteil von erheblicher Bedeutung sein können, zurückzuhalten. Er darf – und muss – den anderen Vertragspartner also auch über für den einen Vertragspartner ungünstige Umstände aufklären. Schwierig wird die Beratung im Rahmen der Preisverhandlungen. Der Makler darf sich in Preisverhandlungen nur begrenzt einschalten. Er muss aber seine Wertvorstellungen auch dann dem Käufer mitteilen, wenn er schon den Verkäufer beraten hat. Auch seine Vorstellungen über die Angemessenheit des Kaufpreises hat er zu offenbaren (vgl. BGH, NJW 1968, 150; OLG Köln, NZM 2004, 266).
8.6
Der Hauptvertrag
8.6.1
Voraussetzungen für den Provisionsanspruch
Nach dem wirksamen Zustandekommen eines Maklervertrags und der aufgrund dieses Maklervertrags vom Makler geleisteten Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit ist der durch diese Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit zumindest mit-kausal verursachte und wirksam zustande gekommene Hauptvertrag die dritte Voraussetzung für das Entstehen des Provisionsanspruchs. Sofern nicht im Hauptvertrag, etwa durch Vereinbarung einer Maklerklausel, etwas anderes geregelt ist, ist neben dem Abschluss des Maklervertrages und der Durchführung der geschuldeten Maklerleistung das Zustandekommen des kausal durch die Maklerleistung verursachten Hauptvertrages Voraussetzung für die Entstehung des Provisionsanspruchs. Auf die Durchführung des Hauptvertrages kommt es grundsätzlich nicht an, er muss (lediglich) wirksam abgeschlossen worden sein (vgl. BGH, NJW 1987, 2431). § 652 BGB macht das Entstehen eines Provisionsanspruchs des Maklers nur vom rechtlich wirksamen Zustandekommen des Hauptvertrags (BGH, NZM 2008, 218), nicht von dessen Ausführung abhängig. Der Makler trägt das Abschluss- und Wirksamkeitsrisiko. Der Maklerkunde trägt das Ausführungsrisiko (z. B. das Risiko sämtlicher Pflichtverletzungen des Hauptvertragspartners). Demnach schließen Umstände, die einen wirksamen Abschluss des Hauptvertrags verhindern oder ihn als von Anfang an unwirksam erscheinen lassen (Form-
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8 Immobilienvermittlung
nichtigkeit, Gesetzeswidrigkeit, Sittenwidrigkeit, anfängliche objektive Unmöglichkeit, Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung) eine Provisionspflicht aus. Dagegen lassen Umstände, die ohne eine im Vertragsschluss selbst liegende Unvollkommenheit lediglich die Leistungspflichten aus dem Vertrag beseitigen (wie nachträgliche Unmöglichkeit, Kündigung, Rücktritt oder einverständliche Vertragsaufhebung) den Provisionsanspruch regelmäßig unberührt (vgl. Würdinger, der hierfür den Ausdruck „Ariadne-Faden“ verwendet, NZM 2005, 327; BGH, NZM 2001, 1087). Es macht nun aber im einzelnen Fall erhebliche Schwierigkeiten zu klären, ob der Hauptvertrag überhaupt bereits wirksam abgeschlossen ist, ob er erst unter einer aufschiebenden Bedingung wirksam werden sollte, ob seine Wirkungen durch spätere Anfechtung von Anfang an entfallen oder ob etwa durch vertraglich eingeräumte oder kraft Gesetzes entstehende Rücktrittsrechte der Grundsatz berührt wird, wonach es eben auf die Durchführung des Vertrages grundsätzlich nicht ankommt. Mängel und Anfechtung des Hauptvertrages wiederum sind aber von erheblicher Bedeutung für den Bestand des Provisionsanspruches, weshalb hier jeder störende Umstand genau auf seine Bedeutung und Wirkung als Vertragshindernis hin zu untersuchen ist. Wird das Schicksal des Provisionsanspruchs nicht eindeutig für den Fall einer Störung festgelegt, und wird nicht vereinbart, welches Schicksal dann der Provisionsanspruch haben soll, entstehen gravierende Probleme. In folgenden Fällen ist bzw. bleibt der Provisionsanspruch verdient: Der Hauptvertrag enthält eine auflösende Bedingung (OLG Dresden, NJW-RR 1994, 885); der Hauptvertrag wird einvernehmlich aufgehoben (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 111); der Käufer zahlt den Kaufpreis nicht (OLG Koblenz, IMR 2011, 343); eine für den Vertragszweck erforderliche Baugenehmigung wird zwar erteilt, ist aber mit Auflagen versehen; der Käufer macht wegen Pflichtverletzung des Verkäufers sog. großen Schadensersatz geltend (er behält das Objekt und beansprucht das positive Interesse) (BGH, NZM 2009, 671). In folgenden Fällen ist die Maklerprovision nicht verdient: Der Erstkäufer wird von einem das Vorkaufsrecht ausübenden Vorkaufsberechtigten „verdrängt“ (str.: OLG Celle, NJW-RR 1996, 629; a.A.: Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 114) (hier können aber individualrechtliche Regelungen getroffen werden); der Vertrag ist schwebend unwirksam; der Vertrag ist nichtig (OLG Koblenz, NZM 2008, 326); der Vertrag wird wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten (BGH, NJW 2005, 3778; BGH, NJW-RR 2008, 564); der Vertrag wird unter einer aufschiebenden Bedingung (z. B. Erteilung einer Baugenehmigung) geschlossen. Die Bedingung ist aber nicht eingetreten; im Vertrag ist zugunsten einer oder beider Parteien ein beliebiger Rücktrittsvorbehalt gewährt; der Hauptvertrag enthält den Rücktrittsvorbehalt: „… sofern dem Käufer die Finanzierung nicht möglich ist“ (BGH, NZM 2005, 502);
8.6 Der Hauptvertrag
479
es wird ein Rücktrittsvorbehalt eingeräumt: „… sofern die beantragte Baugenehmigung nicht im gewünschten Umfange erteilt wird“ (OLG Schleswig, IMR 2010, 394); es wurde lediglich ein Vorvertrag zu einem Hauptvertrag geschlossen (auch hier sind aber Individualvereinbarungen möglich). Lediglich in einem der genannten Fälle – ein Hauptvertrag ist unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen worden – trifft das Gesetz eine Regelung. Ein Provisionsanspruch entsteht nämlich nicht, wenn der Hauptvertrag unter einer aufschiebenden Bedingung geschlossen wurde (§ 652 Abs. 1 Satz 2 BGB) und die Bedingung nicht eintritt. Der Ausfall der Bedingung (meist fristgebunden) beseitigt den schwebenden Zustand. Das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft wird endgültig wirkungslos (vgl. Palandt/Heinrichs, § 158, Rn. 3). Der Provisionsanspruch entsteht nicht (vgl. BGH, VersR 1992, 572). Ist im Hauptvertrag vereinbart, dass die Erteilung einer Baugenehmigung aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vertrags ist und die Baugenehmigung bis zu einem bestimmten Termin spätestens vorliegen muss, so ist der Provisionsanspruch nicht entstanden, wenn der Termin eintritt, ohne dass die Baugenehmigung vorliegt (vgl. BGH, NJW 1984, 358). Nicht zur Entstehung kommt ein Provisionsanspruch, wenn bislang lediglich ein Vorvertrag abgeschlossen ist. Zwar erwächst jeder Partei aus einem Vorvertrag ein Anspruch auf Aufnahme und Weiterführung von Verhandlungen zum Zwecke des Abschlusses des Hauptvertrages. Ist aber nicht ausdrücklich bereits auch für den Abschluss des Vorvertrages im Wege einer Individualvereinbarung eine Provisionspflicht vereinbart, so entsteht ein entsprechender Anspruch auch nicht. Immer wieder wird von den Beteiligten, insbesondere aber auch vom Makler, übersehen bzw. bei der Protokollierung nicht zur Kenntnis genommen, dass im Hauptvertrag zukünftige Ereignisse, Bedingungen, Vorbehalte u. a. m. enthalten sind, die Einfluss auf das Zustandekommen, die Wirksamkeit und oft auch auf die Beständigkeit des Vertrages haben. Wird hier nicht klargestellt, was für einen solchen Fall mit dem Anspruch des Maklers auf Provision geschehen soll, entstehen gravierende Probleme. Diese können oft nicht ohne Auslegung des Vertrages und oft nicht ohne Rechtsstreit gelöst werden. Dabei spielt eine nicht unwesentliche Rolle der Umstand, dass der Notar der Schweigepflicht unterliegt; das bedeutet, dass ihn beide Parteien von dieser Schweigepflicht entbinden müssen, wenn er im Falle eines Streites über das Schicksal der Maklerprovision und die Erklärung der Parteien hierzu, soweit sie nicht protokollierungspflichtig waren, aussagen soll.
8.6.2
Maklerklausel im Hauptvertrag
Parteien eines Mietvertrages sind Vermieter und Mieter, Parteien eines Kaufvertrages Verkäufer und Käufer. Durch die Aufnahme einer Maklerklausel mit einem Provisionsversprechen in die Urkunde eines Mietvertrags oder eines Kaufvertrags wird – eigentlich untypisch – ein Dritter als Inhaber von Rechten eingeführt. Die Maklerklausel enthält im Zweifel (insbesondere wenn nach der Überzeugung aller Beteiligten noch kein Maklervertrag besteht) die nachträgliche Schaffung der vertraglichen Grundlage für die bereits erbrachte Maklerleistung. Weil aber der Makler nicht Partei des Hauptvertrags ist, sind lange Zeit Bestimmungen über die Verteilung der Maklerkosten als „Fremdkörper“ – jedenfalls im Kaufvertrag – angesehen worden. Seit der Entscheidung des BGH vom 14.12.1995 (vgl. NJW 1996, 654) wird man im Einzelfall zu differenzieren haben, ob es sich lediglich um eine rein äußerliche Ver-
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8 Immobilienvermittlung
bindung des Maklervertrages mit einem Kaufvertrag handelt oder um einen Bestandteil des Kaufvertrages (Staudinger/Reuter (2010), §§ 652, 653, Rn. 190, 191). Hintergründe und Motive für die Aufnahme solcher Klauseln in den notariellen Kaufvertrag können ganz unterschiedlich sein: Nicht selten hat der Makler es verabsäumt, rechtzeitig – also vor seinem Tätigwerden – einen eindeutigen Maklervertrag abzuschließen. Oder aber er will sich trotz eines bereits geschlossenen Maklervertrages zusätzlich sichern (vgl. Zopfs, Das Maklerrecht in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, RWS-Skript 181, Rn. 10). Oft nimmt der Makler diese Gelegenheit wahr, seinen Provisionsanspruch zu sichern und darüber hinaus, sofern der Vertrag eine Unterwerfung des Käufers unter die sofortige Zwangsvollstreckung vorsieht, diesen Provisionsanspruch titulieren zu lassen (vgl. v. Gerkan, Maklerklauseln in notariellen Grundstückskaufverträgen, NJW 1982, 1742, mit Erwiderung von Piehler, DNotZ 1983, 22, 23). Da der Makler nicht Partei des Hauptvertrages ist und vom Notar i. d. R. auch nicht im Vertragstext als Beteiligter aufgeführt wird (so zutreffend Zopfs, a .a. O.), ist in jedem Einzelfall nach Wortlaut und ggf. im Wege der Auslegung zu klären, welches der (vom Notar nach § 17 BeurkG zu ermittelnde) Wille der Beteiligten ist. Grundsätzlich können Maklerlohnversprechen, die in einer Kaufvertragsurkunde aufgenommen sind, verschiedene Bedeutungen haben: Es kann sich um eine rechtlich nicht zum Kaufvertrag gehörende, nur äußerlich mit ihm verbundene Beurkundung des Lohnversprechens handeln, durch das der Käufer sich nicht seinem Vertragspartner, sondern dem Makler gegenüber deklaratorisch oder konstitutiv verpflichtet. Konstitutiv ist die Regelung, wenn die Pflicht, die Maklerkosten zu tragen, erst begründet wird. Das Provisionsversprechen kann auch deklaratorisch sein. Dann sind alle im Zeitpunkt des notariellen Vertrages bekannten Einwendungen ausgeschlossen. Es kann sich um eine Vereinbarung zwischen den Hauptvertragsparteien handeln, kraft derer der Verkäufer lediglich Versprechensempfänger ist. Die Vereinbarung kann auch Teil des Kaufvertrages sein und dabei dem Makler auch, neben dem Verkäufer, einen unmittelbaren Anspruch auf Provisionszahlung an den Makler im Sinne eines echten Vertrages zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB) geben. Entscheidend sind immer der Einzelfall und das Ergebnis der hierzu erforderlichen Auslegung der Klausel (vgl. BGH, DNotZ 1992, 411, 412). Fehlerhaft und die Unwirksamkeit der Maklerklausel im Hauptvertrag begründend ist der (bloße) Bezug auf eine vereinbarte Provision („die Beteiligten halten fest, dass dieser Vertrag durch Vermittlung bzw. Nachweis der Firma X zustande gekommen ist …“). Erforderlich ist vielmehr, dass durch die Maklerklausel ein selbstständiger und von einem etwaigen Maklervertrag unabhängiger Anspruch begründet wird (OLG Karlsruhe, IMR 2010, 66). Immer dann, wenn dem Dritten unmittelbar ein Anspruch gegen den Schuldner eingeräumt wird, spricht man von einem berechtigenden Vertrag zugunsten eines Dritten oder von einem echten Vertrag zugunsten eines Dritten (§ 328 Abs. 1 BGB) (vgl. BGH, Urt.v. 23.3.98, NJW-RR 98, 394; Mäschle in: Sailer/Kippes/Rehkugler, S. 674). An einem echten Vertrag zugunsten Dritter sind drei Personen beteiligt: Der Versprechende, der Versprechensempfänger und der Dritte. In Folge des Vertrages wird der Dritte Forderungsberechtigter. Er wird damit aber nicht Vertragsbeteiligter (er kann nicht wandeln, nicht vom
8.6 Der Hauptvertrag
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Vertrag zurücktreten oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen). Der Anspruch des Maklers als eines Dritten im Sinne des § 328 BGB beruht nicht auf irgendeinem anderen Schuldverhältnis, sondern allein auf dem Vertrag zugunsten eines Dritten. Wichtig ist, dass der Käufer beim echten Vertrag zugunsten Dritter auch für den Fall, dass der Makler ihm keine Leistung erbracht hat, wegen eines von einer echten Maklerleistung unabhängigen Schuldgrundes die Provision zu zahlen hat, wenn er von Anfang an der Meinung war, der Makler habe weder eine Nachweis- noch eine Vermittlungsleistung erbracht (vgl. Hamm/Schwerdtner, Maklerrecht, Rn. 823). Wirkung: Eine Maklerklausel im Hauptvertrag beendet die Diskussion um das Zustandekommen des Maklervertrags das Erbringen der Maklertätigkeit die Ursächlichkeit der Maklertätigkeit für den Erfolg die Person des Provisionspflichtigen. Die Maklerklausel beendet nicht die Diskussion um die Verwirkung des Provisionsanspruchs (§ 654) wegen nachträglich bekannt gewordenen Fehlverhaltens des Maklers (BGH, NZM 2005, 955) die Fehlerhaftigkeit des Hauptvertrags. Zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten können zwei Formulierungshilfen dienen: Die Maklerklausel wird dem notariellen Kaufvertrag ausdrücklich als Vertrag zugunsten eines Dritten – des Maklers – im Sinne von § 328 BGB bezeichnet. In den notariellen Kaufvertrag wird eine Regelung aufgenommen, wonach der Makler eine Abschrift des Kaufvertrages und auf Anfrage eine vollstreckbare Ausfertigung erhalten soll. Die letztere Regelung ist nämlich dann sinnvoll, wenn dem Makler dadurch die Durchsetzung seiner eigenen Ansprüche ermöglicht werden soll. Andernfalls würde ja eine bloße Mitteilung vom Vertragsschluss ausreichen (vgl. OLG Hamm v. 19.6.95, PuR 1995, 562, 563). Aus der Aufnahme einer solchen Regelung wird ein Akt der Fürsorge für den Makler ersichtlich. Die Regelung ist insoweit ausschließlich in seinem Interesse erfolgt, und auch dies spricht für einen direkten Rechtserwerb des Maklers (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). Der entscheidende Vorteil einer Provisionsklausel in Form eines echten Vertrages zugunsten Dritter im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB ist die Tatsache, dass der danach zur Zahlung der Maklerprovision Verpflichtete mit Einwänden aus dem Maklerrecht nicht mehr gehört werden kann. Es kommt also weder auf die Frage des Zustandekommens eines Maklervertrages an, noch darauf, ob Maklerleistungen überhaupt erbracht worden sind. Allenfalls eine analoge Anwendung des § 654 BGB (Verwirkung) oder eine Heranziehung des Rechtsgedankens dieser Vorschrift über § 242 BGB kann den Makler bei Vorliegen deren Voraussetzungen dann noch um die Maklerprovision bringen. Die bloße Überbürdung der Zahlungsverpflichtung auf denjenigen, mit dem kein Maklervertrag bestand, begründet den Verwirkungstatbestand des § 654 BGB nicht (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). Ausführlich hat sich der BGH (vgl. Urt. v. 14.12.95 – III ZR 34/95) mit einer Maklerklausel in einem Vorkaufsfall befasst. Er hat ausgeführt, die Maklerkosten gehörten zu den üblichen Erwerbskosten im Kaufvertrag. Ihre Regelung und Verteilung seien kein „Fremdkörper“ in einem Kaufvertrag, sondern zählten wesensmäßig dazu. Dabei kommt es nicht darauf an,
482
8 Immobilienvermittlung
ob etwa in vorhergehenden Maklerverträgen des Verkäufers mit dem Makler und des Maklers mit dem Kaufinteressenten diese Regelungen bereits ihren Niederschlag gefunden haben oder völlig neu „als Paket“ im notariellen Kaufvertrag geschnürt werden. Enthält ein notarieller Kaufvertrag (mit Vorkaufsrechtsausübungsmöglichkeit) eine Maklerklausel wie in dem oben beschriebenen Sinne, so verpflichtet diese den das Vorkaufsrecht ausübenden Berechtigten zur Zahlung der Maklerprovision. Denn er hat als Vorkaufsberechtigter sämtliche Leistungen zu erbringen, die der Erstkäufer nach dem Kaufvertrag hätte erbringen müssen (vgl. BGHZ 77, 359, 362). Eine Maklerklausel bringt dem Makler keinen eigenen Anspruch, wenn sie entweder nicht als echter Vertrag zugunsten eines Dritten im Sinne von § 328 Abs. 1 BGB formuliert ist oder aber aus anderen Gründen unwirksam ist. Lautet eine Klausel etwa: „Die Käufer tragen auch die Provision des beauftragten Maklers in der vereinbarten Höhe von 6,9 % die Provision ist fällig und zahlbar zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Kaufpreises“, so ist gerade nicht klar, ob dem Makler ein eigener Anspruch entstehen soll. Die Klausel ist unklar i. S. v. § 305 c Abs. 2 BGB (vgl. KG, NZM 2001, 897; ausführlich zur notariellen Vertragsgestaltung bei Maklerklauseln in notariellen Kaufverträgen: Bethge, NZM 2002, 193; großzügiger allerdings der BGH: BGH, NJW 2005, 3778; BGH, NJW 2003, 1249).
8.7
Kausalität
8.7.1
Überblick
Voraussetzung für die Entstehung des Provisionsanspruches ist, dass das Handeln des Maklers für den Erfolg kausal war. Der Vertragsschluss muss Folge der nach dem Maklervertrag geschuldeten Maklertätigkeit sein. Der Hauptvertrag muss aus der Sicht des Kunden jedenfalls auch Ergebnis einer wesentlichen Leistung des Maklers sein. Um die Provision zu verdienen, muss der Nachweismakler die Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages nachweisen, der Vermittlungsmakler eine auf den Abschluss des Hauptvertrages gerichtete fördernde Leistung erbringen. Dabei kann auch der Nachweismakler ein schon bekanntes Objekt nachweisen, wenn der Kunde erst durch die Tätigkeit des Maklers motiviert wurde, in direkte Verhandlungen mit dem Berechtigten einzutreten (entscheidender Anstoß). Jede Mitursächlichkeit reicht aus (Fischer, NZM 2011, 529, 534). Eine solche Mitursächlichkeit des ursprünglichen Nachweises für den späteren Abschluss des Hauptvertrages ist dann anzunehmen, wenn der Interessent vom Makler Informationen erhalten hat, über die er andernfalls nicht verfügt hätte und die für den Kaufentschluss den Anstoß gegeben haben. Je länger der Zeitraum ist, der zwischen der Maklertätigkeit und dem Vertragsschluss liegt, umso höher sind die Anforderungen, die an die Ursächlichkeit des Nachweises zu stellen sind (vgl. Zopfs, a. a. O., Rn. 43a). Es können auch mehrere Makler mit jeweils eigenen Beiträgen für die Miet- oder Kaufentscheidung des Kunden kausal gehandelt haben (vgl. BGH, NJW 1971, 1133). Es wird also nicht etwa der nachweisende Makler durch einen später eingeschalteten vermittelnden Makler an der Herbeiführung der Wirkungen einer Mitursächlichkeit gehindert (vgl. BGH, NJW 1977, 41; BGH, NJW 1981, 387; Fischer, NZM 2011, 529, 534). Schwierig zu beantworten ist die Frage, wie lange der Zeitraum sein kann, der zwischen der letzten Tätigkeit des Mak-
8.7 Kausalität
483
lers und dem Erfolg liegt, ohne dass von einem Abbruch der Kausalkette zu sprechen ist. Ein Zeitraum zwischen einer letzten gemeinsamen Besichtigung durch die Parteien und der Beurkundung eines Kaufvertrags von nicht mehr als 1 Jahr lässt die Kausalkette nicht abbrechen (BGH, NZM 2006, 667; BGH, Info M 2008, 443; OLG Hamm, IMR 2011, 208). Zusätzliches Erfordernis ist es, dass sich der Hauptvertrag zumindest auch als Ergebnis einer wesentlichen Maklerleistung darstellt. In keinem Falle ist die Kausalkette automatisch abgebrochen bei einem Zeitraum von 3 bis 5 Monaten (BGH, NZM 2008, 174). Erfolgt der Erwerb hingegen Jahre später und nach Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung, so liegt keine kausale Handlung vor (LG Duisburg, IMR 2010, 441). Sodann entsteht der Provisionsanspruch grundsätzlich nur, wenn Vertragskongruenz zwischen dem Maklervertrag und dem späteren Hauptvertrag besteht. Dabei könnte man Vertragskongruenz als Identität verstehen, wonach sowohl die Vertragspartner des Hauptvertrages mit denen des Maklervertrages übereinstimmen müssen, als auch der tatsächlich abgeschlossene Hauptvertrag inhaltlich nicht von dem Maklervertrag abweichen dürfe. Es versteht sich aber, dass kleinere Abweichungen unschädlich sind (vgl. BGH, NJW 1989, 1486). Bei solchen Abweichungen steht dem Makler nämlich dennoch ein Provisionsanspruch zu, und zwar dann, wenn der wirtschaftliche Erfolg des abgeschlossenen Geschäfts dem des beabsichtigten Geschäfts nach der Vorstellung der Parteien bei Abgabe des Provisionsversprechens entspricht. Es lassen sich folgende Gruppen von Abweichungen bilden: Abweichungen in der Person des Erwerbers Abweichungen im Vertragsgegenstand Abweichungen in der Preisbildung.
8.7.2
Abweichungen in der Person des Erwerbers
Hier ist entscheidendes Prüfungskriterium für die Frage nach der Identität die Prüfung, ob der Kunde gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn er sich darauf berufen würde, der Vertrag sei ja mit jemand anderem zustande gekommen als mit ihm selbst. Anders ausgedrückt: Wurde der Erwerber nur vorgeschoben, um die Provisionspflicht zu umgehen, weil von vornherein der Erwerb durch die andere Person/Gesellschaft beabsichtigt war? Vieles ist hier streitig. Die Abgrenzung ist schwierig. Eine schematische Betrachtung verbietet sich, es ist vielmehr stets auf den Einzelfall abzustellen. Das zeigen die folgenden Fallbeispiele aus der Praxis: Überlässt ein Maklerkunde das Geschäft einem Dritten und schließt dieser am Makler vorbei ab, so schuldet der Maklerkunde dennoch Provision, wenn er an dem Geschäft des Dritten wirtschaftlich weitgehend beteiligt ist (vgl. BGH, NJW 1960, 476; OLG Hamburg, Urt. v. 13.2.98, Az. 6 O 271/96). Eine solche Vertragskongruenz erfordert aber enge persönliche oder wirtschaftliche oder rechtliche Beziehungen zwischen dem Erstinteressenten (dem Auftraggeber des Maklers) und dem späteren Vertragspartner des Hauptvertrages (vgl. BGH, NJW 1984, 358, 359; OLG Koblenz, NJW-RR 1994, 180; BGH MDR 1998, 339; OLG Dresden v. 13.2.98, MDR 1998, 960). Eine solche Beziehung ist zu bejahen, wenn eine inzwischen ins Handelsregister eingetragenen GmbH mit ihrer Vorgesellschaft identisch ist (vgl. OLG Karlsruhe vom 2.12.94, PuR 1995, 520). Wirtschaftliche Gleichwertigkeit ist auch vorhan-
484
8 Immobilienvermittlung
den, wenn nicht eine GmbH das Vermögen ihres Unternehmens an einen Interessenten verkauft, sondern die Gesellschafter der GmbH ihre Geschäftsanteile an dieser (BGH, NJW-RR 2006, 496). Gleiches gilt, wenn statt einer GmbH deren Geschäftsführer erwirbt und umgekehrt. Verhandelt ein Interessent abschlussreif und kauft seine Lebensgefährtin schließlich das Objekt, so ist ebenfalls von einer Vertragskongruenz auszugehen (vgl. BGH, NJW 1991, 490). Der Provisionsanspruch hängt nicht davon ab, dass der Maklerkunde selbst Partei des Hauptvertrages wird. Denn der Kunde schuldet jedenfalls dann die Provision, wenn er von vornherein beabsichtigte, den Vertragsabschluss durch einen Dritten vornehmen zu lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich bei dem späteren Erwerber um den Bruder des Kunden handelt. In diesem Fall muss der Erstinteressent den Nachweis erbringen, dass er mit dem Erwerb durch die ihm nahe stehende Person nicht in Verbindung gebracht werden kann (vgl. OLG Frankfurt v. 3.8.99, MDR 2000, 24; OLG Dresden v. 24.2.99, MDR 2000, 25). Erwirbt statt des Vaters die Tochter oder statt des Bruders die Schwester, so sind solche Abweichungen in der Person des Erwerbers unmaßgeblich, weil eine persönliche – oft auch eine wirtschaftliche – Verbindung derart besteht, dass jedenfalls in aller Regel ein eigenes Interesse des Maklervertragspartners am Zustandekommen des Geschäfts mit dem Angehörigen zu bejahen ist (vgl. OLG München, NZM 2005, 72; so auch Stark, NZM 2008, 832). Gleiches gilt, wenn sich der Maklerkunde vorstellt mit den Worten: „Ich suche für meinen Vater“: Er bleibt für den Fall des Zustandekommens eines Hauptvertrags mit dem Vater provisionspflichtiger Maklervertragspartner (vgl. LG Karlsruhe, NZM 2004, 307). Das gilt erst recht, wenn mit dem Auftraggeber ein provisionspflichtiger Maklervertrag geschlossen wurde, es jedoch letztendlich zwar zu einem Kaufvertrag gekommen ist, jedoch der Auftraggeber nicht alleiniger, sondern lediglich Erwerber zusammen mit seinen Eltern in Miteigentum geworden ist (vgl. LG Dettmold, Urt. v. 10.5.2004, Immobilien-Makler Nr. 5/2004, 6). Ausreichend sind enge persönliche oder wirtschaftliche Beziehungen zwischen dem Maklerkunden und dem Dritten, ohne dass zusätzlich erforderlich ist, dass der Maklerkunde bewusst nur vorgeschoben wurde (vgl. BGH, Urt. v. 08.04.2004, Immobilien-Makler Nr. 4/2004, 2).
8.7.3
Abweichungen im Kaufpreis
Solche Abweichungen zwischen dem letztendlich zu zahlenden und dem im Maklervertrag vereinbarten Kaufpreis sind danach zu bewerten, ob sie sich im Rahmen der durch übliche Verhandlungen auftretenden Schwankungen bewegen. Ist ein etwas höherer Kaufpreis mit etwas verbesserten Vertragskonditionen aus der Sicht des Kunden verbunden, so wird man in aller Regel noch von einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit sprechen können. Allerdings liegt eine wirtschaftliche Ungleichheit dann vor, wenn der Makler zuvor betont hat, der Kauf komme nur zu diesem bestimmten Kaufpreis zustande oder gar nicht (vgl. OLG Düsseldorf v. 17.02.95, PuR 1995, 404). Ein derartiges Verhalten des Maklers wird aber – insbesondere unter heutigen Marktbedingungen – eher die Ausnahme sein. Kein Marktteilnehmer erwartet, dass ein etwa in einem Exposé angegebener Kaufpreis etwas anderes ist als eine Verhandlungsbasis, und deshalb kann auch bei erheblichen Preisunterschieden nicht ohne Nachweis davon ausgegangen werden, dass das nachgewiesene oder vermittelte Objekt nicht mit dem wirtschaftlich gleichwertig sei, das letztendlich erworben wurde. Umfangreiches Fallrecht zeigt die Abgrenzungsschwierigkeiten: Preisabweichungen von mehr als 23 % sind nicht mehr kongruent (OLG Bamberg, NZM 1998, 2277; OLG Hamburg, Urt. v. 30.04.2003 – 13 U 10/02); eine Preisabweichung von 25 % ist nicht mehr kongruent
8.7 Kausalität
485
(OLG Dresden, NZM 2009, 522); eine Gleichwertigkeit ist noch bei einem Preisnachlass von 15 % gegeben (BGH, NZM 2008, 174); eine Kaufpreisabweichung von 38,7 % lässt die wirtschaftliche Gleichwertigkeit entfallen (OLG München, IMR 2010, 395), während eine Abweichung von 6 % unschädlich ist (OLG Jena, IMR 2011, 342).
8.7.4
Abweichungen im Vertragsgegenstand
Auch hier stellt sich immer die Frage, ob das zu vermittelnde Geschäft gegenüber dem tatsächlich später abgeschlossenen Geschäft wirtschaftlich gleichwertig ist. Konkret ist zu fragen, ob der erreichte Geschäftsinhalt von dem vorausgesetzten Geschäftsinhalt abweicht. Hier müssen oft betriebswirtschaftliche und bewertungstechnische Maßstäbe herangezogen werden, wie die grundlegenden Urteile des BGH zur wirtschaftlichen Gleichwertigkeit eines Asset Deal (Verkauf eines Grundstücks) gegenüber einem dann später abgeschlossenen Share Deal (Erwerb der Anteile an der Gesellschaft statt Erwerb des Grundstücks selbst) zeigen (BGH, Urt. v. 21.12.2005, III ZR 451/04; Urt. v. 16.12.2004, III ZR 119/04). Grundsätzlich sind Abweichungen im Vertragsgegenstand für die Kausalität schädlich, wenn das abgeschlossene Geschäft dem Auftraggeber des Maklers wesentlich weniger wirtschaftliche Vorteile verschafft oder gravierendere Verpflichtungen auferlegt als das ursprünglich gewollte. Hier ist eine Gesamtschau der Vertragskonstruktion erforderlich, denn wie beispielsweise das OLG Zweibrücken richtig erkennt (vgl. RDM-Sammlung A 133 Bl. 33 = AIZ/1-95), ist die Vermittlung eines Erbteilkaufs statt eines Grundstückskaufvertrages durchaus für den Erwerber, unter anderem wegen der Haftungsbegrenzung für Mängel, günstiger. Im Folgenden soll eine Fallübersicht Anhaltspunkte dafür geben, wann von einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit gesprochen werden kann und wann nicht: Keine wirtschaftliche Gleichwertigkeit ist anzunehmen, wenn vermietet statt verkauft wird (vgl. OLG Karlsruhe v. 7.10.94, PuR 1995, 185); ein Untermietvertrag statt eines Hauptmietvertrages abgeschlossen wird, ein Einfamilienhaus angeboten wird, aber nur Miteigentum erworben werden kann, eine Doppelhaushälfte zum Kauf nachgewiesen wird, die beiden Doppelhaushälften aber eine Wohnungseigentümergemeinschaft bilden (vgl. OLG Karlsruhe, NZM 2004, 395). Wirtschaftliche Gleichwertigkeit wird bejaht, wenn statt eines Kaufvertrages ein Erbteilverkauf vermittelt wird (vgl. OLG Zweibrücken v. 15.7.94, RDM-Sammlung A 133 Bl. 33 = AIZ/1-95), die Maklerofferte und spätere Kontakte auch die Möglichkeit einer Teilanmietung mit hinreichender Deutlichkeit einschließen (vgl. Hans. OLG Hamburg, RDM-Sammlung A 133 Bl. 30 = AIZ/11-93), eine größere Fläche als die ursprünglich angebotene vermietet wird, die später angemieteten Flächen aber bereits zur Disposition standen (vgl. LG Offenburg v. 13.7.94, PuR 1995, 307; OLG München, RDM-Sammlung A 133, Bl 14 = AIZ/3-90).
8.7.5
Vorkenntnis
Vorkenntnis ist – und dies ist ein weit verbreiteter Irrtum – nicht die Kenntnis des Objekts, sondern die Kenntnis der Vertragsgelegenheit (Hamm/Schwerdtner, Rn. 538). Der Makler, der eine Vertragsgelegenheit nachweist, schafft die Voraussetzungen, dies dem Auftraggeber
486
8 Immobilienvermittlung
ermöglichen, mit dem Berechtigten direkt in Kontakt zu treten und zu verhandeln. Vorkenntnis liegt demnach also nur vor, wenn wesentliche Eckdaten und insbesondere auch die Person des Berechtigten oder des Verhandlungsführers bereits bekannt sind. Den Nachweis einer Vertragsgelegenheit kann der Makler nicht erbringen, wenn die Vertragsgelegenheit dem Kunden bereits bekannt war. Allerdings kann der Nachweis noch erbracht werden, wenn der Makler für den Kunden den entscheidenden Anstoß bringt. Das kann z. B. der Fall sein, wenn die Anmietung eines Büroobjektes für den Kunden nicht in Betracht kam, weil ihm die Anzahl der zur Verfügung stehenden Stellplätze nicht genügte, und der Makler daraufhin nach entsprechender Recherche ihm vom selben Eigentümer des Nachbargrundstücks zusätzliche Stellplätze zur Anmietung anbietet. Aber auch dann, wenn die ursprüngliche Vertragsgelegenheit entfallen war, weil das Grundstück nicht mehr verfügbar war, nun aber wiederum zur Verfügung steht, kann auch eine bekannte Vertragsgelegenheit nachgewiesen werden. Das Problem der Vorkenntnis ist zwar in aller Regel den Vertragsparteien als vertragliches Risiko bewusst, aber in einem rechtlich unzutreffenden Zusammenhang: Es meinen nämlich die Empfänger unverlangt übersandter Exposés oder Informationen über Objekte, sie müssten unverzüglich – womöglich innerhalb einer in den beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen angegebenen kurzen Frist von 1 Woche – dem Absender ihre Vorkenntnis anzeigen. Hier wird verkannt, dass es eine derartige Verpflichtung überhaupt nur im Rahmen eines abgeschlossenen Maklervertrages geben kann, nicht aber im Rahmen dessen Anbahnung. Denn das unverlangt übersandte Exposé stellt allenfalls ein Angebot auf Abschluss eines Maklervertrages dar, welches ausdrücklich oder konkludent, d. h. durch schlüssiges Verhalten, erst einmal angenommen werden muss. Ein solches schlüssiges Verhalten liegt eben nicht in der bloßen Verwertung der im Exposé enthaltenen Informationen. Irrtümlich nehmen viele Vertragsparteien an, eine Vorkenntnis sei im Hinblick auf formularmäßig im Maklervertrag vereinbarte Vorkenntnisklauseln ohne rechtliche Relevanz. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist die Klausel, wonach sich der Kunde nicht auf Vorkenntnis berufen kann, wenn er diese Kenntnis nicht innerhalb von (z. B.) acht Tagen nach Empfang des Exposés geltend macht, unzulässig (vgl. BGH, NJW 1976, 2345; OLG Düsseldorf v. 10.12.93, PuR 1994, 379; kritisch hierzu: MüKo Roth, § 652, Rn. 194). Grundsätzlich ist der Maklerkunde nicht verpflichtet, den Makler davon zu unterrichten, dass ihm das Objekt bereits bekannt ist (vgl. BGH, WM 1984, 62; OLG Celle, NJW-RR 1995, 501). Diese Rechtsprechung betrifft aber Fälle, in denen zunächst der Maklervertrag abgeschlossen worden war, erst danach dann aber dem Kunden aufgrund von erteilten Informationen über das Objekt klar wurde, dass er das Objekt bereits kannte. Diese Vorkenntnis hat der Kunde darzulegen und zu beweisen. Er kann sich allerdings dann nicht auf Vorkenntnis berufen, wenn er diese bereits erlangt hatte, bevor er den Maklervertrag abschloss (vgl. OLG Celle, a. a. O., OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 175). Dies ist ein Ausfluss von Treu und Glauben (vgl. OLG Frankfurt v. 11.12.94, OLG-Report Frankfurt 1994, 73). Anderer Ansicht ist das OLG Koblenz (vgl. NJW-RR 1991, 248). Der Kunde hat zu beweisen, dass ihm die Gelegenheit zum Abschluss des Hauptvertrags schon vor dem Zugang des Maklernachweises bekannt gewesen ist. An den Nachweis der Vorkenntnis dürfen dabei nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden, insbesondere müssen dem Kunden auch die Eckdaten bekannt gewesen sein, wie z. B. die Lage des Grundstücks und auch der Name des Berechtigten. Es werden qualifizierte Voraussetzungen i.S.v.
8.7 Kausalität
487
Mindestkenntnissen und deren Geltendmachung verlangt. Ob dazu auch Kenntnisse über den Kaufpreis bzw. den Mietzins gehören, ist aber streitig (MüKo Roth, § 652, Rn. 181). Ist ein Interessent vor Einschaltung eines Maklers bereits „im Prinzip“ zum Kauf des Grundstücks bereit, so muss der Makler eine wesentliche Maklerleistung erbringen. Diese ist nur gegeben, wenn der Makler einen mitursächlichen Beitrag von erheblichem Gewicht erbringt (vgl. BGH, Urt. v. 4.10.95, AZ IV ZR 163/94). Hier reicht es nicht aus, wenn – unaufgefordert – der Makler dem bereits zum Kauf entschlossenen Interessenten eine Wertermittlung übergibt (vgl. BGH, a. a. O.). Es kristallisiert sich jedenfalls die Meinung heraus, dass es dem Kunden obliegt, auf seine Vorkenntnis hinzuweisen, die er ja womöglich schon vor Abschluss des Maklervertrages hatte, um dann doch die Verpflichtung zur Zahlung einer Maklerprovision einzugehen, auch im Falle wirksam eingewendeter Vorkenntnis der Makler den Nachweis führen kann, dass er den entscheidenden Anstoß zum Abschluss des Vertrages gegeben hat. Die Möglichkeit des Einwands der Vorkenntnis im Rahmen wirksam abgeschlossener Maklerverträge wird in ihrer Bedeutung oft unterschätzt. Vorkenntnisklauseln müssen individuell ausgehandelt werden. Der Nachweis an ein Aushandeln einer Vorkenntnisklausel ist schwer zu führen. Fragt der Makler vor Abschluss des Maklervertrages beim Kunden an, ob dieser das Objekt und die Vertragsgelegenheit bereits kennt, so ist ein Bejahen dieser Frage mehr als wahrscheinlich. Die Vorkenntnis muss allerdings der Kunde beweisen. Je präziser die Angaben zum Objekt und zu den Eckdaten und insbesondere zum Eigentümer sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Einwand erhoben wird. Die Rechtsprechung erkennt das Problem für den Makler, löst es aber nicht (vgl. OLG Düsseldorf v. 10.12.93, PuR 1994, 379, 380). Wichtig und zum Teil einer Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BGH stellt das Urteil vom 04.11.1999 (vgl. NZM 2000, 141) dar. Der BGH hat festgestellt, dass der Maklerkunde eine in einem von ihm unterzeichneten Objektnachweis enthaltene Vorkenntnisklausel doch gegen sich gelten lassen muss (vgl. entgegen BGH, NJW-RR 1996, 114 und OLG Düsseldorf, NZM 1998, 778), die Formulierung im Objektnachweis, wonach beim Zustandekommen eines notariellen Kaufvertrages eine Maklergebühr zur Zahlung an den Makler fällig werde, als Hinweis darauf zu verstehen ist, dass der Makler hierin demjenigen gegenüber eine Provisionserwartung äußert, der mit ihm in vertragliche Beziehungen treten will, die Unterschrift unter den Objektnachweis eine für den Abschluss eines Maklervertrags rechtsgeschäftlich bedeutsame Erklärung ist (vgl. Langemaack, NZM 2000, 121 f.). Festzuhalten ist, dass Vorkenntnis immer noch Raum lässt für eine Mitursächlichkeit der Maklertätigkeit. Diese kann z. B. in der Ermöglichung einer Besichtigung des Objektes liegen.
8.7.6
Unterbrechung des Kausalzusammenhangs
Die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs stellt in der neueren Rechtsprechung einen Schwerpunkt dar, wobei es in erster Linie immer wieder Schwierigkeiten bereitet, wann und aufgrund welcher Umstände Vertragsverhandlungen nicht nur als vorübergehend
488
8 Immobilienvermittlung
unterbrochen, sondern als endgültig abgebrochen zu gelten haben. Kommt nämlich in einem solchen Falle später doch der Hauptvertrag zustande, so ist in aller Regel zweifelhaft, ob hierfür (noch) der ursprüngliche Nachweis ursächlich war, also das Interesse des Käufers/Mieters nur vorübergehend erlahmt war, oder ob der Hauptvertrag aufgrund einer neuen Entwicklung geschlossen wurde (vgl. OLG Frankfurt vom 26.02.1993; PuR 1993, 289). Ist Letzteres der Fall, so entsteht kein Provisionsanspruch. Tritt eine neue Verkaufsgelegenheit ein, die mit der ursprünglichen nicht identisch war und die der Makler nicht herbeigeführt hat, so verdient er keine Provision. Hier handelt es sich um reines case law, und es lassen sich nur wenige gesicherte Kriterien aufführen, anhand derer die Frage nach der Kausalkette bzw. deren Unterbrechung beantwortet werden kann. Nur im Einzelfall kann geklärt werden, ob die Verhandlungen vorübergehend unterbrochen wurden; das Interesse nur vorübergehend erlahmt ist; die Verhandlungen endgültig abgebrochen waren; der Verkäufer seine Verkaufsabsicht endgültig aufgegeben hatte; der Verkäufer die Verkaufsabsicht unter veränderten Umständen neu gefasst hat; der Hauptvertrag aufgrund einer neuen Entwicklung geschlossen wurde; die frühere Gelegenheit sich endgültig zerschlagen hatte; das Objekt vom Markt genommen war. Es wird immer die Aufgabe der Parteien sein, Aspekte zu sammeln, die die Annahme plausibel machen, dass (Position des Maklers) der Maklerkunde auf der Grundlage des lange zurückliegenden Nachweises erworben hat bzw. (Position des Kunden) dieser aufgrund eines völlig neuen von der behaupteten Maklerleistung unabhängigen Entschlusses erworben hat (vgl. OLG Frankfurt, NZM 2005, 72). Zu der insgesamt schwierigen Abgrenzung, wann die Mitursächlichkeit der Maklertätigkeit entfällt, weil die Bemühungen des Maklers gescheitert sind und der Vertrag später ohne seine Mitwirkung durch neue Verhandlungen auf völlig anderer Grundlage abgeschlossen wird: Hamm/Schwerdtner, Rn. 583 ff.; BGH, NZM 2008, 175; Fischer, NJW 2009, 3210, 3213; LG Duisburg, IMR 2010, 441; OLG Hamburg, IMR 2010, 65; Fischer, Maklerrecht, S. 72; BGH, NJW 2008, 651, 652. Die nachfolgenden Fallgestaltungen verdeutlichen die Problematik: Fall: Interessentin verhandelt 1990 und 1991 über einen Kaufvertrag. Mitte 1991 schließt der Eigentümer mit dem damaligen Lebensgefährten und heutigen Ehemann der Interessentin einen 10-Jahres-Mietvertrag über das Objekt, welches von beiden bezogen wird. Im September 1992 verkauft der Eigentümer das Objekt an die Interessentin. Der Abschluss des 10Jahres-Mietvertrages dokumentiert das Scheitern der ursprünglichen Verkaufsverhandlungen und schafft eine neue Situation. Darauf, dass der Makler seinerzeit die Kaufvertragsparteien zusammengeführt hat, kann zur Begründung einer Fortwirkung seiner Vermittlungstätigkeit nicht abgestellt werden, weil das Zusammenführen als solches noch nicht die an eine Vermittlung zu stellenden Anforderungen erfüllt (vgl. Hamm/Schwerdtner, Maklerrecht, § 652 Rn. 581; OLG Karlsruhe vom 07.10.1994 Az.: 15 U 46/94, PuR 1995, 185).
8.7 Kausalität
489
Allgemein lässt sich sagen, dass der Verkäufer, der nachweislich seine Verkaufsabsicht aufgegeben hatte, sie dann aber später unter veränderten Umständen neu fasst, keine Provision mangels eines Nachweises einer Vertragsgelegenheit schuldet (vgl. BGH NJW-RR 1991, 950). Fall: Im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens soll ein im Landeseigentum stehendes Grundstück der Kaufinteressent mit dem höchsten Angebot erhalten. Der Interessent lässt durch den Makler ein auf DM 700.000,00 lautendes Kaufangebot vorlegen. Den Zuschlag erhält ein anderer Interessent mit einem Angebot von DM 711.000,00. Anschließend erklärt der andere Interessent, er wolle das Grundstück nicht kaufen. Nun erwirbt der erste Interessent das Grundstück zu einem Kaufpreis von DM 722.000,00. Der Makler verlangt die Maklerprovision. Entscheidend ist, dass die Vertragsgelegenheit, die Gegenstand des Nachweises war, vom Kunden nicht ausgenutzt worden ist. Damit fehlt es an einem Nachweis, der eine Provisionspflicht entstehen lässt. Denn die Gelegenheit hatte sich zerschlagen, weil der Eigentümer die Verkaufsabsicht aufgegeben, sie dann aber später unter veränderten Umständen erneut fasst und wenn nun der Kunde ohne Hinweis des Maklers diese neu entstandene Gelegenheit nutzt. Schwer abzugrenzen ist, wann das Interesse des Käufers nur vorübergehend erlahmt war und wann hingegen Vertragsverhandlungen endgültig abgebrochen waren und der Vertrag dann später aufgrund einer neuen Entwicklung zustande kommt. Das Vorliegen einer solchen neuen Entwicklung hat der Kunde nachzuweisen, denn für den Makler streiten zunächst einmal Nachweis und Abschluss des Hauptvertrages. Die Kausalität ist insbesondere dann unterbrochen, wenn die Vertragsverhandlungen abgerissen sind. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das Objekt ernsthaft und endgültig vom Markt genommen wird und erst aufgrund eines geänderten Vermarktungskonzeptes die Bemühungen wieder in Gang gesetzt werden (vgl. OLG Frankfurt vom 26.02.1993 Az: 10 U 274/89, OLG-Report 1993, 141). Fall: Der Kunde beauftragt den Makler mit der Suche eines Einfamilienhauses zur langfristigen Anmietung. Aufgrund eines Nachweises nimmt der Kunde mit dem Vermieter Kontakt auf und erfährt, dass das Einfamilienhaus bereits vermietet ist. Kurz danach wird das Mietverhältnis fristlos gekündigt. Hierauf tritt der Vermieter ohne Einschaltung des Maklers direkt an den ehemaligen Kunden heran und bietet ihm den Abschluss eines Mietvertrages an, der auch zustande kommt (vgl. AG Nürtingen, NJW-RR 1994, 1079). Fall: Nach Abbruch der Maklertätigkeit erhält der Maklerkunde aufgrund einer Zeitungsannonce eines anderen Maklers den Hinweis, dass das in Rede stehende Objekt doch zum Verkauf stehe, während es zum Zeitpunkt der Tätigkeit des ersten Maklers nicht zum Erwerb verfügbar war, weil der Eigentümer seine Verkaufsabsicht aufgegeben hatte (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 02.07.1998, MDR 1999, 351). Das OLG Frankfurt verwendet zur Abgrenzung einer vorübergehenden Unterbrechung von einem endgültigen Abbruch die Kriterien, die der BGH aufgestellt hat (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 950; BGH, NJW-RR 1996, 691). Es soll eine Wiederanknüpfung von Gesprächen bzw. Verhandlungen den Provisionsanspruch unberührt lassen, wenn der Maklerkunde oder auch der Eigentümer nach einem vorübergehenden Stillstand in den Verhandlungen einen vom Makler geschaffenen Kontakt wieder aufnimmt, und wenn dann ohne erneute Einschaltung
490
8 Immobilienvermittlung
des Maklers der Kaufvertrag zu gleichwertigen Konditionen abgeschlossen wird. In einem solchen Fall ist ein endgültiger Abbruch der Vertragsverhandlungen zu verneinen. Anderes soll – so das OLG Frankfurt – gelten, wenn ein anderer Makler im Auftrage des Eigentümers das vom Markt genommene Objekt wieder auf den Markt bringt. Der schmale Grad zwischen einem vorübergehenden Erlahmen des Interesses und einem endgültigen Abbruch der Verhandlungen wird nur schwer transparent gemacht werden können. Fall: Die Verhandlungen scheitern, weil der Kunde wegen fehlender Genehmigungsfähigkeit eines Dachgeschossausbaus einen Hauptvertrag über den Erwerb einer Eigentumswohnung nicht abschließen will. Knapp. 4 Monate später bietet der Verkäufer in einer Zeitungsanzeige die Wohnung – unter Berücksichtigung des Minderwerts aufgrund fehlender Ausbaumöglichkeit – zu einem um (seinerzeit) DM 25.000,00 niedrigeren Preis (ursprüngliche Kaufpreisforderung DM 420.000,00) an (vgl. BGH NJW 1999, 1255). Der BGH führt aus: Bleibt der Verkäufer bereit und entschlossen, das Objekt zu veräußern, so ist die ursprüngliche Aktivität des Maklers ausreichend, um auch im Falle eines vorläufigen Scheiterns der Verhandlungen bei letztendlich zustande gekommenem Vertrag den Provisionsanspruch auszulösen. Das gilt auch dann, wenn 4 Monate später ohne erneute Einschaltung des Maklers der Verkäufer selbst aktiv wird, ohne dass der Makler noch einmal beteiligt wird. Nicht immer hat eine Unterbrechung von Vertragsverhandlungen Einfluss auf die Maklerprovision. Dies ist z. B. dann nicht der Fall, wenn beim Nachweis einer Mietvertragsgelegenheit die Verhandlungen des Interessenten und späteren Mieters mit der Vermieterin deshalb unterbrochen werden, weil die bisherige Mieterin das Mietverhältnis fortsetzen will. Nimmt nun, nachdem die bisherige Mieterin das Mietverhältnis doch nicht weiterführen will, der Maklerkunde die unterbrochenen Verhandlungen selbst mit dem Vermieter wieder auf, schließen sich seine Verhandlungen also an die früheren Verhandlungen an, so fehlt es an dem Merkmal des endgültigen Abbruchs der Vertragsverhandlungen und demjenigen einer neuen Entwicklung (vgl. BGH NJW-RR 1996, 691).
8.8
AGB-Klauseln in Maklerverträgen
8.8.1
Vorbemerkung
Das Maklerrecht ist im Wesentlichen Fallrecht. Das Leistungsbild des Maklers ist gesetzlich nicht definiert. Wesentliche Leistungspflichten sind gar nicht beschrieben, weil die gesetzlichen Regelungen der §§ 652 bis 654 BGB nur die Voraussetzungen für die Entstehung des Provisionsanspruchs regeln. Daher verwenden insbesondere Immobilienmakler eine Vielzahl von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, um die Rechte und Pflichten im Maklervertrag zu bestimmen. Die Rechtsprechung neigt dazu, zahlreiche von Immobilienmaklern verwendete Allgemeine Geschäftsbedingungen als unwirksam anzusehen.
8.8 AGB-Klauseln in Maklerverträgen
8.8.2
491
Abgrenzung Allgemeine Geschäftsbedingung zur Individualvereinbarung
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (der Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (§ 305 Abs. 2 BGB). In wie viel Verträgen dann tatsächlich die Klausel Anwendung gefunden hat, ist nicht maßgeblich, sie muss lediglich für eine Vielzahl vorgesehen sein bzw. üblicherweise so verwendet werden. Eine vorformulierte Vertragsbedingung ist keine Allgemeine Geschäftsbedingung, wenn sie zwischen den Parteien im Einzelnen ausgehandelt wurde. Dann ist sie eine Individualvereinbarung und unterliegt nicht der Inhaltskontrolle (§ 305 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ausgehandelt wiederum ist sie, wenn sie zur Disposition gestellt wurde, also der Verwendungsgegner Änderungs- bzw. Einflussmöglichkeiten hatte. Entscheidend ist nicht, ob etwa eine Verhandlung über die Bestimmung ausführlich war, vielmehr ist maßgeblich, ob die Bestimmung wegverhandelbar war. Es muss bei den Vertragsverhandlungen die Möglichkeit des Gebens und Nehmens bestanden haben, also eine Gestaltungsmöglichkeit vorhanden gewesen sein (vgl. OLG Köln, DWW 2001, 302, 303; BGH, Urt. v. 18.03.2009, Info M 2009, 121). Dem Kunden muss die Möglichkeit eingeräumt werden, selbst verantwortlich zu prüfen und abzuwägen, ob er die Klausel wirklich will. Wenn über einen Mietvertrag allerdings insgesamt über 40 Stunden verhandelt wurde und tatsächlich auch wesentliche Änderungen umgesetzt wurden, spricht sehr viel dafür, dass insgesamt der Vertrag mit all seinen Regelungen beeinflussbar und abänderbar war (Kessel/Jüttner, Betriebsberater 2008, 1350, 1353). Die allgemein geäußerte Bereitschaft, Vertragsklauseln auf Anfordern des Vertragspartners zu ändern, erfüllt (noch) nicht die Voraussetzung eines Aushandelns der konkreten Klausel i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB (Urt. v. 14.05.2005, NJW-RR 2005, 140). Da ein Aushandeln mehr ist als ein Verhandeln, muss der Verwender der Klausel den in der Allgemeinen Geschäftsbedingung enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung einer Interessen einräumen (BGH, Urt. v. 19.05.2005, III ZR 437/04). Die äußere Form ist nicht maßgeblich. Weder Textbausteine im Programm noch auswendig gelernte Formulierungen helfen für die Annahme, es handele sich um eine Individualvereinbarung. Auch das Auslassen im Text mit der Möglichkeit, dort handschriftliche Ergänzungen vorzunehmen, macht eine Klausel noch nicht zu einer Individualvereinbarung. Hierzu bestimmt § 305 Abs. 1 Satz 2, dass es gleichgültig ist, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat. Eine vorformulierte Aushandelsbestätigung, wonach sämtliche Klauseln eines Vertrags angeblich zur Disposition gestanden haben sollen und Individualvereinbarungen darstellen, ist unzulässig. Sie stellt selbst unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. § 307 Abs. 2 BGB dar (vgl. BGH, NJW 1987, 1634). Eine Besonderheit stellt die sog. Tarifwahl dar. Stellt der Verwender einer Klausel alternative Regelungen zur Wahl, wonach der andere Vertragsteil unter verschiedenen Konstellationen zu verschiedenen Preisen eine Leistung erhalten kann, und wählt er eine von mehreren
492
8 Immobilienvermittlung
angebotenen und verhandelten Varianten, so ist diese Wahl der Inhaltskontrolle entzogen und die Klausel als Individualklausel in den Grenzen der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) zulässig und wirksam. Denn es steht einem Aushandeln nicht entgegen, wenn Angebotsalternativen mit einem erhöhten Entgelt verbunden sind (vgl. BGH, NJW 2003, 1303; Graf von Westphalen, NJW 2003, 1635).
8.8.3
Inhaltskontrolle
Zunächst sind Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Erleichterung im Geschäftsverkehr und daher, was ihre Wirksamkeit betrifft, neutral. Im Wege einer Inhaltskontrolle wird aber jeweils geprüft, ob die betreffende Allgemeine Geschäftsbedingung den Vertragspartnern des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine solche unangemessene Benachteiligung kann gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 sich auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Unübersichtliche AGBKlauseln verletzten dieses sog. Transparenzgebot. So kann der bloße Verweis auf ein anderes (womöglich kompliziertes) Regelwerk ein Verstoß gegen das Transparenzgebot zur Folge haben. Hierher gehören auch überraschende Klauseln, die man im Vertragswerk an dieser Stelle nicht erwarten muss. Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 BGB). Das Richterrecht hat zahlreiche Allgemeine Geschäftsbedingungen in Maklerverträgen für unwirksam erklärt, so z. B.: Die Verpflichtung zur Zahlung einer erfolgsunabhängigen Provision (vgl. BGH, NJW 1985, 2477); eine Vertragsstrafe oder pauschalierten Schadensersatz in Höhe der Provision (vgl. BGH, NJW 1968, 149); Klauseln, die den Einwand der Vorkenntnis abschneiden, wenn nicht der Einwand binnen bestimmter Frist erhoben wird (vgl. BGH, NJW 1976, 2345, 2346); Klauseln die den Maklerkunden verpflichten, Interessenten an den Makler zu verweisen bzw. den Makler zu Verhandlungen hinzuzuziehen (vgl. BGH, NJW 1973, 1194; BGH, NJW 1971, 1133); Klauseln, die Folgegeschäfte (z. B. Kauf nach Miete) einer Provisionsverpflichtung unterwerfen, auch wenn der Makler am Folgegeschäft nicht mitgewirkt hat (vgl. BGH, NJW 1973, 990; BGH, NJW 1986, 1036); die Verpflichtung zur Entrichtung einer Maklerprovision auch bei Erwerb aus der Zwangsversteigerung (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 504; OLG Frankfurt, NJW-RR 2009, 281); die Verpflichtung zur Zahlung einer Maklerprovision bereits für den Abschluss eines Vorvertrags (vgl. BGH, NJW 2003, 1303; Graf von Westphalen, NJW 2003, 1635). Eine Inhaltskontrolle kann andererseits auch ergeben, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen deshalb unwirksam sind, weil die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1
8.8 AGB-Klauseln in Maklerverträgen
493
Satz 2 BGB). Diese durch die Schuldrechtsreform aufgenommene Bestimmung enthält ein jetzt auch gesetzlich verankertes Transparenzgebot (vgl. Borzutzki-Pasing, NZM 2004, 161, 162). Ein Verstoß gegen wesentliche Vertragspflichten kann auch darauf beruhen, dass der Verwender seine Haftung für Fälle leichter Fahrlässigkeit auch bei Verletzung von Kardinalpflichten ausschließen oder begrenzen will. Der BGH (vgl. NZM 2002, 116) überprüft einen derartigen Pflichtenverstoß danach, ob der Haftungsausschluss zu einer Aushöhlung derjenigen vertraglichen Pflichten führt, die die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags erst ermöglichen und auf deren Erfüllung der Vertragspartner des Verwenders deshalb vertraut und vertrauen darf.
8.8.4
Nachweis über das Zustandekommen einer Individualvereinbarung
Meist lässt die Endfassung eines Vertrags (Reinschrift) nicht mehr erkennen, wie sie zustande gekommen ist und insbesondere auch nicht, ob sie der ursprünglich in die Vertragsverhandlungen eingebrachten Klausel noch entspricht. Die Vertragsparteien sollten deshalb die Vertragsentwürfe aufbewahren, sie mit Speicherdaten versehen und nicht überschreiben. Hilfreich sind auch Begleitschreiben, die zu erläutern vermögen, warum eine bestimmte Klausel zur Disposition stand, und warum sie möglicherweise gehalten wurde im Hinblick auf ein Entgegenkommen gegenüber dem Vertragspartner in einem anderen Bereich. Nicht zulässig ist es, in das Anschreiben alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen „einfach“ noch einmal aufzunehmen. Es muss anhand der Gewichtung im Schreiben deutlich werden, worauf es dem Makler ankommt.
8.8.5
Rechtsfolgen der Unwirksamkeit von AGB
Unwirksame Bestandteile einer Allgemeinen Geschäftsbedingung machen die gesamte Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam. Es ist nicht zulässig, die Klausel in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil aufzuspalten, um den vermeintlich wirksamen Teil zu erhalten. Insoweit gilt das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (vgl. BGH, NJW 2000, 1110, 1113; BGH, NZM 2008, 890). Anders ist es, wenn mehrere selbstständige Regelungen lediglich räumlich zusammengefasst sind. Kann eine unwirksame Regelung gestrichen werden, ohne dass die weitere Regelung hiervon tangiert ist, in sich verständlich bleibt, und insbesondere ohne, dass sonstige Veränderungen inhaltlich oder auch redaktionell vorgenommen werden müssen, so bleibt die wirksame Regelung bestehen; dies ist der sog. blue-pencil-test (vgl. Palandt/Heinrichs, Vorbemerkung vor § 307 Rn. 11; Dose, NZM 2009, 381, 385; Joachim, NZM 2006, 368, 370). M.E. muss aber der verbliebene Teil auch noch materiell einen Sinn machen. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit kann nicht durch die Anwendung von sog. „Salvatorischen Klauseln“ verhindert werden. Solche Klauseln werden oft dahingehend formuliert, dass an die Stelle der unwirksamen Regelung eine solche treten soll, die dem Gewollten am nächsten kommt, und die die Parteien vereinbart hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die getroffene Regelung unwirksam ist. Eine so formulierte Salvatorische Klausel ist ihrerseits unwirksam, weil sie gerade einen Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion enthält. Denn an die Stelle der unwirksamen Regelung muss das Gesetz treten und
494
8 Immobilienvermittlung
nur dann, wenn das Gesetz keine Regelung enthält, können die Parteien sich verpflichten, eine solche Regelung zu treffen, die dem Gewollten am nächsten kommt. Salvatorische Klauseln halten nicht „automatisch“ die Wirksamkeit der nicht nichtigen Regelungen fest. Es tritt lediglich eine Umkehr der Beweislast ein: Wer sich darauf beruft, er hätte – trotz der salvatorischen Klausel – den Vertrag nicht geschlossen, wenn er die Nichtigkeit der unwirksamen Regelung gekannt hätte, muss dies darlegen und beweisen können (BGH, NZM 2003, 61).
8.9
Provision und Aufwendungsersatz
8.9.1
Provision
Im Erfolgsfalle erhält der Makler im Rahmen der getroffenen vertraglichen Vereinbarung eine Vergütung (Provision, oft auch Courtage genannt). Wenn dabei von „Vermittlungsprovision“ die Rede ist, so wird davon meist auch die Vergütung für den Nachweis der Vertragsgelegenheit umfasst. Eine Taxe für die Höhe besteht nicht. Üblicherweise wird bei Kaufverträgen ein prozentualer Anteil des Kaufvertrags vereinbart und bei Mietverträgen ein Mehrfaches oder ein Anteil der vertraglich Vereinbarten Miete, heute meist der Nettomiete. Sowohl bei Kaufverträgen als auch bei Mietverträgen folgt die Höhe der Provision der vertraglichen Vereinbarung und ist in den Grenzen der Sittenwidrigkeit zulässig vereinbar. Bei Vermittlung eines Grundstücks ist eine Provision in Höhe von 3 bis 5 % des Kaufpreises nicht sittenwidrig (OLG Brandenburg, IMR 2010, 250). Sollte ausnahmsweise zwar ein Provisionsanspruch dem Grunde nach unstreitig sein, aber keine Höhe vereinbart, so gilt gem. § 653 Abs. 2 im Zweifel die übliche Vergütung als vereinbart. Die Provisionssätze bewegen sich beim Kauf von unbebauten und bebauten Grundstücken, Eigentumswohnungen, Ein-/Mehrfamilienhäusern und Gewerbeimmobilien in der Regel bei 5–6 % des Bruttokaufpreises zzgl. Mehrwertsteuer. Bei der Vermittlung von Gewerberaummietverträgen beträgt die Provision i. d. R. 2 bis 3 Monatsmieten, meist Nettomieten, manchmal liegt sie regional auch darunter. Selten wird individualvertraglich auch ein Provisionsanspruch für Folgeverträge (Kauf nach Miete) vereinbar sein. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine solche Regelung ohnehin unzulässig. Häufiger aber führt die Vereinbarung einer Option zu einer Erhöhung des Provisionsanspruchs. Bei einer Verlängerung um 5 Jahre ist durchaus eine Monatsmiete zusätzlich ansetzbar. Der Vergütungsanspruch verjährt gem. § 195 i. V. m. § 199 Abs. 1 BGB binnen 3 Jahren nach Kenntnis vom Abschluss des Hauptvertrags. Verweigert der Auftraggeber die zur Ermittlung des Provisionsanspruchs erforderlichen Informationen aus dem Kauf- bzw. Mietvertrag, so steht dem Makler das Recht zu, Grundbucheinsicht zu nehmen. Er hat ein berechtigtes Interesse gem. § 12 Grundbuchordnung (GBO), sofern der neue Eigentümer aufgrund eines Maklervertrags mit dem Makler das Objekt erworben hat (OLG Dresden, IMR 2010, 249). Die hier erforderliche Glaubhaftmachung setzt in aller Regel ein geeignetes
8.10 Pflichten und Pflichtverletzungen
495
Dokument und dessen Vorlage voraus, das die Vereinbarung einer Maklerprovision aufzeigt. Daneben besteht ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Auftraggeber.
8.9.2
Aufwendungsersatz
Gem. § 652 Abs. 2 können die Parteien vereinbaren, dass der Makler auch dann Ersatz für seine Aufwendungen erhält, wenn der Hauptvertrag nicht zustande kommt. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass ein Aufwendungsersatz als Prozentanteil des Preises oder Gegenstandswerts nicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden kann (vgl. BGH, NJW 1987, 1634), sondern lediglich als mäßiger Höchstbetrag. Bereits 0,4 % des Preises erschienen dem BGH bei einer Preisvorstellung von (seinerzeit) über DM 250.000,00 mit errechneten DM 1.000,00 Aufwendungsersatz als überhöht. Demgegenüber ist ein pauschaler Aufwendungsersatz in Höhe von 10 % der in Betracht kommenden Provision nach überwiegender Ansicht aber wirksam, wobei die Einzelheiten streitig sind (Fischer, Maklerrecht, S. 86; Ulmer/Brandner/Hensen/Christensen, AGB-Recht, Anh. § 310 BGB, Rn. 583). Im Gegensatz hierzu können konkrete Auslagen, wie Fahrtkosten, Telefongebühren und Porti, als Pauschalsätze – ebenfalls in Form mäßiger Höchstbeträge wirksam vereinbart werden. Eine Aufwandsentschädigung darf nicht, und das ist der Grundsatz, zu einem unzulässigen Druck i. S. eines Abschlusszwanges führen. Sie darf nicht zu einer – wenn auch nur teilweisen – erfolgsunabhängigen Provision führen, weil auch eine solche dem Maklerwesen fremd ist und in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vereinbart werden kann. Solche Regelungen weichen vom gesetzlichen Leitbild ab, wonach der Makler nur erfolgsorientiert vergütet werden soll.
8.10
Pflichten und Pflichtverletzungen
8.10.1
Nebenpflichten des Maklerkunden
Nach dem gesetzlichen Leitbild des Maklervertrages gem. § 652 BGB gibt es keine in einem Gegenseitigkeitsverhältnis bestehenden Hauptpflichten zwischen dem Maklerkunden und dem Makler. Der Maklerkunde hat es als Auftraggeber in der Hand, ob er den Maklervertrag abschließen will oder nicht, d. h. ob er die Maklerleistung in Anspruch nehmen will oder nicht. Der Makler kann insoweit eine Mitwirkung seines Auftraggebers nicht erzwingen. Kraft Individualvereinbarung können die Parteien aber etwas anderes vereinbaren. So können sie vereinbaren, dass der Kunde verpflichtet sein soll, nicht nur eigene Aktivitäten zu unterlassen, sondern darüber hinaus den Makler stets hinzuzuziehen bzw. Interessenten an ihn zu verweisen (sogenannte Hinzuziehungs- und Verweisungsklauseln). Jedoch hat der Maklerkunde im Maklervertrag nach § 652 BGB Nebenpflichten zu erfüllen. Wichtigste Nebenpflicht ist die vertrauliche Behandlung der Maklernachweise. Da das Kapital des Maklers in den von ihm ermittelten Vertragsmöglichkeiten besteht, ist der Auftraggeber verpflichtet, alle Maklerinformationen (Nachweise) vertraulich zu behandeln und auch zu verhindern, dass sie aufgrund einer Nachlässigkeit von Dritten ausgenutzt werden können. Er darf nur solchen Personen Informationen weiterleiten, die – aufgrund geschäftlichen Zusammenhangs (Partner, Steuerberater, Notar, Bank) – notwendigerweise hiervon
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8 Immobilienvermittlung
erfahren müssen. Der Makler muss darauf bedacht sein, seine „Ware“ nicht ohne vorheriges Provisionsversprechen aus der Hand zu geben. Der Kunde, der selbst von dem Maklernachweis keinen Gebrauch machen will, ihn aber an nicht provisionspflichtige Dritte weitergibt, entwertet damit das Kapital, mit dem der Makler arbeiten will. Er verletzt seine Nebenpflicht jedenfalls dann, wenn die Maklerinformation an eine Person weitergegeben wird, die ebenfalls am Erwerb eines Objektes dieser Art interessiert ist (vgl. Zopfs a. a. O., Rn 62). Die Vertraulichkeit gilt unabhängig davon, ob sie vereinbart wurde oder nicht. Es handelt sich um eine allgemeine Verpflichtung zur Wahrung der Interessen des Vertragspartners. Rechtsfolge der unbefugten Weitergabe vertraulicher Maklerinformationen ist ein Schadensersatzanspruch des Maklers aus Verletzung der Pflichten des Maklervertrages. Man wird aber sagen müssen, dass dem Makler insoweit lediglich eine „stumpfe Waffe“ zur Verfügung steht, handelt es sich doch um einen Schadensersatzanspruch, der wiederum voraussetzt, dass der Makler darlegt und beweist, dass der Dritte ihm einen Maklerauftrag erteilt hätte, wenn die vertrauliche Information nicht weitergegeben worden wäre (vgl. OLG FfM, MDR 1994, 35; Hamm/Schwerdtner, Rn 366). Dieser Nachweis wird dem Makler in aller Regel nicht gelingen. Dem Makler hilft aber in diesen Fällen eine auch in AGB wirksam vereinbare Formularklausel, wonach der Auftraggeber bei unbefugter Weitergabe der Information an einen Dritten und bei einem Erwerb durch den Dritten die (volle) vereinbarte Provision schuldet (vgl. BGH NJW 1987, 2431; Hamm/Schwerdtner, Rn. 366). Hier ist der Makler der Notwendigkeit des Nachweises im obigen Sinne enthoben. Es handelt sich um einen sog. erweiterten Provisionsanspruch und damit um einen Erfüllungs- und nicht um einen Schadensersatzanspruch. Weiter treffen den Auftraggeber Informationspflichten über die Aufgabe des Interesses. Das gilt sowohl für den Verkäufer, der ohne den Makler verkauft hat, wie auch für den Käufer, der ein anderes Objekt erworben hat. Tätigt der Makler in Unkenntnis dieses Umstandes Aufwendungen, so hat ihm sein Auftraggeber diese Aufwendungen aus den Grundsätzen der Nebenpflichtverletzung zu ersetzen (vgl. Zopfs a. a. O., Rn 65; Fischer, Maklerrecht, S. 108). Umstritten ist, ob der Maklerkunde den Makler auch sofort über seine Vorkenntnis zu unterrichten hat. Nach hier vertretener Auffassung ist das der Fall, weil der Maklerkunde aus einer allgemeinen Obhuts- und Sorgfaltspflicht alles zu unterlassen hat, was den Makler zu erkennbar sinnlosem Aufwand verleitet. Er macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er den sofortigen Hinweis auf die Vorkenntnis unterlässt (vgl. wie hier Hamm/Schwerdtner a. a. O., Rn 354). Allerdings ist dem Makler durch Vereinbarung einer sogenannten Vorkenntnisklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht geholfen, weil derartige Klauseln gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB verstoßen und unwirksam sind.
8.10.2
Pflichten des Maklers
Auch den Makler trifft nach dem gesetzlichen Leitbild keine Hauptpflicht. Auch insoweit beruhen die nachfolgenden Ausführungen auf der Darstellung fallbezogener Einzelaspekte, die allerdings teilweise für die Haftung des Maklers gravierend sind. Im Rahmen der Weitergabe von Informationen ist der Makler grundsätzlich nicht verpflichtet, die Angaben beispielsweise des Verkäufers vor der Weitergabe zu überprüfen. Er darf nur nicht den Eindruck erwecken, als habe er entsprechende Prüfungen bereits vorgenommen. Ist beispielsweise ein Objekt jahrzehntelang zu Bürozwecken bereits genutzt wor-
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den, so ist eine bejahende Antwort auf die Frage nach der bauaufsichtsrechtlichen Genehmigung zur Nutzung des Gebäudes zu Bürozwecken alleine wegen der jahrelangen Übung fahrlässig und kann den Makler schadensersatzpflichtig machen. Er ist nicht berechtigt, ins Blaue hinein Vermutungen zu Tatsachen zu erheben (Hamm/Schwerdtner, Rn. 346). Das OLG Celle (vgl. Urt. v. 19.12.2002, Immobilien-Makler 1/2004, 5) hat es als grobe Pflichtverletzung des Maklers angesehen, wenn dieser im Exposé davon spricht, ein im Außenbereich gelegenes Grundstücks sei als Ferien- bzw. Dauerwochenendsitz genehmigt, ohne dass er eine Quelle dafür hat, sondern diese Angaben ins Blaue hinein macht. Der Makler darf – wenn er einen entsprechenden Hinweis gibt – in das Exposé Auskünfte seines Auftraggebers ungeprüft übernehmen. Stellt sich eine Circa-Angabe hinsichtlich der Fläche als falsch heraus, so haftet der Makler hierfür nicht, insbesondere dann nicht, wenn er im Exposé gleichzeitig darauf Bezug nimmt, alle Angaben zum Objekt stammten vom Eigentümer/Vermieter und er, der Makler, hafte nicht für die Richtigkeit dieser Angaben. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Erwerber sich durch Besichtigung der Räume auch von den Flächen überzeugen konnte (vgl. OLG Hamm, NZM 1998, 241). Schwierig ist es für den Makler, wenn er als Hilfsperson des Bauträgers anzusehen ist. Das ist dann der Fall, wenn der Makler als Verhandlungsführer oder Verhandlungsgehilfe tätig wird und in dieser Funktion dem Käufer Angaben z. B. zur Wohnfläche macht. In einem solchen Falle wird von dem Grundsatz abgewichen, dass eine Vertragspartei im Rahmen von Verhandlungen nicht für einen von ihr beauftragten Makler einstehen muss. Sie muss es, wenn der Makler Erfüllungsgehilfe ist. Schaltet ein Bauträger einen Vertrieb ein und dieser wiederum einen Makler und bestätigt dieser Makler am Tage vor dem Vertragsabschluss schriftlich die Größen und die Quadratmeterpreise der einzelnen Wohnungen, so steht bei erheblicher Abweichung (mehr als 10 %) in der Fläche dem Käufer ein Anspruch auf Herabsetzung des Erwerbspreises und auch auf Rückforderung eines Teils des Maklerlohns zu (vgl. BGH, Urt. v. 08.01.2004, ZfIR 2004, 324). Ist dem Makler bekannt, dass der Verkäufer einer Eigentumswohnung, der Bauträger, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, so muss er den Käufer hierauf aufmerksam machen (vgl. OLG Hamburg, NJW-RR 1998, 1206). Im Übrigen ist der Makler verpflichtet, die Bonität eines Bieters zu überprüfen, der die Immobile des Maklerkunden erwerben möchte, wenn der Kunde dem Makler gegenüber deutlich macht, dass es ihm auf die gesicherte Vermietbarkeit des Objekts ankommt. Entweder muss dann der Makler entsprechende Recherchen anstellen oder aber den Kunden darüber aufklären, dass er weder eine derartige Überprüfung vorgenommen habe noch die finanziellen Verhältnisse des Mieters kenne. Hier treffen also den Makler verstärkte Nachforschungsund Aufklärungspflichten (vgl. BGH, Urt. v. 31.1.2003, Immobilien-Makler 3/2004, 7). Eine Aufklärungspflicht trifft den Makler auch dann, wenn er vom Kunden erfährt, dass dieser bereits einen anderen Makler eingeschaltet hatte. In diesem Fall muss der (zweite) Makler den Kunden auf die Möglichkeit und das Risiko einer doppelten Provisionsverpflichtung hinweisen. Unterlässt er diesen Hinweis, so macht er sich wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen schadensersatzpflichtig. Das kann bedeuten, dass der Kunde einen Anspruch auf Freistellung von der Provisionspflicht aus diesem zweiten Maklervertrag erlangt (vgl. OLG Hamm, NJW 1988, 842). Entfaltet der Makler gegenüber beiden Auftraggebern eine doppelte (jeweilige) Vermittlungstätigkeit, so muss er jede Partei über diese Doppeltätigkeit auch informieren (vgl. OLG Köln, NZM 2004, 266).
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8 Immobilienvermittlung
Haben der Makler und sein Kunde eine sogenannte „Übererlösabrede“ vereinbart, wonach dem Makler über seine Provision hinaus eine zusätzliche Vergütung zustehen soll, wenn ein bestimmter Verkaufspreis überschritten wird, so verletzt der Makler seine Treuepflichten, wenn er von der Unterbewertung des Objekts seitens des Kunden weiß, dennoch mit diesem Preis an den Markt geht, den Kunden nicht über den untersetzten Preis informiert und eine auf der Grundlage dieses zu niedrigen Preises basierende Übererlösklausel vereinbart (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 1012). Je deutlicher der Makler seine Qualifizierung bei der Anbahnung der Verhandlungen mit dem Kunden herausstellt, desto stärker belasten ihn Fehler, die ihm im Rahmen seiner Beratung und seiner Unterrichtung des Auftraggebers unterlaufen. Der Makler wird dann auch an den Anforderungen, die an eine solche besondere Qualifizierung von den Marktteilnehmern üblicherweise gerichtet werden, gemessen. In dem immer stärker werdenden Wettbewerb trifft den Makler insoweit ein erhöhtes Haftungsrisiko für falsche Auskünfte und fehlerbehaftete Leistungen.
8.10.3
Folgen von Pflichtverletzungen
Für den Makler wie für den Auftraggeber gilt, dass eine Verletzung von Nebenpflichten gem. § 280 ff. BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Darüber hinaus gilt es bei einer Pflichtverletzung des Maklers auch noch zu prüfen, ob nicht der Makler gem. § 654 BGB seinen Anspruch auf Provision verwirkt. Über den Wortlaut des § 654 BGB hinaus hat nämlich der Makler seinen Provisionsanspruch dann verwirkt, wenn ihm eine schwerwiegende Verletzung einer Treuepflicht zur Last fällt, einer Verletzung, die er vorsätzlich oder in einer dem Vorsatz nahe kommenden Weise leichtfertig, den Interessen des Auftraggebers zuwider, begangen hat (z. B. Nichtaufklärung des Käufers über ein dem Makler bekannte schadhafte Isolierung des Hauses (OLG Celle, Immobilienwirtschaft 2009, 73; Verwirkung auch, wenn eine Tatsache vom Makler „ins Blaue“ hinein erklärt wird, etwa die Geeignetheit eines Objekts als Feriensitz (OLG Celle, NZM 2004, 346). Verwirkung liegt auch vor, wenn der Makler verschweigt, dass die erzielten Mieteinnahmen erheblich unter denen im Exposé angegebenen liegen (LG Berlin, IMR 2012, 79) (zur Verwirkung s. auch das nachfolgende Kapitel).
8.10.4
Die Verwirkung des Provisionsanspruchs
Der auf § 654 BGB gestützte Einwand des Provisionsverlustes gehört zum Grundrepertoire des heutigen Maklerlohnprozesses. Er stellt quasi die „letzte Verteidigungslinie des beklagten Maklerkunden“ dar (D. Fischer, Maklerrecht, S. 87; Hamm/Schwerdtner, Rn. 379). Der Makler verliert seinen Provisionsanspruch, wenn er seine Treue- und Sorgfaltspflichten verletzt und damit des Maklerlohnes nicht mehr „würdig“ erscheint (vgl. BGH NJW 1962, 734). Dem Wortlaut des § 654 BGB nach ist die Verwirkung des Maklerlohnanspruches beschränkt auf den Fall, in dem der Makler dem Inhalt des Vertrages zuwider auch für den anderen Teil tätig gewesen ist. Der BGH hat den Anwendungsbereich ausgedehnt auf Fälle, in denen der Makler die ihm gegenüber dem Auftraggeber obliegende Treuepflicht in einer Weise fahrlässig verletzt, die dem Vorsatz nahe kommt (vgl. BGH WM 1981, 1084). § 654 BGB ahndet neben einer – vertragswidrigen – Doppeltätigkeit auch anderweitige besonders schwerwiegende Treuepflichtverletzungen des Maklers. Die Vorschrift zielt auf eine
8.10 Pflichten und Pflichtverletzungen
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subjektiv besonders vorwerfbare Pflichtwidrigkeit ab. Der Verlust der Provision ist nach dem Normzweck die Konkretisierung einer Sanktion. § 654 BGB lässt sich dogmatisch als gesetzliche Vertragsstrafe qualifizieren (vgl. Fischer, NZM 2001, 873, 874; ders. Maklerrecht, S. 96 m.w.N.; BGH, NZM 2010, 50). Einen Schaden muss der Maklerkunde hingegen nicht nachweisen. Die Kasuistik zu solchen schwerwiegenden Treuepflichtverletzungen ist umfangreich: Ein i.S.v. § 654 BGB gravierender Fall liegt vor, wenn der Makler den Vertrag hintertreibt, um einem Dritten den Abschluss zu ermöglichen (OLG Düsseldorf, NZM 2001, 480). Auch verliert der Makler seinen Provisionsanspruch, der seinen Auftraggeber glauben machen will, eine der Form des § 311 b BGB nicht genügende Ankaufverpflichtung sei wirksam und löse bereits einen Provisionsanspruch aus, obwohl er, der Makler, das Gegenteil weiß. Der Makler verliert seinen Anspruch auch dann, wenn er dem Auftraggeber deutlich macht, mangels Zustimmung zu einer höheren Provision als ursprünglich vereinbart werde er den Notartermin „platzen“ lassen. Das Gleiche gilt für den Makler, der dem Kunden verschweigt, dass der Verkäufer durchaus bereit wäre, über eine Reduzierung des Kaufpreises mit sich reden zu lassen (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1997, 370; OLG Koblenz, NZM 2002, 180). Grob fehlerhaft im Sinne einer Verwirkung des Provisionsanspruches handelt auch der Makler, der dem Kunden gegenüber das Einverständnis des Grundpfandgläubigers zur Bewilligung der Löschung seiner Grundpfandrechte gegen Erhalt des Kaufpreises dahingehend wertet, der Grundpfandgläubiger werde dann auf weitergehende Ansprüche verzichten. Darauf, ob diese grob falsche Darstellung zu einem Schaden führt, kommt es nicht an (vgl. OLG Koblenz, VersR 1996, 708). Verwirkung ist auch gegeben, wenn der Makler im Exposé ihm übermittelte VerkäuferKoordinaten dem Interessenten vorenthält (vgl. LG Düsseldorf, NZM 2002, 183). Der Provisionsanspruch wird auch verwirkt, wenn der Makler erklärt, ein Nachgeben im Preis komme nicht in Frage, obwohl er mit dem Verkäufer hierüber überhaupt keine Rücksprache genommen hat (vgl. OLG Koblenz, NZM 2002, 180). Besonders schwerwiegend ist die Pflichtverletzung, die darin liegt, dass der als Doppelmakler tätige Makler durch Einschaltung weiterer Interessenten den Kaufpreis zugunsten der Verkäuferseite in die Höhe treibt (vgl. OLG Düsseldorf, NZM 2001, 480). Erhält der Makler Kenntnis von einem Gutachten, das zahlreiche Mängel des Objekts dokumentiert, so handelt er treuwidrig und verwirkt den Provisionsanspruch, wenn er dieses Gutachten nicht an seinen Auftraggeber weiterleitet (vgl. OLG Naumburg, NZM 2003, 34). § 654 BGB liegt vor, wenn der Makler den Käufer nicht über eine dem Makler bekannte schadhafte Isolierung des Hauses informiert (OLG Celle, Immobilienwirtschaft 2009, 73). Verwirkung ist auch gegeben, wenn der Makler den Verkäufer fragt, ob ein Haus unter Denkmalschutz stehe, hierauf keine klare Antwort erhält und den Käufer von dieser Tatsache nicht unterrichtet (LG Braunschweig, NZM 2001, 492). Verwirkung ist auch gegeben, wenn der Makler verschweigt, dass die erzielten Mieteinnahmen laut Exposé tatsächlich nicht erreicht werden (LG Berlin, IMR 2012, 79). Verwirkung ist schließlich auch gegeben, wenn der Makler einen offensichtlich als Kaufinteressenten in Frage
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8 Immobilienvermittlung
kommenden Dritten abblockt und hinhält, um im eigenen Interesse den Abschluss einer neuen Alleinvertriebsvereinbarung zu erreichen (OLG Nürnberg, NZM 2012, 312, 322). Umgekehrt liegt keine Verwirkung vor und ein Makler handelt nicht treuwidrig, wenn er ein Kaufangebot nicht weiterleitet, welches einen Verzicht des Maklers auf einen Teil seiner vereinbarten Maklerprovision beinhaltet (OLG Frankfurt, IMR 2011, 340). Ebenfalls liegen die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vor, wenn der Makler im Exposé erkennbar nur die Informationen des Verkäufers weitergibt, ohne eigene Erkundigungen bzw. Nachprüfungen vorzunehmen (OLG Frankfurt, NZM 2001, 182; OLG Oldenburg, IMR 2010, 68). Liegen die Voraussetzungen einer Verwirkung vor, so muss sich der Maklerkunde nicht einmal auf diese berufen. § 654 BGB ist zwingendes Recht. Die Rechtssätze sind von Amts wegen zu beachten – und nicht etwa lediglich auf Antrag auf Einrede des Schuldners zu berücksichtigen. Deshalb genügt es, dass Umstände tatsächlicher Art vorgetragen werden, die die Verwirkung begründen (D. Fischer, Maklerrecht, S. 97).
8.10.5
Verflechtung als besonderer Fall der Verwirkung
Nach dem gesetzlichen Leitbild hat der Makler neutraler Dritter zu sein. Das ist er nicht, wenn er zu dem Gegner des Auftraggebers in einem Verhältnis steht, das seine unabhängige Willensbildung nicht ermöglicht. Das wiederum ist der Fall, wenn eine rechtliche, persönliche oder wirtschaftliche Verflechtung im Sinne einer Abhängigkeit vorliegt, die eine freie Willensentscheidung verhindert (ausführlich zu möglichen Verflechtungskonstellationen: D. Fischer, Maklerrecht, S. 51 ff.). Es sind die Fälle der sogenannten echten Verflechtung und der sogenannten unechten Verflechtung zu unterscheiden. Die Fälle unechter Verflechtung werden auch als institutionalisierter Interessenkonflikt bezeichnet (vgl. BGH NJW 1991, 168). Das soll bedeuten, dass ein Konflikt dann entsteht, wenn der Makler sich unabhängig von seinem Verhalten im Einzelfall regelmäßig auf die Seite des Gegners seines Vertragspartners stellen wird. Fälle echter Verflechtung sind insbesondere diejenigen einer Kapitalbeteiligung, der Beherrschung des Veräußerers durch den Makler (vgl. BGH NJW 1985, 2473) oder etwa auch einer Beherrschung des Maklers und des Veräußerers durch einen Dritten (vgl. BGH NJW 1974, 1130). Während ursprünglich der BGH nur Fälle einer 100 %-igen Beteiligung oder einer überwiegenden Beteiligung als provisionsschädlich ansah, hat er die Grenze der Provisionsschädlichkeit immer weiter herabgesetzt. Schon eine Beteiligung von 20 % könne provisionsschädlich sein (vgl. BGH NJW 1976, 45). Es komme auf die wirtschaftliche und nicht mehr auf die rechtliche Betrachtungsweise an. Aber nicht nur dann, wenn eine wirtschaftliche Verflechtung des Maklers und des Verkäufers vorliegt, ist die Neutralität des Maklers nicht mehr gewährleistet; auch dann, wenn dieselbe natürliche Person die Geschäftstätigkeit sowohl der Maklerfirma wie auch der Firma des Veräußerers lenkt oder entscheidend beeinflusst, liegt ein Fall der unzulässigen Verflechtung vor. Eine provisionsschädliche Verflechtung ist immer dann gegeben, wenn das makelnde Unternehmen als Tochtergesellschaft im Konzern im Rahmen eines Beherrschungsvertrages und Ergebnisabführungsvertrages handelt. In allen Fällen der wirtschaftlichen Verflechtung in Form der Identität führt der Makler seinen Kunden nicht einen Vertragsinteressenten zu, sondern präsentiert gewissermaßen einen „Teil seiner selbst“ (D. Fischer, Maklerrecht, S. 52; Staudinger/Reuter, §§ 652, 653, Rn. 156).
8.10 Pflichten und Pflichtverletzungen
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Fälle eines institutionalisierten Interessenkonfliktes sind: Das Zustimmungserfordernis des makelnden Verwalters im Rahmen einer Veräußerung einer Eigentumswohnung gem. § 12 WEG (vgl. BGH NJW 1991, 168) ist ein solcher Fall, es sei denn, der Maklerkunde ist von dem Tatbestand der Verflechtung informiert worden. Ein weiterer Fall ist die Identität des Maklers mit dem Verwalter des Sondereigentums (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Wohnungsvermittlungsgesetz) im Falle der Vermietung. Der Makler, der auch Wohnungseigentumsverwalter des gemeinschaftlichen Eigentums ist und für einen einzelnen Wohnungseigentümer Tätigkeiten entfalten soll, ist an provisionspflichtigen Geschäften nicht gehindert. Das ist anders, wenn er auch das Sondereigentum verwaltet und dieses vermieten soll (vgl. BGH, NZM 2003, 358; OLG Naumburg, NZM 2005, 151). Denn der WEG-Verwalter ist nicht Verwalter von Wohnräumen i. S. d. WoVermittG. Unzulässig ist hingegen die Tätigkeit des Gehilfen des Wohnungsvermittlers, der die vermittelte Wohnung verwaltet (vgl. BGH, NZM 2003, 985). Zulässig ist es wiederum, wenn der Verwalter vertraglich mit dem Wohnungseigentümer einen konkreten Aufwandsersatz im Zusammenhang mit einem Mieterwechsel vereinbart (vgl. AG Hanau, NZM 2005, 27). Ob der BGH bei anderer Gelegenheit den Schutzzweck des Wohnungsvermittlungsgesetzes in der Abwägung das Prinzip der Vertragsfreiheit gegenüber stellen wird, und im Rahmen des Regel-Ausnahme-Prinzips der Vertragsfreiheit und damit einer erweiterten Zulässigkeit provisionsberechtigender Vereinbarungen das Wort reden wird, bleibt abzuwarten. Ein Falle eines institutionalisierten Interessenkonflikts liegt auch vor, wenn die Bank nach Kündigung des Kreditengagements dem Verkäufer eine freihändige Veräußerung des besicherten Grundstücks – unter ihrer Obhut – empfiehlt, und wenn sodann eine ImmobilienTochtergesellschaft der Bank als Maklerin für den Käufer tätig wird (OLG Koblenz, GuT 2011, 51). Das alles entscheidende Kriterium der Beseitigung der Verflechtungsproblematik ist die Aufklärung des Kunden über die tatsächlichen Zusammenhänge der Verflechtung (nicht auch über die rechtlichen Folgen). Die Aufklärung über die tatsächlichen Zusammenhänge genügt, um den Tatbestand der Verwirkung zu beseitigen. Klärt der Makler den Kunden in dieser Weise auf, so wird die Maklerprovision als selbstständiges – erfolgsunabhängiges – Provisionsversprechen geschuldet (BGH, NZM 2009, 325; Hamm/Schwerdtner, Rn. 704, 706). Grundsätzlich kann Makler nicht sein, wer sich im Falle eines möglichen Streits bei regelmäßigem Verlauf auf die Seite des Vertragsgegners stellen wird. Dabei muss die Interessenbindung so institutionalisiert sein, dass sie den Makler als ungeeignet für die dem gesetzlichen Leitbild entsprechende Tätigkeit des Maklers erscheinen lässt (BGH, NJW 2012, 1504; Fischer, NJW 2012, 3285).
8.10.6
Haftung für den Inhalt eines Exposés
Grundsätzlich darf der Makler auf die Richtigkeit der Angaben des Verkäufers vertrauen und schuldet keine eigenen Ermittlungen/Überprüfungen, bevor er die Angaben des Verkäufers in ein Exposé übernimmt (LG Hamburg, IMR 201, 397). Nur dann, wenn der Makler positiv weiß oder aber erkennt, dass zur Aufnahme in ein Exposé vom Verkäufer vermittelte Angaben ersichtlich falsch, nicht plausibel oder bedenklich sind, muss der Makler hierüber seinen Auftraggeber aufklären. Eine bloße Weitergabe von vom Verkäufer überlassenen Informationen begründet keine Pflichtverletzung.
502
8 Immobilienvermittlung
Der Hinweis im Exposé, dass für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben im Immobilienangebot trotz sorgfältiger Bearbeitung keine Gewähr übernommen werde, vermittelt auch nicht den Eindruck, dass die Angaben im Exposé auch in rechtlicher Hinsicht geprüft seien (OLG Oldenburg, NZM 2009, 823). Auch haftet der Makler nicht dafür, dass er als eigene Feststellung im Exposé eine bestimmte Art der Nutzung angibt (Nutzung eines Kellergeschosses in einem Bungalow als Wohnraum). In der entsprechenden Angabe im Exposé liegt nicht auch die Aussage oder Zusicherung, er, der Makler, habe die Angaben auch in rechtlicher Hinsicht geprüft (OLG Oldenburg, NZM 2009, 823). Auch muss der Makler eine vom Verkäufer erstellte Wohnflächenberechnung nicht durch eigene Ermittlungen überprüfen (BGH, Urt. v. 18.01.2007 – III ZR 146/06). Anderes gilt, wenn der Makler aufgrund früher ihm überlassener Unterlagen weiß, dass es – womöglich schon streitig gewesene – unterschiedliche Aufstellungen zum Flächeninhalt gibt (OLG München, NZM 2006, 305). Wird in einem Exposé ausgeführt, die Dacheindeckung sei erneuert worden, so bedeutet das nach allgemeinem Sprachverständnis nichts anderes, als dass es sich bei diesem Zustand nicht um den Ursprungszustand handelt. Es bedeutet aber nicht, dass das Dach neu oder neuwertig ist. Die Angaben in einem Exposé sind kein Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung und enthalten keine Zusicherung des Verkäufers (OLG Koblenz, IMR 2010, 110). Wichtig ist für den Makler, dass er weder eigene, ungeschützte Angaben in das Exposé aufnimmt, noch Äußerungen „ins Blaue“ hinein tätigt. Widrigenfalls haftet der Makler wegen Pflichtverletzung auf Schadensersatz (§ 280 BGB) und riskiert auch den Provisionsverlust gem. § 654 BGB (D. Fischer, Maklerrecht, S. 108).
8.11
Der Makler im Wettbewerb
8.11.1
Die Regelungen des UWG
Die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften für den Makler sind in erster Linie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), daneben auch das Preisklauselgesetz und das Wohnungsvermittlungsgesetz. Das UWG ist seit 03.03.2010 neu gefasst (BGBl. I, S. 254). § 1 spricht den Zweck des Gesetzes aus: Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher und sonstiger Marktteilnehmer. Die – einzige – Generalklausel (früher §§ 1, 3 UWG) enthält jetzt § 3: „Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.“ Hierunter fallen die Wettbewerbszwecke, die bereits bislang unzulässig waren, weil sie insbesondere über geschäftliche Verhältnisse, den Ursprung einer Ware bzw. Leistung, ihren Preis, die Bezugsquelle oder die Menge der Vorräte irreführten. Im Anhang zum UWG sind solche geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern aufgeführt, die gem. § 3 Abs. 3 UWG stets unzulässig sind (zu Immobiliendienstleistern im Wettbewerb umfassend: Langemaack in: Sailer/Kippes/Rehkugler, S. 677 ff., vor allem auch zu Herkunft und Grundlage der sog. „schwarzen Liste“, die in insgesamt 30 Nummern katalogisierte Verhaltensweisen aufführt, welche ohne Relevanzprüfung und ohne Wertungsvorbehalt per se verboten sind). Breiten Raum nehmen in der „schwarzen Liste“ unwahre und bewusst fehlerhafte Angaben zu Dienstleistungen (Ziff. 4, 9, 10). § 4 enthält gesetzlich definierte Beispiele unlauteren Wettbewerbs.
8.11 Der Makler im Wettbewerb
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Fallbeispiele Häufig machen Inserate in Zeitungen und dem Internet nicht ausreichend deutlich, dass der Angesprochene/Leser, der sich auf die Anzeige hin interessiert zeigen und melden soll, letztendlich derjenige sein soll, der auch die Maklerprovision zu zahlen hat. Nicht nur nach dem Eindruck von D. Fischer (Maklerrecht, S. 25, Rn. 138) wird dieses Erfordernis in der Makleranzeigenpraxis vielfach missachtet. Allerdings hat es der BGH (Urt. v. 03.05.2012, GuT 2012, 262, und Info M 2012, 284) in einer wichtigen Entscheidung („Immobilien Scout 24“) als eindeutiges Provisionsverlangen angesehen, wenn der gewerbliche Immobilienmakler ein zum Verkauf stehendes Objekt mittels einer Internetanzeige mit dem Hinweis „Provision 7,14 %“ anbietet. Das soll ausreichend sein, um dem Leser klar zu machen, dass der Käufer die Provision zahlen soll. Man kann durchaus hierin eine Abkehr von der früheren strengeren Rechtsprechung des BGH sehen. Jedenfalls gilt nach wie vor: Bezogen auf die Tätigkeit des Maklers muss die Vergleichbarkeit von verschiedenen Immobilienangeboten in transparenter Weise möglich sein. Die Angaben über die Preisgestaltung müssen der Preisklarheit und der Preiswahrheit entsprechen und vollständig sein. Es ist irreführend, wenn in einer Anzeige der Eindruck erweckt wird, als erfolge das Angebot direkt vom Berechtigten und nicht über einen Makler. Zahlreiche Streitigkeiten rühren aus der Verwendung unzulässiger Abkürzungen her. So ist die Abkürzung „Wfl./Nfl.“ häufig als irreführend angesehen worden, weil es sich um einen nicht um allgemein bekannte oder verständliche Abkürzungen handle, zum anderen aber auch die zusammengefassten Flächen nicht ausreichend als Summe der Wohn- und Nutzfläche gekennzeichnet ist (vgl. Immobilien-Makler, Gruppe 5/S. 20b, 20c). Mögliche Wettbewerbsverstöße in der Immobilienwirtschaft: Umstritten ist, ob für Baugrundstücke und Bauland neben dem Quadratmeterpreis auch der Endpreis genannt werden muss. Umstritten ist, ob bei Eigentumswohnungen neben den Quadratmeterpreisen auch mit dem Endpreis geworben werden muss. Umstritten ist, ob der Begriff „Kaltmiete“ irreführend ist (vgl. Immobilien-Makler a. a. O., Gruppe 5/S. 20f, 20g). Für unterschiedliche Wohnungen mit unterschiedlicher Größe ist für jede Wohnung der Gesamtmietzins auszuweisen. Bei der Vermittlungsprovision muss, wenn diese in einer Anzeige genannt wird, die Mehrwertsteuer mit einberechnet werden. Erfolgt eine Vermarktung über einen Makler, so ist in einer Anzeige auf die (Käufer-) Provision hinzuweisen bzw. der Zusatz „Makler“ aufzunehmen (aber teilweise entschärfend: BGH, Urt. v. 03.05.2012, GuT 2012, 262). Werden Preisbestandteile angegeben, so muss – hervorgehoben – auch der Gesamtpreis angegeben werden. Bei unterschiedlichen Wohnungen mit unterschiedlichen Kaufpreisen kann in der Anzeige der gesamte Kaufpreis für die kleinste Einheit angegeben werden mit dem Zusatz „ab“ (ohne diesen Zusatz könnte der Erwerber auf den Gedanken kommen, dass alle Wohnungen gleich teuer sind).
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8 Immobilienvermittlung
Immer ist entscheidend, wie der maßgebliche Geschäftsverkehr die Werbung versteht und nicht, was der Werbende zum Ausdruck bringen will. Es kommt immer auf die beteiligten Verkehrskreise an, wobei Fehlvorstellungen, auch von Minderheiten geschützt sind.
8.11.2
Rechtsfolgen und Verfahren
Im Falle eines Verstoßes und nach Abmahnung kann der Verletzer zur Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung aufgefordert werden (§ 8 UWG). Außerdem ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, den Mitbewerbern zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 9 Satz 1 UWG). Gibt der Verpflichtete die Unterlassungsverpflichtung nicht oder nicht in geeigneter Weise ab, so kann auf Antrag gegen ihn eine einstweilige Verfügung ergehen. Mit ihr wird dem Verletzer unter Androhung von Ordnungsmitteln die gerügte Werbung verboten. Die Abmahnung ist mit Abmahngebühren verbunden. Zum einen muss der Fehler ein gewisses Gewicht haben. Das Handeln des Verletzers muss geeignet sein, den Wettbewerb wesentlich zu beeinträchtigen. Die zum Stellen wettbewerbsrechtlicher Ansprüche berechtigten rechtskräftigen Verbände (§8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) zur Förderung gewerblicher Interessen müssen nachweisen, dass sie über eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden als Mitglieder verfügen. Die Vereine müssen nachweisen, dass sie eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung haben, um die satzungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen. Neben ihnen stehen Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung auch qualifizierten Einrichtungen i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG um den Industrie- und Handelskammern oder den Handwerkskammern zu. Der neue § 15 UWG regelt eingehend den Zugang zu den Einigungsstellen zur Beilegung wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten. Gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 UWG sind einige Regelungen des Unterlassungsklagengesetzes vom 27.08.2002 (BGBl. I, S. 3422, Ber. S. 4346) entsprechend anwendbar. Immer häufiger werden dem Abmahner die Anwaltskosten als Schadensersatz nicht mehr zugesprochen, wenn es nach mehreren gleichlautenden Abmahnungen dem Gewerbetreibenden möglich ist, eine Abmahnung selbst zu formulieren. Es sind dem Abmahnenden nämlich nur die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen. In der Praxis ist festzustellen, dass Immobilienmakler selten unter Anwendung der Regelungen des UWG gegen Mitbewerber vorgehen, die unzulässige geschäftliche Handlungen vornehmen. Das gilt insbesondere für alleinbeauftragte Makler, die es mit „Trittbrettfahrern“ zu tun haben. Gerade auch unter Berücksichtigung der Werbung in elektronischen Medien werden die gesetzlichen Regelungen zum unlauteren Wettbewerb auch für den Makler weitere Bedeutung erlangen, zu dem die Europäische Kommission bereits seit einigen Jahren die Fragen des Verbraucherschutzes im Sinne einer Erweiterung der EU-Richtlinien zum Schutze eines lauteren Wettbewerbs prüft (Langemaack in: Sailer/Kippes/Rehkugler, S. 683).
Literaturverzeichnis zu Kap. 8
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Literaturverzeichnis zu Kap. 8 Bethge: Maklerklauseln in notariellen Kaufverträgen, NZM 2002, 193. Dehner: Die Entwicklung des Maklerrechts seit 1994, NJW 1997. D. Fischer: Maklerrecht anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Frankfurt 2010. ders: Die Entwicklung des Maklerrechts seit 2011, NJW 2012, 3283. ders: Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum Immobilienmaklerrecht, NZM 2011, 529 ff. Gerkan: Maklerklauseln in notariellen Grundstückskaufverträgen, NJW 1982. Hamm/Schwerdtner: Maklerrecht, 6. Aufl., München 2012. Hätti:, Das kleine Makler-AGB – Was der Makler über Kleingedrucktes unbedingt wissen muss, NZM 2000. Joerss: Maklergeschäfte richtig gestalten, NZM 2000. Langemaack: Maklervertragsrecht im Spiegel aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung. Auf dem Weg zum „Sachverständigen der Immobilienbranche“, NZM 2008, 18. ders: Neues vom BGH zum Nachweismaklervertrag, NZM 2000. Löhlein: Maklerprovision für Verwalter von Wohnungseigentum!?, NZM 2000. Münchener Kommentar BGB/Roth: § 652 bis 654, Müchen 2012 Neises: Konsequenzen für den Immobilienmakler aus dem Fernabsatzgesetz, NZM 2000. Palandt/Sprau: Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Aufl., München 2012. Sailer/Kippes/Rehkugler: Handbuch für Immobilienmakler und Immobilienberater, 2. Aufl., München 2011. J. Schmidt: Entzug der Gewerbeerlaubnis, Partner im Gespräch, Band 48 (1995). J. Schmidt: FernAG – Wichtig für den Makler?, Immobilienmakler, Organisations- und Musterhandbuch für die Vermittlung von Immobilien, Lose Blattsammlung, WRS-Verlag, Heft 2/2000, Gruppe 2. J. Schmidt: Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, DIV 1/97. Staudinger/Reuter: § 652 bis 656, Maklerrecht, 2010. Ulmer/Brandner/Hensen: AGB-Recht, 10. Aufl. 2006. Ummen/Johns: Immobilienjahrbuch 2012, Berlin 2012. Windisch: Maklerprovision für WEG-Verwalter, NZM 2000. Würdinger: Vorvertragliche Pflichtverletzung im Maklerprovisionsrecht, NZM 2009, 535. Zopfs: Das Maklerrecht in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, RWS-Skript 181, Köln 1996.
9
Recht der Immobilienverwaltung Joachim Schmidt
9.1 9.2 9.2.1 9.2.1.1 9.2.1.2 9.2.1.3 9.2.1.4 9.2.1.5 9.2.2 9.2.3 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5 9.5 9.6 9.6.1 9.6.2 9.6.3 9.6.4 9.6.5 9.6.5.1 9.6.5.2 9.6.5.3 9.6.5.4 9.6.5.5 9.6.5.6 9.6.5.7
Vorbemerkung ............................................................................................... 509 Immobilienverwaltung .................................................................................. 510 Definition der Immobilienverwaltung ........................................................... 510 Allgemeine kaufmännische Geschäftsführung .............................................. 510 Juristische Betreuung .................................................................................... 511 Finanz- und Vermögensverwaltung............................................................... 511 Technische Verwaltung ................................................................................. 511 Service-Dienstleistungen ............................................................................... 512 Abgrenzung Eigenverwaltung/Fremdverwaltung .......................................... 512 Abgrenzung zum Facilities Management und zum Asset Management ........ 513 Der Immobilienverwalter in der Immobilienwirtschaft ................................. 514 Der vernetzte Immobilienverwalter ............................................................... 514 Berufsbild des Immobilienverwalters ............................................................ 515 Marktstellung und Organisationsformen der Immobilienverwalter............... 516 Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit ................................... 517 Übersicht ....................................................................................................... 517 Rechtliche Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit ................. 517 § 34 c GewerbeO ........................................................................................... 518 Berufsordnung ............................................................................................... 518 Schiedsgerichtsbarkeit ................................................................................... 518 Standards für die Immobilienverwaltung ...................................................... 520 Der Verwaltervertrag ..................................................................................... 523 Rechtsnatur, Rahmenbedingungen ................................................................ 523 Inhalt, Grundleistungen und besondere Leistungen ...................................... 524 Vertragsmuster, Software .............................................................................. 526 Vergütungsregelungen................................................................................... 526 Die Haftung des Verwalters .......................................................................... 527 Pflichtverletzung ........................................................................................... 527 Schaden, Haftungsmaßstab............................................................................ 528 Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Bauträger/ Handwerker ......... 528 Haftung aus Verwaltung des Sondereigentums (WEG) ................................ 529 Vergabe von Sanierungsmaßnahmen ............................................................ 529 Gefahrenabwehr, Verkehrssicherungspflichten ............................................. 530 Haftung des Verwalters im Rahmen der Abwicklung der Verwaltertätigkeit .......................................................................................... 530
508 9.6.5.8 9.6.5.9 9.7 9.7.1 9.7.1.1 9.7.1.2 9.7.1.3 9.7.1.4 9.7.1.5 9.7.1.6 9.7.1.7 9.7.1.8 9.7.1.9 9.7.1.9.1 9.7.1.9.2 9.7.1.9.3 9.7.1.9.4 9.7.1.9.5 9.7.2 9.7.2.1 9.7.2.2 9.7.2.3 9.7.2.4 9.8 9.8.1 9.8.2 9.8.3 9.8.4 9.8.5 9.8.6 9.9 9.9.1 9.9.2 9.9.3 9.9.4 9.9.5 9.9.6 9.10 9.11
9 Recht der Immobilienverwaltung Haftungssachverhalte .................................................................................... 531 Beschränkung der Verwalterhaftung ............................................................. 531 Grundzüge der Miet- und Wohnungsgeigentumsverwaltung .........................532 Mietverwaltung ..............................................................................................532 Auswahl des Mietinteressenten ..................................................................... 533 Vertragsmanagement, Schriftform ................................................................ 533 Übergabe/Rückgabe der Mieträume .............................................................. 535 Mietenverwaltung ......................................................................................... 536 Überprüfung von Mietanpassungssmöglichkeiten ........................................ 537 Behandlung von Sicherheitsleistungen ......................................................... 538 Konkurrenzschutz / Betriebspflicht ............................................................... 539 Kontrolle der Einhaltung des Vertragszwecks .............................................. 540 Mietnebenkosten-Management ..................................................................... 541 Vertragsfreiheit in der Geschäftsraummiete, Bindung durch § 2 der Betriebskostenverordnung – BetrKV – in der Wohnraummiete ................... 541 Bestimmtheitserfordernis .............................................................................. 542 Die ordnungsgemäße Abrechnung ................................................................ 542 Konflikt zwischen WEG-Abrechnung und Betriebskostenabrechnung ........ 543 Vereinfachte Abrechnung bei Wirtschafts- und/oder Verwaltungseinheiten .................................................................................... 544 Die Wohnungseigentumsverwaltung .............................................................545 Vorbereitung, Einberufung und Durchführung der Eigentümerversammlungen ........................................................................... 545 Das Finanz- und Rechnungswesen der Wohnungseigentümergemeinschaft .............................................................. 547 Entlastung des Verwalters ............................................................................. 550 Die technische Verwaltung im Wohnungseigentum ..................................... 550 Forderungseinzug/Risikominimierung von Forderungsausfällen...................553 Forderungseinzug als Kerngeschäft des immobilienverwaltenden Unternehmens?...............................................................................................553 Gesetzliche Verwalterpflichten, vertragliche Pflichten ..................................554 Anzeichen für wirtschaftliche Probleme des Mieters .....................................554 Risikominimierung gegen Mietausfälle .........................................................555 Vorzeitiger Auszug des Mieters/Nichtübernahme der Räume .......................556 Begriffe aus dem Mahn- und Vollstreckungswesen .......................................556 Immobilienverwaltung und öffentliches Recht ..............................................559 Der Verwalter als Adressat von Verwaltungsakten ........................................559 Fristen, Notfallplanung ..................................................................................559 Polizeiliche Anordnungen ..............................................................................560 Verwaltungsakte betreffend die WEG ...........................................................560 Verhalten des Verwalters bei Empfang von Verwaltungsakten .....................560 Grundsteuerbescheide ....................................................................................561 Checkliste für zu übergebende Unterlagen bei der Verwaltung von Wohnungseigentum und Mietobjekten ..........................................................561 Checkliste Verwaltersuche .............................................................................563 Literaturverzeichnis zu Kap. 9 .......................................................................564
9.1 Vorbemerkung
9.1
509
Vorbemerkung
Immobilien haben betriebswirtschaftlich wie volkswirtschaftlich steigende Bedeutung, insbesondere als Anlageobjekt. Sieht man sich die Umsatzsteuerstatistik für 2011 des Statistischen Bundesamtes an (VR-info Branchen Special Bericht Nr. 80 September 2012), so wird die Bedeutung der Immobilienverwaltung auf dem Immobilienmarkt besonders deutlich. Die Immobilienverwalter profitieren vom anhaltenden Immobilienboom. Dieser schlägt sich derzeit vor allem auf dem Wohnungsmarkt nieder (Zinshäuser und Wohnungseigentumsanlagen), während z. B. die investiven Bauleistungen im Nichtwohnungsbau sinken, nimmt man den Hotelsektor und die Logistik einmal aus. Die Ertragslage dürfte sich in den letzten Jahren bei den Immobilienverwaltern deutlich verbessert haben. Die Konkurrenzintensität ist eher durchschnittlich. Für die vorwiegend mittelständischen Verwaltersunternehmen existiert ein breites Aufgabenspektrum. Von den insgesamt in Deutschland in der Umsatzsteuerstatistik für 2011 gemeldeten 22.343 Immobilienverwaltern erwirtschaften bis 17.500 Verwalter einen Umsatz von bis zu Euro 500.000. Bis insgesamt 20.000 Immobilienverwalter setzen bis zu EUR 1 Million um. Laut den Umsatzstatistiken des statistischen Bundesamtes für 2010 und 2009 und den Berechnungen des ifo-Instituts lagen die Umsätze 2010 insgesamt bei Euro 17,6 Milliarden. Der IVD hat ermittelt, dass der durchschnittliche Umsatz eines Immobilienverwaltungsunternehmens in Deutschland im Jahre 2010 bei Euro 786.500 gelegen habe. Das gibt das Bild deshalb nur zum Teil wieder, weil hier einige wenige Unternehmen diesen Durchschnittswert insbesondere prägen. Es existieren viele kleine Unternehmen (Familienunternehmen mit wenigen Angestellten), deren Umsatz ganz deutlich niedriger ist. Mit dem Anstieg des Transaktionsvolumens mit Immobilien (erwartet wird für 2012 insgesamt ein Plus von 6 %) steigt auch die Nachfrage nach professioneller Immobilienverwaltung deutlich. Das gilt nicht nur – aber natürlich in besonderem Maße – dann, wenn Immobilienbestände erworben werden, um sie nach einer relativ kurzen Haltedauer mit Gewinn weiterzuveräußern. Immer wird es um eine Optimierung gehen, zu deren Grundvoraussetzungen die Aufarbeitung der Bestandsdaten, eine zielgerichtete Instandhaltung und Instandsetzung und eine zeitgemäße Handhabung der Mieten und der Nebenkosten gehören. Hier können die Immobilienverwalter in hohem Maße wirken und zu einer Transparenz der verwalteten Immobilien beitragen, die der Werterhaltung und Wertsteigerung dient. Moderne Immobilienverwaltung definiert außerdem die geänderten Anforderungen an nutzergerechte Immobilien. Der schmale Grad zwischen dem „Maßanzug“ und der wieder verwendbaren Immobilie muss von den Verwaltern mitbegangen werden. Die Form der Immobilien selbst (Wohnen und Arbeiten, Smart Office, betreutes Wohnen, multifunktionale Immobilien, Logistik-Immobilien, seniorengerechte Immobilien) fordert mit unterschiedlichen Schwerpunkten professionelle Betreuung. Die Immobilie wird heute als Dienstleistungsprodukt begriffen. Der Bedarf an qualifizierter Immobilienverwaltung wächst. Insbesondere im Bereich des infrastrukturellen Gebäudemanagements sehen sich die Immobilienverwalter gesteigerten Erwartungen und Anforderungen gegenüber. Darüber hinaus befinden sich die Immobilienverwalter in einem berufsbildübergreifenden Wettbewerb, in dem sich professionell geführte und effiziente Verwaltungsunternehmen in der für die jeweiligen Verwaltungszwecke optimalen Betriebsgröße behaupten.
510
9 Recht der Immobilienverwaltung
9.2
Immobilienverwaltung
9.2.1
Definition der Immobilienverwaltung
Der Begriff der Immobilienverwaltung ist gesetzlich nicht definiert. Man wird Immobilienverwaltung wie folgt definieren können: Wer Immobilien verwaltet, erbringt seinem Auftraggeber Dienste, indem er dessen Geschäfte im Bereich der allgemeinen kaufmännischen Geschäftsführung, der juristischen Verwaltung, der Finanz- und Vermögensverwaltung, der technischen Verwaltung und im Bereich der Servicedienstleistungen besorgt. Auf diesen 5 Säulen baut das Verständnis der modernen Immobilienverwaltung auf. Bedeutende Verbände und Organisationen der Immobilienverwalter orientieren an diesen fünf Säulen die Dienstleistungen der Immobilienverwalter und gliedern entsprechend auch die Verwalterverträge. 9.2.1.1
Allgemeine kaufmännische Geschäftsführung
Im Rahmen der Allgemeinen kaufmännischen Geschäftsführung wirkt der Immobilienverwalter am Abschluss von Verträgen, insbesondere von Verträgen über Mietverhältnisse, mit. Seine Arbeit erstreckt sich auch auf die Durchführung und Abwicklung solcher Mietverhältnisse im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben. Er organisiert das Mietinkasso und überwacht etwaige Vereinbarungen über Mietanpassungen (Wertsicherung) und das Inkasso der Nebenkosten einschließlich der Erstellung von Nebenkostenabrechnungen. Zunehmende Bedeutung hat seine den Vermieter begleitende Tätigkeit bei Maßnahmen des Flächenmanagements und der Leerstandverwaltung. Öfter wird von Nutzern, insbesondere von Mietern gerügt, dass die vertraglich vereinbarten Flächenangaben mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen und daher dem Mieter hier insbesondere Minderungsrechte erwachsen. Breiten Raum nimmt das dem Immobilienverwalter in aller Regel kraft Verwaltervertrags übertragene Vertragsmanagement ein. Hier geht es insbesondere um den Abschluss von Hausmeisterverträgen bzw. die Mitwirkung daran, aber auch um Versicherung-, Wartungsund Entsorgungsverträge. Sind die Verträge mit Dienstleistern erst einmal abgeschlossen, so ist es eine der Kernaufgaben des Immobilienverwalters, diese Dienstleister auch zu überwachen. Das gilt nach Abschluss von Werkverträgen wegen Arbeiten an der Immobilie auch für die Überwachung der Handwerker und Bauunternehmen, insbesondere im Hinblick auf die auf dem Grundstück während solcher Arbeiten einzuhaltenden Verkehrssicherungspflichten. Gerade im Hinblick auf die Mietrechtsreform mit den von ihr ermöglichten erleichterten Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der energetischen Modernisierung werden auf den Immobilienverwalter zusätzliche betreuende und solche Arbeiten begleitende Maßnahmen und Aufgaben zukommen. Zu den Aufgaben im Rahmen der Allgemeinen kaufmännischen Geschäftsführung gehört auch der Kontakt und Verkehr mit Behörden. Hier ist der Verwalter als Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft erste Ansprechperson für die öffentliche Verwaltung. Er ist Adressat von Verfügungen. Aus der Sicht der öffentlichen Verwaltung vertritt er den Eigentümer bzw. den Berechtigten. Im Wohnungseigentumsrecht ist es im Rahmen der allgemeinen kaufmännischen Geschäftsführung eine der wesentlichen Verwalteraufgaben, Wohnungseigentümerversammlungen vorzubereiten, einzuberufen und durchzuführen. Außerdem ist es seine Aufgabe, die Be-
9.2 Immobilienverwaltung
511
schlüsse der Wohnungseigentümer umzusetzen und im Rahmen unerlaubter Rechtsberatung die Mieteigentümer auch über gerichtliche Maßnahmen zu beraten. In der technischen Verwaltung ist er insbesondere mit den schwierigen Thema der sogenannten baulichen Veränderung (§ 22 WEG) und der modernisierenden Instandsetzung befasst. 9.2.1.2
Juristische Betreuung
Soweit dies nach dem Rechtdienstleistungsgesetz zulässig ist, darf der Immobilienverwalter seinen Auftraggeber auch im Rahmen begleitender juristischer Schritte unterstützen. Insbesondere ist es seine Pflicht, Fristen zu überwachen (Gewährleistung, behördliche Verfügungen), den bzw. die Eigentümer bei Verhandlungen zu begleiten und in Verfahren zu vertreten und außergerichtlich und gerichtlich Ansprüche des Eigentümers gegen den Mieter im gesetzlich zulässigen Rahmen geltend zu machen. So kann ihm die Aufgabe übertragen werden, Mieterhöhungen durchzusetzen, die Einhaltung von Konkurrenzschutz zu überwachen und ebenso die Einhaltung der Betriebspflicht. Er hat weiterhin stets zu prüfen, ob sich die Untervermietung im rechtlich zulässigen Rahmen bewegt. Ein ganz wesentlicher Teil der – soweit gesetzlich zulässig – juristischen Betreuung ist es, den Eigentümer zu unterstützen bei der Bewertung und Überwachung aller Vermieter im Rahmen einer ordnungsgemäßen Rückgabe der Mietsache zu erfüllenden Verpflichtungen. Das betrifft Schäden ebenso wie den Rückbau von baulichen Veränderungen und natürlich auch die Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung einschließlich etwa geschuldeter Schönheitsreparaturen. 9.2.1.3
Finanz- und Vermögensverwaltung
Der Verwalter hat eine objektbezogene Buchhaltung einzurichten und diese zu führen. Ihm obliegen die Aufgaben der Datenerfassung und der Datenpflege. Er hat die Zahlungsverpflichtungen der Mieter und – in Wohnungseigentümergemeinschaften – der Wohnungseigentümer – zu überwachen. Zu seinen Aufgaben gehören die periodische Abrechnung, die Rechnungslegung und das Führen des Zahlungsverkehrs einschließlich der Bewirkung von Zahlungen an Dritte. Im Wohnungseigentum ist es eine herausgehobene Aufgabe des Immobilienverwalters, einen Wirtschaftsplan für die Abdeckung der im Wirtschaftsjahr zu erwartenden Aufgaben und Kosten und die jährliche Abrechnung (Gesamtabrechnung und Einzelabrechnung) zu erstellen. Außerdem hat er für außerordentliche Maßnahmen, z. B. für eine umfangreiche Balkonoder Dachsanierung, der Wohnungseigentümergemeinschaft die Bildung von Sonderumlagen und die Beschlussfassung hierüber vorzuschlagen. 9.2.1.4
Technische Verwaltung
Der Verwalter ist ein „Kümmerer“. Er ist nicht, wie noch darzulegen sein wird, Betreiber der Immobilie, d. h. er schuldet nicht den ordnungsgemäßen Betrieb, das Funktionieren der Immobilie. Aber: Als „Kümmerer“ ist er dafür verantwortlich, im Rahmen der ihm vom Eigentümer übertragenen Pflichten (Mietrecht und Sondereigentumsverwaltung) bzw.in der Wohnungseigentumsverwaltung im Rahmen der gesetzlich übertragenen Aufgaben und Befugnisse insb. gemäß §§ 27, 28 WEG und der ihm darüber hinaus kraft Gemeinschaftsordnung und Verwaltervertrag und der Beschlüsse der Wohnungseigentümer übertragenen Aufgaben und Befug-
512
9 Recht der Immobilienverwaltung
nisse für die Durchführung von notwendigen Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu sorgen. Im Rahmen vertraglicher Vereinbarung hat er die Immobilie regelmäßig zu überwachen und hierfür erforderliche Begehungen durchzuführen. Ihm obliegt ferner die Einholung vergleichender Kostenvoranschläge im Rahmen vorgegebener Beschlussfassung des Eigentümers bzw. bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft der Miteigentümer. Ihm kann im Einzelfall auch die Ausschreibung der für die Durchführung einer Erhaltungs- oder Sanierungsmaßnahme oder einer baulichen Veränderung erforderlichen Leistungen übertragen werden sowie die Vergabe von Aufträgen, dies allerdings in aller Regel nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers. Der Auftraggeber des Verwalters wird von diesem in aller Regel die Teilnahme zumindest an der Abnahme von Werkleistungen verlangen und im Rahmen seiner technischen Kenntnisse auch die Rüge von Mängeln. Der Verwalter seinerseits wird hier häufig darauf dringen, dass ihm ein Sonderfachmann zur Seite gestellt wird, der noch größeren technischen Sachverstand hat. Schließlich ist der Verwalter auch verpflichtet, im Rahmen seiner Beauftragung die Koordinierung von Gewerken zu organisieren oder jedenfalls aber zu begleiten. Auch hier wird aber in aller Regel die Einschaltung eines Sonderfachmanns sinnvoll und notwendig sein (insbesondere eines Architekten). 9.2.1.5
Service-Dienstleistungen
Gerade in jüngerer Zeit gewinnen Serviceleistungen rund um die Immobilie als Teil der Tätigkeit des Immobilienverwalters besondere Bedeutung. Das gilt insbesondere für Immobilien, deren Vertragszweck betreutes Wohnen ist; das gilt aber auch für Immobilien in infrastrukturschwachen Regionen, in denen der Verwalter die notwendige Kommunikation und gemeinschaftliche Aktionen organisieren kann. Hierzu zählen die Organisation einer Fahrbereitschaft, das gemeinschaftliche Einkaufen und die Organisation von Umzügen. Häufig wird der Verwalter auch beauftragt sein, Verhandlungen mit Servicegesellschaften über verbesserte Bezugsbedingungen und bessere Preise zu führen („ Poolen“ der Nachfrage ). Auch Serviceleistungen im Bereich des Komfort-Wohnens („5-Sterne-Wohnen“) nehmen zu.
9.2.2
Abgrenzung Eigenverwaltung/Fremdverwaltung
Aus der Sicht des Eigentümers (Vermieters/Verpächters) liegen die Vorteile der Eigenverwaltung in der umfassenden Lenkungsmöglichkeit, in der Kostentransparenz und in der Möglichkeit direkter und schneller Entscheidungen. Stellt andererseits die Eigenverwaltung nicht das Kerngeschäft dar, so kann die zeitliche Koordination erschwert sein. Existiert – etwa im Unternehmen des Eigentümers/Vermieters/Verpächters – eine hierzu geschaffene Verwaltungsabteilung, so hat diese zu berücksichtigen, dass den vorrangigen Interessen des Eigentümers/des Unternehmens der Wunsch nach einer gewissen Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit gegenübersieht, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Auch wird hier die Überlegung eines Übergangs bzw. eines Wechsels von interner Verwaltung auf Fremdverwaltung auf natürlichen Widerstand der betroffenen Mitarbeiter in Unternehmen bzw. beim Eigentümer treffen. Ist das Objekt vermietet, so wird der Mieter besonders darauf dringen, dass nicht nur die Dienstleistung des Verwalters für ihn transparent wird; er wird insbesondere darauf achten, dass die Kosten dieser Dienstleistung diejenigen einer ansonsten
9.2 Immobilienverwaltung
513
eingesetzten Fremdverwaltung nicht überschreiten, sondern umgekehrt entweder zu gleichen Preisen höhere Leistungen erbracht werden oder aber diese Kosten für ihn günstiger gestaltet werden (rechtlich kann der Mieter ohnehin verlangen, dass bei Eigenverwaltung die ihm belasteten Kosten nicht höher sind als die marktüblichen Kosten einer Fremdverwaltung). Setzt der Eigentümer/Vermieter/Verpächter eine Fremdverwaltung ein, so lässt er sich von dem Kerngeschäftsgedanken tragen. Die Kommunikation einschließlich der Berichtspflichten hat eine zentrale Bedeutung. Die Philosophie des Unternehmens und auch der Immobilie müssen auf den Verwalter und dessen Denken übertragen werden. Laufende Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Prognosen ergänzen die ohnehin vorhandenen Pflichten der Rechnungslegung und Abrechnung als Zusatzleistungen. Zunehmend werden auch eine laufende Due-Diligence (Aufarbeitung der Bestandsunterlagen), Überprüfung auf Altlastengefahren, Veränderung der Nachbarsituation, schärfere Differenzierung zwischen den Betriebskosten und den Instandhaltungskosten, rechtliche und wirtschaftliche Veränderung im Rahmen von Neu- oder Anschlussvermietungen, Beobachtung und Lenkung der Leerstandsentwicklung den Verwalter in die Analyse-Arbeit einbeziehen. Aus der Sicht des Nutzers des Objekts wird eine Fremdverwaltung in erster Linie aus den ureigenen Interessen des Eigentümers/Vermieters/Verpächters durchgeführt. Als Mieter oder Pächter ist der Nutzer an einer Verwaltung interessiert, die den ordnungsgemäßen Betrieb des Mietgegenstands in organisatorischer und insbesondere auch in technischer Hinsicht aufrechterhält. Möglichst viele Leistungen der Instandhaltung einschließlich der Instandsetzung sollen aus der Sicht des Nutzers auf Kosten und Risiko des Vermieters durchgeführt werden, insbesondere sollen die gebäudetechnischen Einrichtungen jederzeit verfügbar und voll funktionsfähig sein. Der Verwalter soll für eine ordnungsgemäße Verkehrssicherung der Gemeinschaftsflächen sorgen, die Wahrung der Interessen der einzelnen Nutzer untereinander (Betriebspflicht, Konkurrenzschutz, nur zulässige Untervermietung) beachten und jederzeit überprüfen, welche Kosteneinsparungspotenziale gefunden und ausgenutzt werden können. Insbesondere muss der Nutzer darauf achten, dass nicht einmal entstehende bzw. sich überschneidende Tätigkeiten Mehrfachbelastungen erzeugen, und er erwartet vom Verwalter deshalb nicht nur eine ordnungsgemäße Abrechnung, sondern auch jederzeitige Transparenz (auch Kostentransparenz) der zu trennenden Aufgaben und Leistungen, etwa des Centermanagers, der Werbegemeinschaft oder des Hausmeisters untereinander und auch in Gegenüberstellung zu den Aufgaben des Verwalters.
9.2.3
Abgrenzung zum Facilities Management und zum Asset Management
Facility Management als professionelle Gebäudebewirtschaftung ist die Betrachtung, Analyse und Optimierung aller kostenrelevanten Vorgänge rund um ein Gebäude, ein anderes baulicher Objekt oder eine im Unternehmen erbrachte Dienstleistung, die nicht zum Kerngeschäft gehört. Zum Wesen moderner Facility Management-Verträge gehört es, dass der Dienstleister jedenfalls in einem Bereich nicht nur die Veranlassung sondern auch den Erfolg schuldet: Das ist der Bereich der Wartung. Insoweit hat der Facility-Manager – anders als der Immobilienverwalter – (auch) eine Betreiberfunktion. Das wiederum entspricht den in der DIN 32736 Gebäudemanagement als Teil des Facility Management, Begriffe und Leistungen, niedergelegten Grundsätzen. Denn dort gehört es zu den Aufgaben des Facility Managers, im Rahmen des technischen Gebäudemanagements „das Gebäude zu betreiben“.
514
9 Recht der Immobilienverwaltung
Diese Unterscheidung zwischen der Immobilienverwaltung und dem technischen Gebäudemanagement im Rahmen des Facility Management hat ganz erhebliche praktische Bedeutung: Anders als im Facility Management umfassen Kosten der technischen Hausverwaltung keine Kosten, die der Instandhaltung und Instandsetzung nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Betriebskostenverordnung zuzuordnen wären. Solche Kosten sind als Gemeinkosten von den Kosten von Dienst- oder Werkleistungen im Rahmen einer konkreten Instandhaltungsmaßnahme zu trennen (BGH, Urteil vom 09.12.2009, IMR 2010, 93; BGH, NZM 2010, 279). Der BGH hat dies ausdrücklich in seiner neueren Rechtsprechung bekräftigt (BGH, NZM 2012, 24). Die Leistung von Wartungsarbeiten im Rahmen üblicher FM-Verträge ist nach dieser Rechtsprechung des BGH nicht Teil der Leistungen des Immobilienverwalters und damit mietvertraglich nicht als Verwaltungskosten auf den Mieter umlegbar. Es wird in Zukunft auch im Hinblick auf die von der Rechtsprechung verlangte Transparenz der Dienstleistungen unabdingbar sein, die Dienstleistungen insbesondere in den mit den Nutzern abzuschließenden Verträgen (Mietverträge, Pachtverträge) im Einzelnen detailliert zu beschreiben, damit die umlegbaren von den nicht umlegbaren Kosten getrennt werden können. Das gilt auch für die Umlegung von Center-Management-Kosten. Auch hier ist z. B. die Umlegung der „Kosten für Objektbetreuung durch Fremdfirmen (Centermanagement)“ auf den Mieter nicht wirksam, weil diese Begriffe intransparent sind und ihre Verwendung gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstößt (BGH, NZM 2010, 123; NZM 2012, 24). Das Berufsbild des Immobilienverwalters ist sodann auch von dem des Asset Managers zu unterscheiden (auch wenn es in gewissem Umfange Gemeinsamkeiten und Überschneidungen insbesondere in der Mieterbetreuung gibt).Asset Management ist ein Teilbereich des Immobilienmanagements. Es ist das Bindeglied zwischen dem strategischen Portfolio Management des Eigentümers/Investors und der Immobilienverwaltung/dem Property Management. Asset Management ist auf die Steuerung der operativen Immobiliendienstleister, die Identifikation und Realisierung von Ertrags- bzw. Wertsteigerungspotenzial in den einzelnen Immobilien sowie auf die Schaffung einer Datenbasis für das strategische Portfoliomanagement ausgerichtet. Schnittstellen zwischen der Tätigkeit des Asset Managers und des Immobilienverwalters ergeben sich im Bereich des Berichtswesens, des Vertragsmanagements und im Vermietungsmanagement einschließlich der Mieterbetreuung (eigene Definitionen – unter Berücksichtigung von: Wagner, Immobilienwirtschaft 2006, 57).
9.3
Der Immobilienverwalter in der Immobilienwirtschaft
9.3.1
Der vernetzte Immobilienverwalter
Immobilienverwalter sind weitflächig in das Netz der Immobilienwirtschaft eingebunden. Das betrifft einerseits ihre Berührung zu anderen Berufsgruppen, andererseits und insbesondere auch zu zahlreichen Rechtsgebieten, mit denen sich der Verwalter in erheblichem Maße zu befassen hat, um im Rahmen seiner Tätigkeit nicht etwa Haftungstatbestände zu produzieren. Verwalter sein heißt heute, mannigfache Berührungspunkte haben, insbesondere zu folgenden Gebieten und Tätigkeiten: Steuerrecht
steuerbare/nicht steuerbare Umsätze Vorsteuerproblematik
9.3 Der Immobilienverwalter in der Immobilienwirtschaft
515
Mietrecht WEG Maklerrecht Verflechtung/Interessenkollision Öffentliches Recht Gebührenbescheide Verkehrssicherungspflicht Adressat von Verfügungen/Verwaltungsakten Nutzungsänderungsgenehmigungen Privates Baurecht Angebotseinholung/Vergabepraxis Überwachung von Gewerken/Bauarbeiten Abnahme Wartungsverträge (Vollständigkeit, Neuverhandlung) Gewährleistungsfristen Grundstücksrecht
Dienstbarkeiten (z. B. Wegerechte, Leitungsrechte) Nachbarklagen
9.3.2
Berufsbild des Immobilienverwalters
Nach wie vor gibt es kein einheitliches Berufsbild des Immobilienverwalters. Es bestehen derzeit keine öffentlich rechtlichen Beschränkungen für die Berufsausübung der WEG-Verwalter. Anerkannt ist der Ausbildungsberuf des Kaufmannes/der Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft (Erlass vom 26.03.1952). 1993 wurde unter Mitwirkung des Dachverbandes Deutscher Hausverwalter e.V. (heute Dachverband Deutscher Immobilienverwalter e.V., DDIV) beim Deutschen Industrie- und Handelstag die Fachkauffrau/der Fachkaufmann für die Verwaltung von Wohnungseigentum konzipiert. Verschiedene Industrie- und Handelskammern bieten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Am 18.03.1996 wurde der Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft/zur Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft erlassen. Die CEPI Conseil européen des Professions immobilières in Brüssel hat für die über 160.000 in den einzelnen Nationalstaaten Verbände organisierten Mitglieder Mindestausbildungsanforderungen im Dezember 2004 erstellt, die nach einer Übergangsfrist europaweit verbindlich den Zugang auch zum Beruf des Immobilienverwalters von der Erfüllung bestimmter Mindestanforderungen abhängig machen sollten (Minimum Educational Requirements for Property Managers) (www.cepi.be). Inzwischen strebt die Europäische Kommission an, durch Schaffung einer so genannten „Professional Card“ und ein so genanntes „Training Framework“ diese Mindestinhalte auf freiwilliger Basis zu regeln. Damit soll es insbesondere Immobilienverwaltern in Staaten, in denen der Beruf des Immobilienverwalters nicht reguliert ist, erleichtert werden, im grenzüberschreitenden Verkehr auch im Ausland in einem – regulierten – System des Gastgeberlandes die Tätigkeit eines Immobilienverwalters auszuüben. Im Frühjahr 2013 erfolgte hier eine erste Findung durch die Europäische Kommission. Es ist davon auszugehen, dass dann alsbald auch für die Immobilienbranche die
516
9 Recht der Immobilienverwaltung
Erstellung europaweit im Grundsatz anerkannter Immobiliendienstleister-Ausweise (Professional Card) eingeführt wird. Eingeführt werden sollen diese Maßnahmen im Rahmen einer Modernisierung der EU-Richtlinie zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen (hierzu: J. Schmidt, Revision of the European Directive on recognition of Professional Qualifications, CEPI, Annual Report 2011, 8). Die Professional Card mit in der EDV – IMI Internal Market Information – dann zu hinterlegenden Merkmalen wird auch der Qualitätskontrolle dienen und damit die Anforderungen der EV-Dienstleistungsrichtlinie an die Qualität und Verlässlichkeit der Immobiliendienstleister umsetzen. Das letztendlich dient wiederum dem Verbraucherschutz. Deutschland wird derzeit in der CEPI repräsentiert durch den IVD und den Dachverband Deutscher Immobilienverwalter (DDIV). Die beiden deutschen Weiterbildungsinstitute, die bei der CEPI akkreditiert sind, sind die DIA in Freiburg und die IREBS Immobilienakademie als Teil der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg. Deutschland ist aber noch – sieht man von zum Teil sehr effizienten Berufsordnungen der Verbände (DDIV, u. a. BfW, IVD) ab – von einem einheitlichen umfassenden Berufsbild weit entfernt, und es ist auch noch nicht geklärt, ob die Orientierung nicht auch an dem Berufsbild des Chartered Surveyors der RICS erfolgen könnte. Immer noch gibt es eine nicht leicht überschaubare Menge an Aus- und Weiterbildungsangeboten für die Immobiliendienstleister-Berufe.
9.3.3
Marktstellung und Organisationsformen der Immobilienverwalter
Immobilienverwalter sind (wieder) gesuchte Partner der Immobilienwirtschaft. Eine effizientere Zusammenarbeit scheitert bisher noch oft daran, dass die Immobilienverwalter nicht bereits in der Frühphase der Entwicklung der Immobilie mit herangezogen werden. Nur wer das Objekt bereits in einer Frühphase der Entwicklung kennt, kann später
auch die besonderen Vermietungsprobleme erkennen, Wartung und Instandsetzung der Anlagen und Einrichtungen optimal überwachen, durch ein optimales Kostenmanagement die Mietnebenkosten minimieren und durch spätere Umstrukturierungen Mängel aus der Phase der ursprünglichen Konstruktion des Objektes beseitigen helfen. Dies hat für die Immobilienverwalter zur Folge, dass sie sich offensiv am Markt platzieren müssen. Es gilt, den ständigen Dialog u .a. mit Projektentwicklern, Maklern und Bauträgern, Architekten, Planungsbehörden und finanzierenden Banken herzustellen und zu pflegen und sich außerdem in der Immobilienwirtschaft zu vernetzen. Was die Verwalter derzeit verwalten, ist nur hinsichtlich der Wohneinheiten näher bekannt. Offenbar betreuen diese Verwalter insgesamt rund 20 Mio. Wohneinheiten, also 2/3 der mit 35 Mio. geschätzten Wohneinheiten. Der größte – reine – Immobilienverwalterverband ist der Dachverband Deutscher Immobilienverwalter e.V. (DDIV) Berlin (www.immobilienverwalter.de). Er ist in 10 Landes- bzw. Regionalverbände (föderalistisch) untergliedert. Von ihm wird jährlich Der Deutsche Verwaltertag veranstaltet, ein zentrales berufsständisches Treffen der Deutschen Immobilienverwalter. Mit der Zeitschrift DDIV aktuell unterhält er ein offizielles Organ. Er ist Mitbegründer des Ständigen Deutschen Schiedsgerichts, hat eine Berufsordnung und unterhält Kooperationsvereinbarungen mit wesentlichen Partnern der Immobilienwirtschaft.
9.4 Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit
517
Weitere wichtige Verbände, die sich mit Immobilienverwaltung befassen, sind der BFW (Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen), IVD, BVI (Bundesfachverband der Immobilienverwalter).
9.4
Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit
9.4.1
Übersicht
Gesetzliche Regelungen finden sich vereinzelt im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB in den Vorschriften zum Gemeinschaftsrecht §§ 741 ff. BGB, im Wohnungseigentumsgesetz WEG, in der II. Berechnungsverordnung sowie in der Gewerbeordnung. Im europäischen Rahmen wurden verschiedene EU-Richtlinien erlassen, die auch die Verwaltertätigkeit betreffen und erfassen. Dies sind insbesondere die Dienstleistungsrichtlinie und die Richtlinie über die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Beide sind in Deutschland in nationales Recht umgesetzt worden. Herzstück ist natürlich immer der Verwaltervertrag mit Leistungsverzeichnis. Ist der Verwalter Mitglied eines berufsständischen Verbands, so gelten in der Regel für die Berufsausübung eine etwa bestehende Berufsordnung oder Satzung oder ggf. auch ein Code of Ethics/Standesrichtlinien. Insbesondere im Bereich der technischen Hausverwaltung sind technisches Standards wie DIN-Vorschriften oder Empfehlungen bzw. Richtlinien zu beachten. Für das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander sind in erster Linie Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung der jeweiligen Wohnungseigentümergemeinschaft maßgeblich. Für die Ausübung der Verwaltertätigkeit gelten in erster Linie die Beschlüsse der Eigentümer, die in einem so genannten Beschlussbuch aufgeführt werden, und der Verwaltervertrag. Ist nichts anderes geregelt, gilt das Gesetz.
9.4.2
Rechtliche Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit
Das Berufsbild des Immobilienverwalters ist in Deutschland gesetzlich nicht geregelt. Als rechtliche Grundlagen und Standards für die Ausübung der Verwaltertätigkeit können nur die wenigen folgenden Vorschriften angesehen werden: Im Gemeinschaftsrecht sind es die Bestimmungen über die Bestellung und Einsetzung des Verwalters gem. §§ 741, 744 und insbesondere 745 Abs. 2 BGB. Nach der letztgenannten Vorschrift kann jeder Teilhaber – sofern nicht die Verwaltung und Benutzung durch Vereinbarung oder durch Mehrheitsbeschluss geregelt ist – eine dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen. In der Zweiten Berechnungsverordnung (§ 26 Abs. 1) sind die Verwaltungskosten definiert als die Kosten der zur Verwaltung des Gebäudes oder der Wirtschaftseinheit erforderlichen Arbeitskräfte und Einrichtungen, die Kosten der Aufsicht sowie der Wert der vom Vermieter persönlich geleisteten Verwaltungsarbeit. Zu den Verwaltungskosten gehören auch die Kosten für die gesetzlichen oder freiwilligen Prüfungen des Jahresabschlusses und der Geschäftsführung. Einzig aus dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) kann ein Leistungsbild des Verwalters in einem gewissen Umfang abgeleitet werden. So bestimmt § 20 WEG, dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums den Wohnungseigentümern nach Maßgabe der §§ 21–25 und dem Verwalter nach Maßgabe der §§ 26–28 obliegt und im Falle der Bestellung eines
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9 Recht der Immobilienverwaltung
Verwaltungsbeirats auch diesem nach Maßgabe des § 29. Wichtig ist, dass die Bestellung eines Verwalters im WEG nicht ausgeschlossen werden kann (§ 20 Abs. 2). Das Grundgerüst eines Leistungsbildes selbst ist in den §§ 27 und 28 WEG mit der Darstellung der Aufgaben und Befugnisse und der besonderen Pflichten dargestellt.
9.4.3
§ 34 c GewerbeO
Für den Zugang zum Beruf des Immobilienverwalters besteht Gewerbefreiheit. Diese wird im Interesse einer Gefahrenabwehr in Form einer Genehmigung (Gewerbeerlaubnis) durch die zuständige Verwaltungsbehörde nur geringfügig reglementiert. Der Gewerbeschein kann für € 35,00 – € 255,00 von jedem, der ein polizeiliches Führungszeugnis und einen festen Wohnsitz nachweisen kann, erworben werden. Sonstige Zugangsvoraussetzungen für diese im höchsten Maße qualifizierte Aufgabe der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen gibt es (noch) nicht. Ob die Regulierungen durch den Markt selbst ausreichend sind, darf bezweifelt werden. DDIV und IVD setzen sich für gesetzliche Zugangsvoraussetzungen ein. Derzeit ist die Aus- und Weiterbildungsarbeit der Verbände gefragt.
9.4.4
Berufsordnung
Der Dachverband der Deutschen Immobilienverwalter DDIV hat – ähnlich anderen Verbänden – eine Berufsordnung, die die wesentlichen Regeln der Ausübung des Berufs des Immobilienverwalters vorgeben (vgl. Abb. 18). Die Grundsätze der Berufsordnung des DDIV sind: Das Geschäftsgebaren eines ordentlichen Kaufmanns; die Treuhandstellung des Verwalters als Sachwalter fremden Vermögens; die Transparenz der Verwalterdienste; eine angemessene Weiterbildung der Mitarbeiter und des Inhabers bzw. Geschäftsführers des Verwaltungsunternehmens selbst; die Trennung des eigenen Vermögens von dem des Auftraggebers; die Unterhaltung einer angemessenen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (ergänzt durch Vertrauensschaden); die Einhaltung des Kick back-Verbots; die Pflicht zur fairem Verhalten im Wettbewerb; die ordentliche Abwicklung der Verwaltertätigkeit; die Verpflichtung zu einer gütlichen Verständigung bei Streit vor Einleitung eines Rechtsstreits.
9.4.5
Schiedsgerichtsbarkeit
Am 23.10.1997 haben Volkheimstättenwerk (vhw), Evangelisches Siedlungswerk in Deutschland (ESW) und der Dachverband Deutscher Hausverwalter e.V. (jetzt: DDIV) in Leipzig das Ständige Deutsche Schiedsgericht in Wohnungseigentumssachen ins Leben gerufen (hierzu Schmidt, Das Schiedsgericht, Ein Verfahren für den Verwalter?, Partner im Gespräch, Band 54 (1998), Seite 71 ff; Seuß, Deutsches Ständiges Schiedsgericht für Wohnungseigentumssachen in Leipzig, Der Immobilienverwalter (DIV), 1998, Seite 252 ff). 2004 wurde das Deutsches Ständiges Schiedsgericht für Wohnungseigentum e.V. mit Sitz in Bonn gegründet. Es ist derzeit einzige private, ausschließlich auf Wohnungseigentumsrecht ausgerichtete Schiedsgericht (Scheuer in: Köhler/Bassenge, Teil 14, Rz 28): Sachkunde des Schiedsgerichts – die Schiedsrichter sind durchweg WEG-Spezialisten – die Verkürzung der Verfahrensdauer und die größere Kostengerechtigkeit durch Abweichung von der Kostenentscheidung nach § 49 WEG zugunsten einer Entscheidung nach § 91 ZPO werden zu einer wesentlichen Entlastung der WEG-Gerichte führen. Wird eine gütliche Einigung nicht
9.4 Grundlagen für die Ausübung der Verwaltertätigkeit
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erreicht, so wird das Schiedsverfahren durch den Schiedsspruch beendet. Gegen diesen ist kein Rechtsmittel möglich (Zu den Einzelheiten und zur Wirkung des Verfahrens: Scheuer in: Köhler/Bassenge, Teil 14, Rz 28, 32 ff). Die Geschäftswerte der Schiedsverfahren wiesen in der Zeit von 1999 bis 2012 eine Spannbreite von € 400,00 bis € 1,5 Mio. auf. Berufsordnung für den Verwalter von Haus-, Grund- und Wohnungseigentum Präambel:
1.
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Der Verwalter von Haus-, Grund- und Wohnungseigentum hat einzeln und als Mitglied seines Berufsstandes die Verantwortung für einen entscheidenden Einfluss auf die Erhaltung, Pflege, Bewirtschaftung und die Wertentwicklung des ihm anvertrauten Grundbesitzes. Das ihm gewährte besondere Vertrauen hat er durch sein Verhalten und dasjenige seiner Mitarbeiter jederzeit zu rechtfertigen und dabei die Prinzipien und die Ziele seines Berufsstandes zu wahren. Der Verwalter hat die von ihm beruflich übernommenen Aufgaben nach bestem Wissen und Können mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft zu erfüllen. Der Verwalter hat bei seiner Tätigkeit die gesetzlichen Vorschriften zu beachten und die wohlverstandenen Interessen seiner Auftraggeber zu wahren und dabei stets zu berücksichtigen, dass er in treuhänderischer Funktion Sachwalter fremden Vermögens ist. Der Verwalter bietet seine Dienste nach kaufmännischen, existenzsichernden Grundsätzen nur zu einer leistungsgerechten Vergütung an. Der Umfang seiner Dienste und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten soll er umfassend detailliert und nachvollziehbar in einem schriftlichen Verwaltervertrag niederlegen. Der Verwalter hat zur ordnungsgemäßen und effektiven Erfüllung seiner Aufgaben ständig im Rahmen geeigneter Fortbildungsmaßnahmen für sich und seine Mitarbeiter die aktuelle Rechtsprechung, die Entwicklung der Bautechnik sowie die seinen Berufsstand betreffenden öffentlichen Verlautbarungen zu verfolgen, sein Fachwissen zu erweitern und seinen Auftraggebern die gewonnenen Erkenntnisse bei Bedarf zu vermitteln. Der Verwalter soll mindestens zweimal im Jahr an geeigneten Weiterbildungsmaßnahmen wie Fachveranstaltungen oder Seminaren teilnehmen. Der Verwalter hat uneingeschränkt das Vermögen seiner Auftraggeber von seinem eigenen und dem Vermögen anderer getrennt zu halten. Der Verwalter hat für sich und seine Mitarbeiter eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung in angemessener Höhe abzuschließen und über deren Art und Umfang bei Vertragsabschluss seinen Auftraggebern und/oder den für ihn existierenden berufsständigen Organisationen sowie auf Verlangen Auskunft zu erteilen.
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10.
Abb. 18:
9.5
9 Recht der Immobilienverwaltung Der Verwalter darf keinerlei Zuwendungen annehmen, die ihm im Zusammenhang mit der Erfüllung vertraglich übernommener Pflichten angeboten werden, und solche insbesondere nicht verlangen. Er darf sich keine unzulässigen mittelbaren oder unmittelbaren Vorteile aus seiner Verwaltertätigkeit verschaffen. Der Verwalter hat sich kollegial zu verhalten, fair und sachlich im Wettbewerb mit seinen Mitbewerbern. Sein Leistungsangebot hat er bei Bewerbungen vollständig und transparent darzulegen; eine etwaige Beteiligung an anderen Unternehmen, sei sie wirtschaftlich oder rechtlich bedingt, hat er auf Anfrage darzustellen, soweit eine Interessenkollision als möglich erscheint, ebenso sonstige vertragliche Bindungen im Bereich der Bau- und Wohnungswirtschaft. Bei Beendigung seines Amtes hat der Verwalter die Verwaltungsunterlagen einschließlich der Konten seinem Nachfolger unverzüglich herauszugeben und erforderliche Auskünfte zeitnah zu erteilen. Auf ablaufende Fristen, etwa Verjährungsfristen, hat er unaufgefordert hinzuweisen. Streitigkeiten unter den Verwaltern sollen gütlich geregelt werden. Auf Antrag ist der Vorstand des zuständigen Verbandes um Vermittlung zu ersuchen. Berufsordnung für den Verwalter von Haus-, Grund- und Wohnungseigentum
Standards für die Immobilienverwaltung
Insbesondere von der Investorenseite kommt vermehrt die Forderung, nicht nur bei der Errichtung bzw. Umstrukturierung von Immobilien sondern auch für die Erbringung von Immobiliendienstleistungen verlässliche Standards zu vereinbaren und anzuwenden. Hierzu soll die Einhaltung von DIN-Vorschriften und Standards ein hohes Maß an Überprüfbarkeit und Transparenz gewährleisten. Will ich feststellen, ob und inwieweit z. B. der Inhalt einer Baubeschreibung die Anforderungen an eine erhöhte Qualität im Sinne des Stands der Technik (und nicht nur im Sinne der allgemein anerkannten Regeln der Technik) erfüllt, so muss ich die entsprechenden einschlägigen DIN-Vorschriften und Empfehlungen kennen. Für den Immobilienverwalter ist dies insoweit von erheblicher Bedeutung, als sich u. a. danach auch für ihn Aufgaben erhöhter Obhuts- und Sorgfaltspflichten, weitergehende Verkehrssicherungspflichten und Pflichten zur Veranlassung zusätzlicher Maßnahmen im Bereich von Abschluss und Durchführung von Wartungsverträgen ergeben können. Aktuell spielen Abweichungen in der Qualität insbesondere im Bereich des Schallschutzes und der Klima- und Kältetechnik nicht nur beim Bau, sondern auch bei der störungsfreien Durchführung von Mietverhältnissen und der konfliktfreien Verwaltung von Wohnungseigentum eine ganz maßgebliche Rolle. Die Nutzer reagieren in diesem Bereich sensibler als noch vor einem Jahrzehnt (zu den Anforderungen an die Innenraumtemperatur und die Grenze zu einer Gesundheitsgefährdung bei der Beschaffenheit eines Mietobjekts: OLG Naumburg, NZM 2004, 343; KG, ZMR 2004, 259 – die Diskussion über die Frage, welche Verordnungen bzw. DIN-Vorschriften oder Richtlinien einschlägig sind (z. B. die DIN 4108-2, Ausgabe 2003-07, Wärmeschutz und Energieeinspa-
9.5 Standards für die Immobilienverwaltung
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rung in Gebäuden, Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz, ist noch nicht abgeschlossen)). Ob aus einer Nichteinhaltung arbeitsschutzrechtliche Vorschriften auf einen Mangel geschlossen werden kann, ist zweifelhaft (KG, IMR 2012, 238; verneinend OLG Frankfurt, IMR 2007, 219 und OLG Karlsruhe, IMR 2010, 98). Besonders deutlich werden die Anforderungen der Kenntnis von DIN-Vorschriften, Empfehlungen und Standards bei der Diskussion über die anrechenbare Mietfläche. Es ist von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, ob sich die Mietfläche nach der DIN 277 Teil 1, Februar 2005, oder bspw. nach der Richtlinie zur Berechnung der Mietfläche für gewerblichen Raum (MF/G), Stand 01.05.2012, der gif Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung richten soll. Unklare Vereinbarungen in Verträgen treffen insbesondere auch die Verwaltungstätigkeit, denn im Rahmen einer Mietanpassung kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den Vertragsparteien, weil anlässlich einer solchen Anpassung oft der Mieter (erstmalig) die Flächeninhalte überprüfen lässt. Verlassen sich die Vertragsparteien dann auf die häufig vereinbarte Entscheidung durch einen Sachverständigen als Schiedsgutachter, so hilft dies in vielen Fällen nicht weiter, weil auch dem Sachverständigen ja ein Flächenmaßstab an die Hand gegeben werden muss, wie ihn die Parteien übereinstimmend wollten. Fehlt es an einem solchen, weil im Mietvertrag kein Flächenmaßstab vereinbart ist, so wird der Sachverständige in der Regel nach der Verkehrssitte und Ortsüblichkeit entscheiden (str.). Das führt nicht selten zu von den Parteien nicht gewollten Ergebnissen (etwa denjenigen, dass mangels Vereinbarung eines Flächenmaßstabs in Berlin häufig auch für Gewerberaum die DIN 283 von Sachverständigen zugrunde gelegt wird). Auch von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite sind die Standards, die näher definieren, was unter (ordnungsgemäßer) Instandhaltung zu verstehen ist. Allein schon die Tatsache, dass in vielen Verträgen und auch im Sprachgebrauch der Rechtsprechung von Instandhaltung und Instandsetzung und nicht – wie es in der DIN 31051, Instandhaltung, Begriffe und Maßnahmen, geregelt ist, Instandsetzung als Teil der Instandhaltung neben Inspektion und Wartung gilt, zeigt die Notwendigkeit von unmissverständlichen Definitionen und Vereinbarungen solcher Vorschriften und Standards (J. Schmidt, NZM 2003, 505, 507). Herzstück für den Immobilienverwalter ist in Bezug auf solche Standards und Empfehlungen die Definition und Beschreibung seiner Immobiliendienstleistung. Hier kann bspw. die DIN 32736 Gebäudemanagement, Begriffe und Leistungen, August 2000, mit Beiblatt Nr. 1 herangezogen werden, in der die Richtlinie VDMA 24196 Gebäudemanagement, Begriffe und Leistungen, August 1996, aufgegangen ist; es können auch die einschlägigen von den Verbänden der Immobiliendienstleister veröffentlichten Beispiele für Verwalterverträge für Wohnungseigentumsanlagen und Mietwohnanlagen herangezogen werden, wie sie etwa der DDIV Dachverband Deutscher Immobilienverwalter e.V., Berlin, aufzeigt (www.ddiv.de). Dabei spielt es auch eine – aber nicht die entscheidende – Rolle, in welcher Weise diese Dienstleistungen untergliedert werden. So unterteilt etwa der DDIV die Immobilienverwaltungsdienstleistungen in 5 Säulen: Allgemeine kaufmännische Geschäftsführung, Juristische Betreuung, Finanz- und Vermögensverwaltung, Technische Verwaltung und Service-Dienstleistungen. Demgegenüber unterteilt die DIN 32736 Gebäudemanagement, Begriffe und Leistungen, das Gebäudemanagement in: Kaufmännisches Gebäudemanagement, Technisches Gebäudemanagement und Infrastrukturelles Gebäudemanagement. Der Immobilienverwalter wird den Grad seiner Professionalität auch daran belegen, dass er derartige DIN-Vorschriften, Richtlinien, Empfehlungen nicht nur als Standards erkennt, sondern auch über sie verfügt und sie gezielt einsetzen kann. Denn der Markt versteht unter
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9 Recht der Immobilienverwaltung
solchen Standards im engeren Sinne Qualitätsmerkmale der zu erbringenden Leistung. Sie sind geeignet, diese Qualität zu beschreiben und gegen andere Leistungsbilder abzugrenzen. Sie ermöglichen eine Transparenz von Vereinbarungen i. S. d. Forderung des Gesetzgebers im Rahmen der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 und sie ermöglichen den Marktbeteiligten eine gezieltere Bewertung der Immobilie – auch und gerade im Rahmen der Anlageentscheidungen. Zu empfehlen ist, dass den einschlägigen Verträgen, insbesondere auch den Mietverträgen ein Definitionskatalog vorangestellt wird. Hier können etwa Fragen beantwortet werden wie: Was verstehen die Parteien unter Dach und Fach? Was verstehen die Parteien unter gebäudetechnischen Einrichtungen? Was verstehen die Parteien unter den Grundleistungen? Wie definieren die Parteien die besonderen Leistungen des Verwalters? Beispiele für Standards:
DIN 32736 Gebäudemanagement, Begriffe und Leistungen, August 2000 mit Beiblatt Nr. 1 zu DIN 32736 (Gegenüberstellung DIN 32736, Zweite Berechnungsverordnung und DIN 18960) VDMA 24196 Gebäudemanagement, Begriffe und Leistungen, August 1996, aufgegangen in DIN 32736 Verwaltervertrag für Wohnungseigentumsanlagen; Empfehlung des Dachverbandes Deutscher Immobilienverwalter e.V., Berlin, Verwaltervertrag für Mietwohnanlagen; Empfehlung des Dachverbandes Deutscher Immobilienverwalter e.V., Berlin Berufsordnung für den Verwalter von Haus-, Grund- und Wohnungseigentum, Dachverband Deutscher Immobilienverwalter e.V., Berlin DIN 31051 Instandhaltung, Begriffe und Maßnahmen DIN 18960 Nutzungskosten im Hochbau, September 1999 Empfehlungen zur Analyse von Immobilienrisiken (EAI), gif e.V., Wiesbaden, September 2001 DIN 277 Teil 1, 2 und 3 Grundflächen- und Rauminhalte von Bauwerken im Hochbau, Februar 2005 Richtlinie zur Berechnung der Mietfläche für Büroraum (MF-B), gif e.V., Wiesbaden, April 1996 (abgelöst durch MF/G, Stand 01.05.2012) Richtlinie zur Berechnung der Mietfläche für Handelsraum (MF-H), gif e.V., Wiesbaden, Juli 1997 (abgelöst durch MF/G, Stand 01.05.2012) Richtlinie zur Berechnung der Mietfläche für gewerblichen Raum (MF/G), gif e.V., Wiesbaden, Stand 01.05.2012 Richtlinie zur Berechnung der Mietfläche für Wohnraum (MF/W), gif e.V., Wiesbaden, Stand 01.05.2012 Richtlinie zur Berechnung der Verkaufsfläche im Einzelhandel (MF/V), gif e.V., Wiesbaden, Stand 01.05.2012 Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche vom 25.11.2003 (BGBl. I, 2346) Verordnung über die Aufstellung von Betriebskosten (Betriebskostenverordnung – BetrKV) vom 25.11.2003 (BGBl. I, 2346) Red Book (RICS) Valutation and Appraisal Standards, RICS Deutschland Valuation Faculty Board, 2. Fassung Sept. 2003
9.6 Der Verwaltervertrag
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Rules of conduct (RICS) Conduct Regulations 2003, Under Bye-Laws 10 (1), 19, 20 and 22 B DIN 4108-2, Ausgabe: 2003-07, Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz.
9.6
Der Verwaltervertrag
9.6.1
Rechtsnatur, Rahmenbedingungen
Der – aus Beweiserleichterungsgründen vorzugsweise schriftlich abzuschließende – Verwaltervertrag betrifft der Verwaltung einer Immobilie und damit ein Dauerschuldverhältnis. Es hat die Übernahme der Verwaltung eines Objektes zum Gegenstand. Der Verwaltervertrag ist seiner Natur nach ein entgeltlicher Geschäftsversorgungsvertrag (i. S. von § 675 BGB). Er setzt sich aus Elementen des BGB-Auftrags-, Dienst- und Werkvertragsrechts zusammen. Der Schwerpunkt der Leistungen liegt dabei im Dienstvertragsrecht (§ 611 ff BGB). Die genaue rechtliche Qualifizierung hängt von der jeweiligen Ausgestaltung ab. Soweit der Verwalter einen Erfolg im Sinne des Herbeiführens von Arbeitsergebnissen schuldet, enthält der Vertrag werkvertragliche Elemente (z. B. Erstellung des Wirtschaftsplanes oder der Jahresabrechnung). Wird der Verwalter ausnahmsweise unentgeltlich tätig, so finden die auftragsrechtlichen Regelungen der §§ 662 ff BGB Anwendung. Das ist insbesondere bei kleinen Objekten vorzufinden, bei der die Verwaltungsübernahme durch eine in dem Objekt befindlichen Parteien erfolgt. Grundsätzlich können die Vertragsparteien den Verwaltervertrag frei gestalten. Grundlegende Pflichten und Rechte ergeben sich dabei oft aus dem Wortlaut des jeweils einschlägigen Gesetzes aufgrund der Rechtsnatur des Verwaltervertrages. Es sollte ein vom Verwalter zu erfüllender Leistungskatalog ebenso aufgeführt werden wie die zu entrichtende Verwaltervergütung. Zur Klarstellung können in den Vertrag auch andere, meist regelungsbedürftige, Komplexe aufgenommen werden, so etwa Nebenpflichten im Bereich der Auskunft, der Einsichtsgewährung, der Beratung, Dokumentation sowie der Aufbewahrung. Pauschal oder auch nach Aufwand zu honorierende Tätigkeiten, Haftungsbegrenzungen sind unter Berücksichtigung der Verkehrssitte für die Verwalteraufgaben zu bestimmen. Diese Verkehrssitte wird entscheidend durch das allgemein anerkannte Leistungsbild des Verwalters bestimmt. Regelungen im Verwaltervertrag können nichtig sein. Das gilt, wenn einzelne Bestimmungen oder der ganze Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen. Zu beachten ist auch, dass solche Verträge der Klauselkontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gem. §§ 305 ff BGB unterliegen (OLG Frankfurt, ZWE 2008, 470, 478; OLG München, InfoM 2009, 178). Das gilt insbesondere für die Fragen der Haftung bzw. der Haftungsbeschränkung im Hinblick auf die Einhaltung des Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Wohnungseigentümergemeinschaft gilt bei Abschluss eines Verwaltervertrages als Verbraucher. Der Verwaltervertrag ist im Hinblick auf den Aufgabenkreis und im Hinblick auf die umfassende treuhänderische Stellung des Verwalters ein komplexer Vertrag, der einer solchen Klauselkontrolle in vielfacher Hinsicht ausgesetzt ist. Das gilt neben den bezeichneten The-
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9 Recht der Immobilienverwaltung
men beispielsweise auch für die Erhöhung der Verwaltervergütung und für Verjährungsregelungen (Furmans, NZM 2004, 201, 204, 205). Im WEG gilt die Besonderheit gilt, dass das Angebot eines Bewerbers auf Abschluss eines Verwaltervertrages von den Wohnungseigentümern i. d. R. durch Beschluss in der Eigentümerversammlung angenommen wird. Im Übrigen gelten für Angebot und Annahme auf Abschluss eines Verwaltervertrages die allgemeinen Regeln des BGB der §§ 145 ff. Eine weitere Besonderheit des WEG liegt darin, dass bei Bestellung des Verwalters in der Teilungserklärung bzw. Gemeinschaftsordnung und gleichzeitigem Abschluss des Verwaltervertrages mit dem Gründer später in die Gemeinschaft eintretende Wohnungseigentümer durch Vertragsübernahme auch Vertragspartner des Verwaltervertrages werden. Die Verpflichtung hierzu ist üblicherweise in den Erwerberverträgen enthalten. Auch kann sich im WEG der Gründer selbst zum Verwalter bestellen, wobei darauf zu achten ist, dass dann auch immer noch ein Verwaltervertrag ausdrücklich abgeschlossen werden muss, um dem Verwalter seine Rechtstellung zu verschaffen. Schließt der Gründer „mit sich selbst“ einen Verwaltervertrag, so wird dieser wirksam, wenn der erste Wohnungseigentümer als Vertragspartner eintritt. Die (Erstverwalter-)Bestellung ist auf 3 Jahre beschränkt (§ 26 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz WEG).
9.6.2
Inhalt, Grundleistungen und besondere Leistungen
Der Inhalt des Verwaltervertrages richtet sich nach dem Gegenstand der Verwaltung. Neben der Beschreibung des Vertragsgegenstandes ist Inhalt von Verwalterverträgen natürlich in erster Linie die Leistungsbeschreibung und Leistungsabgrenzung. Üblicherweise enthält der Verwaltervertrag Regelungen zu den so genannten Grundleistungen und grenzt diese von den so genannten besonderen Leistungen ab. Letztere sind nur kraft gesonderter Vereinbarung und mit gesondert zu vereinbarender Vergütung abzugelten. In jedem Falle sind neben dem allgemeinen Leistungsstandard die Bestimmungen im Verwaltervertrag über Art und Umfang der Leistungen des Auftragnehmers (Verwalter) und die hieraus resultierenden Pflichten das Herzstück des Verwaltervertrags. Beim Hausverwaltervertrag gehören zum Aufgabenbereich des Hausverwalters insbesondere der Abschluss und die Kündigung von Mietverträgen, die Neuvermietung, die Einziehung der Mieten und Betriebskosten, die Abrechnung der Betriebskosten, die Überprüfung und Durchführung von Mieterhöhungen, die Zahlung aller Steuern, Abgaben, Zinsen und sonstigen Lasten, die Überwachung des Versicherungsschutzes, die Vertretung des Auftraggebers gegenüber Behörden, die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Anlagen und Einrichtungen des Objektes, Überwachung, Abschluss und Kündigung von Liefer- und Wartungsverträgen, die Vergabe der für die Instandhaltung und Instandsetzung erforderlichen Arbeiten, der Abschluss und die Kündigung von Hausmeisterverträgen und Hilfskräften, die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen und die Information des Auftraggebers über alle wichtigen Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Objekt. Typische Leistungen im Verwaltervertrag zur Verwaltung von Mietobjekten (hierzu ausführlich J. Schmidt, NZM 2008, 563, 565) sind beispielsweise
die Übergabe der Mietsache unter Erstellung eines Übergabeprotokolls, der Abschluss von Mietverträgen bzw. die Mitwirkung bei dessen Erstellung, die Einziehung und Abrechnung der Miet- und Nebenkostenzahlungen,
9.6 Der Verwaltervertrag
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die Anpassung der Miethöhe, die Auswahl der Mietinteressenten, das Mahnwesen, die Verwaltung der Kautionen/Sicherheitsleistungen, die organisatorische Begleitung von Mietprozessen, die Überwachung der Durchführung von Schönheitsreparaturen und Instandhaltungsund ggfls. Instandsetzungsmaßnahmen durch den Mieter, der Einsatz und die Überwachung des Hausmeisters, der Abschluss und die Überwachung von Wartungs- und Pflegeverträgen einschließlich der Überwachung der Intervalle und Fristen, der Abschluss und die Durchführung von Versicherungsverträgen einschließlich der Korrespondenz mit den Versicherern, die Veranlassung von Maßnahmen der Verkehrssicherungspflicht, einschließlich der Auswahl und Überwachung der hiermit beauftragten Dritten, die Organisation der Rückgabe der Mietsache unter Erstellung eines Rückgabeprotokolls, die Überwachung der Einhaltung des vereinbarten Mietzwecks durch den Mieter und etwaiger Untermieter. Als Sachwalter und Treuhänder fremden Vermögens hat der Verwalter insbesondere eine ordnungsgemäße Buchführung zu wahren und dabei das Vermögen des Auftraggebers getrennt von seinem Vermögen zu halten, wobei ein offenes Fremdkonto als weitestgehende Sicherheit des Auftraggebers zu empfehlen ist. So ist beispielsweise in der Berufsordnung des DDIV (Dachverband Deutscher Immobilienverwalter) die Vermögenstrennungspflicht ausdrücklich als einzuhaltender Grundsatz der Berufsausübung definiert. Üblicherweise werden im Verwaltervertrag Grundleistungen und die besonderen Leistungen getrennt aufgeführt. Die Grundleistungen sind mit der üblichen Vergütung (Pauschalhonorar, prozentualer Anteil an den geschuldeten oder auch den gezahlten Mieten, Festbeträge für die einzelnen Einheiten) abgegolten, während besondere Leistungen nur kraft gesonderter Vereinbarung und hierfür gesondert zu vereinbarender Vergütung abgegolten werden. Im WEG orientiert sich der Inhalt der Verwalterverträge notwendigerweise an den Aufgaben und Befugnissen des Verwalters gem. § 27 Abs. 1 und 2 WEG und den weiteren Pflichten aus § 28 WEG zur Aufstellung eines Wirtschaftsplans und zur kalendermäßigen Abrechnung sowie zur – von den Wohnungseigentümern jederzeit verlangbaren – Rechnungslegung. Zu den Aufgaben und Befugnissen des Verwalters gem. § 27 WEG gehören insbesondere
die Durchführung der Beschlüsse der Wohnungseigentümer, das Treffen der erforderlichen Maßnahmen für die Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums, die Verwaltung gemeinschaftlicher Gelder, die Einziehung und ordnungsgemäße Verwendung der Lasten- und Kostenbeiträge, die Entgegennahme von an die Wohnungseigentümer gerichteten Willenserklärungen und Zustellungen, die Durchführung fristwahrender Maßnahmen und die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen im Falle einer Ermächtigung durch die Wohnungseigentümer.
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9 Recht der Immobilienverwaltung
Die in § 27 gesetzlich verankerten Aufgaben und Befugnisse sind Grundpflichten als wesentliche Vertragspflichten auf, deren Einhaltung der Vertragspartner vertraut, (auch Kardinalpflichten genannt). Eine Freizeichnung von der Haftung muss die Unantastbarkeit dieser Kardinalpflichten widerspiegeln (Furmans, NZM 2004, 201, 203).
9.6.3
Vertragsmuster, Software
Die Musterverträge Verwaltervertrag für Mietwohnanlagen und Verwaltervertrag für Wohnungseigentumsanlagen können auch auf Diskette bezogen werden (Bezugsquelle Dachverband Deutscher Immobilienverwalter e.V). Als Vorlage für den Abschluss von Verwalterverträgen werden in der Praxis meist Vertragsmuster verwendet, die an das einzelne Vertragsverhältnis angepasst werden können. Die Verwendung solcher Muster bietet sich auch deshalb an, da auf diese Weise insbesondere Risiken und Unsicherheiten über die Transparenz und die Vollständigkeit der Verwalterleistungen gemindert werden können. Gerade für den Immobilienverwaltervertrag ist eine derartige Transparenz notwendig (hierzu Schmidt, Immobilienzeitung vom 24.07.1994, Seite 8 ff; ausführlich zu allen Einzelregelungen eines Mustervertrags, Vertrag zwischen den Verwalter und der Eigentümergemeinschaft: Müller/Rüscher, I.II.1). Der DDIV hat bislang die folgenden Muster vorgelegt: Verwaltervertrag für Mietwohnanlagen und Verwaltervertrag für Wohnungseigentumsanlagen. Beide Musterverträge teilen die Leistungen zunächst wie folgt auf: Allgemeine kaufmännische Verwaltung Juristische Betreuung Finanz- und Vermögensverwaltung Technische Verwaltung Der besondere Vorzug liegt in der detaillierten Aufgliederung der Einzelleistungen und damit einer weitestmöglichen Transparenz sowie in der Aufteilung der wesentlichen Pflichten des von den deutschen Immobilienverwaltern so verstandenen Leistungsbildes in Grundleistungen und in besondere Leistungen. Auf diese Weise ist die auf dem Markt immer wieder angesprochene Abgrenzung zu anderen Leistungsbildern (etwa demjenigen der Hausmeisterdienste oder auch demjenigen der Vermögensverwalter) gewährleistet. Die Musterverträge sind im Übrigen eine sehr geeignete Checkliste für das Leistungsbild des Immobilienverwalters. Wesentliche Grundlage der effektiven Arbeit des Verwalters ist eine geeignete Software. Diese muss nicht nur eine reibungslose Buchhaltung gewährleisten. Viele Anbieter konkurrieren und wenden sich an die unterschiedlichen Ausformungen der Verwaltungsunternehmen mit einer Vielzahl von Softwaremodulen, insbesondere im Flächenmanagement, im Bereich der Leistungen rund um die Immobilie (Service-Leistungen), im Bereich von Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen. Zur Software für den Immobilienverwalter bietet der DDIV auf seiner Homepage (www.ddiv.de) Hinweise.
9.6.4
Vergütungsregelungen
Gesetzliche Regelungen über die Vergütung des Immobilienverwalters gibt es nicht. Der Vergütungsanspruch ergibt sich aber allgemein aus §§ 675, 612 BGB. Grundsätzlich können auch nicht analog die Sätze herangezogen werden, die ein Verwalter als Zwangsverwal-
9.6 Der Verwaltervertrag
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ter erhält. Dort sind ja Sätze im ZSEG geregelt, deren Anwendung dazu führt, dass der Immobilienverwalter etwa pro zwangsverwalteter Eigentumswohnung eine Entschädigung von € 40,00 bis € 70,00 erhält. Anhaltspunkte können die Regelungen der Verwaltungskosten in der II. BV sein (jährlich € 230,00 pro Wohnung und bis € 30,00 pro Stellplatz (Bub in, Bub u. a. WEG § 26 Rz. 263)). Somit regelt sich die Vergütung des Immobilienverwalters nach der freien Vereinbarung der Vertragsparteien. Es kann eine pauschale Vergütung vereinbart werden, eine Vergütung pro verwalteter Einheit oder auch ein prozentualer Anteil an den geschuldeten oder auch den tatsächlichen Mieteinkünften. Ein in der Nebenkostenabrechnung für ein gewerbliches Mietobjekt auftauchender Betrag an Verwalterkosten (die im Mietvertrag umgelegt werden) von 5,8 % der Bruttomiete ist nicht überraschend im Sinne des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (BGH, NZM 2012, 83). Der Dachverband Deutscher Immobilienverwalter (DDIV) geht nach eigenen Recherchen davon aus, dass im Bereich der WEG-Verwaltung Sätze im Bereich von zwischen € 10,00 und € 35,00 pro Einheit (in einer Studie der BSI Bundesvereinigung Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft 2010 werden € 15,00 bis € 23,00 eingegeben). und Monat im Bereich der Mietverwaltung eine Spanne von 3 % der tatsächlich gezahlten Nettomieten bis zu 5 bzw. 6 % der geschuldeten Brutto-Sollmieten ortsüblich und angemessen sind. Der Marktpreis wird je nach Leistung der Verwaltung und Größe und Ausstattung der Wohnanlage auch bis € 40,00 zzgl. MwSt. angegeben, wobei allgemein von einem „nicht erklärbaren“ Nord-/Südgefälle die Rede ist (Stein, Immobilienpraxis und Recht 10/99, 57). Besonders sorgfältig sollte bei der Formulierung von Sondervergütungen vorgegangen werden. Das gilt etwa für den Fall der Zusage einer Sondervergütung bei Veranlassung von Klageverfahren wegen Verzugs des Eigentümers mit fälligen Wohngeldern oder auch bei Zusage einer Pauschalvergütung im Rahmen der Mitwirkung des Verwalters in Aktiv- wie auch in Passiv-Prozessen. Maßgeblich wird im Einzelfall bei der Beurteilung der Angemessenheit eines Verwalterhonorars die Frage sein, welche Leistungen des Verwalters im Rahmen der vereinbarten Grundleistung für die Mietverwaltung wie auch für die Wohnungseigentumsverwaltung wie sie in den Musterverträgen des DDIV definiert sind, tatsächlich vereinbart wurden. Sie sind dort von den sogenannten Sonderleistungen abgegrenzt, für die eine gesonderte Vergütung zu vereinbaren ist, wenn der Verwalter diese Leistungen ebenfalls erbringen soll. Hier wird in aller Regel nach Zeitaufwand oder pauschal ein zusätzliches Entgelt vereinbart (Einzelheiten hierzu bieten die Musterverträge des DDIV, München (siehe auch Bub a. a. O., Rz. 264a ff).
9.6.5
Die Haftung des Verwalters
9.6.5.1
Pflichtverletzung
Der Verwaltervertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag des besonderen Schuldrechts, auf den die Grundsätze des Dienstvertrags und des Geschäftsbesorgungsvertrages Anwendung finden, löst in Fällen schuldhafter Pflichtverletzung wegen schuldhaften Verstoßes gegen die im Vertrag vereinbarten Vertragspflichten einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB aus. Diese Verletzung kann sowohl auf vorsätzlichem wie auch auf fahrlässigem Verhaltens beruhen.
528
9 Recht der Immobilienverwaltung
Außerhalb des Verwaltervertrages kann der Verwalter wegen Vorliegens des Tatbestandes einer unerlaubten Handlung im Sinne der §§ 823 ff BGB haften. Es kommt auch eine Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) in Betracht, etwa dann, wenn der Verwalter sich des Einsatzes eines Dritten zur „Verrichtung“ bestimmter Tätigkeiten bedient, also z. B. eines Hausmeisters. Hier wiederum ist ein Haftungsausschluss dann möglich, wenn der Verwalter den Hausmeister sorgfältig ausgewählt und stets ordnungsgemäß überwacht hat (OLG München, ZMR 2006, 226). Schädigt er das Gemeinschaftsvermögen durch treuwidrige Verwendung der von ihm zu verwaltenden Gelder oder unterlässt er die Durchführung eines Sanierungsbeschlusses, so macht er sich schadensersatzpflichtig. Auch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann eine deliktische Haftung im Sinne der §§ 823, 836, 838 BGB auslösen. Kraft Verwaltervertrages hat der Verwalter eine Garantenstellung dafür übernommen, dass sich das von ihm verwaltete Objekt sowohl im Gebäudeinneren als auch im Außenbereich in einem gefahrlosen verkehrssicheren Zustand befindet (Gottschalg, Die Haftung des WEG-Verwalters, Der Immobilienverwalter 1/95, 16). Es kommt eine Eigenhaftung für Schäden aus der Verletzung der dem Verwalter obliegenden Kontroll-, Hinweis und Organisationspflichten nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG in Betracht (Reichert in: Köhler/Bassenge, Teil 12 Rz 223 ff). Für Frostschäden haftet der Verwalter auch dann, wenn das Heizungsunternehmen ihm mitgeteilt hat, er brauche die Anlage wegen ihrer Anbringautomatik nicht zu überwachen (BGH, Urteil vom 11.11.1999, DIV 2/2000, 76), denn es ist originäre Aufgabe des Verwalters, Heizungen und Wasserleitungen in leerstehenden Wohnungen daraufhin zu überprüfen, ob sie frostgefährdet sind. 9.6.5.2
Schaden, Haftungsmaßstab
Jede Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen den Verwalter setzt voraus, dass
ein Schaden entstanden ist, der Schaden durch eine Pflichtverletzung (vorsätzlich oder fahrlässig) vom Verwalter bzw. seinem Erfüllungsgehilfen verursacht wurde und ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz besteht. Eine knappe und hilfreiche Übersicht hierzu bietet Bielefeld (Der Wohnungseigentümer, 5. Aufl., Seite 516 ff). Eine gründliche Darstellung der Haftungsproblematik liefert Gottschalg (Gottschalg, NZM 2003, 457). Hat der Verwalter bei der Auswahl des Dritten, z. B. der Auswahl eines Architekten als Sonderfachmanns die notwendige Sorgfalt walten lassen, und überwacht er im Rahmen seiner Vertragspflichten und seine Möglichkeiten diesen Dritten ordnungsgemäß, so kommt dem Verwalter ein Haftungsausschluss zugute (Wenzel, ZWE 2009, 57,62).
9.6.5.3
Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Bauträger/Handwerker
Der vom Bauträger bestellte Verwalter von Wohnungseigentum gerät oft in Konfliktsituationen im Zusammenhang mit der Verjährung von Gewährleistungsansprüchen der Eigentümer wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum (Greiner in: Köhler/Bassenge, Teil 11, Rz 291). Ist er nämlich rechtlich oder wirtschaftlich mit dem Bauträger verflochten, so besteht die
9.6 Der Verwaltervertrag
529
Gefahr, dass er nicht immer sofort seine Kenntnisse von der Immobilie und von Mängeln in eine Empfehlung an die Gemeinschaft umsetzt, mit der diese ihre Rechte wahren kann. Zu diesen Rechten gehören insbesondere rechtzeitige Mängelrügen oder die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens bzw. eine Klage auf Mängelbeseitigungskostenvorschuss zur Hemmung der Verjährung. Soweit dem Verwalter Mängel bekannt sind und insbesondere hinsichtlich der Gewährleistungsansprüche für diese Mängel die 5-jährige Verjährungsfrist gem. § 634 a Nr. 2 BGB abzulaufen droht, hat er hierauf die Gemeinschaft hinzuweisen und auch auf die die Rechte der Gemeinschaft wahrenden Maßnahmen hinzuwirken (BayObLG, NZM, 2003, 31). Viele Fehler werden hier gemacht, weil die durch die Schuldrechtsreform im Rahmen der Verjährung eingetretenen wesentlichen Veränderungen nicht realisiert werden. Zum einen ist die regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren auf 3 Jahre reduziert worden (§ 195 BGB). Hiervon wird zwar die spezialgesetzliche Regelung der 5-jährigen Verjährungsfrist nicht erfasst, jedoch gilt auch für letztere, dass durch Verhandlung bzw. durch eine Rechtsverfolgung der Ansprüche nicht mehr eine Unterbrechung der Verjährung eintritt, sondern lediglich eine Hemmung (hier sind jetzt insbesondere §§ 203, 204, 209 BGB zu beachten). Die Verjährung beginnt lediglich dann erneut (§ 212 BGB), wenn eine der dortigen Voraussetzungen, insbesondere z. B. Anerkenntnis durch Zahlung oder Vornahme einer Vollstreckungshandlung, vorliegt. Bei Zweifeln z. B. über die Beendigung der Hemmung der Verjährung wegen Verhandlungen muss sich der Verwalter zur Meidung eigener Haftung juristischen Rats bedienen, denn sonst wird sein Handeln so gewichtet, als sei er der Jurist und habe die von diesem erwarteten Rechtskenntnisse. 9.6.5.4
Haftung aus Verwaltung des Sondereigentums (WEG)
Immer öfter übernehmen Wohnungseigentumsverwalter als Zusatztätigkeit auch die Verwaltung des Sondereigentums (hierzu Schmidt, Zusatztätigkeiten des Wohnungseigentumsverwalters, PiG Band 44 (1995) 110 f). Ein Problem taucht auf, wenn im Falle einer Interessenkollision zwischen den Interessen der Gemeinschaft und der Interessen des Sondereigentümers der Verwalter beide Verträge nicht gleichermaßen zu 100 % optimal erfüllen kann. Erfüllt er einen der beiden Verträge schlecht, so resultieren hieraus Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung. 9.6.5.5
Vergabe von Sanierungsmaßnahmen
Ein erhebliches Haftungspotenzial zieht der Verwalter auf sich, wenn er Planungs- und Vergabeleistungen für Sanierungsmaßnahmen ohne vorherige eindeutige Beschlussfassung der Wohnungseigentümer vergibt (OLG Celle, NZM 2002, 169) oder wenn er etwa eine Dachterrassensanierung in Auftrag gibt, obwohl diese Maßnahme voreilig ist, weil eine Wohnanlage nur 7 Einheiten umfasst und es deshalb ohne größere Schwierigkeiten möglich gewesen wäre, kurzfristig eine außerordentliche Eigentümerversammlung einzuberufen (BayObLG, NZM 2004, 390). Er kann sich auch durch die Vergabe von Aufträgen ohne Vergleichsangebote haftbar machen (BayObLG, NZM 2002, 564).
530 9.6.5.6
9 Recht der Immobilienverwaltung Gefahrenabwehr, Verkehrssicherungspflichten
Der Verwalter muss nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG gegenüber den Eigentümern alle zur Gefahrenabwehr erforderlichen Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum in eigener Verantwortung treffen. Auch der Verwalter ist in einem weiten Umfange verkehrssicherungspflichtig, weil er in aller Regel als Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft für die Immobilie anzusehen ist (Einleitung der Beseitigung witterungsbedingter Schäden, plötzliches Auftreten von Eis und Schnee, Überwachung von ausreichender Beleuchtung in der Immobilie; zur Übertragung der Verkehrssicherungspflichten durch den Verwalter siehe auch: Bremicker, WE 1998, 295, 297). Ob den Verwalter nach der Anerkennung der WEG als teilrechtsfähiger Verband noch eine Eigenhaftung trifft, ist umstritten. Sie dürfte aber im Rahmen des § 27 Abs. 1 Nr. 2 und § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 WEG weiter bestehen (Vandenhouten, ZWE 2012, 237, 244). Setzt er Fachkräfte ein, so ist er verpflichtet, diese laufend und im Rahmen der verkehrsüblichen Sorgfalt zu überprüfen (BGH, Verkehrssicherungsrecht 1976, 66; BGH WM 1993, 1341, 1342). Von der Haftung für Verrichtungsgehilfen, die ihre Pflichten vernachlässigen und hierdurch einen Schaden verursachen, und die gem. § 831 BGB grundsätzlich aus vermutetem Verschulden besteht, kann sich der Verwalter dadurch befreien, dass er nachweist, dass er bei der Auswahl der bestellten Personen, der Beschaffung von Vorrichtungen oder Gerätschaften oder bei der Überwachung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB). Häufige Haftungsthemen sind im Grundstücksbereich die nicht ausreichende Beseitigung von Eis- und Schneeglätte (Gottschalg, NZM 2003, 457, 461), und im Gebäudebereich Schadensfälle durch nicht ausreichende Beleuchtung oder auch durch herabfallende Bauteile bei Sturm (Gottschalg, NZM 2003, 457, 461, 462 m. w. N.). 9.6.5.7
Haftung des Verwalters im Rahmen der Abwicklung der Verwaltertätigkeit
Bei Beendigung der Verwaltertätigkeit hat der Verwalter alle dem Auftraggeber zustehenden Gelder an den Auftraggeber, ggf. zu Händen des neuen Verwalters, herauszugeben (§§ 675, 667 BGB). Auch hat er über seine Einnahmen und Ausgaben Rechnung zu legen. Er schuldet die Herausgabe aller Originalbelege und aller Originalrechnungen sowie aller ihm im Rahmen seiner Verwaltung übergebenen Unterlagen des Auftraggebers. Eine Übersicht über die herauszugebenden Vertragsunterlagen bietet die Checkliste für zu übergebende Unterlagen der Verwaltung von Wohnungseigentums- und Mietobjekten (Schmidt, Der Immobilienverwalter 2/2000, 92, 93). Für Wohnungseigentumssachen gibt es zahlreiche Antragsmuster über die Rechnungslegungspflicht und die Herausgabe der Belege. Unterschiedlich sind die Verpflichtungen im laufenden Verwaltervertrag und bei dessen Beendigung hinsichtlich der Rechnungslegung und der Abrechnung zu beurteilen (Frohne, NZM 2002, 242). Gibt der Verwalter nicht oder nicht vollständig heraus, so eröffnet sich dem Auftraggeber im Wege eines Stufenantrags eine Klage auf Rechnungslegung, dann auf eidesstattliche Versicherung und schließlich auf Zahlung (hierzu Niedenführ, NZM 2000, 270).
9.6 Der Verwaltervertrag 9.6.5.8
531
Haftungssachverhalte
Nachstehend werden exemplarisch häufige Haftungssachverhalte aufgeführt:
Der Verwalter unterlässt es, den Eigentümer eines förderungsfähigen Bauvorhabens auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von bestehenden Investitionszulagen hinzuweisen (OLG Frankfurt, IMR 2010,346). Der Verwalter vergibt Planungs- und Vergabeleistungen für Sanierungsmaßnahmen ohne vorherige eindeutige Beschlussfassung der Wohnungseigentümer (OLG Celle, NZM 2002,169). Der Verwalter lässt Ansprüche gegen Bauträger/Handwerker verjähren, ohne vorher den Auftraggeber auf den Ablauf der Verjährungsfrist hingewiesen zu haben (BayObLG, ZMR 2003, 216). Der Verwalter unterlässt es, rechtzeitig Wohngeldrückstände gegenüber säumigen Wohnungseigentümern geltend zu machen, die dann Verbraucherinsolvenz anmelden, so dass endgültig Zahlungsausfälle entstehen. Der Verwalter überträgt ohne Zustimmung der Auftraggeber seine Verwalterstellung auf eine ausgegliederte GmbH (BayObLG, NZM 2002,346). Der Verwalter verstößt gegen seine Obliegenheit zur rechtzeitigen Meldung eines Schadens an die Versicherung (OLG Köln, NZM 2005,307). Der Verwalter verstößt gegen seine Rechnungslegungspflicht einschließlich der Aufstellung von Forderungen, Verbindlichkeiten und Kontoständen (OLG München, NZM 2008,250). Der Verwalter, der die Verpflichtung zur Mietvertragsverhandlung und zum Abschluss eines Mietvertrags übernommen hat, wendet fehlerhafte Mietvertragsklauseln (Schönheitsreparaturen) an (LG Berlin, GE 2008,604; Herrlein, NZM 2009,1, 3). Der Verwalter verstößt jahrelang gegen die kraft gerichtlichen Vergleichs ihm obliegende Verpflichtung zur Neuverteilung laufender Kosten sowie zur Erstellung von Abrechnungen (OLG Köln, Immobilienwirtschaft 2009,71).
9.6.5.9
Beschränkung der Verwalterhaftung
Eine solche Haftungsbeschränkung erfolgt in aller Regel über den Verwaltervertrag formularmäßig. Eine Beschränkung der Verwalterhaftung durch AGB ist außer für die Fälle des Vorsatzes auch für die Fälle grober Fahrlässigkeit unzulässig (BHG NJW-RR 1993, 560). Allerdings ist eine wirksame Haftungsbeschränkung zumindest im Formularverträgen kaum möglich (Müller/Rüscher I. II. 1 Anm. 59). Denn: Nur von eigener leichter Fahrlässigkeit sowie solcher von Erfüllungsgehilfen kann der Verwalter sich in bestimmten Fällen freizeichnen. Eine Haftungsbeschränkung in Fällen grober Fahrlässigkeit ist generell unzulässig (Gottschalg, DIV 1995, 16, 23; u. 1995, 46; Bub a. a. O.). Bei einfacher Fahrlässigkeit sind weder ein Haftungsausschluss noch eine Haftungsbegrenzung zulässig, wenn die Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ausgeschlossen oder beschränkt werden soll. Dieses Klauselverbot greift unabhängig davon, auf welche Anspruchsgrundlage der Anspruch gestützt wird. Erfasst sind vertragliche, vorvertragliche und deliktische Ansprüche. Der Freizeichnungsausschluss schließt außerdem gesetzliche Vertreter und Erfüllungsgehilfen i. S. von § 278 Satz 1 BGB ein. Das entsprechende Klauselverbot bei ist in § 309 Nr. 7a BGB enthalten. Es bezieht sich auf schuldhafte Pflichtverletzungen und nicht auf eine reine Garantiehaftung. Letztere kann
532
9 Recht der Immobilienverwaltung
nach wie vor auch durch formularvertragliche Regelung ausgeschlossen werden, und zwar auch dann, wenn Körperschäden betroffen sind (Joachim, NZM 2003, 387, 388; Heinrichs, NZM 2003, 6, 9). Mit dem gleichen Ergebnis ist in Fällen leichter Fahrlässigkeit weder ein Haftungsausschluss noch eine Haftungsbegrenzung wirksam, wenn es um die Verletzung einer sog. Kardinalpflicht geht (BGH, NJW 1989, 2047; OLG Frankfurt, ZMR 2008, 985; Gottschalg, NZM 2009, 217). Kardinalpflichten sind vertragstypische bzw. vertragswesentliche Pflichten, auf deren Erfüllung der Vertragspartner vertrauen kann, und durch deren Nichterfüllung die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre. Der Begriff der „Kardinalpflicht“ sollte dem Begriff des „wesentlichen Vertragspflicht“ weichen (BGH, NZM 2006, 46; AGB-Klauselwerke/F. Graf von Westphalen, Rn. 36, 43). Beispielhaft sind Kardinalpflichten des Verwalters diejenigen gem. §§ 24, 27 Abs. 1 und 2, 28 WEG. Zu der dort ausgewiesenen Kernkompetenz des Verwalters gehört es:
Beschlüsse der Wohnungseigentümer durchzuführen, die erforderlichen Maßnahmen für die Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums zu treffen, gemeinschaftliche Gelder zu verwalten, die Lasten- und Kostenbeiträge einzuziehen und ordnungsgemäß zu verwenden, die an die Wohnungseigentümer gerichteten Willenserklärungen und Zustimmungen entgegenzunehmen, fristwahrende Maßnahmen durchzuführen und Wohngeldrückstände im Namen der Gemeinschaft gerichtlich geltend zu machen. Natürlich können die Parteien eines Verwaltervertrags definieren, was sie einvernehmlich als wesentliche Vertragspflicht (Kardinalpflicht) ansehen; dann erstreckt sich das Verbot des Haftungsausschlusses bzw. der Haftungsbegrenzung auch auf diese Pflichten. Hingegen ist eine Haftungsbeschränkung im Rahmen einer Individualvereinbarung möglich (hierzu J. Schmidt, Gewerbeimmobilien vermieten und verwalten (2006), S. 142).
9.7
Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
9.7.1
Mietverwaltung
Wesentliche Bereiche der Beauftragung des Verwalters im Bereich der Mietverwaltung betreffen das Flächenmanagement Mietenmanagement Mietnebenkostenmanagement Instandhaltungsmanagement Abwicklungsmanagement. Im Rahmen der Mietverwaltung hat der Verwalter gem. den ihm im Verwaltervertrag übertragenen Aufgaben Mietverhältnisse zu begründen, durchzuführen und abzuwickeln. Er hat den Mieter auszuwählen, im Einzelfalle auch unter Einschaltung eines Maklers, dessen Boni-
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
533
tät zu überprüfen und das Mietobjekt vor der Vermietung hinsichtlich seines Zustandes und ggf. durchzuführender Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten vor Vertragsbeginn zu überprüfen. Sodann schließt er den Mietvertrag auf der Grundlage der Weisungen und der Ermächtigung des Eigentümers ab. Außerdem ist es seine Aufgabe, die zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Objektes erforderlichen und zweckmäßigen Verträge zu begründen, durchzuführen und abzuwickeln. Hierbei wird der verantwortungsvolle Verwalter zunehmend (insbesondere bei Versicherungsverträgen und Energielieferungsverträgen) über die Bündelung der Nachfrage zusammen mit anderen Verwaltern günstigere Konditionen für seinen Auftraggeber verhandeln, die dann in Form von niedrigeren Nebenkosten direkt dem Nutzer zugute kommen. 9.7.1.1
Auswahl des Mietinteressenten
Der Verwalter hat im Rahmen seiner allgemeinen Sorgfalts- und Vermögensbetreuungsverpflichtung möglichst gründlich die Bonität und Geeignetheit des Mieters zu recherchieren. Hierzu gehört insbesondere die Verpflichtung, eine vom Mieter zu verlangende Selbstauskunft genau zu überprüfen. Auch wenn in weitem Umfange von der Rechtsprechung Fragen nach persönlichen Umständen des Mieters jedenfalls in der Wohnraummiete unzulässig sind (Recker/Slomian, Immobilienverwaltung, Praxishandbuch 2000, Rn 32 m.w.N.), so sind doch Fragen nach Arbeitgeber und Einkommen zulässig. Bei begründetem Anlass wird der Verwalter daneben im Rahmen seines berechtigten Interesses eine etwaige Eintragung des Mieters in dem beim zuständigen Amtsgericht geführten Schuldnerverzeichnis überprüfen. Er wird auch eine Schufa-Selbstauskunft und – insbesondere bei gewerblichen Mietverhältnissen neben einer Bonitätsauskunft eines der am Markt tätigen Kreditreform-Unternehmen – die Einsichtnahme in das Handelsregister veranlassen und durch einen Anruf bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer Firma, Rechtsform, Sitz und gesetzliche Vertretung erfragen. Erscheint der Abschluss eines Mietvertrages mit dem Interessenten erstrebenswert, ist aber andererseits in Anbetracht der Dauer dieses angestrebten Mietverhältnisses und des Mietenvolumens eine zusätzliche Absicherung sinnvoll, so wird der Verwalter beim Abschluss von gewerblichen Mietverträgen die Instrumentarien einer Schuld(mit)übernahme und die Vereinbarung einer Patronatserklärung etwa durch die Muttergesellschaft des Mietinteressenten erwägen (Zur Unterscheidung zwischen „harten“ und „weichen“ Patronatserklärungen: J. Schmidt, Gewerbeimmobilien vermieten und verwalten, D 11.2, S. 306; Moeser in Geschäftsraummiete, Kap. 12 Rdn. 164 ff). Letztere ist insbesondere bei dem Abschluss von Mietverträgen mit zu gründenden oder gerade gegründeten Tochter-Gesellschaften ausländischer Konzerne ein geeignetes Mittel zur Sicherstellung der Durchführung des Mietvertrages. 9.7.1.2
Vertragsmanagement, Schriftform
Oft übernimmt der Verwalter von einem Vorverwalter einen Verwaltungsbestand. Er hat zunächst im Rahmen des Bestandsmanagements die Vertragsunterlagen auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen, insbesondere auf die Identität des Objektes mit dem im Vertrag genannten Vertragsgegenstand. Die Bestandskraft bei Mietverträgen kann dabei insbesondere bei Mietverträgen, die für eine längere Zeit als 1 Jahr abgeschlossen sind, durch die Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform gem. § 550 i. V. m. § 126 BGB fraglich sein. Wird die gesetzliche Schriftform nicht eingehalten, kann sich im Grundsatz jede Vertragspartei unter Wahrung der gesetzlichen Kündi-
534
9 Recht der Immobilienverwaltung
gungsfristen vorzeitig aus einem langfristig abgeschlossenen Mietvertrag lösen (hierzu ausführlich: Lindner-Figura in Geschäftsraummiete Kap. 6, Rdn. 3 ff). Die Rechtsprechung hierzu ist äußerst umfangreich und durchaus nicht übersichtlich. Zwar ist nach und nach eine Aufweichung der Kriterien im Sinne der Annahme der Einhaltung der gesetzlichen Schriftform zu erkennen (BGH NZM 1999, 298; BGH NZM 1999, 761; BGH NZM 2000, 907; BGH NZM 2000, 712). Dennoch sollte der Verwalter möglichst den Mietvertrag mit den Anlagen (Pläne, Baubeschreibung, Aufmaß) körperlich verbinden, um die Einheitlichkeit der Urkunde herzustellen. In jedem Falle hat er darauf zu achten, dass nicht nur vom Mietvertrag auf die Anlagen, sondern auch von den Anlagen wiederum auf den Mietvertrag verwiesen wird. Die einzelnen Seiten des Mietvertrages sollten ebenso paraphiert werden wie die Seiten der Anlagen. Die Anlagen müssen zudem eine Bezugnahme auf das Mietobjekt erkennen lassen. Wenn nicht durch feste Verklammerung oder fortlaufende Paginierung oder fortlaufende Nummerierung oder einheitliche grafische Gestaltung oder inhaltlichen Zusammenhang (BGH NZM 1998, 25) die Einheitlichkeit dokumentiert werden kann, so sollte durch die oben angesprochene Bezugnahme der Anlage im Vertrag und Unterzeichnung jeder Seite der Anlage durch beide Parteien (BGH NZM 1999, 298) bzw. durch Paraphierung (BGH NZM 2000, 36, 38) Sicherheit geschaffen werden. Bei Nachtragsvereinbarungen soll der Verwalter darauf achten, dass die Nachträge fortlaufend nummeriert werden und zu erkennen geben, dass im Übrigen – bis auf die Ergänzung/Änderung – der Ursprungsvertrag unverändert weiter gelten soll. Der Verwalter sollte jede Möglichkeit nutzen, Schriftformmängel durch die Erstellung eines weiteren Nachtrags zum Mietvertrag zu beseitigen. So kann er frühere womöglich gegen die gesetzliche Schriftform verstoßende Vereinbarungen im Sinne der Wahrung der gesetzlichen Schriftform „heilen“. Auch einseitige Erklärungen oder Briefwechsel können auf diese Weise zum Gegenstand eines Nachtrags gemacht werden und so dem Risiko einer vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses durch Kündigung wegen eines Schriftformmangels entzogen werden. Besondere Beachtung muss der Verwalter beim Abschluss von Mietverträgen oder Nachtragsvereinbarungen der ordnungsgemäßen Parteibezeichnung widmen. So ist die Parteibezeichnung „Erbengemeinschaft Müller“ keine ausreichend konkrete Parteibezeichnung und führt zu einem Schriftformproblem (BGH, NZM 2002, 950). Ein Schriftformproblem kann auch dann entstehen, wenn nicht alle Partner/Gesellschafter einer Vertragspartei unterzeichnen. Ist eine Vertragspartei eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, so müssen grundsätzlich entweder alle Gesellschafter unterzeichnen oder es muss ein Gesellschafter unterzeichnen mit dem Vertretungszusatz, dass er konkret auch den oder die weiteren genannten Gesellschafter vertrete (BGH, NZM 2005, 502). Bei einer GmbH hat der Verwalter besondere Vorsicht walten zu lassen. Sind nämlich mehrere Geschäftsführer nur gemeinsam vertretungsberechtigt, so ist bei Unterzeichnung nur durch einen Geschäftsführer ein Zusatz erforderlich, dass dieser Geschäftsführer auch den weiteren Geschäftsführer vertritt (BGH NZM 2007, 837). Schwer verständlich dürfte es hingegen für den Verwalter sein, dass ein nicht vertretungsberechtigter Mitarbeiter einer GmbH wirksam die GmbH vertreten kann, während ein Geschäftsführer von zwei gemeinsam vertretungsberechtigten Geschäftsführern nur mit dem Vertretungszusatz für den anderen Gesellschafter die Gesellschaft wirksam vertreten kann. Das gleiche gilt auch für eine Aktiengesellschaft (KG ZMR 2007, 962). Auch die Lage des Mietgegenstands kann bei nicht ordnungsgemäßer Bezeichnung zu einem Schriftformverstoß führen (OLG Rostock, ZMR 2010, 682, 684). In jedem Fall sollte der Verwalter bei jeder sich stellenden Möglichkeit
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
535
im Rahmen einer Nachtragsvereinbarung an die Aufnahme einer Schriftformvorsorgeklausel denken, damit Schriftformmängel geheilt werden können (Beispiel bei: Lindner-Figura in Geschäftsraummiete, Kap. 6, Rdn. 62, Fußnote 157). Und schließlich ist auch auf eine rechtzeitige Annahme eines Vertragsangebots zu achten (§§ 147 Abs. 2, 149 BGB), weil nach dem Willen des Gesetzgebers die verspätete Annahme eines Angebots als Ablehnung gilt, verbunden mit einem eigenen selbstständigen Angebot des „Annehmenden“, das wiederum der das ursprüngliche Vertragsangebot Abgebende in aller Regel lediglich konkludent (schlüssig) annimmt, indem er die Mietsache übergibt und den Mietzins entgegennimmt. Allerdings sieht der BGH hierin jetzt keinen Schriftformverstoß mehr (BHG, NZM 2010, 319). 9.7.1.3
Übergabe/Rückgabe der Mieträume
Bei der Übergabe an den Mieter ist sinnvollerweise ein Übergabeprotokoll vom Verwalter zu erstellen, das den Zustand der Räume ausweist und ggf. noch von der einen oder anderen Partei durchzuführende Maßnahmen. Dieses Übergabeprotokoll dient der Beweiserleichterung auch bei Vertragsende, wenn es um die Frage geht, in welchem Zustand die Mietsache zurückzugeben ist (entsprechend soll auch bei Vertragsende ein Abnahmeprotokoll gefertigt werden). Das bedeutet nicht – wie Verwalter oft irrtümlich annehmen – dass der Mieter mit der Behauptung, ein bestimmter Mangel habe bei Vertragsabschluss bereits bestanden, mangels Aufnahme in das Übergabeprotokoll ausgeschlossen ist; vielmehr hat er darzulegen und zu beweisen, dass er den Fehler bzw. Mangel bei Übernahme gerügt hat und dieser dennoch nicht in das Protokoll aufgenommen wurde. Zur Beweiserleichterung dient auch eine Vereinbarung der Mietvertragsparteien, wonach bei Übergabe wie auch bei Rückgabe eine in zwei Ausfertigungen zu erstellende Videodokumentation – am besten durch einen Sonderfachmann zu besprechen – erstellt wird. Viele Streitpunkte, etwa derjenige, in welchem Zustand sich die Mietsache bei Übergabe im Hinblick auf Einbauten/Umbauten/bauliche Veränderungen befand und was dementsprechend bei Vertragsende zurückzubauen ist oder nicht, können so erheblich eingeschränkt werden. Sinnvollerweise sollte dem Verwalter ebenfalls eine solche Dokumentation zur Verfügung stehen, falls es während der Mietzeit zu Mängelrügen kommt oder ein Untermieter etwa erhebliche bauliche Veränderungen vornehmen möchte. Ein Übergabeprotokoll ist auch von entscheidender Bedeutung, wenn ein Ersatzmieter die Mieträume mit etwa vorhandenem Inventar übernimmt (Muster für ein derartiges Übergabeprotokoll: Recker/Slomian a. a. O., Anhang Nr. 4, S. 359). Bei der Abwicklung eines Mietverhältnisses ist daran zu denken, dass diese Abwicklung im Wesentlichen – wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist – Spiegelbild der Übergabe ist. Das gilt insbesondere für die Frage, mit welchen Einbauten bzw. welchem Inventar das Mietobjekt seinerzeit überlassen wurde. Das gilt auch für die Frage, ob während der laufenden Mietzeit dem Mieter die Durchführung von baulichen Veränderungen gestattet und ihm dabei auch erlaubt wurde, diese baulichen Veränderungen bei Vertragsende in der Mietsache zu belassen. Ist letztere Zustimmung nicht erteilt, und das ist meist der Fall, hat der Mieter grundsätzlich auch einen Rückbau vorzunehmen und den früheren Zustand bzw. einen diesem früheren Zustand vergleichbaren Zustand wieder herzustellen bzw. herstellen zu lassen.
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9 Recht der Immobilienverwaltung
Hilfreich ist zur Vorbereitung der Rücknahme der Mieträume für den Verwalter die Erstellung einer Checkliste etwa mit folgenden Punkten:
Alle Miet-/Nutzungsverhältnisse mit dem Vermieter aufheben (schuldrechtliche Vereinbarungen über Mitgliedschaft in einer Werbegemeinschaft, Mitbenutzungsrechte, Parkplätze, Keller, Archive) Abstandszahlungen für vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses (Werbungskosten, außerordentliche Einkünfte, halber Steuersatz?) Sind Untermietverhältnisse vorhanden? Sollen diese als Hauptmietverhältnisse übernommen werden? Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten, Rückbauverpflichtungen und Wegnahmerechte abgelten (Entsorgungskosten bewerten!) Entfernung/Entsorgung der Verkabelung (Sondermüll) Schicksal der Kaution/Bürgschaft (Sicherheitsleistung), Herausgabe Zug-um-Zug? Noch abzurechnende Nebenkosten? Angemessener Einbehalt der Kaution für mögliche Restforderung? Rückgabe aller Schlüssel, Ausbau/Austausch des Schließsystems? Übergabeprotokoll mit Ablesungen, ggf. auch mit Vorbehalten (Schadensbeseitigung; noch zu inspizierende Teile des Mietgegenstands) Umfang des Hinweisrechts auf Umzug/neue Adresse? Duldung von Vermarktungsaktivitäten auf dem Grundstück/Besichtigungsrecht? Duldung von Umbauarbeiten noch während der Mietzeit?
9.7.1.4
Mietenverwaltung
Einer der zentralen Bereiche der Beauftragung von Immobilienverwaltern ist die Mietenverwaltung bzw. das Mietenmanagement. Aufgabe des Verwalters ist insbesondere die Einziehung der Mieten einschließlich der Mietnebenkosten. Vorzuziehen ist ein offenes Fremdkonto gegenüber dem Treuhandkonto. Beim offenen Fremdkonto ist Inhaber des Kontos der Eigentümer. Das macht das Konto in jedem Falle bei Insolvenz des Verwalters oder bei einer Zwangsversteigerung über dessen Vermögen „sicher“. Bei dem Einzug von Mieten sollte der Verwalter den Mieter eine Einziehungsermächtigung erteilen lassen. Mindestens aber sollte der Mieter einen Dauerauftrag erteilen. Wenn der Verwalter überprüft, ob der Mietzins rechtzeitig gezahlt wird, richtet sich die Frage der Rechtzeitigkeit nach der mietvertraglichen Vereinbarung. Ist vereinbart, dass es für die Rechtzeitigkeit der Zahlung auf den Eingang beim Vermieter bzw. auf dem Konto des Verwalters ankommt, so ist nicht rechtzeitig gezahlt, wenn dieser Zeitpunkt überschritten ist. Ist hingegen lediglich vereinbart, dass der Mietzins am 03. Werktag eines jeden Monats auf ein bestimmtes Konto zu zahlen ist, so genügt für die Rechtzeitigkeit die Absendung des Betrages. Übliche Banklaufzeiten sind zu berücksichtigen. Faustregel ist: Ist der Mietzins nicht am 10. Tage des Monats eingegangen, so ist er – mangels anderer vertraglicher Vereinbarung – nicht rechtzeitig gezahlt.
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung 9.7.1.5
537
Überprüfung von Mietanpassungsmöglichkeiten
Im Wohnraummietrecht muss der Immobilienverwalter die Existenz von Mietspiegeln kennen und mit diesen arbeiten können, um die Voraussetzungen für eine mögliche Anpassung der Miete an die ortsübliche Vergleichsmitte i. S. d. §§ 558 ff. BGB durchführen zu können. Wichtig ist dabei, dass er für den Mieter nachvollziehbar eine Einordnung der entsprechenden Wohnung in den jeweils gültigen Mietspiegel vornimmt und die kraft früherer Mieterhöhung zu beachtende Kappungsgrenze (20 % innerhalb von 3 Jahren, § 558 Abs. 3 BGB) einhält. Besondere Fehlermöglichkeiten enthält die Durchführung des Verfahrens wegen Modernisierung. Das gilt insbesondere für die nicht ordnungsgemäße Ankündigung der Art, Zeit und Dauer der Modernisierungsmaßnahme. Oft ist bei Durchführung von Arbeiten im gesamten Hause die Aufteilung der auf die jeweils in Bezug zu nehmende Wohnung des Mieters in Kostenvoranschlag und Rechnung nicht erkennbar. Frühzeitig befassen sollte sich der Verwalter mit den gesetzlichen Änderungen, die für die Erleichterung der energetischen Modernisierung gemäß §§ 555 ff BGB nach der Reform des Mietrechts zukünftig gelten. Insbesondere wird er zu beachten haben, dass gemäß § 556 Abs. 1a BGB nur für die ersten drei Monate zu Gunsten des Mieters ein Minderungsausschluss gilt, wobei die neue Regelungen über die energetischen Modernisierung in wesentlichen Teilen auch für gewerbliche Mietverhältnisse gelten. Mehr und mehr erweisen sich bei größeren Maßnahmen Vorab-Gespräche mit allen Mietern in einer Mieterversammlung als sinnvoll. Zunehmend werden den Mietern dabei vom Verwalter auch im Rahmen eines besseren Service Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich Material und Farbe eingeräumt. Bei gewerblichen Mietverhältnissen muss der Verwalter insbesondere die unterschiedliche Bedeutungen und Auswirkungen der verschiedenen Formen der Wertsicherungen erkennen, etwa die Voraussetzungen einer Verhandlungsklausel (Leistungsvorbehalt) gegenüber automatischen Wertsicherungsklauseln (Grundlegend: Schultz, NZM 2000, 1135; ders.: Festschrift Blank, S. 397; BGH, NZM 2012, 457). Bei Vereinbarung einer „echten“ (automatischen)Wertsicherungsklausel hat er, um eine eigene Haftung zu vermeiden, pünktlich und rechtzeitig die Erhöhungsmöglichkeit anhand der Verlautbarungen des Statistischen Bundesamtes nicht nur zu überprüfen, sondern auch die Erhöhungsmöglichkeit zugleich umzusetzen. Ist nämlich beispielsweise bei einer automatischen Wertsicherung die Fälligkeit der Erhöhung von einer Anzeige an den Mieter abhängig, so verliert der Vermieter womöglich mangels Aktivitäten des Verwalters für den Zeitraum bis zur Anzeige wertvolle Miete. Bei der Verwaltung von gewerblichen Immobilien stellt das neue Preisklauselgesetz vom 07.09.2007 auch den Verwalter vor zum Teil schwierig zu bewältigende Aufgaben. Denn eine automatische Wertsicherung ist zunächst nur wirksam, wenn der Mietvertrag eine Mindestlaufzeit von zehn Jahren hat oder nach der vertraglich vereinbarten Mietzeit nicht gegen den Willen des Mieters das Mietverhältnis vor Ablauf von zehn Jahren beendet werden kann. Der Verwalter wird häufig Konstellationen begegnen, in denen während der Laufzeit des Hauptmietvertrages für die Restlaufzeit oder eine geringere Laufzeit untervermietet wird. Dann kann die automatische Wertsicherungsklausel des Hauptmietvertrags nicht auf die Regelungen des Untermietvertrags übertragen werden.
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9 Recht der Immobilienverwaltung
Noch viel schwieriger zu handhaben ist für den Verwalter der Fall, dass tatsächlich der von ihm ab Bestand übernommene Mietvertrag eine unwirksame automatische Wertsicherungsklausel enthält (weil die Laufzeit nicht eingehalten wird): Denn § 8 S. 1 PrKG regelt, dass die Unwirksamkeit erst mit Wirkung der rechtskräftigen Feststellung eintritt, wenn die Parteien nicht etwas anderes vereinbart haben. Bis zur Rechtskraft des Urteils (Feststellungsurteil) ist deshalb eine gegen das Preisklauselverbot verstoßende Vereinbarung der Wertsicherung schwebend wirksam und verpflichtet den Mieter zu Mietzahlung, und zwar bis zum Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsurteils ohne Rückforderungsmöglichkeit. Der Verwalter muss ferner berücksichtigen, dass das neue Preisklauselgesetz nur für nach dem 15.09.2007 abgeschlossene Vereinbarungen gilt. In eine Eigenhaftung kann der Verwalter dann geraten, wenn die Anpassung der Miete nach der automatischen Wertsicherungsklausel von einer Ankündigung des Vermieters abhängen soll. Bei Vereinbarung einer solchen Klausel muss also der Verwalter regelmäßig die Veröffentlichungen des statistischen Bundesamtes verfolgen, damit seinem Auftraggeber, dem Vermieter, wegen womöglich verspäteter Ankündigung keine Nachteile entstehen. Außerdem hat er darauf hinzuwirken, dass bei Vereinbarung des Maßstabs der Änderung Prozentklauseln und keine Punkteklauseln verabredet werden. Denn schon seit 2003 werden Umbasierungsfaktoren nicht mehr veröffentlicht ( Schultz, GE 2003, 721). Das Mietrecht hat eine paradoxe Situation insoweit geschaffen, als im Bereich der Wohnraummiete gem. § 557 b BGB die Miete als Indexmiete vereinbart werden kann (Verbraucherpreisindex für Deutschland), wenn das Mietverhältnis eine Mindestdauer von nur einem Jahr hat. Es fehlt eine Verweisungsvorschrift (die möglicherweise in der Mietrechtsreform vergessen wurde), die die gleiche Regelung auch für die gewerbliche Miete trifft. Dort darf nach wie vor das Mietverhältnis aus der Sicht des Mieters gegen dessen Willen für die Dauer von 10 Jahren nicht kündbar sein, da sonst die Genehmigungsfiktion nicht greift. Hat im Wohnraummietrecht der Verwalter eine Mieterhöhung durchzuführen, so ist zu beachten, dass nach herrschender Rechtsprechung überall dort, wo ein Mietspiegel existiert, dieser auch anzuwenden ist. Lässt sich eine Wohnung zweifelsfrei in den Mietspiegel einordnen, so besteht daneben grundsätzlich für die Einholung eines Sachverständigengutachtens – trotz teilweisen Widerstandes in der Literatur – kein Raum. Eigenständige Aufgabe des Verwalters, der mit dem Mietenmanagement beauftragt ist, ist die Überwachung der Veränderung des Index, welche ja zu einer Änderung des Mietzinses führen kann. Das Berechnungsprogramm des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) ist sehr hilfreich, um dem Verwalter schnell eine Überprüfung zu ermöglichen, ob eine Indexveränderung eine Anpassung der Miete ermöglicht bzw. nach sich gezogen hat. 9.7.1.6
Behandlung von Sicherheitsleistungen
Der Verwalter von Mietobjekten hat die Sicherheitsleistungen auf einem eigenen Konto getrennt von seinem sonstigen Vermögen zu führen. Bei einem Vermieterwechsel hat er darauf zu achten, ob überhaupt dem früheren Vermieter die Kaution zugeflossen ist, denn nur dann kann sie dem neuen Eigentümer übertragen werden. Die Regelungen über die Mietsicherheit bereiten selbst Juristen häufig Schwierigkeiten. Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Mieter bei Beendigung des Mietverhältnisses die Sicherheit vom Erwerber nicht zurück erlangen kann. Gemäß §§ 566 S. 2 BGB ist dann der Vermieter weiter zur Rückgewähr der Mietsicherheit verpflichtet. Ein Anspruch des Erwerbers gegen den Mieter auf
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
539
erneute Leistung der Kaution besteht nicht, wenn der Mieter die Kaution bereits an den früheren Vermieter (Voreigentümer) geleistet hat. Außerdem hat der Verwalter darauf hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass eine Übergabe der Mieträume an den Mieter nur zu erfolgen hat, wenn die Sicherheit geleistet ist. Das muss aber vertraglich ausdrücklich auch so vereinbart werden. Wird die Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft erbracht, so hat der Verwalter diese ordnungsgemäß zu verwahren und – wenn keine Ansprüche aus dem Mietverhältnis mehr bestehen – herauszugeben, spätestens aber zu dem im Vertrag vereinbarten Zeitpunkt. Bereits während des Mietverhältnisses und erst recht nach dessen Ende wird – bei Existenz von Forderungen aus dem Mietverhältnis – oft vom Mieter begehrt, dass die Sicherheitsleistung gegen eine andere Sicherheitsleistung ausgetauscht werden möge. Dem muss der Verwalter nur in Ausnahmefällen Rechnung tragen und kann grundsätzlich sowohl darauf bestehen, dass die Person des Bürgen beigehalten wird, als auch darauf, dass die Sicherheitsleistung ungeschmälert verbleibt, solange noch Forderungen aus dem Mietverhältnis nicht erfüllt sind. Im Übrigen wird es sich für den Verwalter anbieten, im Sinne der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse bei der Erstellung der Bürgschaft darauf zu achten, dass der Bürge Zahlung auf erstes Anfordern zu leisten hat und sich nicht durch Hinterlegung des geforderten Betrags befreien darf. Im gewerblichen Mietrecht ist eine derartige Bürgschaft auf erstes Anfordern derzeit noch wirksam vereinbar (Wolf/Eckert/Ball, Rn. 719; Neuhaus, Teil I Rdnr. 1770). Zukunftssicher erscheint das allerdings nicht. 9.7.1.7
Konkurrenzschutz/Betriebspflicht
Ist nichts anderes vereinbart, so genießt der Mieter grundsätzlich einen sogenannten vertragsimmanenten Konkurrenzschutz im Rahmen des vereinbarten Vertragszwecks. Das gilt auch für ein im Eigentum desselben Vermieters stehendes Nachbargebäude. Der Verwalter hat darauf zu achten, dass ein mit seinem Auftraggeber abgestimmter Umfang des zu gewährenden Konkurrenzschutzes auch von den anderen Mietern beachtet wird und dass umgekehrt im Rahmen des konkreten Mietverhältnisses der Mieter nicht in unzulässiger Weise den Vertragsgegenstand etwa durch Erweiterung des Sortiments verändert. Die Überwachung des Konkurrenzschutzes gehört sicher zu den komplizierten Aufgaben des Verwalters von gewerblichen Immobilien. Er wird hier häufig den Auftraggeber zu bitten haben, bestimmte Sachverhalte des Konkurrenzschutzes rechtlich durch einen Spezialisten prüfen zu lassen. Zum einen steht jetzt fest, dass sowohl der vertragsimmanente Konkurrenzschutz als auch der vertraglich vereinbarte Konkurrenzschutz zur Sollbeschaffenheit des Mietgegenstandes gehören, und dass Verstöße gegen die eine oder die andere Art der Gewährung dieses Konkurrenzschutzes auch zu einem Minderungsrecht des Mieters führen können, weil diese Verstöße einen Mangel darstellen (BGH, NZM 2013, 52). Andererseits ist mangels anders lautender Verpflichtung ein Vermieter aber auch nicht dazu angehalten, den Mieter gegen jeden fühlbaren oder unliebsamen Wettbewerb zu schützen. Insbesondere muss bei der Vereinbarung von Mietverhältnissen mit branchennahen Mietern eindeutig erkannt und gegebenenfalls geregelt werden, ob sich abstrakt ein Risiko erkennen lässt, dass der Mieter in Zukunft seine Tätigkeit ausweiten werde (BGH, NZM 2012, 196). Schwierig und im Einzelfall streitig sind Umfang und Wirksamkeit des vereinbarten Konkurrenzschutzes bei großen Einkaufszentren (OLG Dresden; MDR 1998, 211; OLG Hamm, NZM 1998, 511, 512).
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9 Recht der Immobilienverwaltung
Der Verwalter muss zur Vermeidung der Geltendmachung von Minderungs- und Schadensersatzansprüchen anderer Mieter sofort einschreiten, falls ein Mieter gegen die Konkurrenzschutzklausel verstößt. In erster Linie bei der Vermietung von Handelsflächen ist es Aufgabe des Verwalters, eine vereinbarte Betriebspflicht zu überwachen und dafür Sorge zu tragen, dass die Mieträume während der gesetzlichen bzw. der vereinbarten Öffnungszeiten auch offen gehalten und der Betrieb geführt wird. Die Verbindung einer Betriebspflicht mit einem Ausschluss des Konkurrenzschutzes ist – auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig. Auch die Überwachung der Einhaltung der Betriebspflicht gehört zu den Aufgaben des Verwalters von Gewerberaum. Der Verwalter hat die Mietverträge dahingehend zu überprüfen, ob sie eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung enthalten. Ohne eine solche Vereinbarung existiert die Verpflichtung zum ständigen Betrieb des in den Mieträumen ausgeübten Geschäfts nicht. Sobald der Verwalter erkennt, dass etwa frühzeitig am Tage das Geschäft geschlossen wird oder gar tageweise nicht geöffnet ist, muss er hiervon sofort seinen Auftraggeber unterrichten. Denn dieser kann die Einhaltung der Betriebspflicht auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen (OLG Celle, GuT 2007, 298). Auch kann, was der Verwalter wissen muss, die Betriebspflicht mit einer Vertragsstrafe bewehrt werden. Erfordern andererseits aber größere Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen oder auch Baumaßnahmen aufgrund behördlicher Anordnungen eine vorübergehende Schließung zwingend, so verstößt der Mieter nicht gegen seine Offenhaltungspflicht. Anders lautende Allgemeine Geschäftsbedingungen benachteiligen ihn unangemessen und sind unwirksam (Würtenberger, NZM 2013, 12, 13). 9.7.1.8
Kontrolle der Einhaltung des Vertragszwecks
Die Einhaltung des Vertragszwecks ist unter vielerlei Gesichtspunkten (Konkurrenzschutz, Untervermietung, behördliche Verbote) von wesentlicher Bedeutung und vom Verwalter zu überwachen. Insbesondere dann, wenn der Vermieter auf die Umsatzsteuerfreiheit von Umsätzen im Rahmen der Vermietung und Verpachtung (§ 4 Nr. 12a UStG) verzichtet und gem. § 9 UStG zur Umsatzsteuer optiert, hat der Verwalter im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen laufend zu überprüfen, ob der Mieter auch tatsächlich das Mietobjekt ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG) (Ausführlich zur Option zur Steuerpflicht gem. § 9 UStG: Meyer/Ball, Umsatzsteuer und Immobilien (2011), 59 ff). Meist ist vertraglich vereinbart, dass der Mieter dem Vermieter alle zur Kontrolle dieser Verpflichtung und zur Führung der entsprechenden Nachweise bei den Finanzbehörden erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen hat. Auch das hat der Verwalter zu verifizieren. Ist das Objekt – zulässigerweise – untervermietet, so wird der Verwalter darauf zu achten haben, dass der Mieter diese Verpflichtungen nicht nur an den Untermieter weitergegeben hat, sondern dass der Untermieter die Verpflichtung auch einhält. Denn für die Frage, ob eine bestimmte Nutzung etwa den Vorsteuerabzug ausschließt, kommt es nicht auf den zwischen den Mietvertragsparteien vereinbarten Vertragszweck an, sondern darauf, welche Nutzung tatsächlich im Objekt erfolgt. Da es auf die tatsächliche Nutzung ankommt, wird der Vorsteuerabzug des Vermieters auch dann gefährdet, wenn ein Untermieter einen Vertragszweck ausübt, der den Vorsteuerabzug ausschließt. In der Kette der Nutzungsverhältnisse kommt es also immer darauf an, dass alle, also auch der Endnutzer, die vereinbarte Nutzung auch einhalten.
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung 9.7.1.9
Mietnebenkosten-Management
9.7.1.9.1
Vertragsfreiheit in der Geschäftsraummiete, Bindung durch § 2 der Betriebskostenverordnung – BetrKV – in der Wohnraummiete
541
Im Bereich der Geschäftsraummiete können die Parteien die Regelung der Verteilung der Nebenkosten vertraglich frei gestalten. Dies gilt allerdings so nicht für die Kosten der zentralen Heizungs- und Warmwasserversorgungsanlagen bzw. für die Kosten der Lieferung von Fernwärme. Hier überlagert die Heizkostenverordnung ebenso wie in der Wohnraummiete etwa anderslautende rechtsgeschäftliche Vereinbarungen. Das gilt auch für die Abrechnung der Heizkosten nach dem Leistungsprinzip. Individualrechtliche Abweichungen von der Heizkostenverordnung sind unzulässig. Im Übrigen aber können die Vertragsparteien im Geschäftsraummietvertrag insbesondere den Katalog des § 2 der BetrKV, der im Bereich der Wohnraummiete zwingend und abschließend ist, erweitern und die Umlegung aller laufenden und wiederkehrenden (Neben-)Kosten vereinbaren, die Gegenstand des Objektes sind (Otto, DWW 1984, 86). Es wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung sogar für zulässig gehalten, die Kosten einer Hausverwaltung auf den gewerblichen Mieter zu überbürden, wenn der Eigentümer zwar nicht rechtlich, aber wirtschaftlich identisch mit der Verwaltungsgesellschaft ist (OLG Nürnberg, WE 1995, 308; Kammergericht, Berliner GrdE 1995, 563; Gather, Vereinbarungen von Miete, Nebenkosten und Mietsicherheit bei Gewerberaum, DWW 1997, 256). Auch dürfen z. B. Eigenleistungen mit dem Betrag angesetzt werden, der für die gleichwertige Leistung eines Dritten angesetzt werden darf (LG Hamburg ZMR 1995, 32 – dort Gartenpflege, Hausreinigung). Für die Vereinbarung und Abrechnung von Betriebskosten bei Wohnräumen hat der Mietrechtsreformgesetzgeber neue Regelungen in den §§ 556, 556 a BGB geschaffen. Zunächst ist ausdrücklich festgehalten, dass die Parteien vereinbaren können, dass der Mieter Betriebskosten i. S. d. § 19 Abs. 2 des Wohnraumförderungsgesetzes trägt. Hierzu zählen ausdrücklich die Betriebskosten des § 2 der BetrKV. Der Verwalter von Wohnraum hat darauf zu achten, dass im Wohnraummietverhältnis gem. § 556 Abs. 3 Satz 2 eine Ausschlussfrist zu Lasten des Vermieters greift, wenn die Abrechnung dem Mieter nicht bis spätestens zum Ablauf des 12. Monats nach Ende des Abrechnungszeitraums mitgeteilt ist, es sei denn, dass der Vermieter die Verspätung entschuldigen kann. Hinweis: Für die unterschiedliche Abrechnung von Betriebskosten bei Wohnraummietverhältnissen und gewerblichen Mietverhältnissen gibt es keine sachlichen Gründe. Die Ausschlussfrist des § 556 Abs. 3 Satz 3 müsste eigentlich analog auch für gewerbliche Mietverhältnisse gelten. Das ist jedoch nicht der Fall (BGH, NZM 2010, 240). ;Mangels analoger Anwendung der Ausschlussfrist des § 556 Abs. 3 Satz 3 greifen nur die allgemeinen Regeln über die Verjährung und Verwirkung greifen. Verjähren können Betriebskostenansprüche innerhalb von 3 Jahren, jedoch beginnt diese Verjährungsfrist solange nicht zu laufen, wie der Vermieter die Abrechnung nicht gelegt und dem Mieter übersandt hat. Wann er dann aus den allgemeinen Grundsätzen der Verwirkung mit der Nachforderung ausgeschlossen ist, ist überaus streitig. Der Verwalter muss den sicheren Weg gehen und schnellstmöglich abrechnen und ggf. die Hindernisse offen legen, sollte ihm dies nicht möglich sein. Eine Abrechnung kann der Verwalter von Gewerbemietflächen allerdings oft auch noch ohne das Risiko der Verjährung oder der Verwirkung bis zu 5 Jahren nach Ende der Abrechnungsperiode erstellen und für den Ei-
542
9 Recht der Immobilienverwaltung
gentümer eine Nachforderung geltend machen (Beyerle in: Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 11 Rn 170). 9.7.1.9.2
Bestimmtheitserfordernis
Für Wohnraum- wie auch für Geschäftsraummietverhältnisse gilt gleichermaßen, dass Nebenkosten nur dann auf den Mieter abgewälzt werden können, wenn dies im Mietvertrag ausdrücklich geregelt ist (Geldmacher, Nebenkostenvereinbarungen, DWW 1994, 333, 334; ähnlich für das Recht der Wohnraummiete OLG Hamm, Rechtsentscheid v. 3.12.1992, DWW 1993, 39). Unklare Formulierungen gehen zu Lasten des Vermieters (Wolf/Eckert a. a. O., Rn 504; von Brunn in: Bub/Treier a. a. O. III A 33, 34). Der Immobilienverwalter sollte sich nicht in das Risiko unklarerer Vereinbarungen begeben, soweit es die Umlegung von Nebenkosten betrifft. M. E. erfordert es das Transparenzgebot, das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich gesetzlich verankert ist (danach kann eine unangemessene Benachteiligung sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist), dass ein derart kompliziertes Regelwerk, wie das des § 2 der BetrKV, entweder als vollständiger Text oder als vollständige Anlage im bzw. zum Mietvertrag aufgenommen wird (Schumacher, NZM 2003, 13, 16; für die Wahl des sichersten Weges insofern auch: Heinrichs, NZM 2003, 6, 11, 13 die h. M. ist großzügiger). Beim Abschluss bzw. bei der Prüfung von Betriebskostenvereinbarungen in Gewerberaummietverträgen ist sinnvollerweise wie folgt zu formulieren: „Umgelegt werden sämtliche Betriebskosten gem. § 2 BetrKV – diesem Vertrag als Anlage X beigefügt, und außerdem die folgenden weiteren Nebenkosten: Verwaltungskosten, Kosten der Hausbewachung …“ So wird eine Vereinbarung transparent und ist ohne Probleme durchführbar (hierzu im Einzelnen: J. Schmidt, NZM 2003, 505, 506). 9.7.1.9.3
Die ordnungsgemäße Abrechnung
Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben. Die Abrechnung muss aber schriftlich erfolgen; unterschrieben sein muss sie nicht (von Brunn in: Bub/Treier a. a. O. III A 47). Die Abrechnung muss gem. § 259 BGB eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben enthalten, so dass eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung der Abrechnungsposten gewährleistet wird. Sie muss gedanklich und rechnerisch nachvollziehbar sein und dem durchschnittlichen Verständnisvermögen eines juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieters entsprechen (LG Berlin v. 14.03.1997, ZMR 1997, 300). Es besteht aber keine Notwendigkeit für die förmliche Ordnungsmäßigkeit der Abrechnung eine Spezifizierung der Kosten zu verlangen. Es genügt, dass der Vermieter die Betriebskostenarten nebst den jeweiligen Kosten auflistet. Der BGH hat mehrfach die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abrechnung i. S. d. § 259 BGB definiert. Für die Heizkosten: BGH vom 09.04.1986 (DWW 1986, 147; für die sonstigen Nebenkosten: Urteil vom 23.11.1981, NJW 1982, 573; BGH, NZM 2009, 78). Folgende Mindestangaben werden verlangt: Prüfungsschema:
Liegt eine ordnungsgemäße Zusammenstellung der Kosten i. S. d. § 259 BGB vor?
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
543
Sind nur die nach Gesetz und Vertrag umlagefähigen Kosten eingesetzt worden? Sind die Gesamtkosten einschließlich aller nicht umlagefähigen Kosten eingesetzt worden? Ist der richtige Umlageschlüssel verwendet worden? Sind die Vorauszahlungen des Mieters berücksichtigt? Umfassen die abgerechneten Nebenkosen nur die vereinbarte Abrechnungsperiode? Ist die Abrechnungsfrist eingehalten (12 Monate nach Ende des Kalenderabrechnungsjahres – im Wohnraummietrecht als Ausschlussfrist gestaltet in § 556 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB)? Der Verwalter sollte dieses Schema als Checkliste verwenden. Empfehlung: Oft machen Mieter Anerkennung und Zahlung der Abrechnung von der vorherigen Übersendung der Belege gegen zugesagte Erstattung der Fotokopiekosten abhängig. Ebenso wenig wie die Einsichtnahme das Schlüssigkeitserfordernis ersetzt, ist das Beifügen von Belegen Fälligkeitsvoraussetzung. Der Mieter hat – vereinfacht ausgedrückt – keinen Anspruch auf Übersendung von Originalbelegen (zur Überlassung von Belegkopien: Langenberg, Betriebskostenrecht der Wohn- und Gewerbemiete, Kap I, Rn. 19 ff). 9.7.1.9.4
Konflikt zwischen WEG-Abrechnung und Betriebskostenabrechnung
Problematisch und Gegenstand häufiger Auseinandersetzungen ist die Frage, ob bei vermieteten Wohnungseigentum Grundlage der Abrechnung des vermietenden Eigentümers die Jahresabrechnung des Verwalters der WEG sein kann, insbesondere, ob mietvertragliche Regelungen über die Anbindung des Abrechnungsmodus an denjenigen der Abrechnung des Verwalters der WEG zulässig sind (hierzu: Langenberg, Betriebskostenrecht, 6, Rn. 119). Die Zulässigkeit ist zu bejahen (Drasdo, ZMR 2008, 421). Eine mietvertragliche Formularklausel, wonach bei vermietetem Eigentum die Umlage der Nebenkosten nach dem gleichen Verteilungsschlüssel erfolgt, den die Eigentümergemeinschaft zur Ermittlung ihres jeweiligen Anteiles an diesen Kosten vereinbart hat, ist wirksam (so für vermietetes Wohnungseigentum: Bielefeld, Der Wohnungseigentümer, S. 564; für vermietetes Teileigentum: OLG Frankfurt, WuM 1986, 15; Schultz a. a. O., S. 21). Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob den Verwalter eine Verpflichtung zur mietergerechten Hausgeldabrechnung trifft. Dies ist problematisch, weil der Verwalter den Wohnungseigentümern grundsätzlich nur eine Einnahmen-Ausgabenabrechnung („Ist-Abrechnung“) schuldet, während der vermietende Eigentümer gegenüber seinem Mieter die Mietnebenkosten periodengerecht abgrenzen muss. In jedem Falle ist der Verwalter verpflichtet, die Abrechnung so zu gestalten, dass der vermietende Teileigentümer ohne Mühe die nicht umlagefähigen Kosten ermitteln kann (z. B. Kontoführungsgebühren zu Lasten des Eigentümers, Beiträge zur Instandhaltungsrücklage). Die Abrechnung ist so zu erstellen, dass Teileigentümer in der Lage sind, ihre Prüfungsbefugnisse auszuüben BGH NJW 1982, 573). Der Verwalter hat ohne Beschluss der Wohnungseigentümer weder die Pflicht noch das Recht, in den Abrechnungen der Gemeinschaft die Mehrwertsteuer auszuweisen, wenn zur Gemeinschaft auch gewerbliche vermietete oder genutzte (Teil-)Eigentümer gehören. Weist der Verwalter ohne einen solchen Beschluss auf Drängen eines Teileigentümers die Mehrwertsteuer aus, so gilt dies als gesonderter Steuerausweis (§ 14 Abs. 3 UStG). Dann muss die Gemeinschaft auch die Mehrwertsteuer an das Finanzamt abführen. Grundsätzlich darf der Verwalter daher in den Abrechnungen nur die Bruttoausgabenbeträge ausweisen.
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9 Recht der Immobilienverwaltung
Die Gemeinschaft kann aber gegenüber einzelnen Teileigentümern ausdrücklich unter bestimmten Umständen auf die Steuerbefreiung ihrer Umsätze gegenüber diesem Teileigentümer verzichten. Ein Anspruch des Teileigentümers auf Ausweisung der Mehrwertsteuer besteht dann, wenn der Teileigentümer Umsätze tätigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, er um die Ausweisung der Mehrwertsteuer ausdrücklich bittet und verbindlich erklärt, die Gemeinschaft von allen Risiken, Nachteilen und insbesondere Kosten freizustellen, die durch die ihm gegenüber folgende gesonderte Ausweisung der Mehrwertsteuer entstehen oder entstehen können. Die Unterschiede zwischen der Abrechnung nach § 28 Abs. 3 WEG (für die Wohnungseigentümer) und nach § 556 Abs. 3 BGB (des Vermieters für seinen Mieter) sind gewichtig. Insbesondere gibt es für die Abrechnung nach § 28 Abs. 3 WEG keine gesetzlichen Fristen. Auch ist streitig und zweifelhaft, ob es dem Eigentümer zuzurechnen ist, wenn der Verwalter verspätet abrechnet. Schließlich ist im Einzelfall schwierig zu beantworten, ob die Abrechnung der vermieteten Eigentumswohnung gebäudebezogen oder wohnungsbezogen zu erfolgen hat (Blank, NZM 2004, 365, 367 ff.; allgemein zu den Betriebskosten der vermieteten Eigentumswohnung: Langenberg, NZM 2004, 361). 9.7.1.9.5
Vereinfachte Abrechnung bei Wirtschafts- und/oder Verwaltungseinheiten
Häufig gehört das abzurechnende Objekt zu einer größeren Anlage mit verschiedenen Gebäuden in einer kompliziert strukturierten Anlage. Im Rahmen der Schlüssigkeit ist die Darstellung des Umstandes erforderlich, in welchem Verhältnis und insbesondere unter Anwendung welchen Umlegungsschlüssels die Nebenkosten zu ermitteln sind. Bei der Übersendung der Abrechnung wird dann oft viel erläutert, es werden Pläne überreicht und es wird viel geschrieben. Das kann vereinfacht werden, wenn bei Abschluss des Vertrages einmal eine solche Erläuterung erfolgt und am besten als Anlage zum Mietvertrag genommen wird: Auch bei großen Immobilienanlagen gilt zwar der Grundsatz, dass nach der kleinstmöglichen Einheit oder Wirtschaftseinheit abzurechnen ist (Sternel, Mietrecht III, Rn. 358); ist jedoch die Existenz einer bautechnischen Einheit zu bejahen, können aufgrund betriebswirtschaftlicher Erfahrungsgrundsätze einzelne Häuser nicht gesondert abgerechnet werden oder verbietet sich eine solche Abrechnung etwa aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, so ist individualrechtlich die Vereinbarung einer Abrechnung nach Verwaltungseinheiten statthaft. Dabei muss dann nicht die Gesamtabrechnung für den gesamten Komplex in eine Einzelabrechnung für den Mieter eingehen (LG Hannover, WuM 1985, 346; LG Frankfurt, Urteil v. 10.03.1981, 2/11 S 283/80 – nicht veröffentlicht; OLG Koblenz, Rechtsentscheid v. 27.02.1990, DWW 1990, 171; LG Bonn, NZM 2005, 616). Für die Beantwortung der Frage, wann eine bautechnische Einheit bzw. Wirtschafts- und Verwaltungseinheit gegeben ist, kann auf § 2 Abs. 2 Satz 3 2. BVO zurückgegriffen werden. Danach ist eine Wirtschaftseinheit eine Mehrheit von Gebäuden, die demselben Eigentümer gehören, in örtlichem Zusammenhang stehen und deren Errichtung ein einheitlicher Finanzierungsplan zugrunde gelegt worden ist. Schließlich dürfen keine wesentlichen Unterschiede der Gebäude im Substanzwert und im bautechnischen Stand vorhanden sein (Langenberg, Betriebskostenrecht, F, Fn 50).
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
9.7.2
Die Wohnungseigentumsverwaltung
9.7.2.1
Vorbereitung, Einberufung und Durchführung der Eigentümerversammlungen
545
Gem. § 24 Abs. 1 und 2 WEG muss der Verwalter mindestens einmal im Jahr eine Versammlung der Wohnungseigentümer vorbereiten, einberufen und durchführen (zu den verschiedenen Fragen der Einberufungsbefugnis: Vandenhouten in: Köhler/Bassenge, Teil 5 Rz 6 ff). Der Verwalter hat die Eigentümerversammlungen mit dem Beirat vorzubereiten, die Versammlungen einzuberufen und durchzuführen. Hier lauern zahlreiche Gefahren und Haftungsrisiken für den Verwalter (Gottschalg, Probleme bei der Einberufung der Wohnungseigentümerversammlung, NZM 1999, 825). Einberufungsmängel liegen oft in der Nichterfüllung von Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit der Tagesordnung (Beschlüsse unter „Verschiedenes“, OLG Köln, NZM 2003, 122), in der fehlerhaften Einladung stimmberechtigter oder nicht stimmberechtigter Personen, in der Nichtberücksichtigung von Stimmrechtsausschlüssen (§25 V WEG) . Besonders sorgfältig muss daher der Verwalter die Stimmrechtsvollmacht gem. der Gemeinschaftsordnung prüfen (Gottschalg, NZM 2005, 88, 95). Insbesondere problematisch ist auch, ob und in welchem Umfange anwaltliche Berater an den Eigentümerversammlungen, die nicht öffentlich sind, teilnehmen dürfen. Aber auch darüber hinaus ist der Verwalter zur jederzeitigen Einberufung berechtigt, wenn dies aus Gründen der ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich ist (OLG Frankfurt, NZM 2009, 34). Soweit nicht in der Gemeinschaftsordnung etwas anderes bestimmt ist, soll die Frist zur Einberufung der Versammlung gem. § 24 Abs. 4 Satz 2 mindestens 2 Wochen betragen. Schon bei der Frage des Ortes und des Zeitpunktes der Versammlung hat der Verwalter viel Gespür zu zeigen. Das betrifft insbesondere die Auswahl im Hinblick auf Ferien und Feiertage, aber auch den Raum selbst, denn die Versammlung der Wohnungseigentümer ist nicht öffentlich. Der Verwalter ist, wenn dies das Quorum von ¼ der Eigentümer verlangt oder wenn es die Einhaltung der Regeln ordnungsgemäßer Verwaltung erfordert, auch verpflichtet, für ihn unbequeme Tagesordnungspunkte auf die Tagesordnung zu nehmen. Verweigert er dies ohne triftigen Grund, so können die Eigentümer ihn abberufen und den Verwaltervertrag aus wichtigem Grunde kündigen. Außerdem kann dann der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats bzw. dessen Stellvertreter die Eigentümerversammlung einberufen. Ist die erste einberufene Versammlung nicht beschlussfähig, weil weniger als die Hälfte der Miteigentumsanteile der stimmberechtigten Wohnungseigentümer vertreten sind, so hat der Verwalter gem. § 25 Abs. 4 eine neue Versammlung mit dem gleichen Gegenstand einzuberufen. Diese Versammlung ist dann ohne Rücksicht auf die Höhe der vertretenen Anteile beschlussfähig. Auf diesen Umstand ist bei der Einberufung dieser neuen Versammlung ausdrücklich hinzuweisen. In der Teilungserklärung bzw. Gemeinschaftsordnung kann vorgesehen sein, dass bei fehlender Beschlussfähigkeit der ersten Versammlung eine halbe Stunde später eine Wiederholungsversammlung stattfindet, die dann in jedem Falle beschlussfähig ist. Die Möglichkeit
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9 Recht der Immobilienverwaltung
einer Eventualeinberufung kann aber nicht mehrheitlich beschlossen werden (OLG Köln, NJW-RR 1990, 26). Besondere Sorgfalt hat der Verwalter bei der Frage walten zu lassen, wer einzuladen ist. Es sind einzuladen alle Wohnungseigentümer, die in der Versammlung ein Stimmrecht haben. Zunächst sind dies die im Grundbuch eingetragenen Eigentümer. Sobald die Wohnungseigentümergemeinschaft rechtlich in Vollzug gesetzt ist (d. h. dass ein zweiter Eigentümer eingetragen ist), sind die späteren Erwerber auch dann nicht einzuladen, wenn zu ihren Gunsten bereits eine Auflassungsvormerkung eingetragen und der Besitz übergegangen ist. Anders verhält es sich mit den Mitglieder einer werdenden Eigentümergemeinschaft vor rechtlicher Invollzugsetzung der Gemeinschaft. Diese sind ebenfalls einzuladen (nur der werdende Eigentümer schuldet das Hausgeld/Wohngeld, nicht der noch eingetragene Eigentümer mit ihm als Gesamtschuldner BGH, Info M 2012, 278). Es wurde bereits gesagt, dass die Versammlung der Wohnungseigentümer nicht öffentlich ist. Das hat auch Auswirkungen auf die Frage, wer an der Versammlung teilnehmen darf. Ein Eigentümer muss sich vertreten lassen können, wenn er an der Versammlung nicht teilnehmen kann oder will. Üblicherweise enthält hierzu die Gemeinschaftsordnung Regelungen, etwa dahingehend, dass sich der Eigentümer durch einen anderen Eigentümer, einen Angehörigen oder durch den Verwalter vertreten lassen kann. Mangels derartiger Beschränkungen der Teilnahmeberechtigten in der Gemeinschaftsordnung darf jeder ordnungsgemäß Bevollmächtigte einen Eigentümer in der Versammlung vertreten. Immer wieder Anlass zu Streitigkeiten ist die Frage, ob der einzelne Eigentümer dritte Personen teilnehmen lassen darf, wenn er selbst anwesend ist. Das ist grundsätzlich zu verneinen und bezieht sich insbesondere auf Begleitpersonen wie Rechtsanwälte oder Steuerberater. Solche Personen darf der Eigentümer nur im Falle eines berechtigten Interesses hinzuziehen (BGH, NJW 1993, 1329). Ein solches berechtigtes Interesse ist etwa zu bejahen angesichts der besonderen Schwierigkeiten einer zu behandelnden Thematik oder gesundheitlicher Gebrechen des Wohnungseigentümers, die einen Beistand erforderlich machen. Abgestimmt wird mangels anderslautender Regelungen in der Gemeinschaftsordnung nach Köpfen und nicht nach der Größe der Miteigentumsanteile (§ 25 Abs. 2 Satz 1 WEG: Jeder Wohnungseigentümer hat eine Stimme.). Bei der Beschlussfassung über seine Wahl darf der Verwalter, der gleichzeitig Miteigentümer ist, mitstimmen. Er darf auch sich selbst mit den ihm erteilten Vollmachten wählen. Anders verhält es sich bei der Abstimmung über seine Entlastung oder bei Beschlüssen, die gegen ihn gerichtet sind, vor allem seine Abwahl bewirken sollen. Hier darf der Verwalter weder selbst als Miteigentümer mitstimmen noch ihm erteilte Vollmachten benutzen. In den Eigentümerversammlungen wird der Verwalter mit besonderem Gespür bei der Frage der Nein-Stimmen und Enthaltungen vorgehen. Bei klaren Beschlusslagen fragt er zuerst nach den Nein-Stimmen bzw. den Enthaltungen und stellt dann fest, dass der Beschluss einstimmig oder mit breiter Mehrheit angenommen wurde. Es ist auch grundsätzlich nicht eine bestimmte Art der Stimmabgabe vorgeschrieben. Droht eine Kampfabstimmung, so kann es oft sinnvoll sein, dass der Verwalter zunächst eine Probeabstimmung durchführen lässt, um festzustellen, ob eine Mehrheit für den beantragten Beschluss erreicht würde. Kommt es bei dieser Probeabstimmung nicht zu der zu erreichenden Mehrheit, so wird er ggf. unter Mitwirkung der Ablehnenden den Beschlusspunkt modifizieren oder auch den Initiator dazu bewegen, den Beschlussantrag nicht zu stellen. Das kann im Einzelfalle deutlich zur Befrie-
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
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dung einer Streitsituation innerhalb der Gemeinschaft beitragen. Auch kann der Verwalter durch geschickte Vermittlung die Vertagung einer Beschlussfassung über einen Tagesordnungspunkt erreichen, wenn dies sinnvoll erscheint. Bei Mehrhausanlagen können die Wohnungseigentümer vereinbaren, die einzelnen Häuser getrennt zu verwalten. Oft sind in den Teilungserklärungen bereits Untergemeinschaften gebildet, die dann einzeln über die sie betreffenden Tagesordnungspunkte alleine abstimmen. Betrifft aber wiederum der Tagesordnungspunkt alle Untergemeinschaften, so haben alle Miteigentümer ein Stimmrecht und gemeinschaftlich abzustimmen. Der Verwalter muss ein Beschlussergebnis feststellen. Seiner Feststellung kommt konstitutive Wirkung zu. Stellt er fest, dass ein Beschluss zustande gekommen ist, so muss der Beschluss angefochten werden, wenn in Wirklichkeit keine Mehrheit oder nicht die erforderliche Mehrheit vorhanden war. Stellt der Verwalter andererseits laut Protokoll fest, dass ein Beschluss nicht zustande gekommen ist, obwohl dies aber tatsächlich der Fall ist, muss auch dieser – einen Beschlussantrag ablehnenden – Beschluss festgestellt und auch mit der Anfechtungsklage angegriffen werden. Grundsätzlich ist ein von den Wohnungseigentümern gefasster Beschluss von dem Verwalter auch durchzuführen. Er ist nicht berechtigt, die Anfechtungsfrist von einem Monat seit Beschlussfassung abzuwarten, wenn er hierzu nicht ausdrücklich ermächtigt ist. Im Zweifelsfalle sollte der Verwalter darauf dringen, dass die Eigentümer ihn ermächtigen, die Anfechtungsfrist abzuwarten, wenn dies gewünscht wird. Das kann z. B. in Fällen sinnvoll sein, in denen ein Eigentümer bereits in der Versammlung erklärt hat, er werde einen Beschluss über eine Sanierung anfechten. Ist dann bereits innerhalb der Anfechtungsfrist ein Gerüst am Gebäude errichtet worden, so entstehen erhebliche Kosten, wenn das Gericht nach Anfechtung im Wege der einstweiligen Anordnung einen sofortigen Stopp der Bauarbeiten verhängt. Gem. § 24 Abs. 7 und 8 WEG hat der Verwalter eine Beschluss-Sammlung über die Beschlüsse der Gemeinschaft zu führen. Verstößt er gegen diese Verpflichtung, berechtigt das den Eigentümer, den Verwalter abzuberufen. 9.7.2.2
Das Finanz- und Rechnungswesen der Wohnungseigentümergemeinschaft
Zu einer ordnungsgemäßen, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechenden Verwaltung gehört insbesondere auch die Aufstellung des Wirtschaftsplans gem. § 28 WEG. Der Wirtschaftsplan ist der Haushaltsplan der Wohnungseigentümergemeinschaft für jeweils ein Kalenderjahr. Er enthält eine Liquiditätsrechnung mit den voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft. Der Beschluss über den Wirtschaftsplan bestimmt den vorläufigen Beitrag der Wohnungseigentümer zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums. Es handelt sich um eine vorläufige Regelung. Auch die Höhe der Zuführung zur Instandhaltungsrückstellung erfolgt nur vorläufig. Erst mit dem Beschluss über die Jahresabrechnung wird der endgültige Beitrag der Eigentümer festgesetzt. Ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung besteht insbesondere insoweit, als die Vorjahresabrechnung Grundlage für den nächsten Wirtschaftsplan ist. Der Wirtschaftsplan ist in den ersten Monaten des Jahres den Eigentümern zur Beschlussfassung vorzulegen. Es macht keinen Sinn und ist nicht zulässig, wenn dies erst im September/Oktober eines Jahres für das laufende Jahr erfolgt (BayOLG, NJW-RR 1990, 659). Der
548
9 Recht der Immobilienverwaltung
Wirtschaftsplan gilt nur für das Kalenderjahr, für welches er aufgestellt wurde. Soll er über das Kalenderjahr hinaus fortgelten und Bindungswirkung auch hinsichtlich der im nächsten Jahr zu zahlenden Beiträge der Eigentümer entfalten, so muss eine derartige Fortgeltung beschlossen werden. Bei der Erstellung des Wirtschaftsplanes hat der Verwaltungsbeirat eine wichtige Funktion. Mit ihm berät sich der Verwalter über die im Wirtschaftsjahr zu erwartenden Maßnahmen, insbesondere über Baumaßnahmen, deren zu erwartende Fertigstellung oder Teilfertigstellung, die zu erwartenden Kosten und Art und Umfang der Bevorschussung dieser Arbeiten über die Beiträge der Wohnungseigentümer oder über Sonderumlagen. In den Wirtschaftsplan müssen auch zu erwartende Beitragsausfälle insolventer Wohnungseigentümer aufgenommen werden, die unabhängig von der Durchsetzung der Ansprüche von den übrigen Eigentümern aufgebracht werden müssen. Der Wirtschaftsplan gliedert sich in den Gesamtwirtschaftsplan und in die Einzelwirtschaftspläne, in denen die von jedem einzelnen Wohnungseigentümer zu bezahlenden Vorschüsse ausgewiesen sind. Im Wirtschaftsplan sind die Kostenarten aufzugliedern, und der Beitrag zur Instandhaltungsrückstellung ist gesondert auszuweisen. Der Wirtschaftsplan ist der Tagesordnung beizufügen, und zwar der Gesamtwirtschaftsplan jedem Eigentümer und dazu der ihn betreffende Einzelwirtschaftsplan (str., wie hier: Bub, Das Finanz- und Rechnungswesen der Wohnungseigentümergemeinschaft, 1996, Rn. 65). Vor der Beschlussfassung hat der Verwaltungsbeirat gem. § 29 Abs. 3 den Wirtschaftsplan zu prüfen. Er hat hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Der BGH hat in einer weitreichenden Entscheidung – Beschluss vom 02.06.2005, V ZB 32/05 – nicht nur entschieden, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer rechtsfähig ist, soweit sie bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnimmt, sondern insbesondere auch, dass der Wirtschaftsplan auch die anteilmäßige Verpflichtung der Wohnungseigentümer zur Lasten- und Kostentragung enthalten muss. Dem Verwalter darf die Entscheidung über die Umlage der Kosten auf die einzelnen Wohnungseigentümer also nicht überlassen werden. Da die Verteilung der Kosten Gegenstand des Einzelwirtschaftsplans ist, gehört der Einzelwirtschaftsplan zu den unverzichtbaren Bestandteilen des Wirtschaftsplans. Es ist deshalb die Genehmigung eines Wirtschaftsplans ohne Einzelwirtschaftsplan auf Antrag für ungültig zu erklären (BayOLG, NJW-RR 1991, 1360). Nach Ablauf des Kalenderjahres hat der Verwalter gem. § 28 Abs. 3 WEG eine Abrechnung zu erstellen und den Wohnungseigentümern zur Beschlussfassung vorzulegen. Die Abrechnungslegung erfolgt durch den amtierenden Verwalter. Der während oder am Ende der Abrechnungsperiode ausgeschiedene Verwalter ist zur Erstellung der Abrechnung nicht verpflichtet. War aber eine Abrechnung bereits fällig, so bleibt die Verpflichtung auch nach Beendigung des Verwalteramts bestehen. Die Abrechnung ist nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auf der Grundlage des Belegprinzips zu erstellen. Es handelt sich um eine Kassenrechnung, d. h. eine Einzahlungs- und Auszahlungsrechnung und nicht um eine Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung (Bub a. a. O., Rn. 53, 54; Wenzel, Die neuere Rechtsprechung des BGH zum Wohnungseigentumsrecht, NZM 2000, 68). Abgrenzungen haben in einer Jahresabrechnung der WEG nichts zu suchen (Köhler in: Köhler/ Bassenge, Teil 6, Rz 21 mit umfangreichen Nachweisen). Entscheidende Argumente hierfür sind zum einen der Umstand, dass nur die Einzahlungs-/Auszahlungsrechnung einen klaren Aufschluss über die Liquiditätslage zum Abrechnungsstichtag gibt und zum anderen, dass
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
549
nach dem Willen des Gesetzgebers jeder Eigentümer, auch der nicht im Geschäftsleben Versierte, die Abrechnung verstehen können muss (BGH, NZM 2010, 243). Durch Rückstellungen oder Rechnungsabgrenzungsposten wird dieses Verständnis erschwert. Es kommt also nur auf die im Wirtschaftsjahr tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben an, nicht auf die Zweckbestimmung, die der Zahlende mit der Zahlung angibt (BayOLG, WuM 1993, 92, 93). Auch unberechtigt vorgenommene Zahlungen an Dritte müssen als Ausgaben erfasst werden, wenn sie aus Mitteln der Gemeinschaft erfolgten (BGH, NZM 2011, 366): Da die Heizkostenverordnung verlangt, dass die Kosten der Heizung und der Warmwasserversorgung verbrauchsabhängig abgerechnet werden, sind bei Bevorratung von Heizöl durch die Wohnungseigentümer zur Ermittlung der Verbrauchskosten die Anschaffungskosten während der Abrechnungsperiode um den Wert des Anfangsbestandes zu erhöhen und um den Wert des Endbestandes zu vermindern, wobei sich der Wert jeweils nach den tatsächlichen Anschaffungskosten bemisst. Hier findet sich ein von der herrschenden Meinung und Rechtsprechung akzeptierter Bruch mit dem Prinzip der Ein- und Auszahlungsrechnung, weil insoweit ausnahmsweise eine Abgrenzung erfolgt. Es handelt sich hier aber um die einzig akzeptierte Ausnahme, die darauf zurückgeführt wird, dass die Heizkostenverordnung alle Regelungen der Eigentümer untereinander überlagert. Der Einfluß der Abgrenzung auf die Kontoentwicklung ist in der Abrechnung zu erläutern. Auch die Abrechnung ist wieder in Form der Gesamtabrechnung und aller Einzelabrechnungen vorzulegen und zur Beschlussfassung zu stellen. Belege sind nicht körperlich beizuführen, jedoch ist vor der Beschlussfassung eine Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen zu gewähren. Auch hinsichtlich der Abrechnung hat der Verwaltungsbeirat sachlich und rechnerisch Stellung zu nehmen. Er kann die Jahresabrechnung mit einem Prüfungsvermerk versehen. Er soll bei den einzelnen Belegen stichprobenartig deren Richtigkeit und Zugehörigkeit zu den Positionen der Abrechnung durchführen. Abrechnungen sind Gegenstand vieler Anfechtungsverfahren, wobei sich in aller Regel die Einwendungen gegen formell unrichtige oder nicht nachvollziehbare Abrechnungen richten, gegen den Kostenverteilungsschlüssel oder gegen Positionen einer Einzelabrechnung, die nicht aus der Gesamtabrechnung abgeleitet werden können. Beitragsrückstände aus Vorjahren dürfen nicht Teil der Abrechnung sein, können aber zu informatorischen Zwecken aufgenommen werden (nach der Abrechnungsspitze (Kuhla, ZWE 2011, 12, 14). Bub (ZWE 2011, 193, 195), erkennt solche Rückstände als Saldovortrag in der Abrechnung an. Verkannt wird aber von Eigentümern immer wieder, dass Unklarheiten, die bei Einsichtnahme in die Belege beseitigt werden können, trotz Anfechtung zur Bestätigung der nachträglichen Richtigkeit der Abrechnung führen können. Immer wieder fechten Eigentümer auch die Abrechnung insgesamt an, obwohl sie sich nur gegen einzelne Positionen wenden. Dies kann im Hinblick auf das Kostenrisiko gefährlich sein. Immer häufiger nehmen Wohnungseigentümer, aber auch Verwalter, in den Wohnungseigentümerversammlungen im Beschlusswege Korrekturen in der Belastung einzelner Wohnungseigentümer vor. Sie meinen, bestimmte Eigentümer anders behandeln zu dürfen als die übrigen, etwa dann, wenn es darum geht, dass bestimmte Aufwendungen der Gemeinschaft einzelnen Eigentümern nur in geringem Maße zugute kommen und die zu begünstigenden Eigentümer andererseits bestimmte Gemeinschaftskosten, von denen sie allein profitieren,
550
9 Recht der Immobilienverwaltung
ohnehin allein tragen. Das ist unzulässig. Der Immobilienverwalter hat bei einer entsprechenden Beschlussfassung der Gemeinschaft darauf hinzuwirken, dass alle Eigentümer gem. den in Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung vereinbarten Kostenverteilungsschlüsseln an den Kosten der Gemeinschaft teilhaben. Ausnahmen sind nicht statthaft, weil es gerade im Wesen des Wohnungseigentums liegt, Gemeinschaftskosten auch gemeinschaftlich zu tragen. Deshalb hat ja der Gesetzgeber in § 16 Abs. 2 auch diesen Grundsatz ausdrücklich so formuliert. Insoweit ist die vollständige Befreiung einzelner Eigentümer von der Verpflichtung, sich an bestimmten gemeinschaftlichen Kosten zu beteiligen, nicht in Einklang zu bringen mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung (OLG Köln, NZM 2005, 20). Weiß der Verwalter, dass bestimmte Eigentümer bereits vor der Eigentümerversammlung angekündigt haben, die Jahresabrechnung anfechten zu wollen, so kann er darauf hinwirken, dass der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung über die Jahresabrechnung unter die Bedingung gestellt wird, dass ein Eigentümer die Jahresabrechnung innerhalb von 2 Wochen ebenfalls noch genehmigt. Das gilt insbesondere dann, wenn feststeht, dass dieser Eigentümer sich zunächst nicht an der Abstimmung beteiligen wird. Kommt dann die Genehmigung innerhalb der beschlossenen Frist, so ist die Jahresabrechnung wirksam beschlossen und Rechtsgrundlage für die sich aus ihr ergebenden Zahlungsansprüche (OLG Köln, NZM 2005, 23). 9.7.2.3
Entlastung des Verwalters
Wird die Abrechnung genehmigt, so wird mit ihr in aller Regel auch eine Beschlussfassung über die Entlastung der Verwaltung für das Geschäftsjahr durchgeführt. Grundsätzlich hat aber der Verwalter keinen Entlastungsanspruch (BGH, NZM 2003, 764; BGH, NZM 2003, 950), ein solcher kann aber kraft jahrelanger Übung entstanden sein. Wird die Beschlussfassung über die Entlastung aber nicht gesondert zum Gegenstand einer Tagesordnung gemacht, so gilt der Verwalter mit der Genehmigung der Abrechnung auch für sein Geschäftsgebaren im Wirtschaftsjahr als entlastet, allerdings nur bezüglich aller Sachverhalte, die für die Eigentümer erkennbar waren. Die Entlastung wirkt als negatives Schuldanerkenntnis der Wohnungseigentümer und beinhaltet die Erklärung, dass die Eigentümer keine Schadensersatzansprüche oder konkurrierenden Ansprüche gegen den Verwalter wegen solcher Vorgänge geltend machen wollen, die sie bei der Beschlussfassung kannten oder kennen mussten. Die Entlastung ist insoweit eine Kundgabe des Vertrauens. Kannte der Verwaltungsbeirat oder kannte eines seiner Mitglieder Umstände, die eine Entlastung ausschließen, so müssen sich die Wohnungseigentümer diese Kenntnis zurechnen lassen. Die Entlastung entfaltet dann Wirksamkeit. Entlastet die Gemeinschaft den Verwalter, so steht ein solcher Beschluss nicht im Widerspruch zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung, sondern erst dann, wenn Ansprüche gegen den Verwalter in Betracht kommen und nicht aus besonderen Gründen Anlass besteht, auf solche Ansprüche zu verzichten (BGH, NZM 2003, 764; BGH, NZM 2003, 950). 9.7.2.4
Die technische Verwaltung im Wohnungseigentum
Zu den Hauptaufgaben des Immobilienverwalters gehört die technische Verwaltung. Im WEG (siehe § 27 Abs. 1 Ziff. 2 WEG) ist sie als Kernkompetenz des Immobilienverwalters
9.7 Grundzüge der Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung
551
ausgewiesen. Deshalb wird dem Leistungsbild des Verwalters in diesem Bereich breiter Raum gewidmet. Dies lässt sich beispielsweise an dem ausführlichen Pflichtenkatalog des Verwalters im Bereich der technischen Verwaltung in den Musterverträgen des Dachverbandes der Deutschen Immobilienverwalter (DDIV) Verwaltervertrag für Wohnungseigentumsanlagen und Verwaltervertrag für die Mietwohnungsverwaltung ablesen (www.ddiv.de). Dabei hat das herkömmliche Leistungsbild des Verwalters im Bereich der Instandhaltung und der Instandsetzung ihren Schwerpunkt in der Instandsetzung, d. h. in der Reaktion auf die Schadensereignisse und weniger im Bereich der Vorsorge. Vorsorgende Instandhaltung heißt aber bei der Immobilie Erhaltung ihres Wertes und oft auch Verlängerung ihres „Lebens“. Eine Vielzahl von Dienstleistern im Bereich der Immobilienbranche hat die Bedeutung des Themas erkannt und behandelt sie unter Begriffen wie „Technisches und Kaufmännisches Objektmanagement“, „Corporate Real-Estate“, „Kostencontrolling“ oder auch „Facility-Management“. Die Übergänge zwischen Immobilienverwaltung und Facility-Management sind jedenfalls im Bereich der technischen Gebäudeinstandhaltung fließend. Denn es handelt sich hier um einen Bereich, der bereits bisher von den Immobilienverwaltern realisiert wird (hierzu: Schrodt, Immobilien Praxis und Recht, 5/2000, 32 ff). Besonders komplex und schwierig ist die technische Verwaltung im Bereich der Wohnungseigentumsverwaltung deshalb, weil hier unterschiedliche Zustimmungserfordernisse der Auftraggeber zu beachten sind, je nachdem, ob es sich um Instandhaltung und Instandsetzung im Sinne einer Reparatur, modernisierende Instandsetzung im Sinne einer Verbesserung anlässlich einer erforderlichen Reparatur oder um eine bauliche Veränderung oder Modernisierung ohne Reparatur bzw. Reparaturnotwendigkeit handelt. Erschwert wird im Bereich des WEG für den Verwalter die Umsetzung der Ziele vieler Auftraggeber, schon im Bereich der vorsorgenden Instandhaltung Maßnahmen zur Werterhaltung der Immobilie ohne konkreten oder konkret bevorstehenden Schadenseintritt einzuleiten (Schmidt, Festschrift für Werner Merle, 265 ff). In der Wohnungseigentumsverwaltung sind neben den noch zu erörternden Begriffen der baulichen Veränderung und der Maßnahmen der Modernisierung die Instandhaltung und Instandsetzung die maßgeblichen Begriffe. Die Instandhaltung ist grundsätzlich hier als Summe aller Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, um normale und verbrauchsbedingte Abnutzungserscheinungen zu beseitigen und den ursprünglichen – also bei Begründung des Wohnungseigentums bestehenden – technisch einwandfreien, gebrauchs- und funktionsfähigen Zustand sowie den bestimmungsgemäßen Gebrauch einer baulichen Anlage durch pflegende, erhaltende und vorsorgende Maßnahmen aufrecht zu erhalten. Die Instandhaltung dient also insbesondere der Verhinderung von Schäden an der Gebäudesubstanz. Zu ihr zählen auch periodische Schönheitsreparaturen und Anstricharbeiten, Kleinreparaturen sowie z. T. periodische Inspektionen und Wartungen zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Anlagen und Einrichtungen (Bub/von der Osten, Wohnungseigentum von A–Z, Instandhaltung und Instandsetzung, S. 526, 527 m.w.N.). Unter Instandsetzung versteht man dagegen die Beseitigung von größeren Schäden und Mängeln, die insbesondere durch Alterung, Abnutzung, Witterungseinflüsse, unterlassene oder unzureichende Durchführung der laufenden Instandhaltung oder durch Einwirkung Dritter entstanden sind, oder auf außergewöhnlichen Umständen und Ereignissen, wie Brand, Hagelschlag oder höherer Gewalt, beruhen. Sie bezweckt die Wiederherstellung eines einmal vorhanden gewesenen ordnungsgemäßen Zustandes und des bestimmungsgemäßen Gebrauchs (Bub/von der Osten, a. a. O., S. 527).
552
9 Recht der Immobilienverwaltung
Besondere Ausformungen der Instandhaltung und Instandsetzung sind modernisierende Instandsetzungen. Hierunter versteht man solche Instandsetzungen, die über die bloße Reproduktion des bisherigen Zustandes hinausgehen, wenn sie die technisch bessere und wirtschaftlich sinnvollere Lösung ist und zum Tragen kommt, wenn ohnehin eine Instandsetzungsmaßnahme erforderlich ist. Die modernisierende Instandsetzung ist deutlich von der „Modernisierung“ und der „Anpassung an den Stand der Technik“ abzugrenzen (hierzu und zu den unterschiedlichen Zustimmungserfordernissen: Drabek in: Köhler/Bassenge, Teil 9 Rz 15). Eine vorsorgende Instandsetzung ist die Durchführung von Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen zur Werterhaltung der Immobilie ohne konkreten oder konkret bevorstehenden Schadenseintritt. Sie kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Lebenszyklus einer gebäudetechnischen Einrichtung sich dem Ende zuneigt oder eine höhere Reparaturanfälligkeit zeigt, dass demnächst weitere Reparaturen nicht mehr sinnvoll sein werden. Wertsteigerungsmaßnahmen sind keine Fälle der Instandhaltung und Instandsetzung. Sie sind (Modernisierungsmaßnahmen ohne Instandsetzungsbedarf) bauliche Veränderungen, die nicht anlässlich einer notwendigen Instandsetzung, sondern aufgrund geänderter technischer Entwicklungen, verbesserter Standards und veränderter Bedürfnisse durchgeführt werden. Grundleistungen des Verwalters im Bereich der technischen Verwaltung sind:
Durchführung der für die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung sowie in sonstigen dringenden Fällen der zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlichen Maßnahmen: – Überwachung des baulichen Zustands des gemeinschaftlichen Eigentums; – Beratung der Eigentümergemeinschaft über die Notwendigkeit der Vornahme von Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten; – Einholung von Kostenvoranschlägen; – Überwachung der Arbeiten; – technische Rechnungsprüfung; – Abnahme der Arbeiten; – Rüge festgestellter Mängel; – Organisation und Überwachung der Personen, die mit der Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht beauftragt sind;
Durchführung baulicher Änderungen (Umbauten, Ausbauten, Modernisierung): – Stellungnahme zu beabsichtigten baulichen Veränderungen;
Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums und Verfolgung von Gewährleistungsansprüchen gegen den Veräußerer: – Beratung über den Inhalt zweckmäßiger Beschlussfassungen und Beratung über die Hinzuziehung von Sonderfachleuten; Der professionelle Verwalter sollte – wenn er hierfür qualifiziert ist – die folgenden Tätigkeiten im Rahmen des Verwaltervertrages als besondere Leistung gegen gesondert zu vereinbarende Vergütung anbieten und vereinbaren:
Bestandsaufnahme des Objektes einschl. aller Gebäudeelemente/Einrichtungen, Bestandsaufnahme über alle baulichen Unterlagen, Reparatur- und Wartungsverträge,
9.8 Forderungseinzug/Risikominimierung von Forderungsausfällen
553
Erfassung aller zurückverfolgbaren wesentlichen Instandsetzungskosten und Auswertung deren Schadensursachen und deren Entwicklung, Ermittlung der Abnutzungsdauer der Gebäudeteile und Einrichtungen, Feststellung der Standards gemäß den einschlägigen DIN-Vorschriften und Feststellung der Entwicklung des Standes der Technik sowie diskutierter und anstehender Gesetzesänderungen, Erstellung bzw. Erschaffung eines EDV-gestützten Instandhaltungsprogrammes, regelmäßige Objektbegehungen unter Einsatz von Sonderfachleuten und unter Beteiligung des/der Eigentümer(s), Herbeiführung einer Entscheidung des/der Eigentümer(s) zur Beiziehung eines Sonderfachmannes (z. B. Architekt/Ingenieur) bei der Erstellung des Wirtschaftsplanes bzw. Budgets für die Instandhaltung und Instandsetzung, gemeinschaftliche Begehung mit allen in Betracht kommenden Anbietern bei größeren Instandhaltungsmaßnahmen vor Angebotsabgabe und laufende Überprüfung und Anpassung der Wartungs- und Serviceverträge. Auf die technische Verwaltung hat bereits die WEG-Reform 2007 erheblichen Einfluss. § 22 II 1 gibt den Wohnungseigentümer eine Beschlußkompetenz, die Modernisierungsmaßnahmen erleichtert. Mit einer qualifizierten Mehrheit von ¾ aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer und mit der einfachen Mehrheit aller Miteigentumsanteile können bestimmte Maßnahmen (i. S. als § 559 I BGB) beschlossen werden. Das gilt insbesondere für nachhaltige Energiesparmaßnahmen (z. B. Wärmedämmungen Fassaden). Der Modernisierungsbegriff wird großzügiger gehandhabt (BGH, NJW 2011, 1220). Jedoch sollte das Quorum z. B. für eine Maßnahme der energetischen Modernisierung gesenkt werden (Derleder, ZWE 2013, 1, 7).
9.8
Forderungseinzug/Risikominimierung von Forderungsausfällen
9.8.1
Forderungseinzug als Kerngeschäft des immobilienverwaltenden Unternehmens?
Unternehmen, die Immobilien effektiv verwalten, stellt sich zunehmend die Frage, ob der Forderungseinzug mitsamt des vollständigen Mahn- und Vollstreckungswesens nicht ausgegliedert und auf einen Dritten übertragen werden soll. Grund dafür ist die Tatsache, dass der Forderungseinzug in großem Umfange personelle Kräfte bindet, die für die Maßnahmen der Immobilienverwaltung im engeren Sinne dann fehlen, vor allem für die Objektbetreuung/technische Verwaltung. Auch entwickelt sich die Kommunikation mit den Schuldnern, deren Beratern und auch mit den eigenen externen Bevollmächtigten zunehmend zeitaufwendig. Dies liegt vor allem an der Komplexität des Mahn- und Vollstreckungswesens und den umfangreichen Neuregelungen der Insolvenzordnung. Je nach Größe des Unternehmens sind daher auch die vollständige Ausgliederung dieser Aufgaben des Forderungseinzugs und des Forderungsmanagements und die Übertragung dieser Aufgaben auf einen Dritten zu erwägen.
554
9.8.2
9 Recht der Immobilienverwaltung
Gesetzliche Verwalterpflichten, vertragliche Pflichten
In der Mietverwaltung sind Art und Umfang der Pflichten des Verwalters zum Forderungseinzug meist vertraglich geregelt. Die Aufgaben dienen der Sicherung der Liquidität, der Bezahlung von Rechnungen für Grundstücke und Gebäude, der Sicherung der Vergabe von Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen und natürlich auch der Sicherung der Entnahmemöglichkeit des Auftraggebers, um nur einige dieser Sicherungszwecke zu nennen. Mietvertraglich ist fast immer geregelt, wann Mieten und Nebenkosten fällig sind, und es ist die oberste Aufgabe des Verwalters, nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers Rückstände entstehen zu lassen. Solche Rückstände können sich aus offenen Mieten, offenen Nebenkostenvorauszahlungen, Mieterhöhungen und Nebenkostenabrechnungen ergeben. Dem Immobilienverwalter drohen Haftungsrisiken, wenn er nicht auf die Zahlung offener Forderungen besteht, die Rückstände anwachsen, der Mieter einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt und sich später herausstellt, dass bei rechtzeitiger Titulierung der Ansprüche diese noch durchsetzbar gewesen wären. Auch gehen dem Verwalter und dessen Auftraggeber Druckmittel verloren. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bringt im Mietrecht eine Kündigungssperre mit sich für alle Rückstände, die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Der Verwalter muss das gesamte Instrumentarium kennen, das die Rechtsordnung ihm zur Verfügung stellt. Dazu gehören insbesondere auch Klagen im Urkundsverfahren mit dem Vorteil der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines erwirkten Titels ohne Sicherheitsleistung, und dazu gehört – jedenfalls bei gewerblichen Mietverhältnissen – auch die Möglichkeit, den Mieter und Schuldner durch notarielle Urkunde der Räumungsvollstreckung bei erheblichen Zahlungsrückständen zu unterwerfen und so rasch und effizient handeln zu können. Im WEG ist der Forderungseinzug, insbesondere in Form der Ermächtigung zur gerichtlichen Geltendmachung der Hausgeldrückstände, mehrfach verankert. Die Gemeinschaftsordnung, der Verwaltervertrag und auch ein Eigentümerbeschluss gem. § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG sind hier die Grundlagen. Im Rahmen der Ermächtigung hat der Verwalter auch die Befugnis zur Zwangsvollstreckung einschließlich zur Beantragung der Zwangsverwaltung (s. o.), um die Ansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft mit Nachdruck durchzusetzen. Die Ermächtigung zur Geltendmachung von Rückständen schließt auch die Befugnis zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts mit ein (BayOLG, WE 1992, 144). Mit der Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft (BGH, Beschl. v. 02.06.2005 – V ZB 32/05) sind die Ansprüche der Gemeinschaft zur Durchsetzung von Beitragsforderungen gegen säumige Wohnungseigentümer erleichtert. Die Gemeinschaft kann als Gläubiger einer Zwangshypothek in das Grundbuch eingetragen werden. Während früher alle Gläubiger (alle Eigentümer) unter Angabe von Namen, Vornamen, Wohnort und Beruf eingetragen werden mussten, reicht jetzt eine dem Titel beigefügte Eigentümerliste.
9.8.3
Anzeichen für wirtschaftliche Probleme des Mieters
Wenn die Mietzahlungen und die Wohngeldzahlungen ausbleiben, ist es in aller Regel bereits zu spät. Der Mieter oder auch der Wohnungseigentümer ist zahlungsunfähig, ein Insolvenzantrag ist schon gestellt oder steht unmittelbar bevor. Häufig ergeben aber bereits vorher verschiedene Anzeichen Aufschluss darüber, dass der Mieter in Schwierigkeiten geraten ist. Diese gilt es in der Mietverwaltung jedenfalls zu erkennen. Hier mag unterstützend wirken die nachfolgende
9.8 Forderungseinzug/Risikominimierung von Forderungsausfällen
555
Checkliste: „Anzeichen für wirtschaftliche Probleme des Mieters“
Einzugsermächtigung wird widerrufen/Dauerauftrag wird erteilt, Vermieter wird um Austausch der Sicherheitsleistung gebeten, nach vielen Jahren wird erstmals Einsicht in die Nebenkostenabrechnungsbelege begehrt, Mieter ersucht um Erlaubnis der Untervermietung an einen Branchenfremden, Mieter erhebt Mängelrügen bezüglich der Mietsache, Mieter kommt der Betriebspflicht nicht nach, der Dauerauftrag wird in Einzelanweisungen geändert, die Mietzahlung erfolgt unregelmäßig, die Mietzahlungen bleiben aus.
9.8.4
Risikominimierung gegen Mietausfälle
Risiken gegen Mietausfälle lassen sich in verschiedener Weise minimieren. Gerade im gewerblichen Mietrecht, aber auch im Wohnraummietrecht, gibt es zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten. Hilfe mag geben die beigefügte Checkliste „Möglichkeiten der Risikominimierung gegenüber Mietausfällen“
Handelsregister- und IHK-Auskunft vor Abschluss des Mietvertrages, Selbstauskunft Vereinbarung von Schuldübernahme bzw. Schuldmitübernahme im Mietvertrag (gewerbliche Mietverträge), Vereinbarung einer sogenannten Patronatserklärung mit einem Dritten (z. B. Muttergesellschaft) (gewerbliche Mietverträge), Erhöhung der Bürgschaft bei vom Vermieter überlassener hochwertiger Mietsache über 3 Monatsmieten hinaus (gewerbliche Mietverträge), Klage auf künftige Herausgabe (wenn der Mieter innerhalb einer vom Vermieter gesetzten Frist nicht erklärt, rechtzeitig zu räumen (OLG Stuttgart – 5 W 16/99 –; Rademacher, MDR 2000, 57, 60)), Verpflichtung des Mieters im Mietvertrag zur Abgabe einer Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung wegen der Rückgabeverpflichtung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 n. F. BGB), Übergabe der Räume nur Zug um Zug gegen Übergabe der vereinbarten Bürgschaft (gewerbliche Mietverträge). Schuldmitübernahme, Schuldübernahme Muster: „Kommt der Mieter seinen Verpflichtungen zur Zahlung des Mietzinses einschließlich der Nebenkostenvorauszahlungen, Nebenkostennachzahlungen und zur Erbringung der Sicherheitsleitung nicht nach oder wird die Gesellschaft des Mieters oder des Rechtsnachfolgers nicht im Handelsregister eingetragen oder aber die Gesellschaft des Mieters oder des Rechtsnachfolgers aufgelöst oder Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, so übernimmt X die Verpflichtungen des Mieters aus dem Mietvertrag für die Dauer von 18 Monaten ab Zahlungsausfall oder ab Kenntnis des Vermieters vom Eintritt eines der oben genannten Gründe. X übernimmt insoweit in diesem Vertrag (Schuldübernahme/Schuldmitübernahme) die Verpflichtungen des Mieters. Diese Vereinbarung des Vermieters und X wird in diesem Mietvertrag durch gesonderte Unterschrift wie folgt bestätigt.“
556
9.8.5
9 Recht der Immobilienverwaltung
Vorzeitiger Auszug des Mieters/Nichtübernahme der Räume
Zieht ein Mieter eigenmächtig aus oder verweigert er trotz vertraglicher Vereinbarung die Übernahme der Mieträume bei Vertragsbeginn, so stellte sich früher das Problem, dass der Vermieter bei einer fristlosen Kündigung das Risiko einging, sich ein Mitverschulden im Rahmen der Weitervermietung entgegenhalten lassen zu müssen. Dies ist schon immer als dem vertragstreuen Vertragspartner gegenüber nicht gerechte Handhabung empfunden worden. Der BGH hat zunächst bei einem eigenmächtigen Auszug des Mieters gestattet, dass auch ohne Kündigung weitervermietet werden kann. Der Vermieter muss sich nicht entgegenhalten lassen, durch die Weitervermietung entziehe er dem Mieter den Mietgebrauch. Noch weitergehender schützt die Rechtsprechung den Vermieter (BGH Urteil v. 22.12.1999, Az. XII ZR 339/97, zitiert bei Hannemann, ARGE Mietrecht und WEG, Info-Letter, 1/2000, 19), denn ihm ist bei Verweigerung der Übernahme der Mieträume durch den Mieter nicht nur eine Weitervermietung auch ohne Kündigung möglich, sondern sogar ein Rückgriff auf den alten Mieter bei mangelnder Bonität des neuen Mieters. Bei alldem ist aber zu beachten, dass die Unterlassung der Kündigung sich dann zum Nachteil auswirken kann, wenn die Suche nach einem neuen Mieter erfolglos bleibt. Denn die Insolvenzordnung regelt in §§ 112, 119 InsO unabdingbar, dass – rückwirkend bezogen auf die Einleitung des Insolvenzverfahrens – eine Kündigungssperre zu Lasten des Vermieters greift. Das bedeutet, dass der Vermieter bei Zahlungsrückstände die eine fristlose Kündigung gestattet, sofort kündigen muss, will er nicht riskieren, dass weitere Mietrückstände auflaufen, weil die Kündigungssperre greift und der Insolvenzverwalter sich auf diese beruft, das Mietverhältnis fortsetzt und nur die Mieten zahlt, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig werden.
9.8.6
Begriffe aus dem Mahn- und Vollstreckungswesen
Tabelle 6: Begriffe aus dem Mahn- und Vollstreckungswesen
Verzug
Fälligkeit und Mahnung. Die Mahnung ist entbehrlich, wenn die Zahlung kalendermäßig bestimmt ist.
Mietvertragliche Regelungen
03. Werktag eines jeden Monats heißt: Spätestens der 5. Kalendertag im Monat ist der Absendetag. Für die fristgerechte Zahlung kommt es grundsätzlich auf die Absendung, nicht auf den Eingang der Zahlung an. D. h. wiederum, dass bankübliche Laufzeiten hinzuzurechnen sind: Faustregel: Am 10. eines jeden Monats muss das Geld da sein! Viele Mietverträge enthalten aber auch eine Rechtzeitigkeitsklausel, wonach es für die Rechtzeitigkeit der Zahlung auf den Eingang der Miete beim Vermieter ankommt. Auch formularmäßig sind solche Klauseln wirksam.
Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsklausel
AGB-Regelung, wonach Beschränkung auf rechtskräftig festgestellte oder unstreitige Forderungen des Mieters erfolgt und Ankündigung von 1 Monat erforderlich ist, ist
9.8 Forderungseinzug/Risikominimierung von Forderungsausfällen
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zulässig (OLG Düsseldorf, NZM 2002, 953; OLG Hamburg, NZM 1998, 264) Einziehungsermächtigung
Einziehungsermächtigungen sind auch formularmäßig zulässig (BGH NJW 1996, 988).
Mahnung
Mahnung reicht, dann sofort Mahnbescheid beantragen.
Kündigung
§ 543 BGB genau lesen! Die fristlose Kündigung kann auch bereits dann ausgesprochen werden, wenn der Mieter für 2 aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung eines nicht unerheblichen Teils des Mietzinses in Verzug ist. D. h.: Für zwei aufeinanderfolgende Termine eine Miete und € 1,00. Häufig kommt es vor, dass der Mieter zunächst mindert und dann den Mietzins wegen eines vermeintlichen oder behaupteten Mangels für den nächsten Monat zurückbehält. Dann ist in jedem Falle ein fristloser Kündigungsgrund gegeben, wenn Minderung und Zurückbehaltung unbegründet sind.
Unpünktliche Mietzahlung
Wegen unpünktlicher Mietzahlung kann ebenfalls fristlos gekündigt werden, und zwar nicht nach § 543 Abs. 2 Ziff. 3 BGB, sondern nach § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB, denn die wiederholte verzögerliche Mietzahlung ist für den Vermieter unzumutbar und schafft ihm die Berechnung zur Beendigung des Mietverhältnisses. Faustregel: für fristlose Kündigung wegen unpünktlicher Mietzahlung: Zeitraum von 4–5 Monaten, mehrfache unpünktliche Zahlung, aber: eine Abmahnung reicht.
Schicksal des Untermietverhältnisses bei Kündigungen
Das Untermietverhältnis hängt von der Wirksamkeit des Hauptmietverhältnisses ab. Die Beendigung des Hauptmietverhältnisses ist dem Untermieter mitzuteilen. Räumt dieser dann nämlich nicht, hat der Vermieter gegen den Untermieter einen direkten Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe der bislang gezahlten Miete.
Nachträgliche Zahlung des Mietzinses nach fristloser Kündigung
Im gewerblichen Mietrecht gibt es anders als im Wohnraummietrecht keine Heilung der Nichtzahlung durch Nachzahlung. Aber auch im Wohnraummietrecht heilt die Bezahlung des Rückstands nicht zwingend auch eine gleichzeitig ausgesprochene fristgemäße ordentliche Kündigung (BGH, NZM 2005, 334).
Tilgungsbestimmungen für Zahlungen
In der Forderungsaufstellung, die dem Mieter zu schicken ist, ist eine sorgfältige Verrechnung auf Kosten, Zinsen und Hauptforderung vorzunehmen. Dabei müssen aber Tilgungsbestimmungen des Mieters beachtet werden. Wenn diese auf die Miete zahlt und dies ausdrücklich und nachweislich so bestimmt, kann z. B. nicht auf die Kosten verrechnet werden.
558
9 Recht der Immobilienverwaltung
Mahnverfahren
Der Mahnbescheid – gegen jeden Schuldner getrennt – ist bei dem Amtsgericht zu beantragen, bei dem der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Es ist also nicht das Gericht zuständig, bei dem der Gegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Mahnbescheid hat den Inhalt des § 690 ZPO zu wahren: Bezeichnung des Anspruchs unter besonderer Angabe der verlangten Leistung: Beispiel: Rückständige Miete Mai und Juni 2000 je EUR 5.000,00 zzgl. Nebenkostenvorauszahlungen je EUR 1.000,00 für Mietverhältnis Parkstr. 13, FfM gem. Mietvertrag vom 01.05.2012
Widerspruch des Schuldners
Der Schuldner kann binnen 2 Wochen nach Zustellung des Mahnbescheids Widerspruch erheben. Ein nicht fristgerechter Widerspruch wird als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid behandelt (§ 694 Abs. 2 ZPO).
Vollstreckungsbescheid
Wehrt sich der Schuldner nicht, so ergeht auf der Grundlage des Mahnbescheids Vollstreckungsbescheid. Der Vollstreckungsbescheid ist Vollstreckungstitel. Er wird von Amts wegen zugestellt. Er ist vorläufig vollstreckbar. Wird Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt, so bleibt er vollstreckbar, und zwar solange, bis ein Gericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung verfügt.
Verfahren nach Widerspruch
Wird rechtzeitig Widerspruch erhoben, so entscheidet nach beantragter Abgabe des Gerichts, das gem. § 692 ZPO zu entscheiden hat. Die Abgabe erfolgt erst, wenn die weiteren Kosten einbezahlt sind. Diese werden dem Antragsteller zusammen mit dem Widerspruch mitgeteilt.
Klage im Urkundsverfahren (§ 593 Abs. 1 ZPO)
Mietrückstände, Kaution, Erhöhung der Betriebskostenvorauszahlungen
Fruchtlose Vollstreckung Besondere Vollstreckungsmöglichkeiten
Pfändung von Leasingfahrzeugen (Gläubiger kann die letzten Leasing-Raten zahlen und erhält dann das Fahrzeug übereignet) Pfändung von Lebensversicherungen (Rückkaufwerte) Pfändung von Renten- und Pensionsansprüchen Pfändung von Steuererstattungsansprüchen (§ 46 AO)
Berliner Räumung Reform; § § 885 a ZPO
Belassen des Räumungsgutes in der ehemaligen Mietsache. Verfügungsbefugnis des Gläubigers (beschränkter Vollstreckungsauftrag)
9.9 Immobilienverwaltung und öffentliches Recht
9.9
Immobilienverwaltung und öffentliches Recht
9.9.1
Der Verwalter als Adressat von Verwaltungsakten
559
Häufig ergehen Bescheide (insbesondere solche der Gefahrenabwehr, im Bereich des Baurechts, außerdem Steuerbescheide), von denen der Verwalter – häufig zu Unrecht – meint, diese seien zum einen nur für den Eigentümer bestimmt und brächten ihm als Verwalter aktuell keinen Handlungszwang. Jedenfalls aus der Sicht der Verwaltungsgerichte (VG Düsseldorf, ZWE 2011, 29; OVG Münster, ZWE 2011, 166) ist der Verwalter Adressat von Verwaltungsakten. Das gilt etwa dann, wenn Gefahren vom Gemeinschafts- oder Sondereigentum ausgehen oder auch eine bauordnungsrechtliche Verfügung etwa wegen Brandschutzproblemen ergehen und zugestellt werden soll. Andererseits kann auch öffentlichrechtlich die Einwirkungsmöglichkeit des WEG-Verwalters auf die Gemeinschaft und deren Willensbildung nicht größer sein als seine zivilrechtlichen Kompetenzen nach dem WEG, weshalb seine unmittelbare Verantwortung verneint wird, wenn es um Belange der Gemeinschaft in Bezug auf das öffentliche Recht geht. Der WEG-Verwalter soll kein „Hilfssheriff der Ordnungsbehörden“ sein (Briesemeister, ZWE 2011, 25, 28). Auch ist zu bedenken, dass der Verwalter weder Handlungs- noch Zustandsstörer ist im Sinne des Gefahrenabwehrrechts ist, es sei denn, er hat sich selbst etwas vorzuwerfen und etwa einen baurechtswidrigen Zustand verantwortet (Tank/Bringewart, ZWE 2012, 306, 308). Da aber der Verwalter von den Polizei und Ordnungsbehörden tatsächlich im Rahmen der Anwendung von Polizei und Ordnungsgesetzen bei Maßnahmen unaufschiebbarer Gefahrenabwehr in Anspruch genommen wird, sind die nachfolgenden Grundsätze (wenn auch streitig) zu beachten: Zum einen ist gerade im Bereich der Gefahrenabwehr und der Vorsorgepflichten auch der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück geeigneter Adressat für Verwaltungsakte. Dies gilt z. B. im Bereich des Bundesbodenschutzgesetzes, das in §§ 4 Abs. 2, 7 BBodSchG ausdrücklich alternativ den Grundstückseigentümer oder den Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück anspricht (hierzu: Schlemminger, NZM 1998, 949). Ebenso wichtig ist nun, dass die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an den Verwalter Fristen auch gegenüber dem Eigentümer auslöst.
9.9.2
Fristen, Notfallplanung
Präklusionsregelungen, bei denen der Verwalter Fristen zu beachten hat, die gegen seinen Auftraggeber wirken, gibt z. B. es im Bundesimissionsschutzgesetz (§ 10 Abs. 3 Satz 3). Der Verwalter sollte auch zur Einhaltung solcher Fristen die gesetzlichen Grundlagen der Notfallplanung kennen (EU-Richtlinie 2012, 18, EU v. 04.07.2012; Störfallverordnung DIN 14095; das einschlägige Polizei-(Landes-)Gesetz; die Arbeitsstättenverordnung v. 12.08.2004, den Standard 100-4 Notfallmanagement des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik). Er sollte mit seinem Auftraggeber für die Immobilie und die Nützer ein Notfallwasserkonzept entwickeln (siehe BSI Standard 100-4 Notfall-Management, S. 59, 60, 80, 83 ff).
560
9.9.3
9 Recht der Immobilienverwaltung
Polizeiliche Anordnungen
Der Verwalter darf sich nicht darauf verlassen, dass grundsätzlich der Nutzer (Mieter/Pächter) vor dem Eigentümer in Anspruch genommen wird. Vielfach wird noch insoweit ein Vorrang der Inanspruchnahme des sogenannten Verhaltensstörers vor dem sogenannten Zustandsstörer gesehen. Wie bereits (§ 4 Abs. 2, 7 BBodSchG) ausgeführt wurde, gelten diese allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätze nicht uneingeschränkt, weshalb aus der Sicht des Verwalters äußerste Vorsicht geboten ist. Es würde schwierig auszuräumende Rechtsnachteile bringen, wenn sich der Verwalter darauf stützen würde, die Inanspruchnahme des Eigentümers als vorrangige Maßnahme sei im Rahmen der Ermessensausübung seitens der Behörde rechtswidrig (hierzu umfassend: Büchner, Der Immobilienverwalter 4/97, 158 f., 250). Der Verwalter ist auch Adressat für Verfügungen aufgrund der Baustellenverordnung vom 10.06.1998 (beruhend auf dem Arbeitsschutzgesetz, Umsetzung der EU-Baustellenrichtlinie 92/57 EWG). Die Baustellenverordnung verpflichtet den Bauherren, bei größeren Bauvorhaben, für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf der Baustelle zu sorgen. Er wird meist einen Sonderfachmann als Si+Ge-Koordinator einsetzen. Zwar regelt die Baustellenverordnung die zivilrechtliche Haftung der Baubeteiligten, jedoch wird bei Überprüfungen der sicherheits- und gesundheitsschützenden Maßnahmen auf der Baustelle seitens der Baubehörde diese sich an den Verwalter richten, wenn der Si+Ge-Koordinator nicht greifbar ist (umfassend zur Baustellenverordnung: Kommentar von Kollmer, Baustellenverordnung, Beck-Verlag 2000).
9.9.4
Verwaltungsakte betreffend die WEG
Der Verwalter ist im außergerichtlichen Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren (VwGO) (NJW-RR 1995, 73) ausschließlich zuständiger Zustellungsvertreter, insbesondere für Zustellungen von Verwaltungsakten, Ladungen, Beschlüssen und Urteilen. Für den WEG-Verwalter ist gesetzlich geregelt (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG), dass er kraft Gesetzes berechtigt ist, Willenserklärungen und Zustellungen entgegen zu nehmen, die an die Wohnungseigentümer gerichtet sind. Für die Mietverwaltung ergibt sich die entsprechende Berechtigung aus dem Verwaltervertrag. Richtet sich dagegen ein Verwaltungsakt an einen einzelnen Wohnungseigentümer und nicht an die Gemeinschaft, so ist der Verwalter nur dann Zustellungsbevollmächtigter, wenn er gleichzeitig auch Verwalter des Sondereigentums ist. Dies ist aber eher die Ausnahme. Das hat zur Folge, dass grundsätzlich derartige Verfügungen erst Wirkung beim Wohnungseigentümer auslösen, wenn sie diesem zur Kenntnis gelangt sind. Im WEG (§ 27 Abs. 2 Nr. 4 WEG) ist ausdrücklich bestimmt, dass der Verwalter Maßnahmen treffen kann, die zur Wahrung einer Frist oder zur Abwendung eines sonstigen Rechtsnachteils erforderlich sind. Im Mietrecht ergibt sich diese Verpflichtung aus dem Verwaltervertrag, kraft dessen der Verwalter die Interessen seines Auftraggebers zu wahren hat, soweit ihm dies möglich ist.
9.9.5
Verhalten des Verwalters bei Empfang von Verwaltungsakten
Im Zweifel wird der Verwalter sowohl im Bereich des WEG als auch im Mietrecht zur Fristwahrung die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Hierzu gehört die Erhebung eines
9.10 Checkliste für zu übergebende Unterlagen bei der Verwaltung
561
Widerspruchs durch den Verwalter, wenn er vor Ablauf der Widerrufsfrist (grundsätzlich ein Monat) eine Weisung des Auftraggebers nicht einholen kann.
9.9.6
Grundsteuerbescheide
Der Verwalter ist in aller Regel nicht in der Lage und geeignet, die Rechtmäßigkeit von Grundsteuerbescheiden, die an seinen Auftraggeber gerichtet sind, zu überprüfen. Es kann dahingestellt bleiben, ob er hierzu im Rahmen von Art. 1 § 5 des Rechtsdienstleistungsgesetzes befugt ist oder nicht. Seine Befugnis und Verpflichtung reicht jedenfalls so weit, seinen Auftraggeber hinsichtlich der formell notwendigen Schritte zur vorläufigen Abwendung von Rechtsnachteilen aufzuklären. Das gilt insbesondere dann, wenn die Rechtswidrigkeit dem Bescheid „auf der Stirn geschrieben steht“, was durchaus keine Seltenheit ist.
9.10
Checkliste für zu übergebende Unterlagen bei der Verwaltung von Wohnungseigentum und Mietobjekten
Für die Übernahme und insbesondere die Durchführung der Verwaltung werden alle hierfür notwendigen Unterlagen, Dokumente, Bescheide und sonstige Papiere benötigt, die zur verantwortlichen Durchführung der übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Es sind dies insbesondere die in der nachfolgenden Liste als Beispiel aufgeführten Haus- und Grundstücksunterlagen für die Verwaltung.
Liste aller Eigentümer und/oder Verzeichnis aller Mieter nach Wohnungsnummern oder Wohnungsanlage mit Angabe Anschrift, Telefon, soweit bekannt Beruf, Anzahl der Personen, Grundbuchauszug sowie Verzeichnis aller eventuell nicht aus den Grundbucheintragungen zu ersehenden Rechte und Pflichten (z. B. Wegerechte, Gestattungen, Nachbarvereinbarungen) und Auszug aus dem Baulastenverzeichnis, Alle Katasterunterlagen (z. B. Fortführungsnachweise, Auszüge aus dem Liegenschaftsbuch, Flurkarten, amtliche Lagepläne), Kompletter Bauschein einschließlich allen Anlagen, Plänen, Statik, Entwässerungszeichnungen etc., Geprüfte Statik, soweit nicht dem Bauschein beigefügt, Baubeschreibung sowie Beschreibung der tatsächlichen Ausführung von Bauten, soweit letztere vorhanden, Wohnflächenberechnung und Berechnung des umbauten Raums, Rohbau-, Gebrauchs- und Schlussabnahmescheine, Abnahmeprotokoll des Gemeinschaftseigentums und, soweit vorhanden, Hinweise und Daten für die Abnahme des Sondereigentums, Komplette Bestandspläne des Hauses sowie aller Installationen, technischer und sonstiger Anlagen, wie z. B. Elektroanlage, Sanitäranlage, Heizungsanlage, Feuerlöschanlage, Druckerhöhungsanlage, Wasseraufbereitungsanlage, Notstromanlage, Gemeinschaftsantennenanlage, Müllanlage und Müllaufzug, Blitzschutzanlage mit letztem Prüfzeugnis, Öltankanlage mit letztem Prüf- und Überwachungszeugnis, Schließplan und Sicherungsschein der Schlüsselanlage, Übergabe aller Bedienungsanweisungen und Angabe von Namen und Anschrift des Einweisers,
562
9 Recht der Immobilienverwaltung Brandversicherungsurkunde, Teilungserklärung mit allen Änderungen und Ergänzungen, Gemeinschaftsordnung mit allen Änderungen und Ergänzungen, Verzeichnis aller bestehenden Versicherungen und Übergabe aller Versicherungspolicen, Alle öffentlichen Bescheide (z. B. über Anleger- und Erschließungskosten und -leistungen, Grundsteuer bzw. Grundsteuerfreiheit, Einheitswert/-werte, Straßenreinigung, Müllabfuhr, Steuern einschließlich Steuernummer bei Stadt und Finanzamt, Angabe aller Abnehmernummern, sonstige Gebührenbescheide, Angabe des Bezirksschornsteinfegermeisters, Ergebnis der letzten Brandschau), Alle Vereinbarungen mit Stadtverwaltung und den Ver- und Entsorgungsunternehmen (z. B. Wasserwerk, Gaswerk, Post, Genehmigung der Antennenanlage, Stadtwerke für die Elektroversorgung einschließlich etwaiger Trafo-Anlagen, örtliche Aufnahme und Berechnung des Bereitstellungspreises, Entwässerungsamt, unter anderem auch für etwaige Hebeanlagen, Öl-, Fett- und sonstige Abscheider sowie Schlammfänge, Müllabfuhr/Stadtreinigungsamt), Alle Wartungsverträge einschließlich Namen, Anschrift und Telefonnummer des Betreuers, Betreuungsvertrag mit der Wärmemessfirma einschließlich Namen, Anschrift und Telefonnummer des Betreuers sowie alle Unterlagen und Listen über Heizflächen, Raumbezeichnungen etc., Hausmeistervertrag einschließlich Mitgliedsschein der zuständigen (Verwaltungs-)Berufsgenossenschaft, Verzeichnis aller für Haus/Grundstück/Wohnungseigentumsanlage laufend mit Reparaturen und Arbeiten beauftragten Handwerker und Unternehmen, Verträge mit und/oder Abrechnungen dieser Handwerker und Unternehmen einschließlich einer Liste der Gewährleistungsfristen, etwa vorhandene Bürgschaften bzw. eine Auflistung etwa vorhandener Einbehalte, Beschlussbuch und/oder Sammlung der Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft, insbesondere solcher, die die Teilungserklärung tangiert haben, Bei Mietverwaltung alle Mietverträge nebst Anlagen und Nachträgen sowie Auflistung der bisherigen letzten Nebenkostenvorauszahlungen und der Nebenkostenabrechnungen, Abrechnungen des Vorverwalters (Gesamt- und Einzelabrechnungen) einschließlich aller erforderlichen sonstigen Angaben, wie Vermögensstatus, Forderungen und Verbindlichkeiten früherer Jahre), Letzter genehmigter Wirtschaftsplan, Rechnungslegung des ausgeschiedenen Verwalters (Gesamtabrechnung ohne Einzelabrechnung), Übergabe der Konten, Gelder und des Vermögens der Eigentümer, Übergabe des Gemeinschaftseigentums (auch einschließlich des beweglichen Eigentums, wie z. B. Hausmeistergerät und -werkzeug, Ersatzteilvorrat etc.) und aller Schlüssel, Auflistung aller laufenden und noch nicht abgerechneten Vorgänge (z. B. Versicherungsschäden, Versicherungsleistungen) und Übergabe der betreffenden Unterlagen, Übergabe des gesamten Schriftwechsels betreffend die Liegenschaft, einschließlich einer Auflistung aller Kenntnisse, Tatsachen und Vorgänge, die für den neuen Verwalter und dessen ordnungsgemäßer Arbeit erforderlich sind und
9.11 Checkliste Verwaltersuche
563
Versicherung des Vorgängers in der Verwaltung, dass alle Unterlagen, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung notwendig sind, übergeben sind, so dass der neue Verwalter auf alle Tatsachen, Vorgänge etc. für eine ordnungsgemäße Verwaltung hingewiesen ist und darauf, dass ein Rückbehalt von notwendigen Unterlagen nicht erfolgt ist
9.11
Checkliste Verwaltersuche
Der Bewerber um die Verwaltung Ihres Objektes sollte zufriedenstellende Auskünfte/Antworten zu folgenden Fragestellungen bzw. Themen geben können:
Erklärung zur Ausbildung: Möglichst: Kauffrau/Kaufmann der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft oder vergleichbarer Abschluss, Dauer der Berufstätigkeit als Verwalter, Vorlage Muster Verwaltervertrag mit Abgrenzung Grundleistung/besondere Leistungen, Kontrollmechanismen im Unternehmen darstellen (TQM), Beispiel für eine Abrechnung, Beispiel Beschlussprotokoll oder: Vorlage des Beschlussbuches, Erklärung des Versicherers über die Existenz einer angemessenen VermögensschadenHaftpflicht für verwaltete Objekte, Ist das Verwaltungsunternehmen Ausbildungsbetrieb? Wird Nachwuchsarbeit betrieben? Ist der Verwalter Mitglied eines Immobilienverwalterverbandes (z. B. im jeweiligen Verband der Immobilienverwalter innerhalb des DDIV)? Referenzliste mit Erläuterungen zur Wiederwahl/Wiederstellung verwalteter Objekte. Wo und wie finde ich Verwalter? www.DDIV.de
564
9 Recht der Immobilienverwaltung
Literaturverzeichnis zu Kap. 9 Bärmann: Wohnungseigentumsgesetz, 10. Auflage, München 2008. Beck’sches: Formularbuch Wohnungseigentumsrecht H. Müller (Hrsg.), 2. Auflage München 2011. Bub/Treier: Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage München 1999. F. Graf von Westphalen: Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke (verschiedene Autoren, München 2012). Ghassemi-Tabar/Leo: AGB im Gewerberaummietrecht, München 2011. Köhler/Bassenge (Hrsg.): Anwaltshandbuch, Wohnungseigentumsrecht, 3. Auflage, Köln 2013. Langenberg: Betriebskostenrecht der Wohn- und Gewerberaummiete, 5. Auflage, München 2009. Lindner-Figura/Oprée/Stellmann: Geschäftsraummiete, 3. Auflage, München 2012. Meyer/Ball: Umsatzsteuer und Immobilien, Berlin 2011. Münchener Kommentar: Bürgerliches Gesetzbuch, Band 6, Sachenrecht, Wohnungseigentumsrecht, München 2009. Neuhaus: Handbuch der Geschäftsraummiete, 4. Auflage, Köln 2011. Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten: WEG, 9. Auflage, Heidelberg 2010. Recker/Slomian: Immobilienverwaltung, Praxishandbuch, 2. Auflage, München 2007. J. Schmidt: Gewerbeimmobilien vermieten und verwalten, Freiburg 2006. M. Schultz: Gewerberaummiete, 3. Auflage, München 2007. Staudinger (Bub u. a. Autoren): BGB, Wohnungseigentumsgesetz, Berlin 2005. Sternel: Mietrecht aktuell, 4. Auflage, Köln 2009. Wolf/Eckert/Ball: Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrecht, 10. Auflage, Köln 2009. GuT: Gewerbemiete und Teileigentum, Zeitschrift, Bonn (verschieden Autoren). IMR: Immobilien- und Mietrecht, Zeitschrift, München und Mannheim (verschiedene Autoren). Info M: Zeitschrift, Berlin (verschiedene Autoren). NJW: Neue Juristische Wochenschrift, Zeitschrift, Frankfurt (verschiedene Autoren). NZM: Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnrecht, München und Frankfurt (verschiedene Autoren). WuM: Wohnungswirtschaft und Mietrecht, Zeitschrift, Berlin (verschiedene Autoren). ZMR: Zeitschrift für Miet- und Raumrecht, Zeitschrift (verschiedene Autoren).
10
Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Jochen Sigloch
10.1 10.1.1 10.1.1.1 10.1.1.2 10.1.1.3 10.1.1.4 10.1.1.5 10.1.1.6 10.1.2 10.1.2.1 10.1.2.2 10.1.2.2.1 10.1.2.2.2 10.1.2.2.3 10.1.2.2.4 10.1.2.3 10.1.2.3.1 10.1.2.3.2 10.1.2.3.3 10.1.2.3.4 10.1.2.4 10.1.2.4.1 10.1.2.4.2 10.1.2.4.3 10.1.2.4.4 10.1.2.5 10.1.2.5.1 10.1.2.5.2 10.1.2.5.3 10.1.2.5.3.1 10.1.2.5.3.2 10.1.2.5.3.3 10.1.2.5.4
Grundlagen der Besteuerung ......................................................................... 569 Allgemeine Grundlagen................................................................................. 569 Steuersystem in Deutschland ......................................................................... 569 Staatsaufgaben ............................................................................................... 572 Funktionen und Besteuerungsgrundsätze ...................................................... 574 Rechtsquellen des Steuerrechts ..................................................................... 581 Besteuerungsverfahren .................................................................................. 583 Struktur der Besteuerung ............................................................................... 585 Grundzüge der Einkommensteuer ................................................................. 590 Persönliche Steuerpflicht ............................................................................... 590 Grundfragen der Einkommensbesteuerung ................................................... 594 Steuerliches Einkommen ............................................................................... 594 Unterscheidung von Erwerbs- und Verwendungssphäre ............................... 595 Subsidiarität der Überschusseinkünfte .......................................................... 596 Prinzipien der Einkünfteermittlung ............................................................... 596 Bemessungsgrundlagen ................................................................................. 598 Modelle der Einkünfteermittlung .................................................................. 598 Dualismus der Einkünfteermittlung............................................................... 600 Veräußerungsgewinne ................................................................................... 609 Verlustberücksichtigung und Liebhaberei ..................................................... 611 Tarif der Einkommensteuer ........................................................................... 614 Tariftypen ...................................................................................................... 614 Tarifstruktur der Einkommensteuer............................................................... 616 Tarifentwicklung seit 1950 ............................................................................ 620 Solidaritätszuschlag ....................................................................................... 622 Veräußerungsgewinne („capital gains“) ........................................................ 623 Überblick ....................................................................................................... 623 Begünstigung von Re-Investitionen .............................................................. 624 Betriebliche Veräußerungsgewinne ............................................................... 627 Begünstigung durch halben durchschnittlichen Steuersatz (bis 1998) .......... 627 Begünstigung durch Fünftelungsregelung (ab 1999)..................................... 628 Einmalig gewährte Sonderregelung „ reduzierter Durchschnittssteuersatz“ ab 01.01.2001 ........................................................ 632 Private Veräußerungsgewinne ....................................................................... 633
566 10.1.2.5.5
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen des Privatvermögens ..................................................................................... 634 10.1.2.6 Verlustkompensation im Ertragsteuerrecht ................................................... 636 10.1.2.6.1 Verluste ......................................................................................................... 636 10.1.2.6.2 Grundformen der Verlustkompensation ........................................................ 637 10.1.2.6.3 Innerperiodischer Verlustausgleich ............................................................... 638 10.1.2.6.4 Interperiodischer Verlustabzug ..................................................................... 640 10.1.2.6.5 Besondere Regelungen zur Verlustberücksichtigung .................................... 643 10.1.2.7 Besteuerung von Altersrenten mit vor- oder nachgelagerter Besteuerung .... 653 10.1.2.7.1 Besteuerung von Altersrenten ....................................................................... 653 10.1.2.7.2 Wirkungen einer vor- und nachgelagerten Besteuerung ............................... 656 10.1.2.7.3 Betriebliche Altersversorgung....................................................................... 660 10.1.2.8 Einkommensverwendung .............................................................................. 662 10.1.2.8.1 Abgrenzungsfragen zwischen den Sphären der Einkommenserzielung und der Einkommensverwendung ................................................................. 662 10.1.2.8.2 Sonderausgaben............................................................................................. 665 10.1.2.8.3 Privater Schuldzinsenabzug .......................................................................... 667 10.1.2.8.4 Außergewöhnliche Belastungen .................................................................... 671 10.1.2.9 Einkommensteuer-Veranlagung, Ehegattensplitting und Kinderleistungsausgleich ....................................................................... 672 10.1.2.9.1 Überblick ....................................................................................................... 672 10.1.2.9.2 Ehegattensplitting.......................................................................................... 673 10.1.2.9.3 Kinderleistungsausgleich .............................................................................. 674 10.1.3 Grundzüge der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer .................................676 10.1.3.1 Systeme der Unternehmensbesteuerung ........................................................ 676 10.1.3.2 Körperschaftsteuer ........................................................................................ 678 10.1.3.2.1 Steuersubjekt ................................................................................................. 678 10.1.3.2.2 Steuerobjekt und Steuerbemessungsgrundlage ............................................. 680 10.1.3.2.3 Steuertarif ...................................................................................................... 680 10.1.3.2.4 Körperschaftsbesteuerung in Deutschland – historischer Rückblick ............ 683 10.1.3.2.5 Teileinkünfte- und Abgeltungsteuerverfahren (ab 2008) .............................. 691 10.1.3.2.6 Offene und teilgelöste Fragen des Halb- und Teileinkünfteverfahrens ......... 695 10.1.3.2.6.1 Problem Progressionsvorbehalt ..................................................................... 695 10.1.3.2.6.2 Probleme Halbabzug und Teilabzug ............................................................. 696 10.1.3.2.6.3 Dividenden- und Veräußerungsgewinnbesteuerung auf KapG-Ebene .......... 700 10.1.3.3 Gewerbesteuer ............................................................................................... 706 10.1.3.3.1 Überblick ....................................................................................................... 706 10.1.3.3.2 Entlastungsmaßnahmen zur Minderung der Zusatzbelastung „Gewerbesteuer“ ........................................................................................................... 710 10.1.3.3.3 Thesaurierungsrücklage für Personenunternehmen....................................... 712 10.1.3.4 Einfluss der Ertragsteuern auf die Wahl der Unternehmensrechtsform ........ 717 10.1.3.4.1 Rechtsformneutralität .................................................................................... 717 10.1.3.4.2 Aktuelle Grundstrukturen der Unternehmensbesteuerung ............................ 720 10.1.3.4.3 Fazit zur Rechtsformneutralität und optimalen Rechtsform.......................... 723 10.1.3.5 Einfluss der Ertragsteuern auf die Unternehmensfinanzierung ..................... 723 10.1.3.5.1 Finanzierungsautonomie der Unternehmen ................................................... 723 10.1.3.5.2 Traditionelle Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital ................ 726
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien 10.1.3.5.3 10.1.3.5.4 10.1.4 10.1.4.1 10.1.4.1.1 10.1.4.1.2 10.1.4.1.3 10.1.4.1.3.1 10.1.4.1.3.2 10.1.4.1.3.3 10.1.4.1.3.4 10.1.4.1.3.5 10.1.4.2 10.1.4.2.1 10.1.4.2.2 10.1.4.2.3 10.1.4.3 10.1.4.3.1 10.1.4.3.2 10.1.4.3.2.1 10.1.4.3.2.2 10.1.4.3.2.3 10.1.4.4 10.1.4.5 10.1.4.5.1 10.1.4.5.2 10.1.4.5.3 10.1.4.5.4 10.1.4.6 10.1.4.6.1 10.1.4.6.2 10.1.4.6.3 10.1.4.6.3.1 10.1.4.6.3.2 10.1.4.6.3.3 10.1.4.6.4 10.1.4.6.4.1 10.1.4.6.4.2 10.1.4.6.4.3 10.1.4.6.5 10.1.4.6.5.1 10.1.4.6.5.2
567
Verstärkung der Ungleichbehandlung durch die Abgeltungsteuer ................ 727 Schranken gegen eine hypertrophe Fremdfinanzierung ................................ 731 Grundzüge weiterer ausgewählter Steuerarten .............................................. 736 Bewertungsgesetz .......................................................................................... 736 Aufbau und Geltungsbereich ......................................................................... 736 Einflussnahmen des Bundesverfassungsgerichts und gesetzgeberische Reaktionen .................................................................. 737 Aktuelle Regelungen des Bewertungsgesetzes .............................................. 743 Überblick ....................................................................................................... 743 Allgemeine und besondere Bewertungsvorschriften ..................................... 744 Einheitsbewertung von inländischem Grundbesitz für Zwecke der Grundsteuer ............................................................................................. 745 Bedarfsbewertung von Grundbesitz für Zwecke der Erbschaftsteuer (1996–2008) und Grunderwerbsteuer (ab 1997) ........................................... 752 Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer (ab 2009) ...................... 753 Vermögensteuer............................................................................................. 759 Historischer Überblick .................................................................................. 760 Stellungnahme zur „Vermögensteuer“ .......................................................... 760 Ergebnis......................................................................................................... 763 Grundsteuer ................................................................................................... 764 Aktuelle Rechtslage ....................................................................................... 764 Reformvorschläge zur Grundsteuer ............................................................... 766 Ausgangspunkt .............................................................................................. 766 Reformmodelle .............................................................................................. 767 Reformmodelle der Grundsteuer und deren Verbreitung in Europa .............. 768 Grunderwerbsteuer ........................................................................................ 769 Umsatzsteuer ................................................................................................. 770 Überblick ....................................................................................................... 770 Sachliche Steuerbefreiungen ......................................................................... 774 Besteuerungsverfahren .................................................................................. 777 Besteuerung nach dem „Reverse-Charge-Modell“ ........................................ 777 Erbschaftsteuer .............................................................................................. 780 Reformbedarf für Erbschaftsteuer ................................................................. 780 Kernpunkte des ErbStG 2009 ........................................................................ 781 Gemeiner Wert (Verkehrswert) als Leitbild für die Wertermittlung ............. 786 Vorgaben des Verfassungsgerichts................................................................ 786 Ermittlung des gemeinen Werts (Verkehrswert) ........................................... 786 Verschonungsregelungen zur Abmilderung der zeitnahen Wertermittlung ................................................................................................................ 788 Sonderregelungen .......................................................................................... 791 Vermögensübertragungen innerhalb eines 10-Jahres-Zeitraums ................... 791 Entlastungsregelung bei Doppelbesteuerung durch Erbschaftund Ertragsteuern (§ 35b EStG) .................................................................... 792 Gemischte Schenkung und Schenkung unter Auflage................................... 794 Vereinfachte Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer .................... 796 Rechtsgrundlagen .......................................................................................... 796 Sonderbehandlung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens .................... 798
568 10.1.4.6.5.3 10.1.4.6.5.4 10.1.4.6.5.5 10.1.4.6.5.6 10.1.5 10.1.5.1 10.1.5.2 10.1.5.3 10.1.5.3.1 10.1.5.3.2 10.1.5.3.3 10.1.5.3.4 10.1.5.3.5 10.2 10.2.1 10.2.1.1 10.2.1.2 10.2.1.3 10.2.2 10.2.2.1 10.2.2.1.1 10.2.2.1.2 10.2.2.1.3 10.2.2.1.4 10.2.2.1.5 10.2.2.1.6 10.2.2.2 10.2.2.2.1 10.2.2.2.2 10.2.2.3 10.2.3
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Ermittlung des nachhaltigen Jahreserfolgs .................................................... 799 Festlegung des Kapitalisierungszinses .......................................................... 800 Liquidationswertverfahren ............................................................................ 803 Offene Fragen zur vereinfachten Unternehmensbewertung .......................... 804 Gesamtbelastung von Unternehmen ...............................................................804 Überblick ....................................................................................................... 804 Technisches Unternehmensteuersystem ........................................................ 807 Rechtsformabhängige Besteuerung ............................................................... 810 Überblick ....................................................................................................... 810 Einzelunternehmen ........................................................................................ 811 Kapitalgesellschaft ........................................................................................ 811 Personengesellschaft ..................................................................................... 812 Mischform „Betriebsaufspaltung“ (=„Doppelgesellschaft“) ......................... 816 Besteuerung von Immobilien .........................................................................821 Grundlagen der Immobilienbesteuerung ........................................................821 Immobilien im Steuerartennetz ..................................................................... 821 Ziele und Phasen bei Immobilieninvestitionen ............................................. 824 Grundstruktur der Immobilienbesteuerung ................................................... 825 Sonderfragen im Einkommensteuerrecht .......................................................827 Offene Fragen zur zeitlichen Verrechnung von Immobilienausgaben .......... 827 Vorüberlegungen ........................................................................................... 827 Anschaffungskosten versus Herstellungskosten............................................ 828 Herstellungskosten versus Erhaltungsaufwand ............................................. 830 Anschaffungs-, Herstellungskosten oder anschaffungsnaher Aufwand? ...... 831 Aufteilung der Anschaffungskosten auf Grund und Boden und Gebäude .... 831 Gebäudeabbruch – Behandlung von Abbruchkosten und Restwerten ......... 833 Offene Fragen bei der Einkünftezuordnung .................................................. 834 Private oder betriebliche Immobiliennutzung? ............................................. 834 „Liebhaberei“ oder „Teilentgeltlichkeit“ bei Vermietung und Verpachtung ............................................................................................................... 836 Selbstgenutztes Wohnungseigentum als Konsumgut .................................... 839 Sonderfragen im Umsatzsteuerrecht ..............................................................840 Literaturverzeichnis zu Kapitel 10 .................................................................848
10.1 Grundlagen der Besteuerung
10.1
Grundlagen der Besteuerung
10.1.1
Allgemeine Grundlagen
10.1.1.1
Steuersystem in Deutschland
569
Steuern werden von öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen primär zur Finanzierung ihrer Ausgaben erhoben (Fiskalfunktion). Über diesen Fiskalzweck hinaus können Steuern auch für andere (Neben)Zwecke – z. B. Förderung, Behinderung von Akteuren oder Handlungen, Umverteilung – eingesetzt werden (Lenkungsfunktion). Im modernen Steuerstaat hat nahezu jedes Handeln im Rahmen der Daseinsvorsorge einen steuerlichen Schatten. In einem Vielsteuersystem, wie es weltweit verbreitet ist, löst jedwede unternehmerische Tätigkeit Steuerwirkungen in zahlreichen Steuerarten aus. Steuern sind notwendige Einnahmen für den einen, lästige Lasten für den andern:
Für den Staat stellen Steuern die Haupteinnahmequelle zur Finanzierung der von ihm übernommen Aufgaben dar. Steuern sollen in möglichst großem – jedenfalls aber in „ausreichendem“ – Umfang finanzielle Mittel für die Durchführung der Aufgaben zur Verfügung stellen. Für den Steuerbürger sind Steuern Zwangslasten, die von ihm zumeist als negative Zielbeiträge empfunden werden und möglichst zu minimieren sind. Der Zielkonflikt zwischen Fiskus und Zensiten ist damit offenkundig. Doch warum sollte sich gerade der Bürger mit dem obrigkeitlich verordneten Zwangsinstrument „Steuern“ beschäftigen? Mindestens drei Gründe sind anzuführen: (1) Steuern führen zu Steuerzahlungen. Schon aus Gründen der Vollständigkeit sind diese Zahlungen in der Finanzplanung des Bürgers zu berücksichtigen. (2) Steuern sind keineswegs in vorbestimmter Höhe vorgegeben, sondern nach Höhe und zeitlichem Anfall durch legale Steuergestaltungen beeinflussbar. (3) Steuern sind nicht „neutral“ gestaltet, sondern können die Vorteilhaftigkeit einer Transaktion und die Vorziehenswürdigkeit (Rangfolge) von Handlungsalternativen verändern: Ökonomische Entscheidungen sollten daher nie ohne Berücksichtigung ihrer steuerlichen Folgen getroffen werden. Das Steuersystem kann als Einsteuersystem oder als Vielsteuersystem konzipiert werden. Wie weltweit üblich ist das Steuersystem auch in Deutschland als Vielsteuersystem aufgebaut, das gegenwärtig von etwa 50 Steuerarten gebildet wird. Ein anschauliches Bild über die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Steuerarten liefert die alljährlich publizierte „Steuerspirale“:
570
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Abb. 10.1:
Steuerspirale 2011 (Quelle: NWB 28/2012 S. 751)
Zum Steueraufkommen in Deutschland (2011 ca. 573,4 Mrd €) tragen die direkten und indirekten Steuern derzeit etwa jeweils zur Hälfte bei. Den Löwenanteil des gesamten Steueraufkommens erbringen nur wenige Steuern, wobei den Ertragsteuern einerseits und der Umsatzsteuer andererseits eine zentrale Rolle zufällt. Trotz des offenkundig höheren Gewichts und starken Anstiegs der Lohnsteuer ist die gelegentlich verbreitete Parole „Ab in den Lohnsteuerstaat“ aus mehreren Gründen (Trend zur GmbH und statistische Zuordnung von Lohnsteuererstattungen zur veranlagten Einkommensteuer) tumbe Volksverdummung! Das Vielsteuersystem in Deutschland lässt sich auf unterschiedliche Weise ordnen:
Die amtliche Steuerstatistik differenziert in Besitzsteuern (Personen- und Realsteuern), Verkehrsteuern sowie Verbrauchsteuern und Zölle. Nach der theoretisch gerne angenommenen „Überwälzbarkeit“ lassen sich direkte und indirekte Steuern unterscheiden:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
571 Steuerarten
Direkte Steuern "Erwerbsteuern"
Ertragsteuern (Ist-Ertragsteuern)
Substanzsteuern (Soll-Ertragsteuern)
• Einkommensteuer - veranlagte Einkommensteuer - Lohnsteuer - Kapitalertragsteuer - Abgeltungsteuer
• Vermögensteuer der natürlichen Person d)
• Körperschaftsteuer
• Vermögensteuer der juristischen Person d)
• Gewerbeertragsteuer
• Grundsteuer • Gewerbekapitalsteuer e) [• Erbschaftsteuer]
Indirekte Steuern "Konsumsteuern"
Verkehrsteuern
Verbrauchsteuern
• Umsatzsteuer
• auf Energie - Energiesteuer (bis 2006: Mineralölsteuer)
• Grunderwerbsteuer
• Sonstige - Feuerschutzsteuer - Hundesteuer - Kapitalverkehrsteuern -- Gesellschaftsteuerb) -- Börsenumsatzsteuera) - Kraftfahrzeugsteuer - Rennwett- und Lotteriesteuer - Spielbankenabgabe - Versicherungsteuer - Wechselsteuerb)
Abb. 10.2:
Systematik der Steuerarten nach direkten und indirekten Steuern a) c) Aufgehoben zum 1.1.1991 Aufgehoben zum 1.1.1993 b) d) Aufgehoben zum 1.1.1992 Nicht mehr erhoben ab 1.1.1997
- Stromsteuer f) • auf Lebensmittel - Salzsteuer c) - Zuckersteuer c) • auf Genussmittel - Biersteuer - Branntweinsteuer - Kaffeesteuer - Schaumweinsteuer - Tabaksteuer - Teesteuer c) • auf sonstige Verbrauchsgüter - Leuchtmittelsteuer c) • kommunale Verbrauchsteuern - Gemeindegetränkesteuer - Vergnügungsteuer
e) f)
Aufgehoben zum 1.1.1998 Eingeführt zum 1.4.1999
Welchen Anteil einzelne Wirtschaftszweige (z. B. die Immobiliensektor, Finanzsektor) zu diesem Steueraufkommen beitragen, lässt sich nicht präzise ermitteln. Fest steht, dass für alle Sektoren – auch den Immobilien- und Finanzsektor – direkte wie indirekte Steuern von großer Bedeutung sein können. Herausragende Bedeutung kommt dabei neben der allgemeinen Umsatzsteuer und den Energiesteuern vor allem den Ertragsteuern zu, die mittlerweile zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor im internationalen Steuerwettbewerb geworden sind.
572
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.1.2
Staatsaufgaben
Der Staat braucht zur Erfüllung der von ihm übergenommenen Aufgaben finanzielle Mittel. Die Ausgaben der öffentlichen Haushalte (Bund, Länder und Gemeinden) werden vor allem durch Steuern und andere Abgaben sowie durch Kreditaufnahmen und weitere Einnahmen gedeckt: Einnahmen
Abgaben – Steuern – Beiträge
Öffentliche Haushalte
Bund
Ausgaben
Verteidigung
Innere Sicherheit
Soziale Sicherheit
Bildung, Forschung,
– Gebühren
Nettokreditaufnahme
Länder
Weitere Einnahmen – Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit – Münzeinnahmen
Wissenschaft
Weitere Ausgaben
Gemeinden
– Sonstige Abb. 10.3:
Öffentliche Haushalte – Einnahmen und Ausgaben
Für den Bund ergibt sich im Jahr 2011 folgende „Einnahmen-Ausgaben-Bilanz“:
Abb. 10.4:
Bundesetat 2011: Ausgaben und Einnahmen (in Mrd. €)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
573
Das staatliche Gemeinwesen ist in Deutschland dreistufig gegliedert und finanziert sich entsprechend über Bundes-, Länder- und Gemeindesteuern sowie Gemeinschaftssteuern. Die gesamten Steuereinnahmen sind zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften so aufzuteilen, dass diese die ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Aufgaben erfüllen können. Die Verteilung des Steueraufkommens ist im Grundgesetz festgelegt (Art. 106 GG) und wird in ergänzenden Bundesgesetzen geregelt.
Abb. 10.5:
Aufteilung der Steuereinnahmen (2010) (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2011, S. 574 f.)
Im Rahmen der Steueraufteilung zwischen den verschiedenen Steuergläubigern ist nicht selten ein bemerkenswertes „Schachern“ um Steueranteile zu beobachten – bisweilen ausgelöst oder verbunden mit Aufgabenumverteilungen mit unterschiedlichen Finanzierungszuständigkeiten.
574
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.1.3
Funktionen und Besteuerungsgrundsätze
Steuern dienen in erster Linie der Einnahmenerzielung für den Staat (Finanzierungsfunktion). Dabei darf die „Steuerschraube“ nicht überdreht werden, d. h. die „Steuerlastquote muss in vertretbarem Rahmen“ gehalten werden. Ferner ist eine als gerecht empfundene Verteilung der Steuerlasten auf die Steuerbürger anzustreben. Daneben kann die Besteuerung auch Ordnungsfunktionen übernehmen. Zu beachten ist:
Soweit Steuern keine Lenkungszwecke verfolgen, sollten sie dem Neutralitätspostulat genügen, d. h. möglichst wenig in die individuellen Entscheidungen der Zensiten (Steuerzahler) eingreifen und damit Entscheidungsneutralität wahren. Die Besteuerung kann auch zu Lenkungszwecken unterschiedlicher Art eingesetzt werden (Steuerintervention), um volkswirtschaftlich erwünschte Ziele zu fördern oder unerwünschte Wirkungen zu beseitigen. Eine Lenkung durch Steuern bedarf einer stichhaltigen Begründung und sollte nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Einen Überblick über die zentralen Funktionen der Besteuerung gibt folgende Abbildung: Funktionen der Besteuerung Fiskalfunktion
Ordnungsfunktion
Erzielung vonEinnahmen in ausreichender Höhe
mit Implikationen für
Steuerlastquote
Setzung adäquater steuerlicher Rahmenbedingungen
Sicherstellung von (Entscheidungs-) Neutralität
SteuerlastSteuerverteilung aufkommens"Steueraufteilung gerechtigkeit"
(objektbezogene) Lenkungsfunktion
Förderung erwünschter Aktivitäten
Abb. 10.6:
Steuerinterventionen
Erschwerung/ Verhinderung unerwünschter Aktivitäten
(subjektbezogene) (Um-)Verteilungsfunktion
SteuerSteuerminderbelastungen mehrbelastungen oder oder Tranfers Zusatzabgaben
Funktionen der Besteuerung
Die Funktionen der Besteuerung dienen als Orientierung und Leitlinien für die Entwicklung von allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen und konkreten Rechtssetzungen. Den – meist aus der Verfassung abgeleiteten – Besteuerungsgrundsätzen ist die Aufgabe zugewiesen, konkrete Regelungen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung zu prüfen und sie ggf. als nicht verfassungskonform außer Kraft zu setzen.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
575
Besteuerungsgrundsätze
im Rahmen der Fiskalfunktion
Nebenbedingungen
Steuergerechtigkeit
Rechtsstaatlichkeit
• Allgemeinheit • Gleichmäßigkeit • Leistungsfähigkeit
• Gesetzmäßigkeit • Tatbestandsbestimmtheit • Legalität • Verbot von Steuervereinbarungen • Rechtssicherheit • Tatbestandsbestimmtheit • Rückwirkungsverbot • Analogieverbot • Übermaßverbot • Rechtsschutz • Schutz des rechtlichen Gehörs • Wahrung des Steuergeheimnisses
[• Sozialstaatlichkeit]
Abb. 10.7:
verwaltungsökonomische Effizienz
• Einfachheit • Praktikabilität • Durchsetzbarkeit • Billigkeit und Bequemlichkeit für den Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltung • Nachprüfbarkeit und Transparenz • Zeitnähe
im Rahmen der (Wirtschafts-) Ordnungsfunktion
Neutralität • Vermeidung steuerbedingter Verzerrungen Lenkungseignung • Flexibilität (Um)Verteilungseignung • Verteilungsgerechtigkeit Internationale Wettbewerbsfähigkeit
Besteuerungsgrundsätze
Im Rahmen der Fiskalfunktion ist die „gerechte“ Verteilung der Steuerlast auf die Steuerbürger von besonderem Interesse. Dabei wird das Prinzip der Steuergerechtigkeit sehr kontrovers diskutiert:
Die einen halten „Steuergerechtigkeit“ für eine unerreichbare Chimäre. Die anderen sehen „Steuergerechtigkeit“ als notwendige Vorbedingungen dafür, dass das Steuersystem von den Bürgern akzeptiert wird. Steuergerechtigkeit ist zwar unbestimmt, aber nicht unbestimmbar (Homburg (2010), S. 196): Steuergerechtigkeit gilt als umso mehr verwirklicht, je mehr den Prinzipien der Allgemeinheit, Gleichmäßigkeit und Leistungsfähigkeit Rechnung getragen ist. Eine Operationalisierung des Prinzips „Steuergerechtigkeit“ kann – versuchsweise – wie folgt vorgenommen werden:
576
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Steuergerechtigkeit Allgemeinheit
Steuererhebung unabhängig von Rasse, Religion, Berufsstand
Abb. 10.8:
Gleichmäßigkeit Gebot der Gleichbehandlung von wirtschaftlich gleichen Sachverhalten Verbot der willkürlichen Ungleichbehandlung von wirtschaftlich gleichen Sachverhalten
Leistungsfähigkeit Wessen Leistungsfähigkeit? Mögliche Steuersubjekte: Person-Ehegatten-Familie Wie Leistungsfähigkeit messen? Mögliche Indikatoren: Einkommen-Vermögen-Konsum „Objektive“ versus „subjektive“ Leistungsfähigkeit? Mögliche Einkommensbegriffe: z. B. „Markteinkommen“ versus „dispositives Einkommen“ Höhe der Besteuerung Mögliche Tarifverläufe: lineare oder (direkt oder indirekt) progressive Tarife
Steuergerechtigkeit
Eines der zentralen Probleme einer an der Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung ist die Festlegung geeigneter Maßgrößen für die steuerliche Leistungsfähigkeit. Im Englischen wird steuerliche Leistungsfähigkeit anschaulich als „ability to pay“ (Steuerzahlfähigkeit) bezeichnet. Als Indikatoren steuerlicher Leistungsfähigkeit kommen grundsätzlich in Betracht
das Einkommen, das Vermögen und/oder der Konsum.
Geht man davon aus, dass finanzielles Vermögen letztlich nur der (Bar)Wert künftiger Einnahmenüberschüsse zuzüglich vorhandener Mittel und damit wirtschaftlich eine Einkommensteuer ist, verbleiben nur noch die Indikatoren „Einkommen“ oder „Konsum“ als eigenständige Maßgrößen für steuerliche Leistungsfähigkeit. Exkurs 1: Sonderproblem „Steuerliche Rückwirkung“ Rechtsstaatlichkeit setzt voraus, dass Steuern nur auf der Grundlage von Gesetzen erhoben werden: Ohne Gesetz keine Steuern! Gesetze dürfen auch nicht rückwirkend erlassen werden. Bei diesem steuerlichen Rückwirkungsverbot wird häufig unterschieden zwischen
„echter Rückwirkung“, die unzulässig ist, und „unechter Rückwirkung“, die als zulässig erachtet wird.
Die Abgrenzung zwischen „echter“ und „unechter“ Rückwirkung ist schwierig. Eine steuerliche Rückwirkung ist gegeben, wenn Änderungen der Steuergesetze für noch nicht abgeschlossene vertragliche Sachverhalte Anwendung finden. Strittig ist dabei, ob „Abgeschlossenheit des Sachverhalts“ juristisch oder ökonomisch zu beurteilen ist.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
577
Geklärt scheint, dass unter Abwägung der Handlungsfähigkeit für den „Staat“ und dem „Bestandsschutz für den Bürger“ eine gewisse Rückwirkung möglich sein müsse, diese aber bei bestehenden Verträgen zeitlich nicht bis zum Vertragsabschluss zurückwirken („ex tuncRückwirkung“), sondern nur für die Zukunft („ex nunc-Rückwirkung“) gelten dürfe.
Geltung der Änderung von Steuergesetzen
beendete Altverträge (bereits abgeschlossene Sachverhalte)
echte Rückwirkung
laufende Altverträge (noch nicht abgeschlossene Sachverhalte)
Wirkung von Anfang an („ex tunc“)
Wirkung nur für die Zukunft („ex nunc“)
Zuordnung strittig
unechte Rückwirkung
Handlungsflexibilität für den Staat Abb. 10.9:
Neuverträge (künftige Sachverhalte)
keine Rückwirkung Bestandsschutz für den Bürger
Änderung von Steuergesetzen und Rückwirkungsverbot
Die Problematik der steuerlichen Rückwirkung kann am Beispiel der bis Ende 2004 geltenden steuerlichen Privilegierung bestimmter Lebensversicherungen – dem sog. „steuerlichen Zinsprivileg der Lebensversicherung“ – deutlich gemacht werden. Im Rahmen der immer wieder diskutierten Abschaffung des steuerlichen Zinsprivilegs für bestimmte Lebensversicherungen waren – wie generell bei Steuergesetzänderungen – mehrere Alternativen gegeben: Die Änderungen sollten Geltung haben (1) für alle Verträge, d. h. für Neu- und bereits laufende Altverträge (a) generell von Anfang an („ex tunc-Wirkung“). (b) von heute an nur für die Zukunft („ex nunc-Wirkung“), (2) nur für Neuverträge. Anhand einer Graphik lassen sich die Lösungsvarianten anschaulich machen:
578
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien T€ 20 +5
8
+3 12 3
Vertrags-
t0 abschluss Abb. 10.10:
(Gesetzes-
t6 änderung)
Vertrags-
t12 beendigung
Typisierter Ansparverlauf einer Kapitallebensversicherung
Die Gesetzesänderung galt schließlich nur für Neuverträge. Möglich wäre allerdings auch gewesen, in bereits laufende Verträge nur mit Wirkung für die Zukunft einzugreifen. Rückwirkende Steuergesetze treten derzeit vermehrt auf. Exemplarisch sei auf die Neuregelung zur Besteuerung von privaten Veräußerungsgewinnen (früher: „Spekulationsgewinnen“) verwiesen. Für den nunmehr zu betrachtenden Fall einer Rückwirkung im Immobilienbereich des Privatvermögens ist auf die bis Ende 2008 geltenden Regelungen hinzuweisen: (1) Regel: Die Veräußerung von Immobilien des Privatvermögens ist nach geltendem deutschen Einkommensteuerecht grundsätzlich nicht steuerpflichtig. (2) Ausnahme: Bei privaten Immobilien-Veräußerungsgeschäften greift die Steuerpflicht ausnahmsweise ein, wenn zwischen Anschaffung und Veräußerung bestimmte „kurze“ Fristen unterschritten werden. Diese Fristen wurden ab Veranlagungszeitraum 1999 verlängert, für private Veräußerungsgewinne bei Wertpapieren wurde eine Abgeltungsteuer eingeführt. Regelung
Nr. 1 Nr. 2
Abb. 10.11:
Immobilien Mobilien davon Wertpapiere
bis 31.12.1998 2 Jahre 6 Monate 6 Monate
01.01.1999 –31.12.2008 10 Jahre 1 Jahr 1 Jahr
ab 01.01.2009 10 Jahre 1 Jahr (u. U. 10 Jahre) Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalvermögen werden grundsätzlich besteuert und sind somit unabhängig von der Haltedauer voll steuerpflichtig
Veräußerungsfristen für private Veräußerungsgeschäfte
10.1 Grundlagen der Besteuerung
579
Wichtiger Hinweis: Die Veräußerung einer selbstgenutzten eigenen Wohnung unterliegt nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht der Besteuerung, wenn sie
zwischen Anschaffung oder Herstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass auch eine bloße Verlängerung der früheren „Spekulationsfristen“ für private Veräußerungsgewinne zu Problemen der steuerlichen Rückwirkung führen kann. Es bietet sich an, im angenommenen Fall der Veräußerung einer privaten Immobilie folgende Grundfälle bei der Verlängerung der Veräußerungsfrist zu unterscheiden:
Grundfälle „Erwerb und Veräußerung von Immobilien im Privatvermögen“
A
X X
B
X
C
X
D 1995 Abb. 10.12:
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Zeit
Grundfälle Erwerb und Veräußerung von Immobilien (X = Veräußerungszeitpunkt)
Problematisch erschien insbesondere Fall B. Strittig war, ob und in welcher Höhe die eingetretenen Wertänderungen am ruhenden Vermögen der Besteuerung unterliegen sollten:
Einerseits war nach altem Recht nach zwei Jahren bereits Mitte 1998 Steuerfreiheit für die bis dahin eingetretenen Wertänderungen erreicht. Andererseits erfolgte die Veräußerung aber in 1999 und damit unter der Geltung der neuen Rechtslage, bei der eine Frist von 10 Jahren gilt. Folgende Lösungen waren für Fall B in der Diskussion: (1) Die im Jahre 1999 eingeführte gesetzliche Regelung sah trotz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken eine Besteuerung in Höhe der Differenz zwischen (fortgeführten) Anschaffungskosten und erzieltem Veräußerungspreis vor. (2) Ökonomisch naheliegend erschien eine Besteuerung nur in Höhe der Differenz zwischen Vermögenswert am 31.12.1998 und Netto-Veräußerungspreis im Verkaufszeitpunkt. Diese Lösung hatte ihr Vorbild in der 1970 getroffenen Regelung für Land- und Forstwirte, bei denen vor dem 1. Juli 1970 angeschaffter Grund und Boden ab 1970 erstmals in die Steuerpflicht einbezogen wurde.
580
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(3) Diskutiert wurde auch eine zeitanteilige Besteuerung. (4) Im Gespräch war auch eine pauschale Besteuerung. (5) Vertreten wurde auch die Position „keine Besteuerung“! Das Bundesverfassungsgericht wurde in dieser Frage schon frühzeitig am 15.07.2002, am 16.12.2003 und am 24.08.2005 angerufen. Am 7. Juli 2010 fiel die Entscheidung: „Bei Grundstückverkäufen, bei denen die alte Frist von 2 Jahren bis zum Verkündungstermin des Gesetzes am 31.3.1999 abgelaufen war, dürfen nur die Wertsteigerungen ab diesem Termin steuerlich erfasst werden (BVerfG Beschluss v. 7. Juli 2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04 und 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011 S. 76)!“ Mit diesem Urteil wurde die auch hier immer vertretene Lösung (2) mit der Abwandlung gewählt, dass nicht der 31.12.1998, sondern der Verkündungstermin am 31.03.1999 maßgeblich ist. Vergleichbare Rückwirkungs-Problemfälle traten auch bei der Besteuerung von Kapitalvermögen auf, wenn Beteiligungsgrenzen herabgesetzt oder Fristen verlängert wurden. Sie wurden ebenfalls dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt:
BFH v. 1.3.2005, VIII R 92/03, BStBl. II 2005 S. 398, BFH v. 1.3.2005, VIII R 25/02, BStBl. II 2005 S. 436, BFH v. 10.8.2005, VIII R 22/05, BFH/NV 2005 S. 2188.
Auch in diesen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Besteuerung von Wertzuwächsen verfassungswidrig ist, wenn sie – nach Ablauf der alten Fristen – bei der Verkündung des Gesetzes schon eingetreten waren (BVerfG-Beschluss v. 7. Juli 2010 zu zusammengefassten Verfassungsbeschwerden 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05 und 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011 S. 86). Dies bedeutet, dass nur ab diesem Zeitpunkt neu entstehende stille Reserven der Besteuerung unterliegen. Abgesehen von zahlreichen Übergangsfällen gilt nach der aktuellen Gesetzeslage ab 2009:
Wertsteigerungen bei privaten Wertpapieren unterliegen ab 2009 einer Abgeltungsteuer von 25 % – hiervon ausgenommen sind Aktien, die vor 2009 erworben wurden (AltAktien). Wertsteigerungen bei privat gehaltenen Immobilien bleiben bei einer Veräußerung außerhalb der 10-Jahresfrist aber weiterhin steuerfrei. Die an sich naheliegende Recapture-Regelung (Nachholung zu hoher Abschreibungen) findet außerhalb der 10-Jahresfrist auch weiterhin keine Anwendung. In diesem Zusammenhang ist bei politischen Überlegungen zur Besteuerung von Immobilien dringend zu empfehlen, zwei Ursachen für das Entstehen eines steuerlichen Veräußerungsgewinns bei Immobilien zu unterscheiden: (1) die Tatsache offenbar überhöht vorgenommener Gebäudeabschreibungen (AfA = Absetzungen für Abnutzung) und (2) die Wertsteigerungen über die historischen Erwerbsausgaben hinaus. Bei Anwendung eines vollständigen Einkommensbegriffs erscheint es überlegenswert, auch im Privatvermögen Wertänderungen grundsätzlich steuerlich voll zu erfassen. In jedem Fall aber sollten überhöhte Abschreibungen steuerlich nachgeholt werden („recapture“-Regelung).
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.1.4
581
Rechtsquellen des Steuerrechts
Konkrete Rechtsquellen für das Steuerrecht sind:
Rechtsnormen mit Generalbindung, Gerichtsentscheidungen mit Einzelfallbindung und Verwaltungsanweisungen mit (nur) interner Bindung der Finanzverwaltung.
Allgemeine Verbindlichkeit (Generalbindung) für die Besteuerung haben zunächst nur die nationalen Steuergesetze und die diesen gleichgestellten Durchführungsverordnungen. Supranationale Regelungen schaffen keine eigenes Besteuerungsrecht, sondern dienen dazu, unerwünschte internationale Doppelbesteuerungen durch den Abschluss sog. „Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)“ zu vermeiden. Diese Abkommen sollten eigentlich besser „Doppelbesteuerungsvermeidungsabkommen“ heißen.
Abb. 10.13:
Rechtsnormen
Gerichtsentscheidungen entfalten nur Individualbindung, haben darüber hinaus aber auch Präzedenzwirkung für gleich gelagerte Fälle. Zu unterscheiden sind zwei Instanzen – die „Finanzgerichte der Länder“ und der „Bundesfinanzhof“ mit Sitz in München.
Abb. 10.14:
Gerichtsentscheidungen
582
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Dem Verfassungsgericht kommt die Aufgabe zu, konkrete Rechtssetzungen auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen. Das „Deutsche Bundesverfassungsgericht“ mit Sitz in Karlsruhe kommt in Deutschland zentrale Bedeutung zu, doch ist nicht zu übersehen, dass der „Europäische Gerichtshof (EuGH)“ mit Sitz in Luxemburg zunehmendes Gewicht bei der Beurteilung auch von (grenzüberschreitend relevanten) Steuerrechtsnormen erlangt. Die Verwaltungsanweisungen unterschiedlichster Provenienz haben die Aufgabe, einen landesweit gleichmäßigen Verwaltungsvollzug – gleicher Verwaltungsvollzug von Flensburg bis Berchtesgaden! – sicherzustellen. Dieser Anspruch kann allerdings wegen der unterschiedlichen regionalen Einstellungen und Mentalitäten nicht als jederzeit gesichert gelten.
Abb. 10.15:
Verwaltungsanweisungen a) Bundesminister(ium) der Finanzen (BdF/BMF) b) Oberfinanzdirektion (OFD)
Wegen des abstrakten Charakters von gesetzlichen Rechtssetzungen ist die Auslegung der Gesetze von besonderer Bedeutung. Ziel der Auslegung ist, eingetretene oder geplante Lebenssachverhalte daraufhin zu überprüfen, ob sie unter den Tatbestand subsumierbar sind, an den das Gesetz die Steuerfolge knüpft. In der Lehre der Rechtswissenschaften wird im Allgemeinen von der Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut ausgegangen. Diese sog. grammatische Auslegung wird allerdings von der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (historischgenetische Methode), von der Stellung der auszulegenden Vorschrift im Gesetz (systematische Methode), vom Zweck der auszulegenden Vorschrift (teleologische Methode) sowie vom Zusammenhang mit anderen Vorschriften (rechtsvergleichende Methode) mitbestimmt. Eine bestimmte Rangfolge der Auslegungsmethoden ist nicht festgelegt.
Abb. 10.16:
Auslegungsmethoden
Die Grenze jeglicher Auslegung ist der mögliche Wortsinn. Eine „freie Rechtsschöpfung ohne gesetzliche Grundlage“ ist unzulässig.
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.1.5
583
Besteuerungsverfahren
Das Besteuerungsverfahren lässt sich wie folgt strukturieren:
Abb. 10.17:
Phasen des Besteuerungsverfahrens
Das Besteuerungsverfahren setzt sich aus einer Reihe von Grund-Aktivitäten zusammen, die – unter gewissen Voraussetzungen – von zusätzlichen Aktivitäten überlagert werden können. Zu unterscheiden sind folgende Teilschritte des Besteuerungsverfahrens: (1) Steuerermittlungsverfahren (§§ 134–154 AO) Im Steuerermittlungsverfahren werden Steuerpflichtiger und Besteuerungsgrundlage von Amts wegen ermittelt (§ 88 AO). Die Beteiligten sind – insbesondere in Gestalt der Pflicht zur Abgabe von Steueranmeldungen und Steuererklärungen und zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Aufzeichnungen – zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (§ 90 AO). Mitwirkungspflichten greifen bisweilen auch gegenüber dritten, am Verfahren unbeteiligten Personen. Das allgemeine Steuerermittlungsverfahren wird in besonderen Fällen um ein
584
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
besonderes Steuerermittlungsverfahren (Außenprüfung, Steuerfahndung, Steueraufsicht in Sonderfällen) sowie – Zwangsmaßnahmen bei Verstoß gegen die Erklärungs- und Anmeldungspflichten (Zwangsmittel, Verspätungszuschlag, Schätzung) ergänzt. (2) Steuerfestsetzungs- und Steuerfeststellungsverfahren (§§ 155–192 AO) Im Steuerfestsetzungs- und Steuerfeststellungsverfahren werden die gegen den Steuerschuldner entstandenen Steueransprüche in einem förmlichen Verfahren geltend gemacht und/oder Besteuerungsgrundlagen festgestellt. Die Festsetzungen/Feststellungen erfolgen in Bescheiden: – Steuerbescheid, in dem sowohl die Steuerbemessungsgrundlage als auch die Steuer selbst festgesetzt wird (z. B. ESt-Bescheid). Hierzu rechnen auch Bescheide, die die vollständige oder teilweise Freistellung von der Steuer (Freistellungsbescheide) oder die Vergütung von Steuern (Steuervergütungsbescheide) betreffen. – Feststellungsbescheid, in dem aus Gründen der Einheitlichkeit der Besteuerung und der Verfahrensökonomie bestimmte Besteuerungsgrundlagen einheitlich für mehrere Steuerarten und/oder mehrere Personen festgestellt werden (z. B. Einheitswert-Bescheid). – Steuermessbescheid, in dem für Zwecke der Realsteuern Steuermessbeträge festgestellt werden (z. B. GewSt-Messbescheide). – Zerlegungsbescheid, der festgestellte Steuermessbeträge auf einzelne Belegenheitsgemeinden verteilt (z. B. GewSt-Zerlegungsbescheid). Feststellungs-, Zerlegungs- und Steuermessbescheide entfalten Bindungswirkung für die jeweiligen Folgebescheide. – Sonstige Bescheide, z. B. Haftungsbescheide, Bescheide über Festsetzung von Zwangsgeld und Verspätungszuschlägen. Steuerermittlungs- und Steuerfestsetzungs-/-feststellungsverfahren werden unter dem gemeinsamen Begriff „Veranlagungsverfahren“ zusammengefasst. Für rechtswirksam erlassene, aber fehlerhafte Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte sieht die AO eine Reihe von Korrekturmöglichkeiten vor. (3) Steuererhebungsverfahren (§§ 218–248 AO) Im Steuererhebungsverfahren sind geregelt – die Geltendmachung der fälligen Steuerschuld, – deren Beitreibung (Vollstreckung, Haftung), – das Hinausschieben der Fälligkeit (Stundung, Zahlungsaufschub, Aussetzung der Vollziehung) sowie – das Erlöschen der Steuerschuld (Zahlung, Aufrechnung, Verjährung, Erlass). (4) Rechtsbehelfsverfahren (§§ 347–368 AO, 33–134 FGO) Im Rechtsbehelfverfahren wird dem Steuerpflichtigen auf – außergerichtlichem Weg (Einspruch) und – gerichtlichem Weg (Klage, Revision) Schutz vor rechtswidrigen Handlungsweisen der Finanzbehörden gewährt. –
10.1 Grundlagen der Besteuerung
585
(5) Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenverfahren (§§ 369–412 AO) Im Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenverfahren werden Verstöße gegen Steuergesetze geahndet. 10.1.1.6
Struktur der Besteuerung
Die Besteuerung erfasst in einem Vielsteuersystem, wie es weltweit und auch in Deutschland üblich ist, zahlreiche Steuerobjekte – z. B. das Einkommen, den Gewerbeertrag, den Grundbesitz, die Erbschaft, den Umsatz oder den Bierkonsum. Steuersubjekte – und i. d. R. auch Steuerzahler – sind Personen oder Institutionen. Durch die Steuerzahlung werden – unabhängig von der rechtlichen Zahlungsverpflichtung und vom Anknüpfungspunkt – wirtschaftlich immer nur die Menschen belastet, auch die Hundesteuer zahlt der Mensch! Für den Menschen stellt die Steuerzahlung stets ein Investitions- oder Konsumopfer dar! Steuern werden im Rahmen der Erwerbssphäre und der Konsumsphäre erhoben. Vereinfachend kann man feststellen: Besteuert werden derzeit der Erwerb von Vermögen, das Halten von Vermögen und die konsumtive Verwendung des erworbenen Vermögens. Jeder Mensch hat stets eine Erwerbs- und eine Konsumsphäre, in der ein Steuerzugriff möglich ist: Betriebliche/berufliche Erwerbssphäre
Private Konsumsphäre
Erwerbsbesteuerung
Grundsatz: Alle erwerbsbezogenen Einnahmen und Ausgaben sind steuerlich relevant
Grundsatz: Private Ausgaben sind steuerlich nicht relevant
Konsumbesteuerung
./.
Grundsatz: Konsumausgaben unterliegen den Konsumsteuern
Abb. 10.18:
Der Mensch im Mittelpunkt der Besteuerung
Dieser Befund ändert sich – ökonomisch betrachtet – grundsätzlich nicht, wenn sich die handelnden Personen rechtsförmlich organisieren. Dabei ist davon auszugehen, dass die von der rechtsförmlich getrennten Wirtschaftseinheit erzielten Einkommen letztlich immer den Eigentümern als ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Trägern zuzurechnen sind.
586
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
In der geltenden Wirtschaftsordnung stehen für erwerbswirtschaftliches Handeln unterschiedliche Unternehmensrechtsformen zur Verfügung, unter denen i. d. R. Wahlfreiheit besteht und die im Rahmen der gesetzlichen Regelungen nach dem Grundsatz der Vertragsautonomie frei gestaltet werden können (Typenfreiheit). Als Rechtsformgrundtypen lassen sich Einzelunternehmen, Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft unterscheiden:
Mitgliederkreis und -einbindung
Nur ein Mitglied
Kleiner Mitgliederkreis
Persönliche Mitarbeit
Persönliche Mitarbeit
„Unternehmerperson“
(Oft) keine persönliche Mitarbeit Kapitaleinlage nicht Kapitaleinlage zwingend zwingend erforderlich erforderlich Existenz der Gesellschaft Existenz des Unternehmens abhängig von den unabhängig von den (Gründungs-) (Gründungs-) Gesellschaftern Gesellschaftern Keine zwingende Auflösung Auf freien Eintritt und der Gesellschaft bei Tod Austritt der Mitglieder angelegt oder Ausscheiden eines Mitglieds Mehrere Unternehmer Leitungsorgan „Selbstorganschaft“ „Fremdorganschaft“ Einstimmigkeitsprinzip Mehrheitsprinzip bei Gesellschafterbei Gesellschafterbeschlüssen beschlüssen Einzelvertretung Leitungsorgan, Gesamtvertretung Gesamthandsgemeinschaft Juristische Person
Unternehmensvermögen und Privatvermögen des Einzelunternehmers
Gesellschaftsvermögen mit persönlicher Haftung der Mitglieder
Leitungsbefugnis
Kapitaleinlage nicht zwingend erforderlich Existenz des Unternehmens abhängig vom Einzelunternehmer Zwingende Auflösung des Einzelunternehmens beim Tod des Einzelunternehmers Einzelunternehmer
Vertretungsmacht
Einzelunternehmer
Haftung
Abb. 10.19:
Großer Mitgliederkreis
Gesetzliche Grundtypen von Unternehmensrechtsformen
Gesellschaftsvermögen ohne persönliche Haftung der Mitglieder
10.1 Grundlagen der Besteuerung
587
Eine umfassende Systematik der Unternehmensrechtsformen gibt die nachstehende Übersicht:
Abb. 10.20:
Systematik der Unternehmensrechtsformen
Eine originäre Statistik über die Verbreitung aller Rechtsformen ist – jenseits der Kapitalgesellschaften – in Deutschland nicht verfügbar. Statistisch dokumentiert wird nur die Verbreitung der Kapitalgesellschaften. Hilfsweise kann für alle Rechtsformen die regelmäßig erstellte Umsatzsteuerstatistik herangezogen werden. Zahl, Bedeutung und Verbreitung der einzelnen Unternehmens-Rechtsformen in Deutschland können damit näherungsweise aus den jährlich veröffentlichten Umsatzsteuerstatistiken abgeleitet werden, soweit sie eine Mindestumsatzsteuer entrichten:
588
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Unternehmena nach Rechtsformen und Umsatzgrößenklassen 2011
Umsatzgrößenklassen Nr. Umsatzgrößenklasse von Euro bis unter Euro 1. 17.500 Anzahl 50.000 in % 2. 50.000 Anzahl 100.000 in % 3. 100.000 Anzahl 250.000 in % 4. 250.000 Anzahl 500.000 in % 5. 500.000 Anzahl 1 Mio in % 6. 1 Mio Anzahl 2 Mio in % 7. 2 Mio Anzahl 5 Mio in % 8. 5 Mio Anzahl 10 Mio in % 9. 10 Mio Anzahl 25 Mio in % 10. 25 Mio Anzahl 50 Mio in % 11. 50 Mio Anzahl 100 Mio in % 12. 100 Mio Anzahl 250 Mio in % 13. > 250 Mio Anzahl in %
Alle Rechtsformen Anzahl in %
902.950 100 645.239 100 702.497 100 366.115 100 246.010 100 153.941 100 109.246 100 40.696 100 27.135 100 10.046 100 5.466 100 3.437 100 2.317 100
Insgesamt (2011) Anzahl in %
3.215.095 100
Insgesamt (2010) Insgesamt (2009) Insgesamt (2008) Insgesamt (2006) Insgesamt (2000) Insgesamt (1996) Insgesamt (1990) Insgesamt (1980) Insgesamt (1976) Insgesamt (1962) Insgesamt (1950)d
3.165.286 3.135.542 3.186.878 3.099.493 2.909.150 2.762.925 2.103.974 1.688.690 1.601.376 1.644.713 2.870.805
Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl
28,1 20,1 21,8 11,4 7,7 4,8 3,4 1,3 0,8 0,3 0,2 0,1 0,1 100
Einzelunternehmen Anzahl in %
754.928 83,6 521.731 80,9 514.016 73,2 218.541 59,7 113.630 46,2 53.321 34,6 26.564 24,3 6.102 15,0 2.336 8,6 430 4,3 129 2,4 29 0,8 9 0,4 2.211.766 68,8 2.184.564 2.173.332 2.233.767 2.179.953 2.040.713 1.971.181 1.545.264 1.305.445 1.297.631 1.395.855 2.631.479
34,1 23,6 23,2 9,9 5,1 2,4 1,2 0,3 0,1 0,0 0,0 0,0 0,0 100
OHG / KG b Anzahl in %
78.729 8,7 59.539 9,2 82.122 11,7 58.079 15,9 47.370 19,3 34.557 22,4 29.069 26,6 12.957 31,8 9.550 35,2 3.902 38,8 2.117 38,7 1.222 35,6 789 34,1 420.002 13,1 413.207 405.084 403.021 389.945 364.967 328.432 258.513 210.335 200.368 90.247 64.372
18,7 14,2 19,6 13,8 11,3 8,2 6,9 3,1 2,3 0,9 0,5 0,3 0,2 100
GmbH Anzahl in %
47.964 5,3 51.590 8,0 93.224 13,3 81.520 22,3 78.072 31,7 60.173 39,1 47.660 43,6 18.690 45,9 12.623 46,5 4.507 44,9 2.469 45,2 1.558 45,3 880 38,0 500.920 15,6 485.252 473.782 465.694 455.030 446.797 413.344 263.341 140.977 60.183 24.161 23.470
9,7 10,3 19,0 16,5 15,7 11,9 9,2 3,6 2,4 0,8 0,5 0,3 0,2 100
AG / KGaA Anzahl in %
522 0,1 507 0,1 895 0,1 800 0,2 896 0,4 875 0,6 1.101 1,0 585 1,4 653 2,4 328 3,3 252 4,6 259 7,5 355 15,3 8.029 0,2
6,5 6,3 11,1 10,0 11,2 10,9 13,7 7,3 8,1 4,1 3,1 3,2 4,4 100
7.992 7.939 7.862 7.329 5.526 2.445 1.717 1.764 1.995 2.374 2.823
Übrige c Anzahl in %
20.807 2,3 11.882 1,8 12.240 1,7 7.175 2,0 6.042 2,5 5.015 3,3 4.852 4,4 2.361 5,8 1.973 7,3 879 8,7 499 9,1 369 10,7 284 12,3
28,0
74.378 2,3
100
16,0 16,5 9,6 8,1 6,7 6,5 3,2 2,7 1,2 0,7 0,5 0,4
74.271 75.405 76.534 67.236 51.147 47.523 35.139 30.169 41.199 132.076 148.661
Abb. 10.21: Unternehmen nach Rechtsformen und Umsatzgrößenklassen (2011) (Quelle (zu 2011): Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen) 2011, Fachserie 14 Reihe 8.1, Wiesbaden, 11.04.2013, unter: http://www.destatis.de/publikationen) a Nur Steuerpflichtige mit Jahresumsätzen ab 17.500 Euro und einer Umsatzsteuerzahlung im Vorjahr von mehr als 1.000 Euro (gilt nur für die aktuelle Statistik.). Bei Regelbesteuerten ohne Umsatzsteuer. b Einschließlich Gesellschaften des bürgerlichen Rechts u. ä. und GmbH & Co. KG. c Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Unternehmen gewerblicher Art des öffentlichen Rechts, Versicherungsvereine, sonstige juristische Personen des privaten Rechts, nichtrechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen, Gebietskörperschaften, öffentlich-rechtliche Religonsgemeinschaften, ausländische Rechtsformen. d In den Zahlen für 1950 sind ca. 600.000 landwirtschaftliche Unternehmen eingeschlossen, die in den Folgejahren nicht mehr enthalten sind.
Jede direkte Besteuerung von Personen/Unternehmen trifft Festlegungen im Hinblick auf
Steuerpflicht, Steuerarten, technisches Unternehmenssteuersystem – Transparenz- oder Trennsystem –,
10.1 Grundlagen der Besteuerung
589
Bemessungsgrundlagen und Tarife innerhalb der einzelnen Steuerarten, Besteuerung von Veräußerungsgewinnen („capital gains“) und Berücksichtigung von Verlusten.
Abb. 10.22:
Bauelemente der Unternehmensbesteuerung
Das Steueraufkommen verteilt sich derzeit je etwa zur Hälfte auf die Einkommensteuern einerseits und die Verkehr- und Verbrauchsteuern andererseits. Da bei Verkehr- und Verbrauchsteuern nur in geringerem Umfang private Steuergestaltungen möglich sind, gilt hier das besondere Interesse den Einkommensteuern sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer.
590
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2
Grundzüge der Einkommensteuer
10.1.2.1
Persönliche Steuerpflicht
Persönliche Einkommensteuerpflicht besteht für alle natürlichen Personen unabhängig von Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Rasse, Religion und anderen persönlichen Merkmalen. Sie beginnt mit der Vollendung der Geburt und endet mit dem Tod des Steuerpflichtigen. Bei der Bestimmung des Umfangs der persönlichen Steuerpflicht kommt dem Wohnsitz und dem gewöhnlichen Aufenthalt des Steuerpflichtigen besondere Bedeutung zu:
Wohnsitz: Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass sie beibehalten und benutzt wird (§ 8 AO). Gewöhnlicher Aufenthalt: Aufhalten unter Umständen, die erkennen lassen, dass nicht nur ein vorübergehendes Verweilen vorliegt (§ 9 AO). Im Einzelnen gilt: (1) Steuerpflichtige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland unterliegen der unbeschränkten Steuerpflicht, die alle von ihnen weltweit erzielten Einkünfte umfasst („Welteinkommens-Prinzip“). (2) Steuerpflichtige ohne Wohnsitz und ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Inland unterliegen der beschränkten Steuerpflicht, die nur bestimmte inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG umfasst („Territorialeinkommens-Prinzip“). (3) Sonderformen bilden: a) die „erweiterte“ unbeschränkte Steuerpflicht, mit der sichergestellt werden soll, dass aus inländischen Kassen entlohnte öffentliche Bedienstete im Ausland ebenso wie inländische Bedienstete behandelt werden, und b) die „erweiterte“ beschränkte Steuerpflicht, mit der für steuerlich motivierte Wohnsitz- und Aufenthaltswechsel in „Steueroasen“ erhebliche steuerliche Hürden (etwa durch eine erfolgswirksame Auflösung stiller Reserven) errichtet werden sollen. (4) Im Rahmen der Welteinkommensbesteuerung kann es zu einer internationalen Doppelbesteuerung kommen. Diese internationale Doppelbesteuerung ist i. d. R. unerwünscht und wird teilweise vermieden oder abgemildert durch a) einseitige Maßnahmen (§ 34c EStG) • Anrechnung ausländischer Steuern oder • Abzug ausländischer Steuern; b) zweiseitige Maßnahmen in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) • Freistellung (i. d. R. mit Progressionsvorbehalt) oder • Anrechnung ausländischer Steuern.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
591
Abb. 10.23:
Persönliche Einkommensteuerpflicht
Das Außensteuergesetz – ursprünglich als Steuerflucht-Vermeidungsgesetz zur Sicherung der nationalen Steuerbasis entstanden – ist mit dem Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zumindest für den Bereich der Europäischen Union in vielen Bereichen nur eingeschränkt mit EU-Recht vereinbar. Es stehen widerstreitende Ziele in Konflikt:
Im Vordergrund stand bisher das Ziel der Niederlassungsfreiheit, das ein gemeinsames Europa ohne Steuerhürden fordert.
592
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Neuerdings gewinnt allerdings auch das Ziel der nationalen Steuersouveränität Raum, die ohne die Beachtung von Steuergrenzen nicht auskommt. Steuern auf das Einkommen werden im geltenden Recht in vielfältiger Weise erhoben: (1) Das Einkommen natürlicher Personen unterliegt der Einkommensteuer. Die Einkommensteuer wird i. d. R. im Wege der „Veranlagung“ in einem förmlichen Verfahren ermittelt und festgesetzt. Die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage folgt dabei dem Prinzip der Selbstdeklaration. In zwei wichtigen Fällen wird die Einkommensteuer nicht erst beim Steuerpflichtigen, sondern bereits an der Einkommensquelle im Wege des „Quellenabzugs“ erhoben: – Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unterliegen der Quellensteuer „Lohnsteuer“. Das Lohnsteuerabzugsverfahren ist eine vereinfachte Form der Berechnung der Einkommensteuer für Arbeitnehmer, welche die überwiegende Mehrheit aller Einkommensteuerpflichtigen bilden. – Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen – auch soweit sie im Ergebnis anderen Einkunftsarten zugeordnet werden (Subsidiarität) – partiell der Quellensteuer in Form der „Kapitalertragsteuer“ und der „Zinsabschlagsteuer“. Damit soll die Erfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen sichergestellt werden. (2) Das Einkommen juristischer Personen unterliegt einer besonderen Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer. Für die technische Durchführung der Körperschaftsbesteuerung können sehr unterschiedliche Systeme zur Anwendung kommen: – In Deutschland wurde 1920 das „klassische System der Doppelbesteuerung“ mit gespaltenem Steuersatz eingeführt. Hier erfolgt eine Besteuerung der Gewinne auf Unternehmens-Ebene und der Gewinnausschüttungen auf Eigentümer-Ebene. – Das klassische Doppelbesteuerungssystem wurde im Jahr 1977 durch das völlig neuartige „Vollanrechnungs-System“ abgelöst. Bei diesem System wurde die Körperschaftsteuer lediglich als vorweg bezahlte Einkommensteuer erhoben, die im Falle der Gewinnausschüttung auf die individuelle Einkommensteuer anzurechnen war. – Im Jahr 2001 erfolgte erneut ein radikaler Systemwechsel zu einem (wieder) zweistufigen „Shareholder-Relief-System“ mit ermäßigten Steuersätzen auf Unternehmens- und/oder privater Eigentümer-Ebene. Beim „Halbeinkünfte-Verfahren“ wird auf Ebene der Körperschaft eine definitive (hälftige) Körperschaftsteuer erhoben (Vorbelastung), die im Ausschüttungsfall durch die Belastung der Hälfte der Gewinnausschüttungen mit individueller Einkommensteuer ergänzt wird (Nachbelastung). – Im Jahr 2008 wurde das Halbeinkünfteverfahren durch das „TeileinkünfteVerfahren“ ersetzt. Die aus Gründen des internationalen Steuerwettbewerbs notwendige Senkung der Gewinnsteuerbelastung auf Unternehmens-Ebene wurde dadurch „gegenfinanziert“, dass nachfolgende Gewinnausschüttungen auf der privaten Eigentümer-Ebene nunmehr zu 60 % steuerlich zu erfassen sind. – Im Jahr 2009 wurde neben dem Teileinkünfteverfahren für private Einkünfte aus Kapitalvermögen das „Abgeltungsteuer-Verfahren“ als Regelsystem eingeführt: Die Gewinnausschüttungen auf Eigentümer-Ebene sind nunmehr im Regelfall in vollem Umfang dem (optisch) geringen Abgeltungsteuersatz von 25 % unterworfen. Die Abgeltungsteuer weist allerdings den Nachteil auf, dass Werbungskosten auf den Sparer-Pauschbetrag von 801 € begrenzt sind. Wenn hohe Werbungskosten an-
10.1 Grundlagen der Besteuerung
593
fallen, erweist sich die Abgeltungsteuer als „Steuerstrafe“. Daher kann in bestimmten Fällen die Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren beantragt werden. Die Besteuerung des Einkommens von unbeschränkt steuerpflichtigen Personen kann im Überblick wie folgt dargestellt werden:
Abb. 10.24:
Erhebungsformen der Besteuerung vom Einkommen
Das von natürlichen Personen erzielte Einkommen unterliegt grundsätzlich der Einkommensteuer mit der dort festgelegten individuellen Steuerprogression. Für einige Einkunftsarten wird an der Quelle eine „Quellensteuer“ erhoben, die – nach offizieller Begründung – als Fürsorgemaßnahme eingeführt wurde, um zu verhindern, dass Steuerpflichtige mehr als ihr Netto-Einkommen ausgeben. Möglicherweise war es aber auch ein Grund zur Einführung dieser Quellensteuern, für den Staat die Steuereinnahmen zu sichern. Die erhobenen Quellensteuern Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer und Zinsabschlagsteuer sind bei einer Veranlagung im Regelfall auf die Einkommensteuerschuld anzurechnen und sind daher als Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer anzusehen. Quellensteuern können aber auch – wie etwa im Fall der Abgeltungsteuer – als endgültig abgeltende Steuer ausgestaltet sein.
594
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.2
Grundfragen der Einkommensbesteuerung
10.1.2.2.1
Steuerliches Einkommen
Die Einkommensteuer ist eine „junge“ Steuer. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert eingeführt und besteuert das von einer Person während einer Rechnungsperiode (Kalenderjahr) erzielte Einkommen. Was dabei Einkommen ist, war und ist in der Theorie umstritten und weitgehend ungeklärt Steuertechnisch wird das Einkommen synthetisch als Summe der Einkünfte aus sieben verschiedenen Einkunftsarten ermittelt. Die Summe der Einkünfte wird um gewisse Zu- und Abrechnungen korrigiert und um bestimmte Ausgaben der Verwendungssphäre gemindert. Es ergibt sich vereinfacht folgendes Ermittlungsschema: Einkünfte aus sieben Einkunftsarten: Gewinneinkunftsarten (1) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (2) Einkünfte aus Gewerbebetrieb (3) Einkünfte aus selbständiger Arbeit Überschusseinkunftsarten
Haupteinkunftsarten
(4) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
Erwerbssphäre „Einkommenserzielung“
(5) Einkünfte aus Kapitalvermögen (5) Einkünfte aus Kapitalvermögen (Abgeltungsteuer) (6) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (7) Sonstige Einkünfte i. S. d. § 22 EStG wiederkehrende Bezüge (Nr. 1) Unterhaltsleistungen nach Realsplitting (Nr. 1a) private Veräußerungsgeschäfte (Nr. 2) gelegentliche Leistungen (Nr. 3) Entschädigungen, Amtszulage etc. (Nr. 4) Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen (Nr. 5) =
Summe der Einkünfte
±
Zu-/Abrechnungen
=
Gesamtbetrag der Einkünfte
./. ./. ./. ./.
Verlustabzug („neue“ Verluste ab 1999) Sonderausgaben Außergewöhnliche Belastungen Verlustabzug („alte“ Verluste bis 1998)
=
Einkommen
./.
Freibeträge
=
zu versteuerndes Einkommen
Abb. 10.25:
Schema der steuerlichen Einkommensermittlung
Nebeneinkunftsarten
Konsumsphäre „Einkommensverwendung“
10.1 Grundlagen der Besteuerung
595
Zum Einkommensermittlungsschema sind einige Anmerkungen angezeigt:
Zu unterscheiden sind die Einkommensermittlungssphäre (bis zum Gesamtbetrag der Einkünfte) und die anschließende Einkommensverwendungssphäre. Im Rahmen der Einkommensermittlungssphäre werden die ersten drei Einkunftsarten (1–3) als sog. betriebliche Einkunftsarten, die Einkunftsarten (4–7) als sog. private Haushaltseinkunftsarten bezeichnet. Die Einkunftsarten (1–4) sind sog. Haupteinkunftsarten, die Einkunftsarten (5–7) sind nur (subsidiäre) Nebeneinkunftsarten.
10.1.2.2.2
Unterscheidung von Erwerbs- und Verwendungssphäre
Von großer Bedeutung ist im Einkommensteuerrecht die Unterscheidung zwischen der Einkommenserwerbs- und der Einkommensverwendungssphäre. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass das Steuerrecht für die Erwerbssphäre und die Konsumsphäre ganz unterschiedliche steuerliche Regelungen trifft, aber der Mensch immer Erwerbs- und Konsumperson zugleich ist.
Betriebliche/Berufliche Erwerbssphäre
Grundsatz: Alle Einnahmen und Ausgaben sind steuerlich relevant
Abb. 10.26:
Private Konsumsphäre
Grundsatz: Alle Einnahmen und Ausgaben sind steuerlich nicht relevant
Doppelnatur des Menschen: Erwerbs- und Konsumperson
Grundsätzlich gelten für die Einkommensbesteuerung der Erwerbs- und Konsumsphäre folgende Regelungen:
In der Einkommenserzielungssphäre gilt grundsätzlich das Nettoprinzip. Ausgaben zur Erzielung von Einkünften – steuertechnisch als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bezeichnet – sind daher steuerlich grundsätzlich abzugsfähig. Ausnahmen sind insbesondere in § 4 Abs. 5 EStG festgelegt und betreffen zumeist Ausgaben, die im Grenzbereich zur privaten Lebensführung anfallen.
Die Einkommensverwendung erfolgt grundsätzlich aus versteuertem Einkommen. Ausgaben im Bereich der Einkommensverwendung sind somit steuerrechtlich grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig (§ 12 EStG). Sie sind als Kosten der privaten Lebensführung steuerlich unbeachtlich.
596
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Ausnahmen hat der Gesetzgeber für bestimmte Sonderausgaben und für außergewöhnliche Belastungen zugelassen sowie für den interperiodischen Verlustabzug, dessen Notwendigkeit allerdings von manchen auch aus dem (lebenszeitbezogenen) Nettoprinzip abgeleitet wird.
Für Ausgaben im Rahmen der Erwerbs- und Konsumsphäre gelten grundsätzlich folgende Festlegungen: Ausgabenzweck Einkommenserzielung (§§ 4, 9 EStG)
Einkommensverwendung (§§ 12, 10 EStG)
Regel:
voll abzugsfähig
voll abzugsfähig
Ausnahme 2
Ausnahme 1
(nur) begrenzt abzugsfähig
begrenzt abzugsfähig
Ausnahme 1
Ausnahme 2
nicht abzugsfähig
nicht abzugsfähig
Regel
Abb. 10.27:
10.1.2.2.3
Steuerliche Berücksichtigung von Ausgaben im Rahmen der Einkommenserzielung und Einkommensverwendung
Subsidiarität der Überschusseinkünfte
Eine bedeutsame Festlegung liegt darin, dass die Nebeneinkunftsarten (5)–(7) lediglich subsidiär zu den Haupteinkunftsarten (1–4) sind, d. h. nur dann zum Zuge kommen, wenn die Einnahmen und Ausgaben nicht bereits innerhalb der Einkunftsarten (1)–(4) erfasst werden. Dies bedeutet, dass etwa Mieteinnahmen aus Mietobjekten des gewerblichen Betriebsvermögens Einnahmen aus Gewerbebetrieb darstellen; nur dann, wenn sich die Immobilie im Privatvermögen befindet, entstehen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Eine Subsidiarität zweiter Ordnung ergibt sich insofern, als die Einkunftsart (5) subsidiär zur Einkunftsart (6) ist. Guthabenzinsen von (zwischenfinanzierten) Bausparverträgen, die zur Finanzierung eines Vermietungsobjekts eingesetzt werden, sind daher steuerlich unter den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen. 10.1.2.2.4
Prinzipien der Einkünfteermittlung
Bei der Einkünfteermittlung sind eine Reihe grundlegender Prinzipien zu beachten: (1) Prinzip der synthetischen Einkommensermittlung Das Prinzip der synthetischen Einkommensermittlung besagt, dass sich das zu versteuernde Einkommen aus der Addition verschiedener Einkünfte ergibt und – im Gegensatz zu einer Schedulenbesteuerung – für alle Einkunftsarten ein einheitlicher Steuersatz Anwendung findet. (2) Prinzip der (Perioden-)Abschnittsbesteuerung Das Abschnittprinzip ist ein technisches Prinzip und legt fest, dass die Steuer periodenbezogen – d. h. grundsätzlich je Kalenderjahr – zu ermitteln ist.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
597
(3) Nettoprinzip Das Nettoprinzip kann als das zentrale materielle Steuerprinzip bezeichnet werden und bedeutet, dass immer nur die Netto-Erlöse – also die Erlöse minus den zur Erzielung der Erlöse erforderlichen/zuzuordnenden Ausgaben – dem steuerlichen Überschuss entsprechen. Ob das Nettoprinzip auch periodenübergreifend anzuwenden ist mit der bedeutsamen Folge, dass der interperiodische Verlustausgleich nicht nur als Billigkeit („Gnade“) zu verstehen ist, sondern zwingend aus dem lebenszeitbezogenen Nettoprinzip folgt, wird kontrovers beurteilt.
t1
A
Zahlungswirkungen t2 t3
zvE
+ 100
+ 100
+ 100
+ 300
S
− 40
− 40
− 40
− 120
+ 100
− 300
+ 500
+ 300
B
(− 100) a) zvE S
(− 200)
(0)
(0)
(+ 300)
(+ 300)
0
0
− 120
− 120
(0) b) zvE S
C zvE S Abb. 10.28:
Interperiodische Verlustberücksichtigung
Ʃ
(− 300)
+ 100
0
(+ 200)
(+ 300)
− 40
0
− 80
− 120
+ 800
0
− 500
+ 300
− 320
0
0
− 320
Interperiodische Verlustberücksichtigung (zvE zu versteuerndes Einkommen
S
./. wahlweise: limitierter Verlustrücktrag (derzeit: max. 1 Jahr)
zwingend: Rest Verlustvortrag (derzeit: unbegrenzt)
wahlweise: kein Verlustrücktrag
zwingend: voller Verlustvortrag
weder Rück- noch Vortrag möglich
Steuerlast)
Zu beachten ist: – –
Auch bei Existenz eines interperiodischen Verlustabzugs treten bei progressiven Tarifen regelmäßig Progressionswirkungen und (Netto-)Zinseffekte auf. Ohne vollständigen Verlustabzug kann es zur partiellen Nichtberücksichtigung der Verluste kommen.
(4) Prinzip der Unbeachtlichkeit der Kosten der privaten Lebensführung Kosten der privaten Lebensführung dürfen einkommensteuerlich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Als Ausnahmeregelung dürfen Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen steuerlich abgezogen werden. (5) Prinzip der Nichtprüfung der Angemessenheit von Erwerbsausgaben Eine Angemessenheitsprüfung zur Höhe der Erwerbsausgaben ist grundsätzlich nicht durchzuführen. In besonderen Ausnahmefällen wird bei Ausgaben für Güter mit einem Bezug zur privaten Lebensführung eine Obergrenze festgelegt. Vor allem bei „Luxuskarossen“ und insbesondere „Luxussportwagen“ kann dies in Betracht kommen.
598
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(6) Prinzip der Nichtbesteuerung nicht erzielter Einnahmen Nicht erzielte Einnahmen sind steuerlich grundsätzlich nicht anzusetzen: Nicht genutzte Chancen werden nicht – wie man nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit vermuten könnte – als Besteuerungsgrundlage herangezogen. (7) Eine wichtige Sonderregelung ist dringend zu beachten: Die Vermietung von Wohneigentum zu Wohnzwecken muss ab VZ 2012 zu mindestens 66 % (bis VZ 2011 mindestens 56 %), bis VZ 2003 mindestens 50 %) der marktüblichen Miete erfolgen, andernfalls dürfen Werbungskosten nur anteilig angesetzt werden (§ 21 Abs. 2 EStG). Nach der Regelung bis VZ 2011 musste bei Einnahmen zwischen 56 % und 75 % geprüft werden, ob sich die Vermietung als eine steuerlich unbeachtliche Liebhaberei darstellt. Eine steuerliche Liebhaberei liegt vor, wenn der steuerpflichtige Totalüberschuss in der Totalperiodenegativ ist – dabei wurde für Ferienimmobilien eine Totalperiode von 30 Jahren festgelegt, die später auch für andere Wohnimmobilien übernommen wurde. Beispiel 1:
„Angemessene Miete“ Verhältnis der tatsächlichen Miete zur Marktmiete 100 %
75 %
66 %
50 %
40 %
0%
(VZ 2012)
(1)
Erzielte Miete
+20
+15
+13,2
+10
+8
+0
(2)
Tatsächliche Kosten
-50
-50
-50
-50
-50
-50
(3)
Überschuss vor Steuern
-30
-35
-36,2
-40
-42
-50
(4)
Zu erwartende Steuerfolgen (s = 40 %)
+12
+14
+14,48
+16
+16,8
+20
(5)
Steuerlich anerkannte Kosten
(-50)
(- 50)
(-50)
(-25)
(-20)
(0)
(6)
Steuerliches Ergebnis
(-30)
(- 35)
(-36,2)
(-15)
(-12)
(0)
(7)
Steuerzahlung (s = 40 %)
+ 12
+ 14
(+14,48)
+6
+4,8
0
(8)
Überschuss nach Steuern
-18
-21
-21,72
-34
-37,2
-50
Abb. 10.29:
Einkünfteermittlung bei Vermietung und Verpachtung
10.1.2.3
Bemessungsgrundlagen
10.1.2.3.1
Modelle der Einkünfteermittlung
Bei der Ermittlung der Einkünfte ist zu beachten, dass innerhalb der Erwerbssphäre höchst unterschiedliche Methoden der Einkünfteermittlung zur Anwendung kommen können:
Die Einkünfte der betrieblichen Einkunftsarten (1)–(3) sind als Gewinn zu ermitteln, der sich im Regelfall aus der Jahresbilanz oder – vereinfacht – aus einer Einnahmenüberschuss-Rechnung ergibt.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
599
Die privaten Einkünfte (4)–(7) sind demgegenüber als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu errechnen. Methoden der Einkünfteermittlung
Bestandsrechnung
Stromrechnung
Sonderregelungen
Gewinn-Einkünfte (1–3)
Überschuss-Einkünfte (4–7)
Gewinn (§ 2 II Nr. 1 EStG)
Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 II Nr. 2 EStG)
Regel: Betriebsvermögensvergleich • nach § 5 EStG • nach § 4 I EStG („vollständige“ Bilanz)
./.
Ausnahme: Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 III EStG (auch: „verkürzte“ Bilanz) – Durchschnittssatz nach § 13a EStG für Land- und Forstwirte – Tonnagebesteuerung für Seeschiffe nach § 5a EStG – Schätzung nach § 162 AO
Abb. 10.30:
Regel: Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten
– Pauschalbesteuerung nach § 21a EStG für selbstgenutzte Wohnungen („Nutzungswertbesteuerung“) a)
– Schätzung nach § 162 AO
Methoden der Einkünfteermittlung a) Wegfall der Nutzungswertbesteuerung gemäß § 21a EStG nach dem 31.12.1986, Übergangsregelung für die Nutzungswertbesteuerung gemäß § 21 II EStG bis 31.12.1998
Die Tatsache, dass der Gewinn im Regelfall im Rahmen einer Bestandsrechnung ermittelt wird, während die privaten Überschusseinkünfte im Rahmen einer Stromrechnung zu berechnen sind, ist nicht von entscheidender Bedeutung, da jeder Bestandsrechnung logisch eine Stromrechnung zugeordnet ist (und vice versa!): Erfolgsermittlung mittels (1)
(2) (3)
Einkünfte (1–3) (Reinvermögenszugangstheorie) Einkünfte (4–7) (Quellentheorie)
Abb. 10.31:
Bestandsgrößen
Stromgrößen
„vollständige“ Bilanz als Betriebsvermögensvergleich
Überschuss der Erträge ./. Aufwendungen (Gewinn- und Verlustrechnung)
„verkürzte“ Bilanz als Betriebsvermögensvergleich
Überschuss der Betriebseinnahmen ./. Betriebsausgaben
„verkürzte“ Bilanz als Vermögensvergleich (ohne Veräußerungsgewinne)
Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (ohne Veräußerungsgewinne)
Erfolgsermittlung auf der Basis korrespondierender Bestands- und Stromgrößen
600
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.3.2
Dualismus der Einkünfteermittlung
Von herausragender Bedeutung für die Einkommensbesteuerung ist die Tatsache, dass den verschiedenen Modellen der Einkünfteermittlung – wenn auch nicht unmittelbar erkennbar – völlig unterschiedliche Einkommenstheorien zugrunde liegen: Die Unterschiede der Grundtypen der theoretischen Einkünfteermittlung zeigen sich in zwei Punkten: (1) Totalerfolg Unterschiede bestehen im steuerlichen Totalerfolg: Im Bereich der betrieblichen Gewinnermittlungsmethoden sind Wertänderungen am ruhenden Vermögen steuerlich immer relevant. – Im Bereich der privaten Überschussermittlungsmethoden werden Wertänderungen am ruhenden Vermögen grundsätzlich nicht erfasst. Ausnahmsweise findet eine Besteuerung bei „kurzfristigen“ privaten Veräußerungsgeschäften statt. Für die Immobilienbesteuerung bedeutet dies, dass je nachdem, ob sich ein Grundstück oder Gebäude –
– im Betriebsvermögen der Gewinneinkunftsarten (1)–(3) oder – im Privatvermögen der Einkunftsart (5) „Vermietung und Verpachtung“ befindet, die bei einer Veräußerung der Immobilie erzielten Gewinne oder Verluste steuerlich erfasst werden oder nicht. (2) Erfolgsperiodisierung Erhebliche Unterschiede ergeben sich auch in der Periodenzuordnung der Erfolge: –
–
Bei den betrieblichen Gewinn-Einkunftsarten ist der Gewinn im Regelfall im Rahmen eines bilanziellen Vermögensvergleichs zu ermitteln. Die Periodenzuordnung erfolgt grundsätzlich nach dem durch bilanzielle Konventionen geregelten wirtschaftlichen Entstehen von Wertänderungen bei Vermögensgütern oder Schulden (Rechnungskategorien „Ertrag minus Aufwand“). Bei den privaten Überschuss-Einkunftsarten erfolgt die Periodenzuordnung grundsätzlich nach dem Zu- oder Abfluss der Zahlungen (Rechnungskategorien „Einzahlungen minus Auszahlungen“). Periodenzuordnung von Einnahmen/Ausgaben Periodisierung im Rahmen einer bilanziellen Gewinnermittlung:
Periodisierung im Rahmen einer Überschussermittlung der Einnahmen über die Werbungskosten:
gemäß dem wirtschaftlichen Entstehen von Ertrag und Aufwand
gemäß dem Zufluss/Abfluss von Ein- und Auszahlungen
Abb. 10.32:
Periodisierungsregelungen
10.1 Grundlagen der Besteuerung
601
Totalerfolgsunterschiede und Periodisierungsdifferenzen begründen den von Tipke so bezeichneten „Dualismus der Einkünfteermittlung“ (vgl. Tipke, Klaus, Die dualistische Einkommensermittlung nach dem Einkommensteuergesetz. Entstehung, Motivation und Berechtigung, in Festschrift für H. Paulick, Köln 1973, S. 391–401):
Einkunfts- Betriebliche (Gewinn-) arten Einkunftsarten (1) Land- und Forstwirtschaft (2) Gewerbebetrieb (3) Selbstständige Arbeit Einkünfteermittlung Vermögensvergleich
Private (Überschuss-) Einkunftsarten (4) Nichtselbstständige Arbeit (5) Kapitalvermögen (6) Vermietung und Verpachtung (7) Sonstige Einkünfte iSd § 22 EStG
Regel: Betriebsvermögensvergleich (§ 4 I oder § 5 EStG)
./. Unterschiede in der Periodisierung
Überschussrechnung
Ausnahme: Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 III EStG)
Regel: Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8, 9 EStG)
Unterschiede im Totalerfolg Abb. 10.33:
Dualismus der Einkünfteermittlung
Reinertragslehre Reinvermögenszugangstheorie regelmäßig fließende Überschüsse regelmäßige Einnahmen regelmäßige Ausgaben außerordentliche, einmalige Überschüsse außerordentliche Einnahmen außerordentliche Ausgaben Abb. 10.34:
Quellentheorie regelmäßig fließende Überschüsse regelmäßige Einnahmen regelmäßige Ausgaben
Gegenüberstellung der Einkommenstheorien
./. („Totalerfolgslücke“)
602
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Totalerfolgsunterschiede ergeben sich aus der unterschiedlichen steuerlichen Erfassung von Gewinnen und Verlusten am Vermögensstamm: Wertänderungen am ruhenden Vermögen
werden im Betriebsvermögen grundsätzlich voll in die Erfolgsermittlung einbezogen, bleiben bei der Überschussermittlung im Privatvermögen grundsätzlich außer Ansatz. Betriebsvermögen – Einkunftsarten (1–3) laufende Erfolge
Regel: voll steuerpflichtig
Abb. 10.35:
Privatvermögen – Einkunftsarten (4–7)
Wertänderungen am Vermögensstamm
Wertänderungen am Vermögensstamm
Regel: voll steuerpflichtig
Regel: steuerfrei
Ausnahmen: Begünstigte Besteuerung besonderer betrieblicher Veräußerungsgewinne aus der Veräußerung von langjährig gehaltenem Anlagevermögen „Re-Investitionsrücklagen nach § 6 b EStG“ und von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen (§§ 16, 34 ESt) „Fünftelungsregelung“ „halber durchschnittlicher Steuersatz“ (ab VZ 2001) (ab VZ 2004 56%)
laufende Überschüsse
Ausnahmen: Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen Regel: im voll Abgeltungsteuerverfahren steuerpflichtig Teileinkünfteverfahren, falls Anteilen an Kapitalgesellschaften oberhalb bestimmter Grenzen (früher „wesentliche Beteiligungen“ § 17 EStG) und Besteuerung sonstiger privater Veräußerungsgewinne innerhalb bestimmter Fristen (früher „Spekulationsgewinne“ § 23 EStG)
Besteuerung von Erfolgen
Periodisierungsunterschiede können sich daraus ergeben, dass im Betriebsvermögen im Regelfall die Periodenzuordnung von Einnahmen und Ausgaben nach den Kategorien „Ertrag – Aufwand“ erfolgt, während im Privatvermögen eine zahlungsorientierte Periodisierung nach „Zufluss – Abfluss“ durchgeführt wird. Im Regelfall gilt, dass Erträge und korrespondierende Ausgaben oder Aufwendungen und korrespondierende Einnahmen in dieselbe Periode fallen. Eine Durchbrechung der zeitlichen Korrespondenz ist allerdings möglich und kann ggf. bewusst gestaltet werden. Die abweichenden grundsätzlichen Regelungen für Betriebsvermögen und Privatvermögen werden durch Ausnahmeregelungen wieder etwas angenähert. Die Auswirkungen einer Durchbrechung der zeitlichen Korrespondenz lassen sich an einem bewusst vereinfachten Vermietungsfall anschaulich darstellen:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
603
Beispiel 2: Mietverhältnis – mit und ohne zeitliche Korrespondenz – Ein privater Vermieter vermietet seine im Privatvermögen gehaltene Lagerhalle an einen gewerblichen, bilanzierungspflichtigen Unternehmer. Die Miete für Dezember 01 wird (a) Ende Dezember 01 ordnungsgemäß bezahlt oder (b) erst Mitte Januar 02 überwiesen (beachte hier die abweichende „10-Tages-Zurechnungsregel“!) Im Rahmen dieses Mietverhältnisses ergeben sich folgende Konsequenzen: (a) Regel: zeitliche Korrespondenz t1 (Dezember 01)
(1) Gewerblicher Mieter (Unternehmen) Mietausgabe Steuerentlastung (2) Privater Vermieter Mieteinnahme Steuerbelastung (3) Fiskus Steuern Mietausgabe U Steuern Mieteinnahme P Abb. 10.36:
− 100 + 40
(b) Ausnahme: Durchbrechung der zeitlichen Korrespondenz t2 t2
t1 (Dezember 01)
(Mitte Januar 02)
(− 100) + 40
+ 100 − 40 − 40 + 40
(Dezember 02)
− 100 + 100
− 40
− 40
+ 40
Zeitliche Korrespondenz und Korrespondenzdurchbrechung (s = 40 %)
Die im Fall (b) auftretende zeitliche Korrespondenzlücke schafft für die beteiligten Parteien gemeinsam eine „lohnende Steuerpause“ – einen zinslosen Steuerkredit. Der zinslose Steuerkredit führt zu einem Nettozinseffekt für den privaten Vermieter und bei sinkenden Steuersätzen zusätzlichen zu einem Steuersatzeffekt und bewirkt damit ökonomische Vorteile, die unter den beiden Partnern aufgeteilt werden können: t1 (1) (2) (3)
Steuerzahlung Vermieter mit Korrespondenzlücke Steuerzahlung Vermieter ohne Korrespondenzlücke
(5)
Vorteil aus Korrespondenzlücke Anlage aus Vorteil Korrespondenzlücke Anlageertrag (i = 10 %)
(6)
Steuer auf Anlageertrag (40 %)
(7)
(„Nettozinseffekt“)
(4)
Abb. 10.37:
Einjähriger Nettozinseffekt für den privaten Vermieter
t2 0
− 40
− 40
0
+ 40
− 40
− 40
+ 40 +4 − 1,60 + 2,40
0
+ 2,40
604
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Wichtige Anwendungsfälle für Periodisierungsunterschiede mit Korrespondenzlücken ergeben sich nach unterschiedlichen Mustern: (1) Aufwand im Betriebsvermögen zeitlich vor Einnahmen im Privatvermögen Anwendungsfälle sind insbes. – – –
Mietverhältnisse zwischen gewerblichem Mieter und privatem Vermieter, Finanzierungsverhältnisse zwischen gewerblichen Emittenten von Null-ZinsAnleihen und privaten Erwerbern von Anteilen, Personalvergütungsmodelle in Form der „deferred-compensation“-Modelle. Insbesondere im Rahmen der Mitarbeitervergütung hat der Gedanke der Durchbrechung der steuerlichen Korrespondenz mittlerweile Einzug gehalten. Ausprägungen sind traditionell die unmittelbare betriebliche Altersversorgung sowie die in der Praxis weit verbreiteten Modelle mit aufgeschobener Gehaltszahlung (Gehaltsumwandlungen).
(2) Ausgaben im Privatvermögen zeitlich vor Ertrag im Betriebsvermögen Anwendungsfälle zu sind hier vor allem – Erbbauzinsvorauszahlungen von erbbauberechtigten Nutzern, – Abschlagszahlungen auf im Folgejahr geplante Erhaltungsaufwendungen für private Vermietungsobjekte an (kreditwürdige) Handwerker. Exkurs 2: „Null-Kupon-Anleihe“ Historisch kann die „Null-Kupon-Anleihe“ als „Musterbeispiel“ – und gleichsam „Ahnherrin“ – für den Versuch einer steuerpolitischen Nutzung von Totalerfolgs- und Periodisierungsunterschieden im Finanzbereich gelten.
Entwickelt wohl in der Absicht, mit der Konstruktion einer ausdrücklich zinslosen Anleihe („Null-Zins-Anleihe“) den „einmaligen Wertgewinn“ als steuerfreien Totalgewinn vereinnahmen zu können, musste diese Idee für den Fall des Durchhaltens bis zur Fälligkeit bald aufgegeben werden, da der „Wertgewinn“ wirtschaftlich zutreffend als kumulierter Zinsertrag interpretiert wurde. Als erfolgreich erwies sich der Zero-Bond allerdings bei der Nutzung von Periodisierungsdifferenzen: Mit der Erfassung der kumulierten Zinsen erst bei Zufluss beim Empfänger entsteht bei einer Emission durch ein Unternehmen mit Vermögensvergleich eine „lohnende Steuerpause“ insoweit, als aus der korrekten Anwendung unterschiedlicher Periodisierungssystem die zeitliche Korrespondenz zwischen Aufwandsverrechnung und Ertragzurechnung durchbrochen wird und insoweit den beteiligten Vertragsparteien vom Fiskus ein zinsloser Steuerkredit zur Verfügung gestellt wird.
Beispiel 3: Null-Zins-Anleihe Ein stark vereinfachtes Modellbeispiel einer Nullkupon-Anleihe mit einer Emissionsrendite von 10 % und 3-jähriger Laufzeit verdeutlicht die „lohnende Steuerpause“:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
605 t0
Rechnerischer Kursverlauf (1)
(2)
751
t1
t2
826
909
Betrieblicher Emittent Zahlung (vor Steuern) Verbindlichkeit Zinsaufwand Steuerzahlung (s=50%) ZR nach Steuern
+ 751] [− 751] [− 826] (−75) + 37,5 + 751 + 37,5
Privater Anleger Zahlung Forderung Zinsertrag Steuerzahlung (s=50%) ZR nach Steuern
− 751] [+ 751] [+826] − − − 751 −
(3) Fiskuszahlungen an Emittenten vom Anleger Abb. 10.38:
[− 909] (−83) +41,5 + 41,5
[+909] − − −
−37,5 −
−41,5 −
t3 1.000 − 1000 [− 1000] (−91) +45,5 − 954,5 + 1000 [+ 1000] (+249) −124,5 +875,5 −45,5 +124,5
Kosten/ Rendite 10,00 %
(− 249) +124,5 5,00 % 10,00 % (+249) −124,5 5,25% −124,5 +124,5
B 50% = −5,11
„Lohnende Steuerpause“ beim Zero-Bond (bis 2008) (ZR = Zahlungsreihe)
In graphischer Darstellung ergibt sich folgendes Bild:
1000 +91
909
+249 +83
826 +75
751
t0 Abb. 10.39:
t1
t2
t3
Zeit
Dreijähriger Zero-Bond
Für die Besteuerung des Zero Bonds galten viele Jahre folgende gesetzliche Regelungen: Beim „Durchhalten bis zu Endfälligkeit“ galt als Grundsatzregelung:
606
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Beim betrieblichen Emittenten war der endfällig zu zahlende Zins laufend aufwandswirksam zu erfassen. Beim privaten Anleger war der kumulierte Zins (erst) beim Zufluss im Rückzahlungszeitpunkt in vollem Umfang einkommenssteuerlich zu erfassen. Beim „Zwischenverkauf vor Endfälligkeit“ wurde für den privaten Anleger bei einem Abweichen des rechnerischen Kursverlaufs (Emissionsrendite) vom tatsächlichen Kursverlauf (Marktrendite) seit der gesetzlichen Neuregelung 1993 gesetzlich ein faktisches Wahlrecht zwischen der Besteuerung der (ursprünglichen) Emissionsrendite und der (aktuellen) Marktrendite eingeräumt. Beispiel 4: Null-Zins-Anleihe Der Kurs eines Zero Bonds sei bei Anschaffungskosten von 40 infolge einer Erhöhung des allgemeinen Zinsniveaus von dem gemäß der Emissionsrendite errechneten Wert von 55 auf den tatsächlichen Wert von 32 gefallen. Verkäufer (1)
(rechnerische) Emissionsrendite
(2)
(tatsächliche) Marktrendite
Abb. 10.40:
Käufer
∑
+15
+45
+60
−8
+68
+60
Faktisches Wahlrecht Emissions- vs. Marktrendite
Solche Abweichungen zwischen Emissions- und Marktrendite können sich aus unterschiedlichen Gründen ergeben: (1) Änderungen im Marktzinsniveau (2) Währungsänderungen bei Fremdwährungsanleihen (3) Bonitätsänderungen Strittig war immer, ob das gesetzliche faktische Wahlrecht für alle Ursachen galt! Die neuere Finanzrechtsprechung erklärte dieses faktische gesetzliche Wahlrecht für unzulässig (BFH vom 20.11.2006) und fordert – unabhängig von der tatsächlichen (Markt)Rendite! – konsequent die für die Einkunftsart (5) Kapitalvermögen anzuwendende Quellentheorie und damit die Emissionsrendite für die Besteuerung zugrunde zu legen. Auf das obige Beispiel bezogen bedeutet dies: Der Verkäufer muss trotz eines tatsächlichen Verlusts von (32−40 =) −8 einen Gewinn von 15 besteuern, der Käufer hat trotz des günstigen Kaufs von 38 bei Einlösung nicht (100−38 =) 62, sondern nur (100−55 =) 45 zu besteuern! Diese Lösung ist unter Beachtung der Quellentheorie systematisch konsequent – frei nach dem Motto: „Der Wahnsinn hat Methode!“ – aber ökonomisch völlig unsinnig! Die Finanzverwaltung will diese neue Rechtsprechung (wohl deshalb) im wesentlichen nur in besonderen „Verlustfällen“ anwenden (BdF v. 18.07.2007 – IV B 8 – S 2252/0, BStBl. 2007 I S. 548). Die Wirkung der zeitlich aufgeschobenen Zinsbesteuerung bei der Nullkupon-Anleihe zeigt sich bei einem direkten Vergleich zu einer Anleihe mit laufender Zinszahlung und Zinsbesteuerung, wobei aus Gründen der Vergleichbarkeit die laufende Reinvestition der Nettozinsbeträge zum gleichen Zinssatz unterstellt wird:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
607
Beispiel 5: Normalanleihe und Nullkupon-Anleihe im Vergleich Der Emissionsbetrag zweier 20-jähriger Anleihen – einer „Normal“-Anleihe mit laufender Zinszahlung und Zinsbesteuerung von 10 % und einer endfällig ausbezahlten und besteuerten Nullkupon-Anleihe mit einer internen Rendite von 10 % – betrage im Emissionszeitpunkt 14.864,35 €. Der Steuersatz des Steuerpflichtigen beträgt konstant 50 %, die Zinserträge sind in vollem Umfang steuerpflichtig. Ein Endwertvergleich beider Anleihen zum Ende des Betrachtungszeitraums führt zu folgender Ergebnistabelle:
(1) Ausgabebetrag (2) Rückzahlungsbetrag (3) Zinssatz
Anleihe mit laufender Zinszahlung Nennbetrag Nennbetrag vorgegeben
(4) (5) (6) (7)
jährlicher Zinsertrag 14.864,35 14.864,35 100.000,00
Nullkupon-Anleihe mit endfälliger Ausschüttung diskontierter Betrag Nennbetrag fiktiv zu errechnen (Emissionsrendite) endfälliger Zinsertrag 14.864,35 100.000,00 100.000,00
10 % jährlich auf Jahreszinsen s x Jahreszins 24.575,22 39.439,57 5%
10 % endfällig auf 85.135,65 42.567,82 42.567,82 57.432,17 6,99 %
(8) (9)
(10) (11) (12)
Zinsbesteuerung Emissionsbetrag Rückzahlungsbetrag Gesamtrückzahlung vor Steuern (Wiederanlage von Zinsen und Zinseszinsen) Ertrag vor Steuern Steuerzahlung auf Zinsbetrag bei 50 % Steuersatz Gesamtertrag nach Steuern Endvermögen nach Steuern Rendite nach Steuern
Abb. 10.41:
Zinszahlungs-Anleihe und Nullkupon-Anleihe im Vergleich (bis 2008)
Die skizzierte Steigerung des Endvermögens in der Rendite nach Steuern beruht auf einem zinslosen Steuerkredit: Nimmt man die bilanzielle laufende Aufwandsverrechnung als Bezugspunkt, so wird der korrespondierende Ertrag beim Kapitalgeber nicht zeitgleich erfasst, sondern die Summe aller Erträge wird erst im späteren Zuflusszeitpunkt besteuert. Da insgesamt der gleiche Aufwand und Ertrag steuerwirksam wird, ergibt sich – bei zeitlich invarianten Steuersätzen – „nur“ ein zinsloser Steuerkredit, der allerdings – wie dargelegt – als Nettozinseffekt zur Minderung der effektiven Steuerlast beitragen kann. Im Beispielsfall wird der Rendite-Steuerkeil von nominell 50 % beim Anleger auf 30 % gemindert wenn der gesamte Steuervorteil dem Anleger zuwächst. Die Normal-Anleihe mit laufender Zinszahlung und Wiederanlage der Zinsen wächst bei 50 % Ertragsteuern auf einen Nettoendbetrag von ca. 39.500 € an und erzielt damit eine Nettorendite von 5 %, während die Nullkupon-Anleihe einen Nettoendwert von ca. 57.500 € erreicht und damit eine Nettorendite von fast 7 % erzielt – der normale Steuerkeil wird von 50 % auf 30 % reduziert! Seit 2009 ist bei bestimmten Einkünften aus Kapitalvermögen die Abgeltungsteuer anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass Zinserträge dem Abgeltungsteuersatz von 25 % unterliegen. Die vorgenannten Beispiele sind damit wie folgt zu modifizieren:
608
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Beispiel 6:
Null-Zins-Anleihe (2009) t0
Rechnerischer Kursverlauf (1)
(2)
Beispiel 7:
(10) (11) (12)
t3
826
909
1.000
Privater Anleger Zahlung − 751 Forderung [+ 751] [+826] Zinsertrag − Steuerzahlung (s=25%) − ZR nach Steuern − − 751
Abb. 10.42:
(8) (9)
t2
Betrieblicher Emittent Zahlung (vor Steuern) − 1.000 + 751 Verbindlichkeit [− 1.000] [− 751] [− 826] [− 909] Zinsaufwand (−91) (−83) (−75) Steuerzahlung (s=50%) +45,50 +41,50 + 37,50 ZR nach Steuern − 954,50 + 37,50 + 41,50 + 751
(3) Fiskuszahlungen an Emittenten vom Anleger
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
751
t1
−37,50 −
[+909] − − − −41,50 −
−45,50 +62,25
10,00 % (− 249) +124,50 5,00 % 10,00 % (+249) −62,25 7,68% −124,50 +62,25
„Lohnende Steuerpause“ beim Zero-Bond (ab 2009 Abgeltungsteuer) (ZR = Zahlungsreihe)
Normalanleihe und Nullkupon-Anleihe im Vergleich (2009)
Anleihe mit laufender Zinszahlung Ausgabebetrag Nennbetrag Rückzahlungsbetrag Nennbetrag Zinssatz vorgegeben Zinsbesteuerung jährlicher Zinsertrag Emissionsbetrag 14.864,35 Rückzahlungsbetrag 14.864,35 Gesamtrückzahlung vor Steuern 100.000,00 (Wiederanlage von Zinsen und Zinseszinsen) Ertrag vor Steuern 10 % Steuerzahlung jährlich auf auf Zinsbetrag Jahreszinsen bei 25 % Abgeltungsteuer s x Jahreszins Gesamtertrag nach Steuern 48.277,20 Endvermögen nach Steuern 63.141,55 Rendite nach Steuern 7,5 %
Abb. 10.43:
+ 1.000 [+ 1.000] (+249) −62,25 +937,75
Kosten/ Rendite
Nullkupon-Anleihe mit endfälliger Ausschüttung diskontierter Betrag Nennbetrag errechenbare Emissionsrendite endfälliger Zinsertrag 14.864,35 100.000,00 100.000,00 10 % endfällig auf 85.135,65 21.283,91 63.851,74 78.716,09 8,69 %
Zinszahlungs-Anleihe und Nullkupon-Anleihe im Vergleich (2009)
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.2.3.3
609
Veräußerungsgewinne
Veräußerungserfolge werden wegen des Dualismus der Einkünfteermittlung je nach Zugehörigkeit des Veräußerungsguts zur Betriebs- oder Privatsphäre steuerlich unterschiedlich behandelt, wobei für bestimmte Veräußerungsgewinne im Einkommensteuerrecht Sonderregelungen getroffen sind: (1) Veräußerungsgewinne des betrieblichen Bereichs unterliegen grundsätzlich der vollen Besteuerung. Nur in besonderen Ausnahmefällen der Veräußerung eines ganzen Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils sind gewisse steuerliche Erleichterungen vorgesehen. (2) Veräußerungsgewinne des Privatbereichs werden steuerlich grundsätzlich nicht erfasst. Nur in besonderen Ausnahmefällen unterliegen private Veräußerungserfolge der Besteuerung nach § 17 EStG bei der Veräußerung bestimmter Anteile an Kapitalgesellschaften (früher sog. „wesentliche Beteiligungen“) und nach §23 EStG, wenn Anschaffung und Veräußerung innerhalb kurzer Zeit (früher: „Spekulationsfristen“) erfolgen – bei Mobilien ein Jahr (bis VZ 1998 sechs Monate), bei Immobilien zehn Jahre (bis VZ 1998 zwei Jahre). Erst seit 1. August 1995 (bei Anschaffung) und seit 1. Januar 1999 (bei Herstellung) gilt für private Veräußerungsgewinne bei Immobiliengeschäften innerhalb der 10 JahresFrist eine sog. „Recapture-Regelung“ (Nachhol-Regelung), mit der bisher vorgenommene Abschreibungen gleichsam nachgeholt und in den Veräußerungsgewinn einbezogen werden. Private Veräußerungsgewinne („Spekulationsgewinne“) bei Immobilien Anschaffung vor 01.08.1995 / Herstellung vor 01.01.1999 und Veräußerung Veräußerungserlös ./.
./. =
Anschaffungs- oder Herstellungskosten ./. Abschreibungen 80 = Restbuchwert 120
in € + 350
in € + 350
Veräußerungserlös ./.
− 200
Veräußerungskosten − 20 --------------------------------------------Veräußerungserfolg + 130
Abb. 10.44:
Anschaffung nach 31.07.1995 / Herstellung nach 01.01.1999 und Veräußerung
Anschaffungs- oder Herstellungskosten ./. Abschreibungen = Restbuchwert
./.
200 80 120
− 120
Veräußerungskosten − 20 -----------------------------------------------= Veräußerungserfolg + 210
Ermittlung des Spekulationserfolgs bei Immobilien
610
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Veräußerungs 350 erlös 150
Wertsteigerung Veräußerungsgewinn
Anschaffungs200 kosten Buchwert
120
tx Abb. 10.45:
Nachholung ("recapture ")
0
Zeit (t)
Ermittlung des Veräußerungsgewinns
(3) Veräußerungsgewinne von wesentlichen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften (Anteile an Kapitalgesellschaften >10 vH (bis VZ 1998 25 vH)) unterlagen der Besteuerung, auch wenn die Beteiligung im Privatvermögen gehalten wurde (§ 17 EStG). Mit Einführung des Halbeinkünfteverfahrens wurde diese Grenze zum 1.1.2001 nochmals auf 1% gesenkt; seitdem wird meist auf den Begriff der wesentlichen Beteiligung verzichtet. Einen Eindruck von im Laufe der Zeitständig ständig zunehmenden „steuerliche Druck“ auf die Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne insbes. aus Wertpapieren vermittelt folgende Abbildung: Besteuerungssituation Beteiligungshöhe
bis VZ 1998
größer gleich 25 %
pflichtig
VZ 1999–2000
ab VZ 2001–2008
ab VZ 2009
steuer-
steuerpflichtig (Teileinkünfteverfahren)
steuersteuergrößer gleich 10 %
pflichtig
größer gleich 1 % unter 1% Abb. 10.46:
pflichtig steuerfrei
steuerfrei
steuerfrei
steuerpflichtig (Abgeltungsteuer)
Entwicklung der Besteuerung „wesentlicher Beteiligungen“ an Kapitalgesellschaften
Ab 2009 unterliegen Wertänderungen bei Wertpapieren des privaten Kapitalvermögens im gesetzlichen Regelfall grundsätzlich der Abgeltungsteuer von 25 %, womit in diesem Bereich verdeckt ein Übergang zur Reinvermögenszugangstheorie vorgenommen wurde.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
611
Die Einzelregelungen zeigen, dass die harte Grundsatzfestlegung, Veräußerungserfolge im Betriebsvermögen voll zu erfassen und im Privatvermögen überhaupt nicht zu besteuern, durch zahlreiche Ausnahmeregelungen abgemildert wird. 10.1.2.3.4
Verlustberücksichtigung und Liebhaberei
Aus der synthetischen Einkommensermittlung, die von der Summe der positiven und negativen Einkünfte ausgeht, ergibt sich innerhalb des Besteuerungszeitraums unmittelbar der sog. innerperiodische Verlustausgleich. Dies bedeutet, dass Verluste, die im Bereich der Einkünfteerzielung anfallen, grundsätzlich ausgleichsfähig sind. Ausgleichsfähige Verluste „neutralisieren“ positive Einkünfte und führen damit zunächst zu relativen Steuerentlastungen. Allerdings ist grundsätzlich zu beachten: Verluste ohne nachfolgende Gewinne sind nicht erstrebenswert! Die Verlustberücksichtigung wird in bestimmten Fällen nicht oder nur eingeschränkt gewährt: (1) Ärgerlich (und verfassungsmäßig wohl sehr zweifelhaft!) war die im Zeitraum 1999– 2003 geltende „vertikale“ Mindestbesteuerung beim vertikalen Verlustausgleich über die verschiedenen Einkunftsarten hinweg. Diese vertikale Mindestbesteuerung wurde zum Jahresende 2003 abgeschafft. (2) Zum Jahresbeginn 2004 wurde allerdings eine ebenso fragwürdige „horizontale“ Mindestbesteuerung beim interperiodischen Verlustvortrag eingeführt. (3) Ferner gelten bei sog. steuerbegünstigten Kapitalanlagen eine Reihe besonderer Einschränkungen der Verlustberücksichtigung. Bedeutsam für die steuertechnische Zuordnung zur Sphäre der Einkommenserzielung ist, dass tatsächlich eine Einkommenserzielungsabsicht vorliegen muss. Einkommenserzielungsabsicht wird nur angenommen, wenn der (steuerliche) Totalgewinn vor Steuern positiv ist. Der Totalgewinn wird als Differenz zwischen allen steuerlich relevanten Einnahmen und Ausgaben ermittelt: 7 Einkunftsarten Erwerbssphäre
(1)
(4) (5)
(2) (6)
(3) (7)
„Liebhaberei“
Abb. 10.47:
(Dauer-) Verluste + privates Hobby
Schemadarstellung der Liebhaberei
(Dauer-) Verluste
kein steuerlicher Totalerfolg
612
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Sofern eine (steuerrechtliche) Einkommenserzielungsabsicht nicht angenommen werden kann, wird die entsprechende Aktivität als „privates Hobby“ oder „Liebhaberei“ der Einkommensverwendung zugeordnet und ist damit steuerlich unbeachtlich. Dahinter steht die Überlegung, dass der Fiskus nur solche Ausgaben anerkennen will, die absehbar zu steuerlichen Einnahmeüberschüssen führen. Kapitalanlagen in langfristige Anlagegüter – insbes. Investitionen in Flugzeuge, Schiffe und Immobilien – erreichen namentlich bei hoher Fremdfinanzierung erst nach vielen Jahren und vor allem wegen günstiger Abschreibungen im Regelfall über den Buchwerten liegenden Veräußerungserlösen die „Gewinnzone“. Nicht zuletzt steuergünstige Umstände bei Veräußerungsgewinnen haben namentlich in der Vergangenheit zu lohnenden Kapitalanlagen geführt: t0
t1
t2
t 2*
Rendite
Kapitalwert (7 %)
− 100
+ 16
+ 16
+ 80
6,31 %
% = − 1,20 C7 0
Abschreibung
(− 50)
(− 50)
(3)
Erfolg
(− 34)
(− 34)
(4)
Steuerzahlung (50 %)
+ 17
+ 17
0
(5)
Kapitalanlage nach Ertragsteuern
+ 33
+ 33
+ 80
24,07 %
,5% C3 = + 37,37 0
(1)
Kapitalanlage vor Ertragsteuern
(2)
Abb. 10.48:
− 100
[+ 80]
Kapitalanlage ohne Besteuerung des Veräußerungsgewinns
t0
t1
t2
t 2*
Rendite
Kapitalwert (7 %)
− 100
+ 16
+ 16
+ 80
6,31 %
% = − 1,20 C7 0
Abschreibung
(− 50)
(− 50)
(3)
Erfolg
(− 34)
(− 34)
[+ 80]
(4)
Steuerzahlung (50 %)
+ 17
+ 17
− 22,40
(5)
Investition nach Ertragsteuern
+ 33
+ 33
+ 57,60 13,10 %
(1)
Investition vor Ertragsteuern
(2)
Abb. 10.49:
− 100
,5% C3 = +16,40 0
Kapitalanlage mit ermäßigter Besteuerung des Veräußerungsgewinns
t0
t1
t2
t 2*
Rendite
Kapitalwert (7 %)
− 100
+ 16
+ 16
+ 80
6,31 %
C 70 % = − 1,20
Abschreibung
(− 50)
(− 50)
(3)
Erfolg
(− 34)
(− 34)
[+ 80]
(4)
Steuerzahlung (50 %)
+ 17
+ 17
− 40
(5)
Investition nach Ertragsteuern
+ 33
+ 33
+ 40
3,52 %
C30,5% = + 0,03
(1)
Investition vor Ertragsteuern
(2)
Abb. 10.50:
− 100
Kapitalanlage mit voller Besteuerung des Veräußerungsgewinns
10.1 Grundlagen der Besteuerung
613
Diese Gegebenheit hat für bestimmte Fallgestaltungen (z. B. bei hoch fremdfinanzierten Kapitalanlagen oder beim sog. Mietkaufmodell) zur Anwendung des Rechtsinstituts der „Liebhaberei“ geführt und es bestehen gewisse Tendenzen, dieses Rechtsinstitut extensiver anzuwenden. Die Problematik der „Liebhaberei“ lässt sich an einem weiteren, modellhaften Fall eines (Flugzeug-)Leasingfonds deutlich machen: Beispiel 8: Leasingfonds und Liebhaberei Ein geschlossener Leasingfonds bietet eine Beteiligung von 120 an. Projektiert sind laut Anlageprospekt laufende Rückflüsse für drei Jahre in Höhe von 28 und ein Veräußerungserlös am Ende des 3. Jahres in Höhe von 66. Lohnt diese Anlage, wenn der Steuersatz 50 % und der Marktzinssatz 10 % beträgt? Prüfen Sie, ob eine Liebhaberei vorliegt, wenn das Objekt (a) dem steuerlichen Privatvermögen oder (b) dem steuerlichen Betriebsvermögen zuzuordnen ist. t0 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
Anlage Abschreibung Buchwert Laufender Erfolg Veräußerungsgewinn Steuerzahlungen (s = 50 %) Anlage nach Steuern I ohne VÄG-Besteuerung (8) Steuer VÄ-Gewinn (9) Anlage nach Steuern II (0,5 VÄG-Besteuerung) (10) Steuer VÄ-Gewinn (11) Anlage nach Steuern III volle VÄG-Besteuerung Abb. 10.51:
−120
t1
t2
t3
t*3
+28 (−30) [90] (−2)
+28 (−30) [60] (−2)
+28 (−30) [30] (−2)
+1
+1
+1
−120
+ 29
+ 29
+ 29
+ 66 −9
−120
+29
+29
+29
+57 −18
−120
+29
+29
+29
+48
[120]
+66
Zielwert % = −0,78 C10 0
(+36) C 50 % = + 15,99 C 50 % = +18,21 C 50 % = +10,44
Finanzplan Leasingfonds
Lösungshinweise: (a) Liegt die Anlage im steuerlichen Privatvermögen, ist „Liebhaberei“ anzunehmen, da ohne den im Privatvermögen grundsätzlich steuerlich nicht relevanten Veräußerungsgewinn von 36 mit einem steuerlichen Totalgewinn von −6 kein steuerlicher Totalgewinn erzielt wird. (b) Befindet sich das Anlageobjekt im steuerlichen Betriebsvermögen, wird ein steuerlicher Totalgewinn von +30 erzielt und es liegt steuerrechtlich keine „Liebhaberei“ vor. Beispiel 9: Totalüberschussprognose bei einem Vermietungsobjekt Erworben wird eine Eigentumswohnung mit Anschaffungskosten von 100, wobei 30% auf den Grund und Boden entfallen. Nach den Planungen ist eine marktübliche Rendite von 3% zu erzielen. Der Abschreibung der Immobilie liegt eine Nutzungsdauer von 50 Jahren (§ 7 Abs. 4 EStG) zugrunde. Der Kauf wurde voll fremdfinanziert, der Kredit ist nach 30 Jahren endfällig zu tilgen und jährlich mit 3,5% zu verzinsen. Weil eine Substanzerhaltung
614
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
nicht erfolgt ist und daher ein erheblicher Rückstau an Modernisierungsaufwand besteht, entsprechen die Abschreibungen genau der Wertminderung und der Verkaufserlös beträgt 58. Prüfen Sie die Frage, ob ein „positiver Totalüberschuss“ gegeben ist. Lösungshinweise: Nach den vorgegebenen Modellannahmen ergibt sich folgende Übersicht: t0 (1)
(2) (3) (4) (5) (6)
Objektzahlungen BW Grund & Boden BW Immobilie ./. AfA Immobilie = Überschuss ./. Kredit-Zahlungen = „Total-Erfolg“ = „Total-Zahlungsüberschuss“
Abb. 10.52:
t1 +3
t2 +3
t3 +3
... ...
t29 +3
t30 +3
−30 −70
t30*
∑t0−t30 +90
+30 +28
(−1,4) (−1,4) (−1,4) (+1,6) (+1,6) (+1,6) +100 −3,5 −3,5 −3,5 (−1,9) (−1,9) (−1,9) 0 −0,5 −0,5 −0,5
… … … …
(−1,4) (+1,6) −3,5 (−1,9) −0,5
(−1,4) (+1,6) −3,5 −100 −(1,9) −0,5 −42
−42 (−42) (+48) −105 (−57) −57
Ermittlung der Totalüberschussprognose
Es zeigt sich, dass unter Berücksichtigung der Kreditkosten, die gerade einen beträchtlichen Anteil der Werbungskosten ausmachen, eine positive „Total“-Überschussprognose über einen vom Bundesfinanzhof typisiert festgelegten Nutzungszeitraum von nur 30 Jahren nicht erreicht werden kann. 10.1.2.4
Tarif der Einkommensteuer
10.1.2.4.1
Tariftypen
Zu unterscheiden sind verschiedene Tariftypen: Fixe, proportionale, (direkt) progressive, degressive und regressive Tarife. In der Realität vorherrschend sind ansteigende Steuertarife, bei denen die Höhe der Steuerschuld mit steigender Bemessungsgrundlage zunimmt. Man unterscheidet verschiedene ansteigende Tariftypen:
Ansteigende Tariftypen Stufentarife Stufenbetragstarif (1) Abb. 10.53:
Stufendurchschnittssatztarif (2)
Formeltarif Stufengrenzsatztarif (3)
(4)
Tariftypen mit ansteigender Steuerbelastung
Im Einzelnen lassen sich die Tariftypen wie folgt charakterisieren: (1) Beim Stufenbetragstarif wird innerhalb festgelegter Stufen der Bemessungsgrundlage ein bestimmter Steuerbetrag erhoben.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
615
(2) Beim Stufendurchschnittssatztarif gilt in Abhängigkeit von der erreichten Stufe der Bemessungsgrundlage ein bestimmter fester Durchschnittssteuersatz. (3) Beim Stufengrenzsatztarif wird innerhalb festgelegter Stufen der Bemessungsgrundlage ein bestimmter Grenzsteuersatz festgelegt. (4) Beim Formeltarif bestimmt sich die Höhe des Steuerbetrags durchgängig in formelmäßiger Abhängigkeit von der Bemessungsgrundlage. Die Steuerschuld ergibt sich durch die Anwendung des Tarifs auf die Bemessungsgrundlage. Sie ist als Steuerlastkurve in Abhängigkeit von der Bemessungsgrundlage darstellbar und ergibt sich als unterhalb des Grenzsteuersatzes abgebildete Fläche. Der Grenzsteuersatz – bisweilen auch der Grenzbetragsteuersatz (Differenzsteuersatz) – ist für ökonomische Entscheidungen in aller Regel die relevante Größe. Der Durchschnittssteuersatz verläuft unter dem Grenzsteuersatz, sein ökonomischer Aussagegehalt ist sehr begrenzt. Auch bei proportionalen Tarifen führt der Einbau von Freibeträgen oder Freigrenzen – gemessen am Durchschnittssteuersatzverlauf – zu einer indirekten Progression. Im Falle eines direkt progressiven Tarifs mit linearer Progression wirkt der Einbau von Freibeträgen zusätzlich als indirekte Progression und verstärkt damit die Gesamtprogression. Tarifverlauf
Steuerschuld
Durchschnittssteuersatz
S f(B)
(1) proportionaler (linearer) Tarif ohne Freibetrag/ ohne Freigrenze
S
(2) proportionaler (linearer) Tarif mit Freibetrag (FB)
S
(3) proportionaler (linearer)Tarif mit Freigrenze (FG)
S
(4) (linear-) progressiver Tarif
S
s (ds )
S B
s'
ds
B
B
FB
B
B
FG
B
B
B
FG
B
B
B
s'
ds
FBV
B
s'
ds
S
FB
s'
ds
FG
B
s'
ds
FB
dS dB
s'
B
(5) (linear) progressiver Tarif mit Freibetrag (FB)
Grenzsteuersatz
FB
B
B
Abb. 10.54: Tarife ohne/mit Freibetrag oder Freigrenze (S Steuerbetrag / ds Durchschnittssteuersatz / s’ Grenzsteuersatz)
616
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.4.2
Tarifstruktur der Einkommensteuer
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 25.9.1992 ist das kulturelle Existenzminimum (= im Sozialhilferecht anerkannter Mindestbedarf) steuerfrei zu stellen. Dieser richterlichen Anordnung wurde in den Jahren 1993–1995 zunächst mit einer separaten Entlastungstabelle – mit bemerkenswerten Auswirkungen! – berücksichtigt. Erst mit der Neuregelung des § 32a EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 wurde der gebotenen Entlastung direkt im Tarif Rechnung getragen, gleichzeitig wurde die zum Einkommensteuertarif 1990 erlassene Übergangsregelung des § 32d EStG aufgehoben. Der Steuertarif weist folgende Tarifzonen auf: Tarifzonen (nach HBeglG 2004)
zu versteuerndes Steuerschuld-Formel Einkommen (zvE) (€) (1) Nullzone 0–8.004 ./. (Grundfreibetrag) ab VZ 2013: 0–8.130a) (2) untere 8.005–13.469 ESt = (912,17 y + 1.400) y (linear-progressive) für y = (zvE – 8.004) : 10.000 Progressionszone ab VZ 2013: ab VZ 2013 : 8.131–13.469a) ESt = (933,70 y + 1.400) y für y = (zvE – 8.130) : 10.000 (3) obere 13.470–52.881 ESt = (228,74 z + 2.397) z + 1.038 (linear-progressive) für z = (zvE – 13.469) : 10.000 Progressionszone ab VZ 2013: ESt = (228,74 z + 2.397) z + 1.014 für z = (zvE – 13.469) : 10.000 (4) (obere) 52.882 – 250.730 ESt = 0,42 x – 8.172 Proportionalzone für x = zvE ab VZ 2013 : ESt = 0,42 x – 8.196 für x = zvE (5) „Reichensteuer“ab 250.731 ESt = 0,45 • x – 15.694 Proportionalzone für x = zvE ab VZ 2013 : ESt = 0,45 • x – 15.718 für x = zvE Abb. 10.55:
Grenzsteuersatz (in %, gerundet) 0%
14 %–24 %
24 %–42 %
42 %
45 %
Einkommensteuertarif 2012 und 2013 a) Durch das Gesetz zur Abbau der kalten Progression wurde mit Wirkung ab dem VZ 2013 der Grundfreibetrag auf 8.130 € und ab VZ 2014 auf 8.354 € erhöht (zu weiteren Details vgl. BT-Drucks. 17/11842 v. 12.12.2012).
Der Einkommensteuertarif weist einen Grundfreibetrag, eine (zweiteilige) Zone direkter Progression und eine obere Proportionalzone mit zusätzlichem „Reichenzuschlag“ auf. Kennlinien des Tarifs sind der Verlauf der Gesamtsteuerlast, des Durchschnittssatzes und des Grenzsteuersatzes:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
617
Die Gesamtsteuerlast an Einkommensteuer, die sich nach dem Einkommensteuertarif ergibt, ist in den Einkommensteuer-Tabellen (Grundtabelle für Ledige, Splittingtabelle für Verheiratete) ausgewiesen. Die Steuerlastkurve zeigt, welche gesamte Steuerlast auf das jeweilige zu versteuernde Einkommen entfällt. Mit Erreichen der Schwelle von 52.882 € (105.764 €), ab welcher der Spitzensteuersatz greift, bildet sie eine Parallele zur 42 %-Linie. Der Abstand zwischen der Steuerlastkurve und der 42 %-Linie verdeutlicht die durch den progressiven Tarif gegenüber einem durchgängig angewandten Spitzensteuersatz gewährte Entlastungswirkung.
Steuerlast (T€) 52.882 €
13.470 €
50 45 40 35 30 25 20
8.196 €
15 10 5 0
8.130 € 10
20
30
40
50
60
70
80
90
zu versteuerndes Einkommen (T€) Steuerlast ESt-Tarif 2013
Abb. 10.56:
Steuerlast linearer Tarif 42% (ohne Grundfreibetrag)
Steuerlastkurve ESt-Tarif 2013
Grenz- und Durchschnittssteuersatz
52.882 €
13.470 €
50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
8.130 € 10
20
30
40
50
60
70
80
90
zu versteuerndes Einkommen (T€) ESt-Tarif 2013 - Grenzsteuersatz
Abb. 10.57:
ESt-Tarif 2013 - Durchschnittssteuersatz
Grenz- und Durchschnittssteuersatzkurve ESt-Tarif 2013
618
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Kurve der Durchschnittssteuersätze ergibt sich, wenn man die Einkommensteuer durch das zu versteuernde Einkommen dividiert. Zunächst zeigt sich, dass der Durchschnittssteuersatz kontinuierlich ansteigt und sich bei sehr hohen zu versteuerndem Einkommen der 42 %-Spitzenbelastung asymptotisch nähert. Der Anstieg enthält neben der direkten Progression auch eine indirekte Progression derart, dass sich die Wirkung der Grundfreibeträge mit steigendem Einkommen immer mehr verflüchtigt (indirekte Progression). Die Durchschnittssteuerbelastung bleibt immer hinter der Grenzsteuerbelastung zurück, denn der Grenzsteuerbelastung sind nur die jeweils hinzukommenden Einkommensteile ausgesetzt, während die darunter liegenden Einkommensteile dem im Allgemeinen niedrigeren Grenzsteuersatz unterliegen oder im Bereich des Grundfreibetrags steuerfrei sind. Der Durchschnittssteuersatz ist ökonomisch nur selten relevant – wenn die gesetzliche Regelung seine Anwendung fordert –, politisch zur Verharmlosung der tatsächlichen Höhe der (Grenz)Steuerbelastung aber höchst beliebt!
Grenz- und Durchschnittssteuersatz 250.731 €
52.882 €
50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
8.130 € 20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
220
240
260
280
zu versteuerndes Einkommen (T€)
Abb. 10.58:
ESt-Tarif 2013 - Grenzsteuersatz
45 % - Linie
ESt-Tarif 2013 - Durchschnittssteuersatz
42 % - Linie
ESt-Tarif 2013 mit Reichensteuer
Der Grenzsteuersatz (marginale Steuersatz) ist bei einem progressiven Steuertarif, wie er das deutsche Einkommensteuerrecht schon seit langem und wohl auch künftig kennzeichnet, von besonderer Bedeutung. Unter dem Grenzsteuersatz versteht man denjenigen – marginalen – Prozentsatz, mit dem eine bestimmte Einkommenserhöhung/-verminderung steuerlich belastet/entlastet wird. Es geht also um die Antwort auf die Frage, mit welcher zusätzlichen Steuer jeder hinzukommende/absetzbare EURO bzw. der letzte EURO des Einkommens belastet ist.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
619
Mathematisch gesehen bereitet die Ermittlung der Grenzsteuerbelastungskurve keine besondere Schwierigkeit. Nach § 32a EStG bestehen die Formeln für die Einkommensteuer aus einfachen algebraischen Gleichungen (Polynomen), die sich sehr einfach ableiten lassen (Differentiation). Die erste Ableitung der Steuerbelastungskurve führt zur Grenzsteuerbelastungskurve. Als Spitzensteuersatz bezeichnet man den höchsten Grenzsteuersatz eines Tarifs. Neben den Begriffen „Grenzsteuersatz“ und „Durchschnittsteuersatz“ sollte auch der Begriff „Differenzsteuersatz“ oder „Grenzbetragsteuersatz“ beachtet werden. Der Differenzsteuersatz bezeichnet den durchschnittlichen Steuersatz auf einen hinzukommenden oder wegfallenden Betrag bei der Steuerbemessungsgrundlage. Beispiel 10: Steuerentlastung aufgrund von Erhaltungsaufwendungen Ein lediger Angestellter, der im Jahr 01 mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60 000 € rechnet, aber in 02 ein einmalig höheres Jahreseinkommen von 90.000 € erwartet, trägt sich mit dem Gedanken, an seinem geerbten Mietobjekt eine Dachsanierung mit Kosten von 20.000 € durchzuführen. Können Sie ihm einen einfachen Rat geben. Machen Sie anhand einer Graphik deutlich, welche Steuerersparnis er aus dieser Maßnahme bei Durchführung in 01 und 02 zu erwarten hat. Lösungshinweise: Die mit der Erhaltungsmaßnahme zu erwartende Steuerentlastung bestimmt sich nicht nach dem Durchschnittssteuersatz, wie dies verbreitete Auffassung ist, sondern nach dem Grenzsteuersatz. Im Progressionsbereich sollte der Grenzbetragsteuersatz verwendet werden!
Grenz- und Durchschnittssteuersatz 52.882 €
13.470 €
50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
8.130 € 10
20
30
40
50
60
70
80
90
zu versteuerndes Einkommen (T€) ESt-Tarif 2013 - Grenzsteuersatz
Abb. 10.59:
ESt-Tarif 2013 - Durchschnittssteuersatz
Grenz- und Durchschnittssteuersatzkurve ESt-Tarif 2013
620
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Einkommensteuertarife zeigen im internationalen Vergleich ein sehr differenziertes Bild, obgleich stets zu berücksichtigen ist, welches Besteuerungssystem in den einzelnen Ländern vorherrscht, wie der Tarif aufgebaut ist und wie die Bemessungsgrundlagen bemessen werden.
10
Bulgarien Litauen
15
Tschechien
15
Rumänien
16
Ungarn
16 19
Slowakei
21
Estland
25
Lettland
32
Polen Malta
35
Zypern
35 39,97
Schweiz (Kanton Zürich)
40
Norwegen
41
Slowenien
42,14
Luxemburg USA (New York)
43,35
Griechenland
45
Spanien
45 46,71
Kanada (Ontario) Italien
47,15
Deutschland
47,48 48
Irland Finnland
48,88
Japan
50
Österreich
50
Portugal
50
Vereinigtes Königreich
50 50,7
Frankreich
51,5
Dänemark
52
Niederlande
53,5
Belgien
56,6
Schweden
0
Abb. 10.60:
10.1.2.4.3
10
20
30
40
50
60
70
Einkommensteuerspitzensätze der Zentralstaaten und der Gebietskörperschaften sowie sonstige Zuschläge 2010 (in Prozent) (Quelle: BMF, Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2012)
Tarifentwicklung seit 1950
Die Tarifentwicklung war in Deutschland bis 2004 durch eine sinkende Tendenz gekennzeichnet:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
Abb. 10.61:
Entwicklung der Grenz- und Durchschnittssteuersätze
621
622
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.4.4
Solidaritätszuschlag
Für den Zeitraum vom 1.7.1991 bis 30.6.1992 war erstmals ein befristeter Solidaritätszuschlag zur Bewältigung der finanziellen Lasten in Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands erhoben worden. Mit dem „Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG)“ vom 23.06.1993 (BGBl 1993 I S. 944) wurde ab dem VZ 1995 erneut ein – nach dem Gesetzestext unbefristeter – Solidaritätszuschlag eingeführt (Zuschlagsteuer nach § 51a EStG, dessen Aufkommen ausschließlich dem Bund zufließt). Der Solidaritätszuschlag wird als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer (§ 1 SolZG) von unbeschränkt und beschränkt Einkommensteuerpflichtigen bzw. Körperschaftsteuerpflichtigen erhoben (§ 2 SolZG). Der Zuschlag beträgt: vom 1.1.1995 bis 31.12.1997 7,5 vH der Bemessungsgrundlage, vom 1.1.1998 bis auf weiteres 5,5 vH der Bemessungsgrundlage. Bemessungsgrundlagen sind:
die Veranlagung festgesetzte ESt bzw. KSt nach § 51a II EStG (§ 3 I Nr. 1 SolZG) die Vorauszahlungen zur ESt bzw. KSt (§ 3 I Nr. 2 SolZG) die Lohnsteuer vom laufenden Arbeitslohn bzw. Lohnsteuer nach Lohnsteuerjahresausgleich gem. § 51a IIa EStG (§ 3 I Nr. 3 SolZG) die pauschalierte Lohnsteuer nach §§ 40–40b EStG (§ 3 I Nr. 3 SolZG) die Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer auf Kapitalerträge gem. §§ 43–44c EStG (§ 3 I Nr. 5 SolZG) der Steuerabzugsbetrag nach § 50a EStG bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 3 I Nr. 6 SolZG) Beim Solidaritätszuschlag sind eine Freigrenze und eine Härteklausel zu beachten:
Der Solidaritätszuschlag wird erst erhoben, wenn die Bemessungsgrundlage bei Anwendung der Grundtabelle die Freigrenze von 972 € (bis VZ 2001 1.836 DM) und bei Anwendung der Splittingtabelle die Freigrenze von 1.944 € (bis VZ 2001 3.672 DM) übersteigt (§ 3 III SolZG). Für Bemessungsgrundlagen oberhalb der obigen Freigrenzen beträgt der Solidaritätszuschlag 5,5 v. h. (bis VZ 1997 7,5 v. h.) der Bemessungsgrundlage, aber nicht mehr als 20 v. h. des Differenzbetrages zwischen Bemessungsgrundlage und Freigrenze (§ 4 S. 2 SolZG) ( sog. „Gleitklausel“ als Härteausgleich).
Personenkreis
kein Solidaritätszuschlag Gleitklausel bei bei Bemessungsgrundlage Bemessungsgrundlage bis
Solidaritätszuschlag i. H. v. 5,5 % (7,5 %) bei Bemessungsgrundlage ab
Splittingtarif nach § 32° V, VI EStG
1.944 € (3.672 DM)
1.945–2.681 € (3.673–5.065 DM)
2.682 € (5.066 DM)
andere Fälle
972 € (1.836 DM)
973–1.340 € (1.837–2.532 DM)
1.341 € (2.533 DM)
Abb. 10.62:
Auswirkungen von Freigrenze und Härteklausel des SolZG
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.2.5
Veräußerungsgewinne („capital gains“)
10.1.2.5.1
Überblick
623
Die Grundsatzregelung, Veräußerungsgewinne im Betriebsvermögen grundsätzlich vollständig und im Privatvermögen grundsätzlich nicht zu erfassen, wird in besonderen Ausnahmefällen durch Sonderregelungen durchbrochen. Die nachfolgende Übersicht macht dies deutlich:
Abb. 10.63:
Besteuerung laufender und einmaliger Erfolge
624
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.5.2
Begünstigung von Re-Investitionen
Langjährig im Betriebsvermögen stehende Anlagegüter weisen häufig hohe stille Reserven auf. Stille Reserven – auch als stille Rücklagen bezeichnet – werden als Differenz zwischen Zeitwert und Buchwert ermittelt und sind vor allem bei langjährig gehaltenen Grundstücken zu beobachten. Sie entstehen
zwingend aus gesetzlichen Begrenzungsregelungen, wenn die Zeitwerte über die Obergrenze der (fortgeführten) Anschaffungskosten hinaus ansteigen, zwangsläufig aus Schätzfehlern, wenn etwa die Nutzungsdauer zu gering eingeschätzt wurde, oder freiwillig, wenn aus Anreizgründen überhöhte Abschreibungen gewährt werden.
Stille Reserven sind bislang nicht ausgewiesene und folgerichtig auch nicht besteuerte Gewinne. Stille Reserven beinhalten daher eine „latente Steuerlast“, die bei einer Veräußerung zur Zahlung fällig würde, und errichten daher eine steuerliche Veräußerungsbarriere („lockin-Effekt“). Derartige „Veräußerungsbremsen“ erschweren oder verhindern notwendige Strukturveränderungen und Standortverlagerungen. Um derartige unerwünschte steuerliche Blockaden zu vermeiden, wird unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, die bei einer Veräußerung realisierten stillen Reserven
sofort auf Reinvestitionsgüter zu übertragen oder temporär in eine steuerfreie Rücklage nach § 6b EStG einzustellen und auf ein später beschafftes Reinvestitionsgut zu übertragen. Um zu vermeiden, dass sich die „Lebensdauer der stillen Reserven“ durch die Übertragung verlängert, darf nur auf Reinvestitionsgüter mit gleicher oder kürzerer Nutzungsdauer übertragen werden: Gewinne aus der Veräußerung langjährig gehaltener Anlagegüter (i. d. R. mind. 6 Jahre) (1) (2) (3) (4) (5)
Grund und Boden Aufwuchs auf Grund und Boden Gebäude Binnenschiffe b) Anteile an KapG im Eigentum von Personenunternehmen (bis max. 500 T€)
Abb. 10.64:
+ 100 + 80
Übertragung auf Reinvestitionsgüter im Jahr der Veräußerung (J) und dem Vorjahr (Vj), ggf. unter temporärer Rücklagenbildung Grund Aufwuchs Gebäudea) Binnen- Anteile Abnutzbare und auf Grund an bewegliche schiffe Boden und Boden KapG Güter (J/Vj) (J/Vj) (J/Vj) (J) (J) (J/Vj) − 100 − 100 − 100 − 80
− 80
+ 60 + 40
− 60
+ 20
− 12
− 40
− 20
− 12
Übertragung stiller Reserven bei der Veräußerung bestimmter Anlagegüter (§ 6b EStG) a) Der Anschaffung oder Herstellung von Gebäuden steht ihre Erweiterung, ihr Ausbau oder ihr Umbau gleich. Die Übertragung ist in diesem Falle nur auf den Aufwand für Erweiterung, Aus- oder Umbau zulässig. b) Bisher galt: Anwendung nur auf Veräußerungen nach dem 31.12.2005 und vor dem 1.1.2011. Durch das JStG 2010 wurde die zeitliche Befristung aufgehoben.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
625
Beispiel 11: Betrieblicher Veräußerungsgewinn und „Lock-in-effect“ Ein betriebliches Grundstück I mit einem Buchwert von 1 Mio € könnte für 10 Mio € verkauft werden. Leider erweist sich der in diesem Fall entstehende Veräußerungsgewinn von 9 Mio € als „Blockade“. Wie kann ein „lock-in-effect“ vermieden werden? Lösungshinweise: Die steuerliche Verkaufsblockade kann durch die mögliche Übertragung der stillen Reserven auf ein Reinvestitionsgut – ggf. unter temporärer Einschaltung einer § 6b-Rücklage – vermieden werden.
(1) Grundsachverhalt
Grundstück I
1.000 (10.000) EK
1.000 (10.000)
... (2) Verkauf des Grundstücks I gegen Bankgutschrift
Grundstück I Bank
0 10.000
EK Gewinn
1.000 9.000
... (3) Temporäre Neutralisierung des Gewinns durch Einbuchung des Gewinns in steuerfreie Rücklage
(4) Reinvestition in Betriebs-Grundstück II
Grundstück I Bank
0 10.000
0 Grundstück I Grundstück II 10.000 0 Bank
EK Gewinn steuerfreie Rücklage nach § 6b EStG ...
1.000 0
EK steuerfreie Rücklage
1.000
9.000
9.000
... (5) Übertragung der steuerfreien Rücklage auf Grundstück II
Abb. 10.65:
Grundstück I Grundstück II
0 EK 1.000 (10.000) steuerfreie Rücklage ...
1.000 (10.000) 0
Reinvestitionsrücklage – Bildung und Auflösung
Ergebnis: Mit der Bildung einer (steuerfreien) Re-Investitionsrücklage kann die Besteuerung des Veräußerungsgewinns von Grundstück A im Verkaufszeitpunkt vermieden und zeitlich aufgeschoben werden, am Ende liegen die stillen Reserven im Grundstück II. Exkurs 3: Veräußerungsgewinne und § 6b – Fonds Alternativ zur Anschaffung eines eigenen Re-Investitionsgrundstücks B kann der Einzelunternehmer A auch einen Investition in einen sog. § 6b – Fonds wählen. Möglich wird dies
626
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
über den weiten Betriebsbegriff. Danach gehört zum Betriebsvermögen eines Mitunternehmers auch der ideelle Anteil eines Wirtschaftsguts im Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft. Daher ist der geschlossene Fonds regelmäßig auch als haftungsbeschränkte Personengesellschaft in Form der GmbH & Co. KG ausgestaltet. Beispiel 12: Investition in § 6b – Fonds A-EU (1) Temporäre Neutralisierung des Gewinns durch Einbuchung des Gewinns in steuerfreie Rücklage
Grundstück I Bank
0 10.000
(2) Beteiligung an § 6b-Fonds
Beteiligung Bank
3.000 7.000
EK Gewinn steuerfreie Rücklage nach § 6b EStG ... A-EU EK steuerfreie § 6b-Rücklage
1.000 0 9.000
1.000 9.000
... Geschlossener Fonds Bank
(3) Übertragung der steuerfreien Rücklage auf den § 6b-Fonds bei Kauf des Investitionsobjektes durch den Fonds
Beteiligung Bank (Entnahmemöglichkeit)
10.000
3.000 7.000
EKA (Hafteinlage) FK ... A-EU EK steuerfreie § 6b-Rücklage
3.000 7.000
10.000 0
... Geschlossener Fonds Grundstück II
10.000
EKA FK
3.000 7.000
... ErgänzungsbilanzA (Geschlossener Fonds) MinderkapitalA
Abb. 10.66:
9.000
Minderwert Grundstück (aus steuerfreier § 6b-Rücklage) ...
9.000
Reinvestitionsrücklage – Investition in § 6b – Fonds
Ergebnis: Auch mit der Investition in einen § 6b-Fonds lässt sich ein zinsloser Aufschub der Besteuerung der Veräußerungsgewinne aus Grundstück I erreichen. Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die Anlage in einen § 6b-Fonds damit lohnend wäre. Vielmehr ist es
10.1 Grundlagen der Besteuerung
627
notwendig, dass der § 6b-Fonds mindestens eine Verzinsung in Höhe der Rendite nach Steuern der Alternativanlage erwirtschaftet. Die ökonomischen Auswirkungen der Neutralisierung von aufgedeckten Veräußerungsgewinnen kann durch nachfolgendes Beispiel verdeutlicht werden: Beispiel 13: Steuerliche Begünstigungen für Reinvestitionen Jahre 01
02
03
04
01-04
(1)
Laufender Gewinn +100
+300
+300
+300
+1000
(2)
Veräußerungsgewinn aus Gebäudeveräußerung
+120
-
-
-
+120
(3)
Neutralisierung des Veräußerungsgewinns durch steuerfreie Rücklage
(-120)
(+120)
-
-
-
(4)
Neutralisierungen durch Übertragung auf Nachfolgegebäude
-
(-120)
-
-
(-120)
(5)
Gebäudeinvestition
-
-120
(6)
Abschreibungen (3 Jahre)
-
(0)
(0)
(0)
-
(7)
Buchwert Gebäude
-
[0]
[0]
[0]
-
(8)
Steuerzahlungen(s = 50 %)
(≙ Zahlungsüberschuss)
∙ laufender Gewinn
-50
-150
-150
-150
-500
∙ Veräußerungsgewinn
-60
-
-
-
-60
Neutralisierung Gewinn
+60
-
-
-
+60
0
0
0
0
-50
-150
-150
-150
-500
+170
-30
+150
+150
+500
+60
-20
-20
-20
0
∙ Gebäudeinvestition
= Gesamt (9) (10)
-120
Zahlungsüberschuss nach Steuern Mit-ohne-Differenz („zinsloser Steuerkredit“)
Abb. 10.67:
Veräußerungsgewinn aus Grundstücksverkauf (mit Neutralisierung)
Es wird deutlich, dass die steuerliche Begünstigung der Reinvestition wiederum „nur“ darin besteht, dass bei zeitlich konstanten Steuersätzen „lediglich“ eine temporäre Steuerstundung gewährt wird. 10.1.2.5.3
Betriebliche Veräußerungsgewinne
Die gesetzlichen Regelungen zur Besteuerung besonderer Gewinne aus der Veräußerung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen – sog. Veräußerungsgewinne – sind als „Begünstigungsregelungen“ immer wieder gesetzlichen Änderungen unterworfen worden. Gravierende Rechtsänderungen ergaben sich jeweils zum Jahresbeginn 1999 und 2001. 10.1.2.5.3.1 Begünstigung durch halben durchschnittlichen Steuersatz (bis 1998) Bis Ende des Jahres 1998 galten für die Besteuerung dieser besonderen Veräußerungsgewinne die Begünstigungsregelungen der §§ 16, 34 EStG:
628
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
In § 16 EStG wurden begrenzte Freibeträge für Veräußerungsgewinne eingeräumt. In § 34 EStG wurde für Veräußerungsgewinne die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersatzes gewährt. Die Steuerentlastungswirkung des halben durchschnittlichen Steuersatzes soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Beispiel 14: „16/34-Modelle“ Investor C gründet im September 01 einen Fahrradverleih als Einzelunternehmer und beschafft 10 Fahrräder zum Preis von je 400 €. Die Geschäfte laufen mehr schlecht als recht. Das Halbjahresergebnis vor Abschreibungen ist Null, und er beschließt, das Geschäft wieder aufzugeben. Die Fahrräder sind noch wie neu und ein Käufer bietet für alle Fahrräder 3.000 € (Alternative 1: „Asset deal“). Alternativ würde er auch das gesamte Unternehmen kaufen (Alternative 2: „Share deal“). Erstellen Sie – ohne Berücksichtigung der Freibetragsregelung nach § 16 EStG – für beide Alternativen die Finanzpläne: t1 (1)
Kauf der Fahrräder
(2)
Abschreibung
t2
t2*
− 4.000 (− 4.000)
(0)
(0)
(3)
Buchwert (nach Abschreibung)
[0]
[0]
[0]
(4)
Laufender Erfolg
−
(0)
(0)
(5)
Veräußerung der Fahrräder („Asset deal“)
−
+ 3.000
−
(6)
Veräußerung des Unternehmens („Share deal“)
−
−
+ 3.000
(7)
Steuerliches Ergebnis
(8)
(− 4.000)
(+ 3.000)
Steuerzahlung (s = 50 %) (s = 25%)
+ 2.000 −
− 1.500 −
− − 750
(9)
Zahlungen nach Steuern
− 2.000
+ 1.500
+ 2.250
(10)
„Erfolg nach Steuern“
−
− 500
+ 250
Abb. 10.68:
(+ 3.000)
Finanzpläne für „16/34-Modelle“
Die – früher unbegrenzt anwendbare – Tarifbegünstigung wurde im Zusammenhang mit zeitlich vorgezogenen (Sonder-)Abschreibungen sehr häufig zur Steuergestaltung eingesetzt. 10.1.2.5.3.2 Begünstigung durch Fünftelungsregelung (ab 1999) Die Steuerbegünstigung des halben durchschnittlichen Steuersatzes für betriebliche Veräußerungsgewinne wurde Ende 1998 abgeschafft und durch die sog. Fünftelungsregelung ersetzt. Die Begünstigung der Fünftelungsregelung besteht darin, dass zur Ermittlung der Progression die außerordentlichen Einkünfte nur zu einem Fünftel einbezogen werden und der auf dieses Fünftel entfallene Steuermehrbetrag anschließend verfünffacht wird. Zu beachten ist,
10.1 Grundlagen der Besteuerung
629
dass keine Verteilung des Veräußerungsgewinns auf 5 Jahre vorgenommen wird, vielmehr wird die Besteuerung im Jahr der Veräußerung durch die Anwendung der Fünftelungsregelung im Jahr der Veräußerung vollständig abgeschlossen. Im geltenden Steuerrecht ergeben sich folgende Wirkungen: Beispiel 15: Veräußerungsgewinn mit Fünftelungsregelung Der ledige Unternehmer U hat im Jahr 2013 ein zu versteuerndes Einkommen von 85.000 €. Darin enthalten ist ein Veräußerungsgewinn von 40.000 €. Die Freibetragsregelung des § 16 EStG wird nicht berücksichtigt. Bei Anwendung der Fünftelungsregelung im Jahr 2013 ergibt sich folgende bescheidene Steuerentlastung: Normalregelung Einkommen (1) Laufendes zu versteuerndes Einkommen
10.846 (1)
Rechnerisches Einkommen (Euro)
Rechnerischer Hochgerechneter Steuerbetrag Steuerbetrag (Euro) (Euro)
45.000
10.846 (1)
10.846 (1)
(2) Veräußerungsgewinn 40.000
16.658 (3) 1/5 = 8.000
3.218 (3)
x 5 = 16.090 (2)
(3) Gesamteinkommen
85.000
27.504 (2)
14.064 (2)
26.936 (3)
(4) Steuerermäßigung
–
Abb. 10.69:
45.000
Steuerbetrag
Progressionsminderungsregelung
–
53.000 –
–
568
Progressionsmilderung durch Fünftelungsregelung (ESt-Tarif 2013)
Die Frage, welche Steuerentlastung gegebenenfalls mit der Fünftelungsregelung erreichbar ist, lässt sich unter Vernachlässigung der Freibetragsregelung gemäß § 16 EStG an einem vereinfachten Beispiel veranschaulichen: Beispiel 16: Betriebsveräußerung Geplant sei die Veräußerung eines Gewerbebetriebs zum Jahresende. Der Veräußerungsgewinn betrage 300.000 €. (1) Veräußerungsgewinn mit weiteren Einkünfte von 250.730 € Durch die weiteren Einkünfte in Höhe von 250.730 € ist die gesamte Progressionszone des Tarifs bereits voll ausgeschöpft. Aus der Fünftelungsregelung folgt somit keine Steuerentlastung. (2) Veräußerungsgewinn mit weiteren Einkünfte von 80.730 € Durch die weiteren Einkünfte von 80.730 € sind die Nullzone sowie die untere und obere Progressionszone des Tarifs überschritten. Aus der Fünftelungsregelung ergeben sich aus diesem Tarifbereich somit keine Entlastungswirkungen. Eine Entlastung im Vergleich zur „Reichensteuer“-Proportionalzone ergibt sich jedoch solange, wie die weiteren Einkünfte 250.731 € nicht überschreiten. Im Beispiel beträgt die Entlastungswirkung aus der Vermeidung der „Reichensteuer“-Proportionalzone 3.900 € (= 130.000 ● 3 %).
630
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Grenzsteuersatz
50,00% 45,00% 40,00% 35,00% 30,00% 25,00%
1/5 der Steuerlast
20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00% 20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
220
240
260
280
300
320
340
360
380
Bruttogewinn (T€)
Abb. 10.70:
Progressionsmilderung der „Fünftelungs“-Regelung (2013) – mit weiteren Einkünften von 80.400 € –
(3) Veräußerungsgewinn ohne weitere Einkünfte Liegen im Jahr der Veräußerung keine weiteren Einkünfte vor, ergibt sich infolge des progressiven Tarifs aus der Nullzone sowie der unteren und oberen Progressionszone eine Entlastung von 8.196 €. Durch die Anwendung der Fünftelungsregelung wird diese Progressionsentlastung verfünffacht, d. h. die Fünftelungsregelung führt zu einer zusätzlichen vierfachen Progressionsentlastung von 32.784 € (= 4 x 8.196) in diesem Tarifbereich. Hinzu kommt die Vermeidung der „Reichensteuer“-Proportionalzone. Im Beispielfall beträgt die Entlastungswirkung aus der Vermeidung der „Reichensteuer“-Proportionalzone 1.478,10 € (= 49.270 x 3 %). Insgesamt ergibt sich somit eine Entlastung aus der Fünftelungsregelung von (32.784 + 1.478,10 =) 34.262,10 €. Grenzsteuersatz
50,00% 45,00% 40,00% 35,00% 30,00% 25,00%
1/5 der Steuerlast
20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00% 20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
220
240
260
280
300
320
340
360
380
Bruttogewinn (T€)
Abb. 10.71:
Progressionsmilderung der „Fünftelungs“-Regelung (2013) – ohne weitere Einkünfte –
10.1 Grundlagen der Besteuerung
631
(4) Veräußerungsgewinn von 1.253.650 € und keine weiteren Einkünfte Die maximale Entlastungswirkung ist ohne weitere Einkünfte bei einem Veräußerungsgewinn von ca. 1,25 Mio € erreicht. Höhere Veräußerungsgewinne führen zu keinen weiteren Progressionsvorteilen mehr. Die maximale Entlastungswirkung beträgt 62.872 € (= 4 x 15.718 €). Grenzsteuersatz
50,00% 45,00% 40,00% 35,00% 30,00% 25,00%
1/5 der Steuerlast
20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00% 125
250
375
500
625
750
875
1000
1125
1250 Bruttogewinn (T€)
Abb. 10.72:
Progressionsmilderung der „Fünftelungs“-Regelung (2013) – ohne weitere Einkünfte – maximale Entlastung
Die wesentlichen Aspekte der Fünftelungsregelung bei besonderen betrieblichen Veräußerungsgewinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Ziel der Fünftelungsregelung Milderung der Progressionslast, die sich bei einem progressiven Tarif bei geballter Auflösung stiller Reserven im Rahmen einer (Teil)Betriebsveräußerung ergibt (2) Verfahrensschritte a) Ermittlung der Steuerlast auf das Normaleinkommen b) Ermittlung der Steuerlast auf das Normaleinkommen zuzüglich eines Fünftels des Veräußerungsgewinns c) Ermittlung der auf das Fünftel des Veräußerungsgewinns entfallenden Steuerlast durch Bildung der Steuerlastdifferenz d) Ermittlung der Steuerlast auf den Veräußerungsgewinn durch Verfünffachung der auf ein Fünftel des Veräußerungsgewinns entfallenden Steuerlast e) Addition der Steuerlast auf das Normaleinkommen und der rechnerischen Steuerlast auf den Veräußerungsgewinn (3) Entlastungswirkungen Die Fünftelungsregelung hat eine progressionsbedingt steuermindernde Wirkung nur, soweit das rechnerische Fünftel des Veräußerungsgewinns zumindest teilweise in die Progressionszone fällt.
632
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(4) Gestaltungsempfehlungen Vor diesem Hintergrund muss angestrebt werden, den Veräußerungsgewinn möglichst in einem Jahr zu erzielen, in dem das Normaleinkommen gering ist. Zu erreichen ist dies bisweilen durch folgende Maßnahmen: a) Verlagerung des Veräußerungsgewinns in die „postaktive Phase“, wenn dort geringes Normaleinkommen zu erwarten ist b) Senkung des Normaleinkommens (maximal bis Null!) durch Vorverlagerung von Aufwand oder Nachverlagerung von Ertrag c) In einem bestimmten Progressionsbereich kann es sich sogar empfehlen, steuerlich anerkannte Ausgaben ohne Hoffnung auf künftige Einzahlungserwartungen zu tätigen 10.1.2.5.3.3 Einmalig gewährte Sonderregelung „reduzierter Durchschnittssteuersatz“ ab 01.01.2001 Eine neuerliche Gesetzesänderung für besondere betriebliche Veräußerungsgewinne erfolgte zum 01.01.2001: Regelbegünstigung bleibt die sog. „Fünftelungsregelung“. Neu eingeführt wurde eine modifizierte Version des halben durchschnittlichen Steuersatzes. Unmittelbar vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrats am 14. Juli 2000 zur Verabschiedung der Neuordnung des Körperschaftsteuersystems im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes 2000 wurde als „Morgengabe für die B-Länder“ – verpackt als „Mittelstandskomponente“ – die immer wieder geforderte Regelung des halben durchschnittlichen Steuersatzes für besondere Veräußerungsgewinne mit gewissen Modifikationen zur Missbrauchsvermeidung unter bestimmten Bedingungen wieder eingeführt. Unter bestimmten Voraussetzungen (Vollendung des 55. Lebensjahrs oder dauernde Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) kann statt der Fünftelungsregelung einmalig und bis maximal 5 Mio € die Freibetragsregelung des § 16 Abs. 4 EStG und die Regelung des „halben durchschnittlichen Steuersatzes“ nach § 34 Abs. 3 EStG gewählt werden. Seit dem 01.01.2004 müssen die besonderen betrieblichen Veräußerungsgewinne statt bisher zur Hälfte nunmehr zu 56% des durchschnittlichen Steuersatzes besteuert werden. Beispiel 17: Steuerbegünstigung 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes Führt man obiges Beispiel fort, dann ergibt sich für die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersatzes im Jahr 2013 folgende Veräußerungsgewinnbesteuerung: Einkommen Lfd. zu versteuerndes Einkommen Veräußerungsgewinn volle Besteuerung 56 %-ige -liche Besteuerung Gesamteinkommen Nebenrechnung:
s =
27.504 85.000
45.000 40.000
85.000
Steuerschuld 2013 (1) 10.846 (1)
Steuerschuld 2013 (2) 10.846 (1)
SteuerErmäßigung –
16.658 (3) –
– 7.248 (2)
– 9.410
27.504 (2)
18.094 (3)
9.410
32,357 %
0,56 · s = 18,12028 % Abb. 10.73:
Begünstigte Veräußerungsgewinnbesteuerung I (Tarif 2013)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
633
Steuerlast (T€) 52.882 €
13.470 €
50 45 40 35 30 25 20
8.196 €
15 10 5 0
8.130 € 10
20
30
40
50
60
70
80
90
zu versteuerndes Einkommen (T€) Steuerlast ESt-Tarif 2013
Abb. 10.74:
Steuerlast linearer Tarif 42% (ohne Grundfreibetrag)
Steuerlastkurve
Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Begünstigungsregelung wird vor allem bei höheren betrieblichen Veräußerungsgewinnen deutlich. Einkommen
Steuerschuld 2013 (1)
Steuerschuld 2013 (2)
SteuerErmäßigung
Lfd. zu versteuerndes Einkommen Veräußerungsgewinn volle Besteuerung 56 %-ige -liche Besteuerung
100.000 5.000.000
33.804 (1)
33.804 (1)
-
2.245.478 (3) -
1.251.371 (2)
994.107
Gesamteinkommen
5.100.000
2.279.282 (2)
1.285.174 (3)
994.107
Nebenrechnung:
Abb. 10.75:
10.1.2.5.4
2.279.282
44,69180 % 5.100.000 0,56 · s = 25,02741 %
s =
Begünstigte Veräußerungsgewinnbesteuerung II (Tarif 2013)
Private Veräußerungsgewinne
Eine steuerliche Sonderbehandlung erfahren im privaten Erwerbsbereich erzielten Erfolge, wenn sie bei Veräußerungen von Privatvermögen innerhalb sog. Spekulationsfristen erzielt werden. Im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 traten für solche Veräußerungsgeschäfte nach dem 31.12.1998 gravierende Änderungen im Vergleich zur vorherigen Rechtslage ein:
Ersatz des Begriffs „Spekulationsgeschäft“ durch den Begriff „privaten Veräußerungsgeschäft“, erhebliche Verlängerung der Steuer auslösenden Fristen,
634
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift und Veränderung der Verlustberücksichtigung.
Eine Übergangsregelung wurde nicht geschaffen. Demnach waren nach geltender, umstrittener Rechtslage zunächst auch Veräußerungen betroffen, für die nach der alten Regelung die Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Von der Vorschrift des § 23 EStG erfasst werden nunmehr
Grundstücke und Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, bei denen Anschaffung und Veräußerung innerhalb von 10 Jahren erfolgen (bis 1998: 2 Jahre), Wertpapiere, bei einem Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung von nicht mehr als einem Jahr (bis 1998: sechs Monate), Wirtschaftsgüter, bei denen der die Veräußerung früher erfolgt als der Erwerb, sowie (neu eingefügt) Termingeschäfte einschließlich Zertifikate und Optionsscheine bei Erwerb des Rechts auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung nicht größer als ein Jahr ist. Für private Veräußerungsgewinne existiert eine Freigrenze von 600 €. Führen private Veräußerungsgeschäfte zu Verlusten, so dürfen diese im Entstehungsjahr nur mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften desselben Jahres ausgeglichen werden. Darüber hinaus können sie nur entsprechende positive Einkünfte mindern, die in den unmittelbar vorangegangenen und in (allen) folgenden Veranlagungszeiträumen bezogen werden. Ob die Einschränkung der Verlustkompensation für private Veräußerungsgewinne überhaupt und nach der erheblichen Ausweitung der steuerrelevanten Fristen verfassungsrechtlich noch weiterhin Bestand haben kann, erschien von Anfang an ernstlich zweifelhaft. Aufgrund des Fehlens von Übergangsregelungen im zeitlichen Anwendungsbereich der Gesetzesneufassung entfalten die Neuregelungen des § 23 EStG eine sog. Rückwirkung. Dies gilt einerseits für alle privaten Veräußerungsgeschäfte, für die nach der alten Regelung die Spekulationsfrist bereits abgelaufen war, andererseits aber auch für Wertsteigerungen, die vor dem 01.01.1999 eingetreten sind und nach altem Recht nicht der Besteuerung unterlagen. Am 7. Juli 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht:
Bei Grundstücksverkäufen, bei denen die alte Frist von zwei Jahren bis zum Verkündungstermin des Gesetzes 1999 abgelaufen war, dürfen nur die Wertsteigerungen ab diesem Termin steuerlich erfasst werden (BVerfG Beschluss v. 7.7.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04 und 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011 S. 76). Gleiches gilt auch für Friständerungen bei Kapitaleinkünften, wonach bei Beteiligungsquoten von 10% bis 25% die bis 31. März 1999 entstandenen Wertzuwächse grundsätzlich unbesteuert bleiben (BVerfG Beschluss v. 7.7.2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011 S. 86)!
10.1.2.5.5
Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen des Privatvermögens
Steuerpflichtig sind auch Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften bei bestimmter – früher „wesentlicher“ – Beteiligung. Die Beteiligungshöhe, ab der eine Beteiligung als wesentlich galt, wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zum 01.01.1999 von 25% auf 10% gesenkt.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
635
Zum 01.01.2001 wurde die Grenze weiter auf 1 % gesenkt. Folgerichtig wird seither meist auf das Adjektiv „wesentlich“ verzichtet. Erfolgt die Veräußerung derartiger Beteiligungen innerhalb der „Spekulationsfrist“, wird der Veräußerungsvorgang als privater Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 2 S. 2 EStG besteuert. Die steuerliche Erfassung als privates Veräußerungsgeschäft iSd § 23 EStG hat damit – entgegen der früheren Regelung! – Vorrang vor der Erfassung als Beteiligungsgewinn iSd § 17 EStG. Einen Eindruck vom im Zeitablauf ständig zugenommenen „steuerliche Druck“ auf die Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne aus Wertpapieren vermittelt folgende Abbildung:
Beteiligungshöhe größer gleich 25 %
bis VZ 1998 steuerpflichtig
Besteuerungssituation VZ 1999–2000 ab VZ 2001–2008 steuerpflichtig
größer gleich 10 %
steuerpflichtig
größer gleich 1 % unter 1% Abb. 10.76:
steuerfrei
steuerfrei
steuerfrei
ab VZ 2009 steuerpflichtig (Teileinkünfteverfahren) steuerpflichtig (Abgeltungsteuer)
Entwicklung der Besteuerung „wesentlicher Beteiligungen“ an Kapitalgesellschaften
Ab dem VZ 2009 sind Erfolge aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen generell steuerpflichtig. Eine Steuerfreiheit in Abhängigkeit von speziellen Veräußerungsfristen, wie für Beteiligungserwerbe vor dem 31.12.2008, gibt es für Neuerwerbe ab dem 1.1.2009 nicht mehr. Veräußerung von Kapitalgesellschafts-Beteiligungen des Privatvermögens
- Unmittelbare oder mittelbare - Beteiligung = 1% - innerhalb der letzten fünf Jahre
Sonstige Anteile
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
Einkünfte aus Kapitalvermögen
Teileinkünftebesteuerung gemäß § 17 EStG
Abgeltungssteuer
- Veranlagung - Teilabzug der Kosten - keine (zusätzliche) - Verlustverrechnungsbeschränkung
- grds. keine Veranlagung, - aber Veranlagungsoptionen - Nichtabzug der Kosten - Beschränkung der Verlustverrechnung
Abb. 10.77:
Veräußerung privater Anteile an Kapitalgesellschaften
636
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.6
Verlustkompensation im Ertragsteuerrecht
10.1.2.6.1
Verluste
„Verluste“ sind das Pendant zu „Gewinnen“. Es besteht daher grundsätzlich kein Anlass, positive und negative Erfolge im Rahmen einer Erfolgsbesteuerung ungleich zu behandeln. Eine Gleichbehandlung ist umso mehr geboten, als eine Ungleichbehandlung „unsichere und schwankende Einkommen“ über den Progressionsnachteil hinaus gegenüber „sicherem Einkommen“ diskriminieren würde. Verluste können sehr unterschiedliche Ursachen haben:
Abb. 10.78:
Verlustursachen
Es ist zweckmäßig, echte und unechte Verluste zu unterscheiden. Dabei gilt:
Echte Verluste sind dadurch gekennzeichnet, dass einer Ausgabe später keine oder nur geringere Einnahmen nachfolgen. Nutzlose Ausgaben sind unbedingt zu vermeiden, sie führen – selbst im Falle ihrer steuerlichen Anerkennung – stets zu einer Minderung der finanziellen Vermögensposition. Im „trockenen Teersand zu bohren“, kann keinen Gewinn bringen, auch wenn Dies gelegentlich behauptet wird. Zu den echten Verlusten zählen insbesondere die „weichen Kosten“ der Anbieter von sog. Steuersparmodellen. Unechte Verluste sind demgegenüber „nur“ buchmäßige (Anfangs)Verluste, denen kein Wertverzehr zugrunde liegt. Vielmehr folgen der Ausgabe spätere Einzahlungen, die im Grenzfall den Ausgaben gerade entsprechen oder sie im Regelfall aber (weit) übersteigen. Derartige „Nur-Buch-Verluste“ treten bei beschleunigten Abschreibungen oder bei Aktivierungsverboten für selbst hergestellte Filme auf. Unechte Verluste vermitteln zinslose Steuerkredite mit möglichen Nettozins- und Steuersatz-Effekten.
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.2.6.2
637
Grundformen der Verlustkompensation
Negative Einkünfte („Verluste“) werden im Rahmen der Einkommensbesteuerung in unterschiedlicher Weise berücksichtigt. Folgende Formen der Verlustberücksichtigung sind grundsätzlich zu unterscheiden: Verlustberücksichtigung
innerperiodischer Verlustausgleich (§ 2 III EStG)
interperiodischer Verlustabzug (§ 10d EStG)
horizontaler vertikaler Verlustausgleich Verlustausgleich • VZ 1999-2003 (vertikale) "Mindestbesteuerung" iHv 50 %
•
• • •
• •
Abb. 10.79:
besondere Verlustverrechnung
• Versagung der Verlustverrechnung bei Liebhaberei VerlustVerlust• Verlustverrechnung rücktrag vortrag bei Haftungsbeschränkung nur so weit, wie die Haftung reicht fakultativ • zwingend (§ 15a EStG (1980)) bis VZ 1998 • betraglich 2 Jahre/10 Mio DM unbegrenzt • Verlustkompensation ab VZ 1999 bei Modellen zur • zeitlich 1 Jahr/2 Mio DM Erzielung steuerlicher Vorteile unbegrenzt ab VZ 2001 nur mit Gewinnen 1 Jahr/1 Mio DM • ab VZ 2004 solcher Modelle (zeitlich ab VZ 2002 (§ 2b EStG (1999-2005)) horizontale) 1 Jahr/ • Verlustkompensation "Mindest511 .500 € bei Steuerstundungsmodellen besteuerung" ab VZ 2013 nur mit Gewinnen (iHv 40 %) 1 Jahr/ aus derselben Quelle 1 Mio € ("Verlusteinkapselung") (§ 15b EStG (ab 11.10.2005)) • Einschränkung der Verlustentstehung bei der EinnahmenÜberschussrechnung (ab 2006)
Schema der Verlustkompensation (VZ = Veranlagungszeitraum)
Neben dem innerperiodischen Verlustausgleich – zunächst in Form des horizontalen und daran anschließend des vertikalen Verlustausgleichs – kommt der interperiodische Verlustabzug in Form des Verlustrücktrags oder Verlustvortrags in Betracht. Daneben existieren mehrere Sonderregelungen zur Verlustverrechnung, die meist zur Bekämpfung der Verlustzuweisungsmodelle entwickelt wurden. Die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten wird seit Ende der 90er Jahre zunehmend eingeschränkt:
638
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Durch das „Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002“ wurden die innerperiodische und auch die interperiodische Verlustkompensation mit Wirkung zum 01.01.1999 neu geregelt und durch die Einführung der „vertikalen Mindestbesteuerung“ temporär (von 1999–2003) gravierend eingeschränkt. Zum 1.1.2003 sollte durch das „Steuervergünstigungsabbaugesetz 2003“ zusätzlich eine „horizontale interperiodische Mindestbesteuerung“ eingeführt werden. Dies unterblieb, weil das Gesetz im Bundesrat scheiterte. Ab 2004 wurde die 1999 eingeführte „vertikale Mindestbesteuerung“ wegen der vermuteten Verfassungswidrigkeit wieder abgeschafft. Stattdessen wurde eine „interperiodische Mindestbesteuerung beim Verlustvortrag“ neu eingeführt: Nach Überschreiten eines voll abzugsfähigen Sockelbetrags von 1 Mio € müssen mindestens 40% der nach Abzug des Sockelbetrags verbleibenden positiven Einkünfte der Besteuerung unterworfen werden.
10.1.2.6.3
Innerperiodischer Verlustausgleich
Aus der – grundsätzlich durchgeführten – synthetischen Einkommensermittlung, die von der in der Abrechnungsperiode (Kalenderjahr) erwirtschafteten Summe der (positiven und negativen) Einkünfte ausgeht, ergibt sich bei Vorhandensein positiver Einkünfte und dem Auftreten von Verlusten unmittelbar der sog. innerperiodische Verlustausgleich. Dies bedeutet, dass Verluste, die im Einkünfte-Erwerbsbereich anfallen, grundsätzlich ausgleichsfähig sind. Bei Vorhandensein von positiven Einkünften „neutralisieren“ ausgleichsfähige Verluste vorhandene positive Einkünfte und führen dadurch zu relativen Steuerentlastungen: Gewinn
Verlust
Ergebnis
(1)
Einkünfte vor Steuern
+ 100
− 30
+ 70
(2)
Steuern (s = 40 %)
− 40
+ 12
− 28
(3)
Einkünfte nach Steuern
+ 60
− 18
+ 42
Abb. 10.80:
Sofortiger Verlustausgleich
Bei Steuerentlastungen für Verluste ist allerdings stets zu bedenken: „Echte“ Verluste – d. h. Verluste ohne korrespondierende spätere Gewinne – machen immer ärmer und sind daher grundsätzlich nicht erstrebenswert!!! Bis Ende 1998 konnten negative und positive Einkünfte im Rahmen der synthetischen Einkünfteermittlung nicht nur horizontal in einer Einkunftsart, sondern auch vertikal über fast alle Einkunftsarten hinweg bis zur Höhe der positiven Einkünfte miteinander verrechnet werden. Im Zeitraum 1999–2003 war durch die Neufassung des § 2 Abs. 3 EStG im Steuerentlastungsgesetz ein vertikaler innerperiodischer Verlustausgleich nur beschränkt möglich. Wegen Zweifeln an der Verfassungswidrigkeit dieser vertikalen Mindestbesteuerung gilt seit dem 01.01.2004 wieder ein unbeschränkter vertikaler Verlustausgleich.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
639
Einkünfte aus Einzelobjekten
Einkunftsarten (1) LF (2) GewB (3) sA (4) nsA (5) KapV (6) VV (7) soE Summe der Einkünfte Abb. 10.81:
A
B
C
bis 1998 und ab 2004
1999–2003 vertikale Mindestbesteuerung
*
− 160.000 + 160.000 + 351.500
0 + 351.500
+ 200.000 − 500.000 − 51.500
− 351.500
horizontaler Verlustausgleich
+0
vertikaler Verlustausgleich
0 + 351.500 − 51.500 − 150.000
(− 150.000 Verlustabzug) + 150.000 Mindestbesteuerung
Innerperiodischer Verlustausgleich
Im Einzelnen ist beim innerperiodischen Verlustausgleich ab VZ 2004 wie folgt vorzugehen: (1) Negative Einkünfte sind zunächst ohne Beschränkungen innerhalb der einzelnen Einkunftsart zu berücksichtigen (= horizontaler Verlustausgleich). Ausnahmen vom innerperiodischen Verlustausgleich: a)
Negative Einkünfte werden steuerlich grundsätzlich berücksichtigt, wenn es sich um Einkünfte im steuerlichen Sinne handelt. Nicht zu berücksichtigen sind daher: Verluste aus steuerfreien Einnahmequellen (§ 3c EStG) und Verluste aus „Liebhaberei“. b) Bestimmte negative ausländische Einkünfte im Sinne von § 2 a Abs. 1, 2 EStG. Derartige Verluste dürfen nur mit ausländischen Einkünften derselben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden. Sie sind jedoch vortragsfähig. c) Verluste aus gewerblicher Tierhaltung (§ 15 Abs. 3 EStG) dürfen zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft nur innerhalb des nämlichen Betriebs oder mehrerer selbständiger Betriebe gleicher Art kompensiert werden. Sie sind rück- und vortragsfähig. d) Verluste aus gelegentlicher Leistung (§ 22 Nr. 3 EStG). Diese sind nur mit Gewinnen aus derselben Teileinkunftsart ausgleichsfähig. Sie sind rück- und vortragsfähig. e) Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften (früher: „Spekulationsgeschäften“, § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG). Diese dürfen inner- und interperiodisch nur mit privaten Veräußerungsgewinnen ausgeglichen werden. (2) Verluste, die nach Vornahme des horizontalen Verlustausgleichs bei einer Einkunftsart noch bestehen, können ab 2004 wieder – wie bis 1998 – unmittelbar und uneingeschränkt mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden (= vertikaler Verlustausgleich).
640
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Im Zeitraum 1999–2004 galt ein eingeschränkter vertikaler Verlustausgleich! Die vertikale Verlustkompensation über die Einkunftsarten hinweg folgte nach § 2 Abs. 3 EStG in der Neufassung folgendem Schema:
a) Nach Addition der positiven und negativen Einkünfte in einer Einkunftsart (horizontaler Verlustausgleich) war zunächst die Summe der positiven Einkünfte über die verschiedenen Einkunftsarten zu bestimmen. b) Negative Einkünfte bis zu einer Höhe von 51.500 € (100.000 DM) konnten sofort mit vorhandenen positiven Einkünften verrechnet werden. c) Nichtausgeglichene negative Einkünfte konnten nur noch bis zur Hälfte der verbleibenden positiven Einkünfte berücksichtigt werden. d) Die Minderung der positiven Einkünfte erfolgte dabei im Verhältnis der positiven Einkünfte der Einkunftsart zur Summe der positiven Einkünfte. e) Die Minderung der negativen Einkünfte erfolgte – falls 51.500 € überschritten wurden – im Verhältnis der negativen Einkünfte der Einkunftsart zur Summe der negativen Einkünfte. Die Regelung stellte eine Abkehr von der synthetischen Einkommensermittlung dar. Wirtschaftliche Konsequenz war zum einen eine Form der Schedulenbesteuerung. Zum anderen ergab sich durch den neuen § 2 Abs. 3 EStG eine Art Mindestbesteuerung, da unter Umständen positive Einkünfte besteuert werden mussten, obwohl noch nicht ausgeglichene Verluste bestanden. 10.1.2.6.4
Interperiodischer Verlustabzug
Zur Frage, ob bei Geltung des Abschnittprinzips ein interperiodischer Verlustausgleich nur als Billigkeitslösung („Gnade“) in Betracht kommt oder systematisch notwendig („Recht“) ist, bestehen unterschiedliche Standpunkte. Wurde in der Vergangenheit der interperiodische Verlustabzug überwiegend als Billigkeitsregelung gesehen, findet die Auffassung zunehmend Anhänger, wonach ein lebenszeitbezogenes Nettoprinzip zwangsläufig den Verlustabzug erzwingt. Die Entwicklung der Verlustberücksichtigung war bis 1995 folgerichtig durch eine konsequente Ausweitung der steuerlichen interperiodischen Verlustberücksichtigung gekennzeichnet. Das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2001 bedeutete insoweit eine Zäsur und Trendwende. Verluste gelten vielen politisch Verantwortlichen offenbar zunehmend als Angriff auf das Gemeinwohl, den es abzuwehren gilt. Auch der (interperiodische) Verlustabzug wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 erheblich eingeschränkt:
Seit 1999 sind sowohl der Verlustrücktrag als auch der Verlustvortrag nicht mehr wie eine Sonderausgabe anzusetzen. Vielmehr hat der Abzug laut Gesetzestext vorrangig vor den Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen zu erfolgen. Diese Regelung erscheint folgerichtig, hat aber zur Folge, dass unter Umständen andere Abzugsbeträge nicht genutzt werden können und damit „untergehen“. Der bisher zweijährige Verlustrücktrag ist ab VZ 2013 auf 1 Jahr und maximal 1 Mio € beschränkt (ab VZ 2002 Begrenzung auf 511.500 €, ab 2001 Begrenzung auf 1 Mio. DM, bis VZ 2000 noch 2 Mio DM).
10.1 Grundlagen der Besteuerung
641
Der Verlustvortrag war grundsätzlich weiterhin betraglich und zeitlich unbegrenzt möglich (§ 10d Abs. 2 EStG). Ab 2004 wurde für den Verlustvortrag eine interperiodische Mindestbesteuerung eingeführt. Abgemildert wurde diese Mindestbesteuerung durch einen berücksichtigungsfähigen Sockelbetrag von 1 Mio €. Danach verbleibende positive Einkünfte unterliegen einer Mindestbesteuerung in Höhe von 40%. Das Wahlrecht, auf einen Verlustrücktrag zugunsten eines Verlustvortrags zu verzichten, gilt weiterhin. Für die Anwendung des Verlustrücktrags und des Verlustvortrags gelten jedoch bestimmte Einschränkungen.
Beispiel 18: Verlustabzug Die fünf Freunde A, B, C, D und E haben in den Jahren 01–03 unterschiedlich hohe Einkünfte, erzielen aber im gesamten Zeitraum ein identisches positives Gesamteinkommen vor Steuern von 300. Lösungshinweise: Jahr
Steuerzahlungen (s = 40 %)
Σ Steuerzahlungen
Σ Nettoeinkommen
01
02
03
A
+ 100
+ 100
+ 100
- 40
- 40
- 40
- 120
+ 180
B
+ 50
+ 100
+ 150
- 20
- 40
- 60
- 120
+ 180
C
+ 300
- 900
+ 900
- 120
(- 360)
- 120
+ 180
C1
+ 300 (- 300)
- 120 (-600) (+ 120)
(- 120)
- 120
+ 180
C2
+ 300 (- 250)
- 120 (- 650) (+ 100)
(- 100)
- 120
+ 180
D
- 600
- 120
- 120
+ 180
- 360
- 60
E
+ 900
Abb. 10.82:
0
0
+ 900 (-600) - 600
(+ 360) -
0
0
- 360
0
(0)
Verlustabzug im deutschen Steuerrecht 2009
Zu beachten ist, dass bei schwankenden Einkommen und bei Auftreten von Verlusten bei progressiven Einkommensteuertarifen im Vergleich zu einem gleichmäßigen Einkommensverlauf über die Jahre auch erhebliche Progressionsnachteile auftreten können. Die Einführung der Mindestbesteuerung ab 2004 hat einschneidende Wirkungen: (1) Sie führt stets zu „zinslosen Zwangskrediten“ für den Fiskus und (2) sie verhindert in manchen Fällen sogar die steuerliche Geltendmachung von Verlusten überhaupt und führt damit zum Ausfall des Steuerentlastungspotentials.
642
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Beispiel 19: Mindestbesteuerung ab VZ 2004 Jahr
t1
t2
t4
+ 12
+6
+6
(1)
Jahresergebnis
(2)
Verlustvortrag
[− 12]
[− 4,4]
[− 0,4]
(3)
abzugsfähiger Sockelbetrag
(− 1)
(− 1)
(− 0,4)
(4)
um Sockelbetrag gemindertes Jahresergebnis
(+ 11)
(+ 5)
(+ 5,6)
(5)
Basis (Mindest)Besteuerung
(+ 4,4)
(+ 2)
(+ 5,6)
(6)
zusätzlicher Verlustabzug
(− 6,6)
(− 3)
(7)
Steuerzahlung (s = 50 %)
−2,2
−1
− 2,8
(8)
verbleibender Verlustvortrag
[− 4,4]
[− 0,4]
[0]
Abb. 10.83:
− 12
t3
[− 12]
Zeitlich horizontale Mindestbesteuerung (I) (ab Veranlagungszeitraum 2004 / Zahlen in Mio €)
Bei Unternehmen mit zyklischer Erfolgsentwicklung kann es dazu kommen, dass trotz hinreichend großer Gewinne im Rahmen eines Zyklus’ keine vollständige Valutierung der Verlustvorträge eintritt: Jahr (1)
Jahresergebnis
(2)
Verlustvortrag
(3)
abzugsfähiger Sockelbetrag
(4)
t1
t2
0
− 15
t3
t4
t5
t6
t7
+ 10
+5
+5
0
− 15
[− 8,6]
[− 5,2]
(− 1)
(− 1)
(− 1)
um Sockelbetrag gemindertes Jahresergebnis
(+ 9)
(+ 4)
(+ 4)
Basis Mindestbesteuerung (40 % von (4)
(+ 3,6)
(+ 1,6) (+1,6)
(5)
zusätzlicher Verlustabzug
(− 5,4)
(− 2,4)
(− 2,4)
(6)
Steuerzahlung (s = 50 %)
− 1,8
− 0,8
− 0,8
(7)
verbleibender Rest des Verlustvortrags
[− 5,2]
[− 1,8]
(5)
Abb. 10.84:
[− 15]
[− 15] [− 8,6]
Zeitlich horizontale Mindestbesteuerung (II) (ab Veranlagungszeitraum 2004 / Zahlen in Mio €)
[− 1,8] (0)
[− 16,8]
10.1 Grundlagen der Besteuerung Exkurs 4:
Abb. 10.85:
10.1.2.6.5
643
Verlustabzug international
Verlustverrechnung im internationalen Vergleich (Quelle: BDI Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Die Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland, Fakten für die politische Diskussion, 2011, S. 20)
Besondere Regelungen zur Verlustberücksichtigung
Vor allem zur Abwehr sog. Verlustzuweisungsmodelle wurden im Laufe der Zeit verschiedene Regelungen zur Einschränkung der Verlustberücksichtigung eingeführt (a) Verlustbegrenzung nach § 15a EStG auf die Höhe des Haftungsumfangs (1970) (b) Verlustbegrenzung nach § 2b EStG (1999) (c) Verlusteinkapselung nach § 15b EStG (2005)
644
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien (d) Einschränkung der Verlustentstehung im Rahmen der Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG (Wertpapierhebelfonds (2006))
(a) Verlustbegrenzung auf den Haftungsumfang (§ 15a EStG 1980) Getreu dem Motto „Verlustzurechnung nur, soweit die Haftung reicht“, können bei beschränkt haftenden Gesellschaftern Verluste über das haftende Kapital hinaus („negatives“ Kapitalkonto) (§ 15 a EStG) nur im Rahmen der nämlichen Tätigkeit mit künftigen Gewinnen/Überschüssen kompensiert werden. (b) Neue Verlustbegrenzung nach § 2b EStG gegen Steuersparmodelle (1999) Heftige Diskussionen löste der 1999 erstmals in das Gesetz zur gezielten Zurückdrängung sog Verlustzuweisungsgesellschaften eingefügte § 2b EStG aus. Der neue § 2b EStG beschränkte die Berücksichtigung negativer Einkünfte aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften und ähnlichen Modellen: „§ 2b Negative Einkünfte aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften und ähnlichen Modellen. 1 Negative Einkünfte auf Grund von Beteiligungen an Gesellschaften oder Gemeinschaften oder ähnlichen Modellen dürfen nicht mit anderen Einkünften ausgeglichen werden, wenn bei dem Erwerb oder der Begründung der Einkunftsquelle die Erzielung eines steuerlichen Vorteils im Vordergrund steht. 2Sie dürfen auch nicht nach § 10d abgezogen werden. 3Die Erzielung eines steuerlichen Vorteils steht insbesondere dann im Vordergrund, wenn nach dem Betriebskonzept der Gesellschaft oder Gemeinschaft oder des ähnlichen Modells die Rendite auf das einzusetzende Kapital nach Steuern mehr als das Doppelte dieser Rendite vor Steuern beträgt und ihre Betriebsführung überwiegend auf diesem Umstand beruht, oder wenn Kapitalanlegern Steuerminderungen durch Verlustzuweisungen in Aussicht gestellt werden. 4Die negativen Einkünfte mindern nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 die positiven Einkünfte, die der Steuerpflichtige in demselben Veranlagungszeitraum aus solchen Einkunftsquellen erzielt hat, und nach Maßgabe des § 10d die positiven Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus solchen Einkunftsquellen erzielt hat oder erzielt.“ Negative Einkünfte i. S. d. § 2b EStG sind sowohl im Rahmen des innerperiodischen Verlustausgleichs (§ 2 Abs. 3 EStG) als auch beim interperiodischen Verlustabzug (§ 10d EStG) nur mit positiven Einkünften aus derartigen Einkunftsquellen zu verrechnen. Kritik lösten in der Praxis vor allem die wenig spezifizierten Begriffe „Verlustzuweisungsgesellschaft“ und „ähnliche Modelle“ aus. Nach Ansicht vieler Steuerexperten liefern die in § 2b EStG genannten Kriterien zur Konkretisierung
die Nachsteuerrendite ist doppelt so hoch wie die Rendite vor Steuern und die Betriebsführung beruht überwiegend auf diesem Umstand sowie im Verkaufsprospekt wird mit Steuerminderungen geworben.
keine Anhaltspunkte für eine präzise Abgrenzung zwischen einer Verlustzuweisungsgesellschaft und ähnlichen Modellen im eigentlichen Sinne des § 2b EStG und anderen Gesellschaften. Auch entsprechende Verwaltungsregelungen haben diese Unklarheiten und Unsicherheiten nicht beseitigen können. Der Mythos der Abschreibungen scheint auch nach dem „berühmten“ Kapazitätserweiterungseffekt von Lohmann-Ruchti ungebrochen. Vielfach betont tragen Abschreibungen
10.1 Grundlagen der Besteuerung
645
zu sagenhaften steuerbedingten Renditesteigerungen bei. Dies hat den Gesetzgeber in der Vergangenheit zu vielfältigen Gesetzesänderungen – meist nur an den Symptomen kurierend, nicht an der Wurzel anpackend – veranlasst. Es erscheint daher geboten, einige grundlegende Klarstellungen zu diesem Phänomen vorzutragen: Im Regelfall verringert die Einführung einer Besteuerung die Rendite eines Anlageobjekts jeweils um den Steuersatz. Mit Einführung günstiger steuerlicher Regelungen (z. B. günstige Abschreibungen) verringert sich der Steuerkeil. Bei einer Sofortabschreibung im Investitionszeitpunkt verschwindet der Renditesteuerkeil vollständig und es wird wieder die Rendite vor Steuern erreicht:
Renditen vor und nach Steuern
Rendite vor Steuern
Abb. 10.86:
Rendite nach Steuern
Rendite nach Steuern mit günstigen Abschreibungen
"Günstige" Abschreibungen
Einfluss günstiger Abschreibungen auf Anlage-Renditen
Die steuerbedingten Renditesteigerungen haben schließlich offenbar auch der Gesetzgeber zu einer entsprechenden Gesetzgebungs-Initiative veranlasst, die in dem berüchtigten § 2b EStG mit zahlreichen Verwaltungsregelungen mündete. Ob diese gesetzliche „Meisterleistung“ aus mangelnder Sachkenntnis herrührt oder als bloße (beliebige) Abschreckungsregelung eingeführt wurde, bei der das Ziel „jedes Mittel heiligt“, kann offen bleiben. Festzuhalten ist jedenfalls: (1) Abschreibungen sind systematisch keine Begünstigungen, sondern ergeben sich zwingend aus dem Nettoprinzip und sind das buchtechnische Mittel zur Berücksichtigung des Wertverzehrs. Nach zeitlichem Anfall sind Sofortabschreibungen, laufende Nutzungsabschreibungen und Endabschreibungen zu unterscheiden. (2) Für die Renditewirkungen von Abschreibungen gilt: (a) Abschreibungen exakt in Höhe des Wertverzehrs (= der Kapitalfreisetzung) führen genau zu einer Renditeminderung um den Steuersatz. Dies bezeichnet man als „Renditesteuerkeil“: [rs = (1−s) · r] (b) Günstige Abschreibungen über die tatsächliche Wertminderung hinaus führen zu stillen Reserven und verringern den Renditesteuerkeil. Im Fall einer Sofortabschreibung verschwindet der Renditesteuerkeil vollständig.
646
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Rendite nach Steuern erreicht dann genau das Niveau der Rendite vor Steuern [rs = r]. (3) Werden die Rückflüsse aus Investitionen nicht vollständig besteuert, kann die Rendite nach Steuern sogar über die Rendite vor Steuern hinaus ansteigen. Dies kann in folgenden Fällen auftreten: (a) Der Steuersatz in der Rückflussphase ist wegen genereller Steuersatzsenkungen geringer als in der Investitionsphase. (b) Der individuelle Steuersatz in der Rückflussphase ist wegen geringerer individueller Einkommen niedriger als in der Investitionsphase. (c) Ein Gewinn bei Gesamtveräußerung des Investitionsobjekts unterliegt als besonderer betrieblicher Veräußerungsgewinn einer begünstigenden Besteuerung oder bleibt als privater Veräußerungsgewinn außerhalb bestimmter Fristen völlig steuerfrei. (4) Mit günstiger Fremdfinanzierung kann die Eigenkapitalrendite durch eine Erhöhung des Verschuldungsgrads gesteigert werden („leverage effect“), wenn die Fremdkapitalkosten nach Steuern unter der Objektrendite nach Steuern liegen. Beispiel 20: „Hypertrophe Nachsteuer-Rendite durch Abschreibungen?“ Kann es sein, dass die Rendite nach Steuern die Rendite vor Steuern um mehr als 100 % übersteigt? Die nachfolgenden Fallvarianten legen die Ursachen offen: Variante 1 Kauf Verkauf Erfolg (lfd.) Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Erfolg (lfd.) laufend einmalig StZ 50 % laufend einmalig Netto-ZR
t1 −100] − − −100] (0) [+100]
− − −100]
−2] − +102]
Variante 2 Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Erfolg laufend einmalig StZ 50 % laufend einmalig Netto-ZR
t1 −100] (−50) [+50]
t2 +104] (−50) [0]
− (−50)
(+4) (+50)
− +25) −75)
−2) −255 +77)
Abb. 10.87:
− −
t2 +100] 1++4] +104] (−100) [0]
Rendite
4%
(+4)
2% Rendite 4%
2,67 %
Wirkungen des Steuerstundungseffekts
Variante 3 Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Erfolg laufend einmalig StZ 50 % laufend einmalig Netto-ZR
t1 −100] (−100) [+0]
t2 +104] (0) [+0]
(0) (−100)
(+4) (+100)
− +50) −50)
−2 −50) +52)
Rendite 4%
4%
10.1 Grundlagen der Besteuerung
647
Variante 4 Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Erfolg laufend einmalig StZ 50 % in t1 45 % in t2 laufend einmalig Netto-ZR Abb. 10.88:
Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Kredit Kreditzins 6 % Erfolg laufend einmalig StZ 50 % laufend einmalig Netto-ZR
(1) (2)
Rendite 4%
(+4) (+100)
0 +50 −50
−1,8 −45,8 +57,2
t1 −100 (−100) [0] +45))
t2 +104 (0) [0] −45 −2,70
(0) (−100)
(+1,30) (+100)
0 +50 −5
−0,65 −50 +5,65
14,4 %
Variante 6 t1 t2 Rendite −100 +104 4% (0) (−100) [+100] [0] +45 −45 −2,70 ) 5 (0) (+1,30) (0) (0) 0 0 −55
−0,65 0 +55,65
1,18 %
Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Kredit Kreditzins 6 % Erfolg laufend einmalig StZ 50 % laufend einmalig Netto-ZR
Rendite 4%
13 %
Zusammenspiel von Steuerstundungseffekt und Rendite-Leverage-Effekt
Situation vor Erfolgsteuern Situation nach Erfolgsteuern (50 %) a) bei Wertverzehrsabschreibung b) bei Sofortabschreibung
Abb. 10.90:
(0) (−100)
t2 +104,5] (0) [0]
Zusammenspiel von Steuerstundungs- und Steuersatzeffekt
Variante 5
Abb. 10.89:
t1 − 100)] (−100)) [0]
Kapitalkosten
Rendite
6%
4%
Leverage-Folge für EK-Rendite negativ
3% 3%
2% 4%
negativ positiv (!)
Rendite leverage-Effekt – vor und nach Steuern
Zur Veranschaulichung des Steuersatz-Effekts der Variante 4 sei auf die von Seiten der Finanzverwaltung durchgeführte Modell-Prüfung zur Renditeermittlung nach § 2b EStG bei Beteiligung an Verlustzuweisungsmodellen hingewiesen:
648
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
1 Veranlagungszeitraum Summen 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Abb. 10.91:
2 3 4 Steuerlicher Steuerlicher Steuerliche Aufwand Ertrag Einkünfte (nur nachrichtlich) 107.700 120.000 12.300 101.400 −101.400 1.260 25.000 23.740 1.120 23.000 21.880 980 19.000 18.020 840 14.000 13.160 700 10.000 9.300 560 8.000 7.440 420 6.000 5.580 280 3.000 2.720 140 12.000 11.860
5 ESt Höchstsatz in v. H.
6 SolZ in v. H.
51,00 48,50 48,50 47,00 47,00 42,00 42,00 42,00 42,00 42,00
5,50 5,50 5,50 5,50 5,50 5,50 5,50 5,50 5,50 5,50
7 Ertragsteuerliche Auswirkung 594 −54.558 12.147 11.195 8.935 6.525 4.121 3.297 2.472 1.205 5.255
Finanzplan-Prüfung zur Renditeermittlung bei Verlustzuweisungsmodellen (BStBl. 2002 I S. 338–341, hier S. 340)
Die Wirkung des Rendite-Leverage-Effekts in Variante 6 kann durch die Separation der Investitions- und Finanzierungsebene noch deutlicher dargestellt werden: Variante 6* (1) (2) (3) (4)
(5) (6) (7) (8) (9) (10)
Objekt-ZR Abschreibung Buchwert Steuerzahlung 50 % • Abschreibung • Recapture • lfder Ertrag Objekt-ZR nach Steuern Finanzierungs-ZR Zins 6 % Steuerzahlung Finanzierungs-ZR nach Steuern Objekt- und Finanzierungs-ZR nach Steuern
Abb. 10.92:
t1
t2
−100 (−100) [0]
+104
Rendite/Kosten vor Steuern nach Steuern 4%
[0]
+50
+45
−50 −2 +52 −45 −2,70 +1,35 −46,35
−5
+5,65
−50 +45
4% 6% 3% 13 %
Renditesteigerung durch günstige Finanzierung
(c) Verlustbegrenzung nach § 15b EStG gegen Steuersparmodelle (2005) Eine weitere Verschärfung der Verlustzuweisungsmodelle wurde im Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen vom 22.12.2005 verfügt. Der entsprechende § 15 b EStG lautet: „§ 15b Verluste im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen. (1) Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell dürfen weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt. § 15a ist insoweit nicht anzuwenden.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
649
(2) Ein Steuerstundungsmodell im Sinne des Absatzes 1 liegt vor, wenn auf Grund einer modellhaften Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen. Dies ist der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen auf Grund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Investition Verlust mit übrigen Einkünften zu verrechnen. Dabei ist ohne Belang, auf welchen Vorschriften die negativen Einkünfte beruhen. (3) Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn innerhalb der Anfangsphase das Verhältnis der Summe der prognostizierten Verluste zur Höhe des gezeichneten und nach dem Konzept auch aufzubringenden Kapitals oder bei Einzelinvestoren des eingesetzten Eigenkapitals 10 vom Hundert übersteigt. (4) Der nach Absatz 1 nicht ausgleichsfähige Verlust ist jährlich gesondert festzustellen. Dabei ist von dem verrechenbaren Verlust des Vorjahres auszugehen. Der Feststellungsbescheid kann nur insoweit angegriffen werden, als der verrechenbare Verlust gegenüber dem verrechenbaren Verlust des Vorjahres sich verändert hat. Handelt es sich bei dem Steuerstundungsmodell um eine Gesellschaft oder Gemeinschaft im Sinne des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a der Abgabenordnung, ist das für die gesonderte und einheitliche Feststellung der einkommersteuerpflichtigen und körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte aus dem Steuerstundungsmodell zuständige Finanzamt für den Erlass des Feststellungsbescheids nach Satz 1 zuständig; anderenfalls ist das Betriebsfinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordung) zuständig. Handelt es sich bei dem Steuerstundungsmodell um eine Gesellschaft oder Gemeinschaft im Sinne des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a der Abgabenordnung, können die gesonderten Feststellungen nach Satz 1 mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung der einkommensteuerpflichtigen und körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte aus dem Steuerstundungsmodell verbunden werden; in diesen Fällen sind die gesonderten Feststellungen nach Satz 1 einheitlich durchzuführen.“ (d)
Einschränkung der Verlustentstehung bei der EinnahmenÜberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG (2006)
Bei der Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG sind Ausgaben zur Beschaffung von Vorratsgütern nach bisherigem Recht grundsätzlich steuerlich abzugsfähig. Diese Regelung war insoweit wenig problematisch, als bei dieser Gewinnermittlungsmethode die Beschaffung von sog. gewillkürtem Betriebsvermögen verboten war. So war es beispielsweise im „berühmten Zahnarztfall“ steuerlich nicht anerkannt, dass der Zahnarzt bei einem jährlichen Goldverbrauch von 50 Gramm sich einen Vorrat von 10 Kilogramm Gold anschaffen wollte. Durch ein schwer verständliches Urteil des Bundesfinanzhofs von 2003 wurde dieses Verbot der Bildung gewillkürten Betriebsvermögens für Einnahmen-Überschuss-Rechner (§ 4 Abs. 3 EStG) aufgehoben. Die Änderung der Rechtsprechung führte alsbald zur Errichtung von steuerlichen Verlustzuweisungsmodellen auf der Basis der Einnahmen-Überschussrechnung. Idee war dabei, vor Jahresende werthaltige und wertbeständige Gegenstände des Umlaufvermögens zu erwerben, die im Folgejahr wieder veräußert wurden. Besondere Bedeutung erlangten hierbei die so genannten „Wertpapierhebelfonds“, die nach Berechnungen der Bundesregierung für 2006 einen temporären Steuerausfall von 700 Mio. € erwarten ließen. Beispiel 21: Kauf und Verkauf von Vorratsgütern Kurz vor Jahresende 01 wird ein Unternehmen mit 100 Eigenkapital gegründet. Unmittelbar nach der Gründung wird ein Vorratsgut mit Beschaffungskosten von 100 angeschafft. Das Vor-
650
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
ratsgut wird am Anfang des Jahres 02 zu 105 wieder verkauft. Der Kapitalmarktzins beträgt i = 8 %, der Steuersatz sE = 40 %. Ermitteln Sie den steuerlichen Gewinnausweis in t1 und t2, wenn die Gewinnermittlung erfolgt (a) mittels einer Bilanz (§ 5 EStG) oder (b) mittels einer Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) Lösungshinweise: (a) Bei einer bilanziellen Gewinnermittlung nach § 5 EStG ist die Beschaffung des Vorrats in 01 erfolgsneutral, weil dem Kassenabgang von 100 ein Zugang Vorratsgut in gleicher Höhe von 100 gegenübersteht. Bei der Veräußerung in 02 zu 105 wird die Vorratsminderung von 100 als Wareneinsatz verrechnet, der Gewinn in 02 beträgt in t2 genau (105−100=)+5. Nach Steuern von 40 % ergibt sich ein Gewinn nach Steuern von 3.
Abb. 10.93:
Goldtransaktion bei bilanzieller Gewinnermittlung
(b) Im Rahmen der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG wirkt sich der Kauf des Vorratsguts in 01 als Verlust von – 100 in t1 aus, weil eine Aktivierung des Vorratsguts im Regelfall nicht zulässig ist. Der Verkauf in 02 führt dann wegen des Buchwerts des Vorratsguts von 0 zu einem Gewinn in t2 von 105. Per Saldo ergibt sich ein Gesamtgewinn über beide Perioden von 5.
Abb. 10.94:
Goldtransaktion bei Einnahmen-Überschuss-Rechnung
10.1 Grundlagen der Besteuerung
651
Diese Perspektive führte zu Überlegungen, den § 4 Abs. 3 EStG rückwirkend für das Jahr 2006 so zu ändern, dass derartigen Gestaltungen die Rechtsgrundlage entzogen würde. Ob die rückwirkende Steuerrechtsänderung einer Verfassungsbeschwerde Stand hält, ist kritisch zu beurteilen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 13.02.2006 (BT-Drs. 16/634 „Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Gestaltungen“) sah folgende Änderung und Erweiterung vor: 4 „Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sind erst im Zeitpunkt des Zuflusses des Veräußerungserlöses oder bei Entnahme im Entnahmezeitpunkt als Betriebsausgabe zu berücksichtigen; dies gilt auch für dem Umlaufvermögen zuzurechnende Anteile an Kapitalgesellschaften, Wertpapiere und vergleichbare nicht verbriefte Forderungen und Rechte, Grund und Boden, Gebäude und nicht verarbeitete Edelmetalle, die nicht zur Verarbeitung im eigenen Betrieb bestimmt sind.“ 5 Nach Satz 4 wird folgender Satz 5 eingefügt: „Satz 4 gilt entsprechend für den Erwerb von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, die zur Weiterveräußerung bestimmt sind, ohne dass sie körperlich an den Betrieb geliefert werden; die Einräumung eines Besitzkonstituts gilt nicht als Lieferung im Sinne dieser Vorschrift.“ [Gesetzes-Fassung für nach dem 5.5.2006 angeschaffte WG] 4 Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, für Anteile an Kapitalgesellschaften, für Wertpapiere und vergleichbare nicht verbriefte Forderungen und Rechte, für Grund und Boden sowie Gebäude des Umlaufvermögens sind erst im Zeitpunkt des Zuflusses des Veräußerungserlöses oder bei Entnahme im Zeitpunkt der Entnahme als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. 5 Die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens und Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens im Sinne des Satzes 4 sind unter Angabe des Tages der Anschaffung oder Herstellung und der Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder des an deren Stelle getretenen Werts in besondere, laufend zu führende Verzeichnisse aufzunehmen. Der kleine, aber feine Unterschied zwischen Gesetzentwurf und verabschiedeter Gesetzesfassung ist bemerkenswert. Dem Leser bleibt überlassen, welche Schlüsse er hieraus ziehen möchte – oder: „ein Schelm, der Böses dabei denkt“. Beispiel 22: Vorratsgoldfall (Gestaltungsansätze 4 III-Rechnung) Zahnarzt X möchte seine Steuerzahlung möglichst weit in die Zukunft verlagern und hörte von den Gestaltungsansätzen, die Vorratsgold (insbesondere unter Berücksichtigung von gewillkürtem Betriebsvermögen) bieten würde. Zur Vereinfachung liegen folgende Annahmen zugrunde: s = 50 %, i = 10 %, Zweiperiodenfall (* = Jahresanfang). Welche Möglichkeiten bietet die derzeitige Regelung des § 4 Abs. 3 EStG, um eine finanzielle Besserstellung von X zu erreichen?
652
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Lösungshinweise: 1. Fall (Referenz, kein Goldkauf) t1 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
./. = + =
Gewinn/Zins Gold BMG St50 % Netto Anlage Netto-ZR
t2*
+100 − (100) 50 +50 −50 0
t2 +5 − (5) 2,5 +2,5 +50 +52,50
2. Fall (Goldkauf, konstanter Wert, Verkauf in t1*) t1 (1) Gewinn/Zins (2) Gold (3) BMG (4) ./. St50 % (5) = Netto-ZR
t2*
+100 −100 (0) 0 0
t2 +100 − (100) 50 +50
3. Fall (Goldkauf, konstanter Wert, sofortiger Verkauf in t1) t1 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
./. = + =
Gewinn/Zins Gold BMG St50 % Netto Anlage Netto-ZR
+100 −100 (0) 0 0 0 0
t2* +100
−100 0
t2 +110 − (110) 55 +55 0 +55
4. Fall (Goldkauf wie 2. Fall, Goldpreis steigt um 5 %) t1 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
./. = + =
Gewinn/Zins Gold BMG St50 % Netto Anlage Netto-ZR
+100 −100 (0) 0 0 0 0
t2*
t2 +105 − (105) 52,50 +52,50 0 +52,50
Ergebnis: Mit der Goldkaufgestaltung lässt sich eine zinslose Steuerstundung erreichen. Dies aber ist keinesfalls die Garantie für die Verbesserung der Vermögensposition. Zur Verbesserung der Vermögensposition ist eine Mindestrendite notwendig, um die Opportunitätskosten (Nettoverzinsung des in Gold investierten Kapitals, wenn dieses alternativ am Kapitalmarkt angelegt werden würde) durch Goldinvestition auszugleichen.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
653
Ergänzend ist anzumerken, dass sich das beschriebene Steuerstundungsmodell zu einem „goldigen“ Steuersparmodell umgestalten lässt, wenn der deutsche Investor das Gold über eine ausländische Personengesellschaft erwirbt. Das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) weist dem ausländischen Staat (Belegenheitsstaat der Personengesellschaft) das Besteuerungsrecht für Unternehmensgewinne zu, Deutschland (Ansässigkeitsstaat des Investors) stellt diese Gewinne unter dem Progressionsvorbehalt von der Besteuerung frei. Erfolgt die Gewinnermittlung für die ausländischen Einkünfte Deutschland mit der EinnahmenÜberschussrechnung, im Ausland aber mittels einer Bilanz, ergibt sich bei Anwendung des Progressionsvorbehalts die steuerliche Auswirkung, das im Erwerbsjahr ein steuerlicher Verlust in Höhe des Kaufpreises entsteht, während der Gewinn im Veräußerungsjahr unter bestimmten Bedingungen nicht der Besteuerung unterliegt.1 10.1.2.7
Besteuerung von Altersrenten mit vor- oder nachgelagerter Besteuerung
10.1.2.7.1
Besteuerung von Altersrenten
(1) Die Zukunft der Renten ist derzeit stark in der Diskussion, unter anderem wird auch die Frage ihrer Besteuerung kontrovers diskutiert. Die verabschiedete Einbeziehung von 50 % der Renten in die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage wird von den einen als Raub am wohlverdienten Angesparten verschrien, von den anderen als angemessene Beteiligung zur Finanzierung der Staatsaufgaben qualifiziert. (2) Ausgehend davon, dass die derzeitigen Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in individueller Höhe während des Arbeitslebens erarbeitet werden – und keine soziale Absicherung in Höhe des Existenzminimums darstellen! –, stellt sich die Frage, welche Besteuerung für die vorgelagerte Anspar-Phase und die nachgelagerte Renten-Phase zweckmäßig ist. Denkbar sind im Wesentlichen zwei grundsätzliche Modelle:
(1)
Vorgelagerte Besteuerung
(2)
Modifizierte vorgelagerte Besteuerung
(3)
Nachgelagerte Besteuerung
Abb. 10.95:
1
Anspar-Phase Renten-Phase Besteuerung der Rentenbeiträge Nichtbesteuerung der Rückzahlung und Ansparzinsen des Rentenbeitragskapitals samt Ansparzinsen, Besteuerung der Rentenzinsen Nichtbesteuerung der RückzahlungBesteuerung des Rentenbeitragskapitals, der Rentenbeiträge, Besteuerung der Anspar- und Rennicht der Ansparzinsen tenzinsen Volle Besteuerung Nichtbesteuerung der Rentenzahlungen der Rentenbeiträge und Ansparzinsen
Grundtypen der Rentenbesteuerung unter Beachtung des intertemporalen Korrespondenzprinzips
Näheres bei Dornheim, Bertram, Die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften über den negativen Progressionsvorbehalt (sog. „Goldfälle“), Deutsches Steuerrecht 2012 S. 1581 ff mit Entgegnung von Schmidt, Lutz/Regner, Stefan, Zur steuerlichen Beurteilung sog. „Goldfälle“. Replik zum Aufsatz von Dornheim (DStR 2012, 1581), Deutsches Steuerrecht 2012, S. 2042 ff.
654 (a)
(b)
(c)
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Eine vorgelagerte Besteuerung unterwirft die Ansparleistungen während der AnsparPhase der Besteuerung. Korrespondierend wird in der Renten-Phase der bisher besteuerte Anteil nicht mehr besteuert, zu besteuern ist lediglich der bislang unbesteuert gebliebene Zinsanteil während der Rentenphase. Die nachgelagerte Besteuerung verzichtet demgegenüber auf eine Besteuerung der Anspar-Phase, das heißt, Rentenbeiträge werden zum Abzug von der Besteuerungsgrundlage zugelassen. Korrespondierend erfolgt in der Renten-Phase die volle Besteuerung der Renten insgesamt (der früheren Rentenbeiträge und der aufgelaufenen Zinsen). Die ökonomischen Wirkungen einer vor- und nachgelagerten Besteuerung lassen sich vereinfacht am Endwert eines Ansparvorgangs demonstrieren: Ansparphase
(1)
Vorgelagerte Besteuerung
100
5 5
100
100
t1 (2)
5,25 5,25 5,25 5 100
t2
t3
Nachgelagerte Besteuerung
22 20
20
200
200
200
t1
Abb. 10.96:
t0
t2
t3
Vor- und nachgelagerte Besteuerung von Altersvorsorgeleistungen im Grundmodell
Vorgelagerte Besteuerung Brutto Steuern Netto 1000 ./. 400 600
Nachgelagerte Besteuerung Brutto Steuern Netto 1.000 (./. 400) (600)
t10
959
2.159
./. 864
1.295
t20
1.532
4.661
./. 1.864
2.797
t30 Renditen
2.449 rs = 4,8%
10.063
./. 4.025
6.038 rs = 8%
Abb. 10.97:
Endwert einer Kapitalzahlung bei vor- und nachgelagerter Besteuerung (Anlagerendite vor Steuern 8 %, s = 40 %)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
655
(3) Die gegenwärtige Situation der Rentenbesteuerung ist (noch) dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedlichste Besteuerungsmodelle Anwendung finden: Für Beamtenpensionen und Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung gilt die nachgelagerte Besteuerung. Für das Ansparen eines Kapitalstocks etwa im Rahmen eines Bankguthabens gilt die vorgelagerte Besteuerung. Für Lebensversicherungen gilt im Prinzip eine vorgelagerte Besteuerung, allerdings mit der Besonderheit, dass Anspar- und Rentenzinsen steuerlich früher nicht oder derzeit nur zur Hälfte erfasst werden. Für die gesetzliche Rentenversicherung gilt schließlich, dass die Arbeitnehmerbeiträge grundsätzlich aus versteuertem Einkommen zu leisten sind, also steuerpflichtig sind, gleichwohl aber im Rahmen von Sonderausgaben partiell steuerlich abzugsfähig sind, während die Arbeitgeberbeiträge steuerfreie Einnahmen darstellen. Die entsprechenden Rückflüsse wurden bis 2004 mit dem Ertragsanteil (einem fiktiven Zinsanteil) steuerlich erfasst. Anspar-Phase
ArbeitnehmerAnteil
ArbeitnehmerAnteil: Steuerpflichtige Einnahmen, aber: beschränkter Abzug als Sonderausgaben (§ 10 EStG)
A
ArbeitgeberAnteil
Abb. 10.98:
ArbeitgeberAnteil: Steuerfreie Einnahmen (§ 3 Nr. 62 EStG)
Versorgungskapital
Renten-Phase Besteuerung des „Ertragsanteils“ (§ 22 EStG) bis VZ 2004 E
D
B
C
ab 2005 50 %-Besteuerung ab 2011 62 %-Besteuerung
Vereinfachte Schemadarstellung der Anwartschafts- und Auszahlungsphase der gesetzlichen Altersrente
(4) Im Rahmen einer Neuordnung der Rentenbesteuerung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist geregelt, dass der bisher völlig steuerfrei belassene Anteil des
656
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Arbeitgebers zur Finanzierung der Rentenleistungen im nachgelagerten Verfahren erfasst werden soll.
Abb. 10.99:
Neuordnung 2005 der Besteuerung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung
Diese Neuregelung erscheint in hohem Maße bedenklich, da es sich bei den steuerbefreiten Arbeitgeberanteilen gemäß § 3 Nr. 62 EStG explizit um „steuerfreie Einnahmen“ und damit um steuerfrei gebildetes Vermögen handelt, das durch die Rentenzahlungen letztlich nur rückgezahlt wird. Die Rückzahlung eigenen Vermögens kann aber schlechterdings nicht (nochmals) der Besteuerung unterliegen. Denkbar wäre allenfalls für künftige Zeiträume, dass diese Arbeitgeberbeiträge mit einer gesetzlichen Neuregelung nur „temporär“ steuerfrei gestellt werden und dann konsequent im nachgelagerten Verfahren der Besteuerung unterliegen. 10.1.2.7.2
Wirkungen einer vor- und nachgelagerten Besteuerung
Die steuerlichen Vermögenswirkungen einer vor- und nachgelagerten Besteuerung werden an einfachen Grundmodellen verdeutlicht: Beispiel 23: Vorgelagerte versus nachgelagerte Besteuerung – finanzielle Auswirkungen auf den Vermögensendwert einer Kapitalleistung Gegenübergestellt werden vier, steuerlich unterschiedlich behandelte Ansparformen mit einer einmaliger „Prämie“ für eine einmalige Kapitalleistung. Modellhaft wird von einem konstanten Marktzins von 10 % und einem persönlichen Einkommensteuersatz von 50 % und einem Abgeltungsteuersatz für Zinsen ausgegangen.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
./. = + − = − =
Bruttoentgelt Steuerzahlung Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital Zinsertrag Ertragsteuern Zwischenergebnis Anlagebetrag Endvermögen
Abb. 10.100:
./. = + − = − =
./. = + − = − =
./. = + − = − =
+1.000 +100 −50 +1.050 −1.050 0
t2
+1.050 +105 −52,5 +1.102,50 0 +1.102,50
t0* +2.000 −1.000 +1.000 +1.000
−1.000 0
t1
+1.000 (+100) 0 (1.100) (−1.100) 0
t2
+1.100 +110 −105 − − +1.105
t0* +2.000 −1.000 +1.000 +1.000 − − − −1.000 0
t1
+1.000 +100 − +1.100 −1.100 0
t2
+1.100 +110 −0 − − +1.210
Kapitallebensversicherung mit Zinsprivileg (Steuerfreiheit der Anlagezinsen)
Bruttoentgelt Steuerzahlung („Prämie“) Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital Zinsertrag Steuerzahlung (Zins) Zwischenergebnis Anlagebetrag Endvermögen
Abb. 10.103:
−1.000 0
t1
Endwert einer Zero-Bond-Anlage mit vorgelagerter Besteuerung des Kapitaleinsatzes und nachgelagerter Zinsbesteuerung
Bruttoentgelt Steuerzahlung Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital Zinsertrag Ertragsteuern Zwischenergebnis Anlagebetrag Endvermögen
Abb. 10.102:
t0* +2.000 −1.000 +1.000 +1.000 − −
Endwert einer Festgeldanlage mit konsequent vorgelagerter Einkommensbesteuerung
Bruttoentgelt Steuerzahlung Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital Zinsertrag Ertragsteuern Zwischenergebnis Anlagebetrag Endvermögen
Abb. 10.101:
657
t0* +2.000 0 +2.000 +2.000
−2.000 0
t1
+2.000 +200 0 +2.200 −2.200 0
Endwert einer Anlage mit konsequent nachgelagerter Einkommensbesteuerung
t2
+2.200 +220 −1.210 − − +1.210
658
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Endwert 2.220
Anlagebetrag
nachgelagerte Besteuerung (brutto)
2.000 nachgelagerte Besteuerung (netto) 1.210
Endbetrag mit steuerfreien Zinsen
1.105
Nullkupon-Anleihe
1.102,50
Normalanleihe
1.000 Zeit t t*0 Abb. 10.104:
t1
t2
Graphik mit Endwerten unterschiedlicher Anlagen
Beispiel 24: Vorgelagerte versus nachgelagerte Besteuerung – finanzielle Auswirkungen auf den Vermögensendwert einer Rentenleistung Gegenübergestellt werden wiederum vier, steuerlich unterschiedlich behandelte Ansparformen mit einmalige „Prämie“ zur Ansparung eines Kapitalbetrags für künftige Rentenleistungen. Modellhaft wird von einem konstanten Marktzins von 10% und einem persönlichen Einkommensteuersatz von 50% ausgegangen.
t 0* Bruttoentgelt ./. Steuerzahlung = Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital
t1
t2
t’2
t3
t4
+2.000 -1.000 +1.000 +1.000
+1.000
+1.050
+1.050
+1.102,50
+564,70
+ Zinsertrag (10 %)
-
+100
+105
+105
-110,25
+56,47
- Ertragsteuern (50 %)
-
-50
-55,13
-28,23
+1.102,50
+1.157,63
+592,93
-1.102,50
-564,70
0
+592,93
+592,93
= Zwischenergebnis - Anlagebetrag = Endvermögen/ Entnahmen Abb. 10.105:
+1.050 -1.000
-1.050
0
0
-52,5 +1.102,50 0 +1.102,50
-52,5
0
Rentenfestgeldanlage mit konsequent vorgelagerter Einkommensbesteuerung
10.1 Grundlagen der Besteuerung t 0* Bruttoentgelt
t1
-1.000
= Entgelt nach Steuern
+1.000 +1.000
+ Zinsertrag (10 %)
+1.000 (+100)
- Ertragsteuern (50 %) = Zwischenergebnis - Anlagebetrag
t’2
t3
+1.100
+1.100
+1.105
+110
+110
t4
+110,50
+565,98 +56,60
0
-105
-105
-55,25
-28,30
-1.100
+1.105
+1.105
+1.160,25
+594,28
-1.000
-1.100
0
-1.105
-565,98
-
0
0
+1.105
0
594,27
594,28
= Endvermögen/ Entnahmen Abb. 10.106:
t2
+2.000
./. Steuerzahlung verfügbares Kapital
659
Renten-Zero-Bond-Anlage mit vorgelagerter Besteuerung des Kapitaleinsatzes und nachgelagerter Zinsbesteuerung
t0* Bruttoentgelt ./. Steuerzahlung = Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital
t1
t2
t’2
t3
t4
+2.000 -1.000 +1.000 +1.000
+1.000
+1.100
+1.100
+1.210
+ Zinsertrag
-
+100
+110
+110
+121
- Ertragsteuern
-
-
-0
-0
-60,50
+30,99
+1.210
+1.210
+1.270,50
+650,75
-1.210
-619,76
-
0
+650,74
+650,75
= Zwischenergebnis - Anlagebetrag
-
+1.100
-1.000
-1.100
0
0
= Endvermögen/ Entnahmen Abb. 10.107:
-61,98
Rentenkapitallebensversicherung mit Anspar-Zinsprivileg (Steuerfreiheit der Anlagezinsen)
t0* Bruttoentgelt ./. Steuerzahlung („Prämie“) = Entgelt nach Steuern verfügbares Kapital
t1
t3
t4
+2.000 +2.000
= Zwischenergebnis = Endvermögen/ Entnahmen
t’2
0
- Steuerzahlung (Zins) - Anlagebetrag
t2
+2.000
+ Zinsertrag
Abb. 10.108:
+1.210
+619,76
+2.000
+2.200
+2.200
+2.420
+200
+220
+220
+242
+1.267,62
0
-1.210
-
-697,19
-697,19
126,76
+2.200
+1.210
+2.420
+1.964,81
+697,19
-2.000
-2.200
-
-2.420
-1.267,62
-
0
0
+1.210 0
+697,19
697,19
Rentenanlage mit konsequent nachgelagerter Einkommensbesteuerung
660
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.7.3
Betriebliche Altersversorgung
„Drei-Säulen-Modell“
Anders als das frühere „Drei-Säulen-Modell“ wird heute das Bild vom „Drei-SchichtenModell“ verwendet:
GRV (1. Säule)
Privatvorsorge (3. Säule)
bAV (2. Säule)
(falls Leistungen der bAV die Kriterien des § 10 EStG erfüllen (sog. Basis- oder Rürup-Renten) (Zusagen ab 2005)a)
„Kapitalanlageprodukte“ (3. Schicht) Kapitallebensversicherungen, Sparpläne, Leibrentenversicherungen, die die Kriterien des § 10 EStG nicht erfüllen. vorgelagert besteuert (Besteuerung von Renten i.H.d. Ertragsanteils i.S.d. § 22 Nr. 1 S. 3 lit. a) bb) EStG)
„Drei-Schichten-Modell“
„zusätzliche Versorgung“ (betrieblich/privat gefördert) (2. Schicht) bAV (arbeitgeber- & arbeitnehmerfinanziert) inkl. Eichel-Förderung (§ 3 Nr. 63 EStG) sowie Riester-Rente (§ 10a, Abschnitt XI EStG) Besteuerung Mischung aus nachgelagerter Besteuerung (Direkt- & Unterstützungs-kassenzusagen sowie versicherungsförmige Durchführungswege i.R.d. der Eichel-Förderung) und vorgelagerter Besteuerung, dann aber Zulagen respektive Sonderausgabenabzug i.R.d. Riester-Förderung möglich.
falls Leistungen der Privatvorsorge die Kriterien des § 10 EStG erfüllen (sog. Basis- oder Rürup-Renten)a)
„Basisversorgung“ (1. Schicht) GRV, berufsständische Versorgung, Leibrentenversicherungen i.S.d. § 10 EStG (sog. Basis- oder Rürup-Renten) Kohortenbesteuerung i.S.d. § 22 Nr. 1 S. 3 lit. a) aa) EStG
-
Übergang bis 2040 auf eine vollständig nachgelagerte Besteuerung; ab Rentenbeginn 2040 100 % steuerpflichtig. Abzugsfähigkeit der Beiträge allerdings auch nach Übergangsphase (bis 2025) auf 20.000 EUR p.a. begrenzt.
Abb. 10.109:
Vom 3-Säulen-Modell zum 3-Schichten-Modell der Altersvorsorge a) Die Kriterien des § 10 EStG für eine Basis- oder Rürup-Rente sind: – Leistung als monatliche lebenslange Rente, – Leistung nicht vor Vollendung des 60. oder 62. Lebensjahres, – Leistung nicht beleihbar, nicht vererblich, nicht übertragbar, nicht veräußerbar und nicht kapitalisierbar.
10.1 Grundlagen der Besteuerung Durchführungswege der BAV
Direktzusage
661
Unterstützungskasse
Pensionsfonds Pensionskasse
Direktversicherung
Kriterien (1) Restriktionen
Zusageart/ Leistungsform (2) Restriktionen
Finanzierungsquellen
(formal) ja/nein
(formal) ja/ nein
nein/ ja
nein/ nein
nein/ nein
keine Eigenbeiträge
keine Eigenbeiträge
nein
nein
nein
(3)
Art der Finanzierung
intern/extern i. d. R. (bisher) rein intern
extern
extern
extern
extern
(4)
Rechtsanspruch (direkt)
ja
nein
ja
ja
ja
(5)
Anlagevorschriften/ Überwachung BaFin
keine/ nein
keine/ nein
PFKapAV/ ja
AnlV/ ja
AnlV/ ja
ja
Ja
ja (allerdings reduzierte BBG)
nein
i. d. R. nein
einkommensteuerliche Behandlung beim Arbeitgeber
Bildung Rückstellung in Anwartschaftsphase (§ 6a EStG)
Beiträge grds. abzugsfähig aber strikt reglementiert (§ 4d EStG)
Beiträge grds. abzugsfähig
Beiträge grds. abzugsfähig
Beiträge grds. abzugsfähig
(§ 4c EStG)
(§ 4b EStG)
(8)
einkommensteuerliche Behandlung Arbeitnehmer
nachgelagert besteuert
nachgelagert besteuert
grds. vorgelagert besteuert
grds. vorgelagert besteuert
grds. vorgelagert besteuert
(9)
sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Arbeitnehmer
Anwartschaftsphase grds. beitragsfrei
Anwartschaftsphase grds. beitragsfrei
Anwartschaftsund Leistungsphase grds. beitragspflichtig
Anwartschaftsund Leistungsphase grds. beitragspflichtig
Anwartschaftsund Leistungsphase grds. beitragspflichtig
(6) PSVaG-Pflicht
(7)
Abb. 10.110:
(§ 4e EStG)
Charakteristika der Durchführungswege im Überblick
662
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.2.8
Einkommensverwendung
10.1.2.8.1
Abgrenzungsfragen zwischen den Sphären der Einkommenserzielung und der Einkommensverwendung
Ausgaben können im Bereich der Einkünfteerzielung und der Einkommensverwendung getätigt werden. Für ihre steuerliche Berücksichtigung gilt: (1) Ausgaben der Einkünfteerzielung (sog. Einkünfte-Erzielungsausgaben) sind grundsätzlich steuerlich abzugsfähig. Sie treten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten auf. Nur in Ausnahmefällen können derartige Erzielungsausgaben nicht oder nur z. T. steuerlich angesetzt werden. (2) Ausgaben der Einkommensverwendung (sog. Konsumausgaben) sind steuerrechtlich grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Nur im Ausnahmefall dürfen bestimmte Ausgaben der Einkommensverwendung – die sog. Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen – steuerlich abgesetzt werden. Aus dieser Sphärentrennung ergeben sich in der Praxis im Schnittbereich zwischen Einkommenserzielungs- und Einkommensverwendungssphäre zahlreiche Zuordnungskonflikte. Es gelten grundsätzlich folgende Regelungen: Steuerliche Behandlung AusgabenCharakter
Ausgaben zur Einkünfteerzielung
Ausgaben zur Einkünfteverwendung
Abb. 10.111:
Steuerliche Abzugsfähigkeit Grundsatz: Betriebsausgaben (Einkunftsarten (1)–(3)) (§ 4 IV EStG) Werbungskosten (Einkunftsarten (4)–(7)) (§ 9 I EStG) Ausnahme: Sonderausgaben (§ 10–10i EStG) – bei Vorsorgeaufwendungen und bestimmten anderen Sonderausgaben in beschränkter Höhe – partiell in unbeschränkter Höhe Außergewöhnliche Belastungen (§§ 33, 33a, 33c EStG) – als typisierte außergewöhnliche Belastung nach Kürzung um zumutbare Eigenbelastung – als nicht typisierte außergewöhnliche Belastung in beschränkter Höhe oder mit Pauschbeträgen
Steuerliche Nicht-Abzugsfähigkeit Ausnahmen: Nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (§§ 4 V, VI EStG) Schmiergelder, die strafrechtlich beachtlich sind Gelder ohne Empfängerangabe (§ 160 AO) Grundsatz: Kosten der privaten Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) Zuwendungen – freiwilliger Art – aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht – an Unterhaltsberechtigte und deren Ehegatten (§ 12 Nr. 2 EStG) Personensteuern und Umsatzsteuer auf den Eigenverbrauch (§ 12 Nr. 3 EStG) in einem Strafverfahren festgesetzte Geldstrafen (§ 12 Nr. 4 EStG) Aufwendungen für erstmalige Berufsausbildung oder für Erststudium (§ 12 Nr. 5 EStG)
Steuerliche Behandlung von Ausgaben der Einkünfteerzielung und Einkünfteverwendung
10.1 Grundlagen der Besteuerung
663
Die Trennung in die – steuerlich beachtliche – Sphäre der Einkommenserzielung und in die – im Grundsatz steuerlich unbeachtliche – Sphäre der Einkommensverwendung macht eine Zuordnung der mit dem Erwerb und der Nutzung von Vermögen zusammenhängenden Aufwendungen erforderlich. Dies gilt gleichermaßen für die Gewinn- als auch für die Überschuss-Einkunftsarten. Dabei ist zu beachten: (1) Ausschließlich betrieblich veranlasste Aufwendungen ohne Bezug zur privaten Lebensführung sind Betriebsausgaben oder Werbungskosten, sofern sie nicht mit steuerfreien Einnahmen zusammenhängen, Gläubiger oder Empfänger der Zahlungen benannt sind und kein ausdrückliches Abzugsverbot greift. (2) Ausschließlich privat veranlasste Aufwendungen sind weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten, sondern werden den nicht abzugsfähigen Kosten der privaten Lebensführung zugeordnet (§ 12 EStG). (3) Gemischt betrieblich und privat veranlasste Aufwendungen sind nach aktueller Rechtslage (vgl. BFH-Urteil v. 21.09.2009, GrS 1/06, BStBl. 2010 II S. 672; BMFSchreiben v. 06.07.2010, IV C 3 – S 2227/07/10003, BStBl. 2010 I S. 614) im Grundsatz – in einen privaten und einen betrieblichen Anteil aufzuteilen, sofern ein objektiver Aufteilungsmaßstab vorliegt (Verbot der Schätzung), – vollständig als betrieblich veranlasst anzuerkennen, wenn die Privatnutzung von weit untergeordneter Bedeutung ist. im Ausnahmefall in vollem Umfang als nicht abzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung zu behandeln. Nutzungsarten/Veranlassung der Aufwendungen betriebliche Nutzung/ Veranlassung
gemischte Nutzung/Veranlassung - betrieblich-privat -
Regel
Ausnahmen
Regel
Ausnahme
voll abzugsfähig
nicht/nur begrenzt abzugsfähig
anteilig abzugsfähig
nicht abzugsfähig
nur bedingt nicht ausschließlich mit steuerfreien Einnahmen abzugsfähige abzugsfähige betrieblich zusammenAusgaben Ausgaben veranlasste hängende ohne Ausgaben Ausgaben Empfängerangabe ohne Bezug zur (§ 3c EStG) (§ 160 AO) (§ 4 V EStG ) privaten Lebensführung (1) (2) (3) (4)
Abb. 10.112:
Aufteilung in betriebliche/ private Nutzung
Betriebliche/private Veranlassung von Aufwendungen
(5)
private Nutzung/ Veranlassung
nicht abzugsfähig
in vollem Kosten der Umfang privaten Kosten der Lebensführung privaten Lebensführung (§ 12 EStG) (7)
(8)
664
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Grenzziehung zwischen Erwerbs- und Privatsphäre gestaltet sich überaus schwierig und ist auf „harte“ Schnitte und Pauschalierungen nicht zu lösen. Wichtige Beispiele für gemischte Aufwendungen sind der nachstehenden Abbildung zu entnehmen: INLAND Erwerbssphäre
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
Aufwendungen im Grenzbereich Erwerbssphäre ⎯ Privatsphäre
private Konsumsphäre
• Geschenke • Bewirtung aus geschäftlichem Anlass • Unterhalt für Einrichtungen zur Bewirtung, Beherbergung oder Unterhaltung außerhalb des Betriebsorts • Unterhalt für Jagd oder Fischerei, für Yachten u.ä • Verpflegungsmehraufwand • Fahrten zwischen Wohnung und Betriebs-/Arbeitsstätte • doppelte Haushaltsführung • häusliches Arbeitszimmer • andere lebensführungsnahe Aufwendungen in angemessener Höhe z.B. - Repräsentation - Reisen - Fachkongresse - Kraftfahrzeughaltung • Geldbußen, Ordnungsgelder, Verwarnungsgelder • Zinsen auf hinterzogene Steuern • strafbewehrte Schmiergeldzahlungen
AUSLAND Abb. 10.113:
Schwierige Grenzziehung zwischen Erwerbs- und Privatsphäre
Die steuerlich nur begrenzt oder nicht abzugsfähigen Ausgaben werden für den Bereich der Betriebsausgaben insbesondere in § 4 Abs. 5, 6 EStG geregelt. Diese Vorschriften gelten sinngemäß auch für den Bereich der Werbungskosten, wobei in § 9 EStG TEILWEISE ersetzende Regelungen enthalten sind.
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.2.8.2
665
Sonderausgaben
Erwerbsausgaben sind gemäß dem Nettoprinzip grundsätzlich steuerlich abzugsfähig, Lebensführungskosten sind demgegenüber steuerlich grundsätzlich nicht berücksichtigungs-fähig. Eine Ausnahme bilden die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen, die voll oder beschränkt steuerlich abzugsfähig sind. Die Sonderausgaben lassen sich wie folgt systematisieren:
Abb. 10.114:
Systematik der Sonderausgaben a) Gegen die Nichtabzugsfähigkeit von Steuerberatungskosten waren mehrere Verfahren vor dem Bundesfinanzhof anhängig. Der BFH hat mit Urteilen vom 4.2.2010 (X R 10/08, BStBl. II S. 617), vom 16.2.2011 (X R 10/10), BFH-NV S. 977 und vom 17.10.2011 (VIII R 51/09), BFH-NV 213 S. 365) entschieden, dass die Nichtabziehbarkeit von privaten Steuerberatungskosten nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Mit einer Allgemeinverfügung vom 25. März 2013 wurden die entsprechenden Einsprüche und Änderungsanträge zurückgewiesen.
666
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Vorsorgeaufwendungen mit Vorsorgepauschale bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 10c II–IV EStG) Nachweisregelung mit Höchstbeträgen (§ 10 III EStG)
beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben Sonderausgaben im engeren Sinne
andere beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben mit individuellen Höchstbeträgen Sonderausgabenpauschbetrag (§ 10c I EStG)
unbeschränkt abzugsfähige Sonderausgaben
technisch als Sonderausgaben behandelte Abzugsbeträge
Abb. 10.115:
partiell unbegrenzte, partiell begrenzte Abzugsfähigkeit
Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Unfallund Haftpflichtversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 10 I Nr. 2a EStG) Beiträge zu bestimmten Lebensversicherungen (§ 10 I Nr. 2b EStG) Beiträge zu freiwilliger Pflegeversicherung (§ 10 I Nr. 2c EStG) 50 % der Bausparkassenbeiträge (bis VZ 1995) (§ 10 I Nr. 3 EStG) Unterhaltsleistungen im Rahmen des Realsplitting ab 2002 bis zu 13.805 € (vorher 27.000 DM) (§ 10 I Nr. 1 EStG) Aufwendungen für eigene Berufsausbildung ab 2002 bis zu 920 €/1.227€ (vorher 1800/2.400 DM) (§ 10 I Nr. 7 EStG) Aufwendungen für Haushaltshilfe bis zu 18.000 DM (§ 10 I Nr. 8 EStG)a) Ausgaben für mildtätige, kirchliche, religiöse, wissenschaftliche und gemeinnützige Zwecke bis zu 5 % des Gesamtbetrags der Einkünfte oder 2 ‰ der Summe aus Umsätzen sowie Löhnen und Gehältern (ggf. Erhöhung um weitere 5 %) (§ 10b I EStG) Mitgliedsbeiträge und Spenden an politische Parteien ab 2004 bis zu 1.600/3.200 € (§ 10b II EStG) auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten (§ 10 I Nr. 1a EStG) gezahlte Kirchensteuer (§ 10 I Nr. 4 EStG) Steuerzinsen nach §§ 233, 233a, 237 AO (§ 10 I Nr. 5 EStG)b) Steuerberatungskosten (§ 10 I Nr. 6 EStG) 30 % Privatschulgelder (§ 10 I Nr. 9 EStG) Verlustabzug (§ 10d EStG) Abzugsbeträge für eigen genutzte Wohnung gestaffelt mit Höchstbetrag (§ 10e EStG)c) Abzugsbeträge für zu Wohnzwecken genutzte Baudenkmale und Gebäude in Sanierungsgebieten (§ 10f EStG) Abzugsbeträge für schutzwürdige Kulturgüter (§ 10 g EStG) Abzugsbeträge für unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassene Wohnung im eigenen Haus (§ 10h EStG)d) Vorkostenabzug bei einer nach dem Eigenheimzulagengesetz begünstigten Wohnung (§ 10i EStG)e)
Sonderausgaben (§§ 10–10 g EStG) a) aufgehoben durch Gesetz v. 16.8.2001 mit Wirkung ab 1.1.2002. b) aufgehoben durch Gesetz v. 24.3.1999 mit Wirkung ab VZ 1999. c) zur letztmaligen Anwendung siehe § 52 Abs. 26 S. 6 EStG. d) zur letztmaligen Anwendung siehe § 52 Abs. 28 EStG. e) zur letztmaligen Anwendung siehe § 52 Abs. 29 EStG.
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.2.8.3
667
Privater Schuldzinsenabzug
Schuldzinsen können aus unterschiedlichen Anlässen entstehen: (1) Kreditfinanzierter Erwerb von betrieblichem Vermögen (z. B. Immobilien, Anlage) (2) Kreditfinanzierter Erwerb von privatem Erwerbsvermögen (Kapitalvermögen, Immobilien) (3) Kreditfinanzierter Erwerb der selbstgenutzten Wohnung (4) Kreditaufnahme für private (Einkommen)Steuerzahlungen (5) Kreditaufnahme zur Finanzierung einer privaten Weltreise Bis Ende 1973 waren Schuldzinsen in allen Fällen voll steuerlich abzugsfähig:
Schuldzinsen für Kredite im Erwerbsbereich waren bei der jeweiligen Einkunftsart steuerlich abzugsfähig, Schuldzinsen für private Konsumzwecke konnten als Sonderausgaben unbeschränkt abgesetzt werden. Ab dem Jahr 1974 wurde der Schuldzinsenabzug im Rahmen der Sonderausgaben beseitigt. Ziel dieser Abschaffung des Sonderausgabenabzugs war die Einschränkung der privaten Kreditaufnahme, um die überhitzte Konsumnachfrage zu dämpfen. Als in späteren Jahren die Konjunktur daniederlag, wurde das Abzugsverbot privater Schuldzinsen nicht wieder aufgehoben, sondern nunmehr systematisch damit begründet, dass private Ausgaben in der Einkommensverwendungssphäre grundsätzlich steuerlich nicht zu berücksichtigen seien. Folge dieser Regelung ist seitdem eine gravierende Ungleichbehandlung von Schuldzinsen im Erwerbs- und Konsumbereich. Relevant war und ist diese Problematik bei der Zahlung der „privaten“ Einkommensteuer und vor allem beim Erwerb des seit 1987 steuerlich als „Konsumgut“ behandelten selbstgenutzten Wohneigentums. Dies war für die Steuerpflichtigen zunehmend Anlass für Bemühungen, Schuldzinsen für den Erwerb des selbstgenutzten Eigenheims aus dem privaten Konsumbereich in den Erwerbsbereich zu verlagern.
Erwerbssphäre
Abb. 10.116:
Betriebliche Einkünfte (1–3) Private Einkünfte (4–7)
Konsumsphäre
Sphärentrennung für Schuldzinsen
Die Frage stellt sich: Können Schuldzinsen für einen privaten Geldbedarf für Konsumzwecke (z. B. Kauf einer selbstgenutzten Wohnung) als Schuldzinsen des Erwerbsbereichs gestaltet werden? In diesem Kontext muss auch Klarheit über den nicht bestehenden Zusammenhang von „Gewinn“ und „Liquidität“ hergestellt werden. Es wurden zahlreiche Modelle entwickelt mit dem Ziel, private Schuldzinsen steuerlich geltend machen zu können. Bewerkstelligt wurde dies durch die sog. Zwei- oder Mehrkontenmodelle.
668
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Zweikontenmodelle verfolgen das Ziel, die Kreditaufnahme in den Erwerbsbereich zu verlagern und damit die steuerliche Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen zu erreichen:
Steuerschädlich war es allerdings seit jeher, wenn ein im Erwerbsbereich aufgenommener Bankkredit unmittelbar nach dem Zugang ins Betriebsvermögen für Konsumzwecke ins Privatvermögen entnommen wurde. Steuerlich anerkannt war es, den Kredit zunächst für betriebliche Zwecke zu verwenden, die davon ausgelösten Rückflüsse aber nicht zur Kredittilgung einzusetzen, sondern auf ein separates Einnahmen-Bankkonto zu lenken und ggf. entstehende Ausgaben einem zweiten Ausgaben-Bankkonto zu belasten. Damit war es möglich, das Guthaben des Einzahlungskontos in vollem Umfang privat zu entnehmen und dort zur Finanzierung der privaten Konsumausgaben einzusetzen. Unabhängig davon wurden die Schulden des Ausgaben-Bankkontos und die entsprechenden Schuldzinsen im Erwerbsbereich weiterhin als erwerbsbedingt steuerlich anerkannt. Diese Zweikontenmodelle wurden vor allem von Finanzrichtern als grobe Ungleichbehandlung gebrandmarkt und führten zu Forderungen nach einer Regelung, die Gleichheit vor dem Steuerrecht sichern sollte. Im Jahr 1999 erfolgte mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 in § 4a EStG eine grundlegende gesetzliche Neuregelung. Diese Neuregelung erwies sich allerdings als völlig unpraktikabel und wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 22.12.1999 – mit Wirkung vom 1.1.1999! – in folgender Form neu gefasst: § 4 EStG Gewinnbegriff im Allgemeinen (4) Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. (4a) 1Schuldzinsen sind nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. 2Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. 3Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 vom Hundert der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieses Absatzes nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen. 4Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2050 Euro verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen. 5Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt unberührt. 6Die Sätze 1 bis 5 sind bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 sinngemäß anzuwenden; hierzu sind Entnahmen und Einlagen gesondert aufzuzeichnen. Mit der Neuregelung ist seit dem 1.1.1999 für die Zweikontenmodelle eine verschärfte Situation geschaffen worden, unzutreffend wäre es aber, von der Abschaffung dieser Modelle zu sprechen. Vielmehr ist seitdem für Entnahmen grundsätzlich eine zweistufige Prüfung vorzunehmen:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
669
(1) Es muss zunächst – wie bisher – dafür Sorge getragen werden, dass für die geplante Entnahme die entsprechenden liquiden Mittel bereitliegen („Liquiditätsbedingung“). Denn steuerunschädlich entnahmenfähig sind nur im Rahmen der Erwerbstätigkeit entstandene Barmittel (Kasse und Bankguthaben). Sofern die Entnahme zur Entstehung oder Erhöhung eines Kredits führt, ist dies nicht „durch den Betrieb veranlasst“ und daher steuerschädlich. (2) Sind „liquide Mittel“ vorhanden, so können diese in den betrieblichen Einkunftsarten (1) bis (3) nach der neuen Regelung nur dann steuerunschädlich entnommen werden, wenn ein entsprechend hoher Jahresgewinn erzielt wurde („Gewinnbedingung“). Entnahmen über den Jahresgewinn und Einlagen hinaus stellen als „Überentnahmen“ immer privat veranlasste Überentnahmen dar, die bei gegebenen Fremdschulden steuerlich zu nicht abzugsfähigen Schuldzinsen führen. (3) Gesetzgeberische Schlamperei oder Absicht (?) haben dazu geführt, dass im privaten Erwerbsbereich der Einkunftsarten (4–7) diese „Gewinnbedingung“ keine Geltung hat. Die gesetzliche „Gewinnbedingung“ greift begrifflich nur bei den Einkunftsarten (1–3), nicht aber bei den Einkunftsarten (4–7)! Bei Zwei- oder Mehrkontenmodellen etwa im Bereich der Vermietung und Verpachtung kann damit nach wie vor ein umsatzbedingter Guthabensaldo steuerlich unschädlich entnommen werden, unabhängig davon, ob ein steuerlicher Überschuss erzielt wurde. Die Überlegungen lassen sich in folgender Übersicht zusammenfassen:
Erwerbsbereich Betriebsvermögen (1 - 3)
privates Erwerbsvermögen (4 - 7)
„Liquiditätsbedingung“ 1. Prüfungsschritt
Sind für die Entnahme Barmittel vorhanden ja Entnahme steuerunschädlich, da sie nicht zur Entstehung/Erhöhung eines Kredits führt
2. Prüfungsschritt Abb. 10.117:
„Gewinnbedingung“ Gewinn und Einlagen sind Obergrenze für unschädliche Entnahmen
nein Entnahme steuerschädlich, da sie zur Entstehung/Erhöhung eines Kredits führt „Gewinnbedingung“ existiert nicht keine Entnahmebeschränkung
Zweistufiges Prüfungsschema für die steuerliche Anerkennung von besonderen Schuldzinsen
670
Abb. 10.118:
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Strategien zur Vermeidung nicht abzugsfähiger privater Schuldzinsen
10.1 Grundlagen der Besteuerung
671
Nach § 4 Abs. 4a Satz 3 EStG sind die betrieblich veranlassten Schuldzinsen pauschal mit 6 % der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen und abzüglich der Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre in nicht abziehbare Betriebsausgaben umzuqualifizieren. Der sich hierbei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um den Kürzungsbetrag von 2.050 € übersteigende Betrag der im Wirtschaftsjahr tatsächlich angefallenen Schuldzinsen, ist nach §4 Abs. 4a Satz 4 EStG dem Gewinn außerbilanziell hinzuzurechnen. Beispiel 25: Bestimmung des Gewinnhinzurechnungsbetrags (Quelle: von Sicherer, K., Einkommensteuer, 3. Aufl., München-Wien 2005, S. 74) In einem am 01.01.2004 eröffneten Betrieb sind im Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 2004 12.000 € Schuldzinsen angefallen. Im Wirtschaftsjahr 2004 ergeben sich folgende relevante Daten und Berechnungen: Gewinn
100.000 €
Einlagen
+120.000 €
Entnahmen
−320.000 €
Überentnahmen
−100.000 €
Berechnung des Gewinnhinzurechnungsbetrags: 100.000 € x 6 vH.
6.000 €
Berechnung des Höchstbetrags: Tatsächlich angefallene Schuldzinsen ./. Kürzungsbetrag verbleibende Zinsen (= Höchstbetrag) Abb. 10.119:
12.000 € 2.050 € 9.950 €
Ermittlung des Gewinnhinzurechnungsbetrags
In diesem Beispiel sind dem Gewinn außerbilanziell 6.000 € hinzuzurechnen, weil dieser Betrag den Höchstbetrag nicht übersteigt. 10.1.2.8.4
Außergewöhnliche Belastungen
Außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG sind zwangsweise auftretende Belastungen, die den Steuerpflichtigen gegenüber der Mehrzahl der Steuerpflichtigen übermäßig belasten. Unter Berücksichtigung einer zumutbaren Eigenbelastung wird daher die Möglichkeit eingeräumt, derartige außergewöhnliche Belastungen über den zumutbaren Eigenbehalt hinaus als Abzug von der Bemessungsgrundlage steuerlich zur Geltung zu bringen. Man unterscheidet: Nicht typisierte außergewöhnliche Belastungen Typisierte außergewöhnliche Belastungen Die zumutbare Eigenbelastung ist bei nicht typisierter außergewöhnlicher Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG nach Einkommen, Familienstand und Zahl der Kinder differenziert und reicht von 1 v. h. bis zu 7 v. h. des Gesamtbetrags der Einkünfte:
672
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Zumutbare Belastung bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte
1. bei Steuerpflichtigen, die keine Kinder haben und bei denen die Einkommensteuer a) nach § 32a Abs. 1, b) nach § 32a Abs. 5 oder 6 (Splitting-Verfahren) zu berechnen ist, 2. bei Steuerpflichtigen mit a) einem Kind oder zwei Kindern, b) drei oder mehr Kindern Abb. 10.120:
bis 15.340 €
über 51.130 €
(30 TDM)
über 15.340 € bis 51.130 € (30–100 TDM)
5
6
7
4
5
6
(100 TDM)
2 3 4 1 1 2 Prozent des Gesamtbetrags der Einkünfte
Zumutbare Belastung bei außergewöhnlichen Belastungen (§ 33 EStG)
Streit herrscht in der Frage, ob außergewöhnliche Belastungen steuerlich durch Abzug vom steuerlichen Einkommen oder durch eine pauschale Zulage (zB in Höhe von 30%) berücksichtigt werden sollen. Nehmen Sie unter Bezug auf die folgende Datentabelle begründet Stellung!
./. +
Markteinkommen außergewöhnliche Belastung steuerliches Einkommen Steuer (s = 50%) Steuergutschrift (30%) verfügbares Netto-Einkommen
Abb. 10.121:
A 100 − (100) − 50 − + 50
B1 100 − 80 (20) − 10 − + 10
B2 100 − 80 (100) − 50 + 24 −6
Markteinkommen versus disponibles Einkommen
10.1.2.9
Einkommensteuer-Veranlagung, Ehegattensplitting und Kinderleistungsausgleich
10.1.2.9.1
Überblick
Die ESt wird im Rahmen einer Steuerveranlagung festgesetzt. Die Veranlagung ist ein förmliches Verfahren, in dem die Besteuerungsgrundlagen ermittelt werden und die Steuerschuld im Steuerbescheid festgesetzt wird. Veranlagungszeitraum ist i. d. R. das Kalenderjahr. Lediglich bei Wegfall der Steuerpflicht oder Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht und umgekehrt während des Kalenderjahres ist eine unterjährige Veranlagung durchzuführen. Durch das Jahressteuergesetz 1996 wurde die Bundesregierung dazu ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen, die es ermöglicht, in Zukunft Steuererklärungen für zwei aufeinander folgende Kalenderjahre zusammen abzugeben (§ 149 Abs. 3 AO). Diese Regelung wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 22.12.1999 wieder aufgehoben. Über eine Dekade später wurde die Idee der mehrjährigen Veranlagung im Rahmen des
10.1 Grundlagen der Besteuerung
673
Steuervereinfachungsgesetzes 2011 erneut diskutiert. Nach Abwägen aller Vor- und Nachteile, hat man sich im Vermittlungsausschuss am 21.09.2011 auf den Verzicht der zweijährigen Steuererklärung verständigt. Derzeit bestehen mehrere Veranlagungsformen: Veranlagungsformen Ausnahme: Ehegattenbesteuerung , falls Voraussetzungen des § 26 I EStG erfüllt sind
Grundsatz: Individualbesteuerung
Wahlmöglichkeit
Einzelveranlagung nach § 25 EStG
bis VZ 2012: Getrennte Veranlagung nach § 26a EStG
Zusammen veranlagung („Ehegattensplitting“ ) nach § 26b EStG
bis VZ 2012: Besondere Veranlagung im Jahr der Eheschließung nach § 26c EStG
ab VZ 2013: Einzelveranlagung nach § 26a EStG Abb. 10.122:
Veranlagungsformen
Grundsätzlich gilt im Einkommensteuerrecht das Prinzip der Einzelveranlagung (Grundsatz der Individualbesteuerung). Veranlagungseinheit ist grundsätzlich die Einzelperson und nicht – wie bei der Vermögensteuer – die Familie. Die Einkommensteuer ergibt sich bei Einzelveranlagung aus der Einkommensteuer-Grundtabelle. 10.1.2.9.2
Ehegattensplitting
Eine wichtige Ausnahme bildet die Zulässigkeit der Ehegattenbesteuerung, bei der die Ehegatten unter der Voraussetzung des § 26 Abs. 1 EStG die Zusammenveranlagung wählen können („Ehegatten-Splitting“). Ehegatten werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, wenn beide unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben oder im Laufe des Veranlagungszeitraums eingetreten sind und keiner der Ehegatten die getrennte Veranlagung wählt. Beim Splitting-Verfahren wird die Einkommensteuer für die Hälfte des gemeinsam zu versteuernden Einkommens beider Ehegatten aus der Einkommensteuer-Grundtabelle abgelesen und der ermittelte Steuerbetrag sodann verdoppelt. Das Ehegatten-Splitting ist wieder einmal in der Diskussion. Die Grundeinstellung wird dabei von einer – zumeist nicht offen gelegten Ausgangswertung – beeinflusst. (1) Wer die Ehe als Unterhalts-Gemeinschaft betrachtet, wird das Ehegatten-Splitting als nicht zu begründende Steuersubvention vor allem für „Einverdiener-Ehen“ ansehen.
674
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(2) Wer die Ehe als Erwerbs-Gemeinschaft sieht, wird das Ehegatten-Splitting als konsequente Besteuerungsform ansehen. Das Ehegatten-Splitting beinhaltet die zweifache Gewährung der Grundfreibeträge und anderer Frei-/Pausch- und Höchstbeträge sowie die Streckung der direkten Progression. Die nach diesem Verfahren ermittelte Einkommensteuer ist in der Einkommensteuer-Splittingtabelle ausgewiesen. Die Behandlung der Veranlagungsgemeinschaft als „einheitlichen“ Steuerpflichtigen bezieht sich auch auf die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen. In folgenden Sonderfällen wird das Splitting-Verfahren auch bei Einzelveranlagung angewendet:
Gnaden-Splitting (§ 32a Abs. 6 Nr. 1) EStG bei einem verwitweten Steuerpflichtigen für den Veranlagungszeitraum, der dem Kalenderjahr folgt, in dem sein Ehegatte verstorben ist, wenn der Steuerpflichtige und sein verstorbener Ehegatte am Todestag unbeschränkt steuerpflichtig waren und nicht dauernd getrennt gelebt haben; fortgesetztes Ehegatten-Splitting (§ 32a Abs. 6 Nr. 2 EStG) bei einem Steuerpflichtigen, dessen Ehe in dem Kalenderjahr, in dem er sein Einkommen bezogen hat, aufgelöst worden ist, wenn in diesem Kalenderjahr – der Steuerpflichtige und sein bisheriger Ehegatte unbeschränkt steuerpflichtig waren und nicht dauernd getrennt gelebt haben und – der bisherige Ehegatte wieder geheiratet hat und er sowie sein neuer Ehegatte ebenfalls unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben. Auf Antrag können sich die Eheleute noch bis zum VZ 2012 für die getrennte Veranlagung entscheiden, bei der die Einkünfte gesondert ermittelt werden. Ab VZ 2013 entfällt der Begriff der getrennten Veranlagung und wird durch die Einzelveranlagung ersetzt. Durch die Trennung wird es unter bestimmten Konstellationen möglich, bestimmte an den/die Steuerpflichtigen gebundene Fördergrenzen (z. B. § 10e EStG) zu unterschreiten. Bis VZ 2012 sind Sonderausgaben dem Ehepartner zuzurechnen, der diese wirtschaftlich getragen hat (EStR 26a Abs. 1). Im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen (§§ 33–33b EStG) hingegen ist für die Ermittlung des abzugsfähigen Betrags entsprechend der Vorgehensweise bei der Zusammenveranlagung zu verfahren. Die Verteilung der außergewöhnlichen Belastungen erfolgt hälftig auf beide Ehepartner, es sei denn sie wählen gemeinsam eine andere Aufteilung. Ab VZ 2013 sind Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen dem Ehepartner zuzurechnen, der diese wirtschaftlich getragen hat, es sei denn sie wählen gemeinsam eine hälftige Aufteilung. Bis VZ 2012 können die Ehegatten im Jahr der Eheschließung die besondere Veranlagung (§ 26c EStG) wählen, die der Einzelveranlagung entspricht. Damit wird es möglich, bestimmte Steuervorteile, die im Regelfall nur einzeln veranlagten Personen zustehen – wie etwa die Möglichkeit des „Gnadensplittings“ oder den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende – für einen begrenzten Zeitraum weiter zu nutzen. Die besondere Veranlagung entfällt ab VZ 2013 ersatzlos. 10.1.2.9.3
Kinderleistungsausgleich
Zur Berücksichtigung von „Kinderlasten im Steuerrecht“ können unterschiedliche Grundpositionen eingenommen werden:
10.1 Grundlagen der Besteuerung
Abb. 10.123:
675
Kinder-„Lastenausgleich“ im (Einkommen)Steuerrecht
In der politischen Diskussion werden kontroverse Ansichten vertreten:
Kindergeld statt Kinderfreibeträge: Nur Kindergeld garantiert Gleichbehandlung, Kinderfreibeträge begünstigen wegen der Progression die „Reichen“! Kinderfreibeträge statt Kindergeld: Nur Kinderfreibeträge führen zu einer korrekten progressiven Steuerentlastung für „kindbezogene Lasten“! Die steuerlichen Folgen aus den verschiedenen Grundpositionen – Kinderfreibetrag oder Kindergeld – sind offenkundig und lassen sich an einem Beispiel verdeutlichen: Beispiel 26: Kinderleistungsausgleich In der Einkommensteuer gelte nachfolgender Stufengrenzsteuertarif: Grenzsteuersatz
GrenzEin(steuerkommen satz)
Steuerlast 12
(1)
0 - 10
0%
(2) > 10 - 20
20 %
(3)
50 %
50 %
7 20 %
2 10
Abb. 10.124:
20
30
40 Einkommen
Modellhafter Stufengrenzsteuertarif
> 20
10
20
30
40 Einkommen
676
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Je nachdem, in welcher Grenzsteuerstufe sich der Steuerpflichtige befindet, fallen die kindbedingten Entlastungen im Falle von Freibeträgen unterschiedlich hoch aus:
Die einen halten die progressionsentsprechende Entlastung für eine unsoziale Begünstigung der einkommensstarken Steuerpflichtigen. Für die anderen ist die progressionsentsprechende Entlastung zutreffend und als Reflex auf die Progression konsequent, da ohne den Abzug des Kinderfreibetrags eine zu hohe Steuerbelastung eintreten würde. Die heutige Regelung „Kindergeld“ enthält bei niedrigen Einkommen neben einer (geringeren) Tarifentlastung ganz bewusst eine Subvention.
10.1.3
Grundzüge der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer
10.1.3.1
Systeme der Unternehmensbesteuerung
Unternehmen sind rechtsförmlich mehr oder weniger verselbständigte Wirtschaftseinheiten, die für die Eigentümer oder Anteilseigner („shareholder“) und weitere am Unternehmensprozess teilnehmende Personen(gruppen) („stakeholder“) Einkommen schaffen müssen. Für die Besteuerung von Unternehmen muss zunächst eine Grundsatzentscheidung zwischen personaler oder institutionaler Unternehmensbesteuerung getroffen werden (vgl. hierzu Elschen, R., Institutionale oder personale Besteuerung (1994)). Zumeist gilt dabei die Zielvorstellung, dass letztlich eine „vollständige Einmalbesteuerung“ erreicht werden soll. Bisweilen ist allerdings auch eine ermäßigte oder volle wirtschaftliche Doppelbesteuerung anzutreffen. Die nachfolgende Abbildung versucht, die möglichen Lösungen zur Umsetzung einer Einmalbesteuerung schematisch darzustellen: Personale Besteuerung (a) Unternehmensebene Eigentümerebene
"Einmal-/ Doppelbesteuerung" der Ausschüttungen
Abb. 10.125:
Institutionale Besteuerung
Zwischenformen (b) T
TA
"Einmalbesteuerung"
(d)
(c) T
A
A
T
A
A
A
partielle / volle "Doppelbesteuerung" der Ausschüttungen
(e)
(f)
T TA A
TA
A
"Einmalbesteuerung"
Personale oder institutionale Besteuerung? T = thesaurierter Gewinn A = ausgeschütteter Gewinn
Gleichsam Endpunkte eines Kontinuums möglicher Unternehmenssteuersysteme bilden die reinen Formen der personalen oder institutionalen Unternehmensbesteuerung:
Eine rein personale Unternehmensbesteuerung (a) folgt dem Transparenzprinzip (auch Integrationsprinzip) und rechnet Steuerbemessungsgrundlagen direkt den Eigentümern zu.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
677
Eine Besteuerung auf der vorgelagerten Unternehmens-Ebene selbst entfällt (Ausnahme Gewerbesteuer). Eine rein institutionale Unternehmensbesteuerung (f) folgt dem Trennprinzip und rechnet die Besteuerungsgrundlage ausschließlich der Unternehmens-Ebene zu. Eine Besteuerung von Entnahmen oder Ausschüttungen auf der nachgelagerten privaten EigentümerEbene entfällt. Zwischen diesen beiden reinen Formen bestehen zahlreiche Zwischenformen, die mit unterschiedlichen technischen Verfahren im Ergebnis zu einer Aufteilung der Bemessungsgrundlagen (Steuerlasten) auf Unternehmens- und Eigentümer-Ebene führen, wobei auch partielle oder vollständige Doppelbelastungen nicht ausgeschlossen sind. Weltweit werden Personenunternehmen grundsätzlich nach dem Transparenzprinzip und Kapitalgesellschaften nach dem Trennprinzip besteuert. Kapitalgesellschaften werden dabei regelmäßig einer eigenständigen Körperschaftsteuer unterworfen, die sehr unterschiedlichen Charakter annehmen kann. Systematisch ist die Besteuerung von Unternehmen wie folgt möglich:
Abb. 10.126:
Systeme der Erfolgsbesteuerung von Unternehmen G = Gewinn GV = Gewinn/Verlust GA = Gewinnausschüttung
678
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Bei rechtlicher Betrachtungsweise ist zu unterscheiden:
Natürliche Personen können als Unternehmen angesehen werden, weisen jedoch keinerlei besondere rechtsförmliche Gestaltung auf. Sie sind „nicht rechtsfähig“. Die natürliche Person nimmt unmittelbar und direkt am Wirtschaftsleben teil. Einzelunternehmen sind demgegenüber als Firma organisiert, man könnte sie als „1/3 rechtsfähig“ bezeichnen. Unter dieser Firma können sie aktiv klagen oder passiv verklagt werden. Personengesellschaften können als zu „2/3 rechtsfähig“ bezeichnet werden. Über die Firma hinaus verfügen sie über eigenes, gesamthänderisch gebundenes Vermögen. Personengesellschaften können mit ihren Gesellschaftern zivilrechtlich angemessene Verträge abschließen, die allerdings steuerrechtlich nicht anerkannt werden. Kapitalgesellschaften sind „voll rechtsfähig“. Sie sind „juristische Personen“. Die Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft ist von ihren Eigentümern strikt getrennt. Angemessene Vertragsgestaltungen zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern werden zivil- und steuerrechtlich anerkannt. In der Realität finden sich folgende – im Zeitablauf wandelbaren – Systeme der Unternehmensbesteuerung. Ein Blick auf die „Landschaft der Unternehmenserfolgs-Besteuerung“ in der Europäischen Union macht deutlich, dass fast alle theoretisch denkbaren Systeme auch praktisch im Einsatz sind. Zwar wurde die noch im Jahr 1975 beabsichtigte Harmonisierung im Bereich der technischen Unternehmenssteuersysteme aufgegeben und durch ein Konzept des begrenzten „Wettbewerbs der Steuersysteme“ ersetzt (vgl. Europäisches Parlament (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung und EG-Binnenmarkt (1990), insb. S. 17, 25), doch ist ein deutlicher Trend zu Systemen der gemilderten Doppelbesteuerung zu beobachten. 10.1.3.2
Körperschaftsteuer
10.1.3.2.1
Steuersubjekt
Steuersubjekte der Körperschaftsteuer sind gemäß § 1 Abs. 1 KStG: 1. 2Kapitalgesellschaften (insbesondere Europäische Gesellschaften, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung); 2. Genossenschaften einschließlich der Europäischen Genossenschaften; 3. Versicherungs- und Pensionsfondsvereine3 auf Gegenseitigkeit; 4. sonstige juristische Personen des privaten Rechts; 5. nichtrechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts; 6. Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Bei Geschäftsleitung oder Sitz im Inland besteht unbeschränkte Steuerpflicht; Körperschaften ohne Geschäftsleitung und Sitz im Inland sind mit den inländischen Einkünften i.S.v. § 49 EStG, sonstige nicht unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften – insbes. Körperschaften des öffentlichen Rechts – nur mit den steuerabzugspflichtigen inländischen Einkünften i.S.v. § 43 EStG steuerpflichtig (§§ 1, 2 KStG).
2 3
§1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 neu gefasst mWv VZ 2006 durch Gesetz v. 7.12.2006 (BGBl. I S. 2782) Bezeichnung geändert durch Gesetz v. 9.12.2004 (BGBl. I S. 3310).
10.1 Grundlagen der Besteuerung
679
Subjektive Befreiungen von der Körperschaftsteuer sind in § 5 KStG geregelt (z. B. Bundesbahn, politische Parteien u.a).
Abb. 10.127:
Unternehmensbesteuerung in Europa und ausgewählten Ländern (Stand 2001/2004/2010) A volle Besteuerung der Ausschüttung A temporäre Belastung der Ausschüttung und volle Entlastung nach Ausschüttung
(A) partielle Besteuerung der Ausschüttung T volle Belastung der Thesaurierung () Alternative Besteuerungsform
680
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.3.2.2
Steuerobjekt und Steuerbemessungsgrundlage
Steuerobjekt ist das Einkommen, Bemessungsgrundlage das sog. „zu versteuernde Einkommen“ (siehe Ermittlungsschema). Objektive (sachliche) Steuerbefreiungen sind in § 8 KStG geregelt. Die tarifliche KSt bemisst sich nach dem „zu versteuernden Einkommen“. Dieses wird i. d. R. durch außerbilanzielle Korrekturen aus dem Ergebnis der Steuerbilanz abgeleitet. Korrekturvorschriften finden sich sowohl im Einkommensteuergesetz als auch im Körperschaftsteuergesetz. (1) (2)
(3) (4)
=
(5)
(6) (7) (8)
= – =
Abb. 10.128:
10.1.3.2.3
Handelsbilanz-Ergebnis innerbilanzielle Korrekturen aus steuerlichen Vorbehalten gem. EStG Steuerbilanz-Ergebnis außerbilanzielle Korrekturen gem. EStG (§ 8 I KStG) + nichtabziehbare Betriebsausgaben (§§ 3c I, 4 V EStG) – steuerfreie Erträge (§ 3 EStG) außerbilanzielle Korrekturen gem. KStG Vorgänge aus Beziehungen zwischen KapG und Gesellschaftern (§ 8 III KStG) + verdeckte Gewinnausschüttungen – verdeckte Einlagen + nichtabziehbare Aufwendungen (§§ 8b III, 9, 10 KStG) + nichtabziehbare Aufwendungen i. S. d. § 8b III KStG + nichtabziehbare Satzungspflichtaufwendungen + nichtabziehbare Steueraufwendungen + nichtabziehbare Geldstrafen + nichtabziehbare Hälfte der Aufwendungen für Aufsichtsgremien + nichtabziehbare Spendenteile – abziehbare Erträge – steuerfreie Erträge (z. B. § 8b I, II KStG) – Erträge aus nichtabziehbaren Aufwendungen – Gewinnanteile der Komplementäre einer KGaA (§ 9 I Nr. 1 KStG) zu versteuerndes Einkommen (vor Verlustabzug) Verlustabzug zu versteuerndes Einkommen (nach Verlustabzug) Ermittlung des zu versteuernden Einkommens
Steuertarif
In den Jahren 2001–2007 betrug der Körperschaftsteuersatz für Kapitalgesellschaften unter dem Regime des Halbeinkünfteverfahrens generell 25 %. Daneben war allerdings eine zusätzliche Ertragsteuer – die vom Gemeindehebesatz abhängige Gewerbeertragsteuer – zu berücksichtigen. Nach der Regelung bis 2007 ergab sich unter Berücksichtigung der Körperschaftsteuer von 25 % und der steuerlich abzugsfähigen Gewerbesteuer – wenn man trotz der gewerbesteuerlichen
10.1 Grundlagen der Besteuerung
681
Hinzurechnungen und Kürzungen „Gewinn nach Gewerbesteuer“ und „Gewerbeertrag“ heroisch gleichsetzt! – bei einem kommunalen Hebesatz von 400 % eine kombinierte Körperschaft-/Gewerbesteuerbelastung (ohne Solidaritätszuschlag!) von 37,5 %: sKGE
= sK + sGE − sK · sGE
=
1 4
1
6
1
4
x 1
6
(= 9/24)
= 37,5 %.
Abb. 10.129:
Nominale Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Europa (2011) (Quelle: BMF, Die wichtigsten Steuerarten im internationalen Vergleich 2012)
682
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Seit der Neuregelung 2008 beträgt der Körperschaftsteuersatz in Deutschland 15 %. Daneben wird weiterhin die Gewerbeertragsteuer erhoben, die allerdings seit 2008 erstmals nicht mehr Betriebsausgabe ist (!) und daher auch nicht steuerlich abzugsfähig ist. Damit vereinfacht sich – wiederum bei heroischer Gleichsetzung von „körperschaftsteuerlichem Einkommen“ und „Gewerbeertrag“ – die Berechnung des kombinierten Steuersatzes bei einem kommunalen Hebesatz von 400 % und einer Gewerbesteuermesszahl von 3,5 % zu sKGE = sK + sGE = 0,15 + 0,14 = 29 %. In der Tagespresse wird die Steuerbelastung von Unternehmen häufig in der nachfolgenden Form dargestellt. Wie beurteilen Sie die Aussagefähigkeit solcher Darstellungen?
unter 20 % 20 bis 25 % 25 bis 30 % Schweden 23,2
über 30 %
Estland 16,5
Großbritannien 28,3 Dänemark 22,5
Litauen 16,8 Polen 17,5
Deutschland 27,9
Belgien 24,7 Luxemburg 25,0
Tschechien 17,5 Slowakei 16,8
Frankreich 34,6
Portugal 23,7
Lettland 13,8
Niederlande 23,7
Irland 14,4
Spanien 32,8
Ungarn 19,5 Rumänien 14,8 Slowenien 19,1 Österreich 22,7 Bulgarien 8,8 Griechenland 21,8
Italien 27,4 Malta 23,2
Abb. 10.130:
Finnland 23,6
Zypern 10,6
Nominale Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Europa (2009)
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.3.2.4
683
Körperschaftsbesteuerung in Deutschland – historischer Rückblick
(1) Überblick Die Besteuerung der Körperschaften weist eine wechselvolle Geschichte auf. Die Besteuerung der Körperschaften in Deutschland war ursprünglich in den Einkommensteuergesetzen der Einzelstaaten geregelt. Eine eigenständige Steuer in Form des „Wehrbeitrags“ wurde erstmalig im Jahr 19134 geschaffen und diente der Rüstungsfinanzierung im Vorfeld des Ersten Weltkriegs (1914–1918). Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Besteuerung der natürlichen und juristischen Personen in getrennten Gesetzen – dem Reichseinkommensteuergesetz vom 29.3.19205 und dem Reichskörperschaftsteuergesetz vom 30.3.19206 – geregelt. Besteuerungssystem und Steuersätze sind im Zeitablauf immer wieder Veränderungen unterworfen, die auch die wirtschaftspolitischen Umwälzungen widerspiegeln. Ebene der Kapitalgesellschaft Thesaurierung Ausschüttung 10 % KSt 20 % KSt 20 % KSt 20 % KSt 60 % KSt 30 % KSt 51 % KSt 15 % KSt
(1) (2) (3) (4)
Gesetz KStG 1920 KStG 1925 KStG 1953 KStG 1958
(5) (6) (7) (8)
KStG 1977 KStG 1990 KStG 1993 KStG 1999
56 % KSt 50 % KSt 45 % KSt 40 % KSt
36 % KSt 36 % KSt 30 % KSt 30 % KSt
(9)
KStG 2001
25 % KSta)
(25 % KSt)
(10) KStG 2009
15 % KSt
15 % KSt
Abb. 10.131:
4 5 6
Ebene der Anteilseigner Ausschüttungen Klassisches System Definitive KSt und bei Gewinnausschüttung Erhebung der progressiven ESt (Doppelbelastung) Vollanrechnungssystem Anrechnung der KSt bei Gewinnausschüttung als „Vorauszahlung“ auf progressive ESt Shareholder-Relief-Systeme mit ermäßigten Steuersätzen auf Unternehmens- und/oder Investor-Ebene Halbeinkünfteverfahren Definitive ermäßigte KSt und Besteuerung der Hälfte der Ausschüttungen beim Ausschüttungsempfänger mit progressiver ESt Teileinkünfteverfahren Definitive ermäßigte KSt und bei Gewinnausschüttung Abgeltungsteuer von 25% oder progressive ESt auf 0,6-Anteil der Gewinnausschüttung
Entwicklung der Körperschaftsbesteuerung in Deutschland a) Für VZ 2003 galt aufgrund des Flutopfersolidaritätsgesetzes ein KSt-Satz von 26,5 %. Ebenso wurde die ursprünglich bereits für VZ 2003 vorgesehene Tarifsenkung auf 47 % durch das Flutopfersolidaritätsgesetz v. 19.9.2002 auf VZ 2004 hinausgeschoben.
Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag v. 3. 7.1913, RGBl. 1913 S. 505. Einkommensteuergesetz v. 29.3.1920, RGBl. 1920 S. 359. Körperschaftsteuergesetz v. 30.3.1920, RGBl. 1920 S. 393.
684
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(2) Klassisches System (bis 1976) Die traditionellen klassischen Systeme können wirtschaftlich zu einer „steuerlichen Doppelbelastung“ führen und haben grundsätzlich den Nachteil, dass die erhobene Körperschaftsteuer definitiv ist und damit im Falle von Gewinnausschüttungen die einkommensteuerlichen Progressionsvorteile des Anteilseigners nicht voll genutzt werden können. Das klassische Körperschaftsteuersystem geht von der rechtlichen (und ökonomischen?) Trennung der Unternehmung (Kapitalgesellschaft) und ihren natürlichen Eigentümern (Gesellschafter, Aktionäre) aus. Kapitalgesellschaften werden mit einer definitiven Körperschaftsteuer, die Anteilseigner mit einer Einkommensteuer auf die Gewinnausschüttungen belastet. Sieht man Unternehmer und Eigentümer als ökonomische Einheit, so führt diese Besteuerung auf Unternehmens- und Eigentümer-Ebene wirtschaftlich zu einer Doppelbelastung. Diese Doppelbelastung kann abgeschwächt oder vermieden werden, wenn reduzierte Steuersätze auf Unternehmens- und/oder Eigentümer-Ebene angewandt werden. Weiterhin weisen klassische Modelle im Fall eines „günstigen“ Thesaurierungssatzes, der unter dem Einkommensteuerhöchstsatz liegt, den Nachteil auf, dass sie einen steuerlich verursachten Interessengegensatz zwischen hoch und gering verdienenden Anteilseignern entstehen lassen: Hochverdiener sind steuerlich primär an einer Thesaurierung, Geringverdiener vorrangig an einer Ausschüttung interessiert. Diesen steuerlich verursachten Interessengegensatz wollte das 1977 eingeführte Vollanrechnungsverfahren abschaffen. Das klassische Körperschaftsteuersystem, das in Deutschland von 1920 bis 1976 galt, war im Jahr 1976 durch folgende Regelungen gekennzeichnet:
Auf Unternehmens-Ebene wurden jährliche Gewinne bei Thesaurierung mit 51 % und bei Ausschüttung mit nominell 15 % – effektiv 23,44 % – belastet. Ein zunächst thesaurierter Gewinn blieb auch bei einer späteren Ausschüttung mit 51 % belastet. Auf Eigentümer-Ebene wurden Ausschüttungen dem individuellen, progressiven Einkommensteuersatz unterworfen, der im Jahr 1976 in der Spitze 56 % erreichte. Für Thesaurierungen und sofortige oder spätere Ausschüttungen ergaben sich folgende Steuerbelastungen: Gewinnverwendung Ausschüttung im Jahr der Thesaurierung Gewinnentstehung 100 100 − 51 ./. 23,44 + 49 + 76,56
Unternehmens-Ebene Gewinn ./. KSt = Gewinn nach KSt Eigentümer-Ebene Ausschüttung vor Steuern individueller Steuersatz s=0% s = 30 % s = 36 % s = 50 %
s = 56 % Abb. 10.132:
Steuerbetrag − 10 − 14,70 − 17,64 − 24,50 − 27,44
+ 49 Nettobetrag + 49 + 34,30 + 31,36 + 24,50 + 21,56
+ 76,56 Steuerbetrag 0 − 22,97 − 27,56 − 28,28 − 42,87
Steuerbelastung im klassischen Körperschaftsteuersystem (Deutschland 1976)
Nettobetrag + 76,56 + 53,59 + 49,00 + 38,28 + 33,69
10.1 Grundlagen der Besteuerung
685
Offenkundig errichtete das klassische Körperschaftsteuersystem einen durchaus beachtlichen steuerlichen Interessengegensatz zwischen Gering- und Großverdienern im Rahmen der Gewinnverwendungsentscheidung bei Unternehmen: Gewinnverwendung Thesaurierung
Ausschüttung
Unternehmens-Ebene (1)
Jahresüberschuss
+100
100
(2) ./. KSt
−51
−23,44
(3)
+49
+76,56
JÜ nach Steuern
Anleger-Ebene (3)
Gewinnausschüttung
+49
+49
+76,56
+76,56
Geringverdiener 0 %
0
−
0
−
Großverdiener 56 %
−
−27,44
−
−42,87
+49
+21,56
+76,56
+33,69
(4) = Einkünfte nach Steuern Abb. 10.133:
Nach-Steuer-Einkünfte für Gering- und Großverdiener
Als kritischer Steuersatz ergab sich eine Steuerbelastung von 36 %:
Aktionäre mit einem Einkommensteuersatz unter 36 % waren im Falle der Ausschüttung gegenüber einer Thesaurierung steuerlich geringer belastet, Aktionäre mit Einkommensteuersatz über 36 % stellten sich im Falle der Thesaurierung gegenüber der Ausschüttung steuerlich günstiger. Im Interesse einer im Jahr 1975 intensiv diskutierten stärkeren Popularisierung der Aktie mit Überlegungen zur Einführung einer – wie in Frankreich schon bestehenden – gesetzlichen Pflicht zur Mitarbeiterbeteiligung sollte dieser nicht zuletzt steuerlich motivierte Interessengegensatz zwischen
Großaktionär pro Thesaurierung und Kleinaktionär pro Ausschüttung
beseitigt werden. Nach der erfolgreichen Einführung des Anrechnungssystems geriet das nicht bindend vereinbarte Junktim mit der Mitarbeiterbeteiligungsidee allerdings wieder aus dem Blickfeld der politischen Akteure. (3) Vollanrechnungsverfahren (1977–2000) Die Körperschaftsteuer-Reform 1977 verfolgte mit dem neu eingeführten Vollanrechnungssystems das Ziel, die wirtschaftlichen Zwei- und Mehrfachbelastung ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften (und anderen ausschüttenden Körperschaften) durch Körperschaftsteuer und Einkommensteuer zu beseitigen. Der ausgeschüttete Gewinn sollte letztlich nur mit der individuellen Einkommensteuer des Anteilseigners belastet werden.
686
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die technische Verwirklichung dieses Ziels erfolgte in Deutschland von 1977 bis 2000 im Rahmen des sog. (Voll)Anrechnungsverfahrens. Dieses Verfahren sah im „Normalfall“ folgende Regelungen vor: (1) Einbehaltene (thesaurierte) Gewinne unterlagen i. d. R. dem vollen Tarifsteuersatz der Körperschaftsteuer (Tarifbelastung). Daneben gab es Gewinne der Kapitalgesellschaft, die im Falle ihrer Thesaurierung ermäßigt oder gar nicht besteuert wurden. Bei Einführung des neuen Körperschaftsteuersystems 1977 wurde die ungemilderte Tarifbelastung in Höhe des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer mit 56 vH festgelegt. Das erklärte Ziel, den steuerlichen Interessengegensatz zwischen „Hoch- und Geringverdienen“ war erreicht! Anrechnungs-Verfahren Thesaurierung Ausschüttung (1) (2) (3) (4) (5) (6) (6) (7) (8) (9) (10) (11)
Unternehmens-Ebene Jahresüberschuss (nach GewESt) − KSt (Thesaurierungssatz) (56%) = Jahresüberschuss (nach Steuern) (Thesaurierung) im Fall von Ausschüttungen: + KSt-Minderung auf Ausschüttungssatz 36% ./. Kapitalertragsteuer (25%) = (Bar)Ausschüttung Eigentümer-Ebene (Bar)Ausschüttung + KSt-Anrechnung + KapESt-Anrechnung = Bruttoausschüttung = Steuerbemessungsgrundlage = Ausschüttung nach Steuern Steuersatz Steuerschuld s=0% 0 s = 40 % − 40 s = 50 % − 50 s = 56 % − 56
Abb. 10.134:
100 −56 + 44 + 44 +120) − 16 + 48) 48) +136) + 16 +100 (+100) + 100 + 60 + 50 + 44
Steuerbelastung im Anrechnungsverfahren (1977)
Dieses Anliegen, zwischen Groß- und Kleinaktionären keinen neuen steuerlich bedingten Gegensatz aufzubauen, geriet leider offenbar schnell in Vergessenheit: Bereits 1990 wurde eine Spreizung von Spitzensteuersatz und Thesaurierungssatz eingeführt und in der Folgezeit laufend verstärkt. Nach mehreren Steuersatzsenkungen galt in den letzten Jahren des Vollanrechnungssystems 1999 und 2000 bei einem Einkommensteuersatz von 53 % und 51 % ein Regelsteuersatz für die Thesaurierung von 40 vH.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
687
Klass. System 1976
Vollanrechnungssystem 1977
1990
1994
1999
Halbeinkünftesystem 2000
2001
2005
Thesaurierung Körperschaftsteuer mit Gewerbesteuer
KSt
51,00%
56,00 % 50,00 % 45,00 % 40,00 % 40,00 %
25,00 %
25,00 %
KSt + GewESt
59,15 %
63,34 % 58,34 % 54,17 % 50,00 % 50,00 %
37,50 %
37,50 %
36,00 % 36,00 % 30,00 % 30,00 % 30,00 %
25,00 %
25,00 %
Ausschüttung KSt
23,44 %
KSt + GewESt
36,20 %
46,67 % 46,67 % 41,67 % 41,67,% 41,67 %
37,50 %
37,50 %
Ein56,00 % ESt kommen ESt * steuer (mit mit Kappung) Gewerbe ESt + steuer GewESt 63,34 %
56 ,00 % 53 ,0 % 53 ,00 % 53,00 % 51,00 %
48,50 %
42,00 %
-
-
49,58 %
44,17 %
Abb. 10.135:
-
-
47 ,00 % 45,00 % 43,00 %
63,34 % 60,83 % 55,83 % 54,17 % 52,50 %
Entwicklung der Körperschaftsteuersätze und Tarifspreizung (Gewerbesteuerhebesatz 400 %)
(2) Ausgeschüttete Gewinne unterlagen bei Einführung des Systems 1977 generell dem Ausschüttungssatz der Körperschaftsteuer von 36 vH (sog. Ausschüttungsbelastung). (3) Seit dem VZ 1994 betrug die Ausschüttungsbelastung 30 vH. (4) Wurden (voll) tarifbelastete Gewinne ausgeschüttet, so war die KörperschaftsteuerBelastung von 40 vH auf die einheitliche Ausschüttungsbelastung von 30 vH zu mindern (KSt-Minderung). Der sich hiernach ergebende Ausschüttungsbetrag ergab die Barausschüttung. (5) Die verbleibende Körperschaftsteuer-Belastung in Höhe der Ausschüttungsbelastung von 30 vH wurde auf die Einkommensteuer des Anteilseigners angerechnet (KStAnrechnung). (6) Sofern die Barausschüttung von 70 vH des Gewinns zusätzlich der Kapitalertragsteuer von 25 vH auf die Barausschüttung (= 17,5 vH des Gewinns vor Tarifbelastung) unterworfen war, wurden auf der Ebene des Anteilseigners 30 vH Körperschaftsteuer (KStAnrechnung) und 17,5 vH Kapitalertragsteuer angerechnet (KapESt-Anrechnung). Zur Vermeidung einer unerwünschten Steuerhinterziehung und aus Rücksicht gegenüber Steuerausländern musste statt eines einfachen, einstufigen Verfahrens ein kompliziertes dreistufiges Verfahren entwickelt werden:
688
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
KStl. Einkommen ,5Unternehmens- ./. KSt 40 % Ebene = verwendbares EK 40
Einstufiges Anrechnungsverfahren
Zweistufiges Anrechnungsverfahren
Dreistufiges Anrechnungsverfahren
100
100
100,5
./. 40
./. 40
./. 40,5
60
60
60,5
+ 10
+ 10,5
70
70,5
+ KSt-Minderung = Bardividende ./. KapESt 25 % AnteilseignerEbene
./. 17,5
= Nettodividende
52,5
Nettodividende
52,5
+ KapESt-Gutschrift
+ 17,5
= Bardividende + KSt-Gutschrift
60
70
70,5
+ 40
+ 30
+ 30,5
100
100
100,5
= Bruttodividende Abb. 10.136:
Vergleich von ein-, zwei- und dreistufigem Anrechnungsverfahren
Am Ende (2000) hatte das Anrechnungsverfahren folgendes Aussehen: Anrechnungs-Verfahren 2000 Thesaurierung Ausschüttung (1) (2) (3) (4) (5) (6) (6) (7) (8) (9) (10) (11)
Unternehmens-Ebene Jahresüberschuss (nach GewESt) − KSt (Thesaurierungssatz) (40%) = Jahresüberschuss (nach Steuern) (Thesaurierung) + im Fall von Ausschüttungen: KSt-Minderung auf 30% ./. Kapitalertragsteuer (25%) = (Bar)Ausschüttung Eigentümer-Ebene (Bar)Ausschüttung + KSt-Anrechnung + KapESt-Anrechnung = Bruttoausschüttung = Steuerbemessungsgrundlage = Ausschüttung nach Steuern Steuersatz Steuerschuld s=0% 0 s = 20 % − 20 s = 30 % − 30 s = 40 % − 40 s = 50 % − 50
Abb. 10.137:
System des Anrechnungsverfahrens (2000)
100 −40 + 60 60 +110) − 17,50 + 52,50) 52,50) +130) + 17,50 +100 (+100) + 100 + 80 + 70 + 60 + 50
10.1 Grundlagen der Besteuerung
689
(4) Halbeinkünfteverfahren (2001–2007) Zum Jahresbeginn 2001 wurde in der Besteuerung von Kapitalgesellschaften wieder ein grundlegender Systemwechsel vollzogen. Das Vollanrechnungsverfahren wurde durch das Halbeinkünfteverfahren ersetzt:
Erhoben wurde auf Ebene der Kapitalgesellschaft eine definitive Körperschaftsteuer in (vermeintlich moderater) Höhe von 25 %. Hinzu kam eine hebesatzabhängige Gewerbeertragsteuerbelastung, womit sich bei einem mittleren Hebesatz von 400 % eine Gesamtdefinitivbelastung auf Unternehmensebene von 37,5 % ergab. Spätere Ausschüttungen unterlagen zur Hälfte zusätzlich der normalen individuellen Einkommensteuer. Der Ablauf des Halbeinkünfteverfahrens ist in nachfolgender Übersicht dargestellt: Halbeinkünfte-Verfahren Thesaurierung
Ausschüttung
Unternehmens-Ebene (1)
Jahresüberschuss (nach GewESt)
(2)
−
Körperschaftsteuer 25% (definitiv!)
(3)
=
Jahresüberschuss (nach Steuern) (Thesaurierung)
(4) (5)
100 −125 75
Ausschüttung
75),59
−
Kapitalertragsteuer 20%
15
=
(Bar)Ausschüttung
60
Eigentümer-Ebene (5)
(Bar)Ausschüttung
60),59
(6)
+
Anrechnung Kapitalertragsteuern
15
(7)
=
Bruttoausschüttung
75
(8)
=
davon „steuerfrei“
(−37,50)
stl. Bemessungsgrundlage
(+37,50)
Ausschüttung nach Steuern Steuersatz s=0%
Abb. 10.138:
Steuerschuld 0,00
+ 75)
s = 20 %
− 7,50
+ 67,500
s = 30 %
− 11,25
+ 63,75
s = 40 %
− 15,00
+ 60
s = 50 %
− 18,75
+ 56,25
System des Halbeinkünfteverfahrens (ab 2001–2007)
Dieses als „Halbeinkünfte-Verfahren“ bezeichnete Modell kommt einem klassischen Unternehmensteuersystem mit gemilderter Doppelbesteuerung gleich. Die in Deutschland einge-
690
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
führte Variante entsprach im wesentlichen dem in Luxemburg seit dem Jahr 1994 angewandten Verfahren der hälftigen Dividendenfreistellung. Eine Gegenüberstellung von Anrechnungs- und Halbeinkünfteverfahren führt – unter Einbeziehung der Gewerbesteuer – zu folgendem Bild: Vollanrechnungssystem 1977 - 2000 ThesauAusrierung schüttung (1)
Gewinn (vor GewSt) GewESt (h=400%) Gewinn KSt (T) Gewinn nach KSt (T) -Thesaurierung-
(2)
Unter- (3) neh- (4) mens- (5) Ebene
(6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14)
EigentümerEbene
KSt-Minderung Ausschüttung KapESt Ausschüttung nach Steuern Ausschüttung KSt KapESt Brutto-Einkommen Ausschüttung nach Steuern (A) s = 05 % s = 20 % s = 30 % s = 405 % s = 505 % Spitzensteuersätze 2000 s = 51 % 2001 s = 48,5% 2003 s = 47% 2004 s = 45% 2005 s = 42%
Abb. 10.139:
Halbeinkünfteverfahren 2001 - 2007 ThesauAusrierung schüttung
120,00
120,25
-120,00 100,00 -140,00
-120,25 100,25 -125,25
60,00
60,50
(25 %)
-10,50 70,50 - 17,50
75,25
75,25
(20 %)
-,25 75,25 - 15,75
52,50 52,50 + 30,50 + 17,50 +100,50
60,25 60,25 15,75 + 75,25 Halbeinkünfte (37,5)
0,00 - 20,00 - 30,00 - 40,00 - 50,00
+100,50 + 80,50 + 70,50 + 60,60 + 50,00
- 51
+ 49
Anrechnungsverfahren und Halbeinkünfteverfahren im Vergleich A Ausschüttung T Thesaurierung
0,25 - 7,5 -111,25 - 15,00 - 18,75
+ 75,2 + 67,5 + 63,75 + 60,00 + 56,25
- 18,19 - 17,63 - 16,88 - 15,75
+ 56,81 + 57,37 + 58,12 + 59,25
10.1 Grundlagen der Besteuerung
691
Mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahren wurde – ohne Not! – von einem kapitalmarktorientierten Besteuerungssystem auf ein Halb-Verfahren ohne erkennbar überzeugende Orientierung umgestellt. Neben gravierenden Übergangsproblemen wurden bis heute nachwirkende sachliche Denkfehler – etwa im Bereich der Berücksichtigung der privat getragenen Kosten, insbesondere von Finanzierungskosten – gemacht. Das Halbeinkünfteverfahren wurde mit der 2008 erfolgten erheblichen Senkung der Steuersätze auf Unternehmensebene zu einem Teileinkünfteverfahren mit nur noch 40 %Steuerfreiheit der Ausschüttungen gewandelt. Ab 2009 wurde für Gewinnausschüttungen an private Anteilseigner das Abgeltungsteuerverfahren mit 25 % Steuersatz eingeführt. 10.1.3.2.5
Teileinkünfte- und Abgeltungsteuerverfahren (ab 2008)
(1) Grundstruktur Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 wurde die Besteuerung von Kapitalgesellschaften nach nur siebenjährigem Bestand des Halbeinkünfteverfahrens in mehreren Punkten entscheidend geändert. Wesentliche Änderungen sind: (1) Der Steuersatz auf der Ebene der Kapitalgesellschaft wurde von 25 % auf 15 % abgesenkt. (2) Die Gewerbesteuer wird weiterhin erhoben. Entgegen dem bisherigen Verfahren ist sie allerdings nicht mehr als Betriebsausgabe abzugsfähig, daher konnte die Messzahl von 5 % auf 3,5 % abgesenkt werden. Bei einem angenommenen gemeindlichen Hebesatz von 400 % beträgt der Gewerbesteuersatz damit nach 20 % nominal (= 16,67 % effektiv) nunmehr (nominal und effektiv) insgesamt 14 %: Regelung 2001–2007 (1)
Jahresüberschuss vor Gewerbesteuer
(2) ./.
Gewerbesteuer bis 2007: m = 5%, h = 400 % (Gewerbesteuer abzugsfähig!) ab 2008: m = 3,5 %, h = 400 % (Gewerbesteuer nicht abzugsfähig!)
− 16,67 −
− 14
(3) =
Jahresüberschuss nach Gewerbesteuer
+ 83,33
+ 86
(4) ./.
Körperschaftsteuer 2007 25 %
− 20,83
−
./.
Körperschaftsteuer 2008 15 %
−
− 15
(5) =
Jahresüberschuss nach Steuern
+ 62,50
+ 71
Steuerbelastung auf Unternehmensebene Abb. 10.140:
100
Regelung ab 2008
37,5 %
100
−
29 %
Änderungen zur steuerlichen Berücksichtigung der Gewerbesteuer bei Kapitalgesellschaften
Das neue Verfahren erübrigt die komplizierte Berechnung des effektiven Gewerbesteuersatzes und kann als Vereinfachungs- und Transparenzfortschritt positiv anerkannt werden. Dieses Verfahren der Anrechnung der betrieblichen Gewerbesteuer auf die per-
692
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
sönliche Einkommensteuer kann schließlich auch als weiterer Beleg für den Personalcharakter der Gewerbesteuer gesehen werden. Dies ist Beleg dafür, dass die Tatsache, wer die Steuer bezahlt, keine Bedeutung hat. Entscheidend ist vielmehr, wen die Steuerbelastung wirtschaftlich trifft. Insoweit kann auch die betrieblich veranlasste Gewerbesteuer als Art Einkommensteuer des Eigentümers angesehen werden. (3) Die Gesamtbelastung von Gewerbe- und Körperschaftsteuer beträgt, wenn man heroisch von einer Identität von Gewerbeertrag und körperschaftsteuerlichem Einkommen ausgeht, bei einem angenommenen Hebesatz von 400 % ab 2008 nunmehr 29 % (bis 2007: 37,5 %). (4) Ausschüttungen von Gewinnen des aktuellen Geschäftsjahres oder früherer Jahre (Thesaurierungen) an Anteilseigner unterliegen in Ergänzung zur Vorbelastung auf Unternehmensebene bei den Eigentümern einer Nachbelastung, soweit es sich nicht um eine Kapitalgesellschaft als Anteilseigner handelt Die steuerliche Behandlung ergibt sich ab 2009 wie folgt: Nachbelastung von Gewinnausschüttungen ab 2009
Anteile im Betriebsvermögen
Regel
Anteile im Privatvermögen
Ausnahmen - auf Antrag (§ 32d II Nr. 3 EStG)
Regel
· KapG-Beteiligung ≥ 25 % oder · KapG-Beteiligung ≥ 1 % und berufliche Tätigkeit für KapG
Anteile in KapG Beteiligung ≥ = 10 %: Steuerfreiheit mit Zusatzbelastung i.H.v. 5 % ≙ „Steuerbefreiung“ i.H.v. 95 % Beteiligung < 10 %: 100 %ige Einkommensbelastung
Abb. 10.141:
Anteile in PersU
Teileinkünfteverfahren (TEV mit BMG = 60 %)
Abgeltungsteuer 25 % (§ 32d I EStG) Ausnahme - auf Antrag mit „Günstigerprüfung“ wenn indiv. ESt-Tarif ggü Abgeltungsteuer zu geringerer Steuerbelastung führt (§ 32d VI EStG)
Nachbelastung von Gewinnausschüttungen (ab 2009) zur Ergänzung der Vorbelastung auf Unternehmens-Ebene
10.1 Grundlagen der Besteuerung
693
(4.1) Bei Ausschüttungen ins Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft bleiben diese grundsätzlich steuerfrei. Um die damit „logisch“ verbundene Nichtabzugsfähigkeit der korrespondierenden Aufwendungen zu vermeiden, wurde ab 2004 eine Zusatzbesteuerung auf 5 % der steuerfreien Erträge eingeführt, womit die systematisch richtige volle Steuerfreiheit auf 95 % reduziert wird. Durch das Steueränderungsgesetz 2013 wurde für Anteile von Kapitalgesellschaften unter 10 % die systematisch richtige Steuerfreistellung der Dividenden vollends aufgegeben: Statt der 5 %-Zusatzbelastung erfolgt nunmehr eine 100%-Zusatzbelastung! (4.2) Bei Ausschüttungen ins Betriebsvermögen von gewerblichen Personenunternehmen unterliegen die Gewinnausschüttungen ab 2009 generell dem Teileinkünfteverfahren. Derzeit werden 60 % der Ausschüttungen der individuellen Einkommensteuer unterworfen. Betriebsausgaben im Zusammenhang mit den Anteilen dürfen nach der bekannten Halblogik nur zu 60 % angesetzt werden. (4.3) Bei Ausschüttungen ins Privatvermögen gilt: Im Jahr 2008 erfolgte die Nachbelastung auf Gewinnausschüttungen noch im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens. Dies stellte keine Begünstigung dar, sondern war folgerichtig insofern, als Gewinnausschüttungen in 2008 im Regelfall aus Gewinnen der Vorjahre stammten, die der höheren Vorbelastung unterlegen hatten. Da ab 2009 alle Ausschüttungen – auch die aus Gewinnrücklagen mit höherer Vorbelastung – der höheren Nachbesteuerung unterliegen, war dies für die Unternehmen die Chance, diesen drohenden Besteuerungsnachteil für Altgewinne aus den Jahren 2001 bis 2007 zu vermeiden. Lediglich bei Vorabausschüttungen von Gewinnen des Jahres 2008 konnten Steuervorteile realisiert werden. Seit 2009 gelten für Ausschüttungen ins Privatvermögen folgende Regelungen: (a) Im Regelfall unterliegen Ausschüttungen an private Kapitalgeber als Einkünfte aus Kapitalvermögen der Abgeltungsteuer in Höhe von 25 %. Werbungskosten dürfen außerhalb eines Pauschbetrags von 801 € nicht mehr angesetzt werden. (b) Auf Antrag des Steuerpflichtigen wird geprüft, ob es für den Steuerpflichtigen günstiger ist, die Gewinnausschüttungen der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen (sog. Günstigerprüfung) . Die tarifliche Besteuerung lohnt sich, wenn die Einkommensteuerbelastung der Gewinnausschüttungen damit unter 25 % (Abgeltungssatz) gesenkt werden kann. Werbungskosten dürfen auch in diesem Fall nicht angesetzt werden. (c) Unter bestimmten Voraussetzungen • Beteiligung an der Kapitalgesellschaft von mindestens 25 % oder • Beteiligung größer 1 % und berufliche Tätigkeit für die Kapitalgesellschaft findet auf Antrag auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen das Teileinkünfteverfahren Anwendung. Die Einkünfte werden in Höhe von 60 % der individuellen Einkommensteuer unterworfen. Werbungskosten dürfen in diesem Fall – allerdings nur zu 60 % angesetzt werden – die verquere Halblogik des Halbabzugs feiert auch im Teileinkünfteverfahren fröhliche Urständ!
694
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Für eine Gegenüberstellung der aktuellen Besteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften soll bereits jetzt ein systematischer Überblick anhand eines kleinen Beispiels mit den bekannten einfachen Zahlen gegeben werden: Unter Einschluss der Gewerbesteuer ergeben sich für Kapitalgesellschaften – in Abhängigkeit von der Anwendung des Abgeltungsteuerverfahrens (AGV) oder des Teileinkünfteverfahrens (TEV) mit unterschiedlichen Steuersätze bei der Einkommensteuer – folgende Steuerbelastungen auf Unternehmens- und Eigentümerebene: Ertragsbesteuerung von Kapitalgesellschaften (ab 2009) Unternehmensebene (1) (2) (3)
Jahresüberschuss vor Steuern ./. ./.
(4)
Gewerbesteuer (Hebesatz 400 %)
−14
Körperschaftsteuer
−15
Jahresüberschuss nach Steuern
+71
Eigentümerebene (5) (6)
+100
Teileinkünfteverfahren
Gewinnausschüttung ./.
+71
s = 40 %
−17,04
(6.2)
s = 45 % Abgeltungsteuer 25 % auf 100 % der Einkünfte
(8)
./. =
Abb. 10.142:
+71
Einkommensteuer auf Teileinkünfte (0,6 x 71 =) 42,6
(6.1)
(7)
Abgeltungsteuer
Gewinnausschüttung nach Steuern
−
−
−
−19,17
−
−
−
−17,75
+51,83
+53,25
+53,96
Ertragsbesteuerung von Kapitalgesellschaften (ab 2009)
(5) Die Besteuerung von Veräußerungserfolgen aus Kapitalgesellschaftsanteilen ist davon abhängig, ob die Anteile im Privat- oder im Betriebsvermögen gehalten werden. Bei Anteilen im Betriebsvermögen ist noch danach zu unterscheiden, ob es sich um das Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft oder eines Personenunternehmens handelt.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
695
Die Besteuerung der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften wird nachstehend dargestellt:
Abb. 10.143:
Besteuerung von Veräußerungsgewinnen (ab 2009)
Auch bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften greift für die veräußernde Kapitalgesellschaft die 5%-Zusatzbesteuerung. Von der im Steueränderungsgesetz 2013 zunächst geplanten vollen Besteuerung der Veräußerungsgewinne aus Streubesitzanteilen unter 10 % wurde abgesehen. 10.1.3.2.6
Offene und teilgelöste Fragen des Halb- und Teileinkünfteverfahrens
10.1.3.2.6.1 Problem Progressionsvorbehalt Das im StSenkG 2000 gewählte Halbeinkünfteverfahren für Ausschüttungen an natürliche Personen und Personenunternehmen führt im Vergleich zum österreichischen Halbsatzverfahren je nach bestehendem Einkommensteuertarif zu folgenden Ergebnissen:
Beim proportionalen Tarif ergibt sich für das Halbeinkünfteverfahren und das Halbsatzverfahren eine identische Steuerbelastung.
696
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Beim progressiven Tarif führt das Halbeinkünfteverfahren zu einer Tarifstreckung (Verdoppelung des Grundfreibetrags und der direkten Progressionszone).
Grenzsteuersatz 60,00%
50,00%
40,00%
30,00% 20,00%
10,00%
0,00%
42.320
20
40
60
80
100
120
140
160
180 Bruttogewinn (T€)
Kapitalgesellschaft bei Thesaurierung (25% KSt, GewSt mit 400% Hebesatz) Kapitalgesellschaft bei Gewinnausschüttung ohne Progressionsvorbehalt (25% KSt, GewSt mit 400% Hebesatz, ESt 2005) Kapitalgesellschaft bei Gewinnausschüttung mit Progressionsvorbehalt (25% KSt, GewSt mit 400% Hebesatz, ESt 2005) Personenunternehmen (ohne GewSt, Einkommensteuertarif 2005)
Abb. 10.144:
Steuerbelastung bei Kapitalgesellschaften (2007)
Die im Gesetzentwurf zunächst geplante Einführung eines Progressionsvorbehalts gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 24, Abs. 2 Nr. 3 EStG-E sollte diese Tarifdehnung wieder rückgängig machen, indem er die zur Besteuerung herangezogenen „halben Gewinnausschüttungen“ mit dem (durchschnittlichen) Steuersatz belegt, der sich bei Zugrundelegung der „vollen“ Gewinnausschüttung ergeben würde. Gegen diese Pläne wurde heftiger Protest erhoben. Dabei wurde irreführend behauptet, der Progressionsvorbehalt führe für Gewinnausschüttungen zu einer Verschärfung des Progressionsanstiegs und zu einem früheren Erreichen der Spitzensteuerbelastung. Richtig ist, dass mit einem Progressionsvorbehalt das Halbeinkünfteverfahren zum selben Ergebnis wie ein Halbsatzverfahren führen würde. Der Protest hatte letztlich Erfolg: Die (richtigen) Pläne des Progressionsvorbehalts wurden wieder zurückgezogen! Damit führt das Teileinkünfteverfahren beim progressiven Tarif zu einer Tarifstreckung (Dehnung des Grundfreibetrags und der direkten Progressionszone um den Faktor 1,67). 10.1.3.2.6.2 Probleme Halbabzug und Teilabzug Nach deutschem Steuerrecht gilt als allgemeine Grundsatzregelung:
Wenn die Erträge voll besteuert werden, sind die korrespondierenden Erwerbsaufwendungen grundsätzlich steuerlich voll abzugsfähig.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
697
Wenn Erträge steuerfrei sind, folgt daraus grundsätzlich die Nichtabsetzbarkeit der Erwerbsausgaben (§ 3c EStG).
(1)
(2)
Korrespondenzregeln bei voll steuerpflichtigen, teilbesteuerten und steuerfreien Einnahmen VollHalb-/TeilNicht-Besteuerung Besteuerung Besteuerung (Steuerfreiheit) Vorbelastung auf Unternehmensebene Einnahmen − Ausgaben = Einnahmenüberschuss Nachbelastung auf privater Eignerebene + Einnahmen + Einnahmen + Einnahmen + Einnahmen voll besteuert nur halb/teilweise nicht besteuert besteuert – Ausgaben – Ausgaben Ausgaben Ausgaben Halb- oder Teilabzug voll abzugsnur halb/teilweise nicht abzugsfähig fähig abzugsfähig = Einnahmenüber= Einnahmenüberschuss = Einnahmen= Einnahmenüberschuss nicht belastet (korrekt überschuss schuss halb belastet ohne Vorbelastung!) voll belastet (korrekt ohne Vor(≙ übermäßige belastung!) Steuerbelastung mit Vorbelastung!)
Abb. 10.145:
Korrespondenzregeln
Scheinbar plausibel erschien es vor diesem Hintergrund, in einem Halbeinkünfteverfahren, bei dem die Erträge nur zur Hälfte besteuert werden, korrespondierend nur den „Halbabzug“ der Erwerbsaufwendungen zuzulassen (§ 3c Abs. 2 EStG). Diese „Logik“ hält indes einer näheren Analyse nicht Stand. Sie übersieht, dass das Halbeinkünfteverfahren das Prinzip der „Einmalbesteuerung“ verwirklichen will. Dem wird konsequent dadurch Rechnung getragen, dass der Vorbelastung/Vorentlastung auf UnternehmensEbene im Falle der Ausschüttung eine Nachbelastung/Nachentlastung auf Eigentümer-Ebene folgt. Wenn nun bei (Finanzierungs)Kosten auf der privaten Ebene eine Vorentlastung auf Unternehmens-Ebene nicht erfolgt ist, muss bei Beachtung des Nettoprinzips entweder eine fiktive Vorentlastung auf Unternehmens-Ebene und eine partielle Nachbelastung auf EigentümerEbene oder aber – vereinfachend – eine Vollentlastung auf der Ebene des privaten Investors erfolgen, andernfalls kommt es zu einer übermäßigen Besteuerung:
698
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Ertrag
Aufwand Finanzierung
Zahlen vor Steuern
+160
−60
=
+100
U-Steuern (25 %)
−40
+15
=
−25
+120
−45
=
+75
(+120
−45
=)
+75
E-Steuern (40 %) (Halbeinkünfte)
(−24
+9
=)
−15
Einkünfte nach Steuern
(+96
−36
=)
+60
I. Unternehmens-Ebene (Vorbelastung U-Steuern)
Zahlen nach U-Steuern
Erfolg
II. Eigentümer-Ebene (Nachbelastung E-Steuern) Einkünfte vor Steuern
Abb. 10.146:
Finanzierungskosten auf Unternehmens-Ebene
I. Unternehmens-Ebene (Vorbelastung U-Steuern)
Ertrag
Aufwand
Zahlen vor U-Steuern
+160
−0
=
+160
−40
−0
=
−40
+120
−0
=
+120
− U-Steuer (25 %) = Zahlen nach Steuern
Erfolg
II. Eigentümer-Ebene (Nachbelastung E-Steuern) Variante A (Gesetz) − Einkünfte vor Steuern
Nota bene: keine Vorentlastung der Kosten der Finanzierung
Kosten Einkünfte
Überschuss
Finanzierung
+120
−60
=
+60
− E-Steuern (40 %) (Halbeinkünfte)
−24
+12
=
−12
= Einkünfte nach Steuern
+96
−48
+120
−60
=
+48
Variante B (Logik) Einkünfte vor Steuern − E-Steuern (40 %) (Halbeinkünfte )
Abb. 10.147:
Finanzierungskosten auf Eigentümer-Ebene
+60
=
−24
+24
=
+24
−36
=
+60
−24
+ E- Steuern 40 % (volle Finanzierungskosten) = Einkünfte nach Steuern
=
+96
10.1 Grundlagen der Besteuerung
699
Damit ist eindeutig festzuhalten: Wer von der wirtschaftlichen Einheit von Kapitalgesellschaft und Eigentümer ausgeht – und dies wird in der Begründung zum Entwurf des Steuersenkungsgesetzes mehrfach betont – und die Einmalbesteuerung der ökonomischen Ergebnisse herbeiführen will, für den ist ein Halbabzug völlig abwegig. Der Halbabzug diskriminiert diejenigen Investoren, bei denen aus der Kapitalbeteiligung auf der privaten Ebene Aufwendungen – namentlich Finanzierungskosten – anfallen. Der BFH hat hierzu geurteilt, dass dies rechtens sei, da vom Trennungsprinzip auszugehen sei (BFH v. 19.06.2007, VIII R 69/05, BStBl 2008 II S. 551). Danach sind – entgegen der ökonomischen Vernunft – die Kapitalgesellschaft und ihre Anteilseigner steuerlich gänzlich zu trennen. Hiergegen wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt, die jedoch ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen wurde (BVerfG v. 9.2.2010, 2 BvR 2221/07). Der problematische „Halbabzug“ macht es auch im Teileinkünfteverfahren bei Kapitalanlagen grundsätzlich erforderlich, die Art der Finanzierung bewusst zu wählen: Beispiel 27: Eigen- und Fremdkapital zur Kapitalanlagenfinanzierung (TEV) Ein Investor verfügt über 10 T€ Eigenkapital und kann weitere 10 T€ Fremdkapital zum Zinssatz von 10 % aufnehmen. Er hat zwei lohnende Anlagemöglichkeiten: (a) Aktien mit einer sicheren Jahresdividende von 20 % (b) Anleihen mit einer sicheren Verzinsung von 20 %. Der Investor entscheidet sich, beide Investitionen mit je 10 T€ durchzuführen. Ist es für die steuerliche Belastung unbeachtlich, welche Anlage er mit Eigenkapital finanziert? Je nach Finanzierung der Anlagen ergibt sich folgender Gesamtertrag nach Steuern: Variante (a) Aktie Anleihe EigenFremdfinanzierung finanzierung Unternehmens-Ebene Ertrag − KSt 15 % = Ertrag nach KSt Investor-Ebene (4) Einkünfte aus Kapitalvermögen (5) − Zinsen (6) = Einkünfte nach Zinsen (7) zu versteuernde Einkünfte (8) − ESt 50 % (9) = Einkünfte nach Steuern (10) = Gesamtertrag nach Steuern (1) (2) (3)
Abb. 10.148:
+ 2.000 − 300 + 1.700
Variante (b) Aktie Anleihe FremdEigenfinanzierung finanzierung + 2.000 − 300 + 1.700
+ 1.700
+ 2.000
+ 1.700
+ 2.000
0
− 1.000
− 1.000
0
+ 1.700
+ 1.000
+ 700
+ 2.000
(+ 1.020)
(+ 1.000)
(+ 420)
(+ 2.000)
− 510
− 500
− 210
− 1.000
+ 1.190
+ 500
+ 490
+ 1.000
+ 1.690
Gesamtertrag bei alternativer Finanzierung (TEV)
+ 1.490
700
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Abweichung erklärt sich aus dem im Gesetz verankerten, ökonomisch unsinnigen Teilabzug: Da die Zinsen bei Variante (b) im Falle der Aktienfinanzierung nur zu 60 % anerkannt werden, ergibt sich eine fehlende Steuerentlastung von (0,4 x 1.000 x 50 % =) 200. Dies entspricht exakt dem Unterschied im Gesamtertrag nach Steuern zwischen Variante (a) und (b): (1.690 1.490 =) 200! 10.1.3.2.6.3 Dividenden- und Veräußerungsgewinnbesteuerung auf KapG-Ebene Ein wichtiges Ziel der Neuregelung 2001 bestand darin, die in Kapitalgesellschaften erwirtschafteten Erfolge in einem zweistufigen Verfahren
Vorbelastung auf Ebene der Kapitalgesellschaft und Nachbelastung auf der Ebene der privaten Anteilseigner
einer Einmalbesteuerung zu unterwerfen. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung auf der (körperschaftsteuerlichen) Unternehmensebene wurden folgende Regelungen getroffen:
Dividenden, die auf körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmensebene von der KapG A an die KapG B bezahlt werden, sind steuerfrei (§ 8b Abs. 1 KStG). Diese Steuerfreiheit wird unabhängig von der Beteiligungsquote und von der Haltedauer der Beteiligung gewährt. Veräußerungsgewinne (§ 8b Abs. 2 KStG) aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bleiben auf der körperschaftsteuerlichen Unternehmensebene steuerfrei. Veräußert die KapG B ihre Beteiligung an der KapG A an die KapG C, so bleibt ein entstehender Veräußerungsgewinn steuerfrei, solange er bei der KapG B nicht ausgeschüttet, also thesauriert wird. KapG A Ebene der KapG
KapG B
KapG C/ PersU/Privatperson
Ausschüttung von Dividenden der KapG A an die KapG B steuerfrei Veräußerung der KapG A-Anteile im Eigentum von KapG B an Erwerber (z. B. KapG C) steuerfrei
Ebene natürlicher Personen Abb. 10.149:
Steuerfreiheit von Dividendenausschüttungen und Anteilsverkäufen
Besondere Aufmerksamkeit hat vor allem die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne auf Kapitalgesellschaftsebene gefunden. Dem Steuersystem wird nicht selten der Vorwurf gemacht, es behindere durch steuerliche Belastungen der Anpassungsprozesse die notwendigen Strukturveränderungen. In diesem Zusammenhang wurde die im StSenkG 2000 enthaltene Regelung zur Steuerbefreiung für Gewinne aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften bei ihrer Ankündigung als unerwartetes Weihnachtsgeschenk begrüßt und löste damit ein wahres Kursfeuerwerk aus (vgl. o.V., Eichel überrascht die Börse mit einem Weihnachtsgeschenk, Handelsblatt v. 24./25.12.1999, S. 31).
10.1 Grundlagen der Besteuerung
701
Begründet wird die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne damit, dass die Veräußerung des Anteils wirtschaftlich der Ausschüttung des vorhandenen Eigenkapitals (Nominalkapital und Rücklagen) und aller künftigen Ausschüttungen entspricht. Diese Überlegungen sind vor dem Hintergrund der verfolgten Leitidee der je hälftigen Besteuerung auf Körperschaftsteuerebene und Einkommensteuerebene folgerichtig. Zu beachten ist allerdings, dass nicht zwingend immer eine „Erste-Hälfte-Besteuerung auf Körperschaftsteuerebene“ eintritt, die später durch eine „Zweite-Hälfte-Besteuerung auf Einkommensteuerebene“ zur „Einmalbesteuerung“ ergänzt wird. Soweit etwa stille Reserven zu einer Wertsteigerung der Anteile der Kapitalgesellschaft führen, entfällt temporär die „Erste-Hälfte-Besteuerung“, solange die stillen Reserven dort nicht realisiert werden. Soweit die infolge der stillen Reserven eintretenden Wertsteigerungen der Anteile realisiert werden, bleiben diese auf Kapitalgesellschaftsebene steuerfrei. Die Systemhaftigkeit der Steuerfreiheit von Dividenden und Veräußerungsgewinnen auf Ebene der Kapitalgesellschaften lässt sich mit einem einfachen Beispiel mit einem modellhaften Unternehmensteuersatz von 25 % verdeutlichen: Beispiel 28: Steuerfreiheit bei Weiterreichung von Dividenden Folgen der fragwürdigen „Steuerfreiheit“ gemäß § 8b KStG Die A-GmbH erzielt aus ihrem Vermögen einen Ertrag von 100, der als realisierter Gewinn der Besteuerung unterliegt. Sofern die Gewinnrealisierung noch nicht erfolgt ist, wird eine latente Steuerlast ausgelöst. Die nachstehenden Fallvarianten I–IV beschreiben die Steuerfolgen bei alternativer Gewinnverwendung und bei Veräußerung des Anteils an der A-GmbH.
Abb. 10.150:
Realisierter Gewinn bei der A-GmbH und Ausschüttung an den Eigentümer A (Fall I)
702
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Abb. 10.151:
Realisierter Gewinn bei der A-GmbH und Ausschüttung über die B-GmbH an den Eigentümer B (Fall II)
Abb. 10.152:
Realisierter Gewinn bei der A-GmbH, Gewinn aus Veräußerung der Beteiligung an A-GmbH bei der B-GmbH und Ausschüttung an den Eigentümer B (Fall III)
Die „Steuerfreiheit“ der Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen ist indessen ambivalent:
Auf den ersten Blick scheint es sich bei dieser Regelung um ein grandioses Steuergeschenk auf Unternehmensebene zu handeln, das deutliche Züge eines „Steuerparadieses auf Unternehmensebene“ aufweist.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
703
Auf den zweiten Blick handelt es sich bei diesem Steuergeschenk allerdings „nur“ um eine temporäre zinslose Steuerstundung, da die volle Nachholung der Besteuerung eintritt, wenn je daran gedacht würde, die stillen Reserven in Gewinnjahren zu mobilisieren und auszuschütten. Zu beachten ist schließlich, dass aufgrund der „Steuerfreiheit“ der Dividenden und Veräußerungsgewinne auf Körperschaftsteuerebene nach der von 2001–2003 geltenden gesetzlichen Regelung auch die zugehörigen Aufwendungen steuerfrei gestellt wurden.
Abb. 10.153:
Unrealisierter Gewinn bei der A-GmbH, Gewinn aus der Veräußerung an A-GmbH bei der B-GmbH und Ausschüttung an C-GmbH (Fall IV)
Die fragwürdige Schein-Korrespondenz von „Steuerfreiheit der Erträge“ und „NichtAbzugsfähigkeit der zugehörigen Aufwendungen“ hat massive Proteste der „Wirtschaft“ ausgelöst. Diese Proteste der Wirtschaft haben dazu geführt, dass im Haushaltsbegleitgesetz 2004 v. 29.12.2003 die bisherige „Steuerfreiheit“ von Dividenden und Veräußerungsgewinnen – wiederum völlig systemwidrig! – geändert wurde: Ab dem VZ 2004 gelten nach § 8b KStG 5 vH der an sich steuerfreien Einnahmen als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben mit der Folge, dass es in dieser pauschalen Höhe zu einer Besteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen kommt. Im Gegenzug aber können die mit diesen Einnahmen im Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben – anders als beim strikten Nichtabzugsverbot in den Jahren 2001– 2003 – nunmehr in voller Höhe steuerlich in Abzug gebracht werden.
704
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Unter Berücksichtigung der 5 %-Regelung und der Gewerbesteuer ergeben sich damit nachfolgende vereinfachte Belastungsrechnungen: Unternehmens-Ebene X-AG
Y-AG
WG EKX 1000 1000 ./. Kasse + 100,00 Gewinn ./. GewSt - 16,67 nach Steuern 62,50 + 83,33 ./. KSt - 20,83 62,50 1062,50
Beteiligung an X-AG Kasse
./. EKY
1000
= Gewinnrücklagen
1062,50
(1) Ausschüttung an Y-AG
1062,50
Abb. 10.154:
62,50 1062,50
(2) Ausschüttung an Y-Aktionäre Anteilseigner-Ebene (natürliche Person)
1000
.Dividende 62,50 "steuerfrei"/ "vorbesteuert!"
./. Dividende ./. ESt 40 % auf Halbeinkünfte
62,50
+ 62,50 - 12,50 + 50,00
Dividendenbesteuerung 2001–2003
Unternehmens-Ebene X-AG
Y-AG
WG EKX 1000 1000 ./. Kasse + 100,00 Gewinn ./. GewSt - 16,67 nach Steuern 62,50 + 83,33 ./. KSt - 20,83 62,50 1062,50 (1) Ausschüttung an Y-AG
1062,50
Beteiligung an X-AG
1000
./. EKY
(2) Ausschüttung an Y-Aktionäre Anteilseigner-Ebene (natürliche Person)
Abb. 10.155:
1000
.Dividende "steuerfrei"/ ./. Kasse + 62,50 "vorbesteuert!" + 62,50 -,52 ./. GewSt -,65 61,33 Zusatzbesteuerung ./. KSt (Basis 5 % = 3,12) - 0,52 ./. GewSt ./. (auf 3,12) - 0,65 ./. KSt ./.(auf 2,60) = Gewinnrücklagen + 61,33 61,33 1061,33 1061,33
./. Dividende ./. ESt 40 % auf Halbeinkünfte
Dividendenzusatzbesteuerung 2007 (mit 5 %-Regelung nach § 8b Abs. 3, 5 KStG seit VZ 2004)
61,33 + 61,33 - 12,27 + 49,06
10.1 Grundlagen der Besteuerung
Abb. 10.156:
705
Dividendenzusatzbesteuerung 2009 (5 %-Regelung nach § 8b Abs. 3, 5 KStG)
Die steuerlichen Wirkungen dieser pauschalen „5 %-Besteuerung“ macht die nachstehende Übersicht deutlich:
(1) Erträge
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Gesamtbereich
Operativer Bereich
Beteiligungsbereich
Operativer Bereich
Beteiligungsbereich
+700
+400
+300
+400
−
−
−
−
(3) Aufwendungen
−300
−150
−150
−150
−150
(4) Erfolg
+400
+250
+150
+250
−135
(2) Zusatzbesteuerung 5 %
steuerpflichtig („steuerfrei“)
Abb. 10.157:
(+300) +15 pauschal
+115 steuerpflichtig
Zusatzbesteuerung „steuerfreier Erträge“
Die „massiven Proteste der Wirtschaft“ gegen den sinnlosen „Nichtabzug“ haben damit für Konzerne mit der „5 %-Umfärbungs-Regelung“ zu einer merklichen Abmilderung der diskriminierenden steuerlichen Zusatzbelastung geführt! Nur nebenbei sei vermerkt: Entsprechend wirksame Proteste gegen den ebenfalls sinnlosen „Halb- oder Teilabzug“ bei Privatanlegern sind bis heute nicht zu vermelden!!!
706
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.3.3
Gewerbesteuer
10.1.3.3.1
Überblick
Die Gewerbesteuer lässt sich durch folgende Merkmale kennzeichnen: (1) Gewerbesteuerobjekt ist der Gewerbebetrieb im Inland. (2) Die Gewerbesteuer will als Realsteuer das Objekt Gewerbebetrieb im Inland in vollem Umfang steuerlich erfassen. Dabei sollen weder subjektive Elemente (z. B. Kapitalstruktur) die Gewerbesteuerlast vermindern, noch ausländische Komponenten einbezogen oder bereits durch Realsteuern (Gewerbesteuer, Grundsteuer) belastete Bestandteile nochmals durch eine weitere Realsteuer erfasst werden. (3) Diesem Zweck dienen die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen und Kürzungen, die gewährleisten sollen, dass (a) die Art der Güterbeschaffung (Kauf oder Miete) oder Finanzierung (Eigen- oder Fremdfinanzierung) keine Auswirkung auf die Gewerbesteuer hat, (b) ausländische Bemessungsgrundlagen nicht einbezogen werden und (c) keine Zweifachbelastung durch Realsteuern eintritt. (4) Die mit den „Hinzurechnungen und Kürzungen“ verfolgten Ziele werden nicht selten verfehlt. Ursache ist, dass derartige Hinzurechnungen und Kürzungen nicht selten inkonsistent vorgenommen werden und dann zu erheblichen Verzerrungen führen. Ein Musterbeispiel für steuerliche Verzerrungen bildet die Finanzierung von Unternehmen. Hier gelten folgende Regelungen:
(1)
Gewinnermittlung und Kapitalkosten
(2)
Regelungen im Rahmen der Gewerbesteuer
(3) (4)
Aktuelle Belastung durch Gewerbesteuer Alternativen zur Gleichbehandlung von Eigenkapital und Fremdkapital bei Gewerbesteuer
Abb. 10.158:
Gewerbesteuer und Finanzierung Fremdkapital (FK) Eigenkapital (EK) langfristig kurzfristig Gewinnermittlung Gewinnermittlung „ohne Abzug“ mit Abzug von „Eigenkapital-Zinsen“ von Fremdkapital-Zinsen keine Korrektur, bis 1982: d. h. volle Gewerbesteuer100 % Hinzurechnung Belastung des Gewinns keine 1983: (der „Eigenkapitalzinsen“) Hinzu60 % Hinzurechnung rechnung ab 1984: 50 % Hinzurechnung
volle Belastung durch Gewerbesteuer a) keine Korrektur b) Korrektur durch Abzug von kalkulatorischen „Eigenkapital-Zinsen“
Gewerbesteuerbelastung von Eigen- und Fremdkapital
ab 2008: generell 25 % Hinzurechnung 25 % Hinzurechnung durch Gewerbesteuer a) volle Hinzurechnung aller Fremdkapital-Zinsen b) keine Hinzurechnung
10.1 Grundlagen der Besteuerung
707
(5) Gewerbesteuerliche Neuregelung von Sachkapitalüberlassungen Als Schranke gegen „indirekte Finanzierungen“ in Form von Sachkapitalüberlassungen werden ab 2008 auch die in den Überlassungsentgelten enthaltenen Zinsanteile der Gewerbesteuer unterworfen. Der Zinsanteil von Miet-, Pacht-, Leasing- und Lizenzzahlungen wird zu 25 % angesetzt. Da sich Überlassungsentgelte für Sachkapital regelmäßig aus einem Tilgungs-, Zins- und Gewinnbestandteil zusammensetzen und der Zinsanteil mit steigender Überlassungsdauer zunimmt, wird der Zinsanteil typisierend geschätzt.
(1) Mieten, Pachten, Leasingraten • bewegliche Wirtschaftsgüter • unbewegliche (ab 2008) Wirtschaftsgüter (ab 2010) (2) Zinsen, Renten, dauernde Lasten, Gewinnanteile stiller Gesellschafter (3) Entgelte für die Überlassung von Lizenzen und Konzessionen Abb. 10.159:
(6)
(7)
(8)
(9)
Betriebsausgabe
Fiktiver Zinsanteil (%)
Hinzurechnungsbetrag
GewSt (sGE = 14 %)
100 100 100 100
20 % 65 % 50 % 100 %
5,00 16,25 12,50 25,00
0,70 2,28 1,75 3,50
100
25 %
6,25
0,88
Gewerbesteuerbelastung von Sachkapitalüberlassung (Nota bene: Entgelte liegen über dem Freibetrag von 100.000 €) (in Anlehnung an: Ernst & Young (2007), Die Unternehmensteuerreform 2008, S. 208)
Im politischen Aushandlungsprozess wurden folgende Hinzurechnungssätze festgelegt: Eine Betriebsausgabe von 100 € für Sachkapitalüberlassungen löst damit Gewerbesteuer in Höhe von 0,70–3,50 € aus, ein Eigenkapitalertrag von 100 € führt zu einer Gewerbesteuerbelastung von 14 €. Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist seit dem 1.1.1998 nur der Gewerbeertrag, der aus dem Gewinn aus Gewerbebetrieb/dem körperschaftsteuerpflichtigen Einkommen abzuleiten und ab VZ 2002 auf volle 50 € (bis VZ 2001 100 DM) nach unten abzurunden ist. Bis Ende 1997 war auch das aus dem Einheitswert des Betriebsvermögens abzuleitende Gewerbekapital zu berücksichtigen. Durch Anwendung der Steuermesszahl von 3,5 vH auf den Gewerbeertrag (bis 2007: Staffelung der Steuermesszahlen von 1 %–5 % für PersU, 5 % für KapG) und (von 2 vT auf das Gewerbekapital – nur bis Ende 1997!) erhält man den Steuermessbetrag, der zu einem einheitlichen Steuermessbetrag ggf auf die verschiedenen Belegenheitsgemeinden zerlegt wird. Für Gewerbebetriebe, die von natürlichen Personen oder Personengesellschaften betrieben werden, wird ab dem Veranlagungsjahr 1993 ein Freibetrag von 24.500 € (bis 2001 DM 48.000) gewährt, der den nicht möglichen Abzug von Gesellschafter-Geschäftsführergehältern – völlig unzureichend (!) – ausgleichen soll. Auf den – ggf zerlegten – Steuermessbetrag wird der gemeindliche Hebesatz (2010: 200–900 vH, im Durchschnitt 2010 390 vH) angewendet, und man erhält die Gewerbesteuerschuld. Ab 2004 gilt ein Mindesthebesatz von 200 %.
708
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(10) Die Gewerbesteuerschuld ergibt sich nach der Beziehung: Gewerbesteuerschuld = Bemessungsgrundlage × Steuermesszahl × Hebesatz. Nach dem allgemeinen Muster der Steuerschuldberechnung könnte man damit das Produkt Steuermesszahl x Hebesatz gleichsam als „Steuersatz“ bezeichnen.
= „Steuersatz“ Gewerbesteuerschuld= Bemessungsgrundlage x Messzahl x Hebesatz = Messbetrag Abb. 10.160:
Ermittlung der Steuerschuld
Die Gewerbesteuerschuld wird nach folgendem Schema berechnet: GewerbeGewerbeMesszahl × Gemeindehebesatz steuer = ertrag...... ×
Abb. 10.161:
bis 2007: 5 % mit Staffelregelung
Spannweite der Hebesätze 0 % – 200 % – 1000 %
ab 2008: 3,5 % ohne Staffelregelung
seit 2004: Mindesthebesatz von 200 %
Konkrete Ermittlung der Gewerbesteuerschuld
Zu beachten ist dabei, dass „Gewinn“ und „Gewerbeertrag“ keineswegs identisch sein müssen und selten übereinstimmen. Bei der Berechnung kombinierter Steuersätze wird diese Identität allerdings entgegen der Realität regelmäßig angenommen. (11) Die Gewerbesteuer ist – abweichend von der bis 2007 geltenden Regelung – ab dem Jahr 2008 weder im Rahmen der Gewerbesteuer beim Gewerbeertrag noch bei der Bemessungsgrundlage für die Einkommen- und Körperschaftsteuer abzugsfähig. Die führt zu einer erheblichen Vereinfachung und einem erfreulichen Transparenzgewinn. Alte Regelung 2001–2007 (1)
Jahresüberschuss vor Gewerbesteuer
100
Neue Regelung ab 2008 100
(2)
./.
Gewerbesteuer [m · h (= 400 %)]
− 16,67
− 14
(3)
=
Jahresüberschuss nach Gewerbesteuer
+ 83,33
− 86
(4)
./.
Körperschaftsteuer 2007 (25 %)
− 20,83
−
./.
Körperschaftsteuer 2008 (15 %)
−
− 15
=
Jahresüberschuss nach Steuern
+ 62,50
+ 71
(5)
Abb. 10.162:
Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer
10.1 Grundlagen der Besteuerung
709
(12) Die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage „Gewerbeertrag“ – bis 31.12.1997 auch „Gewerbekapital“ – wird in einer Gesamtübersicht nach folgendem Schema ermittelt: Besteuerung nach dem Gewerbeertrag (§§ 7 ff GewStG) Gewinn/Verlust aus Gewerbebetrieb (EStG) oder Einkommen vor Verlustabzug (KStG) + Hinzurechnungen (insb.): 25 % von 100 % der Entgelte für Schulden 20 % der Miet-/Pachtzinsen für die Benutzung von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen 50 % der Miet-/Pachtzinsen für die Benutzung von unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen soweit Summe > 100.000 € (Freibetrag) – Kürzungen (insb.) 1,2 % des Einheitswerts des Grundbesitzes Miet- und Pachtzinsen, soweit beim Pächter zugerechnet
Besteuerung nach dem Gewerbekapital (§§ 12 f GewStG) – bis VZ 1997 – Einheitswert des Betriebsvermögens
Ausgangsgrößen
= (vorläufiger) Gewerbeertrag – Gewerbeverlustabzug – Freibetrag 24.500 € [ 48.000 DM] (nur Personenunternehmen!) = Gewerbeertrag x Steuermesszahl 3,5 % = Steuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag
+ Hinzurechnungen (insb.) 50 % der Dauerschulden abzgl. Freibetrag 50.000 DM Teilwert der gemieteten/ gepachteten Nicht-Grundbesitz-Wirtschaftsgüter (mit Ausnahmen!)
– Kürzungen (insb.) Einheitswert des Grundbesitzes Teilwert der vermieteten /verpachteten Wirtschaftsgüter = (vorläufiges) Gewerbekapital – Freibetrag 120.000 DM = Gewerbekapital x Steuermesszahl 2 % = Steuermessbetrag nach dem Gewerbekapital
= einheitlicher Steuermessbetrag ggf. Zerlegung auf Gemeinden x Gemeinde-Hebesatz = Gewerbesteuerschuld Abb. 10.163:
Grundschema der Gewerbesteuerermittlung (ab 2008)
710
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.3.3.2
Entlastungsmaßnahmen zur Minderung der Zusatzbelastung „Gewerbesteuer“
a) Entlastungsmaßnahmen bei Kapitalgesellschaften Bei Kapitalgesellschaften besteht wegen der steuerlichen Anerkennung von Vertragsbeziehungen zwischen der Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern bei mittelständisch geprägten Kapitalgesellschaften die Möglichkeit, durch Vertragsausschüttungen die Gewerbesteuerlast zu vermindern. Fall I (1)
Jahresüberschuss vor Steuern
(2) ./. Vertragsausschüttung (z. B. Gehalt) JÜ vor Steuern nach Vertragsausschüttung
Fall II
100
100
−0
− 50
+ 100
+ 50
(3) ./. GewSt
− 14
−7
(4) ./. KSt
− 15
− 7,5
(5) = JÜ nach Steuern und Vertragsausschüttung
+71
+ 35,5
+ 71
+ 35,5
(6)
„Ausschüttung“ ∙ Gewinn ∙ Gehalt
+ 50
(7) ./. Einkommensteuer ∙ Abgeltungsteuer 25 %
∙ Einkommensteuer 42 % (8) = Einkünfte nach Einkommensteuer
− 17,75
− 8,88 − 21
+ 53,25
26,67
+ 29 55,67
Abb. 10.164:
Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften bei Vertragsausschüttungen
b) Entlastungsmaßnahmen bei Personenunternehmen (1) Ermäßigter Einkommens-Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte Die Sonderbelastung gewerblicher Einkünfte durch die Gewerbesteuer war für Personenunternehmen seit 1994 durch das Instrument der Tarifkappung bei der Einkommensteuer (1994: 47 %, ab 1999: 45 % und 2000: 43 %) gemildert worden: Statt eines Spitzensteuersatzes von 51 % galt im Jahr 2000 ein Höchstsatz von 43 % (ohne SolZ und KiSt). (2) Gewerbesteueranrechnung bei der Einkommensteuer Zur Abmilderung der zusätzlichen Gewerbesteuerbelastung bei Personenunternehmen wurde statt der in den Jahren 1994–2000 angewandten Tarifkappung im Jahr 2001 das Modell der Gewerbesteuer-Anrechnung eingeführt. Dieses Modell war entsprechend der damaligen Regelung von der Überlegung geleitet, dass die Gewerbesteuer aufgrund der Abzugsfähigkeit bei der Körperschaftsteuer und Einkommensteuer bereits teilweise eine steuerliche Entlastung erfährt, so dass für eine weitgehende Vollentlastung noch ein weiterer Entlastungsschritt erforderlich ist. Dieser Entlastungsschritt wurde in Form einer pauschalen Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer eingeführt, wobei allerdings statt
10.1 Grundlagen der Besteuerung
711
des erforderlichen Anrechnungsfaktors von 2,0 nur ein Faktor von 1,8 für hinreichend erachtet wurde. Nicht gewerbliche Einkünfte (1) Jahresüberschuss (2) GewSt 16,67 % Jahresüberschuss (3) nach GewSt (Gewerbeertrag) (4) ESt 50 % Anrechnung der GewSt (5) (Faktor × Messbetrag)) (6) Einkünfte nach Steuern Abb. 10.165:
+ 120 −
Gewerbliche Einkünfte ohne Anrechnung + 120 − 20
+ 120 − 60
+ 100 − 50
− + 60
− + 50
Anrechnung (2,0) + 120 − 20
Anrechnung (1,8) + 120 − 20
+ 100 − 50 + 10
+ 100 − 50
+ 40 + 60
+9
− 41 + 59
Vorüberlegungen zur Gewerbesteueranrechnung
Regelungen im Zeitraum 2001–2007 Im Jahr 2001 wurde für gewerbliche Einkünfte ein Gewerbsteuer-Anrechnungsmodell eingeführt. Die betriebliche Gewerbesteuer wurde in pauschaler Weise – in Höhe des 1,8-fachen des Gewerbesteuer-Messbetrags (§ 35 EStG) – auf die private Einkommensteuer angerechnet. Zusammen mit der Entlastung aus der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer bei den gewerblichen Einkünften führte dies zur Verminderung der gewerbesteuerlichen Zusatzbelastung.
(1) (2)
(3) (4) (5)
(6) (7)
Gewinn (vor Steuern) Gewerbeertragsteuer 16,67 % (400 % Hebesatz, ohne Freibetrag und ohne Staffelungsregelung) = Gewerbliche Einkünfte = Gewerbeertrag tarifliche Einkommensteuer 2001: 48,5 % 2006: 42 % + Steuerermäßigung nach § 35 EStG (1,8 x 83,33 × 5 %) = Einkünfte nach Steuern ˆ Steuerbelastung (absolut)
Abb. 10.166:
Selbständige Arbeit 2001 2007 +100 +100
+100
Gewerbliche Einkünfte 2001 +100 − 16,67
2007 +100 − 16,67
+83,33
+83,33
− 35,00 −32,73 + 7,69
−27,31
+50,60 −49,40
+56,02 −43,98
+100
−48,50
− 40,42 − 42 + 7,69
+51,50 −48,50
+ 58 − 42
Spitzensteuerbelastung eines gewerblichen Einzelunternehmens mit Steuerermäßigung nach § 35 EStG (2001 und 2007)
712
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(3) Gewerbesteueranrechnung ab 2008 Im Jahr 2008 erfolgte eine bahnbrechende Neuregelung bei der Gewerbesteuer. Diese Gewerbesteuer, die bis dahin ausschließlich als Kostensteuer begründet wurde, wurde derart umgestaltet, dass die Gewerbesteuer ab 2008 keine abzugsfähige Betriebsausgabe mehr darstellt. Da gleichzeitig die Gewerbesteuermesszahl von 5 % auf 3,5 % abgesenkt wurde, war zur Sicherstellung einer weiterhin erwünschten weitgehenden Neutralisierung der Gewerbesteuerbelastung eine Erhöhung des Anrechnungsfaktors von 1,8 auf 3,8 erforderlich. Das nachfolgende Grundbeispiel macht die Neuregelung deutlich: Besteuerung von Personenunternehmen Jahr 2007 Gewerblicher Gewinn (vor Steuern)
(1) (2)
(3)
./.
./.
(4) (5)
(6)
(7)
+100
Gewerbeertragsteuer 16,67 % (Steuermesszahl 5 %, 400 % Hebesatz) Gewerbeertragsteuer 14 % (Steuermesszahl 3,5 %, 400 % Hebesatz)
+
./.
tarifliche Einkommensteuer • sE = 42 % • sE = 45 % Steuerermäßigung nach § 35 EStG • 2007: 1,8 x (100 x 5,5 %) • 2008: 3,8 x (100 x 3,5 %) SolZ (5,5%)
Jahr 2008 (45 %)
+100
−16,67
Gewerbliche Einkünfte ./.
Jahr 2008 (42 %)
+100
−
−
−
−14
−14
+83,33
+86
+86
−35
−42 − 45
+7,50
−27,50 +13,30 −28,70
+13,30 −31,70
−1,51
−1,58
−1,74
(8)
Einkünfte nach Steuern
+54,32
+55,72
+52,56
(9)
Steuerbelastung (absolut)
−45,68
−44,28
−47,44
Abb. 10.167:
10.1.3.3.3
Steuerbelastung von Personenunternehmen (2007 und 2008) (ohne Thesaurierung)
Thesaurierungsrücklage für Personenunternehmen
Nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 können ab 2008 auch Personenunternehmen wie bisher schon Kapitalgesellschaften Gewinne steuerlich „begünstigt“ thesaurieren. Die Begünstigung der nicht entnommenen Gewinne ist in § 34a EStG kompliziert und verständlich geregelt. Der begünstigte Einkommensteuersatz für Thesaurierungen wurde mit sb = 28,25 % festgelegt. Damit sollte eine Gleichstellung mit der Thesaurierung von Kapitalgesellschaften erreicht werden.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
713
Thesaurierung bei KapG 2008 Jahresüberschuss
(1)
100
(2)
./. GewSt 14 %
−14
(3)
./. KSt 15 %
−15
(4)
=
Jahresüberschuss nach Steuern
Abb. 10.168:
+71
Thesaurierung bei KapG (Modell)
Thesaurierung bei PersU vorgespiegelte maximale Thesaurierung (1) (2) (3)
(4) (5) (6)
Jahresüberschuss ./. GewSt 14 % ./. begünstigte ESt 28,25 % • Thesaurierung 100 • Thesaurierung 65,22 ./. ESt 45 % Nichtthesaurierung (34,68) + GewSt-Anrechnung
+100 −14
+100 −14
−28,25 −18,43 − +13,30
Jahresüberschuss zur Thesaurierung (B) a)
Abb. 10.169:
realistische maximale Thesaurierung
−14,95 +71,05
−15,65 +13,30
−20,78 +65,22
Thesaurierung bei PersU (Modell) 10,450,140,133 0,543 a) B = 65,22 10,450,2825 0,8325
Berücksichtigt man, dass neben der nichtbegünstigten Gewerbesteuer im Regelfall auch die auf die gewerblichen Einkünfte der (Mit)Unternehmer entfallenden Steuerzahlungen entnommen werden müssen, ergibt sich für die realistische maximale Thesaurierung folgende Beziehung: B = 1 − sG − sbE • B − sE (1 − B) 1 sE sG B= 1 sE sbE Wie bei Kapitalgesellschaften ist es ab 2008 erstmals möglich, auch für Personenunternehmen eine Thesaurierungsrücklage zu bilden. Allerdings ist diese völlig „verkorkste“ Vorschrift ein Musterbeispiel an Komplizierung und missglückter Wirksamkeit. Die Berechnung der maximal möglichen Thesaurierung erweist sich dabei auf Grund der entstehenden Zirkelbeziehungen als überaus aufwendig:
714
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
G T S sG
= Gewinn vor Steuern = 1 = maximale Thesaurierung = gesamte Steuerbelastung bei Thesaurierung (= Entnahme für Steuerzahlung) = Gewerbesteuersatz = m•h
sT
= Thesaurierungsteuersatz
sE
= normaler Einkommensteuersatz
a = Anrechnungsfaktor GewSt auf ESt m GewSt-Messzahl SolZ = Solidaritätszuschlag G TS T 1 S T 1 sG a m (1 SolZ) s T T (1 SolZ) s E (1 T) (1 SolZ) T sT T (1 SolZ) s E T (1 SolZ) 1 s G a m (1 SolZ) s E (1 SolZ) T [1 s T (1 SolZ) s E (1 SolZ)] 1 s G a m (1 SolZ) s E (1 SolZ) T
1 sG a m (1 SolZ) s E (1 SolZ) 1 s T (1 SolZ) s E (1 SolZ)
im Beispiel : T
1 0,14 3,8 0,035 (1 0,055) 0, 45 (1 0,055) 1 0, 2825 (1 0,055) 0, 45 (1 0,055)
T
0,52557 0,6384 0,82329
ohne SolZ : T
1 sG a m s E 1 sT sE
Abb. 10.170:
Berechnung der maximal möglichen Thesaurierung bei Personenunternehmen (2008)
Von einem Euro Ausgangsgewinn können beim zugrunde gelegten Einkommensteuersatz von 45 % lediglich 0,6384 € thesauriert werden. Die thesaurierten Gewinne sind somit letztlich mit 36,16 % belastet.7 Die vom Gesetzgeber verlautbarte Thesaurierungsbelastung von 29,80 % (= Thesaurierungsteuersatz 28,25 % + SolZ 5,5 %), mit der tatsächlich eine weitgehende Belastungsgleichheit
7
Bei einem Einkommensteuersatz von 42 % würde sich eine Thesaurierungsbelastung in Höhe von 34,82 % ergeben.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
715
zur Kapitalgesellschaft im Thesaurierungsfall erreicht worden wäre, müssen daher als irreführend bezeichnet werden. Die nachfolgende Übersicht versucht, das Verfahren deutlich zu machen: ESt = 42 %
ESt = 45 %
Unternehmens-Ebene (1)
Gewinn vor Steuern
100,00
100,00
(2)
./. GewSt (h = 400 %)
−14,00
−14,00
(3)
= Gewinn nach GewSt
86,00
86,00
(4)
Thesaurierung (t1)
[65,18]
[63,84]
20,82
22,16
Eigentümer-Ebene Thesaurierung (t1) (5) (6) (7) (8) (9)
Entnahme (nach GewSt) BMG Thesaurierung ./. Thesaurierungs-ESt 28,25 % BMG Nicht-Thesaurierung ./. Normal-ESt (42 %/45 %)
(65,18)
(63,84)
−18,41
−18,03
(34,82)
(36,16)
−14,62
−16,27
(10) + GewSt-Anrechnung (100 ∙ 3,5) ∙ 3,8
+13,30
+13,30
(11)
(19,73)
(21,00)
−1,09
−1,16
0,00
0,00
34,82
36,16
BMG SolZ
(12) ./. SolZ 5,5 % (13) = Einkünfte nach Steuern (14)
Steuerbelastung Thesaurierung Eigentümer-Ebene Entnahme (t2)
(15)
Entnahme
(16) ./. Vorbelastung 29,80 % (sE = 28,25 % + sSolZ = 5,5 % ) (17)
BMG Nachbelastung
(18) ./. ermäßigte ESt 25 %
65,18
63,84
(−19,42)
(−19,02)
(45,76)
(44,82)
−11,44
−11,20
(19) ./. SolZ 5,5 %
−0,63
−0,62
(20) = Einkünfte nach Steuern
53,11
52,02
(21)
Steuerbelastung gesamt
Abb. 10.171:
46,89 %
47,98 %
Besteuerung von Personenunternehmen (2008) – Thesaurierung mit späterer Entnahme (ohne Zinswirkungen)
716
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Ermittlung der maximal möglichen Thesaurierung muss unter Berücksichtigung der notwendigen Entnahmen für Gewerbe- und Einkommensteuerzahlungen erfolgen. Deren temporäre Begleichung aus „anderen privaten Quellen“ – wie teilweise unterstellt – erscheint für einen Steuerbelastungsvergleich, insbesondere im Hinblick auf eine Gegenüberstellung mit einer thesaurierenden Kapitalgesellschaft, als ungeeignet. Falls die Einkommensteuer – im völlig untypischen Ausnahmefall! – privat bezahlt wird, gilt: PersU Sofortentnahme
KapG
Thesaurierung Nachentnahme
Teileinkünfteverfahren
Abgeltungsteuer
I. Unternehmens-Ebene (1)
Gewinn
+100
+100
+100
-14
-14
-14
./. KSt (15 %)
-
-
-15
./. SolZ 5,5 %
-
-
-0,83
+86
+86
+70,17
(2)
./. GewSt (h = 400 %)
(3) (4) (5)
= Gewinn nach GewSt/KSt II. Eigentümer-Ebene Thesaurierung 86
(6)
./. Vorbelastung Thesaurierung 28,25 %
(7)
./. Steuerbelastung Nichtthesaurierung 45 %
(8)
+ GewSt-Anrechnung
+13,30
(9)
= ESt-Belastung
-17,30
(10)
./. SolZ 5,5 %
(11)
= Thesaurierungsbelastung PersU
(12)
Gesamtbelastung -32,25
(13)
Vorbelastung
„Ausschüttung“
-24,30 -6,30
-0,95 -18,25 -86 -
+70,17
+70,17
-
-
(60,37)
(42,10)
(+70,17)
-
-
-
(14)
./. Bemessungsgrundlage
(15)
./. ESt 45 %
(16)
./. ermäßigte ESt 25 %
-
-15,10
-18,95
-
(17)
./. Abgeltungsteuer
-
-
-
(-17,74)
(18)
+ GewSt-Anrechnung
(19)
./. SolZ
(20)
= Einkünfte nach Steuern
(21)
= Steuerbelastung
Abb. 10.172:
(+100)
+86 (-25,63)
-45
+13,30
-
-
-
-1,74
-0,83
-1,04
-0,96
52,66
+70,07
+50,18
+51,57
-47,34
-48,18
-49,82
-48,43
Grundstruktur der Unternehmensbesteuerung mit Einlage 2009
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.3.4
Einfluss der Ertragsteuern auf die Wahl der Unternehmensrechtsform
10.1.3.4.1
Rechtsformneutralität
717
Als besonders bedeutsames Ziel von Unternehmenssteuerreformen wird immer auch die Rechtsformneutralität hervorgehoben. Ein einfacher Weg, dies zu erreichen, wäre mit der Anwendung des Körperschaftsteuersystems auf Personenunternehmen – dem „Optionsmodell“ – automatisch erreicht worden. Dieser einfache Weg ist 2001 allerdings nicht begangen worden. Ursächlich hierfür waren vorgebliche Probleme bei der Besteuerung von Sonderbetriebsvermögen der Personengesellschaften. Eingeführt wurde das „Anrechnungsmodell“ mit der Teilanrechnung der Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer, mit dem das Ziel Rechtsformneutralität allerdings aus mehreren Gründen verfehlt wird. Das „Anrechnungsmodell“ stellt im Kern eine Fortführung der bisherigen Besteuerungsregeln der Personenunternehmen dar, die um die „Anrechnung“ der Gewerbeertragsteuer durch eine pauschale Ermäßigung der Einkommensteuer modifiziert sind. Im alten Recht bis 2000 bestanden zwischen der Besteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften erhebliche Besteuerungsunterschiede, die im Wesentlichen auf folgende vier, teilweise interdependente Ursachen zurückgingen: (1) Unterschiede in der Gewerbesteuerbelastung, (2) Unterschiede in der steuerrechtlichen Anerkennung von Verträgen zwischen Eigentümern und Unternehmen, (3) Unterschiede in der Berücksichtigung von Verlusten und (4) Unterschiede im technischen System der Unternehmensbesteuerung und im Steuersatz von Körperschaftsteuer und Einkommensteuer. In diesen Punkten führte das Halbeinkünfteverfahren ab 2001 zu keiner Verbesserung, vielmehr wurden die bestehenden Gräben eher noch vertieft: (1) Die Gewerbesteuer stellt nach derzeit geltendem Recht eine wesentliche Ursache für die unterschiedliche Steuerbelastung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften dar: Für Personenunternehmen wurde bis 2007 die Steuerbelastung in zwei Stufen ermäßigt: Einmal durch die Abzugsfähigkeit bei der Einkommensteuer, zum anderen durch die pauschale Anrechnung der Gewerbesteuer bei der persönlichen Einkommensteuer. Ab 2009 gilt nur noch Letzteres. Für Kapitalgesellschaften stellt die Gewerbesteuer eine echte Zusatzbelastung dar, die durch die Abzugsfähigkeit bei der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage etwas abgemildert wird. Zu beachten ist allerdings, dass durch Vertragsgestaltungen die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer (erheblich) verringert werden kann. (2) Die Anerkennung von Verträgen zwischen Unternehmen und ihren Eigentümern ist nach wie vor nur zwischen der Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern möglich. Der im „Optionsmodell“ für Personenunternehmen aufgezeigte Weg, zwischen Unternehmen und ihren Eigentümern grundsätzlich Verträge auf angemessener Basis und damit „Vertragsausschüttungen“ zuzulassen oder gegebenenfalls steuerrechtlich zu fingieren, wurde im Anrechnungsmodell nicht genutzt. Damit verbleibt es beim bisherigen
718
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Zustand, dass Kapitalgesellschaften durch Vertragsgestaltungen mit ihren Gesellschaftern über ein erhebliches Steuergestaltungspotenzial verfügen, das Personenunternehmen vorenthalten bleibt. Dieses Gestaltungspotenzial beruht im wesentlichen auf dem Dualismus der Einkünfteermittlung, der als der Dreh- und Angelpunkt für steuerliche Gestaltungen angesehen werden kann. Hieraus resultieren erhebliche Steuerlastunterschiede zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften. (3) Im Bereich der Verlustberücksichtigung weist die Kapitalgesellschaft wegen des angewandten Trennprinzips gegenüber dem Personenunternehmen mit dessen Integrationsprinzip erhebliche Nachteile auf. Angesichts des bestehenden Trends, die Verlustberücksichtigung immer weiter einzuschränken, ist nicht damit zu rechnen, dass dieser im Sonderfall von Verlusten bestehende Nachteil der Kapitalgesellschaft in absehbarer Zeit beseitigt werden wird. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass dieser Nachteil im wesentlich „nur“ die mittelständischen „Stand-Alone-Kapitalgesellschaften“ betrifft, während im Konzernverbund reichhaltige Möglichkeiten zur Verlustkompensation bestehen. (4) Nach dem technischen System der Unternehmensbesteuerung war die Besteuerung der Kapitalgesellschaften nach dem Vollanrechnungsverfahren eine Interimsbesteuerung, die im Vorgriff auf die spätere Einkommensbesteuerung durchgeführt wurde. Eine solche Interimsbesteuerung erschien aus Sicherungsgründen und vor allem deshalb erforderlich, um die steuerliche Belastungsgleichstellung zum Personenunternehmen mit seinem integrativen Besteuerungssystem zu gewährleisten, da ohne Körperschaftsteuer auf Kapitalgesellschaftsebene eine steuerfreie Kapitalbildung auf Unternehmensebene möglich gewesen wäre. Solange die Interimsbesteuerung auf der Höhe des Spitzensatzes der Einkommensteuer erfolgte, war damit zumindest keine Bevorzugung der Kapitalgesellschaft im Thesaurierungsbereich verbunden. Die seit 1990 zu beobachtende Absenkung der Thesaurierungssätze bei Aufrechterhaltung oder geringerer Absenkung der Einkommensteuersätze führte zu einer zunehmenden Tarifspreizung, die schon in der Vergangenheit eine gewisse Bevorzugung der Gewinnthesaurierung auf Kapitalgesellschaftsebene bedeutete: Klass. System 1976 Thesaurierung 51,00% KSt
1977
Vollanrechnungssystem 1990 1994
2000
Halbeinkünftesystem 2001 2005
Teil-einkünftesystem 2009
Körperschaft KSt + steuer GewESt 59,15 % mit Gewerbe- Ausschüttung 23,44 % steuer KSt KSt + GewESt 36,20 %
56,00 % 50,00 % 45,00 % 40,00 % 25,00 % 25,00 %
15,0 %
63,34 % 58,34 % 54,17 % 50,00 % 37,50 % 37,50 %
29,0 %
36,00 % 36,00 % 30,00 % 30,00 % 25,00 % 25,00 %
15,0 %
46,67 % 46,67 % 41,67 % 41,67 % 37,50 % 37,50 %
29,0 %
Ein56,00 % ESt kommen- ESt * steuer (mit mit Kappung) Gewerbe ESt + steuer GewESt 63,34 %
56 ,00 % 53 ,0 % 53 ,00 % 51,00 % 48,50 % 42,00 %
45,0 %
Abb. 10.173:
-
-
47 ,00 % 43,00 %
-
-
63,34 % 60,83 % 55,83 % 52,50 % 49,58 % 44,17 %
-
39,4 %
Entwicklung der Körperschaftsteuersätze und Tarifspreizung (Gewerbesteuerhebesatz 400 %)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
719
Mit dem 2001 eingeführten Halbeinkünfteverfahren erfolgte ab 2001 eine völlige Kehrtwende insofern, als einbehaltene Gewinne einem definitiven niedrigen Körperschaftsteuersatz unterworfen und Ausschüttungen mit einer zusätzlichen Ausschüttungssteuer belegt werden. Als Folge dieser Strafsteuer wurde allgemein eine stärkere Thesaurierung auf Kapitalgesellschaftsebene prognostiziert. Beispiel 29: Statischer Rechtsformbelastungsvergleich (Grundfall 2007) Prüfen Sie anhand der nachfolgenden Modelldaten die These, Personenunternehmen seien steuerlich grundsätzlich günstiger als Kapitalgesellschaften. Bei einem (statischen = einperiodischen) Steuerbelastungsvergleich zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften zeigte sich 2007 folgendes Bild: Grundstruktur der Unternehmensbesteuerung nach Rechtsformen Personenunternehmen (Transparenzprinzip) ohne GewSt (1)
Kapitalgesellschaften (Trennprinzip)
mit GewSt ab VZ 2001 (2)
(3)
I. Unternehmens-Ebene Gewinn ./.
GewSt (h = 400 %)
=
Gewinn nach GewSt
./.
KSt 25 %
=
Gewinn nach KSt
+ 100
+ 100
+ 100
−
− 16,67
− 16,67
+ 100
+ 83,33
+ 83,33 − 20,83 + 62,50 Gewinnausschüttung
II. Eigentümer-Ebene Einkünfte
+ 100
./.
ESt 40 %
− 40
+
GewSt-Anrechnung
=
+ 83,33 − 33,33
+ 62,50 − 12,50
−
+ 7,50 − 25,83
Einkünfte nach Steuern bei ESt 40 %
+60
+ 57,50
+ 50
bei ESt 42 %
+ 58
+ 55,83
+ 49,37
bei ESt 45 %
+ 55
+ 53,33
+ 48,44
bei ESt 50 %
+ 50
+ 49,17
+ 46,87
Abb. 10.174:
Grundstrukturen der Unternehmensbesteuerung (2007) (1) Personenunternehmen ohne Gewerbesteuer (2) Personenunternehmen mit Gewerbesteuer und -anrechnung ( VZ 2001–2007) (3) Kapitalgesellschaften (VZ 2001–2007)
720
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Gewerbesteuer berechnet sich aus dem Gewerbeertrag, der Messzahl (5 %) und dem Hebesatz (z. B. 400 %). Das Produkt aus Gewerbeertrag und Messzahl heißt Messbetrag. Die Gewerbesteueranrechnung der Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer erfolgte von 2001– 2007 pauschal in Höhe des 1,8-fachen des Gewerbesteuermessbetrags (z. B. 1,8 × (83,33 × 5 %) = 7,50). 10.1.3.4.2
Aktuelle Grundstrukturen der Unternehmensbesteuerung
Mit der Einführung des Teileinkünfteverfahrens 2008 und der Abgeltungsteuer 2009 ergibt sich nach dem Übergangsjahr 2008 ab dem Jahr 2009 nunmehr folgende Grundstruktur der Unternehmensbesteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften: Grundstruktur der Unternehmensbesteuerung nach Rechtsformen Personenunternehmen – Transparenzprinzip – Sofortentnahme (1) I. Unternehmens-Ebene Gewinn vor Steuern ./. GewSt (m = 3,5 % / h = 400 %) = Gewinn nach GewSt ./. KSt 15 % = Gewinn nach GewSt/KSt [maximale Thesaurierung] II. Eigentümer-Ebene Ausschüttung Bemessungsgrundlage ./. ESt 40 % ./. Abgeltungsteuer 25 % + GewSt-Anrechnung (GewE 3,5 % 3,8 – maximal aber gezahlte Gewerbesteuer) = Einkünfte nach Steuern bei ESt 40 %
Kapitalgesellschaften – Trennprinzip – Teileinkünfteverfahren (60 %) (2)
Abgeltungsteuer (25%) (3)
+100 −14
+100 −14
+86 − +86 −
+86 −15 +71 [+71]
+ 86 (+100) −40 − +13,30
TEV + 71 (+42,60) −17,04 − −
Abgeltungsteuer + 71 (+71) − −17,75 −
59,3
53,96
53,25
53,11
53,25
bei ESt 42 %
57,3
bei ESt 45 %
54,3
51,83
53,25
bei ESt 50 %
49,3
49,70
53,25
Abb. 10.175:
Grundstrukturen der Unternehmensbesteuerung (seit 2009)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
721
Unter Berücksichtigung der seit 2008 auch für Personenunternehmen möglichen Thesaurierungsmöglichkeit ergibt sich folgendes Bild: Grundstruktur der Unternehmensbesteuerung nach Rechtsformen Personenunternehmen Transparenzprinzip keine Thesaurierung (1) I. Unternehmens-Ebene Gewinn vor Steuern ./. GewSt (m = 3,5 % / h = 400 %) = Gewinn nach GewSt ./. KSt 15 % = Gewinn nach GewSt/KSt maximale Thesaurierung (bei ESt 40 %)a) II. Eigentümer-Ebene ./. Vorbelastung 28,25 % Thesaurierung (67,2) ./. Steuerbelastung 40 % Nicht-Thesaurierung (32,8) + GewSt-Anrechnung Thesaurierung Ausschüttung + Vorbelastung Bemessungsgrundlage ./. ESt 40 % ./. ermäßigte ESt 25 % ./. Abgeltungsteuer 25 % + GewSt-Anrechnung = Einkünfte nach Steuern bei ESt 40 % bei ESt 42 % bei ESt 45 % bei ESt 50 % Abb. 10.176:
+100 −14 +86 − +86 −
Thesaurierung mit Nachentnahme (1’)
Kapitalgesellschaften Trennprinzip Teileinkünfteverfahren (60 %) (2)
+100 −14
+100 −14
+86 − +86 [+67,20]
+86 −15 +71 [+71]
Abgeltungsteuer (3)
−18,98 −13,12 +13,30 [+67,20] (+100) −40 − − +13,30
+ 67,20 (−18,98) (+48,22) − −12,05 − −
(+42,60) −17,04 − − −
59,3 57,3 54,3 49,3
55,15 54,52 53,53 51,70
53,96 53,11 51,83 49,70
Grundstrukturen der Unternehmensbesteuerung (2009) 1 sG a m sE 1 0,14 0,133 0,4 a) Tmax = = = 0,672 1 sT sE 1 0,2825 0,4
(+71) − − −17,75 − 53,25 53,25 53,25 53,25
722
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Diese Regelungen zur Thesaurierung bei Personenunternehmen müssen wegen ihrer Kompliziertheit und unzureichenden Zieleignung als völlig missglückt bezeichnet werden. Derzeit stellt die Anwendung dieser „Begünstigungs-Regelung“ eher die Ausnahme dar! Um den Einfluss der bei Kapitalgesellschaften möglichen Vertragsausschüttungen auf die Gesamtsteuerbelastung zu zeigen, werden nachfolgend der „normalen Gewinnausschüttung“ die Fälle einer vollständigen Vertragsausschüttung im Wege von Fremdkapitalzinszahlungen und eines Geschäftsführergehalts gegenübergestellt: Besteuerung von Kapitalgesellschaften mit Vertragsausschüttungen Vertragsausschüttung „Normale“ VertragsFremdkapitalzinsen Gewinnausschüttung (25 % GewSt) ausschüttung Gsfter-Gehalt Anteile Anteile (100 % GewSt) (0 % GewSt) < 10 % ≥ 10 % (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10)
(11) (12) (13) (14) (15) (16)
(17)
./. = ./. = ./. ./. =
./. ./. ./. =
Unternehmens-Ebene Gewinn vor Steuern Vertragsausschüttung (VA) Gewinn nach VA BMG GewSt GewSt (m = 3,5% / h = 400%) Gewinn nach GewSt BMG KSt KSt 15 % SolZ 5,5 % Gewinn nach GewSt und KSt Eigentümer-Ebene (Vertrags-)Ausschüttung Abgeltungsteuer 25 % ESt 42 % BMG SolZ SolZ 5,5 % Einkünfte nach Steuern: ● Abgeltungsteuer = 25% ● ESt-Satz = 42 % ● ESt-Satz = 45 % Steuerbelastung gesamt: ● Abgeltungssatz = 25 % ● ESt-Satz = 42 % ● ESt-Satz = 45 %
Abb. 10.177:
100,00 ./. 100,00 (100,00)
100,00 −95,25 a) 4,75 (28,56)
100,00 −100,00 0,00 (0,00)
−14,00 86,00 (100,00) −15,00 −0,83
−4,00 0,75 (4,75) −0,71 −0,04
0,00 0,00 (0,00) 0,00 0,00
70,17
0,00
0,00
70,17 −17,54 − (17,54) −0,96
95,25 95,25 −23,81 − − −40,01 (23,81) (40,01) −1,31 −2,20
51,67 − −
70,13 − −
− 53,04 50,03
48,33 % − −
29,87 % − − 46,96 % − 49,97 %
Besteuerung von Kapitalgesellschaften mit Vertragsausschüttungen (2009) a) Berechnung nach der Beziehung (Z = Fremdkapitalzinsen) 100 = Z + [0,25 Z + (100-Z)] · 3,5 % · 400 % + (100-Z) · 15 % Z = 95,30 Daraus folgt: GewSt = 4 (3,9935) und KSt 0,70 (0,705)
100,00 − −42,00 (42,00) −2,31 − 55,69 52,53 − 44,31 % 47,47 %
10.1 Grundlagen der Besteuerung
723
Es zeigt sich, dass die Gewinnausschüttung im Regelfall eine steuerlich ungünstige Ausschüttung darstellt, vorzuziehen sind regelmäßig Vertragsausschüttungen. 10.1.3.4.3
Fazit zur Rechtsformneutralität und optimalen Rechtsform
Die Frage nach der steuerlichen Überlegenheit einer Rechtsform gegenüber der anderen – Personenunternehmen versus Kapitalgesellschaft – lässt sich nicht generell beantworten, sondern wird vor allem beeinflusst durch folgende Faktoren: Anwendung des individuellen Einkommensteuersatz oder des Abgeltungssatzes, geltender Gewerbesteuerhebesatz, Existenz von Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen und Eigentümern, Gewinnverwendung: Thesaurierung oder Ausschüttung und Länge des Planungshorizonts. Der steuerliche Vorteilsvergleich zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaft wird insbesondere modifiziert durch die – derzeit nur bei Kapitalgesellschaften bestehende – Möglichkeit, steuerlich anerkannt Verträge mit angemessener Vergütung zwischen Gesellschaftern und ihrer Gesellschaft zu schließen. Diese Vertragsbeziehungen können zu einer Verlagerung der Einkünfte auf andere Einkunftsarten eingesetzt werden („Einkünftesplitting“) und bieten auch die Chance für zeitlich aufgeschobene Vergütungen („deferred payments“). 10.1.3.5
Einfluss der Ertragsteuern auf die Unternehmensfinanzierung
10.1.3.5.1
Finanzierungsautonomie der Unternehmen
Unternehmen steht es grundsätzlich frei, ihren Kapitalbedarf durch Eigenkapital oder Fremdkapital zu decken (sog. Finanzierungsautonomie). Dabei sind folgende Finanzierungsformen zu unterscheiden:
Abb. 10.178:
Systematik der Finanzierungsformen
724
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Die Finanzierungsformen Eigen- und Fremdkapital unterscheiden sich typischerweise in vielen Aspekten. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass das von den Eigentümern zur Verfügung gestellte (mitgliedschaftsrechtliche) Eigenkapital Stimmrecht verleiht, während das von Gläubigern gewährte Fremdkapital grundsätzlich ohne Stimmrecht ist. In allen anderen Belangen (z. B. Laufzeit, Gewinnbeteiligung, Verlustteilhabe, Beteiligung an stillen Reserven) kann Fremdkapital ähnlich dem Eigenkapital ausgestaltet werden (vgl. „Mezzanine Kapital“). Aus vielen Gründen – Mitsprachebefugnisse, Haftungsbeschränkung und nicht zuletzt auch Steuerbelastung – bestand offenbar immer ein besonderer Anreiz, im Rahmen der Außenfinanzierung unter Beibehaltung des (steuerlichen) Fremdkapitalcharakters, ausgehend vom Fremdkapital, eigenkapitalnahe Formen der Fremdfinanzierung zu entwickeln. Ausprägungen für solches Mezzanine-Kapital sind vor allem partiarische Darlehen, Darlehen mit Rangrücktritt, Darlehen mit Gewinn- und Verlustbeteiligung, stille Beteiligungen und die vielfältigen Spielarten der Genussrechte:
Abb. 10.179:
Entwicklung neuer Kapitalüberlassungsformen
Ausgehend von der grundsätzlichen Finanzierungsautonomie eines Unternehmens stellt sich bei der Wahlentscheidung zwischen Eigen- und Fremdkapital die Frage, ob diese Finanzierungsformen steuerlich gleich oder ungleich belastet werden. Bereits ein erster Blick offenbart formale Verfahrensunterschiede und Unterschiede materieller Art:
Gewinne des Eigenkapitals („Eigenkapitalzinsen“) werden bei Personenunternehmen auf Unternehmens-Ebene ermittelt und im Wesentlichen bei den Eigentümern der Besteuerung unterworfen. Bei Kapitalgesellschaften erfolgt die Besteuerung in einem zweistufigen Verfahren: Vorbelastung auf Unternehmens-Ebene, Nachbelastung auf Eigentümer-Ebene. Entgelte für die Fremdkapitalüberlastung („Fremdkapitalzinsen“) werden nur auf der Investor-Ebene erfasst. Dieser formale Verfahrensunterschied führt nicht zwangsläufig zu einer unterschiedlichen Steuerbelastung. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Steuersätze sorgfältig abgestimmt sind (sog. „Indifferenzsteuersätze“) und keine besonderen Steuersätze Anwendung finden.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
725
Die nachfolgenden Modellüberlegungen machen dies deutlich:
Unternehmens-Ebene EK-Ertrag vor Steuern +100 Unternehmens-Steuern Gewerbesteuer Körperschaftsteuer = EK-Ertrag nach Steuern Eigenkapitalgeber-Ebene Gewinnausschüttung Eigentümer-Besteuerung 40 % ESt 40 % Abgeltungsteuer 25 % Gewinnausschüttung nach Steuern
(1) (2) Eigenkapital
(3) (4) (5) (6)
(7) (8) Fremdkapital
(9) (10) (11) (12)
Abb. 10.180:
Unternehmens-Ebene Zinsertrag Unternehmens-Steuern Gewerbesteuer Körperschaftsteuer = Zinsertrag nach Unternehmens-Steuern Fremdkapitalgeber-Ebene Zinseinkünfte Einkommensteuer Normaltarif 40 % Abgeltungsteuer 25 % Zinsertrag nach Steuern
+100
Vorbelastung auf UnternehmensEbene
(Nach)Belastung auf Kapitalgeber-Ebene ESt
+100 −20 +80
ESt +80
AbgSt +80
−20 − +60
− −20 +60
+100
+100
−40 − +60
− −25 +75
+100 −0 +100
Einfluss der Besteuerung auf die Finanzierungsformen
Diese ersten Überlegungen lassen jedoch bereits erkennen, dass angesichts der grundlegenden Verfahrensunterschiede bei nicht abgestimmten Steuersätzen („Indifferenzsteuersätzen“) oder der Anwendung von Sondersteuersätzen Belastungsunterschiede auftreten können. In dem Maße, wie solche Belastungsunterschiede systematisch auftreten, schaffen sie Präferenzen und Diskriminierungen für bestimmte Finanzierungsformen. Dass die Finanzierungspraxis hier sehr sensibel reagiert, sollte eigentlich niemanden überraschen! Die niedrigen Steuersätze für Kapitalerträge in Oasen-Staaten in Verbindung mit der internationalen Zuordnung des Besteuerungsrechts für Fremdkapitalzinsen zum Wohnsitz des Fremdkapitalgebers verleihen mit der Öffnung der Grenzen der Fremdfinanzierung aus dem Ausland hohe Attraktivität. Bemühungen, diese steuerrechtlich unerwünschte Entwicklung zu immer niedrigerer Eigenkapitalausstattung („thin capitalization“) der Unternehmen in den Industriestaaten
durch Einführung des Rechtsinstituts „verdecktes Eigenkapital“ zu stoppen, durch „safe heaven-Regelungen“ die Höhe einer steuerlich noch akzeptierten Fremdfinanzierung zu begrenzen oder durch Regelungen zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung die weltweit beobachtbare „thin capitalization“ einzuschränken, waren bisher nur begrenzt erfolgreich.
726
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.3.5.2
Traditionelle Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital
Nach geltendem Recht werden Eigen- und Fremdkapitalerträge in mehrfacher Weise unterschiedlich belastet: (1) Kapitalerträge aus Eigenkapital, langfristigem und kurzfristigem Fremdkapital sind in der Vergangenheit im Rahmen der Gewerbesteuer immer sehr unterschiedlich belastet worden:
"Zinsen" des Eigenkapitals (Gewinn)
volle gewerbesteuerliche „Hinzurechnung“
Zinsen / Entgelte für die Überlassung von Fremdkapital langfristige "Dauerschulden"
bis 1982: volle Hinzurechnung
kurzfristige Schulden
keine gewerbesteuerliche Hinzurechnung
ab 1983: 60 % Hinzurechnung ab 1984: 50 % Hinzurechnung
Grundsätzlich ab 2008: 25 % Hinzurechnung 25 % Erfassung Abb. 10.181:
Gewerbesteuerliche Deformierung der Finanzierungsquellen
Die unterschiedlich hohe „Hinzurechnung“ führt im Ergebnis zu einer deutlich höheren Gewerbesteuerbelastung von Eigenkapitalerträgen im Vergleich zu Fremdkapitalerträgen. (2) Grundsätzlich werden Eigenkapitalerträge bei Kapitalgesellschaften auf Unternehmensebene mit Körperschaftsteuer vorbelastet und auf Anteilseignerebene mit Einkommensteuer nachbelastet. Zur Sicherung der Nachbelastung wird auf Unternehmensebene eine grundsätzlich anrechenbare Kapitalertragsteuer einbehalten. Demgegenüber werden Fremdkapitalerträge auf Unternehmensebene nicht vorbelastet, die Steuerbelastung erfolgt (fast) ausschließlich auf der Eigentümerebene. Zur Sicherstellung der Besteuerung wird hier zumeist ein steuerlicher Zinsabschlag einbehalten, der grundsätzlich bei der Einkommensteuer anrechenbar ist. Vor Einführung des Zinsabschlags bestand ein gravierendes Deklarationsdefizit bei Zinseinkünften. Dies führte über die Gewerbesteuer hinaus bereits auf nationaler Ebene zu einer weiteren starken Präferenz für Fremdkapital. (3) Bei offenen Grenzen ist die Besteuerung der Zinseinkünfte, für die nach geltendem Recht das Besteuerungsrecht regelmäßig dem Wohnsitzstaat zugewiesen ist, die zentrale Ursache für die zu beobachtende starke (hypertrophe) Fremdfinanzierung von Unternehmen vor allem aus sog. Niedrigsteuerländern.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
727
Der Vorteil für Fremdfinanzierung tritt vor allem dann auf, wenn Zinsen im Entstehungsland gar nicht oder nur gering vorbelastet werden und im Empfängerland vielfach nur niedrig oder gar nicht besteuert werden. Die Industriestaaten versuchen, sich durch unterschiedliche Sperrregelungen („thin capitalization rules“, Abzugsbeschränkungen für Fremdkapitalzinsen) vor unerwünscht hoher Fremdfinanzierung insbes. aus dem Ausland zu schützen. 10.1.3.5.3
Verstärkung der Ungleichbehandlung durch die Abgeltungsteuer
Die 2009 eingeführte Abgeltungsteuer bietet beste Voraussetzungen, die ungleich hohe steuerliche Belastung von Eigen- und Fremdkapitalerträgen zusätzlich weiter massiv zu Gunsten des Fremdkapitals zu verändern. Die Regelung findet sich in „§ 32d: Gesonderter Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen“. Nach der geltenden Rechtslage ab 2009 ergibt sich folgende Übersicht: Unternehmens-Ebene
Kapitalgeber-Ebene Eigenkapital Teileinkünfte- Abgeltungverfahren steuer
Fremdkapital Einkommen- Abgeltungsteuer steuer
Unternehmens-Ebene (1) (2) (3) (4)
EK-Ertrag ./. Gewerbesteuer (3,5 %/400 %) ./. KSt 15 % (BMG 100) = EK-Ertrag nach U-Steuern (Vorbelastung 29)
+100 −14 −15 +71
Eigentümer-Ebene (5) (6)
./.
./. (7) (8) (9)
./.
(10)
= ./.
(11) (12) (13)
./.
EK-Ertrag Gewinnausschüttung ESt 40 % (TEV/BMG 42,60) (Nachbelastung) oder Abgeltungsteuer 25 % EK-Ertrag nach Steuern FK-Ertrag Gewerbesteuer/KSt (25 % BMG/3,5 %/400 %) Zinsen nach GewSt ESt 40 % oder Abgeltungsteuer 25 % Zinsen nach Steuern Steuerbelastung
Abb. 10.182:
+71
+71
+71
−17,04 +53,96
−17,75 +53,25
+100 a)
−4,70 +95,30
46,04 %
46,75 %
+95,30 −38,12
+95,30 −
− +57,18 42,82 %
−23,83 +71,47 28,53 %
Steuerbelastung von Eigen- und Fremdkapitalerträgen 2009 (Modellsteuersatz 40 %) a) Berechnung nach der Beziehung (Z = Fremdkapitalzinsen) 100 = Z + [0,25 Z + (100-Z)] · 3,5 % · 400 % + (100 - Z) · 15 % Z = 95,30 Daraus folgt: GewSt = 4,00 und KSt = 0,705
Die Steuerbelastung 2009 zeigt sich in folgender Übersicht:
728
Abb. 10.183:
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
„Steuerliche Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapitalerträgen“ (ab 2009) Berechnung nach der Beziehung (Z = Fremdkapitalzinsauszahlung) 100 = Z + [0,25 Z + (100-Z)] · 3,5 % · 400 % + (100 - Z) · 15 % Z = 95,30 Daraus folgt: GewSt = 4,00 und KSt = 0,705
a)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
729
Besteuerung der Kapitalerträge aus Kapitalgesellschaften Eigenkapitalerträge
Fremdkapitalerträge
≙ Gewinnausschüttungen/ Dividenden
≙ Fremdkapitalzinsen
UnternehmensEbene (1)
Ertrag
(2) ./. Gewerbesteuer 14 %
100
100
(BMG 100 %) − 14
(BMG 25 %)
−4
(3) ./. Körperschaftsteuer 15 %
− 15
− 0,705
(4) = Ertrag nach GewSt/KSt
+ 71
+ 95,295
KapitalgeberEbene (privat) Dividende (5) (BMG 60 % (6) (7) (8) (9) (10)
≙ 42,6) ESt 40 % Netto-Ertrag
Teileinkünfte + 71
+ 71
−
ESt 45 % Netto-Ertrag
− 19,17
ESt 50 % Netto-Ertrag
− 21,3
+ 95,295
−
→ + 57,18 −
− 40,02
→ + 53,11
−
→ + 55,275 −
− 42,88
→ + 51,83
−
→ + 52,375 −
− 47,65
→ + 49,70 −
Abgeltungsteuer
− 38,12
→ + 53,96 − 17,89
Abb. 10.184:
+ 95,295
− 17, 04
ESt 42 % Netto-Ertrag
Abgeltungsteuer 25 % Netto-Ertrag
Abgeltungsteuer Tarifbesteuerung
−
→ + 47,65 − 17,75 → + 53,25
Besteuerung von Erträgen aus Eigenkapital und Fremdkapital
−
− 23,825 → + 71,475
730
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Wie diese Reform nach der Koalitionsvereinbarung und der Gesetzesbegründung dazu beitragen soll, eine „weitgehende Finanzierungsneutralität“ herzustellen, bleibt unerfindlich und steht dies in stupendem Kontrast zur Realität. Offenkundig handelt es sich bei dieser Gesetzesbegründung wieder einmal um reine „Gesetzgebungslyrik“: Halbeinkünfte-Verfahren 2007
Abgeltungsteuer-Verfahren 2009
Finanzierung EK
EK
Finanzierung FK
EK
EK
FK
Unternehmens-Ebene (1) (2) (3) (4)
Gewinn vor Zinsen und Steuern ./. Zinsen Gewinn vor Steuern GewSt-BMG
(5)
./. GewSt 16,67 %
(6)
./. GewSt 14 %
(7)
Gewinn nach GewSt
(8)
KSt-BMG
(9)
./. KSt 25 %
(10) ./. KSt 15 % (11)
Gewinn nach Steuern
(12)
Steuerbelastung (%)
+100
+100
+100
-0
-50
-0
-50
+100
+50
+100
+50
(+100)
(+75)
(+100)
-16,67
-12,50
-
-
-14
+83,33
+37,50
+86
(+83,33)
(+37,50)
(+100)
-20,83
-9,38
-
+100
(+62,50) -8,75 +41,25 (+50) -
-
-
-15
-7,50
+62,50
+28,12
+71
+33,75
37,50 %
43,75 %
29 %
32,50 %
Anteilseigner-Ebene (13)
Ausschüttung
(14)
Zinsertrag
(15)
ESt-BMG
(16) ./. ESt 42 % (17)
+62,50
+28,12
71
33,75
+50 (+31,25) -13,13
(+14,06) -5,91
+50
(+50)
-
-
-21
-
-
(+71)
-
AbgeltungSt-BMG
-
-
-
(+33,75)
(+50)
(18) ./. AbgeltungSt 25 %
-
-
-
-17,75
-8,44
-12,50
+22,21
+29
+53,25
+25,31
+37,50
Einkünfte nach Steuern (19)
Einkünfte einzeln
+49,37
(20)
Einkünfte gesamt
+49,37
(21)
Steuerbelastung (%)
Abb. 10.185:
50,63 %
+51,21 48,79 %
53,25 46,75 %
+62,81 37,19 %
Steuerbelastung der Eigen- und Fremdfinanzierung (ohne Zinsschranke)
Auch nach neuem Recht weist die Fremdfinanzierung gegenüber der Eigenfinanzierung bereits national wegen der Gewerbesteuer und vor allem der Abgeltungsteuer eine erheblich geringere Steuerbelastung auf. Dies wird in der Finanzierungspraxis dazu führen, dass die Fremdfinanzierung, sofern nicht wirksame Schranken greifen, noch stärker an Bedeutung gewinnt. International verschärft sich diese Entwicklung dramatisch!
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.3.5.4
731
Schranken gegen eine hypertrophe Fremdfinanzierung
Um einer hypertrophen Fremdfinanzierung entgegenzuwirken, sieht das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008
die Einführung einer generellen Zinsschranke (§ 4h EStG) und die Nichtanwendung der Abgeltungsteuer bei Kreditgewährung durch nahe stehende Personen (§ 32d Abs. 2 EStG) vor. Beide Regelungen betreten völliges Neuland. Derzeit noch völlig offen erscheint, was unter dem – aus dem Außensteuergesetz übernommenen – Begriff der „nahestehenden Person“ zu verstehen ist. Die Verfassungswidrigkeit erscheint in vielen Fällen vorprogrammiert. a) Zinsschranken-Regelung Die Zinsschranken-Regelung ersetzt die bisher nur für Kapitalgesellschaften geltende Regelung der Einschränkung von Gesellschafter-Fremdfinanzierungen (§ 8a KStG). Die Zinsschranken-Regelung gilt damit sowohl für Personen- und Kapitalgesellschaften und bezieht auch Zinszahlungen an Nicht-Gesellschafter oder gesellschafternahe Personen mit ein. Grundidee ist, dass Zinsaufwendungen nur noch bis zu einer bestimmten Höhe des Gesamtkapitalertrags sofort steuerlich abzugsfähig sein sollen. Als steuerlich „angemessene“, noch tolerierte Obergrenze für den Abzug von Zinsaufwendungen ist derzeit festgelegt, den Zinsabzug auf höchstens 30 % des gesamten Kapitalertrags zuzüglich der Abschreibungen (EBITDA) zu limitieren. Allerdings ist diese Zinsschranke in mehreren Fällen außer Kraft gesetzt, so dass folgendes Prüfungsschema durchzuführen ist. Grundsätzliche Regelung (§ 4h EStG): Zunächst ist der Schuldzinsüberhang, d. h. die Differenz aus Zinsaufwendungen und Zinserträgen, zu ermitteln. Bei Vorliegen eines negativen Schuldzinsüberhangs ist die Abzugsfähigkeit der Zinsaufwendungen auf den Zinsertrag und 30 % des EBITDA („Earnings Before Interest and Taxes, Depreciation and Amortization“) beschränkt. Ausnahmen (§ 4h Abs. 2 EStG): (1) Freigrenze 3 Mio Euro Ist der positive Schuldzinsüberhang je einzelnem Betrieb geringer als 3 Mio. € (Freigrenze), kann der steuerliche Schuldzinsabzug unbeschränkt vorgenommen werden. (2) Konzernklausel Ein unbeschränkter Abzug der Zinsaufwendungen ist ferner möglich, wenn der Betrieb nicht zu einem Konzern im Sinne der Zinsschranke gehört („Konzernklausel“). Die Vereinbarung einer steuerlichen Organschaft führt zur Fiktion nur eines Betriebes! Zu beachten ist allerdings, dass die Organschaft wegen des geltenden doppelten Inlandsbezugs nur mit inländischen Unternehmen begründet werden kann. Die freistellende Konzernklausel ist nach § 8a Abs. 2 KStG nur anzuwenden, wenn die Vergütungen für Fremdkapital an einen zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- und Stammkapital beteiligten Anteilseigner, eine diesem nahestehende Person (§ 1 Abs. 2 AStG) oder einem Dritten, der auf den mehr als zu 25 % beteiligten Anteilseigner oder eine diesem nahestehende Person zurückgreifen kann, nicht mehr als
732
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10 % des Schuldzinsüberhangs betragen und die Körperschaft dies nachweist. Eine hohe Gesellschafterfremdfinanzierung wird dadurch stark eingeschränkt! (3) Escape-Klausel Ein unbeschränkter Zinsabzug ist schließlich möglich, wenn der Betrieb zu einem Konzern gehört, aber nachgewiesen werden kann, dass die Eigenkapitalquote im betrachteten Betrieb am Ende des vorangegangenen Abschlussstichtags in den nach IFRS erstellten Abschlüssen nicht niedriger ist als die Eige15 nkapitalquote des gesamten Konzerns („Escape-Klausel“). Ein geringfügiges Unterschreiten der Konzerneigenkapitalquote um 2 % ist dabei unschädlich. Besteuerung von Kapitalgesellschaften mit alternativ hoher Fremdfinanzierung keine Zinsschranke„safe haven“ EK
FK
ohne Zinsschranke
mit Zinsschranke
EK
EK
FK
FK
Unternehmensebene 100
100
(2) ./. FK-Zinsen
-30
-60
-60
(3) = Gewinn vor Steuern
+70
+40
+40
(+70)
(+70)
(+70)
(+77,50)
(+55)
(+77,50)
(1)
EBITDA
(4)
Gewinn vor Steuern nach Zinsschranke
(5)
GewSt-BMG
100
(6) ./. GewSt 14 %
-10,85
-7,70
(7) = Gewinn nach GewSt
+59,15
+32,30
(8)
Zinsvortrag
(9)
KSt-BMG
+29,15
(0)
(-30)
(+70)
(10) ./. KSt 15 % (11) = Gewinn nach Steuern (12)
-10,85
Steuerbelastung EK-Ertrag
(+30)
(+70)
-10,50
-4,50
-10,50
48,65
+27,80
+18,65
30,50 %
30,50 %
53,38 %
Eigentümerebene (13)
+48,65
+30
+27,80
+60
+18,65
+60
25
-12,16
-7,50
-6,95
-15
-4,66
-15
nach
+36,49
+22,50
+20,85
+45
+13,99
+45
-33,51
-7,50
-19,15
-15
-26,01
-15
65,03 %
25%
Kapitaleinkünfte
(14) ./. Abgeltungsteuer % (15)
Einkünfte Steuern
(16)
• absolut
(17)
• in vH
(17)
• insgesamt („all parties“)
Steuerbelastung
Abb. 10.186:
47,87 %
25 %
47,88 %
41,01 %
34,15 %
25 %
41,01 %
Auswirkungen der Zinsschrankenregelung (100/60)
Die Zinsschranke und andere Sperrregeln sollen den Zutritt zum „Steuer-Paradies“ der Fremdfinanzierung versperren und verhindern, dass die steuerlichen Vorteile des Fremdkapitals genutzt werden können.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
733
Finanzierung Eigenkapital
Abgeltungsteuer mit Anwendung Zinsschranke Finanzierung (100/50) EK
FK
Finanzierung (100/60) EK
FK
Unternehmensebene (1) (2)
Gewinn vor Zinsen und Steuern ./. Zinsen
+100
+100
-0
-50
+100 -60
(3)
Gewinn vor Steuern
+100
+50
+20
(4)
Gewinn vor Steuern nach Zinsschranke
(+100)
(+70)
(+70)
(5)
Zinsvortrag
(6)
GewSt-BMG
(7)
./. GewSt 16,67 %
(8)
./. GewSt 14 %
(9)
Gewinn nach GewSt
(+100) -
-
-10,85
+86
+29,15
+29,15
KSt-BMG ./. KSt 25 %
-
(12)
./. KSt 15 % Gewinn nach Steuern Steuerbelastung (%)
(+77,50)
-10,85
(11)
(14)
(-30)
(+77,50)
-14
(10)
(13)
(-20)
(+100)
(-70)
(+70)
-
-
-15
-10,50
-10,50
+71
+28,65
+18,65
29 %
53,38 %
Anteilseignerebene (15)
Ausschüttung
(16)
Zinsertrag
(17)
Kapitaleinkünfte
(18)
./. ESt 42 %
(19)
./. AbgeltungSt 25 %
71 +71 -
+28,65
+18,65
-
-
+50
-
+60
+28,65
+50
+18,65
+60
-
-
-
-
-17,75
-7,16
-12,50
-4,66
-15
Einkünfte nach Steuern
+53,25
21,49
+37,50
+13,99
+45
(21)
Einkünfte gesamt
+53,25
(22)
Steuerbelastung (%)
(20)
Abb. 10.187:
46,75 %
+58,99
+58,99
41,01 %
41,01 %
Steuerbelastung der Eigen- und Fremdfinanzierung mit Zinsschranke
Die dem Abzugsverbot der Zinsschranke unterliegenden Schuldzinsen dürfen auf die folgenden fünf Wirtschaftsjahre vorgetragen werden (EBITDA-Verträge). Dieser Zinsvortrag erhöht die Zinsaufwendungen der Folgejahre, bleibt jedoch im Rahmen der 30%-igen Vergleichsgröße unberücksichtigt. Nicht verbrauchte Zinsvorträge gehen unter, wenn der Betrieb aufgegeben, umgewandelt oder übertragen wird. Bei Personengesellschaften führt das Ausscheiden eines Mitunternehmers zum quotalen Untergang des Zinsvortrags. Zu beachten ist schließlich, dass die Fremdfinanzierung bis zu einem besonderen gewerbesteuerlichen Freibetrag für Fremdkapitalzinsen von 100.000 Euro gewerbesteuerlich nicht erfasst wird. Jenseits dieses Freibetrags lösen Fremdkapitalzinsen auf Unternehmensebene Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer aus.
734
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Kapitalgesellschaftsfinanzierung (Volle) Eigenkapitalfinanzierung (EK)
Mischfinanzierung Eigenkapital
Fremdkapital (42 %)
(45 %)
(Abgeltungsteuer 25 %)
Unternehmens-Ebene (1)
Jahresüberschuss (EBITDA)
100
(2)
./. Zinsen
(3)
=
JÜ nach Zinsen
100
(4)
./. GewSt (h = 400 %)
- 14
(5)
./. KSt (15 %)
- 15
(6)
./. SolZ (5,5 %)
(7)
JÜ nach Zinsen und Steuern
-
- 0,83
100 - 95,25 4,75 -4 -,71 -,04
+ 70,17
0
+ 70,17
0
Eigentümer-Ebene (8)
Ausschüttungen
(9)
Zinsen
(10)
ESt (42 % / 45 %) Abgeltungsteuer
-
-
+ 95,25
+ 95,25
+ 95,25
- 17,54
-
- 40,01 -
- 42,86 -
- 23,81
(11)
SolZ (5,5 %)
- 0,96
-
- 2,20
- 2,36
- 1,31
(12)
Einkünfte nach Steuern
+ 51,67
0
+ 53,04
+ 50,03
+ 70,13
(13)
Steuerbelastung
48,33%
100%
44,31%
47,48%
26,37%
(14)
Gesamtbelastung
48,33%
-
46,96%
49,97%
29,87%
Abb. 10.188:
Steuerbelastung der Fremdfinanzierung auf Unternehmens-Ebene
b) Zinsschranke gegen „Gesellschafter-Fremdfinanzierung“ Um zu verhindern, dass Eigentümer ihr Unternehmen mit Fremdkapital finanzieren und ihre Zinsentgelte nur mit dem günstigen Abgeltungsteuersatz besteuern, wird in bestimmten Fällen dem Empfänger der Fremdkapitalzinsen die Abgeltungsteuer nicht gewährt (§ 32 d Abs. 2 EStG). Ein derzeit noch ungeklärtes Problem ist die offene Formulierung, wonach der Abgeltungsteuersatz keine Anwendung findet, wenn die Darlehensvereinbarung zwischen „nahestehenden Personen“ erfolgt (§ 32d Abs. 2 Nr. 1a EStG). Zu diesem Personenkreis zählt zunächst der Unternehmer selbst (Gesellschafterfremdfinanzierung). Ob diese Regelung sich auch auf den Ehegatten, seine Kinder, seine Eltern, seine Geschwister und andere Verwandte erstreckt, ist derzeit klärungsbedürftig.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
Abb. 10.189:
Belastung von Fremdkapitalentgelten (ab 2009)
735
736
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Besteuerung Kapitalerträge
Unternehmens-Ebene Eigenkapitalertrag
Kapitalgeber-Ebene
100
„große“ Vorbelastung • Gewerbesteuer
-14
• Körperschaftsteuer
-15 +71
Fremdkapitalertrag
100
„kleine“ Vorbelastung
Dividende Nachbelastung
Inland
Ausland
71
im Inland i.d.R. keine Kapitalertragsteuer evt. Nachbelastung im Ausland
./. Teileinkünfteverfahren (0,6 ≙ 42,6) ESt 50 % oder ./. Abgeltungsteuer 25% Zins
-21,30 =
49,70
-17,75 =
53,25
95,30
„Nachbelastung“
• Gewerbesteuer
- 4,0
• Körperschaftsteuer
- 0,7
ESt (50 %) Abgeltungsteuer (25%)
- 47,65 =
46,65
-23,83 =
71,47
im Inland i.d.R. keine Zinsabschlagsteuer evt. Nachbelastung im Ausland
95,3 Abb. 10.190:
Besteuerung von Kapitalüberlassungsentgelten
10.1.4
Grundzüge weiterer ausgewählter Steuerarten
10.1.4.1
Bewertungsgesetz
10.1.4.1.1
Aufbau und Geltungsbereich
Als steuerliches „Rahmengesetz für die Bewertung“ diente das Bewertungsgesetz (BewG) ursprünglich dem Zweck, den Wert unterschiedlicher Güter für möglichst viele Steuerarten mit einem einheitlichen Wert – dem Einheitswert – zu bestimmen. Da das Einkommensteuerrecht schon früh eigene Bewertungsmaßstäbe normierte, beschränkte sich der Geltungsbereich des Bewertungsgesetzes schon frühzeitig vor allem auf die sog. Substanzsteuern. Auch dort ist die Allgemeinverbindlichkeit des sog. Einheitswerts für mehrere Steuerarten dadurch zunehmend verloren gegangen, dass
manche Steuerarten abgeschafft wurden oder nicht mehr erhoben werden und für einige Steuerarten aus verfassungsrechtlichen Gründen eine neue zeitnahe Bewertung eingeführt werden musste.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
Abb. 10.191:
10.1.4.1.2
737
Aufbau und Geltungsbereich des Bewertungsgesetzes
Einflussnahmen des Bundesverfassungsgerichts und gesetzgeberische Reaktionen
Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung unterschiedlicher Vermögensarten ist bei Existenz ungleicher Wertgrundlagen in Frage gestellt. Offenkundig ist dies bei den derzeitigen Einheitswerten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens und des Grundvermögens gegeben. Aufgrund der nur bedingt geeigneten Wertermittlungsverfahren, vor allem aber wegen sehr lang zurückliegender Bewertungsstichtage (Hauptfeststellungszeitpunkte – zuletzt für die alten Bundesländer zum 01.01.1964) weichen die festgestellten Einheitswerte von den aktuellen Verkehrswerten stark ab. Dies hat gravierende Ungleichbehandlungen verschiedener Vermögensarten insbesondere im Bereich der ertragsunabhängigen (Substanz-)Steuern zur Folge:
738
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Verhältnis von Einheitswerten zu Verkehrswerten Troll (1986) Kaufpreisuntersuchung in: Blick durch die der Bundesregierung Wirtschaft Nr. 189 (1992) in: Jakob, v. 02.10.1986, S. 4 f. Rechtsgutachten 1992, 65
1. Land- und Forstwirtschaft – Landwirtschaft – Intensivkulturen – Forstwirtschaft 2. Unbebaute Grundstücke 3. Im Ertragswertverfahren bewertete Grundstücke – Eigentumswohnungen – Einfamilienhäuser – Altbauten – Nachkriegsbauten – Zweifamilienhäuser – Altbauten – Nachkriegsbauten – Mietwohngrundstücke – Altbauten – Nachkriegsbauten – Geschäftsgrundstücke – Mischgrundstücke – < 50 % betriebliche Nutzung – > 50 % betriebliche Nutzung 4. Im Sachwertverfahren bewertete Grundstücke – Eigentumswohnungen – Einfamilienhäuser – Zweifamilienhäuser – Mietwohngrundstücke – Geschäftsgrundstücke – Mischgrundstücke – < 50 % betriebliche Nutzung – > 50 % betriebliche Nutzung Abb. 10.192:
1,5 % 15 % 0,4 %
(keine Angabe) (keine Angabe) (keine Angabe)
5%
8,95 %
(keine Angabe)
12,68 % 12,49 %
15 % 20 % 11,67 % 15 % 20 % 11,50 % 15 % 20 % 25 %
15,23 %
(keine Angabe) (keine Angabe)
13,11 % 14,83 %
(keine Angabe) 30 % 30 % (keine Angabe) 30 %
13,21 % 20,58 % 25,51 % 15,56 % 20,60 %
(keine Angabe) (keine Angabe)
16,81 % 19,01 %
Verhältnis Einheitswerte zu Verkehrswerte
Das Missverhältnis der Steuerwerte für Nominalvermögen einerseits und Grundbesitz andererseits hat im Bereich der Substanzsteuern und insbesondere bei der Vermögensbesteuerung und der Erbschaftsbesteuerung immer wieder zu Verfassungsbeschwerden geführt. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei grundlegenden Beschlüssen vom Juni 1995
Vermögensteuer-Beschluss vom 22. Juni 1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II S. 655 Erbschaftsteuer-Beschluss vom 22. Juni 1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. II S. 671
10.1 Grundlagen der Besteuerung
739
die geltende Einheitswertermittlung wegen der Ungleichbehandlung von Mobilien- und Immobilienvermögen für den Bereich der Vermögensteuer sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer für unzulässig erklärt und dem Gesetzgeber aufgetragen, ggf. für eine Gleichbehandlung sichernde Neuregelung Sorge zu tragen. Die Leitsätze der beiden richtungweisenden BVerfG-Beschlüsse aus dem Jahr 1995 lauten: „Vermögensteuer-Beschluss“ 1. Bestimmt der Gesetzgeber für das gesamte steuerpflichtige Vermögen einen einheitlichen Steuersatz, so kann eine gleichmäßige Besteuerung nur in den Bemessungsgrundlagen der je für sich zu bewertenden wirtschaftlichen Einheiten gesichert werden. Die Bemessungsgrundlage muss deshalb auf die Ertragsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheiten sachgerecht bezogen sein und deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. 2. Die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung des Vermögens durch Einkommen- und Vermögensteuer begrenzen den steuerlichen Zugriff auf die Ertragsfähigkeit des Vermögens. An dieser Grenze der Gesamtsteuerbelastung des Vermögens haben sich die gleichheitsrechtlich gebotenen Differenzierungen auszurichten. 3. Die Vermögensteuer darf zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt (Hervorhebungen eingefügt).
4. 5.
Unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung des Vermögens muss der Steuergesetzgeber jedenfalls die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung gegen eine Sollertragsteuer abschirmen. Soweit Vermögensteuerpflichtige sich innerhalb ihrer Ehe oder Familie auf eine gemeinsame – erhöhte – ökonomische Grundlage individueller Lebensgestaltung einrichten durften, gebietet der Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG, dass der Vermögensteuergesetzgeber die Kontinuität dieses Ehe- und Familiengutes achtet.
(Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. 1995 II S. 655) „Erbschaftsteuer-Beschluss“ 1. Entscheidet sich der Gesetzgeber bei der Erbschaftsteuer für eine gesonderte Bewertung der zu besteuernden Güter, so muss er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen und die Steuerpflichtigen – ungeachtet verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen – gleichmäßig belasten. 2. Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt. 3. Die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer muss den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie wahren, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören; sie darf Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos machen.
740
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. 1995 II S. 671) Der im Vermögensteuerbeschluss „als Nebenbemerkung“ aufgenommene und überwiegend begrüßte Halbteilungsgrundsatz wurde durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.01.2006 (2 BvR 2194) leider wieder weitgehend zurückgenommen: Beschluss zur Modifikation des Halbteilungsprinzips (Quelle: Presse-Mitteilung des BVerfG Nr. 19/2006 vom 16. März 2006) „Die Entscheidung beruhte im Wesentlichen auf folgenden rechtlichen Erwägungen: 1. Der BFH hat zutreffend angenommen, dass sich dem Beschluss des Zweiten Senats des BVerfG vom 22. Juni 1995 keine verbindliche verfassungsrechtliche Obergrenze für die Gesamtbelastung mit der Einkommen- und Gewerbesteuer entnehmen lässt. Der Beschluss hat keine verfassungsrechtliche Obergrenze für die Gesamtbelastung mit der Einkommen- und Gewerbesteuer zum Gegenstand. Vielmehr ging es allein um die Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens durch eine Vermögensteuer, die neben der Einkommensteuer erhoben wird. Die daraus entstehende Belastungswirkung ist nicht ohne weiteres mit der Belastungswirkung vergleichbar, die durch die Einkommen- und Gewerbesteuer entsteht. 2. Die Gesamtbelastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Zwar fällt die Steuerbelastung in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Der innerhalb einer Besteuerungsperiode erfolgte Hinzuerwerb von Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist tatbestandliche Voraussetzung für die belastende Rechtsfolgenanordnung sowohl des Einkommen- als auch des Gewerbesteuergesetzes. Der Steuerpflichtige muss zahlen, weil und soweit seine Leistungsfähigkeit durch den Erwerb von Eigentum erhöht ist. Der Zugriff auf das Eigentum ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Aus dem Eigentumsgrundrecht lässt sich keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung („Halbteilungsgrundsatz“) ableiten. Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG („Der Gebrauch des Eigentums soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“) kann nicht als ein striktes, grundsätzlich unabhängig von Zeit und Situation geltendes Gebot hälftiger Teilung zwischen Eigentümer und Staat gedeutet werden. Vielmehr wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch bei der Schrankenbestimmung durch Auferlegung von Steuerlasten durch die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Dabei ist wesentlich zu berücksichtigen, dass die zu bewertende Intensität der Steuerbelastung insbesondere bei der Einkommensteuer nicht allein durch die Höhe des Steuersatzes bestimmt wird, sondern erst durch die Relation zwischen Steuersatz und Bemessungsgrundlage. Je breiter die Bemessungsgrundlage ausgestaltet ist, etwa durch Abschaffung steuerlicher Verschonungssubventionen oder Kürzung von Abzügen, desto belastender wirkt sich derselbe Steuersatz für die Steuerpflichtigen aus. Ferner ist zu bedenken, dass die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Versteuerung niedrigerer Einkommen angemessen auszugestalten ist. Wählt der Gesetzgeber einen progressiven Tarifverlauf, ist es grundsätzlich
10.1 Grundlagen der Besteuerung
741
nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit beim betroffenen Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht. Auch wenn dem Übermaßverbot keine zahlenmäßig zu konkretisierende allgemeine Obergrenze der Besteuerung entnommen werden kann, darf allerdings die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt. Für den Streitfall ist nicht erkennbar, dass eine verfassungsrechtliche Obergrenze zumutbarer Belastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer erreicht wäre. Das Einkommen- und Gewerbesteuerrecht ist auch für hohe Einkommen gegenwärtig nicht so ausgestaltet, dass eine übermäßige Steuerbelastung und damit eine Verletzung der Eigentumsgarantie festgestellt werden könnte.“ (Kryptischer) Schlusssatz: „Da die Vermögensteuer nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist, kann im übrigen dahinstehen, ob die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende Belastungsobergrenze bei einer Vermögensteuer, die zur Einkommen- und Gewerbesteuer hinzutritt, typischerweise „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ zu finden ist.“ (Beschluss des Zweiten Senats vom 18. Januar 2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115,97) Als gesetzgeberische Reaktion auf die vom Bundesverfassungsgericht monierte Ungleichbewertung von Immobilien und Geldvermögen ergaben sich im Jahr 1996 folgende Änderungen: (1) Für die Vermögensteuer wurde auf die zur Sicherung der steuerlichen Gleichbehandlung von Immobilien und Geldvermögen notwendige Reform der Einheitsbewertung verzichtet. Aufgrund des seinerzeit noch beachteten Halbteilungsprinzips erschien es wenig aussichtsreich, neben der weiterhin erhobenen Einkommensteuer mit einem im Jahr 1997 geltenden Spitzensteuersatz von 53 % eine zusätzliche Sollertragsteuer erheben zu können. Unmittelbare Folge der unterlassenen Neubewertung war, dass damit die – derzeit noch immer bestehende – Vermögensteuer ab 1997 nicht mehr erhoben werden konnte. (2) Für die Erbschaft- und Schenkungsteuer wurden die Einheitswerte zum 1.1.1996 außer Kraft gesetzt und eine sog. Bedarfsbewertung eingeführt. Nur im Bedarfsfall – d. h. im Fall der Erbschaft oder Schenkung – sollten die relevanten Steuerwerte für Grundbesitz nach einem einfachen, ertragsbasierten Bewertungsmodell ermittelt werden. Diese Bedarfsbewertung hatte von 1996–2008 Geltung. Mit Beschluss vom 7.11.2006 (1 BvL 10/02, BStBl. II 2007 S. 192) äußerte das Bundesverfassungsgericht wegen der fehlenden Realitätsnähe der Immobilienwerte zum wiederholten Mal Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes. Dem Gesetzgeber wurde eine Neuregelung bis zum Jahresende 2008 mit der Maßgabe auferlegt, sich zur Bewertung eines Steuergegenstands grundsätzlich am gemeinen Wert
742
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
zu orientieren und – gegebenenfalls erwünschte – Begünstigungsregeln („Verschonungsregelungen“) in einem zweiten Schritt umzusetzen. Zum 1.1.2009 trat ein neues Erbschaftsteuergesetz in Kraft, dessen Verfassungsmäßigkeit allerdings wegen der weitgehenden Verschonungsregeln für Betriebsvermögen vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27.09.2012 (II R 9/11, BStBl. 2012 S. 899) erneut auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand gestellt wurde. (3) Die für Zwecke der Erbschaftsteuer entwickelte Bedarfsbewertung wird seit dem 1.1.1997 auch als Hilfswert für die Grunderwerbsteuer herangezogen, wenn es bei Grundstücksübertragungen – etwa bei Umwandlungen oder einem Gesellschafterwechsel – an einem konkreten Wert der Gegenleistung fehlt. Auch hier äußerte der BFH in seinem Beschluss vom 27.5.2009 (II R 64/08, BStBl. 2009 S. 856) ernste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des (alten) Bedarfswerts als Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer und die Grunderwerbsteuer. Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die (alten) Bedarfswerte 1996 in absehbarer Zeit generell nicht mehr anwendbar sein dürften. (4) Nur im Bereich der Grundsteuer blieb es bei den bisherigen Schätzverfahren (Ertragswertverfahren und Sachwertverfahren) zur Ermittlung der steuerlich relevanten gemeinen Werte. Die Überlegung war dabei, dass die niedrigen Einheitswerte innerhalb der gleichen Vermögensart „Grundstücke“ im Bereich der Grundsteuer hingenommen werden könnten. Da das Ertragswertverfahren im Vergleich zum Sachwertverfahren aber im Regelfall niedrigere Einheitswerte ermittelt, bestehen mittlerweile ernstliche Zweifel, ob diese verfahrenstechnisch bedingten Ungleichbehandlungen zu akzeptieren sind. Die Anwendung der Einheitswerte auf der Basis des Jahres 1964 wird auch für die begrenzten Zwecke der Grundsteuer für eine längere Frist nicht mehr als verfassungsgemäß eingestuft (BFH v. 30.06.2010 – II – R – 60/08, BStBl 2010 II S. 897). Die Anwendung der Einheitswerte für Stichtage bis zum 1. Januar 2007 wird noch als verfassungsgemäß eingeordnet. Das Ende der Geltung der Einheitswerte ist damit in Sichtweite, es zeichnet sich eine Tendenz ab, auch hier den Verkehrswert anzusetzen. Statt des ursprünglich einheitlich für mehrere Steuerarten anzuwendenden technischen Einheitswerts hat sich ein Flickenteppich verschiedener Wertarten und Anwendungsbereiche im Bewertungsgesetz ausgebreitet, der nach einer grundlegenden Reform förmlich schreit.
10.1 Grundlagen der Besteuerung 10.1.4.1.3
743
Aktuelle Regelungen des Bewertungsgesetzes
10.1.4.1.3.1 Überblick Der aktuelle Anwendungsbereich des Bewertungsgesetzes stellt sich im Jahr 2013 wie folgt dar:
Abb. 10.193:
Aktueller Geltungsbereich des Bewertungsgesetzes (Stand 2012)
Die Abbildung macht überdeutlich, dass das Bewertungsgesetz dringend der Überarbeitung bedarf, wobei vor allem die Einheitsbewertung und die übergangsweise nur für die Erbschaftsteuer eingeführte Bedarfsbewertung ersatzlos entfallen sollte.
744
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
10.1.4.1.3.2 Allgemeine und besondere Bewertungsvorschriften Das Bewertungsgesetz enthält neben den Allgemeinen Bewertungsvorschriften auch Besondere Bewertungsvorschriften (§§ 17–203 BewG). Die allgemeinen Bewertungsvorschriften (§§ 1–16 BewG) regeln die Anwendung folgender Bewertungsmaßstäbe: Allgemeine Bewertungsvorschriften für Wertpapiere, Forderungen und Schulden (§§ 1–12 BewG) (1) Grundsatzregelung Ausnahmeregelung für Betriebsvermögen
gemeiner Wert (§ 9 BewG) Teilwert (§ 10 BewG)
Konkrete Einzelregelungen: (2) Wertpapiere und Anteile mit Kursnotierungen
Kurswert (§ 11 I BewG)
(3) Nicht notierte Anteile an Kapitalgesellschaften
gemeiner Wert ((§ 11 II BewG) – abzuleiten aus Verkäufen unter Dritten innerhalb des letzten Jahres – zu ermitteln unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder nach einer üblichen Methode der Unternehmensbewertung – Mindestwert „Substanzwert“ (iSe Liquidationswerts)
(4) Wertpapiere mit Rechten der Anteilsinhaber gegen Kapitalanlagegesellschaft oder sonstige Fonds
Rücknahmepreis (§ 11 IV BewG)
(5) Werthaltige Kapitalforderungen und Schulden
Nennwert (§ 12 I,II BewG)
(6) Un-, unter- oder überverzinsliche Forderungen und Schulden mit Laufzeit > 1 Jahr
Barwert mit Diskontierung zum Zinssatz von 5,5 % (§ 12 I, III BewG)
(7) Noch nicht fällige Ansprüche aus Lebens-, Kapital- oder Rentenversicherungen
Rückkaufswert (§ 12 IV BewG)
Abb. 10.194:
Allgemeine Bewertungsvorschriften und Konkretisierungen für Wertpapiere, Forderungen und Schulden
10.1 Grundlagen der Besteuerung
745
Allgemeine Bewertungsvorschriften für jährliche Nutzungen und Leistungen (§§ 13–16 BewG) (1)
Zeitlich befristete Nutzungen und Leistungen
Kapitalwert (§ 13 I BewG) mit Vielfachem des Jahreswerts (Vervielfältiger gemäß Anlage 9a BewG)
(2)
Immerwährende („ewige“) Nutzungen und Leistungen
Kapitalwert (§ 13 II BewG) (beim Zins von 5,5 %) mit 18,6-fachem Jahreswert
(3)
Nutzungen und Leistungen von unbestimmter Dauer
Kapitalwert (§ 13 II BewG) (beim Zins von 5,5 %) mit 9,3-fachem Jahreswert
(4)
Lebenslängliche Nutzungen und Leistungen
nach Geschlecht und Alter differenzierter Kapitalwert beim Zins von 5,5 % – mit nachträglicher Korrekturmöglichkeit bei gravierender Abweichung der Laufzeit (§ 14 I BewG)
(5)
Jahreswert – von Nutzungen einer Geldsumme – geldwerte Sachleistungen (Wohnung, Kost und sonstige Sachbezüge) – dem Betrag nach ungewisse oder schwankende Nutzungen und Leistungen
falls kein anderer Wert besteht – 5,5 % der Geldsumme – übliche Mittelpreise des Verbrauchsorts
Nota bene: Jahreswert von Nutzungen eines Wirtschaftsguts Abb. 10.195:
– durchschnittlicher Betrag für voraussichtliche Dauer (§ 15 BewG) Jahreswert auf höchstens 1/18,6 des Werts des Wirtschaftsguts begrenzt (§ 16 BewG)
Allgemeine Bewertungsvorschriften für jährliche Nutzungen und Leistungen
10.1.4.1.3.3 Einheitsbewertung von inländischem Grundbesitz für Zwecke der Grundsteuer Die besonderen Bewertungsvorschriften sind nach Maßgabe der jeweiligen Einzelsteuergesetze anzuwenden: Die Einheitswerte für den inländischen Grundbesitz gemäß §§ 18–94, 125–132 BewG gelten (derzeit noch) für die Grundsteuer. Daneben gelten die (veralteten) Einheitswerte über entsprechende Verweise auch für weitere Steuerarten:
Im Einkommensteuergesetz sind Einheitswerte für die vereinfachte Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen heranzuziehen (§ 13 a Abs. 4, 5 EStG). Für die Gewerbesteuer sind die Einheitswerte zur Berechnung des gewerbesteuerlichen Kürzungsbetrags mit einem Zuschlag nach §§ 121 a, 133 BewG anzuwenden.
746
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
(1) Technisches zur Einheitsbewertung Die sog Einheitsbewertung ist in §§ 19 ff BewG geregelt. Der Einheitswert ist ein für mehrere Steuerarten einheitlich zugrunde gelegter steuertechnischer Wert, der in einem gesonderten Feststellungsverfahren ermittelt wird. Er stellt jedoch keinen Wertmaßstab im materiellen Sinne dar. Der Einheitswert ist ein rein steuertechnischer Wert, der für wirtschaftliche Einheiten oder Untereinheiten einheitlich für mehrere Steuerarten in einem besonderen Feststellungsverfahren ermittelt wird. Einheitswerte werden nach § 19 Abs. 1 BewG für inländischen Grundbesitz, und zwar für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (§§ 33,48a und 51a BewG, für Grundstücke (§§ 68 und 70 BewG) und für Betriebsgrundstücke (§ 99 BewG) festgestellt. Im Feststellungsbescheid sind nach § 19 Abs. 3 BewG Feststellungen zu treffen
über die Höhe des Einheitswerts, über die Art der wirtschaftlichen Einheit und die Grundstücksart über die (personale) Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit und bei mehreren Beteiligten über die Höhe ihrer Anteile. Feststellungen von Einheitswerten werden aus unterschiedlichen Anlässen durchgeführt, wobei bei der Hauptfeststellung, Fortschreibung und Nachfeststellung stets die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zum 1.1.1964 zugrund zu legen sind: Einheitswert-Feststellungen Hauptfeststellung zum 1.1.1964 § 21 BewG Grundbesitz Betriebe der Land- und Forstwirtschaft Grundstücke Betriebsgrundstücke
Abb. 10.196:
alle 6 Jahre, zuletzt zum 1.1.1964 (ggf Zuschlag 40 % für Grundstücke und Betriebsgrundstücke § 121a BewG)
Fortschreibung Wertfortschreibung § 22 I BewG a) Wertänderungen W > 0,1 W0 und > 5.000 DM oder W > 100.000 DM b) − W > 0,1 W0 und 500 DM oder − W > 5.000 DM
Artfortschreibung § 22 II BewG
Zurechnungsfortschreibung § 22 II BewG
Änderung der Art einer wirtschaftlichen Einheit
Änderung der Zurechnung einer wirtschaftlichen Einheit
Nachfeststellung § 23 BewG Neuentstehung einer wirtschaftlichen Einheit Erstmaliges Heranziehen zur Besteuerung
Aufhebung des EHW § 24 BewG Wegfall einer wirtschaftlichen Einheit, Befreiung von Steuer
Arten und Anlässe von Einheitswertfeststellungen (W = Wertänderung; W0 = vorheriger Wert)
Die Einheitswerte für den Grundbesitz sind in Zeitabständen von je sechs Jahren im Rahmen einer Hauptfeststellung allgemein festzustellen (§ 21 BewG). Entgegen dieser gesetzlichen Vorgabe liegen die Hauptfeststellungszeitpunkte sehr lange zurück:
In den alten Bundesländern sind die Einheitswerte letztmals zum 1.1.1964 im Rahmen einer Hauptfeststellung festgestellt worden. In den neuen Bundesländern ist die letzte Hauptfeststellung der Einheitswerte zum 1.1.1935 erfolgt.
10.1 Grundlagen der Besteuerung
747
Die Einheitswerte sind daher hoffnungslos veraltet und verletzen im Falle ihrer Anwendung bei gleichem Steuertarif die zur Sicherstellung einer gleiche Steuerbelastung zu erfüllende Forderung nach einer realitätsgerechten Wertrelation in der Bemessungsgrundlage (vgl. Seer, Roman, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. (2010), § 13 Bewertungsgesetzabhängige Steuerarten, Rz. 3). Die Wirtschaftsgüter werden personell grundsätzlich dem juristischen Eigentümer zugeordnet (§ 39 Abs. 1 AO). Soweit jedoch der wirtschaftliche Eigentümer abweicht, erfolgt die Zuordnung zu diesem (§ 39 Abs. 2 AO). Steht ein Wirtschaftsgut im Besitz mehrerer Beteiligter, ist ein einheitlicher Wert zu ermitteln, der auf die Beteiligten entsprechend ihrem Anteil verteilt wird (§§ 179 iVm 180 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die zeitliche Zuordnung richtet sich nach dem Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht, wobei Besonderheiten bei aufschiebend und auflösend bedingten Erwerben/Lasten zu beachten sind. Die sachliche Zuordnung erfolgt auf die entsprechenden Vermögensarten (land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Grundvermögen, Betriebsvermögen). Die Einheitsbewertung vom 1.1.1935 (neue Bundesländer) und vom 1.1.1964 (alte Bundesländer) gilt derzeit vorrangig nur für die Grundsteuer. Nachdem die Verfassungsmäßigkeit der „alten“ Einheitswerte auch für den engen Bereich der Grundsteuer nur noch bis zum Jahr 2006 anerkannt wurde, handelt es sich bei diesen Einheitswerten offenkundig um ein Auslaufmodell, dessen Ablösung zu erwarten steht. (2) Einheitswert für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft Für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft wird der Einheitswert im Regelfall als Ertragswert ermittelt. Das land- und forstwirtschaftliche Vermögen ist gem. § 33 BewG als wirtschaftliche Einheit aller dem Betrieb dauernd dienenden Wirtschaftsgüter zu betrachten. Das Vermögen umfasst gem. § 33 Abs. 2 BewG:
Grund und Boden Wirtschaftsgebäude Wohngebäude stehende Betriebsmittel (Maschinen, Nutz- und Zuchtvieh) umlaufende Betriebsmittel (Futtermittel, Saatgut, Mastvieh, Erzeugnisse) Nicht zum Betriebsvermögen gehören dagegen (§ 33 Abs. 3 BewG)
Zahlungsmittel, Geldforderungen, Geschäftsguthaben und Wertpapiere Geldschulden Überbestände umlaufender Betriebsmittel Tierbestände, die nicht dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb dienen.
748
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Einheitswert des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs (§ 48 BewG) Ertragswert der Nutzung (§ 37 I BewG) Einzelertragswert der Nutzung (§ 37 II BewG) + Einzelertragswert des Nebenbetriebs (§ 42 BewG) (zB Sägewerk, Mühle) Wirtschaftswert + Einzelertragswert des Abbaulandes (§ 43 BewG) (§ 46 BewG) (zB Sand-, Lehm-, Kiesgrube) + Festwert des Geringstlandes (§ 44 BewG) (Hektarwert: 50 DM; gilt als Berechnungsgröße auch ab 2002 fort) + Festwert des Unlandes (§ 45 BewG) (wirft auch bei geordneter Wirtschaftsweise keinen Ertrag ab; Wert von 0) Bruttowohnungswert Jahresrohmiete (§ 79 BewG) Wohnungswert – 15 % des Bruttowohnungswerts x (§ 47 BewG) = Wohnungswert Vervielfältiger (§ 80 BewG) Abb. 10.197:
Einheitswert eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs
Der Ertragswert der Nutzung geht bei typisierender Betrachtungsweise von durchschnittlichen Erträgen je Hektar aus, die durch Vergleichszahlen an die regionalen Unterschiede angepasst werden:
Ertragswert der Nutzung § 37 I BewG
Vergleichswert
+
x Hektarwert (§ 40 BewG)
Fläche
x Ausgangsertragswert (= 100 Vergleichszahlen entsprechender Ertragswert; § 40 BewG)
Abb. 10.198:
Vergleichszahl § 38 BewG
Land- und forstwirtschaftlicher Ertragswert der Nutzung
Zuschläge/Abschläge (§ 41 BewG)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
749
(3) Einheitswert für Grundstücke Der Einheitswert für Grundstücke wird nach den Kategorien unbebaute Grundstücke und bebaute Grundstücke ermittelt. Für unbebaute Grundstücke ergibt sich der Einheitswert aus Kaufpreissammlungen. Für bebaute Grundstücke wird der Einheitswert als gemeiner Wert durch Anwendung des Ertragswert- oder des Sachwertverfahrens ermittelt. Als „Grundstücke“ werden im Bewertungsgesetz die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens (§ 70 Abs. 1 BewG) bezeichnet. Die Bewertung der Grundstücke erfolgt differenziert nach verschiedenen Grundstücksarten: (a) Unbebaute Grundstücke sind Grundstücke, auf denen sich keine benutzbaren Gebäude befinden (§ 72 Abs. 1 BewG). Die baureifen Grundstücke bilden eine besondere Grundstücksart innerhalb der unbebauten Grundstücke (§ 73 Abs. 1 BewG). Die Bewertung unbebauter Grundstücke erfolgt zu gemeinen Werten auf Basis der Wertverhältnisse vom 1.1.1964. Hierzu sind als Methoden der Wertvergleich mittels Kaufpreissammlungen und die Werteinschätzung aufgrund sog Bodenrichtwerte gebräuchlich. (b) Bebaute Grundstücke sind Grundstücke mit benutzbaren Gebäuden (§ 74 Abs. 1 BewG; Ausnahmen § 72 Abs. 2, 3 BewG). Bei der Bewertung bebauter Grundstücke sind die folgenden Grundstücksarten zu unterscheiden: (1) Mietwohngrundstücke (§ 75 Abs. 2 BewG), (2) Geschäftsgrundstücke (§ 75 Abs. 3 BewG), (3) gemischt genutzte Grundstücke (§ 75 Abs. 4 BewG), (4) Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 BewG), (5) Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 BewG), (6) sonstige bebaute Grundstücke (§ 75 Abs. 7 BewG). Der gemeine Wert eines bebauten Grundstücks iSv Nr. (1)–(5) ist grundsätzlich im Wege des Ertragswertverfahrens zu ermitteln (§ 76 I BewG). Das Sachwertverfahren findet nach § 76 II, III BewG generell (§ 76 II BewG) bei sonstigen bebauten Grundstücken (6) und im Ausnahmefall (§ 76 III BewG) bei Ein- und Zweifamilienhäusern mit besonderer Gestaltung oder Ausstattung und bei solchen bebauten Grundstücken, für die eine Jahresrohmiete nicht ermittelt oder eine übliche Miete nicht geschätzt werden kann oder für die ein Vervielfältiger (§ 80 BewG) nicht bestimmt ist.Auch diese Schätzverfahren beruhen auf den Wertverhältnissen vom 1.1.1964. Für ein bebautes Grundstück darf ein Mindestwert in Höhe von 50% des Werts des unbebauten Grundstücks nicht unterschritten werden. (c) Eine Sonderform bilden Grundstücke im Zustand der Bebauung, bei denen am Feststellungszeitpunkt nicht bezugsfertige Gebäude oder Gebäudeteile außer Ansatz bleiben (§ 91 BewG). Die Ermittlung der Einheitswerte für bebaute Grundstücke – geregelt in §§ 74–94 BewG – erfolgt je nach Grundstücksart nach zwei unterschiedlichen Verfahren, dem Ertragswertverfahren und dem Sachwertverfahren.
750
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Nach dem Ertragswertverfahren ergibt sich folgende Vorgehensweise: Jahresrohmiete (§ 79 BewG) (1) Vermietete Wohnungen (§ 79 I BewG): Tatsächliche Jahresmiete (Wertverhältnisse 1.1.1964) + Umlagen/Gebühren/Sonstige Leistungen = Zwischensumme + Zuschlag für Schönheitsreparaturen 3-5 % (Abschn. 22 I BewGr) = Zwischensumme + Zuschlag bei GrSt-Vergünstigung 12 % (§ 79 III BewG) = Summe Vergleich mit üblicher Miete (§ 79 II Nr. 2 BewG) = Maßgebende Jahresrohmiete (2) Eigengenutzte, ungenutzte, zu vorübergehendem Gebrauch unentgeltlich oder verbilligt überlassene Wohnungen (§ 79 II Nr. 1 BewG) Übliche Miete (Wertverhältnisse 1.1.1964)
x
Vervielfältiger (§ 80 BewG) (1) Regelmäßiger Vervielfältiger (§ 80 I, Anlagen 3 - 8 BewG) bestimmt durch • Grundstücksart • Bauart und Bauausführung • Baujahr • Einwohnerzahl der Lagegemeinde (im Zeitpunkt 1.1.1964) (2) Abweichende Vervielfältiger • besondere wirtschaftliche Verhältnisse der Gemeinde (§ 80 II BewG) • wesentliche Verlängerung oder Verkürzung der Lebensdauer des Gebäudes (§ 80 III BewG) • Gebäude oder Gebäudeteilen verschiedener Bauart oder verschiedenen Alters (§ 80 IV BewG)
Jahresrohmiete x Vervielfältiger = ±
Grundstückswert vor Korrekturen Ermäßigung oder Erhöhung bei außergewöhnliche GrSt-Belastung bis 10 % (§ 81 BewG)
= ±
Zwischenwert Ermäßigung oder Erhöhung in Einzelfällen (§ 82 BewG) zT begrenzt auf 30 % des Zwischenwerts - Ermäßigung wegen • Beeinträchtigung durch Lärm, Rauch, Gerüche • Baumängel und Bauschäden • Notwendigkeit baldigen Abbruchs + Erhöhung wegen • übergroßer nichtbebauter Fläche • Nutzung zu Reklamezwecken
=
Grundstückswert Abrundung auf volle 100 DM (§ 30 Nr. 1 BewG) Einheitswert Vergleich mit Mindestwert (§ 77 BewG)
=
Abb. 10.199:
Einheitswertermittlung im Ertragswertverfahren (§§ 78–82 BewG)
10.1 Grundlagen der Besteuerung
751
Nach dem Sachwertverfahren ist wie folgt vorzugehen: Bodenwert unbebaut (§ 84 BewG) m2-Preis (Wertverhältnisse 1.1.1964) x Fläche =
+
Gebäudewert (§ 85-88 BewG)
x
m3-Preis (Wertverhältnisse 1.1.1964) Raummeter
+
Wert der Außenanlagen (§ 88 BewG)
x
=
Normalherstellungswert des Gebäudes
=
-
Abschläge wegen (§§ 86, 87 BewG)
-
Bodenwert
=
Abb. 10.200:
Normalherstellungswert der Außenanlagen Abschläge wegen (§§ 89 iVm 86, 87 BewG)
Alters (falls vor 1964 gebaut)
Alters
Baumängeln
Baumängeln
Schäden
Schäden
Sachwert des Gebäudes Ermäßigungen oder Erhöhungen in Einzelfällen (§ 88 BewG) - Ermäßigungen wegen
=
Sachwert der Außenanlage Ermäßigungen oder Erhöhungen in Einzelfällen (§ 88 BewG) - Ermäßigungen wegen
Lage des Grundstücks
Lage des Grundstücks
unorganischem Aufbau
unorganischem Aufbau
wirtschaftlicher Überalterung + Erhöhung wegen Nutzung zu Reklamezwecken =
Wert des Gebäudes
+ +
Bodenwert Wert des Gebäudes Wert der Außenanlagen
= -
Ausgangswert Angleichung an den gemeinen Wert durch Anwendung von Wertzahlen (§ 90 BewG) (Minderung des Ausgangswerts um 15-50 %)
=
Grundstückswert Abrundung auf volle 100 DM (§ 30 Nr. 1 BewG) Einheitswert Vergleich mit Mindestwert (§ 77 BewG)
=
m2-Preis /Preis je lfd Meter (Anlage 17 BewR Gr) m2/lfd Meter
wirtschaftlicher Überalterung + Erhöhung wegen Nutzung zu Reklamezwecken =
Wert der Außenanlagen
Einheitswertermittlung im Sachwertverfahren (§§ 83–90 BewG)
Im Regelfall wird das Sachwertverfahren im Vergleich zum Ertragswertverfahren zu höheren Einheitswerten führen. (4) Einheitswert für Betriebsgrundstücke Betriebsgrundstück ist nach § 99 BewG der zu einem Gewerbebetrieb zugehörige Grundbesitz, soweit er – losgelöst von seiner Betriebszugehörigkeit – (1) zum Grundvermögen gehören oder (2) einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft bilden würde.
752
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Erstgenannte Betriebsgrundstücke sind wie Grundvermögen, letztgenannte wie land- und forstwirtschaftliches Vermögen zu bewerten. 10.1.4.1.3.4 Bedarfsbewertung von Grundbesitz für Zwecke der Erbschaftsteuer (1996–2008) und Grunderwerbsteuer (ab 1997) Die („alte“) Bedarfsbewertung von Grundbesitz wurde zum 1.1.1996 erstmals eingeführt und sollte sicherstellen, dass für die Erbschaftsteuer eine verfassungskonforme Bewertung des Grundbesitzes durchgeführt werden konnte. Zum 1.1.1997 wurde die Anwendung der Bedarfsbewertung als Hilfswert für die Grunderwerbsteuer ausgedehnt, wenn bei Grundstücksübertragungen der Wert der Gegenleistung nicht zu ermitteln war. Die Bedarfsbewertung wird nach den Kategorien unbebaute Grundstücke und bebaute Grundstücke durchgeführt. Für erstere waren die Kaufpreissammlungen maßgeblich, für letztere wurde ein modifiziertes vereinfachtes Ertragswertverfahren angewandt. Für die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist rückwirkend ab 1.1.1996 eine eigenständige Bedarfsbewertung im konkreten Erbschaft- oder Schenkungsteuerfall vorzunehmen. Dabei gilt:
Unbebaute Grundstücke sind mit qm-Preisen zu bewerten. Der Wert bestimmt sich nach der Fläche und dem um 20 % ermäßigten Bodenrichtwert zum Stichtag 1.1.1996. Ein niedrigerer gemeiner Wert ist anzusetzen (§145 BewG). Unter unbebauten Grundstücken versteht das Gesetz: Unbebaute Grundstücke
keine nutzbaren Gebäude
zur Nutzung vorgesehene Gebäude befinden sich im Bau
- d.h. Gebäude ist nicht bezugsfertig
- d.h. mit Abgrabungen oder Einbringung von Baustoffen wurde begonnen
Abb. 10.201:
Gebäude können keiner oder nur unbedeutender Nutzung zugeführt werden - Jahresmiete/übliche Miete 3 Jahre in Besitz Erwerb mit Abbruchabsicht Gebäude 3 Jahre in Besitz (widerlegbare Vermutung) nachweislicher Erwerb in Abbruchabsicht
Zustand des Altgebäudes werthabend „objektiv“ wertlos – technisch und wirtschaftlich nicht verbraucht – Restbuchwert/Abbruchkosten Restbuchwert/Abbruchkosten = Betriebsausgaben/ Werbungskosten
Restbuchwert/Abbruchkosten = Anschaffungskosten des Grundstücks, falls kein enger wirtschaftlicher Zusammenhang mit Neubau oder = Herstellungskosten des Neubaus, falls Abbruch mit Neubau in engem wirtschaftlichen Zusammenhang steht Einlage Wert des Abbruchgebäudes aus Privatvermögen in Ab- = Herstellungskosten bruchabsicht mit Errichtung des Neubaus eines Betriebsgebäudes
Abb. 10.271:
Abbruch von Gebäuden (H 6.4 EStR)
= Betriebsausgaben/ Werbungskosten
Restbuchwert = Anschaffungskosten des Grundstücks Abbruchkosten = Anschaffungskosten des Grundstücks oder = Herstellungskosten des Neubaus, falls Abbruch mit Neubau in engem wirtschaftlichen Zusammenhang steht Wert des Abbruchgebäudes/ = Herstellungskosten des Neubaus
834
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Im Einzelnen gilt: (1) Werden Gebäude oder Gebäudeteile abgerissen, die der Steuerpflichtige selbst errichtet hat oder bereits geraume Zeit – d. h. länger als drei Jahre – in Besitz hat, so werden die Abbruchkosten sowie ein eventueller Restbuchwert des Gebäudes als Betriebsausgaben respektive Werbungskosten behandelt. Eine Ausnahme hiervon enthält für Gebäude des Privatvermögens Hinweis H 33a EStR: Wird ein technisch oder wirtschaftlich noch nicht verbrauchtes Gebäude abgerissen, um das Grundstück günstiger veräußern zu können, so darf der Restbuchwert nicht im Zuge einer außerordentlichen Abschreibung als Werbungskosten geltend gemacht werden. Ihre Ursache findet diese Regelung darin, dass der Restbuchwert steuermindernd geltend gemacht, der Grundstücks(mehr)erlös hingegen steuerfrei gestellt werden würde. (2) Beim Abriss von Gebäuden oder Gebäudeteilen, die der Steuerpflichtige nachweislich in Abbruchabsicht erworben hat oder erst seit kurzer Zeit – d. h. weniger als drei Jahre – in Besitz hat, sind die Abbruchkosten und ein eventueller Restbuchwert den Anschaffungskosten des Grundstücks oder – falls der Abbruch in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Erstellung eines neuen Wirtschaftsguts steht – den Herstellungskosten dieses Wirtschaftsguts zuzurechnen. Eine sofortige Verrechnung als Betriebsausgaben/Werbungskosten scheidet hingegen aus. War das Altgebäude im Erwerbszeitpunkt objektiv wertlos, so ist dessen Restbuchwert den Anschaffungskosten des Grundstücks zuzuordnen. 10.2.2.2
Offene Fragen bei der Einkünftezuordnung
Im Rahmen der synthetischen Einkommensermittlung (Gesamtbetrag der Einkünfte) ist die Zuordnung bestimmter Aktivitäten zu einer konkreten Einkunftsart von großer Bedeutung, da gilt:
Sofern eine Erwerbsaktivität keiner der sieben Einkunftsarten zugeordnet werden kann, liegen keine steuerbaren Einkünfte vor. Je nach Einordnung in die verschiedenen Einkunftsarten ergeben sich unterschiedliche Einkünfteermittlungsmethoden, die Erhebung der Zusatzsteuer „Gewerbesteuer“ für die Einkunftsart (2), unterschiedliche Freigrenzen, Freibeträge und weitere einkunftsartenspezifische Sonderregelungen. Insoweit kann man von einer faktischen Schedulenbesteuerung sprechen. Dabei unterliegt die Einkunftsart (2) „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ dem strengsten steuerlichen Zugriff.
10.2.2.2.1
Private oder betriebliche Immobiliennutzung?
Von herausragender steuerrechtlicher Bedeutung ist die Frage, ob Immobilieninvestitionen dem betrieblichen oder privaten Bereich zugeordnet werden:
Betriebliche Immobilieninvestitionen unterliegen mit den laufenden Mietentgelten sowie den Wertgewinnen und Wertverlusten der Besteuerung. Soweit eine Zuordnung zu den „Einkünften aus Gewerbebetrieb“ erfolgt, können sich zusätzlich Gewerbesteuerfolgen ergeben.
10.2 Besteuerung von Immobilien
835
Private Immobilieninvestitionen führen i. d. R. zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung; steuerlich erfasst werden nur die Mietentgelte, nicht aber die Wertgewinne und Wertverluste (Ausnahme: private Veräußerungsgewinne („Spekulationsgeschäfte“) i. S. d. § 23 EStG innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren). (1) Abgrenzung Vermögensverwaltung und gewerbliche Vermietungstätigkeit Probleme der Einkünftezuordnung können bereits bei der laufenden Nutzung im Rahmen der Vermietung oder Verpachtung von Grundbesitz auftreten. Zwar wird i. d. R. steuerrechtlich eine private Vermietung und Verpachtung anzunehmen sein, doch kann bei Vorliegen der Merkmale eines Gewerbebetriebs in Sonderfällen einkommensteuerrechtlich eine gewerbliche Vermietungstätigkeit gegeben sein. Ob eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt, ist nach § 15 Abs. 2 EStG zu beurteilen: „Eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist. Eine durch die Betätigung verursachte Minderung der Steuern vom Einkommen ist kein Gewinn i. S. d. Satzes 1. Ein Gewerbebetrieb liegt, wenn seine Voraussetzungen im übrigen gegeben sind, auch dann vor, wenn die Gewinnerzielungsabsicht nur ein Nebenzweck ist.“ (Hervorhebungen eingefügt) Gewerbliche Vermietung ist demnach immer anzunehmen, wenn die Vermietung
gewerbsmäßig (z. B. Hotels) erfolgt, kurzfristiges Vermieten eine nachhaltige Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr erfordert oder bei langfristiger Vermietung gewerbliche Zusatzleistungen (Reinigungsdienst, Wachdienst u. a.) übernommen werden. (2) Abgrenzung private Vermögensverwaltung und gewerblicher Grundstückshandel Ein Sonderproblem stellt die Abgrenzung zwischen (privater) Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandel dar.17 Die Abgrenzung wird nach bestimmten Beweisanzeichen vorgenommen, von denen die Besitz- (und Vorbesitz-)zeit, die Zahl der innerhalb kurzer Zeit verkauften Objekte, die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen von zentraler Bedeutung sind.18
17 18
Vgl. Schmidt/Wacker, § 15 EStG § 15 Rz 46 ff. Zu Einzelheiten vgl. BMF-Schreiben vom 24. Februar 2004, IV A 6 – S 2240 – 26/03, BStBl. 2004 I S. 434.
836
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien Zahl der Zahl 3 („Normal“-)Objekte Objekte Veräußerung innerhalb von 5 Jahren Besitzzeit ab Erwerb/Errichtung/ des Objekts erheblicher Modernisierung
Zahl > 3 („Normal“-)Objekte Veräußerung innerhalb von 5 Jahren ab Erwerb/Errichtung/ erheblicher Modernisierung
(1)
Besitzzeit 10 Jahre
(2)
Besitzzeit 5 Jahre bis 10 Jahre
Veräußerung ist grundsätzlich private Vermögensverwaltung Ausnahme: Merkmale sprechen für Gewerblichkeit z. B.:
Veräußerung ist grundsätzlich gewerblicher Grundstückshandel, falls besondere Umstände für Veräußerungsabsicht sprechen (Veräußerungsabsicht ist nachzuweisen)
(3)
Besitzzeit 5 Jahre (enger zeitlicher Zusammenhang)
Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
Vermutung des gewerblichen Grundstückshandels (Veräußerungsabsicht wird vermutet – eingeschränkt widerlegbar)
Abb. 10.272:
Veräußerung ist stets private Vermögensverwaltung
Baureifmachung
Abgrenzung private Vermögensverwaltung und gewerblicher Grundstückshandel
Probleme bereitet die Objektabgrenzung:
Ein-/Zweifamilienhäuser/Eigentumswohnungen sind als ein Objekt anzusehen. Anteile an Immobiliengesellschaften gelten als ein Objekt, Anteile unter 10% bleiben i. d. R. außer Betracht. Auch ohne Überschreitung der Drei-Objekt-Grenze kann – etwa bei Großprojekten wie Mehrfamilienhaus, Hotel, Supermarkt u. a. – ein gewerblicher Grundstückshandel anzunehmen sein („orginärer Grundstückshandel“).
10.2.2.2.2
„Liebhaberei“ oder „Teilentgeltlichkeit“ bei Vermietung und Verpachtung
Bedeutsam für die steuertechnische Zuordnung zur Sphäre der Einkommenserzielung ist, dass eine Einkommenserzielungsabsicht gegeben sein muss. Eine Einkommenserzielungsabsicht wird angenommen, wenn ein steuerlicher Totalgewinn vorliegt. Der Totalgewinn wird als Differenz zwischen allen steuerlich relevanten Einnahmen und Ausgaben – die Finanzierungskosten eingeschlossen – ermittelt. Sofern eine (steuerrechtliche) Einkommenserzielungsabsicht nicht angenommen werden kann, wird die entsprechende Aktivität als „Hobby“ oder „Liebhaberei“ der Einkommensverwendung zugeordnet und ist damit in vollem Umfang steuerlich unbeachtlich. Dahinter steht die Überlegung, dass der Fiskus nur solche Ausgaben anerkennen will, die absehbar zu steuerlichen Einnahmenüberschüssen führen. Bei der Vermietung von Wohnungen wird von der Rechtsprechung eine starke Typisierung vorgenommen (z. B. BFH-Urteil v. 30.09.1997, IX R 80/94, BStBl. 1998 II S. 771): Bei einer
10.2 Besteuerung von Immobilien
837
auf Dauer angelegten Vermietung von Wohnungen ist eine Einkünfteerzielungsabsicht unwiderlegbar zu vermuten.19 Nicht auf Dauer angelegt ist eine Vermietung dann, wenn
zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses nach Erwerb/Erstellung des Vermietungsobjekts nicht die Absicht einer anschließenden Veräußerung oder Selbstnutzung der Immobilie vorliegt; eine tatsächliche Veräußerung oder Selbstnutzung innerhalb der ersten fünf Jahre eintritt; die Immobilie dem Steuerpflichtigen nur über einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung steht (zB. zeitlich begrenztes Erbbaurecht). Die unwiderlegbare Vermutung der Einkunftserzielungsabsicht ist auch dann nicht anzunehmen, wenn trotz einer auf Dauer angelegten Vermietung eine atypische Konstellation vorliegt. Dies ist gegeben
bei einer teilweise selbst genutzten Ferienwohnung, bei der Vermietung von besonders aufwändigen Wohnungen und bei verbilligten Wohnungsüberlassungen, wenn die Miete unter 66 % der ortsüblichen Miete liegt (ab VZ 2012). In Fällen, in denen die Einkunftserzielungsabsicht nicht ohne weiteres anzunehmen ist, muss eine „objektive Totalüberschussprognose“ aufgestellt werden:
Dieser Prognose war zunächst die tatsächliche Nutzungsdauer von 100 Jahren zugrunde zu legen (BFH-Beschluss v. 25.6.1984, GrS 4/82, BStBl. 1984 II S. 751; BMF v. 23.7.1992, IV B 3 – S 2253 – 29/92, BStBl. 1992 I S. 434). Aufgrund zu vieler spekulativer Komponenten bei der Ermittlung des Totalüberschusses und der i. d. R. 25 bis 30 Jahre andauernden Kreditfinanzierung wich der BFH in Bezug auf Ferienwohnungen(!) von der bisherigen Nutzungsdauer von 100 Jahren ab und legte typisierend einen Prognosezeitraum von 30 Jahren fest (zB. BFH v. 6.11.2001, IX R 97/00, BStBl. 2002 I S. 726). Die Finanzverwaltung blieb auch nach der Ferienwohnungs-Rechtsprechung für normale Wohnimmobilien bei der bisherigen Nutzungsdauer von 100 Jahren (BMF v. 14.10.2002, IV C 3 – S 2253 – 77/02, BStBl. 2002. I S. 1039). In weiteren höchstrichterlichen Urteilen wurde der verkürzte Zeitraum von 30 Jahren ohne eigenständige Begründung auch auf andere, Nicht-Ferienwohnung-Objekte (BFH v. 4.8.2003, IX R 56/02, BFH/NV 2004 S. 39) und unbebaute Grundstücke (BFH v. 28.11.2007, IX R 9/06, BStBl. 2008 II S. 515) ausgedehnt. In Befolgung der BFH-Rechtsprechung legt nunmehr auch das Bundesfinanzministerium den verkürzten Nutzungsdauerzeitraum von 30 Jahren zugrunde (BMF v. 8.10.2004, IV C 3 – S 2253 – 91/04, BStBl. 2004 I S. 933). Abmildernd wird lediglich berücksichtigt, dass aufgrund der Unsicherheit der Schätzung für einen langen Prognosezeitraum die Einkünfte mit einem Sicherheitszuschlag und die Werbungskosten mit einem Sicherheitsabschlag von jeweils 10 % belegt werden.
Die Verkürzung der Nutzungsdauer für Mietwohnungsobjekte auf 30 Jahre hat zur Folge, dass sich im Falle der Wohnungsvermietung auch bei marktüblichen Mieten im Re-
19
Vgl. hierzu Schmidt/Kulosa, EStG § 21 Rz 11 ff mit weiteren Nachweisen.
838
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien gelfall ein positiver Totalüberschuss nicht zu erzielen ist. Wegen der starken Typisierung der Rechtsprechung, wonach bei einer auf Dauer angelegten Wohnungsvermietung eine unwiderlegliche Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht besteht, greift die Totalerfolgsprüfung nur in den atypischen Fällen, in denen eine Überschussprognose vorzunehmen ist, und wird dann im Regelfall zu einer negative Totalüberschussprognose führen. Von gleichmäßiger Besteuerung kann bei diesem Befund nicht mehr gesprochen werden.
Beispiel 39: Totalüberschussprognose bei einem Vermietungsobjekt Erworben wird eine Eigentumswohnung mit Anschaffungskosten von 100, wobei 30 % auf den Grund und Boden entfallen. Nach den Planungen ist eine marktübliche Rendite von 3 % zu erzielen. Der Abschreibung der Immobilie liegt eine Nutzungsdauer von 50 Jahren (§ 7 Abs. 4 EStG) zugrunde. Der Kauf wurde voll fremdfinanziert, der Kredit ist nach 30 Jahren endfällig zu tilgen und jährlich mit 3,5 % zu verzinsen. Prüfen Sie die Frage, ob ein „positiver Totalüberschuss“ gegeben ist. Lösungshinweise: Nach den vorgegebenen Modellannahmen ergibt sich folgende Übersicht: t0 (7)
t1
Objekt-Zahlungen BW Grund & Boden BW Immobilie
+3
t2 +3
t3 +3
...
t29
t30
...
+3
+3
−30 −70
t30*
∑t0−t30 +90
+30 +28
−42
(8)
./. AfA Immobilie
(−1,4) (−1,4) (−1,4)
…
(−1,4)
(−1,4
(−42)
(9)
= Zwischenergebnis
(+1,6) (+1,6) (+1,6)
…
(+1,6)
(+1,6)
(+48)
…
−3,5
−3,5
…
(−1,9)
−(1,9)
−0,5
−0,5
(10) ./. Kredit-Zahlungen (11) = „Total-Erfolg“ (12) = „Total-Überschuss“ Abb. 10.273:
+100 −3,5
−3,5
−3,5
(−1,9) (−1,9) (−1,9) 0 −0,5
−0,5
−0,5
−100 −105 (−57) −42
−57
Ermittlung der Totalüberschussprognose
Es zeigt sich, dass unter Berücksichtigung der Kreditfinanzierung, die gerade einen beträchtlichen Anteil der Werbungskosten ausmacht, eine positive „Total“-Überschussprognose nur über einen hinreichend langen Zeitraum zu erreichen ist. Ein positiver Totalüberschuss führt unter der Annahme der vergleichsweise sehr kurzen Nutzungsdauer von 30 Jahren wohl in den meisten praktisch relevanten Fällen einer Wohnungsvermietung mit Fremdfinanzierung typischerweise zu einer negativen Totalüberschuss-Prognose und damit zur Liebhaberei oder Teilentgeltlichkeit der Vermietung. Auf eine Besonderheit ist hinzuweisen: Während im Regelfall bei einer negativen Überschussprognose die Einnahmen und Ausgaben vollständig unbeachtlich bleiben, ist nach § 21 Abs. 2 EStG bei der Überlassung einer Wohnung zu Wohnzwecken die Nutzungsüberlassung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen.
10.2 Besteuerung von Immobilien 10.2.2.3
839
Selbstgenutztes Wohnungseigentum als Konsumgut
Das selbstgenutzte Wohnungseigentum stellt seit jeher ein besonders wertbeladenes Problem dar. Für seine steuerliche Behandlung sind unterschiedliche Lösungen denkbar: Drittvermietung von Wohnungen
grundsätzliche Besteuerung
Selbstnutzung der eigenen Wohnung
grundsätzliche Besteuerung
grundsätzliche Nicht-Besteuerung (3)
./.
tatsächliche Miete
ortsübliche Miete
ortsübliche Miete
./. tatsächliche Ausgaben
./. tatsächliche Ausgaben
./. fiktive Ausgaben
./. ausgewählte Ausgaben
./.
tatsächlicher Mietüberschuss (1)
fiktiver Mietüberschuss (2.1)
fiktiver Mietüberschuss (2.2)
fiktiver Mietüberschuss (2.3)
fiktiver Mietüberschuss (2.4)
Abb. 10.274:
fiktive Mieteinnahmen
Besteuerungsalternativen für selbstgenutztes Wohneigentum
Im Gegensatz zur früher angewandten Investitionsgutlösung, die bei der selbstgenutzten Wohnung einen pauschalen oder marktüblichen Nutzungswert der Besteuerung unterwarf, wird in Deutschland das selbstgenutzte Wohnungseigentum nach einer sehr streitintensiven Phase von 1974 bis 1986 seit dem 1.1.1987 als Konsumgut behandelt und nicht mehr besteuert. Einkünfteermittlung bei Wohnungen im Privatvermögen Fremdvermietung
Selbstnutzung Zwei-/ Mehrfamilienhaus
Einfamilienhaus/ Eigentumswohnung
Überschuss tatsächlicher Einnahmen über die Werbungskosten Überschuss (fiktiver) der ortsüblichen Miete über die Werbungskosten pauschale Besteuerung des Nutzungswertes (Grundbetrag: 1,4 % EWH) Nichtbesteuerung
Abb. 10.275:
Erwerb vor/nach 30.7.89 (vor)
31.12.86
./.
"unechte" ZFH (nach)
./.
31.12.73 Wegfall Schuldzinsabzug
Vom Investitionsgut zum Konsumgut bei der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums
Mit der Einordnung der privaten Wohnung als Konsumgut wurde das – offenbar als unlösbar angesehene – Problem der „angemessenen Aufwendungen für die selbstgenutzte Wohnung“ beseitigt. Gegen die getroffene Radikallösung sind aus unterschiedlichen Gründen erhebliche Bedenken zu erheben. Vor allem stellt sich die Frage, ob aus Gründen der steuerlichen
840
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Gleichbehandlung im Falle einer selbstgenutzten Wohnung nicht eine Nutzwertbesteuerung erforderlich wäre: Beispiel 40: Gleichbehandlung von Mieter und Selbstnutzer bei Wohnungen Die Brüder A und B erzielen je ein zu versteuerndes Einkommen von je 30.000 €, der relevante Steuersatz betrage für beide 30%. Beide verfügen über freies Geldvermögen von je 200.000 €, die sie zum Kauf einer Eigentumswohnung mit Anschaffungskosten von je 200.000 € einsetzen wollen.
A kauft sich eine Eigentumswohnung und vermietet sie für jährlich 6.000 €; er selbst wohnt zur Miete und zahlt 6.000 € Jahresmiete. B kauft sich eine Eigentumswohnung und wohnt selbst darin.
Werden A und B steuerlich gleich behandelt? Lösungshinweise: Bei der Prüfung der Frage nach der steuerlichen Gleichbehandlung von A und B kann auf nachstehende Vergleichsrechnung zurückgegriffen werden: A (Mieter)
B (Selbstnutzer)
mit Besteuerung des Nutzungswerts +30.000 +6.000
+30.000 (+6.000)
+30.000 −
= zu versteuerndes Einkommen ./. Einkommensteuer (s = 30%)
+36.000 −10.800
(+36.000) −10.800
+30.000 −9.000
= Nettoeinkommen ./. Miete
+25.200 −6.000
+19.200 −
+21.000 −
=
+19.200
+19.200
+21.000
+
Einkommen Mieteinkünfte
ohne Besteuerung des Nutzungswerts
verfügbares Einkommen
Abb. 10.276:
Miete versus Selbstnutzung des Wohnungseigentums
Im Ergebnis zeigt sich, dass sich der Selbstnutzer unter den gegebenen Annahmen – keine Kreditfinanzierung! – nach Steuern besser stellt. Grund hierfür ist, dass die ersparte Miete nicht der Besteuerung unterliegt und er deshalb gegenüber dem Mieter einen finanziellen Vorteil von (6.000 x 30 % =) 1.800 hat. Eine steuerliche Gleichbehandlung würde erreicht, wenn entweder der Nutzungswert besteuert würde oder die Miete „als Sonderausgabe“ steuerlich abzugsfähig wäre.
10.2.3
Sonderfragen im Umsatzsteuerrecht
Grundstücksübertragungen sind bei der Umsatzsteuer als der umfassenden, allgemeinen Verkehrsteuer grundsätzlich freigestellt. Dahinter steht die Überlegung, eine Zweifachbelastung desselben wirtschaftlichen Vorgangs mit mehreren Verkehrsteuern (Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer) zu vermeiden (§ 4 Nr. 9a UStG).
10.2 Besteuerung von Immobilien
841
Die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ist als sonstige Leistung umsatzsteuerbar, aber nach § 4 Nr. 12 UStG grundsätzlich steuerbefreit. Die Steuerbefreiung zieht allerdings die bisweilen unerwünschte Folge nach sich, dass der Vorsteuerabzug ausgeschlossen wird. Zur Vermeidung des Vorsteuer-Ausschlusses wird für bestimmte steuerbefreite Umsätze die Möglichkeit eingeräumt, auf die Steuerbefreiung zu verzichten (§ 9 Abs. 1 UStG). Der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung hat folgende Auswirkungen:
Die im Rahmen von Beschaffungsvorgängen offen ausgewiesenen Vorsteuerbeträge können als Vorsteuern erstattet werden. Die Option ist mit einer zehnjährigen Bindung versehen. Eine Rückkehr zur Nichtbesteuerung vor Ablauf der zehn Jahre führt zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs und damit zu einer zeitanteiligen Rückerstattung der Vorsteuer (§ 15 a Abs. 2 UStG). In vielen Fällen ist die Option zur Regelbesteuerung eine sehr empfehlenswerte Variante. Allerdings wird das Optionsrecht des § 9 Abs. 1 UStG für die Umsatzbesteuerung bei der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken nur in bestimmten Fällen gewährt (§ 9 Abs. 2 UStG), die in der Vergangenheit zunehmend eingeschränkt wurden:
Durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 vom 14.12.1984 (BGBl. 1984 I S. 1493 (1505)) wurde die bis dahin völlig offene Optionsmöglichkeit erheblich eingeschränkt: Die Option war danach nur zulässig, soweit der Unternehmer den Nachweis führen konnte, dass das Grundstück weder Wohnzwecken noch anderen nichtunternehmerischen Zwecken diente oder zu dienen bestimmt war. Infolge des verstärkten Einsatzes sog. Vorschaltgesellschaften zur Vermietung an grundsätzlich nicht umsatzsteuerpflichtige Kreditinstitute, Ärzte, Bildungseinrichtungen u. a. wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts 1993 (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – StMBG) vom 21.12.1993 (BGBl. 1993 S. 2310) eine weitere Einschränkung verfügt: Die Option ist nach § 9 Abs. 2 UStG nur noch zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen nachzuweisen. Übergangsbestimmungen legen fest, dass die neue Vorschrift nicht anzuwenden ist, wenn das Gebäude vor dem 1.1.1988 fertig gestellt worden ist und wenn mit der Errichtung vor dem 11.11.1993 begonnen worden ist (§ 27 Abs. 2 UStG). Einzelfragen, ob sich § 9 Abs. 2 UStG auf das Grundstück insgesamt bezieht oder eine Differenzierung in Gebäudeteile möglich ist, werden in dem BMF-Schreiben vom 21.11.1994 geregelt. Die Umsatzsteueroption ist bei niedrigen Objektrenditen regelmäßig eine günstige Lösung, die mit einer steuerlichen Liquiditätshilfe und Steuerersparnissen verbunden ist. Beispiel 41: Vermietung Lagerhalle – ohne und mit Option Ein Unternehmer vermietet eine Lagerhalle an einen umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer. Die Beschaffungskosten der Lagerhalle setzen sich aus dem Kaufpreis für Grund und Boden mit 30 T€, für den Gebäudeanteil mit 120 T€ (inklusive 20 T€ Umsatzsteuer) zusammen. Die Marktmiete beträgt 4 % der Beschaffungskosten. Angenommen wird, dass im Falle der Umsatzsteueroption die Umsatzsteuer auf den Mieter überwälzt werden kann.
842
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien t0
t1
t2
t3
….
t10
Σ VSt/
USt
(1) Umsatzsteuerbefreite Vermietung Beschaffungskosten
−150
Miete
+6
+6
+6
….
+6
(2) Vermietung mit Option Beschaffungskosten • netto • Umsatzsteuer (20%) • Vorsteuer Mieten • netto • Umsatzsteuer (20%) • Zahllast Abb. 10.277:
−130 −20 +20
+20
+6 +1.20 −1.20
+6 +1.20 −1.20
+6 +1.20 −1.20
…. …. ….
+6 +1.20 −1.20
−12
Zahlungswirkungen der Umsatzsteueroption (Lagerhalle)
Das Beispiel zeigt, dass die Umsatzsteueroption im Investitionszeitpunkt zum einen eine erhebliche Liquiditätshilfe gewährt und zum andern bei niedrigen Objektrenditen über den Optionszeitraum und im Zeitablauf konstanten Umsatzsteuersätzen weniger an Umsatzsteuer zu zahlen ist, als Vorsteuern erstattet wurden. Zu einer Neuauflage des Vorsteuerabzugs bei nicht an vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer vermietete Immobilien führte die „Seeling-Entscheidung“ des EuGH vom 8.5.2003 (BStBl. 2004 II S. 378). Konsequenz dieses Urteils war, dass bei einem gemischt genutzten Grundstück
die „private“ Nutzung eines Teils dieses Grundstücks in Höhe der Selbstkosten als Wertabgabe der Umsatzsteuer zu unterwerfen war und die mit diesem Gebäudeteil in Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge geltend gemacht werden konnten. Folge dieser Rechtslage waren „Seeling“-Steuergestaltungsmodelle, denen im Jahressteuergesetz 2010 mit Wirkung ab 1.1.2011 mit einer in § 15 Abs. 1b und Abs. 4 Satz 4 UStG neu geregelten Vorsteuerabzugsbeschränkung die Rechtsgrundlage entzogen wurde.20 Weitere, im Rahmen der Vermietung von Immobilien immer wieder relevante umsatzsteuerliche Probleme vor allem bei gemischt-genutzten Vermietungsobjekten werden im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE), der die Umsatzsteuer-Richtlinien ersetzt hat, mit instruktiven Beispielen wie folgt geregelt: „9.2 Einschränkung des Verzichts auf Steuerbefreiungen (§ 9 Abs. 2 und 3 UStG) (1) 1Der Verzicht auf die in § 9 Abs. 2 UStG genannten Steuerbefreiungen ist nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu 20
Für eine detailreiche Darstellung vgl. Batke-Spitzer in Weimann, Rüdiger/Lang, Fritz (Hrsg.), Umsatzsteuer – national und international. Kompakt-Kommentar, 3. Aufl., Stuttgart 2011, S. 677–696.
10.2 Besteuerung von Immobilien
843
verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. 2Unter den Begriff des Grundstücks fallen nicht nur Grundstücke insgesamt, sondern auch selbständig nutzbare Grundstücksteile (z. B. Wohnungen, gewerbliche Flächen, Büroräume, Praxisräume). 3Soweit der Leistungsempfänger das Grundstück oder einzelne Grundstücksteile ausschließlich für Umsätze verwendet, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, kann auf die Steuerbefreiung des einzelnen Umsatzes weiterhin verzichtet werden. 4Werden mehrere Grundstücksteile räumlich oder zeitlich unterschiedlich genutzt, ist die Frage der Option bei jedem Grundstücksteil gesondert zu beurteilen. 5Dabei ist es unschädlich, wenn die Verwendung der Grundstücksteile zivilrechtlich in einem einheitlichen Vertrag geregelt ist. 6Ein vereinbartes Gesamtentgelt ist, ggf. im Schätzungswege, aufzuteilen. Beispiel 1: V 1 errichtet ein Gebäude mit mehreren Wohnungen und vermietet es insgesamt an V 2. 2 Dieser vermietet die Wohnungen an Privatpersonen weiter. 3 Die Vermietung des Gebäudes durch V 1 an V 2 und die Vermietung der Wohnungen durch V 2 an die Privatpersonen sind nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei. 4V 1 kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil sein Mieter das Gebäude für steuerfreie Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). 5V 2 kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil er nicht an Unternehmer vermietet (§ 9 Abs. 1 UStG). 1
Beispiel 2: 1 V 1 errichtet ein Gebäude und vermietet es an V 2. 2Dieser vermietet es an eine Gemeinde zur Unterbringung der Gemeindeverwaltung weiter. 3 Die Vermietung des Gebäudes durch V 1 an V 2 und die Weitervermietung durch V 2 an die Gemeinde sind nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei. 4V 1 kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil V 2 das Gebäude für steuerfreie Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). 5V 2 kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil das Gebäude von der Gemeinde für nichtunternehmerische Zwecke genutzt wird (§ 9 Abs. 1 UStG). Beispiel 3: V 1 errichtet ein gewerblich zu nutzendes Gebäude mit Einliegerwohnung und vermietet es insgesamt an V 2. 2Dieser betreibt in den gewerblichen Räumen einen Supermarkt. 3Die Einliegerwohnung vermietet V 2 an seinen angestellten Hausmeister. 4 Die Vermietung des Gebäudes durch V 1 an V 2 und die Vermietung der Wohnung durch V 2 an den Hausmeister sind nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei. 5V 1 kann bei der Vermietung der gewerblichen Räume auf die Steuerbefreiung verzichten, weil V 2 diese Räume ausschließlich für Umsätze verwendet, die zum Vorsteuerabzug berechtigen (§ 9 Abs. 2 UStG). 6Bei der Vermietung der Einliegerwohnung kann V 1 auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil V 2 die Wohnung für steuerfreie Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). 7V 2 kann bei der Vermietung der Einliegerwohnung nicht auf die Steuerbefreiung verzichten, weil der Hausmeister kein Unternehmer ist (§ 9 Abs. 1 UStG). 1
844
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Beispiel 4: 1 V errichtet ein mehrgeschossiges Gebäude und vermietet es wie folgt: – die Räume des Erdgeschosses an eine Bank; – die Räume im 1. Obergeschoss an einen Arzt; – die Räume im 2. Obergeschoss an einen Rechtsanwalt; – die Räume im 3. Obergeschoss an das städtische Schulamt. 2 Die Vermietungsumsätze des V sind von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG). 3Die Geschosse des Gebäudes sind selbständig nutzbare Grundstücksteile. 4 Die Frage der Option ist für jeden Grundstücksteil gesondert zu prüfen. – Erdgeschoss 5 V kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil die Bank die Räume für grundsätzlich steuerfreie Umsätze (§ 4 Nr. 8 UStG) verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). –
1. Obergeschoss V kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil der Arzt die Räume für grundsätzlich steuerfreie Umsätze (§ 4 Nr. 14 UStG) verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). 6
–
2. Obergeschoss V kann auf die Steuerbefreiung verzichten, weil der Rechtsanwalt die Räume ausschließlich für Umsätze verwendet, die zum Vorsteuerabzug berechtigen (§ 9 Abs. 2 UStG). 7
–
3. Obergeschoss V kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil die Stadt die Räume nicht unternehmerisch nutzt (§ 9 Abs. 1 UStG).
8
Beispiel 5: V 1 errichtet ein mehrgeschossiges Gebäude und vermietet es an V 2. 2Dieser vermietet das Gebäude wie im Beispiel 4 weiter. 3 Die Vermietung des Gebäudes durch V 1 an V 2 und die Weitervermietung durch V 2 sind nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei. 4V 2 kann, wie in Beispiel 4 dargestellt, nur bei der Vermietung des 2. Obergeschosses an den Rechtsanwalt auf die Steuerbefreiung verzichten (§ 9 Abs. 2 UStG). 5V 1 kann bei der Vermietung des 2. Obergeschosses auf die Steuerbefreiung verzichten, wenn V 2 von seiner Optionsmöglichkeit Gebrauch macht. 6V 2 verwendet das 2. Obergeschoss in diesem Fall für steuerpflichtige Umsätze. 7Bei der Vermietung der übrigen Geschosse kann V 1 auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil V 2 diese Geschosse für steuerfreie Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). 1
Beispiel 6: 1 V errichtet ein zweistöckiges Gebäude und vermietet es an den Zahnarzt Z. 2Dieser nutzt das Obergeschoss als Wohnung und betreibt im Erdgeschoss seine Praxis. 3Einen Raum im Erdgeschoss nutzt Z ausschließlich für die Anfertigung und Wiederherstellung von Zahnprothesen. 4 Die Vermietung des Gebäudes durch V an Z ist von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 12
10.2 Besteuerung von Immobilien
845
Satz 1 Buchstabe a UStG). 5Die Geschosse des Gebäudes und auch die Räume im Erdgeschoss sind selbständig nutzbare Grundstücksteile. 6Die Frage der Option ist für jeden Grundstücksteil gesondert zu prüfen. – Erdgeschoss 7 V kann auf die Steuerbefreiung insoweit nicht verzichten, als Z die Räume für seine grundsätzlich steuerfreie zahnärztliche Tätigkeit (§ 4 Nr. 14 Buchstabe a Satz 1 UStG) verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließt (§ 9 Abs. 2 UStG). 8Dagegen kann V auf die Steuerbefreiung insoweit verzichten, als Z einen Raum zur Anfertigung und Wiederherstellung von Zahnprothesen, also ausschließlich zur Erbringung von steuerpflichtigen und damit den Vorsteuerabzug nicht ausschließenden Umsätzen verwendet (§ 4 Nr. 14 Buchstabe a Satz 2 UStG). – Obergeschoss 9 V kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil Z die Räume nicht unternehmerisch nutzt (§ 9 Abs. 1 UStG). (2) 1Die Option ist unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch dann zulässig, wenn der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der seine abziehbaren Vorsteuerbeträge nach Durchschnittssätzen berechnet (§§ 23, 23 a UStG), seine Umsätze nach den Durchschnittssätzen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe versteuert (§ 24 UStG), Reiseleistungen erbringt (§ 25 UStG) oder die Differenzbesteuerung für die Umsätze von beweglichen körperlichen Gegenständen anwendet (§ 25 a UStG). 2Demgegenüber ist ein Unternehmer, bei dem die Umsatzsteuer nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht erhoben wird, als ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Leistungsempfänger anzusehen. 3Die Option ist in diesem Fall somit nicht möglich. (3) 1Verwendet der Leistungsempfänger das Grundstück bzw. einzelne Grundstücksteile nur in sehr geringem Umfang für Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen (Ausschlussumsätze), ist der Verzicht auf Steuerbefreiung zur Vermeidung von Härten weiterhin zulässig. 2 Eine geringfügige Verwendung für Ausschlussumsätze kann angenommen werden, wenn im Falle der steuerpflichtigen Vermietung die auf den Mietzins für das Grundstück bzw. für den Grundstücksteil entfallende Umsatzsteuer im Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr, § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG) höchstens zu 5% vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen wäre (Bagatellgrenze). 3Für die Vorsteueraufteilung durch den Leistungsempfänger (Mieter) gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. Abschnitte 15.16 bis 15.18). Beispiel 1: 1 V vermietet das Erdgeschoss eines Gebäudes an den Schönheitschirurgen S. 2Neben den steuerpflichtigen Leistungen (Durchführung von plastischen und ästhetischen Operationen) bewirkt S auch in geringem Umfang steuerfreie Heilbehandlungsleistungen (§ 4 Nr. 14 Buchstabe a UStG). 3Die Aufteilung der sowohl mit den steuerpflichtigen als auch mit den steuerfreien Umsätzen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge nach ihrer wirtschaftlichen Zuordnung führt im Besteuerungszeitraum zu einem Vorsteuerausschluss von 3%. 4 Die Vermietung des Erdgeschosses von V an S ist nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei. 5V kann auf die Steuerbefreiung verzichten, weil S das Erdgeschoss nur in geringfügigem Umfang für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen.
846
10 Steuerliche Grundlagen und Besteuerung von Immobilien
Beispiel 2: 1 V vermietet an den Autohändler A einen Ausstellungsraum. 2A vermietet den Ausstellungsraum jährlich für zwei Wochen an ein Museum zur Ausstellung von Kunst. 3 Die Vermietung des Ausstellungsraums durch V an A und die Weitervermietung durch A sind nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei. 4Da A den Ausstellungsraum im Besteuerungszeitraum lediglich an 14 von 365 Tagen (ca. 4%) zur Ausführung von Umsätzen verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen, kann V auf die Steuerbefreiung der Vermietung des Ausstellungsraums verzichten. 5A kann auf die Steuerbefreiung nicht verzichten, weil das Museum den Ausstellungsraum für steuerfreie Umsätze (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG) verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 9 Abs. 2 UStG). (4) 1Der Unternehmer hat die Voraussetzungen für den Verzicht auf die Steuerbefreiungen nachzuweisen. 2Der Nachweis ist an keine besondere Form gebunden. 3Er kann sich aus einer Bestätigung des Mieters, aus Bestimmungen des Mietvertrags oder aus anderen Unterlagen ergeben. 4Ständig wiederholte Bestätigungen des Mieters über die Verwendung des Grundstücks bzw. Grundstücksteils sind nicht erforderlich, solange beim Mieter keine Änderungen bei der Verwendung des Grundstücks zu erwarten sind. 5Im Einzelfall kann es aber erforderlich sein, vom Mieter zumindest eine jährliche Bestätigung einzuholen. (5) 1§ 9 Abs. 2 UStG in der ab 1. 1. 1994 geltenden Fassung ist nicht anzuwenden, wenn das auf dem Grundstück errichtete Gebäude vor dem 1. 1. 1998 fertig gestellt wird und wenn mit der Errichtung des Gebäudes vor dem 11. 11. 1993 begonnen wurde. 2Unter dem Beginn der Errichtung eines Gebäudes ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem einer der folgenden Sachverhalte als Erster verwirklicht worden ist: 1. Beginn der Ausschachtungsarbeiten, 2. Erteilung eines spezifizierten Bauauftrags an den Bauunternehmer oder 3. Anfuhr nicht unbedeutender Mengen von Baumaterial auf dem Bauplatz. 3 Vor diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes durchgeführte Arbeiten oder die Stellung eines Bauantrags sind noch nicht als Beginn der Errichtung anzusehen. 4Dies gilt auch für die Arbeiten zum Abbruch eines Gebäudes, es sei denn, dass unmittelbar nach dem Abbruch des Gebäudes mit der Errichtung eines neuen Gebäudes begonnen wird. 5Hiervon ist stets auszugehen, wenn der Steuerpflichtige die Entscheidung zu bauen für sich bindend und unwiderruflich nach außen hin erkennbar macht. 6Dies kann z. B. durch eine Abbruchgenehmigung nachgewiesen werden, die nur unter der Auflage erteilt wurde, zeitnah ein neues Gebäude zu errichten. (6) 1Wird durch einen Anbau an einem Gebäude oder eine Aufstockung eines Gebäudes ertragsteuerlich ein selbständiges Wirtschaftsgut hergestellt, ist auf dieses Wirtschaftsgut die seit dem 1. 1. 1994 geltende Rechtslage anzuwenden. 2Diese Rechtslage gilt auch, wenn ein Gebäude nachträglich durch Herstellungsarbeiten so umfassend saniert oder umgebaut wird, dass nach ertragsteuerlichen Grundsätzen ein anderes Wirtschaftsgut entsteht (vgl. H 7.3 EStH 2008 zu R 7.3 EStR 2008). 3Die Ausführungen in den Sätzen 1 und 2 sind jedoch in den Fällen nicht anzuwenden, in denen die Herstellungsarbeiten vor dem 11. 11. 1993 begonnen haben und vor dem 1. 1. 1998 abgeschlossen werden. 4Die Einschränkung der Optionsmöglichkeiten ab 1. 1. 1994 hat keine Auswirkungen auf einen für die Errichtung des Gebäudes in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug.
10.2 Besteuerung von Immobilien
847
(7) 1Durch die Veräußerung eines Grundstücks wird die Frage, ob der Verzicht auf die in § 9 Abs. 2 UStG genannten Steuerbefreiungen zulässig ist, nicht beeinflusst. 2Für Grundstücke mit Altbauten gilt daher, auch wenn sie veräußert werden, die Rechtslage vor dem 1. 1. 1994. 3Zu beachten sind aber weiterhin die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 29.5. 1992, BStBl. I S. 378, zum Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO);21 vgl. auch BFH-Urteil vom 14. 5. 1992, V R 12/88, BStBl. II S. 931. (8) Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 UStG bei Lieferungen von Grundstücken (§ 4 Nr. 9 Buchstabe a UStG) im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher ist bis zur Aufforderung zur Abgabe von Geboten im Versteigerungstermin zulässig. (9) Die Ausübung des Verzichts auf die Steuerbefreiung ist bei Umsätzen im Sinne des § 4 Nr. 9 Buchstabe a UStG außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens in dem nach § 311 b BGB notariell zu beurkundenden Vertrag zu erklären.“
21
Vgl. auch BFH v. 9. 11. 2006, V R 43/04, BStBl. II 2007 S. 344 (Sparkassen-/Bankenmodell).
848
Literaturverzeichnis zu Kapitel 10
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11
Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Wolfgang Rupp
11.1 11.1.1 11.1.1.1 11.1.1.2 11.1.1.3 11.1.1.4 11.1.2 11.1.3 11.1.3.1 11.1.3.2 11.1.3.3 11.1.3.4 11.1.3.5 11.1.4 11.1.4.1 11.1.4.2 11.1.5 11.1.5.1 11.1.5.2 11.1.5.2.1 11.1.5.2.2 11.1.5.2.3 11.1.6 11.1.6.1 11.1.6.2 11.1.7 11.1.7.1 11.1.7.2 11.1.7.3 11.1.7.4 11.1.7.5 11.1.8 11.1.8.1
Darlehensrecht ............................................................................................... 855 Begriff und Arten des Darlehens ................................................................... 855 Unternehmer- und Verbraucherdarlehen ....................................................... 855 Baudarlehen ................................................................................................... 855 Bauspardarlehen ............................................................................................ 856 Personal- und Immobiliardarlehen ................................................................ 856 Andere Kreditformen .................................................................................... 856 Rechtsnatur des Darlehensvertrags................................................................ 857 Verpflichtungsgeschäft .................................................................................. 857 Gegenseitiger Vertrag.................................................................................... 857 Dauerschuldverhältnis ................................................................................... 857 Gebrauchsüberlassungsvertrag ...................................................................... 858 Sonderform: Krediteröffnungsvertrag ........................................................... 858 Vertragsparteien ............................................................................................ 859 Mehrere Darlehensgeber ............................................................................... 859 Mehrere Darlehensnehmer ............................................................................ 860 Aufklärungs- und Beratungspflichten des Darlehensgebers .......................... 860 Vertragliche Verpflichtung ............................................................................ 861 Vorvertragliche Verpflichtung ...................................................................... 861 Überschreiten der Kreditgeberrolle ............................................................... 861 Konkreter Wissensvorsprung ........................................................................ 862 Interessenkollision ......................................................................................... 862 Abschluss des Darlehensvertrags .................................................................. 862 Vertragsschluss .............................................................................................. 862 Form .............................................................................................................. 863 Fakultativer Vertragsinhalt ............................................................................ 864 Abnahmepflicht des Darlehensnehmers ........................................................ 864 Auszahlungsvoraussetzungen ........................................................................ 864 Zusicherungen des Darlehensnehmers („representations and warranties“) ................................................................................................... 864 Auflagen an den Darlehensnehmer („covenants“)......................................... 865 Festlegung des Verwendungszwecks ............................................................ 865 Grenzen der Vertragsgestaltung .................................................................... 866 Gesetzliche Ge- und Verbote (§ 134 BGB) ................................................... 866
852 11.1.8.2 11.1.8.2.1 11.1.8.2.2 11.1.8.2.3 11.1.8.3 11.1.8.3.1 11.1.8.3.2 11.1.9 11.1.9.1 11.1.9.2 11.1.9.2.1 11.1.9.2.2 11.1.9.2.3 11.1.9.2.3.1 11.1.9.2.3.2 11.1.10 11.1.10.1 11.1.10.2 11.1.10.3 11.1.10.3.1 11.1.10.3.2 11.1.10.3.2.1 11.1.10.3.2.2 11.1.10.3.3 11.1.11 11.1.12 11.1.12.1 11.1.12.2 11.1.12.3 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.2.1 11.2.2.2 11.2.2.2.1 11.2.2.2.2 11.2.2.2.3 11.2.2.3 11.2.3 11.2.4 11.2.5 11.2.5.1 11.2.5.1.1 11.2.5.1.2 11.2.5.1.3
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) ............................................................ 867 Objektive Voraussetzungen........................................................................... 867 Subjektive Voraussetzungen ......................................................................... 867 Rechtsfolgen.................................................................................................. 868 „Knebelung“ des Darlehensnehmers (§§ 138, 139 BGB) ............................. 868 Übersicherung des Darlehensgebers ............................................................. 868 Einflussmöglichkeiten des Darlehensgebers ................................................. 869 Hauptpflichten aus dem Darlehensvertrag .....................................................869 Darlehensgeber.............................................................................................. 869 Darlehensnehmer........................................................................................... 870 Darlehensrückzahlung ................................................................................... 870 Zinszalung ..................................................................................................... 870 Zinsanpassungsklauseln ................................................................................ 871 Voraussetzungen der Anpassung................................................................... 871 Entsprechender Anpassungsanspruch des Darlehensnehmers....................... 871 Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs ...........................................................872 Bestimmte Vertragslaufzeit ........................................................................... 872 Aufhebungsvertrag ........................................................................................ 872 Kündigung ..................................................................................................... 872 Ordentliche Kündigung (§ 488 Abs. 3, § 489 BGB) ..................................... 872 Außerordentliche Kündigung (§ 490 Abs. 1, 2 BGB) ................................... 873 Darlehensgeber.............................................................................................. 873 Darlehensnehmer........................................................................................... 874 Außerordentliche Kündigung (§ 314 BGB) und Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ........................................................... 875 Leistungsstörungsrecht ...................................................................................875 Verbraucherschutz..........................................................................................876 Verbraucherdarlehensverträge ...................................................................... 876 Fernabsatzverträge ........................................................................................ 876 Verbundene Verträge .................................................................................... 877 Grundpfandrechte ...........................................................................................877 Arten der Grundpfandrechte, Rechtsgrundlagen ............................................877 Hypothek und Grundschuld: Gemeinsamkeiten, Unterschiede ......................878 Gemeinsamkeiten .......................................................................................... 878 Unterschiede.................................................................................................. 878 Anspruchsbegründung................................................................................... 879 Nichtentstehen/Erlöschen der zu sichernden Forderung ............................... 880 Forderungsauswechslung .............................................................................. 880 Verdrängung der Hypothek durch die Grundschuld...................................... 880 Rangordnung ..................................................................................................881 Beleihungsgrenzen .........................................................................................882 Haftungsumfang der Grundpfandrechte .........................................................882 Potentielle Haftungsgegenstände – der „Haftungsverband“.......................... 882 Grundstück .................................................................................................... 883 Zubehör ......................................................................................................... 883 Forderungen .................................................................................................. 884
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung 11.2.5.2 11.2.5.3 11.2.5.3.1 11.2.5.3.2 11.2.5.3.2.1 11.2.5.3.2.2 11.2.5.3.3 11.2.5.3.4 11.2.5.3.4.1 11.2.5.3.4.2 11.2.6 11.2.6.1 11.2.6.1.1 11.2.6.1.2 11.2.6.1.3 11.2.6.1.4 11.2.6.2 11.2.6.2.1 11.2.6.2.2 11.2.6.2.3 11.2.6.3 11.2.6.3.1 11.2.6.3.2 11.2.6.3.3 11.2.6.4 11.2.6.4.1 11.2.6.4.2 11.2.6.4.3 11.2.6.4.4 11.2.6.5 11.2.6.6 11.2.6.7 11.2.6.7.1 11.2.6.7.2 11.2.6.7.3 11.2.6.8 11.2.6.8.1 11.2.6.8.2 11.2.6.8.3 11.2.6.9 11.2.7 11.2.7.1 11.2.7.2 11.2.7.3 11.2.7.3.1 11.2.7.3.2 11.2.7.3.3
853
Realisierung der Haftung ............................................................................... 885 Enthaftung ..................................................................................................... 886 Vor Beschlagnahme ...................................................................................... 887 Nach Beschlagnahme .................................................................................... 887 Entfernung nach Beschlagnahme und Veräußerung ...................................... 888 Veräußerung nach Beschlagnahme und Entfernung ...................................... 888 Anwartschaftsrecht ........................................................................................ 889 Miet- und Pachtzinsforderungen ................................................................... 889 Enthaftung durch Zeitablauf .......................................................................... 889 Enthaftung durch Verfügung ......................................................................... 890 Grundschuld .................................................................................................. 891 Sicherungsabrede........................................................................................... 892 Funktion ........................................................................................................ 892 Rechtsnatur .................................................................................................... 892 Inhalt ............................................................................................................. 893 Abgrenzung ................................................................................................... 896 Beteiligte und Rechtsbeziehungen................................................................. 897 Zwei-Personen-Verhältnis ............................................................................. 897 Personenverschiedenheit von Schuldner und Sicherungsgeber ..................... 897 Personenverschiedenheit von Gläubiger und Grundschuldinhaber. .............. 898 Arten der Grundschuld .................................................................................. 898 Buch- und Briefgrundschuld ......................................................................... 898 Fremd- und Eigentümergrundschuld ............................................................. 898 Einzel- und Gesamtgrundschuld.................................................................... 899 Bestellung (Fremdgrundschuld) .................................................................... 899 Einigung und Eintragung ............................................................................... 899 Briefübergabe oder Briefausschluss .............................................................. 900 Berechtigung des Bestellers .......................................................................... 900 Gutgläubiger Ersterwerb ............................................................................... 900 Rechtsgeschäftliche Eigentümergrundschuld ................................................ 901 Übertragung von Grundschuld und Forderung .............................................. 901 Tilgungsfolgen............................................................................................... 901 Grundsatz ...................................................................................................... 901 Tilgungsbestimmung ..................................................................................... 902 Leistung durch Dritte..................................................................................... 902 Verteidigung gegen die Grundschuld ............................................................ 903 Einwendungen ............................................................................................... 903 Einreden ........................................................................................................ 903 Kein gutgläubiger einredefreier Erwerb ........................................................ 904 Fälligkeit........................................................................................................ 904 Hypothek ....................................................................................................... 904 Bestellung ...................................................................................................... 904 Übertragung von Forderung und Hypothek ................................................... 905 Gutgläubiger Zweiterwerb............................................................................. 906 Mangel der Forderung ................................................................................... 906 Mangel der Hypothek .................................................................................... 907 „Doppelmangel“ ............................................................................................ 908
854 11.2.7.4 11.2.7.5 11.2.7.5.1 11.2.7.5.2 11.2.7.5.3 11.2.7.6 11.2.7.7 11.2.8 11.2.8.1 11.2.8.2 11.2.8.2.1 11.2.8.2.2 11.2.8.2.3 11.2.8.3 11.2.8.3.1 11.2.8.3.2 11.2.9 11.2.9.1 11.2.9.1.1 11.2.9.1.2 11.2.9.1.3 11.2.9.2
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Tilgungsfolgen .............................................................................................. 908 Verteidigung gegen die Hypothek ................................................................. 909 Einwendungen ............................................................................................... 909 Einreden ........................................................................................................ 909 Verteidigung gegenüber dem Zweiterwerber der Hypothek ......................... 909 Fälligkeit ....................................................................................................... 910 Sicherungshypothek ...................................................................................... 910 Verwertung eines Grundpfandrechts durch Zwangsvollstreckung.................910 Materiell-rechtliche Voraussetzungen ........................................................... 910 Formelle Voraussetzung: Vollstreckungstitel ............................................... 911 Urteil ............................................................................................................. 911 Vollstreckungsunterwerfung ......................................................................... 912 Abstraktes Schuldanerkenntnis und Vollstreckungsunterwerfung ................ 912 Verfahren ...................................................................................................... 913 Zwangsversteigerung .................................................................................... 913 Zwangsverwaltung ........................................................................................ 916 Grundpfandrechte in der Insolvenz ................................................................916 Insolvenz des Grundstückseigentümers ........................................................ 916 Abgesonderte Befriedigung........................................................................... 916 Zeitpunkt des Rechtserwerbs ........................................................................ 917 Rechte des Insolvenzverwalters .................................................................... 917 Insolvenz des Grundpfandrechtsinhabers ...................................................... 918 Literaturverzeichnis zu Kapitel 11 .................................................................919
11.1 Darlehensrecht
11.1
Darlehensrecht
11.1.1
Begriff und Arten des Darlehens
855
Neben der Finanzierung durch Eigenkapital stellt die Fremdfinanzierung auf Basis eines Kredits nach wie vor die gebräuchlichste Variante der Immobilienfinanzierung dar. Im weiteren Sinne ist „Kredit“ jeder Vermögensvorteil, den ein Kreditgeber als Gläubiger einem Kreditnehmer als Schuldner zeitlich begrenzt überlässt und den der Kreditnehmer vereinbarungsgemäß zu einem späteren Zeitpunkt ausgleicht (Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 488 Rn. 2). Geläufigste Variante der Kreditgewährung ist dabei die zeitweilige Zurverfügungstellung von Kapital durch den Kreditnehmer zugunsten des Kreditnehmers (sog. Zahlungskredit). Im Falle der Überlassung von Barmitteln handelt es sich um ein (Geld-) Darlehen im Sinne der §§ 488–505 BGB (zum seltenen Sachdarlehen s. §§ 607–609 BGB). In Abhängigkeit der an einem solchen Rechtsverhältnis beteiligten Personen, des Finanzierungszwecks und der hierfür gestellten Sicherheiten haben sich für den Bereich des Erwerbs bzw. der Errichtung von Immobilien begrifflich und rechtlich verschiedene Arten des Darlehens herausgebildet (vgl. Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 488 Rn. 3; Vorb. v. § 488 Rn. 11 ff.): 11.1.1.1
Unternehmer- und Verbraucherdarlehen
Als Unternehmerdarlehen bezeichnet werden solche Darlehensverhältnisse, bei denen sowohl Darlehensgeber als auch Darlehensnehmer Unternehmer im Sinne des § 14 BGB (insbesondere Kreditinstitute/Banken gemäß § 1 Abs. 1 KWG) sind. Für sie gelten allein die allgemeinen Regeln über den Darlehensvertrag in §§ 488–490 BGB. Handelt es sich beim Darlehensgeber um einen Verbraucher im Sinne des § 13 BGB und beim Darlehensnehmer um einen Unternehmer (§ 14 BGB) oder Verbraucher (§ 13 BGB), spricht man von einem Privatdarlehen, für das ebenfalls allein die §§ 488–490 BGB gelten. Verbraucherdarlehen sind solche Darlehen, die von einem Unternehmer (§ 14 BGB; insbesondere Banken) an einen Verbraucher (§ 13 BGB) gewährt werden; für sie gelten neben den §§ 488–490 BGB die besonderen Vorschriften über Verbraucherdarlehensverträge in §§ 491–505 BGB, in erster Linie zum Schutz des Verbrauchers. 11.1.1.2
Baudarlehen
Baudarlehen sind Darlehen, die vereinbarungsgemäß zum Zwecke des Neu-, Aus- oder Umbaus eines Gebäudes gewährt werden und durch Grundpfandrechte (Grundschuld, Hypothek) am zu bebauenden Grundstück gesichert werden. Die aufgrund eines solchen Baudarlehensvertrags empfangenen zweckgebundenen Geldbeträge (Baugeld, § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Bauforderungssicherungsgesetzes – BauFordSiG) hat der Empfänger gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG zur Befriedigung der am Bau beteiligten Personen zu verwenden. „Empfänger“ und damit im Sinne dieser Vorschrift ebenfalls verpflichtet sind dabei neben dem Baudarlehensnehmer selbst auch die von diesem beauftragten Generalübernehmer/-unternehmer und Baubetreuer (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BauFordSiG), die den Darlehensbetrag oder Teile davon über den Darlehensgeber erhalten haben. § 1 Abs. 1 BauFordSiG soll verhindern, dass der Empfänger das Baugeld zweckwidrig verwendet und dient damit dem Schutz derjenigen Personen, die aufgrund eines Bauvertrags Leistungen zur Herstellung des Baus erbringen. Verstößt der Baugeld-Empfänger vorsätzlich gegen die Verwendungspflichten nach § 1 Abs. 1 BauFord-
856
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
SiG, ist er daher gegenüber diesen gemäß § 823 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig und gemäß § 2 BauFordSiG strafbar (Palandt/Sprau, § 648 Rn. 6, § 823 Rn. 62a). Aus der Zweckgebundenheit des Baudarlehens folgt, dass der Anspruch auf Auszahlung des Darlehensbetrags grundsätzlich nicht abtretbar (§ 399 Alt. 1 BGB), nicht verpfändbar (§ 1274 Abs. 2 BGB), nicht pfändbar (§ 851 Abs. 1 ZPO) und nicht aufrechenbar ist (§ 394 Satz 1 BGB; s. zum Ganzen Staudinger/Mülbert § 488 Rn. 533 ff.). 11.1.1.3
Bauspardarlehen
Ein Bauspardarlehen wird aufgrund eines Bausparvertrags gewährt, der den Bausparer und späteren Darlehensnehmer während einer „Sparphase“ zur regelmäßigen Einlage niedrig verzinslicher Beträge verpflichtet und ihm einen Anspruch auf Gewährung eines ebenfalls niedrig zu verzinsenden Darlehens zu einem späteren Zeitpunkt einräumt. Bauspareinlagen und Bauspardarlehen sind zweckgebunden zu „wohnungswirtschaftlichen Maßnahmen“ zu verwenden (§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Bausparkassengesetz – BausparkassenG; ein Geschäftsmodell, das im Übrigen gemäß § 3 Nr. 2 KWG verboten ist). Bauspardarlehen sind regelmäßig durch Grundpfandrechte zu besichern; hierfür gelten besondere Vorschriften in § 7 BausparkassenG. Wegen der Zweckgebundenheit des Bauspardarlehens ist der Anspruch auf Auszahlung des Darlehens wie beim Baudarlehen nicht abtretbar, verpfändbar, pfändbar und aufrechenbar. 11.1.1.4
Personal- und Immobiliardarlehen
Im Hinblick auf die Stellung von Darlehenssicherheiten werden Personaldarlehen von Immobiliardarlehen (auch Real- oder Bodenkredite genannt) unterschieden: Im Falle des Personaldarlehens dient als Sicherheit allein die Person bzw. die persönliche Leistungsfähigkeit des Darlehensnehmers selbst oder (daneben) anderer, wie etwa Bürgen, Garanten, Patrone oder kraft Schuldbeitritt/Schuldübernahme Mithaftende. Wegen der regelmäßig schwerer abschätzbaren Leistungsfähigkeit und -willigkeit natürlicher oder juristischer Personen spielen solche Personalsicherheiten bei Immobiliengeschäften aber eine untergeordnete Rolle; in der Praxis erfolgt die Darlehensbesicherung hier (zumindest auch) durch Bestellung einer dinglichen Sicherung in Gestalt eines Grundpfandrechts zugunsten des Darlehensgebers, in der Regel (aber nicht notwendigerweise) an dem zu erwerbenden oder zu bebauenden Grundstück, dessen Werthaltigkeit und Verwertbarkeit zuverlässiger eingeschätzt werden können und weniger schwankungsanfällig sind als die Leistungsfähigkeit von Personen.
11.1.2
Andere Kreditformen
Wenngleich herkömmlich unter Kreditgewährung im Wesentlichen die Gewährung eines (Geld-)Darlehens verstanden wird, gibt es noch weitere Formen des Kredits, die freilich nicht in erster Linie der Finanzierung dienen: Entsprechend dem Wortsinn des lateinischen credere (vertrauen, scil. auf die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Kreditnehmers) kann die Gewährung von Kredit (Vertrauen) auch schlicht darin bestehen, dass ein Kreditgeber für einen Schuldner eine Ausfallhaftung gegenüber Gläubigern des Schuldners übernimmt, etwa in Form von Bürgschaften, Garantien oder anderen Gewährleistungen (sog. Haftungskredit, s. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 KWG). Zu einem Kapitalfluss kommt es dabei – im Gegensatz zu den Zahlungskrediten – nicht zwangsläufig, sondern nur im Haftungsfall
11.1 Darlehensrecht
857
und auch dann nicht zugunsten des Schuldners, sondern nur zugunsten seiner Gläubiger. Mangels Kapitalzuwachses beim Schuldner eignen sich deshalb solche Haftungskredite nicht zur Finanzierung, sondern dienen lediglich der Verbesserung der Kreditwürdigkeit eines Schuldners und daher „nur“ als persönliche Sicherungsmittel für anderweitig eingegangene oder einzugehende Verbindlichkeiten des Schuldners. Als Sicherungsmittel spielen solche Personalsicherheiten im Immobiliengeschäft eine untergeordnete Rolle, da hier mit dem zu erwerbenden oder zu bebauenden Grundstück ein zuverlässigeres dingliches Sicherungsmittel in Gestalt von Grundschuld und Hypothek vorhanden ist.
11.1.3
Rechtsnatur des Darlehensvertrags
11.1.3.1
Verpflichtungsgeschäft
Der Darlehensvertrag ist ein Verpflichtungsgeschäft, das den Darlehensnehmer verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen vereinbarten Geldbetrag (Darlehensvaluta) zur Verfügung zu stellen (§ 488 Abs. 1 Satz 1 BGB), und den Darlehensnehmer zur Zahlung eines vereinbarten Zinses und zur Rückzahlung des Darlehensbetrags bei Fälligkeit verpflichtet (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB). 11.1.3.2
Gegenseitiger Vertrag
Beim Darlehensvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB. Im Gegenseitigkeitsverhältnis („Synallagma“) stehen die Verpflichtung des Darlehensgebers zur Verschaffung und Belassung des Darlehensbetrags einerseits sowie andererseits die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zahlung von Zinsen, sofern dies vereinbart wurde; d. h. die beiderseitigen Verpflichtungen stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis dergestalt, dass der eine Vertragspartner eine Verpflichtung nur eingeht, weil der andere Vertragspartner ebenfalls eine Verpflichtung eingeht (und umgekehrt): „do ut des“. Nicht generell, aber in der Regel bei einem verzinslichen Darlehen einer Bank ist auch die Abnahme der Valuta durch den Darlehensnehmer synallagmatische Pflicht des Darlehensnehmers. Nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis steht die Pflicht des Darlehensnehmers zur Rückzahlung des Darlehens (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB), denn der Darlehensgeber zahlt die Valuta nicht deshalb aus, um sie (sogleich) wieder zurückzuerhalten (sonst könnte er sie ja gleich behalten), sondern um Zinsansprüche zu generieren. Auch die Bestellung vereinbarter Sicherheiten durch den Darlehensnehmer ist keine synallagmatische Pflicht, sondern nur Voraussetzung für die Auszahlung der Valuta (str., s. Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 27 m.w.N.). 11.1.3.3
Dauerschuldverhältnis
Da der Darlehensvertrag nicht nur zum punktuellen Austausch von Leistungen verpflichtet (wie etwa der Kaufvertrag), sondern während seiner Laufzeit zu einem dauernden Verhalten (zeitweilige Belassung der Valuta durch den Darlehensgeber) bzw. zu wiederkehrenden Leistungen (Zinszahlungen durch den Darlehensnehmer) verpflichtet, handelt es sich bei ihm auch um ein Dauerschuldverhältnis, mit der Folge, dass sich die Vertragsparteien bis zur Valutierung durch Rücktritt gemäß § 323 BGB vom Darlehensvertrag lösen können, danach aber nur durch Kündigung, insbesondere gemäß § 314 BGB (s. u. S. 872 ff.).
858 11.1.3.4
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Gebrauchsüberlassungsvertrag
Wie Miete, Pacht und Leihe ist der Gelddarlehensvertrag auch ein Gebrauchsüberlassungsvertrag. Er unterscheidet sich von diesen jedoch insofern, als eine gemietete, gepachtete oder geliehene Sache ausschließlich gebrauchsweise und nur zum Besitz überlassen wird und genau diese Sache selbst bei Vertragsbeendigung wieder zurückzugeben ist; dagegen ist der Empfänger hinsichtlich des empfangenen Darlehensbetrags nicht nur gebrauchs-, sondern auch verbrauchs- und verfügungsberechtigt, und hat bei Vertragsende nicht die etwa erhaltenen Geldscheine, sondern nur einen entsprechenden Geldbetrag zurückzahlen. 11.1.3.5
Sonderform: Krediteröffnungsvertrag
Im gewerbsmäßigen Kreditgeschäft der Banken haben sich im Umfeld des klassischen Darlehensvertrags weitere Vertragsformen etabliert. Zu nennen ist hier insbesondere der gesetzlich nicht näher geregelte Krediteröffnungsvertrag. Hierbei handelt es sich um einen sog. Grund- oder Rahmenvertrag, in dem sich der Kreditgeber verpflichtet, dem Kreditnehmer zu bestimmten Bedingungen und bis zu einer bestimmten Höhe (Kreditlinie/Kreditrahmen) nach Abruf Kredit zu gewähren (Staudinger/Mülbert, § 488 Rn. 408), wobei der Anwendungsbereich sowohl Zahlungs- als auch Haftungskredite umfasst. Wie beim Darlehensvertrag ergibt sich unmittelbar aus dem Krediteröffnungsvertrag die Pflicht des Kreditgebers zur Valutierung und – je nach Vereinbarung – auch die Pflicht des Kreditnehmers zur Inanspruchnahme des Kredits; es handelt sich hierbei also nicht lediglich um einen „Darlehensvorvertrag“. Im Unterschied zum Darlehensvertrag wird der Kreditbetrag beim Krediteröffnungsvertrag aber nicht sofort ausbezahlt, sondern erst auf Abruf durch den Kreditnehmer, dem somit ein einseitiges Gestaltungsrecht zusteht, mit dessen Ausübung er die Vertragsdurchführung bewirkt und – ohne dass es noch einer Mitwirkung des Kreditgebers bedarf – einen Einzelkreditvertrag zustande bringt, der die Rechtsgrundlage für die dann erfolgende Darlehensauszahlung ist. Der Krediteröffnungsvertrag kann dabei näher festlegen, wann (insbesondere wie lange), unter welchen Bedingungen, in welcher Höhe und in welchen Teilbeträgen der Kreditnehmer von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch machen kann oder muss und so einen Einzelkreditvertrag zustandebringen kann. Regelmäßig werden auch bereits die Bedingungen des später auf Abruf des Kreditnehmers zustande kommenden Einzelkreditvertrags bereits im Krediteröffnungsvertrag bestimmt. Rechtskonstruktiv sind dabei Krediteröffnungsvertrag und auf Grund des Krediteröffnungsvertrags zustande gekommener Kreditvertrag scharf zu trennen, weshalb beide etwa durch Kündigung auch unterschiedliche rechtliche Schicksale erfahren können, ohne dass sich dies zwangsläufig auf den jeweils anderen Vertrag auswirkt („Trennungstheorie“, s. Claussen/Erne, § 5 Rn. 13 ff.). Seiner Rechtsnatur nach ist der Krediteröffnungsvertrag ebenfalls ein gegenseitiger Vertrag (s. o. S. 857), wobei das Gegenseitigkeitsverhältnis einerseits aus dem Anspruch des Kreditnehmers auf Kreditgewährung, andererseits aus dem Anspruch des Kreditgebers auf Vergütung in Form von Zinsen und Bereitstellungsprovisionen besteht. Da der Kreditgeber aus dem Krediteröffnungsvertrag mit der zeitlich begrenzten Einräumung und Überlassung eines Kredits ein dauerhaftes Verhalten schuldet, handelt es sich dabei auch um ein Dauerschuldverhältnis. Grundsätzlich finden auf den Krediteröffnungsvertrag die Regeln des Darlehensrechts Anwendung; je nach Art des zu gewährenden Kredits können jedoch auch die Vorschriften des Kauf-, Geschäftsbesorgungs- und Garantievertragsrechts einschlägig werden.
11.1 Darlehensrecht
11.1.4
859
Vertragsparteien
Parteien des Darlehensvertrags sind derjenige, der sich zur Überlassung des Darlehens verpflichtet (Darlehensgeber), und derjenige, der sich zur Rückzahlung des empfangenen Darlehens verpflichtet (Darlehensnehmer). Die rechtliche Bestimmung dieser Rollen ist unabhängig davon, von wo nach wo die Darlehensvaluta im konkreten Fall fließen soll bzw. geflossen ist. Weist etwa der Darlehensnehmer den Darlehensgeber an, die Valuta direkt an einen Dritten – etwa zur Erfüllung einer Kaufpreisforderung – auszubezahlen, und hielt der Darlehensnehmer die Valuta daher nie in eigenen Händen oder zur eigenen Verfügung, ändert dies nichts an seiner rechtlichen Stellung und Verpflichtung als Darlehensnehmer. Ebenso wenig erheblich ist es, woher der Darlehensgeber die Valuta erhält und ob auch er sie jemals in eigenen Händen hielt. Namentlich bei staatlichen Förderdarlehen (vgl. § 491 Abs. 2 Nr. 5 BGB) stammt das Förderdarlehen wirtschaftlich betrachtet zwar aus der Hand der fördernden staatlichen Stelle – diese tritt jedoch in den seltensten Fällen selbst als Darlehensgeber auf, sondern schaltet zur privatrechtlichen Abwicklung des Förderdarlehens eine Bank (meist die Hausbank des Förderungsempfängers) als Darlehensgeber ein, die den Förderbetrag selbst von der staatlichen Stelle entweder treuhänderisch zur Weiterleitung oder wiederum darlehensweise erhält – je nachdem, wer das Ausfallrisiko tragen soll. Darlehensgeber des Förderungsempfängers ist jedoch ausschließlich die Bank (s. Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 118). Lediglich dann, wenn die Bank bei der Darlehensauszahlung nur als bloße Zahlstelle des Geldgebers als dessen weisungsgebundene Übermittlerin tätig wird, ist nicht sie, sondern der Geldgeber als Darlehensgeber anzusehen. 11.1.4.1
Mehrere Darlehensgeber
Auf beiden Seiten des Darlehensvertrags können mehrere Parteien stehen. Die Gewährung eines Darlehens durch einen verabredeten Zusammenschluss mehrerer Darlehensgeber wird als Konsortialdarlehen bezeichnet, das insbesondere bei großvolumigen Krediten der Risikoverringerung der einzelnen Darlehensgeber dient und bei Unternehmenssanierungen ein „Windhundrennen“ bisher einzelner Darlehensgeber bei der Verwertung von Darlehenssicherheiten verhindern soll. Durch einen solchen Zusammenschluss entsteht eine Personalgesellschaft der einzelnen Darlehensgeber in Gestalt der BGB-Gesellschaft gemäß §§ 705 ff. BGB, nicht aber eine offene Handelsgesellschaft gemäß § 105 HGB, da der Zusammenschluss nicht auf dauerhafte Teilnahme am Geschäftsverkehr gerichtet ist. Lediglich um eine nicht rechts- und parteifähige Innengesellschaft handelt es sich bei solchen Konstellationen, in denen der Zusammenschluss dem Darlehensnehmer gegenüber nicht offen gelegt wird und als Darlehensgeber nur ein ausschließlich im eigenen Namen handelndes Mitglied des Konsortiums auftritt. Sind dagegen alle Mitglieder des Konsortiums jeweils einzeln Partei des Darlehensvertrags, handelt es sich bei dem Konsortium selbst um eine rechts- und parteifähige Außengesellschaft. Weil die Bildung eines Konsortiums regelmäßig im ausschließlich eigenen Interesse der Darlehensgeber erfolgt und nur der internen Koordinierung dient, nicht aber dem Schutz oder Interesse des Darlehensnehmers, werden in der Praxis dabei jedoch viele Vorschriften der §§ 705 ff. BGB modifiziert, insbesondere das Prinzip der Gesamtschuldnerschaft (§§ 421–427 BGB) und der Gesamtgläubigerschaft (§§ 428–430 BGB) der Gesellschafter. Die Bildung des Konsortiums hat daher im Ergebnis nur interne Wirkung zwischen den Darlehensgebern; im Außenverhältnis gegenüber dem Darlehensnehmer wird jedoch nicht das Konsortium selbst
860
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
als GbR, sondern werden ausschließlich die Darlehensnehmer als jeweils einzeln und selbstständig entsprechend der Tranchierung des Gesamtdarlehensvolumens berechtigt und verpflichtet anzusehen sein (s. Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 79). 11.1.4.2
Mehrere Darlehensnehmer
Treten dagegen auf der anderen Seite mehrere gesamtschuldnerisch (§ 421 ff. BGB) haftende Darlehensnehmer auf, kann dies wirtschaftlich verschiedene Hintergründe haben: Entweder sind alle „Mitdarlehensnehmer“ als echte Darlehensnehmer zu verstehen, insbesondere weil sie selbst – etwa durch Empfang eines Teilbetrags oder durch Verfolgung gemeinsamer Zwecke – unmittelbar von der Valutierung des Darlehens und des hieraus resultierenden Vermögenszuwachses profitieren. Oder es fließt dagegen wirtschaftlich betrachtet der Darlehensbetrag nur einem Darlehensnehmer zu und die Rolle der übrigen Darlehensnehmer erschöpft sich in der Mithaftung für Zins- und Darlehensrückzahlung; dann handelt es sich bei diesen – auch wenn sie vertraglich explizit als „Darlehensnehmer“ bezeichnet werden – funktional betrachtet nicht um Darlehensnehmer, sondern um bloße Personalsicherheiten für die Zins- und Rückzahlungsansprüche des Darlehensgebers. Zum Schutz wirtschaftlich erkennbar überforderter Sicherungsgeber, die eine Mithaftung allein aufgrund enger persönlicher Beziehungen zum Darlehensnehmer (etwa Ehegatten, Angehörige) übernehmen, greift die Rechtsprechung nicht etwa naheliegenderweise auf die für Bürgschaften und Schuldbeitritte geltenden Grundsätze zurück, sondern wendet die Kriterien des § 138 BGB an („krasse finanzielle Überforderung“, „verwerfliche Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit“; jurisPK/Nasall, § 138 Rn. 199; BGH, NJW 2001, 815).
11.1.5
Aufklärungs- und Beratungspflichten des Darlehensgebers
Entgegen landläufiger Meinung trifft eine darlehensgewährende Bank ohne besonderen Anlass im Grundsatz keine Verpflichtung gegenüber dem Darlehensnehmer zur allgemeinen Aufklärung und Beratung über rechtliche und wirtschaftliche Folgen, Zweckmäßigkeit des abzuschließenden Darlehensvertrags und Alternativen hierzu. Die Pflicht der Bank zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers gemäß § 18 KWG dient nicht dem Schutz des Darlehensnehmers, der mit der Verletzung des § 18 KWG daher auch keine (Schadensersatz-)Ansprüche begründen kann, sondern liegt allein im öffentlich-rechtlichen Interesse des Einlegerschutzes – sein Leistungsvermögen im Hinblick auf die darlehensvertraglichen Pflichten hat der Darlehensnehmer selbst und eigenverantwortlich zu prüfen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Verwendbarkeit des Darlehensbetrags: Das Risiko, das Darlehen nicht verwenden zu können, weil sich etwa das finanzierte Geschäft nicht realisieren lässt, hat der Darlehensnehmer zu tragen und den Darlehensgeber nicht zu interessieren; dieser trägt dagegen das Risiko der fehlenden Zahlungsfähigkeit oder willigkeit des Darlehensnehmers. Aus dieser Risikoverteilung und dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse ist daher rechtlich strikt zwischen Finanzierungs- und finanziertem Geschäft zu unterscheiden, sodass das Schicksal des einen Geschäfts grundsätzlich keinen Einfluss auf dasjenige des anderen Geschäfts hat (Trennungsgrundsatz). Freilich ist bei zweckgebundenen Finanzierungen nicht ausgeschlossen, dass die Vertragsparteien die strikte Trennung der Geschäfte vertraglich durchbrechen, indem beide Geschäfte etwa durch aufschiebende oder auflösende Bedingungen oder Vorbehalte voneinander abhängig gemacht werden (Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 33 f.).
11.1 Darlehensrecht
861
Als bloße Darlehensgeberin ist eine Bank aber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Darlehensnehmer über Risiken des mit dem Darlehen zu finanzierenden Geschäfts – insbesondere des Werts eines zu erwerbenden Objekts – aufzuklären und zu beraten. Dieser Grundsatz hat jedoch durch die (kaum überschaubare und einzelfallbezogene) Rechtsprechung insbesondere zum Verbraucherschutz und im Zusammenhang mit der Vermittlung von „Schrottimmobilien“ Ausnahmen erfahren: 11.1.5.1
Vertragliche Verpflichtung
Eine Beratungs- und Aufklärungspflicht hat die Bank selbstverständlich dann, wenn sie mit dem Darlehensnehmer (auch stillschweigend/konkludent) einen Beratungsvertrag abschließt. Das Zustandekommen eines solchen Beratungsvertrags v. a. zwischen Banken und Privatkunden bejaht die Rechtsprechung recht großzügig: Es genügt bereits, wenn eine besonders sachkundige Person Auskünfte erteilt, die für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung sind und die dieser zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen machen will. Berät daher die Bank den Kunden (auf eigene oder Kundeninitiative) anlässlich einer Darlehensaufnahme über dessen Investitionsentscheidung und macht der Kunde diese Beratung zur Grundlage einer Vermögensdisposition, so kommt regelmäßig ein Beratungsvertrag zustande, der die Bank zu einer anleger- und objektgerechten, gewissenhaften und vollständigen Beratung verpflichtet. Für Pflichtverletzungen ist die Bank daher wegen positiver Vertragsverletzung (pVV, § 280 Abs. 1 BGB) haftbar (s. Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 47 ff.). 11.1.5.2
Vorvertragliche Verpflichtung
Unabhängig von Zustandekommen eines Beratungsvertrags bereits vorvertraglich zur Aufklärung und Beratung verpflichtet und daher bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (c.i.c.) dem Darlehensnehmer gegenüber schadensersatzpflichtig ist die Bank jedoch in folgenden Fällen (s. Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 56 ff.; Claussen/Erne, § 5 Rn. 17a ff.): 11.1.5.2.1
Überschreiten der Kreditgeberrolle
Die Bank überschreitet ihre Rolle als bloße Kreditgeberin, wenn sie sich am finanzierten Geschäft in irgendeiner Form beteiligt und gleichsam als Partei des finanzierten Geschäfts erscheint. So etwa, wenn sie sich offen in Planung, Vertrieb oder Durchführung des zu finanzierenden Projekts einschaltet, dadurch offen Funktionen des Veräußerers oder Vertreibers des Projekts übernimmt und damit zusätzliches Vertrauen seitens des Darlehensnehmers schafft. – Beispiele: die Bank lässt sich in einem Prospekt als Referenz für das Projekt benennen; die Bank gibt an, eine Anlage mit positivem Ergebnis geprüft zu haben; die Bank vermittelt und fördert den Kauf eines bereits von ihr finanzierten Objekts im von ihr betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren an einen kreditfinanzierten Interessenten; nicht ausreichend ist dagegen der Umstand, dass sich die Bank bloß allgemein als Finanziererin auch des Projekts benennen lässt.
862 11.1.5.2.2
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Konkreter Wissensvorsprung
Hat die Bank gegenüber dem Darlehensnehmer einen konkreten Wissensvorsprung über spezielle Risiken des zu finanzierenden Geschäfts (nicht nur typischerweise damit verbundene und für den Investor erkennbare Risiken wie Objektbeschaffenheit und Wirtschaftlichkeit) und hat sie dies erkannt bzw. hätte sie dies erkennen müssen, ist sie dem Darlehensnehmer insoweit zur Aufklärung verpflichtet; eine Pflicht zur Nachforschung besteht jedoch nicht. – Beispiele: Kenntnis der Bank von der Insolvenzreife des Veräußerers; Kenntnis von der Unrichtigkeit der Renditeversprechen oder arglistigen Täuschungen des Veräußerers/ Vermittlers; Kenntnis von der Belastung des finanzierten Grundstücks mit Altlasten. Hinsichtlich eines überhöhten Kaufpreises ist die Bank erst aufklärungspflichtig, wenn dieser die Grenze der Sittenwidrigkeit überschreitet (Überschreitung des Verkehrswerts um 100 %). Kenntnisse des Verkäufers des zu finanzierenden Objekts sind der Bank grundsätzlich nicht zuzurechnen. Anders ist dies in den Konstellationen, in denen die Bank den Erwerb von Eigentumswohnungen oder Fondsanteilen darlehensweise finanziert und zwischen Bank und Verkäufer bzw. Vertreiber eine institutionalisierte Zusammenarbeit im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung (Rahmenvertrag/gemeinsames Vertriebskonzept) besteht, wobei der Verkäufer bzw. der Vertreiber die Finanzierung mit anbietet. Zugunsten eines Verbrauchers geht hier die Rechtsprechung von der widerleglichen Vermutung aus, dass bei arglistigen Täuschungen des Verkäufers bzw. Vertreibers, wie etwa unrichtigen Angaben in Prospekten, die Bank bei evidenter Unrichtigkeit der Angaben von der arglistigen Täuschung Kenntnis hat und insofern aufklärungspflichtig ist (BGH, NJW 2006, 2099 – „Schrottimmobilien“). 11.1.5.2.3
Interessenkollision
Auf Seiten der Bank kann eine Interessenkollision dergestalt bestehen, dass die Bank zunächst den Immobilienverkäufer (insbesondere: den Bauträger) vorfinanziert und daraufhin den Erwerb durch den Käufer finanziert. Über diese Doppelfinanzierung aufklärungspflichtig ist die Bank jedoch erst dann, wenn der Vorfinanzierungskredit zugunsten des Immobilienveräußerers notleidend wird und die Bank ihr Ausfallrisiko auf den Erwerber verlagern will.
11.1.6
Abschluss des Darlehensvertrags
11.1.6.1
Vertragsschluss
Der Abschluss des Darlehensvertrags erfolgt gemäß §§ 145 ff. BGB durch Abgabe zweier entsprechender Willenserklärungen (Antrag und Annahme). Gesetzlich notwendiger Inhalt der vertraglichen Einigung (essentialia negotii) sind lediglich die Pflicht des Darlehensgebers zur Überlassung der (der Höhe nach zumindest bestimmbaren) Darlehensvaluta sowie die Rückzahlungspflicht des Darlehensgebers; die Vereinbarung eines Zinses dagegen ist zwar üblich, aber nicht zwingend. Ein Darlehensverhältnis kann gemäß § 311 Abs. 1 BGB auch durch „Umwandlung“ einer bereits bestehenden anderen Schuld (etwa einer Kaufpreisschuld) begründet werden, indem Gläubiger und Schuldner vereinbaren, dass der geschuldete Geldbetrag nunmehr als Darlehen geschuldet sein soll – sog. Vereinbarungsdarlehen. Insbesondere bei länger andauernden Vertragsverhandlungen über die Finanzierung größerer Projekte kann es mitunter zweifelhaft sein, ob die Parteien noch über den Inhalt des Darlehensvertrags verhandeln oder ob ein solcher bereits zustande gekommen ist. Das den §§ 145 ff. BGB
11.1 Darlehensrecht
863
zugrundeliegende Vorstellungsbild vom Zustandekommen eines jeden Vertrags setzt einen inhaltlich derart bestimmten oder zumindest bestimmbaren (von den Vertragsparteien gemeinsam oder einseitig erarbeiteten) Antrag voraus, sodass eine Annahmeerklärung durch schlichtes „Ja“ den Vertrag mit dem Inhalt des Antrags zustande bringt (s. Palandt/Ellenberger, § 145 Rn. 1) – eine Annahme unter Einschränkungen, Bedingungen, Erweiterungen oder sonstiger Änderungen des Antrags („Ja, aber/wenn/und …“) gilt gemäß § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Halten die Parteien bei Vertragsverhandlungen einzelne, auch zentrale Punkte, über die sie bereits Einigkeit erzielt haben, schriftlich fest („term sheet“), liegt allein hierin noch kein bindender Antrag oder eine vertragliche Einigung (auch kein Vorvertrag mit Verpflichtung späteren zum Abschluss eines Hauptvertrags), da der hierfür erforderliche Rechtsbindungswille der Parteien angesichts noch zu verhandelnder Punkte regelmäßig noch nicht vorhanden ist (was auf Seiten der Banken meist explizit durch Prüfungs- und Zustimmungsvorbehalte in term sheets zum Ausdruck gebracht wird). Vertragsverhandlungen können daher bis zur Einigung von jeder Seite abgebrochen werden, auch wenn die jeweils andere Partei auf den Vertragsschluss vertraute und im Hinblick darauf Aufwendungen getätigt hat. Ein Anspruch auf Abschluss des beabsichtigten Darlehensvertrags besteht nicht, mögen die Verhandlungen auch noch so weit gediehen sein; allenfalls kann die enttäuschte Partei Schadensersatz verlangen, wenn die andere Partei zurechenbar Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrags erweckt hat, die Vertragsverhandlungen aber ohne triftigen Grund abbricht (i. E. Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 30 ff.). Auch sog. Finanzierungszusagen oder -bestätigungen, in denen etwa eine Bank gegenüber einem Verkäufer ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, dem Käufer den Erwerb zu finanzieren, lösen wegen der darin meist enthaltenen Vorbehalte keine Zahlungsansprüche des Verkäufers gegen die Bank aus und begründen auch keinen Anspruch des Käufers gegen die Bank auf Gewährung der Finanzierung, da dieser nicht Adressat der Erklärung ist. 11.1.6.2
Form
Ein gesetzliches Formerfordernis besteht für den Darlehensvertrag grundsätzlich nicht; lediglich Verbraucherdarlehensverträge sind gemäß § 492 Abs. 1 BGB in schriftlicher Form (§ 126 BGB) abzuschließen. Steht der Darlehensvertrag aber in einem untrennbaren Zusammenhang mit einem formbedürftigen Rechtsgeschäft wie etwa einem beurkundungspflichtigen Grundstückskaufvertrag (§§ 311b Abs. 1, 128 BGB), so löst dies auch die Formbedürftigkeit des Darlehensvertrags aus. Ein derartiger Zusammenhang liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn das Darlehen tatsächlich oder wirtschaftlich der Finanzierung eines Immobilienkaufs von einem Dritten dient. Er besteht vielmehr erst bei einer rechtlichen Einheit, die nur dann gegeben ist, wenn Darlehensvertrag als formloses und Grundstückskaufvertrag als formbedürftiges Rechtsgeschäft eine Einheit dergestalt bilden, dass die einzelnen Verträge jeweils miteinander „stehen und fallen sollen“, die beiden Rechtsgeschäfte also nach dem erkennbaren und hingenommenen Willen einer oder beider Vertragspartei(en) nur zusammen gelten sollen. Bei Finanzierungsgeschäften ist dies aber in aller Regel zu verneinen: Finanzierungsgeschäft (Darlehen) und finanziertes Geschäft (Grundstückskauf) sind grundsätzlich getrennt zu betrachten (s. o. 11.1.5). Auch wenn der Darlehensnehmer Partei beider Geschäfte ist und so die „Klammer“ der beiden Geschäfte bildet, trägt er immer das Risiko der Verwendung des Darlehensbetrags – dem Darlehensgeber wird regelmäßig nicht mit rechtlichen Unwägbarkeiten des finanzierten Geschäfts belastet werden wollen und daher auch nicht den Fortbestand seines Darlehensvertrags vom Schicksal des finanzierten Ge-
864
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
schäfts abhängig machen wollen – auch wenn dies im (einseitigen) Interesse des Darlehensnehmers liegen mag. – Gegenbeispiel: Die Darlehensgewährung wird gemäß § 311b Abs. 1 BGB formbedürftig, wenn sie beim Grundstückskauf als Gegenleistung vereinbart wird. Zu Beweiszwecken und zur eindeutigen Festlegung des Vertragsinhalts ist die Schriftform bei größeren und langfristigeren Darlehen und v. a. bei Bankkrediten aber schon praktisch unumgänglich; von einer vereinbarten Schriftform (§ 127 BGB) und damit einem Wirksamkeitserfordernis wird jedoch dann auszugehen sein, wenn die eine Partei der anderen eine Vertragsurkunde zur Unterschrift überreicht (§ 154 Abs. 2 BGB).
11.1.7
Fakultativer Vertragsinhalt
Die konkrete Ausgestaltung der darlehensvertraglichen Pflichten ist den Parteien im Rahmen des gesetzlich zulässigen freigestellt und da §§ 488 ff. BGB das Darlehensrecht nur rudimentär und teilweise dispositiv regeln, besteht für die Vertragsgestaltung ein weiter Spielraum. Der vertraglichen Regelung bedürfen etwa die Höhe und Tranchierung des Darlehensbetrags, die Vertragslaufzeit, Fragen der Darlehenstilgung (z. B. Ratenzahlung, Sondertilgungsrechte) oder Kündigungsrechte. Ferner kommen auch Vereinbarungen zu folgenden Punkten in Betracht: 11.1.7.1
Abnahmepflicht des Darlehensnehmers
Nach dem Wortlaut des Gesetzes, der hierauf keinen Hinweis enthält, besteht grundsätzlich keine Pflicht des Darlehensnehmers, die Darlehensvaluta abzurufen, d. h. das Darlehen in Anspruch zu nehmen, sondern lediglich die Pflicht des Darlehensgebers, die Valuta auszuzahlen. Vielmehr ist es Sache der Parteien, eine solche Pflicht vertraglich zu vereinbaren. Wird eine solche Vereinbarung nicht ausdrücklich getroffen, so ist aber bei entgeltlichen Darlehen im Zweifel von einer Abnahmepflicht auszugehen (Ausnahme: Krediteröffnungsverträge, Dispositionskredite und Kreditlinien); dagegen besteht bei unentgeltlichen Darlehen im Zweifel nur eine Abnahmeberechtigung (Palandt/Weidenkaff, § 488 Rn. 16, krit. aber Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 217 ff.). Weigert sich der Darlehensnehmer trotz Abnahmepflicht endgültig und ernsthaft, das Darlehen abzunehmen, so kann der Darlehensgeber gemäß § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB eine Nichtabnahmeentschädigung verlangen. 11.1.7.2
Auszahlungsvoraussetzungen
Wurde im Darlehensvertrag vereinbart, dass der Darlehensnehmer Kreditsicherheiten zu bestellen hat, so ist regelmäßig anzunehmen, dass der Darlehensgeber die Auszahlung des Darlehensbetrags vom Nachweis der erfolgreichen Sicherheitenbestellung abhängig macht. Die Pflicht zur Bestellung von Sicherheiten ist keine Hauptpflicht des Darlehensnehmers und steht nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne der §§ 320 ff. BGB. Die wirksame Sicherheitenbestellung ist vielmehr nach § 158 Abs. 1 BGB eine aufschiebende Bedingung für den Auszahlungsanspruch des Darlehensnehmers (Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 216). 11.1.7.3
Zusicherungen des Darlehensnehmers („representations and warranties“)
Zusicherungen des Darlehensnehmers sind Auskünfte über die tatsächlichen (insbesondere: wirtschaftlichen) oder rechtlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers bzw. des finanzierten Objekts, beispielsweise im Hinblick auf das Vorliegen erforderlicher behördlicher Genehmigungen, die Eigentumsverhältnisse am finanzierten Objekt und dessen Versicherung, die
11.1 Darlehensrecht
865
finanzielle Lage des Darlehensnehmers etc. Durch die vertragliche und daher bindende Niederlegung derartiger Zusicherungen kann der Darlehensgeber sich ein Bild über den Darlehensnehmer und das finanzierte Vorhaben verschaffen, mittelbar aber auch Einfluss auf das Verhalten des Darlehensnehmers nehmen und so sein Kreditrisiko steuern. Als wenig sinnvoll erweisen sich Angaben etwa zu wirksamer Gründung und Vertretung des Darlehensnehmers, da diesbezügliche Mängel auch nicht durch gegenteilige Behauptungen „heilbar“ sind. Andere Angaben des Darlehensnehmers über seine eigene rechtliche und tatsächliche „Beschaffenheit“ bzw. diejenige des finanzierten Vorhabens führen aber zu weitreichenden rechtlichen Konsequenzen für den Fall, dass sich Angaben als falsch herausstellen: Auch ohne dass der Darlehensnehmer die Falschangabe zu vertreten hätte, kann der Darlehensgeber bei erheblichen und nicht nur geringfügigen fehlerhaften Angaben gemäß § 314 den Darlehensvertrag außerordentlich kündigen. Bei verschuldeten Falschangaben haftet der Darlehensnehmer zusätzlich aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz und bei vorsätzlichen Falschangaben kann der Darlehensgeber den Vertrag auch gemäß §§ 123 Abs. 1 Alt. 1, 142 BGB anfechten. 11.1.7.4
Auflagen an den Darlehensnehmer („covenants“)
Bei Auflagen handelt es sich um einklagbare Verpflichtungen des Darlehensnehmers zur Vornahme oder zum Unterlassen bestimmter Handlungen. Durch derartige Verpflichtungen können dem Darlehensgeber weitreichende Rechte zur Kontrolle über und Einflussnahme auf die Geschäfte des Darlehensnehmers eingeräumt werden. Relativ unbedenklich sind dabei noch die sog. „information covenants“, die dem Darlehensnehmer Berichtspflichten gegenüber dem Darlehensgeber auferlegen, und sog. „affirmative covenants“, die den Darlehensnehmer zur Verwirklichung des finanzierten Vorhabens verpflichten. Erheblichen Einfluss auf die unternehmerische Handlungsfreiheit nehmen dagegen sog. „financial covenants“, durch die der Darlehensnehmer zur Einhaltung bestimmter Finanzkennzahlen und Bilanzrelationen verpflichtet wird. Sog. „qualifizierte affirmative covenants“ schließlich können dem Darlehensgeber weitreichende Möglichkeiten einräumen, auf Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäfte, die Auswahl des Führungspersonals oder die Struktur des Darlehensnehmers Einfluss zu nehmen, etwa in Gestalt von Anhörungs- oder gar Zustimmungsvorbehalten. Unter gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten sind Auflagen der beiden letztgenannten Arten wegen des damit verbundenen Schädigungspotenzials zulasten des Darlehensnehmers und seiner übrigen Gläubiger nicht unproblematisch (s. dazu Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 224); auch wegen der drohenden Haftung des Darlehensgebers gegenüber Darlehensnehmer und anderen Gläubigern aus § 826 BGB empfiehlt sich daher eine zurückhaltende Verwendung bzw. Ausübung der Rechte aus solchen Klauseln. Verstöße des Darlehensnehmers gegen Auflagen sind Pflichtverletzungen und berechtigen den Darlehensgeber zur außerordentlichen Kündigung nach § 314 BGB. 11.1.7.5
Festlegung des Verwendungszwecks
Die vertragliche Fixierung des Zwecks, zu dem das Darlehen verwendet werden darf/soll, empfiehlt sich insbesondere dann, wenn das finanzierte Vorhaben gleichzeitig als Sicherheit für das Darlehen dienen soll. Dient etwa ein Darlehen der Errichtung, der Sanierung oder dem Ausbau einer Immobilie und wurde als Sicherheit für das Darlehen an ebendieser Immobilie eine Grundschuld bestellt, so ist durch die zweckentsprechende Verwendung des
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Darlehensbetrags zugleich sichergestellt, die mit dem Fortschritt des Vorhabens verbundenen Wertsteigerungen auch die Werthaltigkeit der Grundschuld steigt. Wird das Darlehen zweckwidrig verwendet, liegt hierin eine Pflichtverletzung, die den Darlehensgeber zum Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB, aber auch zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 314 BGB berechtigt.
11.1.8
Grenzen der Vertragsgestaltung
11.1.8.1
Gesetzliche Ge- und Verbote (§ 134 BGB)
Insbesondere das Kreditgeschäft der Banken (Kreditinstitute im Sinne von § 1 Abs. 1 KWG) unterliegt wegen der damit verbundenen bedeutsamen Risiken gesetzlichen Einschränkungen, die sich insbesondere aus dem Kreditwesengesetz, dem Pfandbriefgesetz (PfandBG) und dem Bausparkassengesetz (BausparkG) ergeben. Bei diesen aufsichtsrechtlichen Vorschriften handelt es sich jedoch in aller Regel nicht um Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB, sodass Darlehensverträge, unter Verstoß gegen diese Vorschriften abgeschlossen werden, deshalb nicht nichtig sind. Hintergrund ist, dass diese Vorschriften teilweise selbst die Rechtsfolgen eines Verstoßes regeln und generell lediglich die im Allgemeininteresse liegende Funktionsfähigkeit des Kapital- und Kreditmarktes gewährleisten sollen; daneben dienen die Normen aber auch dem Schutz der Einleger bzw. Refinanzierer der Banken. Soweit die Befolgung dieser Vorschriften auch den Darlehensnehmern zugutekommt, handelt es sich hierbei lediglich um eine nicht primär beabsichtigte Reflexwirkung – ihr Schutz ist bereits ausreichend durch das Verbraucherschutzrecht und die Generalklauseln des BGB gewährleistet (s. Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 121, 123). Im Einzelnen handelt es sich v. a. um folgende Vorschriften: Die Regelungen der §§ 13–13b, 14, 19 KWG zu Groß- und Millionenkrediten dienen der Vermeidung von „Klumpenrisiken“ und sehen für die Gewährung solcher Kredite Anzeigepflichten gegenüber der Deutschen Bundesbank vor und regeln die Beschlussfassung hierüber. Der Vermeidung von Interessenkonflikten bei der Gewährung von Krediten an Personen, die der Bank nahestehen, dienen die Regelungen der §§ 15, 17 KWG zu Organkrediten. § 18 Abs. 1, 2 KWG verpflichtet die Bank schließlich grundsätzlich zur Überprüfung der Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers. § 14 PfandBG setzt dem Deckungsgeschäft der Pfandbriefbanken Grenzen bei der Beleihung von Grundstücken (s. u. 11.2.4), deren Beachtung allein dem Schutz des Vertrauens der Anleger in die Werthaltigkeit des Deckungsvermögens dient. Eine Überschreitung der Beleihungsgrenze führt deshalb nicht zur Nichtigkeit nach § 134 BGB. Ebenso dienen die Vorschriften der §§ 4, 6 BausparkassenG über die zweckgebundene Vergabe von Bauspardarlehen nicht dem Schutz der Darlehensnehmer, sondern dem Schutz der Geschäftsbanken bzw. der Bausparmasse im Ganzen (Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 123). Verstöße führen daher ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des Darlehensvertrags nach § 134 BGB. Investmentgesellschaften sind nach § 31 Abs. 4 InvG an der Kreditaufnahme und -vergabe zulasten des Sondervermögens gehindert; begrenzte Ausnahmen sind in §§ 53, 66, 69, 80a S. 1, 81 S. 5 InvG vorgesehen. Da diese Vorschriften bereits die Verfügungsbefugnis der Investmentgesellschaft über das Sondervermögen regeln und begrenzen (§ 31 Abs. 1 InvG), sind Geschäfte außerhalb des nach dem InvG zulässigen Rahmens nichtig (Staudinger/ Freitag, § 488 Rn. 130).
11.1 Darlehensrecht 11.1.8.2
867
Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB)
Im Darlehensrecht kommt zum Schutz des Darlehensnehmers § 138 BGB große Bedeutung zu. Praktisch weniger relevant ist jedoch der Nichtigkeitsgrund des wucherischen Darlehens nach § 138 Abs. 2 BGB, da dessen subjektives Merkmal der Ausbeutungsabsicht auf Seiten des Darlehensgebers regelmäßig nicht erfüllt, jedenfalls aber äußerst schwer nachweisbar ist. In der Regel sind daher Darlehensverträge am Maßstab der Sittenwidrigkeit des § 138 Abs. 1 BGB (sog. wucherähnliches Geschäft) zu messen, der gegenüber dessen Abs. 2 weniger strenge Voraussetzungen enthält. Der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB ist lediglich ein Sonderfall der Sittenwidrigkeit nach Abs. 1 und nicht etwa lex specialis gegenüber Abs. 1, sodass § 138 Abs. 1 BGB auch dann anwendbar und nicht durch Abs. 2 „gesperrt“ ist, wenn etwa im Rahmen des § 138 Abs. 2 BGB nur das objektive Tatbestandsmerkmal des „auffälligen Missverhältnisses“ zwischen Leistung und Gegenleistung erfüllt ist. Folge ist, dass im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB sich Darlehensverträge auch unterhalb der subjektiven Schwelle der Ausbeutungsabsicht § 138 Abs. 2 BGB als nichtig herausstellen können (Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 132 f.; Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 24). Ähnlich wie bei Abs. 2 setzt auch der Nichtigkeitsgrund des § 138 Abs. 1 BGB ein objektives und ein subjektives Element voraus (BGH, NJW 1995, 1019; NJW 1981, 1206): 11.1.8.2.1
Objektive Voraussetzungen
In objektiver Hinsicht ist nach § 138 Abs. 1 BGB (ebenso wie nach Abs. 2) ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erforderlich. Abzustellen ist dabei vor allem darauf, ob die Zahlungen des Darlehensnehmers, die er als Gegenleistung für die Kapitalüberlassung zu leisten hat (insbesondere Zinsen aber auch Provisionen und sonstige Entgelte wie Bearbeitungsgebühren), im Verhältnis zum Risiko, das der Darlehensgeber eingeht, unverhältnismäßig hoch sind. Maßgeblich ist insofern ein Marktvergleich, wonach ein auffälliges Missverhältnis regelmäßig dann zu bejahen ist, wenn der vereinbarte Zins den durchschnittlichen Zins, wie er von Baken für gleiche Darlehen verlangt wird, relativ um mehr als 100 % übersteigt. Gleiches gilt, wenn zwischen vereinbartem und marktüblichem Zins eine absolute Zinsdifferenz von 12 Prozentpunkten liegt. Ein auffälliges Missverhältnis kann sich aber auch anderen Vertragsgestaltungen ergeben, die den Darlehensnehmer einseitig und unverhältnismäßig belasten. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung des Vertrags unter Berücksichtigung auch solcher Klauseln, die nach §§ 307 ff. unwirksam wären, vorzunehmen. Zwar begründet die Nichtigkeit einzelner, gemäß §§ 307 ff. BGB unwirksamer Klauseln nicht gleichzeitig auch die Sittenwidrigkeit des Vertrags nach § 138 Abs. 1 BGB; diese ist jedoch zu bejahen bei einer Vielzahl von AGB-rechtlich unzulässigen Klauseln oder wenn weitere Umstände hinzutreten, die bei einer Kontrolle nach § 307 ff. BGB nicht berücksichtigungsfähig sind. Je nachdem, ob es sich beim Darlehensnehmer um einen Kaufmann oder einen Verbraucher handelt, sind dabei wegen der unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit mehr oder weniger hohe Anforderungen an die Sittenwidrigkeit zu stellen (Brox/Walker, § 17 Rn. 16; i. E. Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 28). 11.1.8.2.2
Subjektive Voraussetzungen
In subjektiver Hinsicht ist Voraussetzung der Sittenwidrigkeit, dass der Darlehensgeber bei der Festlegung des Vertragsinhalts die wirtschaftlich schwächere Lage des Darlehensnehmers bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt. Dem steht es gleich, wenn sich der Darlehensgeber
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
als objektiv sittenwidrig Handelnder zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der Darlehensnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehensbedingungen einlässt. Das Vorliegen dieser subjektiven Voraussetzungen wird dabei vermutet, wenn der Vertrag zwischen einem gewerblichen Darlehensgeber und einem Verbraucher geschlossen wird. 11.1.8.2.3
Rechtsfolgen
Erweist sich der Darlehensvertrag als sittenwidrig und daher nichtig, kann der Darlehensnehmer den ausbezahlten Darlehensbetrag gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen. § 817 S. 2 BGB steht dem nicht entgegen, weil der Begriff der „Leistung“ voraussetzt, dass der Vermögensvorteil endgültig in das Vermögen des Leistungsempfängers übergegangen ist und dort auch verbleiben soll – dem Darlehensnehmer ist jedoch nicht die Substanz, sondern nur die zeitweilige Nutzung des Kapitals überlassen; er kann sich daher auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen. Zum Schutz des Darlehensnehmers ist für die Rückzahlung des Darlehensbetrags aber die vertraglich vereinbarte Zeitfolge (insbesondere bei vereinbarter ratenweiser Rückzahlung) maßgeblich (Palandt/Sprau, § 817 Rn. 21). Ein Zinszahlungsanspruch des Darlehensnehmers soll nach umstrittener Rechtsprechung jedoch weder aufgrund des (nichtigen) Darlehensvertrags noch aus ungerechtfertigter Bereicherung bestehen (BGH, NJW 1983, 1420; a. A. Looschelders, Rn. 351: Anspruch auf marktüblichen Zins aus § 818 Abs. 2 BGB). 11.1.8.3
„Knebelung“ des Darlehensnehmers (§§ 138, 139 BGB)
11.1.8.3.1
Übersicherung des Darlehensgebers
Wenn der Darlehensvertrag nicht selbst nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, kann sich aber im Zusammenhang mit der Bestellung von Sicherheiten die Nichtigkeit des Darlehensvertrags auch aus § 139 BGB ergeben. Erweist sich die (Pflicht zur) Bestellung von Sicherheiten nämlich als nichtig, wird dies nach § 139 BGB in der Regel auch zur Nichtigkeit des Darlehensvertrags führen, da der Darlehensgeber das Darlehen regelmäßig nicht unbesichert gewährt hätte und dies dem Darlehensnehmer auch bewusst ist. Die Nichtigkeit der Sicherheitenbestellung kann sich insbesondere aus § 138 BGB ergeben: Zum Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Darlehensnehmers bzw. Sicherungsgebers setzt § 138 BGB auch der Bestellung von Sicherheiten Grenzen. Maßstab ist insofern das Verhältnis zwischen den zu bestellenden bzw. bestellten Sicherheiten und den dadurch zu sichernden Ansprüchen. Rechtlich bedenklich wird die Bestellung von Sicherheiten, wenn der Wert des Sicherungsguts (bei Grundpfandrechten ist auf den zu erwartenden Verwertungserlös abzustellen) deutlich höher ist als die Freigabegrenze (Deckungsgrenze), die wegen möglicher Nebenforderungen bei 150 % des Wertes des zu sichernden Anspruchs liegt (Übersicherung). Eine sittenwidrige Übersicherung ist zu daher bejahen, wenn der Wert der Sicherheiten das Doppelte der Deckungsgrenze überschreitet. Ist dies bereits im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung der Fall (sog. anfängliche Übersicherung), ist die Bestellung bzw. die Verpflichtung dazu gemäß § 138 BGB nichtig und damit nach § 139 BGB in der Regel auch der Darlehensvertrag. Anders sind die Folgen einer sog. nachträglichen Übersicherung zu beurteilen, d. h. wenn die Voraussetzungen der Übersicherung erst nach Bestellung der Sicherheiten eintreten, weil sich z. B. die zu sichernden Forderungen reduzieren: Hier bleibt die Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung unberührt, jedoch begründet die nachträgliche Übersicherung einen Anspruch
11.1 Darlehensrecht
869
auf Freigabe der nicht mehr benötigten Sicherheiten (Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 97; Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 21). 11.1.8.3.2
Einflussmöglichkeiten des Darlehensgebers
Lässt sich der Darlehensgeber nach Art und Umfang zu weitreichende Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Geschicke des Darlehensnehmers einräumen (insbesondere durch sog. covenants), findet dies ebenfalls seine Grenzen in § 138 BGB, die freilich fließend sind. Maßgeblich ist insofern, dass der Darlehensgeber auf die Wahrnehmung seiner Interessen als Fremdkapitalgeber zu beschränken ist und dem Darlehensnehmer daher ein substantieller Spielraum hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit verbleiben muss. Er darf nicht zum bloßen Verwalter und der Darlehensgeber nicht faktisch zum stillen Gesellschafter werden (beispielhaft BGH, NJW 1993, 1587; Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 39).
11.1.9
Hauptpflichten aus dem Darlehensvertrag
11.1.9.1
Darlehensgeber
Der Darlehensgeber hat dem Darlehensnehmer gemäß § 488 Abs. 1 S. 1 BGB den vereinbarten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen. „Zur Verfügung stellen“ heißt, dass der Darlehensbetrag vom Darlehensgeber oder von einem Dritten (§ 267 BGB) dem Darlehensnehmer zu verschaffen und für die Laufzeit des Vertrags zu belassen ist. Verschaffung bedeutet, dass der Darlehensbetrag dem Vermögen des Darlehensnehmers endgültig durch Zahlung in jeder üblichen Art (Geldscheine, Überweisung, Kontogutschrift, Einräumen eines Überziehungskredits) zugeführt wird. Vereinbart werden kann auch die Auszahlung an Dritte (§§ 362 Abs. 2, 185 BGB); etwa an einen Notar als Treuhänder, der dem Darlehensnehmer dann unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. erfolgreiche Bestellung von Sicherheiten) den Zugriff auf den Darlehensbetrag zu ermöglichen hat, oder aber unmittelbar an den Gläubiger des finanzierten Geschäfts. Entstehung und Fälligkeit des Auszahlungsanspruchs bestimmen sich vorrangig nach der vertraglichen Vereinbarung (§ 271 Abs. 1 BGB) und werden insbesondere unter der aufschiebenden Bedingung der Sicherheitenbestellung (sofern vereinbart) stehen. Ob die Leistung anderer Gegenstände als des vereinbarten Geldbetrags, wie etwa Forderungsabtretung oder Wertpapiere, Erfüllungswirkung hat, hängt von der (nachträglichen) Vereinbarung der Parteien ab (§§ 364, 311 Abs. 1 BGB). Wegen des Darlehenszwecks – der Darlehensnehmer hat in der Regel ein Interesse an der Auszahlung des Darlehensbetrags in voller Höhe – ist aber die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) durch den Darlehensgeber nur dann zulässig, wenn ihm diese Befugnis unzweifelhaft individualvertraglich eingeräumt wurde. Belassen bedeutet, dass der Darlehensgeber nach Valutierung des Darlehensbetrags die Rückzahlung (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB) erst bei Eintritt der Fälligkeit verlangen kann (Palandt/ Weidenkaff, § 488 Rn. 5; dazu u. 11.1.10). Zu Nebenpflichten, insbesondere Warn-, Beratungs- und Aufklärungspflichten des Darlehensgebers s. o. 11.1.5.
870
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
11.1.9.2
Darlehensnehmer
11.1.9.2.1
Darlehensrückzahlung
Neben einer vereinbarten Abnahmepflicht (o. 11.1.7.1) ist gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB Hauptflicht des Darlehensnehmers die Rückzahlung des gesamten zur Verfügung gestellten Darlehensbetrags „bei Fälligkeit“, die mit Ende der vertraglich bestimmten Laufzeit, Kündigung oder vertraglicher Aufhebung des Darlehensvertrags eintritt. Die Rückzahlungspflicht steht mit der Überlassungspflicht des Darlehensgebers nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Rückzahlungsanspruch bereits entsteht mit Valutierung (sog. betagter Anspruch) und ist gemäß § 398 BGB abtretbar, es sei denn, die Parteien haben dies vertraglich ausgeschlossen (§ 399 Alt. 2 BGB). Handelt es sich beim Darlehensgeber um eine Bank (Kreditinstitut nach § 1 Abs. 1 KWG), stehen der Abtretung auch an Nicht-Banken weder das Bankgeheimnis noch § 32 Abs. 1 KWG, § 134 BGB entgegen (BGH, NJW 2007, 2106 und NJW 2011, 3024). Zurückzuzahlen ist in derselben Währung und unabhängig von Devisenkursen, Auf- oder Abwertungen; Inflationsverluste gehen zu Lasten des Darlehensgebers. Für die Frage, ob der Darlehensnehmer den Rückzahlungsanspruch bereits vor Eintritt der Fälligkeit erfüllen darf, ist zu unterscheiden: Unverzinsliche Darlehen sind jederzeit zurückzahlbar (vgl. §§ 488 Abs. 3 S. 3, 271 Abs. 1 BGB). Dagegen soll nach Rechtsprechung und h. M. bei verzinslichen Darlehen abweichend von § 271 Abs. 1 BGB der Darlehensnehmer grundsätzlich nicht zur vorzeitigen Rückzahlung berechtigt sein, sofern dies nicht durch Aufhebungsvertrag explizit vereinbart wird. (Beachte aber die Ausnahme in § 500 Abs. 2 für Verbraucherdarlehensverträge und wiederum die Rückausnahme in § 503 Abs. 1 für VerbraucherImmobiliardarlehensverträge.) Begründet wird dies mit einem Umkehrschluss aus den Vorschriften der §§ 488 Abs. 3 S. 3 und 490 Abs. 2 BGB, vor allem aber mit dem Hinweis auf das Zinsinteresse des Darlehensgebers, denn aufgrund ihrer Akzessorietät entstehen Zinsansprüche nicht mehr, wenn mit Rückführung des Darlehens die Hauptschuld erlischt. Entgegenzuhalten ist dem, dass die angeführten Normen eine vorzeitige Rückzahlung nicht kategorisch ausschließen und dass dem Zinsinteresse des Darlehensgebers durch eine entsprechende Vorfälligkeitsentschädigung vollauf Genüge geleistet werden kann (ausführlich Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 168 m. w. N.). 11.1.9.2.2
Zinszahlung
Weitere Hauptpflicht des Darlehensnehmers ist – sofern vereinbart – die Zahlung von Zinsen (§ 488 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB). Die Zinszahlungspflicht steht als Vergütung für die Kapitalüberlassung mit der Darlehensbelassungspflicht des Darlehensgebers im Gegenseitigkeitsverhältnis. Die Höhe des Zinssatzes und die Fälligkeit des Anspruchs (§ 488 Abs. 2 BGB) hängen in erster Linie von der Parteivereinbarung ab. Der Zinsanspruch ist abhängig vom Bestehen einer zu verzinsenden Hauptschuld (Akzessorietät) und besteht daher nur für die Dauer der Valutierung; vor Valutierung kann jedoch aufgrund Vereinbarung ein Anspruch auf Bereitstellungsprovision bestehen. Nimmt der Darlehensnehmer das Darlehen pflichtwidrig (s. o. S. 864) nicht ab, so ist der Darlehensnehmer nach § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB zum Schadensersatz statt der Leistung in Höhe der nicht entstehenden Zinsansprüche berechtigt (Nichtabnahmeentschädigung).
11.1 Darlehensrecht 11.1.9.2.3
871
Zinsanpassungsklauseln
Die für die Ermittlung des Zinssatzes maßgeblichen Faktoren unterliegen Änderungen, die beim Abschluss des Darlehensvertrags aber nicht für die gesamte vorgesehene Vertragslaufzeit absehbar und kalkulierbar sind. Je nach Änderung der relevanten Parameter zugunsten oder zulasten der einen oder anderen Vertragspartei besteht insofern das Bedürfnis nach einer entsprechenden Anpassung des Zinssatzes auch nach Vertragsschluss. Um bei der nachträglichen Zinsänderung nicht auf den u. U. mühsamen Weg der einvernehmlichen Vertragsänderung (§ 311 Abs. 1 BGB) verwiesen zu sein, enthalten die AGB des Darlehensgebers zumeist eine sog. „Zinsanpassungsklausel“, aufgrund derer der Darlehensgeber auch zur einseitigen Änderung des Zinses berechtigt ist. Zur Wahrung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenz) sind solche Klauseln im Interesse beider Parteien und nicht grundsätzlich rechtlich zu missbilligen. Zum Schutz des Darlehensnehmers vor der willkürlichen Ausübung der damit dem Darlehensgeber eingeräumten Rechtsmacht sind Zinsanpassungsklauseln allerdings nur unter gewissen Bedingungen zulässig (grundsätzlich dazu – unter Aufgabe der früheren, bankenfreundlicheren Rechtsprechung: BGH, NJW 2009, 2051). Den Maßstab der AGB-rechtlichen Klauselkontrolle bilden die §§ 305c und 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (Transparenzge- und Benachteiligungsverbot), die auch im Verkehr zwischen Unternehmern Anwendung finden (§ 310 Abs. 1 S. 1, 2 BGB). Grundgedanke des Gesetzes ist, dass der Inhalt von Verträgen konsensual festzulegen bzw. zu ändern ist (§ 311 Abs. 1 BGB). Einseitige Leistungsbestimmungs- oder -änderungsrechte gemäß §§ 315 ff. BGB sind demnach nur begrenzt zulässig: 11.1.9.2.3.1 Voraussetzungen der Anpassung Das Recht des Darlehensgebers zur nachträglichen Zinsanpassung muss gebunden sein. Sein Interesse ist nur insoweit schutzwürdig, als es ihm durch die Klausel ermöglicht werden soll, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung zu wahren. Unzulässig sind mithin solche Zinsanpassungsklauseln, die es dem Darlehensgeber ermöglichen, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Zins ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Um dem Transparenzgebot Genüge zu leisten, hat die Zinsanpassungsklausel die Voraussetzungen der Änderungsbefugnis in sachlicher Hinsicht (z. B. durch Bindung an einen aussagekräftigen Referenzzinssatz) und in zeitlicher Hinsicht (Anpassungsintervalle) weitestmöglich zu präzisieren. 11.1.9.2.3.2 Entsprechender Anpassungsanspruch des Darlehensnehmers Ist der Zweck der Zinsanpassungsklausel in rechtlich anerkennenswerter Weise auf die Wahrung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung zu beschränken, folgt hieraus aber auch, dass die Klausel sich auch auf das spiegelbildliche Interesse des Darlehensnehmers einlassen muss: Um diesen nicht einseitig und unangemessen zu benachteiligen, ist die Zinsanpassungsklausel nur dann zulässig, wenn sie neben dem Recht des Darlehensgebers zur Anpassung „nach oben“ auch eine korrespondierende Pflicht gegenüber dem Darlehensnehmer zur Anpassung „nach unten“ enthält, nämlich für den Fall, dass die zinsrelevanten Parameter sich zugunsten des Darlehensnehmers verändern.
872
11.1.10
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs
Der Darlehensgeber ist erst bei Fälligkeit berechtigt, das Darlehen zurückzufordern (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB). Wann dies der Fall ist, richtet sich in erster Linie nach der Parteivereinbarung; daneben kann die Fälligkeit auch durch Kündigung einer Partei herbeigeführt werden. 11.1.10.1
Bestimmte Vertragslaufzeit
Für die Fälligkeit können die Parteien einen festen Zeitpunkt vereinbaren. Dieser kann kalendarisch festgelegt werden, etwa in Gestalt eines Kalendertages oder eines Zeitraums nach einem bestimmten Tag oder Ereignis (z. B. Auszahlung des Darlehens). Möglich, aber u. U. schwer handhabbar ist insofern auch die Festlegung eines lediglich bestimmbaren Zeitpunkts in Gestalt eines späteren Ereignisses (Bedingung), was sich konkludent auch aus dem Zweck des Darlehens ergeben kann (z. B. Aufbau eines Unternehmens bis zur Gewinnerzielung, vereinbarungswidrige Verwendung des Darlehens, Sanierungs- und Existenzgründerdarlehen). Wurde demgemäß ein fester Rückzahlungstermin vereinbart, ist für den Darlehensgeber die ordentliche Kündigung des Vertrags ausgeschlossen (vgl. § 488 Abs. 3 S. 1 BGB), er ist dann auf das außerordentliche Kündigungsrecht nach §§ 490 Abs. 1, 314 BGB beschränkt. Dagegen ist der Darlehensnehmer nach Maßgabe der §§ 489, 488 Abs. 3 S. 3 auch zur ordentlichen Kündigung bzw. Rückzahlung berechtigt. 11.1.10.2
Aufhebungsvertrag
Die Parteien können den Darlehensvertrag auch einvernehmlich aufheben (§ 311 Abs. 1 BGB) und somit die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs begründen. Ein Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags hat aber grundsätzlich weder der Darlehensgeber noch der Darlehensnehmer, letzterer nach h. M. auch nicht gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung (zu einer Ausnahme bei beabsichtigter anderweitiger Verwertung des beliehenen Objekts s. BGH, NJW 1997, 2875). Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann vom Darlehensgeber von der Gewährung einer Vorfälligkeitsentschädigung für die nach Aufhebung nicht mehr entstehenden Zinsansprüche abhängig gemacht werden. 11.1.10.3
Kündigung
Haben die Parteien keine vertraglichen Bestimmungen über den Fälligkeitszeitpunkt vereinbart, hängt die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs ausschließlich von einer Kündigung ab, § 488 Abs. 3 S. 1 BGB. Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige, einseitige Willenserklärung, die nach Zugang nicht mehr widerrufen werden kann und bedingungsfeindlich ist. 11.1.10.3.1
Ordentliche Kündigung (§ 488 Abs. 3, § 489 BGB)
Grundsätzlich sind Darlehensgeber und -nehmer bei unbefristeten Darlehen gemäß § 488 Abs. 3 S. 1, 2 BGB berechtigt, den Vertrag mit einer Frist von drei Monaten ordentlich zu kündigen. Nach Ablauf der Frist hat der Darlehensnehmer das Darlehen zurückzuzahlen. Das Kündigungsrecht beider Parteien aus § 488 Abs. 3 BGB kann vertraglich ausgeschlossen werden.
11.1 Darlehensrecht
873
Das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers wird bei aber verzinslichen Darlehen durch die drei Kündigungstatbestände in § 489 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Abs. 2 BGB teilweise eingeschränkt, teilweise erweitert: Die Erweiterung gegenüber dem Kündigungsrecht aus § 488 Abs. 3 BGB liegt darin, dass eine Kündigung nach § 489 Abs. 1, 2 BGB durch den Darlehensnehmer auch dann möglich ist, wenn für die Darlehensrückzahlung ein Zeitpunkt im Sinne von § 488 Abs. 3 S. 1 BGB vereinbart wurde; zudem können die Kündigungsrechte des Darlehensnehmers aus § 489 Abs. 1, 2 BGB nicht vertraglich abbedungen werden (§ 489 Abs. 4 BGB, mit Ausnahme für öffentlich-rechtliche Darlehensnehmer). Eine Einschränkung des Kündigungsrechts des Darlehensnehmers erfolgt bei fest vereinbartem Sollzinssatz (legaldefiniert in § 489 Abs. 5 BGB): Nach § 489 Abs. 1 BGB ist der Darlehensnehmer in diesem Fall kündigungsberechtigt, wenn die Zinsbindung vor der für die Rückzahlung bestimmten Zeit endet und keine neue Zinsvereinbarung getroffen wurde (Nr. 1) oder nach Ablauf von zehn Jahren nach vollständigem Empfang des Darlehens (Nr. 2). Bei variablem Zins verbleibt es dagegen nach § 489 Abs. 2 BGB bei einem jederzeitigen Kündigungsrecht des Darlehensnehmers mit einer Frist von drei Monaten. Die Kündigungsregelungen des § 489 Abs. 1, 2 BGB dienen in erster Linie dem Schutz des Darlehensnehmers vor überlanger Vertragsbindung und sollen die Entwicklung marktgerechter Zinsen ermöglichen sowie Möglichkeiten der Umschuldung erleichtern (Palandt/Weidenkaff, § 488 Rn. 1). In den Regelungen des § 489 Abs. 1 BGB zu festverzinslichen Darlehen findet aber auch das Interesse des Darlehensgebers an der Kalkulierbarkeit von Darlehen Berücksichtigung. Nach § 489 Abs. 3 BGB schließlich gilt die Kündigung des Darlehensnehmers als nicht erfolgt, wenn er den Darlehensbetrag nicht binnen zwei Wochen nach Wirksamkeit der Kündigung zurückzahlt. Die Fiktion der unterbliebenen Kündigung beugt missbräuchlichen Kündigungen vor, die allein zu dem Zweck erfolgen, zu einem gegenüber dem vereinbarten Zinssatz meist günstigeren Verzugszinssatz (§ 288 BGB) zu gelangen. 11.1.10.3.2
Außerordentliche Kündigung (§ 490 Abs. 1, 2 BGB)
Die außerordentlichen Kündigungsrechte nach § 490 Abs. 1, 2 BGB bestehen unabhängig von ordentlichen Kündigungsrechten, erfordern jedoch einen Kündigungsgrund. Sie ermöglichen den Parteien die kurzfristige Lösung vom Vertrag, wenn die typischen darlehensvertraglichen Risiken auftreten und das Bedürfnis besteht, Vermögensverluste oder -einbußen zu ersparen (Palandt/Weidenkaff, § 490 Rn. 1). Der vertragliche Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts ist möglich, findet allerdings seine Grenzen in §§ 242 (Rechtsmissbrauch) und 307 BGB. 11.1.10.3.2.1 Darlehensgeber Das außerordentliche Kündigungsrecht des Darlehensgebers nach § 490 Abs. 1 BGB hat zwei Voraussetzungen: Erstens muss in den (gesamten) Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit (objektiv) eine wesentliche Verschlechterung eingetreten sein oder drohen (krit. zur Alternativität Staudinger/Mülbert, § 490 Rn. 9, 29 ff.). Maßgeblich ist insofern ein Vergleich zwischen den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und denen im Zeitpunkt der Kündigung. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse können insbesondere sein die fehlende Liquidität, laufende Verluste, rückständige Darlehensraten, erfolglose anderweitige Zwangsvollstreckungsmaßnahme, (Antrag auf) Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Krepold/Fischbeck, S. 120). Bei der Werthaltigkeit der gestellten Sicherheit ist bei
874
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Gegenständen auf deren Zerschlagungswert (zu erwartender Erlös bei Verwertung durch Zwangsvollstreckung) abzustellen, bei Personalsicherheiten wiederum auf deren Vermögensverhältnisse. Zweitens muss aufgrund dieser Verschlechterung die Darlehensrückzahlung, auch unter Verwertung der gestellten Sicherheit, gefährdet sein. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs bestehen und zwar darin, dass der Anspruch nicht oder nur teilweise erfüllt wird und auch die bestellte Sicherheit nicht zur Befriedigung führen wird. In der Rechtsfolge ist der Darlehensgeber vor Darlehensauszahlung „im Zweifel stets“ zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt – er soll nicht gezwungen sein, sehenden Auges Vermögen zu übertragen, wenn bereits unwahrscheinlich ist, dass der Darlehensgeber zur Rückzahlung außerstande ist. Nach Auszahlung besteht „nur in der Regel“ ein fristloses Kündigungsrecht. In Ausnahmefällen kann dem Darlehensgeber also zuzumuten sein, trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung am Vertrag festzuhalten. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist unter Gesamtwürdigung der Kündigungssituation zu ermitteln, die auch Interessen des Darlehensnehmers zu berücksichtigen hat. So kann dem Darlehensgeber die Belassung des Darlehens etwa dann zugemutet werden, wenn die Rückforderung des gesamten Darlehens eine Insolvenzgefahr hervorruft, dem Darlehensnehmer aber eine ratenweise Rückzahlung möglich wäre (Brox/Walker, § 17 Rn. 31). 11.1.10.3.2.2 Darlehensnehmer Nach § 490 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Darlehensnehmer zur fristlosen Kündigung des Darlehensvertrags berechtigt, wenn darin ein gebundener Sollzinssatz (§ 489 Abs. 5 BGB) vereinbart ist, das Darlehen grundpfandrechtlich besichert ist, das Darlehen seit sechs Monaten vollständig ausbezahlt ist und ein berechtigtes Interesse des Darlehensnehmers die außerordentliche Kündigung gebietet. Ein derartiges Interesse kann nach § 490 Abs. 2 S. 2 BGB insbesondere gegeben sein, wenn der Darlehensnehmer ein Bedürfnis (privaten oder geschäftlichen Ursprungs – auch die „günstige Verkaufsgelegenheit“) nach anderweitiger Verwertung der als Sicherheit gestellten Sache hat. Dies umfasst insbesondere die Fälle, in denen der Darlehensnehmer das zur Darlehensbesicherung grundpfandrechtlich belastete Grundstück veräußern möchte, eine Veräußerung aber wegen der Belastung nur schwer oder nur unter entsprechenden Abstrichen hinsichtlich des Kaufpreises möglich wäre. Das Festhalten am Darlehensvertrag könnte so die Veräußerung oder Verwertung des belasteten Objekts faktisch unmöglich machen, solange mit Fortbestehen des Darlehensvertrags auch die Belastung nicht zu beseitigen ist. Als berechtigte Interessen können weiter in Betracht kommen die geplante Verwendung des Sicherungsobjekts als Sicherheit für ein neues, umfangreicheres Darlehen eines Dritten (BGH, NJW 1997, 2878), möglicherweise aber auch der Umstand, dass dem Darlehensnehmer ein Halten der finanzierten Immobilie bzw. ein Bedienen des Darlehens nur nach einer Umschuldung möglich ist (so OLG Naumburg, NJW-RR 2007, 1278). Kein berechtigtes Interesse liegt aber vor, wenn der Darlehensnehmer das Darlehen lediglich infolge unerwarteter Liquidität zurückzahlen will oder lediglich durch Umschuldung in den Genuss günstigerer Darlehenskonditionen kommen will. Kündigt der Darlehensnehmer gemäß § 490 Abs. 2 S. 1, 2 BGB, so hat er jedoch dem Darlehensgeber nach S. 3 denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht (Vorfälligkeitsentschädigung; Einzelheiten dazu bei Krepold/Fischbeck, S. 116 ff.).
11.1 Darlehensrecht 11.1.10.3.3
875
Außerordentliche Kündigung (§ 314 BGB) und Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
Die Kündigung des Darlehensvertrags kann nach §§ 490 Abs. 3, 314 BGB seitens beider Parteien auch „aus wichtigem Grund“ erfolgen, wenn der kündigenden Partei bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen das Festhalten am Vertrag bzw. die ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Für den Darlehensvertrag können dies insbesondere sein der wiederholte, aufeinanderfolgende Verzug mit Zins- und Tilgungsraten, die schuldhafte Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, drohende Zahlungsunfähigkeit, die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Darlehensnehmers oder die Verletzung von vertraglichen Leistungspflichten. Unter bestimmten, eng auszulegenden Voraussetzungen kommt gemäß §§ 490 Abs. 3, 313 BGB (primär) die Anpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) oder bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Anpassung die Kündigung (§ 313 Abs. 3 S. 2 BGB) des Darlehensvertrags in Betracht. Bei der Anwendung des § 313 BGB ist insbesondere auf die vertragliche Verteilung der Risiken im Darlehensvertrag Rücksicht zu nehmen: So hat das Risiko der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Darlehensnehmers oder der Werthaltigkeit von Sicherheiten der Darlehensgeber zu tragen, sodass nachteilige Entwicklungen insofern nicht die Anwendbarkeit des § 313 BGB, sondern allenfalls Kündigungsrechte begründen. Andererseits trägt der Darlehensnehmer das Risiko der Verwendbarkeit des Darlehens. Erweist sich daher der Zweck des Darlehens als nicht (mehr) erreichbar, ist dem Darlehensnehmer die Berufung auf § 313 BGB verwehrt.
11.1.11
Leistungsstörungsrecht
Das allgemeine Leistungsstörungsrecht (§§ 275 ff., 280 ff., 311a, 320 ff. BGB) findet grundsätzlich auch auf Darlehensverträge Anwendung. Die Vorschriften zur Unmöglichkeit einer Leistung (§§ 275, 283, 311a, 326 BGB) spielen im Darlehensrecht (wegen der meist in Geld bestehenden Leistungspflichten) eine geringe Rolle. An die Stelle des Rücktritts nach §§ 323, 324, 326 Abs. 5 BGB tritt jedoch nach Vollzug des Darlehensvertrags (durch Auszahlung der Darlehensvaluta) wie bei jedem Dauerschuldverhältnis das Recht zur Kündigung des Vertrags. Die Verletzung vertraglicher (Haupt-)Leistungspflichten, wie etwa die Pflicht des Darlehensnehmers zur Abnahme (s. o. S. 864) oder des Darlehensgebers zur Auszahlung des Darlehensbetrags, begründet Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1, 3, § 281 §§ 249 ff. BGB. Bei Verletzung vertraglicher Neben- und Schutzpflichten, zu denen etwa auch das Bankgeheimnis zählt (vgl. BGH, NJW 2006, 830 – „Kirch“), bestehen Schadensersatzansprüche nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Handelt es sich um entsprechend schwere Pflichtverletzungen, kommt als ultima ratio auch das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB in Betracht; beruht die außerordentliche Kündigung auf einer Pflichtverletzung des Vertragspartners, kommen nach § 314 Abs. 4 BGB daneben auch Schadensersatzansprüche (§ 280 Abs. 1, 3 i. V. m. § 281 BGB) im Hinblick auf die aus der fehlenden Fortsetzung des Darlehensvertrags resultierenden Vermögensschäden in Betracht (Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 234 ff.).
876
11.1.12
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Verbraucherschutz
Handelt es sich beim Darlehensnehmer um einen Verbraucher (§ 13 BGB), so können je nach Fallkonstellation eine Reihe weiterer Vorschriften einschlägig werden, die weitestgehend der Umsetzung europarechtlicher Richtlinienvorgaben zugunsten des Verbraucherschutzes dienen: 11.1.12.1
Verbraucherdarlehensverträge
Darlehensverträge zwischen einen Unternehmer (§ 14 BGB) als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer werden als Verbraucherdarlehen bezeichnet (§ 491 Abs. 1 BGB). Soweit nach § 491 Abs. 2, 3 und §§ 503–505 BGB nichts anderes bestimmt ist, finden auf derartige Verträge die §§ 492–502 BGB Anwendung, die nach § 511 BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abbedungen oder durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden dürfen. Aus § 503 BGB (Immobiliardarlehensverträge) ergeben sich Einschränkungen und Ergänzungen der §§ 492 ff. BGB für grundpfandrechtlich besicherte Verbraucherdarlehen zu marktüblichen Bedingungen. Hervorgehoben sei besonders die Bereichsausnahme in § 492 Abs. 2 Nr. 5 BGB für sog. Förderdarlehen (wie z. B. Wohnungsbaudarlehen aufgrund des Wohnraumförderungsgesetzes oder des Wohnungsbaugesetzes). Diese Ausnahme vom Anwendungsbereich der §§ 492 ff. besteht auch bei sog. „durchgeleiteten“ Förderdarlehen, bei denen der Darlehensnehmer den Vertrag mit seiner Hausbank abschließt, diese aber den Vertrag zu den Bedingungen einer Förderanstalt (z. B. Landesbanken, KfW) anbietet. §§ 491a, 493 BGB begründen (vor-)vertragliche Informationspflichten des Darlehensgebers gegenüber dem Darlehensnehmer über Inhalt, Veränderung und Beendigung des Darlehensvertrags. §§ 492, 494 BGB regeln Form und Inhalt des Vertrags sowie (in Abweichung von § 125 BGB) die Rechtsfolgen von Formmängeln. Der Verbraucher kann den Vertragsschluss nach Maßgabe der §§ 495, 355 BGB widerrufen. § 496 BGB dient dem Schutz des Darlehensnehmers vor Nachteilen aus der Übertragung der Darlehensrückzahlungsforderung auf einen Dritten: Die Einwendungen und Aufrechnungsmöglichkeiten gegenüber dem alten Gläubiger behält der Darlehensnehmer auch gegenüber dem neuen Gläubiger (§§ 404, 406 BGB); entgegenstehende Vereinbarungen sind gemäß § 496 Abs. 1 BGB unwirksam. §§ 497 Abs. 1 BGB dient der Vereinfachung der Schadensregulierung, wenn der Verbraucher mit geschuldeten Zahlungen in Verzug gerät, indem der Verzugsschaden nach §§ 497 Abs. 1 S. 1, 503 Abs. 2 BGB pauschal auf 2,5 % des geschuldeten Betrags festgesetzt wird – den Parteien ist aber der Nachweis vorbehalten, dass Schaden tatsächlich höher oder niedriger ausgefallen ist (§ 497 Abs. 1 S. 2 BGB). Schließlich schränken §§ 498, 503 Abs. 3 BGB das Kündigungsrecht des Darlehensgebers aus Anlass des Zahlungsverzugs des Verbrauchers ein. 11.1.12.2
Fernabsatzverträge
Anbahnung und Abschluss von Darlehensverträgen können unter ausschließlicher Verwendung von „Fernkommunikationsmitteln“ (§ 312b Abs. 2 BGB) erfolgen. Im Falle eines Verbraucherdarlehens erfordert jedoch der Vertragsschluss wegen § 492 Abs. 1 BGB die Schriftform (§ 126 BGB; die elektronische Form nach § 126 Abs. 3, § 126a BGB ist zwar zulässig, aber wegen ihrer technischen Anforderungen praktisch nicht gängig), sodass der Vertragsschluss im Wege des Fernabsatzes nach § 312b Abs. 1, 2 BGB zumindest einen Briefwechsel
11.2 Grundpfandrechte
877
zwischen Darlehensgeber und Verbraucher voraussetzt, da andere „Fernkommunikationsmittel“ die geforderte Schriftform nicht wahren können. Die für Fernabsatzverträge vorgesehene Informationspflicht nach § 312c Abs. 1 BGB wird jedoch bei Fernabsatzverträgen, die zugleich auch Verbraucherdarlehensverträge sind, bereits durch die Informationspflichten nach § 491a BGB erfüllt (Art. 247 § 2 Abs. 3 S. 2 EGBGB). Da bei einem Verbraucherdarlehen dem Darlehensnehmer schon ein Widerrufsrecht nach § 495 BGB zusteht, entfällt jedoch das Widerrufsrecht des § 312d BGB (§ 312d Abs. 5 S. 1 BGB). 11.1.12.3
Verbundene Verträge
Die Vorschriften der §§ 358, 359 BGB über „verbundene Verträge“ dienen dem Schutz des Verbrauchers vor Risiken, die ihm durch die rechtliche Aufspaltung (Relativität der Schuldverhältnisse!) eines wirtschaftlich betrachtet einheitlichen Vertrags in ein Bargeschäft und einen damit verbundenen Darlehensvertrag drohen (Palandt/Grüneberg, § 358 Rn. 1). Bei den erfassten Konstellationen handelt es sich typischerweise um Dreipersonenverhältnisse zwischen Verkäufer, Verbraucher und Darlehensgeber. Die Besonderheit der verbundenen Verträge (§ 358 Abs. 3 BGB) liegt darin, dass das Erwerbs- und das Darlehensgeschäft eine „wirtschaftliche Einheit“ bilden, weil das Darlehen dem Erwerb dient und Verkäufer und Darlehensgeber entweder sogar personenidentisch sind oder doch zumindest den Verkauf in Zusammenarbeit fördern und daher wie eine Partei auftreten (s. für den Grundstückserwerb § 358 Abs. 3 S. 3 BGB). Wegen der wirtschaftlichen Einheit beider Geschäfte regeln §§ 358, 359 BGB deren rechtliche Schicksale weitgehend „parallel“: So erstreckt § 358 Abs. 1, 2 BGB den Widerruf des einen Vertrags auch auf den jeweils anderen Vertrag; ferner ermöglicht es § 359 BGB dem Verbraucher, Einwendungen, die sich aus dem Erwerbsvertrag ergeben, auch den Ansprüchen aus dem Darlehensvertrag entgegenzuhalten (sog. Einwendungsdurchgriff).
11.2
Grundpfandrechte
Das bedeutendste Mittel zur Sicherung von Geldforderungen jeder Art sind Grundpfandrechte. Im Gegensatz zu Personalsicherheiten wie Bürgschaft, Forderungsabtretung und -pfändung oder Schuldbeitritt, bei denen die gegenwärtige und künftige Zahlungsfähigkeit des Sicherungsgebers regelmäßig schwer einzuschätzen ist, bieten Grundstücke als Sicherungsmittel die Gewähr einer gewissen Wertbeständigkeit und kommen daher dem Sicherungsbedürfnis der Forderungsgläubiger am weitesten entgegen, zumindest solange die auf einen Grundstück lastenden Grundpfandrechte dessen Durchschnittswert nicht voll ausschöpfen. Zwar ist es auch dem Inhaber einer „bloßen“ Personalsicherheit möglich, bei Realisierung seines Zahlungsanspruchs durch Zwangsvollstreckung auf das Grundeigentum des Sicherungsgebers (der ja als persönlicher Schuldner mit seinem gesamten Vermögen haftet) zuzugreifen; im Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzverfahren genießt jedoch der durch Grundpfandrecht gesicherte Gläubiger (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG, § 49 InsO) gegenüber dem persönlichen Gläubiger (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG) eine privilegierte Stellung.
11.2.1
Arten der Grundpfandrechte, Rechtsgrundlagen
Das Gesetz verwendet den Begriff „Grundpfandrecht“ nicht, er hat sich vielmehr herausgebildet als Sammelbezeichnung der Rechtsinstitute Hypothek, Grundschuld und Renten-
878
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
schuld, die als beschränkt dingliche Rechte an einem Grundstück (im Gegensatz zum Eigentum als Vollrecht) in §§ 1113–1190 BGB (Hypothek), §§ 1191–1198 BGB (Grundschuld, mit Verweis in § 1192 Abs. 1 BGB auf das Recht der Hypothek) und §§ 1199–1203 BGB (Rentenschuld) geregelt sind. Wegen des sachenrechtlichen Typenzwangs und der insoweit eingeschränkten Privatautonomie (Zweck: Klarheit über die Rechtsverhältnisse an einem Grundstück) können keine andere Arten als diese gesetzlich geregelten Sicherungsrechte an Grundstücken begründet werden. Neben den speziellen Vorschriften über Grundpfandrechte finden auf sie die allgemeinen Vorschriften des BGB über Rechte an Grundstücken Anwendung (§§ 873–902 BGB). Für die Verwertung eines Grundpfandrechts im Wege der Zwangsvollstreckung sind zudem die Verfahrensvorschriften der §§ 704 ff. (speziell §§ 864–871) der Zivilprozessordung (ZPO) und des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) einschlägig.
11.2.2
Hypothek und Grundschuld: Gemeinsamkeiten, Unterschiede
11.2.2.1
Gemeinsamkeiten
Allen drei Grundpfandrechten ist nach dem Wortlaut des Gesetzes gemein, dass an den Inhaber des Grundpfandrechts „eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstück zu zahlen ist“ (jeweiliger Absatz 1 der §§ 1113, 1191 und 1199 BGB). Diese Formulierung darf nicht darüber täuschen, dass ein Grundpfandrecht keinen Geldzahlungsanspruch des Grundpfandrechtsinhabers gegen den Grundstückseigentümer begründet – ein solcher ergibt sich auch bei Bestellung eines Grundpfandrechts nur aus einer damit zu sichernden Geldforderung. Der Anspruch aus dem Grundpfandrecht beschränkt sich vielmehr darauf, dass der Pfandrechtsinhaber bei Eintritt des Haftungsfalls Substanz und/oder Nutzungen des Grundstücks im Wege der Zwangsvollstreckung verwerten darf und der Grundstückseigentümer dies zu dulden hat. Anspruchsgrundlage ist § 1147 BGB (Hypothek) i. V. m. § 1192 Abs. 1 (Grundschuld; vgl. Palandt/Bassenge, Überbl. v. § 1113 Rn. 1, § 1147 Rn. 1, § 1191 Rn. 1; Wolf/Wellenhofer, § 26 Rn. 12). Da das Grundpfandrecht seinem Inhaber ein Recht an einer Sache (dem Grundstück) vermittelt, das jedoch auf die Verwertung durch Zwangsvollstreckung beschränkt ist, handelt es sich um ein sog. beschränkt dingliches Recht, das von einem Wechsel in der Person des Grundstückseigentümers unabhängig ist. Dieser kann das Eigentum auch nach grundpfandrechtlicher Belastung beliebig wirksam veräußern, ohne dabei auf eine Mitwirkung des Grundpfandrechtsinhabers angewiesen zu sein, denn die Eigentumsverhältnisse am Grundstück spielen für den (Fort-)Bestand und die Werthaltigkeit des Grundpfandrechts keine Rolle. Nur bei der Durchsetzung des Anspruchs aus § 1147 BGB „repräsentiert“ der jeweilige Eigentümer das Grundstück. 11.2.2.2
Unterschiede
Unterschiede zwischen Hypothek und Grundschuld ergeben sich aus ihrem jeweiligen Verhältnis zu einer von ihnen zu sichernden Forderung, was bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes erhellt: Bei der Hypothek ist gemäß. § 1113 Abs. 1 BGB an den Hypothekeninhaber „eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstück zu zahlen“ und zwar „zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung“. Entstehung und Bestand der Hypothek sind demnach grundsätzlich streng abhängig vom Bestand einer zu sichernden Forderung; die Hypothek ist – ähnlich wie die Bürgschaft (§ 765 Abs. 1 BGB) oder das Pfandrecht an bewegli-
11.2 Grundpfandrechte
879
chen Sachen (§ 1204 Abs. 1 BGB) – hinsichtlich Entstehung, Inhaberschaft, Durchsetzbarkeit und Erlöschen akzessorisch zur gesicherten Forderung. Nach dem gesetzlichen Leitbild und entgegen der wirtschaftlichen Betrachtung ist die Hypothek rechtlich unselbstständig und lediglich „Anhängsel“ der von ihr gesicherten Forderung (Vieweg/Werner, § 15 Rn. 6); deutlich wird dies insbesondere bei den Regelungen der §§ 1163 Abs. 1 zu Konsequenzen bei Nichtbestehen bzw. Erlöschen der gesicherten Forderung, 1153 zur Übertragung der Hypothek und 1137 BGB zur Geltendmachung forderungsbezogener Einwendungen gegen die Hypothek. In der allgemeinen Geschäftspraxis dient zwar auch die Grundschuld regelmäßig der Sicherung einer Forderung, im Unterschied zur Hypothek ist ihr rechtliches Schicksal jedoch nicht – zumindest nicht von Gesetzes wegen – von der Existenz, Höhe und Durchsetzbarkeit einer zu sichernden Forderung abhängig, was sich bereits aus der Legaldefinition der Grundschuld in § 1191 Abs. 1 BGB ergibt: Bei ansonsten mit § 1113 Abs. 1 BGB (Hypothek) identischem Wortlaut enthält diese keine Bezugnahme auf eine Forderung. Auch sind gemäß § 1192 Abs. 1 BGB die für die Hypothek geltenden §§ 1113–1190 BGB nur entsprechend anwendbar, „soweit sich nicht daraus ein anderes ergibt, dass die Grundschuld nicht eine Forderung voraussetzt“. Die Grundschuld ist daher ein in Bestand und Durchsetzbarkeit von einer Forderung grundsätzlich unabhängig bestehendes, nicht akzessorisches Recht. Die sich hieraus ergebenden Unterschiede zwischen Hypothek und Grundschuld seien anhand einiger Aspekte veranschaulicht: 11.2.2.2.1
Anspruchsbegründung
Der Anspruch des Hypothekars aus § 1147 BGB bzw. des Grundschuldinhabers aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsteller Inhaber eines Grundpfandrechts ist. Der Hypothekar hat also im Streitfall zu beweisen, dass er Inhaber einer Hypothek ist – was kraft Gesetzes nur dann der Fall sein kann, wenn ihm auch die durch die Hypothek zu sichernde Forderung zusteht, deren Existenz und Höhe im Streitfall also ebenfalls zu beweisen ist. Der Grundschuldinhaber hat es hier leichter: Weil die Grundschuld eine Forderung nicht voraussetzt, reicht zur Begründung des Anspruchs aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB der Nachweis der Grundschuldinhaberschaft aus (Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 12), ohne dass es hierfür des Nachweises einer zu sichernden Forderung bedürfte. Bei der Hypothek kann der Grundstückseigentümer dem Anspruch aus § 1147 BGB zudem Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die sich gegen die Hypothek richten, aber gemäß § 1137 Abs. 1 S. 1 BGB auch solche, die sich gegen die hypothekarisch gesicherte Forderung richten. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn Grundstückseigentümer und Schuldner der Forderung personenverschieden sind. Dagegen kann der Grundstückseigentümer bei der Grundschuld gegen Anspruch aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB nur grundschuldbezogene, nicht aber forderungsbezogene Einwendungen und Einreden geltend machen, da § 1137 BGB wegen § 1192 Abs. 1 BGB keine Anwendung findet und es somit beim Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse verbleibt, wonach das schuldrechtliche Forderungsverhältnis nur Rechte und Pflichten der daran beteiligten Parteien begründet. Schließlich kann der Schuldner einer hypothekarisch gesicherten Forderung, der zugleich der Eigentümer des mit der Hypothek belasteten Grundstücks ist, Leistungen auf die Forderung verweigern, wenn ihm bei Geltendmachung der Forderung nicht der über die Hypothek ausgestellte Hypothekenbrief vorgelegt wird (§§ 1161, 1160 Abs. 1 BGB).
880 11.2.2.2.2
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Nichtentstehen/Erlöschen der zu sichernden Forderung
Entsteht die grundpfandrechtlich zu sichernde Forderung nicht oder erlischt sie nach Pfandrechtsbestellung (etwa durch Erfüllung, § 362 Abs. 1 BGB), so entsteht auch keine Hypothek bzw. besteht die Hypothek nicht fort. Vielmehr wird der Grundstückseigentümer in diesen Fällen gemäß §§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 S. 1 BGB „automatisch“ selbst Inhaber der dennoch bestellten Hypothek, die dann zu einer Eigentümergrundschuld wird (und nicht etwa „erlischt“, weil dies zum Aufrücken nachrangiger Grundpfandrechte führen würde – s. aber auch den Löschungsanspruch nachrangiger Grundpfandrechtsinhaber aus § 1179a BGB). Entsprechendes gilt, wenn die zu sichernde Forderung nur teilweise nicht entsteht bzw. erlischt. – Für die Grundschuld dagegen ist das rechtliche Schicksal einer zu sichernden Forderung unerheblich, ihr Entstehen und Fortbestand sind nach dem gesetzlichen Leitbild unabhängig von Bestand und Höhe einer zu sichernden Forderung; § 1163 Abs. 1 BGB findet wegen § 1192 Abs. 1 BGB auf die Grundschuld keine Anwendung. 11.2.2.2.3
Forderungsauswechslung
Durch die fehlende Bindung an eine bestimmte Forderung bietet die Grundschuld zudem vielseitigere Verwendungsmöglichkeiten als die Hypothek: Letztere kann stets nur für eine bestimmte Forderung bestellt werden, deren Geldbetrag und Schuldgrund gemäß § 1115 Abs. 1 BGB bei Hypothekenbestellung im Grundbuch einzutragen sind. Soll die zu sichernde Forderung „ausgewechselt“ werden, also beispielsweise die Hypothek nicht mehr der Sicherung einer Kaufpreisforderung, sondern einem Vergütungsanspruch aus einem Werkvertrag dienen, ist hierfür nach § 1180 Abs. 1 BGB zu verfahren; es bedarf also einer Einigung hierüber und Eintragung im Grundbuch. Anders dagegen bei der Grundschuld: § 1115 Abs. 1 BGB ist gemäß § 1192 Abs. 1 BGB nur entsprechend anwendbar, d. h. bei Grundschuldbestellung bedarf es nicht der Angabe einer zu sichernden Forderung nach Grund und Höhe, stattdessen ist lediglich der Geldbetrag der Grundschuld im Grundbuch einzutragen (Palandt/Bassenge, § 1115 Rn. 21). § 1180 BGB findet auf die Grundschuld wegen § 1192 Abs. 1 BGB keine Anwendung, sodass Gläubiger und Schuldner hier form- und verfahrensfrei im Wege einer vertraglichen Vereinbarung die durch die Grundschuld zu sichernde(n) Forderung(en) beliebig auswechseln können (Clemente, Rn. 321). 11.2.2.3
Verdrängung der Hypothek durch die Grundschuld
Wegen der Unabhängigkeit von einer möglicherweise mit schwer abschätzbaren Rechtsunsicherheiten (Einwendungen oder Einreden des Schuldners) behafteten Forderung und der flexibleren Einsatzmöglichkeiten erwies sich die Grundschuld gegenüber der Hypothek als das stabilere und verkehrs- und gläubigerfreundlichere Sicherungsinstrument, das in der Praxis zu einer weitgehenden Verdrängung der Hypothek geführt hat (Clemente, Rn. 10; das derzeitige Verhältnis bestehender Hypotheken und Grundschulden liegt bei etwa 20 % zu 80 %, jurisPK-Reischl, § 1191 Rn. 31). Findet die Grundschuld in der Praxis gleichwohl ihren nahezu ausschließlichen Einsatz in der Sicherung von (Darlehens-)Forderungen und entsteht hierdurch im Ergebnis eine der Hypothek gleiche Zweckbindung der Grundschuld, so steht dies im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung der Grundschuld, die diese Zweckbindung nicht berücksichtigt, ja sogar diejenigen Regelungen des grundsätzlich entsprechend anwendbaren Hypothekenrechts, in denen diese Zweckgebundenheit zum Ausdruck kommt, explizit für unanwendbar erklärt (§ 1192 Abs. 1 BGB). Die hierdurch hervorgerufene „Rege-
11.2 Grundpfandrechte
881
lungslücke“ ist daher durch privatautonome Regelungen zwischen Grundstückseigentümer (Sicherungsgeber) und Grundpfandrechtsinhaber (Sicherungsnehmer) zu füllen. Mit anderen Worten: Die Zweckbindung, die bei der Hypothek gesetzlich (und zwingend) geregelt ist, bedarf bei der Grundschuld der vertraglichen (aber grds. freien) Regelung, die als sog. Sicherungsabrede (auch Sicherungsvertrag, Sicherungsklausel) bezeichnet wird. Die gesetzlich angelegte weitgehende Selbstständigkeit der Grundschuld hat sich daher in der Praxis dadurch verringert, dass auch die Grundschuldbestellung in aller Regel dem Zweck dient, eine Forderung zu sichern, und dieser Zweck und die Ausübung der Rechte aus der Grundschuld zumindest konkludent zwischen Grundstückseigentümer und Grundschuldinhaber vertraglich geregelt wird. Die Grundschuld wird dadurch zwar nicht zu einem forderungsabhängigen, akzessorischen Sicherungsinstrument gleich der Hypothek, ihre Geltendmachung durch den Grundschuldinhaber wird dadurch jedoch schuldrechtlichen Schranken mit treuhänderischem Charakter unterworfen, sodass sich der Grundstückseigentümer zumindest einredeweise gegen eine willkürliche Inanspruchnahme zur Wehr setzen kann (vgl. Baur/Stürner, § 36 Rn. 59, § 45 Rn. 9). In jüngerer Zeit führte zudem die gesetzliche Regelung der Sicherungsgrundschuld durch den neuen Abs. 1a des § 1192 BGB im Jahr 2008 zu einem Schutzniveau des Eigentümers, das sogar über dasjenige der – bislang gegenüber der Grundschuld eigentümerfreundlicheren – Hypothek hinausgeht (vgl. u. 11.2.6.8.3 und 11.2.7.5.3).
11.2.3
Rangordnung
An einem Grundstück können mehrere beschränkt dingliche Rechte bestellt werden. Ist ein Grundstück gleichzeitig mit mehreren Grundpfandrechten zugunsten verschiedener Kreditgeber belastet und kommt es etwa auf Betreiben eines Gläubigers zur Verwertung des Grundstücks, bleibt aber der dabei erzielte Erlös unter dem Betrag, mit dem das Grundstück insgesamt belastet ist, so bedarf das Konkurrenzverhältnis der Grundpfandrechtsinhaber, insbesondere die Verteilung des Erlöses einer Regelung. Im Hinblick auf Grundpfandrechte ist dabei gemäß §§ 11 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG auf das „Rangverhältnis“ der Rechte abzustellen, das wiederum nach § 879 BGB zu bestimmen ist: Bei mehreren in derselben Abteilung des Grundbuchs eingetragenen Rechten richtet sich deren Rangfolge nach der räumlichen Reihenfolge der Eintragungen (§ 879 Abs. 1 S. 1 BGB, sog. Locusprinzip; str., a. A.: zeitliche Reihenfolge, näher Vieweg/Werner, § 13 Rn. 72). In verschiedenen Abteilungen eingetragene Rechte richten sich in ihrer Rangfolge gemäß § 879 Abs. 1 S. 2 BGB nach dem Zeitpunkt ihrer Eintragung (Tempusprinzip). Beispiel: E hat zur Sicherung mehrerer Kredite an seinem Grundstück dem Gläubiger A eine Hypothek in Höhe von 250.000 € und dem Gläubiger B eine Grundschuld in Höhe von 150.000 € bestellt; als Grundpfandrechte sind beide Rechte in Abteilung III des Grundbuchs eingetragen (§ 11 GrundbuchVO), die Hypothek vor der Grundschuld. Nachdem sein Kredit notleidend wird, betreibt A die Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Bei der Zwangsversteigerung wird ein Erlös von 300.000 € erzielt. Daraus wird zunächst gemäß § 11 Abs. 1 ZVG die nach § 879 Abs. 1 S. 1 BGB erstrangige Hypothek des A in voller Höhe befriedigt, die zweitrangige Grundschuld des B nur in Höhe der verbleibenden 50.000 €, sodass B mit einem Betrag von 100.00 € ausfällt. – Je mehr Rechte also dem die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger rangmäßig vorangehen, desto höher sind auch sein Ausfallrisiko und daher regelmäßig auch die vom Schuldner zu tragenden Kreditkosten.
882
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Zu beachten ist bei der Rangfolge der Rechte, dass gemäß § 883 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB bereits die Eintragung einer Vormerkung den Rang des entsprechenden später einzutragenden Rechts bestimmt. Welche Reihenfolge das Grundbuchamt bei der Eintragung mehrerer zu bestellender Rechte einzuhalten hat, ergibt sich aus §§ 17, 45 GBO, wonach die Eintragungen entsprechend der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs der Eintragungsanträge vorzunehmen sind. In der Praxis ist es jedoch üblich, die damit verbundenen Unwägbarkeiten hinsichtlich des Eingangszeitpunkts auszuräumen, indem der Rang eines einzutragenden Rechts rechtsgeschäftlich bestimmt wird. Dadurch ist es einerseits dem Erwerber des zu bestellenden Rechts möglich, sich einen bestimmten Rang vor anderen Gläubigern zu „sichern“, andererseits kann sich hierdurch der Eigentümer auch eine bessere Rangstelle für eine spätere Rechtsbestellung zugunsten eines weiteren Gläubigers „freihalten“. Die rechtsgeschäftliche Bestimmung des Rangs bedarf zur ihrer Wirksamkeit gemäß § 879 Abs. 3 BGB, § 45 Abs. 3 Alt. 2 GBO der Eintragung im Grundbuch (zu den bereicherungsrechtlichen Konsequenzen in dem Fall, dass der eingetragenen Rang nicht dem vereinbarten Rang entspricht, s. Baur/Stürner, § 17 Rn. 23 ff. und Vieweg/Werner, § 13 Rn. 74). Weitere Möglichkeiten der rechtsgeschäftlichen Bestimmung des Rangs eröffnen §§ 880, 881 BGB (nachträgliche Rangänderung, Vereinbarung eines Rangvorbehalts).
11.2.4
Beleihungsgrenzen
Neben dem Rang eines Grundpfandrechts – Banken und Sparkassen gewähren Kredite in der Regel nur gegen Bestellung erstrangiger Grundpfandrechte – spielt für die Kreditgewährung und die Frage, inwieweit Grundpfandrechte zu deren Sicherheit herangezogen werden können die sog. „Beleihungsgrenze“ eine große Rolle. Wegen der Unsicherheiten bei der Bestimmung des Grundstückswerts und der damit verbundenen Ausfallrisiken im Zwangsvollstreckungsverfahren lassen sich institutionelle Gläubiger in der Regel nur auf solche Sicherheiten ein, die einen bestimmten Prozentsatz des ermittelten Grundstückswerts nicht überschreiten und gewähren daher Kredite auch nur in entsprechender Höhe. Bei Banken und Sparkassen liegt diese Beleihungsgrenze für erstrangige Grundpfandrechte bei etwa 50–60 % des Grundstückswerts; lediglich Bausparkassen gewähren regelmäßig auch Kredite, die durch zweitrangige Hypothek gesichert sind und bis zu 80 %, selten 100 % des Grundstückswerts ausschöpfen. Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Beleihungsgrenze in Höhe von 60 % des Grundstückswerts lediglich für das Pfandbriefgeschäft der Pfandbriefbanken (§§ 1 Abs. 1, 14 Pfandbriefgesetz); im Übrigen bestehen – abgesehen von satzungsmäßigen Beschränkungen bei den Sparkassen – insbesondere für private Kreditgeber keinerlei gesetzliche Vorgaben, gewisse Selbstbeschränkungen dürften insofern jedoch zumindest der ökonomischen Vernunft geschuldet sein (vgl. Claussen/Erne, § 5 Rn. 99 a. E.).
11.2.5
Haftungsumfang der Grundpfandrechte
11.2.5.1
Potentielle Haftungsgegenstände – der „Haftungsverband“
Unter dem Begriff des „Haftungsverbands“ der Hypothek bzw. der Grundschuld werden diejenigen Gegenstände zusammengefasst, auf die der Grundpfandrechtsinhaber bei Realisierung seines Anspruchs aus § 1147 BGB (i. V. m. 1192 Abs. 1 BGB) zugreifen darf, d. h. die er durch Zwangsversteigerung und/oder Zwangsverwaltung verwerten darf. §§ 1120 ff. BGB
11.2 Grundpfandrechte
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bewirken eine Haftungserstreckung auf bewegliche Sachen und Forderungen, die der Bewirtschaftung des Grundstücks dienen oder die aus dessen Nutzung resultieren. Dadurch entsteht zugunsten des Grundpfandrechtsinhabers eine Zusammenfassung der Haftungsobjekte zu einer umfassenden „wirtschaftlichen Einheit“ (Baur/Stürner, § 39 Rn. 2, 33; Prütting, Rn. 655: „Nutzungseinheit“). Insbesondere gewerblich und landwirtschaftlich genutzte Grundstücke werden durch diese Haftungserweiterung erst als Sicherungsmittel interessant. 11.2.5.1.1
Grundstück
Zu diesem Haftungsverband zählt zunächst natürlich das Grundstück selbst samt seinen wesentlichen (§§ 93, 94 BGB) und nicht wesentlichen Bestandteilen (§ 93 BGB) einschließlich seiner Erzeugnisse (§ 94 Abs. 1 S. 1 a. E. BGB). Für die Bestandteile (mit Ausnahme der nicht im Eigentum des Grundstückseigentümers stehenden nichtwesentlichen Bestandteile) und Erzeugnisse gilt dies uneingeschränkt, solange sie noch nicht vom Grundstück getrennt wurden (vgl. § 1120 Halbs. 1 BGB). Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Gegenstände bereits im Zeitpunkt der Grundpfandrechtsbestellung mit dem Grundstück verbunden waren oder erst hinterher hinzugekommen sind – der Grundpfandrechtsinhaber profitiert daher auch von nachträglichen Wertsteigerungen des Haftungsverbands. Die einmal eingetretene Haftung dieser Bestandteile und Erzeugnisse bleibt auch bestehen, wenn sie vom Grundstück getrennt werden und damit eigentlich zu selbstständigen Gegenständen werden. Die Haftung entfällt gemäß § 1120 Halbs. 1 BGB nur, wenn sie mit der Trennung nicht nach §§ 953, 955 Abs. 1 BGB in das Eigentum des Grundstückeigentümers oder des Eigenbesitzers des Grundstücks gelangen, sondern nach §§ 954–957 BGB in das Eigentum eines anderen. Beispiel (nach Baur/Stürner, § 39 Rn. 25): Grundstückseigentümer E betreibt auf seinem mit einer Grundschuld belasteten Grundstück selbst eine Landwirtschaft. Das dort angebaute Getreide fällt als Erzeugnis des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 S. 1 a. E. BGB) bis zur Ernte in den Haftungsverband der Grundschuld. Erntet E das Getreide, tritt zwar Trennung ein, die Getreideernte bleibt jedoch nach § 953 BGB im Eigentum des E und Bestandteil des Haftungsverbands. – Hat E dagegen sein Grundstück an Landwirt L verpachtet und diesem unmittelbaren Besitz am Grundstück eingeräumt, so fällt das angebaute Getreide bis zur Ernte in das Eigentum des E und in den Haftungsverband. Mit der Ernte (= Trennung) durch L wird dieser jedoch gemäß § 956 BGB Eigentümer des Getreides; das Getreide fällt nach § 1120 Halbs. 1 BGB aus dem Haftungsverband. 11.2.5.1.2
Zubehör
§ 1120 Halbs. 2 BGB bezieht zudem Zubehör des Grundstücks (§§ 97, 98 BGB) in den Haftungsverband ein, soweit es im Eigentum des Grundstückseigentümers steht. Ob dieser das Eigentum am Zubehör bereits vor oder erst nach der Bestellung des Grundpfandrechts erworben hat, spielt keine Rolle; der Grundpfandrechtsinhaber profitiert daher auch insofern von Wertsteigerungen des Haftungsverbands. In den Haftungsverband fallen über den Wortlaut des § 1120 BGB hinaus nach allgem. M. auch Anwartschaftsrechte des Grundstückseigentümers an Zubehörstücken, die dieser unter Eigentumsvorbehalt gekauft, aber noch nicht vollständig bezahlt hat (arg.: Wesensgleichheit des Anwartschaftsrechts mit dem Eigentum; vgl. Wolf/Wellenhofer, § 26 Rn. 27; Baur/Stürner, § 39 Rn. 44 ff.). Beispiel: U betreibt auf seinem Grundstück ein Sägewerk. Den Aufbau des Betriebs finanzierte U mit einem Kredit der B-Bank, der er zur Sicherheit eine Grundschuld am Sägewerksgrund-
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
stück bestellte. Auf dem Grundstück befindet sich ein Sägewerksgebäude, darin eine Sägemaschine, die U von V zum Preis von 20.000 € unter Eigentumsvorbehalt gekauft hat. Nachdem U den Kredit der B nicht mehr bedienen kann, möchte die B die Sägemaschine versteigern. – a) U hat den Kaufpreis bereits vollständig bezahlt. b) Vom Kaufpreis hat U erst 18.000 € bezahlt. Das Sägewerksgebäude haftet bereits als (wesentlicher) Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 S. 1 BGB) für die Grundschuld. Die Sägemaschine ist gemäß §§ 97 Abs. 1 S. 1, 98 Nr. 1 BGB Zubehör des Grundstücks. In Variante a) ist U mit vollständiger Kaufpreiszahlung Eigentümer der Sägemaschine geworden, die daher gemäß § 1120 Halbs. 2 i. V. m. § 1192 Abs. 1 BGB in den Haftungsverband der Grundschuld fällt. In Variante b) ist U (noch) nicht Eigentümer der Sägemaschine, sondern hat hieran lediglich ein Anwartschaftsrecht. Gleichwohl fällt nach allgem. M. das Anwartschaftsrecht des U an der Sägemaschine in den Haftungsverband. Mit Bezahlung des Restkaufpreises (gleichgültig durch wen) erstarkt das Anwartschaftsrecht gemäß § 1287 S. 2 BGB analog zum Volleigentum, an dem sich die Hypothekenhaftung fortsetzt (jurisPK/Reischl, § 1120 Rn. 36). Gegenstände, die nach § 1120 Halbs. 2 BGB als Zubehör des Grundstücks dem Haftungsverband der Grundpfandrechte angehören, sind – vorbehaltlich einer Enthaftung nach §§ 1121 f. BGB – „exklusiv“ für die Sicherung des Grundpfandrechtsinhabers reserviert: Sie dürfen nach § 865 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht (auch nicht durch andere dinglich gesicherte Gläubiger) im Wege der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen (Pfändung, §§ 808 ff. ZPO) verwertet werden, sondern unterliegen ausschließlich der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (§§ 865 Abs. 1, 864 ff. ZPO). Dagegen sind unwesentliche Bestandteile des Grundstücks im Wege der Mobiliarvollstreckung nach §§ 808 ff. ZPO pfändbar, solange deren Beschlagnahme noch nicht angeordnet ist (§ 865 Abs. 2 S. 2 ZPO; dazu sogleich). Wesentliche Bestandteile des Grundstücks können schon wegen § 93 BGB nicht gepfändet werden, sondern nur im Wege der Zwangsvollstreckung in das Grundstück selbst verwertet werden. 11.2.5.1.3
Forderungen
In den Haftungsverband fallen auch Forderungen des Grundstückseigentümers aus der Verwertung des Grundstücks: Für das Grundpfandrecht haften nach § 1123 Abs. 1 BGB auch Miet- und Pachtzinsforderungen aus der Vermietung und Verpachtung des Grundstücks (grds. aber nicht aber solche Forderungen aus einem Untermiet- oder Unterpachtverhältnis, BGH, NZM 2005, 433) sowie nach § 1126 S. 1 BGB Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, die mit dem Eigentum am Grundstück verbunden sind (z. B. Erbbauzinsen, subjektivdingliche Reallasten gemäß § 1105 Abs. 2 BGB). Letztere sind jedoch gemäß § 96 BGB bereits als Bestandteil des Grundstücks zu betrachten, sodass § 1126 S. 1 BGB insofern nur deklaratorischer Natur ist. Schließlich erstreckt § 1127 Abs. 1 BGB die Haftung mittels dinglicher Surrogation (Palandt/Bassenge, § 1127 Rn. 1) auf Versicherungsforderungen aus der Versicherung von Gegenständen, die dem Haftungsverband unterliegen. Es besteht jedoch grundsätzlich keine gesetzliche Pflicht des Grundstückseigentümers gegenüber dem Grundpfandrechtsinhaber zur Versicherung mithaftender Gegenstände. Es kann jedoch vertraglich eine Versicherungspflicht vereinbart werden bzw. die Darlehensgewährung von einer Brandversicherung der grundpfandrechtlich besicherten Gebäude abhängig gemacht werden (so in der Regel bei Banken und Sparkassen; Prütting, Rn. 661). Allerdings stellt eine Gebäude-
11.2 Grundpfandrechte
885
brandversicherung bereits eine „erforderliche Vorkehrung“ im Sinne des § 1134 Abs. 2 S. 2 BGB dar, wenn bei einer Vernichtung der Gebäude durch Brand der Grundstückswert nicht mehr ausreicht, die Grundschuld vollständig zu decken (BGH, NJW 1989, 1034). Überblick: Haftungsverband der Grundpfandrechte Grundstück
Erzeugnisse, sonstige Bestandteile
Grundstückszubehör
(§§ 1113 Abs. 1, 1191 Abs. 1 BGB)
soweit vom Grundstück getrennt und mit Trennung in das Eigentum des Grundstückseigentümers gelangt
soweit im Eigentum des Grundstückseigentümers stehend
samt (wesentlichen u. unwesentlichen) Bestandteilen (inkl. Erzeugnissen, § 94 Abs. 1 S. 1 a. E. BGB)
(§ 1120 BGB)
(§§ 1120 Halbs. 2, 97, 98 BGB)
Halbs. 1
Anwartschaftsrechte
des Eigentümers an Zubehörgegenständen; bei Bedingungseintritt Fortsetzung am Zubehörgegenstand (§ 1287 S. 2 BGB analog)
Forderungen
aus Vermietung, Verpachtung, Versicherung haftender Gegenstände (§§ 1123, 1127 BGB)
1126,
(§§ 93–96 BGB), soweit noch nicht vom Grundstück getrennt (sonst: siehe rechts), Ausn.: nicht wesentliche Bestandteile im Eigentum Dritter
11.2.5.2
Realisierung der Haftung
Die unter den Haftungsverband fallenden Gegenstände haften zunächst nur potentiell (Baur/Stürner, § 39 Rn. 5). Insbesondere schränkt allein die Belastung des Grundstücks mit einem Grundpfandrecht bzw. allein die Zugehörigkeit von Gegenständen zum Haftungsverband des Grundpfandrechts die Verfügungsbefugnis des Grundstückseigentümers über das Grundstück und die weiteren Haftungsobjekte nicht ein. Er kann auch nach Grundpfandrechtsbestellung über das Grundstück (vgl. § 1136 BGB), dessen Bestandteile, Erzeugnisse und Zubehör frei und ohne Zustimmung des Grundpfandrechtsinhabers verfügen, wodurch unter den Voraussetzungen der §§ 1121, 1122, 1123 Abs. 2 BGB auch eine “„Enthaftung der Gegenstände eintreten kann. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit wird dem Grundstückseigentümer also im eigenen wie im Gläubigerinteresse nicht genommen: der Grundstückseigentümer bleibt „Herr im Hause“ (Baur/Stürner, § 39 Rn. 5). Allerdings gewähren §§ 1133–1135 BGB dem Grundpfandrechtsinhaber gegenüber dem Eigentümer gewisse Rechte zum Schutz vor Verschlechterungen der Haftungsgegenstände.
886
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Erst die gerichtliche Anordnung der Zwangsversteigerung oder der Zwangsverwaltung, die sog. Beschlagnahme (§§ 20 Abs. 1, 146 Abs. 1 ZVG), realisiert bzw. aktualisiert die Haftung und ermöglicht es dem Grundpfandrechtsinhaber, gemäß § 1147 BGB auf die haftenden Gegenstände (§ 20 Abs. 2 ZVG, § 1120 ff. BGB) im Wege der Zwangsvollstreckung „zuzugreifen“. Der Umfang der Beschlagnahme ist je nach Zwangsvollstreckungsart verschieden: Da die Zwangsversteigerung der Verwertung der Grundstückssubstanz dient, erfasst die Beschlagnahme zur Zwangsversteigerung nach § 21 Abs. 2 ZVG nicht Miet- und Pachtzinsforderungen oder Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen (insofern realisiert sich die potentielle Haftung nach §§ 1123, 1126 BGB nicht) – einen Zugriff auf diese Forderungen ermöglicht nur die Zwangsverwaltung nach § 148 Abs. 1 S. 1 ZVG. Diese allein gewährt wiederum nur einen Zugriff auf Nutzungen (natürliche Früchte und Rechtsfrüchte wie Mietund Pachtzinsen), nicht aber auf Grundstückszubehör. Um einen möglichst umfassenden Zugriff auf die Haftungsgegenstände zu erreichen, wird daher oft von beiden Zwangsvollstreckungsarten zugleich Gebrauch gemacht (Baur/Stürner, § 39 Rn. 8 f., 14 f.). Mit der Beschlagnahme nach §§ 20 Abs. 1, 146 Abs. 1 ZVG ist nunmehr auch die Verfügungsbefugnis des Grundstückseigentümers eingeschränkt: Im Umfang der Beschlagnahme besteht nach § 23 Abs. 1 ZVG ein relatives Veräußerungsverbot im Sinne der §§ 136, 135 BGB, d. h. der Grundstückseigentümer kann zwar noch über die von der Beschlagnahme betroffenen Gegenstände verfügen, diese Verfügungen (mit Ausnahme von Verfügungen nach § 23 Abs. 1 S. 2 ZVG) sind jedoch (nur) gegenüber dem Grundpfandrechtsinhaber und dem Ersteher des Grundstücks unwirksam. 11.2.5.3
Enthaftung
Bis zur Beschlagnahme kann der Grundstückseigentümer frei über die in den Haftungsverband fallenden beweglichen Sachen und Forderungen verfügen, insbesondere sie veräußern. Die zum Haftungsverband zusammengefassten Gegenstände bilden zwar mit dem Grundstück eine wirtschaftliche Einheit, teilen mit diesem jedoch nicht das identische rechtliche Schicksal: Bestandteile, Erzeugnisse und Zubehör sind Gegenstände, an denen jeweils selbstständig Rechte begründet und übertragen werden können (bei gemäß §§ 93, 94 BGB wesentlichen Bestandteilen zumindest nach Trennung vom Grundstück). Im Interesse des Verkehrsschutzes und der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Grundstückseigentümers ist es daher erforderlich, dass Gegenstände, die diese wirtschaftliche Einheit verlassen, auch von der (potentiellen) Haftung für Grundpfandrechte „frei“, d. h. aus dem Haftungsverband entlassen und damit dem Anspruch des Grundpfandrechtsinhabers aus § 1147 BGB entzogen werden, denn Käufer werden kaum Interesse daran haben, etwa gebrauchte Maschinen eines Sägewerksbetreibers zu erwerben, wenn diese Maschinen weiterhin (potentiell) für Schulden des Verkäufers haftet. Nach den §§ 1121, 1122 BGB sind die in Frage kommenden „Enthaftungstatbestände“ die rechtsgeschäftliche Veräußerung und/oder die tatsächliche Entfernung der Sache vom Grundstück. Unter Veräußerung ist dabei die Übertragung des Eigentums gemäß §§ 929 ff. BGB zu verstehen, nicht aber bereits das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (etwa Kaufvertrag). Entfernung meint das auf Dauer angelegte Wegschaffen der Sache durch den Eigentümer, einen Erwerber oder einen Dritten vom Grundstück im Zusammenhang mit einer (späteren) Veräußerung der Sache (Palandt/Bassenge, § 1121 Rn. 2 f.; näher zum Veräußerungszusammenhang jurisPK/Reischl, § 1121 Rn. 12).
11.2 Grundpfandrechte
887
Andererseits markiert die Beschlagnahme zugunsten des Grundpfandrechtsinhabers (§§ 20 Abs. 1, 146 Abs. 1 ZVG) einen Zeitpunkt, ab dem grundsätzlich das Interesse des Grundpfandrechtsinhabers an der möglichst ungeschmälerten Erhaltung des Haftungsverbands, wie er im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestand, das Interesse des Grundstückseigentümers bzw. der Erwerber mithaftender Gegenstände an einer Enthaftung überwiegt – daher die Verfügungsbeschränkung des Grundstückseigentümers gemäß § 23 ZVG, §§ 136, 135 BGB. In diesem Spannungsfeld der zeitlichen Abfolge von Veräußerung, Entfernung und Beschlagnahme regeln §§ 1121, 1122 BGB schwer verständlich das Freiwerden beweglicher Sachen von der (potentiellen) Haftung: 11.2.5.3.1
Vor Beschlagnahme
Werden Erzeugnisse, Bestandteile und Zubehör veräußert und vom Grundstück entfernt (wobei es auf die Reihenfolge von Veräußerung und Entfernung nicht ankommt), bevor es zur Beschlagnahme kommt, tritt gemäß § 1121 Abs. 1 BGB deren Enthaftung ein – selbst wenn der Erwerber weiß, dass der zu erwerbende Gegenstand Bestandteil des Haftungsverbands ist, denn vor der Beschlagnahme ist der Grundstückseigentümer unbeschränkt verfügungsbefugt. Der Erwerb bei Kenntnis von der bloßen Zugehörigkeit zum Haftungsverband gemäß § 1120 BGB hindert die Enthaftung nie; erst der Erwerb trotz Kenntnis von der bereits erfolgten Beschlagnahme (§§ 136, 135 BGB!) steht der Enthaftung entgegen. Bereits die bloße Entfernung ohne Veräußerung, aber vor Beschlagnahme reicht bei Erzeugnissen und Bestandteilen (nicht: Zubehör) nach § 1122 Abs. 1 BGB zur Enthaftung aus, wenn die Erzeugnisse und Bestandteile im Rahmen „ordnungsmäßiger Wirtschaft“ vom Grundstück getrennt wurden und die Entfernung vom Grundstück nicht nur vorübergehend ist. Zubehör wird nach § 1122 Abs. 2 BGB auch ohne Veräußerung von der Haftung frei, wenn die Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft vor Beschlagnahme aufgehoben wird. Beispiel zur Enthaftung nach § 1121 Abs. 1 BGB: Sägewerksbesitzer und Grundstückseigentümer U verkauft und übereignet dem Lagerhallenbetreiber D einen auf dem Betriebsgelände befindlichen Gabelstapler, der dort dem Holztransport dient (= Zubehör, §§ 97, 98 Nr. 1 BGB). D holt den Stapler bei U ab und bringt ihn in seine Lagerhalle. Beispiel zur Enthaftung nach § 1122 Abs. 2 BGB: Landwirt L lagert die Getreideernte (= Erzeugnis) seines Grundstücks im Lagerhaus des D ein, hat sie aber noch nicht veräußert. Ohne Entfernung tritt keine Enthaftung ein. Insbesondere bei der Sicherungsübereignung gemäß §§ 929 S. 1, 930 BGB, bei der der veräußernde Grundstückseigentümer im Besitz der veräußerten Sache bleibt und diese daher nicht vom Grundstück entfernt wird, tritt daher keine Enthaftung ein (BGH, NJW 1979, 2514; jurisPK/Reischl, § 1121 Rn. 9). 11.2.5.3.2
Nach Beschlagnahme
Schwerer zu lösen sind die Fälle, in denen Beschlagnahme bereits eingetreten ist und die Enthaftungstatbestände der Veräußerung und/oder Entfernung zusammen oder teilweise erst nach der Beschlagnahme erfolgen: Da nach der Beschlagnahme die wirtschaftliche Einheit des Grundstücks und der mithaftenden Gegenstände grundsätzlich zur Befriedigung des Grundpfandrechtsinhabers zur Verfügung stehen soll, besteht zu seinen Gunsten ab Be-
888
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
schlagnahme das relative Verfügungsverbot nach § 23 ZVG, §§ 136, 135 Abs. 1 BGB. Ein gewisser Verkehrsschutz zugunsten eines Erwerbers, der von der Zugehörigkeit zum Haftungsverband oder von der Beschlagnahme keine Kenntnis hat, ist jedoch auch hier nicht zu vernachlässigen. Maßgebliches Enthaftungskriterium ist daher die Gutgläubigkeit des Erwerbers. 11.2.5.3.2.1 Entfernung nach Beschlagnahme und Veräußerung Wird die mithaftende Sache vom Grundstück entfernt, nachdem bereits vorher die Beschlagnahme und Veräußerung der Sache erfolgten (die Reihenfolge von Beschlagnahme und Veräußerung ist unerheblich), hilft dem Erwerber der Sache die Unkenntnis von der grundpfandrechtlichen Belastung nicht (§ 1121 Abs. 2 S. 1 BGB). Eine Enthaftung tritt dann jedoch gemäß § 1121 Abs. 2 S. 2 BGB ein, wenn der Erwerber bei der Entfernung hinsichtlich der Beschlagnahme gutgläubig war. Nicht anwendbar ist in dieser Fallkonstellation die Enthaftung nach Maßgabe der §§ 136, 135 Abs. 2, 936 BGB, da diese Normen auf eine rechtsgeschäftliche Verfügung abstellen, die Entfernung aber eine tatsächliche Handlung darstellt; insofern war eine ergänzende Regelung der Gutgläubigkeit durch § 1121 Abs. 2 S. 2 BGB erforderlich (jurisPK/Reischl, § 1121 Rn. 20). Zu beachten ist dabei allerdings, dass nach § 23 Abs. 2 S. 2 ZVG die Beschlagnahme als bekannt gilt (ohne dass es auf die tatsächliche Kenntnis des Betroffenen ankommt), sobald der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch eingetragen wurde. Der gute Glaube des Erwerbers wird demnach regelmäßig zu verneinen sein, sodass eine Enthaftung nach § 1121 Abs. 2 S. 2 BGB praktisch selten in Betracht kommt. 11.2.5.3.2.2 Veräußerung nach Beschlagnahme und Entfernung Wird die mithaftende Sache veräußert, nachdem bereits vorher die Beschlagnahme und Entfernung der Sache vom Grundstück erfolgte (die Reihenfolge von Beschlagnahme und Entfernung ist wiederum unerheblich), tritt Enthaftung unter den Voraussetzungen der §§ 136, 135 Abs. 2, 932 ff. BGB ein. Der gute Glaube des Erwerbers muss sich dabei auf die Beschlagnahme der Sache beziehen, die alleineige Gutgläubigkeit bezüglich der Zugehörigkeit zum Haftungsverband bzw. der grundpfandrechtlichen Belastung ist nicht ausreichend (jurisPK/Reischl, § 1121 Rn. 28; a. A. Palandt/Bassenge, § 1121 Rn. 7 a. E.). Aber auch hier ist die Enthaftung wegen der durch § 23 Abs. 2 S. 2 ZVG angeordneten Fiktion der Bösgläubigkeit praktisch kaum möglich. Erfolgte die Entfernung vor Beschlagnahme, ist jedoch zusätzlich eine Enthaftung nach § 1122 Abs. 1, 2 BGB möglich. Zusammenfassend und vereinfacht lässt sich also sagen: Vor der Beschlagnahme führen Veräußerung und Entfernung immer zur Enthaftung, nach der Beschlagnahme nur äußerst ausnahmsweise.
11.2 Grundpfandrechte
889
Übersicht: Enthaftung nach §§ 1121, 1122 BGB Veräußerung und Entfernung vor eventueller Beschlagnahme.
Entfernung als letzte Handlung, nachdem bereits Beschlagnahme und Veräußerung erfolgte.
Veräußerung als letzte Handlung, nachdem bereits Beschlagnahme und Entfernung erfolgte.
Fälle:* V – E (– B) und E – V (– B)
Fälle:* V – B – E und B – V – E
Fälle:* E – B – V und B – E – V
a) Enthaftung nach § 1121 Abs. 1 BGB ohne weitere Voraussetzungen.
Enthaftung nach § 1121 Abs. 2 BGB; Voraussetzung: Gutgläubigkeit des Erwerbers bei Entfernung bzgl. Beschlagnahme.
a) Enthaftung nach §§ 136, 135 Abs. 2, 932 ff. BGB; Voraussetzung: Gutgläubigkeit des Erwerbers bei Veräußerung bzgl. Beschlagnahme.
b) Enthaftung durch bloße Entfernung unter den Voraussetzungen des § 1122 BGB auch ohne Veräußerung.
§ 1122 BGB greift nicht, da Entfernung nach Beschlagnahme.
b) Zusätzlich: Enthaftung unter den Voraussetzungen des § 1122 BGB.
*) V = Veräußerung, E = Entfernung, B = Beschlagnahme; vgl. auch Prütting, Rn. 656 ff.; Palandt/Bassenge, § 1121 Rn. 5 ff.
11.2.5.3.3
Anwartschaftsrecht
Sehr umstritten ist die Frage, ob ein mithaftendes Anwartschaftsrecht des Grundstückseigentümers an unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sachen wieder aus dem Haftungsverband herausfällt, indem Veräußerer und Erwerber (Grundstückseigentümer) ohne Zustimmung des Grundpfandrechtsinhabers das Anwartschaftsrecht vertraglich aufheben oder der Grundstückseigentümer das Anwartschaftsrecht veräußert (bejahend BGH, NJW 1985, 376: keine analoge Anwendung von § 1276 Abs. 1 BGB; vgl. dazu Vieweg/Werner, § 15 Rn. 23, und Baur/Stürner, § 59 Rn. 37). 11.2.5.3.4
Miet- und Pachtzinsforderungen
Auch Miet- und Pachtzinsforderungen des Grundstückseigentümers unterliegen nicht ewig der potentiellen Haftung für Grundpfandrechte. Maßgebliche Enthaftungstatbestände sind insofern der Zeitpunkt, in dem die jeweilige Forderung fällig wird (§ 1123 Abs. 2 BGB), und Verfügungen des Eigentümers über die mithaftenden Forderungen (§ 1124 BGB). Beschränkt werden die Möglichkeiten der Enthaftung wiederum ab dem Zeitpunkt, in dem zugunsten des Grundpfandrechtsinhabers die Zwangsverwaltung (nicht: Zwangsversteigerung; §§ 146 Abs. 1 S. 1, 21 Abs. 2 ZVG) angeordnet wurde (Beschlagnahme). 11.2.5.3.4.1 Enthaftung durch Zeitablauf In zeitlicher Hinsicht werden diejenigen Miet- und Pachtzinsforderungen von der Haftung frei, die im Zeitpunkt der Beschlagnahme bereits länger als ein Jahr fällig sind, § 1123 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Beschlagnahme umfasst also nur Forderungsrückstände, die seit höchstens einem Jahr fällig sind. § 1123 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BGB schränkt dies für Vorauszahlungen ein. Eine Enthaftung von im Voraus zu entrichtender Miete oder Pacht (z. B. § 556b BGB) erstreckt sich nicht auf die Miete oder Pacht, die auf die Zeit nach der Beschlagnahme entfällt. Haftet die Forderung demnach dem Grundpfandrecht, so kann der Grundpfandrechtsgläubiger auf sie zugreifen, d. h. der Mieter oder Pächter hat dann an den Zwangsverwalter zu leisten.
890
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Beispiel 1: Mieter M schuldet dem Grundstückseigentümer E monatliche Mietzahlungen, mit denen er im Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsverwaltung über das Grundstück des E (Beschlagnahme) seit 18 Monaten im Rückstand ist. Die Beschlagnahme umfasst nach § 1123 Abs. 2 S. 1 BGB nur die Mietrückstände der vorangegangenen zwölf Monate. Die übrigen sechs Monatsmieten stehen uneingeschränkt dem E zu. Beispiel 2: M schloss mit E einen Mietvertrag, nach dem die Miete am 01.01.2011 für zwei Jahre im Voraus zu bezahlen ist. M bleibt die Zahlung bislang schuldig. a) Erfolgt die Beschlagnahme am 31.12.2011, haftet die Mietforderung in vollem Umfang. b) Bei Beschlagnahme am 03.02.2012 ist die gesamte Miete für zwei Jahre zwar bereits seit über einem Jahr fällig, wegen § 1123 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BGB wird jedoch entgegen § 1123 Abs. 2 S. 1 BGB nicht die gesamte Mietforderung von der Haftung frei, sondern die Mietforderungen für die Zeit ab dem 01.03.2012 haften weiterhin. c) Erfolgt die Beschlagnahme am 18.02.2012, so haftet noch der auf April bis Dezember 2012 entfallende Betrag der im Voraus zu entrichtenden Miete, § 1123 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 und 2 BGB. 11.2.5.3.4.2 Enthaftung durch Verfügung Eine Enthaftung von Miet- und Pachtforderungen kommt auch in Betracht, wenn der Grundstückseigentümer und Vermieter/Verpächter hierüber verfügt. Als Verfügung kommen insbesondere in Betracht die Einziehung der Forderung durch den Grundstückseigentümer, die Abtretung der Forderung an einen Dritten oder die Belastung der Forderung durch ein Pfandrecht (Palandt/Bassenge, § 1124 Rn. 1). Einziehung umfasst dabei alle Erfüllungstatbestände, namentlich Zahlung (§ 362 Abs. 1 BGB), Aufrechnung (§ 389 BGB), Erlass (§ 397 Abs. 1 BGB) und Einziehung durch Zwangsvollstreckung (jurisPK/Reischl, § 1124 Rn. 7). Nach dem Grundsatz des § 1124 Abs. 1 BGB sind solche Verfügungen vor Beschlagnahme dem Grundpfandrechtsinhaber gegenüber wirksam und führen zur Enthaftung. Im Falle der bloßen Belastung etwa mit einem Pfandrecht zugunsten eines Dritten tritt zwar keine Enthaftung der belasteten Forderung ein, jedoch geht dann nach § 1124 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 BGB das Recht des Dritten an der Forderung dem Recht des Grundpfandrechtsinhabers vor, das mit der Einziehung der Forderung durch den Dritten erlischt. Dem Grundpfandrechtsinhaber bleibt dann nur ein Zugriff auf den Betrag, um den die belastete Forderung bzw. der Erlös hieraus das Recht des Dritten übersteigt. Die Enthaftungsregelung des § 1124 Abs. 1 BGB ermöglicht jedoch im Fall der Abtretung auch missbräuchliches Verhalten: So führt der Rückerwerb einer vor Beschlagnahme abgetretenen und infolgedessen nach § 1124 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 BGB enthafteten Miet- oder Pachtforderung durch den Grundstückseigentümer nicht dazu, dass diese Forderung wieder in den Haftungsverband zurückfällt; die Forderung bleibt enthaftet (vgl. jurisPK/Reischl, § 1124 Rn. 15). Der Grundsatz der Enthaftung nach § 1124 Abs. 1 BGB wird in den Fällen des Abs. 2 für sog. Vorausverfügungen durchbrochen. Demnach ist eine Verfügung über die Miet- oder Pachtforderung gegenüber dem Grundpfandrechtsinhaber unwirksam und führt nicht zur Enthaftung, soweit sich die Verfügung auf Miet- und Pachtforderungen nach Beschlagnahme erstreckt. Nach § 1124 Abs. 1 BGB ursprünglich wirksame (Voraus-)Verfügungen über Miete und Pacht mit haftbefreiender Wirkung können also bei späterer Beschlagnahme nachträglich unwirksam werden und die betroffene Forderung kann wieder in den Haftungsverband zurückfallen. Im Falle der Vorausabtretung ist der im Hinblick auf Haftung oder Beschlagnahme
11.2 Grundpfandrechte
891
gutgläubige Erwerber der Forderung auch nicht nach § 135 Abs. 2 BGB geschützt, da ein gutgläubiger Forderungserwerb nicht möglich ist. Ein Wiederaufleben der Haftung nach § 1124 Abs. 2 BGB kommt auch dann in Betracht, wenn das Grundpfandrecht, aus dem die Beschlagnahme erwirkt wurde, erst nach der Vorausabtretung begründet wurde (BGH, NJWRR 2005, 1466). § 1124 Abs. 2 BGB findet auch Anwendung auf die Beschlagnahme einer Forderung durch einen nachrangigen Grundpfandrechtsgläubiger, wenn die Forderung zuvor an einen bevorrechtigten Grundpfandrechtsgläubiger abgetreten wurde (BGH, a. a. O.). Beispiel (nach Baur/Stürner, § 39 Rn. 52): E hat sein Gebäude an M vermietet. Der Mietvertrag sieht vor, dass M die Miete jeweils monatlich im Voraus zu zahlen hat. Wegen einer Verbindlichkeit gegenüber D tritt E im Dezember 2011 die Mietforderungen für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2012 erfüllungshalber an D ab. Am 23.04.2012 wird zugunsten des Grundschuldinhabers G die Zwangsverwaltung über das Gebäude angeordnet (Beschlagnahme). Die Abtretung ist nach erfolgter Beschlagnahme wegen § 1124 Abs. 2 (Halbs. 2) BGB unwirksam, soweit sie die Miete für die Monate Juni bis Dezember 2012 umfasst. M muss daher beginnend mit der Juni-Miete an den Zwangsverwalter zahlen. Hat M diese Mieten, ohne hierzu verpflichtet zu sein, dem E bereits vorausgezahlt, müsste er sie erneut an G zahlen. – Anders aber, wenn im Mietvertrag eine Einmalzahlung vereinbart wird, die nicht auf der Grundlage periodischer Zeitabschnitte (etwa Monate oder Jahre) bemessen wird (BGH, NJW 2007, 2919): Die Mietforderung erlischt dann insgesamt mit der Zahlung des „Einmalbetrags“; wenn sie vor Beschlagnahme erfolgt, ist sie nach § 1124 Abs. 1 S. 1 BGB dem Grundpfandrechtsinhaber gegenüber wirksam. Für die Zeit nach der Beschlagnahme gelten § 23 ZVG, §§ 136, 135 BGB. Verfügungen des Eigentümers über Miet- und Pachtforderungen nach Beschlagnahme sind daher gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 BGB dem Grundpfandrechtsinhaber gegenüber (relativ) unwirksam. Der in Unkenntnis von der Beschlagnahme weiterhin an den Grundstückseigentümer zahlende Mieter oder Pächter ist jedoch durch §§ 22 Abs. 2 S. 2, 146 Abs. 1 ZVG geschützt und kann bis zur Kenntnis von der Beschlagnahme mit befreiender Wirkung an den Vermieter oder Verpächter leisten; der Grundpfandrechtsinhaber muss in diesem Fall wegen der zu Unrecht an den Eigentümer geleisteten Zahlungen gegen diesen nach §§ 812 Abs. 1 S. 1, 816 Abs. 2 BGB vorgehen. Eine Möglichkeit des gutgläubigen (lastenfreien) Erwerbs (§ 135 Abs. 2 BGB) besteht bei Forderungen nach §§ 398 ff. BGB – im Gegensatz zu beweglichen Sachen, §§ 932 ff. BGB – nicht; eine Enthaftung durch Abtretung der Forderung nach Beschlagnahme kommt daher nie in Betracht und die Abtretung bleibt gegenüber dem Grundpfandrechtsinhaber unwirksam. Zieht der Abtretungsempfänger (Zessionar) die Miete ein, stehen dem Grundpfandrechtsinhaber gegen ihn die Ansprüche aus §§ 812 Abs. 1 S. 1, 816 Abs. 2 BGB zu (jurisPK/Reischl, § 1124 Rn. 33; OLG Hamm NJW-RR 1989, 1421; a. A. Palandt/Bassenge, § 1124 Rn. 3).
11.2.6
Grundschuld
Das BGB widmet sich in lediglich acht Paragrafen (§§ 1191–1198) der Grundschuld und erklärt darüber hinaus in § 1192 Abs. 1 die für die Hypothek geltenden Vorschriften der §§ 1113–1190 BGB für anwendbar, soweit sich nicht daraus etwas anderes ergibt, dass die Grundschuld im Gegensatz zur Hypothek nicht von einer Forderung abhängig ist. Mit anderen Worten: Es gelten die §§ 1113 ff. BGB mit Ausnahme derjenigen Vorschriften, die speziell Ausdruck des Akzessorietätsverhältnisses der Hypothek zur gesicherten Forderung sind. Welche dieser Normen auf die Grundschuld (nicht) anwendbar sind, ist etwa der Kommen-
892
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
tierung bei Palandt/Bassenge, jeweilige letzte Rn. zu §§ 1114 ff. BGB zu entnehmen. Die Verweisungstechnik des § 1192 Abs. 1 BGB wirkt zwar zunächst etwas abschreckend, andererseits erleichtert der Verzicht auf die Bindung der Grundschuld an eine Forderung das Verständnis des Grundschuldrechts im Vergleich zum Hypothekenrecht. 11.2.6.1
Sicherungsabrede
11.2.6.1.1
Funktion
Aus der gesetzlich angelegten Unabhängigkeit der Grundschuld von einer Forderung ergibt sich nur scheinbar das bedrohliche Bild, in dem der Sicherungsnehmer kraft seiner Rechtsmacht aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB in ein Grundstück vollstreckt, obwohl ihm möglicherweise eine Forderung gar nicht (mehr) zusteht (was bei der Hypothek nicht möglich wäre, da sie sich bei Nichtbestehen oder Erlöschen der zu sichernden Forderung automatisch in eine dem Grundstückseigentümer zustehende Eigentümergrundschuld verwandelt). Hier beruhigt aber die Erkenntnis, dass in der Praxis nahezu ausschließlich auch die Grundschuld wie die Hypothek nach dem Willen der Parteien die Sicherung einer Forderung bezweckt. Bereits aus der Vereinbarung dieser Zweckbindung und aus weiteren Abreden, die die Parteien anlässlich der Grundschuldbestellung vereinbaren (sog. Sicherungsabrede), ergeben sich so weitreichende Gegenrechte des Sicherungsgebers, die die „ungebändigte“ Ausübung der Rechte aus der Grundschuld verhindern: „die Sicherungsabrede ersetzt also bei der Grundschuld die gesetzlichen Akzessorietätsregeln der Hypothek“ (Baur/Stürner, § 36 Rn. 77a, § 45 Rn. 9 ff.; zur „Nachahmung der Forderungsakzessorietät“ auch jurisPK-BGB/Reischl, § 1191 Rn. 22 f.) und schafft so zumindest eine schuldrechtliche Abhängigkeit der Grundschuld von der zu sichernden Forderung, durch die die weitgehende Rechtsmacht des Grundschuldinhabers aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB im Innenverhältnis der Parteien der Sicherungsabrede einer treuhänderischen Bindung unterworfen wird (Vieweg/Werner, § 15 Rn. 89; Clemente, Rn. 306). Eine derart sicherungszweckgebundene Grundschuld wird als Sicherungsgrundschuld (siehe die Legaldefinition in § 1192 Abs. 1a BGB) bezeichnet. Indem durch die Sicherungsabrede eine gewisse Verknüpfung von Grundschuld und Forderung hergestellt wird, nähert sich die Sicherungsgrundschuld dem akzessorischen Charakter der Hypothek weitgehend an; erreicht aber wegen der lediglich schuldrechtlich begründeten Verknüpfung nicht den Grad an Abhängigkeit, der bei der gesetzlich angelegten Akzessorietät der Hypothek besteht. Immerhin kann aber die Sicherungsgrundschuld nach h. M. im Wege der Privatautonomie nicht (aufschiebend oder auflösend) bedingt vom Bestehen der Forderung abhängig gemacht werden, was auf eine totale Forderungsabhängigkeit hinausliefe, die nach dem gesetzlichen Leitbild eben nur der Hypothek zukommen soll, und damit dem sachenrechtlichen Prinzip des Typenzwangs bzw. der Typenfixierung widerspräche (Wolf/Wellenhofer, § 28 Rn. 17; Baur/Stürner, § 45 Rn. 40). 11.2.6.1.2
Rechtsnatur
Bei der Sicherungsabrede handelt es sich ihrer Rechtsnatur nach um eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Sicherungsnehmer (Grundstückseigentümer) und Sicherungsgeber (Grundschuldinhaber) mit treuhänderischem Charakter; sie ist wegen der Relativität der Schuldverhältnisse grundsätzlich auf eine Wirkung „inter partes“, d. h. zwischen Sicherungsgeber und -nehmer begrenzt. Die Sicherungsabrede ist kein gesetzlich geregelter Vertragstyp, sondern ein Vertrag „sui generis“, der kraft der Vertragsfreiheit der Parteien aus §§ 241,
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311 Abs. 1 BGB geschlossen wird. Mangels gesetzlichen Leitbilds sind die Parteien bei der Ausgestaltung des Inhalts in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB frei. Formularmäßige Vereinbarungen unterliegen der Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB; § 307 Abs. 1, 2 und §§ 308, 309 BGB sind wegen § 307 Abs. 3 S. 1 BGB jedoch nicht anwendbar (BGH, NJW 2002, 2710; str., s. Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 42; Clemente, Rn. 487). Da ein gesetzlicher Formzwang nicht besteht, kann die Sicherungsabrede auch mündlich, zumindest aber konkludent abgeschlossen werden, wovon regelmäßig dann auszugehen ist, wenn eine Grundschuldbestellung im Zusammenhang mit einer Darlehensgewährung erfolgt (Wolf/Wellenhofer, § 28 Rn. 21). Allein schon aus Beweisgründen wird aber eine schriftliche Fixierung unerlässlich sein (vgl. auch BGH, NJW 1990, 576: „Für wichtige Verträge, wie sie Sicherungsabreden über die Bestellung einer Grundschuld in aller Regel darstellen, wird insbesondere im Verkehr mit Banken eine Beurkundungsvereinbarung im Sinne von § 154 Abs. 2 BGB vermutet. Das bedeutet, dass im Zweifel der Sicherungsvertrag erst mit der Beurkundung und nicht schon mit den mündlichen Absprachen geschlossen worden ist“). In seltenen Fällen kann sich aber eine Beurkundungspflicht nach § 311b Abs. 1 BGB ergeben, wenn die Sicherungsabrede im rechtlichen Zusammenhang mit dem beurkundungspflichtigen Grundstückskauf steht; was dann der Fall ist, wenn die Vereinbarungen nach dem Willen der Vertragsparteien derart voneinander abhängig sind, dass sie „miteinander stehen und fallen sollen“ (BGH, NJW 1994, 2885). Von einem solchen Abhängigkeitsverhältnis wird aber nicht schon dann auszugehen sein, wenn Grundstücksverkäufer und Sicherungsnehmer (Darlehensgläubiger) personenverschieden sind. Die Sicherungsabrede ist kein gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB, sondern ein den Sicherungsgeber einseitig verpflichtender Vertrag. Ein Gegenseitigkeitsverhältnis ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhang mit einem Darlehensvertrag, da ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Pflicht zur Darlehensgewährung und der Pflicht zur Bestellung von Sicherheiten nicht besteht (Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 27; str., a. A. Palandt/Weidenkaff, Vorb. v. § 488 Rn. 2): Der Darlehensgeber gewährt Kredit, nicht weil er dafür Sicherheit bekommt, sondern weil er hierfür Zinsen verlangen kann. Dem Anspruch des Sicherungsnehmers auf Grundschuldbestellung kann daher allenfalls die Einrede des § 273, nicht aber des § 320 BGB entgegengehalten werden. 11.2.6.1.3
Inhalt
In der Sicherungsabrede regeln die Parteien – in aller Regel formularmäßig – mehr oder weniger umfangreich vor allem die folgenden Fragen in grundsätzlich freier Vereinbarung (s. auch Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 17):
Welche Sicherheit(en) soll(en) mit welchem Rang bestellt werden? – Unter welchen Voraussetzungen sind zusätzliche Sicherheiten zu leisten? Durch die Sicherungsabrede verpflichtet sich der Sicherungsgeber zur Bestellung der vereinbarten Sicherheit(en). Als Sicherheit in Betracht kommen neben der Bestellung von Grundpfandrechten wie Grundschuld oder Hypothek auch die Sicherungsübereignung oder Verpfändung beweglicher Sachen und die Sicherungsabtretung oder Verpfändung von Forderungen und anderen Rechten (etwa Gesellschaftsanteile). Insbesondere bei längerfristigen Laufzeiten kann in der Sicherungsabrede geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen weitere Sicherheiten zu bestellen sind oder aber bereits bestellte Sicherheiten wieder freizugeben sind.
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Welche Forderung(en) soll(en) hierdurch in welcher Höhe gesichert werden? Der Sicherungszweck kann sich auf eine konkrete Forderung beschränken; zulässig ist aber auch eine formularmäßige Vereinbarung, wonach die Grundschuld „zur Sicherung aller gegenwärtigen und künftig bestehenden oder neu entstehenden Forderungen“ dient (BGH, NJW 1987, 2228). Eine derart weitreichende, flexible Zweckbestimmung wäre bei der Hypothek nicht zulässig: Diese kann nur für eine nach Gläubiger und Schuldner, Leistungsgegenstand und Schuldgrund hinreichend individualisierte Forderung bestellt werden (Palandt/Bassenge, § 1113 Rn. 9). Die Parteien haben die Möglichkeit, die Sicherungszweckbestimmung auch nachträglich formfrei zu ändern, erweitern oder begrenzen. Insbesondere kann die zu sichernde Forderung ausgewechselt werden oder die Sicherung weiterer Forderungen durch die Grundschuld vereinbart werden (vgl. dagegen den nur für die Hypothek geltenden § 1180 BGB).
Unter welchen Umständen darf der Grundschuldinhaber seine Rechte aus der Grundschuld ausüben? Zur Verwertung der Grundschuld gemäß §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB ist der Inhaber erst bei deren Fälligkeit berechtigt (sog. „Verwertungsreife“ oder „Pfandreife“). Unter welchen Voraussetzungen – insbesondere im Hinblick auf Zahlungsrückstände – diese eintritt, unterliegt nach § 1193 Abs. 2 S. 1 BGB der freien Vereinbarung der Parteien. Bei der Sicherungsgrundschuld sind jedoch gemäß § 1193 Abs. 2 S. 2 BGB die zwingenden Vorgaben des § 1193 Abs. 1 BGB einzuhalten. Da § 1193 Abs. 2 S. 2 BGB dem Schutz des Eigentümers dient, sind jedoch für ihn günstige Abweichungen von § 1193 Abs. 1 BGB zulässig (Palandt/Bassenge, § 1193 Rn. 3; a. A. jurisPK-BGB/Reischl, § 1193 Rn. 8). Beachte: Die nach § 1193 Abs. 1 BGB erforderliche Kündigung der Grundschuld darf nicht mit der Kündigung des zu sichernden Darlehensvertrags verwechselt werden. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Erklärung (schuldrechtliche Gestaltungserklärung einerseits, Verfügungsgeschäft über die Grundschuld andererseits); insbesondere stellt die Kündigung des Darlehensvertrags nicht automatisch auch eine Kündigung der Grundschuld dar. Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ist der Sicherungsgrundschuldinhaber bereits allein wegen des Sicherungszwecks und seiner treuhänderischen Gebundenheit zur Rücksichtnahme gegenüber dem Eigentümer verpflichtet und darf aus der Grundschuld erst vorgehen, wenn die gesicherte Forderung nicht freiwillig rechtzeitig befriedigt wird (Wolf/Wellenhofer, § 28 Rn. 26).
Ist der Grundschuldinhaber berechtigt, Forderung und/oder Grundschuld an Dritte zu übertragen? – Sog. „freihändige Verwertung“ durch z. B. Verkauf an Dritte Regelungsbedürftig ist zudem die Verfügungsmacht des Gläubigers und Grundschuldinhabers über Forderung und Grundschuld. Denn kraft seiner gesetzlich bestehenden Rechtsmacht kann er über Forderung (§§ 398 ff. BGB) und Grundschuld (§§ 1154 ff., 1192 Abs. 1 BGB) frei und auch unabhängig voneinander verfügen und diese zusammen oder getrennt voneinander an verschiedene Dritte übertragen; nach h. M. greift das Abtretungsverbot des § 399 Alt. 1 BGB nicht (str., BGH, NJW-RR 1991, 305). Es besteht zwar die Möglichkeit, sowohl die gemeinsame wie auch die isolierte Abtretung von Forderung und/oder Grundschuld an Dritte vertraglich auszuschließen, mit der Folge, dass eine dennoch erfolgte Abtretung gemäß §§ 399 Alt. 2, 413 BGB unwirksam ist. Ohne
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eine entsprechende Vereinbarung ist sowohl die gemeinsame als auch die getrennte Abtretung von Grundschuld und Forderung daher rechtswirksam: 1) Gemeinsame Abtretung Im Fall der gemeinsamen Übertragung von Forderung und Grundschuld bleiben die beiden Rechte auch künftig in der Hand einer Person. Zur gemeinsamen Abtretung ist der Gläubiger/Grundschuldinhaber mangels entgegenstehender Vereinbarung mit dem Schuldner/Eigentümer diesem gegenüber grundsätzlich berechtigt (§ 399 Alt. 2 BGB; kritisch aber Clemente, Rn. 634 ff.). Der Abtretung einer Darlehensforderung steht auch das Bankgeheimnis nicht entgegen (BGH, NJW 2007, 2106). Einwendungen und Einreden kann der Schuldner/Eigentümer dem neuen Gläubiger/Grundschuldinhaber sowohl gegen die Forderung gemäß § 404 BGB als auch gegen die Grundschuld gemäß §§ 1157 S. 1, 1192 Abs. 1 BGB im gleichen Umfang entgegenhalten wie dem bisherigen Gläubiger/Grundschuldinhaber. Da §§ 1157 S. 2 BGB nach dem neuen § 1192 Abs. 1a S. 1 Halbs. 1, 2 BGB auf die Sicherungsgrundschuld keine Anwendung findet, ist sogar ein gutgläubiger einredefreier Erwerb der Sicherungsgrundschuld nicht möglich. 2) Isolierte Abtretung Im Fall der sog. „isolierten Abtretung“ der Grundschuld oder der Forderung ergibt sich für den Schuldner und Eigentümer die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme durch die nunmehr personenverschiedenen Gläubiger und Grundschuldinhaber. Dass der Grundschuldinhaber Forderung und Grundschuld isoliert voneinander abtreten kann, ergibt sich aus der ihm gesetzlich eingeräumten Rechtsmacht, die die Grundschuld eben nicht an eine Forderung bindet – vgl. dagegen § 1153 BGB für die Hypothek, der wegen § 1192 Abs. 1 BGB nicht für die gesetzlich forderungsunabhängige Grundschuld gilt (ebenso gilt § 401 Abs. 1 BGB nicht für die Grundschuld). Allerdings: Bereits aus der Sicherungszweckbindung der Grundschuld folgt regelmäßig die Pflicht des Grundschuldinhabers und Gläubigers gegenüber dem Sicherungsgeber, Grundschuld und Forderung nicht getrennt voneinander an Dritte zu übertragen (Vieweg/Werner, § 15 Rn. 98; jurisPK-BGB/Reischl, § 1191 Rn. 24 ff., 138 ff.). Diese Pflicht ist aber lediglich schuldrechtlicher Natur und hat damit nur Wirkung „inter partes“, d. h. zwischen Sicherungsgeber und -nehmer. Sie vermag daher nicht die nach außen bestehende, weiterreichende gesetzliche Rechtsmacht des Grundschuldinhabers mit Wirkung gegenüber Dritten einzuschränken, sodass auch sicherungsvertragswidrige isolierte Abtretungen wirksam sind. Die pflichtwidrige Abtretung begründet für den Sicherungsgeber jedoch einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB (z. B. bei doppelter Inanspruchnahme). Veräußert der Grundschuldinhaber die Grundschuld isoliert, so erlischt die Forderung in Höhe des erzielten Erlöses; veräußert er die Forderung isoliert, hat sich der Sicherungszweck der Grundschuld erledigt und der Sicherungsgeber hat einen Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld (dazu sogleich).
Was soll für den Fall gelten, dass die zu sichernde Forderung nicht entsteht oder erlischt? Der Sicherungszweck kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen: Die zu sichernde Forderung mag etwa infolge Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) oder nach §§ 134, 138 BGB von Anfang an nichtig sein oder später durch Aufrechnung (§ 389 BGB) oder Er-
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung füllung (§ 362 Abs. 1 BGB) erloschen sein oder die Darlehensforderung gelangt gar nicht zur Entstehung, weil endgültig feststeht, dass das Darlehen nicht in Anspruch genommen werden soll. In allen Fällen kann der Gläubiger keine Zahlung (mehr) vom Schuldner verlangen, sodass auch keine Notwendigkeit einer Sicherung mehr besteht. Der Wegfall des Sicherungszwecks hat aber nicht automatisch Auswirkung auf den Fortbestand der Grundschuld in der Hand des Sicherungsnehmers: Weder „erlischt“ die Grundschuld noch fällt sie an den Sicherungsgeber zurück (§ 1163 Abs. 1 S. 1 BGB findet wegen § 1192 Abs. 1 BGB keine Anwendung). Vielmehr steht in diesen Fällen dem Sicherungsgeber ein Anspruch auf Freigabe der Sicherheit zu (sog. Rückgewähranspruch), der sich – sofern nicht bereits ausdrücklich oder unwirksam sicherungsvertraglich vereinbart – jedenfalls auch aus dem Sicherungszweck bzw. einer ergänzenden Auslegung der Sicherungsabrede ergibt (str., s. Baur/Stürner, § 45 Rn. 26). Der Anspruch ist nach Wahl des Sicherungsgebers gerichtet auf Rückübertragung (§§ 1154, 1192 Abs. 1 BGB) der Grundschuld auf den Eigentümer oder einen Dritten, Verzicht (§§ 1168 f., 1192 Abs. 1 BGB) oder Aufhebung (§§ 1183, 1192 Abs. 1, 875 BGB). Beachte aber § 216 Abs. 1, 2 S. 1 BGB: Dem Anspruch des Grundschuldinhabers aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB kann nicht die Verjährung der gesicherten Forderung entgegengehalten werden; auch scheidet ein Rückübertragungsanspruch des Eigentümers allein aus diesem Grund aus.
Musterbeispiele für eine Sicherungsabrede finden sich z. B. bei Baur/Stürner, Anhang 4a, und Clemente, Anhang I.3. 11.2.6.1.4
Abgrenzung
Die Sicherungsabrede darf nicht verwechselt werden mit den damit im Zusammenhang stehenden anderen Rechtsgeschäften des Darlehensvertrags und der Grundschuldbestellung: Mit dem Darlehensvertrag ist die Sicherungsabrede nicht identisch und bildet mit ihm insbesondere auch keine rechtliche Einheit im Sinne des § 139 BGB (Clemente, Rn. 288) – auch, wenn die beiden Vereinbarungen textlich und räumlich zusammengefasst in einem einheitlichen Dokument niedergelegt sind (vgl. z. B. das Musterbeispiel eines Darlehensvertrags bei Baur/Stürner, Anhang 5, wo die Vereinbarungen zu Sicherheiten unter den Ziffern I.7 und II.8 streng genommen Teil der Sicherungsabrede sind). Die Sicherungsabrede ist Anspruchsgrundlage, aufgrund derer der Sicherungsnehmer vom Sicherungsgeber die Bestellung der vereinbarten Grundschuld verlangen kann, und der Rechtsgrund dafür, dass der Gläubiger die Grundschuld behalten darf. Allein aus einem Darlehensvertrag ergibt sich kein Anspruch des Gläubigers auf Bestellung von Sicherheiten. Der Darlehensgeber kann den Abschluss des Darlehensvertrags zwar von der Bereitschaft des Darlehensnehmers zur Stellung von Sicherheiten abhängig machen – rechtlich beanspruchen kann er die Sicherheitenbestellung aber erst, wenn der Schuldner ihm das sicherungsvertraglich versprochen hat. Bei der Grundschuldbestellung schließlich handelt es sich um das dingliche Erfüllungsgeschäft der Verpflichtung des Eigentümers aus der Sicherungsabrede. Es handelt sich um eine Verfügung, da dadurch ein Recht begründet bzw. übertragen wird (zur Unterscheidung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft s. Palandt/Ellenberger, Überbl. v. § 104 Rn. 15 f.; Vieweg/Werner, § 13 Rn. 13 ff.). Das Verhältnis Sicherungsabrede – Grundschuldbestellung
11.2 Grundpfandrechte
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ist damit vergleichbar dem Verhältnis Kaufvertrag – Übereignung: Durch den Kaufvertrag (die Sicherungsabrede) verpflichtet sich der Verkäufer (der Sicherungsgeber), dem Käufer (dem Sicherungsnehmer) die verkaufte Sache (die Sicherheit) zu übereignen (zu bestellen). 11.2.6.2
Beteiligte und Rechtsbeziehungen
11.2.6.2.1
Zwei-Personen-Verhältnis
Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass bereits in der einfachsten Fallkonstellation eines Zwei-Personen-Verhältnisses drei verschiedene Regelungsebenen auseinanderzuhalten sind (s. auch Prütting, Rn. 618), was veranschaulicht werden soll durch folgendes Beispiel: G gewährt dem S ein Darlehen. Zur Sicherung des Anspruchs auf Darlehensrückzahlung bestellt S dem G, wie bereits bei Abschluss des Darlehensvertrags vereinbart, eine Grundschuld an seinem Grundstück. Es sind folgende Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: G und S sind Parteien eines schuldrechtlichen Forderungsverhältnisses (konkret: § 488 Abs. 1 S. 2 BGB). – Bei der Vereinbarung, dass S dem G Sicherheit in Gestalt einer Grundschuld leisten wird, handelt es sich um die Sicherungsabrede (§§ 241, 311 Abs. 1 BGB). – Schließlich hat S dem G in Erfüllung seiner Verpflichtung aus der Sicherungsabrede eine Grundschuld bestellt; G ist dadurch Grundschuldinhaber geworden. Gläubiger und Grundschuldinhaber sind personenidentisch, ebenso Schuldner und Sicherungsgeber (Eigentümer). Ansprüche des G gegen S: § 488 Abs. 1 S. 2 und §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB 11.2.6.2.2
Personenverschiedenheit von Schuldner und Sicherungsgeber
Schuldner eines Zahlungsanspruchs und Sicherungsgeber müssen nicht identisch sein. Beispiel: G gewährt dem S ein Darlehen. S bietet jedoch keine ausreichenden Sicherheiten. Auf Bitte des S bestellt daher sein Bekannter E, der Eigentümer eines Grundstücks ist, dem G an diesem Grundstück eine Grundschuld zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs. Auch hier sind G und S Parteien eines Darlehensvertrags, kraft dessen G den S gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB auf Zahlung in Anspruch nehmen kann – mehr aber auch nicht. Für die Erfüllung des Anspruchs haftet S mit seinem gesamten Vermögen; er wird deshalb auch als „persönlicher Schuldner“ bezeichnet. Parteien der Sicherungsabrede sind G und E. Gegen E hat G „nur“ einen Anspruch aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB, dessen Ausübung freilich durch die Sicherungsabrede an die Entwicklung des Forderungsverhältnisses G – S gebunden ist. Wenn E auf die Bitte des S dem G eine Grundschuld bestellt hat, so wird er dies in den seltensten Fällen aus reiner Gefälligkeit getan haben. Sollte G mit seiner Forderung gegen S ausfallen und zahlt E den von S geschuldeten Betrag an G, um die drohende Zwangsvollstreckung in sein Grundstück zu verhindern, wird E von Anfang an ein Interesse daran haben, sich bei S schadlos halten zu können – dieser könnte ja früher oder später wieder zahlungskräftig werden. In der Regel wird es sich bei dem Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Grundstückseigentümer um einen Auftrag gemäß §§ 662 ff. BGB oder eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 BGB handeln (Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 18), so dass der Eigentümer zumindest aufgrund § 670 BGB (ggf. i. V. m. §§ 677, 683 BGB) beim Schuldner Rückgriff nehmen kann. In gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen
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zwischen Grundstückseigentümer (Gesellschafter) und Schuldner (Gesellschaft) kann es sich bei der Grundschuldbestellung für fremde Schuld auch um ein kapitalersetzendes Darlehen oder eine Sacheinlage handeln (vgl. z. B. BGH, NJW 2001, 1490; NJW-RR 2002, 455). Auch eine schenkweise (§§ 516 ff. BGB) Bestellung der Grundschuld kommt in Betracht, insbesondere bei engen verwandtschaftlichen oder familiären Beziehungen zwischen Grundstückseigentümer und Schuldner (s. OLG Saarbrücken, OLGR 2005, 139; OLG Koblenz, OLGR 2008, 987). 11.2.6.2.3
Personenverschiedenheit von Gläubiger und Grundschuldinhaber.
Schließlich kann es auch auf Gläubigerseite zu einer Personenverschiedenheit von Kreditgläubiger und Grundschuldinhaber kommen. Beispiel: Wie vorher. Allerdings nimmt G einige Zeit später selbst ein Darlehen bei D auf und überträgt diesem als Sicherheit hierfür seine Grundschuld am Grundstück des E, behält aber die Forderung gegen S. Die Abtretung der Grundschuld an D ist wirksam. Sie widerspricht zwar der Sicherungszweckabrede zwischen G und E, wonach die Grundschuld zur Sicherung der Forderung gegen S bestimmt sein soll und daher nicht isoliert abzutreten ist; diese Vereinbarung ist in ihrer Wirkung aber auf G und E („inter partes“) beschränkt und gegenüber D daher ohne Wirkung. Das vereinbarungswidrige Verhalten des G begründet jedoch Schadensersatzansprüche des E aus § 280 Abs. 1 BGB. Zudem ist E gegenüber D auch durch § 1192 Abs. 1a BGB geschützt: E kann auch gegenüber D alle Gegenrechte geltend machen, die ihm aufgrund des Sicherungsvertrags gegen G zustehen (insbesondere auch: Wegfall des Sicherungszwecks!). 11.2.6.3
Arten der Grundschuld
Grundschulden lassen sich nach bestimmten Kriterien in die jeweils folgende Begriffspaare einteilen: 11.2.6.3.1
Buch- und Briefgrundschuld
Nach dem Grad ihrer Verkehrsfähigkeit unterschieden werden Buch- und Briefgrundschuld. Letztere ist nach §§ 1116 Abs. 1, 1192 Abs. 1 BGB gesetzlich vorgesehener Regelfall. Dabei wird über die Grundschuld ein Brief ausgestellt, der die Grundschuld verkörpert bzw. verbrieft und damit als echtes, zirkulationsfähiges Wertpapier zu betrachten ist. Sie ist insofern verkehrsfähiger, als zu ihrer Übertragung gemäß §§ 398 ff., 1154 Abs. 1 S. 1, 1192 Abs. 1 BGB nur Einigung, schriftliche Abtretungserklärung und Briefübergabe erforderlich sind. Dagegen hat die Übertragung einer Buchgrundschuld (§§ 1116 Abs. 1, 1192 Abs. 2 BGB) gemäß §§ 873 Abs. 1 Alt. 3, 1154 Abs. 3, 1192 Abs. 1 BGB durch Einigung und Eintragung im Grundbuch zu erfolgen. 11.2.6.3.2
Fremd- und Eigentümergrundschuld
Nach ihrem Inhaber unterschieden werden Fremd- und Eigentümergrundschuld. In aller Regel wird eine Grundschuld zur Sicherung einer Forderung zugunsten des Forderungsgläubigers und damit als Fremdgrundschuld bestellt. Eine Grundschuld kann jedoch auch für den Eigentümer selbst als sog. Eigentümergrundschuld entstehen. Entstehungstatbestände der
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Eigentümergrundschuld sind unterschiedlich, ihr Sinn und Zweck liegt aber stets in der Rangwahrung (Baur/Stürner, § 46 Rn. 6): Der Eigentümer kann für sich selbst rechtsgeschäftlich eine Eigentümergrundschuld an einem bestimmten Rang bestellen (§ 1196 BGB). Dadurch kann er sich eine vorteilhafte Rangstelle „reservieren“, sodass er für den Fall einer etwaigen späteren Kreditaufnahme die Eigentümergrundschuld als Sicherheit an den Gläubiger (rangwahrend!) abtreten kann, wodurch dann eine Fremdgrundschuld entsteht. Weitere Entstehungstatbestände sind bei der Hypothek das Fehlen oder Erlöschen der zu sichernden Forderung (§§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 BGB) oder die Ablösung der Hypothek durch den vom Forderungsschuldner verschiedenen Eigentümer (§§ 1142, 1143, 1177 Abs. 2 BGB). Schließlich führt auch der Verzicht des Grundschuldgläubigers auf die Grundschuld gemäß §§ 1168 Abs. 1, 1177 Abs. 1, 1192 Abs. 1 BGB zum Entstehen einer Eigentümergrundschuld. In den letztgenannten Fällen hat das Fortbestehen des Grundpfandrechts in der Hand des Eigentümers den Hintergrund, dass der Wegfall eines Fremdgrundpfandrechts nicht zum Aufrücken ursprünglich nachrangiger Gläubiger in eine bessere Rangstelle führen soll (beachte aber die Löschungsansprüche nach §§ 1179a, b BGB). 11.2.6.3.3
Einzel- und Gesamtgrundschuld
Nach Anzahl der haftenden Grundstücke unterschieden werden Einzel- und Gesamtgrundschuld. Bei der Gesamtgrundschuld (§§ 1132, 1192 Abs. 1 BGB) haften mehrere Grundstücke desselben oder verschiedener Eigentümer für die Grundschuld. Die Vollstreckung ist gleichzeitig oder nacheinander und in einzelne oder alle haftende Grundstücke zulässig. 11.2.6.4
Bestellung (Fremdgrundschuld)
Die Grundschuldbestellung zugunsten des Gläubigers ist der dingliche Vollzugsakt der entsprechenden Verpflichtung aus der Sicherungsabrede. Diese bildet den Rechtsgrund dafür, dass der Sicherungsnehmer die Grundschuld erwirbt und behalten darf. Fehlt dieser Rechtsgrund, weil sich die Sicherungsabrede als unwirksam oder nichtig – etwa infolge einer Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) – herausstellt, so hat dies wegen des Trennungs- und Abstraktionsprinzips zunächst grundsätzlich keine Auswirkung auf die in Vollzug der unwirksamen/nichtigen Sicherungsabrede erfolgte Grundschuldbestellung. Die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede führt nur ausnahmsweise auch zur Unwirksamkeit der Grundschuldbestellung, etwa wenn der Sicherungsvertrag bei einem Wucherdarlehen nach § 138 Abs. 2 BGB oder infolge anfänglicher Übersicherung nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist (Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 20 f.). Ist die Grundschuldbestellung wirksam, obwohl die Sicherungsabrede unwirksam oder nichtig ist, steht dem Eigentümer der Rückgewähranspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu, der nach seiner Wahl auf Rückübertragung, Verzicht (§§ 1168 Abs. 1, 1192 Abs. 1 BGB) oder Aufhebung (§§ 1183, 1192 Abs. 1, 875 BGB) der Grundschuld gerichtet ist. 11.2.6.4.1
Einigung und Eintragung
Wie Rechte an einem Grundstück – dazu zählen nicht nur das Eigentum als „Vollrecht“, sondern auch die beschränkt-dinglichen Rechte wie Grundpfandrechte – begründet, übertragen, geändert oder aufgehoben werden können, ergibt sich bereits grundsätzlich aus dem allgemeinen Grundstücksrecht in §§ 873 ff. BGB, insbesondere der „Grundnorm“ des § 873 BGB. Wie beim Grundeigentumserwerb (§ 873 Abs. 1 Alt. 1 BGB) ist bei Belastung eines
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Grundstücks (§ 873 Abs. 1 Alt. 2 BGB) mit einer Grundschuld daher eine rechtsgeschäftliche, dingliche Einigung zwischen Besteller und Erwerber mit dem Inhalt des § 1191 BGB erforderlich. Diese Einigung ist formfrei und unter Bedingungen oder Befristungen möglich (s. dagegen § 925 Abs. 1, 2 BGB für den Grundeigentumserwerb!); sie wird in der Regel in Gestalt einer Grundschuldbestellungsurkunde niedergelegt. Erweist sich die Einigung als unwirksam oder nichtig, soll dies auch nicht entsprechend § 1163 Abs. 1 BGB zum Entstehen einer Eigentümergrundschuld führen (str., Palandt/Bassenge, § 1163 Rn. 1). Ferner bedarf die Grundschuldbestellung nach § 873 Abs. 1 Alt. 2 BGB der Eintragung entsprechend der Einigung im Grundbuch mit den durch §§ 1115, 1192 Abs. 1 BGB vorgesehenen Angaben. Das Eintragungsverfahren richtet sich nach den Vorschriften der Grundbuchordnung (insbesondere: Antrag und Bewilligung, §§ 13, 19 GBO). 11.2.6.4.2
Briefübergabe oder Briefausschluss
Je nachdem, ob die Grundschuld als Brief- oder Buchgrundschuld bestellt werden soll, ist der Grundschuldbrief gemäß §§ 1116 Abs. 1, 1117, 1192 Abs. 1 BGB zu übergeben bzw. die Erteilung eines Grundschuldbriefs durch Einigung und Eintragung gemäß §§ 1116 Abs. 2, 1192 Abs. 1 BGB auszuschließen. 11.2.6.4.3
Berechtigung des Bestellers
Schließlich muss der Grundschuldbesteller „Berechtigter“ sein, § 873 Abs. 1 BGB, d. h. zur Verfügung über das Grundstück befugt sein. Dies ist natürlich der Grundstückseigentümer als Vollrechtsinhaber; unter den Voraussetzungen des § 185 BGB kann jedoch auch ein Nichtberechtigter wirksam die Bestellung vornehmen. 11.2.6.4.4
Gutgläubiger Ersterwerb
Stellt sich heraus, dass der Besteller nach dem zuvor gesagten Nichtberechtigter ist, also weder Eigentümer war noch nach § 185 BGB wirksam verfügen konnte, kommt – wie beim Grundeigentumserwerb auch – ein gutgläubiger Ersterwerb der Grundschuld nach § 892 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Dessen Voraussetzungen sind:
Rechtsgeschäftlicher Erwerb im Sinne eines Verkehrsgeschäfts Rechtsscheintatbestand: Eintragung des Bestellers als Eigentümer im Grundbuch Kein Widerspruch (§ 899 BGB) zugunsten des wahren Berechtigten (maßgeblicher Zeitpunkt für die Eintragung des Widerspruchs ist die Vollendung des Grundschulderwerbs, also regelmäßig der Zeitpunkt der Eintragung der Grundschuld) Keine positive Kenntnis des Grundschulderwerbers von der Nichtberechtigung des eingetragenen Bestellers (maßgeblicher Zeitpunkt für die Kenntnis ist ebenfalls die Vollendung des Grundschulderwerbs, aber Vorverlagerung gemäß § 892 Abs. 2 BGB möglich)
Für die Briefgrundschuld besteht mit § 1155, 1192 Abs. 1 BGB eine weitere Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs.
11.2 Grundpfandrechte 11.2.6.5
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Rechtsgeschäftliche Eigentümergrundschuld
Voraussetzung der Bestellung einer Eigentümergrundschuld ist nach § 1196 Abs. 2 BGB eine entsprechende formfreie (s. aber §§ 19, 29 GBO) Erklärung des Eigentümers gegenüber dem Grundbuchamt und die Eintragung der Grundschuld im Grundbuch mit dem Inhalt des § 1115 BGB. Bereits dadurch ist die Grundschuld als Briefeigentümergrundschuld bestellt, ohne dass es noch der Ausstellung des Briefs bedarf (§§ 1117, 1163 Abs. 2 BGB finden keine Anwendung, Palandt/Bassenge, § 1196 Rn. 5). Soll die Grundschuld (in der Praxis selten) als Bucheigentümergrundschuld bestellt werden, ist der Briefausschluss im Grundbuch einzutragen, § 1116 Abs. 2 BGB. Bei einer späteren Kreditaufnahme kann die Eigentümergrundschuld als Sicherheit nutzbar gemacht und auf den Kreditgeber übertragen werden. 11.2.6.6
Übertragung von Grundschuld und Forderung
Grundschuld und besicherte Forderung können grundsätzlich zusammen oder getrennt frei übertragen an Dritte übertragen werden, etwa im Rahmen eines Kreditverkaufs (s. aber oben S. 894 f.). Die Übertragung der Buchgrundschuld erfolgt nach §§ 873 Abs. 1 Alt. 1, 1154 Abs. 3, 1192 Abs. 1 BGB durch Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber und Eintragung im Grundbuch. Bei der Briefgrundschuld sind zur Übertragung nach §§ 1154 Abs. 1, 1192 Abs. 1, 413, 398 ff. erforderlich: die Einigung über die Abtretung, eine schriftliche Abtretungserklärung oder Eintragung im Grundbuch und die Übergabe des Briefs. Stellt sich der Veräußerer als Nichtberechtigter heraus, d. h. als Nichtinhaber der veräußerten Grundschuld, kommt ein gutgläubiger Zweiterwerb der Grundschuld unter den Voraussetzungen des § 892 Abs. 1 S. 1 BGB, bei der Briefgrundschuld auch nach §§ 1155, 1192 Abs. 1 BGB, in Betracht. Die Abtretung der mit der Grundschuld gesicherten Forderung erfolgt gemäß §§ 398 ff. BGB. 11.2.6.7
Tilgungsfolgen
Welche Konsequenzen Zahlungsleistungen im grundschuldbesicherten Darlehensverhältnis auf die einzelnen Rechtsbeziehungen haben, ist nicht pauschal zu beantworten. Die Beantwortung der Frage hängt zum einen davon ab, wer die Zahlung leistet: der mit dem Forderungsschuldner personenidentische Grundstückseigentümer (Schuldner-Eigentümer) oder (bei Personenverschiedenheit) der Schuldner oder der Eigentümer? Zum anderen ist erheblich, worauf die Zahlung erfolgt: auf Grundschuld und Forderung gemeinsam, auf die Forderung oder auf die Grundschuld? 11.2.6.7.1
Grundsatz
Grundsätzlich ist von folgenden Rechtsfolgen einer Zahlung auszugehen:
Zahlungen auf die Forderung führen unabhängig von der Person des Zahlenden gemäß § 362 Abs. 1 BGB zum Erlöschen der Forderung. Konsequenz für die Grundschuld: Zunächst keine, weil die Grundschuld im (Fort-)Bestand beim Gläubiger nicht von der zu sichernden Forderung abhängig (nicht forderungsakzessorisch) ist. Allerdings aktualisiert sich durch die Erledigung des Sicherungszwecks infolge des Erlöschens der Forderung der Anspruch des Eigentümers gegen den Gläubiger auf Rückgewähr der Grundschuld (durch Rückübertragung, Verzicht oder Aufhebung der Grundschuld). Dieses
902
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Ergebnis ist allgemein anerkannt, strittig ist insofern lediglich die Rechtsgrundlage des Rückgewährsanspruchs (§§ 812 ff. oder 326 Abs. 1, 323 BGB oder Sicherungsabrede i. V. m. §§ 133, 157 BGB; vgl. dazu Baur/Stürner, § 45 Rn. 26). Die Leistung auf die Grundschuld (zur Abwendung der drohenden Zwangsvollstreckung, vgl. §§ 1142, 1192 Abs. 1 BGB) durch den Schuldner-Eigentümer oder bloßen Eigentümer führt zur Verwandlung in eine Eigentümergrundschuld (allgem. M.; Begründung str., vgl. Vieweg/Werner, § 15 Rn. 110). Konsequenz für die Forderung: Leistet der Schuldner-Eigentümer auf die Grundschuld, erlischt auch die Forderung (§ 362 Abs. 1 BGB), da die Grundschuld nur ihrer Sicherung und damit als „Surrogat“ dient. Leistet der bloße Eigentümer auf die Grundschuld, erlischt die Forderung dagegen nicht. Wegen des Verbots der doppelten Befriedigung kann der Forderungsgläubiger aber nicht mehr aus der Forderung gegen den Schuldner gehen. Nach h. M. hat aber der Eigentümer aus dem Sicherungsvertrag gegen den Gläubiger einen Anspruch auf Abtretung der Forderung.
11.2.6.7.2
Tilgungsbestimmung
Woraus ergibt sich nun, wer auf welchen Anspruch leistet? Maßgeblich für die Beantwortung der Frage ist vorrangig, was die Parteien vertraglich vereinbart haben. In der Praxis sehen die meisten Sicherungsabreden vor, dass Zahlungen des Schuldner-Eigentümers bzw. des bloßen Eigentümers nur auf die Forderung erfolgen (vgl. das Muster bei Baur/Stürner, Anh. 4a Ziff. 8 [S. 998]). Haben die Parteien nicht vertraglich Tilgungsbestimmungen vereinbart, so obliegt die Tilgungsbestimmung gemäß § 366 Abs. 1 BGB der einseitigen Erklärung des Leistenden. Fehlt auch eine solche, so ist auf die Interessenlage der Beteiligten abzustellen, wobei stets zu beachten ist, dass der Zahlende das ihm günstigste Ergebnis erstrebt (jurisPK/Reischl, § 1191 Rn. 108): Leistet der Schuldner-Eigentümer einen Betrag in Höhe der noch offenen Darlehensforderung auf einmal, so leistet er regelmäßig auf Grundschuld (Folge: Verwandlung in Eigentümergrundschuld) und Forderung (Folge: Erlöschen). Teilzahlungen (Ratenzahlungen) des Schuldner-Eigentümers werden dagegen in der Regel nur auf die Forderung geleistet. Der bloße Schuldner leistet stets nur auf die Forderung, der bloße Eigentümer auf die Grundschuld. 11.2.6.7.3
Leistung durch Dritte
Unter bestimmten Umständen können auch Dritte, d. h. Personen, die weder Forderungsschuldner noch Grundstückseigentümer sind, ein Interesse daran haben, den Forderungsgläubiger bzw. Grundpfandrechtsinhaber zu befriedigen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Dritte Gefahr läuft, nach einer drohenden Zwangsvollstreckung in das Grundstück oder mithaftende Gegenstände einen Rechts- oder Besitzverlust zu erleiden. Konkret von einer solchen Gefahr betroffen sind etwa Berechtigte aus einer Auflassungs- oder Belastungsvormerkung, wenn ihr Recht bei der Zwangsversteigerung nicht in das geringste Gebot (§ 44 Abs. 1 ZVG, dazu u. S. 914) kommt, weil es z. B. nach Beschlagnahme bestellt wurde (Palandt/Bassenge, § 1150 Rn. 3), aber auch die berechtigten unmittelbaren und mittelbaren Grundstücksbesitzer wie Mieter und Pächter, denen nach Zwangsversteigerung die Kündigung gemäß § 57a ZVG droht. Den derart gefährdeten Personen räumen §§ 1150, 1192 Abs. 1, 268 Abs. 1 BGB ein Recht zur Ablösung ein. In der Regel wird der ablösungsberechtigte Dritte dabei auf die Grundschuld leisten, da seine Besitz- bzw. Rechtsge-
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fährdung aus der drohenden Realisierung der Grundschuldhaftung resultiert. In diesem Fall geht die Grundschuld gemäß §§ 1150, 1192 Abs. 1, 268 Abs. 3 BGB auf den ablösenden Dritten über; die Forderung bleibt beim Gläubiger bestehen, jedoch hat der Ablösende gegen ihn einen Anspruch auf Abtretung (str., Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 38). Leistet ein Dritter, der nicht nach §§ 1150, 268 Abs. 1 BGB ablösungsberechtigt ist, auf die Forderung, erlischt diese (§§ 362 Abs. 1, 267 BGB). Für den Fortbestand der Grundschuld ist dies zunächst ohne Einfluss; wegen des entfallenen Sicherungszwecks besteht jedoch ein Rückgewährsanspruch auf Rückübertragung, Verzicht oder Aufhebung der Grundschuld an den Eigentümer. Leistet der nicht ablösungsberechtigte Dritte auf die Grundschuld, so verwandelt diese sich in eine Eigentümergrundschuld; der Dritte hat gegen den vormaligen Grundschuldinhaber einen Anspruch auf Abtretung der Forderung. 11.2.6.8
Verteidigung gegen die Grundschuld
Gegen den Anspruch aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB kann sich der Grundstückseigentümer wie folgt zur Wehr setzen: 11.2.6.8.1
Einwendungen
Er kann durch rechtshemmende oder rechtsvernichtende Einwendungen die Entstehung, den Fortbestand oder den Übergang der Grundschuld auf den Anspruchsteller geltend machen. So etwa, wenn die Grundschuld infolge unwirksamer Einigung gar nicht zur Entstehung gelangt ist, sich nach wirksamer Bestellung durch Zahlungen auf die Grundschuld in eine Eigentümergrundschuld verwandelt hat oder der Anspruchsteller wegen unwirksamen Erwerbs nicht Inhaber der Grundschuld wurde. 11.2.6.8.2
Einreden
Rechtshemmende Einreden richten sich nicht gegen das grundsätzliche (Fort-)Bestehen der Grundschuld, sondern gewähren lediglich ein dauerndes oder vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht, heben also im Fall der Grundschuld die Pflicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung auf. Es liegt hier nahe, zugunsten des Eigentümers derartige Einreden unmittelbar aus der Entwicklung des Forderungsverhältnisses abzuleiten, denn: Für die zwangsweise Verwertung des Grundstücks besteht ja kein Anlass, solange sich das Forderungsverhältnis vertragsgemäß entwickelt. Für die forderungsakzessorische Hypothek ordnet § 1137 BGB dies ausdrücklich an, der jedoch nach § 1192 Abs. 1 BGB auf die forderungsunabhängige Grundschuld keine Anwendung findet. Der Eigentümer – insbesondere auch der vom Schuldner personenverschiedene Eigentümer (Relativität der Schuldverhältnisse!) – kann nicht bereits kraft Gesetzes dem Grundschuldinhaber forderungsbezogene Einwendungen und Einreden entgegenhalten, da nach dem Konzept des Gesetzes die Grundschuld gerade forderungsunabhängig ist. Die fehlende gesetzliche Rückbindung der Grundschuld an die Forderung wird jedoch vertraglich herbeigeführt: Sicherungszweck und Sicherungsabrede zwischen Eigentümer und Grundschuldinhaber knüpfen die Ausübung des Rechts aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB an bestimmte Voraussetzungen, insbesondere an die Entwicklung des Forderungsverhältnisses. Der Eigentümer kann also über den „Hebel“ der Sicherungsabrede die „Einrede des mangelnden Sicherungsfalls“ erheben, wenn etwa die zu sichernde Forderung nicht entstanden, erloschen oder einredebehaftet und daher nicht (mehr) durchsetzbar ist (Vieweg/Werner, § 15 Rn. 101). Im Gegensatz zu den weitgehend zwingenden
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
gesetzlichen Akzessorietätsvorschriften bei der Hypothek unterliegt die sicherungsvertragliche Anbindung der Grundschuld an das Forderungsverhältnis aber nur den weiten Grenzen der Privatautonomie (§§ 311 Abs. 1, 241 BGB), sodass die Parteien hier zugunsten oder zulasten des Eigentümers eine mehr oder weniger starke Anbindung vereinbaren können, etwa durch die Erweiterung oder den Ausschluss bestimmter Einwendungen oder Einreden aus dem Forderungsverhältnis. 11.2.6.8.3
Kein gutgläubiger einredefreier Erwerb
Einreden gegen die Grundschuld, die dem Eigentümer aufgrund des Sicherungsvertrags zustehen oder sich hieraus noch ergeben können, können nach §§ 1157 S. 1, 1192 Abs. 1 BGB auch dem Erwerber der Grundschuld entgegengehalten werden. Ein gutgläubiger einredefreier Erwerb der Grundschuld, wie er in §§ 1157 S. 2, 892 bei der Hypothek möglich ist, kommt nach dem neuen § 1192 Abs. 1a S. 1 Halbs. 1 BGB bei der Sicherungsgrundschuld nicht mehr in Betracht. Durch den Ausschluss von § 1157 S. 2 BGB können daher einem jeden neuen Grundschuldinhaber sämtliche sicherungsvertragliche Einreden entgegengehalten werden – auch dann, wenn die Einreden nicht im Grundbuch eingetragen waren und der Erwerber noch so gutgläubig ist (krit. dazu Baur/Stürner, § 38 Rn. 7). 11.2.6.9
Fälligkeit
Zur Verwertung der Grundschuld durch Zwangsvollstreckung ist gemäß § 1193 Abs. 1, 2 ihre Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten erforderlich. Die Kündigung bzw. Fälligkeit der Grundschuld ist nicht identisch mit der Kündigung des Darlehensvertrags bzw. der Fälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs: Selbst wenn die Grundschuld gekündigt wurde, steht ihrer Verwertung die Sicherungsabrede entgegen, wenn der gesicherte Rückzahlungsanspruch noch nicht fällig ist (Baur/Stürner, § 45 Rn. 80).
11.2.7
Hypothek
Wegen der bereits gesetzlich angeordneten und näher ausgestalteten Abhängigkeit der Hypothek von der von ihr zu sichernden Forderung (Forderungsakzessorietät) entfällt ein erheblicher Teil des vertraglichen Regelungsaufwands, wie er im Zusammenhang mit der Grundschuldbestellung besteht. Im Gegensatz zum nicht forderungsakzessorischen Recht des Grundschuldinhabers, das der vertraglichen „Bändigung“ durch die Sicherungsabrede bedarf, ist das Recht des Hypothekars nämlich bereits von Gesetzes wegen mit dinglicher Wirkung „gebändigt“ durch die Normen, die die Hypothek an das Schicksal der Forderung binden. Wegen der bereits bestehenden – zugunsten des Eigentümers weitgehend zwingenden – gesetzlichen Ausgestaltung des Hypothekenrechts bleibt für die Sicherungsabrede im Falle der Hypothek wenig Regelungsbedarf übrig, sodass sich ihr Inhalt auf das nötigste beschränken kann (Verpflichtung zur Hypothekenbestellung, Bezeichnung der zu sichernden Forderung), und im Übrigen auf die gesetzlichen Regelungen zurückzugreifen ist. 11.2.7.1
Bestellung
Die Bestellung der Hypothek hat zunächst dieselben Voraussetzungen wie die der Grundschuld (o. S. 899 f.):
11.2 Grundpfandrechte
905
Einigung zwischen Besteller und Erwerber (§ 873 Abs. 1 Alt. 2 BGB) mit Inhalt des § 1113 BGB, Eintragung im Grundbuch mit Inhalt des § 1115 BGB, bei Briefhypothek: Briefübergabe (§§ 1116 Abs. 1, 1117, 1163 Abs. 2 BGB) oder bei Buchhypothek: Briefausschluss (§ 1116 Abs. 2 BGB) und Berechtigung des Bestellers oder gutgläubiger Erwerb unter den Voraussetzungen des § 892 Abs. 1 S. 1 BGB. Zwingende Entstehungsvoraussetzung ist bei der Hypothek aber zusätzlich das Bestehen einer zu sichernden Forderung. Die Hypothek ist also – anders als die Grundschuld – schon im Entstehen abhängig von der zu sichernden Forderung. Diese muss bei Bestellung der Hypothek nach Gläubiger, Schuldner, Leistungsgegenstand und Schuldgrund hinreichend bezeichnet und auf Leistung einer Geldsumme gerichtet sein (Palandt/Bassenge, § 1113 Rn. 9 ff.). Forderungs- und Hypothekeninhaber müssen zwingend personenidentisch sein. Nach § 1113 Abs. 2 BGB kann auch eine erst künftig oder bedingt entstehende Forderung gesichert werden, sofern mit ihrem Entstehen zu rechnen ist und auch sie bereits im Zeitpunkt Bestellung hinreichend individualisiert ist. Ist die zu sichernde Forderung nicht oder im Fall des § 1113 Abs. 2 BGB noch nicht entstanden, führt eine dennoch bestellte Hypothek nicht zu einem rechtlichen „Nullum“, sondern sie verwandelt sich gemäß §§ 1163 Abs. 1 S. 1, 1177 Abs. 1 BGB automatisch in eine (vorläufige) Eigentümergrundschuld, die für den Eigentümer den Rang der bestellten Hypothek wahrt. Umstritten ist, ob eine Hypothek, die für eine vermeintlich bestehende, aber unwirksame oder nichtige vertragliche Forderung bestellt wurde, auch den entsprechenden bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB sichert. Mögen unwirksamer bzw. nichtiger vertraglicher Anspruch und Bereicherungsanspruch zwar wertmäßig und wirtschaftlich nahezu identisch sein, unterliegen sie doch in ihrer rechtlichen Beurteilung – insbesondere was ihre Durchsetzbarkeit anbelangt – ganz unterschiedlichen Maßstäben. Regelmäßig wird daher davon auszugehen sein, dass bei Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der besicherten Forderung eine Hypothek nicht entsteht bzw. sich gemäß §§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 BGB in eine Eigentümergrundschuld verwandelt (vgl. Vieweg/Werner, § 15 Rn. 27). 11.2.7.2
Übertragung von Forderung und Hypothek
Auch im Hinblick auf die Übertragung von hypothekarisch besicherten Forderungen zeigen sich große Unterschiede zum Recht der Grundschuld. Während Grundschuld und die von ihr gesicherte Forderung zusammen, aber auch getrennt voneinander übertragbar sind, kann infolge der gesetzlichen Forderungsakzessorietät der Hypothek nach § 1153 Abs. 2 BGB die Forderung nicht ohne die Hypothek und die Hypothek nicht ohne die Forderung übertragen werden. Mehr noch: Die Hypothek selbst kann rechtsgeschäftlich gar nicht übertragen werden – übertragbar ist allein die von ihr besicherte Forderung. Mit der Übertragung der Forderung geht automatisch und ohne dass es auch nur einer Erwähnung der Hypothek bedürfte die Hypothek auf den Erwerber über, §§ 1153 Abs. 1, 401 Abs. 1 BGB: Die Hypothek folgt der Forderung; nach dem gesetzlichen Leitbild ist sie nur „Anhängsel“ der Forderung. Wenn umgangssprachlich dennoch von der „Abtretung der Hypothek“ die Rede ist, ist dies in der Regel als Abtretung der Forderung (mit Hypothek) auszulegen (Palandt/Bassenge, § 1153 Rn. 2).
906
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Was also bei der grundschuldbesicherten Forderung grundsätzlich eintreten und allenfalls durch entsprechende sicherungsvertragliche Vereinbarung verhindert werden kann, ist bei der hypothekenbesicherten Forderung kraft Gesetzes nicht möglich: Weil Forderung und Hypothek stets zusammen übergehen, können Forderungs- und Hypothekeninhaber nicht personenverschieden sein (von äußerst pathologischen Fällen abgesehen, vgl. dazu Vieweg/Werner, § 15 Rn. 44). Die Übertragung einer hypothekarisch gesicherten Forderung hat folgende Voraussetzungen:
Einigung über die Abtretung der Forderung (§ 398 BGB), Abtretbarkeit der Forderung (§§ 399, 400 BGB), bei Briefhypothek: schriftliche Abtretungserklärung des bisherigen Forderungsinhabers (§ 1154 Abs. 1 S. 1 BGB) oder Eintragung der Abtretung im Grundbuch (§ 1154 Abs. 2 BGB) bzw. bei Buchhypothek: Eintragung der Abtretung im Grundbuch (§§ 1154 Abs. 3, 873 Abs. 1 Alt. 3 BGB) und Berechtigung (Verfügungsbefugnis) des Abtretenden (d. h. er muss Forderungs- und Hypothekeninhaber sein).
11.2.7.3
Gutgläubiger Zweiterwerb
An der zuletzt genannten Voraussetzung kann es in drei folgenden Fallkonstellationen fehlen, in denen aber ein gutgläubiger Erwerb der Hypothek in Betracht kommt – dessen Verständnis allerdings kompliziert ist. Durch die enge Anbindung der Hypothek an die besicherte Forderung geraten nämlich gleichzeitig auch zwei fundamentale Rechtsgrundsätze miteinander in Konflikt: Einerseits die grundsätzliche Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs nicht existierender, aber im Grundbuch eingetragener Rechte an Grundstücken (wie die Hypothek, § 892 BGB), andererseits der grundsätzliche Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs nicht existierender Forderungen (§§ 398, 404 BGB). Vor der Bewältigung dieses Konflikts „kapituliert“ das Gesetz allerdings in § 1138 BGB (Baur/Stürner, § 38 Rn. 7). 11.2.7.3.1
Mangel der Forderung
Forderungen können (von den Parteien möglicherweise auch unerkannt) von Anfang an unwirksam oder nichtig sein oder später erlöschen. Eine Hypothek, die für eine derartige Forderung bestellt und im Grundbuch eingetragen wurde, steht nach §§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 BGB von Anfang an bzw. ab Wegfall der Forderung dem Eigentümer als Eigentümergrundschuld zu. Der Grundbuchinhalt, der (noch) eine Hypothek zugunsten des vermeintlichen Forderungsinhabers ausweist, ist bzw. wird in diesen Fällen jedoch falsch und bedarf der Berichtigung, die der Eigentümer notfalls mit seinem Anspruch aus §§ 894, 899 BGB verfolgen kann. Unterbleibt die Berichtigung, verlautbart das Grundbuch streng genommen nur das Bestehen des dinglichen Rechts, nämlich der Hypothek. Mittelbar nahegelegt wird dadurch aber auch, dass eine hypothekarisch gesicherte Forderung existieren muss – da es eine Hypothek ohne Forderung ja nicht geben kann. Der auf das Bestehen der Hypothek begrenzte Rechtsschein des Grundbuchs hilft in diesem Fall dem Erwerber nicht: Die Hypothek kann er nicht unmittelbar rechtsgeschäftlich erwerben, er kann nur die gesicherte Forderung nach §§ 398, 1154 BGB erwerben (s. S. 905) – die Hypothek „wandert“ dann nach §§ 1153 Abs. 1, 401 Abs. 1 BGB automatisch mit. Existiert die Forderung nicht, kann sie auch nicht gutgläubig erworben werden, da ein gutgläubiger Forderungserwerb grund-
11.2 Grundpfandrechte
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sätzlich (Ausnahme: § 405 BGB) nicht möglich ist – darüber hilft auch der Grundbuchinhalt nicht hinweg, der über die Forderung streng genommen nichts aussagt. Etwas halbherzig greift in solchen Fällen allerdings zugunsten des Erwerbers § 1138 BGB ein, demzufolge die Vorschriften der §§ 891 ff. BGB „für die Hypothek auch in Ansehung der Forderung“ gelten sollen. Mit anderen Worten: § 1138 BGB erweitert den Rechtsschein des Grundbuchinhalts auf die Forderung und fingiert deren Bestand, aber nicht schlechthin, sondern nur, soweit (!) die Forderung notwendige Voraussetzung für die Existenz und die Übertragung der Hypothek ist. Auch § 1138 BGB ermöglicht also keinen gutgläubigen Erwerb nicht existierender Forderungen, er hilft lediglich darüber hinweg, dass für den Erwerb einer eingetragenen Hypothek eine besicherte Forderung als Grundlage vorhanden sein muss, mehr aber auch nicht. Der Erwerber wird durch § 1138 BGB daher nicht Inhaber einer Forderung, sondern nur Inhaber einer „forderungsentkleideten Hypothek“ (Vieweg/Werner, § 15 Rn. 41). Die Voraussetzungen, die gemäß §§ 1138, 892 Abs. 1 S. 1 BGB über die fehlende Verfügungsberechtigung (Forderungsinhaberschaft) des Veräußerers hinweghelfen, sind:
rechtsgeschäftlicher Erwerb der Forderung im Sinne eines Verkehrsgeschäfts, objektiver Rechtscheintatbestand: Eintragung des Veräußerers als Hypothekar im Grundbuch guter Glaube des Erwerbers an die Forderungsinhaberschaft kein eingetragener Widerspruch. Beispiel: Zur Absicherung eines Darlehens bestellt E dem G eine Hypothek. Nach einiger Zeit hat E das Darlehen vollständig zurückbezahlt; allerdings ist G nach wie vor als Hypothekar im Grundbuch eingetragen. Dieser tritt die vermeintliche Darlehensforderung samt Hypothek an den gutgläubigen D ab. – Mit vollständiger Rückzahlung des Darlehens (§ 362 Abs. 1 BGB) ist die Hypothek gemäß §§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 BGB auf E als Eigentümergrundschuld übergegangen. Weil der Grundbuchinhalt aber nicht entsprechend dieser wahren Rechtslage berichtigt wurde und D hinsichtlich der Forderungsinhaberschaft des G gutgläubig war, konnte er aber (nur) die Hypothek gutgläubig erwerben: Die Forderung konnte D mangels Existenz nicht (gutgläubig) erwerben; hieran ändert auch § 1138 BGB nichts. Die Hypothek selbst ist dagegen nicht selbstständig verkehrsfähig und übertragbar, sondern folgt der Forderung nach, §§ 1153 Abs. 1, 401 Abs. 1 BGB. Für den Zweck des Hypothekenübergangs kann aber gemäß §§ 1138, 892 Abs. 1 S. 1 BGB so getan werden, als ob die Forderung tatsächlich bestünde, und daher die Forderung als „Unterlage“ für den Übergang der Hypothek fingiert werden. D hat daher die Hypothek erworben, nicht aber die Forderung. 11.2.7.3.2
Mangel der Hypothek
Existiert die zu sichernde und abzutretende Forderung und ist zugunsten des Forderungsgläubigers eine Hypothek im Grundbuch eingetragen, aber nicht entstanden oder steht sie ihm nicht zu (weil sich etwa die Einigung über die Bestellung oder Übertragung der Hypothek als nichtig herausstellt), so kann die Forderung unproblematisch nach §§ 398, 1154 wirksam übertragen werden. Der Rechtsschein des Grundbuchs ermöglicht unter den weiteren Voraussetzungen des § 892 Abs. 1 S. 1 BGB den Übergang der Hypothek. § 1155 BGB erweitert dabei für die Briefhypothek die Möglichkeiten des gutgläubigen Erwerbs. § 1138 BGB findet in diesen Fällen keine Anwendung, da ja eine Forderung tatsächlich existiert.
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
11.2.7.3.3
„Doppelmangel“
Fehlt dem Veräußerer sowohl hinsichtlich der Hypothek als auch hinsichtlich der Forderung die Berechtigung, weil beide Rechte nicht zur Entstehung gelangt oder später erloschen sind, so kommt ein gutgläubiger Erwerb der Hypothek unter doppelter Anwendung der Gutglaubensvorschriften in Betracht: Hinsichtlich der Hypothek kann die fehlende Berechtigung des Veräußerers unmittelbar nach § 892 Abs. 1 S. 1 BGB überwunden werden und §§ 1138, 892 Abs. 1 S. 1 BGB helfen über das Fehlen der Forderung hinweg, soweit diese für den Erwerb der Hypothek erforderlich ist. Der Erwerber wird aber auch hier nicht Inhaber der Forderung, sondern nur Inhaber einer „forderungsentkleideten Hypothek“. 11.2.7.4
Tilgungsfolgen
Wie bei der Grundschuld hängen die Folgen von Zahlungsleistungen davon ab, wer (Schuldner-Eigentümer, Schuldner, Eigentümer, Dritter) worauf (Forderung und/oder Hypothek) leistet. Sofern keine anderweitigen Tilgungsbestimmungen vertraglich vereinbart wurden, ist von folgenden Grundsätzen auszugehen (Wolf/Wellenhofer, § 27 Rn. 23 ff.):
Leistungen des mit dem Eigentümer personenidentischen Schuldners werden im Zweifel auf Forderung (§ 362 Abs. 1 BGB) und Hypothek erfolgen. Soweit die Forderung erloschen ist, entsteht gemäß §§ 1163 Abs. 1 S. 2, 1177 Abs. 1 BGB eine Eigentümergrundschuld. Der mit dem Schuldner nicht identische Eigentümer wird regelmäßig zur Abwendung der Zwangsvollstreckung auf die Hypothek leisten, wozu er zwar nicht verpflichtet, aber gemäß § 1142 BGB berechtigt ist. Soweit der Gläubiger/Hypothekar durch die Leistung des Eigentümers befriedigt wird, geht gemäß § 1143 Abs. 1 S. 1 BGB dessen Forderung gegen den Schuldner auf den Eigentümer über (Regress). Mit der Forderung geht gemäß §§ 412, 401 Abs. 1, 1153 Abs. 1 BGB zugleich die Hypothek auf den Eigentümer über, wodurch nach § 1177 Abs. 2 BGB eine Eigentümergrundschuld entsteht. Leistungen des mit dem Eigentümer nicht identischen Schuldners erfolgen im Zweifel auf die Forderung. Soweit die Forderung erlischt (§ 362 Abs. 1 BGB), entsteht gemäß §§ 1163 Abs. 1 S. 2, 1177 Abs. 1 BGB eine Eigentümergrundschuld. Ausnahmsweise (§ 1164 Abs. 1 S. 1 BGB) geht die Hypothek aber auf den Schuldner über, wenn dieser gegen den Eigentümer einen Ersatzanspruch hat, etwa weil im Innenverhältnis von Eigentümer und Schuldner der Eigentümer zur Zahlung verpflichtet war. Ablösungsberechtigte Dritte wie Mieter, Pächter oder nachrangige dingliche Berechtigte (§§ 1150, 268 Abs. 1 BGB) werden regelmäßig die Zwangsvollstreckung des Grundstücks verhindern wollen und leisten daher auf die Hypothek. Die Forderung gegen den Schuldner geht gemäß § 268 Abs. 3 S. 1 BGB auf den Dritten über und mit ihr auch die Hypothek (§§ 412, 401 Abs. 1, 1153 Abs. 1 BGB). Leistungen nicht ablösungsberechtigter Dritter (§ 267 BGB) auf die Forderung führen gemäß §§ 362 Abs. 1, 1163 Abs. 1 S. 2, 1177 Abs. 1 BGB zum Übergang der Hypothek auf den Eigentümer und zum Entstehen einer Eigentümergrundschuld. Leistet der nicht ablösungsberechtigte Dritte auf die Hypothek, führt dies im Fall der Identität von Schuldner und Eigentümer ebenfalls zum Erlöschen der Forderung und zum Entstehen einer Eigentümergrundschuld; bei Personenverschiedenheit von Schuldner und Eigentümer geht die Forderung gemäß § 1143 BGB und mit ihr die Hypothek gemäß §§ 412, 401 Abs. 1, 1153 Abs. 1 auf den Eigentümer über.
11.2 Grundpfandrechte 11.2.7.5
Verteidigung gegen die Hypothek
11.2.7.5.1
Einwendungen
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Die Verteidigungsmöglichkeiten des Grundstückseigentümers gegen die drohende Zwangsvollstreckung durch den Hypothekar sind bei der Hypothek stärker ausgeprägt als bei der Grundschuld: Der Eigentümer kann natürlich auch hier das Bestehen der Hypothek oder die Inhaberschaft durch rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendungen bestreiten, weil etwa die Hypothek bereits fehlerhaft bestellt wurde (unwirksame/nichtige Einigung, Fehlen der Forderung), nicht wirksam übertragen wurde oder auf einen anderen übergegangen ist, insbesondere auf den Eigentümer als Eigentümergrundschuld (§§ 1163, 1177 BGB). Unabhängig davon, ob der Eigentümer zugleich auch Schuldner ist oder nicht, kann er die Berechtigung des Anspruchstellers aus § 1147 BGB aber auch mit solchen rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen bestreiten, die sich nur gegen die Forderung richten, denn: Ist die Forderung nicht zum Entstehen gelangt oder erloschen, besteht wegen der Forderungsakzessorietät ipso iure keine Hypothek. 11.2.7.5.2
Einreden
Gegen den wirksam entstandenen Anspruch aus § 1147 BGB kann der Eigentümer ferner rechtshemmende Einreden erheben, die sich auf die Hypothek selbst beziehen. Solche Einreden können sich vor allem aus sicherungsvertraglichen Vereinbarungen darüber ergeben, unter welchen Voraussetzungen der Hypothekar seinen Verwertungsanspruch geltend machen darf oder die Hypothek zurückzugewähren hat (für die Briefhypothek s. zudem der Legitimationsnachweis des Hypothekars nach § 1160 BGB). Daneben erweitert § 1137 BGB (auf die Grundschuld wegen § 1192 Abs. 1 BGB nicht anwendbar) die Verteidigungsmöglichkeiten des Eigentümers gegen die Hypothek erheblich, indem sie es ihm ermöglicht, gegenüber der Hypothek auch solche rechtshemmenden Einreden zu erheben, die an sich nur dem Schuldner gegen die Forderung zustehen – dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Eigentümer nicht zugleich auch der Schuldner ist und dann sogar auch, wenn der Schuldner bereits auf die Erhebung der Einrede verzichtet hat (§ 1137 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 2 BGB). Hierunter fallen z. B. die Einreden der Stundung, des Zurückbehaltungsrechts oder des nichterfüllten Vertrags, nicht aber die Einrede der Verjährung (§ 216 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus kann der Eigentümer dem Hypothekar auch entgegenhalten, dass der Schuldner anfechten oder aufrechnen könnte (§§ 1137 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 770 Abs. 1 BGB). 11.2.7.5.3
Verteidigung gegenüber dem Zweiterwerber der Hypothek
Grundsätzlich kann der Eigentümer auch gegenüber einem neuen Hypothekar, dem Forderung samt Hypothek abgetreten wurden, sämtliche Einwendungen und Einreden erheben, die ihm nach dem soeben Gesagten im Zeitpunkt der Abtretung zustanden (§§ 413, 404 BGB; s. auch § 1157 S. 1 BGB für hypothekenbezogene Einwendungen). § 1156 S. 1 BGB macht hiervon lediglich Ausnahmen für die Einreden nach §§ 406–408 BGB; der Eigentümer ist aber in diesen Fällen ausreichend durch §§ 1144, 1160, 1155 BGB (Briefhypothek) und §§ 891, 893 BGB (Buchhypothek) geschützt. Allerdings besteht sowohl im Hinblick auf forderungsbezogene als auch auf hypothekenbezogene Einreden die Möglichkeit des gutgläubigen einredefreien Erwerbs nach § 1138
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11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Alt. 2 bzw. § 1157 S. 2 BGB, jeweils i. V. m. § 892 BGB. Vor einem Verlust dieser Einreden kann sich der Eigentümer aber durch Grundbuchberichtigung (§ 894 BGB) oder Eintragung eines Widerspruchs (§ 899 BGB) schützen. Für die Briefhypothek s. zudem § 1140 BGB. 11.2.7.6
Fälligkeit
Ist der Eigentümer nicht zugleich auch Forderungsschuldner, so soll der Hypothekar die Hypothek nicht ohne Vorwarnung nach § 1147 BGB verwerten dürfen. Nach § 1141 Abs. 1 S. 1 BGB ist dem Eigentümer deshalb die gesonderte Kündigung der Hypothek zu erklären, die auch nur für die Hypothek, nicht aber auch für die Forderung wirkt – umgekehrt bewirkt die Kündigung der Forderung daher nicht automatisch auch die Kündigung der Hypothek. Dagegen reicht bei Personenidentität von Eigentümer und Schuldner eine Kündigungserklärung aus, die für Forderung und Hypothek wirkt. 11.2.7.7
Sicherungshypothek
Die Sicherungshypothek unterscheidet sich von der gewöhnlichen (Verkehrs-)Hypothek durch ihre strenge Forderungsakzessorietät: Unter bestimmten Voraussetzungen durchbricht das Gesetz bei der Verkehrshypothek die Forderungsabhängigkeit der Hypothek zugunsten des Verkehrsschutzes und ermöglicht so den gutgläubigen Erwerb der Hypothek trotz fehlender Forderung oder den gutgläubigen einredefreien Erwerb der Hypothek (§ 1138 Alt. 1, 2 BGB). Zudem kann sich der Inhaber der Verkehrshypothek zur Geltendmachung der Hypothek sowohl auf das tatsächliche Bestehen als auch auf die durch Grundbucheintrag ausgewiesene Höhe der Forderung berufen. Dagegen bestimmt sich das Recht des Inhabers einer Sicherungshypothek nur nach der Forderung, deren Bestehen der Inhaber nicht mit Verweis auf den Inhalt des Grundbuchs begründen kann (s. die Legaldefinition in § 1184 Abs. 1 BGB). Die Sicherungshypothek ist als solche im Grundbuch einzutragen und kann nur als Buchhypothek bestellt werden (§§ 1184 Abs. 2, 1185 Abs. 1 BGB). Die Berufung auf den Rechtsschein des Grundbuchs, der gemäß §§ 1138, 891 BGB bei der Verkehrshypothek über nicht eingetragene Mängel der Forderung (Nichtbestehen, Einreden) hinweghilft, ist bei der Sicherungshypothek nicht möglich (§ 1185 Abs. 2 BGB). Will der Inhaber der Sicherungshypothek aus § 1147 BGB vorgehen, so hat er das Bestehen der Forderung mit anderen Mitteln als dem Grundbucheintrag zu beweisen.
11.2.8
Verwertung eines Grundpfandrechts durch Zwangsvollstreckung
11.2.8.1
Materiell-rechtliche Voraussetzungen
Die Verwertung einer Hypothek oder Grundschuld erfolgt gemäß § 1147 (i. V. m. § 1192 Abs. 1) BGB im Wege der Zwangsvollstreckung. § 1147 BGB gibt dem Grundpfandrechtsinhaber einen Anspruch gegen den Grundstückseigentümer auf Duldung der Zwangsvollstreckung in sein Grundstück bzw. in die weiteren haftenden Gegenstände. Materiellrechtlich ist Voraussetzung des Anspruchs, dass 1. die Hypothek/Grundschuld entstanden ist und noch besteht, 2. der zu verwertende Gegenstand in den Haftungsverband der Hypothek/Grundschuld fällt, 3. der Anspruchsteller Inhaber der Hypothek/Grundschuld ist,
11.2 Grundpfandrechte
911
4. 5.
die Hypothek/Grundschuld fällig ist (Pfandreife) und dem Eigentümer keine entgegenstehenden Einreden (insbesondere aus der Sicherungsabrede) zustehen. Darlegungs- und beweispflichtig ist für die Umstände 1–3 der Anspruchsteller. Der Eigentümer kann insoweit das Nichtentstehen oder nachträgliche Erlöschen des Grundpfandrechts durch rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungen geltend machen. Einreden des Eigentümers richten sich nicht gegen Entstehen und Bestehen des Grundpfandrechts, sondern berechtigen zur dauernden oder vorübergehenden Leistungsverweigerung (bei § 1147 BGB: „Duldungsverweigerung“); sie können sich insbesondere auch aus der Sicherungsabrede ergeben. 11.2.8.2
Formelle Voraussetzung: Vollstreckungstitel
Die zwangsweise Durchsetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs aus § 1147 BGB im Wege der Zwangsvollstreckung erfordert wegen der einschneidenden Wirkungen für den Grundstückseigentümer zudem einen Vollstreckungstitel. Dabei handelt es sich um eine Entscheidung oder beurkundete Erklärung, aus denen durch Gesetz die Zwangsvollstreckung zugelassen ist (Thomas/Putzo/Seiler, Vorbemerkung vor § 704 Rn. 14). Die bloße Grundschuldbestellungsurkunde ist insofern nie ausreichend (Clemente, Rn. 90). Die für das Zwangsvollstreckungsverfahren einschlägigen §§ 704 ff. ZPO lassen die Zwangsvollstreckung nur aus einer Reihe abschließend benannter Entscheidungen und Erklärungen („Titel“) zu, namentlich rechtskräftige oder vorläufig vollstreckbare Endurteile nach § 704 ZPO und die in § 794 Abs. 1 Nrn. 1–6 ZPO bezeichneten Entscheidungen und Erklärungen. Für die Zwangsvollstreckung aus Grundpfandrechten kommen davon im Wesentlichen zwei Titel in Betracht: 11.2.8.2.1
Urteil
Zum einen ein Urteil gegen den Grundstückseigentümer nach § 704 ZPO. Zur Erlangung eines solchen Titels hat der Grundpfandrechtsinhaber daher Klage gegen den Eigentümer aus § 1147 BGB zu erheben, mit dem Antrag, dass dieser die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück zu dulden hat. Im Prozess prüft das Gericht auf Grundlage der Vorbringen des Klägers und ggf. der Einwendungen und Einreden des beklagten Eigentümers die materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 1147 BGB und verurteilt im Erfolgsfall den Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung; der entsprechende Urteilstenor könnte etwa wie folgt lauten: „Der Beklagte hat wegen [nach Kapital und Nebenforderungen genau bezeichneter] Euro die Zwangsvollstreckung durch den Kläger in das [genau bezeichnete] Grundstück zu dulden.“ (Palandt/Bassenge, § 1147 Rn. 3) Beachte: Auf § 1147 BGB gestützte Anträge bzw. Urteile können nur auf Duldung der Zwangsvollstreckung (in das belastete Grundstück) lauten, niemals aber auf Zahlung, da § 1147 eben nur einen Verwertungs-, keinen Zahlungsanspruch begründet (sog. dinglicher Titel). Zwar könnte ein Gläubiger ebenso gut seine durch das Grundpfandrecht besicherte Forderung etwa aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB einklagen und hierdurch ein ebenso gemäß § 704 ZPO vollstreckbares Zahlungsurteil erlangen (Urteilstenor: „Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger … Euro zu bezahlen.“ – sog. persönlicher Titel), das ihm die Zwangsvollstreckung in das Grundeigentum des Beklagten, aber sogar auch in dessen gesamtes übriges
912
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
Vermögen ermöglicht. Unterschied: Der auf § 1147 BGB gestützte dingliche Titel berechtigt zur Vollstreckung zwar „nur“ in das belastete Grundstück – aber an der Rangstelle des Grundpfandrechts mit Vorrang vor nachrangigen Gläubigern. Dagegen hat der auf § 488 Abs. 1 S. 2 BGB gestützte persönliche Zahlungstitel bei Vollstreckung in das Grundstück gegenüber sämtlichen Grundpfandrechten Nachrang (§ 10 Abs. 1 Nrn. 4, 5 ZVG, vgl. Wolf/Wellenhofer, § 26 Rn. 16 und Lackmann, Rn. 435). 11.2.8.2.2
Vollstreckungsunterwerfung
Die Erlangung eines Titels gemäß § 704 ZPO im Klageverfahren ist für den Grundstückseigentümer insofern vorteilhaft, dass – bevor es „ernst“ wird – ein Gericht die Berechtigung des Klägers aus § 1147 BGB einer Kontrolle unterzieht und der Eigentümer dadurch möglicherweise auch wertvolle Zeit gewinnt. Für den Grundpfandrechtsinhaber erweist sich ein solches vorgeschaltetes Erkenntnisverfahren nicht selten als mühsam und langwierig. In der Praxis ist es daher üblich, dass sich der Grundstückseigentümer bereits bei Bestellung des Grundpfandrechts der „sofortigen Zwangsvollstreckung“ in sein Grundstück unterwirft. Formulierungsbeispiel: „Wegen des Grundschuldbetrages und der Zinsen unterwirft sich der Besteller der sofortigen Zwangsvollstreckung in den belasteten Grundbesitz in der Weise, dass die Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde gegen den jeweiligen Eigentümer zulässig ist.“ (Clemente, Rn. 89, mit weiteren Beispielen. – Der letzte Halbsatz der Formulierung macht von der Möglichkeit des § 800 Abs. 1 ZPO Gebrauch). Unter den Voraussetzungen des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (insbesondere: notarielle Beurkundung, genau bezeichneter Anspruch) handelt es sich bei einer derartigen Unterwerfungserklärung ebenfalls um einen Vollstreckungstitel gleich einem Urteil nach § 704 ZPO; nach h. M. ist diese Erklärung sogar in Form von AGB zulässig (BGH, NJW 1987, 904; NJW 2010, 2041; kritisch Baur/Stürner, § 40 Rn. 43 ff.). Beachte aber: Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist nicht die Grundschuldbestellungsurkunde, sondern die (regelmäßig aber darin enthaltene) Unterwerfungserklärung. Der Vorteil für den Grundpfandrechtsinhaber liegt dabei darin, dass er ohne ein möglicherweise aufwändiges und risikobehaftetes Klageverfahren einen vollstreckbaren Titel gegen den Eigentümer bekommt, zu dessen Vollstreckung er gemäß §§ 726, 750 ZPO lediglich noch die Fälligkeit des Grundpfandrechts nachzuweisen hat. Im Übrigen wird die materiell-rechtliche Berechtigung des die Zwangsvollstreckung Betreibenden von den Vollstreckungsorganen grundsätzlich nicht geprüft (Grundsatz des formalisierten Vollstreckungsverfahrens, s. dazu Thomas/Putzo/Seiler, Vorbemerkung vor § 704 Rn. 33). Will sich der Eigentümer gegen die Zwangsvollstreckung zur Wehr setzen, weil ihm materiell-rechtliche Einwendungen oder Einreden zustehen und er daher nach § 1147 BGB nicht zur Duldung verpflichtet ist, muss er vielmehr selbst initiativ werden und Vollstreckungsabwehrklage gemäß §§ 767, 795 S. 1, 797 Abs. 4 ZPO erheben – erst dann kommt es zu einer gerichtlichen Überprüfung der materiellen Rechtslage und im Erfolgsfall zur Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung. 11.2.8.2.3
Abstraktes Schuldanerkenntnis und Vollstreckungsunterwerfung
Bei Immobiliardarlehen ist es üblich, dass der Darlehensnehmer bei Bestellung der Grundschuld bzw. Hypothek zudem ein abstraktes (selbstständiges) Schuldanerkenntnis im Sinne der §§ 780, 781 BGB übernimmt und sich auch diesbezüglich der sofortigen Zwangsvoll-
11.2 Grundpfandrechte
913
streckung unterwirft (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Eine entsprechende Klausel könnte etwa wie folgt lauten: „Zugleich übernimmt der Besteller für die Zahlung eines Geldbetrags in Höhe des Grundschuldbetrages und der Zinsen die persönliche Haftung, aus der der jeweilige Gläubiger ihn schon vor Vollstreckung in den Grundbesitz in Anspruch nehmen kann. Der Schuldner unterwirft sich wegen dieser Haftung der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen.“ (Baur/Stürner, Anh. 4 Ziff. VII) Durch das abstrakte Schuldanerkenntnis übernimmt der Besteller nicht etwa eine weitere Schuld gegenüber dem Gläubiger bzw. Grundpfandrechtsinhaber, sondern er begründet lediglich einen zusätzlichen Schuldgrund, den der Gläubiger anstelle des darlehensvertraglich begründeten Rückzahlungsanspruchs – in der Regel erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) – geltend machen kann. Zugunsten des Gläubigers bezweckt das abstrakte Schuldanerkenntnis eine Umkehrung der Beweislast: Während er bei der Durchsetzung des darlehensvertraglichen Rückzahlungsanspruch dessen Entstehen und Freiheit von Einwendungen und erhobenen Einreden zu beweisen hat, braucht er bei Geltendmachung des abstrakten Schuldanerkenntnisses lediglich dessen wirksame Entstehung zu beweisen – dem Schuldner obliegt es dann, die Voraussetzungen des Anspruchs zu widerlegen, insbesondere weil etwa der durch das Schuldanerkenntnis zu sichernde darlehensvertragliche Anspruch nicht entstanden oder erloschen ist (§§ 812 Abs. 2, 821 BGB). Die Unterwerfung unter die Vollstreckung in das gesamte Vermögen des Schuldners (vollstreckbarer Titel!) ermöglicht es dem Gläubiger zudem, bei Fälligkeit des darlehensvertraglichen Rückzahlungsanspruchs das gesamte Vermögen des Schuldners zu „verhaften“ und dadurch nachteilige Vermögensverschiebungen zu verhindern. 11.2.8.3
Verfahren
Das Verfahren der Zwangsvollstreckung aus Grundpfandrechten richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der Zwangsvollstreckung (§§ 704–802l ZPO), den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das unbewegliche Vermögen (§§ 863–871 ZPO) und den Vorschriften des ZVG. Gemäß § 866 Abs. 1, 2 ZPO erfolgt die Zwangsvollstreckung dabei nach Wahl des Gläubigers durch Zwangsversteigerung nach §§ 15–145a ZVG und/oder durch Zwangsverwaltung nach §§ 146–161 ZPO; die Variante „Eintragung einer Sicherungshypothek“ kommt im Rahmen des § 1147 BGB nicht zur Anwendung (Palandt/Bassenge, § 1147 Rn. 5, § 1113 Rn. 11; Thomas/Putzo/Seiler, § 866 Rn. 2). 11.2.8.3.1
Zwangsversteigerung
Bei der Zwangsversteigerung kommt es zu einer Verwertung der Grundstückssubstanz und zu einem Übergang des Eigentums am Grundstück; der sich hieraus ergebende Erlös dient der Befriedigung des Gläubigers. Auf Antrag des Gläubigers erlässt das Vollstreckungsgericht einen Versteigerungsbeschluss (§ 15 ZVG) und ersucht das Grundbuchamt um Eintragung eines Versteigerungsvermerks (§ 19 Abs. 1 ZVG). Der Versteigerungsbeschluss wirkt gemäß § 20 Abs. 1 ZVG zugunsten des Gläubigers als Beschlagnahme des Grundstücks; die Beschlagnahme umfasst nach § 20 Abs. 2 ZVG auch diejenigen Gegenstände, auf die sich die Hypothek erstreckt (§§ 1120 ff. BGB) und führt gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 ZVG zu einem relativen Veräußerungsverbot (§§ 135, 136 BGB). Wenn das Verfahren daraufhin nicht nach §§ 28 ff. ZVG aufgehoben oder einstweilen eingestellt wird, bestimmt das Vollstre-
914
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung
ckungsgericht gemäß §§ 35–43 ZVG einen Vollstreckungstermin. Das Verfahren im Vollstreckungstermin gliedert sich in drei Abschnitte: Zunächst ergehen gemäß § 66 Abs. 1 ZVG einige verfahrenstechnische Hinweise und Informationen zum Grundstück. Danach kommt es gemäß § 66 Abs. 2 ZVG zur eigentlichen Versteigerung mit der Aufforderung zur Abgabe von Geboten („Bieterstunde“). Diese muss nach § 73 Abs. 1 S. 1, 2 ZVG solange fortgesetzt werden, bis trotz Aufforderung kein Gebot mehr abgegeben wird, mindestens jedoch 30 Minuten; welche Gebote zu berücksichtigen sind, ergibt sich aus § 71 f. ZVG. Mittels dreimaligen Aufrufs hat das Gericht sodann das letzte Gebot und die Schließung der Versteigerung zu verkünden, § 73 Abs. 2 ZVG. Anschließend sind die anwesenden Beteiligten (§ 9 ZVG) über die Erteilung des Zuschlags zu hören; die Entscheidung hierüber ist gemäß §§ 79 ff. ZVG zu treffen und nach § 87 Abs. 1 ZVG noch im Versteigerungstermin oder einem sofort zu bestimmenden Termin zu verkünden. Dem Meistbietenden ist nach § 81 Abs. 1 ZVG der Zuschlag zu erteilen, wenn kein Versagungsgrund (§§ 74a, 83, 85 f. ZVG) vorliegt. Durch den Zuschlag erwirbt der Meistbietende gemäß § 90 Abs. 1 ZVG originär und unabhängig von Gut- oder Bösgläubigkeit Eigentum am Grundstück und an den Gegenständen, auf die sich die Versteigerung erstreckt hat, §§ 90 Abs. 2, 55 ZVG. Im Interesse des Schutzes vorrangiger Gläubiger und des Schuldners vor „Verschleuderung“ seines Grundbesitzes stellt das Gesetz jedoch gewisse Mindestanforderungen an die zu berücksichtigenden Gebote (ausführlich Lackmann, Rn. 443 ff.):
Das geringste Gebot (§ 44 Abs. 1 ZVG) ist das Gebot, das ein Ersteher wegen Rechte anderer, die dem die Versteigerung betreibenden Gläubiger vorgehen (beachte insofern die Rangfolge des § 10 Abs. 1 ZVG) mindestens bieten muss („Deckungsprinzip“); es dient also dem Schutz vorrangiger Gläubiger. Das Mindestgebot (§§ 74a, 85a ZVG) ist das Gebot, das im Hinblick auf den Grundstückswert (zumindest im ersten Versteigerungstermin, vgl. §§ 74a Abs. 4, 85a Abs. 2 ZVG) mindestens zu bieten ist; es soll eine „Verschleuderung“ des Grundstücks verhindern und dient damit dem Schutz des Eigentümers. Beim Bargebot (§ 49 Abs. 1) handelt es sich um den vom Ersteher vor dem Verteilungstermin bar zu zahlenden Betrag; i. e.: Verfahrenskosten (§ 109 ZVG) + Ansprüche nach §§ 10 Nrn. 1–3, 12 Nrn. 1–2 ZVG + Differenz zwischen Meistgebot (§ 81 Abs. 1 ZVG) und geringstem Gebot (§ 44 Abs. 1 ZVG). Das Bargebot umfasst also nicht die vorgehenden, bestehen bleibenden Rechte. Die Frage, welche Rechte am Grundstück nach dem Zuschlag fortbestehen und vom Ersteher zu übernehmen sind oder erlöschen, regelt § 91 Abs. 1 ZVG. Danach ergibt sich folgendes Bild: Bestehen bleiben gemäß § 52 Abs. 1 S. 1 ZVG diejenigen Rechte, die bei der Berechnung des geringsten Gebots berücksichtigt sind und vom Ersteher nicht durch Barzahlung (§ 49 ZVG) zu decken sind. Dies sind also insbesondere diejenigen Rechte, die gemäß § 10 Abs. 1 ZVG Recht des die Vollstreckung Betreibenden vorgehen; diese sind deshalb auch nicht aus dem Versteigerungserlös zu befriedigen, sondern werden vom Ersteher übernommen, der insoweit auch nicht barleistungspflichtig nach § 49 ZVG ist („Übernahmeprinzip“). Es obliegt dem Ersteher, diese übernommenen Rechte außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens zu befriedigen (Clemente, Rn. 841), notfalls können die Inhaber der fortbestehenden Rechte in einem neuen Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den nunmehrigen Ersteher ihre Befriedigung suchen.
11.2 Grundpfandrechte
915
Die übrigen Rechte, insbesondere also nachrangige, erlöschen dagegen mit dem Zuschlag, §§ 52 Abs. 1 S. 2, 91 Abs. 1 ZVG, und setzen sich entsprechend ihrer Rangfolge in Form eines Anspruchs auf Wertersatz aus dem Versteigerungserlös fort, § 92 Abs. 1 ZVG. Der Erlös ist im Verfahren nach §§ 105 ff. ZVG zu verteilen. Beispiel: Zur Sicherung von Kreditforderungen hat E an seinem Grundstück dem A eine erstrangige Grundschuld in Höhe von 100.000 €, dem B eine zweitrangige Grundschuld in Höhe von 50.000 € und dem C eine drittrangige Hypothek in Höhe von 20.000 € bestellt. Dem D schuldet E aus einem Autokauf 20.000 €, Sicherheiten hierfür bestehen nicht. Rückständige Grundsteuerforderungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG bestehen in Höhe von 2.000 €. Das Grundstück soll im Wege der Zwangsvollstreckung (Verfahrenskosten: 3.000 €) versteigert werden: a) auf Antrag des D b) auf Antrag des B. Variante a): Als lediglich persönlicher Gläubiger fällt D unter § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG. Die Rechte des A, B und C gehen ihm nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG vor, ebenso die Grundsteuerforderung (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG). Das geringste Gebot (§ 44 Abs. 1 ZVG) beträgt also 175.000 € (100.000 € + 50.000 € + 20.000 € + 2.000 € + 3.000 €). Beläuft sich das Meistgebot im Versteigerungstermin auf 200.000 €, hat der Ersteher als Bargebot gemäß § 49 Abs. 1 ZVG 25.000 € (3.000 € + 2.000 € + € 25.000 €) vor dem Verteilungstermin bar zu entrichten. Wegen § 52 Abs. 1 S. 1 ZVG bleiben die Rechte des A, B und C bestehen, da sie in das geringste Gebot fallen und nicht zu den nach § 49 Abs. 1 ZVG zu deckenden Ansprüchen zählen; sie werden vom Ersteher übernommen, § 56 S. 2 ZVG. Variante b): Als Inhaber eines Grundpfandrechts ist B dinglicher Gläubiger im Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG. Seinem Recht vorrangig sind lediglich die erstrangige Grundschuld des A (§ 879 Abs. 1 S. 1 BGB) und die Grundsteuerforderung. Das geringste Gebot beträgt also 105.000 € (100.000 € + 2.000 € + 3.000 €). Bei einem Meistgebot von 200.000 € hat der Ersteher gemäß § 49 Abs. 1 ZVG einen Betrag von 100.000 € (3.000 € + 2.000 € + 95.000 €) bar zu entrichten. Durch den Zuschlag erlöschen gemäß § 1181 Abs. 1 BGB bzw. §§ 91 Abs. 1, 52 Abs. 1 ZVG die Grundschuld des B und die Hypothek des C; beide sind entsprechend ihres Rangverhältnisses aus dem Versteigerungserlös zu befriedigen (§ 92 Abs. 1 ZVG). Etwaige danach noch verbleibende Überschüsse gebühren dem E. Die Grundschuld des A bleibt bestehen (§ 52 Abs. 1 S. 1 ZVG). Weitere Beispielsfälle bei Clemente, Rn. 815 ff. und Lackmann, Rn. 449 ff. Betreibt ein vorrangig berechtigter Gläubiger die Zwangsversteigerung, fallen die Rechte nachrangig berechtigter Gläubiger nicht in das geringste Gebot. Ihre Rechte erlöschen gemäß § 52 Abs. 1 S. 1, 2 ZVG; der Versteigerungserlös reicht aber vielfach nicht aus, um alle nachrangigen Rechte (§ 92 Abs. 1 ZVG) voll zu befriedigen, für sie besteht daher stets ein mehr oder weniger großes Ausfallrisiko. Um dies zu verhindern, eröffnen §§ 1150, 268 Abs. 1 S. 1, 1192 Abs. 1 BGB denjenigen Gläubigern, deren Rechte nicht unter das geringste Gebot fallen, die Möglichkeit, das Recht des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers abzulösen. Dieses Recht geht durch die Ablösung mitsamt seinem besseren Rang auf den Ablösenden über, § 268 Abs. 3 S. 1 BGB.
916 11.2.8.3.2
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Zwangsverwaltung
Alternativ zur Zwangsversteigerung können die Gläubiger im Wege der Zwangsverwaltung aus den laufenden Erträgen des Grundstücks befriedigt werden; an den Eigentumsverhältnissen am Grundstück ändert sich dadurch nichts. Diese Variante kommt vor allem für nicht dinglich gesicherte (persönliche) Gläubiger in Betracht, wenn das Grundstück bereits weitgehend durch vorrangige Grundpfandrechte belastet ist und die persönlichen Gläubiger bei einer Zwangsversteigerung daher leer auszugehen drohen. Daneben ist es in der Praxis üblich, Zwangsversteigerung und -verwaltung parallel zu betreiben, um auf Erträge des Grundstücks zugreifen zu können, die im Zeitraum zwischen Versteigerungsbeschluss und Versteigerung erzielt werden (die durchschnittliche Verfahrensdauer des Versteigerungsverfahrens liegt derzeit bei über zwei Jahren!). Der Beschluss, durch den auf Antrag eines Gläubigers die Zwangsverwaltung angeordnet wird, gilt zugunsten des Gläubigers als Beschlagnahme des Grundstücks (§§ 146 Abs. 1, 20 Abs. 1 ZVG), die nach § 148 Abs. 1 S. 1 ZVG auch Miet- und Pachtzinsforderungen umfasst. Gemäß § 148 Abs. 2 ZVG wird durch die Beschlagnahme dem Schuldner die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzogen; die Verwaltungsbefugnis steht fortan dem gerichtlich eingesetzten Verwalter (§ 150 Abs. 1 ZVG) in eigener Verantwortung zu, § 152 Abs. 1 ZVG. Auf Grundlage eines vom Vollstreckungsgericht für die ganze Verfahrensdauer aufzustellenden Teilungsplans werden die aus dem Grundstück fließenden Nutzungen auf die beteiligten Gläubiger verteilt, deren Rangfolge sich gemäß § 155 Abs. 2 ZVG auch hier grundsätzlich nach § 10 Abs. 1 ZVG richtet. Die Zwangsverwaltung wird durch gerichtlichen Beschluss aufgehoben, wenn die beteiligten Gläubiger befriedigt sind, § 161 Abs. 2 ZVG.
11.2.9
Grundpfandrechte in der Insolvenz
Als dingliche Rechte vermitteln Grundpfandrechte in der Insolvenz sowohl des Grundstückseigentümers als auch des Pfandrechtsinhabers eine gegenüber lediglich persönlichen Gläubigern des Insolvenzschuldners privilegierte Stellung. 11.2.9.1
Insolvenz des Grundstückseigentümers
11.2.9.1.1
Abgesonderte Befriedigung
Insbesondere bei juristischen Personen als Darlehensnehmer und Sicherungsgeber führt die Kündigung eines grundpfandrechtlich besicherten Darlehens und die damit eintretende Rückzahlungspflicht nicht selten zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zwar fällt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch das grundpfandrechtlich belastete Grundstück des Darlehensnehmers in die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO). Da der Darlehensgeber als Gläubiger der Darlehensforderung (auch) persönlicher Gläubiger des Schuldners und damit gemäß § 38 (auch) Insolvenzgläubiger ist, wäre er als solcher wegen § 89 Abs. 1 InsO an der Einzelzwangsvollstreckung in einzelne Vermögensgegenstände des Schuldners gehindert und zusammen mit den übrigen Insolvenzgläubigern auf die regelmäßig nur anteilige Befriedigung aus der Insolvenzmasse beschränkt. Die grundpfandrechtliche Absicherung des Gläubigers enthebt ihn jedoch aus dem Kreis der Insolvenzgläubiger (vgl. § 52 InsO): Nach § 49 InsO ist der Grundpfandrechtsinhaber zur abgesonderten Befriedigung aus dem Grundstück und den mithaftenden Gegenständen gemäß ZVG berechtigt, er kann also ungeachtet des Insolvenzverfahrens daneben die Einzelzwangsvollstreckung in das Grundstück
11.2 Grundpfandrechte
917
betreiben und sich aus dem Erlös befriedigen. Die Einzelzwangsvollstreckung kann dann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen (§§ 30d, e ZVG) einstweilen eingestellt werden. 11.2.9.1.2
Zeitpunkt des Rechtserwerbs
Voraussetzung für die Einzelzwangsvollstreckung nach § 49 InsO ist allerdings, dass das Grundpfandrecht vor Insolvenzeröffnung erworben wurde (§ 91 Abs. 1 InsO). Bei mehraktigen Erwerbstatbeständen, wie bei der Bestellung von Grundpfandrechten (Einigung, Eintragung, ggf. Briefübergabe), ist für den „Erwerb“ grundsätzlich vorauszusetzen, dass sämtliche Teilakte des jeweiligen Erwerbstatbestands vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vollendet sind. Lediglich für die Eintragung gelten hier zwei Ausnahmen: Liegt eine bindende Einigung über die Grundschuldbestellung nach § 873 Abs. 2 Alt. 1–4 BGB vor und wurde und der Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt vor Insolvenzeröffnung gestellt (§ 91 Abs. 2 InsO, § 878 BGB), hindert auch die darauffolgende Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht die Eintragung und damit den Rechtserwerb (§ 140 Abs. 2 InsO); die Kenntnis des Grundpfandrechtserwerbers von der Insolvenzeröffnung schadet dabei nicht. Daneben besteht unter den Voraussetzungen des § 892 Abs. 1 S. 1, 2 BGB (§ 91 Abs. 2 InsO) auch bei bereits eröffnetem Insolvenzverfahren noch die Möglichkeit des Erwerbs des Grundpfandrechts, solange im Grundbuch noch kein Insolvenzvermerk eingetragen ist und der Erwerber keine Kenntnis von der Insolvenzeröffnung hat. 11.2.9.1.3
Rechte des Insolvenzverwalters
Das Recht, aus dem Grundpfandrecht die Zwangsvollstreckung zu betreiben, steht im Falle der Insolvenz neben dem Grundpfandrechtsinhaber (§ 49 InsO) aber auch dem Insolvenzverwalter zu (§ 165 InsO, § 172 ZVG), dessen Recht am Erlös jedoch nur im Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG steht. Ist aus der Verwertung des Grundstücks allerdings kein Übererlös zugunsten der Masse zu erwarten, kann der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Verwaltungsund Verfügungsbefugnis das belastete Grundstück auch freigeben, d. h. in das nicht von der Insolvenz betroffene Vermögen des Insolvenzschuldners überführen. Damit nicht automatisch verbunden ist aber eine Freigabe des Anspruchs des Insolvenzschuldners auf Rückgewähr der Grundschuld (Palandt/Bassenge, § 1191 Rn. 41). Das Recht des Grundpfandrechtsinhabers zur abgesonderten Befriedigung entzieht das belastete Grundstück der Verwertung zugunsten der Insolvenzgläubiger. Um hier missbräuchliche, gläubigerbenachteiligende Schmälerungen der Masse zu verhindern, sehen §§ 129 ff. InsO in bestimmten Fällen die Anfechtbarkeit derartiger „Rechtshandlungen“ durch den Insolvenzverwalter vor. Anfechtbare Rechtshandlungen sind insbesondere die Bestellung der Grundschuld, aber auch bereits die Verpflichtung hierzu in der Sicherungsabrede, wenn die Vollendung der Rechtshandlung (bei mehreren Teilakten s. § 140 Abs. 2 InsO) in die durch §§ 130 ff. InsO näher bezeichneten Zeiträume fällt. Vermögen, das der Erwerber durch eine nach §§ 129 ff. InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat, ist gemäß § 143 Abs. 1 S. 1 InsO wieder der Insolvenzmasse zuzuführen; der Anspruch kann vom Insolvenzverwalter einrede- oder klageweise geltend gemacht werden.
918 11.2.9.2
11 Darlehen und grundpfandrechtliche Sicherung Insolvenz des Grundpfandrechtsinhabers
In der Insolvenz des Darlehensgebers und Grundpfandrechtsinhabers fällt grundsätzlich auch ein für ihn bestelltes Grundpfandrecht in die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) – soweit es noch für ihn besteht und nicht bereits wieder durch etwaige Zahlungen auf den Eigentümer übergegangen und damit eine Eigentümergrundschuld entstanden ist. Ist der Darlehensgeber noch Inhaber einer Grundschuld, aber steht dem Eigentümer ein Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld zu (weil mittlerweile der Sicherungszweck entfallen ist), so gewährt § 47 InsO dem Eigentümer ein Recht auf Aussonderung der Grundschuld aus der Insolvenzmasse. Der Eigentümer kann daher unabhängig vom Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter Rückgewähr der Grundschuld verlangen (Clemente, Rn. 1024).
Literaturverzeichnis zu Kapitel 11
Literaturverzeichnis zu Kapitel 11 Baur/Stürner: Sachenrecht, 18. Aufl. 2009. Brox/Walker: Besonderes Schuldrecht, 37. Aufl. 2013. Claussen (Hg.): Bank- und Börsenrecht, 4. Aufl. 2008. Clemente: Recht der Sicherungsgrundschuld, 4. Aufl. 2008. juris Praxiskommentar BGB (Hg. Herberger/Martinek u. a.), 6. Aufl. 2013. Krepold/Fischbeck: Bankrecht, 2009. Lackmann: Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl. 2013. Looschelders: Schuldrecht Besonderer Teil, 8. Aufl. 2013. Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl. 2013. Prütting: Sachenrecht, 35. Aufl. 2013. Staudinger: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Thomas/Putzo: Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2013. Vieweg/Werner: Sachenrecht, 6. Aufl. 2013. Wolf/Wellenhofer: Sachenrecht, 27. Aufl. 2013.
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12
Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung Florian Beer
12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.3.1 12.1.3.2 12.1.4 12.1.4.1 12.1.4.2 12.1.4.3 12.1.5 12.1.5.1 12.1.5.2 12.1.5.3 12.1.6 12.1.6.1 12.1.6.2 12.1.6.3 12.1.7 12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.2.1 12.2.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.4.1 12.2.4.2 12.2.4.2.1 12.2.4.2.2 12.2.4.2.3 12.2.4.2.4
Grundlagen des Kapitalmarktrechts .............................................................. 924 Einführung ..................................................................................................... 924 Begrifflichkeiten ............................................................................................ 925 Regelungsziele des Kapitalmarktrechts ......................................................... 926 Marktfunktionsschutz .................................................................................... 926 Anlegerschutz ................................................................................................ 927 Rechtsgrundlagen des Kapitalmarktrechts .................................................... 927 Wesentliche europäische Richtlinien und Verordnungen .............................. 928 Deutsche Rechtsquellen................................................................................. 928 Vermischung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Normen............... 929 Struktur des deutschen Kapitalmarktrechts ................................................... 930 Primärmarkt und Sekundärmarkt................................................................... 930 Organisierte und nicht organisierte Märkte ................................................... 930 Regulierter Markt und Freiverkehr ................................................................ 930 Teilnehmer des Kapitalmarkts ....................................................................... 931 Anlegerpublikum ........................................................................................... 931 Emittenten ..................................................................................................... 932 Kreditinstitute und Finanzvermittler ............................................................. 932 Kapitalmärkte und Immobilienfinanzierung.................................................. 933 Der offene Immobilienfonds ......................................................................... 934 Begriff und Entwicklung ............................................................................... 934 Rechtsvorschriften ......................................................................................... 935 Geltende Gesetzeslage ................................................................................... 935 Entwurf des Kapitalanlagengesetzbuchs ....................................................... 935 Die rechtliche Grundstruktur des offenen Fonds ........................................... 937 Das Sondervermögen .................................................................................... 937 Rechtsnatur .................................................................................................... 937 Anlagegrundsätze .......................................................................................... 938 Direktanlage in Immobilien (§ 67 InvG) ....................................................... 938 Beteiligungen an einer Immobiliengesellschaft............................................. 939 Grundsatz der Risikomischung...................................................................... 939 Unbegrenzte Dauer des Immobilienfonds ..................................................... 940
922 12.2.4.2.5 12.2.4.3 12.2.5 12.2.5.1 12.2.5.2 12.2.5.3 12.2.5.3.1 12.2.5.3.2 12.2.5.3.3 12.2.5.3.4 12.2.5.3.5 12.2.5.3.6 12.2.5.3.7 12.2.6 12.2.6.1 12.2.6.2 12.2.7 12.2.7.1 12.2.7.2 12.2.7.3 12.2.8 12.2.9 12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.2.1 12.4.2.2 12.4.3 12.4.3.1 12.4.3.2 12.4.4 12.4.4.1 12.4.4.1.1 12.4.4.1.2 12.4.4.2 12.4.5 12.4.5.1 12.4.5.2 12.4.5.2.1 12.4.5.2.2 12.4.5.2.3 12.4.5.3
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung Anlage in liquiden Mitteln ............................................................................ 940 Bewertung des Sondervermögens ................................................................. 940 Die Kapitalanlagegesellschaft ........................................................................941 Tätigkeit und Rechtsform .............................................................................. 941 Erlaubnispflicht ............................................................................................. 942 Rechtsverhältnis zu den Anlegern ................................................................. 942 Investmentvertrag .......................................................................................... 942 Verhaltenspflichten ....................................................................................... 943 Erwerb der Anteile – Anteilsschein............................................................... 943 Open-End-Prinzip ......................................................................................... 944 Mindestausschüttung ..................................................................................... 944 Rückgabe der Anteile .................................................................................... 944 Aussetzung der Anteilsrücknahme ................................................................ 945 Die Depotbank ...............................................................................................946 Allgemeines .................................................................................................. 946 Pflichten der Depotbank ................................................................................ 946 Kapitalmarktrechtliche Anforderungen des offenen Fonds............................947 Verkaufsprospekt und wesentliche Anlegerinformationen ........................... 947 Prospekthaftung............................................................................................. 948 Anforderungen an die Anlagenvermittlung eines Immobilienfonds ............. 949 Aufsicht ..........................................................................................................949 Sekundärmarkt des offenen Immobilienfonds................................................950 Immobilienspezialfonds .................................................................................951 Begriff und Typologie ....................................................................................951 Voraussetzung des Immobilienspezialfonds ..................................................952 Rechtliche Abweichung gegenüber dem Publikumsfonds .............................952 Geschlossener Fonds ......................................................................................953 Begriff und Entwicklung ................................................................................953 Rechtsvorschriften..........................................................................................953 Geltende Gesetzeslage .................................................................................. 953 Entwurf des Kapitalanlagegesetzbuchs ......................................................... 953 Die Grundstruktur eines geschlossenen Immobilienfonds .............................955 Betreibermodell ............................................................................................. 955 Immobilien-Leasing-Modell ......................................................................... 955 Gesellschaftsrechtliche Grundzüge des geschlossenen Fonds .......................956 Rechtsformwahl ............................................................................................ 956 Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ....................................................... 956 GmbH & Co. KG .......................................................................................... 957 Das Sonderrecht der Publikumsgesellschaft ................................................. 958 Kapitalmarktrechtliche Regelungen des geschlossen Fonds ..........................959 Verkaufsprospekt und Vermögensanlagen-Informationsblatt ....................... 960 Prospekthaftung............................................................................................. 960 Fehlerhaftes Verkaufsprospekt ...................................................................... 960 Fehlendes Verkaufsprospekt ......................................................................... 962 Unrichtiges Vermögensanlagen-Informationsblatt ....................................... 962 Rechnungslegung .......................................................................................... 963
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung 12.4.5.4 12.4.6 12.4.7 12.5 12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.3.1 12.5.3.2 12.5.3.3 12.5.3.4 12.5.4 12.5.4.1 12.5.4.2 12.5.4.3 12.5.4.4 12.5.4.5 12.5.5 12.5.6 12.5.6.1 12.5.6.2 12.5.6.3 12.6 12.6.1 12.6.2 12.6.3
923
Anforderungen an die Anlagenvermittlung eines Fonds ............................... 963 Aufsicht ......................................................................................................... 963 Sekundärmarkt des geschlossenen Immobilienfonds .................................... 963 REIT-AG (Real Estate Investment Trusts) .................................................... 964 Begriff und Entwicklung ............................................................................... 964 Rechtsvorschriften ......................................................................................... 965 Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen der REIT-AG ............................... 965 Sitz und Firma ............................................................................................... 965 Unternehmensgegenstand .............................................................................. 965 Aktionärsstellung und -struktur ..................................................................... 966 Finanzierungs- und Vermögensstruktur ........................................................ 967 Kapitalmarktrechtliche Anforderungen ......................................................... 968 Pflicht zur Börsennotierung ........................................................................... 968 Voraussetzungen der Börsenzulassung ......................................................... 968 Wertpapierprospekt ....................................................................................... 969 Prospekthaftung ............................................................................................. 969 Folgepflichten der Börsenzulassung .............................................................. 969 Der Weg zur REIT-AG ................................................................................. 970 Aufsicht und Kontrolle der REIT-Anforderungen......................................... 971 Steuerrechtliche Sanktionen .......................................................................... 971 Kapitalmarktrechtliche Aufsicht.................................................................... 972 Gesellschaftsrechtliche Überwachung ........................................................... 973 Immobilienaktiengesellschaft ........................................................................ 973 Begriff und Abgrenzung ................................................................................ 973 Rechtsvorschriften ......................................................................................... 973 Finanzierung .................................................................................................. 974 Literaturverzeichnis zu Kap. 12..................................................................... 975
924
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
12.1
Grundlagen des Kapitalmarktrechts
12.1.1
Einführung
Die im vorhergehenden Kapitel dargestellte traditionelle Finanzierung in Form eines grundpfandrechtlich gesicherten Bankdarlehens, ist das übliche Mittel um eine direkte Investition in Immobilien zu ermöglichen. Die Direktanlage in Immobilien, insbesondere das Eigentum an Grundstücken, macht mit gewaltigem Abstand den Großteil des deutschlandweiten Immobilienvermögens aus. So halten allein die privaten Haushalte in Deutschland Immobilien im Wert von über neun Billionen Euro. Indessen ist der Einsatz der traditionellen Finanzierung für bestimmte Immobilienprojekte, z. . im Bereich der Gewerbeimmobilien (Bürogebäude, Einkaufszentren), begrenzt. Ein hohes Investitionsvolumen steigert die notwendige Eigenleistung der Projektentwickler und verringert aufgrund der Risikokonzentration die Bereitschaft der Banken Kredite zu vergeben. Ferner ist die Direktanlage aus der Sicht eines Investors unflexibel und mit hohen Transaktionskosten verbunden. Die Hauptgründe hierfür liegen in den strikten rechtlichen Vorgaben, wie der notariellen Beurkundung und dem Grundbucheintrag sowie der steuerlichen Belastung (Grunderwerbssteuer). Alternativ kann die Kapitalaufnahme auch durch eine Finanzierung über den Kapitalmarkt erfolgen. Ein Projektentwickler oder ein Immobilienhändler bezieht dabei als Kapitalnehmer unmittelbar Geldmittel vom Kapitalgeber gegen Ausgabe von Wertpapieren wie z. B. Geschäfts- oder Fondsanteilen. Die Rolle der Bank als Finanzintermediator entfällt in diesem Zusammenhang. Die Vorteile des kapitalaufnehmenden Unternehmens sind: Großer Kreis an potentiellen Anlegern (Privatanleger, institutionelle Investoren) Zugang zu internationalen Investoren und unterschiedlichen Finanzmärkten Stärkung des Eigenkapitals Erhöhung des Bekanntheitsgrads Aus der Sicht des Anlegers handelt es sich im Hinblick auf eine Immobilienbeteiligung um eine indirekte Investition, da kein unmittelbares Eigentum an einer Immobilie erworben wird. Der Anleger erhält vielmehr Anteile an einem Unternehmen, welches erst in Immobilien investiert. Als Vorteile dieser kollektiven Vermögensanlage sind zu nennen:
Partizipation an der Portfoliobildung eines Immobilieninvestors Teilhabe an den sachlichen und personellen Ressourcen des Investors Ermöglichung von Investitionen in teure Gewerbeimmobilien Geringe Transaktionskosten (keine Grunderwerbssteuer oder Notargebühren) Keine Grundbuchänderung Ggf. Handelbarkeit der Wertpapiere an liquiden Sekundärmärkten
Einige Instrumente der indirekten Immobilieninvestition besitzen eine lange Tradition, wie der offene Immobilienfonds (ausführlich Abschn. 12.2) oder der geschlossene Immobilienfonds (hierzu Abschn. 12.4). Hingegen besteht im Vergleich zur Unternehmensfinanzierung nur eine begrenzte Anzahl an Produkten zur Finanzierung einer Immobilieninvestition an den nationalen Börsen. Hier dürften in Zukunft die größten Entwicklungen zu beobachten sein, insbesondere durch die Einführung der deutschen REIT-AG (unten Abschn. 12.5). Auch einer Finanzierung durch Immobilienverbriefung wird bei den jetzigen Bedingungen eine größere Bedeutung zukommen (siehe hierzu Schulte Band I Abschn. 5.3).
12.1 Grundlagen des Kapitalmarktrechts
925
Den genannten Anlageinstrumenten ist gemein, dass sie Produkte des Kapitalmarkts sind und ihre rechtliche Grundlage demzufolge im Kapitalmarktrecht finden. Für das Verständnis der einzelnen Instrumente ist es förderlich, zunächst die grundlegende Struktur und die wesentliche rechtliche Terminologie zu begreifen.
12.1.2
Begrifflichkeiten
Das Kapitalmarktrecht ist eine Rechtsmaterie, die sich im stetigen Wandel befindet. Diese Dynamik und damit verbunden seinen besonderen Reiz erhält das Kapitalmarktrecht durch die Erscheinungen und Innovationen der Kapitalmärkte und seiner Teilnehmer sowie der Internationalisierung der Handelsplätze. Der Gesetzgeber reagiert auf diese Entwicklung, indem er bemüht ist, die Kapitalmärkte und deren Produkte stärker zu regulieren. Nachdem Jahrzehnte lang die rechtlichen Grundlagen der Börse und des Wertpapierhandels wenig Veränderungen erfahren haben, ist heutzutage in kaum einem anderen Rechtsgebiet ein solches Maß an Gesetzgebungsvorhaben anzutreffen, sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer und internationaler Ebene. Unter dem Begriff des Kapitalmarktrechts hat sich ein eigenständiges, von anderen Teilen der Rechtsordnung losgelöstes Rechtsgebiet entwickelt. Es ist jedoch weder klar und genau umschrieben noch kann das Kapitalmarktrecht leicht zu anderen Rechtsgebieten abgegrenzt werden. Das Kapitalmarktrecht steht zwischen dem Privatrecht, dem öffentlichen Recht und dem Strafrecht, kann aber keinem der übergeordneten Rechtsgebiete eindeutig zugeordnet werden. Die Definition des Kapitalmarktrechts ist eng mit dem Begriff des Kapitalmarkts verbunden. So wird vielfach das Kapitalmarktrecht definiert als „die Gesamtheit der Normen, Geschäftsbeziehungen und Standards, mit denen die Organisation der Kapitalmärkte und die auf sie bezogenen Tätigkeiten sowie das marktbezogene Verhalten der Marktteilnehmer beschrieben werden“ (Kümpel/Wittig/Oulds, Rn. 14.5). Das Kapitalmarktrecht dient folglich einer rechtlichen Betrachtung der Kapitalmärkte, seiner Organisation und Struktur, der teilnehmenden Personen sowie der am Kapitalmarkt gehandelten Produkte. Bisher hat sich weder in der Rechtswissenschaft noch in den Wirtschaftswissenschaften ein übereinstimmendes Verständnis des Terminus „Kapitalmarkt“ entwickelt. Allerdings ergibt sich aus den Wortbestandteilen „Kapital“ und „Markt“ eine geeignete Bestimmung. Demnach wird als „Markt“ mehrheitlich ein Ort oder eine Einrichtung verstanden, an dem Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden. Der Terminus „Kapital“ bezeichnet hingegen Vermögen, welches Gewinn abwirft. Demzufolge handelt es sich bei einem Kapitalmarkt, um einen Handelsplatz, an dem Kapital angeboten und nachgefragt wird; in der Regel erfolgt dies durch den Einsatz standardisierter Anlageprodukte, wie Aktien, Anleihen oder Derivate. Anhand der gehandelten Titel lassen sich auch weitere Eingrenzungen vornehmen. So wird als „Kapitalmarkt im engeren Sinne“ der Markt bezeichnet, an welchem die in § 2 Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) aufgeführten Wertpapiere gehandelt werden (Kümpel/Wittig/Oulds, Rn. 14.29). Die Wesentlichsten sind:
Aktien, Anteile, soweit sie mit Aktien vergleichbar sind (vor allem Anteile ausländischer Gesellschaften) oder
926
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung Schuldtitel, insbesondere Genussscheine und Inhaberschuldverschreibungen (Anleihen) sowie Anteile an einem Investmentvermögen.
Wertpapiere im Sinne des WpHG zeichnen sich vor allem durch ihre Standardisierung, Handelbarkeit und Übertragbarkeit aus, sog. kapitalmarktrechtlicher Wertpapierbegriff. Abzugrenzen ist der kapitalmarktrechtliche Wertpapierbegriff von der allgemeinen, zivilrechtlichen Definition, nach der Urkunden als Wertpapiere einzuordnen sind, wenn das verbriefte Recht ohne die Innehabung der Schuldurkunde nicht geltend gemacht werden kann, sog. zivilrechtlicher Wertpapierbegriff (Schimansky/Bunte/Lwowski/Merkel § 93 Rn. 80). Indessen sind auch die Produkte des sog. „Grauen Kapitalmarkts“ dem Kapitalmarktrecht zuzuordnen (Lenenbach, Rn. 1.84). Diese Titel werden zwar nicht vom Wertpapierbegriff des WpHG umfasst, z. B. Anteile an einem geschlossenen Immobilienfonds. Nichtsdestotrotz werden die Produkte des „Grauen Kapitalmarkts“ von einer zunehmenden Anzahl kapitalmarktrechtlicher Normen reguliert; man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Kapitalmarkt im weiteren Sinne“. Weitere Beispiele des „Grauen Kapitalmarkts“ sind Geschäftsanzeigen in der Zeitung oder Steuersparmodelle wie Film- oder Schiffsfonds.
12.1.3
Regelungsziele des Kapitalmarktrechts
Das verbindende Element der verschiedenen Normen des deutschen wie auch des europäischen Kapitalmarktrechts sind die damit verknüpften Regelungsziele namentlich: Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts (Marktfunktionsschutz) Anlegerschutz Beim Anlegerschutz wird jedoch zwischen einem individuellen Anlegerschutz, der in der Nähe des Verbraucherschutzes anzusiedeln ist und einem überindividuellen, sog. institutionellen Anlegerschutz differenziert (Buck-Heeb, Rn. 13 f.). Im Gegensatz zum individuellen Anlegerschutz, dessen Hauptzweck in der Stärkung der Rechte eines einzelnen Anlegers zu sehen ist, bezweckt der institutionelle Anlegerschutz die Sicherheit des gesamten Anlegerpublikums und ist somit dem Marktfunktionsschutz zuzuordnen. Die Unterscheidung zwischen dem individuellen Anlegerschutz und dem Funktionsschutz der Märkte bedeutet allerdings nicht, dass sich die beiden Regelungsziele konträr gegenüber stehen. Vielmehr bilden nicht selten beide Funktionen den Sinn und Zweck derselben kapitalmarktrechtlichen Norm und können sich darüber hinaus auch gegenseitig verstärken. Ziel des Gesetzgebers ist es, bei der Regelung des Kapitalmarkts beide Funktionen in ein bestmögliches Verhältnis zu setzen. 12.1.3.1
Marktfunktionsschutz
Die Funktionalität des Marktes ist vor allem durch das öffentliche Interesse an einem effektiven und effizienten Kapitalmarkt geprägt (Kümpel/Wittig/Oulds, Rn. 14.143), welches aus der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Kapitalmärkte resultiert. Der Marktfunktionsschutz gliedert sich in drei Unterarten:
Allokationseffizienz, institutionelle Effizienz und operationale Effizienz.
12.1 Grundlagen des Kapitalmarktrechts
927
Unter dem Terminus Allokationseffizienz versteht sich die Aufgabe, das Investitionskapital dorthin zu leiten, wo es am meisten benötigt wird und am sinnvollsten verwendet werden kann (Steuerungsfähigkeit). Wesentlich zur Allokation des Kapitals tragen Transparenzund Informationspflichten bei, indem sie dafür Sorge tragen, dass die Anleger über die Finanzinstrumente und die damit verbundenen Möglichkeiten und Risiken aufgeklärt werden (Lenenbach, Rn. 1.73). Dies ermöglicht ihnen eine fundierte Anlageentscheidung treffen zu können. Daneben sind Informationen und Transparenz unerlässlich, damit Anleger überhaupt Vertrauen in eine Investition am Kapitalmarkt fassen können (Buck-Heeb, Rn. 11). Die operationale Effizienz ist verwirklicht, wenn die Kosten für die Nutzung des Kapitalmarkts, d. h. für die Emission eines Wertpapiers sowie dessen Handel so gering wie möglich sind (sog. Transaktionskosten). Endlich ist die institutionelle Effizienz zu beachten. Sie setzt voraus, dass die Einrichtungen des Kapitalmarkts wirksame Marktmechanismen gewährleisten. Hierunter werden insbesondere der ungehinderte Zugang zum Markt, standardisierte Produkte und genügende Liquidität des Marktes verstanden (Kümpel/Wittig/Oulds, Rn. 14.148). Ferner sollten die Institutionen des Kapitalmarkts die zuvor genannten Aspekte der allokativen und operationalen Effizienz sicherstellen. 12.1.3.2
Anlegerschutz
Der Erfolg des Kapitalmarkts ist im Wesentlichen auch vom Vertrauen der Anleger in die Funktionalität und Integrität des Marktes abhängig, so dass die Berücksichtigung des Anlegerschutzes zwingendes Gebot eines jeden Handelsplatzes ist (Lang/Kühne, WM 2009, 1301, 1307). Bei einer Investition sind unterschiedliche Arten von Risiken zu unterscheiden:
Substanzrisiko, Informationsrisiko, Verwaltungs- und Abwicklungsrisiko, Interessenvertretungsrisiko, Liquiditätsrisiko und Konditionenrisiko.
Der Anlegerschutz ist dann verwirklicht, wenn die genannten Risiken auf ein solches Maß reduziert sind, dass dem Anleger eine Entscheidung möglich ist, die seinem Anlageinteresse und seiner Risikobereitschaft entspricht. Typische Maßnahmen zur Umsetzung des Anlegerschutzes sind kapitalmarktrechtliche Publizitäts-, Informations- und Transparenzvorschriften (z. B. der Verkaufsprospekt eines offenen Immobilienfonds) sowie Aufklärungsund Beratungspflichten.
12.1.4
Rechtsgrundlagen des Kapitalmarktrechts
Das Kapitalmarktrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es keinen fest abgrenzbaren Regelungsgehalt besitzt. Vielmehr ist es mit einer Schar von anderen Rechtsgebieten stark verzahnt. So bestehen Überschneidungen mit dem klassischen Zivilrecht, dem Handelsrecht, dem Bankrecht sowie dem Gesellschaftsrecht, insbesondere mit den Vorschriften über die Aktiengesellschaft. Nichtsdestotrotz existieren Normen, die überwiegend dem Kapitalmarktrecht zugeordnet werden. Wie in den meisten Rechtsgebieten nehmen auch im Kapitalmarktrecht europarechtliche Vorgaben immer größer werdende Bedeutung ein.
928 12.1.4.1
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung Wesentliche europäische Richtlinien und Verordnungen
Viele der wesentlichen Änderungen der letzten Jahrzehnte im Bereich des Kapitalmarktrechts sind durch Vorgaben des europäischen Gesetzgebers initiiert. Hauptsächliche erfolgt dies durch EU-Richtlinien. Zu beachten ist jedoch, dass europäische Richtlinien keine unmittelbare Geltung entfalten, es bedarf vielmehr erst einer Umsetzung ins nationale Recht durch den jeweiligen nationalen Gesetzgeber. Dabei kommt dem nationalen Gesetzgeber ein gewisser Handlungsspielraum zu, wie er die europäische Vorgabe im Konkreten umsetzt. Mittlerweile ist jedoch eine Wandlung der Gesetzgebungstechnik zu verzeichnen: Zunehmend werden kapitalmarktrechtliche Regelungen vollständig oder zum Teil als EU-Verordnung erlassen, welche direkt in den Mitgliedsländern wirksam sind und somit kein weiterer Umsetzungsakt benötigt wird. Es kommt dementsprechend zu einer immer weiter reichenden Vollharmonisierung des Kapitalmarktrechts. Das Regelungsziel der europäischen Gesetzgebung ist wie im nationalen Recht die Sicherstellung des Anlegerschutzes und die Gewährleistung der Marktfunktion. Hinzukommend sollen zur Umsetzung der Wettbewerbsfreiheit und Schaffung eines funktionierenden Binnenmarkts innerhalb der europäischen Union auch transparente, effiziente und integrierte Finanzmärkte gefördert werden (vgl. Kommissionsvorschlag MiFID Amtsblatt C71E/2003, S. 62, 66). Als prominente Beispiele europäischer Vorgaben sind die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, die Marktmissbrauchs-Richtlinie, die OGAW-Richtlinie, die Transparenz-Richtlinie oder die Finanzmarkt-Richtlinie (sog. MiFID) zu nennen. Diese Richtlinien haben Schritt für Schritt die heutige Fassung des WpHG, des Börsengesetzes oder des Investmentgesetzes maßgeblich beeinflusst. Aktuell ist für das Fondswesen, insbesondere für den Immobilienfonds, die am 22.07.2011 in Kraft getretene AIFM-Richtlinie zu beachten. Ziel der Richtlinie ist die Verwalter eines Fonds (Alternative Investment Fund Manager kurz: AIFM) einer europaweit einheitlichen Regulierung und Aufsicht zu unterziehen. Dabei unterscheidet die Richtline nicht zwischen verschiedenen Anlageklassen und Fondstypen. Der deutsche Gesetzgeber hat bis zum 22.07.2013 Zeit die europäischen Vorgaben ins nationale Recht umzusetzen, siehe zu den Auswirkungen für den offenen Immobilienfonds Abschn. 12.2.2.2 und für den geschlossenen Immobilienfonds Abschn. 12.4.2.2. 12.1.4.2
Deutsche Rechtsquellen
Im deutschen Kapitalmarktrecht bestehen mit dem Börsengesetz (BörsG) und dem WpHG zwei zentrale Gesetzeswerke mit unterschiedlichem Regelungsgehalt und Regulierungsmethoden. Das Börsengesetz regelt die Organisation der Institution Börse und gibt konkrete Vorgaben zu deren Gestaltung. Auf diese Weise reguliert der Gesetzgeber, unter welchen Voraussetzungen eine Börse eröffnen kann, wie der Börsenhandel zu organisieren und durchzuführen ist und welche Anforderungen an die Teilnehmer und die an einer Börse gehandelten Wertpapiere gestellt werden. Die Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes setzen indessen am konkreten Verhalten der Marktteilnehmer an. Exemplarisch geschieht dies durch Verhaltenspflichten, z. B. das Insiderhandelsverbot (§ 14 WpHG) oder das Marktmanipulationsverbot (§ 20a WpHG) wie auch Beratungs- oder Aufklärungspflichten (§§ 30 ff. WpHG). Zu beachten ist auch das
12.1 Grundlagen des Kapitalmarktrechts
929
Kreditwesengesetz (KWG), welches neben der Regulierung der Banken auch Vorschriften für die Finanzdienstleistungsaufsicht enthält. Dies ist auch für den geschlossenen Fonds von Bedeutung, dessen Vertrieb mittlerweile als Finanzdienstleistung erlaubnispflichtig ist. Weitere wichtige Rechtsquellen im deutschen Kapitalmarktrecht sind Nebengesetze, die jeweils einen sehr speziellen Regelungsgehalt besitzen und eng mit dem BörsG und WpHG verbunden sind. Zu nennen ist im Besonderen das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG), welches die Anforderungen an Verkaufsprospekte für nicht-verbriefte Vermögensanlagen regelt (siehe für den geschlossenen Fonds Abschn. 12.4.5). Das VermAnlG ist erst seit dem 01.06.2012 in Kraft getreten ist und hat das Verkaufsprospektgesetz abgelöst. Weitere wichtige Nebengesetze sind das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) oder das Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz (WpÜG). Daneben gibt es Spezialgesetze, die Vorschriften für bestimmte Kapitalmarktprodukte enthalten wie das Investmentgesetz (InvG) für Investmentund Immobilienfonds oder das REIT-Gesetz (REITG) für die Immobilienaktiengesellschaft mit börsennotierten Anteilen. Zu beachten sind ferner die öffentlich-rechtlichen Verordnungen zum WpHG oder dem BörsG, insbesondere die Börsenordnungen (BörsO) der jeweiligen Börsenanstalten. Die BörsO ist die wesentliche Rechtsquelle für die konkrete Rechtsbeziehung eines Marktteilnehmers zu der Börsenanstalt. Daneben haben auch die privatrechtlichen Geschäftsbedingungen der Börsen eine starke Bedeutung, dies gilt insbesondere im Bereich des börslichen Freiverkehrs (hierzu unten 12.1.5.3). 12.1.4.3
Vermischung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Normen
Eine besondere Schwierigkeit des Kapitalmarktrechts liegt darin, dass es zu einer starken Vermischung des öffentlichen Rechts und des Privatrechts kommt. Viele Normen des Kapitalmarktrechts sind öffentlich-rechtlicher Natur, insb. aufsichtsrechtliche Vorschriften. D. h. der Adressat der Norm hat bestimmte Pflichten zu erfüllen, bei deren Nichterfüllung die Aufsichtsbehörde mit hoheitlichen Maßnahmen eingreifen kann. Beispielhaft für den Bereich des Investmentrechts sei die Erlaubnispflicht für den Geschäftsbetrieb einer Kapitalanlagegesellschaft genannt, § 7 Abs. 1 InvG (ausführlich hierzu Abschn. 12.2.5.2). Andere Normen sind hingegen dem Privatrecht zuzuordnen wie etwa die Prospekthaftung nach § 21 WpPG, die einem Anleger ein Schadensersatzanspruch für ein fehlerhaftes oder unvollständiges Börsenzulassungsprospekt gewährt (hierzu für eine REIT-AG Abschn. 12.5.4.4). Im Rahmen eines offenen Immobilienfonds richtet sich die Prospekthaftung hingegen nach § 127 InvG; für den geschlossenen Fonds nach §§ 20 ff. VermAnlG. Die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht hat für den Rechtsanwender wesentliche Folgen: Öffentlich-rechtliche Vorschriften können nicht durch die Beteiligten vertraglich abgewandelt oder abbedungen werden, da sie zwingender Natur sind. Hingegen sind privatrechtliche Normen vielfach disponibel. Das öffentliche Recht kann durch ein neues Gesetz zügig und ohne Einwilligung der Adressaten durch den Gesetzgeber geändert werden. Privatrechtliche Verträge benötigen indessen zur Änderung des Vertragsinhalts grundsätzlich die Zustimmung aller beteiligten Parteien. Ebenfalls ist für die Frage des Rechtswegs (Zivil- oder Verwaltungsgericht) die Einordnung der streitentscheidenden Norm maßgebend.
930
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
12.1.5
Struktur des deutschen Kapitalmarktrechts
12.1.5.1
Primärmarkt und Sekundärmarkt
Das Kapitalmarktrecht unterscheidet zwischen dem primären Kapitalmarkt, als Markt für die erstmalige Platzierung eines Wertpapiers (Emission) und dem Sekundärmarkt, als Platz an dem sich der daran anschließende Handel eines Wertpapiers vollzieht. Der Primärmarkt, auch Emissionsmarkt genannt, findet grundsätzlich außerbörslich statt. Bei der Emission eines Wertpapiers wird zwischen zwei grundsätzlichen Verfahren differenziert: Die direkte Veräußerung der Wertpapiere an die Anleger durch den Emittenten (Eigenemission) und der indirekten Ausgabe von Wertpapieren unter Zuhilfenahme eines Bankenkonsortiums (Fremdemission). In dieser Variante werden die Wertpapiere nicht unmittelbar von den Anlegern erworben, sondern zunächst an ein Bankenkonsortium vergeben, welches das gesamte Anleihevolumen für einen Festpreis übernimmt und erst in einem zweiten Schritt an die Anleger weiterreicht. Nach der Erstplatzierung eines Wertpapiers folgt dessen Handel am Sekundärmarkt. Der Begriff des Sekundärmarkts bezeichnet eine Einrichtung, an der die unterschiedlichen Interessen über den Kauf und Verkauf von kapitalmarktfähigen Produkten zusammengeführt werden. Wichtigster Sekundärmarkt für den Handel von Wertpapieren sind die Börsen. Daneben besteht auch ein außerbörslicher Handel von Wertpapieren mit unterschiedlichem Grad an Organisation und staatlicher Regulierung. 12.1.5.2
Organisierte und nicht organisierte Märkte
Der Begriff „organisierter Markt“ dient als Anknüpfungspunkt wesentlicher kapitalmarktrechtlicher Vorschriften, die wiederum eine Vielzahl von europäischen Vorgaben umsetzen. So gilt die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 15 WpHG (sog. Ad-hoc-Publizität) nur für Emittenten, die ihre Wertpapiere an einem organisierten Markt zugelassen haben. Zum anderen grenzt der Begriff des organisierten Markts einen gesetzlich regulierten Wertpapierhandelsplatz gegenüber sonstigen Erscheinungen des Wertpapierhandels ab. Nach herrschender Meinung sind die einzigen organsierten Märkte in Deutschland die nach §§ 32 ff. BörsG regulierten Märkte der Börsen (z. B. der General oder Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse). Keine organisierten Märkte sind die durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG) geschaffenen alternativen Sekundärmärkte in Form von multilateralen Handelssystemen (§ 31f WpHG) und systematische Internalisierer (§ 32 WpHG). Multilaterale Handelssysteme, sog. MTFs, sind eigenständige Handelssysteme auf elektronischer Grundlage, die die Funktionen des Börsenhandels übernehmen. Systematische Internalisierer sind Unternehmen, die Eigenhandel außerhalb organisierter Märkte und multilateraler Handelssysteme betreiben. Ebenfalls wird der Freiverkehr an der Börse nach § 48 BörsG (z. B. der „Open Market“ der Frankfurter Wertpapierbörse) nicht zu den organisierten Märkten gezählt, obwohl dieser sich faktisch an der Börse vollzieht. 12.1.5.3
Regulierter Markt und Freiverkehr
Aktuell bestehen für den Wertpapierhandel an nationalen Börsen nur zwei unterschiedliche Märkte: der regulierte Markt nach §§ 32 ff. BörsG und der Freiverkehr gem. § 48 BörsG.
12.1 Grundlagen des Kapitalmarktrechts
931
Wesentlicher Unterschied zwischen diesen Marktsegmenten ist die staatliche Regulierungsdichte, d. h. die Vorgaben an die Organisation des Marktes und die Bedingungen, zu welchen Teilnehmer und Wertpapiere am Handel zugelassen werden können. Der Handel im regulierten Markt i. S. d. § 32 BörsG wird hoheitlich genehmigt, reguliert und überwacht, und findet an der öffentlich-rechtlich organisierten Börsenanstalt statt. Die gesetzlichen Vorgaben enthalten eine detaillierte Regelung des Wertpapierhandels, so sind mit der Zulassung eines Wertpapieres zum regulierten Markt die zwingenden Voraussetzungen und Folgepflichten nach §§ 32 ff. BörsG für den Emittenten verbunden, z. B. die Erstellung eines Wertpapierprospekts (§ 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG). Darüber hinaus sind für den Wertpapierhandel am regulierten Markt eine Vielzahl von weiteren Vorschriften zu beachten, insbesondere Transparenz- und Informationspflichten des WpHG sowie Regelungen zur Verhinderungen des Marktmissbrauchs. Exemplarisch genannt sei die Vorschrift zur Mitteilung von Insiderinformationen nach § 15 Abs. 1 WpHG (sog. Ad-hoc-Publizitätspflicht). Die Vorgaben an den regulierten Markt dienen sowohl dem Anlegerschutz als auch der Marktfunktionalität. An diesem hohen Schutzniveau knüpfen weitere Regelungen an, so muss die REIT-AG ihre Börsenzulassung an einem regulierten Markt beantragen (ausführlich Abschn. 12.5.4.1). Hingegen ist die staatliche Einflussnahme in den Handel des Freiverkehrs geringer. Das wesentliche Regelwerk für den Handel und die Einbeziehung der Wertpapiere wird nicht durch den Gesetzgeber oder der öffentlich-rechtlichen Börsenanstalt vorgegeben, sondern obliegt der Gestaltung des Börsenträgers (z. B. Deutsche Börse AG), der ein Subjekt des Privatrechts ist. Dem Börsenträger ist es möglich, auf privatrechtlicher Grundlage, insbesondere durch die Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Handel im Freiverkehr zu gestalten und Pflichten an die Teilnehmer und die Wertpapiere zu erlassen. Dabei bleiben die Anforderungen an die Emittenten und die Wertpapiere regelmäßig unterhalb der staatlichen Vorgaben nach §§ 32 ff. BörsG. Neben den gesetzlich vorgegebenen Marktsegmenten ist eine zusätzliche Segmentierung des Börsenhandels, durch die Einführung von Teilsegmenten möglich. Innerhalb des Freiverkehrs hat die Frankfurter Wertpapierbörse das Segment des „Entry Standard“ eingeführt, welches durch zusätzliche Voraussetzungen und Pflichten an die Emittenten ein größeres Vertrauen der Anleger erreichen soll. Für den Bereich des regulierten Markts wurden durch die Frankfurter Wertpapierbörse die Teilsegmente „General Standard“ und „Prime Standard“ gegründet, die sich ebenfalls durch die Anforderungen an die Emittenten unterscheiden.
12.1.6
Teilnehmer des Kapitalmarkts
12.1.6.1
Anlegerpublikum
Der Anleger ist im Wertpapierhandel der Käufer bzw. Nachfrager der Wertpapiere. Dabei müssen zwei wesentliche Typen von Anlegern unterschieden werden: Institutionelle Anleger und Privatanleger. Privatanleger können an der Börse und den meisten der außerbörslichen Handelsplätze sowie Teilen des grauen Kapitalmarkts selbst keine Geschäfte schließen, sondern benötigen dafür Banken oder Vermittler. Trotzdem oder deswegen ist der Schutz von Privatanlegern Sinn und Zweck vieler kapitalmarktrechtlicher Normen. Institutionelle Anleger wie z. B. Lebensversicherungen, Pensionskassen, Banken oder Kapitalanlagegesellschaften, verfügen über große Volumina eingesammelten Kapitals. Einige
932
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Kapitalmarktprodukte sind speziell für institutionelle Anleger gestaltet, wie z. B. der Immobilienspezialfonds (Abschn. 12.3). Wegen ihrer enormen Bedeutung und der besonderen Einflussmöglichkeit werden häufig spezielle Abreden zwischen institutionellen Anlegern und dem Emittent eines Wertpapiers getroffen. 12.1.6.2
Emittenten
Der Emittent ist der Verkäufer eines Wertpapiers am Primärmarkt. Hingegen nimmt er nicht direkt am Handel im Sekundärmarkt teil. Er bleibt jedoch aus dem Wertpapier Verpflichteter (Zinszahlungen, Dividenden) und hat Folgepflichten gegenüber den Anlegern (Jahresabschluss, Ad-hoc-Publizitätspflicht gem. § 15 Abs. 1 WpHG) zu beachten. Er ist somit mittelbarer Teilnehmer des Sekundärmarkts (Lenenbach, Rn. 2.271). Zu unterteilen sind die Emittenten nach der Art des nachgefragten Kapitals. Geben die Unternehmen Geschäftsanteile aus, um damit Eigenkapital aufzunehmen, hat dies zur Folge, dass die Anleger auch Mitgliedschaftsrechte am Unternehmen erhalten (z. B. das Recht bei einer Aktiengesellschaft an einer Hauptversammlung teilzunehmen). Nimmt der Emittent indessen Fremdkapital auf, erhält der Fremdkapitalgeber nur ein reines Forderungsrecht (Rückzahlungsanspruch gem. § 488 Abs. 1 S. 2 BGB, Zinszahlungsanspruch). 12.1.6.3
Kreditinstitute und Finanzvermittler
Der typische Privatanleger wird seine Investition am Kapitalmarkt nicht selbständig tätigen, sondern ein Wertpapier über Dritte, insbesondere über seine Bank oder einen Finanzvermittler erwerben. Indessen ist es unüblich, dass der Privatanleger mit einem Emittenten direkt verhandelt; anders jedoch bei institutionellen Investoren. Wird eine Bank oder ein Finanzvermittler für einen Anleger tätig, dann entsteht zwischen diesen ein schuldrechtlicher Vertrag, sog. Effektengeschäft (Lenenbach, Rn. 4.2). Effektengeschäfte sind gerade bei Wertpapieren, die an Börsen gehandelt werden, notwendig, da der einzelne Anleger selbst keine unmittelbaren Geschäfte an der Börse unternehmen kann. Effektengeschäfte werden unterteilt in Kommissionsgeschäft, d. h. die Bank erledigt das Wertpapiergeschäft im eigenen Namen für Rechnung des Kunden, oder in Festgeldgeschäft, in diesem Fall erfüllt die Bank den Auftrag aus dem eigenen Bestand. Regelmäßig führt die Bank nicht nur lediglich den Kundenauftrag aus, sondern berät den Kunden auch bei der Anlageentscheidung. Kam es bei der Beratung auf die besonderen Kenntnisse und Verbindungen der Bank oder eines Finanzvermittlers an, kommt ein selbständiger Beratungsvertrag mit Haftungsfolgen zustande (BGH-Urteil vom 11.1.2007, DB 2008, 628). Die Rechte und Pflichten der Bank ergeben sich zunächst aus dem vertraglichen Verhältnis, insb. durch die Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen (Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte). Daneben sind Banken und Finanzvermittler aber auch als Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu qualifizieren, § 2 Abs. 4 WpHG. Für sie gelten somit auch die anlegerschützenden Pflichten nach §§ 31 ff. WpHG. Die Pflichten der §§ 31 ff. WpHG verdrängen die vertraglichen Pflichten nicht, sondern bilden deren Mindestinhalt. Kommt es im Rahmen einer Wertpapierdienstleistung (§ 2 Abs. 3 WpHG) zu einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung, wird § 31 WpHG herangezogen, um die Pflichtverletzung i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB zu konkretisieren. Die Grundregel nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG
12.1 Grundlagen des Kapitalmarktrechts
933
lautet, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen seine Leistung mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse seiner Kunden zu erbringen hat. Bei der Konkretisierung der Pflichten sind jedoch zwei spezielle Fälle einer Wertpapierdienstleistung zu unterscheiden: Das reine Ausführungsgeschäft, d. h. die Bank führt lediglich einen Auftrag des Kunden zum Erwerb eines Wertpapiers aus und der selbständige Beratungsvertrag, welcher vorliegt, wenn die Bank einen Kunden auch bei seiner Anlageentscheidung berät. Im Fall einer Anlageberatung hat die Bank ihren Kunden nur Finanzinstrumente zu empfehlen, die nach eingeholten Informationen für den Kunden geeignet sind (sog. Geeignetheitsprüfung, § 31 Abs. 4 und 4a WpHG). Im Rahmen anderer Wertpapierdienstleistungen erfolgt nur eine Angemessenheitsprüfung nach § 31 Abs. 5 WpHG, die hinter den Anforderungen der Geeignetheitsprüfung zurückbleibt, aber zu einer Warnpflicht der Bank führen kann. Handelt es sich um ein reines Ausführungsgeschäft, welches auf die Initiative des Kunden zurückgeht, kann die Angemessenheitsprüfung unterbleiben, vgl. § 31 Abs. 7 WpHG. Bei professionellen Kunden i. S. d. § 31a Abs. 2 WpHG ist die Bank von vielen Pflichten befreit, § 31 Abs. 9 WpHG. Siehe zu den Anforderungen an die Aufklärungspflicht der Bank für den offenen Immobilienfonds (Abschn. 12.2.7.3).
12.1.7
Kapitalmärkte und Immobilienfinanzierung
Die traditionelle Variante der Immobilienfinanzierung in Deutschland ist das grundpfandrechtlich gesicherte Bankdarlehen (sog. Realkredite). Wie oben bereits dargestellt (Abschn. 12.1.1) ist der Einsatz dieser Finanzierungsmethode für eine Vielzahl von Immobilienprojekten ungeeignet. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der die Bedeutung der traditionellen Immobilienfinanzierung schmälern wird, ergibt sich auch aus der zunehmend strengeren Regulierung des Kreditgeschäfts der Banken. Aufgrund einer erhöhten Anforderung der Eigenkapitalunterlegung bei Kreditgeschäften, insbesondere durch die Baseler Eigenkapitalvereinbarungen (Basel II und III), ist von einer zukünftig zurückhaltenderen Kreditvergabe auszugehen (ausführlich zur Auswirkung von Basel II auf die Immobilienfinanzierung Schulte Band I 5.3.2.5). Die Umsetzung von Basel III erfolgt in Europa durch die „CRD IV – Richtlinie“ und die „CRD IV – Verordnung“. Eine Alternative zu der direkten, traditionellen Finanzierung im Wege des Bankdarlehens ist die Finanzierung über den Kapitalmarkt. Die Vorteile wurden bereits im Abschn. 12.1.1. dargelegt. Ein Projektentwickler oder ein mit Immobilien handelndes Unternehmen kann dabei auf unterschiedliche Unternehmensformen und Anlageprodukte zurückgreifen. Die Beurteilung und Auswahl einer Finanzierungsmethode, hängt im Wesentlichen auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab. In den nachfolgenden Abschnitten werden daher die rechtlichen Grundzüge und kapitalmarktrechtlichen Anforderungen der einzelnen Anlageinstrumente dargestellt. Bei der Beurteilung eines Finanzinstruments unter kapitalmarktrechtlichen Gesichtspunkten sind folgende abstrakte Kriterien von Bedeutung:
Kreis der potentiellen Investoren – Handelbarkeit der Anteile, liquider Sekundärmarkt? – Internationale Vergleichbarkeit des Anlageinstruments? – Attraktivität des Produkts für bestimmte Anlegertypen?
934
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Rechte der Anleger – Gesetzliche Verpflichtungen? – Rechte und Pflichten aus Vertrag? – Mitgliedschaftsrechte wegen Gesellschafterstellung?
Gestaltungsspielräume – Zwingende gesetzliche Vorgaben? – Staatliche Aufsicht? – Privatrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten?
Steuerliche Belastung – Steuerliche Transparenz des Finanzinstruments? Transaktionskosten
12.2
Der offene Immobilienfonds
12.2.1
Begriff und Entwicklung
Unter dem sowohl bei Laien als auch bei Fachleuten gebräuchlichen Terminus „offener Immobilienfonds“ versteht sich ein Sondervermögen (Fonds) nach dem Investmentgesetz (InvG), welches nach den Vertragsbedingungen das bei ihm eingelegte Geld in Immobilien anlegt, vgl. § 66 InvG. Die zwingende Anlage in Immobilien ist das charakteristische Merkmal, welches den Immobilienfonds von anderen Investmentfonds nach dem InvG abgrenzt. Der Begriffsteil „offen“ bezieht sich sowohl auf die unbeschränkte Aufnahme von Anlagekapital (sog. OpenEnd-Prinzip) als auch auf die (grundsätzlich bestehende) Möglichkeit die Anteile am Fonds börsentäglich zurückgeben zu können (hierzu aber Abschn. 12.2.5.3.6). Aus dem Open-EndPrinzip folgt, dass die Kapitalaufnahme nicht zur Finanzierung eines bestimmten Immobilienprojekts dient, sondern weiteres Vermögen für neue Projekte und Akquisitionen eingesammelt werden kann. Hingegen erfolgt bei einem sog. „geschlossenen Fonds“ nur eine begrenzte Kapitalaufnahme, deren Betrag durch die Investitionssumme eines konkreten Projekts oder einer bestimmten Immobilie festgelegt ist. Ferner erhält der Anleger keine Anteile, die er täglich zurückgeben kann, sondern wird in der Regel Gesellschafter (ausführlich zum geschlossen Fonds Abschn. 12.4). Der offene Immobilienfonds ist eine traditionsreiche Variante der kollektiven Vermögensanlage im Weg einer indirekten Immobilieninvestition, die in seiner rechtlichen Ausgestaltung hauptsächlich in Deutschland bekannt ist. Die ersten deutschen Fonds stammen aus dem Jahr 1959, ein gesetzlicher Rahmen wurde durch eine Neuregelung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) im Jahr 1970 (BGBl. I S. 127) geschaffen. Die damals eingeführten Grundprinzipien des offenen Immobilienfonds wurden auch durch die vielfältigen Gesetzesänderungen im Wesentlichen nicht geändert (Berger/Steck/Lübbehüsen/Klusak Vor §§ 66–82, Rn. 1). Die maßgebenden Grundprinzipien sind
tägliche Anteilsrückgabe, Risikomischung, Open-End-Prinzip und das sog. Investment-Dreieck
12.2 Der offene Immobilienfonds
935
Seit einigen Jahren befindet sich die Anlageform des „offenen Immobilienfonds“ in einer Krise. Im Jahr 2004 kam es wegen sinkender Ausschüttungsquoten zu einer stark zunehmenden Rückgabe der Anteilsscheine durch die Anleger. Einige Fonds konnten mangels Liquidität des Sondervermögens den Anteilswert an die Anleger nicht mehr auszahlen und mussten die Anteilsrücknahme teils über Jahre aussetzen. In der Finanzkrise 2008/09 wiederholte sich die Rücknahmeaussetzung mit der Folge, dass bis zu 30 % des in Immobilienfonds gebundenen Vermögens „eingefroren“ war. Die aufgrund der täglichen Rückgabemöglichkeit eigentlich liquide Anlagemethode eines offenen Immobilienfonds wurde für eine Schar von Anlegern so zur Liquiditätsfalle. Viele der krisengeschüttelten offenen Immobilienfonds mussten gänzlich aufgelöst und die einzelnen Vermögensgegenstände des Fonds teils mit Verlusten veräußert werden. Der nationale Gesetzgeber reagiert im Jahr 2011 mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (BGBl. I S. 538), welches die Anteilsrückgabe und die Rücknahmeaussetzung neu regelte (hierzu Abschn. 12.2.5.3.5 und 12.2.5.3.6). Auch der europäische Gesetzgeber hat die Finanzkrise zum Anlass genommen auf europäischer Ebene die Fondsbranche durch die AIFM-Richtlinie zu regulierten (allgemein zur AIFM-Richtlinie Abschn. 12.1.4.1). Der deutsche Gesetzgeber hat bis zum 22.07.2013 Zeit die europäischen Vorgaben ins nationale Recht umzusetzen (zum Regierungsentwurf eines Kapitalanlagegesetzbuchs Abschn. 12.2.2).
12.2.2
Rechtsvorschriften
12.2.2.1
Geltende Gesetzeslage
Die wesentliche Rechtsgrundlage des offenen Immobilienfonds ist das Investmentgesetz vom 15.12.2003 (BGBl. I, S. 2676), welches das KAGG abgelöst hat. Auf den Immobilienfonds sind die allgemeinen Bestimmungen des InvG (§§ 1–45 InvG) für das Sondervermögen, die Kapitalanlagegesellschaft und die Depotbank anwendbar. Daneben sehen die §§ 66– 82 InvG Sonderregelung für den offenen Immobilienfonds vor, die im Zweifel als speziellere Normen die allgemeinen Vorschriften des InvG verdrängen. Im Besonderen enthalten die §§ 66 ff. InvG spezielle Regelungen zur Verwendung und Bewertung des Fondsvermögens, zur Anteilsrücknahme und zur Aussetzung der Rücknahme. Eine weitere wichtige Vorschrift ist das Investmentsteuergesetz (InvStG), welches die Besteuerung von Investmenterträgen regelt. Nach § 11 Abs. 1 S. 2 InvStG wird das Sondervermögen von Körperschafts- und Gewerbesteuerpflicht befreit und somit eine Doppelbesteuerung auf Ebene des Fonds und der Anleger verhindert. Daneben sind noch zivilrechtliche Normen des BGBs sowie gesellschaftsrechtliche und steuerliche Vorschriften anzuwenden. 12.2.2.2
Entwurf des Kapitalanlagengesetzbuchs
Aktuell ist für den Immobilienfonds, die am 22.07.2011 in Kraft getretene AIFM-Richtlinie zu beachten. Ziel der Richtlinie ist die Verwalter eines Fonds (Alternative Investment Fund Manager kurz: AIFM) einer europaweit einheitlichen Regulierung und Aufsicht zu unterziehen. Der deutsche Gesetzgeber wird die AIFM-Richtlinie durch ein AIFM-Umsetzungsgesetz ins nationale Recht umsetzen (Regierungsentwurf abrufbar unter www.bundesfinanzminsterium.de). Die Umsetzung der AIFM-Richtlinie muss gem. europarechtlicher Vorgaben bis zum 22.07.2013 erfolgen.
936
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Wird das AIFM-Umsetzungsgesetz nur annähert auf die Weise erlassen, wie es der Regierungsentwurf vorsieht, sind die Auswirkungen auf die gesamte Fondsbranche fundamentaler Art. Der Regierungsentwurf sieht die Neuschaffung eines Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) vor, welches erstmals alle Arten eines Fonds (offen wie geschlossen) in einem Gesetzbuch regelt. Das Investmentgesetz wird hingegen aufgehoben und die Regelungen über den offenen Fonds in das KAGB integriert. Es bildet daher ein in sich geschlossenes Regelwerk im Investmentbereich, d. h. sowohl für sämtliche Fonds als auch für ihre Manager (RegE AIFM-Umsetzungsgesetz, S. 2). Diese strukturellen Veränderungen sind nicht mehr durch die europäische Gesetzgebung veranlasst; es handelt sich vielmehr um eine überschießende Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber. Neben der Schaffung einer neuen gesetzlichen Grundlage, fühlt sich die Regierung ferner dazu veranlasst, für den offenen Immobilienfonds weitere Regulierungsmaßnahmen einzuführen. Dies verwundert, da erst im Jahr 2011 mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz neue Regelungen eingeführt wurden, deren Auswirkung auf die Praxis noch kaum bewertet werden konnten. Im ersten Diskussionsentwurf des AIFM-Umsetzungsgesetzes (vom 20.07.2012) aus der Feder des Bundesfinanzministeriums wurde gar die Abschaffung der gesamten Anlageklasse des offenen Immobilienfonds befürwortet. Die aktuellen Regulierungsmaßnahmen (Stand: 21.12.2012, BR-Drs. 791/12) sehen folgende Veränderungen des Anlageinstruments eines offenen Immobilienfonds vor:
Keine tägliche Rückgabemöglichkeit Auch Kleinanleger sollen nur noch höchstens einmal pro Jahr zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Anteile zurückgeben können. Damit würde die Möglichkeit der börsentägliche Anteilsrückgabe entfallen mit der Folge, dass der offene Immobilienfonds sich zu einem langfristigen Anlageinstrument wandelt.
Mindesthalte- und Kündigungsfristen Der Entwurf sieht vor, dass auch für Kleinanleger die Rückgabe von Anteilen erst nach Ablauf einer Mindesthaltefrist von 24 Monaten möglich ist. Daneben können alle Anleger ihre Anteile nur unter Beachtung einer Kündigungsfrist von 12 Monaten zurückgeben.
Zeitlich begrenzte Anteilsausgabe Neue Anteile sollen nur zu den in den Anlagebedingungen festgelegten Ausgabeterminen ausgegeben werden dürfen. Der zeitliche Abstand zwischen den Ausgabeterminen muss mindestens drei Monate betragen.
Für Anteile, die am 21.07.2013 gehalten werden, existiert jedoch im Hinblick auf die Rückgabemöglichkeit eine Bestandsschutzregelung (§ 345 KAGB-Entwurf). Die übrigen Regelungen des Investmentgesetzes bezüglich des offenen Immobilienfonds (§§ 66–82 InvG) bleiben in der Sache erhalten. Mit redaktionellen Änderungen werden sie in die §§ 230– 260 KAGB-Entwurf übernommen. Auch die allgemeinen Vorschriften, z. B. die Verhaltens- und Organisationspflichten für Kapitalanlagegesellschaften oder die Prospektpflicht werden inhaltlich beibehalten. Da sich das KAGB jedoch nur im Entwurfsstadium befindet, werden die Rechtsgrundlagen des offenen Immobilienfonds an den Vorschriften des Investmentgesetzes dargestellt. Die Gesetzesentwicklung ist in jedem Fall weiter zu beachten.
12.2 Der offene Immobilienfonds
12.2.3
937
Die rechtliche Grundstruktur des offenen Fonds
Der offene Immobilienfonds unterscheidet sich in den Grundzügen nicht von anderen Sondervermögen nach dem InvG. Die grundlegende Struktur ist gekennzeichnet durch das sog. „Investment-Dreieck“ (vgl. Abbildung unten). Die Anleger vertrauen ihr Vermögen einer Kapitalanlagegesellschaft (KAG) an, die dieses gesammelte Sondervermögen getrennt vom Eigenvermögen der KAG nach dem Prinzip der Risikomischung anlegt. Das Sondervermögen wird von der KAG verwaltet, jedoch bei einer Depotbank verwahrt. Bei Vermögen, das nicht verwahrt werden kann, wie Immobilien oder Beteiligungen an Immobilen-Gesellschaften überwacht die Depotbank indessen den Immobilienbestand, vgl. § 24 Abs. 3 InvG. Die Anleger partizipieren durch diese Trennung zwischen KAG, Sondervermögen und Depotbank an den personellen und sachlichen Ressourcen der KAG, tragen jedoch nicht das Insolvenzrisiko der KAG und werden durch die Kontrolle der Depotbank zusätzlich geschützt.
Sondervermögen
Überwachung des Investmentfonds
Verwaltung des Investmentfonds Zustimmung zu Verfügungen
Depotbank
Abb. 12.1
Kapitalanlagegesellschaft
Anteilsausgabe gegen Kapital Anlegerpublikum
Investment-Dreieck
Die wesentlichen Rechtsverhältnisse beim offenen Fonds bestehen zwischen den Anlegern und der Kapitalanlagegesellschaft sowie den Anlegern und der Depotbank. Hingegen ist das Sondervermögen als solches kein Subjekt des Privatrechts mit der Folge, dass auch kein Rechtsverhältnis zum Vermögen selbst begründet werden kann (siehe zugleich Abschnitt 12.2.4.1). Weitere Beteiligte im Rahmen eines Immobilienfonds ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die das Aufsichtsrecht über die KAG und der Depotbank ausübt (ausführlich unten Abschn. 12.2.8). Ferner ist als zusätzlicher Beteiligter ein Sachverständigenausschuss zur Bewertung des Immobilienvermögens einzubeziehen (vgl. 12.2.4.3).
12.2.4
Das Sondervermögen
12.2.4.1
Rechtsnatur
Das Sondervermögen (Fonds) selbst ist nicht rechtsfähig (anders jedoch im Steuerrecht, vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 InvStG i. V. m. § 1 Nr. 5 KStG), d. h. es kann nicht eigenständig Rechte und Pflichten im Rechtsverkehr begründen. Dementsprechend besteht auch kein unmittelbares
938
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Rechtsverhältnis zwischen dem Sondervermögen und den Anlegern. Vielmehr befinden sich die Gegenstände eines Sondervermögens entweder im Eigentum der KAG (sog. Treuhandlösung) oder im Miteigentum der einzelnen Anleger (sog. Miteigentumslösung), vgl. § 30 Abs. 1 InvG. Bei einem offenen Immobilienfonds ist nach § 75 InvG allerdings nur die Treuhandlösung möglich. Diese Regelung ist zweckmäßig, da bei der Miteigentumslösung sonst jeder Anleger als Miteigentümer ins Grundbuch eingetragen werden müsste. Die Kapitalanlagegesellschaft verwaltet das Sondervermögen im eigenen Namen, tut dies jedoch auf Rechnung der Anleger. Das Sondervermögen ist demzufolge vom Eigenvermögen der KAG rechtlich getrennt. Hintergrund der Vermögenstrennung ist, das Anlegervermögen vor dem Zugriff der Gläubiger einer KAG zu schützen und darüber hinaus Sicherheit vor missbräuchlichem Handeln der KAG zu bieten. Die Trennung des Fondsvermögens vom Eigenvermögen wird von der Depotbank überwacht (vgl. Abschn. 12.2.6). Im Einzelnen folgt aus der rechtliche Trennung:
Das Sondervermögen haftet nicht für Verbindlichkeiten der KAG (§ 31 Abs. 2 InvG). Das Sondervermögen darf nicht verpfändet oder belastet werden, soweit nicht für Rechnung des Fonds Kredite aufgenommen werden (§ 31 Abs. 5 InvG). Forderungen gegen die KAG und Forderungen des Sondervermögens können nicht gegeneinander aufgerechnet werden (§ 31 Abs. 6 InvG). Das Sondervermögen gehört im Falle der Insolvenz der KAG nicht zur Insolvenzmasse (§ 38 Abs. 3 InvG).
12.2.4.2
Anlagegrundsätze
Für eine KAG eines offenen Immobilienfonds bestehen drei zulässige Möglichkeiten, das angeworbene Sondervermögen zu investieren:
Direktanlage in Immobilien (§ 67 InvG), Erwerb von Beteiligungen an Immobiliengesellschaften (§ 68 InvG), Liquide Mittel (§ 80 InvG).
12.2.4.2.1
Direktanlage in Immobilien (§ 67 InvG)
Die unmittelbare Anlage in Immobilien für das Sondervermögen erfolgt grundsätzlich auf die Art, dass die KAG das Eigentum am Grundstück erwirbt und dieses treuhänderisch für das Sondervermögen verwaltet. Daneben kann aber nicht nur das Eigentum an Grundstücken in das Sondervermögen erworben werden, sondern auch andere Rechte an Grundstücken wie Erbbaurechte, Wohnungs- oder Teileigentum oder Nießbrauch (§ 67 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2) in das Sondervermögen aufgenommen werden. Für den direkten Erwerb von Immobilien muss die KAG die konkrete Anforderungen des § 67 InvG erfüllen. So sind die Nutzungsarten der Grundstücke, die vom Fonds gehalten werden können, gem. § 67 Abs. 1 Nr. 1 InvG abschließend vorgegeben:
Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke und gemischtgenutzte Grundstücke.
Andere Grundstücke kann die KAG nur unter den Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 InvG erwerben. Insbesondere muss der Erwerb sonstiger Grundstück im Vertrag zwischen KAG
12.2 Der offene Immobilienfonds
939
und Anleger vereinbart worden sein und der Wert der anderen Grundstücke darf 15 % des Wertes des Sondervermögens nicht überschreiten. Für jede Art von Grundstück müssen ferner Währungsrisiken gering gehalten werden (§ 67 Abs. 4 InvG) und ein Sachverständigenausschuss muss das Grundstück vor dessen Erwerb bewerten (§ 67 Abs. 5 InvG), siehe hierzu unten Abschn. 12.2.4.3. Weiterhin sind besondere Voraussetzungen zu beachten, wenn das zu erwerbende Grundstück außerhalb des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegt (§ 67 Abs. 3 InvG). 12.2.4.2.2
Beteiligungen an einer Immobiliengesellschaft
Ebenfalls ist auch mittelbare Anlage in Immobilien durch die Beteiligung an einer Immobiliengesellschaft zulässig. Eine indirekte Anlage bringt zum einen den Vorteil einer Haftungsbeschränkung mit sich. Die mit einer Immobilie verbundenen Forderungen sind auf die zwischengeschaltete Gesellschaft beschränkt und richten sich folglich nicht direkt gegen den Immobilienfonds. Desweiteren ergeben sich bei der Finanzierung des Immobilienbestands steuerliche Vorteile für den Fonds, wenn die KAG für Rechnung des Sondervermögens ein Darlehen an die Immobiliengesellschaft gewährt. Die Anforderungen der Darlehensgewährung an die Immobiliengesellschaften regelt § 69 InvG. Bestand die Immobiliengesellschaft bereits vor Erwerb der Beteiligung durch das Sondervermögen, können jedoch auch Risiken für das Sondervermögen auftreten. Aus diesem Grund sind durch § 68 InvG mehrere Voraussetzungen und Pflichten im Zusammenhang mit der Beteiligung zum Schutz der Anleger vorgesehen. Hauptzweck der Regeln des § 68 InvG ist es die Identität eines Immobilienfonds zu gewährleisten. Nach § 68 Abs. 1 S. 2 InvG ist deshalb nur eine Beteiligung an einer Gesellschaft zulässig, die im Gesellschaftsvertrag den Unternehmensgegenstand auf die Tätigkeiten beschränkt hat, welche auch die KAG für das Sondervermögen ausführen darf (vgl. Abschn. 12.2.5.1). Darüber hinaus dürfen nur solche Immobilien erworben werden, deren direkter Erwerb ebenfalls für das Sondervermögen zulässig wäre. Weiter muss die Beteiligung an einer Immobiliengesellschaft durch die Vertragsbedingungen zwischen Anleger und Kapitalanlagegesellschaft vorgesehen sein und einen dauernden Ertrag erwarten lassen (§ 68 Abs. 1 S. 1 InvG). § 72 InvG stellt klar, dass bei einer Verletzung der Vorschriften der §§ 68 bis 71 InvG die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht berührt wird. 12.2.4.2.3
Grundsatz der Risikomischung
Wie bei den anderen Investmentfonds nach dem InvG sind auch die Vermögensgegenstände eines offenen Immobilienfonds nach dem Grundsatz der Risikomischung zu erwerben. Gem. § 73 Abs. 1 S. 1 InvG darf der Wert einer Immobilie zur Zeit des Erwerbes nicht 15 Prozent des gesamten Fondsvermögens ausmachen. Ferner darf der Gesamtwert aller Immobilien, deren einzelner Wert mehr als 10 Prozent des Wertes des Sondervermögens beträgt, 50 Prozent des Fondsvermögens nicht überschreiten, vgl. § 73 Abs. 1 S. 2 InvG. Der Grundsatz der Risikomischung wird bei der indirekten Anlage ebenfalls durch die Bildung von Obergrenzen nach § 68 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 InvG verwirklicht. Die Anlagebegrenzungen sind gem. § 74 InvG jedoch erst nach einer Anlaufzeit von 4 Jahren anzuwenden. Kommt es zu einer Überschreitung der Anlagegrenzen, ist die Konsequenz jedoch nicht der zwingende Verkauf einer Immobilie. Die Risikomischung dient in erster Linie dem Schutz der Anleger. Der zwingende Verkauf einer Immobilie kann aber den Interessen der Anleger
940
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
widersprechen. Anders als bei einem Wertpapierfonds können die Vermögensgegenstände des Immobilienfonds nicht jederzeit zum eigentlich Verkehrswert veräußert werden. Ein plötzlicher Verkauf oder ein Verkauf zu schlechten Marktbedingungen zieht unweigerlich hohe Verluste nach sich. Somit würde die Heilung einer Überschreitung der Anlagegrenzen durch einen zwingenden Verkauf dazu führen, dass die Rendite eines Fonds geschmälert wird (Berger/Steck/Lübbehüsen/Klusak § 73 Rn. 7). Dies steht aber im Widerspruch zum Zweck der Anlagegrenzen. 12.2.4.2.4
Unbegrenzte Dauer des Immobilienfonds
Nach § 67 Abs. 9 S. 1 InvG darf ein offener Immobilienfonds nicht für eine begrenzte Dauer gegründet werden, d. h er verfügt zwingend über eine unbegrenzte Laufzeit. Diese Abweichung zu den anderen Typen des Investmentfonds ergibt sich bereits aus den langfristigen Investitionen, die mit der Anlage in Immobilien verbunden sind. Im Gegensatz zu liquiden Anlagegenständen, wie z. B. Wertpapiere, ist bei einer Auflösung und der damit verbundenen Liquidation der Vermögensgegenstände nicht gewährleistet, dass beim Verkauf der Immobilien der eigentliche Verkehrswert dieser zu erzielen ist. Würde aber wegen einer festgelegten Laufzeit ein Verkaufsdruck der KAG bestehen, kann es folglich zu Veräußerungsverlusten kommen und dementsprechend zu einer Minderung der Gesamtrendite. 12.2.4.2.5
Anlage in liquiden Mitteln
Nach § 80 Abs. 1 S. 2 InvG hat die Kapitalanlagegesellschaft sicherzustellen, dass mindestens 5 Prozent des Wertes des Fonds in liquiden Mitteln, angelegt sind, so dass der Betrag für die tägliche Rücknahme von Anteilen verfügbar ist. Die liquiden Mittel dürfen jedoch nicht einem Betrag von über 49 Prozent des Wertes des Sondervermögens entsprechen, § 80 Abs. 1 S. 1 InvG. Als liquide Mittel kommen die in § 80 Abs. 1 S. 1 InvG aufgelisteten Anlageformen in Betracht wie Bankguthaben, Wertpapiere oder Aktien einer REIT-AG. Siehe zur Aussetzung der Anteilsausgabe, wenn eine Überschreitung der 49 %-Grenze droht, Abschn. 12.2.5.3.2. 12.2.4.3
Bewertung des Sondervermögens
Die Bewertung des gesamten Sondervermögens erfolgt durch eine Aufstellung der einzelnen Vermögensgegenstände des Fonds. Der Wert der direkten Immobilieninvestitionen (§ 67 InvG) und der Beteiligungen an Immobiliengesellschaften (§ 68 InvG) richtet sich dabei nach dem Verkehrswert, der durch einen Sachverständigenausschuss festgestellt wird (§ 79 Abs. 1 S. 2 InvG). Die Vermögensaufstellung nach § 79 Abs. 1 InvG dient
dazu die Anleger über die konkrete Zusammenstellung des Fonds zu informieren; als Berechnungsgrundlage des Rückkaufwerts (der Wert eines einzelnen Fondsanteils). Anders als bei Wertpapierfonds, besteht für die Bewertung von Immobilien kein Markt mit einer täglichen Preisermittlung. In der Regel wird in Deutschland der Verkehrswert für Immobilien nach den Vorschriften der §§ 194 ff. BauGB und der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) bestimmt. Beim Verkehrswert handelt es sich nach § 194 BauGB um einen hypothetischen Wert, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonsti-
12.2 Der offene Immobilienfonds
941
gen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Typisches Verfahren zur Wertermittlung eines bebauten Grundstücks ist das Ertragswertverfahren (§§ 17 ff. ImmoWertV), nach dem der Ertragswert eines Objekts auf Grundlage marktüblich erzielbarer Erträge ermittelt wird (Ausführlich zum Ertragswertverfahren Schulte Band I Abschn. 5.2.3.5). Die Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände hat mindestens jährlich zu erfolgen, vgl. § 79 Abs. 1 S. 3 InvG. Die Ermittlung der einzelnen Vermögenswerte wurde durch den Gesetzgeber einem externen und unabhängigen Gremium, dem Sachverständigenausschuss, übertragen. Hauptgrund hierfür ist die Tatsache, dass der Anteilswert sich aus der Bewertung der einzelnen Immobilien errechnet und somit die Möglichkeit für die KAG bestehen würde, Einfluss auf den Wert ihres eigenen Produktes zu nehmen. Insbesondere im Rahmen der hypothetischen wie auch komplexen Ertragswertmethode, bei der viele rechtliche und tatsächliche Umstände in die Bewertung einfließen, besteht die Gefahr, dass die KAG zu optimistische Annahmen treffen könnte. Der Sachverständigenausschuss muss hingegen die Bewertung unabhängig von der KAG ausführen, vgl. § 77 Abs. 1 S. 3 InvG. Daneben sind auch weitere Mechanismen vorgesehen, die eine unabhängige Bewertung unterstützen, wie z. B. das Rotationsverfahren bei der Besetzung des Sachverständigenausschusses. Die Bewertung der einzelnen Immobilien und Beteiligungen nach § 68 InvG ist jedoch nicht nur bei der Vermögensaufstellung und somit bei der Ermittlung des Rückkaufwerts maßgebend, sondern auch im Rahmen des Erwerbs und der Veräußerung einer Immobilie. Gem. § 67 Abs. 5 InvG darf eine Immobilie nur erworben werden, wenn sie zuvor von einem Sachverständigen bewertet wurde und der zu erbringende Kaufpreis den ermittelten Wert nicht oder nur unwesentlich übersteigt. Der Sachverständige darf jedoch nicht dem Sachverständigenausschuss nach § 77 Abs. 1 InvG angehören, um nicht bei der Folgebewertung gem. § 79 Abs.1 S. 2 InvG durch die vorherige Preisfeststellung gebunden zu sein. § 82 Abs. 1 InvG sieht vor, dass ein Immobilie nicht unter den vom Sachverständigenausschuss ermittelten Wert veräußert werden darf (zur Ausnahme im Fall einer Liquiditätskrise unten Abschn. 12.2.5.3.6).
12.2.5
Die Kapitalanlagegesellschaft
12.2.5.1
Tätigkeit und Rechtsform
Die Hauptaufgabe der Kapitalanlagegesellschaft besteht in der Verwaltung des Sondervermögens, § 6 Abs. 1 InvG. Darüber hinaus sind die Tätigkeiten einer KAG stark beschränkt. Sie kann zwar jedes Geschäft unternehmen, welches zur Verwaltung des Sondervermögens erforderlich ist (kollektive Vermögensverwaltung), daneben kommen jedoch nur die Tätigkeiten aus dem abschließenden Katalog nach § 7 Abs. 2 InvG in Frage (Berger/Steck/Lübbehüsen/Steck/Gringel § 7 Rn. 13). Diese Dienst- und Nebenleistungen sind im Wesentlichen Aufgaben, die in einem synergetischen Verhältnis zur Fondsverwaltung stehen. Praktisch bedeutet dies, dass die KAG ihr Fachkenntnisse und Beziehungen, welches sie im Rahmen der kollektiven Vermögensverwaltung erwirbt, z. B. im Rahmen einer Anlageberatung zur Verfügung stellt. Auch eine individuelle Vermögensverwaltung, d. h. die Verwaltung einzelner fremder Vermögen, ist möglich.
942
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Der Gesellschaftsvertrag einer KAG muss jedoch die Beschränkung der Tätigkeiten zum Ausdruck bringen. Gem. § 7 Abs. 4 InvG ist im Gesellschaftsvertrag demnach zu bestimmen, dass außer den Geschäften, die zur Anlage ihres eigenen Vermögens erforderlich sind, nur die in § 7 Abs. 2 InvG genannten Tätigkeiten betrieben werden dürfen. Die Rechtsform einer KAG ist zwingend auf die Kapitalgesellschaftstypen einer
Aktiengesellschaft (AG) oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) festgelegt.
Regelmäßig wird die Rechtsform einer GmbH gewählt. Für diese ist jedoch ein Aufsichtsrat entgegen der gesetzlichen Grundform einer GmbH zu bestellen, vgl. § 6 Abs. 2 InvG. Hintergrund der Regelung ist, dass der zusätzliche Schutz der Anleger, der durch das Kontrollgremium eines Aufsichtsrats besteht, nicht von der Wahl des Gesellschaftstyps abhängen soll. Durch § 6 Abs. 2 InvG sind viele Vorschriften des AktG über den Aufsichtsrat auch für eine KAG in Form der GmbH für anwendbar erklärt. Jedoch bestehen für den Aufsichtsrat einer Kapitalanlagegesellschaft gegenüber dem üblichen Gremium einige Besonderheiten, die in erster Linie der Verwirklichung des Anlegerschutzes dienen. Gemäß § 6 Abs. 2a InvG muss demnach mindestens ein Aufsichtsratsmitglied bestellt sein, das von der KAG und deren Aktionären unabhängig ist. § 6 Abs. 3 InvG sieht vor, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats nach ihrer persönlichen und fachlichen Kompetenz auch die Interessen der Anleger wahrnehmen sollen. Eine KAG ist kein Kreditinstitut, selbst wenn sie als Nebentätigkeit individuelle Vermögensverwaltung betreibt. Dies wird durch § 2 Abs. 1 Nr. 3b KWG ausdrücklich bestimmt. Aufsichtsrechtlich unterliegt sie demzufolge der alleinigen Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und wird nicht wie bei Kreditinstituten auch durch die Bundesbank überwacht. 12.2.5.2
Erlaubnispflicht
Die Aufnahme des Geschäftsbetriebs einer Kapitalanlagegesellschaft bedarf der schriftlichen Erlaubnis der BaFin, § 7 Abs. 1 InvG. Zweck der Erlaubnispflicht ist die präventive Kontrolle durch die BaFin, ob die künftige KAG über geeignete Geschäftsleiter und ausreichend finanzielle Mittel für die Geschäftsaufnahme verfügt. Das konkrete Erlaubnisverfahren regelt §§ 7a und 7b InvG. § 7a Abs. 1 InvG setzt einen Antrag der KAG voraus, der die Einreichung bestimmter Unterlagen und Angaben über die Geschäftsleiter, die Mittelausstattung und den Geschäftsbetrieb vorsieht. Mit Erhalt des vollständigen Erlaubnisantrags hat die BaFin innerhalb von 6 Monaten über den Antrag zu entscheiden, § 7a Abs. 2 S. 1 InvG. Einen abschließenden Katalog an Gründen, bei deren Eintreffen die Erlaubnis zwingend zu versagen ist, enthält § 7b InvG. 12.2.5.3
Rechtsverhältnis zu den Anlegern
12.2.5.3.1
Investmentvertrag
In Rahmen des Immobilienfonds ist für den Anleger der sog. Investmentvertrag mit der Kapitalanlagegesellschaft das einzige vertragliche Rechtsverhältnis (Jesch/Schilder /Striegel/Schrah, S. 172). Der Investmentvertrag verpflichtet die KAG für den Anleger das Sondervermögen treuhänderisch zu verwalten. Es liegt somit ein Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 BGB mit Elementen eines Dienstleistungsvertrags gem. §§ 611 BGB vor.
12.2 Der offene Immobilienfonds
943
Das Rechtsverhältnis zwischen Anleger und KAG wird im Wesentlichen durch die Verwendung von Vertragsbedingungen geregelt. Dabei handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff. BGB (AGB-Kontrolle), die Bestandteil des Geschäftsbesorgungsvertrags werden (Berger/Steck/Lübbehüsen/Schmitz § 43 Rn. 3). § 43 Abs. 4 InvG sieht einen Mindestinhalt der Vertragsbedingungen vor. So müssen die Vertragsbedingungen Angaben enthalten nach welchen Grundsätzen die Auswahl der Vermögensgegenstände, oder zu welchen Voraussetzungen die Rücknahme der Anteile erfolgt. Nach § 43 Abs. 2 und 3 InvG bedürfen die Vertragsbedingungen sowie deren Änderung der Genehmigung der BaFin. Die Verwendung von Vertragsbedingungen in Form von AGBs erfolgt hauptsächlich bei einem Publikumsfonds. Hingegen werden im Rahmen eines Immobilienspezialfonds die Bedingungen regelmäßig zwischen dem institutionellen Anleger und der KAG ausgehandelt (siehe Abschn. 12.3.2). 12.2.5.3.2
Verhaltenspflichten
§ 9 InvG enthält für die KAG Verhaltensregeln für die Verwaltung des Sondervermögens. Diese sog. Wohlverhaltensregeln sehen z. B. vor, dass die KAG ausschließlich im Interesse der Anleger zu handeln hat oder das Risiko von Interessenkonflikt gering halten muss. Verstößt die KAG gegen die Verhaltenspflichten des § 9 InvG, haftet sie dem Anleger auf Schadensersatz nach § 280 i. V. m § 675 BGB wegen Verletzung der Pflichten des Investmentvertrags und darüber hinaus aus Delikt nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 9 InvG. Haftungsmaßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, vgl. § 9 Abs.1 S. 1 InvG. Allgemeine Organisationspflichten für eine KAG normiert § 9a InvG. Daneben setzt § 80b InvG für eine KAG, die einen Immobilienfonds verwaltet, voraus, dass ein geeignetes Risikomanagementsystem bei der Verwaltung des Sondervermögens verwendet wird, dessen Ausgestaltung in § 80b InvG konkretisiert werden. Gem. § 11 InvG muss eine KAG mit einem Anfangskapital von mind. 300.000 € ausgestattet sein. Ebenfalls ist es einer KAG erlaubt, individuelle Vermögensverwaltung oder Anlageberatung zu betreiben mit der Folge, dass im Rahmen dieser Nebentätigkeiten die Verhaltens- und Organisationsregeln gem. §§ 31 ff. WpHG und die Grundsätzen der Beratungsfehler (oben Abschn. 12.1.6.3) von der KAG zu beachten sind. 12.2.5.3.3
Erwerb der Anteile – Anteilsschein
Erwirbt der Anleger Anteile an einem offenen Immobilienfonds, erhält er einen Anspruch auf Übereignung eines Anteilsscheins am Sondervermögen. Der Anteilsschein nach § 33 Abs. 1 InvG verbrieft die Rechte und Pflichten des Anlegers aus dem Investmentvertrag, insb. den Auszahlungsanspruch nach § 37 Abs. 1 InvG. Die Verbriefung hat die Folge, dass der Inhaber eines Anteilsscheins berechtigt ist, die Ansprüche aus dem Anteilsschein geltend zu machen. Überträgt der Anleger seinen Anteilsschein, dann überträgt er auch seine Rechte gegen die KAG. Der Anteilsschein ist folglich ein Wertpapier nach der allgemeinen, zivilrechtlichen Definition, da das verbriefte Recht an die Innehabung des Anteilsscheins geknüpft ist. Die Verbriefung der Ansprüche führt dazu, dass der Anleger über seine Rechtsposition verfügen kann (Fungibilität der Anteile). Die Übertragung eines Anteilscheins erfolgt grundsätzlich durch die Übereignung der Urkunde nach §§ 929 ff. BGB. Allerdings sind Transaktionen von Anteilsscheinen Massengeschäfte, so dass im heutigen Wirtschaftsleben die
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12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Übergabe des Wertpapieres in Form eines körperlichen Besitzwechsels ersetzt wird. Regelmäßig werden die Anteile als sog. Global- oder Sammelurkunden ausgegeben, die bei einer Wertpapierbank verwahrt bleiben (§ 9a Depotgesetz). 12.2.5.3.4
Open-End-Prinzip
Das Grundkonzept eines offenen Fonds sieht vor, dass eine jederzeitige Ausgabe von weiteren Anteilen erfolgen kann (Open-End-Prinzip). Das so neu aufgenommene Kapital muss dann nach den Anlagegrundsätzen des InvG (vgl. Abschn. 12.2.4.2) und der Anlagestrategie des jeweiligen Fonds wieder investiert werden. Im Unterschied zu einem geschlossenen Fonds wird der offene Immobilienfonds gerade nicht für den Erwerb einer bestimmten Immobilie oder zur Finanzierung eines konkreten Projekts aufgelegt. Die KAG muss die Ausgabe neuer Anteile jedoch nach § 80c Abs. 1 InvG aussetzen, wenn eine zu große Nachfrage an neuen Fondsanteilen besteht und die KAG das Vermögen nicht entsprechend dem Gesetz oder den Vertragsbedingungen investieren kann. Im Besonderen kann es aufgrund eines zu hohen Barvermögens zu einer Verletzung der Anlagegrenzen des § 80 Abs. 1 S. 1 InvG (max. 49 % Anlage in liquiden Mitteln) kommen. Demzufolge dient die Aussetzung der Anteilsausgabe dazu, den Anlagedruck von der KAG zu nehmen um ihr so eine Zusammenstellung des Immobilienportfolios zu ermöglichen, welches der Anlagestrategie des Immobilienfonds entspricht (Patzner/Döser § 80c Rn. 1). 12.2.5.3.5
Mindestausschüttung
Nach § 78 Abs. 1 S. 2 InvG müssen mindestens 50 % des Fonds-Gewinns an die Anleger ausgeschüttet werden. Ausgenommen sind davon Beträge die für die künftige Instandsetzung der Immobilien erforderlich sind. Ob und in welchem Umfang Erträge zum Ausgleich von Wertminderungen und künftige erforderliche Instandsetzungen einbehalten werden, muss durch die Vertragsbedingungen bestimmt sein. Konkrete Zahlen sind aber aufgrund des prognostischen Charakters zukünftiger Schäden in den Vertragsbedingungen nicht erforderlich. 12.2.5.3.6
Rückgabe der Anteile
Jeder Anleger hat nach § 37 Abs. 1 InvG grundsätzlich das Recht seine Anteile am Sondervermögen zurückgeben zu können und sich dafür den Anteilswert auszahlen zu lassen. Diese börsentägliche Rückgabemöglichkeit ist auf der einen Seite ein wichtiges Merkmal der Fonds, da er auf diese Weise zu einem liquiden Anlageinstrument wird. Hingegen widerspricht die tägliche Rückgabe den Anlagegrundsätzen eines Immobilienfonds, der das gesammelte Kapital in die langfristige Anlageklasse von Immobilien investiert. Um dieser Rücknahmepflicht gegenüber den Anlegern trotzdem jederzeit gerecht werden zu können, muss die KAG mindestens 5 % und maximal 49 % des Fondsvermögens in liquiden Mitteln vorhalten (§ 80 Abs. 1 InvG). Zu beachten ist jedoch, dass durch das zwingende Bereithalten von liquiden Mitteln die Rendite des Fonds im Gegensatz zu einer 100 %-Investitionsquote erheblich vermindert wird. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben aber gezeigt, dass der Immobilienfonds dem Versprechen der täglichen Liquidität nicht jederzeit nachkommen kann. Gerade in Krisenzeiten kam es zu einem großen Rückgabeverlangen der Anleger (siehe hierzu Abschn. 12.2.1) mit der Folge, dass die liquiden Mittel nicht zur Auszahlung aller Anleger ausreichten. Ein
12.2 Der offene Immobilienfonds
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Hauptproblem der Illiquidität der offenen Immobilienfonds war die Fristeninkongruenz zwischen der täglichen Rückgabemöglichkeit und der langfristigen Anlage in Immobilien (ausführlich hierzu Servatius in FS Vielberth S. 195 ff.). In Folge der Fondskrise wurden durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG) im Jahr 2011 (BGBl. I S. 538) einige Veränderungen eingeführt um die Folgen der Fristeninkongruenz abzumildern: 24-Monatige Mindesthaltefrist für Neuanleger (§ 80c Abs. 3 InvG) 12-Monatige Kündigungsfrist (§ 80c Abs. 4 InvG) Möglichkeit vertraglich einen festen Rückgabetermin zu bestimmen (§ 80c Abs. 2 InvG) Zu beachten ist jedoch, dass die Fristen nach § 80c Abs. 3 und Abs. 4 InvG erst für eine Anteilsrückgabe gelten, die 30.000 € pro Kalenderjahr übersteigt. Dieser Freibetrag soll den Charakter eines offenen Immobilienfonds als flexibles Anlageinstrument für Kleinanleger beibehalten (Patzner/Döser § 80c Rn. 3). Hingegen hat sich der offene Immobilienfonds durch die gesetzgeberischen Maßnahmen für vermögende Privatanleger oder institutionelle Anleger zu einem langfristigen Investment gewandelt. Zu beachten sind jedoch die möglichen Änderungen durch das Kapitalanlagegesetzbuch (vgl. Abschn. 12.2.2.2). 12.2.5.3.7
Aussetzung der Anteilsrücknahme
Kommt es trotz des Vorbehalts liquider Mittel und der beschriebenen Mindesthalte- und Kündigungsfristen zu einem Sturm der Anleger auf einen Immobilienfonds mit der Folge, dass die liquiden Mittel für die Auszahlungen an die Anleger nicht mehr ausreichen, muss die KAG die Rücknahme der Anteile aussetzen, vgl. § 81 Abs. 1 S. 1 InvG. Diese zwingende Rücknahmeaussetzung wurde ebenfalls aufgrund der Fondskrise durch das AnsFuG eingeführt. Die Entscheidung zur Aussetzung bedarf der Einwilligung des Aufsichtsrats der KAG, diese kann jedoch in Eilfällen auch im Nachgang erfolgen (Patzner/Döser § 81 Rn. 2). § 81 InvG sieht verschiede Stufen der Aussetzung vor. Die erstmalige Aussetzung nach § 81 Abs.1 S. 1 InvG dient hauptsächlich einer vorübergehenden Liquiditätssteuerung. Konnten jedoch nach Ablauf von sechs Monaten die nötigen liquiden Mittel zur Auszahlung nicht beigebracht werden, tritt die erste Veräußerungsphase ein, d. h. die KAG hat die Vermögensgegenstände des Fonds bis zur Wiederherstellung der Liquidität zu veräußern. Die KAG ist im Rahmen der Veräußerung jedoch an den Verkehrswert der Immobilien, wie er durch den Sachverständigenausschuss festgestellt wurde, nach § 82 InvG gebunden (siehe oben Abschn. 12.2.4.3). Die Liquiditätskrise eines Fonds tritt jedoch im Regelfall zu Zeiten einer Wirtschafts- oder Immobilienkrise (Ansturm der Anleger) auf, so dass kaum der übliche Marktwert der Immobilie zu erzielen sein wird. Deshalb sieht § 81 Abs. 2 auch nach Ablauf von 12 Monaten nach der Rücknahmeaussetzung die zweite Veräußerungsphase vor. Demzufolge ist es der KAG erlaubt, den durch den Sachverständigenausschuss ermittelten Wert um bis zu 10 % zu unterschreiten. Nach 24 Monaten tritt die dritte Veräußerungsphase ein, in der die KAG den nach § 82 Abs. 1 InvG festgestellten Wert um bis zu 20 % unterschreiten darf (§ 80 Abs. 3 S. 2 InvG). Konnte auch nach 30 Monaten die Liquidität des Fonds nicht wieder hergestellt werden, erlischt das Recht der KAG einen Immobilienfonds zu verwalten, § 80 Abs. 4 S. 1 InvG. Der Fonds tritt in das Abwicklungsstadium ein, d. h. alle Vermögensgegenstände werden restlos
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12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
liquidiert und das Vermögen (regelmäßig in Raten) an die Anleger ausgezahlt. Zur Abwicklung kommt es auch, wenn die KAG die Rücknahme der Anteile innerhalb von 5 Jahren dreimal aussetzt. Zu beachten sind jedoch die möglichen Änderungen durch das Kapitalanlagegesetzbuch. Aufgrund der geplanten jährlichen Rückgabemöglichkeit (vgl. Abschn. 12.2.2.2) sollen sich die einzelnen Veräußerungsphasen auf 12, 24 und 36 Monate verschieben.
12.2.6
Die Depotbank
12.2.6.1
Allgemeines
Die Depotbank ist der dritte Beteiligte des Investmentdreiecks. Die wesentliche Aufgabe der Depotbank ist die Überwachung der KAG und des Sondervermögens, um die Trennung zwischen dem Sondervermögen und dem Vermögen der KAG sicherzustellen. Die Beteiligung einer Depotbank dient überwiegend dem Anlegerschutz, indem sie die Geschäfte der KAG kontrolliert und so rechtswidrigen Investitionen und einem missbräuchlichen Verhalten der KAG vorbeugt (Lenenbach, Rn. 14.28). Die Depotbank wird von der KAG bestellt, hat aber von dieser rechtlich, wie auch personell unabhängig zu sein, vgl. §§ 22 Abs. 1 und 2 InvG. Bei der Depotbank handelt es sich entweder um ein nach § 32 KWG zugelassenes Kreditinstitut oder eine Zweigniederlassung eines ausländischen Kreditinstituts, welchem jedoch auch das Betreiben eines Einlagen- und Depotgeschäfts erlaubt sein muss. Darüber hinaus muss die Depotbank über ein haftendes Eigenkapital von mindestens 5 Millionen Euro verfügen. Weitere Anforderungen an die Depotbank enthält § 20 InvG. 12.2.6.2
Pflichten der Depotbank
Zwischen der Depotbank und dem Anleger kommt jedoch kein Vertrag zustande. Vertragliche Beziehungen bestehen im Rahmen des Immobilienfonds nur zwischen Anleger und KAG sowie KAG und Depotbank. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hat die Depotbank gem. § 22 Abs.1 S. 1 InvG jedoch ausschließlich im Interesse der Anleger zu handeln (sog. Interessenwahrungspflicht). Das Rechtsverhältnis zwischen der Depotbank und einem Anleger in demzufolge als ein gesetzliches Schuldverhältnis zu qualifizieren. Dessen konkrete Regelungen sind den §§ 22 ff. InvG zu entnehmen (Berger/Steck/Lübbehüsen/Köndgen Vor § 20–29 Rn. 10). Die Weisung der Kapitalanlagegesellschaft hat die Depotbank jedoch nach § 22 Abs. 1 S. 2 InvG grundsätzlich auszuführen, sofern diese nicht gegen die gesetzliche Vorschriften oder die Vertragsbedingungen verstoßen. Daraus wird die Pflicht die Weisungen der KAG auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen abgeleitet (Patzner/Döser § 22 Rn. 2). Indessen ist die Depotbank nicht verpflichtet zu kontrollieren, ob die Geschäfte der KAG auch wirtschaftlich sinnvoll sind (OLG Frankfurt a. M. v. 19.12.1996 – 16 U 109/96). Eine wesentliche Aufgabe der Depotbank ist die Verwahrung des Sondervermögens. Kann wie im Fall einer Immobilie und der Beteiligung an einer Immobilien-Gesellschaft das Vermögen nicht verwahrt werden, so überwacht die Depotbank den Immobilienbestand, vgl. § 24 Abs. 3 InvG. Das heißt die KAG muss der Depotbank ihre Verfügungen über das Vermögen anzeigen und das Vermögen inventarisieren (Berger/Steck/Lübbehüsen/Köndgen § 24
12.2 Der offene Immobilienfonds
947
Rn. 19). Ein weiterer wichtiger Aspekt der Depotbank im Rahmen eines Immobilienfonds ist die Zustimmungspflicht zu Verfügungen der KAG über Immobilien oder Beteiligungen an Immobilien-Gesellschaften, vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 3 und 5 InvG. Weitere Kontrollfunktionen sieht § 27 Abs. 2 InvG vor. Verstößt die Depotbank gegen ihre Interessenswahrungspflicht aus § 22 Abs. 1 S. 1 InvG oder gegen die Kontrollpflicht nach § 22 Abs. 1 S. 2 InvG oder kommt sie ihren Aufgaben gem. den §§ 23–27 InvG nicht nach, führt dies zu einem Schadensersatzanspruchs gem. § 280 Abs. 1 BGB des einzelnen Anlegers wegen Verletzung der Pflichten des gesetzlichen Schuldverhältnisses.
12.2.7
Kapitalmarktrechtliche Anforderungen des offenen Fonds
Der offene Immobilienfonds ist ein Massengeschäft, welches nach der gesetzgeberischen Intention auch für Kleinanleger als Vermögensanlage dienen soll. Dementsprechend sieht das InvG eigenständige kapitalmarktrechtliche Anforderungen für den Immobilienfonds vor, die jedoch nicht allein dem Schutz der Anleger dienen, sondern auch die Sicherstellung der Funktionalität des Marktes für Immobilienfonds bezwecken (Berger/Steck/Lübbehüsen/Schmitz § 42 Rn. 5). 12.2.7.1
Verkaufsprospekt und wesentliche Anlegerinformationen
Um dem Anleger die Möglichkeit zu geben, sich vor seiner Anlageentscheidung ein umfassendes Bild über den Fonds machen zu können, sieht § 42 Abs. 1 S. 1 InvG vor, dass die KAG ein Verkaufsprospekt für die von ihr verwalteten Fonds zu erstellen hat. Da Verkaufsprospekte in der Regel einen Umfang von mehreren hundert Seiten besitzen, muss die KAG daneben auch noch eine vereinfachte Broschüre herausgeben, sog. wesentliche Anlegerinformationen. Dieser verkürzte Prospekt soll den Anlegern einen Überblick über die Anlage und die damit verbundenen Risiken verschaffen. Beide Publikationen müssen eindeutig und leicht verständlich sein. Das Wertpapierprospektgesetz findet wegen der spezielleren Regelung des InvG keine Anwendung, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 WpPG. Der Verkaufsprospekt muss gem. § 42 Abs. 1 S. 2 InvG alle Angaben enthalten, die erforderlich sind, damit sich der Anleger über die ihm angebotene Anlage und insbesondere über die damit verbundenen Risiken ein begründetes Urteil bilden kann. Über diese allgemeine und floskelhafte Formulierung hinaus enthält § 42 Abs. 1 S. 3 InvG einen Katalog an konkreten Angaben, welche der Prospekt mindestens zu enthalten hat. Für den Immobilienfonds erweitert § 80d Abs. 1 InvG diesen Mindestinhalt. So ist über Besonderheiten der Anteilsrücknahme beim Immobilienfonds zu informieren (Abweichungen von der börsentägliche Rückgabemöglichkeit § 37 Abs. 1 InvG). Die wesentlichen Anlegerinformationen sollen die Anleger in die Lage versetzen, Art und Risiken des angebotenen Anlageprodukts zu verstehen und auf dieser Grundlage eine fundierte Anlageentscheidung treffen zu können. Einen konkreten Mindestinhalt gibt § 42 Abs. 2 S. 1 InvG vor. Der Mindestinhalt muss für die Anleger verständlich sein, ohne dass hierfür zusätzliche Dokumente herangezogen werden müssen. Die wesentlichen Anlegerinformationen sind kurz zu halten und in allgemein verständlicher Sprache abzufassen. Besonderheiten bestehen für den Immobilienfonds aufgrund des neu eingeführten § 42 Abs. 2a InvG (durch Gesetz v. 22.06.2011; BGBl. I S. 1126). So muss z. B. ein Hinweis auf die Möglichkeit der Rücknahmeaussetzung (§ 80c InvG) aufgenommen werden.
948
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
§ 121 Abs. 1 S. 1, 2 InvG sehen vor, dass der Verkaufsprospekt und die wesentlichen Anlegerinformationen einem interessierten Anleger rechtzeitig vor Vertragsschluss und kostenlos zur Verfügung zu stellen sind. Daneben sind dem Erwerbsinteressenten weitere Dokumente anzubieten, wie z. B. der letzte veröffentlichte Jahres- und Halbjahresbericht. Darüber hinaus sind nach § 121 Abs. 1 S. 5 InvG die wesentlichen Anlegerinformationen auch auf der Internetseite der KAG zu veröffentlichen. Zu beachten ist auch noch § 42 Abs. 5 InvG, nach dem die wesentlichen Angaben des Verkaufsprospekts und der Anlegerinformationen auf dem neuesten Stand zu halten sind. Dieser kurze Überblick der Verpflichtungen einer KAG zeigt, dass den kapitalmarktrechtlichen Vorschriften mittlerweile eine überragende Bedeutung zukommt. 12.2.7.2
Prospekthaftung
Ein besonderes Gewicht wird dem Verkaufsprospekt und den Anlegerinformationen durch die Prospekthaftung gem. § 127 InvG verliehen. Ist der Verkaufsprospekt unrichtig oder unvollständig, steht dem Anleger ein Ersatzanspruch gegen die KAG zu. Auch kommt eine Haftung der KAG in Betracht, wenn die wesentlichen Anlegerinformationen irreführende sind oder unrichtige Angaben enthalten. Auf diese Weise soll die Richtigkeit dieser wesentlichen Informationsmittel gewährleistet werden. Eine Prospekthaftung existiert jedoch nicht nur für den offenen Fonds, sondern auch im Bereich des geschlossenen Fonds oder einer REIT-AG. Identisch sind dabei die haftungsbegründenden Tatbestände, also in welchen Fällen ein Prospekt den erforderlichen Standard nicht mehr erfüllt und demnach unrichtig oder unvollständig wird. Ausführlich wird diese Fragestellung im Abschn. 12.4.5.2 für den geschlossenen Fonds erörtert. Die Grundsätze der Prospekthaftung gelten jedoch auch für den offenen Immobilienfonds. Nachfolgend werden deswegen nur die Besonderheiten für den offenen Immobilienfonds dargestellt. Hat der Anleger aufgrund des fehlerhaften Verkaufsprospekts die Anteile des offenen Immobilienfonds gekauft, kann er Erstattung des von ihm gezahlten Betrages von der KAG verlangen (§ 127 Abs. 1 S. 1 InvG). Anspruchsgegner ist jedoch nicht nur die KAG, sondern auch derjenige, der die Fondsanteile im eigenen Namen gewerbsmäßig verkauft hat, sog. Vertriebsperson, § 127 Abs. 1 InvG. Jedoch haftet die Vertriebsperson nicht, wenn sie nachweist, dass sie die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, § 127 Abs. 3 InvG. Ebenfalls haften Personen, welche die Anteile im fremden Namen gewerbsmäßig verkauft oder den Verkauf der Anteile vermittelt haben, allerdings nur wenn sie die Unrichtigkeit positiv kannten, vgl. § 127 Abs. 4 InvG. Zu kritisieren ist, dass im Rahmen der Prospekthaftung beim offenen Immobilienfonds keine Beweislastumkehr vorgesehen ist. Der Anleger ist als Anspruchssteller grundsätzlich für alle Tatsachen beweispflichtig, die den Anspruch begründen. Beispielhaft muss der Anleger vor Gericht nachweisen, dass er die Anteile am offenen Immobilienfonds „aufgrund“ des fehlerhaften Prospekts gekauft hat (sog. Transaktionskausalität). Anders ist dies jedoch bei der Prospekthaftung im Bereich des geschlossenen Fonds oder der REIT-AG. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber eine Beweislastumkehr für bestimmte Tatsachen eingeführt. Würde diese auch für den offenen Fonds gelten, hätte die KAG die Beweislast vor Gericht, das der Prospekt nicht zur Anlageentscheidung geführt hat. Eine solche Beweislastumkehr erleichtert die Durchsetzung eines Ersatzanspruchs für den Anleger erheblich und dient damit zur Ver-
12.2 Der offene Immobilienfonds
949
wirklichung des Anlegerschutzes. Es ist demnach nicht nachzuvollziehen, wieso der Gesetzgeber gerade beim offenen Fonds von einer solchen Regelung abgesehen hat. 12.2.7.3
Anforderungen an die Anlagenvermittlung eines Immobilienfonds
Neben der Prospekthaftung ist im Bereich des Immobilienfonds auch eine Haftung aufgrund einer Pflichtverletzung im Rahmen eines Anlageberatungsvertrags zu beachten. Dieser Anlageberatungsvertrag entsteht üblicherweise zwischen einer Bank und ihrem Kunden, wenn diese nicht nur ein Geschäft für den Kunden ausführt, sondern ihn darüber hinaus auch bei seiner Anlageentscheidung berät. Ebenfalls ist es einer KAG erlaubt, individuelle Vermögensverwaltung oder Anlageberatung zu betreiben mit der Folge, dass im Rahmen dieser Nebentätigkeiten die Wohlverhaltensregeln gem. § 31 WpHG und die Grundsätzen der Beratungsfehler (oben Abschn. 12.1.6.3) von der KAG zu beachten sind. Neben der grundsätzlichen Aufklärungspflicht über die Risiken bei offenen Immobilienfonds, sind in der letzten Zeit zahlreiche Urteile ergangen, die die Informationspflichten im Rahmen des Immobilienfonds zugunsten der Anleger konkretisiert haben:
Einer beratenden Bank obliegt es den Kunden beim Erwerb von offenen Immobilienfonds über das Risiko eines Kapitalverlusts im Zusammenhang mit der Aussetzung der Anteilsrückname zu informieren (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.3.2012 – Az. 2-19 O 334/11). Es muss auf die konkrete Gefahr der Schließung offener Immobilienfonds im Allgemeinen hingewiesen werden (bereits für das Jahr 2008, LG Berlin, Urteil vom 10.5.2012 – Az. 27 O 627/11). Für einen Anleger, der eine jederzeitige Verfügbarkeit seines Kapitals wünscht, ist ein offener Immobilienfonds nicht anlegergerecht (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 10.5.2012 – Az. 2-12 O 81/11). Ebenfalls kommt es zu einer besonderen Aufklärungspflicht bei Banken, wenn diese für den Absatz eines Fondsanteils von einer konzernangehörigen KAG Rückvergütungen (sog. „kick-backs“) erhält. Nach der Rechtsprechung muss der Kunde über die erhaltenen Rückvergütungen und deren Höhe aufgeklärt werden (BGH, Urteil vom 19. 12. 2006 – XI ZR 56/05). Mittlerweile sind Rückvergütungen für den Vertrieb von offenen Fonds durch § 31d WpHG gesetzlich geregelt.
12.2.8
Aufsicht
Das Investmentgesetz regelt spezialgesetzlich die Aufsicht über den offenen Immobilienfonds. Dabei obliegt es in erster Linie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu kontrollieren, inwiefern die Pflichten, die sich aus dem InvG ergeben, eingehalten werden und gegebenenfalls aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu veranlassen. Die KAG unterliegt der alleinigen Aufsicht durch die BaFin und wird nicht wie Kreditinstitute auch durch die Bundesbank überwacht. Die aufsichtsrechtlichen Befugnisse der BaFin ergeben sich aus § 5 InvG. Dabei kann sie nach § 5 Abs. 1 S. 2 InvG alle Anordnungen treffen, die erforderlich und geeignet sind, um den Geschäftsbetrieb einer KAG und die Tätigkeit einer Depotbank mit diesem Gesetz (InvG) und den Vertragsbedingungen im Einklang zu erhalten.
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12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Diese allgemeine Formulierung begründet eine Missstandsaufsicht der BaFin (Berger/Steck/Lübbehüsen/Köndgen § 5 Rn. 7). Im Besonderen überwacht die BaFin die Einhaltung der Verhaltenspflichten gem. § 9 InvG. Bietet die KAG ferner Nebentätigkeiten gem. § 7 Abs. 2 InvG an, insb. individuelle Vermögensverwaltung oder Anlageberatung, hat sie auch die Wohlverhaltensregeln nach dem WpHG zu beachten (siehe hierzu Abschn. 12.2.7.1). Im Rahmen eines Immobilienfonds erstreckt sich die Aufsicht der BaFin außerdem auf den Sachverständigenausschuss, der mit der Bewertung der Vermögensgegenstände beauftragt ist. Im Gegensatz zu einem Wertpapierprospekt bedarf der Verkaufsprospekt eines Investmentfonds keiner Genehmigung durch die BaFin. Nach § 42 Abs. 6 InvG hat die KAG das Verkaufsprospekt nur unverzüglich nach erstmaliger Verwendung einzureichen. Allerdings kann die BaFin gem. § 42 Abs. 1 S. 4 InvG verlangen, dass in den Verkaufsprospekt weitere Angaben aufgenommen werden, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass die Angaben für die Erwerber erforderlich sind. Hingegen benötigen die Vertragsbedingungen, die im Verhältnis KAG – Anleger gelten sollen, die vorherige Genehmigung der BaFin, § 43 Abs. 2 InvG. Um den damit verfolgten Anlegerschutz sicherzustellen, gilt die Genehmigungspflicht auch für die Änderungen der Vertragsbedingungen. Die BaFin überwacht ebenfalls die Tätigkeit der Depotbank. Die Aufsichtsbefugnisse richten sich dabei grundsätzlich wie für jede „normale“ Bank nach den Vorschriften des Kreditwesengesetzes. Das InvG enthält jedoch in bestimmten Bereichen speziellere Regelungen für die Depotbank, vgl. § 21 InvG. Zu beachten ist im Besonderen, das die Auswahl sowie jeder Wechsel der Depotbank der Genehmigung der Bundesanstalt bedarf (§ 21 Abs. 1 InvG). Die Bundesanstalt kann ferner nach § 21 Abs. 2 InvG der Kapitalanlagegesellschaft jederzeit einen Wechsel der Depotbank auferlegen.
12.2.9
Sekundärmarkt des offenen Immobilienfonds
Der übliche Verkauf von Anteilen eines offenen Immobilienfonds erfolgt im Wege des Vertriebs durch eine Bank oder eines Finanzvermittlers. Durch den Anteilsschein nach § 33 Abs. 1 InvG ist die Rechtsposition des Anlegers jedoch verbrieft mit der Folge, dass der Anleger frei, d. h. ohne Beteiligung der KAG oder Depotbank, über seine Anteile verfügen kann (siehe zur Wertpapiereigenschaft des Anteilsscheins oben Abschn. 1.2.5.3.2). Die freie Handelbarkeit des Anteilsscheins besteht allerdings nur bei Publikumsfonds und nicht bei Spezialfonds (vgl. Abschn. 12.3.2). Der Zweitmarkt für Fondsanteile findet üblicherweise an den deutschen Regionalbörsen statt. Die Börse Hamburg begann mit dem Fondshandel als erste deutsche Börse im Jahr 2002. In der Regel notieren die Fondsanteile in den jeweiligen Marktsegmenten des Freiverkehrs (hierzu Abschn. 12.1.5.3). Der Erwerb von Fondsanteilen über eine Börse bietet den Anlegern den Vorteil, dass kein Ausgabeaufschlag i. H. v. bis zu 5 % beim Kauf der Fondsanteile anfällt, welcher üblicherweise im Rahmen des Anteilserwerbs über eine Bank anfällt. Beim Kauf über die Börse muss nur eine Ordergebühr und eine Maklercourtage entrichtet werden, die sich in der Regel deutlich unter 5 % bewegen werden.
12.3 Immobilienspezialfonds
951
Bei der Preisbindung spielt der Rückkaufwert, den die KAG für die Rückgabe der Anteile an die Anleger zu entrichten hat, eine erhebliche Rolle. Der Rückkaufwert (auch Net Asset Value oder Nettoinventarwert) wird unter Berücksichtigung der vom Sachverständigenausschuss ermittelten Vermögenswerte (§ 79 Abs. 1 InvG) täglich von der KAG berechnet. Anders als bei sonstigen Wertpapieren, deren Preis im Wesentlichen durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden, ist es den Anlegern (grundsätzlich) möglich die Anteile an die KAG täglich zurückzugeben (§ 37 Abs.1 InvG). Folglich wird ein Anleger auch keine deutliche Unterschreitung des Rückkaufwerts als Börsenpreis akzeptieren. Kommt es allerdings zu einer Aussetzung der Anteilsrücknahme (§ 80c Abs. 2 InvG) wird auch der Preis an der Börse deutlich geringer als der letzte Rückkaufwert ausfallen. Für Anleger, die jedoch auf den Gegenwert ihrer Fondsanteile angewiesen sind, ist der Verkauf über die Börse die einzige Gelegenheit während einer Rücknahmeaussetzung ihre Anteile zu liquidieren.
12.3
Immobilienspezialfonds
12.3.1
Begriff und Typologie
Spezialfonds oder gemäß der gesetzlichen Terminologie „Spezial-Sondervermögen“ sind Unterarten des Investmentfonds, die nur einem bestimmten Kreis an Anlegern offen stehen. Die ersten Spezialfonds wurden 1968 in Deutschland gegründet und dienten hauptsächlich dem Zweck institutionellen Anlegern Einfluss auf die Anlagestrategie und die Konzeption des Fonds zu ermöglichen, was im Rahmen eines Publikumsfonds nicht zulässig ist (Berger/Steck/Lübbehüsen/Steck Vor §§ 91–95 Rn. 2). Mittlerweile übertrifft das Vermögen der Spezialfonds das Vermögen der Publikumsfonds um ein Wesentliches (vgl. Investmentstatistik des deutschen Fondsverbands BVI abrufbar unter www.bvi.de/investmentstatisik. Siehe zu institutionellen Anlegern im Allgemeinen oben Abschn. 12.1.6.1). Im Unterschied zu Publikumsfonds sind Spezialfonds nicht an einem bestimmten Fondstyp gebunden, sondern können alle nach dem InvG zulässigen Anlagegegenstände erwerben. Jedoch besteht in der Praxis weiterhin eine Trennung nach der Anlageklasse, insb. sind hier selbständige Immobilienspezialfonds zu nennen. Im Gegensatz zu den Publikums-Immobilienfonds sind Immobilienspezialfonds nicht durch die Fondskrise 2004/05 oder die Finanzkrise 2008/09 betroffen gewesen. Vielmehr ist in diesem Anlagesegment der Markt stark wachsend, so dass neben Banken mittlerweile auch Immobilienentwickler Spezialfonds auflegen. Allerdings müssen die Fonds weiterhin von Kapitalanlagegesellschaften i. S. d. InvG verwaltet werden, welche jedoch über einen sehr beschränkten Geschäftsbereich verfügen (hierzu bereits oben Abschn. 12.2.5.1). Aus diesem Grund schließen sich Immobilienentwickler mit Service-Kapitalanlagegesellschaften zusammen. Der Entwickler übernimmt in dieser Zusammenarbeit die Aufgabe der Akquisition und des Managements der Immobilien. Die Service-Kapitalanlagegesellschaft verwaltet das Fondsvermögen. Der Immobilienspezialfonds kann in zwei unterschiedliche Typen, namentlich den Individualfonds und den Gemeinschafts- bzw. Poolfonds, unterschieden werden. Wie den Begriffen bereits zu entnehmen ist, wird der Individualfonds für einen einzigen institutionellen Anleger aufgelegt, der Gemeinschaftsfonds indessen für mehrere Anleger. Auch beim Immobilienspezialfonds sind die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der Umsetzung der AIFM-Richtlinie zu beachten (allgemein hierzu Abschn. 12.1.4.1). Der Immobi-
952
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
lienspezialfonds wird ebenfalls durch das neue Kapitalanlagegesetzbuch erfasst, welches das InvG ablöst (vgl. Abschn. 12.2.2.2)
12.3.2
Voraussetzung des Immobilienspezialfonds
Beim Spezialfonds handelt es sich um ein Anlageinstrument, welches einen beschränkten Kreis von Anlegern, namentlich institutionelle Investoren, besitzt. Nach § 2 Abs. 3 InvG dürfen demzufolge keine natürlichen Personen Anteile an einem Spezialfonds halten. Taugliche Anleger eines Spezialfonds sind hingegen Kapitalgesellschaften, wie eine AG oder GmbH. Auch Personengesellschaften können als Rechtssubjekte (§ 124 Abs. 1 HGB) einen Anteil an einem Spezialfonds erwerben (Patzner/Döser § 2 Rn. 3). Daneben ergibt sich eine tatsächliche Beschränkung der Anlegerschaft aus hohen Mindesteinlageanforderungen von zweistelligen Millionenbeträgen an die Investoren. § 91 Abs. 1 InvG a. F. sah ebenfalls eine Beschränkung der Anlegerzahl auf eine Größe von 30 Teilnehmern vor. Durch das Investmentänderungsgesetz vom 27.12.2007 (BGBl. S. 3089) ist eine Begrenzung entfallen mit der Folge, dass auch Immobilienspezialfonds mit einer unbegrenzten Anlegerzahl gebildet werden können, soweit diese keine natürlichen Personen sind. Zu einer steuerlichen Anerkennung ist jedoch eine Beschränkung auf 100 Anleger notwendig, vgl. § 15 Abs. 1 InvStG. Ferner setzt ein Spezialfonds eine schriftliche Vereinbarung zwischen der KAG und den Anlegern voraus. In der Praxis wird regelmäßig ein Rahmenvertrag zwischen Anleger, KAG und Depotbank geschlossen, dabei handelt es sich um einen dreiseitigen Vertrag. Dieser kann die Voraussetzungen einer Kündigung und Rücknahmeaussetzung, die Depot- und Verwaltungsvergütungen sowie Details zur Ausschüttung enthalten. Nach § 92 InvG muss jedoch zwingend zwischen der KAG und den Anlegern schriftlich vereinbart werden, dass diese ihre Anteile nur mit Zustimmung der KAG veräußern dürfen. Dieses Zustimmungserfordernis, durch welches eine KAG vereiteln kann, dass natürliche Personen Anteilsinhaber werden können, wird üblicherweise ebenfalls im Rahmenvertrag verabredet (Patzner/Döser § 92 Rn. 1). Ferner folgt aus dem Zustimmungserfordernis, dass die Anteile am Spezialfonds im Unterschied zum Publikumsfonds nicht frei handelbar sind.
12.3.3
Rechtliche Abweichung gegenüber dem Publikumsfonds
Grundsätzlich gelten für einen Spezialfonds dieselben Vorschriften wie für einen offenen Publikumsfonds, § 91 Abs. 2 InvG. So stellt das Investment-Dreieck zwischen Sondervermögen, KAG und Depotbank die rechtliche Grundstruktur des Spezialfonds dar; im Bereich des Immobilienspezialfonds finden ebenfalls die §§ 66–82 InvG Anwendung. Jedoch können Abweichungen von den Normen des InvG mit der Zustimmung der Anleger getroffen werden, § 91 Abs. 3 InvG. Hintergrund dieser Abweichungsmöglichkeit ist, dass der Gesetzgeber die Vorschriften des InvG im Bereich eines Spezialfonds nicht für zwingend notwendig erachtet. Diese dienen im Wesentlichen dem Schutz der Privatanleger, auf welchen es beim Spezialfonds nicht ankommt. Ferner sind die meisten institutionellen Investoren selbst einer direkten staatlichen Regulierung unterworfen, so dass die Liberalisierung des Spezialfonds eine Doppelregulierung beseitigen soll (Regierungsbegründung zum Investmentänderungsgesetz, BT-Drs. 16/5576, S. 206).
12.4 Geschlossener Fonds
12.4
Geschlossener Fonds
12.4.1
Begriff und Entwicklung
953
Der geschlossene Fonds ist wie ein offener Fonds ein Instrument zur kollektiven Vermögensanlage. Im Gegensatz zum offenen Fonds, handelt es sich jedoch grundsätzlich nicht nur um eine Kapitalanlage, sondern um eine unternehmerischen Beteiligung. Die Unterschiede sind dementsprechend groß. Die Terminologie „geschlossen“ beschreibt den begrenzten Platzierungszeitraum eines Fonds. Ist der von den Fondsinitiatoren angestrebte Kapitalbetrag erreicht, wird der Fonds für weitere Investitionen geschlossen, sog. Closed-End-Prinzip. In der Praxis ist eine spätere Erweiterung des Fondsvermögens durch eine Kapitalerhöhung unüblich. Bestehen neue Investitionsmöglichkeiten, für welche Kapital angeworben werden soll, wird hierzu ein neuer Fonds aufgelegt. Im Unterschied zu einem offenen Fonds besteht in der Regel keine Verpflichtung, das angelegte Vermögen dem Anleger auf sein Verlangen hin jederzeit zurückzugewähren. Der frühere mit einem geschlossenen Fonds verbundene Zweck ein Steuerspar- bzw. Steuerstundungsmodell (geschlossene Fonds sollte z. B. als sog. Verlustzuweisungsgesellschaften, die Steuerbelastung bei andere Einkunftsarten zu senken) zu bieten, hat sich aufgrund stetiger gesetzlicher Änderungen (§§ 15a, 15b EStG) wesentlich verringert. Jetzt dient ein geschlossener Fonds hauptsächlich als Anlagemodell für indirekte Investition in bestimmte Vermögensgegenstände.
12.4.2
Rechtsvorschriften
12.4.2.1
Geltende Gesetzeslage
Geschlossene Fonds wurden als Bestandteil des sog. „Grauen Kapitalmarkts“ bisher nicht durch ein spezielles Gesetz reguliert. Mittlerweile untersteht der geschlossene Fonds durch die Einführung des Vermögensanlagengesetzes (VermAnlG) einer staatlichen Aufsicht und Regulierung (siehe unten Abschn. 12.4.5). Das VermAnlG ist erst seit dem 01.06.2012 in Kraft getreten und hat das Verkaufsprospektgesetz abgelöst. Ebenfalls zählen Anteile an einem geschlossenen Fonds seit dem 01.06.2012 als Finanzinstrument (§ 2b WpHG und § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 11 KWG). Folglich sind auch bestimmte Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes und des Kreditwesengesetzes für einen geschlossenen Fonds anwendbar. Insbesondere sind im Rahmen einer Anlageberatung im Zusammenhang mit einem geschlossenen Fonds die Wohlverhaltensregeln gem. § 31 WpHG (oben Abschn. 12.1.6.3) zu beachten. Daneben sind die zivilrechtlichen Normen des BGBs sowie gesellschaftsrechtliche und steuerliche Vorschriften zu beachten. 12.4.2.2
Entwurf des Kapitalanlagegesetzbuchs
Aktuell ist für den Immobilienfonds, die am 22.07.2011 in Kraft getretene AIFM-Richtlinie zu beachten. Ziel der Richtlinie ist die Verwalter eines Fonds (Alternative Investment Fund Manager kurz: AIFM) einer europaweit einheitlichen Regulierung und Aufsicht zu unterziehen. Der deutsche Gesetzgeber setzt die AIFM-Richtlinie durch ein AIFM-Umsetzungs-
954
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
gesetz ins nationale Recht um (Regierungsentwurf abrufbar unter www.bundesfinanzminsterium.de). Die Umsetzung muss bis zum 22.07.2013 erfolgen. Der Regierungsentwurf sieht die Schaffung eines Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) vor, welches erstmals alle Arten eines Fonds (offen wie geschlossen) in einem Gesetzbuch regelt. Das Anlageinstrument des geschlossenen Fonds wird durch die die Einführung des KAGB erstmalig umfassend reguliert (insb. durch die §§ 261 ff. KAGB-Entwurf). Eine ausführliche Darstellung der neuen Regelungen sprengt allerdings den hier zu Verfügung stehenden Rahmen. Nachfolgend werden daher die wichtigsten Tendenzen des Regierungsentwurfs (Stand: 21.12.2012, BR-Drs. 791/12) wiedergegeben. Zu beachten ist, dass viele der Regelungen, den Vorschriften zum offenen Investmentfonds nachempfunden wurden:
Als Rechtsform für die Fondsgesellschaft sollen künftig nur noch die Kommanditgesellschaft und die Aktiengesellschaft in Betracht kommen. In der Praxis wird üblicherweise ein geschlossener Fonds als GmbH & Co. KG aufgelegt, diese Möglichkeit bleibt somit bestehen. Der Entwurf sieht einen Katalog an zulässigen Investitionsgegenständen vor, Vorbilder des Katalogs sind die bisher bestehenden Fondstypen, wie z. B. der Immobilienoder Schiffsfonds. Ferner enthält der Entwurf eine Regulierung der Anlagestrategie, beispielhaft den Grundsatz der Risikomischung oder Vermeidung von Währungsrisiken. Auch sind weitere Regelungen für den Erwerb von Vermögensgegenständen vorgesehen, die im Wesentlichen dem Schutz der Anleger dienen. So müssen wie beim offenen Immobilienfonds externe Sachverständige eine Immobilie bewerten, bevor die Fondsgesellschaft sie erwerben darf. Die Kreditaufnahme wird auf maximal 60 % des Wertes des geschlossenen Fonds beschränkt. Die Verwalter eines geschlossenen Fonds benötigen eine Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Die Verwalter eines Fonds müssen eine Vielzahl an Verhaltens- und Organisationspflichten beachten, z. B. ein angemessenes Risiko- und Liquiditätsmanagement einrichten. Einmal jährlich müssen die Vermögensgegenstände des Fonds bewertet werden, eine interne Bewertung ist allerdings zulässig. Die Verwalter eines geschlossenen Fonds haben eine Verwahrstelle zu beauftragen. Die Tätigkeit einer Verwahrstelle wurde dabei der Tätigkeit einer Depotbank i. S. d. InvG nachempfunden. Im Fall des geschlossenen Immobilienfonds hat dies zur Folge, dass die Verwahrstelle die Verwaltung des Fondsvermögens überwacht und bei Verfügungen der Verwalter über Immobilien zustimmen muss. Jedoch gibt es eine Ausnahme für kleine Anbieter: Liegt das verwaltete Fondsvermögen unter einem Wert von 100 Mio. Euro gelten einige der vorgenannten Anforderungen nicht, u. a. bedarf es keiner Erlaubnis für die Geschäftsaufnahme. Ein solcher Fonds muss sich jedoch registrieren lassen. Da sich das KAGB jedoch erst im Entwurfsstadium befindet, werden die Rechtsgrundlagen des geschlossenen Immobilienfonds an den bisher geltenden Vorschriften dargestellt. Die Gesetzesentwicklung ist in jedem Fall weiter zu beachten.
12.4 Geschlossener Fonds
12.4.3
955
Die Grundstruktur eines geschlossenen Immobilienfonds
Aus der Sicht eines Immobilienunternehmens stellt der geschlossene Immobilienfonds ein Finanzierungsvehikel dar, mit welchem es in der Regel ohne Einsatz von eigenen Geldern Immobilienprojekte finanzieren kann. Das notwendige Eigenkapital wird typischerweise auf zwei unterschiedliche Arten eingesammelt, entweder durch die Platzierung der Anteile bei einem ausgewählten Investorenkreis (Private Placement) oder in Form eines öffentlichen Angebots an eine Vielzahl von Anlegern (Publikumsfonds). In der Regel gibt der Fondsinitiator eine Platzierungsgarantie ab, die besagt dass er die nicht gezeichneten Anteile übernimmt. Bei der Finanzierung des Immobilienprojekts können darüber hinaus auch Fremdkapitalmittel eingesetzt werden. Ist die angestrebte Investitionssumme erreicht, wird der Fonds für weitere Investitionen geschlossen. Für die Anleger dient der geschlossene Immobilienfonds als Instrument zur kollektiven Kapitalanlage oder zum Kapitalaufbau. Eine übliche Mindestbeteiligung eines einzelnen Anlegers beträgt zwischen 5.000 und 50.000 Euro. Zu beachten ist weiter, dass es sich bei einem geschlossenen Fonds um keine typische Kapitalanlage handelt, sondern um eine unternehmerische Beteiligung. Anteile an geschlossenen Fonds haben in der Regel eine lange Laufzeit (zwischen 10 bis 20 Jahre). Im Gegensatz zu Anteilen an einem offenen Fonds besteht keine jederzeitige Rückgabemöglichkeit der Anteile. Auch ein Verkauf der Anteile kann sich aufgrund eines fehlenden liquiden Zweitmarkts oder vereinbarter Zustimmungsrechte der Fondsinitiatoren als schwierig bis unmöglich gestalten. Das Fondsvermögen, welches in der Regel zwischen 50–250 Millionen Euro beträgt, kann die Fondsgesellschaft nach den Plänen der Fondsinitiatoren für die Immobilieninvestition verwenden. In der Regel wird zwischen zwei unterschiedlichen Investitionsmethoden unterschieden: Dem Betreibermodell oder einem Immobilien-Leasingfonds. 12.4.3.1
Betreibermodell
Im Rahmen des Betreibermodells erwirbt die Fondsgesellschaft Eigentum an einem oder wenigen ausgesuchten Immobilien und entwickelt diese. Entweder handelt es sich dabei um ein bereits bebautes Grundstück oder das Grundstück wird von der Fondsgesellschaft bebaut. Im Anschluss wird das Objekt von der Fondsgesellschaft an Dritte vermietet. Die Erlöse aus den Mietverträgen (§§ 535 ff. BGB) dienen der Fondsgesellschaft um Ausschüttungen an die Anleger vorzunehmen, die Fremdkapitalkosten zu begleichen und Rücklagen zu bilden. Für den Erfolg des geschlossenen Immobilienfonds ist demzufolge maßgebend, dass die Mieterlöse wie im kalkulierten Maße erzielt werden und dass der Erwerb und die Bebauung des Grundstücks die geplanten Kosten nicht wesentlich übersteigen. Besteht hingegen eine zu hohe Leerstandsquote und waren die Baukosten falsch angesetzt, mindert sich auch automatisch die Rendite der Anleger. Um dieses wirtschaftliche Risiko für die Anleger abzusenken, werden von den Fondsgesellschaften Garantien angeboten wie eine Miet- oder Ausschüttungsgarantie. 12.4.3.2
Immobilien-Leasing-Modell
Die Fondsgesellschaft erwirbt auch beim Modell des Immobilien-Leasings zivilrechtliches Eigentum an einem Grundstück und schließt im Anschluss einen Leasingvertrag mit einem oder mehreren Nutzern ab. Aufgrund des Leasingvertrags überlässt die Fondsgesellschaft zwar
956
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
ebenfalls den Gebrauch des Objekts dem Nutzer. Im Unterschied zum Mietvertrag übernimmt jedoch der Nutzer das Risiko für das Gebäude. Das Entgelt für die Nutzungsüberlassung entspricht hingegen nicht der ortsüblichen Miete. Es ergibt sich vielmehr aus den Kosten für die Investition und Finanzierungskosten der Fondsgesellschaft (Lüdicke/Arndt/Arndt/Fischer S. 220). Am Ende des Leasingvertrags erwirbt der Leasingnehmer regelmäßig Eigentum am Grundstück gegen eine bereits im Leasingvertrag vereinbarte Kaufpreissumme (Finanzierungsleasing). Der Leasingvertrag ist kein besonderer Vertragstyp des BGBs, sondern wird rechtlich als atypischer Mietvertrags behandelt. Im Fall eines Finanzierungsleasings handelt es sich um einen gemischten Vertrag mit Elementen des Miet-, Darlehens- und Kaufvertrags. Das wirtschaftliche Risiko eines Anlegers ist bei Immobilien-Leasing-Verträgen aufgrund der langfristigen Verträge in der Regel geringer als beim Betreibermodell.
12.4.4
Gesellschaftsrechtliche Grundzüge des geschlossenen Fonds
Ein geschlossener Fonds wird regelmäßig in Form einer Personengesellschaft geführt. Die Hauptgründe hierfür sind zum einen steuerliche Erwägungen. Zum anderen besitzt die Personengesellschaft gegenüber einer Kapitalgesellschaft (AG, GmbH) den größeren Gestaltungsspielraum. Eine Personengesellschaft liegt vor, wenn mindestens zwei Personen sich durch einen Gesellschaftsvertrag verpflichten einen gemeinsamen Zweck zu fördern. Das gesetzliche Leitbild einer Personengesellschaft geht grundsätzlich von einer engen Verbindung zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft aus. Diese personalistische Struktur wird z. B. durch die Beitragspflicht der Gesellschafter oder der gemeinschaftlichen Geschäftsführungsbefugnis deutlich und unterscheidet die Personengesellschaft von der Kapitalgesellschaft. Im Bereich des geschlossenen Fonds wird jedoch erheblich vom gesetzlichen Leitbild der Personengesellschaft abgewichen. An einer Fondsgesellschaft sind in der Regel eine große Anzahl von Gesellschaftern (bis zu 1000 Anleger) beteiligt mit der Folge, dass die personalistische Struktur nicht mehr zweckmäßig ist. Um die gewünschte Rechtsform einer Personengesellschaft trotzdem zu behalten, werden viele Verwaltungsrechte der Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag beschränkt. Die Rechtsprechung reagiert auf diese Entwicklung, indem sie besondere Regelungen für eine solche Personengesellschaft etabliert hat (sog. Publikumsgesellschaft Abschn. 12.4.4.2). Vorab werden jedoch die möglichen Rechtsformen eines geschlossenen Fonds dargestellt. 12.4.4.1
Rechtsformwahl
12.4.4.1.1
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) erhielt ihre Bedeutung für geschlossene Fonds insb. aus steuerrechtlichen Erwägungen. Die GbR ist im Gesetz (§§ 705 ff. BGB) jedoch nur unvollständig geregelt. Durch das Grundsatzurteil des zweiten Zivilsenats des BGH vom 29.01.2001 (II ZR 331/00) ist die Teilrechtsfähigkeit einer Außen-GbR höchstrichterlich anerkannt. Eine GbR, die am Rechtsverkehr offen teilnimmt (sog. Außen-GbR), kann demnach selbständig Rechte und Pflichten begründen und im Zivilprozess als Partei klagen oder verklagt werden.
12.4 Geschlossener Fonds
957
Das BGH-Urteil vom 29.01.2001 ist jedoch auch in anderer Hinsicht für die GbR von gravierender Bedeutung. Im Anschluss an die Teilrechtsfähigkeit einer Außen-GbR entschied der BGH, dass die Gesellschafter der GbR für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich haften. Diese sog. akzessorische Haftung orientiert sich an den Regelungen zur oHG (§§ 128 ff. HGB). Für die Fondsgesellschafter im Fall einer GbR bedeutet dies:
Unbeschränkte Haftung für die Fehlbeträge der GbR Haftung mit ihrem Privatvermögen (§ 128 S. 1 HGB) Haftung für Altverbindlichkeiten (§ 130 Abs. 1 HGB) Nachhaftung bei Ausscheiden aus der Gesellschaft (§ 736 Abs. 2 BGB) Einstandspflicht für andere Mitgesellschafter (§ 734 S. 2 BGB)
Diese Rechtsprechung hat der BGH grundsätzlich auch für eine Immobilienfonds-GbR bestätigt (BGH Urteil vom 17. 10. 2006 – XI ZR 185/05). Das bedeutet, dass die Gläubiger einer Immobilienfonds-GbR jeden einzelnen Anleger für die Verbindlichkeiten der GbR in Anspruch nehmen könnten. Eine Beschränkung der Gesellschafterhaftung auf die geleistete Einlage existiert nicht. Ebenfalls kann die Verpflichtung nicht allgemein gültig durch einen Namenszusatz wie etwa „GbR mbH“ (mit beschränkter Haftung) nach außen beschränkt werden. Grundsätzlich hätte die akzessorische Haftung zur Folge, dass ein Anleger aufgrund einer geleisteten Einlage von 5.000 € für Verbindlichkeiten in Millionenhöhe haften könnte. Dass dies zu unzumutbaren Ergebnissen führt kann, die auch von den Gläubigern einer GbR nicht erwartet werden dürften, hat der BGH für die Publikums-GbR anerkannt (BGH Urteil vom 17.6.2008 – XI ZR 112/07). Der BGH löst diese Konstellationen durch Auslegung des Vertrags zwischen Gläubiger und GbR, der zur Verbindlichkeit der GbR geführt hat. Im Falle einer Publikums-GbR kann unter „erleichterten Bedingungen“ eine Haftungsbeschränkung der Gesellschafter angenommen werden. Maßgebend ist aber der einzelne konkrete Vertrag zwischen dem Gläubiger und der GbR und nicht der Gesellschaftsvertrag oder der Fondsprospekt (Henssler/Strohn/Servatius, HGB, Anhang Publikumsgesellschaft, Rn. 98). 12.4.4.1.2
GmbH & Co. KG
Die in der Praxis am häufigsten anzutreffende Rechtsform eines geschlossenen Fonds ist die GmbH & Co. KG. Die Fondsgesellschaft ist in diesem Fall grundsätzlich als Kommanditgesellschaft nach § 161 HGB strukturiert, d. h. das Eigentum an den Grundstücken hält die KG. Eine KG ist wie die GbR und die oHG eine Personengesellschaft. Sie besitzt jedoch zwei unterschiedliche Typen an Gesellschaftern: Der persönlich haftende Gesellschafter (Komplementär) und der beschränkt haftende Gesellschafter (Kommanditisten). Der Komplementär kann wie die Gesellschafter eine GbR unbeschränkt mit seinem Privatvermögen in Anspruch genommen werden kann. Der Kommanditist haftet grundsätzlich summenmäßig beschränkt bis zur Höhe der Einlage, die für ihn ins Handelsregister eingetragen ist (§§ 171, 172 HGB). Diese persönliche Haftung ist ausgeschlossen, wenn die Einlage bereits in das Vermögen der Gesellschaft eingezahlt wurde und der Kommanditist die Einlage nicht zurückerhalten hat. Allerdings besteht in der Gründungsphase einer KG die Gefahr, dass der Kommanditist unbeschränkt persönlich haftet. Ist die KG noch nicht in das Handelsregister eingetragen worden, beginnt jedoch die KG mit Geschäften, so haftet der Kommanditist für die Verbindlichkeiten in dieser Phase, soweit er der Geschäftsaufnahme zustimmt (§ 176 HGB). Diese Zustimmung kann
958
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
auch durch schlüssiges Handels erklärt werden und ist vor allem in Fällen anzunehmen, in denen die Gesellschaft bereits ein Geschäft betreibt (Henssler/ Strohn/Gummert, HGB, § 176, Rn. 9). Im Rahmen einer GmbH & Co. KG übernimmt den Part des Komplementärs jedoch keine natürliche Person, sondern eine GmbH (sog. Komplementär-GmbH). Damit wird eine durchgehende beschränkte Haftung der GmbH & Co. KG erreicht, da als persönlich haftende Gesellschafter eine beschränkt haftende juristische Person (die GmbH) eingesetzt wird. Die GmbH haftet nur mit ihrem Stammkapital, welches im geringsten Fall 25.000 € beträgt. Die Kommanditisten einer GmbH & Co. KG haften weiterhin nur mit der Höhe ihrer Einlage. Die Geschäftsführung der KG übernimmt die Komplementär-GmbH, welche durch ihre Geschäftsführer handelt. 12.4.4.2
Das Sonderrecht der Publikumsgesellschaft
Die Publikumsgesellschaft bezeichnet Personengesellschaften für welche die Rechtsprechung besondere Regelungen vorsieht. In der Praxis ist die Publikumsgesellschaft meistens in der Form einer GmbH & Co. KG anzutreffen. In welchen Fällen eine Publikumsgesellschaft vorliegt, ist nicht klar abgrenzbar. Maßgebend ist die Kapitalmarktorientierung der Gesellschaft, die sich aus folgenden Merkmalen ergeben kann: große Anzahl von Gesellschaftern vorformulierter Gesellschaftsvertrag Abbedingung der Verwaltungsrechte der Anleger keine personalistische, sondern eine körperschaftliche Organisation öffentliches Angebot Die Anleger können entweder direkt sich an der Gesellschaft beteiligen, oder auf indirekte Weise über einen Treuhandkommanditisten. In diesem Fall werden die Anleger selbst keine Kommanditisten, sondern ein Treuhänder hält deren Beteiligung an der Gesellschaft. Dieses Modell dient dazu, den Fondsinitiatoren, die in der Regel auch die Gründer der KG sind, die Verwaltungsmacht über die KG zu sichern. Ebenfalls können auch die Verwaltungsbefugnisse der Anleger durch den Gesellschaftsvertrag beschränkt werden. Dies ist grundsätzlich nicht unbillig, da die Anleger in der Regel nur Vermögensinteresse besitzen. Jedoch bedarf diese Abkehr vom gesetzgeberischen Leitbild der Personengesellschaft auch einer anderen rechtlichen Behandlung der Publikumsgesellschaft. Die besonderen Regelungen einer Publikumsgesellschaft sind durch die Rechtsprechung geschaffen und durch keine konkrete Norm vorgegeben. Sie stellen ein Sonderrecht dar, welches die weiterhin anwendbaren Vorschriften des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts zu Gunsten der Anleger ergänzt. So ist beispielhaft im Fall einer Publikums-KG das HGB grundsätzlich für die Rechte des Kommanditisten maßgebend. Das Recht der Publikumsgesellschaft sieht in den folgenden Bereichen eine anlegergerechte Sonderbehandlung der Gesellschafter vor (ausführlich, Henssler/Strohn/Servatius, HGB, Anhang Publikumsgesellschaft):
Gesellschaftsvertrag – Sichern sich die Fondsinitiatoren besondere Rechte durch den Gesellschaftsvertrag, bedarf der Gesellschaftsvertrag der Schriftform. – Der Gesellschaftsvertrag ist objektiv auszulegen; Beurteilungsmaßstab ist ein wirtschaftlich denkende Gesellschafter und nicht die konkret beteiligten Gesellschafter.
12.4 Geschlossener Fonds –
959
Der Gesellschaftsvertrag unterliegt einer weitreichenden Inhaltskontrolle, die insb. die unangemessene Benachteiligung der Anleger zu verhindern bezweckt.
Widerrufsrecht des Anlegers – Einem Anleger kann nach § 312 BGB ein Widerrufsrecht zustehen, wenn der Anleger Verbraucher ist, ein „Haustürgeschäft“ vorliegt und der Zweck des Beitritts zur Gesellschaft in einer Kapitalanlage zu sehen ist. – Der Anleger kann sich jedoch nicht durch einen späteren Widerruf (ist meistens möglich, da eine Widerrufsbelehrung fehlt) von mittlerweile eingetretenen Gesellschaftsverlusten befreien. – Allerdings steht dem Anleger bei nicht erfolgter Widerrufsbelehrung ein Schadensersatzanspruch gegen die Fondsinitiatoren zu.
Gesellschafterbeschlüsse – Das Mehrheitsprinzip im Rahmen der Beschlussfassung einer Gesellschaft kann im Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden (die gesetzliche Ausgangslage ist die Einstimmigkeit bei Beschlüssen). – Wenn das Mehrheitsprinzip vorliegt, sind bestimmte Mechanismen zum Minderheitenschutz einzuführen, z. B. Anhörungsrechte. – Werden die Gesellschafter durch einen Mehrheitsbeschluss belastet (z. B. Nachschusspflicht in Form der Erhöhung der Einlage), muss sich diese Möglichkeit bereits aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben (Bestimmheitsgrundsatz). – Ferner ist jeder Mehrheitsbeschluss auf Verletzung der Treuepflicht zu überprüfen. Es ist daher festzustellen, ob die Gesellschafter durch ihren Beschluss die „beachtenswerte Belange“ der Minderheit ausreichend gewürdigt haben.
12.4.5
Kapitalmarktrechtliche Regelungen des geschlossen Fonds
Die Anteile an einem geschlossenen Immobilienfonds gelten als klassische Bestandteile des sog. „Grauen Kapitalmarkts“. Der graue Kapitalmarkt erhielt seinen Namen durch die Gegebenheit, dass er keiner staatlichen Regulierung unterlag, jedoch die Produkte des grauen Kapitalmarkts nicht verboten waren. Mittlerweile wird dieser Bereich allerdings von einer zunehmenden Anzahl kapitalmarktrechtlicher Normen erfasst. Die zentrale Vorschrift, die es für einen geschlossenen Immobilienfonds zu beachten gilt, ist das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG). Das VermAnlG ist seit dem 01.06.2012 in Kraft getreten und hat das Verkaufsprospektgesetz abgelöst. Ziel der Gesetzgebung ist den bestehenden Missständen in diesem Marktsegment entgegenwirken. Dies erfolgt auf zwei unterschiedliche Weisen. Zum einen werden für Banken Verhaltens- und Organisationspflichten auf den Bereich des Graumarkts ausgedehnt, die im regulierten Bereich bereits Standard sind (vgl. Abschn. 12.4.5.4). Zum anderen werden die Anforderungen an eine Fondsgesellschaft und den Vertrieb der Fondsanteile erhöht. Im Einzelnen:
Pflicht zur Veröffentlichung eines Verkaufsprospekts Billigung des Prospekts durch die BaFin Pflicht zur Veröffentlichung eines Vermögensanlagen-Informationsblatts Prospekthaftung Rechnungslegungsvorschiften
960
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
12.4.5.1
Verkaufsprospekt und Vermögensanlagen-Informationsblatt
§ 6 VermAnlG enthält an denjenigen, der im Inland Vermögensanlagen öffentlich anbietet, die Pflicht ein Verkaufsprospekt zu veröffentlichen. Anbieter ist derjenige der nach außen erkennbar für das öffentliche Angebot verantwortlich ist. Der Anbieter kann die Fondsgesellschaft selbst sein, sie müssen aber nicht identisch sein. Anbieter kann z. B. auch ein Finanzvermittler sein. Ein öffentliches Angebot liegt vor, wenn die Vermögensanlage in jedweder Art dem Anlegerpublikum angeboten wird. Eine bestimmte Form ist nicht vorausgesetzt. Den Begriff der Vermögensanlage definiert § 1 Abs. 2 VermAnlG. Anteile an einem geschlossenen Immobilienfonds fallen unproblematisch darunter, unabhängig ob die Anteile direkt vom Anleger erworben werden oder ein Treuhandmodell vorliegt. Eine Ausnahme von der Prospektpflicht besteht für Vermögensanlagen, die sich an einen kleinen oder bestimmten Investorenkreis (Private Placement) richten. Voraussetzungen sind, dass nicht mehr als 20 Anteile angeboten werden und der Preis je Anteile mindestens 200.000 Euro beträgt. Ebenfalls besteht die Prospektpflicht nicht, wenn die Anteile nur gewerblichen oder beruflichen Händlern angeboten werden. Der Verkaufsprospekt muss gem. § 7 Abs. 1 S. 1 VermAnlG alle Angaben enthalten, die notwendig sind, um dem Publikum eine zutreffende Beurteilung der Fondsgesellschaft und der Vermögensanlagen selbst zu ermöglichen. Der Mindestinhalt eines Prospekts ergibt sich aus den weiteren Regelungen des § 7 VermAnlG und der besonders zu beachtenden Verordnung über Vermögensanlagen-Verkaufsprospekte. Diese Verordnung wird durch die BaFin erlassen und enthält eine Vielzahl an konkreten Vorgaben für den Verkaufsprospekt. Ein Verkaufsprospekt besitzt in der Regel einen Umfang von mehreren hundert Seiten. Aus diesem Grund muss der Anbieter zusätzlich ein Vermögensanlagen-Informationsblatt veröffentlichen (§ 13 VermAnlG). Dieses Informationsblatt enthält die wesentlichen Informationen über die Vermögensanlage in übersichtlicher und verständlicher Weise. Durch die knappe Darstellung erhält der Anleger die Möglichkeit unterschiedliche Finanzinstrumente miteinander zu vergleichen. Einen Mindestinhalt gibt § 13 Abs. 2 S. 2 und Abs 3 VermAnlG vor. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 VermAnlG hat der Anbieter einem Anleger oder einem Interessierten auf dessen Verlangen während der Dauer des öffentlichen Angebots den Verkaufsprospekt und eine aktuelle Fassung des Vermögensanlagen-Informationsblatts zu übermitteln. 12.4.5.2
Prospekthaftung
Besondere Bedeutung erhält die Prospektpflicht durch die mit ihr verbundene Prospekthaftung. Die §§ 20 ff. VermAnlG enthalten drei unterschiedliche Tatbestände einer Haftung im Zusammenhang mit einem Prospekt oder Informationsblatt
Fehlerhaftes Verkaufsprospekt (§ 20 Abs. 1 S. 1 VermAnlG) Fehlendes Prospekt (§ 21 Abs. 1 S. 1 VermAnlG) Unrichtiges Vermögensanlagen-Informationsblatt (§ 22 Abs. 1 VermAnlG)
12.4.5.2.1
Fehlerhaftes Verkaufsprospekt
Der Prospekt ist unrichtig, wenn er falsche Angaben enthält oder einen falschen Gesamteindruck vermittelt (Lenenbach, Rn. 11.451). Die Unrichtigkeit muss sich auf Angaben beziehen, die für die Beurteilung der Vermögensanlagen wesentlich sind. Gemeint sind Tatsa-
12.4 Geschlossener Fonds
961
chen, Werturteile oder Prognosen, welche für die Anlageentscheidung von Bedeutung sind, insbesondere Angaben die mit der Anlage verbundenden Chancen und Risiken betreffen. Ferner können nicht nur die einzelnen Angaben, sondern der daraus resultierende Gesamteindruck die Unrichtigkeit begründen. Dieser liegt z. B. vor, wenn Risiken und Chancen in einem falschen Verhältnis wiedergegeben werden. Unvollständig ist der Prospekt, wenn wesentliche Angaben gänzlich fehlen. Der Beurteilungsmaßstab für die Frage, ob ein Prospekt unrichtig oder unvollständig ist, richtet sich gem. der Rechtsprechung nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines bilanzkundigen Durchschnittsanlegers (BGH, Urteil vom 12.07.1982, NJW 1982, 2823). Der Beurteilungsmaßstab wirkt sich besonders auf die Frage aus, inwieweit das Prospekt unvollständig ist. Einem durchschnittlichen Anleger, der es versteht eine Bilanz zu lesen, müssen nicht alle Einzelheiten erläutert werden. Jedoch kann es im Einzelfall notwendig sein, dass auf bestimmte Bilanzpositionen näher eingegangen werden muss. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung eine weitere Abstufung vorgenommen (BGH Urteil vom 18.9.2012, WM 2012, 2147). Danach bestimmt sich in Fällen, in denen sich der Emittent ausdrücklich auch an das unkundige und börsenunerfahrene Publikum wendet, der Empfängerhorizont für Prospekterklärungen nach den Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen (Klein-)Anlegers. Von diesem kann nicht erwartet werden, dass er eine Bilanz lesen kann. Vielmehr muss der Prospektverantwortliche davon ausgehen, dass sich der (Klein-)Anleger allein anhand der Prospektangaben über die Kapitalanlage informiert und über keinerlei Spezialkenntnisse verfügt. Wie sich diese Rechtsprechungsänderung zukünftig auf die Anforderungen an ein Prospekt konkret auswirken wird, bliebt abzuwarten. Es kann aber nicht bedeuten, dass die Prospektverantwortlichen über die vom Gesetz vorgesehenen Prospektangaben weitere Informationen aufnehmen müssen. Anspruchsgegner sind diejenigen Personen, die für den Verkaufsprospekt die Verantwortung übernommen haben (sog. Prospekterlasser) und die Personen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (Prospektveranlasser). Zu den Prospekterlassern zählen in der Regel der Anbieter oder die Fondsinitiatoren. Auch andere Personen können für den gesamten Inhalt oder bestimmte Angaben die Verantwortung übernehme, z. B. eine Emissionsbank oder das Management des Fonds. Maßgebend ist, ob sie für den Anleger erkennbar die Verantwortung des Prospekts übernehmen wollten. Davon ist auszugehen, wenn sie im Verkaufsprospekt als Verantwortliche genannt sind (vgl. § 3 Vermögensanlagen-Verkaufs-prospektverordnung). Prospektveranlasser sind indessen diejenigen Personen im Hintergrund, von denen der Prospekt tatsächlich ausgeht. Sie treten nach außen nicht erkennbar in Erscheinung, haben jedoch ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Veräußerung der Vermögensanlage. Beispielhaft für den geschlossenen Immobilienfonds sind die Gründungskommanditisten zu nennen. Hat der Anleger aufgrund des fehlerhaften Verkaufsprospekts die Anteile gekauft, kann er die Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen. Zu den verbundenen Kosten zählen z. B. Provisionen. Nicht erstattungsfähig ist hingegen der entgangene Gewinn. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn einer der Ausschlussgründe des § 20 Abs. 4 VermAnlG vorliegt. Nach § 20 Abs. 4 VermAnlG wird vermutet, dass der Anleger die Fondsanteile auf Grund des Verkaufsprospekts erworben hat (Transaktionskausalität). Der Anspruchsgegner trägt die Beweislast für den Umstand, dass der Prospekt für die Kaufentscheidung des Anlegers doch nicht ursächlich gewesen ist.
962 12.4.5.2.2
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung Fehlendes Verkaufsprospekt
Dem Anleger steht ebenfalls ein Ersatzanspruch zu, wenn ein Verkaufsprospekt nicht veröffentlicht wurde, obwohl die Vermögensanlage öffentlich angeboten wurde (§ 21 Abs. 1 S. 1 VermAnlG). § 9 VermAnlG regelt wie der Verkaufsprospekt zu veröffentlichen ist. Die Veröffentlichung muss mindestens einen Werktag vor dem öffentlichen Angebot erfolgen. Der VermAnlG sieht unterschiedliche Veröffentlichungsarten vor: Der Verkaufsprospekt kann entweder im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht werden oder ist bei der im Verkaufsprospekt benannten Zahlstellen zur kostenlosen Ausgabe bereitzustellen. Werden Vermögensanlagen über ein elektronisches Informationsverbreitungssystem angeboten, ist der Verkaufsprospekt auch in diesem zu veröffentlichen. Anspruchsgegner sind der Emittent der Vermögensanlagen (die Fondsgesellschaft) oder der Anbieter. Inhalt des Anspruchs ist wiederrum die Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten. Das Erwerbsgeschäft muss vor Veröffentlichung des Verkaufsprospekts und innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der Vermögensanlagen im Inland abgeschlossen worden sein. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Anleger die Pflicht, einen Verkaufsprospekt zu veröffentlichen, beim Erwerb kannte. 12.4.5.2.3
Unrichtiges Vermögensanlagen-Informationsblatt
Ferner kann eine Haftung bestehen, wenn die in dem Vermögensanlagen-Informationsblatt enthaltenen Angaben irreführend, unrichtig oder nicht mit den einschlägigen Teilen des Verkaufsprospekts vereinbar sind (§ 22 VermAnlG). Ein Ersatzanspruch besteht hingegen nicht, wenn das Informationsblatt unvollständig war. Wenn auch die Unvollständigkeit eine Haftung auslösen würde, hätte dies zur Folge, dass die meisten Anbieter das Informationsblatt mit Angaben überladen würden, um eine Haftung zu vermeiden. Damit wäre aber der Hauptzweck des Informationsblatts, den Anlegern die wesentlichen Informationen über die Vermögensanlage knapp zur Verfügung zu stellen, ad absurdum geführt. Der Anspruch richtet sich gegen den Anbieter, der gem. § 13 VermAnlG verpflichtet ist, dass Vermögensanlagen-Informationsblatt zu erstellen. Wie im Rahmen der Prospekthaftung nach § 20 VermAnlG kann der Anleger die Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen. Der Anleger muss die Fondsanteile „auf Grund“ von Angaben im VermögensanlagenInformationsblatt erworben haben. Im Unterschied zur Prospekthaftung nach § 20 VermAnlG wird die Transaktionskausalität nicht vermutet, sondern muss vom Anleger dargelegt und bewiesen werden. Das Erwerbsgeschäft muss nach Veröffentlichung des Verkaufsprospekts und während der Dauer des öffentlichen Angebots spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der Vermögensanlagen im Inland abgeschlossen worden sein. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Anleger die Unrichtigkeit der Angaben des Vermögensanlagen-Informationsblatts beim Erwerb kannte. Der Anbieter kann sich ferner der Haftung entziehen, wenn er nachweist, dass die unrichtige Angaben im Vermögensanlagen-Informationsblatt, nicht zu einer Minderung des Erwerbspreises der Vermögensanlagen beigetragen haben.
12.4 Geschlossener Fonds 12.4.5.3
963
Rechnungslegung
Der letzte Abschnitt des VermAnlG enthält für die Emittenten einer Vermögensanlage folgende Rechnungslegungsregeln, insofern sie nicht bereits nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs dazu verpflichtet sind.
Erstellen und Bekanntmachung eines Jahresberichts (§ 23 f. VermAnlG) Erstellen eines Lageberichts (§ 24 VermAnlG) Prüfung und Bestätigung des Jahres- und Lageberichts durch einen Abschlussprüfer Verkürzung der handelsrechtlichen Offenlegungsfrist
12.4.5.4
Anforderungen an die Anlagenvermittlung eines Fonds
Anteile an einem geschlossenen Fonds sind seit dem 01.06.2012 als Finanzinstrument i. S. d. § 2b WpHG zu qualifizieren. Dies hat zur Folge, dass Banken oder Finanzvermittler auch bei der Anlageberatung und Vermittlung von Anteilen an einem geschlossenen Fonds die Verhaltens- und Organisationspflichten des WpHG (§§ 31 ff. WpHG) zu beachten haben (siehe allgemein zu den Verhaltensregeln Abschn. 12.1.6.3).
12.4.6
Aufsicht
Der geschlossene Immobilienfonds galt Jahrzehnte lang als Paradebeispiel des „grauen Kapitalmarkts“ und demzufolge als unreguliertes und unbeaufsichtigtes Finanzinstrument. Diese Beschreibung ist nach sukzessiven Regulierungsmaßnahmen nicht mehr zutreffend. Mittlerweile wird der geschlossene Fonds von mehreren aufsichtsrechtlichen Vorschriften erfasst, die jeweils bestimmte Bereiche des Fondswesens regeln. Bereits mit dem Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (AnSVG) wurde für den Bereich des geschlossenen Fonds eine Prospektpflicht eingeführt, welche durch das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG), neu geregelt wurde (vgl. Abschn. 1.4.5.1). Der erstellte Verkaufsprospekt bedarf nach § 8 Abs. 1 VermAnlG einer Billigung durch die BaFin. Prüfungspunkte der BaFin sind Vollständigkeit, Verständlichkeit sowie Kohärenz des Prospekts. Unter Kohärenz versteht sich die Freiheit von Widersprüchen innerhalb eines Prospekts. Hingegen erfolgt keine weitergehende materielle Prüfung, in Form einer Richtigkeitskontrolle der Angaben oder einer Bonitätsprüfung des Emittenten. Weiter sind die Befugnisse der BaFin im Rahmen eines Verkaufsprospekts zu beachten. Im Zusammenhang mit der Billigung des Prospekts stehen der BaFin umfangreiche Informations- und Kontrollrechte sowie weitere aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu, §§ 16 ff. VermAnlG. Demnach kann die BaFin die Untersagung von irreführender Werbung oder der Veröffentlichung des Verkaufsprospekts verlangen.
12.4.7
Sekundärmarkt des geschlossenen Immobilienfonds
Bei Anteilen an einem geschlossenen Immobilienfonds handelt es sich im Grundsatz um eine unternehmerische Beteiligung. Dementsprechend haben geschlossene Fonds in der Regel
964
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
eine lange Laufzeit von 10 bis 20 Jahren. Eine jederzeitige Rückgabemöglichkeit der Anteile, wie sie bei einem offenen Immobilienfonds besteht, existiert im Rahmen eines geschlossenen Fonds grundsätzlich nicht. Will sich der Anleger von seiner Beteiligung trennen, besteht für ihn die Möglichkeit eines Verkaufs der Fondsanteile. Zu beachten ist jedoch, dass der Anteilsverkauf durch den Gesellschaftsvertrag von der Zustimmung der Fondsgesellschaft abhängig gemacht werden kann. Das Zustimmungserfordernis kann auch am Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ geknüpft werden. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass ein zu geringer Verkaufspreis bereits einen wichtigen Grund darstellen kann, da er sich auf den Wert der Beteiligung insgesamt auswirken kann. Ein Verkauf der Anteile vor der Auflösung des Fonds ist dann möglich, wenn man selbst einen Käufer dafür findet. Der Preis orientiert sich an Angebot und Nachfrage. Bisher hat sich kein funktionierender Zweitmarkt für diese Anteile gebildet, auch wenn es Versuche dazu gibt, z. B. die Fondsbörse Deutschland. Die Fondsbörse Deutschland ist initiiert und organisiert von den Börsen Hamburg, Hannover und München. Der Fondshandel ist jedoch nicht als öffentlich-rechtlich regulierte Börsenanstalt zu qualifizieren, ebenfalls findet das Börsengesetz keine Anwendung. D. h. die Anteile an einem geschlossenen Immobilienfonds werden nicht am regulierten Markt gem. §§ 32 ff. BörsG gehandelt. Ebenso unterfällt der Handel nicht dem Freiverkehr gem. § 48 BörsG. Vielmehr findet der Handel an der „Fondsbörse“ rein privatrechtlich statt. Maßgebende Rechtsvorschrift ist Marktordnung.
12.5
REIT-AG (Real Estate Investment Trusts)
12.5.1
Begriff und Entwicklung
Die deutsche REIT-AG ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft, die dem amerikanischen Real Estate Investment Trusts nachempfunden wurde. Der Unternehmensgegenstand einer REIT-AG ist gesetzlich beschränkt auf den Erwerb von Immobilien oder von Anteilen an Immobiliengesellschaften. Sie ist demnach eine spezielle Form der ImmobilienAktiengesellschaft. Gegenüber dieser unterscheidet sie sich jedoch durch die Anwendung des REIT-Gesetzes. Nur eine Gesellschaft, welche die Anforderungen des REITG erfüllt (ausführlich Abschn. 12.5.3), kann als REIT-AG firmieren und wird steuerlich durch eine Befreiung von der Körperschafts- und Gewerbesteuer gem. § 16 Abs. 1 REITG privilegiert. Hintergrund der Einführung einer deutschen REIT-AG ist die Schaffung eines Finanzmarktvehikels für Immobilieninvestitionen nach internationalem Vorbild. Durch die steuerliche Privilegierung verliert die REIT-AG nicht an Attraktivität gegenüber anderen Anlageformen wie dem offenen Immobilienfonds. Sie besitzt aber gegenüber dem offenen und geschlossenen Immobilienfonds den Vorteil, dass ihre Anteile zwingend börsennotiert sind und demzufolge an einem liquiden Zweitmarkt gehandelt werden. Ferner ermöglicht die Preisbildung über die Börse eine schnelle und transparente Bewertung der Anteile. Auch besteht im Unterschied zum offenen Immobilienfonds eine hohe internationale Vergleichbarkeit. Zu beachten ist jedoch, dass die Aktienkurse einer REIT-AG wesentlich größeren Schwankungen unterliegen.
12.5 REIT-AG (Real Estate Investment Trusts)
965
Allerdings haben seit der Einführung im Jahr 2007 wenige Gesellschaften den Weg zu einer REIT-AG gewagt. Fünf Jahren nach Verabschiedung des REIT-Gesetzes sind erst fünf REIT-AGs eingetragen worden. Zudem besitzt gegenwärtig kein Unternehmen den „VorREIT“-Status als Zwischenstufe zur REIT-AG (vgl. Liste der beim Bundeszentralamt für Steuern registrierten Vor-REITs, abrufbar unter: www.bzst.de). Dies verwundert, da der Gesetzgeber mit einer bis zum 31.12.2007 befristeten zusätzlichen steuerlichen Privilegierung (sog. Exit-Tax-Regelung, Abschn. 12.5.5) eine Art Starthilfe gewährt hat, um Immobiliengesellschaften den Weg zur REIT-AG zu erleichtern. Nach Ablauf der Exit-TaxRegelung bleibt somit abzuwarten, inwiefern sich weitere Immobiliengesellschaften den folgenden strikten Voraussetzungen des REITG unterwerfen werden.
12.5.2
Rechtsvorschriften
Die gesetzliche Grundlage der REIT-AG ist das am 28.5.2007 eingeführte und rückwirkend zum 1.1.2007 in Kraft getretene REIT-Gesetz (REITG, BGBl. I S. 914). Daneben gelten für die REIT-AG die Vorschriften des Aktiengesetzes, soweit das REITG nichts Abweichendes bestimmt, vgl. § 1 Abs. 3 REITG. Die REIT-AG ist gesellschaftsrechtlich somit grundsätzlich wie eine typische Aktiengesellschaft zu behandeln, für deren Gestaltung das REITG jedoch bestimmte Anforderungen vorsieht (ausführlich Abschn. 12.5.3). Ferner enthält das REITG auch steuerrechtliche Vorschriften, insbesondere die Befreiung der Gesellschaft von der Körperschafts- und Gewerbesteuer, vgl. § 16 REITG. Ebenfalls wenig eigenständige Regelungen sieht das REITG für die kapitalmarktrechtlichen Anforderungen an die REIT-AG und deren Börsenzulassung vor. Allerdings muss gem. § 10 Abs. 1 REITG die REIT-AG zu einem „organisierten Markt“ zugelassen werden. Mit dieser Terminologie ist sowohl die Anwendung verschiedener Normen des Wertpapierhandelsgesetzes wie auch des Börsengesetzes verknüpft (vgl. unten 12.5.4).
12.5.3
Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen der REIT-AG
Die REIT-AG ist konzeptionell eine Aktiengesellschaft, auf welche bezüglich gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen grundsätzlich das AktG Anwendung findet. Jedoch enthält das REITG folgende spezielle Regelungen, die den allgemeinen Vorschriften des AktG vorgehen. 12.5.3.1
Sitz und Firma
Eine REIT-AG muss gem. § 9 REITG ihren (Satzungs-)Sitz sowie ihre (tatsächliche) Geschäftsleitung im Inland haben. Die Firma muss die zusätzliche Bezeichnung „REIT-AG“ enthalten, § 6 REITG. Andere Gesellschaften, welche nicht die Voraussetzungen des REITG erfüllen, dürfen gem. § 7 REITG weder die Bezeichnung „REIT-AG“ noch eine Bezeichnung, in der der Begriff „Real Estate Investment Trust“ oder die Abkürzung „REIT“ vorkommt, führen. 12.5.3.2
Unternehmensgegenstand
Der Unternehmensgegenstand einer REIT-AG ist auf die Wahrnehmung konkreter mit Immobilen im Zusammenhang stehender Tätigkeiten beschränkt, namentlich
966
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
eine direkte Investition über den Erwerb und die Verwaltung von Eigentum oder dinglichen Nutzungsrechten an unbeweglichem Vermögen bzw. mit diesem Vermögen verbundenen Gegenständen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 REITG) oder eine indirekte Investition in Immobilien durch den Erwerb von Beteiligungen an anderen Immobiliengesellschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 2–5 REITG). Im Bezug auf den eigenen Immobilienbestand kann die REIT-AG ferner immobiliennahe Tätigkeiten in Form von Pflege oder Verwaltung ausführen (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 4 REITG). Hingegen ist es einer REIT-AG nach § 1 Abs. 2 REITG verboten entgeltliche Nebenleistungen für Dritte anzubieten. Dies kann nur über eine REIT-Dienstleistungsgesellschaft erfolgen, deren gesamte Anteile die REIT-AG halten muss. Verstößt die REIT-AG gegen das Verbot der Nebendienstleistungen setzt die Finanzbehörde Strafzahlungen gegen die REIT-AG fest, vgl. § 16 Abs. 6 REITG. Hintergrund dieser Regelung ist es zu verhindern, dass die steuerprivilegierte REIT-AG mit anderen Dienstleistungsunternehmen in Wettbewerb tritt. Gem. § 14 Abs. 1 REITG ist ebenfalls der Handel mit Immobilien durch das Gesetz ausgeschlossen. Was unter Immobilienhandel zu verstehen ist, wird von § 14 Abs. 2 REITG vorgegeben. Eine REIT-AG darf demzufolge innerhalb der letzten fünf Geschäftsjahre keine Erlöse aus der Veräußerung von Immobilien erzielt haben, die mehr als die Hälfte des Wertes des durchschnittlichen Bestandes an unbeweglichem Vermögen innerhalb desselben Zeitraums ausmachen. Verletzt die REIT-AG diese Vorgabe sieht § 18 Abs. 2 REITG vor, das bereits für das Wirtschaftsjahr in dem die Grenze überschritten wurde, die Steuerbefreiung der REIT-AG entfällt. Dies kann zu ungerechten Ergebnissen führen, wenn die Überschreitung der Grenzen durch äußere Umstände verursacht wurde (Seibt/Conradi/Seibt Rn. B.165). 12.5.3.3
Aktionärsstellung und -struktur
Hinsichtlich der Rechte eines Anlegers ist zu beachten, dass er durch die Investition in eine REIT-AG zum Aktionär wird. Er ist folglich Gesellschafter der AG und Inhaber der sich aus dem AktG ergebenden Mitgliedschaftsrechte, die sich in zwei Gruppen unterscheiden lassen:
Verwaltungsrechte – Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung (§ 118 AktG) inkl. Stimm- und Rederecht – Auskunftsrecht (§ 131 Abs. 1 S. 1 AktG) – Einsichtsrecht (§ 175 Abs. 2 AktG) – Recht zur Erhebung einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§ 245 AktG)
Vermögensrechte – Anspruch auf Zahlung einer Dividende (§ 58 Abs. 4 AktG) – Bezugsrechte bei einer Kapitalerhöhung (§ 183 Abs. 1 AktG) – Abfindungs- und Ausgleichsansprüche (§§ 304 f. AktG – Anspruch auf den Erlös bei Liquidation der AG (§ 271 AktG) Das REITG enthält gegenüber den Aktionärsrechten wenige Besonderheiten. Zu beachten ist jedoch § 13 REITG, welcher die REIT-AG verpflichtet 90 % des handelsrechtlichen Jahresüberschusses (§ 275 HGB) an die Anleger auszuschütten. Diese hohe Ausschüttungsverpflichtung steht im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung einer REIT-AG. Durch die Ausschüttungsquote von 90 % wird sichergestellt, dass ein Großteil des Gewinns einer
12.5 REIT-AG (Real Estate Investment Trusts)
967
REIT-AG durch die Besteuerung der Dividende dem Zugriff des Finanzamts unterliegt und nicht thesauriert wird. Verletzt die REIT-AG die gesetzgeberischen Vorgaben hinsichtlich der Ausschüttungsquote setzt die Finanzbehörde Strafzahlungen gegen die REIT-AG fest, vgl. § 16 Abs. 5 REITG. Bei mehrfachen Verstoß kann es zu einem Verlust der Steuerbefreiung kommen (ausführlich Abschn. 12.5.6). Das REITG enthält ebenfalls Vorgaben zur Aktionärsstruktur der REIT-AG. Gem. § 11 Abs. 1 REITG müssen sich mindestens 15 % der Aktien im dauerhaften Streubesitz befinden; im Zeitpunkt der Börsenzulassung sogar 25 % der Aktien. Zum Streubesitz zählen die Aktien derjenigen Aktionäre, denen jeweils weniger als 3 % der Stimmrechte zustehen. Kein Anleger darf direkt mehr als 10 % der Aktien halten oder über mehr als 10 % der Stimmrechte verfügen. Sämtliche Aktien der REIT-AG müssen als stimmberechtigte Aktien gleicher Gattung begründet werden. Das schließt die Ausgabe von stimmrechtlosen Vorzugsaktien und Aktien mit unterschiedlicher Gewinnberechtigung aus (Striegel/Weger § 5 Rn. 2 und 18). 12.5.3.4
Finanzierungs- und Vermögensstruktur
Das REITG enthält strenge Quotenregelungen für die Finanzierungs- und Vermögensstruktur einer REIT-AG. Diese dienen hauptsächlich einem gegenüber den aktiengesetzlichen Vorgaben erweiterten Anlegerschutz. Kritisch ist allerdings, dass diese Regulierung eine erhebliche Einschränkung der unternehmerischen Freiheit einer REIT-AG darstellt. So ist beispielhaft eine Finanzierungsstruktur unter Ausnutzung von Leverage-Effekten stark eingeschränkt. Deshalb werden die Quotenregelungen zusammen mit den Vorschriften zur Aktionärsstruktur als wesentliche Faktoren genannt, welche die Ursache für die bisher geringe Akzeptanz einer REIT-AG in der Immobilienwirtschaft bilden (Amort/Blum, DStR 2009, 1772, 1778; Klühs, RnotZ 2008, 509). Im Einzelnen: Nach § 4 REITG muss das Grundkapital einer REIT-AG mindestens 15 Millionen Euro betragen. Hier liegt ein gewaltiger Unterschied zur regulären AG, die nur ein Mindestgrundkapital von fünfzigtausend Euro vorsieht, § 7 AktG. Der Gesetzgeber begründet diesen Schritt damit, dass es sich bei der REIT-AG um eine kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaft handelt. Allerdings besteht für börsennotierte Aktiengesellschaften selbst kein höherer Mindestnennbetrag des Grundkapitals. Der Hauptgrund wird vielmehr darin zu sehen sein, dass mit einem Börsengang hohe Emissions- und Folgekosten verbunden sind, die kleinere oder mittelständische Unternehmen unterschätzen könnten. Die 15 Millionen Euro Grundkapital bilden somit eine Markteintrittsschwelle (Striegel/Weger § 4 Rn. 2). Im Unterschied zur regulären AG muss das Kapital auch voll aufgebracht werden, vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 REITG. Daneben gibt § 15 REITG eine Mindesteigenkapitalquote von 45 % vor. Demnach darf am Ende eines Geschäftsjahres das nach § 12 Abs. 1 ausgewiesene Eigenkapital der REIT-AG 45 % des Betrages, mit dem das unbewegliche Vermögen im Einzel- bzw. Konzernabschluss angesetzt ist, nicht unterschreiten. § 12 REITG enthält besondere Vermögens- und Ertragsanforderungen. Das Vermögen der REIT-AG muss zu mindestens 75 % aus Immobilien bestehen (§ 12 Abs. 2a REITG). Ebenfalls muss der Umsatzerlös zu 75 % aus Vermietung, Leasing, Verpachtung oder anderer
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12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
immobiliennaher Tätigkeiten stammen (§ 12 Abs. 3a REITG). Diese Anforderungen sollen die Ausrichtung auf den Unternehmensgegenstand der REIT-AG absichern. Verletzt die REIT-AG die gesetzgeberischen Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung des Vermögens oder der Erträge, setzt die Finanzbehörde Strafzahlungen gegen die REIT-AG fest, vgl. § 16 Abs. 3–4 REITG. Bei mehrfachen Verstößen kann es zu einem Verlust der Steuerbefreiung kommen (ausführlich Abschn. 12.5.6).
12.5.4
Kapitalmarktrechtliche Anforderungen
12.5.4.1
Pflicht zur Börsennotierung
Das REITG enthält selbst keine eigenständigen kapitalmarktrechtlichen Vorgaben. Allerdings müssen die Aktien einer REIT-AG, bevor sie überhaupt den Status einer REIT-AG erhält, zum Handel an einem organisierten Markt i. S. d. § 2 Abs. 5 WpHG in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen sein, § 10 Abs. 1 REITG (zum Begriff des organisierten Markt Abschn. 12.1.5.2). Aufgrund der Anknüpfung an den Begriff des „organisierten Markts“ sind die kapitalmarktrechtlichen Verhaltensvorschriften des WpHG von der REIT-AG zu beachten. In Deutschland gelten nur die regulierten Märkte gem. §§ 32 ff. BörsG der jeweiligen Börsenplätze als organisierte Märkte i. S. d. § 2 Abs. 5 WpHG (allgemein zum regulierten Markt Abschn. 12.1.5.3). Demzufolge hat eine Aktiengesellschaft, welche den Status einer REIT-AG anstrebt, zunächst die Voraussetzungen an eine Zulassung zum regulierten Markt zu erfüllen. Ist das Unternehmen dann an einer Börse zugelassen worden, sind von der REIT-AG ebenfalls die sog. Folgepflichten zu beachten. 12.5.4.2
Voraussetzungen der Börsenzulassung
Eine Zulassung zum regulierten Markt setzt in formeller Hinsicht einen Zulassungsantrag voraus. Dieser ist sowohl vom Emittenten (dem Aktien ausgebenden Unternehmen, im vorliegend Fall die zukünftige REIT-AG) als auch von einem sog. Emissionsbegleiter (regelmäßig die Emissionsbank) zu stellen, § 32 Abs. 2 BörsG. Neben dem Zulassungsantrag sind auch inhaltliche Anforderungen für die Börsenzulassung zu erfüllen, die in § 32 Abs. 3 BörsG vorgegeben sind. § 32 Abs. 3 Nr. 1 BörsG verweist jedoch selbst nur auf die europarechtliche MiFID-Durchführungsverordnung und die nationale Börsenzulassungsverordnung. Beide Vorschriften enthalten einen zum Teil übereinstimmenden Regelungsgehalt, sind aber nebeneinander anzuwenden. Inhaltlich sollen die Normen vor allem einen fairen, ordnungsgemäßen und effizienten Handel und den Anlegerschutz gewährleisten. Art. 35 Abs. 1 und 2 DurchführungsV MiFID bestimmt zu diesem Zweck schlicht die freie Handelbarkeit und Übertragbarkeit eines Wertpapiers. Hingegen enthalten die Vorschriften der BörsZulV detaillierte Vorgaben an die einzelnen Emittenten. So muss z. B. der Emittent zuzulassender Aktien mindestens drei Jahre als Unternehmen bestanden haben, § 3 Abs. 1 BörsZulV.
12.5 REIT-AG (Real Estate Investment Trusts) 12.5.4.3
969
Wertpapierprospekt
Die für den Anlegerschutz bedeutendste Zulassungsvoraussetzung ist der Wertpapierprospekt, welcher nach § 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG zu veröffentlichen ist. Die eigentliche Pflicht zur Erstellung des Prospekts ergibt sich bereits aus § 3 Abs. 4 Wertpapierprospektgesetz (WpPG). Mit der Erstellung eines Wertpapierprospekts ist ein beträchtlicher Arbeitsumfang verbunden, der für die Emittenten zu erheblichen Transaktionskosten führt. Die ausführlichen inhaltlichen und formalen Anforderungen an ein Prospekt sind sowohl dem WpPG, als auch der europarechtlichen Prospektverordnung sowie der CESR-Empfehlungen (Committee for European Securitires Regulators) zu entnehmen. Ziel der Prospektangaben ist es, den Anlegern ein zutreffendes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte zu ermöglichen, § 5 Abs. 1 WpPG. Zwei an die Prospektpflicht anknüpfende Maßnahmen verschaffen der Prospektpflicht besondere Bedeutung. Zum einen bedarf der erstellte Prospekt der Billigung durch die BaFin (§ 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG i. V. m. § 13 WpPG). Die BaFin prüft dabei folgende Punkte
formelle Vollständigkeit des Prospekts Verständlichkeit des Inhalts Widerspruchsfreiheit des Inhalts
Im Rahmen der Prüfung eines Prospekts, welches von einer Immobiliengesellschaft stammt, kann die BaFin den Emittenten vorschreiben, dass dieser weiter Angaben in den Prospekt, z. B. zur Bewertung oder Zusammenstellung des Vermögens aufnehmen muss (Harrer/Leppert, WM 2007, 1962, 1966). Hingegen erfolgt keine weitergehende materielle Prüfung. Dementsprechend wird nicht die Richtigkeit der Angaben kontrolliert oder die Bonität des Emittenten von der BaFin überprüft. 12.5.4.4
Prospekthaftung
Zweitens ist mit einem Wertpapierprospekt auch die Prospekthaftung nach §§ 21 ff. WpPG verbunden. Ist der veröffentlichte Prospekt unrichtig oder unvollständig, steht dem Anleger gem. § 21 Abs. 1 S. 1WpPG ein Ersatzanspruch zu. Ausführlich zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Prospekthaftung oben Abschn. 12.4.6.2. Als Anspruchsgegner kommen der Emittent und die Emissionsbank als Prospektverantwortliche (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 WpPG) in Betracht sowie die Personen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 WpPG). Zu Letzteren kann der Mutterkonzern eines emittierenden Unternehmens oder ein Großaktionär zählen. Liegt ein fehlerhafter Prospektvor, kann der Anleger die Erstattung des Erwerbspreises sowie die mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen. Besonders zu beachten sind die Ausschlussgründe des § 23 WpPG, nach denen eine Prospekthaftung nicht besteht. Die Gründe hat in einem Gerichtsprozess der Anspruchsgegner zu beweisen. 12.5.4.5
Folgepflichten der Börsenzulassung
Mit der Zulassung eines Wertpapiers zum Handel im regulierten Markt ist eine Vielzahl von Pflichten verbunden, die an den Emittenten, zum Teil aber auch an den Emissionsbegleiter
970
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
adressiert sind. So besteht gegenüber der Geschäftsführung der Börse eine Auskunftspflicht nach § 41 BörsG. Eine besonders beachtenswerte Verpflichtung stellt die sog. Ad-hoc-Publizität nach § 15 Abs. 1 WpHG dar. In Folge des Zulassungsantrags ist der Emittent verpflichtet ihn unmittelbar betreffende Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen. Damit soll eine Informationsgleichheit zwischen den Marktteilnehmern hergestellt werden, die zum einen Insidergeschäften verbeugt, zum anderen aber auch die Transparenz des Handels fördert. In dieselbe Zielrichtung gehen auch
das Verbot von Insidergeschäften gem. § 14 WpHG, die Pflicht ein Insiderverzeichnis zu führen nach § 15b WpHG, Verbot der Marktmanipulation gem. § 20a WpHG und die Veröffentlichungspflicht eigener Geschäfte der leitenden Personen sog. „Directors’ Dealings“ gem. § 15a WpHG. Flankiert wird die Ad-hoc-Publizität durch die Emittentenhaftung nach §§ 37b, 37c WpHG, die den Anlegern einen Schadensersatzanspruch bei unterlassener oder unrichtiger Informationsveröffentlichung gewährt. Daneben sind für das emittierende Unternehmen weitere Informations- und Transparenzpflichten, insb. die Finanzberichterstattung gem. §§ 37v ff. WpHG und die Rechnungslegungsvorschriften des Handelsgesetzbuchs, zu beachten. Danach ist der Emittent verpflichtet einen Jahresabschluss (§ 325 Abs. 1 S. 1 HGB und § 37v WpHG) und Halbjahresfinanzbericht (§ 37w WpHG) zu veröffentlichen.
12.5.5
Der Weg zur REIT-AG
Strebt eine Immobiliengesellschaft den Status einer REIT-AG an, sieht das REITG folgende fünf Schritte zur Gründung der REIT-AG vor (hierzu auch Seibt/Conradi/Seibt Rn. B.54 ff.): 1. Zunächst muss überhaupt eine reguläre Aktiengesellschaft existieren, die durch die Erfüllung der weiteren Voraussetzungen den Statuswechsel zu einer REIT-AG vollziehen kann. Für ein Immobilien-Unternehmen, welches den REIT-AG-Status anstrebt, bestehen unterschiedliche Wege um eine Aktiengesellschaft zu diesem Zweck zu erhalten:
Neugründung einer AG Kauf einer Mantel-AG oder Vorrats-AG (bereits bestehende und eingetragene AG, die ihre unternehmerische Tätigkeit eingestellt oder nie ausgeführt hat) Umwandlung eines bestehenden Unternehmens mit anderen Rechtsformen (GmbH/Personengesellschaft) in eine AG Statuswechsel mit einer bereits bestehenden Immobilien-AG
2. Als Zwischenstufe zur Erlangung des Status einer REIT-AG bietet § 2 REITG die Registrierung als „Vor-REIT“ an. Die Phase des Vor-REITs ist gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben, hat jedoch bisher den Vorteil geboten, dass steuerliche Privilegierungen bei der Übertragung von Immobilien und bei der Aufdeckung stiller Reserven bereits vor Erlangung des Status einer REIT-AG angewendet werden konnten (Seibt/Conradi/Seibt Rn. B.77). Die
12.5 REIT-AG (Real Estate Investment Trusts)
971
Frist der steuerlichen Privilegierung, sog. Exit-Tax-Regelung, die als Starthilfe gedacht war, endete zum 31.12.2009, vgl. § 3 Nr. 70 EStG. Ein Vor-REIT ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland, die beim Bundeszentralamt für Steuern als „Vor-REIT“ registriert ist. Nicht zu verwechseln ist der Vor-REIT mit dem Begriff einer sog. „Vor-Gesellschaft“ (oder „Vor-AG“), welcher das Stadium einer Aktiengesellschaft nach Gründung der Gesellschaft und vor Eintragung in das Handelsregister beschreibt. Die Registrierung als Vor-REIT kann nur eine Aktiengesellschaft beantragen, jedoch müssen noch nicht die weiteren Voraussetzungen des REITG an die REIT-AG erfüllt sein. Vielmehr dient der Status eines Vor-REIT als Übergangsphase für die zukünftige REIT-AG um die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen des REITG zu verwirklichen. So sieht § 2 S. 2 REITG vor, das der Vor-REIT zum Ende des auf die Registrierung folgenden Geschäftsjahres nachzuweisen hat, dass er den Unternehmensgegenstand entsprechend § 1 REITG (vgl. Abschn. 12.5.3) beschränkt hat. Ebenfalls muss der Vor-REIT die Vermögens und Ertragsanforderungen gem. § 12 REITG erfüllen (hierzu Abschn. 12.5.3). Erfüllt der Vor-REIT zum Ende des dem Jahr der Anmeldung folgenden oder eines späteren Geschäftsjahres die Voraussetzungen des § 12 REITG und des § 1 Abs. 1 REITG nicht oder nicht mehr, entfällt der Status als Vor-REIT zum Ende dieses Geschäftsjahres, § 2 S. 4 REITG. 3. Als dritten Schritt bedarf es der Börsenzulassung der Aktien der Immobiliengesellschaft. Hat das Unternehmen den Weg über den (gesetzlich nicht vorgeschrieben) Status eines VorREITs gewählt, muss der Zulassungsantrag innerhalb von drei Jahren nach Anmeldung der REIT AG als Vor-REIT gestellt werden. Die Frist kann jedoch gem. § 10 Abs. 2 S. 2 REITG bis zu zwei Mal um jeweils ein Jahr verlängert werden, wenn Umstände außerhalb des Verantwortungsbereichs des Vor-REIT eine solche Verlängerung rechtfertigen. Wird innerhalb der Frist kein Antrag gestellt oder wird dieser abgelehnt, verliert das Unternehmen des Status als Vor-REIT. 4. Im Anschluss an die Börsenzulassung hat das Unternehmen ihre Firma mit der Bezeichnung „REIT-AG“ zum Handelsregister anzumelden, § 8 REITG. Dabei handelt es sich nur noch um eine bloße Änderung der Firma, da das Unternehmen als reguläre Aktiengesellschaft bereits gem. § 36 Abs. 1 AktG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden war. Der Firmenzusatz ändert sich somit von „AG“ zu „REIT-AG“. 5. Endlich ist zur Erlangung des Sonderstatus die Eintragung als REIT-AG in das Handelsregister notwendig. Gem. § 17 REITG beginnt erst mit Eintragung des Firmenzusatzes die Steuerbefreiung der REIT-AG, allerdings wirkt die Steuerbefreiung des § 16 Abs. 1 REITG für das gesamte Wirtschaftsjahr, in dem die Eintragung erfolgt, zurück.
12.5.6
Aufsicht und Kontrolle der REIT-Anforderungen
12.5.6.1
Steuerrechtliche Sanktionen
Die Überwachung der Anforderungen an eine REIT-AG obliegt mehreren Stellen, deren Zuständigkeiten sich aus der Fragestellung ergeben, welche rechtliche Ebene die jeweilige Norm und deren Verstoß berührt. Für den Bereich des Steuerrechts ist demnach hauptsäch-
972
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
lich die Finanzbehörde zuständig, insbesondere für die Kontrolle, ob die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung vorliegen, § 21 Abs. 2 und 3 REITG. Werden wesentliche Anforderungen an eine REIT-AG verletzt wie die Ausschüttungsverpflichtung oder die Einhaltung der Vermögensstruktur, setzt die Finanzbehörde Strafzahlungen gem. § 16 Abs. 3–6 REITG gegen die REIT-AG fest (zum Teil oben Abschn. 12.5.3). Diese Sanktion dient dazu, eine REIT-AG zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bewegen ohne bereits die Steuerprivilegierung aufzuheben. Werden die Pflichten, die eine Sanktionen gem. § 16 Abs. 3–6 REITG begründen, mehrfach verletzt, so tritt das Ende der Steuerbefreiung ein, vgl. § 18 Abs. 5 REITG. Verliert eine REIT-AG die Börsenzulassung oder verstößt sie gegen das Verbot des Immobilienhandels, entfällt die Steuerbefreiung im jeweiligen Wirtschaftsjahr gem. § 18 Abs. 1 und 2 REITG. Ebenfalls kommt es zu einem Verlust der Steuerbefreiung, wenn die Streubesitzquote von 15 % oder die Mindesteigenkapitalhöhe von 15 Millionen € in drei aufeinander folgenden Wirtschaftsjahren nicht erfüllt wurden. 12.5.6.2
Kapitalmarktrechtliche Aufsicht
Aufgrund der Zulassungspflicht zu einem organisierten Markt unterliegt eine REIT-AG auch der kapitalmarktrechtlichen Aufsicht. Das deutsche System der Kapitalmarktaufsicht ist dreigliedrig. Sowohl der BaFin, den Börsenaufsichtsbehörden der Länder als auch der Börse selbst kommen unterschiedliche, sich jedoch zum Teil ergänzende Überwachungskompetenzen zu. Die Aufgabe der BaFin im Bereich des Börsenhandels ist die Kontrolle, ob die Verhaltenspflichten aus dem Wertpapierhandelsgesetz von den Emittenten und Marktteilnehmern eingehalten werden. Die wesentlichsten Bestimmungen sind dabei
das Insiderhandelsverbot (§ 14 WpHG) das Verbots der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) die Überwachung der Ad-hoc-Publizitätspflicht (§ 15 WpHG)
Der Börsenaufsichtsbehörde des jeweiligen Bundeslandes überwacht hingegen: die Einhaltung der börsenrechtlichen Vorschriften die ordnungsgemäße Durchführung des Börsenhandels die ordnungsgemäße Erfüllung der Börsengeschäfte die ordnungsgemäße Feststellung des Börsenpreises. Die Aufsicht durch die Börsenanstalt wird durch mehrere Organe ausgeführt. Gem. § 7 Abs. 1 BörsG hat die Börse eine Handelsüberwachungsstelle als Börsenorgan einzurichten und zu betreiben, die den Handel an der Börse und die Geschäftsabwicklung überwacht. Daneben existiert ein Sanktionsausschuss nach § 22 BörsG, welcher gegenüber Handelsteilnehmern und Emittenten der Börse Sanktionen verhängen kann, wenn diese gegen ihre Pflichten verstoßen. Die Geschäftsführung der Börse überprüft die Voraussetzungen für die Zulassung eines Wertpapiers in den regulierten Markt. Die unterschiedlichen Aufsichtsbehörden nehmen ihre Aufgaben nicht isoliert war, sondern sind vielmehr auf die einzelnen anderen Glieder der Aufsicht angewiesen. So kann der BaFin nur eine effektive Überwachung der Verhaltenspflichten des WpHG gelingen, wenn ihr die Handelsüberwachungsstelle, die von ihr festgestellten Tatsachen, die einen Pflichtverstoß begründen könnten, übermittelt (vgl. § 6 Abs. 2 WpHG).
12.6 Immobilienaktiengesellschaft
973
Weiter sind die Befugnisse der BaFin im Rahmen eines Wertpapierprospekts zu beachten. Der Prospekt bedarf vor seiner Veröffentlichung zunächst einer Billigung durch die BaFin. (vgl. Abschn. 12.5.4.3). Im Zusammenhang mit der Überprüfung stehen der BaFin umfangreiche Informations- und Kontrollrechte sowie weitere aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu, § 26 WpPG. So kann sie die Aufnahme zusätzlicher Angaben in den Prospekten verlangen (§26 Abs. 1 WpPG) oder das öffentliche Angebot des Wertpapiers gänzlich untersagen (§26 Abs. 4 WpPG). 12.5.6.3
Gesellschaftsrechtliche Überwachung
Allen voran hat der Vorstand zu gewährleisten, dass die Anforderungen des REITG erfüllt werden und der damit verbundene Status erhalten bleibt. Die Überwachung des Vorstands obliegt dem Aufsichtsrat, § 111 AktG. Beide Organe unterliegen bei Verletzung ihrer Pflichten Schadensersatzansprüchen. Eine besondere Bedeutung bei der Überwachung der statusbegründenden Anforderungen kommt dem Abschlussprüfer des Jahresabschlusses zu. Dieser hat die Einhaltung wesentlicher Pflichten des REITG festzustellen, vgl. § 1 Abs. 4 REITG. Die Ergebnisse seiner Prüfung hat er in einem besonderen Vermerk zusammenzufassen und bei Bedarf die Richtigkeit einzelner Angaben der Finanzbehörde zu bestätigen.
12.6
Immobilienaktiengesellschaft
12.6.1
Begriff und Abgrenzung
Die Immobilienaktiengesellschaft (Immobilien-AG) ist ein Unternehmen, welches – wie der Name schon verrät – in der Immobilienbranche angesiedelt ist. Es handelt sich um eine „normale“ Aktiengesellschaft, die sich nur durch ihre Ausrichtung auf den Immobiliensektor von anderen AGs abgrenzt und somit auch keinen speziellen Vorschriften unterliegt. Im Unterschied zu einer REIT-AG oder einem offenen Immobilienfonds ist ihr Unternehmensgegenstand nicht gesetzlich beschränkt. Ihr ist es demzufolge möglich neben dem Erwerb und der Verwaltung von Immobilien auch jeder anderen unternehmerischen Tätigkeit nachzugehen oder den Immobilienbereich gänzlich zu verlassen. An die Gründung oder die Tätigkeit einer Immobilien-AG sind also keine besonderen Voraussetzungen oder Folgepflichten geknüpft. Daraus folgt aber auch, dass die Immobilien-AG steuerlich wie jede normale AG behandelt wird und somit körperschafts- und gewerbesteuerpflichtig ist. Eine steuerliche Privilegierung wie beim offenen Immobilienfonds oder der REIT-AG mit der Folge, dass nur auf Seiten der Anleger Steuern zu entrichten sind, fehlt konsequenterweise.
12.6.2
Rechtsvorschriften
Für die Immobilienaktiengesellschaft gelten wie für jede andere Aktiengesellschaft die Regelungen des Aktiengesetzes (AktG). Eine spezielle Gesetzesgrundlage besteht hingegen nur für die Sonderform einer REIT-AG (vgl. oben Abschn. 12.5.). Notiert die Immobilien-AG an der Börse unterliegt sie kapitalmarktrechtlichen Vorschriften, insb. dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG) oder dem Börsengesetz (BörsG).
974
12.6.3
12 Kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen der Immobilienfinanzierung
Finanzierung
Eine Immobilien-AG kann zur Finanzierung ihrer Immobilieninvestitionen Eigenkapital durch die Ausgabe von Aktien aufnehmen. Plant sie die Börsenzulassung an einer deutschen Börse, kann das Unternehmen zwischen den Marktsegmenten des öffentlich-rechtlich regulierten Markts (§ 32 ff. BörsG) oder des privatrechtlich ausgestalteten Freiverkehrs (§ 48 BörsG) wählen (zu den Unterschieden Abschn. 12.1.5.3). Im Unterschied zu einer REIT-AG ist die normale Immobilienaktiengesellschaft nicht auf den Bereich des regulierten Markts festgelegt. Beantragt die Immobilien-AG die Börsenzulassung ihrer Aktien zum regulierten Markt, sind die Voraussetzungen und Folgepflichten der §§ 32 ff. BörsG und des WpHG zu beachten; in diesem Fall kann auf die Ausführungen zur REIT-AG verwiesen werden (Abschn. 12.5.4). Sollen die Aktien indessen im börslichen Freiverkehr (§ 48 BörsG) einbezogen werden, sind die Voraussetzungen und Pflichten hauptsächlich in den Geschäftsbedingungen für den Freiverkehr an der jeweiligen Börse geregelt. Hier können zwischen den einzelnen Börsen erhebliche Unterschiede bestehen. Auch existieren innerhalb des Freiverkehrs sog. Teilsegmente, die zusätzliche Pflichten enthalten, z. B. der Entry-Standard der Frankfurter Wertpapierbörse. Zu beachten ist jedoch, dass die Börsennotierung einer Immobilien-AG keine Notwendigkeit ist. Die Aktiengesellschaft kann auch außerhalb der Börse Aktien ausgeben. Weiter besteht eine Vielzahl an Instrumenten zur Aufnahme von Fremdkapital, z. B. Hypothekendarlehen, Unternehmensanleihen oder Formen der Mezzanine-Finanzierungen. Unternehmensanleihen sind wiederum Wertpapiere für welche ebenfalls der Großteil der Vorschriften des BörsG und WpHG gelten; in diesem Bereich ist ebenfalls die Unterscheidung zwischen regulierten Markt und Freiverkehr zu beachten. Mezzanine-Finanzierungen können ebenso als Wertpapier ausgegeben werden.
Literaturverzeichnis zu Kap. 12
975
Literaturverzeichnis zu Kap. 12 Amort, Matthias/Blum Hannes: Real Estate Investment Trusts (REITs): Alternativen und Besteuerung in: DStR 2009, 1772. Berger, Hanno/Steck, Kai-Uwe/Lübbehüsen, Dieter: Investmentgesetz und Investmentsteuergesetz, München 2010 (zit. Berger/Steck/Lübbehüsen/Bearbeiter). Buck-Heeb, Petra: Kapitalmarktrecht, 5. Auflage, Heidelberg u. a. 2011. Harrer, Herbert/Leppert, Michael: Rechtliche Aspekte des German Real Estate Investment Trust (G-REIT) in: WM 2007, 1962. Henssler, Martin/Strohn, Lutz (Hrsg.): Gesellschaftsrecht, München 2011. Jesch, Thomas A./Schilder, Axel/Striegel, Andreas: Rechtshandbuch Immobilien-Investition, München 2011 (zit. Jesch/Schilder/Striegel/Bearbeiter). Klühs, Hannes: REIT-Aktiengesellschaften nach dem REITG unter besonderer Berücksichtigung kautelarjuristischer Aspekte in: RNotZ 2008, 509. Kümpel Siegfried/Wittig, Arne (Hrsg.): Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Auflage, Köln 2011 (zit. Kümpel/Wittig/Bearbeiter). Lang, Volker/Kühne, Otto: Anlegerschutz und Finanzkrise – noch mehr Regeln? in: WM 2009, 1301. Lenenbach, Markus: Kapitalmarktrecht und kapitalmarktrelevantes Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, Köln 2010. Lüdicke, Jochen/Arndt, Jan-Holger: Geschlossene Fonds, 5. Auflage, München 2009 (zit. Lüdicke/Arndt/Bearbeiter). Patzner, Andreas/Döser, Achim/Kempf, Ludger J.: Investmentrecht – Aufsicht, Besteuerung, Baden-Baden 2012. Schimansky, Herbert/Bunte, Hermann-Josef/Lwowski, Hans-Jürgen (Hrsg.): BankrechtsHandbuch, Band II, 4. Auflage, München 2011 (Schimansky/Bunte/Lwowski/Bearbeiter). Schulte, Karl-Werner: Immobilienökonomie – Band I Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Auflage, München 2008. Seibt, Christoph H./Conradi, Johannes (Hrsg.): Handbuch REIT-Aktiengesellschaft – Aktien- und Kapitalmarktrecht, Steuerrecht, Immobilienwirtschaftsrecht, Köln 2008 (zit. Seibt/Conradi/Bearbeiter). Servatius, Wolfgang: Funktionsdefizite beim offenen Immobilienfonds in: Kühling/Sebastian (Hrsg.): Immobilienwirtschaft zwischen Ökonomie und Recht. Festschrift zum 80. Geburtstag von Johann Vielberth, Köln 2012, S. 193–208. Striegel, Andreas (Hrsg.): REITG – Gesetz über deutsche Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen mit weiterführenden Vorschriften, Berlin 2008 (zit. Striegel/Bearbeiter).
13
Insolvenzrecht Michael Nienerza und Michael Dahl
13.1 13.1.1 13.1.1.1 13.1.1.2 13.1.1.3 13.1.1.3.1 13.1.1.3.2 13.1.1.3.3 13.1.1.4 13.1.1.5 13.1.1.6 13.1.2 13.1.2.1 13.1.2.1.1 13.1.2.1.2 13.1.2.2 13.1.2.3 13.1.2.4 13.1.2.5 13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.2.1 13.2.2.2 13.2.2.3 13.2.2.4 13.2.3 13.2.4 13.2.5 13.2.5.1 13.2.5.2 13.2.6 13.2.7
Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens.................................................... 979 Eröffnungsverfahren .................................................................................. 979 Gläubigerantrag.......................................................................................... 979 Schuldnerantrag ......................................................................................... 980 Eröffnungsgründe ...................................................................................... 980 Zahlungsunfähigkeit................................................................................... 981 Drohende Zahlungsunfähigkeit .................................................................. 981 Überschuldung ........................................................................................... 981 Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters, weitere Sicherungsmaßnahmen .................................................................. 982 Abweisung mangels Masse ........................................................................ 983 Rücknahme des Insolvenzantrages ............................................................ 984 Eröffnetes Verfahren .................................................................................. 984 Folgen der Insolvenzeröffnung .................................................................. 984 Beschlagnahme und Vermögenssicherung................................................. 984 Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre ............................................. 985 Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse ....................................... 985 Anreicherung und Bereinigung der Insolvenzmasse .................................. 985 Verteilung der Masse ................................................................................. 986 Beendigung des Verfahrens ....................................................................... 986 Teil 2 – Besondere Verfahrensarten ........................................................... 987 Eigenverwaltung ........................................................................................ 987 Insolvenzplanverfahren .............................................................................. 987 Allgemeines ............................................................................................... 987 Inhalt des Insolvenzplans ........................................................................... 988 Annahme des Plans .................................................................................... 989 Wirkung des bestätigten Plans ................................................................... 990 Schutzschirmverfahren............................................................................... 990 Partikular- und Sekundärverfahren ............................................................ 991 Insolvenzverfahren innerhalb der EU ........................................................ 991 Gerichtliche Zuständigkeiten, COMI ......................................................... 991 Anwendbares Insolvenzrecht, Immobilien ................................................. 992 Andere ausländische Insolvenzverfahren ................................................... 993 Schemes of Arrangements, Company Voluntary Arrangements................ 993
978 13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.3.1 13.3.3.1.1 13.3.3.1.2 13.3.3.2 13.3.3.2.1 13.3.3.2.2 13.3.3.2.3 13.3.3.2.4 13.3.3.2.5 13.3.3.3 13.3.3.4 13.3.3.4.1 13.3.3.4.2 13.3.3.4.3 13.3.3.4.3.1 13.3.3.4.3.2 13.3.3.4.3.2.1 13.3.3.4.3.2.2 13.3.3.4.3.2.3 13.3.3.4.3.2.4 13.3.3.4.3.3 13.3.3.4.4 13.3.3.4.5 13.3.3.5 13.3.4 13.3.5 13.4 13.4.1 13.4.2
13 Insolvenzrecht Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz ...............................994 Verwertung durch den Insolvenzschuldner.................................................994 Die Verwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter .......................994 Die Verwertung durch den Insolvenzverwalter ..........................................994 Vorfragen ................................................................................................... 995 Rückschlagsperre ....................................................................................... 995 Insolvenzanfechtung .................................................................................. 995 Zwangsversteigerung ................................................................................. 996 Fallkonstellationen ..................................................................................... 996 Beteiligtenstellung ..................................................................................... 996 Ziele der Zwangsversteigerung .................................................................. 996 Teilungsversteigerung ................................................................................ 998 Einstellung der Zwangsversteigerung ........................................................ 998 Zwangsverwaltung ..................................................................................... 999 Freihändige Verwertung .......................................................................... 1000 Vom Schuldner bereits geschlossene Verträge ........................................ 1000 Zustimmung des Gläubigerausschusses ................................................... 1000 Der Kaufvertrag ....................................................................................... 1001 Allgemeines ............................................................................................. 1001 Besonderheiten bei besicherten Immobilien ............................................ 1001 Verwertungsvereinbarung ........................................................................ 1001 Massebeitrag ............................................................................................ 1002 Umsatzsteuerpflicht ................................................................................. 1002 Lastenfreier Übergang und sog. „Lästigkeitsprämien“ ............................ 1003 Haftungsfreistellung................................................................................. 1003 Durchführung einer freien Versteigerung ................................................ 1003 Veräußerung eines Miet- oder Pachtobjekts ............................................ 1004 Kalte Zwangsverwaltung ......................................................................... 1004 Zubehör .....................................................................................................1005 Freigabe ....................................................................................................1006 Teil 5 – Strukturierte Finanzierung von Immobilien und Insolvenz .........1006 Insolvenzantragspflicht bei PropCos ........................................................1006 COMI ........................................................................................................1007 Literaturverzeichnis zu Kap. 13 ................................................................1008
13.1 Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens
13.1
979
Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens
Primärer Verfahrenszweck ist gem. § 1 der Insolvenzordnung („InsO“) die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung. Daher ist das Insolvenzverfahren ein Gesamtvollstreckungsverfahren zugunsten aller Gläubiger, während die Zwangsvollstreckung, die nur außerhalb des Insolvenzverfahrens stattfindet, eine Einzelvollstreckung zugunsten eines, nämlich des betreibenden Gläubigers zum Ziel hat. Die Gesamtvollstreckung folgt – anders als die Zwangsvollstreckung – dem Grundsatz einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Demgegenüber sind Liquidation oder Unternehmenserhaltung sekundäre Verfahrenszwecke, die dem übergeordneten Zweck der Gläubigerbefriedigung dienen. Hinter dieser Hierarchie der Insolvenzzwecke steht die Grundvorstellung, dass die Sanierung eines für den freien Markt bestimmten Unternehmens nur durch freiwillige Neuinvestitionen gefördert werden sollte, nicht durch Zwangssubvention durch die Altgläubiger. Wo die Bereitschaft zu freier Investition fehlt, soll das Unternehmen aus dem Markt ausscheiden und liquidiert werden. Der Marktwert entscheidet also über die Fortexistenz: Reicht er zur Erhaltung aus, kann das Unternehmen weiterexistieren, sonst nicht. Die Insolvenzordnung mit ihren Insolvenzzwecken ist demnach Ausdruck freier Marktwirtschaft und ihrer Regeln. Als Verfahrenszweck wird schließlich die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) gesetzlich festgeschrieben, die aber nur für natürliche Personen möglich ist. Die Entschuldung ist neben der Gläubigerbefriedigung ein selbstständiger Verfahrenszweck, der die Gläubigerbefriedigung letztlich begrenzt. Juristische Personen werden entweder aufgelöst oder im Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) saniert. Das Insolvenzplanverfahren ermöglicht dem Schuldner unter vereinfachten Bedingungen eine vergleichsweise Einigung mit seinen Gläubigern über die bestehenden Verbindlichkeiten.
13.1.1
Eröffnungsverfahren
Das Insolvenzverfahren wird gem. § 13 Abs. 1 InsO nur auf Antrag eröffnet, eine Eröffnung von Amts wegen ist nicht möglich. Neben dem in Satz 2 genannten Antragsrecht der Gläubiger und des Schuldners sind besondere Antragsrechte im Nachlassinsolvenzverfahren und bei internationalen Insolvenzverfahren eingeräumt. Ein Insolvenzantrag kann schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eines jeden Gerichts gestellt werden. 13.1.1.1
Gläubigerantrag
Ein Gläubiger muss dabei sowohl seine Forderung als auch einen beim Schuldner bestehenden Insolvenzgrund glaubhaft machen. Die Glaubhaftmachung der Forderung kann auch durch eidesstattliche Versicherung geschehen. Bestreitet der Schuldner die Existenz der Forderung durch Gegenglaubhaftmachung, ist der Vollbeweis für deren Bestehen durch den Gläubiger zu erbringen, was meist nur durch Vorlage eines rechtskräftigen Titels über die Forderung möglich sein wird. Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit erfolgt regelmäßig durch die Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung, wonach die Einzelzwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher erfolglos verlaufen ist. Auf den Antrag des Gläubigers hin ist zunächst der Schuldner gemäß § 14 Abs. 2 InsO anzuhören. Nach § 20 Abs. 1 InsO hat der Schuldner die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über den Antrag erforderlich sind.
980 13.1.1.2
13 Insolvenzrecht Schuldnerantrag
Der Schuldner ist in vielen Fällen nicht nur zur Antragstellung berechtigt, sondern hierzu auch verpflichtet. Dies ist insbesondere wegen möglicher – gegen den Antragspflichtigen persönlich gerichteter – Schadensersatzansprüche wegen eines verspätet gestellten Insolvenzantrags von Bedeutung. Ob Antragsrechte und/oder -pflichten bestehen, hängt von der Rechtsform des potenziellen Schuldners ab. Bei der BGB-Gesellschaft ist jeder Gesellschafter antragsberechtigt. Es besteht aber keine Antragspflicht. Auch bei OHG und KG besteht keine Antragspflicht. Antragsberechtigt sind die persönlich haftenden Gesellschafter bzw. der Komplementär. Bei der GmbH und der AG ergibt sich eine Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers bzw. der einzelnen Vorstandsmitglieder aus § 15a Abs. 1 InsO. Danach muss der Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt werden. Die Frist beginnt nach der Rechtsprechung mit der objektiven Erkennbarkeit von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und nicht erst, wenn die Geschäftsführer diese tatsächlich erkennen (so schon BGH, Urteil vom 9.7.1979 – II ZR 118/77 = NJW 1979, 1823). Ein verspäteter Antrag kann eine zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Verfolgung der Geschäftsführer nach sich ziehen (§§ 823 Abs. 2 BGB, 15a Abs. 1, 4 und 5 InsO). Die Geschäftsführer können sich dann nur entlasten, wenn sie nachweisen können, dass ihnen persönlich aufgrund besonderer Umstände die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht erkennbar war. Dies ist oft problematisch. Noch schärfer und oft existenzvernichtend ist eine weitere Haftung der Geschäftsführer im Zusammenhang mit Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Schon ab Eintritt eines dieser Tatbestandsmerkmale ist es den Geschäftsführern verboten, noch Auszahlungen vorzunehmen (§§ 64 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG, 130a HGB). Hiervon gibt es nur wenige Ausnahmen. Die Geschäftsführer sind verpflichtet, persönlich alle verbotswidrigen Auszahlungen zu ersetzen. Sie können die Haftung nur vermeiden, wenn sie beweisen können, dass die Insolvenzreife aufgrund besonderer Umstände nicht erkennbar oder die einzelne Auszahlung ausnahmsweise zulässig war. Oft geht es in diesen Fällen um sehr viele Auszahlungen in erheblicher Höhe. Die Entlastungsbeweise gelingen meist nicht für alle Auszahlungen. Das führt zu einem sehr harten Haftungsregime, welches vielen Geschäftsführern und Vorständen nicht bekannt ist. Angesichts der erheblichen und oft verkannten Haftung im Zusammenhang mit der Antragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sollten sich die Beteiligten in diesem Zusammenhang stets frühzeitig von einschlägig erfahrenen Rechtsanwälten beraten lassen. 13.1.1.3
Eröffnungsgründe
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes voraus. Die Eröffnungsgründe bestimmen die Voraussetzungen, die das Insolvenzverfahren als einschneidende Maßnahme gegen einen Schuldner rechtfertigen. Die Prüfung ihrer Voraussetzungen ist somit die letzte Garantie des Schuldners gegen den Verlust seiner Existenz und Privatautonomie. Denn wenn es erst zur Verfahrenseröffnung kommt, wird das grundsätzliche Prinzip unserer Wirtschaftsordnung, die eigenverantwortliche Steuerung der Vermögensund Haftungsverhältnisse, durch eine amtliche Haftungsabwicklung ersetzt. „Zahlungsunfähigkeit“, „drohende Zahlungsunfähigkeit“ und „Überschuldung“ sollen festlegen, ab welchem Zeitpunkt der Schuldner mit der privatautonomen Steuerung seiner Vermögens- und Haftungsverhältnisse gescheitert ist.
13.1 Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens 13.1.1.3.1
981
Zahlungsunfähigkeit
Gem. § 17 Abs. 1 InsO ist der allgemeine Eröffnungsgrund die Zahlungsunfähigkeit. Der Schuldner ist nach Abs. 2 zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. In dem Falle, dass der Schuldner eine einzelne Forderung als unbegründet ansieht und die Zahlung bei Fälligkeit daher verweigert, liegt keine Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 InsO vor. Im Falle einer bloßen Zahlungsunwilligkeit können nämlich die Gläubiger auf dem Wege der Einzelvollstreckung oder in anderer Weise vorgehen, ohne dass es der Durchführung eines Insolvenzverfahrens bedürfte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass „ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“. Auch die neuere Rechtsprechung akzeptiert eine insolvenzrechtliche Liquiditätskennzahl (LKZ), deren Quotient auf der Grundlage einer Liquiditätsbilanz entwickelt wird. Diese stellt alle innerhalb einer Frist von zwei bis drei Wochen fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten den in diesem Zeitraum mobilisierbaren, d. h. flüssig zu machenden Mitteln gegenüber. Dabei darf der Quotient einen Wert von 0,9 nicht unterschreiten. Die Einzelheiten der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit sind streitig. 13.1.1.3.2
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Gem. § 18 InsO stellt auch die drohende Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzgrund dar. Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Da der Insolvenzeröffnungsgrund der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ auf einer Prognoseentscheidung beruht, kann er nur auf einen Schuldnerantrag hin berücksichtigt werden; eine Antragspflicht besteht nicht. Drohende Zahlungsunfähigkeit wird dann angenommen, wenn sich aus dem Vergleich zwischen den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu begründenden Verbindlichkeiten und den voraussichtlichen Einnahmen im Rahmen eines vom Schuldner aufzustellenden Finanzplans ergibt, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt überwiegend wahrscheinlich („voraussichtlich“) ist. 13.1.1.3.3
Überschuldung
Gem. § 19 InsO ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund. Anders als die Zahlungsunfähigkeit ist die Überschuldung kein allgemeiner Eröffnungsgrund, sondern nur auf juristische Personen anwendbar. Kapitalistisch organisierte Personengesellschaften – also solche, die keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter haben – sind den juristischen Personen nach § 19 Abs. 3 InsO gleichgestellt. Überschuldung liegt nach der in § 19 Abs. 2 InsO enthaltenen Definition vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Für Letztere bedarf es der Aufstellung eines Finanzplans für einen Zeitraum von längstens zwei Jahren. Der Plan muss neben der Liquiditätsplanung auch eine Bilanzplanung und der Gewinn- und Verlustplanung umfassen (integrierte Planung). Ist das Unternehmen danach durchfinanziert, kann in der Regel von einer positiven Fortbestehensprognose ausgegangen werden, so dass eine Überschuldung nicht vorliegt.
982 13.1.1.4
13 Insolvenzrecht Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters, weitere Sicherungsmaßnahmen
Mit dem Insolvenzantrag bestellt das Insolvenzgericht regelmäßig einen vorläufigen Insolvenzverwalter (§§ 21 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 56, 56a InsO), soweit kein Antrag auf Eigenverwaltung oder auf Anordnung eines Schutzschirmverfahrens vorliegt (zu diesen beiden besonderen Verfahrensarten im Anschluss in Kapitel 13.2.3). Die Auswahl des vorläufigen Verwalters wurde zuletzt durch das Gesetz zur Erleichterung der Unternehmenssanierung („ESUG“) vom 07.12.2011 (BGBl. 2011, Teil 1 Nr. 64, S. 2582) grundlegend reformiert. Stand bis dahin die Auswahlkompetenz grundsätzlich dem Gericht zu, soll künftig die Auswahl primär durch die Gläubiger erfolgen. Dazu hat das Insolvenzgericht bei Unternehmen, die eine bestimmte Größenordnung überschreiten, unmittelbar nach dem Insolvenzantrag einen vorläufigen Gläubigerausschuss zu bilden. Dies ist gemäß § 22a Abs. 1 InsO immer dann der Fall, wenn das antragsstellende Unternehmen im vorangegangenen Geschäftsjahr zwei der drei der folgenden Kriterien erfüllt hat: 1. mindestens EUR 4.840.000 Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags im Sinne § 268 Abs. 3 des HGB; 2. mindestens EUR 9.680.000 Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag; 3. im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer. Daneben soll das Gericht auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn Personen benannt werden, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen und dem Antrag Einverständniserklärungen der benannten Personen beigefügt werden (§ 22a Abs. 2 InsO). Ein vorläufiger Gläubigerausschuss ist nicht einzusetzen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist, die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist oder die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt (§ 22a Abs. 3 InsO). In dem vorläufigen Gläubigerausschuss sollen die gesicherten Gläubiger und die ungesicherten Gläubiger mit den höchsten Forderungen und die Kleingläubiger vertreten sein. Daneben sind die Arbeitnehmer zu beteiligen (§§ 21 Abs. 1 und 2 Nr. 1a, 22a Abs. 1, 67 Abs. 2 InsO). Der vorläufige Gläubigerausschuss kann durch einen einstimmigen Beschluss dem Insolvenzgericht einen grundsätzlich verbindlichen Vorschlag zur Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters machen. Das Gericht kann von derartigen Vorgaben des Ausschusses nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für das Amt ungeeignet ist. Hierbei verfolgen einige Insolvenzgerichte derzeit eine restriktive Politik und sehen häufig schon Verwalter ohne Büro vor Ort als ungeeignet an. Kommt es im Gläubigerausschuss zu keiner einstimmigen Entscheidung, kann der Ausschuss mit einem Mehrheitsbeschluss zumindest verbindliche Anforderungen an die fachliche Qualifikation des vorläufigen Verwalters stellen (z. B. englische Sprachkenntnisse, bestimmte Branchenerfahrung oder bestimmte Größe und Kapazität des Verwalterbüros).
13.1 Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens
983
Bei den Insolvenzgerichten befindet sich derzeit die Praxis der Verwalterbestellung im Umbruch. Vor der Einführung der neuen Regelungen durch das ESUG lag die Kompetenz der Verwalterauswahl alleine beim Insolvenzrichter. Dieser empfand es häufig als Zeichen einer Vorbefassung, wenn ein Gläubiger oder gar der Insolvenzschuldner einen bestimmten Kandidaten als vorläufigen Verwalter vorschlug. Alleine deswegen wurden Kandidaten nicht bestellt. Das Gesetz hat nun explizit klargestellt, dass ein Kandidat für das Verwalteramt nicht alleine deswegen ausgeschlossen ist, weil ihn ein Gläubiger oder der Schuldner vorgeschlagen hat (§§ 21 Abs. 1 und 2, 56 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Ferner hat das Gesetz die Prärogative für die Verwalterauswahl auf den vorläufigen Gläubigerausschuss übertragen. Die Befugnisse des vorläufigen Verwalters bestimmen sich nach der jeweiligen gerichtlichen Anordnung. Der vorläufige Verwalter hat das Vermögen zu sichern, zu erhalten und ein Unternehmen einstweilen fortzuführen, sofern nicht das Insolvenzgericht der Stilllegung im Gläubigerinteresse zustimmt. Er hat den Vermögensbestand hinsichtlich der Kostendeckung zu ermitteln und bei entsprechendem Auftrag als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund tatsächlich vorliegt. Daneben kann das Insolvenzgericht gemäß §§ 21, 22 InsO weitere Sicherungsmaßnahmen anordnen. Deren Zweck ist die Sicherung des schuldnerischen Vermögens in der risikobehafteten Zeit zwischen dem Eingang eines zulässigen Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht und dessen Entscheidung über die Eröffnung. 13.1.1.5
Abweisung mangels Masse
Nach § 26 InsO wird ein Insolvenzverfahren eröffnet, wenn neben der Zulässigkeit und Begründetheit eines Antrags, das Schuldnervermögen voraussichtlich zumindest die Verfahrenskosten (§ 54 InsO) für die gesamte Dauer des Verfahrens decken wird. Gem. § 54 InsO zählen die Gerichtskosten, die Vergütungen und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses zu den Verfahrenskosten, nicht aber die in § 55 InsO einzeln aufgeführten Masseverbindlichkeiten. Die Prüfung der Frage, ob die Masse für die Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens ausreicht, gehört zu den Amtspflichten des Insolvenzgerichts. Bei der Beurteilung dieser Frage hat das Gericht zunächst die vom Schuldner beizubringenden Unterlagen selbst zu prüfen. Sieht sich das Gericht jedoch aufgrund fehlender eigener Erkenntnismöglichkeiten nicht in der Lage, die Unterlagen bzw. die Frage der Masseunzulänglichkeit sachgerecht zu beurteilen und zu beantworten, so gebietet es die Amtsermittlungspflicht, sich insoweit der Unterstützung eines Sachverständigen zu bedienen oder aber ein entsprechendes Gutachten im Rahmen der vorläufigen Verwaltung anzufordern, wenn diese als erforderlich angeordnet worden ist. Dem Schuldner muss im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG vor einer Entscheidung über die Abweisung der Eröffnung mangels Masse Gelegenheit gegeben werden, zu allen die Entscheidung tragenden Erwägungen Stellung zu nehmen, insbesondere zum Ergebnis der Ermittlungen des Insolvenzgerichts oder des von ihm beauftragten Sachverständigen. Auch wenn eine zur Deckung der Verfahrenskosten ausreichende Masse nicht vorhanden ist, soll nach § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO insbesondere den Gläubigern die Möglichkeit gegeben werden, die Verfahrenskosten vorzufinanzieren, um einerseits dadurch eine Antragsabweisung mangels Masse zu vermeiden, andererseits unter Umständen auch die Möglichkeit zu schaffen, Ansprüche gegen den Schuldner oder gegen Dritte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchsetzen zu können.
984 13.1.1.6
13 Insolvenzrecht Rücknahme des Insolvenzantrages
Das vorläufige Insolvenzverfahren kann ferner bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens jederzeit durch die Rücknahme des Insolvenzantrages beendet werden. Die Rücknahme erfolgt ohne weitere Begründung durch den Antragssteller und ist jederzeit möglich. Als Folge endet das vorläufige Insolvenzverfahren. Die mit ihm angeordneten Sicherungsmaßnahmen entfallen. Der Antragssteller hat die Kosten des vorläufigen Insolvenzverfahrens zu tragen.
13.1.2
Eröffnetes Verfahren
In dem Eröffnungsbeschluss bestimmt das Insolvenzgericht einen Termin für den Berichtstermin, bei dem auf Grundlage eines Berichts des Insolvenzverwalters über den Fortgang des Insolvenzverfahrens entschieden wird. Der Termin soll nicht über sechs Wochen und darf nicht über drei Monate hinaus angesetzt werden. Weiter setzt es eine Anmeldefrist und einen Prüfungstermin fest, zu dem die angemeldeten Forderungen geprüft werden. Die Termine können verbunden werden. 13.1.2.1
Folgen der Insolvenzeröffnung
13.1.2.1.1
Beschlagnahme und Vermögenssicherung
Zentrale Folge der Insolvenzeröffnung ist der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter. Indem der Schuldner die Berechtigung verliert, über sein Vermögen frei zu verfügen, soll die Masse für den Zweck der Gläubigerbefriedigung sichergestellt werden. Zur Insolvenzmasse gehört das gesamte gegenwärtige Vermögen, aber auch künftiges Vermögen, das der Schuldner während des Insolvenzverfahrens erst noch erlangt. Ausgenommen ist dabei nur das pfändungsfreie Vermögen (§ 36 InsO), also die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen. Zur Sicherung der Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese in Besitz zu nehmen und ein Vermögensverzeichnis anzulegen. Hierin sind die Vermögensgegenstände zu bewerten und den Verbindlichkeiten gegenüberzustellen. Der Insolvenzverwalter kann aber auch Vermögensgegenstände „freigeben“ und damit auf ihre Einbeziehung in die Insolvenzmasse verzichten. Diese einseitige Erklärung beendet den Insolvenzbeschlag mit der Folge, dass der Schuldner über den freigegebenen Vermögensgegenstand wieder frei verfügen kann. Eine Freigabe durch den Insolvenzverwalter erfolgt dann, wenn der Gegenstand für die Insolvenzmasse – etwa weil werterschöpfend mit Sicherungsrechten belastet – ohne Nutzen ist. Der Sicherungsgläubiger kann die Verwertung des Gegenstandes dann außerhalb des Insolvenzverfahrens betreiben. Schließlich hat der Insolvenzverwalter ein Gläubigerverzeichnis zu erstellen. Grundlage für das Gläubigerverzeichnis sind dabei gleichermaßen die vorhandenen Geschäftsunterlagen als auch eingehende Forderungsanmeldungen. Nur solche Forderungen, die beim Insolvenzverwalter – gegebenenfalls unter Angabe bestehender Sicherungsrechte – zur Insolvenztabelle angemeldet wurden, können auch festgestellt, d. h. zur Berücksichtigung bei der schlussendlichen Verteilung zugelassen werden. Der
13.1 Teil 1 – Ablauf des Insolvenzverfahrens
985
Feststellung geht die Prüfung der Forderung voraus. Wird die Feststellung im Prüfungstermin versagt, kann der betroffene Gläubiger auf Feststellung klagen. 13.1.2.1.2
Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre
Die Gleichbehandlung aller Gläubiger verbietet die (Möglichkeit der) Einzelvollstreckung zugunsten einzelner Gläubiger. Zum Zweck der Gläubigergleichbehandlung wird der Schutz der Insolvenzmasse durch die so genannte Rückschlagsperre ausgedehnt. Zwangsvollstreckungen späterer Insolvenzgläubiger werden „mit Rückschlag“ gesperrt, indem Sicherungen, die im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt wurden, aufgehoben werden. 13.1.2.2
Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse
Im Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten. Er hat darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Nach dem Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter – soweit die Gläubiger nicht die Fortführung des Unternehmens beschlossen haben – die Verwertung des von ihm übernommenen Vermögens zu betreiben. Der Insolvenzverwalter hat hierbei die Zustimmung des Gläubigerausschusses – falls nicht vorhanden, der Gläubigerversammlung – einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Dies ist insbesondere die Veräußerung des ganzen Betriebs oder von Betriebsteilen, des Warenlagers als Ganzes, verbundener Unternehmen oder die freihändige Veräußerung von Immobilien. Ferner bedarf der Insolvenzverwalter der Zustimmung, wenn er Darlehen mit erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse aufnehmen oder bedeutende Rechtsstreitigkeiten aufnehmen oder durch Vergleich o. ä. beenden will. Die Verwertungstätigkeit bildet einen Schwerpunkt der Tätigkeit des Insolvenzverwalters. Er hat dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters zu beachten. Andernfalls haftet er für aufgrund von Pflichtverletzungen entstandene Schäden, § 60 InsO. 13.1.2.3
Anreicherung und Bereinigung der Insolvenzmasse
Die vom Insolvenzverwalter bei Verfahrenseröffnung angetroffene Insolvenzmasse (so genannte Ist-Masse) wird regelmäßig nicht der zur Verteilung letztendlich bestimmten Masse (so genannte Soll-Masse) entsprechen. Grund hierfür ist, dass der Insolvenzverwalter durch die Beitreibung von Forderungen, die Geltendmachung von Ansprüchen und schließlich die Gewinn bringende Verwertung von Vermögensgegenständen die Insolvenzmasse anreichern wird. Des Weiteren mögen aufgrund einer Unternehmensfortführung Verbindlichkeiten zulasten der Masse entstanden sein oder die Masse von Gegenständen fremder Eigentümer bereinigt werden. Wer ein Absonderungsrecht an einem Grundstück – etwa aufgrund eines Grundpfandrechts – hat, kann zwar nicht die Herausgabe des Grundstücks verlangen, aber unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung betreiben
986
13 Insolvenzrecht
(§§ 49, 80 Abs. 2 Satz 2 InsO). Dies kann auch auf Initiative des Insolvenzverwalters geschehen (§ 165 InsO). Mit Blick auf eine günstige Verwertung wird sich aber häufig eine so genannte freihändige Veräußerung durch den Insolvenzverwalter in Abstimmung mit den an dem zu veräußernden Grundstück grundpfandrechtlich gesicherten Gläubigern anbieten. Im Rahmen einer solchen so genannten stillen oder kalten Zwangsverwaltung erhält der Insolvenzverwalter nach Verwertung regelmäßig einen zuvor vereinbarten Betrag für die Masse zur Befriedigung der Gläubiger. Die Einzelheiten werden im Folgenden dargestellt. 13.1.2.4
Verteilung der Masse
Spätestens wenn die Masse nur noch aus Geld besteht und keine Sachwerte oder Forderungen mehr vorhanden sind, hat der Insolvenzverwalter die Masse auf die Gläubiger zu verteilen. Bevor die Gläubiger allerdings befriedigt werden, sind gemäß § 53 InsO die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten vorweg zu berichtigen. Massegläubiger sind vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ausgenommen, da sie dazu beigetragen haben, das Insolvenzverfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Die Masseschulden beruhen vor allem auf Handlungen des Insolvenzverwalters, beispielsweise auf von ihm vorgenommenem Wareneinkauf, um eine Unternehmensfortführung einstweilen zu ermöglichen. Die sich anschließende Verteilung zugunsten der Insolvenzgläubiger erfolgt auf Grundlage des Verteilungsverzeichnisses, das der Insolvenzverwalter zu erstellen hat. Das Verteilungsverzeichnis stellt alle Forderungen in ihrer Höhe dar, die im Rahmen der Verteilung zu berücksichtigen sind. Es ist auf der Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsicht für alle Beteiligten zu hinterlegen. Die Summe der Forderungen und den verteilbaren Betrag hat der Insolvenzverwalter öffentlich in einem von der Justizverwaltung zu bestimmenden Blatt oder im Internet bekannt zu machen. Neben dem Regelfall der Schlussverteilung sind auch Abschlagsverteilungen möglich, wenn genügend Barmittel während des laufenden Verfahrens in der Masse vorhanden sind. Besteht ein Gläubigerausschuss, so ist dessen Zustimmung erforderlich. Schließlich können auch nach der Schlussverteilung noch Nachtragsverteilungen erforderlich werden, wenn zurückbehaltene Beträge – etwa weil angemeldete Forderungen bestritten waren – frei werden, wenn aufgrund eines Irrtums ausgezahlte Beträge zurückfließen oder wenn nachträglich noch Vermögenswerte zugunsten der Insolvenzmasse ermittelt werden. 13.1.2.5
Beendigung des Verfahrens
Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht gem. § 200 Abs. 1 InsO die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Die Beendigung des Insolvenzverfahrens ist öffentlich bekannt zu machen. Der Insolvenzgericht stellt ferner das Insolvenzverfahren ein, wenn
der Insolvenzgrund weggefallen ist und der Schuldner einen entsprechenden Antrag stellt. Der Schuldner hat dabei das Überwinden der Insolvenzgründe durch Beweismittel glaubhaft zu machen (§ 212 InsO); alle bekannten Gläubiger dem zugestimmt haben (§ 213 InsO) oder die Masse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken (sog. Massearmut § 207 InsO).
13.2 Teil 2 – Besondere Verfahrensarten
13.2
Teil 2 – Besondere Verfahrensarten
13.2.1
Eigenverwaltung
987
Bei der Eigenverwaltung handelt sich um eine besondere Form des Insolvenzverfahrens. Anders als im Regelinsolvenzverfahren wird kein vorläufiger Verwalter und kein Insolvenzverwalter bestellt. Vielmehr verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 270 InsO beim Schuldner bzw. bei Kapitalgesellschaften bei deren Geschäftsführung oder Vorstand. Das Gericht bestellt nur einen Sachwalter, der die Ordnungsmäßigkeit der Eigenverwaltung überwacht. Der Vorteil der Eigenverwaltung besteht im Wesentlichen darin, dass das insolvente Unternehmen durch den in der Regel der Wertschöpfung sachnäheren Vorstand oder Geschäftsführer fortgeführt wird. Dies erlaubt häufig eine effizientere Betriebsfortführung. Ferner kann im Markt der Makel eines Insolvenzverfahrens und eines bestellten Insolvenzverwalters vermieden werden (obwohl es sich rechtlich auch hierbei um ein Insolvenzverfahren handelt). Der Schuldner kann den Antrag auf Eigenverwaltung bereits mit dem Insolvenzantrag stellen (§ 270a InsO). Das Gericht soll dem Antrag in der Regel folgen. Dennoch kann das Gericht hiervon abweichen, ein Regelverfahren einleiten und einen vorläufigen Verwalter bestellen. Nur in denjenigen Fällen, in denen der antragsstellende Schuldner nur drohend zahlungsunfähig ist, hat es vor einer solchen Anordnung dem Schuldner seine Bedenken mitzuteilen und ihn hierüber anzuhören. Erfahrungsgemäß folgen Gerichte nur in Ausnahmefällen einem Antrag auf Eigenverwaltung. Ein erfolgreicher Antrag auf Eigenverwaltung setzt eine ausreichende Vorbereitung auf Seiten des Schuldners voraus. Diese umfasst zumindest eine detaillierte Planung der Eigenverwaltung einschließlich einer entsprechenden Liquiditätsplanung sowie in bestimmten Fällen auch die Ergänzung der Geschäftsführung um einen in Restrukturierungssachen erfahrenen Dritten. Bei der Liquiditätsplanung ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens Lieferanten nur noch auf Vorkasse liefern werden und Zahlungsziele wegfallen. Ferner ist zu erwarten, dass finanzierende Kreditinstitute etwaig bestehende Kreditlinien kündigen werden. Soweit die Eigenverwaltung eine Finanzierung von dritter Seite erfordert, ist diese vor dem entsprechenden Antrag sicherzustellen. Andernfalls ist das Risiko hoch, dass die Eigenverwaltung (und der Antrag hierauf) scheitern. Die Eigenverwaltung ist sowohl innerhalb eines regulären Insolvenzverfahrens als auch als Teil eines Schutzschirmverfahrens möglich (dazu im Anschluss in Kapitel 13.2.3).
13.2.2
Insolvenzplanverfahren
13.2.2.1
Allgemeines
Das Insolvenzplanverfahren weicht vom Regelinsolvenzverfahren im Wesentlichen dadurch ab, dass die Befriedigung der Gläubiger nicht durch den Verkauf sämtlicher Vermögensgegenstände und Verteilung des Erlöses an die Gläubiger erfolgt. Vielmehr wird die Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan geregelt. Darin wird in der Regel bestimmt, dass die Gläubiger auf einen bestimmten Anteil ihrer Forderungen verzichten. Gleichzeitig verpflichtet sich das Unternehmen, innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine bestimmte Quote an die Insolvenzgläubiger auszuschütten. Diese muss wenigstens so hoch sein, wie es in
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13 Insolvenzrecht
einem Regelinsolvenzverfahren zu erwarten wäre. Wird der Plan bestätigt, so wird das Insolvenzverfahren aufgehoben und das vormals insolvente Unternehmen besteht fort. Ein Insolvenzplanverfahren ist häufig von Vorteil, wenn ein besonderes Interesse am Erhalt des insolventen Rechtsträgers besteht. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn dieser viele Rechtsverhältnisse eingegangen ist, deren Übertragung aus einer Insolvenzmasse heraus auf einen übernehmenden Rechtsträger durch Einzelübertragungen problematisch ist (z. B. Mietverhältnisse oder Lizenzverträge). Ein Insolvenzplanverfahren bietet sich ferner an, wenn die Insolvenz im Wesentlichen durch eine fehlgegangene Finanzierung ausgelöst wird. Der Insolvenzplan erlaubt dann die notwendige Restrukturierung der Verbindlichkeiten bzw. der Passivseite der Bilanz. Ein Insolvenzplanverfahren bedarf keines besonderen Antrages. Vielmehr legen das insolvente Unternehmen oder der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Regelinsolvenzverfahrens einen Insolvenzplan vor (§ 217 InsO). Das Unternehmen kann den Planentwurf bereits mit dem Insolvenzantrag vorlegen. Das Insolvenzplanverfahren kann, muss aber nicht Teil eines Schutzschirmverfahrens sein (dazu im Anschluss Kapitel 13.2.3) Ein Insolvenzplanverfahren kann zusammen mit einem Antrag auf Eigenverwaltung verbunden werden. Man spricht in solchen Fällen von einem „prepacked plan“. In diesen Fällen haben sich die wesentlichen Beteiligten, d. h. der Gesellschafter, das Unternehmen, sowie dessen wesentliche Gläubiger bereits vor dem Insolvenzantrag über die Eckdaten der Insolvenz und ihrer Durchführung abgestimmt. Das Insolvenzverfahren dient dann nur noch der Umsetzung der geplanten Sanierung mit den Mitteln des Insolvenzrechts, insbesondere der Bindungswirkung gegenüber allen Gläubigern. 13.2.2.2
Inhalt des Insolvenzplans
Ein Insolvenzplan umfasst einen darstellenden und einen gestaltenden Teil (§§ 220, 221 InsO). In dem darstellenden Teil wird beschrieben, welche Rechte der Gläubiger Gegenstand des Insolvenzplans sind und wie in diese eingegriffen werden soll. Der gestaltende Teil enthält dann im Einzelnen die Eingriffe. Maßgeblich ist dabei, dass Eingriffe in gesicherte Rechte nur unter besonderen, engen Voraussetzungen zulässig sind. Auf ungesicherte Rechte, d. h. insbesondere Forderungen ungesicherter Gläubiger kann dagegen ganz oder teilweise verzichtet werden. Ferner ist es neuerdings möglich, auch in die Rechte der Gesellschafter einzugreifen (§ 225a Abs. 2 InsO). Dies ermöglicht zum Beispiel im Rahmen des Insolvenzplans einen so genannten debt to equity swap. Bei diesem werden Forderungen gegen das insolvente Unternehmen in Gesellschafterrechte an dem sanierten Unternehmen nach Aufhebung des Verfahrens getauscht. Die Anteile der Altgesellschafter werden zumindest verwässert oder scheiden ganz aus dem Unternehmen aus. Die Gläubiger werden im Insolvenzplan gemäß § 222 InsO in Gruppen eingeteilt, wobei nur gleichartige Gläubiger eine Gruppe bilden. Typische Gruppen sind diejenigen der gesicherten Gläubiger, der ungesicherten Gläubiger, des Pensionssicherungsvereins sowie – soweit am Plan beteiligt – diejenige der Gesellschafter. Innerhalb einer Gruppe werden die Gläubiger in der Regel gleich behandelt (§ 226 Abs. 1 InsO).
13.2 Teil 2 – Besondere Verfahrensarten 13.2.2.3
989
Annahme des Plans
Das Insolvenzgericht prüft nach der Vorlage des Insolvenzplans zunächst, ob das Verfahren eingehalten wurde und der Plan nicht offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg ist. Danach kann es den Plan zurückweisen. Andernfalls legt es den Plan zur Einsicht für die Beteiligten auf der Geschäftsstelle nieder und bestimmt einen Erörterungs- und Abstimmungstermin über den Plan. In dem Erörterungs- und Abstimmungstermin entscheiden die beteiligten Gläubiger über den Insolvenzplan. Jede Gruppe von Gläubigern muss dem Plan zustimmen. Innerhalb einer Gruppe ist die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger selbst, sowie die Mehrheit der Forderungen der abstimmenden Gläubiger erforderlich (Kopf- und Summenmehrheit). Auch wenn die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht worden sind, gilt die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe gemäß § 245 InsO als erteilt (sog. Obstruktionsverbot), wenn
die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden und die Angehörigen dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll und die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat. Nach der Zustimmung der Gläubiger haben noch die am Plan beteiligten Anteilseigner sowie der Schuldner selbst dem Plan zuzustimmen. Im Anschluss bestätigt das Insolvenzgericht den Insolvenzplan, wenn alle verfahrensrechtlichen Voraussetzungen eingehalten worden sind und der Insolvenzplan nicht unlauter ist. Das Gericht hat die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen, wenn ein Insolvenzgläubiger noch in der Gläubigerversammlung dem Insolvenzplan widerspricht und dieser Gläubiger durch den Plan voraussichtlich schlechter steht, als er ohne Plan stünde (§ 251 Abs. 1 InsO). Das Widerspruchsrecht dient dem Minderheitenschutz. Der Widerspruch ist vom Insolvenzgericht ohne Prüfung zurückzuweisen, wenn im Insolvenzplan eine Reserve zum Ausgleich der möglichen Schlechterstellungen vorgesehen ist (§ 251 Abs. 3 InsO). Ist eine solche Reserve nicht vorgesehen, hat das Gericht sofort über den Widerspruch zu entscheiden. Nach der Abstimmung gibt das Insolvenzgericht noch in derselben Versammlung oder in einem besonderen Termin die Annahme oder Ablehnung des Plans durch die Gläubiger bekannt. Die Gläubiger können den Beschluss über die Annahme oder Ablehnung des Plans wiederum durch ein Rechtsmittel, in diesem Fall die sofortige Beschwerde, anfechten. Diese ist gemäß § 253 Abs. 1 InsO aber nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer 1. dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat und 2. er gegen den Plan gestimmt hat und 3. er glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden kann. Sollte durch das Beschwerdeverfahren die Bestätigung des Insolvenzplans aufgehalten werden und das alsbaldige Wirksamwerden vorrangig erscheinen, kann der Insolvenzplan auch gegen die Beschwerde vom Gericht bestätigt werden (§ 253 Abs. 4 InsO). In diesem Fall ist dem Beschwerdeführer aus der Insolvenzmasse sein Schaden zu ersetzen, soweit seine Be-
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13 Insolvenzrecht
schwerde berechtigt war. Diese Regelung dient im Wesentlichen dazu, mögliche Akkordstörer, d. h. Gläubiger die nur zum Aufbau einer Lästigkeitsposition ihr Rechtsmittelrecht ausüben, übergehen zu können. 13.2.2.4
Wirkung des bestätigten Plans
Mit Rechtskraft des Insolvenzplans gilt dieser für alle an dem Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger (§ 254 InsO). Dies umfasst auch diejenigen Gläubiger, die ihre Forderung nicht zur Insolvenztabelle angemeldet haben und sich nicht aktiv am Insolvenzverfahren beteiligt haben (§ 254b InsO). Diese haben die Möglichkeit, ihre Forderungen noch nach der Planbestätigung gemäß den im Plan vorgesehenen Regelungen und in der im Plan vorgesehenen Höhe geltend zu machen. Dabei gilt eine besondere Verjährungsfrist von einem Jahr ab Fälligkeit der Forderung und Bestätigung des Insolvenzplans (§ 259b Abs. 2 InsO). Es wird teilweise vertreten, dass der Insolvenzplan noch hiervon abweichende Verjährungsfristen bestimmen kann. Soweit der Insolvenzplan nichts anderes vorsieht, hebt das Insolvenzgericht ferner mit der Rechtskraft des Insolvenzplans das Insolvenzverfahren auf (§ 258 Abs. 1 InsO). Die Ämter des Insolvenzverwalters bzw. des Sachwalters sowie des Gläubigerausschusses erlöschen (§ 259 Abs. 1 InsO). Sie bleiben nur noch berechtigt, soweit im Plan vorgesehen ist, die bis dahin anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten über Anfechtungen oder Haftungen weiterzuverfolgen. Ferner obliegt ihnen die Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans (§§ 259 Abs. 2, 260 ff. InsO). Im Übrigen ist wieder der Schuldner alleine befugt. Das heißt, dass nur noch er den Zahlungsverkehr steuert, neue Verbindlichkeiten eingeht und alte Verbindlichkeiten aus der Zeit vor der Insolvenz gemäß dem Plan befriedigt. Die während des Insolvenzverfahrens begründeten Verbindlichkeiten sind als Masseverbindlichkeiten grundsätzlich voll zu befriedigen.
13.2.3
Schutzschirmverfahren
Das Schutzschirmverfahren ist eine besondere Form des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Es ist zulässig, wenn der antragstellende Schuldner im Zeitpunkt des Insolvenzantrags nur drohend zahlungsunfähig und/oder überschuldet ist (§ 270b Abs. 1 InsO). Bei schon eingetretener Zahlungsunfähigkeit ist das Verfahren unzulässig. Im Kern ist das Schutzschirmverfahren eine Kombination aus (einer) Eigenverwaltung und einem Insolvenzplanverfahren (§ 270b Abs. 1 InsO). Die Besonderheit liegt darin, dass das Gericht dem Antrag auf Eigenverwaltung zu folgen hat und der Schuldner einen für das Gericht grundsätzlich verbindlichen Vorschlag für die Person des vorläufigen Sachwalters machen kann (§ 270b Abs. 2 InsO). Weiter hat der Schuldner schon im vorläufigen Verfahren den Insolvenzplan vorzubereiten und innerhalb einer vom Gericht zu setzenden Frist von höchstens drei Monaten nach dem Insolvenzantrag vorzulegen. Das Schutzschirmverfahren bietet sich damit insbesondere in solchen Fällen an, in denen der Schuldner sich schon vor dem Insolvenzantrag mit den wesentlichen Beteiligten über die Insolvenz abgestimmt (hat) und das Verfahren geordnet geplant hat (sog. „prepacked plan“). Kern der Vorbereitung ist die Finanzplanung für die Zeit des Schutzschirmverfahrens und die Entwicklung eines Leitbilds des sanierten Unternehmens.
13.2 Teil 2 – Besondere Verfahrensarten
991
Bei der Planung des Schutzschirmverfahrens ist insbesondere die Liquidität zu beachten. Die finanzierenden Banken werden etwaige Kreditlinien ohne besondere Absprache kündigen. Ferner werden Lieferanten keine Zahlungsziele mehr akzeptieren, sondern auf Vorauszahlungen bestehen. Dies bedeutet einen hohen Liquiditätsbedarf, der im Vorfeld zu ermitteln und gegebenenfalls zu finanzieren ist. Ferner erfordert die Anordnung des Schutzschirmverfahrens, dass ein unbeteiligter und fachlich qualifizierte Dritter, regelmäßig ein im Insolvenzrecht sacherfahrener Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, bei Antragstellung bescheinigt, dass
nur drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.
Die Erstellung einer solchen Bescheinigung erfordert Zeit. Dies ist bei der Vorbereitung und Planung des Schutzschirmverfahrens zu berücksichtigen.
13.2.4
Partikular- und Sekundärverfahren
Ein Partikularverfahren ist ein besonderes Insolvenzverfahren, das sich nur auf Vermögensgegenstände einer ausländischen Gesellschaft in Deutschland erstreckt. Anders als ein normales Insolvenzverfahren erfasst es nicht den gesamten Rechtsträger des Unternehmens, sondern nur seine Vermögensgegenstände im Inland (§ 354 Abs. 1 InsO). Das Verfahren kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte nicht für ein Verfahren über das betroffene ausländische Unternehmen bzw. seines Rechtsträgers zuständig sind. Ein Partikularverfahren wird Sekundärverfahren genannt, wenn zugleich im Ausland ein reguläres Insolvenzverfahren über das ausländische Unternehmen bzw. seinen Rechtsträger anhängig ist (§ 356 InsO). Innerhalb Deutschlands sind beide Insolvenzverwalter zur Zusammenarbeit verpflichtet (§ 357 InsO).
13.2.5
Insolvenzverfahren innerhalb der EU
Nahezu jeder Mitgliedsstaat innerhalb der Europäischen Union ist verpflichtet, für ein in einem anderen Mitgliedsstaat eröffnetes Insolvenzverfahren den dort bestellten Insolvenzverwalter und das dort geltende Insolvenzrecht anzuerkennen. Die Rechtsgrundlage dafür ist die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 („EuInsVO“, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 160 vom 30.06.2000, S. 1 ff.). Die EuInsVO gilt in den meisten Mitgliedsstaaten. Ausnahmen gelten z. B. für Dänemark, für Überseegebiete und einige umstrittene Gebiete (z. B. Gibraltar). 13.2.5.1
Gerichtliche Zuständigkeiten, COMI
Gemäß Art. 3 Abs. 1 (der) EuInsVO sind die Gerichte eines Mitgliedsstaates für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zuständig, „in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.“
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13 Insolvenzrecht
Dieser Ort wird auf Englisch als „center of main interests“ bezeichnet. Die gebräuchliche Abkürzung ist „COMI“. In der Praxis kann der COMI eines Unternehmens bzw. einer Gesellschaft zweifelhaft sein. Die Rechtsprechung knüpft das COMI zunächst am Registersitz an. Findet sich dort kein Management, knüpft die Rechtsprechung an dem Ort an, an dem das Management der Gesellschaft tatsächlich die wesentlichen Entscheidungen trifft, weiter an dem Ort, an dem die Gesellschaft ihre wesentlichen Geschäfte eingeht oder ihr wesentliches Vermögen liegt (vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2011, C-396/09, NZI 2011, 990 – Interedil; BGH, Urteil vom 01.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936; ders., Beschluss vom 21.06.2012 – IX ZB 287/11, NZI 2012, 725). Die Ermittlung des COMI ist insbesondere bei Gesellschaften in strukturierten Immobilienfinanzierungen problematisch. Handelt es sich bei dem fraglichen Unternehmen um eine Gesellschaft, deren Vermögen nur aus einer oder mehreren Immobilien besteht und deren Geschäft sich auf deren Verwaltung und Verwertung beschränkt muss das COMI nicht notwendig am Registersitz liegen. Als Fallbeispiel sei hierzu die Finanzierung Coeur Défense genannt. Es handelt sich um eine verbriefte Immobilienfinanzierung. Die wesentliche Gesellschaft, die Eigentümerin der Immobilien ist und die die Finanzierung aufgenommen hatte, ist eine luxemburgische Gesellschaft und in Luxemburg in den Registern eingetragen. Allerdings liegen die Immobilien in Frankreich. Ferner wurden die Gründungshandlungen für die luxemburgische Gesellschaft in Paris vorgenommen (konkret das Unterschreiben der Gründungsdokumente und das Einzahlen des Kapitals). Ferner hatte die luxemburgische Gesellschaft ihre wesentlichen Verträge mit Dritten ebenfalls in Paris unterschrieben. Der EuGH vertritt die Auffassung, dass bei einem solchen Sachverhalt das COMI der Gesellschaft nicht am Registersitz in Luxemburg, sondern tatsächlich in Frankreich liegt (EuGH, Urteil vom 20.10.2011, C-396/09, NZI 2011, 990). Deswegen seien nur die französischen Insolvenzgerichte, nicht aber die luxemburgische Gerichte zuständig. Die nationalen Gerichte folgen diesen Auslegungen im Wesentlichen. Da der EuGH insoweit das höchstrangige Gericht in Europa ist, steht zu erwarten, dass diese Rechtsprechung noch fortentwickelt wird. 13.2.5.2
Anwendbares Insolvenzrecht, Immobilien
Hat ein Insolvenzgericht innerhalb des Geltungsbereichs der EuInsVO ein Insolvenzverfahren oder ein vorläufiges Verfahren angeordnet, ist dies grundsätzlich für alle Gerichte innerhalb der Europäischen Union verbindlich. Kein anderes Gericht kann noch ein Insolvenzverfahren eröffnen (Art. 3 Abs. 3, 16 ff. EuInsVO). Es bleibt nur die Eröffnung von Sekundärverfahren möglich (Art. 27 ff. EuInsVO, vgl. dazu oben Ziff. 13.2.4). Ferner gilt das Insolvenzrecht dieses Mitgliedsstaates für das betreffende Insolvenzverfahren auch in allen anderen Mitgliedsstaaten im Geltungsbereich der EuInsVO, soweit innerhalb der EuInsVO keine Ausnahmen vorgesehen sind (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Eine wichtige Ausnahme von der Anwendbarkeit des materiellen Insolvenzrechts des verfahrensführenden Staates sehen die Art. 6 und 8 EuInsVO für Immobilien vor. Danach kann die Verwertung dinglicher Rechte an Immobilien sowie die Abwicklung von Verträgen über Immobilien nach dem Recht des Staates erfolgen, in denen die Immobilie belegen ist. Konkret bedeutet das, dass auch in einem ausländischen Insolvenzverfahren Gläubiger mit Rechten an deutschen Immobilien (z. B. Grundschulden) nach deutschem Recht vollstrecken können.
13.2 Teil 2 – Besondere Verfahrensarten
993
Dies ist wiederum in strukturierten Immobilienfinanzierungen wichtig. Aufgrund der häufig grenzüberschreitenden gesellschaftsrechtlichen Strukturen sind Insolvenzverfahren über die ausländischen Gesellschaften möglich. Deren Insolvenz berührt dann aber nicht die Vollstreckung aus den deutschen Grundschulden nach dem deutschen Zwangsvollstreckungsrecht (siehe dazu im Anschluss Ziff. 13.3.3.2 und 13.3.3.3). Parallel können die Grundschuldgläubiger erwägen, aufgrund ihrer Ansprüche aus den Darlehensverträgen zusätzlich zum ausländischen Insolvenzverfahren in Deutschland ein Sekundärinsolvenzverfahren anhängig zu machen (vergleiche hierzu wiederum oben Ziff. 13.2.4).
13.2.6
Andere ausländische Insolvenzverfahren
Soweit ein ausländisches Insolvenzverfahren nicht dem Geltungsbereich der EuInsVO unterliegt, bestimmt sich die Anerkennung der dort getroffenen (gerichtlichen) Entscheidungen des Gerichts sowie des dortigen Insolvenzverwalters und seiner Rechte nach dem deutschen Recht. Die §§ 335 ff. InsO treffen hierzu einzelne Regelungen. Diese entsprechen in ganz wesentlichen Teilen denen der EuInsVO.
13.2.7
Schemes of Arrangements, Company Voluntary Arrangements
Neben echten Insolvenzverfahren beinhalten bestimmte ausländische Rechtsordnungen noch andere Verfahren zur Schuldensanierung. Derzeit werden insbesondere bei strukturierten Finanzierungen, darunter auch Immobilienfinanzierungen, zwei englische Verfahren verwendet, namentlich Company Voluntary Arrangements („CVA“) und Schemes of Arrangement. Bei beiden Verfahren handelt es sich um Sanierungsverfahren zur Befriedigung bestimmter Gläubigergruppen. Beide Verfahren setzen weder das Vorliegen von Insolvenzgründen noch die Anordnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Ferner betreffen beide Verfahren nur bestimmte Gläubiger und nicht die Gläubigergesamtheit. Daher können problematische Gläubiger, wie zum Beispiel die Finanzverwaltung, außen vor gelassen werden. Ein CVA ist im Kern einem Insolvenzverfahren ähnlich (vgl. Schlegel, Münchener Kommentar Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, Anhang, Länderberichte, England und Wales, Rn. 28 ff.). Es erlaubt relativ weit gehende Eingriffe in die Gläubigerrechte. Gleichzeitig ist die Gläubigerbeteiligung relativ schlank geregelt. So gibt es nur eine Gläubigerversammlung, die über das CVA abstimmt. Demgegenüber handelte sich bei einem Scheme of Arrangement gem. Part 26 des English Companies Act 2006 um ein gesellschaftsrechtliches Verfahren (vgl. Bork, The Scheme of Arrangement, IILR 2012, 477; Schillig, in: Kindler/Nachmann, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, 2010, 2. Teil, Länderberichte, England und Wales, Rn. 287). Auch dieses erlaubt Eingriffe in die Gläubigerrechte. Dabei ist das Verfahren aber komplexer. So erfolgt die Abstimmung der Gläubiger in einzelnen Gruppen, wobei sowohl innerhalb der Gruppen als auch insgesamt die erforderlichen Mehrheiten von Gläubigern dem Scheme zustimmen müssen. In beiden Verfahren müssen 75 % der beteiligten Gläubiger dem CVA oder dem Scheme zustimmen. Daneben bestehen bestimmte Verfahrensrechte zum Minderheitenschutz. Der Nachteil beider Verfahren ist, dass ihre Anerkennung außerhalb von England nicht sicher gewährleistet ist. Anders als Insolvenzverfahren sind sie nicht von der universalen Wir-
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13 Insolvenzrecht
kung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) geschützt. Ihre Anerkennung bestimmt sich vielmehr – nach derzeit herrschender Meinung – nach nationalem Recht. Dieses kann von Staat zu Staat voneinander abweichen. So ist die Anerkennung in Deutschland nach wie vor zweifelhaft und vom Einzelfall abhängig (vgl. BGH, Urteil vom 15.2.2012 – IV ZR 194/09, NZI 2012, 425 ff.; Urteil vom 18.04.2012 – IV ZR 193/10, BeckRS 2012, 11161= VersR 2012, 1110). Deswegen bieten die beiden Verfahren eine geringere Rechtssicherheit als zum Beispiel Insolvenzverfahren.
13.3
Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz
13.3.1
Verwertung durch den Insolvenzschuldner
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist bei Grundstücken, als deren Eigentümer der Schuldner eingetragen ist, in das Grundbuch einzutragen. Mit der Eintragung des Insolvenzvermerks tritt eine Grundbuchsperre für Verfügungen des Insolvenzschuldners ein. Da die Vorschriften über einen Erwerb vom Nichtberechtigten gem. § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO für Grundstücke und Grundstücksrechte von der Insolvenzeröffnung unberührt bleiben, bewirkt die Eintragung des Eröffnungsvermerks im Grundbuch den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs.
13.3.2
Die Verwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter
Das Recht über Immobilien zu verfügen oder diese zu veräußern steht nach Insolvenzeröffnung dem endgültigen Insolvenzverwalter zu. Eine Verwertung des Schuldnervermögens vor Insolvenzeröffnung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ist nur in Ausnahmefällen möglich. Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist grundsätzlich nur die Sicherung und Erhaltung der zukünftigen Masse. Ist aber im Einzelfall die freihändige Verwertung ohne Wertverlust nur im Eröffnungsverfahren möglich, so besteht die Möglichkeit, dass einem „starken“ vorläufigen Verwalter die Befugnis zur Verwertung eingeräumt wird. Eine solche Veräußerung steht regelmäßig unter der Bedingung, dass die spätere Gläubigerversammlung bzw. – falls ein solcher gebildet wird – der Gläubigerausschuss der Veräußerung gem. § 160 InsO zustimmt. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass der vorläufige Insolvenzverwalter den Verkauf der Immobilie zusätzlich unter die aufschiebende Bedingung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt.
13.3.3
Die Verwertung durch den Insolvenzverwalter
Ziel des Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Dem Insolvenzverwalter stehen bei der Verwertung von Immobilien verschiedene Verwertungsmöglichkeiten offen. § 165 InsO ermächtigt den Insolvenzverwalter, die der Liegenschaftsvollstreckung unterworfenen Gegenstände durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung zu verwerten. Der Insolvenzverwalter hat daneben aber auch die Möglichkeit, die Immobilie freihändig zu verwerten oder – bei entsprechender Vereinbarung mit dem oder den Grundpfandgläubi-
13.3 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz
995
gern – im Rahmen der sog. kalten Zwangsverwaltung zu verwerten. Die diesbezügliche Entscheidung hat der Insolvenzverwalter im Interesse der Masse zu treffen. 13.3.3.1
Vorfragen
Wichtigste Vorfrage im Rahmen der Verwertung von Immobilien ist das Bestehen von Belastungen. Einfachster, aber in der Praxis seltenster Fall ist die Verwertung unbesicherter Immobilien. In der Regel sind die im Schuldnervermögen befindlichen Immobilien umfassend besichert. Der Verwalter muss sich daher zunächst einen Überblick über die Besicherung und die damit gegebenenfalls verbundenen Rechte der begünstigten Gläubiger, im Insolvenzverfahren abgesonderte Befriedigung nach § 49 InsO verlangen zu können, verschaffen. In einem zweiten Schritt muss er prüfen, ob die Besicherung wirksam erfolgt ist und ob die Besicherung insolvenzfest ausgestaltet wurde. 13.3.3.1.1
Rückschlagsperre
Gem. § 88 InsO sind Sicherungen an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung erlangt hat, mit der Eröffnung des Verfahrens unwirksam. Die Rückschlagsperre erfasst bei Immobilien Zwangssicherungshypotheken gem. §§ 866, 867 ZPO, Arresthypotheken gem. § 932 ZPO und Zwangsvormerkungen auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek gem. §§ 883 Abs. 1, 648 BGB. Der Insolvenzverwalter sollte daher prüfen, ob die Fortführung von Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsverfahren, die von Gläubigern vor Antragstellung eingeleitet wurden, nicht schon gem. § 88 InsO unwirksam ist. Zu beachten ist jedoch, dass der Rückschlagsperre unterliegende Sicherheiten nach Rechtsprechung des BGH wieder „aufleben“ können, wenn die Immobilie aus der Insolvenzmasse freigegeben wird. Durch die Rückschlagsperre tritt lediglich eine „absolute schwebende Unwirksamkeit“ ein. Begründet wird dies damit, dass die Rückschlagsperre lediglich dem Insolvenzgläubiger dienen (soll) und gerade nicht den Schuldner vor Vollstreckungsmaßnahmen bewahren soll. 13.3.3.1.2
Insolvenzanfechtung
Als zweiten Schritt hat der Insolvenzverwalter die Insolvenzanfechtung der am Grundstück erlangten Sicherungsrechte nach den §§ 129 ff. InsO zu prüfen. Die Regelungen begründen die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Verringerungen des Schuldnervermögens rückgängig zu machen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sind. Auf diese Weise soll eine Besserstellung einzelner Gläubiger im Interesse des im Gesamtvollstreckungsverfahren geltenden Grundsatzes der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung vermieden werden. Die Anfechtung kann sich u. a. auf bestellte Grundschulden und Hypotheken, persönlich beschränkte Dienstbarkeiten (Wohnrechte, Nießbräuche, Altenteile, Wegerechte etc.), Auflassungsvormerkungen und Baulasten beziehen. Das Gleiche gilt für Vollstreckungsmaßnahmen, die außerhalb des zeitlichen Rahmens der Rückschlagsperre liegen.
996
13 Insolvenzrecht
13.3.3.2
Zwangsversteigerung
Gem. § 165 InsO kann der Insolvenzverwalter beim zuständigen Gericht die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung eines unbeweglichen Gegenstands der Insolvenzmasse betreiben, auch wenn an dem Gegenstand ein Absonderungsrecht besteht. Zwar wird die freihändige Verwertung wegen der Schnelligkeit der Abwicklung in der Regel bevorzugt, ein grundsätzlicher Vorteil des Zwangsversteigerungsverfahrens liegt aber darin, dass die im Grundbuch eingetragenen Rechte, die dem Recht gegenüber nachrangig sind, aus dem die Versteigerung betrieben wird, im Fall eines Zuschlags entfallen. 13.3.3.2.1
Fallkonstellationen
Bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks aus der Insolvenzmasse sind folgende Fallkonstellationen zu unterscheiden:
die Zwangsversteigerung auf Antrag des Insolvenzverwalters die Zwangsversteigerung auf Antrag eines Absonderungsberechtigten, der sein Recht bereits vor der Krise des Schuldners wirksam erworben hat die Zwangsversteigerung auf Antrag eines persönlichen Gläubigers, die bereits vor Insolvenzeröffnung eingeleitet wurde (begrenzt durch die Rückschlagsperre, § 88 InsO) die Zwangsversteigerung auf Antrag eines Massegläubigers, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleitet wurde (Einschränkung durch § 90 und § 210 InsO)
13.3.3.2.2
Beteiligtenstellung
Der Schuldner ist kein Beteiligter des Zwangsversteigerungsverfahrens. Er wird durch den Insolvenzverwalter von der Ausübung der Befugnis, die sonst dem Beteiligten nach § 9 ZVG zustehen, verdrängt. Der Insolvenzverwalter ist für die Dauer des Insolvenzverfahrens alleiniger Beteiligter. Für den Schuldner hat das zur Folge, dass er auch von den Informationen über das Zwangsversteigerungsverfahren abgeschnitten wird. 13.3.3.2.3
Ziele der Zwangsversteigerung
Die Zwangsversteigerung ist ein gerichtliches Verfahren mit dem Ziel des öffentlichen Verkaufs des Grundstücks. Die Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers erfolgt aus dem Stammwert des Grundstücks. Mit Anordnung der Zwangsversteigerung werden auch die mithaftenden Gegenstände zugunsten des vollstreckenden Gläubigers beschlagnahmt. Vom Haftungsverband nicht erfasst sind Miet- und Pachtzinsforderungen. Die Verwertung des Grundstücks erfolgt im Wege der öffentlichen Versteigerung. Dem sog. Deckungsprinzip entspricht es, dass nur solche Gebote zugelassen werden, durch welche die dem betreibenden Gläubiger vorgehenden Rechte gedeckt werden. Die Feststellung des geringsten Gebots richtet sich nach der durch § 10 ZVG festgestellten Rangordnung, nach welcher die einzelnen Beteiligten am Grundstück und demgemäß am Versteigerungserlös beteiligt sind. § 10 ZVG sieht folgende Rangordnung hinsichtlich des Rechts auf Befriedigung aus dem Grundstück vor:
13.3 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz
997
1.
der Anspruch eines die Zwangsverwaltung betreibenden Gläubigers auf Ersatz seiner Ausgaben zur Erhaltung oder nötigen Verbesserung des Grundstücks, im Falle der Zwangsversteigerung jedoch nur, wenn die Verwaltung bis zum Zuschlag fortdauert und die Ausgaben nicht aus den Nutzungen des Grundstücks erstattet werden können; 1a. im Falle einer Zwangsversteigerung, bei der das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet ist, die zur Insolvenzmasse gehörenden Ansprüche auf Ersatz der Kosten der Feststellung der beweglichen Gegenstände, auf die sich die Versteigerung erstreckt; diese Kosten sind nur zu erheben, wenn ein Insolvenzverwalter bestellt ist, und pauschal mit vier vom Hundert des Wertes anzusetzen, der nach § 74a Abs. 5 Satz 2 festgesetzt worden ist; 2. bei Vollstreckung in ein Wohnungseigentum die daraus fälligen Ansprüche auf Zahlung der Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums, die nach § 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2 und 5 des Wohnungseigentumsgesetzes geschuldet werden, einschließlich der Vorschüsse und Rückstellungen sowie der Rückgriffsansprüche einzelner Wohnungseigentümer. Das Vorrecht erfasst die laufenden und die rückständigen Beträge aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren. Das Vorrecht einschließlich aller Nebenleistungen ist begrenzt auf Beträge in Höhe von nicht mehr als 5 vom Hundert des nach § 74a Abs. 5 festgesetzten Wertes. Die Anmeldung erfolgt durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Rückgriffsansprüche einzelner Wohnungseigentümer werden von diesen angemeldet; 3. die Ansprüche auf Entrichtung der öffentlichen Lasten des Grundstücks wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge; wiederkehrende Leistungen, insbesondere Grundsteuern, Zinsen, Zuschläge oder Rentenleistungen, sowie Beträge, die zur allmählichen Tilgung einer Schuld als Zuschlag zu den Zinsen zu entrichten sind, genießen dieses Vorrecht nur für die laufenden Beträge und für die Rückstände aus den letzten zwei Jahren. Untereinander stehen öffentliche Grundstückslasten, gleichviel ob sie auf Bundes- oder Landesrecht beruhen, im Range gleich. Die Vorschriften des § 112 Abs. 1 und der §§ 113 und 116 des Gesetzes über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 446) bleiben unberührt; 4. die Ansprüche aus Rechten an dem Grundstück, soweit sie nicht infolge der Beschlagnahme dem Gläubiger gegenüber unwirksam sind, einschließlich der Ansprüche auf Beträge, die zur allmählichen Tilgung einer Schuld als Zuschlag zu den Zinsen zu entrichten sind; Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, insbesondere Zinsen, Zuschläge, Verwaltungskosten oder Rentenleistungen, genießen das Vorrecht dieser Klasse nur wegen der laufenden und der aus den letzten zwei Jahren rückständigen Beträge; 5. der Anspruch des Gläubigers, soweit er nicht in einer der vorhergehenden Klassen zu befriedigen ist; 6. die Ansprüche der vierten Klasse, soweit sie infolge der Beschlagnahme dem Gläubiger gegenüber unwirksam sind; 7. die Ansprüche der dritten Klasse wegen der älteren Rückstände; 8. die Ansprüche der vierten Klasse wegen der älteren Rückstände. Betreibt der Insolvenzverwalter die Zwangsversteigerung, nimmt er grundsätzlich nur die Rangstelle eines persönlich betreibenden Gläubigers ein (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG), d. h. er muss sich hinter den Absonderungsberechtigten einreihen. Das geringste Gebot wird daher dementsprechend hoch sein. § 174a ZVG gibt daher dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, in der von ihm nach § 172 ZVG betriebenen Zwangsversteigerung neben dem gesetzli-
998
13 Insolvenzrecht
chen Ausgebot mit den bestehend bleibenden Grundpfandrechten ein Ausgebot dahin gehend zu beantragen, dass bei der Feststellung des geringsten Gebots nur die den Ansprüchen aus § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG vorgehenden Rechte berücksichtigt werden (Doppelausgebot). Die Rangklasse 1a erfasst die Kosten für die Feststellung der mithaftenden beweglichen Gegenstände des Hypothekenhaftungsverbands. Feststellungskosten fallen immer dann an, wenn der Insolvenzverwalter zur Verwertung befugt ist (§ 166 InsO) und der Insolvenzverwalter die Sache tatsächlich verwertet hat. Feststellung bedeutet hierbei die Ermittlung und Erfassung des Sicherungsgegenstandes. Diese Beteiligung bemisst sich nach dem Erlös. Die Feststellungskosten betragen gemäß § 171 Abs. 1 Satz 2 InsO pauschal 4 % des Verwertungserlöses. Beispiel: Mit der Festsetzung des Verkehrswertes (§ 74a) wird der anteilige Wert des Grundstückszubehörs (§ 97 BGB) mit 50.000 € beziffert. Der Zuschlag wird zu einem entsprechenden Höchstgebot von 50.000 € erteilt. Davon ausgehend beträgt der Anspruch des Insolvenzverwalters 2.000 € (= 4 %). Ein isoliertes Vorgehen aus Rangklasse 1a ist indes nach ganz überwiegender Auffassung unzulässig. Bestehende Miet- und Pachtverhältnisse können vom Ersteher der Immobilie gem. § 57a ZVG unter Einhaltung der gesetzlichen Frist außerordentlich gekündigt werden. § 57a ZVG gibt dem Ersteher nur die Möglichkeit, ein von den vertraglich vorgesehenen Kündigungsfristen unabhängiges Kündigungsrecht auszuüben. Das Kündigungsrecht steht daher unter dem Vorbehalt der Gesetzgebung zum Kündigungsschutz. Dies ist insbesondere bei der Kündigung von Wohnraummietverhältnissen zu berücksichtigen. Hier muss der Ersteher ein berechtigtes Interesse an der Kündigung im Kündigungsschreiben nachweisen. 13.3.3.2.4
Teilungsversteigerung
Sofern der Insolvenzschuldner nicht Alleineigentümer des Grundstücks ist, sondern nur Bruchteilseigentum hat, stellt sich das Problem, dass für einen derartigen Bruchteil – sofern einer der anderen Bruchteilseigentümer kein Kaufinteresse hat – in der Regel kein Käufer gefunden wird. Als Sonderfall der Zwangsverwaltung kommt in dieser Konstellation gem. § 180 ff. ZVG die Teilungsversteigerung zur Aufhebung der Gemeinschaft in Betracht. Dabei wird das unteilbare Vermögen der Immobilie in Geld als teilbares Vermögen umgewandelt. An diesem Geld (Erlös) setzt sich die Gemeinschaft jedoch fort. Das Kündigungsrecht aus § 57a ZVG gilt bei der Teilungsversteigerung nicht. 13.3.3.2.5
Einstellung der Zwangsversteigerung
Wird nach Anordnung der Zwangsversteigerung über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet, so evtl. gem. § 30d ZVG, ist auf Antrag des Insolvenzverwalters die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen, wenn
im Insolvenzverfahren der Berichtstermin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO noch bevorsteht. Die Vorlage des Eröffnungsbeschlusses nebst Terminsbestimmung genügt zur Glaubhaftmachung; das Grundstück nach dem Ergebnis des Berichtstermins nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Insolvenzverfahren für eine Fortführung des Unternehmens oder für die Vorbereitung der Veräußerung eines Betriebs oder einer anderen Gesamtheit von Gegenständen benötigt wird. Das Grundstück muss zur Fortführung eines Unternehmens benötigt werden und der Wille der Insolvenzgläubiger zur Fortführung des Unternehmens muss vorhanden sein, was durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung zu dokumentieren ist;
13.3 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz
999
durch die Versteigerung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde. Erforderlich ist ein nicht nach § 231 InsO zurückgewiesener Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO, auch des Schuldners), der das zu versteigernde Grundstück einbezieht, so dass bei der Versteigerung des Grundstücks die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wäre; in sonstiger Weise durch die Versteigerung die angemessene Verwertung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert würde. Nicht die bestmögliche Verwertung der Immobilie, sondern die der Insolvenzmasse ist maßgebend. Vermieden werden soll eine die Anreicherung der Insolvenzmasse erschwerende Versteigerung „zur Unzeit“. Es müssen aber konkrete Anhaltspunkte für eine wesentlich bessere Verwertbarkeit (z. B. durch freihändigen Verkauf) in absehbarer Zeit bestehen. Der Antrag ist abzulehnen, wenn die einstweilige Einstellung dem Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten ist. Ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein vorläufiger Verwalter bestellt, so ist auf dessen Antrag die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. Die einstweilige Einstellung ist gem. § 30e ZVG mit der Auflage anzuordnen, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO laufend die geschuldeten Zinsen binnen zwei Wochen nach Eintritt der Fälligkeit aus der Insolvenzmasse gezahlt werden. Ist das Versteigerungsverfahren schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 30d Abs. 4 ZVG einstweilen eingestellt worden, so ist die Zahlung von Zinsen spätestens von dem Zeitpunkt an anzuordnen, der drei Monate nach der ersten einstweiligen Einstellung liegt. Wird das Grundstück für die Insolvenzmasse genutzt, so ordnet das Gericht auf Antrag des betreibenden Gläubigers weiter die Auflage an, dass der entstehende Wertverlust von der Einstellung des Versteigerungsverfahrens an durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse an den Gläubiger auszugleichen ist. 13.3.3.3
Zwangsverwaltung
Die Zwangsverwaltung zielt auf die Verwertung der Grundstücksnutzungen zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung aus dem Verwertungserlös. Die Befriedigung erfolgt also anders als bei der Zwangsversteigerung nicht aus dem Stammwert, sondern aus den Erträgen des Grundstücks. Von der Beschlagnahme sind demnach auch Miet- und Pachtzinsen erfasst. Die aus den beschlagnahmten Gegenständen gezogenen Nutzungen werden durch den Zwangsverwalter verwertet und – nachdem die Kosten der Verwaltung bestritten wurden – an die beteiligten Gläubiger entsprechend der in § 10 ZVG festgelegten Rangfolge ausgekehrt. Treffen Insolvenzverfahren und Zwangsverwaltung zusammen, so besteht eine Sondermasse, die der Zwangsverwaltung unterliegt. Der Zwangsverwalter hat die Aufgabe, Früchte aus dem Massegrundstück zu ziehen und über Miet- und Pachtzinsansprüche zu verfügen. Auch im Zwangsverwaltungsverfahren wird der Schuldner aus seiner Beteiligtenstellung durch den Insolvenzverwalter verdrängt. Das oben Gesagte gilt entsprechend. Dem Insolvenzverwalter wird durch die Anordnung der Zwangsverwaltung die Verwaltung und Nutzung des Grundstücks gem. § 148 ZVG entzogen. Er kann daher keine Erträge für
1000
13 Insolvenzrecht
die Insolvenzmasse vereinnahmen. Im Gegenzug haftet er aber auch nicht für die laufenden Kosten des Grundstücks. Diese sind vom Zwangsverwalter zu begleichen. Dies gilt auch für öffentliche Lasten, wie Grundsteuerbeträge. Ist der Schuldner eine natürliche Person, so steht ihm in der Zwangsverwaltung gem. § 149 Abs. 1 ZVG ein kaltmietefreies Wohnrecht an den „für seinen Hausstand unentbehrlichen Räumen“ zu. Das Wohnrecht besteht allerdings nur dann, wenn der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück wohnt. Eine nur vorübergehende Abwesenheit des Schuldners zum Zeitpunkt der ersten Beschlagnahme ist für das Wohnrecht unbeachtlich. Wurde über das Vermögen des Schuldners jedoch bereits das Insolvenzverfahren eröffnet, so bestimmt sich sein Wohnrecht nach dem nun vorrangigen § 100 InsO. Danach beschließt die Gläubigerversammlung, ob und in welchem Umfang dem Schuldner und seiner Familie Unterhalt aus der Insolvenzmasse gewährt werden soll. 13.3.3.4
Freihändige Verwertung
Die freihändige Verwertung einer Immobilie bringt in der Regel einen höheren Verwertungserlös und ist daher für die Grundpfandgläubiger vorteilhaft. Die Insolvenzmasse erhält bei der freihändigen Verwertung entweder den vollen Kaufpreis oder bei belasteten Immobilien den Übererlös bzw. falls ein solcher wegen einer wertausschöpfenden Belastung nicht anfällt, einen frei verhandelbaren Massebeitrag. 13.3.3.4.1
Vom Schuldner bereits geschlossene Verträge
Bevor sich die Frage nach der Verwertung durch den Insolvenzverwalter stellt, ist zu prüfen inwieweit der Schuldner selbst möglicherweise bereits Verträge über den Verkauf der Immobilie geschlossen hat und ggf. sogar bereits hinsichtlich des Eigentums Verfügungen getroffen hat. Gem. § 103 InsO steht dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zu, wenn ein gegenseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt ist: Er kann den Vertrag an Stelle des Schuldners erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen oder die Erfüllung ablehnen. Aus einer Ablehnung resultierende Schadensersatzansprüche stellen in diesem Fall lediglich Insolvenzforderungen dar. Nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO kann der andere Teil den Insolvenzverwalter zur Ausübung seines Wahlrechts auffordern, der Insolvenzverwalter hat sich dann unverzüglich zu erklären. Unterlässt er dies, so kann er auf die Erfüllung nicht bestehen. Gem. § 106 InsO ist jedoch der Gläubiger besonders geschützt, dessen Anspruch auf Eigentumsübertragung bereits wirksam durch eine Vormerkung gesichert ist. Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO kann er Befriedigung aus der Insolvenzmasse (Masseverbindlichkeit) verlangen. 13.3.3.4.2
Zustimmung des Gläubigerausschusses
Für die freihändige Verwertung einer Immobilie ist gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. falls ein solcher nicht bestellt wurde der Gläubigerversammlung erforderlich. Entsprechendes gilt für eine Erfüllungswahl hinsichtlich einer vom Schuldner bereits begonnen freihändigen Verwertung. Die Bedeutung für die Masse ist hier keine andere. Verstöße gegen die Zustimmungspflicht sind im Außenverhältnis ohne Bedeutung. Bedeutung erlangen Verstöße gegen die Zustimmungspflicht in erster Linie in haftungsrechtlicher Hinsicht.
13.3 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz 13.3.3.4.3
1001
Der Kaufvertrag
13.3.3.4.3.1 Allgemeines Als Verkäufer der Immobilie wird im Kaufvertrag der Insolvenzverwalter ausgewiesen. Der Notar bedarf daher einer Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses, die dem Kaufvertrag beigefügt wird. Die Löschung des Insolvenzvermerks wird vom Insolvenzverwalter Zug um Zug mit der Eigentumsüberschreibung bewilligt. Für den Insolvenzverwalter wichtigster Vertragspunkt ist meist der Ausschluss der Gewährleistung und Haftung. Der Insolvenzverwalter wird jedweder späteren Konfrontation mit Ansprüchen des Verkäufers zuvorkommen wollen. Bei der Vertragsgestaltung wird er daher regelmäßig auf folgende Klauseln hinwirken:
den Ausschluss der Gewährleistung für Zustand und Beschaffenheit der Immobilie, den Ausschluss der Haftung für sichtbare und versteckte Sachmängel, den Ausschluss der Haftung für die Freiheit von Baulasten, den Ausschluss einer Haftung im Innenverhältnis für Beseitigungskosten, die durch mögliche Altlasten anfallen, und die Beschränkung der Haftung auf Schadensersatz bei Vorsatz und Fahrlässigkeit, ausgenommen Schäden an Leib, Leben oder Gesundheit. Da ein Gewährleistungsausschluss nur bei gebrauchten Immobilien zulässig ist, bedarf es bei neuen Immobilien einer Haftungsfreistellung für die Insolvenzmasse durch die finanzierende Bank. Sind dem Insolvenzverwalter bei Veräußerung Mängel der Immobilie bekannt, so trifft ihn eine Aufklärungs- und Hinweispflicht gegenüber dem Käufer. Darüber hinaus sollte der Kaufvertrag Regelungen zu bestehenden Miet- oder Pachtverhältnissen, Regelungen betreffend den Besitzübergang und Regelungen zu Erschließungs- und sonstigen Anliegerbeiträgen enthalten. Die Kosten für den Kaufvertrag, d. h. sämtliche Notar- und Gerichtskosten, einschließlich der Kosten und Gebühren der erforderlichen privaten und behördlichen Genehmigungen sowie Grunderwerbssteuer nebst Zuschlägen, hat regelmäßig der Käufer zu tragen. Löschungskosten trägt hingegen der Verkäufer. Trotzdem haften Verkäufer und Käufer gesamtschuldnerisch für Notar und Gerichtskosten. 13.3.3.4.3.2 Besonderheiten bei besicherten Immobilien Die oben erörterten Punkte zur freihändigen Verwertung gelten grundsätzlich auch für die Verwertung besicherter Immobilien durch den Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Grundpfandgläubigers. Es sind allerdings einige Besonderheiten zu beachten. 13.3.3.4.3.2.1
Verwertungsvereinbarung
Es bedarf zunächst einer Verwertungsvereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem besicherten Gläubiger. Eine solche Verwertungsvereinbarung sollte den genauen Grundbuchstand, die Grundpfandrechte des Gläubigers sowie die Höhe der dadurch gesicherten Forderungen, die Höhe des Massebeitrags für die Insolvenzmasse und die interne Kostenverteilung angeben. Es sollten sich außerdem Regelungen zur anfallenden Umsatzsteuer, über die Höhe des Kaufpreises und für eine mögliche Rückabwicklung des Kaufvertrags finden.
1002 13.3.3.4.3.2.2
13 Insolvenzrecht Massebeitrag
Der Insolvenzverwalter wird bei der Verwertung dinglich besicherter Immobilien, auch wenn für diese Vorgehensweise keine Regelung in der InsO vorgesehen ist, grundsätzlich einen Massebeitrag verlangen. Der Gesetzgeber sah grundsätzlich kein Bedürfnis für eine solche Regelung, da er davon ausging, dass der Masse nach der Ablösung der Grundpfandrechte ein überschießender Erlös zugute komme, aus dem die Kosten der Verwertung gedeckt werden könnten. Da dies in der Praxis nur selten der Fall ist, behilft sich der Insolvenzverwalter zur Kostendeckung mit der Vereinbarung eines Massekostenbeitrags. Dafür spricht auch, dass der Insolvenzverwalter auch bei der Zwangsversteigerung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG durch die absonderungsberechtigten Gläubiger i.S.v. § 49 InsO eine Pauschale von 4 % des Grundstückzubehörwertes erhält. Für diesen Fall sieht die Gesetzesbegründung vor, dass die dem Insolvenzverwalter entstehenden Kosten bei der Feststellung des im Eigentum des Schuldners befindlichen Zubehörs abgedeckt werden sollen. Bei der Bemessung der Höhe des Massebeitrags mangelt es wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen an Maßstäben. Man wird daher nicht umher kommen auf den Einzelfall abzustellen. Muss der Insolvenzverwalter nur noch seine Zustimmung zu einem bereits bestehenden Vertrag erteilen, so wird der Massebeitrag geringer anzusetzen sein. Anders mag der Fall liegen, wenn der Käufer durch den Insolvenzverwalter vermittelt wird oder der Verwalter zusätzlich sogar noch den Kaufvertrag entwirft. In der Literatur orientiert man sich zur Bemessung des Massebeitrags auch an den Kosten einer ersparten Zwangsversteigerung bzw. einer Maklergebühr. Stellt der Grundpfandgläubiger auf der anderen Seite die Masse von allen bestehenden oder potentiellen Gewährleistungs- oder Regressansprüchen frei, so muss sich auch dies auf den Massebeitrag auswirken. Der Beitrag wird dann geringer zu bemessen sein. Der Massekostenbeitrag fließt nach Abzug aller Kosten und Steuern (siehe unten) in voller Höhe in die Insolvenzmasse. 13.3.3.4.3.2.3
Umsatzsteuerpflicht
Veräußert der Verwalter auf Grund einer mit dem Grundpfandgläubiger getroffenen Vereinbarung das grundpfandrechtbelastete Massegrundstück freihändig und behält er vereinbarungsgemäß vom Veräußerungserlös für die Masse einen „Massekostenbeitrag“ ein, erbringt er damit eine sonstige Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG an den Grundpfandgläubiger – das Geschäft unterfällt somit der Umsatzsteuer. Der Verwalter betreibt im Interesse und Auftrag des Gläubigers die Veräußerung des Grundstücks und besorgt somit für diesen ein Geschäft. Der Insolvenzverwalter ist zur freihändigen Veräußerung des grundpfandrechtsbelasteten Grundstücks nicht verpflichtet, da er sich entsprechend der Regelung des § 165 InsO darauf beschränken kann, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden (vgl. dazu unten). Veräußert der Verwalter aber das Grundstück freihändig, erhält der Gläubiger die Möglichkeit, eine weitergehende Tilgung seiner Forderung als bei einer Zwangsversteigerung zu erlangen, und damit einen Vorteil, den der Grundpfandgläubiger ohne die Leistung des Insolvenzverwalters nicht erhalten kann. Nachdem die Veräußerung des Immobils zu einer Belastung der Insolvenzmasse mit der auf das Geschäft entfallenden Umsatzsteuer führt, wird der Insolvenzverwalter diese im Rahmen der Verwertungsvereinbarung neben dem Massekostenbeitrag für die Insolvenzmasse beanspruchen.
13.3 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz 13.3.3.4.3.2.4
1003
Lastenfreier Übergang und sog. „Lästigkeitsprämien“
Beim Inhalt des Kaufvertrages ist darauf zu achten, dass alle notwendigen Vereinbarungen getroffen werden, damit das Immobil lastenfrei übergehen kann. Erforderlich ist daher, dass alle Grundpfandgläubiger den Grundbesitz aus ihrer Haftung freigeben und Löschungsbewilligungen für ihre Grundpfandrechte erteilen. Zwangssicherungshypotheken die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag eingetragen wurden können im Rahmen der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO beseitigt werden oder werden aufgrund der Rückschlagsperre des § 88 InsO unwirksam. Problematisch wird die Ablösung aller Grundpfandrechte in den Fällen, in denen der Kaufpreis für die Immobilie nicht ausreicht, um alle Gläubiger voll zu befriedigen. Für nachrangige Gläubiger bietet sich hier die Chance, anders als bei der Zwangsversteigerung bei der sie voraussichtlich nicht befriedigt würden (sog. „Schornsteinhypotheken“), am Erlös beteiligt zu werden. So müssen zur freihändigen Veräußerung auch die nachrangigen Gläubiger Löschungsbewilligungen erteilen. Diese Erteilung kann davon abhängig gemacht werden, dass ihnen eine Quote am Erlös ausgezahlt wird. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des BGH zu sog. „Lästigkeitsprämien“. Danach ist ein Versprechen des Insolvenzverwalters, in dem er dem durch eine offensichtlich wertlose Grundschuld gesicherten Gläubiger gegen Erteilung der Löschungsbewilligung zusätzlich zu den übernommenen Löschungskosten eine Geldleistung verspricht, wegen Insolvenzzweckwidrigkeit nichtig. Im Ergebnis hat das für den Insolvenzverwalter den Vorteil, dass er diese sog. „Lästigkeitsprämien“ anbieten und nach Abwicklung des Kaufvertrages wieder zurückfordern kann. Der Betrag fließt dann zurück in die Insolvenzmasse. Die Rechtsprechung des BGH zu diesen Lästigkeitsprämien wird in der Literatur allerdings durchaus kritisch beurteilt. So wird eingewandt, eine apodiktische Einstufung als „insolvenzzweckwidrig“ und die damit einhergehende persönliche Haftung des Insolvenzverwalters aus § 60 InsO, beschränke die Entscheidungsfreiheit des Insolvenzverwalters zu sehr und gefährde für die Masse günstige Verwertungen von besicherten Immobilien. Die Lehre von der Insolvenzweckwidrigkeit würde so gerade das verfehlen, was sie erreichen will, nämlich die beste Verwertung der Insolvenzmasse für alle Beteiligten. Für den Insolvenzverwalter müsse es daher weiterhin opportun und zulässig sein Lästigkeitsprämien zu zahlen. 13.3.3.4.3.3 Haftungsfreistellung Da es regelmäßig nicht gelingen wird, die Insolvenzmasse von allen potentiellen Ansprüchen des Käufers freizustellen, schließt der Insolvenzverwalter zur Absicherung in der Praxis regelmäßig Freistellungsvereinbarungen mit dem Gläubiger bzw. bei mehreren Gläubigern mit allen als Gesamtschuldner. In diesen Vereinbarungen befreit der Gläubiger den Insolvenzverwalter umfassend von allen Ansprüchen des Käufers aus dem Kaufvertrag und allen Ansprüchen eventueller Dritter, die im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag auftreten können. 13.3.3.4.4
Durchführung einer freien Versteigerung
Sofern der Insolvenzverwalter keinen Makler mit der Suche von Kaufinteressenten beauftragt, kann er in Abstimmung mit den Grundpfandgläubigern bzw. bei unbelastetem Grundbesitz eine freiwillige Versteigerung durchführen. Als Auktionator einer solchen Versteigerung wird ein behördlich zugelassener Versteigerer beauftragt. Dieser organisiert die Versteigerung auf
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13 Insolvenzrecht
eigene Kosten und haftet dem Eigentümer für eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Vorbereitung und Durchführung. Der Versteigerung liegen die gewerberechtlichen Bestimmungen der Versteigerungsverordnung zugrunde. Dadurch wird der Inhalt des Vertrages zwischen Eigentümer und Ersteher festgelegt. Der Auktionator erhält bei erfolgreicher Versteigerung eine im Vorfeld vereinbarte Courtage. Der Kaufvertrag kommt mit dem Meistbietenden durch Zuschlag zustande. Gebot und Zuschlag bilden die für den Kaufvertrag erforderlichen (übereinstimmenden) Willenserklärungen. Im Hinblick auf § 311b BGB ist jedoch eine Beurkundung durch einen Notar erforderlich. Grundsätzlich ist es auch möglich, dass der Notar selbst mit der Auktion beauftragt wird. 13.3.3.4.5
Veräußerung eines Miet- oder Pachtobjekts
Veräußert der Insolvenzverwalter einen unbeweglichen Gegenstand oder Räume, die der Schuldner vermietet oder verpachtet hatte, und tritt der Erwerber anstelle des Schuldners in das Miet- oder Pachtverhältnis ein, so kann der Erwerber gem. § 111 InsO das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen. Die Kündigung kann nur für den ersten Termin erfolgen, für den sie zulässig ist. Die Regelung des § 111 InsO stellt eine Ausnahme zu dem in § 566 BGB verankerten Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ dar. Zwar tritt der Erwerber kraft Gesetzes in das vorinsolvenzlich vom Vermieter begründete Mietverhältnis ein, er erwirbt aber mit Eigentumsübergang gem. § 111 Satz 1 InsO zugleich ein einmaliges außerordentliches Kündigungsrecht. Der Erwerber einer Immobilie erhält so im Rahmen der freihändigen Veräußerung dieselben Rechte, die dem Ersteher im Rahmen der Zwangsversteigerung durch § 57a ZVG gewährt werden. Zweck des Sonderkündigungsrechts ist es, die Veräußerung der vermieteten Immobilie zu erleichtern, denn eine nur langfristig lösbare Bindung des Erwerbers an das Mietverhältnis stellt ein Verwertungshindernis dar. Vermieter und Mieter können die Anwendung des § 111 InsO daher auch nicht vertraglich ausschließen. Auch im Rahmen von § 111 InsO gilt, dass das außerordentliche Kündigungsrecht des Erwerbers unter dem Vorbehalt des Kündigungsschutzes für Wohnraum steht (vgl. oben zu § 57a ZVG). 13.3.3.5
Kalte Zwangsverwaltung
Bei der sog. „kalten Zwangsverwaltung“ im Insolvenzverfahren wird die Immobilie, die mit Grundpfandrechten belastet ist, nach Abstimmung mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger durch den Insolvenzverwalter verwaltet. Er führt die Erlöse nach Abzug der Kosten an die Grundpfandgläubigerin ab, ohne dass ein gerichtliches Zwangsverfahren angeordnet werden muss. Die kalte Zwangsverwaltung wird analog den Regelungen über die Durchführung eines Zwangsverwaltungsverfahrens durchgeführt. Der Insolvenzverwalter bestreitet aus den Einnahmen zunächst die objektbezogenen Aufwendungen. Der verbleibende Rest wird nach einem frei zwischen den Parteien vereinbarten Schlüssel teilweise an die Grundpfandgläubiger, teilweise an die Insolvenzmasse verteilt. Der Grundpfandgläubiger verzichtet im Gegenzug auf den ihm möglichen Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung. Der Insolvenzverwalter erhält für die Durchführung eine Vergütung, die häufig sogar über dem liegt, was der Zwangsverwalter hätte beanspruchen dürfen. Die Vergütung des Insolvenzverwalters fließt in die Masse und nicht in das persönliche Vermögen des Verwalters. Allerdings wirkt sich die höhere Teilungsmasse mittelbar auf die Höhe der Verwaltervergütung aus. Bei der „echten“ Zwangsverwaltung erhält die Masse indes gar nichts.
13.3 Teil 3 – Verwertung von Immobilien in der Insolvenz
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Anders als bei der ordentlichen Zwangsverwaltung bleibt bei der kalten Zwangsverwaltung die Zuständigkeit der Insolvenzmasse für die Immobilie sowie für Miet- und Pachtverhältnisse bestehen. Die kalte Zwangsverwaltung kommt immer dann in Betracht, wenn der Schuldner Eigentümer einer vermieteten oder verpachteten Immobilie ist. Dem Grundpfandgläubiger wird durch die kalte Zwangsverwaltung der mit einer „echten“ Zwangsverwaltung verbundene Aufwand erspart. Darüber hinaus wird die Immobilie nicht mit dem „Makel der Zwangsverwaltung“ behaftet. Die Anordnung der kalten Zwangsverwaltung wird in der Praxis regelmäßig mit der freihändigen Verwertung kombiniert. Die kalte Zwangsverwaltung überbrückt dann den Zeitraum bis ein geeigneter Käufer für die Immobilie gefunden ist. Bei einer zwischen Insolvenzverwalter und erstrangigem Grundpfandgläubiger vereinbarten kalten Zwangsverwaltung besteht das Problem, dass nachrangige Grundpfandgläubiger mangels gerichtlichem Zwangsverwaltungsverfahren jederzeit eine Pfändung in Miet- und Pachtzinsen betreiben können. Der BGH hat allerdings entschieden, dass in dieser Fallkonstellation die insolvenzrechtlichen Grundsätze gegenüber vollstreckungsrechtlichen vorrangig zu behandeln sind. Die Pfändung von mithafteten Miet- bzw. Pachtzinsen durch Grundpfandgläubiger verstoße gegen das Vollstreckungsverbot des § 89 InsO. Andernfalls würde den ungesicherten Insolvenzgläubigern Haftungsmasse entzogen, da die Insolvenzmasse für die Unterhaltung der Immobilie weiter aufkommen müsse, aber keinen Zugriff mehr auf Mietbzw. Pachtzinsen nehmen könnte. Grundpfandgläubiger verweist der BGH auf den Weg der Beantragung der Zwangsverwaltung.
13.3.4
Zubehör
Zubehör sind gem. § 97 BGB bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis stehen. Zu beachten ist aber, dass ein räumlicher Zusammenhang nicht zwingend heißt, dass das Zubehörstück auf dem fraglichen Grundstück stehen muss. Auch wenn es nur in dessen Nähe untergebracht ist, kann dem Erfordernis des räumlichen Verhältnisses genügt sein, und sogar eine gewisse Entfernung zwischen dem Grundstück und dem betreffenden Gegenstand schließt die Zubehöreigenschaft nicht aus. Auch die vorübergehende Trennung des Zubehörstücks von der Hauptsache hebt die Zubehöreigenschaft gem. § 97 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht auf. Zubehör fällt gem. § 865 Abs. 1 ZPO, § 20 ZVG, § 1120 BGB in den Haftungsverband der Hypothek und damit auch der Grundschuld. In der Praxis ist daher zu prüfen, ob gem. § 1121 f. BGB eine wirksame Enthaftung der Zubehörstücke erfolgt ist. Liegt eine wirksame Enthaftung vor, so ist stets auch die Anfechtbarkeit der Handlung nach § 129 ff. InsO zu prüfen. Beim Zusammentreffen von Insolvenzverfahren und Zwangsversteigerungsverfahren ist regelmäßig zu prüfen, ob bewegliche Gegenstände als Zubehör in den Haftungsverband des Grundpfandrechts fallen und damit dem Absonderungsrecht unterliegen oder freie Masse sind. Dabei muss beachtet werden, dass der Haftungsverband von Grundpfandrechten relativ weit reicht. Veräußert der Insolvenzverwalter Zubehör an dem ein Absonderungsrecht besteht, entsteht an dem Erlös ein Ersatzabsonderungsrecht. Hier ist zu beachten, dass sich Absonderungsrechte an beweglichen Gegenständen insbesondere auch daraus ergeben können, dass sie Grundstückszubehör sind und damit einem Absonderungsrecht am Grundstück unterfallen. Bei der Verwertung von Zubehör fällt die Umsatzsteuer der Masse zur Last, die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 9a UStG gilt nicht.
1006
13.3.5
13 Insolvenzrecht
Freigabe
Für den Insolvenzverwalter besteht zuletzt auch die Möglichkeit auf die Verwertung zu verzichten und das Grundstück freizugeben. Diese Vorgehensweise bietet sich immer dann an, wenn die Immobilie zu hoch belastet ist und deshalb für die Masse kein Überschuss zu erwarten ist. Die Freigabe kann darüber hinaus in Betracht kommen, wenn das Grundstück kontaminiert ist und eine kostenaufwändige Sanierung der Altlasten von der Behörde gefordert wird. Die Masse kann so von den Kosten einer Ersatzvornahme entlastet werden. Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters bewirkt, dass die Immobilie aus dem Insolvenzbeschlag gelöst wird und der Schuldner die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sie zurück erlangt. Die Immobilie wird mit Wirkung für die Zukunft insolvenzfreies Vermögen des Schuldners. Ein etwaiger Erlös aus der Verwertung der freigegebenen Immobilie durch den Schuldner fließt nicht in die Masse, sondern wird insolvenzfreies Vermögen des Schuldners. Bei der Freigabe liegt kein steuerbarer Umsatz im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor. Es erfolgt keine Leistung des Schuldners an die Masse, er erhält lediglich wieder die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Eigentum zurück.
13.4
Teil 5 – Strukturierte Finanzierung von Immobilien und Insolvenz
Das folgende Kapital befasst sich zum Abschluss mit der Insolvenz im Zusammenhang mit strukturierten Immobilienfinanzierungen. Der Begriff der strukturierten Immobilienfinanzierung ist weit und eine Definition geht über dieses Kapitel hinaus. Es sind im Folgenden nur einige wesentliche und typische Situationen dargestellt. In allen Fällen ist dabei unterstellt, dass der Eigentümer der Immobilie(n) eine Kapitalgesellschaft ist, diese Gesellschaft zugleich der Darlehensnehmer der Finanzierung ist und zuletzt diese Gesellschaft keine anderen wesentlichen Vermögensgegenstände hat und ihr Geschäftszweck im Wesentlichen die Verwaltung und Verwertung der Immobilie ist. Derartige Gesellschaften sind im Folgenden auch als „PropCo“, kurz für Property Company, bezeichnet. Die Bezeichnung steht vor dem Hintergrund, dass bei derartigen Finanzierungen die Vertragssprache häufig Englisch ist und die betreffende Gesellschaft teilweise auch als die PropCo bezeichnet wird. Andere Bezeichnungen können z. B. Borrower oder Obligor sein.
13.4.1
Insolvenzantragspflicht bei PropCos
Das deutsche Insolvenzrecht gilt uneingeschränkt für alle PropCos in seinem Geltungsbereich. Das bedeutet einerseits, dass es kein Sonderrecht für PropCos gibt und die eingangs dieses Kapitels erläuterten Insolvenzantragspflichten (vgl. dazu Ziff. 13.1.1.3) auch für die Geschäftsführer der PropCo gelten. Weiter bedeutet diese Aussage, dass das deutsche Insolvenzrecht, seine Insolvenzantragspflichten und die damit verbundene Haftung auch für ausländische PropCos mit deutschen Immobilien gelten, wenn das COMI in Deutschland liegt (dazu oben Ziff. 13.1.1.2). Beides klingt banal, ist in der Praxis derartiger Finanzierungen aber von erheblicher und oft nicht ausreichend beachteter Bedeutung.
13.4 Teil 5 – Strukturierte Finanzierung von Immobilien und Insolvenz
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Die Insolvenzantragspflicht einer PropCo hängt in aller Regel unmittelbar vom Wert der Immobilie(n) ab. Diese bilden das einzige Vermögen und damit die einzige Haftungsmasse für die Finanzierung. Spätestens, wenn der Wert der Immobilie unter den Darlehensbetrag sinkt, ist die Gesellschaft überschuldet. In englischen Finanzierungen lässt sich dies gut durch den loan to value covenant („LTV“) ermitteln. Ein LTV von mehr als 100, d. h. mehr loan als value, bedeutet in der Regel Überschuldung und Insolvenzantragspflicht. Das gilt unabhängig davon, ob die Immobilie jüngst bewertet wurde oder die Beteiligten, angesichts des erwarteten Wertverlusts, von neuen Bewertungen absehen. Im Falle einer Insolvenz ermittelt nachträglich ein Sachverständiger den Wert der Immobilie und den Zeitpunkt, in dem dieser das Darlehen unterschritten hat. Hier ist es günstiger, den Prozess frühzeitig zu managen, als sich nachträglich zu rechtfertigen. Die Zahlungsunfähigkeit der PropCo tritt in der Regel später und meist mit Fälligkeit der Finanzierung ein. Dieses einschneidende Ereignis ist den Beteiligten meist bewusst, so dass der Eintritt des Insolvenzgrundes nicht unbemerkt bleibt. Sowohl die Überschuldung als auch die Zahlungsunfähigkeit können häufig durch entsprechende Vereinbarungen zwischen den Beteiligten, konkret zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer, d. h. PropCo, überwunden werden. Dies erfordert meist eine Stundung fälliger Verbindlichkeiten sowie qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarungen für Teile des Darlehens. Teilweise reichen auch Vereinbarungen über die geordnete Abwicklung der PropCo aus.
13.4.2
COMI
Bei grenzüberschreitenden Strukturen bleibt häufig unbemerkt, dass deutsches Insolvenzrecht anwendbar ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die PropCo eine Gesellschaft ausländischen Rechts ist, im Ausland in den Registern eingetragen ist und ggf. auch Geschäftsführer aus diesem Land hat. In diesem Zusammenhang denkt nicht jeder Beteiligte daran, dass deutsches Insolvenzrecht mit seinen Insolvenzantragspflichten Anwendung findet, wenn der COMI in Deutschland ist. Bei vielen Marktteilnehmern ist schon das rechtliche Konzept des COMI unbekannt. Soweit es bekannt ist, kommt es dann zum Teil noch zu einer rechtsfehlerhaften Ermittlung des COMI im konkreten Fall. Vgl. hierzu im Einzelnen die Darstellung oben bei Ziff. 13.2.5.1.
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13 Insolvenzrecht
Literaturverzeichnis zu Kap. 13 Andres/Leithaus/Dahl: Insolvenzordnung, 2. Auflage, München, 2011. Gottwald: Insolvenzrechtshandbuch, 4. Auflage, München, 2010. Kindler/Nachmann: Handbuch Insolvenzrecht in Europa, München, 2010. Kirchhof/Lwowski/Stürner: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage, München, 2008. Schmidt: Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage, München, 2012. Uhlenbruck: Insolvenzordnung, 13. Auflage, München, 2010.
Sachverzeichnis A Abbuchungsermächtigung 432 Abgeltungsteuer 607 Abgesonderte Befriedigung (Insolvenz) 916f. Abkürzung, formularmäßige 281 Ablehnung der Baugenehmigung 285 Ablösungsrecht 902, 908 Abnahme 291, 295–298, 305, 309–311, 315, 318–327, 330f., 335f., 341, 344–348 Erfüllungswirkung 315, 319 Vorbehalt 323f. Abnahmefiktion 318, 322–324 Abnahmeprotokoll 245, 321f., 324 Abnahmeverweigerung 322f. Abrechnungsperiode 548 Abschlagsrechnung 272 Abschlagszahlung 272, 305, 307, 309–313, 316, 320, 347 Abschlussbereitschaft 469 (Perioden-)Abschnittsbesteuerung 596 Absonderungsrecht 985 Abstandsübernahme-Baulast 117 Abstraktionsprinzip 899 Abwendungsvereinbarung 99 Ad-hoc-Publizitätspflicht 931f., 970, 972 AIFM-Richtlinie 928, 935, 951, 953 AIFM-Umsetzungsgesetz 935f., 953 Aktiengesellschaft 942 Aktiengesetz 965 Aktiengesetz (AktG) 973 Akzessorietät (Hypothek/Grundschuld) 879, 903 Akzessorietät (Zinsanspruch) 870 Alleinauftrag 474f. einfacher 474 qualifizierter 474 Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) 294, 300, 491f., 522 Anwendung 491 Unklarheiten 238 Allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) 300 Allokationseffizienz 927 Altersrenten 653 Altlasten 448 Amortisierung 378 Anbau-Baulast 117
Anfechtung 478 Anfechtungsfrist 380, 547 Angemessenheit von Erwerbsausgaben 597 Ankaufsoption 395 Ankaufsrecht 167, 190, 395 für den Leasinggegenstand 191 Anlageberatungsvertrag 949 Anlegerschutz 926f., 946, 969 Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz 935, 945 Anschaffungskosten 549 Anscheinsvollmacht 299 Anspruch auf Herausgabe 454 auf Sicherheitsleistung 274 Anteil, ideeller 166 Anteilsübertragung 161 Antragsgrundsatz 163 Anwaltskosten 504 Anwartschaftsrecht 167, 186 Arbeitsgemeinschaft (ARGE) 296 Architekt 251 Architekten- und Ingenieursvertrag Auslegung 278 Formvorschrift 255 Frage des Einzelfalles 278 keine Vereinbarung der VOB/B 289 stillschweigender 255 Umfang 256 Architektenbindung 252 Architektenhaftung Bausummenüberschreitung 33 Fehler im technischen Bereich 33 Architektenvertrag 32 Leistungsbild 33 Architektenvollmacht 298, 319 originäre 298 Architektenwerk 279 Arglist 344–346 Art der baulichen Nutzung 60 Auffangtatbestand 282 Aufhebung und Erlöschen des Erbbaurechts 213 Aufhebungsvertrag 872 Aufklärung, fehlende 262 Aufklärungspflicht 497, 860 Auflagen 279
1010 Auflassung Angabe des Gemeinschaftsverhältnisses 186 bedingte oder befristete 186 mehraktiges Rechtsgeschäft 185 zweifelsfreie Bezeichnung 186 Auflassungsvormerkung 231, 357, 367, 546 auflösende Bedingung 196, 478 Aufrechnungsbefugnis 433 aufschiebende Bedingung 196 aufschiebenden Bedingung 478f. Aufsichtspflicht, erhöhte 286 Aufteilungsplan 355 Auftrag und Auftragsumfang 255 Auftragserteilung 260 Aufwand, übermäßiger 285, 288 Aufwendung 315f., 330f., 335f., 338, 342f. ersparte 315f., 335 frustrierte 342 vergebliche 331, 342 Ausführungsplanung 272 Ausgleich 66, 70, 88 Ausgleichsanspruch 449 Ausgleichsbetrag 99 Ausgleichsanspruch 442, 449f. Ausgleichsmaßnahmen 121 Auslagen 495 Auslegungsmethoden 582 Auslobungsverfahren 139 Ausnahmetatbestände 396 Ausschreibungspflicht 126 Außenbereich 61f., 65, 72, 106 Außenbereichs-Bausatzung 96 Außensteuergesetz 591 Außenwerbung 109 Aussonderung 918 Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters 982 Auszahlungsvoraussetzungen 174 B BaFin 969, 972f. Bankgeheimnis 870, 875, 895 Bargebot 914 Barkaution 410 Baseler Eigenkapitalvereinbarungen (Basel II und III) 933 Bauabnahme 319 Bauabteilung 254 Bauantrag 62, 112 Bauarbeit 296, 307 Bauaufsichtsbehörde 112, 118, 124 Bauaufsichtsfehler 286 Bauauftrag 136 Bauausführung 113, 284 Baubeschreibung 240
Sachverzeichnis Baubetreuer 228, 232 Baubetreuung 227 Baudarlehen 855 Baufinanzierungsmittel vorrangige 274 Bauforderungssicherungsgesetz 855 BauFordSiG 855 Baufortschritt 232 Baugeld 855 Baugenehmigung 111, 113, 231, 277 Baugesetzbuch (BauGB) 27, 56 Bauherr 248 Bauherrengemeinschaft 248 Bauherrenmodelle 228 Bauinhalt 299 Baukonzession 139 Baukostenüberschreitung 287f. Bauland 66 Baulandsachen 122 Baulast 118 Baulastenverzeichnis 116, 119 Bauleistung 294–296, 298, 300–302, 304, 307, 309, 324f., 327, 337 Bauleitplan 74 vorbereitender 64 bauliche Maßnahmen 359 bauliche Nutzung 61 bauliche Veränderung 377 Baumaßnahmen 69 Baunebenkosten 264 Baunutzungsverordnung (BauNVO) 61, 66 Bauordnungsrecht 27, 101 Bauplanungsrecht 7, 27, 65 Bau-Projektmanagement 24 Projektleitung 29 Projektsteuerung 29 Baurecht 294, 296, 308, 319, 322 öffentliches 294 privates 294, 296, 319, 322 Bausoll 299 Bauspardarlehen 12, 856 Bausparkassengesetz 856 Baustellenverordnung 560 Bausummenüberschreitung 33 bautechnischen Einheit 544 Bauträger 67, 228–236, 239–246, 258, 358, 365, 375f., 383, 464, 497, 528 Bauträgerschaft 228, 235 Bauträgervertrag 234–236, 311 Bauunternehmer 33 Bauvertrag 33 Auftragsarten 34 Bauvoranfrage 62, 91, 125, 256, 279, 284 Bauvoranfrageverfahren 113 Bauvorbescheid 63
Sachverzeichnis Bauvorhaben 61f., 65, 121 begünstigte 107 Bauvorlagen 112 Bauwerk 195, 198, 295f., 299, 303, 306, 308, 319, 321, 334, 337f., 340, 345–348 Bauwünsche 278 Budget 278 seines Auftraggebers 278 Bauzeitenplan 286 Beaufsichtigung 286 Bebaubarkeit 60, 102 Bebauungsplan 64, 67, 82, 95, 98 Ausnahmen und Befreiungen 67 Beschluß 83 Geltungsbereich 67 qualifizierter 96 vorhabenbezogener 69, 96 Beendigung des Erbbaurechts 212 Beendigung des Insolvenzverfahrens 986 Befugnis zum Vorkauf 190 Beihilfen 145 Beitragsrückstände 368 Belege 530, 543 Beleihung von Erbbaurechten 210 Beleihungsgrenzen 882 Beleihungswert 10 Bemessungsgrundlage 173 Beratung 29 Beratungspflicht 860 Beratungspflichten 496 Beratungsvertrag 932f. Berechnungsverordnung, Zweite 18 Bereitstellungsprovision 870 Berichtstermin 985 Berufsordnung 516, 519 Berufszulassungsregelung 229 Beschaffenheitsvereinbarung 287 Beschlagnahme 886, 913, 916 Beschlüsse 359–361 Beschlussfassung in der Gemeinschaft 362 beschränkte persönliche Dienstbarkeit 415, 436 Besondere Vertragsbedingungen (BVB) 297, 304 Bestandskarte 94 Bestandsverzeichnis 94 Bestandteil 883 Bestandteile fest verbundene 172 wesentliche 172 Zubehör 172 Bestätigungsschreiben 466 Bestellung des Erbbaurechts 213, 215 Besteuerungsgrundsätzen 574 Bestimmtheitsgrundsatz 163 Betriebsaufspaltung 816
1011 Betriebskosten Erläuterungen 541 Verordnung 23, 406 Betriebsvermögen 16f., 39 Beurkundung 298 Änderungen 237 Funktionen 165 Vollständigkeit 237 Beurkundungszwang 165–167, 395 Beweislast 189, 310, 319, 321, 328, 343, 419, 421, 426, 452 Bewertung 8 Bewertungsgesetz 743 Bewilligung, einseitige 162 Bewilligungsgrundsatz 162 Bezugsurkunde 238 Bietergemeinschaft 296 Bieterstunde 914 Bindungsfrist 474 Bindungswirkung 64, 69, 191, 548 Boden- und Grundwasserverhältnisse 278 Bodenkredite 856 Bodennutzung 75 Bodenrichtwert 10 Bodenverunreinigung 182f., 448 Börsenaufsichtsbehörde 972 Börsengesetz 928 Börsengesetz (BörsG) 973 Börsenordnungen (BörsO) 929 Brandschutz 365 Briefgrundschuld 898 Briefhypothek 905 Buchführung 525 Buchführungspflicht 464 Buchhypothek 905 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 942, 949 Bundesbaurecht 27, 60, 121 Bundesbodenschutzgesetz 448, 559 Bundesnaturschutzgesetz 27, 51 Bürgerbeteiligung 81 Bürgschaft 310, 325f., 411, 414, 562 Bankbürgschaft 307 Gewährleistungsbürgschaft 325 Vertragserfüllungsbürgschaft 326 BV, II. 18 C Centre of main interest 992 Closed-End-Prinzip 953 COMI 992, 1007 Company Voluntary Arrangement 993 Corporate Real Estate Management 38 Immobilienbereitstellung 38 Immobilienbewirtschaftung 39 Immobilienverwertung 39
1012 covenants 865, 869 CVA 993 D Dachundichtigkeiten 290 Dachverbandes Deutscher Hausverwalter e.V. 515 Darlehen grundpfandrechtlich gesichertes 12 Daseinsvorsorgeleistung 148 Dauernutzungsrecht 381, 436f. Dauerwohnrecht 352, 381, 436 Debt to equity swap 988 De-minimis-Beihilfe 150 Denkmalschutz 27, 109 Depotbank 946 Detailpauschalvertrag 303 Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) 301 Deutscher Verband der Projektsteuerer (DVP) 30 Dienstbarkeit 116, 161, 164, 381, 421, 435f. Dienstleistungsauftrag 138 Dienstleistungskonzession 136 Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungselementen 248, 254 DIN 69901 29 dingliche Einigung 174, 183, 185, 187, 190, 355 dinglichen Rechte 163f., 181 DIN-Normen 110 Directors’ Dealings 970 Disposition 485, 491, 493 dispositives Recht 463 Distributionspolitik 19 Distributionssysteme 19 Doppelausgebot 998 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) 581 Doppeltätigkeit des Maklers 21 Drei-Schichten-Modell 660 Dritte Störungen 420 drohende Zahlungsunfähigkeit 981 Druckzuschlag 327 Dualismus der Einkünfteermittlung 600 Duldungsvollmacht 299 Durchführungsvertrag 68, 83 Durchschnittssteuersatz 615, 618 DVP 30 E Effizienz, institutionelle 927 Effizienz, operationale 927 Ehegatten Vermögen im Ganzen 188
Sachverzeichnis Ehegattensplitting 673 Eigenbedarfskündigung 440 Eigengeschäft 475 Eigenleistungen 541 Eigentümer 112 Eigentümererbbaurecht 195 Eigentümergemeinschaft werdende 357, 546 Eigentümergrundschuld 898 Eigentümerversammlung 545 Eigentümerverzeichnisse 162 Eigentumsförderung 227 Eigentumsübertragung 168 Eigentumsübertragungsvormerkung 356 Eigentumsvermutung 452 Eigentumsverschaffungsvormerkung 174 Eigentumsvorbehalt 451 Eigentumsvormerkung 174 Eigentumswechsel 367 Eigenüberwachung 283 Eigenverwaltung 987, 990 Einberufungsmängel 545 Einheit feste körperliche 393 rechtliche 168 Einheitspreisvertrag 299f., 303–305, 315 Einheitswert 10 Einheitswille der Vertragsparteien 395 Einkaufszentren 539 Einkommensermittlung synthetische 596 Einkommensteuer 16 Einkommensteuerpflicht persönliche 590 Einkunftsarten betriebliche 595 Einladung 379 einseitige Erklärung 416 Einstellung der Zwangsversteigerung 998 Einsteuersystem 569 einstweilige Anordnung 120 einstweiligen Verfügung 429, 431 Eintragung Eintragungsbewilligung 162 Eintragungsgrundsatz 162 Einwendungsdurchgriff 877 Einwilligung 170 Einzahlungs- und Auszahlungsrechnung 548 Einzelwirtschaftsplan 548 Einziehungsermächtigung 536 Emission 930 Emissionsbegleiter 968 Emittentenhaftung 970 Enteignung 95, 99 Enthaftung 885 Entry Standard 931
Sachverzeichnis Entschädigung 92 Entwicklungssatzung 98 Entwicklungsträger 99 Entwicklungsvermerk 98 Erbbaurecht 118, 161 Erbbaurechtsvertrag 238, 240 Erbbauvertrag 207 Erbbauzins 204f. Erbschaftsteuer 780 Erfolg 279 geschuldeter 278, 284 Erfüllungsanspruch 186, 419, 475 Ergebnis von Ausschreibung und Vergabe 272 Erhaltungsaufwand 17 Erhöhungsklauseln 241 Erläuterungsbericht 63 Erlöschen, Aufhebung des Erbbaurechts 216 Ermessensausübung 560 Ermessensspielraum 402 Eröffnungsbeschluss 984 Erschließung 95, 99 Beiträge 95 Maßnahmen 69 Ersterwerber 358 Ertragsteuer 16 Ertragswertverfahren 10f., 941 Erwerberhaftung 361, 368 Erwerbervertrag 365 Erwerbsverpflichtung 167 ESUG 982 EuInsVO 991 Existenzminimum kulturelles 616 ex-post-Betrachtung 286 F Facilities Management 24, 35 operatives 35 Outsourcing 36 strategisches 35 Fälligkeit 305, 308, 311, 327f., 337 Leistung 327 Vergütung 295, 305, 320 Fälligkeitsvoraussetzung, tatsächliche 175 Fälligkeitszinsen 305 Feasibility Analysis 28 Fernkommunikationsmittel 465 Fertigstellungstermin 244 Festgeldgeschäft 932 Festpreis 241 Feststellung zur Insolvenztabelle 985 Finanzierung 11 Finanzierung über den Kapitalmarkt 924 Finanzierungsbestätigung 243 Finanzierungsfunktion 574
1013 Fixgeschäft 332 Flächen, landwirtschaftliche 174 Grundstücksgrößenüberschreitung 174 Flächennutzungsplan 64, 120 Erläuterungsbericht 64 Geltungsbereich 67 Genehmigung 82 Folgemangels am Bauwerk 280 Folgeschäden 423 Förderdarlehen 859, 876 Forderungsanmeldung 984 Forderungssicherungsgesetz (FoSiG) 302, 306 Form, notariell beglaubigte 170 Formularklausel 496 Formularvertrag 408 Formulierungshilfen 481 Freigabe aus der Insolvenzmasse 1006 freihändige Verwertung 1000 Freistellungsvereinbarung 1003 Fremdgrundschuld 898 Fremdkonto, offenes 525, 536 Fremdvertrieb 20 Frist 295, 313f., 317f., 322f., 332, 335, 337, 345, 347f. angemessene 295, 313, 317f., 322, 332, 335, 337 Fristeninkongruenz 945 Fristsetzung, keine vorherige 280 Frostschäden 528 Fünftelungsregelung 628, 631 G Garagenstellplatz 355 Garantie 344 Gebietskörperschaft 129 Gebrauch 390 unentgeldlich 390 Gebrauchsregelung 353 Gebührentatbestände 278 Gefahrübergang 180 GEFMA 35 Gegenüberstellung der Aufwendungen/Kosten 288 Gegenzeichnung, verspätete 261 Gemeinschaftseigentum 353, 355 Gemeinschaftseigentums Nutzung des 359 Gemeinschaftsordnung 356–359 gemischte Nutzung 391 Genehmigung 82, 170, 174, 230 genehmigungsfreie Vorhaben 58, 111 Genehmigungsverfahren, vereinfachtes 58, 111 Generalklausel 502 Generalübernehmer 34
1014 Generalübernehmervertrag 236 Generalunternehmer 30, 34, 257 Generalunternehmervertrag 228, 236 Gerichtsvollzieher 456 geringstes Gebot 997 Gesamterbbaurecht 195 Gesamtgrundschuld 899 Gesamthandseigentum 160 Gesamthandsvermögen 169 Gesamtrechtsnachfolger 169 Gesamtschuldner 286, 396 Gesamtsteuerlast 617 Gesamtwirtschaftsplan 548 Geschäftsunfähigkeit beschränkte 170 Geschäftsversorgungsvertrag 523 geschlossener Immobilienfonds 37, 247, 249 Gesellschaft bürgerlichen Rechts 169 Gesellschaft mit beschränkter Haftung 942 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) 19 Gewährleistung und Haftung 1001 Gewährleistungsansprüche 32, 283, 375, 419, 423f., 428, 529 Gewährleistungsausschluss 424 Gewährleistungsfrist 280, 283, 289 Gewährleistungspflicht 32 Gewährleistungsrecht 235 Gewährleistungsstadium 235 Gewerbeerlaubnis 228 Gewerbefreiheit 518 Gewerbesteuer 7f., 10, 16, 706 Gewerbesteueranrechnung 712 gewerbliches Mietrecht 438, 539 Gewerbsmäßigkeit 229 Gewinnabschöpfungsklauseln 434 Gläubigerantrag 979 Globalgrundpfandrecht 177 Globalpauschalvertrag 303 Grauen Kapitalmarkts 959 Grenzbetragsteuersatz 615 Grenzsteuersatz 615, 618 Grundbuch 94, 97f., 361 Berichtigung 169 Bestandsverzeichnis 171 Eigentümer 160 Eintragungsvoraussetzungen 187 Erbwerbsgrund 161 gemeinschaftliche Eigentümer 160 Miteigentümer nach Bruchteilen 160 Ordnung 171 Sperre 184 Vermutung der Richtigkeit 187 Grundbucheinsicht berechtigtes Interesse 162 Grundakten 162
Sachverzeichnis Notare 162 Grundbuchordnung 356 Grundbuchrecht 5 Grunderwerbsteuer 18, 769 Grundleistungen 525f. Grundpfandrecht 118 Grundschuld 161 Grundsteuer 8, 17, 764 Grundstückstauschverfahren 94 Grundstücksverzeichnisse 162 Gründungsprobleme 279 Gutachterausschüsse 101 H Haftpflichtversicherung 286 Haftung außervertragliche 289 eigene 282 subsidiär 289 Haftung der Geschäftsführer 980 Haftung des Architekten Bausummenüberschreitung 33 Fehler im technischen Bereich 33 Haftungsbeschränkung 246, 289 Haftungskredit 856 Haftungsrisiken 545, 554 Haftungsrisiko 498 Haftungsverband 882 Handelsüberwachungsstelle 972 Haupteinkunftsarten 595 Hauptpflicht 427 Hauptunternehmer 34 Hauptvertrag 477 Hausgeldabrechnung 543 Haushaltseinkunftsarten private 595 Hausordnung 359, 361, 373 Heimfall 197, 199 Heimfallanspruch 381 Heizkosten Verteilung 407 Heizkostenabrechnung verbrauchsabhängige 406 Heizkostenverordnung 23, 406f., 541, 549 Geltungsbereich 406 Maßstab 407 Vorrang 407 Herstellungsaufwand 17 Herstellungskosten endgültige 272 Hinweispflicht 82 Hinzuziehungsklauseln 471 HKVO 23 HOAI 258 Honorar 264 ergebnisorientiert 270
Sachverzeichnis Vergabe an Generalunternehmer 267 Honorarabschlussrechnung prüffähige 270 Honorarberechnung viergeteilte 264 Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) 32 Honorarschlussrechnung 275 Nachvollziehbarkeit 270 Honorarzone Schwierigkeitsgrad 266 Hypothek 161 I Identitätserklärung 186 Immissionsschutz 109 Immobiliardarlehensverträge 876 Immobilienaktiengesellschaft 38 Immobilienanalysen Basisanalysen 5 Spezialanalysen 5 Immobilienbewertung 8 Verfahren der Wertermittlung 10 Immobilienfinanzierung 11 Immobilieninvestition 14 Immobilienleasing 12 Objektgesellschaft 13 Teilamortisationsvertrag 13 Vollamortisationsvertrag 13 Immobilienlebenszyklus 23 Immobilienmarketing 18 Immobilienökonomie funktionsspezifische Aspekte 4 phasenorientierte Aspekte 23 strategiebezogene Aspekte 37 Immobilien-Portfoliomanagement 37 Immobilienspezialfonds 951 Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) 8, 101 Individualvereinbarung 418, 491 Informationen, Weitergabe von 496 Informationspflicht 230, 496 Inhaltskontrolle 182, 491f. In-House-Vergabe 135 Initiator 248 Innenbereich 104 Innenbereichs-Erweiterungssatzung 96 Insolvenzanfechtung 995 Insolvenzantragspflicht 980 Insolvenzordnung 553, 556 Insolvenzplan 987, 990 Insolvenzplanverfahren 987 Insolvenztabelle 984 Insolvenzvermerke 161 Instandhaltung 425 vorsorgende 378
1015 Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen 379, 425, 526, 530, 554 Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten 426 Instandhaltungsrückstellung 547f. Instandsetzung 425 modernisierende 377 institutionalisierter Interessenkonflikt 500 Institutionelle Anleger 931 Interesse berechtigtes 6, 119, 162f., 391, 434f., 437, 439f., 442, 546 Interessenkollision 529 Interessenvertreter 461 interkommunale Zusammenarbeit 136 Investition 14 Investment-Dreieck 937 Investmentgesetz 936 Investmentgesetz (InvG) 929 Investmentsteuergesetz (InvStG) 935 Ist-Masse 985 J Jahresabrechnung 369, 543, 547 K kalte Zwangsverwaltung 986, 1004 Kapitalbeteiligung 500 Kapitalgesellschaft 39 Kapitalvermögen 580 Kappungsgrenze 537 Kaskadensystem 127 Kaufmann 232 kaufmännische Verwaltung 526 Kaufrecht 235 Kaufvertragsrecht 22 Kausalzusammenhang 487 Kettenauflassung 186 kick-backs 949 Kinderleistungsausgleich 674 Klausel 301, 310 überraschende 301 Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit 239 ohne Wertungsmöglichkeit 238 Klauselwerk, vorformuliertes 301 Kleinkinderspielplatz-Baulast 117 Kleinreparaturen 427 Knebelung 868 Kommissionsgeschäft 932 Kommunikationspolitik 18 konkludentes Verhalten 467 Konkurrenzschutz formularmäßige Kombination 429 Hauptsortiment 428 räumliche Weite 428
1016 Unterlassen 429 vertragsimmanenter 428 Konkurrenzsituation 429 Konsensprinzip, formelles 162 Konsortialdarlehen 859 Kontrahierungspolitik 21 Kontraktmarketing 19f. Koordinierung 285 Körperschaftsteuer 16, 592, 678 Kosten einer Hausverwaltung 541 nach Leistungsphasen 267 Kosten und Lasten 355 Kostenanschlag 271 Kostenberechnung 271 Kostenbereich Pflichten 289 Kostenermittlungsverfahren nach DIN 276 270 Kostenerstattungsbeträge 70 Kostenerstattungssatzung 70 Kostenfeststellung 272 Kostenfortschreibung 272, 287 Kostengrenze 287 Kostenkontrolle 254, 272, 287 Kosten-Nutzen-Analyse 378 Kostenrahmen 278, 287f. kein Toleranzspielraum 287 Kostenschätzung 287 Kostenschuldner 188 Kostensteigerungen 287 Kostenüberblick 287, 289 Kostenüberschreitung 316 Kostenverteilungsschlüssel 357, 549 Kostenvorschuss 336 Kreditwürdigkeit 860 Kündigung 418 außerordentliche 435, 438 befristete 439 Formvorschrift 438 fristlos 431 fristlose 430, 438 Termin 438 vorzeitige 434 Kündigungsschutz bei Wohnraummietverhältnissen 440 L Landesbauordnungen 27, 57, 60, 62 Lästigkeitsprämie 1003 Leasing 12, 391 Lebenszyklus der Immobilie 23 Legalitätsprinzip 163 Leistung erbrachte 274 geistige 253, 280
Sachverzeichnis wirtschaftlich-kostenmäßig einwandfreie 287 Leistungsänderung 304 nachträgliche 304 Leistungsbeschreibung 297, 300, 303f., 343 fehlerhafte 337 standardisierte 300 unklare 299 unvollständige 299 Leistungsbilder 265, 267 Leistungserbringung haftunsrechtlich 279 Leistungsfähigkeit steuerliche 576 Leistungsgefahr 320f. Leistungspflichten 278 des Architekten und Ingenieurs 287 Leistungsphasen 267, 277 Leistungsübertragung 467 Leistungsverweigerungsrecht 309, 327, 333, 347 Leistungsverzeichnis 299f., 303, 315 Leistungsvorbehaltsklauseln 400, 402 Leitungs-Baulast 117 Lieferauftrag 137 Loan to value 1007 Locusprinzip 881 Löschung 176 Löschungsbewilligung 175, 436 Löschungsunterlagen 175 M MaBV 20, 464 Mahnbescheid 558 Mahnung 319, 328f., 333 Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) 20, 228f., 295, 464 Makleralleinauftrag 21 qualifizierter 21 Maklersuchauftrag 472 Maklervertrag 20 Auftragsformen 21 Vergütung 20 Mangel 295, 305f., 310, 314, 319–325, 327, 332–347 Architektenwerk 286 Sachmangel 421 Schönheitsmangel 334 Subjektivität 421 unwesentlicher 310, 319, 322, 337 Mängel 32, 82, 182, 245f., 255, 283, 286, 290, 365, 374, 376, 383, 412, 419–421, 423f., 428, 478, 485, 499, 516, 529 Mangelfolgeschaden 334 Market-economy-investor-Test 147 Massebeitrag 1002
Sachverzeichnis Massekostenbeitrag 1002 Masseunzulänglichkeit 983 Masseverbindlichkeit 986 Maßnahmenverträge 87 Mehr-/Minderkosten 272 Mehrfachverwendung einer Planung 262 Mehrhausanlagen 547 Mehrheitsbeschluss 372 Mehrkosten 278f. Mehrwertsteuer 543f. Meistgebot 215 Mengenansatz 305 Überschreitung 305 Unterschreitung 305 Mezzanine Kapital 724 Miet-/Pachtverhältnisse 1004 Mietbürgschaft 413 Mieterhöhung 15 Mieterschutz 391 Mietminderung 397, 422 Mietpreisbindung 23 Mietpreisüberhöhung 15, 23 Mietrecht 23 Mietsicherheit 397, 410–412 Mietspiegel 538 Mietsteigerung 23 Indexierung 16 Staffelmietvereinbarung 15 Mietvertrag Abschluss 392 Mietwucher 15, 23 Mietzins 535f., 557 Minderung 181, 246 Mindestbesteuerung horizontale 611 vertikale 611 Mindestsätze 261f. Mindestsatzfiktion 261 Miteigentumsanteil 356 Mittelsatz 260 Mitursächlichkeit 482 Modernisierung 537 Musterverträge 526 N Nachbarrecht 28 Nachbarschutz 61, 63, 123 Nachbesserung 245 Nachbesserungsanspruch 235 Nacherbschaft 161 Nacherfüllungsanspruch 279 Nachmieterstellung 397 Nachprüfungsverfahren 126 Nachtrag 394 Nachunternehmer 34, 295, 306 Nachweis der Gelegenheit 470
1017 Nachweismakler 469 Naturschutz 27 Nebenabreden 168 Nebeneinkunftsarten (subsidiäre) 595 Nebenkosten 23, 273 abschliessende Formulierung 407 besondere Vereinbarung 406 zweite Miete 406 Nebenkostenabrechnung 409 getrennte 410 Guthaben 410 Nachzahlung 410 Nebenkostenvereinbarung 408 Nebenpflichten 281, 495, 523 Nettoprinzip 597 Neutralität 472 nicht offenes Verfahren 142 Nichtabnahmeentschädigung 870 Nichtplanung erforderlicher Details 284 Niederschrift 379 Nießbrauch 161 Normenkontrollantrag 120 Normenkontrollverfahren 121 notarielle Beurkundung 90, 236f., 355, 395, 436 Notarkosten 209 Notifizierung 146 Notmaßnahmen 366, 371 Null-Kupon-Anleihe 604 Null-Zins-Anleihe 604 Nutzungsbefugnis stillschweigende Übertragung 277 Nutzungsbeschränkung 175, 421 Nutzungsentschädigung 444 Nutzungskonzept 32, 461 O Objekte, geeignete 472f. Objektgesellschaft 13 Offenbarungspflicht 282 offener Immobilienfonds 37 offenes Verfahren 142 öffentliche Hand 40, 297 öffentlicher Auftraggeber 129, 255, 295, 300, 326 öffentliches Baurecht 27 Open-End-Prinzip 934, 944 Option zur Regelbesteuerung 841 Optionsrecht 167 Ordnungsfunktionen 574 Organisationsverschulden 282 Architekten und Ingenieure 282 organisierter Markt 930 Ortsteile 98, 104
1018 Outsourcing von Facilities ManagementLeistungen 36 P Parallelverfahren 64 Partikularverfahren 991 Pauschale 410 Pauschalpreis 241 Pauschalpreisvertrag 303–305, 310, 315f. Personalkredit 12 Phasen der Immobilienentstehung und nutzung 23 Planerhaltung 85 Planlieferung, verspätete 286 Planung 273 dem Vertrag entsprechende 284 genehmigungsfähige 279, 284 riskante 285 wirtschaftlich-kostenmäßig freie 285 Planungs- und Bauaufsichtsfehler 290 Planungsfehler 284 Planungshoheit 72 Portfoliomanagement 37 positive Vertragsverletzung 431 Preis Festpreis 172 variabler 173 Preisklauselgesetz 206 Preisrecht, zwingendes 260, 262 Preisverhandlungen 477 Prepacked plan 988, 990 Primärmarkt 930 Primärrechtsschutz 144 Privatanleger 931 Privatvermögen 16 privilegiertes Vorhaben 106 Probeabstimmung 546 professionelle Anleger 933 Progressionsvorbehalt 590 Projektentwicklung 24 Ausgangssituationen 25 Projektkonzeption 28 Projektmanagement 29 Projektleitung 29 Projektsteuerung 29 technisch-juristisches 255 Projektmittler 85 Projektsteuerer 254 Projektsteuerungsvertrag 29 Einordnung in Dienst- oder Werkvertragsrecht 32 Leistungsbeschreibung 29 Projektvermarktung 18, 24 PropCo 1006 Prospekte 249
Sachverzeichnis Provisionsanspruch 20 Entstehen 464 Provisionsversprechen erfolgsunabhängiges 475 Prüfbarkeit der Honorarrechnung 270 Public Real Estate Management 40 Budgetierung 41 Publikumsfonds 943, 955 Publizitätsgrundsatz 6 Q Qualitätskontrolle 283 Quellensteuer 592 Quorum 545 R Rangstelle 184, 196 Raumordnung Plan 74 Raumordnungsgesetz (ROG) 73 Verfahren 75 Realkredit 12 Reallast 161, 204 Recapture-Regelung 580, 609 Rechnungslegung 379 Rechnungslegungspflicht 530 Rechtsberatung, bauvorbereitende und baubegleitende 29 Rechtsbesorgung unerlaubte 254 Rechtsformbelastungsvergleic 719 Rechtsmangel 181, 421 Rechtsmittelrichtlinien 128 Rechtssicherheit 163, 185 Rechtsverordnungen 57f. Rechtzeitigkeitsklausel 556 Regeln der Technik 300, 331, 342 REIT-AG 964–968 REIT-Gesetz 965 Renditesteuerkeil 645 Rentenschuld 161 Reverse-Charge-Modell 777 Risikoanalyse 28 Rückkaufwert 951 Rücknahme des Insolvenzantrages 984 Rückschlagsperre 985 Rücksichtnahmegebot 102 Rücktrittsrecht 166f., 197 Rückwirkung echte 576 im Immobilienbereich 578 steuerliche 576 unechte 576 Rückwirkungs-Problemfälle 580
Sachverzeichnis S Sachherrschaft 530 Sachmängel 181 außerhalb 420 unmittelbare 420 Sachverständige der Gutachterausschüsse 9 freie 8 öffentlich bestellte und vereidigte 9 Sachverständigenausschuss 941 Sachwalter 987, 990 Sachwertverfahren 10f. Sanierungsgebiet 97 Sanierungssatzung 97 Sanierungsvermerk 97 Satzung 82 Schäden, versicherte 289 Schadenersatzanspruch 431 Schadensersatz 246, 290, 308, 328f., 331, 334–336, 338–343, 429 in Geld 280 wegen Nichterfüllung 420, 423 Schadensersatzanspruch 184, 262, 277, 280f., 475, 496 Schallschutz 365 Scheinvertreter 299 Schemes of Arrangement 993 Schiedsgericht 518 schlüsselfertige Herstellung 296 Schönheitsreparaturen 427 Schornsteinhypotheken 1003 Schriftform 90, 118, 298, 318, 344, 392, 395, 416 Schriftformerfordernis 466 Schrottimmobilien 861 Schuldrechtsreform 302 Schuldübernahme 179 Schuldzinsenabzug privater 667 Schutzpflicht 321 Schutzschirmverfahren 990 schutzwürdiges Vertrauen 264 Schwellenwerte 126 Sektorenkoordinierungsrichtlinie 127 Sekundärmarkt 930 Sekundärrechtsschutz 144 Sekundärverfahren 991 Selbstauskunft 533 Selbstbindung 286 Selbsthilferecht 444 selbstständiges Beweisverfahren 383, 443, 529 Selbstvornahme 246 Servicegesellschaften 373 Shareholder Value 37 Sicherheits- und Gesundheitskoordinator 560
1019 Sicherheitsleistung 274 Sicherung 307–309, 326 Vergütung 305, 309 Werkleistung 325 Sicherungsabrede 892 Sicherungshypothek 243, 910 Sicherungspflichten 230 Sicherungsübereignung 451 Sicherungszweck 413 Skonto 313f. Skontoabrede 313f. Skontoabzug 313f. Software 526 Soll-Masse 985 Sondereigentum 353, 355 Einräumung des 354 Sonderfachleute 33, 284 Sonderkündigungsrecht 434f., 437 Sonderleistungen 527 Sonderumlagen 367 Sondervermögen 934, 937 Sortiment 539 Sowiesokosten 336 sozialer Mieterschutz 391 Spannungsklausel 403 Spekulationsfristen 579 Sperrkonto 326 Spielplatz 110 Spitzensteuersatz 619 städtebauliche Entwicklung 72, 75 städtebaulicher Entwicklungsbereich 93 städtebaulicher Vertrag 88, 125 Standortanalyse 5 Stellplatz-Baulast 117 Steueraufkommen 570 Steueraufteilung 573 Steuergerechtigkeit 575 Steuerkeil 645 Steuermesszahl 8 Steuersatzeffekt 603 Steuerstundungsmodelle 648 Steuervorteile 247 Stimmrecht 358, 546 Stimmrechtsregelung 359 Stockwerkseigentum 352 strukturierte Immobilienfinanzierungen 1006 Stufendurchschnittssatztarif 783 stufenweise Beauftragung 256 Subsidiarität 596 Subsidiaritätsklausel 246, 289 Substanzsteuern 17 Subunternehmer 34, 294f. Supermärkte 428 Symptomtheorie 333
1020 T Tagesordnung 545 Teilabnahme 245 Teileigentum 352 Teilfläche 171 Teilkündigung 440 Teilungserklärung 354 Teilungsversteigerung 190, 998 Teilzahlungen 410 Tempusprinzip 881 Termin- und Kostenkontrolle 254 Testamentsvollstreckerzeugnisse 162 Testamentsvollstreckung 161 thin capitalization 725 Totalunternehmer 34 Transparenzgebot 407, 523 Transparenzprinzip 676 Trennprinzip 677 Trennungsgrundsatz 860 Trennungsprinzip 899 Treu und Glauben 483, 486, 492 Treuepflicht 498 Treuhandauflagen 175 Treuhandbau 229, 234 Treuhänder 248 fremden Vermögens 525 Treuhandkommanditist 249 Treuhandkonto 174 treuwidrige Verwendung von Geldern 528 Typenzwang 163 U Übererlösabrede 498 Übergabeprotokoll 419, 442, 535 Übernahme 176 Übernahmeprinzip 914 überraschende Klauseln Unwirksamkeit 238 Überschuldung 981 Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten 599 Übersicherung 868 Übertragung 208 Übertragung des Erbbaurechts 213, 215 Übertragung, bedingte Verpflichtung 190 Überwachung, stichprobenartige 286 Umlaufbeschlüsse 360 Umlegung 93f. Masse 94 Plan 94 Umlegungsmaßstab 409 bei gewerblichen Mietverhältnissen 409 Ungerechtigkeiten 409 Umsatzbegriff 399 Umsatzsteuer 17, 173, 770, 1002 Umsatzsteuerfreiheit 540
Sachverzeichnis Umsatzsteueroption 404, 842 Umschreibung 179 Umweltschutz 71 Recht 60 unerlaubte Handlungen deliktisch einstandspflichtige 290 unlauterer Wettbewerb 19, 502 Unmöglichkeit 320, 334, 341 unpünktliche Mietzahlung 557 Untererbbaurecht 195 Untergemeinschaften 547 Unterlassung 431 Unternehmensrechtsformen 586 Unternehmer 296f., 299, 301f., 305– 323, 325–347 Unternehmerpfandrecht 308 gutgläubiger Erwerb 308 Verwertungsrecht 308 Unternehmerpreise 272 Untervermietung 396, 433f. Erlaubnis des Vermieters 434 Urkunde der Einheit 393 UWG 19 V VAG 38 VDMA 35 Veränderungssperre 91 Veräußerer 470 Veräußerung 382 Veräußerungsbarriere („lock-in-Effekt“) 624 Veräußerungsgewinne 623 Veräußerungsverbot absolutes 188 rechtsgeschäftliches 164 Veräußerungsverpflichtung 167 Verbot des Selbstkontrahierens 171 Verbraucherschutz 236, 238 Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) 31, 34, 41 Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) 41 verdrängende Dienstbarkeit 436 Vereinbarungsdarlehen 862 Vereinigungs-Baulast 116 Verfassungsrecht 123 Verflechtung 500 Verfügung entgeldliche 169 unentgeldliche 169 Verfügungsbefugnis 181 Verfügungsbeschränkungen 201 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) 127
Sachverzeichnis Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) 127 Vergabekammer 144 Vergabekoordinierungsrichtlinie 127 Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) 127 Vergabevorschlag 272 Vergleich, gerichtlicher 90 Vergleichswertverfahren 10f. Vergütung 20, 295–297, 299, 302–312, 315– 317, 320, 323, 327, 330, 337–339 Arten 303 Herabsetzung 338 übliche 302 Vergütungsgefahr 319–321 Verhalten treuwidriges 263 Verhaltensstörer 560 Verhandlungsverfahren 142 Verjährung 275, 313f., 345–348, 446 Beginn 314, 346, 348 Frist 314, 345–348 Hemmung 347 Verkaufsabsicht 489 Verkaufsprospekt 947 verkehrssicherungspflicht 530 Verkehrssicherungspflicht 289, 515 Besucher 289 Sicherung der Arbeiter 290 Unfallgefahren 289 Verletzung der 528 Verkehrsteuern 17 Verkehrswert 9 Verklammerung 534 Verlängerung bzw. Erneuerung des Erbbaurechts 214 Verlustausgleich horizontaler 639 innerperiodischer 638 vertikaler 639 Verluste echte 636 unechte 636 Vermarktung 18, 24 Vermarktungskonzept 461 Vermieter Risiko- und Verantwortungssphäre 418 Vermieterpfandrecht Eigentum des Mieters 451 Entfernung der Sachen 453 Sachen 450 Vermieterwechsel 538 Vermietungshindernisse 417 Vermittlungsmakler 469 Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) 929, 953, 959
1021 Vermögensanlagen-Informationsblatt 960 Vermögensteuer 17 Versagungsgrund 229 Verschonungsregelungen 788 Verschulden 434 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) 38 Versicherungs-Deckungssumme 289 Versicherungsgesellschaft 38 Versicherungsschutz 286, 288f. Versicherungssumme 289 Versicherungswert 10 Versorgungspflichten 420 Versteigerung, öffentliche 455 Verteilungsmasse 94 Verteilungsschlüssel 543 Vertrag Fristen 286 Vertragsangebot 416 Vertragsbeendigung, vorzeitige 257 Vertragsfreiheit, Grenzen der 406 Vertragsgegenstand 240 Vertragskongruenz 483 Vertragsstrafe 244, 323f., 329, 431 Vertragsstrafen 201 Vertragstypus 234f. Vertretung gemeinschaftliche 171 gesetzliche 170 ohne Vertretungsmacht 170 von Minderjährigen 170 Vertrieb Distributionssysteme 19 Fremdvertrieb 20 Sonderformen 19 Verwalter 359, 371, 383 Berufsbild 523 besondere Leistungen 552 Bestellung und Abberufung 379 Entlastung 550 Grundleistungen 552 Vertretung 546 Verwaltertag, Der Deutsche 516 Verwaltervertrag 522f. Verwaltung Maßnahmen 379 ordnungsgemäße 372 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 984 Verwaltungsakt 560 Verwaltungsanweisung 582 Verwaltungsbeirat 371 Verweisungsklauseln 495 Verwendung von Plänen 277 Verwertung von Immobilien 994 Verwertungsvereinbarung 1001 Verzichtserklärung 175 Verzögerungsschaden 328f.
1022 Verzug 242, 317, 328–330, 337 des Bauträgers 244 Verzugsstellung 417 Vielsteuersystem 569, 585 VOB 31, 34, 41 VOB- Vertrag 336 VOB/A 297, 300, 303f. VOB/B 295, 297, 300–305, 309, 311–315, 317–321, 323–329, 331, 335f., 338f., 342– 344, 347f. VOB-Vertrag 311–313, 315, 317, 319–322, 324f., 328, 330, 335f., 338, 344 VOL 41 Vollarchitektur 253, 256 Vollmacht 298f., 319 Ausfertigung 170 beglaubigte Abschrift 170 beurkundete 170 Vollmachtsbestätigung 174 Vollstreckungsabwehrklage 912 Vollstreckungsklausel 179 Vollzugshindernis 176 Voraussetzungen, organisatorische 283 Vorauszahlungen 410 Vorbehalt 113, 323f., 470 Vordersatz 300, 303 Voreintragungsgrundsatz 163 Vorerbe 169 Vorfälligkeitsentschädigung 179, 872 Vorhaben- und Erschließungsplan 68, 70, 83 Vorhabenträger 67 Vorkaufsfall 481 Vorkaufsrecht 93, 161, 203, 395 dingliches 167, 189 subjektiv-dingliches 189 subjektiv-persönliches 189 Vorkenntnis 487 Vorkenntnisklausel 486 vorläufigen Insolvenzverwalter 982 vorläufiger Gläubigerausschuss 982 vorläufiger Sachwalter 990 Vorleistungspflicht 305f., 309f., 320, 432 Vormerkung 161 Rangverhältnis 184 rangwahrende Wirkung 184 Vorplanung 277 Vorrangsprinzip 163 Vorratsbau 229, 234 Vorratsgold 651 Vorratsteilung 356 Vor-REIT 970 Vorsteuerabzug 404, 540 vorübergehender Stillstand 489 Vorvertrag 191, 479 vorvertragliche Akquisition 255
Sachverzeichnis W Wandelung 376 Wasserschäden 290 Werbungskosten 17 Werklieferungsvertrag 236 Werkunternehmer 258 Werkvertrag 32, 34, 85, 253f., 257, 294, 297, 308, 324, 335, 346 Wertgrenze 140 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) 929 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) 925 Wertpapierhebelfonds 649 Wertpapierprospektgesetz (WpPG) 929 Wertsicherungsklausel 23, 400 Wertsteigerung 35, 37, 279, 288, 509 wesentliche Anlegerinformationen 947 Wettbewerb 502 wettbewerblicher Dialog 142 Widerspruch 122 wirtschaftlichen Gleichwertigkeit 484 Wirtschaftsplan 367, 379, 547f., 562 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStrG) 15, 23 WiStrG 23 Wohngeldrückstände 368, 383 Wohnraummietrecht 23, 391, 397–400, 403, 406, 432–435, 437f., 537f., 543, 555, 557 Wohnraummietverträge 427 Wohnungsbaudarlehen 876 Wohnungsbaugesetz (WoBauG), II. 23 Wohnungseigentum 351 Wohnungseigentümergemeinschaft 357f., 554 Wohnungseigentümerversammlung 358, 379, 545, 550 Wohnungseigentumsverwalter 464, 501, 529 Wohnungsgrundbuch 356 Wohnungsvermittlungsgesetz (WoVermG) 20, 502 Wohnzweck 72 Wucher 867 Wuchertatbestand 15, 23 Z Zahlung Absendung 556 Eingang 556 Zahlungsmodalitäten 242 Zahlungsplan 232, 242 Zahlungsrückstände 367 Zahlungsunfähigkeit 981 Zerstörung einer Mietsache teilweise 426 völlige 426 Zinsschranken-Regelung 731 Zitterbeschlüsse 362f. Zivilgerichtsbarkeit 126
Sachverzeichnis Zubehör 1005 Zufahrts-Baulast 116 zufälliger Untergang 320 Zugang der Annahme 166 zugesicherte Eigenschaft 284, 420 Zulässigkeit der baulichen Nutzung 71 Zurückbehaltungsrecht 181, 243, 432f., 444 Zusätzliche Vertragsbedingungen (ZVB) 304 Zusatztätigkeit 529 Zuschlagsklauseln 434 Zustand der Mietsache 443 Zuständigkeitsregelungen 255
1023 Zustandsstörer 560 Zustellungsvertreter 560 Zwangsversteigerung 167, 190, 215, 352, 360f., 368, 381, 435, 492, 536, 886, 994, 996 Zwangsversteigerungsvermerke 161 Zwangsverwaltung 381, 994, 999 Zwangsverwaltungsvermerke 161 Zwangsvollstreckung 456, 886 Zwangsvollstreckungsunterwerfung 161, 243 Zweitmarkt 950, 964 Zwischenfinanzierung 227