Immanuel Kant: Auswahl [Reprint 2019 ed.] 9783486751345, 9783486751338


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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Von der Schöpfung im ganzen Umfange ihrer Unendlichkeit sowohl dem Raume als der Zeit nach
Vom „Wissen" und von der „Weisheit"
Ankündigung der kritischen Philosophie
Anhang
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Immanuel Kant: Auswahl [Reprint 2019 ed.]
 9783486751345, 9783486751338

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Der

Oreiturmbücherei

Herausgeber: Jakob Brummer, München und Ludwig Hasenclever, Würzburg

91 r. 1

Cticb miet' C'cm Jh'imutiirl'ili'mi' von (^ertheb perl'Irr »ltu« b. j. i

Immanuel Kant (Auswahl)

Zusammengcstcllt eon

Ludwig Haserrelever

München und Berlin 1925 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Vorwort Die Bedeutung Immanuel Kants (1724—1804) für das Geistes­ leben beruht auf der von ihm begründeten „kritischen Philosophie", in der er zwar dem menschlichen Erkennen unverrückbare Grenzen bestimmt, dem menschlichen Handeln aber im Sittlichen und Künstlerischen eine Würde erobert, die schlechthin beglückend ist. Er selbst vergleicht seine Leistung mit der Lat des Kopernikus und hofft in stolzer Zuversicht, daß sie „auf eiuer völlig gesicherten Grundlage ruhend, auf immer befestigt und auch für alle künftigen Zeitalter zu den höchsten Zwecken der Menschheit unentbehrlich sei". Die «eitere Entwicklung der Philosophie hat ihm bis heute recht ge, geben; nur zu eigenem Schaden haben gewisse philosophische Schulen ge­ glaubt, ohne ihn auszukommen oder gar ohne ihn weiterzukommen. Sein 200. Geburtstag hat berufenen Vertretern aller Kulturvölker Gelegenheit gegeben, sich dankbar zu seinem Werk zu bekennen. Aber die „kritische Philosophie" ist „schwel und erschließt sich nur ent­ sagungsvoller Arbeit, die nicht jeder zu leisten gewillt oder befähigt ist. Kant selbst gibt zu bedenken, „daß es eben nicht nötia sei, daß jedermann Metaphysik studiere, daß es manches Talent gebe, welches in gründlichen und selbst tiefen Wissenschaften, die sich mehr der Anschauung nähern, ganz wohl fortkommt, dem es aber mit Nachforschungen durch lauter ab, gezogene Begriffe nicht gelingen will, und daß man seine Geistesgaben in solchem Fall auf einen anderen Gegenstand verwenden mctfft". Gewiß; aber das Bessere soll auch nicht ewig der Feind des Guten bleiben. SS darf nicht sein, daß unser größter deutscher Denker denen ein völlig Unbekannter bleibe, die sich den Schwierigkeiten seiner Hauptwerke nicht oder noch nicht gewachsen fühlen. Kaut hat jedem Gebadeten, er hat vor allem jedem denkenden jungen Menschen etwas zu sagen. Das will die folgende Auswahl erweisen, indem sie zunächst den „Naturkündiger" und den „Aufklärer" zu Motte kommen läßt. Oie ganze zweite Hälfte gehört sodann dem Kritiker. Und zwar soll der Leser auf dem Gebiete der ,Sittenlehre" auch einen Blick in die Liefe der Metavhyflk tun dürfen, während er — dem nächsten Zweck der „Dreiturmbücherei" entsprechend — in der Erkenntnislehre nur bis an die Schwelle geführt wird. („Trans, szendentalismus jeder Att, selbst in seinen leisesten Andeutungen, gehört nicht unter die Gegenstände der Erziehung", sagt mit gutem Grunde kein Geringerer als —- Fichte.) Mehr als Stückwerk kann in einer Auswahl nicht geboten werden und keiner, der diese 75 Seiten gelesen hat, darf sich einbilden, nun „Kant zu kennen". Aber es ist schon etwas gewonnen, wenn der Leser fortan mit dem Namen Kant bestimmte Vorstellungen zu verknüpfen weiß. Oer eigentliche Zweck aber der Auswahl ist dort erreicht, wo der Leser — un, befriedigt durch das Bruchstückhafte des Gebotenen — sich dazu angeregt fühlt, nunmehr ein Ganzes durchzuarbeiten. Die ersten Fingerzeige dazu findet er im Anhang. Würzburg im Dezember 1924.

Dr. Hasenclever

Inhalt Textt nach den Ausgaben bet Recla« (flt) nab Metaer (M).

Der „Raturkündiger": Don der Schöpfung im ganzen Umfange

ihrer Unendlichkeit (R)........................................................................

9

Aus dem Gedankenkreis der „Aufklärung": (M) i. Dom Missen" und von der Meisheit".....................................24

su Beantwortung der Frage: Mas ist Aufklärung" ....

29

3. Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht

36

Aus der „kritischen Philosophie": (R)

1. Ankündigung derDernunftkritik.................................................... 50 2. Don den Ideen überhaupt.............................................................. 56 3. Das Sittengesetz................................................................................60 4. Aus dem Grenzgebiet der Ethik und der Ästhetik .... 73

Anhang

.................................................................................................................81

Von der Schöpfung im ganzen Umfange ihrer Unendlich­

keit sowohl dem Raume als der Zeit nach. Das Weltgebäude setzt durch seine unermeßliche Größe und durch die unendliche Mannigfaltigkeit und Schönheit, welche aus ihr von allen Seiten hervorleuchtet, in ein stilles Erstaunen. Wenn die Vorstellung aller dieser Vollkommenheit nun die Einbildungs­ kraft rührt, so nimmt den Verstand andererseits eine andere Art der Entzückung eia, wenn er betrachtet, wie so viel Pracht, so viel Größe aus einer einzigen allgemeinen Regel mit einer ewigen und richtigen Ordnung abfließt. Der plaaetische Weltbau, in dem die Sonne aus dem Mittelpunkte aller Kreise mit ihrer mächtigen Anzie­ hung die bewohnten Kugeln ihres Systems in ewigen Kreisen um­ laufend macht, ist gänzlich, wie wir gesehen haben, aus dem ur­ sprünglich ausgebreiteten Grundstoff aller Weltmaterie gebildet wor­ den. Alle Fixsterne, die das Auge an der hohlen Tiefe des Himmels entdeckt, und die eine Art von Verschwendung anzuzeigen scheinen, sind Sonnen und Mittelpunkte von ähnlichen Systemen. Die Analogie erlaubt es also hier nicht, zu zweifeln, daß diese auf die gleiche Art, wie das, darin wir uns befinden, aus de» kleinsten Teilen der elementarischen Materie, die den leeren Raum, diesen unendlichen Umfang -er göttlichen Gegenwart, erfüllte, gebildet und erzeugt worden. Wenn nun alle Welten und Weltordnungen dieselbe Art ihres Ursprungs erkennen; wenn die Anziehung unbeschränkt und all­ gemein, die Zurückstoßung der Elemente aber ebenfalls durchgehends wirksam, wenn bei dem Unendlichen das Große und Kleine beider­ seits klein ist: sollten nicht alle die Weltgebäude gleichermaßen eine beziehende Verfassung und systematische Verbindung unter einander angenommen haben, als die Himmelskörper unserer Son­ nenwelt im kleinen, wie Saturn, Jupiter und die Erde, die für stch insonderheit Systeme sind und dennoch unter einander als Glieder in einem noch größeren zusammenhäagen? Wenn man in dem ua-

«mißlichen Raume, darin alle Sonnen d« Mllchstraße sich gebildet haben, einen Punkt aanimmt, um welchen durch, ich weiß nicht was fär eine Ursache, die «sie Bildung d« Natur aus dem Chaos au, gefangen hat, so wirb daselbst die größte Masse und eia Körper von d« ungemeinsten Attraktion entstanden sein, der dadurch fähig geworden, in ein« ungeheuren Sphäre um sich alle in d« Bildung begriffenen Systeme zu nötigen, flch gegen ihn, als ihren Mittel, punkt, zu senken und um ihn eia gleiches System im ganzen zu «richten, als derselbe elementarisch« Grundstoff, d« die Planeten bildete, um die Sonne im kleinen gemacht hat. Die Beobachtung macht diese Mutmaßung beinahe uagezwetfelt. Das He« d« Gestirne macht durch seine beziehende Stellung gegen einen gemein­ schaftlichen Plan ebensowohl ein System aus als die Planeten unseres Soanenbaues um die Sonne. Die Milchstraße ist d« Zodiakus dies« höh«ea Weltorduungen, die von seiner Zone so wenig als möglich abwetchen, und d«en Stteif imm« von ihrem Lichte er, leuchtet ist, so wie d« Tierkreis d« Planeten von dem Scheine dies« Kugeln, obzwar nur in sehr wenig Punkten, hin und wieder schimmert. Eine jede dies« Sonnen macht mit ihren umlaufenden Planeten für flch eia besoad«es System aus; allein dieses hind«t nicht, Teile eines noch größeren Systems zu sein, so wie Jupiter oder Saturn, unge, achtet ihr« eigenen Begleitung, in bet systematischen Verfassung eines noch größeren Weltbaues beschränkt find. Kann man, an ein« so genauen Üb«einstimmung in der Verfassung nicht die gleiche Ursache und Art bet Erzeugung erkennen? Wenn nun die Fixsterne ein System ausmachea, dessen Umfang durch die Anziehungssphäre desjenigen Körpns, bet im Mittel­ punkte befindlich ist, bestimmt wird: werden nicht mehr Sonneasystemata, und, so zu reden, mehr Milchstraßen entstanden sein, die in dem grenzenlosen Felde des Weltraums erzeugt worden? Wir haben mit Erstaunen Figuren am Himmel erblickt, welche nichts aad«s als solche auf einen gemeinschaftlichen Plan beschränkte Fixsteraensystemata, solche Milchstraßen, wenn ich mich so ausdrückea darf, sind, die in verschiedenen Stellungen gegen das Auge, mit einem ihrem unendlichen Abstande gemäß geschwächten Schimm« elliptische Gestalten darstellen; es find Systemata von sozusagen unendlichem«! unendlich größerem Durchmess« als d« Diamet« «ns«es Sonnenbaues ist, aber ohne Zweifel auf gleiche Art ent­ standen, aus gleichen Ursachen geordnet und eingerichtet, und «# halten sich durch ein gleiches Triebw«k, als dieses, in ihr« Verfassung.

Wenn man diese Steraensystemata wiederum als Glieder an der großen Sette bet gesamten Natur ansieht, so hat man eben so viel Ursache wie vorher, sie in einer gegenseitigen Lejiehung zu gedenken, und in Verbindungen, welche krast des durch die ganze Natur herrschen­ den Gesetzes der ersten Bildung ein neues noch größeres System ausmachea, das durch die Anziehung eines Körpers von ungleich mächtigerer Attraktion, als alle die vorigen waren, aus dem Mittel­ punkte ihrer regelmäßigen Stellungen regiert wird. Die Anziehung, welche die Ursache der systematischen Verfassung unter den Fix­ sternen der Milchstraße ist, wirkt auch noch in der Entfernung eben dieser Weltordnungen, um sie aus ihren Stellungen zu bringen und die Welt in einem unvermeidlich bevorstehenden Chaos zu begraben, wenn nicht regelmäßig ausgeteilte Schwungkräfte der Attraktion das Gegengewicht leiste« «ad beiderseits in Verbindung diejenige Beziehung hervorbriage», die der Grund der systematischen Ver­ fassung ist. Die Anziehung ist ohne Zweifel eine ebenso weit ausge­ dehnte Eigenschaft der Materie als die Koexistenz, welche den Raum macht, indem sie die Substanzen durch gegenseitige Abhängigkeiten verbindet, oder, eigentlicher zu reden, die Anziehung ist eben diese allgemeine Beziehung, welche die Teile der Natur in einem Raume vereinigt: sie erstrecket sich also auf die ganze Ausdehnung desselben bis in alle Weiten ihrer Unendlichkeit. Wenn das Licht von diese« ent­ fernten Systemen zu uns gelangt, das Licht, welches nur eine ein­ gedrückte Bewegung ist, muß nicht vielmehr die Anziehung, diese ursprüngliche Dewegungsquelle welche eher, wie alle Bewegung ist, — die keiner ftemden Ursache« bedarf, auch durch kein Hindernis kann aufgehalten werden, weil sie in das Innerste der Materie, ohne einigen Stoß, selbst bei der allgemeinen Ruhe der Natur wirkt—muß, sage ich, die Anziehung nicht diese Fixsteraea-Systemata ihrer uner­ meßlichen Entfernungen ungeachtet bei der ungebildeten Zerstreuung ihres Stoffes im Anfänge der Regung der Natur in Bewegungen versetzt haben, die ebenso, wie wir Im kleinen gesehen haben, die Quelle der systematischen Verbindung und der dauerhaften Beständigkeit ihrer Glieder ist, die sie vor dem Verfall sichert? Aber welches wird denn endlich das Ende der systematischen Einrichtungen sein? Wo wird die Schöpfung selber aufhörea? Maa merkt wohl, daß, um sie in einem Verhältnisse mit t>er Macht des

unendlichen Wesens zu gedenken, sie gar keine Grenzen haben müsse. Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskrast Gottes nicht näher, wenn man den Raum ihrer Offenbarung in einer Sphäre,

mit dem Radius der Milchstraße beschrieben, einschließt, als wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles das endlich, was seine Schranken und eia bestimmtes Verhältnis zur Einheit hat, ist von dem Unendlichen gleich weit entfernt. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unend­ lich kleinen Teile ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu setzen und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermeßlichkeit, von Naturen und Welten untätig und in einem ewigen Mangel der Ausübung verschlossen, zu gedenken. Ist es nicht viel­ mehr anständiger, oder besser zu sagen, ist es nicht notwendig, den Inbegriff der Schöpfung also anzustellen, als er sein muß, um ein Zeugnis von derjenigen Macht zu sein, die durch keinen Maßstab kann abgemessen werden? Aus diesem Grunde ist das Feld der Offen­ barung göttlicher Eigenschaften ebenso unendlich, als diese selber find. Die Ewigkeit ist nicht hinlänglich, die Zeugnisse des höchsten Wesens zu fassen, wo sie nicht mit der Unendlichkeit des Raumes ver­ bunden wird. Es ist wahr, die Ausbildung, die Form, die Schönheit und Vollkommenheit find Beziehungen der Grundstücke und der Substanzen, die den Stoff des Weltbaues ausmachen; und man bemerkt es an den Anstalten, die die Weisheit Gottes noch zu aller Zeit trifft; es ist ihr auch am gemäßestev, daß ste sich aus diesen ihren eingepflanjten allgemeinen Gesetzen durch eine ungezwungene Folge herauswickeln. Und daher kann man mit gutem Grunde setzen, daß die Anordnung und Einrichtung der Weltgebäude aus dem Vorräte des erschaffenen Naturstoffes in einer Folge der Zeit nach und nach geschehe; allein die Gruadmaterie selber, deren Eigenschaften und Kräfte allen Veränderungen zum Grunde liegen, ist eine unmittelbare Folge des göttlichen Daseins; selbige muß also auf einmal so reich, so vollständig sein, daß die Entwicklung ihrer Zusammensetzungen in dem Abflusse der Ewigkeit sich über einen Plan ausbreiten könne, der alles in sich schließt, was sein kann, der kein Maß aauimmt, kurz, der unendlich ist. Wenn nun also die Schöpfung dem Raume nach unendlich ist, oder es wenigstens der Materie nach wirklich von Anbeginn her schon gewesen ist, der Form oder der Ausbildung nach aber es bereit ist zu werden, so wird der Weltraum mit Welten ohne Zahl und ohne Enj>e belebt werden. Wird denn nun jene systematische Verbindung, die wir vorher bei allen Teilen insonderheit erwogen haben, auch aufs Ganze gehen und das gesamte Universum, das All der Natur, in einem einigen System durch die Verbindung der Anziehung und der fliehenden Kraft zusammenfassea? Ich

sage ja; wenn nur lauter abgesonderte WeltgebLude, die untereinander keine vereinte Deiiehuag zu einem Ganzen hätten, vorhanden wären, so könnte man wohl, wenn man diese Kette von Gliedern als wirk­ lich unendlich aavähme, gedenken, daß eine genaue Gleichheit der Anziehung ihrer Telle von allen Seite« diese Systemata vor dem Verfall, den ihnen die innere Wechselanziehuag droht, sicher halten könne. Allein hiezu gehört eine so genaue abgemessene Bestimmung in den nach der Attraktion abgewogenen Entfernungen, daß auch die geringste Verrückung dem Universo den Untergang zuziehen und sie in langen Perioden, die aber doch endlich zu Ende laufen müssen, dem Umsturz« überliefern würde. Eine Weltverfassung, die sich ohne ein Wunder nicht erhielt, hat nicht den Charakter der Beständigkeit, die das Merkmal der Wahl Gottes ist; man trifft es also dieser «eit anständiger, wen« man aus der gesamten Schöpfung ein einziges System macht, welches alle Welten und Weltorbnungen, die den ganzen unendlichen Raum ausfüllen, auf einen einigen Mittelpunkt beziehend macht. Ein zerstreutes Gewimmel von Welt­ gebäuden, sie möchten auch durch noch so wette Entfernungen von­ einander getrennt sein, würde mit einem uaverhindertev Hang zum Verderben und zur Zerstörung eilen, wenn nicht eine gewisse be­ ziehende Einrichtung gegen einen allgemeinen Mittelpunkt, bas Zentrum der Attraktion des Univ erst und den Unterstützungs­ punkt der gesamten Natur durch systematische Bewegungen ge­ troffen wäre. Um diesen allgemeinen Mittelpunkt der Senkung der ganzen Natur, sowohl der gebildeten, als der rohen, in welchem sich ohne Zweifel der Klumpen von der ausnehmendsten Attraktion befindet, der in seine Anziehungssphäre alle Welten und Ordnungen, die die Zeit hervorgebracht hat und die Ewigkeit hervorbringen wird, be­ greift, kann man mit Wahrscheinlichkeit annehmea, daß die Natur den Anfang ihrer Bildung gemacht und daselbst auch die Systeme am dichtesten gehäuft seien, weiter von demselben aber in der Un­ endlichkeit des Raumes sich mit immer größere« Graden der Zer­ streuung verlieren. Man könnte diese Regel aus der Analogie unseres Sonnenbaues abnehmen, und diese Verfassung kann ohnedem dazu dienen, daß in großen Entfernungen nicht allein der allgemeine Zenttalkörper sondern auch alle um ihn zunächst laufenden Systemata ihre Anziehung zusammen vereinigen und sie gleichsam aus einem Klumpen gegen die Systemata des noch weiteren Abstandes aus­ üben. Dieses wird alsdann mit dazu behilflich sein, die ganze Natur

in der ganzen Unendlichkeit ihrer Erstrecknng in einem einzigen System« zn begreifen. Um nun der Errichtung dieses allgemeinen Systems der Natur aus de» mechanischen Gesetzen der zur Bildung strebenden Materie nachzuspüren, so muß in dem unendlichen Raume des ausgebreiteten elementarischen Grundstoffes an irgend einem Orte dieser Grund, stoss die dichteste HLufüng gehabt haben, um durch die daselbst ge, scheheude vorzügliche Bildung dem gesamten Universo eine Masse verschafft zu haben, die ihm zum Unierstützungspunkt diente. Es ist zwar an dem, daß in einem unendlichen Raume kein Punkt eigentlich das Vorrecht haben kann, der Mittelpunkt zu heißen; aber ver, mittelst eines gewissen Verhältnisses, das sich auf die wesentlichen Grade der Dichtigkeit des Urstoffs gründet, nach welcher diese zugleich mit ihrer Schöpfung an einem gewissen Orte vorzüglich dichter ge­ häuft und mit den Weiten von demselben in der Zerstreuung zu, nimmt, kann ein solcher Punkt das Vorrecht haben, der Mittel, punkt zu heißen, und er wird es auch wirklich durch die Bildung der Zentralmaffe von der kräftigsten Anziehung in demselben, zu dem sich alle übrige, in Partikularbildungen begriffene elementarische Materie senkt, und dadurch, soweit sich auch die Auswickelung der Natur erstrecken mag, in der unendlichen Sphäre der Schöpfung aus dem ganzen All nur ein einziges System macht. Das ist aber waS Wichtiges und welches, wofern es Beifall erlangt, der größten Aufmerksamkeit würdig ist, daß der Ordnung der Natur in diesem unserem System zufolge die Schöpfung oder vielmehr die Ausbildung der Natur bei diesem Mittelpunkte zuerst aufävgt und mit stetiger Fortschreitung nach und nach in alle ferneren Weiten ausgebreitet wirb, um den unendlichen Raum in dem Fori, gange der Ewigkeit mit Welten und Ordnungen zu erfüllen. Lasset «ns diese Vorstellung einen Augenblick mit stillem Vergnügen nach, hängen! Ich finde nichts, das den Geist des Menschen zu einem edleren Erstaunen erheben kann, indem es ihm eine Aussicht in das unendliche Feld der Allmacht eröffnet, als diesen Teil der Theorie, der die sukzessive Dollenduug der Schöpfung betrifft. Wenn man mir zugibt, daß die Materie, die der Stoff zu Bildung aller Welten ist, in dem ganzen unendlichen Raume der göttlichen Gegenwart nicht gleichförmig, sondern nach einem gewissen Gesetze ausgebreiter gewesen, daS flch vielleicht auf die Dichtigkeit der Partikeln bezog, und nach welchem von einem gewissen Punkte, als dem Orte der dichtesten Häufung, mit den Weilen von diesem Mittelpunkte die

Zerstreuung des Urstoffes zuaahm, so wird tu der ursprüngliche» Regung der Natur die Bildung zunächst diesem Centro angefangea, und dann in fortschreitender Zeitfolge der weitere Raum nach und nach Welten nnd Weltorbnungea mit einer gegen diesen sich be­ ziehenden systematischen Verfassung gebildet haben. Ein jeder endliche Pertodus, dessen Länge zu der Größe des zu vollbringenden Werks ein Verhältnis hat, wird immer nur eine endliche Sphäre von diesem Mittelpunkte an zur Ausbildung bringen; der übrige unendliche Teil wirb indessen noch mit der Verwirrung und dem Chaos streiten und um so viel «eiter von dem Zustande der vollendeten Bildung entfernt sein, je «eiter dessen Abstand von der Sphäre der schon ausgebildeten Natur entfernt ist. Diesem zufolge, ob wir gleich von dem Orte unseres Aufenthalts in dem Uatverso eine Aussicht in eine, wie es scheint, völlig vollendete Welt, und, so zu reden, in ein unendliches Heer von Weltordnungen, die systematisch verbunden find, habe«, so befinden wir uns doch eigentlich nur iw einer Rahheit zum Mittelpunkte der ganzen Natur, wo diese flch schon aus dem Chaos ausgewickelt und ihre gehörige Vollkommen­ heit erlangt hat. Wenn wir eine gewisse Sphäre überschreiten könnten, würben wir daselbst das Chaos und die Zerstreuung der Elemente erblicken, die nach dem Maße, als fie flch diesem Mittelpunkte näher befinden, den rohen Zustand zum Teil verlassen und der Vollkommen­ heit der Ausbildung näher find, mit den Graden der Entfernung aber flch nach und nach in einer völligen Zerstreuung verlieren. Wir würden sehen, wie der unendliche Raum der göttlichen Gegenwart, darin der Vorrat zu allen möglichen Naturbilbungen anzutreffen ist, in einer stillen Nacht begraben voll von Materie, den künftig zu er­ zeugenden Welten zum Stoffe zu dienen, und von Triebfedern, ste in Bewegung zu bringen, die mit einer schwachen Regung diejenigen Dewegungea anfangen, womit die Unermeßlichkeit dieser öden Räume dereinst noch soll belebt werben. Es ist vielleicht eine Reihevon Millionen Jahren und Jahrhunderten verflossen, ehe die Sphäre der gebildeten Natur, darin wir uns befinden, zu der Vollkommenheit gediehen ist, die ihr jetzt beiwohnt; und es wird vielleicht ein ebenso langer Periodus vergehen, bis die Natur einen eben so wellen Schritt in dem Chaos tut: allein die Sphäre der ausgebildeten Natur ist unaufhörlich beschäftigt flch auszubreiten. Die Schöpfung ist nicht bas Werk von einem Augenblicke. Nachdem sie mit der Her­ vorbringung einer Unenblichkell von Substanzen und Materie den Anfang gemacht hat, so ist fle mit immer zunehmenden Graben der

Fruchtbarkeit die ganze Folge der Ewigkeit hindurch wirksam. Es werden Millionen und ganze Gebirge von Millionen Jahrhunder­ ten verfließen, binnen welchen immer neue Welten und Weltordnungev nacheinander in den entfernten Weiten von dem Mittelpunkte der Natur sich bilden und zur Vollkommenheit gelangen werden; sie werden ohnerachtet der systematischen Verfassung, die unter ihren Teilen ist, eine allgemeine Beziehung auf den Mittelpunkt erlangen, welcher der erste Bilduugspunkt und das Zentrum der Schöpfung durch das Anziehungsvermögen seiner vorzüglichen Masse worden ist. Die Unendlichkeit der künftigen Zeitfolge, womit die Ewigkeit uner­ schöpflich ist, wird alle Räume der Gegenwart Gottes ganz und gar beleben und in die Regelmäßigkeit, die der Trefflichkeit seines Ent­ wurfes gemäß ist, nach und nach versetzen; und wenn man mit einer kühnen Vorstellung die ganze Ewigkeit, sozusagen, in einem Begriffe zusammenfassen könnte, so würde man auch den ganzen unendlichen Raum mit Weltordnungen angejssllt und die Schöpfung vollendet ansehen können. Weil aber in der Tat von der Zeitfolge der Ewigkeit der rückständige Teil allemal unendlich und der abgeflossene endlich ist, so ist die Sphäre der ausgebildeten Natur allemal nur ein unendlich kleiner Teil desjenigen Inbegriffs, der den Samen zukünftiger Welten in sich hat «ad sich aus dem rohen Zustande des Chaos, in längeren oder kürzeren Perioden auszuwickeln trachtet. Die Schöpfung ist niemals vollendet. Sie hat zwar einmal an­ gefangen, aber sie wird niemals aufhören. Sie ist immer geschäftig, mehr Auftritte der Natur, neue Dinge und neue Welten hervorzu­ bringen. Das Werk, welches sie zustande bringt, hat eia Verhältnis zu der Zeit, die sie darauf anwendet. Sie braucht nichts weniger als eine Ewigkeit, um die ganze grenzenlose Weite der unendlichen Räume mit Welten ohne Zahl und ohne Ende zu beleben. Man kann von ihr dasjenige sagen, was der erhabenste unter den deut­ schen Dichtern von der Ewigkeit schreibt: Unendlichkeit! wer misset dich? Dor dir sind Welten Tag und Menschen Augenblicke; Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt jetzt sich. Und tausend bleiben noch zurücke.

Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht, Ellt eine Sonn', aus Gottes Kraft bewegt: Ihr Trieb läuft ab, und eine andre schlägt. Du aber bleibst und zählst sie nicht.

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v. Haller.

Es ist ein nicht geringes Vergnügen, mit seiner Einbtldungskraft über die Grenze der vollendeten Schöpfung in den Raum des Chaos auszuschweifen und die halb rohe Natur in der Nahheit zur Sphäre der ausgebildeten Welt sich nach und nach durch alle Stufen und Schattierungen der Unvollkommenheit in dem ganzen unge­ bildeten Raume verlieren zu sehen. Aber ist es nicht eine tadelns­ würdige Kühnheit, wird man sagen, eine Hypothese aufzuwerfen, und sie als einen Vorwurf der Ergötzung des Verstandes anzu­ preisen, welche vielleicht nur gar zu willkürlich ist, wenn man be­ hauptet, baß die Natur nur einem unendlich kleinen Teile nach aus­ gebildet sei, und unendliche Räume noch mit dem Chaos streiten, um in der Folge künftiger Zeiten ganze Heere von Welten und Welt­ ordnungen in aller gehörigen Ordnung und Schönheit darzu­ stellen? Ich bin den Folgen, die meine Theorie darbietet, nicht so sehr ergeben, daß ich nicht erkennen sollte, wie die Mutmaßung von der sukzessiven Ausbreitung der Schöpfung durch die unend­ lichen Räume, die den Stoff dazu in sich fassen, den Einwurf der Un­ erweislichkeit nicht völlig ablehnen könne. Indessen verspreche ich mir doch von denjenigen, welche die Grade der Wahrscheinlichkeit zu schätzen imstande sind, daß eine solche Karte der Unendlichkeit, ob sie gleich einen Vorwurf begreift, der bestimmt zu sein scheint, dem menschlichen Verstände auf ewig verborgen zu sein, nicht um des­ willen sofort als ein Hirngespinst werde angesehen werden, vor­ nehmlich, wenn man die Analogie zu Hilfe nimmt, welche uns alle­ mal in solchen Fällen leiten muß, wo dem Verstände der Faden der untrüglichen Beweise mangelt. Man kann aber auch die Analogie noch durch aanehmuagswürdige Gründe unterstützen, und die Einsicht des Lesers, wofern ich mich solches Beifalls schmeicheln darf, wird sie vielleicht mit noch wichtigeren vermehren können. Denn wenn man erwägt, daß die Schöpfung den Charakter der Beständigkeit nicht mit sich führt, wofern sie der allgemeinen Bestrebung der Anziehung, die durch alle ihre Teile wirkt, nicht eine ebenso durchgängige Bestimmung entgegen­ setzt, die dem Hange der ersten zum Verderben und zur Unordnung genugsam widerstehen kann, wenn sie nicht Schwungkräfte ausge­ teilt hat, die in der Verbindung mit der Jentralneigung, eine all­ gemeine systematische Verfassung festsetzen, so wird man genötigt, einen allgemeinen Mittelpunkt des ganzen Weltalls anzunehmea, der alle Teile desselben in verbundener Beziehung zusammenhält und aus dem ganzen Inbegriff der Natur nur ein System macht. Wenn man

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hiezu den Begriff, von der Bildung der Weltkörper, aus der zer­ streuten elementarischen Materie fügt, wie wir ihn in dem vorher­ gehenden entworfen haben, jedoch in allhier nicht auf ein absonder­ liches System einschränkt, sondern über die ganze Natur ausbehat, so wird man genötigt, eine solche Austeilung des Grundstoffes in dem Raume des ursprünglichen Chaos zu gedenken, die natürlicherweise einen Mittelpunkt der ganzen Schöpfung mit stch bringt, damit in diesen die wirksame Masse, die in ihrer Sphäre die gesamte Natur begreift, zusammengebracht und die durchgängige Beziehung bewirkt werden könne, wodurch alle Welten nur ein einziges Gebäude aus­ machen. Es kann aber in dem unendlichen Raume kaum eine Art der Austeilung des ursprünglichen Grundstoffes gedacht «erben, die einen wahren Mittel- und Senkungspunkt der gesamten Natur setzen sollte, als wenn sie nach einem Gesetze der zunehmenden Zer­ streuung von diesem Punkte an in alle fernen Weiten eingerichtet ist. Dieses Gesetz aber setzt zugleich einen Unterschied in der Zeit, die eia System in den verschiedenen Gegenden des unendlichen Raumes gebraucht, zur Reife seiner Ausbildung zu kommen, so, daß diese Periode desto kürzer ist, je näher der Bildungsplatz eines Weltbaues sich dem Centro der Schöpfting befindet, weil daselbst die Elemente des Stoffes dichter gehäuft find, und dagegen um desto länger Zeit erfordert, je weiter der Abstand ist, weil die Partikeln daselbst zer­ streuter sind und später zur Bildung zusammenkommen. Wenn man die ganze Hypothese, die ich entwerfe, in dem ganzen Umfange sowohl dessen, was ich gesagt habe, als was ich noch eigent­ lich darlegen werbe, erwägt, so wird man die Kühnheit ihrer Forde­ rungen wenigstens nicht für unfähig halten, eine Entschuldigung aazuaehmen. Man kann den unvermeüstichev Hang, den eia jeg­ liches zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebäude nach und nach zu seinem Untergange hat, unter die Gründe rechnen, die es bewähren können, daß das Universum dagegen in andern Gegenden an Welten fruchtbar sein werde, um den Mangel zu ersetzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das ganze Stück der Natur, das wir kennen, ob es gleich aur ein Atomus in Ansehung dessen ist, was über oder unter unserem Gesichtskreise verborgen bleibt, bestätigt doch diese Fruchtbarkeit der Natur, die ohne Schranken ist, weil fle nicht anders als die Ausübung der göttlichen Allmacht selber ist. Unzählige Tiere und Pflanzen werden täglich zerstört und sind ein Opfer der Ver­ gänglichkeit; aber nicht weniger bringt die Natur durch ein uner­ schöpftes Zeugungsvermögen an ander« Orten wiederum hervor 18

und füllt bas leere aus. Beträchtliche Stücke des Erdbodens, -en wir bewohnen, werden wiederum in dem Meere begraben, aus dem sie ein günstiger Periodus hervorgezogen hatte; aber au anderen Orten ergänzt die Natur de« Maogel, und bringt andere Gegenden hervor, die io der Liefe -es Wassers verborge« wäre«, um oeue Reichtümer ihrer Fruchtbarkeit über dieselbe auszubreiteo. Auf die gleiche Art vergehe« Welte» uad Weltordouagea «ad «erben von dem Abgrunde der Ewigkeiten verschluogea; dagegen ist die Schöpfung immerfort geschäftig, ta andern Himmelsgegenden oeue Bildungen zu verrichten und den Abgang mit DorteU zu ergänze«. Ma« darf aicht erstaune«, selbst ta dem Große« der Werke Gottes eine Vergänglichkeit zu verstatteu. Alles, was endlich ist, was einen Anfang und Ursprung hat, hat das Merkmal seiner eingeschränk­ te« Natur in fich; es muß vergehe« «ad eia Ende habe«. Die Dauer eines Weltbaues hat durch die Dorttefflichkeit seiner Errichtung eine Beständigkeit ta sich, die unser« Begriffe« «ach einer unendlichen Dauer nahe kommt. Vielleicht »erden tausend, vielleicht Millionen Jahrhnuderte sie aicht vernichte«; allein well die Eitelkeit, die an den endlichen Naturen hastet, beständig an ihrer Zerstörung arbeitet, so wird die Ewigkeit alle möglichen Perioden in stch halten, um durch einen allmählichen Verfall den Zeitpuntt ihres Unterganges doch endlich herbeizuführe«. Newton, dieser große Bewunderer der Eigenschaften Gottes aus der Vollkommenheit seiner Werke, der mit der tiefsten Einsicht ta die Trefflichkeit der Natur, die größte Ehrfurcht gegen die Offenbarung der göttlichen Allmacht verband, sah sich genötigt, der Natur ihren Verfall durch den natürlichen Hang, de« die Mechanik der Bewegungen dazu hat, vorher zu verkündigen. Wen« eine systematisch« Verfassung durch die wesentliche Folge der Hinfälligkeit in -roße« Zeitläufte« auch den allerkletnsten Teil, den man sich nur gedenken mag, dem Zustande ihrer Verwirrung nähert, so muß in dem unendlichen Ablaufe -er Ewigkeit doch ein Zeitpunkt sein, da diese allmähliche Verminderung alle Bewegung erschöpft hat. Wir dürfe« aber de« Untergang eines Weltgebäudes nicht als eine« wahre« Verlust der Natur bedauern. Sie beweist ihren Reichtum in einer Art von Verschwendung, welche, indem einige Telle der Vergänglichkeit den Tribut bezahle«, sich durch unzählige neue Zeugungen in dem ganzen Umfange ihrer Vollkommenheit uabeschad« erhält. Welch eine unzählige Menge Blume« und Insekte« jer# stört ein einziger kalter Tag; aber wie wenig vermißt man sie, ohnerachtet es herrliche Kunstwerke der Natur und Beweistümer der göttt 2

19

üche» Allmacht stad; an einem andern Orte wird dieser Abgang mit Überfluß wiederum ersetzt. Der Mensch, der das Meisterstück der Schöpftmg zu sein scheint, ist selbst von diesem Gesetze nicht ausgeuommen. Die Natur beweist, daß fle ebenso reich, ebenso «»erschöpft in Hervorbringung des Trefflichsten unter den Kreaturen als des Geringschätzigsten, ist, und daß selbst deren Untergang eine notwendige Schattierung in der Mannigfaltigkeit ihrer Sonnen ist, weil die Erzeugung derselben ihr nichts kostet. Die schädlichen Wirkungen der angesteckten Luft, die Erdbeben, die Überschwemmungen vertil­ gen ganze Völker von dem Erdboden; allein es scheint nicht, daß die Natur dadurch einigen Nachteil erlitten habe. Auf gleiche Weise verlassen ganze Welten und Systeme den Schauplatz, nachdem sie

ihre Rolle ausgespielt haben. Die Unendlichkeit der Schöpfung ist groß genug, um eine Welt oder eine Milchstraße von Welten gegen fle anzusehen, wie man eine Blume oder ein Insekt in Vergleichung gegen die Erde ansieht. Indessen, daß die Natur mit veränder­ lichen Auftritten die Ewigkeit ausziert, bleibt Gott in einer unauf­ hörlichen Schöpfung geschäftig, den Zeug zur Bildung noch größerer Welten zu formen.

Der stets mit einem gleichen Auge, weil er der Schöpfer, ja von allen. Sieht einen Helden untergehu und einen kleinen Sperling fallen. Sieht eine Wasserblase springen und eine ganze Welt vergehn.

Pope, nach Brocken Qberfetzua-. Laßt uns also unser Auge an diese erschrecklichen Umstürzungen als au die gewöhnlichen Wege der Vorsehung gewöhnen und sie sogar mit einer Art von Wohlgefallen ansehen. Und in der Tat ist dem Reichtume der Natur nichts anständiger als dieses. Denn wenn ein Weltsystem in der langen Folge seiner Dauer alle Mannig­ faltigkeit erschöpft, die seine Einrichtung fassen kann, wenn es nun ein überflüssiges Glied in der Kette der Wesen geworden, so ist nichts geziemender, als daß es in dem Schauspiele der ablaufeudeu Ver­ änderungen des Universi die letzte Rolle spielt, die jedem end­ lichen Dinge gebührt, nämlich der Vergänglichkeit ihr Gebühr ab­ trage. Die Natur zeigt, wie gedacht, schon in dem kleinen Teile ihres Inbegriffs, diese Regel ihres Bewahrens, die das ewige Schicksal

ihr im ganzen vorgeschrieben hat, und ich sage es nochmals, die

Größe desjenigen, was untergehea soll, ist hierin nicht im geringsten hinderlich; denn alles was groß ist, wird klein, ja es wird gleichsam out ein Punkt, wenn man es mit dem Unendlichen vergleicht, welches die Schöpfung in dem unbeschränkten Raume die Folge der Ewigkeit hindurch darstellen wird. Cs scheint, daß dieses dm Welten, so wie allen Naturdingen verhängte Ende einem gewissen Gesetze unterworfen sei, dessen €r; wägung der Theorie einen neuen Zug der Anständigkeit gibt. Nach demselben hebt es bei den Weltkörpern an, die stch dem Mittelpunkte des Weltalls am nächsten befinden, so wie die Erzeugung und Bildung neben diesem Centro tnerst angefangen: von da breitet flch das 58er; derben und die Zerstörung nach und «ach in die weiteren Entfernungen aus, um alle Welt, welche ihre Periode tnrückgelegt hat, durch einen allmählichen Verfall der Bewegungen, juletzt in einem einjigen Chaos zu begraben. Andererseits ist die Natur auf der entgegen; gesetzten Grenze der ausgebildeten Welt unablässig beschäftigt, aus dem rohen Zeuge der zerstrmten Elemente Welten zu bilden, und indem fie an der einen Seite »eben dem Mittelpunkte veraltet, so ist sie auf der andern jung und an neuen Zeugungen fruchtbar. Die ausge; bllbete Welt befindet sich diesem nach zwischen den Ruinen der zer; störten und zwischen dem Chaos der ungebildete« Natur mitten inne beschränkt, und wenn man, wie es wahrscheinlich ist, flch vor; stellt, daß eine schon zur Vollkommenheit gediehene Welt eine längere Zeit dauern könne, als fle bedurft hat gebildet zu werden, so wird ungeachtet aller der Verheerungen, die die Vergänglichkeit unaufhörlich anrichtet, der Umfang des Univ erst dennoch überhaupt zunehmen. Will man aber noch zuletzt einer Idee Platz lassen, die ebenso wahrscheinlich als der Verfassung der göttlichen Werke wohlanständig ist, so wird die Zufriedenheit, welche eine solche Abschlldernng der Veränderungen der Natur erreget, bis zum höchsten Grade des Wohlgefallens erhoben. Kaan man nicht glauben, die Natur, welche vermögend war, flch aus dem Chaos in eine regelmäßige Ordnung und in ein geschicktes System zu setzen, sei ebenfalls imstande, aus dem neuen Chaos, darin fle die Verminderung ihrer Bewegungen versenkt hat, sich wiederum ebenso leicht herzustellen und die erste Verbindung zu erneuern? Können die Febern, welche den Stoff der zerstreuten Materie in Bewegung und Ordnung brachten, nach; dem fle der Stillstand der Maschine zur Ruhe gebracht hat, durch erweiterte Kräfte nicht wiederum in Wirksamkeit gesetzt werden und flch nach eben denselben allgemeinen Regeln zur Übereinstimmung

einschränken, wodurch die ursprüngllch« Bildung zuwege gebracht worbe» ist? Maa wird uicht lauge Bedeakea trage», diese- zuzu, gebe», weau maa erwägt, daß, aachdem die endliche Mattigkeit der Umlauf-bewegnagea in dem Weltgebände die Planeten und Kometen insgesamt auf die Sonne niedergestürzt hat, dieser ihre Glut einen unermeßlichen Zuwach- durch die Vermischung so vieler und großer Klumpen bekommen muß, vornehmlich da die «ttferate« Kugeln des Sonnensystem- unserer vorher erwiesenen Theorie zufolge, den leichtesten und im Feyer wirksamste» Stoff der ganzen Rawr, in sich enthalten. Diese- durch neue Nahrung und die flüchtigste Materie in die größte Heftigkeit versetzte Feuer wird ohne Zweifel nicht allein alle- wiederum in die kleinsten Elemente auflösea, sondern auch dieselbe in dieser Art mit einer der Hitze gemäßen Au-dehnung-, kraft und mit einer Schnelligkett, welche durch keinen Widerstand -eMittelravm- geschwächt wird, in dieselben weiten Räume wiederum ausbreiteu und zerstreuen, welche sie vor der erste« Bildung der Natur eingenommen hatten, um, nachdem die Heftigkeit de- Zentralfeuerdurch eine beinahe gänzliche Zerstreuung ihrer Masst gedämpft worden, durch Verbindung der Attraktion-, und Zurückstoßung-kräfte die alten Zeugungen und systematisch beziehenden Bewegungen mit nicht minderer Regelmäßigkeit zu wiederholen und eia neue- Weltgebände darzustellen. Wenn denn ein besondere- Planetensystem auf diese Mise in Verfall geraten und durch wesentliche Kräfte sich daraus wiederum hergestellt hat, wenn e- wohl gar diese- Spiel mehr wst einmal wiederholt, so wird endlich die Periode herannahev, die auf gleiche Weise da- große System, darin die Fixsterne Glieder find, durch de» Verfall ihrer Bewegungen in einem Chao- versammeln wird. Man wird hier noch weniger zweifeln, daß die Vereinigung einer so unendlichen Menge Feuerschätze, al- diese brennende» Sonnen sind zusamt dem Gefolge ihrer Planeten, de« Stoff ihrer Rassen durch die unnennbare Glut aufgelöst in de« alten Raum ihrer Bildung-sphäre zerstreuen und daselbst die Materialien zv neuen Btl, dünge« durch dieselben mechanischen Gesetze hergeben werden, worauwiederum der -de Raum mit Mlte« und Systeme« kann belebet werde«. Wenn wir -an» diesem Phönix der Natur, der sich nur darum verbrennt, um au- seiner Asche wiederum verjüngt aufzv, leben, durch alle Unendlichkeit der Zeiten und Räume hindurch folgen; wenn man sieht, wie sie sogar in der Gegend, da sie verfällt und ver, altet, an neuen Aufttitten unerschöpfi und auf der anderen Grenze der Schöpfung in den Raum der ungebildeten rohen Materie mit

stetige« Schritte« zur Ausdehnung des Plans der göttlichen Offen­ barung fortschreitet, um die Ewigkeit sowohl als alle Räume mit ihren Wundern zu füllen, so versenkt stch der Geist, der alles dieses überdenkt, in ein tiefes Erstaunen; aber annoch mit diesem so großen Gegenstände uajuftteden, dessen Vergänglichkeit die Seele nicht genug­ sam zvstieden stellen kann, wünscht er dasjenige Wesen von Nahem kennentuleraea, dessen Verstand, dessen Größe die Quelle desjenigen Lichtes ist, das stch über die gesamte Natur gleichsam als aus einem Mittelpunkte ausbreitet. Mit welcher Art der Ehrsucht muß nicht die Seele sogar ihr eigen Wesen ansehea, wenn sie bettachtet, daß ste «och alle diese Veränderungen überleben soll! Sie kann zu stch selber sagen, was der philosophische Dichter von der Ewigkeit sagt: Wenn denn ein zweites Nichts wirb diese Welt begraben; Wenn von dem Alles selbst nichts bleibet als die Stelle; Wenn mancher Himmel noch, von andern Sternen Helle, Wird seinen Lauf vollendet haben: Wirst du so jung als jetzt, von deinem Tod gleich weit, Gleich ewig künftig sein, wie heut. v. Haller.

O glücklich, wenn ste unter dem Tumult der Clemente und den Trümmern der Natur jederzeit auf eine Höhe gesetzt ist, von da ste die Verheerungen, die die Hinfälligkeit de« Dingen der Welt ver­ ursacht, gleichsam unter ihren Füßen kann vorbeirauschen sehen! Eine Glückseligkeit, welche die Vernunft nicht einmal zu wünsche» stch erkühne« darf, lehrt nns die Offenbarung mit Überzeugung hof­ fen. Wen« dann die Fesseln, welche uns an die Eitelkeit der Kreaturen geknüpft halten, in dem Augenblicke, welcher zu der Verwandlung unseres Wesens bestimmt worden, abgefallen find, so wird der un­ sterbliche Geist, von der Abhängigkeit der endlichen Dinge besteit, in der Gemeinschaft mit dem unendlichen Wesen den Genuß der wah­ re« Glückseligkeit finden. Die ganze Natur, welche eine allgemeine harmonische Beziehung zu dem Wohlgefallen der Gottheit hat, kann diejenige vernünftige Kreatur nicht anders als mit immer­ währender Zufriedenheit erfüllen, die flch mit dieser Urquelle aller Vollkommenheit vereint befindet. Die Natur von diesem Mittel­ punkte aus gesehen, wird von allen Seiten lauter Sicherheit, lauter Wohlanstäubigkeit zeigen. Die veränderlichen Szenen der Natur vermöge« nicht, den Ruhestand der Glückseligkeit eines Geistes zu verrücken, der einmal zu solcher Höhe erhoben ist. Indem er diesen Zustand, mit einer süßen Hoffnung, schon zum voraus kostet, kann -Z

er seinen Mund in denjeyigen Lobgesängen üben, davon dereinst alle Ewigkeiten erschallen sollen.

Wenn dereinst der Dau der Welt in sein Nichts t«rückgeeilet Und fich deiner Hände Werk nicht durch Tag und Nacht mehr teilet; Dann soll mein gerührt Gemüte stch, durch dich gestärkt, bemühn, In Verehrung deiner Allmacht stets vor deinen Thron zu ziehn: Mein von Dank erfüllter Mund soll durch alle Ewigkeiten Dir und deiner Majestät ein unendlich Lob bereiten; Ist dabei gleich kein vollkommnes: denn o Herr! so groß bist du, Dich nach Würdigkeit ju loben, reicht die Ewigkeit nicht zu.

Abdisson, nach Gottsched- Übersetzung.

(ANg. Naturgeschichte und Theorie des Himmels 1755.

Siebente- tzarrptfiück.)

Vom „Wissen" und von der „Weisheit". Einem jeden Vorwitze nachzuhängen und der Erkenatnissucht keine anderen Grenzen zu verstatten als das Unvermögen, ist eia Eifer, welcher der Gelehrsamkeit nicht übel ansteht. Allein unter unzähligen Aufgaben, die fich selbst darbieten, diejenige auswählen, deren Auflösung dem Menschen angelegen ist, ist bas Verdienst der Weisheit. Wenn die Wissenschaft ihren Kreis durchlaufen hat, so gelangt ste natürlicherweise zu dem Punkte eines bescheidenen Mißtrauens und sagt, unwillig über sich selbst: Wieviel Dinge gibt es doch, die ich nicht eiasehe! Aber die durch Erfahrung gereifte Vernunft, welche zur Weisheit wird, spricht in dem Munde des Sokrates mitten unter den Waren eines Jahrmarkts mit heiterer Seele: Wieviel Dinge gibt es doch, die ich alle nicht brauche! Auf solche Art fließen endlich zwei Bestrebungen von so unähnlicher Natur in eine zusammen, ob sie gleich anfangs nach sehr verschiedenen Richtungen ausgingen, indem die erste eitel und unzuftieden, die zweite aber gesetzt und genügsam ist. Dena um ver­ nünftig zu wählen, muß man vorher selbst das Entbehrliche, ja bas Unmögliche kennen; aber endlich gelangt die Wissenschaft zu der Bestimmung der ihr durch die Natur der menschlichen Vernunft gesetzten Grenzen; alle bodenlosen Entwürfe aber, die vielleicht an sich selbst nicht unwürdig sein mögen, nur daß ste außer der Sphäre

des Menschen liegen, fliehen auf den Limbus der Eitelkeit.') Msdann wird selbst die Metaphyfik dasjenige, wovon fle jetzt noch ziem­ lich weit entfernt ist, und was man von ihr am wenigsten vermuten sollte, die Begleiterin der Weisheit. Denn solange die Meinung einer Möglichkeit, zu so entfernten Eiastchten zu gelangen, übrigbleibt, so ruft die weise Einfalt vergeblich, daß solche große Bestrebungen entbehrlich find. Die Annehmlichkeit, welche die Erweiterung des Wissens begleitet, wird sehr leicht den Schein der Pflichtmäßigkeit aanehmea und aus jener vorsätzlichen und überlegten Genügsamkeit eine dumme Einfalt machen, die flch der Veredelung unserer Natur entgegensetzen will. Die Fragen von der geistigen Natur, von der Freiheit und Vorherbestimmung, dem künftigen Zustande u. dgl. bringen anfänglich alle Kräfte des Verstandes in Bewegung und ziehen den Menschen durch ihre Dortrefflichkeit in den Wetteifer der Spekulation, welche ohne Unterschied klügelt und entscheidet, lehrt ober widerlegt, wie es die Scheiaeinstcht jedesmal mit flch bringt. Wenn diese Nachforschung aber in Philosophie ausschlägt, die über ihr eigen Verfahren urteilt, und die nicht die Gegenstände allein, sondern deren Verhältnis zu dem Verstand« des Menschen kennt, so ziehen stch die Grenzen enger zusammen, und die Marksteine werden gelegt, welche die Nachforschung aus ihrem eigentümlichen Bezirke niemals mehr ausschweifea lassen. Wir haben einige Philo­ sophie nötig gehabt, um die Schwierigkeiten zu kennen, welche einen Begriff umgeben, den man gemeiniglich als sehr bequem und alltäg­ lich behandelt?) Etwas mehr Philosophie entfernt dieses Schatten­ bild der Einsicht noch mehr und überzeugt uns, daß es gänzlich außer dem Gesichtskreise der Menschen liege. Dena in den Verhältnissen der Ursache und Wirkung, der Substanz und der Handlung dient anfänglich die Philosophie dazu, die verwickelten Erscheinungen aufzulösea und solche auf einfachere Vorstellungen zu bringen. Ist man aber endlich zu den Gruadverhältnissen gelangt, so hat bas Geschäft der Philosophie ein Ende, und wie etwas könne eine Ursache sein oder eine Äwft haben, ist unmöglich jemals durch Vernunft einzu­ sehen, sondern diese Verhältnisse müssen lediglich aus der Erfahrung genommen werden. Den» unsere Vernunfttegel geht nur auf die Vergleichung nach der Identität und dem Widerspruche. So­ fern aber etwas eine Ursache ist, so wird durch Etwas etwas An') LtmbuS — geteilter Kreis an Wtnkelmeßtnstrumenten; „fliehen" — htnanSlanfen, vgl. „Fluchtpunkt". •) 3m vorausgehenden wurde der Begriff „Oetfl" erörtert.

dereS gesetzt, und es ist also kein Zusammenhang vermöge der Sin, stimmuag auzutreffea; wie denn auch, wenn ich ebeudasselde nicht als eine Ursache aasehea «Ul, niemals eia Widerspruch entspringt, weil es flch nicht kontradiziert, wenn etwas gesetzt ist, etwas anderes aufzuheben. Daher die Grundbegriffe der Dinge als Ursachen, die der JMfte und Handlungen, wenn sie nicht aus der Erfahrung hergeaommeu stad, gänzlich willkürlich sind und weder bewiesen noch widerlegt werben können. Ich weiß wohl, daß das Denkea und Wollen meinen Körper bewege, aber ich kann diese Erscheinung, als eine einfache Erfahrung, niemals durch Zergliederung auf eine andere bringen und sie daher wohl erkennen, aber nicht eiasehen. Daß mein Wille meinen Arm bewegt, ist mir nicht verständlicher, als wenn jemand sagte, daß derselbe auch den Mond in seinem Kreise zurück, halten könnte; der Unterschied ist nur dieser, daß ich jenes erfahre, dieses aber niemals in meine Sinne gekommen ist. Ich erkenne in mir Veränderungen als in einem Subjekte, was lebt, nämlich Ge, danken, Willkür «sw. usw., und weil diese Bestimmungen von anderer Art stad als alles, was zusammeagenommen meinen Begriff vom Körper macht, so denke ich mir billigermaßen eia uakörperliches und beharrliches Wesen. Ob dieses auch ohne Verbindung mit dem Körper denken «erbe, kann vermittelst dieser aus Erfahrung erkannten Natur niemals geschlossen «erben. Ich bin mit meiner Art Wesen durch Vermittelung körperlicher Gesetze in Verknüpfung; ob ich aber auch sonst nach anderen Gesetzen, welche ich pneumatisch nennen will, ohne die Vermittelung der Materie in Verbindung stehe oder jemals stehen werde, kann ich auf keinerlei Weise aus demjenigen schließen, was mir gegeben ist. Alle solche Urteile, wie diejenigen von der Art, wie meine Seele den Körper bewegt oder mit anderen Wesen ihrer Art jetzt oder künftig Im Verhältnis steht, können niemals etwas mehr als Erdichtungen sein, und zwar bei weitem nicht einmal von demjenigen Werte als die in der Naturwissenschaft, welche man Hypothesen nennt, bei welchen man keine Gruadkräfte ersinnt, sondern diejenigen, welche man durch Erfahrung schon kennt, nur auf eine den Erscheinungen angemessene Art verbindet, und deren Möglich, kett sich also jederzeit beweisen lassen können muß; dagegen im ersten Falle selbst neue Funbamentalverhältnisse von Ursache und Wir, kuag angenommen werden, in welchen man niemals den mindesten Begriff ihrer Möglichkeit haben kann, und also nur schöpferisch oder chimärisch, wie man es nennen will, dichtet. Die Begreiflichkeit ver, schiebener wahren oder angeblichen Erscheinungen aus dergleichen

angenommenen Grundideen dient diesen jn gar keinem Dortelle. Denn man kann leicht von allem Grund angeben, wenn man berechtigt ist, Tätigkeiten und Wirkungsgesetze zu ersinnen, wie man will. Wir müssen also warten, bis wir vielleüht in der künftigen Welt durch neue Erfahrungen und neue Begriffe von den uns noch ver­ borgenen Kräften in unserem denkenden Selbst werden belehrt werden. So hoben uns die Beobachtung« späterer Zeiten, nachdem sie durch Mathematik aufgelöst worden, die Kraft der Anztehnng an der Materie offenbart, von deren Möglichkeit (well sie eine Grundkraft zu sein scheint) man sich niemals einigen ferneren Begriff wird machen können. Diejenigen, welche, ohne d« Beweis aus der Erfahrung in HLnb« zu hab«, vorher sich eine solche Eigenschaft hätt« ersinnen woll«, würd« als Tor« mit Recht verdi«t hab«, ausgelacht zu werd«. Da nun die Vernunftgründe in vergleich« Fäll« weder zur Erfindung noch zur Bestätigung der Möglichkeit oder Unmög­ lichkeit von der mindest« Erheblichkeit sind, so kann man nur den Erfahrung« das Recht der Entscheidung etnränm«, sowie ich es auch der Zeit, welche Erfahrung bringt, überlasse, etwas über die gepriesen« Heilkräfte des Magnets in Zahnkrankheil« anszumach«, wenn sie ebensoviel Beobachtungen wirb vorzeig« können, daß magnetische Stäbe auf Fleisch und Knoch« wirk«, als wir schon vor uns haben, baß es auf Eis« und Stahl geschehe. W«n aber gewisse angebliche Erfahrungen sich in kein unter d« meisten M«schen einstimmiges Gesetz der Empfindung bringen lassen, und also nur eine Regellosigkeit in den Z«gniff« der Sinne beweis« würd« (wie es in der Tat mit den herumgehend« Geistererzählung« bewandt ist), so ist es ratsam, sie nur abzubrech«; well der Mangel der Einstimmung und Gleichförmigkeit alsdann der historischen Erkenntnis alle Beweiskraft nimmt und sie untauglich macht, als ein Fundament zu irgendeinem Gesetze der Erfahrung zu dien«, worüber der Verstand urteil« könnte. Sowie man einerseits durch etwas tiefere Nachforschung ein­ sehen lernt, daß die überzeugende und philosophische Einsicht in dem Falle, wovon wir red«, unmöglich sei, so wird man auch ander­ seits bei einem ruhig« und vorurtellsftei« Gemüte gesteh« müssen, daß sie «tbehrlich und unnötig sei. Die Eitelkeit der Wiffenfchast entschuldigt gerne ihre Beschäftigung mit dem Vorwande der Wich­ tigkeit, und so gibt man auch hier gemeiniglich vor, daß die Dernunfteinsicht von der geistig« Natur der Seele zu der Überzeugung von

dem Dasein nach dem Tode, diese aber zum Bewegungsrrunde eines

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tugendhafte« Lebens sehr nötig sei; die müßige Neubegierde setzt aber hinju, daß die Wahrhaftigkeit der Erscheinungen abgeschiedener Seelen von allem diesem sogar einen Beweis aus der Erfahrung abgeben könne. Allein die wahre Weisheit ist die Begleiterin der Einfalt, und, da bei ihr das Herz dem Verstände die Vorschrift gibt, so macht sie gemeiniglich die großen Zurüstungen der Gelehrsamkeit entbehrlich, und ihre Zwecke bedürfen nicht solcher Mittel, die nimmer­ mehr in aller Mensche» Gewalt sein können. Wie? ist es denn nur darum gut, tugendhaft zu sei«, «eil es eine andere Welt gibt, ober «erben die Handlungen nicht vielmehr dereinst belohnt werden, weil fle an sich selbst gut und tugendhaft waren? Enthält das Herz des Mensche« nicht unmittelbare sittliche Vorschriften, und muß man, um ihn allhier seiner Bestimmung gemäß zu bewegen, durchaus die Maschinen an eine andere Welt ansetzen? Kann derjenige wohl red­ lich, kann er wohl tugendhaft heißen, welcher sich gern seinen Lieb­ lingslastern ergeben würde, wenn ihn nur keine künftige Sttafe schreckte, und wird man nicht vielmehr sagen müsse», daß er zwar die Ausübung der Bosheit scheue, die lasterhafte Gesinnung aber in seiner Seele nähre, daß er den Vorteil der tugendähnlichen Hand­ lungen liebe, die Tugend selbst aber hasse? Und in der Tat lehrt die Erfahrung auch, daß so viele, welche von der künftigen Welt belehrt und überzeugt stad, gleichwohl dem Laster und der Niederttächtigkeit ergeben, nur auf Mittel sinnen, den drohenden Folgen der Zukunft arglistig auszuweichen; aber es hat wohl niemals eine rechtschaffene Seele gelebt, welche den Gedanken hätte erttagen können, daß mit dem Tode alles zu Ende sei, und deren edle Gesinnung sich nicht zur Hoffnung der Zukunft erhoben hätte. Daher scheint es der mensch­ lichen Natur und der Reinigkeit der Sitten gemäßer zu sein, die Er­ wartung der künftigen Welt auf die Empfindungen einer wohl­ gearteten Seele, als umgekehrt ihr Wohlverhalten auf die Hoffnung der anderen Welt zu gründen. So ist auch der moralische Glaube bewandt, besten Einfalt mancher Spitzfindigkeit des Vernünftelns überhobea sein kann, und welcher einzig und allein dem Menschen in jeglichem Zustande angemessen ist, indem er ihn ohne Umschweif zu seinen wahre« Zwecken führt. Laßt uns demnach alle lärmenden Lehrverfassungen von so entfernten Gegenständen der Spekulation und der Sorge müßiger Köpfe überlassen. Sie sind uns in der Tat gleichgültig, und der augenblickliche Schein der Gründe für oder da­ wider mag vielleicht über den Beifall der Schulen, schwerlich aber etwas über das künftige Schicksal der Redlichen entscheiden. Es war

auch die mevschkche Vernunft nicht genugsam dazu beflügelt, daß sie so hohe Wolken teilen sollte, die uns die Geheimnisse der anderen Welt aus den Augen ziehen, und den Wißbegierigen, die sich nach bet; selben so angelegentlich erkundigen, kann man den einfältige», aber sehr natürlichen Bescheid geben, daß es wohl am ratsamsten sei, wenn sie sich zu gedulden beliebten, bis sie «erden dahin kommen. Da aber unser Schicksal in der künftigen Welt vermutlich sehr darauf aukommeu mag, wie wir unseren Posten in der gegenwärtigen verwaltet haben, so schließe ich mit demjenigen, was Voltaire seinen ehrlichen Caadibe nach soviel unnützen Schulstreitigkeitea zum Beschlusse sagen läßt: „Laßt «ns unser Glück besorgen, in den Garten gehen und arbeiten!" Träume etaeS Geistersehers 1765.

(Schluß.)

Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung?" (1784). Aufklärung ist der AuSgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von ftemder Leitung frei gesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gern zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Cs ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich eia Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich hab« nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werben das verdrieß­ liche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außerdem daß er beschwerlich ist, auch für sehr ge­ fährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberauf­ sicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr

Hausvteh zuerst dumm gemacht habm, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpft ja keinen Schritt außer dem Gäugel, wagen, darin fle sie einsperrteo, wagen dursten, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn fle es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würde« durch etuigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeint-, lich von allen ferneren Versuchen ab. ES ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, flch auS der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat ste sogar ltebgewoanea und ist vorherhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder viel, mehr Mißbrauchs seiner Naturgabe«, sind die Fußschelle« einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer ste auch abwürfe, würde dennoch auch über dm schmälsten Graben einen nur ««sicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszu, wickeln und dennoch einen stcherea Gang zu tun. Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Dean da werdm sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Dormüadem des großm Haufens, finden, welche, nach, dem ste das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfta haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten «erden. De, sovders ist hierbei: daß bas Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, ste hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Auf, klärung unfähig find, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es, Dorurteile zu pflauzeu, weil fle sich zuletzt au deum selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch etue Re, volutiou wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despo­ tismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werben, ebensowohl als die alte«, zum ieitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufklärung aber wird nicht- erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Deruuvfi in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten ruft«: Räsonniert nicht! Der Offizier sagt: Räsonniert nicht, sondern exerziert! Der Fiaanzrat: Räsonniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: Räsonniert nicht, sondern glaubt! (Rur eia einziger Herr in der Sktt1) sagt: Räsonniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? — Ich antworte: Der -ffentliche Gebrauch seiner Dernuast muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen; der Privat gebrauch derselben aber darf öfter- sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewtffea ihm aaverttauten bürger­ lichen Posten oder Amte von seiner Dernuast machen darf. Run ist zu manchen Geschäften, die in da- Interesse de- gemeinen Wesen­ laufen, eia gewisser Mechaai-mu- notwendig, vermittelst dessen einige Glieder de- gemeinen Wesen- flch bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffent­ lichen Zwecken gerichtet ober wenigsten- von der Zerstörung dieser Zwecke abgehaltea zu «erden. Hier ist e- nun ftellich nicht erlaubt zu räsonniere«; sondern man muß gehorchen. Sofern flch aber dieser Teil der Maschine zugleich al- Glied eine- ganzen gemeinen Wesen-, ja sogar der Weltbürgergesellschaft aafleht, mithin in der Qualität eine- Gelehrten, der flch an ein Publikum im eigentlichen Verstände durch Schriften «endet, kann er allerdiag- räsonnieren, ohne daß dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Teile al- passiveGlieb aagesetzt ist. So würbe e- sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwa- anbefohlen wirb, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit diese- Befehl- laut ver­ nünfteln wollte; er muß gehorchen. E- kann ihm aber btlligermaßea nicht verwehrt «erden, al- Gelehrter über die Fehler im Lrteg-bieaste Anmerkungen zu machen und diese seinem Publikum zur Beurtelluug vorzulegen. Der Bürger kann flch nicht weigern, die ihm auferlegtea l) Friedrich der Große.

Abgabe« zu leiste«; sogar kann ei« vorwitziger Label solcher Auflage«, wea« sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skandal (das allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte) bestraft werden. Ebenderselbe handelt demohngeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er als Gelehrter wider die Ungeschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine Gedanken äußert. Ebenso ist ein Geistlicher verbunden, seinen States chismusschülera und seiner Gemeinde nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu tun, denn er ist auf diese Bedingung angenommen worben. Aber als Gelehrter hat er volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohl­ meinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchen­ wesens dem Publikum mitzuteilen. Es ist hierbei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn was er zufolge seines Amts, als Geschäftsträger der Kirche, lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern daß er nach Vorschrift und im Namen eines anderen vorzutragen angestellt ist. Er wird sagen: unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Ge­ meinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahr­ heit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der inneren Religion Widersprechendes darin aagetroffen wird. Denn glaubte er das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewisse» nicht verwalten können; er müßte es aiederlegen. Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß ein Privatgebrauch, «eil diese immer nur eine häusliche, obzwar noch so große Versammlung ist; und in Ansehung dessen ist er als Priester nicht frei und darf es auch nicht sein, weil er einen ftemden Auftrag ausrichtet. Da­ gegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publi­ kum, «ämlich der Welt spricht, mithin der Geistliche im öffent­ lichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen. Denn daß die Vormünder des Volks (in geistlichen Dingen) selbst wieder unmündig sein sollen, ist eine Un­ gereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft.

Mer sollte nicht eine Gesellschaft von Geistliche«, etwa eine Kirchenversammlung oder eine ehrwürdige Classis (wie sie sich unter den Holländern selbst nennt), berechtigt sein, sich eidlich auf eia ge­ wisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unauf­ hörliche Obervormuabschaft über jedes ihrer Glieder und vermittelst ihrer über das Volk ju führen und diese sogar zu verewigen? Ich sage: das ist ganz unmöglich. Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten ge­ schlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig; und sollte er auch durch die obe^ke Gewalt, durch Reichstage und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein. Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muß, seine (vornehmlich so sehr an­ gelegentliche) Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiter zu schreiten. Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreitea besteht, und die Nach­ kommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als ««befugter und stevelhaster Weise genommen, zu verwerfe«. Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte? Nun wäre dieses wohl, gleichsam in der Erwartung eines besseren, auf eine bestimmte kurze Zeit mög­ lich, um eine gewisse Ordnung etnzuführe«; indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geistlichen, frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d. i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen, indessen die eiageführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einsicht in die Beschaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewährt worden, baß sie durch Vereinigung ihrer Stimme« (wenngleich nicht aller) einen Vorschlag vor de« Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der besseren Einsicht zu einer ver­ änderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim Alten wollten bewenden lassen. Aber auf eine beharrliche, von niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religions­ verfassung auch nur binnen der Lebensdauer eines Mensche« sich zu einigen, und dadurch einen Zeitraum in dem Fortgänge der Mensch­ heit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig zu machen, ist schlech1/3

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terdiugs unerlaubt. Ein Mensch kann Mar für seine Person und auch alsdann nur auf einige Zeit in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschiebev; aber auf sie Verzicht zu tu», es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger eia Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetz­ gebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesamten Volks­ willen in dem seinigen vereinigt. Wenn er nur darauf sieht, daß alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung zusammen bestehe, so kann er seine Untertanen übrigens nur selbst machen lassen, was sie um ihres Seelenheils willen zu tun «Stig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, daß nicht einer den anderen gewalttätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinen Vermögen zu arbeiten. Es tut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch seine Untertanen ihre Einsichten ins Reine zu bringen suchen, seiner Regierungsaufstcht würdigt, so­ wohl wenn er dieses aus eigener höchster Einsicht tut, wo er sich dem Vorwurfe aussetzt: Caesar non est supra grammaticos, als auch und noch «eit mehr, wenn er seine oberste Gewalt ß» «eit erniedrigt, den geistlichen Despotismus einiger Tyrannen in seinem Staate gegen seine übrigen Untertanen zu unterstützen. Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem auf­ geklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon imstande wären oder darin auch nur gesetzt werbe« könnten, in Religionsdingen sich ihres eigene» Ver­ standes ohne Leitung eines anderen sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin ftei zu bearbeiten, und die Hindernisse der aktzemeinen Aufklärung oder des Ausganges aus ihrer selbstverschuldeten Un­ mündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deut­ liche Anzeigen. Ja diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert Friedrichs. Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet, zu sagen, daß er es für Pflicht halte, in Religtonsdingen den Menschen nichts vor­ zuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst de» hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufgeklärt und verdient von der dankbaren Welt und Nach-

tvelt als derjenige gepriesen zu werde«, der zuerst bas meuschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens vou feite« der Regierung, eatschlug und jedem ftei ließ, sich ia allem, was Gewisseusangelegenheil ist, seiner eigene« Demunft zu bediene«. Unter ihm dürfe« verehruugswürdige Geistliche, unbeschadet ihrer Amtspflicht, ihre vom aageaommeve« Symbol hier oder da abweichenden Urteile uad Einsichten in der Qualität der Gelehrte« ftei und öffentlich der Welt zur Prüfung darlegen; noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen einer sich selbst mißverstehenden Regierung zu ringen hat. Den» es leuchtet dieser doch eia Beispiel vor, daß bei Freiheit für die öffentliche Ruhe uad Einigkeit des gemeinen Wesens nicht bas mindeste zu besorgen sei. Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohigkett heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten. Ich habe dm Hauptpunkt der Aufklärung, die des Ausganges der Mmschm aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich ia Reltgioassachea gesetzt: «eil ia Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, dm Vormund über ihre Untertanen zu spielen, überdem auch jme Unmündigkeit, sowie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist. Aber die Denkungsart eines Staatsoberhauptes, der die erstere begünstigt, geht noch weiter und fleht ein: baß selbst ia Ansehung seiner Gesetz­ gebung es ohne Gefahr sei, seinen Untertanm zu erlaubm, vou ihrer eigeum Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machm und ihre Ge­ danken über eine bessere Abfassung derselbm, sogar mit einer fteimütigm Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegea; davon wir ein glänzendes Beispiel habm, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorgiag, welchen wir verehrm. Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohlbiszipltaiertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, — kann das sagm, was eia Freistaat nicht wagen darf: Räsonniert, soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein beftemdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge; sowie auch sonst, wenn man ihn im großm betrachtet, darin fast alles paradox ist. Eta größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Frei­ heit des Geistes des Volks vorteilhaft uad setzt ihr doch unüberstetgliche Schranken; eia Grad weniger von jener verschafft hingegen

diesem Raum, sich »ach allem seinem Vermögen auszubretten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für bett sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dies der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grunde sätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der »uv mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln. Königsberg in Preuße«, dm 30. September 1784.

Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht.

(1784) Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die mmschlichen Handlungen, ebenso­ wohl als jede andere Naturbegebenheit nach allgemeinen Natur­ gesetzen bestimmt. Die Geschichte, welche sich mit der Erzählung dieser Erscheinungen beschäftigt, so tief auch deren Ursachen verborgen sei» mögen, läßt dennoch von sich hoffen: daß, wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlich«» Willens im großen betrachtet, sie einen regelmäßigen Gang derselben entdecken könne; und daß auf die Art, was an einzelnen Subjektm verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwicklung der ursprüvglichm Aalagm derselbm werde erkannt werden könam. So scheinen die Ehm, die daher kommenden Geburten und das Sterben, da der freie Wille der Menschen auf sie so großen Einfluß hat, keiner Regel unterworfm zu sein, nach welcher man die Zahl derselbm zum voraus durch Rechnung bestimmen könne; und doch beweisen die jährliche» Tafeln derselben in großm Ländern, daß sie ebensowohl »ach beständigen Naturgesetzen geschehen, als die so unbeständigm Witterungen, deren Ereignis man einzeln nicht vor­ herbestimmen kann, die aber im ganzen nicht ermangeln, den Wachs­ tum der Pflanzen, den Lauf der Ströme und andere Naturanstalten in einem gleichförmigen, ununterbrochenen Gange zu erhalten. Einzelne Menschen und selbst ganze Völker dmkm wenig daran, daß, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne und einer oft wider den an-

bereu, ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Natur­ absicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fort­ gehen und an derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde. Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht bloß instinktmäßig wie Tiere und doch auch nicht, wie vernünftige Weltbürger, nach einem verabredeten Plane im ganzen verfahren, so scheint auch keine plan­ mäßige Geschichte (wie etwa von den Bienen oder den Bibern) von ihnen möglich zu sein. Man kann sich eines gewissm Unwillens nicht erwehren, wenn man ihr Tun und Lassen auf der großen Weltbühne aufgestellt steht; und bei hin und wieder anscheinender Weisheit im einzelnen, doch endlich alles im großen aus Torheit, kindischer Eitel­ keit, oft auch aus kindischer Bosheit und Zerstörungssucht zusammen­ gewebt findet; wobei man am Ende nicht weiß, was man stch von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen Begriff machen soll. Es ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als daß, da er bei Menschen und ihrem Spiele im großen gar keine vernünftige eigene Absicht voraussetzm kann, er versuche, ob er nicht eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken könne, aus welcher von Geschöpfen, die ohne eigenen Plan verfahr«, dennoch eine Geschichte nach einem bestimmten Plane der Natur möglich sei. — Wir wollen sehen, ob es uns gelingen werde, einen Leitfaden zu einer solchen Geschichte zu finden, und «ollen es dann der Natur überlassen, den Mann hervorzubringen, der imstande ist, sie danach abzufassen. So brachte sie einen Kepler hervor, der die exzentrischen Bahn« der Planeten auf eine unerwartete Weise bestimmten Gesetzen unterwarf, und einen Newton, der diese Gesetze aus einer allgemeinen Naturursache erklärte.

Erster Satz.

Alle Naturanlagen eines Geschöpfes sind bestimmt, sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln. Bei allen Tieren bestätigt dieses die äußere sowohl als Innere oder zergliedernde Beobachtung. Ein Organ, das nicht gebraucht «erden soll, eine Anordnung, die ihren Zweck nicht erreicht, ist ein Wider­ spruch in der teleologischen Naturlehre. Denn wenn wir von jenem Grundsätze abgehen, so haben wir nicht mehr eine gesetzmäßige, sondern eine zwecklos spielende Natur, und das trostlose Ungefähr tritt an die Stelle des Leitfadens der Vernunft.

Zweiter Satz. Am Menschen (als dem eitrige» vernünftigen Geschöpf auf Erden) sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft abgettelt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig eatwickeln. Die Vernunft in einem Geschöpfe ist eia Vermögen, die Regeln und Absichten des Gebrauchs aller seiner Kräfte weit über den Naturinstinkt zu erweitern, und kennt keine Grenzen ihrer Eutwürfe. Sie wirkt aber selbst nicht instinktmäßig, sondern bedarf Versuche, Übung und Unterricht, um von einer Stufe der Einsicht zur andern allmählich fortzuschreiten. Daher würde ei« jeder Mensch unmäßig lange leben müssen, um zu lernen, wie er von allen seinen Naturanlagea einen vollständigen Gebrauch machen solle; oder, wenn die Natur seine Lebensftist nur kurz angesetzt hat (wie es wirk­ lich geschehen ist), so bedarf sie einer vielleicht uaabsehlichea Reihe von Zeugungen, deren eine der anderen ihre Aufklärung überliefert, um endlich ihre Keime in unserer Gattung zu derjenigen Stufe der Entwicklung zu treiben, welche ihrer Absicht vollständig angemessen ist. Und dieser Zeitpunkt muß wenigstens in der Idee deS Menschen das Ziel seiner Bestrebungen sein, weil sonst die Naturanlagea größtenteils als vergeblich und zwecklos angesehen «erden müßten; welches alle praktische Prinzipien aufhebea, und dadurch die Natur, deren Weisheit in BeurteUuag aller übrigen Anstalten sonst zum Grundsätze dienen muß, am Menschen allein eines kindischen Spiels verdächtig machen würde. Dritter Satz.

Die Natur hat gewollt, daß der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines tierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe und keiner anderen Glückseligkeit oder Vollkommenheit teilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinkt, durch eigene Vernunft verschafft hat. Die Natur tut nämlich nichts über­ flüssig und ist im Gebrauche der Mittel zu ihren Zwecken nicht ver­ schwenderisch. Da sie dem Menschen Derauaft und darauf sich gründende Freiheit des Willens gab, so war das schon eine klare An­ zeige ihrer Absicht in Ansehung seiner Ausstattung. Er sollte näm­ lich nun nicht durch Instinkt geleitet oder durch anerschaffene Kenntnis versorgt und unterrichtet sein; er sollte vielmehr alles aus sich selbst

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herausbringea. Die Erfindung seiner Nahrungsmittel, seiner Be­ deckung, seiner äußeren Sicherheit und Verteidigung (wo;« sie ihm weder die Hörner des Stiers noch die Klauen des Löwen noch das Gebiß des Hundes, sonder« bloß Hände gab), alle Ergötzlichkett, die das Leben angemhm machen kann, selbst seine Einsicht und Klugheit, und sogar die Gutartigkeit seines Willens sollten gäniltch sein eigen Werk sein. Sie scheint sich hier in ihrer größten Sparsam­ keit selbst gefallen zu haben, und ihre tierische Ausstattung so knapp, so genau auf das höchste Bedürfnis einer anfänglichen Existent ab­ gemessen zu haben, als wollte sie: der Mensch sollte, wenn er sich aus der größten Rohigkeit dereinst jur größten Geschicklichkeit, innerer Vollkommenheit der Denkungsart und (soviel es auf Erden möglich ist) dadurch zur Glückseligkeit emporgearbeitet haben würde, hier­ von das Verdienst ganz allein haben und es sich selbst nur verdanken dürfe»; gleich als habe sie es mehr auf seine vernünftige Selbst­ schätzung als auf et« Wohlbefinden angelegt. Denn in diesem Gange der menschlichen Angelegenheit ist ein ganzes Heer von Mühselig­ keiten, die den Menschen erwarten. Es scheint aber der Natur darum gar nicht zu tun gewesen ju sein, daß er wohl lebe, sondern daß er sich so weit hervorarbeite, um sich, durch sein Verhalten, des Lebens und des Wohlbefindens würdig zu machen. Deftemdend bleibt es immer hierbei: daß die älteren Generationen nur scheinen um der spätere« willen ihr mühseliges Geschäft ju treiben, um nämlich diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk, welches die Natur zur Absicht hat, höher bringen könnten; und baß doch nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren (zwar freilich ohne ihre Absicht) gearbeitet hatten, ohne doch selbst an dem Glück, das sie vorbereiteten, Anteil nehmen zu können. Allein so rätselhaft dieses auch ist, so notwendig ist es doch zugleich, wenn man einmal annimmt: eine Liergattung soll Vernunft haben und als Klasse vernünftiger Wesen, die insgesamt sterben, deren Gattung aber unsterblich ist, dennoch zu einer Vollständigkeit der Entwicklung ihrer Anlagen gelangen.

Vierter Satz. Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Ent­ wicklung aller ihrer Anlagen zustande zu bringen, ist der Antagonismus derselben in der Gesellschaft, sofern dieser doch am Ende die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung

derselben wird. Ich verstehe hier unter dem Antagonismus die ungesellige Geselligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben, in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Wider, stände, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, ver, bunden ist. Hiert» liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch hat eine Neigung, sich zu vergesellschaften: weil er in einem solche« Zustande sich mehr als Mensch, b. i. die Entwicklung seiner Naturanlagen fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang, sich zu vereinzelaea (isolieren): weil er in sich zu, gleich die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu wollen, «ad daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst weiß, daß er seinerseits tum Widerstand gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin bringt, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Hab, sucht, sich einen Rang unter seinen Mitgerrossen zu verschaffen, die er nicht wohl leiben, von denen er aber auch nicht lassen kann. Da geschehen nun die ersten wahren Schritte aus der Rohigkeit zur Kultur, die eigentlich in dem gesellschaftlichen Wert de- Menschen besteht; da «erden alle Talente nach und nach entwickelt, der Geschmack gebildet und selbst durch fortgesetzte Aufklärung der Anfang zur Gründung einer Denkungsart gemacht, welche die grobe Natur, anlage zur sittlichen Unterscheidung mit der Zeit in bestimmte prak, tische Prinzipien, und so eine pathologisch,abgedrungene Zu, sammeustimmuug tu einer Gesellschaft endlich in ein moralisches Gante verwandeln kann. Ohne jene an sich zwar nicht liebenswürdigen Eigenschaften der Ungeselligkeit, woraus der Widerstand entspringt, den jeder bei seinen selbstsüchtigen Anmaßungen notwendig arrtreffea muß, würden in einem arkadischen Schäferleben bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe alle Talente auf ewig in ihren Keime« verborgen bleiben; die Menschen, gutartig wie die Schafe, die sie weiden, würden ihrem Dasein kaum einen größeren Wert verschaffen, als dieses ihr Hausvieh hat; sie würden das Leere der Schöpfung in Ansehung ihres Zwecks, als vernünftige Natur, nicht ausfüllen. Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die mißgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu beftiedigende Begierde zum Haben oder auch zum Herrsche«! Ohne sie würden alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, waS für seine Gattung gut ist; sie will Zwietracht. Er will gemächlich

und vergnügt leben; die Natur will aber, er soll aus der Lässigkeit und untätige« Genügsamkeit hinaus, sich in Arbeit und Mühselig­ keiten stürzen, um dagegen auch Mittel ausjufinden, sich klüglich wiederum ans den letzteren heravszujiehea. Die natürlichen Trieb­ federn dazu, die Quelle» der Uageselligkeit und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel entspringen, die aber doch auch wieder zur neuen Anspannung der Sräfte, mithin zu mehrerer Ent­ wicklung der Naturanlagen avtteibe», verraten also wohl die An­ ordnung eines weisen Schöpfers, und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischerweise verderbt habe. Fünfter Satz. Das größte Problem für die Measchengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft. Da nur in der Gesellschaft, und zwar derjenigen, die die größte Freiheit, mithin einen durchgängigen Antagonismus ihrer Glieder, und doch die genaueste Bestimmung und Sicherung der Grenzen dieser Freiheit hat, damit sie mit der Freiheit anderer bestehen könne, — da nur in ihr die höchste Absicht der Natur, näm­ lich die Entwicklung aller ihrer Anlagen, in der Menschheit erreicht «erde» kann, die Natur auch will, daß sie diesen, so wie alle Zwecke ihrer Bestimmung, sich selbst »erschaffen solle: so muß eine Gesell­ schaft, in welcher Freiheit unter äußeren Gesetzen im größt­ möglichen Grade mit unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffea wird, d. i. eine vollkommen gerechte bürgerliche Ver­ fassung die höchste Aufgabe der Natur für die Menschengaitung sein; weil die Natur nur vermittelst der Auflösung und Vollziehung derselbe« ihre Übrige» Absichten mit unserer Gattung erreichen kann. Zn diesen Zustand des Zwanges zu treten, zwingt den sonst für un­ gebundene Freiheit so sehr eingenommene» Menschen die Not, und zwar die größte unter allen, nämlich die, welche sich Menschen uateretaaoder selbst zufügen, deren Neigungen es machen, daß sie in wilder Freiheit nicht lange nebeneinander bestehen können. Allein in einem solche» Gehege, als bürgerliche Vereinigung ist, tun ebendieselben Neigungen hernach die beste Wirkung: so wie Bäume in einem Walde eben dadurch, baß ein jeder dem anderen Luft und Sonne zu benehme» sucht, einander nötigen, beides Über sich zu suchen und dadurch einen schönen geraden Wuchs bekommen; statt baß die, welche in Freiheit

und voneinander abgesondert ihre Äste nach Wohlgefallen treiben, krüppelig, schief und krumm wachsen. Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ordnung, stad Früchte der Uageselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren und so durch abgedrungene Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln. Sechster Satz. Dieses Problem ist zugleich das schwerste und das, welches von der Menschengattung am spätesten aufgelöst wird. Die Schwierigkeit, welche auch die bloße Idee dieser Aufgabe schon vor Augen legt, ist diese: der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat. Denn er mißbraucht gewiß seine Freiheit in Ansehung anderer seines­ gleichen; und ob er gleich als vernünftiges Geschöpf ein Gesetz wünscht, welches der Freiheit aller Schranken setze, so verleitet ihn doch seine selbstsüchtige tierische Neigung, wo er darf, sich selbst auszuaehmen. Er bedarf also einen Herrn, der ihm den eigenen Willen breche und ihn nötige, einem allgemeingültigen Willen, dabei jeder frei sein kann, zu gehorchen. Wo nimmt er aber diesen Herrn her? Nir­ gend anders als aus der Menschengattung. Aber dieser ist ebensowohl ein Tier, das einen Herrn nötig hat. Er mag es also anfangem, wie er will: so ist nicht abzusehea, wie er sich eia Oberhaupt der öffent­ lichen Gerechtigkeit verschaffen könne, das selbst gerecht sei; er mag dieses nun in einer einzelnen Person oder in einer Gesellschaft vieler dazu auserlesener Personen suchen. Denn jeder derselben wird immer seine Freiheit mißbrauchen, wenn er keinen über sich hat, der nach den Gesetzen über ihn Gewalt ausübt. Das höchste Oberhaupt soll aber gerecht für sich selbst, und doch ein Mensch sein. Diese Aufgabe ist daher die schwerste unter allen; ja ihre vollkommene Auflösung ist unmöglich: aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegt?) Daß sie auch diejenige sei, welche am spätesten ins Werk gerichtet wird, folgt überdem auch daraus: daß hiezu richtige Begriffe von der ') Die Rolle des Menschen ist also sehr künstlich. Wie es mit den Einwohnern anderer Planeten und ihrer Matur beschaffen sei, wissen wir nickt: wenn w»r aber diesen Auftraa der Matur aut Ausrichten, so können wir uns wohl schmeicheln, daß wir unter unseren Rachbarn im Weltgebäude einen nicht geringen Rana behmwten dürften. Vielleicht mag bet diesen ein jedes Individuum seine Bestimmung in seinem Leben völllgs erreichen. Bet unS ist es anders; nur die Gattung kann dieses hoffen.

Natur einer möglichen Verfassung, große, durch viel Weltläufe ge­ übte Erfahrenheit und über das alles eia jur Aaaehmung der­ selben vorbereiteter guter Wille erfordert wird, drei solche Stücke aber sich sehr schwer und, wenn es geschieht, nur sehr spät, nach viel vergeblichen Versuchen, einmal zusammeafindea können. Siebenter Satz.

Das Problem der Errichtung einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung ist von dem Problem eines gesetzmäßige» äußeren Staatenverhältatsses abhängig und kann ohne das letztere nicht aufgelöst werden. Was Hilsts, an einer gesetzmäßigen bürgerlichen Verfassung unter ein-einen Mensche», d. t. an der Anordnung eines gemeinen Wesens zu arbeiten? Dieselbe Ungeselligkeit, welche die Menschen hierzu nötigte, ist wieder die Ursache, daß eia jedes Gemeinwesen in äußerem Verhältnisse, d. t. als eia Staat in Beziehung auf Staaten in unge­ bundener Freiheit steht, und folglich einer von dem anderen eben die Übel erwarten muß, die die einzelnen Menschen drückten und sie zwangen, in einen gesetzmäßige» bürgerlichen Zustand zu treten. Die Natur hat also die Unvertragsamkeit der Menschen, selbst der großen Gesellschaften und Staatskörper dieser Art Geschöpfe, wieder zu einem Mittel gebraucht, um tu dem unvermeidlichen Antago­ nismus derselben einen Zustand der Ruhe und Sicherheit auszu­ finden; d. i. sie treibt durch die Kriege, durch die überspannte und niemals nachlassende Zurüstung zu denselben, durch die Not, die dadurch endlich ein jeder Staat, selbst mitten im Frieden, innerlich fühle« muß, zu anfänglich unvollkommenen Versuchen, endlich aber »ach viele» Verwüstungen, Umkippungen und selbst durchgängiger innerer Erschöpfung ihrer Kräfte zu dem, was ihnen die Vernunft auch ohne so viel ttaurige Erfahrung hätte sagen können, nämlich: aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hiaauszugeheu und in einen Völkerbund zu treten; wo jeder, auch der kleinste Staat, seine Sicher­ heit und Rechte nicht von eigener Macht ober eigener rechtlicher Beurteilung, sondern allein von diesem großen Völkerbünde (Foedus Amphictyonum), von einer vereinigten Macht und von der Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens erwarte» könnte. So schwärmerisch diese Idee auch zu sein scheint, und als eine solche an einem Abbö von St. Pierre oder Rousseau*) verlacht worden *) Oer AbbL de St. Pier re (1659—1743) schrieb nach dem spanischen Srbfolgekrieg ein Projet de paix perp6tuelle (Utrecht 1713); I. I. Rousseau veröffentlichte 1760 einen AuS-ug daraus. (M)

(vielleicht, weil sie solche in der Ausführung zu nahe glaubten): so ist es doch der unvermeidlich« Ausgang der Not, worein sich Menschen einander versetzen, die die Staaten zu eben der Entschließung (so schwer es ihnen auch eingeht) zwinge» muß, wozu der wilde Mensch ebenso ungern gezwungen ward, nämlich: seine brutale Freiheit aufzugeben und in einer gesetzmäßige« Verfassung Ruhe und Sicherheit zu suche». — Alle Kriege sind demnach so viel Versuche (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber doch in der Absicht der Natur), neue Verhältnisse der Staaten zustande zu bringen und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung alter neue Körper zu bilden, die sich aber wieder, entweder in sich selbst oder nebeneinander, nicht erhalten könne« und daher neue ähnliche Revolutionen erleiden müssen; bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichea Dttssassung innerlich, teils durch eine gemeinschaftliche Ver­ abredung und Gesetzgebung äußerlich, ein Zustand errichtet wird, der, einem bürgerlichen gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Auto­ mat sich selbst erhalten kann. Ob man es nun von einem epikurischen Zusammenlauf wir­ kender Ursachen erwarten solle, daß die Staaten, so wie die kleinen Stäubchen der Materie, durch ihren ungefähren Zusammenstoß allerlei Bildungen versuchen, die durch neuen Anstoß wieder zerstört werden, bis endlich einmal von ungefähr eine solche Bildung gelingt, die sich in ihrer Form erhalten kann (ein Glückszufall, der sich wohl schwerlich jemals zutrageu wirb!); oder ob man vielmehr annehmev solle, die Natur verfolge hier einen regelmäßigen Gang, unsere Gattung von der unteren Stufe der Tierheit an allmählich bis zur höchsten Stufe der Menschheit, und zwar durch eigene, obzwar dem Menschen abgebrungeae Kunst zu führen, und entwickele in dieser scheinbarlich wilden Unordnung ganz regelmäßig jene ursprüng­ lichen Anlagen; ober ob man lieber will, daß aus allen diesen Wir­ kungen und Gegenwirkungen der Menschen im große« überall nichts, wenigstens nichts Kluges herauskomme, daß es bleiben werde, wie es von jeher gewesen ist, und man daher nicht voraussagen könne, ob nicht die Zwietracht, die unserer Gattung so natürlich ist, am Ende für uns eine Hölle von Übeln in einem noch so gesitteten Zustande vorbereite, indem sie vielleicht diesen Zustand selbst und alle bisherigen Fortschritte in der Kultur durch barbarische Verwüstung wieder vernichten werbe (ein Schicksal, wofür man unter der Regierung des blinden Ungefährs nicht stehen kann, mit welcher gesetzlose Freiheit in der Tat einerlei ist, wenn man ihr nicht einen insgeheim an Weis-

heit geknüpfte« Leitfaden der Natur unterlegt!), das läuft ungefähr auf die Frage hinaus: ob es wohl vernünftig sei, Zweckmäßigkeit der Naturanstalt in Teilen und doch Zwecklosigkeit im ganzen aazuaehmea? Was also der zwecklose Zustand der Wilden tat, baß er nämlich alle Naturanlagen in unserer Gattung zurückhielt, aber end­ lich durch die Übel, worin er diese versetzte, fle nötigte, aus diesem Zustande hinaus und in eine bürgerliche Verfassung zu treten, in welcher alle jene Keime entwickelt werden können, das tut auch die barbarische Freiheit der schon gestifteten Staaten, nämlich: daß durch die Verwendung aller Kräfte der gemeinen Wesen auf Rüstungen gegeneinander, durch die Verwüstungen, die der Krieg anrichtet, noch mehr aber durch die Notwendigkeit, sich beständig in Bereit­ schaft dazu zu erhalten, zwar die völlige Entwicklung der Natur­ anlagen in ihrem Fortgänge gehemmt wird, dagegen aber auch die Übel, die daraus entfpringen, unsere Gattung nötigen, zu dem an sich heilsamen Widerstande vieler Staaten aebeaeiaander, der aus ihrer Freiheit entspringt, ein Gesetz des Gleichgewichts aufzufinde« und eine vereinigte Gewalt, die demselben Nachdruck gibt, mithin eine« weltbürgerlichen Zustand der öffentlichen Staatssicherheit etnzuführea, der nicht ohne alle Gefahr sei, damit die Kräfte der Mensch­ heit nicht eiaschlafe«, aber doch auch nicht ohne eia Prinzip der Gleichheit ihrer wechselseitigen Wirkungen und Gegenwir­ kungen, damit fle einander nicht zerstören. Che dieser letzte Schritt (nämlich die Staatenverbindung) geschehen, also fast nur auf der Hälfte ihrer Ausblldung, erduldet die menschliche Natur die här­ testen Übel, unter dem betrüglichea Anschein äußerer Wohlfahrt; und Rousseau hatte so unrecht nicht, wenn er den Zustand der Wilden vorzog, sobald man nämlich diese letzte Stufe, die unsere Gattung noch zu ersteigen hat, wegläßt. Wir sind im hohen Grabe durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständig­ keit. Aber uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Dean die Idee der Moralität gehört noch zur Kultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sttteaähaliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit htaausläust, macht bloß die Zivllisieruag aus. Solange aber Staaten alle ihre Kräfte auf ihre eiteln und gewaltsamen Erweiterungsabstchten verwenden und so die langsame Bemühung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Bürger unaufhörlich hemmen, ihnen selbst auch alle Unter­ stützung in dieser Absicht entziehen, ist nichts von dieser Art zu er-

warten: weil dazu eine lange innere Bearbeitung jedes gemeinen Wesens jur Bildung seiner Bürger erfordert wird. Alles Gute aber, das nicht auf moralisch-gute Gesinnung gepfropft ist, ist nichts als lauter Schein und schimmerndes Elend. In diesem Zustande wird wohl das menschliche Geschlecht verbleiben, bis es sich auf die Art, wie ich gesagt habe, aus dem chaotischen Zustande seiner Staats­ verhältnisse herausgearbeitet haben wird.

Achter Satz. Man kann die Geschichte der Menschengattung im großen als die Volliiehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen, um eine innerlich- und ju diesem Zwecke auch äußerlich-vollkommene Staatsverfassuag zu­ stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann. Oer Satz ist eine Folgerung aus dem vorigen. Man sieht: die Philosophie könne auch ihren Chiliasmus haben; aber einen solchen, zu dessen Herbeiführung ihre Idee, obgleich nur sehr von weitem, selbst beförderlich werden kann, der also nichts weniger als schwärmerisch ist. Es kommt nur darauf an, ob die Erfahrung etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke. Ich sage: etwas Weniges; denn dieser Kreislauf scheint so lange Zeit zu erfordern, bis er sich schließt, daß man aus dem kleinen Teil, den die Mensch­ heit in dieser Absicht zurückgelegt hat, nur ebenso unsicher die Gestalt ihrer Dahn und das Verhältnis der Teile zum Ganzen bestimmen kann, als aus allen bisherigen Himmelsbeobachtungen den Lauf, den unsere Sonne samt dem ganzen Heere ihrer Trabanten im großen Fixsternensystem nimmt; obgleich doch aus dem allgemeinen Grunde der systematischen Verfassung des Weltbaues und aus dem Wenigen, was man beobachtet hat, zuverlässig genug, um auf die Wirklichkeit eines solchen Kreislaufes zu schließen. Indessen bringt es die mensch­ liche Natur so mit sich: selbst in Ansehung der allerentferntesten Epoche, die unsere Gattung treffen soll, nicht gleichgültig zu sein, wenn sie nur mit Sicherheit erwartet werde» kann. Vornehmlich kann es in unserem Falle um desto weniger geschehen, da es scheint, wir könnten durch unsere eigene vernünftige Veranstaltung diesen für unsere Nachkommen so ersteulichen Zeitpunkt schneller herbei­ führen. Um deswillen werden uns selbst die schwachen Spuren der Annäherung desselben sehr wichtig. Jetzt sind die Staaten schon in einem so künstlichen Verhältnisse gegeneinander, daß keiner in der

inneren Kultur nachlassen kann, ohne gegen die anderen an Macht und Einfluß zu verlieren; also ist, wo nicht der Fortschritt, dennoch die Erhaltung dieses Zwecks der Natur, selbst durch die ehrsüchtigen Absichten derselben ziemlich gesichert. Ferner: bürgerliche Freiheit kann jetzt auch nicht sehr wohl angetastet werden, ohne den Nachteil davon in allen Gewerben, vornehmlich dem Handel, dadurch aber auch die Abnahme der Kräfte des Staats im äußeren Verhältnisse zu fühlen. Diese Freiheit geht aber allmählich weiter. Wenn man den Bürger hindert, seine Wohlfahrt auf alle ihm selbst beliebige Art, die nur mit der Freiheit anderer zusammen bestehen kann, zu suchen, so hemmt man die Lebhaftigkeit des durchgängigen Betriebes und hiemit wiederum die Kräfte des Ganzen. Daher wird die persön­ liche Einschränkung in seinem Tun nnd Lassen immer mehr aufge­ hoben, die allgemeine Freiheit der Religion nachgegeben; und so entspringt allmählich, mit unterlaufendem Wahne und Grillen, Aufklärung, als ein großes Gut, welches da- menschliche Geschlecht sogar von der sMstsüchtigen Dergrößerungsabsicht seiner Beherrscher zieh« muß, wenn sie nur ihren eigenen Vorteil verstehen. Diese Aufklärung aber, und mit ihr auch ein gewisser Herzensantetl, den der aufgeklärte Mensch am Guten, das er vollkommen begreift, zu nehmen nicht vermeiden kann, muß nach und nach bis zu den Thronen hinaufgehen und selbst auf ihre Regierungsgrundsätze Ein­ fluß haben. Obgleich z. D. unsere Weltregierer zu öffentlichen Er­ ziehungsanstalten und überhaupt zu allem, was bas Weltbeste betrifft, sfr jetzt kein Geld übrig haben, «eil alles auf den künftigen Krieg schon zum voraus verrechnet ist: so «erden sie doch ihren eigenen Vorteil darin finden, die obzwar schwachen und langsamen eigenen Bemühungen ihres Volks in diesem Stücke wenigstens nicht zu hindern. Endlich wirb selbst der Krieg allmählich nicht allein ein so künstliches, im Ausgange von beiden Seiten so unsicheres, sondern auch durch die Nachwehen, die der Staat in einer immer anwachsen­ den Schuldenlast (einer neuen Erfindung) fühlt, deren TUgung unabsehlich wird, ein so bedenkliches Unternehmen, dabei der Einfluß, den jede Staatserschütterung in unserem durch seine Gewerbe so sehr verketteten Weltteil auf alle andere Staaten tut, so merklich: daß sich diese, durch ihre eigene Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern anbieten und so alles von weitem zu einem künftigen großen Staatskörper anschicken, wovon die Dorwelt kein Beispiel aufzuzeigen hat. Obgleich dieser Staats­ körper für jetzt nur noch sehr im rohen Entwürfe dasteht, so fängt

sich dennoch gleichsam schon ein Gefühl in allen Gliedern, deren jedem an der Erhaltung des Ganz« gelegen ist, an zu regen; und dieses gcht Hoffnung, daß nach manchen Revolutionen der Umbildung endlich das, was die Natur zur höchsten Absicht hat, ein allgemeiner weltbürgerlicher Zustand als der Schoß, worin alle ursprüag, licheu Anlagen der Meascheagattung entwickelt «erden, dereinst einmal zustande kommen werde. Neunter Satz. Eia philosophischer Versuch, die allgemeine Welt, geschichte nach einem Plane der Natur, der auf die voll, kommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengat, tung abziele, zu bearbeiten, muß als möglich und selbst für diese Naturabsicht beförderlich angesehen werden. Es ist zwar ein bestemdlicher und dem Anscheine nach ungereimter Anschlag, nach einer Idee, wie der Weltlauf gehen müßte, wenn er gewissen vernünftigen Zwecken angemessen sein sollte, eine Ge, schichte abfassen zu wollen; es scheint, in einer solchen Absicht könne nur ein Roman zustande kommen. Wen« man indessen aanehmen darf, daß die Natur selbst im Spiele der menschlichen Freiheit nicht ohne Plan und Eadabsicht verfahre, so könnte diese Idee doch wohl brauchbar werden; und ob wir gleich zu kurzsichtig sind, den ge, Heime« Mechanismus ihrer Veranstaltung durchzuschauen, so dürfte diese Idee uns doch zum Leitfaden dienen, ein sonst planloses Aggre­ gat menschlicher Handlungen, wenigstens im großen, als ein System darzustellen. Dean wenn man von der griechischen Geschichte — als derjenigen, wodurch uns jede andere ältere oder gleichzeitige auf, behalten worden, wenigstens beglaubigt «erde» muß*) — aahebt; wenn man derselben Einfluß auf die Bildung und Mißbildung des Staatskörpers des römischen Volks, das den griechisch« Staat verschlang, und des letzteren Einfluß auf die Barbaren, die jenen wiederum zerstörten, bis auf unsere Zeit verfolgt, dabei aber die Staatengeschichte anderer Völker, so wie beten Kenntnis durch eben diese aufgeklärt« Nation« allmählich zu uns gelangt ist, episodisch *) Rur do gelehrte- Publikum, baS von seinem Anfänge an btS zu uaS ununter, fortgebauert hat, kann die alte Geschichte beglaubigen. Uber dasselbe hinaus ist alles terra incognita; und die Geschichte der Völler, die außer demselben lebten, kann nur von der gelt augefangeu werden, da sie darin eintraten. DieS geschah mit dem jüdischen Volk zur Zeit der Ptolemäer durch die griechische Bibelübersetzung, ohne welche man ihren isolierten Nachrichten wenig Glauben beimessen würde. Don da (wenn dieser Anfang vorerst gehörig auSgemittelt worden) kann man aufwärts ihren Erzählungen nachgehen. Und so mit allen übrigen Völkern. OaS erste Blatt im ThucydtdeS (fagt tzume) ist der einzige Anfang aller wahren Geschichte.

beochen

hinzutut: so wird man einen regelmäßigen Gang der Verbesserung der Staatsverfassung in unserem Weltteile (der wahrscheinlicher««^ allen andere« dereinst Gesetze geben wird) entdecken. Indem man ferner allenthalben nur auf die bürgerliche Verfassung und deren Gesetze und auf das Staatsverhältnis acht hat, insofern beide durch das Gute, welches ste enthielten, eine Zeitlang dazu dienten, Völker (mit ihnen auch Künste und Wissenschaften) emporjuhebev und zu verherrlichen, durch das Fehlerhafte aber, da- ihnen anhiug, ste. wiederum zu stürzen, so doch, baß immer ein Keim der Aufklärung übrig blieb, der, durch jede Revolution mehr eattvickelt, eine folgende noch höhere Stufe der Verbesserung vorbereitete: so wird sich, wie ich glaube, ein Leitfaden entdecke«, der nicht bloß zur Erklärung des so verworrenen Spiels menschlicher Dinge, oder zur politischen Wahr­ sagerkunst künftiger Staatsveräaberungea dienen kann (ein Nutze«, den man schon sonst aus der Geschichte der Menschen, wenn man ste gleich als unzufammeahäageade Wirkung einer regellosen Freiheit ansah, gezogen hat!), sonder« es wird (was man, ohne einen Natur­ plan vorauszusetzen, nicht mit Grund hoffen kaun) eine tröstende Aussicht in die Zukunft eröffnet werden, in welcher die Menschen­ gattung in weiter Ferne vorgestellt wird, wie ste sich endlich doch zu dem Zustande emporarbeitet, in welchem alle Keime, die die Natur in ste legte, völlig können entwickelt und ihre Bestimmung hier auf Erden kann erfüllt werden. Eine solche Rechtfertigung der Natur — ober besser der Vorsehung — ist kein «»wichtiger Bewegungs­ grund, einen besonderen Gesichtspunkt der Weltbettachtung zu wählen. Den« waS hilft's, die Herrlichkeit und Weisheit der Schöpfung im vernunstlosen Naturreiche zu preise« und der Bettachtung zu emp­ fehlen, wenn der Teil des großen Schauplatzes der oberste« Weis­ heit, der von allem diesem den Zweck enthält — die Geschichte des menschlichen Geschlechts —, ein unaufhörlicher Einwurf dagegen bleibe« soll, dessen Anblick uns nötigt, unsere Augen von ihm mit Unwillen «egzuwenden, und, indem wir verzweifeln, jemals darin eine vollendete vernünftige Absicht anzutteffen, uns dahin bringt, ste nur in einer anderen Welt zu hoffen? Daß ich mit dieser Idee einer Weltgeschichte, die gewissermaßen einen Leitfaden a priori hat, die Bearbeitung der eigentlichen, bloß empirisch abgefaßtea Historie verdrängen wollte, wäre Mißdeutung meiner Absicht; es ist nur ein Gedanke von dem, was ein philoso­ phischer Kopf (der übrigens sehr geschichtskundig fei» müßte) noch aus einem anderen Standpunkte versuchen könnte. Überdem muß 1/4

die sonst rühmliche Umständlichkeit, mit der man jetzt die Geschichte seiner Zeit abfaßt, doch einen jeden natürlicherweise auf die Bedenk­ lichkeit bringen: wie es unsere späten Nachkommen aafavgeu werden, die Last von Geschichte, die wir ihnen nach einigen Jahrhunderten hinterlasse« möchte«, ju fasse«. Ohne Zweifel werden sie die der ältesten Zeit, von der ihnen die Urkunden längst erloschen sein dürften, nur aus dem Gestchtspunkte dessen, was sie interessiert, nämlich desjenigen, was Völker und Regierungen in weltbürgerlicher Absicht geleistet oder geschadet haben, schätzen. Hierauf aber Rücksicht j« nehmen, imgleichen auf die Ehrbegierde der Staatsoberhäupter sowohl als ihrer Diener, um sie auf das einzige Mittel ju richten, das ihr rühmliches Andenken auf die späteste Zeit bringm kann: das kaun noch überdem einen kleinen Bewegungsgrund zum Ver­ suche einer solchen philosophischen Geschichte abgeben.

Ankündigung der kritischen Philosophie.

Oie menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkennwisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn fle sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft?) In diese Verlegenheit gerät sie ohne ihre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung un­ vermeidlich und jugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer höher, tu entfernteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäft jederteit unvollendet bleiben müsse, «eil die Fragen niemals aufhörev, so sieht sie sich genötigt, zu Grundsätzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglich« Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnisse steht. Dadurch aber stürzt sie sich ia Dunkelheit und Widersprüche, aus welchen sie zwar abnehmen kann, daß irgendwo verborgene Irrtümer zugrunde liege« müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsätze, deren sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung hinaus>) „Diese unvermeidlichen Aufgabe« der reinen Vernunft selbst sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit." (Jt.)

gehe«, keines Probiersteis der Erfahrung mehr aserkevsev. Der Kampfplatz dieser evdlosea Stteitigkeitea heißt nun Metaphysik.

Es war eine Zeit, io welcher sie die Köaigiv aller Wissen, schäften genannt wurde und, wenn man den Willen für die Tat nimmt, so verdiente sie, wegen der vortügliche« Wichtigkeit ihres Gegenstandes, allerdings diesen Ehrennarnen. Jetzt bringt es der Modetoa des Zeitalters so mit sich, ihr alle Verachtung zu beweisen, und die Matrone klagt, verstoßen und verlassen, wie Hekuba: Modo maxima rerum, tot generis natisque potens — nunc trahor exul, inops. (Ovid. Metam.1)

Indessen ist diese Gleichgültigkeit, die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften ereignet und gerade diejenige trifft, auf deren Kenntnisse, wenn dergleichen zu haben wären, man unter allen am wenigstell Verzicht tun würde, doch ein Phänomen, das Aufmerk­ samkeit und Nachflnnen verdient. Eie ist offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinns, sondern der gereiften Urteilskraft des Zeitalters, welches sich nicht länger durch Scheinwiffen Hinhalten läßt, und eine Aufforderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Ge, schäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis aufs neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlose» Anmaßungen nicht durch Machtsprüche, sonder« nach ihren ewigen und unwandelbare« Ge, setzen abfertigen könne, und dieser ist kein anderer als die Kritik der reinen Vernunft selbst. Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Dernunftvermögens überhaupt, in An, sehung aller Erkennwiffe, zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung („a priori“), streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien.--------

Ob die Bearbeitung der Erkenntnisse, die zum Dernunftgeschäfte gehören, den sicheren Gang einer Wissenschaft gehe ober nicht, das läßt sich bald aus dem Erfolge beurteile«. Wenn sie nach viel ge, machten Anstalten und Zurüstungen, sobald es zum Zweck kommt, ins Stocken gerät, ober um diese» zu erreichen, öfters wieder zurück, gehen und einen andern Weg einschlagen muß; im gleichen wenn es x) „Eben tuxfc auf dem Gipfel des Glücks, gesegnet mit so vielen Söhnen und Schwieger­ söhnen — muß ich jetzt bettelarm ins Elend -lehar."

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nicht möglich ist, die verschieb«»«» Mitarbeit« in d« Art, wie die gemeinschaftliche Abstcht verfolgt «erden soll, einhellig zu machen: so kann man imm« überzeugt sein, daß eia solches Studium bei weitem noch nicht den sich««» Gang ein« Wissenschaft eingeschlagen, sondern ein bloßes Herumtappen sei, und es ist schon eia Verdienst um die Demunft, diesen Weg womöglich ausfindig zu machen, sollte auch manches als vergeblich aufgegeben wndea müssen, was in dem ohne Üb«leguag vorh« genommenen Zwecke enthalten war. Daß die Logik diesen flchera Gang schon von den ältesten Zeiten h« gegangen sei, läßt sich daraus «sehen, daß fle seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Wegschaffung einig« entbehrlichen Subtilitäten od« deutlich«« Bestimmung des Dorgetragenea als Verbesserung«» an­ rechnen will, welches ab« mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit bet Wissenschaft gehört. Merkwürdig ist noch an ihr, daß ste auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint. Daß es d« Logik so gut gelungen ist, diesen Vorteil hat ste bloß ihr« Eingeschränktheit zu »«danken, dadurch ste b«echtigt, ja ver­ bunden ist, von allen Objekten d« Erkenntais und ihrem Unt«schiede zu abstrahi«en, und in ihr also d« D«staad es mit nichts wett« als flch selbst und sein« Form zu tun hat. Weit schw«« mußte es natürlicherweise für die Vernunft sein, den stch«en Weg d« Wissen­ schaft einzuschlagea, wenn ste nicht bloß mit sich selbst, sondern auch mit Objekten zu schaffen hat; daher jene auch als Propädeutik gleich­ sam nur den Vorhof bet Wissenschaften ausmacht, und wenn von Kenntnissen die Rebe ist, man zwar eine Logik zur Beurteilung bet# selben voraussetzt, ab« die Er»v«bung d«selben in eigentlich und objektiv sogenannten Wtffeaschastea suchen muß. Die Mathematik ist von den frühesten Zeiten h«, wohin die Geschichte d« menschlichen D«nunft reicht, in dem bewunderns, würdigen Volke d« Griechen den stchern Weg d« Wissenschaft ge­ gangen. Allein man darf nicht denken, daß es ihr so leicht geworden wie bet Logik, wo die Vernunft es nur mit sich selbst zu tun hat, jenen königlichen Weg zu treffen od« vielmehr sich selbst zu bahnen; vielmehr glaube ich, daß eS lauge mit ihr (vornehmlich noch unter den Ägypt«n) beim tz«umtappen geblieben ist und diese Umände­ rung einer Revolution zuzuschreiben sei, die d« glückliche Einfall eines einzigen Mannes in einem Versuche zustande brachte, von welchem an die Dahn, die mau nehmen mußte, nicht mehr zu ver52

fehle» «ar und der sichere Gang einer Wisseaschaft sät alle Jette» ttnb in unendliche Weiten eingeschlagen und vorgezeichaet war. Die Geschichte dieser Revolution der Denkart, welche viel wichtiger war als die Entdeckung des Weges um bas berühmte Dorgebirge, und des Glücklichen, der sie justande brachte, ist uns nicht aufbehalten. Doch beweiset die Sage, welche Diogenes der Laertier uns über­ liefert, der von den kleinsten und nach dem gemeinen Urteil gar nicht einmal eines Beweises benötigten Clemente» der geometrischen Demonstrationen den angeblichen Erfinder nennt, daß da- Andenken der Veränderung, die durch die erste Spur der Entdeckung dieses neuen Weges bewirkt wurde, den Mathematikern äußerst wichtig geschienen haben müsse und dadurch unvergeßlich geworden sei. Dem ersten, der den gleichschenkeligen Triangel demonstrierte (er mag nun Thales oder wie man will geheißen haben), dem ging ein Licht auf; denn er fand, daß er nicht dem, was er in der Figur sah oder auch dem bloßen Begriffe derselben nachspüren und gleich­ sam davon ihre Cigenschafien ablernen, sondern durch das, was er nach Begriffen selbst a priori hineindachte und barstellte (durch Konstruktion) hervorbringen müsse, und daß, um sicher etwas a priori zu wissen, er der Sache nichts beilegen müsse, als waS aus dem notwendig folgte, was er seinem Begriffe gemäß selbst in sie gelegt hat. Mit der Naturwissenschaft ging es weit langsamer zu, bis sie den Heeresweg der Wissenschaft traf; denn es sind nur etwa andert­ halb Jahrhunderte, daß der Vorschlag des sinnreichen Baco von Derulam diese Entdeckung teils veranlaßte, teils, da man bereits auf der Spur derselben war, mehr belebte, welche ebensowohl nur durch eine schnell vorgegangene Revolution der Denkart erklärt «erden kann. Ich will hier nur die Naturwissenschaft, sofern sie auf empirische Prinzipien gegründet ist, in Erwägung ziehen. Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen oder Toricelli die Luft ein Gewicht, was er sich zum voraus dem einer ihm bekannten Wasser­ säule gleich gedacht hatte, tragen ließ, oder in noch späterer Zeit Stahl Metalle in Kalk und diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab, so ging allen Natur­ forschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur bas einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwürfe her­ vorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen voravgehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen

ju antworten, nicht aber sich von ihr allem gleichsam am Leit, Hande gängeln lassen müsse; dem» sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf. Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt. Und so hat sogar Physik die so vorteilhafte Revo­ lution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemäß dasjenige in ihr zu suchen (nicht ihr anzudichten), was sie von dieser lernen muß und wovon sie für sich selbst nichts wissen würde. Hierdurch ist die Naturwissenschaft allererst in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, da sie soviel Jahrhunderte durch nichts weiter als ein bloßes Herumtappen gewesen war. Der Metaphysik, einer ganz isolierten spekulativen Vernunft­ erkenntnis, die sich gänzlich über Erfahrungsbelehrung erhebt, und zwar durch bloße Begriffe (nicht wie Mathematik durch Anwendung derselben auf Anschauung), wo also Vernunft selbst ihr eigener Schüler sein soll, ist das Schicksal bisher noch so günstig nicht gewesen, daß sie den sichern Gang einer Wissenschaft einzuschlagen vermocht hätte, ob sie gleich älter ist als alle übrigen und bleiben würde, wenn gleich die übrigen insgesamt in dem Schlunde einer alles vertilgenden Barbarei gänzlich verschlungen werden sollten. Denn in ihr gerät die Vernunft kontinuierlich ins Stocken, selbst wenn sie diejenigen Gesetze, welche die gemeinste Erfahrung bestätigt (wie ste sich anmaßt) a priori einsehen will. In ihr muß man unzähligemal den Weg zurück tun, weil man findet, daß er dahin nicht führt, wo man hin will, und was die Einhelligkeit ihrer Anhänger in Behauptungen betrifft, so ist sie noch so weit davon entfernt, daß sie vielmehr ein Kampfplatz ist, der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im Spielgefechte zu üben, auf dem noch niemals irgend­ ein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz gründen können. Es ist also kein Zweifel, daß ihr Verfahren bisher ein bloßes Herumtappen und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen sei.

Woran liegt es nun, daß hier noch kein sicherer Weg der Wissen­ schaft hat gefunden werden können? Ist er etwa unmöglich? Woher hat denn die Natur unsere Vernunft mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht, ihm als einer ihrer wichtigsten Angelegenheiten nachjuspürea? Noch mehr, wie wenig haben wir Ursache, Vertrauen in unsere Vernunft jit setzen, wenn sie uns in einem der wichtigsten Stücke unserer Wißbegierde nicht bloß verläßt, sondern durch Vor­ spiegelungen hinhält und am Ende betrügt! Oder ist er bisher nur verfehlt; welche Anzeige können wir benutzen, um bei erneuertem Nachsuche« zu hoffen, daß wir glücklicher sein «erden, als andere vor uns gewesen sind? Ich sollte meinen, die Beispiele der Mathematik und Natur­ wissenschaft, die durch eine auf einmal zustande gebrachte Revolution das geworden sind, was sie jetzt sind, wäre« merkwürdig genug, um dem wesentlichen Stücke der Umänderung der Denkart, die ihnen so vorteilhaft geworden ist, nachzusinnen und ihnen, soviel ihre Analogie als Dernunfierkenntaiffe mit der Metaphysik verstattet, hierin wenigstens zum Versuch« nachzuahmen. Bisher «ahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszu­ machen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Mög­ lichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er aaaahm, bas ganze Sternheer drehe sich um de« Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehe» und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. I« der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht eia, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. Weil ich aber bei diesen Anschauungen, wenn sie Äkenntaisse werben sollen, nicht stehen

bleiben kann, sondern sie als Vorstellungen auf irgendetwas als Gegenstand beziehen und diesen durch jene bestimmen muß, so kann ich entweder annehmen, die Begriffe, wodurch ich diese Bestimmung zustande bringe, richten sich auch nach dem Gegenstände, und dann bin ich wiederum in derselben Verlegenheit wegen der Art, wie ich a priori hiervon etwas wissen könne; oder ich nehme an, die Gegen­ stände oder, welches einerlei ist, die Erfahrung, in welcher sie allein (als gegebene Gegenstände) erkannt «erden, richte flch nach diesen Begriffen, so sehe ich sofort eine leichtere Auskunft, weil Erfahrung selbst eine Erkenntnisart ist, die Verstand erfordert, dessen Regel ich in mir noch ehe mir Gegenstände gegeben werden, mithin a priori voraussetzen muß, welche in Begriffen a priori ausgedrückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfahrung notwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen. Was Gegenstände betrifft, sofern sie bloß durch Vernunft, und zwar notwendig ge­ dacht, die aber (so wenigstens, wie die Vernunft sie denkt) gar nicht in der Erfahrung gegeben «erden können, so werden die Versuche, sie zu denken (denn denken müssen sie sich doch lassen) hernach einen herrlichen Probierstein desjenigen abgeben, was wir als die ver­ änderte Methode der Denkungsart annehmen, daß wir nämlich von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen. (Slus Lea Vorreden jur „Kritik der reine« Vernunft" 1781 u. 1787.)

Von den Ideen überhaupt. Bei dem großen Reichtum unserer Sprachen findet sich doch oft der denkende Kopf wegen des Ausdrucks verlegen, der seinem Begriffe genau anpaßt und in dessen Ermangelung er weder andern, noch sogar sich selbst recht verständlich «erden kann. Neue Wörter zu schmieden, ist eine Anmaßung zum Gesetzgeben in Sprachen, die selten gelingt, und ehe man zu diesem verzweifelten Mittel schreitet, ist es ratsam, sich in einer toten und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht dieser Begriff samt seinem angemessenen Aus­ drucke vorfinde, und wenn der alte Gebrauch desselben durch Un­ behutsamkeit ihrer Urheber auch etwas schwankend geworden wäre, so ist es doch besser, die Bedeutung, die ihm vorzüglich eigen war, zu befestigen (sollte es auch zweifelhaft bleiben, ob man damals genau eben dieselbe im Sinne gehabt habe), als sein 56

Geschäft nur dadurch zu verderben, daß man sich unverständlich machte. Um deswillen, wenn sich etwa zu einem gewissen Begriffe nur ein einziges Wort vorfände, das in schon eingeführter Bedeutung diesem Begriffe genau anpaßt, dessen Unterscheidung von andern verwandten Begriffen von großer Wichtigkeit ist, so ist es ratsam, damit nicht verschwenderisch umzugehen oder es bloß zur Abwech­ selung synonimisch statt anderer zu gebrauchen, sondern ihm seine eigentümliche Bedeutung sorgfältig aufzubehaltm, »eil es sonst leichtlich geschieht: daß, nachdem der Ausdruck die Aufmerksamkeit nicht besonders beschäftigt, sondern sich unter dem Haufen anderer von sehr abweichender Bedeutung verliert, auch der Gedanke ver­ loren -ehe, den er allein hätte aufbehalten können. Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so, daß man wohl sieht, er habe darunter etwas verstanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, sondern welches sogar die Begriffe des Verstandes, mit denen sich Aristoteles beschLstigte, «eit über­ steigt, indem in der Erfahrung niemals etwas damit Kongruiermdes angetroffm wirb. Die Idem sind bei ihm Urbilder der Dinge selbst und nicht bloß Schlüssel zu möglichen Erfahrungen, wie die Kategorien. Nach seiner Meinung flössen sie aus der höchsten Vernunft aus, von da sie der menschlichen zuteil gewordm, die sich aber jetzt nicht mehr in ihrem ursprünglichm Zustande befindet, sondem mit Mühe die alten, jetzt sehr verdunkeltm Idem durch Erinnerung (die Phtlosophie heißt) zurückrufm muß. Ich will mich hier in keine literarische Untersuchung einlassm, um dm Sinn auszumachm, dm der er­ habene Philosoph mit seinem Ausdrucke verband. Ich merke nur an: baß es gar nichts Ungewöhnliches sei, sowohl im gemeinen Gespräche als in Schriften, durch die Vergleichung der Gedankm, welche ein Verfasser Über seinen Gegmstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand, indem er feinen Begriff nicht genugsam bestimmte und dadurch bisweilen seiner eigenm Absicht entgegen redete ober auch dachte. Plato bemerkte sehr wohl, daß unsere Erkenntniskraft ein weit höheres Bedürfnis fühle, als bloß Erscheinungen nach synthetischer Einheit buchstabierm, um sie als Erfahrung lesen zu können und daß unsere Vernunft natürlicherweise sich zu Erkmntnissm aufschwinge, die viel weiter gehen, als daß irgendein Gegenstand, dm Erfahrung geben kann, jemals mit ihnen kongruierm könne, die aber nichtsdestowmiger ihre Realität habm und keineswegs bloße Hirngespinste seien.

Plato fand seine Ideen vorzüglich in allem was praktisch ist, b. i. auf Freiheit beruht, welche ihrerseits unter Erkenntnissen steht, die ein eigentümliches Produkt der Vernunft sind. Wer die Begriffe der Tugend aus Erfahrung schöpfen wollte, wer das, was nur allenfalls als Beispiel zur unvollkommenen Erläuterung dienen kann, als Muster zum Erkenntnisquell machen wollte (wie es wirklich viele getan haben), der würde aus der Tugend ein nach Zeit und Umständen wandelbares, zu keiner Regel brauchbares zweideutiges Unding mache«. Dagegen wird ein jeder inne: daß, werm ihm je, mand als Muster der Tugend vorgestellt wird, er doch immer das wahre Original bloß in seinem eigenen Kopfe habe, womit er dieses angebliche Muster vergleicht und es bloß danach schätzt. Dieses ist aber die Idee der Tugend, in Ansehung deren alle möglichen Gegen­ stände der Erfahrung zwar als Beispiele (Beweise der Tunlichkeit desjenigen im gewissen Grade, was der Begriff der Vernunft heischt), aber nicht als Urbllder Dienste tun. Daß niemals ein Mensch dem­ jenigen adäquat handeln werde, was die reine Idee der Lugend enthält, beweist gar nicht etwas Chimärisches in diesem Gedanken. Dean es ist gleichwohl alles Urteil über den moralischen Wert oder Unwert nur vermittelst dieser Idee möglich; mithin liegt ste jeder Annäherung zur moralischen Vollkommenheit notwendig zugrunde, so weit auch die ihrem Grade nach nicht zu bestimmenden Hindernisse in der menschlichen Natur uns davon entfernt halten mögen. Die platonische Republik ist, als ein vermeintlich auffallendes Beispiel von erträumt« Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen Denkers ihren Sitz haben kann, zum Sprichwort geworden, und Brücker findet es lächerlich: daß der Philosoph behauptete, niemals würde ein Fürst wohl regieren, wenn er nicht der Ideen tellhaftig wäre. Allein man würde besser tun, diesem Gedanken mehr nachzugehea und ihn (wo der vortteffliche Mann uns ohne Hilfe läßt) durch neue Bemühungen ins Licht zu stellen, als ihn unter dem sehr elenden und schädlichen Vorwande der Untunlichkeit als unnütz beiseite zu stellen. Eine Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetze», welche machen: daß jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann (nicht von der größesten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen), ist doch wenigstens eine notwendige Idee, die man nicht bloß im ersten Entwürfe einer Staatsverfassung, sondern auch bei alle« Gesetzen zugrunde legen muß und wobei man anfänglich von de« gegenwärtigen Hindernissen abstrahieren muß, die vielleicht

nicht sowohl aus der menschlichen Natur unvermeidlich entspringen mögen, als vielmehr aus der Demachlässiguug der echten Ideen bei der Gesetzgebung. Dean nichts kann Schädlicheres und eines Philosophen Unwürdigeres gefuade« werden, als die pöbelhafte Derufttng auf vorgeblich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht existieren würde, wenn jene Anstalten zur rechten Zeit, nach den Ideen getroffen würden, und an deren Statt nicht rohe Begriffe, eben darum, weil fle aus Erfahrung geschöpft worden, alle gute Absicht vereitelt hätten. Je übereinstimmender die Gesetzgebung und Regierung mit dieser Idee eingerichtet wäre«, desto seltener würden allerdings die Sttafeu werden, und da ist es denn ganz vernünftig (wie Plato behauptet), baß bei einer vollkommenen Anordnung derselben gar keine dergleichen nötig sein würden. Ob nun gleich das letztere niemals zustande kommen mag, so ist die Idee doch ganz richtig, welche dieses Maximum zum Urbilde aufstellt, um «ach dem­ selben die gesetzliche Verfassung der Menschen der möglich größten Vollkommenheit immer näher zu bringen. Den« welches der höchste Grad sein mag, bei welchem die Menschheit stehen bleibe« müsse und wie groß also die Kluft, die zwischen der Idee und ihrer Aus­ führung notwendig übrig bleibt, sein möge, das kann und soll aiemaad bestimme«, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede an­ gegebene Grenze übersteigen kann. Aber nicht bloß in demjenigen, wobei die menschliche Deraunft wahrhafte Kausalität zeigt und wo Idem wirkende Ursache« (der Handlungen und ihrer Gegmstäade) werden, aämlich im Sittlichen, sondern auch in Ansehung der Natur selbst, sieht Plato mit Recht deutliche Beweise ihres Ursprungs aus Ideen. Ein Gewächs, ein Tier, die regelmäßige Anordnung des Weltbaues (vermutlich also auch die ganze Naturordnuag) zeige» deutlich, daß sie nur nach Ideen möglich sind, daß zwar kein einzelnes Geschöpf unter dm einzelnen Bedingungen seines Daseins mit der Idee des Vollkommensten seiner Art kongruiere (so wmig wie der Mmsch mit der Idee der Menschheit, die er sogar selbst als bas Urbild seiner Handlungen in seiner Seele ttägt), daß gleichwohl jene Ideen tat höchsten Verstände einzeln, unveränderlich, durchgängig bestimmt und die ursprünglichen Ursachen der Dinge sind und nur das Ganze ihrer Verbindung tat Weltall einzig und allein jener Idee völlig adäquat sei. Wm« man das Übertriebene des Ausdrucks absondert, so ist der Geistesschwung des Phllosophev, von der kopeilichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung zu der architektonischen Verknüpfung derselben

nach Zwecken, d. i. nach Idee«, hinaufzusteigen, eine Bemühung, die Achtung und Nachfolge verdient, in Ansehung desjenigen aber, was die Prinzipien der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion betrifft, wo die Idem die Erfahrung selbst (des Guten) allererst möglich machen, obzwar niemals darin völlig ausgedrückt «erden köaam, eia ganz eigmtümliches Verdienst, welches man nur darum nicht erkennt, «eil man es durch ebm die empirischen Regeln beurteilt, derm Gültigkeit als Prtuzipim ebm durch sie hat aufgehobm werden sollm. Dean in Betracht der Natur gibt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sitt­ lichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über daS, was ich tun soll, von demjmigea herzunehmen oder dadurch eiaschränkm zu wollen, was getan wird. („Ärttti btt reinen Vernunft". 1781.)

Das Sittengesetz. 1.

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschrän­ kung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz, Urteilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heißm mögm, ober Mut, Entschlossenheit, Beharr­ lichkeit im Vorsätze als Eigenschaftm des Temperaments sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie könnm auch äußerst böse und schädlich «erden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machm soll und dessen eigen# tümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist. Mit dm Glücksgaben ist es ebenso bewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und bas ganze Wohlbefindm und Zufriedenheit mit seinem Zustande unter dem Namm der Glückseligkeit machen Mut und hierdurch öfters auch Übermut, wo aicht eia guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüt und hiermit auch das ganze Prinzip zu handeln berichtige und allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, daß et« vernünftiger unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines «aunterbrochenm Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmer­ mehr ein Wohlgefallen habe« kann und so der gute Wille die uu-

erläßliche Bedingung selbst der Würdigkeit glücklich ju fein auszumachen scheint. 2.

Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirktoder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgendeines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut, und fflr fich selbst betrachtet ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zugunsten irgendeiner Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zustande gebracht werden könnte. Wenngleich durch eine besondere Ungunst deS Schicksals oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlich« Natur es diesem Willen gänzlich an Ver­ mögen fehlte, seine Abflcht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der gute Wille (steilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt find) übrig blieb«: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat. 3.

Um aber den Begriff eines an flch selbst hochzuschätzenden und ohne weitere Abflcht gut« Willens, so wie er schon dem natürlichen gesunden Verstände beiwohnt und nicht sowohl gelehrt als vielmehr nur aufgeklärt zu werden bedarf, diesen Begriff, der in der Schätzung des ganzen Werts unserer Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alle- übrig« ausmacht, zu entwickeln: wollen wir den Begriff der Pflicht vor uns nehmen, der den eines guten Willens, obzwar unter gewissen subjektiven Einschränkungen und Hindernissen, enthält, die aber doch, «eit gefehlt, daß sie ihn verstecken und unkennt­ lich machen sollten, ihn vielmehr durch Abstechung heben und desto heller hervorscheinen lassen. Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt «erden, ob fle gleich in dieser oder jener Abstcht nützlich sein mögen; denn bei den« ist gar nicht einmal die Frage, ob fle aus Pflicht geschehen sein mögen, da fle dieser sogar widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen beiseite, die wirklich pflichtmäßig find, zu denen aber Menschen unmittelbar keine Neigung haben, fle aber dennoch ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu gettieben werd«. Denn da läßt flch leicht unterscheiden, ob die

pflichtmäßige Handlung aus Pflicht oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer ist dieser Unterschied zu bemerk«», wo die Haudlung pflichtmäßig ist uud das Subjekt noch überdem UN, mittelbare Neigung zu ihr hat. Z. B. es ist allerdings pflicht, mäßig, daß der Krämer seinen unerfahrenen Käufer nicht überteure, und wo viel Verkehr ist tut dieses auch der kluge Kaufmann nicht, sondern hält einen festgesetzten allgemeinen Preis für jedermann, so daß ein Kind ebensogut bei ihm kaust als jeder andere. Man wird also ehrlich bedient; allein das ist lange nicht genug, um deswegen zu glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätze» der Ehrlichkeit so verfahren; sein Vorteil erforderte es; daß er aber überdem noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern haben sollte, um gleichsam aus Liebe keinem vor dem andern im Preise den Vorzug zu geben, läßt sich hier nicht annehmen. Also war die Handlung weder aus Pflicht, «och aus unmittelbarer Neigung, sondem bloß in eigennütziger Abstcht geschehen. Dagegen sein Leben zu erhalten ist Pflicht, und überdem hat jedermann dazu noch eine unmittelbare Neigung. Aber um des, willen hat die ost ängstliche Sorgfalt, die der größte Teil der Men, scheu dafür trägt, doch keinen innern Wert und die Maxime der, selben keinen moralischen Gehalt. Sie bewahren ihr Lebe» zwar pflichtmäßig, aber nicht aus Pflicht. Dagegen wenn Wider, tvärtigkeitev und hoffnungsloser Gram den Geschmack am Leben gänzlich «eggenommen haben; wenn der Unglückliche, stark an Seele, über sein Schicksal mehr entrüstet als kleinmütig oder nieder, geschlagen, den Tod wünscht und sein Leben doch erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung oder Furcht, sonder» aus Pflicht: alsdann hat seine Maxime einen moralischen Gehalt. Wohltätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem gibt es manche so teilnehmend gestimmte Seele», daß fle auch ohne einen andern Bewegungsgruad der Eitelkeit oder des Eigennutzes ein iaaeres Vergnügen daran finden, Freude um stch zu verbreiten, und die fich an der Zuftiebeaheit anderer, sofern fle ihr Werk ist, ergötzen können. Aber ich behaupte, daß in solchem Falle dergleichen Handlung, so pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert habe, sonder» mit andern Neigungen zu gleiche» Paaren gehe, z. E. der Neigung nach Ehre, die, wenn sie glücklicherweise auf das trifft, was in der Tat gemeinnützig und pflichtmäßig, mithin ehrenwert ist, Lob und Aufmunterung, aber nicht Hochschätzung verdient; denn der Maxime fehlt der sittliche 6a

Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu tun. Gesetzt also, das Gemüt jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen Gram umwSlkt, der alle Teilnehmung an anderer Schicksal auslöscht, er hätte immer «och Vermögen, andern Not­ leidenden wohlzutun, aber fremde Not rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen genug beschäftigt ist, und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu aareizt, risse er flch doch aus dieser tödlichen Un­ empfindlichkeit heraus und täte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht, alsdann hat sie allererst ihren echten moralischen Wert. Noch mehr: wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wen« er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht weil er, selbst gegen seine eigene mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke verseh«, dergleichen bei jedem andern auch voraussetzt oder gar fordert; wen« die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produft sein würbe) nicht eigentlich zum Measchenfteuade gebildet hätte, würde er denn nicht noch in sich einen Quell finde», flch selbst einen weit höher« Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich baß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht. Seine eigene Glückseligkeit sichern, ist Pflicht (wenigstens in­ direkt), denn der Mangel der Zufriedenheit mit seinem Zustande in einem Gedränge von vielen Sorgen und mitte« unter unbeftiedigten Bedürfnissen könute leicht eine große Versuchung zur Übertretung der Pflichten werben. Aber auch ohne hier auf Pflicht zu sehen, haben alle Menschen schon von selbst die mächtigste und innigste Neigung zur Glückseligkeit, weil stch gerade in dieser Idee alle Nei­ gungen zu einer Summe vereinigen. Nur ist die Vorschrift der Glück­ seligkeit mehreuteils so beschaffen, daß ste einigen Neigungen großen Abbruch tut und doch der Mensch sich von der Summe der Befrie­ digung aller unter dem Namen der Glückseligkeit keinen bestimmten und sichern Begriff machen kann; daher nicht zu verwundern ist, wie eine einzige in Ansehung dessen, was ste verheißt, und der Zeit, worin ihre Deftiedigung erhalten werden kann, bestimmte Neigung eine schwankende Idee überwiegen könne, und der Mensch, z. B. ein Podagrist, wählen könne, zu genießen, was ihm schmeckt, und zu leiden, was er kann, weil er nach seinem Überschlage hier wenigstens 6z

sich nicht durch vielleicht grundlose Erwartuugeo eines Glücks, das tu der Gesundheit stecken soll, tun den Genuß des gegenwärtige« Augenblicks gebracht hat. Aber auch in diesem Falle, wenn die all, gemeiue Neigung jur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte, wenn Gesundheit für ihn wenigstens nicht so notwendig in diesen Überschlag gehörte, so bleibt noch hier, wie in allen ander« Fällen, eia Gesetz übrig, nämlich seine Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht, und da hat sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen Wert.

4.

Eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der fle beschlossen wird. Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung Achtung fürs Gesetz.

aus

Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein ver, nünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien, zu handel» oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft. Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft), und die Formel des Gebots heißt Imperativ.

Alle Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch ober kategorisch. Jene stellen die praktische Notwendigkeit einer mög, lichea Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (ober doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen vor. Der täte» gorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für flch selbst, ohne Beziehung auf eine« andern Zweck, als objektiv, notwendig vorstellte. 5« Der kategorische Imperativ ist nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zu, gleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz

werde.

Weua nun aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht als aus ihrem Prinzip abgeleitet werden können, so «erden wir, ob wir es gleich unausgemacht lassen, ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein leerer Begriff sei, doch wenigstens am zeigen können, was wir dadurch denken und was dieser Begriff sagen «olle. Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach Wirkungen ge­ schehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstände (der Form nach), d. i. das Dasein der Dinge, heißt, so­ fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Ma­ xime deiner Handlung durch deinen Willen zum allge­ meinen Naturgesetze werben sollte. Nun wollen wir einige Pflichten herzählen nach der gew-hnltchen Einteilung derselben in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen, in vollkommene und unvollkommene Pflichten. Einer, der durch eine Reihe von Übeln, die bis zur HoffnungSloflgkeit angewachsen ist, einen Überdruß am Leben empfindet, ist noch soweit im Besitze seiner Vernunft, baß er stch selbst fragen kann, ob es auch nicht etwa der Pflicht gegen stch selbst zuwider sei, flch das Leben zu nehmen. Run versucht er: ob die Maxime seiner Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werben könne. Seine Maxime aber ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Prinzip, wenn bas Leben bei seiner längen» Frist mehr Übel droht als es Annehmlichkeit verspricht, es mir abzukürzen. Es stagt flch nur noch, ob dieses Prinzip der Selbstliebe ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Da steht man aber bald, daß eine Natur, deren Gesetz es wäre, durch dieselbe Empfindung, deren Bestimmung es ist, zur Beförderung des Lebens anzutteiben, das Leben selbst zu zerstören, ihr selbst widersprechen und also nicht als Natur bestehen würde, mithin jene Maxime unmöglich als allgemeines Naturgesetz statt­ finden könne und folglich dem obersten Prinzip aller Pflicht gänzlich widerstreite. Ein anderer sieht flch durch Not gedrungen, Geld zu borgen. Er weiß wohl, daß er nicht wird bezahlen können, sieht aber auch, daß ihm nichts geliehen werden wird, wenn er nicht festiglich verspricht, es zu einer bestimmten Zeit zu bezahlen. Er hat Lust, ein solches Versprechen zu tun; noch aber hat er soviel Gewissen, sich zu stagen: ist es nicht unerlaubt und pflichtwidrig, stch auf solche Art aus Not

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zu helfen? Gesetzt, er beschlösse es doch, so würde seine Maxime der Handlung so lauten: wenn ich mich in Geldnot zu sei« glaube, so will ich Geld borge» und verspreche», es zu bezahlm, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen. Nun ist dieses Prinzip der Selbst­ liebe oder der eigenen Zuträglichkeit mit meinem ganzen künftigen Wohlbefinden vielleicht wohl zu vereinigen, allein jetzt ist die Frage: ob es recht sei? Ich verwandle also die Zumutung der Selbstliebe in ein allgemeines Gesetz und richte die Frage so ein: wie es dann stehen würde, wenn meine Maxime ein allgemeines Gesetz würde. Da sehe ich nun sogleich, daß fie niemals als allgemeines Natur­ gesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern sich notwendig widerspreche» müsse. Dean die Allgemeinheit eines Gesetzes, daß jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würbe das Versprechen und den Zweck, den man damit haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, daß ihm was versprochen sei, sondern über alle solche Äußerung als eitles Dor­ geben lachen würde. Ein dritter findet in sich ein Talent, welches vermittelst einiger Kultur ihn zu einem in allerlei Absicht brauchbaren Menschen machen könnte. Er sieht flch aber in bequeme« Umständen und zieht vor, lieber dem Vergnügen aachzuhängen, als sich mit Er­ weiterung und Verbesserung seiner glücklichen Naturanlagen zu bemühen. Noch fragt er aber: ob außer der Übereinstimmung, die seine Maxime der Verwahrlosung seiner Naturgaben mit seinem Hange zur Ergötzlichkeit an sich hat, sie auch mit dem, was man Pflicht nennt, übereinstimme. Da fleht er nun, baß zwar eine Natur nach einem solchen allgemeinen Gesetze immer noch besiehe» könne, obgleich der Mensch (so wie die Südsee-Einwohner) sein Talent rosten ließe und sein Leben bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkett, Fortpflan­ zung, mit einem Wort auf Genuß zu verwenden bedacht wäre; allein er kann unmöglich «ollen, daß dieses ein allgemeines Naturgesetz werde oder als ein solches in uns durch Naturinstinkt gelegt sei. Denn als ein vernünftiges Wesen will er notwendig, daß alle Vermögen in ihm entwickelt werden, weil sie ihm doch zu allerlei möglichen Absichten dienlich und gegeben sind. Noch denkt ein Vierter, dem es wohl geht, indessen er sieht, daß andere mit großen Mühseligkeiten zu kämpfen haben (denen er auch wohl helfen könnte): was geht's mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel will oder er sich selbst machen

tarnt, ich «erbe ihm nicht- eatiiehen, ja nicht einmal beneiden; nur zu seinem Wohlbefinden ober seinem Beistände in der Not habe ich nicht Lust etwas beizutragen! Nun könnte allerdings, wenn eine solche Denkungsart ein allgemeines NaMrgesetz würde, das mensch­ liche Geschlecht gar wohl bestehen und ohne Zweifel noch besser, als wen« jedermann von Teilnehmung und Wohlwollen schwatzt, auch stch beeifert, gelegentlich dergleichen auszuübe«, dagegen aber auch, wo er nur kaun, betrügt, das Recht der Menschen verkauft oder ihm sonst Abbruch tut. Aber, obgleich es möglich ist, daß nach jener Maxime ein allgemeines Naturgesetz wohl bestehen könnte: so ist es doch unmöglich, zu wollen, baß ein solches Prinzip als Natur­ gesetz allenthalben gelte. Denn ein Wille, der dieses beschlösse, würde stch selbst Widerstreiten, indem der Fälle stch doch manche ereignen können, wo er anderer Liebe und Teilnehmung bedarf und wo er durch ein solches aus seinem eigenen Willen entsprungenes Natur­ gesetz stch selbst alle Hojsttung des Beistandes, den er stch wünscht, rauben würde. Dieses find nun einige von den vielen wirklichen oder wenigstens von uns dafür gehaltenen Pflichten, deren Ableitung aus dem einigen angeführten Prinzip klar in die Augen fällt. Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlung ein allgemeines Gesetz werde: dies ist der Kanon der moralischen Beurtellung der­ selben überhaupt. Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht «erden kann; weit gefehlt, daß man noch wollen könne, es sollte ein solches werben. Bei andern ist zwar jene innere Un­ möglichkeit nicht anzutteffen, aber es ist doch unmöglich, zu wollen, daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werbe, «eil ein solcher Wille stch selbst widersprechen würde. Man fleht leicht: daß die erstere der strengen oder engeren (unnachlaßlichen) Pflicht, die zweite nur der weiteren (verdienstlichen) 'Pflicht wider­ streite und so alle Pflichten, was die Art der Verbindlichkeit (nicht das Objekt ihrer Handlung) betrifft, durch diese Beispiele in ihrer Abhängigkeit von dem einigen Prinzip vollständig aufgestellt worden. 6.

Es ist eine Bemerkung, welche an zustelle» eben kein subtiles Nachdenken erfordert wird, sondern von der man annehmen kann, daß ste wohl der gemeinste Verstand, obzwar nach seiner Art durch eine dunkle Unterscheidung der Urteilskraft, die er Gefühl nennt, 5

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mache« mag: baß alle Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (»le die der Sinne), »ns die Gegenstände nicht anders zu erkennen geben, als ste «ns affizieren, wobei, was ste an sich sein möge», uns unbekannt bleibt, mithin daß, was diese Art Vorstellungen betrifft, wir dadurch auch bei der angestrengteste» Aufmerksamkeit u»d Deutlichkeit, die der Verstaub nur immer hmzufügea mag, doch bloß zur Erkeuutuis der Erscheinungen, niemals der Dinge a» sich selbst gelange» können. Sobald dieser Unterschied (allen­ falls bloß durch die bemerkte Verschiedenheit zwischen den Vorstel­ lungen, die uns anderswoher gegeben werden, und dabei wir leidend find, von denen, die wir lediglich aus uns selbst hervorbringen, und dabei wir unsere Tätigkeit beweise») einmal gemacht ist, so folgt von selbst, baß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich, einräumeu und annehme» müsse, ob wir gleich uns von selbst bescheiden, baß, da sie «ns niemals bekannt werden können, sonder» immer nur, wie sie uns affizieren, wir ihnen nicht näher treten, und was fie an sich sind, niemals wissen können. Dieses muß eine, obzwar rohe Unter­ scheidung einer Sinneawelt von der Derstaadeswelt abgeben, davon die erstere nach Verschiedenheit der Sinnlichkeit in mancherlei Weltbeschauer» auch sehr verschieben sein kann, indessen die zweite, die ihr zugrunde liegt, immer dieselbe bleibt. Sogar sich selbst, und zwar nach der Kenntnis, die der Mensch durch innere Empfindung von sich hat, darf er sich nicht anmaße» zu erkennen, wie er an flch selbst sei. Dean da er doch stch selbst nicht gleichsam schafft und seinen Begriff nicht a priori, sonder» empirisch bekommt, so ist natürlich, daß er auch von stch durch den innern Sina und folglich nur durch die Erscheinung seiner Natur und die Art, wie sein Dewußsein affiziert wirb, Kundschaft eiaziehea könne, indessen er doch notwen­ digerweise über diese au- lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffenheit' seines eigenen Subjekts »och etwas anderes zu­ grunde Liegendes, nämlich sein Ich, so wie es an stch selbst beschaffen sein mag, aaaehmea und flch also in Absicht auf die bloße Wahr­ nehmung und Empfänglichkeit der Empfindungen zur Einnenwelt, in Ansehung dessen aber, was in ihm reine Tätigkeit sein mag (dessen, was gar nicht durch Affizieruvg der Sinne, sondern unmittel­ bar zum Bewußtsein gelangt), sich zur intellektuellen Welt zähle« muß, die er doch nicht weiter kennt. Dergleichen Schluß muß der nachdenkende Mensch von allen Dingen, die ihm vorkomme» mögen, fällen; vermutlich ist er auch

im gemeinsten Verstände anzutreffen, der, wie bekannt, sehr geneigt ist, hinter den Gegenständen der Sinne noch immer etwas Unsicht­ bares, für sich selbst Tätiges zu erwarten, es aber wiederum dadurch verdirbt, daß er dieses Unsichtbare sich bald wiederum versinnlicht, d. i. jum Gegenstände der Anschauung machen will und dadurch also nicht um einen Grad klüger wird. Nun findet der Mensch in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich von allen andern Dingen, ja von sich selbst, sofern er durch Gegen­ stände affiziert wird, unterscheidet, und das ist die Vernunft. Diese, als reine Selbsttätigkeit, ist sogar darin noch über den Ver­ stand erhoben: daß, obgleich dieser auch Selbsttätigkeit ist und nicht wie der Sinn bloß Vorstellungen enthält, die nur entspringen, wenn man von Ding« afflztert (mithin leidend) ist, er dennoch aus seiner Tätigkeit keine anderen Begriffe hervorbringen kann als die, so bloß dazu Menen, um die sinnlichen Vorstellungen unter Regeln zu bringen und sie dadurch in einem Bewußtsein zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar nichts denken würde, da hingegen die Vernunft unter dem Namen der Ideen eine so reine Spontaneität zeigt, daß sie dadurch weit über alles, was ihm Sinn­ lichkeit nur liefern kann, hinausgeht und ihr vornehmstes Geschäft darin beweist, Sinnenwelt und Derstandeswelt voneinander zu unterscheiden, dadurch aber dem Verstände selbst seine Schranken vorzuzeichnen.

Um deswillen muß ein vernünftiges Siefen sich selbst als Intelligenz (also nicht von selten seiner untern Kräfte), nicht als zur Sinnen-, sondern zur Derstandeswelt gehörig, ansehen; mit­ hin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst bewachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann, einmal, sofern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens, als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Demunst ge­ gründet sind (Autonomie). 7Cs ist niemand, selbst der ärgste Bösewicht, wenn er nur sonst Vernunft zu brauchen gewohnt ist, der nicht, wenn man ihm Beispiele der Redlichkeit in Absichten, der Standhaftigkeit in Befolgung guter Maximen, der Teilnehmung und des allgemeinen Wohlwollens 69

(und noch dazu mit großen Aufopferungen von DorteUen und Ge­ mächlichkeit verbunden) vorlegt, nicht wünsche, daß er auch so gesinnt sein möchte. Er kann es aber nur wegen seiner Neigungen und Antriebe nicht wohl in sich i«siaade bringen, wobei er dennoch zugleich wünscht, von solchen ihm selbst lästige« Neigungen frei zu sein. Er beweist hierdurch also, daß er mit einem Willen, der von Antrieben der Sinnlichkeit frei ist, sich in Gedanken in eine ganz andere Ord­ nung der Dinge versetze, als die seiner Begierden im Felde der Sinn­ lichkeit, weil er von jenem Wunsche keine Vergnügung der Begierden, mithin keinen für irgendeine seiner wirklichen oder sonst erdenklichen Neigungen beledigenden Zustand (denn dadurch würde selbst die

Idee, welche ihm den Wunsch ablockt, ihre Vorzüglichkeit einbüßen), sondern nur einen größeren inneren Wert seiner Person erwartea kann. Diese bessere Person glaubt er aber zu sei«, wenn er sich in den Standpunkt eines Gliebes der Derstaadeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit, d. i. Unabhängigkeit von bestimmenden Ur­ sachen der Sinnenwelt ihn unwillkürlich nötigt, und in welchem er sich eines guten Willens bewußt ist, der für seinen bösen Willen als Gliebes der Sianenwelt nach seinem eigenen Geständnisse das Gesetz ausmacht, dessen Ansehen er kennt, indem er es übertritt. Das moralische Sollen ist also eigenes notwendiges Wollen als Gliedes einer iatelligibelen Welt und wird nur so­ fern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet. (.Orunblegtmfl bet Metaphysik bet eilten". 1785.)

8. Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unter­ werfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich insgeheim ihm entgegenwirken, welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Ab­ kunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt und von welcher Wurzel abzustammeu die unnachlaßliche Bedingung desjenigen Werts ist, den sich Menschen allein selbst geben können?

Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sianenwelt, mit ihr das empirisch-bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganje aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten praktischen Gesetzen, als das moralische, ange­ messen ist,) unter stch hat. Es ist nichts anders als die Persönlich­ keit, d. i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der gavjea Natur, doch jugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigene« Ver­ nunft gegebene« reine« praktischen Gesetze« unterworfe« ist, — die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Per­ sönlichkeit unterworfen, sofern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als z« beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung, nicht anders als mit Ver­ ehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung bettachtea muß. Auf diese« Ursprung gründen sich nun manche Ausdrücke, welche de« Wert der Gegenstände nach moralischen Ideen bezeichnen. Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar uaheiltg genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpftmg kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werde«; nur der Mensch und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an stch selbst. Cr ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit. Eben um dieser willen ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sie selbst gerichteter Wille, auf die Bedingung der Einstimmung mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen könnte, möglich ist; also dieses niemals bloß als Mittel, sondern zu­ gleich selbst als Zweck zu gebrauchen. Diese Bedingung legen wir mit Recht sogar dem göttlichen Willen, in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt, als seiner Geschöpfe, bei, indem sie auf der Per­ sönlichkeit derselben beruht, dadurch allein sie Zwecke an sich selbst sind. Diese Achtung erweckende Idee der Persönlichkeit, welche uns die Erhabenheit unserer Natur (ihrer Bestimmung nach) vor Augen 7i

stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der Angemessenheit unseres Verhaltens in Ansehung derselben bemerken läßt und dadurch den Eigendünkel aiederschlägt, ist selbst der gemeinsten Meuschenveruuust natürlich und leicht bemerklich. Hat nicht jeder auch nur mittelmäßig ehrlicher Man« bisweilen gefunben, daß er eine sonst unschädliche Lüge, dadurch er stch entweder selbst aus einem verdrießlichen Handel ziehen oder wohl gar einem geliebte« und verdienstvollen Freunde Nutzen schaffen konnte, bloß darum unterließ, um stch insgeheim in seinen eigenen Augen nicht verachten zu dürfen? Hält nicht einen rechtschaffenen Mann im größten Unglücke des Lebens, das er ver­ meiden konnte, wenn er stch nur hätte über die Pflicht wegsehen kön­ nen, noch das Bewußtsein aufrecht, daß er die Menschheit in seiner Person doch in ihrer Würde erhalten und geehrt habe, daß er stch nicht vor stch selbst zu schämen und den inneren Anblick der Selbstprüfung zu scheuen Ursache habe? Dieser Trost ist nicht Glückseligkeit, auch nicht der mindeste Teil derselben. Denn niemand wird stch die Gelegenheil dazu, auch vielleicht nicht einmal eia Leben in solchen Umständen wünschen. Aber er lebt und kaun es nicht erdulden, tu seinen eigenen Augen des Lebens unwürdig zu sein. Diese innere Beruhi­ gung ist also bloß negativ, in Ansehung alles dessen, was das Leben angenehm mache« mag; nämlich sie ist die Abhaltung der Gefahr, im persönlichen Werte zu sinken, nachdem der seines Zustandes von ihm schon gänzlich aufgegeben worden. Sie ist die Wirkung von einer Achtung für etwas ganz anderes als das Leben, womit in Vergleichung und Entgegensetzung, das Leben vielmehr mit aller seiner Annehm­ lichkeit gar keinen Wert hat. Er lebt nur noch aus Pflicht, nicht «eil er am Leben den mindesten Geschmack findet.

So ist die echte Triebfeder der reinen praktischen Vernunft be­ schaffen; fle ist keine andere, als das reine moralische Gesetz selber, sofern es uns die Erhabenheit unserer eigenen übersinnlichen Existenz spüren läßt und subjektiv in Menschen, die stch zugleich ihres sinn­ lichen Daseins und der damit verbundenen Abhängigkeit von ihrer sofern sehr pathologisch affizierten Natur bewußt sind, Achtung für ihre höhere Bestimmung wirkt.

9Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zu­ nehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender stch das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel

über mir und das moralisch« Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äußem Sianeawelt eimrehme, und erweitert die Derkaüpfuag, darin ich stehe, ins unabsehlich Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenjenlose Jetten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt von meinem unstchtbarea Selbst, meiner Persönlichkeit au und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Uneadlichkett hat, aber nur dem Ver­ stände spürbar ist «ad mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich, nicht wie dort, in bloß zu­ fälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Derkaüpfuag erkenne. Der erstere Anblick einer zahllosen Welteameage vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (mau weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zwette erhebt da­ gegen meine» Wert, als einer Intelligenz, unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tier­ heit und selbst von der ganzen Sianeawelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens soviel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmea läßt. (Jtrttif -er praktischen Vernunft."

1788.)

Aus dem Grenzgebiet der Ethik und der Ästhetik.

1. Don der Natur als einer Macht.

Macht ist eia Vermögen, welches großen Hindernissen über­ legen ist. Eben dieselbe heißt eine Gewalt, wenn sie auch dem Widerstande dessen, was selbst Macht besitzt, überlegen ist. Die Natur im ästhetischen Urteile als Macht, die über uns keine Gewalt hat, bettachtet ist dynamisch-erhaben. Wenn von uns die Natur als dynamisch-erhaben beurteilt werden soll, so muß sie als Furcht erregend vorgesiellt werden (ob-

gleich nicht umgekehrt jeder Furcht erregende Gegenstand in unserm ästhetischen Urteile erhaben gesunden wird). Dena in der ästhetischen Beurteilung (ohne Begriff) kann die Überlegenheit über Hindernisse nur nach der Größe des Widerstandes Beurteilt werden. Nun ist aber das, dem wir zu widerstehen bestrebt stad, eia Übel, und, wenn wir unser Vermögen demselben nicht gewachst» finden, ein Gegen­ stand der Furcht. Also kann für die ästhetische Urteilskraft die Natur nur sofern als Macht, mithin dynamisch-erhaben, gelten, sofern fle als Gegenstand, der Furcht betrachtet wird. Maa kann aber einen Gegenstand als furchtbar betrachten, ohne flch vor ihm zu fürchten, wenn wir ihn nämlich so beurteilen, daß wir uns bloß den Fall denken, da wir ihm etwa Widerstand tun wollten, und daß alsdann aller Widerstand bei weitem vergeblich sein würbe. So fürchtet der Tugendhafte Gott, ohne flch vor ihm zu fürchten, weil er ihm und seinen Geboten widerstehen zu wollen, sich als keinen von ihm besorgliche» Fall denkt. Aber aufjedeu solchen Fall, den er als an flch nicht unmöglich denkt, erkennt er ihn als furchtbar. Der flch fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urtellea, so wenig als der, welcher durch Neigung und Appetit ein­ genommen ist, über das Schöne. Er flieht den Anblick eines Gegen­ standes, der ihm diese Scheu einjagt, und es ist unmöglich, an einem Schrecken, der ernstlich gemeint wäre, Wohlgefallen zu finden. Daher ist die Annehmlichkeit aus dem Aufhören einer Beschwerde das Frohseio. Dieses aber, wegen der Defteiung von einer Gefahr, ist eia Frohseio mit dem Vorsätze, flch derselben nie mehr auszusetzen, ja man mag an jene Empfindung nicht einmal gerne zurückdeaken, weit gefehlt, baß man die Gelegenheit dazu selbst aufsucheu sollte. Kühne überhangeade, gleichsam drohende Felsen, am Himmel flch auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einher­ ziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean in Em­ pörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u. dgl. machen unser Vermögen zu widerstehen, in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbedeutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicher­ heit befinden; und wir nennen diese Gegenstände gern erhaben, weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß erhöhen und ein Vermögen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Mut macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können.

Dena die Unwiderstehlichkeit ihrer Macht gibt aas, als Nature wesen bewachtet, zwar unsere physische Ohnmacht zu erkennen, aber entdeckt zugleich eia Vermögen, uns als von ihr unabhängig zu beurtellea, und eine Überlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltuag von ganz anderer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, dabei die Menschheit in unserer Person uaerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte. Auf solche Weise wird die Natur in unserm ästhetischen Urteile nicht, sofern fle furchterregend ist, als erhaben beurteilt, sondern well sie unsere Kraft (die nicht Natur ist) in uns auftuft, um das, wofür wir besorgt sind (Güter, Gesundheit und Leben) als klein, und daher ihre Macht (der wir in Ansehung dieser Stücke allerdings unterworfen Md) für uns und unsere Persönlichkeit demuageachtet doch für keine rohe Gewalt ansehen, unter die wir uns zu beugen hätten, wenn es auf unsere höchsten Grundsätze und deren Behauptung oder Veranlassung ankämr. Also heißt die Natur hier erhaben, bloß weil fle die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in welchen das Gemüt die eigene Erhabenheit seiner Be­ stimmung, selbst über die Natur, sich fühlbar mache« kann. Diese Selbstschätzung verliert dadurch nichts, daß wir uns sicher sehen müssen, um dieses begeisternde Wohlgefallen zu empfinden, mithin, weil es mit der Gefahr nicht Ernst ist, es auch (wie es scheinen möchte) mit der Erhabenheit unseres Geistesvermögens ebensowenig Ernst sein möchte. Dena das Wohlgefallen betrifft hier nur die sich in solchem Falle entdeckende Bestimmung unseres Vermögens, so wie die Anlage zu demselben in unserer Natur ist, indessen daß die Entwicklung und Übung desselben uns überlasse» und obliegend

ist, und hierin ist Wahrheit, so sehr stch auch der Mensch, wenn er seine Reflexion bis dahin erstreckt, seiner gegenwärtigen wirklichen Ohnmacht bewußt sein mag. Dieses Prinzip scheint zwar zu «eit hergeholt und vernünftelt, mithin für eia ästhetisches Urtell überschwenglich zu sein; allein die Beobachtung des Menschen beweiset das Gegenteil und daß es den gemeinsten Beurteilungen zugrunde liegen kann, ob man stch gleich desselben nicht immer bewußt ist. Denn was ist das, was selbst den Wilde» eia Gegenstand der größten Bewunderung ist? Eia Mensch, der nicht erschrickt, der stch nicht fürchtet, also der Gefahr nicht weicht, zugleich aber mU völliger Überlegung rüstig zu Werke geht. Auch im allergestttetsten Zustande bleibt diese vorzügliche Hoch,

achtung für dm Krieger; nur daß man noch dazu verlangt, daß er zugleich alle Lugenden des Friedens, Sanftmut, Mitleid und selbst geziemende Sorgfalt für seine eigene Person beweise: eben darum, weil daran die Unbezwinglichkeit seines Gemüts durch Gefahr erkannt wird. Daher mag man noch so viel in der Bergleichung des Staatsmanns mit dem Feldherrn über die Vorzüglichkeit der Achtung, die einer vor dem andem verdient, streiten; das ästhetische Urteil entscheidet für dm letztem. Selbst der Krieg, wenn er mit Ordnung und Heiligachtung der bürgerlichen Rechte geführt wird, hat etwas Erhabenes an stch und macht zugleich die Denkungsart des Volks, welches ihn auf diese Art führt, nur um desto erhabener, je mehreren Gefahren es ausgesetzt «ar und stch mutig darunter hat behaupten können: da hingegm ein langer Friede den bloßm tzandlungsgeist, mit ihm aber dm niedrigm Cigmnutz, Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen und die Denkungsart des Volks zu emiedrigm pflegt. Wider diese Auflösung des Begriffs des Erhabenen, sofern dieses der Macht beigelegt wird, scheint zu streiten: daß wir Gott Im Ungewitter, im Sturm, im Erdbeben u. dgl. als im Zorn, zu­ gleich aber auch in seiner Erhabenheit stch darstellend vorstellig zu machm pflegen, wobei doch die Einbildung einer Überlegenheit unseres Gemüts, über die Wirkungm und, wie es scheint, gar über die Abflchtm einer solchm Macht, Torheit und Frevel zugleich sein würde. Hier scheint kein Gefühl der Erhabenheit unserer eigenen Natur, sondern vielmehr Unterwerftmg, Niedergeschlagenheit und Gefühl seiner gänzlichen Ohnmacht die Gemütsstimmung zu sein, die stch für die Erscheinung eines solchen Gegenstandes schickt und auch gewöhnlichermaßen mit der Idee desselben bei dergleichen Naturbegebenheil verbunden zu sein pflegt. In der Religion über­ haupt scheint Mederwerfm, Anbetung mit niederhängendem Haupte, mit zerknirschtm angstvollen Geberden und Stimmen, das einzig­ schickliche Benehmen in Gegenwart der Gottheit zu sein, welches daher auch die meisten Völker angenommen habm und noch beobachten. Allein diese Gemütsstimmung ist auch bei weitem nicht mit der Idee der Erhabenheit einer Religion und ihres Gegenstandes an stch und notwendig verbunden. Der Mensch, der stch wirklich fürchtet, weil er dazu in stch Ursache findet, indem er stch bewußt ist, mit seiner verwerflichen Gesinnung wider eine Macht zu verstoßen, deren Wille unwiderstehlich und zugleich gerecht ist, ist in gar keiner Gemüts­ fassung, um die göttliche Größe zu bewundern, wozu eine Stimmung zur ruhigen Kontemplation und zwangfteies Urteil erforderlich ist.

Nur alsdann, wenn er sich seiner aufrichtigen gottgefällige« Ge­ sinnung bewußt ist, dienen jene Wirkungen seiner Macht in ihm die Idee der Erhabenheit dieses Wesens zu erwecken, sofern er einer seinem Willen gemäßen Erhabenheit der Gesinnung an ihm selbst bewußt ist und dadurch über die Furcht vor solchen Wirkungen der Natur, die er nicht als Ausbrüche seines Zorns anfleht, erhoben wird. Selbst die Demut, als «nnachsichtliche Beurteilung seiner Mängel, die sonst, beim Bewußtsein guter Gesinnungen, leicht mit der Ge­ brechlichkeit der menschlichen Natur bemäntelt «erden könnten, ist eine erhabene Gemütsstimmnag, sich wtlllürlich dem Schmerje der Selbstverweise zu unterwerfe«, um die Ursache dazu nach «ad nach zu vertllgea. Auf solche Weise allein unterscheidet sich innerlich Religion von Superstttion, welche letztere nicht Ehrfurcht für das Erhabene, sondern Furcht und Angst vor dem übermächügea Wesen, dessen Dillen der erschreckte Mensch sich unterworfen sicht, ohne ihn doch hochzuschätzm, im Gemüte gründet, woraus denn ftetlich nichts als Guasibewerbun- und Einschmeichelung, statt einer Religion des guten Lebenswandels entspringe« kann. Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserm Gemüte enthalten, sofern wir der Natur tu uns, und dadurch auch der Natur (sofern sie auf «ns einfließt) außer uns, überlegen zu sein uns bewußt werde« können. Alles, was dieses Gefühl in «ns erregt, wozu die Macht der Natur gehört, welche unsere Kräfte auffordert, heißt alsdann (obzwar ««eigentlich) erhaben, und nur unter der Voraussetzung dieser Idee in uns und in Be­ ziehung auf sie sind wir fähig, zur Idee der Erhabenheit desjenigen Wesens zu gelangen, welches nicht bloß durch seine Macht, die es in der Natur beweist, innige Achtung in uns wirtt, sondern noch mehr durch daS Vermögen, welches in uns gelegt ist, jene ohne Furcht zu beurteilen und unsere Bestimmung als über sie erhaben zu denken. GSriti! der Urteil-kraft". 1790.)

2. Dom intellektuellen Interesse am Schönen. Es geschah in gutmütiger Absicht, daß diejenigen, welche alle Beschäftigungen der Menschen, wozu sie die innere Naturavlage antteibt, gerne auf den letzten Zweck der Menschheit, nämlich bas Moralisch-Gute richten wollten, es für ein Zeichen eines guten mora­ lischen Charakters hielten, am Schönen überhaupt ein Interesse zu nehmen. Ihnen ist aber nicht ohne Grund von ander« widersprochen

worden, die sich auf die Erfahrung berufen, daß Virtuosen des Geschmacks nicht allein öfters, sondern wohl gar gewöhnlich eitel, eigensinnig und verderblichen Leidenfchafi« ergeben, vielleicht noch weniger wie andere auf den Vorzug der Anhänglichkeit an sittliche GrundsLtze Anspruch machen könnten; und so scheint es, daß daS Gefühl für das Schöne, nicht allein (wie es auch wirklich ist) vom moralische« Gefühl spezifisch unterschieden, sondern auch daS Interesse, welches man damit verbind« kann, mit dem moralischen schwer, keineswegs aber durch innere Affinität, vereinbar sei.

Ich räume nun zwar gerne eia, daß das Interesse am Schönen der Kunst (wozu ich auch den künstlichen Gebrauch der Naturschön­ heiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Moralisch-Gut« anhänglich« ober auch nur dazu ge­ neigt« Denkungsart abgebe. Dagegen aber behaupte ich, daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurteilen), jederzeit ein Kenn­ zeichen einer guten Seele sei, wenn dieses Interesse habituell ist, und wenigstens eine dem moralisch« Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne ver­ bindet. Man muß sich aber wohl erinnern, daß ich hier eigentlich die schönen Formen der Natur meine, die Reize dageg«, welche sie so reichlich auch mit jenen zu verbind« pflegt, noch zur Seite setze, weil das Interesse daran zwar auch unmittelbar, aber doch empirisch ist. Der, so einsam (und ohne Absicht seine Bemerkungen andern mitteil« zu wollen) die schöne Gestalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Insekts usw. betrachtet, um ste zu bewundem, zu lieb« und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu «ollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schad« geschähe, viel w«iger ein Nutz« daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt eia unmittelbares, und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur, d. i. nicht allein ihr Produkt der Form nach, sondern auch das Dasein desselb« gefällt ihm, ohne daß ein Sinnenreiz daran Anteil hätte oder er auch irgendeinen Zweck damit verbände. Es ist aber hierbei merkwürdig, daß, wenn man diesen Lieb­ haber des Schönen insgeheim hiatergangm hätte und künstliche Blum« (die man den natürlich« ganz ähnlich verfertig« kann) in die Erde gesteckt, oder künstlich geschnitzte Vögel auf Zweige von Bäu­ men gesetzt hätte, und er darauf den Betrug entdeckte, das unmittel-

bare Interesse, was er vorher daran nahm, alsbald verschwinden, vielleicht aber ein anderes, nämlich das Interesse der Eitelkeit, sein Zimmer für fremde Augen damit auszuschmücke», an dessen Stelle sich einfiabea würde. Daß die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die Anschauung und Reflexion begleite«, und auf diesem gründet sich allein das unmittelbare Interesse, was man daran nimmt, sonst bleibt entweder eia bloßes Geschmacks, urteil ohne alles Interesse oder nur mit einem mittelbaren, nämlich auf die Gesellschaft bezogenen, verbunden übrig, welches letztere keine sichere Anzeige auf moralisch,gute Denkungsart abgibt. Dieser Vorzug der Naturschönheit vor der Kuastschönheit, wenn jene gleich durch diese der Form nach sogar übertroffen würde, den, noch an jener allein ein unmittelbares Interesse zu nehmen, stimmt mit der geläuterte« und gründlichen Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl kultiviert haben. Wenn eia Mana, der Geschmack genug hat, um über Produkte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu urteilen, das Zimmer gern verläßt, in welchem jene, die Eitelkeit und allenfalls gesellschaftliche Freuden uaterhalteade Schönheiten anzutteffea sind, und sich zum Schönen der Natur wendet, um hier gleichsam Wollust für seinen Geist in einem Gedaakengange zu finden, den er sich nie völlig ent, wickeln kann, so werde« wir diese seine Wahl selber mit Hochachtung betrachten und in ihm eine schöne Seele voraussetzen, auf die kein Kunstkenner und Liebhaber um des Interesses willen, das er an seinen Gegenständen nimmt, Anspruch mache« kann

Daß das Wohlgefallen an der schönen Kunst im reinen Ge, schmacksurteile nicht ebenso mit einem unmittelbaren Interesse ver, bunden ist, als das an der schönen Natur, ist auch leicht zu erklären. Dean jene ist entweder eine solche Nachahmung von dieser, die bis zur Täuschung geht, und alsdann tut sie die Wirkung als (dafür gehaltene) Naturschönheit; oder sie ist eine absichtlich auf unser Wohlgefallen stchtbarlich gerichtete Kunst; alödann aber würde das Wohlgefallen an diesem Produkte zwar unmittelbar durch Geschmack stattfinden, aber kein anderes als mittelbares Interesse erwecken an der zugrunde liegenden Ursache, nämlich einer Kunst, welche nur durch ihrm Zweck, niemals an sich selbst interessieren kau«

Die Reize in der schönen Natur, welche so häufig mit der schönen Form gleichsam zusammenschmelzend ««getroffen werden, sind ent, weder zu den Modifikationen des Lichtes (in der Farbengebung)

oder de< Schalles (io Tönen) gehörig. Denn diese flad die eioojtgea Empfinduagm, welche nicht bloß Siaaevgefühl, soaderu aochch Re­ flexiv« über die Form dieser Modifikationen der Sinne verststattea uod so gleichsam eure Sprache, die die Natur zu uos führt uood die eioeo höher« Siaa zu habe« scheiat, ia sich eathalte«. So sscheint die weiße Farbe der Alte das Gemüt t« Idee« der Uaschuldd «ad nach der Ordauvg der sieben Farbe«, voa der rote« aa bis zuvr vio­ lette«, i. zur Idee der Erhabenheit, 2. der Kühnheit, 3. der Frei­ mütigkeit, 4. der Frenadlichkeit, 5. der Bescheidenheit, 6. der SStaadhaftigkeit und 7. der Zärtlichkeit zu stimmen. Der Gesang der Wögel verkündigt Fröhlichkeit uad Zuftiedenheit mit seiner Existenz. WenigstenS so deute« wir die Natur aus, eS mag bergleiche« ihre Mbflcht sein oder «tcht. Aber dieses Juteresse, welches wir hier an Schöönheit nehme«, bedarf durchaus, daß eS Schönheit der Natur fei, ui«t> eS verschwindet ganz, sobald man bemerkt, man sei getäuscht uoad es sei nur Kunst, sogar, daß auch der Geschmack alSdann nichts Echhönes ober daS Gesicht etwas Reizendes mehr daran finden kann. Was wird von Dichtern höher gepriesen, alS der bezaubernd schöne Wchlag der Nachtigall, in einsame« Gebüschen, aa einem stillen Sonmmer, abende, bei dem sanften Lichte des MondeS? Indessen hat man Beispiele, daß wo kein solcher Sänger angettoffen wirb, irgerrrdein lustiger Wirt seine zum Genuß der Landluft bei ihm eingekeehrten Gäste dadurch zu ihrer größten Zuftiedenheit Hintergangene hat, daß er einen mutwilligen Burschen, welcher diesen Schlag (mit SSchilf oder Rohr im Munde) ganz der Natur ähnlich nachzuahme« Mußte, in einem Gebüsche verbarg. Sobald man aber inne wird, daaß es Dettug sei, so wird niemand eS lange auShalten, diesem vorheer für so reizend gehaltene« Gesänge zuzuhöre«, und so ist eS mit jjebem andere» Singvogel beschaffen. CS muß Natur sein oder von» uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem soolchen eia unmittelbares Interesse nehme« können, noch mehr aber, weit« wir gar andern zumute« dürfen, daß sie es daran nethmen sollen, welches in der Tat geschieht, indem wir die DenkumxgSart derer für grob uad unedel halten, die kein Gefühl für die sschöne Natur habe« (denn so nennen wir die Empfänglichkeit eines Jnterresses an ihrer Dettachtung) und sich bei der Mahlzeit ober der Domteille am Genusse bloßer Stanesempfinbungen halte«. („Äritif der Urteilskraft." 1790.)

Anhang (Zu S. 9—21:) Wäre Kant etwa im 40. Lebensjahre gestorben, so hätte die Geschichte der Philosophie wenig Anlaß, seinen Namen zu neunen. Alle seine Hauptwerke hat er erst in höherem Alter geschaffen. Gleichwohl würde er in der Geschichte der Naturwissenschaften fortleben. Er hat nicht nur, wie seine zahlreichen und vielbesuchten Vorlesungen aus diesem Gebiete beweisen, das naturwissenschaftliche Wissen seiner Zeit wie wenige beherrscht sondern auch durch selbständige Gedanken in hohem Maße bereichert. So hat er als erster nachaewiesen, daß die Erdumdrehung durch die Gegen, Wirkung der Flutwelle verlangsamt wird, und auch daö sogenannte DrebungS, gesetz der Winde gefunden. Seine „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels", Friedrich dem Großengewidmet, ellt nicht nur in der Auffassung der Milchstraße und der Nebelflecken späteren exakten Beobachtungen voraus und nimmt vermutungsweise die Auffindung der äußersten Planeten vorweg: fle wagt sogar das „physische Abenteuer", die Entstehung der Welt auf mechanischem Wege zu emäreu. Als Kant, Laplacesche Weltbildungstheorie bat seine Grundaauahme heute noch Anhänger. — Der abgedruckte Abschnitt ist eia glänzendes Zeugnis für die mächtige Phaatafie des als „nüchtern" verschrienen Philosophen. Was im 16. Jahrhundert Siordauo Bruno für die Lehre des Köper, nikus geleistet hat, leistet Kant hier für die Lehre Newtons: die Dera», schaulichung des Unendlichen. Bruno büßte seine vorzeitige Kühnheit auf dem Scheiterhaufen. Kaut beugte einer Umdeutung seiner Lehre ins Athe, istische vor durch den bündigen Sah: „Es ist ein Gott ebendeswegen, weil die Natur auch selbst im Chaos nicht anders als regelmäßig und ordentlich verfahren kann." (Zu S. 24—50:) Der Siegeszug der Naturwissenschaft von Koperni, kus über Galilei und Kepler zu Newton und die Entwicklung der Philo, sophie in zwei Asten, dem „empirischen" (von Bacon über Locke zu Hume) und dem „rationalistischen" (von Descartes über Spinoza m Leibniz) hat im 17. Jahrhundert die theologischckrchlich bestimmte europäische Kultur zugunsten einer Weltanschauung zurückgedrängt, der die menschliche Vernunft alleinige Erkenntnisquelle und alleiniger Maßstab ist. „Aufklä, rung" wird das Schlagwort der Zeit. Während die neue Richtung in Frankreich (Voltaire, Montesquieu, Diderot, Rousseau) mehr zersetzend wirkte und sich schließlich in den Ausartungen der Revolution selbst wider, legte, hatte fle in Deutschland (Leibnt», Wolff, Lessing, Herder) aufbauende Kraft, versandete aber zuletzt in weichlicher Schönfärberei und platter An, betung des Bloßnühlichen. Kant arbeitet zunächst in ihrem Sinne mit an der Erklärung der Welt aus der Dernunfterfahrung, er wünscht mit 16

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ihr die Ordnung der Welt nach den Forderungen der Vernunft. Daß die Vernunft „mündig" werde, ist ihm ein heiliges Anliegen. — Von den drei ausgewähltea Abschnitten zeigt der erste den Aufklärer Kant in seinem Kampf gegen den pseudowissenschaftlichen Aberglauben deS Geistersehens, wie er durch Swedenborg (1688-1772) vertreten wurde. Kants grundsätz­ liche Äußerungen können auch gegenüber dem okkultistischen Unwesen unserer Zeit wirksam werden. — Der kurze Aussatz „Was ist Aufklärung?" ist für Kants Eigenart vor allem dadurch bezeichnend, daß er ein Programm auf­ stellt weniger für die Erkenntnis als für den Willen. Als Bekenntnis zum Staate Friedrichs des Großen ist er auch geschichtlich bedeutsam. — Der dritte Abschnitt behandelt die seit der Aufklärungszeit vielerörterte Frage nach dem Sinn der menschlichen Geschichte und ist heute wegen gewisser politischer Ideen (Völkerbund, ewiger Friede, liberale Staatsauffaffung) wieder besonders lesenswert. — (Zu S. 50 ff.:) Indem Kant die menschliche Vernunft mündig macht, verhilft er ihr zugleich zur Selbsterkenntnis: der anmaßenden, ins Jenseitige sich drängenden Erklärungssucht gebietet er Halt an den Grenzen „möglicher Erfahrung" und beschränkt sie mit unwiderleglichen Gründen auf das Diesseitige. Gegenüber dem flachen, allzu diesseitigen Streben nach Nutzen und Behagen zeigt er in den sittlichen Aufgaben ein nie verschlossenes Lor ins Jenseits. So wird er durch seine kritische Philo­ sophie der Überwinder der Aufklärung. — Was er als Erkenntnistheo, r e t i k e r gewollt und geleistet hat, kann hier nicht einmal angedeutet werden. Aber darauf sei hingewiesen, daß er, der vielen als trockenster „Scholastiker" gilt, gerade durch seine entsagungsvolle zehnjährige Arbeit an der „Kritik der reinen Vernunft" zum Befreier der im Gefängnis des Verstandes geknebelten GemütskrLfte geworden ist. Er selbst verkündet den „Primat der praktischen Vernunft". Ohne Kant ist der spätere Schiller undenkbar, auf Kant beruht der deutsche Idealismus der Fichte, Schelling und Hegel; von seinem Geiste nährte flch die opferwillige Begeisterung der Befreiungsjahre. Kant ist die Voraussetzung für daS Aufblühen der Geschichte als Wissen, schäft, ja, in gewissem Sinne sogar der ganzen Romatik. (Zu @. 60—73 ;) Über die Bedeutung der ethischen Lehre Kants nur drei Urteile: Schiller an Körner (15. II. 93): Es ist gewiß von einem sterblichen Menschen kein größeres Wort gesprochen worden als dieses Kantische, was zugleich der Inhalt seiner ganzen Philosophie ist: „Bestimme dich aus dir selbst!" Goethe zu Kanzler Müller am 29. IV. 1818: JDit Moral war gegen Ende deS letzten Jahrhunderts schlaff und knechtisch geworden, als man sie dem schwankenden Kalkül einer bloßen Glückseligkettstheorie unter­ werfen wollte. Kant faßte sie zuerst in ihrer überstnnltchen Bedeutung auf, und wie überstreng er fle auch in seinem kategorischen Imperativ auSprLgen wollte, so hat er doch das unsterbliche Verdienst, unS von jener Weichlichkeit, in die w*r versunken waren, zurückgebracht zu haben." Rud. Eucken: „Kant hat mehr in dem Menschen sehen gelehrt und mehr aus dem Menschen gemacht. Das können nur große Denker, und er ist einer der größten. Uns Deutschen aber hat er ... den eigentümlichen Idealismus ausgebildet, auf den unser Wesen angelegt ist. Das ist .... ein herber und kräftiger Idealismus, ein Idealismus der Lat, der die

Welt um uns voller Verwicklung findet, der aber in uns das Vermögen entdeckt, eine neue Welt zu entfalten, der in solcher Entfaltung eine schwere Aufgabe findet, aber dabei auch eine innere Erhöhung erfährt und aus ihr stark genug wird ... den Kampf gegen die Unvernunft unseres Da, seins aufzunehmen." (Zu S./z ff.:) Es ist mit Recht als eine Art Wunder bezeichnet worden, daß Kant, fern von den Stätten der Kunst, und ohne eigentliche lg mit Künstlern und Kunstwerken, doch auch auf dem Gebiete der Ästhetik hat bahnbrechend werden können. Wie sehr seine ästhetischen Gedanken auf Schiller gewirkt haben, weiß jeder; aber auch Goethe fand sie seinem eigenen Schaffen und Denken „ganz analog"; so kamen erst durch Kant unsere beiden größten Dichter über daö Wesen ihrer Kunst zu voller Klarheit. — Das vorletzte Stück unserer Auswahl ist bedeutsam als Ausgangsvunkt für Schillers Gedanken über das Erhabene. Der letzte Abschnitt endlich zeigt, wie für Kant das ästhetische Erleben im gusammenhang steht mit dem ganzen inneren Menschen, und soll nach­ denklich stimmen gegenüber dem selbstsüchtigen Ästhetentum, wie es in gewissen Kreisen bei uns sogar die Not der letzten zehn Jahre über­ dauern konnte.

Empfehlenswerte Hilfsmittel: Für das Leben Kants: Immanuel Kantö Leben, dargestellt von Karl Vorländer. Leipzig, Meiner 1921. (Philos. Bibl. Bd. 126.) (Don dem gleichen Df. ist im gleichen Verlag 1924 eine große Kantbiographie erschienen.) Für Leben und Gesamtwerk: „3mm. Kant" von Aster. Leipzig, Quelle u. Meyer. (Wissenschaft u. Bildg. Bd. 80.) „Jmm. Kant" von Külpe (-Messer). Leipzig, Teubner 1921. (Aus Natur u. Geisteswelt 146.) „Jmm. Kants Leben u. Philosophie" von August Messer. Stutt­ gart. Strecker u. Schröder 1924. Für einzelne Gebiete der Kantischen Philosophie: „Hilfsbüchleia für Kant­ leser" von Heußner. 1) Prolegomena. 2) Grundlegung zur Meta, physik der Sitten. Göttingen 1922. Dandenhoek u. Ruprecht. Buchenau, Kants Lehre vom kategorischen Imperativ. Derselbe: Grundprobleme der Kritik der reinen Vernunft. Apel, Kommentar zu Kants Prolegomena. (Bd. 1, Bd. 3 und Bd. 16 der Sammlung „Wissen und Forschen", Verlag Felix Meiner, Leipzig.)