Imaginäres Geheimwissen: Untersuchungen zum Hermetismus in literarischen Texten der Frühen Neuzeit 9783847098386, 9783899716757, 9783862346752


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Imaginäres Geheimwissen: Untersuchungen zum Hermetismus in literarischen Texten der Frühen Neuzeit
 9783847098386, 9783899716757, 9783862346752

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Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung

Band 12

Herausgegeben vom Vorstand des Interdisziplinären Zentrums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit mit der Redaktion des Interdisziplinären Zentrums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit, Berlin

Peter-Andr¦ Alt

Imaginäres Geheimwissen Untersuchungen zum Hermetismus in literarischen Texten der Frühen Neuzeit

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-89971-675-7 ISBN 978-3-86234-675-2 (E-Book) Ó 2012, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Michael Maier : Symbola aureae mensae. Frankfurt a. M. 1617, S. 5 Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

»Tradition cannot be inherited, and if you want it, you must obtain it by great labour.« T.S. Eliot, Tradition and the Individual Talent (1919), in: Selected Essays, London 1972, S. 7.

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1. Hermetismus und frühneuzeitliche Literatur. Zur Forschungslage . .

11

2. Topik in Transformationen. Muster frühneuzeitlicher Hermetik-Rezeption (Ficino, Lazzarelli, Patrizi, Arndt, Casaubon, Cudworth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

3. Die Dynamik der Tradition. Theoretischer Exkurs über einen alten Begriff (Luhmann, Blumenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

4. Das Imaginäre und der Logos. Hermetische Grundlagen der Poetik (Scaliger, Puttenham, Sidney, Opitz, Klaj, Birken, Neumark) . . . . .

67

5. Allegorie als Medium. Prämissen für die Allianz von Hermetismus und Poesie (Quintilian, Melanchthon, Scaliger, Foucault) . . . . . . .

105

6. Kartographie der Einweihung. Hermetik und Raum in geistlicher Prosa (Andreae, Maier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

7. Spiritualität und Gesellschaftsstruktur. Hermetismus in der Bukolik (Opitz, Hardörffer, Klaj, Birken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

8. Konstitution poetischer Formen im Widerspruch. Paradoxon und Hermetik (Czepko, Scheffler, Kuhlmann) . . . . . . . . . . . . . . . .

181

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

Druckorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

Die vorliegenden Beiträge entstanden zwischen 2008 und 2011 im Rahmen eines Teilprojekts innerhalb der an der Freien Universität arbeitenden Forschergruppe »Topik und Tradition«. Zu danken habe ich der DFG für die finanzielle Unterstützung des Vorhabens, dem Projekt-Sprecher Wilhelm Schmidt-Biggemann für Initiative und Inspiration, meinem langjährigen Mitstreiter Volkhard Wels für kontinuierliche, manchmal kontroverse Diskussionen zum Hermetismus, den Mitarbeitern des Interdisziplinären Zentrums »Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit«, insbesondere Jörg Braun, für die Vorbereitung des Drucks und den Herausgebern der Reihe für die Aufnahme des Bandes. Anna Dannenberg hat mich gewohnt zuverlässig bei der technischen Vorbereitung der Publikation unterstützt. Berlin, im Januar 2012

Peter-Andr¦ Alt

1. Hermetismus und frühneuzeitliche Literatur. Zur Forschungslage

In seinem Buch von der Deutschen Poeterey (1624) kommt Martin Opitz nach der Vorrede auf die Geschichte der Dichtkunst und ihre ursprüngliche kulturelle Funktion zu sprechen: Die Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene Theologie / vnd vnterricht von Göttlichen Sachen. Dann weil die erste vnd rawe Welt gröber vnd vngeschlachter war / als das sie hette die lehren von weißheit vnd himmlischen dingen recht fassen vnd verstehen können / so haben weise Männer / was sie zue erbawung der Gottesfurcht / gutter sitten vnd wandels erfunden / in reime vnd fabeln / welche sonderlich der gemeine pöfel zue hören geneiget ist / verstecken vnd verbergen müssen.1

Die vorliegenden Studien sind aus dem Versuch hervorgegangen, diese von der Barockforschung sehr kontrovers gedeuteten Sätze zu verstehen. Sie traktieren die Frage, was Opitz mit ›verborgener Theologie‹ und dem Hinweis auf ›göttliche Sachen‹ meint. Nicht zuletzt suchen sie zu erkunden, aus welchen Gründen er das Wesen der Poesie unter Bezug auf die Operationen des ›Versteckens‹ und ›Verbergens‹ kennzeichnet, andererseits aber die Unterrichtung des ›Pöbels‹ als ihr vorrangiges Ziel beschreibt. Die Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Bestimmungen und Argumenten der Opitzschen Definition führt zu einer Konstellation, die für das Selbstverständnis frühneuzeitlicher Literatur von genereller Bedeutung ist. Hinter dem Rekurs auf die ›verborgene Theologie‹ scheint eine hermetische Tradition auf, die Opitz mit den Funktionen der Poesie und ihrem didaktischen Zweck verbindet. Die Exordialdefinition der Deutschen Poeterey zeigt sich bei näherer Betrachtung vom Erbe des Hermetismus, seiner eigenen Wirkungsgeschichte und ihrer poetologischen Transformation gleichermaßen beherrscht. Der Anspruch, die geheime Lehre von den göttlichen Dingen in ›reimen‹ und ›fabeln‹ zu vermitteln, eröffnet den Horizont einer Arkanlehre, deren einzelne Topoi generell Spuren in der frühneuzeitlichen Dichtungstheorie und -praxis hinterlassen haben. Das Spannungsverhältnis zwi1 Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe, hg. v. Herbert Jaumann, Stuttgart 2002, S. 14.

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Hermetismus und frühneuzeitliche Literatur. Zur Forschungslage

schen exklusivem Wissen und Belehrung breiter Leserkreise, das die Eingangsdefinition der Poeterey bestimmt, ist charakteristisch für die literarische Aneignung der hermetischen Tradition im Europa der Frühen Neuzeit seit Marsilio Ficino. Wer den Windungen von Opitz’ Argumentation nachgeht, stößt auf die Macht der hermetischen Überlieferung und die produktiven Effekte ihrer poetischen Umgestaltung – auf eine übergreifende, für die deutsche Literatur besonders maßgebliche Modellierung hermetischen Wissens im Dienste fiktionaler Ordnungen. Dieses Buch verfolgt, daran anschließend, zwei programmatische Ziele, die eng miteinander verknüpft sind. Es fragt nach der Verarbeitung hermetischer Topoi in literarischen Texten der Frühen Neuzeit – mit einem Schwerpunkt auf deutschsprachigen Quellen; und es erschließt an seinem Gegenstand den Musterfall einer Transformation von religiös geprägten Wissensstrukturen in poetischen Darstellungsmustern. Indem es den Spuren hermetischer Denkelemente in Poetik und Literatur nachgeht, sucht es die diskursiven Leitmodelle der frühneuzeitlichen Poetik aufzudecken – ihre Lust am Arkanen, das Spiel mit Paradoxien, ihren protoreligiösen (oft heterodoxen) Kern, ihre Grundlegung aus dem (in christlicher Perspektive häufig verdammten) Enthusiasmus, ihre epistemischen Valeurs, ihre Vermischung paganer und christlicher Interpretamente, ihre eigenwillige, zuweilen versteckte Reflexion sozialer Ordnungen. Zugleich diskutiert es prinzipielle Fragen, die der Verarbeitung und Umgestaltung von Wissen in literarischen Texten gelten; das betrifft Strategien der poetischen Selbstbegründung in den Formen des Widerspruchs, der Kombination und Überlagerung, Techniken der allegorischen, metaphorischen und ironischen Anspielung auf Wissensbestände, nicht zuletzt Modelle der gattungsspezifischen Umsetzung solcher Bestände in den Genres der Bukolik, der Erbauungsliteratur, des geistlichen Liedes, des mystischen Epigramms und der Erzählung. Umgekehrt richtet sich der Blick auch auf die narrativen Elemente im hermetischen Diskurs selbst, die den genannten Transfer erleichtern, weil die Schwelle zwischen Episteme und Fiktion hier besonders niedrig ist – nicht selten vermittelt über religiöse, para- und protoreligiöse Elemente, die in der Frühen Neuzeit gerade nicht Zeichen einer ›unsichtbaren‹ Tradition (Thomas Luckmann), sondern omnipräsent sind.2 Der Hermetismus avanciert auf diese Weise zu 2 Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion. Mit einem Vorwort v. Hubert Knoblauch, Frankfurt / M. 1996 (= The Invisible Religion, 1967). Luckmanns Studie bezieht sich bekanntlich auf Prozesse religiöser Bedeutungsstiftung jenseits von institutionellen Kontexten in der modernen Gesellschaft (vgl. S. 106 ff.). Der Religionsbegriff der nachfolgenden Studie hat dagegen einen anderen historischen und systematischen Schwerpunkt im Bereich der heterodoxen Spiritualität der Frühen Neuzeit. Vgl. zum methodologischen Umfeld den wichtigen Sammelband von Peter Strohschneider (Hg.): Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin / New York 2009.

Hermetismus und frühneuzeitliche Literatur. Zur Forschungslage

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einem zentralen Feld, auf dem sich das Selbstverständnis der frühneuzeitlichen Literatur, ihre religiös imprägnierte Metapoetik und ihr wissenshistorisches Fundament erschließen lassen. Indem dieses Buch die Transformationen hermetischer Topoi in fiktionalen Texten untersucht, leistet es zugleich einen Beitrag zur Rekonstruktion der frühneuzeitlichen Theorie der Literatur und ihrer wissensgeschichtlichen Quellen. Der Hermetismus ist erst spät ins Blickfeld der germanistischen Frühneuzeitforschung getreten. Zunächst erschloß sich das Thema in Untersuchungen zur europäischen Renaissance und Aufklärung, ehe seine Bedeutung für deutschsprachige Texte des Barockzeitalters entdeckt wurde.3 Nach einigen kürzeren Vorstudien von Conrad Wiedemann, Bernhard Gorceix und Pierre B¦har4 war es zumal Hans-Georg Kemper, der seit Beginn der 80er Jahre in gewichtigen Arbeiten anhand zentraler Topoi und Motive demonstrierte, daß die deutschsprachige Naturpoesie des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts in unterschiedlichen Differenzierungsgraden von Elementen einer hermetischen Religiosität beherrscht wurde. In seiner Studie über Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß (1981) und in seiner zehnbändigen Geschichte der deutschen Lyrik in der Frühen Neuzeit (1987 – 2006) entfaltete Kemper die These von der hermetischen Prägung vormoderner Texte auf der Basis detaillierter Belege und Motivverweise.5 Die beiden zum Abschluß der großen Lyrikgeschichte im Jahr 2006 erschienenen Bände 4.1 und 4.2 machten – gegen Steiger (1997, 2000)6 – für zentrale Autoren des 17. Jahrhunderts wie 3 Für die Renaissance sind hier die Arbeiten von Kristeller, Walker und Garin zu nennen; für den Bereich der Aufklärung Weber, Warburg, Luckmann und Reill. Vgl. dazu den Forschungsbericht von Monika Neugebauer-Wölk: Aufklärung – Esoterik – Wissen. Transformationen des Religiösen im Säkularisierungsprozess. Eine Einführung, in: Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation, hg. v. Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarbeit v. Andr¦ Rudolph, Tübingen 2009, S. 5 – 28, bes. S. 17 f. 4 Conrad Wiedemann: Engel, Geist und Feuer. Zum Dichterselbstverständnis bei Johann Klaj, Catharina von Greiffenberg und Quirinus Kuhlmann, in: Literatur und Geistesgeschichte. Festgabe für Heinz Otto Burger, hg. v. Reinhold Grimm und Conrad Wiedemann, Berlin 1968, S. 85 – 109; Bernhard Gorceix: Alchimie et litt¦rature au XVIIe siÀcle en Allemagne, in: Êtudes Germaniques 26 (1971), S. 18 – 31; Pierre B¦har : Martin Opitz. Weltanschauliche Hintergründe einer literarischen Bewegung, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Neue Folge 34 (1984), S. 44 – 53. 5 Hans-Georg Kemper : Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß. Problemgeschichtliche Studien zur deutschen Lyrik in Barock und Aufklärung. 2 Bde., Tübingen 1981, Bd. 1, bes. S. 51 ff.; Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 3 (Barock-Mystik), Tübingen 1988, bes. S. 71 ff., 74 ff.; Bd. 4 / I (Barock-Humanismus: Krisen-Dichtung), Tübingen 2006; Bd. 4 / II (Barock-Humanismus: Liebeslyrik), Tübingen 2006, bes. Bd. 4 / I, S. 56 ff., 163 ff., Bd. 4 / II, S. 109ff, 242 ff. 6 Johann Anselm Steiger : Die poetologische Christologie des Andreas Gryphius als Zugang zur lutherisch-orthodoxen Theologie, in: Daphnis 26 (1997), S. 85 – 112; Johann Anselm Steiger : Schule des Sterbens. Die ›Kirchhofgedanken‹ des Andreas Gryphius (1616 – 1664) als poeti-

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Hermetismus und frühneuzeitliche Literatur. Zur Forschungslage

Martin Opitz, Paul Fleming, Andreas Gryphius, Christian Hofmann von Hofmannswaldau und Daniel Casper von Lohenstein ein Vorherrschen hermetischer Topoi und Interpretationsmuster geltend.7 Facettenreich und stimmig fielen hier zumal die Ausführungen zu Gryphius aus, dessen HermetismusVerständnis über seine Rezeption der Schriften des für die protestantische Frömmigkeitsgeschichte so überaus prägenden Theologen Johann Arndt vermittelt wurde.8 In den Bahnen von Kempers frühen Arbeiten bewegten sich die Studien von Peter Cersowsky (1990) und Randolf Quade (2001), die freilich trotz wichtiger Einsichten in literarische Ausprägungen und Zusammenhänge hermetischer Interpretamente konzeptionelle Defizite offenbarten. Cersowskys insgesamt verdienstvolle Arbeit, die einen wegweisenden Beitrag zur näheren Bestimmung der poetischen Funktion der frühneuzeitlichen Magie-Vorstellungen leistete, litt auf methodischer Ebene unter einer fehlenden begriffsgeschichtlichen Differenzierung zwischen Hermetik, Kabbalistik, Magie und Alchemie. Einflußreiche angelsächsische, niederländische und französische Forschungstraditionen, zu denen sich neuerdings ein deutsches Pendant gesellt, haben an diesem Punkt aus der Not eine Tugend gemacht, indem sie nach Sammelbegriffen suchten, die den umfassenden Diskurs-Komplex in einer höheren systematischen Ebene aufheben sollten.9 Allein aus sachlichen – und das heißt hier : historischen Gründen ist das freilich ein problematisches Unterfangen, da es die je spezifische Identität der einzelnen spiritualistisch-hermetischen Strömungen des 16. und 17. Jahrhunderts ausblendet. Auch wenn die Differenzierung zwischen ihnen im Detail manchmal schwer zu vollziehen ist, weil Überschneidungen und Überlagerungen auftreten, sollte sie im Interesse einer begriffshistorischen Klärung nicht unversucht gelassen werden. Der von Antoine Faivre stammende Hinweis, daß zahlreiche der mit hermetischen Quellen befaßten Autoren ›gelehrte Synkresche Theologie im Vollzug, Heidelberg 2000, bes. S. 53 f., 59 ff. (mit der Verteidigung des ›orthodoxen‹ gegen den ›heterodoxen‹ Gryphius). 7 Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit (s. Anm. 5), Bd. 4.I, S. 56 ff., 249 ff.; Bd. 4.II, S. 233 ff. In Ergänzung zu den wegweisenden Studien Kempers sind die methodologischen Prinzipien zu prüfen, die das Verhältnis von Wissensordnung und literarischem Werk betreffen. Da man nicht von einer direkten Überführung hermetischer Topoi in poetische Texte ausgehen kann, wird sich das vorliegende Buch intensiv mit der theoretischen Frage nach der spezifisch literarischen Umformung hermetischen Wissens und den im 17. Jahrhundert gegebenen Grundlagen der literarischen Wissensfiktion befassen. 8 Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit (s. Anm. 5), Bd. 4.I, S. 245 ff. Ähnlich überzeugend der Abschnitt zu Lohenstein, der am Beispiel der ›Blumen‹-Sammlung eine hermetische Prägung über die Agrippa-Rezeption nachweist (Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4.II, S. 235 ff.). Wo Kemper vergleichbare Quellenfundamente nicht zur Verfügung stehen, wie im Fall seiner Überlegungen zur Bukolik Harsdörffers, Klajs und Birkens (Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4.I, S. 342 ff.), fällt die Argumentation dagegen hypothetischer aus. 9 Gemeint sind die Arbeiten von Yates, Hanegraaff, Faivre und Neugebauer-Wölk, die im einzelnen weiter unten erörtert werden.

Hermetismus und frühneuzeitliche Literatur. Zur Forschungslage

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tisten‹ gewesen seien, sollte keineswegs dazu verführen, auf Differenzierungen zwischen den einzelnen Strömungen zu verzichten.10 Wo Cersowsky, hier von der angelsächsischen Forschung inspiriert, die Grenzen nicht immer hinreichend deutlich markierte, schlug die Untersuchung Quades den anderen Weg ein. Sie tendierte dazu, die Leitkategorie punktuell zu überfordern, indem sie hermetische Hintergründe einzelner Texte (etwa bei Schriften aus dem Umfeld der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹) voraussetzte, ohne ihre Hypothesen mit letzter Konsequenz durch einen exakteren Nachweis von Rezeptionsspuren abzusichern.11 Historisch differenzierter, wenngleich nur am Rande auf spezifisch literarische Texte bezogen waren die Arbeiten zum Hermetismus, die Wilhelm Kühlmann seit Ende der 90er Jahre vorlegte.12 Seine richtungsweisenden Beiträge erschließen eine sozialgeschichtlich fundierte Phänomenologie hermetischer Denkmuster und deren Filiationen mit Rosenkreuzertum sowie Paracelsismus, die, wie neben Kühlmann Joachim Telle in zahlreichen Studien zeigte, auch auf unmittelbar literaturwissenschaftliche Rezeptionsprozesse übertragen werden können.13 Vor allem dokumentierte Kühlmann immer wieder die Verknüpfungen im Feld der spirituellen Naturphilosophie der Frühen Neuzeit, die sich aus vergleichbaren Topoi – Analogiedenken, Inspirationslehre, Emanationsmodel10 Antoine Faivre: Renaissance Hermetism and the Concept of Western Esoterism, in: Gnosis and Hermetism from Antiquity to Modern Times, ed. by Roelof van den Broek and Wouter J. Hanegraaff, New York 1998, S. 109 – 123, S. 114. 11 Peter Cersowsky : Magie und Dichtung. Zur deutschen und englischen Literatur des 17. Jahrhunderts, München 1990; Randolf Quade: Literatur als hermetische Tradition. Eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung frühneuzeitlicher Texte zur Erschließung des Weltund Menschenbildes in der Literatur des 17. Jahrhunderts, Frankfurt / M. u. a. 2001. 12 Wilhelm Kühlmann: Der ›Hermetismus‹ als literarische Formation. Grundzüge seiner Rezeption in Deutschland, in: Scientia Poetica 3 (1999), S. 145 – 157; ders.: Der vermaledeite Prometheus. Die antiparacelsistische Lyrik des Andreas Libavius und ihr historischer Kontext, in: Scientia Poetica 4 (2000), S. 30 – 61; ders.: Paracelsismus und Hermetismus: Doxographische und soziale Positionen alternativer Wissenschaft im postreformatorischen Deutschland, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit, hg. von Anne-Charlott Trepp und Hartmut Lehmann, Göttingen 2001, S. 11 – 39. 13 Joachim Telle: Paracelsus im Gedicht. Materialien zur Wirkungsgeschichte Theophrasts von Hohenheim im 16. und 17. Jahrhundert, in: Fachprosa-Studien. Beiträge zur mittelalterlichen Wissenschafts- und Geistesgeschichte, hg. v. Gundolf Keil, Berlin 1982, S. 552 – 573; ders. (Hg.): Analecta Paracelsica. Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit, Stuttgart 1994; ders.: Bartholomäus Carrichter. Zu Leben und Werk eines deutschen Fachschriftstellers des 16. Jahrhunderts, in: Paracelsus und seine internationale Rezeption in der frühen Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des Paracelsismus, hg. v. Heinz Schott und Ilana Zinguer, Leiden 1998, S. 58 – 95; ders.: Der ›Sermo Philosophicus‹. Eine deutsche Lehrdichtung des 16. Jahrhunderts über den Mercurius Philosophorum, in: Beiträge zur Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Peter Dilg zum 65. Geburtstag, hg. v. Christoph Friedrich und Sabine Bernschneider-Reif, Eschborn 2003, S. 285 – 309.

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len, Zeichentheorie, Arkaninitiation – ableiten. Damit bestätigte sich die von Cersowsky und Kemper präsupponierte Überlagerung von epistemischen Strukturen, ohne daß jedoch die im Detail maßgeblichen Differenzen auf den Feldern des Wissensbegriffs und der Naturphilosophie vernachlässigt wurden. Zugleich zeigte sich in Ansätzen das gemeinsame Fundament einer spekulativen Wissenschaft von der Gottnatur, die literarisch äußerst folgenreich nachgewirkt hat. Wichtigen Sukkurs bei der schwierigen systematischen Differenzierung zwischen dem Hermetismus und verwandten Denkmustern ermöglichte ein Beitrag von Thomas Leinkauf (2001), der das hermetische Denken der Frühen Neuzeit im Gegensatz zu Kühlmann strikt über die Textbasis des Corpus Hermeticum, des Poimander und des Asklepios in der durch Marsilio Ficino und Francesco Patrizi überlieferten Gestalt definierte.14 Ein von Martin Mulsow herausgegebener Sammelband zum Ende des Hermetismus war in diesem Zusammenhang instruktiv, weil er verdeutlichte, welche veränderten Rezeptionsbedingungen durch die exakte historische Verortung des Corpus Hermeticum nach Isaac Casaubons Datierung (1614) geschaffen wurden.15 Der Verdienst der hier veröffentlichten Studien liegt nicht zuletzt darin, daß sie verdeutlichen können, wie irreführend allzu strikte Differenzierungen ausfallen; wenn ältere Interpretationen Casaubons Schrift zur Grenzscheide erklären, die eine spirituelle Auslegung des Corpus fortan ausschloß, so ignorieren sie die dichten Rezeptionsspuren der Zeit nach 1615. Bereits Anthony Graftons Arbeiten dokumentieren, daß Casaubons Intervention nicht nur den Effekt der Entzauberung zeitigte, sondern eine Vielzahl von produktiven Aneignungen hermetischer Interpretationmsmuster provozierte.16 Gerade die Parallelisierung von Offenbarungsidee und hermetischer Logoslehre, die für christliche Adaptionen seit dem späten 16. Jahrhundert charakteristisch war, bildete auch nach Casaubon ein Leitmotiv der Wirkungsgeschichte, insbesondere bei deutschen Autoren.17 Methodisch folgenreich muß dabei die Beobachtung sein, daß die Auseinandersetzung mit dem Corpus nur selten auf direkte Textreferenzen gestützt wird, sondern sich zumeist auf Anspielungen und die versteckte Ver14 Thomas Leinkauf: Interpretation und Analogie. Rationale Strukturen im Hermetismus der Frühen Neuzeit, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12), S. 41 – 61. 15 Martin Mulsow (Hg.): Das Ende des Hermetismus: historische Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance. Dokumentation und Analyse der Debatte um die Datierung der hermetischen Schriften von Genebrard bis Casaubon (1567 – 1614), Tübingen 2002. 16 Anthony Grafton: Defenders of the text: the traditions of scholarship in an age of science, 1450 – 1800, Cambridge 1991, S. 145 ff. 17 Dieser Aspekt wird durch die Verwendung des Esoterikbegriffs zumeist zugedeckt, weil gerade der Logosgedanke als singuläres Kennzeichen des Hermetismus im Gegensatz zu kabbalistischen und alchemistischen Traditionen gelten kann. Hierfür typisch: Faivre: Renaissance Hermetism and the Concept of Western Esoterism (s. Anm. 10), S. 113 f.

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wendung zentraler Argumentationsmuster bezieht. Ähnlich wie die spätantiken Autoritäten oder die Kirchenväter ist Hermes Trismegistos in der Literatur der Frühen Neuzeit kaum über direkte Zitate präsent. An die Stelle einer expliziten Aneignung tritt jedoch ein System der topischen Adaption, deren unterschiedliche Ausprägungen ihrerseits genau erschlossen werden müssen, damit man das Nachwirken der hermetischen Tradition belegen kann. Die Indikatoren für das Auftreten solcher topischen Muster hängen von den intentionalen Voraussetzungen des Rezeptionsvorgangs ab. Im Einzelfall erscheinen sie eingebettet in Kontexte der Naturphilosophie, Soteriologie, Offenbarungslehre, Logos-Theologie und Inspirationstheorie, integriert in heterogene Deutungsmuster, die den Hermetismus selten als exponierte Quelle der Weisheit privilegieren, sondern bevorzugt in Mischungen mit orthodoxen, neuplatonischen oder alchemistischen Erklärungsmodellen verarbeiten. Maßgebliche Überlegungen zur historischen Evolution der frühneuzeitlichen Hermetik fanden sich, konzentriert auf die Konstellationen in England, bei Frances Yates (1964 / 1979), anhand der deutschen Wirkungsgeschichte in Studien zu Johann Arndt, wie sie von Hermann Geyer (2001), Hanns-Peter Neumann (2004) und Carlos Gilly (1997, 2007) vorgelegt wurden.18 Auf das 18. Jahrhundert bezogen, aber in ihren Überlegungen zum Status hermetischen Wissens in literarischen Texten auch für frühere Perioden zu diskutieren sind die in der letzten Dekade publizierten Arbeiten der Historikerin Monika Neugebauer-Wölk.19 Sie stützten sich auf den vor allem von Antoine Faivre vorge18 Frances A. Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, Chicago, London 1979 [1964]; Hermann Geyer : Verborgene Weisheit. Johann Arndts ›Vier Bücher vom Wahren Christentum‹ als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie. 2 Bde., Berlin 2001; Hanns-Peter Neumann: Natura sagax – die geistige Natur. Zum Zusammenhang von Naturphilosophie und Mystik in der frühen Neuzeit am Beispiel von Johann Arndt, Tübingen 2004; Carlos Gilly : Johann Arndt und die ›dritte Reformation‹ im Zeichen des Paracelsus, in: Nova Acta Paracelsica. Neue Folge 11 (1997), S. 60 – 77; Carlos Gilly : Hermes oder Luther. Der philosophische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift ›De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda‹, in: Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die ›Vier Bücher vom wahren Christentum‹, hg. v. Hans Otte und Hans Schneider, Göttingen 2007, S. 163 – 198. 19 Monika Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit. Zum Paradigma der Religionsgeschichte zwischen Mittelalter und Moderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 321 – 364; dies.: ›Höhere Vernunft‹ und ›höheres Wissen‹ als Leitbegriffe in der esoterischen Gesellschaftsbewegung. Vom Nachleben eines Renaissancekonzepts im Jahrhundert der Aufklärung, in: dies. (Hg.): Aufklärung und Esoterik (s. Anm. 3), S. 170 – 210; dies.: ›Denn dis ist müglich, lieber Sohn!‹ Zur esoterischen Übersetzungstradition des ›Corpus Hermeticum‹ in der Frühen Neuzeit, in: Esot¦risme, gnoses & imaginaire symbolique. M¦langes offerts — Antoine Faivre, hg. v. Richard Caron, Joscelyn Godwin, Wouter J. Hanegraaff und Jean-Louis Vieillard-Baron, Leuven 2001, S. 131 – 144; dies.: Esoterik und Christentum vor 1800. Prolegomena zu einer Bestimmung ihrer Differenz, in: Aries. Journal for the Study of Western Esotericism 3 (2003), S. 127 – 165.

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schlagenen Sammelbegriff des Esoterischen, unter dessen Patronat das nichtrationale Wissen einer an Hermetismus, Alchemie, Magie und Pansophie interessierten Aufklärung verhandelt wird.20 Der Terminus »L’¦soterisme« wurde erstmals 1828 in Frankreich von Jacques Matter im Rahmen einer Studie zur Gnosis benutzt, wo er zur Bezeichnung eines nicht-akademischen Geheimwissens der Spätantike diente.21 Unabhängig von den Bedeutungsdifferenzierungen, die er in seiner 180jährigen Anwendungsgeschichte erfuhr, bleibt seine Funktion als Mittel der Unterscheidung von Methoden und Techniken gelehrter öffentlicher Schulen wesentlich. Faivre führt sechs Merkmale esoterischen Wissens an, dessen methodisch-programmatische Substanz nach seiner Überzeugung keine übergeschichtliche Qualität besitzt, sondern sich in der Philosophie der Renaissance mit Folgewirkungen bis in die Gegenwart entwickelt: Die Idee der Korrespondenz der Erscheinungen (1), der Gedanke einer selbst lebenden, schöpferischen Natur (2), die exponierte Stellung von Imaginations- und Meditationstätigkeit für die Erkentnnis (3), die Vorstellung einer inneren Wandlungsfähigkeit der Phänomene (4) sowie – als hinreichende, aber nicht notwendige Ergänzungsmerkmale – die Idee der Konkordanz von Weisheitslehren unterschiedlicher Epochen oder Kulturen (5) und die Praxis geheimer Einweihung in die Schätze des Wissens als Initiation des Adepten durch den Lehrer (6).22 Was Neugebauer-Wölk zur Verwendung eines an Faivres Typologie anschließenden Esoterikbegriffs veranlaßte, hat sie in der Einleitung zu dem 1999 publizierten Band Aufklärung und Esoterik zu begründen gesucht, indem sie den übergreifenden Charakter des Terminus betonte, der im Unterschied zu Kategorien ›Hermetik‹, ›Alchemie‹ oder ›Pansosophie‹ keine historische, sondern eine systematische Bedeutung besitze.23 Der Anspruch, die unterschiedlichen Spielarten eines nicht-akademischen, religiös fundierten Geheimwissens zu bündeln, wird, wie Neugebauer-Wölk erläutert, durch den Rekurs auf Merkmale der Faivreschen Esoterikkategorie im Sinne eines ›heuristischen Instruments‹ einlösbar.24 Gerade die Suche nach alchemistischen und hermetischen Spuren in der Ideen- und Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts machte 20 Antoine Faivre: Esoterik. Ins Deutsche übers. v. Peter Schmid, Braunschweig 1996 (= Esoterisme, Paris 1992); ders.: Renaissance Hermetism and the Concept of Western Esoterism (s. Anm. 10), S. 109 – 123; ders.: Esoterik im Überblick. Geheime Geschichte des abendländischen Denkens. Aus dem Französischen v. Peter Schmidt und Rolf Wintermeyer, Freiburg 2001. Vgl. Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens, München 2004. 21 Jacques Matter : Histoire critique du gnosticisme et de son influence, Paris 1828. Vgl. Faivre: Renaissance Hermetism and the Concept of Western Esoterism (s. Anm. 10), S. 118. 22 Faivre: Esoterik (s. Anm. 20), S. 22 ff.; ders.: Renaissance Hermetism and the Concept of Western Esoterism (s. Anm. 10), S. 119 ff. 23 Neugebauer-Wölk: Aufklärung – Esoterik – Wissen (s. Anm. 3), S. 7 f. 24 Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 339 f.

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die Verwendung eines Sammelbegriffs für die wissenshistorisch orientierte Forschung attraktiv. Wenn man, wie es Hans-Georg Kemper formulierte, den Spuren einer »vernünftigen Hermetik«25 folgen möchte, ist man aus naheliegenden Gründen daran interessiert, einen Terminus zu gewinnen, der die gemeinsame Basis einer nicht rationalistisch fundierten, die akademischen bzw. orthodoxen Diskurse der Zeit überschreitenden Wissenskonzeption erfaßt. Wie bedeutsam deren Nachweis für ein neues Verständnis der Aufklärung und eine Korrektur einseitiger Säkularisierungshypothesen ist, zeigt sich vor allem im Hinblick auf die Umwertungen, die sich für die Einordnung einzelner Autoren wie Brockes, Lessing, Hamann, Herder und – nicht zuletzt – Goethe ergeben. Die Problematik der – auch in der großen Hermetik-Studie Stockingers (2004)26 auftauchenden – Esoterik-Kategorie, wie sie am Ende des 19. Jahrhunderts durch die pseudowissenschaftlichen Arbeiten Helena Blavatskys aufkam, liegt freilich darin, daß sie eine Opposition von akademischer Gelehrsamkeit und Heterodoxie unterstellt, die in dieser Form für die Aufklärung, nicht aber für das 16. und 17. Jahrhundert gültig ist.27 Gerade die Bündelung unterschiedlicher Strömungen, die im Esoterik-Begriff möglich wird, ist für die Erfassung der wissensgeschichtlichen Konstellation der Frühen Neuzeit nicht förderlich.28 Wenn Wouter J. Hanegraaff als Vertreter der Faivre folgenden Amsterdamer Religionswissenschaft die Vorzüge des Terminus insbesondere in seiner pragmatischen Funktion sieht, die eine Beschreibung heterogener

25 Hans-Georg Kemper : ›Eins in All! Und all in Eins!‹ ›Christliche Hermetik‹ als trojanisches Pferd der Aufklärung, in: Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation (s. Anm. 3), S. 29 – 52, S. 31. 26 Hermann E. Stockinger: Die hermetisch-esoterische Tradition. Unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse auf das Denken Johann Christian Edelmanns (1698 – 1767), Hildesheim / New York 2004. 27 Vgl. Helena Petrovna Blavatsky : Isis Unveiled (1877); The Secret Doctrine (1888). 28 Insofern ist der Esoterikbegriff für die Aufklärungsforschung sinnvoll, um Strömungen jenseits der rationalistischen Hauptlinie zu erfassen, kaum aber für die hier in Rede stehende Spanne zwischen 1550 und 1680. Die in der Geschichtswissenschaft eingebürgerte großzügige Zuschreibung der ›Frühen Neuzeit‹ auf die Periode zwischen 1500 und 1800 ebnet die wissenshistorisch evidente Notwendigkeit der Differenzierung zwangsläufig ein. Wer an Wissensprozessen des 16. und 17. Jahrhunderts interessiert ist, wird mit fundamental anderen epistemischen Konzepten konfrontiert als die Aufklärungsforschung. Im Hinblick auf die Wissensgeschichte sind nicht zuletzt Phasenverschiebungen innerhalb Europas zu bedenken; einer relativ frühen, mit Descartes einsetzenden französischen und einer nachfolgenden, durch Locke angestoßenenen englischen Aufklärung (mit den Einsatzpunkten 1630 und 1690) steht die extrem verspätete, mit der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie erst seit 1700 wirksame deutsche Aufklärung entgegen. Das erlaubt es wiederum, im Blick auf die deutschsprachige Literatur von einer recht homogenen humanistisch-barocken Wissenskultur des 17. Jahrhunderts auszugehen, die so in Gesamteuropa nicht existiert bzw. ab 1650 aufgelöst wird.

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Quellen ermöglicht, deckt er unfreiwillig seine methodische Insuffizienz auf.29 Nach Hanegraaffs Überzeugung geht es um die Analyse von Leitdifferenzen in Wissensordnungen, deren Geltung aber für das 16. und 17. Jahrhundert prinzipiell zu hinterfragen wäre. Hier nämlich wird eine vereinfachende Opposition zwischen akademischem und nicht-akademischem Wissen, zwischen religiöser und paganer Diskurspraxis, zwischen Inspiration und Regel, Vernunft und Offenbarung unterstellt, die der intellektuellen Situation der Frühen Neuzeit nicht entspricht. Wer sich mit dem Ensemble eines – aus moderner Sicht – nichtrationalen Wissens im Zeitalter des Humanismus bzw. Späthumanismus befaßt, kann auf den Esoterikbegriff aus systematischen Gründen schwerlich zurückgreifen, weil er die Präsupposition einer wissenschaftsexternen Stellung bedeutet, die für die mit der Renaissance einsetzende Rezeption hermetischer Lehren nirgends gegeben war.30 Zwar schloß ihre arkane Praxis eine schulhafte Verbreitung an den Universitäten aus, jedoch partizipierten sie in weitaus stärkerem Maße, als das der Esoterikbegriff nahelegt, an anderen gelehrten Strömungen. Solche Interaktion zwischen ›geheimen‹ und ›akademischen‹ Erkenntnismethoden begründet die hohe Komplexität der frühneuzeitlichen Wissensordnungen, die durch moderne Beschreibungskategorien nicht annähernd erfaßt werden. Für die frühneuzeitliche Nachwirkung des Corpus Hermeticum wird daher im folgenden der Begriff des ›hermetischen Spiritualismus‹ genutzt, der verdeutlichen soll, daß hier eine diskursive Form gelehrten Denkens gegeben ist, die Wissenschaft und Religion zusammenführt.31 Der Terminus ›hermetischer Spiritualismus‹ bildet einen Begriff mittlerer Reichweite, insofern er zwar a posteriori konstruiert, aber im Gegensatz zur Esoterik-Kategorie auf die Selbstbeschreibung der in Rede stehenden Wissenskultur direkt bezogen bleibt. Als naturphilosophisch-spiritualistische Schule zielt der Hermetismus – im Gegensatz zum orthodoxen Spiritualismus – nach seinem eigenen Verständnis auf die Erfassung des komplexen Zusammenhangs von Geist und göttlichem 29 Wouter J. Hanegraaff: Empirical method in the Study of Esotericism, in: Method and Theory in the Study of Religion 7 (1995), S. 99 – 129, bes. S. 108 f. Grundlegend für diese hier kritisierte Forschungslinie: Wouter J. Hanegraaff: New Age Religion and Western Culture. Esotericism in the Mirror of Secular Thought, Leiden / New York / Köln 1996. 30 Vgl. dazu auch die kritischen Überlegungen bei Hanns-Peter Neumann: Rezension von: Lodovico Lazzarelli, The Hermetic writings and related documents, ed. by Wouter J. Hanegraaff, Ruud M. Bouthoorn, Tempe, Arizona 2005, in: Scientia Poetica 12 (2008), S. 315 – 322, S. 322. Die Möglichkeit der Abgrenzung konzediert trotz prinzipieller Bedenken auch Joachim Telle: Zur Alchemiegeschichte vom Spätmittelalter bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Early Science and Medicine 11,3 (2006), S. 336 – 344, S. 337. 31 Hans-Georg Kemper danke ich für anregende Diskussionen über die Kategorienfragen unseres Projekts und seine Warnung vor einer undifferenzierten Verwendung des Spiritualismus-Begriffs.

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Schöpfer, wie er bereits durch den Logosgedanken der spätantiken hermetischen Schriften beschworen wird. Er schließt dabei das neuplatonische Enthusiasmuskonzept ein, das er zu einer Vorform der Offenbarungslehre ausbildet, und schafft auf diese Weise eine Synthese zwischen spätantiken und christlichen Interpretationsmodellen, die für zahlreiche dogmenkritische Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts wegweisend wurde. Gerade die arkane Rezeption des hermetischen Spiritualismus, wie sie bei Arndt, Crollius, Khunrath, Maier und Franckenberg, aber auch bei den Nürnberger Bukolikern, bei Catharina von Greiffenberg und Quirinus Kuhlmann stattfand, ist kennzeichnend für seine heterodoxe Programmatik. Seine Gedanken leben in der protestantischen Frömmigkeitsgeschichte zumal des 17. Jahrhunderts fort, ohne daß dieser Prozeß eine wissenschaftsinterne Differenzierung zwischen exoterischen und esoterischen Sektoren befördert hätte. Die Auswirkungen des Hermetismus liegen folglich nicht auf einer epistemischen Ebene, sondern beziehen sich auf Kommunikationsformen und Muster der Selbstbeschreibung. Die eigentliche Unterscheidung, die hier greift, ist die zwischen geheimem und offiziellem Wissen – die Wasserscheide für die jeweilige Vermittlungsstrategie und die Verständigungspraxis, die sie stützte. Die nachfolgenden Studien lassen sich, begründet durch die oben umrissene Forschungskritik, von drei methodischen Prämissen leiten. (1) Zum einen gehen sie von der Möglichkeit einer quellenphilologisch exakten Bestimmung des Hermetismus aus, deren Grundlage die strikte Ausrichtung auf das Corpus Hermeticum und dessen Topoi bildet. Das schließt ein, daß Sammlungen wie die seit 1501 gedruckt vorliegende, aus dem 8. Jahrhundert stammende, in arabischer und später lateinischer Fassung überlieferte Tabula Smaragdina keine nähere Berücksichtigung für die Bestimmung hermetischer Interpretamente finden (wenngleich sie historisch, so steht zu zeigen, eine immer wieder prägende Rolle gespielt haben). Sie werden, ebenso wie die »bisher kaum vermessenen Strömungen«32 des humanistischen Paracelsismus oder alchemistische Traktate des späten 16. Jahrhunderts nicht als für die Begriffsgeschichte des Hermetismus originäre Quellen gewertet. Die Bedeutung des Corpus Hermeticum liegt vor allem darin, daß er eine terminologisch klare Basis schafft, die eine innere Differenzierung der einzelnen – in Grundzügen durchaus vergleichbaren – Strömungen eines spirituellen Naturwissens erlaubt. Indikatoren der Abgrenzung bilden dabei die substantielle Stellung der für den Hermetismus maßgeblichen Logos-Lehre, die zentrale Funktion der Inspiration (mit ihren weitreichenden Konsequenzen für die Diskussion des von der Kirche perhorreszierten platonischen Enthusiasmus) und das besondere Gewicht der Doxa, der didaktischen Unterweisung des Schülers durch den göttlich geleiteten 32 Kühlmann: Der ›Hermetismus‹ als literarische Formation (s. Anm. 12), S. 146.

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Lehrer. Da diese drei Indikatoren in verwandten Systemen wie der Alchemie, Pansophie oder Magie nicht mit vergleichbarer Gewichtung auftreten, dürfen sie als Alleinstellungsfaktoren für die hermetische Doktrin gewertet werden. Wenn nachfolgend Fragen der Funktionsgeschichte des Hermetismus, soweit sie sich in literarischen Texten ablagert, näher zu erörtern sind, gewinnt die begriffshistorische Abgrenzung erhebliche Bedeutung. (2) Aus den oben skizzierten Gründen vermeidet die Arbeit im Hinblick auf die Tatsache, daß die Frühe Neuzeit keine strenge Unterscheidung zwischen orthodoxer und nicht-orthodoxer Wissenschaft kennt, Begriffe wie ›Esoterik‹ (der Sammelterminus in den Arbeiten Faivres, Hanegraaffs und NeugebauerWölks) oder ›Okkultismus‹ (bei Yates). Dieser Verzicht schafft die Gelegenheit, die Beziehungen zwischen dem Hermetismus und anderen Wissenschaften vorbehaltfreier herauszuarbeiten, als das auf der Grundlage derartig anachronistischer Kategorien möglich wäre, ohne dabei jedoch die besondere Wirkungskraft des hermetischen Denkens zu unterschätzen. An die Stelle des Esoterikbegriffs (und des verwandten ›Okkultismus‹) tritt in den nachfolgenden Studien der Ausdruck ›spirituelle Naturphilosophie‹, der eine Wissenspraxis bezeichnet, deren epistemische Grundsätze sich mit den Mustern der Analogiebildung, Zeichentheorie und Inspirationslehre verbinden (a), auf Vorstellungen der inneren Verknüpfung und fortwährenden Wandlung der Erscheinungen beruhen (b), das Modell der Offenbarung – dezidiert gegen Luther – als Movens der inspirierten Geisterkenntnis hervorheben (c), mit Konzepten der geheimen Initiation als Instrumenten der Erkenntnisvermittlung arbeiten (d) und das Prinzip der geschaffenen durch jenes der schaffenden Natur – mit durchaus aufschlußreichen Implikationen für die Formierung der new science – ergänzen (e).33 Dieser Katalog methodischer und pragmatischer Richtpunkte findet sich im Fortgang der Argumentation erweitert, bildet aber zunächst ein Ensemble von Indikatoren, an denen der hermetische Spiritualismus identifiziert werden kann. Dabei ist zu beachten, daß die direkte – explizite – Rezeption hermetischer Topoi in religiösen und literarischen Texten für die Frühe Neuzeit generell einen Sonderfall darstellt, weil sie als Merkmal heterodoxer Prägungen galt. Vorwiegend bekundet sich die Kenntnis des Corpus Hermeticum und seiner zentralen Argumentationsmuster über Umwege, versteckte Zitate und intertextuelle Verweise von hoher Verdichtung, die wiederum eine im historischen 33 Mit dem Begriff des ›Spiritualismus‹ operiert auch Geyer: Verborgene Weisheit (s. Anm. 18), Bd. II, Teil II, S. 27 f. Vgl. Barbara Bauer : Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung in den Medien und Künsten. Ein Forschungsbericht, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 25 (1998). In Zusammenarbeit mit dem Wolfenbütteler Arbeitskreis für Barockforschung hg. v. der Herzog August Bibliothek, Wiesbaden 1999, S. 1 – 35, S. 7 f. Vgl. dazu auch die Einleitung der Herausgeber in: Peter-Andr¦ Alt und Volkhard Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit, Göttingen 2010, S. 14 ff.

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Rezeptionsprozeß schon angelegte Tendenz zur Synthetisierung hermetischer Denkmuster mit naturmagischen, paracelsistisch-alchemistischen, rosenkreuzerischen und kabbalistischen Interpretamenten begründet. (3) Schließlich zielt die Untersuchung auf den Nachweis, daß hermetische Strukturen in weitaus stärkerem Ausmaß, als das bisher angenommen wurde, die Literatur des 17. Jahrhunderts beherrschen, und zwar auch Gattungen wie die Bukolik oder rosenkreuzerische Schriften, bei denen man dieses kaum vermutet hat. Auf der Basis einer transformierenden Rezeption des topisch verwalteten hermetischen Wissens gewinnt die Literatur den Charakter eines Mediums, das den arkanen Charakter einer spirituellen Natur- und Schöpfungslehre in zahlreiche neue Konstellationen überführt. Aus den diskursiven Formationen des Hermetismus, die sich häufig nur über Anspielungen, Andeutungen oder kryptische Zitate erschließen lassen, werden so spezifisch literarische Topoi, die hermetische Spuren fortzeichnen. Zu ihnen gehören Topographien des Geheimnisses, das Lesen im Weltbuch, die Androgynie, die Selbstreflexion der dichterischen Produktion oder das brütende Schweigen der Melancholie. Im barocken Bücherkosmos ist der Hermetismus ein wesentlicher Kompaß, dessen Wirkung allerdings arkan bleiben soll. Die Imaginationsleistungen der Literatur stehen damit unter der paradoxen Bedingung, daß sie Kommunikation inaugurieren und zugleich selektieren müssen. Daraus leitet sich eine wesentliche, in unterschiedlichen Konfigurationen vermittelte Einsicht ab: die Erkenntnis, daß Literatur in der Frühen Neuzeit ein Medium ist, das Wissensexklusivität und Wissenszugang gleichermaßen ermöglicht. Im hermetischen Wissen, das der poetische Text verarbeitet, ist dabei auch die besondere Verfassung der Literatur als imaginäre Ordnung gespiegelt. Die Auseinandersetzung mit dem Hermetismus fordert an diesem Punkt dazu auf, die metapoetisch-selbstreflexive Dimension seiner Verarbeitung in fiktionalen Texten zu berücksichtigen.34 34 Hermetismus ist ein Phänomen, das bekanntlich nicht nur für die frühneuzeitliche Literatur Bedeutung gewinnt. Nach einer Latenzperiode von nahezu zwei Jahrhunderten tritt der Begriff des Hermetischen unter veränderten Vorzeichen in den literarischen Diskurs der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein, nämlich als Synonym für einen spezifisch ›dunklen‹ Grundzug zumal der modernen Lyrik seit Baudelaire. Die bisher nur in Ansätzen erforschte Geschichte dieses Begriffsverständnisses beginnt erst am Anfang der 1950er Jahre, initiiert durch die Diskussion der neueren Lyrik als ›Paradigma der Moderne‹, wie sie exemplarisch die Zeitschriften Akzente und Merkur sowie die Mitglieder der Forschergruppe Poetik und Hermeneutik führten (vgl. Gerhard Kurz: Hermetismus. Zur Verwendung und Funktion eines literaturtheoretischen Begriffs nach 1945, in: Hermetik. Literarische Figurationen zwischen Babylon und Cyperspace, hg. v. Heinz J. Drügh u. a. Tübingen 2002, S. 179 – 197). Auffallend ist, daß die meisten zeitgenössischen Autoren – darunter Ingeborg Bachmann, Paul Celan und Karl Krolow – den Begriff des Hermetischen zurückwiesen, da sie ihn als für die Beschreibung lyrischer Texte ungeeignet ansahen. Dem korrespondiert die Tatsache, daß das Wort ›hermetisch‹ als Bezeichnung moderner Lyrik erstmals im Italien der 1930er Jahre

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Das Buch ist in drei Schwerpunktsektoren gegliedert, die unterschiedliche Aspekte des Zusammenhangs von Hermetismus und Poesie erörtern. Das erste Feld – umfassend die Kapitel 2 und 3 – untersucht die epistemischen Voraussetzungen für die Wirkung des Hermetismus in der frühneuzeitlichen Literatur und dessen Rezeption im Rahmen topischer Ordnungsmodelle; dabei fließen auch theoretische Überlegungen zum Begriff der Tradition ein, der für sämtliche Studien von zentraler Bedeutung ist. Der zweite Bereich – Kapitel 4 und 5 – behandelt verschiedene Konzepte und Ordnungsmodelle, in denen hermetische Topoi reflektiert bzw. in Form gebracht und funktionalisiert werden; unter theoretischem Blickwinkel ist das die Poetik, unter praktischem die Allegorik. Der dritte Bereich – in den Kapiteln 6 bis 8 – diskutiert die Verarbeitung hermetischer Deutungsmuster in diversen Gattungen von der geistlichen Lehrprosa über die Bukolik bis zur mystisch gefärbten Epigrammatik. Hier werden vor allem die Transformationsprozesse beschrieben, die das hermetische Wissen in den literarischen Texten reorganisieren und neu strukturieren. Am Ende begegnet man dabei auch metapoetischen Tendenzen – der Selbstvergewisserung der Dichtung im diskursiven Selbstwiderspruch. Gerade diese Form des literarischen Paradoxiemanagements bleibt ein wesentlicher Gegenstand der hermetischen Wissensreflexion, wie sie in den hier untersuchten Quellenbeständen hervortritt. Das letzte Kapitel versteht sich daher auch als Beitrag zu einer bisher nicht geschriebenen Theorie der barocken Literatur, die am Leitfaden ihrer hermetischen Disposition aus der immanenten Poetik der Texte und ihren übergreifenden, oftmals spielerisch vermittelten Reflexionsleistungen zu entwickeln wäre.

von der Croce-Schule kritisch benutzt wurde (bezogen auf das Werk Ungarettis). Gleichwohl bürgerte sich die Kategorie im Rahmen der Lyrikdebatten der 1950er und 1960er Jahre rasch ein, vermittelt zumal durch Hugo Friedrich und Walter Höllerer. Der Terminus bezeichnete eine Reihe von Merkmalen, die im wissenschaftlich verbreiteten Rezeptionsverständnis als typologische Indikatoren moderner Texte betrachtet wurden: Unzugänglichkeit, Dichte, Abgeschlossenheit, Tendenz zur Privatmythologie, Dunkelheit von Stil und Bildsprache. Der Begriff des Hermetischen, den Adorno zum Synonym literarischer Modernität erhob (Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, hg. v. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann, Frankfurt / M. 21974 [1970], S. 476), beerbte so den der ›obscuritas‹, der in der antiken Rhetorik einen dem Gebot der ›perspicuitas‹ zuwiderlaufenden ›stylus inflatus‹ (Asianismus) bezeichnete. Zugleich verschob sich damit das ideengeschichtlich genau umrissene und noch für die Literatur des 17. sowie 18. Jahrhunderts verbindliche Profil des Begriffs auf eine literarisch-ästhetische Ebene. In der Lyrikdiskussion der 1950er und 1960er Jahre, aber auch in der frühen deutschen Kafka-Rezeption gewinnt die Kategorie des Hermetischen den Charakter eines Leitterminus für die Erfassung der literarischen Moderne (zwischen 1890 und 1960).

2. Topik in Transformationen. Muster frühneuzeitlicher Hermetik-Rezeption (Ficino, Lazzarelli, Patrizi, Arndt, Casaubon, Cudworth)

Als diskursive »Formation«35 wirkte das zwischen dem ersten vorchristlichen und dem vierten nachchristlichen Jahrhundert entstandene Corpus Hermeticum äußerst produktiv auf die Literatur der Frühen Neuzeit – insbesondere des deutschen 17. Jahrhunderts – ein.36 Im Sinne einer Weisheitslehre mit dezidiert antiaristotelischer bzw. antischolastischer, konfessionell übergreifender Tendenz fand das hermetische Denken seit dem Ende des 15. Jahrhunderts wachsende Resonanz in Europa.37 Seine Rezeption stützte sich zunächst nur auf die Überlieferung von Teilen der insgesamt 18 Traktate des Corpus Hermeticum und des Asclepius-Konvoluts, deren ursprünglich aus der Alexandrinischen Bibliothek des König Ptolemaios I. (305 – 282 v. Chr.) stammendes griechisches Manuskript 1463 in Mazedonien aufgefunden und nach Florenz verbracht worden war. Im Auftrag Cosimo de Medicis fertigte Marsilio Ficino dort innerhalb kurzer Zeit eine lateinische Teilübersetzung an, die mit siebenjähriger Verzögerung 1471 unter dem Sammeltitel Pimander erschien.38 Ficino bot die ersten 35 Kühlmann: Der ›Hermetismus‹ als literarische Formation (s. Anm. 12), S. 145. 36 Zur Datierung Florian Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus von der Antike bis zur Neuzeit. Mit einem Vorwort v. Jan Assmann, München 2005, S. 26 f. – Zum literarischen Nachwirken des Hermetismus in der Frühen Neuzeit erstmals genauer Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß (s. Anm. 5), Bd. 1, S. 51 ff., ferner Stockinger : Die hermetisch-esoterische Tradition (s. Anm. 26), S. 178 ff. 37 Dazu der schon angeführte Band von Trepp, Lehmann (Hgg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12) (hier insbesondere die Beiträge von Kühlmann und Leinkauf); Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (s. Anm. 36), bes. S. 88 ff.; zum konfessionsgeschichtlichen Horizont Hartmut Laufhütte und Michael Titzmann (Hgg.): Heterodoxie in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2006 (zumal die Übersichtsdarstellung von Michael Titzmann: Religiöse Abweichung in der Frühen Neuzeit: Relevanz – Formen – Kontexte, S. 5 – 117). 38 Marsilio Ficino: Mercurii Trismegisti Liber de potestate et sapientia Dei cui titulus Pimander, in: Marsilii Ficini Opera Omnia. 2 Vol., Basel 1576; Nachdruck: Con una lettera introduttiva di Paul Oskar Kristeller e una premessa di Mario Sancipriano. Torino 1962, Vol. II, S. 1836 – 1873. – Zu Ficinos Hermetik-Rezeption Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (s. Anm. 18), S. 20 ff., ferner Paul Oskar Kristeller : Marsilio Ficino e Lodovico Lazzarelli.

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14 Traktate, mithin fünf Sechstel des gesamten Textbestands, ergänzt um knappe Erläuterungen, in denen er zumal den neuplatonischen Charakter des Corpus Hermeticum betonte.39 1494 edierte LefÀvre d’Êtaples Ficinos Übertragung neu und fügte ihr einen eigenen philologischen Kommentar hinzu; dieser Ausgabe folgte im Jahr 1505 eine erweiterte Version, in deren Anhang sich Lodovico Lazzarellis Crater Hermetis fand, eine spekulative Studie über eine Wiedergeburtserfahrung und die Idee der Seelenwanderung.40 Lazzarelli, ein Schüler des Alchemisten Giovanni da Correggio, erarbeitete in der 1480er Jahren seinerseits eine Übertragung der von Ficino nicht übersetzten vier Traktate XV-XVIII des Corpus Hermeticum. Der Lyoner Humanist Symphorien Champier edierte diese Fassung 1507, sieben Jahre nach dem Tod Lazzarellis, zusammen mit einer Serie von Schriften über Themen der Medizin, Politik und natürlichen Magie (Diffinitiones Asclepii Hermetis Trismegisti discipuli ad Ammonem regem per ludovicum lazarellum ad patrem suum Iohannem ad latinum e graeco traducte). Eine dritte, nochmals ausgedehntere Textgrundlage erschloß die um zusätzliche Fragmente ergänzte Ausgabe des in Kroatien geborenen, in Ferrara lehrenden Gräzisten und Philosophen Francesco Patrizi (Nova de universiis philosophia), die 1591 publiziert wurde.41 Eine französische Übertragung, die FranÅois de Foix-Candale auf der Grundlage seiner eigenen, 1572 veröffentlichten lateinisch-griechischen Edition erarbeitet hatte, erschien 1579.42 Die erste deutsche Übersetzung des Poimander und des Asclepius stammt aus der Feder Sebastian Francks; sie entstand 1542 in Basel, wo der Autor nach seiner Ausweisung aus Ulm aufgrund einer Verurteilung wegen Häresie abgeschieden arbeitete.43 Bereits durch ihren Titel verrät Francks Übertragung die

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Contributo alla diffusione delle idee ermetice nel rinascimento (1938), in: ders.: Studies in Renaissance Thought and Letters, Bd. I, Rom 1956, S. 221 – 247. Ferner : Faivre, Renaissance Hermetism and the Concept of Western Esoterism (s. Anm. 10), S. 113. Die von Faivre gewählte Bezeichnung »neo-Alexandrian Hermetism« ist irreführend, weil die seit Ficino stattfindende Rezeption des Corpus auf diese Weise unbillig vereinheitlicht wird. Vgl. dazu den allzu einseitigen Kommentar von Wouter J. Hanegraaff: Lodovico Lazzarelli, The Hermetic writings and related documents, ed. by Wouter J. Hanegraaff, Ruud M. Bouthoorn, Tempe, Arizona 2005, S. 62. Hanegraaff betont bei Ficino ein neuplatonisches Interesse, das auch die Rezeption des Corpus eingefärbt habe, übersieht aber, daß die hermetischen Texte selbst diese Färbung besitzen; vgl. die Rezension der Edition Hanegraaffs von Neumann (s. Anm. 30), S. 320. Hanegraaff, Bouthoorn (Hgg.): Lodovico Lazzarelli (s. Anm. 39). Zur Wirkungsgeschichte Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 321 – 364, S. 346 ff., dies.: ›Denn dis ist müglich, lieber Sohn!‹ (s. Anm. 19), S. 131 – 144. FranÅois de Foix-Candale: Le pimandre de Mercure Trismegiste de la philosophie chrestienne, cognoissance du verbe divin, & de l’excellence des œuvres de Dieu, Bourdeaux 1579. Zu Sebastian Francks Hermetismus-Rezeption Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 348 f., ferner Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (s. Anm. 36), S. 114 ff. Zuletzt Kristine Hannak: Pymander als inneres Wort. Sebastian

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zeittypische Auffassung, daß die hermetischen Texte gleichsam visionär ein neben der jüdisch-christlichen Offenbarung überliefertes Wissen verkündeten. Die Lehre des »Mercurij Trysmegisti, wellicher zur zeitt Abrahe, vor der, Bibel gelebet«44, erscheint nicht nur bei Franck als Zeugnis einer wunderbaren Parallele zwischen paganer und christlicher Weisheit – eine Einschätzung, die erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch eine exakte Datierung ihrer spätantiken Genese widerlegt wurde. Generell ist Francks Übertragung von der zeittypischen Intention bestimmt, die Vereinbarkeit von hermetischer und christlicher Lehre zu dokumentieren. Zu diesem Zweck deutet er den Logosbegriff als Äquivalent der Offenbarung: »Die Alten haben vernunfft und natur genent, das wir Gott, Gotts wortt, liecht, leben und Christum in unns nennen.«45 Der Gehalt der kurzen Texte, so betont Franck in seinem Kommentar, überschreite ihren buchstäblichen Sinn: »beide büechlein haben weit mer lerns, safts, dann die Eusser schall…«46 Die Logostheologie der hermetischen Schriften entspricht damit den spirituellen Gesetzmäßigkeiten der Offenbarungslehre, die dem Wort einen höheren, durch Gott verdichteten Sinn zuschreibt. Francks Übertragung gelangte nie zum Druck; das Manuskript befindet sich heute in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Die erste deutsche Übersetzung von 17 Traktaten in Buchform legte ein vermutlich aus deistischen Kreisen stammender Herausgeber, der sich das damals verbreitete Pseudonym Anonymus Aletophilus gegeben hatte, im Jahr 1706 in Hamburg vor.47 Der Titel der Edition lautete: »Hermetis Trismegisti Erkanntüß der Natur und des darin sich offenbahrenden grossen Gottes«; das dokumentierte a priori eine enge Beziehung zwischen hermetischem Denken und Offenbarungsglauben, die im Vorwort entschieden unterstrichen wurde. Zur zweiten Auflage, die 1786 erschien, gesellte sich dann die Tabula Smaragdina hinzu, die vermutlich aus dem 8. Jahrhundert stammt. Wer eine genaue Rekonstruktion der Verarbeitung hermetischer Denkelemente in literarischen Texten anstrebt, sollte zunächst versuchen, eine präzise begriffshistorische Basis für sein Unternehmen zu schaffen. Den Ausgangspunkt müssen dabei die 18 pseudepigraphischen Traktate des Corpus Hermeticum bilden, die den klassischen Textbestand des Hermetismus abgeben. Sie sind als

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Francks Übersetzung des ›Corpus Hermeticum‹ in der Tradition mittelalterlicher Logosmystik, in: Alt, Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus (s. Anm. 33), S. 297 – 322. Vgl. Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 349, Anm. 139. Zit. nach Carlos Gilly (Hg.): Cimelia Rhodosataurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke. Ausstellung der Bibliotheca Philosophia Hermetica Amsterdam und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Amsterdam 1995 (2. verb. Aufl.), S. 3. Zit. nach Gilly (Hg.): Cimelia Rhodosataurotica (s. Anm. 45), S. 3. Vgl. Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 5 / I (Aufklärung und Pietismus), Tübingen 1991, S. 108 ff., Martin Mulsow: Monadenlehre, Hermetik und Deismus. Georg Schades geheime Aufklärungsgesellschaft 1747 – 1760, Hamburg 1998, S. 157.

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Gespräche bzw. Monologe in didaktisch-homiletischer Absicht aufgebaut, stilistisch im Genus medium gehalten, punktuell durchsetzt mit poetischen Elementen und Einlagen wie hymnischen Gebeten und panegyrischen Dankreden.48 Als ursprünglicher Lehrer firmiert der griechisch-ägyptische Gott Hermes Trismegistos, dem Ficino die Rollen des Philosophen, Priesters und Königs zuschrieb.49 Nach übereinstimmender Auffassung späterer Exegeten soll die Lehre des großen Hermes von einem seiner Enkel in Schriftform weitergegeben worden sein. Es handelte sich hier um den König Toth, der, wie es in Platons Phaidros heißt, Erfinder des Alphabets gewesen sei.50 In der Funktion eines Repräsentanten der drei okkulten Künste – Astrologie, Magie und Alchemie –, die ihm seinen Zunamen ›Trismegistos‹ verschafft, tritt Hermes im Dialog mit dem für den göttlichen Logos stehenden Geist Poimandres, im Gespräch mit seinen Söhnen Asklepios und Tat, aber auch in freiem Monolog auf.51 Einen zusätzlichen Zentraltext bildet die lateinische Übersetzung von Asklepios’ Diskurs über die Lehren des Hermes, die sich dem Corpus im zweiten Teil anschließt. Die innere Dramaturgie der Schriften gehorcht dem Prinzip der kontinuierlichen Tradierung spiritueller Weisheit; zunächst empfängt Hermes als Schüler die Offenbarung durch Poimandres, danach gibt er ihr Wissen an seine Söhne weiter, so daß diese am Ende des Konvoluts das Gelernte selbständig mitteilen und erörtern können (16. und 17. Traktat), wobei Asklepios zudem eine eigene Reihe von Lehrabhandlungen vorlegt. Die Form der Unterweisung, die der Pimander und die folgenden Texte des Konvoluts ausprägen, lehnt sich punktuell an die platonischen Dialoge an, entfaltet jedoch eine stärker deduktive Tendenz als das antike Muster. Die Komponente der exklusiven Einweihung als Mittel der Tradierung religiöser Topik spielt für die Deutung des hermetischen Lehrbestands seit der Antike eine entscheidende Rolle. Sie wird durch die Struktur der Dialoge vorgegeben, die dem inspirierten Hermes den Part des eingeweihten, prophetisch wirksamen Übermittlers göttlichen Wissens zudiktiert.

48 Zitiert im folgenden nach: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften bearbeitet u. hg. v. Carsten Colpe und Jens Holzhausen. Die griechischen Traktate und der lateinische ›Asclepius‹, übers. u. eingeleitet v. Jens Holzhausen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997. 49 Ficino: Mercurii Trismegisti Liber de potestate et sapientia Dei cui titulus Pimander (s. Anm. 38), Vol. II, S. 1836. 50 Platon: Phaidros, in: Sämtliche Werke, nach der Übers. v. Friedrich Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung hg. v. Walter F. Otto, Ernesto Grassi, Gert Plamböck, Hamburg 1975, Bd. 4, S. 55 (274a). 51 Der Name Hermes Trismegistos – ›der dreimal große Hermes‹ – verweist auf eine Verbindung mit den genannten artes occultae.

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Die frühe Patristik begegnete dem Corpus mit Skepsis, weil sie in ihm eine »dogmatische Alternative zur christlichen Religion« erblickte.52 Augustinus bescheinigt Hermes im achten Buch von De Civitate Dei zwar die Gabe der Prophezeiung, spricht ihm aber die wahre Inspiration durch einen christlichen Gott ab.53 Hermes habe das Ende des paganen Polytheismus geahnt und es zugleich gefürchtet, weil er ihm insgeheim nahestand. Hermes preise stets nur einen einzigen Gott, jedoch fehle ihm die wirkliche Erleuchtung, wie sie den christlichen Propheten zuteil geworden sei. Hermes unterscheidet von ihnen, daß er, wie Augustinus betont, über kein göttlich verbürgtes Wissen verfügt. Auch wenn er den Logos als Gabe der divinatorischen Erkenntnis rühmt, steht er im Bann einer paganen Unvernunft, da er den Menschen das Recht zubilligt, sich ihre eigenen Gottheiten zu erschaffen. Die Kritik am Götzenglauben, die Hermes vorträgt, bedeute primär Kritik an der Einbildungskraft der Menschen, die sich ihre individuellen Götter bilden und damit von den Regeln der Vernunft abweichen. Eine Offenbarung durch den Heiligen Geist könne, so erklärt Augustinus, bei Hermes, dem Ägypter, nicht unterstellt werden.54 Der Monotheismus des Corpus bleibt in diesem Sinne für die frühe Patristik ein Produkt der Konzentration auf das Prinzip des Logos als Ursache aller Schöpfung, nicht aber Ausdruck einer biblischen Wahrheit, wie sie allein durch die Offenbarung verbürgt werden kann. Andere Gewichtungen kamen dagegen in der Renaissance zustande, als man begann, die Texte des Corpus Hermeticum systematisch zu edieren und zu kommentieren. Marsilio Ficino erläutert 1471, daß Hermes denselben Status wie der Prophet Moses genießen müsse, weil er ein Wissen tradiere, das die Lehren der Offenbarung bestätige.55 Der Philosoph Annibale Roselli paraphrasiert den Namen ›Hermes‹ in einem zwischen 1572 und 1580 entstandenen Kommentar mit ›Sohn des Himmels‹ und behauptet damit den christlichen Zuschnitt seiner Lehre, die im Cinquecento, angestoßen durch Ficinos Übersetzungen, als früher Beitrag zu einer protobiblischen Weisheitslehre gedeutet wird.56 Der Calvinist Philippe Duplessis-Mornay behauptete in seiner Schrift De la verit¦ de la religion chr¦tienne (1581) die Verbindung zwischen dem System des Hermes Trisme-

52 So die Charakterisierung des Hermetismus bei Kemper : ›Eins in All! Und all in Eins!‹ ›Christliche Hermetik‹ als trojanisches Pferd der Aufklärung (s. Anm. 25), S. 32. 53 Augustinus: De Civitate Dei, in: Patrologiae cursus completus. Series latina. 221 Bde., hg. v. Jacques-Paul Migne (= PL), Paris 1844 – 1864, Bd. 41, Sp. 249 f. (VIII, 23). 54 Augustinus: De Civitate Dei (s. Anm. 53), PL 41, Sp. 249 f. (VIII, 23). 55 Ficino: Mercurii Trismegisti Liber de potestate et sapientia Dei cui titulus Pimander, in: Marsilii Ficini Opera Omnia (s. Anm. 38), Vol. II, S. 1839. 56 Vgl. hierzu Maria Muccillo: Der ›scholastische‹ Hermetismus des Annibale Rosselli und die Trinitätslehre, in: Das Ende des Hermetismus (s. Anm. 15), S. 61 – 101, S. 68.

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gistos und dem christlichen Logos.57 Die Textsammlungen des Corpus Hermeticum vereine, so betont man im 16. Jahrhundert durchgehend, die Tendenz zu einer monotheistischen Lehre (die Augustinus noch relativiert hatte). Neben dem Monotheismus wurde das konstitutive Element einer trinitarischen Glaubensauffassung hervorgehoben, das mit dem Gott Hermes, seinem Sohn Tat und der Macht des Logos als Prinzip eines Heiligen Geistes eine zentrale Konstellation der christlichen Doktrin wiederhole.58 Nicht zuletzt sah die Renaissance in der großen Bedeutung, die dem Aspekt der Offenbarung bei Hermes zufiel, eine Parallele zum biblischen Wahrheitsbegriff. Die hermetische Doktrin ließ sich derart von den Deutungsmustern der paganen Naturreligionen trennen und als Vorform christlicher Lehren interpretieren, sofern man bereit war, die Idee der Offenbarung als deren spezifisches Merkmal aufzufassen. Dabei handelte es sich um eine Position, die im strikten Luthertum, aber auch im Calvinismus und im französischen Ramismus durchaus in Frage gestellt wurde. Der Rechtsphilosoph Jean Bodin kritisiert in seiner 1580 veröffentlichtem Schrift De la d¦monomanie des sorciers, die ein Jahr später in Basel ins Lateinische (De Magorum Daemonomania libri IV) und 1591 durch Johann Fischart ins Deutsche übersetzt wurde (Vom ausgelasnen wütigen Teufelsheer), den Neuplatonismus und seine Affinität zur hermetischen bzw. magischen Naturphilosophie mit großer Schärfe.59 Hermetische Lehren betrachtet Bodin als Ausdruck der Hybris, als Flucht vor der Wirklichkeit in die vermessene Gleichsetzung des Menschen mit Gott; für ihn, der an zahlreichen Hexenprozessen mitwirkte, besteht zwischen hermetischer Doktrin und schwarzer Magie nur eine punktuelle Differenz. Die gemeinsame Basis der unterschiedlichen Modelle, in denen die hermetische Doktrin durch die Renaissance gedeutet wurde, war der Glaube an ein qua Natur offenbartes Wissen, das sich über die innere Dynamik seiner körperhaften Manifestationen als Abdruck eines schöpferischen Logos in der Welt der Erscheinungen durch geistige Erkenntnis erfassen läßt. Am Beginn aller Dinge stand gemäß der hermetischen Schöpfungsmythologie das Licht, das die Dunklheit von sich absonderte; aus ihr entwickelte sich eine erste Welt im Zeichen von Feuchtigkeit und Finsternis. Der Logos aber, der im Licht sich offenbarte, entzündete ein Feuer, das aus der feuchten Natur emporsprang und 57 Vgl. Michael Stausberg: Faszination Zarathustra. Zoroaster und die Europäische Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit. 2 Bde., Berlin, New York 1998, Bd. I, S. 419 f. 58 Muccillo: Der ›scholastische‹ Hermetismus des Annibale Rosselli und die Trinitätslehre, in: Das Ende des Hermetismus (s. Anm. 15), S. 61 – 101, S. 94 f. 59 Jean Bodin: Vom ausgelasnen wütigen Teufelsheer. Übersetzt von Johann Fischart. Vorwort v. Hans Biedermann. Faksimile-Nachdruck der Ausgabe von 1591, Graz 1973, S. 20 ff. Zu Bodin als Kritiker des Hermetismus Hans-Georg Kemper : Die ›Macht der Zunge‹ und die Ohnmacht des Wissens. Poesie als ›Artzney‹ einer bezauberten Welt. Gryphius’ ›Reyen der Hoefflinge‹, in: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 1 (2009), S. 51 – 62, S. 54.

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die Welt mit dem Pneuma illuminierte.60 Für den Hermetismus ist Schöpfung vor allem Zeugung durch den Logos und die von ihm ausgehende Inspirationsdynamik. Dem ersten Traktat zufolge hat Gott nach dem Schöpfungsakt einen ›Demiurgen‹ kreiert, der seinerseits durch Materialisierung des in ihm angelegten Geistprinzips die einzelnen Kreise der Welt schuf. Neben Finsternis und Tiefe bestand so bereits »ein feinstes geistiges Pneuma«, das Licht im unendlichen Raum erschuf und mit seiner Hilfe die Elementarmaterie erzeugte, die sich als das Schwere vom Leichten trennte.61 Erst diese – durch die altchristliche Lehre nicht gedeckte – Vorstellung einer in der Schöpfung wirkenden Spiritualität erlaubte es der Renaissance, den Hermetismus mit seiner durch die Stifterfigur des Hermes Trismegistos gegebenen Beziehung zu Astrologie, Magie und Alchemie in ihre eigenen Naturkonzeptionen zu integrieren. Im christlichen Tradierungszusammenhang gehört die Hermetik damit zur Theologia prisca, im Kontext abendländischer Weisheitslehren zur Philosophia perennis, mithin zu intellektuellen Formationen, die den Anspruch auf eine grundlegende Erläuterung der Geheimnisse der christlichen Schöpfungsmythen erheben.62 Als »deviante Religiosität«63 läßt sich der Spiritualismus der Hermetik aber zugleich unter das Rubrum einer gegenkonfessionalistischen Glaubensgeschichte stellen, der auch der Paracelsismus, die Alchemie und das Rosenkreuzertum angehören.64 Es war gerade der universelle Inspirationsgedanke mit seinen pantheistischen Elementen, der die heterodoxe Qualität des Hermetismus begründete. So überraschend und evident die Parallelen zwischen hermetischer und christlicher Doktrin waren, so offenkundig schien auch die sektiererisch-pagane Dimension der Texte des Corpus. Sie trat zumal dort hervor, wo es um die Idee der Einheit und Vielfalt Gottes im Kosmos ging, um die Überzeugung der gleichsam materiellen Ausdehnung des in ihm verkörperten geistigen Prinzips – um die Idee einer vom Schöpfer als geistigen Leib seiner selbst

60 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 11 (Traktat I); vgl. S. 39 f. (Traktat III). 61 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 39 (Traktat III). 62 Wilhelm Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt / M. 1998, S. 49 ff. 63 So Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 332. 64 Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 332 ff. schlägt daher vor, die herodoxen Strömungen des Religiösen in historischer Betrachtung zu bündeln und die vorherrschende Konzentration auf das Paradigma des Konfessionalismus zu überwinden. Vgl. Anne-Charlott Trepp: Hermetismus oder zur Pluralisierung von Religiositäts- und Wissensformen, in: Trepp, Lehmann (Hgg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12), S. 8 – 15, S. 10, ferner Carlos Gilly : Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus. Wandlungen des Hermetismus in der paracelsistischen und rosenkreuzerischen Literatur, in: Alt, Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus (s. Anm. 33), S. 71 – 132.

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gezeugten Natur.65 Diese Sicht war aus orthodoxer Perspektive, die pantheistische Elemente als häretisch betrachten mußte, dogmatisch nicht integrierbar. Nicht unbedingt konform mit einer theistischen Lehre ging zudem die hermetische Bestimmung des Menschen als androgynes Wesen, wie sie der Pimander in Anlehnung an Platons Symposion vornimmt: Nach der Vollendung des Weltumlaufs wurde die Verbindung aller nach dem Willen Gottes gelöst; denn alle Lebewesen waren mannweiblich und wurden gleichzeitig mit dem Menschen getrennt, und es wurden jeder für sich ohne Ausnahme die einen männlich, die anderen weiblich.66

Gemäß hermetischer Vorstellung bewirkt die Vorsehung die geschlechtliche Vereinigung, indem sie Menschen und Tieren den Fortpflanzungsimpuls vermittelt, der ihre Natur determiniert. Asklepios, der Schüler des Hermes Trismegistos, spricht in seinem gleichfalls platonisch – durch den Timaios – inspirierten Traktat über die Weltanfänge davon, daß die »Verbindung« der beiden zeugungskräftigen Geschlechter »unbegreiflich« und gerade darin göttlich sei.67 Da die Hermetik jede natürliche Motivierung des erotischen Verlangens vermeidet, muß sie die Vorsehung als übergeordnete Instanz beschreiben, die den Trieb konditioniert.68 Es entsteht nicht aus dem defizitären Modus der Geschöpfe, sondern aus dem Willen des göttlichen Schöpfers, der seinerseits, wie es im Poimandres heißt, »mannweiblich«, aus »Leben und Licht« zusammengesetzt zu denken wäre.69 Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts hielt man unabhängig von der kritischen Einstufung aus dogmenkonformer Sicht an der Überzeugung fest, daß das Corpus Hermeticum eine Sammlung primordialer Weisheitlehren darstellte. In seinen gegenreformatorischen Annales ecclesiastici (1588 – 1607) versammelte 65 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 f. (Traktat XI). Dazu Kemper : ›Eins in All! Und all in Eins!‹ ›Christliche Hermetik‹ als trojanisches Pferd der Aufklärung, in: Aufklärung und Esoterik (s. Anm. 25), S. 34. 66 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 16 (Traktat I). Vgl. Platon, Symposion 191c, in: Sämtliche Werke (wie Anm. 50), Bd. II, S. 222. 67 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 282 (Asclepius). – Platon: Timaios 31c–34c, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. V, S. 156 f. 68 Vgl. dagegen Marsilio Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl (1469). Übers. v. Karl Paul Hasse, hg. u. eingel. v. Paul Richard Blum. Lateinisch-Deutsch, Hamburg 2004, S. 97. 69 Auch die Alchemie geht von einer androgynen Grundbeschaffenheit des Menschen aus, in der sie ein natürliches Universalprinzip des Makrokosmos erblickt. Heinrich Khunrath bemerkt 1597, »daß die große Welt Hermaphroditisch (auff ihre weise) sich selbst lieb habe; Ihr Sperma ejaculire / und von sich lasse; ein Ey lege; und also einen Sohn zeuge: welchen die Philosphi durch Naturgemaeß-kuenstliche Wiedergeburt zu ihrem Koenige kroenen…«. Heinrich Khunrath: Vom Hylealischen, Das ist Pri-materialischen Catholischen Oder Allgemeinen Natürlichen Chaos, Der Naturgemaessen Alchymie Und Alchymisten, Wiederholete / verneuerte und wolvermehrtete Naturgemaeß-Alchymistisch- und Rechtlehrende Philosophische Confessio Oder Bekandtniß, Franckfurt 1708 (zuerst 1597), S. 63.

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der Kardinal Cesare Baronio nochmals die seit der Renaissance vertrauten Argumente für die Deutung der hermetischen Traktate als Dokumente altägyptischer Naturphilosophie und Schöpfungstheologie. Baronio pries die Traktate als Musterbeispiele einer tiefen mystischen Klugheit, die sich bereits durch den Klang der Wörter vermittelte.70 Ähnliche Auffassungen vertrat auch der für die Geschichte des protestantischen Spiritualismus prägende Johann Arndt in seiner frühen, vermutlich um 1580 / 81 während des Medizinstudiums in Basel entstandenen Schrift De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda. Arndt bezeugt hier nicht nur weitreichende Kenntnisse der hermetischen Philosophie und des Paracelsismus, sondern auch Einverständnis mit ihren Hauptströmungen. Carlos Gilly konnte 1995 und 1997 ermitteln, daß zwei deutsche Übersetzungen des Textes in einer Münchner und einer Wolfenbütteler Handschrift existieren.71 Der Göttinger General-Superintendent Justus Groscurd hat zudem in seiner Schrift Angelus apokalypticus (1622), die sich gegen den Theosophen Paul Nagelius richtet, einen längeren Passus aus De antiqua philosophia deutsch paraphrasiert. Bei Groscurd heißt es im Hinblick auf die Quellen der wahren Lehre nach Arndts lateinischem Original: Also seind auch dieser Göttlichen Weißheit vnd Vhralten Philosophey anbefohlen, und vertrawet die vnverenderlichen, vnzerbrechlichen vnd Vnfehlbaren Schätze der Künst vnd Wissenschaften […] Diese Vhralte Philosophia ist der fruchtbarste acker der waren Künste, das gewisseste, Vnverfälschte, ohn allen betrug reineste buch der waren wissenschafften, in welches Gott die vnaußleschliche Warheit selbsten geschrieben vnd mit eigenem finger eingegraben.72

Mehr als zwei Jahrzehnte vor der Abfassung seiner frömmigkeitsgeschichtlich bedeutsamen Hauptschrift, der Vier Buecher vom wahren Christenthumb, artikuliert Arndt in De antiqua philosophia seine Hochschätzung des paganen Spiritualismus, den er von der reinen Buchstabengelehrsamkeit abgrenzt (»daß die Sprachen nit die eigentliche gewiße Erudition«73). Die Weisheit der Antike, wie sie sich laut Arndt in poetischen Werken (Homer, Vergil), Philosophie (Demokrit, Platon), Naturlehren (Empedokles), medizinischem Wissen 70 Vgl. Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (s. Anm. 36), S. 126. 71 Gilly (Hg.): Cimelia Rhodosataurotica (s. Anm. 45), S. 15 f.; ders.: Johann Arndt und die ›dritte Reformation‹ im Zeichen des Paracelsus (s. Anm. 18), S. 60 – 77. 72 Justus Groscurd: Angelus apocalpticus. Schola enthusiastica et Scriptura coeli, Das ist, Drey wundertolle Fastnachts Auffzüge des newen Schwermers Pauli Nagelii Lipsensis, Braunschweig 1622, S. 33 f. Text nach Carlos Gilly : Hermes oder Luther. Der philosophische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift ›De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda‹ (wie Anm. 18), S. 163 – 198, S. 172; zur Datierung der Schrift De antiqua Philosophia vgl. S. 176. 73 Johann Arndt: De antiqua philosophia, Cod. Guelf. 912 Noviss. 48 (1631), Bl. [3]. – Ich danke Hanns-Peter Neumann (Halle) dafür, daß er mir eine Transkription der Wolfenbütteler Handschrift zur Verfügung gestellt hat.

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(Äskulap), Geometrie (Pythagoras) und rhetorischer Kunst (Cicero) manifestiert, läßt sich von der geoffenbarten Wahrheit der Bibel nicht abgrenzen.74 Vielmehr bilden beide Bereiche dort eine Schnittmenge, wo sie sich auf eine Inspiration stützen, die göttlichen Charakter trägt. Die deutsche Version von De antiqua philosophia, die in der Wolfenbütteler Handschrift des Textes überliefert ist, formuliert unter Bezug auf die Übereinstimmung zwischen antiker Lehre und christlichen Deutungsmustern: Durch diese Göttliche Weißheit und Uhralten Philosophia hat der Aegyptische Hermes, und Mercurius Trismegistus Christus auch erkennet, von welchem, alß dem Sohn Gottes er heyliglich propheceyet: Aus diesem brunnen hat er die erkenntnüß der gantzen Natur, wie auch alle Wissenschafften der bürgerlichen Justitae geschöpffet, dahero er auch Trismegistus genennet worden, nemlich der Gröste seiner Zeit und Vaterland Theologus, der gröste Philosophus, und gröste König.75

Hermes Trismegistos, der »weyse Aegyptische Priester«76, wie er im Text auch bezeichnet wird, verkörpert in der – dezidiert antischolastischen, aber zugleich gegen Luther gerichteten – Deutung Arndts ein Wissen, das die Figur des Heilands vorwegnimmt und sein Erscheinen prophezeit. Es dokumentiert die geheime Verwandtschaft zwischen paganer und christlicher Lehre, indem es sich als Organon einer inspirierten Naturtheologie ausweist. Die Überzeugung, daß antike und biblische Weisheit in ihrer Einheit betrachtet werden müßten, vermittelt laut Arndt tiefe Einsicht in den Offenbarungscharakter der Schöpfung. Um ihn zu erkennen und seine allgemeine Wahrheit zu beschreiben, bedarf es einer besonderen Gabe, die Arndt ›prophetisch‹ nennt. Die Einleitung zum Hauptteil seiner Schrift schließt folgerichtig mit der Hoffnung, daß ein neuer Hermes »herfür brechen« und die göttlichen Wahrheiten jenseits aller Buchgelehrsamkeit im Zeichen eines lebendigen Logos benennen möge.77 Diese chiliastische Perspektive hat auch formal aufschlußreiche Konsequenzen: sie erzeugt eine Mise-en abyme-Struktur, ein metaleptisches Argument, in dem die eigene Darstellung als Element jener spirituellen Logosordnung ausgezeichnet wird, die es doch in dienender Funktion preisen soll. Die metaleptische Ebene führt zur Privilegierung des eigenen Standpunkts, zur Annäherung der Aussage an das, was sie zur Sprache bringt. In der Form der Rede über den neuen Hermes vollzieht sich ein Denken der Offenbarung, das den Logos als Medium der geistigen Erscheinung ausweist. Arndt geht von einer fundamentalen Opposition zwischen den Systemen der 74 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [20]. 75 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [7]. Vgl. dazu auch Gilly : Hermes oder Luther (s. Anm. 18), S. 192 f. 76 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [41]. 77 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [20].

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Rhetorik und der Rede des Logos aus, die für sein Glaubensverständnis maßgeblich ist. Die wahre Sprache der Erscheinungen wohnt der Natur inne, läßt sich nicht durch künstliche Ordnungen reproduzieren und entspringt dem ersten Wort, dem Logos des göttlichen Schöpfungsakts. Drumb bestehet gar nit die geschickligkeit Gelehrter Leute in den Sprachen und Logischen Künsten: Dann iegliche dinge, so aus ihrem brunnen entspringen, die gebehren zugleich und bringen mit sich ihre eigene Grammaticam, Rhetoricam, Dialecticam &c. also daß die gantze Logica in den dingen stecket, und nit anderst.78

Wer die Weisheit der Erscheinungen erspürt, muß die ihnen eingegrabenen Zeichen im Medium der Sprache wiederholen. Nur eine solche den Geist der Schöpfung modellierende Rede vermag es, den Logos zu erfassen, der Gottes Werk ermöglicht und zugleich repräsentiert. »Also spielet, und erlustiget sich heimlich die Natura sagax inn menschlichen dingen.«79 Die scharfsinnige Natur (›natura sagax‹) bildet selbst ein komplexes Kombinationssystem, das es erlaubt, den Logos gleichsam immanent in den Dingen zu entziffern. Die Natur ist Produkt und Medium zugleich, ein Phänomen mit Parallelfunktionen, das Zeichen gebiert und deutet. Die Logosstruktur der Schöpfung impliziert jedoch keine einfache Lektüre, die Lesbarkeit durch buchstäblichen Sinn gewährt. Weder scholastische argutia noch puristisches Sprachdenken erfassen laut Arndt den wahren Kern der göttlichen Natur, die sich in einer eigenen Rede dem Eingeweihten erschließt. In dieser hermetisch inspirierten Auffassung, wie sie Arndts Schrift topisch durchzieht, bekundet sich ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber der Lutherschen Lehre von der sola scriptura, die jegliche Schöpfungsmystik verworfen hatte. Wer die Bibel deuten möchte, muß den Logos begreifen, der die Natur beherrscht – ein Gedanke, der den hermetischen Einfluß auf Arndts Denken ebenso wie sein heterodoxes Reflexionspotential deutlich belegt. Über das Wesen der Offenbarung, die sich in den Erscheinungen der Natur als deren Sprache manifestiert, heißt es bei Arndt: Und wisse gewiß, daß Gott der höchste und grössest in warheit an einem ort ins helle Licht, aller dingen künste, Wissenschafften, der geschehenen, geschehenden, sichtbarlichen und unsichtbarlichen dingen, unfehlbare, unwandelbare, und unverbrechliche warheit, gesetzt und geordnet habe: Und diß ist eben die einige Magia, von der ich biß dato gehandelt, so der gipffel und spitz aller Weißheit, und derselbe wird sie dir auch vergönnen: suche nur, so findestu; denn diß hengt mit Göttlichen und Natürlichen recht aneinander.80 78 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [21]. 79 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [37]. 80 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [10].

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Die »Göttliche alte Weißheit«, die durch die »urahlte Philosophia«81 lanciert wird, ist dem Sinn der Heiligen Schrift vergleichbar, denn beide lassen sich nicht durch Buchgelehrsamkeit entschlüsseln, sondern vermitteln sich über die Natur Gottes. Paganer und christlicher Text bilden keine Gegensätze, weil sie demselben Ursprung einer göttlichen Offenbarung entstammen. Die veritas spiritualis der von Hermes Trismegistos vermittelten Botschaft besteht in dieser schöpfungstheologisch begründeten Herleitung aus dem Willen Gottes, die sie genealogisch mit der Bibel verbindet. An solchen Punkten weicht der junge Arndt nicht nur von der dogmatischen Hauptlinie ab, die eine Gleichsetzung paganer Werke mit der Bibel untersagte, sondern auch von der im engeren Sinne für die protestantische Schriftdeutung seit Luther leitenden Kritik an einem erweiterten Offenbarungsbegriff. Die Basis für seinen Spiritualismus ist die Annahme, daß das heilige Wissen als offenbartes Wissen hervortritt; das erst erlaubt die Herstellung einer Analogie zwischen antikem und christlichem Wahrheitsgebegriff in der Idee der göttlich inspirierten Erkenntnis. Daß, wie noch zu zeigen wäre, auch Arndts Hauptschrift zum Wahren Christenthumb zwanzig Jahre nach De antiqua philosophia von hermetischen Elementen bestimmt wird, verwundert angesichts der hier skizzierten Ausgangssituation nicht. Die von Baronio und Arndt exemplarisch vertretene Zuschreibung, nach der die Traktate des Corpus als Dokumente ältester vorchristlicher Weisheit galten, provozierte am Beginn des 17. Jahrhunderts eine gewichtige Antwort: der hugenottische Gelehrte Isaac Casaubon suchte 1614 in seiner voluminösen Studie De rebus sacris ecclesiasticis exercitationes XVI, die sich explizit gegen Baronio richtete, mit philologischen Mitteln zu demonstrieren, daß Stillage und Topik des Pimander auf eine spätantike, womöglich frühpatristische Genealogie hinweisen.82 Casaubons Abhandlung bediente sich ihrerseits älterer Untersuchungen, die bereits ähnliche Befunde andeuteten, so auf eine Studie seines Schwiegervaters Henri Estienne (1566) und auf den Calvinisten Matthieu Beroalde (1575).83 Casaubons Griechischkenntnisse waren jedoch erheblich gediegener als die seiner Vorläufer, so daß er eine philologisch solide Datierung allein aufgrund einer Wortschatz- und Syntaxanalyse vornehmen konnte – diese 81 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [18]. 82 Der Abschnitt über das Corpus bildet nur einen Bruchteil – 16 Seiten – des umfassenden Werkes; Isaac Casaubon: De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI. Ad Cardinalis Baronii Prolegomena in Annales, London 1614, S. 51 – 67. Zu Baronios Schrift Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (s. Anm. 18), S. 399. Einen spielerischen Reflex der gesamten Konstellation bietet Umberto Eco, wenn er den Ich-Erzähler in seinem Roman Il pendolo di Foucault (1988) ›Casaubon‹ nennt. 83 So Grafton: Defenders of the text (s. Anm. 16), S. 155, Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (s. Anm. 36), S. 130 ff.

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exzellente Fähigkeit wurde von Zeitgenossen mehrfach lobend hervorgehoben.84 Casaubon verfuhr so, daß er das Quellenmaterial der ihm vorliegenden 18 Traktate stichprobenartig mit Texten der frühpatristischen Tradition verglich, mit Schriften von Clemens von Alexandrien, Eusebius und Augustinus zumal, aber auch mit Abhandlungen aus dem Umfeld des Neuplatonismus.85 Er konnte in diesem Zusammenhang nachweisen, daß der Sprachgebrauch der hermetischen Traktate primär durch die Spuren eines spätantiken, bereits durch den Einsatz zahlreicher Abstrakta gekennzeichneten Stils bestimmt war. Die philologische Technik führte folglich zu einer Neudatierung der Textgenese, die das Corpus aus seiner ursprünglich angenommenen Einheit mit der altägyptischen Überlieferung löste.86 Es zeigte sich bald, daß Casaubons Kommentar zu einem einschneidenden Ereignis in der Geschichte der Hermetismus-Rezeption wurde – zu einer ›Wasserscheide‹, die Renaissance und Moderne trennte, wie Frances Yates bemerkt hat.87 Nicht im Sinne einer fundamentalen Umwertung, sondern bezogen auf eine neue Funktion der nur noch parareligiösen Aussagen des Corpus ist dieser Zäsurcharakter zu verstehen. Der Umbruch lag weniger in einer Neuinterpretation begründet als in einer veränderten Nutzung der hermetischen Texte, die sich im Umfeld von Casaubons Fund vollzog. 1678 hat der Cambridge Platonist Ralph Cudworth in seiner Abhandlung The True Intellectual System of the Universe Casaubons Argumentation kritisch durchleuchtet. Er attestiert Casaubon zunächst, daß er im Hinblick auf die Bücher 1, 4 und 13 des Corpus Hermeticum zu Recht auf christliche Wurzeln verwiesen habe (»seems to be more rankly Christian than any other«).88 Jedoch sei er in seiner Kritik zu weit gegangen, als er den kompletten Text zur Fälschung erklärte und von seinem Nachweis einzelner Passagen auf das gesamte Konvolut zurückschloß.89 Casaubons Hypothese vereinheitlichte das Corpus, weil sie, wie Cudworth erklärt, von der falschen Annahme geleitet wurde, es handele sich um eine homogene Schrift aus einer Hand. Daß der Poimander aber in Ficinos Übersetzung keineswegs als Titel für den ganzen Text einstand, sondern nur den 84 Grafton: Defenders of the Text (s. Anm. 16), S. 167 ff. 85 Vgl. Casaubon: De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI (s. Anm. 82), S. 54 ff. 86 Insofern handelt es sich nicht um den Fall einer »hermeneutisch begründeten Falsifizierung«, wie Häfner formuliert, sondern um eine philologische Kommentierungspraxis, die mit stilanalytischen Ansätzen operiert; Ralph Häfner, Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philologischer Kritik (ca. 1590 – 1736), Tübingen 2003, S. 284. 87 Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (s. Anm. 18), S. 398. 88 Ralph Cudworth: The True Intellectual System of the Universe, London 1678. FaksimileNeudruck, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, S. 319. Dazu Jan Assmann: ›Hen kai pan‹. Ralph Cudworth und die Rehabilitierung der hermetischen Tradition, in: Neugebauer-Wölk (Hg.): Aufklärung und Esoterik (s. Anm. 3), S. 38 – 52. 89 Cudworth: The True Intellectual System of the Universe (s. Anm. 88), S. 320.

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ersten Traktat bildete, sei Casaubon entgangen: »However there was no shadow of reason, why the Asclepius should have fallen under the same condemnation, nor several other Books superadded by patricius, and no signs of Spuriousness or Bastardy discovered in them.«90 Allein die Uneinheitlichkeit der im Corpus Hermeticum versammelten Texte schließt laut Cudworth eine eindeutige Datierung aus. Der von ihm genannte Asclepius-Traktat und zahlreiche weitere Abhandlungen demonstrierten jedoch eine gnoseologisch gegründete Weisheitslehre, deren naturphilosophische Argumentation auf eine relativ späte ägyptische Verfasserschaft zurückweise. Cudworth vermutet, daß der Text von Priestern geschrieben worden sei, die sich der griechischen Sprache bedient hätten: Moreover it is very probable, that several of the Books of the Egyptian Priests of Latter times, were not Originally written in the Egyptian Language, but the Greek; because least from the Ptolemaick Kings downward, Greek was become very familiar to all the learned Egyptians, and in a manner vulgarly spoken …91

Sehr nüchtern vermerkt Cudworth auf der Basis eines religionsgeschichtlich begründeten Urteils, daß die Ägypter in ihrer Glaubenswelt Formen der Offenbarung kannten, die denen der christlichen Lehre vergleichbar waren. Auch hinter der Vorstellung der Seelenwanderung sieht Cudworth die Spuren einer Analogie zwischen ägyptischem Glauben und Christentum aufscheinen. Die Idee der Erlösung sei zwar im engeren Sinne noch nicht präsent, doch ließen sich Vorstufen erkennen, die auf die Errettung der Seele im Jenseits deuteten.92 Cudworth verteidigt damit die ältere Hypothese, derzufolge das Corpus Hermeticum christlich-dogmatische Interpretamente vorwegnehme, ohne sie jedoch zu verallgemeinern. Casaubons Auffassung von der späten Entstehung des Corpus findet Bestätigung, wird aber relativiert. Der Status der einzelnen Traktate ist historisch differenziert zu betrachten, die Annahme eines einzelnen Verfassers hat sich damit als Fiktion erledigt. Das hermetische Konvolut bildet ein Konglomerat aus geschichtlichen Stufen einer Genealogie, an der diverse Epochen mitgewirkt haben. Folgerichtig ist daher ein Votum im Sinne der Differenzierung, das die Authentizität ägyptischer Textschichten anerkennt (»that there were certain Books really Egyptian, and called Hermetical or Trismegisticall«93), zugleich aber die Existenz griechischer Manuskriptanteile einräumt. 90 Cudworth: The True Intellectual System of the Universe (s. Anm. 88), S. 321. Vgl. Jan Assmann: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, Frankfurt / M. 2007 [1998], S. 123, ferner Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (s. Anm. 36), S. 128 f. 91 Cudworth: The True Intellectual System of the Universe (s. Anm. 88), S. 323. 92 Cudworth: The True Intellectual System of the Universe (s. Anm. 88), S. 323. 93 Cudworth: The True Intellectual System of the Universe (s. Anm. 88), S. 324.

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Cudworth erschließt damit mehrere Ebenen des Corpus Hermeticum, eine spätägyptische und eine frühchristliche. Während die ägyptisch-griechische Textschicht das Zeugnis der Antizipation von Offenbarungsgedanken ist, dokumentiert die zweite eine Fälschung, die von der Absicht getragen war, einen Konnex zwischen antiker Weisheitslehre und Christentum zu suggerieren. Für die theologische Diskussion des Hermetismus blieb diese doppelte Einsicht bedeutungsvoll, ermöglichte sie doch den Zeitgenossen unabhängig von der Entzauberung einzelner Traktate den fortdauernden Glauben an die Existenz einer antiken Weisheitslehre und die Möglichkeit einer primordialen Offenbarung im Zeichen monotheistischer Kulturen.94 Betrachtet man die Wirkungsgeschichte aus einem übergreifenden Blickwinkel, so ist zu erkennen, daß Casaubons Text die Attraktion, die von hermetischem Gedankengut ausging, nicht einschränken konnte.95 Gegen die von ihm ursprünglich verfolgte Intention schuf sein philologischer Fund letzhin die Voraussetzungen für eine freiere Rezeption hermetischer Topoi, jenseits strikt theologischer Fragen nach dem genealogischen Zusammenhang zwischen biblischer und nicht-biblischer Offenbarung. Er öffnete den Weg für eine Adaption hermetischer Lehren im Kontext profaner Texte, die sich von dogmatischen Problemen sukzessive löste. Die Entzauberung implizierte zugleich eine neue Aufladung des entleerten Textes mit einem zweiten Sinn – dem Sinn der Philosophie und dem der Poesie. Ihr gemeinsames Drittes bildete zwar der religiöse Gehalt, der jedoch nicht gemäß dogmatischer Setzung – bezogen auf Fragen der Schöpfung und Offenbarung –, sondern als Interpretament mit Ausstrahlung auf Aspekte der Naturauffassung, der Inspiration und des Intelligiblen bedeutsam wurde. Aus der dogmatischen entwickelte sich so eine protoreligiöse Perspektive, die sich mit philosophischen und literarischen Reflexionsformen verband. In Deutschland lagen die Verhältnisse freilich noch anders. In einem sehr aufschlußreichen Gespräch vom Sommer 1648, das in einer Aufzeichnung des Arndt-Anhängers Georg Lorenz Seidenbecher (1623 – 1663) überliefert ist, bemerkt der Mystiker Abraham von Franckenberg, daß man gegen die ohnmächtige Vernunft die wahre göttliche »Erleuchtung« anstreben müsse.96 Zur Bekräftigung zitierte Franckenberg, wie sich Seidenbecher erinnert, aus dem Corpus Hermeticum, das hier, dreißig Jahre nach Casaubon, immer noch als 94 Assmann: Moses der Ägypter (s. Anm. 90), S. 123 f. 95 Hier auch Martin Mulsow: Reaktionärer Hermetismus vor 1600? Zum Kontext der venezianischen Debatte über die Datierung von Hermes Trismegistos, in: Das Ende des Hermetismus (s. Anm. 15), S. 161 – 185. Zur literarischen Adaption Quade: Literatur als hermetische Tradition (s. Anm. 11), S. 95 ff. Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 56 ff., 163 ff. 96 Abraham von Franckenberg: Briefwechsel, eingel. u. hg. v. Joachim Telle, Stuttgart-BadCannstatt 1995, S. 363 ff.

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Autorität für ein spirituelles Wissen mit prototypischen Zügen firmiert. Seidenbecher dürfte Franckenbergs Sympathie für den Hermetismus geteilt haben; seine Gesprächsnotizen halten nicht ohne innere Bewegung fest, daß der Mystiker sich auf die arkanen Texte der Spätantike beruft. Mit dem Apostel Paulus als ›rechtem Kabbalisten‹97 argumentiert Franckenberg für eine gegen-rationale Frömmigkeit im Zeichen derjenigen Haltungen und Werte, die die Amtskirche seit Arndts Zeiten verdammte: Enthusiasmus, Erleuchtung, Geheimwissen. Auch das ist ein Indiz für die Macht einer Überlieferung, die gegen ihren historischen Sinn weiterhin als Indiz eines göttlichen Logos bewertet wurde. Franckenbergs Gesprächspartner mußte bald die Erfahrung machen, daß die offene Auseinandersetzung mit spiritualistischen Traditionen für einen Vertreter der Amtskirche gefährlich war. Georg Lorenz Seidenbecher, der im thüringischen Unterneubrunn als Pastor wirkte, publizierte 1660 in Amsterdam unter dem Pseudonym ›Waremundus Freyburger‹ seine Schrift Chiliasmus Sanctus, in der er sich auf eine an rosenkreuzerischen Vorstellungen orientierte heterodoxe Eschatologie stützte.98 Obgleich Seidenbecher im Beharren auf die Priorität des literalen Schriftsinns streng lutherisch argumentierte, galt die Abhandlung aufgrund ihrer spekulativen Überlegungen zu einem Reich Gottes auf Erden rasch als Zeugnis der Ketzerei. Nachdem die Identität des Verfassers ans Licht gekommen war, strengte die Theologische Fakultät in Jena ein Disziplinarverfahren gegen ihn an. 1661 verfügte Herzog Ernst von Sachsen-Gotha nach längerem Prozeß, den später Gottfried Arnold im vierten Teil seiner Unpartheischen Kirchen- und Ketzerhistorie (1715) dokumentierte, daß Seidenbecher sein Amt niederzulegen habe.99 Die Grenzen für die Beschäftigung mit arkan-spiritualistischen Überlieferungen wurden an solchen Punkten klar und unmißverständlich ausgewiesen. Die Seidenbecher-Episode ist dennoch für die Mitte des 17. Jahrhunderts nicht mehr typisch. Generell läßt sich festhalten, daß die Wirkung der hermetischen Lehre nach Casaubon und Cudworth aufgrund ihres universellen Sinndeutungsanspruchs relativ unabhängig von den theologischen Debatten

97 Franckenberg: Briefwechsel (s. Anm. 96), S. 371. 98 Waremundus Freyburger (d.i.: Georg Lorenz Seidenbecher): Chiliasmus sanctus: qui est sabbatismus populo Dei relictus: das ist schrifftma¨ ssige Ero¨ rterung der Frage: was von den tausend Jahren in der Offenbahrung Johannis Cap. 20. und von denen so genandten Chiliasten heutigs Tages; eigentlich und nach Inhalt Gottes Worts zu halten sey, Amsterdam 1660. Dazu Johannes Wallmann: Zwischen Reformation und Pietismus. Reich Gottes und Chiliasmus in der lutherischen Orthodoxie, in: Verifikationen. Festschrift für Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag, hg. v. Eberhard Jüngel, Johannes Wallmann und Wilfried Werbeck, Tübingen 1982, S. 187 – 205, S. 200 ff. 99 Vgl. die Angaben in: Martin Brecht (Hg.): Geschichte des Pietismus. Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 23.

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blieb, die man über sie führte.100 Ihr übergreifendes Programm bot die Gewähr dafür, daß sie nicht in systematischen Debatten zerrieben, sondern im Rahmen einer synkretistischen Rezeption in unterschiedliche Denkmodelle integriert wurde. Das spirituelle Wissen, das man nach Casaubon im Corpus identifizierte, überschritt die Grenzen der Dogmatik und siedelte sich in einem freieren Raum der Bezüge an. Ihn hatte bereits die Philosophie der Renaissance seit Ficino vorgezeichnet, jedoch war er erst durch Casaubons Interpretation zugänglich geworden. Die Zerstörung des Mythos ermöglichte die Entfaltung einer intellektuellen Exegese des Hermetismus, deren Konsequenzen aufregend genug waren. Anthony Grafton hat diesen Effekt mit der treffenden Formel umrissen: »And nothing in Hermes’ afterlife became him more than his leaving of it.«101 Die folgenden Ausführungen gehen davon aus, daß der Hermetismus trotz vielfältiger Filiationen mit benachbarten Spielarten spirituellen Wissens eine Reihe von Topoi ausbildet, die ihn systematisch profilieren. Für eine klare Begriffsbestimmung, der sich die ältere Forschung unter Berufung auf die vermeintliche Einheit ›okkulter‹ Diskurse im 16. und 17. Jahrhundert gern verweigert hat, bleibt zunächst die Festlegung der Quellenbasis unverzichtbar.102 Im Rahmen der Untersuchung der literarischen Rezeption sollen nur solche Denkmuster als hermetisch gelten, die sich aus den klassischen Texten des griechischen Corpus Hermeticum und des lateinischen Asclepios in Ficinos, Lazzarellis und Patrizis Überlieferung ableiten.103 Programmatisch für die durchgreifende Topik hermetischen Wissens sind sodann die nachstehenden sieben Indikatoren: die Vorstellung der formalen Korrespondenz von Natur und Logos (1), die Lehre von der geistigen Ubiquität Gottes (2), die Idee der im Schöpfer bezeichneten Einheit von Einzelnem und Vielem (3), der Gedanke der Transmutation der Schöpfungselemente (4), das Theorem von der Schönheit eines androgynen Gottes (5), der Verzicht auf den für die Soteriologie konsti100 Ähnliches läßt sich über den Paracelsismus sagen, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht selten als neuere Spielart der Lehre des Hermes Trismegistos gedeutet wurde; Kühlmann spricht in diesem Kontext von einem »›hermetisch‹ überformten Paracelsismus« (Wilhelm Kühlmann: Das häretische Potential des Paracelsismus – gesehen im Licht seiner Gegner, in: Heterodoxie in der Frühen Neuzeit [s. Anm. 37], S. 217 – 242, S. 224; vgl. S. 218 f.). Zur Alchemie vgl. den instruktiven Aufsatz von Christine Maillard: Eine Wissensform unter Heterodoxieverdacht: die spekulative Alchemie nach 1600, in: Heterodoxie in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 37), S. 267 – 289. 101 Grafton: Defenders of the text (s. Anm. 16), S. 145. 102 Charakteristisch hier die Arbeiten von Frances A. Yates (The Occult Philosophy in the Elizabethan Age, London, Boston 1979), Faivre (L’Êsoterisme, Paris 1973) und Grafton (Defenders of the text [s. Anm. 16]), die den Hermetismus jeweils einer übergreifenden Kategorie des Okkulten, Esoterischen bzw. Arkanen unterwerfen. 103 Daß dieser Nachweis ein Forschungsdesiderat ist, betont auch Hanns-Peter-Neumann in seiner Rezension von: Lodovico Lazzarelli, The Hermetic writings and related documents (s. Anm. 30), S. 316.

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tutiven, im Zusammenhang mit der Erbsündenlehre stehenden Gedanken eines Jüngsten Gerichts zugunsten einer kosmologisch gedachten, von der Genealogie der Schuld unabhängigen Erlösungsauffassung (6) und das Festhalten an arkanen Initiationsmodellen, die den Glauben nicht öffentlich, sondern im Sinne gezielter Auswahl ›Inspirierter‹ vermitteln (7). Die Ausrichtung an diesen sieben Indikatoren dürfte es im folgenden gestatten, hermetische Interpretamente klarer, als das in der älteren Forschung geschieht, von den punktuell verwandten Modellen in Alchemie, Paracelsismus, Pansophie, Rosenkreuzertum und christlicher Kabbalistik abzuheben.104 Dabei soll es keineswegs um eine dogmatische Abgrenzung, sondern um eine für die literaturwissenschaftliche Textanalyse förderliche Möglichkeit der Identifizierung hermetischer Interpretamente gehen. Die Tatsache, daß solche Interpretamente nicht selten paracelsistische, rosenkreuzerische und alchemistische Topik nutzen, verlangt im Einzelfall einen Beschreibungsansatz, der die konkreten Verbindungs- und Mischungsverhältnisse, die diskursiven Synthesen, Hierarchien und Rahmenkonstruktionen berücksichtigt, ohne aber den Anspruch auf eine genaue Definition hermetischen Wissens preiszugeben.105 Die methodischen Implikationen eines solchen Ansatzes sind nun im Rahmen eines eigenständigen Kapitels näher zu umreißen.

104 Antoine Faivre hat diese Gruppe von Strömungen einem übergreifenden ›esoterischen‹ Diskurs zugeordnet (Faivre: Esoterik [s. Anm. 20], S. 7 ff.). Übereinstimmend mit den kritischen Anmerkungen von Trepp: Hermetismus oder zur Pluralisierung von Religiositäts- und Wissensformen, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12), S. 8 – 15, S. 10 wird im folgenden jedoch auf den Esoterikbegriff verzichtet, da er einen für die Frühe Neuzeit nicht relevanten Maßstab liefert. 105 Zur diskursiven Allianz vgl. die Studie von Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 26 ff. Unter formgeschichtlichem Blickwinkel dokumentiert diese Allianz auch Burkhard Dohm: Poetische Alchimie. Öffnung zur Sinnlichkeit in der Hohelied- und Bibeldichtung von der protestantischen Barockmystik bis zum Pietismus, Tübingen 2000; vgl. ferner Wilhelm Kühlmann: Anmerkungen zum Verhältnis von Natur und Kunst im Theoriezusammenhang des paracelsistischen Hermetismus, in: Der Naturbegriff in der Frühen Neuzeit. Semantische Perspektiven zwischen 1500 und 1700, hg. v. Thomas Leinkauf unter Mitwirkung v. Karin Hartbecke, Tübingen 2005, S. 87 – 108.

3. Die Dynamik der Tradition. Theoretischer Exkurs über einen alten Begriff (Luhmann, Blumenberg)

Die systematischen Leitbegriffe dieser Untersuchung lauten ›Topik‹ (im Sinne eines Paradigmas der Wissensverwaltung) und ›Tradition‹ (im Hinblick auf die durchaus dynamische Verarbeitung struktureller Ordnungsmuster in diachronen Prozessen). Sie sind dem Zweck unterworfen, die in literarischen Texten sichtbar werdende Geschichte hermetischen Wissens als Geschichte der transformierenden Tradierung von Topoi beschreibbar zu machen. Die methodische Konkretisierung, die auf diese Weise stattfindet, ist historischer Provenienz; mit der Konzentration auf das Gebiet der Frühen Neuzeit tritt eine Wissensgeschichte ins Blickfeld, die topisch organisiert ist, mithin ihre Struktur durch genau umrissene loci communes des Wissens gewinnt. Die dabei maßgebliche Überlieferungsgeschichte bestimmt sich über zwei relativ statische Kategorien; wo die Topik zur systematischen Fixierung des Wissens beitträgt, hält Tradition das historisch gewachsene Wissen der Vergangenheit verfügbar. Beide Leitbegriffe werfen jedoch unterschiedliche Grade der Interpretations- und Kommentierungsnotwendigkeit auf. Während der Topik-Begriff durch seine historische Dimension semantisch und konzeptionell relativ genau bestimmt ist (wobei zwei historisch gewachsende Varianten hervortreten), bleibt die Kategorie der Tradition stark umstritten und deutungsbedürftig. Da beide Termini im Rahmen der Untersuchung nicht voneinander abgelöst werden können, soll der Erörterung des schwierigen Traditionsbegriffs ein kurzer Blick auf das Feld der Topik vorausgehen.106 Den allgemeinen Ausgangspunkt bildet die Annahme, daß Wissen in der Frühen Neuzeit generell topisch gegliedert erscheint. Das Konzept der Topik wird dabei in seiner für das 16. und 17. Jahrhundert prägenden ciceronischen Variante als Gedächtnissystem verstanden, weniger in seiner aristotelischen 106 Wilhelm Schmidt Biggemann (Berlin) danke ich für die Gelegenheit, im Rahmen der von ihm initiierten DFG-Forschergruppe die hier umrissenen Leitbegriffe diskutieren zu können. Seinen wegweisenden Beiträgen zur Bestimmung von ›Topik‹ und ›Tradition‹ sind meine Überlegungen in zahlreichen Punkten verpflichtet.

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Form als Kategorientafel für argumentative Schließ- und Begründungsverfahren. Während Aristoteles die Topik auf ein logisches Argumentationsmodell stützt, das den Begriffen allgemeine Kategorien zuordnet, etabliert Cicero mit seiner Lehre von den loci communes ein Ordnungsgefüge, das es erlaubt, abstrakte Termini unter das Gesetz einer einheitlichen Formstruktur zu stellen.107 Aus Aristoteles’ Logik wird bei Cicero ein Memorialsystem, das Wissen über festliegende loci communes organisiert und abrufbar macht. Es geht bei der frühneuzeitlichen Topik im Sinne der ciceronischen Version primär um die Speicherung von Wissen in enzyklopädischen Zusammenhängen, mithin um die Stabilisierung der einzelnen Wissenselemente. Zugleich aber läßt das topische System die Adaption seiner Organisationstrukturen in künstlerischen Medien (Text, Bild) zu, und zwar im Sinne einer produktiven – Transformationen einschließenden – Rezeption seiner Bestände. Man kann diesen Aneignungsvorgang als Akt der Tradierung nach dem Muster einer dynamischen Wissensverwaltung beschreiben, die mehr ist als nur Wissensweitergabe, insofern er von der disziplinären, enzyklopädisch geprägten zur literarischen Topik führt.108 Topik und Tradition sind innerhalb der epistemischen Ordnungen der Frühen Neuzeit als relativ stabile Systeme zu verstehen. Im Fall der Topik geht es um Wissensorganisation im Interesse der Wiedererkennbarkeit, was zur Konsequenz hat, daß topische Modelle einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben; im Fall der Tradition geht es um die möglichst zuverlässige Weitergabe der topisch geregelten Bestände, wobei jedoch Abweichungen im Übertra107 Zur Abgrenzung: Aristoteles: Topik (Organon). Übers. u. kommentiert v. Tim Wagner und Christof Rapp, Stuttgart 2004, I,1, 100a–101a; Marcus Tullius Cicero: Topik. LateinischDeutsch, übers. u. hg. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1983, 2,7 ff.; Marcus Tullius Cicero: De oratore / Über den Redner. Lat. / Dt., übers. und hg. v. Harald Merklin, Stuttgart 2006, II, 36 – 38 (mit der Differenz zwischen loci = ethischen Wahrheiten und loci communes = Ordnungssystemen, wobei diese Unterscheidung zur Etablierung eines formal konzentrierten Topiksystems führt, die es erlaubt, alle Wahrheiten unter das Gesetz einer einheitlichen logischen Gliederungsstruktur zu stellen). Vgl. dazu Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983, S. 7 ff.; ders.: Apokalypse und Philologie. Wissensgeschichten und Weltentwürfe der Frühen Neuzeit, hg. v. Anja Hallacker und Boris Bayer, Göttingen 2007, S. 229 ff. (›Topik als Methode historischer Wissensordnungen‹). 108 Vgl. zum frühneuzeitlichen Traditionskonzept im Sinne ›freier Verfügung‹ über ältere Wissensbestände Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, München 1982, S. 185 ff.; zum Normcharakter des Traditionsbegriffs Wilfried Barner : Einleitung, in: Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, hg. v. Wilfried Barner, München 1989, S. IX–XIV. Barner folgend: Dirk Niefanger : Sfumato. Traditionsverhalten in Paratexten zwischen ›Barock‹ und ›Aufklärung‹, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 98 (1995) (Themenheft ›Barock‹), S. 94 – 118; ferner Schmidt-Biggemann: Apokalypse und Philologie (s. Anm. 107), S. 245 (zur frühneuzeitlichen Topik).

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gungsverfahren selbst möglich sind. Diese Konstellation begründet wesentlich auch die Wissenskonzepte des bis ins 17. Jahrhundert hinein wirksamen spätmittelalterlichen Humanismus, wie er bei Ficino und Pico della Mirandola, bei Thomas Morus, Celtis und Frischlin hervortritt. Es konstituiert eine für die gesamte Frühe Neuzeit – insbesondere für die Renaissance – gültige Paradoxie, in deren Bann neues Wissen als kommentierende Vertiefung älteren Wissens definiert und epistemische Progression als Sukzession historischen Verstehens bestimmt wird. Dynamische Veränderungen von Formen und Konzepten des Wissens finden zwar innerhalb der topischen Ordnungsstrukturen durchaus statt, bilden jedoch kein Objekt exponierter Reflexion, programmatischer Steuerung oder theoretischer Ambition. Der Wissensdiskurs bezieht sich auf solche Veränderungen nicht, sondern stützt sich auf die Persistenz seiner kontinuierlich durchlaufenden Argumentationsmuster. Wandel erfolgt hier implizit, nicht explizit im Kontext selbsterklärender Aussagen und Topoi, die seit dem Zeitalter der Aufklärung zu den üblichen Markierungen der Veränderung gehören. Zu fragen ist nun, wie im Rahmen von Traditionsmodellen der implizite Wandel strukturell angelegt und organisiert wird. Wilfried Barner hat bereits vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, daß der Begriff der Tradition vom Geruch eines statischen Substantialismus befreit werden müsse, und daran die Forderung geknüpft, die Forschung solle ihr Augenmerk verstärkt auf Modelle des ›Traditionsverhaltens‹ und der ›Traditionswahl‹ richten.109 Barner schwebt dabei die Erarbeitung einer Typologie von Rezeptionsmustern vor, die es erlaubt, eine »Differentialdiagnostik epochalen Traditionsverhaltens«110 zu entwickeln. Ziel wäre es, die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber historischen Quellen, Topoi, Deutungsautoritäten und Interpretationsmustern in eine Phänomenologie der Verarbeitungsformen zu überführen. Den Mittelpunkt bildet die Figur des Autors, dessen ›Haltung‹ in Bezug auf Überlieferungsprozesse und zur Wahl stehende Leitorientierungen verstanden und systematisch untersucht werden soll – ein Ansatz, den die Ha109 Barner : Einleitung, in: Tradition, Norm, Innovation (s. Anm. 108), S. XV. Vgl. ders.: Wirkungsgeschichte und Tradition. Ein Beitrag zur Methodologie der Rezeptionsforschung, in: Literatur und Leser. Theorien und Modelle zur Rezeption literarischer Werke, hg. v. Gunter Grimm, Stuttgart 1975, S. 85 – 100; ders.: Über das Negieren von Tradition. Zur Typologie literaturprogrammatischer Epochenwenden in Deutschland, in: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein (= Poetik und Hermeneutik XII), hg. v. Reinhart Herzog und Reinhart Koselleck, München 1987, S. 3 – 51. Vgl. auch Peter-Andr¦ Alt: Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller, Tübingen 1995, S. 28 ff. Einschlägig für den statischen Traditionsbegriff: Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, München 1984 (10. Aufl., zuerst 1948), bes. S. 261 ff., 395 ff. Zur Rezeption in der deutschen Barockforschung der 60er Jahre: Hans-Jürgen Schings: Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den ›Dissertationes funebres‹ und Trauerspielen, Köln / Graz 1966, S. 3 ff. 110 Barner : Einleitung, in: Tradition, Norm, Innovation (s. Anm. 108), S. XVI.

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bitustheorie Bourdieus unter sozialpsychologischem Blickwinkel aufgreift, indem sie Einstellungsvariablen intellektueller Selbstentwürfe aus historischen und gesellschaftlichen Vorprägungen ableitet.111 Im Gegensatz zu diesem Programm gilt das Interesse der hier entwickelten Überlegungen dem strukturellen Charakter von Übertragungsvorgängen, die unter dem Rubrum der ›Traditionsbildung‹ verbucht werden. Ins Zentrum rücken dabei nicht die Personen, die Wissen aufnehmen oder weitergeben, indem sie gelehrte Quellen und Topoi zitieren, sondern die Prozesse, in denen dieses geschieht. Die Kategorie der ›Intentionalität‹ wird dergestalt von Individuen abgekoppelt, insofern sie eine teleologische Dimension im Wissenstransfer selbst markiert: eine Form der Dynamik im Akt der Wissensweitergabe, der Veränderungen im Weitergegebenen erzeugt.112 Nicht der Einzelne, der Wissen aufnimmt oder kommuniziert, ist hier das Objekt der Untersuchung; das Interesse gilt vielmehr der Organisation der Tradierungsmechanismen selbst, den Strukturen der Transformation und den Versuchen, Veränderung so zu bewältigen, daß sie nicht zur Herausforderung einer auf Stabilität setzenden Wissensgemeinschaft werden. Sigrid Weigel unterscheidet vor diesem Hintergrund zwischen »Tradition« als Begriff, der den »Bestand« der Kultur meint, und »Überlieferung« als Synonym für die aktive »Weitergabe« solcher Bestände.113 Das schafft die Möglichkeit zur Konzentration auf die Strukturen des Traditionssystems und die Organisation des Wissens, die in ihm stattfindet. Zugleich weckt jedoch Weigels Differenzierung den Eindruck, als sei die Beschaffenheit des Traditionsgefüges wesentlich statisch, indessen die eigentlichen Vorgänge der Wissensweitergabe gleichsam subkutan stattfinden.114 Die nachfolgenden Ausführungen sollen demgegenüber zeigen, daß ›Tradition‹ generell als überlieferndes Transportsystem fungiert, das zwar stabilisierend wirkt, aber in Verbindung mit topischen Ordnungen auch eine Umgestaltung von Wissensstrukturen erreichen kann – insbesondere dann, wenn sich die diskursiven Modelle ändern, in denen das Wissen fortgeschrieben wird (wie im Fall des Übergangs von religiösen zu literarischen Darstellungssystemen). In diesem Fall besäße ›Tradition‹ jene dynamische Komponente, die laut Weigel primär der ›Überlieferung‹ zufällt. Diese 111 Pierre Bourdieu: Der Sozialraum und seine Transformationen, in: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1982, S. 171 ff. 112 Exakt diesen Punkt leugnet Adornos bekannte Polemik gegen den Traditionsbegriff: Thesen über Tradition, in: ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt / M. 1967, S. 29 – 41. 113 Vgl. Sigrid Weigel: Genea-Logie. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kulturund Naturwissenschaften, München 2006, S. 82. Vgl. dagegen Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis (s. Anm. 62), S. 49 ff. 114 Im Schatten der alten etablieren sich die neuen Wissenschaften – so das Grundmuster topischer Provenienz; vgl. Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung in den Medien und Künsten (s. Anm. 33), S. 7 ff.

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nicht-programmatischen, strukturinternen, verzögerten Umgestaltungskonstellationen gehorchen anderen Mustern als epistemische Paradigmenwechsel und Transformationen in der Moderne; die Muster, die sie ausprägen, sind jene der Schichtung und Überschreibung, des Verbrauchs und Vergessens, die sich in den seit dem Spätmittelalter fest etablierten textuellen Verfahren der Sammlung, Kommentierung, Übersetzung und Kritik organisieren. Wo literarische Texte hermetische Deutungsmuster adaptieren, eignen sie sich bevorzugt Teile und Teilbereiche des hermetischen Denkens in der Form einzelner Topoi an; das ist als Akt der Fragmentierung zu beschreiben. Neben die Fragmentierung tritt jedoch zugleich die Reorganisation des aus den spätantiken Quellen stammenden Wissens, das im literarischen Rezeptionsprozeß mit externen Elementen verbunden und neu kombiniert werden kann.115 Es liegt auf der Hand, daß das eben umrissene Zusammenspiel von Topik und Überlieferung in diesem Zusammenhang entscheidende Bedeutung besitzt. Es ermöglicht die Operationen der Wissensverwaltung, Wissensweitergabe und Wissensmodifikation, indem es eine Verbindung von Fragmentierung und Rekombination des Wissens herbeiführt. Anders als gemeinhin vermutet, bezeichnen damit weder ›Topik‹ noch ›Tradition‹ statische Verhältnisse, die allein auf der Wiedererkennbarkeit von Wissen beruhen. Das Gegenteil ist der Fall: Wiedererkennbarkeit bildet in der Epistemologie der Frühen Neuzeit die Voraussetzung für Veränderungen im Wissenssystem selbst, wie sie durch Verschiebungen von Hierarchien, aber auch durch intermedial gestützte Übertragungsvorgänge ermöglicht werden.116 Für die gesamte Periode zwischen 14. und 17. Jahrhundert haben Jan-Dirk Müller und Jörg Robert in diesem Sinne die Relevanz von »Dissens- und Differenzerfahrungen« geltend gemacht, die aus der Konkurrenz unterschiedlicher »Textressourcen, Theorieoptionen und Autoritätsinstanzen« resultieren.117 Wenn man zudem bedenkt, daß die Gesamtheit möglicher Quellen aufgrund technisch bedingter Beschränkungen im Prozeß ihrer Distribution für die Bestimmung eines themenspezifischen Wissenszu115 Vgl. Thomas Leinkauf: Interpretation und Analogie. Rationale Strukturen im Hermetismus der Frühen Neuzeit (s. Anm. 14), S. 45 ff. (Hermetismus als »fokussierender, verschiedene Texte und Traditionen« versammelnder Begriff). 116 So auch eine der bis heute folgenreichsten Theorien frühneuzeitlicher Epistemologie: Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Aus dem Französischen v. Ulrich Köppen, Frankfurt / M. 1974 (= Les mots et les choses, 1966), S. 46 ff.; ders.: Archäologie des Wissens. Aus dem Französischen v. Ulrich Köppen, Frankfurt / M. 1981 (= L’arch¦ologie du savoir, 1969), S. 213 ff. Für die nachstehenden Überlegungen wird Foucaults Diskursanalyse keine leitende Rolle spielen, weil sie die hier vorrangige Frage nach den Ursachen für Transformationen innerhalb epistemischer Ordnungen ausblendet. 117 Jan-Dirk Müller, Jörg Robert: Poetik und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit, in: Maske und Mosaik. Poetik, Sprache, Wissen im 16. Jahrhundert, hg. v. Jan-Dirk Müller u. a., Münster 2007, S. 7 – 46, S. 10.

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sammenhangs niemals gleichzeitig verfügbar sein konnte, ist einsichtig, wie uneinheitlich Vorgänge der Informationsselektion ausfallen mußten. Die durch Verbindlichkeit, Bekanntheit und Dominanz gesicherte Autorität der Tradition hat ihr Komplement in einer vielschichtigen Historie abweichender Versionen und Umbrüche. Aber nicht allein die Geschichte der Supplementierungen und Pluralisierungen, sondern auch das, was ›Tradition‹ heißt, muß in seiner inneren Dynamik begriffen werden. Gerade im Hinblick auf literarisch vermittelte Rezeptionsprozesse, die nicht nur der Stabilisierung älterer Wissensbestände dienen, sollte dem Mißverständnis vorgebeugt werden, daß ›Tradition‹ mit Statik und Innovationsfeindlichkeit gleichzusetzen sei. Typisch ist hier eine nahezu beiläufig vorgetragene Bestimmung Niklas Luhmanns aus der nachgelassenen Studie Die Religion der Gesellschaft, die besagt, Tradition repräsentiere ein Konzept, das »zur Dogmatisierung und so zur Vernichtung von Information eingesetzt und im Sinne einer Präferenz für die Überlieferung gehandhabt werden kann.«118 Selbst wenn man die für Luhmanns Theorie maßgebliche Priorität der Beschreibung ernstnimmt und berücksichtigt, daß Aussagen wie diese keine Wertung enthalten, sondern nur einen Funktionsmechanismus erfassen sollen119, wird man Einwände erheben dürfen. Sie gelten weniger den allgemeinen methodischen Prämissen von Luhmanns Ansatz (denen auch diese Studie verpflichtet ist) als den Folgerungen seiner Funktionsanalyse.120 Tradition leistet ohne Frage die Aufgabe der Informationsselektion und schafft damit eine Stabilisierung von Wissenstransfers, indem sie Wissensverfügbarkeit innerhalb von Rezeptionsprozessen sicherstellt. Die Priorität liegt hier im Bereich der Verfestigung, nicht im Feld der Erneuerung von Wissen; Information ist für den Tradierungsvorgang in der Tat, wie Luhmann vermutet, primär als Verständigungsmodus präsent, der die Kommunikation über das Prinzip der Wiedererkennbarkeit steuert. Jan Assmann nennt diese Aufgabe im Anschluß an

118 Niklas Luhmann: Die Religion der Gesellschaft, hg. v. Andr¦ Kieserling, Frankfurt / M. 2000, S. 261. Vgl. auch Luhmanns ältere Studie: Funktion der Religion, Frankfurt / M. 1982 [1977], S. 227 ff. 119 Vgl. dazu schon frühere Arbeiten, so das 1975 verfaßte Vorwort zu: Niklas Luhmann: Legitimation als Verfahren, Frankfurt / M. 1983 [1969], ferner : Niklas Luhmann: Zweckbegriff und Systemrationalität, Frankfurt / M. 1973 [1968], S. 24 ff. 120 Vgl. zu dieser Art von methodischer Kritik Jürgen Habermas, Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt / M. 1971, Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt / M. 1983, Bd. II, S. 454 ff., ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt / M. 1988 [1985], S. 426 – 445. Habermas’ Konzept der kommunikativen Vernunft ist für die hier vorgelegte Studie nachrangig, weil es keine überzeugende Erklärung der sozialen Funktion von wissensspezifischen Überlieferungsprozessen bietet.

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die Arbeiten des Soziologen Maurice Halbwachs den »kanonischen kommemorativen Gehalt« der Tradition.121 Angesichts der so geleisteten Differenzierung bedeutet der Rekurs auf traditionelle Sinnmuster keineswegs nur eine Art selbstreferentiellen Beharrens auf Phänomene, die immer existierten. Heideggers Bemerkung, die Tradition verdecke letzthin das, was sie »›übergibt‹«, bezeichnet keine irreversible Konstellation, sondern ein Programm, das die Reflexion des Tradierten nicht ausschließt.122 Jegliche Begründung von Tradition erfolgt in Abhängigkeit von den epistemischen oder kulturellen Referenzfeldern, in denen sie stattfindet, unter Adaption sehr unterschiedlicher Argumente und Autoritäten.123 Diese können wissenschaftlicher, pädagogischer oder religiöser Provenienz sein, jedoch bewegen sie sich niemals auf der Ebene jener reinen Formalität, die Luhmanns Definition reflektiert. Indem sie – durch Rückgriff auf die autoritative Stellung von Weisheit, Glaube, Gelehrsamkeit oder Zeit – Muster für eine Auswahlentscheidung bereitstellen, schaffen sie Differenzierungen, die jenseits des Verweises auf Verbindlichkeit und Legitimität älteren Wissens Sinn durch Hierarchisierungen erzeugen. Traditionskonzepte implizieren keine ›Vernichtung von Information‹, sondern eine Auswahl, die das eine als relevanter als das andere auszuweisen sucht.124 Mit dieser Aufgabe ist auch die Möglichkeit der inneren Veränderung von Wissensbeständen gegeben, die dafür sorgt, daß die Berufung auf Tradition Transformation nicht ausschließt, vielmehr – überraschend genug – ermöglicht.125 Ein statischer Traditionsbegriff bleibt vor einem derartigen 121 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 21999 [1992], S. 64 (zum Verhältnis von Tradition und Gedächtnis). Vgl. Maurice Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt / M. 1985 (= Les cadres sociaux de la m¦moire, 1925), S. 263. 122 Martin Heidegger : Sein und Zeit (1927), Tübingen 1993, S. 21 (§ 69). 123 Anders noch Hans-Georg Gadamer : Wahrheit und Methode, Tübingen 31972 [1960], S. 261 ff.; ferner ders.: The Historicity of Understanding, in: Critical Sociology, ed. Paul Connerton, Harmondsworth, Middlesex 1976, S. 117 – 133, bes. S. 122 f. (mit eindeutiger ›Setzung‹ des Autoritätsbegriffs und der Definition von Tradition als Bedingung historischer Erkenntnis durch Distanz). Vgl. dagegen Susan Stewart: The Pickpocket: A Study in Tradition and Allusion, in: Modern Language Notes 95.5 (1980), S. 1127 – 1154. 124 Vgl. dazu das Einleitungskapitel bei: Sanford Budick: The Western Theory of Tradition. Terms and Paradigm of the Cultural Sublime, New Haven and London 2000, S. XVIIf. 125 Trotz der hier formulierten Kritik bildet das Werk Luhmanns für die folgende Untersuchung einen wesentlichen Bezugspunkt. Das gilt weniger für die im engeren Sinne systemtheoretischen Studien, die sich auf die Beobachtung von Modernisierungsprozessen konzentrieren, als für die an Konstellationen der Frühen Neuzeit interessierten wissenshistorischen Arbeiten, wie sie Luhmann insbesondere im Rahmen der vier Bände Gesellschaftsstruktur und Semantik (Frankfurt / M. 1980 – 1994) vorgelegt hat. Luhmann geht im Hinblick auf die vormoderne Epistemologie des 16. und 17. Jahrhunderts von derselben Problemkonstellation aus, die auch dieses Buch beschäftigt: von der Frage, warum Änderungen in stabilen Ordnungen möglich sind, wenn doch das Programm dieser Ordnungen

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Hintergrund ahistorisch, weil er die Selbstreflexionsleistung von Überlieferungsprozessen in den Momenten der Wissensweitergabe ausblendet. Der Akt der Tradierung wählt aus, indem er Wissen hierarchisiert und priorisiert. Er führt zu Unterscheidungen, die zwar bis zum Ende der Frühen Neuzeit noch nicht im Sinne einer Teleologie der Wissensprogression, der Perfektibilisierung und Emergenz eingespannt werden, jedoch davon unabhängige Differenzierungseffekte erzielen. Tradieren heißt: dem Wissen einen Kontext verleihen, in dem es durch Abgrenzung gegenüber Nachrangigem plausibilisiert wird. Ein solcher Evidenznachweis bildet einen dynamischen Vorgang, der nichts mit den Zuschreibungen einer stets gleichbleibenden Semantik gemein hat, wie sie der pejorative Traditionsbegriff bezeichnet. In seinen letzten vollendeten Arbeiten, die seit der Mitte der 90er Jahre erschienen, hat Luhmann sich einem solchen Verständnis genähert und das Konzept der Tradition weniger einseitig als in der Religionsschrift definiert. In einer vorsichtigeren Formulierung – sie stammt aus Die Gesellschaft der Gesellschaft (1998) – erklärt er, daß Tradition »eine Form der Beobachtung von Kultur«126 sei, die sich nicht auf die Bereitstellung kollektiver Gedächtnisleistungen beschränke, sondern Möglichkeitsspielräume inspiziere. Ähnlich heißt es im Aufsatz Kultur als historischer Begriff aus dem vierten Band von Gesellschaftsstruktur und Semantik, daß Tradition das Resultat einer Selbstreflexion kultureller Beobachtungstätigkeit unter dem Regime des Zeitbewußtseins sei.127 Wenn Kultur mit Luhmann für die moderne Gesellschaft ein Mittel der Erkenntnis jener Möglichkeiten ist, die einen gegebenen Begriff von sozialem Sinn durch sein Komplement ergänzen, dann besitzt sie notwendig auch die Einsicht in ihre eigene Geschichtlichkeit, die als Realisierung von Sinnoptionen versie gerade ausschließen soll. Vgl. Niklas Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 1, Frankfurt / M. 1980, S. 9 – 72; ders.: Frühneuzeitliche Anthropologie: Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 1, S. 162 – 235; ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bde., Frankfurt / M. 1998, Bd. 2, S. 893 ff. 126 Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. I, S. 590. 127 Niklas Luhmann: Kultur als historischer Begriff, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 4, Frankfurt / M. 1995, S. 31 – 54, S. 53 f. Der bemerkenswerte Aufsatz faßt Kultur als Gedächtnisordnung, die sozialen Systemen ein Bewußtsein ihrer Kontingenz vermittelt; Tradition bedeutet in diesem Zusammenhang auch eine Form der Verwaltung solcher Gedächtnisleistungen, die aber ihrerseits affirmiert oder negiert werden kann – eine Freiheit, die, so wäre zu ergänzen, eigene Wirkungen in den Ordnungen des Wissens freisetzt. Vgl. zu Luhmanns Epochenbegriffen die Ausführungen von Cornel Zwierlein: Pluralisierung und Autorität. Tentative Überlegungen zur Herkunft des Ansatzes und zum Vergleich der gängigen Großerzählungen, in: Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit, hg. v. Jan-Dirk Müller, Wulf Oesterreicher und Friedrich Vollhardt, Berlin / New York 2010, S. 3 – 30, S. 19 ff.

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standen werden kann. Die kulturelle Observation der Gesellschaft zielt darauf zu demonstrieren, daß es so, aber auch anders sein kann, weil Bedeutungen stets kontingenten Charakter tragen. Das Zeitbewußtsein, das diese Haltung organisiert, ist ein Bewußtsein für die Selektivität von Sinn in historischer Überlieferung. Die Identität des Beobachters repräsentiert ebenso wie die Welt des Wissens das Produkt von Abgrenzungsentscheidungen, die zur Bündelung dessen führen, was weitergeleitet werden soll. Traditionsbildung fungiert in der frühneuzeitlichen Wissensordnung als Prototyp dieser für die Moderne kennzeichnenden Technik kultureller Sinnstiftung, ohne ihre Operationen jedoch offen zugänglich zu machen (was der Bedeutung des Arkanen für die alteuropäischen Wissensordnungen entspricht128). Tradition erscheint seit dem Spätmittelalter als Resultat einer Ordnungsbewegung, die Wissen durch Selektion speichert. Sie versieht bereits Unterscheidungsleistungen, wie sie laut Luhmann systematisch erst in der funktional differenzierten modernen Gesellschaft ab dem Ende des 18. Jahrhunderts – vermittelt durch Codierungen, Informationsweitergabe und Rekursivierung – erbracht werden.129 Ein wesentlicher Motor dieser Unterscheidungsoperationen ist das Vergessen, das Luhmann unter Rekurs auf eine ältere Studie Heinz von Försters als Merkmal sämtlicher Gedächtnissysteme bezeichnet.130 Das Gedächtnis reagiert auf neue Informationen auf zweierlei Weise (Luhmann spricht von einer »Bifurkation« – Gabelung – der Möglichkeiten): die eine besteht darin, neue Daten direkt auf Erfahrung zu beziehen, die zweite darin, sie in ein vorgegebenes Ordnungsmodell einzustellen, das sie schematisiert. Ein solches Modell, das die Aufgaben der Reproduktion und Transformation verbindet, wäre in der Frühen Neuzeit die Traditionsbildung. Sie dient als Methode, mit deren Hilfe Informationen durch Einpassung in ein vorstrukturierendes System organisiert und gegliedert: vergessen oder gespeichert werden können.131 Die systematische Seite der so128 Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt / M. 31998 [1990], S. 628 f. 129 Zur Ausdifferenzierung schon Luhmann: Legitimation als Verfahren (s. Anm. 119), S. 59 ff. Vgl. ders.: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt / M. 1984, S. 191ff, 242 ff. 130 Niklas Luhmann: Zeit und Gedächtnis, in: Soziale Systeme 2 (1996), Heft 2, S. 307 – 330, S. 311, 326. Vgl. Heinz von Förster : Das Gedächtnis. Eine quantenphysikalische Untersuchung, Wien 1948. 131 In diesem Zusammenhang argumentiert Luhmann gegen den gängigen Begriff des ›kollektiven Gedächtnisses‹. Für ihn existiert allein die Alternative von individuellem und sozialem Gedächtnis (das dann auch kulturelle Basisfunktionen versieht) – mithin eine personen- und eine systemgestützte Form der Informationsverarbeitung. Das ›kollektive Gedächtnis‹ verkörpert dagegen eine theoretisch unsaubere, synkretistische Zwischenform, die persönliche und systematische Erinnerungsleitungen verbindet. Vgl. Luhmann: Zeit und Gedächtnis (s. Anm. 130), S. 315 f. Zum Kollektivgedächtnis: Assmann: Das kulturelle Gedächtnis (s. Anm. 121), S. 48 ff.; Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 130 ff.

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zialen Gedächtnisverwaltung, wie sie Tradition ermöglicht, besteht in der Auswahl nach Kriterien der Autorität (ein Maßstab, den moderne Systeme durch Leitdifferenzierungen ersetzen). Nur solches Wissen wird erhalten, das den Vorgaben der Autoritäten – z. B. des Platonismus, der Kirchenväter, der rhetorischen Lehrmeister – exakt entspricht und nicht von ihnen abweicht. Daß bei einem derartigen Einpassungsvorgang nicht immer nur dasselbe gesammelt, sondern auch Varietät erzeugt wird, gehört zu den bemerkenswertesten Effekten des Traditionsgeschehens, auf die nachfolgend – exemplarisch am Hermetismus – näher einzugehen ist. An diesem Punkt wird sichtbar, wie Tradition und Gedächtnis zusammenwirken. Das Gedächtnis ist eine außerindividuelle Instanz, die Ordnung stiftet – diese Definition gilt bei Luhmann für die stratifizierte Gesellschaft der Vormoderne ebenso wie für die selbstreferentielle, durch Inklusion gekennzeichnete Gesellschaft der Moderne.132 In vormodernen Gesellschaftsstrukturen, die noch keine funktionale Differenzierung kennen, arbeitet das Gedächtnis als Speicher, der die jeweils schichtenspezifische Ausrichtung auf ältere Wissensbestände und Verhaltensregeln gewährleistet. Das Gedächtnis stützt hier die Ausbildung eines Repertoires von Orientierungsmodellen, die Wertstiftung, Handlungsnormen, ethische Verbindlichkeit und Glaubensinhalte innerhalb fester Gesetzmäßigkeiten begründen. Anders als im Fall der modernen Funktionssysteme – Politik, Wissenschaft, Recht, Wirtschaft, Religion und Kunst –, deren Gedächtnis durch permanenten Rückgriff auf sich selbst (Rekursivität) ein Zeitbewußtsein schafft, arbeitet die vormoderne Gesellschaft weniger mit Differenzierung als mit Emergenz: das Gedächtnis sammelt hier die Daten, die den Aufbau einer semantischen Struktur ermöglichen, indem es Erinnenswertes von Nicht-Erinnernswertem trennt. Hier nun greift das Konzept der Tradition in die soziale Ordnung ein, insofern es Gliederungsaufgaben erfüllt, die ihrerseits die Hierarchien erzeugen. Als Ausformung des Gedächtnisses stellt die Tradition das Medium dar, das Wissensbestände aufgrund vorausgehender Selektion speichert. Der Zusammenhang mit dem Gedächtnis ist evident, denn Tradition funktioniert nur, wenn das Gedächtnis Vergessen ermöglicht.133 Die Zielsetzung, der die von der Tradition beförderte Datenselektion folgt, unterliegt dabei Vorgaben, die durch als Autoritäten anerkannte Instanzen gesetzt werden.134 So sorgt etwa die Religion für eine Abgrenzung von orthodoxen 132 Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. I, S. 578 ff. 133 Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. I, S. 584 f. Im angehängten Begriffsindex zu Luhmannns Arbeiten wird das Stichwort ›Vergessen‹ in der Regel mit dem Hinweis ›s. Gedächtnis‹ ausgestattet. 134 Zur Stratifizierung besonders prägnant Niklas Luhmann: Interaktion in Oberschichten, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 1, Frankfurt / M. 1980, S. 72 – 161, S. 75 ff.

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und heterodoxen Denkinhalten, was wiederum das Feld der Wissenschaft klar (wenngleich nicht immer widerspruchsfrei) organisieren hilft; die politische Ordnung des Absolutismus regelt Verhaltensprinzipien nach Maßgabe ihrer Herrschaftsmodelle, formt Regeln für Angemessenheit und schließt das Unziemliche aus. Ähnlich sortieren die Modelle der Rhetorik Prinzipien für Sprache und Literatur nach Wirkunsgabsichten und Gattungshierarchien, indem sie bestimmte Stilformen empfehlen, andere zurückstellen oder für ungeeignet erklären. In sämtlichen dieser Fälle schafft die Tradition einen Fundus von Wissensbeispielen und Normvorbildern, die Abgrenzungen innerhalb der genannten Teilbereiche der Gesamtgesellschaft ermöglichen, ohne daß es schon zu ihrer funktionalen Ausdifferenzierung kommt. Vielmehr gehorcht die Bildung von Differenzen denselben Impulsen einer Stratifizierung, in der sich die übergreifende Sozialordnung organisiert. Zu den spezifischen Aspekten dieser Tatsache gehört es, daß die jeweiligen Teilsysteme eine vergleichbare Beziehung zu ihrer – sie determinierenden – Umwelt aufweisen und sich nicht von dieser abgrenzen, indem sie sich ihr entziehen.135 Zum Zweck der Beobachtung bedeutungsbasierter Traditionen, die soziale Ordnungen – zunächst unabhängig vom Grad ihrer Differenziertheit – strukturieren, hat Luhmann den Begriff der ›gepflegten Semantik‹ eingeführt. Er soll es ermöglichen, den »semantischen Apparat einer Gesellschaft« und den in ihm niedergelegten Fundus an »Sinnverarbeitungsregeln« beschreibbar zu machen.136 ›Gepflegte Semantik‹ meint eine Ebene dritter Stufe: nicht die jeweils aktuelle Bedeutung eines Gegebenen, nicht die Regeln, nach denen sie erzeugt wird, sondern eine Perspektive, die es gestattet, die »Verarbeitung der Formen der Verarbeitung von aktuellem Sinn«137 zu analysieren. Im Hintergrund steht dabei die Einsicht, daß die Organisationsmodelle des Wissens – Archiv, Magazin, Enzyklopädie, Lexikon – nur dort allgemein erfaßt werden können, wo ihre Funktionen – als Bedingung der Möglichkeit von Sinnverarbeitung – ins Zentrum der Untersuchung treten. Die ›gepflegte Semantik‹ Luhmanns entspricht damit Kants apriorischem Verfahren, insofern Begriffe als »Gußformen«138 für Erfahrungen erscheinen. Mit Hilfe der hier umrissenen Sichtweise sollen Differenzierungsprozesse erkannt werden, die in alteuropäischen und modernen Gesellschaften – allerdings mit sehr divergierenden Aufgaben – gleichermaßen vonstatten gehen. Traditionskonzepte bilden innerhalb der frühneuzeitlichen Wissenstruktur Unterscheidungsinstrumente noch vor der Etablierung autopoietischer Syste135 136 137 138

Luhmann: Interaktion in Oberschichten (s. Anm. 134), S. 75 f. Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition (s. Anm. 125), S. 19. Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition (s. Anm. 125), S. 20. Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition (s. Anm. 125), S. 24.

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me, wie sie sich, gestützt auf Selbstreferenz, Informationsprozesse, UmweltAbgrenzungen, Ausbau von Leitdiffererenzen und Codierungen von binären Oppositionen, laut Luhmann am Ende des 18. Jahrhunderts entwickeln. Sie leisten, was diese Systeme dann im großen Stil ausbauen: sie selektieren Wissen, formieren Mitteilungen, entwickeln Beobachtungskompetenz und Rekursivität (das heißt: die Fähigkeit der Selbstergänzung). Tradition ist kein statisches Gefüge, das Wissen wie ein Archiv speichert; sie gleicht vielmehr dem Gedächtnis, das Auswahlentscheidungen trifft, um nicht mit Material überflutet zu werden.139 In diesem Sinne ist das Konzept der Tradition eines der ersten Mittel der Differenzierung vor der Konstitution des modernen Systemwissens, das auf der Koordination und Synchronisierung von Informationsprozessen beruht. Als Techniken der gezielten Speicherung liefern Traditionskonzepte aufgrund der ihnen impliziten Abgrenzungsleistung einen Beitrag zur Autorisierung von Wissensbeständen. Eine wesentliche Komponente bildet dabei die Kanonisierung, die durch den Prozeß der Tradierung qua Selektion von Quellen, Texten und Autoren begründet wird. Man könnte ein wenig zugespitzt formulieren, daß Traditionskonzepte jenes Prozessieren von Information nach vorab festgelegten Selektionsregeln gewährleisten, das moderne Gesellschaftssysteme durch Kommunikation garantierten. Für Luhmann beruht die Leistung der Kommunikation in modernen Funktionssystemen wesentlich darauf, daß sie Verfahren der Informationsweitergabe bei gleichzeitiger Fähigkeit zu Selbstreferenz und Reflexivität ermöglicht.140 Selbstreferenz impliziert primär die Absicherung des Systems gegenüber seiner Umwelt, seinem Außen; sie stiftet jene geschlossenen Regeln der Sinnerzeugung, die Luhmann bekanntlich über die Gesetze binärer Codierung konstituiert findet. In traditionalen Gesellschaften dagegen besitzt Selbstreferenz einen nur nachgeordneten Charakter, weil deren Aufbau, Verhaltensmuster und Normen Bedeutung gerade durch die nach außen sichtbare Schichtenstruktur gewinnen, nicht aber unter den Bedingungen der Abgrenzung und der damit verbundenen Rückwendung auf interne Prinzipien, wie im Fall moderner Funktionssysteme.141 Vor diesem Hintergrund ließe sich Tradition als Mittel der Selektion ohne Selbstreferenz beschreiben: als eine Praxis, die Differenzierungsleistungen erbringt, aber noch keine Inklusion – im Sinn einer Konzentration auf Binnengesetze – vollzieht. Da Geschlossenheit in der frühneuzeitlichen Gesellschaft 139 Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 1, S. 584 ff. (kulturelles Gedächtnis als »Sortiermechanismus«, S. 588); ders.: Kultur als historischer Begriff (s. Anm. 127), S. 33. 140 Luhmann: Soziale Systeme (s. Anm. 129), S. 617 ff., ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 2, S. 754 ff. 141 Luhmann erläutert das am Beispiel der Aristokratie: Luhmann: Interaktion in Oberschichten (s. Anm. 134), S. 83 ff.

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über Stratifizierung ermöglicht wird, muß die Selektionsleistung des Traditionskonzepts, das kanonisches von nicht-kanonischem Wissen trennt, keine Abschließung des Ordnungsgefüges nach außen garantieren. Die soziale Stabilität entsteht durch eine für alle Bereiche des Wissens, des Glaubens, der Kommunikation und des Handelns verbindliche Hierarchie, in deren Dienst auch die Traditionsbildung operiert. Die Leitfunktion von Tradition liegt im Herausarbeiten eines Kanons begründet, der wesentliche von weniger wesentlichen Wissenselementen abgrenzen soll, Distinktionsangebote unterbreitet und damit Hierarchien des Wissenswerten schafft. Hans Blumenberg hat in diesem Zusammenhang betont, daß die Ordnung der Begriffe dem Gesetz der Tradition unterstehe, insofern immer dort, wo die Welt terminologisch geregelt werde, Überlieferungsprozesse für eine Stabilisierung der Bedeutung sorgen.142 Am Beispiel spätantiker und frühchristlicher Texte von Lactanz, Tertullian und Augustinus weist Blumenberg nach, wie die Unterscheidung zwischen ›richtig‹ und ›falsch‹ zur Grundlage des historischen Gedächtnisses wurde, dessen Aufgabe darin bestand, das Erhaltenswerte im Namen der Autorität der philosophischen Wahrheit zu überliefern.143 Die Erinnerung, die durch den Akt der Traditionsbildung gleichsam zum Motor eines Selektionsprozesses gerät, sichert damit die Speicherung von Wissen und die Privilegierung bestimmter Texte gegenüber anderen, die aus dem Kanon ausgeschieden werden. Tradition fungiert als Ermöglichungsgrund einer Wissensgeschichte, deren Quellen das historische Gedächtnis des Überlieferungsvorgangs nach Maßgabe der Differenz zwischen wahrem und falschem Wissen voneinander abgrenzt. Blumenberg unterstellt, daß ein spezifischer Typus von Metaphern – die ›absolute Metapher‹ – auf dieselbe Weise wie Begriffe arbeitet, indem er Ideen reguliert, Kommunikation ermöglicht und Bedeutungen verbindlich macht: dem Verstehen also eine Form verleiht.144 Absolute Metaphern umschreiben eine

142 Hans Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit (1957), in: Ästhetische und metaphorologische und Schriften, Ästhetische und metaphorologische Schriften. Auswahl und Nachwort v. Anselm Haverkamp, Frankfurt / M. 2001, S. 139 – 171, S. 139 f. Vgl. generell auch Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, in: Archiv für Begriffsgeschichte 6 (1960), S. 7 – 142. Zum epistemischen Hintergrund dieser These Elisabeth Brient: The Immanence of the Infinite. Hans Blumenberg and the Treshold to Modernity, Washington 2002, S. 61 ff. 143 Blumenberg: Kritik und Rezeption antiker Philosophie in der Patristik: Strukturanalysen zu einer Morphologie der Tradition (1957), in: Ästhetische und metaphorologische Schriften (s. Anm. 142), S. 266 – 290, S. 281 ff. 144 Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (s. Anm. 142), S. 11. Vgl. Hans Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern, in: Archiv für Begriffsgeschichte 15 (1971), S. 160 – 214, S. 164.

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intellektuelle Strategie, die es erlaubt, dem, was Blumenberg die »Lebenswelt«145 nennt, eine komplexe Praxis der Bündelung von Konkretionen entgegenzusetzen, die, wie es später in Arbeit am Mythos (1979) heißt, der Abstraktion des Begriffs entzogen bleiben.146 Mit dieser Kategorie, die auch eine Antwort auf Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923 – 1929)147 darstellt, konstituiert Blumenberg eine neue Praxis der Deutung von Tradition. In ihr ist eine Entwicklung umrissen, die vom Mythos zur Kultur führt – wiederum im Gegenzug zu Cassirers Versuch, den Ursprung des Mythos in der Kulturgeschichte der Neuzeit zu identifizieren.148 Tradition bleibt damit ein Begriff, der die Kontinuität im Weg der Kultivierung geschichtlicher Prozesse reflektiert, wobei deren Zweck nicht auf den Zugewinn an Abstraktion zielt, sondern die Balance zwischen konkreter und begrifflicher Erkenntnis anstrebt. Gerade diese Balance erlaubt es Blumenberg, sein Konzept der Metaphorologie von allzu strikten teleologischen Konstruktionen fernzuhalten. Der Weg führt nicht von der Metapher zum Begriff, von der Tradition zur Funktion, vom Bild zur Vernunft; da die Metapher nach Blumenberg immer schon ein phänomenologisch zu fassender Ausdruck der ›Lebenswelt‹ ist, bedeutet sie keine einfache Vorstufe terminologisch fundierter Erkenntnis, sondern die Gußform der Erfahrung. Sie leistet einen Beitrag zur Entschärfung realer Kontingenz, indem sie deren Zumutungen in sprachliche Bilder überführt und auf diese Weise verfügbar macht. Der Deutungsspielraum, den sie schafft, bedeutet in diesem Fall keine Fortschreibung solcher Kontingenz, sondern situiert sie in der Mitte zwischen lebensweltlicher Unwägbarkeit und begrifflicher Konsistenz. Als Zeichen, das Erfahrung in Sprache übersetzt, ordnet sie die Naturgeschichte; als Zeichen, das topischen Charakter hat, erzeugt sie die Freiheit von Auslegungsoptionen. Gerade damit rückt die Metapher, wie Anselm Haverkamp notiert hat, in einen

145 Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern (s. Anm. 144), S. 170 ff.; vgl. dazu die skeptische Bilanz von Hans Ulrich Gumbrecht: Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte, Paderborn, München 2006, S. 7 ff.; ferner Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Mit zwei Beiträgen v. Ulrike Spree und Willibald Steinmetz sowie einem Nachwort zu Einleitungsfragmenten v. Carsten Dutt, Frankfurt / M. 2006, S. 86 ff. 146 Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt / M. 51990 [1979], S. 13 f.; vgl. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt / M. 21986 [1981], S. 11 ff. 147 Ernst Cassirer : Philosophie der symbolischen Formen. 3 Bde., Nachdruck der zweiten Ausgabe 1953 – 54, Darmstadt 1964 [1923 – 1929], vgl. insbesondere Bd. I, S. 18 ff. (Einheit von Ding und Zeichen). 148 Vgl. David Adams: Metaphors for Mankind, in: Journal of the History of Ideas 52 (1991), No.1, S. 152 – 166, S. 153.

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gleichsam ontologischen Status, der es ihr erlaubt, die Zufälligkeit der Lebenswelt in einer Ordnung festliegender Bilder zu überwinden.149 Traditionsbildung erfolgt für Blumenberg im Ensemble einer metaphorischen Praxis, die eine systematisch nicht einzuhegende Begriffsgeschichte konstituiert. Blumenbergs zentrale Fragestellung zielt darauf, aus welchen Gründen Metaphern innerhalb der Ideenhistorie ersetzt und ausgestauscht werden, wenn sie doch zugleich die Bestandssicherheit einer zuverlässigen Tradition begründen. Was die Metapher zu einem schwierigen Erprobungsfall für die Evidenz von Traditionskonzepten macht, ist die programmatische Inkommensurablität ihrer philosophischen Aussage. Während Begriffe laut Blumenberg eine unhinterfragte ›claritas‹ ihres Wahrheitsanspruchs vindizieren, halten Metaphern Bedeutungshorizonte notorisch offen.150 Daraus resultieren unterschiedliche Schwierigkeitsgrade bei der Erklärung von Transformationsprozessen, die sich nicht im Rahmen einer simplen historischen Semantik elaborieren lassen; während der Austausch von Begriffen als Folge sich verändernder Wahrheitskonzepte gelten kann, wirft der Wechsel in metaphorischen Registern die Frage nach dem allgemeinen Bezugsrahmen auf, der ihn veranlaßt. Wenn Metaphern mit Blumenberg das Inkommensurable, Unausdrückbare zur Sprache bringen, muß man ihre Veränderung auf den Wechsel von Erwartungshorizonten zurückführen, denen sie zuarbeiten. Die Mehrdeutigkeit der Metapher stabilisiert Traditionen auf andere Weise als die operative Leistung von Begriffen, weil sie nur indirekt an Wert- und Abstraktionskontexte gebunden bleibt. An der Tatsache, daß auch metaphorische Konstruktionen auf die Verdichtungsleistung historischer Kontinuitäten und die mit ihr gegebene Abrufbarkeit von Verstehenshilfen angewiesen sind, zweifelt Blumenberg jedoch nicht; weder können Metaphern auf Tradition verzichten, noch steht die Dynamik ihrer Sinnhorizonte in Widerspruch zur Konstruktion eines verbindlichen Überlieferungszusammenhangs.151 Was sie transportieren, läßt sich als »Identität der Prägung«152 definieren, als Profilbildung des Wissens im Prozeß seiner Weitergabe. In einem seiner frühesten Aufsätze über dieses Thema, der 1957 veröffentlich wurde, erläutert Blumenberg, daß Metaphern eine Vorstufe von Begriffen markierten, die es erlaube, das Nicht-Ausdrückbare jenseits einer festliegenden Tradition zur Sprache zu bringen.153 Entscheidend für unsere Fragestellung ist 149 Anselm Haverkamp: Nachwort zu: Blumenberg, Ästhetische und metaphorologische Schriften (s. Anm. 142), S. 435 – 454, S. 439. 150 Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (s. Anm. 142), S. 51 f. 151 Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (s. Anm. 142), S. 85. 152 Hans Blumenberg: Quellen, hg. v. Ulrich von Bülow und Dorit Krusche. Mit einem Nachwort der Herausgeber, Marbach a.N. 2009, S. 13. 153 Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit (s. Anm. 142), S. 139 f.

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hier nicht die implizite Kritik an der Idee der Tradition, sondern die Differenz von Norm und Offenheit. Begriffe bleiben nach Blumenberg vom Prinzip der Genauigkeit erfüllt, wohingegen Metaphern ein weites Feld der Assoziationen umschreiben, das durch den hermeneutischen Akt strukturiert werden muß. Metaphern erzeugen einen unbegrenzten Horizont, der die Vielfalt menschlicher Erfahrung ebenso reflektiert wie die Zumutungen der Natur, die Unzugänglichkeit der Geschichte oder die Gewalt sozialer Ordnungen.154 Das impliziert keine generelle Unabhängigkeit von der Tradition, wie Blumenberg in späteren Arbeiten einräumt, sondern lediglich eine Differenz im Ausmaß der Normativität, die sie prägt.155 Blumenbergs prominenteste Beispiele für metaphorische Konstruktionen mit großer Wirkungsreichweite – das Licht der Erkentnnis, das Uhrwerk der Natur, das Buch der Welt, der Schiffbruch mit Zuschauer – werden durch Prozesse der Traditionsbildung konstituiert, in denen sie sich immer wieder neu auffrischen und reaktivieren.156 Ihre Funktion, Voraussagbarkeit und Verbindlichkeit des Wissens zu gewährleisten, können Metaphern nur erfüllen, wenn sie sich regelmäßig reorganisieren, indem sie Bedeutungsverschiebungen zulassen und veränderte Gewichtungen innerhalb des Spektrums ihrer Denotate zulassen.157 Der Sinnhorizont, den Metaphern ausleuchten, ist kein statisches Gebilde, das die Geschichte stabil überdauert. Ihn prägen Varietäten, die ihrerseits Umakzentuierungen metaphorischer Verwendungspraktiken zur Folge haben müssen. Im Rahmen der von Blumenbergs Metaphorologie umrissenen Kontexte kann Tradition nicht nur Verstetigung, sondern auch die Öffnung gegenüber neuen Wissensgebieten meinen, die den Transport heterodoxer Quellen und die Auflösung dogmatischer Zuschreibungsleistungen ermöglichen. Indem sie das Neue reguliert und einsortiert, findet sie zugleich eine Antwort auf die Herausforderungen, die es impliziert. Das Neue wird jedoch in dieser Konstellation nicht abgewehrt, vielmehr aufgearbeitet und eingebunden; das Alte findet sich umgekehrt im Prozeß der Tradition nicht permanent reproduziert, sondern erfährt eine Transformation, die aus der Verbindung mit bisher unbekannten Wissenselementen resultiert. Susan Stewart hat in einem klugen Aufsatz darauf hingewiesen, daß Tradition die trügerische Suggestion der reinen Wiederholung 154 Vgl. dazu Reinhart Koselleck: ›Erfahrungsraum‹ und ›Erwartungshorizont‹ – zwei historische Kategorien, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeit, Frankfurt / M. 1979, S. 349 – 375. 155 Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern (s. Anm. 144), S. 170 ff. 156 Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern (s. Anm. 144), S. 163 f. 157 Das berührt die generelle Frage nach der Sprachbindung des Wissens; vgl. dazu – unter dem Rubrum der ›Indexikalisierung‹ – orientierend: Klaus W. Hempfer, Anita Traninger : Einführung, in: Dynamiken des Wissens, hg. v. Klaus W. Hempfer und Anita Traninger, Freiburg i.Br. 2007, S. 7 – 21.

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hervorbringe.158 Die Wiederholung sei, so Stewart, eine ausschließlich ästhetische Figur, die stets die Fiktion einer Identität von Vorlage und Nachahmung impliziere. Für den Wissenstransport, der sich in der Organisationsstruktur der Tradition vollzieht, ist diese Kategorie jedoch irrelevant, weil hier eine auf Variation beruhende Stabilität hergestellt wird. Nicht die Fiktion von Identität in der (genuin ästhetischen) Wiederholung, sondern die Stabilisierung des Wissens gegenüber Kontingenzrisiken (bei leichten Spielräumen in Detailabweichungen) ist das Resultat von Traditionsleistungen. Tradition bedeutet Ordnungsstiftung durch Überlieferung, impliziert jedoch auch Ordnungsabweichung durch die in der Überlieferung stets vollzogene Integration fremder Wissensbestände. Die Arbeit der Gedächtnisbildung, die dem Konzept der Tradition zufällt, schließt Statik (im Sinne der Stabilisierung) und Dynamik (im Sinne der Neuorganisation) gleichermaßen ein. Diese Funktion entspricht dem, was Talcott Parsons im Hinblick auf die Leistungen sozialen Handelns als »pattern maintenance«159 beschrieben hat: sie stellt sicher, daß Ordnung in die Vielfalt kommt, generiert aber über die Erzeugung verbindlicher Muster zugleich Modelle, in denen sich allmählich – und ohne jede programmatische Akzentuierung – Neues ausformen kann. Die zuletzt genannte Wirkung tritt insbesondere dort auf, wo literarische Texte – im weiteren Sinne künstlerische Medien – an Überlieferungsprozessen beteiligt sind. Topische Ordnungssysteme werden durch die Literatur mit genretypischen Darstellungsformen – etwa Erzählmustern oder dramatischen Inszenierungsstrategien – reorganisiert und über den Einsatz poetischer Techniken umgestaltet. Um das Thema der Untersuchung als Beispiel heranzuziehen: Der literarische Rekurs auf hermetische Topoi, der hier zur Diskussion steht, ist ein Indiz für die Doppelbewegung von Tradition als Kanonisierung, Speicherung, Gedächtnisbildung auf der einen und Dynamisierung, Rekombination, Zuspitzung auf der anderen Seite. Was Greenblatt mit der systematisch und terminologisch unzureichenden Formel »circulation of social energy«160 beschrieben hat, läßt sich am Beispiel der Aneignung hermetischer Deutungsmuster durch die Literatur besser als Transformation sprachlich organisierten Wissens in Tradierungsprozessen definieren. Der programmatische Anspruch der Tradition, Wissen stabil und wiedererkennbar zu halten, schließt nicht aus,

158 Stewart: The Pickpocket: A Study in Tradition and Allusion (s. Anm. 123), S. 1132: »Repetition is only possible in an aesthetic world, a world where the ongoingness of time and space is substituted for a parallel reality.« 159 Talcott Parsons: Societies: Evolutionary and Comparative Perspectives, Engelwood Cliffs, New Jersey 1966, S. 25, 29. 160 Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England, Oxford 1988, S. 1.

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daß sich Wissen gerade in der Überlieferung verändert.161 ›Tradition‹ bedeutet dabei keine Stillstellung der bestehenden Wissensordnungen, sondern eine auf Autoritäten sich stützende Auswahl, die eine produktive Modifikation geltender epistemischer Gesetze und Kanonisierungen ermöglicht, indem sie Wissen selektiert, fragmentiert, rekombiniert und neu organisiert.162 Im Akt der Übermittlung geschieht ein Umbau der topisch stabilisierten Wissensordnungen, der Elemente in bisher unbekannter Weise arrangiert. So kann es geschehen, daß das Programm des hermetischen Schweigegebots in geistlicher Erbauungsliteratur erscheint, hermetische Deutungsmuster im Rahmen bukolischer Texte in den Dienst sozialanthropologischer Erklärungsmodelle treten oder für die Konstruktion androgyner Geschlechtsidentität im Diskurs galanter Lyrik genutzt werden.163 Auch die topischen Ordnungsschemata, nach denen sich das enzyklopädisch verwaltete Wissen im 17. Jahrhundert zumeist noch gliedert, können daher in Tradierungszusammenhängen neu sortiert werden. Das Wesen dieses Neuarrangements ist dabei entscheidend mit dem Konzept des Mediums verbunden, in dem Traditionsprozesse stattfinden. Für topische Überlieferungsvorgänge sind die durch den ciceronischen Topikbegriff eingeführten loci communes maßgeblich, die es erlauben, das Gewußte an bestimmten Orten wiederzufinden und auf diese Weise abzurufen. Die kategoriale Ordnung des Wissens gewährleistet hier zugleich eine Verfügbarkeit, die Abweichungen nur innerhalb des Mediums der ›loci‹ zuläßt. Wird jedoch der topische Aneignungsvorgang im Rahmen eines literarischen Textes vollzogen, so kann es zu Verschiebungen innerhalb der Organisation selbst kommen, die weitreichender sind, als das im Zusammenhang der topischen Schulargumentation der Fall wäre. Das offenbart – zunächst im Sinne einer Arbeitshypothese – die Bedeutung des umformenden Mediums für den Prozeß des Wissenstransports. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt damit nicht nur die Kontinuität, sondern auch die Diskontinuität der Tradition, die aus der Selektivität des Überlieferungsprozesses und der Transformationsdynamik hervorgeht, von der er begleitet wird. Gemäß der einleuchtenden Formel des englischen Wissenschaftshistorikers James A. Secord wird die Reflexion von »science in context« substituiert durch die Aus161 Vgl. dazu Niklas Luhmann: Die Soziologie des Wissens: Probleme ihrer theoretischen Konstruktion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4 (s. Anm. 127), S. 151 – 181; für eine Übersicht ders.: Soziale Systeme (s. Anm. 129), S. 191 ff. 162 Auf diese drei Operationen kommt die Untersuchung immer wieder zurück. Grundlegend hierzu (in Bezug auf das Verhältnis zwischen Ganzem und Teil innerhalb der frühneuzeitlichen Epistemologie) Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 2, S. 912 ff. 163 Vgl. zum hier nicht nochmals aufgegriffenen Thema der Androgynie meine Studie: Von der Schönheit zerbrechender Ordnungen. Körper, Politik und Geschlecht in der Literatur des 17. Jahrhunderts, Göttingen 2007, S. 91 ff.

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einandersetzung mit »knowledge in transit«164 ; die Geschichte des Wissens offenbart sich in ihrer inneren Logik gerade dort, wo Umbrüche und Übergänge ans Licht treten. Wer in diesem Sinne eine nicht-teleologische Wissensgeschichte untersucht, hat es mit einer Vielzahl von Herausforderungen zu tun, die sich aus der (historisch hier unzuständigen, aber aus heuristischen Gründen zu markierenden) Sicht der Moderne als Paradoxien bezeichnen lassen. Zu ihnen gehört die Fundierung des Wissens jenseits eines emphatischen Entwurfs von Individualität, die Dynamisierung oder Historisierung von Wissen ohne gleichzeitige Konstruktion von Teleologie, die Entwicklung von Neuerungen ohne die Begriffe der Innovation, des Fortschritts oder des Paradigmas. Kennzeichnend ist dabei die Tatsache, daß sich die Wissensgesellschaft der Frühen Neuzeit nicht über Veränderungen, sondern über Rückgriffe auf den Bestand der Tradition in ihrem Bewußtsein und Autoritätsverständnis konstituiert. Durch die Ausrichtung auf die Dynamik von Übergängen, die formalen und methodischen Strukturen ihrer Organisation und die Begründung ihrer Praxis erschließt sich Wissensgeschichte in der Vormoderne als Geschichte von Veränderungen innerhalb von Wissensordnungen, die nicht programmatisch angestrebt, sondern über die Arbeit an strukturellen Verschiebungen – mit rezenten Begriffen formuliert – unterschwellig oder subkutan, subversiv oder paradox angebahnt und umgesetzt werden. Die epistemische Bewegung, die sich hier vollzieht, ist nicht programmatisch induziert, weil sie aus punktuellen Überlagerungen und Umschichtungen, aus Synthesen und Mixturen hervorgeht, deren intentionaler Impetus auf punktuelle Wirkungsfelder beschränkt bleibt. Weniger das jeweilige Gesamtsystem einer Wissensordnung soll hier verändert werden als vielmehr die Organisation einzelner Zeichen und Schemata. Daß Wissen weniger über Begriffe, Kategorien und Methoden als über strukturelle Ordnungsmuster kommuniziert wird, ist in der Forschung kaum umstritten. Günter Abel definiert diesbezüglich: »Wissensformen können als zeichen- und interpretationsbestimmte Formen der Artikulation und Darstellung angesehen werden.«165 Geht man von dieser Bestimmung aus, so wäre die literarische Wissensreflexion und -modellierung primär über die Formen zu erfassen, die sie prozessiert. Sie erscheinen in literarischen Texten auf unterschiedlichen Ebenen: als Strukturen der Gattungen bilden sie eine allgemeine Stufe, als Modelle des Stils, der Rhetorik gestalten sie stärker mikrologische Ausprägungen. Für die Frühe Neuzeit ist eine besonders massive Determination der literarischen Formen durch Regeln vorauszusetzen, da die schul- und normbildenden Gesetze der Poetik mit ihren auf die griechische und römische 164 James A. Secord: Knowledge in Transit, in: Isis 95 (2004), S. 654 – 672, S. 664. 165 Günter Abel: Zeichen der Wirklichkeit, Frankfurt / M. 2004, S. 325.

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Antike zurückgehenden rhetorischen Fundamenten besondere Bedeutung gewinnen. Literarisches Wissen ist die Gestaltung von Wissen durch die genau regulierten Prinzipien der Gattungen, Schreibstile und Muster, die das System der Poesie in der Frühen Neuzeit ausbildet.166 Der Blick konzentriert sich nachfolgend auf die Beschaffenheit der Literatur als Medium von Überlieferungsprozessen, die topische Wissensbestände festhalten, aber zugleich mit formalen Mitteln neu kombinieren. Konkret lauten die Fragen: Was bedeutet es für die Literatur, wenn sie im späten 16. und 17. Jahrhundert als Medium der Tradierung hermetischen Wisssens genutzt wird? Welches Verständnis poetischer Gattungen kommt hier ins Spiel und aus welchem Grund empfiehlt sich die Literatur überhaupt für die Reorganisation von Wissensbeständen, die jenseits des Schulkanons liegen? Und nicht zuletzt: Welche Veränderungsbewegungen vollzieht das tradierende Medium selbst im Prozeß der Überlieferung? Antworten auf diese Fragen müssen in der Lage sein, die Leistungen des literarischen Darstellungswissens zu erschließen, also jenes Vermögen eines fiktionalen Textes, das es ihm mit Hilfe seiner Gattungsfunktionen, Fiktionsangebote und Imaginationsstrukturen erlaubt, topisch gefaßtes Wissen auf eigenständige Weise – z. B. tropisch – zu gestalten.167 Die Frühe Neuzeit bildet für diese grundlgende, in der Literaturwissenschaft zuletzt mit großer Breitenwirkung (aber systematisch keineswegs überzeugend) erörterte Frage ein vorzügliches Anwendungsgebiet, weil poetische Texte hier in weitaus stärkerem Maße als in der Moderne an die Einheit des gelehrten Diskurses gebunden und seinen Spielregeln – den Ansprüchen auf Wahrheitssuche und Erkenntnis – unterworfen bleiben.168 Ihre Angebote, Wissen neu zu organisie166 Gegen Abel: Zeichen der Wirklichkeit (s. Anm. 165), S. 330 wäre hier zu betonen, daß für frühneuzeitliche Formen der Wissensentwicklung durchaus ›Dekretierungen von oben‹ denkbar sind; nicht immer verläuft der Prozeß hier über die Doxa – das Meinen – zur Episteme, sondern nicht selten auch über normativ-hierarchische Autorisierungen, die als allgemein verbindlich betrachtet werden. 167 Sehr zutreffend hier die Beobachtung in der Studie von Verena Olejniczak Lobsien, Eckhard Lobsien: Die unsichtbare Imagination. Literarisches Denken im 16. Jahrhundert, München 2003, S. 8. Die Verfasser betonen, daß die Imagination keine topische, sondern eine tropische Ordnung aufweise. 168 Diese Arbeit grenzt sich kritisch von der an Foucault geschulten, dezidiert antiteleogischen, auf diskursive Formen, nicht auf Wahrheitsbegriffe oder Erkenntniskategorien konzentrierten ›Poetologie des Wissens‹ ab, die Joseph Vogl und Nicolas Pethes für eine moderne, im späten 18. Jahrhundert einsetzende Wissensgeschichte entwickelt haben. Vgl. Joseph Vogl: Für eine Poetologie des Wissens, in: Die Literatur und die Wissenschaften 1770 – 1930, hg. v. Karl Richter und Jörg Schönert, Stuttgart 1997, S. 107 – 127; Joseph Vogl: Einleitung, in: Poetologien des Wissens, hg. v. Joseph Vogl, München 1999, S. 7 – 16; Nicolas Pethes: Literatur und Wissenschaftsgeschichte. Ein Forschungsbericht, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 28 (2003), Heft 1, S. 181 – 231; Nicolaus Pethes: Poetik / Wissen. Konzeptionen eines problematischen Transfers, in: Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800, hg. v. Gabriele Brandstetter und

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ren, lassen sich daher nicht als Beiträge zur Kompensation lebensweltlicher Zumutungen, Vorschein utopischen Bewußtseins oder kritischer Protest gegen verhärtete Rationalismen interpretieren169, sondern sind aus ihrer Verbindung mit den Ordnungen des Wissens selbst zu verstehen. Der methodische Vorzug, den die Analyse des Zusammenwirkens von Aussageformen und epistemischen Modellen erbringt, liegt im Gewinn an jener systematischen Genauigkeit, mit der die Literatur als eigener Ort der Wissensproduktion und Medium der technischen Reorganisation von Wissenstraditionen beschrieben werden kann.170 Nicht zuletzt dürfte es auf diese Weise gelingen, literatureigene diegetische Formen der Wissensdiskursivierung zu untersuchen, deren Analyse von Gerhard Neumann, Würzburg 2004, S. 341 – 372. Vgl. die kritische Intervention von Gideon Stiening: Am ›Ungrund‹ oder Was sind und zu welchem Ende studiert man ›Poetologien des Wissens‹?, in: KulturPoetik 7 (2007), Heft 2, S. 234 – 258 (problematisiert den bei Vogl zutage tretenden Verzicht auf eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Modellen der Historizität des Wissens, mit Wahrheitskategorien und Erkenntnisbegriffen, die er allerdings wiederum zu strikt als Bestimmungsgründe definiert). Gerade für die Frühe Neuzeit ist Vogls Modell ungeeignet, weil hier eine niedrige Schwelle zwischen formalen und inhaltlichen Kriterien einzelner Wissensdiskurse zu veranschlagen ist; wo keine normative Trenung zwischen akademischen und literarischen Darstellungsformen besteht, läßt sich die Auseinandersetzung mit den Aussagemodi des Wissens nicht derart isoliert betreiben, wie es die ›Poetologie‹ postuliert. Vgl. Joseph Vogl: Robuste und idiosynkratische Theorie, in: KulturPoetik 7 (2007), Heft 2, S. 249 – 258. 169 So Jochen Hörisch: Das Wissen der Literatur, München 2007, S. 18 ff. Hörischs Studie bietet das Musterbeispiel für eine theoretisch eklektische Verfahrensweise, die das ›Wissen der Literatur‹ (ähnlich wie die quellenhistorisch extrem selektiven Arbeiten Vogls) erst in der Moderne situiert. Kritisch zu solchen Ansätzen mein Beitrag: Beobachtungen dritter Ordnung. Literaturgeschichte als Funktionsgeschichte kulturellen Wissens, in: Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung?, hg. v. Walter Erhart (= Akten des DFG-Symposions Bad Irsee, September 2003), Stuttgart / Weimar 2004, S. 186 – 209; vgl. jetzt auch (mit wichtigen Korrekturen des Iserschen Modells des Imaginären und dem Hinweis auf ein fiktionsimmanentes implizites Wissen): Friedrich Vollhardt: Die interpretatorische Relevanz nichtfiktionaler Elemente in literarischen Texten der Frühen Neuzeit (Grimmelshausen), in: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters, hg. v. Ursula Peters und Rainer Warning, München 2009, S. 243 – 266, S. 252 ff. 170 Zu kurz greift hier Tilmann Köppe: Vom Wissen der Literatur, in: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 17 (2007), Heft 2, S. 398 – 424, S. 402 ff., der auf der Basis eines modaltheoretisch verengten Fiktionsbegriffs in Abrede stellt, daß literarische Texte ein eigenes, jenseits der Person des Autors liegendes Wissen organisieren und reflektieren können. Dazu die aus diskursanalytischer Perspektive formulierte, leider nur skizzenhaft bleibende Erwiderung von Roland Borgards: Wissen und Literatur. Eine Replik auf Tilmann Köppe, in: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 17 (2007), Heft 2, S. 425 – 428. Generell ist festzuhalten, daß literarische Texte aufgrund ihrer diegetischen und – allgemeiner – fiktionalen Mittel nicht nur personal zurechenbares Wissen verarbeiten; der Text weiß mehr als sein Autor, weil aus der Kombination einzelner Teile ein Neues entsteht, das die Grenzen dieses personalen Wissens überschreitet. Zur aktuellen Diskussion vgl. die Beiträge von Lutz Danneberg / Carlos Spoerhase sowie Claus-Michael Ort in: Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge, hg. v. Tilmann Köppe, Göttingen 2011, S. 29 – 76 bzw. S. 164 – 191.

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der Wissensgeschichtsschreibung gern vernachlässigt wird, ohne dabei ihren für die Frühe Neuzeit konstitutiven Bezug auf geltende epistemische oder religiöse Ordnungsmuster zu ignorieren.171 Umgekehrt bleibt mit Blick auf das Ensemble der hermetischen Diskursformation zu fragen, welche Funktion poetische Elemente innerhalb der Produktion arkaner Glaubenslehren besitzen. Die Analyse dieser Elemente hat sich jedoch auf die historisch einzigartige Beziehung von Wissenschaft, Religion und Literatur zu stützen, deren Berücksichtigung eine anachronistische Perspektive, wie sie Vogls ›Poetologie des Wissens‹ programmatisch riskiert, konsequent vermeiden hilft. Poetische Funktionen repräsentieren in gelehrten und religiösen Texten Elemente einer subordinierten diegetischen Praxis, umgekehrt Formen der Wissensreflexion in poetischen Texten Elemente einer nachgeordneten epistemischen Praxis.172 Möglich wird diese relative, Differenzen zulassende Nähe durch ein Wissenskonzept, das sich von den modernen Normen der Individualität, des Neuen (bzw. der Originalität), des Paradigmas und der Progressivität (bzw. Teleologie) fernhält.173 In seiner Nachbarschaft zu den Gegenständen der Überlieferung selbst balanciert es die Spannung zwischen einer deskriptiven und einer anachronistisch-theoretischen Begriffskonstruktion. Weil Tradition immer die Sache und die Quelle, res et fontes zugleich meint, ist sie ein ideales Konzept für die Analyse frühneuzeitlicher Wissenskonfigurationen. Mit Hilfe des Konzepts der Tradition lassen sich Beharrung und Dynamik in den Ordnungen des Wissens selbst fassen – als Konstellation einer relativen Beunruhigung, die in den Formen einer ›temporalisierten Komplexität‹ (Luhmann) sichtbar wird.174 Die »Disjunktion von Sachen und Worten« ist im Begriff der Tradition ebenso aufgehoben wie die »Disjunktion von Ursprung und Verfall«.175 Dergestalt avanciert das in ihm bezeichnete Konzept zu einem Instrument der Vergegenwärtigung von Sache und Quelle, von Phänomen und Ausgangspunkt als Elementen einer Wissensgeschichte, die sich unaufhörlich über ihren eigenen Anfängen fortbewegt – im Widerspruchsszenario einer statischen Dynamik, wie sie für die topische Organisation der frühneuzeuzeitlichen Episteme charakteristisch ist. Gerade in der komplizierten Spannung zwischen Einheit und Differenzierung entfaltet sich das Verhältnis von Poesie und Wissen im 16. und 17. Jahrhundert 171 Vgl. diesbezüglich den Forderungskatalog von Secord: Knowledge in Transit (s. Anm. 164), S. 667. 172 Hierzu mein Aufsatz: Beobachtungen dritter Ordnung (s. Anm. 169), S. 194 ff. 173 Vgl. über Wissen und Neuheit im 17. Jahrhundert Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft (s. Anm. 128), S. 218 ff., zur Kategorie der Individualität S. 126 ff. 174 Luhmann: Temporalisierung von Komplexität. Zur Semantisierung neuzeitlicher Zeitbegriffe, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 1 (s. Anm. 125), bes. S. 252 ff. 175 Blumenberg: Quellen (s. Anm. 152), S. 6.

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auf produktive Weise; denn die Kohärenz des humanistischen Diskurses, der beide Felder zusammenhält, schließt Momente einer funktionalen Differenzierung im Sinne der Ausbildung unterschiedlicher Dominanten nicht aus. Auf diese Relation ist nachfolgend zu achten, weil sie das Spezifikum der frühneuzeitlichen Wissensgesellschaft ausmacht. Die Gemeinsamkeit von Einheit und Unterscheidung zwischen Wissen und Poesie entsteht durch eine innere Organisation, die Dynamik nur innerhalb langsamer Substitutionsbewegungen vollzieht. Von einer solchen Konstellation gehen die Prozesse der Transformation aus, die hermetisches in poetisches Wissen verwandeln. Sie sind nun genauer zu beschreiben, und zwar zunächst über den Einsatzpunkt der Poetik, deren Denkmodelle einen ersten theoretischen Ort der Selbstverständigung über die literarische Wissensorganisation bilden können.

4. Das Imaginäre und der Logos. Hermetische Grundlagen der Poetik (Scaliger, Puttenham, Sidney, Opitz, Klaj, Birken, Neumark)

Zentrales Prinzip der hermetischen Lehre ist die Konstruktion ihres göttlichen Ursprungs, aus der sich der Offenbarungscharakter ihres Wissens als Weisheit ableitet. Die divinatorische Qualität aller Aussagen über den Logos, die Schöpfung, ihre Hierarchien und die Transmutationen ihrer Elemente, die das im folgenden als Zentraltext zugrunde gelegte Corpus Hermeticum in seinen 18 pseudepigraphischen Traktaten formuliert, vermittelt sich gemäß hermetischer Doktrin über die Inspiration.176 Sie verschafft den Schülern Einsicht in die Lehre des Hermes Trismegistos durch eine nicht streng systematisierbare Praxis der Kommunikation mit einer höheren Macht; zur Doxa zählt bereits an diesem Punkt der hermetische Spiritualismus, der nicht allein Inhalt – über das Prinzip des Logos –, sondern auch Form der Unterweisung – im Duktus intellektueller Approximation an den Schöpfer – ist. Von der für den Hermetismus leitenden Vorstellung der Inspiration führt ein Weg zur Theorie des Enthusiasmus, wie sie in diversen Poetiken der Frühen Neuzeit im Anschluß an Platon, Cicero und Marsilio Ficino diskutiert wird.177 Bereits die Dichtungslehren der Renaissance verhandeln den Enthusiasmus nicht selten als konstitutives Element der literarischen Produktivität; im 17. Jahrhundert erweitert sich nochmals das Fundament für eine über den Topos des furor poeticus entwickelte Lehre der Inspiration, die mit der programmatischen Funktionalisierung der Imagination verbunden wird.178 Zu dieser Erweiterung gehört dann sowohl die didaktische 176 Zur antiken Tradition des Inspirationsbegriffs und seiner Rezeption in der Renaissance Volkhard Wels: Begabte oder entrückte Dichter. Aristoteles 1455a 32 – 34 in den Kommentaren des 16. Jahrhunderts, in: Neulateinisches Jahrbuch. Bd. 8 (2006), S. 293 – 312. 177 Platon: Phaidros, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 4, S. 25 f. (244a–245a); Ion, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 1, S. 102 f. (533d–534b); Menon, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 2, S. 41 f (99c); Cicero: De oratore / Über den Redner (s. Anm. 107), S. 328 (II, 194); Marsilio Ficino: Lettere. Bd. 1: Epistolarum familiarum liber I, hg. v. Sebastiano Gentile, Florenz 1990, S. 19 – 28. Wesentlich für die Vermittlung der Kategorie sind auch Ficinos Übersetzungen von Platons Ion und Phaidros (Florenz 1484, erweitert nochmals 1496). 178 Zur Begriffsgeschichte vgl. Gottfried Hornig, Helmuth Rath: Art. ›Inspiration‹, in: Histo-

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Verarbeitung des Imaginationsbegriffs als auch die kritische Reserve, mit der manche Autoren dem Furor-Konzept begegnen. Die Auseinandersetzung mit möglichen hermetischen Tendenzen der frühneuzeitlichen Poetik muß folgerichtig über die Erschließung des Inspirationsbegriffs und die ihm eingeschriebene Basiskategorie der Imagination anlaufen. In der Forschung herscht seit geraumer Zeit Uneinigkeit darüber, ob der Terminus der Einbildungskraft topisch im Sinne der techn¦ oder topisch im Sinne heterodoxer (und darüber hinaus: sozialanthropologischer) Konzepte aufzufassen sei. Während Peter Cersowsky, Hans-Georg Kemper und Randolf Quade im inspirationstheoretischen Anteil der poetologischen Argumentation und der damit verknüpften Privilegierung der Imagination eine hermetische Tradition wirksam sehen179, hat Volkhard Wels in einer Reihe von Aufsätzen darauf hingewiesen, daß insbesondere die Bestimmung der Einbildungskraft im 17. Jahrhundert den aus der Rhetorik vertrauten Aspekt der technischen Beherrschung ins Zentrum stelle, folglich nicht religiös imprägniert sei.180 Die faszinierende Studie zur Imagination in der Literatur des elisabethanischen Zeitalters, die Verena und Eckhard Lobsien im Jahr 2003 vorgelegt haben, demonstriert jedoch die allgemeine Bedeutung, die den kulturprogrammatischen Hintergründen der Kategorie zufällt.181 An ihnen läßt sich zeigen, daß die Imagination das Fundament einer poetologischen Konzeption bildet, die das literarische Denken als realitätserzeugende Instanz faßlich macht.182 Wie stark

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risches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel. Bd. 4, Basel, Stuttgart 1976, Sp. 401 – 407; Dietmar Till: Art. ›Inspiration‹, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, gemeinsam mit Georg Braungart, Klaus Grubmüller, Jan-Dirk Müller, Friedrich Vollhardt und Klaus Weimar hg. v. Harald Fricke. Bd. II, Berlin / New York 2000, S. 149 – 152. Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 26 ff.; Hans-Georg Kemper : Religion und Poetik, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hg. v. Dieter Breuer, Wiesbaden 1995, Bd. I, S. 63 – 92, vgl. ders.: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4 / I (s. Anm. 5), bes. S. 56 ff., 163 ff. Volkhard Wels: Imaginatio oder Inventio. Das dichterische Schaffen und sein Gegenstand bei Puttenham, Sidney und Temple, in: Poetica 37 (2005), Heft 1 – 2, S. 65 – 91; ders.: Zur Vorgeschichte des Begriffs der kreativen Phantasie, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Bd. 50, (2005), S. 199 – 226; ders.: Rationalistische Begründung der Dichtung und Kritik des Enthusiasmus. Die Poetik Campanellas, in: Scientia Poetica 9 (2005), S. 14 – 38; ders.: ›Verborgene Theologie‹. Enthusiasmus und Andacht bei Martin Opitz, in: Daphnis 36 (2007), Heft 1 – 2, S. 223 – 294. Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), bes. S. 30 ff. Hier wird die Imagination im Sinne der nachfolgenden Ausführungen dezidiert epistemisch gefaßt. Vgl. dazu bereits meinen Beitrag: Zur Rolle der Einbildungskraft in der Literatur des 17. Jahrhunderts, in: Text und Kritik, hg. v. Heinz Ludwig Arnold. Sonderheft ›Barock‹, hg. v. Ingo Stöckmann, München 2002, S. 35 – 51; Wiederabdruck in: Alt: Von der Schönheit zerbrechender Ordnungen (s. Anm. 163), S. 9 – 29. Vgl. zur Bedeutung der Imagination jenseits der Poetik Daniela Watzke und Irmgard Müller : Gebrauch und Mißbrauch der Einbildungskraft in der Medizin des 17. und 18.

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gerade diese Seite frühneuzeitlicher Dichtungslehren an hermetische Deutungsmuster zurückgebunden ist, hat die Forschung bisher nicht hinreichend verdeutlicht – womöglich behindert durch den Umstand, daß man im Hinblick auf die poetologischen Quellen eine uneinheitliche und systematische Beschreibungen erschwerende Argumentationslage konstatieren muß. Bei ihrer Bewertung wäre a priori zu berücksichtigen, daß die Dichtungslehren der Frühen Neuzeit teils durch die Traditionen der antiken bzw. humanistischen Rhetorik und deren Ordnungsschemata, teils durch den Platonismus und dessen heterodox-spekulatives Potential bestimmt werden. – Zu beginnen ist mit einer Bestandsaufnahme, die im 16. Jahrhundert einsetzt, wobei in exemplarischer Konzentration dichtungstheoretische Traktate der italienischen Renaissance sowie die von ihnen angeregten englischen Poetiken George Puttenhams (1589) und Philip Sidneys (1580 – 82 / 1595) herangezogen werden.183 Es folgt eine Untersuchung deutschsprachiger Poetiken, deren Spektrum von Martin Opitz bis zu Sigmund von Birken reicht. Die italienische Renaissance hatte Platons Enthusiasmusbegriff durch Marsilio Ficinos Übersetzung des Phaidros kennengelernt, die 1492 abgeschlossen worden war. Über Ficino wandert das platonische Enthusiasmuskonzept auch in die Dichtungslehre und behauptet dort eine zentrale argumentative Bedeutung für die Beschreibung der mentalen Fertigkeiten, die den Akt literarischen Schreibens ermöglichen.184 Schon in Marco Girolamo Vidas De arte poetica (1517) läßt sich seine Spur identifizieren, wenn es im ersten Buch heißt, die Dichter der Antike hätten aus der Seele der Götter getrunken, um derart ihre höheren Einsichten zu empfangen: »Tum Solymum prisci vates, tum sacra Sybillae j Nomina divinas caeli in penetralia mentes j Arripuere, deumque Jahrhunderts, in: Ordnungen des Imaginären. Theorien der Imagination in funktionsgeschichtlicher Sicht (= Sonderheft des Jahrgangs 2002 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft), hg. v. Rudolf Behrens, Hamburg 2002, S. 89 – 116. Grundsätzlich Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt / M. 21997 [1995], S. 18 ff. 183 Für eine Übersicht vgl. immer noch August Buck: Italienische Dichtungslehren vom Mittelalter bis zum Ausgang der Renaissance, Tübingen 1952, vor allem S. 87 ff. (zur platonischen Enthusiasmuskonzeption). Instruktiv Heinrich F. Plett: Renaissance-Poetik: Zwischen Imitatio und Innovatio. In: Renaissance-Poetik. Renaissance Poetics, hg. von Heinrich F. Plett, Berlin / New York 1994, S. 1 – 20, sowie (in Bezug auf die hier nur kurz berührte italienische Tradition) August Buck: Poetiken der italienischen Renaissance. Zur Lage der Forschung, in: Renaissance-Poetik, S. 23 – 36, ferner Joachim Küpper: Zu einigen Aspekten der Dichtungstheorie in der Frührenaissance, in: Renaissance – Episteme und Agon. Für Klaus W. Hempfer anläßlich seines 60. Geburtstags, hg. von Andreas Kablitz und Gerhard Regn, Heidelberg 2006, S. 47 – 72. Diskussion der neueren Forschung bei: Jan-Dirk Müller und Jörg Robert: Poetik und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit – eine Skizze (s. Anm. 117), S. 25 ff. 184 Zur Herleitung aus der renaissanceplatonischen Fortführung der Lehre vom furor poeticus bei Marsilio Ficino vgl. Wels: Imaginatio oder Inventio (s. Anm. 180), S. 68 f.

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animis hausere furentes.«185 Es ist bezeichnend, daß Vida die poetische Eingebung auf ein ›Einflößen‹ (›addere‹) durch eine divinatorische Instanz zurückführt: »Dii potius nostris ardorem hunc mentibus addunt j Dii potius, felixque ideo qui tempora quivit.«186 Den Enthusiasmus weiterzureichen bleibt den Göttern (bzw. Gott) vorbehalten, die den Dichter am Pneuma, an der höheren Weisheit der Schöpfung teilhaben lassen. Dieser Vorgang weist eine irrationale Dimension auf, insofern er nicht durch den Menschen, sondern durch eine übergeordnete spirituelle Kraft veranlaßt wird. Der Poet erscheint als Gefäß, als willenloses Medium höherer Mächte – eine Vorstellung, die im Mittelalter vergleichbar auch die Beschreibung des Priestertums und der mystischen Frömmigkeit bestimmt. Francesco Robortellos Aristoteleskommentar – In librum Aristotelis arte poetica explicationes – formuliert 1548, gleichfalls unter Bezug auf Platon, daß der Enthusiasmus der Dichter durch die Inspiration Apolls angetrieben werde: Hoc ipsum, nisi doctus, sapiens, acutus, & ingeniosus prestare nemo potest; qui alienos mores ipse induat, & diuersorum hominum personam suscipiat, quasi fuimet ipsius oblitus, Hinc puto factum, vt diceret Plato in libro de furore PoÚtico, poÚtas non arte illa instrui, sed afflatu Apollonis, & musarum impelli, neq. PoÚtas tantum, sed etiam recitatores, & interpretes poÚtarum, non secus ac magnete cathenati anuli trahi solent; cum ipsa primum moueat vsque ad extremum; Extremum verý anulum Plato ait esse interpretem.187

Nur wenn Gott selbst inspiriert ist, kann er den Dichtern die für ihre Arbeit erforderliche Begeisterung vermitteln. Dieser Gedanke, den Robortello durch den Hinweis auf die Wirkung eines Magneten unterstreicht, ist mit dem hermetischen Topos des enthusiasmierten Schöpfers identisch, der sein Werk allein vollbringen kann, weil er seine spätere Qualität – Dynamik, Universalität – in größter Vollkommenheit repräsentiert. So heißt es im elften Traktat des Corpus Hermeticum, Gott verkörpere das Prinzip der universellen Bewegung, das sich durch den Akt der creatio den Erscheinungen mitgeteilt und in sie eingeschrieben habe.188 Analog dazu faßt Robortello die poetische Eingebung als Produkt eines seinerseits begeisterten Gottes, der die Phantasie des Dichters in 185 Marco Girolamo Vida: De arte poetica. Translated with commentary, & with the text of c. 1517 edited, by Ralph G. Williams, New York 1976, S. 38 (I, v.539 ff.). – Vidas Text zielt zwar primär auf die Unterweisung der Schüler und betrachtet die Poesie als erlernbares Handwerk, ähnlich wie Quintilian die Rhetorik (vgl. Vorwort des Herausgebers, S. XXXI), kennt jedoch daneben die entscheidende Differenz zwischen Redekunst und Dichtung, die durch die Leistung der Inspiration markiert wird. 186 Vida: De arte poetica (s. Anm. 185), S. 68 (II, v.404 f.); vgl. S. 70 (II, v.427 ff.). 187 Francesco Robortello: In librum Aristotelis arte poetica explicationes (1548). Poetiken des Cinquecento. Bd. 8, hg. v. Bernhard Fabian, München 1968, S. 3. 188 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 f. (Traktat XI).

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Schwingung versetzt. Pierre Ronsards Hynne de l’Autonne (1556) formuliert vergleichbar über die divinatorische Eingebung des Poeten im Zeichen des (platonischen) ›fureur d’esprit‹: En lieu des grans thresors et des richesses vaines j Qui aveuglent les yeux des personnes humaines, j Ma donna pour partage une fureur d’esprit, j Et l’art de bien coucher ma verve par escrit. j Il me haussa le cœur haussa la fantaisie, j M’inspirant dedans l’ame un don de PoÚsie j Que Dieu n’a conced¦ qu’ — l’esprit agit¦ j Des poignans aiguillons de sa Divinit¦.189

Inspiration ist in diesem Zusammenhang kein Resultat der Eingebung durch höhere Mächte, sondern Produkt der Partizipation am hermetischen Gott, dessen Begeisterung im poetischen Erfindungsakt wiederholt wird. Zwischen dem Poeten und Gott entsteht ein Stromkreis, dessen Zirkel durch den Enthusiasmus getrieben ist, den beiden miteinander teilen. Für die hermetisch gestützte Theorie des dichterischen Enthusiasmus gewinnt eine solche Genealogie außerordentliche Bedeutung, weil sie ein Erklärungsmuster anbietet, das im Neuplatonismus vergleichbar nicht existiert. Die Leistung der poetischen Imagination wird hier nicht auf das Modell einer Übertragungsleistung zurückgeführt, sondern aus dem Gedanken einer geistigen Gemeinschaft zwischen Autor und Schöpfer abgeleitet. Damit steigert sich gegenüber neuplatonischen Enthusiasmustheorien der Grad der Einheit zwischen erster und zweiter Welt, divinatorischer und poetischer Inspiration erheblich. Der hermetisch angeregte Begriff der poetischen Begeisterung rückt den Dichter so unmittelbar wie möglich in die intellektuelle Nachbarschaft zu Gott, ohne jedoch das Verfahren der dichterischen Eingebung mit dem Rausch und der Entrückung zu identifizieren. Legitimiert wird dieses Verfahren durch das hermetische Logoskonzept, das die Inspiration in den Dienst der Erkenntnis stellt und damit jenseits einer irrationalen Deutungsebene lokalisiert. Während Vida und Robortello – ähnlich wie nach ihnen auch Fracastoro und Patrizi190 – explizit an Platon bzw. Ficino anschließen, richtet sich die einflußreiche Poetik Iulius Caesar Scaligers (1561) eher am Ordnungssystem der Rhetorik aus, was zu einer stärkeren Gewichtung gattungspoetischer Normierungen und einer Relativierung dichtungspsychologischer Argumentationsmuster führt. Zwar bietet Scaliger am Anfang einen Abriß der seit der Antike topischen Bestimmungen des Dichters, geht jedoch auf die Kategorie des En189 Pierre de Ronsard: Hymne de l’Autonne (1556), in: Œuvres complÀtes. Êdition ¦tablie, present¦e et annot¦e par Jean C¦ard, Daniel M¦nager et Michel Simonin. 2 Tomes, Paris 1993 – 94, Tome II, S. 559 – 570, S. 559. 190 Girolamo Fracastoro: Naugerius sive de poetica dialogus, Venetiis 1555; Francesco Patrizi: Della Poetica, Ferrara 1586. Zum Status des furor poeticus bei Fracastoro August Buck: Italienische Dichtungslehren vom Mittelalter bis zum Ausgang der Renaissance (s. Anm. 183), S. 96, zu Patrizi vgl. die nachfolgende Argumentation.

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thusiasmus zunächst nicht ein. Die Regeln der Poesie werden, betont Scaliger, ähnlich wie die geheimen Lehren der griechischen Ärzte, der Pythagoräer, Druiden und Chaldäer, auf arkane Weise weitergereicht. Dieser Überlieferungszusammenhang sorge dafür, daß nicht nur der Dichter selbst, sondern auch derjenige, der sein Werk tradiere, Ruhm erlange. Es ist eine verschworene Gemeinschaft Wissender, die hier von Scaliger als collegium poetarum beschrieben wird: »Quare quibus artibus sese reddunt immortales, iisdem illos quoque quos celebrant consecrant immortalitati.« (»Deshalb weihen sie auch mit denselben Künsten, mit deren Hilfe sie sich unsterblich machen, diejenigen, die sie feiern, der Unsterblichkeit.«)191 Man kann deutlich erkennen, daß Scaliger an diesem Punkt einen Konnex zwischen der Dichtkunst und einem geheimen Wissen herstellt, das über die Zirkel Eingeweihter transportiert wird. Voraussetzung dafür, daß die Poesie arkane Weisheiten lancieren kann, ist eine göttliche Eingebung, die Scaliger unter zunächst sehr lakonischem Hinweis auf Aristoteles’ Anmerkungen zur Leidenschaftlichkeit und Phantasiebegabung des Dichters ins Spiel bringt.192 Betont wird, daß die Seele des Poeten einem Gefäß gleich divinatorische Einsichten in sich aufzunehmen vermöge (die Muse sei eine Göttin der Erinnerung, erklärt Ronsards Abbreg¦ de l’art poetique franÅoys von 1565193). Der Prozeß, der dabei abläuft, entspricht der religiösen Inspiration, wie sie der vierte Traktat des Corpus Hermeticum mit ähnlicher Metaphorik beschreibt; die Schöpfung erinnert Hermes zufolge an einen »Mischkrug«, in den der Mensch eintauchen darf, um am Logos – dem reinen Geist der von Gott gezeugten Natur – teilhaben zu dürfen.194 Bei Scaliger heißt es: »Per poesin autem reflectitur anima in seipsam atque promit e caelesti suo penu, quod divinitatis inest, quae pars ne perpetuis quidem haustibus exhauriri potest.« (»Durch die Dichtung wird die Seele auf sich selbst zurückgeworfen und holt aus ihrem himmlischen Vorrat hervor, was sie an Göttlichkeit enthält; dieser Teil kann nicht einmal durch ständiges Schöpfen ausgeschöpft werden.«)195 Scaligers Formulierungen legen einen Bezug zur hermetischen Inspirationslehre nahe, 191 Iulius Caesar Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst, hg., übers., eingel. u. erl. v. Luc Deitz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, Bd. I (Buch 1 und 2), S. 78 f. (lib. 1, cap. 2). – Zu diesem Kapitel auch die folgenden Ausführungen. 192 Aristoteles: Poetik. Griechisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 54 (Kap. 17, 1455a); Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), S. 80 f. 193 Pierre de Ronsard: Abbreg¦ de l’Art poetique franÅoys (1565), in: Œuvres complÀtes (s. Anm. 189), Tome II, S. 1174 – 1189, hier S. 1180 (»Tu ne commenceras jamais le discours d’un grand poÚsme, s’il n’est esloign¦ de la memoire des hommes, et pour ce tu invoqueras la Muse, qui se souvient de tout, comme D¦esse, pour te chanter les choses dont les hommes ne se peuvent nullement souvenir.«). 194 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 49 (Traktat IV). 195 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. I, S. 80 f.

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deren Fundament gerade die Idee der Affinität des eingeweihten Gläubigen zu einer durch göttlichen Logos hervorgebrachten Schöpfung bildet. Wenn die Seele des Dichters von divinatorischem ›Vorrat‹ bestimmt ist, korrespondiert das diesem Modell ebenso wie der Gefäßmetaphorik, die der vierte hermetische Traktat benutzt, um die göttliche Qualität der exklusiven Vernunfterkenntnis zu bezeichnen.196 Nicht zu vergessen ist hier, daß das hermetische Schöpfungsprinzip Gott als stetig kreativen Ausgangspunkt aller Dinge zeigt, die er durch Zeugung, vermittelt über den Demiurgen, aus sich entläßt. Diese Deutung spiegelt sich in der Auffassung der Seele als ›Gefäß‹, das den Vorrat für den Zeugungsakt bildet; analog dazu ist der Dichter als Begeisterter die Kraft, die das Werk durch die Energien seines Geistes erschafft. Die hermetisch-theologische Basis für die poetologische Theorie tritt gerade dort sichtbar hervor, wo die dichterische Arbeit mit den Metaphern des Flüssigen umschrieben wird; als Erzeuger tritt der Poet in den Kreislauf einer gleichsam organisch-naturhaften Logik ein, wie sie die hermetische Schöpfungsmythologie prägt. Das Sinnbild des Fluiden, das hier den Prozeß der göttlichen Inspiration charakterisiert, steht in Gegensatz zur Topik des Feuers, mit deren Hilfe Cicero in De oratore unter Rekurs auf Demokrit (Fragment 18 B) und Platons Phaidros den poetischen Enthusiasmus kennzeichnet: »Saepe enim audivi poetam bonum neminem – id quod a Democrito et Platone in scriptis relictum esse dicunt – sine inflammatione animorum exsistere posse et sine quodam adflatu quasi furoris.«197 Beide Metaphern illustrieren je unterschiedliche Seiten der dichterischen Begeisterung, die keineswegs reibungsfreie Komplemente bilden. Das Wasser (das die Poetiken des 17. Jahrhunderts gelegentlich als Wasser eines Springbrunnens beschreiben werden) steht für den naturhaften Kreislauf von Nehmen und Geben, für die Zirkularität der Inspiration, die, von Gott (oder den Göttern) ausgehend, in den Menschen dringt; diese Bedeutung akzentuiert bereits die Krugmetaphorik des vierten hermetischen Traktats. Das Feuer – das auch Quintilian mit der Wirkung des Enthusiasmus vergleicht198 – meint dagegen eine heftige, von schroffen Impulswechseln bestimmte Form der Eingebung, die, gleichfalls göttlich veranlaßt, den Dichter in eine Zone der Ekstase entrückt, in der er nicht Herr seiner selbst ist. Die Spaltung des Enthusiasmusbegriffs in bonam et malam partem, die sich bereits in Platons Ion vorsichtig andeutet199, 196 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 49 f. (Traktat IV). 197 Cicero: De oratore / Über den Redner (s. Anm. 107), S. 328 (II, 194). 198 Marcus Fabius Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XII / Ausbildung des Redners 12 Bücher, hg. u. übers. v. Helmut Rahn. Lateinisch / Deutsch, Darmstadt 1972, VI, 2,28 (mit dem Hinweis, daß nur Feuer einen Brand entfachen, nur echte Begeisterung rhetorische Begeisterung erzeugen könne; S. 707 f.). Zu Quintilians Enthusiasmusbegriff Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 285 f. 199 Platon: Ion, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 1, S. 102 f. (533d–534b).

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manifestiert sich im metaphorisch konstruierten Gefälle der beiden Bestimmungen. Der Konnex zwischen Enthusiasmuslehre und Hermetismus wird ebenfalls signifikant in Francesco Patrizis Abhandlung Della Poetica (1586). Patrizi gab wie erinnerlich im Jahr 1591, kurz vor seinem Wechsel von der Universität Ferrara nach Rom, unter dem Titel Nova de universiis philosophia eine gegenüber den Übertragungen von Ficino und Lazzarelli erweiterte Edition der Traktate des Hermes Trismegistos und des Asclepius-Dialogs heraus. Insofern war er mit den zentralen Elementen hermetischen Denkens, insbesondere mit dessen Logostheologie – der Idee der Schöpfung aus dem Geist Gottes – gut vertraut. In seiner Poetik bemerkt er durchaus konventionell, daß Enthusiasmus, natürliche Begabung und Kunstfertigkeit den Dichter bestimmten (»Furore, Natura, ed Arte«).200 Seine Arbeit wird gemäß dem Topos vom poeta vates als die eines ›Propheten‹ beschrieben, der seine Weisheit durch Gott empfange. Seine Hervorbringungen wiederum sind Produkte eines umfassenden Wissens, dessen Quelle gleichfalls in der spirituellen Eingebung liegt.201 Was Patrizi über die poetische Inspiration notiert, korrespondiert dem Schöpfungsgedanken des zentralen elften hermetischen Traktats, der erklärt, daß Gott das Prinzip permanenter und dadurch auch universeller Produktivität repräsentiere.202 Erneut tritt hier eine Analogiekonstruktion zutage, die den Zusammenhang von poetologischer Enthusiasmustheorie und hermetischer Schöpfungsidee sichtbar macht: der Dichter handelt, wenn er arbeitet, im Bann eines Gottes, der seinerseits als Kreator der Welt einem Künstler mit Lust an der Gestaltung gleicht. Für die Geschichte der Poetik wird neben der positiv besetzten, durch die Metaphern des Fluiden bezeichneten Inspiration – »Dona deum Musae«203 heißt die Formel bei Vida – eine negativ konnotierte Bedeutung relevant, die Eingebung als durch Rauschmittel geförderte Entrückung, als Kontrollverlust und Wahnsinn faßt. Scaliger unterscheidet dem gemäß in der Reihe der vom Enthusiasmus beherrschten Dichter die, deren Gemüt vom Himmel, und jene, deren Kopf vom Wein berauscht ist. »Primus est theologorum, cuiusmodi Orpheus und Amphion, quoeum opera tam divina fuerint, ut brutis rebus etiam mentem addidisse credantur.« (»Die erste Gruppe ist die der Theologen; ihr 200 Francesco Patrizi: Della Poetica, ed. a cura di Aguzzi Barbagli. Vol. I–III, Firenze 1969 – 1971, Vol. I, S. 24. Zit. nach der Ausgabe: Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock, hg. v. August Buck, Klaus Heitmann und Walter Mettmann, Frankfurt / M. 1972, S. 127. 201 Patrizi: Della Poetica, in: Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock (s. Anm. 200), S. 126. 202 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 126 f. (Traktat XI). 203 Vida: De arte poetica (s. Anm. 185), S. 36 (I, v.515).

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gehören Orpheus und Amphion an, deren Dichtung so göttlich waren, daß es von ihnen heißt, sie hätten sogar unbelebte Dinge mit Geist erfüllt.«)204 Zur zweiten Sektion zählt Scaliger dagegen die philosophisch geschulten Poeten, die ihre Eingebung gern durch Rauschmittel befeuern, etwa Empedokles, Nicander und Lukrez. Hinter der Differenzierung der beiden Typen steht offenkundig eine wertende Perspektive, die davon ausgeht, daß der Enthusiasmus göttlich vermittelt (und damit magisch) oder diesseitig determiniert (und damit so kurzlebig wie profan) sein kann. Für Scaliger besteht kein Zweifel daran, daß in der Vergangenheit Dichter existierten, die ihre Inspiration von den Göttern empfingen, ohne sich des Weins bedienen zu müssen. Auch wenn die Poetices libri septem sich primär als Lehrwerk verstehen, das Vorschriften für das Verfassen literarischer Texte vermitteln möchte (»Poetice vero scientia, id est habitus ex dispositione praeceptionum quibus docemur ad confirmationem hanc quam poesin appelamus«205), bleibt diese Bestimmung zentral für das im Hintergrund stehende Wissen über den göttlichen Horizont der Dichtung. Scaligers sonst schulgerechte, stark an den Mustern der Rhetorik orientierte Argumentation legt damit eine Spur zum Hermetismus als Fundament einer inspirationstheoretisch begründeten Literaturkonzeption, wie wir ihr im späten 16. und 17. Jahrhundert mehrfach begegnen werden. Die Voraussetzung für die Integration hermetischer Interpretamente in die Poetik bildete die Ablösung vom strikten Aristotelismus, der die Dichtungslehren der italienischen Renaissance von Vida über Robortello bis zu Minturno und Castelvetro beherrscht.206 In seinem Schatten war für eine ausgeweitete Enthusiasmustheorie kaum Platz; bezeichnend scheint, daß erst die englische Poetik des späten 16. Jahrhunderts,

204 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. I, S. 84 ff. 205 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. I, S. 90. 206 Vgl. neben den bereits genannten Texten von Vida und Robortello als Beispiele für den Aristotelismus: Antonio Sebastiano Minturno, L’arte poetica (1564) und Francesco Castelvetro: Poetica D’Aristotele vulgarizzata e sposta (1576). Robortello (Poetiken des Cinquecento. Bd. 8, hg. v. Bernhard Fabian, München 1971) meidet den Umgang mit dem Enthusiasmusbegriff völlig, berührt kurz das Problem der natürlichen Begabung (S. 1 f.) und konzentriert sich statt dessen auf Aspekte der Gattungslehre; Castelvetros Poetik (A cura di Werther Romani, Roma / Bari 1978) folgt streng der Chronologie der aristotelischen Vorlage und formuliert daher, in Übereinstimmung mit ihr, keine explizite Aussage über den Enthusiasmus. Symptomatisch geradezu der sehr knapp geratene Kommentar zu Absatz 1448b, 20 – 24 der Poetik (Vol. I, S. 103), der lapidar die Bedeutung der Bagabung für die dichterische Arbeit erwähnt; anders als in vergleichbaren Fällen verzichtet Castelvetro hier auf eine vertiefende Erläuterung und beschränkt sich auf eine bloße Paraphrase des aristotelischen Textes. – Zum Aristoteles-Einfluß Müller und Robert: Poetik und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 117), S. 26 ff.

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die Aristoteles nicht mehr als ausschließliche Autorität betrachtete, auf diesem Terrain neue Wege beschritt. Typisch ist hier George Puttenhams The Arte of English Poesie (1589), die Robortello und Scaliger im Detailierungsgrad deutlich übertrifft, wo es um Fragen des Enthusiasmus und der Imagination geht.207 Puttenham bietet die genaueste Auseinandersetzung mit den mentalen und kognitiven Voraussetzungen der poetischen Produktivität, die man am Ende des 16. Jahrhunderts überhaupt finden kann. Sein Text bildet in formaler und argumentativer Hinsicht das Muster für zahlreiche nachfolgende Abhandlungen, so für Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Im Exordium betont Puttenham, der Poet (»as a maker«208) gleiche Gott darin, daß er eine eigene Welt erfinde: »Euven so the very Poet makes and contriues out of his owne braine both the verse and matter of his poeme, and not by any foreine copie or example, as doth the translator, who therefore may well be sayd a versifier, but not a Poet.«209 An der Analogie zwischen dem Poeten und dem schaffenden Gott läßt Puttenham keinen Zweifel: »It is therefore of Poets thus to be conceiued, that if they be able to deuise and make all these things of the selues, without any subiect veritie, that they be (by maner of speech) as creating gods.«210 Zu den besonderen Qualitäten des Dichters gehören Eingebung (»instinct diuine«) und die Fähigkeit zur Versenkung (»deepe meditation«).211 Neben die hier benannte göttliche Inspiration (»the Platonicks call it furor«212) treten drei weitere Quellen für das poetische Vermögen: natürliche Begabung aufgrund temperamentsspezifischer Anlagen (»by excellence of nature and complexion«), herausragende Schärfe des Verstandes (»great subtilitie of the spirits & wit«) und empirische Weltkenntnis jenseits purer Gelehrsamkeit (»experience and obseruation of the world«).213 Puttenham unterscheidet zwischen der unkontrolliert wuchernden und der formenden Imagination. Während die erste Version dem Trunkenen eigen207 Vgl. zur Bedeutung der Imagination in der englischen Renaissanceliteratur Harry Berger Jr.: Second World and Green World. Studies in Renaissance Fiction-Making, Berkeley / Los Angeles / London 1988, S. 10 ff. 208 George Puttenham: The Arte of English Poesie. Contriued into three Bookes: The first of Poets and Poesie, the second of Proportion, the third of Ornament, London 1589, S. 1. 209 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 1. Vgl. zur Differenz von Natur und Kunst in Puttenhams Literaturkonzept Derek Attridge: Puttenham’s Perplexity : Nature, Art, and the Supplement in Renaissance Poetic Theory, in: Literary Theory / Renaissance Texts, ed. Patricia Parker and David Quint, Baltimore / London 1986, S. 257 – 279. 210 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 2. 211 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 4. 212 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 1. 213 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 1. Vgl. auch die nachfolgende Auflistung der Kriterien: Talent (›instinct naturall‹), ausgedehntes Erfahrungswissen (»by their experience«) und Nachahmungsfähigkeit (»by any president or patterne layd before them«) (S. 2). Dazu Wels: Imaginatio oder Inventio (s. Anm. 180), S. 72.

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tümlich ist, der die Realität durch seine Trugbilder ersetzt, gleicht die zweite Variante einem Glas, das den Gegenstand schöner und konzentrierter hervortreten läßt. For as the euill and vicious disposition of the braine hinders the sounde iudgement and discourse of man with busie & disordered phantasies, for which cause the Greekes call him pgamtastijos, so is that part being well affected, not onely nothing disorderly or confused with any monstruous imaginations or conceits, but very formall, and in his much multiformitie vniforme, that is well proportioned, and so passing cleare, that by it as by a glasse or mirrour, are represented vnto the soule all maner of bewtifull visions, whereby the inuentiue parte of the mynde is so much holpen, as without it no man could deuise any new or rare thing …214

Puttenham läßt es an Deutlichkeit nicht fehlen, wenn es um eine Bewertung dieser beiden Spielarten der Vorstellung geht. Die phantastische Imagination stiftet Chaos und bleibt das Produkt einer Verrückung der Sinne, die böse und sündhaft (»euill and vicious«) ist. Allein die zweite Variante entspricht der göttlichen Eingebung, von der auch die hermetischen Traktate handeln.215 Puttenham faßt ihre Leistung in einer knappen Definition zusammen, die, anders als Platons Bestimmung des furor poeticus, durchaus apologetische Tendenz zeigt: »Euen so is the phantasticall part of man (if it be not disordered) a representer of the best, most comely and bewtifull images or apparances of thinges to the soule and according to their very truth.«216 Während die unsortierte Einbildungskraft monströse Erfindungen produziert, erzeugt die wohlgeordnete Imagination ein Modell der Schöpfung, das deren innere Wahrheit als Widerschein seiner göttlichen Genese repräsentiert. Der Gegenstand dieser Art von imaginativer Praxis ist der Logos, das hermetische Dipositiv der Schöpfungstheologie; im Fall der ›phantastischen‹ Imagination ist es dagegen der Wahnsinn. Die von Puttenham vorgelegte Typologie der Formen führt im Detail, wie Verena und Eckhard Lobsien gezeigt haben217, zu einer Abstufung von göttlicher und dichterischer Schöpfung. Gott, so kann man schon in der Exposition lesen, arbeitet ohne Einbildungskraft, da das von ihm kreierte Werk kein Beispiel und Muster kennt (»without any trauell to his diuine imagination, made all the world of nought«218). Dagegen bedeutet der poetische Schöpfungsakt eine Nachah214 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 14. 215 Zur Dichotomie von schlechter – pathologischer – und reiner – schöpferischer – Einbildungskraft vgl. Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 42 ff. 216 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 15. Vgl. Platon: Phaidros, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 4, S. 25 f. (244a–245a). 217 Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 43 f. 218 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 1.

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mung dieser voraussetzungsfreien creatio ex nihilo, die gleichzeitig Antrieb und Werk, Produktion und Produkt ist. Die poetische Schöpfung bleibt immer Schöpfung zweiter Ordnung und auch dort, wo sie in relativer Freiheit operiert, ein Akt der imitatio. Gerade deshalb kann Puttenham – mit beträchtlicher Folgewirkung für die Poetik des 17. Jahrhunderts – die Poesie als Medium einer Weisheit beschreiben, die ein Wissen über den göttlichen Kosmos vermittelt, ohne deren Unbedingtheit zu repräsentieren.219 An diesem Punkt läßt sich die hermetische Konzeption der Dichtungstheorie erkennen. Sie ist dort gegeben, wo die Literatur als Schöpfung zweiter Ordnung zum Spiegel jenes absoluten Logos avanciert, der die ganze Natur hervorbrachte.220 Gott, heißt es im fünften Traktat des Corpus Hermeticum, ist nur über sein Werk wahrzunehmen, bleibt aber selbst unsichtbar. Wer ihn preisen möchte, muß seinerseits über eine vorzügliche Vorstellungskraft verfügen, wie es der Prosa-Hymnus am Ende des Traktats hervorhebt. Er thematisiert nicht nur das Muster der wahren Anbetung Gottes, sondern bezeichnet in seiner äußeren Form auch das Beispiel einer sprachlich vollzogenen imitatio creationis, die Puttenham im Auge hat, wenn er den Poeten als Schöpfer zweiter Ordnung charakterisiert.221 Puttenham war mit hermetischen Lehren vermutlich durch seine in frühen Jugendjahren unternommenen Reisen nach Italien, aber auch durch seine Bekanntschaft mit dem Spiritualisten John Dee vertraut geworden.222 Als weiterer Vermittler muß Giordano Bruno gelten, dem Puttenham persönlich begegnete, als er sich zwischen 1583 und 1585 in Oxford bzw. London aufhielt, um dort u. a. seine Schrift De la causa, principio e uno abzuschließen. Bruno, der sich mit Fragen der hermetischen Naturphilosophie befaßte, dürfte Puttenham – ebenso wie zur selben Zeit Philipp Sidney – in die Lehren des Poimander eingeführt haben.223 Die Elemente hermetischen Denkens, die er hier kennenlernte, werden jedoch in The Arte of English Poesie so umgeformt, daß sie als Bestandteile des dichtungstheoretischen Systems fungieren. Mit dem oben zitierten Hinweis auf den Komplex der Weisheit befindet man sich an einem Punkt, der die Über219 Diese Besonderheit entgeht der an modernen literaturtheoretischen Kategorien – z. B. Derridas Kritik der sprachlichen Repräsentation – ausgerichteten Analyse von Attridge: Puttenham’s Perplexity (s. Anm. 209), S. 259 ff. 220 Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 45. 221 Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 62 f. (Traktat V). 222 Henry S. Turner : The English Renaissance Stage. Geometry, Poetics, and the Practical Spatial Arts in England 1580 – 1630, Oxford 2006, S. 119 ff. 223 Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (s. Anm. 18); vgl. die (gekürzte) deutsche Ausgabe: Frances A. Yates: Giordano Bruno in der englischen Renaissance. Übers. v. Peter Krumme, Berlin 1989, S. 24 ff. (über Bruno in England). Zum englischen Textbestand vgl. die Ausgabe von Brian P. Copenhaver (Ed.): Hermetica. The Greek ›Corpus Hermeticum‹ and the Latin ›Asclepius‹ in a new English translation, with notes and introduction, Cambridge 1992.

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führung hermetischer Interpretamente in die poetologische Argumentation klar markiert. Der Dichter, so betont Puttenham, sei in der menschlichen Kulturgeschichte als erster Gelehrter in Erscheinung getreten (»the Poets were the first Philosophers, the first Astronomers and Historiographers«).224 Sein bildhafter Stil habe die Weisheiten der göttlich angeregten Naturlehren geschmückt, seine Redefähigkeit die Menge überwältigt, seine Musikalität dem Ohr geschmeichelt. Die Sprache der Poesie ist laut Puttenham in besonderer Weise geeignet, die geheimen Weisheiten, die Gott in der Schöpfung versenkt hat, zu offenbaren: Euven so it became that the high mysteries of the gods should be reuealed & taught, by a maner of vtterance and language of extraordinarie phrase, and briefe and compendious, and abouve al others sweet and ciuill as the Metricall is.225

Damit gewinnen die strukturellen Qualitäten der Dichtkunst – metrische Struktur, Reim, tropische Ordnung – ihre eigentliche Funktion aus der Nähe zur spirituellen Bedeutungsdimension, die sie vermittelt. Dem göttlichen Inhalt entspricht – wie im Fall der biblischen Davidspsalmen – eine artifizielle Form mit hohem technischem Schwierigkeitsgrad. Wenn die Poesie die ›erste Rhetorik der Welt‹ ist (»the first Rhetoricke of the world«226), dann spiegelt gerade dieser Ursprungscharakter des literarischen Systems seine divinatorische Qualität. Zum Werkzeug des göttlichen Logos gerät die Poesie, weil ihre Stilmittel so alt wie die Sprache Gottes sind. Die hermetische Tendenz dieser Bestimmung tritt vor allem dort zutage, wo sie die Literatur auf das Dolmetschen verborgener Geheimnisse des Glaubens verpflichtet. Die Form der Dichtung ist der Modus ihrer idealen geistigen Dynamik, die eine Annäherung an ihren Gegenstand, die Natur als Werk Gottes, erst ermöglicht. Die Poetik begründet hier ihr Regelregister aus einem normativen Anspruch, der den metrisch organisierten Text als Produkt einer Übersetzung göttlicher Weisheit in dichterische Strukturen begreift. Die Bestimmung des sprachlichen Inventars poetischer Werke stützt sich nicht auf die mechanische Auflistung der unterschiedlichen, zumeist aus der Rhetorik bekannten Stilmittel, sondern erlangt bei Puttenham als Philosophie der Form eine qualitativ neue Dimension. Wieder ist hier die Nähe zur hermetischen Lehre offenkundig. Im zwölften Taktat erklärt der Gott Hermes seinem Sohn Tot: Gott hat folgende zwei Dinge dem Menschen im Gegensatz zu allen anderen sterblichen Lebewesen geschenkt, den Geist und den Logos, beide gleich wertvoll für die Unsterblichkeit; den Logos aber, der (als gesprochenes Wort) aus dem inneren hervor224 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 5. 225 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 6. 226 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 6.

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geht, besitzt er (von sich aus). Wenn ein Mensch sie (Geist und Logos) dazu benutzt, wozu man sie benutzen soll, wird sich bei ihm kein Unterschied zu den Unsterblichen finden lassen.227

Puttenham umspielt den Topos der Gottähnlichkeit des Menschen, der ihm durch John Dees prisca philosophia vertraut war228, vor allem dort, wo er die Poesie als Medium schildert, das durch seine schöne Form der Weisheit der Schöpfung nahekommt. Ist in der hermetischen Lehre der Logos die Kraft, die das Werk Gottes gleichzeitig ermöglicht und bestimmt, so bleibt es laut Puttenham der Ordnung der poetischen Sprache vorbehalten, den Konnex von Zeichen und spirituellen Erscheinungen sicherzustellen. Die signa der Poesie bergen die geistige Bedeutung der göttlichen res, und zwar durch die Form, in der sie materiell wirksam werden. Über sie spiegelt sich jedoch nicht nur das Vorbild – das Dargestellte –, sondern, wie man durch Puttenham erfährt, auch das Medium selbst, die Poesie. Die von Puttenham entwickelten Topoi tauchen vergleichbar in Philipp Sidneys um 1580 verfaßter Defense of Poesie wieder auf. Der Dichter erscheint als »Maker«, als Dolmetscher der ältesten Weisheiten (»right populer Philosopher«), was ihn zum Herrscher über die Wissenschaften macht: »Now therein of all Sciences I speake still of humane (and acording to the human conceit) is our Poet the Monarch.«229 Die gelehrten Kenntnisse seines Autors setzt der literarische Text über die rhetorische Konzeption des Movere-Prinzips um. Der Dichter vermittle Einsichten, so heißt es, weniger durch Belehrung als durch Bewegung des Gemüts, was letzthin effizienter sei: »And that mooving is of a higher degree then teaching …«230 Die Grundlage des poetischen Wissens bildete in früheren Zeiten eine göttliche Eingebung, die das literarische Werk zum Speicher höheren Wissens werden ließ. Das Muster solcher Eingebung sind für Sidney die Orakelsprüche von Delphi, deren Form die Aufladung durch diese höhere Weisheit verrieten (»some divine force in it«231). Zwar ist das Privileg der unmittelbaren Inspiration durch Gott allein biblischen Zeiten vorbehalten (ein 227 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 152 f. (Traktat XII). 228 Zu Dee Klaus Reichert: Von der Wissenschaft zur Magie: John Dee, in: Der Magus. Seine Ursprünge und seine Geschichte in verschiedenen Kulturen, hg. v. Anthony Grafton und Moshe Idel, Berlin 2001, S. 87 – 106, S. 90 f. 229 Philip Sidney : Defence of Poesie, in: Prose Works, ed. by Albert Feuillerat, Cambridge 1962, Vol. III, S. 3 – 46, S. 7, 16, 19. Zu Sidneys Poetik Turner : The English Renaissance Stage (s. Anm. 222), S. 82 ff.; vgl. auch Quade: Literatur als hermetische Tradition (s. Anm. 11), S. 51. Hermetische Elemente bei Sidney führt Quade auf dessen persönliche Bekanntschaft mit Giordano Bruno und dem ›Magier‹ des elisabethanischen Zeitalters, John Dee, zurück (ebd.). Vgl. zu Sidneys Poesiekonzeption Lobsien, Olejniczak Lobsien: Elisabethanische Imaginationen, in: Ordnungen des Imaginären (s. Anm. 182), S. 33 – 68, bes. S. 36 ff. 230 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 19. 231 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 6.

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Argument, das Sidney von Scaliger übernimmt), doch schafft der Autor der Gegenwart einen Ersatz, indem er durch seine imitatio naturae den Geist der Schöpfung zu erfassen sucht. Sidney unterscheidet drei Varianten der Dichtkunst, die systematisch und historisch zu trennen sind. Die erste Gruppe versammelt die aus einer nicht mehr wiederholbaren geschichtlichen Epoche stammenden, göttlich befeuerten Texte (etwa die Bibelpoesie im Stile der Davidspsalmen), deren divinatorische Qualität unumstritten ist; der zweite Typus umfaßt die Lehrdichtung mit dezidiert philosophischem Anspruch und geringem fiktionalem Eigenwert; zur dritten Kategorie zählen Texte, die die Wirklichkeit als ideales Modell darstellen und damit spirituell erhöhen.232 Der erste Typus – das Werk des poeta vates – ist für Sidney historisch unwiederholbar, der zweite poetologisch wenig ergiebig; im dritten bündelt sich, was Dichtung nach seiner Überzeugung zu leisten vermag: »delight to move men to take that goodnesse in hand, which without delight they would flie as from a stranger«.233 Dieses Verfahren bedeutet keine Verklärung der Schöpfung, sondern ein Hervortreiben ihrer durch Gott in sie eingesenkten Qualitäten.234 Der Poet kann, so heißt es unter explizitem Bezug auf Aristoteles, das Unansehnliche reizvoll machen und dadurch seine verborgene divinatorische Substanz enthüllen (»those things which in themselves are horrible, as cruel battailes, unnatural monsters, are made in poeticall imitation, delightfull«).235 Vor dem Hintergrund der berühmten platonischen Unterscheidung zwischen ›ebenbildnerischer‹ und ›trugbildnerischer‹ Nachahmung, wie sie der SophistesDialog formuliert, birgt Sidneys Mimesisprogramm eine eigene Substanz. Während Platon den Künstler, der die Grenzen der nachgestaltenden Mimesis überwindet und verstärkt auf seine Imagination setzt, der Lüge bezichtigt, billigt Sidney der Poesie grundsätzlich die Lizenz zur modellierenden, überhöhenden oder typisierenden Arbeit an ihren Gegenständen zu.236 Die platonische Ironisierung des Enthusiasmus, wie sie sich subtil im Ion formuliert findet, betreffe, so erklärt Sidney, nicht die allgemeine Substanz des Inspirationskonzepts, sondern nur dessen Mißbrauch im Dienste jener Unordnung stiftenden Phantasmagorien, die schon Puttenham attackiert hatte.237 Der Dichter ist laut Sidney nicht nur in der Lage, die bestehende Welt 232 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 9; vgl. zur Dreiteilung der Poesieformen bei Sidney Wels: Imaginatio oder Inventio (s. Anm. 180), S. 77 ff. 233 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 10. 234 Zu diesem Ansatz Wels: Imaginatio oder Inventio (s. Anm. 180), S. 80. 235 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 20. Vgl. Aristoteles: Poetik (s. Anm. 192), 82 f. (Kap. 24, 1460b). 236 Platon: Sophistes, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 4, S. 206 ff. (235a–236d). Vgl. Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 18 f. 237 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 34.; vgl. Platon: Ion, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 1, S. 102 f. (533d–534b).

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nachzuahmen, sondern zugleich fähig, eine zweite Natur zu schaffen. Diese Leistung wird ermöglicht durch die poetische Fiktion, die – mit einer Wendung Luhmanns – dazu führt, daß »die Realität doppelsinnig werden« kann.238 Sidney bemerkt zur weltstiftenden Option der Poesie: Onely the poet disdaining to be tied to any such subjection, lifted up with the vigor of his own invention, doth grow in effect into another nature: in making things either better than nature bringeth foorth, or quite a new, formes such as never were in nature: as the Heroes, Demigods, Cyclops, Chymeras, Furies, and such like; so as he goeth hand in hand with nature, not enclosed within the narrow warrant of her gifts, but freely raunging within the Zodiack of his owne wit.239

Das imaginative Vermögen des Dichters schafft eine zweite Natur (»another nature«), in der die Regeln der Erfahrung außer Kraft gesetzt sind. An ihre Stelle tritt die Ermächtigung des Witzes und seiner kombinatorischen Fertigkeiten. Es ist bemerkenswert, daß Sidney die Auswüchse der Phantasie zwar tadelt, aber im Grundsätzlichen gerade die schöpferische Dimension des poetischen Verfahrens verteidigt. Die hier flagrante Doppelung von nachahmender und modellbildender Leistung der Poesie legt eine Spur zur hermetischen Naturphilosophie, mit der Sidney vermutlich schon durch sein Privatstudium bei John Dee in den 1570er Jahren, spätestens 1583 durch den in Oxford arbeitenden Giordano Bruno bekannt gemacht wurde (der ihm 1584 den Widmungsbrief – Epistola esplicatoria – zu seiner Himmelsschrift Spaccio della bestia trionfante zudachte).240 Die Position des Poeten, der über den Weg der Naturnachahmung den geistigen Sinn der Schöpfung erfaßt, korrespondiert dem Gläubigen, der sich in die Dinge versenkt, um ihren divinatorischen Charakter zu erfahren. Der Geist des Menschen, so steht im neunten Traktat des Corpus Hermeticum zu lesen, ist nicht mit dem Logos identisch, über den allein der Schöpfer verfügt, kann sich ihm aber annähern. Das Medium, das ihm dazu verhilft, ist die Sprache, die als ein notwendig approximatives ›Werkzeug‹ funktioniert, das Denken und Geist an das »göttliche Wirken« heranführt.241 Über diesen Prozeß heißt es genauer : »Denn das gesprochene Wort kann die Wahrheit nicht erreichen, der Geist aber ist groß und kann, vom Wort ein Stück weit geleitet, dann die Wahrheit erreichen.«242 238 Niklas Luhmann: Weltkunst, in: Ders., Schriften zu Kunst und Literatur, hg. v. Niels Werber, Frankfurt / M. 2008, S. 189 – 245, S. 199. 239 Sidney : Defence of Poesie (s. Anm. 229), S. 8. Auf den oben zitierten Passus verweist explizit auch Luhmann im Zusammenhang seiner Theorie der künstlerischen Form und ihrer distinktiven Funktionen; vgl. Niklas Luhmann: Die Evolution des Kunstsystems, in: ders.: Schriften zu Kunst und Literatur (s. Anm. 238), S. 258 – 275, S. 267 (Anm. 13). 240 Yates: Giordano Bruno in der englischen Renaissance (s. Anm. 223), S. 25 f., 51 f. 241 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 85 (Traktat IX). 242 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 90 (Traktat IX).

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Wahrnehmen und Denken charakterisiert der neunte hermetische Traktat als Einheit, deren Aufgabe darin liege, die Erscheinungen des Kosmos »wieder zurückzubilden und in sich aufzunehmen«243. Daraus leitet sich die Bedeutung ab, die dem Vorgang des inneren Sehens im Hermetismus zufällt. Über die Kraft der Vorstellung, deren Aufgabe es ist, zwischen Wahrnehmen und Denken zu vermitteln, kann der Mensch die Wahrheit des Logos erfassen. Sie entspricht dem von Sidney umrissenen Verfahren der poetischen Nachahmung, die den spirituellen Sinn der Schöpfung im Vorstellungsmodell anschaulich macht. Der Gedanke, daß Gottes Werk in seiner Vollkommenheit durch die menschliche Imagination als – mit einer Formulierung Luhmanns – »selbstveranlaßte Wahrnehmungssimulation«244 – gespiegelt werde, findet sich auch in Thomas Trahernes Commentaries of Heaven dokumentiert. Der Text, der durch den frühen Tod des Autors im Jahr 1674 Fragment blieb, versammelt 97 hymnische Gedichte, die Gottes Allmacht, Weisheit und Güte preisen. Über die Schöpfung heißt es in einer Perspektive, die hermetischen Einfluß zeigt, sie finde sich erst im Denken des Menschen zu ihrer wahren Schönheit erhöht: »They Precious were at first, when first they came j Out of His Hands, that they might Thee enflame. j But infinitly Sweeter do returne j From Thee to GOD, as Spices when they burn.«245 Traherne, der studierter Theologe war, adaptiert hier Deutungsmuster des Hermetismus, indem er die Einbildungskraft als Vermögen bestimmt, das die Schöpfung gleichsam wiederholt. In ähnlicher Weise beschreibt Sidney die Leistung der Poesie, wenn er betont, sie offenbare die in den Elementen der göttlichen Natur angelegte innere Perfektion. Das gemeinsame Fundament für Sidneys und Trahernes Argumentation ist die Auffassung des Corpus Hermeticum, derzufolge das Wort den Gedanken der Schöpfung im Zeichen ›zurückbilde‹, verdoppele und damit beständig erneuere.246 Der Kosmos bildet als Produkt Gottes ein Gefüge, das erst durch Denken und Sprache in seiner ganzen Vollkommenheit erschlossen werden kann. Indem der Mensch von der Fähigkeit seiner Sprache Gebrauch macht, erfüllt er den divinatorischen Auftrag, sich in den Geist der Natur verstehend zu vertiefen. Im neunten Traktat heißt es, der Kosmos versammle den Logos, der Gottes Werk antreibt und zugleich repräsentiert: Gott ist also Vater des Kosmos, der Kosmos aber Vater von allem, was im Kosmos ist, und der Kosmos ist Sohn Gottes; was aber im Kosmos ist, stammt vom Kosmos ab. Und mit Recht heißt er Kosmos (Ordnung, Schmuck). Er schmückt und gestaltet nämlich 243 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 88 (Traktat IX). 244 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft (s. Anm. 182), S. 18. 245 Thomas Traherne: Commentaries of Heaven. The Poems, ed. by D.D.C. Chambers, Salzburg 1989, S. 23. 246 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 88 (Traktat IX).

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alles mit der Vielfalt des Werdens, mit der Kontinuität des Lebens, der Unerschöpflichkeit der Kraft, der Schnelligkeit der zwangsläufigen Abläufe, der Zusammensetzung der Elemente und mit der Ordnung von allem Werdenden.247

Es fällt der Kooperation von Denken und Sprache zu, diese innere Struktur des Kosmos zur Anschauung zu bringen. Verwirklicht wird sie nicht zuletzt in der poetischen Imagination, die eine vorstellungsgestützte Wiederholung der Schöpfung Gottes im Stadium ihrer Perfektion bedeutet. In der literarischen Einbildung konsumieren wir die Welt auf eine Weise, die Gott gefällt, weil sie dem Logos seines Werkes am nächsten kommt. Pointiert, in nachgerade arguter Rhetorik, behauptet Traherne: »The world is a Great Talent given to me j And GOD desires the use of it«248. Die Imagination wiederholt die Welt nach demselben Grundriß, den Gott intendiert hat. Das erinnert an die hermetische Deutung der Wahrnehmung durch den Menschen, der sich qua Imagination die Logosstruktur der Natur erschließt. Von dieser scheinbar eindeutigen Hierarchie, die der Einbildung die Aufgabe der nachbereitenden Erfassung der tiefsten Schöpfungsgeheimnisse zuweist, ist es nur ein kleiner Schritt zur Neugewichtung ihrer Bestandteile. Wenn die Imagination dazu in der Lage ist, das Arkanum der Natur vorstellend zu durchmessen, kann sie es auch – ihr konsubstantiell – selbst schaffen. Traherne schreibt über diese Seite der Imagination in einer blasphemisch anmutenden Tendenz, die das hermetische Erbe pulverisiert: For God hath made you able to create worlds in your own mind which are more precious unto Him than those which He created; and to give and offer up the world unto Him, which is very delightful in flowing from Him, but much more in returning to Him.249

Die Einbildung erzeugt, indem sie den Grundriß der Erscheinungen verdeutlicht, eine zweite Welt, in der die Werke des göttlichen Logos klarer als in der ersten sichtbar werden: »The material world is dead and feeleth nothing, but the spiritual world, though it be invisible, hath all dimensions, and is a divine and living Being, the voluntary Act of an obedient Soul.«250 In solchen Beschrei247 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 88 (Traktat IX). 248 Traherne: Commentaries of Heaven (s. Anm. 245), S. 89. 249 Thomas Traherne, Centuries of Meditation, ed. by Bertram Dobell, London 1908, II, 90, S. 144; vgl. zu diesem Diktum Trahernes Berger Jr.: Second World and Green World (s. Anm. 207), S. 11; ferner Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 52 (jedoch ohne nähere Quellenangabe). – Die Handschrift der Centuries war erst 1896 / 97 entdeckt worden; die Ausgabe von 1908 bildete die editio princeps. 250 Traherne: Centuries of Meditation (s. Anm. 249), II, 90, S. 144 f. Vgl. auch die folgende Formulierung: »The services of things and their excellencies are spiritual: beeing objects not of the eye, but of the mind: and you more spiritual by how much more you esteem them.« (I, 26, S. 19).

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bungen, deren Demutsformeln nicht täuschen sollten, überschreitet Traherne die Grenze, die für Autoren wie Puttenham und Sidney als unverletzlich galt. Wenn ihre Poetiken die Einbildungskraft als Vermögen definieren, Gottes Schöpfung in der Vorstellung nochmals zu entwerfen, so ist ihr Ansatz dem hermetischen Logosgedanken verpflichtet, verzichtet aber auf Vergleiche zwischen erster und zweiter Natur. Mit der hermetischen Schöpfungslehre verbindet das poetologische Enthusiasmuskonzept Puttenhams und Sidneys primär die Idee der aus dem Wort geborenen creatio, ohne daß dabei das Modell der mystischen Überbietung als Erklärungsmuster eine Rolle spielt. Insofern repräsentiert Trahernes Position, in der sich ein radikaler, durch Elemente der Mystik unterstützter Spiritualismus bekundet251, die Ausnahme innerhalb einer Reihe von Versuchen, den hermetischen Logos für eine Theorie der Imagination produktiv zu machen. Die Poetik der Renaissance konnte, wo sie die literarische Imagination zu nobilitieren suchte, auf die topische Anknüpfung an das pagane Programm der heiligen Dichtkunst und die Reaktivierung des Typus des poeta vates verzichten. Die Inspirationsgemeinschaft zwischen Gott und Autor schien, folgt man den Argumenten Sidneys, einzig biblischen Zeiten vorbehalten und daher Teil einer mythischen Vergangenheit. Der Schritt zur spirituellen Idee der Poesie vollzog sich auf anderen Wegen – über die Annäherung der Dichtungstheorie an den hermetischen Logosbegriff und das Modell seiner Verdoppelung im Konzept der Imagination. Daß der Hermetismus einen Transfer ermöglichte, der eine erhebliche Aufwertung und Verselbständigung der poetischen Einbildungskraft implizierte, wird gerade bei Sidney prägnant sichtbar. Zu seinen Konsequenzen gehört freilich die Auflösung der semantischen Grundlagen, die das hermetische Denken fundierten: die Ermächtigung der Imagination erfolgt mit Hilfe einer religiösen Deutungstradition, die in den Poetiken Puttenhams und Sidneys funktionalisiert, damit aber in ihrem Eigenwert relativiert wird. Man könnte hier mit einer Formulierung Jan-Dirk Müllers, die sich auf die Stilmischungsdebatte des 16. Jahrhunderts bezieht, von ›Irritationspotentialen‹ sprechen, deren Effekte die Literaturtheorie nutzt, um hermetische Deutungsmuster zu operationalisieren.252 Die poetologischen Kompendien, die sich in Deutschland im Anschluß an Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey (1624) etablieren, zeigen auf dem Gebiet der theoretischen Reflexion ein ambivalentes Bild. Autoren wie Zesen, Buchner und Titz halten sich primär an Fragen der aus der Rhetorik abgeleiteten 251 Vgl. den Grundsatz Trahernes: »The fellowship of the mystery that hath been hid in God since the creation is not only the contemplation of the work of His Love in the redemption, tho’ that is wonderful, but the end for which we are redeemed; a communion with Him and all His Glory.« (Traherne: Centuries of Meditation [s. Anm. 249], I, 5, S. 5). 252 Müller, Robert: Poetik und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 117), S. 18.

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Gattungslehre, der Stilistik und Metrik, ohne die Felder des Ingenium, der Mimesis und Invention näher zu betrachten.253 Insbesondere die nach 1650 publizierten Poetiken beschränken sich bevorzugt auf formale Aspekte der Verslehre; nicht selten tragen sie den Charakter von Anweisungsschriften, in deren Themenparcours Gegenstände der Sprachgeschichte, allgemeinen Stilistik und epistolaren Schreibkunst, kaum aber konzeptionelle Erwägungen eingehen.254 Während Fragen des dichterischen Enthusiasmus, der Begabung und der Imagination unter implizitem oder explizitem Bezug auf Horaz’ Ars poetica255 randständig bleiben, streitet man engagiert über das metrische Regelwerk.256 Philipp von Zesen erklärt in der Vorrede zum Deutschen Helicon (1641), die falsche Verwendung des Versmaßes habe in der Vergangenheit dazu geführt, daß nicht Apoll, sondern der »hinckende / lahme Vulcan« zum Schutzpatron der deutschen Poesie geworden sei.257 Zesen elaboriert hier allein das Problem, wie metrische Prinzipien umzusetzen sind, wohingegen programmatische Dimensionen der Poetik für ihn irrelevant bleiben (in der mehr als 25 Jahre später entstandenen Hochdeutschen Helikonischen Hechel wird er zumindest kurz auf den Enthusiasmus eingehen258). 253 Philipp von Zesen: Teutscher Helicon / oder Kurtze verfassung aller Arten der Deutschen jetzt ueblichen Verse / wie dieselben ohne Fehler recht zierlich zu schreiben […], Wittenberg 1640; Johann Peter Titz: Von der Kunst Hochteutsche Verse und Lieder zu machen, Danzig 1642; August Buchner: Anleitung zur Deutschen Poeterey, Wittenberg 1665. 254 Exemplarisch sind hier zu nennen: Johann Heinrich Hadewig: Kurtze und richtige Anleitung / wie in unser Teutschen Muttersprache Ein Teutsches Getichte […] könne verfertiget werden, Rinteln 1650; Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- und Reimkunst, Lüneburg 1656; Andreas Tscherning: Unvorgreiffliches Bedencken ueber etliche Mißbraeuche in der deutschen Schreib- und Sprachkunst / insonderheit der edlen Poeterey, Lübeck 1659; Gotthilf Treuer : Deutscher Daedalus, begreiffendt ein vollständig außgefuhrtes Poetisch Lexicon. 2 Bde., Frankfurt / Oder 1660; Gottfried Wilhelm Sacer : Nuetzliche Erinnerungen Wegen der deutschen Poeterey, Stettin 1661; Balthasar Kindermann: Der teutsche Poet, Wittenberg 1664; Michael Bergmann: Teutsches Aerarium Poeticum oder Poetische Schatzkammer, Landsberg a. d. Warthe 1675; Daniel Georg Morhof: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, Frankfurt / M. 1682. 255 Gemeint ist der lakonische Hinweis auf die Unfruchtbarkeit einer nicht von Regelkenntnis gestützten Inspiration: Horaz: Ars Poetica. Die Dichtkunst. Lateinisch und deutsch, übers. u. mit einem Nachwort hg. v. Eckart Schäfer, Stuttgart 1984, S. 30 (v.141 – 145). Vgl. Dietmar Till: Affirmation und Subversion. Zum Verhältnis von ›platonischen‹ und ›rhetorischen‹ Elementen in der frühneuzeitlichen Poetik, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit. Bd. 4 (2000), S. 181 – 210, S. 195. 256 Inwiefern in dieser Tendenz zur Formalisierung eine topische Konzeption der älteren Grammatiklehrbücher durchschlägt und auch die Poetiken bestimmt, erläutert Herbert Jaumann: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius, Leiden / New York / Köln 1995, S. 169 ff., 181 ff. 257 Philipp von Zesen: Teutscher Helicon (1640), in: Sämtliche Werke, unter Mitwirkung v. Ulrich Mach¦ und Volker Meid hg. v. Ferdinand van Ingen, Berlin / New York 1971, Bd. IX, S. 21 258 Philipp von Zesen: Hochdeutsche Helikonische Hechel oder des Rosenmohndes zweite

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Anders verhält es sich bei Autoren wie Opitz, Harsdörffer, Neumark, Klaj und Birken, die im Anschluß an die Dichtungslehren der italienischen und englischen Renaissance ausführlich Probleme des Enthusiasmus und der Einbildungskraft traktieren.259 Kaum zufällig treten hier erneut hermetische Tendenzen auf, und zwar vorrangig im Gebiet der Inspirationslehre und der Theorie der Imagination. Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey rezipiert zahlreiche Argumentationsmuster aus dem Umkreis der hermetisch fundierten Renaissancepoetiken, namentlich die Idee des Enthusiasmus sowie die häretisch anmutende Engführung von offenbarter Wahrheit und literarischer Darstellung.260 Gerade der letzte Punkt zeigt den Einfluß hermetischer Topoi an, belegt er doch die Annahme, daß der poetische Text ein arkanes Wissen über die göttliche Schöpfung vermittle. Bei Opitz, der aus dem Spektrum der Renaissancepoetiken zunächst nur Vida und Scaliger explizit nennt261, tritt dieses Interpretament in deutlicher Anlehnung an Puttenham und seine Lehre von der göttlichen Qualität des literarischen Wissens zutage.262 Besonders signifikant scheint das in der

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woche: darinnen von der Hochdeutschen reinen Dichtkunst (,…) gehandelt wird (1668), Sämtliche Werke (s. Anm. 257), Bd. XI, S. 275 – 397, S. 301. Diese Erörterung fällt in sich differenzierter aus, als die ältere Foschung behauptet hat; erste, allerdings stark typologische Ansätze dazu bei Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung, Tübingen 1983, S. 155 ff. (mit deutlicher Abstufung zwischen rhetorischer Ingenium- und platonischer Enthusiasmuskategorie). Daß der Platonismus poetologischer Argumentationsmuster die Deduktion normativer Regeln nicht ausschließt, zeigt Till: Affirmation und Subversion (s. Anm. 255), S. 181 – 210, bes. S. 184 f.; vgl. im Hinblick auf die interne Veränderung rhetorischer Normen am Beginn des 17. Jahrhunderts ders.: Transformationen der Rhetorik. Untersuchungen zum Wandel der Rhetoriktheorie im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 2004, S. 185 ff. Status und Herkunft des Inspirationsbegriffs bei Opitz (und generell in den ihm nachfolgenden Poetiken) sind in der älteren Forschung umstritten. Vgl. Joachim Dyck: TichtKunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition, Bad Homburg v. d. H. 1966 (3. erg. Aufl. 1991), S. 73 f. (Votum für eine Abtrennung des Opitzschen furor poeticus vom Platonismus); Ludwig Fischer: Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland, Tübingen 1968, S. 37 ff., 44 f. (Einfluß des platonischen Enthusiasmusbegriffs); relativ unentschieden (mit allgemeinen Hinweisen auf die Rolle des Enthusiasmus als Widerlager des Normengefüges) bleibt dagegen Rudolf Drux: Martin Opitz und sein poetisches Regelsystem, Bonn 1976, S. 10 ff. Aufwertung des Enthusiasmusbegriffs dann bei Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 39 ff. und Kemper : Religion und Poetik (s. Anm. 179), S. 63 ff.; eine Relativierung bietet diesbezüglich Volkhard Wels: Der Begriff der Dichtung vor und nach der Reformation, in: Fragmenta Melanchthoniana Bd. 3: Melanchthons Wirkung in der europäischen Bildungsgeschichte, hg. von Günter Frank und Sebastian Lalla, Heidelberg u. a. 2007, S. 81 – 104, S. 103. Vorzügliche Forschungsübersicht bei Till: Affirmation und Subversion (s. Anm. 255), S. 191 f. Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 13; später (S. 21) wird auch Ronsard angeführt. Zur historischen Einordnung der Autoritäten Jörg Robert: Vetus Poesis – nova ratio carminum. Martin Opitz und der Beginn der Deutschen Poeterey, in: Maske und Mosaik (s. Anm. 117), S. 397 – 440, S. 415 ff. Auch wenn Puttenhams Darstellung mit drei Büchern von jeweils 30, 15 und 25 Kapiteln

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berühmten Grunddefinition der Literatur als Medium geheimer Gotteslehre und arkanen Wissens, die am Beginn dieser Studie schon auszugsweise zitiert wurde: Die Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene Theologie / vnd vnterricht von Göttlichen Sachen. Dann weil die erste vnd rawe Welt gröber vnd vngeschlachter war / als das sie hette die lehren von weißheit vnd himmlischen dingen recht fassen vnd verstehen können / so haben weise Männer / was sie zue erbawung der Gottesfurcht / gutter sitten vnd wandels erfunden / in reime vnd fabeln / welche sonderlich der gemeine pöfel zue hören geneiget ist / verstecken vnd verbergen müssen. Denn das man jederzeit bey allen Völckem vor gewiß geglaubet habe / es sey ein einiger vnd ewiger GOtt / von dem alle dinge erschaffen worden vnd erhalten werden / haben andere / die ich hier nicht mag außschreiben / genungsam erwiesen. Weil aber GOtt ein vnbegreiffliches wesen vnnd vber menschliche vernunfft ist / haben sie vorgegeben / die schönen Cörper vber vns / Sonne / Monde vnd Sternen / item allerley gutte Geister des Himmels wehren Gottes Söhne vnnd Mitgesellen / welche wir Menschen vieler grossen wolthaten halber billich ehren sollen.263

Das Wissen, das der Poet über die Natur besitzt, scheint divinatorisch geprägt; es ist Arkanwissen, das die Dichtung ihrerseits in Bilder kleidet. Der hermetische Grundzug, den die hier beschworene Geheimlehre der Poesie trägt, bleibt unübersehbar.264 Die Poesie gilt als verborgene Theologie, weil sie deren Inhalte – das Wissen der göttlichen Offenbarung – außerhalb eines dogmatischen Zusammenhangs »in reime vnd fabeln« versteckt. Derselbe Topos fand sich bereits bei Puttenham und Sidney, aber auch in Ronsards Abbreg¦ de l’Art poetique franÅoys (1565), dessen Bestimmung Opitz relativ wortgetreu übersetzt: Car la PoÚsie n’estoit au premier aage qu’une Theologie allegorique, pour faire entrer au cerveau des hommes grossieres par fables plaisantes et color¦es les secrets qu’ils ne pouvoient comprendre, quand trop ouvertement on decouvroit la verit¦.265

erheblich detaillierter als Opitz schmales Kompendium mit insgesamt neun Kapiteln ausfällt, liegen gerade im Aufbau deutliche Parallelen vor. Puttenhams erstes Buch geht denselben Argumentationsweg wie Opitz’ kurzer Text, nämlich von der allgemeinen Bestimmung der Poesie, ihres Wissens- und Inspirationshorizonts über eine Apologie des Dichterberufs bis zur Auseinandersetzung mit nationalen Eigentümlichkeiten, deren Analyse in literarhistorische Übersichten eingebettet wird. Die Forschung hat die Korrepondenzen zwischen Puttenham und Opitz bisher nicht hinreichend wahrgenommen. Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 34 f. vergleicht lediglich Sidney und Opitz; ein kurzer Hinweis auf Puttenham bleibt folgenlos (S. 267). Auch Wels: Imaginatio und Inventio (s. Anm. 180), S. 71 ff. verzichtet auf eine Gegenüberstellung. 263 Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 14. 264 B¦har : Martin Opitz: Weltanschauliche Hintergründe einer literarischen Bewegung (s. Anm. 4), S. 44 – 51 (zum Neuplatonismus als Fundament hermetischer Ansätze bei Opitz); Kemper : Religion und Poetik (s. Anm. 179), S. 66 ff. Zu Opitz’ ›eklektischem Platonismus‹ vgl. die umfassende Studie von Häfner : Götter im Exil (wie Anm. 86), S. 185 ff. 265 Ronsard: Abbreg¦ de l’Art poetique franÅoys (1565), in: Œuvres complÀtes (s. Anm. 189), Tome II, S. 1174 – 1189, hier S. 1175.

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Anders als Ronsards Definition, die allein auf das poetische ›Dolmetschen‹ spirituellen Wissens für die Ungebildeten verweist, wirkt Opitz’ Bestimmung jedoch zweideutig, weil sie didaktische und arkane Funktionen der Dichtkunst gleichermaßen betont.266 Einerseits ist die Poesie Weitergabe theologischer Lehren, andererseits ein ›Verbergen‹ ihrer spirituellen Gegenstände. Der Dichtungstheorie fiele dann die Aufgabe zu, Verhüllung und Verrat zu verbinden, indem sie die Regeln preisgibt, nach denen das göttliche Wissen zu versifizieren ist. Vermitteln läßt sich zwischen beiden Polen, wenn man ihre Aufgabe darin sieht, theologisches Wissen zu übersetzen, ohne daß dieses Ziel ausdrücklich reflektiert wird.267 Theologisches Wissen zielt auf das Verstehen des Offenbarten, das sich nur dem Eingeweihten erschließt. Diese Doppelfunktion, die den Geheimnischarakter der spirituellen Wahrheit mit einem Anspruch auf exegetische Dechiffrierung verbindet, überträgt sich auf das Modell der Poesie. Wie mächtig das gesamte Deutungsmuster fortwirkt, zeigt über ein halbes Jahrhundert nach Opitz Sigmund von Birkens Rede- bind und Dicht-Kunst (1679), in der es heißt: »Die Poesy ist freilich die Kunst / so mit Gottes-Liedern angefangen.«268 Mit dieser Bestimmung erbt Birken auch die Ambivalenz, die in der Berufung auf den theologischen Ursprung der Dichtkunst steckt. Zum einen nobilitiert die sakrale Herkunft die poetischen Texte, zum anderen schließt sie die Unwissenden, die ihre Traditionen nicht kennen, zwangsläufig aus. Ähnlich wie die Hermetik folgt die Poesie einem Programm, das Unterweisung und Ausgrenzung gleichermaßen impliziert. Schon Ronsard hatte diese Funktion im Auge, als er erklärte, die Poeten besäßen zwar keinen göttlichen Geist, aber die Fähigkeit, mit den geheimen Quellen des göttlichen Wissens zu kommunizieren.269 Für das Selbstverständnis hermetisch imprägnierter Dichtungslehren bleibt es wesentlich, daß sie die Eingebung durch höhere Mächte mit dem Programm der poetischen Gelehrtenkultur fusionieren; die wahre Begeisterung entsteht dort, wo eine profunde Kenntnis über die spirituellen Urgründe des Wissens vorherrscht. 266 Darauf verweist treffend bereits Kemper: Religion und Poetik (s. Anm. 179), S. 68. Ausführlicher zu Opitz’ Synkretismen hier Häfner : Götter im Exil (wie Anm. 86), S. 200 ff. (am Beispiel des Vesuvius-Gedichts aus den Weltlichen Poemata, 1644). 267 Abweichend von der hier entwickelten Argumentation Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), bes. S. 232 ff. Wels ist zuzugestehen, daß Opitz in der Tat platonische Topoi, wie sie in der Renaissancepoetik (etwa bei Ronsard) aufscheinen, vermeidet bzw. didaktisiert, indem er sie unter das Gesetz einer pädagogischen Wirkungslehre stellt. In diese aber treten durchaus hermetische Elemente ein, und zwar im Rahmen einer Umwertung, die den Hermetismus vom Status einer Geheimlehre befreit. 268 Sigmund von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy […], Nürnberg 1679. Faksimile-Neudruck, Hildesheim / New York 1973, Vor-Rede, Bl. 12 (r). 269 Ronsard: Abbreg¦ de l’Art poetique franÅoys (1565), in: Œuvres complÀtes (s. Anm. 189), Tome II, S. 1175.

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Daß Opitz keine Scheu besitzt, umstrittene Autoren zu nutzen, zeigt sein Hinweis auf den afghanischen Propheten Zoroaster, über dessen Lehre ihn Plinius’ Naturalis historia (im 30. Buch) näher unterrichtet haben dürfte – ein Text, den die Faust-Historia von 1587 noch explizit zum Teufelswerk erklärte.270 Wenn die Poeterey Zoroaster »einen der eltesten Lehrer der goettlichen und menschlichen wissenschaft«271 nennt, die durch Verse und Reime vermittelt worden sei, so verrät das eine nicht unbedingt selbstverständliche Unbefangenheit im Umgang mit paganen Autoritäten. Gestützt auf eine Formulierung aus Platons Lysias bezeichnet Opitz sie generalisierend als die »ersten Väter der Weißheit«272 und dokumentiert auf diese Weise seine Vertrautheit mit den als ketzerisch verdammten Traditionen eines antiken Spiritualismus. Die Natur habe sich im Altertum durch die Sprache der Dichter offenbart, die »einen schein sonderlicher propheceiungen vnd geheimnisse von sich gaben« und den »einfältigen leute(n)« den Eindruck boten, als stecke »etwas goettliches in jhnen«.273 Solche Charakterisierungen erinnern stark an Grundkonstellationen hermetischer Lehre: an das Muster der göttlichen Inspiration, das Prinzip des geheimen Unterrichts, die Vorstellung der divinatorischen Qualität der Naturphänomene. Bildungsbiographisch läßt sich nachweisen, daß Opitz einige Vertrautheit mit der hermetischen Tradition durch seine Bekanntschaft mit dem Straßburger Humanistenzirkel um Matthias Bernegger, dem Tübinger Juristen Christoph Besold und Christoph Köler, einem Schüler Berneggers, gewann.274 Die drei hier genannten Gelehrten standen ihrerseits in Kontakt zu den Rosenkreuzern, deren Affinität zum Hermetismus gut belegt ist; so waren Besold und Köler eng mit Johann Valentin Andreae verbunden, der in seiner als Gründungsschrift des

270 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 14. – Historia von D. Johann Fausten (1587). Kritische Ausgabe, hg. v. Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer, Stuttgart 1988, S. 10 f. Der Verfasser erinnert daran, daß Zoroaster als verderblicher Schwarzkünstler »von dem Teufel selbst verbrennet worden« sei (S. 10). Vgl. zu Zoroaster und zur Historia schon Kemper: Religion und Poetik (s. Anm. 179), S. 10. 271 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 14. 272 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 15; Platon: Lysias, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 50), Bd. 2, S. 194 (214a). Zur Platon-Rezeption Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 26 ff. 273 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 15. Der Hinweis auf die ›einfältigen leute‹ ist nicht, wie Wels annimmt, als Bezeichnung der Neuplatoniker zu verstehen, sondern bezieht sich auf Rezipienten früherer Zeiten, die Gottesglaube, Naturwahrnehmung und Poesie in einer ›einfältigen‹ Weise zusammenfaßten (Wels: ›Verborgene Theologie‹ [s. Anm. 180], S. 233). Wels selbst räumt diese Lesart wenig später gleichfalls ein (S. 235). Vgl. Häfner : Götter im Exil (wie Anm. 86), S. 185 f. (betont Opitz’ schwache Kenntnis Platons, ohne jedoch dessen Einfluß zu negieren). 274 Siegfried Wollgast, Philosophie in Deutschland 1550 – 1650, Berlin 1988, S. 819 f.

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Ordens zu betrachtenden Chymischen Hochzeit (1616) beste Kenntnisse des Hermetismus demonstriert hatte.275 Unabhängig von den im Text sichtbaren hermetischen Argumentationsmustern greift Opitz in den ersten Kapiteln der Poeterey auf Casaubons Kommentierung von Diogenes Laertius (3 Jh. n. Chr.) E vitis, dogmatis & apophthegmatis eorum qui in philosophia claruerunt (1570), seine Edition von Strabos (64 v. Chr.–20 n. Chr.) Res geographicae (1587), später auch auf seine Ausgabe von Persius’ (34 – 62 n. Chr.) Satiren (1605) zurück.276 Angesichts der intensiven Rezeption seiner philolologischen Schriften wird man vermuten können, daß Opitz auch mit Casaubons Studie De rebus sacris ecclesiasticis exercitationes XVI (1614) vertraut war, die, wie erinnerlich, Stil und Topik des hermetischen Pimander-Traktats in Anlehnung an ältere Arbeiten von Henri Estienne (1566) und Matthieu Beroalde (1575) auf eine spätantike Entstehungsgeschichte zurückgeführt und damit ihrer vermeintlichen Aura beraubt hatte.277 Es mutet angesichts dessen überraschend an, wenn Opitz dennoch mit Argumenten, die aus dem Arsenal des Pimander stammen, die Existenz einer frühen antiken Weisheitslehre behauptet. Für die Ausführungen der Poeterey ist dieser Rekurs vor allem deshalb wichtig, weil er es erlaubt, die Dichtkunst als doxographisches Genre zu rechtfertigen. Wenn die ältesten Philosophen ihre von Gott eingegebene Wissenschaft, vergleichbar dem Philosophen Zoroaster und dem sagenumwobenen Hermes Trismegistos, in eine geschmeidige Sprache kleiden, so liefern sie ein Zeugnis dafür, daß Poesie und Weisheit seit der frühesten Antike eine Einheit bilden. Diese im ersten Teil prägnant hervortretende Argumentation, die sich hermetischen Beistands bedient, macht es legitim, Opitz’ Poeterey ein »häretisches Unternehmen« zu nennen.278 Zugleich ist jedoch zu erkennen, daß der Autor mit seinen Anleihen keine theologischen Zielsetzungen verfolgt, sondern der Lehre von der poetischen Inspiration zu ihrem Recht verhelfen möchte. Nicht die technischen Fertigkeiten allein bestimmen gemäß dem seit Aristoteles vertrauten Topos einen idealen Dichter : »Die worte und Syllaben in gewisse gesetze zue dringen / und verse zu schreiben / ist das allerwenigste was in einem Poeten zue suchen ist.«279 Für die hermetisch-spiritualistische Grundlegung von Opitz’ Poetik bleibt die Tatsache 275 Frances A. Yates, Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes. Aus dem Englischen übers. v. Eva Zahn, Stuttgart 1975 (= The Rosicrucian Enlightenment, 1972), S. 60 ff. 276 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 15 f., 72. Die Edition der Schrift des Diogenes Laertios konsultierte Opitz in der dritten Auflage von 1615; vgl. die Anmerkungen von Herbert Jaumann im Anhang der Edition, S. 130. 277 Zu Casaubons Vorläufern im Hinblick auf die Datierungsfrage Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (s. Anm. 18), S. 399. 278 Kemper : Religion und Poetik (s. Anm. 179), S. 78. 279 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 18.

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maßgeblich, daß beim Akt der literarischen Darstellung neben der Mimesis die imaginative Erfindung eine entscheidende Rolle spielt: Das ferner die Poeten mit der warheit nicht allzeit vbereinstimmen / ist zum theil oben deßenthalben Vrsache erzehlet worden / vnd soll man auch wissen / das die gantze Poeterey im nachaeffen der Natur bestehe / vnd die dinge nicht so sehr beschreibe wie sie sein / als wie sie etwan sein köndten oder sollten.280

Im elften Traktat des Corpus Hermeticum, der sich mit der intellektuellen Annäherung an Gott befaßt, wird der Mechanismus der Imagination als schöpferisches Vermögen charakterisiert, das der hier von Opitz umrissenen Leistung der poetischen creatio entspricht: Befiehl deiner Seele nach Indien zu reisen, und schneller als dein Befehl wird sie dort sein. Befiehl ihr, dann zum Ozean zu gehen, und so wird sie wiederum in Kürze dort sein, nicht als ob sie von einem Ort zum anderen ginge, sondern als ob sie (längst) dort wäre. Befiehl ihr, auch in den Himmel hinaufzusteigen, und sie wird keine Flügel benötigen.281

Die Imagination nähert den Menschen Gott an, weil sie denselben Gesetzen gehorcht, die auch den divinatorischen Schöpfungsakt antreiben. Wie die Seele spielend den Weg in weitentlegene Gegenden der Erde findet, nimmt Gott den gesamten Kosmos in sich auf. Daneben aber ist die Einbildungskraft ein Mittel der schon von Puttenham beschriebenen nachgeordneten und nachträglichen Erkenntnis göttlicher Kräfte: »Wenn du dich Gott nicht gleichmachst, kannst du Gott nicht erkennen.«282 Wird die mimetische Funktion der Poesie, wie es Opitz beschreibt, durch eine imaginative Leistung unterstützt, die eine (quasi divinatorische) Kreation möglicher Welten gestattet, so fällt zwei supplementierenden Kategorien besondere Bedeutung zu: der Inspiration und dem Wissen.283 Beide Begriffe finden sich in der Deutschen Poeterey auf eine durchaus heterodoxe Basis gestellt.284 Die Inspiration wird mit dem Topos vom poeta vates zusammengeführt, der sein Werk in göttlich angeregter Begeisterung ohne vernünftige Kontrolle schafft. Unter Bezug auf das berühmte Diktum aus Ovids Fasti (VI,V, 5), dem gemäß ein Gott den Menschen beim Schreiben befeuern kann (»Est Deus in nobis, agitante calescimus illo«), heißt es im »Beschluß«: »Wo diese natürliche regung 280 281 282 283 284

Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 19. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 134 (Traktat XI). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 134 (Traktat XI). Vgl. auch Quade: Literatur als hermetische Tradition (s. Anm. 11), S. 46 f. Daß beide Kategorien letzthin außerhalb der Poetik und primär im literarischen Text reflektiert werden, zeigt Wilfried Barner : Spielräume. Was Poetik und Rhetorik nicht lehren, in: Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit, hg. v. Hartmut Laufhütte, Wiesbaden 2000,Teil I, S. 33 – 68.

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ist / welche Plato einen Göttlichen furor nennet / zum vnterscheide des aberwitzes oder blödigkeit / dürffen weder erfindung noch worte gesucht werden […].«285 Nicht weniger bedeutsam als die Anlage zur Selbstüberschreitung im poetischen Enthusiasmus ist eine zweite – aus dem Arsenal der späthumanistischen Epistemologie stammende – Bedingung. Wer abwesende Welten erfinden möchte, muß Versionen der Wirklichkeit kreieren; das ist nur dort möglich, wo profunde Kenntnisse über Erklärungsmodelle existieren, die solche alternativen Realitäten zu begründen haben. Der seit der Renaissance vertraute Topos des poeta doctus, den die Barockpoetiken von Opitz bis zu Rotth kontinuierlich mitführen, findet hier seine besondere Begründung über die Lehre von der Einbildungskraft, bietet doch die Gelehrsamkeit die Garantie dafür, daß die Arbeit der literarischen Imagination nicht ins Bodenlose stürzt. Auf dieses formale Korrektiv verweist implizit auch Ronsard, dessen Bestimmung der poetischen Inventio Opitz nahezu wörtlich übersetzt: das Risiko einer Einbildungskraft, die Monstrositäten gebiert, werde durch innere Ordnung und Regelhaftigkeit kontrolliert.286 Das Wissen, auf das der Poet mit Hilfe seiner Imagination rekurrieren sollte, ist laut Opitz gebündelt in der Weisheit der Antike. Bezeichnenderweise spielt 285 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 71. Vgl. Wels: Der Begriff der Dichtung vor und nach der Reformation (s. Anm. 260), S. 103. Wels’ Folgerung, der Passus dokumentiere, daß Opitz mit dem Begriff des platonischen furor nichts mehr anzufangen wisse, wäre näher zu diskutieren. Die Formulierung ›dürffen weder erfindung noch worte gesucht werden‹ ist m. E. als Topos zu verstehen, der besagt, daß der Begriff des furor poeticus unhintergehbar bleibt. Eine Distanz zum platonischen Enthusiasmuskonzept bzw. die Tendenz zur Entschärfung ihres häretischen Potentials läßt sich daraus noch nicht ableiten. Sehr signifikant für die spezifische Richtung, die Opitz’ Platon-Rezeption nimmt, ist seine eigenwillige Übersetzung der berühmten Ovid-Verse (»Est Deus in nobis«) am Ende der Deutschen Poeterey (S. 70), auf die Wels im Vergleich mit weiteren zeitgenössischen Übertragungen (Buchner, Klaj) an anderer Stelle aufmerksam gemacht hat (Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 281): Opitz setzt an den Platz von ›Gott‹ das Wort ›Geist‹ und erweitert damit die Implikationen des Enthusiasmusbegriffs um eine natürliche Komponente (Wels nennt das eine ›Naturalisierung‹ des Enthusiasmuskonzepts, S. 274 ff.). Relativiert wird dieser Befund allerdings durch die Tatsache, daß Opitz im selben Abschnitt, wie eben erläutert, vom »Goettlichen furor« Platons spricht (S. 71). 286 Ronsard: Abbreg¦ de l’Art poetique franÅoys (1565), in : Œuvres complÀtes (s. Anm. 189), Tome II, S. 1174 – 1189, hier S. 1178; vgl. Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 26. Daß Opitz Ronsards Formel, die poetische Imagination beziehe sich auf Ideen (»Ide¦es et formes de toutes choses«, S. 1178), durch die Wendung »sinnreiche faßung aller sachen« (S. 26) substituiert, hat Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 225 gezeigt. Das signalisiert in der Tat, wie Wels nahelegt, eine gewisse Distanz zum Platonismus Ronsards, an dessen Stelle Opitz eine von der rhetorischen Kategorie der ›res‹ gestützte Imaginationsbestimmung treten läßt. Daraus eine prinzipielle Ablehnung des platonischen Enthusiasmuskonzepts abzuleiten, scheint mir jedoch zu weit zu gehen. Die rhetorische Dimension entspricht der Tendenz zur Didaktisierung spekulativer – auch hermetischer – Interpretamente, die bei Opitz an diversen Punkten manifest wird.

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die Bibel im Kanon der von ihm bevorzugten Autoritäten keine Rolle; statt dessen werden neben den bereits erwähnten Zoroaster, Plinius, Strabo und Diogenes Laertius, Pythagoras, Homer, Hesiod, Parmenides, Empedokles, Eratosthenes, Lactanz und Tertullian genannt. Der Name des Hermes Trismegistos fällt in der Poeterey nicht, was im Hinblick auf die häretische Observanz des Corpus zweifellos strategischen Gründen gehorcht. Daß Opitz die spätantiken Hermetica jedoch im Visier hat, verrät ein anderer Text, der sich in der Selbstkommentierung zu seinem Lobgesang: Uber den frwdenreichen Geburtstag vnsers Herren und Heylands Jesu Christi (1621) findet. Opitz verweist hier auf die Notwendigkeit, den Menschen zur Erkenntnis der divinatorischen Dimension der Erscheinungen zu führen; Ziel sei es, über die Begegnung mit den konkreten Dingen die Einsicht in ihren spirituellen Charakter herbeizuführen: »Wie man / naemlich / das Gemuehte von dem Leibe vnnd den Sinnen / vnter denen das Gesicht das vornembste vnnd schaedlichste / zur Betrachtung der vnsterblichen vnd Goettlichen Sachen fuehren solle.«287 Der Zweck solcher ›Betrachtung‹ ist die Vereinigung »mit vnserem Schoepffer« bereits im Diesseits, worüber »Jamblichius im Buch von der Egyptier / Chaldeer vnnd Assyrier Heimlichkeiten / vnnd Mercurius Trismegistus in seinem Pimander schreiben.«288 Hier umspielt Opitz eine leitende Formel des Corpus Hermeticum, derzufolge Gott im Denken sichtbar wird.289 Zum prominenten Medium, das dem ›Denken Gottes‹ Raum gibt, avanciert bei ihm die Poesie als Sprache der ältesten Weisheit. Indem deren Worte »von der erden empor steigen«290, erfüllen sie den Auftrag, der Erkenntnis der Schöpfung den Weg zu bahnen. Zwar trägt Opitz der Tatsache Rechnung, daß das Corpus nach Casaubon nicht mehr zu den ›heiligen Schriften‹ zählen kann, wenn er den Poimander historisch korrekt in den durch den Syrer Jamblichus repräsentierten spätantiken Platonismus eingliedert291; jedoch nimmt er seine theologische Botschaft ernst, insofern er die Funktion der Sprache für die ›Betrachtung der vnsterblichen vnd Goettlichen Sachen‹ hervorhebt. Die geschichtliche Einordnung des hermetischen Konvoluts schließt die Affirmation seiner Logoslehre keineswegs aus. In den Poetischen Tafeln (1667) Georg Neumarks, deren gelehrtes Profil dem Ko-Autor und Kommentator Martin Kempe zu verdanken ist, wird deutlicher noch als in Opitz’ Poeterey der Bezug zur hermetischen Sprachlehre hergestellt. Die dichterische Nachahmung bewirkt für Neumark keine Erzeugung von 287 Martin Opitz: Geistliche Poemata (1638). Faksimile-Neudruck, hg. v. Erich Trunz, Tübingen 1966, S. 267. Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 163. 288 Opitz: Geistliche Poemata (1638) (s. Anm. 287), S. 267. 289 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 136 (Traktat XI). 290 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 18. 291 So auch Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 291.

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›Ebenbildern‹ (im Sinne der ›guten‹ Mimesis Platons), sondern die Erschaffung einer zweiten Welt. »Die andere Wissenschafften«, so heißt es unter ausdrücklichem Bezug auf Scaliger, »erzehlen bloeßlich das Ding oder Wesen / wie es an ihm selbst etwa gewesen oder sey : Die Poesie aber machet gleichsam eine andere Natur / zwinget (was sonst ungut) mehr als ein gutes zu haben: und also ist sie Goettlich / und machet ihre Liebhaber zu Nachfolgern und Vorstellern alles dessen / was Goettlich / himmlisch / herrlich / hoch in der Natur das anmuthigste / und in der Tugend das lieblichste sein kann.«292 Der lateinische AsclepiusTraktat, der im weiteren Sinne zum Corpus Hermeticum gehört, formuliert diesbezüglich, daß der Mensch in der Lage sei, »göttliche Natur« zu »erfinden« und damit neu zu schaffen.293 In Übereinstimmung mit der hermetischen Erkenntnislehre betont Neumark, der Poet könne über seine vis imaginativa die Schöpfung nicht nur durchschauen, sondern zu ihrer eigentlich unsichtbaren göttlichen Idee erhöhen: »Die Kunst machet vollkommen / was die Natur angefangen.«294 Die Voraussetzungen, die für die Erfüllung dieses Programms gegeben sein müssen, liegen im Geist des Poeten selbst. Neumark läßt keinen Zweifel daran, daß die Dichter Enthusiasmierte sind, die ihre »Entzueckung und Vertaumelung im Kopffe haben«.295 Mit denselben Argumenten wie Opitz betont auch Neumark das hohe Alter der Poesie, die, wie es heißt, »ihrem ersten Ursprung nach himmlisch ist / und anfanglich zu dem Gottesdienste gebrauchet worden.«296 Neumark erinnert an die »Vates« als diejenigen weisen Männer, die Opfer brachten und in die Zukunft schauten – sie bilden die Urtypen des Dichters.297 Auch Johann Klaj akzentuiert in seiner Lobrede von der Teutschen Poeterey (1645) die Bedeutung, die dem heiligen Wissen der Poesie zufällt. Ihre Texte, müßten, so heißt es bei ihm, »voller Kern, Geist und Feuer seyn«, was wiederum mit der Arbeit an der Sprache zu verbinden sei, die ihre Botschaften erst dann angemessen vermittle, wenn sie sie im »Geheimniß« ausdrücke.298 Wie Opitz zitiert Klaj Ovids Fasti mit ihrer Aussage über die heilige Inspiration, hier allerdings, gemäß dem kulturprogrammatischen Anspruch seiner Schrift, in deutscher Übersetzung, unter 292 Georg Neumark: Poetische Tafeln Oder Gruendliche Anweisung zur Teutschen Verskunst aus den vornehmsten Authorn in funfzehn Tafeln zusammen gefasset / mit ausfuehrlichen Anmerkungen erklaehret / Und den Liebhabern Teutscher Sprache und derer kunstmeßigen Reinigkeit zu sonderbahrem Gefallen an den Tag gegeben (1667). Faksimile-Neudruck, hg. v. Joachim Dyck, Frankfurt / M. 1971, S. 1 f. 293 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 309 (Asclepius). 294 Neumark: Poetische Tafeln (s. Anm. 292), S. 3. 295 Neumark: Poetische Tafeln (s. Anm. 292), S. 3. 296 Neumark: Poetische Tafeln (s. Anm. 292), S. 3. 297 Neumark: Poetische Tafeln (s. Anm. 292), S. 25. 298 Johann Klaj: Redeoratorien und ›Lobrede der Teutschen Poeterey‹, hg. v. Conrad Wiedemann, Tübingen 1965, S. 13 f.

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Rückgriff auf die schon der Renaissancepoetik vertraute Feuermetaphorik: »Es ist ein Gott in uns / ein Geist / wenn der sich reget / Brent unser Geist auch an / und sich wie Gott beweget.«299 Ein »guter Poet« müsse, so heißt es, »von einer hoehern Gewalt angetrieben werden / Goettliche Regungen und himmlische Einfluesse haben«.300 Wiederum in Übereinstimmung mit Opitz erklärt Klaj im Rahmen einer spekulativen etymologischen Herleitung: Und weiln ein solcher Poetischer Geist / von anmutigen Sinnreichen Einfaellen / kekkes Unternemens unnachfoelgig steiget / sich mit Goettlicher Vernunfft fluegelt / die Alltagsgedanken uebertrifft / als ist ihnen der Name / so der hoehesten Majestaet allein zustaendig / gegeben worden.301

Diese nicht mehr apologetische Nobilitierung des Dichters geht von der Vermutung aus, daß ihn seine rasch laufende Imagination in besondere Berührung mit Gott bringe. Klaj beschreibt solche Nähe als intellektuelle Filiation, wobei er die in der hermetischen Schöpfungslehre substantielle Annäherung des menschlichen Wortes an den Logos als Modell auch für die dichterische Inspiration faßt: Dann gleichwie Gott / der dieses sichtbare Weltgebaeu / mit allem / was in demselben begriffen / bloß aus seiner unermeßlichen Krafft und Weisheit erbauet / allein ein Dichter / diese aber / die aus einem vorhergehenden Zeuge / etwas verfertiget / zum Unterscheid / Meister benamet worden: Also hat man Anfangs die Poeten hoch und herrlich / ja Gott fast selbst gleich / geachtet / indem man geargwohnet / sie haetten eine heimliche Zusammenkunft und Verbuendniß mit den Goettern / weil sie / was niemaln / als wer es gewesn / fuergestellet.302

Die topische Hypothese der Verwandtschaft zwischen Gott und Poet gewinnt bei Klaj einen hermetischen Grundzug, wenn von einer »heimlichen Zusammenkunft« die Rede ist. Indem der Dichter die göttliche Schöpfung in Denken und Wort, in Vorstellung und Zeichen – ähnlich wie der Gläubige gemäß dem neunten Traktat des Corpus303 – ein weiteres Mal entwirft, bestätigt er seine modellbildende Fähigkeit, die wiederum das Indiz für die Prägung durch Gott ist. Eine zweite Welt können nur diejenigen schaffen, die divinatorisch inspiriert sind. Die Erziehung des Poeten erfolgt auf der Ebene der von Gott (oder den Göttern) vollzogenen Einweihung, angelehnt an den hermetischen Gedanken der Initiation im Gespräch mit dem Schöpfer selbst: »Also wird die Dicht= und

299 300 301 302 303

Klaj: Lobrede der Teutschen Poeterey (s. Anm. 298), S. 4. Klaj: Lobrede der Teutschen Poeterey (s. Anm. 298), S. 4. Klaj: Lobrede der Teutschen Poeterey (s. Anm. 298), S. 4. Klaj: Lobrede der Teutschen Poeterey (s. Anm. 298), S. 4. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 84 ff. (Traktat IX).

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Reimkunst nicht durch Menschliche Wirkungen / sondern durch sonderbare Himmelsgnade eingegossen …«304 Ähnlich wie schon seine Vorgänger Scaliger und Opitz, auf die er sich explizit beruft, betont auch Harsdörffers Poetischer Trichter (1647 – 53) die Bedeutung des ›Ingenium‹ für die Poesie. Bemerkenswert ist dabei die Verbindung der Metaphern, die den Enthusiasmus als Produkt heißer und flüssiger Energieströme gleichermaßen bestimmen: Dieses aber / ein Gedicht das Feuer und Geist hat / zu Papier setzen / muß von höherer Eingebung herflüssen / man wolle gleich solches einem reinen und mässigerwärmten Gehirn oder andren Ursachen beymessen / in welchen die Poeten mit den Mahlern meinsten Theils verglichen werden / und die Red=Kunst weit übertreffen.305

Anders als die rhetorische ist die poetische Tätigkeit gebunden an die Kraft einer Inspriation, die erst die imaginatio als Mittel der schöpferischen Produktion freisetzt. Weil die Literatur »ohne Sinnreiche Gedancken / ohne Verstandreiche Erfindungen / ohne Kunstreiche Ausbildungen / und ohne Wortreiche Vorstellungen«306 wirkungslos bleibt, bedarf sie einer Imaginationsleistung des Dichters, die den Kreis der unmittelbaren Erfahrung überschreitet. Sie ermöglicht es ihm, »daß er nemlich aus dem / was nichts ist / etwas machet; od’[er] das / was bereit ist / wie es seyn könnte / kunstzierlich gestaltet (…)«307 Maßgeblich für die Arbeit der Einbildungskraft ist bei Harsdörffer ein »poetischer Geist«308, der für jene Kombination von Vorstellungsfähigkeiten sorgt, in der auch der Hermetismus das ›Denken Gottes‹ begründet fand. Erst der ›poetische Geist‹ gestattet eine Annäherung an die divinatorischen Erscheinungen, die einem zentralen Grundsatz der hermetischen Inspirationslehre entspricht, wie ihn der elfte Traktat formuliert: »Denn Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden.«309 Im Sinne dieser intellektuellen Basis der literarischen Eingebung, die nach hermetischem Muster die Einsicht in die Macht Gottes ermöglicht, erklärt noch Albrecht Christian Rotths umfangreiche Deutsche Poesie (1688), der imaginationsgestützte Vorgang der literarischen Invention sei »nichts anders / als ein kuenstliches Nachdencken«.310 Der Rückgriff auf hermetisch konditionierte Topoi der Inspirationslehre 304 Klaj: Lobrede der Teutschen Poeterey (s. Anm. 298), S. 19. 305 Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht= und Reimkunst / ohne Behuf der lateinischen Sprache / in VI. Stunden einzugiessen. Drei Theile, Nürnberg 1648 – 1653. Faksimileneudruck, Darmstadt 1969, Vorrede (zum ersten Teil), Bl. 2(v). 306 Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Vorrede (zum dritten Teil), Bl. 5 (v). 307 Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Erster Theil, S. 3 f. 308 Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Vorrede (zum ersten Teil), Bl. 2(r). 309 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 134 (Traktat XI). 310 Albrecht Christian Rotth: Vollstaendige Deutsche Poesie in drey Theilen […], Leipzig 1688, Bd. III [I = unpaginiert], S. 7.

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bleibt für den Kreis der Nürnberger, deren versatilster Vertreter Harsdörffer war, durchaus typisch. In seiner Lobrede schreibt Klaj über die divinatorische Eingebung der Dichter : Dann gleichwie Gott / der dieses unsichtbare Weltgebaeu / mit allem / was in demselben begriffen / bloß aus seiner unermeßlichen Krafft und Weisheit erbauet / allein ein Dichter / diese aber / die / aus einem vorhergehenden Zeuge / etwas verfertiget / zum Unterscheid / Meister benamet worden: Also hat man Anfangs die Poeten hoch und herrlich / ja Gott fast selbst gleich / geachtet / in dem man geargwohnet / sie haetten eine heimliche Zusamenkunft und Verbuendniß mit den Goettern / weil sie / was niemaln gewesen / als wer es gewesen / fuergestellet.311

Es ist erneut die poetische Grundfertigkeit der Imagination, welche die Gottähnlichkeit des Dichters ausmacht. Ihm fällt wie dem Schöpfer das Vermögen zu, etwas, das nicht ist, zur Erscheinung zu bringen – eine Auslegung seiner Rolle, die der Bestimmung der imaginatio als Medium der Erkenntnis im Hermetismus folgt.312 Die hermetische Definition des Denkens als Vorstellen Gottes findet sich hier in den poetologischen Argumentationsrahmen transformiert; aus der Wiederholung des Logos im Akt der intellektuellen Konzentration macht Klaj die Fähigkeit zum Entwurf einer möglichen Welt, so daß die kontemplative durch eine kreative Qualität, die Erkenntnisleistung durch eine produzierende Operation ersetzt wird. Aus theoretischer Perspektive läßt sich die Bestimmung der divinatorischen Erkenntnis als Produkt eines für die kulturelle Semantik generell typischen Transferprozesses beschreiben, dessen Sinn die Duplizierung ist. Niklas Luhmann hat die Leistung dieser Semantik an der Funktion erläutert, die sie im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung sozialer Systeme erfüllt. Indem kulturelle Verarbeitungsmuster als Gedächtnis operieren, das vergangenes Wissen aufgreift und selektiert, verschaffen sie der Gesellschaft das Bewußtsein der Kontingenz, die ihre bedeutungserzeugenden Operationen beherrscht. Kultur wird damit zum »Doppel« geltender Ordnungen, zum Mittel der Binnendistanzierung, die sozialen Systemen jenseits der in ihnen existierenden Sinnkonstruktionen weitere, komplementäre Formen des Verstehens und Handelns vor Augen führt.313 Die Leistung des poetischen Inventionsvorgangs liegt analog dazu im Aufweis alternativer Weltversionen zum Zweck der Eröffnung denkbarer anderer Realitäten. Die Poetik Klajs macht sich bei der Beschreibung dieser literarischen Darstellungsfunktion den Bezug zum hermetischen Schöpfungsmo311 Klaj: Lobrede der Teutschen Poeterey (s. Anm. 298), S. 4. 312 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 136 f. (Traktat XI). Zu Klajs Rede vgl. bereits Conrad Wiedemann: Johann Klaj und seine Redeoratorien, Nürnberg 1966, S. 57 ff. Vgl. ders.: Engel, Geist und Feuer. Zum Dichterselbstverständnis bei Johann Klaj, Catharina von Greiffenberg und Quirinus Kuhlmann (s. Anm. 4), S. 85 – 109. 313 Luhmann: Kultur als historischer Begriff (s. Anm. 127), vgl. S. 50.

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dell zunutze; aus dem Gedanken der imaginativen Versenkung in Gottes Natur, die ihr Geheimnis erschließt, wird das Modell der imaginativen Produktion zusätzlicher Welten im literarischen Text. Die Duplizierung der bestehenden in der zweiten, poetischen Wirklichkeit bedeutet jedoch keine pure Wiederholung von Gottes Schöpfung, sondern – im Sinne von Luhmanns Kulturbegriff – die Aufhebung ihrer Ubiquität im Nachweis ihrer Kontingenz. Der Rekurs auf die hermetische Logostheologie trägt vor diesem Hintergrund eine zweifach häretische Kontur ; einerseits bedeutet er die Ermächtigung heterodoxer Theologumena, andererseits sorgt er dafür, daß die auch im Hermetismus akzentuierte Vormachtstellung Gottes als Schöpfer aller Welten in Zweifel gezogen wird. Wie Klaj stützt Sigmund von Birken seine poetologische Doktrin auf das aus dem Hermetismus abgeleitete Inspirationsmodell, das er in typischem Synkretismus mit der Deduktion formaler Normen verbindet.314 In der Vorrede zu Catharina von Greiffenbergs Geistlichen Sonetten (1662) rekurriert Birken (unter seinem in der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ geführten Ordensnamen ›der Erwachsene‹) mit Wendungen, die den antiken Gedanken des poetischen Enthusiasmus an christliche Topoi anschließen, auf das Konzept des poeta vates, das seinerseits hermetisch fundiert wird: »Gleichwie aber / die Goettliche Dichtkunst / von Himmel stammet: also soll sie hinwiederum / von der Erden / gen Himmel flammen.«315 Hier taucht dasselbe zirkuläre Argumentationsmuster auf, mit dem bereits der Hermetismus arbeitet. Wie das Wort des Menschen den Logos der Schöpfung erschafft, indem es deren Ordnung wiederholt, so ist die Poesie als vom Himmel inspirierte auf den Himmel ausgerichtet. Der divinatorische Ursprung, der das poetische Werk zum Produkt Gottes erklärt, reflektiert sich in dessen Darstellung des Göttlichen selbst. Folglich besteht die ›Heiligkeit‹ der Poesie, die Birken behauptet, zuallererst in der Orientierung an Topoi mit spirituellen Qualitäten: »Diesen goettlichen Trieb nun / soll man nicht zu ungoettlichen Sachen mitverwenden / noch so heilige Geistes-regung / solche himmlische Kunstbruennlein und reine Einflus-quellen / mit dem Koth der Eitelkeit austrueben und verunreinen.«316 Die Poetik der Inspiration nötigt zu einer Konzentration der imaginativen Leistungen auf »himmlische Kunstbruennlein« und verlangt eine äußere wie innere Form, die ihren göttlichen Ursprung hinreichend privilegiert ausweist. Die Struktur des literarischen Textes soll den geistlichen Antrieb reflektieren und seine nach dem Modell der Verbalinspiration gedachte Genese präsent halten – etwa durch den 314 Zu diesem Synkretismus Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 54 ff. 315 Catharina von Greiffenberg: Geistliche Sonette, Lieder und Gedichte, Bayreuth 1662, VorAnsprache, Bl. 14(v). 316 Greiffenberg: Geistliche Sonette, Lieder und Gedichte (s. Anm. 315), Vor-Ansprache, Bl. 14(v).

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gehobenen Stil oder die Wahl geeigneter bibelpoetischer Gattungsmuster wie Ode, Hymnik und Bukolik. Auch in diesem Sinne ist die Dichtungstheorie Birkens – übereinstimmend mit der Argumentation bei Klaj, Hardörffer und Neumark – durch ein hermetisches Konzept fundiert, das in der Allianz von Sprache, poetischer Form und Denken die Einheit zwischen göttlicher Weisheit und menschlicher Erkenntnis zu begründen sucht.317 Im neunten Traktat des Corpus heißt es diesbezüglich: »Denn das gesprochene Wort kann die Wahrheit nicht erreichen, der Geist aber ist groß und kann, vom Wort ein Stück weit geleitet, dann die Wahrheit erreichen.«318 In der Rede- bind und Dicht-Kunst (1679) hat Birken sämtliche Aspekte der hermetisch gegründeten Inspirationspoetik nochmals in verdichteter Metaphorik – mit den Sinnbildern von Feuer und Wasser – elaboriert. Die spezifische Leistung der Poesie besteht darin, daß sie als »Spring Brunnen«319 fungiert, der von Gott gespeist wird, seinerseits aber seine Säule in die Höhe zurücksteigen läßt. Die Dichtkunst werde, so heißt es, durch die »Feuer-Flut des himlischen Geistes«320 eingegeben; der Himmel erscheine, wie Birken im Sinne einer geistlichen Kontrafaktur des antiken Mythos formuliert, als »der rechte Parnassus / daraus diese Geistes-Flut erqwillt und herabschießet.«321 Die Mechanik, die Birken hier umreißt, entspricht dem im Hermetismus beschriebenen ›Denken Gottes‹, das den Logos erschließt, indem es sich in ihn versenkt, und zugleich verdoppelt, indem es ihn sich vorstellt: Gleichwie aber das von oben abfallende Wasser / wann es durch Roehren in ein Brunnengefaeß geleitet wird / in demselben wieder empor und hervorspringet: also soll die Dicht-Kunst / weil sie vom Himmel einfließet / wieder gen Himmel steigen und Gott zu ehren verwendet werden.322 317 Daß der Hermetismus zugleich von einem – auch für die Mystik konstitutiven – Prinzip des Verstummens (als Rede des Glaubens) beherrscht ist, zeigt die Arbeit von Claudia Benthien: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert, München 2006, S. 329 ff. 318 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 90 (Traktat IX). 319 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 14 (r). 320 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 13 (v). 321 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 14 (r). Die Kraft der Inspiration soll primär auf natürlichen Ursachen fußen; falsch sei es, so Birken, »daß man sich voll saufeÇ mueße / wan man poetisiren will.« (Vor-Rede, Bl. 16 [v]). Auch Philipp von Zesen warnt vor dem Irrtum zu glauben, der »Wein« sei das »Pferd«, das auf den Parnaß führe; Hochdeutsche Helikonische Hechel oder des Rosenmohndes zweite woche: darinnen von der Hochdeutschen reinen Dichtkunst (,…) gehandelt wird (1668), Sämtliche Werke (s. Anm. 258), Bd. XI, S. 275 – 397, S. 302. 322 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 14 (r).

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Wesentlich ist hier das Prinzip der Zirkulation, das den Akt der poetischen imaginatio zum Produkt eines geschlossenen Kreislaufs macht. Die divinatorische Schöpfung inspiriert den Poeten, wenn sie ihn mit himmlischer Eingebung beschenkt, wird aber zugleich gesteigert durch das Lob, das der solchermaßen befeuerte dichterische Geist ihr im Medium der Sprache spendet. Das Bild des Springbrunnens reflektiert das Strukturmuster dieser Konzeption, das Modell des Kreislaufs aus Genese und Produktion, Ursprung und Ziel der poetischen Tätigkeit. Eine aggressivere Spielart der Metapher bietet Philipp von Zesens Hochdeutsche Helkonische Hechel (1668), wo es mit kritischer Tendenz heißt, der enthusiasmierte Dichter werde von der Inspiration wie von einem Sturzbach erfaßt, der durch seinen Kopf wie durch ein »aufgerissenes fluhtbette« rase.323 Die Spannung, die durch den Gradunterschied dieser Metaphern erzeugt wird, entspricht dem Gegensatz zwischen einer poetischen Reproduktion der im göttlichen Schöpfungsakt vollzogenen Vollkommenheit und der Darstellung einer zweiten Welt, welche die erste in den Status der Kontingenz versetzt. Von der Konzeption der Poesie als Gottesdienst führt kein weiter Weg zu ihrer Auffassung als Medium der kulturellen Verdoppelung bestehender Realitäten, die wiederum eine heterodoxe Aufhebung der göttlichen Autorität impliziert.324 Bei Birken wird die Tendenz zur Verselbständigung des poetischen Aktes durch die Einbindung der Imagination in die Mechanik des Kreislaufs verhindert. Wie die zirkuläre Qualität der Einbildungskraft dem hermetischen Denken Gottes im und durch den Logos seiner Schöpfung korrespondiert, erinnert auch die Allegorie des Kreises an die Schöpfungslehre des Corpus Hermeticum. Diese erkennt den Zirkel als Sinnbild divinatorischer Selbstbewegung und Zeichen einer Dynamik, die keines Anstoßes bedarf, weil sie ihren Ursprung in sich selbst trägt. »Das, was schwindet«, heißt es im vierten Traktat des Corpus, »wird mit Notwendigkeit wieder erneuert sowohl durch die Erneuerung der Götter als auch durch den sich nach Zahlgesetzen vollziehenden Naturkreislauf.«325 Reflektiert die zirkuläre Struktur der Schöpfung das Prinzip ihrer Entstehung, so beleuchtet die Poesie laut Birken den spirituellen Charakter der sie ermöglichenden himmlischen Eingebung, indem sie die Erscheinungen der Natur als Zeichen mit göttlicher Bedeutung ausweist: »Solcher gestalt wird / die Erde / zum Echo und Ge323 von Zesen: Hochdeutsche Helikonische Hechel oder des Rosenmohndes zweite woche: darinnen von der Hochdeutschen reinen Dichtkunst […] gehandelt wird (1668), Sämtliche Werke (s. Anm. 258), Bd. XI, S. 275 – 397, S. 301. Bei Zesen tritt allerdings neben der Wasserauch die Feuermetaphorik auf, die den Enthusiasmus kennzeichnet (»nach dem brande der alzu hitzigen Natur«, S. 301). Beide Elemente bezeichnen hier, anders als bei Cicero, eine gärende Unordnung, die gleichermaßen gefährlich ist (und daher durch die ars kontrolliert werden muß). 324 Vgl. dazu Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 276 f. 325 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 41 (Traktat III).

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genhall des Himmels / und Gott / wie billig / droben und hierunten beehret.«326 Das Prinzip des Echos, das in der barocken Bukolik eine zentrale Funktion als Allegorie der inneren Selbstbewegung der Natur versieht, korrespondiert dem hermetischen Zirkulationsgesetz, welches den göttlichen Charakter der Erscheinungen als Produkt einer theologisch begründeten Entelechie zur Anschauung bringt. Birken läßt keinen Zweifel daran, daß die Poesie als Produkt divinatorischer Inspiration zu gelten habe: »Die Poeten dichten aus Antrieb einer himmlischen Regung.«327 Auch bei Birken besteht die unmittelbare Manifestation derartiger Steuerungskräfte in der Arbeit der Imagination, die als Mittel der Erzeugung einer möglichen Realität erscheint. Wieder taucht hier ein aus dem Hermetismus vertrauter Topos auf, wenn es heißt: »… das Dichten hat den Namen vom Denken / und fließet aus den Gedanken in die Worte.«328 Wie in der hermetischen Schöpfungstheologie ist das Denken durch die Rede das Mittel der Vorstellung Gottes. Die Identität der natürlichen Erscheinungen und die göttliche Kraft des Wortes bilden hier eine Einheit, die von der Poesie mit den Mitteln menschlicher Sprache reproduziert wird. Die ästhetische Repräsentation erscheint dabei nicht nur als Akt der Wiederholung, sondern als Prozeß der Bedeutungsstiftung mit theologischen Qualitäten. Der literarische Text führt die Natur in den verbalen Zeichen ihrer Erscheinungen zu sich selbst, vergleichbar der Versenkung des Gläubigen, der den Logos in der intellektuellen Kontemplation vorstellen, verdoppeln und damit erkennen kann. In beiden Fällen ist es die Imagination, die das Grundprinzip der poetischen bzw. intellektuellen Selbstreflexion bildet. Indem die hier untersuchten Poetiken die Bedeutung einer schöpferischen Leistung der Literatur jenseits der reinen Regeldeduktion hervorheben, werten sie, gestützt auf hermetisches Gedankengut, die Funktion der Imagination auf. Die Imagination ist die Hebamme der poetischen creatio, die von Scaliger über Puttenham bis zu Opitz, Harsdörffer und Klaj durchgehend als ›inspiriert‹ und nicht normgeleitet beschrieben wird (wobei die direkte göttliche Prägung im Sinne 326 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 14 (r)–15 (v). 327 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), S. 168. Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 286 ff. möchte die Adaption der platonischen Enthusiasmuslehre bei Opitz und Birken als Produkt einer ›Naturalisierung‹ verstehen, in deren Verlauf die poetische Begeisterung zum Resultat von Bewegungen der spiritus animales umgedeutet werde. Beizupflichten ist Wels, der den oben angeführten Birken-Satz nicht zitiert, dahingehend, daß das Enthusiasmuskonzept in den Poetiken des 17. Jahrhunderts der Semantik des Göttlichen nur im Sinne einer Analogiebeziehung bedarf. Jedoch vergegenwärtigt gerade der divinatorische Hintergrund der poetischen Begeisterung für Autoren wie Klaj, Birken und Greiffenberg die besondere Repräsentationsleistung des literarischen Textes, der im menschlichen Wort das göttliche Werk aufscheinen läßt. 328 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), S. 170.

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Sidneys biblischen Zeiten vorbehalten bleibt). Zwar bringt der Dichter, wie es bei Puttenham heißt, im Gegensatz zu Gott nichts Voraussetzungsloses hervor, doch teilt er mit ihm die schöpferische Potenz seiner Aktivität. Es ist das hermetische Logos-Prinzip, das hier die Argumentation der Poetik bestimmt – ohne daß allerdings die oben verhandelten Texte das insgesamt heterogene Spektrum der Dichtungstheorie komplett abdecken. Der hermetische Logos verbindet sich mit dem Verfahren der imaginatio, das dazu erforderlich ist, die gleichsam instantan ablaufende poetische Produktion voranzutreiben. In einem zirkulären Kreislauf wird diese durch Inspiration göttlich verursacht, verweist aber auch qua verbalem Zeichen auf den Schöpfer, der sie ermöglicht. Das hermetische Wissen wandelt sich in der Literatur zum imaginationsgestützten, damit zugleich imaginären Wissen; es löst sich im Prozeß seiner – hier zunächst am Beispiel der Literaturtheorie nachvollzogenen – Transformation als arkanes Interpretationsmuster auf und reicht seinen spirituellen Charakter an die Einbildungskraft als zentrales Element der frühneuzeitlichen Poetik weiter. In ihr erscheint die von Gott geschaffene Welt nochmals dupliziert und gesteigert; die Poesie wiederum gewinnt über die Einbildungskraft ihre Aufgabe als Erkenntnismedium, das den göttlichen Logos offenbart. Imagination und Dichtungslehre repräsentieren damit im Sinne von Instrumenten einer zum »Doppel« bestehender Ordnungen werdenden Kultur (Luhmann)329 jeweils selbstreflexive Instanzen, die Alternativversionen der herrschenden Realität aufleuchten lassen. Vom poetischen Gottesdienst zur Selbstermächtigung literarischer Phantasie ist es kein weiter Weg; beides eröffnet der Rückgriff auf die hermetische Logoslehre, der die Affirmation der Wirklichkeit und die Legitimation ihrer imaginären Überschreitung gleichermaßen implizieren kann.330 329 Luhmann: Kultur als historischer Begriff (s. Anm. 127), in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 41. 330 Die Imaginationslizenz des Hermetismus setzt damit eine ähnliche Wirkung innerhalb der – hier zunächst nur theoretischen – Konzeption der Literatur frei wie der antike Skeptizismus in zahlreichen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts. Zur Konstruktion der Phantasie auf dem Boden des Skeptizismus vgl. die vorzügliche Studie von Verena Olejniczak Lobsien: Skeptische Phantasie. Eine andere Geschichte der frühneuzeitlichen Literatur, München 1999, bes. S. 43 ff., 96 ff. Von Lobsiens Ansatz unterscheidet sich die hier vorliegende Arbeit primär dadurch, daß sie die Differenz zwischen theoretischem Text und literarischem Konzept bestehen läßt. Während Lobsien den philosophischen Traktaten über die Skepsis (Sextus Empiricus als Nachfolger des Pyrrhon aus Elis, Nikolaus von Kues) bereits einen genuin literarischen Diskursivierungsgrad zuschreibt (vgl. S. 36 ff., 81 f.), ist im Fall des Hermetismus eher von einer Transformation zu sprechen, die das philosophische Denkgefüge durch Selektionsakte zerlegt und in neuen Argumentationszusammenhängen reorganisiert. Als Beobachtung dritter Ordnung ist die Theorie der Literatur immer gehalten, Beobachtungssysteme zweiter Ordnung zu dekonstruieren, sowohl solche der Literatur selbst als auch solche der Wissenschaft. Die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Poetik bleibt unerläßlich, wenn man den funktionalen Status der Leitbegriffe verstehen möchte, die das poetologische Argumentationsverhalten bestimmen. Vgl. Luhmann: Weltkunst (s. Anm. 238), S. 214 ff.

5. Allegorie als Medium. Prämissen für die Allianz von Hermetismus und Poesie (Quintilian, Melanchthon, Scaliger, Foucault)

Das rhetorisch-poetische Verfahren der Allegorie zielt auf Verbergung und Entbergung eines hermetischen Sinns gleichermaßen. Verborgen wird ein Wissen, dessen spiritueller Wert gerade durch seinen arkanen Charakter hervortreten soll; entborgen wird dieses Wissen zugleich, weil die Allegorie ein Deutungsangebot einschließt, insofern sie sich auf ein seit der Spätantike genau festgelegtes, in der Patristik nochmals differenziertes Gefüge von Sinnofferten stützt. Eine derartige Doppelfunktion macht die Allegorie für den hermetischen Diskurs attraktiv. Zugleich schafft sie die Voraussetzungen für das Zusammenwirken von hermetischer Rede und poetischem Text, das wesentlich über das Formprinzip der Allegorie ermöglicht wird. Es ist daher im Interesse eines systematischeren Verständnisses der hermetischen Denkstruktur erforderlich, ihren Begriff und ihr Konzept näher zu umreißen. Grundlegend für die frühneuzeitliche Praxis der Allegorie sind die Bestimmungen der antiken Rhetorik. Quintilians Institutio oratoria, ihr ausführlichstes Kompendium, definiert das zentrale Prinzip der allegorischen Darstellung über den Vertauschungsmechanismus: »Allegoria, quam inversionem interpretantur, aliud verbis aliud sensu ostendit, aut etiam interim contrarium.«331 Die Inversion ist jedoch eine derart allgemeine Form der tropischen Ersetzung, daß weitere Abgrenzungen notwendig sind. Der in der Apposition bezeichnete Fall (»etiam interim contrarium«) entspricht der Ironie, bei der zwischen Zeichen und Sache eine Gegensatzbeziehung besteht; ist der Zusammenhang von Zeichen und Sache dunkel, so hat man es wiederum mit dem enigma zu tun.332 Generell muß die Allegorie von der Metapher abgegrenzt werden, und zwar durch das Kriterium der Quantität, das zuerst die früher Cicero zugeschriebene HerenniusRhetorik benannt hatte. Die Allegorie läßt sich als metaphora continua bezeichnen, als erweiterte Metapher, die den Inversionsmechanismus nicht auf ein

331 Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XII (s. Anm. 198), VIII, 6,44. 332 Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XII (s. Anm. 198), VIII, 6,48 ff.

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Wort beschränkt, sondern auf ein ganzes Feld von miteinander verknüpften verbae ausdehnt.333 Die verschiedenen Spielarten der Allegorie – etwa die Personifikation oder die allegorische Erzählung – werden von der Institutio nicht näher erfaßt. Quintilian ergänzt seine Bestimmung jedoch, indem er zwischen der allegoria tota und der allegoria permixta unterscheidet.334 Während der erste Typus sein Denotat nicht ausdrücklich hervorhebt, erläutert der zweite Typus das, was er bezeichnet.335 Die allegoria tota lagert gleichsam Bildzeichen und Sache übereinander, indessen die allegoria permixta beide systematisch trennt und allein ihre Beziehung, nicht aber die Einzelglieder selbst reflektiert. Die erste Variante verdichtet die Einheit von res und signa, die zweite kommentiert ihre Differenz. Für die Rezeption der Allegorie ist diese Unterscheidung der beiden Darstellungsverfahren von wesentlicher Bedeutung. Wo die allegoria tota das Problem der Dunkelheit (obscuritas) aufwirft, weil ihre Verständlichkeit von komplexen Voraussetzungen wie dem kulturellen Bildungswissen, der Aufmerksamkeit und Übertragungsfähigkeit des Rezipienten abhängt, bietet die allegoria permixta eine geregelte Transferstruktur, insofern sie ihre eigene Deutung bereits mitführt und auf diese Weise das Gebot der stilistischen Klarheit (perspicuitas) erfüllt. Die funktionale Differenz zwischen Dunkelheit und Klarheit wird für die nachfolgenden Überlegungen zur epistemischen Qualität der Allegorie im Hermetismus noch eine entscheidende Rolle spielen.336 333 Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XII (s. Anm. 198), VIII, 6,48 ff.; vgl. Auctor ad Herennium: De ratione dicendi, editit Fridericus Marx, Hildesheim 1966 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1894), IV, 34, 46 f. 334 Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XII (s. Anm. 198), VIII, 6,54 ff. Beide Formen waren in der älteren Rhetorik, so bei Aristoteles, nicht Teil der Tropen, sondern gehörten zu den Figuren (Aristoteles: Rhetorik, übers. v. Paul Gohlke, Paderborn 1959, II 99b). 335 Zur Funktion des Verbergens innerhalb der Quintilianschen Definition vgl. Anselm Haverkamp: Metaphora dis / continua: Figure in de / construction. Mit einem Kommentar zur Begriffsgeschichte von Quintilian bis Baumgarten, in: Allegorie. Konfigurationen von Text, Bild und Lektüre, hg. v. Eva Horn und Manfred Weinberg, Opladen 1998, S. 29 – 45. 336 Aktuellere Arbeiten konzentrieren sich, zumeist in der Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzend, bevorzugt auf den Versuch, im Anschluß an Benjamin und de Man den ästhetischen Eigenwert des allegorischen Verfahrens als Resultat seiner spezifischen Dialektik zu erschließen, wohingegen die Funktion des Wissenstransports zumeist außer acht bleibt; vgl. Heinz J. Drügh: Anders-Rede. Zur Struktur und historischen Systematik des Allegorischen, Freiburg i. Br. 2000, Achim Geisenhanslüke: Der Buchstabe des Geistes. Postfigurationen der Allegorie von Bunyan zu Nietzsche, München 2003. Während de Mans Allegorieverständnis dem Konzept einer ›intentionalen Rhetorik‹ unterliegt, wie er es in »The Rhetoric of Temporality« entwickelt hat (in: Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism, Minneapolis 1983, S. 187 – 228, S. 188), folgen die nachstehenden Überlegungen der Frage nach den Funktionsleistungen des allegorischen Konzepts; hier interessiert weniger das Problem der arkanen Absichten, die sich im allegorischen Hypotext manifestieren, als das des methodischen und epistemischen Verständnisses der Allegorie im Diskurs des 16. Jahrhunderts.

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Philipp Melanchthons Elementa rhetorices (1531), die kompakteste Darstellung unter den Rhetorik-Lehrwerken des Autors, bieten in ihrem zweiten Buch eine Auseinandersetzung mit der Allegorie, die für das 16. Jahrhundert exemplarisch ist.337 Verstehen läßt sich seine Darstellung vor dem Hintergrund des humanistischen Rhetorikverständnisses, das die Beredsamkeit eng mit Grammatik und Logik verbindet.338 Diese Einheit ermöglicht es, einzelne Stilmittel der menschlichen Sprache auf ihre intellektuelle Funktion zu durchleuchten und damit, stärker als in älteren Rhetoriken üblich, im Zusammenwirken mit Aspekten der Argumentationsstrategie zu betrachten. Die Tatsache, daß die Allegorie als tropische Technik nicht nur eine Illustration von Begriffen und Lehrsätzen leistet, sondern Wissen selbst formt, macht sie zum exemplarischen Gegenstand einer Rhetorikkonzeption, bei der das sprachliche Zeichen mit Erkenntnisprozessen direkt verknüpft ist.339 Zu Beginn seiner Ausführungen zur Allegorie erinnert Melanchthon kurz an die Theorie der metaphora continua bei Quintilian und liefert eine Definition, die den Bestimmungen der Institutio oratoria folgt: »Akkecoqia non est in uerbo sed in sententia, cum aliqua res significatur similitudine quadam (…)«340 Die Allegorie also erstreckt sich über mindestens einen Satz und beleuchtet eine Sache durch ihr ähnliche Relationsobjekte. Der Fortgang der Definition erläutert diesbezüglich, daß die Allegorie einen Vergleich herstellt, der das Ähnliche nennt, ohne das Verglichene ausdrücklich zu erwähnen: »nec tamen additur expresse altera pars collationis«341. Die Allegorie unterscheidet sich von der Metapher durch die Quantität, insofern der Vertauschungsmechanismus nicht auf ein Wort beschränkt bleibt, sondern auf einen Satz ausgedehnt wird. Die ›Ähnlichkeit‹ bildet aber das entscheidende Kriterium auch der allegorischen Praxis, denn res und signa müssen durch die similitudo vergleichbar sein. Diese organisiert die Allegorie auf einer internen Ebene, ohne daß die Spur vom Bild zurück zum Vorbild sichtbar hervortritt. Die Ähnlichkeitsrelation trägt bei der Allegorie virtuellen Charakter, da sie durch das Vorstellungsvermögen des Le337 Eine frühe Fassung der Elementa bildet die Studie De rhetorica (1519); es folgen Encomion Eloquentiae (1523) und De philosophia oratoria (1536). 338 Vgl. dazu Volkhard Wels: Triviale Künste. Die humanistische Reform der grammatischen, dialektischen und rhetorischen Ausbildung an der Wende zum 16. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 187 ff. 339 Zur Bedeutung der Melanchthonschen Wissenschaftskonzeption jetzt die Beiträge in: Günter Frank und Sebastian Lalla (Hg.): Melanchthons Wirkung in der europäischen Bildungsgeschichte (s. Anm. 260). 340 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices. Grundbegriffe der Rhetorik (zuerst 1531). Zweisprachige Ausgabe, hg., übers. u. komm. v. Volkhard Wels, Berlin 2000, S. 190. Wels’ Edition des im 16. Jahrhundert vielfach aufgelegten Texts stützt sich auf die Ausgabe von 1539; es handelt sich um die nach den Fassungen von 1531, 1532 und 1536 vierte Auflage. 341 Melanchthon: Elementa rhetorices (s. Anm. 340), S. 190.

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sers bzw. Hörers in Gang gesetzt werden muß. Sie bezieht sich auf eine imaginative Leistung, die das versteckte Vorbild im Gedächtnis abruft und auf das Bild zurückführt. Angesichts dessen könnte man die Allegorie auch einen imaginationsaktivierenden Tropus nennen, der Intellekt und Erinnerungsfähigkeit zur Tätigkeit herausfordert. Denn nur derjenige, der über Einbildungskraft, Kombinationsgabe und kulturelles Wissen verfügt, kann die allegorische Darstellung entschlüsseln. Auch diese Prämisse spielt für den hermetischen Diskurs eine maßgebliche Rolle, insofern sie seine Stimulierungsleistungen im Hinblick auf das Vermögen der Einbildungskraft festlegen. Strukturell, so Melanchthon, gleiche die Allegorie einem verstümmelten Enthymem (»allegoria est mutilatum enthymema«)342. Das Enthymem ist wiederum ein verkürztes syllogistisches Element, das die propositio maior – den locus communis – ausläßt und stattdessen nur propositio minor (»antecedens«) und conclusio (»consequens«) bietet. Wie das Enthymem ist die Allegorie das Resultat einer Reduktion, in diesem Fall bezogen auf die Durchführung eines Vergleichs (nicht eines Arguments). Reduziert wird der Transfer des Bildes auf das Vorbild, insofern letzteres nur implizit Erwähnung findet. Im Gegensatz zum Enthymem, das zumindest das Vorbild noch nennt, liefert die Allegorie einzig das Bild, also vom ursprünglich dreigliedrigen Argument allein die conclusio. Damit entsteht eine Stufung folgender Art, die syllogistisches Argumentum, Enthymem und Allegorie klar voneinander abgrenzt: Im sauberen dreigliedrigen Syllogismus werden größere und kleinere These sowie Folgerung ausdrücklich ausgesprochen; im Enthymem bleiben nur die kleinere (spezifische) Behauptung und die Folgerung zurück; die Allegorie nennt dagegen weder ihre umfassende noch ihre kleine inhaltliche Thesis, sondern beschränkt sich auf die Darstellung eines Bildes, das ein ungenannt bleibendes Argument bezeichnet. Dem Leser oder Hörer bleibt es aufgetragen, das gemeinte Vorbild als geistiges Zentrum der Allegorie zu erschließen. Diese Rekonstruktion kann nur dann gelingen, wenn auf der subjektiven Seite, wie schon angedeutet, Vorstellungsvermögen und kulturelles Wissen vorliegen, die eine Rückführung des Bildes auf das ungenannte Vorbild erlauben; sie ist zudem abhängig von objektiven Bedingungen, nämlich bestimmten intellektuellen Voraussetzungen im System der Zeichen, die es gestatten, den Zusammenhang zwischen einem ungenannten Denotat und dem allegorischen Bild zu erkennen.343 Vollständig singulären Gesetzen unterliegt die Sprache der Heiligen Schrift, die Melanchthon nicht unter dem Aspekt der Rhetorizität betrachten möchte, 342 Melanchthon: Elementa rhetorices (s. Anm. 340), S. 190, 192. 343 Zu Melanchthons Allegoriebestimmung Erich Kleinschmidt: Denkform im geschichtlichen Prozeß. Zum Funktionswandel der Allegorie in der Frühen Neuzeit, in: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978, hg. v. Walter Haug, Tübingen 1979, S. 388 – 404, S. 391 f.

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weil ihr Text sich der Produktionslogik menschlicher Rede entzieht. Unangemessen findet Melanchthon aber auch die kasuistische Differenzierung, die sich in der seit Tertullian etablierten Lehre vom mehrfachen Schriftsinn manifestiert. Die hermeneutische Technik der Allegorese lehnt er ab, wobei seine Argumentation dem Vorbild der Kritik Luthers folgt, die das Konzept der ›sola scriptura‹ mit dem Gedanken der Selbstauslegung der Heiligen Schrift verbunden hatte.344 Die Unterscheidung zwischen einem literalen und einem höheren Sinn greift laut Melanchthon im Fall der Bibel nicht, da Gottes Wort weder rein buchstäblich noch durch den Bezug auf eine externe Bedeutung auszulegen sei. Die scholastische Allegorese-Praxis wird verworfen, weil, wie es heißt, ihre Spitzfindigkeit den heiligen Sinn des Wortes verfehle, indem sie ihm einen aus dem Menschenverstand geborenen, spekulativen Mehrsinn zuordne, der an der geoffenbarten Botschaft vorbeigehe. Der Interpret der Schrift solle sich an den jeweiligen Kontext der von ihm zu erklärenden Passage halten und die spirituelle Bedeutung nicht mit dubiosem Scharfsinn, sondern durch Konzentration auf den Zusammenhang der biblischen Erzählung erfassen: »Nec ubique licet allegoria querere, nec temere aliud ex grammatica sententias raciocinandum est, Sed uidendum quid in unoquoque loco deceat, nec pugnantia fingenda sunt cum articulis fidei.«345 Weil die biblische Sprache als Produkt des göttlichen Logos nicht rhetorisch definiert werden kann, darf man sie auch nicht durch Modelle der Tropenlehre explizieren. Die Mechanismen der similitudo, des Transfers und der Vertauschung gelten hier nicht, so daß die Bilder der Heiligen Schrift auch nicht als Zeichen für eine abstrakte Ordnung zu beanspruchen sind. Gerade die epistemologische Funktion der Allegorie, die ihre Nähe zum Enthymem begründet, entzieht sich Melanchthon zufolge dem Geltungsbereich der biblischen Worte, weil diese eine Einheit von verba et res dokumentieren, die im menschlichen Sprachsystem fehlt.346 Das Wissen, das die Allegorie transportiert, ist ein Argumentationswissen, das sich auf Bilder stützt, um Thesen zu untermauern; die geoffenbarte Wahrheit der Bibel, die keine Differenz von Rede und Sache kennt, bewegt sich außerhalb des rationalen Kalküls der allegorischen Wirkungsstrategie. Die schon bei Quintilian manifest werdende Zwischenstellung der Allegorie als Tropus und Figur wird auch von Melanchthon betont. Als fortgesetzte Metapher ist die Allegorie tropisch, als Filiation von aenigma und eirúneia läßt sie sich den Figuren zuschlagen. Das aenigma repräsentiert eine im Bereich der 344 Martin Luther : In epistolam S. Pauli, in: Werke. Weimarer Ausgabe, Weimar 1883 ff. Abt. I, Bd. 42 / I u. II, hier I, S. 657 f.; vgl. auch die Allegoriekritik der Tischreden: Werke, Abt. II, Bd. 1, S. 606, Abt. II, Bd. 6, S. 308 f. 345 Melanchthon: Elementa rhetorices (s. Anm. 340), S. 210. 346 Vgl. Rüdiger Campe: Melanchthons Allegorie zwischen Rhetorik und Hermeneutik, in: Allegorie (s. Anm. 335), S. 46 – 58.

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obscuritas nochmals gesteigerte Allegorie, die für die Prosa – also etwa die politische Rede – kaum zu empfehlen ist (sie tritt an den Platz der allegoria tota Quintilians, dessen binäre Differenzierung bei Melanchthon nicht realisiert wird). Die Ironie wiederum teilt mit der Allegorie den Transfermechanismus, auch sie ist uneigentliches Sprechen, jedoch nicht in Bildern und (impliziten) Vergleichen, sondern auf der Basis einer unernst gemeinten Übertreibung.347 Diesen Inversionscharakter betrachtet Melanchthon bei der Ironie als Variante der allegorischen Transferbewegung. In beiden Fällen bleibt das Verständnis an die Einsicht in den impliziten Charakter der faktischen Aussage gebunden. Auch hier sieht man, daß sich die Allegorie auf Erkenntnisleistungen stützt, die ihre Funktion – die Illustration des Abstraktums durch das Bild – wesentlich erst ermöglichen. Es gehört nicht zum Aufgabenbereich einer Rhetorik, diese epistemischen Hintergründe der Tropenlehre aufzudecken, jedoch scheint im 16. Jahrhundert für ihre Grundlagen konstitutiv, daß res und signa in einem System von Ähnlichkeiten vereint sind. Die similitudo zwischen Bild und Vorbild, von der die Allegorie getragen wird, gehört ihrerseits schon zur Ordnung der Natur, die sie sinnbildlich darstellt. Melanchthon läßt an dieser Kausalitätbeziehung keinen Zweifel, wenn er die Allegorie immer wieder auf das Prinzip der Ähnlichkeit verpflichtet, die Bild und Vorbild miteinander verknüpft. Iulius Caesar Scaligers eben schon erörterte Poetik (1561) ignoriert Quintilians Unterscheidung zwischen tota und permixta allegoria, die bei Melanchthon noch in Ansätzen über die Differenzierung von Allegorie und Rätsel zumindest strukturell wiederholt wird. Für Scaliger existieren zwei Spielarten der Allegorie; die eine entspricht der metaphora continua, die andere der prosopopeia. Der erste Typus wird als »allusio« – Anspielung – eingeführt, die einem Vertauschungsprinzip gehorcht: »At hic vera est allegoria et cuius nomen cum definitionem congruit: figura aliud dicens, aliud intelligens simile, quam allusionem latine libet appellare.«348 Die spielerische Qualität der Allegorie resultiert daraus, daß ihre Modalität (»modus«) durch den Vertauschungsmechanismus bestimmt ist, der sie etwas anderes meinen läßt als sie explizit aussagt. Im Gegensatz zur Ironie lebt sie jedoch, wie Scaliger betont, nicht aus einer Oppositionsbeziehung, sondern aus der Substanz der Ähnlichkeit, die eine genuin metaphorische Übertragungsleistung ermöglicht: »Fit autem allegoria per similitudines ac translationes …«349 Die Metapher nutzt die Allegorie, indem sie deren Vertauschungsmechechanismus quantitativ erweitert und auf mehrere Glieder überträgt; mit dem Prinzip der Ähnlichkeit, das ihre Einzelelemente auf eine 347 Melanchthon: Elementa rhetorices (s. Anm. 340), S. 210, 212. 348 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd.II, S. 528 (lib. III, cap. 83). 349 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 542 (lib. III, cap. 84).

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durch Konvention hergestellte Analogie verpflichtet, grenzt sie sich wiederum von der Ironie ab. Scaliger unterscheidet vier Varianten der Allegorie: Fabel, Tierfabel, Erzählung und Sprichwort. Mit Ausnahme der letzten Gruppe teilen die hier genannten Allegorieformen den fiktionalen Grundzug, der uns auch im hermetischen Diskurs begegnen wird. Dem entspricht die grundlegende Bestimmung der Allegorie als auf eine allgemeine ›Wahrheit‹ bezogene erfundene Erzählung: »Narratio ficta relata ad veritatem erit fabula.«350 Das allegorische Verfahren bleibt eingebunden in umfassendere fiktionale Strukturen, wobei eine genaue Abgrenzung gegenüber dem Gleichnis nicht erfolgt. Wesentlich im Unterschied zum bei Melanchthon mustergültig entwickelten System der Rhetorik ist, daß Scaligers poetologische Bestimmung die Allegorie weniger über ihren für die Tropen generell typischen Vertauschungseffekt als über ihre narrative Leistung definiert. Die Beziehung zwischen Zeichen und Sache fällt hier komplexer aus, weil sie sich durch eine Serie der Zeichenverknüpfungen konstitituiert. Daher betont Scaliger wiederholt, daß die Allegorie eine allgemeine Lehre bezeichne, die durch den narrativen Rahmen verdeutlicht werde. Anders als im Fall der metaphora continua Melanchthons, die ein Abstraktum im Sinnbild illustriert, ist diese Lehre nicht auf einen Begriff reduzibel; vielmehr vermittelt sie sich erst über eine fiktionale Konstruktion erzählerischen Charakters, mithin extensiv und synthetisch.351 Eine zentrale Bedeutung unter den allegorischen Formen fällt der Fabel zu. Ihre nähere Bestimmung verrät, daß Sacliger an diesem Punkt zumindest die allegoria permixta im Auge hat. Differenziert wird zwischen der Fabel, die ihre Moral der Erzählung vorschaltet, und der, die sie nachstellt.352 Beide Fälle repräsentierten Spielarten der allegoria permixta, da ein Erklärungsmuster durch den Rekurs auf die ›Moral‹ explizit mitgeliefert wird. Die Fabel verbindet mit kleineren tropischen Formen wie der Metapher die Beziehung des Besonderen zum Allgemeinen; ihr Besonderes ist die Erzählung, die auf ein Allgemeines – die moralische Lehre – verweist. Im Gegensatz zur allegoria tota liefert sie dem Leser keine Deutungsarbeit, sondern erläutert sich selbst durch ihr Vor- oder Nachwort. Nur im generellen Sinn läßt sich die Fabel der Similitudo-Logik der tro350 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 532 (lib. III, cap. 83). 351 Diese Überlegungen werden hier nur in ihrem theoretischen Rahmen verfolgt. Zur allegorischen Praxis des 16. Jahrhunderts vgl. Klaus W. Hempfer : Allegorie als interpretatives Verfahren in der Renaissance: Dichterallegorese im 16. Jahrhundert und die allegorischen Rezeptionen von Ariosts Orlando Furioso, in: Italien und die Romania in Humanismus und Renaissance. Festschrift für Erich Loos, hg. v. Klaus W. Hempfer und Enrico Straub, Wiesbaden 1983, S. 51 – 76. 352 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd.II, S. 534 (lib. III, cap. 83).

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pischen Rede vergleichen, insofern sie zwischen Besonderem und Allemeinem eine Beziehung der Ähnlichkeit aufbaut. Konkreter betrachtet, ist die Fabel dem Pars-pro-Toto-Mechanismus vergleichbar, der auch die Synekdoche determiniert, denn ihre Erzählung steht als Teil für das Ganze der moralischen Unterweisung. Die bei Scaliger zu beobachtende Einbindung der Allegorie in den Kontext narrativer Strukturen läßt sich, einer These Erich Kleinschmidts folgend, als Reflex einer Aufwertung der literarischen Fiktion lesen.353 Auf funktionaler Ebene bedeutet die Allegorie die Sicherstellung des spirituellen Sinns durch das Medium der Sprache; die verbergende – integumentale – Aussage ist zugleich eine enthüllende, insofern sie den Zweitsinn der Naturerscheinung andeutet.354 Auf poetischer Ebene ermöglicht die Allegorie zudem eine Entfaltung narrativer Potentiale, die Konstitution des Textes als Konsekution von Zeichen. Die Verhüllung der übergreifenden Lehre durch die bildhafte Darstellung stößt einen fiktionalen Prozeß an, der darauf abzielt, erfundene Geschichten zum Zweck der allgemeinen Belehrung zu erzählen. Gegen die im christlichen Mittelalter verbreitete Fiktionskritik behauptet die Allegorie das Recht der erdachten fabula, indem sie diese auf ihren gleichermaßen verbergenden und enthüllenden Zweck verpflichtet. Die Allegorie impliziert »die Einsetzung der literarischen Fiktion als einer neuen, selbstbestimmten Eigenrealität mit zugleich ästhetischem wie weltdeutendem Anspruch.«355 Durch das ihr implizite Programm der integumentalen Konstruktion von Realität entwickelt sie ein narratives Potential, das unterschwellig zur Geltung kommt, indem es in einer gleichsam natürlichen Konsequenz aus der Gliederung des Hypotextes hervorgeht, die sich im allegorischen Verfahren versteckt vollzieht; die Allegorie erzählt Geschichten, die durch die Verbergung des Zweitsinns entstehen. Während Fabel, Tierfabel und exemplarische Erzählung narrative Strukturen aufweisen, ist Scaligers vierter Typus, das Sprichwort, stärker auf die komprimierte Darstellung eines Abstraktums – eines Begriffs oder einer sittlichen Erkenntnis – bezogen. Scaligers Definition hebt die Tatsache der populären Verbreitung ausdrücklich hervor, wenn es heißt: »Proverbium est oratio vulgata allegorica (…)«.356 Als ›verbreitete‹ Allegorie ist das Sprichwort leichter verständlich als die Fabel, zudem in der Regel auf einen einzigen moralischen Zweitsinn konzentriert. Gerade die sehr direkte Beziehung zwischen Bildrede 353 Kleinschmidt: Denkform im geschichtlichen Prozeß (s. Anm. 343), S. 396 f. 354 Über das Zusammenwirken von Allegorese und Allegorie im Spätmittelalter bereits Küpper : Zu einigen Aspekten der Dichtungstheorie in der Frührenaissance (s. Anm. 183), S. 54 ff. (Dantes Poetik und die Funktion der integumentalen Allegorese). 355 Kleinschmidt: Denkform im geschichtlichen Prozeß (s. Anm. 343), S. 397. 356 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 538 (lib. III, cap. 83).

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und Gemeintem sorgt für die genretypische Eindeutigkeit des proverbium. Sie ermöglicht unmittelbares Verständnis ohne nähere Kommentierung, weil sie das Verhältnis von signa und res erneut auf der Basis einer Pars-pro-toto-Relation bestimmt. Das Sprichwort illustriert eine allgemeine Lehre, indem es ein spezifisches Beispiel für ein Abstraktum erfindet. Diese Funktion teilt es wiederum mit der Fabel, die eine identische Relation zwischen Teil und Ganzem aufbaut. Neben der aus der Metapher entfalteten Allegorie nennt Scaligers Poetik als Sondertypus die von den Rhetoriken zumeist ignorierte prosopopeia, die Personifikation. Unterschieden werden zwei Varianten der Personifizierung, eine im engeren Sinne allegorische und eine realistische. Die erste bezeichnet die allegorische Erfindung im Medium einer Figur, die für ein Abstraktum steht; den zweiten Typus der prosopopoeia verkörpert die einfache Personenrede (»sermocinatio«357), die nicht selbstverständlich den Charakter der allegorischen Konstruktion tragen muß, sondern auch als Rede einer natürlichen Person denkbar ist – sie interessiert hier weniger. Über den allegorischen Typus heißt es: »Primus modus, ubi fictio persona introducitur ut Fama a Vergilio et Fames ab Ovidio.«358 Es handelt sich um die seit der Antike vertraute Form der ficta persona, die mit sprechenden Attributen ausgestattete Figur zu einem abstrakten Begriff. Ihre Funktion liegt für Scaliger auf einer ähnlichen Ebene wie die moralische Allegorie der Fabelerzählung, insofern sie Unanschauliches bildhaft macht: »Praesertim si rei mutae sermo attributor«.359 Die Personifikation ist wesentlich eine Form der Attributierung, die darin besteht, daß einem Abstraktum Eigenschaften zugeschrieben werden, die in äußerlich sichtbaren Merkmalen zutage treten. Die Attributierungsleistung bedeutet zugleich einen Transferakt, insofern sie den abstrakten Begriff in eine Gestalt, die einen Bezug zu ihm aufweist, überführt. Scaliger kündigt an, er werde im Anhang seines Werkes diverse solcher Personifikationen durch Beispiele belegen, die aus dem Bereich des Theaters stammen, verwirklicht diese Ankündigung dann jedoch nicht.360 Eine Liste, wie sie Scaliger avisiert, wird ein knappes Jahrhundert später in Georg Philipp Harsdörffers Poetischem Trichter (1648¢53) geboten. Harsdörffer geht jedoch nicht vom Verzeichnis der Begriffe, sondern von den ›res‹ aus, die als ›signa‹ für die Abstrakta stehen. Seine Aufstellung, deren Stichwörter von Aal bis Zwilling reichen, versammelt die je357 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 424 (lib. III, cap. 47). 358 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 422 (lib. III, cap. 47). 359 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 424 (lib. III, cap. 47). 360 Scaliger : Poetices libri septem. / Sieben Bücher über die Dichtkunst (s. Anm. 191), Bd. II, S. 424 (lib. III, cap. 47).

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weiligen Bildspendebereiche für die Personifikation verschiedenster Termini und Bedeutungen. Die Personifikation überführt einen abstrakten Begriff ins Feld der Anschaubarkeit, indem sie ihn mit menschlichen Qualitäten ausstattet. Ihre Leistung, so könnte man im Hinblick auf Scaligers Definition sagen, liegt in der Supplementiertierung durch Anthropomorphisierung. Sie verrichtet keine bloße ›Illustration‹, sondern ergänzt den Begriff, indem sie ihn auf das Feld des Konkreten transferiert. Ihre Arbeit ist topisch im Sinne der Ordnung, Verbindung und Ergänzung vorfindbaren Wissens. Sie fungiert als Gliederungsinstanz, die einzelne Segmente des Wissens über Natur, Medizin, Recht und Moral in Beziehung zueinander setzt, indem sie ihnen Eigenschaften zuschreibt, die als äußere Kennzeichen des menschlichen Körpers, der Kleidung und des Habitus auf einer konkreten Ebene dargestellt werden. Der topische Charakter der Personifikation liegt darin, daß sie implizites Wissen im Raum gliedert und auf diese Weise der Imagination zugänglich macht. Das Wissen, das die Personfikation verarbeitet, ist nicht mehr abstrakt, sondern anschaulich und zugleich geordnet. Die Personifikation beschränkt sich aber nicht darauf, im Stil einer Hypotypose dem Begriff als Mittel der Veranschaulichung seiner Bedeutung zu dienen. Vielmehr leistet sie einen eigenen Beitrag zur Gliederung abstrakter Kategorien, indem sie deren Determination durch die Attributierung ihrer Merkmale ergänzt und fortschreibt. Von der Illustration unterscheidet die persona fictio, daß sie nicht von außen an die Ordnung des Wissens herantritt, sondern sich in ihr bewegt, indem sie mit ihren Kennzeichen, Abstufungen und Hierarchien arbeitet. Die Attributierung, die sie vornimmt, ist nur möglich, wenn sie das Feld des Wissens aus der Innensicht betrachtet. Ihre Supplementierung des Begriffs durch die menschliche Gestalt, deren Qualitäten der abstrakten Bedeutung qua Ähnlichkeitsrelation korrespondieren, vollzieht sie als Akt der internen Reflexion der Ordnung des Wissens, deren Einzelglieder, Merkmale und Beziehungen sie näher strukturiert. Hier ist der Punkt gegeben, an dem die Allegorie deutlich auf das epistemische System zurückweist, das im 16. Jahrhundert Denken und Sprache beherrscht. Dieser für den Hermetismus wichtige Zusammenhang läßt sich am besten im Rahmen der allgemeinen Archäologie des Wissens verstehen, wie sie Michel Foucault in Bezug auf die diskursiven Praktiken der Epoche entwickelt hat. In Les mots et les choses (1966) sucht Foucault bekanntlich das Denken in Ähnlichkeiten als zentrales epistemisches Prinzip des 16. Jahrhunderts auszuweisen, wobei dessen Grundlinien bemerkenswerte Bezüge zum Hermetismus offenbaren. Zu diesem Denken gehören, wie zu erinnern ist, vier systematische Felder, die den strukturellen Raum des Ähnlichen begründen. Ähnlichkeit kann durch räumliche Übereinstimmung (convenientia) oder durch Konkurrenz der

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Elemente (aemulatio), durch formale Entsprechungen (Analogie) und wechselseitige Anziehung (Sympathie) geschaffen werden.361 Es ist bisher kaum gesehen worden, daß sämtliche dieser Felder ihrerseits einen Bezug zu den Ordnungsmodellen der humanistischen Rhetorik und Poetik aufweisen.362 Die convenientia korrespondiert der Topik als System einer Wissensverwaltung, die Synthesen zwischen den Erscheinungen bildet, indem sie ihnen ein Gefüge der Kontiguität stiftet, wo sie nebeneneinander existieren dürfen; die aemulatio verweist auf das Prinzip des Nacheiferns als Triebfeder auch dichterischer Arbeit in Bezug auf Stilmittel, Texte und Autoren (imitatio veterum); die Analogie erinnert an das rhetorische Gesetz von aptum und decorum, das die Korrespondenz zwischen res und signa regelt; die Sympathie bezeichnet die für die poetische Imagination gleichermaßen entscheidende Kraft der attractio, die Wörter und Sachen verbindet. Auch wenn Foucaults Schema nicht unproblematisch ist, weil es nur Teilbereiche der Wissensordnungen der Renaissance erfaßt, soll es im folgenden aufgegriffen werden.363 Die Rechtfertigungsbasis für diese Adaption liegt darin, daß Foucault hier eine epistemische Struktur beschreibt, die sich exakt im Mechanismus der Allegorie, wie ihn Rhetorik und Poetiken des 16. Jahrhunderts definieren, spiegelt. Selbst wenn das Denken in Ähnlichkeiten nicht für jede wissenschaftliche Ordnung der Zeit Gültigkeit besitzt – seine Anwendbarkeit auf den Neoaristotelismus etwa dürfte zweifelhaft sein -, läßt sich gleichwohl zeigen, daß es den zentralen wissensmethodischen Horizont für die allegorische Darstellungsform abgibt. Die epistemischen Implikationen der Allegorie sind, so lautet die Hypothese, jene des Denkens in Ähnlichkeiten.364 Foucaults Analyse dieses Denkens zielt, wie er nachträglich in L’arch¦ologie du savoir (1969) erläutert hat, auf die ›Funktionen‹ von ›Aussagen‹, nicht auf Erkenntnistechniken oder Ideenkonfigurationen einer Epoche.365 Wichtiger als die Untersuchung übergreifender theoretischer Prinzipien ist die Erschließung der Regeln, nach denen Sätze und Bestimmungen das Wissen formen. Die damit 361 Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 46 ff. 362 Ansätze dazu bei Rüdiger Campe: Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1990, S. 54 ff. 363 Nicht unproblematisch ist, dass das Denken in Ähnlichkeiten von Foucault wesentlich durch Beispiele aus dem esoterischen Wissensdiskurs gestützt wird; seine Gewährsleute sind zumal Agrippa von Nettesheim, Paracelsus und Giambattista della Porta. Die Frage mag sich stellen, ob damit die Geltung der hier entworfenen Systematik auf den Bereich der Esoterik beschränkt bleibt. 364 Vgl. für eine differenzierte Abwägung der Leistungen des Foucaultschen Konzepts Joachim Küpper: Diskurs-Renovatio bei Lope de Vega und Calderûn. Untersuchungen zum spanischen Barockdrama. Mit einer Skizze zur Evolution der Diskurse in Mittelalter, Renaissance und Manierismus, Tübingen 1990, S. 230 ff. (Differenz zwischen mittelalterlichem und ›rinascimentalem‹ Analogiedenken). 365 Foucault: Archäologie des Wissens (s. Anm. 116), bes. S. 216 ff.

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gegebene methodische Prämisse ist bedeutsam, weil sie sichtbar macht, daß Foucaults Untersuchung ein Strukturmodell erschließt, das nicht die gesamte Periode des Humanismus beherrscht, sondern eine seiner zentralen diskursiven Praktiken konstituiert. In diesem Sinne reflektiert sie weniger eine begrifflich verbindliche Theorie der Erkenntnis als vielmehr einen Modus der Aussage über Natur, Mensch und Sprache, wie er im 16. Jahrhundert zutagetritt. Dieser Modus ist nun auf spezifische Weise mit dem Gegenstand, den er formiert, verbunden, und zwar nicht im Sinne einer programmatischen Kohäsion, sondern auf der Grundlage diskursiver Praxis. Die besondere Qualität der Denkstrategie, die Les mots et les choses unter dem Rubrum des Ähnlichen beschreibt, liegt im engen Konnex zwischen Objekt, Sprache und Wissen begründet, der eine Einheit von intellektueller Form und Erkenntnisgegenstand erzeugt. Die Ähnlichkeit ist im 16. Jahrhundert laut Foucault eine Modalität nicht erst der Aussage, sondern schon des Seins.366 Sie wird a priori vorgefunden und kann durch die significatio im Medium der Rede oder des malerischen Bildes nachgeahmt werden.367 Anders als in späteren Epochen erscheint die Ähnlichkeit nicht als Resultat einer durch die Sprachzeichen sichergestellten Imagination, sondern als Element der Welt, das ontologisch begründet ist. Die Wirklichkeit läßt sich, so liest man bei Foucault, als System denken, das über Verfahren der Verdoppelung, Wiederholung und Spiegelung verfügt. Die Erscheinungen der Natur vervielfältigen sich in dieser Ordnung, indem sie sich wechselseitig supplementieren und semantisch erweitern. Damit gewinnen sie füreinander den Charakter von Zeichen, die Bedeutungen durch feste Aussagen erzeugen, wie es im – von Foucault nicht erwähnten – Hermetismus der Fall ist: Die Welt drehte sich in sich selbst; die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die dem Menschen dienten. Die Malerei imitierte den Raum, und die Repräsentation, war sie nun Fest oder Wissenschaft, gab sich als Wiederholung: Theater des Lebens oder Spiegel der Welt, so lautete der Titel jeder Sprache, ihre Art, sich ankündigen, und ihr Recht auf Sprache zu formulieren.368

Indem die Dinge wechselseitig aufeinander verweisen, nehmen sie eine Zeichenfunktion wahr ; wenn die Sprache die innere Verbindung der Erscheinungen hervorhebt, trägt sie dem Prinzip der Ähnlichkeit Rechnung, das sie verknüpft. Sprache und Sein vereint die Tatsache, daß beide, wie im hermetischen Denken 366 Überprüfung des Foucaultschen Analogismus-Modells am Beispiel Torquato Tassos bei Gerhard Regn: Mimesis und Episteme der Ähnlichkeit in der Poetik der italienischen Spätrenaissance, in: Renaissance: Diskursstrukturen und epistemologische Voraussetzungen. Literatur – Philosophie – Bildende Kunst, hg. v. Klaus W. Hempfer, S. 133 – 145. 367 Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 66. 368 Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 46.

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generell, durch die Analogie von Ding und Bedeutung beherrscht werden. In besonderem Maße würde das für die Allegorie gelten, die dort, wo sie die Korrespondenz von signa und res erfaßt, mimetischen Charakter trägt. Es gehört nach Foucault zu den besonderen Merkmalen des Denkens in Ähnlichkeiten, daß die Zeichen der Sprache oder der Malerei kein externes System bilden, das die Dinge von außen darstellt. Vielmehr bedeuten die signa nur eine Reduplikation des vorfindbaren Ähnlichen in der Ordnung der Bezeichnung. Die Zeichen bilden, wie Foucault betont, eine spezifische Qualität der Dinge, die sie veranschaulichen. Sie sind ein Element der Erscheinungen, deren Attribute sie lediglich reflektieren. Das hat zur Konsequenz, daß Interpretation und Signifikation als analoge Prozesse zu betrachten sind. Wer die Dinge im Sinne ihrer Verwandtschaften bezeichnet, trägt immer auch schon dazu bei, sie in ihrer Ähnlichkeitsbeziehung zu interpretieren. »Den Sinn zu suchen, heißt an den Tag zu bringen, was sich ähnelt. Das Gesetz der Zeichen zu suchen, heißt die Dinge zu entdecken, die ähnlich sind.«369 In der für Les mots et les choses typischen Tonlage des raunenden Erzählers beschreibt Foucault die Ähnlichkeit im Zeitalter der Renaissance als eine implizit hermetische Ontologie, die auch über die mimetische Funktion der Sprachzeichen sichergestellt wird: In ihrem rohen und historischen Sein des sechzehnten Jahrhunderts ist die Sprache kein willkürliches System; sie ist in der Welt niedergelegt und gehört ihr zu, weil die Dinge selbst ihr Rätsel wie eine Sprache verbergen und gleichzeitig manifestieren und weil die Wörter sich den Menschen als zu entziffernde Dinge anbieten.370

Diese Bestimmung Foucaults demonstriert, daß das Denken in Ähnlichkeiten kein konstruierendes Spiel der ars combinatoria, sondern ein Finden vorausentworfener Strukturen ist. Die Zeichen der Sprache leisten mit einer Formulierung Foucaults eine »verborgene Enthüllung«371, weil sie das Sichtbare und zugleich das dahinter liegende Unsichtbare zeigen.372 Sie sind weder ›Darstellung‹ noch ›Repräsentation‹ des Ähnlichen, sondern deren »Distribution«, da sie ihrerseits zur Natur gehören und deren inneres Gesetz hervortreten lassen. In der Sprache verwirklicht sich die Ähnlichkeit ebenso wie in den Dingen selbst. Die Differenz zwischen res und signa ist hier noch nicht gültig, so daß auch die allegorische Rede nur die Realisation eines Prinzips bedeutet, das in der Natur 369 370 371 372

Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 60. Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 66. Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 67. Ein solcher Gegensatz ist Thema und Objekt der Diskursanalyse, insofern sie nicht auf das harmonische Verhältnis von Begriff und Erkenntnisobjekt blickt, sondern Spannungen von Aussage und Sache zu erschließen sucht; Foucault: Archäologe des Wissens (s. Anm. 116), S. 222.

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angelegt ist.373 Foucault meint damit nicht, daß die Sprache des 16. Jahrhunderts gleichsam einen biblisch-adamitischen Status innehabe, der die Identität von Benennung und Schöpfung bedeutet.374 Die Grenze zwischen der Sprache und der Natur erscheint dort, wo sich die Zeichen der Rede bereits von den Dingen gelöst haben. Im Gefüge der Ähnlichkeiten bleiben sie jedoch nicht fundamental von ihnen getrennt, sondern gehören weiterhin demselben System wie sie an; diese gemeinsame Ordnung können weder res noch signa in letzter Konsequenz verlassen. Die Sprache bildet keine Ordnung der Repräsentation aus, vielmehr partizipiert sie an der inneren Organisation der Natur, die sie durch Nachahmung darstellt. Das Sprachzeichen ist kein Medium göttlicher Schöpfungsgewalt, aber es liegt gleichsam im Raum der Natur – ontologisch – vor und imitiert das, was in seiner Nähe existiert. Die Allegorie kann nur deshalb Analogien zur Sprache bringen, weil ihre Zeichen demselben System wie die Naturelemente entstammen. In der Epoche der Ähnlichkeiten erscheint die Allegorie als Zeichensprache, die das Alphabet der Erscheinungen wiederholt, da sie ihm konstitutiv angehört. Erst in der späteren Epoche der Repräsentation wird die Sprache ein System bilden, das dieses Alphabet zuallerst produziert.375 Die signa liegen dann jenseits der res, in einem eigenen Sektor, der von der Natur getrennt ist; ihre Ordnung entspringt einer internen Organisationsleistung, die Nomenklaturen und Taxonomien für die vernunftkonforme Strukturierung der Gegenstände des Wissens schafft.376 Vor dem Hintergrund des hier skizzierten Modells der Ähnlichkeiten lassen sich auch Scaligers Bestimmungen neu lesen. Das allegorische Verfahren bedeutet keine Erzeugung des zweiten Sinns im Bild, sondern eine imitatio, die 373 Diesen Aspekt, der bis weit in die Mitte des 17. Jahrhunderts die Konzeption des Sprachzeichens bestimmt, unterschätzt Walter Benjamins Allegoriebegriff, insofern er von einer konventionellen Konstruktion der Ähnlichkeit, nicht aber von der Möglichkeit ihrer mimetischen Erzeugung ausgeht (Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: Gesammelte Schriften, hg. v. Hermann Schweppenhäuser und Rolf Tiedemann, Frankfurt / M. 1972¢1987, Bd.I, S. 203¢430, bes. S. 396 ff.). 374 Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 68 f. 375 Auch in der epistemischen Ordnung der Repräsentation, die das cartesianische 17. Jahrhundert hervorbringt, können Analogien zwischen Phänomenen der Natur beobachtet werden, jedoch erscheinen sie als Resultat der Zeichenproduktion, nicht als Bestandteil der Schöpfung selbst. Sie werden erst durch die Imagination hergestellt, abgerufen über einen Akt der Kombination; was die Ähnlichkeit im Zeitalter der Repräsentation von jener des 16. Jahrhunderts unterscheidet, ist Foucault zufolge deren Erzeugung durch das Zeichen: »In dieser Position der Grenze und der Bedingung (ohne was und dieseits wovon man nicht erkennen kann) steht die Ähnlichkeit auf der Seite der Imagination, oder genauer, sie erscheint nur durch die Kraft der Imagination, und die Imagination wirkt sich nur aus, indem sie sich auf sie stützt.« (Foucault: Die Ordnung der Dinge [s. Anm. 116], S. 104). 376 Foucault: Die Ordnung der Dinge (s. Anm. 116), S. 164.

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Annäherung an eine hermetische Realität, in deren Zeichen der spirituelle sensus immer schon vorgegeben ist. Die Allegorie aktiviert die semantische Entelechie der Welt, indem sie zeigt, was hinter den Dingen steckt. Die ›similitudo‹ ist kein Resultat der künstlichen Produktion eines Sinns, der den Zusammenhang zwischen den Erscheinungen über eine letzthin abstrakte Analogie stiftet. Alles, was die Allegorie zeigt, bildet einen Teil der Natur, die sie reflektiert. Ihr hermetischer Charakter liegt darin begründet, daß sie die enge Beziehung zwischen res und signa als Merkmal eines Denkens verdeutlicht, das Sprache und Ding nicht trennt. Angesichts dessen gehört sie einer übergreifenden Naturordnung an, in der keine Differenz zwischen Tropus und eigentlicher Rede existiert. Die Allegorie ist die sinnbildliche Sprache jenes ontologischen Systems, das die Einheit von Modalität und Gegenstand vorgibt, indem es ihre innere Verwandtschaft begründet. Das hier skizzierte Denken in Ähnlichkeit bildet ein epistemisches Modell, das auch für hermetische Denkmuster und deren literarische Transformation eine wesentliche Rolle spielt. Schon im Corpus Hermeticum realisiert es sich durch Techniken der Allegorie, die den gesamten Text durchlaufen. Blickt man auf die einschlägigen Beispiele, so erkennt man, wie die Imagination eines hermetischen Wissens in der Allegorie reflexiv wird.377 Im neunten Traktat tritt dieses Verfahren deutlich hervor, wenn es heißt, die »Samen Gottes« seien »Tugend, Besonnenheit und Frömmigkeit«.378 Im Sinne einer allegoria permixta, die nach Quintilian ihre eigene Auslegung bereits enthält, expliziert dieser Passus seine Bedeutung durch die Gleichsetzung von Bild und Begriff. Dem Samen Gottes entsprechen abstrakte Kategorien, die hier in genauer innerer Differenzierung vorgestellt werden. Gott sät moralische, intellektuelle und religiöse Haltungen, die ihrerseits auf seine Stellung als Schöpfer zurückweisen. Die von ihm geschaffene Natur ist selbst kreativ, insofern sie sich vermehrt und damit stabil organisiert. Gottes Schöpfungsleistung, so verrät die Allegorie des neunten Traktats, zielt auf ein Ganzes, das selbsttätig wirksam ist. Im Kern führt diese Deutung auf die Grundzüge des hermetischen Schöpferbildes und die ihm einbeschriebene Idee der permanent produktiven Natur. Das allegorische Bild befestigt eine spirituelle Botschaft, indem es per analogiam vom Konkreten auf das Geistige deutet. Hier ist das zentrale Denkverfahren des hermetischen Diskurses zu erkennen, das Sichtbarkeit und Geistigkeit verknüpft. Vom Ansatz her legitimiert sich dieses Verfahren aus der Formel »a visibilibus usque ad invisibilia«379, mit der Augustinus in De Civitate Dei unter Anlehnung 377 Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 59 f. 378 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 62 (Traktat IX), S. 86. 379 Augustinus: De Civitate Dei (s. Anm. 53), PL 41, Sp. 335 (XI, 23). – Zur Verbindung von allegorischer Bibelhermeneutik und Rhetorik Campe: Melanchthons Allegorie zwischen

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an Paulus’ zweiten Korintherbrief (4, 18) den Weg der patristischen AllegoresePraxis beschreibt. Deren Intention ist es, die im Wort der Heiligen Schrift gegebene Logik eines systematisch sich entfaltenden Zweitsinns zu erschließen. Sein Spektrum erstreckt sich von der literalen über die moralische bis zur ekklesiologischen und eschatologischen Bedeutung. Mit der Formel des Augustinus, die vielfach – bis zu Thomas von Aquin – variiert wurde, kommt diese Stufenfolge recht genau überein. Der buchstäbliche Sinn entspricht dem Phänomen der Sichtbarkeit, insofern er sich einfach und unmittelbar zeigt. Die allegorische Zweitbedeutung in ihrer hierarchischen Struktur von der moralischen zur heilsgeschichtlichen und eschatologischen (anagogischen) Dimension offenbart dann die geistige Wahrheit des Wortes, die sich aus der Sichtbarkeit der literalen Grundebene konsequent ableitet. Die produktive Leistung dieses Modells besteht darin, daß es nicht nur eine hermeutische Basisstruktur für die Auslegung der Heiligen Schrift, sondern auch ein Fundament für die literarische Darstellung bietet. Gemäß der Konzeptformel ›Schreiben wie die Bibel gedeutet wird‹ erschließt die Allegorese das zentrale Prinzip einer poetischen Rede, die auch dem Hermetismus spirituelle Impulse verleiht. In der topischen Organisation eines hermetischen Wissens über Gott, den Schöpfungsakt und die Vollkommenheit der Natur spielt die Allegorie folglich eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht es, den spirituellen Grund aller Erscheinungen so mitzuteilen, daß es sich um eine Kommunikation unter Eingeweihten handelt. Die typische Situation der Unterweisung, in der ein Vater den Sohn in die Geheimnisse des Glaubens einführt, ist maßgeblich für den hermetischen Diskurs. Sie bestimmt auch die Wahl allegorisch-metaphorischer Stilmittel, mit deren Hilfe ein Wissen für Initiierte vermittelt werden soll. Exklusivität ist hier ein Signum der spirituellen Erfahrung, die ihrerseits durch eine nicht jedem zugängliche Sprache der Unterweisung mit allegorischen Mitteln erzeugt wird. Insofern bildet die allegorische Form keine dem Gegenstand äußerliche Struktur, sondern ein Muster für die Kommunikation eines spirituellen Sinnsubstrats, das mit dessen Beschaffenheit selbst korrespondiert. Der geheime Gehalt der hermetischen Lehre findet in der Allegorie ein Pendant: ihre exklusive Semantik entspricht der Exklusivität des Glaubens. Susan Stewart hat, unter Rekurs auf Benjamin, darauf hingewiesen, daß die Allegorie in Mittelalter und Früher Neuzeit durch eine Ordnung der Ausschließung, der Absicherung fester Zugänge und damit auch durch eine soziale Semantik bestimmt sei, in der sich die stratifikatorische Ordnung der Gesellschaft spiegele.380 Rhetorik und Hermeneutik, in: Allegorie (s. Anm. 335), S. 46 – 58. Campe definiert die Allegorie im Hinblick auf Melanchthon als »Metafigur des Sinns (…) in der zur Hermeneutik gewendeten Rhetorik.« (S. 58). 380 Stewart: The Pickpocket: A Study in Tradition and Allusion (s. Anm. 123), S. 1143. Vgl. Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels (s. Anm. 373), S. 351 (Allegorie als

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Mustert man das Corpus Hermeticum im Hinblick auf seine allegorischen Topoi, so wird man schnell fündig. Der Kosmos, so heißt es, sei ein guter Gärtner, der die von Gott stammenden Samen aufgehen und gedeihen läßt.381 Gott erscheint als Vater, der seine Kinder hegt und die Welt fürsorglich betreut.382 Der Himmel versieht die Rolle des Chors, der mit den Stimmen der Planeten und der Fixsterne den Schöpfer lobt (ein Sinnbild, das auf die Sphärentheorie der Phythagoreer verweist).383 Die Vorstellung der Welt als Kugel wiederum weitet sich von der metaphorischen auf die allegorische Ebene, insofern hier das Moment der Zirkularität ergänzt wird um weitere Bedeutungsnuancen, die »Drehung« als »Umwendung« und das »Verschwinden« als »Erneuerung«.384 Der Kreis ist eine Allegorie der inneren Bewegtheit der Natur, hinter der wiederum die LogosMacht des Schöpfers als universelles Prinzip steht. Die verwandten Bilder von ›Mutterschoß‹ und permanentem Gebären offenbaren den Blick auf eine Kosmologie, die Einheit in der Dynamik der Zirkulation als Emanation des Schöpferprinzips definiert. Die Allegorie des Kreislaufs berührt auch die Ebene der Entstehung der Schöpfung aus dem Logos, der als Geist über den Wassern schwebte und sich dort materialisierte.385 Mit dem Sinnbild der Zirkulation verbindet sich der Mythos eine absoluten Anfangs, wie er für die biblische Genesisgeschichte leitend ist. Allegorisch muß die Darstellung eines solchen Modells des absoluten Beginns sein, weil nur so der prägnante Moment des voraussetzungslosen Anfangs imaginiert werden kann. Das dafür einschlägige Sinnbild ist das des Mischkrugs, der den Menschen von Gott gesendet wird, damit sie in ihn eintauchen, um die Wahrheit der Schöpfung zu erkennen.386 Die Zirkularität des Schöpfungsaktes, der von Gott ausging und in den Kreislauf der Welt mündete, wiederholt sich im Bild des Wassers, das bekanntlich auch für den hermetischen Schöpfungsmythos von größer Bedeutung ist. Ähnlich wie die Inspirationsmetaphorik der Quelle und des Brunnens bildet der ›Mischkrug‹ ein Zeichen für die Einheit von Gott und Mensch. Wenn sich der Geist des Demiurgen über den Wassern materialisiert, ist es folgerichtig, daß die Schöpfung keine Trennung

381 382 383 384 385 386

»Ausdruck der Konvention«). Benjamin setzt auf eine prinzipielle Differenz zwischen mittelalterlicher und barocker Allegorik, die er in der Ablösung des Sprachbildes vom theologischen Bedeutungshorizont sieht; dieser Horizont wird im 17. Jahrhundert, wie er unterstellt, nur durch die dialektische Dynamik der Allegorie, nicht aber durch verbindliche Zuschreibungen eröffnet. Es ist hier nicht der Ort, Benjamins ahistorische Trennung, die an der Logik der patristischen Allegorese-Tradition vorbeigeht, grundsätzlich zu erörtern; vgl. dazu Alt: Begriffsbilder (s. Anm. 109), S. 141 ff. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 88 (Traktat IX). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 102 (Traktat IX). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 104 (Traktat X). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 (Traktat XI). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 198 f. (Traktat XV). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 49 (Traktat IV).

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zwischen höheren und niederen Elementen zuläßt. Der göttliche Charakter der Erscheinungen spiegelt sich in der zirkulären Einheit, die sie annehmen. Die allegorische Darstellung erschöpft sich vor diesem Hintergrund nicht in der illustrativen Leistung; ihr mimetischer Impuls zielt auf die Erzeugung eines spirituellen Realismus, der die Einheit von Logos und Natur in Bildern erfassen möchte. Zur seit Quintilian in weitgehend gleichen Definitionen festgelegten tropischen Qualität der Allegorie gesellt sich hier eine diegetische Ebene, die keine Trennung zwischen Sprachzeichen und Ding kennt. Die Allegorie des hermetischen Diskurses beschwört, wie das Corpus selbst dokumentiert, die geistige Kohärenz der Natur. »Bist du in der Lage, Gott bildlich anzuschauen?« fragt der fünfte Traktat.387 Das innere Sehen ist das Medium der spirituellen Erkenntnis, denn es zielt auf die Visibilisierung des eigentlich Unsichtbaren. Die hermetische Allegorik beschwört genau diesen Konnex zwischen Geist und Sache, Pneuma und Materie in prägnanten Momentaufnahmen. Sie folgt nicht den Regeln der Begriffssprache, sondern gehorcht dem Gesetz der Visibilisierung, die auf die anschauliche Darstellung des spirituellen Charakters der Schöpfung zielt. Die Rede des Corpus entzieht sich den Mustern der abstrakten Rede und erfaßt auf diese Weise die Widersprüche des Schöpfungsaktes in Bildern, die eine Einheit von Endlichem und Unendlichem reflektieren. Progammatisch heißt es dazu, daß der Text sich dem »Wort-Getöse« der Griechen entziehe und eine »Ausdruckweise« anstrebe, »die bestimmt ist von der darzustellenden Realität.«388 Die Allegorie zielt auf die Erscheinungen selbst, um den geistigen Sinn in ihnen sichtbar zu machen. Jenseits der Begriffe verbindet sie Spiritualität und Konkretion, die hier in der Einheit des Bildes als Medium höherer Bedeutung verknüpft und in »glückselige Schau«389 überführt werden. In der allegorischen Gestaltung des göttlich übermittelten Wissens liegt die potentielle Sichtbarkeit und Zugänglichkeit seiner einzelnen Sinngehalte verankert. Sie ist durch die Leistung der Imagination und das Vermögen der Deutung gleichermaßen zu aktivieren. Der in die hermetische Lehre Eingewiesene lernt mit Hilfe seiner geschulten Einbildungskraft die tragende Bedeutung der Zeichen zu durchschauen. Sein Wissen leitet sich aus der Fähigkeit ab, die Einheit von Oberfläche und potentiellem Zweitsinn zu verstehen, die typisch bleibt für das allegorische Verfahren. Die Exklusivität der geistigen Erkenntnis bindet sich nicht an den Begriff, sondern an das Bild. Das ist ein prototypisches Element des spiritualistischen Diskurses, wie ihn der Hermetismus konstituiert. Zum wahren Wissen stößt nur vor, wer in seine anschaulichen Strukturen findet und sich jenseits einer ra387 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 58 (Traktat V). 388 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 207 (Traktat XVI). 389 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 59 (Traktat V).

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tionalen Ebene erfaßt. Schauen bedeutet als kognitiver Akt mehr als vernünftiges Erkennen. Die auch für die Mystik zentrale Kategorie des geistigen Sehens verknüpft sich explizit mit der Dimension des allegorischen Bildes, dessen Gehalt sich allein dem Eingeweihten erschließt. Die Allegorien des Corpus stellen Sinnzeichen der spirituellen Initiation dar, insofern sie eine dem Gläubigen zugängliche Wahrheit offenbaren, die jenseits der Ratio liegt. Wissen ist hier stets identisch mit der Initiation in eine arkane Ordnung, wie sie durch die Allegorie ihre sichtbare sprachliche Gestalt empfängt. An diesem Punkt wird die durch das allegorische Sprechen des Lehrers begründete performative Dimension der Unterweisung in den hermetischen Überlieferungszusammenhang sichtbar. Die Rede ist zugleich aktive Einübung in die Geheimnisse des göttlichen Schöpfungsvorgangs; ihre Allegorien visualisieren dessen spirituelle Substanz, indem sie das Arkanum ans Licht rücken und zu einem Vordergrund erklären, der für den Eingeweihten erkennbar wird. Ein Beispiel für das Fortwirken dieser spiritualistisch-hermetischen Wissenskonzeption und ihres allegorischen Vermittlungsgeschehens bietet Johann Arndt. Er bemerkt in De antiqua philosophia (1581), daß die wahre Weisheit über die Natur in der Sprache der Tropen übermittelt werde. Kombt nit die beredsamkeit aus den dingen, oder Natur der dingen. Muß man nit von den dingen die gleichnüß, Metaphoren, figuren, und in Summa alles, was zur Wohlordenheit, und scharffsinnigkeit gehört, hernemen: Dann es hat der allerweyseste Schöpffer die dinge künstlicher und schöner erschaffen, als wir außsprechen, und nachthun mögen. Dahero die Zierligkeit der Rede in zierlichen dingen bestehet.390

Die Sprache der Sinnbilder ist das Ergebnis einer mimetischen Darstellung, die sich den Geheimnissen der Natur anpaßt. Die Rede von Metapher und Allegorie wird von Arndt nicht als Produkt konventioneller rhetorischer Spielregeln verstanden, sondern als Resultat einer Nachahmung des spirituellen Sinns, der in den Dingen liegt. Diese Auffassung korrespondiert der hermetischen Logostheologie und deren sprachmystischen Tendenzen. Weil Gott in Sinnbildern redet, darf man seine Schöpfung allegorisch preisen. Die Allegorie ist legitimiert durch die Sprache der Schrift, die selbst allegorische Formen transportiert und auf diese Weise Wissen per analogiam kreiert. Eckhard und Verena Lobsien haben am Beispiel der Allegorik der englischen Renaissanceliteratur darauf hingewiesen, daß hier ein Mechanismus der zirkulären Logik vorliegt. Die Allegorie zeigt gerade nicht eine zweite Welt, die hinter den konkreten Erscheinungen liegt; vielmehr stellt sie eine spirituelle Dimension dar, von der die Phänomene durchgreifend determiniert werden.391 Derselbe Befund läßt sich auf 390 Arndt: De antiqua philosophia (s. Anm. 73), Bl. [21]. 391 Olejniczak Lobsien, Lobsien: Die unsichtbare Imagination (s. Anm. 167), S. 85 f. Vgl. zur Frage der Analogie Hempfer : Zur Enthierarchisierung von religiösem und literarischem

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die Allegorie des hermetischen Denkens übertragen. Auch sie treibt einen Kreislauf hervor, der die Spiritualität im doppelten Sinn – als Oberfläche und Hintergrund der Dinge – vor Augen führt. In The Arte of English Poesie schreibt Puttenham, die Allegorie sei das Oberhaupt aller figuralen Stilmittel, »the chief ringleader and captaine of all other figures«.392 Puttenhams terminologisch nicht ganz korrekte Charakterisierung – tatsächlich wären die Tropen, nicht die Figuren zuständig – verweist auf eine Verdichtungsleistung, die Grundlage für die Verarbeitung der hermetischen Lehre in der Allegorie ist. Hans Blumenberg hat eine vergleichbare Funktion bekanntlich an Metaphern abgelesen. Sie bieten ein Orientierungswissen, das sich der Totalität der Lebenswelt entzieht und, so lautet seine Argumentation, eine eigene Form des Absoluten im Bild erzeugt.393 Blumenbergs Bestimmung läßt sich mit guten Gründen auf die Allegorie übertragen, denn auch sie verdichtet Wissen in Bildern, wobei die Differenz gegenüber der Metapher primär quantitativer Natur ist. Die allegorische Technik der Reflexion hermetischen Wissens bedeutet jedoch mehr als nur eine Transferleistung via Bildproduktion. Wenn Puttenham die Allegorie als Herrscherin der rhetorischen Figuren bezeichnet, hat er zugleich ihre selbstreflexive Funktion im Blick. In den Verweisungsmustern der Allegorie lassen sich die Grundformen poetischer Fiktionalität erkennen – ihre inneren Widersprüche zwischen Wahrheitspostulat und Schein, zwischen Heterogenität und Unität, Synkretismus und Verdichtung. Die Allegorie, die hermetische Deutungmodelle transportiert, arbeitet zugleich als Medium der Selbstreflexion der Literatur. Die allegorische Form, in der der imaginäre Hermetismus der Literatur erscheint, bildet eine metapoetische Ordnungsstruktur aus, die Wissen als Darstellungswissen prozessiert. Damit wäre eine erste Einsicht in den praktischen Konnex von Dichtung und Hermetismus vorbereitet, die es nun an drei zentralen Beispielen – auch unter Berücksichtigung der Allegorie – weiter zu vertiefen gilt.

Diskurs in der italienischen Renaissance, in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (s. Anm. 2), S. 183 – 221, S. 185 f.; ferner ders.: Allegorie als interpretatives Verfahren in der Renaissance (s. Anm. 351), S. 51 – 76. 392 Puttenham: The Arte of English Poesie (s. Anm. 208), S. 155. Zur Allegoriedefinition bei Puttenham Eckhard Lobsien: Imaginationswelten: Modellierungen der Imagination und Textualisierung der Welt in der englischen Literatur 1580 – 1750, Heidelberg 2003, S. 109. 393 Vgl. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (s. Anm. 142), S. 9.

6. Kartographie der Einweihung. Hermetik und Raum in geistlicher Prosa (Andreae, Maier)

Am Ende des 16. Jahrhunderts erreichte das hermetische Denken in Europa eine Phase besonderer Wirksamkeit. Verbunden mit Elementen des Paracelsismus und der Alchemie, avancierte der Hermetismus zu einer der wichtigsten Geheimlehren, die das zeitgenössische Wissenschaftssystem kannte. Am Prager Hof Kaiser Rudolfs II., einem Zentrum universeller Forschungsaktivitäten, arbeiteten paracelsistische Ärzte, hermetische Astronomen und alchemistische Naturphilosophen, unter ihnen Oswald Crollius, Edward Kelley und Michael Maier.394 Der Puls der europäischen Politik schlug nach dem Takt arkaner Weisheitslehren, die auf unterschiedlichsten Kanälen – durch Mediziner, Theologen, Architekten und Minister – transportiert wurden. Zahlreich sind die Beispiele für die Verflechtung machtstrategischer und epistemischer Intentionen hermetischer Diskurse, die man mit Luhmann als Merkmal einer »Paradoxieentfaltung« bezeichnen kann.395 Nach Luhmann ist es zumal das System der Religion, das durch immanente, aus der Spannung zwischen Glauben und Vernunft resultierende Paradoxien bestimmt wird.396 Im Fall des hermetischen Spiritualismus, wie er am Ende des 16. Jahrhunderts in Europa verbreitet aufkommt, tritt jedoch zusätzlich das Moment der Diskurskombination zutage; durch die Mischung politischer und geistiger Intentionen gewinnt das religiöse 394 Erst für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ist eine tiefgreifende Differenz zwischen einer nachkopernikanischen ›new science‹ und der Hermetik in Rechnung zu stellen, die mathematisch-analytische von spirituell-synthetischen Erkenntnismustern trennt. Das neue Wissen der Naturwissenschaften dringt jedoch über das Medium der geistigen Intuition in die topischen Strukturen der Hermetik ein. Intuition, gebunden in der ›vis imaginativa‹, bildet das Einfallstor des spirituellen Sehens, mit dessen Hilfe die Unität der Schöpfung und die permanente Transmutation ihrer Elemente erfahrbar gemacht werden können. Insofern sind neue und hermetische Wissenschaft nicht prinzipiell zu trennen, wie exemplarisch der Fall Newtons zeigt. 395 Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 64. 396 Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 133 ff.; vgl. ders.: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 3, Frankfurt / M. 1989, S. 259 – 357, S. 283 ff.

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Kartographie der Einweihung. Hermetik und Raum in geistlicher Prosa

Denken des Hermetismus in seinen diversen Spielarten zwischen Magie, Kabbalistik, Paracelsismus und Rosenkreuzertum den Charakter einer synkretistischen Ordnung mit paradoxen Grundstrukturen. Wo die Religion durch ihren Anspruch, Anfänge als Unbedingtes zu fassen, Einheit und Vielfalt als Attribute derselben Instanz zu definieren und Sinn über ein von Gott bestimmtes Gesetz festzulegen, Widersprüche erzeugt, die ihrem System immanent sind, entwickeln sich Paradoxien in ihren um 1600 besonders prominent auftretenden spiritualistischen Versionen durch die Verbindung geistlicher und profaner Wirkungsabsichten. Wenn der hermetischen Politik der Rosenkreuzer, Paracelsisten und Alchemisten ein paradoxes Moment innewohnt, dann ist das nicht nur ein Produkt der religionsspezifischen Spannungen zwischen Ratio und Glauben, sondern auch das Resultat der Zusammenführung synkretistischer Deutungsmuster, deren Kombination die frühneuzeitlichen Geheimbünde und Frömmigkeitsbewegungen generell kennzeichnet. Eine eigene Stimme innerhalb des europäischen Spiritualismus führte ab 1580 die englische Hermetik, wie sie John Dee, Edward Kelley und – später – Robert Fludd vertraten. Jedoch muß man zwischen Programm und Wirklichkeit hier deutlich unterscheiden; die von Frances Yates vertretene Auffassung, daß der englische Hermetismus das gesamte Rosenkreuzertum und dessen arkane politische Idee beeinflußt habe, dürfte inzwischen als widerlegt gelten.397 John Dee etwa, der mit Oswald Crollius, dem ›alchemomedizinisch‹ praktizierenden Leibarzt Rudolfs II., persönlich bekannt war398, stellte seinen Traktat Monas hieroglyphica (1564) 1584 am kaiserlichen Hof in Prag vor, ohne auf wirkliche Resonanz zu stoßen. In arkaner Mission bereiste er in den 1580er Jahren ganz Europa, um einen Eindruck von der Politik der Fürstenhöfe zu gewinnen.399 Der Erfolg seiner Aktivitäten blieb allerdings im Hinblick auf direkten Einfluß sehr begrenzt. Während Dee als Magus am Hof Elisabeths I. Ansehen genoß und mit seinen Prophezeiungen bei der Planung von Handelsschiffsrouten sowie militärischen Aktivitäten gehört wurde, gelang es ihm weder am Heidelberger Hof noch in Prag bei Kaiser Rudolf dauerhaft Fuß zu fassen. Dees Monas hierogly-

397 Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 48 ff., 60 ff., dies.: The Occult Philosophy in the Elizabethan Age (s. Anm. 102), S. 170 f. Vgl. dagegen Wilhelm Kühlmann: Sozietät als Tagtraum – Rosenkreuzerbewegung und zweite Reformation, in: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, hg. v. Klaus Garber und Heinz Wismann, Tübingen 1996, Bd. 2, S. 1124 – 1151. 398 Vgl. Oswald Crollius: Alchemomedizinische Briefe 1585 bis 1597, hg., übers. und erl. v. Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle (= Oswaldus Crollius, Ausgewählte Werke, Bd. 2), Stuttgart 1998. 399 Yates: The Occult Philosophy in the Elizabethan Age (s. Anm. 102), S. 170 f.

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phica prägten auch die seit 1614 veröffentlichten rosenkreuzerischen Schriften in weitaus geringerem Maße, als dieses die ältere Forschung noch annahm.400 Das Rosenkreuzertum überschreitet, unabhängig von der Bewertung externer Einflüsse, den Rahmen einer rein spirituellen Gruppierung und entwickelt eine politische Programmatik, die das Streben nach machtstrategischem Einfluß im konfessionellen Grundkonflikt der Epoche einschließt. Daß die Bewegung für Friedrich von der Pfalz, den späteren König von Böhmen, Partei ergriff, steht außer Frage. Auch wenn man die von Frances Yates vertretenen Thesen über die Funktion des englischen Hermetismus kritisch bewerten muß401, ist die Frage nach der politisch-sozialphilosophischen Semantik rosenkreuzerischer Schriften und deren Verbindung mit spirituellen Traditionen keineswegs abwegig. Ihr möchte das vorliegende Kapitel am Beispiel des rosenkreuzerischen Raumkonzepts und seiner symbolischen Implikationen nachgehen.402 Besondere Bedeutung gewinnen dabei die fiktiven topographischen Konstruktionen, die in den drei zwischen 1614 und 1616 anonym publizierten Gründungstraktaten des Ordens – Fama Fraternitatis (1614), Confessio Fraternitatis (1615) und Chymische Hochzeit (1616) – zutage treten.403 Die nach ihrem Erscheinen in ganz Europa heftig diskutierten Texte404 stammen mutmaßlich aus der Feder des 400 Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 48 ff. Kritisch zum von Yates überschätzten Einfluß Dees auf die Rosenkreuzer schon Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 294. Vgl. hier auch Joachim Telle: John Dee in Prag. Spuren eines elisabethanischen Magus in der deutschen Literatur, in: Alt, Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus (s. Anm. 33), S. 259 – 296. 401 Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 62 f. 402 Methodisch berührt diese Fragestellung den vielerorts reflektierten ›spatial turn‹ der Kulturwissenschaften. Für eine aktuelle Forschungsübersicht vgl. Tristan Thielmann, Einleitung: Was lesen wir im Raume? Der Spatial Turn und das geheime Wissen der Geographen, in: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hg. v. Jörg Döring und Tristan Thielmann, Frankfurt / M. 2008, S. 7 – 45, ferner (als Aufsatz mit dem Effekt der Initialzündung): Sigrid Weigel: Zum ›topographical turn‹. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik 2 (2002), Heft 2, S. 151 – 165. Immer noch anregend (trotz seiner phänomenologisch-idealtypischen Prämissen): Gaston Bachelard: Poetik des Raumes. Aus dem Französischen übertragen v. Kurt Leonhard, München 1960 (= La po¦tique de l’espace, 1957), bes. S. 35 ff. (mit wenigen Ausnahmen allein bezogen auf Texte des Moderne). 403 Benutzt wird folgende Ausgabe: Johann Valentin Andreae: Fama Fraternitatis. Confessio Fraternitatis. Chymische Hochzeit: Christian Rosencreutz. Anno 1459. Eingeleitet und hg. v. Richard van Dülmen, Stuttgart 1981. – Vgl. zu Andreaes Biographie Richard Kienast: Johann Valentin Andreae und die vier echten Rosenkreutzerschriften, Leipzig 1926, S. 8 ff., Martin Brecht: Johann Valentin Andreae. Weg und Programm eines Reformers zwischen Reformation und Moderne, in: Theologen und Theologie an der Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät, hg. v. Martin Brecht, Tübingen 1977, S. 270 – 343, zu seiner Produktion Gerhard Dünnhaupt, Johann Valentin Andreae, in: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Teil I, Stuttgart 1980, S. 188 – 214. 404 Zur Wirkungsgeschichte Sybille Rusterholz: Alchemie und Dichtung. Johann Valentin

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Tübinger Theologen Johann Valentin Andreae, ohne daß die Forschung die Frage der Urheberschaft definitiv hat klären können. Für die letzte der drei Schriften, die Chymische Hochzeit, läßt sich Andreaes Autorschaft aufgrund seiner Selbstbiographie Vita ipso conscripto405 verbindlich bestätigen, für die Fama Fraternitatis und die Confessio Fraternitatis blieb sie lange Zeit zweifelhaft – hier galten unter anderem der zur Zeit der Entstehung des Textes in Gießen lehrende Mathematiker Joachim Jungius und der Heidelberger Schloßbibliothekar Janus Gruter als mögliche Verfasser.406 Carlos Gilly hat jedoch in einer Reihe von Beiträgen relativ klar nachweisen können, daß Andreae auch für die beiden anderen Bände als Urheber aufzufassen ist.407 Da die nachfolgenden Überlegungen zur Hermetik des Raums unabhängig von der Frage bildungsbiographischer Individualität bleiben, soll das Problem der Autorschaft hier jedoch keine weitere Berücksichtigung finden. Aus Gründen der Arbeitsökonomie operiert der Beitrag mit der an Gilly angelehnten Hypothese, daß Andreae der Urheber sämtlicher drei Texte gewesen sei, ohne daß diese Zuschreibung aber für die Untersuchung selbst, die es auf die Analyse epistemischer und literarischer Funktionen hermetischer Topographien abgesehen hat, methodische Konsequenzen zeitigt.408 Fama Fraternitatis, Confessio Fraternitatis und Chymische Hochzeit erscheinen im unmittelbaren Umfeld von Isaac Casaubons De rebus sacris ecclesiasticis exercitationes (1614). Casaubons Schrift ist immer wieder als ›Was-

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Andreaes »Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz Anno 1459«, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft, hg. v. Rosmarie Zeller, Berlin u. a. 2007 (Nr. 17). S. 85 – 113, S. 85 f. (spricht von 300 ›zustimmenden oder ablehnenden Stellungnahmen‹). Zur zeitgenössischen Nachwirkung: Daniel Stoltzius von Stoltzenberg: Das Chymische Lustgaertlein (1624). Nachdruck Darmstadt 1987. Johann Valentin Andreae: Vita ipso conscripto, hg. v. George Friedrich Heinrich Rheinwald, Berlin 1849, S. 10. Zur Verfasserfrage detailliert Richard van Dülmen: Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Johann Valentin Andreae (1586 – 1654). Teil 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, S. 75 ff., Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 291, Rusterholz: Alchemie und Dichtung (s. Anm. 404), S. 92 f., ferner – grundlegend – Carlos Gilly (Hg.): Cimelia Rhodostaurotica (s. Anm. 45), S. 25 ff. Carlos Gilly : Comenius und die Rosenkreuzer, in: Neugebauer-Wölk (Hg.): Aufklärung und Esoterik (S. Anm. 3), S. 87 – 107; ferner die Beiträge in: Carlos Gilly, Friedrich Niewöhner (Hgg.): Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jahrhundert, Stuttgart-BadCannstatt 2002. Daß die literaturwissenschaftliche Analyse der Texte Andreaes, die von der Forschung in der Tat vernachlässigt wurde, den Rekurs auf hermetisch-spiritualistische Elemente ausschließen sollte, wie Christoph Brecht nahelegt, ist nicht nachvollziehbar (Christoph Brecht, Johann Valentin Andreae, Zum literarischen Profil eines Schriftstellers im frühen 17. Jahrhundert, in: Martin Brecht, Johann Valentin Andreae. Eine Biographie, Göttingen 2007, S. 313 – 348, S. 313 f.). Brechts Untersuchung hat, anders als angekündigt, keine literaturwissenschaftliche Ehrenrettung Andreaes zu bieten, sondern nur eine Mischung aus Biographismus und psychologischen Anachronismen.

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serscheide‹ in der Geschichte des europäischen Spiritualismus gedeutet worden.409 Bis ins 17. Jahrhundert hinein hatte man, wie erinnerlich, das Corpus Hermeticum, das durch die Übertragung Ficinos (1463 / 1471) und die Editionen Lazzarellis (1507) und Patrizis (1591) bekannt war, als Sammlung heiliger Texte interpretiert. Casaubons mit philologischen Mitteln fundierte Datierung des Corpus auf die gnostische Spätantike zerstörte nun bekanntlich die Illusion, hier sei eine vorbiblische ägyptische Weisheitslehre mit Analogien zur christlichen Offenbarung dokumentiert. Fortan schien nur noch eine buchstäbliche Rezeption der hermetischen Zeugnisse möglich, die eine Exegese im Sinne einer vorchristlichen Offenbarungswahrheit ausschloß. Es regte sich jedoch auch Widerstand gegen die von Casaubon angestoßene Entzauberung des Corpus Hermeticum und die literalen Lektüren, die sie nahelegen mochte. Zu den Autoren, die sich – allerdings in chiffrierter Form – der philologischen Decouvrierung hermetischen Denkens widersetzten, zählte Andreae. In seinen rosenkreuzerischen Erzählungen, die das Fundament für die Ordenslegende und den Beginn seiner Wirkungsgeschichte bildeten, reflektiert er ein Konzept des Hermetismus, das sich dezidiert von profanen Deutungsmustern abhebt und dennoch indirekt mit ihnen kommuniziert. Fama Fraternitatis, Confessio Fraternitatis und Chymische Hochzeit liefern eine literarische Authentifizierung der hermetischen Weisheitslehre, sind mithin spiritualistischen Charakters; bezeichnend für diese Intention, die sich mit einem dezidiert antipapistischen Programm verbindet410, bleibt die Tatsache, daß Andreae seine Schriften in Frankfurt am Main bzw. Straßburg drucken ließ, um Konflikte mit der geistlichen Obrigkeit in Tübingen auszuschließen (eine Publikation in Kassel erfolgte ohne sein Wissen).411 Hinzu tritt jedoch auch eine politische Mission, die auf chiffrierte Weise über das szenisch-räumliche Arrangement des Hochzeitsthemas lanciert wird. Die spirituellen und politisch-sozialanthropologischen Implikationen von Andreaes Texten spiegeln sich gleichermaßen in ihren der Tradition des Hermetismus verpflichteten topographischen Phantasien, wie sie zumal die Chymische Hochzeit bestimmen.412 409 Vgl. Grafton: Defenders of the text (s. Anm. 16), S. 155 f.; Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 19), S. 355 f., Trepp: Hermetismus oder zur Pluralisierung von Religiositäts- und Wissensformen, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12), S. 8 – 15. 410 Andreae: Confessio Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 37 (»deß Bapst Tyranney«). 411 Die Fama wurde in Kassel, die Confessio in Frankfurt und die Chymische Hochzeit in Straßburg gedruckt; vgl. Gilly (Hg.): Cimelia Rhodosataurotica (s. Anm. 45), S. 25 ff. 412 Es ist auffallend, daß die theoretisch ambitionierten neueren Studien zum Raum-Thema den spiritualistischen Bereich der Frühen Neuzeit zumeist ausklammern und erst im Prozeß der Moderne ansetzen. Charakteristisch hier Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt / M. 2001 (mit vorwiegend ahistorischen oder auf die Gegenwart bezogenen Modellanalysen). Eine Ausnahme bildet die Geschichtswissenschaft, der wir wichtige –

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Initiation und arkane Unterweisung bilden maßgebliche Elemente der rosenkreuzerischen Lehre. Sie stützen sich auf die Vorstellung einer geistigen Zeichenqualität der Natur, die sich über das Verfahren der Allegorese erschließt.413 Die Strukturen von Innenräumen bilden in Andreaes programmatischen Texten eine geheime Ordnung aus, deren Logik sich einzig dem Eingeweihten offenbart. Immer wieder begegnet der Initiand bei Andreae fremden Räumen, in denen er Buchstabentafeln mit Lebensschilderungen, Anweisungen, Lehrsätzen und Rätseln antrifft. Festsäle, Kemenaten, imaginäre Museen, Wunderkammern, Auditorien und Laboratorien gewinnen hier einen allegorischen Charakter, der von den Adepten Zug um Zug interpretiert werden muß. Die zuweilen labyrinthische Architektur dieser Räume zu verstehen bedeutet, den spirituellen Sinn der arkanen Lehre zu erfahren, die der Orden seinen Schülern weitergibt. In diesem Sinne faßt schon das Corpus Hermeticum, das auch Andreae durch die Edition Patrizis (1591) kennengelernt haben dürfte, den Raum der Natur als Zeichentableau, dessen interne Organisation sich allein dem vom Gott Hermes Trismegistos Inspirierten auftut. Im Pimander-Traktat, dem Schlüsseltext des Corpus Hermeticum, heißt es über die Abfolge des Schöpfungsprozesses, daß im Kosmos zunächst das Licht gebrannt habe, aus dem die Luft hervorging, die ihrerseits Erde, Wasser und Feuer gebar.414 Sämtliche Elementarkräfte der Natur fungieren gemäß der hermetischen Schöpfungslehre als Indikatoren des göttlichen Logos, der die Macht besitzt, Intelligibles in Materielles zu verwandeln. Aus dieser dynamischen Transformationsleistung resultiert die für zahlreiche hermetische Schriften verbindliche Auffassung, daß der Akt der göttlichen creatio ex nihilo eine Verbindung von Geist und Materie generiert habe, die Merkmal der gesamten Natur geblieben sei. Die allegorische Auslegung des Raums, die man in Andreaes Texten – nicht nur den anonym publizierten »Rosenkreuzer«-Traktaten, sondern auch im utopischen, hermetische Interpretamente gleichfalls reflektierenden Christianopolis-Roman (1619) – antrifft, verweist auf eine derartige Überzeugung zurück. In der Fama Fraternitatis (1614), der Gründungsschrift des Ordens, wird zunächst die Vorgeschichte des Christian Rosenkreutz erzählt. Der 1378 geborene Rosenkreutz, der hochbetagt 1484 gestorben sein soll415, führt in jungen zumeist im Kontext von Besiedlungs- und Territorialgeschichte lokalisierte – Arbeiten zum Raumbegriff verdanken; vgl. etwa die Beiträge in: Peter Moraw (Hg.): Raumerfassung und Raumbewußtsein im späteren Mittelalter, Stuttgart 2002. Wenig ergiebig für die hier verfolgte Fragestellung ist Axel Gotthard: In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne, Frankfurt / M. 2007 (primär bezogen auf die Raumdarstellung im frühneuzeitlichen Reisebericht; vgl. bes. S. 68 ff.). 413 Vgl. Regine Frey-Jaun: Die Berufung des Türhüters. Zur Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreutz von Johann Valentin Andreae (1586 – 1654), Bern u. a. 1989, S. 55 ff. 414 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 12 (Traktat I). 415 Andreae: Confessio Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 37.

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Jahren ein bewegtes Reiseleben; in Damaskus und in Fez lernt er die Mathematik bzw. die Kabbala kennen, in Spanien studiert er die antike Philosophie, in Deutschland die Alchemie. Orte sind hier wesentlich Zeichen für einzelne Aspekte der Bildungsgeschichte, für deren universelles Programm und übergreifendes Konzept gelehrter Spiritualität. Von seiner Weltreise kehrt Rosenkreutz nach Deutschland zurück, wo er sich mit mehreren Gleichgesinnten zu einer Brüderschaft mit sechs Mitgliedern verbindet. Zu deren Aufgaben zählen die selbstlose Krankenpflege, die Hilfe für die Armen, die Unterwerfung unter die Lehren ihres Oberhaupts, die Beförderung kabbalistischer Lehren und die Geheimhaltung ihrer Zielsetzungen für die Dauer von hundert Jahren.416 Berichtet wird über die regelmäßigen Treffen der Bruderschaft in einem von Christian Rosenkreutz selbst erbauten Haus, den arkanen Regelungen der Nachfolge, den ganz in der Stille abgehaltenen Begräbnisritualen für verstorbene Mitglieder. Kurz erzählt die Fama von Christian Rosenkreutz’ Tod, diversen Wechseln in der Leitung des Ordens und der wachsenden Distanz gegenüber der zum Mythos sich verfestigenden Gründungsperiode (auf die Goethes 1784 / 85 verfaßtes Epenfragment Die Geheimnisse unter Verwendung zahlreicher bildhafter Anspielungen rosenkreuzerischer Provenienz rekurriert417). Zentrales Symbol dieses Mythos ist ein sagenumwobener Ort – die Gruft, in der Rosenkreutz begraben liegt; sie, so heißt es, sei auch ein Sinnbild für die Zukunft Europas, deren Tore bisher verschlossen blieben, künftig aber aufgestoßen werden müßten, damit ein neues Licht über dem Kontinent scheinen könne.418 Schon hier ist zu erkennen, daß die wundersame Topographie, die der Text beschreibt, nach hermetischem Muster als Zeichen der Veränderlichkeit aller Dinge fungiert, die Gott geschaffen hat. Das Spezifikum dieser allegorischen Raumfunktion bleibt ihre doppelte Aufladung mit einer spirituellen und einer politischen Bedeutung, wie sie die Erinnerung an Europa – als Chiffre für Wissenschaft, Konfession und Macht – gleichermaßen entfaltet. Sie läßt erahnen, daß die Ordenprogrammatik der Rosenkreuzer nicht nur auf eine religiöse, sondern auch auf eine dynastische Intention abzielt, die sich im antipapistischen Anspruch und im Engagement für den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. manifestieren wird. Jahrzehnte nach dem Tod des Gründers beschließt ein neu gewählter Meister, 416 Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 22. 417 Johann Wolfgang Goethe: Die Geheimnisse, in: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. 21 in 33 Bänden, hg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder und Edith Zehm, München 1985 – 1998 (= MA), Bd. 2.2, S. 339 – 348, bes. S. 341 (v.69 ff.: »Es steht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen. j Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? j Es schwillt der Kranz, um recht von allen Seiten j Das schroffe Holz mit Weichheit zu begleiten.«). 418 Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 24.

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das Ordensgebäude »zu verändern und füglicher anzurichten«419. Zu diesem Zweck läßt er vor den Augen der Mitbrüder eine Geheimtür öffnen, hinter der sich »ein Gewölb von sieben seyten und ecken und jede seyten von fünff schuen, die höhe 8. schue, dieses Gewölb, ob es wohl von der Sonnen niemahls bescheinet wurde, leuchtet es doch helle von einer andern, so dieses der Sonnen abgelernet«420. Es handelt sich, wie man rasch erkennt, um die bisher unbekannte Grabkammer des hundert Jahre zuvor verstorbenen Ordensvaters Christian, in deren Mitte ein runder Altar mit einer Widmungsinschrift zu seinen Ehren zu finden ist. Das Gewölbe, so berichtet der Erzähler, habe sich in drei Ebenen untergliedert, die ihrerseits wiederum drei Teile aufwiesen, so daß die heilige Trinität unübersehbar als Gestaltungsprinzip wirksam gewesen sei.421 An den Wänden entdeckt man Schränke, in deren Innerem Spiegel zum Vorschein kommen, die »mancherley Thugend« zeigen.422 Die Öffnung der Gruft erweist sich als Akt der exklusiven Einweihung in die rosenkreuzerische Lehre, deren Botschaften sich durch die Zeichensprache des Ortes – über die Inschriften des Gewölbes und in Schreinen verborgene Manuskripte – vermitteln.423 Zu dieser allegorischen Initiation gehört auch der Umstand, daß der Leichnam des verstorbenen Ältervaters, der »unversehret und ohne alle verwesung«424 geblieben ist, ein Buch in der Hand hält, das fortan als Kanon der Ordensweisheit gilt. Das Arrangement der Szene weist zurück auf den Mythos von der Entdeckung der Tabula Smaragdina Hermetis, die als enigmatischer Grundlagentext für die alchemistische Lehre galt. Die lateinische Übertragung des seit dem Jahr 750 in arabischer Sprache vorliegenden (ursprünglich griechischen) Konvoluts, die Hugo von Santalla im 12. Jahrhundert besorgte425, wurde durch eine Erklärung ergänzt, an die Andreae anknüpft. Sie besagt, daß man den unversehrten Leichnam des Hermes Trismegistos mitsamt der Tabula Smaragdina, die er zwischen den Händen hielt, in einer dunklen Grabhöhle gefunden habe: »VERBA SECRETOrum Hermetis quae scripta erant in tabula Smaragdi, inter manus eius inventa, in obscuro antro, in quo humatum corpus eius repertum est.«426 Wenn die Fama diese Entdeckungsszene wiederholt, stellt sie einen ex419 420 421 422 423 424 425

Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 24. Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 24 f. Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 25. Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 26. So auch Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 60. Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 26. Joachim Telle: Artikel »Tabula Smaragdina«, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. VIII, München 1997, Sp. 399; Mircea Eliade: Geschichte der religiösen Ideen. Bd. 3 / 1, Freiburg i.Br. / Basel / Wien 1994, S. 149. 426 »Die Worte der Geheimnisse des Hermes, die auf die Smaragdtafel geschrieben waren, wurden zwischen seinen Händen in einer dunklen Höhle entdeckt, in der sein menschlicher

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pliziten Zusammenhang zwischen Christian Rosenkreutz und Hermes Trismegistos her, der für das Selbstverständnis des Ordens programmatisch bleibt. Die Botschaft der Grabkammersequenz lautet, daß Christian gleichsam als Antitypus des Hermes, als Nachfolger und Vollender seiner Lehre gelten darf. Die Initiation der Adepten vollzieht sich damit in einem doppelt besetzten symbolischen Raum, der über die Tafel den Geist des rosenkreuzerischen Ordens und zugleich die typologisch-figuale Zeitlogik veranschaulicht, nach der er sich in der Kontinuität hermetischen Denkens definiert. Die Gruft, die in der Fama beschrieben wird, trägt die Züge eines geheimen Raums, dessen auf Hermes zurückdeutende Zeichen nur von Eingeweihten entziffert werden können. Am Ende der Suche steht die Entdeckung eines sensus spiritualis, wie er durch das Buch des Ordensgründers und die ihm eingeschriebenen Regeln in der verborgenen Grabkammer vermittelt wird. Die allgemeine Lehre, die diesen Zusammenhang von Raum und Zeichen, materiellem und geistlichem Sinn des Anschaubaren begründet, findet sich in der Confessio Fraternitatis, dem mittleren – womöglich von Janus Gruter verfaßten – Text der drei Gründungsschriften, formuliert. Ihr Credo lautet, daß die »grosse Buchstaben und Characteres, so Gott der Herr dem Gebäw Himmels und der erden eingeschrieben und durch die Verenderung der Regimente für und für ernewert hat«, vom Gläubigen »zu seinem Unterricht« gebraucht werden sollten.427 Die Lesbarkeit des Raums und der Dinge, die ihn besiedeln, ist möglich, weil Gott die res durch seinen Schöpfungsakt nicht nur hervorgebracht, sondern auch mit einer Bedeutung aufgeladen hat, die man, Schriftzeichen gleich, dechiffrieren kann. Wesentliches Moment für die Erklärung dieses Zusammenhangs ist bei Andreae die aus dem Corpus Hermeticum übernommene Überzeugung, daß der Logos – so das Credo des Poimander – als auf Gott zurückweisendes Prinzip der Schöpfung die Erscheinungen beherrscht. »Solche Characteres und Buchstaben«, erläutert die Confessio, wie Gott hin und wider der heiligen Bibel einverleibet, also hat er sie auch dem wunderbahren Geschöpff Himmels und der Erden, ja aller Thiere gantz deutlich eingedruckt, daß eben auff solche weise, wie ein Mathematicus oder Sternseher die zukünfftige Finsternussen lange zuvor sehen kann, also wir auch die Obscurationes und Verdunckelungen der Kirchenhändel und wie lange sie wehren sollen, eigentlich abnehmen und erkennen können (…)428 Körper wieder zum Vorschein kam.« Die oben zitierte lateinische Text der Erläuterung in: Julius Ruska: Tabula Smaragdina. Ein Beitrag zur Geschichte der hermetischen Literatur, Heidelberg 1926, S. 181; der Text der Tabula selbst in: Jean-Jacques Manget: Bibliotheca Chemica Curiosa, Genf 1702, Bd. I, S. 380 ff.; Nachdruck bei Julius Ruska: Tabula Smaragdina, S. 2 f. Dazu auch Wolfgang Speyer: Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld. Ausgewählte Aufsätze I, Tübingen 1989, S. 328. 427 Andreae: Confessio Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 37. 428 Andreae: Confessio Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 39.

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Der Raum und die Erscheinungen lassen sich lesen wie die Zeichen, die Gott ihnen eingedrückt hat. Andreaes Vorstellung, daß die Topographie der Natur ein Spiegel göttlicher Wirksamkeit sei, korrespondiert hier erneut der hermetischen Logostheologie. Im Poimander heißt es diesbezüglich: »Es sprang aber sofort der göttliche Logos von den unteren Elementen hinauf zu der reinen Schöpfung der Natur und vereinigte sich mit dem demiurgischen Geist – denn er war von gleichem Sein (…)«429 Die Lesbarkeit der Dinge verweist nicht auf ein topisches System des vom Menschen geschaffenen Wissens, sondern hat spirituelle Ursachen. Gott als causa finalis aller Erscheinungen gewährt durch die Weisheit seines Werkes eine innere Ordnung der Zeichen, die der Gläubige nach hinreichender Einweihung durch einen Lehrmeister entziffern kann. Die spirituelle Organisation des Raums, die Fama und Confessio vorführen, ist im Gegensatz zur weltlichen Topik des Wissens kein offen zugängliches Findesystem, vielmehr ein Zeichengefüge, das sich einzig den Adepten erschließt. Eine deutlich allegorisch gelagerte Darstellung des Raums findet sich zumal in der schon 1611 entstandenen Chymischen Hochzeit, die stärker als die beiden vorangehenden Texte narrative Elemente aufweist (Andreae hat sie in seiner Autobiographie ein »ludibrium« – ›Spielwerk‹ – genannt).430 Bereits die Wanderung, die der Ich-Erzähler Christian Rosenkreutz am zweiten Tag beginnt, steht unter hermetischem Vorzeichen. Nachdem er den Wald verlassen hat, erblickt Christian »drey hohe schöne Cedern Bäume, welche umb ihrer breiten willen einen herrlichen und erwünschten Schatten geben«.431 An einem der Bäume befindet sich eine Tafel, die den Wanderer über die Möglichkeiten seiner künftigen Reise aufklärt. Ausdrücklich ist von einem in vier Richtungen führenden Kreuzweg die Rede (»Quatour viarum optionem per nos tibi sponsus offert«432), der seit der Antike die Allegorie einer grundsätzlichen Entscheidungssituation darstellt. Die Zahl der Zedern, die ihrerseits an das Hohe Lied Salomos (5, 15) erinnern, verweist auf Hermes Trismegistos, den dreifach großen Gott. Die alchemistische Literatur betont die triadische Beschaffenheit des Gottes Merkur, der als Sinnbild der Verwandlungskunst gilt. In Heinrich Khunraths alchemistischer Confessio (1597) heißt es, daß Hermes als Sohn der »großen Welt« die »Dreieinigkeit« repräsentiere.433 Hermes Trismegistos ist 429 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 13 f. (Traktat I). 430 Andreae: Vita ipso conscripto, S. 10; zur Entstehung vgl. Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 108 ff., 292 (Anm. 7), zur novellistischen Erzählform Frey-Jaun: Die Berufung des Türhüters (s. Anm. 413), S. 62 ff. 431 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 53. 432 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 53. 433 Khunrath: Vom Hylealischen, Das ist Pri-materialischen Catholischen Oder Allgemeinen Natürlichen Chaos (s. Anm. 69), S. 103. Vgl. hier Edighoffer: Hermetism in Early Rosicrucianism, in: Gnosis and Hermetism from Antiquity to Modern Times (s. Anm. 10),

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wiederum für die Alchemie zuständig, deren Wissen er neben der Magie und der Astronomie vertritt. So steht der Beginn der Wanderung Rosenkreutzes bereits unter dem Patronat des hermetischen Wissens und seiner zahlensymbolischen Chiffrierung. Wenn Christian die Anweisungen für seine künftige Reise auf einer Tafel empfängt, etabliert das zudem ein Leitmotiv, das Andreaes Text fortan beherrscht. Die Initiation der Figuren erfolgt durch Zeichen, im Medium von Emblemen, Epitaphen und Wandschriften, die ihrerseits eine geheime Bedeutung offenbaren. Signifikant für die allegorisch-hermetische Anlage des Textes ist auch die Szene, in der Christian unter der Führung einer jungfräulichen Initiationsgestalt einen Brunnen erblickt, neben dem ein Löwe mit einer Schrifttafel steht, die den Gott Hermes als Fürsten und Arzt preist, welcher über die Heilkraft des Wassers gebietet (»Hermes Princeps«434). Roland Edighoffer hat daran erinnert, daß auch der Alchemist und Hermetiker Michael Maier in seiner Symbola aureae Mensae (1617) Hermes als ›Fürsten‹ apostrophiert habe.435 Der Brunnen, eine seit der mittelalterlichen Mystik gut eingeführte Inspirationsmetapher, repräsentiert bei Andreae die stille Andacht und die fließende Bewegung des göttlichen Geistes, der über den Menschen kommt. Als »Spring Brunnen«436, den Gott in Gang hält, bezeichnet Sigmund von Birken in seiner 1679 gedruckten Dichtungslehre die Poesie. Die literarische Erzählung dient bei Andreae der Verdoppelung der hermetischen Lehre, die über das räumliche Sinnbild des Brunnens und über dessen emblematische Inscriptio gleichermaßen kommuniziert wird. Diese Technik, die aus der Fama und der Confessio vertraut ist, erfüllt wiederum zwei Funktionen: Zum einen ermöglicht das Auffinden von Buchstaben an öffentlichen Wänden, in Gewölben oder inmitten der Natur eine spielerische Annäherung an den Gehalt, den sie vermitteln; Zeichen und Geist konstituieren hier einen Zusammenhang, in dem sinnlicher und spiritueller Charakter der Aussage, die sie formulieren, kohärent sind. Der Text verbindet sich zum anderen mit der gegenständlichen Welt zu einer Einheit von Botschaft (Geist) und Träger (Materie), indem er das Medium – seine Zeichensprache – und seine lokale Grundlage – die ihm umgebende Topographie – als Ensemble wirksam werden läßt. Das umgekehrte Verfahren nutzt eine frühere Sequenz der Erzählung, in der eine Bibliothek beschrieben wird, an deren Eingang ein großes Buch steht, das »alle Figuren«, Saal, Portal und auch die Bilderrätsel des gesamten Gebäudes S. 197 – 215, S. 199. Edighoffer verweist bereits auf Khunrath, jedoch mit falscher Stellenangabe. 434 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 85. 435 Michael Maier : Symbola aurea Mensae, Francofurti 1617, S. 594. Vgl. Edighoffer: Hermetism in Early Rosicrucianism, in: Gnosis and Hermetism from Antiquity to Modern Times (s. Anm. 10), S. 201. 436 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 14 (r).

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aufführt.437 Hier erfüllt der Text die Funktion, die Zeichen der verschiedenen Räume eines Bauwerks zusammenzutragen und zu erläutern, während im vorangehenden Beispiel gerade der Raum Träger einer Schrift ist, deren Sinn er durch seine besondere Beschaffenheit erklärt. Die Schlüsselszene, die das Programm der topographischen Allegorik entfaltet, bildet die Sequenz, in der der Erzähler auf seiner Wanderung auf einem Berg vor sich ein Schloß mit einem gewaltigen Portal erblickt, »daran viel herrlicher Bilder und Sachen gehawen, deren jetlichs, wie ich hernach erfahren, sein sondere bedeutnuß hatte.«438 Das Tor verschafft Zutritt zu einem Schloß mit labyrinthischen Innenräumen, die der Erzähler, geleitet von Botenfiguren, neugierig durchquert. Zunächst trifft er auf einen Hüter, der ihn mit Erbauungsschriften und Empfehlungsbriefen versorgt, indessen die Inscriptiones im Haus selbst aber ungedeutet bleiben.439 Er wird von einem Knaben in die hinteren Gemächer geführt, in denen er eine Tafel mit adligen Gästen – darunter Kaiser, König und Fürsten – erblickt, die, bedient von zahlreichem Gesinde, das weltliche Wohlleben preisen.440 Die Runde wandelt sich zu einer Tischgesellschaft, deren Mitglieder von der Macht der Imagination verhext zu sein scheinen. Das Innere des merkwürdigen Gebäudes offenbart sich bald als Geisterort, an dem Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Phantasma zu einer wunderbaren Einheit zusammentreten. Der Raum des Textes verändert sich permanent, im Zeichen einer Technik der gleitenden Übergänge, unter dem Diktat einer intern fokalisierten (aktorialen) Erzählstrategie, die den Leser mit beträchtlichem Tempo in beständig sich wandelnde Konstellationen führt. Zur spezifischen Logik der arkanen Wissenstopiken, die Andreaes Text verwaltet, gehört eine narrative Methode, die Verunsicherungseffekte durch die stetige Veränderung ihrer Blickwinkel freisetzt. Die magische Dynamik der Räume, in denen der Protagonist zuweilen »irr« geht441, findet auf diese Weise in den assoziativen Leistungen des aktorialen Erzählens ihr Pendant. Sie sind es, die der Topographie jene »facies hermetica« verleihen, von der Umberto Ecos Il pendolo di Foucault (1988) im Hinblick auf die intellektuelle Physiognomie der Rosenkreuzer spricht.442 Programmatisch verweist die narrative Konstruktion des Raums als Schau437 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 77, vgl. auch S. 95. 438 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 55. 439 Die Wirkung des Arkanen ist wichtiger als dessen Entzifferung – ein Grundmuster in Andreaes Erzählung und zugleich ein Merkmal ihrer narrativen Technik, die auf die Erzeugung von Überraschungseffekten, nicht aber auf Explikation zielt. 440 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 58 f. 441 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 117. 442 Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel. Aus dem Italienischen v. Burkhart Kroeber, München 1989, S. 396.

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platz der Umschwünge und Überraschungen wiederum auf das zentrale Ereignis, von dem Andreaes Text berichtet: Das königliche Hochzeitspaar, dessen Vermählung man im Schloß feiern möchte, wird mit Hilfe magisch-alchemistischer Verfahren zum Leben erweckt, nachdem es zuvor bei einer öffentlichen Exekution durch Enthauptung den Tod fand.443 Die Tätigkeit in Geheimlaboratorien, wo die Adepten an der Wiedergeburt von König und Königin arbeiten, dient dabei der Idee der resurrectio. Das königliche Paar verweist auf ein spirituelles Motiv, das hinter den alchemistischen Topoi den Vorgang der Auferstehung nach dem Tod bezeichnet. In seiner Abhandlung Invitatio Fraternitatis Christi (1617) hat Andreae das Hochzeitsmotiv dezidiert christologisch gedeutet, indem er Jesus als Ehemann, die ecclesia als »sponsa« faßt.444 Mit dieser Interpretation verbindet sich der Gedanke einer heiligen und zugleich vollkommenen Liebe, die sich von den Verlockungen der Begierde fernhält – ein Topos, der in der rosenkreuzerischen Gründungserzählung, die bezeichnenderweise an den Tagen des Osterfestes spielt445, über das Postulat der moralischen Selbstverpflichtung der Ordensmitglieder und deren Anspruch auf eine exemplarische Lebensführung aufgegriffen wird. Genau hier dürfte auch die Schnittstelle liegen, an der theologische und alchemistische Tradition einander berühren; sie wird geschaffen durch das verbindende Prinzip des hermetischen Spiritualismus, der in Andreaes Hochzeitstopos aufscheint.446 Der Zeichencharakter und die narrative Darstellung des Raums finden sich in der Chymischen Hochzeit unterstützt durch ein hermetisches Bildkonzept. Andreae war zeitlebens am Genre der Emblematik interessiert; seine Vertrautheit mit dem Werk Matthäus Merians, der seinerseits die Kupferstiche zu Julius Wilhem Zincgreffs 1619 in Heidelberg veröffentlichter Sammlung (Emblematum Ethico-Politicorvm Centuria) beisteuerte, dürfte diese Affinität wesentlich inspiriert haben. Zu den emblematischen Mustern, mit denen der Text arbeitet, gehören die Motive der Taube, des Raben, der Jungfrau, der Fortuna, des Totenkopfs, der Schlange, des Brunnens, des Löwen und des Vogels (aus dem dann die Tinktur zur Wiederbelebung des toten Brautpaars gewonnen wird).447 Ge443 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 96. Die Exekution erscheint als »Blutige Hochzeit« (ebd.), sie ist folglich eine Kontrafaktur der festlichen Vermählung, die am Ende gefeiert wird. Cersowskys Vorschlag, sie als »verschlüsselte Darstellung des Kreuzestodes« (Magie und Dichtung [s. Anm. 11], S. 119) zu lesen, überzeugt daher nicht recht. Zur naturphilosophischen Tradition, wie sie durch das Zitat von John Dees Monas Hieroglyphe als Zeichen für die Einheit von Kabbala und Theologie, Mathematik und Alchemie berührt wird, vgl. Rusterholz: Alchemie und Dichtung (s. Anm. 404), S. 94 f. 444 Vgl. dazu Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 118. 445 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 45. 446 Zu den theologischen Implikationen, alledings ohne Bezug auf den Hermetismus, vgl. Rusterholz: Alchemie und Dichtung (s. Anm. 404), S. 104 ff. 447 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 54, 69 ff., 88, 91, 112 f. – Zur Symbolik des

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meinsam ist ihnen, daß sie die Einheit von Logos und Sinnlichkeit im Medium der Sprache veranschaulichen, indem sie bevorzugt in Verbindung mit einem Lemma vorgeführt werden. Sie gehören damit wie die Wand- und Gefäßinschriften zum Konzept einer redenden Topographie, die das geheime Wissen über magische Praktiken – die Gewinnung neuen Lebens aus Blut und anderen Elixieren – vermittelt. Erst im Raum, den sie besetzen, empfangen die genannten Picturae ihren Sinn. Schloß und Säle, Gartenanlage und Bibliothek, intime Kammern und öffentliche Schaugemächer konstituieren eine Topographie, in der die emblematische Struktur des Textes zum Leben erwacht. Die Räume repräsentieren gleichsam die materiellen Träger der Bilder und ihres allegorischspirituellen Zweitsinns. Die Wiedergeburt des Königspaares verlangt die Herstellung einer Tinktur aus dem Blut eines zuvor alchemistisch geschaffenen, danach geopferten Vogels. So wie das Paar aus dem Tod zum Leben erweckt wird, wandert der Vogel vom Leben zum Tod. Damit ist der Topos des Kreislaufs verbunden, der die Idee der Natur bezeichnet, die Andreae reflektiert. Der hermetische Asclepius-Traktat findet zu diesem Motiv der Zirkularität das passende Bild, wenn es heißt: »Der Kosmos ist freilich nach Art einer Kugel eine hohle Rundung, die für sich selbst als ganze nicht sichtbar ist wegen ihrer Beschaffenheit und Gestalt (…)«448 Dem Modell der Wiedergeburt, das Andreaes Beschreibung des alchemistischen Experiments zitiert, korrespondiert das hermetische Muster der Kugelförmigkeit der Schöpfung. Es repräsentiert gleichsam das bildhafte Analogon des von Andreae geschilderten praktischen Verfahrens der Erneuerung des Lebens aus dem Geist von Alchemie und Magie. Bereits in der Fama taucht der Zirkel als Chiffre der Gottnatur auf, wenn es über die Grabkammer Christians heißt, in ihr stehe »ein runter Altar« mit der Aufschrift: »HOC UNIVERSI VIVUS MIHI SEPULCHRUM FECI.« (»Dieses Kompendium des Alls habe ich zu meinen Lebzeiten zum Grabmal gemacht.«).449 Was die hermetischen Traktate über die zirkuläre Struktur der Natur als Indikator ihrer Universalität anmerken, entspricht Andreaes Vorstellung von der Kreisförmigkeit des menschlichen Lebens. Kaum zufällig ist es, daß der Kreis zum bevorzugten geometrischen Symbol der Wiedergeburt wird, um die es im letzten Teil der Chymischen Hochzeit geht. Das Grab der Venus dient als Ausgangspunkt für den Versuch, die Erweckung des toten Brautpaars anzubahnen.450 Venus und ihr Sohn, der permanent die Szene bevölkernde Cupido, stehen für eine Philosophie der sinnlichen Liebe, die

Textes Kienast: Johann Valentin Andreae und die vier echten Rosenkreutzerschriften (s. Anm. 403), S. 79 ff. 448 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 275 (Asclepius). 449 Andreae: Fama Fraternitatis (s. Anm. 403), S. 25. 450 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 97 f.

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Andreaes Schrift auf freilich dezente Weise preist.451 Die eigentliche Prozedur der alchemistischen Erneuerung vollzieht sich wiederum an einem magischen Brunnen, in dessen Tiefe eine goldene Kugel eingelassen wird, die unter gleichmäßiger Erhitzung eine Tinktur absondert, welche ihrerseits die Leichen des Königs und der Königin ins Leben zurückbringen soll.452 Der Text bietet seinen Lesern an diesem Punkt eine graphische Darstellung zur Veranschaulichung, die die Lage des Brunnens und die Position der Zuschauer genau angibt. Auf einzelne Punkte der Karte weist die Erzählung mit Hilfe von Klein- und Großbuchstaben hin, indem sie eine Verbindung zwischen Graphik und Text herstellt – ein Verfahren, das Robert Fludd, ein großer Bewunderer Andreaes, in seiner hermetischen Kosmologie (1617 / 24) gleichfalls verwendet.453 Auch ein zweites Element des Wiedergeburtsritus verweist auf die Kugelform, chiffriert mithin allegorisch die hermetische Zirkulationsidee: In einem benachbarten Saal des Schlosses entdecken die Adepten einen großen runden Kupferkessel, an dessen äußeren Seiten Inschriften mit alchemistischen Grundsätzen und rosenkreuzerischen Ordensregeln angebracht sind. Daneben findet sich eine Serie mit arkanen Zeichen, deren letztes das von Jesus in der Offenbarung (21, 5 – 6) überlieferte Wort Gottes – »Ich bin Anfang und Ende« – illustriert, mithin den Gedanken der Zirkularität umspielt, der das Grundprinzip der alchemistischen Wiedererweckungsexperimente darstellt.454 Der Tod des Vogels im Brunnen, der durch das fließende Blut zum »Rubinen Brünnlin«455 wird (und nach emblematischer Deutung, z. B. bei Petrus Costalius456, ein Sinnbild der Wahrheit ist), schafft die Voraussetzung für die Erzeugung eines Elixiers, das, gemischt mit Asche und Wasser, von Feuer erhärtet, den Basisstoff für die Regeneration liefert. Wieder sind es Kugeln – sieben an der Zahl457 –, die am Ende die symbolische Raumordnung der Zirkularität bezeichnen. In einer Umkehrung der Szenerie des Jüngsten Gerichts hauchen sechs Jungfrauen den beiden Toten mit Hilfe ihrer Posaunen die Seele ein – eine Sequenz, die Eco in Il pendolo di Foucault herausgreift, indem er sie zum Motto 451 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 88 f., 113 (mit dem Motiv der erotischen Wahl). 452 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 105 f. 453 Robert Fludd: Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica atque Historia. In duo Volumina. Oppenheim 1617 / 1624. 454 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 110; vgl. Anm. 109. 455 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 112. 456 Petrus Costalius: Pegma, Cum narrationibus philosophicis, Leiden 1555, S. 247; vgl. Arthur Henkel, Albrecht Schöne (Hgg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 21978 [1967], Sp. 1817. Vgl. auch Guillaume de la PerriÀre: La Morosophie, Lyon 1553, Nr. 48; vgl. Emblemata, Sp. 1816. 457 Zur Zahlenmystik der Chymischen Hochzeit Kienast: Johann Valentin Andreae und die vier echten Rosenkreutzerschriften (s. Anm. 403), S. 80 ff., Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 128 f.

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seines vorletzten Kapitels macht.458 Die solcherart zum Leben Erweckten geben an, ihren Tod nur als langen Schlaf erfahren zu haben, und nehmen ihre Rollen ungerührt wieder auf.459 Auch darin ist das Raumbild der Kugel eine Chiffre der Erneuerung im Zeichen eines zirkulär gedachten hermetischen Lebens- und Natursystems, in dem auf die Nacht der Tag, auf den Traum das Erwachen folgt. Kaum zufällig tritt in der Chymischen Hochzeit, dem Muster von Francesco Colonnas Hypnerotomachia Poliphili (1499) folgend, das Motiv des Traums mehrfach auf.460 Die Schloß-Topographie, die der Text vorführt, gerät so zum Schauplatz einer phantastisch anmutenden alchemistischen Verwandlung. Der Raum verweist auf das Prinzip der Veränderung als Grundmuster der göttlichen Natur, wie es der Hermetismus lehrt.461 Zu erkennen ist hier ein Zusammenhang zwischen Andreaes Chymischer Hochzeit und der pseudo-paracelsischen Studie De natura rerum (1584), wobei die Gemeinsamkeit in der Rückführung des Topos der dynamischen Natur auf Hermes Trismegistos liegt, die beide Schriften vornehmen.462 Erneut geht es um die Reflexion von Raumstrukturen, die solche Verbindungen ermöglicht. Die unter Paracelsus’ Namen publizierte Schrift, die Andreae gekannt haben dürfte, operiert mit dem Grundgedanken der Neuschöpfung des Lebens, der sich aus der Vorstellung einer permanenten Dynamik der Natur herleitet.463 Die gemeinsame Quelle für solche Auffassungen ist wiederum die Naturphilosophie des Corpus Hermeticum; im zweiten hermetischen Traktat heißt es: »Es ergibt sich nun, daß die Bewegung des Kosmos und jedes materiellen Lebewesens nicht von außerhalb herrührt, sondern von innen nach außen, vom Geistigen, entweder von der Seele oder vom Pneuma oder von etwas anderem Unkörperlichen.«464 Der elfte Traktat formuliert, dieses ergänzend: »Und das ist es, was mit dem Kosmos geschieht: Drehungen und Prozesse des Verschwindens. Die Drehung bedeutet Umwendung, das Verschwinden aber Erneuerung.«465 Die stetige Veränderlichkeit der Natur und die Dynamisierung ihrer Räume verweisen zurück auf den Schöpfer als intellektuelles Prinzip: »Der 458 Eco: Das Foucaultsche Pendel (s. Anm. 442), S. 736. 459 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 116: »Diß beschah bey ihnen mit grosser Verwunderung, meineten auch anderst nit, alß ob sie von der stund an, da sie Enthauptet worden, biß anhero geschlaffen hätten.« 460 Vgl. Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 84, 117. 461 Vgl. etwa den elften Traktat: Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 ff. 462 Zu De natura rerum und Andreae (allerdings ohne den Hinweis auf das gemeinsame Fundament im Hermetismus) Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 109. 463 De natura rerum, IX Bücher. Ph. Theophrasti von Hohenheim / genant Paracelsus, Straßburg 1584, in: Theophrastus Paracelsus. Sämtliche Werke. I. Abteilung. Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hg. v. Karl Sudhoff. 14 Bde., München / Berlin 1922 – 1933, Bd.V, S. 53 ff. 464 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 32 (Traktat II). 465 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 (Traktat XI).

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Kosmos ist allgestaltig, wobei er nicht Formen enthält, die (von außen) in ihn hineingelegt worden sind, sondern in sich verändert er sich selbst.«466 Die Bewegung im Raum des Kosmos trägt die Spuren eines geistigen Auslösers, der sie steuert; sie bildet das Zeichen für den göttlichen Logos, der die Idee der naturalen Dynamik repräsentiert. Mit dieser Zeichenhaftigkeit spielt Andreaes Text programmatisch, wenn er auf Inschriften und Motti, auf Lemmata und Gravuren verweist, die das Schloß zieren. Kunstvoll gespiegelt erscheint das semiotische System der Natur dort, wo die Erzählung einen riesigen Globus beschreibt, in den der Protagonist steigt, um von innen die »Sternen« zu beobachten, die wie »Carbunckele« in »gebürender Ordnung« erstrahlen.467 Ähnliches zeigt eine Szene, die das Gemach der Königin mit einem Altar, einem darauf liegenden, samtbespannten Buch, einem von einer Schlange bewohnten Totenschädel und einer Himmelskugel schildert.468 Ein drittes Beispiel bietet das Theaterstück, das man zu Ehren des Königspaars aufführt – eine Sequenz, die Andreaes Inspiration durch die englischen Wanderbühnen und den kulturellen Einfluß der ›Anglophilie‹ des württembergischen Herzogs Friedrich I. dokumentiert.469 Daß auch hier die Differenz zwischen Kunst und Realität gelöscht ist, läßt sich an der Begeisterung erkennen, mit der die Zuschauer Braut und Bräutigam im Schlußakt die Reverenz erweisen.470 Der Bühnenraum avanciert zu einem Ort, an dem sich – ähnlich wie in Shakespeares Hamlet – das Königspaar durch die Theaterfiguren verdoppelt findet. Das Moment des Imaginären strukturiert den szenischen SpielRaum der Aufführung, in dem sich die Topographie des Schlosses spiegeln darf. Ein viertes Exempel bietet der Schluß, wenn König und Königin am Schachbrett eine »Psychomachia« austragen, einen mit Spielfiguren geführten allegorischen Streit zwischen Tugend und Laster, wie ihn die mittelalterliche Epik im Anschluß an das bekannte Lehrgedicht des Prudentius (348 – 405) darzustellen pflegt.471 Auch hier bedeutet die Ebene der künstlichen Repräsentation mehr als nur eine Wiederholung mit anderen Mitteln; sie erhebt statt dessen den Anspruch, eine zweite Natur mit denselben Wahrheitsgesetzen wie die erste zu repräsentieren. Das Spiel ist immer schon Logos, wie die Kunst466 467 468 469 470 471

Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 (Traktat XI). Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 78. Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 88. Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 41. Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 93. Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 120. Vgl. dazu immer noch Hans Robert Jauß: Form und Auffassung der Allegorie in der Tradition der Psychomachia (von Prudentius bis zum ersten Romanz de la Rose), in: Medium Aevum Vivum. Festschrift für Walther Bulst, hg. v. Hans Robert Jauß und Dieter Schaller, Heidelberg 1960, S. 179 – 206. Vgl. zum Einfluß des Prudentius auch Edighoffer: Hermetism in Early Rosicrucianism, in: Gnosis and Hermetism from Antiquity to Modern Times (s. Anm. 10), S. 205.

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kammern des Schlosses immer schon Natur sind. Das ästhetische Modell wird jeweils mit der Realität ineins gesetzt, insofern beide ein Zeichen für die Schöpfungsmacht Gottes darstellen. Erste und zweite Natur unterscheiden sich nicht voneinander, weil sie gleichermaßen einen allegorischen Charakter tragen, der sie als Grundriß göttlicher Provenienz ausweist. Das Modell wiederholt und bestätigt durch seine künstliche Ordnung lediglich den vollkommenen Raum der Wirklichkeit; in diesem Sinne erscheint es auch als metapoetischer Kommentar des literarischen Textes und der besonderen Arbeit seiner entdifferenzierenden Zeichenproduktion, die den Anspruch erhebt, eine perfekte imitatio naturae zu leisten. Als epistemisches Vorbild für dieses Verfahren kommt hier Heinrich Khunraths paracelsistisch-kabbalistisches Amphitheater (1609) in Frage, das, seinerseits durch Dees Monas hieroglyphica (1564) angeregt, das Muster der Bühne als Paradigma einer Wissensorganisation nutzt, die hermetische Interpretamente mit allegorisch-figürlichen Darstellungstechniken synchronisiert.472 Nicht zuletzt ist die politisch-soziale Funktion des Raums zu berücksichtigen, die sich durch die hermetische Topographie der Chymischen Hochzeit vermittelt. Sie liegt exemplarisch dort, wo das Zauberschloß des Textes allegorisch auf die Architektur des Heidelberger Stadtschlosses, die dortigen Bibliotheken mit ihren »magisch-wissenschaftlichen«473 Beständen und seine von Salomon de Caus (1576 – 1626) zwischen 1614 und 1620 für den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. errichteten Gartenanlagen (»Hortus Palatinus«) verweist. Garten und Park waren an wesentlichen Punkten von emblematischen Motiven aus Michael Maiers Schrift Atalanta Fugiens (1618) und dessen im selben Jahr veröffentlichter Themis aurea inspiriert, verrieten mithin eine Prägung durch hermetisch-rosenkreuzerisches Gedankengut, wie es sich hier im Rahmen einer allegorisch lancierten Theorie der arkanen Schöpfernatur und ihrer spirituellen Beschaffenheit entfaltet fand.474 Über den Heidelberger Schloßpark schrieb Matthäus Merian, der 1620 bei Johann Theodor de Bry eine Sammlung mit Stichen der de Causschen Anlagen veröffentlicht hatte, rühmend, er sei »mit

472 Heinrich Khunrath: Amphiteatrum sapientiae aeternae solius verae Christiano-kabbalisticvm divino-magicvm, Frankfurt / Leipzig / Lübeck 1609; vgl. dazu Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 47. Zum Einfluß Dees auch Rusterholz: Alchemie und Dichtung (s. Anm. 404), S. 85 – 113, S. 94 f. 473 Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 38. 474 Die Bezüge zu Maier zeigen sich zumal dort, wo de Caus’ Gartenentwurf mit seinen Wasserspielen synästhetische Eindrücke zu vermitteln sucht, an denen alle Künste – insbesondere die Musik – ihren Anteil haben; Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 92 f. Zu Maiers Verhältnis zum Hermetismus vgl. Volkhard Wels: Poetischer Hermetismus. Michael Maieres Atalanta fugiens (1617 / 18), in: Alt, Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus (s. Anm. 33), S. 150 – 194.

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sonderlicher Kunstordnung / vornemlich aber mit Brunnen= und Wasserwerck / auch Wasser Musick«475 ausgestattet. Die fiktive Topographie der Andreaeschen Allegorie vermag durch den Bezug auf de Caus Garten, von dem es in Ecos Il pendolo di Foucault heißt, er sei lesbar »wie ein Zauberspruch«476, spirituelle und politische Bedeutung zu verbinden. Unterstützt wird diese doppelte Programmatik durch den ausgedehnten Anspielungsradius des Hochzeitstopos. Der zweifache Sinn des Schlosses als Zeichen der rosenkreuzerischen Geheimaktivitäten und Referenz auf die Heidelberger Anlagen läßt diesen Radius klar hervortreten. Am 17. Juni 1613 führte ein großer Hochzeitszug den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. und seine 17jährige Ehefrau Elizabeth Stuart, die älteste Tochter des englischen Königs James I., in einer Kutsche durch Heidelberg, nachdem vier Monate zuvor bereits nach anglikanischem Zeremoniell die Vermählung in Whitehall stattgefunden hatte (aus Anlaß der Verlobung des Paars am 27. Dezember 1612 war Shakespeares The Tempest gezeigt worden, mit dem letztmals öffentlich auftretenden Dichter in der Rolle des Prospero, der, wie man vermutete, Züge des Magiers John Dee trug477). Schildert Andreaes 1616 veröffentlichter Text die Vorbereitungen für eine üppige Hochzeitsfestivität, so mußte das die zeitgenössischen Leser an die drei Jahre zurückliegende Vermählung des Kurfürsten mit seiner englischen Braut erinnern. Daß der Bräutigam der Chymischen Hochzeit nicht allein Christus, sondern auch den Kurfürsten darstellt, zeigt dessen Vergleich mit einem »fliegenden Löwen«478, der auf das Wappentier Friedrichs verweist; als Löwen, der schlafend wacht (»Parte tamen vigilat«), stellt in diesem Sinne Zincgreffs Emblematum Ethico-Politicorvm Centuria den Landesherrscher dar.479 Wenn Andreaes Text davon berichtet, daß im Intermezzo der Theateraufführung ein Löwe gegen einen Greif gekämpft und diesen besiegt habe, so ist das eine politische Allegorie, die den Triumph des pfälzischen Kurfürsten über die Habsburger beschwört. Das Wappentier der Habsburger war ein Adler, mit 475 Matthäus Merian: Topographia Palatinus Rheni et Vicinarum Regionum. Faksimile der vermutlich 1672 erschienenen vermehrten zweiten Ausgabe, mit einem Nachwort hg. v. Wolfgang Medding, Kassel 1963, S. 41. 476 Eco: Das Foucaultsche Pendel (s. Anm. 442), S. 395. 477 Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 14; dies.: The Occult Philosophy in the Elizabethan Age (s. Anm. 102), S. 79 ff. Zu den Formen der Selbst- und Zeitreflexion im Tempest Stephen Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Aus dem Amerikanischen v. Robin Cackett, Berlin 1990 (= Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England, 1988), S. 127 ff. 478 Andreae:, Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 69. 479 Julius Wilhelm Zincgreff: Emblematum Ethico-Politicorvm Centuria, Heidelberg 1619, Nr. 1. Das ohnehin für das Genre einschlägige Löwenmotiv hat Zincgreff außerordentlich angezogen; vgl, auch Nr. 5, 10, 12, 16, 22, 67. Besser zugänglich in: Henkel, Schöne (Hgg.): Emblemata (s. Anm. 456), Sp. 372 f., 379, 382, 400.

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dem der mythische Greif mancherlei Verwandtschaft zeigt; auf die direkte Erwähnung des heraldischen Zeichens, das den Kaiser in Wien repräsentiert, verzichtete Andreae aus Gründen der Vorsicht, jedoch blieb der Anspielungshorizont der Szene deutlich genug.480 Selbst wer Frances Yates’ dezidiert politischer Deutung der RosenkreuzerBewegung nicht folgen mag, wird zugestehen, daß hier Bezüge zur Zeitsituation gegeben sind.481 Im konfessionalistischen Jahrhundertkonflikt lassen auch die rosenkreuzerischen Traktate eine machtstrategische Linie durchscheinen, indem sie Friedrich von der Pfalz auf versteckte Weise feiern.482 Wenn Andreaes Text über die subtile Anspielung auf das Heidelberger Schloß die Hochzeit seines Landesherrn würdigt, der drei Jahre später den böhmischen Thron besteigen wird, dann trägt das den Charakter einer arkanen politischen Botschaft, die gut informierte Leser nicht übersehen konnten. Indirekt läßt sich die Bedeutung dieser Verbindung an einer Streitschrift ablesen, die Andreas Libavius 1619 gegen den Orden richtete (»Wohlmeinendes Bedencken der Fama und Confession der Bruderschaft des Rosencreutzes«). Libavius verwirft nicht nur die paracelsistisch-kabbalistische Tendenz der beiden Texte, sondern tadelt auch, daß Friedrich von der Pfalz, den er einen »paracelsischen Löwen« nennt, zum Freund der Rosenkreuzer geworden sei und seinen wahren Glauben einer Sekte geopfert habe.483 Man mag sich vor dem Hintergrund dieser Formel nochmals an die Szene erinnern, in der Christian am Schloßbrunnen einen Löwen mit einer Tafel erblickt, die das Motto »Hermes Princeps«484 trägt. Das Lemma verweist im Rahmen des politischen Subtexts der Chymischen Hochzeit nicht nur auf Hermes als mächtigen Gott des geheimen Wissens, sondern auch auf die hermetischen Neigungen des pfälzischen Landesherrn: Hermes ist ein Herrscher, aber der Herrscher ist ebenso Hermetiker. Vergleichbare Raummodelle wie in der Chymischen Hochzeit finden sich, gestützt auf eine hermetisch-gelehrte und politische Doppelfunktion, auch in Andreaes utopischem Christianopolis-Roman. Christianopolis ist bekanntlich eine imaginäre Stadt, die der Erzähler nach längerer Fahrt mit dem Schiff der Phantasie (»phantasia nave«) auf einer Insel im ›Akademischen Meer‹ (»academicum mare«) entdeckt.485 Die Beschreibung der ausgedehnten Anlage erfolgt 480 481 482 483

Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 91. Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 60 ff. Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 62 f. Andreas Libavius: Wohlmeinendes Bedencken der Fama und Confession der Bruderschaft des Rosencreutzes, Frankfurt 1619, S. 194 f.; Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 63 f. 484 Andreae: Chymische Hochzeit (s. Anm. 403), S. 85. 485 Johann Valentin Andreae: Christianopolis (1619). Deutsch-Lateinisch. Originaltext und Übertragung nach D.S. Georgi 1741, eingel. u. hg. v. Richard van Dülmen, Stuttgart 1972, S. 36.

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nach Lemmata, die ihrerseits die Kapitel bilden und den Roman systematisch gliedern. Jeder Stadtteil erfüllt eine genau umrissene Funktion innerhalb des Arbeits- und Bildungsprogramms, das in Christianopolis verfolgt wird.486 Im Zentrum des Entwurfs stehen Räume, die Formen der Wissensspeicherung (Archiv, Bibliothek, Wunderkammer, Zeughaus), der Forschung (Apotheke, Labor, Lesesaal) und der Unterweisung (Auditorium, Schauhaus) ausbilden. Das topische System der gelehrten Ordnung gewinnt hier eine dreidimensionale Umsetzung in der Organisation und Strukturierung des Stadtraums, an dessen spezifischen Indikatoren sich die unterschiedlichen Elemente des Wissensdiskurses selbst erkennen lassen. Der Anatomiesaal erscheint so als ›Werkstatt der lebendigen Körper‹, das Laboratorium als Labyrinth mit Öfen und Flaschen, die Bibliothek als gewaltiges Magazin der Gelehrsamkeit inmitten einer Zitadelle, das »Theatrum physicum« als Sammelort, an dem wissenschaftliche Präparate die Bauformen der Schöpfung illustrieren487; in den Hörsälen werden die sieben Disziplinen des Trivium und Quadrivium vorgeführt, jeweils vertreten durch eigene, in den Auditorien gesammelte Hilfsmittel, Werkzeuge und Modelle.488 Auch hier offenbart sich der Konnex von Geist und Raum; indem die Topographie über ihre Requisiten Zeichencharakter annimmt, spiegelt sie die hermetische Idee einer Verbindung zwischen Materiellem und Immateriellem wider. Wie die Schöpfung aus dem Logos die Materie gebar, so reflektiert die Raumordnung in Christianopolis die jeweilige Gelehrtenkultur, die an den unterschiedlichen Standorten praktiziert wird.489 Das erinnert deutlich an das hermetische Wissenskonzept, das die Topographie des Schlosses in der Chymischen Hochzeit illustriert. Nicht zuletzt widerlegt es die ironische Kritik der rosenkreuzerischen Gründungsschriften, mit der das Vorwort des Romans aufwartet – das Programm, das Christianopolis formuliert, lehnt sich deutlich an das Muster hermetischer Lehren an.490 Das von Andreae entfaltete Prinzip der räumlichen Organisation hermetischen Wissens fand gerade im Hinblick auf die ihm eigentümliche Verbindung

486 Wie stark die utopische Literatur der Frühen Neuzeit ihre Raumkonzepte der »Bewegung einer globalen Territorialisierung« unterwirft, die auch den Anspruch auf die Beherrschung der Weltmeere und die umfassende Organisation des Handels einschließt, zeigt Niels Werber : Die Geo-Semantik der Netzwerkgesellschaft, in: Spatial Turn (s. Anm. 402), S. 165 – 183, S. 166 f. 487 Andreae: Christianopolis (s. Anm. 485), S. 116 f. (Anatomie), 112 (Labor), 104 (Bibliothek), 118 (Physikalische Sammlung). 488 Andreae: Christianopolis (s. Anm. 485), S. 132 ff. (Auditorien der Wissenschaften). 489 Vgl. dazu Andreas Urs Sommer : Religion, Wissenschaft und Politik im protestantischen Idealstaat. Johann Valentin Andreaes »Christianopolis«, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 48.2 (1996), S. 114 – 137. 490 Andreae: Christianopolis, S. 28.

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religiöser, gelehrter und arkanpolitischer Elemente größere Resonanz.491 Eine Reihe alchemistisch-pansophischer Schriften wiederholte die spirituelle Poetik des Raums, die er entwickelte. Johann Amos Comenius’ Labyrinth der Welt und Paradies des Herzens (1623) und Daniel Stoltzius von Stoltzenbergs Chymisches Lustgaertlein (1624) bieten nur wenige Jahre später besonders prominente Beispiele für eine narrativ vermittelte Verbindung von Raumsymbolik und hermetischem Wissen, wie sie die Chymische Hochzeit exponiert hatte.492 Das Prinzip, das hier verfolgt wurde, läßt sich zusammenfassend als Übertragung der rhetorischen Topik auf das Gebiet des Spiritualismus kennzeichnen. Indem sie den Raum zum Medium arkaner Glaubensinhalte und Lehren avancieren lassen, werten die hier genannten Texte das topische Ordnungsmodell zu einer Reflexionsinstanz um, die Wissen als geheime Weisheit kommuniziert. Der Raum wird damit im mehrfachen Sinn hermetisch: als entlegener Ort, den nur Eingeweihte erreichen, und als Speicherplatz verborgener Lehren, die allein dem Initiierten zugänglich sind. Das Schloß, das ›Labyrinth‹ und der ›alchemistische Lustgarten‹ bilden die Chiffren für eine Hermetik, die durch das Arrangement arkaner Anspielungshorizonte und versteckter Kontinuitäten einen eigenen Raum exklusiven Wissens erzeugt. Andreaes Texte übertragen den hermetischen Raumbegriff von der Konstruktion der Natur auf die Ordnung eines Innenraum-Modells, das allegorische Züge trägt. Besonders zentrale Funktionen für diese Poetik des Raums versehen die Dramaturgie der bei Andreae geschilderten Initiation, der Zeichencharakter des Hochzeitsritus, das Motiv der alchemistischen Wiederbelebung und die Rolle der Schrift als Informationsmedium, das dem Protagonisten Nachrichten über die arkane Welt der Geistnatur vermittelt. Der Rekurs auf die Schrift weist wiederum eine selbstreflexive Komponente auf, insofern sich hierin der literarische Text im Sinne einer Mise-en-abyme-Struktur spiegelt; die Schrift ist die Chiffre für die Verdopplung der Natur in der Kunst, deren Wiederholung im Modell, das demselben Logos-Prinzip unterliegt wie das von Gott geschaffene Werk. Das spirituelle Raumkonzept der drei Texte – insbesondere der Chymischen Hochzeit – ist doppelt gebrochen: als Element der literarischen narratio gerät es zur Lizenz für den Spielraum der Fiktion, als Teil einer praktischen Wirkungsstrategie enthüllt es den weltlichen Anspruch arkaner Philosophie, wie er im Modell rosenkreuzerischer Politik paradigmatisch hervortritt. Methodisch ist zu vermerken, daß hermetisches Wissen als Zeichen eines 491 Zur Nachwirkung generell van Dülmen: Die Utopie einer christlichen Gesellschaft (s. Anm. 406), S. 85 ff., ferner Roland Edighoffer: Rose-Croix et soci¦t¦ id¦ale d’aprÀs Johann Valentin Andreae, Neuilly-sur-Seine 1982. 492 Comenius grenzt sich jedoch in seiner Schrift inhaltlich von der Rosenkreuzer-Bewegung ab, was vermutlich auch durch das Scheitern ihrer politischen Hoffnungen begründet ist; vgl. Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (s. Anm. 275), S. 178.

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Exklusivitätspostulats erscheint, der im Text die Ordnung der Gesellschaft spiegelt. Die hermetische Ebene erfüllt damit – im Sinne der von Luhmann herausgearbeiteten Stufenhierarchie frühneuzeitlicher Sozialmodelle – auch einen stratifikatorischen Gliederungsanspruch, der in Andreaes Erzählungen über die verschiedenen Grade und Schichtungen des Geheimbunds vermittelt erscheint.493 Die arkane Struktur, in der Wissen als Einweihung, Wissenschaft als magische Praxis und Natur als Schauplatz göttlicher Kräfte hervortreten, dient nicht allein der Selbstreflexion des hermetischen Diskurses. Ihre Funktion liegt darüber hinaus in der Verarbeitung eines gesellschaftlichen Ordnungsbedürfnisses, das den Raum zur Chiffre hierarchischer Verhältnisse werden läßt. In den labyrinthischen Gängen, Laboratorien und Kunstkammern des Schlosses, das Andreaes Chymische Hochzeit zeigt, offenbaren sich keineswegs nur die Tendenzen eines hermetischen Wissensverständnisses, sondern zugleich die Spielräume herrscherlichen Handelns unter den Bedingungen der für die Frühe Neuzeit verbindlichen Statifizierungsgesetze. Daß die ›facies hermetica‹ (Umberto Eco) neben den spirituellen auch mundane Züge trägt, demonstriert gerade die Topographie der Andreaeschen Texte mit ihrem allegorischen Doppelsinn, der Christologie und Fürstenlob, Rosenkreuzertum und Politik zu einer spannungsvollen Einheit verbindet.

493 Vgl. Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. I (s. Anm. 125), S. 9 – 72; ders.: Interaktion in Oberschichten: Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. I (s. Anm. 134), S. 72 – 161, ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 2, S. 912 ff., ders.: Die Politik der Gesellschaft, hg. v. Andr¦ Kieserling, Frankfurt / M. 2000, S. 334 ff.

7. Spiritualität und Gesellschaftsstruktur. Hermetismus in der Bukolik (Opitz, Hardörffer, Klaj, Birken)

Mit dem Pegnesischen Schäfergedicht (1644 – 45) versuchten Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und Sigmund von Birken einen poetischen Gründungsmythos für den »Löblichen Hirten- und Blumenorden« zu schaffen.494 Diesen Orden hatten die Nürnberger Autoren im Jahr 1644 aus Anlaß einer Doppelhochzeit wohlhabender Stadtpatrizier ins Leben gerufen; er fand sein Vorbild in den barocken Sprachgesellschaften, deren erste und bedeutsamste 1617 auf Initiative des Hofmarschalls Kaspar von Teutleben durch Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen in Weimar gegründet worden war.495 Zugleich sollte das Schäfergedicht den Anschluß an die bukolische Tradition Italiens, Spaniens, Frankreichs und der Niederlande herstellen.496 Mit seiner Schäfferey von der Nymphen Hercinie (1630), die Birkens Poetik noch 1679 ›unvergleichlich‹497 nennt, hatte Martin Opitz das Genre der Bukolik erstmals in deutscher Sprache adaptiert, indem er seine idyllischen Szenen nicht in einem mythischen Arkadien, sondern in der Gegenwart ansiedelte und die idealtypischen Hirten der Gattungstradition durch zeitgenössische Poetenfiguren im spielerisch zur Schau gestellten Schäferhabit ersetzte.498 Ins Zentrum trat bei Opitz (manifest im 494 Die nachstehenden Überlegungen stützen sich auf meinen Aufsatz: Fragmentierung und Reorganisation arkanen Wissens. Techniken der Verarbeitung hermetischer Topoi in der barocken Bukolik, in: Scientia Poetica 12 (2008), S. 1 – 43; in vielen Punkten mit mir übereinstimmend die (zeitgleich und ohne wechselseitige Kenntnis voneinander entstandenen) Überlegungen von Kemper: »Eins in All! Und all in Eins!« ›Christliche Hermetik‹ als trojanisches Pferd der Aufklärung (s. Anm. 25), S. 35 ff. (zu hermetischen Tendenzen im Schäfergedicht der Nürnberger). 495 Hierzu Jane Newman: Institutions in the Pastoral: The Nuremberg Pegnesischer Blumenorden, Princeton 1983, S. 82 ff. 496 Vgl. für eine erste knappe Übersicht Peter Rusterholz: Schäferdichtung – Lob des Landlebens, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, hg. v. Horst Albert Glaser. Bd. III (Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock 1572 – 1740), hg. v. Harald Steinhagen, Reinbek b. Hamburg 1985, S. 356 – 366. 497 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (s. Anm. 268), S. 301. 498 Martin Opitz: Schäfferey von der Nymphen Hercinie (1630), in: Ders.: Weltliche Poemata

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mittleren der drei Teile) das Lob seines Warmbrunner Mäzens, des Grafen Hans Ulrich von Schaffgotsch, und seiner ausgedehnten Familie; das Geschehen trägt sich folgerichtig in der Landschaft des Riesengebirges zu, wo das Haus Schaffgotsch seine Besitzungen hat.499 Die Bukolik gerät so, nach französischem Vorbild, zum Musterbeispiel einer Prosakloge mit sozialer Konditionierung, zum Bestandteil der Fürstenpanegyrik in politisch unruhigen Zeiten. Das Pegnesische Schäfergedicht preist die Leistung der Hercinie als vorbildlich und maßstabsetzend: »Was neulich Opitzgeist beginnet auß dem Grund / Ist fruchtbar und am Tag auß vieler Teutschen Mund.«500 Die Gattungsdefinition, die Opitz’ Deutsche Poeterey (1624) bietet, konzentriert sich auf eine knappe Aufzählung einschlägiger bukolischer Topoi: Die Eclogen oder Hirtenlieder reden von schaffen / geißen / seewerck / erndten / erdgewaechsen / fischereyen vnnd anderem feldwesen; vnd pflegen alles worvon sie reden / als von liebe / heyrathen / absterben / buhlschafften / festtagen vnnd sonsten auff jhre baewrische vnd einfaeltige art vor zue bringen.501

In seinem Poetischen Trichter (1648 – 53) betont Harsdörffer, daß die Bukolik »die Lieblichkeit des Feldlebens / ohn desselben Beschwerniß / die Ruhe des Gemüts« und »verantwortliche Liebeshändel« darzustellen habe (wobei das Attribut ›verantwortlich‹ die affektdisziplinierende Dimension einer sittsamen Darstellung schäferlicher Amouren bezeichnet).502 Auch wenn sich die Gattung über Theokrit und Vergil aus der Antike herschreibt, verlangt ihr Personal laut Harsdörffer eine Verankerung im christlichen Traditionsrahmen – daher »sollen die Heydnischen Goetzenbilder / welche die Italiäner einzufuehren pflegen, hiervon ausgeschlossen werden.«503. Neben die unterhaltende Ebene der schäferlichen Liebesverwicklungen tritt Harsdörffer zufolge »in dem Hirtenspiel ein verborgener Verstand«, der sich vermittelt durch »Grabschriften / Ausbildungen vieler Kuenste und Wissenschaften / viel tiefsinnige Streitfragen aus der Sittenlehre / Sinnbilder / Gemaehle und dergleichen / welches alles verstaendigst ausgedichtet.«504 Die arkane Dimension der Bukolik wird von Harsdörffer mehrfach explizit erwähnt; zu ihr gehören die allegorische Funktion der Götterfiguren und

499

500 501 502 503 504

(1644). Zweiter Teil, unter Mitwitwirkung v. Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hg. v. Erich Trunz, Tübingen 1975, S. 397 – 464. Opitz: Weltliche Poemata. Zweiter Teil (s. Anm. 498), S. 431 ff. (Lob der Familie und Darstellung ihrer Genealogie). Vgl. Klaus Garber, Der locus amoenus und der locus terribilis. Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts, Köln, Wien 1974, S. 111. Georg Philipp Harsdörffer, Sigmund v.Birken, Johann Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (1644 – 45). Faksimile-Neudruck, hg. v. Klaus Garber, Tübingen 1966, S. 15. Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 31. Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Zweyter Theil, S. 101. Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Zweyter Theil, S. 101. Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Zweyter Theil, S. 101.

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der Schäfer, aber auch mythologische Erzählmuster, die sich, wie Birken notiert, in der Verknüpfung von »ungebundener Rede« und »Gebaend-Reden« präsentieren können.505 Der gelegentlich dunkle Charakter des bukolischen Textes führt, so Harsdörffer, »verborgene Dinge« mit sich, die nicht von jedem Leser verstanden werden.506 Die von Harsdörffer stets hervorgehobene spielerische Qualität der Schäferpoesie507 weist einen arkanen Horizont auf, den man nur erschließen kann, wenn man die ihn konstituierenden naturphilosophischen Topoi entziffert. Birken definiert die Bukolik explizit über ihren spirituellen Charakter, der durch ihre Genealogie sichergestellt werde: »maßen diese Gedicht-art / als die aelteste und edelste / billig vor andern in ihren Ursprung wiederkehret / und den Himmel ehret / den ein FeldmaÇ stets vor augen / auch in sovielen schoenen Geschoepfen zu betrachten anlaß hat.«508 Bukolische Texte besitzen laut Birken eine starke Affinität zu geistlichen Fragen, weil sie gleichsam die früheste – biblische – Form der Poesie repräsentieren. Birkens an ältere Beschreibungsstereotype anschließende Bestimmung gilt einem Grundzug der Gattung, ihrer Tendenz, den Zustand der Natur in seiner Ursprünglichkeit zu beleuchten und dabei Fragen schöpfungstheologischer Provenienz zu berühren: das Thema der creatio ex nihilo, den sensus spiritualis der Elemente, die Beziehung Gottes zu seinem Werk. Als topisches Element der literarischen Selbstreflexion und metapoetisches Muster der Gattungskonvention ist diese Form der Begründung des bukolischen Genres aus seiner geistlichen Funktion generell charakteristisch für die Pastorale, die sich, wie Verena Lobsien notiert hat, über die »Summierung dessen« bestimmt, »was die Tradition bereithält.«509 Opitz’ Hercinie wies drei Teile auf, die unterschiedliche Funktionen erfüllten; am Beginn stand die Reflexion über die Liebe, im Mittelstück erfolgte die Initiation der Schäfer in die Unterwelt des schlesischen Riesengebirges, im dritten Teil wurden die Protagonisten im Rahmen eines Hexensabbats in die Geheimnisse der schwarzen Magie eingeführt. Hans-Georg Kemper hat darauf aufmerksam gemacht, daß dieser triadischen Gliederung diversifizierte poetische Aufgaben entsprechen: autobiographische Chiffrierung (als neues Element des bukolischen Textes) dem ersten Teil, Entfaltung kasualpoetischer Spielräume dem zweiten, panegyrisches Fürstenlob dem dritten.510 Die hier genannten 505 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst (s. Anm. 268), S. 300. 506 Harsdörffer : Poetischer Trichter (s. Anm. 305), Zweyter Theil, S. 103. 507 Auf die Grundmuster von ›Spiegelung‹ und ›Überbietung‹, die ihrerseits eng mit dem Modell des Spiels verbunden sind, führt Wolfgang Isers Analyse die bukolische Gattungsprogrammatik zurück (Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt / M. 1991, S. 62 ff.). 508 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst (s. Anm. 268), S. 298. 509 Olejniczak Lobsien: Skeptische Phantasie (s. Anm. 330), S. 194. 510 Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 335 f.; zum formalen

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Elemente erscheinen auch im Pegnesischen Schäfergedicht, das sich in seiner Widmungsvorrede an den »Hochgeehrten Leser« nicht nur auf die europäische Gattungstradion in der Fluchtlinie von Theokrit und Vergil – namentlich auf Ronsard, Tasso, Lope de Vega und Sidney -, sondern zugleich auf Opitz beruft.511 Ähnlich wie die Hercinie organisiert sich der Text über eine dreigliedrige Struktur, wobei im ersten (in sich abgeschlossenen) Teil die Schilderung der Landschaft mit der Funktion des Epithalamions auf eine aristokratische Doppelhochzeit verbunden wird, im zweiten (der die von Birken stammende »Fortsetzung« eröffnet) eine an Opitz orientierte Einweihung ins Arkanum der Natur Gelegenheit zur spiritualistischen Betrachtung bietet und im dritten die Gründung des Pegnesischen Blumenordens den sozialen Rahmen für die metapoetische Reflexion der schöpferischen – göttlichen – Kraft der Dichtkunst bildet. Es wird sich zeigen lassen, daß sämtliche dieser Elemente mit hermetischen Interpretamenten verknüpft sind.512 Der Text setzt mit einem verschlüsselten Lob der Meißner Landschaft ein: Da / wo der Meißnerbach sich durch die Thaeler zwaenget / Die Silberklare Flut dem Landesstrom vermenget / Der in dem Boehmerwald Geburtesqwellen hat / Vn geust sich in die See / dort nechst der Cimberstat / Liegt die hoechstgepriesene Provintz Sesemin / und darinnen der anmutige Schaefer Aufenthalt Sanemi / welchem an Luft und Zier kein Ort etwas bevorgiebt: Man moechte jhn mit Warheit einen Wohnplatz der Freuden / ein Lufthaus der Feldnymfen / eine Herberge der Waldgoetter / eine Ruhstelle der Hirten / eine gelehrte Entweichung der Poeten / und ein Spatzierplatz der liebhabenden Gemueter / nennen.513

Das eigentümliche Verfahren der Chiffrierung der Orte gehört zum Repertoire der Gattung, die konkrete Topographien umschreibt; mit »Sesemin« ist »Meißen«, mit der »Cimberstadt« ist »Hamburg« gemeint. Der Schäfer Klajus muß Meißen wegen des Krieges verlassen; er wandert nach Nürnberg an die Pegnitz und trifft dort den Hirten Strefon (hinter dem sich Harsdörffer verbirgt). Die Bekanntschaft wird über die Poesie geschlossen: Klajus liest an einer Baumrinde die Verse Strefons, die mit »der unwürdig Spielende«514 unterzeichnet sind, und ahnt, daß es sich um einen Geistverwandten handelt. Die Inszenierung von Geheimnissen gehört zur Konstruktion des poetischen

511 512 513 514

Vergleich zwischen Opitz’ Hercinie und dem Pegnesischen Schäfergedicht vgl. Kemper, Bd. 4 / I, S. 336. Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500), S. 4. Als einziger hat, soweit zu sehen, bisher Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 342 f. auf hermetische Elemente im Schäfergedicht verwiesen. Sein Ansatz, der sich auf das Panmotiv konzentriert, wird nachfolgend ausgebaut. Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500), S. 5. Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 12. Das deutet auf »der Spielende« hin, auf Harsdörffers Namen in der »Fruchtbringenden Gesellschaft«.

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Raums, in dem sich das Geschehen des Textes zuträgt.515 Arkan ist bereits die Naturkulisse selbst, die das Schäfergedicht schafft, um den Ereignissen die passende Bühne zu stiften. Das, was im folgenden geschieht – die Schließung des schäferlichen Freundschaftsbundes, die Begegnung mit allegorisch-mythologischen Figuren, das Anstimmen improvisierter Lieder, die Lektüre von Baumrindenversen und das Entschlüsseln von Echogedichten –, weist die Natur als sinnbildlich geordneten Raum aus, den man wie ein Buch zu lesen hat. Hermetische Interpretamente und Topoi treten primär im Zusammenhang der metapoetisch organisierten Naturschilderungen des Textes hervor. Zu nennen wären vornehmlich Naturallegorien, die das Konzept der Transmutation der Schöpfungselemente und die Vorstellung einer sich in ihnen offenbarenden Logos-Ordnung darstellen. Strefon und Klajus werden immer wieder mit einer Natur konfrontiert, die eine eigene Sprache produziert. Sie stoßen permanent auf eine zeichenhaft verdichtete, redende Wirklichkeit, deren Erscheinungen einem allegorischen Alphabet gleichen. Verse in Baumrinden, Blumen mit emblematischem Ornat, die Personifikation des Gerüchts – der antiken Fama – und die melancholische Schäferin Pamela als Chiffre für das unter dem Krieg leidende Deutschland schärfen die geistige Einheit einer Wirklichkeit ein, in der keine Erscheinung nur als ›Ding an sich‹ gelten kann, vielmehr ein jegliches Element durch einen höheren Sinn geprägt ist.516 Mit einer auf die spätantike Bukoliktradition gemünzten Formulierung Wolfgang Isers könnte man hier von einer »rigiden Organisation der Allegorese« sprechen, die das System des sensus spiritualis als Gesetz der Natur offenlegt.517 Charakteristisch scheint in diesem Zusammenhang der nach dem Muster von Opitz’ Hercinie eingesetzte Topos des Echos als Medium poetischer Kombinationskunst.518 Ihm habe, so heißt es, »die Natur / mehr nicht von der Vernunfft / Kräfften zuertheilet / als allein die Gedaechtnis und Zunge / und dasselbe auch nur zu einerley Gebrauch / das jhre schon verrichtet / und so viel sie Wort auf Borg genommen / baar bezahlet hatte.«519 Das Echo erscheint vor diesem 515 Zum Konnex des Geheimen mit der hermetischen Philosophie Florian Ebeling: ›Geheimnis‹ und ›Geheimhaltung‹ in den Hermetica der Frühen Neuzeit, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis (S. Anm. 12), S. 63 – 80. 516 Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 9 ff. – Wer Gott begreifen möchte, muß, wie der Poimandres betont, vom Körper absehen, die Augen schließen, Sehen durch Erkenntnis lernen – das ist die zentrale hermetische Botschaft als Ausgangspunkt einer philosophia perennis, die immerwährende Erkenntnis jenseits von Erfahrung allein durch den Logos erstrebt. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 21 (Traktat I). Vgl. Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis (s. Anm. 62), S. 205 ff. (zur Logos-Theologie). 517 Iser: Das Fiktive und das Imaginäre (s. Anm. 507), S. 77. 518 Opitz: Weltliche Poemata. Zweiter Teil (s. Anm. 498), S. 440 (Lob des Echos). 519 Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 7.

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Hintergrund als Mechanismus, der die ars combinatoria befördert; es handelt sich keineswegs um ein Naturphänomen, sondern, wie der Text einräumt, um das Produkt einer literarischen Übung, die ›Gedächtnis‹ und Zungenfertigkeit verlangt. Insofern sind auch die Analogien und Korrespondenzen, die die Echogedichte aufrufen, das Resultat ›kunstfertiger‹ Inventio und keineswegs Effekte freier Naturspiele. Das Echo wird zum Medium einer metapoetischen Inszenierungstechnik, die deutlich macht, daß die Entsprechungen, die die Erscheinungen verbinden, an hermeneutische Vorentscheidungen geknüpft sind, die ihrerseits die Strukturierung des Textes bestimmen. Das graphische Pendant solcher Korrespondenzen ist das Akrostichon, das die Nürnberger auch in anderen Texten gern einsetzen – so Harsdörffer in seinen Hertzbeweglichen Sonntagsandachten (1649); ähnlich wie das Echo demonstriert es den arkanen Zusammenhang der Elemente eines Ordnungsgefüges, dessen formale Einheit in der Vielfalt seiner Glieder interpretatorisch erschlossen werden kann.520 Nicht nur das Echo, sondern auch die weiteren Muster der Natur repräsentieren Elemente einer poetischen Konstruktion, die auf die Erzeugung spiritueller Bedeutungseffekte abzielt. So führt die Personifikation des Gerüchts die beiden Schäfer in einen malerisch auf einer ›schönen Heide‹ gelegenen »Tempel der Ehrengedaechtnis«, in dem die Grabtafeln verdienter Mitglieder eines alten Adelsgeschlechts von Tugend und Heroentum künden.521 In einem benachbarten Garten finden die Schäfer unter Anleitung des Gerüchts Kürbisse, in deren Rinde Buchstabenrätsel geschnitzt sind. Den Schluß dieser aus metapoetischer Perspektive organisierten Szene bildet ein Echogedicht der Schäfer, die mit dem Hall der Worte Reime erzeugen. Sämtliche drei Elemente der Szene sind ein Indiz für das Vorherrschen der Kunst gegenüber der Natur: der Tempel, die Kürbißrätsel und das Echogedicht fungieren als Allegorien einer Natur, die durch die Imaginationsleistung der Poesie erzeugt wird. Die hermetische Vorstellung der formalen Korrespondenz von Natur und Logos, wie sie der Poimandres beschwört, wird hier programmatisch reflektiert. Der letzte Abschnitt des Poimandres führt aus, daß die Natur als Akt der Nachahmung des Logos entstand.522 Der Geist erschließt den Weg der Erkenntnis, während der Körper allein uns nichts begreifen läßt. Wenn Gott dem Menschen das Pneuma – Lebensluft und Lebensgeist – einsenkt, dann bezeichnet das den Vorrang des spirituellen 520 Vgl. etwa Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 25 f.; ferner Georg Philipp Harsdörffer : Hertzbewegliche Sonntagsandachten: Das ist / Bild=Lieder= und Bet=Büchlein / aus den Sprüchen der H. Schrifft nach den Evangeli= und Festtexten verfasset. Nürnberg 1649. Faksimile-Neudruck, mit einem Nachwort hg. v. Stefan Keppler, Hildesheim / Zürich / New York 2007, Bd. I, S. 211, 248. Zu Harsdörffers poetischer Verfahrensweise vgl. das Nachwort des Herausgebers, S. LXIV–LXVII. 521 Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500), S. 23. 522 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 21 (Traktat I).

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Prinzips innerhalb der Schöpfung. Wo das Schäfergedicht Natur und Sprachzeichen in den Allegorien der Rätselverse, der Kürbisschnitzereien und der Echogedichte zusammenführt, knüpft es an diese hermetische Vorstellung der Kohärenz von Logos und Erscheinung an.523 Das geistige Prinzip der Schöpfung manifestiert sich nach hermetischer Auffassung in Bildern; Götterbilder dürfen daher, weil sie dieses Geistige enthalten, angebetet werden.524 Wo die allegorische Technik des »Schäfergedichts« hermetische Denkmuster transportiert, erhebt sie den Anspruch, durch Zeichen einen spirituellen Sinn zu kommunizieren, der auf die vom Schöpfergott erzeugte Interaktion des Logos mit der Natur verweist.525 Diese Diagnose wird indirekt durch die Schmuckmajuskeln und Sinnbildbuchstaben gespiegelt, die zahlreiche Gedichte des Textes in der druckgraphischen Gestaltung prägen. Sie demonstrieren aufgrund der ihnen inhärenten Synthese von sensueller (konkreter) und intellektueller (abstrakter) Ebene die Koexistenz sinnlicher und spiritueller Elemente, wie sie nach hermetischem Verständnis für die göttlich geschaffenen Naturerscheinungen charakteristisch ist. Allegorie und graphischer Ornat erfüllen hier dieselbe Funktion, indem sie die Lehre von der Sichtbarkeit des Unsichtbaren bekräftigen, wie sie der fünfte hermetische Traktat unterstreicht, wenn er über Gott sagt: »… er ist der Unsichtbare, und er ist der vollkommen Sichtbare. Er ist der, der durch den Geist zu erfassen ist, er ist der, der mit den Augen zu sehen ist.«526 Wie Gott mit den Augen und mit dem Geist erkannt werden kann, läßt sich die Bedeutung der Schmuckmajuskeln durch die Einheit des Sinnlichen und des Spirituellen erschließen, in der schon Walter Benjamin eine Tendenz zum Allegorischen wahrnahm.527 Den Topos der paradoxen Kohärenz von Visibilität und Invisibilität, der im Gedanken des Logos verankert ist, spiegelt der bukolische Text über seine verspielten graphischen Gestaltungsdetails.

523 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 16 ff. (Traktat I). 524 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 215 f. (Traktat XVII). 525 Solche spiritualistischen Interpretationen der Natur treten in zahlreichen literarischen Texten der Mitte des 17. Jahrhunderts auf und fügen sich zu einer spezifischen Form der poetischen Doxographie mit hermetischem, paracelsistischem, rosenkreuzerischem oder alchemistischem Horizont. Dazu grundlegend Barbara Bauer : Naturverständnis und Subjektkonstitution aus der Perspektive der früheuzeitlichen Rhetorik und Poetik, in: Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit (s. Anm. 284), Teil I, S. 69 – 132. 526 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 61 (Traktat V). 527 Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels (s. Anm. 373), S. 382. Problematisch ist allerdings Benjamins Versuch, den Gegensatz zwischen Groß- und Kleinbuchstaben im Schriftbild als Indiz für eine ›dissoziierende‹ Wirkung der Allegorie (und damit als Bestätigung seiner Allegorietheorie) zu bewerten. Die allegorische Funktion betrifft allein den Großbuchstaben für sich, ohne Beziehung zum sonstigen Schriftbild; und hier dominiert das Moment der Zusammenschließung von Sinnlichkeit und Abstraktion.

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Die Rätselverse, die in den Kürbis geritzt sind, thematisieren vor allem das Wesen der Liebe – das ostinate Leitthema für die nachfolgende Handlung des Schäfergedichts. Strefon und Klajus durchstreifen die anmutige Landschaft an der Pegnitz, die sich als locus amoenus mit den toposgeschichtlich seit der Spätantike festliegenden Reizen erweist, um Motive für geeignete Epithalamia zu finden, die sie aus Anlaß einer fürstlichen Doppelhochzeit anstimmen möchten.528 Die Liebe wird zum Universalprinzip der Schöpfung erklärt, was sich wiederum mit der programmatischen Tendenz der hermetischen Einheitsidee verbinden läßt. In einem Gedicht Strefons heißt es: »Den lieben Gott hat Lieben doch bewogen / Daß er gewölbt die blauen Himmels Wogen / Und aufgefuehrt der runden Erden Zelt / Auf welcher lebt der Mensch / die kleine Welt.«529 Als Allianz-Prinzip ist die Liebe ein Gesetz der übergreifenden Verbindung aller Elemente der Schöpfung, wie es in den Wirkungen des Magnetismus sinnfällig wird: »Magnet der liebt den Stahl / des Eisens Kern / Zeucht ihn an sich durch stumme Krafft von fern.«530 Die attractio, welche die Einzelglieder der Natur zusammenführt, bleibt als Gesetz der Verbindung, das die Liebe zwischen den Menschen allegorisch repräsentiert, göttlich geprägt. Der erste Traktat des Corpus Hermeticum erläutert zu diesem Punkt, daß Gott sich seiner eigenen Schöpfung gestalthaft gezeigt und in ihren Elementen ein liebendes Verlangen nach ihm erzeugt habe, das fortan das Gesetz der Natur blieb: Und er, der alle Macht über den Kosmos der sterblichen und vernunftlosen Lebewesen besaß, beugte sich durch die harmonische Struktur der Himmelssphären, zerriß die äußere Hülle und zeigte dann der unteren Natur die schöne Gestalt Gottes. (…) Die Natur empfing den Liebhaber und umfing ihn ganz und sie vereinten sich; denn sie waren Liebende.531

Wenn Gott die Schöpfung durch das Prinzip der attractio in sich aufnimmt, so zeigt das seine Doppelrolle als Vater und Liebender. Gott wird hier nicht pantheistisch gedacht, sondern als Anstifter und Vermittler, als Impulskraft und auslösende Instanz. Das Schäfergedicht greift diesen Topos auf, indem es die Liebe als natürliches Universalgesetz ausweist, dem Strefon und Klajus auf der Suche nach poetischen Motiven für ein Hochzeitslied in den Erscheinungen der schönen Landschaft begegnen.532 528 Vgl. hierzu schon Garber: Der locus amoenus und der locus terribilis (s. Anm. 499), S. 112 ff. 529 Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 32. 530 Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 33. 531 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 14 f. (Traktat I). 532 Als Schaltstelle für diese und andere Hermetismus-Bezüge kommt das von den Nürnbergern intensiv rezipierte Werk Johann Arndts in Frage. Insbesondere die Vier Bücher vom Wahren Christhentum (1610) verarbeiten eine Vielzahl hermetischer Inspirationstopoi und vermischen diese mit paracelsistischen Elementen; zum zweiten Aspekt Wilhelm Kühl-

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Die geistige Bedeutung der Naturerscheinungen offenbart sich in ihrer Affinität zum Logos als Prinzip der Schöpfung. Im Poimandres heißt es darüber : »›Nach Gottes Willen hat die Natur den Logos empfangen, den schönen Kosmos gesehen und ihn nachgeahmt, und so wurde sie zu einem Kosmos durch ihre eigenen Elemente und Seelen, die aus ihr hervorgingen.‹«533 Den hermetischen Topos der Logoskreation beschwört ein Wechselgesang von Strefon und Klajus, der sich mit dem Verhältnis von Wort, Erscheinung und Schöpfer befaßt: »Letteren melden der Hoehesten heiligen Namen (…) Schreiber bemerken die Rede des Goettlichen Mundes.«534 Zur spirituellen Dimension der Natur gehört neben der Einheit von Logos und Erscheinung auch die Zirkularität ihrer inneren Bewegung: »Stroeme durchgiessen die rundlich bezirkte Welt.«535 Die Kugel bildet im Rahmen der hermetischen Symbolik das Zeichen einer von Gott stammenden Ordnung, in der nichts Eckiges existiert. »Die Welt ist eine Kugel«, formuliert der zehnte Traktat, »d. h. ein Kopf – über dem Kopf ist nichts Materielles, wie auch unter den Füßen nichts Geistiges ist, sondern alles materiell, und der Geist ist der Kopf –, und sie wird kügelförmig bewegt, das heißt nach Art eines Kopfes …«.536 Auch im Schäfergedicht spiegelt sich diese Vorstellung einer runden Natur, deren Geistprinzip durch den Kreislauf der Dinge als Sinnbild ewigen Gebährens bezeichnet wird. Die »Ringelblume« gerät bei Harsdörffer, Klaj und Birken zur Chiffre für die göttlich geschaffene Ordnung des Zirkels, wenn es heißt: »Geringe Begabung der Ringe bezirke j Die Hertzen / und liebes Bestaendigkeit wirke / j Die Rundung das niemals geendte vermeldt / j So ringen / so springen nun beyde mit beyden / j Ihr Hoffen ist offen / in stetigen Freuden …«537 Liebe und Zirkelstruktur sind Zeichen für die Einheit in der Vielfalt, wie sie gemäß hermetischer Lehre durch den Eros als Prinzip der Attraktion und durch die Kreisförmigkeit der Natur als Sinnbild göttlichen Ordnungswillens sichtbar gemacht werden. Vermittelt ist die Idee der Zirkularität durch Versenkung in die Natur, durch kontemplative Anschauung. Die Schäfer

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mann: Das häretische Potential des Paracelsismus – gesehen im Licht seiner Gegner, in: Heterodoxie in der Frühen Neuzeit (s. Anm. 37), S. 217 – 242, S. 225. Zu Arndt als ›Hermetiker‹ die grundlegende Studie von Geyer : Verborgene Weisheit (s. Anm. 18), bes. Bd. II, Teil III, S. 6 ff. (Aspekte hermetischer Schöpfungsexegese); vgl. ders.: »die pure lautere Essenz und helles Licht«: Verschmelzung von Alchemie und Theologie in Johann Arndts »Vier Büchern vom wahren Christentum« (1605 / 10), in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12), S. 81 – 101. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 13 (Traktat I). Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 43. Harsdörffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 43. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 106 (Traktat X); vgl. S. 30 f. (Traktat II), 79 f. (VIII). Harsdörffer, Klaj, von Birken: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500) S. 46. Vgl. hier auch Till: Hermetische Texturen, in: Alt, Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus (s. Anm. 33), S. 323 – 334.

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praktizieren sie als Vertreter einer idyllischen Lebensform, die durch die ambitionierte Kunstfertigkeit der sie begleitenden Rede zugleich als Produkt der Kultur ausgewiesen wird. Die Rhetorik der Naturgedichte und das kontemplative Sehen teilen miteinander die Intention, über die Versenkung in den geistigen Charakter der Erscheinungen einzudringen. Auch dazu findet sich im Poimandres ein locus classicus: »Denn der Schlaf des Körpers war zur Nüchternheit der Seele geworden und das Schließen der Augen zum wahren Sehen, und mein Schweigen trug das Gute in sich und das Zu-Grabe-Tragen des Redens wurde zum Ans-Licht-Bringen des Guten.«538 Im Gedanken der Kreisförmigkeit – »Rundung das niemals geendte« – bekundet sich nach hermetischer Tradition zugleich die Idee einer ewigen Erneuerung der Natur; Liebe und Zirkularität sind Prinzipien der Wiederholung und Reproduktion, unter deren Gesetz die Natur sich dauerhaft neu erschafft.539 Der fünfte Traktat des Corpus Hermeticum beschreibt die in Gott gegebene Einheit des Vaters und der Mutter als Prinzip ständiger Produktivität: »… sein Wesen ist es, mit allem schwanger zu sein und es hervorzubringen …«540 Daraus leitet sich das besondere Gesetz einer natura naturans ab, die das Zusammenwirken von spiritueller und physischer Welt sicherstellt: »Der Geist wird sichtbar im Denken und Gott wird sichtbar im Schaffen.«541 Wenn die Schäfer bei Harsdörffer, Klaj und Birken die Natur als Raum wahrnehmen, in dem der Geist durch Zeichen – auch solche der Sprache – redet, dann wird damit sichtbar, daß der hermetische Topos der Logostheologie hier eine bukolisch-allegorische Umsetzung findet. Die Blumen- und Echogedichte, die Beschwörung der Zirkelstruktur der Schöpfung, die betonte Rhythmisierung der Lieder in den fiktiven Sängerwettbewerben der Schäfer, die Inszenierung der mit dem Menschen kommunizierenden Natur – das alles verweist auf die hermetische Vorstellung der körperlich-geistigen Einheit Gottes in seinem Werk, den konkreten Erscheinungen. Hinter den allegorischen Naturtopoi, die zumal den ersten Teil des Schäfergedichts durchziehen, steht eine neuplatonische Interpretation der Schöpfung, derzufolge die Natur Materielles durch den Geist schafft.542 Das ist ein Vorstellungsmodell, das hermetische Denkströmungen seit Lazzarellis Edition von Ficinos Übersetzung des Corpus Hermeticum (1505) anregt und fundiert. Sein 538 539 540 541 542

Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 21 (Traktat I). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 42 (Traktat III). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 61 (Traktat V). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 136 ((Traktat XI). Zur Amalgamierung von spirituellen und mechanischen Topoi im Naturwissen des 17. Jahrhunderts Trepp: Im ›Buch der Natur‹ lesen: Natur und Religion im Zeitalter der Konfessionalisierung und des Dreißigjährigen Krieges, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis (s. Anm. 12), S. 103 – 144, S. 116.

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christlicher Grundgedanke wird durch das Johannesevangelium und die Idee der Fleischwerdung des Wortes bezeichnet (Joh. 1,14). Ihn greifen zahlreiche protestantische Spiritualisten von Paracelsus und Valentin Weigel über Johann Arndt, Jakob Böhme und Caspar Schwenckfeld bis zu Gottfried Arnold in heterodoxer Übersteigerung auf.543 Im Kern hermetisch (und damit tendenziell häretisch) ist hier die Konzeption einer Materialisierung des Geistes, die sich über die gleichermaßen sinnliche wie spirituelle Leiblichkeit Christi exemplarisch manifestiert. Mustergültig entfaltet findet sich dieser Gedanke in Arndts durch Weigel und den Paracelsismus inspiriertem Von Wahrem Christenthumb (1605), die das Bibelwort als »das verborgene Manna« bezeichnet und den Logos damit über eine sensuelle Ebene zu fassen sucht.544 Vertiefend heißt es dazu bei Arndt, der, wie schon erwähnt, eine starke Affinität zu hermetischem und paracelsistischem Gedankengut besaß: Diß ist das Zeugnuß des verborgenen Geistes / welcher dem Wort Gottes Zeugnuß gibt / vnd hinwiderumb der Geist deß Worts Gottes gibt Zeugnuß vnserm Geist / vnd stimmen die beyde vberein / vereinigen sich mit einander / vnd werden ein Geist / vnd diß ist der neuwe Name / welchen Niemand kennet dann der jhn empfehet.545

Mit seiner Idee einer geheimen Naturoffenbarung rückt Arndt in Distanz zur lutherischen Christologie und deren Programm der Konzentration auf den Literalsinn der Schrift. Gegen Luthers Kritik des Offenbarungsdogmas setzt er die Vorstellung, daß sich für den Gläubigen in den Zeichen der Schöpfung eine prophetische Bedeutung entschlüsseln lasse, deren Sinn jenseits der Ordnung der Heiligen Schrift liegt. Mit solchen Gedanken heterodoxer Provenienz tritt Arndt in unmittelbare Nachbarschaft zur hermetischen Enthusiasmuslehre, wie er sie ähnlich schon bei Weigel und den Paracelsisten entwickelt fand. Vermutlich nicht über das Corpus Hermeticum selbst, sondern über Arndts verbreitete Schrift Vier Buecher vom wahren Christenthumb wandert der hermetische Topos der Einheit von Leib und Spiritus in den Text des Schäferge543 Vgl. Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis (s. Anm. 62), S. 303 ff. 544 Johann Arndt: Von Wahrem Christenthumb. Die Urausgabe des ersten Buches (1605), kritisch hg. u. mit Bemerkungen vers. v. Johann Anselm Steiger, Hildesheim / Zürich / New York 2005, S. 292. Zu Arndts anthropozentrisch-spiritueller Naturauffassung Geyer: Verborgene Weisheit (s. Anm. 18), Bd. II, Teil III, S. 13 ff., ferner Neumann: Natura sagax – die geistige Natur (s. Anm. 18), S. 60 ff. Neumann subsumiert Arndt der mystischen Tradition, identifiziert bei ihm Elemente christlicher Kabbalistik und paracelsistische Spuren, während die Hermetismus-Rezeption nur am Rande erwähnt wird. Zum Verhältnis von Paracelsus’ Signaturenlehre und hermetischem Zeichenbegriff bes. S. 66 f. Kurzer Hinweis auf Arndts Hermetikverständnis bei Kühlmann: Der Hermetismus als literarische Formation (s. Anm. 12), S. 149. Vgl. auch Gilly : Hermes oder Luther (s. Anm. 18), S. 185 f. 545 Arndt: Von Wahrem Christenthumb. Die Urausgabe des ersten Buches (1605) (s. Anm. 544), S. 287 f.

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dichts.546 Insbesondere Arndts Hinweise auf den Topos des göttlichen Logos, die Idee der Erleuchtung und die (paulinische) Einheit von Fleisch und Wort tragen genuin hermetischen Charakter.547 Die Vermittlung erfolgte über den mit den Verfassern persönlich bekannten Nürnberger Stadtprediger Johann Michael Dilherr, der seit 1652 als Pastor primarius in St. Lorenz amtierte. Dilherr, den Abraham von Franckenberg ausdrücklich zu den ›Inspirierten‹ zählt548, hielt Arndts Werk im Kreis des Blumenordens präsent und erschloß so auch die tendenziell hermetische Christologie seiner Hauptschrift. Er hatte in Jena bei Johann Gerhardt studiert, der seinerseits ein Schüler Arndts war ; in Nürnberg wurde er zumal aufgrund seiner konfessionsübergreifend-irenischen Moderationsfähigkeiten geschätzt und in zahlreichen Aufgabenfeldern – von der Schulaufsicht über die Bücherzensur bis zur Bibliotheksorganisation – eingesetzt.549 Es ist davon auszugehen, daß Dilherr seine Prägung durch die Theologie Gerhards und die Schriften Arndts im Zirkel der Pegnitzschäfer, dem er mit Rücksicht auf sein geistliches Amt nur inoffiziell zugehörte, nicht verschwiegen hat. Hier liegt eine wesentliche Quelle vor, durch die sich den Autoren das Wissen über Arndts Naturlehre und deren hermetische Unterströmung erschloß. Daß ihn der hermetische Spiritualismus mit seiner antilutheranischen Offenbarungstheologie stark beeinflußt habe, gesteht Arndt selbst 1610 in einem Schreiben an den Fürsten von Anhalt, der ihm nach dem Erscheinen seiner Vier Buecher vom wahren Christenthumb eine allzu starke Anlehnung an Weigels Schriften vorwarf.550 Wenn das Schäfergedicht eine natura naturans vorführt, die ihren göttlichen Geist in einen allegorisch dechiffrierbaren Körper der Erscheinungen verwandelt, so bedeutet das eine Adaption des Topos von der Vereinigung zwischen Leib und Spiritus. Im fünften Traktat heißt es darüber, Gott sei zugleich sichtbar und unsichtbar, reiner Geist und dennoch Körper ; der Gläubige werde durch seinen Glauben befähigt, diese coincidentia oppositorum in sich aufzunehmen, indem

546 Vgl. hier Arndts Vorrede zum vierten Band: »Wollen demnach in diesem Buch sodann beyde Zeugniß / Erstlich der großen Welt / darnach auch der kleinen Welt einfuehren vnd lernen / wie die Creaturen gleichsam als Haende oder Handleiter und Boten Gottes sein / so vns Christlicher erklaerung noch zu Gott vnd Christo fuehren.« (Johann Arndt, Vier Buecher vom wahren Christenthumb. Die erste Gesamtausgabe (1610), mit einem Anhang hg. v. Johann Anselm Steiger, Hildesheim / Zürich / New York 2007, Vorrede Bl. 4v–5r). Vgl. Geyer: Verborgene Weisheit (Anm. 18), Bd. I, Teil II, S. 33 ff. 547 Zur kritischen Diskussion der Position Arndts vgl. Wels: ›Verborgene Theologie‹ (s. Anm. 180), S. 271 f. 548 von Franckenberg: Briefwechsel (s. Anm. 96), S. 365. 549 Vgl. Renate Jürgensen: Johann Michael Dilherr und der Pegnesische Blumenorden, in: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition (s. Anm. 397), Bd. 1, S. 1320 – 1360, S. 1330. 550 Zum Verhältnis zu Weigel vgl. Gilly : Hermes oder Luther (s. Anm. 18), S. 165, 188 f.

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er Gott als Prinzip und als Leib zu begreifen vermöge.551 Bei Arndt liest man: »Summa wir müssen Gott in allen Dingen suchen / das höchste Gut / vnd das ewige Leben / woellen wir Gott vnd das ewige Leben nicht verlieren.«552 Solche Denkmuster in »Emanationshierarchien«, wie sie Arndt an diesem Punkt adaptiert, gewinnen in der Frühen Neuzeit ihre eigene Attraktivität, nicht nur im Kontext der Hermetismus-Rezeption, sondern auch im Rahmen naturmagischer, pansophischer oder alchemistischer Interpretamente.553 Luhmann hat das Prinzip, das hier wirkt, eingängig beschrieben: »Die Leitidee war : das Eine erzeugt den Gegensatz, läßt ihn aus sich heraus entstehen. So erzeugt der Ungeschaffene den Gegensatz von Geschaffenem und Ungeschaffenem, der unbewegte Beweger den Gegensatz von Bewegtem und Unbewegtem.«554 Alle Erkenntnis sei Einweihung, so erklärt der elfte Traktat des Corpus, und zwar Initiation in einen Kosmos, der als ein sich selbst stetig entwickelndes, von Bewegung bestimmtes Gefüge gedeutet wird.555 Das Schäfergedicht schildert auf der Grundlage der Naturallegorese einen vergleichbaren geistigen Initiationsprozeß, der das Gesetz der ›Emanationshierarchie‹ als Prinzip der göttlichen Schöpfung ausweist. Daß dieses Modell nicht nur eine Wiederholung hermetischer Topoi, sondern zugleich eine Selbstreflexion weltlicher – sozialer wie künstlerischer – Bedeutungssysteme impliziert, wird im Licht des von Birken stammenden zweiten Textteils deutlicher hervortreten. Im zweiten Teil des Gedichts ergreift der Schäfer Floridan das Wort, um zunächst die Idee der Einheit der Natur zu reflektieren. Sie bindet sich an den Namen des paganen Gottes Pan, der für das Universum steht: »Mit dem Pan (daß ich anders vorbeygehe) haben sie dieses Ganze (t| pau, universum) das ist / alles / was in der Natur befindlich / verstanden (…)«556 Floridan ist nach längerer Wanderung in seine Heimat an der Pegnitz zurückgekehrt und betrachtet, wie er bemerkt, deren liebliche Landschaft mit »Denkens-Augen«.557 Diese Formel bezeichnet eine Einheit von Kontemplation und Reflexion, die schon für die hermetische Lehre der Gotterkennntnis typisch ist. Floridan verbindet sich später mit Strefon und Klajus, mit denen er einen poetischen Wettstreit um die angemessenste Form des Naturlobs betreibt. Den Reigen der 551 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 61 (Traktat V). 552 Arndt: Von Wahrem Christenthumb. Die Urausgabe des ersten Buches (1605) (s. Anm. 544), S. 147. 553 Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft (s. Anm. 128), S. 488; vgl. zum Begriff der »Emanationshierarchie« auch Niklas Luhmann, Peter Fuchs: Geheimnis, Zeit und Ewigkeit, in: dies.: Reden und Schweigen, Frankfurt / M. 1989, S. 101 – 137, S. 108. 554 Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft (s. Anm. 128), S. 488. 555 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 131 (Traktat XI) . 556 Sigmund von Birken, Johann Klaj: Fortsetzung der Pegnitz-Schaeferey, Nürnberg 1645, Vorbericht, Bl. 3 (r). 557 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 8.

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Schwellenfiguren, zu denen im ersten Teil die Schäferin Pamela und das Gerücht gehörten, führt nun der bereits in der Prämonitio genannte Hirtengott Pan fort. Pan verweist durch die Art und Weise, in der er geschildert wird, auf die hermetische Auffassung vom Schöpfergott, der eine Einheit von Körper und Geist bildet. Das Schäfergedicht beschreibt ihn, wie üblich, als Satyr, der in faunischer Gestalt mit Doppelhörnern und Weinlaub, Krummstab und Bocksfuß auftritt. Als »Gott« der »Hirten« und »Heerden« steht er aber nicht nur für die Entität der Natur, sondern auch für ein Realitätsprinzip, das zuvor im Namen der Idylle ausgeblendet wurde.558 Pan übernimmt es, die Schäfer davon zu überzeugen, daß der Krieg, wenn er einem guten Zweck dient, nicht verwerflich sein kann: »Mit Waffen muß man Frieden schaffen.«559 Der Gott Pan versieht die Rolle des Einweihenden, der die Schäfer mit der Welt einer heroischen Vergangenheit vertraut macht. In dieser Welt, die sich deutlich gegen das im ersten Teil entwickelte Liebesideal abgrenzt, existieren keine harmonisierenden Idyllen, wie sie die Hirten am Pegnitzufer inszenieren. Die Zeugnisse einer kriegerisch-archaischen Realität sprechen eine eigene Sprache: »Schaut die Heldenhoele hier / wo der Helden Thaten lachen …«560 Die Vorstellung einer gewaltsamen Natur, die der Text hier aufblendet wird, hat gleichfalls ein Pendant im hermetischen Denken. Der neunte Traktat des Corpus beschreibt die »Reibungen«, die aus der kosmischen Bewegung selbst hervorgehen, als Grundprinzip, das über den Umweg des Kräfteverbrauchs Wärme schafft und neues Leben erzeugt.561 Asklepios wird in seinem Traktat daran erinnern, daß die Fortpflanzung der Menschen durch »Reibung« entsteht.562 In diesem Sinne bedeutet die Initiation der Schäfer durch Pan die Begegnung mit einer gärenden, tendenziell zerstörerischen, zugleich aber Neues schaffenden Natur als Prinzip der permanenten Dynamik.563 In der faszinierendsten Szene der Fortsetzung des Schäfergedichts führt Pan die Hirten in die genannte »Heldenhoele«, um ihnen die Porträts kriegerischer Heroen aus Antike und Gegenwart zu präsentieren. Ihren Prätext findet die Sequenz erneut in Opitz’ Hercinie, deren Titelheldin die Hirten gleichfalls mit der Welt eines archaisch anmutenden Kriegertums bekanntgemacht hatte, um sie gegen die Unbilden der unfriedlichen Realität abzuhärten.564 Unversehens 558 Ausführlicher hat – nach ersten Hinweisen bei Garber: Der locus amoenus und der locus terribilis (s. Anm. 499), S. 139 ff. – Nicola Kaminski diesen Aspekt verdeutlicht (Nicola Kaminski: EX BELLO ARS oder Ursprung der ›Deutschen Poeterey‹, Heidelberg 2004, S. 318 ff.). 559 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 44. 560 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 49. 561 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 87 ((Traktat IX). 562 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 282 (Asclepius). 563 Zum geschlechtlichen Prinzip der Reibung – jedoch ohne Bezug zur hermetischen Tradition – vgl. Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare (s. Anm. 477), S. 66 – 91. 564 Opitz: Weltliche Poemata. Zweiter Teil (s. Anm. 498), S. 435 f.

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geraten Floridan und Klajus in die Gesellschaft wilder »Satyren oder Waldgoetter«, die »mit feuerohten Antlitzern und mosichten Bokksbaerten / auch zottichten Geisfuessen / anzusehen …«565 Die Wandmalereien, die den Hirten gezeigt werden, stellen Szenen aus der Mythologie dar, bevorzugt solche gewaltsamen Charakters. In einem hinteren, hell erleuchteten Teil der Höhle begegnen die Schäfer Bildern mit erotischen Szenen, zu denen tanzende Nymphen ebenso wie Pan selbst mit der Flöte gehören. Im letzten Raum finden sich die Porträts gefallener oder ermordeter Offiziere aus der Zeit des aktuellen Krieges. Zumeist handelt es sich um Aristokraten des Hochadels wie den Fürsten zu Anhalt, den Grafen zu Mansfeld, den Prinzen von Oranien und den Grafen von Tilly, die als Heerführer Ruhm erwarben. Nicht fehlen darf in dieser Reihe der Graf Wallenstein, Herzog zu Friedland, von dem es heißt, der »Verdacht« habe ihn getötet.566 Hier wird vollends deutlich, daß der »Ehrentempel« der Stayrnhöhle eine gewalttätige Seite der Natur offenbart, die als dunkles Komplement zur Idyllenstruktur des ersten Teils fungiert. Es gehört jedoch zum spirituellen – mit der Hermetik verwandten – Grundprinzip des Textes, daß auch diese Dimension ihren tieferen Sinn empfängt. Zentrale Bedeutung gewinnt das Programm persönlicher Tugend, das zunächst von politisch-konfessionalistischen Motiven abgegrenzt wird. »Mit Waffen«, so erklärt Pan den Schäfern, »muß man Frieden schaffen. j Ein Hertz / das Löwenmuth bewohnet / j Ein dapfres Hertz wird auch belohnet. j Es überlebt ein Held sein Leben / Und darf im Zelt der Sternen schweben / j Er wandert hoch mit dem Gerüchte / j Sein Ruhm wird nimmer nicht zu nichte.«567 Am Ende der Initiationsszene überreichen die Satyrn den Schäfern die Pfeife Pans als Zeichen der Fruchtbarkeit und Symbol für künftige Produktivität, wie sie die Idee der vita activa gebiert, zu der auch die weltlichen Herausforderungen des Krieges gehören. Damit tritt erstmals eine soziale Ordnungsfunktion der hermetischen Topoi zutage, die das Schäfergedicht später nochmals aufgreifen wird.568 Pan erscheint als Prinzip der natura naturans, folglich in einer Rolle, wie sie die hermetische Lehre dem Gott Hermes Trismegistos zuschreibt.569 Die funktionale Analogie zwischen Pan und Hermes Trismegistos tritt deutlicher hervor, wenn man weitere Quellen im Umfeld des Schäfergedichts konsultiert. Zu be565 566 567 568

von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 42. von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 52. von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 41 f. Zum sozialen Gehalt dieser Szene erstmals ausführlicher Newman: Institutions in the Pastoral (s. Anm. 495), S. 315 ff. 569 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 134 f. (Traktat XI). – Die Differenz liegt hier lediglich dort, wo das Schäfergedicht den Gott selbst in seiner Körperlichkeit schildert, während die hermetische Lehre seine absolute Gestaltlosigkeit als Bedingung seiner rein geistigen Existenz hervorhebt.

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trachten sind hier vornehmlich Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspiele (1643 – 49), die sich bei ihren mythologischen Exkursionen durch Natalis Comes’ Mythologiae sive Explicationis fabularum libri decem (1551) und Francis Bacons De sapientia veterum liber (1609) anregen ließen. Auf Comes verweist auch Birkens Vorrede zum zweiten Teil, die den Einsatz paganer Mythen im Text rechtfertigt und explizit die Pangestalt thematisiert.570 »An denen eingemengten Göttergeschichten«, heißt es bei Birken programmatisch, wird und kann sich auch niemand ärgern / wann er bedenket / daß sie auch bey den gelehrten Heiden dasselbige nicht / was sie eigentlich sind / bedeuten / sondern oft mit solchen Nahmen / und was denen zugeeignet / die schönsten Tugenden und schändlichsten Lastere zu lieben un hassen in (Apologis) Lehrgedichten vorgestellet werden.571

In Übereinstimmung mit der hier formulierten Lizenz zur moralphilosophisch (und damit christlich) perspektivierten Mythenallegorese erklären Harsdörffers Gesprechspiele: Pan ist dieser gantze Weltbau / welcher entstanden entweder von Mercurio / das ist dem Goettlichen Wort / oder wie etliche aus ihrer Vernunft geschlossen / aus den kleinen Staeublein / welche als die erste Materie oder Gezeug mit vielerley Form vermischet gewesen.572

Die äußere Erscheinung Pans findet sich einer allegorischen Interpretation unterzogen, mit deren Hilfe der Gott »hermetisch ›aufgeladen‹« und als Sinnbild einer spirituellen Einheit der Natur gedeutet wird.573 Die Zwittergestalt zwischen Mensch und Tier bezeichne, so liest man, die Vermischung von »himmlischen und jrdischen Dingen«, die Pfeife mit den sieben Röhren die sieben Zentralgestirne, der Krummstab die ungeraden Wege der Natur, das gesprenkelte Hüftband die Sterne. Es handelt sich hier durchgehend um hermetische Topoi: auf die Verbindung des Himmlischen und Irdischen als Prinzip der Schöpfung im Spannungsfeld von Gott und Mensch verweist der zehnte Traktat des Corpus, auf die »sieben Welten« der Gestirne, »deren Ordnung in ewig gültiger Weise geregelt ist«, bezieht sich der elfte.574 Den Höhepunkt von Harsdörffers Pan-Al570 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), Bl. 4(r). 571 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), Bl. 3(v). 572 Georg Philipp Harsdörffer : Frauenzimmer Gesprächspiele (1643 – 49). Faksimile-Neudruck, hg. v. Irmgard Böttcher, Tübingen 1968 – 69, Vierter Theil, S. 17. – Erstmals hat Jörg Jochen Berns gezeigt, daß Harsdörffers Pan-Porträt aus dem vierten Band der Frauenzimmer Gesprächspiele Bacons Schrift De sapientia veterum liber, ad inclytam academicam Cantabrigiensem (London 1609) paraphrasiert (Jörg Jochen Berns: Gott und Götter. Harsdörffers Mythenkritik und der Pan-Theismus der Pegnitzschäfer unter dem Einfluß Francis Bacons, in: Georg Philipp Harsdörffer. Ein deutscher Dichter und europäischer Gelehrter, hg. v. Italo Michele Battafarano, Bern u. a. 1991, S. 23 – 81, S. 59 ff.). 573 Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 342. 574 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 113 (Traktat X), 127 (Traktat XI).

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legorese bildet die Interpretation des Kopfes: »Durch des Pans Hörner ist vielleicht bedeutet worden / daß die Umschrenkung und Abmessung dieser Welt in den Driangeln bestehe / oder weil in solcher Form das Feuer und alle Erdgewaechs herfürkommen.«575 Harsdörffers Auslegung erklärt Pan zu einem Prinzip der universellen Verschränkung, wie es der Schluß des 17. Traktats als Merkmal der Schöpfung Gottes hervorhebt, die das Sinnliche im Geistigen, das Geistige im Sinnlichen sich spiegeln läßt.576 Dem hermetischen Charakter dieser Konstellation kommt wiederum allein das Verfahren der Allegorese auf die Spur, das die Frauenzimmer Gesprächspiele exemplarisch praktizieren. Die hermetische Pan-Interpretation wiederholt sich im Umfeld Harsdörffers. In einem allegorischen Pan-Drama, das im August 1643 im Braunschweiger Stadtschloß aufgeführt wurde, findet sich der Hirtengott als Zeichen der »Materii und Natur aller Dinge« charakterisiert.577 Die Interpretation Pans als Prinzip der universellen Schöpfung reproduzieren auch die Poetiken der Zeit im Rahmen ihrer mythologischen Deutungsanweisungen578 ; man trifft sie etwa in Balthasar Kindermanns Der deutsche Poet (1664) und Magnus Daniel Omeis’ Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst (1704) an.579 Letzthin verweist die gesamte Auslegung Pans als Universalprinzip, wie sie sich in den Initiationsszenen des Schäfergedichts spiegelt, auf hermetisches Gedankengut zurück – auf die Einheit des Schöpfergesetzes, die innere Dynamik (Transmutation) der Natur und die besondere Logik der creatio ex nihilo, die vom Einen ausgehend, das Ganze erschafft. »Das All aber«, so erklärt der zwölfte Traktat, »schließt alles ein und umfaßt alles.«580 Im hermetischen Glauben ist Gott das Prinzip des unbedingten Grundes, der sämtliche »Gegensätze in sich vereint und aus sich entläßt.«581 Hier wird der Einfluß gnostischer Interpretationsmuster auf

575 Harsdörffer : Frauenzimmer Gesprächspiele (s. Anm. 572). Vierter Theil, S. 18. 576 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 216 (Traktat XVII). 577 Justus Georg Schottel: Fruchtbringender Lustgarten (1647). Faksimileneudruck, hg. v. Marianne Burkhard, mit einem Nachwort v. Max Wehrli, München 1967, S. 209 – 257, hier S. 224. 578 Zur Pan-Allegorese vgl. Berns: Gott und Götter (s. Anm. 572), S. 59 ff. Die Mythoskonzeption des Schäfergedichts sei, so Berns, durchgehend von Bacon bestimmt, der die These vertreten habe, daß der antike Mythos einen Schlüssel zum philosophischen Verständnis der Erkenntnis der Natur bilde, insofern sie deren physikalische bzw. chemische Substanz erfasse. Die Allegorese des antiken Mythos, die das probate Mittel zum Zweck der Eingemeindung seiner paganen Tradition ins christliche Deutungssystem darstellt, werde hier ergänzt durch eine moderne naturphilosophische Dimension. Zur barocken Pan-Allegorese vgl. Alt: Begriffsbilder (s. Anm. 109), S. 194 ff. 579 Kindermann: Der deutsche Poet (s. Anm. 254), S. 108; Magnus Daniel Omeis: Gruendliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst, Altdorf 1704, Anhang S. 188. 580 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 158 (Traktat XII). 581 Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft (s. Anm. 128), S. 490.

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den Hermetismus sichtbar, die dieses Denken der Einheit in Gegensätzen begünstigt.582 Es hat einige Bedeutung für die Funktion des hermetischen Wissens im bukolischen Text der Nürnberger, daß der Einweihung durch Pan die Gründung eines schäferlichen Ordens folgt, der unter dem Patronat der Fruchtbarkeit steht. Sein Sinnbild ist die Pfeife des Hirtengottes, die Klajus und Floridan zum Abschied überreicht worden war. Die Gesellschaft der Schäfer gehorcht den Prinzipien einer Sozietät, deren Mitglieder – ähnlich wie die hier Pate stehenden barocken Sprachgesellschaften – als Auserwählte gelten, die sich zum Zweck der Feier im Dienst der ›Fruchtbarkeit‹ versammeln.583 Der Schlüsselbegriff der Fruchtbarkeit bezieht sich auf die Erträge des Ackers, aber auch auf die Leistungen der Sprache, denen die 1617 in Weimar gegründete »Fruchtbringende Gesellschaft« ihre Tätigkeit widmet. Georg Neumark erläutert die Wahl des Titel-Mottos: Der Name Fruchtbringend darum / damit ein jeder / so sich hinein begiebet / oder zu begeben gewillet / anders nichts / als was fruchtmeßig / zu Früchten / Bäumen / Blumen / Kräutern oder dergleichen gehörig / was aus der Erden wächset / und davon entstehet / ihme erwehlen / und darneben überall Frucht zuschaffen äußerst beflissen seyn solle.584

Nach dem Muster der größten deutschen Sprachsozietät, zu deren exponierten Mitgliedern Harsdörffer zählte, wählen die Schäfer Natursymbole und Namenschiffren, um ihre Talente und Eigenschaften zu bezeichnen.585 Das hermetische Deutungsmuster, das sich in den Naturallegorien der Initationsszenen spiegelt, wird an diesem Punkt in das Modell für eine spezifische gesellschaftliche Ordnungstruktur verwandelt, die unter dem Patronat der Exklusivität steht.586 Die Gemeinschaft der Schäfer ist ›hermetisch‹ im Sinne der sozialen Semantik des Attributs, nämlich gestützt auf Auswahl, Abgrenzung, interne Regeln und 582 Vgl. Kemper: Die »Macht der Zunge« und die Ohnmacht des Wissens (s. Anm. 59), S. 51 – 62, S. 60 f. 583 So das Leitmotiv der Lieder, die von den Schäfern aus Anlaß der Gründung angestimmt werden; von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 64 ff. 584 Georg Neumark: Der Neu-Sprossende Teutsche Palmbaum, Nürnberg 1668, S. 15 f. 585 Dazu das zeitgenössische Verzeichnis: Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, Der Fruchtbringenden Gesellschaft Nahmen / Vorhaben / Gemälde und Wörter. Mit Georg Philipp Harsdörffers ›Fortpflantzung der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft‹, hg. v. Martin Bircher, München 1971. Für eine Übersicht vgl. Klaus Conermann: Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch. Eine Einleitung, in: Die Fruchtbringende Gesellschaft. Kommentare und Bilddokumentation, hg. v. Klaus Conermann, Weinheim 1985, Bd. II, S. 21 – 129. 586 Zum Hermetismus der »Fruchtbringenden Gesellschaft« Quade: Literatur als hermetische Tradition (s. Anm. 11), S. 141 ff.

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versteckte Rituale (zu denen die Übernahme eines Ordensnamens und die programmatische Arbeit der Sprachpflege gehören, wie sie sich in der AlamodeSatire des zweiten Teils manifestiert587). Hermetische Züge trägt sie aber auch durch die »Sakralisierung von Dichtkunst«588, die sie in ihren Selbstinszenierungen, Sänger-Wettbewerben und Rätselgedichten vollzieht – ein Topos, den die Nürnberger erneut aus Opitz’ Hercinie übernommen haben.589 Die Poesie wird im Schäfergedicht zunächst im Sinne eines Mediums spiritueller Weisheiten genutzt. Birkens Poetik beschreibt sie noch drei Dekaden später gemäß dieser Funktion als Dolmetscherin geistlicher Inspiration: Gleichwie aber die von oben abfallende Wasser / wann es durch Röhren in ein Brenngefäß geleitet wird / in demselben wieder empor und hervorspringet: also soll die Dichtkunst / weil sie vom Himmel einfließet / wieder gen Himmel steigen und Gott zu Ehren verwendet werden.590

Gerade in der hier beschworenen Spiritualität liegt auch die Zirkularität der Poesie begründet, geht sie doch von göttlichen Kräften aus, um am Ende wieder zu ihnen zurückzukehren. Die Eingebung, die dem Poeten zuteil wird, ist ein Produkt spiritueller Provenienz, zugleich aber ein Gesetz der Natur. Dem fließenden Wasser eines Springbrunnens gleich, lebt sie aus dem Rhythmus von Bewegung und Wiederholung. Daß diese Dimension des poetischen Prinzips mit seiner hermetischen Ausprägung wiederum eine gesellschaftliche Qualität aufweist, wird durch die Ordensthematik bestätigt. Das Schäfergedicht erzählt eine Initiationsgeschichte, deren mythologisch-allegorischer Apparat einen auf die göttliche Natur bezogenen religiösen Sinn enthüllt, der seinerseits mit der sozialen Semantik der Exklusivität verbunden ist.591

587 Die Schäfer treffen hier einen Vertreter des galanten Stils, dessen von Französismen durchsetzte Sprache zum Gegenstand des Spotts gemacht wird; von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 86 ff. Zwar trägt der reale Blumenorden die Züge einer bürgerlichen Dichtersozietät, die auf die Einweihungsrituale der »Fruchtbringenden Gesellschaft« verzichtet, jedoch ist im Schäfergedicht selbst das Moment der exklusiven Selbststilisierung jenseits der suggestiv zur Schau gestellten bukolischen ›Naivität‹ unübersehbar. 588 So die auf das Schäfergedicht bezogene Formulierung bei Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 331. 589 Auch dort tritt bereits das Motiv der Verklärung der poetischen Gaben der Schäfer auf: »Ihr Hirten / fing Hercinie an / wir wissen was der Himmel vnd die Musen euch verliehen / vnd mit was für Begiehr der Wissenschafft ihr behafftet seyd.« (Opitz: Weltliche Poemata. Zweiter Teil [s. Anm. 498], S. 427). 590 von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst (s. Anm. 268), Vor-Rede, Bl. 10 (r); vgl. dazu auch Kemper, Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 332. 591 Kühlmann spricht von einer ›handlungstheoretischen‹ Fundierung des Naturbegriffs im Paracelsismus (Kühlmann: Anmerkungen zum Verhältnis von Natur und Kunst im Theoriezusammenhang des paracelsistischen Hermetismus [s. Anm. 105], S. 87 – 108, S. 90 f.). Diese Bestimmung wäre auf den Hermetismus in der hier beobachteten Spielart

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Durchgreifendes Motto für den Schäferorden bleibt das Prinzip einer produktiven Universalnatur. Über Pan heißt es, er sei der, »der alles hält in allen«592 ; diese Bestimmung korrespondiert der Leitformel aus dem fünften Traktat des Corpus Hermeticum, die Gott mit den Worten preist: »Alles ist in Dir, alles ist von Dir.«593 Die Blume gerät hier erneut zur allegorischen Chiffre für eine in sich geschlossene, zirkuläre Natur. Zum einen bezeichnet sie eine Produktivität, die selbstbezüglich bleibt und keines äußeren Anstoßes bedarf; so lobt das »Blumenlied« der Schäfer die Göttin Flora als Künstlerin, die die Landschaft »mit buntlichter Hand« schmücke – ein Sinnbild für die Kreativität der natura naturans, wie sie das Corpus Hermeticum als Merkmal göttlicher Wirksamkeit deutet.594 Zum anderen steht die Blume für den hermetischen Topos der kreisbzw. kugelförmigen Schöpfung, was im Gedicht durch das Leitmotiv des ›Kranzes‹ als Zeichen der Zirkularität verdeutlicht wird. Im achten Traktat des Corpus Hermeticum heißt es über die Funktion der Kugelform innerhalb der Schöpfungsmythologie: Und alles, was an Materie bereitlag für sein eigenes Geschöpf, hat der Vater genommen und damit dem All körperliche Gestalt gegeben, hat ihm Umfang und Weite verliehen, hat es kugelförmig gemacht und hat ihm seine jetzige Gestalt geschenkt; eine Materie hat er genommen, die auch selbst unsterblich ist und deren Materialität ewig ist. Mehr noch, der Vater hat die von den Ideen stammenden Qualitäten in die Kugel gesät und hat sie wie in einer Höhle eingesperrt, weil er das mit seiner Hilfe Geformte mit allen denkbaren Qualitäten ausstatten wollte, und umgab den ganzen Körper mit Unsterblichkeit, damit die Materie nicht von dem Wunsch erfaßt würde, diese von ihm bewirkte Gestaltung aufzugeben, und sich wieder in ihre eigene Unordnung auflöse.595

Was sich in den äußeren Merkmalen der Blumen spiegelt, ist eben jene Zirkelstruktur der Natur, die der achte hermetische Traktat als Signum der Idee göttlicher Schöpfungsaktivität auszuweisen sucht. Die ›von den Ideen stammenden Qualitäten‹ der Kugel werden im bukolischen Text durch den Topos der ›Schlüsselblumen‹ bezeichnet, die in ringförmiger Anordnung auf dem Feld stehen und im Sinnbild des Kreises die Einheit von Ursprung und Ende darstellen, wie sie die Hermetik als Chiffre göttlicher creatio interpretiert.596 Verbunden wird die naturphilosophische Dimension, die Pan und Hermes

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übertragbar, denn auch das Modell der Initiation weist neben der doxologischen eine pragmatische Dimension auf. von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 67. Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 62 (Traktat V). von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 97; Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 61 ff. (Traktat V). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 79 (Traktat VIII). Harsdoerffer, von Birken, Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht (s. Anm. 500), S. 46 f.; von Birken, Klaj, Fortsetzung (s. Anm. 556, S. 98).

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zusammenführt, mit dem Aspekt der Dichterapotheose.597 Das Schäfergedicht schließt durch sein panegyrisches Lob der Poesie als Medium göttlicher Weisheit an die Inspirationstheorien der Antike und das Deutungsmuster des poeta vates an. Der Schäferorden ist als Poetensozietät eine Gesellschaft Eingeweihter, die am Logos des Schöpfergottes teilhaben dürfen. Kein anderer deutschsprachiger Autor des 17. Jahrhunderts hat die Allianz von Inspiration und Göttlichkeit so selbstbewußt beschrieben wie Johann Klaj in seiner schon erwähnten Lobrede der Teutschen Poeterey (1645). Wenn die Schäfer sich zum poetischen Pan-Orden zusammenschließen, so unterstellen sie sich nicht nur dem hermetischen Prinzip des All-Einen, sondern nobilitieren zugleich die Fähigkeit der Einbildungskraft, indem sie diese als kreatives Prinzip im Zeichen der Gottesanalogie ausweisen.598 Erst als hermetischer Gott kann Pan zur allegorischen Personifikation der Poesie und ihrer schöpferischen Produktivivität werden. Was sich bereits in den Echogedichten des ersten Teils andeutet, wird hier vollendet: der bukolische Text gewinnt eine metapoetische Dimension, die sich im Prinzip der Dichtungsallegorese manifestiert. Pan bezeichnet ebenso wie das Echo ein Gesetz der spezifisch literarischen Naturnachahmung, das im Modell das Ganze, in der scheinbaren Wiederholung ein Neues schafft. Wolfgang Iser hat den hier offenkundigen Zug zur metapoetischen Selbstreflexion für ein generelles Merkmal der bukolischen Gattungstradition seit Vergil gehalten.599 Die im Schäfergedicht manifeste Tendenz zur »Selbstnachahmung der Dichtung«600 bedeutet zugleich eine Modifikation des Mimesisgedankens, die zwei Aspekte einschließt. Der poetische Text imitiert erstens nicht mehr die Natur, sondern – topisch – die Naturdarstellung älterer Texte – eine literarhistorisch vertraute Konstellation, für die die Gattungsgeschichte der Bukolik ein besonders frühes Beispiel liefert.601 Der Text reflektiert zweitens seine eigene Struktur über kunstvolle Andeutungen, mit deren Hilfe er seine Genealogie und Wirkungsabsicht chiffriert. In diesem Sinne dient die herme597 Daß Pan zum Gott der Poesie und zur Chiffre für die ›Selbstallegorisierung‹ der Autoren avanciere, betont bereits Berns, ohne jedoch den hermetischen Grundzug dieses Transferprozesses aufzuzeigen (Berns: Gott und Götter [s. Anm. 572], S. 72 ff.). 598 Diese Seite des Imaginationsbegriffs ist typisch für die Poetik der Nürnberger, wie sie sich maßgeblich in Harsdörffers Trichter, Klajs Lobrede und – bereits resümierend – Birkens Rede- bind und Dicht-Kunst manifestiert. Daß daneben auch ein technisches Verständnis der Einbildungskraft jenseits der hier durchschlagenden Inspirationslehre für das 16. und 17. Jahrhundert in Anschlag kommen muß, hat Wels gezeigt: Zur Vorgeschichte des Begriffs der kreativen Phantasie (s. Anm. 180), S. 199 – 226; ders.: Imaginatio oder Inventio (s. Anm. 180), S. 65 – 91. 599 Iser: Das Fiktive und das Imaginäre (s. Anm. 507), S. 70. 600 Iser: Das Fiktive und das Imaginäre (s. Anm. 507), S. 71. 601 Zur Logik solcher Nachahmungen vgl. G¦rard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen v. Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt / M. 1993 (= Palimpsestes. La litt¦rature au second degr¦, 1982), S. 97 ff.

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tische Naturphilosophie des Schäfergedichts stets auch der poetischen Selbstdarstellung, die am Muster des schaffenden Gottes, am Modell der Transmutation aller Erscheinungen und anhand der Idee des schöpferischen Logos das »Paradigma literarischer Fiktionalität« (Iser) durchspielt.602 Das gemeinsame Dritte, das hermetische Naturallegorie und Dichtungsallegorese verbindet, ist die Ebene des Sozialen. Als Brückenfigur führt Pan die Schäfer zuerst in eine Welt der heroischen Selbstbehauptung und der gesellschaftlichen Hierarchien ein. Kaum zufällig ist die Höhle der Satyrn, die das Motiv vom Tempel des Ehrengedächtnisses fortsetzt, mit den Bildnissen von Aristokraten und Kriegsherrn geschmückt. Strephon erklärt unter dem Eindruck der Porträts: »Es wird mit Fug die Heldenzeit genennet / j Die Tugendgold / j Vnd hohen Ruhm der Dapferkeit erkennet / j Auch sonder Gold. j Ein jeder soll die Hand voll Eisen / j Die ihn beschuetzt / mit Danken preisen / Die altes Adel Ehr mehrt an der Zeiten End.«603 Abgrenzung und klare Hierarchien bestimmen das Bild der aristokratischen Gesellschaft des Mittelalters, das hier als Muster entworfen wird. Pan ist nicht nur ein Hermes Trismegistos, der die Schäfer in das Arkanum der Schöpfung einweiht, sondern auch, im Widerspruch zu seiner faunischen Gestalt, ein Repräsentant sozialen Ordnungsdenkens: in ihm ist die doxologische mit der pragmatischen Komponente des hermetischen Wissens verbunden. Die Idee der göttlichen Autorität, die sich aus dem Modell des Schöpfers als Sinnbild der Einheit von Einem und Allem herleitet, überträgt sich in der Initiationsszene auf das Feld der gesellschaftlichen Bedeutungen.604 Pan, der zweite Hermes, macht die Hirten mit der Notwendigkeit der sozialen Abstufung und dem Nutzen kriegerischer Stärke vertraut. In Birkens Fortsetzung findet die Liebestopik des ersten Teils damit ihr Komplement; hinter der Verklärung der Poesie, wie sie die Flöte Pans verdeutlicht, steckt zugleich eine mundane Lehre, die den Krieg jenseits seiner realen konfessionalistischen Hintergründe als Schauplatz tugendhafter Selbstbehauptung interpretiert.605 Am Ende taucht im Schäfergedicht nochmals ein hermetischer Topos auf, wenn Floridan zur Feier der Nacht ein Lob Gottes anstimmt, der dem Dunkel das 602 Wolfgang Iser : Das Fiktive und das Imaginäre (s. Anm. 507), S. 52. 603 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 79. 604 Nicht die einfache Analogie von zivilisierter Natur und Politik, die Iser (Das Fiktive und das Imaginäre [s. Anm. 507], S. 75) für die spezifisch soziale Semantik des pastoralen Textes reklamiert, ist hier zuständig, sondern gerade die im Pan-Topos angelegte Beziehung zwischen Krieg und Frieden, die ihrerseits auf die Emanationslogik des Hermetismus zurückdeutet. 605 Diese Perspektive wird am Schluß des Textes (von Birken, Klaj: Fortsetzung [s. Anm. 507], S. 59 ff.) wieder in ein Programm der Friedfertigkeit überführt, wobei jedoch die Positionen dadurch zusammentreten, daß jeweils persönliche und nicht politische Motive für Krieg und Frieden in Anschlag kommen (vgl. dazu auch Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit [s. Anm. 5], Bd. 4 / I, S. 345).

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Licht folgen läßt. Der Schöpfer wird in einem programmatischen Neologismus als »Erstlinger« apostrohiert, der zugleich »End« ist: Du Erstlinger und End j – O blanker Naechtewinker j Und heller Morgenstern / Ich seh noch dein Geflinker / j Das heut den Morgen weiß / den braunen Abend jetzt / j Du Bot der Nacht / und wann die Sonn zu Wagen sitzt / j Du Erstlinger und End / j – Es geht zu Ruh die Welt: j Bestirne / wie du thust / das dunkle Wolkenfeld / j Doch schaffe / daß dein Liecht den Morgen morgen sende j Mit Freuden wieder her / – j Du Erstlinger und Ende.606

Gott ist hier durch dieselbe Einheit von Anfang und Ende bestimmt, die auch im Blumentopos und in der Kugelmetapher zum Ausdruck kommt. Das Sinnbild des Lichts illustriert nicht nur den hermetischen Gedanken der ewigen Wiederkehr im Motiv des Morgens nach der Nacht, sondern ebenso die Idee der wahren Gotteserkenntnis durch den Geist. Weil Gott keinen Körper besitzt, kann man ihn einzig über den Logos begreifen – mit Hilfe jenes Prinzips, das im Hermetismus zugleich das Fundament aller Schöpfung ist. »Wenn du Gott geistig erfassen kannst«, heißt es im sechsten Traktat, »wirst du das Schöne und Gute erfassen, das, was alles andere überstrahlt, was allein von Gott überstahlt wird.«607 In diesem Sinne schließt das Schäfergedicht mit der Verarbeitung zweier zentraler hermetischer Topoi. Indem es die Kohärenz der Natur beschreibt, demonstriert es die Einheit eines Zirkels von Ursprung und Ende; indem es die Lichtqualität der Natur preist, bezeichnet es das Wesen Gottes, das über das Licht der Erkenntnis gleichermaßen spirituell und sinnlich, im Bild manifest, offenbart werden kann.608 Hinter beiden Themenkomplexen aber steht übergreifend die Darstellung einer Dichtersozietät, die ihre Mitglieder über das Lob der göttlichen Natur in die Geheimnisse der Poesie, ihrer Gattungen und Wirkungskonzepte einweiht. Die »Lehr= und Lustgedichte«, die der Text versammelt, erfüllen den primären Zweck, den Logos der göttlichen Schöpfergewalt durch die Sprache der Literatur zur Geltung zu bringen.609 Als ›Erstlinger und End‹ ist Gott zwar die Instanz, die Ursprung und Ausgang zusammenführt, doch fällt es der Dichtkunst zu, diesen 606 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 103. 607 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 70 (Traktat VI). 608 Auch dazu paßt eine Passage bei Arndt: Der Mensch, so führt Arndt in seiner Schrift aus, sei als Spiegel Gottes geschaffen: »Ein Bilde seiner göttlichen Weißheit im Verstande deß Menschen / ein Bilde seiner Gütigkeit / Langmuth / Sanfftmut / Gedult in dem Gemüt deß Menschen / ein Bilde seiner Liebe vnnd Barmhertzigkeit in dem Hertzen deß Menschen …« Der Mensch ist nicht mit Gott identisch, aber sein Abbild: »Der Mensch sollte nicht Gott selbst seyn / sondern Gottes Bilde / Gleichnüß / Contrefact vnd Abdruck / in welchem allein sich Gott wollte sehen lassen also / daß nichts anders inn dem Menschen solt leben / leuchten / wircken / wöllen / lieben / gedencken / reden / frewen / dann Gott selbst.« (Arndt: Von Wahrem Christenthumb. Die Urausgabe des ersten Buches [s. Anm. 544], S. 23 f.). 609 von Birken, Klaj: Fortsetzung (s. Anm. 556), S. 87.

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aus der Hermetik vertrauten Topos zu kommunizieren. Damit ist zugleich eine eigene Qualität des literarischen Mediums bezeichnet, das sich im Lob des göttlichen Logos selbst reflektiert. Während die protestantischen Mystiker und Spiritualisten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts – etwa Sebastian Franck, Kaspar Schwenckfeld, Valentin Weigel oder auch Jacob Böhme und Johann Arndt – ihre Glaubensvorstellungen bevorzugt in den Gattungen des Traktats und Gebets niederlegen, ist die Literatur jetzt dazu berufen, religiösen Sinn unter Abstimmung auf differenzierte Gattungskonzepte zu thematisieren.610 Diese Konzepte ermöglichen es, wie im vorliegenden Fall, die topischen Wissensbestände der Religion in den Formen poetischer Genres zu kommunizieren und dergestalt umzubauen. Hinter dem Verfahren der literarischen Transformation kommt damit ein metatextuelles Prinzip zutage – die Verarbeitung hermetischer Topoi im Medium der Panegyrik erweist sich als Spielart poetischer Selbstreflexion.611 Abschließend sei ein kurzes Zwischenresümee versucht. Was geschieht, wenn die Denkformen des Hermetismus in einen literarischen Text wie den hier untersuchten Eingang finden? Grundsätzlich ist festzuhalten, daß der Zusammenhang von literarischem und nicht-literarischem Wissen im 17. Jahrhundert anderen Bedingungen als in der Moderne unterliegt. Für die Frühe Neuzeit muß man, wie beschrieben, eine strukturelle Einheit des (humanistischen) Wissensdiskurses in Rechnung stellen, die enge Filiationen zwischen Literatur und Gelehrsamkeit begründet. Insofern läßt sich das Wissen der Literatur hier weder als Formung eines Imaginären612 noch als Zeichen ästhetischer Autonomie613 oder als Indiz für subversive Abweichungen begreifen.614 Vielmehr hat das literarische Wissen einen Status, der sich formal nicht von anderen diskursiven Wissensordnungen unterscheidet; der literarische Text unterstützt den Wissenstransport, unterwirft Wissensbestände einer didaktischen Formung und organisiert sie nach vom poetischen Darstellungssystem regulierten Gesichtspunkten. Auch dort, wo die Literarisierung von Wissen in der Frühen Neuzeit eine Transformation seiner in der Topik verwalteten Ordnung herbeiführt, folgt dieser Vorgang also seinerseits topischen Strukturen, die durch die Normen der Gattungspoetik, der Metrik und der Rhetorik determiniert werden. 610 Hier greife ich einen Hinweis von Volkhard Wels (Berlin) auf. 611 Dieses metapoetische Verfahren tritt derart markant erst in der Frühen Neuzeit auf, die, wie Luhmann konstatiert, einen »aufs Formale gerichte(n) Kunstsinn« ausbildet; Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft (s. Anm. 182), S. 299. 612 Iser: Das Fiktive und das Imaginäre (s. Anm. 507), S. 19 – 51. 613 Heinz Schlaffer : Poesie und Wissen. Die Entstehung des ästhetischen Bewußtseins und der philologischen Erkenntnis, Frankfurt / M. 1990, bes. S. 142 – 155. 614 Joseph Vogl: Für eine Poetologie des Wissens (s. Anm. 168), S. 7 – 16; Jochen Hörisch: »Aut prodesse aut delectare«. – Literaturgeschichte als Problemgeschichte, in: Jochen Hörisch, Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes, Frankfurt / M. 1996, S. 35 – 49.

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Vor solchem Hintergrund lassen sich Eingriffe ausmachen, die für die literarische Organisation des Wissens eigentümlich sind. Am Beispiel des Schäfergedichts und seiner Rezeption hermetischer Denkmuster ist zu erkennen, daß es sich dabei um einen dreiphasig gestaffelten Aneignungsprozeß handelt, der aus den bereits im dritten Kapitel beschriebenen Funktionsstufen der Fragmentierung, Rekombination und Reorganisation mit den Einzeloperationen der Selektion, Restabilisierung und Variation besteht. In diesem Prozeß wird das topische Wissen zunächst in seiner einheitlichen Ordnungsstruktur fragmentiert (Selektion), dann mit unterschiedlichen Bestandteilen neu zusammengesetzt (Restabilisierung) und schließlich in eine mit fiktionalen Elementen verknüpfte Textarchitektur überführt (Variation). Das Verfahren adaptiert als zentrales Merkmal der topischen Wissensverwaltung die Bildung von Analogien, die auf den Nachweis von Verwandtschaften abstellt.615 Jedoch gehorcht die Analogiebildung im poetischen Text anderen Prinzipien als im Rahmen der frühneuzeitlichen Topik, die Wissen in kategorial-enzyklopädischen Ordnungsschemata verfügbar halten und argumentativ fungibel machen soll. Exemplarisch läßt sich das literarische Verfahren einer bisher unbekannte Analogien stiftenden Transformation von Wissensbeständen anhand der Pan-Allegorie zeigen, die aus dem Corpus Hermeticum den Topos der Einheit von Einzelnem und Ganzem als Merkmal des Schöpfergottes übernimmt, diesen aber aus seinem gnostischen Zusammenhang löst und mit dem mythologischen Traditionshorizont der Antike verbindet. Pan erscheint hier als Gott der Hirten und zugleich als zweiter Hermes Trismegistos, der die Idee einer permanenten creatio reflektiert. Im narrativen Kontext der Initiationsszenen wird aus dem spirituellen Horizont der logostheologischen Naturdarstellung schließlich ein Modell der sozialen Ordnung, nämlich die Spiegelung des Exklusivitätswillens barocker Dichtergesellschaften. Die ›Sakralisierung von Dichtkunst‹ (Kemper616), die sich in den Einweihungsszenen des Schäfergedichts offenbart, bedeutet zugleich eine Vergesellschaftung des spirituellen hermetischen Wissens, insofern Pan zum Medium einer Initiation in die Gemeinschaft der Poeten wird. Das Zusammenwirken von Fragmentierung (Selektion), Rekombination (Restabilisierung) und Reorganisation (Variation) sorgt für eine Überführung der hermetischen Topoi in die metapoetische Reflexion der Dichtkunst und ihrer spezifisch sozialen – auf Exklusivitätspostulate setzenden – Programmatik.

615 Vgl. Schmidt-Biggemann: Apokalypse und Philologie (s. Anm. 107), S. 239, der davon spricht, daß das topische Denken in Analogien auf »Sinnsüchtigkeit« zurückverweise, auf die Annahme, die jeweiligen Begriffe seien außerhalb der betreffenden Ordnungsstruktur semantisch unscharf. 616 Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 331.

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Schon Luhmann hat für Tradierungsvorgänge im religiösen Kontext die Phasen der Variation, Selektion und Restabilisierung unterschieden.617 Die Evolution der Hochreligionen gehorche, so seine These, einer internen Steuerung, die extreme Abweichungen von genealogischen, rituellen, normativen und symbolischen Standards unterbinde. Der für soziale Systeme generell gültige Abweichungsdruck, der Variation zum Prinzip macht, wird im Prozeß der religiösen Überlieferung durch ein Verfahren aufgefangen, das Veränderungen automatisch in ein hierarchisches Gefüge integriert, innerhalb dessen das Neue (Apokryphe, Nichtkanonische) der Autorität des Alten (Heiligen) unterworfen wird. Abweichungen finden sich auf diese Weise durch den Abgleich mit jeweils höherrangigen Bedeutungselementen kontrolliert und vom Zentrum des Bedeutungssystems ferngehalten. Die Tradierung religiöser Sinnmuster läuft damit auf den immergleichen Effekt einer Restabilisierung des Systems zu, die es erlaubt, die Autorität des Überlieferten zu schützen und das Neue durch gezielte Desintegration in seinen Wirkungen abzuschwächen. Der oben beschriebene Prozeß der literarischen Rezeption hermetischer Topoi unterliegt dagegen einer Dramaturgie, die eine veränderte Abfolge der Einzeloperationen aufweist. Am Beginn steht hier die Selektion des durch die Überlieferung festgeschriebenen dogmatischen Wissens; ihr folgt die Kombination von religiösen und literarischen Bedeutungselementen mit der Wirkung einer Restabilisierung des Systems im Rahmen der Ordnung des Textes; der Effekt ist eine Variation der ursprünglichen Semantik, die es, wie im gegebenen Fall, erlauben kann, sakrale bzw. spirituelle Sinnformen für die Reflexion sozialer Deutungsmuster zu beanspruchen. Die Überführung religiöser in soziale Semantik gehorcht im Zusammenhang mit dem Hermetismus einer spezifischen Logik, die hier kurz zu erläutern ist. Eine wesentliche Ursache für die Rezeption hermetischer Texte bildete die mit Ende des 16. Jahrhunderts einsetzende Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Disziplinenbildung, die ihrerseits Gegenbewegungen provozierte, welche die Einheit von Natur- und Gotteserkenntnis zu erweisen suchten. Während diese Einheit in der Pansophie (als Naturforschung) und der Theosophie (als Gotteserkenntnis) dissoziiert, ist sie in der Hermetik programmatisch gegeben.618 Das macht die Attraktivität des Hermetismus gerade im Hinblick auf das Festhalten an einer spirituellen Natursicht aus. Zugleich ist aber auch eine Dimen617 Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 260 ff.; vgl. auch ders.: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), bes. S. 283 ff. sowie ders.: Die Evolution des Kunstsystems, in: Schriften zu Kunst und Literatur (s. Anm. 238), S. 263. Vgl. dazu auch Kap. 3. 618 Peter Cersowsky : Pansophische Literatur, in: Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd. 2, hg. v. Albert Meier, München 1999, S. 420 – 435, S. 427.

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sion des Sozialen mit dem Hermetismus verbunden, die gerade im zweiten Teil des hier untersuchten Schäfergedichts sichtbar hervortritt.619 Das exklusive Wissen, das die hermetische Tradition konstituiert, zielt auf die Reflexion geschlossener Ordnungen, wie sie etwa im Kontext des Ehrentempels, der Höhlenszene und der Initiation durch Pan manifest werden. Die Schäfer lernen abgetrennte Distrikte allegorischer Räume kennen und sehen sich in ihnen mit den Bildern vergangenen Heroentums konfrontiert. Man kann diese szenische Konstellation auch als Spiegelung einer gesellschaftlichen Inklusionsphantasie deuten. Zur spirituellen Bedeutung des Hermetismus, die der erste Teil des Schäfergedichts in seinen naturpoetischen Elogen perpetuiert, tritt im zweiten Teil das Modell geschlossener sozialer Systeme. Pan, der als antiker Gott mit universeller Prägung an den unitären Schöpfer Hermes Trismegistos erinnert, beleuchtet mit seinen Einweihungsritualen eine Vision der idealen geschlossenen Gesellschaft. Wenn die Schäfer hier auf allegorische Chiffrierungen aristokratischer Tapferkeit, auf die Ehren-Bilder vergangener Auszeichnungen und Leistungen stoßen, so werden sie mit einer exklusiven sozialen Organisationsform konfrontiert, die Topoi des spirituellen Hermetismus auf das Niveau einer gesellschaftlichen Ordnungsstruktur überträgt.620 Hermetisches Wissen läßt sich als Produkt eines Exklusivitätswillens fassen, der im Text nicht nur religiöse, sondern auch soziale Ausprägungen aufweist. Die hermetische Ebene ist durch eine hierarchische Strukturierung gekennzeichnet, die im hier analysierten bukolischen Text als Widerschein der Logostheologie und zugleich als Reflexionsmodus des Sozialen hervortritt. Nach Luhmann verhalten sich frühneuzeitliche Gesellschaftsstruktur und semantisches System komplementär zueinander, insofern beide auf die Stabilisierung stratifikatorischer Muster zielen.621 Von »Stratifikation« wäre dabei im Sinne Luhmanns dann zu sprechen, »wenn die Gesellschaft als Rangordnung repräsentiert wird und Ordnung ohne Rangdifferenzen unvorstellbar geworden ist.«622 Die Erkenntnis, daß semantische und soziale Struktur in der Frühen Neuzeit zusammenwirken können, läßt sich generell auf die Leistung von Wissenssystemen übertragen, die 619 Auf die Bedeutung realistischer Elemente und die Reflexe frühmoderner Industrialisierung (etwa die Beschreibung einer Papiermühle oder eines Wasserrades) im Text verweist im Anschluß an Garber (Der locus amoenus und der locus terribilis [s. Anm. 499], S. 139 ff.) detailliert Berns: Gott und Götter (s. Anm. 572), S. 75. 620 Zur wissenshistorischen Umbruchsituation der Zeit vgl. – am Beispiel der Geschichte der Gelehrsamkeit – die Beiträge in: Friedrich Vollhardt, Frank Grunert (Hg.): Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2007 (insbesondere den Aufsatz von: Anette Syndikus: Die Anfänge der Historia literaria im 17. Jahrhundert. Programmatik und gelehrte Praxis, S. 3 – 36.). 621 Vgl. Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 1 (s. Anm. 125), S. 9 – 72. 622 Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 2, S. 679.

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ihrerseits für die interne Stufung und Verfügbarkeit der Wissensobjekte zu sorgen haben.623 Die Einheit von Semantik und Sozialstruktur findet ihren Grund in der allgemeinen Ordnungsintention des Wissenssystems. Antrieb des Wissens ist hier nicht die Individualität bzw. Subjektivität des Wissensanspruchs, sondern das Ziel, in der Objektivität der Erscheinungen die Verbindlichkeit eines durchgreifenden Prinzips sicherzustellen und sichtbar zu machen. Hermetisches Wissen meint per definitionem ein nicht allgemein verfügbares Wissen, teilt jedoch mit anderen Wissenskonfigurationen den Anspruch, eine Ordnung zu errichten, die ein verbindliches Gesetz der Phänomene flagrant werden läßt. Ein solches als Ausdruck göttlicher Präfigurationen verstandenes Gesetz soll im hermetischen Wissen qua Offenbarung ans Licht treten. Der poetische Text kann in diesem Konzept, wie das Beispiel des Schäfergedichts zeigt, die Aufgabe versehen, die hermetischen Deutungsmuster allegorisch zu modellieren und dergestalt das exklusive Moment des Wissens zu illustrieren. Seine soziale Funktion liegt dann darin, die innere Ordnung der Schöpfung in Analogie zur inneren Struktur der Gesellschaft als gottgewolltes Produkt strenger hierarchischer Stufung auzuweisen. Das hermetische Wissen offenbart sich nur dem Eingeweihten, aber es weist darin durchaus einen sozialen Reflexionsmodus auf, der sich aus dem Glauben an die göttliche Genese gesellschaftlicher Ordnungen ableitet.624 Diese im Begriff der Natur manifestierte Verbindung zwischen religiöser und sozialer Semantik scheint typisch für die Literatur des 17. Jahrhunderts, wie die Forschung an Beispielen zumal aus dem Gebiet der Lyrik einleuchtend hat zeigen können.625 Die Bestimmung des hermetischen Wissens als ›Wissen für Eingeweihte‹ erfüllt im hier untersuchten bukolischen Text die Aufgabe, eine religiöse mit einer sozialen Dimension zu verbinden. Laut Luhmann ist diese Funktion in der religiösen Semantik der Frühen Neuzeit immer schon angelegt, insofern der 623 Gemeint ist damit keineswegs die Einheit von moderner Staatenbildung und Konfessionalismus, wie sie die Geschichtswissenschaft für das 17. Jahrhundert (zumal nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges) geltend macht, sondern die Interaktion von Deutungsmustern, die soziale bzw. religiöse Ordnungen reflektieren. 624 Vgl. Luhmann: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), S. 306 ff. 625 Sehr umfassende und informative Übersicht der Aspekte bei: Michael Maurer : Geschichte und gesellschaftliche Strukturen des 17. Jahrhunderts, in: Die Literatur des 17. Jahrhunderts (s. Anm. 618), S. 18 – 99, bes. S. 71 ff. – Wolfram Mauser : Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die ›Sonnete‹ des Andreas Gryphius, München 1976, S. 152 ff. (Interdependenz statt Antithetik als Grundmuster); Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 92 ff. (Interferenz politischer und religiöser Topoi in der Bukolik von Sidney und Opitz); Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 4 / I (s. Anm. 5), S. 43 ff. (Zusammenwirken von religiöser, kultureller und sozialer Selbstreflexion). – Zur Beziehung von modellhafter Natur und stratifikatorischer Gesellschaft im 17. Jahrhundert Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. II, S. 989 ff.

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Arkancharakter von Glaubenssätzen, Lehrmeinungen, Symbolen, Ritualen und Verhaltensprinzipien, die als Teil einer qua Inspiration vermittelten Offenbarung erscheinen, konstitutiv für den Prozeß der Sinnkonstitution bleibt: »Das Geheimnis wird mit dieser semantischen Spezifikation zum Indikator der Mitgliedschaft in einer religiösen Gemeinschaft und instituiert dann die Differenz von Wissenden und Nichtwissenden als sekundäre Differenz.«626 Luhmann betont hier die soziale Grundierung des religiösen Exklusivitätsanspruchs und den Konnex, der die Bedeutung des Geheimnisses mit der auf Abgrenzung sowie Exklusivität gebauten stratifikatorischen Gesellschafsordnung verbindet. »Die Möglichkeit des gleichzeitigen Erweiterns und Einschränkens der Kommunikation tritt sehr früh schon in den Dienst sozialer Differenzierung. Sie ermöglicht Differenzierungen nach dem Muster Zentrum / Peripherie und weiterhin Rangdifferenzierungen.«627 Der literarische Text macht sich diese im religiösen System der Frühen Neuzeit immer schon operativ verwendeten Abgrenzungsfunktionen zunutze, indem er das topische Modell der hermetischen Logostheologie in den Dienst einer Selbstreflexion sozialer Ordnungen stellt. Wenn das Schäfergedicht seine Feier der exlusiven Dichtergesellschaft – des Blumenordens – anstimmt, wiederholt die traditionell anmutende Panegyrik den hier bezeichneten Akt der Rangdifferenzierung auf dem symbolischen Schauplatz der Poesie.628 Was die hermetische Lehre zum Modell eines sozialen Ordnungsmusters überhaupt tauglich macht, das ist ihr Prinzip der »Emanationshierarchie«.629 Der Hermetismus denkt – ähnlich wie die Alchemie oder der Paracelsismus – den göttlichen Schöpfer als Einheitsgrund, in dem sämtliche Gegensätze virtuell angelegt sind. Die creatio Dei bedeutet vor diesem Hintergrund die Entfaltung aller Antinomien in einem Prozeß der Umsetzung des in diesem Einheitsgrund angelegten Programms. Die Natur kann dergestalt, wie Luhmann es ausdrückt, zu einem »Gewißheitssubstrat«630 formiert werden, das wiederholbare Wahrnehmung und Beschreibbarkeit – folglich geregelte Semantik – gewährleistet. Gerade aus dieser Sicherheit leitet sich die Modellfunktion der Natur für den Entwurf sozialer Ordnung und den paradigmatischen Charakter ihrer gedachten Organisationsstruktur her. Natur und Gesellschaft erscheinen als Modelle, in 626 Luhmann: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), S. 274. 627 Luhmann: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), S. 274. 628 Zwar gehorcht der ›Blumenorden‹ in der Praxis eher bürgerlichen als aristokratisch-elitären Normen, jedoch bedient sich die literarische Reflexion seiner Ordnung im Schäfergedicht zahlreicher Anleihen bei der Semantik der Exklusivität. 629 Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft (s. Anm. 128), S. 488. 630 Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 2, S. 990.

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denen ein vorausentworfenes Gleichgewicht herrscht, das auch durch Abweichungen nicht gestört werden kann.631 Gedeckt findet sich diese Gleichgewichtslogik durch das Gesetz des einen Ursprungs, die Idee der causa finalis, die nicht nur die interne Folgerichtigkeit einer Hierarchie der Erscheinungen (nach dem aristotelischen Prinzip der Entelechie), sondern auch die aufeinander abgestimmte Fixierung ihrer Aufgaben und Zwecke sicherstellt. So wie die spirituelle Bedeutung der Natur über die Existenz des schaffenden Gottes garantiert wird, der den sensus mysticus der Erscheinungen aus sich entläßt, faßt man im 17. Jahrhundert auch die soziale Stratifizierung als Produkt eines in der weltlichen Ordnung aktiv wirksamen Prinzips, das Rangpositionen und Abgrenzungen innerhalb der pyramidalen Gesellschaftsstruktur herausarbeitet. Die daraus abgeleiteten Differenzen sind keine horizontalen Antagonismen, sondern Resultate einer innersystematisch stets schon vorgegebenen Durchstufung der Hierarchien, ohne die Gesellschaftlichkeit in der Frühen Neuzeit nicht gedacht werden kann. Dem Emanationsprinzip des Hermetismus, der Gott als Einheit und Universum definiert, korrespondiert das soziale System, das sich aus den operativen Wirkungen des genannten Prinzips der Höherrangigkeit herschreibt. Die vom literarischen Text vollzogene Transformation hermetischer Topoi zum Reflexionsmodus des Sozialen trägt daher den Charakter eines operativen Eingriffs, der am tradierten spirituellen Denkzusammenhang über den Umweg der Analogiebildung eine neue semantische Komponente aufdeckt. Aus der Emanationsbewegung der hermetischen Naturphilosophie wird die Emergenz des sozialen Stratifikationsmodells.632 »Topik verwaltet Wissensfülle, um sie argumentativ anwendbar zu machen«, so lautet eine Generaldefinition.633 Wenn das topische Wissensgefüge sich in den literarischen Text überträgt, werden sowohl die Grundmuster seiner Organisation als auch die ihn bestimmenden Aussagemodi selbst verändert. Das hier untersuchte Beispiel für die Adaption hermetischer Interpretamente im Zusammenhang der barocken Bukolik belegt diesen Sachverhalt auf einleuchtende 631 Über diesen Aspekt der für Natur und Gesellschaft im 17. Jahrhundert gleichermaßen geltenden Balanceformel bemerkt Luhmann: »Eine Abweichung vom Gleichgewicht kann empirisch zwar vorkommen, ändert aber nichts an der Gleichgewichtsformel selbst, sondern weist nur den Weg zu einer Rückkehr ins Gleichgewicht.« (Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft [s. Anm. 125], Bd. 2, S. 990). 632 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts setzt jedoch bereits ein Prozeß der Umstellung ein, der dazu führt, daß nicht mehr die Natur, sondern die Ratio (und durch sie vermittelt eine mit neuen wissenschaftlichen Methoden betrachtete Natur) als Maßstab gesehen wird, der das Ordnungsgefüge der Gesellschaft paradigmatisch erfaßt. In dem Maße, in dem man die Natur als ›gegliedert‹, ›ökonomisch‹ und ›balanciert‹ interpretiert, entfalten sich Modelle, die exakt diese Attribute isolieren und auf das System der Gesellschaft übertragen; mittelfristig ist hier der Ansatzpunkt für eine nova sciencia im Sinne des Cartesianismus gegeben: Vgl. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (s. Anm. 125), Bd. 2, S. 991. 633 Schmidt-Biggemann: Apokalypse und Philologie (s. Anm. 107), S. 230.

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Weise. Das hermetische Wissen wird im literarischen Text so transformiert, daß er zwar in seinem Grundzügen erkennbar bleibt, jedoch gewinnt es über die Analogiebildung neue Funktionen, die ihrerseits durch die Formen der genretypischen poetischen Topoi – Lob des Landlebens, Feier der Gemeinschaft, Selbstinszenierung der Gesellschaft im Status der Idylle – ans Licht treten können. Das bukolische Genre überführt die hermetische Naturphilosophie in das Modell eines exklusiven literarischen Geltungs- und Autoritätsanspruchs, hinter dem wiederum der Entwurf einer arkanen sozialen Selbstreflexion steht. Damit verwandelt sich das hermetische Wissen mit seiner Topik der Initiation, dem Gedanken der Leib-Geist-Einheit und dem Prinzip der Transmutation zu einem Muster gesellschaftlicher Ordnung, das den Hermetismus auf die Ebene der sozialen Semantik transferiert. Den Platz der im ursprünglichen topischen System vorgesehenen Argumentationsfunktion übernimmt jetzt die Rekombination, die spirituelles durch soziales Handlungswissen ersetzt. Das für den Akt der literarischen Tradierung typische Zusammenwirken von Selektion, Restabilisierung und Variation tritt an den eben beschriebenen Konstellationen paradigmatisch zutage. Indem die poetische Adaption des Hermetismus spezifische Topoi einzelner Traktate auswählt, schafft sie eine Hierarchisierung seiner Glaubenssätze. Das führt dazu, daß bestimmte Elemente der hermetischen Lehre – das Schema der Allheit, der Logosgedanke, die Schöpfermythologie – verstärkte Aufmerksamkeit finden, anderes zurücktritt – so der Bereich der Kosmologie – oder komplett entfällt, wie die Theorie des Pneuma. Die Verbindung der intensiv rezipierten Topoi mit den Momenten der Gesellschaftlichkeit, der Selbstdarstellung literarischer Autorschaft und der Reflexion der Kriegssituation führt zunächst innerhalb des literarischen Textes zur strukturellen Restabilisierung des zuvor fragmentierten Wissens, semantisch gesehen aber zu seiner Variation. Das gesamte Verfahren ermöglicht es, das hermetische Geankengut mit sozialer Bedeutung aufzuladen und seiner spirituellen Funktion zu entheben. Der Tradierungsvorgang bewirkt keine Reproduktion des topisch verfügbaren Wissens, sondern seine Transformation, wobei die Literatur als Medium dieses Prozesses gleichermaßen Vermittlerin und Reflexionsmodus ist. Die Restabilisierung erweist sich nicht als Endpunkt des Überlieferungsvorgangs, vielmehr als Zwischenstufe, die der Integration des topisch verfügbaren Wissens in eine neue Ordnung – die der Fiktion – dienstbar gemacht wird. Damit gewinnt die Tradition den Charakter eines dynamischen Systems, das in der Lage ist, neue semantische Synthesen aus topischen Mustern abzuleiten. Das Wissen, das der literarische Prozeß hervorbringt, ist ein selbst wieder topisches – gattungsgestütztes – Wissen, das über Darstellungsstrukturen vermittelt wird. Die Konsistenz der in der Topik organisierten Ordnung, die Vielfalt durch kategorialen Zugriff steuert, hat sich im literarischen Text aufgelöst. Seine Funktion liegt nicht mehr in der Sicherung argumentativer Ver-

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fügbarkeit von Wissensbeständen, sondern im Arrangement topischer Variation. Abweichungen, Versionen und Differenzierungen, wie sie die Literatur ermöglicht, erschüttern freilich die Stabilität des frühneuzeitlichen Wissensgefüges nicht. Die Dominanz des topischen Systems sorgt dafür, daß auch die Variation seine innere Ordnung letzthin festigt und keineswegs gefährdet. Dieser Mechanismus gehört zur Logik des Traditionskonzepts, das die Topik bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts stützt, ehe es der Cartesianismus mit seiner Lehre von den zureichenden Gründen des wissenschaftlichen Urteils unterminiert.634

634 Anders dann die Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die ein eigenes Wissensmodell schafft. Zum Autonomieparadigma im Sinne einer funktionalen Selbstbeschreibung des Kunstsystems (und nicht im Sinne eines objektiven Rechtsgrunds der Theorie ästhetischer Erfahrung) vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft (s. Anm. 182), S. 215 ff.

8. Konstitution poetischer Formen im Widerspruch. Paradoxon und Hermetik (Czepko, Scheffler, Kuhlmann)

Altes Wissen wird im 17. Jahrhundert nicht selten als Autorität tradiert, dabei aber zugleich, wie man sehen konnte, im Prozeß der Überlieferung umstrukturiert. Auf diese Weise entwickeln sich Muster der versteckten Reorganisation, Supplementierung und Verschiebung – Modelle, die den Wissenswandel nicht als programmatisch ausgelösten teleologischen, sondern als tiefenstrukturellen Vorgang mit komplexen Überlagerungsbewegungen anzeigen, den insbesondere literarische Formen wesentlich unterstützen. Die neuen Beobachtungs- und Darstellungskulturen, die sich innerhalb relativ statischer Ordnungen entwickeln, bleiben zunächst an Konzepte von Tradition und Erbe, von Kanonbildung und Bestandssicherung gebunden. Inhaltlich dominieren auch im 17. Jahrhundert Modelle, die, wie beschrieben, einer »Semantik der Emanation« folgen.635 Sie legt fest, daß alle Erscheinungen und Bewegungsformen auf einen Schöpferwillen zurückführen, der sich in den Dingen der Welt manifestiert. Das System des Wissens ist in doppelter Hinsicht statisch: es leitet die Naturphänomene aus der Idee des creator mundi, mithin aus einem festen Ursprung ab; und es betrachtet die Möglichkeit der Wissensweitergabe als starres Gefüge von Geben und Nehmen, in dem keine unkontrollierbaren Zirkulationen denkbar sind. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, inwiefern ein statisches System durch Anwendung einzelner Elemente dynamisiert und verwandelt werden kann. Der Vorgang, der sich dabei beobachten läßt, bringt Wissensautorität in Bewegung, indem er einzelne Topoi in neue Formen überführt. Eine solche Bewegung zeigte sich auch im exemplarischen Feld dieser Untersuchung: die frühneuzeitliche Literatur tradiert hermetische Topoi, indem sie ihnen einen neuen diskursiven Organisationsraum zur Verfügung stellt. Möglich ist eine solche Umgestaltung, weil bereits die hermetische Lehre im Corpus durch eine 635 Niklas Luhmann: Die Homogenisierung des Anfangs: Zur Ausdifferenzierung der Schulerziehung (1990), in: Ders.: Schriften zur Pädagogik, hg. und mit einem Vorwort v. Dieter Lenzen, Frankfurt / M. 2003, S. 123 – 158, S. 123.

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genuin poetische Sprache übermittelt wird. An ihre Formen knüpft die literarische Adaption an, indem sie das in ihnen Angelegte weitertreibt und verändert. Transformation bedeutet gerade keinen radikalen Bruch mit dem Ausgangsbestand des Wissens, sondern einen gleitenden Übergang, der sich auf Korrespondenzen stützt. Ermöglicht wird diese spezifische Form der Transformation durch das Prinzip der Paradoxie, das dem hermetischen Diskurs auf unterschiedlichen Ebenen innewohnt. Paradoxien bilden generell ein tragendes Element frühneuzeitlicher Wissenskulturen und Sozialstrukturen. Die Idee des Zugleich von Einheit und Vielfalt in der Vorstellung eines christlichen Schöpfergottes, das Nebeneinander von Zeitunterworfenheit und Kontinuität in Konzepten der politischen Theologie, die Parallele von Herrschaft und Dienst in der Konstruktion personaler Macht, die Verbindung von Verfallslogik und Unendlichkeitsannahmen in philosophischen Deutungsmodellen, die Überlagerung von Kirchenrecht und Naturrecht im juristischen Denken, aber auch die Einheit von Normativitätsanspruch und Inspirationsgedanke in den Kunst- und Dichtungstheorien des 16. und 17. Jahrhunderts bezeugen dieses eindringlich. Besonders auffallend tritt die Paradoxie in religiösen Dogmen christlicher Provenienz hervor – man denke an den Konnex von Sterblichkeit und ewigem Leben, die Opposition von Beweisführung und Setzung in Fragen des Ursprungs und der Schöpfungsgeschichte, die Koinzidenz von Reinheit und Empfängnis (immaculata concepta), die Aufsprengung binärer Ordnungen im Modell der Trinität. Hinzu kommen diskursive Paradoxien wie die Allianz von Gelehrsamkeit und Eingebung, von Versenkung und Entrückung, das Zugleich von Unterwerfung und Erhöhung im Gebet, das Zusammenwirken von Schweigen und Rede, Kommunikationsverweigerung und Kommunikation im mystischen Text.636 Nach Niklas Luhmann ist das System der Religion generell durch immanente Paradoxien bestimmt, die aus der Spannung zwischen Glauben und Vernunft resultieren. Religiöse Diskurse gelten ihm, wie bereits zitiert, als Modelle der »Paradoxieentfaltung«, in denen die konstitutiven Widersprüche von Glau636 Vgl. Benthien: Barockes Schweigen (s. Anm. 317), S. 329 ff., dies.: Hypertrophie als Demut. Paradoxien der Codierung von Aufrichtigkeit in der Barockmystik, in: Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert, hg. v. Claudia Benthien, Tübingen 2006, S. 93 – 108, S. 108. Zum christlichen Paradoxon auch den Vorbericht von Strohschneider in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (s. Anm. 2), S. IX–XIX, S. XIII. – Generell bleibt für die nachfolgende Argumentation die Differenz zwischen der Paradoxie als Prinzip des Widerspruchs und dem Paradoxon als rhetorischer Figur konstitutiv. Sie ist nicht im Sinne eines prinzipiellen Gegensatzes zu verstehen, insofern sprachliche Paradoxien durch das Paradoxon erst hervorgebracht werden, sollte jedoch dort präsent sein, wo es um das Verhältnis zwischen Denken und Form geht. Die paradoxe Struktur eines ›Denkens im Widerspruch‹ kann sich der Struktur paradoxer Sätze bedienen, aber auch jenseits dieser Form auftreten.

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benssätzen kurrent werden.637 Paradoxien können für diskursive Arrangements eigene Produktivität gewinnen, wenn sie zu Formen verwandelt werden, wie dieses in poetischen Gattungsmustern geschieht. Die Funktion solcher Formen besteht darin, daß sie ihre »Unverwendbarkeit«638 beweisen: Paradoxien sind nicht nützlich, vermögen aber ›Anschlußkommunikation‹ herstellen: z. B. durch die Reflexion der sie begründenden Widersprüche. So betrachtet sind Paradoxien »die einzige Form, in der Wissen unbedingt gegeben ist«639, nämlich im Sinne einer Struktur, die keine Voraussetzungen, keine Regeln und keine Anwendungsgesetze kennt. Diese Absolutheit eines Wissens im Widerspruch, das kommentiert, jedoch nicht einwandfrei erklärt werden kann, prädestiniert sie zu einer privilegierten Rolle innerhalb religiöser Diskurse. Hier existieren unterschiedliche Möglichkeiten der Auslegung und Darstellung von Paradoxien, die ihnen – in der christlichen Tradition durch die Dogmatik – eine gewisse »Sinnfestigkeit« verschaffen, ohne die sie nicht überliefert werden können.640 Nicht zuletzt machen Paradoxien Grundfragen der Religion operabel: das Problem, einen Anfang vor Gott zu denken, die Schwierigkeit, ein Unendliches zu begreifen, das Dilemma, Sterblichkeit und ewiges Leben als Einheit zu fassen. Folgt man Luhmanns Exordialdefinition, so lassen sich für die christliche Religion, zunächst außerhalb dogmen-, konfessions- und frömmigkeitsgeschichtlichtlicher Differenzierungen, eine Reihe von leitenden Prämissen ausmachen, die im Zeichen paradoxer Logik stehen. Zu ihnen gehören die Vorstellung eines unbedingten, von einem unspezifizierten Chaos ausgehenden Schöpfungswerks, die Annahme eines unsichtbaren Schöpfers, der Gedanke der Einheit in der Vielheit der Natur, das Zugleich von Sterblichkeit und Unsterblichkeit in der Gestalt des Gottessohns und die Setzung einer Kategorie der Ewigkeit als Gegenpol irdischer Zeiterfahrung. Sämtliche dieser Modelle können nur als die Grenzen der Logik sprengende Deutungsmuster betrachtet werden, deren zuverlässige, vom Nachdenken über Widersprüche befreite Funktionsweise die christliche Tradition durch sehr unterschiedliche Hilfsmittel sicherstellt: durch rituelle Organisation im Vollzug von Andacht und Gottesdienst, durch ein Arsenal symbolischer Figuren und Objekte, durch Spielräume für Aber- und Wunderglauben im Zeichen einer seit dem Mittelalter verstärkt sich entwickelnden Volksfrömmigkeit. Ihr Komplement finden diese Verfahren in dogmatischen Interpretationstraditionen, die Luhmann als »Nachfolgeeinrichtungen für Rituale auf höherer Ebene« beschreibt.641 Symbolische, performative

637 638 639 640 641

Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 64. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 17. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 132. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 133. Luhmann: Funktion der Religion (s. Anm. 118), S. 86.

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und hermeneutisch-dogmatische Praktiken treffen sich dabei in der Funktion, die inhärenten Widersprüche christlicher Glaubensvorstellungen beherrschbar zu machen. Das bedeutet, daß sie Angriffspunkte für expliziten Widerspruch ausschalten, indem sie das Paradoxon in geregelte Handlungsabläufe überführen, in Bildern stillstellen oder in dogmatischen Lehrsätzen generalisieren. Rituale und dogmatische Traditionen verbinde, so Luhmann, daß sie darauf zielen, »Negationsrisiken zu kontrollieren«.642 Ihr Zweck besteht in der Beruhigung von Sinnstrukturen, die durch logische Unvereinbarkeiten gekennzeichnet sind. Der mystisch-hermetische Spiritualismus, der am Ende des 16. Jahrhunderts als Reaktion auf den Konfessionalismus und die fortschreitende Verhärtung kirchlicher Positionen in Deutschland, Frankreich und England verbreitet aufkommt, stellt solche Hilfsmittel in Frage. Ihm geht es nicht um die rituelle, symbolische oder dogmatische Funktionalisierung des Paradoxen, sondern um eine Bearbeitung und Darstellung des in religiösen Erfahrungen bzw. Lehrsätzen angelegten Widerspruchspotentials. Das Paradoxon wird im Spiritualismus zum Spezifikum eines religiösen Wissens, das sich in Formen und Denkstrukturen esoterischer Provenienz gleichermaßen artikuliert. In seinen diversen Spielarten zwischen Mystik, Kabbalistik, Magie, Wiedertäuferbewegung, Paracelsismus, Rosenkreuzertum und (frühem) Pietismus entfaltet der hermetische Spiritualismus den Charakter eines synkretistischen Gefüges, das als formales Zeichen für die Universalität, Alogik und Vernunftferne des wahren Glaubens betrachtet wird. Zu seinen Überzeugungen gehört es, daß formale wie denklogische Paradoxien Indikatoren religiösen Wissens bilden. Exemplarisch wird diese Auffassung an der geradezu topischen Annäherung von Immanenz und Transzendenz, die für zahlreiche Bewegungen hermetisch-spiritualistischer Provenienz maßgeblich ist. Die Vorstellung, man könne Gott in der Versenkung unmittelbar erreichen, und der mystische Gedanke der in der unio herstellbaren Verbindung von menschlichem Körper und Heiligem Geist dokumentieren diese Annäherungsbewegung exemplarisch. Das paradoxale Grundmuster des hermetischen Spiritualismus resultiert nicht nur aus der inneren Anlage seines religiösen Wissens, sondern entspringt auch der Verbindung geistlicher und poetischer Elemente, wie sie seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts Erbauungsschriften und Traktate verstärkt bestimmt. Nicht wenige Texte des frühneuzeitlichen Spiritualismus liegen in versifizierter Form vor, manche bedienen sich erzählerischer Muster, andere rekurrieren primär auf dialogische Elemente. Zur poetischen Struktur gehört nicht nur die Form (z. B. in gebundener Sprache), sondern auch der besondere Charakter der phantasiegestützten Erfindung. Hier wird mithin das Paradoxon 642 Luhmann: Funktion der Religion (s. Anm. 118), S. 87; vgl. ders.: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), bes. S. 273 f.

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der spirituellen ›Grenzrede‹ durch das Merkmal der Fiktion ergänzt, so daß eine Konstellation mit mehreren produktiven Spannungszonen entsteht. Der spiritualistische Diskurs ist per se durch die Annäherung von Immanenz und Transzendenz geprägt; wird er im Fall seiner literarischen Umsetzung von fiktionalen Elementen ergänzt, so tritt dem die Konvergenz von ›Sein‹ und ›Schein‹ an die Seite. Betrachtet man die Wirkungsweise des Fiktionalen in religiösen Texten näher, so stellt man jedoch fest, daß es sich nicht allein um eine Verdoppelung der im Glaubensdiskurs angelegten Widersprüche handelt. Das Paradoxon der Fiktion, die Schein als Sein vorführt, reflektiert vielmehr das Paradoxon eines religiösen Wissens, das die Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz überschreitet. Der literarische Text wird auf diese Weise zum Medium der von Luhmann betonten ›Paradoxieentfaltung‹643, mit dem Effekt, daß beide sich wechselseitig ineinander spiegeln: die religiöse Alogik in den Konstrukten der Fiktion, die poetische Form und Erfindung in den Widersprüchen des Glaubens bzw. der Glaubenserfahrung.644 Das Paradoxon läßt sich unter formalen Gesichtspunkten auf zwei Ebenen definieren. Zum einen ist es im engeren Sinne über seine sprachliche Realisierung zu fassen (Rhetorik); hier verwirklicht es sich in tropischen bzw. figuralen Mustern wie Oxymeron bzw. (als dessen Variante) Contradictio in adiecto, in Ironie, Antithese, kühner Metapher – Mustern, die der Rhetorikbetrieb seit der Antike als Ausweis elaborierter Redefähigkeit besonders schätzte. Zum anderen entfaltet es sich in argumentativen Zusammenhängen als Widerspruch zwischen verschiedenen Annahmen oder Aussagen (Logik). Das rhetorische Paradoxon zeigt sich durch einen weiten Aussagehorizont geprägt, der daraus entsteht, daß dem sprachlichen Zeichen kein eindeutiges Denotat mehr zugeordnet ist. Die ›konnotativ offene‹ Semantik des Paradoxons impliziert jedoch nicht die prinzipielle Unmöglichkeit, seine Aussage auf einen einheitlichen Wahrheitskern zurückzuführen.645 Vielmehr dient die paradoxe Rhetorik der Formulierung 643 Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 191, 222. Vgl. auch zum Symbol als ›Gestalt gewordene‹ Paradoxie S. 337. Zu Luhmanns Paradoxiekionzept Lutz Ellrich: Semantik und Paradoxie, in: Germanistik und Komparatistik, hg. v. Hendrik Birus, Stuttgart 1995, S. 378 – 398, S. 391 f. 644 Interessante Vorüberlegungen dazu im Hinblick auf die englische Situation bietet Ulrich Broich: Form und Bedeutung der Paradoxie im Werk John Donnes, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Neue Folge 17 (1967), S. 231 – 248, ferner Wolfgang G. Müller: Das Paradoxon in der englischen Barocklyrik: John Donne, George Herbert, Richard Crashaw, in: Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, hg. v. Paul Geyer und Roland Hagenbüchle, Tübingen 1992, S. 355 – 384. Zum Paradoxon in der nachbarocken Lyrik und zur Wirkung Donnes auf Coleridge und Wordsworth vgl. Cleanth Brooks: Paradoxie im Gedicht. Zur Struktur der Lyrik. Aus dem Amerikanischen übers. v. Rolf Dornbacher, Frankfurt / M. 1965, bes. S. 28 ff. 645 Vgl. Heinrich F. Plett: Das Paradoxon als rhetorische Kategorie, in: Das Paradox (s. Anm. 644), S. 89 – 104, S. 90.

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eines scheinbaren Widerspruchs zum Zweck der schärferen Pointierung und besseren Veranschaulichung einer Grundhese; darin ist sie funktional den Tropen bzw. Figuren der Rede ähnlich.646In diesem Sinne spielt das Paradoxon in der italienischen und englischen Renaissanceliteratur als Movens der Übertreibung und Variante der Ausdruckssteigerung eine besonders zentrale Rolle (z. B. innerhalb der Liebeslyrik seit Petrarca). Zwar ist sein figuratives bzw. tropisches Register nicht sonderlich genau umrissen, insofern es keine festen Zuschreibungen rhetorischer Techniken an das Prinzip der Paradoxie gibt; jedoch geht es auf dieser Ebene um die Darstellung von abweichenden Lehren, Erkenntnissen und Glaubenssätzen, weniger um die formale Argumentation. Dagegen ist das logische Paradox auf der Ebene eines unaufhebbaren Widerspruchs angesiedelt. Seine konstitutive Oppositionsstruktur läßt sich rational nicht fassen, sprengt die Ordnung der Vernunft und kann nicht durch Rückführung auf eine verborgene Wahrheit aufgelöst werden.647 Aus diesem Grund empfiehlt es sich, zwischen rhetorischer und formallogischer Paradoxie zu differenzieren.648 Die Feststellung, daß das Paradoxon selbst stets ästhetischen Charakters, der durch es bezeichnete Widerspruch jedoch logischer Art sei, liefert aus anderer Perspektive die nähere Rechtfertigung für dieses Vorgehen.649 Wo es um die Form des Paradoxons geht, stehen Fragen seiner Sprachlichkeit im Zentrum, indessen formallogische Gesichtspunkte zunächst außer acht bleiben können. Die folgenden Überlegungen nehmen bevorzugt den ersten der beiden genannten Bereiche in den Blick. Sie betrachten sprachliche Ausprägungen des Paradoxons im Kontext der literarischen Darstellung religiöser Glaubensauffassungen, Lehren und Erfahrungen insonderheit als Varianten der Poetisierung widerprüchlicher Wissensbestände. Das schließt die Beschäftigung mit dem Feld der Logik, wie angedeutet, nicht aus, zumal dieses in die religiösen Paradoxie – als Gegensatz von Glaube und rationaler Wahrscheinlichkeit – hineinspielen kann. Religiöse Texte kommunizieren sprachliche Paradoxien, die durch paradoxe Denkkonstellationen ausgelöst werden, wie sie für den Glaubensdiskurs nicht untypisch sind. Im Vordergrund steht jedoch die Auseinandersetzung mit der Darstellungsleistung des Paradoxons und der Ebene des Wissenstransfers, die durch sie berührt wird. 646 Plett: Das Paradoxon als rhetorische Kategorie, in: Das Paradox (s. Anm. 644), S. 89 – 104, S. 90 (»Scheinwidersprüche«). 647 Vgl. Giovanni Sommaruga-Rosolemos: Paradoxien der modernen Logik, in: Das Paradox (s. Anm. 644), S. 105 – 130. 648 Anders hier Rosalie L. Colie: Paradoxia epidemica: The Renaissance Tradition of Paradox, Princeton 1966, S. 5 (mit einer nicht einsichtigen Vermischung von Rhetorik und Logik). 649 Josef Simon: Das philosophische Paradoxon, in: Das Paradox (s. Anm. 644), S. 45 – 60, S. 46.

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Paradoxien prozessieren Widersprüche dergestalt, daß die in ihnen ansichtig werdenden epistemischen Gegensätze eine Form und damit: Zugänglichkeit gewinnen. Es versteht sich, daß dieser Vorgang für Konstellationen des Wissenswandels besondere Bedeutung besitzt, weil er die Dynamik epistemischer Ordnungen unter Beweis stellt, ohne notwendig eine programmatische (teleologische bzw. paradigmatische) Dimension zu entfalten.650 Besonderes Augenmerk muß daher der Frage gelten, mit welchen formalen Mitteln die Literatur Paradoxien erzeugt, wie die poetische Imagination auf die Konstruktion von Wissen einwirkt und worin die selbst wieder epistemische Leistung der Paradoxie besteht. Eine leitende Prämisse bildet dabei die Annahme, daß Paradoxien nicht nur epistemische Widersprüche – als Spannung zwischen Logos und Glaube, Erfahrung und Dogma, Vernunft und Metaphysik – kommunizierbar machen, sondern auch ein eigenes religiöses Wissen im Widerspruch transportieren. ›Religiöses Wissen‹ meint die in der diskursiven Praxis ermöglichte Mitteilung von Glaubensinhalten, Interpretationsregeln, Topoi und Symbolen, die zur christlichen Tradition gehören.651 Die poetische Reflexion dieses Bestands wird zum Musterfall für die Kommunikation paradoxer Annahmen und Aussagen, weil sie als Darstellungsakt ein Offenlegen bedeutet, wie es in der theologisch-dogmatischen Argumentationskultur nicht stattfindet. An ihm zeigt sich auch, daß die diskursive Erfassung des religiösen Paradoxons nicht nur ein Festhalten der es bestimmenden Spannungen, sondern zugleich eine Fortschreibung des religiösen Wissens mit möglicherweise einschneidenden Konsequenzen für dessen Beschaffenheit ist. Zu prüfen bleibt an diesem Punkt, inwieweit die poetische Darstellung den Anstoß für Wissenstransfer und -transformation gibt, indem sie die von ihr jeweils bearbeitete Paradoxie mitteilt und damit der Rezeption zugänglich macht. Eine erste Hypothese dazu lautet, daß der Akt der poetischen Darstellung selbst eine Umgestaltung religiösen Wissens bewirkt. Er nämlich löst das Ausgesagte in der Aussage auf, formt es neu und schafft ihm damit eine eigene Zugänglichkeit. Das poetische Paradox ermöglicht die Organisation widersprüchlichen (oder widersprüchlich gewordenen) Wissens im Rahmen verschiedener, genuin literarischer Gestaltungsmittel; zu ihnen zählen eine auf metrische Elemente gestützte Sprache, der Einsatz tropischer Stilmerkmale 650 Diese Tatsache ist in der aktuellen Diskussion über die Transformationen von Wissen in literarischen Texten zu selten reflektiert worden. Vgl. Abel: Zeichen der Wirklichkeit (s. Anm. 165), S. 325 (mit Hinweisen auf die Formen von Wissenswandel, ohne explizite Auseinandersetzung mit möglichen Indikatoren der Veränderung). 651 Vgl. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 191 f. Für Athanasius Kircher untersucht diese Konstellation Anne Eusterschulte: Hermetische Spiele der Natur und der ludische Charakter des Wissens, in: Alt, Wels (Hgg.): Konzepte des Hermetismus (s. Anm. 33), S. 213 – 257, S. 237 ff.

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(›uneigentliche‹ Darstellung), die verdichtete Verwendung rhetorischer Figuren, das Aufkommen narrativer Momente (im Rahmen einer nicht für sämtliche Texte geltenden Fiktionsbildung), die normative Formprägung durch die für einzelne Gattungen (z. B. Ode, Hymne, Elegie) bestehenden Regeln der Ausführung und Versprachlichung.652 Bei genauerer Betrachtung des Materials wird sich zugleich zeigen, daß die Kommunikation von Paradoxien in literarischen Texten aus dem Umfeld des frühneuzeitlichen Hermetismus auch die Form dieser Texte selbst verändert, nämlich im Gegenzug zur poetologischen Norm individualisiert und flexibilisiert.653 Literarische Texte religiösen Inhalts stehen unter der paradoxen Bedingung, daß sie Kommunikation initiieren und zugleich selektieren müssen. Das Wissen, das sie befördern, ist nicht einfach mitteilbar, sondern erfüllt das Kriterium der Exklusivität, weil es als geoffenbartes Wissen gilt. Der literarische Text simuliert an diesem Punkt die Aussagemodalitäten der biblischen Rede, indem er den Eindruck erweckt, als sei seine Wahrheit jenseits eines profanen sensus litteralis angesiedelt. Der paradoxe Text ist das Resultat einer Steigerungsbewegung (Emergenz), die eine letzthin vergebliche Annäherung an ein spirituelles Phänomen – die Existenz Gottes, die Erlösung, das ewige Leben – vollzieht. In dieser approximativen Dynamik erweist er sich zugleich als Medium der Selbstkommentierung von Literatur über ihren eigenen Widerspruch, der sie zwingt, zwischen Wahrheitsbehauptung und Täuschungscharakter stehen zu müssen. Das Fiktionsparadox besagt, daß etwas ist (im Schein) und doch nicht ist (in Wirklichkeit); allein durch die Lüge kann die Literatur zur Wahrheit finden. Der paradox bleibende religiöse Text vermittelt folglich nicht nur ein Wissen über spirituelle Wahrheiten, das stets unvollständig bleiben muß, sondern auch eine Reflexion über die Aporien der literarischen Fiktion zwischen Sein und Täuschung. Ins Zentrum rückt die Frage, inwiefern der religiöse Diskurs in seiner literarischen Ausgestaltung spezifische Formen eines eigenen Wissens ausbildet und an welchen Punkten diese Formen die Spuren von Umbruchprozessen im religiösen System selbst anzeigen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß die poetische Struktur nicht nur als ›Auskleidung‹ von Widersprüchen, sondern ebenso als Medium für ihre reflexive Verarbeitung und Organisation genutzt wird. Poetischer Text und religiöser Inhalt gewinnen über die paradoxe Form eine bemerkenswert Affinität. Nur indem sie lügt, kann die Literatur zur Wahrheit finden; allein in den widerspruchsvollen Zeichen der Poesie kommt Gott zur Sprache. Die Spiegelung von 652 Dazu Colie: Paradoxia epidemica (s. Anm. 648), S. 34 f. (weist auf die Entfaltung einer rhetorisch-poetischen Kultur des Paradoxes in der Renaissance hin). 653 Vgl. Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 3 (Barock-Mystik) (s. Anm. 5), S. Xf.

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Literatur und Religion bleibt eine wechselseitige, die über die Darstellung des Paradoxons erfolgt. Von hier aus ist eine Veränderung sowohl der religiösen Inhalte (im Hinblick auf Kommunizierbarkeit, Kombinierbarkeit und Synthese mit weltlichen Themen) ebenso anzunehmen wie eine Umstrukturierung literarischer Fiktion (im Hinblick auf die erweiterte Lizenz, unter dem Vorwand religiöser Belehrung Schein als Sein zu inszenieren). Die Leistung der Paradoxie besteht darin, daß sie eine Dynamik des Wissens demonstriert, ohne notwendig programmatische – teleologische bzw. paradigmatische – Dimensionen zu entfalten. Wandlungsprozesse vollziehen sich hier in einer für die Frühe Neuzeit durchaus typischen Weise über den Umweg von Stabilitätssuggestionen, die jedoch nur Oberflächeneffekte erzeugen: die Fiktion des beständig Kontinuierlichen, unter der die eigentlichen Transfervorgänge gleichsam subkutan vonstatten gehen.654 Für die poetische Reflexion religiöser Paradoxien bildet das Corpus Hermeticum ein nachgerade kanonisches Kompendium. Es ist selbst reich an paradoxen Perspektiven, wie das bereits Hermes im Medium der Vision vermittelte Szenario der Schöpfung im ersten Traktat dokumentiert. Am Anfang aller Dinge steht das Licht, das von sich die Finsternis abspaltet, aus der sich eine »feuchte Natur« entwickelt, die wiederum den Bodensatz bildet, dem der ›heilige Logos‹ als Schöpfungsprinzip entsteigt.655 Der dritte Traktat beschreibt ergänzend, wie sich aus der Dunkelheit vermittels des lichtschaffenden Pneuma die Elementarmaterie geformt habe.656 Die Vorstellung, daß der Heilige Geist von der Natur empfangen und ans Licht gebracht wird, fügt Materialität und Spiritualität als Gegensätze zu einer paradoxen Einheit. Beide Bereiche bilden auch an anderen Punkten die Pole, die das Paradoxon konstituieren. Da der Mensch durch den Schöpfer und den ihm angehörenden Demiurgen – den Feuergott – geschaffen wurde, empfängt er eine Doppelbestimmung: sterblich ist er aufgrund seines ›Wesens‹, unsterblich durch die Abkunft von Gott.657 Der zehnte Traktat faßt das in eine chiliastische Formel, wenn er erklärt: »Deshalb muß man es auszusprechen wagen, daß der irdische Mensch ein sterblicher Gott und der Gott am 654 Leitend ist die These, daß vormoderne Wissenskulturen auch in stabilen Wissenskonfigurationen Dynamik erzeugen und umgekehrt in Wandlungsprozessen wiederum Traditionsbildung betreiben können. Das Spezifikum der hier verwendeten Begriffe ›Wandel‹ und ›Kontinuität‹ liegt darin, daß sie einerseits Produkte der Selbstbeschreibung einzelner Wissenskulturen, andererseits Ergebnisse nachträglicher historischer Perspektivierung sind. Die Aufgabe der folgenden Überlegungen wird darin bestehen, das Verhältnis von Selbstbeschreibung und späterer Historisierung zu reflektieren, um zur Erkenntnis der Strukturen von Wissensweitergabe und Wissenswandel – im Sinne der Analyse von Transferprozessen – zu gelangen. 655 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 11 (Traktat I). 656 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 39 (Traktat III). 657 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 15 (Traktat I).

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Himmel ein unsterblicher Mensch ist.«658 Als Paradoxa zeigen sich auch weitere Topoi des Corpus Hermeticum, auf die noch zurückzukommen ist – die Vorstellung vom Schweigen als Form des Gebets, von der Ungreifbarkeit des dennoch personalen Schöpfers, die Idee der Vergöttlichung des Menschen, der Ruhe in der Bewegung. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, daß die Texte des Corpus gerade dort, wo sie Paradoxien kommunizieren, poetische Züge tragen. Als Formelemente lassen sich der spannungsreich gestaltete, nahezu durchgehend herrschende Dialog, das lyrisch geprägte Dankgebet (Traktat I), die metaphorisch verspielte Diatribe (Traktat VII) und die panegyrische Hymne (Traktat XIII) bzw. die Lobrede in Prosa nennen. An diese literarischen Strukturen knüpfen dezidiert poetische Adaptionen an, wie sich sogleich zeigen wird. Eine zweite Quelle für die Rezeption hermetischer Paradoxien im literarischen Text des 17. Jahrhunderts bildet das Erbe der christlichen Mystik. Die für sie beherrschende Grundsituation besteht darin, daß sie eine höhere Instanz jenseits der Vernunft mit den Mitteln der Vernunft beschreibt, indem sie deren Unfaßbarkeit beschwört und zugleich ihre Darstellbarkeit in stets neuen Annäherungen zu beweisen sucht. Kurt Ruh hebt in seiner Geschichte der abendländischen Mystik hervor, daß der Kern ihrer Rede die schon bei Dionysius auftretende Form der ›negativen Theologie‹ sei. Im mystischen Diskurs tritt Gott als das Nicht-Erkennbare, Unsagbare und Inkommensurable auf.659 Der Widerspruch, den diese Praxis mit sich führt, besteht darin, daß jede Aussage über Gott immer schon eine Aporie erzeugt. Man könnte das Besondere der mystischen Konstellation in einer Unvereinbarkeit der Perspektiven erblicken, insofern sie etwas Unendliches aus der Sicht einer endlichen Wahrnehmungsinstanz und umgekehrt das Endliche aus dem Standpunkt des Unendlichen erfassen möchte. Auf die Bedeutung der Einheit von Gott und Mensch verweist die Mystikforschung immer wieder, wie etwa Studien von Alois Haas und Susanne Köbele dokumentieren.660 Peter Fuchs und Niklas Luhmann definieren in einem instruktiven Beitrag zur mystischen Rede den Grundzug ihrer Reflexionspraxis, wenn sie erklären, sie habe »immanent mit Transzendenz, transzendent mit Immanenz« zu tun.661 Das besagt zunächst nur, daß es stets zwei Perspektiven auf den mystischen Text gibt: eine Innensicht, die seine grenzüberschreitende 658 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 113 (Traktat X). 659 Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Erster Bd., München 2001 (2. Aufl., zuerst 1990), S. 15. 660 Alois M. Haas: Überlegungen zum mystischen Paradox, in: Probleme philosophischer Mystik. Festschrift für Karl Albert, hg. v. Elenor Jain und Rainhard Margreiter, St. Augustin 1991, S. 109 – 124, S. 118; Susanne Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache, Tübingen, Basel 1993, S. 30. 661 Luhmann, Fuchs: Reden und Schweigen (s. Anm. 553), S. 73.

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Funktion begreift, und eine Außensicht, die ihre Operation als dem mystischen Denken selbst inhärente erschließt. Das mystische Paradox besteht im Anspruch, das Phänomen der Grenzüberschreitung gleichsam als internes Projekt religiösen Denkens zu fassen. Für die sprachliche Umsetzung dieses Vorhabens ist in der Frühen Neuzeit – mit einem Höhepunkt im beginnenden 17. Jahrhundert – die Poesie zuständig. Sie zielt auf die Kommunikation der Aporien, die das mystisch-hermetische Denken konstituieren: auf eine Funktion, die das Paradoxon in den Dienst der Darstellbarkeit nimmt und damit bereits aus seiner logischen Unauflösbarkeit befreit. Unter dem Einfluß der Literatur wird das Paradoxon zu einem Medium des Transports religiösen Wissens. Systematisches Gewicht fällt dabei der Frage zu, inwiefern die mystische Sprache als metaphorisch zu bezeichnen sei. Gegen Walter Haugs These von der ›ontologischen‹ Beschaffenheit mystischer Rede hat Susanne Köbele sehr überzeugend die Auffassung vertreten, daß es sich um eine Konstruktionsebene handelt, die ihrerseits den Kunstcharakter der rhetorischen Mittel einschließt.662 Mystisches Sprechen ist metaphorisch, insofern es sowohl »Relation« als auch »Identifikation« ermöglicht663 : rhetorische Suggestion einer Ähnlichkeit (similitudo) von Bild und Sache im Prozess des Verweisens, zugleich aber die Vergenwärtigung dieser Ähnlichkeit als Einheit im Akt mystischen Sprechens. Dieses Sprechen ist nicht nur Deixis, sondern zugleich expressive Repräsentation einer Kohärenz von Bild und Sache, die über die gewöhnliche Metaphernpraxis hinausgeht (ein Verständnis, das sich mit Blumenbergs Metapherntheorie und deren epistemischer Zuschreibungsleistung stützen läßt664). Über die von der Sprache der Mystik nahegelegte Erfahrungsform schreibt Luhmann: »Die Blicke fallen ineinander. Es bedarf keiner Kriterien. Man sieht das Geschehensein unmittelbar. Alles Unterscheiden wird in der Existenz aufgehoben, freilich nur im Moment.«665 Vor dem Hintergrund dieser sprachlich vollzogenen Entdifferenzierung wird man die von Haug vorgenommene Trennung zwischen 662 Walter Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, in: Abendländische Mystik im Mittelalter, hg. v. Kurt Ruh, Stuttgart 1986, S. 494 – 505; ders.: Transzendenz und Utopie. Vorüberlegungen zu einer Literarästhetik des Mittelalters (zuerst 1981), in: Walter Haug: Strukturen als Schlüssel der Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, Tübingen 1989, S. 513 – 528; Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit (s. Anm. 660), S. 65 ff. 663 Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit (s. Anm. 660), S. 65. Vgl. dagegen Alois M. Haas: Sermo mysticus. Studien zur Theologie und Sprache der deutschen Mystik, Fribourg 1979, S. 80 f., bei dem noch die Tendenz durchscheint, die mystische Sprache als vermeintliches Erfahrungsprodukt von einer diskursiven Ebene zu trennen. Die Differenz zwischen religiöser Erfahrung und sprachlicher Erfindung ist jedoch irreführend, weil sie den konstruktiven Charakter der mystischen Rede ausblendet. 664 Vgl. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (s. Anm. 142), S. 9 ff.; ders.: Beobachtungen an Metaphern (s. Anm. 144), S. 170 ff. (zur absoluten Metapher). 665 Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (s. Anm. 118), S. 167.

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Metaphorik und Ontologie für den mystischen Diskurs nicht akzeptieren können. In besonderem Maße gilt für das mystische Sprechen, daß es die Einheit von Immanenz und Transzendenz durch die gleichsam existentiellen Anmutung der Zeichen herzustellen sucht. Das ist nicht allein ein Problem der Neubestimmung der Deixis, sondern – damit verbunden – eines der Organisation religiösen Wissens. In der paradoxen Rede wird das Wissen als Produkt einer Zeichenpraxis gefaßt, bei der Form und Gegenstand über das Prinzip der Einheit im Widerspruch definiert sind. Die von literarischen Formen vorangetriebene Rezeption hermetischer Paradoxien und deren Synthese mit mystischen Topoi läßt sich bereits in Sebastian Francks Paradoxa ducenta octoginta / Daß ist / CCLXXX. Wunderred (…) auß der H. Schrifft (1534) nachweisen. Auch Valentin Weigel bietet in Dialogus des Christianismo (1584) und Der güldene Griff (1578) eine Theologie im Zeichen des Enthusiasmus, die auf hermetische Deutungsmuster paradoxen Zuschnitts zurückgreift. Eine differenzierte Sprache der poetischen Darstellung des Paradoxons vermittelt vor allem das Genre des Epigramms, das, dem Modell neulateinischer Autoren folgend (Johannes Cantalicius, Conrad Celtis, John Owen, Paul Fleming), in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend an literarischer Bedeutung gewinnt. Zu verweisen ist hier insbesondere auf Daniel von Czepkos Sammlung der Monodisticha (1640 – 47), die allerdings erst postum veröffentlicht wurden und zu Lebzeiten des Autors nur in dessen Freundeskreis zirkulierten. »Kurtz an Worten, lang aber an Verstand«, so lautet das Motto, unter dem Czepko seine Sammlung eröffnet.666 Schon Opitz hatte das Epigramm im Buch von der Deutschen Poeterey auf die »spitzfindigkeit« verpflichtet, die gleichsam seine »seele vnd gestallt« ausmache.667 Thematisch legt er das Genre recht eindeutig fest: Wiwol aber das Epigramma aller sachen vnnd woerter faehig ist / soll es doch lieber in Venerischem wesen / vberschrifften der begraebnisse und gebaewe / Lobe vornemer Maenner vnd Frawen / kurtzweiligen schertzreden vnnd anderem / es sey was es wolle / bestehen / als in spoettlicher hoenerey und auffruck andere leute laster und gebrechen.668

Betrachtet man die poetologische Doktrin der Zeit, so fällt auf, daß die geistliche Epigrammatik nirgends erwähnt wird. Balthasar Kindermanns Deutscher Poet (1664) definiert die epigrammatische Schreibart als Spielform der Satire, bei der alles auf den überraschenden Schluß ankomme; ihre Stilmittel seien die »Ent666 Daniel v. Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke, hg. v. Hans-Gert Roloff und Marian Szyrocki, Berlin, New York 1980 ff., Bd. I / 2, S. 519 – 672, S. 528. 667 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 31. 668 Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (s. Anm. 1), S. 31.

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gegensetzung«, spitzfindige »Vergleichung« und Metaphorik.669 Neben den Liebesepigrammen nennt Kindermann, angelehnt an die römische Tradition des Epitaphs, »Grabschriften« als wesentliche Variante der Gattung. Das 17. Jahrhundert hatte diesen Typus durch Janus Gruters Inscriptiones antiquae totius orbis Romani (1602 – 03) kennengelernt; das Musterbeispiel für eine literarische Adaption bieten die parodistisch-komisch gemeinten Epitafi giocosi Giovanni Francesco Loredanos (1635 ff.), von denen Hallmann 1682 einige ins Deutsche übertrug (Leich-Reden / Todten-Gedichte und Aus dem Italiänischen übersetzte Grab-Schrifften).670 August Buchner beschränkt das Epigramm in seiner Anleitung zur deutschen Poeterey (1665) auf die weltliche Variante, der folgerichtig der »Heroischen Art« zurechnet; auch Birkens Teutsche Rede- bind und DichtKunst kennt zumindest explizit keine geistlichen Epigramme und akzentuiert bei seiner Bestimmung des Genres allein das formale Kriterium der Scharfsinnigkeit.671 Das ist insofern bemerkenswert, als die literarische Praxis über solche stereotypen Kriterien ab der Mitte des 17. Jahrhunderts spätestens seit Czepko hinausgeht. Im Fahrwasser der religiösen Paradoxie entwickeln sich eigene Formstrukturen, die nun näher zu untersuchen sind.672 Czepkos Monodisticha setzen Maßstäbe für die literarische Konstruktion von religiösen Paradoxien in epigrammatischer Form. Wie eng deren Struktur mit hermetischen Topoi verbunden ist, verrät der Hinweis auf die arkane Weisheit der Antike, der sich im Widmungsgedicht für Herzog Wilhelm IV. von SachsenWeimar, dem Oberhaupt der »Fruchtbringenden Gesellschaft«, findet: Das Buch in der Natur, das kann uns weisen j Den geheimen Weg, den die Alten preisen. j Den hat Hermes am Leben und an Worten j Längst vor Mosen dort umb des Nilus Pforten j Nach der Sündfluth gelehrt voll Kunst und Güte j Im Pimander gelehrt von himmlischem Gemüthe.673

Nahezu drei Jahrzehnte nach Casaubons De rebus sacris ecclesiasticis exercitationes XVI und ihrer Neudatierung des Corpus Hermeticum muten diese Verse irritierend an. Sie stehen jedoch für eine typische Tendenz einer nicht durch philologische Wertungskriterien gebundenen literarischen Darstellung, die den 669 Kindermann: Der deutsche Poet (s. Anm. 254), S. 248 f. 670 Kindermann: Der deutsche Poet (s. Anm. 254), S. 251. Zu Loredano und Hallmann vgl. Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung, München 2009, S. 216, zur Gattung des barocken Epitaphs Karl S. Guthke: Sprechende Steine. Eine Kulturgeschichte der Grabschrift, Göttingen 2005, S. 49 f. 671 August Buchner : Anleitung zur Deutschen Poeterey, Wittenberg 1665. Faksimile-Neudruck, hg. v. Marian Szyrocki, Tübingen 1966, S. 173; von Birken: Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst (s. Anm. 268), S. 102. 672 Kemper : Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 3 (Barock-Mystik) (s. Anm. 5), S. Xf. (Mystik als Ausgangspunkt für eine Neukonzeption der Literatur). 673 Daniel von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 535.

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Hermetismus als Quelle der Inspiration nutzt. Die eben zitierte Passage beschwört nicht nur den Offenbarungscharakter der hermetischen Lehre, sondern auch die Verbindung von Kunst und Weisheit als Signum der Texte, die durch Hermes Trismegistos überliefert wurden. Damit bieten sie ein Motto für die nachfolgenden Distichen, deren paradoxe Rede häufig in Kontakt zu hermetischen Topoi steht. Czepkos Distichen sind strukturell durch die chiastische Form, klare Mittelzäsuren und antithetische Argumentationsmuster gekennzeichnet. Ihre Vorstellung von Gott als Schöpfer, der in allem lebt und wirkt, trägt pantheistische Züge. »Wohin? O Mensch«, fragt das 15. Distichon aus der ersten Zenturie. »Umbsonst gehst du herfür, j Bleib in dir. Wilt du Gott. Gott selber wartet dir.«674 Im neunten Traktat des Corpus Hermeticum heißt es im Sinne der bei Czepko anklingenden Idee, daß Gott in seinen Geschöpfen enthalten sei: »Denn alles, was ist, Asklepios, das ist in Gott, und es ist aus Gott entstanden und hängt von ihm ab (…)«675 Paradox bleibt diese Aussage, weil sie eine Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit herstellt, die im Begriff Gottes gegeben ist. Ähnlich erklärt Czepko den Konnex zwischen Natur und Schöpfer, mit wiederum pantheistisch grundierter Argumentation: »Ruh hat nicht die Natur, biß sie ihr End erreicht, j Ihr End ist da, wo sich der Höchst und Sie vergleicht.«676 Die zirkuläre Logik zeigt das Zusammenspiel von Gott und Natur, das sich im ›Vergleich‹ zwischen endlicher und unendlicher Sphäre auf paradoxe Weise entfaltet. Eine analoge Konstellation zeigt sich auch in der Zeitreflexion, die zahlreiche Monodistichen betreiben. Das mystische ›Nu‹, das schon in den Schriften Meister Eckharts als Steigerungspunkt spiritueller Versenkung eine entscheidende Rolle spielt, bietet den Gegenstand einer paradox zugespitzten Darstellung: »Schnell ist ein Augenblick, doch eh er wird erkiest, j Geschiehet es, daß Gott und Mensch vereinigt ist.«677 Erneut geht es hier um die Verbindung des Endlichen und des Unendlichen, wie sie auch die hermetische Lehre kennt. Anders als im zitierten Distichon wird sie im Hermetismus durch die Teilhabe des menschlichen Geistes am göttlichen Logos ermöglicht. Im neunten Traktat des Poimandres liest man, daß der Sterbliche durch das Denken vermögend sei, an Gottes Größe teilzuhaben und sich ihr zu nähern. Czepkos Paradoxon greift dieses Argumentationsmuster auf und pointiert es über die Anlehnung an den mystischen Topos der verdichteten Zeit. Im Moment des Gebets spiegelt sich die Dynamik der Lebenszeit, die zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit kaum 674 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 549. 675 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 89 (Traktat IX). 676 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 646. 677 Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik (s. Anm. 659), Bd. III, S. 319.

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noch zu unterscheiden erlaubt. Das Paradoxon Czepkos beschwört damit die Konvergenz von sterblicher Existenz und Ewigkeit als Grundmuster der Glaubenserfahrung. Eine Variante dieses Topos ist die Rede vom Konnex zwischen Erstem und Letztem, zu dessen Sinnbild das Gold gerät: »Das gegen allem steht, und den ReichsApffel ziert, j Ist rauh, und doch wird draus der Weisen Stein geführt.«678 Der Rückgriff auf die Alchemie und die Idee des lapis sapientiae legt erneut eine Spur zum Corpus Hermeticum. Dort findet sich der Gedanke formuliert, daß das All kugelförmig gestaltet sei, weil auf diese Weise der innere Zusammenhang aller Erscheinungen deutlich werden könne.679 Im weiteren Sinne geht die hermetische Doktrin vom Modell der Transmutation der Schöpfungselemente aus, von einer permanenten Bewegtheit, die Verwandlungsenergie und Dynamik der Naturphänomene unter Beweis stellt. Über den Kosmos heißt es, daß diese Dynamik Merkmal göttlicher Geschaffenheit sei: »in sich verändert er sich selbst.«680 Die Transmutationstheorie steht in Analogie zur alchemistischen Auffassung vom Stein der Weisen und der Möglichkeit der Wandlung materieller Erscheinungen. Wenn Czepkos Distichon die wiederum paradoxe Idee der Kohärenz von Einem und Allem beleuchtet, verweist das mithin auf hermetische und alchemistische Denkmuster gleichermaßen. Czepkos Sammlung bietet eine Vielzahl ähnlich gelagerter Paradoxien hermetischer Abkunft: die Feststellung, daß jedes Wissen über Gott nur scheinbar bleibt, die Annahme, daß im Schweigen allein der Schöpfer angeredet werde, die Koinzidenz von Zeit und Ewigkeit, Leere und Fülle.681 Auffallend ist die Rolle der rhetorisch-poetischen Stilmittel, die das Paradoxon transportieren. Die beiden oben angeführten Distichen Czepkos liefern typische Beispiele für das Zusammenwirken von hermetischen Topoi, epigrammatischer Form und paradoxer Rhetorik im Dienst einer Glaubenslehre, die das Widersprüchliche als Signum des Göttlichen kommuniziert. Die Aufgabe des Paradoxons liegt vorrangig darin, das Phänomen des Unfaßlichen, Alogischen als Konstituens des religiösen Wissens zu reflektieren.682 Mittels der poetischen Form wird das Unzugängliche zugänglich und zugleich als Objekt der sprachlichen Darstellung präsent. Umgekehrt ist aber die Sprache immer schon ein defizitärer Modus, da sie endlich, 678 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 595. 679 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 79 (Traktat VIII). 680 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 132 (Traktat XI). 681 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 554, 561, 562. 682 Nach Luhmann erfüllt diese ›Auslagerung‹ den Zweck, die inneren Widersprüche der hochkulturellen Gesellschaft gleichsam symbolisch – im Glauben – auszutragen; Luhmann: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), S. 277.

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mithin außerhalb der von Gott repräsentierten Ordnung bleibt. So formuliert das 75. Distichon aus dem fünften Hundert: »Wie sehr irrt der, der schwartz die helle Sonne heist: j Noch mehr der, so da spricht: Gott ist gut und ein Geist.«683 Jede Rede über Gott befindet sich in dem Konflikt, daß sie a priori sein Wesen verfehlt, weil sie es nicht vollständig erfaßt. Die einzige Konsequenz aus dieser Konstellation besteht darin, die Paradoxie selbst zum Medium der Rede über Gott zu machen, da allein sie in der Lage ist, die widersprüchliche Einheit von Annäherung und Scheitern zu reflektieren. Exemplarisch für die Sprache der mystischen Paradoxie hermetischer Provenienz und die in ihr sich vollziehende Entfaltung eines neuen poetischen Stils ist nicht zuletzt Angelus Silesius’ Cherubinischer Wandersmann (1675). Sein Muster bilden die Monodistichen Czepkos, die er durch Franckenberg kennenlernte; inwiefern neulateinische und italienische Einflüsse, durch sie vermittelt die Epigrammatik Martials, bei Silesius nachwirken, läßt sich nicht definitiv klären.684 In der ersten Ausgabe, die von 1657 stammt, lautete der Titel noch Geistreiche Sinn- und Schlußreime, was das programmatische Gewicht der Gattungswahl unterstreicht. Das aus sechs Büchern mit insgesamt 1.675 Epigrammen bestehende Kompendium realisiert das, was man mit Alois Haas die »Paradoxien der immanenten Transzendenz« nennen kann.685 Genutzt wird dabei ein Verfahren, das versucht, Gott und Sterblichen als Einheit zu zeigen – nicht um den Menschen zu verklären, sondern um ihn gleichsam zu seinem Ursprung zurückzuführen und in seinem Schöpfer aufzuheben. Von Czepko übernimmt der Cherubinische Wandersmann mit der epigrammatischen Form auch die aus der Mystik seit Johannes Tauler vertraute Tendenz, Paradoxien zu erzeugen, die sich auf Antithesen, widersprüchliche Prädikationen, Allegorien und Wortspiele stützen. Sukkurs erhält diese Intention durch das alexandrinische Versmaß, das die Antithetik aufgrund seiner Mittelzäsur zuspitzt. Für Silesius’ Darstellung ist zudem, wie nachzuweisen steht, die Verbindung von paradoxer Thesenbildung und streng syllogistischer Beweisführung konstitutiv, wobei die Schlußpointe seiner Verspaare zumeist im Dienste einer Steigerung des Widerspruchscharakters eingesetzt wird.686 Nur selten durchbricht er die strenge Konzentration auf den Zweizeiler, das Monodistichon; allein im dritten 683 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 646. 684 Zum Einfluß Czepkos Ernst Otto Reichert: Johannes Scheffler als Streittheologe. Dargestellt an den konfessionspolemischen Traktaten der ›Ecclesiologia‹, Gütersloh 1967, S. 42 f.; vgl. Leicester Brandner: Das neulateinische Epigramm des 15. Jahrhunderts in Italien (1954), in: Zur Geschichte einer inschriftlichen und literarischen Gattung, hg. v. Gerhard Pfohl, Darmstadt 1969, S. 197 – 211. 685 Alois M. Haas: Das mystische Paradox, in: Das Paradox (s. Anm. 644), S. 273 – 294, S. 288. 686 Vgl. dazu Ulrich Broich: Form und Bedeutung der Paradoxie im Werk John Donnes (s. Anm. 645), S. 239 f.

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und sechsten Buch finden sich längere Texte, darunter auch Oden und Sonette. Angereichert wird die formale Strenge der Sammlung zudem durch emblematische Anspielungen, zahlenmystische Elemente, alchemistische Topoi und ein dichtes Netzwerk erotischer Metaphern, die sich aus der Tradition der Jesusminne herschreiben. Der Grundgedanke des Cherubinischen Wandersmanns besteht darin, daß, einem traditionellen mystischen Topos folgend, der gläubige Mensch durch Gott geboren und in ihm zugleich im Zeichen ewigen Lebens wiederhergestellt wird. Gott ist der Vater, Christus der Bräutigam der gläubigen Seele.687 Diese spirituelle Familienkonstellation enthält ein durchaus dynamisches Moment, das sich mit dem Gedanken der resurrectio verbindet: »Die Creatur ist mehr in Gotte dann in Jhr : j Zerwird sie / bleibt sie doch in Jhme fuer und fuer.«688 Der Neologismus ›zerwird‹ reflektiert das Zugleich von Vergehen und Auferstehen, die paradoxe Einheit von Tod und Wiedergeburt, die ihrerseits den Topos der wechselseitigen Erhellung von Geschöpf und Schöpfer begründet. Durch die Quellensammlung des mit ihm befreundeten Abraham von Franckenberg, dessen Kreis er seit 1650 angehörte, war Silesius die mystische Tradition des Mittelalters (zumal Bernhard von Clairvaux), die Frauenmystik und Niederländische Mystik (hier vor allem Johannes van Ruisbroek) gleichermaßen vertraut.689 Er geht über sie jedoch hinaus, indem er in seinen Epigrammen den Menschen vergottet, Gott aber vermenschlicht: »Jch bin Gottes Kind und Sohn / Er wider ist mein Kind: j Wie gehet es doch zu daß beide beides sind!«690 Hier taucht der Musterfall einer widersprüchlichen Prädikation auf, die, zum Gegenstand der Selbstreflexion aufsteigend, zugleich ins Zentrum der von Silesius praktizierten Poetik der Paradoxie führt. Gott ist Schöpfer und doch Kind, was im Akt der mystischen Versenkung sichtbar wird. Der Topos des Zugleich von Höhe und Tiefe, der auch für die Brautmystik und die Christusdarstellungen des Zyklus typisch ist, macht diese Doppelfunktion an anderer Stelle sichtbar.691 Der Gläubige bringt sich gleichsam selbst in der Annäherung an seinen Schöpfer als Individuum zum Verschwinden, aber dieses Nichts als Resultat des mystischen Zustands bildet die Bedingung für die wahre Vergottung, wie umgekehrt Gottes Schöpferfunktion die Grundlage seiner Verkleinerung zum Kind des ihn mit aller sinnlichen wie geistigen Kraft liebenden Menschen darstellt. Unio mystica und deificatio wirken zuammen; sie zeitigen den nahezu blasphemisch anmutenden Effekt, daß 687 Angelus Silesius (d.i. Johann Scheffler): Cherubinischer Wandersmann (1675). Kritische Ausgabe, hg. v. Louise Gnädinger, Stuttgart 1985, S. 29 (I, 17), S. 125 (III, 84). 688 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 55 (I, 193). 689 Vgl. hierzu das Nachwort von Louise Gnädinger, in: Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 411. 690 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 256 (I, 256); vgl. S. 79 (II, 50). 691 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 72 (II, 3).

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Gott im Akt des Glaubens zum Geschöpf des Gläubigen wird. In der chiastischen Formel »Mensch in GOtt und Gott im Menschen«692 artikuliert sich der zentrale Gedanke der mystischen Paradoxie, die Silesius poetisch organisiert und hervortreibt. Wie verbindet sich diese Konstruktion mystischer Paradoxien nun mit der Rezeption des Corpus Hermeticum? Daß Silesius das Corpus kannte, wird man voraussetzen dürfen, wenn man die hermetische Topik seine »Erinnerungs Vorrede an den Leser« betrachtet.693 Seinen Bestand nutzt er als Quelle paradoxen Wissens, das unauflöslich mit der litearischen Form verknüpft ist, in der es sich mitteilt. Das Grundmuster seiner Aneignung beruht darauf, daß er bestimmte Topoi des hermetischen Denkens in die Form des Epigramms überführt und dabei unter der Hand poetisiert. Dieser Vorgang setzt an einer doppelten Schnittstelle an: der vorderhand bereits literarischen Struktur des Corpus und der paradoxalen Form zahlreicher seiner Aussagen. Es läßt sich zeigen, daß auf diese Weise auch die poetische Sprache und das Genre-Konzept der Epigrammatik gefördert werden. Im Zuge der Rezeption hermetischer Paradoxien vollzieht sich eine Emanzipation des literarischen Stils von den rhetorischen Normen der barocken Gattungspoetik.694 Zu den wichtigsten topischen Paradoxien des Corpus Hermeticum, die von Silesius aufgegriffen werden, gehört das Prinzip des Schweigens als widerspruchsreicher Akt der Anbetung. Im Dankgebet des Hermes an seinen Schöpfer, das den ersten Traktat beschließt, tauchen Formeln auf, die deutlich das Muster mystischer Zuspitzungen aufweisen: »Nimm in heiligen Worten dargebrachte Opfer an j von meiner Seele und meinem Herzen, das sich dir zuwendet. j Du Unaussprechlicher, Unsagbarer, in Schweigen Angerufener.«695 Als ›in Schweigen Angerufener‹ ist Gott die Einheit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Bei Silesius heißt es unter dem Lemma »Mit schweigen Ehrt man Gott« analog: »Die Heilige Majestät (wiltu jhr Ehr erzeigen) j Wird allermeist geehrt mit heilgem stilleschweigen.«696 Ähnlich liest man: »Wie seelig ist der mensch / der weder will noch weiß! j Der GOtt (versteh mich recht) nicht gibet 692 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 237 (V, 345, 347). 693 Silesius: Erinnerungs Vorrede an den Leser, in: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 14, 16, 19. Hier treten Topoi aus dem ersten Traktat des Corpus auf, die dem Thema der Geburt der Seele aus dem Feuer gelten, welches wiederum durch einen die Nacht erhellenden Geist entsteht. Zwar spielen an solchen Punkten stets auch alchemistische Bezüge (Verwandlung, Transmutation und Mischung der Naturelemente) eine Rolle, jedoch verwendet Silesius gerade im Zusammenhang seiner Schöpfungsauffassung hermetische Topoi. 694 Vgl. zur Evolution des Normsystems generell: Ingo Stöckmann: Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas, Tübingen 2001, S. 49 ff. 695 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 22 (Traktat I). 696 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 152 (IV, 11).

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Lob noch Preiß.«697 Und schließlich: »Mensch so du wilt das seyn der Ewigkeit außsprechen / j So musstu dich zuvor deß Redens gantz entbrechen.«698 Wer Gott und seine Schöpfung begreifen möchte, sollte, so heißt es schon im Corpus Hermeticum, die Augen schließen und das Sehen durch das Medium des Geistes lernen: »Denn der Schlaf des Körpers war zur Nüchternheit der Seele geworden und das Schließen der Augen zum wahren Sehen, und mein Schweigen trug das Gute in sich und das Zu-Grabe-Tragen des Redens wurde zum Ans-LichtBringen des Guten.«699 Das Schweigen ist wichtiger als das Reden, weil es zum Zustand der absoluten Kontemplation in der Stille führt. Der 16. Traktat – ein fiktiver Brief des Asklepios an den ägyptischen Pharao Ammon – polemisiert in diesem Sinn gegen das »Wort-Getöse« der griechischen Philosophie, die keine wahre Andacht, aber auch keine intellektuelle Konzentration ermöglicht.700 Durch den Geist wird der Mensch »ein sterblicher Gott«, denn allein hier zeigt sich seine Macht; nur durch den Logos als Abbild vom Geist Gottes und Movens der Schöpfung kann der Mensch an der Erkenntnis teilhaben.701 Diese für den Hermetismus typische Bestimmung Gottes als Figuration der Sichtbarkeit des Unsichtbaren überträgt sich auf den epigrammatischen Text und seine Affinität zur Paradoxie.702 Schweigen ist nicht nur im Hermetismus, sondern bekanntlich auch in der Mystik (z. B. bei Tauler) der Modus, in dem der Mensch Gott in einem Stadium der tiefsten Versenkung über die Stille als Form der Approximation an das Absolute am nächsten kommt. Das Dankgebet des Hermes schließt mit der Ankündigung, daß sich der Mensch mit Gott zum »Werk der Heiligung« verbinden könne, weil er von seinem Schöpfer »alle Mittel und Macht« errungen habe.703 Bei Silesius heißt es in einer mystischen Gedankenfigur, die diesen hermetischen Topos der Lobpreisung im Zeichen der Gemeinsamkeit von Gott und Mensch aufgreift: »Sag zwischen mir und Gott den eingen Unterscheid? j Es ist mit einem Wort / nichts als die Anderheit.«704 Das Epigramm besagt, daß die ›Andersheit‹ eine Zweiheit, also nicht eigentlich Differenz, sondern Verwandtschaft bedeutet. Sie ist die Voraussetzung für eine Perspektive, wie sie Hermes’ Gebet bereits einnimmt, wenn es Gott und den Menschen im Lob des Logos 697 698 699 700 701 702

Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 30 (I, 31); vgl. S. 73 (II, 8). Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 81 (II, 68). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 21 (Traktat I). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 207 (Traktat XVI). Dazu Benthien: Barockes Schweigen (s. Anm. 317), S. 329 ff. Olejniczak Lobsien hat nachgewiesen, daß solche paradoxen Momente schon in der skeptischen Philosophie des Nikolaus von Kues angelegt sind, und zwar in seinem approximativen Stil, der immer wieder mit einer Mystik des Schweigens spielt (Olejniczak Lobsien: Skeptische Phantasie [s. Anm. 330], S. 82 ff.). 703 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 30 (Traktat II). 704 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 101 (II, 201).

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zusammenführt. Das Spezifikum der epigrammatischen Rede besteht darin, daß sie die im Corpus schon angelegte Paradoxie nochmals zuspitzt. Die rhetorische Frage, die chiastische Grundstruktur und der Reim tragen dazu bei, die paradoxe Einheit von Gott und Mensch als poetischen Topos zu kommunizieren. Silesius’ Rezeption der hermetischen Denkfigur erfolgt unter dem Geleitschutz der Literatur und ihrer – von ihm allerdings eigenständig modifizierten – Gattungstraditionen. Ein gleichfalls topisches Paradoxon bildet die Vorstellung von der Ruhe in der Bewegung, wie sie das auf Parmenides zurückgehende Diktum des Vorsokratikers Zenon von Elea mit dem Hinweis auf den fliegende Pfeil und seinen vermeintlichen Stillstand betont. Im Corpus Hermeticum heißt es: »Alles, was bewegt wird, wird nicht in einem Bewegten bewegt, sondern in einem Ruhenden. Und das Bewegende steht still, ohne sie mitbewegen zu können.«705 »Wer nicht bewegt wird / gehoert nicht zum gantzen«, lautet die Überschrift eines Epigramms im Cherubinischen Wandersmann: »Die Sonn erreget alls / macht all sterne Tantzen / j Wirstu nicht auch bewegt / so g’hoerstu nicht zum gantzen.«706 Silesius überträgt das Paradoxon der räumlichen Übereinstimmung von Bewegung und Bewegungslosigkeit zudem auf die Idee der Stillstellung der Zeit im Jenseits: »Jn der Ewigkeit geschihet alls zugleich: j Es ist kein vor noch nach / wie hier im Zeitenreich.«707 Erneut fällt auf, daß es stilistische Muster wie Gradation, Zuspitzung, Kreuzstellung und die Techniken des Reims sind, die es Silesius erlauben, das hermetische Paradox zu schärfen. Hier wird auch sichtbar, wie stark die religiöse Reflexion ihrerseits dazu beiträgt, die literarische Form zu modellieren. Das Epigramm gewinnt eine erhebliche Vielfalt an Formen und Varianten, die in Silesius’ Sammlung durch die Adaption hermetisch-paradoxer Strukturmuster erweitert wird. Die poetische Struktur dient der Reflexion des religiösen Paradoxons, das wiederum die Entfaltung der literarischen Rede unterstützt. Über die nüchterne Bestimmung der Gattung als Spielart einer scharfsinnigen Pointierung, wie wir ihr in den zeitgenössischen Poetiken von Opitz bis Birken begegnen, gehen Silesius’ kunstvolle Epigramme deutlich hinaus. Einen reichen Schatz an paradoxalen Wendungen bietet auch der hermetische Topos von Gott als Schöpfer, der Auslöser aller den Kosmos begründenden Kräfte bleibt, ohne mit ihnen identisch zu sein. Im zweiten Traktat des Corpus Hermeticum heißt es: »›Gott ist also nicht Geist, aber Ursache dafür, daß es Geist gibt, und er ist nicht Pneuma, aber Ursache dafür, daß es Pneuma gibt, und nicht

705 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 22 (Traktat I). 706 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 253 (VI, 42). 707 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 209 (V, 148).

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Licht, aber Ursache dafür, daß es Licht gibt.«708 Bemerkenswert mutet an, wie Silesius diese Bestimmung nochmals mystisch – und das heißt erneut: auch poetisch – zuspitzt: »Jsts / daß die Creatur auß Gott ist außgeflossen: j Wie hält er sie dennoch in seiner Schoß beschlossen?«709 Die ›Entbildung‹ sei, so betont Silesius, eine Form der Annäherung an Gott, der selbst keine Gestalt hat (eine Zuordnung, die auch im Corpus Hermeticum mehrfach auftritt).710 Die radikale Konsequenz der widersprüchlichen Erkenntnis, daß Gott die Ursache aller Dinge, aber zugleich von ihnen abgelöst ist, lautet im 111. Epigramm des ersten Buchs: »Die zarte Gottheit ist ein nichts und uebernichts: j Wer nichts in allem sieht / Mensch glaube / dieser sichts.«711 Die Vorstufe einer solchen Konstruktion findet sich bei Czepko, wo es über den »Ursprung« aller Dinge heißt: »Der Abgrund ist das Nicht. Das Nicht ist dann die Sucht, j Draus kam die Welt und ich: Gott hat es bloß vermocht.«712 Das Nichts spielt aber auch eine zentrale Rolle für das geistige Wahrnehmen des Gläubigen: »Der Gott sieht, sieht ein Nicht. Daß er nicht sagen kann, j Dasselbe Nicht sieht er, und Ihn sieht alles an.«713 Was bei Czepko auf den Akt des Schauens beschränkt bleibt, gewinnt in Silesius’ Epigrammen die Züge einer göttlichen Qualität. Gott ist gerade in seiner Omnipotenz ein Nichts, das unumfaßbar scheint. Die rhetorische Figur der Gradation dient der Reflexion eines Widerspruchs, der in letzter Konsequenz besagt, daß Gott ein Alles ohne Zeichengegenwart, folglich ein Nichts sei. ›Nichts‹, ›uebernichts‹ und ›alles‹ bezeichnen die Stationen der paradoxen Darstellung, als deren Quintessenz die Charakterisierung Gottes im Sinne der Einheit von ›nihil‹ und ›totum‹ gelten kann. »GOtt ist wahrhafftig nichts: und so er etwas ist: j So ist Ers nur in mir / Wie er mich Jhm erkist.«714 Das Epigramm vollzieht über die Illustration der ›Nichtigkeit‹ Gottes, die allein in der Liebe des Gläubigen aufgehoben sei, eine Inversion traditioneller Glaubensvorstellungen. Nicht der Mensch liefert sich Gott aus, sondern dieser überantwortet sich dem Gläubigen, weil er in ihm lebt (»Wie er mich Jhm erkist«: wie er mich sich auserwählt). Die Verkehrung der religiösen Topik bedeutet auch eine Überbie708 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 34 (Traktat II). 709 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 43 (I, 107); Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 47 (Traktat IV). 710 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. S. 79 (II, 54); 711 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 43 (I, 111). 712 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 663. Ergänzend: Friedrich Vollhardt: ›Ungrund‹. Der Prozess der Theogonie in den Schriften Jakob Böhmes, in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (s. Anm. 2), S. 88 – 123, S. 122. Vollhardt verweist auch auf die Funktion des Nichts in Czepkos Leichabdankung Consolatio ad Baronissam Cziganeam (1633). 713 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 555. 714 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 56 (I, 200).

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tung der hermetischen Lehre, derzufolge die Menschen die Götter erst im Bild geschaffen haben. Der epigrammatische Duktus impliziert einen Rollentausch, der eine tendenziell häretische Quintessenz der Paradoxie hervortreten läßt: die Vermenschlichung Gottes. Ähnlich zeigt sich dieses Motiv im nachfolgenden Chiasmus, der Vermenschlichung und Vergöttlichung reflektiert: »Gott ist mein letztes End: Wenn ich sein Anfang bin / j So weset er auß mir / und ich vergeh in Jhn.«715 Gott ist endlich, denn er ›beruht‹ im Gläubigen, ohne den er nicht besteht.716 Der wahre Schöpfer bleibt der Mensch, der im Akt des Gebets, in Versenkung und Vorstellung erst die Idee Gottes gebiert. Während die Christus-Mystik in Fortführung des Braut-Topos, wie ihn im Anschluß an Bernhard von Clairvaux etwa der von Silesius geschätzte Tauler bietet717, das Göttliche als Schoß zu beschreiben liebt, aus dem der Mensch in die Welt kommt, geht Silesius einen Schritt weiter. In den scharfsinnigen Inversionsfiguren seiner Paradoxien findet sich das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, Geburt und Tod, Sterblichkeit und ewigem Leben umgekehrt. Damit wird auch die Bedeutung, die der mystische Braut-Topos umspielt, auf bemerkenswerte Weise verdreht. Die Rollen von Gott und Mensch, die bereits der hermetische Diskurs verschiebt, haben sich komplett vertauscht. Der häretische Charakter dieser Konstellation scheint bereits in der Vorrede auf, die erklärt: »Wenn nu der Mensch zu solcher Vollkommner gleichheit Gottes gelangt ist / daß er ein Geist mit Gott / und eins mit jhm worden / und in Christo die gäntzliche Kind- oder Sohnschafft erreicht hat / so ist er so groß / so reich / so weise / so maechtig als Gott / und Gott thut nichts ohne einen solchen Menschen / denn Er ist eins mit ihm …«718 Die mit rhetorisch-poetischen Techniken ermöglichte Leistung der epigrammatischen Form besteht darin, daß sie nicht nur auf der Ebene der Aussage, sondern auch durch sprachliche Techniken Paradoxien erzeugt. Der Bestimmung Gottes als ›nihil et totum‹ korrespondiert die Konvergenz von Abstraktion und Konkretion auf einer epistemischen Stufe. Hinter der Aussage, daß Gott ein Nichts an Präsenz, Identität und Name sei, steckt zunächst die Tendenz zur Abstraktion, denn der Schöpfer erscheint hier als gänzlich ungreifbares Prinzip. Dieser Effekt wird jedoch im hermetischen wie im mystischen Diskurs durch die sprachliche Beschwörung der sinnlichen Erfahrbarkeit des eigentlich inkommensurablen Prinzips im Glauben aufgehoben. Die Personalität des zum ›Nichts‹ erklärten Gottes läßt sich in der geistigen Versenkung mit Hilfe der 715 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 67 (I, 276). 716 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 67 (I, 277). 717 Vgl. Silesius: Erinnerungs Vorrede an den Leser, in: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 14. 718 Silesius: Erinnerungs Vorrede an den Leser, in: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 20.

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Poesie herstellen und behaupten. Es ist die sinnliche Qualität der poetischen Sprache, die den Gedanken der im Glauben zugänglichen Personalität des Abstrakten, als Präsenz des Paradoxen mitteilen kann. Den besonderen Modus, in dem sich das paradoxe Wissen von der Einheit Gottes in Nichts und Allem bekundet, bildet bei Silesius die literarische Form. Sie verwandelt die Grundmuster des hermetischen Paradoxons in die geschliffene Sprache des Sinngedichts, wo sie auf einer höheren Ebene transparent und damit auch anschaubar werden. Solchen Transferprozessen begegnet man in Silesius’ Epigrammen häufiger. Sie übertragen hermetische Paradoxien wie jenes von der Unkörperlichkeit des göttlichen (demiurgischen) Körpers, seiner Einheit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, seiner Namenlosigkeit, der Unbewegtheit des Geistes als Ursache der Bewegung der Materie, der dämonischen und göttlichen Natur des Menschen, den Gedanken, daß Gott sich selbst enthalte, die Vorstellung vom Sterblichen als Schöpfer Gottes (bzw. der Götter).719 In sämtlichen dieser Fälle beruht die Transferleistung darauf, daß ein ursprüngliches, punktuell bereits in poetischer Form elaboriertes Paradoxon vermittels der epigrammatischen Struktur, unterstützt durch tropische Elemente und rhetorische Figuren nochmals pointiert und in seiner Widersprüchlichkeit dezidierter ausgestellt wird. Exemplarisch läßt sich das an mehreren Musterfällen demonstrieren. Der Topos vom Menschen als Bildner Gottes, den schon Czepkos Monodistichen aufgreifen720, findet sich bei Silesius so wiedergegeben: »Jch weiß daß ohne mich Gott nicht ein Nun kann leben / j Werd’ ich zu nicht Er muß von Noth den Geist auffgeben.«721 Im Asklepios-Traktat heißt es vergleichsweise nüchtern: »Wie der Herr und Vater oder, was der höchste Name ist, wie Gott Schöpfer der himmlischen Götter ist, so ist der Mensch Bildner der Götter, die in den Tempeln mit der Nähe zu den Menschen sich zufrieden geben, und nicht nur wird er erleuchtet, sondern er erleuchtet auch.«722 Die argumentative Reihung, mit der dieser Passus arbeitet, spiegelt sich in einer parataktischen Satzspannung, die trotz der eingeschobenen Relativkonstruktion dominant bleibt. Silesius verwandelt die Parataxis in einen hypotaktischen Bau, dessen Temporal- und Konsekutivsätze im Dienst der Steigerung stehen: Gott ist nicht nur angewiesen auf den Gläubigen, der ihn zum Leben erweckt; er stirbt sogar, wenn der Mensch stirbt (bevor beide das ewige Leben der Seele rettet). Durch die Mittelzäsur des Alexandriners wird die Antithetik von Gott und Mensch in der erste Zeile betont, 719 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 47 (Traktat IV), , S. 58 (Traktat V), S. 61 f. (Traktat V), S. 106 (Traktat X), S. 110 (Traktat X), 135 (Traktat XI), S. 285 (Asclepius). 720 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 599. 721 Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 28 (I, 8). 722 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 285 (Asclepius).

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indessen sie in der zweiten Zeile kaum noch merklich ist. Die paradoxe Einheit von Sterblichem und Unsterblichem erklärt diese Zeile durch den Hinweis auf die wechselseitige Abhängigkeit beider, auf die Interdependenz von Gläubigem und Schöpfer – mit einer Formel Claudia Benthiens eine Spielart der »Hypertrophie als Demut«.723 Das Epigramm erlaubt es, das hermetisch-mystische Paradoxon von der Geburt Gottes aus dem Gebet des Gläubigen in eine formal stringente Form zu überführen, die es – ganz in Übereinstimmung mit seiner rhetorischen Funktion – primär als Mittel der sprachlichen Veranschaulichung erscheinen läßt. Auch die Sprache der poetischen Form gewinnt in solchen Übertragungsvorgängen neues Gewicht. Das ist die entscheidende Pointe des epigrammatischen Paradoxons; indem es die religiöse Botschaft nochmals zuspitzt, erlaubt es einen höheren literarischen Einsatz, als ihn die Poetik seit Opitz vorsah. Die Epigramme des Silesius übertreffen die Standards des früheren 17. Jahrhunderts deutlich an Gewagtheit und Spielfreude. Eine aus dem Geist der Mystik stammende Erklärung für diese Tendenz liefert das 205. Epigramm des ersten Buchs: »Der ort und’s Wort ist Eins / und waere nicht der ort / j (Bey Ewger Ewigkeit!) es waere nicht das Wort.«724 Die vergleichbar auch für die Topik beschworene Einheit von Wort und ›Ort‹ ist hier spiritualistisch begriffen. Das Wort kann deshalb eine Gemeinsamkeit mit dem Punkt seiner räumlichen Repräsentation – dem Topos – bilden, weil es den Geist der ›Sachen‹, die es erfaßt, in sich aufnimmt. Der poetische Logos des Epigramms entsteht aus der Allianz von signum und res (die gemeint ist, wenn Silesius vom ›Ort‹ spricht). Die geheime Bedeutung dieser Sprache wird in der Rede von der Namenlosigkeit Gottes reflektiert, den das fünfte hermetische Traktat behandelt und den Silesius wiederum im fünften Buch des Cherubinischen Wandersmanns aufgreift. Im Corpus heißt es: »Er ist Gott, erhabener, als ein Name es ausdrücken könnte, er ist der Unsichtbare, und er ist der vollkommen Sichtbare.«725 Silesius wiederum spitzt das erneut in der gewohnten Form des Epigramms zu: »Man kann den hoechsten Gott mit allen Nahmen nennen: j Man kann jhm widerumb nicht einen zuerkennen.«726 Indem die Poesie das Namenlose zur Sprache bringt, definiert sie sich in dieser selbstreflexiven Aussage als Mittel der Paradoxie. In weitaus stärkerem Maße als etwa die weltlichen Sinngedichte Georg Greflingers, Wencel Scherffers von Scherfenstein, Friedrich von Logaus und Melchior Grobs, die es zwischen 1640 und 1680 zu einiger Bekanntheit brachten727, partizipieren die 723 724 725 726 727

Benthien: Hypertrophie als Demut (s. Anm. 636), S. 100. Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 57 (I, 205). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 61 (Traktat V). Silesius: Cherubinischer Wandersmann (s. Anm. 687), S. 216 (V, 196). Georg Greflinger : Deutscher Epigrammatum Erstes Hundert; Danzig 1645; Wencel Scherffer v. Scherffenstein: Geist- und weltlicher Gedichte Erster Theil, Brieg 1652;

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Epigramme des Silesius maßgeblich an dieser Allianz, weil sie zu Experimenten mit Widersprüchen und Gegensätzen, zu intellektuellem Risiko und – im Schatten einer normativen Dichtungstheorie – literarischer Innovation anregen. Das religiöse Paradoxon ermöglicht es dem poetischen Text, unbetretene Wege zu gehen, durch Steigerung von Vorlagen Topoi zu radikalisieren und auch aufzusprengen. Von der Tradition, unter deren Prärogativ Silesius seine Epigramme schreibt, bleibt allein der Rahmen für literarische Versuchsanordnungen, die in Form und Argumentation gleichermaßen paradoxes Wissen vermitteln. Von hermetischen Grundmustern finden sich Spuren auch in den Texten von Quirinus Kuhlmann, der 1668 noch als Gymnasiast eine Sammlung epigrammatischer Grabschriften veröffentlicht (Unsterbliche Sterblichkeit) und 1671 seine Himmlischen Libes=küsse folgen läßt. Kuhlmann war Schüler des aus dem Straßburger Humanistenzirkel stammenden, später in Breslau wirkenden Christoph Köler, bei dem auch Opitz den Hermetismus kennenlernte.728 Die Libes=küsse operieren in den Bahnen der Barockmystik und ihrer Topoi. Der Sonett-Zyklus bietet hymnisch gehaltene Texte, die das vertraute Mixtum aus Entgrenzung und Konzentration, Einheit und Vielheit der topischen Organisation liefern. Zumeist treten die Leitmotive der Jesusminne auf, die in ekstatischer Steigerung mit erotischen Metaphern aufgeladen werden. Charakteristisch ist die Antithetik von Tod und Erhöhung, Sterben und ewigem Leben, die von den Kreuzigungssonetten entfaltet wird. In diesem Zusammenhang begegnet man diversen Topoi brautmystischer Provenienz, die sich auch mit paradoxen Mustern verbinden können, wie im Fall der contemplatio crucis: »In diesem Kreutze sei Mein letzter Sieg erreicht!«729 In seiner Schrift Neubegeisterter Böhme (1674), die in Leiden nach der Begegnung mit den Texten des schlesischen Mystikers entstand, reflektiert Kuhlmann auch über das ›Nichts‹, das, wie erinnerlich, im Corpus ebenso wie bei Czepko und Silesius eine wichtige Rolle spielt. Das Nichts ist nicht das Gegenstandslose, sondern ein Göttliches, das der Gläubige erfassen kann.730 Das Verfahren, mit dessen Hilfe das Nichts als Etwas, als ›Wesen‹ identifiziert werden Friedrich von Logau: Sämmtliche Sinngedichte (1654), hg. v. Gustav Eitner, Leipzig 1872; Johannes Grob: Dichterische Versuchgabe Bestehend in Teutschen und Lateinischen Auffschriften / Wie auch etlichen Stimmgedichten oder Liederen, Basel 1678. 728 Wollgast: Philosophie in Deutschland 1550 – 1650 (s. Anm. 274), S. 819 f. Zu Kuhlmann Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 244 ff., Quade: Literatur als hermetische Tradition (s. Anm. 11), S. 57 ff., 224 ff. 729 Quirinus Kuhlmann: Himmlische Libes=küsse u¨ ber di fürnemsten Oerter der Hochgeheiligten Schrifft vornemlich des Salomonischen Hohenlides wi auch anderer dergleichen himmelschmekkende theologische Bu¨ cher, poetisch abgefasset (1671). Faksimile-Neudruck, hg. v. Birgit Biehl-Werner, Tübingen 1971, S. 45. 730 Quirinus Kuhlmann: Neubegeisterter Böhme / begreiffend Hundert-fünftzig Weissagungen (…), Leyden 1674, S. 334. Vgl. Cersowsky : Magie und Dichtung (s. Anm. 11), S. 249.

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soll, besteht in der alchemischen Verwandlung und in der Entzifferung von Zahlengeheimnissen. Nicht die Versenkung in Gott – das Mittel ‹der hermetischen Lehre –, vielmehr die Praxis der Substanzenvermischung erscheint als das probate Verfahren, das den göttlichen Zustand der Natur erschließen kann. »Alles ist in Gott« heißt es im elften Traktat des Corpus, »nicht als ob es sich an einem Ort befände – denn ein Ort ist auch ein Körper, und zwar ein unbewegter Körper, und alles, was sich irgendwo befindet, hat keine Bewegung; es befindet sich nämlich in anderer Weise in seiner unkörperlichen Vorstellungskraft.«731 Wesentlich ist, daß die Spuren des Einen, das nicht greifbar ist, im hermetischen Denken durch das Gebet und die geistige Versenkung, bei Kuhlmann jedoch über den Umweg der Beschreibung alchemistischer Praktiken beschworen wird. In Kuhlmanns unvollendetem Kühlpsalter (1684 – 87) findet sich das hermetische Denken weniger im Sinne eines topischen Zitats als durch das Grundmuster seiner Selbstreflexion strukturiert. Bezugspunkt ist der AsklepiosTraktat, wo die These vertreten wird, daß die Götterbilder in der Mitte zwischen der Nachahmung des Heiligen, eigentlich Inkommensurablen und der Nachahmung des Menschen stehen.732 Auch als Idol ist das Göttliche, so lautet die Lehre des Hermes Trismegistos, nicht nur ein Abbild, sondern »beseelt, voller Geist und Pneuma«.733 Das führt zu Kuhlmanns Kühlpsalter und seiner von den Davidspsalmen inspirierten Sprache der ekstatischen Annäherung an das Wesen Gottes und seines Sohnes. Am Leitfaden einer autobiographisch strukturierten, literarisch verklärten Erzählung, die, in den Prosaeinleitungen der Einzelpsalmen gebündelt, von Erweckungserfahrungen, Reisen und Konfessionspolitik handelt, feiern Kuhlmanns hymnische Verse den Schöpfer. Der Zyklus, der markante Stationen aus Kuhlmanns Leben zwischen 1670 und 1685 beleuchtet, wird als Zeugnis für die Offenbarung eines direkten Sohnes Gottes und Christi ausgegeben. Schon in dieser Anlage spiegelt sich ein Paradoxon, denn Kuhlmann reklamiert einerseits einen mystisch begründeten Anspruch auf die Nachfolge Jesu, zeigt aber andererseits in den Gesten der Unterwerfung und Demut die Ohnmacht des Gläubigen, der vor Gott kniet. Der Gegensatz »zwischen Beeindrucktsein und eigener Dynamik« sei, so erklärt Luhmann, kennzeichnend für die Bekundung religiöser Faszination.734 In ihm offenbart sich die Spannung zwischen dem Bewußtsein der eigenen Endlichkeit und der Bewunderung einer absoluten spirituellen Macht. Die ekstatische Sprache der Hymnen Kuhlmanns sucht diese Spannung auszuhalten, indem sie auf paradoxe Topoi zurückgreift, die ihrerseits hermetische Spuren tragen. 731 732 733 734

Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 133 (Traktat XI). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 285 f. (Asclepius). Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 286 (Asclepius). Luhmann: Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3 (s. Anm. 396), S. 303.

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Der 19. Kühlpsalm formuliert: »Ein Mensch wird zwar gar Sonnengleich, j Wann Gottes Sonn in ihm aufgehet: j Doch bleibet er im Feuerreich, j Weil er vom Feuersquall bestehet. j Das Feuer ist der Seelengrund, j Und wird im Lichte nimmer kund: j Doch wo di Seel ihr selbst erspigelt, j So ist das Licht von ihr gefügelt.«735 In einem Hymnus aus dem 13. Traktat des Corpus Hermeticum ist diese Feuermetaphorik vorgebildet: »Du bist der alleinige Gott. j Dein Mensch ruft dies j durch das Feuer, durch die Luft, j durch die Erde, durch das Wasser, durch das Pneuma, durch deine Geschöpfe.«736 Gott ist nach hermetischer Tradition die Kraft, die alle Elemente umfaßt. Kuhlmann greift diese Vorstellung auf, wenn er die Liebe zu Gott als ›Befeuerung‹ der Seele beschreibt, die den Gläubigen mit fundamentaler Wucht erfaßt. Die Sprache reflektiert an diesem Punkt die Spannung, die zwischen grenzenloser Glaubenserfahrung und begrenzter Wahrnehmung besteht. Der Mensch erkennt seine Distanz zu Gott, dem unendlichen Wesen, vermag aber gleichzeitig im Akt der Versenkung das Feuer in seiner Seele zu entzünden und dergestalt des Lichtes teilhaftig zu werden, das ihn geistig erleuchtet. Der Widerspruch dieser Lage enthüllt sich in der Metaphorik, denn das Feuer verweist auf das lumen spirituale, das Partizipation am Unendlichen ermöglicht, aber zugleich auf die Welt der Elemente, jene ›schlechte‹ Endlichkeit, die schon der sechste hermetische Traktat antithetisch von Gott abgrenzt (»Denn der Kosmos ist die Fülle des Schlechten, Gott aber die des Guten«737). Der sprachlich – über die Feuermetapher – aufgedeckte Weg zum Schöpfer mündet in das Paradoxon einer im Endlichen angebahnten Erkenntnis des Unendlichen. Der Topos der Unnennbarkeit, der Gottes Majestät auf paradoxe Weise erfassen soll, durchzieht die über 20.000 Verse von Kuhlmanns Kühlpsalter. Schon im Corpus Hermeticum ist er angelegt, wenn von der Spannung zwischen der Endlichkeit des Gläubigen und der Unendlichkeit seines Schöpfers die Rede ist. Allein durch seinen Geist kann der Mensch Gottes Macht und Schönheit in der Macht und Schönheit seiner Werke erahnen. Der sechste Traktat, der eine platonisch gefärbte Erkenntnislehre formuliert, preist in zugespitzten antithetischen Wendungen Gott als allumfassende Instanz, der die Endlichkeit des Menschen entgegengesetzt wird. Eine Überwindung dieser Antithese erfolgt dann im Hinweis auf den Geist, den der Sterbliche durch Gott empfing, um »das Gute zu erkennen«.738 Auch Kuhlmann betont in seinen Hymnen immer wieder die Ungreifbarkeit Gottes (»Gott ist grösser als wir sinnen«739), ergänzt seinen 735 Quirinus Kuhlmann: Der Kühlpsalter (1684 – 87). 2 Bde., Faksimile-Neudruck, hg. v. Robert L. Beare, Tübingen 1971, Bd. I, S. 56. 736 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 186 (Traktat XIII). 737 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 69 (Traktat VI). 738 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 68 (Traktat VI). 739 Kuhlmann: Der Kühlpsalter (1684 – 87) (s. Anm. 735). Bd. II, S. 16.

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Befund im nächsten Schritt jedoch durch einen paradoxen Topos, demzufolge der Schöpfer sich im poetischen Wort zumindest annäherungsweise beschreiben lasse. Die Sprache, die Gott lobt, ist »ein Kindlich lallen«740, das die angemessene Haltung von Ehrfurcht und Lob spiegelt, die dem Gläubigen ziemt. Zwar ist die auftrumpfende poetische Rede, die Kuhlmann in seinen als Supplementa des Alten und Neuen Testaments verstandenen Psalmen vorführt, reich an kunstvollen Anaphern, Interjektionen, Antithesen, Metaphern, Anagrammen, freien – den Alexandriner durchbrechenden – Rhythmen und zahlenmystischen Anspielungen, doch erscheint sie im Verhältnis zu ihrem Gegenstand stets unvollkommen und provisorisch. Die Erkenntnislehre des Corpus Hermeticum geht von der Möglichkeit einer qua Logos gegebenen Annäherung an Gott aus, die aber in sich widersprüchlich ist. Die hermetische Erkenntnis vollzieht sich über das Begreifen der Schönheit und Vollkommenheit seiner Werke, in denen der Schöpfer erfaßt werden kann.741 Das grundlegende Paradoxon besteht dabei auf der Ebene des Gegensatzes zwischen endlicher Erscheinung und unendlichem Gott. Weil Gott nicht materiell, lokal oder temporal zu definieren ist, muß sein Wesen sich der Erkenntnis letzthin entziehen. Was der Hermetismus über den Logos als Medium der Annäherung an Gott sagt, korrespondiert dem poetischen ›Stammeln‹ des Gläubigen, das Kuhlmann hervorhebt; in beiden Fällen wird über die Sprache ein Denken des Schöpfers definiert, das stets approxomativ ist, ohne ihn vollends zu erfassen. Das Paradoxon transportiert ein Wissen über Gott, das eo ipso widersprüchlich bleiben muß. Der Weg, der von der hermetischen Topik des Logos zum poetischen ›lallen‹ Kuhlmanns führt, erschließt dabei nur eine graduelle, keine qualitative Differenz der Positionen. Der Logosgedanke des sechsten Traktats wird in eine Rechtfertigung der poetischen Rede transferiert, die gerade das tentative Moment der Darstellung des Undarstellbaren als besonderes Merkmal ihrer Ausdrucksmöglichkeiten ausweist. Das Vorstellungsbild, daß der Mensch ein lallendes Kind des Schöpfers sei, durchzieht in diversen Variationen Kuhlmanns Psalmen. »Du bist von Gott erzeuget«, liest man, »Um Gott von Gott aus Gott geseuget. j Nicht dein, nur sein, Gott ist dein Alls: j Drum lasse Gott dich alles falls.«742 Gott erscheint als Instanz, die den Menschen zeugt und aufzieht; zugleich – darin liegt die paradoxe Struktur – ist Gott die Macht, die seine Existenz umschließt, ohne wirklich greifbar zu sein. Im achten hermetischen Traktat wird diese Konstellation bereits näher charakterisiert: »(…) bedenke, was Gott ist, was der Kosmos, was ein unsterbliches Lebewesen, ist, das sich auflöst, und bedenke, daß der Kosmos von 740 Kuhlmann: Der Kühlpsalter (1684 – 87) (s. Anm. 735). Bd. II, S. 17. 741 Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 156 (Traktat XII). 742 Kuhlmann: Der Kühlpsalter (1684 – 87) (s. Anm. 735), Bd. I, S. 271.

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Gott abhängt und in Gott ist, der Mensch aber vom Kosmos und im Kosmos, Gott aber Anfang aller Dinge ist und alles umfaßt und ordnet.«743 Die Gotteskindschaft des Menschen verweist auf die Allmacht des Schöpfers, die sich wiederum dem konkreten Vergleichsbild entzieht. Der Vater ist mehr als Erzeuger und Erzieher, weil er die gesamte Welt umschließt, ohne dabei zugänglich zu sein. »Gott«, heißt es im 17. Kühlpsalm, »ist das einigst Allerhand, j Von sich in sich durch sich erkand! j Gott ist uns näher zuergreiffen, j Als di Gedanken mögen streiffen.«744 Der 20. Kühlpsalm ergänzt: »Du wirst, mein Gott, in mir vollenden, j Was sich auff ewig nicht wird enden.«745 Das Wesen Gottes bleibt auch in der Anbetung und Versenkung des Gläubigen letzten Endes unaussprechlich. Das gerade macht die spirituelle Dimension seiner Repräsentation in Rede und Bild aus. Die Nichterreichbarkeit des Gemeinten im Zeichen ist ein paradoxes Merkmal der Darstellung Gottes, das, wie erwähnt, bereits der Asklepios-Traktat umreißt. Die Hymnik Kuhlmanns reflektiert diese Diagnose, wenn sie in stets neuen Anläufen das Unsagbare umkreist. Jacques Lacan hat die »Amphibolie« hervorgehoben, die dem »Sakralen« eigentümlich sei, und damit vor allem den mehrdeutigen Charakter eines ungreifbaren Phänomens gemeint, das trotz seiner Unzugänglichkeit in bestimmten Gestalten und Bildern präsent ist.746 Der erregte Modus der Rede bleibt gerade in seiner paradoxen Struktur ein Ausdruck des schwierigen Gegenstands, der sich entzieht, indem er zur Sprache kommt. Das epistemische Pendant dieser Konstellation beschreibt schon Czepko, der in den Monodisticha erklärt: »Wer Gott will sehn, der muß in Gottes Wesen steigen: j Denn Gott will sich bloß Gott sonst keinem Dinge zeigen.«747 Wie die poetische Rede über Gott zwischen Beschwörung und Verfehlung liegt, so scheint die Erkenntnis des Schöpfers nur im Widerspruch zwischen endlicher Begrenzung und Eintritt in seinen Begriff möglich. Das Paradoxon ist Modus und Gegenstand der Gotteserkenntnis zugleich, folglich die Form, in der sich Sprechen und Erkennen zur Konstitution eines religiösen Wissens verbinden. Die Paradoxie, so dürfte deutlich geworden sein, bezeichnet einen spezifischen Aussagemodus religiös motivierter literarischer Rede. Ihren Ausgangspunkt findet sie auch dort, wo mystische Deutungsmuster vorherrschen, häufig in hermetischen Topoi, wie man anhand der hier näher analysierten Exempla erkennen konnte. Ein relativ spätes Beispiel dieser hermetisch angeregten Pa743 744 745 746

Das Corpus Hermeticum Deutsch (s. Anm. 48), S. 80 (Traktat VIII). Kuhlmann: Der Kühlpsalter (1684 – 87) (s. Anm. 735), Bd. I, S. 52. Kuhlmann: Der Kühlpsalter (1684 – 87) (s. Anm. 735), Bd. I, S. 61. Jacques Lacan: Das Seminar über E.A. Poes »Der entwendete Brief«, in: Schriften I. Ausgewählt und hg. v. Norbert Haas, Frankfurt / M. 1975, S. 7 – 40, S. 38. 747 von Czepko: Sexcenta Monodisticha Sapientum, in: Sämtliche Werke (s. Anm. 666), Bd. I / 2, S. 653.

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radoxie-Tradition bietet ein Text des Pietisten Gottfried Arnold (1666 – 1714). Bei Arnold heißt es im Gedicht Als ich das Nichts nahm wohl in acht: »So bald der Creaturen Dunst j Ich floh und ganz ließ fahren, j Da wußt mein Geist voll Liebes=Brunst j Sich mit dem Eins zu paaren.«748 Gerade diese Verschmelzung des Endlichen mit dem Göttlichen ist nur dort möglich, wo die mystische Erfahrung den Gläubigen auf einen Nullpunkt seiner Personalität führt, das heißt: als Einzelnen aufhebt. Das Ich sei im Glauben »blöd und alber«, formuliert Arnold; und: »Nichts hat sich ganz in Gott gestellt«749. Erst die Entleerung ermöglicht die Versenkung in Gott und das Aushalten der Spannung zwischen Welt und Ewigkeit. Ermöglicht wird sie durch die »Feuer=Glut«750 der liebenden Seele – ein alchemistischer Topos, der bei Arnold die paradoxe Verschmelzung von endlicher Existenz und ewigem Leben beleuchtet. Am Ende steht auch hier, wie schon bei Czepko und Silesius, die Entleerung des Ich zum »Nichts«751, das seine wahre Reinheit dadurch beweist, daß es voraussetzungs- und substanzlos ist. Diese Entleerung wirkt wie eine Allegorie der poetischen Dimension, die im religiösen Paradoxon steckt. Die mystisch-hermetische Grenzrede zielt darauf, das Unwahrscheinliche einer Annäheurng von Gott und Mensch zu reflektieren; auf diese Weise tritt das Medium selbst in den Mittelpunkt, weil es das ist, was übrigbleibt, nachdem die Substanz der Rede sich als Schein und Paradoxie offenbart hat. Hier liegt die eigentliche Pointe des vom Paradoxon transportierten Wissens von der Einheit zwischen Immanenz und Transzendenz. Sie ist bei Arnold ebenso wie bei Silesius in eine literarische Form eingebunden, deren Spielräume gerade durch das Prozessieren des Widerspruchs erweitert werden. So wie das leere Ich den wahren Glauben enthüllt, zeigt die leere Rede der Paradoxie die Poesie als ihr eigentliches Substrat. Indem der literarische Text zentrale hermetische Topoi adaptiert, vollzieht er einen Akt des Umbruchs, der hier immer wieder als Transformationsvorgang gewertet worden ist. Die Differenz zwischen dem heterodoxen Wissen des Hermetismus und der Ordnung der Literatur bleibt gerade die Prämisse für diesen Übertragungsprozeß. Zwar liegt das hermetische System in einer selbst genuin literarischen Form – der des Dialogs – vor, doch erscheinen die einzelnen Elemente seiner Darstellung poetisch nur im nachgeordneten Sinn. Die eigentliche Leistung des literarischen Textes besteht darin, daß er das imaginative Potential der religiösen Topoi aktiviert, ihre Aussagen neu organisiert und die in ihnen angelegte paradoxe Struktur in Schwingung bringt. Daraus resultieren Spielräume, die von der Gattungspoetik des 17. Jahrhunderts noch nicht näher 748 [Gottfried Arnold]: Gottfried Arnolds sämmtliche Lieder, hg. v. Karl Christian Eberhard Ehmann, Stuttgart 1856, S. 206. – Den Hinweis auf Arnold verdanke ich Kristine Hannak. 749 Gottfried Arnolds sämmtliche Lieder (s. Anm. 748), S. 206, 207. 750 Gottfried Arnolds sämmtliche Lieder (s. Anm. 748), S. 207. 751 Gottfried Arnolds sämmtliche Lieder (s. Anm. 748), S. 210.

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beschrieben werden: Modelle der Kombination, der Grenzüberschreitung, Erweiterung, Supplementierung.752 Der religiöse Topos findet auf diese Weise Eingang in die Konfigurationen des poetischen Darstellungswissens, die ihm eine eigene Form verleihen: die Form des Wissens im literarisch hervorgetriebenen Widerspruch.753

752 Solche epistemischen Dimensionen deutet schon der Beitrag von Broich: Form und Bedeutung der Paradoxie im Werk John Donnes (s. Anm. 645), S. 248 an. 753 Vgl. Olejniczak Lobsien: Skeptische Phantasie (s. Anm. 330), S. 79 ff. (im Hinblick auf die cusanische Grundlage der frühneuzeitlichen Kreativitätsbegriffe).

Bibliographie

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Literarische Texte und Quellen

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Forschung, Theorie

231

Wels, Volkhard: Imaginatio oder Inventio. Das dichterische Schaffen und sein Gegenstand bei Puttenham, Sidney und Temple, in: Poetica 37 (2005), Heft 1 – 2, S. 65 – 91. Wels, Volkhard: Rationalistische Begründung der Dichtung und Kritik des Enthusiasmus. Die Poetik Campanellas, in: Scientia Poetica 9 (2005), S. 14 – 38. Wels, Volkhard: Begabte oder entrückte Dichter. Aristoteles 1455a 32 – 34 in den Kommentaren des 16. Jahrhunderts, in: Neulateinisches Jahrbuch. Bd. 8 (2006), S. 293 – 312. Wels, Volkhard: ›Verborgene Theologie‹. Enthusiasmus und Andacht bei Martin Opitz, in: Daphnis 36 (2007), Heft 1 – 2, S. 223 – 294. Wiedemann, Conrad: Johann Klaj und seine Redeoratorien, Nürnberg 1966. Wiedemann, Conrad: Engel, Geist und Feuer. Zum Dichterselbstverständnis bei Johann Klaj, Catharina von Greiffenberg und Quirinus Kuhlmann, in: Literatur und Geistesgeschichte. Festgabe für Heinz Otto Burger, hg. v. Reinhold Grimm und Conrad Wiedemann, Berlin 1968, S. 85 – 109. Wind, Edgar : Heidnische Mysterien in der Renaissance (= Pagan Mysteries in the Renaissance, 1958), Frankfurt a. M. 1987. Wollgast, Siegfried: Philosophie in Deutschland 1550 – 1650, Berlin 1988. Yates, Frances A.: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, Chicago, London 1979 [1964]. Yates, Frances A.: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes. Aus dem Englischen übers. v. Eva Zahn, Stuttgart 1975 (= The Rosicrucian Enlightenment, 1972). Yates, Frances A.: The Occult Philosophy in the Elizabethan Age, London / Boston 1979. Zwierlein, Cornel: Pluralisierung und Autorität. Tentative Überlegungen zur Herkunft des Ansatzes und zum Vergleich der gängigen Großerzählungen, in: Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit, hg. v. Jan-Dirk Müller, Wulf Oesterreicher und Friedrich Vollhardt, Berlin / New York 2010, S. 3 – 30.

Personenregister

Abel, Günter 61 f., 187 Adams, David 56 Adorno, Gretel 24 Adorno, Theodor W. 24, 46 Agrippa von Nettesheim 115 Albert, Karl 190 Alt, Peter-Andr¦ 22, 31, 45, 68, 121, 127, 142, 157, 165, 187 Andreae, Johann Valentin 90, 125, 127 – 130, 132 – 141, 143 – 147 Anhalt-Köthen, Fürst Ludwig von 149, 163 Ariost, Ludovico 111 Aristoteles 44, 67, 70, 81, 106 Arndt, Johann 14, 17, 19, 25, 33 – 36, 39, 40, 123, 156 f., 159 – 161, 171 f. Arnold, Gottfried 40, 159, 210 Arnold, Heinz Ludwig 68 Äskulap 34 Assmann, Aleida 51 Assmann, Jan 37, 39, 48 f., 51 Attridge, Derek 76, 78 Augustinus 29, 30, 37, 55, 119 Bachelard, Gaston 127 Bachmann, Ingeborg 23 Bacon, Francis 164 Barner, Wilfried 44 f., 92 Baronio, Cesare 33, 36 Battafarano, Michele 164 Baumgarten, Alexander Gottlieb Bauer, Barbara 22, 46, 155 Bayer, Boris 44

106

Bayer, Wolfram 169 Beare, Robert L. 207 B¦har, Pierre 13, 88 Behrens, Rudolf 69 Benjamin, Walter 106, 118, 120 f., 155 Benthien, Claudia 100, 182, 199, 204 Berger, Harry J. 76, 83 Bergmann, Michael 86 Bernegger, Matthias 90 Bernhard von Clairvaux 197, 202 Berns, Jörg Jochen 164 f., 169, 175 Beroalde, Matthieu 36, 91 Berschneider-Reif, Sabine 15 Besold, Christoph 90 Biedermann, Hans 30 Biehl-Werner, Birgit 205 Bircher, Martin 166 Birken, Sigmund von 14, 67, 69, 87, 89, 99 – 102, 135, 149, 151 – 154, 156 – 158, 161 – 164, 166 – 171, 193, 200 Birus, Hendrik 185 Blavatsky, Helena Petrovna 19 Blum, Paul Richard 32 Blumenberg, Hans 55 – 58, 64, 124, 191 Bodin, Jean 30 Böhme, Jakob 159, 172, 201 Borgards, Roland 63 Böttcher, Irmgard 150 Bourdieu, Pierre 46 Bouthoorn, Ruud M. 20, 26 Brandner, Leicester 196 Brandstetter, Gabriele 62 Braungart, Georg 68

234 Brecht, Christoph 128 Brecht, Martin 40, 127 f. Breuer, Dieter 68 Brient, Elisabeth 55 Brockes, Barthold Heinrich 19 Broek, Roelof van den 15 Broich, Ulrich 185, 196, 211 Brooks, Cleanth 185 Bruno, Giordano 17, 25, 78, 80, 82, 91 Bry, Johann Theodore de 142 Buchner, August 86, 193 Buck, August 69, 71, 74 Budick, Stanford 49 Bülow, Ulrich von 57 Bulst, Walther 141 Bunyan, John 106 Burger, Heinz Otto 13 Burkhard, Marianne 165 Cackett, Robin 143 Calderûn de la Barca, Pedro 115 Campanella, Tommaso 68 Campe, Rüdiger 109, 115, 119 f. Cantalicius, Johannes Baptista 192 Caron, Richard 17 Casaubon, Isaac 16, 25, 36 – 41, 91, 128 f., 193 Cassirer, Ernst 56 Castelvetro, Lodovico 75 Caus, Salomon de 142 f. C¦ard, Jean 71 Celan, Paul 23 Celtis, Conrad 45, 192 Cersowsky, Peter 14 – 16, 42, 68, 87 f., 127 f., 134, 137, 139 f., 174, 176, 205 Champier, Symphorien 26 Cicero, Marcus Tullius 34, 44, 67, 73, 101, 105 Coleridge, Samuel Taylor 185 Colie, Rosalie L. 186 f. Colonna, Francesco 140 Colpe, Carsten 28 Comenius, Johann Amos 128, 146 Comes, Natalis 164 Conermann, Klaus 166 Connerton, Paul 49

Personenregister

Coppenhaver, Brian P. 78 Correggio, Giovanni da 26 Costalius, Petrus 139 Crashaw, Richard 185 Croce, Benedetto 23 Crollius, Oswald 21, 125 f. Cudworth, Ralph 25, 37 – 40 Curtius, Ernst Robert 45 Czepko, Daniel von 181, 192 – 196, 201 – 203, 205, 209 f. Danneberg, Lutz 63 Dante Alighieri 112 Dee, John 78, 80, 82, 126 f., 142 Deitz, Luc 72 Demokrit 33, 73 Derrida, Jacques 78 Dilg, Peter 15 Dilherr, Johann Michael 160 Diogenes Laertius 91, 94 Dobell, Bertram 83 Dohm, Burkhard 42 Donne, John 185, 196, 211 Döring, Jörg 127 Dornbacher, Rolf 185 Drügh, Heinz J. 23, 106 Drux, Rudolf 87 Dülmen, Richard van 127 f., 144, 146 Dünnhaupt, Gerhard 127 Duplessis-Mornay, Philippe 29 Dutt, Carsten 56 Dyck, Joachim 87, 95 Ebeling, Florian 25 f., 33, 36 f., 153 Ebeling, Gerhard 40 Eco, Umberto 36, 136, 139 f., 143 Edighoffer, Roland 134 f., 141, 146 Ehmann, Karl Christian Eberhard 210 Eitner, Gustav 205 Eliade, Mircea 132 Elisabeth I., Königin von England 126 Elisabeth Stuart 143 Ellrich, Lutz 185 Empedokles 33, 75, 94 Eratosthenes 94 Erhart, Walter 63

235

Personenregister

Ernst I., Herzog von Sachsen-Gotha Estienne, Henri 36, 91 Eusebius 37 Eusterschulte, Anne 187

40

Fabian, Bernhard 70, 75 Faivre, Antoine 14 f., 16 – 19, 22, 26, 41 f. Feuillerat, Albert 80 Ficino, Marsilio 12, 16, 25 f., 28 f., 32, 41, 45, 67, 69, 71, 74, 129, 158 Fischart, Johann 30 Fischer, Ludwig 87 Fleming, Paul 14, 192 Fludd, Robert 126, 139 Foix-Candale, FranÅois de 26 Förster, Heinz von 51 Foucault, Michel 47, 62, 105, 114 – 118 Fracastoro, Girolamo 71 Franck, Sebastian 26, 27, 172, 192 Franckenberg, Abraham von 21, 39 f., 160, 196 f. Frank, Günter 87, 107 Frey-Jaun, Regine 130, 134 Freyburger, Waremundus (d.i. Georg Lorenz Seidenbecher) 39 f. Friedrich, Christoph 15 Friedrich, Hugo 24 Friedrich Heinrich, Prinz von Oranien 163 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz 142 f. Frischlin, Nicodemus 45 Fuchs, Peter 161, 190 Fuhrmann, Manfred 72 Füssel, Stephan 90 Gabriel, Gottfried 68 Gadamer, Hans-Georg 49 Garber, Klaus 126, 150, 160, 162, 175 Garin, Eugenio 13 Geisenhanslüke, Achim 106 Genebrard, Gilbert 16 Genette, G¦rard 169 Gentile, Sebastiano 67 Gerhard, Johann 160 Geyer, Hermann 17, 21, 157 Geyer, Paul 185

Gilly, Carlos 17, 27, 31, 33, 128, 159 f. Glaser, Horst Albert 149 Gnädinger, Louise 197 Godwin, Joscelyn 17 Goethe, Johann Wolfgang von 19, 131 Gohlke, Paul 106 Göpfert, Herbert G. 131 Gorceix, Bernhard 13 Gotthard, Axel 130 Grafton, Anthony 16, 36 f., 41, 80, 129 Grassi, Ernesto 28 Greenblatt, Stephen 59, 143, 162 Greflinger, Georg 204 Greiffenberg, Catharina von 13, 21, 98 f., 102 Grimm, Gunter E. 45, 87 Grimm, Reinhold 13 Grob, Johannes 204 f. Groscurd, Justus 33 Grubmüller, Klaus 68 Gründer, Karlfried 67 Grunert, Frank 175 Gruter, Janus 128, 193 Gryphius, Andreas 13 f., 176 Gumbrecht, Hans Ulrich 56 Haas, Alois 190 f., 196 Haas, Norbert 209 Habermas, Jürgen 48 Hadewig, Johann Heinrich 86 Häfner, Ralph 37, 88 f. Hagenbüchle, Roland 185 Halbwachs, Maurice 49 Hallacker, Anja 44 Hallmann, Johann Christian 193 Hamann, Johann Georg 19 Hanegraaff, Wouter J. 14 f., 17, 19 f., 22, 26 Hannak, Kristine 27, 210 Harsdörffer, Georg Philipp 14, 87, 97, 102, 113, 149 – 152, 154, 156 – 158, 164 – 166, 169 Hartbecke, Karin 42 Hasse, Karl Paul 32 Haug, Walter 108, 191 Haverkamp, Anselm 55 f., 106

236

Personenregister

Heidegger, Martin 49 Heitmann, Klaus 74 Hempfer, Klaus W. 58, 69, 111, 116, 123 Henkel, Arthur 139, 143 Herbert, George 185 Herder, Johann Gottfried 19 Herzog, Reinhart 45 Hesiod 94 Hofmannswaldau, Christian Hofmann von 14 Höllerer, Walter 24 Holzhausen, Jens 28 Homer 33, 94 Horaz (d.i. Quintus Horatius Flaccus) 86 Hörisch, Jochen 63, 172 Horn, Eva 106 Hornig, Dieter 169 Hornig, Gottfried 67 Hugo von Santalla 132 Idel, Moshe 80 Ingen, Ferdinand van 86 Iser, Wolfgang 63, 151, 153, 169 f., 172 Jain, Elenor 190 Jaumann, Herbert Jauß, Hans Robert Jüngel, Eberhard Jungius, Joachim Jürgensen, Renate

12, 86 141 40 128 160

Kablitz, Andreas 69 Kafka, Franz 24 Kaminski, Nicola 162 Keil, Gundolf 15 Kelley, Edward 125 f. Kempe, Martin 94 Kemper, Hans-Georg 13 f., 16, 19 f., 25, 27, 29 f., 32, 39, 68, 88 f., 91, 94, 99, 150 – 152, 164, 166 f., 170, 173, 176, 188, 193 Keppler, Stefan 154 Khunrath, Heinrich 21, 32, 134 f., 142 Kienast, Richard 127, 138 Kieserling, Andr¦ 48, 147 Kindermann, Balthasar 86, 165, 192 Kircher, Athanasius 187

Klaj, Johann 13 f., 67, 87, 95 f., 98, 102, 149, 152 – 154, 156 – 158, 161 – 164, 166 – 171 Kleinschmidt, Erich 108, 112 Knoblauch, Hubert 12 Knorr von Rosenroth, Christian 128 Köbele, Susanne 190 f. Köler, Christoph 90, 205 Köppe, Tilmann 63 Köppen, Ulrich 47 Koselleck, Reinhart 45, 56, 58 Kreutzer, Hans Joachim 90 Kristeller, Paul Oskar 13, 25 Kroeber, Burkhart 136 Krolow, Karl 23 Krumme, Peter 78 Krusche, Doris 57 Kuhlmann, Quirinus 13, 21, 98, 181, 205 – 209 Kühlmann, Wilhelm 15, 21, 25, 41 f., 44, 125, 157, 159, 167 Küpper, Joachim 69, 112, 115 Kurz, Gerhard 23 Lacan, Jacques 209 Lactanz, Lucius Caecilius Firmianus 55, 94 Lalla, Sebastian 87, 107 Laufhütte, Hartmut 25, 92, 155 Lazzarelli, Lodovico 20, 25 f., 41, 74, 129, 158 LefÀvre d’Êtaples, Jacques 26 Lehmann, Hartmut 15, 25 Leibniz, Gottfried Wilhelm 19 Leinkauf, Thomas 16, 25, 42, 47 Lenzen, Dieter 182 Leonhard, Kurt 127 Lessing, Gotthold Ephraim 19 Libavius, Andreas 15, 144 Lobsien, Eckhard 62, 68, 77 f., 80 f., 103, 119, 123 f. Logau, Friedrich von 204 f. Lohenstein, Daniel Casper von 14 Loredano, Giovanni Francesco 193 Löw, Martina 129 Luckmann, Thomas 12 f.

237

Personenregister

Luhmann, Niklas 48 – 54, 60, 64, 69, 82 f., 98 f., 103, 125, 147, 161, 165, 172, 174 – 177, 182 – 184, 187, 190 f., 195, 206 Lukrez (d.i. Titus Lucretius Carus) 75 Luther, Martin 22, 33 f., 109, 159 f. Mach¦, Ulrich 86 Maier, Michael 21, 125, 135, 142 Maillard, Christine 41 Margreiter, Rainhard 190 Martial (d.i. Marcus Valerius Martialis) 196 Man, Paul de 106 Manget, Jean-Jacques 133 Mansfeld, Peter Ernst II. von 163 Marx, Feriedrich 106 Matter, Jacques 18 Maurer, Michael 176 Mauser, Wolfram 176 Medding, Wolfgang 143 Medici, Cosimo de 25 Meid, Volker 86, 193 Meier, Albert 174 Melanchthon, Philipp 87, 105, 107 – 110, 119 f. M¦nager, Daniel 71 Merian, Matthäus 142 f. Mettmann, Walter 74 Migne, Jacques-Paul 29 Miller, Norbert 131 Minturno, Antonio Sebastiano 75 Moraw, Peter 130 Morhof, Daniel Georg 86 Morus, Thomas 45 Muccillo, Maria 29 f. Müller, Irmgard 68 Müller, Jan-Dirk 47, 50, 68 f., 75, 85 Müller, Wolfgang G. 185 Mulsow, Martin 16, 27 Nagelius, Paul 33 Neugebauer-Wölk, Monika 13 f., 17 f., 22, 26 f., 31, 37, 128 f. Neumann, Gerhard 63 Neumann, Hanns-Peter 17, 26, 33, 41, 159 Neumark, Georg 67, 87, 94 f., 166

Newman, Jane 149, 163 Newton, Isaac 125 Nicander 75 Nicolaus von Kues 103 Niefanger, Dirk 44 Niewöhner, Friedrich 128 Nietzsche, Friedrich 106 Oesterreicher, Wulf 50 Olejniczak Lobsien, Verena 62, 68, 77 f., 80 f., 103, 119, 123, 151, 199, 211 Omeis, Magnus Daniel 165 Opitz, Martin 11 f., 14, 45, 67 – 69, 76, 85, 87 – 97, 102, 149 – 153, 162, 167, 176, 192, 200, 205 Ort, Claus-Michael 63 Otte, Hans 17 Otto, Walter F. 28 Ovid (d.i. Publius Ovidius Naso) 92 f., 95 Owen, John 192 Paracelsus (d.i. Theophrastus Bombastus von Hohenheim) 15, 115, 140, 159 Parker, Patricia 76 Parmenides 94, 200 Parsons, Talcott 59 Patrizi, Francesco 16, 25 f., 41, 74, 129 f. PerriÀre, Guillaume de la 139 Persius (d.i. Aulus Persius Flaccus) 91 Peters, Ursula 63 Pethes, Nicolas 62 Pfohl, Gerhard 196 Pico della Mirandola, Giovanni 45 Plamböck, Gert 28 Platon 28, 32 f., 67, 69 – 71, 73, 77, 81, 90, 93, 95 Plett, Heinrich F. 69, 185 f. Plinius d.Ä. 90, 94 Poe, Edgar Allan 209 Porta, Giambattista della 115 Prudentius (d.i. Aurelius Prudentius Clemens) 141 Ptolemaios I. 25 Puttenham, George 67 – 69, 76 – 80, 85, 87 f., 102, 124 Pyrrhon von Elis 103

238 Pythagoras

Personenregister

34, 94

Quade, Randolf 14, 39, 68, 80, 92, 166, 205 Quint, David 76 Quintilianus, Marcus Fabius 73, 86, 105 – 107, 109, 119, 122 Rahn, Helmut 73 Rapp, Christof 44 Rath, Helmuth 67 Reichert, Ernst Otto 196 Reichert, Klaus 80 Reill, Peter Hanns 13 Regn, Gerhard 69, 116 Richter, Karl 62 Ritter, Joachim 67 Robert, Jörg 47, 69, 75, 85, 87 Robortello, Francesco 70 f., 75 f. Roloff, Hans-Gert 192 Ronsard, Pierre de 71 f., 87 – 89, 93, 152 Roselli, Annibale 29 Rotth, Albrecht Christian 93, 97 Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation 125 f. Rudolph, Andr¦ 13 Ruh, Kurt 190 f., 194 Ruisbroek, Johannes van 197 Ruska, Julius 133 Rusterholz, Sybille 127, 137, 142 Sacer, Gottfried Wilhelm 86 Sancipriano, Mario 25 Sauder, Gerhard 131 Scaliger, Iulius Cäsar 67, 71 f., 75 f., 81, 87, 95, 97, 102, 105, 110 – 114, 118 Schade, Georg 27 Schäfer, Eckart 86 Schaffgotsch, Hans Ulrich Graf von 150 Schaller, Dieter 141 Scherffer von Scherffenstein, Wencel 204 Schiller, Friedrich 45 Schings, Hans-Jürgen 45 Schlaffer, Heinz 172 Schleiermacher, Friedrich 28 Schmid, Peter 18

Schmidt-Biggemann, Wilhelm 31, 43 f., 46, 153, 159, 173, 177 Schneider, Hans 17 Schöne, Albrecht 139, 143 Schönert, Jörg 62 Schott, Heinz 15 Schottel, Justus Georg 86, 165 Schwenckfeld von Ossig, Caspar 152, 172 Schweppenhäuser, Hermann 118 Secord, James A. 60, 64 Sextus Empiricus 103 Shakespeare, William 141, 143, 162 Sidney, Philipp 67 – 69, 78, 80 – 83, 85, 88, 103, 152, 176 Silesius, Angelus (d.i. Johann Scheffler) 181, 196 – 205, 210 Simon, Josef 186 Simonin, Michel 71 Sommaruga-Rosolemos, Giovanni 186 Sommer, Andreas Urs 145 Speyer, Wolfgang 133 Spoerhase, Carlos 63 Spree, Ulrike 56 Stausberg, Michael 30 Steiger, Anselm 13, 159 f. Steinhagen, Harald 149 Steinmetz, Willibald 56 Stewart, Susan 49, 58 f., 120 Stiening, Gideon 63 Stockinger, Hermann E. 19, 25 Stöckmann, Ingo 68, 198 Stoltzius von Stoltzenberg, Daniel 128, 146 Strabo 91, 94 Straub, Enrico 111 Strohschneider, Peter 12, 182 Stuckrad, Kocku von 18 Sudhoff, Karl 140 Syndikus, Anette 175 Szyrocki, Marian 150, 192 Tasso, Torquato 116, 152 Tauler, Johannes 196, 199 Telle, Joachim 15, 20, 39, 127, 132 Temple, William 68 Tertullian 55, 94

239

Personenregister

Teutleben, Kaspar von 149 Theokrit 150, 152 Thielmann, Tristan 127 Thomas von Aquin 120 Thomasius, Christian 86 Tiedemann, Rolf 24, 118 Till, Dietmar 68, 86 f., 157 Tilly, Johann Tserclaes Graf von 163 Titz, Johann Peter 86 Titzmann, Michael 25 Traherne, Thomas 83 – 85 Traninger, Anita 58 Trepp, Anne-Charlott 15, 25, 31, 42, 129, 158 Treuer, Gotthilf 86 Trunz, Erich 94, 150 Tscherning, Andreas 86 Turner, Henry S. 78, 80 Ungaretti, Giuseppe

24

Vega Carpio, Lope F¦lix Arturo de 115, 152 Vergil 33, 150, 152 Vida, Marco Girolamo 69 – 71, 74 f., 87 Vieillard-Baron, Jean-Louis 17 Vogl, Joseph 62 f., 172 Vollhardt, Friedrich 50, 63, 175, 201 Wagner, Tim 44 Walker, Karl 13 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius Graf von, Herzog von Friedland 163 Wallmann, Johannes 40 Warburg, Aby 13

Warning, Rainer 63 Watzke, Daniela 68 Weber, Max 13 Wehrli, Max 165 Weigel, Sigrid 46, 127 Weigel, Valentin 159 f., 172, 192 Weimar, Klaus 68 Weinberg, Manfred 106 Wels, Volkhard 22, 31, 67 f., 76, 81, 87 – 90, 93 f., 101 f., 107, 127, 141, 157, 160, 172, 187 Werbeck, Wilfried 40 Werber, Niels 82, 145 Wiedemann, Conrad 13, 95, 98 Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar 193 Williams, Ralph G. 70 Wismann, Heinz 126 Wolff, Christian 19 Wollgast, Siegfried 90, 205 Wordsworth, William 185 Yates, Francis A. 14, 17, 22, 25, 36 f., 41, 78, 82, 91, 126 f., 132, 141 – 144, 146 Zahn, Eva 91 Zehm, Edith 131 Zekl, Hans Günter 44 Zenon von Elea 200 Zesen, Philipp von 86, 100 f. Zincgreff, Julius Wilhelm 137, 143 Zinguer, Ilana 15 Zoroaster 90 f., 94 Zwierlein, Cornel 50

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Das Buch greift auf folgende, bereits anderweitig publizierte HermetismusStudien des Verfassers zurück: - Das Imaginäre und der Logos. Hermetische Grundlagen frühneuzeitlicher Poetiken, in: Konzepte des Hermetismus in der deutschsprachigen Literatur der Frühen Neuzeit, hg. v. Peter-Andr¦ Alt und Volkhard Wels, Göttingen 2010, S. 335 – 372 (vgl. Kap. 4) - Fragmentierung und Reorganisation arkanen Wissens. Techniken der Verarbeitung hermetischer Topoi in der barocken Bukolik, in: Scientia Poetica 12 (2008), S. 1 – 43 (vgl. Kap. 7) - Paradoxie als Medium religiösen Wissens. Mystisch-hermetische Semantik und poetische Struktur im 17. Jahrhundert, in: KulturPoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft. Bd. 11, Heft 1 (2011), S. 21 – 46 (vgl. Kap. 8)