Ideal und Singularität: Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie 9783110852660, 3110096498, 9783110096491


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German Pages 278 [292] Year 1983

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VORWORT
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
I DIE VORAUSSETZUNGEN BEI LEIBNIZ UND IN DER WOLFF- SCHULE
1.1 Leibniz
1.1.1 Aspekte der Logik
1.1.2 Die Einzelsubstanz
1.1.3 Die Gottesbeweise
1.2 Wolff und Baumgarten
1.2.1 Die Ontologie
1.2.2 Die Theologia naturalis
II DAS PROBLEM DES EINZELNEN IN KANTS LOGIK
Exkurs: Der Begriff des Einzelnen in der gegenwärtigen Logik
2.1 Allgemeine und transzendentale Logik
2.2 Kants Darstellung der allgemeinen Logik
2.2.1 Das Einzelne in der Lehre vom Begriff
2.2.2 Das Einzelne in der Lehre vom Urteil
III DAS PROBLEM DES EINZELNEN IN DER TRANSZENDENTALEN DEDUKTION
Exkurs: Der Begriff des Einzelnen in der transzendentalen Ästhetik
3.1 Die Präzisierung des Begriffes ’’Kategorie”. Die metaphysische Deduktion
3.2 Programm und Prinzip der transzendentalen Deduktion
3.3 Die Durchführung der transzendentalen Deduktion
3.3.1 Probleme der Interpretation
3.3.2 Analysis und Synthesis
3.3.3 Selbstbewußtsein, Einheit, Objektivitä
3.3.4 Die Begründung der Urteilsstruktur
3.3.5 Die beiden Schritte des Arguments
3.3.6 Einheit und Einzelnheit der Anschauung
3.3.7 Was ist durch die transzendentale Deduktion begründet?
IV DIE VERNUNFT ALS GEGENSTAND TRANSZENDENTALLOGISCHER UNTERSUCHUNG
4.1 Schein und Vernunft
4.2 Die logische Funktion der Vernunft
4.3 Die transzendentalen Ideen
V DAS TRANSZENDENTALE IDEAL
5.1 Die Disjunktion
5.2 ’’Von dem transzendentalen Ideal”. Interpretation des Textes
5.2.1 Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio
5.2.2 Das Ideal als omnitudo realitatis
5.2.3 Das Ideal als Grundlage der transzendentalen Theologie
5.2.4 Der Schein des Ideals
5.3 Das Prinzip von der systematischen Einheit der Erfahrung und das Problem der Erkenntnis des Einzeldinges
5.4 Die transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft
Exkurs: Gottesidee und systematische Erfahrungseinheit im Opus Postumum
5.5 Konklusion: Die transzendentallogische Funktion des Ideals
SCHLUSS
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER
SACHREGISTER
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Ideal und Singularität: Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie
 9783110852660, 3110096498, 9783110096491

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Svend Andersen Ideal und Singularität

w DE

G

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann herausgegeben von Gerhard Funke und Joachim Kopper 116

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983

Svend Andersen

Ideal und Singularität Uber die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Andersen, Svend: Ideal und Singularität: über d. Funktion d. Gottesbegriffes in Kants theoret. Philosophie / Svend Andersen. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. (Kantstudien : Erg.-H. ; 116) ISBN 3-11-009649-8 N E : Kantstudien / Ergänzungshefte

© Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 — Printed in Germany — Alle Rechte der Ubersetzung, des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten. Druck: Kupijai & Prochnow, Berlin 61 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Für Ingrid

VORWORT

Die folgende Untersuchung ist eine leicht überarbeitete und geringfügig erweiterte Fassung meiner Dissertation, die im Sommer 1979 der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg eingereicht wurde. Für Förderung bei der Durchführung der ursprünglichen Arbeit und für das Zustandekommen dieser Ausgabe habe ich vielen zu danken. Vor allem muß ich Knud E. Lagstrup und Georg Picht in dankbarer Erinnerung gedenken. Von Professor Lögstrup habe ich seit Beginn meines Studiums in Ärhus die entscheidende philosophische und systematisch-theologische Inspiration bekommen. Er hat mir zuerst die Unumgänglichkeit einer Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants klargemacht. Auch hat er diese Arbeit in allen Phasen mit bestätigendem Interesse und großer Hilfsbereitschaft verfolgt. - Professor Picht ist mir, als ich 1974 einen Studienaufenhtalt an der Universität Heidelberg antrat, mit einer ungewöhnlichen Offenheit begegnet. Obwohl meine Auffassung in manchen Punkten von der seinen abwich, hat er sich bereit erklärt, die Doktorarbeit zu betreuen. Besonders schön in Erinnerung ist mir dabei der Aufenthalt in Hinterzarten im Frühling 1976. Die Zeit am Philosophischen Seminar an der Universität Heidelberg von 1974 bis 1976 hat mir sehr viele Anregungen gegeben. Insbesondere habe ich in den KantSeminaren von Professor Dieter Henrich beträchtlich dazugelernt. Wissenschaftliche Arbeit bedarf, wie jeder weiß, nicht nur der intellektuellen Förderung. Der Friedrich-Ebert-Stiftung danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Der Theologischen Fakultät der Universität Aarhus sei für ein daran sich anschließendes Forschungsstipendium gedankt. Den Herausgebern der Kantstudien danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Ergänzungshefte. Und dem Verlag, insbesondere Herrn Professor H. Wenzel und Frau F. Dörfert, für gute Zusammenarbeit während der Entstehung. Schließlich habe ich Ellen Bidstrup für die sorgfältige Herstellung des ComposerManuskriptes zu danken. Meiner Frau widme ich das Buch. Sie hat — um nur eines zu nennen - das Buch auf sprachliche Fehler durchgesehen. — Zur sprachlichen Gestalt möchte ich im übrigen mit Leibniz' Worten folgendes bemerken: "On a ecrit dans une Langue etrangere, au hazard d'y faire bien des fautes . . On espere que les fautes de langage, qui viennent non seulement de l'impression et du copiste . . seront pardonnes . . ". (Essais de Theodicee, Preface). Ärhus im Juli 1983

Svend Andersen

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS EINLEITUNG I

VII XI 1

DIE VORAUSSETZUNGEN BEI LEIBNIZ UND IN DER WOLFFSCHULE 1.1 Leibniz 1.1.1 Aspekte der Logik 1.1.2 Die Einzelsubstanz 1.1.3 Die Gottesbeweise 1.2 Wolffund Baumgarten 1.2.1 Die Ontologie ; 1.2.1.1 Das ens 1.2.1.2 Singuläres und Universelles 1.2.1.3 Vollkommenheit 1.2.1.4 Endliches und Unendliches. Limitation 1.2.2 Die Theologia naturalis 1.2.2.1 Wolff 1.2.2.2 Baumgarten

21 23 23 28 33 47 47 48 53 59 60 66 66 73

II

DAS PROBLEM DES EINZELNEN IN KANTS LOGIK Exkurs: Der Begriff des Einzelnen in der gegenwärtigen Logik 2.1 Allgemeine und transzendentale Logik 2.2 Kants Darstellung der allgemeinen Logik 2.2.1 Das Einzelne in der Lehre vom Begriff 2.2.2 Das Einzelne in der Lehre vom Urteil

77 81 86 92 92 99

III

DAS PROBLEM DES EINZELNEN IN DER TRANSZENDENTALEN DEDUKTION Exkurs: Der Begriff des Einzelnen in der transzendentalen Ästhetik . . . . 3.1 Die Präzisierung des Begriffes "Kategorie". Die metaphysische Deduktion 3.2 Programm und Prinzip der transzendentalen Deduktion 3.3 Die Durchführung der transzendentalen Deduktion

113 113 122 128 131

χ

Inhaltsverzeichnis

3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 IV

V

Probleme der Interpretation Analysis und Synthesis Selbstbewußtsein, Einheit, Objektivität Die Begründung der Urteilsstruktur Die beiden Schritte des Arguments Einheit und Einzelnheit der Anschauung Was ist durch die transzendentale Deduktion begründet?

131 132 136 142 144 147 152

DIE VERNUNFT ALS GEGENSTAND TRANSZENDENTALLOGISCHER UNTERSUCHUNG 4.1 Schein und Vernunft 4.2 Die logische Funktion der Vernunft 4.3 Die transzendentalen Ideen

157 158 164 170

DAS TRANSZENDENTALE IDEAL 5.1 Die Disjunktion 5.2 "Von dem transzendentalen Ideal". Interpretation des Textes 5.2.1 Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio . . . . 5.2.2 Das Ideal als omnitudo realitatis 5.2.3 Das Ideal als Grundlage der transzendentalen Theologie 5.2.4 Der Schein des Ideals 5.3 Das Prinzip von der systematischen Einheit der Erfahrung und das Problem der Erkenntnis des Einzeldinges 5.4 Die transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft Exkurs: Gottesidee und systematische Erfahrungseinheit im Opus Postumum 5.5 Konklusion: Die transzendentallogische Funktion des Ideals

185 186 190 191 198 211 214 220 238 248 253

SCHLUSS

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LITERATURVERZEICHNIS

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PERSONENREGISTER

273

SACHREGISTER

275

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

"Anfangsgründe" = Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. "Bemerkungen" = Einige Bemerkungen von Herrn Professor Kant zu L. H. Jakobs Prüfung der Mendelsohnschen Morgenstunden. Dt.Log. = Vernünfftige Gedancken von den Kräften des menschlichen Verstandes. Dt.Met. = Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen. Erdm. = G. W. Leibniz, Opera philosophica, quae existant latina, gallica, germanica omnia. Ed. J. E. Erdmann. Gerh. = Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz, hrsg. v. G. J. Gerhardt. "Fortschritte" = Über die Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? KpV = Kritik der praktischen Vernunft. KrV = Kritik der reinen Vernunft. KU = Kritik der Urteilskraft. Logica = Philosophia rationalis sive logica. Nouv.lettr.et opusc. = Nouvelles lettres et opuscules inddits, publ. par Foucher ce Careil. Ontologia = Philosophia prima sive ontologia. Opusc. = Opuscules et fragments inödits de Leibniz, ed. L. Couturat. Op.post. = Opus postumum. Streitschrift = Ueber eine Entdeckung nach der alle neue Critik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll. Theol.nat. = Theologia naturalis. Pars II.

Zur Zitierweise: Die KrV wird nach üblicher Art zitiert, d.h. durch Angabe der Seitenzahl der Originalausgabe, wobei ein vor die Zahl gesetztes Α die erste Auflage 1781, ein Β die zweite Auflage 1787 bezeichnet. Kants übrigen Werke werden nach der Akademieausgabe durch Angabe der Band- und Seitenzahl (jeweils römische und arabische Ziffer) zitiert. Auf die "Reflexionen" des handschriftlichen Nachlasses wird durch ein R, gefolgt von der Nummer der betreffenden Aufzeichnung in Adickes' Anordnung in der Akademieausgabe verwiesen. Die behandelte Sekundärliteratur wird in den Anmerkungen nur durch Titel angegeben. Bibliographische Einzelheiten sind dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.

EINLEITUNG

Es ist eigentümlich, daß noch immer Partien von Kants "Kritik der reinen Vernunft" und damit Teile seiner philosophischen Theorie durch die Forschung nicht in befriedigender Weise beachtet worden sind. Was Kants Theorie des Gottesbegriffes betrifft, so hat man sie - nicht zuletzt innerhalb der protestantischen Theologie - stets recht einseitig als Bestandteil seiner "Metaphysik-Kritik" aufgefaßt, d.h. im Lichte des Aufweises von der prinzipiellen Unmöglichkeit, auf der Basis theoretischer Erkenntnis Beweise fur die Existenz Gottes zu fuhren. Kants Kritik der Gottesbeweise ist aber nur verständlich vor dem Hintergrund seiner Theorie darüber, wie sich der Begriff von Gott im Rahmen der Struktur theoretischer Vernunft bildet. Diese wenig beachtete Theorie hat Kant im zweiten Abschnitt des dritten Hauptstücks der transzendentalen Dialektik dargestellt: "Von dem transzendentalen Ideal". In dieser Passage fuhrt Kant die transzendentallogische Transformation des rationalistischen Begriffes von Gott als ens realissimum durch. Die These der folgenden Untersuchung enthält als Teil die Behauptung, daß Kants Lehre vom transzendentalen Ideal die Konsequenz impliziert, daß der Gottesbegriff der theoretischen Vernunft ein sinnvoller Begriff ist. Die kantische Vernunftkritik entwickelt die Kriterien sinnvoller Begriffsbildung durch ein Verfahren, bei dem man zwei Aspekte von einander unterscheiden kann. Begriffe nichtempirischen Ursprungs kann man nach Kant durch eine Analyse der formalen Logik erschließen. Prominentestes Beispiel dafür ist der Zusammenhang von Urteilsstruktur und Kategorie; aber auch die spezifischen Begriffe der Vernunft, die transzendentalen Ideen, werden von Kant in dieser Weise expliziert. Daß solche Begriffe sinnvoll sind, kann man nun einerseits dadurch sehen, daß sie ein Bestandteil der transzendentalen Logik sind, derjenigen philosophischen Argumentation also, welche aufzeigt, wie die von der formalen Logik gemachten Voraussetzungen nichtlogischer Art begründet werden können. Die Untersuchung der Kriterien sinnvoller Begriffsbildung muß aber andererseits auch so verfahren, daß sie zeigt, wie die in den formallogischen Strukturen zum Ausdruck kommenden reinen Begriffe, im Fall daß sie legitimierbar sind, auf den Begriff "mögliche Erfahrung" bezogen sein müssen. Um die Struktur der formalen Logik beschreiben und die Bedingungen möglicher Erfahrung explizieren zu können, muß Kant bekanntlich die fundamentale Unterscheidung zwischen Anschauung und Begriff in Anspruch nehmen. Mit dieser Unterscheidung sind sehr verschiedenartige Bedeutungen assoziiert, etwa diejenigen der Begriffspaare Sinnlichkeit - Verstand und Rezeptivität - Spontaneität. Nach

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Einleitung

Kant besteht aber ein notwendiger Aspekt der Unterscheidung auch darin, daß Anschauung singuläre Vorstellung, Begriff hingegen allgemeine Vorstellung bedeutet. Auch Kants Lehre von der Singularität der Anschauung, bzw. davon, daß die Anschauung Vorstellung von Einzelnem ist, gehört zu den von der Forschung noch nicht befriedigend aufgeklärten Teilen seiner Theorie. Die These der folgenden Untersuchung läßt sich nun derart präzisieren, daß nach Kant der Gottesbegriff der theoretischen Vernunft deshalb sinnvoll ist, weil er in dem Sinne ein Teil der transzendentalen Logik ist, daß sich die Theorie über seine Bildung auf die Theorie der Singularität der Anschauimg bezieht. Es soll mit anderen Worten die These begründet werden, daß Kant mit der Theorie über das transzendentale Ideal auf der Ebene der "Vernunft" ein Problem lösen will, daß auf der Ebene des "Verstandes" nicht bewältigt werden kann: Das Problem der vollen Erkennbarkeit von Einzelnem. Da die Theorie über das transzendentale Ideal durch diese These als ein Teil der transzendentalen Logik, d.h. der Begründung der formalen Logik, aufgefaßt wird, würde die Bestätigung der These implizieren, daß in der KrV die Beiden Aspekte einer Philosophie der Logik und einer philosophischen Theologie in gewisser Hinsicht demselben Argumentationsgang angehören. Daß die Theorie über das transzendentale Ideal den Gottesgedanken als sinnvollen Begriff der theoretischen Vernunft ausweist, bedeutet, daß die theoretische Philosophie Kants im positiven Sinne einen religionsphilosophischen Aspekt enthält. Es gilt nun zunächst zu klären, in welcher Bedeutung man unter kantischen Voraussetzungen von Religionsphilosophie reden kann. Wenn man von Kants "Religionsphilosophie" reden will, so scheint es naheliegend, in seiner sogenannten "Religionsschrift" den Ausgangspunkt zu nehmen, denn in ihr unterzieht Kant doch den Begriff "Religion" einer philosophischen Analyse. Diese Tatsache wird aber notwendig modifiziert, wenn man Kants Intention mit der Religionsschrift beachtet: Er will nicht in theoretischer Distanz den Begriff "Religion" in allen Einzelheiten analysieren, sondern er versucht eine bestimmte Gestalt der Religion kritisch zu beurteilen, wobei er einen philosophischen Religionsbegriff als Maßstab benutzt. So ist die Darstellung der Religionsschrift bestimmt durch die Distinktion zwischen (1) Offenbarungsreligion und (2) Vernunftreligion. Diese Begriffe gilt es nun zunächst etwas genauer zu bestimmen: (1) Unter "Offenbarungsreligion" versteht Kant bekanntlich vorwiegend die christliche Religion, so wie sie in einer bestimmten Gestalt geschichtlich überliefert und als Kirche institutionalisiert ist. Philosophisch gesehen ist das entscheidende Merkmal dieser Religion eben, daß sie auf "Offenbarung" beruht. Diese ist nämlich ein "historisches System" (VI,12) und gehört damit dem Bereich der "Erfahrung" an. Mit dieser teilt sie daher die prinzipielle "Zufälligkeit" (VI,115). Sie hat daher nur "partikuläre Gültigkeit" (a.a.O.), kann also "nimmermehr von jedermann gefordert werden" (VI,108). (2) Die "Vemunftreligion" ist demgegenüber als "eigentliche Religion" ein "Vernunftbegriff α priori" (VI,12. Meine Hervorh.). Anders als (1) ist sie deshalb

Einleitung

3

eine "an alle Menschen beständig geschehene(n) göttliche(n) (ob zwar nicht empirischein)) Offenbarung" (VI,122. Meine Hervorh.). Nun gibt Kant in der Religionsschrift die folgende Definition "des Begriffs einer Religion überhaupt": " R e l i g i o n ist (subjektiv betrachtet) das Erkennt-, nis aller unserer Pflichten a 1 s göttlicher Gebote" (VI,182. Vgl. KpV V.129). Eine Vernunftreligion kann (und muß) es bekanntlich deshalb geben, weil "Pflicht" — und Moralität Uberhaupt — in der Struktur der reinen Vernunft gegründet ist und weil diese Struktur in bestimmter Weise den Gottesbegriff impliziert. Religion ist also nach Kant wesentlich auf Moral bezogen: Die "moralische Verbesserung des Menschen" macht "den eigentlichen Zweck aller Vernunftreligion'' aus (VI,112). — Aus dem gleichen Grunde kann es auch eine philosophische "Religionslehre" geben, denn der Philosoph ist ein "reiner Vernunftlehrer (aus bloßen Prinzipien a priori)" (VI,12). In der Religionsschrift trägt Kant nun wie erwähnt nicht allgemein die philosophische Religionslehre vor, sondern er prüft die Offenbarungsreligion in der Gestalt der ihm gegebenen Staatsreligion, indem er sie "an moralische Begriffe bloß fragmentarisch" hält und sieht "ob dieses nicht zu demselben reinen V e r n u n f t s y s t e m der Religion zurückführe" (a.a.O.). Es ist somit durch die kirchenkritische Fragestellung der Religionsschrift bedingt, daß man ihr nur einen eingeschränkten Begriff der Religionsphilosophie entnehmen kann, nämlich I. Religionsphilosophie als philosophische Kritik der Offenbarungsreligion auf der Grundlage der Vernunftreligion. Kant macht in der Religionsschrift den Vorschlag, man müsse innerhalb des Theologiestudiums "nach Vollendung der akademischen Unterweisung in der biblischen Theologie, jederzeit noch eine besondere Vorlesung über die reine p h i l o s o p h i s c h e Religionslehre . . . zum Beschlüsse hinzufiigen". Als "Leitfaden" für eine solche Vorlesung nennt er die Religionsschrift selber (VI,10). - Als Darstellungen der philosophischen Religionslehre, die von kirchenkritischer Intention unabhängig sind, kann man Kants "Vorlesungen über Rationaltheologie" betrachten. Von ihnen her läßt sich ein weiterer Begriff von "Religionsphilosophie" bei Kant gewinnen1. In der Vorlesung kehrt die Unterscheidung zwischen Offenbarung und Vernunft auf der Ebene der Theologie wieder, wobei Kant Theologie definiert als "Das System unserer Erkenntnis vom höchsten Wesen" (XXVIII,995). Die "Theologie der Vernunft", bzw. theologia rationalis gliedert sich wiederum in drei Disziplinen: a) 1

Kant hat in den Jahren 1774, 1783/84, 1785/86 und 1787 ein Kolleg über Rationaltheologie gehalten. Die "Philosophische Religionslehre Pölitz", die im folgenden herangezogen wird, ist wahrscheinlich 1783/84 (auf keinen Fall früher) vorgetragen worden. Vgl. die Einleitung von G. Lehmann XXVUI, 1463.

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Einleitung

die transzendentale Theologie, "die, unabhängig von aller Erfahrung, bloß aus reinem Verstände und der Vernunft ihren Ursprung hat"; b) die naturale - sie geht entweder von der "Natur der Welt überhaupt" oder von der "Beschaffenheit des Gegenwärtigen" aus; c) die Moraltheologie - in ihr "denke ich mir Gott aus Begriffen, die aus der Sittlichkeit hergenommen sind" (XXVIII,1000 f). Die Theologien a) und b) faßt Kant als "spekulative" zusammen und sie sind es, die er in der KrV, so wie sie im Rahmen der Schulphilosophie vorliegen, metaphysik-kritisch behandelt. Die Vorlesung zeigt jedoch, daß Kant unabhängig von der metaphysik-kritischen Intention einen sozusagen "neutralen" Begriff von Theologie hat, der nicht nur die der Vernunftreligion entsprechende theologia moralis, sondern auch eine theologia speculativa umfaßt. Diesem Kontext können wir somit den folgenden Begriff der Religionsphilosophie entnehmen: II. Religionsphilosophie als "Theologie der Vernunft", dJi. als Untersuchung derjenigen Bedingungen der Gotteserkenntnis, welche in dem umfassenden System der Vernunft gegeben sind. Wenn wir also die Problematik des transzendentalen Ideals als der Religionsphilosophie angehörig betrachten, dann ist diese im Sinne von II. aufzufassen. Es hat sich gezeigt, daß Kants eigene Theorie der Religion und den auf sie bezogenen Begriffen so komplex ist, daß es bei ihm Ansätze genug gibt, um den Ausdruck "Kants Religionsphilosophie" sehr verschiedenartig zu interpretieren. So kann es nicht verwundern, daß auch in der Literatur, die diese Theorie behandelt, die Bedeutung von "Kants Religionsphilosophie" recht schwankend ist. Im folgenden sollen nun einige dieser Bedeutungen kurz erwähnt werden. A. Der Terminus "Kants Religionsphilosophie" ist sehr früh geprägt worden. So erschien schon im Jahre 1800 die Schrift von R.B. Jachmann "Prüfung der Kantischen Religionsphilosophie in Hinsicht auf die ihr beygelegte Aehnlichkeit mit dem reinen Mystizism". Die Schrift enthält noch eine "Einleitung" von Kant selber. Der Inhalt der Schrift setzt eine Auffassung des Begriffes Religionsphilosophie voraus, welche die oben genannten Bedeutungen I und II umfaßt: Jachmann geht sowohl auf die Bibelkritik der Religionsschrift als auch die "Philosophische Religionslehre" der beiden ersten Kritiken ein. Das Hauptanliegen Jachmanns, die Abwehr des in dem Titel genannten Vorwurfes, muß uns hier nicht beschäftigen. Eine Untersuchung über Kants Religionsphilosophie, die fur die folgende Debatte bedeutsam gewesen ist, ist die Schrift von Albert Schweitzer "Die Religionsphflosophie Kant's von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft". Sie ist, wie der Titel andeutet, eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung über "Kants Religionsphilosophie". Diesen Begriff definiert Schw. als den "Versuch, eine Religionsphilosophie auf der Grundlage des kritischen Idealismus, wie ihn die Kritik der reinen Vernunft entwickelt, mit Hilfe der kantischen Fassung des Sittengesetzes aufzubauen" (S. 1). Die leitende Frage bei dieser Untersuchung lautet, ob es überhaupt möglich sei, auf der Grundlage des "kritischen Idealismus" eine Religionsphilosophie zu etablieren (S. 3). Als

Einleitung

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kritischen Idealismus versteht er dabei vorweigend die Lehre von der Unterscheidung zwischen der intelligiblen Welt und der Welt der Erscheinungen. Schw.s These ist nun, daß man zwischen zwei prinzipiell verschiedenen Formen von Religionsphilosophie bei Kant unterscheiden müsse, nämlich 1) der "Religionsphilosophie des kritischen Idealismus" und 2) der "ethischen Religionsphilosophie". Dieser These soll nun nicht weiter nachgegangen werden, aber es soll angedeutet werden, was sie für Schw.s Behandlung der religionsphilosophischen Problematik in der KrV bedeutet. Die Religionsphilosophie 1) beruht auf demjeningen, was Schw. den ''religionsphilosophischen Plan der transcendentalen Dialektik" nennt (S. 60). Dieser komme etwa zum Ausdruck in der Anmerkung zu Β 395, wo Kant sagt, man könne auf der Grundlage der drei Ideen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit " T h e o l o g i e , M o r a l , und, durch beider Verbindung, R e l i g i o n " etablieren. Der Grundgedanke dieses "Plans" bestehe darin, daß es die Ideen des theoretischen Vernunftgebrauchs seien, welche, durch den praktischen Gebrauch realisiert, in der Religion wirksam würden. - Aus der KrV behandelt Schw. nun außer der Anmerkung zu Β 395 nur zwei Passagen: Das Stück über den "Kanon der reinen Vernunft" in der Methodenlehre und den dritten Abschnitt der Antinomie "Von dem Interesse der Vernunft bei diesem ihren Widerstreite". Den letzteren behandelt er deshalb, weil er der Auffassung ist, die praktisch-religiöse Dimension der Ideen komme nur hier im Rahmen der Antinomie zum Ausdruck — also weder innerhalb der Paralogismen noch im Abschnitt über das transzendentale Ideal: "Auch der Abschnitt über das Ideal der reinen Vernunft schließt ab, ohne daß die Gottesidee auf die Form gebracht wird, in welcher sie als religiös interessierte 'Idee' uns nachher in Verbindung mit dem praktischen Vernunftgebrauch wieder begegnet" (S. 14). Hieraus zieht er dann die viel weitgehendere Konsequenz, der Gottesbegriff der vierten Antinomie sei im Grunde mit dem transzendentalen ideal identisch: "die Trennung zwischen der vierten 'kosmologischen Idee' und dem 'Ideal der reinen Vernunft' ist eine künstliche". - In dem anderen behandelten Text der KrV, dem "Kanon"-Abschnitt, sieht Schw. eine in sich geschlossene "moralisch-theologische Abhandlung", die noch beide oben genannten Begriffe von Religionsphilosophie enthalte (S. 67). Er charakterisiert sie als "religionsphilosophische Skizze" der KrV. Die Auswahl, die Schw. bei der Behandlung der KrV trifft, spiegelt gut seine Auffassung von "Kants Religionsphilosophie" wider. Zwar unterscheidet er wie gesagt zwischen zwei Begriffen, aber beide gehören - mit Kants eigener Terminologie - zu dem "mora/theologischen" Teil der "Vernunfttheologie": Die theologischen Begriffe der KrV beschäftigen Schw. nur insofern, als sie auf den Begriff "Sittlichkeit" bezogen sind. Aufgrund dieser Begrenzung der Fragestellung scheidet das transzendentale Ideal als Gottesidee der theoretischen Vernunft am. Diese Einschränkung der kantischen Begriffe von Theologie und Religion wird obwohl mehr andeutungsweise — in der Abhandlung von E. Troeltsch "Das Historische in Kants Religionsphilosophie" (1904) kritisiert. Tr. unterscheidet innerhalb

6

Einleitung

der Probleme in Kants Religionsphilosophie zwischen zwei Hauptgruppen: 1) den erkenntnistheoretischmetaphysischen und 2) den religionshistorischen. Es sind die letzteren, d.h. "die prinzipielle Auseinandersetzung der Vernunftreligion mit der Religionsgeschichte" (S. 57), die den Gegenstand seiner Untersuchung ausmachen. Aber Tr. berührt auch die ersteren. Das kommt z.B. an seiner Stellungnahme zu den "Kantianisierenden Theologen" zum Ausdruck. Er kritisiert an ihnen, daß sie "nur die Verwerfung der theoretischen Metaphysik und die Einfuhrung der praktischen Glaubenserkenntnis übernommen" hätten (S. 32). Demgegenüber hebt er hervor, Kants Religionsbegriff sei nicht ausschließlich an das Moralische gebunden: "Auch die anbetende Bewunderung von der Majestät des Übersinnlichen geht über das moralische Schema weit hinaus" (S. 45). B. Eine Interpretation des Begriffes "Kants Religionsphilosophie" im Sinne der Bedeutung I vertritt die Arbeit von I. Hoekstra "Immanente Kritik zur Kantischen Religionsphilosophie" (1906). Als Religionsphilosophie versteht er das Verfahren, eine positive Religion daraufhin zu prüfen, welche ihrer Bestandteile von der reinen Vernunft angenommen werden können. C. Die Bedeutung II ist - allerdings ohne Erwähnung des Begriffes Religionsphilosophie - vertreten in J. Guttmann: "Kants Gottesbegriff in seiner positiven Entwicklung" (1906). Die Arbeit ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie Kants Theorie über die Bildimg des Gottesbegriffes der theoretischen Vernunft, die Lehre vom "Transzendentalen Ideal", in die Untersuchimg einbezieht und die Möglichkeit erwägt, das Ideal könne im Zusammenhang der Erkenntnis eine positive Funktion haben, etwa im Kontext des regulativen Gebrauchs der Vernunft. Sein Ergebnis ist jedoch in dieser Hinsicht ein negatives: "So sehen wir, wie bei einer schärferen Durchführung der kritischen Grundgedanken der Gottesbegriff innerhalb der theoretischen Erkenntnis völlig ausscheidet: seine Bedeutung liegt ausschließlich auf ethischem Gebiete" (S. 53). Die gleiche Fragestellung behandelt E. Weihing in "Kants Gottesbegriff in den drei Kritiken. Ein Beitrag zu seiner Ideenlehre" (1909). Neben diesen Untersuchungen, die sich mit größeren oder kleineren Einschränkungen innerhalb des Rahmens von Kants Theorie der Religion oder seiner Theologie bewegen, gibt es verschiedene Versuche, sozusagen externe Problemstellungen an Kants Theorie heranzutragen, dJi. diese von Fragen heraus zu untersuchen, die nicht Kants eigene sind: D. So hat man versucht, Kants Religionsphilosophie von einem Kant fremden Religionsbegriff her zu interpretieren. Ch.A. Thilo sieht in seiner Arbeit "Kants Religionsphilosophie" (1905) ausdrücklich von der Religionsschrift ab, und zwar mit der Begründung, eine "Philosophie des Christentums" sei keine Religionsphilosophie, d.h. eine philosophische Behandlung der "Religionsbegriffe" (S. 1). Th.

Einleitung

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richtet den Einwand gegen Kants Religionsphilosophie, daß sie eine "Profanierung des Gottesbegriffs" impliziere, weil sie ihn im Rahmen erkenntnistheoretischer Begriffe und nicht vom religiösen Bedürfnis des Menschen her bestimme (S. 30). B. Baumbach übernimmt in der Arbeit "Das Irrationale in Kants Religionsphilosophie" (1929) seinen Begriff der Religion von der Darstellung der Religionsphilosophie R. Jelkes. Dieser Religionsbegriff enthält ein Doppeltes: einmal den Gedanken der Religion im Allgemeinen, d.h. des Bewußtseins des Menschen von einer Beziehung zu etwas in Verhältnis zum Endlichen und Relativen "Anderen"; Religion überhaupt beruht somit auf dem Gedanken einer von der raum-zeitlichen Wirklichkeit verschiedenen "Überwelt" (S. 8) - zum anderen besagt "Religion" in spezifischer Bedeutung "das praktisch bedingte und geartete menschliche Bejahen der auf den Menschen abzielenden Wirkung überweltlicher Macht oder überweltlicher Mächte" (S. 27). Das Ziel von B. ist es nun nachzuweisen, "wie das ganze Kantische System auf eine irrationale Religionsphilosophie angelegt ist" (S. 65). Was den allgemeinen Religionsbegriff betrifft, findet B. diesen schon in der KrV: Da Kant zu dem Ergebnis komme, der Begriff einer übersinnlichen Welt sei möglich, aber mit den Mitteln der Vernunft nicht bestimmbar, sei er eben ein Begriff des "Irrationalen". Die spezifische Ausarbeitung dieser Religion sieht er dann vorwiegend in der Religionsschrift. Demgegenüber betrachtet er die "spezielle Religionsphilosophie" der transzendentalen Dialektik, die Identifikation der Vernunftideen mit den "metaphysischen Größen" Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, als "rationalistischen" Rückfall (S. 38 ff). Dem gleichen Typus der Interpretation von "Kants Religionsphilosophie" muß man die Schrift H. Schwalenbachs "Kants Religion" (1929) zurechnen. Zwar möchte Schm. ausdrücklich Kants Religion im Unterschied zu seiner Religionsphilosophie untersuchen, wobei er scheinbar letztere im Sinne der Religionsschrift versteht (S. 56), aber seine Untersuchung richtet sich doch gegen die kantische Religionsphilosophie in der Bedeutung II. Dabei versucht er nachzuweisen, daß Kants Begriff der Religion auf einem "religiösen Geführ beruht (S. 7 ff). Als wichtigstes Beispiel hebt er das Gefühl dem Erhabenen gegenüber hervor, das primär ein Gefühl des Unendlichen sei. Neben diesen mehr oder weniger psychologisierenden Interpretationen sind Versuche unternommen worden, Kants Religionsphilosophie auf ihre dogmatischen Voraussetzungen hin zu befragen. Auch in diesen Fällen werden externe Fragestellungen an Kants Theorie herangetragen. Der rein historischen Frage nach denjenigen Kentnissen von zeitgenössischen Darstellungen der Dogmatik, welche Kant bei seiner Kritik der kirchlichen Religion in der Religionsschrift ausnutzt, ist J. Bohatec nachgegangen in "Die Religionsphilosophie Kants in der 'Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' " (1938). H. -G. Redmann versucht in seiner Arbeit "Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants" (1962) Kants philosophische Theologie in

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systematischer Weise als von dogmatischen Voraussetzungen abhängig zu verstehen. Er präzisiert das dahingehend, daß ein Gottesbegriff calvinistischer Prägung den Hintergrund dafür bilde, daß Kant in der vorkritischen Periode — vorwiegend in der "Nova dilucidatio" und dem "Einzigmöglichen Beweisgrund . . " — die Endlichkeit der menschlichen Vernunft betone. Eben diese Endlichkeit sei es, die bedinge, daß die menschliche Vernunft das Dasein Gottes nicht erklären, und daß Dasein allgemein nicht den Charakter eines Prädikates haben könne. Es wird von einigen der erwähnten Autoren der Versuch gemacht, Kants Theorie der Religion und der Theologie zu seiner philosophischen Theorie als ganzer in Beziehung zu setzen. So sind etwa Schmalenbach und Redmann der Auffassung, "Metaphysik" und "Religion" seien die grundlegenden Motive in Kants Philosophie überhaupt. Aber diese Auffassung wird von ihnen nicht in eine systematische Interpretation der kantischen Philosophie umgesetzt, und so fugen sie sich der allgemeinen Tendenz ein, "Kants Religionsphilosophie" von seinem übrigen Denken zu isolieren. Einen expliziten Versuch, gegen diese Tendenz anzugehen, hat Georg Picht gemacht in seiner nicht publizierten Vorlesung "Kants Religionsphilosophie''. Er nimmt die folgende Bemerkung Heideggers als Ausgangspunkt seiner Interpretation: "Nun wird aber und bleibt für Kant die Frage, ob und wie und in welchen Grenzen der Satz 'Gott isf als absolute Position möglich sei, der geheime Stachel, der alles Denken der 'Kritik der reinen Vernunft' antreibt und die nachfolgenden Hauptwerke bewegt" ("Kants These über das Sein" in "Wegmarken", S. 283. Meine Hervorh.). Picht gewinnt aus dieser Bemerkung die Interpretationshypothese, man müsse die ganze Philosophie Kants, dJi. vor allem die zusammenhängende Theorie der drei Kritiken, als "Religionsphilosophie" verstehen. Dabei ergibt sich aus der Formulierung Heideggers, daß Religionsphilosophie im Sinne von "Theologie der Vernunft" aufgefaßt wird. Es ist durch diesen Ausgangspunkt bedingt, daß Kants Philosophie im Allgemeinen von einer bestimmten Fragestellung her gesehen wird: "Wir fragen also nach dem System der Kantischen Philosophie im Ganzen und gehen dabei von der Hypothese aus, dieses System sei als Ganzes verstanden ein System der Religionsphilosophie" (I S. 2, meine Hervorh.). Daß Philosophie durch die Einheit des Systems charakterisiert ist, ist eine Auffassung, die Kant selber ausdrücklich — etwa in den Einleitungen zur KU — vertritt. Daß diese systematische Einheit religionsphilosophisch zu verstehen sei, ist der spezifische Inhalt der Picht'schen Hypothese. Er stützt sich dabei auf die Formulierung in der Anmerkung Β 395: Wir vollziehen "(unseren großen Entwurf), indem wir von demjenigen, was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand gibt, der S e e l e n l e h r e , zur W e 111 e h r e , und von da bis zur Erkenntnis G o t t e s fortgehen" - indem er den Ausdruck "unseren großen Entwurf" als "Entwurf der Philosophie als systematischer Einheit" auffaßt. Gerade an der Beurteüung dieser Stelle der KrV zeigt sich der Unterschied zwischen Pichts Auffassung von "Kants

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Religionsphilosophie" und einer geläufigeren wie deqenigen A. Schweitzers: Während dieser die Anmerkung Β 395 als Darstellung des "religionsphilosophischen Plans" der transzendentalen Dialektik versteht, ist Picht der Meinung, sie zeige, daß durch den Entwurf der Vernunftideen die systematische Einheit der Philosophie konstituiert werde. Die Fragestellung der folgenden Untersuchung liegt nun sozusagen in der Mitte zwischen der Tendenz in den genannten Arbeiten zu "Kants Religionsphilosophie" und der Hypothese von G. Picht: Kants Theorie des Gottesbegriffes wird nicht primär als Teil seiner Auffassung der Religion als isolierten Phänomens gesehen, sondern sie soll auf ihren Ort innerhalb der theoretischen Philosophie hin befragt werden. Der Kontext dieser Frage ist also gewissermaßen beschränkt, indem er nicht Kants Begriff des Systems der Philosophie bedeutet, sondern das Ganze der Bedingungen von Erkenntnis. Das folgende möchte also ein Beitrag zur Interpretation von Kants Theorie der Erfahrung, bzw. der Erkenntnis sein und so empfielt es sich, zuvor die wichtigsten Richtungen, welche sich im Laufe der Geschichte dieser Interpretation gebildet haben, kurz zu vergegenwärtigen. Es ist bekanntlich die Auffassung des Neukantianismus — wie er durch Hermann Cohen vertreten wurde — daß Kants Ausgangspunkt, historisch und systematisch gesehen, das "Faktum der Naturwissenschaft" ist: " d i e T a t s a c h e d e r d u r c h N e w t o n in dem S y s t e m e d e r P r i n z i p i e n begründeten W i s s e n s c h a f t " 2 . Wenn daher bei Kant von Vernunft die Rede ist, müsse man sie als "wissenschaftliche Vernunft" auffassen. "Vernunft" bezeichnet dabei diejenigen Elemente des Bewußtseins - die a priori'schen - welche einer psychologischen Untersuchung nicht zugänglich sind, und welche die wissenschaftliche Erkenntnis konstituieren. Die Eigenart von Kants theoretischer Philosophie besteht nun eben darin, daß sie vom Faktum der Naturwissenschaft ausgehend, solche Elemente des Bewußtseins identifiziert, welche für die Konstitution dieses Faktums notwendig sind. Cohen drückt dies so aus, die "Originalität" und "Mission" Kants bestehe in seiner Entwicklung der "transzendentalen Methode" (S. 63). Als Durchführung der transzendentalen Methode betrachtet Cohen Kants "metaphysische" und "transzendentale" Erörterung der a priori'schen Erkenntniselemente. Durch die metaphysische Erörterung werden zunächst diejenigen 'Tatsachen des Bewußtseins im Erkennen" identifiziert, welche sich einer psychologischen Untersuchung entziehen. Diese Erörterung ist jedoch nur eine "notwendige Vorbedingung" der transzendentalen (S. 74f). Von dieser, der eigentlichen Durchführung der transzendentalen Methode, gilt, daß "deren Prinzip und Norm der schlichte

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"Kants Theorie der Erfahrung", 4 1925, S. 56. Die Seitenzahlen im folgenden beziehen sich auf diese Schrift.

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Gedanke ist: solche Elemente des Bewußtseins seien Elemente des erkennenden Bewußtseins, welche hinreichend und notwendig sind, das Faktum der Wissenschaft zu begründen und zu festigen" (S. 77). Theoretische Philosophie im Sinne der Durchführung der transzendentalen Methode ist also nicht selbst Naturwissenschaft, sondern Begründung des Geltungsanspruchs naturwissenschaftlicher Grundbegriffe. Für die Interpretation der KrV bedeutet das, daß zunächst die Grundsätze des Verstandes als Zusammenfassung von Newtons Mechanik aufgefaßt werden, und daß diese Grundsätze dann auf die synthetische Einheit des Bewußtseins zurückfuhrt werden. Entscheidend ist bei dieser Interpretation, daß die beiden zentralen Größen: die Grundsätze und die Einheit des Bewußtseins, sozusagen asymmetrisch gedacht werden. Die Einheit des Bewußtseins wird nämlich nur so weit analysiert, wie es die Begründimg der wissenschaftlichen Prinzipien erfordert. Die gleiche Asymmetrie zeigt sich in Cohens Darstellung des Verhältnisses zwischen formaler und transzendentaler Logik. Er versteht die formale Logik vorwiegend als Nebenprodukt bei der Entwicklung der Naturwissenschaft: "Die formale Logik ist formal als Erzeugnis der Abstraktion, aber in ihr pulsiert von ihrem metaphysischen Anfang her der Atem der Wissenschaft" (S. 228). Das bedeutet weniger poetisch ausgedrückt: "die Form des Urteils ist das Gerüst des synthetischen Grundsatzes" (S. 224). Die transzendentale Logik wird daher nur als Teil der transzendentalen Methode verstanden: Sie ist die Begründung derjenigen logischen Elemente und Gesetze, welche in den synthetischen Grundsätzen vorausgesetzt sind. Angesichts des Tatbestandes, daß Cohen als das grundlegende Verfahren der KrV die transzendentale Methode auffaßt, und daß die Wissenschaft, deren "Faktum" dadurch legitimiert werden soll, in den Verstandesgrundsätzen konzentriert ist, könnte man erwarten, daß er bei seiner Interpretation die transzendentale Dialektik weitgehend vernachlässigt. Das ist jedoch nicht ohne weiteres der Fall. Auch die transzendentale Dialektik im Sinne der Lehre von den Ideen kann Cohen als Teil von Kants Theorie der Erfahrung auffassen. Dafür gibt es im Rahmen seiner Interpretation zwei Gründe. Zunächst ergibt sich folgendes Problem: Ziel der Verwendung der transzendentalen Methode ist es, die Geltung wissenschaftlicher Grundbegriffe und Prinzipien zu begründen, d.h. unter anderem, die Notwendigkeit der Naturgesetze aufzuzeigen. Nun fuhrt die transzendentale Analytik zu dem Ergebnis, daß diese Notwendigkeit nur unter der Voraussetzung von "möglicher Erfahrung" besteht Mögliche Erfahrung ist aber etwas zufälliges, und so kann man sagen, die Notwendigkeit der Naturgesetze sei die "Notwendigkeit eines Zufälligen". Auf der Grundlage dieses Problems entsteht nach Cohen der Gedanke vom Ding an sich, dJx. von einem solchen, dessen Realität nicht nur relativ zur Möglichkeit der Erfahrung, sondern "an sich" feststeht (S. 460). - Zum anderen geht Cohen von vornherein davon aus, daß die Naturwissenschaft, deren "Faktum" Kant begründen will, zweierlei umfaßt, nämlich a) die "Naturlehre", d.h. die mathematische Naturwissenschaft und b) die "Naturgeschichte", bzw. Naturbeschreibung (S.

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159). In diesem Sinne versteht er Kants eigene Unterscheidung zwischen "Natur überhaupt" und N a t o als systematischer Einheit. Die Problematik der Natur als systematischer Einheit verbindet Cohen nun folgendermaßen mit derjenigen des Ding an sich. Kants Ideenlehre besagt, man könne das an sich Reale nur denken dadurch, daß "Erfahrung selbst . . als Gegenstand gedacht (wird)", dJi. dadurch, daß man die "Gesamtheit der Gegenstände", bzw. den "Inbegriff der Kategorien" denke (Cohens Gleichsetzung dieser beiden Begriffe kan uns hier nicht beschäftigen). Da der Bereich der Erfahrung, indem diese als Totalität gedacht wird, begrenzt wird, kann man sagen, die Idee sei ein "Grenzbegriff" (S. 461ff). Nun meint Cohen, es bestehe "Äquipollenz" zwischen den Begriffen "Ding an sich", "Idee", "GrenzbegrifF' und — "systematische Einheit der Erfahrung". Man muß also den "erkenntnistheoretische(n) Nutzen und Wert" der Idee im Rahmen der transzendentalen Methode derart begründen können, daß man zeigt, daß das "Faktum" der Wissenschaft diesen Begriff erfordert. In diesem Zusammenhang kommt Cohen nicht ohne Kritik an Kant durch. Tatsächlich nimmt Kant ja "für die transzendentale Geltung der Ideen kein Faktum einer Wissenschaft in Anspruch". Und gerade das ist ein "Fehler der Darstellung": "Er hätte aber analogischer Weise nach der Möglichkeit An Naturbeschreibung fragen sollen" (S. 473, meine Hervorh.). — Somit kann Cohen durch diese rekonstruierende Interpretation die transzendentale Dialektik als Teil der Durchführung der transzendentalen Methode darstellen. Von Cohens Hervorhebung der Bedeutung der Naturwissenschaft her wäre weiter zu erwarten, daß ihn nur Kants Theorie der Erkenntnis interessiere, daß er also den Gedanken von der Philosophie als einem System, welches Natur und Freiheit umfaßt, außer Acht ließe. Auch das ist nicht ohne weiteres der Fall. Cohen weiß sehr wohl: "In der Dreieinigikeit der Kritiken Hegt das System" (S. 527). Und er sieht auch, daß es der Begriff des Zwecks ist, welcher die Einheit des Systems ausmacht. Aber er versteht die Einheit im Sinne der transzendentalen Methode: In allen von der kritischen Philosophie behandelten Bereichen ist von "Tatsachen" die Rede, deren Geltung ausgewiesen werden muß. Neben der Naturwissenschaft treten bei Cohen als diese Bereiche "Ethik" und "Ästhetik" auf — und von ihnen gilt: "aber auf Kritik im negativen und positiven Sinne hat auch der Ethiker sich zu bescheiden. An den Tatsachen der Kultur, welche das Sittengesetz erraten lassen oder offenbaren, hat er die Formel und den Wert desselben zu entdecken" - "Auch die Kritik des Geschmacks besteht positiv in dem Nachweis derjenigen begrifflichen Elemente, welche der Künstler für das Problem des Schönen schlechtin voraussetzt" (S. 530). Die beiden uns beschäftigenden Fragestellungen der KrV spielen bei Cohen eine bescheidene Rolle. Was zunächst das Problem der Erkenntnis von Einzelnem betrifft, so ist Cohen zwar darauf aufmerksam, daß nach Kant die Unterscheidung zwischen Begriff und Anschauung auch als diejenige zwischen Allgemeinem und Einzelnem verstanden werden muß: "Wenn das Allgemeine zwar im Begriffe besteht

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und von demselben praestiert wird, so scheint derselbe dazu der Anschauung zu bedürfen, welche ihrerseits das Einzelne darreicht" (S. 114). Aber die Frage, in welchem Sinne Anschauung denn repraesentatio singularis ist, beschäftigt ihn nicht weiter. Entscheidend ist ihm vielmehr, daß die reinen Anschauungen sich - im Lichte der transzendentalen Methode — als Möglichkeitsbedingungen der Wissenschaften Geometrie und Arithmetik zeigen. Was die Frage nach dem Gottesbegriff betrifft, muß man feststellen, daß die religionsphilosophische Dimension von Kants Philosophie zumindest erwähnt wird: "Die Vollendung beider (der Naturwissenschaft und der Ethik, SA.) repräsentiert das Ding an sich als G o t t e s i d e e " (S. 550). Aber Kants Theorie über die Bildung des Gottesbegriffes im Rahmen der theoretischen Vernunft übergeht Cohen bei seiner Interpretation der KrV. Man kann die Kantinterpretation Martin Heideggers als eine ontologische bezeichnen. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, Heidegger würde Kants Verwandlung der rationalistischen Ontologie in Transzendentalphilosophie verkennen. "Ontologisch" bedeutet bei Heidegger bekanntlich "fundamental-ontologisch". Das heißt, daß er zwar die aristotelische Frage nach dem δν ή δν als Sein des Seienden neu stellen möchte — jedoch auf dem "Fundament" einer Analyse des menschlichen Daseins als wesentlich Seins-Verstehendes. Heidegger gelangt bekanntlich zu dem Ergebnis, daß die fundamentale Struktur des Daseins, die "Sorge", in der Zeit, bzw. Zeitlichkeit gründet. Offenheit und Seinsverständnis beruhen also letztenendes auf der zeithchen Verfassung des Daseins. Das hat unter anderem zur Konsequenz, daß die Frage nach der Erkenntnis nicht unabhängig von deijenigen nach der Verfassung des Daseins gestellt werden darf. Diese Auffassung bestimmt auch Heideggers Interpretation der kantischen Theorie - denn er sieht in ihr eine fragmentarische Vorwegnahme eben dieser Auffassung. Das bedeutet konkret, daß Heidegger bei Kant die Schlüsselbegriffe seiner eigenen Position wiederfindet: 1. Kants Behauptung der Möglichkeit notwendiger und allgemeingültiger Erkenntnis beruht auf der These, daß Erfahrung als empirische Erkenntnis nur möglich ist unter Voraussetzung a priori'scher oder "reiner" Erkenntniselemente. — Da nach Heidegger empirisch Gegebenes als "ontisch" charakterisierbar ist, liegt es nahe, in den nicht-empirischen, reinen, Erkenntniselementen eine "ontologische Erkenntnis" zu sehen. 2. Die letzten Bedingungen objektiver Erkenntnis sind nach Kant in der Struktur des menschlichen Subjekts enthalten. - Nach Heidegger beruht wie oben angedeutet jede Erkenntnis auf der Seinsverfassimg des Daseins. Es hegt daher nahe, bei Kant eine ontologische Struktur des Subjektes zu suchen, welche erkenntnisbedingend ist. 3. Erfahrung ist nach Kant unter anderem deshalb möglich, weil zwei heterogene Erkenntnis-"Vermögen", Anschauung und Verstand, zusammen wirksam sind. A

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Die Vereinigung der beiden ist ermöglicht durch die Funktion der Einbildungskraft. - Heidegger ist der Auffassung, das menschliche Dasein müsse auf ontologischer Ebene eine Ganzheit ausmachen - es kann nicht ein zufälliges Nebeneinander verschiedener Größen sein. So stellt er Kant gegenüber die Frage, wie kraft der ontologischen Struktur des Subjekts die Vereinigung von Anschauung und Verstand möglich ist. Was die dritte Problemstellung betrifft, kommt Heidegger bekanntlich zu dem Ergebnis, die Einbildungskraft sei nicht nur das Vermittelnde zwischen Anschauung und Verstand, sondern die gemeinsame Grundlage, aus der diese beiden entspringen. Der entscheidende Schritt, welcher Kant der eigenen Position Heideggers nahebringt, ist dann die Interpretation der transzendentalen Einbildungskraft als ursprüngliche Zeit, d.h. als existentiale Zeitlichkeit. Eine Heidegger'sche Formulierung, die in unserem Zusammenhang wichtig ist, ist die, Kants Theorie sei letztenendes eine "Grundlegung der Metaphysik". Dabei muß man allerdings beachten, daß Metaphysik bei Heidegger mit Ontologie identisch ist, und zwar Fundamentalontologie. Grundlegung der Metaphysik heißt also: Zurückfuhrung der Möglichkeit von Seinsverständnis auf die Seinsverfassung des Daseins. - Das hat - von Einzelfragen der Interpretation ganz abgesehen - eine bedeutsame Einschränkung der Fragestellung zur Konsequenz. "Seinsverständnis", bzw. "ontologische Erkenntnis" sind wie gesagt Heideggers Umdeutung von Kants reiner, bzw. a priori'scher Erkenntnis - aber wohlgemerkt deijenigen a priori'schen Erkenntnis, welche durch reine Anschauung und reinen Verstand erwirkt wird. Diejenigen reinen Erkenntniselemente dagegen, welche Kant unter dem Terminus "Vernunft" zusammenfaßt, haben kaum Heideggers Interesse gefunden3. Dadurch gleitet aber ein wesentlicher Aspekt dessen, was Kant selbst unter Metaphysik verstand, aus dem Gesichtsfeld. - Da nun nach Kant der Gottesbegriff eine Idee, dJi. ein Begriff der theoretischen Vernunft ist, gehört er einer anderen metaphysischen Problematik als der von Heidegger behandelten an. Das Heidegger'sche Vorverständnis bewirkt wie gesagt, daß er der Frage nach der Vereinigung von Anschauung und Verstand besondere Aufmerksamkeit widmen muß. Da Kant nun "Anschauung" unter anderem als "Vorstellung von Einzelnem" definiert, gehört zu dieser Frage das Problem der Erkennbarkeit von Einzelnem. In diesem Punkte könnte also Heideggers Interpretation des kantischen Textes aufschlußreich sein. Innerhalb der letzten Jahre hat man sich im angelsächsischen Sprachraum in 3

Das "kaum" deutet die Tatsache an, daß Heidegger zwar in den eigentlichen Kant-Interpretationen nicht auf den Vernunftbegriff im engeren Sinne eingeht, in den einleitenden Überlegungen zum Systembegriff in der Schelling-Vorlesung aber sehr wohl hervorhebt, daß nach Kant die Philosophie durch Vernunft - im Gegensatz zum Verstand - konstituiert ist. Vgl. "Schellings Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit". S. 40-51.

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einem solchen Maße um die Interpretation der kantischen Theorie bemüht, daß es sinnvoll erscheint, von einer Kantauffassung sprachanalytischer Philosophie zu reden. Nun ist die Bezeichnung "sprachanalytische Philosophie" gewiß nicht ohne weiteres eindeutig, und so beschränke ich mich in diesem Zusammenhang, um Mißverständnisse zu vermeiden, auf die Kantdarstellung P.F. Strawsons, 'The Bounds of Sense. An Essay on Kant's Critique of Pure Reason". Strawson gliedert seine Darstellung von dem Gedanken aus, daß man bei Kant zwischen drei Bedeutungen des Begriffes Metaphysik unterscheiden müsse, die sich jeweils aus einem spezifischen Bezug zum Begriff Erfahrung ergeben. Kants Hauptanliegen in der KrV sei es, diejenigen strukturellen Begriffe herauszuarbeiten, welche notwendig vorausgesetzt sind in "any conception of experience which we can make truly intelligible to ourselves". Durch die Annahme einer solchen "minimum structure", die bei jedem Begriff von Erfahrung vorauszusetzen ist, unterscheide er sich prinzipiell vom Empirismus jeglicher spielart und so könne man bei ihm von einer 1) "positive metaphysics of experience" reden (S. 18). Bei der Ausarbeitung dieser "Metaphysik der Erfahrung" gelange Kant zur Formulierung eines "principle of significance", das besage: Eine legitime und sinnvolle Verwendung von Vorstellungen und Begriffen muß notwendig auf die "empirical or experiential conditions of their application" bezogen sein. Von diesem Prinzip her komme Kant dann zu 2) einer vollständigen Ablehnung von "transcendent metaphysics" (S. 16). Soweit kann sich Strawson der kantischen Intention anschließen. Seine Darstellung ist aber von vornherein kritisch in dem Sinne, daß er meint, Kant würde durch die Anlage seiner Erfahrungstehorie sein eigenes "principle of significance" verletzen: "He seeks to draw the bounds of sense from a point outside them, a point which, if they are rightly drawn, cannot exist". Bei dieser Kritik hat er den Tatbestand im Auge, daß nach Kant die Gegenstände der Erfahrung den Charakter von Erscheinungen haben, welche auf der Affektion des menschlichen Erkenntnisapparates durch nicht-erkennbare Dinge an sich beruhen. Diesen — abzulehnenden - Teil der kantischen Theorie könne man 3) "metaphysics of transcendental idealism" nennen (S. 12). Strawsons Unterscheidung zwischen Kants positiver "Metaphysik der Erfahrung" und der auf ihr bauenden Abweisimg der "transzendenten Metaphysik" einerseits und der "Metaphysik des transzendentalen Idealismus" andererseits hängt engstens zusammen mit seiner Unterscheidung zwischen zwei Arten der Argumentation bei Kant. Wenn es darum geht, die Grenzen dafür zu ziehen, was sinnvoll als "Erfahrung" gelten kann, dann kann man dieses Vorhaben in verschiedener Weise verstehen: Man kann (a) untersuchen, durch welche Begriffe man notwendig die Struktur von Erfahrung überhaupt beschreiben muß. Strawson nennt dieses Verfahren Kants "analytical argument" (S. 16, meine Hervorh.). Man kann aber auch (b) wenn man "limiting or necessary general features" an dem Begriff Erfahrung entdeckt, diese Begrenzung in "our own cognitive constitution" suchen. Ein solches Verfahren ist aber nicht philosophisch, sondern psychologisch im empirisch-wissenschaftlichen

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Sinn (S. 15f). Nach Strawsons Auffassung werden diese beiden Arten der Argumentation von Kant nicht mit genügender Schärfe von einander getrennt. Er meint das etwa an der komplexen Bedeutung von Kants Begriff des Α priori feststellen zu können. Diese besage, (a) ein Begriff könne a priori'sch genannt werden, "if it was an essential structural element in any conception of experience which we could make intelligible to ourselves"; aber "a priori" nenne Kant auch ein Element in dem Sinne, (b) "that its presence as a feature of experience was attributable to the nature of our cognitive constitution and not at all to the nature of things, as they are in themselves, which affect that constitution to yield experience" (S. 68). Die Formulierung (b) zeigt, wie nach Strawson die psychologische Argumentation bei Kant mit der "Doktrin" des transzendentalen Idealismus zusammenhängt. Strawson ist der Auffassung, daß die beiden Arten der Argumentation, obwohl sie bei Kant tatsächlich zusammengehen, prinzipiell voneinander unabhängig sind und er sieht es als Hauptaufgabe der Interpretation, das "analytische" Argument aus der Verbindung mit dem "psychologischen" herauszuheben. Strawsons Interesse an dem "analytischen" Argument bei Kant ist vorwiegend darin begründet, daß seine eigene philosophische Position durchaus "kantisch" im Sinne dieses Argumentes ist. Wie er die anti-empiristische Tendenz bei Kant durch die Bezeichung "Metaphysics of Experience" hervorhebt, versteht er sein eigenes philosophisches Verfahren als "descriptive metaphysics", d.h. als das Freilegen der "most general features of our conceptual structure" 4 . - Ein prominentes Glied der Grundstruktur der Welterfahrung ist nach Strawson die Unterscheidung zwischen Einzelnem und Allgemeinem — sie sei sowohl ontologisch (Einzelding — Typus), erkenntnistheoretisch (Gegenstand der Erfahrung — Allgemeinbegriff) als auch sprachlich (identifizierende — klassifizierende Ausdrücke) vorauszusetzen. Als Variante dieser Unterscheidung versteht er die kantische Dichotomie Anschauung Begriff, und so sieht er als den Zweck der transzendentalen Ästhetik die Herausarbeitung derjenigen Bedingungen, welche erfüllt sein müssen, damit in der Erfahrung "particular instance(s) of . . general concepts)" auftreten können (meine Hervorh., S. 47f). Es hegt auf der Hand, daß eine Interpretation, die den Aspekt des Einzelnen an Kants Begriff Anschauung hervorhebt, bei der folgenden Untersuchung herangezogen werden muß. Man muß im Allgemeinen feststellen, daß Kants Theorie der Anschauung als Vorstellung von Einzelnem bisher in der angelsächsischen Literatur am stärksten berücksichtigt wurde. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß Strawson zu den ganz wenigen Interpreten gehört, die überhaupt bemerken, daß Kants Theorie über das transzendentale Ideal zu dem Begriff des Einzelnen in Beziehung steht. Allerdings widmet er dieser Theorie keine sehr eingehende Untersuchung, was vor allem darauf 4

"Individuais. An Essay in Descriptive Metaphysics", S. 9. (Dt. Übers. "Einzelding und logisches Subjekt").

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zurückzuführen ist, daß er die transzendentale Dialektik vorwiegend als Ausdruck von "Abweisung der transzendenten Metaphysik" oder von "Metaphysik des transzendentalen Idealismus" auffaßt. Von der neuesten deutschen Kantinterpretation möchte ich zwei Vertreter erwähnen, die sich beide explizit auf Heidegger beziehen, wobei auch dessen methodisches Vorgehen zur Diskussion steht. Im Vorwort zur zweiten Auflage von "Kant und das Problem der Metaphysik" geht Heidegger auf den Vorwurf ein, seine Auslegung sei von "Gewaltsamkeit" gekennzeichnet. Er begegnet ihm, indem er zwischen zwei Verfahren der Interpretation unterscheidet, der "philosophiegeschichtlichen Forschung", deren Methode diejenige der "Philologie" sei - und dem "denkende(n) Gespräch zwischen Denkenden", welches unter "anderen Gesetzen" stehe als denjenigen der historischen Philologie (meine Hervorh.). Bei dem Erscheinen dieser Auflage von Heideggers erstem Kantbuch hat sich Dieter Henrich sehr eingehend mit ihm auseinandergesetzt. Dabei geht es zunächst um das Berechtigte der Heidegger'schen These, Kant meine mit seiner Rede von der "gemeinsamen Wurzel" der beiden Erkenntnisvermögen in der Einleitung der KrV die Einbildungskraft, die damit den ontologischen Einheitsgrund des Subjekts ausmache. Henrich meint nun mit historischen Mitteln nachweisen zu können, daß Kant sich mit der umstrittenen Bemerkung von der Subjekttheorie der WolffSchule — der Lehre von einer Grundkraft der Seele - distanziere, und er versucht dann zu zeigen, daß Kants eigene Theorie darauf hinauslaufe, die Subjektivität konstituiere sich "aus mehreren voneinander unabhängigen, in ihrer wechselseitigen Beziehung kontingenten Faktoren" ("Über die Einheit der Subjektivität"). Diese Interpretation hat Henrich dann in einer späteren Abhandlung präzisiert, indem er hervorhebt, das System der Philosophie sei zwar nach Kant in dem "Einheitsprinzip der Einheit des Selbstbewußtseins" begründet, daß das Eigentümliche der kantischen Argumentationsweise aber in der Verbindung folgender Sätze "welche man für die beiden formalen Grundpositionen des kantischen Systems halten kann" - bestehe: "(1) Es muß ein einheitliches Prinzip geben, von dem her Wissen sich begreifen läßt; (2) dennoch darf dieses Prinzip nicht zu einem Prinzipienmonismus fuhren; es muß die Entdeckung von der wesentlichen Verschiedenheit unserer Erkenntnisstämme berücksichtigen und ein Raisonnement ermöglichen, das deren unableitbaren Zusammenhang zur Voraussetzung hat" ("Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion"). Henrich nahm schon die Neuerscheinung von Heideggers Kantbuch zum Anlaß, die Methode der Interpretation zu überlegen. Er scheint hier zwar die Berechtigung einer "denkenden Auslegung" anzuerkennen, hebt aber hervor, diese dürfe nicht die "ausdrückliche Meinung des Textes zur Belanglosigkeit" reduzieren. - Grundsätzlicher - aber nicht mehr in Auseinandersetzung mit Heidegger - hat er dann die Methodik der Interpretation philosophischer Texte in einer neueren Arbeit über die transzendentale Deduktion behandelt. Henrich charakterisiert hier zunächst

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die drei gängigen Arten der Kommentierung: a) die paraphrasierend-erläuternde, die "den Textbestand eines ganzen Oevres zur Deutung seiner zentralen Partien" aufbietet; ihre Begrenzung liege darin, daß sie nicht in "die Gedanken- und Argumentzusammenhänge des Textes selbst" einzudringen vermöge, weil sie voraussetze, diese Zusammenhänge seien in deijenigen Artikulation zugänglich, welche ihnen der Autor gegeben habe; 2) die genetische, die zwar die für den Weg zum Text bestimmenden Gründe aufzeigen könne, jedoch "vor den Grundtexten der ausgereiften Theorie (notwendig) zum Stehen" komme; c) die argumentierende Rekonstruktion. Im Unterschied zu den beiden anderen Verfahren sei sie eine Möglichkeit, den Text selbst aufzuschließen: sie ersetzt mehrdeutige Begriffe durch Definitionen, isoliert im Text Prämissen und Argumente und gelangt von ihnen aus und durch selbständiges Folgern zu Konsequenzen, die möglichst dem Text entsprechen müssen. Nun meint Henrich aber, auch die Rekonstruktion sei nur eine Vorarbeit zur Interpretation. Das hängt mit seiner Auffassung von der Eigenart philosophischer Texte zusammen: Bei innovierenden Theorien sei die Lage die, daß die Zusammenhänge, welche sie aufweise, zur Bewältigung von Problemen führe, welche "innerhalb des gemeinsamen Horizontes aller überkommenen Theorien" unlösbar seien. Am schwierigsten zu verstehen sei deshalb die innere Verfassung der neuen Theorie selbst. Das zeige sich an dem Text, der sie artikuliert: In ihm sei eine "Überlagerung" von verschiedenen Begründungsgängen innerhalb einer und derselben Satzfolge feststellbar. Die eigentliche und erschöpfende Interpretation des Textes müsse eben solche verschiedenen Begründungsgänge explizieren können. Das Eigentümliche dieser Art Interpretation faßt Henrich dann dadurch zusammen,, daß er andeutet, wie ein sie ausdrückendes "Notationssystem" auszusehen hätte: es müßte teils wie das Verfahren der Rekonstruktion logische Abhängigkeit darstellen, teils aber "die Assoziierbarkeit

von Gedanken zu ein und demselben Satz" zum Ausdruck bringen.

Als Parallelbeispiel für diese letzte Funktion nennt er das Notationssystem der Musik. Wichtig ist, daß diese Interpretation den Text zum Gegenstand hat: Es geht darum, herauszustellen, welche Argumente der Intention des Autors am besten entsprechen und nicht darum, zu beurteilen, in welchem Maße die Argumente "den Maßstäben der Philosophie unserer Zeit" genügen. ("Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion"). Soweit ich sehe, will Henrich nicht sagen, daß die eigentliche Interpretation, zu der die Rekonstruktion nur eine Vorarbeit sei, sich prinzipiell außerhalb des Rahmens der argumentierenden Aneignung bewege. Zwar gilt es, das Nebeneinander mehrerer möglicher Gedankengänge zu explizieren, aber diese Gedankengänge sind doch allemal rekonstruierbare Begründungs folgen. Wie oben erwähnt, bildet Georg Picht seine Interpretationshypothese bezüglich Kants Religionsphilosophie in Anknüpfung an Heidegger. Allgemein gilt von Pichts Kantauffassung, daß sie sich im positiven Sinne in der Folge der Heideg-

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ger'schen versteht. Das schließt jedoch nicht eine kritische Auseinandersetzung aus und so hebt Picht hervor, Heidegger unternehme zwar die erste "entschiedene Gegenwehr" gegen die neukantianische Interpretation — aber zugleich stehe er "selbst noch im Bannkreis neukantianischer Vorurteile: auch er vernachlässigt Kants Lehre von der Vernunft und den transzendentalen Ideen . . " ("Der Begriff der Natur und seine Geschichte" I, S. 320). Konkret läuft diese Kritik darauf hinaus, daß Heidegger nur eine vorläufige Gestalt derjenigen Einheitsstruktur erreiche, welche bei Kant das System der Philosophie begründet. Picht möchte Kants Lehre von der Vernunft hervorheben in dem Sinne, daß sie noch Bedingungen der Möglichkeit von der Einheit des Subjektes im Sinne der Apperzeption und der durch sie bedingten Vereinigung von Anschauung und Denken aufweise. So kommt Picht zu der provozierenden These, die Einheit der Vernunftideen konstituiere allererst die Einheit des Selbstbewußtseins ("Der Begriff der Natur und seine Geschichte" I, S. 233ff. Wie diese These sich mit der Interpretation von Kants Religionsphilosophie verbindet, wurde oben angedeutet (S. 8f). Auch bei Picht zeigt sich, daß die deutsche nach-Heidegger'sche Kantinterpretation nicht ohne methodische Rechenschaftsablegung auskommt. Zunächst zeigt sich Picht methodisch, obwohl er als Gegenstand der Interpretation die Einheit der Vernunft und der Philosophie als Systems ansetzt, auf Heideggers Linie: "Die methodische Besonderheit dieses Weges besteht darin, daß wir die Philosophie von Kant nicht als ein Corpus von gedruckten Schriften auffassen, die mit den üblichen Methoden der philologischen Forschung interpretiert werden können, sondern daß wir von einem Problem ausgehen, das er in keiner seiner Schriften gelöst hat, nämlich von dem Problem eines Systems der Vernunft, das das System der Natur und das System der Freiheit zu einem einzigen System zusammenschließt" (meine Hervorh. "Kants Religionsphilosophie" II, S. 36). Daß das jedoch nicht ein Herunterspielen der Bedeutung der Interpretation gegebener Texte impliziert, hat Picht später in einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit methodischen Fragen klargestellt. Auch nach Picht muß die Interpretation philosophischer Texte mehrere verschiedene Verfahren in sich vereinigen; und auch er veranschaulicht das anhand der Analogie zur musikalischen Notation: Entsprechend der doppelten Polyphonie, die man aus dem Lesen einer Partitur heraushören kann — derjenigen "der musikalischen Linie" und derjenigen "der Klangfarbe der verschiedenen Instrumente" — müsse die philosophische Interpretation zweierlei aus dem Text explizieren. Einmal müsse man beachten, daß der Sinn eines philosophischen Begriffes nicht ohne weiteres durch seine Definition erschöpft sei - er bestehe auch in den mannigfachen Assoziationen, welche in der geschichtlichen Situation des Autors mit ihm verbunden wurde. Zum anderen müsse man aber auch die komplexe Folge der "diskursiv zu entwickelnden Gedankengänge" genau herausstellen. Als dritte Dimension des Textes fügt Picht aber noch ihre Geschichtlichkeit hinzu: Sowohl die Assoziationsfülle des Begriffes als die Richtung des Begründungsganges sei durch die geschichtliche Stelle des Textes bedingt. Durch die Interpretation gelte es,

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"die Philosophie in (dem) Text" zu erfahren und diese Erfahrung sei zugleich eine "Erfahrung des Denkens" und "eine Erfahrung der Geschichte". Die Analogie zwischen der "Polyphonie der musikalischen Linie", bzw. der "Stimmen" und der diskursiven Gedankenfolge des Textes fasse ich so auf, daß die Interpretation der Argumente präzise kontrollierbar ist. Dieser Aspekt der Interpretation entspricht somit weitgehend demjenigen, den Henrich die argumentierende Rekonstruktion nennt. Entscheidend ist aber, daß es bei Picht die andere Analogie gibt: Wie die "Dynamik einer Folge von Klangereignissen" nicht durch die Notation der Partitur erfaßbar ist, müsse die Interpretation der kantischen Texte auch das herausstellen, "was in seinen Texten nicht zu lesen steht" ("Was ist Philosophie? "). Picht macht also den Versuch, so könnte man seine methodischen Erörterungen zusammenfassen, Heideggers "denkendes Gespräch zwischen Denkenden" und die kontrollierbare Darstellung der tatsächlichen Argumentationsfolge des Textes zugleich zu verwirklichen. Vor dem Hintergrund dieser Erörterungen zur methodischen Problematik der Kantinterpfetation soll nun einiges zur Eigenart der folgenden Untersuchung gesagt werden. Die beiden Problemzusammenhänge, um die es gehen soll, die logische und transzendentallogische Bedeutung des Begriffes vom Einzelnen und die Lehre von der dritten Vernunftidee, dem transzendentalen Ideal, liegen fur den Leser des kantischen Textes nicht klar zu Tage - und erst recht tut das nicht die interne Verbindung zwischen den beiden Problemkomplexen. Das macht ein Element erläuternder Kommentierung erforderlich: Es müssen möglichst viele einschlägige Texte herangezogen werden, um den Sinn der kantischen Terminologie zu erschließen, denn diese ist nicht die unsere — weder die unserer theoretischen, noch die unserer Umgangssprache. In der üblichen Weise werden daher neben den von Kant selbst publizierten Schriften der handschriftliche Nachlaß und die Vorlesungsnachschriften behandelt. Beide Textgruppen setzen bekanntlich wiederum für ihr Verständnis die Terminologie und Theorie der Wolff-Schule voraus. Die Frage, zu deren Beantwortung die Interpretation letztenendes fuhren muß, ist jedoch, durch welche Argumente die behandelten Problemstellungen in den übrigen Zusammenhang von Kants Theorie der Erkenntnis eingefugt werden. Um die Beantwortung zu versuchen, muß die Interpretation den Weg der argumentierenden Rekonstruktion einschlagen. Auch für diese ist aber die erläuterende Textbehandlung eine notwendige Voraussetzung: In den Texten aller genannten Gattungen ist eine Mannigfaltigkeit von Versuchen von Seiten Kants vertreten, Begriffsbestimmungen zu präzisieren und Argumentationen schlüssig zu machen. Die Untersuchung dieser vielfaltigen Textpassagen ist unentbehrlich fur den interpretierenden Versuch, die Argumente selbständig zu gestalten. Von diesen Gesichtspunkten her ergibt sich die Gliederung der folgenden Unter-

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suchung. Es sollen zunächst die terminologischen und theoretischen Voraussetzungen dargestellt werden, welche Kant in Bezug auf die beiden Problemzusammenhänge gegeben waren, dJi. die diese betreffenden Teile der Philosophie der WolffSchule (I). Es wird dann das Problem, zu dessen Kontext die Theorie des transzendentalen Ideals gehört, das Problem der Erkenntnis des Einzelnen in seiner logischen Gestalt, gekennzeichnet (II), danach wird untersucht, inwiefern die transzendentale Deduktion als Teil der Philosophie der Logik dieses Problem löst (III). In einem weiteren Schritt wird auf den neuen Aspekt der transzendentalen Logik, den Kant in Abhebung von der Analytik einfuhrt, eingegangen: denjenigen der "Vernunft" (IV). Und schließlich wird der die Theorie über das transzendentale Ideal enthaltende Text interpretiert und der Zusammenhang seines Arguments mit der Problematik der Logik und Analytik untersucht (V).

I DIE VORAUSSETZUNGEN BEI LEIBNIZ UND IN DER WOLFFSCHULE Es ist bekannt, daß Kant bei seinen philosophischen Vorlesungen als Kompendien Lehrbücher aus der Schule Chr. Wolffs benutzte. Daß dies nicht nur eine äußere Bedeutung hat, wissen wir mit voller Klarheit, nachdem Kants handschriftlicher Nachlaß und die Vorlesungsnachschriften im Rahmen der Akademieausgabe publiziert wurden: Ein Studium dieses Materials zeigt, daß Kants eigene Theorie zu einem großen Teil aus einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser Lehrbücher hervorgegangen ist. Es liegt daher auf der Hand, welche Bedeutung der Philosophie der Wolff-Schule als Verständnisvoraussetzung bei einer Untersuchimg über Kants Philosophie zukommen muß. Ist man einigermaßen mit der Lehre der Wolff-Schule vertraut, zeigen sich viele Theoreme bei Kant sozusagen als Transformationen von Lehrstücken der Wolff sehen Schulphilosophie. Damit soll natürlich nicht behauptet werden, Kant sei lediglich ein moderater Reformator der Wolff-Schule — eine Transformation von Theoremen kann ja sehr wohl eine "Revolution der Denkungsart" herbeifuhren. Nun muß man sicher sagen, daß die Einbeziehung des von Kant nicht publizierten Materials und auch der Wolff sehen Schulphilosophie besonders dann erforderlich ist, wenn man es mit kantischen Lehrstücken zu tun hat, deren Sinn und argumentativer Aufbau aus der Formulierung in den Hauptwerken nicht voll erschlossen werden können. Bei der Lehre vom "Transzendentalen Ideal" handelt es sich zweifellos um ein solches Lehrstück. Das dürfte auch einer der Gründe sein, weshalb es in der Forschimg weitgehend vernachlässigt wurde. Ein Teil der Interpretation von Kants Lehre über das transzendentale Ideal muß deshalb darin bestehen, zu zeigen, in welcher Weise man es als Transformation von Lehrstücken aus der Schulphilosophie auffassen kann. Dabei wird sich herausstellen, daß diese Lehrstükke nicht nur der Theologia naturalis, sondern auch der Ontologie angehören. Es sollen daher im folgenden Aspekte aus der Wolff sehen Metaphysik dargestellt werden, und zwar vorwiegend diejenigen, auf welche Kant sich in der Gestaltung der Lehre vom transzendentalen Ideal bezieht. Wir gehen jedoch innerhalb der kantischen Voraussetzungen noch einen Schritt weiter zurück. Die Philosophie von Chr. Wolff verdankt ihre Eigenart wesentlich einer Inspiration durch Leibniz. Kants Auseinandersetzung mit der Wolff-Schule hängt deshalb mit seiner Leibniz-Kritik zusammen. Dabei zeigt sich jedoch, daß gerade bei der Problematik, um die es hier geht - dem Verhältnis zwischen Singularität und Gottesgedanken - zwischen Leibniz' eigener Auffassung und deijenigen der Wolff-Schule Divergenzen bestehen. Gleichzeitig wird in Kants kritischer Transformation des Gottesbegriffes ein ursprünglich Leibniz'sches Motiv wirksam.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Es soll daher der Anfang gemacht werden mit einer Darstellung von solchen Teilen der Leibniz'schen Philosophie, welche bei Kants Lehre vom transzendentalen Ideal bedeutsam werden. Diese Bedeutsamkeit wird sich dann bei der eigentlichen Interpretation dieses kantischen Lehrstückes zeigen.

1.1 Leibniz

1.1.1 Aspekte der Logik Einer der entscheidenden Bestandteile von Leibniz' metaphysischem System ist seine Theorie von der Einzelsubstanz. Ein Weg, sich dieser Theorie zu nähern, sind seine grundlegenden logischen Gesichtspunkte, die sich in der Begriffs- und Urteilslehre ausdrücken. Was man als Leibniz' Lehre vom B e g r i f f auffassen kann, findet sich systematisch dargestellt in der Abhandlung "Meditationes de cognitione, veritate et ideis" (1684). Leibniz will hier, wie er selbst betont, zu einem in der Cartesianischen Schule diskutierten Thema Stellung nehmen, nämlich dem Begriff der "Idee". Descartes selber hatte bezüglich der Wahrheit von Ideen das folgende Prinzip aufgestellt: " . . illud omne esse verum quod valde clare et distincte percipio" 1 . An diesem Prinzip bemängelt Leibniz, es sei unfruchtbar, solange nicht die Bedeutung von "clare" und "distincte" genau bestimmt sei. Die genaue Bestimmung der Kriterien des Klaren und Distinkten und weiterer Klassifizierungen der Ideen bildet den Hauptinhalt der Abhandlung. Der Gesichtspunkt, von dem her Leibniz die Arten der Ideen zunächst bestimmt, besteht in der Frage, ob und wieweit man kraft einer Idee imstande ist, die mit ihr korrespondierende Sache wiederzuerkennen. Die erste Unterscheidung, die sich von hier aus ergibt, ist diejenige zwischen obskuren und klaren Ideen2. Eine Idee ist obskur, wenn sie es nicht erlaubt, die betreffende Sache wiederzuerkennen. Als Beispiele dieser Art Ideen nennt Leibniz einerseits die schwache Erinnerung eines Tieres, bzw. einer Blume, andererseits ein nicht bestimmt definierter Begriff — wodurch klar wird, daß "Idee" eine sehr umfassende Bedeutung hat. - Im Gegensatz hierzu ist die klare Idee eine solche, kraft welcher man die bezeichnete Sache wiedererkennen kann. Die nächste Unterscheidung betrifft zwei Arten von klaren Ideen, die konfusen und die distinkten. Konfus ist eine klare Idee, wenn man nicht diejenigen Merkmale (notae) einzeln aufzählen kann, welche hinreichend sind, um die Sache von anderen zu unterscheiden - wobei vorausgesetzt ist, daß die repräsentierte Sache tatsächlich solche Merkmale enthält, und daß auch die Idee der Sache prinzipiell in solche 1 2

Meditationes de prima philosophia 111,2. Ich halte in der Darstellung an Leibniz' eigenen Bezeichnungen für die Arten der Ideen fest, da Übersetzungen, etwa "dunkel" oder "verworren" zum Verständnis nichts beitragen.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Merkmale auflösbar ist. Als prominentes Beispiel sieht Leibniz die Idee der Farbe: wir können zwar die einzelne Farbe identifizieren, sind aber nicht imstande, sie durch bestimmte Merkmale zu charakterisieren — obwohl wir, nach Leibniz' Auffassung, voraussetzen müssen, daß die Farbvorstellung Teile enthält. — Demgegenüber gilt von der distinkten Idee, daß man nicht nur durch sie eine Sache wiedererkennen, bzw. von anderen unterscheiden, kann, sondern auch diejenigen Merkmale aufzählen kann, kraft derer sich die Sache von anderen unterscheidet. Eine klare und distinkte Erkenntnis hegt also vor, wenn in einer zusammengesetzten Idee die einzelnen notae unterschieden werden. Aber sie liegt auch vor bei Ideen, die nach Leibniz einen privilegierten Status haben, nämlich solche, die nicht definierbar sind. Solche Ideen sind primitiv und unauflösbar in dem Sinne, daß sie nicht eine Mannigfaltigkeit von Elementen besitzen. Da sie nicht durch Merkmale weiter charakterisierbar sind, muß man sagen, daß sie "nur durch sich selbst erkannt werden" können3. Im Unterschied etwa zu den Ideen der Farben müssen sie als klar und distinkt gelten, weil sie tatsächlich primitiv, bzw. einfach, sind. Durch die Anwendung der Unterscheidung konfus - distinkt auf die einzelnen Merkmale einer Idee ergeben sich die beiden Arten der inadäquaten und adäquaten Ideen. Eine distinkte Idee ist inadäquat, wenn ihre einzelnen Elemente, bzw. Merkmale, klar aber konfus sind. Hingegen ist die distinkte Idee adäquat, wenn alle in ihr eingehende Elemente wiederum distinkt sind, d.h. wenn diejenige Analyse, durch welche die Elemente unterschieden werden, zu Ende geführt ist. Das Kriterium muß hierbei natürlich sein, daß die Idee vollständig in primitive Ideen zerlegt ist. Leibniz bemerkt in diesem Zusammenhang, daß es ihm zweifelhaft sei, ob dem Menschen eine adäquate Erkenntnis möglich sei - daß aber allenfalls die Erkenntnis der Zahlen ihr nahe komme. Eine letzte Unterscheidung — diejenige zwischen symbolischen und intuitiven Ideen — beruht auf dem Gesichtspunkt, daß man entweder die Mannigfaltigkeit von Elementen einer adäquaten Idee durch ein Zeichen zusammenfassen muß, oder sie in ihrer Gesamtheit überschauen kann. Einen Spezialfall intuitiver Erkenntnis bilden wieder die primitiven Ideen. Und Leibniz schließt die Übersicht über die Arten der Ideen ab mit der Bemerkung, die vollkommenste Erkenntnis sei diejenige, welche zugleich adäquat und intuitiv sei. Man sieht, daß der Grundgedanke, auf dem diese Kritik an dem Cartesischen Prinzip beruht, die Annahme von primitiven Begriffen ist. Von diesem Grundgedanken her hat Leibniz bekanntlich auch seine Theorie einer "Ars combinatoria" kon3

" . . non nisi per se intelligitur" Gerh. IV,423. Die "Meditationes", aufweiche sich die gegenwärtige Darstellung der Logik bezieht, umfaßt in diesem Band S. 422-26. - Die Schriften von Leibniz werden im Übrigen folgendermaßen zitiert: Auf diejenigen, welche in überschaubar kleine Abschnitte aufgeteilt sind, wird durch die Nummer, bzw. Ziffer, des betreffenden Abschnittes verwiesen. Das gilt für den "Discours de metaphysique", den "Essai de Theodizee" und die sogenannte "Monadologie". Bei Zitaten aus anderen Schriften wird wie oben auf die Seitenzahl in einer der Ausgaben verwiesen.

Leibniz: Aspekte der Logik

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zipiert — die Theorie, es gebe eine begrenzte Anzahl primitiver Ideen, aus deren Kombination alle bekannten und noch zu erfindenden Begriffe und Wahrheiten hervorgingen4. Es erscheint daher angemessen, von Leibniz' kombinatorischer Begriffstheorie zu sprechen5. Leibniz' Lehre vom U r t e i l muß von seiner Theorie der Wahrheit als einer "inesse"-Relation her verstanden werden. Aus den unzähligen Formulierungen der Wahrheitsdefinition sei diejenige aus der Schrift "De libertate" erwähnt. Der "klare Begriff der Wahrheit" besagt, " . . commune esse omni propositione verae affirmativae, universali et singulari, necessariae vel contingent!, ut praedicatum insit subjecto, seu ut praedicati notio in notione subjecti aliqua ratione involvat u r . . "6. Leibniz faßt also allgemein das Urteil als eine Relation zwischen Subjekt und Prädikat auf 7 und versteht die Wahrheit als das Enthaltensein des Prädikatbegriffs im Subjektbegriff. Mit der kantischen Terminologie kann man also von Leibniz' analytischer Urteilstheorie sprechen8. Nun gibt es verschiedene Arten, wie Sätze wahr sein können. In "De libertate" fuhrt Leibniz zunächst den Begriff der ursprünglichen Wahrheit ein. Für sie gilt, daß sie nicht begründbar ist, weil sie die Wahrheit identischer Sätze ist, d.h. Sätze, in denen das Subjekt mit dem Prädikat im strikten Sinne identisch ist. Mit dieser Art Wahrheit korrespondiert natürlich die Falschheit solcher Sätze, in welchen ein dem Subjekt widersprechendes Prädikat bejaht wird. Die Wahrheit und Falschheit dieser Sätze beruht unmittelbar auf dem Identitäts-, bzw. Widerspruchsprinzip. Für die Charakterisierung der übrigen Arten von Wahrheit ist der Gedanke der Analysis von Sätzen entscheidend, welcher sich direkt aus der Leibniz'schen Begriffstheorie ergibt. Wenn die Termini eines Satzes zusammengesetzt sind, lassen sie sich in einfachere Bestandteile analysieren und die Analysis der Sätze besteht nun eben darin, daß man für die Termini die äquivalenten, aus Elementen, bzw. Merkmalen bestehenden, Ausdrücke einsetzt. Auf diesem Hintergrund kann man von abgeleiteten Wahrheiten sprechen. Sie sind in solchen Sätzen ausgedrückt, deren Analyse eine endliche Menge ursprünglich wahrer, d.h. identischer, Sätze ergibt. Die abgeleitete Wahrheit ist in diesem Fall wie bei den identischen Sätzen selbst notwendig. 4 s 6

7

8

Zu diesem Zusammenhang vgl. Couturat: "La Logique de Leibniz", S. 32-50. So etwa G. Martin in "Leibniz. Logik und Metaphysik", S. 45. Das Fragment "De libertate", auf das sich das folgende bezieht, findet sich Nouv.lettr. et opusc.,S. 178-84. Die Schwierigkeiten, die sich aus dieser Auffassung ergeben, insbesondere hinsichtlich der relationalen und der Existentailwteüe, sind eingehend von Russell behandelt worden. Vgl. "A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz", S. 12 ff. Vgl. G. Martin a.a. O. und Couturat: "En re'sume', toute verite' est formellement ou virtuellement identique ou, comme dira K a n t , analytique . . ", a.a.O. S. 210.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Nun stellt sich Leibniz die Frage, ob es denn überhaupt denkbar ist, daß die Wahrheit eines Satzes nicht in diesem Sinne notwendig ist. Und in der Tat scheint ja die Theorie der primitiven Ideen, mit der Theorie der Wahrheit als "inesse"-Relation zusammengenommen, zu implizieren, daß die Wahrheit eines Satzes immer auf dem Vorliegen von identischen Sätzen beruht. Zu den Überlegungen, die zur Beantwortung dieser Frage geführt haben, berichtet Leibniz selbst: "Tandem nova quaedam atque inexpectata lux oborta est unde minime sperabam: ex considerationibus scilicet mathematicis de natura infiniti"9. Die Einführung des Begriffes vom Unendlichen im Zusammenhang der Klassifizierung von Wahrheiten ist folgendermaßen zu verstehen. Es gibt Sätze, bei denen die Analysis nicht eine bestimmte Menge identischer Sätze zum Ergebnis hat, sondern vielmehr den Charakter eines unendlichen Regresses annimmt. Auch von diesen Sätzen gilt, wenn sie wahr sind, daß der Prädikatbegriff in dem Subjektbegriff enthalten ist, aber das läßt sich — im Rahmen menschlicher Erkenntnis zumindest nicht erweisen. Die Sätze, denen diese Art abgeleiteter Wahrheit zukommen, sind kontingent wahr. Daß man die "inesse"-Relation bei den kontingent wahren Sätzen nicht aufzeigen kann, bedeutet, daß sich die Wahrheit nicht anhand des Widerspruchssatzes ergibt. Daß aber diese Relation nichtsdestoweniger vorausgesetzt werden muß, bedeutet, daß in diesem Fall ein zweites Vernunftprinzip zur Geltung kommt, nämlich der Satz vom zureichenden Grund. Eine Formulierung dieses Prinzips, die den Zusammenhang mit der Wahrheitstheorie deutlich zeigt, findet sich in Leibniz' Brief an Arnauld vom Juni 1686: "il faut toujours qu'ily ait quelque fondement de la connexion des termes d'uneproposition qui se doit trouver dans leurs notions. C'est la mon grand principe . . dont un des corollaires est cet axiome vulgaire que rien n'arrive sans raison qu'on peut toujours rendre pourquoy la chose est plustot allöe ainsi qu'autrement . ,"10. Im Kontext der Logik ist es also so, daß sich der Sinn der beiden Vernunftprinzipien aus der Definition der Wahrheit ergibt - ein Sachverhalt, den Leibniz selbst hervorhebt: "Car l'on peut dire en quelque facon, que ces deux principes sont renfermis dans la definition du Vray et du Faux" 11 . Es ist klar, daß der entscheidende Unterschied hinsichtlich der Arten von Wahrheit derjenige ist, welchen Leibniz innerhalb der "abgeleiteten" Wahrheiten trifft — dJi. der Unterschied zwischen notwendig und kontingent wahren Sätzen. In anderen Zusammenhängen benutzt er für ihn die Bezeichungen "verit6 de fait" und "verit6 de raison". 9 10 11

A.a.O. Gerh. 11,56. "Essais de Theodicee" Gerh. VI.414. Couturat drückt den Zusammenhang so aus, daß er sagt, das principium rationis sei nicht eine Folge des principium identitatis, sondern eher dessen Pendant oder logisches Reziprok: " . . . car le principe d'identite' afflrme que toute proposition identique est vraie, tandis que le principe de raison affirme, au contraire, que toute proposition vraie est analytique, c'est-a-dire virtuellement identique". Couturat ist

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Mit dem jetzt Dargestellten ist der logische Hintergrund gegeben, vor dem Leibniz' Auffassung von der Einzelsubstanz verständlich werden kann. sich natürlich darüber im Klaren, daß vor allem das principium rationis andere Bedeutungen als die rein logische annimmt, aber es ist die Hauptthese seiner Leibniz-Interpretation, daß etwa die metaphysischen Gesichtspunkte von Leibniz sich aus seiner Logik entwickelt haben: " . . toutes les theses fondamentales de la Monadologie .. Leibniz de'duit des 1686 des principes de sa Logique". A.a.O., S. 214 und 210. Heidegger sieht in der Bestimmung der adäquaten Idee impliziert einen Gedanken von Wahrheit als "adaequate perceptum esse". Und er stellt sich die Frage, wie sich dieser Begriff der Wahrheit zur analytischen Wahrheitstheorie, der Bestimmung der Wahrheit als Identität, verhalte. Seine Antwort liegt darin, daß er den Leibniz'schen Begriff der Identität so weit dehnt, daß er die Eigenart der adäquaten Idee: die - mit Heideggers Formulierung - "totale Erfassung der Einstimmigkeit der Vielfältigkeit" umfaßt. Das ergibt folgende Auffassung des Leibniz'schen Begriffs der Identität: Sie "ist nicht der negative Begriff des Fehlens jeder Unterschiedenheit, sondern umgekehrt die Idee der Ein-stimmung des Verschiedenen." "Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz", S. 82. Es scheint mir, daß Heidegger hier unberechtigt zwei verschiedene Aspekte der adäquaten Idee zusammenbringt: 1. die Tatsache, daß die adäquate Idee eine vollendete Analysis voraussetzt: die adäquate Idee ist endgültig in primitive Ideen aufgelöst; 2. die Frage der Kompossibilität der in einer adäquaten Idee enthaltenen primitiven Betandteile, d.h. die Frage ihrer Widerspruchslosigkeit. Der Aspekt 1. enthält in der Tat den Begriff der Identität: die vollendete Auflösung einer Idee in primitive Bestandteile muß sich in einer Reihe identischer Sätze ausdrücken. Aber ich sehe nicht, wie man mit dem Aspekt 2. den Begriff der Identität verbinden kann. Russell hat auf der Grundlage des Unterschiedes, der hier als derjenige zwischen den beiden Aspekten dargestellt ist, den Zusammenbruch der Leibniz'schen These von der Analytizität aller Urteile zu zeigen versucht - und zwar am Beispiel der Definition. Die Realdefinition ist nach Leibniz gegeben, wenn eine Idee möglich ist, d.h. wenn ihre Bestandteile kompossibel sind. Nun muß aber die Relation zwischen einfachen Ideen - und d.h. auch die Relation der Kompossibilität - notwendig eine synthetische sein. Eine analytische Relation kann nämlich unter Leibniz'schen Voraussetzungen nur zwischen Ideen bestehen, von denen mindestens eine komplex ist - "Thus there is always involved, in definition, the synthetic proposition, that the simple constituents are compatible". - Ein solcher synthetischer Satz ist auch in der Kompossibilität der adäquaten Idee impliziert, insofern sie eine Einheit mehrerer Elemente ist: " . . in so far as they (sc. analytic propositions) are significant, they are judgements of whole and part; the constituents, in the subjects, have a certain kind of unity . . ". "A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz", S. 20 und 22. Die These der Kompossibilität ist nach Russell also ein Faktor, der Leibniz' analytischer Urteilstheorie inkonsistent macht. Er scheint mir auf jeden Fall darin Recht zu haben gegen Heidegger - daß Identität und Kompossibilität prinzipiell verschiedene Elemente der Leibniz'schen Theorie sind. Heideggers Ausdehnung des Identitätbegriffes ist nicht belanglos. Auf ihr beruht vielmehr zu einem großen Teil seine Argumentation für die Auffassung, die Logik sei bei Leibniz "metaphysisch begründet". Diese Argumentation läuft auf folgendes hinaus. Da die Wahrheit des Urteils auf der Zurückführbarkeit auf Identität beruht und da ferner mit dieser Zurückführbarkeit eine "Zusammengehörigkeit(en) der Bestimmungen als verträglicher in der Einheit dessen, worüber geurteilt w i r d . . " zusammenhängt, kann man schließen, daß das Urteilen (und damit die Logik) die monadische Verfassung der Substanz voraussetzt. A.a.O. S. 126 f.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

1.1.2 Die Einzelsubstanz In seiner Theorie der Substanz schließt Leibniz sich insofern einer traditionellen Auffassung an, als er meint, man könne die Struktur der Substanz von der SubjektPrädikatstruktur des Urteils her erschließen. Diesen Zusammenhang hat er in dem "Discours de mitaphysique" (1686) dargestellt. Der Kontext der Ziffer 8 des "Discours" ist durch die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und demjenigen der Geschöpfe bestimmt. Das Substanz-Problem taucht hier deshalb auf, weil man davon ausgehen muß, daß das Subjekt des Handelns - und Leidens - eine individuelle Substanz ist. Leibniz muß also untersuchen, was dieser Begriff beinhaltet. Er bezieht sich zunächst auf die Aristotelische Substanzdefinition: Wenn mehrere Prädikate dem gleichen Subjekt zugesprochen werden können, dieses jedoch nicht von anderen als Prädikat ausgesagt werden kann, dann ist ein solches Subjekt eine individuelle Substanz. Leibniz kann sich mit dieser Definition nicht zufrieden geben, da sie nur eine "explication nominale", eine Nominaldefinition also, ist12. Man sieht, daß diese Nominaldefinition der Substanz auf der Subjekt-Prädikatstruktur in ganz allgemeinem Sinne baut. Zur Realdefinition gelangt Leibniz dadurch, daß er seine eigene, auf der Wahrheitstheorie gegründete Urteilstheorie heranzieht: Die Natur der individuellen Substanz - oder mit dem nach Leibniz äquivalenten Ausdruck: des in sich vollständigen Seins - ist, so heißt es weiter, ein Begriff, der so vollendet ist, daß aus ihm alle Prädikate des durch ihn bezeichneten Subjekts hinreichend begriffen und deduktiv abgeleitet werden können. Parallel dazu definiert Leibniz das Akzidenz: Es ist ein Wesen, dessen Begriff nicht all das umfaßt, was von dem Subjekt, das er bezeichnet, auch prädiziert werden kann. Den Unterschied zwischen einem akzidentellen Begriff und einem solchen von einer individuellen Substanz veranschaulicht Leibniz mit folgendem Beispiel: Die Eigenschaft, König zu sein, die man Alexander dem Großen zusprechen kann, reicht — isoliert genommen - nicht aus, um ein Individuum zu bestimmen. Diese Eigenschaft faßt nämlich nicht all das in sich, was zu dem Begriffeines bestimmten Fürsten gehört. - Hingegen gilt von dem individuellen Begriff - der haecceitas von Alexander, daß eine vollkommene Erkenntnis — die göttliche also — in diesem Begriff alle Prädikate enthalten sieht, die wahr von ihm ausgesagt werden können, 12

Der Unterschied zwischen Nominal- und Realdefinition ergibt sich aus Leibniz' Klassifizierung der Arten von Ideen. So heißt es in den "Meditationes", die Womme/definition sei mit der distinkten Idee identisch. Sie ist also dadurch charakterisiert, daß man kraft ihrer diejenigen Merkmale einzeln aufzählen kann, hinsichtlich welcher eine Sache sich von anderen unterscheidet. Durch die ßea/definition hingegen muß sichergestellt sein, daß die repräsentierte Sache möglich ist. Das läßt sich nur dadurch erweisen, daß die in der Idee enthaltenen Bestandteile sich nicht widersprechen. Der Idealfall einer Realdefinition ist also die adäquate Idee. Vgl. Gerh. IV, 424f.

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z.B. daß er Darius und Poms besiegen, ob er einen natürlichen Tod finden wird usw. Aber eine solche Erkenntnis aus dem Begriff, a priori, ist nur der vollkommenen Einsicht möglich. Menschliches Erkennen kann solche Wahrheiten nur der Geschichte entnehmen. Bis jetzt ist weniger von der individuellen Substanz selbst als von dem ihr entsprechenden Begriff gesprochen worden. Aber Leibniz fuhrt im Beispiel weiter aus, daß die Seele Alexanders — diejenige individuelle Substanz, von der in diesem Fall die Rede ist — Nachwirkungen von allem, was ihm zugestoßen ist, und Anzeichen all dessen, was er noch erleben wird, enthalten muß. Ja, es müssen in ihr Spuren sein von allem, was im ganzen Universum vor sich geht. Die individuelle Substanz zeichnet sich also nach Leibniz dadurch aus, daß sie nicht nur schlechthin zu allem in Beziehung steht, sondern daß sie dies alles in sich hat. In dem Brief vom Juni 1686 an Arnauld - den Adressaten des "Discours" geht Leibniz auf den Unterschied zwischen dem Einzelbegriff, dem Begriff der individuellen Substanz, und dem Allgemeinbegriff ein: Wenn man den allgemeinen Begriff, d.h. denjenigen der Art, auflöst, ergibt sich eine notwendige Beziehung zwischen einem Subjekt und einem Prädikat, zwischen Begriff und Eigenschaft, bzw. Merkmal. Der Inhalt eines solchen Begriffes läßt sich mit Notwendigkeit aus ihm deduzieren. Der Begriff von der individuellen Substanz hingegen soll vollständig bestimmt und imstande sein, sein Subjekt in seiner Verschiedenheit von allen anderen zu bezeichnen. Daher muß er auch zufällige Wahrheiten und individuelle Umstände hinsichtlich des Raumes und der Zeit enthalten, ja er muß auch die Existenz seines Subjekts beeinhalten. Das bedeutet aber, daß der Inhalt des individuellen Substanzbegriffes nicht in dem Sinne logisch aus ihm herzuleiten ist, daß die Negation eines bestimmten Prädikates einen Widerspruch hervorrufen würde13. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen der Theorie der Substanz und der Theorie der Tatsachenwahrheiten, der "νέπίέδ de fait". Was über eine individuelle Substanz ausgesagt wird, ist, wenn es sie als Individuum meint, eine Tatsachenwahrheit14. Und so ist auch die Substanz vom Begriff des Unendlichen gekennzeichnet: daß etwas eine individuelle Substanz ist, bedeutet, daß es von ihm einen Begriff gibt, in welchem alles enthalten ist, was von ihm ausgesagt werden kann. Und dies "alles" ist ein Unendliches. Aus dieser Eigenart der individuellen Substanz ergibt sich das sogenannte principium identitatis indiscernibilium. Leibniz hat es im vierten Brief an Clarke folgendermaßen formuliert: "Π n'y a point deux individus indiscernables"15. In dem "Discours", wo es in der Ziffer 9 der Charakterisierung der individuellen 13 14 15

Gerh. 11,47-53. Vgl. Couturat, der hervorhebt, zu den "ve'rite's de fait" gehören die "propositions singulieres, c'est-a-dire dont le sujet est individuel.. ". A.a.O., S. 208. Gerh. VII, 372.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Substanz unmittelbar folgt, besagt es, "qu'il n'est pas vrai que deux substances se ressemblententierement,etsoyentdifferentes s o l o n u m e r o . . " Die Begründung des Prinzips liegt im principium rationis. So bemerkt Leibniz im fünften Brief an Clarke, die Annahme, es könnte zwei ununterscheidbare Dinge geben, sei "dem großen Prinzip des Grundes zuwider": "contraire au grand Princip de la raison"16. Auf diese metaphysische Bedeutung des principium rationis, die besagt, daß der Grund für die Existenz eines bestimmten Dinges darin besteht, daß es einem anderen gegenüber einen Vorzug hat, wird unten eingegangen. Nun muß man nach Leibniz - über diese allgemeinen Erörterungen zum Substanzbegriff hinausgehend - zu dem Ergebnis kommen, daß nur eine bestimmte Art von Einzelsubstanzen in einem letzten Sinne Realität besitzen, nämlich die unausgedehnten, zu denen etwa die menschliche Seele gehört. Die metaphysische Ausgestaltung dieses Gedankens ist im System der "Monadologie" enthalten. Auf diese Lehre, die also unter anderem besagt, daß die eigentlichen individuellen Substanzen diejenigen sind, welche den Charakter der "Monade" haben, kann natürlich hier nicht eingegangen werden. Es sei nur ein Aspekt hervorgehoben, nämlich das Theorem über die Perzeptionsstruktur der Monade. Es wird von Leibniz in den Ziffern 10 bis 15 der sogenannten "Monadologie" entwickelt. Leibniz hat die "Monadologie" so aufgebaut, daß er es nicht - oder zumindest nur in sehr geringem Maße — unternimmt zu beweisen, daß man mit unausgedehnten Substanzen operieren muß, sondern er leitet aus dem bloßen Begriff der "substance simple" ihre verschiedenen Eigenschaften ab. Die Monade ist ein "etre crie" und so teilt sie mit allen anderen geschaffenen Wesen die notwendige Veränderlichkeit, die Leibniz als allgemein zugegeben voraussetzt. Dieser Wesenszug der Monade wird noch dahingehend präzisiert, daß die Veränderung in jeder Monade kontinuierlich vor sich geht. Da eine einfache Substanz durch keine anderen beeinflußbar ist, muß diese Veränderung aufgrund eines inneren Prinzips erfolgen. Neben dem inneren Prinzip setzt die Veränderung der Monade jedoch noch ein Zweites voraus: zu dem "princip de changement" muß hinzukommen "un detail de ce qui change". Da der Begriff des "detail" bedeutungsvoll und schwer durchschaubar zugleich ist, wird es ratsam sein, seine weitere Entfaltung unter Beibehaltung der originalen Terminologie nachzuvollziehen: das "detail" bewirkt die "spicification" und die "varietd" der einfachen Substanzen. Außerdem impliziert es notwendig eine "multitude" in der Einheit oder der Einfachheit. Die Begründung dieser zweiten Aussage liegt in dem kontinuierlichen Charakter der Veränderung: da jede natürliche Veränderung gradweise vor sich geht, muß es immer etwas geben, das sich verändert, und etwas, das verbleibt. Wie ist dieser Zusammenhang zwischen dem "detail" und der "multitude" einerseits, und der Kontinuier16

Gerh. VII, 395.

Leibniz: Die Einzelsubstanz

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lichkeit der Bewegung andererseits, zu .verstehen? Faßt man die Veränderung als einen Wechsel von Eigenschaften eines Dinges auf, so bedeutet ihre Kontinuierlichkeit, daß nicht alle Eigenschaften mit einem Male wechseln: von den Eigenschaften, die am Ende der Veränderung sozusagen ausgetauscht sind, gibt es während der Veränderung einige, die wechseln ("change") und einige, die es nicht tun ("reste"). Dieses Verhältnis von Wechsel und Beharrlichkeit ist natürlich nicht mit demjenigen identisch, das in der allgemeinen Bestimmung der Veränderung enthalten ist: Das Ding beharrt, die Eigenschaften wechseln. Es ist also geradezu eine logische Folge aus dem Begriff der kontinuierlichen Bewegung, daß das sich Verändernde eine "multitude" beinhaltet, ein Mannigfaltiges aus Wechselndem und (relativ) Beharrlichem. Folglich muß es, so heißt es in der Ziffer 13 weiter, eine "pluralitö d'affections et de rapports" in der einfachen Substanz geben, obwohl diese keine Teile enthält. Der logische Aufbau in den Ziffern 12 und 13 scheint also derart zu sein, daß aus der kontinuierlichen Veränderung auf die Vielheit der monadischen Einheit geschlossen wird, und daß diese Vielheit wiederum auf das "detail" zurückgeführt wird. Der Begriff des "detail" scheint ausdrücken zu sollen, daß die Qualifiziertheit der Monade eine vielfältige, und daß sie eine Qualifiziertheit der sich verändernden Monade ist. Daher kann auch das "detail" die Verschiedenartigkeit und Mannigfaltigkeit ("sp0cifikation"/"variet6") der Monaden begründen. Die entscheidende monadische Eigenschaft wäre dann neben der Einfachheit die Veränderlichkeit oder besser: das Sich-veiändern-können. Jedenfalls fuhren es diese Wesenszüge der Monade — die Veränderung und das "detail" — mit sich, daß von einer Vielheit in der Monade gesprochen werden muß, und zwar eine Vielheit, die nicht eine solche von Teilen ist. Die erste positive Kennzeichnung durch die Einfachheit bedeutet, daß die Struktur der Monade als Vielheit in der Einfachheit, bzw. der Einheit, bezeichnet werden kann. Es gilt jedoch zu präzisieren, in welcher Weise die Einheit-Vielheit Relation der monadischen Struktur zugeordnet ist. Der kontinuierliche Charakter der Veränderung bedeutet, daß sie nicht als ein sprunghafter Übergang von einem einfachen und in sich abgeschlossenen Zustand in einen anderen aufgefaßt werden darf. Der einzelne Zustand ist in sich eine Vielheit. Daher kann Leibniz in der Ziffer 14 sagen, daß der vorübergehende Zustand eine Vielheit in der Einheit oder in der einfachen Substanz involviert oder repräsentiert, und daß ein solcher Zustand eben das ist, was man Perzeption nennt. Die Relation der Einheit und Vielheit ist also nicht in der Monade schlechthin, sondern genau gesehen in ihrem jeweiligen Zustand enthalten. Was die Bezeichnung Perzeption fur den Zustand der Monade betrifft, so hebt Leibniz ausdrücklich hervor, daß sie von der Apperzeption und dem Bewußtsein zu unterscheiden sei, wozu er durchaus berechtigt ist, da ja der Perzeptionsbegriff allein aus der Bestimmung der Veränderung der Monade - und somit ohne jede Bezugnahme auf die sinnliche Wahrnehmung oder auf andere Bewußtseinsphänomene - gewonnen ist17. Mit der festgelegten Terminologie kann die Veränderung nun als Ubergang von

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

einer Perzeption zur anderen beschrieben werden. Es steht schon fest, daß die Veränderung aufgrund eines inneren Prinzips zustandekommt. Jetzt fugt Leibniz hinzu, daß die Tätigkeit (action) dieses Prinzips Streben (appetition) benannt werden kann. Etwas unverständlich heißt es einschränkend weiter, daß die Appetition nicht immer die angestrebte Perzeption erreicht, daß sie jedoch immer etwas von ihr erreicht und es somit zu ständig neuen Perzeptionen kommt. Leibniz verwendet für die Monade nicht nur den Ausrruck "substance simple", sondern bezeichnet sie auch als "forme substantielle". Diese Ausdrucksweise ist darin begründet, daß Körperliches an sich keine Substantialität besitzt. Um diejenige Einheit zu haben, welche mit Substantialität äquivaliert, muß ein Körper einem nichtkörperlichen Prinzip unterstehen. Dies ist die Monade und unter diesem Gesichtspunkt hat sie den Charakter der substantiellen Form. Die Konsequenzen dieses Sachverhaltes für den Begriff der Perzeption hat Leibniz in dem Brief an Arnauld vom September 1687 dargestellt. Er entwickelt hier den Perzeptionsbegriff unter dem Gesichtspunkt der Expression: Die Funktion der Monade als substantielle Form des Körperlichen schließt ein, daß die Perzeption die in diesem enthaltene Mannigfaltigkeit ausdrückt. Dieser Gedanke bereitet augenscheinlich Arnauld Schwierigkeiten. Er geht von der Perzeption des menschlichen Bewußtseins aus und fragt, ob dieses etwa durch einen Akt des Denkens den Körper ausdrücken solle. Das scheine unverständlich zu sein: Das Denken könne die gleichzeitig mit ihm verlaufenden Vorgänge im Körper nicht erfassen. Der Einwand veranlaßt Leibniz zur Aufstellung einer allgemeinen Definition der Expression: Eine Sache drückt eine andere aus, wenn zwischen dem, was von der einen und dem, was von der anderen ausgesagt werden kann, eine konstante und geregelte Relation besteht. So drückt z.B. eine geometrische Projektion das projizierte Gebilde aus. In diesem allgemeinen Sinne hat die Perzeption jeder Monade den Charakter der Expression. Der allgemeine Perzeptionsbegriff ist jedoch in folgende Arten spezifiziert: 1. Die natürliche Perzeption. 2. Die sinnliche Empfindung. 3. Die intellektuelle Erkenntnis. 17

Die Perzeptionsstruktur der Monade ergibt, mit der allgemeinen Explikation des Substanzbegriffes zusammengenommen, den Gedanken, daß es einen Begriff - nämlich den von der monadischen Substanz - gibt, welcher die ganze Vielfalt von Perzeptionen, bzw. Zuständen, in sich befaßt. Diese Eigenart macht die Monade zu einem Analogon zu mathematischen Größen, etwa zur Gleichung einer Kurve. Diese Analogie und die Tatsache, daß das menschliche Bewußtsein ein Spezialfall monadischer Struktur ist, macht es verständlich, daß der Neukantianismus in Leibniz einen Vorläufer ihrer eigenen Position sehen konnte: Die Perzeption wird als das menschliche Bewußtsein verstanden, aus dem gesetzmäßige Operationen generiert werden. Aus diesem Gesichtspunkt heraus ist die Interpretation von E. Cassirer durchgeführt. Eine solche Interpretation muß jedoch dazu tendieren, den Unterschied zwischen "Perzeption" und "Bewußtsein" zu verwischen. Vgl. "Leibniz' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen".

Leibniz: Die Gottesbeweise

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Den verschiedenen Arten der Perception entsprechen verschiedene Voraussetzungen. Von einer natürlichen Perception und von einer Empfindung ist schon dann die Rede, wenn ein Inhalt, der an sich teilbar, materiell und in verschiedenen Wesen "zerstreut" ist, durch ein einziges unteilbares Wesen, d.h. eine Substanz, vorgestellt wird. Daß die Vielheit der monadischen Perception, die "Detailliertheit" also, tatsächlich mit der Mannigfaltigkeit des Körperlichen korrespondiert, dafür reicht als Begründung nach Leibniz' Meinung anscheinend der Hinweis darauf aus, daß es bei dem menschlichen Bewußtsein der Fall ist. — Von einer intellektuellen Erkenntnis ist hingegen nur in den Fällen die Rede, wo die Perception von Selbstbewußtsein begleitet wird und dadurch den Charakter des Gedankens erhält18. Durch den Begriff der Perception ist es möglich, den im Substanzbegriff enthaltenen Gedanken der Unendlichkeit etwas genauer zu fassen. Daß die individuelle Substanz von allem, was im Universum ist und vor sich geht, "Spuren" enthält, bedeutet, daß die Folge der monadischen Perzeptionen das ganze Universum repräsentiert. So heißt es in der Ziffer 9 des "Discours": "De plus toute substance est comme un monde entier et comme un miroir de Dieu ou bien de tout l'univers, qu'elle exprime chacune a sa facon . . " (meine Hervorh.)19.

1.1.3 Die Gottesbeweise In der Ziffer 45 der "Monadologie" nennt Leibniz drei Arten, die Existenz Gottes zu beweisen: 1) das ontologische Argument bezeichnet er als Beweis a priori·, daneben nennt er 2) einen Beweis "par le realitö des verites etemelles" und schließlich könne man 3) daraus, daß "des etres contingens existent" einen α posteriori'sehen Beweis führen. 18

19

Gerh. 11,111-15. Durch die Theorie der monadischen Perzeption wird die logische Behandlung der Ideen sozusagen metaphysisch "eingeholt": Die Stufenfolge von den obskuren zu den adäquaten Ideen ist mit demjenigen Bereich der Perzeptionen identisch, welcher sich über dem Niveau der natürlichen, bzw. der "petites pereeptiones" befindet. Den Gedanken, daß die einzelne Monade das ganze Universum repräsentiert, betrachtet H. Herring in seinem Aufsatz "Leibniz' Principium Identitatis Indiscernibilium und die LeibnizKritik Kants" als den entscheidenden Aspekt des Indiscernibilienprinzips. Er formuliert das Prinzip "in logischer Schlußform" folgendermaßen: "Alles, was (mentaliter) unterschieden wird, ist (mentaliter) verschieden. In der Vorstellung (mentaliter) unterscheiden wir aber jedes von jedem. Folglich ist jedes von jedem (realiter) verschieden". Das Grundphänomen, von dem her sich der Gedanke des Prinzips ergibt, wäre dann die Tatsache, daß durch die monadische Repräsentation etwa des Menschen ("wir") Einzelnes als von anderem verschieden aufgefaßt wird. Das würde aber die problematische Voraussetzung implizieren, daß eine adäquate Idee vom Einzelnen gegeben würde. - Im Übrigen scheint diese Darstellung zusehr durch den Vergleich mit Kant geprägt zu sein. Und man muß doch festhalten, daß für Leibniz die Einzelnheit nicht primär "als Einzelnes repräsentiert werden" bedeutet, sondern "als Monade schlechthin alles zu repräsentieren".

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Es soll jetzt die Leibniz'sche Durchführung dieser drei Gottesbeweise dargestellt werden - und zwar in der umgekehrten Reihenfolge. Bei dem a posteriori'schen Beweis, der traditionell als Argument a contingentia mundi bezeichnet wird, ist zu erwarten, daß Leibniz seinen logisch entwickelten Begriff der Kontingenz einbezieht. So zeigen auch schon logische Überlegungen, daß das Problem der "veritös de fait", der kontingent wahren Sätze, auf verschiedene Weise zu dem Gottesbegriff führt. Zunächst macht es den Gedanken der göttlichen Erkenntnis^notwendig. Der Begriff der Wahrheit als des "inesse"-Verhältnisses impliziert nämlich, daß es von der kontingenten Wahrheit eine Erkenntnis α priori geben muß. Sie kann aber nur den Charakter des Erfassens einer unendlichen Reihe haben, was nur der göttlichen scientia visionis möglich ist. Der menschlichen Beweisführung fur die a priori'sehe Wahrheit eines Satzes, der demonstratio, ist die kontingente Wahrheit nicht zugänglich20. Der entscheidende Schritt zum Gottesgedanken führt jedoch nicht in erster Linie über die a priori'sehe Erkennbarkeit der kontingenten Wahrheit, sondern sozusagen über die realen Bedingungsreihen dessen, wovon etwas kontingent wahr ausgesagt wird. Diese Reihe streckt sich in infinitum. Um diesen Gedanken möglichst durchsichtig zu machen, könnte man ihn versuchsweise von Leibniz' eigener Substanztheorie her bezweifeln, indem man folgende Überlegung anstellte: Die "Tatsachen", die kontingent wahr ausgesagt werden, lösen sich zwar in eine ins Unendliche gehende Bedingungsfolge auf. Trotzdem läßt sich aber ein letzter Grund angeben, nämlich die einfache Substanz, die diese Folge kraft ihrer Appetition hervorbringt. Allerdings setzt diese Überlegung voraus, daß eine "Tatsache" immer ein monadischer Zustand, eine Perzeption, ist — und eben das scheint nicht die Leibniz'sche Auffassung zu sein. In der Ziffer 36 der "Monadologie" nennt er ein Beispiel einer 'Tatsache" und einer an ihr sich vollziehenden infiniten Analyse, anhand dessen sich das Argument verdeutlichen läßt. Die Schrift, die ich — Leibniz — im Augenblick verfasse ist ein tatsächlich Vorliegendes. Ihr Grund setzt sich zunächst zusammen aus einer Wirk- und einer Zweckursache. Die Wirkursache läßt sich wiederum auflösen in unendlich viele - gegenwärtige und vergangene - körperliche Figuren und Bewegungen; die Zweckursache entsprechend in unendlich viele Neigungen und Dispositionen der Seele. Diese Faktoren: Figuren und Bewegungen, Neigungen und Dispositionen, nennt Leibniz nun "detail". Es enthält seinerseits andere kontingente Entitäten, die früher und detaillierter sind, und von denen jede einer entsprechenden Analyse bedarf. Das Beispiel zeigt, daß das mannigfaltige "detail", zu dem die Analyse des Tatsächlichen führt, nicht nur das "detail" der Monade ist. Monadischen Charakter haben zwar die "Neigungen und Dispositionen" der Seele, können aber "Figuren und Bewegungen" nicht haben, da sie materielle Teile voraussetzen. Zwar wird 20

So im Text "Origo veritatem contingentium ex processu in infinitu ad exemplum Proportionum inter quantitates incommensurabiles". Opusc., S. 1-3.

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man nach der Leibniz'schen Konzeption der körperlichen Substanz sagen können, daß das monadische "detail" das materielle ausdrückt, nicht aber daß es es als sein Grund bedingt. Daher kann auch die Monade nicht als letzter Grund einer auch materielles "detail" enthaltenden "Tatsache" gelten. — Unsere Überlegung enthält aber noch einen anderen Fehler. Man kann nicht am dem Umstand, daß der Begriff der einzelnen Substanz alle Tatsachen über sie enthält, den Schluß ziehen, daß die Substanz selbst der Grund dieser Tatsachen ist. Der einzelne Perzeptionszustand der Monade ist zwar Grund des jeweils folgenden, aber auch daraus folgt nicht, daß die Monade ihr eigener Grund ist. — Wie schon die Diskussion Leibniz-Arnauld zeigte, ist der Gedanke vom allesumfassenden Begriff der individuellen Substanz mit der Kontingenz vereinbar. Nach der Definition der "veritös de fait" wissen wir, daß die Kontingenz darin zum Ausdruck kommt, daß die Analyse — eines Satzes oder eines Sachverhalts — ins Unendliche weitergeht. Da die Analyse der "Tatsache" - ob im Bereich der Monaden oder in dem des Materiellen — zu einer infiniten Folge fuhrt, das principium rationis aber fordert, daß es einen Grund des Kontingenten geben muß, ist man zu der Annahme gezwungen, daß der zureichende Grund außerhalb der Folgen von "ce detail des contingences" anzusetzen ist. Der Schritt wird in der Ziffer 38 vollzogen: "Et c'est ainsi que la demiere raison des choses doit etre dans une substance necessaire, dans laquelle le detail des changements ne soit qu'eminemment, comme dans la source: et c'est ce que nous appellons D i e u ". Leibniz geht also davon aus, daß nur das Notwendige vom unendlichen Regreß befreit ist - das ist ja auch bei den Vernunftwahrheiten der Fall. Wenn aber das Notwendige das Kontingente begründen soll, muß es diejenige Unendlichkeit von Bestimmungen (detail), welche in der Reihe des Kontingenten auftritt, in sich enthalten — es muß eine notwendige Substanz sein. Und da die notwendige Substanz Ursprung (source) dieses "detail" ist, muß sie es in eminenter Weise enthalten21. 21

Auf der Ebene der Erkennbarkeit von Sätzen und ihrer Wahrheit stellt das Verhältnis zwischen Gott und der unendlichen Reihe jedoch ein Problem. Für Gottes Erkenntnis soll nämlich wie erwähnt die Wahrheit des Kontingenten auf identische Sätze zurückführbar, bzw. das Eintreffen des Kontingenten aus dem Begriff herleitbar sein. Damit scheint aber für Gott der Unterschied zwischen Notwendigkeit und Kontingenz wegzufallen. Und das würde wiederum den Gedanken von göttlicher und menschlicher Freiheit illusorisch machen. - Lorenz Krüger zeigt in seiner Abhandlung "Rationalismus und Entwurf einer universalen Logik bei Leibniz", daß dies eines der Probleme ist, die Leibniz über seinen rationalistischen Standpunkt des analytischen Wahrheitsbegriffs hinausführt. Denn es zwingt zu einer Differenzierung des Gedankens der Begründung kontingenter Wahrheiten, bzw. Ereignisse: bestünde diese Begründung nur in (1) dem unendlichen Begriffszusammenhang, wäre vom göttlichen Standpunkt aus nicht mehr von Kontingenz die Rede. Die Begründung der Kontingenz muß daher so gedacht werden, daß in den Begriff des Kontingenten die freien Handlungen Gottes eingebracht werden - und das geschieht durch (2) den Gedanken von einem Vergleich mehrerer Möglichkeiten (S. 32-39). Der Gedanke vom Vergleich zwischen konkurrierenden Möglichkeiten bietet die Grundlage für einen weiteren Gottesbeweis, auf den unten eingegangen wird.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

So führt also Leibniz' Theorie der kontingenten Wahrheit zu dem Gottesbegriff in seinen beiden Ausformungen als ens necessarium und ens perfectissimum. In der Weise wohlgemerkt, daß die durch die Theorie der kontingenten Wahrheit gekennzeichnete Leibniz'sehe Variante des Beweises für die Existenz des ens necessarium a contingentia mundi gleichzeitig den Begriff des ens perfectissimum impliziert. Der Gottesbeweis a contingentia mundi ist ein Fall, in dem das prineipium rationis eine außer-logische Bedeutung erhält. Couturat drückt diesen Sachverhalt so aus, daß die Kontingenz, in welcher der Beweis seinen Ausgang nimmt, kausaler und temporaler Art ist. Aber dieser Aspekt des Kontingenzbegriffes ist mit der logischen Eigenart der "verit6s de fait" verflochten: "L'infmit6 des conditions ou r£quisits logiques coincide avec l'infinit6e des causes physiques, c'est-a-dire des phdnomenes ant6c6dents"22. Mit dem Beweis aus der Kontingenz hängt der zweite von Leibniz genannte Beweis, deijenige aus der Realität der "ewigen Wahrheiten", in gewisser Weise zusammen. Man könnte ihn auch als Beweis aus den Möglichkeiten charakterisieren. Das beruht darauf, daß nach Leibniz der Begriff der Kontingenz denjenigen der Möglichkeit voraussetzt. Dieser Sachverhalt ist im Kontext der "Theodizee" bedeutsam, die zum Teil die Aufgabe hat, den Begriff der Freiheit zu verteidigen. Leibniz muß sich deshalb hier mit denjenigen Philosophen auseinandersetzen, die behaupten, "qu'il n'y a rien de possible, que ce qui arrive effectivement". Das sind nämlich dieselben, die meinen, "que tout est necessaire absolument"23. In der Schrift "De libertate" stellt Leibniz in knapper Form dar, wie mgn die Auffassung, alles geschehe mit Notwendigkeit, durch den Gedanken der Möglichkeit beseitigen kann. Es läßt sich nämlich zeigen, daß, wenn man Möglichkeiten voraussetzen kann, die nie verwirklicht waren, es nicht sind und es auch nie sein werden, dann die existierenden Dinge und Ereignisse nicht absolut notwendig sein können. Denn wäre das Existierende notwendig, könnte anderes an seiner Stelle nicht existieren - etwas nie Existierendes wäre also unmöglich. Und Leibniz meint gute Gründe für die Annahme zu haben, man könne von nie verwirklichten Möglichkeiten sprechen24. Es ist schon im Zusammenhang mit Leibniz' Theorie der Definition angedeutet worden, was er positiv unter Möglichkeit versteht. Eine Formulierung findet sich in dem genannten Kontext der "Theodizee": " T o u t c e q u i i m p l i q u e c o n t r a d i c t i o n e s t i m p o s s i b l e , e t t o u t ce q u i η ' i m p l i que p o i n t c o n t r a d i c t i o n est possible"25. Den Zusammenhang der Möglichkeit mit den "ewigen", dJi. notwendigen Wahr22 23 24 25

A.a.O., S. 222. "Essai de Theodicee", Ziffer 168. "De übertäte", a.a.O. "Essai de Theodicee", Ziffer 173.

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heiten, sieht man nun folgendermaßen. Daß ein Ding möglich ist, drückt sich in seiner Realdefinition aus, denn diese ist dadurch gekennzeichnet, daß sie sicherstellen muß, daß die die Definition enthaltende Idee keinen Widerspruch enthält. Gleichzeitig gilt aber, daß die Definition auf identische Sätze reduzierbar ist, denn das Definiens ist die Auflösung des Definiendum in seine primitiven Bestandteile. Die Realdefinition, welche die Möglichkeit der definierten Sache ausdrückt, ist also ein notwendig wahrer Satz. Und so ist Leibniz berechtigt, zu sagen: "Dans la region des veritös eternelles se trouvent tous les possibles . . " 26 . In der Ziffer 7 der "Theodizee" fuhrt Leibniz nun einen Gottesbeweis a contingentia mundi, in welchem sich der Zusammenhang zwischen den Begriffen der Kontingenz und des Möglichen zeigt. Die eingeschränkten Dinge, all das, was Gegenstand unserer Erfahrung ist, sind zufällig, da sie nichts besitzen, welches ihnen notwendige Existenz verleiht. Das Zufallige, im Sinne des Nichtnotwendig-Existierens, wird nun dadurch erläutert, daß Zeit, Raum und Materie als Bedingungen alles Existierenden angesetzt werden. Sie sind in sich einheitlich und homogen, indifferent allem gegenüber, d.h. sie könnten andere Bewegungen und andere Gestalten in anderer Anordnung "empfangen". Nun ist die Welt nichts als die Einheit dieser zufälligen Dinge. Die Kontingenz der Welt im Sinne des in den gegebenen Formen Anders-geordnetsein-könnens fuhrt deshalb unmittelbar zu der Frage nach dem Grund der Existenz der Welt. Weder die einzelnen Dinge noch die Welt als Inbegriff der Dinge tragen den Grund dafür, daß sie eben so sind und nicht andere, in sich. Grund der Welt kann daher nur ein Wesen sein, das diese Eigenschaft hatT d.h. das notwendig und ewig ist. — Der Beweis führt jedoch noch eine Komponente des Gottesbegriffes mit sich. Aufgrund des hier gekennzeichneten Wesens des Kontingenten muß man nämlich zu dem Schluß kommen, daß das notwendige Wesen vernunftsbegabt ist. Die Welt ist ja in dem Sinne zufällig, daß eine unendliche Anzahl von Welten genauso möglich sind wie die faktisch existierende. Diese Welten haben sozusagen in dem gleichen Maße ein "Streben nach Existenz" wie die unsrige. Es ist also undenkbar, daß die Ursache der Welt sich nicht zu allen möglichen Welten in Beziehung gesetzt hätte, bevor sie die eine Welt zur Existenz brachte. Die Bezugnahme des notwendigen Wesens auf die möglichen Welten kann aber nur durch einen Verstand vollzogen werden, der sie vorstellt. Die Einbeziehung des Möglichkeitsgedankens in den Beweis aus der Kontingenz impliziert somit den Gedanken, daß es einen Grund geben muß, weshalb Gott unter allen möglichen Welten gerade die faktisch existierende verwirklicht hat. Aus diesem Gedanken ergibt sich dann die "Lösung" des - neben der Freiheit - anderen Hauptproblems der 'Theodizee": Hätte Gott nicht eine Welt mit weniger Übel erschaffen können? In dem Gottesbeweis a contingentia mundi, den Leibniz in der Schrift "De re26

"Essai de Theodicee", Ziffer 189.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

rum originatione radicali" (1697) durchfuhrt, wird im Zuge der Argumentation der Gedanke des Möglichen in einer viel differenzierteren Weise ausgestaltet. Den Ansatz bildet wiederum der Gedanke von der Welt als Ansammlung oder Vereinigung der endlichen Dinge. Die durch den Beweis zu begründende These lautet: Außer der Welt als Einheit muß es noch eine "dominierende Einheit" geben, deren Beziehung zur Welt nicht von gleicher Art ist wie die Beziehung des menschlichen Ich zu seinem Körper, dJi. die Beziehung der Monade als substantieller Form zu dem Körperlichen. Die genannte Einheit soll nämlich nicht nur die Welt regieren, sondern sie sogar hervorbringen, welches nur möglich ist, wenn diese Einheit den Charakter eines letzten extramundanen Grundes der Dinge hat. Das entscheidende Argument für die These ist nun wieder, daß die Welt in dem Sinne kontingent ist, daß sich weder in einem einzelnen der sie konstituierenden Dinge noch in der ganzen Ansammlung, bzw. Reihe, von Dingen ein zureichender Grund ihrer Existenz angeben läßt - ein solcher Grund sich aber laut des principium rationis angeben lassen muß. Zwar ist jeder gegenwärtige Zustand der Welt voll durch den vorhergehenden bedingt, sodaß man ihn als eine "Abschrift" von ihm bezeichnen kann. Die regressive Nachvollziehung der Bedingungsreihe von Zuständen — wie weitgehend auch immer — wird jedoch nie zu einem zureichenden Grund dafür gelangen, daß überhaupt eine Welt und daß gerade eine solche wie die vorliegende existiert. Leibniz verstärkt nun dieses Argument dadurch, daß er die Annahme macht, die Welt sei ewig — im Sinne einer ewigen Reihe von sich Veränderndem. Das würde bedeuten, daß man nicht von einer Ursache dieser Welt sprechen könnte als etwas, was ihr vorausginge und sie hervorgebracht hätte. Trotzdem wäre es aber sinnvoll und sogar notwendig, nach einem Grund dieser Reihe zu fragen. Daß es Sinn hat, von einem Grund ewiger Dinge zu sprechen, zeigt das Beispiel der ewigen Wahrheiten. — Wir hätten es also in diesem fingierten Modell mit zwei Arten von ewigen Dingen zu tun: 1. die Dinge, über die die ewigen Wahrheiten gelten. 2. die ewige Reihe der sich verändernden Welt. Die Dinge der ersten Art haben als Grund "die Notwendigkeit oder Wesenheit selbst" (ipsa necessitas seu essentia): Sie sind notwendigerweise so, wie sie sind kraft ihrer bloßen Essenz und enthalten also in dem Sinne ihren Grund in sich, daß ihre Negation ein logischer Widerspruch wäre. — Hinsichtlich der Dinge der zweiten Art, der Dinge der — nun als ewig angenommen - Welt, stellt Leibniz eine These auf, deren Sinn und Begründung er zunächst nur in Aussicht stellt: Der Grund dieser Dinge müßte "das Überwiegen einer der Neigungen" sein. Die These — nicht ihre Begründung - ergibt sich aus folgendem Gedankengang: Die Welt ist jetzt zwar als ewige gedacht, würde aber nicht mehr die uns bekannte Welt sein, wenn der Grund einer ihrer Zustände diesen mit einer Notwendigkeit herbeiführen würde, die in dem Sinne absolut und metaphysisch wäre, daß das Nicht-Eintreten des Zustandes einen logischen Widerspruch enthielte. Die Gründe der Zustände der kontingenten Welt erzwingen diese nicht, sondern bringen sie durch "Anreizen"

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hervor. Anders als bei den beständigen ewigen Dingen kann also bei den Dingen der als ewig vorausgesetzten Welt der Grund ihres Seins und Soseins nicht in den Dingen selbst enthalten sein. - Auch unter der Voraussetzung der Ewigkeit der Welt zwingt ihr kontingentes Sein somit zu der Annahme eines extramundanen Grundes. Dieser Grund muß ein Wesen sein, das mit absoluter und metaphysischer Notwendigkeit existiert, d.h. es ist Gott. Der theoretische Gewinn der hypotetischen Annahme der Ewigkeit der Welt liegt jedoch nicht in dem Gottesbeweis selbst, sondern in der beiläufig genannten These, Grund der kontingenten Welt sei das "Überwiegen einer der Neigungen". Sie ist durch das Gedankenexperiment motiviert, die Welt teile den Charakter der Ewigkeit mit den beständigen Dingen. Das nämlich legt den Gedanken nahe, die Existenz jener sei wei die dieser in der bloßen Essenz gegründet. Der Gedanke hat sich jedoch als mit der Kontingenz der tatsächlichen Welt unvereinbar gezeigt. Er stellt aber die Frage nach dem Verhältnis zwischen Essenz und Existenz kontingenter Dinge. Sie wird durch die genannte These beantwortet, deren Begründung also nunmehr ins Auge zu fassen ist. Der Gottesbeweis anhand des principium rationis besagt, daß die kontingenten Dinge der Welt in einem notwendigen Wesen ihren Ursprung haben. Nun gibt sich Leibniz aber nicht mit diesem Befund zufrieden. Der Beweis impliziert ja den Gedanken von einem Übergang von ewigen, wesentlichen und metaphysischen Wahrheiten zu zeitlichen, kontingenten und physischen Wahrheiten — und eben diesen Gedanken gilt es näher zu erklären. Als das notwendige Wesen gehört Gott zu den "Dingen", von denen ewige Wahrheiten gelten. Soll der Beweis des notwendigen Wesens a contingentia mundi daher voll verständlich sein, muß gezeigt werden können, wie im allgemeinen ein Übergang vom Notwendigen zum Kontingenten denkbar ist. Leibniz stellt also sozusagen die Forderung, daß der Gottesbeweis auch in ungekehrter Gedankenfolge verständlich sein muß. Nun scheint aber Leibniz gleich am Anfang der Argumentation eben das vorauszusetzen, was er erklären möchte. Es heißt nämlich, daß bei der Erklärung folgender Gedanke als selbstverständlich vorausgesetzt werden könne: Aus der Tatsache, daß etwas eher existiert als nicht existiert, kann man darauf schließen, daß in den möglichen Dingen, bzw. den Essenzen eine Forderung auf Existenz enthalten ist. Man kann also voraussetzen, daß die Wesenheit von sich aus nach der Existenz strebt. Nach Leibniz läßt sich somit aus der Tatsache der kontingenten Existenz folgern, daß alles, was möglich ist, was eine Wesenheit, bzw. mögliche Realität hat, zwar mit gleichem Recht nach Existenz strebt, daß aber der Grad von Vollkommenheit des möglichen Dinges über den "Erfolg" dieses Strebens entscheidet. Dabei ist Vollkommenheit - wie "Monadologie" 41 - definiert als die Größe des Wesens, bzw. der Realität. Nun gibt es eine unendliche Anzahl sowohl von möglichen Dingen als auch von möglichen Verbindungen und Reihen dieser Dinge. Die genannte Folgerung impliziert somit, daß diejenige Verbindung und Reihe von Dingen zur Existenz gelangen muß, welche das größte Maß an Wesenheit ausdrückt. Somit

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führt nach Leibniz der bloße Begriff der Kontingenz zwangsläufig zu der Annahme, daß in der Welt als dem System kontingenter Dinge das Größtmaß an Realität enthalten ist. Leibniz meint jetzt gezeigt zu haben, daß die Welt aus dem Möglichen hervorgegangen ist, und daß dadurch weiderum bewiesen ist, daß aus der metaphysischen Notwendigkeit eine physische hervorgegangen ist. Die Berechtigung dazu, jetzt von einer Notwendigkeit des Kontingenten - tun es schroff auszudrücken — zu reden, ist durch die Analyse des Überganges von Möglichkeit zu Wirklichkeit gegeben. Das Kontingente hat zwar keine Notwendigkeit in dem Sinne, daß sein Nichtsein ein Widerspruch wäre - wohl aber ist es einer Notwendigkeit derart unterworfen, daß jeweils das Mögliche mit dem höchsten Grad an Realität zur Existenz gelangt. Man kann also in Analogie zur Definition der absoluten Notwendigkeit sagen, daß die Welt in dem Sinne notwendig ist, daß ihr Nichtsein eine Unvollkommenheit implizieren würde. In der Tat spricht Leibniz von der Vollkommentheit als einem Prinzip, das die Existenz genauso bestimmt wie die Möglichkeit das Wesen. Nun gibt es aber einen Einwand gegen den Gedanken, daß die Vollkommenheit des Möglichen Prinzip der Existenz sei, der sich zwangsläufig erhebt: Die Möglichkeiten oder Wesenheiten vor und außerhalb der Existenz sind nur etwas Gedachtes und Eingebildetes, können daher nicht als Existenzgrund angesetzt werden. Diesem Einwand setzt Leibniz zunächst eine schlichte Behauptung entgegen. Weder die Wesenheiten — so heißt es — noch die sie betreffenden ewigen Wahrheiten sind Einbildungen, vielmehr "existieren" sie in einer "Region von Ideen", nämlich Gott selbst, der die Quelle der Wesenheit und der Existenz alles anderen ist. Um diese Behauptung plausibel zu machen, verweist Leibniz auf den Schluß a contingentia mundi. Dieser Schluß hat aber jetzt zwei deutlich getrennte Schritte: Zunächst wird aus der Tatsache der kontingenten Reihe gefolgert, daß der zureichende Grund des Kontingenten nicht innerhalb dieser Reihe selbst zu finden ist — er muß vielmehr in den metaphysischen Notwendigkeiten, bzw. ewigen Wahrheiten, liegen. Diese Folgerung scheint fur Leibniz schon sichergestellt zu haben, daß den ewigen Wahrheiten in irgend einem Sinne Existenz zugesprochen werden kann. Denn dieser Sachverhalt ist Ausgangspunkt der_zweiten Folgerung: Da existierende Dinge nur aufgrund von anderem Existierenden sein können, müssen die ewigen Wahrheiten ihre Existenz kraft eines absolut, bzw. metaphysisch notwendigen, Subjektes besitzen, d.h. kraft Gottes. Nur durch Gott ist sichergestellt, daß die ewigen Wahrheiten nicht nur "vorgestellt" werden, sondern auch "realisiert" sind. So ist Leibniz berechtigt, als Konklusion dieser Version des Beweises a contingentia mundi die Aussage zu machen, daß Gott als ens necessarium letzter Grund, sowohl der Realität der Wesenheiten als auch deijenigen der existierenden Dinge, sei27. Um Leibniz' Theorie der Möglichkeit möglichst deutlich werden zu lassen, 27

Gerh. VII, 302-305.

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soll noch auf einen Text hingewiesen werden, in dem diese Theorie ohne explizite Bezugnahme auf den Gottesbeweis dargestellt wird. Es ist dies der kleine Aufsatz "De veritatibus primis". Als erste Wahrheiten werden hier diejenigen bezeichnet, welche den Übergang zwischen den veritates rationis identicae und den veritatis facti ermöglichen, durch welche man daher eine jede Tatsache der Erfahrung a priori beweisen kann. Diese ersten Wahrheiten lassen sich in ein Prinzip zusammenfassen, das besagt: omne possibile exiget existere. Leibniz stellt zunächst den Beweis des Prinzips zurück, um seine Konsequenzen aufzuzeigen. Wenn jedes Mögliche nach Existenz strebt, muß auch jedes zur Existenz gelangen, es sei denn, es wird darin durch ein anderes verhindert, welches seinerseits nach Existenz strebt und womit das erstere inkompatibel ist. Hieraus folgt weiter, daß immer diejenige Kombination von Dingen existieren wird, kraft derer die größte Anzahl von Dingen zur Existenz gelangen. Diese Folgerung erläutert Leibniz anhand eines Beispiels: Wir setzen A, B, C und D, von denen gilt, daß sie sich hinsichtlich der Essenz gleichen, was damit gleichbedeutend ist, daß sie sich hinsichtlich ihrer Vollkommenheit und ihres Strebens nach Existenz gleich sind. Setzen wir nun weiter, daß D mit Α und Β inkompatibel ist, während Α, Β und C mit allen außer D kompatibel sind, so folgt, daß die Kombination A, B, C ohne D existieren wird. Sollte nämlich D existieren können, würde nur die Kombination C, D existieren, also eine weniger vollkommene als A, B, C. Aus dem Prinzip der Exigentia essentiae folgt somit, daß die Dinge immer in der vollkommensten Weise existieren. Der Beweis des Prinzips omne possibile exiget existere erfolgt a posteriori, indem er von der Tatsache ausgeht, daß etwas existiert. Entweder bedeutet diese Tatsache nun, daß alles existiert. Das ließe sich nur derart erklären, daß alles Mögliche in einem solchen Grade nach Existenz strebt, daß es zur Existenz gelangt, — oder aber man kann von etwas sagen, daß es nicht existiert. Dann muß aber ein Grund dafür angegeben werden, daß einige Dinge eher als andere existieren. Dieser Grund kann aber nur in den allgemeinen Essenzen, bzw. im Möglichen, gesucht werden, welches wiederum impliziert, daß das Mögliche von sich aus nach Existenz strebt, bestimmt durch den Grad der Essenz. Wenn daher nicht die Natur der Essenz in der Neigung zur Existenz bestünde, würde nichts existieren28. Dieser Begriff von Möglichkeit liegt auch der Argumentation der Ziffern 43 und 44 der "Monadologie" zu gründe, in welchen Leibniz den Gottesbeweis aus dem Möglichen fuhrt. Ausgangspunkt des Beweises ist wieder der Gedanke, daß in den Essenzen, bzw. dem Möglichen, Realität enthalten ist. Aber Leibniz setzt eben die Plausibilität dieses Gedankens voraus, d.h. er führt hier nicht wie in den eben besprochenen Texten das Argument von der "exigentia essentiae" aus. Der Grund dieser Realität kann nur in etwas enthalten sein, welches existiert und wirklich ist. Dieses etwas muß aber ein solches sein, welches sozusagen möglich und existent 28

Erdm., S. 99.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

zugleich ist — es muß ein Wesen sein, "dans leque l'Essence renferme l'Existence, ou dans lequel il suffit d'etre possible pour etre Actuel". Und dieses Wesen ist eben Gott im Sinne des ens necessarium. Den Gedanken, daß Gott Grund des Möglichen ist, konkretisiert Leibniz dann durch die Aussage, der göttliche Verstand sei die Region der ewigen Wahrheiten. Neben diesen beiden Gottesbeweisen fuhrt Leibniz wie genannt einen a priori'schen an. Ein a priori'scher Beweis ist nach Leibniz dadurch gekennzeichnet, daß er aus der Definition, bzw. dem Begriff, einer Sache schließt. Diese Eigenart kommt demjenigen Gottesbeweis zu, den man seit Kant den ontologischen nennt. Er wird zwar Anselm von Canterbury zugerechnet, aber in der neuzeitlichen Diskussion bildet diejenige Gestaltung, welche Descartes ihm gegeben hat, den Ausgangspunkt. In den "Meditationes de prima philosophia" hat Descartes den Beweis folgendermaßen zusammengefaßt: " . . non magis repugnet cogitare Deum (hoc est ens summe perfectum) cui desit existentia (hoc est cui desit aliqua perfectio) quam cogitare montem cui desit vallis."29. Die Formulierung zeigt, daß der Gottesbegriff, von dem Descartes ausgeht, der des ens summe perfectum ist. Es ist aber charakteristisch fur die Geschichte des ontologischen Argumentes während der Epoche des "Rationalismus", daß es außerdem den Gottesbegriff als ens necessarium als Grundlage hat30. Diese doppelte Gestaltung des ontologischen Argumentes findet sich auch bei Leibniz. Die beiden bis jetzt behandelten Beweise enthalten gleichzeitig die Mittel für den ontologischen Beweis in seiner einen Variante, indem sie auf Gott als ens necessarium schließen. Auf dieser Grundlage fuhrt Leibniz den Beweis in der Ziffer 45 der "Monadologie". Er sieht hier sozusagen davon ab, daß der Begriff des ens necessarium durch einen Beweis für die Existenz des notwendigen Wesens gewonnen wurde und zeigt, daß man auch aus diesem Begriff alleine einen Gottesbeweis fuhren kann. Es ist also jetzt der Begriff von einem Wesen gegeben, welches sich dadurch auszeichnet, daß es notwendig existiert, wenn seine Existenz möglich ist (vgl. oben S. 41 ). Der Nachweis der Möglichkeit dieses Wesens ist somit zugleich der Beweis seiner Existenz. Um die Möglichkeit nachzuweisen, rekurriert Leibniz darauf, daß er schon die Identität des ens necessarium mit dem ens perfectissimum gezeigt hat: das notwendige Wesen ist auch das vollkommenste Wesen, das den höchsten Grad von Realität besitzt und in dem Sinne ohne Schranken ist. Was aber keine Schranken hat, impliziert keine Negation und kann daher auch keinen Widerspruch 29 30

Meditatio V, 8. Das Verhältnis der Argumentationsstruktur der beiden Beweise, die jeweils vom ens perfectissimum und vom ens necessarium gefuhrt werden, bildet den Gesichtspunkt, von dem her die wohl eingehendste Darstellung der Problematik des ontologischen Gottesbeweises gegeben ist - D. Henrichs "Der ontologische Gottesbeweis".

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enthalten. Als widerspruchslos ist der Begriff des ens necessarium möglich und dadurch ist auch schon die Existenz bewiesen. Es ist bezeichnend, daß Leibniz nicht nur auf die Widerspruchslosigkeit des Begriffes vom ens perfectissimum verweist, sondern auch sagt, nichts könne die Möglichkeit dieses Wesens "verhindern" (empecher). Dieser Ausdruck deutet an, daß Möglichkeit nicht lediglich als logische Widerspruchslosigkeit gefaßt ist, sondern auch das Streben nach Existenz umfaßt31. In dem kleinen Aufsatz "De la d&nonstration cartesienne de l'existence de Dieu . . " (1701) unterscheidet Leibniz zwischen zwei Beweisen fur die Existenz Gottes, welche jeweils von dem Begriff des ens perfectissimum und dem des ens necessarium ihren Ausgang nehmen. Der erste ist der Beweis des Anselm, der durch Descartes erneuert wurde. Er läuft, so Leibniz, seiner Substanz nach darauf hinaus, daß dasjenige Wesen, welches in seiner Idee alle Volkommenheiten vereinigt, bzw. welches das größte aller möglichen Seienden ist, auch die Existenz in seiner Essenz enthalten muß. Denn die Existenz gehört zu den Vollkommenheiten und besäße dieses Wesen sie nicht, könnte dem Vollkommensten noch etwas hinzugefugt werden, was ein Widerspruch wäre. Leibniz sagt nun, daß er in der Beurteilung dieses Beweises die Mitte einnehme zwischen denen, die ihn für ein Sophisma halten und denen, die ihn als eine gelungene Demonstration ansehen. In dem Sinne nämlich, daß er zwar eine Demonstration sei, aber eine unvollkommene, die eine Wahrheit voraussetze, welche noch zu beweisen sei. Es wird in dem Beweis nämlich stillschweigend vorausgesetzt, daß das ens perfectissimum, von dem ja die Rede ist, ein mögliches Wesen ist. Wenn dieser Punkt noch bewiesen wäre, könnte man sagen, daß die Existenz Gottes geometrisch a priori demonstriert wäre32. Trotz dieses Mangels ist der Beweis jedoch nach Leibniz' Auffassung "beachtlich" und "sozusagen vorausgesetzt", "Car tout Etre doit etre tenu possible jusqu'a ce qu'on prouve son impossibilitö"33. 31

32

33

D. Henrich macht darauf aufmerksam, daß nur die Theorie der Möglichkeit als des Strebens nach Existenz Leibniz' Behauptung der Indifferenz von Möglichkeit, bzw. Essenz, und Existenz im Begriff des ens necessarium voll verständlich macht. Dabei zeigt sich aber, daß der Begriff des ens necessarium sich nicht ohne den des ens perfectissimum denken läßt: nur das vollkommenste Wesen ist zureichender Grund seiner eigenen Existenz, denn in ihm hat die exigentia essentiae die höchste Macht. Nichts kann dieses Streben "verhindern" und eben deshalb ist mit dem Wesen des ens perfectissimum auch seine Existenz gegeben. A.a.O. S. 51. - So auch J. Jalabert: "Essence infiniment parfaite, Dieu a une exigence infmie d'existence et par suite il existe ne'cessairement en raison de son essence. Etre necessaire, etre par soi, etre souverainement parfait, c'est une seule et meme chose". "Le Dieu de Leibniz", S. 90. Der Begriff des ens perfectissimum des Cartesianischen Beweises dient Leibniz öfter als Veranschaulichung der methodischen Maxime, man dürfte aus einem Begriff nichts schließen, bevor die Möglichkeit, bzw. Widerspruchslosigkeit, des Begriffes gesichert sei. Denn aus einem widersprüchlichen Begriff können sich widersprechende Konklusionen gezogen werden. So etwa "Meditationes" Gerh. IV, 424. Erdm., 177 f. Das folgende bezieht sich auf diesen Text.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Leibniz fuhrt jedoch nicht - wie zu erwarten wäre - diesen Gedanken dermaßen aus, daß er ihn zu einem Beweis für die Möglichkeit des vollkommensten Wesens umgestaltet. Stattdessen fuhrt er einen anderen und "einfacheren" Beweis, in welchem vermieden wird, den Begriff der Vollkommenheit Uberhaupt zu benutzen. Dadurch soll das Eingehen auf die Behauptung derer vermieden werden, die leugnen, daß alle Vollkommenheiten kompatibel sind, und daß daher die Idee, von der ausgegangen wird - der Begriff des ens perfectissimum — überhaupt eine mögliche ist. Der "einfachere" Beweis bestimmt den Gottesbegriff als "un Etre de soi ou primitif, ens a se", d.h. als den Begriff eines Wesens, das durch seine Essenz existiert. Durch diese Definition ist nämlich leicht zu schließen, daß ein solches Wesen, wenn es möglich ist, auch existiert. Oder, so präzisiert Leibniz, dieser Schluß ist ein Korollar, das sich unmittelbar aus der Definition ziehen läßt und sich kaum von dieser unterscheidet. Denn die Essenz einer Sache ist eben das, was ihre Möglichkeit ausmacht. Das heißt, daß der Ausdruck "durch seine Essenz existieren" mit dem Ausdruck "durch seine Möglichkeit existieren" äquivalent ist. Es ist also erlaubt, den Begriff des "etre de soi" derart zu definieren, daß man sagt, er bezeichne dasjenige Wesen, welches existieren muß, weil es möglich ist. Durch diese Umformung der Definition wird deutlich, daß der einzige Weg, die Existenz des "etre de soi" zu verneinen darin besteht, die Möglichkeit dieses Wesens zu verneinen. Zu fragen bleibt also, welche Konsequenzen es haben würde, die Möglichkeit des "etre de soi" zu verneinen. Um dieser Frage nachzugehen, formt Leibniz nochmals die Begriffsbestimmung um, indem er sagt, man könne zu dem Thema eine "modale Aussage" machen, welche "eine der besten Früchte der ganzen Logik" sei. Die Aussage lautet: Wenn das notwendige Wesen (Fetre nöcessaire) möglich ist, existiert es. Die Aussage kann deshalb als Umgestaltung der ursprünglichen Definition gelten, weil die Ausdrücke "notwendig existieren" und "durch seine Essenz existieren" identischen Inhaltes sind. In dieser Gestaltung — "aus diesem Gesichtswinkel genommen" — hat das Räsonnement nach Leibniz' Auffassung an Festigkeit gewonnen. Er wiederholt, daß diejenigen, welche bestreiten, daß aus bloßen Begriffen, Ideen, Definitionen oder möglichen Essenzen auf aktuelle Existenz geschlossen werden kann, darauf zurückfallen müssen, daß sie die Möglichkeit des "etre de soi" verneinen. Dadurch wird deutlich, was Leibniz durch die Transformation der Definition des Gottesbegriffes in eine Relation bloßer Modalitätsbegriffen gewonnen hat: Es ist nun nicht mehr möglich, den spezifischen Schluß des Gottesbeweises von Möglichkeit zu Wirklichkeit durch einen Hinweis auf allgemeine Regeln über das Schließen mit Modalitätsbegriffen anzugreifen. Vielmehr ist der Zusammenhang der, daß, wer den Schluß von der Möglichkeit des Notwendigseins auf seine Existenz bestreitet, damit die Möglichkeit des "etre de soi" bestreitet - mit Henrichs Formulierung: er wird zum dogmatischen Atheisten34. Durch diesen Gesichtswinkel, diese Transformation der 34

A.a.O., S. 54.

Leibniz: Die Gottesbeweise

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Definition, wird es jedoch nach Leibniz zugleich möglich, zu zeigen, daß die Gegner des Gottesbeweises im Unrecht sind, daß also der Beweis voll durchführbar ist. Was hieße nämlich, die Unmöglichkeit des "etre de soi" behaupten? Es hieße, gleichzeitig zu behaupten, daß alle "etres par autrui", alles Aus-einem-anderen-Seiende, auch unmöglich sei. Denn die "etres par autrui", die kontingent existierenden Dinge, existieren nur durch das Aus-sich-Seiende. Wäre dieses ummöglich, so würde nichts existieren. Auch diese Überlegung faßt Leibniz in eine Aussage über Modalitäten zusammen, eine Aussage, welche der ersten "gleich" ist und mit ihr zusammen den Beweis vollendet. Sie lautet: Wenn das notwendige Sein nicht ist, dann gibt es kein mögliches Sein. Es scheint sich also so zu verhalten, daß Leibniz diesen Beweis a priori aus dem Begriff des "etre de soi", bzw. des ens necessarium, nicht durchführen kann, ohne auf den Zusammenhang zwischen dem notwendigen Wesen, das den Grund seiner Existenz in sich enthält, und den kontingenten Dingen zurückzugreifen, den er in seinem Gottesbeweis a posteriori aufgezeigt hat. Es ist jetzt noch kurz auf die Frage einzugehen, in welchem Sinne Leibniz in dem Aussatz "De la demonstration cartesienne de Fexistence de Dieu . . " zwischen zwei Varianten des ontologischen Argumentes unterscheidet. Es ist wohl auch hier der Fall, daß sich eher der enge Zusammenhang zwischen beiden zeigt. Der "einfachere" Beweis, den Leibniz durchfuhrt, setzt nämlich nicht mit einem völlig neuen Begriff von Gott ein, sondern er ist einfach in dem Sinne, daß er den Gottesbegriff des Cartesischen Beweises vereinfacht. Von dem "etre parfait" dieses Beweises galt: "II comprends aussi l'existence dans son essence". Durch eben dieses Merkmal aber kennzeichnet Leibniz in dem "einfacheren" Beweis den Gottesbegriff als "etre de soi", indem dieses heißt: "qui existe par son essence". Die Vereinfachung des Leibniz'schen Beweises besteht dann weiter darin, daß sich durch Transformation der Definition des Gottesbegriffes zeigt, daß die Begriffe "etre parfait" und "etre nicessaire" äquivalent sind. Durch diese Äquivalenz wird es Leibniz möglich, den entscheidenden Möglichkeitsbeweis für den Begriff des ens necessarium anders zu fuhren als in der "Monadologie". In dieser mußte er auf die Schrankenlosigkeit und damit die Widerspruchslosigkeit des ens perfectissimum rekurrieren. In "De la demonstration cartesienne . . " wird der Möglichkeitsbeweis durch den zweiten der beiden modalen Sätze erbracht, auf welche sich der ganze ontologische Beweis durch die genannte Transformation reduzieren läßt: 1. "Si l'etre n6cessaire est possible, il existe". 2. "Si l'etre n^cessaire n'est point, il n ^ a point d'etre possible". Versucht man nun Leibniz' Ausführung zu den Gottesbeweisen zu überblicken, so lassen sich folgende charakteristische Züge herausheben. Was die ontologischen Argumente betrifft, so ist bei Leibniz methodologisch bezeichnend, einerseits, daß er fordert, der Begriff, von dem ausgegangen wird, müsse sich als ein möglicher erweisen, andererseits, daß es ihm darauf ankommt, den Gottesbegriff derart zu ge-

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

stalten, daß der Möglichkeitsbeweis gleichzeitig ein Existenzbeweis ist. Was den sachlichen Inhalt der Argumentation anbelangt, so kann man feststellen, daß die beiden Formen des Möglichkeitsbeweises, die Leibniz jeweils in der "Monadologie" und in "De la d6monstration cartesienne.." führt, ihrerseits in Varianten des Beweises a contingentia mundi begründet sind. In der "Monadologie" zeigt sich der Gottesbegriff als ein möglicher dadurch, daß der Begriff des alle Vollkommenheiten enthaltenden Wesens keinen Widerspruch enthalten kann. Der Inbegriff aller Vollkommenheiten hatte sich aber dadurch ergeben, daß laut des principium rationis nach dem zureichenden Grund des kontingent Existierenden gefragt werden mußte. — In "De la dömonstration cartesienne . . " erwies sich die Möglichkeit des Gottesbegriffes kraft des modalen Satzes: Wenn das notwendige Wesen unmöglich wäre, kein Sein möglich wäre. Diesen Satz aber kann Leibniz kaum anders begründen als durch den Zusammenhang zwischen kontingenter Existenz, Möglichkeit als Streben nach Existenz und ens necessarium als Grund der Realität des Möglichen. Es scheint somit die Konklusion berechtigt zu sein, daß es das principium rationis sufficientis ist, welches den verschiedenen Leibniz'schen Argumentationen für die Existenz Gottes Einheit verleiht und sie letztlich begründet. So bemerkt Leibniz denn auch in der Ziffer 44 der "Theodizee" zu dem principium rationis: "Sans ce grand principe, nous ne pourrions jamais prouver l'existence de Dieu.. ".

1.2 Wolff und Baumgarten Es wurde oben gesagt, die Philosophie von Wolff beruhe auf einer Inspiration durch Leibniz. Ich habe absichtlich diesen vorsichtigen Ausdruck gewählt, um mich einer Entscheidung darüber zu enthalten, ob Wolff ein originaler Denker sei oder im Wesentlichen ein Eklektiker und dies derart, daß er vor allem Leibniz'sche Theoreme übernommen habe. Die letztere Auffassung hat sich schon zu seinen Lebzeiten gebildet — allerdings zuerst unter seinen Gegnern — und so wurde es üblich, von einer "Leibniz-Wolff sehen Philosophie" zu reden. Auch Kant benutzt in den "Fortschritten" diesen Ausdruck 3 ^ Ein grundsätzliches Eingehen auf diese Frage liegt natürlich außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung. Aber es wird bei den fur uns wichtigen WolfFschen Lehrstücken nützlich sein, die Beziehung zu verwandten Leibniz'schen Theoremen zu untersuchen. Wenn man in Verbindung mit Wolff von einer Schulphilosophie sprechen kann, beruht das zunächst auf der Tatsache, daß sich seine Philosophie - anders als etwa die von Leibniz - im Zusammenhang mit seinem Lehren ausgebildet hat: "Wolff . . dachte bei seinem Philosophieren immer an den Unterricht" 36 . So hat er denn auch der Darstellung seiner philosophischen Auffassung vorwiegend die Form des Lehrbuches gegeben. Zum anderen aber hat die Wolff sehe Philosophie Schule gemacht: sie wurde zum allgemein anerkannten Inhalt des Philosophieunterrichts. Im folgenden sollen nun einige Aspekte dieser Philosophie dargestellt werden, und zwar sowohl auf der Grundlage von Wolffs eigenen Lehrbüchern als auch unter Einbeziehung desjenigen Kompendiums, das für Kant besonders bedeutsam war: die "Metaphysica" des Wolffschulers A.G. Baumgarten. Es werden wie bei der Behandlung von Leibniz vorwiegend diejenigen Theoreme dargestellt, die im Zusammenhang von Kants Lehre über das transzendentale Ideal wirksam werden. 1.2.1 DieOntologie Es ist für die Gestaltung der Philosophie von Wolff bedeutsam, daß er auch Mathematiker war. Er sah in der Euklidischen Geometrie ein Vorbild wissenschaftlicher Methode — und er strebte als Ideal an, diese Methode in alle Gebiete der Wissenschaft einzuführen37. 35 36 37

Vgl. etwa XX,277. Zur Frage der Wolffschen Abhängigkeit von Leibniz siehe M. Wundt: "Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung",-S. ISO f. M. Wundt, a.a.O. S. 148. Vgl. etwa Dt.Log., Vorrede zur ersten Auflage. - Es wird aus den Schriften von Wolff und Baumgarten so zitiert, daß die Titel der Lehrbücher in der abgekürzten Form angegeben werden und dann laufend auf die Paragraphen des betreffenden Lehrbuchs verwiesen wird.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Daß dem geometrischen Verfahren dieser Status zukommen muß, liegt nach Wolff in seinem demonstrativen Charakter. Die demonstratio ist die höchste erreichbare Form des Beweises, wobei Beweis im Sinne der Syllogistik verstanden wird. Diese höchste Form zeichnet sich dadurch aus, daß die Prämissen, von denen ausgegangen wird, Definitionen, klare Erfahrungen oder "andere leere Sätze" sind. Dadurch wird die Demonstration "ein Beweis.., dabei kein Zweifel übrig bleibt"38. Auch die Philosophie muß nach demonstrativer Methode aufgebaut werden. Denn Wolff definiert sie als "eine Wissenschaft aller möglichen Dinge, wie und warum sie möglich sind" (meine Hervorh.)39. Da der Begriff des Möglichen der Grundbegriff der Wolff sehen Ontologie ist, wird auf ihn unten eingegangen. Hier gilt es nur, hervorzuheben, daß aus der demonstrativen Methode der Philosophie folgt, daß sie den Charakter des Systems hat: Ihre Sätze hängen dadurch zusammen, daß sie auseinander abgeleitet werden. Und letztenendes gründet sich dieser systematische Zusammenhang darin, daß alle Sätze anhand der Fundamentalprinzipien — des Widerspruchssatzes und des prineipium rationis — erschlossen werden. In Rahmen des Systems der Philosophie erweist sich nun die O n t o l o g i e als die grundlegendste Disziplin. Die Ontologie ist im Verständnis der Wolff-Schule eine allgemeine Lehre über dasjenige, was als "ens" - oder, in der deutschen Übersetzung, als "Ding" - gelten kann: "Ontologia seu Philosophia prima est scientia entis in genere, seu quatenus ens est" (Ontologia, § 1) — "Ontologia . . . est scientia praedicatorum entis generaliorum" (Metajphysica, §4). Baumgarten giHt als Übersetzung von "Ontologia" den Ausdruck "Die Grund-Wissenschaft" an (ebd.): die Ontologie wird als allgemeinste Wissenschaft von allen anderen vorausgesetzt. Es soll nun eingangs dargestellt werden, wie die grundlegenden Bestimmungen des e n s sich aus den beiden Grundprinzipien ergeben. 1.2.1.1 Das ens Der Wichtigste der allgemeinen ontologischen Bestimmungen ist der Begriff des M ö g l i c h e n . Sein systematischer Primat kommt darin zum Ausdruck, daß er sich direkt aus dem Widerspruchssatz ableiten läßt. In der Dt.Met. gibt Wolff dem Widerspruchssatz die Formulierung: "Es kan etwas nicht zugleich seyn und auch nicht seyn" (§ 10). In diesem Grundsatz ist natürlich der Begriff des Widerspruchs direkt enthalten - er bedeutet, "daß dasjenige, was bekräftigt wird, auch zugleich verneinet wird" (§ 11). Durch ihn läßt sich wiederum 38 39

Dt.Log. Kap. 4, §21. Dt.Log., "Vorbericht von der Welt-Weisheit", § 1. Die Problematik, die in dieser Definition der Philosophie enthalten ist, ist Gegenstand der Untersuchung von H. Lüthje: "Christian Wolffs Philosophiebegriff".

Wolff und Baumgarten: Die Ontotogie

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das Unmögliche definieren: es ist dasjenige, "was etwas widersprechendes in sich enthält". Das bedeutet, präziser ausgedrückt, daß etwas dann unmöglich ist, wenn es solchem widerspricht, von dem feststeht, daß es ist oder sein kann. Die Definition des Möglichen kann nun durch einfache Negation von derjenigen des Unmöglichen erfolgen: Möglich ist, "was nichts widersprechendes in sich enthält". Die Widerspruchslosigkeit des Möglichen kann zweierlei bedeuten: a. daß etwas gleichzeitig mit solchem bestehen kann, welches ist oder sein kann. b. daß etwas in sich solches enthält, was nebeneinander bestehen kann (§ 12). Damit ist die Definition des ens vorbereitet. Aber sie setzt noch eine Überlegung voraus, die sich nicht tinmittelbar an den Begriff des Möglichen anschließen kann. Es muß nämlich eigens hervorgehoben werden, daß von der Möglichkeit nicht ohne weiteres auf die Existenz, bzw. Wirklichkeit, geschlossen werden kann. Wenn etwas existieren soll, muß außer der Möglichkeit noch etwas hinzukommen, wodurch das Mögliche seine "Erfüllung" bekommt. Und " . . diese Erfüllung des Möglichen ist eben dasjenige, was wir Wirklichkeit nennen" (§14). Entsprechend in der Ontologia: "Existentiam definio per complementum possibilitatis" (§174). In dem gegenwärtigen Zusammenhang dient der Existenzbegriff - über den natürlich mehr zu sagen ist - nur zur Formulierung der Definition vom ens, bzw. dem Ding. Sie besagt in der Dt.Met., daß ein Ding alles dasjenige ist, was existieren kann — ob es nun tatsächlich existiert oder nicht (§ 16). In der Ontologia versucht Wolff zu zeigen, daß der Begriff des Existierenkönnens schon in dem des Möglichen enthalten ist, so daß das ens schlechthin als das Mögliche definiert werden kann (§§ 133-35). Somit ergibt sich der grundlegende Begriff des ens aus dem Widerspruchssatz. Für die differenziertere Ausgestaltung dieses Begriffes muß jedoch der Satz vom zureichenden Grund in Anspruch genommen werden. Die Formulierung des Prinzips vom zureichenden Grund wird in der Dt.Met. vorbereitet durch Überlegungen, die sich aus Konsequenzen des Widerspruchssatzes ergeben. Sie dienen der Bestimmung des Begriffs vom Nichts. Das Nichts ist das, was weder ist, noch möglich ist — es ist also etwas unmögliches. Nun gilt aber vom Unmöglichen, daß es weder ist noch etwas werden kann. Dadurch steht ein doppeltes vom Nichts fest: Das Nichts kann nicht etwas werden. - Aus dem Nichts kann nicht etwas werden (§28). Der Begriff des Grundes wird nun durch folgende Definition eingeführt: Er ist "dasjenige, wodurch man verstehen kann, warum etwas ist" (§29). Den Satz des zureichenden Grundes versucht Wolff dann durch Benutzung der Bestimmungen des Nichts zu beweisen: "Da nun unmöglich ist, daß aus Nichts etwas werden kann (§28), so muß auch alles, was ist/seinen zureichenden Grund haben/warum es ist/ das ist, es muß allezeit etwas seyn, daraus man verstehen kan, warum es würcklich werden kan (§29)" (§30). Der Satz des zureichenden Grundes ermöglicht die Festlegung dessen, was unter dem W e s e n eines Dinges, bzw. der essentia entis, zu verstehen ist. Die Überlegungen Wolffs zum Wesen erfolgen unter der Voraussetzung, daß in einem Ding

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

eine Pluralität (ein "mancherley") unterscheidbar ist. Wenn das der Fall ist, dann muß ein Teil dieser Pluralität den Grund dafür enthalten, daß das übrige dem Ding zukommt. Da jener Teil nicht wiederum den Grund, weshalb er dem Ding zukommt, in diesem "übrigen" haben kann, muß er dem Ding notwendig zukommen. Denn etwas ist eben notwendig in einer bestimmten Weise, wenn es keinen Grund dafür gibt, daß es so ist. Wolff stellt als Konklusion dieser Überlegung fest: In jedem Ding gibt es etwas notwendiges, kraft dessen das Ding in seiner Art determiniert wird, und in welchem der übrige Inhalt des Dinges seinen Grund hat. Diese Konklusion ist problematisch, weil sie von dem Ausdruck "in seiner Art determiniert" Gebrauch macht, der bisher in der Dt.Met. Uberhaupt nicht ausdrücklich eingeführt ist. Unten wird sich zeigen, daß das in der Ontologia und auch bei Baumgarten anders ist (Vgl. S. 55ff) Das Wesen des Dinges wird nun eben als dasjenige definiert, welches den Grund seiner übrigen Bestandteile enthält. Die Definition des Wesens hat verschiedene Konsequenzen für die Erkenntnis·. 1. Wenn man das Wesen kennt, kann man den Grund angeben für alles, was dem Ding zukommt; 2. Weil das Wesen den Grund der übrigen Bestandteile enthält, muß es das erste sein, was vom Ding gedacht wird. Diese Überlegungen zur Ordnung der Erkenntnis führen zu einer genaueren Bestimmung des Wesens. Von einem Ding kann nämlich nichts "früher" gedacht werden, als wie es möglich ist — durch die Möglichkeit wurde ja das Ding definiert. Das bedeutet also, daß das Wesen eines Dinges mit seiner Möglichkeit identisch ist. Daher versteht man das Wesen, wenn man weiß, auf welche Weise ein Ding möglich ist und letzteres ist wiederum der Fall, wenn man weiß, wie das Ding in seiner Art determiniert ist (§§32-35) — auch hier macht Wolff von diesem ungeklärten Ausdruck gebrauch. Die Definition des Wesens führt zu der Auffassung, daß die Pluralität, welche in einem Ding enthalten ist, auf ganz bestimmte Weise strukturiert ist. Das wird in der Ontologia besonders deutlich ausgeführt. Hier heißt es nämlich, daß dasjenige, was "inest enti", dreierlei ist: 1. Die essentia, bzw. die essentialia, durch die das ens möglich ist. 2. Die attributa, die in den essentialia zureichend gegründet sind. 3. Die modi, deren potentielles Insein durch die essentia, deren aktuelles Insein durch Anderes begründet ist. (§ § 149-60). Es hat sich gezeigt, daß Wolff bei der Definition des Wesens mit einem Begriff operiert, den er unvermittelt und unerklärt einführt, nämlich dem Ast Bestimmung. In der Ontologia, die sorgfältiger — und pedantischer - den methodischen Forderungen des Systems Rechnung trägt, wird der Begriff der determinatio dagegen zwischen den Abschnitten über Possibile und Ens entwickelt. Die Beispiele, die Wolff fur die Begriffe des Bestimmten und Unbestimmten anführt, zeigen, daß diese Begriffe mit der Struktur des ens in engster Verbindung stehen. So ist im Begriff eines geradlinigen Dreiecks folgendes determiniert: 1. daß es

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eine Figur ist; 2. daß es eine ebene Figur ist; 3. daß es durch gerade Linien begrenzt wird; 4. daß die Anzahl dieser Linien 3 ist. Hingegen ist die Proportion der Geraden untereinander unbestimmt (§104). Da die genannten determinationes die Definition des geradlinigen Dreiecks ausmachen, sind sie natürlich mit den essentialia dieser Figur identisch. Hingegen würde die Tatsache, daß diese Figur auch drei Winkel hat, zu den attributa gehören. Nun geht es aber bei dem Begriff der Determination sicherlich nicht nur um die Festsetzung von passenden Bezeichungen für die Elemente des ens. Entscheidend ist vielmehr, daß es immer sozusagen eine Skala der Determiniertheit gibt, wofür wieder die geometrischen Figuren geeignete Beispiele sind. So liegen z.B. zwischen dem allgemeinen Begriff des Dreiecks und demjenigen des gleichschenkeligen Dreiecks verschiedene Arten dieser Figur, die jeweils durch Bestimmung des Unbestimmten entstehen. Dabei bestimmt sich die Skala nach derjenigen Hinsicht, in welcher etwas unbestimmt ist. Der allgemeine Begriff des Dreiecks ist beispielsweise unbestimmt hinsichtlich der Art der drei Linien. Durch die Bestimmung, daß sie gerade sein sollen, entsteht der speziellere Begriff des geradlinigen Dreiecks usw. Wenn man davon absieht, daß an dieser Stelle der Überlegung der Begriff des ens noch nicht eingeführt ist, kann man diese Überlegungen so zusammenfassen: ein ens ist dann i n d e t e r m i n a t u m , wenn etwas von ihm noch nicht bejaht werden kann, obwohl es dem ens nicht widerstreitet, daß das betreffende von ihm bejaht wird (vgl. §105). Da es aber vom jeweiligen Ding abhängt, ob und in welcher Hinsicht etwas von ihm bejaht werden kann, geht aus Wolffs Beispielen deutlicher als aus dieser allgemeinen Aussage hervor, welche Bedeutung er der Determination zukommen läßt. Damit ist der Ausdruck "in seiner Art determiniert" teilweise aufgeklärt. Seine volle Bedeutung kann sich jedoch erst weiter unten zeigen. Nachdem nun die Grundzüge von Wolffs Lehre über das ens hervorgehoben wurden, sollen die entsprechenden Partien aus B a u m g a r t e n s Ontologia dargestellt werden — jedoch derart, daß nur die charakteristischen Gedankengänge dieses Autors erwähnt werden. Es ist deutlich, daß Baumgarten, obwohl er — in wohltuendem Gegensatz zu Wolff — äußerst knapp formuliert, sich bemüht, möglichst viele Varianten des jeweiligen Begriffes oder Prinzips anzuführen. So bringt er in der Metaphysica gleich mehrere Formulierungen des Widerspruchssatzes, von denen übrigens die beiden: "Nihil est Α et non-A" und "praedicatorum contradictorum nullum est subiectum" (§7), die Tendenz zur Formalisierung und zum Hervorheben des logischen Aspektes deutlich werden lassen. In dem gegenwärtigen Zusammenhang muß besonders interessieren, daß Baumgarten den Satz des ausgeschlossenen Dritten in einer Art ausdrückt, die von Kant innerhalb der Theorie des Gottesbegriffes aufgenommen wird. Daß zwischen zwei "contradictoria" kein Drittes bestehen kann, bedeutet, daß alles Mögliche entweder Α oder non-A ist - oder, in einer anderen Formu-

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

lierung, daß einem Subjekt immer je eines von allen kontradiktorischen Prädikaten zukommen muß (§10). Baumgarten stellt also durch seine charakteristische Formulierung den nicht selbstverständlichen Bezug zwischen dem principium exclusi medii und dem Gedanken von der Allheit kontradiktorischer Prädikate her. Wie oben erwähnt, wird der Begriff der Determination bei Baumgarten vor demjenigen des ens eingeführt und erläutert. Da das präziser als bei Wolff geschieht, soll nun darauf eingegangen werden. Determinieren bedeutet setzen, daß etwas Α ist oder setzen, daß es non-A ist. Hingegen gilt etwas als indeterminatum, wenn nur gesagt wird, daß es entweder A oder non-A ist. Der Unterschied zwischen determinatum und indeterminatum besteht also darin, daß diesem eines von zwei kontradiktorischen Prädikaten zukommen kann, jenem hingegen eines solchen Prädikate tatsächlich zugesprochen wird. Da die Determination durch die Kontradiktion definiert wird, ist klar, daß jede determinatio bejahend oder verneinend sein muß. Dadurch gewinnt Baumgarten unmittelbar aus dem Begriff der Determination die Definition von Realität und Negation: Realität ist die wahr bejahende, Negation hingegen die wahr verneinende determinatio (§§34-36). Auch Baumgarten definiert das Wesen als den Inbegriff derjenigen determinationes, die den Grund der übrigen enthalten. Nur weicht sein Sprachgebrauch darin von dem Wolff sehen ab, daß er alle in der essentia gegründeten Bestimmungen als affectiones zusammenfaßt. Unter diesem Terminus treten sie in der Definition der Existenz auf. Jedes Mögliche ist hinsichtlich seines Wesens bestimmt, denn das Wesen ist mit der Möglichkeit identisch. Außerdem kann ein Mögliches hinsichtlich aller Affektionen bestimmt sein, d.h. es kann alle diejenigen Affektionen besitzen, die zusammen mit ihm möglich sind. Wenn das der Fall ist, existiert dasjenige, was vorher nur als möglich angesehen wurde. Die Existenz, die auch bei Baumgarten als "complementum essentiae" bezeichnet wird, ist also definiert als "complexus affectionum in aliquo compossibilium" (§§53-55). Wie bei Wolff bereitet der Existenz-Begriff die Definition vom ens vor. Diese besagt nämlich, daß das ens das Mögliche ist, insofern es hinsichtlich der Existenz bestimmbar ist ("Possibüe, qua existentiam, determinabile est ens", §61). Wegen ihrer Bedeutung fur die Gotteslehre soll noch die Bemerkung Baumgartens erwähnt werden, die Existenz widerspreche nicht dem Wesen, sondern sie sei eine mit ihm compossible Realität (§66). Es ist deutlich, daß schon diese ersten Argumentationsschritte der Ontologie den methodischen Forderungen der Wolffschen Philosophie nicht genügen: die Definitionen des ens und der essentia entis lassen sich nicht direkt aus den beiden Fundamentalprinzipien ableiten. Schon die Definition des Möglichen erfordert zusätzliche Voraussetzungen. Wenn nämlich dasjenige möglich ist, welches entweder intern oder im Verhältnis

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zu schon Möglichem nicht im Widerspruch steht, ist die Annahme gemacht, man könne von etwas sprechen, das zu Anderem in einer Relation des Widerspruchs oder der Widerspruchslosigkeit steht. Weiter zeigte sich, daß die Definition des ens nur unter Voraussetzung des Existenzbegriffes möglich war. Es wird aber weder begründet, auf welcher Grundlage man den Begriff der Existenz einfuhren kann, noch wird dieser Begriff, die "Erfüllung des Möglichen", genau definiert40. Schließlich zeigt sich bei der Definition der essentia entis die gleiche Unklarheit wie bei deijenigen des Möglichen: Es wird vorausgesetzt, daß in einem ens eine Pluralität enthalten ist und daß zwischen ihren Elementen dann ein Begründungsverhältnis besteht. Auf den Zusammenhang zwischen diesen Unklarheiten und Wolffs Verhältnis zu Leibniz wird am Schluß dieser Darstellung der Ontologie eingegangen (vgl. unten S. 63ff). 1.2.1.2 Singuläres und Universelles Aufgrund ihrer Bedeutung für Kants Theorie des Gottesbegriffes soll die Lehre der Wolff-Schule über Singuläres und Universelles besonders eingehend behandelt werden. Da zwischen den betreffenden Abschnitten in Wolffs Dt.Met. und in seiner Ontologia ein gewisser Unterschied besteht, wird es nützlich sein, auf sie gesondert einzugehen. In der Dt.Met. fuhrt Wolff zuerst den Begriff der A r t ein, und zwar unter Bezugnahme auf seine Bestimmung des Wesens. Wie erwähnt, ist das Wesen dasjenige, welches einem Ding notwendig zukommt. Wenn nun Dinge hinsichtlich dieses notwendigen identisch sind, gehören sie derselben Art an (§177). Da das Ding außer dem Wesen und dem in diesem Gegründeten noch solche, Bestimmungen enthält, die nicht nur im Wesen ihren Grund haben, können Dinge von einer Art hinsichtlich dieser Bestimmungen von einander verschieden sein. Wenn aber diese vom Wesen nicht bestimmten Bestandteile bei mehreren Dingen einer Art in der gleichen Weise determiniert werden, entsteht eine niedrigere oder besondere Art (§178f). Man sieht, daß das Verhältnis von Arten und besonderen Arten durch die oben sogenannte Skala der Determiniertheit konstituiert wird (Vgl. S. 51 ). Damit ist die Voraussetzung für die Definition des E i n z e l d i n g e s gegeben: "Nehmlich in

40

Lüthje macht darauf afumerksam, daß Wolff ursprünglich zwischen zwei Bedeutungen von "Möglich" unterscheidet: 1) möglich ist, was keinen Widerspruch enthält (in der Tradition: possibile internum); 2) möglich ist, was auch wirklich wird (traditionell: possibile externum). - Er fuhrt die Unklarheit, die an Wolffs Begriff der Möglichkeit haftet, darauf zurück, daß er von der Wirklichkeit keine klare Begriffsbestimmung gibt - " . . denn als solche kann auch die Bezeichnung complementum possibilitatis nicht gelten, gibt sie uns doch keineswegs darüber Auskunft, worin diese Erfüllung des Möglichen denn eigentlich bestehe . . ". A.a.O. S. 41.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

eintzelen Dingen ist alles, was nur wahrzunehmen und von einander unterschieden ist, auf eine gewisse Art determiniert.." (§180). Was in einem Ding "unterschieden" werden kann, sind diejenigen Elemente, die als notae — Merkmale - in dem Begriff vom Ding enthalten sein können. Was bedeutet es aber, daß alle solche Elemente determiniert sein sollen? Die Allheit der Bestimmungen umfaßt sowohl alles, was in dem Ding enthalten ist, als auch diejenigen Relationen zu Anderem, die durch Raum und Zeit gegeben sind. - Wolff verweist nach dieser Definition des Einzelnen auf deren entsprechende Behandlung in der Dt. Log. In ihrem § 27 des ersten Kapitels erfahren wir jedoch nicht mehr über die Determiniertheit "auf alle Weise" - die durchgängige Bestimmung also — als in der Dt. Met. Die durchgängige Bestimmung ist der Grund des Einzeldinges. Wolff macht die terminologische Bemerkung, man habe diesen Grund "vor dem die Diesheit" genannt (ebd.). "Diesheit" ist aber laut des "ersten Registers" der Dt. Met. Wolffs Übersetzung von haecceitas u n d principium

individuationis.

Daß es ein Prinzip der einzelnen Dinge gibt, bedeutet nicht ohne weiteres, daß Einzeldinge immer als solche erkannt werden können. Im Gegenteil: In einem sehr wesentlichen Gegenstandsbereich, dem der "natürlichen Dinge(n)", ist eine solche Erkenntnis nicht möglich - "weil in ihnen unendliche Theile angetroffen werden, die alle auf eine besondere Art determiniert sind" (ebd.). Auf dieses Problem wird unten näher einzugehen sein. Es kann nicht überraschen, daß Wolff die G a t t u n g konstituiert sein läßt durch die Identität verschiedener Arten (§181). Hingegen sind einige der Betrachtungen, mit denen er seine Behandlung dieses Lehrstückes beschließt, von größerem Belang, insbesondere im Blick auf Kants Aufnahme dieser Theoreme. Wolff faßt seine Analyse vom Singulären und Universellen in der Konklusion zusammen, daß die Differenzen zwischen Gattung, Art und Einzeldingen darauf beruhen, daß es unter den Bestimmungen der Dinge solche gibt, die veränderlich sind und daher verschieden determiniert werden können. Nun hat Wolff aber in anderem Zusammenhang — auf den unten eingegangen wird — die These entwickelt, daß das Veränderliche immer als Einschränkung angesehen werden muß. Die Differenzen zwischen Singulärem und Universellem können also nur auf Einschränkungen beruhen. Diese Feststellung hat an dieser Stelle unserer Darstellung nur terminologische Bedeutung. An die konkludierende Überlegung schließt sich noch ein Schritt an, der auch lediglich genannt sei. Die "Einschränkung" eines Dinges muß offensichtlich mit der Art und Weise zu tun haben, wie in ihm die Modi gesetzt sind, d.h. sie betrifft das Verhältnis der determinationes des Dinges. Nim besagt aber eine andere These von Wolff, daß ein ganz bestimmtes Verhältnis der determinationes, nämlich das des Zusammenstimmens, die Vollkommenheit eines Dinges ausmacht. Da Vollkommenheit graduell veränderbar ist, kann man sagen, daß durch die verschiedenartige Determination, welche die Differenz zwischen Singulärem und Universellem bedingt, verschiedene Grade der Vollkommenheit entstehen (§§ 183,187).

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Die Theorie der Ontologia über Singuläres und Universelles enthält zwar den gleichen Grundgedanken wie die der Dt.Met., aber die Art, wie die Begriffe eingeführt und aus einander entwickelt werden, ist eine andere. Wolff setzt ein mit dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung,der o m n i m o d a d e t e r m i n a t i o : "Ens omnimode determinatum dicitur, in quo nihil concipitur indeterminatum, quo nondum determinato cetera, quae insunt, actu esse nequeunt" (§225). Die Definition der omnimoda determinatio erfolgt also im Hinblick auf den Begriff der Wirklichkeit, bzw. der Existenz. Da nach Wolff auch das Mögliche ein ens ist, muß man sich vorstellen können, daß schon im Möglichen alle Momente des betreffenden ens enthalten sind, ihm "insunt". Die definition der omnimoda determinatio besagt dann negativ, daß keine solchen Momente unbestimmt sind, durch deren Bestimmung das aktuelle Insein anderer Momente bedingt ist. Da durch die Definition der omnimoda determinatio zunächst einmal ein Existenzkriterium gegeben ist, kann Wolff aus dieser Definition das Axiom ableiten, daß alles, was existiert, bzw. wirklich ist, durchgängig bestimmt sein muß. Ein Axiom oder ein "Grundsatz" ist nämlich laut der Dt.Log. ein Satz, der aus einer Definition ableitbar ist (Kap. 3,§13). Erst nach diesem Schritt kann der Begriff des S i n g u l ä r e n eingeführt werden, denn da feststeht, daß entia singularia existieren, muß auch gelten, daß entia singularia den Charakter von entia omnimode determinata haben. Obwohl Wolff nicht explizit zeigt, daß die Klasse der existierenden Dinge mit derjenigen der singulären identisch ist, bezeichnet er die omnimoda determinatio als principium individuationis: Sie ist der Grund, von dem her verständlich ist, warum ein ens singulare ist (§§226-29). Vor der Definition von genus und species fuhrt Wolff den allgemeinen Begriff des e n s u n i v e r s a l e ein: "Ens universale est, quod omnimode determinatum non est, seu quod tantummodo continet determinationes intrinsecas communes pluribus singularibus, exclusis iis, quae in individuis diversae sunt" (§230). Auch diese Definition setzt voraus, daß nur Singuläres durchgängig bestimmt sein kann, denn sonst würde nicht ohne weiters verständlich sein, daß, wenn etwas nicht durchgängig bestimmt ist, es eo ipso solches enthält, was mehreren singularia gemeinsam ist. Ähnlich wie in der Dt.Met. wird dann die s p e c i e s definiert als "entium singularium similitudo" und das g e n u s als "similitudo specierum" (§§233-34). In diesem Zusammenhang gibt Wolff eine explizite Definition von demjenigen Begriff, den er unvermittelt in die Überlegungen der Dt.Met. eingeführt hatte, nämlich dem Begriff der "Determiniertheit in seiner Art". Als "determinationes specificae" haben nämlich einfach diejenigen Determinationen zu gelten, die in dem Begriff von der species enthalten sind (§236). In der Dt.Met. war es so, daß Wolff schon in den einleitenden Bestimmungen des Wesens von dem Begriff der "Determiniertheit in seiner Art" Gebrauch machte. Nun zeigen aber die Überlegungen der Ontologia, daß von den Begriffen "determinationes specificae" und "essentia" nicht einer den anderen bedingt, sondern daß

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sie eher in einem Wechselverhältnis zu verstehen sind. Was nämlich allgemein von der Struktur eines ens gilt: daß seine essentialia die atrributa und die Möglichkeit der modi hinreichend begründen — das muß auch von entia universalia gelten. Genus und species werden also durch ihre essentialia konstituiert (§247). Da nun die species definiert wurde als similitudo entium singularium, kann man umgekehrt sagen, daß singularia insofern, als sie der gleichen species angehören, die gleichen essentialia besitzen müssen (§254). Das bedeutet aber, daß es - gegen den ersten Anschein — bei Wolff relativ ist, an welcher Stelle man mit der Definition von Singulärem und Universellem einsetzt. Es ist also nur ein Unterschied in der Art der Darstellung, wenn in der Dt.Met. mit dem Wesen, in der Ontologia hingegen mit der durchgängigen Bestimmung der Anfang gemacht wird. In der Ontologia zeigt sich aber eine gewisse Unklarheit der Wolff sehen Theorie über Singuläres und Universelles besonders deutlich. Einerseits erhebt diese Theorie nämlich den Anspruch, für alle Formen von Singularität zu gelten. Diese angestrebte Allgemeingültigkeit kommt z.B. darin zum Ausdruck, daß Wolff im Zuge seiner Gründlichkeit - die ihm bekanntlich das Lob Kants eingebracht hat - auch die Art bedenkt, in welcher der Unterschied Singuläres — Universelles in der natürlichen Sprache durch die differenzierte Funktion von nomen proprium und nomen appellativum zur Geltung kommt (§245). - Andererseits zeigen aber die gegebenen Beispiele, daß die Theorie besonders im Hinblick auf mathematische Gesetzmäßigkeiten konzipiert ist. Das Lieblingsbeispiel des Dreiecks tritt auch in diesem Zusammenhang auf. Wenn in einem Dreieck außer der Definition auch noch die Länge der Seiten und die Größe der Winkel bestimmt sind, dann ist in der Figur nichts mehr enthalten, dessen Undeterminiertheit das aktuelle Auftreten anderer Bestimmungen ausschließen würde. Denn, so fügt Wolff begründend hinzu, ein Dreieck wird nur als ebene Figur angesehen, d.h. daß etwa von dem es begrenzenden Material abgesehen werden kann. Ein jedes Dreieck mit gegebener Seitenlänge und Winkelgröße ist also durchgängig bestimmt. In die gleiche Richtung weist ein anderes Beispiel, die Formel von der Summe einer Differenzreihe. Sie lautet: Summe =an + l/2d(n J - n), wobei a die erste Zahl, d die Differenz und η die Anzahl der Glieder bezeichnet. Es kann nun eine graduelle Determination stattfinden, indem Schritt für Schritt für die Buchstabensymbole bestimmte Zahlenwerte eingesetzt werden. Bei dem Vorliegen einer bestimmten Summe ist die durchgängige Bestimmung erreicht. Man muß also von diesen Beispielen her zu dem Ergebnis kommen, daß jedes konstruierbare Dreieck und jede Summe, die durch Substituierung in die Formel erreicht wird, Einzeldinge sind. Bedenkt man dann noch die Bemerkung, mit der Wolff die Äquivalenz von Singularität und Existenz veranschaulicht: "Existit Petrus, existit Paulus, existit Johannes, sed homo in genere non e x i s t i t . . . " (§235), ergibt sich weiter, daß das konstruierbare Dreieck, die Summe der Differenzreihe

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und die Person als durch die gleiche Theorie über Singularität beschreibbar gelten. Man kann sagen, daß die überraschende Verschiedenartigkeit der genannten Beispiele für Singularität daraus resultiert, daß der entscheidende Begriff des Alls, der im Gedanken von der omnixnoda determinatio vorausgesetzt wird, in seiner Bedeutung nicht genau festgelegt wird. So bedeutete das "All" in der DtJvlet. die Gesamtheit dessen, was überhaupt im Begriff von einem Ding gedacht werden kann, einschließlich der raum-zeitlichen Relationen. Im Beispiel des Dreiecks hingegen scheiden alle diejenigen Determinationen als irrelevant aus, die nicht durch die Definition der Figur ermöglicht sind, und so kann wie genannt vom Material und mit ihm von der ganzen konkreten Konstruktionssituation abgesehen werden. Die Aufklärung dieser Spannung liegt in Wolffs eigenem Verständnis sicherlich darin, daß in den Wissenschaften besondere Bedingungen für die Erkennbarkeit von Singulärem und Universellem gelten. Wissenschaft beschäftigt sich nicht mit singularia, sondern mit universalia. Das hat aber bei Wolff die überraschende Implikation, daß die Wissenschaft in gewisser Weise das Universelle betrachten muß, als ob es existierte. Man kann das vielleicht so verdeutlichen: Die wissenschaftliche Untersuchung setzt voraus, daß der Determinierbarkeit des Universellen eine Grenze gesetzt wird. Das bedeutet aber, daß das Universelle betrachtet wird, als ob es nicht weiter determiniert werden könnte was wiederum besagt, daß das Universelle als Singuläres angesehen wird. Andererseits impliziert die wissenschaftliche Betrachtungsweise, daß das faktische Singuläre nicht als solches, sondern nur hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zu einer species erkannt werden kann. Es muß also davon abgesehen werden, daß ein singulare immer mehr Determinationen als eine species enthält. Durch die ontologische Theorie über Singuläres und Universelles wird aber trotzdem verständlich, warum singularia, die sich doch immer von einander unterscheiden, einer allgemeinen Erkenntnis zugänglich sind: Wenn sie als unter einer species enthalten betrachtet werden, gelten sie eben nicht als singularia, sondern als ein einziges ens ( " . . omnia simul tanquam ens unum considerari", §262). Wolffs Theorie über Singuläres und Universelles läßt sich somit folgendermaßen zusammenfassen. Als ens singulare kann nur dasjenige gelten, welches im strengen Sinne durchgängig bestimmt ist. Das muß aber unmittelbar zu der Konsequenz fuhren, die Wolff auch in der DtAlet. zieht: es ist nicht möglich, "natürliche Dinge" als einzelne zu erkennen. Als Gegenbegriff zu dem der natürlichen Dinge könnte man von den Beispielen der Ontologja her geneigt sein, den Begriff der mathematischen entia anzusehen. In diesem besonderen Fall wären dann entia singularia erkennbar. Jedoch zeigen die zuletzt zitierten Überlegungen, daß solche entia nur zu behandeln sind, als ob sie singularia wären. Wissenschaftliche Erkenntnis beruht eben darauf, daß es solche entia "gibt" - bzw. daß sie bildbar sind — die trotz ihres Charakters als universalia die Eigenschaft haben, in ihrer Determinierbarkeit begrenzt zu sein. Abschließend sei noch die folgende Bemerkung gemacht. Es gibt bei Wolff kein

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eigenes Kapitel über den Begriff der Realität. Er erscheint jedoch innerhalb des gegenwärtigene Lehrstücks. Es heißt nämlich, daß entia, wenn an ihnen die Unterscheidung zwischen genus und species durchgeführt wird, als r e s betrachtet werden. Dabei wird die res definiert als dasjenige, was etwas (aliquid) ist. So kann beispielsweise gesagt werden, ein Baum sei einerseits ein ens, und zwar hinsichtlich seiner Existenz - andererseits eine res, und zwar hinsichtlich dessen, daß ihm eine determinierte Notion entspricht. Wie bei Baumgarten entspricht also der Realität eines ens seine Determiniertheit, aber die logischen Funktionen der Affirmation und Negation spielen bei Wolff keine Rolle. - Genera und species sind eben entia, die als res betrachtet werden, weil diese Unterscheidung darauf beruht, was sie sind, nicht daß sie sind (§§243-44). B a u m g a r t e n schließt sich bei seiner Behandlung von singulare und universale dem Verfahren Wolffs in der Ontologia an: In der Metaphysica setzt er mit dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung ein. Er gibt ihm die Formulierung "Complexus omnium deteiminationum in ente compossibilium est omnimoda eius determinatio" (§148). Danach kann er durch einfache Anwendung des Widerspruchssatzes direkt zur Definition von ens singulare und ens universale gelangen. Denn ein jedes ens muß entweder omnimode determatum sein oder nicht. Im ersteren Fall ist es ein singulare, im letzteren ein universale (ebd.). Deutlicher als bei Wolff kommt dabei zum Ausdruck, daß bei dieser Definition keiner Gruppe von universalia eine Vorrangstellung zukommen kann, sondern daß die Bedeutung der jeweiligen Universalität nur durch die Relation zu anderen universalia und zu singularia gegeben ist: "Utrumque respectu omnium determinatorum, quae in se continet, inferius dicitur, üla respectu huius superiora" (ebd.). Auf dem Wege zur Definition von genus und species fuhrt Baumgarten eine Terminologie ein, die hier wegen ihrer Rolle bei Kants transzendentallogischer Transformation der Ontologie genannt sei. Man kann nämlich ein universale in einem niedrigeren ens und ein singulare hinsichtlich solcher Prädikate, die in einem in ihm enthaltenen universale nicht bestimmt sind, betrachten. In solchen Fällen werden die beiden Formen von entia in concreto betrachtet. Umgekehrt werden sie in abstracto betrachtet, wenn das universale nicht als in einem niedrigeren und das singulare nur als ein universale enthaltendes angesehen werden (§ 149). Unter Benutzung dieser Terminologie kann dann die species als ein universale, das nur in singularia in concreto betrachtet werden kann, und das genus als ein universale, bei dem die Betrachtung in concreto nur in universalia möglich ist, definiert werden (§ 150). Anders als Wolff faßt Baumgarten nicht die omnimoda determinatio als principium individuationis auf, sondern diese Funktion gibt er der numerischen Differenz. Diese ist der Komplex derjenigen Determinationen im Individuum, welche in der species unbestimmt sind. Diese Abweichung von Wolff könnte damit zusammenhängen, daß Baiungarten deutlicher die Tatsache hervorhebt, daß die omnimoda determinatio gleichzeitig Individuations- und Existenzkriterium ist. Er hatte ja

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den Existenzbegriff direkt über den der durchgängigen Bestimmung eingeführt (Vgl. oben S. ). Die Begründung der Äquivalenz von Singularität und Existenz lautet denn auch: "Singularia sunt interne prorsus determinata, §148, hinc actualia, §54" (§152) - bei Wolff verlief sie in umgekehrter Richtung. Trotz der größeren Einfachheit, mit der Baumgarten die Definitionen durchführt, bleibt eine Unklarheit im Prinzip der durchgängigen Bestimmung auch bei ihm bestehen. Auch er gibt nämlich keine klare Auskunft darüber, welche genaue Bedeutung dem " o m n e " der omnimoda determinatio zukommt. Zwar vermeidet er Wolffs Verfahren, das "omnimodo" durch den Begriff der Existenz, bzw. der actualitas, zu definieren. Aber seine eigene Definition, die auf dem Gedanken vom All der in einem ens kompossiblen Determinationen beruht, ist keine Lösung des Problems. Denn sie setzt ein Kriterium voraus, nach dem entschieden werden könnte, wann die Totalität solcher Determinationen denn erreicht wäre — und über ein solches Kriterium verfugen weder Wolff noch Baumgarten41. 1.2.1.3 Vollkommenheit Da "Vollkommenheit" zu den relativ einfachen Lehrstücken gehört, besteht kein Grund, auf verschiedene Darstellungen bei Wolff zurückzugreifen, sondern man kann sich auf diejenige der DtJvlet. konzentrieren. Der Grundbegriff des Vollkommenheitsgedankens ist die Übereinstimmung einer Pluralität, entweder der internen Pluralität des Einzelnen oder derjenigen mehrerer Dinge. Dieser Begriff bestimmt die Definition von Vollkommenheit und Unvollkommenheit: "Die Zusammenstimmung des mannigfaltigen machet die Vollkommenheit der Dinge aus" — und: " . . . die Unvollkommenheit bestehet darinnen, daß das mannigfaltige wieder einander läufft" (§152). Da von einer Zusammenstimmung der Pluralität nur die Rede sein kann, wenn es einen Beziehungspunkt gibt, hinsichtlich dessen die Zusammenstimmung gilt, hat jede Vollkommenheit einen Grund, von dem aus sie erkannt und beurteilt werden kann (§153). Vollkommenheiten sind vergleichbar, und zwar dadurch, daß der Grund der Vollkommenheit Grade haben kann. Diesen Gedanken illustriert Wollf durch eines seiner Lieblingsbeispiele: die Uhr. Sie hat eine Vollkommenheit, da die Pluralität 41

M. Wundt geht in seiner Darstellung der Hauptzüge von Wolffs Ontotogie nicht auf die mit dem Begriff der omnimoda determinatio verknüpften Schwierigkeiten ein. Er bemerkt lediglich: "Prinzip der Individuation ist die omnimoda determinatio". A.a.O. S. 188. - Das Buch von A. Bissinger: "Die Struktur der Gotteserkenntnis. Studien zur Philosophie Christian Wolffs" ist zwar vorwiegend der Theologie gewidmet, da es aber gleichzeitig die togischen, ontologischen und kosmologischen Voraussetzungen der Theologie darstellt, ist es eine recht umfassende Darstellung der Wolff sehen Philosophie überhaupt - meines Wissens die neueste. Auch er geht nicht auf die genannte Problematik ein, sondern hebt lediglich den Zusammenhang zwischen Existenz und Singularität bei Wolff hervor. S. 157 f.

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ihrer Teile auf den Zweck der Zeitangabe hin zusammenstimmen. Da nun die Zeitangabe größere oder kleinere Zeiteinheiten betreffen kann, hat der Vollkommenheitsgrund Grade. Und dadurch, daß es Grade von Vollkommenheiten geben kann, kann eine Vollkommenheit im Verhältnis zu einer anderen als größer angesetzt werden (§155). Dieser Gedankengang wird natürlich bei der Bildung des Gottesbegriffes als ens perfectissimum zu mobilisieren sein. B a u m g a r t e n s Definition der Vollkommenheit schließt sich ohne wesentliche Variation an die Wolff sehe an: "Si plura simul sumpta unius rationem sufficientem constituunt, consentiunt, consensus ipse est perfectio, et unum, in quod consentitur, ratio perfectionis determinans (focus perfectionis)" (Metaphysica §94). — Aber im ontologischen Teil tritt der Begriff der perfectio nochmals auf innerhalb der Paragraphen über "reale et negativum", wobei er präzisiert wird, und dadurch die charakteristische Form des Baumgarten'schen Gottesbegriffes vorbereitet. Da ein vollständig negatives ens nicht möglich ist, muß jedes ens Realitäten enthalten und in dem Sinne ein ens reale sein. Durch Rekurs auf den Widerspruchssatz müssen alle entia eingeteilt werden in solche, die überhaupt keine Negationen enthalten, und solche, die mit ihren Realitäten zusammen Negationen besitzen. Nun kann eine Negation in einem realen ens nicht mit dessen positiven Bestimmungen zusammenstimmen hinsichtlich einer Realität als Beziehungspunkt — in einem ens können also nur Realitäten untereinander übereinstimmen und dadurch eine Realität konstituieren (§§13640). Dadurch ist aber eine genauere Definition der Vollkommenheit ermöglicht, denn von jedem ens gilt: " . . eius perfectio, qua talis, est consensus realitatum ad unam . . " (§141). Entsprechend kann die Unvollkommenheit definiert werden durch das Auftreten von Negationen in einem ens (§ 142). 1.2.1.4 Endlichesund Unendliches. Limitation Wie erwähnt, bringt Wolff in der Dt.Met. den Begriff der Einschränkung mit dem Unterschied zwischen Singulärem und Universellem in Verbindimg (Vgl. oben S M ) . Was oben nur angedeutet wurde, soll nun durch näheres Eingehen auf die Wolffschen Gedankengänge eingelöst werden. Da die Behandlung der Begriffe des Endlichen und Unendlichen in der Ontologja die umfassendere ist, wird die Darstellung vorwiegend ihr folgen. Von diesem Lehrstück gilt — wie von der gesamten Wolff sehen Metaphysik — daß eine Theorie entwickelt wird, die sowohl mathematischen Gegebenheiten als auch allgemeinen ontologischen Tatbeständen gerecht werden soll. So beginnt Wolff seine Überlegungen mit der Definition des mathematisch Unendlichen und Endlichen. " I n f i n i t u m in Mathesi" wird als ein solches definiert, in welchem keine Grenzen sind, über die hinaus es nicht sollte vermehrt werden können. Als Beispiel gilt die Reihe der rationalen Zahlen oder eine Gerade, die beliebig verlängert wird.

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Entsprechend dieser Definition des Unendlichgroßen ist das Unendlichkleine in mathematischer Bedeutung dasjenige, welches keine Grenzen enthält, über die hinaus es nicht sollte vermindert werden können. — Als mathematisches f i η it u m kann dagegen solches gelten, was angebbare Grenzen hat, an denen es sozusagen anfängt und aufhört, z.B. eine bestimmte Zahl oder eine gegebene Gerade (§§796-802). Die allgemein ontologische Theorie über Endliches und Unendliches leitet Wolff ein mit der Definition des 1 i m i t a t u m , bzw. des f i η i t u m : es ist ein solches ens, über das hinaus etwas Größeres begriffen werden kann (§825). Die darin enthaltene Voraussetzung, daß der Größenbegriff auf jedes ens angewendet werden kann, ergibt sich daraus, daß es laut der Wolff sehen Ontologie grundsätzlich nur zwei Arten von Dingen gibt: Zusammengesetzte und einfache, wobei erstere von extensiver, letztere von intensiver Größe sind. Man könnte meinen, daß damit schon die Voraussetzungen gegeben seien, um eine ontologische Definition des Endlichen und Unendlichen in genauer Analogie zur mathematischen durchzufuhren. Aber Wolff möchte zu einer anderen Definition gelangen und in diesem Zusammenhang findet sich der zitierte Satz: Das Veränderliche in einem ens könnten nur die Grenzen sein. Wolff greift bei der Begründimg dieses Satzes auf eine in anderem Zusammenhang gegebene Definition der Grenze zurück, die besagt, daß Grenzen dasjenige sind, über das hinaus nichts weiter als dem ens zugehörig aufgefaßt werden kann, bzw. dasjenige, von dem aus verständlich ist, warum nicht mehr Realität in einem Subjekt enthalten ist. Als Beispiel gilt eine Gerade AB, deren Grenzen die Punkte Α und Β sind, und zwar in dem Sinne, daß sie angeben, daß das dem ens Zukommende nicht über sie hinausgehen kann. Diese Definition impliziert, daß in einem endlichen ens immer zwischen Grenzen und Begrenztem unterschieden werden kann. Nun kann an einem ens Veränderung in zweierlei Bedeutung auftreten. Es können nämlich einmal einige der konstituierenden Determinationen ersetzt werden — dann verändert sich aber das ganze ens in ein anderes. Zum anderen kann die das ens konstituierende Realität zwar beibehalten, aber vermehrt oder vermindert werden, d.h. nach der eben genannten Definition: Die Grenzen der begrenzten Realität können verändert werden. Nur im zweiten Fall ist von einer Veränderung eines mit sich identischen ens die Rede. Da nunmehr die Ausdrücke "Grenzen haben" und "veränderlich sein" als äquivalent gelten können, sind Konsequenzen aus dem Begriff der Veränderung auf das ens finitum übertragbar. So kann gesagt werden, daß ein ens finitum sukzessiv verschiedene Zustände, aber nicht alle Zustände zugleich haben kann (§§827-34). Damit hat Wolff diejenige Definition des Endlichen vorbereitet, die er als die "genuine" ansieht: "Ens finitum son simul est, quod esse potest". Er meint dadurch einen Begriff vom ens finitum reale zu besitzen, dem ein ens infinitum reale (dJi. Gott) entspricht, welches nur durch diese "genuine" Definition vom mathematisch Unendlichen unterscheidbar sei (§835).

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Die Definition des ens i n f i n i t u m r e a l e lautet also, daß es ein ens sei, "in quo sunt omnia simul, quae eidem actu inesse possunt". Die Notwendigkeit, das ens infinitum reale mit anderen Mitteln als das mathematisch Unendliche zu definieren, beruht darauf, daß dieses zwar definiert werden, es aber ein mathematisch Unendliches, etwa eine unendlichgroße Zahl, nicht "geben" kann. Mit der Definition des ens infinitum reale ist der Grundbegriff der Theologia naturalis gegeben, denn nur G o t t kan ein ens infinitum reale sein, und aus diesem Begriff lassen sich alle Attribute und Handlungen Gottes herleiten (§838). B a u m g a r t e n wählt bei der Darstellung dieses Lehrstückes einen anderen Alisgangspunkt als Wolff, indem er mit dem Begriff des Grades einsetzt. Ihn definiert er als die Quantität der Qualität, wobei eine früher gegebene Definition der Qualität vorausgesetzt ist: daß sie mit denjenigen Determinationen eines ens identisch sei, welche ohne einen Vergleich mit einem anderen ens deutlich erkannt werden könnten (§§246.69). Der Begriff des Grades impliziert unmittelbar die Gedanken eines kleinsten und eines größten Grades (§247). Wie schon erwähnt, ist nach Baumgarten die Eigenschaft, ein ens reale zu sein, eine Qualität, die jedem ens zukommt (Vgl. oben S. 60). Da nun alle entia eine bestimmte Anzahl Realitäten enthalten, haben alle einen bestimmten Grad der Realität. Damit sind die Voraussetzungen gegeben, finitum und infinitum kraft des Widerspruchssatzes zu definieren. Denn der Grad der Realität muß entweder der größte sein oder nicht. Da der Grad der Realität, welcher nicht der größte ist, Grenze (limes) genannt werden kann, wird das f i n i t u m als dasjenige ens, welches eine Grenze hat, und das i n f i n i t u m als dasjenige, welches keine besitzt, definiert. - Das bedeutet also, daß dasjenige ens, welches den größten Grad der Realität besitzt, d.h. das ens realissimum, ein infinitum ist — alle anderen sind finita. Erst vor dem Hintergrund dieser allgemein ontologischen Definition fuhrt Baiimgarten den Begriff des infinitum mathematicum ein: Es ist dasjenige, was zwar begrenzt ist, dessen Grenzen jedoch nicht angegeben werden können (§248). Dadurch, daß Baumgarten bei der Definition der ontologischen Grundbestimmungen immer wieder auf die Begriffe der Realität und Negation zurückgreift, ist es ihm möglich, in einer einfacheren Weise als es bei Wolff der Fall ist, Verbindungen zwischen jenen Bestimmungen herzustellen. So ist es nicht schwer, den Zusammenhang zwischen Begrenztheit und Unvoükommenheit zu sehen. Denn aus der Definition von Endlichem und Unendlichem ergibt sich, daß in jedem finitum Realitäten aufgehoben und dadurch Negationen gesetzt werden müssen. Das Auftreten von Negationen ist aber mit Unvollkommenheit gleichbedeutend (§§250.142 - vgl. oben S. 60 ). Zum Schluß sei noch erwähnt, daß Baumgarten das Begriffspaar Realität-Negation innerhalb des gegenwärtigen Theorems auch in der Weise verwendet, daß die Unendlichkeit selbst als Realität gelten kann, deren Grund der größte Realitätsgrad ist. Entsprechend kann die Endlichkeit als Negation aufgefaßt werden, deren Grund die Grenze ist (§261).

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Überblickt man die dargestellten Teile der Wolff-Baumgarten'schen Ontologie, scheint es wesentlich festzuhalten, daß sich zwei fundamentale Unklarheiten herausgestellt haben: 1. der Begriff des Möglichen, auf dem die ganze Ontologie baut, läßt sich nicht direkt aus dem Widerspruchssatz ableiten. Zu seiner Definition werden stillschweigend zusätzliche Voraussetzungen gemacht (vgl. oben S. 52f); 2. das Individuationsprinzip, die omnimoda determinatio, ist durch die entscheidende Unklarheit gekennzeichnet, daß der in ihm enthaltene Gedanke des "omne", des Alls, nicht bestimmt ist (vgl. oben S. 59). Ich möchte nun versuchen anzudeuten, wie diese Unklarheiten damit zusammenhängen, daß Wolff zwar wie gesagt wesentlich durch Leibniz inspiriert ist, dessen Position in ihrer Radikalität aber nicht übernimmt. Und zwar gehe ich so vor, daß ich diesen Zusammenhang an der Wolff sehen Logik aufzuzeigen versuche. Daß Leibniz den Begriff der Möglichkeit so fassen kann, daß er sowohl Widerspruchslosigkeit als auch exigentia ad existendum bedeutet, ist auf der Ebene der Logik letztenendes in der Annahme primitiver Ideen begründet. Die Widerspruchslosigkeit der adäquat erkannten Idee ist die Kompossibilität der einfachen Bestandteile. Und weil das kompossibel Einfache Realität in verschiedenen Graden besitzt, hat es im Reich der ewigen Wahrheiten, bzw. im göttlichen Verstand, "Streben" nach Existenz. Der Begriff des Möglichen ist also bei Leibniz sowohl durch den Widerspruchssatz als auch durch die Annahme primitiver Bestandteile bedingt. Eine der Schriften von Leibniz, die Wolff am stärksten beeinflußt haben, ist nun gerade die "Meditationes de veritate, cognitione et ideis", in welcher die eben dargestellte Auffassung vom Möglichen angedeutet ist. In der Dt.Log. finden wir im Zusammenhang der Begriffslehre die Leibniz'sche Klassifizierung der Ideen in fast wörtlicher Übernahme. Aber Wolff wird unklar genau an der Stelle, wo es um die primitiven Begriffe geht, nämlich bei den "vollständigen" Begriffen, das Wolff sehe Pendant zur Leibniz'schen notio adaequata. Es ist zwar hier der Gedanke geäußert von dem Zuendefuhren der Begriffszergliederung, der dann die Annahme von Begriffen implizieren würde, " . . die sich vor und an sich nicht mehr zergliedern lassen, weil sie nicht mehr vieles von einander unterschiedenes in sich fassen." Aber Wolff behandelt diese Frage rein pragmatisch: Die Grenze der Begriffszergliederung müsse danach bestimmt werden, wie man in der gegebenen Situation seinen Beweis zu fuhren habe42. Aber die systematische Bedeutung der Annahme primitiver Ideen bei Leibniz wird von Wolff nicht gesehen43. Das dürfte ein entscheiden-

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Dt. Log. 1. Kap. § 18. Vgl. die Erwähnung von "notiones irresolubiles" Logica §§ 95 f. H.W. Arndt macht in seiner "Einleitung" zur Ausgabe der Dt. Logik darauf aufmerksam, daß Wolffs Lehre von der Begriffszergliederung eigentlich auf eine Theorie von einfachen und zusammengesetzten Begriffen führen müßte, daß es eine solche Theorie aber weder in

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der Grund für die Unklarheiten an seinem Begriff der Möglichkeit sein44. Die Individualität der Einzelsubstanz besteht bei Leibniz wesentlich darin, daß sie das ganze Universum in einer bestimmten Weise repräsentiert. Daß die Substanz das Universum in der Art der Repräsentation in sich haben kann, drückt sich auf logischer Ebene darin aus, daß jeder Satz - auch ein singulärer - analytisch ist. Wahrheit bedeutet immer "praedicatum inesse subiecto". Wolff definiert das Urteil folgendermaßen: " . . wir urtheilen, wenn wir uns gedencken, daß einer Sache etwas zukomme, oder nicht" (Dt.Log. 3, Kap. §1). Den Unterschied zwischen partikularen und universellen Urteilen gewinnt er dadurch, daß man zum einen von einem Grund sprechen kann, weshalb einem Ding etwas zu- oder abgesprochen werden kann - und daß sich diese Relation des Grundes zum anderen aus der ontologischen Struktur des ens ergibt: a. die essentialia und attributa besitzt das Ding immer. Sie konstituieren die Art. Da nun die universellen Urteile das aussagen, was allen Dingen einer Art zukommt, muß man sagen, daß der Grund der universellen Prädikation in den essentialia und den attributa der Dinge liegen; b. die modi und die relationes machen das Veränderliche an dem Ding aus. Es besteht zwischen ihnen der Unterschied, daß in den essentialia gegründet ist, daß das Ding zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene modi hat, während die relationes auch durch etwas von dem Ding verschiedenes begründet sind. Da nun die partikularen Urteile das aussagen, was nicht allen Dingen einer Art zukommt, muß man sagen, daß der Grund der partikularen Prädikation in den modi und relationes der Dinge liegt.

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der Dt. Logik noch in der Logica gibt. Er meint, diese fehlende Theorie sei in gewisser Weise durch Wolffs Lehre von der Realdefinition ersetzt. Chr. Wolff "Gesammelte Werke" 1. Abt., Bd. 1, S. 77f und 80. - W. Lenders kommt in seiner Untersuchung über das Verhältnis von Leibniz' und Wolffs Logik zu dem Ergebnis, daß die pragmatische Behandlung der primitiven Begriffe bei Wolff eine Bedingung dafür ist, daß er nicht eine metaphysische Theorie "benötigt", welche die Möglichkeit solcher Begriffe begründen könnte. "Die analytische Begriffs- und Urteilstheorie von G.W. Leibniz und Chr. W o l f f ' S. 149. Man kann die Sache so ausdrücken: Wenn Wolff die Existenz als "Erfüllung des Möglichen" charakterisiert, ist dieser Ausdruck nur sinnvoll, wenn im Möglichen von einem "Streben" gesprochen werden kann. Über eine entsprechende Theorie verfügt Wolff aber in der Ontologie nicht. Es ist mir deshalb die Art, wie die Sache bei I. Mylius dargestellt wird, recht unverständlich. Sie erwähnt Leibniz' Gedanken vom "Kampf unter den Möglichen, die alle zur Existenz streben" - und fährt dann fort: "Ähnlich sagt Wolff, indem er den Leibnizschen Begriff der Existenz als Streben . . ganz beiseite läßt . . " - Wie kann man sagen, Wolff bestimme seinen Begriff von Möglichkeit "ähnlich" wie Leibniz, und gleichzeitig in einem Nebensatz erwähnen, daß Wolff eine wesentliche Komponente des Leibniz'schen Begriffes "ganz beiseite" läßt? Durch ihre zweifelhafte Formulierung verdeckt I. Mylius, daß genau an diesem Punkt eine entscheidende Unklarheit der Wolff sehen Ontologie besteht. "Das transzendentale Ideal in der transzendentalen Frage Kants, dargestellt im Ausgang von der Wolffschen Metaphysik", S. 15.

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Nun möchte Wolff die Analytizität des Urteils behaupten und so muß er bei den partikularen Urteilen in Schwierigkeiten geraten, denn sie drücken aus, daß den Dingen etwas aufgrund zufälliger Umstände, bzw. äußerer Relationen, zukommt. Wie kann man aber dann behaupten, das Prädikat sei in dem Subjekt begründet? Zur Beantwortung dieser Frage schlägt Wolff vor, daß man solche zufälligen Umstände in das Urteil selbst aufnehmen soll, wodurch die partikularen Urteile in universelle verwandelt werden. Er nennt dafür folgendes Beispiel: Es gehört zu den modi eines Steines, daß er Wärme abgeben kann. Wir haben also den partikularen Satz: "Etliche Steine machen warm, die nämlich warm sind". Nehmen wir den kontinenten Umstand in den Satz auf, bekommen wir den allgemeinen — und tautologischen — Satz: "Alle wannen Steine machen warm" (§5). Durch diese Transformation des partikularen und kontingenten Satzes ist eine Struktur gewonnen, die partikularen und universellen Urteilen gemeinsam ist. An jedem Urteil kann man nämlich jetzt zwischen (1) einer Bedingung, unter der einem Ding etwas zukommt, und (2) deqenigen Bestimmung, die dem Ding unter dieser Bedingung zukommt, unterscheiden. - Das gilt auch von den allgemeinen Urteilen, obwohl sie unbedingt wahr zu sein scheinen, etwa: "Jedes Dreieck hat drei Winkel - ohne Bedingung", denn der Sinn des Satzes liegt eben darin, daß durch das Wesen des Dreiecks bedingt ist, daß es drei Winkel hat, sodaß man den Satz so auffassen muß: "Wenn ein Raum in drey Linien eingeschlossen ist, so hat er drey Winckel" (§7). Erst durch solche Transformationen kann man zeigen, daß die interne Struktur des Urteils selbst dem Satz des zureichenden Grundes entspricht, denn die äußere Form des Urteils drückt nun aus, daß wir einen Gedanken (das Prädikat) auf Grund eines anderen (des Subjektes) denken. Das bedeutet weiter, daß die Übereinstimmung der Begriffe, die in einem (wahr) affirmativen Urteil herrscht, darin besteht, daß der eine Begriff notwendig aus dem anderen folgt. Und umgekehrt: Das (wahr) verneinende Urteil drückt aus, daß ein Widerspruch zwischen beiden Begriffen herrscht (§9). Es ist, kurz gesagt, Wolff darum zu tun, alle Urteile als analytische aufzufassen. Das gelingt ihm wie gezeigt nur dadurch, daß in den Subjektausdruck des transformierten partikularen Urteils Kon tingenzen aufgenommen werden. Entscheidend ist nun aber, daß Wolff ausdrücklich hervorhebt, diese Transformation in universelle Sätze sei nur möglich, wenn der betreffende Satz nicht etwas über ein Einzelding aussagt, wenn er also nicht ein singuläres Urteil sei. Obwohl also Wolff an einigen Stellen den Leibniz'schen Begriff der Wahrheit übernimmt - so etwa Logica § 524: "Veritatis criterium est determinabilitas praedicati per notionem subiecti" - weicht er davor zurück, die durch ihn ermöglichte analytische Urteilstheorie in ihrer Radikalität durchzufuhren. Dies würde vor allem bedeuten, daß die Analytizität der singulären Urteile ausdrücklich behauptet wür-

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de45. Eine solche Vereinigung von Analytizität und Kontingenz, bzw. Singularität, würde aber auf ontologischer Ebene zur Annahme von individuellen Substanzen fuhren, welche schlechthin alles enthalten, was ihnen zugesprochen werden kann — und das heißt letztenendes die das ganze Universum repräsentieren. Daß Wolff Leibniz' analytische Urteilstheorie nicht in ihrer Radikalität übernommen hat, dürfte somit ein wesentlicher Grund dafür sein, daß er den im Begriff des ens singulare enthaltenen Aspekt des "omne" nicht klar bestimmen kann. 1.2.2 Die Theologia naturalis Die Theologia naturalis, die Lehre von der Existenz und den Eigenschaften Gottes, ist ein Teil des Systems der Metaphysik. In der Dt.Met., die anders als das lateinische Werk von Wolff die ganze Metaphysik in einem Band abhandelt, steht sie an letzter Stelle — hinter Ontologje ("Von den ersten Gründen unserer Erkäntniß und allen Dingen überhaupt"), empirischer Psychologie ("Von der Seele überhaupt"). Kosmologie ("Von der Welt") und rationaler Psychologie ("Vom Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt"). Daß die Theologia naturalis innerhalb der Metaphysik diesen Platz hat, hängt damit zusammen, daß bei ihrer Argumentation die Resultate der anderen Disziplinen — vor allem diejenigen der Ontologie — vorausgesetzt werden. Im folgenden sollen nun die wichtigsten Teile der Theologia naturalis bei Wolff und Baumgarten: Die Gottesbeweise, dargestellt werden. Da in diesem Punkt eine recht große Selbständigkeit von Seiten Baumgartens besteht, habe ich es vorgezogen, seine Version der Theologia naturalis von der Wolff sehen getrennt darzustellen. 1.2.2.1 Wolff Es gibt bei Wolff zwei verschiedene Darstellungsarten der Gotteslehre: Eine, die von dem Begriff des ens necessarium und eine, die vom Begriff des ens perfectissimum ausgeht. Diese Doppelheit kommt äußerlich darin zum Ausdruck, daß innerhalb von Wolffs lateinischem Werk die Theologia naturalis in zwei separaten "partes" erschienen ist, von denen jeder den einen der Gottesbegriffe zum Ausgangspunkt hat. Da die Dt.Met. nur eine Lehre von Gott als ens necessarium enthält, wird es 45

Man sieht, daß, während sich bei Leibniz die Urteilstheorie des "praedicatum inesse subiecto" und die Theorie der individuellen Substanz entsprechen, bei Wolff die Urteilstheorie im Grunde vorwiegend auf der ontologischen Unterscheidung zwischen Gattung und Art basiert. Auf diesem Hintergrund kommt W. Lenders zu dem Ergebnis, Wahrheit bedeute bei Wolff nicht Identität zwischen Subjekt und Prädikat, sondern beruhe auf einem "Seinszusammenhang", a.a.O. S. 154.

Die Theologia naturalis bei Wolff

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im folgenden notwendig sein, die "Theologia naturalis, pars II" einzubeziehen, um auch Wolffs Gotteslehre auf der Grundlage des ens perfectissimum kennenzulernen. Wenn man Kants Terminologie folgt und unter einem kosmologischen Gottesbeweis einen solchen versteht, der nur "irgend ein Dasein empirisch zum Grunde" legt und daraus auf die Existenz eines notwendigen Wesens schließt, muß man Wolffs Gotteslehre in der Dt.Met. als kosmologische bezeichnen46. Denn sie beruht auf dem Gedanken, daß man am der Tatsache, daß es ein menschliches Ich gibt, auf die Existenz eines e n s n e c e s s a r i u m , bzw. notwendigen Wesens schließen und dann durch weitere Überlegungen dieses Wesen mit Gott identifizieren kann. Ausgangspunkt der Überlegung ist also die Existenz eines menschlichen Ich bzw. mehrerer "Ichs" - , mit Wolffs extrem knapper Formulierung: "Wir sind"! Durch Anwendung des principium rationis steht fest, daß es einen Grund geben muß, weshalb wir eher sind als nicht sind. Damit sind die beiden Prämissen für einen ersten Schluß gegeben, dessen conclusio lautet: Es gibt einen zureichenden Grund dafür, daß wir sind. Nun kann dieser Grund unserer Existenz in uns selber enthalten sein, dann wären wir notwendige Wesen. Oder der Grund muß in etwas gesucht werden, was wir nicht sind — und dann kommt man letztenendes zu dem Ergebnis, daß es etwas gibt, das den Grund seiner Existenz in sich hat. Denn wäre das nicht der Fall - träte z.B. ein unendlicher Regreß auf — wäre nicht im strengen Sinne von einem zureichenden Grund die Rede. Was den Grund seiner Existenz in sich selbst hat, existiert notwendig, und so kann Wolff den weiteren Schluß ziehen, daß es ein "nothwendiges Ding", ein ens necessarium, gibt. Die weitere Überlegung muß darauf zielen, das ens necessarium zu identifizieren, denn bis jetzt ist die Frage noch offen, ob wir selbst oder anderes solche Wesen sind. Um diese Frage zu entscheiden, untersucht Wolff die Eigenschaften, die sich aus dem Begriff des notwendigen Wesen ableiten lassen (§928). Als Eingang dieser Untersuchung macht er noch die terminologische Präzisierung, daß man dasjenige Ding, welches den Grund seiner Existenz in sich hat, bzw. welches derart ist, daß es unmöglich nicht sein könnte, "ein selbständiges Wesen" nennen könne (§929). Durch die doppelte Formulierung der Eigenart des selbständigen Wesens kommt zum Ausdruck, daß die notwendige Existenz sowohl durch das principium rationis als auch durch das principium contradictionis definiert ist: Notwendige Existenz bedeutet einerseits, daß das Wesen (bzw. Ding) den Grund seiner Existenz in sich selbst hat, und andererseits, daß die Nicht-Existenz eine Unmöglichkeit, ein Widerspruch wäre. Nun lassen sich aus dem Begriff des selbständigen Wesens eine Reihe von Eigenschaften ableiten, z.B. das Einfach-Sein und das im Verhältnis zu allen Dingen Independent-Sein (§§ 931-38). Durch dieses Verfahren steht fest, daß weder die 46

Vgl. KiV A 590/B 618.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Welt noch die Seele des Menschen ein notwendiges Wesen sein können: Als Ergebnis der kosmologischen Untersuchungen der Dt.Met. steht fest, daß die Welt sowohl kontingent als auch zusammengesetzt ist — sie kann also nicht ein selbständiges bzw. notwendiges, Wesen sein. Und was von der Welt gilt, trifft auch auf die einfachen Elemente des Ausgedehnten zu: Sie sind zwar einfach, aber teilen die Kontingenz mit der Welt, deren Elemente sie sind. Auch sie können daher keine Kandidaten für den Titel Selbständiges Wesen sein. Man kann aus diesem Ausschlußverfahren die weitere Konsequenz ziehen, daß das notwendige Wesen nicht nur von der Welt verschieden, sondern daß diese von ihm dependent sein muß (§§ 939 f.). Der rational-psychologische Teil der Metaphysik kommt zu dem Ergebnis, daß das Wesen der menschlichen Seele darin besteht, daß sie "eine Kraft (hat) sich die Welt vorzustellen, nach dem Stand ihres Cörpers in der Welt" (§753). Die Formulierung zeigt, daß Wolff nicht ein konsequenter Vertreter von Leibniz' Lehre über die prästabilierte Harmonie ist, und so ist ihm der Nachweis der Kontingenz der Seele auch nicht schwierig: Da die vorstellende Kraft teilweise von dem Körper und dadurch von der Welt abhängig ist, ist die Seele wesensmäßig von der Welt dependent. Sie kann daher nicht das selbständige Wesen sein (§941). Damit ist der entscheidende Schritt zur Grundlegung einer Theologie Vollzogen: Es steht fest, daß weder die Welt (und ihre Elemente) noch die menschliche Seele das selbständige Wesen sind. Da Welt und Seele vielmehr kontingent sind, muß man sagen, daß das selbständige Wesen den Grund der Existenz beider in sich enthält. Aber dieses Wesen ist dasjenige, welches wir G o t t zu nennen pflegen. Die durchgeführte Überlegung läßt somit folgende Aussagen über Gott zu: 1. er ist ein selbständiges Wesen, bzw. ein ens necessarium, 2. er enthält den Grund der Existenz von Welt und menschlicher Seele, 3. er ist von Welt und menschlicher Seele verschieden. Es bedarf natürlich keines zusätzlichen Schrittes, um die Existenz Gottes zu beweisen, denn sie steht dadurch fest, daß er mit dem ens necessarium identifiziert wird (§§ 945 f.). Nach dieser Identifikation kann Wolff direkt alle diejenigen Eigenschaften, welche vom Begriff des ens necessarium abgeleitet wurden, um Welt und Seele als Kandidaten auszuschließen, Gott zusprechen (§947). Man kann zusammenfassend hervorheben, daß das Charakteristische dieses ersten Schrittes innerhalb des kosmologischen Räsonnements darin besteht, daß Wolff nicht direkt das ens necessarium mit Gott identifiziert, sondern die Identifikation erst durchführt, nachdem feststeht, daß das ens necessarium bzw. das selbständige Wesen, den Grund der Existenz von Seele und Welt enthält. Der nächste Schritt des Gedankenganges zeigt nun, daß diese Version von Wolffs Theologie in dem engeren Sinne kosmologisch ist, daß die Tatsache des Begründetseins der Welt durch Gott diesen ganzen Gedankengang trägt. Auf Einzelheiten der Lehre über das Wesen und die weiteren Eigenschaften Gottes soll hier nicht eingegangen werden — es seien nur einige Hauptzüge hervorgehoben.

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Wolffs Gedankenbewegung setzt sich fort durch Einbeziehung der spezifisch Leibniz'schen Überlegung, daß andere Welten als die faktisch existierende möglich sind. Da Gott diese Welt hervorgebracht hat, muß es einen Grund geben, weshalb er eben sie gewählt hat — und dieser Grund kann nur darin bestehen, daß diese Welt die vollkommenste unter den möglichen ist47. Die Wahl der einen Welt unter allen möglichen aufgrund der größten Vollkommenheit setzt jedoch eine Erkenntnis aller Welten voraus und so muß man zu dem Schluß kommen, "daß Gott alle Welten auf einmal sich deutlich vorstellen kann" (§952). Damit ist der wichtigste Gedanke dieser Venion von Wolffs natürlicher Theologie gewonnen. Denn es zeigt sich, daß alle Bestimmungen, die dem Gottesbegriff gegeben werden können — etwa der freie Wille, die Allmacht, die Güte - aus diesem Gedanken abgeleitet werden. So kann Wolff konkludieren: Da alle Bestimmungen Gottes aus der einen abgeleitet werden können, daß er alle Welten — und das heißt alles Mögliche — zugleich sich deutlich vorstellen kann, muß diese letzte Bestimmung sein Wesen ausmachen. Denn das Wesen ist eben, wie es die Ontologie lehrt, dasjenige im "Ding", welches den Grund alles anderen, was in dem "Ding" ist, enthält (§ 1067, vgl. oben S. Eine Theologie auf kosmologischer Grundlage fuhrt natürlicherweise zu dem Begriff des ens necessarium. Mit ihm setzte Wolff auch ein. Aber im weiteren Verlauf des Gedankenganges zeigt sich, daß sich Elemente des Begriffes vom ens perfectissimum einstellen: Der Begriff von der Vorstellung aller Welten gliedert sich in die beiden Hauptbestandteile Verstand und Wille. Von diesen läßt sich aber zeigen, daß Gott sie im vollkommensten Grad besitzt. Denn da er sich alle Dinge vorstellt und dies mit vollendeter Deutlichkeit, ist sein Verstand der vollkommenste. Und da er die beste Welt gewählt hat, ist der Beweggrund seines Willens und damit dieser selbst der vollkommenste. Da Verstand und Wille die beiden Bestandteile des Wesens Gottes sind, muß man schließen, daß dieses "den höchsten Grad der Vollkommenheit hat, der möglich ist" (§1068). Gott muß also das ens perfectissimum sein. Schließlich führt die Überlegung noch zu einem dritten grundlegenden Begriff von Gott. Wolff hat als Wesen Gottes ausgearbeitet, daß er sich alles Mögliche zugleich vorstellt. Aus dem Wesen lassen sich alle Bestimmungen ableiten - aber das bedeutet, daß auch von allen diesen Bestimmungen das "zugleich" gilt. Also ist Gott alles, was er sein kann, zugleich. Ein Wesen, das alles was es sein kann, zugleich ist, ist aber ein Wesen ohne Einschränkungen, bzw. ein unendliches Wesen. Und so 47

Man könnte erwarten, daß Wolff im Zusammenhang dieses Gedankens seinen Begriff der Möglichkeit präzisieren würde, denn bei Leibniz, von dem er natürlich die Theorie der möglichen Welten übernommen hat, ist die Wahl Gottes zwischen den möglichen Welten nicht ohne das durch den Grad der Realität bestimmte Streben des Möglichen nach Existenz zu denken. Wolff kann es jedoch vermeiden, auf diese Problematik einzugehen, denn sein Begriff des Vollkommenen ist von dem der Realität unabhängig: "Die Vollkommenheit bestehet in einer Zusammenstimmung derer Dinge, daraus die Welt bestehet, und ihrer Begebenheiten . . " (meine Hervorh., Dt. Met. § 952). Vgl. oben S.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

bestätigt sich Wolffs Aussage in der Ontologia, daß sich von dem Begriff Gott als ens infinitum alle seine Eigenschaften ableiten lassen (vgl. oben S. 62). Man kann also die Grundzüge der Theologie Wolffs in der Dt.Met. folgendermaßen charakterisieren. Der Beweis für die Existenz Gottes ist ein im kantischen Sinne kosmologischer: Er schließt von der Kontingenz des menschlichen Ich und der Welt auf das ens necessarium. Ein ontologüsches Argument von diesem Gedanken aus, dJi. ein Existenzbeweis aus dem Begriff des ens necessarium findet sich hier hingegen nicht. Die Lehre von den Eigenschaften Gottes beruht auf deijenigen Fassung der Kontingenz der Welt, welche für die Leibniz'sche Tradition charakteristisch ist: dem Gedanken von anderen möglichen Welten. Der auf diesem Weg gewonnene Begriff von Gott zeigt sich äquivalent mit den beiden Begriffen ens perfectissimum und ens infinitum. Durch diese Hervorhebung der Äquivalenz verschiedener Gottesbegriffe zeigt sich der systematische Zusammenhang innerhalb der Wolff sehen Theologie. Aber in einem anderen Punkte zeigt sich doch eine gewisse Unklarheit. Aus dem bloßen Begriff des ens necessarium ergeben sich Eigenschaften, welche dann auch Gott übertragen werden konnten. Wolff hat aber nicht gezeigt, wie diese Eigenschaften in dem zentralen Wesensbegriff Gottes: der simultanen Vorstellung aller Möglichkeiten - gegründet sind. Im Gegensatz zur Theologie der DtJviet. enthält der zweite Teil der "Theologia Naturalis" einen ontologischen Gottesbeweis, und zwar den Beweis aus dem Begriff des e n s p e r f e c t i s s i m u m . Der Aufbau des Beweises gliedert sich in drei Teile, indem zunächst der Begriff des ens perfectissimum definiert, dann mit Hilfe dieses Begriffes eine Definition Gottes gegeben und schließlich der Beweis für die Existenz Gottes als ens perfectissimum gefuhrt wird. Die Bestandteile der Definition des ens perfectissimum sind die Begriffe Kompossibilität und Realität. Ihre Bedeutung muß deshalb zuerst festgestellt werden. Compossibilia können solche Bestandteile genannt werden, die in demselben Subjekt sein (inesse) können. Ob eine gegebene Pluralität von Bestimmungen kompossibel ist, läßt sich auf zweierlei Art feststellen. Daß z.B. Verstand und Wüle compossibilia sind, steht dadurch fest, daß sie tatsächlich in der menschlichen Seele zusammen vorhanden sind — es ist also α posteriori erkennbar. Daß hingegen die Eigenschaften, gleichschenkelig und gleichwinkelig zu sein, zusammen möglich sind, läßt sich in der Geometrie aus dem Begriff des gleichschenkeligen Dreiecks demonstrieren. Die Erkenntnis dieses Falles von Kompossibilität ist also α priori'sch. Unter Bezugnahme auf die Überlegungen der Ontologie kann man feststellen, daß die essentialia eines ens kompossibel sind und die interne Struktur des ens impliziert, daß alle Bestandteile - d.h. außer den essentialia auch attributa und modi - kompossibel sind (§§ 1-3). Der Begriff der Realität, den Wolff in der Theol. nat. einfuhrt, ist anders akzentuiert als deqenige der Ontologia. Realität wird nämlich jetzt definiert im Kontrast zu dem phaenomenon. Sie ist "quiequid enti alicui vere inesse intelligitur". Im

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Gegensatz dazu ist das phaenomenon dasjenige, welches lediglich kraft unserer konfusen Peizeptionen in dem ens zu sein scheint. In der Anmerkung zu dieser Definition hebt Wolff hervor, daß auf der Unterscheidung zwischen realitas und phaenomenon die Differenz zwischen mundus intelligibilis und mundus sensibilis beruhe (§5). Durch die Festlegung der Bedeutung dieser beiden Teilbegriffe ist nun die Definition des Begriffes ens perfectissimum möglich: "Ens perfectissimum dicitur, cui insunt omnes realitates compossibiles in gradu absolute summo". In der Anmerkung zur Definition zeigt sich, von welcher Bedeutung der Gedanke der Kompossibüität ist. Wolff hebt nämlich hervor, es sei bewußt durch die Definition nicht ausgemacht, ob das ens perfectissimum schlechthin alle Realitäten enthalte. Würde man letzteres behaupten, müßte man sich nämlich die unmögliche Aufgabe auferlegen, die Vereinbarkeit schlechthin aller Realitäten aufzuzeigen, denn nur so könnte man die Möglichkeit des Begriffes vom ens perfectissimum — die wegen der weiteren Beweisführung gesichert sein muß - feststellen (§6). Durch Anwendung der ontologischen Bestimmungen über Endliches und Unendliches lassen sich nun aus der Definition des ens perfectissimum die Eigenschaften "illimitatum", "immutabile" und "infinitum" ableiten. Hier soll nur auf die letztere Ableitung eingangen werden: Compossibilia sind solche Realitäten, die zusammen in dem selben Subjekt sein können. Nun sind laut Definition im ens perfectissimum tatsächlich alle kompossiblen Realitäten. Da aber ein ens, welches aktuell alles (zugleich) ist, was es sein kann, infinitum ist, ist das ens perfectissimum auch infinitum. Und so gelangt Wolff hier wie in der Theologie der DtAlet. zur Feststellung der Äquivalenz zwischen den Begriffen ens perfectissimum und ens infinitum (§§ 710. Vgl. oben S. 69f). Die entscheidende methodische Forderung, die durch Leibniz in die Diskussion um den ontologischen Gottesbeweis hereingebracht wurde, lautet, daß der Beweis nur dann als schlüssig gelten kann, wenn die Möglichkeit des Ausgangsbegriffs erwiesen wird (vgl. oben S. 43 ). Wolffs Gestaltung des Begriffs vom ens perfectissimum erfordert einen doppelten Möglichkeitserweis. Zunächst muß erwiesen werden, daß die Gesamtheit der im ens perfectissimum enthaltenen Realitäten untereinander vereinbar sind, daß nicht eine die andere ausschließt und so ein Widerspruch entsteht. Dieser Erweis ist aber wie erwähnt schon dadurch gegeben, daß der Gedanke der Kompossibüität in der Definition enthalten ist. - Es muß jedoch außerdem erwiesen werden, daß eine Realität höchsten Grades möglich ist. Nun kann eine Realität höchsten Grades keinen Defekt enthalten, denn man kann immer etwas größeres als das Defekte denken, was eben dem Begriff des höchsten Grades widerspricht. Da in der Realität höchsten Grades kein Defekt sein kann, kommt ihr keine Negation zu und damit kann sie keinen Widerspruch enthalten, muß also möglich sein (§§11-12). Durch diese beiden Möglichkeitserweise steht somit fest: "Ens perfectissimum possibile est" (§ 13). Damit ist der erste Schritt des Gottesbeweises - die Definition und der Möglichkeitserweis des Begriffes ens perfectissimum — vollzogen. Der nächste Schritt ist

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

die Definition Gottes durch den Begriff ens perfectissimum: "Deus est ens perfectissimum" (§ 14). Wolff hebt in der Anmerkung zu diesem Paragraphen hervor, daß es sich zunächst um eine Nominaldefinition handelt, genau wie das bei dem Gottesbegriff des ersten Teils der Theol. nat. — dem ens necessarium - der Fall ist. Es ist auch ein allgemein feststellbares methodisches Prinzip, daß von der gleichen Sache mehrere Nominaldefinitionen gegeben werden können. Nur muß sich dann zeigen, daß jeweils die gleichen Eigenschaften aus den verschiedenen Definitionen geschlossen werden können - das gilt auch bei den beiden Versionen der Gotteslehre. Die Nominaldefinition Gottes erlaubt es, zunächst die Eigenschaften, welche direkt im Begriff des ens perfectissimum impliziert waren, ihm zuzusprechen. Der wichtigste Teil dieser Operation besteht natürlich darin, daß auch die Möglichkeit dem Gottesbegriff zuerkannt wird - womit die Definition eine reale geworden ist (§§14-19). Der dritte und letzte Schritt - die Durchführung des Beweises für die Existenz Gottes — muß natürlich darauf hinauslaufen, daß es unumgänglich ist, von dem Begriff des ens perfectissimum her Gott die Existenz zuzusprechen. Um den Beweis durchzufuhren, muß Wolff ziegen, daß Existenz eine Realität und welche Existenz eine solche höchsten Grades ist. Das zeigt er durch eine dreifache Überlegung: 1. Es steht kraft der kosmologisch begründeten Theologie - wie sie etwa in der Dt. Met. oder dem ersten Teil der Theol.nat. dargestellt ist - fest, daß das ens necessarium existiert. Die notwendige Existenz ist daher etwas, was wirklich in einem ens ist — d.h. sie ist eine Realität. 2. Die kosmologischen Untersuchungen haben gezeigt, daß Sukzessives kontingent ist. Man kann also, analog zu 1. folgern, daß kontingente Existenz eine Realität ist. 3. Außer kontingenter und notwendiger gibt es keine Art von Existenz. Aber kann man sagen, daß diese beiden Existenzformen sich zueinander wie Grade verhalten? Die Frage muß bejaht werden, denn kontingente Existenz ist — auch hier zeigt sie die Leibniz-Schülerschaft - hypothetisch notwendige Existenz. Kontingente und notwendige Existenz können also als identische Qualität angesehen werden. Und der Grad ist eben dasjenige, hinsichtlich dessen die gleiche Qualität differieren kann. Nun besteht aber der Unterschied zwischen notwendiger und kontingenter Existenz darin, daß bei jener die Nicht-Existenz unmöglich ist. Sie muß also die höchste der beiden Existenzformen bzw. -grade sein. - Es ist somit die notwendige Existenz eine Realität höchsten Grades. Nun ist die Durchführung des Existenzbeweises nicht schwierig: Da Gott möglich ist, kann er existieren - die Existenz kann in ihm sein, gehört also zu den kompossiblen Realitäten. Und da Gott auch diese Realität im höchsten Grade besitzen muß, ist seine Existenz notwendig. Es ist auffallend, daß Wolff an einem wichtigen Punkt — der Identifizierung der notwendigen Existenz als Realität höchsten Grades - auf Resultate der kosmologischen Theologie zurückgreift. Auf diesen Umstand macht er auch selbst in der Anmerkung zu der genannten dreifachen Überlegung

Die Theologia naturalis bei Baumgarten

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aufmerksam und hebt hervor, man könne von Prinzipien der kosmologischen Theologie nur dann Gebrauch machen, wenn man zeigen könne, daß sich diese Prinzipien aus der Nominaldefinition des ens perfectissimum ergäben. Wolff behauptet also, im Prinzip den ontologischen Beweis aus dem Begriff des ens perfectissimum ohne kosmotheologische Voraussetzungen führen zu können. Aber wie ein solcher Beweis aussehen könnte, zeigt er nicht (§20 f.). Mit diesen drei Schritten ist der Beweis für die Existenz Gottes durchgeführt. Es folgt nun die Ableitung einer Reihe von Eigenschaften Gottes, über die nur folgendes zum Schluß gesagt werden soll. Aus dem Existenzbeweis folgt direkt, daß Gott das ens necessarium ist. Daraus läßt sich weiter schließen, daß ihm Aseität zukommt: Er existiert aus eigener Kraft bzw. ist selbst der zureichende Grund seiner Existenz. Damit hat Wolff denjenigen Gottesbegriff erreicht, den er in der Dt. Met. mit dem Ausdruck "selbständiges Wesen" bezeichnete, und so kann er Gott die gleichen Eigenschaften zusprechen wie diejenigen, die sich aus dem Verhältnis von Gott und Welt ergaben. 1.2.2.2 Baumgarten In dem Teil "Theologia Naturalis" von Baumgartens Metaphysica finden sich die beiden Versionen der Gotteslehre, welchen Wolff jeweils einen Band seiner Theol. nat. widmete. Es wird im folgenden wieder so verfahren, daß nur die charakteristischen Züge der Baumgarten'schen Darstellung - und natürlich besonders die für Kant relevanten — hervorgehoben werden. Der Gang des Gottesbeweises aus dem Begriff ens perfectissimum weicht insofern von Wolff ab, als zuerst die Definition, dann der Existenzbeweis des ens perfectissimum gegeben wird und erst in einem dritten Schritt Gott mit dem ens perfectissimum identifiziert wird, womit zugleich die Existenz Gottes feststeht. Baumgartens Definition des Begriffs ens perfectissimum entspricht der Wolff schen. Jedoch ist er in einem wichtigen Punkt weniger vorsichtig als sein Lehrer, nämlich hinsichtlich der Frage, wie das "All" des Gedankens von den "omnes realitates compossibiles" aufzufassen ist: Da Realität im Verhältnis zur Negation nur durch das kontradiktorische Widerspruchsverhaltnis bestimmt ist, ist es klar, daß der Zusammenschluß von Realitäten niemals einen Widerspruch implizieren kann es sind also schlechthin alle Realitäten kompossibel. Da nun das ens perfectissimum auch als ens realissimum bestimmt werden muß, kommt ihm die omnitudo realitatum zu (§807)48. 48

Wie man sieht, weicht Baumgarten nicht nur hinsichtlich der Frage nach dem "All" im Begriff des ens perfectissimum von Wolff ab. Auch seine Bestimmung der Volkommenheit ist eine andere: Sie ist nicht nur Zusammenstimmung des vielen, sondern compossibilitas realitatum. Deshalb kann er als erster den Begriff des ens perfectissimum mit demjenigen der omnitudo realitatum identifizieren - eine Begriffsbestimmung, die bei Kants Transformation des Gottesbegriffes entscheidend ist. Vgl. D. Henrich, a.a.O. S. 64, Anm.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

In der Durchführung des Existenzbeweises weicht Baumgarten ebenfalls von Wolff ab, indem er auch ihn auf dem kontradiktorischen Verhältnis von Realität und Negation aufbaut: Laut Definition steht fest, daß alle Negationen von dem ens perfectissimum ausgeschlossen sind. Da also keine Realität im ens perfectissimum aufgehoben und keine Negation in ihm gesetzt werden kann, ist der Fall ausgeschlossen, daß in ihm etwas zugleich aufgehoben und gesetzt wird. Das ens perfectissimum enthält daher keinen Widerspruch und ist damit möglich. - Nun steht von den ontologischen Begriffsbestimmungen her fest, daß Existenz eine Realität ist — es gehört also zu den kompossiblen Realitäten, d.h. das ens perfectissimum existiert (§§ 808-10). Damit hat Baumgarten lediglich gezeigt, daß dem ens perfectissimum die Existenz zukommt — es findet sich bei ihm nicht die Überlegung, daß der höchste Grad der Realität "Existenz" die notwendige sein muß. Dafür ist sein Existenzbeweis jedoch auch nicht von kosmologischen, sonder nur von ontologischen Voraussetzungen abhängig. Auf dem Hintergrund des jetzt Entwickelten ist der Beweis fur die Existenz G o t t e s nur eine Formalität: "Deus est ens perfectissimum. Ergo Deus actualisest"(§811). Wolff hat versucht, eine geringe Anzahl von Definitionen des Wesens Gottes herauszuarbeiten, aus denen dann alle göttlichen Eigenschaften abgeleitet werden konnten. Baumgarten zieht in dieser Hinsicht eine radikale Folgerung aus der Eigenart des Gottesbegriffs. Zur Vollkommenheit Gottes gehört nämlich, daß alle in ihm enthaltenen Bestimmungen derart zusammenstimmen, daß man aus jeder alle anderen ableiten kann. Alle Bestimmungen Gottes drücken also sein ganzes Wesen aus - nur sind einige Bestimmungen der menschlichen Erkenntnis angemessener als andere. Im Zusammenhang mit dieser Überlegung erscheint ein erstes Argument, das den Übergang vom ens perfectissimum zum ens necessarium ermöglicht: Der Existenzbeweis hat gezeigt, daß man von Gottes Wesen auf seine Existenz schließen kann, bzw. daß seine Existenz durch seine Essenz hinreichend determiniert ist (§820). Damit ist im Grunde schon erwiesen, daß Gott ein notwendiges Wesen ist, denn ein ens, dessen Existenz durch sein Wesen begründet ist, besitzt die Notwendigkeit im Sinne der Aseität. Baumgarten wählt jedoch ein anderes Argument, um zu zeigen, daß man direkt aus dem Gottesbeweis vom ens perfectissimum her darauf schließen kann, daß Gott ein notwendiges Wesen ist: Nähme man die Nicht-Existenz Gottes an, hätte man ein ens, von dem zweierlei gälte: 1. Es hat alle Realitäten und es fehlt ihm zugleich eine. 2. Es ist hinsichtlich aller internen perfectiones determiniert - und ist gleichzeitig nicht derart determiniert. (Die beiden Sätze sind nur zwei äquivalente Formulierungen des gleichen Sachverhaltes). Die Annahme der Nicht-Existenz Gottes würde mit anderen Worten

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offensichtlich einen Widerspruch enthalten. Das bedeutet aber, daß man Gott notwendig die Existenz zusprechen muß — er ist ens necessarium (§823). So zeigt Baumgarten also, daß es schon innerhalb des ontologischen Beweises möglich ist, Gott als ens necessarium auszuweisen49. Er fuhrt aber auch den a posteriori'schen Beweis für die Existenz eines notwendigen Wesens an: Es hat sich innerhalb der kosmologischen Untersuchungen ergeben, daß die Welt in einer notwendigen Substanz ihre Ursache haben muß. Das ist aber für Baumgarten noch kein Beweis fur die Existenz einer notwendigen Substanz, sondern nur der Erweis ihrer Möglichkeit. Da aber von der notwendigen Substanz gilt, daß sie kraft ihrer Möglichkeit existiert, steht ihre Existenz fest. Und da Gott eine notwendige Substanz ist, muß man ihm die Existenz zusprechen (§854). Dieser Beweis ist also nur in dem Sinne a posteriori'sch, daß der Erweis der Möglichkeit auf kosmologischer Grundlage beruht. Die Bedeutung des Begriffs vom Notwendigen hingegen ist durch rein ontologische Bestimmungen gegeben. Zum Schluß seien noch kurz zwei Überlegungen aus Baumgartens Theologie erwähnt, von denen man vermuten muß, daß sie für Kants Transformation des Gottesbegriffes besonders bedeutsam gewesen sind. Zum einen gibt Baumgarten eine Variante des Existenzbeweises mit Hilfe des Begriffs der Determination: Es folgt aus dem Begriff ens perfectissimum, daß Gott nicht nur hinsichtlich seines Wesens, sondern hinsichtlich aller internen Merkmale, bzw. perfectiones, bestimmt ist. Die durchgängige Bestimmimg ist aber — das stellte die Ontologie fest - ein Kriterium der Existenz (vgl. oben S.58f). Also kann man auch auf diesem Wege den Schluß ziehen, daß das ens perfectissimum existiert (§818). Baumgarten wendet also das Prinzip der omnimoda determinatio auf den Gottesbegriff an. Aber obwohl dieses Prinzip auch die Singularität definiert, benutzt er es nicht, um die Singularität Gottes zu beweisen, sondern nur, um den Existenzbeweis zu variieren. Daß Gott nur einer sein kann, zeigt er mit anderen Mitteln. Zum anderen nähert sich Baumgarten dem Gedanken vom Zusammenhang zwischen Gottes Existenz und der Möglichkeit der Dinge, der bei Leibniz als eigener Gottesbeweis ausgeführt wird. - Aus dem Beweis des § 823, daß Gott das ens necessarium sein muß (vergl. oben, S.74$, folgert er: Wenn Gott nicht existieren würde, wäre der Widerspruchssatz falsch! Es ist in der Tat wahr, daß man — im WolffBaumgarten'schen Universum — die Existenz Gottes nur dann verneinen kann, wenn man die Wahrheit bzw. Gültigkeit des Widerspruchssatzes bestreitet. Aber

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Wenn man mit Henrich ein Hauptproblem der neuzeitlichen Ontotheologie darin sieht, daß das Verhältnis der beiden Gottesbegriffe ens perfectissimum und ens necessarium seit dem Anfang bei Descartes Gegenstand der Überlegungen war, ist dieser Gedankenschritt von Baumgarten entscheidend. Er bringt den begrifflichen Zusammenhang des ontologischen Argumentes zu vollster Klarheit und bereitet damit die endgültige Kritik vor. Auch in dieser Bestimmung des ens necessarium vom Begriff des ens perfectissimum her weicht er von Wolff ab. Aa.O. 64 ff. und 60 f.

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Die Voraussetzungen bei Leibniz und in der Wolff-Schule

Baumgarten will nicht nur dies sagen, sondern es scheint bei ihm auch der folgende Schluß vorausgesetzt zu sein: 1) Die Nicht-Existenz Gottes würde die Falschheit des Widerspruchssatzes herbeiführen. 2) Die Wahrheit des Widerspruchssatzes kann nicht bezweifelt werden. 3) Also ist es Gottes Existenz, welche die Wahrheit des Widerspruchssatzes begründet. Der Schluß ist natürlich formal gesehen falsch, aber durch ihn kommt zum Ausdruck, daß der Widerspruchssatz nach Baumgarten nicht einfach ein formales Instrument des Denkens ist, dessen Zweckmäßigkeit und Gültigkeit zur Diskussion stehen könnte. So heißt es denn auch - und damit kehren wir zu dem zurück, was Baumgarten ausdrücklich sagt — das principium contradictions sei nicht nur das erste Formal-, sondern auch das erste Maierä/prinzip aller Demonstrationen. Das heißt, daß nicht nur die Diskursform der Wissenschaften, sondern auch deren Gegenstände diesem Prinzip unterworfen sind - in dem Sinne nämlich, daß der Widerspruchssatz das Kriterium aller Möglichkeit ist, sodaß also die Möglichkeit aller Dinge aufgehoben wäre, wenn dieser Satz nicht gälte. Aus dem Gesagten zieht Baumgarten eine Konsequenz hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Gottesgedanken und wissenschaftlicher Erkenntnis: Man kann in den meisten Fällen Wissenschaft treiben ohne theologische Prämissen - als Beispiel verweist Baumgarten auf die ersten 800 Paragraphen seiner "Metaphysica"! — aber die Diskursform der Wissenschaft, die demonstratio, und die ontologisch verstandene Möglichkeit der Dinge, die wissenschaftlich untersucht werden, sind begründet in dem einen Prinzip des Widerspruchs. Und dieses Prinzip beruht auf der Wirklichkeit Gottes (§824). - Im Verhältnis zu dem entsprechenden Theorem bei Leibniz muß man feststellen, daß der Begriff der Möglichkeit in extremer Weise eindeutig geworden ist. Während nämlich bei Leibniz der Begriff des Möglichen die beiden Aspekte der Widerspruchslosigkeit und des Strebens nach Existenz vereinigte, ist die Möglichkeit hier anscheinend ausschließlich vom Widerspruchssatz her verstanden.

II DAS PROBLEM DES EINZELNEN IN KANTS LOGIK

Auf Kants Lehre vom transzendentalen Ideal beziehen sich andere Teile seiner Theorie in verschiedener Weise. Sie können Untersuchungen sein, von deren Resultaten Kant bei der Formulierung und der Lösung des Problems des Ideals Gebrauch macht. Sie können aber auch selbst Probleme enthalten, die erst durch die Lehre vom transzendentalen Ideal ans Licht kommen und gelöst werden. Von vielen kantischen Theoremen gilt sicher, daß sie beide Beziehungen zugleich zur Lehre vom transzendentalen Ideal haben. Auf solche Theoreme soll in diesem und dem folgenden Kapitel eingegangen werden. Grundsätzlich steht natürlich jedes Lehrstück der KrV zu jedem anderen in Beziehung. Es muß daher bei einer Einzeluntersuchung ein Gesichtspunkt gefunden werden, von dem her es gerechtfertigt erscheint, nur bestimmte Partien der KrV zur Interpretation herauszuheben. In unserem Fall ist der Gesichtspunkt dadurch gegeben, daß die Lehre vom transzendentalen Ideal als Kants Antwort auf die Frage nach dem Einzelnen aufgefaßt wird. Es liegt also nahe, diejenigen Stellen heranzuziehen, welche diese Frage behandeln. Es soll aber noch ein anderer Gesichtspunkt geltend gemacht werden, der das Heranziehen dieser Stellen leiten kann. Kant formt die Lehre vom transzendentalen Ideal innerhalb des Rahmens der transzendentalen Dialektik aus. Diese wiederum ist ein Teil der transzendentalen Logik. Mit diesem Ausdruck gibt Kant zu erkennen, daß die Untersuchungen der KrV in einem sehr engen Verhältnis zur formalen Logik stehen. Man kann diesen Tatbestand so formulieren, daß die KrV weitgehend den Charakter einer Philosophie der Logik hat. Damit ist freilich zunächst nicht sehr viel gesagt, denn dieser Ausdruck hat in der heutigen Diskussion nicht einen allgemein festgelegten Sinn. Es mögen daher die folgenden Bemerkungen als Versuch zur Klärung dienen. Ein zentraler Begriff der formalen Logik ist sicher deijenige der logischen Wahrheit. Er besagt etwa folgendes: Die logische Wahrheit von Sätzen beruht nur auf der Bedeutung von logischen Ausdrücken und Verknüpfungsregeln. Man könnte nun sagen, daß die Frage, auf welchen Voraussetzungen der Begriff der logischen Wahrheit beruht, nicht mehr ein Teil der formalen Logik, sondern eine Frage der Philosophie der Logik ist. Allgemeiner formuliert: Die formale Logik beruht auf gewissen Voraussetzungen, deren Untersuchung man einer Philosophie der Logik zurechnen kann1. 1

P. F. Strawson nennt in seiner Einführung zur "Philophical Logic" als Beispiel einer Überlegung innerhalb der Philosophie der Logik die Bemerkungen Wittgensteins: "Man könnte sagen: Eine logische Konstante ist das, was alle Sätze, ihrer Natur nach, mit einander gemein haben. Das aber ist die allgemeine Satzfoim" ("Tractatus logico-philosophicus"

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

Dieser Beziehung zwischen formaler Logik und Philosophie der Logik entspricht nun bei Kant das Verhältnis der allgemeinen reinen zur transzendentalen Logik: Kant macht bei der Abhandlung der allgemeinen Logik gewisse Voraussetzungen nichtlogischer Art, die in den transzendentallogischen Überlegungen begründet werden2. Durch diesen Tatbestand ergibt sich nun ein Gesichtspunkt für die Auswahl der für die Lehre vom transzendentalen Ideal relevanten Theoreme. Es soll zunächst dargestellt werden, in welcher Gestalt das Problem des Einzelnen in Kants Logik zum Ausdruck kommt. Und es soll dann gefragt werden, inwiefern die Logik hinsichtlich dieses Problems innerhalb der transzendentalen Analytik - d.h. vor allem durch die transzendentale Deduktion — begründet wird. Dabei beziehen sich diese Teile von Kants Philosophie je in beiden obengenannten Weisen zur Lehre vom transzendentalen Ideal: Kant macht im dritten Hauptstück der Dialektik von ihren Resultaten Gebrauch; und er führt andererseits die in ihnen enthaltene Problematik weiter. Im folgenden soll es also um Kants formale oder — mit seiner eigenen Bezeichnung — allgemeine reine Logik gehen. Die Logik gehört ohne Zweifel zu den Teilen von Kants Philosophie, die von seinen Interpreten am meisten mißverstanden worden sind. Wahrscheinlich haben drei Gründe vorwiegend dazu geführt: 1. Kant stellt in der KrV eine Tafel der Urteilsformen auf und behauptet deren Vollständigkeit; 2. er äußert mehrmals die Auffassung, die Logik sei schon in ihrer Aristotelischen Gestalt vollendet - und 3. er führt als ein novum die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen ein. Diesen Gründen entsprechen in der Kantliteratur folgende Stellungnahmen zur kantischen Logik:

2

5.47). Strawson deutet die Bemerkungen so, daß die logischen Formen und Konstanten "somehow implicit in the bare notion of a proposition in general" seien. Er führt dann selbst das hierin enthaltene Programm einer Philosophie der Logik so aus, daß er zeigt, wie man aus einer bestimmten Klasse der Propositionen: den prädikativen Sätzen, die grundlegenden Begriffe der wahrheitsfunktionalen und der Quantorenlogik ableiten kann. Vgl. seine "Introduction" in "Philosophical Logic", S. 1-5. Im Prinzip, obzwar durchaus nicht in der Stellungnahme zu Einzelfragen, entspricht dem die "Philosophy of Logic" von W. v. O. Quine. Auch Heideggers Idee einer Fundamentalontologie enthält als Aspekt eine Philosophie der Logik, was nicht zuletzt in seinen Kantdeutungen zum Ausdrück kommt (vgl. unten S. 151f). Jedoch hat er im Gegensatz zu den hier genannten Autoren den Gedanken einer philosophischen Begründung der Logik nicht anhand eines bestimmten Systems der formalen Logik entwickelt. Vielmehr ist seine Stellung zur Logik durch Äußerungen wie die folgende gekennzeichnet: "Die Logik ist . . . diejenige philosophische Disziplin, die noch am wenigsten begründet und streng ausgebildet, noch nicht einmal in ihrer zentralen Problematik begriffen und gesichert ist". "Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft" S. 261. Vgl. hierzu den Abschnitt "Allgemeine und transzendentale Logik" unten S. 86-91.

Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

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1. Kants Logik ist wesentlich identisch mit der Urteilstafel. Diese Auffassung liegt impliziet in der Darstellung von Rosenkranz: Er hebt als Entscheidendes die Triplizät innerhalb der jeweiligen Urteilsmomente hervor3; 2. Kant betrachtet die ihm vorliegende Gestalt der klassischen Logik als die endgültige. Seine eigene Logik ist nichts als die Übernahme dieser Logik. Im Sinne dieser Auffassung spricht etwa Hegel von einer "empirischen Logik" bei Kant4. Ähnlich wirft Riehl Kant vor, er gehe unkritisch davon aus, daß die Logik fertig vorliege5; 3. Kants'Bestimmung der Logik impliziert, daß sie nur die analytischen Urteile behandelt. Das ist z.B. die Auffassung Cohens6. Diese Auffassungen dürfen kraft der späteren Entwicklung der Kantinterpretation als überholt gelten. Schon Heidegger zweifelte Kants dictum von dem abgeschlossenen Charakter der Logik an und behauptete ihm gegenüber, Kant habe gerade der Logik eine radikale philosophische Begründimg gegeben7. In den 1930'er Jahren ist die kantische Logik dann Gegenstand gründlicher Untersuchungen geworden. De Vleeschauwer ging dem historischen Zusammenhang zwischen Kants Logik und den Logiklehrbüchern des 18. Jahrhunderts nach8. Aber die systematische Bedeutung der Logik und dieses Zusammenhangs auf breiter Textbasis wurde - so weit ich sehe - erst durch Paton9 und Reich10 aufgezeigt. Von der gegenwärtigen Lage kann man sagen, daß Kants Logik zunehmend das Interesse der Interpreten auf sich zieht, daß aber über die Einschätzung der kantischen Logik keine Ubereinstimmung 3 4

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K. Rosenkranz: "Geschichte der Kant'schen Philosophie", S. 161. Die entsprechenden Äußerungen sind zitiert in K. Reich: "Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel", S. 8. A. Riehl: "Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System. Erster Band: Geschichte des philosophischen Kritizismus" S. 484. H. Cohen: "Kants Theorie der Erfahrung" S. 225-28. A.a.O. S. 180. H. J. de Vleeschauwer: "La deduction transcendentale dans l'oeuvre de Kant" I, S. 21748. Den historischen Zusammenhängen ist nochmals G. Tonelli unter Einbeziehung eines reichhaltigeren Materials nachgegangen. Seine Konklusion zeigt, wie unergiebig es ist, Kants Logik nur unter dem Gesichtspunkt der Urteilstafel zu erforschen: "Seine Urteilstafel darf deshalb als einigermaßen originell gelten". "Die Voraussetzungen zur kantischen Urteilstafel in der Logik des 18. Jahrhunderts" in F. Kaulbach, J. Ritter (Hrsg.): "Kritik und Metaphysik" S. 157. H. J. Paton: "Kant's Metaphysic of Experience. A Commentary on the first Half of the Kritik der reinen Vernunft", vgl. vor allem die Kapitel IX und X über "Formal Logic". Eines der Verdienste Patons ist es, die Auffassung widerlegt zu haben, Kants Logik behandle nur analytische Urteile. S. 200 f. Die Arbeit von K. Reich: "Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel" hat zwar, wie der Titel zeigt, als Hauptziel zu zeigen, daß Kant die Urteilstafel nicht lediglich anführt, sondern dafi er gute Gründe hat, den Gedanken eines systematischen Zusammenhangs unter den Urteilsformen anzunehmen. Aber die Arbeit enthält abgesehen von dieser ihrer eigentlichen These Analysen von den grundlegenden Begriffen der kantischen Logik.

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

herrscht. Letzteres kommt darin zum Ausdruck, daß noch nicht darüber Einigkeit besteht, in welchem Maße Kant Einsichten der modernen Logik vorweggenommen hat11. Wenn im folgenden auf Kants Logik eingegangen wird, geschieht das nicht in erster Linie mit der Absicht, zur Interpretation dieses Teiles der kantischen Philosophie beizutragen. Kants logische Überlegungen werden vielmehr nur soweit dargestellt, daß die Lehre vom transzendentalen Ideal als Teil der transzendentalen Logik verständlich werden kann. Da das zentrale Problem im Zusammenhang der Lehre vom transzendentalen Ideal die Frage nach dem Einzelnen ist, soll Kants Logik unter dem Gesichtspunkt dieser Frage dargestellt werden. Zum Schluß dieser einleitenden Bemerkungen muß noch die Frage der Textgrundlage erwähnt werden. Obwohl der größte Teil der KrV den Titel "Transzendentale Logik" trägt, hat Kant im Hauptwerk seine Logik nur andeutungsweise dargestellt. Ein Lehrbuch der Logik hat er nicht geschrieben. Zu seinen Lebzeiten erschien "Immanuel Kants Logik, ein Handbuch zu Vorlesungen". Es handelt sich dabei um eine Auswahl und Bearbeitung von Kants Aufzeichnungen zur Logik, von dem Herausgeber G.B. Jäsche vorgenommen. Nun hat aber Reich an einigen Beispielen überzeugend gezeigt, daß Jäsche den Sinn der kantischen Überlegungen derart verändert hat, daß man sein "Handbuch" nicht als Quelle zum Verständnis von Kants Logik benutzen kann. Reich stellt konkludierend fest, es handle sich um ein "Aggregat von Bemerkungen K a n t s aus mehr als 40 Jahren, mit denen der Kompilator nicht fertig geworden ist"12. Es scheint also angemessen, Reich in der Auffassung zu folgen, Jäsches "Handbuch" gehöre nicht zu Kants Werken sondern zur Kantliteratur. Und so sind im folgenden neben den von Kant herausgegebenen Schriften die Nachschriften seiner Logikvorlesungen und der handschriftliche Nachlaß zu Grunde gelegt13. Es kann kaum bezweifelt werden, daß es für das Verständnis der kantischen Logik fordernd ist, wenn man sie vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Logik betrachtet. Um Unklarheiten vorzubeugen, soll in einem einleitenden Exkurs angedeutet werden, was mit diesem Ausdruck gemeint ist.

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Für diesen Tatbestand mögen die Arbeiten von J. Vuillemin: "Reflexionen über Kants Logik" und L Menzel: "Das Problem der formalen Logik in der Kritik der reinen Vern u n f t " repräsentativ sein. Kontrovers ist bei ihnen die Frage, ob Kant das hypothetische Urteil in einer Weise bestimmt, die einer gegenwärtigen wahrheitsfunktionalen Auffassung entspricht. A.a.O. S. 24. Auf dieser Textgrundlage beruht auch die neueste Gesamtdarstellung der kantischen Logik, R. Stuhlmann-Laeisz: "Kants Logik. Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlaß".

Exkurs: Einzelnes in der gegenwärtigen Logik

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Exkurs: Der Begriff des Einzelnen in der gegenwärtigen Logik In der gegenwärtigen Logik14 ist bekanntlich die Unterscheidung zwischen einer Satz- und einer Quantoren- (bzw. Prädikaten-)Logik wesentlich. Daß in der letzteren der Begriff des Einzelnen vorausgesetzt ist, kann man in folgender Weise andeuten. Die Quantorenlogik kann aufgefaßt und dargestellt werden als eine Interpretation der Syllogistik der klassischen Logik. Daß man den Ausdruck "Prädikatenlogik" verwenden kann, hängt eben damit zusammen, daß die Syllogistik als Lehre von der Möglichkeit von Schlußfolgerungen auf der Grundlage von Beziehungen zwischen Termini/Begriffen mit bestimmten Extensionen beschrieben werden kann. Quine drückt das so aus: Um die syllogistische Schlußweise zu verstehen, kann man sich nicht damit begnügen, den Satz — dasjenige sprachliche Gebilde, welches wesensmäßig entweder wahr oder falsch ist — als letzte sprachliche Einheit zu betrachten, sondern man muß den Satz wiederum verstehen als ein Zusammengesetztes, nämlich aus den tranditionell sogenannten nomina appellativa, bzw. Artsbezeichnungen15. Nennen wir die sprachlichen Elemente, die in der Syllogistik entscheidend sind, "Termini", so gilt von ihnen, daß sie auf einige Gegenstände zutreffen — oder auf einen oder auf keinen — und daß sie auf alle andere nicht zutreffen. Dadurch bestimmt sich der Begriff Extension: sie bedeutet die Klasse deqenigen Gegenstände, auf welche der betreffende Terminus zutrifft. Daß solche Schlüsse, die man in der Tradition Syllogismen nennt, möglich sind, hängt nun eben mit der Extension von Termini zusammen, indem - je nach dem wie die Extension betrachtet wird - partikulare oder universale Sätze gebildet werden können. Es sind eben diese beiden Satztypen, welche in der Interpretation der heutigen Logik durch Verwendung von Quantoren umschrieben werden. So ergibt sich aus dem partikularen Satz "Einige F sind G" die Quantisation 14

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Im folgenden ist natürlich nicht beabsichtigt, eine auch nur notdürftige Darstellung der Elemente gegenwärtiger Logik zu geben. Es sollen nur solche Aspekte hervorgehoben werden, die bei der Interpretation einiger kantischer Texte verwendbar sind. Da es sich hier nicht um eine Untersuchung über Kants Logik handelt, dient die Einbeziehung einiger Begriffe der gegenwärtigen Logik in jeder Hinsicht als Interpretationsmittel. Im übrigen ist der mehrdeutige Ausdruck "gegenwärtige Logik" zu verstehen als die Logik, gemäß einer maßgeblichen Darstellung, nämlich W. v. O. Quine: "Methods of Logic". (Dt. Übers. "Grundzüge der Logik"). Daß Quines Darstellung repräsentativ ist, bedarf wohl keiner weiteren Begründung. Die folgende Skizze baut auf folgenden Paragraphen in Quines genannter Darstellung: §§ 12-17, 33-37. Nur wo direkt zitiert wird, ist die Seitenzahl angegeben, und zwar diejenige der deutschen Ausgabe.

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

(1) (3x) (Fx . Gx)16. Und entsprechend aus dem universalen Satz "Alle F sind G" die Qualifikation (2) (x) (Fx D Gx). Die Bedeutung der Quantoren ergibt sich aus der Definition der Wahrheit der Sätze, die durch sie umschrieben wurden: Daß die ix/stenz quantifikation (1) wahr ist, heißt, daß es im Universum mindestens ein Objekt gibt, derart, daß der Satz "x ist F und χ ist G" wahr ist, wenn χ dieses Objekt bezeichnet. Daß die ^//quantifikation (2) wahr ist, heißt, daß der Satz "x ist F 3 χ ist G" wahr ist, welches Objekt im Universum auch immer durch χ bezeichnet ist17. Daß die Quantorenlogik den Begriff des Einzelnen voraussetzt, zeigt sich nun auf der Ebene der symbolischen Darstellung daran, daß diese nicht nur Variablenbezeichnungen fur die (generellen) Termini enthält (F, G), sondern auch die Variable x. Diese hat die Funktion - das ist schon durch die Definition der Extension klar — für einen Gegenstand zu stehen, auf den ein Terminus zutrifft. Das bedeutet, daß nicht nur Termini, bzw. Prädikate, sondern auch prädikative Sätze, zu den von der Quantorenlogik behandelten Elementen gehören. Das heißt, daß z.B. die logische Konjunktion Fx . Gx, die in Satz (1) quantifiziert wurde, als Konjunktion zweier prädikativer Sätze aufzufassen ist — also etwa (3) χ ist ein Buch . χ ist langweilig. Eine solche Formulierung kann man einen "offenen Satz" nennen, weil sie die freie Variable χ enthält und daher nicht ein Gebilde ist, das als wahr oder falsch zu bezeichnen ist. In einen abgeschlossenen Satz kann es in zweierlei Weise verwandelt werden: a. durch Quantifizierung: (3x) (x ist ein Buch . χ ist langweilig) d.h. "Einige Bücher sind langweilig" b. dadurch daß χ durch die Bezeichnung eines spezifizierten Objektes ersetzt wird: "Angelique" ist ein Buch. "Angelique" ist langweilig dJi. " 'Angelique' ist ein langweiliges Buch". Die Möglichkeit b stellt jedoch explizit das Problem der singulären Termini dar. Daß der Begriff des Einzelnen nicht nur innerhalb der Voraussetzungen der quantorenlogischen Begrifflichkeit seinen Platz hat — nämlich als notwendiges Komplement zu den generellen Termini - sondern auch explizit undersucht werden 16

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Das in diesem Schema vorkommende "." ist Quines Symbolisierung der logischen Konjunktion. Diese Charakterisierung der Quantoren ist nicht unumstritten. Quine vertritt eine sogenannte "objectual" Interpretation der Quantoren. Dem steht eine "substitutional interpretation" gegenüber. Vgl. hierzu und zum Zusammenhang mit Quines vieldiskutierter These des "ontological commitment" S. Haack: "Philosophy of Logics", S. 41-50.

Exkurs: Einzelnes in der gegenwältigen Logik

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muß, hängt natürlich damit zusammen, daß es im Rahmen der Syllogistik so etwas wie singuläres Schließen gibt. So muß man auch solche Syllogismen interpretieren, die in einer Prämisse eine Bezeichnung für einen einzelnen Gegenstand enthalten. Das bedeutet nichts anderes als daß man die freie Variable χ der quantorenlogischen Symbolik ausdrücklich als "Platzhalter" für einen singulären Terminus auffassen muß. Man kann die Eigenart der singulären Termini natürlich am einfachsten im Kontrast zu den allgemeinen charakterisieren. Von diesen gilt wie erwähnt, daß sie auf jeden einzelnen von vielen Dingen zutreffen. Hingegen ist von den singulären Termini zu sagen, daß sie ein eindeutig bestimmtes Objekt bezeichnen. Man kann also definieren: Ein Terminus ist singular, wenn er die Aufgabe hat, ein — und nur ein - Objekt zu bezeichnen — anderenfalls ist er allgemein. In die Terminologie der logischen Struktur übersetzt lautet die Definition: Ein singulärer Terminus muß an Stellen stehen, wo man die freie Variable χ benutzen könnte. Daß das χ der Quantorenlogik die singulären Termini vertritt, bedeutet, daß der Aufbau von Sätzen mit diesen Ausdrücken mit demjenigen der offenen Sätze parallel ist. Z.B. hat auch ein Satz wie "Sokrates ist weise" die Struktur (4) χ ist weise. Diesen Sachverhalt drückt Quine folgendermaßen aus: " . . die Termini 'Sokrates' . . . kann man für Variable in offenen Sätzen einsetzen, ohne gegen die Grammatik zu verstoßen; das ist es, was sie zu singulären Termini macht" - "Das 'x' in einem offenen Satz kann sich auf Objekte beliebiger Art beziehen, aber immer nur auf jeweils einzelne"18. Auf diesem Hintergrund kann die Bedeutung der Quantifizierung derart präzisiert werden, daß das in dem offenen Satz von χ gesagte von allen — oder mindestens einem — Objekten) gilt — wobei die Objekte als jeweils einzelne aufgefaßt werden. — Obwohl es also durch die Symbolik der beiden Quantoren nicht eigens ausgedrückt ist, ist auch bei der Quantifikation vorausgesetzt, daß die generellen Termini auf einzelne Objekte zutreffen. Es gibt natürlich singuläre Termini verschiedener Art. Einen besonders eingehend untersuchten Typus machen diejenigen aus, die man seit B. Russell "definite descriptions" (auf deutsch "Kennzeichnungen") nennt. Es gibt für sie in der logischen Symbolik ein eigenes Zeichen, den sogenannten iota-Operator. Seine Definition lautet ('x) ="das Objekt x, so daß" - oder "der (die, das) Soundso". Unter Verwendung dieses Operators kann man z.B. die zusammengesetzten singulären Termini "der Autor von Waverley" und "die Primzahl zwischen 5 und 11" folgendermaßen umschreiben 18

S. 264 f.

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('x) (x hat Waverley geschrieben) ('x) (x ist prim. 5 < x< 11). Ein singulärer Terminus hat laut Definition die Aufgabe, ein und nur ein Objekt zu bezeichnen. Von der Kennzeichnung, dem singulären Terminus der Form ('x) Fx gilt, daß ihre Ausgabe ist, das eine Objekt zu bezeichnen, auf welches das Prädikat F zutrifft. Man kann das Spezifische der Kennzeichnung auch so formulieren, daß das Einzelobjekt in diesem Fall nicht durch direktes Hinweisen, sondern durch Verwendung von Prädikaten — deskriptiv — bezeichnet wird. Man muß also bei der Kennzeichnung unterscheiden zwischen a. der Bezeichnung des Objektes: ('x) Fx — und b. demjenigen Prädikat, welches auf dieses einzige Objekt zutrifft: F19. Wie erwähnt kann man die Quantorenlogik als Interpretation der klassischen Syllogistik auffassen. Man kann diese Interpretation vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: Der — in der Tradition: kategorische — Satz wird aufgelöst in einen offenen Satz, bzw. ein offenes Schema, etwa χ ist F . χ ist G. Fx .Gx Die Quantitäten des kategorischen Satzes können dann derart umschrieben werden, daß der Existenz- und der Allquantor jeweils das partikulare und das universale Urteil darstellen. Das singuläre Urteil muß man hingegen verstehen als die Einsetzung eines bestimmten singulären Terminus für die Variable χ - in dem Falle, daß dieser Terminus eine Kennzeichnimg ist, also ('x) F x . Was den Begriff des Einzelnen betrifft, kann man sagen, daß bei den Quantifikationen vorausgesetzt ist, daß die Sätze etwas über Einzelnes aussagen - daß das Einzelne aber als solches nicht auftritt. Im Falle des singulären Satzes tritt hingegen das Einzelne ausdrücklich auf, vertreten von einem singulären Terminus, etwa einer Kennzeichnung. Überschaut man die Quantorenlogik im Zusammenhang mit der Satzlogik, sieht man — so Quine - daß die Variablen, mit denen operiert werden muß, in drei Typen aufgeteilt werden können, die jeweils in bestimmter Weise charakterisiert sind: 1. &7£zbuchstaben (p, q). Die entsprechende Eigenart ist hier, daß der Satz entweder wahr oder falsch ist - er hat einen Wahrheitswert.

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Ohne daß auf die Problematik eingegangen werden kann, sei erwähnt, daß diese Unterscheidung eine der Voraussetzungen dafür ist, daß Quine - die Position Russell's aufnehmend und radikalisierend-meint, die singulären Termini eliminieren zu können. - Man muß natürlich klar unterscheiden zwischen Quines Darstellung der Notation, in welcher der Bezug auf Einzelnes logisch ausdrückbar ist - und seiner These über die Eliminierbarkeit der singulären Termini. Uns geht es hier nur um das erstere.

Exkurs: Einzelnes in der gegenwärtigen Logik

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2. iYäcft'tobuchstaben (F, G). In diesem Fall ist die logisch entscheidende Eigenschaft die Extension. 3. Freie Variablen (x, y). Das Charakteristikum ist, daß sie für einzelne Objekte

stehen und durch singuläre Termini interpretierbar sind. Zwei Gründe sprechen auf dem Hintergrund des jetzt angedeuteten dafür, daß man die heutige Quantorenlogik als Mittel der Interpretation kantischer Texte einsetzen kann: Sie ist erstens wie Kants Logik auch eine Transformation der klassischen Logik. Und sie weist zweitens zurück zu nicht-logischen Voraussetzungen, z.B. zu der sprachlichen Unterscheidung zwischen Einzelnem und Allgemeinem. Daß beide genannten Eigentümlichkeiten in der Quantorenlogik und bei Kant sehr unterschiedlich konkretisiert sind, schließt nach meiner Meinung nicht aus, daß man in Bezug auf sie die Kantische und die Quantorenlogik vergleichen kann.

2.1 Allgemeine und transzendentale Logik Kant definiert in der KrV die Logik allgemein als "Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt" (A52/B76). Das geschieht im Kontrast zur Ästhetik, die als "Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt" bestimmt wird. Das bedeutet, daß die Definition der Logik, da sie auf dem Unterschied zur Ästhetik baut, die Unterscheidung zwischen Anschauung und Verstand voraussetzt. Kant macht diese Unterscheidung in verschiedener Weise, aber wenn man die Einleitungsabschnitte der transzendentalen Analytik mit denjenigen der Ästhetik vergleicht, kann man zwei Gesichtspunkte der Distinktion unterscheiden: A. Es handelt sich um zwei "Grundquellen des Gemüts", aus denen alle Erkenntnisse entspringen: a. die Rezeptivität, bzw. Sinnlichkeit, durch welche Gegenstände gegeben werden; b. die Spontaneität, bzw. der Verstand, durch welchen Gegenstände gedacht werden (A50/B74). B. Es handelt sich um verschiedene Arten, wie sich eine Erkenntnis auf den Gegenstand beziehen kann: a. als Anschauung, d.h. in unmittelbarer Beziehung; b. als Begriff, d.h. in einer über die Anschauung etablierten Beziehung (A19/ B33). Die scharfe Trennung zwischen Anschauung und Begriff ist für Kant ein wesentliches Argumentationspotential und so könnte man erwarten, daß die Logik als Wissenschaft vom Verstände und vom Denken ohne Berücksichtigung der Anschauung möglich sei. Andererseits sind Anschauung und Begriff nicht einfach zwei verschiedene Arten der Erkenntnis, sondern sie sind beide Elemente in jeder Erkenntnis. Das würde es wiederum nahelegen, daß man die Aufklärung der "Verstandesregeln" nicht durchführen kann ohne Einbeziehung der Anschauung. Diese Frage wird im folgenden näher zu behandeln sein. Was hier einfach "Kants Logik" genannt wird, bedeutet in einer etwas moderneren Sprache "Kants Abhandlung der formalen Logik". Selbst gebraucht er für diese Disziplin die Bezeichnimg "allgemeine Logik", wobei er diesen Begriff durch eine doppelte Unterscheidung gewinnt. Wenn man die Regeln des Denkens untersucht, kann man das tun, entweder indem man von allen Unterschieden zwischen den Gegenständen, auf die der Verstand sein Denken richten kann, absieht. Oder aber man kann die spezifischen Denkregeln, die für bestimmte Gegenstandsbereiche gelten, untersuchen. Im ersten Fall treibt man allgemeine, im zweiten besondere Logik (A52/B76f).

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Man muß aber auch innerhalb der allgemeinen Logik zwischen zwei Formen unterscheiden. Wenn nämlich die Betrachtung der Verstandesregeln von allen empirischen Bedingungen, unter welchen der Verstand ausgeübt wird, absieht, enthält sie nur Prinzipien a priori. Wenn hingegen die subjektiven und empirischen Bedingungen des Verstandesgebrauchs berücksichtigt werden, ergeben sich empirische Prinzipien. Die allgemeine Logik gliedert sich also in einer reinen und einer angewandten (A52f/B77f) - und es ist natürlich die allgemeine reine Logik, welche man als Kants Version einer formalen Logik auffassen kann. Im Übrigen verwendet Kant auch selbst den Ausdruck "formal" im Zusammenhang mit der Logik und zwar als Erläuterung ihres allgemeinen Charakters. Da die allgemeine Logik nämlich von allen Unterschieden zwischen den Gegenständen des Denkens abstrahiert und in diesem Sinne dem Inhalt der Verstandeserkenntnis gegenüber indifferent ist, behandelt sie "die bloße Form des Denkens" (A54/B78). Es ist nun eben das Formale an der Logik, welches als Folie bei der Einfuhrung der Idee einer transzendentalen Logik fungiert — daher ist es wichtig, diese Charakterisierung Kants genau zu betrachten. Das Inhalts-Indifferente der Logik kann auch so ausgedrückt werden, daß die Logik von der Beziehung der Erkenntnis auf das Objekt abstrahiert und nur "die logische Form im Verhältnisse der Erkenntnisse auf einander" behandelt (A55/B79). Aus Gründen, die später deutlich werden, ist es wichtig zu sehen, daß Kants Äußerungen auf den ersten Blick zwei verschiedene Deutungen zulassen. Das Absehen der formalen Logik vom Inhalt des Denkens kann bedeuten 1. daß sie schlechthin unabhängig ist von der Tatsache, daß das Denken einen Gegenstandsbezug hat; 2. daß sie zwar voraussetzt, daß die Erkenntnisse, dessen "Verhältnisse auf einander" sie analysiert, einen Gegenstandsbezug haben — daß sie jedoch die jeweilige Konkretisierung des Gegenstandsbezugs natürlich nicht thematisieren kann. Daß Kant im Sinne der Möglichkeit 2. verstanden sein will, scheint sein nächster Gedankenschritt zu bezeugen. Außer der Abgrenzung im Verhältnis zur allgemeinen Logik dient nämlich die Unterscheidung zwischen empirischer und reiner Anschauung zur Einfuhrung des Gedankens von der transzendentalen Logik, denn diese Unterscheidung impliziert die Differenz zwischen empirischem und reinem "Denken der Gegenstände" (A55/B79f — meine Hervorh.). Dieser Gedankengang setzt erstens voraus, daß das Denken der Gegenstände — der Gegenstandsbezug des Denkens — wesentlich durch die Anschauimg bedingt ist; und zweitens, daß auch in der formalen Logik davon ausgegangen wird, daß das Denken einen Gegenstandsbezug hat. Auf dem Hintergrund dieses Unterschiedes kann man sich nun eine Logik denken, die die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes enthält. Eine solche Logik würde einerseits nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahieren - sie wäre aber andererseits verschieden von Untersuchungen der Erkenntnis empirischen Ursprungs. Kraft des Gedankens von einem reinen Denken der Gegenstände würde

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diese Logik außerdem voraussetzen, daß die von ihr behandelte Erkenntnis ihren Ursprung nicht in den Gegenständen haben kann. Die Frage des Ursprungs von Erkenntnissen, bzw. Begriffen, macht denn auch einen weiteren Unterschied zwischen transzendentaler und allgemeiner Logik aus. Diese setzt zwar voraus, daß Vorstellungen — oder wie sich später zeigen wird: Erkenntnisse — gegeben sind, ist aber der Frage indifferent gegenüber, ob diese Vorstellungen a priori, "in uns selbst", oder emprisch gegeben sind. Die allgemeine Logik behandelt nicht den Ursprung der Vorstellungen, sondern diejenigen Gesetze, welche von der internen Relation zwischen Vorstellungen gelten. Sie ist formal auch in dem Sinne, daß sie die Verstandesform untersucht, "die den Vorstellungen verschafft werden kann, woher sie auch sonst entsprungen sein mögen" (A56/B80). Der Entwurf der Idee einer transzendentalen Logik, soweit er jetzt beschrieben ist, grenzt somit diese in zweifacher Weise gegen die allgemeine Logik ab: 1. die gesuchte Logik ist inhaltsbezogen, indem sie die spezifische Relation zwischen Begriff und Gegenstand untersucht, welche aufgrund der reinen Anschauung möglich ist; 2. diese Logik berücksichtigt den Ursprung von Vorstellungen, bzw. Begriffen, indem das "reine Denken" der Gegenstände, welches sie untersucht, des kantischen Begriff des a priori zufolge, als "in uns selbst" entsprungen aufzufassen ist. Um nun die Kennzeichnung dieser Logik als "transzendentaler" zu begründen, merkt Kant an, "daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sein, transzendental (di. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori) heißen müsse." (ebd.). Der begriff "transzendentale Erkenntnis" erscheint also in diesem Zusammenhang als Spezialfall von "Erkenntnis a priori" - und zwar derart, daß er die philosophische Reflexion bezeichnet, welche sich auf die Erkenntnis a priori richtet. Auch dies macht dann einen Unterschied zwischen transzendentaler und allgemeiner Logik aus. Zwar ist diese nämlich als reine - im Unterschied zur angewandten - eine a priori'sche Wissenschaft, aber da sie nicht die Bedingungen der Möglichkeit der Verwendung a priori'scher Vorstellungen behandelt, kann sie nicht als transzendentale Untersuchimg aufgefaßt werden. Daß der Ausdruck "transzendental" die Art der philosophischen Untersuchung charakterisiert, drückt Kant auch so aus, daß der Unterschied transzendental - empirisch die Kritik der Erkenntnis betrifft, nicht hingegen die Beziehung zwischen Erkenntnis und Gegenstand (A56f/B83). Durch die Einfuhrung des Begriffes "transzendental" kann Kant nun die transzendentale Logik vorläufig charakterisieren: Sie ist die "Wissenschaft, welche den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit solcher Erkenntnis (Nämlich reine "Verstandes und Vernunfterkenntnisse, dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken") bestimm(t)" (A57/B81).

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Man kann die bisherigen Überlegungen dadurch zusammenfassen, daß man Kants Einteilung des Begriffs Logik auf dem Hintergrund von drei Unterscheidungen sieht: 1. Der Unterschied zwischen der Beachtung und der Nichtbeachtung von verschiedenen Gegenstandsbereichen ergibt die Distinktion besondere - allgemeine Logik. 2. Der Unterschied zwischen bloßer Verstandesstruktur und den subjektiv-empirischen Bedingungen der Verstandesausübung ergibt die Distinktion allgemeine reine und allgemeine angewandte Logik. 3. Der Unterschied zwischen der Beachtung und der Nichtbeachtung der Differenz zwischen empirischem und reinem Denken der Gegenstände ergibt die Distinktion zwischen transzendentaler und allgemeiner (reiner) Logik. Um den Sinn dieser Unterscheidungen möglichst deutlich herauszustellen, könnte man den Gedanken erwägen, daß die transzendentale Logik anscheinend eine Art besonderer Logik sei, in dem Sinne nämlich, daß sie eine bestimmte Klasse von Gegenständen voraussetze: die nicht-empirischen. Daß dies nicht die kantische Auffassung ist, ist klar. Auf dem jetzigen Stadium der Darstellung kann man hierüber soviel sagen, daß der Gedanke einer nicht-empirischen Beziehimg zwischen Begriff und Gegenstand nicht notwendigerweise ein Operieren mit zwei verschiedenen Klassen von Gegenständen, empirischen und nicht-empirischen, impliziert. Vielmehr ist es die Aufgabe der Durchführung der transzendentallogischen Untersuchung, den Sinn dieses Gedankens aufzuklären. Die bisherige Behandlung von Kants Ausführungen galt der Bestimmung des Begriffes Logik als Wissenschaft von den Verstandesregeln im Unterschied zur Ästhetik und der Unterscheidung zweier reiner Logiken, der allgemeinen und der transzendentalen. Innerhalb beider Logiken macht Kant jedoch noch eine Unterscheidung, die für den Aufbau der KrV entscheidend ist, nämlich die zwischen.4 «alytik und Dialektik. Kant fuhrt diesen Unterschied ein über den Wahrheitsbegpff, genauer gesagt über die Frage nach der Möglichkeit eines allgemeinen Wahrheitskriteriums. Er geht dabei von einem korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff aus, indem er die Nominaldefintion der Wahrheit als "Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand" voraussetzt (A58/B82). Kant argumentiert nun für die Unmöglichkeit eines allgemeinen Wahrheitskriteriums in folgender Weise. Die Feststellung der Wahrheit einer Erkenntnis setzt in jedem konkreten Fall voraus, daß der betreffende Gegenstand von anderen Gegenständen unterschieden ist. Denn man kann sich vorstellen, daß eine Erkenntnis in dem spezifischen Sinne falsch ist, daß sie zwar nicht mit dem Gegenstand, auf den sie bezogen ist, wohl aber mit anderen Gegenständen übereinstimmt. Nun müßte aber ein allgemeines Wahrheitskriterium für alle Erkenntnisse gültig sein ohne Berücksichtigung der Unterschiede zwischen ihren Gegenständen. Das

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heifit, ein solches Kriterium müßte von dem Inhalt der Erkenntnisse im Sinne ihrer jeweiligen Relation zum Objekt abstrahieren. Da nun Wahrheit ohne Berücksichtigung des Erkenntnisinhaltes nicht feststellbar ist, ist der Gedanke eines allgemeinen und hinreichenden Wahrheitskriteriums ein Widerspruch in sich. Die Aufstellung eines allgemeinen Wahrheitskriteriums ist mm nach Kants Auffassung der allgemeinen Logik zugemutet worden, und zwar deshalb weil diese vom Inhalt der Erkenntnis abstrahiert. Das Scheitern des Gedankens von einem allgemeinen Kriterium bedeutet aber nicht, daß die allgemeine Logik mit Wahrheit nichts zu tun hätte. Aus den Gesetzen der Form des Denkens, die die allgemeine Logik aufstellt, lassen sich sehr wohl Kriterien der Wahrheit ableiten. Es muß nämlich gelten, daß Erkenntnisse, um wahr zu sein, mit der Form des Denkens übereinstimmen müssen, anderenfalls würden sie sich selbst widersprechen. Solche Wahrheitskriterien würden jedoch zwar allgemein, aber nicht hinreichend sein: Es kann eine Erkenntnis sehr wohl den Formen des Denken folgen und doch mit dem Gegenstande nicht übereinstimmen. Diese Überlegungen zu einem logischen Wahrheitskriterium ermöglicht nun die Bestimmung des Begriffs "Analytik". Die allgemeine Logik löst die formale Struktur des Verstandes und der Vernunft in ihre Elemente auf und bietet sie dar als Prinzipien der logischen Beurteilung der Erkenntnis. In diesem Sinne ist die Analytik der allgemeinen Logik immer ein "negativer Probierstein der Wahrheit" (A60/B84). Wenn nun die Gesetze der allgemeinen Logik nicht nur als Prinzipien der Beurteilung, sondern als "vermeintes Organon" aufgefaßt werden, dJi. als Instrument zur Entdeckung konkreter Wahrheit, dann muß - auf dem Hintergrund der Analyse des WahrheitsbegrifFes — eine "Logik des Scheins" entstehen. Damit ergibt sich der Begriff der "Dialektik": Sie ist die "Kritik des dialektischen Scheins" (wobei "dialektisch" im Definiens die Logik des Scheins bezeichnet) (A61f/B85f). Die Analytik der transzendentalen Logik muß nun in gleicher Weise verstanden werden als die Darstellung der Elemente der reinen Verstandeserkenntnis. Da jedoch das "reine Denken der Gegenstände" die Thematik dieser Logik bestimmt, enthält sie außerdem solche Prinzipien, ohne welche kein Gegenstand gedacht werden kann20. Das bedeutet aber, daß sie eine "Logik der Wahrheit" ist, denn eine Erkenntnis, die dieser Logik widerspricht, hat keinen Inhalt im Sinne einer "Beziehung auf irgend ein Objekt" und das heißt sie hat keine Wahrheit. - Die Dialektik der transzendentalen Logik wird dann bestimmt als "Kritik des dialektischen Scheins" - wobei natürlich noch offen ist, was "Schein" im Bereich der transzendentalen Logik bedeuten kann. 20

Diese Bemerkung Kants zeigt schon über die bloße Idee einer transzendentalen Logik hinaus. Daß die transzendentale Logik Prinzipien behandelt, ohne welche kein Gegenstand gedacht werden kann, ist eine Behauptung, die die Durchführung des transzendentallogischen Programms in der Deduktion vorwegnimmt.

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Kants Unterscheidung zwischen allgemeiner und transzendentaler Logik im Hinblick auf den WahrheitsbegrifF hat die Frage veranlaßt, ob denn letztere ein allgemeines und hinreichendes Kriterium der Wahrheit besitze. Diese Frage kann in unserem Zusammenhang, wo es primär um Kants Verständnis der formalen Logik geht, nicht beantwortet werden. Wohl aber kann man von dem Wahrheitsbegriff aus dieses Verständnis näher kennzeichnen. Es ist nämlich auf diesem Hintergrund leicht zu sehen, daß die formale Logik bei Kant wohl den Charakter eines geschlossenen, aber nicht eines autonomen Systems hat. Das kommt darin zum Ausdruck, daß ihm die formale Logik als Prinzip der Beurteilung wichtig ist, und daß sie lediglich ein negatives Wahrheitskriterium abgeben kann. Von einem autonomen logischen System würde jedoch gelten, zum einen daß es nicht der Beurteilung von etwas von ihm verschiedenen dient, und zum anderen, daß es hinreichende Wahrheitskriterien im Sinne von Regeln über die Gültigkeit von Schlußfolgerungen besitzen müßte. Hingegen dient die formale Logik bei Kant der Beurteilung von Erkenntnissen — und zwar Erkenntnissen der Gegenstände. Was nun Kants Rede von der transzendentalen Logik als einer Logik der Wahrheit heißen soll, ist solange unklar wie der grundlegende Begriff dieser Logik: der Begriff des reinen Denken eines Gegenstandes, nicht präzisiert ist. Man kann die Sache wie genannt so auffassen, daß damit das Denken von Gegenständen einer bestimmten Klasse gemeint ist. Eine andere Möglichkeit wäre, daß die transzendentallogische Aufklärung des Begriffes vom reinen Denken eines Gegenstandes notwendig ist, um die Beziehung jeder Erkenntnis auf ihren Gegenstand verständlich zu machen. In diesem Falle wären allgemeine und transzendentale Logik nicht zwei getrennte Untersuchungen, sondern diese würde jene begründen in dem Sinne, daß sie eben die Beziehung zwischen Erkenntnis und Gegenstand, die in der allgemeinen Logik vorausgesetzt ist, erklärt. Es wird sich noch zeigen, daß die zweitgenannte Möglichkeit in der Tat von Kant gemeint ist. Das bedeutet fur die gegenwärtige Problematik, daß die Bedeutung, welche der Begriff des Einzelnen in Kants allgemeiner Logik hat, erst im Laufe der vollständigen Durchführung des transzendentallogischen Programms verständlich sein wird.

2.2 Kants Darstellung der allgemeinen Logik Es ist wie gesagt in der Kant-Literatur üblich, Kants Verhältnis zur formalen Logik so zu charakterisieren, daß er die ihm vorliegende Logik als bereits abgeschlossene Wissenschaft hinnehme. Diese Ansicht kann man auch mit Äußerungen Kants belegen, vor allem deqenigen aus der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV, daß die Logik seit Aristoteles "bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein" scheine (Β VIII). In der anschließenden Passage hebt Kant allerdings hervor, "einige Neuere" hätten versucht, die Logik durch psychologische, metaphysische und anthropologische Überlegungen anzureichern — wobei er die Logik-Abhandlungen der Wolff-Schule und insbesondere die von C.F. Meier im Auge hat. Diese Bemerkungen müßte man also immerhin in dem genaueren Sinn auffassen, daß die aristotelische Logik in einer von diesen Anreicherungsversuchen gereinigten Gestalt darzustellen wäre. Aber man muß doch diesem dictum das andere aus dem Kontext der Entwicklung der Urteilstafel gegenüberstellen, diese weiche "in einigen, obgleich nicht wesentlichen Stücken, von der gewohnten Technik der Logiker" ab (A 70f/B96)21. Worin Kants Beitrag zur Logik besteht - das kann man diesen beiden Äußerungen entnehmen — ist nicht auf der Grundlage seiner eigenen Stellungnahme zu dieser Frage zu entscheiden, sondern nur durch eine Analyse dessen, was er tatsächlich im Bereich der Logik zu sagen hat. Man kann aus den Reflexionen zur Logik und den Kolleg-Nachschriften sehen, daß Kant zwar die Logik in der "angereicherten" Form der Wolff-Schule vorgetragen hat, daß er aber die drei Hauptlehrstücke der klassischen Logik: die Begriffs-, die Urteils- und die Schlußlehre, als den eigentlichen Gehalt dieser Wissenschaft betrachtet hat. Im folgenden soll nun untersucht werden, welche Rolle der Begriff des Einzelnen in Kants Darstellung der Logik spielt. 2.2.1 Das Einzelne in der Lehre vom Begriff Es war in der obenstehenden Charakterisierung der allgemeinen Logik davon die Rede, daß sie das Verhältnis der Vorstellungen, Erkenntnisse und Begriffe behand21

Im gleichen Sinne muß die Bemerkung Kants im § 39 der "Prolegomena" über die Aufstellung der Kategorientafel verstanden werden: "Hier lag nun schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker vor mir . . " (Meine Hervorh. IV, 323).

Das Einzelne in der Lehre vom Begriff

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le — wobei der Gebrauch dieser Ausdrücke anscheinend schwankend war. In den Darstellungen der Logik hat Kant jedoch die Bedeutung dieser Ausdrücke präzise festgelegt, denn genau sie machen diejenige Grundbegrifflichkeit aus, in welcher die Darstellungen ihren Ausgang nehmen. Diese Grundbegrifflichkeit wird von Kant entwickelt als Einteilung des Begriffes Vorstellung (repraesentatio): Sie "ist das erste und allgemeinste und kann nicht erklärt werden". Ein Spezialfall von Vorstellung ist die Erkenntnis (cognitio): Die "Vorstellung so fern sie betrachtet wird als bezogen auf einen Gegenstand". Und von dieser gilt dann: "Erkenntnis ist entweder intuitus oder conceptus" - also Anschauung oder Begriff. Während 1) die Anschauung eine singuläre Vorstellung, unmittelbar auf einen Einzelgegenstand bezogen ist, ist 2) der Begriff eine allgemeine Vorstellung, eine Vorstellung, die für "viele gilt"; er ist mittelbar auf den Gegenstand bezogen, und zwar durch dessen Merkmale — eben sie sind es, die "vielen Dingen gemein seyn" können22 Das anscheinend entscheidende Charakteristikum des Begriffes: seine Allgemeinheit, und das Verhältnis zur Anschauung gilt es nun, näher zu betrachten. Es ist deutlich, daß Kant mit "Begriff' dasjenige umschreibt, was in der klassischen Logik Terminus heißt und was in der gegenwärtigen Logik als allgemeiner Terminus charakterisiert wird. Da aber Kant im Unterschied zur gegenwärtigen Logik nicht den Begriff als bestimmten Typus sprachlicher Ausdrücke versteht, sondern ihn durchweg in der Terminologie der Vorstellungen beschreibt, kann er nicht einfach voraussetzen, daß es so etwas wie Begriffe "gibt". Vielmehr muß der Besitz von Begriffen nach Kant als das Resultat von Handlungen aufgefaßt werden. Aufgabe der Logik ist es eben, was die Begriffslehre betrifft, diese Handlungen aufzuklären; und so kann er diese Aufgabe beschreiben als die Beantwortung der Frage, "wie die Vorstellungen zu Begriffen werden? ". Daß die Vorstellungen, von denen die Rede ist, letztenendes Anschauungen sein müssen, kommt in der anderen Formulierung dieser Frage zum Ausdruck: "Wie wird aus Anschauung ein Begriff? " 23 . Der formale Charakter der (allgemeinen) Logik beruht auf der Ebene der Begriffslehre darauf, daß eben die Allgemeinheit, welche den Begriff als Vorstellung kennzeichnet, als Form der Vorstellungen aufgefaßt wird: "die Form aller Begriffe ist Allgemeinheit"24. Der Beschreibimg der "Verwandlung" der Vorstellungen, bzw. Anschauungen, in Begriffe dient die Einfuhrung des Gedankens vom Merkmal (nota). Die Begriffsbildung setzt voraus, daß an der Anschauung ein bestimmter Aspekt (oder mehrere) herausgehoben wird: " . . durch Merkmale löset der Verstand die Anschauungen a u f . . ". Und dieser herausgehobene Aspekt ist eben, wenn er mehreren Anschau-

22 23 24

Logik Pölitz XXIV, 515. Logik Busholt, XXIV, 654. R 2834, vgl. Logik Busolt a.a.O. Ähnlich auch "Fortschritte", wo "logische Form" der Begriffe als "Gemeingültigkeit" bestimmt wird (XX,273 f.).

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

ungen "gemein" ist, der Begriff: "Begriffe aber sind Merkmale von allgemeinem Gebrauche"25. Da das Merkmal immer einer von vielen Aspekten der Anschauung ist, kann man es als 7ez7vorstellung charakterisieren: "Der Theilbegriff als Erkenntnisgrund der gantzen Vorstellung ist das Merkmal" (R 2283); "Das Merkmal wird erstlich als Vorstellung an sich selbst, zweytens als gehörig wie ein theilbegrif zu einer andern Vorstellung und dadurch als Erkentnisgrund des Dinges betrachtet" (R 2285). Es ist nun wichtig für die weitere Entwicklung der Begriffslehie, daß man den Begriff des Merkmals in zweierlei Weise betrachten muß: 1. Der Begriff ist Merkmal - nämlich deijenigen Vorstellungen, denen er "gemein" ist. 2. Jeder Begriff, der nicht einfach ist, hat verschiedene Merkmale. Das Merkmal kann also sowohl Teil eines Begriffes als auch einer Anschauung sein26. Durch den Gedanken des Merkmals kann nun die Extension und die Intension eines Begriffes definiert werden: a. die Extension ("Sphäre") eines Begriffes ist bestimmt durch die Menge derjenigen Vorstellungen, welche er unter sich hat, d.h. dessen Merkmal er ist; b. die Intension ("Inhalt") des Begriffes ist "die Menge der Merkmale die in ihm enthalten sind"27. Da ein Begriff Merkmal eines anderen Begriffes sein kann, ist es möglich, daß zur Extension eines Begriffes andere Begriffe gehören. Durch diesen Sachverhalt ist die Rede von "höheren und niedrigeren" Begriffen begründet: Ein Begriff ist höher im Verhältnis zu Begriffen, die innerhalb seiner Extension fallen; und ein Begriff ist niedriger im Verhältnis zu einem Begriff, in dessen Extension er fällt. Das Verhältnis zwischen höheren und niedrigeren Begriffen kann man derart beschreiben, daß diese durch Bestimmen (determinatio) von jenen entstehen — wobei Bestimmen definiert wird als "mehrere Merkmale hinzusetzen, um die unter dem conceptui superiori enthaltene Begriffe besser zu unterscheiden" (ebd.). Die Beziehung höher-niedriger bedeutet nun, daß man Begriffe immer anordnen kann in auf-, bzw. absteigenden, Reihen. Im Rahmen der logischen Begriffslehre stellt sich nun für Kant die Frage nach dem E i n z e l n e n in zweierlei Weise. Einmal werden in der ihm vorliegenden klassischen Logik die verschiedenen Quantitäten der Urteile, auf welchen die Syllogistik baut, dadurch erklärt, daß es

* 26

27

R 2281. Ebenso in der "Streitschrift": Der Begriff ist "gemeinsames Merkmal" (VIII,199). Logik Philippi XXIV,45 3. - Auf dem Hintergrund der jetzt angedeuteten Charakterisierung der Begriffsbildung wird Kants Bemerkung in der KrV verständlich, die allgemeine Logik setze voraus, daß Vorstellungen gegeben würden und "verwandle" "diese zuerst in Begriffe . . , welches analytisch zugehet" (A 76/B 102). Logik Pölitz XXIV,569.

Das Einzelne in der Lehre vom Begriff

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allgemeine, partikulare und singulare Begriffe gebe28. Eine solche Erklärung ist natürlich für Kant nicht akzeptabel: Der Begriff ist laut Definition eine allgemeine Vorstellung. Das Problem der Quantität löst er dann so, daß er sagt, nicht der Begriff selbst sei allgemein, partikular oder singulär, sondern der Gebrauch des Begriffes im Urteil. So kann man auch einen Begriff als Bezeichnung eines Singulären verwenden: "Ich denke mir einen Menschen in individuo, d.i. ich gebrauche den Begriff des Menschen, um ein ens singulare zu haben" - ". . ich gebrauche den Begriff nur für ein einzelnes Ding, z.B. dieses Haus ist so oder so abgeputzt"29. Worauf beruht nun aber dieser Gebrauch des allgemeinen Begriffes als conceptus singularis? Er kann natürlich nur darauf beruhen, daß Begriffe zuiAnschauungen bezogen sind: "Repraesentatio singularis - hat einen intuitum, zeigt in unmittelbar an, ist aber im Grunde kein conceptus. Z.B. Sokrates ist kein conceptus" (meine Hervorh.)30. Den Ausdruck "dieses Haus", den Kant als Beispiel eines auf Einzelnes angewandten Begriffes anfuhrt, muß man also anscheinend so auffassen: "dieses in der Anschauung auftretende ist ein Haus". Der demonstrative, bzw. deiktische, Ausdruck "dieses" repräsentiert die Möglichkeit, sich unmittelbar — kraft der Anschauung — auf Einzelnes beziehen zu können. Wird der Begriff in einer solchen Situation verwendet, fungiert er als Einzelbegriff - aber "im Grunde" ist er natürlich keiner. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Einzelnen im Zusammenhang der Lehre von den Reihen subordinierter Begriffe. Daß Begriffe in solchen Reihen angeordnet werden können, scheint nämlich notwendig den Gedanken von einem höchsten Begriff (einem conceptus summus) und von einem niedrigsten (einem conceptus infimus) zu implizieren — den Gedanken also von einem Begriff, der nicht mehr zur Extension eines anderen Begriffes gehört, und von Begriffen, zu deren Extension keine Begriffe mehr gehören. Ein Begriff nun, der in dem Sinne der niedrigste ist, daß er die kleinstmögliche Extension hat, muß ein singulärer Begriff, ein Begriff vom Einzelnen, sein: "Quo minor est conceptus, eo minoris sphaerae est donec conceptus infimus sit nullius sphaere i.e. singularis" - "Also sind der oberste Begrif das ist der eines Gegenstandes überhaupt, und der niedrigste d.i. der einzelne die Grenzen der Subordination"31. Aufgrund des reziproken Verhältnisses zwischen Extension und Intension, das Kant 28

29 30

31

So operiert auch G. F. Meier ohne weiteres mit dem Ausdruck "conceptus singularis", vgl. Auszug § 260. Wiener Logik XXIV.908 f. Vgl. Logik Pölitz XXIV,567. Logik Dohna-Wundlacken XXIV,754. - In der "Streitschrift" deutet Kant den Gebrauch des Begriffes als conceptus singularis an in Zusammenhang einer Kritik am Ausdruck "allgemeines Ding". Dieser Ausdruck, so heißt es, gehöre in die Logik, denn er bezeichne nicht einen Unterschied der Dinge, sondern den Gebrauch von Begriffen: " . . ob sie im allgemeinen oder aufs einzelne angewandt werden" (meine Hervorh.). (VIII,218 Anm.). Logik Philippi XXIV,454.

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

voraussetzt, muß außerdem gelten, daß der Inhalt des niedrigsten Begriffes so groß wie möglich ist (Vgl. R 2894). Das bedeutet aber, wenn man den oben erwähnten Zusammenhang zwischen Bestimmung und Begriffsinhalt beachtet (Vgl. S. 94 ), daß der niedrigste Begriff ein conceptus omnimode determinatus, ein durchgängig bestimmter Begriff, sein muß: "Ein durchgängig bestimmter Begriff ist der Niedrigste u n t e r allen"32. Daß der Gedanke des Einzelbegriffes als durchgängig bestimmten Begriffes nicht unproblematisch ist, zeigt Kant in folgender Überlegung: "Conceptus infhnus war ein solcher unter dem kein anderer mehr enthalten ist, oder dessen man sich bei einem individuo bedient, z.E. der Philosoph Wolf: hier ist der Begrif Philosoph auf das Individuum Wolf angewandt. Ein solcher Begrif ist unmöglich zu bestimmen, denn wenn wir auch einen solchen Begrif haben, den wir unmittelbar auf die individua anwenden, so können doch noch Unterschiede seyn, die wir nicht bemerken, oder die wir negligieren. In der Reihe der subordinirten Begriffe ist also kein conceptus infimus . . Im Gebrauch gibts conceptos infimos die gleichsam conventionel infimi geworden sind, wo man übereingekommen ist nicht tiefer zu gehen"33. In welchem Sinne gilt, daß der niedrigste Begriff nicht bestimmbar ist? Der niedrigste Begriff müßte sich laut Definition dadurch auszeichnen, daß es keinen Begriff geben kann, der im Verhältnis zu ihm niedriger ist. Nun drücken niedrigere Begriffe immer diejenigen Unterschiede aus, die zwischen dem bestehen, welches identisch ist hinsichtlich des betreffenden höheren Begriffes. Vom singulären Begriff müßte gelten, daß es solche Unterschiede nicht mehr geben könnte. Das Feststellen dieses Falles - das scheint Kants Argument zu sein — ist jedoch nicht möglich; in dem Sinne ist der niedrigste Begriff nicht bestimmbar. Das heißt, den durchgängig bestimmten Begriff kann es nicht geben. Auf das genannte Beispiel angewandt bedeutet Kants Argumentation: Wie weit man auch immer die Merkmale des Begriffes "Der Philosoph Wolf' aufzählen mag, man wird nie sicher sein können, daß es nicht (mindestens zwei) verschiedene Vorstellungen gibt, welche genau diese Merkmale enthalten. Obwohl nach Kant der Begriff per definitionem allgemein ist, gäbe es doch im Rahmen seiner Begriffstheorie prinzipiell die Möglichkeit, daß zwar nicht ein Begriff ein singulärer sein kann, aber daß ein aus mehreren Begriffen zusammengesetzter diesen Status haben könnte. Diese Möglichkeit scheidet jedoch aus, da auch ein solcher zusammengesetzter Begriff ein durchgängig bestimmter sein müßte — und einen solchen kann es nicht geben. Kants Lösung des Problems des Einzelbegriffes ist auch in diesem Zusammenhang, daß man Begriffe auf Individuen anwenden kann. Das Beispiel zeigt, daß Kant neben den deiktischen Ausdrücken die Eigennamen als Repräsentanten der unmittelbaren Bezugnahme auf Einzelnes rechnet. 32 33

Wiener Logik XXIV,912. Vgl. auch R 2894. Logik Pölitz XXIV,5 69.

Das Einzelne in der Lehre vom Begriff

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So heißt es auch an anderer Stelle über die numerische Differenz: "Bei Menschen zeigen wir sie durch nomina propria an"34. Was Kant mit der Rede von dem Gebrauch des Begriffes als Einzelbegriffs meint, kann man sich klar machen anhand eines Vergleiches mit der Art, wie man in der heutigen Logik die Semantik der singulären Termini auffassen kann35. Die sprachlichen Ausdrücke, die Kant als Beispiele anfuhrt, haben ja in der Tat den Status von singulären Termini. Das gilt jedenfalls für den demonstrativen Ausdruck "dieses Haus" und fur den Eigennamen "Sokrates". Wie man hingegen den Ausdruck "der Philosoph Wolff' aufzufassen hat, wird noch zu prüfen sein. Ein singulärer Terminus muß zwei Bedingungen erfüllen: es muß 1) einen Gegenstand geben, auf den der singuläre Terminus zutrifft; und es darf 2) nur einen solchen Gegenstand geben. Man kann also von einer Existenz- und einer Unizitätsbedingung reden. Ein Satz mit einem Demonstrativausdruck hat nun die Form "Dies G ist F" oder die äquivalente "Das G hier ist F". Das bedeutet, quantorenlogisch analysiert: (1) "Es gibt mindestens und höchstens einen Gegenstand x, so daß: χ ist G & χ ist hier & χ ist F". Charakteristisch für den Demonstrativausdruck ist, daß seine Bedeutung kontextabhängig ist: Man weiß nur, um welchen Gegenstand es sich handelt dadurch, daß auf einen hingewiesen wird. Demgegenüber gilt von den (oder genauer: einigen) Kennzeichnungen, daß ihre Bedeutung kontextunabhängig sind. Wenn"das F" eine solche Kennzeichnung bezeichnet, ergibt eine quantorenlogische Analyse: (2) "Es gibt mindestens ein Objekt x, so daß χ F ist, und daß es kein Objekt y gibt, so daß: y ist F & y ist nicht identisch mit x". Wenn man nun diese logisch-semantische Analyse auf Kants Äußerungen anwendet, muß man folgendes beachten: Er verwendet zwar zum Teil genau die sprachlichen Ausdrücke, die man als singuläre Termini bezeichnet, aber seine Logik beruht nicht auf einer Analyse dieser Ausdrücke, sondern sie sollen nur bestimmte Verhältnisse von Begriffen und Anschauungen, Vorstellungen also, anzeigen36. Das bedeutet, daß man das Beispiel "Dieses Haus ist so und so abgeputzt", bzw. "Das 34 35

36

Logik Dohna-Wundlacken, ΧΧΐν,755. Das kann in diesem Satz muß betont werden, denn die Frage nach der Semantik der singulären Termini ist in der Literatur kontrovers. Die folgenden Überlegungen bauen weitgehend auf dem Aufsatz von Manley Thompson·. "Singular Terms and Intuitions in Kant's Epistemology". - Es gibt seit wenigen Jahren im angelsächsischen Bereich eine Debatte über die Bedeutung der Anschauung in Kants Philosophie. Sie konzentrierte sich zunächst - in Beiträgen von J. Hintikka und Ch. Parsons - auf seine Theorie der Mathematik. Thompson hat sie dann aber auf das Problem der empirischen Urteile übertragen. Es scheint mir, daß M. Thompson diesen Punkt nicht genügend berücksichtigt. Er geht von der Frage aus, was Kant mit der Rede vom Gebrauch des Begriffes als Einzelbegriffes meinen könne und überlegt, welche sprachlichen Ausdrücke wohl die Anschauung als ein-

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

Haus hier . . " besser nicht als Demonstrativausdruck sondern als "Demonstrativbegriff" bezeichnet. Man muß es unter kantischen Voraussetzungen so interpretieren: (Γ) "Es ist in der Anschauung etwas χ gegeben, so daß: χ ist G & ich habe die Anschauung & χ ist F". Was das Beispiel "der Philosoph Wolff' betrifft, so ist nicht so sehr die sprachliche Formulierung entscheidend, sondern vielmehr der Umstand, daß Kant diesen Ausdruck auffaßt als einen Begriff, der konventionell die Funktion eines conceptus infimus hat. Da Kant diesen Begriff so bestimmt, daß numerisch verschiedene Gegenstände nicht unter ihn fallen können, hat er den Charakter einer Kennzeichnung. Wenn man fur "der Philosoph Wolf' "der F" einsetzt, bedeutet das kantisch analysiert: (2') "Es ist in der Anschauung etwas χ gegeben, so daß χ F ist, und daß es in der Anschauung kein etwas y gibt, so daß: y ist F & y ist nicht identisch mit x".

zelne Vorstellung vertreten könnten. Er kommt zu dem Ergebnis, daß weder Eigennamen noch Demonstrativausdrücke noch Kennzeichnungen in Frage kommen, denn sie enthalten alle begriffliche Elemente, die über das hinausgehen, was nach Kant das anschaulich Vorgestellte kennzeichnet, nämlich, daß es nur "a spatiotemporal something" ist. Er macht also die Voraussetzung, daß was laut einer logisch-semantischn Analyse den Charakter eines Prädikates hat, bei Kant ein Begriff und keine Anschauung sein muß. Bei Kant ist aber jeder Begriff auf Anschuung bezogen und die angemessene Frage kann nicht lauten: Wie können Anschauungen sprachlich vertreten werden? sondern: Worin besteht die spezifische Relation zwischen Anschauung und Begriff, durch welche letzterer als Einzelbegriff gebraucht werden kann? - In dieser Hinsicht scheint mir die Problemformulierung von Robert Howell glücklicher zu sein. Er geht in seiner Analyse der Anschauung davon aus, das Urteil sei bei Kant "a mental analogy" zu einer satz-artigen sprachlichen Einheit. Das bedeutet weiter, daß die kantischen Begriffe Analoga zu sprachlichen Prädikaten sind - und Howell stellt dann die Frage, ob man die Anschauungen als "mental singular terms", d.h. als mentale Eigennamen, Demonstrative oder Kennzeichnungen auffassen könne. Seine Antwort lautet, daß man in der Tat Anschauungen als mentale Demonstrative verstehen muß. Daß er zu diesem - dem Thompson'schen entgegengesetzten - Ergebnis kommen kann, hängt zum Teil damit zusammen, daß er nicht eine einfache Quantorenlogik auf Kant anwendet, sondern eine epistemische Logik. - Auf diesen Punkt kann ich nicht weiter eingehen, aber ein Aspekt aus Howells Überlegung muß noch hervorgehoben werden. Er gibt den Demonstrativausdruck die Umschreibung "dies (t)", wo "dies" einen Operator und " t " einen Terminus bezeichnet und macht folgende Bestimmung: der Demonstrativausdruck ist rein, wenn " t " keinen deskriptiven Inhalt hat. Andere Demonstrativausdrucke sind reduzierbar auf einen reinen plus ein Prädikat. Diese Terminologie scheint mir für das Verständnis der kantischen Demonstrativbegriffe die angemessenste zu sein: "Dieses Haus" ist ein Demonstrativbegriff, der aus dem Prädikat "Haus" besteht und "dieses", was bei Kant sowohl die Anschauung als Analogon zum nicht-deskriptiven Terminus (t) als auch das aktuelle Vorliegen der Anschauung, das Analogon zu dem Operator "dies" umfaßt. (Vgl. R. Howell, "Intuition, Synthesis, and Individuation in the Critique of Pure Reason").

Das Einzelne in der Lehre vom Urteil

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Der Unterschied zwischen diesen beiden Fällen, in denen nach Kant ein Begriff als einzelner gebraucht wird, liegt darin, daß die Unizitätsbedingung jeweils etwas verschiedenes bedeutet. Während sie nämlich im Falle des Demonstrativ-Ausdrucks bedeutet, daß eine Anschauung aktuell vorliegen muß, hat sie im Falle der Kennzeichnung den Charakter einer Identitätsbedingung: Es dürfen nicht zwei nichtidentische anschaulich Gegebene auftreten, auf die das Kennzeichnungsprädikat F zutrifft. Daß die Kennzeichnung nur konventionell als conceptus infimus fungieren kann, beruht darauf, daß die Unizitäts-, bzw. Identitätsbedingung kontingent ist: Wir können nicht wissen, ob sie erfüllt ist. Mit Kant zu sprechen: "Ein solcher Begriff ist unmöglich zu bestimmen" (Vgl. oben S. 96). Kants Begriffslehre - so kann man das Gesagte zusammenfassen — macht hinsichtlich der Frage des Einzelnen folgende Unterscheidung notwendig: 1. Ein singulärer Begriff im eigentlichen Sinne d.h. einer, der etwas als Unikes begreift, müßte ein durchgängig bestimmter Begriff sein. Einen solchen Begriff kann es jedoch nicht geben. 2. (Allgemein-)Begriffe können als singulare Begriffe verwendet werden. Dann sind sie, als Demonstrativbegriffe und konventionelle conceptus infimi, auf ein bestimmtes anschaulich Gegebenes bezogen. Für die Bedeutung der Anschauung im Zusammenhang der Logik bedeutet das: Obwohl Kant hervorhebt "Die Logik redet nur von Begriffen, nicht Anschauungen, also nur von Merkmalen" (R 1708), kommt die Begriffslehre nicht ohne Rekurs auf die Anschauung aus, wenn sie die Frage nach dem Einzelnen beantwortet37.

2.2.2 Das Einzelne in der Lehre vom Urteil Die Lehre vom Urteil ist bekanntlich ein Teil der allgemeinen Logik, der für Kants transzendentallogischer Untersuchung von besonderer Wichtigkeit ist, denn die Bestimmung der formalen Strukturen des Urteils gilt ihm als "Leitfaden der Entdeckimg aller reinen Verstandesbegriffe" (A 67/B 92). Es mag daher an dieser Stelle nützlich sein hervorzuheben, daß es im jetzigen Zusammenhang nicht darum geht zu sehen, wie die Urteilsform diese Bedeutung haben kann, sondern vielmehr um die Frage, welche Rolle der Gedanke des Einzelnen im Rahmen der allgemeinlogischen Lehre vom Urteil hat. Da die Urteilsform nun aber diese Bedeutung hat, hat Kant wesentliche Teile seiner allgemeinlogischen Urteilsanalyse in den Text der KrV aufgenommen und so kann im folgenden auf diesen Text bezuggenommen werden. 37

In diesem Punkt finde ich mich bestätigt durch die Bemerkung von R. Stuhlmann-Laeiz: "Aber es zeigt sich hier doch ein weiteres Mal, daß Kants Unterscheidung zwischen Anschauung und Begriff für seine logische Doktrin von Bedeutung ist", a.a.O. S. 93.

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

In der zweiten Auflage der KrV hat Kant ausdrücklich zur Urteilsdefinition der "Logiker" Stellung genommen. Diese Definition besagt, das Urteil sei "die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen". Kants entscheidender Einwand richtet sich dagegen, daß nicht gesagt sei, "worindieses V e r h ä l t n i s bestehe" (B 140 f). Man kann diskutieren — und es ist diskutiert worden - ob die Überlegungen in diesem Paragraphen allgemein- oder transzendentallogischer Art sind. Ohne auf diese Diskussion einzugehen ist es allenfalls möglich, in dieser Formulierung den Ausgang zu nehmen und von ihr aus die Frage zu stellen, wie Kant in der Logjk das Urteil als Relation bestimmt. Die von Kant gegebenen Definitionen zeigen eine recht große Variabilität in der Terminologie: (1) Das Urteil ist "die Vorstellung des Verhältnisses verschiedener Begriffe zu einem Bewustseyn". (2) "Urteil ist die Vereinigung verschiedener Begriffe in einem Bewustsein"38. (3) Das Urteil ist "das Verhältnis einer Erkenntnis zur anderen in so fern die eine das Mittel ist der andern"39. (4) "Urteil ist die Vorstellung der Einheit gegebener Begriffe, sofern einer dem andern untergeordnet ist oder von demselben ausgeschlossen ist"40. (5) " U r t h e i 1 ist generaliter die Vorstellung der Einheit in einem Verhältnis vieler Erkenntnisse". (6) "Ein Urtheil ist die Vorstellung der Art, wie die Begriffe allgemein objectiv zu einem Bewußtsein gehören". (7) "In jedem Urtheil ist also ein gewisses Verhältnis verschiedener Vorstellungen, so fern sie zu e i n e r Erkenntnis gehören"41. (8) "Urtheilen ist: sich einen Begriff als unter dem andern enthalten (oder von ihm ausgeschlossen) vorstellen" (R 3045). Daß als Elemente des Urteils Vorstellungen, Erkenntnisse und Begriffe erscheinen, ist nicht so verwirrend wie es auf dem ersten Blick scheinen mag42 — obwohl 38 39 40 41 42

Logik Pölitz XXIV,577. Logik BusoltXXrV,661. Logik Dohna-Wundlacken XXIV,762. Wiener Logik XXIV,928. Kant verwendet den Ausdruck "Erkenntnis" nicht einheitlich. Wie erwähnt, führt er in seinen Darstellungen der Logik "Anschauung" und "Begrifr' ein als Einteilung des Begriffes Erkenntnis, von dem also beide Spezies sind. Aber an anderen Stellen ist Kants Sprachgebrauch der, daß von Erkenntnis nur die Rede ist, wenn die beiden Vorstellungsarten zusammen wirken: " . . . weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe (können) ein Erkenntnis abgeben" (A 50/B 74). Es gibt sogar Formulierungen, welche zu implizieren scheinen, daß weder Anschauung noch Begriff für sich genommen Erkenntnisse sind - etwa in "Fortschritte": "Jeder von diesen beiden ist zwar Vorstellung, aber noch nicht Erkenntnis" (XX,325). Man kann jedoch

Das Einzelne in der Lehre vom Urteil

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es immerhin die Frage offenläßt, in welchem Sinne eine Anschauung in einem Urteil auftreten kann. Aber davon abgesehen zeigt diese Auflistung, unausgesprochen, das gleiche wie Kants Kritik an der gängigen "Erklärung": In keiner der Formulierungen wird das Urteil nur als Verhältnis definiert, sondern das Verhältnis ist immer genauer qualifiziert. Dabei scheinen die folgenden Punkte wichtig zu sein 43 . 1. Das Urteil gehört als ganzes der gleichen Gattung an wie seine Elemente: Es ist eine Vorstellung, bzw. eine Erkenntnis. 2. Das Urteil ist, obwohl ein Verhältnis mehrerer Elemente, eine Vorstellung. 3. Das Verhältnis scheint den Charakter einer Unterordnung haben zu können. Daß man das Verhältnis des Urteils genauer charakterisieren m u ß , liegt unter anKants Ausdrucksweise so charakterisieren, daß man zwei Bedeutungen von "Erkenntnis" unterscheidet: 1. Erkenntnis besagt in einer weiteren Bedeutung die bewußte Vorstellung von einem Gegenstand. Dann umfaßt der Ausdruck sowohl Anschauungen als auch Begriffe. 2. Erkenntnis besagt in einer engeren Bedeutung, daß Anschauung und Begriff auf einander bezogen sein müssen. Um die Bedeutung 2. zu verstehen, kann man fragen, in welchem Sinne Anschauung und Begriff denn fur sich nicht als Erkenntnis gelten können. Eine Antwort hierauf ist in der folgenden Bemerkung angedeutet: "Daher ist es eben so notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.h. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beifügen), als, seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen)" (A 51/B 85). Was die Anschauung betrifft, meint Kant also, daß man sie sich ohne die Verwendung von Begriffen nicht verständlich machen kann. Das muß nicht bedeuten, daß die Anschauung an sich keinen Gegenstandsbezug hat, sondern daß der nur angeschaute Gegenstand nicht als ein bestimmter Gegenstand identifiziert ist. Für diese Auffassung spricht Kants Definition von Erscheinung: sie ist "der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung" (meine Hervorh., A 20/B 34). In die gleiche Richtung weist eine Bemerkung in der Wiener Logik, die Kant als Beispiel einer nur anschaulichen Vorstellung nennt: "Der, der den ersten Baum sieht, weiß nicht, was das ist, was er sieht" (meine Hervorh. XXIV,905). - Ein verwandtes Beispiel bringt Kant in der "Streitschrift" - und zwar in Verbindung mit seiner Kritik an der Bestimmung der Sinnlichkeit als verworrener Vorstellung, wie sie in der Wolff-Schule gegeben wird. Es gibt, so lautet Kants Gegenbehauptung, eine "Deutlichkeit in der Anschauung": "so wie die, wenn ein n e u h o l l ä n d i s c h e r Wilder zuerst ein Haus zu sehen bekäme und ihm nahe genug wäre, um alle Teile desselben zu unterscheiden, ohne doch den mindesten Begriff davon zu haben" (VIII,217 Anm.). Das Verstehen des Angeschauten - welches allererst die Erkenntnis in engerer Bedeutung konstituiert - bedeutet also, daß man dieses mittels eines Allgemeinbegriffs mit solchem, was man schon kennt, zusammen klassifizieren kann.

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Und was den Begriff betrifft, hebt Kant immer wieder hervor, daß man innerhalb der Begriffsverwendung zwischen denken und erkennen unterscheiden müsse: " . . d e n k e n kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche . . ". Hingegen ist von Erkenntnis nur die Rede, wenn dem Begriffe objektive Gültigkeit gesichert ist (Β XXVIII). Und dieses ist nur dann der Fall, wenn " m a n i h m (dem Begriffe) d i e k o r r e s p o n d i e r e n d e A n s c h a u u n g u n t e r l e g t " ("Streitschrift", VIII, 190). Die Ausdrücke "objektiv" und "einem Bewußtsein zugehörig", die Kant in einigen Formulierungen verwendet, werden zunächst ausgelassen. Wie sich zeigen wird, ist ihre Bedeutung erst innerhalb der transzendentalen Deduktion voll aufklärbar.

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Das Problem des Einzelnen in Kants Logik

derem daran, daß nicht jede Relation zwischen Begriffen als Urteil gelten kann. Das zeigt Kant an folgenden Beispielen. Nicht die Zusammenstellung "der schwarze Mensch" ist ein Urteil, sondern "der Mensch i s t schwarz"44. Und entsprechend: Wenn jemand sagt "Gott ist gerecht, das Böse wird bestraft", wird man ihn fragen können: "sind dies rhapsodien, die du vorbringst? " - und er wird angeben können, daß es ein Urteil ist, durch die Präzisierung "weil Gott gerecht ist, so straft er das Böse"4s. Man wird vielleicht - in Bezug auf den dritten Punkt - hinzufugen können, daß nicht jedes Herausgreifen zweier Elemente aus der Reihe "Eisen", "Metall", "Körper", "Ding" schon ein Urteil ist. Um Kants Charakterisierung des Urteils besser zu verstehen, könnte man als Kontrast die heutige, an der Sprache orientierte Auffassung des Urteils heranziehen. Man würde hier einen Ausdruck wie "der schwarze Mensch" folgendermaßen auffassen: Es handelt sich um einen singulären Terminus, d.h. um ein unselbständiges Element eines Satzes. Erst wenn er mit einem Prädikat ergänzt wird, ergibt sich ein prädikativer Satz — etwa "Der schwarze Mensch ist ein Afrikaner" — der die Eigenschaft hat, entweder wahr oder falsch zu sein. Kants Überlegungen laufen in eine andere Richtung. Ihm ist, wie sich zeigte, entscheidend, daß das Urteil eine Erkenntnis ist. Diese Einheit des Urteils erläutert er folgendermaßen. Aus den beiden Begriffen "Mensch" und "sterblich" wird ein Urteil, wenn gilt: "Was ich durch den Begrif des Menschen denke, denk ich auch durch den Begrif der Sterblichkeit, und das Urteil lautet so: 'Menschen sind sterblich' (meine Hervorh.)46. Es scheint also so zu sein, daß die Einheit des Urteils darin besteht, daß beide Begriffe, bzw. Vorstellungen, des Urteils in irgend einer Weise auf dasselbe Objekt bezogen sind. Die Einheit des Urteils gehört zu denjenigen Teilen der allgemeinen Logik, welche erst im Rahmen der transzendentalen Logik voll aufgeklärt werden. Es kann daher auf diesen Punkt hier nicht weiter eingegangen werden, sondern nun kann die Frage in Angriff genommen werden, in welcher Weise Einzelnes in die Relation des Urteils eingehen kann. Dieser Frage läßt sich in einem ersten Schritt nachgehen, indem von Kants Urteilsanalyse in der KrV ausgegangen wird47. 44 45 46 47

Vgl. Kants Brief an J. S. Beck vom 3.7.1792. Wiener Logik XXIV,929. Logik Pölitz XXIV.577. Es handelt sich um den Abschnitt A 67-69/B 92-95. Wie die Überschrift "Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt" zeigt, sind Kants Ausführungen hier allgemeinlogischer Natur. - Von den Überlegungen zur Begriffs- und Urteilslehre in den "Prolegomena" gilt einmal, daß sie mit den Mitteln einer anderen Terminologie dargestellt sind und zum anderen, daß sie transzendentallogischer Art sind. Kant geht hier - anders als in der allgemeinen Logik und in der KrV - nicht aus von der Unterscheidung Anschauung - Begriff als Einteilung des Begriffes "Erkenntnis", sondern von der Unterscheidung zwischen Wahrnehmung (perceptio): "Die Anschauung, deren ich mir bewußt bin"; und Urteilen. Da die Wahrnehmung eine rein subjektive Vorstellung - also eben kein "Erkenntnis" ist, muß ihr Gegenstandsbezug allererst etabliert werden. Das geschieht durch das Urteil,

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Kant nimmt hier seinen Ausgangspunkt in der Begriffslehre. Das hängt damit zusammen, daß eines der Argumentationsziele des Abschnittes ist, zu zeigen, daß der Begriff nur vom Urteil her voll verstanden werden, und daß daher die volle Struktur des Verstandes im Urteil gesehen werden kann. Kant bestimmt auch hier den Begriff auf der Grundlage der Tatsache, daß Begriff und Anschauung den Begriff "Erkenntnis" einteilen. Daraus folgt, daß die beiden Gegensätze sind und so kann Kant schließen: Da die Anschauung auf Affektionen beruht, muß der Begriff auf Funktionen beruhen. Die Funktion wird bestimmt als "die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen" (A 68/B 93). Wie man sieht, stimmt diese Charakteristik mit deijenigen überein, die Kant in seinen Darstellungen der Logik gibt. Aus dem genannten Argumentationsziel folgt nun, daß Kant den Abschnitt so aufbaut, daß er erst durch eine Analyse des Urteils die Funktion des Begriffes im Urteil darstellt um dann ausgehend vom Begriff zu zeigen, daß der Begriff wesensmäßig als Teil des Urteils verstanden werden muß. Das ergibt also eine Analyse des Urteils in zwei Ansätzen. Ausgangspunkt der ersten Urteilsanalyse bildet die Tatsache, daß nur die Anschauung eine unmittelbar auf den Gegenstand bezogene Vorstellung ist. Der Begriff kann sich also nur auf einen Gegenstand beziehen, indem er auf andere Vorstellungen von diesem bezogen ist - und diese können ihrerseits entweder Begriffe oder Anschauungen sein. Diese Verschiedenartigkeit der Gegenstandsrelation von Vorstellungen, bzw. Erkenntnissen, ermöglicht folgende Definition des Urteils: Es ist "die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben" (ebd.). Sie entspricht in der oben angeführten Liste etwa der Formulierung (3) (Vgl. S. 100 ). Und die Formulierung bestätigt anscheinend die Auffassung, daß die Einheit der Urteilsrelation darin besteht, daß ein Gegenstand durch mehrere Begriffe, bzw. Vorstellungen, erkannt wird. Wie ist nun diese mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes genauer zu verstehen? Kant versucht das zu zeigen, indem er die Elemente des Urteils charakterisiert. Das Urteil enthält welches wiederum entweder Wahrnehmungs- oder Erfahrungsurteil sein kann. - Entscheidend ist nun, daß Kant bei der Charakterisierung des Erfahrungsurteils voraussetzt, daß sein Gegenstandsbezug auf der Verwendung von Kategorien beruht, wodurch diese Charakterisierung eindeutig eine transzendentallogische ist (§ 20). - Etwas anderer Art sind Kants Überlegungen im § 39, wo er den Zusammenhang zwischen Urteilsform und Kategorie darstellt, wobei er sich allerdings auf die faktische Genese dieser seiner Theorie bezieht und nicht auf ihre Darstellung in dieser Schrift. In diesem Zusammenhang tritt dann eine Urteilsdefinition auf, welche mit derjenigen aus der KrV vergleichbar ist, und zwar wird das Urteil bestimmt als diejenige Verstandeshandlung, die darin besteht, "das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu bringen". Von dieser Urteilsdefinition geht die eigentliche Darstellung in den "Prolegomena" aber nicht aus, und so muß man feststellen, daß man diese Schrift nicht als Quelle fur Untersuchungen, die Kants formale Logik betreffen, benutzen kann.

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a. einen Begriff, der "fur viele gilt" b. eine gegebene Vorstellung, die zu diesem "Vielen" gehört und "auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird" (ebd., meine Hervorh.). Das scheint zu bedeuten, daß a ein Allgemeinbegriff, b hingegen eine Anschauung ist. Diese Möglichkeit kann überprüft werden an dem von Kant gebrachten Beispiel, das genau diese Charakterisierung veranschaulichen soll. Es lautet "alle Körper sind veränderlich/teilbar" (ebd.)48. Kant wendet die allgemeine Charakterisierung auf diesen Fall an und es ergibt sich a. der Begriff "teilbar" ist auf verschiedene andere Begriffe bezogen; b. ein bestimmter dieser Begriffe, "Körper", ist "auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen" (A69/B93) bezogen. "Erscheinung" bedeutet bei Kant "der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung" (A 20/B 34, meine Hervorh.). Seine Analyse des Urteils impliziert somit, daß der Begriff ("Körper") sich in derselben Weise auf einen Gegenstand bezieht wie die Anschauung. Das ist aber im Rahmen seiner eigenen Theorie unmöglich. Die gleiche Schwierigkeit zeigt sich in der zweiten Urteilsanalyse des Abschnitts. Kant geht hier wie gesagt vom Begriff aus, und zwar durch die Bestimmung: "Begriffe aber beziehen sich, als Prädikate möglicher Urteile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstand" (A 69/B 94). Da Kant hier zeigen will, daß der Begriff vom Urteil her verstanden werden muß, hätte er besser umgekehrt formuliert: da Begriffe auf irgendeine Vorstellung bezogen sind, sind sie Prädikate möglicher Urteile49. Auch in diesem Zusammenhang charakterisiert er die Elemente des Urteils - es sind a\ ein Begriff, unter welchem andere Vorstellungen enthalten sind; b \ diese Vorstellungen sind von einem noch unbestimmten Gegenstand und vermittelst ihrer ist der Begriff a' auf einen Gegenstand bezogen. Da ein "imbestimmter Gegenstand" eine Erscheinung ist, muß b' anscheinend auch hier als Anschauung aufgefaßt werden. Das Beispiel, welches Kant jetzt anfuhrt, lautet "ein jedes Metall ist ein Körper" (ebd.). Die Anwendimg der Charakterisierung der Urteilselemente ergibt: a'. der Begriff "Körper" ist auf "etwas" bezogen; b'. vermittels des Begriffes "Metall" wird das "etwas" durch den Begriff "Körper" erkannt. Dieses Beispiel und seine Analyse ist insofern noch unklarer als das erste, als Kant es 48

49

Wie der Kontext zeigt, muß man mit der Akademieausgabe statt "veränderlich" "teilbar" lesen. Eine solche Formulierung findet sich in R 3045: "Ein Begrif hat vermöge seiner GemeingUltigkeit die fuction eines Urtheils. Er bezieht sich auf andere Begriffe potentialiter. Die Wirkliche Beziehung eines Begrifs auf andere als ein Mittel ihrer Erkentnis ist das Urtheil".

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völlig offen läßt, wie denn der Begriff "Metall" auf das "etwas" bezogen ist. Aber man muß doch im Rahmen von Kants eigener Begriffstheorie fragen, warum der Begriff "Metall" eher auf den Gegenstand bezogen sein soll als der Begriff "Körper". Beide sind eben Begriffe und können daher keinen unmittelbaren Gegenstandsbezug haben. Durch die Rede vom Urteil als "mittelbare" Erkenntnis eines Gegenstandes will Kant die Asymmetrie in der Urteilsrelation erklären, die traditionell als Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat aufgefaßt wird: Der eine Begriff soll sich über den anderen auf den Gegenstand beziehen. Nun ist es in der Tat klar, daß in beiden angeführten Beispielen die Relation der Begriffe asymmetrisch ist. Aber die Asymmetrie beruht darauf, daß beide universale Urteile sind - in Kants Terminologie: Die Begriffe "teilbar" und "Körper", bzw. "Körper" und "Metall", stehen an verschiedenen Stellen in einer Reihe subordinierter Begriffe. Eine solche Asymmetrie gibt es in einem partikularen Urteil nicht immer — so ist etwa die Form des Urteils "einiges Metall ist gelb" völlig symmetrisch — es ist direkt konvertierbar. Eine Bestimmung der Form der Urteile - und eine solche will die Formulierung "mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes" sein — muß aber natürlich auf alle Urteile zutreffen. Die grundlegende Unklarheit des Abschnittes - die Divergenz zwischen der allgemeinen Charakteristik der Urteilselemente und den Beispielen, die diese Charakteristik veranschaulichen sollen - beruht also offensichtlich darauf, daß Kant die beiden Fälle von Asymmetrie im Urteil vermengt: 1. die Asymmetrie des universalen Urteils; 2. die Asymmetrie, die darauf beruht, daß Anschauung und Begriff sich in prinzipiell verschiedener Weise auf einen Gegenstand beziehen50. Da der Fall 1. nicht bei allen Urteilen gegeben ist, kann die allgemeine Form des Gegenstandbezugs des Urteils anscheinend nur vom Fall 2. her verstanden werden. In der Terminologie der Subjekt-Prädikat Relation ausgedrückt läuft Kants Auffassung darauf hinaus, daß sich das Prädikat über das Subjekt auf den Gegenstand bezieht. Dabei ist klar, daß der Prädikatausdruck ein (Allgemein-)Begriff sein 50

H. J. Paton gehört zu den wenigen Kommentatoren, welche die Urteilsanalyse der KrV eingehend behandeln. Es ist ihm jedoch nicht ganz gelungen, die Unklarheiten des Textes zu beheben. Er meint, Kant verstehe die Subjekt-Prädikat Asymmetrie in folgender Weise: Der Prädikatbegriff ist durch den Subjektbegriff auf den Gegenstand bezogen, wobei dieser unmittelbar auf den Gegenstand in Bezug stehe. In einer Anmerkung muß er dann aber die Einschränkung machen, daß diese Unmittelbarkeit natürlich nur eine Relative sei: der Subjektbegriff könne natürlich Gegenstandsbezug nur durch eine Anschauung haben, er sei jedoch auf diese direkt bezogen, während der Prädikatbegriff nur über den Subjektbegriff auf die Anschauung bezogen sei. - Die entscheidende Frage, die jetzt noch zu stellen wäre, nämlich was denn eine direkte Beziehung des Begriffes auf die Anschauung sein könnte, läßt Paton aus. Vgl. Kant's Metaphysics of Experience" I, S. 252 f.

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muß - unklar ist hingegen, welche Art Vorstellung den Platz des Subjekts besetzen kann. Die Grundbegrifflichkeit der kantischen Logik — und die Urteilsanalysen des behandelten Abschnittes - läßt zwei Möglichkeiten zu: 1. Das Subjekt des Urteils kann eine Anschauung sein, bzw. fur eine Anschauung stehen51. Dann ist der Gegenstandsbezug eindeutig gegeben, denn Anschauung ist unmittelbare Vorstellung des Gegenstandes. Aber es müßte noch erklärt werden, in welchem Sinne eine Anschauung Terminus in einem Urteil sein kann. 2. Das Subjekt kann ein Begriff sein. Dann stellt sich die Frage der ersten Möglichkeit nicht. Aber es ergibt sich das Problem, wie die Subjekt-Prädikat Asymmetrie zu verstehen ist, denn beide Termini des Urteils sind - als Begriffe - nicht unmittelbar gegenstandsbezogen. Der Text der KrV - mit den ihm anhaftenden Unklarheiten — drückt nicht das ganze analytische Potential aus, welches Kant bei der Analyse des Urteils zur Verfugung stand. Vielmehr zeigt der handschriftliche Nachlaß, vor allem der 1770er Jahre, daß er dem Problem der Urteilsstruktur sehr viel eindringlicher nachgegangen ist. Dabei besteht sein entscheidendes Mittel darin, daß er nicht einfach die Subjekt-Prädikat Struktur stehen läßt, sondern sie weiter auflöst·, "categorisches Urtheil ist: x, was unter b enthalten, ist auch unter a" (R 3096). Zum Verständnis der Urteilsstruktur reicht also anscheinend das Operieren mit zwei Termini nicht aus, sondern man muß die Sache so auffassen, daß im Urteil ausgedrückt wird, daß ein "x" unter beide Allgemeinbegriffe des Urteils fällt, bzw. zu deren Extension gehört. Dieses Mittel ist Kant sicher notwendig geworden im Zusammenhang der Aufklärung des Unterschiedes zwischen analytischen und synthetischen Urteilen. Und obwohl man sagen kann, daß die Theorie der synthetischen Urteile in die transzendentale Logik gehört, muß doch auch die allgemeine Logik die formale Struktur des Urteils so erklären können, daß sie sowohl auf analytische als auch auf synthetische Urteile zutrifft. Diese Auffassung ist explizit enthalten in der folgenden Urteilsdefintion aus "Fortschritte": Urteile sind nichts anderes "als die Einheit des Bewußtseins im Verhältnis der Begriffe überhaupt, unbestimmt, ob jene Einheit analytisch oder synthetisch ist" (XX,272, meine Hervorh.). So zeigt sich denn auch, daß Kant diesen Unterschied der Urteile mit dem Mittel seiner differenzierten Umschreibung untersucht: "Exempel eines analytischen Satzes. Ein ieder Korper ist a u s g e d e h n t : (des synthetischen - ein jeder korper ist s c h w e e r . ) Alles x, welchem der Begrif des Körpers (a + b) zukommt, dem kommt auch die Ausdehnung (b) zu. Eines synthetischen:

51

Diese Möglichkeit vertritt die folgende Aufzeichnung: "subiect ist die unmittelbare Vorstellung, praedicat die mittelbare" (R 3050).

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Alles x, welchem der Begrif des Korpers (a +b) zukommt, dem kommt auch die Anziehung (c) zu". Aus Kants weiterer Behandlung dieser Beispiele geht hervor, daß er einerseits keinen der im Urteil auftretenden Begriffe als Subjekt bezeichnet - als solches gilt vielmehr das "x" — daß er aber andererseits noch eine Asymmetrie behauptet derart, daß nur der "höhere" Begriff als Prädikat bezeichnet wird, der andere hingegen als "Merkmal" des Subjektes. Die formale Struktur des Urteils — seine Einheit - wird dann so bestimmt, daß sie in der "identitaet des praedicats mit dem subiecte x" (meine Hervorh.) bestehe. Diese Struktur ist analytischen und synthetischen Urteilen gemeinsam - ihr Unterschied besteht darin, daß nur jene außerdem die Identität zwischen Prädikat und Merkmal des Subjektes ausdrücken (R 3127). Die Auflösimg der Subjekt-Prädikat Struktur durch die differenzierte Umschreibung mußte es nahelegen, die Gleichartigkeit der Termini des Urteils hervorzuheben; und so findet sich die folgende Definition des Urteils: "In jedem Urtheile sind demnach zwey Praedicate, die wir mit einander vergleichen" (meine Hervorh.). Trotzdem hält Kant aber an der Asymmetrie fest, was in seiner Charakterisierung der Urteilselemente zum Ausdruck kommt: a. das eine Prädikat ist das logische Subjekt: es ist "die gegebene Erkenntnis des Gegenstandes"; b. das andere Prädikat ist das logische Prädikat: es wird im Urteil mit dem logischen Subjekt verglichen. Mittels dieser Charakterisierung kann Kant dann das aus der KrV bekannte Urteilsbeispiel analysieren: "ein Korper ist theilbar" besagt: "Etwas x, welches ich unter den Prädikaten kenne, die zusammen einen Begriff vom Korper ausmachen, denke ich auch durch das praedicat der Theilbarkeit. χ a ist einerley mit χ b. Nun gehöret a so wohl als b zu x" (R 4634). In dieser Aufzeichnung ist ausdrücklich vom Gegenstand die Rede und so kann man ihre Analyse im Hinblick auf den Gegenstandsbezug des Urteils so auffassen, daß beide Begriffe auf den Gegenstand bezogen sind. Eben deshalb muß der Gegenstand als eine von den Begriffen verschiedene Größe — als "x" — bezeichnet werden. Eine letzte Frage, die auch innerhalb der differenzierten Umschreibung der Urteilsstruktur offen steht, ist, wie denn der Gegenstandsbezug der Begriffe zu denken und was das "etwas x" genauer gesehen ist. Kants Antwort lautet folgendermaßen: "Wenn ich beyde praedicate auf das χ referire und dadurch auf einander, so ist es synthetisch: kein x, welcher Gelehrt ist, ist ohne Wissenschaft... Wenn aber a und b nicht identisch sind, sie mögen nun beiahend oder verneinend gebraucht werden, und χ ist durch den Begriff von a nicht ganz (bestimmt) gedacht, so sind a und b nicht in logischem, sondern realem Verhaltnisse (etwas verschiedenes) der combination, mithin nicht der involution. Also ist ihr Verhältnis nicht durch ihre Begriffe an sich selbst, sondern vermittelst des x, wovon a die Be-

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Zeichnung enthält, bestimmt. Es muß χ ein datum der Sinnlichkeit seyn, worin eine synthesis, d.i. ein Verhältnis der coordination, statt findet; denn dieses enthält mehr, als durch seinen Begriff a gedacht wird, und ist die Vorstellung von α in concreto ... Wir denken uns alles durch Prädikate, also ist iederzeit ein Verhältnis zu x. In Urtheilen aber ist ein Verhältnis von a : b, welches sich beydes auf χ bezieht, a und b in χ .. " (R 4676, meine Hervorh.). Daß "x" ein "datum der Sinnlichkeit" ist und durch "die Vorstellung in concreto" repräsentiert wird, kann natürlich nur bedeuten, daß es eine Anschauung, bzw. etwas in der Anschauung auftretendes, ist. Es ist naheliegend, in einer Zusammenfassung der Betrachtung dieser Aufzeichnungen Kants differenzierte Umschreibung des Urteils als eine Parallele zur heutigen quantorenlogischen Analyse zu sehen. Es wird in beiden Fällen die Form (1) S ist Ρ umgeformt in (2) χ ist F . χ ist G, bzw. "x a ist einerley mit χ b" (R 4634). Aber es muß der Unterschied beachtet werden: In der Quantorenlogik besagt die Umschreibung, daß zwischen einem singulären Terminus, der einen einzelnen Gegenstand bezeichnet (x) und einem (oder mehrerer) allgemeinen Terminus, der auf mehrere Einzelgegenstände zutreffen kann (F,G), unterschieden werden muß. Bei Kant besagt die Umschreibung hingegen, daß in der unmittelbaren Vorstellung, der Anschauimg (x), solche Merkmale vereinigt sind, die durch Begriffe (F,G) allgemein vorgestellt werden. Da aber die Anschauung repraesentatio singularis ist, drückt Kants Umschreibimg außerdem aus, daß das "x", welches die allgemein vorgestellten Markmale enthält, ein Einzelnes ist52. Wie man den oben angeführten Satz aus R 4634 als Parallele zum offenen Quantorenschema auffassen kann, gibt es auch eine Formulierung — "alles x, welchem der Begriff des Korpers (a + b) zukommt, dem kommt auch die Anziehung (c) zu" - die als Vorläufer fiir die Quantifizierung des Schemas, also für (3) (x) (x ist F D χ ist G) gelten kann. Und in gleicher Weise muß man vermuten, daß auch die Existenzquantifizierung (4) (3x) (x ist F . χ ist G) der kantischen Urteilsanalyse entspricht — wobei man das "es gibt" als "es tritt in der Anschauung auf' verstehen müßte. Wie erwähnt, wird in der Quantorenlogik neben der Quantifizierung noch mit der Möglichkeit gerechnet, daß das offene Schema dadurch in einen Satz mit einem 52

Paton hat die R 4634 behandelt, aber hat ihr nur entnommen, daß nach Kant sowohl der Subjektbegriff als auch der Prädikatbegriff die Funktion des Prädikates haben kann. Er geht nicht auf die Tatsache ein, daß Kant dadurch die Form des Urteils als "S ist P " durch eine andere Interpretation ersetzt. Vgl. "Kant's Metaphysics of Experience" I, S. 251.

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bestimmten Wahrheitswert verwandelt werden kann, daß für das "x" ein konkreter singulärer Terminus eingesetzt wird. Im Falle, daß der singuläre Terminus eine Kennzeichnung ist, gibt das die Umschreibung (5) ('χ) χ ist F. Damit sind im Rahmen der Quantorenlogik alle drei Quantitäten der klassischen Syllogistik analysiert53. Was nun Kant betrifft, so ist seine Behandlung des Einzelurteils einer deijenigen Punkte, in denen seine allgemeinlogischen Untersuchungen von der "gewohnten Technik der Logiker" abweichen. In der klassischen Syllogistik wurde die Struktur des Einzelurteils als Parallele zu deijenigen des universalen Urteils aufgefaßt - und zwar durch die Überlegung, daß auch im Einzelurteil der Subjektbegriff in seiner ganzen Extension unter den Prädikatbegriff fallt. In seinen "Verwahrungen" in Bezug auf die klassische Logik macht Kant darauf aufmerksam, daß man zwar die Einzelurteile "beim Gebrauch . . in Vernunftschlüssen" (meine Hervorh.) so interpretieren könne, hingegen das Einzelurteil "bloß als Erkenntnis, der Größe nach", als eine selbständige Form betrachten müsse. Es macht eben einen wesentlichen Unterschied aus, ob man über Einzelnes oder über die ganze Extension eines Allgemeinbegriffes urteilt (A 71/B 96 f). Kant geht an der zitierten Stelle der KrV nicht näher auf diesen Unterschied ein. Aber die Betrachtung seiner allgemeinlogischen Begriffslehre hat ergeben, daß ein Einzelurteil dadurch zustande kommt, daß ein Allgemeinbegriff, indem er, als Demonstrativbegriff und als konventioneller conceptus infimus, in spezifischer Weise auf die Anschauung bezogen wird, als singulärer Begriff - wenn man so will, als singulärer Terminus - fungiert (vgl. oben S. 99).

53

Ich sehe die Parallellität zwischen Kants Logik und der Quantorenlogik etwas anders als M. Thompson. Er macht die folgende Überlegung: Nach Kant ist der Begriff potentiell auf eine Anschauung bezogen; die aktuelle Beziehung wird ausgedrückt im Urteil. Das macht es naheliegend, den Begriff mit einem offenen Satz, das Urteil mit einem geschlossenen zu vergleichen. Dem widerspricht aber, daß nach der Urteilsanalyse der KrV ein Urteil immer die Beziehung zwischen zwei Begriffen ist — Kant hält an der Form der Prädikation "S ist P" fest. Dann kommt er aber in Schwierigkeiten, wenn er bei der Definition der Substanzkategorie ein singuläres Urteil voraussetzen muß, dessen Subjekt nicht mehr Prädikat sein kann - denn der Begriff, der als solcher funktioniert, ist nur konventionell ein Einzelbegriff. Hätte er eine Quantorenlogik zur Verfugung gehabt, wäre die Form der Prädikation als "Fx", bzw. "x ist F", verstanden und dann wäre klar, daß der Substanz das "x" entspräche: die Bezeichnung des Einzelgegenstandes. Wie ich zu zeigen versucht habe, versteht Kant in der Tat das Urteil als Beziehung zwischen zwei Begriffen. Aber das ist vereinbar mit einer quantorenlogischen Interpretation, indem die Urteilsform verstanden wird als "x ist F . χ ist G". Kant ist also einer Quantorenlogik näher als Thompson vermutet und es ergibt sich die Entsprechung, daß die allgemeine Urteilsform dem offenen Satz gleicht, die Formen der Quantität hingegen dem geschlossenen, bzw. quantifizierten. (Vgl. die oben angeführte Arbeit S. 334).

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Die im Rahmen von Kants Urteilsanalyse der KrV verbleibende Unklarheit hinsichtlich des Gegenstandsbezugs, die oben als Dilemma formuliert wurde (vgl. SJ05f), kann jetzt folgendermaßen beseitigt werden: 1. eine Anschauung kann in der Tat an der Subjektstelle des Urteils stehen, nämlich in dem Sinne, daß im Einzelurteil als Subjekt ein in spezifischer Weise auf eine Anschauung bezogener Begriff auftritt; 2. es können Begriffe sowohl an der Subjekt- als auch an der Prädikatenstellen auftreten, nämlich in den quantifizierten Urteilen, den partikularen und universalen Formen. In diesem Falle sind beide Begriffe auf eine Anschauung bezogen, die jedoch im Urteil nicht direkt auftritt54. Für die Frage nach dem Einzelnen bedeutet das: 1. das Einzelurteil ist - das ergibt sich von selbst — direkt auf das anschaulich vorgestellte Einzelne bezogen; 2. das partikulare und das universale Urteil sind nicht direkt auf Einzelnes bezogen. Aber Kants Analyse dieser Formen impliziert, daß in diesen Fällen vorausgesetzt ist, daß die durch die Allgemeinbegriffe repräsentierten Merkmale jeweils in einem anschaulich vorgestellten Einzelnen vereinigt sind55. Da im Fall 1. nur die Verwendung eines Begriffes als conceptus singularis vorliegt, ist es auch im Rahmen von Kants Urteilslehre nicht möglich, daß Einzelnes im eigentlichen Sinne begrifflich erkannt wird. Denn deijenige Begriff, der dem eigentlichen Einzelbegriff - dem Begriff des Uniken - am nächsten kommt: der 54

55

R. Stuhlmann-Laeiz behandelt diesen Punkt nicht erschöpfend. Er kommt zu dem Ergebnis: "In einem singulären Urteil wird nun das Prädikat jedenfalls auf eine Vorstellung von einem Einzelding bezogen, diese kann aber nicht Begriff, sie mufi Anschauung sein". Er macht dann auf die Art aufmerksam, wie Frege den Unterschied zwischen Einzel- ung Allgemeinurteil charakterisiert hat: während ersteres bedeutet, daß ein Gegenstand unter einen Begriff fällt, wird im letzteren ein Begriff einem anderen Begriff untergeordnet. Dem entspreche bei Kant, daß im Einzelurteil die Anschauung den Prädikatbegriff "ohne weiteren Vermittler" auf den Gegenstand beziehe, während im allgemeinen Urteil der Subjektbegriff den Prädikatbegriff auf den Gegenstand "vermittels von Anschauung" in Beziehung setze. Das würde bedeuten, daß man vom Einzelurteil ohne weitere Qualifizierung sagen könnte, in ihm trete eine Anschauung als Subjekt auf. Für diese Auffassung gibt es aber bei Kant keinen Beleg. - Und es würde weiter heißen, daß Kant in dem Sinne an der "S ist P"-Struktur festhalten würde, daß der Subjekt-Begriff eine eigene Beziehung zur Anschauung hätte. Dann käme man aber bei der Analyse der - konvertierbaren und symmetrischen - partikularen Urteilen in Schwierigkeiten. Das Unbefriedigende an der Darstellung von Stuhlmann-Laeiz ist so weit ich sehe dadurch bedingt, daß er weder Kants Rede vom Gebrauch eines Begriffes als Einzelbegriffes noch seine Auflösung der "S ist P"-Struktur berücksichtigt. Vgl. a.a.O. S. 80 f. Zu Frege vgl. "Über Begriff und Gegenstand". Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt - ohne Berücksichtigung der Problematik des Einzelurteils - Paton: " . . . all judgement makes use of universal or general concepts for the purpose of knowing, directly or indirectly, a world of sensible individual objects. . " (meine Hervorh.). "Kant's Metaphysics of Experience" I, S. 256.

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konventionelle conceptus infimus, wird eben nur konventionell als solcher verwendet. Die Unterscheidung zwischen einem singulären Terminus im Sinne von einer Verwendung des Allgemeinbegriffes im Zusammengehen mit einer Anschauung und einem singulären Terminus als durchgängig bestimmten Begriff dominiert somit den ganzen bis jetzt untersuchten Teil der kantischen Formallogik.

ΠΙ

DAS PROBLEM DES EINZELNEN IN DER TRANSZENDENTALEN DEDUKTION

Die Durchführung des Programms einer transzendentalen Logik setzt ein mit dem Abschnitt, dessen Inhalt Kant selbst als die "metaphysische Deduktion" bezeichnet, weil in ihm "der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens dargetan" wird (B 159). Wie sich gezeigt hat, beruht die Idee einer transzendentalen Logik darauf, daß kraft der reinen Anschauung so etwas wie ein reines Denken eines Gegenstandes möglich ist. Und es wurde oben die Hypothese aufgestellt, man müsse das Verhältnis zwischen allgemeiner und transzendentaler Logik so sehen, daß diese diejenigen Voraussetzungen begründet, welche jene machen muß. Wenn man nun die gegebene Darstellung der kantischen Formallogik überblickt, scheint diese drei wesentliche Voraussetzungen zu enthalten: 1. die Urteilsanalyse impliziert, daß die Form des Urteils eine Einheit ist in dem Sinne, daß die durch die Begriffe vorgestellten Merkmale in dem anschaulich Gegebenen vereinigt sind; 2. sowohl die Begriffs- als auch die Urteilslehre beruht darauf, daß die anschauliche Vorstellung auflösbar, bzw. analysierbar ist in Teilvorstellungen von allgemeinem Gebrauch (Merkmale). Dies besagt die Wendung, Vorstellungen müßten in Begriffe verwandelt werden; 3. die Urteilslehre im allgemeinen und insbesondere die Analyse des Einzelurteils impliziert, daß die in der Urteilsstruktur vorausgesetzte Anschauung eine Einze/vorstellung ist. Wie mir scheint, wird der Abschnitt über die metaphysische Deduktion der Kategorien - der Einstieg in die transzendentale Logik also - auf dem Hintergrund dieser von der Formallogik gemachten Voraussetzungen verständlich. — Da die Erkenntnis des Einzelnen wie sie die Logik voraussetzt wesentlich an Anschauung gebunden ist, soll zunächst in einem Exkurs angedeutet werden, wie Kant diesen Begriff auffaßt.

Exkurs: Der Begriff des Einzelnen in der transzendentalen Ästhetik Die Logik setzt, wie sich gezeigt hat, den Unterschied zwischen dem Begriff als

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

allgemeiner Vorstellung durch Merkmale und der Anschauung als einzelner und unmittelbar gegebener Vorstellung voraus. Aber die allgemeine Logik geht nur von ihrem Unterschied als Vorstellungsarten aus, während sie die Frage nach dem Ursprung dieser Vorstellungen nicht stellen kann. Die eingehendere Untersuchung der Anschauung muß nun nach Kant eine Ästhetik sein, weil er der Auffassung ist, alle menschliche Anschauung gehöre der Sinnlichkeit zu. Die These über das Zusammenfallen von Anschaulichkeit und Sinnlichkeit ergibt sich kraft derjenigen Implikationen, welche in dem einen Charakteristikum der Anschauimg enthalten sind — nämlich in ihrer unmittelbaren Bezogenheit auf den Gegenstand. Zum einen setzt nämlich diese Unmittelbarkeit voraus, daß der Gegenstand "gegeben" wird und zum anderen ist dieses im Bereich des menschlichen Erkennens nur dadurch möglich, daß er "das Gemüt auf gewisse Weise affiziere" (A19/B33, meine Hervorh.). Und das Affiziertwerden schließlich ist diejenige Bestimmung, welche die Definition der Sinnlichkeit ermöglicht: Sie ist "die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen" (ebd.). Nun liefert Kant in der KrV bekanntlich nicht eine vollständige Ästhetik, sondern lediglich eine transzendentale, dJi. eine solche Untersuchimg der Sinnlichkeit, welche in ihr α priori'sehe und erkenntnisbedingende Elemente aufzeigt. Um die Eigenart dieser Untersuchung anzugeben, muß Kant wieder von der Unterscheidung Materie - Form Gebrauch machen. Das tut er in einer Reihe weiterer Begriffsbestimmungen. Zunächst wird durch den Begriff der Empfindung die empirische Anschauung bestimmt: Wenn die "Vorstellungsfähigkeit" von einem Gegenstand affiziert wird, ist dessen Wirkung die Empfindung. Und eine Anschauung, die sich kraft der Empfindung auf den Gegenstand bezieht, ist eine empirische Anschauung. Durch die empirische Anschauung ist wiederum der Begriff Erscheinung definiert: Sie ist "der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung" (A19f/B34). Durch diese Begriffsbestimmung ist es möglich, die Materie-Form Unterscheidung auf den Begriff der Erscheinung anzuwenden: 1. die Materie der Erscheinung ist dasjenige in ihr, "was der Empfindung korrespondiert" (A20/B34); 2. die Form der Erscheinung ist dasjenige, "welches macht daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann" (ebd.). Da Kant die Form der Erscheinung als reine Anschauung auffaßt und diese wiederum mit Raum und Zeit identifiziert, hat die transzendentale Ästhetik den nicht selbstverständlichen Charakter einer Untersuchung der Eigenschaften von Raum und Zeit. In der folgenden Darstellung geht es nicht um die ganze Vielfalt von Problemen, welche Kants Raum- und Zeitlehre enthält, sondern lediglich um die Frage: Wie stellt sich im Rahmen dieser Lehre das kantische Theorem dar, die Anschauung sei eine Vorstellung von Einzelnem? In der "metaphysischen Erörterung" der Begriffe Raum und Zeit will Kant zwei-

Exkurs: Einzelnes in der transzendentalen Ästhetik

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erlei zeigen: einmal, daß Raum und Zeit a priori'sche und nicht empirische Vorstellungen sind, und zum anderen, daß sie als Vorstellungen den Charakter von Anschauungen und nicht von Begriffen haben. - Wir können uns in unserem Zusammenhang auf diejenigen Argumente konzentrieren, welche Kant für den Anschauungscharakter von Raum und Zeit vorbringt. Obwohl sie nicht alle die Singularität der Anschauung betreffen, sollen sie zusammenhängend betrachtet werden. Kant hebt zwei Eigentümlichkeiten an Raum und Zeit hervor, die deren Anschauungscharakter zeigen sollen, nämlich ihre Einzelnheit und ihre Unendlichkeit. Ein Begriff ist nach Kant eine diskursive, bzw. allgemeine Vorstellung, d.h. eine Vorstellung, die als Merkmal in einer Mehrzahl von verschiedenen Instanzen enthalten ist. Wenn also der Raum ein Begriff wäre, müßte er so etwas bedeuten wie etwas, das mehreren verschiedenen Instanzen von "Raum" gemeinsam wäre. Nun kann man zwar von mehreren Räumen reden, aber in einer bestimmten Hinsicht sind solche Räume nicht verschieden. Wenn man nämlich beschreiben will, was diese Räume sind, muß man voraussetzen, daß ein Raum gegeben ist, von welchem die Vielzahl der Räume nur Teile sind. Das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem besteht also im Falle des Raumes darin, daß der eine Raum, die Ganzheit, Voraussetzung der Raumteile ist. Die Teile sind in dem Ganzen — und zwar sind sie dasselbe wie das Ganze, nämlich Raum. Der Raum ist somit "wesentlich einig"1 und zwar in dem Sinne, daß die Mannigfaltigkeit, die er umfaßt, nur auf Einschränkung des einen beruht. Das gleiche Argument ergibt sich aus einer Analyse der Zeit. Man kann zwar von verschiedenen Zeiten reden, aber sie müssen verstanden werden als Teile einer identischen Zeit. Dadurch steht ihr Anschauungscharakter fest — denn: "Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, i s t . . Anschauung" (A32/B47, meine Hervorh.). Im zweiten Argument für den Anschauungscharakter von Raum und Zeit geht Kant von der verschiedenen Art aus, wie ein Begriff einerseits und Raum und Zeit andererseits auf Unendliches bezogen sind. Da der Begriff die gemeinsamen Merkmale enthält, welche von einer Vielzahl verschiedener Vorstellungen instanziiert werden, und da diese Vielzahl unbestimmt ist, kann man sagen, der Begriff sei auf eine unendliche Anzahl von Vorstellungen bezogen2. Aber er ist, wie es die Begriffslehre gezeigt hat, so auf sie bezogen, daß sie unter ihm enthalten sind. Hingegen kann man keinen Begriff derart denken, daß er eine unendliche Anzahl Vorstellungen in sich enthielte. Aus eben dem Grunde 1

2

Daß "einig" mit "einzeln" synonym ist, geht aus der folgenden Formulierung in R 5907 hervor, die "einig" und "numerisch identisch" gleichsetzt: "Wäre es in Raum und Zeit, so folgte daraus nicht numerisch identitas, daß es nämlich ein einiges Wesen sey". Im gleichen Sinne hebt Kant in den Bemerkungen zur Urteilstafel hervor, der Einzelbegriff verhalte sich zum Allgemeinbegriff "wie Einheit zur Unendlichkeit". A71/B96, vgL oben S. 109.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

kann der Raum kein Begriff sein, denn er muß so gedacht werden, daß "alle Teile des Raumes ins Unendliche . . . zugleich (sind)" (B40). Im parallelen Argument hinsichtlich der Zeit geht Kant von dem Begriff der Unendlichkeit als Größe aus. Wie sich schon gezeigt hat, sind bestimmte "Zeiten" nur Teile der einen Zeit. Solche Zeiten sind aber Zeitabschnitte, d Ji. Zeitgrößen. Da diese Größen nur als Einschränkungen der einen Zeit aufgefaßt werden können, muß diese selbst uneingeschränkt sein — und die Uneingeschränktheit der Zeit ist nichts anderes als ihre Unendlichkeit als Größe. Wo es sich aber so verhält, daß Teile und Größen als Einschränkungen aufgefaßt werden müssen, "da muß die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein (denn die enthalten nur Teilvorstellungen) . . " (A32/B48, meine Hervorh.). Der in Klammern gesetzte Satz ist eine Veränderung der zweiten Auflage der KrV. In der ersten Auflage lautet er: "denn da gehen die Teilvorstellungen vorher" (meine Hervorh.). Kant scheint sich also nicht ganz im Klaren darüber gewesen zu sein, worin eigentlich das Argument besteht, Raum und Zeit könnten als unendliche Vorstellungen keine Begriffe sein. Zieht man das Argument hinsichtlich des Raumes heran, ergeben sich drei verschiedene Möglichkeiten, die Beziehung von Begriff und Unendlichkeit zu charakterisieren: 1. der Begriff enthält eine Unendlichkeit von Vorstellungen (deren Teilvorstellungen er ist) unter sich, kann sie aber nicht in sich enthalten; 2. bei dem Begriff gehen die Teilvorstellungen dem Ganzen vorher; 3. der Begriff enthält nur Teilvorstellungen. Es scheint, als handle es sich um zwei verschiedene Argumente: I. Der Begriff repräsentiert eine Ganzheit in dem Sinne, daß er alle diejenigen Vorstellungen, die in seine Extension gehören, umfaßt. Wenn man diese Vorstellungen als Teile der Ganzheit betrachtet, gehen sie dieser voran in dem Sinne, daß der Begriff erst durch die reflektierende Verwandlung von ihr entsteht (Version 2). II. Man kann den Begriff auch eine Ganzheit in dem Sinne nennen, daß er selbst ein Komplex aus mehreren Merkmalen sein kann — sie sind dann Teilvorstellungen des Begriffes. Der Begriff kann aber keine Unendlichkeit von Teilvorstellungen enthalten (Version 1). Auf diesem Hintergrund ist die Version 3. nichtssagend, denn auch die Anschauung enthält nur Teilvorstellungen. Es scheint also bei dieser Formulierung noch ein anderer Gedanke vorausgesetzt zu sein. Dieser könnte besagen, daß die Anzahl der im Begriff enthaltenen Teilvorstellungen nur eine begrenzte sein kann - dann wäre das Argument identisch mit demjenigen der Version 1. Oder der Gedanke könnte besagen: der Begriff enthält nur Teilvorstellungen von anderem — selbst ist er überhaupt keine Ganzheit. Dann hätten wir es mit einem neuen Argument zu tun. Wie immer man auch die nähere Gestaltung des Argumentes auffassen muß, es beruht auf den beiden Gedanken: die Teile von Raum und Zeit sind Einschränkungen von einer Vorstellung; und diese Vorstellung ist eine unendliche. Die Argumente dafür, daß Raum und Zeit £wze/vorstellungen sind, beruhen —

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so kann man zusammenfassen - auf dem eigentümlichen Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit: die Vielheiten - die Instanzen - sind von gleicher Beschaffenheit wie die Einheit, deren Teile sind sie. Das bedeutet, daß Raum und Zeit im strengsten Sinne Einzelne sind: sie sind unik. Das Argument für die Singularität der Raum- und Zeitvorstellungen erscheint auch im Rahmen der transzendentalen Deduktion in der zweiten Auflage der Kritik. Kant geht hier von einem der Resultate der Ästhetik aus, dem Grundsatz nämlich, der von "aller Anschauung" gilt: "daß alles Mannigfaltige derselben unter den formalen Bedingungen des Raums und der Zeit stehn" (B136). Es kommt ihm wieder auf den Unterschied zwischen Anschauimg und Begriff an. Da der eine Raum (die eine Zeit) und seine Teile völlig gleichartig sind, kann man sagen, daß sowohl der eine Raum als auch der Raumteil Anschauungen sind. Das begründet Kant wiederum indem er zeigt, daß der Raum und seine Teile keine Begriffe sein können - und zwar tut er das, dem Argumentationsgang der Deduktion zufolge, indem er untersucht, inwiefern jeweils beim Begriff und bei dem Raum und den Raum teilen Einheit des Bewußtseins vorliegt: a. vom Begriff kann man sagen, er bestehe darin, daß dasselbe Bewußtsein in vielen Vorstellungen enthalten sei. Dieses selbe Bewußtsein ist eben das Merkmal, das als Teilvorstellung in einer Vielzahl von Vorstellungen enthalten ist; b. die Anschauung hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß viele Vorstellungen enthalten sind in einer "und deren Bewußtsein" (B137, Anm.). Das ist nur eine andere Ausdrucksweise für den in der Ästhetik dargestellten Sachverhalt: die Teile - hier folgerichtig als Teilvorstellungen bezeichnet — sind in einer Vorstellung enthalten. Das ist es, was die Singularität der Anschauungen ausmacht: sie sind "einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten" (ebd., meine Hervorh.)3 - darin besteht ihre "Einzelnheit". Diese Gestaltung des Arguments ist deshalb wichtig, weil sie in gewisser Hinsicht einen Schritt weiter geht als ihr Pendant in der Ästhetik. In ihr zeigte Kant zwar, daß Raum und Zeit aufgrund des eigentümlichen Verhältnisses zwischen Ganzem und Teil, welches bei ihnen besteht, als Einzelne gekennzeichnet werden müssen. Aber er ging nicht auf die Frage ein, in welchem Sinne denn dasjenige, welches in Raum und Zeit auftritt, den Charakter des Einzelnen hat. Im Zusammenhang der Deduktion ist dagegen von "aller Anschauung" (meine Hervorh.) die Rede und auch davon, daß die Teile von Raum und Zeit Anschauungen sind — "mithin einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten". Nun ist aber nicht jede Anschauung ohne weiteres nur ein Teil von Raum und Zeit. Um daher die volle Tragweite der Lehre der Ästhetik für den Begriff Anschauung zu sehen, muß man dreierlei unterscheiden:

3

Auf den Gedanken der Einheit des Bewußtseins und auf diese Stelle insbesondere wird im Abschnitt über die transzendentale Deduktion eingegangen, vgl. unten S. 150f.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

1. der eine Raum4 und die eine Zeit als reine Anschauung. Deren Singularität ist durch die erwähnte Argumentation der Ästhetik aufgezeigt; 2. die Teile des reinen Raumes und der reinen Zeit, dJi. im Falle des Raumes beispielsweise bestimmte geometrische Gebilde. Deren Singularität ist durch das erweiterte Argument aus der Deduktion sichergestellt; 3. bestimmte empirische Anschauungen. Die Frage ist, ob auch deren Singularität von dem Argument aus der Deduktion umfaßt ist. Man muß also überlegen, ob von den empirischen Anschauungen gesagt werden kann, sie seien "einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten". Es ist sofort klar, daß in dieser Hinsicht ein Unterschied besteht zwischen den Fällen 1. und 2. einerseits und 3. andererseits. Vom reinen Raum und von dem bestimmten reinen räumlichen Gebilde gilt, daß sie als ganze Anschauungen die gleichen qualitativen Eigenschaften haben wie die in ihnen enthaltene Mannigfaltigkeit: jedes Element dieser Mannigfaltigkeit ist selbst wiederum Raum. Von der empirischen Anschauung gilt das natürlich nicht. Man kann nicht, um das oben genannte Beispiel zu nennen, sagen, daß die Elemente der Vorstellung vom Haus qualitativ gleichartig sind mit der Vorstellung als ganzen (vgl. oben S. lOOf, Anm. 42). Wohl aber kann man sagen, daß in der empirischen Anschauung das gleiche Verhältnis zwischen Teil und Ganzem besteht wie etwa bei den reinen Raum-Zeit Teilen: Die Mannigfaltigkeit der Elemente, bzw. der Teilvorstellungen ist in der ganzen Vorstellung enthalten. Um über die Frage nach der Singularität der empirischen Anschauung ins Klare zu kommen, muß man jedoch beachten, daß das in der empirischen Anschauung Gegebene noch in ganz anderer Weise Einzelnes ist, nämlich indem es — was die äußere Anschauung betrifft — im Räume lokalisiert ist. Diesen Aspekt der Lehre von der Anschauung hat Kant bekanntlich vor allem in seiner Leibniz-Kritik ausgearbeitet - und zwar als Gegenzug zu dessen principium identitatis indiscernibilium. In der KrV findet sich diese Auseinandersetzung im Abschnitt "Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe". Das Leibniz'sche Prinzip besagt (wie oben erwähnt), daß der Begriff der spezifischen Identität im Grunde sinnlos ist, denn was spezifisch identisch ist, muß auch numerisch identisch sein. Kants Erwiderung findet statt im Rahmen dessen, was er eine transzendentale Reflexion nennt. Damit meint er folgendes: wenn man Begriffe wie Identität und Differenz gebraucht, muß man klarmachen, innerhalb welcher Vorstellungsart — ob im Gebiet des Verstandes oder der Anschauung — sie angewendet werden. Was nun das Prinzip des Nichtzuunterscheidenden betrifft, so ist es gültig unter der Voraussetzung, daß die Dinge, auf die es verwendet wird, Intelligibilia, Gegenstände des reinen Verstandes, sind. Handelt es sich hingegen um 4

Man kann hierfür auch den Ausdruck "Gesamtraum" verwenden. Ich entnehme ihn der Dissertation von W. Albrecht: "Kants Theorie der elementargeometrischen Erkenntnis", S. 29 u.ö.

Exkurs: Einzelnes in der transzendentalen Ästhetik

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Erscheinungen, ist es falch. Denn wenn auch Gegenstände der äußeren Anschauung hinsichtlich aller begrifflichen Bestimmungen identisch wären, würden sie sich doch immer dadurch unterscheiden, daß sie an verschiedenen Stellen des Raumes auftreten - sie sind numerisch verschieden allein dadurch, "daß sie in verschiedenen örtern zugleich angeschaut werden" (A264/B319). Worauf beruht nun diese Fähigkeit des Raumes, als Individuationsprinzip des empirisch Angeschauten zu fungieren? Das kann man sich klarmachen, wenn man überlegt, warum nach Kant das Prinzip des Nichtzuunterscheidenden nicht auf Raum teile angewendet werden kann. Es war ja in der Ästhetik von der Homogeneität des Raums die Rede und so kann man sich sehr leicht mehrere Teilräume vorstellen, welche qualitativ und quantitativ völlig identisch sind. Warum Hegt hier nicht numerische Identität vor? Weil zwar ein Teil des Raumes einem anderen "völlig ähnlich und gleich" sein kann, er aber dennoch immer "außer ihm" und das heißt "ein vom ersten verschiedener Teil" sein muß (A264/B320, meine Hervorh.). Diese Verschiedenheit der Raumteile ist es, welche sich auf all das überträgt, was in "den mancherlei Stellen des Raumes zugleich" ist (ebd.)s. Es sind also verschiedene Aspekte am Raum, welche jeweils die Singularität des Raumes selbst und die Individuierbarkeit des im Raum auftretenden bedingen: Jene beruht darauf, daß der eine Raum und die Raumteile qualitativ identisch sind; diese ist dadurch begründet, daß die Teile des Raumes verschieden sind. Aus der gegen Leibniz gerichteten Argumentation ergibt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den beiden Tatbeständen, daß einerseits jede Anschauung eine Einzelvorstellung ist und daß andererseits etwa alles äußerlich Angeschaute dadurch individuiert wird, daß es im Raum als Form der Anschauung auftritt. Handelt es sich etwa nur um einen einzigen Tatbestand — sind also die Einzelnheit und die Individuiertheit dasselbe? Daß das nicht der Fall ist, könnte man in einer sehr einfachen Überlegung zeigen dahingehend, daß es zu einer Paradoxie in Kants Auffassung vom reinen Raum fuhren würde. Es müßte ja dann gelten, daß der reine Raum deshalb einer ist, weil er an einer bestimmten Raumstelle auftritt! Man könnte die Möglichkeit, daß Einzelnheit und Individuiertheit im Falle des empirisch Angeschauten dasselbe ist, auch durch eine weniger paradoxe Überlegung erwägen: Es könnte doch sein, daß die Einzelnheit des empirisch Angeschauten nur durch seine Lokalisierung im Gesamtraum definiert wäre. Daß der Gesamtraum selbst ein Einzelnes, bzw. Unikes ist, könnte dann kraft einer ganz anderen Bedeutung von "Einzeln" gelten. Diese Überlegung läßt sich aber nicht mit der Art ver-

5

Vgl. "Fortschritte": Der Raum fungiert als Individuationsprinzip - "weil ganz ähnliche und gleiche Räume außer einander vorgestellt werden können, ohne daß man darum sagen dürfe, es sei ein und derselbe Raum, weil wir auf die Art den ganzen unendlichen Raum in einen Kubikzoll und noch weniger bringen k ö n n t e n . . . " (XX,282) und R 5908: "Die Verschiedenheit der Orter macht Verschiedenheit der Dinge, weil Orter im Raum bey aller innern iäentitaet doch verschieden sind als außer einander befindlich" (meine Hervorh.).

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

einigen, wie Kant das Argument für die Einzelnheit des Gesamtraumes durchführt. Er geht hier von einer Definition der Anschauung als Vorstellung von Einzelnem aus und zeigt dann, daß der reine Raum (und die reine Zeit) die Bedingungen erfüllen, die in dieser Definition enthalten sind. Damit scheint er also vorauszusetzen, daß sowohl der Gesamtraum als auch das empirisch Angeschaute von der Definition "Anschauung" ="Vorstellung des Einzelnen" umfaßt sind. Aber es sprechen auch andere Gründe dafür, daß nach Kant die Einzelnheit der Anschauung und die raum-zeitliche Individuierbarkeit des Angeschauten verschiedenes sind. Zum einen muß man feststellen, daß Kant an der behandelten Stelle aus der transzendentalen Deduktion und innerhalb seiner Leibniz-Kritik jeweils zwei verschiedene Argumente dafür gibt, daß bestimmte Raumteile Einzelne sind. Im Zusammenhang der Deduktion lautet das Argument wie erwähnt, daß die Raumteile genau wie der eine Raum selber deshalb Anschauungen sind, weil sie "einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten" sind. Die Leibniz-Kritik im "Amphibolie"-Abschnitt und in den zitierten Reflexionen beruht hingegen auf dem Gedanken, daß der Raumteil dadurch individuiert ist, daß er kraft der "Außereinander"-Struktur des Raumes von allen anderen Raumteilen verschieden ist. Zum anderen muß man, so scheint es, bei der empirischen Anschauung die gleiche Unterscheidung aufrechterhalten. Auch die Singularität der empirischen Anschauung besteht darin, daß sie eine "einzelne Vorstellungen) mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enth(ält)" ist. — Was bedeutet es hingegen, daß das empirisch Angeschaute etwa räumlich individuiert ist? Die numerische Differenz mehrerer Dinge war dadurch definiert, daß sie "in verschiedenen örtern zugleich angeschaut werden" (vgl. oben S. 119). Die numerische Identität muß also bedeuten, daß etwas an einem Ort angeschaut wird; und dieses muß wiederum damit gleichbedeutend sein, daß es angeschaut wird an einem Ort im Raum, der von allen anderen verschieden ist. Auf die Frage der Einzelnheit der empirischen Anschauung geht Kant in dem Brief an J. S. Beck vom 3.7.1792 ein. Beck hatte (in Briefen vom 11.11.1781 und vom 31.5.1792) vorgeschlagen, man müßte die Bestimmung der Anschauung, sie sei kraft sinnlicher Affektion unmittelbar auf den Gegenstand bezogen, ersetzen durch diejenige, sie sei "eine durchgängig bestimmte Vorstellung in Ansehung eines gegebenen Mannigfaltigen" (meine Hervorh.). Gegen diese Definition macht Kant folgenden Einwand. Im Falle der Anschauung müsse die durchgängige Bestimmung "objektiv" verstanden werden und nicht als "im Subjekt befindlich" — "weil wir alle Bestimmungen des Gegenstandes einer empirischen Anschauung unmöglich kennen können". Aus diesem Grunde sei Becks Vorschlag fruchtlos, denn er würde nichts anderes beinhalten als die Definition der Anschauung als 'Vorstellung des einzelnen Gegebenen" (meine Hervorh.). Der Vorschlag von Beck veranlaßt also Kant dazu, seinen Begriff der Anschauimg zu präzisieren. Denn sein Einwand impliziert, daß die beiden folgenden Definitionen äquivalent sind:

Exkurs: Einzelnes in der transzendentalen Ästhetik

121

(1) Anschauung = "Vorstellung des einzelnen Gegebenen" (2) Anschauung = "'Vorstellung des (objektiv) durchgängig Bestimmten" 6 . Fügt man dem noch die eben genannte Definition hinzu: (3) Anschauung = "einzelne Vorstellungen) mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enth(ält)", d.h. eine Vorstellung, bei der das Mannigfaltige, auf das sie sich bezieht - anders als beim Begriff — nicht in von ihr verschiedenen Vorstellungen enthalten ist, sind dadurch die Bedeutungen von "einzeln Angeschautes" angegeben, die nicht mit "raum-zeitlich bestimmt" identisch sind. Man kann also Kants Auffassung von der Anschauung vorläufig folgendermaßen zusammenfassen: Die Definition (1) umfaßt sowohl die empirische Anschauung, die Raum-Zeit-Teile und den einen Raum, bzw. die eine Zeit. Die Definition (2) gilt nur für die empirische Anschauimg. Und die Definition (3) umfaßt wieder alle drei Arten von Einzelnem. Hat die Definition (1) hingegen die Bedeutung von Individuiertheit durch raum-zeitliche Bestimmimg, gilt sie nur von Raum-Zeit-Teilen und empirischen Anschauungen 7 .

6

7

Ich finde die Bemerkung von W. Albrecht nicht zutreffend, Kant weise "die Beck'sche Definition als irreführend" zurück. Durch die Hinzufiigung von "objektiv" zeigt Kant vielmehr, daß sie durchaus sinnvoll, weil mit der Definition (1) identisch ist, vgl. "Kants Theorie der elementargeometrischen Erkenntnis", S. 32. Paton stellt sich eine Frage, die mit derjenigen nach dem Unterschied zwischen Singularität und Individuiertheit verwandt ist. Sie lautet: Was kann nach Kant der Grund dafür sein, daß Gegenstände in verschiedener räumlicher Gestalt erscheinen? Seine Antwort ist, daß diese Tatsache nicht durch den reinen Raum allein bedingt sein kann: "I believe that the empirical differences in the shapes and sizes of objects, like their empirical qualitative differences, must be ascribed to the 'influence' of things-in-themselves". Er stützt seine Auffassung durch Kants Unterscheidung zwischen allgemeingültigen Erkenntnisbedingungen und den Eigenschaften der besonderen Erkenntnisse. Diese besagt im Hinblick auf die Anschauung: " . . . alle Erscheinungen (müssen), unerachtet der Verschiedenheit ihrer empirischen Form dennoch jederzeit den Bedingungen der reinen Form der Sinnlichkeit gemäß sein" (A128, meine Hervorh.). Vgl. "Kant's Metaphysics of Experience" I, S. 139f. - Mir scheint, daß der Unterschied zwischen bestimmter räumlicher Gestalt und Determiniertheit durch die Eigenschaften des reinen Raumes analog ist mit demjenigen zwischen der Singularität des empirisch Angeschauten und der Individuiertheit durch den reinen Raum. Ob man mit Paton diese Unterschiede mit einem "Einfluß" der Dinge an sich in Verbindung setzen muß, ist eine andere Frage.

3.1

Die Präzisierung des Begriffes "Kategorie". Die metaphysische Deduktion

Kant fuhrt bei der "metaphysischen Deduktion"8 den Gedanken der Kategorien ein, indem er zum einen transzendentale und allgemeine Logik einander gegenüberstellt und zum anderen den Begriff der Synthesis introduziert. Dieser wiederum wird auf den Begriff Erkenntnis bezogen. Die allgemeine Logik wird zunächst charakterisiert durch die Tatsache, die oben als Voraussetzung 2. angeführt wurde (vgl. oben S. 113). Es heißt nämlich, sie abstrahiere von allem Inhalt der Erkenntnis und setze voraus, daß Vorstellungen gegeben seien. Diese Vorstellungen verwandle sie in Begriffe. Den Prozeß dieser Verwandlung bezeichnet Kant als analytisch, was man so verstehen muß, daß die Begriffsbildung Analysis der Vorstellungen ist: Abhebung von allgemeinen Teilvorstellungen. Demgegenüber gilt von der transzendentalen Logik, daß sie nicht einfach gegebene Vorstellungen voraussetzt, sondern "ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori" (A76/B102), d.h. die reine Anschauung. Diese Mannigfaltigkeit hat die Funktion, den reinen Verstandesbegriffen "Stoff' zu bieten, denn ohne sie wären sie ohne Inhalt. - Durch diese Bemerkungen hat Kant keine transzendentallogische Argumentation durchgeführt, sondern lediglich die Idee der transzendentalen Logik expliziert. Diese Idee besagt ja: Wenn es ein reines Denken von Gegenständen gibt, d.h. reine Verstandesbegriffe, dann müssen diese kraft der reinen Anschauimg einen Gegenstandsbezug haben. In welchem Sinne reine Anschauung notwendig ist, wird durch den nächsten Gedankenschritt präzisiert. Es sind Raum und Zeit, welche eine Mannigfaltigkeit der reinen Anschauung a priori enthalten. Sie gehören - in der Terminologie der Vermögen gesprochen — zur Rezeptivität des Gemütes, dJi. zu deijenigen Bedingung, unter welcher Vorstellungen von Gegenständen "empfangen" werden können. Das bedeutet, daß wenn es von diesen vorgestellten Gegenständen Begriffe geben kann, Raum und Zeit diese Begriffe "jederzeit affizieren" müssen (A77/B102): Unabhängig von Raum und Zeit kann es von gegebenen Gegenständen keine Begriffe geben. Die Beziehung zwischen Denken/Verstand und reiner Mannigfaltigkeit bestimmt Kant nun näher durch eine These, die den eigenlichen Neuansatz dieses Abschnitts ausmacht. Obwohl die reine Mannigfaltigkeit zur Rezeptivität gehört - sie ist ja in den Formen der Sinnlichkeit enthalten - "erfordert" es die Spontaneität des Denkens, daß sie in bestimmter Weise "durchgegangen, aufgenommen und verbun8

Der so charakterisierte Abschnitt umfaßt A76-83/B102-16, den § 10 der zweiten Auflage.

Präzisieiung des Begriffes "Kategorie". Metaphysische Deduktion

123

den" wird, damit eine Erkenntnis aus der Mannigfaltigkeit entstehe (ebd.). Die Explizierung dieser These, die Kant für den Rest des Abschnitts beschäftigt, muß die Verbindung zwischen allgemeiner und transzendentaler Logik etablieren. Es ist nun diese Handlung, welche das Denken "erfordert", die Kant Synthesis nennt. In "der allgemeinen Bedeutung" lautet ihre genaue Definition: Sie ist "die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen" (A77/B103). Die Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige, worauf sie sich richtet, α priori gegeben ist, empirisch hingegen wenn es empirisch gegeben ist. Man sieht, daß für den Gedanken der Synthesis der Begriff der Erkenntnis konstitutiv ist: die Mannigfaltigkeit verschiedener Vorstellungen soll nicht lediglich zusammengesetzt, sie muß auch in einer Erkenntnis "begriffen" werden. Das scheint die Schlußfolge zuzulassen, daß ein Urteil den Charakter einer Synthesis in "allgemeiner Bedeutung" hat (Vgl. die Urteilsdefinition der oben zitierten Formulierung (7), S. 100). Der Gedanke der Synthesis kann nun Kants Gedankengang weiterbringen, indem er mit dem Begriff der Analysis in Beziehung gesetzt wird. Diejenige Analysis der Vorstellungen, welche die allgemeine Logik behandelt, setzt wie genannt voraus, daß diese Vorstellungen "zuvor" gegeben sind, denn wären sie es nicht, hätten die durch die Analysis erworbenen Begriffe keinen Inhalt: Nur die Form entspringt analytisch. — Nicht unmittelbar verständlich fährt Kant nun fort: Eine "Erkenntnis" liegt nur vor unter der Voraussetzung der Synthesis eines Mannigfaltigen - dieses mag nun empirisch oder a priori gegeben sein. Eine solcherart hervorgebrachte Erkenntnis kann zwar "anfänglich roh und verworren" sein und deshalb der Analysis bedürfen. Aber es ist die Synthesis, welche "die Elemente" zu einer Erkenntnis und zu "einem gewissen Inhalte" "sammlet". Daraus folgt: Die Synthesis "ist also das erste, worauf wir Acht zu geben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen" (A77f/B103). Das Argument wird verständlich, wenn man zweierlei berücksichtigt: Kant 1) erhärtet die These über die Notwendigkeit der Synthesis derart, daß Synthesis eine notwendige Bedingung von "Erkenntnis" ist; und er 2) gebraucht den Begriff Erkenntnis in der weiteren Bedeutung, derzufolge sowohl Anschauungen als auch Begriffe Erkenntnisse sind. Dann lautet das Argument so: Die allgemeinlogische Darstellung der Begriffsbildung setzt voraus, daß Vorstellungen - nämlich solche, die Erkenntnisse sind — gegeben sind. Da jede Erkenntnis nur durch Synthesis möglich ist, setzt die Begriffsbildung - die Analysis - die Synthesis voraus9. - Das zweite Glied des Arguments: die erhärtete These über die Notwendigkeit der Synthesis, ist aber bis jetzt noch nicht begründet. Nach der Explizierung der These über die Notwendigkeit der Synthesis geht 9

Die Synthesis in dieser Bedeutung kann natürlich nicht die Urteilsdefinition mit umfassen. Wohl aber setzt Urteilen auch diese Synthesis voraus.

124

Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

Kant zu einer genaueren Beschreibung dieser Handlung selbst über. Die "Synthesis überhaupt" ist, so Kant, eine "bloße Wirkung der Einbildungskraft" (A78/B103, meine Hervorh.). Über diese letztere macht er zwei Bestimmungen: Ohne sie würden wir keine Erkenntnis haben - das ist impliziert in der Definition der Synthesis; und wir sind uns selten der Einbildungskraft bewußt - die Bedeutung dieser Bestimmung ist an der jetzigen Stelle der Argumentation nicht zu sehen. Aber "diese Synthesis a u f B e g r i f f e zu bringen", dazu wird eine Funktion des Verstandes erfordert - und diese Funktion begründet "Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung" (ebd.). Die hier getroffene Unterscheidung läßt Kant zunächst so stehen. Durch den nächsten Schritt wird nun die Kategorie, bzw. der reine Verstandesbegriff, ausdrücklich eingeführt: "Die r e i n e S y n t h e s i s , allgemein v o r g e s t e l l t , gibt nun den reinen Verstandesbegriff' (A78/B104). Um den Ausdruck "allgemeine Vorstellung der Synthesis" näher zu bestimmen, fugt Kant hinzu, daß eine solche Synthesis auf einem "Grande der synthetischen Einheit a priori" beruhe (ebd.). Und dann bringt er ein Beispiel, welches diese Vielfalt von Begriffsbestimmungen einigermaßen klärt - nämlich das Zählen. Daß Zählen als Zusammenfugen von Elementen und daher als Synthesis charakterisierbar ist, ist klar. Aber es ist nicht nur das, sondern präziser gesehen ist es eine Synthesis nach Begriffen - in dem Sinne nämlich, daß das Zählen nach einem "gemeinschaftlichen Grunde der Einheit" geschieht, (ebd.). Dieser Einheitsgrund kann das dekadische Zahlensystem sein. Versuchen wir nun, von diesem Beispiel her die getroffenen Begriffsbestimmungen zu verstehen: a. eine Vorstufe des Zählens ist sozusagen, wenn ich Elemente lediglich an einander oder zusammen fuge - etwa Perlen auf eine Schnur. Dem entspricht anscheinend die Synthesis überhaupt, die auf der Einbildungskraft beruht; b. wenn ich mittels eines bestimmten Zahlensystems zähle, verwende ich eine Regel nach der die Zusammenfügung erfolgt und nach der auch das Ergebnis des Zusammenfugens eintritt. Man kann sagen, daß das dekadische System die Synthesis allgemein vorstellt — denn was immer ich in der Weise des Zählens synthetisiere, es geschieht in Übereinstimmung mit diesem System. Genau das gleiche meint der Ausdruck, eine solche Synthesis geschehe nach Begriffen. Und schließlich kann man das Zahlensystem auch als Einheitsgrund bezeichnen, denn aufgrund dieses Systems fügen sich die synthetisierten Elemente in eine bestimmte Einheit (sie machen eine Bestimmte Anzahl aus). Es besagt also diese erste eigentliche Kategoriendefinition der KrV, daß Kategorien solche Einheitsvorstellungen sind, durch welche die reine Synthesis - die Synthesis des reinen Mannigfaltigen von Raum und Zeit - bestimmte Einheiten zum Ergebnis haben. Im Zusammenhang des Beispiels vom Zählen fugt Kant noch hinzu, durch BegrifFe/Einheitsvorstellungen sei diese Einheit notwendig. Während Synthesis immer notwendige Bedingung von Erkenntnis ist, soll diese bestimmte — auf

Präzisierung des Begriffes "Kategorie". Metaphysische Deduktion

125

Begriffe gebrachte - Synthesis Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung begründen. Auch diese These wird Kant später zu befestigen haben. Die Erhärtung von Kants erster These in diesem Zusammenhang erfolgte durch die Gegenüberstellung von Synthesis und der in der formalen Logik behandelten Analysis. Jetzt, nach der Kategoriendefinition, kann er wieder allgemeine und transzendentale Logik vergleichen. Die allgemeine Logik behandelt unter anderem die Begriffsbildung, d.h. diejenige Operation, durch welche verschiedene Vorstellungen analytisch einem Begriff untergeordnet werden. Die transzendentale Logik muß hingegen untersuchen, wie die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe gebracht wird. - Die Frage, deren Beantwortung über den Erfolg der metaphysischen Deduktion entscheidet, muß nun natürlich lauten: Haben diese beiden Operationen überhaupt etwas mit einander zu tun? Bevor Kant diese Frage direkt in Angriff nimmt, nennt er die drei Elemente, die in dem Gedanken "der Erkenntnis aller Gegenstände a priori" enthalten sein müssen: 1. Das Mannigfaltige der reinen Anschauung, 2. Die durch die Einbildungskraft geleistete Synthesis, die noch keine Erkenntnis des Mannigfaltigen impliziert (nämlich Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung), 3. Die Begriffe des Verstandes, welche dieser reinen Synthesis Einheit geben und eben mit dieser synthetischen Einheit identisch sind. Sie "tun das dritte zum Erkenntnis eines vorkommenden Gegenstandes" (A78f/B104, meine Hervorh.). Man kann Kants Ausdrucksweise entnehmen, daß die Erkenntnis a priori - zu der die reinen Verstandesbegriffe einen Beitrag leisten — nicht einen Bereich von bestimmten, "a priori'schen", Objekten hat, sondern daß alle Gegenstände (auch) a priori'sch erkannt werden. Damit ist in der Tat schon eine Verbindung zwischen allgemeiner und transzendentaler Logik etabliert: Nicht nur setzt jene, da von "Erkenntnissen" ausgehend, Synthesis in irgend einer Bedeutung voraus, sondern die Erkenntnis von Gegenständen, deren logische Form sie behandelt, enthält a priori'sche Elemente, zu denen die reinen Begriffe des Verstandes gehören. Daß die allgemeine Logik nicht nur transzendentale, sondern transzendental/ogisc/je Voraussetzungen hat, beruht somit darauf, daß zu den Elementen der a priori'schen Erkenntnis aller Gegenstände reine Begriffe gehören. Aber diese Verbindung zwischen allgemeiner und transzendentaler Logik ist als Voraussetzung noch zu schwach, um den Kern der metaphysischen Deduktion: die Parallellität zwischen Urteils- und Kategorientafel, zu rechtfertigen. Diese Parallellität setzt voraus, daß es dieselben Operationen sind, welche die allgemeine Logik in der Begriffs- und Urteilslehre und die transzendentale Logik als begriffliche Vereinheitlichung der reinen Synthesis untersuchen. Diese Identität formuliert Kant in doppelter Weise als dasjenige Prinzip, nach welchem die Identifizierung der Kategorie anhand der Urteilstafel erfolgen kann: a. daß verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil Einheit gegeben wird; und

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

b. daß der "bloßen" Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit gegeben wird, beruht auf derselben Funktion. Da die in b. genannte Einheit, "allgemein ausgedruckt", laut Definition der reine Verstandesbegriff ist, muß dieser einer Einheitsfunktion des Urteils entsprechen (A79/B184f). Außerdem: a'. daß in Begriffen, mittels der analytischen Einheit, die logische Form des Urteils hervorgebracht wird; und b'. kraft der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen "in einer Anschauung" den Vorstellungen des Verstandes einen "transzendentalen Inhalt" gegeben wird, beruht auf denselben Handlungen desgleichen Verstandes (A79/B105). Anscheinend als dritte Variante des Argumentes dafür, daß genau so viele reinen Verstandesbegriffe entspringen, die a priori auf "Gegenstände der Anschauimg überhaupt" bezogen sind, wie es Urteilsformen gibt bemerkt Kant: "denn der Verstand ist durch gedachte Funktionen völlig erschöpft, und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen" (ebd.). Wenn man diesen ersten Schritt der transzendentallogischen Untersuchung überblickt, kann man die folgenden Punkte als wesentliche hervorheben: 1. Kant fuhrt als neuen Gedanken die These ein, Synthesis sei eine notwendige Bedingung von jeder "Erkenntnis". Dabei scheint "Erkenntnis" die weite Bedeutung zu haben, die sowohl Anschauimg als auch Begriff umfaßt. 2. Eine reine Synthesis, dJi. eine solche, die sich auf das Mannigfaltige der reinen Anschauung richtet, setzt notwendig Einheitsbegriffe voraus. Durch diesen Gedanken ergibt sich eine erste Definition des reinen Verstandesbegriffes. 3. Es sind dieselben Operationen, bzw. Funktionen, durch welche einerseits analytisch die Form der Begriffe und der Urteile, und andererseits die synthetische Einheit der reinen Anschauung zu stände kommen. Das ist das Prinzip für die Gewinnung der einzelnen reinen Verstandesbegriffe anhand der Urteilstafel. 4. Die Hervorbringung der synthetischen Einheit der reinen Anschauung, durch welche die reinen Verstandesbegriffe definiert werden, impliziert gleichzeitig den Gedanken des Gegenstandsbezuges dieser Begriffe. Diese Überlegung, die im Abschnitt nicht sehr deutlich herausgearbeitet ist, macht Kant im Anschluß an die Auflistung der einzelnen Verstandesbegriffe, indem er bemerkt, nur kraft dieser Begriffe sei der Verstand ein reiner Verstand — "indem er durch sie allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Objekt derselben denken kann" (A80/B106, meine Hervorh.). Das scheint zu bedeuten, daß genau wie erst kraft der empirischen Begriffe eine Erkenntnis im engeren Sinne des empirisch Angeschauten gegeben ist, kraft der reinen Verstandesbegriffe eine solche Erkenntnis des in der reinen Anschauung Gegebenen zu stände kommt. (Vgl. oben, S. lOOf, Anm. 42). Wie erwähnt, hat Kant durch diesen ersten Schritt nicht sosehr ein eigentliches transzendentallogisches Argument geliefert, als vielmehr die Idee der transzendenta-

Präzisierung des Begriffes "Kategorie". Metaphysische Deduktion

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len Logik expliziert. Es ist nun die Aufgabe der transzendentalen Deduktion, die in dieser Explikation enthaltenen Thesen zu begründen, wobei insbesondere die These über die Notwendigkeit der Synthesis entscheidend sein wird. Da es in dieser Untersuchung um die Frage des Einzelnen im Rahmen der transzendentalen Deduktion geht - und nicht um die ganze Vielfalt von Problemen, welche sich an diesem zentralen kantischen Lehrstück knüpfen - , mag es nützlich sein, die sich von daher ergebene Fragestellung zu präzisieren. Es hat sich bis jetzt gezeigt, daß die Erkenntnis, bzw. die Vorstellung, des Einzelnen an die Anschauung gebunden ist, denn diese hat im eigentlichen Sinne den Charakter einer repraesentatio singularis. Insofern als es nämlich singuläre Begriffe gibt - Demonstrativbegriffe und konventionelle conceptus inflmi — sind sie "im Grunde" keine Einzelbegriffe, denn daß sie Einzelnes vorstellen können, beruht auf der Anschauung. Uberhaupt zeigte sich, daß die Anschauung für die ganze kantische Formallogik eine wesentliche Voraussetzung ist. Schon der erste Schritt der transzendentalen Logik zeigt nun aber Konzequenzen auch für diese Voraussetzung. Zum einen enthielt er die These, daß "Erkenntnisse" - und darunter Anschauungen - nicht etwas unhinterfragbares sind. Sie setzen immer Synthesis voraus. Und zum anderen implizierte er die These, daß die reinen Verstandesbegriffe in "einer Anschauung" synthetische Einheit hervorbringen. Es stellt sich somit die Frage, welche Konsequenzen die Begründung dieser Thesen fiir die Theorie der Anschauung als Repräsentation des Einzelnen haben wird.

3.2 Programm und Prinzip der transzendentalen Deduktion

Vor der Durchführung des Argumentes der transzendentalen Deduktion sind noch drei Überlegungen notwendig. Kant muß erstens darlegen, was mit dieser Bezeichnung des Argumentes überhaupt gemeint ist; er muß zweitens die Notwendigkeit des Argumentes begründen, und er muß drittens dasjenige Prinzip finden, nach dem das Argument durchführbar ist. Kant wählt bekanntlich den juristischen Ausdruck Deduktion, weil die Frage, um die es geht, die Rechtmäßigkeit der Annahme, daß reine Verstandesbegriffe verwendet werden können, betrifft. Das Problem ist, "wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen" (A85/ B117)10. Die Bestimmung der Bedeutimg einer transzendentalen Deduktion erfolgt dann dadurch, daß sie einer empirischen gegenübergestellt werd. Während nämlich diese - die Begründung der Rechtmäßigkeit der Verwendung von empirischen Begriffen also - nur zu zeigen hat, wie solche Begriffe mittels der Reflexion über die Erfahrung erworben werden, muß jene "die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können" sein (A85/B117). Nun gibt es zwei ganz verschiedene Arten von Begriffen, bei denen eine transzendentale Deduktion in Frage käme, nämlich einerseits die Begriffe des Raumes und der Zeit, der Formen der Sinnlichkeit, und anderersiets die Kategorien, die reinen Begriffe des Verstandes. Von beiden Arten von Begriffen gilt, daß sie sich a priori auf ihre Gegenstände beziehen - für die Vorstellung ihrer Gegenstände "entlehnen" sie nichts der Erfahrung. - Da Kant die Kategorie bis jetzt weitgehend hypothetisch definiert hat, meint er natürlich: falls die Kategorien sich auf Gegenstände beziehen, ist diese Relation eine a priori'sche. Die Eigenart dieser beiden Begriffstypen bedeutet, daß wenn eine Deduktion von ihnen notwendig ist, diese eine transzendentale sein muß. An der Notwendigkeit einer transzendentalen Deduktion kann man mm angesichts der Tatbestände beim Begriff des Raumes zweifeln. Es gibt ja eine wissenschaftliche Erforschung der Eigenschaften des Raumes - die Geometrie - welche zu ihren a priori'schen Erkenntnissen ganz unabhängig von einer transzendentalen Deduktion ihres Grundbegriffes, des Raumes, gelangt. Man kann diesen Tatbestand aber nicht verallgemeinern, denn es macht sich das Spezifische bei der Geometrie geltend, daß der Raum reine Form der Anschauung der äußeren Sinnenwelt ist. Auf diese wird in der Geometrie der Begriff des Raumes 10

Es handelt sich im folgenden um den Abschnitt A84-94/B116-127.

Programm und Prinzip der transzendentalen Deduktion

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angewandt. Die Rechtmäßigkeit dieser Anwendung ist aber unmittelbar evident, denn der Gegenstand der Erkenntnis wird — jedenfalls hinsichtlich seiner Form durch die Erkenntnis selbst hervorgebracht, nämlich als Konstruktion der Begriffe im reinen Raum. Hingegen gilt von den reinen Verstandesbegriffen, daß sie etwas von Gegenständen aussagen, nicht durch Prädikate der Anschauung oder der Sinnlichkeit, sondern durch solche, die nur dem reinen Denken angehören. Sie beanspruchen also einen Gegenstandsbezug, der "allgemein" ist in dem Sinne, daß er von den Bedingungen der Sinnlichkeit unabhängig ist. Was also von Raum und Zeit gilt: daß sie als reine Formen der Sinnlichkeit notwendige Bedingung dafür sind, daß Gegenstände der Anschauung gegeben werden können, das gilt eben nicht von den Kategorien. Die Kategorien sind nicht solche Bedingungen, die für das Gegebensein der Gegenstände in der Anschauung notwendig sind. Es stellt sich daher das Problem, wie diese "subjektiven Bedingungen des Denkens" objektive Gültigkeit haben können (A89/B122). Daß Gegenstände gegeben werden, ist die fundamentale Bedingung ihrer Erkenntnis - und diese Bedingung impliziert, daß Gegenstände immer in den Formen der reinen Anschauung erscheinen. Sie impliziert aber nicht ohne weiteres, daß die Gegenstände auch den Einheitsbegriffen des Verstandes unterliegen: "Denn es könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände, und alles so in Verwirrung läge . . " — " . . denn die Anschauung bedarf der Funktionen des Verstandes auf keine Weise" (A90f/B123). Aus dieser Andersartikgeit der Kategorien im Verhältnis zu Raum und Zeit folgt, daß von ihnen eine transzendentale Deduktion notwendig ist. Und auch erst wegen dieser Andersartigkeit ist die — in der Ästhetik gegebene — transzendentale Deduktion von Raum und Zeit erforderlich. Denn die Kategorien machen die Begriffe von Raum und Zeit "zweideutig": Sie leiten dazu an, einen Gebrauch dieser Begriffe unabhängig von den Bedingungen der sinnlichen Anschauung als möglich anzusehen. Die transzendentale Deduktion betrifft, wie sich gezeigt hat, das Problem, wie die reinen Verstandesbegriffe auf Gegenstände bezogen sein können. Das Prinzip zur Lösung dieses Problem gewinnt Kant dadurch, daß er die beiden Möglichkeiten erwägt, wie synthetische Vorstellungen und ihre Gegenstände "zusammentreffen, sich auf einander notwendiger Weise beziehen, und gleichsam einander begegnen können" (A92/B124): 1. der Gegenstand kann die Vorstellung ermöglichen. Dann ist die Relation empirisch und es kann vom Gegenstande keine Vorstellung a priori geben. — Wie die Ästhetik gezeigt hat, ist eine solche Relation gegeben bei der Vorstellung des empirischen Inhalts der Erscheinung, d.h. bei der Empfindung; 2. die Vorstellung kann den Gegenstand ermöglichen. Das kann nicht bedeuten, daß die Vorstellung den Gegenstand als existierenden - hinsichtlich seines Daseins - hervorbringt. Aber es kann bedeuten, daß die Vorstellung doch dem Gegenstande gegenüber a priori bestimmend ist - in dem Sinne nämlich, daß

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

"durch sie allein es möglich ist, etwas als e i n e n Gegenstand zu e r k e n n e n " (A92/B125). Um diese zweite Art der Relation zwischen Vorstellung und Gegenstand zu verstehen, muß man sich also klar machen, was in dem Gedanken der Erkenntnis von etwas als einem Gegenstand impliziert ist. Dabei kommt man natürlich auf den Unterschied zwischen Anschauung und Begriff. Die Anschauung leistet ihren Beitrag zur Erkenntnis von etwas als Gegenstand dadurch, daß dieses etwas nur in der sinnlichen Anschauung gegeben werden kann. Die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, sind a priori'sche Vorstellungen und sie beziehen sich in der Art der Möglichkeit 2. auf ihren Gegenstand. Nur unter den Bedingungen von Raum und Zeit kann nämlich etwas erscheinen, d.h. Raum und Zeit ermöglichen - hinsichtlich der Form - die Gegenstände, allerdings als Erscheinungen. Damit Erkenntnis in engerer Bedeutung vorliegt, ist wie wir wissen ein Begriff erforderlich, durch den ein Gegenstand, der der Anschauung "entspricht", gedacht wird (A92f/B125). Analog zur Sachlage bei der Anschauung stellt sich nun die hypothetische Frage: Ist es so, daß die reinen Verstandesbegriffe, als a priori'sche Vorstellungen, die Bedingungen dafür sind, nicht daß etwas angeschaut werden kann, sondern daß etwas "als Gegenstand überhaupt gedacht wird" (A93/B125, meine Hervorh.)? Im positiven Falle würde jede empirische Erkenntnis mit den reinen Verstandesbegriffen übereinstimmen und da empirische Erkenntnis eben das ist, was man Erfahrung nennt, könnte man sagen, daß nur kraft der reinen Verstandesbegriffe etwas als Objekt der Erfahrung möglich sei. Die hypothetische Frage impliziert somit das Prinzip für die Durchführung der transzendentalen Deduktion: " . . folglich wird die objektive Gültigkeit der Kategorien, als Begriffe a priori, darauf beruhen, daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei. Denn alsdenn beziehen sie sich notwendiger Weise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer überhaupt irgend ein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann" (ebd.).

3.3 Die Durchführung der transzendentalen Deduktion 3.3.1 Probleme der Interpretation Den Abschnitt, der die transzendentale Deduktion enthält, hat Kant für die zweite Auflage der KrV völlig umgeschrieben. Das hat bekanntlich zu einer Diskussion darüber geführt, ob ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Versionen bestehe, und welcher man gegebenenfalls den Vorzug geben müsse. Zu dieser Debatte kann hier natürlich nicht Stellung genommen werden. Aber es mag immerhin nützlich sein, sich einige Stellen zu vergegenwärtigen, an denen Kant selbst sich zur Deduktion und deren verschiedenen Versionen äußert. Es geht, wie wir gesehen haben, in der transzendentalen Deduktion um die Frage, in welchem Sinne sich die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien, auf Gegenstände beziehen. Der Gegenstandsbezug eines Begriffes begründet nun das, was Kant dessen objektive Realität, bzw. Gültigkeit, nennt. Und so kann er das Ziel der Deduktion charakterisieren als das Aufzeigen der objektiven Gültigkeit der Kategorien. Anhand dieser Charakterisierung macht er eine Unterscheidung zwischen einem objektiven und einem subjektiven Aspekt der Deduktion. Die objektive Deduktion richtet sich auf das genannte Argumentationsziel, muß also zeigen, daß die Kategorien objektive Gültigkeit haben. Hingegen ist die subjektive Deduktion eine Untersuchung derjenigen Erkenntniskräfte, auf welchen der Verstand beruht — sie stellt also die Frage: "Wie ist das Vermögen zu denken selbst möglich? " Da nur die objektive Deduktion die durch das Programm gesetzte Forderung direkt einlöst, muß Kant sagen, daß die subjektive Deduktion nicht dem "Hauptzweck" der Untersuchung zugeordnet ist11. Ein Vergleich der beiden Versionen zeigt nun, daß diejenige der ersten Auflage weitgehend den Charakter einer subjektiven, während die der zweiten Auflage den einer objektiven Deduktion hat. Obwohl Kant also in der Vorrede zur zweiten Auflage hervorhebt, die in ihr auftretenden Veränderungen beträfen nicht "die Sätze selbst und deren Beweisgründen" sondern lediglich die Darstellung12, ergibt eine Analyse der Texte, mit seiner Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Deduktion zusammengehalten, daß die Version der zweiten Auflage mit dem "Hauptzweck" der Deduktion — und mit dem der Kritik als ganzer — am besten übereinstimmt. Da es in dieser Untersuchung nicht um die transzendentale Deduktion als solche 11 12

Vgl. Vorrede, A XVI f. Vorrede, Β XXXVII ff.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

geht, erscheint es am sinnvollsten, sich an diejenige Version zu halten, die nach Kants eigenen Äußerungen die gelungenste ist. Es spricht aber noch ein anderer Grund dafür, in unserem Zusammenhang die Deduktion der zweiten Auflage zu behandeln. Es soll hier wie erwähnt die transzendentale Logik — und damit auch die Deduktion — als Begründung der in der allgemeinen Logik gemachten Voraussetzungen betrachtet werden. Nun zeigt sich aber, daß Kant nur in der zweiten Auflage ausdrücklich die Urteilsstruktur transzendentallogisch begründet. Auch die Problemstellung der gegenwärtigen Untersuchung legt es somit nahe, der Version der zweiten Auflage den Vorzug zu geben. Die Interpretation der transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage impliziert jedoch ein anderes Problem, auf das aufmerksam gemacht werden muß. Eine Lektüre des Abschnittes zeigt, daß er in zwei deutlich getrennte Teile zerfällt, nämlich in §§ 15-21 einerseits und §§ 22-26 andererseits - und daß sowohl im § 20 als auch im § 26 in irgendeiner Weise ein Argumentationsziel der Deduktion erreicht ist. In der neueren Diskussion hat Dieter Henrich mit überzeugenden Gründen gezeigt, daß diese Aufteilung des Textes nicht so verstanden werden kann, daß Kant durch zwei verschiedene Argumente das gleiche Ziel erreicht, sondern daß er durch zwei Argumentschritte die Konklusion, die im § 26 formuliert ist, erreicht13. Auf diese Problematik und die weiteren Einzelheiten der Henrich'schen These muß im folgenden eingegangen werden, weil sie sich mit unseren Fragestellungen berühren.

3.3.2 Analysis und Synthesis Kant beginnt in der zweiten Auflage die Durchführung der transzendentalen Deduktion mit einer Untersuchung des Begriffes Synthesis, mit einem Gedankengang also, welcher sich anscheinend dem ersten Schritt der transzendentallogischen Überlegung anschließt. Und so müßte man erwarten, daß Kant nun zur eigentlichen Begründung der These über die Notwendigkeit der Synthesis über geht. Aber in dieser Hinsicht bewegt sich der Gedankengang des Abschnittes14 in eine etwas andere Richtung: Kant zeigt nicht, daß die Synthesis in dem Sinne notwendig ist, daß sie vorausgesetzt werden muß, wo immer "Erkenntnis" vorliegt. Der Begriff "Erkenntnis" ist in diesem Abschnitt vielmehr völlig außeracht gelassen. Kant ver13

14

Vgl. D. Henrich: "Die Beweisstruktur von Kants stranszendentaler Deduktion". Wenn Henrich recht hat, kann man nicht, wie HJ. Paton, das Verhältnis der beiden Teile so beschreiben: ". . . the first part establishes the objective validity of the pure categories" - " . . . the second the subjective machinery which makes understanding possible as a faculty of human knowledge". "Kant's Metaphysics of Experience" I, S. 501. Es handelt sich um den § 15, B129-31.

Analysis und Synthesis

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sucht zwar den Gedanken der Notwendigkeit von Synthesis zu beweisen, aber er tut das jetzt gleichzeitig mit der Verteidigung der Thesen, daß jede Synthesis von derselben Art ist, und daß eine jede dem Verstände zugerechnet werden muß. Auch Kants Terminologie hat sich in diesem Abschnitt ein wenig verschoben: er verwendet nun zusammen mit dem Begriff Synthesis den der Verbindung, und zwar ist das Verhältnis der beiden Begriffe zueinander durch die folgende Definition festgelegt: "Verbindung ist die Vorstellung der s y n t h e t i s c h e n Einheit des Mannigfaltigen" (B130f). Die Definition soll ausdrücken, daß im Begriff Verbindung immer drei Aspekte enthalten sind: ein Mannigfaltiges, die Handlung der Synthesis und die durch die Synthesis zustandegekommene Einheit des Mannigfaltigen15. Der Ausdruck "Verbindung" soll dann besonders den Aspekt deqenigen Handlung hervorheben, durch welchen der Zustand des Verbundenseins erfolgt. Aber wo ist nun sozusagen dieser Begriff der Synthesis, bzw. Verbindung, unterzubringen? Das zeigt Kant, indem er wie im § 10 Anschauung und Verstand einander gegenüberstellt. Der Anschauung als "Empfänglichkeit", als bloßer Fähigkeit des Affiziertwerdens, muß man den einen Aspekt der Verbindung zurechnen, nämlich die Mannigfaltigkeit. Und auch die Form des Mannigfaltigen, insofern sie Form der Anschauung ist, ist durch die bloße Affektivität des "Vorstellungsvermögens" gegeben. Die Verbindung aber — und zwar ganz allgemein die Verbindung "eines Mannigfaltigen überhaupt" - kann nicht durch die Sinnlichkeit "in uns kommen" (B129). Sie kann also auch nicht durch die reine Form der Anschauung gegeben sein. Diese These begründet Kant zunächst durch Hervorhebung des Handlungscharakters der Verbindimg, denn es scheint ja einleuchtend zu sein, daß, wo immer im Bereich der Erkenntnis von Handlung die Rede ist, etwas anderes im Spiel sein muß als die rein affektive Sinnlichkeit. Da also Verbindung - als Handlung - "ein Actus der Spontaneität der Vorstellungskraft" ist (B130), muß sie innerhalb der kantischen Begrifflichkeit dem Verstände zugerechnet werden. Diese Überlegung mag überraschen angesichts der Tatsache, daß Kant im § 10 hervorhebt, die Synthesis sei eine "Wirkung der Einbildungskraft" (vgl. oben S. 124f). Diese Unklarheit wird jedoch im Laufe der Deduktion behoben. Im gegenwärtigen Abschnitt geht Kant auf andere Fragen ein, vor allem auf diejenige, in welchem genaueren Sinn man es zu verstehen hat, daß Synthesis, bzw. Verbindung, eine Verstandestätigkeit, und wie diese Tätigkeit auf das Mannigfaltige der Anschauung bezogen ist. Man könnte ja die Frage stellen, ob das Mannigfaltige denn nicht als durch die Form der Anschauung bestimmt verbunden ist. Kants Antwort auf diese Frage die er zwar so nicht stellt — lautet, daß das — ausdrückliche, bzw. explikative Bewußtsein von dem Verbundenen a 1 s Verbundenem nicht schon durch die An15

Hinsichtlich dieser drei Aspekte entspricht die Durchführung der Deduktion der "Metaphysischen Deduktion": es handelt sich um die gleiche Einteilung wie diejenige der Elemente im Gedanken von "der Erkenntnis aller Gegenstände a priori", vgl. oben S. 125.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

schauung gegeben sein kann: " . . . wir (können) uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen . . . , ohne es vorher selbst verbunden zu haben . . . " (ebd., meine Hervorh.). Nun ist dieses ausdrückliche Bewußtsein fur die A nalysis eine notwendige Voraussetzung. Synthesis und Analysis scheinen "Gegenteile" zu sein, aber das bedeutet nicht, daß sie voneinander unabhängig wären: " . . . denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen, weil es nur d u r c h i h n als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können" (ebd.). Kants Argument fur die Notwendigkeit der Synthesis lautet somit in diesem Zusammenhang: Wo immer Analysis stattfindet, muß ein Bewußtsein von Mannigfaltigem als Mannigfaltigem vorliegen, und das ist weiderum nur durch eine Handlung des Verbindens möglich. Auf das Argument des § 10 zurückblickend kann man sagen, daß Kant jetzt — anders als er das scheinbar dort tat — nicht sagt: Wo immer "Erkenntnis", d.h. Anschauung und Begriff, gegeben ist, ist Synthesis vorausgesetzt; sondern: Wo immer ein Mannigfaltiges - etwa in der Anschauung - Gegenstand der Analysis wird, ist ein ausdrückliches Bewußtsein des Mannigfaltigen, und damit Synthesis, bzw. Verbindung, vorausgesetzt16. Die These, daß immer der Verstand Subjekt der Synthesishandlung ist, besagt dann, daß es derselbe Verstand ist, welcher, um ein Mannigfaltiges analysieren zu können, dieses auch "jederzeit" verbindet. Die transzendentallogische Einführung des Begriffes Synthesis, bzw. Verbindung und das Aufzeigen seiner fundamentalen Bedeutung impliziert, daß er sozusagen als Inbegriff der Erkenntnisleistung des Verstandes angesehen werden kann: " . . . unter allen Vorstellungen (ist) die V e r b i n d u n g die einzige . . . , die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekt selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbsttätigkeit ist" (ebd., kursiv von mir). Und wie angedeutet ist Kant der Überzeugung - ohne an dieser Stelle dafür zu argumentieren - daß jede Art von Synthesis die gleiche Struktur aufzeigt: "Man wird hier

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Daß Kant den Begriff der Synthesis vorwiegend mit dem ausdrücklichen Bewußtsein von etwas a 1 s einem solchen in Beziehung gesetzt und dieses wiederum als prominenteste Leistung der "Spontaneität" angesehen hat, zeigen die folgenden Stellen, die alle Schriften aus den 1790'er Jahren entstammen: "Alle Vorstellungen, die eine Erfahrung ausmachen, können zur Sinnlichkeit gezählt werden, eine einzige ausgenommen, d.i. die des Zusammengesetzten, als eines solchen . . . (Sie) gehört . . . nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit, sondern zur Spontaneität des Verstandes, als Begriff a priori" ("Fortschritte", XX,275 - meine Hervorh.) - "Die Zusammensetzung können wir nicht als gegeben wahrnehmen, sondern wir müssen sie selbst machen: wir müssen z u s a m m e n s e t z e n , wenn wir uns etwas a l s z u s a m m e n g e s e t z t vorstellen sollen . . . " (An J.S. Beck, 1. Juli 1794). - "Das Zusammengesetzte als ein solches kann nicht in der Anschauung gegeben (seyn), sondern nur durch das Zusammensetzen des Mannigfaltigen, also durch den Begrif der Synthesis, als zusammengesetzt erkannt werden" (R 6359 — meine Hervorh. Die Niederschrift dieser Reflexion kann recht genau datiert werden, nämlich auf den Zeitraum 5.11. - 11.12.1797, vgl. Adickes' Anmerkungen XVIII,685.).

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leicht gewahr, daß diese Handlung ursprünglich einig, und fur alle Verbindung gleichgeltend sein müsse . . . " (ebd., meine Hervorh.). Das bedeutet, daß auch die Urteilsstruktur — wie im § 10 - als Synthesis charakterisierbar ist, denn die Verbindung, von der hier die Rede ist, kann eine solche sein von "mancherlei Begriffe(n)" (ebd.). Daß das auch fur die analytischen Urteile zutrifft, zeigt Kant in einer Anmerkung zu diesem Paragraphen, indem er hervorhebt, auch für die analytische Verbindung von Vorstellungen sei die synthetische Einheit des Mannigfaltigen eine Voraussetzung17. Analytische Verbindung liegt vor, wenn mehrere Vorstellungen identisch sind dann kann nämlich die eine Vorstellung "durch" die andere gedacht werden. Aber schon dadurch, daß diese Vorstellungen ein Mannigfaltiges ausmachen, ist das Bewußtsein des einen von dem des anderen verschieden - "und auf die Synthesis dieses (möglichen) Bewußtseins kommt es hier allein an" (B131, Anm.). Es ist bis jetzt von den beiden ersten der genannten Aspekte des Begriffs Synthesis die Rede gewesen, nämlich dem Mannigfaltigen und dem Akt des Verbindens. Die Behandlung des dritten Aspektes, der Einheit, leitet den nächsten Schritt der transzendentalen Deduktion ein. Wie die Definition von Verbindung zeigte, ist in diesem Begriff schon der Gedanke der Einheit enthalten. Verbindung setzt nicht nur Mannigfaltiges als Elemente und Verbinden als Akt voraus, sondern auch die Einheit, durch welche erst der Zustand des Verbundenseins erreicht werden kann. Von dieser Einheit gilt nun zunächst, daß sie nicht durch die Verbindung entstehen kann, denn wäre sie nicht bei der Verbindung schon vorausgesetzt, könnte diese nie zu einem Ergebnis kommen. Sie macht also ihrerseits den Begriff der Verbindung "allererst möglich" (B131)18. Zum anderen gilt, daß diese Verbindung ermöglichende Einheit nicht diejenige "Einheit" sein kann, welche in der Kategorientafel auftritt. Denn die Kategorien korrespondieren mit - Kant sagt sogar "gründen sich a u f ' - "logischen Funktionen im Urteilen" (ebd.). Da nun aber Urteile wie gezeigt immer Fälle von Synthesis sind, kann ein mit einem Urteil korrespondierender Begriff nicht eine solche Einheit ausdrücken, die jeder Synthesis zugrunde liegt. Die gesuchte Einheit charakterisiert Kant vielmehr in Kontrast zur Kategorie als "qualitative", (ebd.), wobei er an seine Einfuhrung dieses Ausdrucks bei der Behandlung der Transzendentalien in der "Ontologie der Alten" anknüpft. Qualitativ ist - so geht an dieser Stelle hervor - eine solche Einheit, welche ein Mannigfaltiges zusammenfaßt (B114). — Wenn man schon aus diesen Bemerkungen schließen darf, daß die Kategorie "Einheit" quantitativen Charakters ist, könnte man sie eher den Elementen der Synthesishandlung, dem Mannigfaltigen also, zuordnen. Diese zweite Überlegung zum Einheitsaspekt der Synthesis, zusammengehalten 17

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Diese analytische Verbindung ist natürlich scharf zu trennen von derjenigen Analysis, auf welcher jedes Urteil beruht. Vgl. das oben am Beispiel des Zählens Ausgeführte, S. 124.

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mit dem grundlegenden Status der Synthesis, zeigt, daß die gesuchte qualitative Einheit auch dem Verstände zugrunde liegt - "sogar in seinem logischen Gebrauche" (B131). Diese Bemerkung bestätigt die Auffassung, daß die transzendentale Logik im Verhältnis zur allgemeinen, bzw. formalen, eine Funktion der Begründung ausübt. Bis jetzt haben sich zwei Aspekte dieser Begründungsfunktion gezeigt. Zum einen ist die Analysis, auf der jede Begriffsbildung beruht, da das Bewußtsein des Mannigfaltigen als Mannigfaltigen voraussetzend, durch Synthesis ermöglicht. Und zum anderen beruht auch die Struktur des Urteils auf der grundlegenden Handlung der Synthesis. In welchem Sinne das zu verstehen ist, wird jedoch erst im weiteren Verlauf des Arguments deutlich. 3.3.3 Selbstbewußtsein, Einheit, Objektivität Der nächste Schritt der transzendentalen Deduktion besteht bekanntlich in der Identifizierung der Einheit der Synthesis mit der Identität des Selbstbewußtseins. Diese Identifikation kann jedoch nur so erfolgen, daß zunächst untersucht wird, in welchem Sinne Selbstbewußtsein auf Synthesis bezogen ist. Im Grunde ist es allerdings ein wenig irreführend, in diesem Zusammenhang von "Selbstbewußtsein" zu reden, denn was Kant mit diesem Argumentationsschritt einführt, nennt er die "reine Apperzeption", und das ist bei ihm ein sehr viel engerer Begriff als "Selbstbewußtsein"19. Das kommt besonders deutlich in der folgenden Bestimmung der reinen Apperzeption zum Ausdruck: sie ist "dasjenige Selbstbewußtsein, was . . . die Vorstellung I c h d e n k e hervorbringt..." (B132)20. Eine fur das Argument entscheidende Eigenschaft dieses Selbstbewußtseins ist seine Identität, die Tatsache, daß es "in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist" (ebd., meine Hervorh.). Kants These ist nun, daß dieses Selbstbewußtsein eine transzendentale Apperzeption genannt werden kann, dJi. daß es nicht nur — anders als jedes empirische Bewußtsein - selbst "rein" ist, sondern auch die Möglichkeit a priori'scher Erkennt19

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Als "Selbstbewußtsein" gilt nach Kant auch der "innere Sinn" - "vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschauet" (meine Hervorh., A22/B37). Im Zusammenhang der Deduktion der ersten Auflage redet Kant hier ausdrücklich von Selbstbewußtsein: der innere Sinn ist "das Bewußtsein seiner selbst, nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der inneren Wahrnehmung . . . " (A107). Und Kant behauptet gegen die Lehre "in den Systemen der Psychologie": "Die Apperzeption . . . ist mit dem inneren Sinne so gar nicht einerlei . . . " (B153f). Auf die eigentliche Problematik der kantischen Auffassung vom Selbstbewußtsein, wie sie etwa im Paralogismuskapitel zum Ausdruck kommt, kann hier natürlich nicht eingegangen werden. Nur soweit es die Deduktion und zwar im Licht unserer Fragestellung — erfordert, ist Selbstbewußtsein, bzw. Apperzeption, Gegenstand der Analyse. Der gegenwärtige Abschnitt bezieht sich auf die §§ 16-18: B131-40.

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nis begründet. Dabei verläuft die Argumentation in zwei Schritten, indem Kant erst zeigt, daß das Selbstbewußtsein zu dem Mannigfaltigeren der Anschauung in Beziehung steht, und dann, daß dies nur dadurch möglich ist, daß das Mannigfaltige verbunden, d.h. einer Synthesis unterworfen, wird. Das erste Argument verläuft wiederum in zwei Varianten, die man des Überblicks halber als "Ich denke"-Beweis und Meinigkeitsbeweis benennen kann. Der "Ich denke"-Beweis folgert aus dem Umstand, daß das Selbstbewußtsein den Charakter des "Ich denke" hat, daß alle möglichen Vorstellungen zu ihm in Beziehung stehen. Die Art dieser Beziehung ist durch die These ausgedrückt, welche den § 16 einleitet: "Das: I c h d e n k e , muß alle meine Vorstellungen begleiten k ö n n e n . . . " (B131, kursiv von mir). Kant beweist die Richtigkeit der These indirekt: Träfe sie nicht zu, wären Vorstellungen im Bewußtsein möglich, die nicht gedacht werden könnten. Denn was nicht von dem "Ich denke" "begleitet" werden kann, kann eben nicht gedacht werden. Daß Vorstellungen nicht gedacht werden können, würde nun in zwei Fällen zutreffen. Entweder 1. wenn die Vorstellung "unmöglich" ist (B132). Eine solche Vorstellung wäre ein Begriff, denn unmöglich ist eben ein Begriff, der nicht gedacht werden kann, d.h. der sich selbst widerspricht. Oder 2. wenn die Vorstellung "für micht nichts" ist (ebd.). Eine solche Vorstellung wäre anscheinend eine Anschauung, denn von "gedankenlose(n) Anschauungen" sagt Kant an einer anderen Stelle, sie seien "für uns so viel als gar nichts" (Al 11, meine Hervorh.). Die These gilt also anscheinend nur mit einer gewissen Einschränkung: Insofern, als Vorstellungen nicht sich selbst widersprechende Begriffe oder "gedankenlose Anschauungen" sind, stehen sie in der Beziehung des Begleitet-werden-könnens zum "Ich denke". Die These ist natürlich weitgehend tautologischen Charakters - und Kant will durch sie wohl auch nur den einen Tatbestand hervorheben, daß auch alles Mannigfaltige der Anschauung — dJi. der Vorstellungen, die vor und unabhängig von dem Denken gegeben werden können - notwendig auf das "Ich denke" bezogen ist. Parallel zu diesem Argument begründet der ''Meinzgfceifs-Beweis" die These, daß alle Vorstellungen "der Bedingung notwendig gemäß sein (müssen), unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen k ö n n e n . . " (ebd.). Und zwar geschieht das durch eine Analyse dessen, was es heißt, eine Vorstellung sei "meine". Wenn die These nicht gälte, so Kants Gedanke, könnte man nicht sagen, daß es sich um "meine" Vorstellungen handelt. Es ist ja auch klar, daß, wenn eine Vorstellung in dem ausdrücklichen Sinne "meine" ist, daß der Gedanke "Ich" im Spiel ist, sie notwendigerweise einem Selbstbewußtsein angehört. Auch dieses Argument hat offensichtlich tautologischen Charakter21.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

Durch den zweiten Schritt der Argumentation setzt Kant wie gesagt den Gedanken der Synthesis mit dem Selbstbewußtsein in Beziehung. Und zwar geschieht das durch Zusammenhalten des Ergebnisses des ersten Argumentationsschrittes mit der Tatsache, daß Selbstbewußtsein durch Identität gekennzeichnet ist. Es geht also jetzt um die These, daß die "durchgängige Identität der Apperzeption" nur denkbar ist unter der Voraussetzung, daß sie "eine Synthesis der Vorstellungen (enthält)", bzw. daß sie "nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich (ist)" (B133). Die Begründung der These erfolgt durch Gegenüberstellung der reinen Apperzeption und des empirischen Bewußtseins. Sie haben gemeinsam, daß sie verschiedene Vorstellungen begleiten, bzw. begleiten können. Das empirische Bewußtsein ist jedoch durch seinen Inhalt bestimmt, und da dieser wechselt, hat es keine Identität — es ist "zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts" (ebd.). Daraus zieht Kant den Schluß, daß die Identität, welche das Selbstbewußtsein auszeichnet, nicht schon dadurch gegeben ist, daß Vorstellungen von Bewußtsein "begleitet" werden. Und er zieht die weitere, positive, Konsequenz, daß Selbstbewußtsein angesichts eines Mannigfaltigen nur darin begründet sein kann, "daß ich eine (Vorstellung) zu der anderen h i n z u s e t z e n und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (ebd.). Wäre also über das Verhältnis zwischen Selbstbewußtsein und anschaulicher Mannigfaltigkeit nicht mehr zu sagen als was der erste Argumentationsschritt mit dem Gedanken des Begleiten-Könnens herausstellte, wäre Selbstbewußtsein unverständlich. — "Also nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen i n e i n e m B e w u ß t s e i n verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die I d e n t i t ä t des B e w u ß t s e i n s in d i e s e n Vorstellungen selbst vorstelle . . . " (ebd.). Die "Apperzeption, eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen" (ebd.), d.h. das "Ich denke" als dieses Mannigfaltige begleitend, ist nun eine analytische Vorstellung in dem Sinne, daß sie immer die gleiche bleibt. Durch die Analyse der Voraussetzungen einer solchen Apperzeption im zweiten Argumentationsschritt ist Kant berechtigt zu sagen: " . . d i e a n a l y t i s c h e Einheit . . . ist nur unter der Voraussetzung irgend einer s y n t h e t i s c h e n möglich" (ebd.). Bis jetzt steht nur fest, daß die Einheit, bzw. Identität, des Selbstbewußtseins voraussetzt, daß in die Mannigfaltigkeit der Anschauung eine synthetische Einheit zustande gebracht wird. Wer oder was das Subjekt der entsprechenden Synthesis-

21

Man kann bezweifeln, daß "Ich denke"- und Meinigkeitsbeweis wirklich zwei unterscheidbare Beweise sind. Denn scheinbar ist ja im ersteren durch die Überlegung, daß Vorstellungen "fur mich nichts" sein können, die andere Überlegung enthalten, daß Vorstellungen "meine" sein bzw. nicht sein können. Jedenfalls trifft das zu, wenn in beiden Fällen "mich", bzw. "mein", in dem strengen Sinn aufgefaßt werden müssen, daß der Gedanke "Ich" impliziert ist.

Selbstbewußtsein, Einheit, Objektivität

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Handlung ist, ist noch nicht ausgemacht. Nach der These im Einleitungsabschnitt der Deduktion, eine jede Synthesis sei ein Aktus des Verstandes, müssen wir natürlich erwarten, daß dieses "Vermögen" nun herangezogen wird. Und so ist die Beziehung zwischen Selbstbewußtsein und Verstand ja auch schon dadurch gegeben, daß Kant jenes als die Vorstellung "Ich denke" bestimmt. Das bedeutet, daß die Identität des "Ich denke" - in einer Weise, die noch genauer darzustellen ist jedem bestimmten Denken, dJi. jeder Begriffsverwendung, zum Grunde liegt. Diese Identität ist aber, wie sich jetzt gezeigt hat, durch die synthetische Einheit des Mannigfaltigen bedingt. — Und durch Zurückgreifen auf die Untersuchung der Synthesis darf Kant voraussetzen, daß Verbindung — und mit ihr synthetische Einheit - nicht "in den Gegenständen liegt" oder "durch Wahrnehmung entlehnt" wird. Sie ist vielmehr eine "Verrichtung des Verstandes" (B134f). Und genau diese These des § 15 kann jetzt präzisiert werden: Daß der Verstand als "Vermögen a priori zu verbinden" charakterisierbar ist, bedeutet nichts anderes, als daß er die Bezeichnung für diejenige Handlung ist, kraft derer das Mannigfaltige anschaulich gegebener Vorstellungen "unter die Einheit der Apperzeption" gebracht wird (B135). Die Einfuhrung des Selbstbewußtseins in die Untersuchung ist der entscheidende Schritt in der transzendentallogischen Begründung der durch die allgemeine Logik gemachten Voraussetzungen. Bislang hatte sich ergeben, daß die Analysis, auf der jede Begriffsbildung beruht, ihrerseits Synthesis voraussetzen muß. Nunmehr hat sich gezeigt, daß Analytizität und Synthesis im einen Selbstbewußtsein enthalten sind, sodaß letztenendes das Selbstbewußtsein die Begriffsbildung ermöglicht22. Man kann sagen, daß in allen "gemeinsamen Begriffen" analytische Einheit des Bewußtseins enthalten ist — in dem Sinne nämlich, daß der Allgemeinbegriff Ausdruck dafür ist, daß ein identisches Bewußtsein durch verschiedene Vorstellungen instanziiert ist. Kant verdeutlicht das an einem Beispiel: Wenn ich den Begriff "rot überhaupt" habe, stelle ich mir eine Beschaffenheit vor, die als Merkmal "irgendwo angetroffen" wird, und zwar immer als das gleiche. Als Merkmal ist diese Vorstellung aber - in den verschiedenen Instanzen - mit anderen Vorstellungen verbunden. Der Begriff ist ja " v e r s c h i e d e n e n gemein", dJi. er ist als Teilvorstellung in Vorstellungen enthalten, die noch "etwas V e r s c h i e d e n e s 22

Es trifft natürlich nicht ohne weiteres zu, daß die Analysis der Vorstellungen, die den Begriff zustande bringt, mit der analytischen Einheit des Selbstbewußtseins korrespondiert. Analysis im Sinne von "Auflösen" ist eben nicht dasselbe wie Analytizität. Die logische Eigenart des Begriffes enthält Analytisches in beiden Bedeutungen: der Begriff beruht als Teilvorstellung auf Analyse (Auflösung), und er hat als Allgemeinvorstellung den Charakter der analytischen Bewußtseinseinheit - in dem Sinne, daß er das gleiche Bewußtsein ist, welches mit einer Vielfalt von Vorstellungen verbunden sein kann. Nur insofern also, als Analysis des Begriffes mit der Analytizität notwendig verbunden ist, kann man sagen, daß die Analysis der Begriffsbildung durch die analytische Einheit des Selbstbewußtseins ermöglicht ist.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

an sich" haben (B134, Anm.). Das bedeutet aber, daß die Teilvorstellung - der Begriffsinhalt — in synthetischer Einheit mit anderen Vorstellungen gedacht werden muß, bevor sie zu derjenigen analytischen Einheit des Bewußtseins wird, die ihren Charakter des conceptus communis ausmacht. Die Einheit des Bewußtseins ist aber letztenendes die Einheit des Selbstbewußtseins - "Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst" (ebd., meine Hervorh.). Mit der Untersuchung des Selbstbewußtseins hat Kant sozusagen die in dem Einleitungsabschnitt - der Analyse der Synthesis - gemachten thetischen Äußerungen begründend "eingeholt". Diese Äußerungen besagten einmal, daß Synthesis notwendig ist, weil Analysis sie voraussetzt, und zum anderen, daß Synthesis ein Verstandesprodukt ist, weil sie Handlungscharakter hat. - Die Untersuchung des Selbstbewußtseins hat nun gezeigt, daß Synthesis-Bewußtsein als Voraussetzung der Identität des Selbstbewußtseins notwendig ist. Diese Notwendigkeit trifft sich mit deqenigen, welche sich von der Analysis her ergab, insofern als die Begriffsbildung anscheinend zugleich Analysis der Vorstellungen und analytische Einheit des Bewußtseins impliziert. Und letztere setzt synthetische Einheit des Bewußtseins, d.h. die Einheit des Selbstbewußtseins voraus. Des weiteren zeigte sich, daß der Verstand in dem Sinne Subjekt der Synthesis-Handlung ist, daß er Ausdruck derjenigen Erkenntnistätigkeit ist, welche das Mannigfaltige der Anschauung der Einheit der Apperzeption unterordnet. Die Eigenart des Arguments implizierte allerdings eine bestimmte Einschränkung. Kant beschreibt diese Eigenart wiederholt als darin bestehend, daß der Grundgedanke des Arguments "ein analytischer Satz" sei, der aber doch eine notwendige Synthesis "erkläre" (B135, meine Hervorh.). Das eigentliche Ergebnis des Arguments besteht darin, daß gezeigt worden ist, daß Synthesis und synthetische Einheit immer mit der Identität des Selbstbewußtseins korrespondieren. Aber die Analytizität des Arguments impliziert die Einschränkung, daß nur dasjenige anschauliche Mannigfaltige der synthetischen Einheit untergeordnet ist, welches "gedacht" bzw. "mein" sein kann. Diese Einschränkung ist also durch den "Ich denke-" bzw. den "Meinigkeits"-Beweis gegeben. Nach der Analyse des Selbstbewußtseins und dem Aufweis, daß dessen Identität von einem Bewußtsein des Synthetisierens von anschaulich Mannigfaltigem zur Einheit abhängt, kehrt Kant zur eigentlichen Problematik der Deduktion zurück. Es muß ihm natürlich darum gehen, zu zeigen, daß synthetische Einheit in irgendeiner Weise Bedingung der Möglichkeit dafür ist, daß etwas als Gegenstand erkannt werden kann. Dieser Gedanke war ja - allerdings auf die Kategorien bezogen — in dem Prinzip für die Deduktion enthalten. Und eine Art, das Problem der De-

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duktion zu formulieren, war die Frage, ob es auf der Seite des Verstandes, bzw. der Begriffsverwendung, ebenso fundamentale erkenntnisbedingende Elemente gibt, wie das auf der Seite der Anschauung mit deren reinen Formen der Fall ist (vgl. oben S. 129f ). So finden sich auch regelmäßig im Verlauf der Deduktion Vergleiche zwischen dem, was jeweils von Sinnlichkeit und Verstand "geleistet" wird23. Kant fuhrt diese Problematik ihrer Lösung einen Schritt näher, indem er jetzt den Gedanken aufnimmt, Synthesis sei eine notwendige Bedingung für "Erkenntnis". Er stellt zunächst zwei "Grundsätze", welche die "Möglichkeit" der Anschauungen jeweils im Hinblick auf Sinnlichkeit und Verstand betreffen, einander gegenüber: 1. Insofern, als Anschauungen gegeben werden, gilt von ihnen, daß alles Mannigfaltige einer Anschauung unter den formalen Bedingungen des Raumes und der Zeit stehen muß. Die Gültigkeit dieses Grundsatzes beruht darauf, daß nur unter dieser Voraussetzung etwas überhaupt gegeben werden, bzw. erscheinen kann. 2. Insofern, als Anschauungen in einem Bewußtsein müssen verbunden werden können, gilt von ihnen, daß alles Mannigfaltige einer Anschauung unter den Bedingungen der synthetischen Einheit der Apperzeption stehen. Aber inwiefern müssen denn die mannigfaltigen Vorstellungen der Anschauung verbunden werden können? Sie müssen es, so Kants Formulierung, weil "ohne das . . . nichts dadurch gedacht oder erkannt werden (kann)" (B137, meine Hervorh.). "Durch Anschauungen etwas denken" ist Kants Ausdruck für die Konzeptualisierung der Anschauung. Und der Gedanke ist dann der: Als gegeben sind Vorstellungen nicht von dem "Ich denke" der Apperzeption begleitet, und das heißt, sie haben als solche nicht die Eigenschaft, gedacht werden zu können. Da die Identität der Apperzeption das Verbinden der Vorstellungen voraussetzt, haben diese erst die Eigenschaft, gedacht werden zu können, durch Verbunden-werdenkönnen. Das Mannigfaltige der Vorstellungen steht also unter der synthetischen Einheit der Apperzeption, insofern es gedacht, d.h. unter Begriffe gebracht werden kann24. Nun zeigt sich aber, daß "Erkenntnis" nicht schon im ersten Grundsatz impliziert ist, sondern erst im zweiten. Das zeigt Kant an einem Beispiel. Der Raum ermöglicht als bloße Form äußerer sinnlicher Anschauungen noch keine Erkenntnis vielmehr "gibt" er als solche nur das a priori'sche Mannigfaltige für eine mögliche Erkenntnis. Der reine Raum enthält ja als solcher keine bestimmten geometrischen Figuren. Um zum Beispiel eine Linie im Raum zu erkennen, "muß ich sie z i e h e n " (B137). Das Ziehen einer Linie ist aber ein synthetisches Hervorbringen 23

24

Vgl. die Einführung der Synthesis, bzw. Verbindung als dasjenige, was eben nicht mit der Anschauung gegeben sein kann. Oben S. 133f. Hier zeigt sich wieder die Einschränkung des Arguments, vgl. oben S. 140.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

einer bestimmten Verbindung der gegebenen räumlichen Mannigfaltigkeit. Und das heißt: mit der Einheit dieser Handlung korrespondiert diejenige Einheit des Bewußtseins, welche den Begriff einer Linie ausmacht. Erkenntnis im Sinne des Bezogenseins auf einen bestimmten Gegenstand ist im Bereich der reinen Anschauimg nur unter der Voraussetzimg der synthetischen Einheit des Bewußtseins möglich. Wenn man diesen Tatbestand über das gegebene Beispiel hinaus verallgemeinert, sieht man, daß von "Erkenntnis" in der engeren Bedeutung die Rede ist: von der Identifizierung eines anschaulich Gegebenen als eines bestimmten Gegenstandes. Da diese Erkenntnis auf der Verwendung von Begriffen beruht, kann Kant sagen, der Verstand sei "allgemein zu reden, das Vermögen der E r k e n n t n i s s e " (ebd.). Erkenntnis impliziert in dieser Bedeutung eine Beziehung auf ein bestimmtes Objekt. Ein Objekt ist aber, wie es das Beispiel der Linie zeigte, "das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung v e r e i n i g t ist" (ebd.). Objektbezogenheit bedeutet also das Bewußtsein davon, daß das Mannigfaltige der Anschauung vereinigt ist. Da nun aber ein solches Vereinigtsein nur auf der synthetischen Einheit des Bewußtseins beruhen kann, ist es diese Einheit, welche den Gegenstandsbezug von Vorstellungen, und das heißt deren objektive Gültigkeit ermöglicht. Auch in diesem Sinne beruht "selbst die Möglichkeit des Verstandes" (ebd.) auf der synthetischen Einheit des Bewußtseins. Kant ist jetzt dem Ziel der Deduktion nahegekommen: Er hat ein verstandesmäßiges Erkenntniselement gefunden, welches eine objektive Bedingung einer jeden Erkenntnis ist - die synthetische Einheit des Selbstbewußtseins. Sie hat diesen erkenntnisbedingenden Charakter, weil sie nicht nur subjektiv Erkenntnis ermöglicht, sondern weil vielmehr jede Anschauung, um "für mich" Objekt zu werden (B138), ihr untergeordnet sein muß. Was noch aussteht, ist sozusagen der Aufweis, daß die objektive Gültigkeit der synthetischen Einheit des Selbstbewußtseins die objektive Gültigkeit der Kategorien impliziert. Diesen Aufweis leitet Kant ein mit einer erneuten Analyse des Urteils.

3.3.4 Die Begründung der Urteilsstruktur Wie bei der Darstellung von Kants formallogischen Auffassungen erwähnt wurde, führt er die Frage nach der Urteilsstruktur dadurch in den Zusammenhang der Deduktion ein, daß er die geläufige Lehre der "Logiker" kritisiert. Diese besagt, das Urteil sei "die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen"; und Kant wendet ein, es sei hier nicht bestimmt, "worin dieses V e r h ä l t n i s bestehe"25. Nun kann, wie schon die formallogische Urteilsanalyse zeigte, nicht jedes Verhältnis zwischen "gegebene(n) Erkenntnisse(n)" (B141) als Urteil gelten. Vorstel25

Die Urteilsanalyse findet sich im § 19, B140 - 42.

Die Begründung der Urteilsstruktur

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hingen, bzw. Erkenntnisse, können assoziativ verknüpft werden. In dem Falle hat di? Verknüpfung nur subjektive Gültigkeit, dJi. daß obwohl die Elemente der Verknüpfung "Erkenntnisse" - Vorstellungen von Objekten — sind, die Verknüpfung selbst dies nicht ist. Kant hingegen läßt schon formallogisch nur solche Verknüpfungen, bzw. Verhältnisse zwischen Vorstellungen als Urteile gelten, welche selbst den Charakter der "Erkenntnis" haben. Das bedeutet aber, daß er auf dem Hintergrund der Untersuchung des Begriffes "Erkenntnis" in der Deduktion die Art der Urteilsrelation in folgender Weise präzisieren kann: das Urteil ist "die Art, gegebene Erkenntnisse zur o b j e k t i v e n Einheit der Apperzeption zu bringen" (ebd.). Diese Eigenart der Urteilsstruktur ist nach Kant durch das "Verhältniswörtchen i s t " (ebd.) ausgedrückt, denn genau dieses grenzt das Urteil von einer rein assoziativen Verknüpfung ab. Es repräsentiert den Objektivitätsanspruch des Urteils, und dieser muß durch die notwendige Einheit des Selbstbewußtseins begründet sein. In diesem Sinne ist jedes Urteil durch Notwendigkeit gekennzeichnet, auch wenn es sich um ein empirisches Urteil handelt, dJi. ein solches, dessen Wahrheit zufällig ist. Diesen Tatbestand veranschaulicht Kant an dem Beispiel "Die Körper sind schwer". Es handelt sich um ein empirisches Urteil, dJi. die Begriffe, die es enthält, sind in der empirischen Anschauung verbundene Vorstellungen. Das Urteil besagt nun nicht, daß diese Vorstellungen notwendig in der empirischen Anschauimg zusammen auftreten, sondern, daß das Zusammengehören der Vorstellungen "Körper" und "schwer" darauf beruht, daß mit einer notwendigen Einheit der Apperzeption anschauliche Vorstellungen vereinigt werden. Es ist nicht schlechthin notwendig, daß in der Anschauung die durch "Körper" und "schwer" repräsentierten Merkmale auftreten — sondern: wenn sie in der Anschauung verbunden auftreten und dies mit objektiver Gültigkeit tun, beruht das auf der notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins. Daß dieses Urteil, trotz seiner kontingenten Wahrheit, von objektiver Gültigkeit ist, beruht eben auf der notwendigen Einheit der Apperzeption. Auf dieser beruht es, daß behauptet werden kann, die Vorstellungen seien im Objekt und nicht nur im "Zustande des Subjekts" (B142) verbunden. Wenn man das Urteil quantorenlogisch umschreibt, kann man sich den Tatbestand folgendermaßen klarmachen. Der entsprechende offene Satz lautet "x ist ein Körper, χ ist schwer". Der Objektivitätsanspruch des Urteils besagt dann: In dem anschaulich gegebenen "x" sind die Teilvorstellungen "Körper" und "schwer" verbunden - und zwar beruht diese Verbindung nicht auf subjektiver Assoziation, sie ist objektiv. Ein solcher Objektivitätsanspruch ist aber nur deshalb möglich, weil die notwendige Einheit des Selbstbewußtseins es erfordert, daß anschaulich Mannigfaltiges - im Urteil durch "x" vertreten — verbunden wird. Nicht die konkrete Verbindung von "Körper" und "schwer", wohl aber die Urteilsstruktur als solche und der ihr ange-

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

hörige Objektivitätsanspruch ist also Ausdruck der synthetischen Einheit des Selbstbewußtseins26. Als Kontrast zu diesem eigentlichen Urteil nennt Kant das Beispiel "Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere" (ebd.). In diesem Falle werden die gleichen Vorstellungen wie im ersten Beispiel verbunden, aber die Art der Verbindung ist eine andere: sie beruht nach Kant auf Assoziation und ist daher von rein subjektiver Gültigkeit. Diese Verbindung von Vorstellungen drückt etwas aus über den Zustand des Subjektes und nicht über eine Tatsache in einem von subjektiven Zuständen unabhängigen Objekt. Mit der Einführung des Urteils in die Argumentation der Deduktion hat Kant die erste der oben genannten Voraussetzungen der Formallogik transzendentallogisch begründet: Die Einheitsiarm des Urteils, die Behauptung, daß die durch die Begriffe vorgestellten Merkmale in dem anschaulich Gegebenen ("x") vereinigt sind, beruht darauf, daß Selbstbewußtsein notwendig mit Bewußtsein der Synthesis von der Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen korrespondiert. Der in der Urteilsstruktur enthaltene Objektivitätsanspruch beruht darauf, daß die synthetische Einheit des Selbstbewußtseins Objektivität ermöglicht. Im Gange der Argumentation der Deduktion ist jedoch zunächst der Umstand wichtig, daß die Struktur des Urteils die objektive Erkenntnis ermöglichende Funktion des Selbstbewußtseins repräsentiert.

3.3.5 Die beiden Schritte des Arguments Es ergibt sich nun leicht eine erste Konklusion der Deduktion dadurch, daß der Zusammenhang zwischen Urteilsform und Kategorie herangezogen wird. Die Kategorien wurden im Kontext der Ableitung aus der Urteilstafel hypothetisch eingeführt als Einheitsbegriffe der reinen Synthesis (vgl. oben S. 124ff). In der zweiten Auflage hat Kant die Kategoriendefinition im Abschnitt "Übergang zur transzendentalen Deduktion der Kategorien" in einer etwas veränderten Form nochmals eingefügt. Die "Erklärung der Kategorien" lautet hier: "Sie sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauimg in Anse26

Es wäre naheliegend, den Zusammenhang zwischen Notwendigkeit und Urteilsstruktur so zu verstehen: Notwendig ist, daß, wenn in der Anschauung die Merkmale "Körper" auftreten, dann auch die Merkmale "schwer". Das ist aber quantorenlogjsch die Umschreibung des allgemeinen Urteils: (x) (x ist ein Körper 3 χ ist schwer). Das wäre wahrscheinlich auch die sinngemäße Umschreibung des Beispiels "Die Körper sind schwer". Aber da Kant die Notwendigkeit mit dem Objektivitätsanspruch des Urteils in Beziehung setzt und diesen als zur formalen Struktur des Urteils gehörig betrachtet, muß sie auch in partikularen und singulären Urteilen enthalten sein. Man muß deshalb die Bedeutung der Notwendigkeit wie oben umschreiben.

Die beiden Schritte des Arguments

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hung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu urteilen als b e s t i m m t angesehen wird" (B128). Auch diese Definition ist an der Stelle, an der sie erscheint, von hypothetischem Charakter. Sie besagt: Wenn in der Erkenntnis so etwas wie reine Verstandesbegriffe, bzw. Kategorien wirksam sind, dann müssen sie erstens die Funktion haben, den Gegenstandsbezug der Erkenntnis zu ermöglichen ("Begriffe von einem Gegenstand überhaupt"); sie müssen zweitens mit der logischen Struktur der Urteile korrespondieren, und sie müssen drittens an dem Mannigfaltigen der Anschauung wirksam sein. Diese letzte Wirksamkeit benennt Kant normalerweise Synthesis. Warum er hier von Bestimmen spricht, wird noch zu erörtern sein27. Diese Kategoriendeflnition bringt Kant nun mit den bis jetzt gewonnenen Resultaten der Deduktion zusammen. Diese Resultate besagen: 1. das Mannigfaltige, welches in einer sinnlichen Anschauung gegeben ist, ist notwendigerweise der synthetischen Einheit der Apperzeption untergeordnet. Als Begründung führt Kant an: "weil durch" die Einheit der Apperzeption "die E i n h e i t der Anschauung allein möglich ist (§ 17)" (B143). Der § 17, auf den Kant verweist, enthält das Argument, daß nur durch die synthetische Einheit der Apperzeption aus dem anschaulich Gegebenen "Erkenntnis" werden kann. Die Einheit der Anschauung, von der hier die Rede ist, ist also diejenige Einheit durch Synthesis, kraft welcher anschaulich Gegebenes Objekt wird28;

27

28

In der "metaphysischen" Deduktion versucht Kant allgemein zu zeigen, daß die logischen Urteilsfunktionen als Einheitsbegriffe der Synthesis fungieren. Der gleiche Gedanke ist in der Kategoriendefinition B128 enthalten. Auf die Frage, wie man es zu verstehen habe, daß Urteilsformen Begriffe sein können, ist er in der KrV nicht ausführlich eingegangen. Eine Reihe von Reflexionen zeigen jedoch, daß Kant diesen Gedanken durchaus ausgeführt hat. Auf diese Frage soll nicht in Einzelheiten eingegangen werden, aber es sei auf die folgenden Kategoriendefinitionen in R 5555 hingewiesen: (1) "Ein reiner Verstandesbegriff (entspringt) nur durch die Form der Urteile, indem ich sie synthetisch mache (und dadurch ein obiect denke)"; (2) "Die logische Bedingung des Urteils ist die Relation zum subiect etc.; der Begrif von einem Dinge durch diese logische Function ist die Categorie". Die weitere Ausgestaltung des Gedankens ist in R 5930-33 angedeutet. - Die Untersuchung dieser Reflexionen ergibt für die Kategoriendefinition B128 folgendes: a. daß die Kategorie eine Bestimmung ausübt "in Ansehung" der Urteilsfunktionen, bedeutet, daß die Kategorie die Urteilsfunktion, als Begriff verwendet, ist; b. daß die Kategorie Begriff vom "Gegenstand überhaupt" ist, hängt von ihrer Identität mit der Urteilsform ab, denn das Urteil hat wesensmäßig die Funktion, objektive Erkenntnis vom Gegenstand zu leisten. Diese Auffassung wird bestätigt durch die erläuternde "Anmerkung", welche Kant dem konkludierenden § 20 anfügt. Es heißt hier, die Einheit der Anschauung sei diejenige, "dadurch ein Gegenstand gegeben wird" - wie der Kontext zeigt, muß "Gegenstand" im strengen Sinne von "Objekt" verstanden werden (B144, Anm.).

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

2. die Mannigfaltigkeit gegebener Vorstellungen wird durch bestimmte Handlungen der Apperzeption untergeordnet, nämlich diejenigen, welche in den logischen Urteilsfunktionen zum Ausdruck kommen (vgl. oben S. 143). Dadurch ist ein Teil der Konklusion gegeben: 3. "Also ist alles Mannigfaltige, sofern es in Einer empirischen Anschauung gegeben ist, in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen b e s t i m m t , durch die es nämlich zu einem Bewußtsein überhaupt gebracht wird" (B143)29. Da Kant hier die vorangehende Argumentation zusammenfaßt, darf man schließen, daß das Bestimmen der Anschauung mit dem Verbinden zu Synthetischer Einheit identisch ist. Durch Heranziehen der oben genannten Kategoriendefinition aus Β128 - d.h. durch Einsetzen von "Kategorien" fur "logische Funktionen zu Urteilen" - erfolgt dann die endgültige Konklusion: 4. "Also steht auch das Mannigfaltige in einer gegebenen Anschauung notwendig unter Kategorien" (ebd.). Wie erwähnt ist es eine Frage der Interpretation, warum mit dieser Konklusion nicht schon das Argumentationsziel der Deduktion erreicht ist (vgl. oben S. 132 ). Wenn das Mannigfaltige der Anschauung notwendig unter Kategorien steht, ist ja deren objektive Realität aufgezeigt. Kant geht selbst in der genannten erläuternden "Anmerkung" zum § 20 auf diese Frage ein. Er tut das, indem er zunächst wieder die Erkenntnis ermöglichenden Funktionen von Verstand und Anschauung einander gegenüberstellt — und zwar nun mit der erreichten Konklusion als Ausgangspunkt. Die Gegenüberstellung ergibt die folgende Analogie: Genau wie a) empirische Anschauung unter der reinen, a priori'schen Anschauung steht, so steht b) das empirische Bewußtsein "eines gegebenen Mannigfaltigen Einer Anschauung" (B144, meine Hervorh.) unter dem reinen, a priori'schen Selbstbewußtsein. Man sieht, daß der Bereich dessen, was der reinen Anschauung, und dessen, was dem reinen Selbstbewußtsein untergeordnet ist, nicht identisch ist. Während der erste Bereich die empirische Anschauung umfaßt, enthält der zweite empirisches Bewußtsein vom Anschaulichen als Einheit — und nach der Bedeutung der "Einheit" im bisherigen Gang der Argumentation müssen wir schließen, daß dieses Bewußtsein begrifflich ist. Die Einheit des Selbstbewußtseins — und damit die Kategorien — beziehen sich also auf Anschauung nicht als Anschauung schlechthin, sondern als begrifflich vereinheitlichte Anschauung. Aus diesem Grunde muß Kant hervorheben, mit der Konklusion des § 20 sei von der Deduktion nur "der Anfang . . . gemacht" (ebd.). Wenn das endgültige Ziel der Deduktion in dem Aufweis besteht, daß schlechthin alles anschaulich Gegebene den Kategorien untergeordnet ist, dann muß in der Tat noch ein weiterer Argumentationsschritt erfolgen. Dieser Schritt muß, so kündigt Kant an, eine Untersuchung darüber enthalten, was die empirische Anschauimg — lediglich als sinnlich gegeben 29

Die Zitate entstammen den §§ 20-21.

Einheit und Einzelnheit der Anschauung

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betrachtet — ist. Diese Untersuchung muß zeigen, daß die Anschauung auch in dieser Hinsicht durch Einheit gekennzeichnet ist, und daß diese Einheit nur mittels der Kategorien zustande kommen kann. Dann wäre "die Gültigkeit a priori (der Kategorien) in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne erklärt" und dadurch "die Absicht der Deduktion allererst völlig erreicht" (B145, meine Hervorh.). Die Konklusion des § 20 faßt also nur einen ersten Schritt des Argumentes der Deduktion zusammen. Sie ist durch die Einschränkung gekennzeichnet, daß die Gültigkeit der Kategorien nur insofern feststeht, als das anschaulich Gegebene, auf welche sie sich beziehen, Einheit im Sinne der Objektivität besitzt, bzw. besitzen kann. Diese Einschränkung rührt letztenendes von derjenigen Eigenart des Arguments, daß der "Ich denke-", bzw. der "Meinigkeits"-Beweis analytischen, bzw. tautologischen Charakters ist.

3.3.6 Einheit und Einzelnheit der Anschauung Kant leitet den zweiten Schritt des Arguments — der im § 26 durchgeführt wird (B159-61) — ein durch eine vorbereitende Definition des Begriffes Synthesis der Apprehension. Diese ist "die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung . . . , dadurch Wahrnehmung, d.i. empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung), möglich wird" (B160). Es ist schwierig, das hier implizierte Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Anschauung genau zu verstehen. Es ist die folgende Definition von Wahrnehmung enthalten: (1) "Wahrnehmung ist empirisches Bewußtsein der Anschauung als Erscheinung". Der "Stufenleiter der Vorstellungsarten" kann man folgende Definition von Anschauung entnehmen: (2) "Anschauung ist eine solche objektive Vorstellung mit Bewußtsein, welche einzeln ist und sich auf den Gegenstand unmittelbar bezieht" (A320/ B376f). Die Erscheinung wurde in der Ästhetik folgendermaßen definiert: (3) "Erscheinung ist der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung" (vgl. A20/B34 und oben S. 114). Es kann nicht geleugnet werden, daß auf den ersten Blick eine gewisse Konfusion der Begriffsbestimmungen vorliegt. Sie kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß Satz (1) und (2) zusammen eine Verdoppelung von "Bewußtsein" implizieren und daß Satz (1) und (3) sowohl Wahrnehmung als auch Anschauung als Vorstellung von "Erscheinung" ansetzen. Es ist klar, daß Anschauung und Wahrnehmung nicht völlig verschiedene Dinge sind, und auch, daß Wahrnehmung nicht als eine Art Transformation der Anschauung aufzufassen ist. Eher könnte man sagen - das sei zunächst hypothetisch erwogen - die Wahrnehmung sei mit einem Teilaspekt der Anschauung identisch.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

Das könnte etwa in dem Sinne gelten, daß der Satz (1) nicht besagt, die Wahrnehmung sei Bewußtsein von der Anschauung, sondern vielmehr mit dem Bewußtseinsaspekt jeder empirischen Anschauung identisch. Dadurch wäre die Verdoppelung des Begriffes Bewußtsein in den Sätzen (1) und (2) behoben. Man muß dann den Sinn der Definition von Synthesis der Apprehension folgendermaßen verstehen: Das in der empirischen Anschauung enthaltene Bewußtsein - die Wahrnehmung kommt dadurch zustande, daß das anschaulich gegebene Mannigfaltige zusammengesetzt, d.h. der Synthesis unterworfen wird. Wenn es sich so verhält, ist der Satz, daß Wahrnehmung die Vorstellung der Erscheinung ist, nur eine Präzisierung von Satz (3). Diese Interpretation setzt allerdings voraus, daß es sinnvoll ist, anzunehmen, die Anschauung sei außer Wahrnehmung noch etwas anderes. Auf diese Frage ist später einzugehen. Trotz der noch bestehenden Unklarheiten steht jetzt fest, daß Kant durch die Einführung des Begriffes Apprehension darauf aufmerksam macht, daß empirisches anschauliches Bewußtsein eine bestimmte Art der Synthesis voraussetzt. Das ist eine der Prämissen des zweiten Argumentationsschrittes der Deduktion. Eine zweite Prämisse gewinnt Kant dadurch, daß er Raum und Zeit mit Apprehension in Verbindung setzt. Raum und Zeit sind diejenigen Formen, in denen alles Anschauliche gegeben werden muß. Insofern also, als die Apprehension sich auf anschauliches Mannigfaltiges richtet, muß die Synthesis dieser Apprehension "nach dieser Form" geschehen, sie muß Raum und Zeit "gemäß sein" (B160). Der Kern des Argumentes hegt nun in der dritten Prämisse. Sie kommt dadurch zustande, daß Kant in Bezug auf Raum und Zeit zwischen zwei Gesichtspunkten unterscheidet. Sie können nämlich betrachtet werden 1. als Form der Anschauung. Es ist dann nur von dem Tatbestand die Rede, daß Raum und Zeit ein Mannigfaltiges in bestimmter Strukturierung enthalten — im Falle des Raumes wäre das etwa die Struktur des Außer-und-Nebeneinander; 2. als "Anschauungen selbst" (ebd.), bzw. als "formale Anschauungen" (B100, Anm.). Es gilt dann nicht nur, daß Raum und Zeit wie in 1. eine Mannigfaltigkeit enthalten, sondern daß sie "mit der Bestimmung der E i n h e i t dieses Mannigfaltigen in ihnen" vorgestellt werden (B160). Was ist nun das für eine Einheit, kraft welcher Raum und Zeit "formale Anschauungen" sind? Kant erläutert das, indem er sagt, diese Einheit liege vor, wenn der Raum "als G e g e n s t a n d vorgestellt" werde - "wie man es wirklich in der Geometrie bedarf" (B160, Anm.). "Gegenstand" kann nun nicht ohne weiteres in der strikten Bedeutimg gemeint sein, wie das beim Beispiel vom Ziehen einer Linie der Fall war (vgl. oben S. 141 f). Kant fährt nämlich fort, der Raum werde als Gegenstand vorgestellt durch " Z u s a m m e n f a s s u n g des Mannigfaltigen . . . in eine a n s c h a u l i c h e Vorstellung" (ebd.). Und die gezogene Linie war ja eben nicht nur eine anschauliche Vorstellung, sondern sie setzte den Begriff der Linie voraus. Man wird also sagen müssen, der Raum ist formale Anschauung, wenn ein bestimmter Raum angeschaut wird.

Einheit und Einzelnheit der Anschauung

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Das komplizierte an der Erläuterung dieser Einheit rührt daher, daß Kant sowohl ihre Verschiedenheit als auch ihre Identität in Bezug auf die Einheit der Objektivität behaupten muß. Im Zusammenhang dieser Prämisse muß er betonen, die Einheit kennzeichne Raum und Zeit, insofern sie gegeben werden — deshalb hat er sie "in der Ästhetik bloß zur Sinnlichkeit gezählt" (B160f, Anm.). Im weiteren Verlauf des Arguments muß jedoch die Identität der Bedeutungen von "Einheit" hervorgehoben werden. Die Überlegungen dieser Prämissen faßt Kant folgendermaßen zusammen. Schon mit — "nicht in" - Raum und Zeit als Anschauungen ist eine " E i n h e i t der S y n t h e s i s des Mannigfaltigen" gegeben, mit welcher alles, was in Raum und Zeit "bestimmt vorgestellt" (B161) wird, übereinstimmen muß - und die daher a priori die Apprehension, die Aufnahme des Anschaulichen ins Bewußtsein, ermöglicht. Wo immer synthetische Einheit der anschaulichen Mannigfaltigkeit vorliegt, handelt es sich aber um diejenige Einheit, die dadurch entsteht, daß das Mannigfaltige durch die Kategorien der Apperzeption untergeordnet wird. Auch die Einheit, die der Anschauung als apprehendierte Mannigfaltigkeit, als Wahrnehmung, zukommt, muß also die durch Kategorien erwirkte Einheit sein. Und so ist die Einheit, mit welcher die Anschauung gegeben wird, doch gleichen Ursprungs wie diejenige, in welcher sie objektiviert wird30. Wenn aber die Anschauung schon als gegebene, bzw. ins Bewußtsein aufgenommene, den Kategorien unterliegt, haben diese in Bezug auf schlechthin alles anschaulich Gegebene Gültigkeit. Und so kann Kant die Konklusion ziehen, mit wel30

In einer anderen Terminologie ausgedrückt beruht das Verhältnis der beiden Bedeutungen von Einheit auf zwei verschiedenen Aspekten im Begriff Synthesis: 1. der Begriff Synthesis stellt sich ein aus der bloßen Untersuchung des Selbstbewußtseins, indem dieses eine Verbindung von Mannigfaltigem voraussetzt, welches nicht ihm selbst entstammt, sondern sinnlich gegeben wird. Von dem Aspekt der Bezogenheit auf die Einheit des Selbstbewußtseins her muß die Synthesis charakterisiert werden als "nicht allein transzendental, sondern auch bloß rein intellektual" (B150, meine Hervorh.). So spricht Kant denn auch in diesem Zusammenhang von "Synthesis intellectualis"; 2. konkret ist diese von dem Selbstbewußtsein vorausgesetzte Synthesis an dem Mannigfaltigen, in den Formen der sinnlichen Anschauung Raum und Zeit gegebenen, wirksam. Da hier Anschauliches synthetisiert wird, hat die Synthesis einen anschaulichen Aspekt. In diesem Sinne spricht Kant von "figürlicher Synthesis (synthesis speciosa)". In dieser Synthesis ist Einbildungskraft wirksam, denn diese ist "das Vermögen, einen Gegenstand auch o h n e d e s s e n G e g e n w a r t in der Anschauung vorzustellen" (B151, kursiv von mir). Von dieser Unterscheidung her ist klar, warum Kant an einigen Stellen die Synthesis der Einbildungskraft und an anderen dem Verstand zuordnen kann (vgl. oben S. 124 und 133). In der Deduktion der ersten Auflage erscheint diese Unterscheidung von Aspekten der Synthesis in Form einer Gliederung in Synthesen der Apprehension, Reproduktion und Rekognition, vgl. A 98-104.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

eher der zweite Argumentationsschritt und damit das Argument der Deduktion als solches ans Ziel kommt: "Folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien, und, da Erfahrung Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen ist, so sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und gelten also a priori von allen Gegenständen der Erfahrung" (B161, meine Hervorh.). In unserem Zusammenhang muß nun die entscheidende Frage gestellt werden, wie sich die — für den zweiten Argumentationsschritt der Deduktion tragende — Einheit der Anschauung zu der - im Rahmen der Ästhetik hervorgehobenen — Einzelnheit der Anschauung verhält. Die letztere zieht Kant auch im Rahmen der Deduktion heran, nämlich in der genannten Anmerkung zum § 1731. Die Durchführung der Deduktion im § 26, mit der Anmerkung des § 17 zusammengehalten, ergibt folgende Bestimmungen: (a) zur Einheit der Anschauung: " . . . Raum und Zeit sind . . . a l s A n s c h a u u n g e n selbst (die ein Mannigfaltiges enthalten), also mit der Bestimmung der E i n h e i t dieses Mannigfaltigen in ihnen a priori vorgestellt (siehe transz. Ästhet.)" (B160). Diese Einheit ist eine Einheit der Synthesis; (b) zur Einzelnheit der Anschauung: "Der Raum und die Zeit und alle Teile derselben sind A n s c h a u u n g e n , mithin einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten (siehe die transz. Ästhetik)". Es hegt hier eine "Einheit des Bewußtseins" vor, welche " s y n t h e t i s c h , aber doch ursprünglich" ist (B136, Anm.). Daß Kant hier Verschiedenes im Blick hat, zeigt sich zunächst daran, daß ein Unterschied hinsichtlich der synthetischen Einheit besteht. Das geht aus der in (b) zitierten einschränkenden Bemerkung "synthetisch, aber doch ursprünglich" hervor. Daß Kant die Beschreibung des anschaulichen Bewußtseins mit dieser Qualifizierung versieht, kann nur so verstanden werden, daß er es vom Selbstbewußtsein und dessen synthetischer Einheit abgrenzen will. Das Selbstbewußtsein, das "Ich (denke)", ist eine "einfache Vorstellung", durch es ist "nichts Mannigfaltiges gegeben" (B135, meine Hervorh.). Insofern, als das Selbstbewußtsein trotzdem auf Mannigfaltiges bezogen ist, muß dieses in anderer Weise gegeben werden. Eben das charakterisiert den menschlichen Verstand im Unterschied zu einem "anschauenden" Verstand. - Daß das Selbstbewußtsein von synthetischer Einheit ist, bedeutet also nicht, daß in der einen Vorstellung, bzw. dem einen Bewußtsein, "Ich" schon eine Mannigfaltigkeit enthalten ist (vgl. B138f). Bei der Anschauung hingegen liegt synthetische Einheit des Bewußtseins in anderer Weise vor: die in (b) zusammengefaßte Bestimmung besagt, daß in dem einen Bewußtsein das Mannigfaltige verbunden gegeben ist. Da die Mannigfaltigkeit in diesem Falle mit der Einheit unzertrennlich verbunden ist, kann man sagen, diese S1

Vgl. oben im Exkurs über die Ästhetik S. 117.

Einheit und Einzelnheit der Anschauung

151

Einheit sei - anders als diejenige des Selbstbewußtseins - "ursprünglich" synthetisch32. In die gleiche Richtung zeigt der Umstand, daß Kant an der durch (b) zusammengefaßten Stelle die Bemerkung macht "die E i n z e l n h e i t derselben ist wichtig in der Anwendimg (§ 25)" (B135. Anm.). Kant rechnet also anscheinend nicht den § 26, die Durchführung des zweiten Argumentationsschrittes der Deduktion, als "Anwendung" der Einzelnheit der Anschauung. Der § 25, auf den Kant statt dessen verweist, behandelt denn auch etwas ganz anderes, nämlich das Verhältnis zwischen Selbstbewußtsein im Sinne des "Ich denke" und Selbstanschauung, deren Verschiedenheit es festzuhalten gelte. Die Anwendung von (b) auf diese Problematik impliziert dann die Hervorhebung, daß diejenige synthetische Einheit, welche der "Einzelnheit" der Selbstanschauung zukommt, eine andere ist als diejenige, die als Einheit des Selbstbewußtseins charakterisierbar ist. So muß man den Schluß ziehen, daß diejenige synthetische Einheit der Anschauung, welche kraft der Kategorien zustande kommt, nicht die Einzelnheit der Anschauung sein kann: Die Singularität der Anschauung ist sozusagen nicht kategorial einholbar33. Der Unterschied zwischen Einheit und Einzelnheit der Anschauung 32

33

Wenn Kant an anderen Stellen, (etwa B143), von der "ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption" redet, widerspricht das dem hier gesagten nicht. Denn das "ursprünglich" muß hier eine andere Bedeutung haben - wie ja auch bei der Einführung des Selbstbewußtseins "ursprünglich" besagt, daß dieses als Vorstellung "von keiner weiter begleitet werden kann"(B132). Heidegger widmet in seiner Kantvorlesung dem Unterschied zwischen "Form der Anschauung" und "formale Anschauung" große Aufmerksamkeit - allerdings nicht, um seine Bedeutung innerhalb des Argumentes der Deduktion zu diskutieren. Dies hängt damit zusammen, daß er nicht die Deduktion der zweiten Auflage - in der Kant diese Unterscheidung macht - sondern diejenige der ersten als die gelungenste Version betrachtet. Er geht vielmehr auf die Unterscheidung ein im Zusammenhang seiner Interpretation von "Anschauung". Dabei möchte er zeigen, daß die kategorialbedingte Synthesis, die nach Kant in der "formalen Anschauung" wirksam ist, begründet ist in einer ursprünglicheren Einheit der reinen Anschauung. Diese Einheit bezeichnet er im Kontrast zur synthetischen und mit einem eigenen Ausdruck die "syrtdotische". Die Frage, wie sich diese "syndotische" Einheit der reinen Anschauung zu deren Einzelnheit verhält, berührt er jedoch nicht. "Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft", S. 132-39. Übrigens zeigt Heideggers Behandlung eben dieser Problematik, daß seine Interpretation sich nicht mit der von Kant intendierten Argumentation zur Deckung bringen läßt. Nach Kant läßt sich die transzendentale Deduktion, wie sich gezeigt hat, nur durchführen, wenn man zeigen kann, daß schon die Aufnahme des Angeschauten in das Bewußtsein, d.h. die Apprehension der Wahrnehmung, eine kategorial bedingte Synthesis voraussetzt. Obwohl dieser Zug des Arguments in der zweiten Auflage am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist er auch in der ersten enthalten, auf die Heidegger sich vorwiegend stützt. Bei der Analyse der Synthesis der Apprehension in der ersten Auflage kommt Heidegger zu dem Ergebnis, in dieser Synthesis liege "nichts von begrifflicher Bestimmung" (a.a.O.). Wenn das aber der Fall wäre, könnte die transzendentale Deduktion schlechthin nicht an ihr Ziel kommen. Eine solche Konsequenz kann Heidegger bewußt in Kauf nehmen, denn er betrachtet nicht die Deduktion, sondern den Schematismus als das zentrale Argument der Analytik. Anhand

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

wurde denn auch von Kant in der Formulierung des zweiten Argumentationsschrittes angedeutet. Die zweite und dritte Prämisse ergaben, daß Raum und Zeit von einer Einheit der Synthesis gekennzeichnet sind, nach der jede Apprehension der Wahrnehmung geschieht, und die "schon m i t (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben" ist (B161, meine Hervorh. vgl. S. 148f). Das in Klammern gesetzte "nicht in" markiert den Unterschied zwischen Einheit und Einzelnheit, denn dieser besteht darin, daß synthetische Einheit entweder "mit" - Satz (a) - oder "in" — Satz (b) — der Anschauung vorgestellt wird. Anscheinend muß man also in der Tat sagen, daß Anschauung anderes und mehr ist als Wahrnehmung (vgl. oben S. 148) - sie ist die Vorstellung des einzelnen Gegebenen34.

3.3.7 Was ist durch die transzendentale Deduktion begründet? Wir haben Kants Programm einer transzendentalen Logik unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß es bei dieser um eine Begründimg derjenigen Voraussetzungen gehe, welche bei der Entwicklung der formalen Logik gemacht werden müssen. Wenn deshalb jetzt nach der Tragweite des zentralen Argumentes der transzendentalen Logik, der transzendentalen Deduktion, gefragt wird, bedeutet diese

34

des Schematismus meint er nämlich zeigen zu können, daß Anschauung und Verstand in der Einbildungskraft begründet sind. Und da er die Einbildungskraft wieder als "Zeitlichkeit" interpretiert, kann er Kants transzendentale Analytik seiner eigenen "Analytik des Daseins" annähern (vgl. a.a.O. S. 342). Dieter Henrich - dem ich mit Hinblick auf die Deduktion wesentliche Einsichten verdanke - geht in dem oben (S. 132 ) erwähnten Aufsatz nicht auf das Problem des Unterschiedes zwischen Einzelnheit und Einheit der Anschauung ein. Daran wird er zum Teil dadurch gehindert, daß er den Begriff "Einheit der Anschauung" nicht genügend klärt. Er versteht die Einschränkung des Beweiszieles des § 20 so, daß gezeigt worden ist, Anschauungen stünden unter Kategorien, sofern sie als Anschauungen "bereits Einheit enthalten" (a.a.O. S. 93). Offen wäre dann noch, "in welchem Umfang einheitliche Anschauungen aufgefunden werden können". Der entscheidende Schritt im § 26 besagt dann, daß wir "im Falle unserer Vorstellungen von Raum und Zeit" "Anschauungen, die Einheit enthalten", besitzen (a.a O. S. 94). - Aber in welchem Sinne haben die Anschauungen, von denen der § 20 Gültigkeit der Kategorien beweist, "bereits" Einheit; und inwiefern ist diese Einheit mit derjenigen von Raum und Zeit identisch? Daß die Beantwortung dieser Fragen bei Henrich unklar bleibt, beruht darauf, daß er nicht zeigt, welche Eigentümlichkeiten der Argumentation in §§ 1519 die beschränkte Reichweite der Konklusion in § 20 mit sich führen. Das wiederum hängt damit zusammen, daß er das Verhältnis zwischen "Ich denke"- und "Meinigkeits"-Beweis nicht behandelt und daher letzteren falsch auffaßt. Durch den Meinigkeitsbeweis soll nämlich, so Henrich, gezeigt werden, schlechthin alle Vorstellungen könnten "meine" sein, so daß daraus auf die uneingeschränkte Gültigkeit der synthetischen Einheit des Selbstbewußtseins geschlossen werden könnte. Tatsächlich soll aber der Meinigkeitsbeweis zeigen, daß objektivierbare Anschauungen der synthetischen Einheit und damit den Kategorien untergeordnet sind. Und nur weil dieser Beweis analytisch ist, impliziert er die im § 20 hervorgehobene Eingeschränktheit des Arguments.

Was ist durch die transzendentale Deduktion begründet?

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Frage genauer gesehen: Inwiefern sind die drei oben genannten Voraussetzungen, die Kant bei der Darstellung der formalen, bzw. allgemeinen Logik machen mußte, durch die Deduktion begründet worden (vgl. S. 113)? Fangen wir mit der zweiten der genannten Voraussetzungen an. Sie besagte, daß anschauliche Vorstellungen analysierbar sein müssen, damit in ihnen Teilvorstellungen unterscheidbar werden, die - in allgemeiner Verwendung — als conceptus communes fungieren können. Diese Voraussetzung wurde zunächst nicht begründet, sondern es zeigte sich, daß ihr eine noch fundamentalere Voraussetzung zugrunde hegt, nämlich diejenige, daß an dem Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung eine Handlung der Synthesis stattfindet (vgl. oben Abschnitt 3.3.2). Die erstgenannte Voraussetzung hatte zum Inhalt, daß diejenige Einheit, welche die Form des Urteils charakterisiert, nur dann gegeben ist, wenn die durch die Begriffe, bzw. Prädikate des Urteils vorgestellten Merkmale in dem anschaulich Gegebenen vereinigt sind. Diese Voraussetzung wurde begründet durch Einfuhrung der transzendentalen Apperzeption. Denn es zeigte sich, daß durch die synthetische Einheit der Apperzeption sowohl die objektive Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung als auch die Einheit der Urteilsstruktur bedingt ist. Durch die synthetische Einheit der Apperzeption wurde denn auch der Begriff der Synthesis selbst begründet (vgl. oben Abschnitt 3.3.3 und 3.3.4). Man kann also sagen, daß die beiden ersten Voraussetzungen der formalen Logik durch den ersten Argumentationsschritt der Deduktion transzendental begründet worden sind. Die dritte Voraussetzung besagte, daß insbesondere die logische Untersuchung des Einzelurteils darauf beruht, daß die Anschauung, auf die sich dieses Urteil bezieht, eine Vorstellung des Einzelnen sein muß. — Es hegt nim natürlich nahe, diese Voraussetzung mit dem zweiten Schritt des Argumentes der Deduktion in Verbindung zu setzen, geht es doch hier um die Synthesis der Apprehension, die Aufnahme des anschaulich Gegebenen in das Bewußtsein. Bevor das geschieht, mag es jedoch nützlich sein, die Bedeutung der Analyse der Anschauimg für die logische Behandlung des Einzelnen zu erwägen. Es hatte sich gezeigt, daß Kant mit singulären Begriffen in zweierlei Bedeutung operiert: mit Demonstrativbegriffen und konventionellen conceptus infimi. In welchem Sinne sind nun diese Begriffe auf Anschauung bezogen? Im Falle der Demonstrativbegriffe ist diese Frage leicht zu beantworten: Der Sinn eines "Operators" wie "dies", der die Bedeutung solcher Begriffe definiert, ist, auf ein raum-zeitlich bestimmtes Etwas hinzuweisen — die Demonstrativbegriffe setzen also Anschauung als Vorstellung des Einzelnen = raum-zeitlich Individuierten voraus. — Die konventionellen conceptus infimi sind "im Grunde", so sagte Kant, keine Begriffe von Einzelnem, und zwar deshalb, weil wir sie nicht durchgängig bestimmen können. Wenn wir nun solche Begriffe lediglich unter der kontingenten Voraussetzung verwenden können, daß sie nur auf einen Gegenstand zutreffen, scheint das mit der Annahme gleichbedeutend zu sein, daß der Gegenstand in der Anschauung durchgängig bestimmt ist.

154

Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

Wir können also anscheinend sagen, daß konventionelle conceptus infimi auf Anschauung als "Vorstellung des (objektiv) durchgängig bestimmten" bezogen sind (vgl. oben S. 121 ). Dann ist aber auch klar, was von der Begründungsfunktion der transzendentalen Deduktion der Einzelbegriffe zu sagen ist: Sie kann sich allenfalls auf die Demonstrativbegriffe beziehen. Und zwar ist das dann der Fall, wenn die Apprehension z.B. eines räumlich Angeschauten dessen Lokalisierung im Gesamtraum impliziert. Wir können diese Frage in unserem Zusammenhang, wo es nicht um eine eingehende Untersuchung über Kants Lehre vom Raum geht, nicht entscheiden35. Wichtiger ist jedoch der Tatbestand, daß die Synthesis der Apprehension die Einzelnheit der Anschauung als Vorstellung des durchgängig Bestimmten nicht "einholen" kann. Er impliziert, daß die transzendentale Deduktion nicht die Verwendung von konventionellen conceptus infimi begründen kann. Man könnte noch die Möglichkeit erwägen, daß Kants Lehre vom "Schematismus" eine Ergänzung enthalten könnte zum Argument der transzendentalen Deduktion hinsichtlich der von der Logik gemachten Voraussetzung, die Anschauung sei eine Vorstellung vom Einzelnen. Das Schematismus-Kapitel ist ja ein Teil der "transzendentalen Doktrin der Urteilskraft", und die Urteilskraft ist "das Vermögen, unter Regeln zu s u b s u m i e r e n , d.i. zu unterscheiden ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht" (A132/B171). Das heißt, der Schematismus behandelt die Frage, unter welchen Bedingungen das in der Anschauung Gegebene Begriffen untergeordnet werden kann. Es zeigt sich jedoch schnell, daß der Schematismus zum eigentlichen Argument und damit zur Begründungsfunktion der Deduktion nichts hinzufügt. Die Deduktion hat gezeigt, daß die Kategorien in Bezug auf alle Erscheinungen objektive Gültigkeit besitzen. Demgegenüber stellt sich im Schematismus die Frage: "Wie ist nun die S u b s u m t i o n der letzteren unter die erste, mithin die A n w e n d u n g der Kategorie auf Erscheinung möglich . . . " (A137/B176, kursiv von mir). — Obwohl aber der Schematismus zum Argument der Deduktion nichts hinzufügt, mag es nützlich sein zu fragen, ob dieses kantische Theorem in anderer Weise klärend ist für das Problem der Beziehung zwischen der allgemeinen Vorstellung, dem Begriff, und der Vorstellung vom Einzelnen, der Anschauung. Wir werden uns bei dieser Frage auf das beschränken, was Kant über den Schematismus der empirischen Begriffe andeutet. Kant leitet das Schematismuskapitel ein mit einer Untersuchung des Tatbestandes, daß Gegenstände unter Begriffen enthalten, dJi. unter diese subsumierbar sind. Für diesen Tatbestand nennt er eine Bedingung, die er in doppelter Weise aus35

Wie W. Albrecht in der genannten Dissertation zeigt, liegt ein solches Verhältnis zwischen Gesamtraum und Apprehension eines Raumteiles vor, wenn es um die Größenbestimmung des letzteren geht.

Was ist durch die transzendentale Deduktion begründet?

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drückt: 1) die Vorstellung vom Gegenstand muß mit der begrifflichen Vorstellung "gleichartig" sein; 2) der Begriff muß dasjenige "enthalten", welches in dem zu subsumierenden Gegenstand vorgestellt wird (A237/B176). Man sieht, daß Kant den Vorgang des Subsumierens von Gegenständen auf der Ebene der Vorstellungen lokalisiert, und wir können vermuten, daß die Vorstellung vom Gegenstand, die mit dem Begriff gleichartig sein soll, eine Anschauung ist. Daß diese Bedingung der Subsumtion erfüllt ist, ist nun nach Kant eine Leistung des Schemas. Von diesem sagt er zunächst, es sei "an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft" (A140/B179). Von der Einbildungskraft wissen wir: sie ist "das Vermögen, einen Gegenstand auch o h n e d e s s e n G e g e n w a r t in der Anschauung vorzustellen" (B151, kursiv von mir). Und so liegt es nahe, das Schema mit dem Bild zu vergleichen, denn dies ist eben das, was die Einbildungskraft ohne Gegenwart des Gegenstandes hervorruft: eine "einzelne Anschauung" (A140/B179). Den Unterschied zwischen Schema und Bild veranschaulicht Kant an folgendem Beispiel. Ein Bild der Zahl 5 wären z.B. fünf Punkte: es ist die Anschauung eines Einzelnen36. Hingegen ist die Vorstellung von einer Zahl überhaupt nicht ein Bild, sondern sie enthält "eine(r) Methode, einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge . . . in einem Bilde vorzustellen" (ebd.). Das Schema ist also nicht die anschauliche Vorstellung von einem Gegenstande, der unter einen Begriff fällt, sondern eine Vorstellung von der Art, wie ein gegebener Begriff auf eine entsprechende Anschauung bezogen werden kann. Das Schema eines Begriffes ist "die Vorstellung von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, (dem) Begriff sein Bild zu verschaffen" (A140/ B179i). Was nun den empirischen Begriff betrifft, so hebt Kant hervor, dieser sei nie mit einem Gegenstand der Erfahrung oder dessen Bild kongruent. Vielmehr sei er unmittelbar auf ein Schema der Einbildungskraft und erst dadurch auf den angeschauten Gegenstand bezogen. Denn dieses Schema ist "eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe" (A141/B180). Den Schematismus des empirischen Begriffes erläutert er dann an dem Beispiel "Begriff vom Hunde". Der Begriff bedeutet under dem Gesichtspunkt des Schematismus "eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann" (ebd., meine Hervorh.). Daß der Begriff allgemein ist, bedeutet, daß das "Verzeichnen", fur welches er die Regel gibt, unabhängig ist von "besondere(n) Gestalten)" und konkreten Bildern, die tatsächlich in der Erfahrung auftreten, bzw. aufgetreten sind (A142/B180). Das Schema des Begriffes "Hund" ermöglicht es somit, daß ich entscheiden kann, ob ein bestimmtes in der Anschauung auftretendes Tier von einer solchen "Gestalt" ist, daß es der "allgemeinen Verzeichnung" des Begriffes entspricht, d.h. ob das angeschaute Tier unter dem Begriff "Hund" subsumierbar ist. Stellen wir uns vor, die Hand36

Daß nach Kant Zahlen Einzelne sind, geht aus seiner Erläuterung des Satzes "7 + 5 = 12" hervor: er ist zwar synthetisch, aber "nicht allgemein". Vgl. A164/B205.

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Das Problem des Einzelnen in der transzendentalen Deduktion

lung der Subsumtion drücke sich in dem Satz aus "Dies ist ein Hund", dann besagt Kants Theorie des Schematismus folgendes. Ich kann das in der Anschauung auftretende, das durch "dies" angezeigt ist, deshalb unter dem Begriff "Hund" subsumieren, weil die betreffende Anschauung durch einen Akt der Synthesis zustande kommt, für welchen der Begriff eine Regel enthält. Anders ausgedrückt, ich kann die Anschauung des subsumierten Tieres apprehendieren in Übereinstimmung mit dem Begriff "Hund" bzw. dessen Schema37. Da das Schema also auf die Anschauung, insofern als sie apprehendiert wird, bezogen ist, muß man hinsichtlich der Erkenntnis vom Einzelnen zu der Konklusion kommen: Der Schematismus entwickelt zwar die Bedingungen dafür, daß ein Begriff auf das Einzelne Angeschaute bezogen sein kann, nicht aber dafür, daß es Begriffe vom Einzelnen als Einzelnem geben kann. Kant stellt sich selbst beim Abschluß der transzendentalen Deduktion die Frage nach der Reichweite der Argumentation. Und zwar tut er das unter dem Gesichtspunkt, daß die Kategorien der Natur - als dem "Inbegriffe aller Erscheinungen" — a priori Gesetze vorschreibt (B163). Dabei bezieht er sich auf den zweiten Argumentationsschritt der Deduktion: "Da nun von der Synthesis der Apprehension alle mögliche Wahrnehmung, sie selbst aber, diese empirische Synthesis, von der transzendentalen, mithin von den Kategorien abhängt, so müssen alle möglichen Wahrnehmungen, mithin auch alles, was zum empirischen Bewußtsein immer gelangen kann, d.i. alle Erscheinungen der Natur, ihrer Verbindung nach, unter den Kategorien stehen" (B164f, meine Hervorh.). Es zeigt sich nun, daß dieser Argumentationsschritt, der die Universalität der Gültigkeit der Kategorien sichert, nichtsdestoweniger mit einer Einschränkung versehen ist. Er kann nur diejenige Gesetzmäßigkeit begründen, welcher "eine Natur überhaupt" gehorchen muß. Die Bedeutung dieser Einschränkung ergibt sich aus dem Kontrastbegriff zur Gesetzmäßigkeit von Natur überhaupt: demjenigen der "besondere(n) Gesetze" (B165, meine Hervorh.). Diese müssen zwar "unter" den kategorial bedingten Gesetzen — den Grundsätzen des Verstandes — stehen, können von ihnen aber " n i c h t vollständig a b g e l e i t e t werden" (ebd.). Die Einschränkung ist darin begründet, daß die Kategorien zwar die allgemeinen Bedingungen dafür enthalten, daß etwas überhaupt apprehendiert, d.h. als Angeschautes ins Bewußtsein aufgenommen werden kann, nicht aber vorwegnehmen können, wie das jeweils Angeschaute empirisch bestimmt ist. Es ist dies der gleiche Tatbestand wie deijenige, welcher ausschließt, daß die Kategorien das Angeschaute so bestimmen, wie es als Einzelnes gegeben ist. 37

Zum Zusammenhang von Schema und Apprehension vgl. H.J. Paton "Kant's Metaphysics of Experience" II, S. 33f. Von der weiteren Problematik in Bezug auf den empirischen Schematismus, etwa der Frage, was eigentlich der genaue Unterschied zwischen Begriff und Schema ist, kann hier abgesehen werden. Sie ist neuerdings in einem Aufsatz von R.B. Pippin behandelt worden: "The Shematism and Empirical Concepts".

IV

DIE VERNUNFT ALS GEGENSTAND TRANSZENDENTALLOGISCHER UNTERSUCHUNG

Das "transzendentale Ideal" ist ein Begriff, bzw. eine Vorstellung, welche Kant der "Vernunft" zuschreibt. Mit diesem Ausdruck bezeichnet er bekanntlich ein "Vermögen", Begriffe zu bilden und zu verwenden, die von prinzipiell anderem Typus sind als die conceptus communes des Verstandes. Der Untersuchung dieses Vermögens ist deqenige Teil - der umfassendste - der KrV gewidmet, der den Titel "Transzendentale Dialektik" trägt. Der Titel läßt vermuten, daß in diesem Teil der "dialektische Schein" im Bereich der transzendentalen Logik thematisiert wird. Das ist zwar auch der Fall, aber damit ist der Gegenstand dieses Teils der transzendentallogischen Untersuchimg keineswegs hinreichend erfaßt; Nach Kant ist es eben die Vernunft, welche den Ursprung des transzendentalen Scheins enthält. Und eine Aufklärung dieses Scheins ist natürlich nicht möglich ohne eine allgemeine Untersuchung der Struktur der Vernunft, eine Ermittlung ihrer Elemente. Eine solche Untersuchung findet aber nach Kant statt im Rahmen einer Analytik. In der Einleitung zur transzendentalen Logik hieß es denn auch ausdrücklich, die Analytik (der allgemeinen Logik) löse "das ganze formale Geschäfte des Verstandes und der Vernunft in seine Elemente a u f . . " (meine Hervorh. A60/B84). So hat Kant schon durch die Wahl des Titels "Transzendentale Dialektik" der Interpretation dieses Teils der Kritik Schwierigkeiten aufgegeben. Um durch sie nicht irregeführt zu werden, muß man sich auf jeden Fall klarmachen, daß "transzendentale Dialektik" zweierlei umfaßt, nämlich 1) die Kritik des dialektischen Scheins und 2) eine Analytik des Vernunftvermögens - wie sich zeigen wird, ist diese Analytik sowohl allgemein- als auch transzendentallogischer Art. Diese Doppelheit in der Anlage der transzendentalen Dialektik impliziert zumindest die Möglichkeit, daß "Vernunft" auch andere Funktionen hat, als Ursprung dialektischen Scheins zu sein. Es ist klar, daß auf den ganzen Problemkomplex "Vernunft — Dialektik" in unserem Zusammenhang nicht eingegangen werden kann. Im folgenden wird nur solches dargestellt, welches fur das Verständnis des Kontextes, in dem die Lehre vom Ideal eingeführt wird, erforderlich ist. Auf die allgemeine Frage nach der Vernunft und ihrem Platz innerhalb von Kants Konzeption der Philosophie kann nur in dem Maße eingegangen werden, als sich für diese Fragestellung aus der Lehre vom transzendentalen Ideal Konsequenzen ergeben.

4.1 Schein und Vernunft

Die genannte Doppelheit in der Anlage der Dialektik kommt darin zum Ausdruck, daß Kant in seiner Untersuchung der Vernunft bei dem Begriff "Schein" einsetzt. Dabei kann er bei den einleitenden Überlegungen zum Programm einer transzendentalen Logik in der Analytik anknüpfen: dort wurde Dialektik allgemein bestimmt als "Logik des Scheins" (vgl. oben S. 90). Kant definiert den Schein von dem Begriff des Irrtums her: er ist "die Verleitung zum letzteren" (A293/B350)1. Den Sinn dieser Definition verdeutlicht er anhand einer Gegenüberstellung von Schein und Erscheinung. Daß Gegenstände den Charakter von Erscheinungen haben, beruht laut kantischer Theorie darauf, daß sie angeschaut werden. Der Schein hingegen ist durch diese Eigenart der Erkenntnis nicht begründet, vielmehr hängt die Frage nach Wahrheit, Irrtum und Schein der Erkenntnis an "dem Verhältnisse des Gegenstandes zu unserem Verstände" (ebd., meine Hervorh.). Das bedeutet, daß der Ursprung von Irrtum und Schein weder in der Anschauung noch im Verstand, sondern in deren Vereinigung in der eigentlichen Erkenntnis zu suchen ist. Die Möglichkeit irriger oder falscher Urteile - d.h. eben Verbindungen von Anschauung und Verstand/Begriff — fuhrt Kant zurück auf "den unbemerkten Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand" (A294/B350). Diese Formulierung erläutert er zunächst durch die Bemerkung, sie bedeute, "daß die subjektiven Gründe des Urteils mit den objektiven zusammenfließen, und diese von ihrer Bestimmung abweichend machen .. " (A294/B350f). Was ist mit den subjektiven und objektiven "Gründen" des Urteils gemeint? Kant beantwortet diese Frage, indem er zwischen zwei Arten unterscheidet, wie sich Sinnlichkeit und Verstand zu einander verhalten können: Die Sinnlichkeit kann 1) dem Verstände "untergelegt" sein als das Objekt, an welchem er seine Funktion ausübt; es entstehen dann "reale Erkenntnisse" - sie kann aber auch 2) auf die Verstandeshandlung selbst Einfluß üben und sie "zum Urteilen bestimmen"; dann entsteht eben ein falsches Urteil, bzw. Irrtum (A294/B351, Anm.). Das erste Verhältnis ist natürlich dasjenige, welches Kant in der Analytik untersucht und begründet: die Anwendung von Begriffen auf sinnliche Anschauungen, wodurch diese als Objekte erkannt werden. Was Kant mit dem zweiten Verhältnis zwischen Sinnlichkeit und Verstand meint, kann man sich anhand eines Beispiels klar machen. Wir können falsch urteilen, wenn wir der optischen Täuschung erliegen. Ich sehe z.B. in einer durchsichtigen Vase eine Rose stehen und ihr Stiel ist — so sieht es aus - an der Linie der Wasseroberfläche gebrochen. Nach Kant ist der 1

Die Darstellung dieses Abschnitts bezieht sich auf die Passage A293-302/B349-359.

Schein und Vernunft

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Anblick der Rose "Anschauung"; sie ist als solche, d.h. ohne Verwendung von Begriffen, subjektiv. Fälle ich hingegen ein Urteil, etwa "Der Stiel der Rose ist gebrochen", erhebe ich den Anspruch, über eine objektive Tatsache etwas auszusagen. Nun ist das Urteil falsch und im kantischen Sinne beruht der Schein, d.h. die "Verleitung" dieses Urteil zu fällen, darauf, daß die Anschauung, das "so-sieht-es-aus", auf die Verstandeshandlung, das Behaupten eines Urteils mit Objektivitätsanspruch, "einfließt". Man kann sagen, daß Kant durch diese Überlegungen eine Theorie der Möglichkeit falscher Erkenntnis andeutet, genau wie er in der Analytik die Bedingungen objektiver und wahrer empirischer Erkenntnis ermittelt hat. Und zwar muß er natürlich auf die Ergebnisse der Analytik zurückgreifen, um eine solche Theorie aufstellen zu können 2 . Diesen Zusammenhang mit der Analytik betont Kant auch ausdrücklich. Daß das Urteil - auch das falsche — auf der Vereinigung von Sinnlichkeit und Verstand beruht, veranschaulicht er durch das Bild des Kräfteparallellogramms: Wie man eine zusammengesetzte Kraft als Produkt zweier in verschiedene Richtungen einwirkende Kräfte anhand dieser geometrischen Figur ermitteln kann, kann man das "irrige Urteil" auffassen als Produkt der Wirkungen von Verstand und Sinnlichkeit. Das falsche Urteil gibt dann den Anlaß dazu, daß man es durch "transzendentale Überlegung" auflöst in Vorstellungen, die je ihre entsprechende "Erkenntniskraft" haben - eben in Anschauung und Begriff (A294f/B351) 3 . Es zeigt sich also, daß Irrtum und Schein ein sehr intimes Verhältnis zur transzendentalen Reflexion und damit zur transzendentalen Analytik haben können: Sie können den Anlaß geben, daß transzendentale Reflexion überhaupt einsetzt4. Die bis jetzt behandelten Überlegungen knüpften wie gesagt direkt an die Analytik an: Es ging bislang um "empirischen Schein", die Verleitung zur Behauptung

2

3

4

Die Grundlage für die Beschreibung von mit "Schein" behafteten Urteilen ist im Zusammenhang der transzendentalen Deduktion angedeutet. Bei der Begründung der Urteilsstruktur wird dort das objektivgültige Urteil unterschieden von einem Urteil der Art: "Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere". Auch hier liegt wie im Falle des optischen Betrugs ein subjektiver "Zustand" vor, auf dessen Grundlage kein objektives Urteil gefällt werden kann (B142, vgl. oben S. 144). - Diese Art Urteile spielen in den "Prolegomena" - unter der Bezeichnung "Wahrnehmungsurteile" - eine weit größere Rolle als in der KrV. Die Problematik dieser Urteile ist jetzt eingehend untersucht worden von G. Prauss in "Erscheinung bei Kant. Ein Problem der 'Kritik der reinen Vernunft' ". Wie der Abschnitt "Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe" zeigt, gebraucht Kant den Begriff "Überlegung" als synonym mit demjenigen der "Reflexion". Die transzendentale Überlegung, bzw. Reflexion, die ein Grundverfahren der Vernunftkritik ausmacht, definiert er hier folgendermaßen: Sie ist "die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob sie als zum reinen Verstände oder zur sinnlichen Anschauung gehörend unter einander verglichen werden . . " (B317). G. Prauss macht in der genannten Untersuchung darauf aufmerksam, daß das "Faktum" der Erfahrung, von dem Kant bei seiner Erkenntniskritik ausgeht, nicht das Vorliegen von

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Die Vernunft als Gegenstand transzendentallogischer Untersuchung

falscher empirischer Urteile. Daneben gibt es wie wir wissen auch den logischen Schein. Im Kontrast z u diesen beiden Formen bestimmt Kant nun diejenige, auf die es ihm ankommt: die des transzendentalen Scheins. Gegenüber dem empirischen Schein grenzt Kant den transzendentalen dadurch ab, daß er sagt, dieser Wirke auf Grundsätze ein, die nicht auf Erfahrung "angelegt" seien. Er führe das Erkennen über den Bereich empirischer Kategorienanwendung hinaus und halte es "mit dem Blendwerke einer Erweiterung des r e i n e n Vers t a n d e s " hin ( A 2 9 5 / B 3 5 2 ) . Der transzendentale Schein ist also zunächst durch das Auftreten bestimmter "Grundsätze" charakterisiert. U m das näher auszufuhren, unterscheidet Kant zwischen zweierlei Grundsätzen, nämlich 1) immanenten, d.h. solchen, deren Anwendung innerhalb der Erfahrung liegt, und 2) transzendenten, d.h. solchen, welche die Grenzen der Erfahrung "überfliegen" sollen - u n d zwar handelt es sich nicht lediglich u m die Grundsätze des Verstandes in falscher Interpretation sozusagen, sondern u m Grundsätze, die v o n sich aus erfahrungs-transzendent sind ( A 2 9 5 f / B 3 5 2 ) .

wahrer empirischer Erkenntnis ist, sondern dasjenige der Möglichkeit, daß empirische Urteile immer wahr und falsch sein können. Er versucht zu zeigen, daß man von dieser Möglichkeit aus notwendig auf die beiden Erkenntniselemente der Erfahrung, Anschauung und Verstand, kommen muß. Vgl. a.a.O. S. 59-68. - Nach Prauss ist also die Möglichkeit des Irrtums ein Teil der Grundlage, auf welcher das Ergebnis transzendentaler Reflexion erreicht wird. Die Art, wie Kant in unserem Abschnitt den Irrtum darstellt, läßt aber auch die Deutung zu, daß dieser der Anlaß dafür ist, daß die Reflexion zustande kommt. - Daß transzendentale Reflexion durch gescheiterte Erkenntnisansprüche möglich wird, entspricht durchaus anderen Äußerungen Kants. Ein gescheiterter Erkenntnisanspruch äußert sich etwa in der "Amphibolie" der Reflexionsbegriffe. Eine solche liegt nach Kant bei Leibniz' principium identitatis indiscernibilium vor. Dieses Prinzip zeichnet sich dadurch aus, daß es, so Kant, zwar konsistent, aber doch falsch ist. Und das Vorliegen eines solchen amphibolischen Prinzips zwingt zur Reflexion, d.h. zur Untersuchung darüber, ob die in ihm verwendeten Begriffe im Bereiche der Anschauung oder in demjenigen des Verstandes ihren Platz haben (Vgl. A260-89/B316-46). Einen vergleichbaren Zusammenhang zwischen gescheitertem Erkenntnisanspruch und Vernunftkritik deutet Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage an. Er spricht hier vom "Experiment der Vernunft" und meint damit folgendes: Wenn unter Annahme der Richtigkeit der kritischen Unterscheidung diejenigen Widersprüche wegfallen, zu denen der Vernunftbegriff des Unbedingten Anlaß gibt - also etwa die Antinomie dann kann man dies als Bestätigung der kritischen Annahme auffassen (BXXff). Wenn dieser Zusammenhang zwischen Irrtum, bzw. gescheitertem Erkenntnisanspruch, und Anlaß transzendentaler Reflexion bei Kant wirklich von systematischer Bedeutung sein sollte, könnte man ihm nicht mehr mit Hegel den Vorwurf machen, er wolle Erkenntnis untersuchen, bevor etwas überhaupt erkannt sei. Es läge dann sehr wohl der Vernunftkritik Erkenntnis zu Grunde, und zwar vor allem falsche und widersprüchliche. - Die Hegel'sche Kritik ist neuerdings wiederholt worden von W. Kuhlmann in "Reflexion und kommunikative Erfahrung. Untersuchungen zur Stellung philosophischer Reflexion zwischen Theorie und Kritik", S. 30-38. Diese Fragestellung sei jedoch nur angedeutet - sie liegt am Rande unseres Themas.

Schein und Vernunft

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Der logische Schein ist ein "Schein der Trugschlüsse". Er entsteht aus unkorrekter Verwendung von logischen Regeln und kann daher durch korrekte Verwendung völlig behoben werden. Der transzendentale Schein zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, daß er nicht verschwindet, obwohl seine "Nichtigkeit" durch transzendentale Kritik durchschaut ist (A296f/B353). Im Zusammenhang dieser Charakterisierung des transzendentalen Scheins fuhrt Kant nun den Begriff der Vernunft ein. Daß es einen solchen transzendentalen Schein gibt, rührt nämlich daher, daß wir eine Vernunft als "Erkenntnisvermögen" haben, welche "Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs" enthält, die das "Ansehen objektiver Grundsätze" haben (A297/B353). Und es ist eben nur ein "Ansehen", denn es ist Ausdruck dafür, daß eine "subjektive Notwendigkeit" hinsichtlich "einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zu Gunsten des Verstandes" als eine "objektive Notwendigkeit" betrachtet wird, welche sich auf "Dinge an sich selbst" bezieht (ebd.). Diese Charakterisierung des transzendentalen Scheins im Kontrast zum empirischen und logischen hat nicht sosehr den Status eigentlicher Argumentation, sondern dient vielmehr dazu, zentrale Begriffe der folgenden Untersuchung der Vernunft zu introduzieren. Halten wir die wichtigsten Aspekte dieser Begriffseinfuhrung fest: 1. es soll bei der Dialektik, der Untersuchung der Vernunft, um einen Schein gehen, der sich an so etwas wie transzendente Grundsätze knüpft; 2. dieser Schein ist eine " I l l u s i o n , die gar nicht zu vermeiden ist", weil sie "der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhängt" (A297f/B353f, kursiv von mir); 3. der Schein beruht wesentlich darauf, daß eine subjektive Gültigkeit von Grundsätzen mit einer objektiven verwechselt wird. Der letztgenannte Aspekt zeigt, daß die Verwechslung des Subjektiven mit dem Objektiven — in jeweils anderer Bedeutung — das gemeinsame des empirischen und des transzendentalen Scheins ist5. In der Durchführung der transzendentalen Dialektik muß es nun darum gehen, diesen Schein "aufzudecken". Und auch in diesem Fall veranlaßt der Schein eine transzendentale Reflexion, d.h. die Aufdeckung des Scheins enthält als Teil eine transzendentale Analytik der Vernunft. In der ersten thematischen Erörterung des "Vermögens" der Vernunft bezeichnet Kant diese als "oberste Erkenntniskraft" (A299/B355). Er geht dabei von einer stufenartigen Bewegung der Erkenntnis aus, die von den Sinnen anfangend über den Verstand zur Vernunft verläuft - mit der Absicht, "den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen" (A298f/B399). s

Es ist deshalb durchaus falsch, wenn J. Bennett meint, der Satz " . . . der Irrtum (wird) nur durch den unbemerkten Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand b e w i r k t . . ", beziehe sich auf "all error". Er steht vielmehr in einem Kontext, wo es eindeutig nur um empirischen Schein geht. Vgl. "Kant's Dialectic", S. 267.

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Die Vernunft als Gegenstand transzendentallogischer Untersuchung

Der Sinn einer solchen Beschreibung ist an dieser Stelle nicht klar, aber sie deutet auf jeden Fall an, daß die Vernunft als Vermögen des "Denkens" vom Verstand abgegrenzt werden muß. Bei dem Versuch, eine "Erklärung", d.h. eine Definition dieses höchsten Vermögens zu finden, geht Kant davon aus, daß man bei ihm wie bei dem Verstand zwischen einem "bloß formalen, d.i. logischen" Gebrauch und einem "realen" unterscheiden muß, wobei der letztere darin besteht, daß die Vernunft "selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze enthält, die sie weder von den Sinnen, noch vom Verstand entlehnt" (A299/B355). Das Verhältnis dieser beiden Verwendungsarten von Vernunft zu einander beschäftigt Kant zunächst nicht. Vielmehr schließt er daraus, daß es diese zwei Arten von Gebrauch der Vernunft gibt, daß es auch einen "höheren Begriff" von ihr geben muß. Diesen höheren Begriff der Vernunft definiert Kant in einem Vergleich mit dem Verstände: Während man diesen als "Vermögen der Regeln" bezeichnen kann6, ist die Vernunft das " V e r m ö g e n d e r P r i n z i p i e n " (A299/B356). Diese Bestimmung des umfassenden Begriffes von Vernunft7 erfordert natürlich eine Erörterung des wesentlichen Bestandteiles im Definiens, nämlich des "Prinzips". Kant hebt hervor, der Begriff des Prinzips sei "zweideutig": man müsse unterscheiden zwischen 1) einer Erkenntnis, die als Prinzip verwendet werden kann, und 2) eines Prinzips schlechthin. Als Prinzipien gelten traditionell grundlegende Sätze, aus denen andere Sätze abgeleitet werden können, und so sagt Kant auch, als Prinzip fungieren im Sinne von 1) bedeute, als Obersatz in einem Syllogismus auftreten zu können. In dieser Bedeutung können Sätze verschiedener Art die Funktion eines Prinzips haben, etwa allgemeine empirische Sätze und mathematische Axiome. Solche Sätze zeichnen sich aber neben ihrer Allgemeinheit dadurch aus, daß sie Erfahrung, bzw. reine Anschauung, voraussetzen. Auch die Grundsätze des reinen Verstandes, die höchsten Prinzipien, welche die Analytik ermittelte, gelten unter einer Einschränkung, nämlich daß sie auf mögliche Erfahrung bezogen sein müssen. Unter Prinzipien schlechthin, Sätzen, die "an sich und (ihrem) Ursprünge nach" Prinzipien sind (A300/B356), versteht Kant hingegen "synthetische Erkenntnisse aus Begriffen" (A301/B357, meine Hervorh.). In diesem Sinne können keine Sätze des Verstandes Prinzipien sein, denn dieses "Vermögen" zeichnet sich ja nach 6

7

Als Vermögen der Regeln, hatte Kant am Ende der transzendentalen Deduktion in der ersten Auflage den Verstand charakterisiert. Daß diese Charakterisierung nach der Untersuchung sowohl der formallogischen als auch der transzendentalen Funktion des Verstandes erfolgt, bedeutet, daß sie dessen "höheren" Begriff betrifft. (Vgl. A l 26). Der von mir benutzte Ausdruck "umfassender Begriff der Vernunft" könnte zu Mißverständnissen Anlaß geben, denn bekanntlich bezeichnet Kant auch gelegentlich das ganze "höhere Erkenntnisvermögen", einschließlich des Verstandes, als "Vernunft". Demgegenüber führt er in der Dialektik eben einen engeren Begriff von Vernunft ein. Von diesem engeren Begriff gibt es wieder die "umfassendere" Bedeutung, die sowohl dem logischen als auch dem realen Gebrauch übergeordnet ist!

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Kant dadurch aus, daß seine Begriffe prinzipiell auf Anschauung bezogen sein müssen: von der "bloßen Verstandeserkenntnis" gilt, daß sie "an sich selbst.. (so fern sie synthetisch ist) nicht auf bloßem Denken beruht, noch ein Allgemeines nach Begriffen in sich enthält" (A302/B358). Auf dem Hintergrund dieser Erörterung des Begriffes Prinzip kann Kant dann die Definition des umfassenden Begriffes der Vernunft im Vergleich mit dem Verstand reformulieren: Während dieser "ein Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln" genannt werden kann, ist die Vernunft als "das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien" zu charakterisieren (A302/B359, meine Hervorh.)8. Daß die Vernunft in ihrer allgemeinen Bedeutung Einheit unter den Verstandesregeln stiftet, ergibt sich offenbar daraus, daß sie rein begriffliche Prinzipien hervorbringt. Denn aus diesem Grunde kann sie nicht auf "Erfahrung" und "Gegenstände", sondern muß auf den Verstand bezogen sein (ebd.). - Auch diese Überlegungen haben natürlich nur vorläufigen Charakter. Sie erörtern hypothetisch die Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn man neben dem Verstand noch ein höheres Vermögen des Denkens, der Begriffsverwendung, annimmt: Es muß ein Denken sein, welches nicht wesensmäßig auf Anschauung bezogen ist, sondern rein aus Begriffen "Erkenntnisse" hervorbringen kann. Nach dieser vorläufigen Definition des umfassenden Begriffs der Vernunft kann Kant nun die beiden Arten ihres Gebrauchs untersuchen.

8

So auch R 5553: "Die Axt, das Besondere als eine Bestimmung des Allgemeinen anzusehen (des wahren Allgemeinen, was nicht als induction aus dem Besonderen gezogen ist), ist eine Einheit a priori, die von der Erfahrungseinheit ganzlich unterschieden ist". In dieser Formulierung ist diejenige Eigenart des Prinzips enthalten, daß durch es "das Besondere im Allgemeinen durch Begriffe" erkannt wird (A300/B356).

4.2 Die logische Funktion der Vernunft Bei der weiteren Untersuchung der Struktur der Vernunft kann Kant zweierlei voraussetzen: Die Definition des umfassenderen Begriffes (Vernunft als Vermögen der Prinzipien) und die Einteilung dieses Begriffes in einen logischen und einen "realen" Gebrauch. Was die logische Funktion der Vernunft betrifft, knüpft er zunächst an die geläufige Auffassung an: "Das erstere Vermögen ist nun freilich vorlängst von den Logikern durch das Vermögen mittelbar zu schließen . . erklärt worden" (A300/B355, meine Hervorh.). Der Schluß ist also diejenige logische Operation, in welcher die Vernunft sich äußerst. Von dieser Operation gilt allgemein: "Bei jedem Schlüsse ist e i n Satz, der zum Grunde liegt, und e i η anderer, nämlich die Folgerung, die aus jenem gezogen wird, und endlich die Schlußfolge (Konsequenz), nach welcher die Wahrheit des letzteren unausbleiblich mit der Wahrheit des ersteren verknüpft ist" (A303/B359f). Wie man sieht, rechnet Kant mit drei Elementen bzw. Aspekten an der allgemeinen Struktur des Schlusses, indem er neben den beiden Sätzen, von welchen der eine sich aus dem anderen ergibt, noch eigens'die "Schlußfolge" anfuhrt, d.h. den Tatbestand, daß die Wahrheit des erschlossenen Satzes von der Wahrheit des zugrundegelegten Satzes abhängig ist. Nun ist durch die allgemeine Operation des Schließens die logische Funktion der Vernunft noch nicht hinreichend charakterisiert. Es gibt nach Kant nämlich auch "Verstandesschlüsse". Mit diesem Ausdruck bezeichnet er das "unmittelbare Schließen", dJi. das Verfahren, aus einem gegebenen Satz direkt andere Sätze zu ermitteln wie das etwa bei der Konversion der Fall ist. Schlüsse der Vernunft sind hingegen solche, wo außer dem zugrundegelegten Satz "noch ein anderes Urteil nötig" ist, d.h. solche, die man traditionell Syllogismen nennt (A303/B359f). Von dem Vernunftschluß finden sich in den Einleitungsabschnitten der Dialektik mehrere Definitionen: (1) " . . der Vernunftschluß ist selbst nichts andres als ein Urteil, vermittelst der Subsumtion seiner Bedingung unter eine allgemeine Regel .. " (A307/ B364); (2) " . . der Vernunftschluß selbst ist ein Urteil, welches a priori in dem ganzen Umfange seiner Bedingung bestimmt wird" (A321f/B378). Diese Formulierungen entsprechen recht gut denjenigen, welche Kant in seinen Darstellungen der Logik gibt, etwa: (3) "Ein Vernunftschluß ist die Wahrheit eines Urteils so fern erkannt wird, daß die Subsumtion derselben unter der Bedingung einer allgemeinen Regel steht.. " 9 ,

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(4)

"Vemunftschluß ist ein Urtheil a priori durch Subsumtion seiner Bedingung unter (die Bedingung) einer allgemeinen Regel" (R 3198). Es ist sicherlich nicht unmittelbar zu sehen, daß Kant durch solche Definitionen dasjenige Verfahren beschreibt, welches aus der Tradition als Syllogismus bekannt ist. Um sie zu verstehen, ist es naheliegend, zunächst eine Formulierung zu betrachten, die etwas einleuchtender ist: (5) "Ein Vemunftschluß entsteht, wenn eine nota remota dem Subject wegen einer nota intermedia zukommt, oder removiert wird, weil sie der nota intermedia widerspricht"10. Die Definition ist in der Terminologie der "nota", d.h. des Merkmals ausgedrückt. Der Sinn ergibt sich leicht, wenn wir sie auf ein klassisches Beispiel anwenden: Alle Menschen sind sterblich Cajus ist ein Mensch Cajus ist sterblich. Das Merkmal "sterblich" kommt dem Subjekt des Schlußsatzes "Cajus" zu kraft des "Zwischenmerkmals" "Mensch". Das bedeutet, etwas moderner ausgedrückt: der Schluß beruht auf einem Verhältnis zwischen Begriffsextensionen. Nun vermeidet Kant aber in den meisten Definitionen des Vernunftschlusses diesen Gedanken. Statdessen sind die Schlüsselbegriffe in den prominentesten Formulierungen der Definition "Bedingung" und "allgemeine Regel".

Die Bedeutung des Terminus "Bedingung" ergibt sich aus Kants Begriffs- und Urteilslehre. Nach Kant sind Begriffe, wie oben dargestellt (vgl. S. 104), "Prädikate möglicher Urteile" (A69/B94). Daß der Begriff vom Urteil her verstanden werden muß, bedeutet unter anderem, daß er an sich keine Erkenntnis von einem Gegenstand leistet. Er muß erst mit einem anderen Begriff zu einem Urteil verbunden werden. Diesen Sachverhalt kann man nun so ausdrücken, daß im Urteil der eine Begriff die Bedingung dafür ist, daß der andere Begriff seine Erkenntnisleistung vollziehen kann. In der Sprache der traditionellen Subjekt-Prädikat Relation ausgedrückt bedeutet das, daß der Subjektbegriff Bedingung der Erkenntnisleistung des Prädikatbegriffs ist. Wie sich oben zeigte, macht sich eine gewisse Unsicherheit bei Kant geltend hinsichtlich der Subjekt-Prädikat Asymmetrie. Bei den allgemeinen Urteilen - die in der Schlußlehre vor allem wichtig sind - war die Asymmetrie jedoch unproblematisch. - Was die nicht-kategorischen Urteilsformen betrifft, kann man sagen, daß im hypothetischen Urteil die Grund — Folge Relation auch den Charakter einer Einheit von Bedingung und Bedingtem hat. Schließlich gilt vom disjunktiven Urteil: "Das Bedingte sind in diesem Verhältnis die das Ganze der Erkenntnis bestimmenden Glieder, die Bedingung ist der Inbegriff, das Ganze, das durch die Glieder bestimmt ist"11. Den Begriff der Regel definiert Kant einmal als "eine assertion unter einer allgemeinen Bedingung" (R 3202). Wie man sieht, han9 10

Logik Pölitz, XXIV,586. Logik Pölitz, XXrV.587.

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delt es sich um die Definition des allgemeinen Urteils, in der Terminologie der Bedingung ausgedrückt. Die Bedeutung der Definition des Vernunftschlusses wie sie die Formulierung (1) - (4) repräsentiert erläutert Kant nun dadurch, daß er sie auf die Elemente des Syllogismus anwendet: 1. der "Obersatz, maior" ist eine "allgemeine Regel". Im obengenannten Beispiel drückt etwa der Satz "Alle Menschen sind sterblich" aus, daß der Begriff "sterblich" ausgesagt wird unter der Bedingung "Mensch" - und zwar ist die Bedingung allgemein: "alle"; 2. der "Untersatz, minor" ist "die Subsumtion der Bedingung eines andern möglichen Urteils unter die Bedingung der Regel". Also: "Cajus", die Bedingung des Satzes "Cajus ist ein Mensch", wird - eben das drückt dieser Satz aus - subsumiert unter "Mensch", die Bedingung des ersten Satzes; 3. der "Schlußsatz, conclusio" ist "das wirkliche Urteil, welches die Assertion der Regel i n d e m s u b s u m i e r t e n F a l l e aussagt": die Regel "sterblich" wird ausgesagt in dem Fall - "Cajus" - der unter die allgemeine Bedingung der Regel subsumiert worden war (A330/B386). In Kants allgemeiner Definition des Schlusses kam zum Ausdruck, daß er die "Schlußfolge", bzw. die Konsequenz, als eigenen Aspekt des Schlusses hervorhebt. Durch diese Sichtweise kann er nun die Distinktion Materie - Form auf den Vernunftschluß anwenden: "Die Praemißen machen die Materie die consequenz die Form des Vernunftschlußes aus"12. Die Form des Vernunftschlusses, d.h. dasjenige an ihm, welches der eigentliche Gegenstand der logischen Untersuchung ist, besteht also in der Art, wie die Wahrheit der conclusio mit der Wahrheit der Prämissen "unausbleiblich verknüpft" ist (vgl. das Zitat oben S. 164 ). Nun beruht diese "Verknüpfung" laut Kants Definition offensichtlich auf der Operation der Subsumtion unter die Bedingung eines gegebenen Satzes. Von diesem Tatbestand aus lassen sich dann die verschiedenen Arten der Schlußformen einteilen·. "Das Verhältnis also, welches der Obersatz, als die Regel, zwischen einer Erkenntnis und ihrer Bedingung vorstellt, macht die verschiedenen Arten der Vernunftschlüsse aus" (A304/B361). Daß die Einteilung kategorische, hypothetische und disjunktive Schlüsse enthalten muß, hat Kant in einer Aufzeichnung deutlicher als im Text der Kritik gezeigt: "Denn alle regeln (urtheile) enthalten (obiective) Einheit des Bewustseyns des Mannigfaltigen der Erkenntnis, mithin eine Bedingung, under der eine Erkenntnis mit der andern zu einem Bewustseyn gehört. .. Es sind nur drey Bedingungen dieser Einheit.

11

12

So K. Reich, "Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel", S. 51. - Ich verdanke überhaupt die Einsicht in die Bedeutung des Ausdrucks Bedingung der Reich'schen Untersuchung. Logik Pölitz, XXIV,586.

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Subject der inhaerentz der Merkmale Grund der dependentz eines Erkenntnisses vom andern Verbindung der Theile in einem Ganzen. Logische Eintheilung" (R 3199). Daß der Begriff der Bedingung - anders als etwa deqenige der Extension — es erlaubt, die drei Arten von Vernunftschlüssen unter einem Gesichtspunkt zusammenzufassen, mag einer der Gründe sein, weshalb Kant diesen Begriff in seiner Definition benutzt13. Um nun die Form des Schlusses, in welcher die logische Funktion der Vernunft zum Ausdruck kommt, etwas genauer zu erfassen, mag es nützlich sein, den Unterschied zwischen Form und Materie des Schlusses zu untersuchen. Die Form besteht wie gesagt in der Konsequenz, der "Verknüpfung der Wahrheit" - die Materie hingegen besteht aus den Prämissen. Die Prämissen sind aber Urteile, dJi. - im Rahmen der kantischen Logik — Produkte des Verstandes. Die logische Form der Vernunft äußerst sich also an dem Verstand: "Man siehet leicht, daß die Vernunft durch Verstandeshandlungen, welche eine Reihe von Bedingungen ausmachen, zu einem Erkenntnisse gelange" (A330/B387)14. Ein entscheidendes Charakteristikum der Vernunft liegt nun darin, daß diese Reihe von Bedingungen über den einzelnen Syllogismus hinaus erweitert werden kann und muß. Die Vernunfthandlung des Schließens ist potentiell eine ratiocinatio polysyllogistica, d.h. "eine Reihe von Schlüssen . . , die entweder auf der Seite der Bedingungen (per prosyllogismos), oder des Bedingten (per episyllogismos), in unbestimmte Weiten fortgesetzt werden kann" (A331/B388f). — Die Bewegung per prosyllogismos kommt dadurch zustande, daß eine Prämisse in einem Syllogismus sich als Konklusion eines anderen Syllogismus erweistls. Aus dieser potentiellen Polysyllogistik, welche den Schluß kennzeichnet, ergibt sich eine der grundlegenden Eigenschaften, die der Vernunft in ihrer logischen Funktion zukommen. Es besteht nämlich ein wichtiger Unterschied zwischen der prosyllogistischen und der episyllogistischen Reihe von Schlüssen. Die Konklusion eines Schlusses ist eine "Erkenntnis", die "bedingt gegeben" ist. Als Konklusion 13

14

15

Wenn J. Bennett sagen kann, die kantische Definition und Beschreibung des Vernunftschlusses "lacks generality" in dem sinne, daß sie nur auf den kategorischen Schluß zutreffe, kann das nur darauf beruhen, daß er die logische Bedeutung des Begriffs "Bedingung" bei Kant übersieht. Vgl. a.a.O. S. 260. Durch diese Bestimmung bestätigt sich im logischen Bereich die Tatsache, die am umfassenden Begriff der Vernunft ermittelt wurde: Diese ist primär auf den Verstand bezogen (Vgl. oben S. 163 ). Als Beispiel der Bewegung per prosyllogismos nennt Kant in Logik Pölitz XXIV.596: "Alles Einfache ist Unteilbar, die Seele ist einfach, also ist sie unteilbar Alles was denkt ist einfach, die Seele denkt, also ist sie einfach."

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eines Schlusses ist die Erkenntnis durch Vernunft — und nicht etwa durch Erfahrung - gewonnen. Das bedeutet aber, daß die Vernunft zu dieser Erkenntnis "nicht anders gelangen (kann), als wenigstens unter der Voraussetzung, daß alle Glieder der Reihe auf der Seite der Bedingungen gegeben sind (Totalität in der Reihe der Prämissen), weil nur unter deren Voraussetzung das vorliegende Urteil a priori möglich ist" (A331/B388) 16 . Es ist klar, daß eine entsprechende Totalität in der Reihe der polysyllogistischen Konklusionen, bzw. Folgen, nicht vorausgesetzt ist. Die Ungleichheit zwischen pro- und episyllogistischer Bewegung impliziert somit als Prinzip: " . . die Reihe der Prämissen . . muß . . doch Totalität der Bedingung enthalten . . und die ganze Reihe muß unbedingt wahr sein, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entspringende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll" (A332/B389, meine Hervorh.). Eine andere Überlegung Kants zum Problem der Voraussetzungen, die im Vernunftschluß impliziert sind, zeigt, daß der Gesichtspunkt der Extension nicht völlig eliminierbar ist. Der Schluß beruht — jedenfalls in der kategorischen Form — darauf, daß die Regel unter einer allgemeinen Bedingung gilt. Von der prosyllogistischen Bewegung her muß also so etwas wie eine höchste Allgemeinheit vorausgesetzt sein. "Diese vollendete Größe des Umfanges, in Beziehung auf eine solche Bedingung, heißt die A l l g e m e i n h e i t (universalitas)" (A322/B379). Von einem anderen Gesichtspunkt her kann man schließlich sagen, daß im Vernunftschluß eine Erkenntnis aus Prinzipien vollzogen wird. Diese zeichnet sich nämlich wie sich gezeigt hat dadurch aus, daß "ich das Besondre im Allgemeinen durch Begriffe erkenne". Und der Vernunftschluß besteht eben darin, daß ein besonderer Fall durch einen gegebenen allgemeinen Begriff - den Oberbegriff - erkannt wird (A300/B357). Verbindet man diese Eigenschaft der Vernunft mit der Polysyllogistik, ergibt sich noch ein Weiteres. Wenn eine Prämisse des einen Schlusses nämlich gleichzeitig Konklusion eines anderen ist, kann sie aus einer Regel gefolgert werden, " d i e auch für andere G e g e n s t ä n d e der E r k e n n t n i s gilt" (A305/B361). Darin kommt somit zum Ausdruck, "daß die Vernunft im Schließen die große Mannigfaltigkeit der Erkenntnis des Verstandes auf die kleinste Zahl der Prinzipien (allgemeiner Bedingungen) zu bringen und dadurch die höchste Einheit derselben zu bewirken suche" (ebd.). Wir können das Charakteristische an Kants Auffassung des Vernunftschlusses, der logischen Funktion der Vernunft, in folgende Punkte zusammenfassen:

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Wenn Kant sagt, durch den Vernunftschluß werde etwas α priori erkannt, kommt darin zunächst nicht sein eigener, neugeprägter Begriff des apriori'schen zum Ausdruck. Erkenntnis a priori bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr (wie auch bei Leibniz) "Erkenntnis aus den Gründen bzw. Prinzipien". Vgl. Heimsoeth: "Transzendentale Dialektik", S. 62.

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1. der zentrale Begriff ist deqenige der Bedingung. Er bezeichnet nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, eine wahrheitsfunktionale Abhängigkeit der Sätze im Syllogismus - etwa in dem Sinne, daß die Wahrheit der Prämissen "Bedingung" für die Wahrheit der Konklusion ist. Vielmehr haben alle Sätze des Schlusses Bedingungen, und das Konsequenzverhältnis zwischen Prämissen und Konklusion ist nicht ohne weiteres ein Bedingungsverhältnis, sondern kommt durch Subsumtion von Bedingungen unter andere Bedingungen zustande; 2. daß die Wahrheit der Konklusion auf einem Konsequenzverhältnis in diesem Sinne beruht, bedeutet, daß der Schluß rein logisch die Voraussetzung der Totalität der Bedingungen impliziert; 3. wenn die Vernunft in ihrer logischen Funktion auf Erkenntnisse des Verstandes angewendet wird, fuhrt sie diese auf eine geringere Anzahl von Prinzipien zurück, wobei diese Prinzipien solche des Verstandes — uneigentliche also - sein müssen17.

17

Bei Kants Lehre vom Vernunftschluß ist es sicher wesentlich schwieriger als im Falle seiner Begriffs- und Urteilslehre, zu entsprechenden Elementen gegenwärtiger Logik überhaupt eine Verbindung zu etablieren. Was in der Syllogistik und bei Kant als "Schluß" auftritt, würde man heute von der Implikation her verstehen, wobei diese wiederum ihren Sinn durch eine bestimmte wahrheitsfunktionale Konstante - das Konditional ( 3 ) - bekommt (Vgl. etwa Quine, "Methods of Logic" § 7). Ein Vergleich zwischen der logischen Implikation und Kants logischem Prinzip, der Schluß setzte die Vollständigkeit der Bedingungen voraus, müßte sicher zu der Konklusion kommen, daß in beiden Fällen unter "logisch" etwas sehr Verschiedenes verstanden wird. - Es scheint mir deshalb nicht sinnvoll, mit J. Bennett Kants Lehre vom Schluß von der Implikation her zu kritisieren. Er meint, Kant vermenge in seiner Lehre zweierlei, nämlich die Frage, ob etwas aus einer oder zwei Prämissen erschlossen werden kann, und diejenige, ob etwas unmittelbar oder nur kraft eines Zwischenurteils folgt. Und weiter meint er, beide Unterscheidungen seien logisch belanglos - aber eben vom Standpunkt heutiger Logik. Vgl. a.a.O. S. 158f.

4.3 Die transzendentalen Ideen Wie sich gezeigt hat, geht Kant bei der Analyse der Vernunft von vornherein davon aus, daß es von ihr sowohl einen logischen als auch einen realen, bzw. transzendentalen, Gebrauch gibt. Er setzt auch gleich voraus, daß "wir nach der Analogie mit den Verstandesbegriffen erwarten können, daß der logische Begriff zugleich den Schlüssel zum transzendentalen, und die Tafel der Funktionen der ersteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde" (A290/ B356, meine Hervorh.). Und so müßten wir erwarten, daß Kant, nachdem er die logische Funktion der Vernunft ermittelt hat, direkt zur Afustellung der "Stammleiter der Vernunftbegriffe" übergeht. Das ist jedoch nicht der Fall — vielmehr setzt er jetzt, wo es um Vernunft in ihrer transzendentalen Bedeutung geht, mit einer prinzipiellen Erörterung dessen ein, auf welcher Grundlage eine solche Analytik der Vernunft durchgeführt werden kann. Eine Untersuchung der Struktur der Vernunft muß in der gleichen Weise vorgehen wie die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Analytik des Verstandes: Sie muß das "Erkenntnisvermögen" isolieren, das ihr Gegenstand ist. Und Kant setzt ein mit der grundlegenden Frage, ob sich so etwas wie Vernunft überhaupt isolieren lasse. Daran schließt sich die weitere Frage, welche von den zwei alternativen Möglichkeiten zutreffen wird, falls man das Vernunftvermögen isolieren kann: a. Vernunft als isoliertes Vermögen ist eine Quelle von Begriffen und Urteilen, welche nur aus ihr entspringen, und durch welche sie sich auf Gegenstände bezieht; b. Vernunft ist nur ein "subalternes" Vermögen, dessen Funktion sich darauf beschränkt, bereits gegebenen Erkenntnissen eine logische Form zu geben. Die gegebenen Erkenntnisse sind solche des Verstandes, und ihre Formierung durch die Vernunft besteht darin, daß niedrigere Verstandesregel höheren durch "Vergleichung" untergeordnet werden (A305/B362)18. Diese Alternative erscheint in verschiedenen Formulierungen, und da durch sie die Möglichkeiten einer transzendentalen Bedeutung der Vernunft angegeben sind, muß im folgenden auf sie eingegangen werden. Was nun diese erste Formulierung der Alternative betrifft, so sieht man, daß die Möglichkeit b. mit dem oben angeführten Punkt 3. der logischen Vernunftfunktion zusammenfällt (vgl. S. 169 ): es handelt sich um diese logische Funktion auf Erkenntnisse des Verstandes angewendet. Bei dieser Verwendungsart der Vernunft knüpft Kant jetzt, wo er versucht, die Alternative zu entscheiden, an: Es steht fest, daß durch eine "Forde18

Die Darstellung dieses Abschnittes bezieht sich auf den Text A305-40/B362-99.

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rung" der Vernunft die Mannigfaltigkeit von Regeln auf eine Einheit der Prinzipien zurückgeführt werden muß, wodurch der Verstand "mit sich selbst in durchgängigen Zusammenhang" gebracht wird (ebd.). Diese "Forderung" der Vernunft kann man ihren Grundsatz nennen, aber wäre sie ihr einziger Grundsatz, müßte man die genannte Alternative gleich zu Gunsten der zweiten Möglichkeit entscheiden. Im Zusammenhang dieser Überlegung fuhrt Kant eine zweite Variante der Alternative an, indem er sie nun von dem Gesichtspunkt der Geltungsart eines Grundsatzes formuliert: a' ein Grundsatz kann Objekten ein Gesetz vorschreiben — in dem Sinne etwa, daß er den Grund der Möglichkeit dafür enthält, daß sie als Objekte erkannt und bestimmt werden. Eben dies ist die Geltungsart der Grundsätze des Verstandes; b' ein Grundsatz kann den Charakter eines rein subjektiven Gesetzes haben, welches die "Haushaltung mit dem Vorrate des Verstandes" regelt. Ein Grundsatz dieser Geltungsart setzt nicht voraus, daß die "Einhelligkeit" welche die "Gemächlichkeit und Ausbreitung unseres Verstandes" fördert, eine Eigenschaft an den Gegenständen selbst ist. Er ist vielmehr eine "Maxime", die keinen Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben kann (A306/B362f). Man sieht, daß in der Alternative b' die Begriffe "subjektiv" und "obejktiv" auftreten, die nach Kant für den Gedanken des Scheins konstitutiv sind (vgl. oben S. 161 , Punkt 3.). Nun ist die Alternative aber eben noch nicht entschieden, sondern sie dient zunächst nur dazu, die Fragestellung der Analytik des transzendentalen Vernunftvermögens genau zu fassen: Es geht darum, ob reine Vernunft synthetische Grundsätze und Regeln α priori enthält, und welches diese Grundsätze, bzw. Prinzipien, gegebenenfalls sind. Der Behandlung dieser Frage stellt Kant die hypothetische Behauptimg voraus, es lasse sich aus der logischen Vernunftfunktion ein transzendentales Prinzip ermitteln, welches die Grundlage "synthetischer Erkenntnisse durch reine Vernunft" ist (A306/B363). Bei der Nachprüfung dieser Hypothese bezieht sich Kant zunächst auf zwei der Charakteristika der logischen Vernunftfunktion. Es hatte sich zum einen gezeigt, daß der Vernunftschluß sich nicht auf Anschauungen, sondern auf Begriffe und Urteile richtet (vgl. oben S. 167 ). Wenn es also einen reinen, bzw. transzendentalen Gebrauch der Vernunft geben soll, kann sich dieser nicht unmittelbar auf Gegenstände und deren Anschauung richten, sondern muß sich unmittelbar auf den Verstand beziehen. Daraus folgt, daß die "Vernunfteinheit" von Prinzipien anderer Art sein muß als diejenige "Einheit einer möglichen Erfahrung", welche durch die Kategorien und Grundsätze des Verstandes konstituiert wird (A307/B363). - Wir müssen hinzufugen, daß diese Vernunfteinheit auch anderer Art sein muß als diejenige, welche durch Anwendung der logischen Vernunftfunktion auf Verstandeserkenntnisse zustande kommt. Denn der Gedankengang verläuft jetzt unter der Voraussetzung, daß ein transzendentales Vernunftprinzip anhand ihrer logischen Funktion ermittelt werden muß.

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Zum anderen hatte sich herausgestellt, daß kraft der potentiellen Polysyllogistik des Vernunftschlusses in der logischen Vernunftfunktion die Voraussetzung einer Totalität der Bedingungen impliziert ist (vgl. oben S. 169 ). Es ist ein "eigentümlicher Grundsatz" der Vernunft in ihrem logischen Gebrauch - so formuliert Kant jetzt — "zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird" (A307/B364). - Aus dieser logischen "Maxime" ergibt sich nun durch Transformation ein "Principium der r e i n e n V e r n u n f t " , und zwar hat dieses transzendentale Prinzip die Form der folgenden "Annahme": "Wenn das Bedingte gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander unterge ordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben (d.i. in dem Gegenstande und seiner Verknüpfung enthalten)" (A307f/B364). Wenn dieser Satz tatsächlich eine Transformation und nicht lediglich eine Wiederholung des logischen Grundsatzes sein soll, dann muß man erwarten, daß sich die Bedeutung des zentralen Begriffs im letzteren, desjenigen der Bedingung, nun verändert hat. Das ist auch der Fall: logisch gesehen fordert die Vernunft, das Unbedingte zu "finden"; das transzendentale Prinzip besteht hingegen in der Annahme, das Unbedingte sei "gegeben" - es setzt also voraus, daß das Unbedingte in einer bestimmten Weise vorliegt. Diese Voraussetzung ist angedeutet durch den Zusatz "in dem Gegenstande und seiner Verknüpfung". Während also die Vernunft in logischer Funktion Bedingung nur als Kennzeichen einer Relation zwischen Vorstellungen betrachtet, setzt sie durch ihr transzendentales Prinzip voraus, daß es eine analoge Relation im Bereich der Gegenstände dieser Vorstellungen gibt. Kant macht darauf aufmerksam, daß dieses Prinzip in der Tat ein synthetischer Satz ist. Aus dem Begriff "Bedingtes" kan man nämlich zwar den Begriff "Bedingung" analytisch ableiten, aber das läßt sich mit dem Begriff "Unbedingtes"nicht machen (A308/B364). Die weitere Untersuchung der transzendentalen Vernunft muß nun darin bestehen, daß der Begriff des Unbedingten - "wenn es wirklich Statt hat" - "besonders erwogen" wird (A308/B365). Kant stellt dabei in Aussicht, daß bei dieser Erwägung sich "manche synthetische Sätze" ergeben werden (A308/B364). Von diesen Grundsätzen, die aus dem Prinzip der Vernunft ableitbar sind, muß gelten, daß sie in Bezug auf Erscheinungen transzendent sind: Es kann kein adäquater empirischer Gebrauch von ihnen gemacht werden. Wie diese Bemerkung sich mit der Tatsache vereinigen läßt, daß das Unbedingte, welches das Vernunftprinzip zum Inhalt hat, im Bereich der Gegenstände gegeben sein soll, wird noch zu prüfen sein. Auf jeden Fall hat Kant jetzt skizziert, wie der Begriff "transzendenter Grundsatz", der in der ersten Erörterung des transzendentalen Scheins auftrat, zu verstehen ist (vgl. oben S. 160). Es scheint sich also jetzt eine Entscheidung abzuzeichnen hinsichtlich der alternativen Möglichkeiten, die sich für eine transzendentale Analytik der Vernunft ergeben hatten, und zwar zu Gunsten der erstgenannten Möglichkeit: Die Vernunft

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scheint tatsächlich ein transzendentales Prinzip zu enthalten. Aber es zeigt sich, daß auch die jetzt behandelten Überlegungen zum Teil lediglich hypothetischen Charakter haben, denn Kant kündigt nun an, das "Geschäfte der transzendentalen Dialektik" sei eben, die Alternative zu entscheiden, die er dann in einer dritten Version vorfuhrt: a"der Grundsatz, der besagt, die Reihe der Bedingungen — in der "Synthesis der Erscheinungen" oder von dem "Denken der Dinge überhaupt" - erstrecke sich zum Unbedingten, hat "objektive Richtigkeit" und es ergeben sich aus ihm "Folgen" fur den empirischen Gebrauch des Verstandes; b"es gibt keinen solchen Grundsatz der Vernunft von objektiver Gültigkeit. Vielmehr enthält die Vernunft lediglich die logische Vorschrift, zu immer höheren Bedingungen aufzusteigen und sich dabei der Vollständigkeit der Bedingungen zu nähern (A308f/B365f). Anhand dieser Alternative kann Kant auch den Charakter des transzendentalen Scheins hypothetisch angeben: Es könnte sein, daß die logische Vorschrift (b"), welche wirklich ein "Bedürfnis der Vernunft" ist, durch "Mißverstand" als ein transzendentaler Grundsatz der reinen Vernunft aufgefaßt wird, der etwas über die Vollständigkeit in der Reihe der Bedingungen im Bereich der Gegenstände aussagen kann (ebd.). Die Alternative entspricht weitgehend der oben angeführten a'/b' (vgl. S. 171)Der Unterschied scheint darin zu liegen, daß Kant jetzt voraussetzt, daß es wirklich einen Grundsatz der Vernunft gibt. Machen wir uns anhand dieses Unterschiedes die Alternative deutlich: Es gibt einen Grundsatz der Vernunft, welcher das Unbedingte zum Inhalt hat. Er hat entweder einen objektiven Gebrauch, wobei er analog zu den Grundsätzen des Verstandes etwas über Eigenschaften von Gegenständen aussagt (a'') — oder er hat nicht einen solchen Gebrauch. In diesem Fall wäre er aber nur eine logische Vorschrift (b''). Da diese letzte Möglichkeit die Anwendung der logischen Vernunftfunktion auf Verstandeserkenntnisse bezeichnet, impliziert sie, daß es von der Vernunft überhaupt nur eine loigsche Funktion gibt. Oder besser ausgedrückt: daß der transzendentale Schein genau in der Vortäuschung besteht, daß es neben dem logischen Prinzip auch ein transzendentales gibt. — Im folgenden wird es wichtig sein, nicht nur zu ermitteln, wie sich Kant nun für die Alternative entscheidet, sondern vor allem, ob die Alternative in dieser Form überhaupt adäquat dargestellt ist. Hinsichtlich dieser letzten Frage muß eine Veränderung beachtet werden, die Kant an der Formulierung von a'' vornimmt. Es heißt zunächst, die Reihe der Bedingungen beziehe sich auf die "Synthesis der Erscheinungen"; das entspricht gut der Formulierung des transzendentalen Vernunftprinzips, das Unbedingte sei gegeben "in dem Gegenstande . . " , denn etwas wird nur Gegenstand durch Synthesis von Erscheinungen, bzw. Anschauungen. In dem gleichen Zusatz ist dann aber die Rede davon, daß die Bedingungen sich auf das "Denken der Dinge überhaupt" bezieht. Dieser Ausdruck ist an der Stelle, wo Kant ihn einfuhrt, völlig unverständ-

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lieh. Seine Bedeutung wird im weiteren Gang der Überlegung deutlicher, und wir können vorgreifend die Möglichkeit offenhalten, daß durch diesen Begriff die für den Sinn der Dialektik entscheidende Alternative einen anderen Inhalt bekommen kann19. Es ist somit bis jetzt Kant gelungen — allerdings weitgehend unter dem Vorzeichen des Hypothetischen - ein transzendentales Prinzip der Vernunft zu ermitteln. Ein Prinzip ist ein Grundsatz und ein solcher setzt Begriffe voraus. Der nächste Schritt der Untersuchung der Vernunft in transzendentaler Bedeutung muß deshalb darin bestehen, diejenigen Begriffe aufzusuchen, welche Vernunft in dieser Funktion erzeugt. Um diese Aufgabe zu lösen, geht Kant wieder von der Analogie zwischen Verstand und Vernunft aus. Von jenem gilt: " . . die Form der Urteile (in einen Begriff von der Synthesis der Anschauungen verwandelt) brachte Kategorien hervor . . " (A321/B378, meine Hervorh.). In gleicher Weise muß man vermuten, "daß die Form der Vernunftschlüsse, wenn man sie auf die synthetische Einheit der Anschauungen, nach Maßgebung der Kategorien, anwendet, den Ursprung besonderer Begriffe a priori enthalten werde . . " (ebd., meine Hervorh.). Eine ähnliche Formulierung dieser Analogie findet sich in R SSSS: "Gleichwie ein reiner Verstandesbegrif nur durch die Form der Urtheile entspringt, indem ich sie synthetisch mache (und dadurch ein obiect denke), so entspringt ein reiner Vernunftbegrif durch die Form emes Vernunftschlusses. . . Die Allgemeinheit der relation ist die logische Form des Vernunftschlusses; der Begrif von einem Dinge durch die Vorstellung der Totalitaet der Bedingung der (Anwendung der) Categorien ist der Vernunftbegrif." Kategorie wie Vernunftbegriff entstehen also dadurch, daß die entsprechende logische Form transformiert wird: sie wird "verwandelt", "angewendet a u f ' etwas, "synthetisch gemacht"20. Diese Transformation hängt damit zusammen, daß die w

20

H. Heimsoeth sieht das Auftreten dieses Ausdrucks nur als "Andeutung" eines "Hauptthemais) der Metaphysik", indem ja die vorkantische Ontotogie - etwa Wolff und Baumgarten - beanspruchte, über "Dinge überhaupt" etwas aussagen zu können. Hingegen ignoriert er die Frage, welche Bedeutung das Einführen dieses Ausdrucks im Rahmen von Kants eigener Theorie und für den Aufbau seines Argumentes haben könnte. Vgl. a.a.O. S. 24. Die Analogie zur Sachlage bei der metaphysischen Deduktion der Kategorien drückt Kant auch aus A329/B386, wo er sagt, es gelte zu untersuchen, "ob nicht etwa die Vernunft . . auch ein Quell von Begriffen werde, Objekte an sich selbst, als synthetisch a priori bestimmt, in Ansehung einer oder der andern Funktion der Vernunft, anzusehen." (Meine Hervorh.). H. Heimsoeth ist die Analogie offenbar entgangen, denn er versteht die eine oder die andere Funktion, von denen die Rede ist, als jeweils den spekulativen und praktischen Gebrauch der Vernunft. Vgl. a.a.O. S. 60. Anm. Daß dies nicht sinnvoll ist, zeigt sich daran, daß Kant auch die Formulierung in völliger Analogie zur Kategoriendefinition aufgebaut hat, etwa derjenigen in B128: "Sie sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu Urteilen als b e s t i m m t angesehen wird" (kursiv von mir).

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logische Form auf etwas von ihr verschiedenes bezogen wird. Im Falle der Kategorien ist dies die Synthesis der Anschauung - sie sind eben Einheitsbegriffe der Synthesis. Im Falle der Vernunftbegriffe ist die Transformation der logischen Form offenbar höherstufig: sie wird bezogen auf die kategorial bedingte synthetische Einheit der Anschauungen. Nach dieser Ermittlung der Grundlage, auf welcher die Vernunftbegriffe aufgefunden werden können, geht Kant zu einer Untersuchung ihres Inhaltes über. Dieser muß sich anhand der logischen Form der Vernunftschlüsse ergeben und so greift er auf die Analyse der logischen Funktion der Vernunft zurück — und zwar geht er aus von deqenigen Formulierung des logischen Prinzips der Vernunft, welche besagt, dieses fordere die "vollendete Größe des Umfanges, in Beziehung auf eine . . Bedingung", dJi. die " A l l g e m e i n h e i t (universalitas)"(A322/A379, vgl. oben S. 168 ). Diese logische Struktur muß, so wissen wir, auf die Synthesis der Anschauung bezogen werden, und dadurch ergibt sich "die A l l h e i t (universitas) o d e r T o t a l i t ä t der Bedingungen" (ebd.). Dadurch ist eine erste allgemeine Definition der gesuchten Begriffe ermöglicht: Der transzendentale VernunftbegrifF =j-jef ein Begriff "von der T o t a l i t ä t d e r B e d i n g u n g e n zu einem gegebenen Bedingten" (ebd.). Nun meint Kant, daß "Totalität der Bedingungen" und "Unbedingtes" äquivalente Begriffe sind, und so kann er die Definition auch so formulieren: Der transzendentale Vernunftbegriff ein Begriff "des Unbedingten, so fern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält" (ebd.). Daß der Vernunftbegriff das Unbedingte zum Inhalt hat, ist jedoch eine genauso allgemeine Definition wie diejenige, daß die Kategorie synthetische Einheit enthält. Um den einzelnen Vernunftbegriff zu charakterisieren, muß man also diese allgemeine Definition spezifizieren. Diese Spezifikation läßt sich von zwei Seiten her erreichen. Zum einen hat sich ergeben, daß das Unbedingte gedacht wird in Bezug auf die kategoriale synthetische Einheit. Es muß also soviele Vernunftbegriffe geben, wie es Arten gibt, in welchen die Kategorie das Verhältnis von Bedingtem und Bedingung denkt. Diese Arten sind bekanntlich die drei Relationskategorien und so ergibt sich eine erste Aufstellung der "Stammleiter der Vernunftbegriffe"21: Es gibt 1. einen Begriff vom Unbedingten "der k a t e g o r i s c h e n Synthesis in einem Subjekt"; 2. einen Begriff vom Unbedingten "der h y p o t h e t i s c h e n Synthesis der Glieder einer R e i h e " ;

21

Kant gibt, wie von den Alternativen hinsichtlich des möglichen transzendentalen Gebrauchs der Vernunft, auch von der Tafel der Vernunftbegriffe verschiedene Formulierungen. Da auch sie fur das Verständnis der transzendentalen Funktion der Vernunft entscheidend sind, müssen wir sie mit einer möglichst großen Genauigkeit festhalten.

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3. einen Begriff vom Unbedingten "der d i s j u n k t i v e n Synthesis der Teile in einem S y s t e m " (A323/B379). Zum anderen muß die Spezifikation der Vernunftbegriffe den Formen von Vernunftschlüssen entsprechen. Da auch diese unter dem Gesichtspunkt der relationalen Urteilsformen eingeteilt werden müssen, ergibt sich die folgende Differenzierung innerhalb des logisch vorausgesetzten Begriffs vom Unbedingten. Das durch Prosyllogismen erstrebte Unbedingte kann sein: Γ ein "Subjekt, welches selbst nicht mehr Prädikat ist"; 2' eine " Voraussetzung, die nichts weiter voraussetzt"; 3' ein "Aggregat der Glieder der Einteilung, zu welchen nichts weiter erforderlich ist, um die Einteilung eines Begriffes zu vollenden" (A323/B379f, meine Hervorh.)22. Die Formulierung 3' leuchtet sicher am wenigsten ein. Da sie jedoch mit der Bildung des transzendentalen Ideals zusammenhängt, ist es sinnvoller, auf sie im Zusammenhang der Interpretation dieses Lehrstücks unten einzugehen. Nun fuhrt Kant aber noch einen Gesichtspunkt ein, von dem aus man die Spezifikation der Vernunftbegriffe betrachten kann: Er spricht, ohne ersichtliche Begründung, von dem "Allgemeine(n) aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können" (A333/B390, meine Hervorh.). Man kann bei den Vorstellungen, so heißt es weiter, zwischen folgenden Beziehungen unterscheiden: 1) der Beziehung zum Subjekt der Vorstellung, und 2) der Relation zu ihrem Objekt. Diese zweite Beziehung kann wiederum zweierlei bedeuten: 2a) die Beziehung zum Objekt als Erscheinung, und 2b) die Beziehung zum Objekt als "Gegenstand des Denkens überhaupt" (A334/B391, meine Hervorh.). — Diese Einteilung möchte Kant mit "der oberen verbinde(n)", d.h. mit deijenigen Spezifikation, welche sich anhand der drei Relationskategorien ergab. Es zeigen sich dann drei Begriffe, die man vom Verhältnis der Vorstellungen bilden kann: 1) der Begriff vom Verhältnis zum Subjekt, 2) derjenige vom Verhältnis "zum Mannigfaltigen des Objekts in der Erscheinung", und 3) derjenige vom Verhältnis "zu allen Dingen überhaupt" (ebd.). Es ist zwar — jedenfalls im Rahmen der kantischen Theorie - durchaus plausibel, mit diesen drei Arten von Beziehungen der Vorstellungen zu operieren. Aber welche Gründe gibt es dafür, sie mit der Spezifikation der Vernunftbegriffe zu verbinden? Es muß bei der Behandlung dieser Frage zunächst daran erinnert werden, daß schon bei der Formulierung des transzendentalen Prinzips der Vernunft von Bedingungen in Bezug auf das "Denken der Dinge überhaupt" die Rede war (vgl. oben S. 173 ). Wir müssen vermuten, daß Kant durch Einführung des neuen Gesichtspunktes diese Ausdrucksweise begründen möchte. Wie mir scheint, könnte diese

22

Im Grunde enthält diese Tafel nicht die Vernunftbegriffe, sondern eine Differenzierung des logischen Gedankens vom Unbedingten. Sie ist also das logische Pendent zur transzendentalen Liste 1./2./3.

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Begründung in der Art zu finden sein, wie Kant die Grundlage für die Gewinnung des Vernunftbegriffes in allgemeiner Bedeutung darstellt. Die Grundlage bestand wie erwähnt darin, daß die logische Funktion der Vernunft auf die kategorial bedingte synthetische Einheit der Anschauungen bezogen wurde (vgl. oben S.174). Nun enthält dieser Gedanke von der kategorial bedingten synthetischen Einheit anscheinend zwei Aspekte: a. die Anschauung, bzw. das anschaulich Gegebene, welches synthetisch vereinigt wird. Durch diesen Prozeß entstehen, wie es die Analytik zeigt, Gegenstände als Erscheinungen; b. die Kategorien, welche als Einheitsbegriffe bei diesem Prozeß der Synthesis fungieren. Wenn also die Vernunftbegriffe dadurch entstehen, daß die logische Funktion der Schlüsse auf die kategorial bedingte synthetische Einheit bezogen werden, können zu ihrem Inhalt teils die Gegenstände (die Synthesis-Produkte), teils die Kategorien (die Synthesis-Begriffe) gehören23. Warum die Kategorien dann noch sowohl zu einem Begriff des Subjekts als auch zu einem von "Dingen überhaupt" Anlaß geben, wird noch zu untersuchen sein. Auf dem Hintergrund dieser rekonstruierenden Überlegung ist es einigermaßen verständlich, daß Kant durch die folgende Argumentation zu einer neuen Formulierung der einzelnen Vernunftbegriffe gelangen kann: Es haben, so sagt er, "alle reine Begriffe überhaupt mit der synthetischen Einheit der Vorstellungen . . zu tun" (A334/B391, meine Hervorh.). Dieser Tatbestand soll von allen reinen Begriffen gelten, und er trifft in der Tat auch auf die Kategorien zu. Von den Begriffen, um die es jetzt geht, den "Begriffe(n) der reinen Vernunft" gilt aber insbesondere, daß sie es "mit der unbedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen überhaupt zu tun" haben (ebd., meine Hervorh.) — wir müssen hinzufügen: auch diese unbedingte Einheit ist eine solche von Vorstellungen. Die reinen Vernunftbegriffe müssen sich dann in verschiedene Begriffe von unbedingter Einheit der Vorstellungen spezifizieren. Diese sind 1" "die absolute (unbedingte) E i n h e i t des d e n k e n d e n S u b j e k t s " ; 2" "die absolute E i n h e i t der R e i h e der B e d i n g u n g e n der E r scheinungen"; 3 " "die absolute E i n h e i t der B e d i n g u n g e n a l l e r G e g e n s t ä n d e des D e n k e n s überhaupt"(ebd.)24. Kant geht nicht auf den Zusammenhang zwischen dieser Formulierung der Tafel 23

Es war davon die Rede, daß der Unterschied zwischen der transzendentalen und der logischen Bedeutung von "Bedingung" darin besteht, daß diese sich auf Vorstellungen, während jene sich auf Gegenstände von Vorstellungen bezieht. Dieser Unterschied ist nicht etwa durch Kants neuen Gesichtspunkt ruckgängig gemacht, denn nach diesem impliziert "Vorstellung" "kategoriale Synthesis der Vorstellungen", was bei der logischen Bedeutung nicht der Fall ist. Vgl. oben S. 172.

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der Vernunftbegriffe und der eben angeführten Liste 1./2./3. ein25, denn die neue Formulierung gibt ihm zunächst Anlaß, hervorzuheben, daß die Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauch nicht nur reine Begriffe hervorbringt, sondern auch den "Entwurf' macht zu den drei philosophischen Wissenschaften, welche in der Schulphilosophie, etwa bei Wolff und Baumgarten, den Grundbestandteil der "metaphysica specialis" ausmachen: Die "transzendentale(n) Seelenlehre (psychologia rationalis)", die "transzendentale(n) Weltwissenschaft (cosmologia rationalis)" und die "transzendentale Gotteserkenntnis (theologia transscentalis)" (A334f/B391f) 26 . 24

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26

Unter dem gleichen Gesichtspunkt hat Kant nochmals im Paralogismus-Hauptstück die Formen von dialektischen Schlüssen der Vernunft aufgeführt. Die Dialektik muß nämlich wie die Vernunftbegriffe - "das Allgemeine der Bedingungen des Denkens betreffen", und so ergibt sich die Liste: "1. Die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens überhaupt, 2. Die Synthesis der Bedingungen des empirischen Denkens, 3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens" (A396f, meine Hervorh.). Man muß leider feststellen, daß auch die Kommentatoren kein großes Interesse für den möglichen Zusammenhang unter den verschiedenen Formulierungen der Tafel der Vernunftbegriffe zeigen. Vielmehr ist es weitgehend der Fall, daß sie die betreffenden Passagen bei Kant nicht hinsichtlich ihrer eigenen Argumentationsstruktur beachten. So sieht H. Cohen von vornherein Kants ganze Untersuchung des Vermögens der Vernunft unter dem Gesichtspunkt der Problematik des Dinges an sich, so wie sie sich für ihn im Zusammenhang der "transzendentalen Methode" ergibt, (vgl. oben in der Einleitung, S. 10f)· H. Heimsoeth bespricht natürlich in seinem Kommentar die verschiedenen Tafeln der Vernunftbegriffe, aber wie Kant zu einer Aufstellung vom Gesichtspunkt der Vorstellung kommt, erörtert er nicht - er erwähnt nicht einmal den Begriff "Vorstellung". Er erläutert vielmehr die entsprechende Tafel von den verschiedenen Disciplinen der Metaphysik her. Diese will Kant aber erst von den transzendentalen Begriffen her "entworfen" wissen, wie sich zeigen wird. Und so kehrt Heimsoeth ohne angebbare Gründe den kantischen Argumentationsgang um. Vgl. a.a.O. S. 65f. P.F. Strawson meint, Kant möchte mit seiner Untersuchung der Vernunft lediglich eine Systematik der "illusions of transcendent metaphysics" entwerfen, ein Gesichtspunkt, der die These impliziert, transzendentale Funktion der Vernunft sei mit Erzeugung von dialektischem Schein identisch. Lediglich in Kants Hervorhebung der Forderung nach dem Unbedingten sieht er eine Überlegung, die nicht ganz "worthless or irrelevant" ist: In ihr seien "genuine analogies between certain types of ordinary and scientific thinking" enthalten. Damit meint er folgendes. In wissenschaftlicher Untersuchung liegt eine Tendenz, eine immer größere Allgemeinheit der Erklärung zu suchen, und auch eine solche, den Bereich der Untersuchung immer mehr zu erweitern. Diese Tendenz entspricht auf nicht-wissenschaftlicher Ebene das notwendige Auftreten solcher Fragen wie "Why? ", "And what is beyond that? " und "And what is that made of? ". Und man scheint in der Tat das gemeinsame der beiden Ebenen darin sehen zu können, daß jeweils nach Bedingungen von etwas gefragt wird. — Von dieser Überlegung abgesehen, gelte jedoch von Kants Untersuchung der Vernunft: "The supposed unity of the logic of illusion . . is itself largely illusory". "The Bounds of Sense. An Essay on Kant's Critique of Pure Reason", S. 155-61. Die Erwähnung der Metaphysik im Zusammenhang der Aufstellung der Tafel von Vernunftbegriffen scheint beiläufig zu sein. Daß dieser Eindruck aber Kants Intention nicht entspricht, geht aus mehreren Tatbeständen hervor. Zum einen führt Kant in dem Abschnitt

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Dieser Entwurf impliziert in Bezug auf die transzendentale Theologie, daß die Form des disjunktiven Vernunftschlusses in ihrem "synthetischen Gebrauch" "den höchsten Vernunftbegriff von einem W e s e n a l l e r W e s e n notwendiger Weise nach sich ziehen müsse" — "ein Gedanke, der beim ersten Anblick äußerst paradox zu sein scheint" (A335f/B392f). Es wird die Aufgabe des nächsten Kapitels sein, der Paradoxie dieses Gedankens weiter nachzugehen. Nun bezeichnet Kant bekanntlich die Vernunftbegriffe als transzendentale Ideen, indem er "Idee" - im Anschluß an Piaton und gegen den Cartesianismus und den englischen Empirismus — folgendermaßen definiert: Sie ist ein "notwendige(r) Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann" (A327/B383)". Kant schließt die Überlegungen zur transzendentalen Funktion der Vernunft ab mit der Bemerkung, er habe jetzt einen vorläufigen "Zweck schon erreicht". Er begründet dies mit dem Hinweis darauf, daß es ihm gelungen sei, die transzendentalen Vernunftbegriffe aus einer "zweideutigen Lage" zu befreien: Sie seien bis jetzt "in der Theorie der Philosophen" nicht einmal von den Begriffen des Verstandes unterschieden worden (A338/B395f). Kant schreibt sich außerdem das Verdienst zu, ihren Ursprung und ihre genaue Anzahl angegeben zu haben — "wodurch ein besonderes Feld fur die reine Vernunft abgesteckt und eingeschränkt wird" (A338/ B396). - Daß die Vernunft ihr "besonderes Feld" hat, und daß ihre Begriffe von denen des Verstandes abgegrenzt werden können, ist natürlich damit gleichbedeutend, daß "Vernunft" sich als selbständiges "Erkenntnisvermögen" isolieren läßt. Kant meint also, daß er durch die jetzt ausgearbeitete Argumentation die Hypothese von der Isolierung der Vernunft bestätigt hat, die am Eingang der Analytik der Vernunft stand (vgl. oben S. 170) 28 .

der "Prolegomena", welcher der Einleitung zur Dialektik entspricht, die Vernunftbegriffe ein unter dem Gesichtspunkt, daß sie Begriffe der Metaphysik sind. Der sie behandelnde Teil dieser Schrift trägt denn auch den Titel "Wie ist Metaphysik überhaupt möglich? " (vgl. IV, 3 2 7 0 · - Zum anderen zeigt Kants Entwurf des Begriffes von Philosophie im Abschnitt über die "Architektonik der reinen Vernunft" in der Methodenlehre, daß die Metaphysik innerhalb dieses Entwurfes durchaus ihren positiven Sinn hat. Sie ist neben der "Propädeutik der reinen Vernunft", d.h. der Kritik, derjenige Teil der "Philosophie aus reiner Vernunft", welcher ihr "System" ausmacht. Von dem Gesichtspunkt der Architektonik ergibt sich ein "System der Metaphysik", welches "aus vier Hauptteilen (besteht). 1. Der o n t o 1 ο g i e. 2. Der r a t i o n a l e n P h y s i o l o g i e . 3. Der r a t i o n a l e n Kosmol o g i e . 4. Der r a t i o n a l e n T h e o l o g i e " (A845-51/B873-80). Auf den Zusammenhang zwischen dieser Charakterisierung der Metaphysik und ihrer Herleitung aus den Vernunftbegriffen kann nicht näher eingegangen werden. 27

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An anderen Stellen hebt Kant als Eigenschaft der Idee hervor, sie sei einzeln. So etwa R 5 354: "Die Idee . . ( . . Sie ist einig, weil sie auf Vollständigkeit geht, die nur eines i s t . . ) " . Und R 5893: "Das g r ö ß t e und u n e i n g e s c h r ä n k t e ist einmalig .. Die absolute totalitet ist in gewisser Absicht uneingeschränkte . . " (kursiv von mir). In den "Prolegomena" bemerkt Kant noch emphatischer zur Unterscheidung von Ideen

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Daß die Vernunft ein selbständiges Vermögen zur Bildung von Begriffen ist, kann jedoch nicht als letzte Lösung der Probleme, die mit dieser "Erkenntniskraft" verbunden sind, gelten. Die entscheidende Problematik kam in den oben dargestellten Alternativen zum Ausdruck, in denen es immer um den Unterschied zwischen legitimer und dialektischer Verwendung von Begriffen und Prinzipien ging. Zu dieser Problematik nimmt Kant noch einmal zum Schluß der einleitenden Erörterung zum Begriff der Vernunft Stellung. Es hat sich gezeigt, daß die logische Funktion der Vernunft - der Vernunftschluß - durch Transformation transzendentale Begriffe, bzw. Ideen, erzeugt. Sie wirkt sich aber im Bereich des transzendentalen Gebrauchs der Vernunft noch in einer anderen Weise aus, indem nämlich durch Vernunftschlüsse auch die Dialektik, die Erzeugung transzendentalen Scheins, stattfindet. Die Dialektik besteht nach Kant bekanntlich darin, daß durch "dialektische Schlüsse" bestimmte Varianten der drei Vernunftideen entstehen: In Bezug auf die erste Idee entsteht ein Schluß, den Kant " P a r a l o g i s m u s " nennt und in Bezug auf die zweite ergibt sich ein "Zustand der Vernunft", den er als " A n t i n o m i e " bezeichnet (A339f/ B397i). Diese Schlüsse sind Gegenstand seiner Untersuchung in den beiden ersten Hauptstücken des Abschnittes von den "transzendenten und d i a l e k t i s c h e n V e r n u n f t s c h l ü s s e n " (A309/B366). - Den dritten Schluß, der im uns unten beschäftigenden dritten Hauptstück genauer dargestellt wird, charakterisiert Kant zunächst in folgender Weise. Der Schluß nimmt seinen Ausgangspunkt in der Totalität der Bedingungen des Denkens von "Gegenstände(n) überhaupt", sofern sie "gegeben werden können" (A340/B398, meine Hervorh.). Daraus schließt er auf die absolute synthetische Einheit der Bedingungen der Möglichkeit der "Dinge überhaupt" (ebd., meine Hervorh.). Von einem anderen Gesichtspunkt gesehen bedeutet der Schluß: Es wird ausgegangen von Dingen, die nicht nach "deren bloß transzendentalem Begriff" erkannt werden können. Von ihnen wird auf ein "Wesen aller Wesen" geschlossen, das durch einen transzendenten Begriff "noch weniger" erkannt werden kann. Und zwar impliziert dieser Schluß den Begriff einer "unbedingte(n) Notwendigkeit dieses Wesens". - "Diesen dialektischen Vernunftschluß werde ich das I d e a l der reinen Vernunft nennen" (ebd.). Es ist deutlich, daß dieser dialektische Schluß den Charakter eines Beweises für die Existenz Gottes hat: es wird sowohl der "transzendente" Begriff des "Wesens aller Wesen" als auch dessen "imbedingte Notwendigkeit" erschlossen. Der Zusamund Kategorien·. "Wenn Kritik d.r.V. auch nur das allein geleistet hätte, diesen Unterschied zuerst vor Augen zu legen, so hätte sie dadurch schon mehr zur Aufklärung unseres Begriffs und der Leitung der Nachforschung im Felde der Metaphysik beigetragen, als alle fruchtlose Bemühungen . . , die man von jeher unternommen hat, ohne jemals zu wähnen, daß man sich in einem ganz andern Felde befände, als dem des Verstandes, und daher Verstandes- und Vernunftbegriffe, gleich als ob sie von einerlei Art wären, in einem Striche her nannte" (IV,93).

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menhang zwischen dritter Vernunftidee und der rationalen, bzw. transzendentalen Theologie, der durch die dritte Formulierung der Ideentafel impliziert wurde (vgl. S. 177), wird zunächst bestätigt. - Der Sinn von Kants Beschreibung dieser Art Dialektik muß uns noch unten eingehender beschäftigen, aber es ist sinnvoll, jetzt folgende Aspekte festzuhalten: 1) Kant bezeichnet hier den dialektischen Schluß als "Idear der Vernunft - es wird sich zeigen, daß er diesen Sprachgebrauch nicht festhält; 2) der dialektische Schluß umfaßt sowohl die Bildung eines Begriffes vom "Wesen aller Wesen" als auch den Beweis fur seine notwendige Existenz19. Zum Schluß der Darstellung von Kants einleitender Untersuchung des "Vermögens" der Vernunft - einer Untersuchung, die ich als eine "transzendentale Analytik" der Vernunft auffassen möchte — soll noch auf die Alternative eingegangen werden, welche Kant hinsichtlich der möglichen Bedeutungen dieses "Vermögens" aufgestellt hatte (vgl. oben S. 173 ). Die Untersuchung hat erwiesen, daß man von transzendentalen Begriffen, bzw. Ideen, der Vernunft sprechen kann. Sie werden "ganz notwendig in der Vernunft nach ihren ursprünglichen Gesetzen erzeugt" (A338/B396, meine Hervorh.); man kann das auch so ausdrücken, daß diese Begriffe "transzendentale (subjektive) Realität" besitzen (A339/B397, meine Hervorh.). Die subjektive Realität der Begriffe soll verstanden werden im Kontrast zu solchen Begriffen, welche auf angebbare Gegenstände bezogen sind. Eine solche Beziehung ist bei den Ideen laut Definition nicht möglich (vgl. oben S. 179). Diesen Tatbestand drückt Kant nochmals etwas anders aus — um der "Gefahr des Mißverständnisses" vorzubeugen — indem er sagt, "daß wir vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert keine Kenntnis, obzwar einen problematischen Begriff haben können" (ebd., meine Hervorh.). Ein problematischer Begriff ist nach Kant ein solcher, "der keinen Widerspruch enthält, der auch als eine Begrenzung gegebener Begriffe mit andern Erkenntnissen zusammenhängt, dessen objektive Realität aber auf keine Weise erkannt werden kann" (A254/B310). Die Art des begrifflichen Status von Ideen hat Kant auch in R 5724 angedeutet. Er ordnet hier die "Idee des Vollkommnen nach der Vernunft als Maßstab oder princip" dem "ens rationis: Gedankending" zu, wobei er diesem letzten Ausdruck die Erläuterung anfügt: "die Möglichkeit des obiects ist unausgemacht". In der KrV tritt das ens rationis auf als Teil der "Einteilung des Begriffs vom N i c h t s " , welche die Analytik beschließt. Das "Nichts" kann bedeuten: "de(n) Gegenstand 29

In R 5939 kommt eindeutig zum Ausdruck, daß die dritte Idee den Schein des ontologischen Gottesbeweises veranlagt: "Durch die Theologische [Idee wollen wir] das Daseyn der Dinge aus bloßen Begriffen (ohne alle Erfahrung) [erkennen], d.i. wir machen uns eine Idee, die zugleich das Daseyn α priori unzertrennlich bei sich führe". (Meine Hervorh. Ich habe bei der Ergänzung des Satzes eckige Klammer benutzt, um sie von Kants eigenen Hinzufügungen zu unterscheiden, die Adickes mit runden Klammern angibt.)

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Die Vernunft als Gegenstand transzendentallogischer Untersuchung

eines Begriffs, dem gar keine anzugebende Anschauung korrespondiert". Das heißt, daß es Begriffe gibt, von deren Gegenstände gilt, daß sie "nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden können, obgleich auch darum nicht für unmöglich ausgegeben werden müssen" - und solche Gegenstände haben eben den Charakter des "ens rationis" (A290/B346). Daß die transzendentalen Ideen "problematische Begriffe" sind, bedeutet also einmal, daß sie als Begriffe ohne Widerspruch gedacht werden können, und zum anderen, daß die Möglichkeit des Gegenstandes, den sie intendieren, "unausgemacht" ist: es gibt keine Kriterien, um zu entscheiden ob ein solcher Gegenstand möglich oder nicht möglich ist. Nim scheint es, daß mittels dieses Status der Ideen die genannte Alternative anders dargestellt werden muß. Wir können jetzt sagen: Es gibt Begriffe der Vernunft, die problematisch und eben deshalb von "subjektiver Realität" sind; wenn sie auf Gegenstände bezogen werden müssen, kann das entweder über den Verstand geschehen und dann erzeugen sie "Vernunfteinheit der Verstandeserkenntnisse" — oder aber sie können den Anspruch erheben, von sich aus Gegenstände von objektiver Realität zu erkennen und dann erzeugen sie transzendentalen Schein: sie objektivieren das Subjektive. Durch diese Darstellung wird vermieden, daß ein nicht-objektiver Gebrauch der transzendentalen Vernunft notwendig ein rein logischer Gebrauch ist (vgl. oben S. 170). Aber läßt sich überhaupt vermeiden, daß der Vernunftbegriff eine Erkenntnis objektivmöglicher Gegenstände pretendiert — sein Inhalt ist ja das Unbedingte in der "synthetische(n) Einheit der Anschauung" (meine Hervorh., vgl. oben S.173)? Und das Unbedingte soll "in dem Gegenstande und seiner Verknüpfung gegeben" sein (meine Hervorh., vgl. oben S. 172 ). - Die Frage ist beantwortbar, wenn Kants Darstellung der Ideentafel vom Gesichtspunkt der Vorstellungen her beachtet wird. Es ergab sich dabei, daß sich das Unbedingte als Gegenstand der Idee nicht nur auf Gegenstände, sondern auch auf die Kategorien beziehen kann (vgl. oben S. 177 ). Daß dieser Unterschied für Kant bedeutsam ist, wird in seiner Untersuchung der dialektischen Schlüsse in den beiden ersten Hauptstücken deutlich. Es zeigt sich nämlich, daß man den Paralogismus der Psychologie als folgenden "Mißverstand" charakterisieren kann: "Die Einheit des Bewußtseins, welche den Kategorien zum Grunde liegt, wird hier fur Anschauung des Subjekts als Objekt genommen, und darauf die Kategorie der Substanz angewandt" (B421f). Die Idee der Vernunft, von der im Paralogismus die Rede ist, bildet sich also in der Tat nicht anhand der synthetischen Einheit der Anschauungen, sondern im Ausgang von der transzendentalen Apperzeption, dem Einheitsgrund der Kategorien. Demgegenüber gilt von dem Vernunftschluß der Antinomie, "daß der Obersatz . . das Bedingte in transzendentaler Bedeutung einer reinen Kategorie, der Untersatz aber in empirischer Bedeutung eines auf bloße Erscheinungen angewandten Verstandesbegriffes nehmen . . " (A499/B526, meine Hervorh.). Die kosmologische Idee des Unbedingten bezieht sich also auf synthetische Einheit der Anschauungen und nicht auf die Kategorien

Die transzendentalen Ideen

283

als solche. Daß die Vernunftideen nicht ohne weiteres objektive Erkenntnis pretendieren und also problematische Begriffe bleiben, ist somit dadurch ermöglicht, daß sie auf die Kategorien als subjektive Erkenntnisbedingungen bezogen sein können30. Es wird zu prüfen sein, ob dies bei dem Ideal der Vernunft der Fall ist.

30

Dies ist auch ein Grund dafür, daß die Vernunftprinzipien, zu denen die Ideen die Grundlage geben sollen, im Verhältnis zur Erscheinung, bzw. Erfahrung, transzendent sind (vgl. oben S. 172).

V DAS TRANSZENDENTALE IDEAL

Aus der Betrachtung der einleitenden Abschnitte der Dialektik haben sich schon einige Bestimmungen der dritten Idee ergeben. Als Begriff der Vernunft hat Kant sie in verschiedener Weise charakterisiert: 1. die Idee korrespondiert mit dem disjunktiven Schluß; in Bezug auf diesen bildet die Vernunft in ihrem logischen Gebrauch die Vorstellung eines Unbedingten, und zwar ist dies ein "Aggregat der Glieder der Einteilung, zu welchem nichts weiter erforderlich ist, um die Einteilung eines Begriffes zu vollenden"; 2. die Idee ist diese logische Funktion in transzendentaler Bedeutung und hat dann zum Inhalt das Unbedingte "der d i s j u n k t i v e n Synthesis der Teile in einem S y s t e m " ; 3. unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Eigenschaften der Vorstellungen ist die Idee gleichzeitig auf "die absolute E i n h e i t der B e d i n g u n g e n a l l e r G e g e n s t ä n d e des D e n k e n s überhaupt" bezogen (vgl. oben S. 177 ). In Bezug auf die metaphysica specialis wissen wir, daß kraft der dritten Idee die Wissenschaft der "transzendentalen Gotteserkenntnis" entworfen wird (vgl. oben S. 178f). Und was schließlich die mit der dritten Idee verbundene Dialektik betrifft, hat Kant sie einmal als "Ideal der reinen Vernunft" bezeichnet, zum anderen vorweggenommen, daß sie sich sowohl in der Bildung des Gottesbegriffes als auch in Beweisen für seine Existenz äußert. Es wird jetzt zu untersuchen sein, wie Kant im dritten Hauptstück des zweiten Buches der Dialektik — vor allem in dem Abschnitt über das "transzendentale Ideal" — diese verschiedenen Charakterisierungen konkretisiert. Dabei soll gleichzeitig gezeigt werden, in welchem Sinne die Darstellung der dritten Idee, die Lehre vom transzendentalen Ideal, eine Transformation der rationalistischen Ontologie und Theologia naturalis ist. Die entscheidende Frage wird aber die sein, ob die Lehre vom Ideal eine Weiterfuhrung, bzw. eine Lösimg derjenigen Problematik darstellt, die sich innerhalb von Kants Logik und Analytik zeigt: Der Problematik der Erkenntnis des Einzelnen. Zunächst sollen aber diejenigen Elemente der formalen Logik, welche Kant bei der Explizierung der dritten Idee voraussetzt, dargestellt werden.

5.1 Die Disjunktion

Eine Skizzerung der logischen Struktur des disjunktiven Urteils hat Kant gegeben in einer seiner "Verwahrungen" in Bezug auf die in der Urteilstafel unterschiedenen Formen. Die Disjunktion, so sagt er hier, besteht aus mindestens zwei Sätzen, die zueinander in Beziehung stehen, und zwar ist diese Beziehung durch zweierlei charakterisiert: sie ist sowohl "Entgegensetzung" als auch "Gemeinschaft". Die Beziehung der Entgegensetzung besteht darin, daß "die Sphäre des einen die des anderen ausschließt" — sie ist ein Exklusionsverhältnis verschiedener Begriffsextensionen. Die Beziehung der Gemeinschaft besteht hingegen darin, daß diese verschiedenen Extensionen zusammen ein Ganzes ausmachen: " . . . die Sphäre eines jeden Teils (ist) ein Ergänzungsstück der Sphäre des anderen zu dem ganzen Inbegriff der eingeteilten Erkenntnis..." (A73f/B98f). Versuchen wir diese Beschreibung formalisiert auszudrücken, müssen wir, da Kant von Extensionen ausgeht, quantorenlogisch vorgehen. Die Disjunktion bedeutet "x ist F oder χ ist G oder χ ist H". Die Extensionen der Prädikate F, G und Η schließen einander aus. Das aber beruht darauf, daß sie zusammen den "ganzen Inbegriff der eingeteilten Erkenntnis" ausmachen (A74/B99, meine Hervorh.). Nennen wir diese eingeteilte Erkenntnis A, beruht die Disjunktion also darauf, daß die Extensionen von F, G und Η zusammen die Extension von Α ausmachen. In dieser Weise hat Kant auch die Disjunktion in R 3096 dargestellt. Wenn die Begriffe b, c, d und e die Extension des Begriffes a ausmachen, besagt die Disjunktion: "(x), was unter a enthalten ist, ist entweder unter b oder c (oder d oder e) enthalten". Die Eigentümlichkeit an Kants Auffassung der Disjunktion beruht darauf, daß diese mit einem anderen Theorem zusammenhängt, demjenigen von der "logischen Einteilung des Begriffes"1. Jeder Begriff enthält ein Mannigfaltiges unter sich, nämlich diejenigen Vorstellungen, welche in seine Extension fallen. Dieses Mannigfaltige ist einerseits identisch hinsichtlich des gemeinsamen Merkmals, ist aber andererseits verschieden. Aufgrund dieser Verschiedenheit kann man das Mannigfaltige und 1

Das geht auch schon aus der oben zitierten Charakterisierung des disjunktiven Schlusses in R 3199 hervor: "Verbindung der Theile in einem Ganzen. Logische Eintheilung" (vgl. oben S. 167).

Die Disjunktion

187

damit den Begriff, dessen Extension es ausmacht, einteilen. So kann Kant definieren, die logische Einteilung des Begriffes sei "der complete Inbegrif der oppositorum, in so fern sie unter einem conceptui communi enthalten sind"2. Daß die Glieder der Einteilung im Verhältnis zum eingeteilten Begriff niedrigere Begriffe sind, geht aus einer anderen Formulierung hervor: Die logische Einteilung besteht in "der deutlichen Vorstellung aller niederen Begriffe, sofern sie unter einem höheren enthalten und einander entgegengesetzt sind"3. Die Charakteristika der logischen Einteilung zählt Kant in folgenden "Regeln" auf: 1. die Glieder der Einteilung müssen "opposita" sein, d.h. sie müssen zueinander im kontradiktorischen Gegensatz stehen. Das ist besonders deutlich, wenn die Einteilung nur zwei Glieder enthält, etwa in dem kantischen Beispiel: der Begriff "Mensch" kann eingeteilt werden in "Gelehrte" und "Ungelehrte". Da aber eine jede Einteilung nach Kant als zweigliedrige dargestellt werden kann — die oben gegebene Formalisierung etwa so: "x ist F oder (x ist G oder χ ist H)" — gilt diese "Regel" von allen Einteilungen; 2. die Glieder der Einteilung müssen unter einen Allgemeinbegriff fallen; 3. die Glieder müssen zusammen die ganze Extension ("Sphäre") des eingeteilten Begriffes ausmachen4. Wenn Kant also bei der Beschreibung der Disjunktion in der KrV von einer "eingeteilten Erkenntnis" spricht, muß man das vor dem Hintergrund seiner Auffassung von der logischen Einteilung des Begriffes verstehen. Das Beispiel eines disjunktiven Urteils, welches er hier nennt: "die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innere Notwendigkeit, oder durch eine äußere Ursache" ist als eine Einteilung des Begriffes von dem "Dasein einer Welt überhaupt" aufzufassen (A74/ B99). Wie sich zeigen wird, ist bei der Bildung des transzendentalen Ideals neben der disjunktiven noch diejenige Urteilsform impliziert, welche Kant die "unendliche" nennt. Kants Behauptung einer eigenen Urteilsform des Unendlichen beruht auf einer ganz bestimmten Auffassung von der Negation. Das unendliche Urteil ist nämlich eine "logische Bejahung vermittelst eines bloß verneinenden Prädikats" (A72/ B97)5, d.h. es hat - in der Subjekt-Prädikat Terminologie ausgedrückt — die Form "S ist nicht-P". Über die Negation wissen wir von der disjunktiven Urteilsform her folgendes. Wenn der Begriff "Mensch" logisch eingeteilt werden kann durch die Begriffe "Gelehrt" und "Ungelehrt", bzw. "Nichtgelehrt", dann gilt "Alle Menschen sind entweder gelehrt oder nichtgelehrt". Aus diesem Satz kann ich auf folgenden schließen: 2 3 4 5

Logik Pölitz XXIV, 576. Logik Dohna-Wundlacken XXIV, 760. Logik Pölitz a.a.O. Kants Darstellung der Funktion des unendlichen Urteils findet sich A70-73/B97f.

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Das transzendentale Ideal

(1) "Einige Menschen sind nicht gelehrt". Ein solches Urteil der negativen, "verneinenden" Form kann sich aber natürlich auch unabhängig von einer vorausgegangenen logischen Einteilung ergeben. Für einen solchen Fall nennt Kant das Beispiel (2) "Die Seele ist nicht sterblich". Ein solches Urteil kann die Aufgabe haben, einen "Irrtum" abzuwehren: es zeigt einfach an, daß das Subjekt nicht unter der "Sphäre", der Extension, des Prädikats enthalten ist (ebd.). Im Kontrast zu diesem negativen Urteil fuhrt Kant das Beispiel eines unendlichen Urteils an: (3) "Die Seele ist nicht-sterblich". Wenn diese Funktion des Urteils tatsächlich eine andere sein soll als die des Urteils (2), dann muß es einen besonderen Sinn haben, daß "der logischen Form nach wirklich bejahet" wird (ebd., meine Hervorh.). Die logische Bejahung bedeutet, daß das Subjekt der Extension des Prädikates untergeordnet wird. Es muß also auch im Fall (3) eine Unterordnung unter eine Extension stattfinden, das heißt das negierte Prädikat ("nicht-sterblich") muß eine Extension haben oder besser: angeben. In dem genannten Beispiel ist dies, so Kant, die Sphäre von "unbeschränkte(m) Umfang", die durch "nicht-sterblich" angegeben wird, d.h. die Sphäre "nichtsterblicher Wesen" (ebd., meine Hervorh.). Dabei zeigt sich aber, daß das Operieren mit einer Extension, die von einem negierten Prädikat angegeben wird, nur Sinn hat unter der Annahme, daß auch hier eine Einteilung vorliegt, und zwar eine Einteilung von dem "ganzen Umfange möglicher Wesen". Das unendliche Urteil (3) setzt voraus, daß dieser "Umfang" eingeteilt ist in a. "das Sterbliche" und b. "das Nichtsterbliche" (ebd., meine Hervorh.). Das unendliche Urteil bedeutet dann: die "Seele" gehört zu der unendlichen Menge von "Dingen", die übrigbleibt, wenn die Menge des "Sterblichen" "insgesamt weggenommen" wird. Das bedeutet, anders ausgedrückt, daß durch das Urteil die unendliche Sphäre "alles Möglichen" "beschränkt" wird, insofern als das "Sterbliche" abgetrennt und die "Seele" in den "übrigen Umfang" der Sphäre gesetzt wird (A72/B97f). Wenn aber die Sphäre "alles Möglichen" unendlich ist, dann ändert sich an diesem Charakter nichts dadurch, daß das "Sterbliche" abgetrennt wird. Das bedeutet aber für die Erkenntnisleistung des unendlichen Urteils: Obwohl die "Seele" in die übrigbleibende Sphäre gesetzt wird, kann man nicht - da diese Sphäre auch unendlich ist - sagen, der Begriff "Seele" "wachse", d.h. er wird nicht "bejahend bestimmt". Vielmehr muß man sagen, daß durch das unendliche Urteil zwar eine Möglichkeit ausgeschlossen wird, daß es aber hinsichtlich des "logischen Umfanges" "bloß beschränkend in Ansehung des Inhalts der Erkenntnis überhaupt" ist (A72f/ B98). Kants Lehre vom unendlichen Urteil läßt sich somit folgendermaßen zusammen-

Die Disjunktion

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fassen. Sein Unterschied im Verhältnis zu den negativen, "verneinenden" Urteilen beruht unter anderem darauf, daß diese bestimmte Extensionen voraussetzen. Zwar kann in einer logischen Einteilung ein negiertes Prädikat auftreten (etwa "nichtgelehrt"), aber dadurch ist nicht ein unendliches Urteil impliziert, sondern allenfalls ein negatives - (3) - das sich auf eine bestimmte Teü-Extension, etwa von "Mensch", bezieht. Demgegenüber setzt das unendliche Urteil so etwas wie eine unendliche Extension voraus, deren Einteilung es angibt. Diese Extension ist offenbar nicht die eines logischen Begriffes, denn Kant hebt hervor, man könne den Unterschied zwischen bejahenden und unendlichen Urteilen nur in der transzendentalen, nicht aber in der allgemeinen Logik machen. Das scheint zu bedeuten, daß der Begriff von "mögliche(n) Wesen", bzw. von "alle(m) Möglichen", dessen unendliche Extension vorausgesetzt ist, in irgendeinem Sinne ein transzendentaler Begriff sein muß. - Da die unendliche Extension durch das Urteil "eingeschränkt" wird, ist in dieser Urteilsform ein Aspekt der Limitation enthalten.

5.2 "Von dem transzendentalen Ideal". Interpretation des Textes

Vor dem Hintergrund der einleitenden Abschnitte der Dialektik müssen wir erwarten, daß mit dem "Ideal der Vernunft", derjenige dialektische Schluß gemeint ist, der sich anhand der dritten Idee ergibt. Daß Kants Ausdrucksweise in diesem Zusammenhang jedoch nicht einheitlich ist, zeigt schon der äußere Aufbau des Textes. Einerseits ist "Das Ideal der reinen Vernunft" der Titel desjenigen Hauptstückes, welches den ganzen theologischen Teil der metaphysica specialis - einschließlich der Gottesbeweise - behandelt. Das entspricht dem Sprachgebrauch in den einleitenden Abschnitten. Andererseits benennt Kant aber den zweiten Abschnitt, der die Bildung der dritten Idee untersucht, "Von dem transzendentalen Ideal". Das bedeutet also, daß hier nicht der dialektische Schluß, sondern die dritte Vernunftidee selbst den Charakter des Ideals haben soll. - Bevor auf diese Unklarheit eingegangen wird, muß die Definition betrachtet werden, die Kant von dem Begriff "Ideal" überhaupt gibt. Das Ideal ist, so lautet die Definition, "die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d.i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder bestimmtes Ding . . . " (A568/B597). Die Ideen sind, wie wir wissen, immer singulare Vorstellungen (vgl. oben S. 179 , Anm. 27). Es muß daher einen besonderen Sinn haben, wenn Kant nun eigens hervorhebt, das Ideal sei auf ein einzelnes Ding bezogen. Das Auszeichnende am Ideal, so können wir vorwegnehmen, wird darin zu suchen sein, daß das Einzelne, welches es zum Inhalt hat, "durch die Idee allein" bestimmbar oder bestimmt ist. Der Sinn dieser Qualifizierung wird sich später durch die Interpretation herausstellen. Daß Kant mit dem Ausdruck "Ideal" einen Sinn verbindet, der noch mit demjenigen des allgemeinen Sprachgebrauchs verwandt ist, zeigen seine Beispiele. Die "Tugend", so sagt er, und "menschliche Weisheit in ihrer ganzen Reinigkeit", sind "Ideen". — "Aber der Weise (des Stoikers) ist ein Ideal, d.i. ein Mensch, der bloß in Gedanken existiert, der aber mit der Idee der Weisheit völlig kongruiert" (A569/B597, meine Hervorh.). Das Ideal ist also die begriffliche Vollendung, die in der Idee gedacht wird, in der Gestalt eines Individuums dargestellt. Das folgende wird sich nun auf dasjenige Ideal konzentrieren, welches Kant das "transzendentale" nennt, denn in den dieses betreffenden Überlegungen werden die Probleme aufgenommen, die oben genannt wurden (vgl. S. 185 ). Aufgrund der Kompliziertheit des Textes habe ich es am angemessensten gefunden, ihn zunächst abschnittweise zu erläutern, um dann abschließend seine systematische Bedeutung innerhalb der kantischen Theorie zu beurteilen6.

Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio

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5.2.1 Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio In den Absätzen 1-3 greift Kant das Prinzip der omnimoda determinatio, der "durchgängigen Bestimmung" - das Existenz- u n d Individuationsprinzip der WolffSchule - auf. Bei Wolff und Baumgarten hatte das Prinzip ontologischen Charakter, es sagte allgemein etwas über "entia" aus. Bei Kant ist eine solche Betrachtungsweise natürlich unmöglich. Er m u ß das Prinzip i m Zusammenhang einer transzendentalen Reflexion untersuchen, dJi. er m u ß fragen, welche Bedeutung es innerhalb des Systems v o n Bedingungen der Erkenntnis haben kann. Da das Prinzip, wie sich zeigen wird, in Bezug auf Begriffe, b z w . "Denken" und nicht auf Anschauung gilt, hat die transzendentale R e f l e x i o n genauer gesehen den Charakter einer transzendentallogischen Untersuchung. Und das heißt wiederum, daß die Bedeutung des Prinzips mit einem formallogischen Tatbestand als Ausgangspunkt entwickelt werden muß. Der formallogische Ausgangspunkt m u ß nach Kant in dem Phänomen der Bestimmbarkeit von Begriffen gesucht werden. Ein Begriff enthält, wie wir v o n Kants allgemeinlogischer Begriffslehre wissen, nur Teilvorstellungen derjenigen Anschauungen, welche unter seine Extension fallen. Es gibt also immer etwas - nämlich bestimmte Merkmale — die in dem Begriff nicht enthalten sind. Hinsichtlich dieser Merkmale ist er, so Kants erste Überlegung,

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Der zweite Abschnitt des dritten Hauptstückes, den wir untersuchen, umfaßt die Seiten A571-83/B599-611. Es spricht im übrigen nicht nur die Kompliziertheit des Textes für das gewählte Interpretationsverfahren, sondern auch die Tatsache, daß er in der Literatur weitgehend vernachlässigt wurde. Statt einer detaillierten Übersicht seien die folgenden Überlegungen angeführt, die ich D. Henrichs eingehender Untersuchung über Kants Kritik der Rationaltheologie entnehme. Henrich kennzeichnet die Rezeption dieser Kritik durch die Bemerkung, man könne daran zweifeln, "daß die kantischen Gedanken, die sich im Bewußtsein der folgenden Zeit erhalten haben, den Standpunkt seiner Kritik auf angemessene Weise bewahren". Er begründet seinen Zweifel mit der Feststellung, daß die meisten Darstellungen sich auf die beiden Seiten der KrV konzentrieren, auf denen Kant zeigt, daß "Sein" kein reales Prädikat ist. Demgegenüber hebt er hervor, man könne die Stellung des ontologischen Gottesbeweises in der KrV "nur über den Umweg einer Interpretation des transzendentalen Ideals und der kosmologischen Grundbegriffe verstehen." (Meine Hervorh. "Der ontologische Gottesbeweis", S. 137ff u. 151). - Da es in unserem Zusammenhang nicht in erster Linie um die Kritik der Gottesbeweise geht, sondern eben um den Begriff des transzendentalen Ideals, betrachten wir den ihn behandelnden Abschnitt nicht als "Umweg", sondern als das eigentliche Ziel. - Von den beiden Kommentaren zur transzendentalen Dialektik, die neuerdings erschienen sind, muß man feststellen, daß der eine (J. Bennett, "Kant's Dialectic") noch ganz dem von Henrich beschriebenen Verfahren folgt: er widmet der Darstellung der Gottesbeweise 30 Seiten, der Lehre vom transzendentalen Ideal hingegen eine gute halbe Seite. Der andere (H. Heimsoeth, "Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft") geht zwar auf die Theorie vom Ideal ein, tut dies aber, wie sich zeigen wird, in unbefriedigender Weise.

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Das transzendentale Ideal

"unbestimmt". Das bedeutet aber, daß jeder Begriff unter dem "Grundsatze der B e s t i m b a r k e i t " steht, der besagt: (1) " . . . daß nur eines, von j e d e n z w e e n einander kontradiktorischentgegengesetzten Prädikaten, ihm zukommen könne . . . " (A571/B599). Es ist wichtig, sich genau klarzumachen, was Kant mit der Rede von "jeden" Paaren von kontradiktorischen Prädikaten meint. Auf welche Prädikate ist denn ein Begriff unter dem Gesichtspunkt der Bestimmbarkeit bezogen? Die Bestimmung eines Begriffes, d.h. seine Verwandlung in einen niedrigeren Begriff, setzt eine logische Einteilung voraus. Es sind also nicht alle Prädikate für die Bestimmung eines Begriffes relevant, sondern nur diejenigen, welche in seiner logischen Einteilung auftreten können. Kant ist in einigen Reflexionen auf diese Frage näher eingegangen. Er hebt an einer Stelle hervor, das Prinzip der Bestimmbarkeit sage nicht, daß ein Begriff "mit allen möglichen Prädicaten nothwendig verglichen werden müsse . . . " (meine Hervorh., R 6209)7. Das Positive Komplement zu dieser Äußerung findet sich in einer anderen Reflexion zur gleichen Problematik. Es besagt, das Prinzip der Begriffsbestimmung bedeute, "daß, wenn der Begrif mit einem zweyer oppositorum verglichen wird, ihm eines von beyden zukommen müsse" (meine Hervorh., R 6207). Der Grundsatz (1) ist also folgendermaßen zu verstehen: Die Bestimmung des Begriffes setzt dessen logische Einteilung voraus. Da die Einteilung die Form einer Disjunktion hat, impliziert sie das Auftreten von kontradiktorischen Prädikaten (vgl. oben S. 187 ). Zwar sind bei der Bestimmung eines Begriffes nur gewisse Prädikate relevant, aber es muß fur jede Begriffsbestimmung gelten: Wo immer ein zu bestimmender Begriff mit einem Paar von kontradiktorischen Prädikaten in Beziehung gesetzt wird, kann dem Begriff nur das eine zukommen; so muß man Kants Präzisierung in R 6207 verstehen. Man sieht leicht, daß der Grundsatz nur ein Verwendungsfall des Widerspruchssatzes, bzw. des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten ist. Er sagt nichts über bestimmte Begriffsinhalte aus, und so kann Kant feststellen, er sei "ein bloß logisches Prinzip"8.

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8

Die in diesem Kapitel herangezogenen Reflexionen entstammen, nach Adickes' Datierung, alle dem Zeitraum nach dem Erscheinen der KiV 1781. Wie mir scheint, gelingt es Heimsoeth nicht, den Sinn des Grundsatzes der Bestimmbarkeit adäquat darzustellen. Wenn Kant sagt, der Begriff sei unbestimmt, so bedeute das, er könne nicht die "Sachbedeutung objektiver Wahrheit" garantieren. Das ist eine eindeutig falsche Interpretation, denn der Begriff ist nach Kant nicht hinsichtlich des Gegenstandes unbestimmt, sondern "in Ansehung dessen, was in ihm selbst nicht enthalten ist", d.h. hinsichtlich seines Inhaltes, seiner Intension. Heimsoeth gerät denn auch in Schwierigkeiten, wenn er erklären muß, wieso Kant den Widerspruchssatz mit der Begriffsbestimmung in Beziehung setzt. Er kann lediglich eine gewisse Änhlichkeit angeben: auch der Widerspruchssatz sei da ein rein logisches Prinzip - "nicht ein sachbestimmendes". Aber aus dieser Ähnlichkeit

Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinate

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Wenn man nun aber nicht nur die logische Form der Begriffe, sondern auch ihre Beziehung auf Gegenstände betrachtet, kann man sagen: "Mein Begrif determiniert ein Ding . . . " (R 5702), denn die Merkmale des Begriffsinhaltes sind Teilvorstellungen von Dingen. — Es geht jetzt aber nicht einfach um die Bestimmbarkeit von Dingen, sondern um deren " d u r c h g ä n g i g e Bestimmung". Als Parallele zu dem Grundsatz (1) nennt Kant den folgenden, der von jedem Ding, und zwar "seiner Möglichkeit nach" (meine Hervorh.) gelten soll: (2) jedem Ding muß "von a l l e n m ö g l i c h e n Prädikaten der D i n g e , sofern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen . . . " (A571f/B599f). Es ist also jetzt von "allen" Prädikaten die Rede, d.h. von dem "Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt" (A572/B600). Nun soll der Grundsatz aber das Ding hinsichtlich seiner Möglichkeit betrachten, eine Charakterisierung, die nicht ohne weiteres verständlich ist. Auf jeden Fall bedeutet dieser Gesichtspunkt, daß der Inbegriff aller Prädikate als die " g e s a m t e M ö g l i c h k e i t " betrachtet werden kann (ebd.). Der Grundsatz (2) soll nun diese "gesamte Möglichkeit" als Bedingung a priori voraussetzen und damit "ein jedes Ding so vorstellen), wie es von dem Anteil, den es an jener gesamten Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite" (ebd.). Kant erläutert in einer Anmerkung das Verhältnis zwischen Prädikaten und Möglichkeiten, indem er sagt, die "gesamte Möglichkeit" sei "der Stoff zu allen möglichen Prädikaten" (ebd., Anm.). Aber auch dadurch ist dieses Verhältnis nicht viel einleuchtender geworden. Stellen wir zunächst die Unklarheiten in Bezug auf den Begriff des Möglichen zurück und fragen, unter welchem Gesichtspunkt es denn (sonst) sinnvoll sein könnte, ein Ding mit der Gesamtheit aller Prädikate in Verbindimg zu setzen. Kant sagt, der Grundsatz betreffe die "Synthesis aller Prädikate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge machen sollen . . . " (ebd., meine Hervorh.). Und entsprechend, der Grundsatz wolle "soviel sagen, als: um ein Ding vollständig zu erkennen, muß man alles mögliche erkennen, und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen" (A573/B601, meine Hervorh.). Es geht also - wieder von der Voraussetzung "alles Mögjichen" abgesehen — um den vollständigen Begriff, bzw. die vollständige Erkenntnis von einem Ding. Wir können vermuten, daß ein vollständiger Begriff ein durchgängig bestimmter Begriff sein miißte, d.h. ein Begriff vom Einzelnen. Es ist auch sinnvoll anzunehmen, daß ein solcher Begriff die Gesamtheit

läfit sich natürlich nicht erklären, wieso der Widerspruchssatz Prinzip der Begriffsbestimmung sein kann. - Schließlich meint Heimsoeth, wenn von dem Grundsatz der "Bestimmbarkeit" die Rede sei, impliziere dies einen Gegensatz zwischen dem "Bestimmteren" und dem "Spontan-Bestimmenden Denkvollzug", so wie Kant diesen Gegensatz etwa in der Beziehung zwischen bestimmbarem und bestimmendem Selbst sehe. Es geht aber aus Kants Ausführungen deutlich hervor, daß das zu bestimmende nichts anderes als der Begriff ist. Vgl. a.a.O. S. 424f.

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Das transzendentale Ideal

aller Prädikate voraussetzt, denn dieser letzte Gedanke muß sozusagen das Kriterium des Vorliegens der durchgängigen Bestimmung ersetzen (vgl. oben S. 96 ). Daß der Grundsatz der durchgängigen Bestimmung auf die Erkennbarkeit von Einzelnem bezogen ist, geht aus den schon erwähnten Reflexionen hervor. So heißt es R 6207: "Das princip der durchgängigen Bestimmung sagt, daß der Begrif eines Dinges überhaupt, um die Vorstellung eines einzelnen auszumachen, mit allen möglichen praedicatis oppositis müsse verglichen werden, so daß, wenn es in ansehung enes bestimmt worden, es in dieser Bestimmung mit andern praedicatis oppositis verglichen werden müsse . . . " (meine Hervorh.) Entsprechend sagt Kant in R 6209: "Der menschliche Verstand erfordert zu einem bestimmten Begriffe eines Dinges (nämlich nicht desjenigen, was vielen Dingen gemein ist, sondern eines einzelnen), daß es sich dadurch von allem möglichen Unterscheiden lasse, weil er nur durch allgemeine Begriffe urtheilt... Er setzt also voraus: um ein Ding ganz zu erkennen, muß man nicht allein wissen, was es enthalt, sondern über dem alles, was ihm fehlt, damit man es auch in relation erkenne . . . Das Princip der durchgängigen Bestimmung heißt: ein jedes einzelne Ding (d.i. sofern es von allen andern unterschieden ist, denn ein Ding, allgemein betrachtet als Gattung und Art, ist nur von denen, die nicht unter diesem Begriffe stehen, unterschieden) ist in Ansehimg alles möglichen durch sein Verhältnis zum Inbegriff aller möglichen Prädicate zu unterscheiden". (Meine Hervorh.). Die Notwendigkeit des Prinzips der durchgängigen Bestimmung scheint also darin zu liegen, daß es einerseits um die Erkenntnis des Einzelnen geht, und daß andererseits der menschliche Verstand "nur durch allgemeine Begriffe urteilt": menschliches Denken kann Einzelnes nicht unmittelbar erfassen, also kann es das Einzelne nur durch den Gedanken vorstellen, daß es sich von allem anderen unterscheiden muß. Dieser Bezug auf alles andere macht sowohl die Vorstellung aller Prädikate notwendig, als auch eine Bestimmung dessen, was das Einzelding nicht ist - die Prädikate müssen also als "praedicata opposita", als paarweise kontradiktorisch, vorgestellt werden. In diesem Zusammenhang leuchtet denn auch ein, daß von dem Möglichen in einer bestimmten Bedeutung die Rede sein muß: der Inbegriff aller Prädikate muß alle möglichen Prädikate umfassen. So heißt es denn auch im Text der KrV, das Prinzip der durchgängigen Bestimmung "bedeutet nicht allein, daß von jedem Paare einander entgegengesetzter g e g e b e n e n , sondern auch von allen m ö g l i c h e n Prädikaten" dem Ding immer eines zukommen muß (A573/B601). Aber daß das Ding mit allen möglichen Prädikaten verglichen werden muß, impliziert natürlich nicht ohne weiteres, daß es so vorgestellt wird, wie "seine eigene Möglichkeit" von der "gesamten Möglichkeit" abgeleitet wird. Wenn man sich nun vorstellen will, wie eine durchgängige Bestimmung eines Dinges konkret vor sich gehen müßte, kann man aus dem Gesagten zunächst schließen,

Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio

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daß sie in irgendeiner Weise negative Prädikate in Anwendung bringen muß. In der KrV ist Kant diesem Problem nicht nachgegangen, aber man kann einer Stelle des Nachlasses entnehmen, daß es die unendlichen Urteile sind, welche bei der durchgängige Bestimmung wirksam sein müßten. In R 3063 heißt es, die unendlichen Urteile stünden unter "(dem princip) der durchgangigen determination, welche unendlich ist . . . " (meine Hervorh.). So ist das Urteil der Form "S ist nicht-B", etwa "anima est nonmortalis", ein "Bestimmungsurteil". Es besagt, daß der Seele von den beiden "entgegengesetzten" Prädikaten "a und non a" das letzte zukomme. Das bedeutet aber, daß das Urteil außer der Extension des Prädikates "a" eine "unendliche Sphäre der Bestimmung aller Dinge" "hinzuzieht". Und diese unendliche "Sphäre", bzw. Extension, ist eine solche "der Sachheit, d.i. der realitaet" (meine Hervorh.). Dementsprechend geschieht die Bestimmung "in Ansehung eines Dinges überhaupt". Durch die Einbeziehung des unendlichen Urteils zeigt sich also, daß der Inbegriff aller Prädikate mit der unendlichen Intension der "Sachheit", bzw. der Realität identisch ist. Wenn man dann noch bedenkt, daß Kant in der "Verwahrung" zum unendlichen Urteil sagt, die unendliche Extension enthalte die "mögliche(n) Wesen", bzw. "alles Mögliche" (vgl. oben S. 188), scheint sich doch ein Zusammenhang anzudeuten zwischen dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung und der "gesamten Möglichkeit". Wir müssen aber die Frage nach diesem Zusammenhang verschieben auf die Behandlung von Kants Einbeziehung des Gedankens der Realität in die Analyse des transzendentalen Ideals. Der Grundsatz (1) ist wie gesagt formallogischer Natur. Er ist eine Anwendung, bzw. eine Version des Widerspruchssatzes. Außerdem gelte er, so Kant, bloß der analytischen Vorstellung, durch eines zweier entgegengesetzten Prädikate" (A572/ B600, meine Hervorh.). Als analytische Vorstellung pflegt Kant den Begriff zu bezeichnen, wenn es lediglich darum geht, daß dieser eine durch Analysis gewonnene Vorstellung ist, die in einer Vielheit von anderen Vorstellungen als identisch enthalten ist. Als Kontrast gilt dann der Tatbestand, daß Begriffe erst durch Synthesis auf Gegenstände bezogen werden können. Und in diesem Sinne kann man auch sagen, daß der Grundsatz (1) von Begriffen als analytischen Vorstellungen gilt. Demgegenüber ist der Grundsatz (2) in mehreren Hinsichten verschieden: 1. er gilt von dem Inhalt der Erkenntnis, indem er etwas darüber aussagt, welche Prädikate einem Ding zugesprochen werden müssen; 2. er gilt von der Synthesis deijenigen Prädikate, welche den "vollständigen Begriff' von einem Ding ausmachen sollen; 3. er setzt das Ding zu dem Inbegriff aller möglichen Prädikate in Beziehung. Diese Charakteristika indizieren, daß der Grundsatz nicht formal-, sondern transzendentafto&schet Natur ist, d.h. er gibt nicht Gesetzmäßigkeiten an, die für das Verhältnis zwischen Begriffen gelten, sondern enthält Bedingungen für die Anwendung von Begriffen auf Dinge. Es ist aber deutlich, daß diese Bedingungen anderer Art sind, als die in der Analytik, bzw. der transzendentalen Deduktion aufgestellten.

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Das transzendentale Ideal

Das zeigt sich vor allem an Punkt 3. Daß die durchgängige Bestimmung den Inbegriff aller Prädikate voraussetzt, bedeutet, so Kant, daß sie ein "Begriff' ist, "den wir niemals in concreto seiner Totalität nach darstellen können". Das bedeutet aber wiederum: sie "gründet sich also auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat . . . " (A573/B601, meine Hervorh.). Wir können auch sagen: die durchgängige Bestimmung, bzw. der Grundsatz (2) ist ein transzendentallogisches Prinzip der Vernunft. Nach Kants Konzeption der transzendentalen Logik müssen wir erwarten, daß er nicht nur den Unterschied ihrer Prinzipien im Verhältnis zu den formallogischen betont, sondern auch in diesen Parallelen zu jenen sieht. Kant deutet denn auch eine solche Parallelität in folgender Weise an. Der Grundsatz (1) über die Bestimmbarkeit eines Begriffes gilt mit " A l l g e m e i n h e i t (universalitas)", weil das der Widerspruchssatz, auf dem er beruht, tut. Hingegen ist der Grundsatz (2) einer "Allheit (Universitas)" untergeordnet, nämlich dem Inbegriff aller möglichen Prädikate (A572/B600, Anm.). Kant hatte schon bei der Darlegung der allgemeinen Struktur des Vernunftbegriffes den Unterschied zwischen Allgemeinheit und Allheit als eine Form des Unterschiedes zwischen formalen und realen Vernunftprinzipien hervorgehoben. Aber dort hieß es, die Allgemeinheit sei die "vollendete Größe des Umfanges, in Beziehung auf eine . . . Bedingung", d.h. sie war ein Kennzeichen des VernunftscÄ/wsses (A322/B379, vgl. oben S. 168). Die Allgemeinheit, von der Kant jetzt spricht, bezieht sich aber auf die Gültigkeit des Widerspruchssatzes, d.h. sie ist nicht eine spezifische Eigenschaft des Schlusses und gehört daher nicht der Vernunft zu. Kant kommt aber noch im weiteren Verlauf der Untersuchung der dritten Idee auf das Verhältnis zwischen logischer und transzendentaler Vernunftfunktion zurück. Auch im Zusammenhang der Charakterisierung des Grundsatzes (2) als eines transzendentalen fuhrt Kant den Begriff der Möglichkeit ein. Der Grundsatz enthalte, so sagt er, "eine transzendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu a l l e r M ö g l i c h k e i t , welche a priori die Data zur b e s o n d e r e n Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll" (A572f/B600f). Auch die Behandlung des Möglichkeitsbegriffes in dieser Bedeutung müssen wir verschieben. - Das gleiche gilt von einer Frage, die durch Kants Überlegungen zwangsläufig gestellt werden muß. Die Durchführung des transzendentallogischen Programms in der Analytik impliziert wesentlich das Problem, wie Begriffe überhaupt auf Gegenstände bezogen werden können, bzw. wie diese Beziehung objektive Gültigkeit haben kann. Wir müssen deshalb fragen, welche Bedeutung es hat, daß Kant jetzt bei der Darstellung des transzendentalen Vernunftprinzips von der durchgängigen Bestimmung, nicht von Gegenständen, sondern von dem "Ding" und den "Prädikaten der D i n g e " spricht (A571f/B599f). Daß Kants Auffassung von dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung eine Transformation des Gedankens der omnimoda determinatio der Wolff-Schule ist,

Die Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio

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kann man sich folgendermaßen klarmachen. Kant übernimmt zunächst die formale Definition der determinatio, welche nach Baumgarten besagt, Determinieren bedeute setzen, daß etwas entweder Α oder non-A ist. Auch Kant versteht das Bestimmen von der Kontradiktion her. Weiter können wir sehen, daß er Baumgartens Formulierungen des principium exclusi medii aufgreift. Diese sagten, alles Mögliche sei entweder Α oder non-A; oder: jedem Subjekt komme eines von allen kontradiktorischen Prädikaten zu (vgl. oben S. 51f). Bei Wolff und Baumgarten haben diese Definitionen wie gesagt ontologische Bedeutung, und Kants Transformation besteht nun eben darin, daß er zwischen einer logischen und einer transzendentallogischen Ebene unterscheidet. Von dieser Unterscheidung her muß er dem principium exclusi medii eine rein logische Bedeutung geben, und so kann er durch dieses, mit dem Gedanken der Determination verbunden, die Bestimmbarkeit des Begriffes beschreiben. Auf der Ebene der transzendentalen Logik setzt er hingegen theoretische Elemente miteinander in Beziehung, die bei Wolff und Baumgarten völlig getrennt bleiben. Er definiert den Gedanken der omnimoda determinatio durch den Begriff von allen kontradiktorischen Prädikaten, der bei Baumgarten im Zusammenhang des principium exclusi medii auftrat. Dadurch kann er aber die Unklarheit, die dem Gedanken der omnimoda determinatio anhaftete: die fehlende Bestimmung der Bedeutung vom "omne", aufheben (vgl. oben S. 59 und 60-63). Daß ein Ding "durchgängig", d.h. in jeder Hinsicht bestimmt ist, bedeutet jetzt, daß es durch die Beziehung zu allen Prädikaten gedacht wird. Dabei zeigt sich, daß die durchgängige Bestimmung nicht nur transzendentallogische Bedeutung hat, sondern daß sie genauer gesehen ein Prinzip der Vernunft ist. Nach Wolff ist die omnimoda determinatio wie gesagt sowohl Individuationsals auch Existenzkriterium. Nach Kant gilt zwar auch: " a l l e s E x i s t i e r e n d e i s t d u r c h g ä n g i g b e s t i m m t " (A573/B601). Aber damit ist nicht gesagt, daß die Existenz durch die durchgängige Bestimmung definiert sei. Daß Kant dieses bestreitet, geht aus folgenden Bemerkungen hervor: "Alles, was existirt, ist durchgängig bestimmt, aber nicht umgekehrt" (R 5713). Und noch deutlicher: "Alles, was existirt, ist durchgängig determinirt; aber diese durchgängige determination macht nicht den Begrif der existentz aus . . " (R 5710).

Wir können den Gedankengang dieser drei Abschnitte folgendermaßen zusammenfassen. Kant setzt bei der Entwicklung der dritten Idee ein bei dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung. Dies ist wie in der Wolff-Schule Individuationsprinzip, jedoch in dem Sinne, daß es die Voraussetzung fur die Erkenntnis von Einzelnem angibt. Dieses Prinzip, da den Gedanken einer von dem Verstand nicht vollziehbaren Totalität enthaltend, ist ein solches der Vernunft. Deshalb beruht es auf einer Idee. Der Gedankengang enthält als grundlegende Schwierigkeit den Aspekt, daß das Prinzip der durchgängigen Bestimmung nicht nur die Bedingungen fur die Er-

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Das transzendentale Ideal

kennbarkeit des Einzelnen enthält, sondern auch das "Ding" hinsichtlich seiner "Möglichkeit" bestimmt9. Diese Schwierigkeit muß im folgenden weiter aufgeklärt werden. Zunächst wendet sich aber Kant der Frage zu, welchen Inhaltes die die durchgängige Bestimmung begründende Idee ist. 5.2.2 Das Ideal als omnitudo realitatis In den Absätzen 4 bis 7 untersucht Kant näher den Charakter derjenigen Idee, welche der durchgängigen Bestimmung zugrunde liegt, wobei sich zeigt, daß sie ein "Ideal"

ist.

Es hat sich herausgestellt, daß die Idee mit dem "Inbegriff aller möglichen Prädikate überhaupt" identisch ist. Dies drückt Kant nun gleichzeitig in der Terminologie der "Möglichkeit" aus: Die Idee ist die "von dem I n b e g r i f f e aller M ö g l i c h k e i t , sofern er als Bedingung der durchgängigen Bestimmung eines jeden Dinges zum Grunde liegt" (A573/B601). Nun ist diese Idee ein Vermmftbegriff, d.h. er ist wie alle Begriffe bestimmbar: man kann fragen, welche Prädikate in der Idee enthalten sind. Zwar wissen wir, daß er auf alle Prädikate überhaupt bezogen ist, aber das impliziert eine Unbestimmtheit10 in dem Sinne, daß nicht eine Auswahl zwischen den jeweiligen kontra9

10

Heimsoeth übergeht den Tatbestand, daß der Grundsatz der durchgängigen Bestimmung auf die Erkennbarkeit des Einzelnen bezogen ist, einen Tatbestand, der sich doch vermuten ließe durch den Charakter des Individuationsprinzips, der in der Wolff-Schule der omnimoda determinatio zukommt - und der, wie gezeigt, bei Kant anhand des Nachlasses bestätigt wird. - Wenn man diesen Zusammenhang übergeht, wird aber die Einfuhrung der durchgängigen Bestimmung recht unverständlich. Heimsoeth meint, das "wirkliche", bzw. "real mögliche" - im Gegensatz zu dem "abstrakt-logischen" Denkbaren - müsse als durchgängig bestimmt gedacht werden. Warum eigentlich? Kant drückt sich so nicht aus, und es wird sich auch zeigen, daß der Gedanke der "realen Möglichkeit" nicht ohne weiteres denjenigen der durchgängigen Bestimmung impliziert. Vgl. a.a.O. S. 427. Allen W. Wood hingegen sieht in seinem Buch "Kant's Rational Theology" (das mir erst nach Abschluß meiner eigenen Untersuchung vorgelegen hat) sehr klar, daß für Kant der Gottesbegriff der Vernunft gerade über den Gedanken der durchgängigen Bestimmung mit dem Problem der Erkenntnis vom Einzelnen verbunden ist: "For Kant, the idea of an ens realissimum has its origin in the attempt of reason to form a conception of the most fundamental condition of the possibility of particular things, a condition which he calls their 'thorough determination' " (S. 37). - Überhaupt ist das Buch, soweit ich sehe, bis jetzt die eingehendste Untersuchung, und zwar nicht nur innerhalb der angelsächsischen Literatur, über Kants Lehre vom transzendentalen Ideal als eine Theorie von der rationalen Genese des Gottesbegriffes. Kants Überlegungen zur Bestimmung der dritten Idee als Begriff zeigen deutlich, daß man nicht mit Heimsoeth "unbestimmt" als "hinsichtlich des Gegenstandes unbestimmt" auffassen kann. Wäre das der Fall, müßte es in diesen Überlegungen um den Gegenstandsbezug der Idee gehen. Tatsächlich geht es aber um den Begriffsinhalt der Idee.

Das Ideal als omnitudo realitatis

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diktorischen Paaren von Prädikaten stattgefunden hat. Es wird sich aber "bei näherer Untersuchung" zeigen, so stellt Kant jetzt in Aussicht, daß man diese Idee bestimmen kann. Und zwar ist das möglich im Ausgang von der Eigenschaft, daß die Idee den Charakter des "Urbegriffs" hat: sie ist als Grundlage jeder Prädizierung gedacht. Daraus muß sich ergeben, daß von ihr "eine Menge von Prädikaten" abgetrennt werden müssen, etwa solche nämlich, die abgeleitet sind, d.h. "durch andere schon gegeben" oder die "neben einander nicht stehen können" (A573f/B601f). Des weiteren wird sich zeigen, daß die Idee nicht nur bestimmt, sondern "daß sie sich zu einem durchgängig a priori bestimmten Begriffe läutere" (A574/B602, meine Hervorh.). Es wird also hier der einzigartige Fall vorliegen, daß ein Begriff - und zwar ein a priori'scher - in sich durchgängig bestimmt ist. Da nun ein solcher Begriff einen "einzelnen Gegenstand" bezeichnet, muß die dem Grundsatz (2) zugrundeliegende Idee laut Definition "ein I d e a l der reinen Vernunft genannt werden" (ebd.). Was Kant so in Aussicht stellt, muß also derart ausgeführt werden, daß der Inbegriff aller Prädikate genauer untersucht wird. Es ist durch den Gedanken der durchgängigen Bestimmung gegeben, daß die Prädikate hinsichtlich ihrer kontradiktorischen Relation betrachtet werden. Die Frage ist also naheliegend, ob sich aus dieser Relation weitere Bestimmungen des Inbegriffes ergeben. Kant geht dieser Frage nach, indem er die Eigenschaften positiver und negativer Prädikate jeweils "bloß logisch" und "transzendental" betrachtet. Die Negation, logisch betrachtet, die 'logische Verneinung", bestimmt nur die Relation zwischen zwei Begriffen im einem Urteil. Sie drückt aus, daß der eine Begriff nicht zur Extension des anderen gehört. Sie bestimmt hingegen nicht den Inhalt eines Begriffes. Wenn sie das täte, würde ein negierter Satz bedeuten, daß das Subjekt in irgendeinem Sinne durch eine negative Eigenschaft, einen Mangel, ausgezeichnet würde. Kant erläutert das an dem Beispiel "nichtsterblich". Da es jetzt um die logische Negation und nicht um das unendliche Urteil geht, meint er mit diesem Ausdruck den hypothetischen Fall, daß etwas durch ein negiertes Urteil inhaltlich charakterisiert würde. Das würde dann bedeuten, daß durch "nichtsterblich" ein "bloßes Nichtsein am Gegenstande vorgestellt" würde. Es ist aber Nonsens zu sagen, daß das Absprechen des Prädikates "sterblich" an dem Subjekt eine negative Eigenschaft anzeigen sollte (A574/B602). Die transzendentale Betrachtung der Prädikate geht demgegenüber auf deren Inhalt, und zwar insofern, als dieser "an ihnen α priori gedacht werden kann" (ebd., meine Hervorh.). Gerade bei dieser Betrachtung, die nicht die konkretempirische Bestimmtheit der Prädikate thematisiert, ist der Unterschied zwischen Affirmation und Negation wichtig. Es geht also jetzt um Affirmation und Negation, nicht als formallogische Relationen zwischen Begriffen, sondern als inhaltliche Charakteristika von Prädikaten. Unter diesem Gesichtspunkt kann man die Gesamtheit der Prädikate forlgendermaßen einteilen: 1. in solche, die eine "transzendentale Bejahung" ausdrücken, dJi. "ein Etwas . . ,

200

Das transzendentale Ideal

dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein ausdrückt, und daher Realität (Sachheit) genannt wird, weil durch sie allein, und so weit sie reichet, Gegenstände Etwas (Dinge) sind . . . " (ebd., meine Hervorh.); und 2. solche, die eine "transzendentale Verneinung" ausdrücken, dJi. "das Nichtsein an sich selbst". Sie bedeutet "einen bloßen Mangel... und, wo (sie) allein gedacht wird, (wird) die Aufhebung alles Dinges vorgestellt" (A574f/B602f, meine Hervorh.). Bevor wir an die Interpretation dieser Unterscheidung gehen, müssen wir uns klarmachen, was es heifit, daß alle Prädikate - also unter anderen empirische — transzendental untersucht werden, d.h. hinsichtlich dessen, was in ihnen α priori gedacht wird. Kant scheint zu meinen: Was immer durch ein Prädikat inhaltlich gedacht wird, so kann man auf jeden Fall sagen, dafi es entweder eine Realität oder eine Negation in transzendentalem Sinne ist11. Eine Frage, die sich der Interpretation sofort stellen muß, ist natürlich die: Wie verhalten sich "transzendentale Bejahung" und "Verneinung" zu Realität und Negation in kategorialer Bedeutung? Auch Kants Kategorie der Realität gehört zu denjenigen Begriffen, die sich durch eine Transformation der rationalistischen Ontologie gebildet haben. Es hat sich gezeigt, daß bei Batimgarten die Begriffe realitas und negatio recht eindeutig definiert wurden, nämlich als jeweils die wahr bejahende und die wahr verneinende determinatio (vgl. oben S. 52). Bei Wolff ist die entsprechende Begriffsbestimmung etwas unsicherer, indem er einerseits sagte, etwas sei eine res, insofern, als ihm eine determinierte Notion zukomme, andererseits, eine realitas sei etwas, was dem ens "vere inest", und was sich dadurch von dem phaenomenon unterscheide (vgl. oben S. 58). - Bei Kant kann man nun eine recht komplizierte Entwicklung dieser Begriffe von seiner Frühzeit bis zum kritischen Standpunkt feststellen, wobei die Dissertation 1770 eine wichtige Zwischenposition darstellt. In der Dissertation versucht Kant bekanntlich durch die Unterscheidung zwischen sinnlicher und Verstandeserkenntnis teils prinzipielle Probleme metaphysischer Erkenntnis, teils spezifisch die kosmologische Problematik aufzuklären. Die Unterscheidung besagt unter anderem, daß der Gegenstand sinnlicher Erkenntnis, das sensibile, den Charakter des phaenomenon hat, während der Gegenstand der Verstandeserkenntnis, dJi. dasjenige, welches nur durch den Verstand gedacht werden kann, - das intelligibile — als noumenon aufgefaßt werden muß. Und zwar sind die noumena die Dinge, wie sie sind, im Gegensatz zu Dingen als apparentia. Nun wendet er zwar die Unterscheidung Form — Materie auf die sinnliche Repräsentation an, indem er sagt, in dieser sei die materia mit der sensatio identisch, 11

Es ist deshalb klar, daß durch die transzendentale Einteilung der Prädikate nicht gesagt ist, daß z.B. "rot", "gelehrt" und "sterblich" in die eine Klasse, "nicht rot", "nicht gelehrt" und "nicht sterblich" in die andere gesetzt werden.

Das Ideal als omnitudo realitatis

201

aber eine Erörterung des Realitätsbegriffes, die man in diesem Zusammenhang vom Standpunkt der KrV erwarten könnte, findet sich in der Dissertation nicht. Das heißt jedoch nicht, daß Kant zum Zeitpunkt der Dissertation keine Theorie der Realität hätte. Anneliese Maier, die eine eingehende Untersuchung über Kants Realitätsbegriff durchgeführt hat, hat durch Einbeziehung des handschriftlichen Nachlasses Kants Theorie der Realität auf dem Standpunkt der Dissertation ermittelt. Ihre Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. Durch Anwendung der Distinktion zwischen phaenomenon und noumenon auf den Realitätsbegriff kommt Kant zu der Unterscheidung: a. realitas phaenomenon ist zunächst "alles, was sich positiv in unsern Sinnen darstellt". Dies wird dann näher bestimmt als dasjenige an der Erscheinung, was der Wahrnehmung korrespondiert, dJi. dasjenige, welches in der Dissertation als materia der sinnlichen Repräsentation auftritt. Die Erscheinungsrealität ist also, so Maiers Formulierung, das "Empfindungskorrelat"·, b. realitas noumenon ist all das, was sich unserem Verstand als positiv darstellt, es ist eine Position in dem "Gegenstande an sich selbst". D.h., in Übereinstimmung mit der Wolff-Schule (mit Maiers Formulierung): "Die wahrhaft positiven Eigenschaften der Dinge selbst"12. Man kann sagen, daß dies eine Transformation der rationalistischen Theorie in dem Sinne ist, daß im Rahmen der ontologischen Betrachtungsweise die "entia" und entsprechend deren realitates in phaenomena und noumena eingeteilt werden. Bei Wolff war wie gesagt deutlich, daß phaenomenon im Gegensatz zu realitas stehen muß. Nun geschieht durch diese kantische Transformation nach Maier ein vollständiges Auseinandertreten von realitas phaenomenon und realitas noumenon: "Realitäten in der Erscheinung sind nicht etwa allgemein die positiven Prädikate des phaenomenon, sondern lediglich die spezifisch e m p f i n d u n g s g e g e b e n e n , qualitativ-intensiven Momente — es sind damit also eine ganze Reihe der früheren "Realitäten" weggefallen —, während die realitas noumenon den Umfang des alten Realitätsbegriifes (einschließlich der Existenz) beibehält: sie bedeutet ganz allgemein das wahrhaft bejahende Merkmal des Gegenstandes an sich selbst". - Bei der weiteren Transformation der Begriffe in der KrV muß also das Problem zu erwarten sein, wie das Verhältnis vom Empfindungskorrelat und Position des Verstandes zu verstehen ist13. Wenn man nun Kants Behandlung der Realitätsproblematik in der KrV untersucht, stößt man zunächst auf das Empfindungskorrelat. In der Einleitung zur Ästhetik wendet Kant wie erwähnt die Materie-Form Unterscheidung auf die Erscheinung an, um den Begriff der Anschauungsform zu explizieren. Dabei ergibt sich: Die Materie der Erscheinung ist dasjenige in ihr, "was der Empfindung korre-

12 13

"De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis", § 3f (II, 3910· Vgl. A. Maier: "Kants Qualitätskategorien" S. 33f.

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Das transzendentale Ideal

spondiert" (A20/B34, vgl. oben S. 114 ). - Das Empfmdungskorrelat setzt Kant dann im Schematismuskapitel mit der Kategorie der Realität in Verbindung14. Kant sagt hier, "Realität . . . im reinen Verstandesbegriffe" sei dasjenige, was "einer Empfindung überhaupt korrespondiert" (A143/B182, meine Hervorh.). Da nun Empfindung in der Anschauung immer mit deren Form zusammen auftritt, und nach Kant die umfassendere Form die Zeit ist, kann er auch sagen, die Realität sei dasjenige, "dessen Begriff ein Sein (in der Zeit) anzeigt" (ebd., meine Hervorh.). Demgegenüber bedeutet die Negation dasjenige, "dessen Begriff ein Nichtsein (in der Zeit) vorstellt" (ebd.). Die Beziehung zwischen Realität und Negation ist also definiert durch den "Unterschied(e) derselben Zeit, als einer erfüllten, oder leeren Zeit" (ebd.). Realität ist hier also nicht einfach eine Kategorie im Sinne von "Urteilsform in einen Begriff verwandelt", sondern ein reiner Verstandesbegriff auf Anschauung bezogen: Realität ist das Empfmdungskorrelat durch den reinen Verstandesbegriff gedacht. Aber was ist, genauer gesehen, das Empfindungs/corre/af, das, was der Empfindung "korrespondiert"? Das hat Kant in einigen Reflexionen erläutert. Die R 6333 behandelt die Wahrnehmung; in dieser müsse man folgende Aspekte unterscheiden: "Das Subjective der Wahrnehmimg ist Empfindung, das Objective, d.i. der Begrif des Empfundenen, ist Realitaet" (meine Hervorh.). Entsprechend behandelt R 6338a die Empfindung und "die ihr correspondierende Realität des Objects". - Daß die Empfindung subjektiv ist, ist in Kants Definition impliziert: Empfindung ist "die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir von demselben afßziert werden . . . " (A19/B34). Ihr objektives Korrelat ist das am Gegenstand Empfundene, und eben dies nennt Kant Realität15. Der reine Verstandesbegriff der Qualität soll sich auf das Empfindungskorrelat "überhaupt" beziehen, d.h. er mufi den allgemeinen Gedanken enthalten, daß es etwas am angeschauten 14

Es ist diskutabel, ob man überhaupt von einer Kategorie der Realität reden kann. Wenn man davon ausgeht, daß erst im Grundsatzkapitel der volle Sinn der Kategorien herausgestellt wird, ist das sicher nicht der Fall, denn der Grundsatz der "Antizipationen der Wahrnehmung" gilt nicht so sehr von der Realität als solcher, sondern von der Gesetzmäßigkeit ihrer Intensität. Wenn man aber Kategorien als reine Verstandesbegriffe im Sinne von Korrelaten zu den Urteilsformen versteht, kann man in gewisser Weise von einer Qualitätskategorie reden. Deren Bedeutung ist dann aber vorwiegend im Schematismuskapitel angegeben; in den "Antizipationen" findet sich nur in einzelnen Formulierungen Aufklärendes. - Die Behandlung des Qualitätsbegriffs im Schematismuskapitel findet sich auf den Seiten A143f/ B182f.

15

In diesem Sinne muß man auch Kants Formulierung des Prinzips der "Antizipationen der Wahrnehmungen"verstehen: " I n a l l e n E r s c h e i n u n g e n h a t d a s R e a l e , was ein Gegenstand der Empfindung ist, i n t e n s i v e G r ö ß e . . " (B207, kursiv von mir). In der ersten Auflage lautet die Formulierung: "In allen Erscheinungen hat die Empfindung und das R e a l e , welches ihr an dem Gegenstande entspricht (realitas phaenomenon), eine i n t e n s i v e G r ö ß e . . " (A166, kursiv von mir).

Das Ideal als omnitudo realitatis

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Gegenstand gibt, das empfunden werden kann. Soweit ordnen sich Kants Überlegungen zur Qualitätskategorie dem allgemeinen theoretischen Zusammenhang der Analytik gut ein. Er setzt sie jedoch fort mit einem Satz, welcher den Interpreten einiges Kopfzerbrechen bereitet: "Da die Zeit nur die Form der Anschauung, mithin der Gegenstände, als Erscheinungen, ist, so ist das, was an diesen der Empfindung entspricht, die transzendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge an sich (die Sachheit, Realität)" (A143/B182). Kant bringt also jetzt offenbar die beiden Aspekte an der Realität, die er in der Dissertation unterscheidet, mit dem Empfindungskorrelat in Verbindung: Einerseits ist das Empfindungskorrelat "realitas phaenomenon" (A168/B209, vgl. oben die Anmerkung 15); andererseits ist es, wie es in dem zitierten Satz heifit, die Realität der "Dinge an sich". Bei der Interpretation dieses überraschenden Gedankenschrittes muß man vor allem beachten, daß Kant ihn anhand des Tatbestandes vollzieht, daß die Zeit "nur" Form der Anschauung ist. Was besagt nun dieser Tatbestand für den Begriff der Realität? Die empirische Anschauung, bzw. das empirisch Angeschaute, setzt sich zusammen aus der Anschauungsform und der Materie, dem Empfindungsgegebenen. Nur letzteres enthält die Realität des angeschauten Gegenstandes, denn die Anschauungsform ist nichts gegenständliches, vielmehr definiert Kant, wie sich zeigte, die Negation durch "leere Zeit". In diesem Sinn tritt die Anschauungsform denn auch in der Tafel des Nichts auf: " N i c h t s , a l s . . . 3 . L e e r e A n s c h a u u n g o h n e G e g e η s t a η d . . . " (A292/ B348)16. Um also die Realität des angeschauten Gegenstandes, der Erscheinung, zu erfassen, muß man von seiner Form, seinen raum-zeitlichen Eigenschaften, absehen. Dies kann nun offenbar - diese Möglichkeit wollen wir einmal erwägen - in zweierlei Weise geschehen: 1. man kann an dem angeschauten Gegenstand als Erscheinung von den raum-zeitlichen Eigenschaften abstrahieren. Dann erhält man das Empfindungskorrelat im Sinne von empirischer Materie des Gegenstandes als Erscheinung; 2. man kann von der raum-zeitlichen Anschauungsform überhaupt wegsehen, in dem Sinne, daß man den Erscheinungscharakter des Gegenstandes theoretisch aufhebt. Dann könnte man anscheinend in der Tat sagen, das Empfindungskorrelat sei "die transzendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge an sich". Dafi es jetzt um "Dinge an sich" gehen muß, ist durch die Art der Abstraktion

16

Daß es die Materie der Erscheinung und nicht ihre Form ist, welche die Realität ausmacht, geht auch deutlich aus der folgenden Bemerkung aus R 6317a hervor: Von der Empfindung gilt, daß sie "alle qvalitaet der Dinge ist, die sie als Sachen überhaupt, nicht bloße Formen haben" (meine Hervorh.). - Von den Gegenständen hinsichtlich ihrer Form gelten bekanntlich die Grundsätze der ersten Klasse, die "Axiomen der Anschauung".

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Das transzendentale Ideal

gegeben; in welchem Sinne man von einer transzendentalen Materie reden kann, wird noch zu klären sein. Wenn Kant ein solcher Gedankengang bei dem zitierten Satze vorschwebt — und ich sehe keine sinnvolle Alternative — dann heißt das, daß bei dem Empfindungskorrelat beide Aspekte der "Dinge" notwendig gedacht werden müssen: sowohl ihr Charakter als Gegenstand der Erfahrung als auch ihr Status als Dinge an sich; insbesondere muß sowohl die realitas phaenomenon als auch die "Sachheit" der Dinge an sich gedacht werden17. In den "Bemerkungen" behandelt Kant das Verhältnis zwischen den beiden Aspekten des Realitätsbegriffes, und zwar in dem Kontext der Frage nach der Bildung des Gottesbegriffes als "höchster Intelligenz". Man denkt in dieser Hinsicht, so Kant, den Gottesbegriff durch "lauter w a h r e Realität", wobei "wahre Realität" durch zweierlei Kontraste gekennzeichnet ist: einmal gegenüber den Negationen, zum anderen aber - und "vornehmlich" — gegenüber den "Realitäten in der E r s c h e i n u n g (realitas phaenomenon)", dJi. denjenigen Realitäten, "die uns durch Sinne gegeben werden müssen". Nun besteht aber nicht nur ein Gegensatz, sondern auch ein Zusammenhang zwischen "wahrer" und Erscheinungsrealität: wenn man nämlich letztere dem Grade nach vermindert, verbleiben sie "der Art (Qualität) nach immer dieselben", und man kann sie dann als "Eigenschaften der Dinge an sich selbst" (meine Hervorh.) betrachten. Als Beispiele solcher Realitäten nennt Kant "Verstand, Wille, Seligkeit, Macht" (VIII,154). - Man kann diese Überlegung sicher nicht ohne weiteres dem eben behandelten Gedankengang des Schematismuskapitels angleichen. Denn sie gilt offensichtlich nicht von jeder Erscheinungsqualität: Es gäbe doch wohl keinen Sinn zu sagen, "rot" sei, wenn graduell vermindert, eine Eigenschaft von Dingen an sich. Aber es ist auch hier der Gedanke enthalten: Wenn man von der Graduierbarkeit der Erscheinungsrealität abstrahiert, d.h. von deqenigen Eigenschaft, welche sie als Empiindungsgegebenes besitzt, dann bekommt das Empfindungskorrelat die Bedeutung "Realität der Dinge an sich". Wenn man Kants Überlegungen zu dem Begriff der Realität in der Analytik überblickt, zeigt sich vor allem, so kann man das Vorherige zusammenfassen, daß er den Ausdruck "transzendental" in doppelter Bedeutung mit diesem Begriff verbindet. Einmal ist die kategoriale Erkenntnis der Realität transzendental in dem Sinne, daß sie α priori das Empfindungskorrelat bestimmt, nämlich teils als Realität überhaupt, als "Sein in der Zeit", teils als intensive Größe, bzw. als Grad. Erkannt ist dann die realitas phaenomenon. Zum anderen ist das Empfindungskorrelat, wenn man (in der transzendentalen Reflexion) von dem Erscheinungscharakter der Gegenstände überhaupt abstrahiert, eine "transzendentale Materie" in dem

17

Von dem vieldiskutierten Problem der "Affektion" durch Dinge an sich, das in diesen Kontext gehört, müssen wir absehen.

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Sinne, daß sie eine der Bedingungen dafür ist, daß der Erkenntnis überhaupt Gegenstände gegeben werden18. Betrachten wir vor diesem Hintergrund den Begriff der Realität, wie er sich anhand der Einteilung des Inbegriffes aller Prädikate ergab, muß man sagen, daß er hier beide Aspekte der Realität umfaßt. Wenn man nämlich alle möglichen Prädikate transzendental hinsichtlich ihrer Negations- und Realitätsbedeutung betrachtet, besagt diese letztgenannte nicht nur Position als "Sein in der Zeit", sondern auch die "Sachheit", abgesehen von den Anschauungsformen, d.h. diejenige der "Gegenstände, als Dinge an sich"19. Der Gedanke der "Sachheit der Dinge an sich", der im Schematismuskapitel lediglich angeführt wird, erhält also eine ausdrückliche theoretische Bedeutung durch die Idee der Gesamtheit möglicher Prädikate, die notwendig in dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung impliziert ist20. 18

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H. J. Paton kommentiert den Satz, der die Realität als "transzendentale Materie der Dinge an sich" einführt, mit der Bemerkung: "There is some looseness of expression". Er versucht dann zu zeigen, daß der Satz zu anderen Formulierungen im Widerspruch stehe. Einmal mit A365: "Was Materie vor ein Ding an sich selbst . . sei, ist uns . . gänzlich unbekannt . . ". Hier ist aber von Materie in naturwissenschaftlicher Bedeutung die Rede. Zum anderen A720/B748; hier ist zwar von dem Begriff der "Materie der Erscheinungen" als "Ding überhaupt" die Rede, aber Kant hebt lediglich hervor, diesem Begriff entspreche keine Anschauung. Das widerspricht aber nicht unserem Satz im Schematismuskapitel. Vgl. "Kant's Metaphysic of Experience" II, S. 50f. A. Maier kommt wie erwähnt zu dem Ergebnis, daß bei Kant auf dem Standpunkt der Dissertation die Begriffe reaiitas noumenon und realitas phaenomenon "völlig auseinandertreten". Sie sieht nun die Behandlung des Realitätsbegriffes im Schematismuskapitel als Versuch, die beiden Begriffe wieder zu vereinigen. Und zwar meint sie, Kant versuche das in doppelter Weise: 1) dadurch, daß der reine Begriff der Position (der der realitas noumenon entspreche) direkt schematisiert wird, indem er als "Sein in der Zeit" bestimmt wird; 2) dadurch, daß zu der Erscheinungsrealität, dem Empfindungskorrelat, eine transzendentale Realität "hinzukonstruiert" wird. - Den zweiten Gedanken drückt eben der strittige Satz aus, von dem A. Maier meint: "Die hier angeführte Stelle stimmt überhaupt nicht so ganz mit den sonst von Kant vertretenen Ansichten überein" (a.a.O. S. 54f). Das ist aber für die Interpretation kein befriedigendes Ergebnis. Man muß feststellen, daß Kant den Begriff "Sein" in der KrV nicht eindeutig verwendet. Von Sein in der Bedeutung Existenz lehrt er bekanntlich: " S e i n ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriff eines Dinges hinzukommen könne" (A598/B626). In diesem Sinne ist "Sein" eben nicht Realität. - Wenn er demgegenüber im Schematismuskapitel Realität geradezu durch "Sein" definiert, bedeutet es die Position von etwas, sei es nun "in der Zeit" oder "überhaupt". - Verbunden sind die beiden Bedeutungen im Bereich empirischer Erkenntnis dadurch, daß hier sowohl Existenz als auch Realität Empfindung voraussetzt. Ich bin nicht mit A. Maier einig in der Beurteilung des Verhältnisses zwischen dem Schematismuskapitel und dem Abschnitt vom Ideal hinsichtlich des Realitätsbegriffes. Von jenem sagt sie: "Eine Beziehung zum transzendentalen Ideal wird sich nicht herstellen lassen", a.a.O. S. 54. Für eine Beziehung spricht m.E. schon der äußere Umstand, daß Kant gerade an diesen beiden Stellen die Realität als "Sachheit" und "transzendentale Materie" bezeichnet.

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Das transzendentale Ideal

Der Begriff dir Realität als transzendentaler Bejahung und der entsprechende der Negation ergaben sich im Zuge der Untersuchung darüber, in welcher Weise die der durchgängigen Bestimmung zugrunde liegende Idee als Begriff selbst bestimmbar ist. Diese Untersuchung fuhrt Kant nun dadurch weiter, daß er die interne Relation zwischen positiven und negativen Prädikaten betrachtet. Es zeigt sich dabei der allgemeine Tatbestand, daß, wenn man eine Negation nicht nur logisch versteht, sondern sie "bestimmt denk(t)'\ dJi. als negatives inhaltliches Prädikat auffaßt, ihr immer "die entgegengesetzte Bejahung zum Grunde hegen" muß. Um etwa negative Ausdrücke wie "Finsternis" und "Armut" zu verstehen, muß ich, so Kant, zuvor die Bedeutung von "Licht" und "Wohlstand" kennen. (A575/B603). - Das bedeutet dann für die transzendentale Betrachtung der Prädikate, daß alle diejenigen, welche eine Negation, eine transzendentale Verneinung, ausdrücken, "abgeleitet" sind — "und die Realitäten enthalten die Data und so zu sagen die Materie, oder den transzendentalen Inhalt, zu der Möglichkeit und durchgängigen Bestimmung aller Dinge" (ebd., meine Hervorh.). Wir sehen, daß Kant ausdrücklich wie im Schematismuskapitel die Realität als "transzendentale Materie" bezeichnet. Zunächst stellen wir noch den Tatbestand zurück, daß sie eine Materie der "Möglichkeit . . . aller Dinge" sein soll und konzentrieren uns auf den anderen, daß sie eine Materie "der durchgängigen Bestimmung" ist. Das aufgezeigte Rangverhältnis zwischen Negation und Realität bedeutet also, daß es unter allen Prädikaten die transzendental bejahenden sind, welche letztenendes der durchgängigen Bestimmung der Dinge zugrunde liegt. Man kan also in Bezug auf den Inbegriff aller Prädikate von einem "transzendentalen Substratum" reden, "welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle möglichen Prädikate der Dinge genommen werden können, enthält . . " (ebd.). Durch die Untersuchung des Rangverhältnisses zwischen Realität und Negation kann man schließen, daß dieses "Substrat" als "die Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis)" (A575f/B603f, meine Hervorh.) aufgefaßt werden kann. Die "wahren Verneinungen", die Negationen in transzendentaler Bedeutung, sind "alsdenn nichts als S c h r a n k e n " — "welches sie nicht genannt werden könnten, wenn nicht das Unbeschränkte (das All) zum Grunde läge" (A576/B604). Auch die Negation erhält somit durch die Analyse des Inbegriffs der Prädikate eine genauere Bedeutung: sie ist nicht einfach Nicht-Vorhandensein von Realität, sondern Einschränkung des "Alls der Realität". So kann man innerhalb des "Urbegriffes", des Inbegriffes aller Prädikate zwischen einem "Substratum", den Realitäten, und den "abgeleiteten" Begriffen, den Negationen, wie Kant das in Aussicht gestellt hat, unterscheiden. Daß das "Substratum", das sich dermaßen ergibt, den Charakter der omnitudo realitatis hat, bedeutet, daß der Idee — als dieses "Substratum" aufgefaßt — von allen transzendental kontradiktorischen Prädikaten eines zukommt, nämlich jeweils das eine Realität ausdrückende: Die der durchgängigen Bestimmung zugrundeliegende Idee ist selbst ein durchgängig bestimmter Begriff, d.h. ein Vernunftbegriff von einem

Das Ideal als omnitudo realitatis

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Einzelnen, ein Ideal21. - Bevor wir die Konsequenzen betrachten, die Kant aus diesem Tatbestand zieht, wollen wir einen Absatz heranziehen, in dem er die Parallelität zwischen den Grundsätzen (1) und (2) genauer darstellt. Es hat sich gezeigt, daß die Disjunktion im Rahmen von Kants logischer Auffassung vor dem Hintergrund der logischen Einteilung des Begriffes verstanden werden muß (vgl. oben S. 186f). Im Absatz 9 versucht er nun zu zeigen, wie man die durchgängige Bestimmung als transzendentallogisches Korrelat zu dem disjunktiven Schluß verstehen muß. Der disjunktive Schluß hat die Funktion, einen Begriff zu bestimmen. Denn sein Obersatz, die Disjunktion, ist die Einteilung der Extension

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J. Bennett meint zu Kants Daxstellung der Generierung des Begriffes von der omnitudo realitatis: "This is an unconvincing tale". Zu diesem Urteil kommt er jedoch dadurch, daß er die entscheidenden Momente von Kants Darstellung ignoriert. Er gibt diese folgendermaßen wieder: (a) die Disjunktion ist exklusiv, d.h. sie impliziert immer komplementäre Paare von Prädikaten wie "rot" - "nicht rot"; (b) das Verstehen des negativen Prädikates setzt immer das Verständnis des entsprechenden positiven voraus; dieses ist immer "the senior partner"; (c) jedes "individual" kann durch jeweils ein Prädikat solcher Paare beschrieben werden; der Gedanke von einem "individual thing" impliziert deshalb "the thought of the set of all such predicate pairs"; (d) die Tatsache, daß das positive Prädikat immer dominant ist, führt zu dem Begriff von etwas, das nur unter die positiven Prädikate fällt: das ens realissimum. Bennett meint, die "Geschichte", die Kant erzähle, sei in sich nicht überzeugend, und so fuhrt er als einziges Argument gegen sie an, ihr Gedankengang hätte nichts mit der Disjunktion zu tun, denn es gebe doch Disjunktionen, die nicht solche komplementären Prädikatenpaare enthalten. - Wenn man aber wie Kant die Disjunktion durch die logische Einteilung definiert, enthält sie sehr wohl immer eine Kontradiktion. Die entscheidenden Schritte (b) und (d) beruhen aber nicht auf der Sachlage bei Prädikaten im Allgemeinen, sondern auf der Beziehung zwischen Realität und Negation in transzendentaler Bedeutung. Bennett negligiert also den Unterschied zwischen formaler und transzendentaler Logik, und dann muß man sich in der Tat nicht wundern, wenn aus Kants Argumentation eine "tale" wird! A.a.O. S. 282. Etwas ähnliches ist zu dem Aufsatz von P. Rohs "Kants Prinzip der durchgängigen Bestimmung alles Seienden" zu sagen. Rohs möchte zeigen, daß es eine "Inkonsequenz" bei Kant ist, das Prinzip der durchgängigen Bestimmung mit dem Begriff des ens realissimum in Verbindung zu setzen. Seine Argumente sind zwei: 1) der "Ausschluß" von Prädikaten aus dem "Inbegriff aller möglichen Prädikate" sei nur "von theologischen Absichten" - die nichts mit dem eigentlichen Problem des Prinzips zu tun haben - her verständlich; 2) es sei nicht einsehbar, warum der "geläuterte" Begriff ein Individuum bezeichnen solle. Zu dem ersten Argument, das das entscheidende ist, ist zu sagen, daß Rohs einfach Kants Verfahren falsch darstellt. Es ist nicht so, daß Kant - wie Rohs meint - solche Prädikate wie "rund" und "viereckig" ausschließt weil sie sich gegenseitig ausschließen und weil "das ens realissimum nach herkömmlichen Vorstellungen nicht Eigenschaften wie diese haben (soll)" (S. 1730· Kants Verfahren beruht vielmehr auf der Entgegensetzung von "transzendentaler Bejahung" und "transzendentaler Verneinung" - und diese Entgegensetzung gehört, auch von "theologischen Absichten" abgesehen, zu Kants notwendigen transzendentallogischen Begriffen.

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Das transzendentale Ideal

eines Begriffes; vom Untersatz gilt, daß er diese Extension "bis auf einen Teil einschränkt"; und die conclusio bestimmt den eingeteilten Begriff durch die übrigbleibende Extension (A576f/B604f)22. Die durchgängige Bestimmung kann man nun eben nicht als einfachen disjunktiven Schluß auffassen. Dies würde nämlich bedeuten, daß man von einem eingeteilten Begriff ausgehen müßte, demjenigen "einer Realität überhaupt". Von ihm kann es aber a priori keine Einteilung geben, "weil man ohne Erfahrung keine bestimmten Arten von Realität kennt, die unter jener Gattung enthalten wären" (A577/B605). Das heißt, daß der "transzendentale Obersatz" der durchgängigen Bestimmung kein Allgemeinbegriff sein kann, sondern eben als Inbegriff aller Realität gedacht werden muß. Er hat also nicht die transzendental bejahenden Prädikate " u n t e r s i c h " , sondern "begreift sie i n s i c h " (ebd.)23. Daß aber bei der durchgängigen Bestimmung eine Analogie zum disjunktiven Schluß vorliegt, liegt daran, daß sie durch Einschränkung des Alls der Realität dem Ding einige zu- und einige abspricht — "welches mit dem Entweder und Oder des disjunktiven Obersatzes und der Bestimmung des Gegenstandes, durch eines der Glieder dieser Teilung im Untersatze, übereinkommt" (ebd.). Der transzendentale Gebrauch der Vernunft, durch welchen sie das Ideal bildet, korrespondiert also mit ihrer logischen Funktion des disjunktiven Schlusses. Damit hat Kant teilweise die Überlegungen in den Einleitungsabschnitten der Dialektik bezüglich der dritten Idee gerechtfertigt24. Durch Kants Einbeziehung der Unterscheidung von Realität und Negation sind wir imstande, zu verstehen, warum er den Gedanken der Möglichkeit der Dinge mit dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung in Verbindung setzt. Es hatte sich schon eine sehr schwache Bedeutung von "Möglichkeit" von dem Gedanken der durchgängigen Bestimmung her ergeben: er forderte die Voraussetzung aller möglichen Prädikate. Der Begriff verstärkt sich, wenn man sagt: Ein Gegenstand der

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Um eines der genannten Beispiele zu nehmen: durch den disjunktiven Schluß Alle Menschen sind entweder gelehrt oder ungelehrt Einige Menschen sind nicht gelehrt Also sind einige Menschen gelehrt bestimmt man den Begriff "Mensch", indem man den niedrigeren Begriff "gelehrter Mensch" büdet. Durch diese Charakterisierung zeigt sich, daß die Idee als singulare Vorstellung mit der Anschauung verwandt ist. So heißt es bei der Darstellung des Anschauungscharakters des Raumes, dieser enthalte nicht eine unendliche "Menge von verschiedenen möglichen Vorstellungen . . . u n t e r s i c h " , sondern " i n s i c h " (B40). In den "Prolegomena" präzisiert Kant noch die Parallelität, indem er sagt, bei der logischen Einteilung des Begriffes werde alle Möglichkeit "respektiv auf einen gewissen Begriff' als eingeteilt betrachtet, während bei der durchgängigen Bestimmung der "Inbegriff aller Möglichkeit" zugrunde gelegt werde. IV, 83f.

Das Ideal als omnitudo realitatis

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Erkenntnis ist nur möglich, sofern er gedacht wird, d.h. wenn Prädikate von ihm verwendet werden. Der Inbegriff aller Prädikate ist also die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß ein Gegenstand erkannt werden kann. Aber derjenige Möglichkeitsbegriff, den Kant offenbar im Sinn hat, ergibt sich erst durch folgende Überlegung. Die Negation im transzendentalen Sinne bedeutet das "Nichtsein an sich selbst". Wenn man sich deshalb den hypothetischen Fall vorstellt, daß man nur Negationen denkt, hätte man "die Aufhebung alles Dinges vorgestellt". Man kann also umgekehrt "Etwas" nur durch Begriffe denken, die eine "transzendentale Bejahung" ausdrücken — und genau deshalb nennt Kant diese Begriffe solche der Realität = "Sachheit" (A574f/B602f). Da ein Ding als Gegenstand des Denkens also nur möglich ist durch Realität, kann man sagen, daß diese die "Materie" der Möglichkeit der Dinge ist. Da dem Inbegriff aller Prädikate das "All der Realität" zugrunde liegt, kann man weiter sagen, daß er die "Materie zu aller Möglichkeit" enthält. Die Materie aller Möglichkeit muß aber transzendentalen Charakter haben: sie ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß Dinge überhaupt gedacht werden können. - Durch diese Überlegung wird auch klar, weshalb Kant bei der Einfuhrung des Grundsatzes (2) nicht von "Gegenstand", sondern von "Ding" spricht: Das All der Realität, von dem der Inbegriff der Prädikate abgeleitet ist, umfaßt sowohl realitas phaenomenon als auch "Sachheit der Dinge an sich". Es begründet daher die Möglichkeit von "Dingen überhaupt". Man kann somit in Kants Überlegungen zum Grundsatz der durchgängigen Bestimmung zwei Gedankengänge unterscheiden, die nicht ohne weiteres an einer Linie der Argumentation verlaufen: 1. der Gedanke der Erkenntnis des Einzeldinges ist derjenige von der durchgängigen Bestimmung. Er impliziert die Beziehimg des Dinges zu dem Inbegriff aller möglichen Prädikate; 2. wenn man die Kontradiktion, die im Prinzip der durchgängigen Bestimmung enthalten ist, untersucht, ergibt sich die Einteilung aller Prädikate in transzendentale Realitäts- und Negationsbegriffe. Da die Realitätsbegriffe die ursprünglichen sind, impliziert diese Einteilung weiter die Vorstellung vom All der Realität. Kraft der Bedeutung von Realität ist dieses mit der transzendentalen Materie aller Möglichkeit identisch.

Kant versteht, wie wir aus den einleitenden Abschnitten der Dialektik wissen, seine Untersuchung der Art, wie die Idee der omnitudo realitatis aus der Struktur der Vernunft generiert wird, als eine Rekonstruktion der Bildung des Gottesbegriffes. Nun zeigen andere Darstellungen dieser Rekonstruktion, daß die beiden eben genannten Argumentationslinien zwar zusammen verlaufen können, daß dies aber nicht notwendig der Fall sein muß. In der Schrift "Was heißt: Sich im Denken orientieren? " geht es Kant um die

Frage nach der Bildung des Begriffes von der höchsten Intelligenz. Die Vernunft gelangt zu diesem Begriff, so sagt er, kraft ihres "Bedürfnisses", den Begriff des

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Das transzendentale Ideal

Uneingeschränkten dem Begriff "alles Eingeschränkten", dli. aller anderen Dinge, zugrunde zu legen. Dieses Verfahren der Vernunft kann man in zweifacher Art verstehen. Zum einen muß die Vernunft, um die Möglichkeit aller Dinge zu denken, "Realität als gegeben" voraussetzen. Dabei sieht sie sich "genötigt, eine einzige Möglichkeit, nämlich die des uneingeschränkten Wesens als ursprünglich zum Grunde zu legen". Die Möglichkeiten aller anderen Dinge betrachtet sie dann als abgeleitet. Zum anderen kann die Vernunft aber in der " Verschiedenheit der Dinge" (meine Hervorh.) ihren Ausgang nehmen, und das heißt doch wohl: in der Tatsache, daß sie Einzelne sind. Die Verschiedenheit beruht auf den "ihnen anhängenden Negationen", und da die Vernunft diese als "Schranken" auffaßt, muß sie auch in diesem Falle auf das "Uneingeschränkte", das höchste Wesen, kommen. In diesem Zusammenhang ist denn auch vom "Grundsatz der durchgängigen Bestimmung" die Rede (VIII,137f). In den "Fortschritten" beschreibt Kant hingegen diesen Vorgang in einer etwas anderen Weise. Die Vernunft geht, so Kant, aus von dem Begriff der "Dingheit überhaupt (realitas)". Dabei muß sie, da die Negation "als Bestimmung eines Dinges" eine abgeleitete Vorstellung ist, den "Urbegriff' vom All der Realität zugrunde legen. Und so betrachtet sie die Möglichkeit aller Dinge als von der einen ursprünglichen Möglichkeit abgeleitet (VIII, 286f). In der Vorlesung über die philosophische Religionslehre finden wir den gleichen Gedankengang. Die Ausgangsfrage ist hier: "Wie werde ich mir nun ein höchstes Wesen b l o ß a l s D i n g durch die reine Vernunft denken können? " Die notwendige Bedingung für das Denken eines Dinges überhaupt ist der Begriff der Realität. Nun kann ein Ding entweder ein ens realissimum oder ein ens partim reale, partim negativum sein. Da aber Negationen "nichts als Schranken von Realitäten" sind, ist der Gedanke von dem Ding, das "a 11 e Realitäten hat", die Voraussetzung dafür, daß man solche Dinge denken kann, die auch durch Negationen charakterisiert sind. - Ausgangspunkt der Rekonstruktion ist also auch hier der Realitätsbegriff als Bedingung der Möglichkeit, überhaupt ein Ding zu denken. Zwar tritt auch der Gedanke von "jede(m) Ding in seiner durchgängigen Bestimmung" auf. Aber er ergibt sich nur anhand des Tatbestandes, daß das endliche Ding ein ens partim reale, partim negativum ist. Er wird hingegen nicht als Individuationsprinzip gedacht und bildet keinesfalls den Ausgangspunkt der Überlegung25. Die Vermutung, daß in dem Gedanken vom Zusammenhang zwischen der durchgängigen Bestimmung und der omnitudo realitatis zwei unterscheidbare Argumentationslinien enthalten sind, wird somit durch den Vergleich mit anderen Rekonstruktionsversuchen hinsichtlich der Bildung des Gottesbegriffes bestätigt26. Es wird

25 26

Religionslehre Pölitz XXVIII, 1013f. I. Mylius hebt nur das auf dem Möglichkeitsgedanken beruhende Argument hervor; als Ausgangspunkt der Bildung der dritten Idee gilt nach ihr: "Wir erwägen frei von aller Erfahrung

Das Ideal als Grundlage der transzendentale Theologie

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noch zu fragen sein, wie man diese zweifache Argumentation innerhalb des ganzen Kontextes der KrV zu verstehen hat. Wir können jetzt sehen, wie sich die Transformation der Begriffe Realität und Negation innerhalb der KrV weiter entwickelt. Sie werden zunächst transzendentallogisch interpretiert, dJi. es wird zwischen ihrer logischen und transzendentalen Bedeutung unterschieden. Es scheint dann zwar, als ob die transzendentale Bedeutung außer der kategorialen wieder die rein ontologische sein könnte: Realität etwa ist die Materie der Möglichkeit von Dingen überhaupt. Aber wenn man Kants Bemerkungen zur Realitätskategorie im Schematismuskapitel heranzieht, wird klar, daß auch diese Bedeutung durch den Zusammenhang mit den Erkenntnisbedingungen definiert ist: die Realität ist auch in diesem Fall einerseits nur Bedingung der Möglichkeit des Denkens von Dingen und ergibt sich andererseits nicht unabhängig vom Begriff der Realität als Empfindungskorrelat. 5.2.3 Das Ideal als Grundlage der transzendentalen Theologie Bei der Vergegenwärtigung der Art, wie Kant den Zusammenhang zwischen omnitudo realitatis und "transzendentaler Theologie" darstellt, ist es zweckmäßig, die Absätze 8 und 11-14 zusammen zu betrachten. Es hat sich gezeigt, daß die dritte Vernunftidee ein Ideal, d.h. ein singulärer Begriff ist. Wegen der Eigenart desjenigen Realitätsbegriffes, welcher im Ideal impliziert ist, muß man sagen, daß durch das Ideal ein " D i n g ( e s ) a n sich s e l b s t " vorgestellt wird (A576/B604). Da das Ideal mit der omnitudo realitatis identisch ist, ist es als Begriff derjenige "eines entis realissimi" als "eines einzelnen Wesens" (ebd., meine Hervorh.). - Daß das Ideal ein transzendentales ist, ergibt sich aus dem Gedanken der Möglichkeit, welcher in dem Argument bezüglich des Zusammenhanges von durchgängiger Bestimmung und Inbegriff der Prädikate enthalten ist: In Bezug auf "alle(s), was existiert" macht das All der Realität die "vollständige materiale Bedingung seiner Möglichkeit aus . . . , auf welcher alles die Möglichkeit eines Dinges überhaupt". "Das transzendentale Ideal in der transzendentalen Frage Kants - dargestellt im Ausgang von der Wölfischen Metaphysik", S. 49. In der Untersuchung von D. Henrich kommen die beiden Argumentationslinien zwar andeutungsweise zum Ausdruck, indem er den Ausgangspunkt fiir die Bildung des Begriffes vom All der Realität in zweifacher Weise darstellt: Einerseits gilt: "Das Prinzip der Totalität läßt sich auch auf das einzelne Ding anwenden"; andererseits ist der Ausgangspunkt "die Tatsache, daß wir überhaupt bestimmte Gedanken von etwas Seiendem denken können" (meine Hervorh.). Das interne Verhältnis dieser beiden Ansätze wird von Henrich nicht weiter diskutiert, was von seiner Fragestellung - Kants Kritik der Ontotheologie - her auch nicht notwendig ist. Wenn man aber die dritte Vernunftidee mit Problemen der Analytik in Beziehung setzt, muß dieses Verhältnis aufgeklärt werden. Vgl. a.a.O. S. 141 u. 174.

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Das transzendentale Ideal

Denken der Gegenstände überhaupt ihrem Inhalte nach zurückgeführt werden muß" (ebd., vgl. oben S. 208f ). Kant hebt hervor, die omnitudo realitatis, bzw. der Begriff des ens ralissimum sei "das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist". Denn nur hier hegt der Fall vor, daß ein Begriff als allgemeine Vorstellung "durch sich selbst durchgängig bestimmt . . . wird" und sich damit in eine singulare Vorstellung verwandelt (ebd.). Somit hat sich ein erster spezifisch theologischer Schritt innerhalb der Lehre vom Ideal vollzogen: dieses ist, als omnitudo realitas, der Begriff vom ens realissimum. Weitere Schritte ergeben sich aus den folgenden Überlegungen. Das Ideal ist eine transzendentallogische Voraussetzung für die Erkenntnis der dinge. Diese sind daher als "Synthesis des Mannigfaltigen" aufgefaßt - allerdings, im Unterschied zu der Betrachtungsweise der Analytik, eine solche "dem Inhalte nach" (A578/ B606). Unter diesem Gesichtspunkt muß die Möglichkeit der Dinge, wie erwähnt, als abgeleitet gelten. Von einer "ursprünglichen" Möglichkeit kann hingegen nur bei demjenigen die Rede sein, welches alle Realität enthält. Daß man die Möglichkeit des ens realissimum so charakterisieren muß, ergibt sich aus der Analyse der Negation: Nur hinsichtlich der "Verneinungen" unterscheiden sich alle anderen Dinge vom ens realissimum; da die "Verneinungen" nur "Einschränkungen" sind, setzen sie die höchste Realität voraus, deren Möglichkeit also ursprünglich sein muß. Kant dürckt diesen Zusammenhang zwischen ursprünglicher und abgeleiteter Möglichkeit auch so aus: "Alle Mannigfaltigkeit der Dinge ist nur eine ebenso vielfältige Art, den Begriff der höchsten Realität, der ihr gemeinschaftliches Substratum ist, einzuschränken . . . " (ebd.). Auch in dieser Hinsicht zeigt sich eine Analogie zwischen der omnitudo realitatis und dem Raum: einzelne Raumteile sind nur "verschiedene Arten, den unendlichen Raum einzuschränken" (ebd.). So redet Kant auch in der Ästhetik in demjenigen Punkt der metaphysischen Erörterung, welcher den Raum als "unendliche g e g e b e n e Größe" behandelt, von ihm als "ursprüngliche/r) Vorstellung" (B39f, vgl. oben S.115f .meine Hervorh.). Kraft der Ursprünglichkeit der omnitudo realitatis im Verhältnis zu der Möglichkeit anderer Dinge läßt sich der Gegenstand des Ideals differenzierter kennzeichnen als "das U r w e s e η (ens originarium)" (A578/B603). Es schließen sich gleich zwei weitere Differenzierungen an: insofern als dieses Urwesen "keines über sich hat", kann es "das h ö c h s t e W e s e n (ens summum)" und insofern als "alles, als bedingt, unter ihm steht, das W e s e n a l l e r W e s e n (ens entium)" genannt werden (A578f/ B606f). — Aus der Vorlesung über die philosophische Religionslehre geht hervor, daß genau diese drei Begriffe die Grundlage der "Transzendentaltheologie" bilden: "Diese drei Begriffe von Gott, als dem Urwesen, als dem höchsten Wesen, und als dem Wesen aller Wesen sind der Grund aller Übrigen" 27

Religionslehre Pölitz XVIII, 1012f. - Ähnlich bemerkt Kant in R 6251 in aller Kürze zur Problematik der Bildung des Gottesbegriffes·.

Das Ideal als Grundlage der transzendentale Theologie

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In einer Rationaltheologie müßten nach der Explikation des Begriffes von Gott seine Eigenschaften, bzw. Attribute erwogen werden. Kant nennt im Zusammenhang der Untersuchung des Ideals eine solche Eigenschaft, nämlich die Einfachheit. Sie ergibt sich aus dem Tatbestand, daß zwar die Möglichkeit aller anderen Dinge aus dem Urwesen abgeleitet ist, daß man aber nicht sagen kann, dieses bestehe "aus viel abgeleiteten Wesen". Das Urwesen ist die Voraussetzung der abgeleiteten Wesen und ist also nicht sozusagen erst aus ihnen "zusammengesetzt"; es muß daher einfach sein (A579/B607). Durch diese an sich belanglos erscheinende Überlegung wird Kant nun gezwungen, den Gedanken der Ableitung aller Möglichkeit zu modifizieren. Es ist im Grunde falsch, so sagt er jetzt, von dieser Ableitung als " E i n s c h r ä n k u n g (der) höchsten Realität" zu sprechen, jedenfalls wenn dies als Teilung verstanden wird. Denn in diesem Falle wäre das Urwesen ein "Aggregat von abgeleiteten Wesen", welches seiner Einfachheit widerspricht (ebd.). — Man kann deshalb auch nicht sagen, die höchste Realität liege der Möglichkeit aller Dinge "als I n b e g r i f f zum Grunde", sondern sie muß als " G r u η d " dieser Möglichkeit gedacht werden. Es muß dann auch die Analogie zum Räume modifiziert werden: nicht das Urwesen selbst wird "eingeschränkt", um die Mannigfaltigkeit der Dinge zu denken, sondern "seine(r) vollständige(n) Folge" (ebd.). Nur unter dieser Voraussetzung ist es denn audi zu verstehen, daß die omnitudo realitatis die Erscheinungsrealität umfassen kann: Zu der Folge des Urwesens gehört "auch unsere ganze Sinnlichkeit, samt aller Realität in der Erscheinung . . . , die zu der Idee des höchsten Wesens, als ein Ingrediens, nicht gehören kann" (ebd.). Kant geht auf die einzelnen weiteren Eigenschaften des Urwesens nicht ein, sondern stellt lediglich fest: Wir "können" durch den Begriff der höchsten Realität zu solchen Eigenschaften wie "einig", "einfach", "allgenugsam", "ewig" gelangen. Wir bestimmen dann das Urwesen "in seiner unbedingten Vollständigkeit durch alle Prädikamente" (A580/B608). Die Prädikamente sind, so geht aus der Analytik hervor, mit den Kategorien identisch (A81/B107); wie aber eine kategoriale Bestimmung des Begriffes vom ens origüiarium durchgeführt werden müßte, darauf geht Kant an dieser Stelle nicht ein. Und zwar tut er das deshalb nicht, weil eine solche Bestimmung nur unter der Bedingung stattfinden könnte, daß wir "dieser unserer Idee . . . ferner nachgehen" - "indem wir sie hypostasieren" (ebd., meine Hervorh.). Der Begriff der Hypostasierung tritt schon im Paralogismuskapitel auf und bedeutet dort, daß "man das, was bloß in Gedanken existiert . . . in eben derselben Qualität, als einen wirklichen Gegenstand außerhalb dem denkenden Subjekt annimmt . . . " (A384). Der Begriff der Hypostasierung wird uns noch beschäftigen. In unserem jetzigen Abschnitt hebt Kant nur hervor, daß, wenn man die hypo"(unabhängig:) Das Urwesen, (vollkommen:) höchste Wesen, (allgnugsam:) Wesen aller Wesen".

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Das transzendentale Ideal

stasierte Idee in der angedeuteten Weise bestimmt, man dann den Begriff "von G o t t , in transzendentalem Verstände gedacht", erhält. Das Ideal, das von dieser ganzen Gedankenfolge den Ausgangspunkt bilden würde, wäre dann "der Gegenstand einer transzendentalen T h e o l o g i e . . . " (ebd.) 28 . Der Begriff "Hypostasierung" deutet schon an, daß Kant eine Theologie auf der Grundlage des transzendentalen Ideals in diesem Sinne nicht akzeptieren kann.

5.2.4 Der Schein des Ideals Der mit dem transzendentalen Ideal verbundene Schein beschäftigt Kant in den Absätzen 10 und 15-18; außerdem erwähnt er ihn in einem Satz des Absatzes 11. Das Ideal bildet sich im Zusammenhang mit dem Grundsatz von der durchgängigen Bestimmung. Man kann daher sagen, die Vernunft habe eine gewisse "Absicht" mit dem Ideal, "nämlich sich lediglich die notwendige durchgängige Bestimmung der Dinge vorzustellen" (A577/B605). Daß dieses Vorstellen ein solches der Vernunft ist, liegt, wie sich gezeigt hat, darin, daß von einer "unbedingten Totalität der durchgängigen Bestimmung" (A578/B600, meine Hervorh.) eine bedingte abgeleitet wird, nämlich die des endlichen Einzeldinges, des "Eingeschränkten". — Nun "versteht sich von selbst", daß in dieser Absicht, bzw. Funktion der Vernunft nicht die Existenz eines Wesens, das dem Ideal entspräche, impliziert ist. Um

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Es ist deutlich, daß Kant sich bei der Darstellung des Zusammenhangs zwischen transzendentalem Ideal und Gottesbegriff vorwiegend an Baumgarten orientiert. Der erste Schritt auf dem Wege zum Gottesbegriff besteht in dem Gedanken, daß der Inbegriff aller Prädikate auf der Grundlage der omnitudo realitatis beruht. Es ist aber Baumgarten, der - anders als Wolff - das ens perfectissimum als omnitudo realitatum charakterisiert. Er kommt aber zu diesem Begriff auf einem völlig anderen Weg als Kant. Der Begriff des ens perfectissimum wird bei ihm auf der Grundlage der Ontologie gebildet. Er ist der Gedanke aller zusammenstimmenden Realitäten, d.h. mit dem Begriff des ens realissimum identisch. Erst dann zeigt sich nach Baumgarten, daß schlechthin alle Realitäten zusammenstimmen: das ens perfectissimum ist die omnitudo realitatum (Metaphysica, § 807). Das Prinzip der omnimoda determinatio wird vom Baumgarten nur insofern mit dem Gottesbegriff in Verbindung gesetzt, als er es - als Existenzkriterium - auf den Begriff der omnitudo realitatum anwendet und so eine besondere Variante des ontologischen Gottesbeweises durchführen kann (§ 818). - Bei Kant wird nun dieser Gedankengang geradezu umgekehrt. Die omnitudo realitatis ist nicht ein Begriff, den man auf der Grundlage von ontologischen Bestimmungen willkürlich bilden könnte, sondern sie ist eine Vernunftidee, die bei einer ganz bestimmten Erkenntnisfunktion vorausgesetzt ist: eben dem Gedanken der durchgängigen Bestimmung. Durch die Transformation dieses Prinzips verwandelt sich auch der Gottesbegriff: Er wird nicht von vornherein als Gedanke eines möglichen Seienden gebildet, sondern "nur" als Idee, d.h. als Begriff gedacht. Daß erst Kant einen Zusammenhang zwischen der omnimoda determinatio und der Bildung des Begriffes von der omnitudo realitatis etabliert, hebt auch A. Maier hervor. Vgl. a.a.O. S. 40.

Der Schein des Ideals

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die durchgängige Bestimmung zu denken, ist es vielmehr nur erforderlich, das Ideal als Idee, bzw. als Begriff von einem solchen Wesen zu denken. Dieser Sachverhalt gilt auch, wenn das Ideal als omnitudo realitatis in die verschiedenen Gottesbegriffe differenziert wird. Wenn dies etwa zu dem Begriff des ens originariuxn führt, hegt es nahe, in diesem den Gedanken von dem objektiven Verhältnis "eines wirklichen Gegenstandes zu andern Dingen" zu sehen (A579/ B607). Dieser Gedanke läßt sich aber aus dem Ideal nicht ableiten. Das Prinzip der durchgängigen Bestimmung, anhand dessen sich das Ideal bildet, setzt zwar Einzeldinge zu dem All der Realität in Beziehung, aber doch nur unter dem Gesichtspunkt der begrifflichen Bestimmung. Diese Beziehung ist also eine solche "der I d e e zu B e g r i f f e n " (ebd.). Sie läßt uns aber "wegen der Existenz eines Wesens von so ausnehmendem Vorzuge in völliger Unwissenheit" (ebd., meine Hervorh.). Das bedeutet jedoch, daß derjenige "Gebrauch" der dritten Idee, welcher sie als "Urwesen" in dem Sinne hypostasiert, daß er sie in den voll bestimmten Gottesbegriff umgestaltet und auf dieser Grundlage eine "transzendentale Theologie" etabliert, "schon die Grenzen ihrer Bestimmung und Zulässigkeit überschreite(t)" (A580/B608). Bei dieser Feststellung setzt Kant anscheinend ein Kriterium voraus, anhand dessen unterschieden werden kann und muß, welcher "Gebrauch" der dritten Idee legitim ist und welcher dialektisch: Es können "Grenzen" angegeben werden, welche die "Bestimmung und Zulässigkeit" der dritten Idee anzeigen. Dabei zeigt sich, daß dieses Kriterium durch die genannte "Absicht" gegeben ist, welche die Vernunft mit dem Ideal verfolgt: Es ist "die durchgängige Bestimmung der Dinge überhaupt..., zu deren Behuf die Idee allein nötig war..." (ebd., meine Hervorh.). Für den Gedanken der durchgängigen Bestimmung ist nun allerdings der " B e g r i f f von aller Realität" notwendig, nicht aber der Gedanke, "daß alle diese Realität objektiv gegeben sei und selbst ein Ding ausmache" (ebd.). Dieser Gedanke muß dann anhand des genannten Kriteriums als dialektisch abgewiesen werden. Er ist "eine bloße Erdichtung", und zwar enthält er diese zwei Aspekte: zum einen wird die mannigfaltige Realität, welche die Idee zum Inhalt hat, "in einem Ideale, als einem besonderen Wesen" (ebd., meine Hervorh.) zusammengefaßt; zum anderen wird es realisiert. - Es wird noch zu fragen sein, ob Kant damit sagen will, schon die Gestaltung der dritten Idee als Ideal sei dialektisch. Kraft des aufgestellten Kriteriums ist Kant imstande, diejenige Vernunftdialektik, welche mit dem Ideal verbunden ist, zu "beschreiben". Das genügt jedoch nicht den Forderungen einer Kritik der Vernunft: diese muß versuchen, die "Quellen" dieser Dialektik zu identifizieren, "um diesen Schein selbst... erklären zu können" (A581/B609, meine Hervorh.). Daß eine solche Erklärung möglich ist, beruht darauf, daß der Schein nicht willkürlich ersonnen ist, sondern "auf einer natürlichen . . . Idee" beruht (ebd.). Natürlich ist sie in dem Sinne, daß sie durch die Struktur der Vernunft bedingt ist, und so muß eine Aufklärung dieser Struktur die Quelle

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Das transzendentale Ideal

des Scheins erschließen. Als Aufgabe der Erklärung des Scheins nennt Kant zwei Fragen, in denen wir also eine Charakterisierung des Scheins sehen müssen: (I) Wie kommt die Vernunft dazu, ein Ableitungsverhältnis zu sehen zwischen "alle(r) Möglichkeit der Dinge" und "einer einzigen" Möglichkeit, nämlich derjenigen "der höchsten Realität"? (II) Wie kann sie voraussetzen, da£> diese höchste Realität, durch welche die ursprüngliche Möglichkeit bedingt ist, "in einem besonderen Urwesen enthalten" ist? (Ebd.). Wie man sieht, ist der Schein (I) offenbar identisch mit dem objektiven Verhältnis, welches die differenzierten Gottesbegriffe nahelegen (vgl. oben S. 213 ). Der Schein (II) entspricht hingegen dem einen Aspekt in der "Erdichtung", die durch den Begriff vom All der Realität veranlaßt wurde. Auf jeden Fall ist der Schein mit dem Gedanken der Möglichkeit, dem einen Aspekt des Prinzips der durchgängigen Bestimmung, verbunden. Die Beantwortung dieser Fragen, d.h. die gesuchte "Erklärung" des Scheins, ergebe sich nun, so kündigt Kant an, direkt aus einer Anwendimg der Resultate der transzendentalen Analytik. Diese Anwendung erfolgt in drei Schritten. (a) Der Schein ist in dem Begriff der Möglichkeit der Dinge enthalten, und so liegt es nahe, zunächst zu fragen, was dieser Begriff im Kontext der Analytik besagt. - Diese behandelt "die Möglichkeit der Gegenstände der Sinne" und bestimmt sie als "ein Verhältnis derselben (sc. Gegenstände) zu unserem Denken" (ebd.). Diese Bestimmung der Möglichkeit entspricht deijenigen, welche in dem "obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile enthalten ist: " . . . die Bedingungen der M ö g l i c h k e i t d e r E r f a h r u n g überhaupt sind zugleich Bedingungen der M ö g l i c h k e i t d e r G e g e n s t ä n d e d e r Ε r f a h r u η g . . . " (A158/ B197)29. An diesem Verhältnis, welches die Möglichkeit der Gegenstände konstituiert, läßt sich zweierlei unterscheiden: 1) die empirische Form·, sie läßt sich α priori denken, und zwar, so können wir hinzufügen, durch die Kategorien; 2) die Materie, dJi. "die Realität in der Erscheinimg (was der Empfindung entspricht)"; sie ist als solche nicht a priori vorstellbar, sondern muß "gegeben sein" (ebd., meine Hervorh.). Wäre die Realität als Empfindungskorrelat, von der ja hier die Rede ist, nicht gegeben, könnte der empirische Gegenstand nicht gedacht

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Auch die transzendentale Ästhetik enthält Grundsätze, welche für die Möglichkeit der Gegenstände gelten, aber nur insofern, als diese Erscheinungen sind. So heißt es etwa vom Raum: "Durch denselben ist es allein möglich, daß Dinge vor uns äußere Gegenstände sein" (A29. Vgl. zu dem Begriff "Möglichkeit der Anschauung" oben S. 1410· In der Analytik ist demgegenüber von Gegenständen als begrifflich erkannten die Rede. Deshalb ist ihre Möglichkeit durch die Beziehung auf "Denken" bedingt.

Der Schein des Ideals

217

werden, und so kann mann — da durch die Beziehung auf das Denken die Möglichkeit bestimmt wird - die Erscheinungsrealität als materiale Bedingung der Möglichkeit von sinnlichen Gegenständen bezeichnen. (b) Da der Gedanke von der Möglichkeit der Dinge mit der durchgängigen Bestimmung verknüpft ist, müssen wir bei der Aufklärung des Scheins weiter fragen, welche Bedeutung dieser vom Gesichtspunkt der Analytik aus zukommt. Eine durchgängige Bestimmung eines "Gegenstand(es) der Sinne" setzt voraus, daß er mit allen "prädikaten der Erscheinung" verglichen wird, und zwar derart, daß er durch sie "bejahend oder verneinend" gedacht wird (ebd.). Auch in diesem Fall muß das Reale, welches das Ding "in der Erscheinung" ausmacht, gegeben sein. Denn ohne ein Reales kann der Gegenstand nicht gedacht, mithin auch nicht durchgängig bestimmt werden. Der "Inbegriff", welcher bei der durchgängigen Bestimmung vorausgesetzt werden muß, hat im Zusammenhang des Empirischen folgende Bedeutung: Das "Reale der Erscheinung" ist "in" "der einige(n) allbefassende(n) Erfahrung" gegeben (A581f/B609f, meine Hervorh.). Die vorausgesetzte Materie der empirischen Gegenstände ist in diesem Inbegriff enthalten, und durch Einschränkung des Inbegriffes ergibt sich die Möglichkeit der jeweiligen empirischen Gegenstände, ihr Unterschied untereinander und ihre durchgängige Bestimmung. Da der Unterschied der Gegenstände ihre Individualität definiert, vereinigt die durchgängige Bestimmung auch in diesem Fall die beiden Aspekte: Individualität und materiale Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände. (c) Anhand dieser Resultate der transzendentalen Analytik ergibt sich nun die gesuchte Erklärung des Scheins. Es können der Erkenntnis - auch das zeigt die Analytik — keine anderen Gegenstände gegeben werden als diejenigen der sinnlichen Anschauung. Ein gegebener Gegenstand muß also in dem als Inbegriff gedachten Kontext möglicher Erfahrung auftreten. " F ü r u η s " ist etwas mithin nur Gegenstand unter der Voraussetzung dieses Inbegriffes empirischer Realität als Möglichkeitsbedingung (A582/B610). Der Schein, die "natürliche Illusion", kommt nun durch die folgende Verwechslung zustande: 1. ein Grundsatz - derjenige der durchgängigen Bestimmung — der nur für Gegenstände gilt, insofern als diese in der Sinnlichkeit gegeben werden, wird aufgefaßt als 2. ein Grundsatz, der "von allen Dingen überhaupt" gilt (ebd., meine Hervorh.). In der Terminologie der Möglichkeit ausgedrückt bedeutet die Verwechslung: Γ "das empirische Prinzip unserer Begriffe der Möglichkeit der Erscheinungen" (ebd., meine Hervorh.) wird aufgefaßt als 2' "ein transzendentales Prinzip der Möglichkeit der Dinge überhaupt" (ebd., meine Hervorh.). Die Illusion der Verwechslung Γ/2' impliziert offensichtlich, daß der Inbegriff der Erscheinungsrealität in das All der Realität der Dinge an sich verwandelt wird, und so ist jetzt die Erklärung in Bezug auf die Frage (I) durchgeführt: Wir wissen,

218

Das transzendentale Ideal

warum Vernunft ein Ableitungsverhältnis der Möglichkeit hinsichtlich der Dinge überhaupt denkt. Der durch die Frage (II) angezeigte Schein ist nun durch eine weitere Verwechslung zu erklären: l"die "einige allbefassende Erfahrung" ist vom Gesichtspunkt der Analytik eine " d i s t r i b u t i v e Einheit des Erfahrungsbrauchs des Verstandes". Sie besagt: Wo immer Gegenstände sinnlich gegeben werden, gehorchen sie denjenigen Gesetzen, welche durch die kategoriale Synthesis bedingt sind. Sie wird "dialektisch verwandel(t)" in 2" die " k o l l e k t i v e Einheit eines Erfahrungsganzen". Das heißt: das "Ganze der Erscheinung" und der ihr zugrundeliegenden Realität wird als "ein einzelnes Ding" gedacht. Dieses "Ding" wird dann, kraft der dialektischen Verwandlung des Abhängigkeitsverhältnisses der Möglichkeit "mit dem Begriffe eines Dinges verwechselt . . . , was an der Spitze der Möglichkeit aller Dinge steht, zu deren durchgängiger Bestimmung es die realen Bedingungen hergibt" (A582f/B610f). Somit wissen wir dank dieser Erklärung, warum Vernunft die ursprüngliche Möglichkeit einem "besonderen Urwesen" zuspricht. Dieser Gedanke soll nach Kant dadurch entstehen, daß "wir . . . diese Idee vom Inbegriffe aller Realität hypostasieren, wobei das "Ideal des allerrealsten Wesens" entsteht. In einer Anmerkung, die unseren ganzen Abschnitt beschließt, faßt Kant nochmals die verschiedenen Momente der Illusion zusammen. Das Ideal ist eine "bloße Vorstellung". Sie wird "zuerst r e a l i s i e r t , di. zum Objekt gemacht", danach " h y p o s t a s i e r t " und schließlich "so gar p e r s o n i f i z i e r t " (A583/B611, Anm.). Kant macht den Unterschied zwischen Realisierung und Hypostasierung nicht besonders deutlich, und sicher ist auch das Entscheidende in diesem Zusammenhang dasjenige, welches die beiden Begriffe gemeinsam haben: daß von der Vorstellung auf ein "reales", außer der Vorstellung gegebenes, geschlossen wird. — Von der Personifizierung können wir absehen, da sie nicht die Problematik des Ideals direkt betrifft. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Kant mit diesem Argument mehr beweist, als er sich vorgenommen hatte — jedenfalls kann eine bestimmte Interpretation seines Gedankenganges diesen Eindruck nahelegen. Der Schein, den Kant zuvor "beschrieben" hat und nun "erklärt" haben will, liegt in der Annahme, es bestehe ein objektives Ableitungsverhältnis zwischen einer ursprünglichen Möglichkeit und aller Möglichkeit endlicher Dinge, und in der Vorstellung, die ursprüngliche Möglichkeit sei in einem wirklichen Wesen, dem ens realissimum, gegeben. Wir können diesen Schein zusammenfassend als die Objektivierung des transzendentalen Ideals charakterisieren. Die Bildung des Ideals selber als Begriff der Vernunft wird nicht als Schein beschrieben - im Gegenteil: es wird als zur "Absicht" der Vernunft gehörig bezeichnet. So heißt es denn auch in der abschließenden Anmerkung: "Das Ideal des allerrealsten Wesens . . . (ist) eine bloße Vorstel-

Der Schein des Ideals

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lung" (ebd.) - und erst nach dieser Bezeichnung beschreibt Kant die drei Aspekte des Scheins. Man kann aber das Argument der "Erklärung" so auffassen, daß diese sich auf einen ganz anderen Schein bezieht. Kant sagt doch, so scheint es: Der Grundsatz, der auf dem Ideal beruhen soll, ist ein empirisches Prinzip — er impliziert also nur den Inbegriff aller Erscheinungsrealität. Wenn das aber der Fall ist, dann ist nicht erst die Objektivierung des Begriffes vom ens realissimum, sondern schon das transzendentale Ideal als Vernunftidee dialektisch. Vor diesem Hintergrund müßten wir uns allerdings über die Tatsache wundern, daß Kant in unserem Abschnitt hervorhebt, die Idee der omnitudo realitatis sei "das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist . . . " (A576/B604, meine Hervorh.) - und nochmehr darüber, daß er am Ende des ganzen Hauptstückes über die rationale Theologie konkludiert: "Das höchste Wesen bleibt also für den bloß spekulativen Gebrauch ein bloßes, aber doch f e h l e r f r e i e s I d e a l , ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönet, dessen objektive Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann . . " (A641/ B669, Kants Sperrung!). Wenn der Begriff des höchsten Wesens aber ein fehlerfreies Ideal ist, dann kann der Grundsatz, den es begründet, nicht ein empirischer, bzw. zur Analytik gehörender sein. Wir müssen uns somit, um diese Spannung zu klären, zwei Fragen stellen: 1) Was beinhaltet Kants Kritik der rationalen Theologie in ihrer Vollständigkeit, sodaß sie den Gottesbegriff als "fehlerfreies Ideal" festhalten kann? 2) Ist der Grundsatz der durchgängigen Bestimmung ein Teil der Analytik, sodaß er nicht das transzendentale Ideal als Begriff der Vernunft implizieren kann? Fangen wir mit der zweiten Frage an.

5.3 Das Prinzip von der systematischen Einheit der Erfahrung und das Problem der Erkenntnis des Einzeldinges In Kants Erklärung des dialektischen Scheins des Ideals von der Analytik her macht er auf jeden Fall dem Verfahren der Vernunft das Zugeständnis, daß der Gedanke von der materialen Möglichkeit der Gegenstände sinnvol und notwendig ist. Auf der Grundlage der Analytik kann man über diesen Gedanken sagen: 1) die materiale Möglichkeit eines jeden Erfahrungsgegenstandes muß in Bezug auf den Inbegriff der Erscheinungsrealität bestimmt werden; 2) um diesen Inbegriff zu denken, muß man die Einheit der Erfahrung nur als distributive voraussetzen. Um nun die Frage nach dem "transzendentalen Ort" 30 des Prinzips der durchgängigen Bestimmung zu beantworten, ist es erforderlich, Kants Begriff von der Einheit der Erfahrung genauer zu untersuchen. Dabei wird sich herausstellen, daß nach Kant Erfahrung nicht nur wie in der Analytik als "distributive" Einheit, sondern auch als empirisch-systematische Einheit gedacht werden muß - und daß der letztere Erfahrungsbegriff eine Leistung der Vernunft ist. Diese Auffassung entwickelt Kant vor allem in zwei Textzusammenhängen: den beiden Abschnitten des "Anhanges" zur transzendentalen Dialektik und den "Einleitungen" zur KU. Es ist naheliegend, bei der Untersuchung des Begriffes "systematische Einheit der Erfahrung" diese beiden Textgruppen zusammen heranzuziehen, aber man muß sich zuvor der Verschiebung von Kants Fragestellung in der KU versichern. Den Begriff der empirisch-systematischen Einheit der Erfahrung, der im Dialektik-Anhang entwickelt wird, hat Kant bei der allgemeinen Bestimmung der Vernunft am Eingang vorweggenommen. Dort hieß es z.B., die Vernunft beziehe sich in ihren Totalitätsvorstellungen auf den Verstand und "vollende" so dessen Einheit (vgl. oben S. 171f ). Die Einheit der Erfahrung, so können wir vermuten, wird also als transzendentale Leistung der Vernunft bestimmt. Die auffallendste Veränderung in der KU ist zunächst eine terminologische: das Prinzip der empirisch-systematischen Erfahrungseinheit wird nun nicht der Vernunft, sondern eben der Urteilskraft zugeschrieben. Diese neue Ausdrucksweise beruht aber auf einer Veränderung der Fragestellung. Die wichtigsten in der KU neu hinzugekommenen Fragestellungen sind zwei:

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Zu dem Begriff "transzendentaler Ort", vgl. die "Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe", A268/B324.

Prinzip der syst. Einheit der Erfahrung und Problem des Einzeldinges

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1. Kants endgültige kritische Konzeption von dem System der Philosophie·, 2. die Problematik des ästhetischen Urteils. Man kann sich den ersten Punkt durch Vergegenwärtigung von Kants Verwendung des Begriffes "Vernunft" klarmachen. Es ist bekannt, daß es mehrere solche Verwendungen gibt. Zunächst bedeutet Vernunft a) (als reined) "das Vermögen der Erkanntnis aus Prinzipien a priori", bzw. " . . nach Prinzipien a priori zu urteilen" (V,167). Dann geschieht - vornehmlich in der Dialektik der KrV - eine Einschränkung dahingehend, daß Vernunft als b) die Fähigkeit, transzendentale Ideen, d.h. erfahrungs-transzendente Totalitätsbegriffe zu bilden, bestimmt wird. In der KU geschieht eine weitere Einschränkung, sodaß nun Vernunft scheinbar c) mit praktischer Vernunft identisch wird. Diese zweite Einschränkung erfolgt folgendermaßen. Daß die KrV "reine Vernunft" untersucht hat, bedarf — so stellt Kant die Sache in der Vorrede zur KU dar — verschiedener Präzisierungen: 1. sie hat die Erkenntnis analysiert - dJi. in der Terminologie der "Vermögen": sie hat das Gefühl der Lust und Unlust und das Begehrungsvermögen ausgeklammert; 2. sie hat in dem Sinne den Verstand ausgezeichnet, daß sie zu dem Ergebnis kommt, nur er enthalte konstitutive Erkenntnisprinzipien a priori. Sie hat also gewissermaßen die Urteilskraft und die Vernunft ausgeklammert. Nun hat aber die KpV gezeigt, daß Vernunft "lediglich in Ansehung des B e g e h r u n g s v e r m ö g e n s konstitutive Prinzipien a priori enthält" (V,168). Auf dieser Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft - vom Gesichtspunkt der Konstitution aus — beruht Kants Einteilung des Systems der Philosophie in einen theoretischen und einen praktischen Teil - in "Metaphysik der Natur und die der Sitten" (V,170). Und von diesem Gesichtspunkt aus kann er die Problematik der Urteilskraft — in der Terminologie der Vermögen - formulieren: Kann man annehmen, daß, wie Verstand in Beziehung auf das Erkenntnisvermögen und Vernunft in Beziehung auf das Begehrungsvermögen, die Urteilskraft in Bezug auf das Gefühl der Lust und Unlust a priori konstitutiv ist? Wenn das der Fall ist, kann die KU zeigen, wie der Übergang zwischen dem theoretischen und dem praktischen Teil der Philosophie möglich ist. Von dem Gesichtspunkt der KU aus besteht also das Ergebnis der KrV darin, daß im Bereich der Erkenntnis nur der Verstand konstitutiv ist. Die Vernunft wird demgegenüber dem Bereich des Praktischen zugeordnet. Es ist wichtig zu sehen, daß Kant dadurch die Erkenntnisfunktion der Vernunft nicht verkennt. Von denjenigen Begriffen, welche die KrV behandelt und die nicht Verstandesbegriffe sind, sagt Kant, die Kritik "verweise" sie alle "unter die Ideen, die für unser theoretisches Erkenntnisvermögen überschwenglich, dabei aber doch nicht etwa unnütz oder entbehrlich sind, sondern als regulative Prinzipien dienen" (V,167f, meine Hervorh.). Von dem regulativen Prinzip gilt, es habe - unter anderem - die Funktion, den Verstand "in der Betrachtung der Natur nach einem Prinzip der Vollständig-

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Das transzendentale Ideal

keit, wiewohl er sie nie erreichen kann, zu leiten, und dadurch die Endabsicht alles Erkenntnisses zu befördern." (ebd., meine Hervorh.). Wie sich unten zeigen wird, knüpft Kant damit auch rein terminologisch an die Darstellung des Dialektik-Anhanges an. Die zweite Fragestellung, welche die KU auszeichnet, diejenige des ästhetischen Urteils, betrifft in direkterer Weise den Begriff der Urteilskraft. Kant hält es für leicht einsehbar, daß die Urteilskraft ein eigentümliches Prinzip besitzen muß. Nun kann dieses Prinzip nicht ein gegebener a priori'scher Begriff sein, denn ein solcher ist eben nicht der Urteilskraft, sondern dem Verstände eigen. Vielmehr muß die Urteilskraft, so Kants Formulierung, einen Begriff "angeben", der nicht der Erkenntnis eines Dinges, sondern der Urteilskraft selbst als "Regel" dient. Die spezifische Funktion der Urteilskraft, die durch diese Bestimmungen nur angedeutet ist, erläutert Kant nun an der doppelten Art, in der sie nach diesem ihrem Prinzip verfahren kann. Die spezifische Funktion der Urteilskraft äußert sich erstens in den "ästhetischen Beurteilungen", d.h. denjenigen, die "das Schöne und Erhabene, der Natur oder der Kunst" betreffen (V,169). Die Wichtigkeit der ästhetischen Urteile für die kritische Untersuchung beruht nach Kant auf zwei Faktoren: 1. sie tragen zwar nicht dazu bei, Dinge zu erkennen, gehören aber trotzdem nur fem Erkenntnisvermögen an; 2. sie drücken aus, daß das Erkenntnisvermögen zu dem Gefühl der Lust/Unlust ein unmittelbares Verhältnis hat. Dieses Verhältnis beruht auf einem Prinzip a priori, welches mit einer Bestimmung des Begehrungsvermögens nichts zu tun hat. Denn dieses wird wie gesagt durch Vernunftsbegriffe bestimmt. Die ästhetischen Urteile zeigen also besonders klar die Beziehung zwischen Urteilskraft und Lust/Unlust-Gefuhl, die Kant vermutet. Zum anderen äußert sich die Funktion der Urteilskraft in dem, was Kant in der KrV empirisch-systematische Einheit der Erfahrung nennt und was er hier die "logische Beurteilung der Natur" nennt. Sie beruht darauf, daß in der Erfahrung eine "Gesetzmäßigkeit an Dingen" gegeben wird, "welche zu verstehen oder zu erklären der allgemeine Verstandesbegriff vom Sinnlichen nicht mehr zulangt" (V,169. Meine Hervorh.). In diesem Bereich verfährt die Urteilskraft so, daß sie "aus sich selbst ein Prinzip der Beziehung des Naturdinges auf das unerkannte Übersinnliche" nimmt. Dieses Prinzip verwendet die Urteilskraft zwar "zum E r k e n n t n i s der Weltwesen", aber "nur in Absicht auf sich selbst". Dadurch schafft sie auch eine Beziehung zwischen der Erfahrung und dem Gebiet der praktischen Vernunft — aber im Unterschied zum Fall des ästhetischen Urteils hat dieses Prinzip keine Relation zum Gefühl der Lust/Unlust - , und diese Relation ist eben "das Rätselhafte in dem Prinzip der Urteilskraft". - Die logische Beurteilung der Natur würde für sich keine eigene Kritik der Urteilskraft notwendig machen, denn sie hätte "allenfalls dem theoretischen Teile der Philosophie, samt einer kritischen Einschränkung derselben . . angehängt werden können" (ebd.). Und in der Tat finden wir einen

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solchen Anhang in der KiV — mit dem Unterschied, daß Kant dort nicht ausdrücklich diese logische Beurteilung der Natur der Urteilskraft zuschreibt. Es soll nun natürlich nicht das Verhältnis zwischen Prinzipien der Vernunft und solchen der reflektierenden Urteilskraft diskutiert werden. Indiskustabel ist, daß die Problematik, die Kant jeweils unter den beiden Titeln behandelt, und die im Begriff "empirisch-systematische Erfahrungseinheit" enthalten ist, dieselbe ist - und um sie soll es im folgenden gehen31. Die transzendentale Analytik hat zum Ergebnis, daß die Begriffe "Erfahrung" und "Natur" äquivalent sind. Der Begriff der Natur ist durch eine Einheit konstituiert, und "diese Natureinheit soll eine notwendige, d.i. a priori gewisse Einheit der Verknüpfung der Erscheinungen sein" (A125). Durch eben diese notwendige Verknüpfung der Erscheinungen kommt aber auch diejenige empirisch-objektive Erkenntnis zustande, die Kant Erfahrung nennt. Natur und Erfahrung in diesem Sinne beruhen auf der Verwendung von Kategorien und auf den durch diese bedingten reinen Grundsätzen. Die Kategorien machen nach Kants ausdrücklicher Versicherung ein System aus, und so ist Erfahrung — insofern als sie kategorial bedingt ist - eine systematische Einheit. Man kann also auf dieser Grundlage sagen: Was immer in der Erfahrung gegeben ist, steht in einem System, in dem es den Kategorien, bzw. den Verstandesgrundsätzen zugeordnet ist. — Veranschaulichen wir das an der Kategorie der Kausalität. Sie bedingt den Grundsatz (in freier Umschreibung): "Bei jeder Veränderung hegt Kausalität vor". Nun können wir uns empirisch beobachtbare Fälle von Veränderung vorstellen, etwa (1) "Der Wachs am Ofen schmilzt" (2) "Der von der Sonne beschienene Stein wird warm". Die beiden Fälle gehören einem System der Erfahrung in dem Sinne an, daß sie durch den Grundsatz der Kausalität bestimmt sind. Dieses System ist dasjenige der Natur im allgemeinsten Sinne: es ist bedingt durch die Kategorien als Voraussetzungen einer "Natur überhaupt"; es drückt sich in im strengsten Sinne notwendigen Gesetzen aus, nämlich solchen, die Bedingung der Möglichkeit der Natur sind; und es beruht schließlich auf denjenigen formalen Eigenschaften, welche eine Na31

Das Verhältnis zwischen Urteilskraft und Vernunft aufzuschlüsseln, würde eine eigene Untersuchung erfordern. Es sei deshalb ausdrücklich hervorgehoben, daß die KU nur insofern herangezogen wird, als sie mit dem Dialektik-Anhang das Problem der empirisch-systematischen Erfahrungseinheit gemeinsam hat. Daß in diesem Punkt zwischen den Einleitungen zur KU und dem Dialektik-Anhang der KrV sachliche Übereinstimmung herrscht, wird in der Literatur bestätigt. Vgl. etwa H. Cohen, a.a.O. S. 505, H. Heimsoeth, a.a.O. S. 557 Anm., H. Mertens, "Kommentar zur ersten Einleitung in Kants Kritik der Urteilskraft", S. 33 und J. Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils", S. 38 Anm. - Es sei auch noch darauf aufmerksam gemacht, daß der Begriff "Zweckmäßigkeit", der in der KrV nur andeutungsweise, in der KU aber ausdrücklich auf den Gedanken der systematischen Einheit bezogen wird, im folgenden nicht behandelt wird.

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Das transzendentale Ideal

tur, um überhaupt Natur zu sein, besitzen muß: Es ist das System der "natura formaliter spectata" (B16S). Demgegenüber sind in den beiden Fällen (1) und (2) Eigenschaften gegeben, die nicht von dem Begriff der Natur überhaupt her antizipierbar sind, etwa "schmelzend" und "erwärmbar". Solche Eigenschaften und die mit ihnen verbundenen Prozesse sind im Vergleich mit denjenigen der Natur überhaupt besondere: sie sind zwar "unter" jenen "enthalten", aber nicht von ihnen ableitbar; sie sind zufällig, denn sie gehören nicht zu den Möglichkeitsbedingungen von Natur als solcher; und sie sind sozusagen materiale Eigenschaften: es gehört Beobachtung von besonderen Erscheinungen dazu, um sie zu entdecken - sie gehören der "natura materialiter spectata" an, dem "Inbegriffe aller Erscheinungen" (B163). Der Aspekt der Zufälligkeit bedarf allerdings einer Erläuterung. Man könnte sagen, daß der Fall (1) ein spezifisches Kausalgesetz repräsentiert, etwa (3) "Wenn Körper von einer gewissen Konsistenz erhitzt werden, schmelzen sie . Dieses Gesetz ist im Verhältnis zur zweiten Analogie, von der es ein Sonderfall ist, zufällig im oben genannten Sinn. Aber wenn man solche Regelmäßigkeiten Gesetze nennt, muß man ihnen nach Kant eine gewisse Notwendigkeit zusprechen — "weil sie sonst keine Naturordnung ausmachen würden" (V,184)32. Es gibt also nach Kant zwei verschiedene Aspekte des Naturbegriffs, die wir jeweils mit den Ausdrücken "Natur überhaupt" und "spezifische Natur" bezeichnen können. Die Frage ist nun: Kann oder muß man von einer eigenen Einheit der spezifischen Natur sprechen? Eine solche Einheit würde bedeuten, daß die Phänomene und Gesetze der spezifischen Natur nicht zufällig nebeneinander liegen, sondern einen Zusammenhang ausmachen. Dieser Gedanke ist nach Kant keine Selbstverständlichkeit. Die Erscheinungen bieten einen "unendlich mannigfaltigen" Stoff der Erfahrung dar, und nun ist die Vorstellung durchaus möglich, daß dadurch eine so große "spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur samt ihren Wirkungen" bedingt wäre, daß man sie nicht in Gattungen und Arten einteilen und so "die Prinzipien der Erklärung und des Verständnisses des einen auch zur Erklärung und Begreifung des andern . . . gebrauchen" könnte (V,185). Die spezifische Natur würde in diesem Fall ein "rohes chaotisches Aggregat" ausmachen (XX,210)33.

32 33

Gesetze sind nach Kants Definition "Regeln, so fern sie objektiv sind, (mithin der Erkenntnis des Gegenstandes notwendig anhängen)" (Al 26, meine Hervorh.). Eine parallele Möglichkeit erwägt Kant wie erwähnt im Zusammenhang der transzendentalen Deduktion, also der Begründung der Einheit von Natur überhaupt: "Denn es könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände, und alles so in Verwirrung läge . . " (A90/B123). Vgl. oben S. 129.

Prinzip dei syst. Einheit der Erfahrung und Problem des Einzeldinges

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Die Möglichkeit eines "Chaos" der spezifischen Natur ist also nach Kant dann abgeschlossen, wenn ihre Phänomene und Gesetze nach Gattung und Art eingeteilt werden können, wenn etwa die Aufweichung des Wachses und die Ausweitung des Steines, die man in den genannten Fällen beobachten kann, als spezifische Fälle eines allgemeineren — aber empirischen — thermischen Gesetzes aufgefaßt werden können. Daß der Zusammenhang der spezifischen Natur letztenendes auf der Beziehung Gattung - Art, bzw. Allgemeines - Besonderes beruht, ist der Grund dafür, daß Kant ihn sowohl als Leistung der Vernunft als auch der Urteilskraft charakterisieren kann. Denn Vernunft ist das Vermögen der Prinzipien, d.h. "das Besondere im Allgemeinen durch Begriffe" zu erkennen (A300/B357); und Urteilskraft ist das Vermögen, "das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken" (V,179). Bei der Erkenntnis der spezifischen Natur tritt der Fall ein, daß ein Besonderes gegeben ist, zu dem ein Allgemeines gefunden werden muß, weshalb von Vernunft und Urteilskraft jeweils eine spezifische Leistung erfordert ist. Dieser Sachverhalt muß uns jedoch hier nicht beschäftigen.34. Besonders vom Gesichtspunkt der Vernunft aus kann man sehen, daß der Zusammenhang der spezifischen Natur ein solcher des Systems ist. Denn "das S y s t e m a t i s c h e der Erkenntnis ist "der Zusammenhang derselben aus einem Prinzip" und das heißt, es i s t " Vemunfteinheit". Diese systematische Einheit wird entworfen kraft einer Idee, welche die Erkenntnis als ein Ganzes denkt,*das den Teil-Erkenntnissen vorhergeht und "die Bedingungen enthält, jedem Teile seine Stelle und Verhältnis zu den übrigen a priori zu bestimmen". Kraft dieser Idee ist die spezifische Natur demnach "nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhangendes System" (A645/B673, meine Hervorh.). Kant schließt somit die Möglichkeit einer rein aggregativen spezifischen Natur aus — sie muß als systematische Einheit besonderer Phänomene und Gesetze gedacht werden. Nun besteht aber die Möglichkeit, daß diese Einheit rein logisch ist, d Ji. daß die empirisch erkannten Gegenstände und Gesetze in Gattung-Art Verhältnisse geordnet werden und so eine rein formale Systematik der Erkenntnis zustande kommt. Kant ist jedoch der Meinung, das Vernunftprinzip der systematischen Einheit sei transzendental. Seiner Argumentation für diesen Gesichtspunkt soll nun anhand dessen, was er die "Grundsätze der Homogenität und der Spezifikation" nennt, nachgegangen werden. Es sind die empirischen Begriffe, "durch welche wir . . (die Natur) nach ihren besonderen Gesetzen erkennen" (V,262). Deshalb konzentriert sich das Problem der systematischen Einheit der spezifischen Natur in der Eigenart dieser Begriffe. Eben diese Eigenart wird in den beiden von Kant behandelten Grundsätzen bestimmt: 34

Terminologisch drückt Kant das Spezifische der Funktion dadurch aus, daß er einen "hypothetischen Gebrauch der Vernunft" von einem "apodiktischen" (A646f/B674f) und die "reflektierende" von der "bestimmenden" Urteilskraft (V, 179) unterscheidet.

226

Das transzendentale Ideal

(I)

Grundsatz der Homogenität·. Es muß "eine gewisse systematische Einheit aller möglichen empirischen Begriffe, so fern sie von höheren und allgemeineren abgeleitet werden können, gesucht werden" (A652/B680)35. (II) Grundsatz der Spezifikation - dieser behauptet "Mannigfaltigkeit und Verschiedenheiten der Dinge, unerachtet ihrer Übereinstimmung unter derselben Gattung" (A654/B682)36. Der Grundsatz (I) besagt also, daß die in der Anschauung gegebenen Einzeldinge eine solche Gleichartigkeit besitzten, daß sie durch Artbegriffe zusammengefaßt werden können, diese wieder durch Gattungsbegriffe usw. Kant hebt hervor, daß es nur unter Voraussetzung dieses Grundsatzes so etwas wie eine eigene Funktion der Vernunft geben kann — "weil wir nur so fern vom Allgemeinen aufs Besondere schließen können, als allgemeine Eigenschaften der Dinge zum Grunde gelegt werden, unter denen die besonderen stehen" (A652/680). Demgegenüber zielt der Grundsatz (II) sozusagen in die entgegengesetzte Richtung: er besagt, daß bei aller Gleichheit des durch den Artbegriff bezeichneten es immer noch eine Verschiedenheit zwischen dem unter ihm enthaltenen gebe. Es kann mit anderen Worten keine niedrigste Art geben. Der Grundsatz ist im Grunde nur die Explikation vom Wesen des Begriffes, daß er nämlich immer eine "allgemeine Vorstellung" ist. Der Begriff — der die Art bezeichnet - drückt aus, was "verschiedenen Dingen gemein" ist (A655/B683). Ein Begriff kann also nicht durchgängig bestimmt und so "zunächst auf ein Individuum bezogen" werden (A655f/B683f). — Die beiden Grundsätze drücken das Vernunftprinzip der systematischen Einheit in dem Sinne aus, daß die "Einfalt" welche (I) behauptet, durch (II) zur größtmöglichen "Ausbreitung" gelangt (A655/B683). Nun meint Kant wie gesagt, daß die beiden Grundsätze nicht nur eine logische, sondern auch eine transzendentale Funktion haben. Sein entscheidendes Argument dafür ist, daß nur unter Voraussetzung der Geltung dieser Grundsätze "Verstand", d.h. Verwendung von Allgemeinbegriffen möglich ist. Dieses Argument kann sich natürlich nur auf die Möglichkeit empirischer Begriffe beziehen, denn daß reine Begriffe - Kategorien - verwendet werden können, d.h. mit der Terminologie unserer Grundsätze, daß die Erscheinungen eine solche "Homogenität" besitzen, daß sie jenen untergeordnet werden können, das hat ja eben die transzendentale Deduktion gezeigt. Aber gesetzt den Fall, so könnte man den Ausgangspunkt von Kants Argument darstellen, wir hätten als Begriffe nur die Kategorien. Wären dann empirische Begriffe möglich? Wir könnten unter den Bedingungen dieses hypothetischen Falles Sätze wie den folgenden bilden: "Dies da (= das Angeschaute) ist eine Substanz". Aber könnten wir den Begriff "Stein" bilden? Kants Antwort scheint zu lauten: Wir können ihn nur haben, weil wir gleichzeitig andere Begriffe haben, zu denen er 35 36

Kant behandelt die beiden Grundsätze in dem Abschnitt A651-61/B679-89. Auf das Prinzip der "Affinität", das Kant neben den beiden genannten behandelt, muß hier nicht eingegangen werden.

Prinzip der syst. Einheit der Erfahrung und Problem des Einzeldinges

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in ein Unter- oder Überordnungsverhältnis steht u n d eine solche Ordnung kann nur unter Begriffen bestehen, wenn sie den Gegenständen entspricht. Da nun Erfahrung empirische Erkenntnis ist und also die Verwendung empirischer Begriffe impliziert, haben die Vernunftgrundsätze der Homogenität und der Spezifikation den Charakter der Möglichkeitsbedingung v o n Erfahrung. S o kann Kant das Argument folgendermaßen zusammenfassen: "Denn wir haben eben sowohl nur unter Voraussetzung der Verschiedenheiten in der Natur Verstand, als unter der Bedingung, daß ihre Objekte Gleichartigkeit an sich haben . . " ( A 6 5 7 / B 6 8 5 ) ; und: "Nach d e m . . (Prinzip der Homogenität) wird in dem Mannigfaltigen einer möglichen Erfahrung notwendig Gleichartigkeit v o r a u s g e s e t z t . . , weil ohne dieselbe keine empirische Begriffe, mithin keine Erfahrung möglich wäre" ( A 6 5 4 / B 6 8 2 , meine Hervorh.). Die Reichweite dieses Arguments ist nur begrenzt. Es scheint ja von der Tatsache auszugehen, daß wir "Verstand" im Sinne der Verwendung von empirischen Begriffen besitzen. Und es zeigt dann, daß "Vernunft" in der Gestalt der Grundsätze (I) und (II) eine notwendige Voraussetzung fur diese Tatsache ist. Aber durch ein solches Argument ist nicht gesichert, daß Erfahrung e i η System von empirischen Kentnissen ausmacht. Es könnte ja sein, daß die Ausübung von "Verstand" nur sporadisch gelingt. - Kant mag diese Schwäche selbst gesehen haben - wir können jedenfalls feststellen, daß er im ersten Teil des Dialektik-Anhangs mehrere Varianten des Arguments vorfuhrt. Folgt man dem Gang der Darstellung, zeigen sich diese Versuche: 1. Kant erwägt zunächst hypotethisch die Möglichkeit, die systematische Vernunfteinheit könnte "ein t r a n s z e n d e n t a l e r Grundsatz der Vernunft" sein. Die systematische Einheit wäre dann nicht nur "subjektiv- und logisch", sondern "objektivnotwendig". Das würde bedeuten, daß "die Beschaffenheit der Gegenstände, oder die Natur des Verstandes, der sie als solche erkennt, an sich zur systematischen Einheit bestimmt" wären. Man könnte dann sagen: "alle mögliche Verstandeserkenntnisse (darunter die empirischen) haben Vernunfteinheit" (A648/B676, meine Hervorh.). 2. Im Anschluß an ein Beispiel, die Annahme einer "Grundkraft" des menschlichen "Gemüts", argumentiert er dann vom Tatsächlichen her: Wir halten an der Idee einer solchen Grundkraft fest, "selbst wenn es uns nach allen Versuchen mißlingt, sie zu entdecken". Das scheint doch zu bezeugen, daß die Prinzipieneinheit nicht bloß als "ein ökonomischer Grundsatz der Vernunft, sondern inneres Gesetz der Natur" vorausgesetzt wird (A650/B678). 3. Schließlich versucht Kant den allgemeinen Sachverhalt zu erweisen, daß "ein logisches Prinzip der Vernunfteinheit der Regeln" nicht denkbar wäre, "wenn nicht ein transzendentales vorausgesetzt" würde. "Transzendental" ist dann die systematische Einheit in dem Sinne, daß sie "als den Objekten selbst anhängend, a priori als notwendig angenommen wird". Auch hier geht er von einem Faktum aus: die Vernunft sucht in ihrem logischen Gebrauch systematische Einheit. Sie kann dann nicht zugleich annehmen, "die systematische Einheit ihrer Ableitung (sei) der Natur nicht gemäß" - und zwar deshalb nicht, weil sie sich dann "eine Idee zum Ziele setzte, die der Natureinrichtung ganz widerspräche". - Damit meint Kant gezeigt zu haben, das Vernunftprinzip sei nicht-logisch in dem Sinne, daß es "der Nat u r " entspreche. Er möchte aber auch zeigen, daß es nicht-empirisch ist, also nicht "von der zufälligen Beschaffenheit der Natur . . abgenommen". In diesem Zusammenhang argumentiert er dann ähnlich wie bei den Grundsätzen (I) und (II): es ist ein notwendiges Gesetzt der Vernunft, systematische Einheit zu suchen. Die Begründung lautet: Nur unter Voraussetzung dieses Gesetzes gilt die Bedingungsreihe "Vernunft" - "zusammenhangenden Verstandesgebrauch" - "zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit" (A678f/B650f, meine Hervorh.). Als Voraussetzung eines Kriteriums "empirischer Wahrheit" muß also "die systematische Einheit durchaus als objektivgültig und notwendig" gedacht werden.

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Das transzendentale Ideal

- Dieses Argument ist dann stärker als das im Zusammenhang der Grundsätze (I) und (II) entwickelte, wenn man zeigen kann, daß "empirische Wahrheit" letztenendes e i η umfassendes System der Natur, bzw. der Erfahrung voraussetzt. Diesen Gedanken fuhrt Kant allerdings nicht aus37.

Ein transzendentales Erkenntniselement muß nach Kant vorwiegend zwei Forderungen erfüllen: 1) es darf nicht nur eine formale oder logische Eigenschaft der Erkenntnis bedingen, sondern muß Beschaffenheiten der erkannten Gegenstände bestimmen - es muß über etwas "den Objekten selbst anhängendes)" aussagen; 2) dieser inhaltliche Aspekt darf nicht empirisch abgeleitet, sondern muß "a priori als notwendig" erkannt werden (A650/B678). Kant meint durch sein Argument für die Vernunftprinzipien die Transzendentalität in beiden Bedeutungen gezeigt zu haben. Aber es gibt bei dem Grundsatz der Spezifikation noch eine Eigentümlichkeit, die ausdrücklich dessen empirischen Charakter ausschließt: er fordert unendliche Spezifikation. Und: "Die empirische Spezifikation bleibt in der Unterscheidung des Mannigfaltigen bald stehen, wenn sie nicht durch das schon vorhergehende transzendentale Gesetz der Spezifikation, als ein Prinzip der Vernunft, geleitet worden . . " (A657/B685, meine Hervorh.). Durch dieses Argument hat Kant diejenige Behauptung begründet, die er bei der allgemeinen Bestimmung des Begriffes "Vernunft" aufgestellt hatte: Daß sie sich auf den Verstand bezieht (vgl. oben S. 171 ). Diese Beziehimg hat er nun näher bestimmt derart, daß Vernunft durch das Prinzip der systematischen Einheit - in spezifisch anderer Weise als die Kategorien, bzw. Grundsätze — empirische Verstandesaktivität ermöglicht. Und so kann er das Argument mit dem metaphorischen Ausdruck zusammenfassen: "Die Vernunft bereitet also dem Verstände sein Feld" (ebd.). Vernunft denkt Natur in einer solchen Einheit, daß Verwendung von Verstand und damit systematische Erfahrung möglich wird. Es ist also die transzendentale Gültigkeit von Prinzipien der Vernunft, kraft derer die spezifische Natur nicht ein "chaotisches Aggregat", sondern eine systematische Einheit ausmacht. Da die Vernunft diese Einheit im voraus als ein Ganzes

37

Der Tatbestand, daß Kant ein endgültiges Argument für die Transzendentalität des Prinzips der systematischen Einheit nicht entwickelt hat, schlägt sich in der Literatur zu diesen Textstellen nieder. Die möglichen Interpretationen sind primär drei: a) man kann das Prinzip der systematischen Einheit als logisch-methodologisch auffassen; das geschieht bei H. Cohen (a.a.O. S. 505) und J. Kulenkampff (a.a.O. S. 38 Anm.); b) man kann wie H. Heimsoeth überzeugt sein, das Prinzip sei "in Wahrheit" transzendental (a.a.O. S. 593); c) und man kann meinen, das Prinzip, bzw. die durch es vorausgesetzten Ideen haben einen "eigentümlichen Zwischenstatus zwischen logisch-operationalen Forschungsregeln einerseits und transzendentalen Prinzipien . . andererseits" (so H. Mertens a.a.O. S. 42, vgl. S. 45f und 91). - Zu diesen Interpretationsvorschlägen ist zu sagen, daß Kant eindeutig einen transzendentalen Status des Prinzips der systematischen Einheit beweisen möchte; unsicher ist allenfalls, ob seine Argumentation in diesem Punkt gelungen ist.

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denkt, hat sie nicht - wie die Natur überhaupt - den Charakter einer distributiven, sondern denjenigen einer "kollektive^n) Einheit" (A644/B672). Für die Problematik des Scheins des transzendentalen Ideals bedeutet das: Es kann nicht so sein, daß ein Vernunftbegriff schon deshalb dialektisch ist, weil er Erfahrung nicht als distributive Einheit denkt. Es hat sich im Gegenteil gezeigt, daß es eine Möglichkeitsbedingung von Erfahrung ist, sie als (kollektive) systematische Einheit zu denken. Wir müssen also die uns beschäftigende Frage präzisieren: Ist der Grundsatz von der durchgängigen Bestimmung durch die Bedingungen der Erfahrung überhaupt erklärbar - oder ist er ein den Grundsätzen (I) und (II) analoges transzendentales Prinzip der Vernunft? Zunächst müssen wir von der Feststellung einer gewissen Spannung ausgehen zwischen dem, was Kant bei der "Erklärung" des Scheins des Ideals auf der Grundlage der Analytik sagt, und demjenigen, was man aus seiner Darlegung der Vernunfteinheit der spezifischen Natur schließen muß. Betrachten wir nochmals die Art, wie Kant den Schein charakterisiert: Die "natürliche Illusion", die er durch Rekurs auf die Analytik "erklärt", besteht in der Verwechslung eines Grundsatzes, der nur für "Gegenstände der Sinne" gilt, mit einem solchen, der "von allen Dingen überhaupt" gelten soll. Was ist nun das eigentlich für ein Grundsatz? Er besagt: (3) "nichts (ist) f ü r u η s ein Gegenstand, wenn es nicht den Inbegriff aller empirischen Realität als Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt" (A582 /B610, kursiv von mir). Man sieht, daß er zwar mit dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung zusammenhängt, daß er aber nicht mit ihm identisch ist. Dieser lautet: (2) jedem Ding muß "von a l l e n m ö g l i c h e n Prädikaten der D i n g e , sofern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen . . " (A571/ B599f, vgl. oben S. 193 ). Man kann den Unterschied zwischen beiden so ausdrücken, daß der Grundsatz (3) von den materialen Bedingungen der Möglichkeit empirischer Gegenstände, nicht aber von der Individuation spricht, während (2) potentiell beide Aspekte enthält. Die Differenz zwischen den Grundsätzen (2) und (3) läßt die Möglichkeit offen, daß (2) als Prinzip der Erkenntnis des Einzelnen als Grundsatz der Vernunft gedacht werden muß. Läßt sich nun die Verbindung herstellen zwischen den mit dem Prinzip der systematischen Einheit verbundenen Grundsätzen und demjenigen der durchgängigen Bestimmung? Bei der Beantwortung dieser Frage muß man zunächst feststellen: Erst kraft der Vernunftgrundsätze der Homogenität und der Spezifikation ist es möglich, diejenige logische Gesetzmäßigkeit zu denken, daß Begriffe in ein hierarchisches System von Über- und Unterordnungsverhältnissen angeordnet werden können. Man muß von Kants Ausführungen im Dialektik-Anhang her

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Das transzendentale Ideal

schließen, daß diese logische Tatsache innerhalb des Bereichs der Begriffe ein Ausdruck der FernuH/rstruktur ist. Von dem bloßen Gedanken des Allgemeinbegriffes, d.h. des aus einer Vorstellung - letztenendes einer Anschauung — abgehobenen allgemeinen Merkmals, ergibt sich diese Gesetzmäßigkeit durchaus nicht. In ähnlicher Weise muß man schließen, daß der Gedanke, eine Anschauung sei im Unterschied zu einem Begriff durchgängig bestimmt und in dem Sinne Vorstellung von Einzelnem, nur von der Vernunftstruktur her verständlich ist. Ebenso wie nur Vernunft — durch den Grundsatz der Spezifikation — die immer weitergeführte Spezifikation des Allgemeinbegriffes fordern kann, ist es auch nur von der Vernunft her möglich, sozusagen zu denken, was ein Allgemeinbegriff nicht ist: Vorstellung des durchgängig Bestimmten38. — Vor dem Hintergrund dieser Erwägung sollen nun einige Texte untersucht werden, in denen Kant versucht, den Vernunftcharakter des Prinzips der durchgängigen Bestimmung zu begründen. In der R 6256 ist ein Gedankengang enthalten, der offenbar mit demjenigen verwandt ist, den Kant bei der "Erklärung" als "natürliche Illusion" bezeichnet. Er geht hier aus von der Feststellung: "Es ist unmöglich, einen Begriff durchgängig zu bestimmen". Dem fugt er dann hinzu, es sei "subiectiv nothwendig", sich die durchgängige Bestimmung des Begriffs vorzustellen "als die Idee der Vollständigkeit des Begrifs . . . d.i. das object ohne diese Subjective Einschränkung sich vorzustellen, und so denken wir uns jedes obiect, so fern es an sich gesetzt wird, nämlich in der Vollständigkeit der Bestimmung des Begrifs eines obiects überhaupt" (meine Hervorh.). — Inwiefern bedeutet es die Aufhebung einer "Einschränkung", die durchgängige Bestimmung vorzustellen? Es ist naheliegend, in diesem Zusammenhang die Feststellung der R 6209 heranzuziehen: "Der menschliche Verstand . . (urtheilt) nur durch allgemeine Begriffe" (meine Hervorh.). Man kann sagen, es sei eine "Einschränkung" des menschlichen Verstandes, daß er nur durch Allgemeinbegriffe vorstellen, dJi. das durchgängig bestimmte Einzelne nicht denken kann. Wenn also die durchgängige Bestimmung in der Idee gedacht wird, dann wird, so scheint Kants Gedankengang in R 6256 zu sein, diese "Einschränkung" aufgehoben. Der durchgängig bestimmte Gegenstand wird dann nicht durch Begriffe des Verstandes, sondern als "Objekt überhaupt" gedacht. - Wenn man nun unter dem Gesichtspunkt der durchgängigen Bestimmung den Begriff als einen solchen "eines realen obiects" denkt, ist er ein Begriff "eines Dinges (folglich der Begrif eines Objects so fern schon näher bestimmt)" (meine Hervorh.). Die vollständige Bestimmung dieses Begriffes ist dann "der begrif des entis realissimi". Es ist sinnvoll, innerhalb dieser Überlegung zwischen zwei Gedankengängen zu 38

Wenn Kant also in seiner Darstellung der Logik einerseits die Begriffslebie dem Verstand, andererseits die Schlußlehxe der Vernunft zuordnet, so gilt diese Einteilung nicht uneingeschränkt: insofern man logisch von einem System unter- bzw. übergeordneter Begriffe und von konventionellen conceptus infimi sprechen kann, ist dabei eine spezifische Vernunftstruktur vorausgesetzt.

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unterscheiden: 1) der menschliche Verstand kann das Einzelne als solches nicht denken, sondern bezieht sich auf es nur durch Allgemeinbegriffe; wenn das Einzelne "subjektiv notwendig" als durchgängig bestimmtes gedacht wird, muß das auf einer anderen Ebene als derjenigen des Verstandes geschehen: das Einzelne wird dann kraft einer Idee gedacht und hat den Charakter eines "Objektes überhaupt". 2) Unter dem Gesichtspunkt der Realität, der Dingheit, impliziert die Idee der durchgängigen Bestimmung den Gedanken der omnitudo realitatis, bzw. des ens realissimum. - Da durch 1) ein Übergang geschieht von der Ebene der empirischen Gegenstände zu derjenigen der Objekte überhaupt, scheint die "subjektive Notwendigkeit" von der in R 6256 die Rede ist, mit der "natürlichen Illusion" identisch zu sein, die Kant in seiner "Erklärung" des Scheins aufdeckt. Allerdings betrifft die "subjektive Notwendigkeit" nicht den Gedanken eines Ableitungsverhältnisses zwischen einer höchsten Möglichkeit und derjenigen endlicher Dinge. Und so kann man die Spannung zwischen beiden Texten bis auf den einen Punkt reduzieren: Nach R 6256 kann die durchgängige Bestimmung als Individuationsprinzip nur auf der Ebene der Objekte, bzw. Dinge "überhaupt" gedacht werden. Laut "Erklärung" ist sie jedoch ein Prinzip der transzendentalen Analytik, gehört also zur Ebene der Gegenstände der Erfahrung. Allerdings muß man diese Auffassung als durch die Lehre von den Grundsätzen der Homogenität und Spezifikation korrigiert auffassen, und so liegt es nahe, das Argument folgendermaßen zu rekonstruieren: Der Grundsatz (3) der "Erklärung" enthält zwar eine "Illusion", aber nur dann, wenn er ein objektives Verhältnis von Möglichkeiten postuliert. Der Grundsatz (2) hingegen ist, als Individuationsprinzip, ein "subjektiv notwendiger" Gedanke der Vernunft. Den Gedanken der Notwendigkeit der durchgängigen Bestimmung, und zwar ausdrücklich als Individuationsprinzips, hat Kant ini? 6290 anhand der Analogie zu Raum und Zeit ausgeführt. Er sagt hier: Daß etwas "durch seinen Begrif unter allem möglichen durchgängig bestimmt und von allem möglichen als eines unterschieden wird", sei mit dem folgenden Tatbestand gleichbedeutend: "es ist nicht blos ein allgemeiner Begrif, sondern die Vorstellung eines einzelnen Dinges durch Begriffe durchgängig bestimmt in Relation auf alles Mögliche." (Meine Hervorh.). Die durchgängige Bestimmung impliziert also wohl ein Verhältnis auf alles "Mögliche", aber sie ist als Individuationsprinzip gedacht. — "Diese Relation auf alles Mögliche nach dem princip der durchgangigen Bestimmung ist eben dasselbe nach Vernunftbegriffen, was das Irgendwo und Irgendwenn nach Bedingungen der sinnlichen Anschauung ist. Denn Raum und Zeit bestimmen nicht blos die Anschauung einer Sache, sondern zugleich ihre Individualität durch das Verhältnis des Orts und des Zeitpuncts . . " (meine Hervorh.). Nach dem, was sich an Kants Lehre von der Anschauung herausgestellt hat, können wir diese Analogie folgendermaßen auffassen. Durch die Lokalisierung im Gesamtraum und die Festsetzung in der einen Zeit ist etwas individuiert, und zwar demonstrativ: wir wissen wo und wann es auftritt. Das Vernunftprinzip der durchgängigen Bestimmung leistet "eben dasselbe", so kann man sagen, in deskriptiver Hinsicht: wir wissen was etwas ist derart, daß es

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sich dadurch von allem anderen inhaltlich unterscheidet. Allerdings ist diese deskriptive Individuation in der konkreten Erkenntnissituation nicht vollziehbar - wir können sie "nur" in der Idee denken. Nun bedeutet die Erkenntnisfunktion der Anschauungsformen Raum und Zeit — unter anderem hinsichtlich der Individuation — "daß sie nicht vorher als möglich gedacht werden könne(n), sondern als gegeben" (meine Hervorh.): sie sind keine Allgemeinbegriffe, sondern immer vorausgesetzte Ganzheitsvorstellungen — allerdings nicht als wirkliche Objekte, sondern als "bloße sinnliche Form". Da Kant nun auch hier davon ausgeht, daß der Gedanke des ens realissimum in der durchgängigen Bestimmung impliziert ist, ergibt sich der analoge Sachverhalt: Es muß "folglich auch ens realissimum nicht als obiect [gedacht werden], sondern als die bloße Form der Vernunft, in ihrer durchgängigen Bestimmung sich den Unterschied alles möglichen zu denken, folglich als Idee, die Wirklich ist (subjectiv), ehe noch etwas als möglich gedacht wird; woraus aber gar nicht folgt, daß das obiect dieser Idee an sich wirklich ist". - Die Konklusion des Vergleichs zwischen der Idee der durchgängigen Bestimmung und den Anschauungsformen lautet dann: "Gleichwohl siehet man, daß in Beziehung auf die Natur des Menschlichen Verstandes (und seiner Begriffe) ein höchstes Wesen eben so nothwendig sey, als Raum und Zeit in Beziehung auf die Natur unserer Sinnlichkeit und deren Anschauung." (Meine Hervorh.). Notwendigkeit bedeutet also in beiden Fällen Bedingung der Möglichkeit der Individuation. Und genau so wenig wie diese Bedingung der Möglichkeit im Falle der Anschauung eine notwendige Existenz von Raum und Zeit als "wirkliche Wesen" (A23/B37) impliziert, tut sie dies bei der durchgängigen Bestimmimg und dem damit gegebenen Gedanken des ens realissimum. Kants Vergleich zwischen der Idee "alles Möglichen" und den Anschauungsformen als Individuationsprinzipien macht eine etwas eingehendere Untersuchung über das Verhältnis zwischen ihnen erforderlich. Sie leisten "eben dasselbe", aber könnten sie nicht auch zusammen Individuation leisten? Könnte nicht Individuation - um unsere Terminologie zu benutzen - durch gleichzeitige Verwendimg deskriptiver und demonstrativer Bestimmungen erfolgen? Wenn "F" für den prädikativen Teil eines singulären Terminus steht, kann man den Gedanken der durchgängigen Bestimmung schematisch folgendermaßen darstellen: Fas(Pia.P2a P „ a ) . - ( R j a . R 2 a . . . .R n a) Die Frage ist nun: treten unter den positiven (P) und negativen (—R) Prädikaten, die zusammen die durchgängige Bestimmung ausmachen, Raum- und Zeitprädikate auf? Wenn das nicht so ist, warum kann man sich dann nicht den Fall denken, daß es zwei identische durchgängige Bestimmungen gibt, sodaß die Individuation erst durch Hinzukommen eines Raum-Zeit Prädikates erfolgt? Die Antwort muß lauten: In diesem Falle gäbe es nur die Raum-Zeit-Individuation - die durchgängige Bestimmung wäre dann ja eben nicht Individuationsprinzip. Diese Schwierigkeit ist - so scheint mir — einer der Faktoren, die Kant zwingen, die durchgängige Be-

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Stimmung auf der Ebene der "Dinge überhaupt" anzusetzen. Dafür sind seine Überlegungen in R 6214 Ausdruck. Er zeigt hier, daß aus dem Begriff der "omnitudo realitatis" notwendig die Bestimmimg der "Einigkeit", dJi. der Einzelheit folge. Die Begründung: "weil im Begriffe des entis realissimi als Noumeni Raum und Zeit nicht vorkommen" (meine Hervorh.). Kämen nämlich Raum und Zeit vor, "würden zwey Wesen mit denselben Eigenschaften in verschiedenen Orten seyn können". Kant entwickelt zwar dieses Argument in bezug auf die "Einigkeit" der omnitudo realitatis, aber es muß fur alle Einzeldinge gelten. Das heißt dann: durch das Prinzip der durchgängigen Bestimmung wird ein Ding in Beziehung gesetzt zu Prädikaten, die weder Verstandesbegriffe noch Bestimmungen der Anschauungsformen sind. Die einzige Möglichkeit, diesen Gedanken — der doch scheinbar die "kopernikanische Revolution" rückgängig macht — festzuhalten, beruht darauf, daß in Kants Konzeption der Erfahrung der Begriff "transzendentale Materie" notwendig enthalten ist. Da das Prinzip der durchgängigen Bestimmung, soll es wirklich ein Individuationsprinzip sein, den Begriff der "transzendentalen Materie" und denjenigen des "Gegenstandes überhaupt" notwendig voraussetzt, kann es nicht von der Erscheinungsrealität her gedacht werden. Es ist ein Prinzip der Vernunft. Daß der Gedanke der durchgängigen Bestimmung nicht nur ein Vernunftprinzip ist, sondern — wie wir vermutet haben — in engster Nähe zu denjenigen Grundsätzen steht, durch welche die Vernunft systematische Einheit der spezifischen Natur denkt, wird durch andere Überlegungen im Nachlaß bestätigt. Der Grundsatz der Spezifikation zeichnet sich, so haben wir gesehen, dadurch aus, daß er eine "Unendlichkeit" der Verschiedenheiten des unter einem Begriff enthaltenen postuliert. Eine solche Unendlichkeit kann es aber an "den Dingen, die unsere Gegenstände werden können" (A656/B684) - d.h. den Gegenständen der Erfahrung nicht geben. Die Vernunft macht also Erfahrung möglich und denkt Erfahrungsgegenstände durch Begriffe, die in der Erfahrung nicht realisierbar sind. - Im gleichen Sinne spricht Kant in R 6206 von einer "Absicht" der Vernunft, "den Gegenstand des Begriffes in der Art der Dinge, wozu er gehört, zu v o l l e n d e n " . Dabei denkt er unter anderem an solche empirischen Gegenstände wie "vollkommen dichter Körper"39, aber auch an einen ethischen Begriff wie "Seeligkeit". Von diesen Begriffen sind nun einige "so beschaffen, daß wir nur die Vollendung denken, selbst aber den Begriff nicht Vollenden können", d.h. der Begriff kann als vollendet nicht realisiert werden. Zu diesen "vollendeten" Begriffen gehört nun auch der Gedanke der durchgängigen Bestimmung. Und so heißt es ausdrücklich in R 6253: "Die durchgängige Bestimmung ist eine idee, die sich in concreto (als limitati) nicht ausführen l ä ß t . . " (meine Hervoih.). Wir können demnach folgendermaßen zusammenfassen: Das Prinzip der durchgängigen Bestimmung zeigt eine sachliche Nähe zu den im Vernunftprinzip der

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Ähnliche Beispiele im Dialektik-Anhang, A645f/B673f.

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systematischen Erfahrungseinheit enthaltenen Grundsätzen, 1. darin daß der Gedanke von dem Einzelnen als durchgängig Bestimmten sich nur von der logischen Struktur des Über- und Unterordnungsverhältnisses von Begriffen ergibt; 2. darin, daß die durchgängige Bestimmung zwar eine "Vollendung" empirischer Begriffe ist, aber eine solche, die in der Erfahrung nicht gegeben, bzw. realisiert werden kann. Wir müssen nun fragen, ob es — wie oben angedeutet (vgl. S. 229 ) - in Kants grundlegender Konzeption der Erfahrung eine gemeinsame Grundlage gibt für das Prinzip der durchgängigen Bestimmung und dasjenige der systematischen Einheit. Der Unterschied zwischen der systematischen Einheit der spezifischen Natur und deijenigen der "Natur überhaupt" beruht, wie sich gezeigt hat, darauf, daß diese in Gesetzen zum Ausdruck kommt, welche als kategorial bestimmt im strengsten Sinne notwendig sind. "Natur überhaupt" ist die kategorial antizipierbare Natur. Was ist nun, genauer gesehen, an der Natur, bzw. der Erfahrung kategorial antizipierbar? Kants Antwort lautet bekanntlich: Ihre Form. Raum und Zeit sind als reine Vorstellungen Formen dessen, was als Erscheinimg auftreten kann. Und die Kategorien konstituieren diejenigen Formen der Erfahrungsgegenstände, welche diese zu "Gegenständen überhaupt" machen. Nicht antizipierbar ist also die Materie der Erfahrung, d.h. dasjenige Empfundene, welches in der raum-zeitlichen Erscheinung und dem kategorial bestimmten Erfahrungsgegenstand enthalten ist40. Daß die empirische Systematik vom Standpunkte der reinen Grundsätze aus zufällig ist, beruht also letzenendes darauf, daß die Empfindung, bzw. die dieser korrespondierende Materie der Erscheinung nicht (voll) antizipierbar ist41. Man kann diesen Sachverhalt auch so ausdrücken: Was als Erscheinung gegeben ist, wird in der Anschauung vorgestellt. Daß alle Erscheinungen unter Kategorien stehen, beruht laut transzendentaler Deduktion darauf, daß diejenige Einheit, welche das Angeschaute besitzen muß, um überhaupt apprehendiert, bzw. wahrgenommen, d.h. ins Bewußtsein aufgenommen zu werden, eine kategoriale ist. Da diese Einheit von der Einzelnheit der Anschauung verschieden ist, ist die Einzelnheit des Angeschauten nicht kategorial bestimmbar. Die Singularität des Angeschauten 40

41

Auf die beiden Fälle (1) und (2) angewendet könnte man sagen: Antizipierbar ist, daß jeder Gegenstand in Raum und/oder Zeit erscheint — aber nicht, daß es Wachs gibt. Antizipierbar ist, daß, wo immer Veränderung stattfindet, diese verursacht ist — aber nicht, wodurch die Veränderungen (1) und (2) verursacht sind. Vgl. oben S. 223. Zum Begriff der Materie vgl. oben S. 201ff. Auch H. Mertens kommt zu dem Ergebnis, der spezifische "Neuansatz des Naturbegriffs" in der KU (und, wird man ergänzen können, auch schon im Dialektik-Anhang) beruhe darauf, daß Kant "die Natur . . in ihrem Materialgehalt gleichsam als an sich gegebene in den Blick faßt". Daß die Natur in ihrer Gegebenheit "sich dem Entwurf des Subjekts entzieht", versuche er nun "philosophisch einzuholen". A.a.O. S. 76 und 33.

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muß also auf Beschaffenheiten der Materie beruhen. Eben deshalb sind in dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung die Gedanken der Singularität und der materialen Möglichkeit vereinigt42. Man könnte also sagen: Die Singularität des Angeschauten ist der äußerste Ausdruck dafür, daß die Materie der Erfahrung und damit ihre (empirisch-) systematische Einheit nicht durch die Kategorien und Grundsätze antizierbar sind. Es ist also durch die Konzeption der kantischen Theorie der Erfahrung ein Zusammenhang gegeben zwischen Singularität als durchgängiger Bestimmung und empirischsystematischer Einheit der Erfahrung. Wir können jetzt die Frage beantworten, wie sich die Lehre vom transzendentalen Ideal zur Problematik des Einzelnen, wie sie sich in Kants Logik und in der transzendentalen Deduktion gezeigt hat, verhält. Als dasjenige Element innerhalb der logischen Begriffslehre, welches nicht durch die transzendentale Deduktion begründet werden kann, hatte sich die Verwendung von konventionellen conceptus infimi herausgestellt. Der niedrigste Begriff ist ein solcher, der am Ende einer Subordinationsreihe als durchgängig bestimmter auftritt. Er muß sich dadurch auszeichnen, daß es kerne Unterschiede mehr geben kann zwischen Dingen, die unter ihm enthalten sind, d.h. daß überhaupt nicht mehrere, sondern nur ein Ding unter den Begriff fällt. Dieser Tatbestand erscheint in einer quantorenlogischen Analyse als Identitätsbedingung einer Kennzeichnung, etwa in der Umschreibung (wo das Kennzeichnungsprädikat, bzw. der durchgängig bestimmte Begriff, durch "F" symbolisiert ist): "Es ist in der Anschauung etwas χ gegeben, so daß χ F ist, und daß es in der Anschauung kein etwas y gibt, so daß: y ist F & Y ist nicht identisch mit x". Daß der durchgängig bestimmte Begriff nach Kant nicht gebildet werden kann, sondern an sich allgemeine Begriffe nur als konventionelle conceptus infimi fungieren, bedeutet vom Gesichtspunkt dieser Umschreibung, daß die in ihr enthaltene Identitätsbedingung kontingent ist: wir können letztenendes nicht wissen, ob durch den Begriff "F" tatsächlich nur ein einziges Ding charakterisiert wird. Wir können also Einzelnes deskriptiv nur unter dem Vorbehalt dieser Kontingenz erkennen. (Vgl. oben S. 98f). Was besagt nun das Vernunftprinzip der durchgängigen Bestimmung hinsichtlich dieses Tatbestandes? Es hebt wie schon angedeutet nicht die Kontingenz, d.h. die

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In diesem einen Punkt: der Verbindung zwischen den Begriffen Singularität und Materie steht Kant in einer alten philosophischen Tradition. Nach Aristoteles etwa ist eigentliches Wissen von dem τόδε π in dessen konkreter Bestimmtheit nicht möglich. Erkannt wird es vielmehr nur als Repräsentant derjenigen Wesensstruktur - des εϊδος - die es mit Anderem gemeinsam hat. Diese Nichterkennbarkeit des τόδε τι als Einzelnen beruht letzenendes auf dem άτκψΟΡ -Charakter der ϋ\η. Vgl. die Darstellung von G. Picht in "Kants Religionsphilosophie I", S. 269ff und "Der Begriff der Natur und seine Geschichte" I, S. 64 und 135f.

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Konventionalität der conceptus infimi auf, sodaß wir kraft seiner nun eigentliche niedrigste, durchgängig bestimmte Begriffe verwenden könnten. Hingegen besagt es durch die gedachte Relation zwischen dem Einzelding und der Totalität der Prädikate, daß das Ding, abgesehen von seiner begrifflichen Erkennbarkeit, ein inhaltlich bestimmtes Einzelnes ist: es gibt kein von ihm verschiedenes Ding, das genau in derselben Weise in Bezug auf den Inbegriff aller Prädikate bestimmt ist. Die Kontingenz ist also in dem Sinne aufgehoben, daß wir wissen können, daß die Dinge inhaltlich bestimmte Einzelne sind, obwohl wir sie nur durch Demonstrativbegriffe und konventionelle conceptus infimi erkennen können. Infolge des Absehens von den Bedingungen begrifflicher Erkenntnis muß das Prinzip der durchgängigen Bestimmung dann das Einzelne als "Ding überhaupt" denken. Im Rahmen der logischen Urteilslehre trat der Begriff des Einzelnen auf in Zusammenhang mit Kants differenzierter Umschreibung der Subjekt-Prädikat Struktur. Diese faßte er auf als die Form "x a ist einerley mit x b " , die völlig dem offenen Schema der Quantorenlogik entspricht: "x ist F . χ ist G". Daß nach Kant ein Zusammenhang zwischen der Urteilsstruktur und der Anschauung auch als durchgängig bestimmter bestehen könnte, läßt sich anhand einer Stelle der Einleitung zur ersten Auflage der KrV vermuten. Kant behandelt hier unter anderem die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, wobei er zunächst das Charakteristische synthetischer Urteile überhaupt erwägt. Dies besteht darin, daß man außer dem Begriff des Subjektes "noch etwas anderes (Xj" voraussetzen müsse, worauf sich der Verstand "stütz(en)" kann, "um ein Prädikat, das in jenem Begriffe nicht Hegt, doch als dazu gehörig zu erkennen". Im Falle der empirischen Urteile ist die Bedeutung dieses "X" klar: Es ist "die vollständige Erfahrung von dem Gegenstande, den ich durch einen Begriff Α denke, welcher nur einen Teil dieser Erfahrung ausmacht". Entsprechend heißt es, im Beispiel "Der körper ist schwer" bezeichne der Begriff "Körper" die "vollständige Erfahrung", und in dieser vollständigen Erfahrung sei auch der Begriff "Schwere" enthalten (A8, meine Hervorh.). Es liegt nahe, den Gedanken der "vollständigen Erkenntnis eines Gegenstandes" mit der "Vollständigkeit des Begriffes" in Verbindung zu setzen, von der Kant R 6256 sprach (vgl. oben S. 230 ). Das heißt: es ist für das Fällen vom empirischen Urteilen wesentlich, daß das "x" einen durchgängig bestimmten Gegenstand der Anschauung bezeichnet. Durch diesen Tatbestand wird zwar die Urteilsstruktur als solche nicht begründet; das geschieht vielmehr durch die transzendentale Deduktion43. Aber für die synthetischen Urteile empirischer Erkenntnis könnte die Vor-

43

So findet sich im Grundsatz-Kapitel eine Formulierung der Problematik synthetischer Urteile, die derjenigen in der Einleitung zunächst völlig analog ist: Um aus einem bestimmten Begriff "hinausgehen" und ihn mit einem anderen zu verknüpfen, ist noch "ein Drittes

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aussetzung wichtig sein, das "x", auf das sich die Prädikate beziehen, sei durchgängig bestimmt. Etwa dann nämlich, wenn die Vernunft mit der Forderung des Prinzips der Spezifikation herantritt, es müßten immer weitere Spezifikationen der Allgemeinbegriffe gesucht werden. Die Befolgung dieser Forderung kann ja nur derart stattfinden, daß durch ständig erneutes synthetisches Urteilen die "vollständige" Erkenntnis eines Gegenstandes angestrebt wird. Daß die Vernunft diese Forderung der Spezifikation stellen kann, setzt aber voraus, daß sie den Gegenstand als durchgängig bestimmt, d.h. seine Erfahrung als "vollständig", denkt. - Nicht die Urteilsstruktur als solche, wohl aber das synthetische Urteilen der Erfahrung setzt also voraus, daß das "x" durch das Prinzip der durchgängigen Bestimmimg gedacht wird. Wir können somit anhand der Analogie der R 6290 konkludieren: Hinsichtlich der eigentlichen Individuation entspricht der Anschauung als Erkenntnisbedingung nicht die kategoriale Synthesis und deren Begründung in der transzendentalen Deduktion, sondern die Vemunftidee von der durchgängigen Bestimmung. Insofern als Anschauung nach Kant "Vorstellung des (objektiv) durchgängig Bestimmten" ist (vgl. oben S. 120f), wird sie auf der Ebene des Denkens erst durch die Idee "eingeholt" 44 .

44

nötig, worin allein die Synthesis zweener Begriffe entstehen kann". In diesem Zusammenhang identifiziert Kant aber das "Dritte" mit denjenigen Elementen, welche für die Konstitution von Erfahrung überhaupt notwendig vorausgesetzt werden müssen, nämlich die Zeit als umfassende Form der Anschauung, die Synthesis der Einbildungskraft und die synthetische Einheit der Apperzeption (A155/B194). - Somit tritt an der Problematik der synthetischen Urteile der Unterschied zwischen "Erfahrung überhaupt" und "empirische bzw. spezifische Erfahrung" auf: Die Bedingung der Möglichkeit von synthetischen Urteilen überhaupt sind die genannten transzendentalen Elemente. Aber die Bedingung der Möglichkeit vom Fällen bestimmter empirischer syntetischer Urteile ist - letztenendes - die Idee des durchgängig bestimmten Einzelnen. Was man in dem genannten Buch von Allen W. Wood vermißt, ist eine Behandlung des Verhältnisses zwischen Kants Theorie über die Genese des Gottesbegriffes und seiner Theorie der Erkenntnis als ganzer. Wood hebt zwar hervor, Kants Gotteslehre sei "compatibel with the principles of the critical philosophy" (a.a.O. S. 147). Aber er begründet nicht diese Behauptung durch einen Aufweis, wie die Problematik der Erkenntnis von Einzelnem der Ausgangspunkt für die Bildung der Gottesidee durch die Vernunft also - zur transzendentalen Analytik zurückweist.

5.4 Die transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft Die erste Frage, die sich bei Kants "Erklärung" des dialektischen Scheins des transzendentalen Ideals stellte, lautete: Was beinhaltet Kants Kritik der rationalen Theologie in ihrer Vollständigkeit, sodaß sie den Gottesbegriff als "fehlerfreies Ideal" festhalten kann? (vgl. oben S.219 ). Eine Beantwortung dieser Frage miißte, um voll befriedigend zu sein, auf einer Untersuchung über Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises beruhen, denn dieser ist bekanntlich nach Kant das tragende Argument deijenigen Rationaltheologie, die er kritisiert. Eine solche Untersuchung würde jedoch von unserer Thematik zu weit wegfuhren. Wir können aber die Ergebnisse ausnutzen, die D. Henrich in seiner Untersuchung des ontologischen Gottesbeweises erreicht, und die, was Kants Kritik betrifft, die Auffassung von deren Bedeutung in eine neue Richtung weist. Seine Ergebnisse sind in diesem Zusammenhang die folgenden. Kant geht bei seiner Kritik von deijenigen Lage der Ontotheologie aus, die er unmittelbar vorfindet, dJi. von ihrer Gestalt in Baumgartens "Metaphysica". Diese zeichnet sich dadurch aus, daß die Bedeutung des Begriffes ens necessarium, von dem die eine Variante des ontologischen Argumentes ausgeht, durch den Begriff des ens realissimum definiert werden kann: Das notwendig existierende Wesen ist dasjenige, aus dessen Begriff die perfectio der Existenz nicht weggedacht werden kann. Kant muß sich daher bei seiner Kritik gegen die Einheit von ens realissimum und ens necessarium wenden, und man versteht seinen Einwand deshalb nicht in dessen voller Tragweite, wenn man sich lediglich auf das Argument konzentriert, "Sein" sei kein reales Prädikat. Sein Einwand richtet sich vielmehr vor allem gegen die Behauptung, man könne die notwendige Existenz durch den Begriff des ens realissimum bestimmen. Er tut das, indem er zeigt, daß die notwendige Existenz nicht ontologisch bestimmt werden kann, sondern dem Bereich der Kosmologie angehört45. Der Gedanke der notwendigen Existenz hat nach Kant innerhalb der Struktur der Vernunft seinen Ort in der These des vierten Widerstreites der Antinomie: "Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist." (A542/B480). In dem Abschnitt, der demjenigen über das transzendentale Ideal folgt, versucht Kant nun die Argumentation zu rekonstruieren, kraft welcher man diesen bloßen Gedanken der notwendigen Existenz begrifflich bestimmen zu können meint. Die Vernunft "sucht", so heißt es hier, einen Be-

45

Vgl. a.a.O. S. 139-78.

Transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft

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griff, der diese Funktion ausüben könnte, und stößt dabei auf das transzendentale Ideal, den Begriff vom ens realissimum. Dieses scheint "das zur absoluten Notwendigkeit schickliche Wesen zu sein, weil es, bei dem Selbstbesitz aller Bedingungen zu allem Möglichen, selbst keiner Bedingung bedarf, ja derselben nicht einmal fähig ist . . " (A585/B613). - Den Zusammenhang zwischen dem kosmologischen Gedanken der Notwendigkeit und dem Begriff des ens realissimum stellt Kant in den "Fortschritten" in knapper Form dar, indem er zeigt, man könne auf der Grundlage des Begriffes vom ens realissimum nur zwei Existenzbeweise fuhren: "Entweder man schließt aus dem Begriff des allerrealesten Wesens auf das Dasein desselben, oder aus dem notwendigen Dasein irgend eines Dinges auf einen bestimmten Begriff, den wir uns von ihm zu machen haben". Die Argumente lauten: a. "Ein metaphysich allervollkommenstes Wesen muß notwendig existieren, denn wenn es nicht existierte, so würde ihm eine Vollkommenheit, nämlich die Existenz fehlen". b. "Ein Wesen, das als notwendiges existiert, muß alle Vollkommenheit haben, denn wenn es nicht alle Volkommenheit (Realität) in sich hätte, so würde es durch seinen Begriff nicht als a priori durchgängig bestimmt, mithin nicht als notwendiges Wesen gedacht werden können" (XX, 302f). Kants Argumente gegen diese Schlüsse müssen uns hier nicht beschäftigen. Es reicht in unserem Zusammenhang, festzustellen: Der ontologische Beweis, d.h. der Versuch, die notwendige Existenz durch den Begriff des ens realissimum zu bestimmen, ist eines der dialektischen Verfahren, durch welche das transzendentale Ideal objektiviert werden soll. In dem Abschnitt über das transzendentale Ideal selbst ist von einem ähnlichen Verfahren die Rede. Die Versuche, das Ideal zu objektivieren, die Kant hier als Schein bezeichnet, können zwar als Gottesbeweise aufgefaßt werden, aber sie haben nicht den Charakter des ontologischen Beweises: sie wollen nicht zeigen, daß durch die begriffliche Bedeutung des ens realissimum dessen Existenz notwendig gedacht werden muß. Das Argument, das in diesen Versuchen enthalten ist, hat vielmehr, wie Henrich gezeigt hat, die Form: c. "Kein endliches Ding kann ohne die Voraussetzung der Gottesidee bestimmt werden. Also ist Gott, wenn immer endliche Dinge bestimmte Dinge sind"46. Wir können jetzt verstehen, warum Kant den Abschnitt über die "Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft" mit der Konklusion beschließen kann, das transzendentale Ideal sei "fehlerfrei". Die Theologie soll "die Erkenntnis des Urwesens" sein (A631/B659, meine Hervorh.). Erkenntnis liegt aber im Unterschied zu Denken, wie wir wissen, nur dann vor, wenn ein Gegenstand durch einen Begriff bestimmt wird. Eine Theologie muß deshalb zeigen, daß dasjenige, was sie denkt, Gott, als "Gegenstand" existiert. Eben das wird durch die Gottesbeweise 46

A.a.O. S. 142.

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Das transzendentale Ideal

versucht, und da sie scheitern, kann es eine Theologie in dem strengen Sinne einer Gotteserkenntnis nicht geben. Es ist aber sehr wohl denkbar, daß eine Theologie, die keine Erkenntnis der Existenz Gottes prätendiert, sinnvoll wäre. Sie würde genau das voraussetzen, was Kant trotz seiner Kritik der rationalen Theologie behauptet: Daß das transzendentale Ideal "fehlerfrei" gedacht werden kann47. Die Grundzüge einer solchen Theologie entwirft Kant in der Tat im DialektikAnhang, und zwar vornehmlich in dessen zweitem Teil über die "Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft." Die Ergebnisse des vorhergehenden (5.3) und des gegenwärtigen Abschnittes können wir vorläufig folgendermaßen zusammenfassen. Es hat sich gezeigt, 1. daß das Prinzip der durchgängigen Bestimmung ein Vernunftprinzip derselben Art ist wie diejenigen Grundsätze, durch welche Vernunft die systematische Einheit der spezifischen Natur, bzw. der Erfahrung denkt, 2. daß Kants Kritik der rationalen Gotteslehre eine Theologie nicht ausschließt, die auf dem Gottesgedanken als "fehlerfreiem Ideal" beruht. Um die Möglichkeit einer solchen transzendentalen Theologie zu verstehen, muß man aber die Vorstellung von einem "fehlerfreien" Ideal näher untersuchen. Es gibt nach Kant mehrere Bedeutungen, nach denen etwas "fehlerfrei", bzw. sinnvoll gedacht werden kann: 1. dadurch, daß es logisch möglich ist, d.h. keinen Widerspruch impliziert. So heißt es etwa A220/B267f: "Daß in einem . . Begriffe kein Widerspruch enthalten sein müsse, ist eine notwendige logische Bedingung (der Möglichkeit)"; 2. dadurch, daß es real möglich, d.h. daß es dem ersten "Postulat des empirischen Denkens" untersteht: "Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist m ö g l i c h " (A218/ B265); 3. dadurch daß es Möglichkeitsbedingung von Erfahrung ist. Solchen Status besitzen etwa die Kategorien, welche notwendig von objektiver Realität sind, d.h. es entspricht ihnen notwendig etwas im Bereich der Gegenstände der Erfahrung. Faßt man die Fälle 2 und 3 zusammen, kann man sagen, daß alle Begriffe, die über die bloß logische Möglichkeit hinaus sinnvoll sein sollen, auf den Begriff "mögliche Erfahrung" bezogen sein müssen. Betrachten wir nun genauer das "Sinnkriterium" im Falle 3. Daß die Vorstellun-

47

Man kann mit moderner Terminologie sagen, daß Kant durch die Behauptung, Gedanken oder Begriffe hätten nur dann "Sinn und Bedeutung", wenn sie auf "mögliche Erfahrung" bezogen sind, ein "Sinnkriterium" aufstellt. So findet man auch bei Theoretikern, denen ein Kriterium zur Unterscheidung zwischen empirischer Wissenschaft und "Metaphysik" wichtig ist, explizite Bezugnahmen auf Kant. Vgl. etwa Karl R. Popper: "Logik der Forschung", S. 9 und, in kritischer Distanz, A.J. Ayer: "Language, Truth and Logic", S. 46f.

Transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft

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gen, um die es hier geht - etwa die Kategorien und die Grundsätze - Erfahrung ermöglichen, impliziert nach Kant folgende Begriffsbestimmungen: 3a: sie sind für Erfahrung konstitutiv in dem Sinne, daß sie "die B e g r i f f e , ohne welche keine Erfahrung stattfindet, a priori möglich machen". Das gilt ungeachtet der Tatsache, daß man die dynamischen Grundsätze nach einem bestimmten Gesichtspunkt "regulativ" nennen kann (A664/B692). 3b: sie haben objektive Realität in dem Sinne, daß ihnen Gegenstände oder gegenständliche Beziehungen in der Erfahrung entsprechen; 3c: daß Gegenstandsbezug, bzw. objektive Realität vorliegt, kommt darin zum Ausdruck, daß es für den betreffenden Gedanken ein Schema gibt, d.h. eine Vorstellung davon, wie der korrespondierende Gegenstand als in der Anschauung gegeben beschaffen sein muß (A140/B180f, vgl. oben S. 155f). Die Frage ist also nun: In welcher Bedeutung ist das transzendentale Ideal, bzw. sind Vernunftideen allgemein "fehlerfrei" oder sinnvoll? Auf den ersten Blick sind die Vernunftideen natürlich einem starken Sinnlosigkeitsverdacht ausgesetzt: sie scheinen ja eben nicht auf mögliche Erfahrung bezogen zu sein, sondern sind erfahrungs-transzendent (vgl. oben, S. 160f ). Dieser Tatbestand ergibt sich auch anhand eines Vergleichs mit den Kategorien. Daß diese im Sinne von 3. real möglich sind, kommt u.a. darin zum Ausdruck, daß es von ihnen eine transzendentale Deduktion gibt. Die Vernunftideen haben mit ihnen gemeinsam, daß sie a priori'sehe Begriffe sind; sollten sie also sinnvoll oder real möglich sein, müßte es von ihnen eine transzendentale Deduktion geben können. Aber: "eine transzendentale Deduktion . . (ist) in Ansehung der Ideen jederzeit unmöglich" (A663f/B692f, vgl. oben S. 181 ). In völlig entgegengesetzte Richtung zeigen allerdings Kants Ausführungen zur empirisch-systematischen Einheit der Erfahrung: Durch sie ist Vernunft — sogar als Bedingung der Möglichkeit — auf Erfahrung bezogen. Man muß also die Frage nach dem Sinn der Ideen präzisieren: Wie kann Vernunft gleichzeitig erfahrungstranszendente Ideen denken und systematische Erfahrung ermöglichen? Kants Antwort lautet, wie sich im folgende zeigen wird: Vernunft kann nur systematische Erfahrung ermöglichen dadurch, daß sie erfahrungs-transzendente Ideen denkt. Im Dialektik-Anhang versucht Kant, zu einer endgültigen kritischen Klärung der Eigenart von Vernunftideen zu gelangen. Er geht dabei von der Alternative aus: Entweder sind die Ideen "leere Gedankendinge (entia rationis ratiocinantis)", dJi. sie sind nur logisch möglich — oder sie haben in irgendeinem Sinn objektive Gültigkeit. Wenn aber letzteres der Fall ist, muß es, in welcher Weise auch immer, von den Ideen eine transzendentale Deduktion geben. Die Behandlung dieser Alternative bezeichnet er als "die Vollendung des kritischen Geschäftes der reinen Vernunft" (A669f/B697f)48. 48

Der zweite Teil des Dialektik-Anhangs, "Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft" umfaßt die Seiten A669-704/B697-732. Man kann sich das Ver-

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Das transzendentale Ideal

Wie verhalten sich nun die Vernunftideen als erfahrungs-transzendente Vorstellungen zu dem Vernunftprinzip von empirisch-systematischer Einheit? Kants Antwort lautet: Von der "systematisch-vollständigen Einheit" her "werde ich nicht allein befugt, sondern auch genötigt sein, diese Idee zu realisieren, di. ihr einen wirklichen Gegenstand zu setzen . . " (A677/B705, meine Hervorh.)· Und völlig entsprechend: "Die Vernunft kann aber diese systematische Einheit nicht anders denken, als daß sie ihrer Idee zugleich einen Gegenstand gibt . . " (A681/B709, meine Hervorh.)· - Negativ lautet das Argument: Man könnte "mit der bloßen Idee des regulativen Prinzips der Vernunft zufrieden" sein, d.h. man könnte systematische Einheit ohne eine erfahrungs-transzendente Idee denken. Dann würde man aber "die Vollendung aller Bedingungen des Denkens . . bei Seite setzen" - und das ist nicht vereinbar mit dem notwendigen Gedanken "einer vollkommenen systematischen Einheit in unserem Erkenntnis" (A675/B703, meine Hervorh.). Der Gedankengang ist also folgender. Die Vernunft denkt Erfahrung als "vollendete" systematische Einheit. Diese Vollendung impliziert aber - etwa im Falle einer unendlich fortgesetzten Spezifikation — ein Moment, welches niemals in der Erfahrung realisiert werden kann. Soll diese Vollendung also trotzdem gedacht werden, kann es nur in der Gestalt einer erfahrungs-transzendenten Idee geschehen. Dieser Gedanke ist nur dann "dialektisch", wenn er als Erkenntnis eines transzendenten Gegenstandes aufgefaßt wird. Aber läßt sich das überhaupt vermeiden? Um das zu entscheiden, muß man sich zunächst vergegenwärtigen, warum Vernunft in diesem Zusammenhang nicht konstitutiv ist. Sie ist es nicht, einmal weil die vollendete systematische Einheit überhaupt nicht in der Erfahrung gegeben sein kann; und zum anderen, weil die objektive Realität der erfahrungstranszendenten Idee nicht begründbar, bzw. geradezu widersinnig ist: Sie würde "eine Erkenntnis über mehr Gegenstände, als Erfahrung geben kann", implizieren (A671/B699, meine Hervorh.). Aber gibt es dann ftir die Idee noch eine andere Möglichkeit als daß sie entweder nur logisch denkbar oder dialektisch ist? Kant beantwortet diese Frage positiv, indem er von dem leeren Gedankending den "Gegenstand in der Idee" (A670/B698),

hältnis zwischen den Fragestellungen in den beiden Abschnitten des Dialektik-Anhangs an dem Problem einer transzendentalen Deduktion der Ideen klarmachen. In beiden Abschnitten geht es Kant darum, zu zeigen, daß die Vernunftideen einen legitimen Gebrauch haben und daß ihre Dialektik nur auf "Mangel der Urteilskraft" beruhe (A643/B671). Im ersten Abschnitt versucht Kant, eine transzendentale Funktion der Vernunft aufzuweisen, nämlich die Ermöglichung der systematischen Einheit. In diesem Zusammenhang blendet er weitgehend von dem Begriffsinhalt der Ideen ab. Und er schließt hier eine transzendentale Deduktion aus, vor allem doch wohl aus dem Grunde, daß das Prinzip der systematischen Einheit "Vollendung" impliziert und deshalb nicht realisiert werden kann. Im zweiten Abschnitt hingegen geht es explizit um den Begriffsinhalt der Idee und um die Frage, in welchem Sinne man von einem dieser entsprechenden "Gegenstand" sprechen könne. Das Problem einer Deduktion gewinnt deshalb einen etwas anderen Charakter und Kant nimmt es erneut auf.

Transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft

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bzw. das "Vernunftwesen (ens rationis ratiocinatae)" (A681/B709) unterscheidet. Damit erneuert sich jedoch nur die Frage: Welchen Sinn kann es haben, vom Gegenstand einer erfahrungs-transzendenten Idee zu reden? Innerhalb von Kants Konzeption der Erfahrung gilt allgemein: Wenn ein Begriff einen Gegenstandsbezug, bzw. objektive Realität hat, dann muß es zu ihm ein Schema geben. Kant beschäftigt sich deshalb wiederholt in unserem Abschnitt mit dem Problem, was ein Schema von einer Idee sein könnte. Den Zusammenhang zwischen Idee und Schema drückt Kant folgendermaßen aus: Wenn man den "Gegenstand in der Idee" denkt, dann "ist es wirklich nur ein Schema, dem direkt kein Gegenstand, auch nicht einmal hypothetisch zugegeben wird, sondern welches nur dazu dient, um andere Gegenstände, vermittelst der Beziehimg auf diese Idee, nach ihrer systematischen Einheit, mithin indirekt uns vorzustellen" (A670/B698, meine Hervorh.). Die Gegenstände in der Idee sollen "an sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realität, als eines Schema des regulativen Prinzips der systematischen Einheit aller Naturerkenntnis, gelten . . " (A674/B702, meine Hervorh.). Versuchen wir, uns diesen Gedanken klarzumachen, indem wir zunächst die Bedeutung des Schema in der Analytik heranziehen. Kant beschreibt hier das Schema als "eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe" (A141/B180, meine Hervorh.). Das Schema gibt also sozusagen an, wie der dem Begriff korrespondierende angeschaute Gegenstand "aussehen" muß. Demnach müßte man erwarten, ein Schema der Idee würde vorschreiben, wie der erfahrungs-transzendente Gegenstand der Idee beschaffen sein muß. Diese Möglichkeit würde aber jenseits des Bereichs des Sinnvollen sein: wir würden der Idee "direkt" einen Gegenstand "zugeben". - So spricht Kant denn auch nicht von einem Schema zur Bestimmung eines erfahrungs-transzendenten Gegenstandes, sondern davon, die Gegenstände der Idee hätten "Realität, als eines Schema". Es ist also der Gegenstand der Idee selbst, der den Charakter eines Schema hat. Ein Schema für was? Für die systematische Einheit der spezifischen Natur! Da die Vernunft sich kraft ihres "Gegenstandes in der Idee" auf diese systematische Einheit bezieht, hat die Idee "indirekten" Gegenstandsbezug: sie bezieht sich auf die Gegenstände der Erfahrung, bzw. der spezifischen Natur. Im Kontext dieses Gedankens muß man den Sinn des Ausdrucks "regulative" Funktion der Vernunft verstehen. Kant bezieht sich dabei auf die Unterscheidung konstitutiv — regulativ im Grundsatzkapitel. Er nennt hier die dynamischen Grundsätze im Gegensatz zu den mathematischen "regulativ". Das bedeutet im Fall der Analogien: Sie sollen "das Dasein der Erscheinungen a priori unter Regeln bringen". Nun läßt sich Dasein "nicht konstruieren" und deshalb beziehen sich die Analogien nur auf "das Verhältnis des Daseins" (A179/B221f). Das heißt etwa im Fall der zweiten Analogie: Wenn "Dasein" als "Veränderung" vorliegt, kann man a priori wissen, daß es durch die Regel der Kausalität auf Anderes bezogen ist. - Im Dialektik-Anhang hebt Kant dann wie erwähnt hervor, daß auch die regulativen Grund-

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Das transzendentale Ideal

sätze in dem Sinne konstitutiv sind, daß sie Erfahrung überhaupt ermöglichen (vgl. oben, S. 227 ). - Die "regulative" Funktion der Vernunft muß man nun vom Begriff "Schema" her verstehen. Ein Schema impliziert immer, wie die Formulierung des Schematismus-Kapitels zeigt, eine Regel (vgl. oben, S. 155f). Im Falle der Vernunft bedeutet das: Sie muß von dem "Gegenstand in der Idee" - als Schema — "die Regel hernehmen, nach welcher die Vernunft bei der Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen in der Welt zu ihrer eigenen Befriedigung am besten zu brauchen sei" (A673/B701, meine Hervorh.). Da das "Verknüpfen der Ursachen und Wirkungen", wie der Kontext zeigt, ein Sonderfall von "Denken der systematischen Einheit" ist, bedeutet das: Der "Gegenstand in der Idee" gibt der Vernunft die Regel, nach der sie Erfahrung als systematische Einheit denken kann. Dieser Tatbestand bedeutet zwar, daß Vernunft Erfahrung ermöglicht, aber nicht so, daß die "vollendete" systematische Einheit an einem Erfahrungsgegenstand oder einer gegenständlichen Beziehung gegeben ist. Deshalb ist Vernunft in dieser Funktion "nur" regulativ. Es ist entscheidend, dieses "nur regulativ" richtig zu verstehen. Es ist naheliegend, den Gedankengang so aufzufassen: Vernunft enthält Regeln zur Erzeugung der systematischen Einheit der Erfahrung; nur in diesem Sinne hat sie (indirekte) objektive Realität. Denn wenn sie zu ihren erfahrungs-transzendenten Ideen Gegenstände denkt, sind das nur dialektische Projektionen dieser Erfahrungseinheit. Die Auffassung wäre zwar für eine metaphysik-kritische Kant-Interpretation verlockend, aber sie deckt sich nicht mit seinem Text. Dieser argumentiert vielmehr so: Der "Gegenstand in der Idee" ist nicht dialektische Projektion, sondern im Gegenteil Schema der systematischen Einheit49. Die Schwierigkeit, Kants Gedankengang genau zu verstehen, hegt darin, daß er einen doppelten Gegenstandsbezug der Idee behauptet. Einmal ist sie durch den Gedanken der systematischen Einheit - also "indirekt" - auf Gegenstände der Erfahrung bezogen. Zum anderen ist es aber nach Kant sinnvoll und notwendig, von einem — erfarungs-transzendenten — "Gegenstand in der Idee" zu sprechen. Die Bedeutimg des im Begriff "Gegenstand in der Idee" gedachten Gegenstandsbezugs erläutert Kant durch folgende Unterscheidung - die "ziemlich subtil, aber gleichwohl in der Transzendentalphilosophie von großer Wichtigkeit ist": "Ich kann genügsamen Grund haben, etwas relativ anzunehmen (suppositio relativa), ohne doch befugt zu sein, es schlechthin anzunehmen (suppositio absoluta)" (A676/ 49

Die restriktive Interpretation dieses Theorems, die auf einer Uberbewertung des Ausdrucks "nur regulativ" beruht, ist verbreitet. Sie findet sich etwa bei Strawson in folgender Gestalt. Die Ideen der Vernunft bilden sich unvermeidlich "in the course of empirical enquiry". Sie sind nämlich Projektionen von dem Ziel ("aim"), eine letztgültige Einheit und eine Vollständigkeit dieser Untersuchung zu erreichen. Als solche fungieren sie "as an incentive to continuous investigation". Die Illusion der Vernunft entsteht dann, wenn sie den Gedanken des Ziels mit dem Gedanken "of an actually existing object" verwechselt. A.a.O. S. 221.

Transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft

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B704, meine Hervorh.). Auf die Vernunftidee angewandt bedeutet das: Man muß "ihr einen wirklichen Gegenstand . . setzen, aber nur als Etwas überhaupt, das ich an sich selbst gar nicht kenne" - er wird nur gesetzt "in Beziehung auf' die systematische Einheit der Erfahrung (A677/B705, meine Hervorh.). Der "Gegenstand in der Idee" wird also als etwas gedacht, was von der systematischen Erfahrungseinheit verschieden und damit erfarungstranszendent ist. Aber es wird nicht "absolut" und "an sich selbst" gedacht, sondern "relativ", dJi. auf die systematische Einheit bezogen. — Es soll nun untersucht werden, wie Kant diesen Gedanken der relativen Supposition auf die Gottesidee anwendet und dadurch eine transzendentale Theologie entwirft. Bei der Behandlung des Gottesbegriffes im Dialektik-Anhang bezieht sich Kant nicht direkt auf die Ergebnisse des Abschnittes über das transzendentale Ideal50. Den Ausgangspunkt bildet jetzt die Feststellung, "der transzendentale und einzige bestimmte Begriff, den uns die bloß spekulative Vernunft von Gott gibt", sei "die Idee von etwas . . , worauf alle empirische Realität ihre höchste und notwendige Einheit gründet . . " (A675/B703). Auch in diesem Fall muß man die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Supposition anwenden: Wir haben keine Grundlage, den Gegenstand dieser Idee "schlechthin anzunehmen", sondern es ist "die Welt, in Beziehung auf welche diese Supposition allein notwendig sein kann" (A686/B714, meine Hervorh.). Und zwar ist es die systematische Einheit der "Welt", welche diese Supposition erfordert: Sie impliziert die Forderung, man müsse die Welt so betrachten, " a l s o b sie insgesamt aus einem einzigen allbefassenden Wesen, als oberster und allgenugsamer Ursache, entsprungen wäre(n)" (ebd.). Die Bildung der Gottesidee besagt also: Vernunft denkt die "Sinnenwelt" (den "Inbegriff der Erscheinungen") so "als ob" eine höchste Intelligenz, bzw. eine "ursprüngliche und schöpferische Vernunft" (A672/B700) ihr Grund wäre; das ist aber damit gleichbedeutend, daß Vernunft ein Prinzip hat, diese Erscheinungswelt als systematische Einheit zu denken. Es ist deutlich, daß sich dieser "Vernunftbegriff von Gott" nicht wesentlich vom transzendentalen Ideal unterscheidet. Wie oben gezeigt wurde, besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der durchgängigen Bestimmung und der systematischen Einheit der Erfahrung. Auf den Gottesbegriff übertragen bedeutet dieser Zusammenhang: Wie die Singularität des Angeschauten (die durchgängige Bestimmung) der äußerste Ausdruck dafür ist, daß 50

Es gibt allerdings zwei Hinweise im Text darauf, daß Kant die beiden Gedankengänge als einem Zusammenhang angehörig betrachtet: In der Anmerkung, die den Abschnitt über das transzendentale Ideal beschließt, führt Kant die Realisierung, Hypostasierung und Personifizierung des Ideals auf Eigentümlichkeiten der "regulative(n) Einheit der Erfahrung" zurück (A583/B611, meine Hervorh.). Und in der Anmerkung zum Anfang der endgültigen Klärung des Charakters der transzendentalen Theologie in unserem Abschnitt nennt Kant diese "das Verfahren . . , welches die Kritik in Ansehung des theologischen Ideals beobachtet" (A696/B724, meine Hervorh.).

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Das transzendentale Ideal

die systematische Einheit nicht kategorial antizipierbar ist, ist das transzendentale Ideal der äußerste Ausdruck dafür, daß die Vernunft die "Sinnenwelt" zugleich als systematische Einheit und als in einer höchsten Intelligenz gegründet denkt. Die "transzendentale Theologie", die Kant auf der Grundlage dieses Vemunftbegriffes von Gott entwirft, enthält als wesentliche Aspekte die folgenden: 1. Es gibt "etwas von der Welt Unterschiedenes, . . was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enth(ält)". Zu dieser Behauptung ist man berechtigt, weil die Welt nur "eine Summe von Erscheinungen" ist: "Es muß also irgend ein transzendentaler, di. bloß dem reinen Verstände denkbarer Grund derselben sein" (A695f/B723f). 2. Dieser Weltgrund wird nur als "Gegenstand in der Idee" gedacht, d.h. als "ein uns imbekanntes Substratum der systematischen Einheit . . ": Er hat den Charakter eines Schemas für den Gedanken der systematischen Einheit und wird nicht "an sich selbst" erkannt (A696f/B724f). 3. Man muß zwar notwendig ein solches Wesen annehmen, kann aber nicht die Kategorien auf es anwenden, somit auch nicht den Gedanken des notwendigen Daseins. Denn die Kategorien wären in diesem Fall jenseits ihres sinnvollen Gebrauchs verwendet (A696/B724). 4. Trotzdem muß in Verbindung mit der Ausformung der transzendentalen Theologie nicht völlig von den Kategorien abgesehen werden. Es ist nämlich legitim, den göttlichen "Weltgrund" nach einer A n a l o g i e mit den Gegenständen der Erfahrung" zu denken (A696/B724) - und Gegenstände der Erfahrung werden eben durch die Kategorien gedachtsl.

51

Kant deutet in diesem zweiten Dialektik-Anhang mehrmals an, daß das Denken des "Gegenstandes in der Idee" relativ zur Welt ein analogisches Denken ist (siehe etwa A674/B702, A675/B703,A678/B706). - In den "Prolegomena" hat er diesen Gedanken etwas näher ausgeführt. Er bringt hier den Gegensatz zwischen dem Denken der Idee "an sich selbst" und "im Verhältnis auf die Sinnenwelt" (IV,354) in Verbindung mit dem Begriff von der Grenze der Vernunft. Die Vernunft befindet sich, so Kant, gleichsam in einem Dilemma: einerseits sind ihre erfahrungs-transzendenten Urteile illegitim - aber andererseits ist Vernunft naturgemäß unbefriedigt, soll sie sich nur innerhalb des Gebietes der Erfahrung bewegen. Das Dilemma kann jedoch vermieden werden, wenn das Denken sich "gerade auf der G r e n z e alles erlaubten Vernunftgebrauchs" bewegt (IV, 3560- Auf dieser Grenze bewegen wir uns aber, wenn wir das Verhältnis denken, "welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein" (IV, 357). Eine solche Erkenntnis ist analogisch. Kant bestimmt die Analogie als "eine vollkommne Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen" (ebd.). In Bezug auf die Gottesidee lautet die Grundform eines solchen analogischen Denkens: "die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist" (IV, 360, Anm.). Und so kann er geradezu konkludieren: "Die natürliche Theologie ist ein solcher Begriff auf der Grenze der menschlichen Vernunft" (IV, 361).

Transzendentale Theologie im Rahmen der regulativen Vernunft

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5. Obwohl der "Weltgrund" somit in dieser Weise näher bestimmt wird als ein "einige(r) weise(r) und allgewaltige(r) Welturheber" (A697/B725, meine Hervorh.), ist das nicht damit gleichbedeutend, daß wir "unsere Erkenntnis über das Feld möglicher Erfahrung (erweitern)". Denn die einzige begriffliche Bestimmung, die von ihm gegeben ist, ist, daß er als "ein Etwas" gedacht ist, d.h. als ein "bloß transzendentale(r) Gegenstand". Und er ist in Bezug auf die systematische Einheit der Erfahrung gedacht: "Diese Idee ist also r e s p e k t i v a u f d e n W e l t g e b r a u c h unserer Vernunft ganz gegründet" (A697f/B726f). Den Einzelheiten in Kants Darstellung der transzendentalen Theologie soll nun nicht weiter nachgegangen werden. Seine Überlegungen wurden nur herangezogen, damit verständlich wird, in welchem Sinne man behaupten kann, der Gottesbegriff, bzw. das transzendentale Ideal sei im Rahmen der theoretischen Vernunft ein "fehlerfreier", bzw. sinnvoller Gedanke. Ich halte es vor dem Hintergrund des jetzt Ausgeführten für berechtigt, Kants Argumentation im Dialektik-Anhang für den transzendentalen Status der Vernunftideen auf das transzendentale Ideal zu übertragen. Und man muß somit zu dem Ergebnis kommen: Wenn das transzendentale Ideal ein nur logisch möglicher Gedanke wäre, so wäre es ein "leerer Begriff ohne Gegenstand" A292/B348). Kant behauptet indessen seine reale Möglichkeit dadurch, daß er die Notwendigkeit zeigt, den Begriff "Gegenstand in der Idee" einzuführen. Nun sind die Kategorien nichts anderes als Spezifikationen des Begriffes "Gegenstand überhaupt", und so gilt es zu zeigen, daß die Rede vom "Gegenstand in der Idee" nicht einen erfahrungs-transzendenten Gebrauch der Kategorien impliziert. Daß ein solcher unmöglich ist, zeigt Kants Widerlegung der klassischen Gottesbeweise. Er muß deshalb hervorheben, der "Gegenstand" der Ideen und des transzendentalen Ideals würden nur als ein "Etwas" gesetzt. Auch dieses Setzen ist nicht eine Überschreitung derjenigen Grenze sinnvoller Begriffsbildung, welche durch den Gedanken der "möglichen Erfahrung" gezogen wird, denn das "Etwas" wird nicht "absolut" gesetzt, sondern in Bezug auf Erfahrung: Das transzendentale Ideal hat den Charakter eines Schemas der systematischen Einheit der Erfahrung und macht in diesem Sinne Erfahrung möglich. Daß der Zusammenhang von Gottesidee und systematischer Erfahrungseinheit für Kant ein zentrales transzendentalphilosophisches Thema ist, zeigt sich durch die Tatsache, daß er sich bis zu seinem spätesten Denken eingehend mit ihm auseinandersetzt. Der folgende Exkurs soll dies kurz veranschaulichen.

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Das transzendentale Ideal

Exkurs: Gottesidee und systematische Erfahrungseinheit im Opus postumum Das Problem, das Kant sich im Op.post. stellt, betrifft bekanntlich den Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik. In den "Anfangsgründen" war Kant gewissermaßen einen ersten Schritt von dem Naturbegriff, der in den Verstandesgrundsätzen enthalten ist, in Richtung auf die empirische Natur gegangen, mit welcher sich die Naturwissenschaft beschäftigt. Er hatte nämlich den Begriff der Materie, definiert als das Bewegliche im Räume, eingeführt. Obwohl dieser Begriff an sich eine empirische Komponente enthält, ist seine philosophische Erörterung rein a priori'sch. Eben deshalb ist von metaphysischen Anfangsgründen die Rede. - Die Physik andererseits ist für Kant eine Erfahrungswissenschaft. Und das Problem, das die Theorie vom Übergang lösen soll, besteht sozusagen in der Vereinigung von Efahrung und Wissenschaft: Wissenschaft ist nach Kant durch Systematik gekennzeichnet, und Systematik heißt wiederum vollständige Abgeschlossenheit. In diesem Sinne kann aber eine bloß empirische Naturbeschreibung nicht systematisch sein. System und Wissenschaft können vielmehr nur a priori'sch begründet sein. Nun enthalten die "Anfangsgründe" eine Systematik für die wissenschaftliche Naturbeschreibung, und der Übergang besteht eben darin, diese Systematik derjenigen Erfahrungswirklichkeit anzunähern, mit der Physik es zu tun hat. Den Ausgangspunkt für die Verwirklichung des Übergangs-Programmes bildet dann ein neuer Begriff, nämlich derjenige von den bewegenden Kräften der Materie. Es scheint also, als bezeichne der Gedanke vom Übergang eine sehr spezielle und begrenzte Problematik. Wäre das so, müßte man sich darüber wundern, daß Kant während seiner letzten Lebensjahre soviel Kraft in sie investiert hat. Es verhält sich denn auch anders: mit dem Begriff des Überganges berührt Kant die Frage nach dem philosophischen System als Ganzem. Das deutet er durch folgende Bemerkungen an: "Der menschlichen Vernunft gnügt es nicht in der Naturforschung von der Metaphysik zur Physik überzuschreiten; es liegt noch ein wenn gleich fruchtloser doch nicht unrühmlicher Instinct in ihr auch die letztere zu überfliegen und in einer Hyperphysik zu schwärmen und sich ein Ganzes der Natur im noch größeren Umfange nämlich in einer Ideenwelt nach Entwürfen welche auf moralische Zwecke angelegt sind selbst zu schaffen . . . " (XXI,404f). Das klingt nun allerdings, als würde Kant einen jeden Versuch eines Systementwurfes, welches das Gebiet der Naturwissenschaft überschreitet, abweisen. Daß das jedoch nicht seine Meinung ist, zeigen die zahlreichen Systementwürfe, die sich an anderen Stellen des Op.post. finden, vor allem im 1. und 7. Konvolut.

Exkurs: Gottesidee und systematische Erfahrungseinheit im Opus postumum

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Es kann natürlich hier nicht die Aufgabe sein, auf die Übergangs-Problematik einzugehen, und auch nicht, eine nur einigermaßen befriedigende Darstellung der Systementwürfe zu geben. Es soll jedoch angedeutet werden, wie die Problematik um die systematische Erfahrungseinheit und ihr Bezug zur Gottesidee im Op.post. weitergeführt wird. Wenn eben von Systementwürfen die Rede war, ist das ein wenig irreführend, denn was man tatsächlich in den erwähnten Teilen des Op.post. findet, sind eine große Anzahl von Entwürfen zu Titelformulierungen und fragmentarische Überlegungen zum Inhalt. Einer dieser Titelentwürfe lautet: "Der Transscendentalphilosophie höchster Gegenstand Gott, die Welt, und dieser ihr Inhaber, der Mensch in der Welt in einem das All der Wesen vereinigenden System der reinen Vernunft vorgestellt von" (XXI,38). Daß das Thema, das hinter diesem Entwurf liegt, dasjenige der systematischen Einheit von möglicher Erfahrung ist, geht aus folgender Identifizierung der Begriffe "Welt" und "mögliche Erfahrung" hervor: "Die Welt ist der Inbegriff aller Gegenstande der Sinne (möglicher Erfahrung) im absoluten Ganzen des Systems als Objects möglicher Erfahrung" (XXI,42). Mögliche Erfahrung wird also hier von dem Ideen-Entwurf der Vernunft bestimmt. Und diese Thematik hängt wiederum engstens mit der Übergangs-Problematik zusammen, indem Kants Gedankengang der ist, die äußerste Voraussetzung der Möglichkeit eines Überganges von den metaphysischen Anfangsgründen zur Physik sei der Gedanke von der Erfahrung als Ganzheit (siehe etwa XXI, 15). Kant kann deshalb sagen: "Von den metaphys. Anf. Gr. der Naturwissenschaft geht das Princip zum höheren Standpunct der Transsc: Phil, und von dieser endlich zur Physik" (XXI,72. Vgl. XXII, 124). Als absolute Einheit gedacht muß mögliche Erfahrung eine Vernunftidee sein. Sie kann nicht auf Erfahrungen, d.h. einer auf Wahrnehmungen beruhenden Naturbeobachtung basieren. Eine solche empirische Erfahrung wäre nämlich immer mangelvoll und unvollständig. Eine Wahrnehmungs-Erfahrung kann sich zwar der Einheit und Ganzheit von Erfahrung annähern, aber eine solche Annäherung wird immer "asymptotisch (undenlich)" sein (XXI,46). Nun spricht Kant in dem zitierten Titelentwurf nicht von dem System wahrnembarer Gegenstände, sondern von einem System, welches "das All der Wesen" vereinigt. An anderen Stellen spricht er von dem "All der Dinge als das eine Ganze Universum" (XXI,29). Dieses "All der Dinge" ist nicht dasselbe wie die systematische Einheit der Erfahrung. Diese wird vielmehr dadurch konstituiert, daß die Systematik der Vernunft, bzw. der Transzendentalphilosophie durch die Einteilung der Vorstellung vom "All der Dinge" entsteht. Die Ideen der Vernunft von Gott und Welt sind nämlich dadurch bestimmt, daß sie "als Glieder der Eintheilung exi-

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Das transzendentale Ideal

stierender Wesen gedacht" werden (XXI,10). Es ist eigentlich erst diese Einteilung, welche die Grundlage der Einheit von Erfahrung hergibt, denn Gott und Welt — die Glieder der Einteilung - sind beide durch "numerische Einheit ([Einzelnheit)" gekennzeichnet (ebd., meine Hervorh.). Die Vernunft kann also anscheinend die Welt als Idee - und damit die Erfahrung als systematische Einheit - nur als Korrelat zur Gottesidee denken. Warum ist das so? Warum ist die Gottesidee notwendig? Bei der Überlegung dieser Frage ist es entscheidend, darauf aufmerksam zu sein, daß der transzendentalphilosophische Systementwurf nicht nur die einheitliche Naturerfahrung - und damit die Übergangs-Problematik — betrifft. Der Transzendentalphilosophie "höchster Gegenstand" ist vielmehr die Einheit von Natur und Freiheit (siehe z.B. XXI,14 und XXII,116f). Das heißt, daß es letztenendes um den systematischen Zusammenhang der "theoretisch-speculativen" und der "moralischpractischen" Vernunft geht (XXI,78) - oder, wie Kant sich auch ausdrückt, von "technisch-" und "moralisch-practische(r)" Vernunft (XXI, 12). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß Kant in seinen Entwürfen den Menschen als diejenige Größe anführt, die die Ideen von Welt und Gott vereinigt. Die Grundlage herfür ist, daß der Mensch sowohl Teil der Welt ist als auch in seinem Handlungsleben nach dem kategorischen Imperativ sich durch Gott bestimmen läßt. Denn Gott ist der Ursprung des Imperativs (siehe z.B. XXI,11). Wenn es aber Sinn haben soll, von der Gotesidee als ein Glied in der Einteilung des "Alls der Wesen" zu sprechen, das zur Idee von Welt komplementär ist, dann muß die Gottesidee eine Bedeutung haben, die weiter reicht als die Sphäre menschlicher Moralität. Kant drückt sich in diesem Punkt nicht eindeutig aus. Aber man könnte versuchsweise seinen Gedankengang folgendermaßen umschreiben: Genau so wie Gott durch den kategorischen Imperativ den Menschen bestimmt, ist er im nicht-moralischen Sinn Grund der Welt-Totalität. Ein solcher Gedankengang muß der Hintergrund dafür sein, daß Kant der Gottesidee den Vorrang innerhalb der transzendentalphilosophischen Systematik zuerkennen kann: "in der Transscendentalphilosophie ist das Princip was den Übergang zur Vollendung desselben macht, das der transscendentalen Theologie in den zwey Fragen: 1. Was ist Gott? Ist ein Gott? " (XXI,9. Meine Hervorh.). - In dieselbe Richtung zeigt die Bemerkung, in der Transzendentalphilosophie werde Gott gedacht als eine "Substanz", bzw. ein "höchstes Wesen", das in einem "activen Verhältnis auf das Ganze aller Gegenstände der Sinnenvorstellung" stehe. An dieser Stelle hebt Kant genau diese Bestimmung des Gottesbegriffes hervor als die Grundlage dafür, daß dieser als Einteilungsgröße, komplementär zur Welt fungieren kann (XXI,13). Entsprechend heißt es: "Gott u. die Welt: Das Übersinnliche und das Sinnenwesen im All der Dinge (universum)" (XXI, 17) - Gott wird also nicht nur als dasjenige Übersinnliche gedacht, welches sich in der Moralität des Menschen manifestiert — er ist das übersinnliche Komplement zur Sinnenwelt als solcher. Durch diesen Interpretationsvorschlag soll nicht verdeckt werden, daß der ent-

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scheidende Ausgangspunkt für die Vernunftidee von Gott nach Kant — auch im Op.post. - die moralische Erfahrung des Menschen ist. Dies gilt in einem solchen Grade, daß Kant sagen kann: "Der Satz: es ist ein Gott sagt nichts mehr als: Es ist in der menschlichen sich selbst moralisch bestimmenden Vernunft ein höchstes Princip welches sich bestimmt und genöthigt sieht nach solchem Princip unnachlaslich zu handeln" (XXI, 146). - Obwohl es aber der praktische Aspekt der Vernunft ist, der so den Primat bei der Bildung der Gottesidee hat, ist diese doch notwendig auf den Grundbegriff der theoretischen Vernunft — der Möglichkeit der Erfahrung - bezogen. Verhielte es sich nicht so, könnte die Gottesidee nicht das höchste Prinzip sein, das die systematische Einheit der Vernunft, bzw. der Transzendentalphilosophie konstituiert. Dieser Zusammenhang zwischen dem praktischen und dem theoretischen Aspekt der Gottesidee kommt auch in denjenigen Prädikaten zum Ausdruck, durch welche Kant Gott näher charakterisiert. Als die entscheidenden Prädikate zählt er wiederholt auf: Ens summum, summa Intelligentia und summum Bonum (siehe z.B. XXI, 11). Noch fundamentaler als diese Prädikate scheint jedoch die Bestimmung zu sein, Gott sei "Das Wesen aller Wesen als U r g r u n d " . Als solcher bildet er denn auch das Komplement zum "All der Wesen als I n b e g r i f die Welt" (XXI, 145). Als Abschluß dieses kurzen Überblickes über die Weiterentwicklung unserer Fragestellung im Op.post. soll nun etwas präziser untersucht werden, ob sich die Schlüsselbegriffe in Kants Lehre vom transzendentalen Ideal hier wiederfinden. Man kann zunächst feststellen, daß Kant auch im Op.post. Gott als Ideal charakterisiert — jedoch kommt diese Charakteristik hier auch der Welt zu: "Zwey Ideale der r. Vernunft. Gott u. die Welt" (XXI,143). An anderer Stelle spricht Kant ausdrücklich von Gott als "ein transsc: IdeaF' - allerdings als "Subject des categorischen Imperativ der . . . moralisch-practischen Vernunft" (XXII,55. Meine Hervorh.). In der KrV implizierte die Charakterisierung Gottes als transzendentales Ideal genauer gesehen den Begriff der omnitudo realitatum. Im Op.post. setzt Kant nun auch den Gedanken vom "unbeschränkte(n) A11 (omnitudo)" in Bezug auf Gott (XXII,62). Hingegen erscheint die Bezeichnung omnitudo realitatum soweit ich sehe, nicht direkt. Sie ist jedoch indirekt angedeutet durch die Bemerkung, der Gottesbegriff der Transzendentalphilosophie sei der Begriff von einer "Substanz von der größten Existenz in Ansehung aller activen von allen Sinnenvorstellungen unabhängigen (reinen Vernunftvorstellungen a priori) a c t i v e n Eigenschaften (Realität)" (XXI,13. Kursiv von mir). Wie steht es aber im Op.post. mit dem Begriff, der in der KrV den Ausgangspunkt bildet fur die Vernunftidee der omnitudo realitatis: dem Begriff der durchgängigen Bestimmung? Der Begriff tritt in den uns hier beschäftigenden Teilen des Op.post. häufig auf. Wie in der KrV ist der Gedanke der durchgängigen Bestimmung ein zentraler Aspekt an dem Begriff von der systematischen Einheit der Erfahrung. Der System-Entwurf der Vernunft, durch welchen diese ihre Einteilung

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Das transzendentale Ideal

vom "All der Wesen" vornimmt und damit a priori die Möglichkeit der Erfahrung denkt, ist eine durchgängige Bestimmung: "Tr.Ph. ist ein sich selbst in einem System der Ideen constituirendes Princip zum All der Wesen welches nicht von der Erfahrung sondern für dieselbe und die Möglichkeit derselben ein absolutes Ganze derselben sich selbst durchgängig a priori bestimmend ist" (XXI,84. Meine Hervorh. Vgl. XXII,89). Die durchgängige Bestimmimg liegt jedoch nicht nur der Erfahrung als systematischer Einheit zugrunde - sie ist dasjenige Prinzip, welches die höchste Einheit der Transzendentalphilosophie schlechthin konstituiert: die "Vereinigung der Ideen der theoretisch specul. u. Moral-pract. Vernunft", dJi. die "Verbindung der Natur und Freyheit" (XXI,58. Vgl. XXI,79). Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Kant die Gottesidee als höchste Idee des System-Entwurfes bestimmt, ist es folgerichtig, daß er Gott als ein "Wesen" charakterisiert, das "absolut und durchgangig bestimmend (ens omnimodo determinatum)" ist (XXI,58). Diese Charakteristik ist einer der Gründe, weshalb man Gottes Einzelnheit behaupten muß (vgl. XXII, 127f). Wir können somit feststellen, daß der theoretische Zusammenhang zwischen systematischer Einheit der Erfahrung, durchgängiger Bestimmung und Gottesbegriff, den wir in der KrV gesehen haben, im Op.post. wiederzufinden ist. Allerdings muß hervorgehoben werden, daß Kant anscheinend diesen Zusammenhang nun nicht mehr von der Problematik der Erkenntnis des Einzeldinges her aufrollt. Wie gesagt besteht im Op.post. noch ein Zusammenhang zwischen Einzelnem und durchgängiger Bestimmimg in dem Sinne, daß diese die Einzelnheit Gottes begründet. Die durchgängige Bestimmung wird aber scheinbar nicht vom einzelnen Erfahrungsgegenstand aus gedacht. Ein paar Stellen können jedoch so verstanden werden, daß die Problematik des Einzeldinges Kant immer noch vorschwebt. So heißt es, der Begriff von Gott sei "zwar nur eine Idee die aber subjectiv als die Regel der höchsten Vollkommenheit eines Wesens (als Ens a priori omnimodo determinatum) gedacht werden muß" (XXI,140. Meine Hervorh.). Kant setzt hier offenbar seine Theorie über den regulativen Gebrauch der Vernunftidee von Gott voraus: diese Idee dient als diejenige Regel, aufgrund welcher die Vernunft die Gegenstände der Erfahrung als durchgängig bestimmt denkt - und damit als Einzelne. Eine andere Stelle findet sich innerhalb eines Kontextes, in dem Kant in einer Polemik gegen Newton den Zusammenhang zwischen Philosophie und Mathematik überlegt. Er sagt hier, es könnte eine philosophische Anwendung der Mathematik geben - und: "Der Schlüssel zur Eröffnung dieser Aufgabe liegt im Princip der Bestimmung der Gegenstande (ihrer Anschauung) im Raum u. Zeit welche in der d u r c h gängigen B e s t i m m u n g der Existenz ihrer Gegenstände identisch in

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sich (enthalten) . Denn omnimoda determinatio est existentia wenn gleich diese nur eine Idee ist" (XXII,81. Kursiv von mir). Da Kant hier von der Anschauung der Gegenstände spricht, ist es klar, daß von der durchgängigen Bestimmung der Erfahrungsgegenstände die Rede ist. Daß er auch an die Einzelnheit der Erfahrungsgegenstände denkt, kann man allerdings nur unter der Voraussetzung behaupten, daß Anschauung auch hier Vorstellung von Einzelnem bedeutet.

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Ich Ubernehme hier die in der Akademieausgabe vorgeschlagene Ergänzung.

5.5 Konklusion: Die transzendentallogische Funktion des Ideals Es hat sich gezeigt, daß die Lehre vom transzendentalen Ideal in zweierlei Hinsichten ein positiver Bestandteil von Kants transzendentallogischer Argumentation ist. Wenn man einerseits transzendentale Logik auffaßt als denjenigen Argumentationsgang, welcher die Voraussetzungen der formalen Logik begründet, dann zeigt sich, daß nur Vernunft - durch die Bildung des transzendentalen Ideals - die Annahme einer Vorstellung von Einzelnem legitimieren kann, und zwar, wenn "Einzelnes" die Bedeutung "inhaltlich Individuiertes" hat. Und wenn man anderersiets transzendentale Logik als Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen von Erfahrung betrachtet, dann zeigt sich, daß insofern, als man die systematische Einheit der Erfahrung denken muß, das transzendentale Ideal notwendig von der Vernunft vorausgesetzt ist.

SCHLUSS

Zum Schluß seien noch drei Dinge berührt: (1) Kants Verhältnis zu Leibniz und der Wolff-Schule im Hinblick auf unsere Problematik. (2) Fragen der Interpretation, die sich im Anschluß an die Ergebnisse unserer Untersuchimg ergeben. (3) Mögliche konsequenzen für eine gegenwärtige Religionsphilosophie aus den Theorien Kants, die wir herausgearbeitet haben. (1) Es ist im Vorhergehenden mehrmals von Kants "Transformation" von theoremen der Wolff-Schule die Rede gewesen. Überblicken wir nun die Ergebnisse, die wir in diesem Punkt erreicht haben, zeigt sich, daß es sich sozusagen um eine Transformation auf verschiedenen Ebenen handelt. Bewegen wir uns innerhalb des Horizontes der Wolff-Schule, können wir sehen, daß Kant zunächst einfach Elemente der Ontologie der Schule in einer neuen Weise kombiniert. Das gilt für den zentralen Begriff der omnimoda determinatio: Kant kombiniert den Gedanken von dem in jeder Beziehung bestimmten Ding mit deqenigen Vorstellung von allen Prädikaten, welche sich bei Baumgarten im Zusammenhang der Formulierung des Tertium non datur-Prinzips einstellte. Etwas anders verhält es sich bei dem Zusammenhang von omnimoda determinatio und Gottesbegriff: Kant wendet nicht nur wie Wolff und Baumgarten das Prinzip auf den Gottesbegriff an. Er zeigt vielmehr, daß die durchgängige Bestimmung, die bei der Erkenntnis jedes Einzeldinges vorausgesetzt werden muß, schlechthin die Grundlage fur die Genese des Gottesbegriffes in der Bedeutung omnitudo realitatis ist. Dieser Gedankengang muß vor dem Hintergrund der WolffSchule als originell bezeichnet werden1. In der Einleitung habe ich behauptet, daß in Kants Lehre von der durchgängigen Bestimmimg ein ursprünglich Leibniz'sches Thema wirksam würde. Mit dieser Behauptung bewegen wir uns auf einer anderen Transformations-Ebene. Kant kombiniert nicht nur Elemente aus der Ontologie der Wolff-Schule neu. Er beseitigt auch die grundlegende Schwierigkeit, die hier dem Begriff des "omne" anhaftet, der im Gedanken der omnimoda determinatio enthalten ist. Die Beseitigung liegt darin, daß dieser Gedanke nur von der Vorstellung schlechthin aller Prädikate aus durchsichtig gemacht werden kann. Und gerade durch das Einführen dieser TotalitätsVorstellung greift Kant auf Leibniz zurück: der kantische Gedanke, daß das EinzelSo auch Wood: die Behauptung eines Zusammenhanges zwischen der Genese des Gottesbegriffes und dem Gedanken vom Einzelding als durchgängig bestimmtem sei "original with Kant". ("Kant's Rational Theology", S. 62).

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Schluß

ding in dem Sinne durchgängig bestimmt ist, daß es im Verhältnis zu dem All der Prädikate positiv und negativ determiniert ist, kann als Transformation von Leibniz' Theorie gesehen werden, die Einzelsubstanz, bzw. die Monade sei zu allem so relatiert, daß sie in uniker Weise das ganze Universum repräsentiere. Um die Beziehung zwischen Kant und Leibniz in diesem Punkt noch etwas zu erläutern, möchte ich auf einige Überlegungen bei P. F. Strawson eingehen. In der Konklusion seiner äußerst knappen Darstellung von Kants Transformation des Prinzips der omnimoda determinatio sagt Strawson: "Kant does not, in this passage, refer to Leibniz; but the echoes are unmistakable" ("The Bounds of Sense", S. 222). Strawson geht an dieser Stelle nicht näher auf das Verhältnis zwischen Kant und Leibniz ein. Das tut er hingegen - wahrscheinlich ohne sich darüber im klaren zu sein — in "Individuais". Eine der Hauptthesen dieses Buches ist, daß wir eindeutig auf Einzeldinge nur dadurch verweisen können, daß wir Demonstrativausdrücke verwenden, d.h. in Bezug auf uns selbst das betreffende Ding im einheitlichen system von Raum und Zeit piazieren. Als Kontrast zu dieser These behandelt Strawson Leibniz' Theorie der Einzelsubstanz. Von dem principium identitatis indiscernibilium aus gesehen beinhaltet die Theorie von der Einzelsubstanz, daß es fur jedes Individuum eine Beschreibung durch generelle Termini gibt, sodaß nur dieses eine Individuum durch die Beschreibung erfaßt ist. Die Theorie impliziert also im Gegensatz zu Strawsons eigener die Idee von einem nicht-demonstrativen Individualbegriff. Nun erwägt Strawson die Möglichkeit, daß ein Anhänger des principium identitatis indiscernibilium in dieser Version sehr wohl die Notwendigkeit von Demonstrativbegriffen einräumen könnte. Das wäre etwa dann der Fall, wenn er zwar behauptet, es gebe eine Beschreibung durch generelle Termini, die unik auf jedes Individuum paßt, trotzdem aber einräumen muß, daß es nicht möglich ist, einen Typ von ganz genereller Beschreibung zu spezifizieren, der in dieser Weise fungiert. In diesem Falle müßte er also auf Demonstrativbegriffe rekurrieren, um individuelles Hinweisen durchführen zu können. Strawson nennt eine solche Auffassung eine "half-way position". Diese Position ist nicht diejenige von Leibniz. Er meint sich sehr wohl imstande, zu spezifizieren, von welchem Typus der Beschreibung hier die Rede sein muß, nämlich demjenigen des vollständigen Individualbegriffes. Die einzige Einschränkung, welche dieser Theorie nach Leibniz anhaftet, ist die, daß der Mensch tatsächlich nicht einen solchen Begriff bilden kann, weshalb man auf die göttliche Erkenntnis rekurrieren muß. (Vgl. die Darstellung oben S. 28f). Im Anschluß an diese Überlegung Strawsons könnte man nun sagen, daß Kant im Grunde eine Position bezieht, die in der Mitte liegt zwischen der "half-way position" und der Leibniz'schen. Auch Kant meint nicht, daß es unmöglich ist, einen Typus von deskriptiven Begriffen zu spezifizieren, die unike Verwendung haben. Einen solchen Typus machen bei ihm eben die durchgängig bestimmten Begriffe aus. Aber wie Leibniz meint Kant, daß es dem Menschen nicht möglich ist, solche Begriffe tatsächlich zu bilden. Anders als Leibniz rekurriert er jedoch nicht auf die

Schluß

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Erkenntnis Gottes, sondern - und hier mit der "half-way position" in Übereinstimmung — auf den Gedanken der konventionellen conceputs infimi. Dieser Gedanke besagt ja, daß es wohl in einem bestimmten Sinne durchgängig bestimmte Begriffe gibt, daß wir aber nur mit Begriffen operieren können, die konventionell als solche fungieren. (Zu Strawsons Überlegung siehe "Individuals", S. 120). Soweit Kants Verhältnis zu Leibniz. Das Entscheidende an Kants Transformation zeigt sich jedoch erst, wenn wir uns auf deqenigen Ebene bewegen, welche durch seine Wende von einem logisch-ontologischen zu einem transzendentalphilosophischen Gesichtspunkt bestimmt wird. Wenn jetzt von einem logisch-ontologischen Gesichtspunkt die Rede ist, spiegelt sich auch hier ein Unterschied zwischen Leibniz und der Wolff-Schule wider. Leibniz kann zwar den Begriff vom Einzelnen von seiner logischen Begriffstheorie und von den logischen Fundamentalprinzipien des Widerspruches und des zureichenden Grundes her bestimmen. Aber dieser Bestimmung entspricht als ein deutlich verschiedener Gedankengang die metaphysisch-ontologische Lehre von der Monade und ihrer Perzeptionsstruktur. Wolff und Baumgarten hingegen meinen, die ontologische Struktur des Einzeldinges, des ens singulare, von den beiden logischen Prinzien alleine her erschließen zu können. Letztenendes denken allerdings sowohl Leibniz als auch Wolff/Baumgarten ontologisch in dem Sinne, daß sie voraussetzen, daß die philosophische Analyse ermitteln kann, was das Seiende an sich ist. Wenn man nun bei Kant von einer transzendentalphilosophischen Transformation reden kann, bedeutet das bekanntlich, daß er sich von deijenigen Naivität distanziert, die in der ganzen ontologischen Fragestellung enthalten ist. Die Grundüberlegung der Philosophie kann nach ihm nicht mehr darin bestehen, unvermittelt die Struktur des Seienden zu enthüllen, sondern darin, diejenigen Strukturen des menschlichen Subjektes zu ermitteln, welche es ermöglichen, daß wir uns auf erne von uns verschiedene Wirklichkeit beziehen können. Im Zusammenhang dieser allgemeinen transzendentalphilosophischen Wende sind nun mehrere spezifische Aspekte wesentlich: a) menschliches Denken kann nur etwas erfassen dadurch, daß es auf die sinnliche Anschauung bezogen ist; b) dieses menschliche, auf die Anschauung bezogene Denken ist in sich differenziert, indem es sich in den ganz verschiedenen "Fähigkeiten" des Verstandes und der Vernunft äußert. Der erste Aspekt impliziert, daß eine radikale Transformation an dem Begriff des Dinges vollzogen wird: transzendentalphilosophisch gibt es keinen Sinn, von einem "ens" schlechthin zu reden, sondern das Ding bekommt den Status des "Gegenstandes der Erfahrung". Hieran schließen sich wiederum Konsequenzen für die Bestimmung der Einzelnheit des Dinges: diese ist darin begründet, daß das Ding durch die sinnliche Anschauung als repraesentatio singularis gegeben ist. Entsprechend der Differenzierung des Denkens, von der eben die Rede war, geschieht jedoch auch eine Differenzierung des Gedankens vom Einzelding. Vom Aspekt des Verstandes her gesehen sind Dinge Einzelne in der Bedeutung raum-zeitlich loka-

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Schluß

lisierte. Vom Aspekt der Vernunft her gesehen sind sie jedoch "Dinge überhaupt", d.h. Einzelne in der Bedeutung durchgängig bestimmte2. Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung des Begriffes vom Ding muß man schließlich Kants transzendentalphilosophische Transformation des rationalistischen Gottesbegriffes sehen. Kants kritische Abkehr von der Ontologie bedeutet nicht, daß er den Gottesbegriff des Rationalismus aufgibt, wohl aber, daß sich an ihm eine Transformation vollzieht. Das ens realissimum, bzw. die omnitudo realitatis kann nun nicht mehr problemlos als erkennbarer Gegenstand behauptet werden, sondern der Gottesbegriff muß allererst auf seine Legitimität hin geprüft werden. Diese Prüfung fuhrt Kant zu dem Ergebnis, daß der Gottesgedanke als theoretischer Begriff nicht nur logisch möglich ist im Sinne des Satzes: "Aber d e n k e n kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d.i. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist . . " (Β XXVI). Vielmehr hat der Gottesbegriff seinen bestimmten Platz im System deijenigen Bedingungen, welche nach Kant erfüllt sein müssen, wenn Erkenntnis möglich sein soll. Eben dies kommt in dem Tatbestand zum Ausdruck, daß der Begriff des ens realissimum in das transzendentale Ideal transformiert wird. Um nämlich die Bedingungen der logischen Struktur der Erkenntnis zu verstehen, ist es nach Kant nicht genug, vorauszusetzen, daß Einzelnes gegeben ist ("Anschauung"), und daß wir es durch Prädikate charakterisieren können ("Verstand"). Unter diesen Bedingungen könnten wir Einzelnes als solches allenfalls durch demonstrative Lokalisierung erfassen. Wenn aber zur Erkenntnis auch die Voraussetzung gehört, daß das Einzelne, auf das sie bezogen ist, einmalig ist, sich also von allem anderen unterscheidet, dann muß auch das "All" gedacht werden ("Vernunft"). Und es ist das Ergebnis von Kants Untersuchimg der Erkenntnisbedingungen, daß derjenige Begriff des "Alls", durch welchen das Einzelne in deskriptiver Bedeutung gedacht wird, nur das transzendentale Ideal, die Idee des ens realissimum sein kann. Dieses Ergebnis zeigt sich am deutlichsten, wenn man die Transzendentalität des Gottesbegriffes von Kants Begründung der formalen Logik her versteht. Von einem anderen Gesichtspunkt zeigt sich aber, daß der Gottesbegriff real möglich auch in dem Sinne ist, daß es legitim ist, dem Begriff einen Gegenstand zu "setzen". Von diesem Gesichtspunkt her ist nämlich Gott als "Gegenstand in der Idee" Voraussetzung von Erfahrung, und zwar Erfahrung als systematischer Einheit. (2) Es ist wohl nicht möglich, in einer Untersuchung zur Beantwortung von offenen Fragen zu gelangen, ohne daß zugleich neue Fragen aufgeworfen werden. Es 2

E. Tugendhat ist der Auffassung, Kants Rede von Gegenständen beziehe sich nicht auf diese im Sinne von Einzeldingen, sondern Kant meine damit "eigentlich das . . , was man 'Objektivität' nennt". ("Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie", S. 90, Anm.). Zu diesem Urteil kann er jedoch m.E. nur dadurch kommen, daß er einfach Kants Lehre über das Einzelne - und erst recht deren obengenannte Differenzierung - übersieht.

Schlug

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sei hier eine solche Frage genannt, die sich in unserem Zusammenhang ergibt. Nach Kant ist Philosophie wesentlich systematisch, und dieser Tatbestand spiegelt sich in der Gestalt der rationalen Theologie wider: Auch sie muß durch eine systematische Einheit gekennzeichnet sein. Wenn es also wahr ist, daß es nach Kant eine transzendentale Theologie, eine Theologie der theoretischen Vernunft, geben muß, dann stellt sich die Frage, welcher Zusammenhang zwischen dieser Theologie und der von Kant sogenannten Moraltheologie besteht3. Bei der Beantwortung dieser Frage muß daran erinnert werden, daß die Moraltheologie auf dem praktischen Vernunft-Postulat von der Existenz Gottes beruht, auf dem Gedanken also, daß die Begründung der Ethik die Annahme der Existenz Gottes zur Konsequenz hat. Auf diese Theorie soll jetzt nur soweit eingegangen werden, daß sich eine einheitliche Struktur der Vernunft andeutet, welche sowohl dem transzendentalen Ideal als auch dem Postulat zugrunde liegt. Die theologische Implikation in Kants Begründung der Ethik ist bekanntlich dadurch gegeben, daß zu dieser notwendig der Gedanke von der Glückseligkeit gehört, d.h. von der "Befriedigung aller unserer Neigungen" (A806/B834)4. Das bedeutet nicht, daß Glückseligkeit ein erlaubtes Handlungsmofz'v ist, sondern daß der durch das Moralgesetz bestimmte Wille einen Gegenstand hat, welcher zusammenfassend als höchstes Gut gedacht werden muß — und von diesem ist Glückseligkeit ein notwendiger Bestandteil. Nun setzt nach Kant die Unterscheidung zwischen Motiv und Gegenstand der Handlung diejenige zwischen Form und Materie voraus: a. einziges ethisch legitimes Motiv ist das Bewußtsein, daß die Handlungsregel universalisierbar ist. In diesem Fall ist der Wille "seiner Form nach a priori bestimmt(en)" (meine Hervorh. V, 64f. Vgl. 26 und 109); b. daß der Wille einen Gegenstand hat, beruht darauf, daß er das rational bestimmte Begehrungsvermögen ist, denn dieses ist notwendig auf ein " O b j e k t (Materie)" bezogen (meine Unterstr. V, 20). Inbegriff dieser materialen Bestimmung des Willens ist eben der Gedanke von der Glückseligkeit (vgl. etwa V, 21). 3

4

Eine andere Frage ergibt sich folgendermaßen. Das System der Philosophie und ihre Einheit ist nach Kant ausschließlich oder doch in wesentlichem Maße von der Theorie vom Subjekt abhängig. Der Begründungsgang der transzendentalen Logik etwa besteht in der Explikation derjenigen Bedingungen, welche erfüllt sein müssen, damit Selbstbewußtsein verständlich ist. Angesichts der Transzendentalität des Gottesbegriffes muß man also fragen, welcher Zusammenhang zwischen Bedingungen des Selbstbewußtseins und Gottesbegriff bestehen. Diese Frage sei jedoch lediglich genannt. Sie kann im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Vgl. die Definition in der KpV: " G1 ü c k s e 1 i c h k e i t ist der Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt, dem es, im Ganzen seiner Existenz, a l l e s n a c h W u n s c h und W i l l e n g e h t . . " (V,124). Bei der Frage nach der theologischen Implikation der Begründung der Ethik beziehe ich mich sowohl auf den Abschnitt der KrV "Von dem Ideal des höchsten Guts, als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vern u n f t " als auch auf die KpV. Die sachlichen Unterschiede zwischen den beiden Texten können in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben.

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Schlufi

Das höchste Gut — lind damit Glückseligkeit - ist ein ethischer Begriff dadurch, daß auch der vernunftbestimmte Wille notwendig einen Gegenstandsbezug hat: Es ist "ein Objekt, welches . . dem nunmehr seiner Form nach a priori bestimmten Willen als Gegenstand vorgestellt werden kann" (V, 64f). Nun ist aber das Eintreten der Glückseligkeit nicht von a priori'schen, sondern von empirischen Bedingungen abhängig — "denn anders, als vermittelst der Erfahrung, kann ich weder wissen, welche Niegungen dasind, die befriedigt werden wollen, noch welches die Naturursachen sind, die ihre Befriedigung bewirken können" (A806/B834. Vgl. V, 113). Moralität fuhrt also nicht zwangsläufig zur Glückseligkeit, und eben das macht die "Antinomie" der praktischen Vernunft aus. Es ist nun in unserem Zusammenhang bemerkenswert, daß Kant in der KrV diese Diskrepanz in der Terminologie der "Einheit der Erfahrung" ausdrückt. Daß reine praktische Vernunft den Willen bestimmen kann, bedeutet, daß sie "Prinzipien der M ö g l i c h k e i t d e r E r fahrung (enthält), nämlich solcher Handlungen, die den sittlichen Vorschriften gemäß in der G e s c h i c h t e des Menschen anzutreffen sein k ö n n t e n " . Praktische Vernunft macht also eine "besondere Art von systematischer Einheit" möglich, aber dieses "System der Sittligkeit" führt nicht notwendig zu einem "System der Glückseligkeit" (A807ff/B835ff). Die Dialektik der praktischen Vernunft beruht somit darauf, daß von dem a priori'schen Vernunftgesetz her zwar das System der Sittlichkeit — die Moralität aller menschlichen Handlungen — nicht aber das System der Glückseligkeit antizipierbar ist. Die Realisierung der ethischen Idee vom höchsten Gut ist deshalb nur dann möglich, wenn mehr als das ethische Vernunftgesetz vorausgesetzt wird, nämlich "wenn eine h ö c h s t e Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet, zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird" (A810/B838. Kursiv von mir. Vgl. V, 124). Der gemeinsame Tatbestand, welcher der notwendigen Bildung des transzendentalen Ideals und dem Postulat von der Existenz Gottes zum Grunde liegt, besteht darin, so könnte man das Vorhergehende zusammenfassen, daß die Realisierung der Vernunft andere Bedingungen voraussetzt als Vernunft selbst: Weil theoretische Vernunft die materiale Beschaffenheit der Erfahrungsgegenstände nicht so antizipieren kann, daß eine systematische Einheit spezifischer Erfahrung garantiert ist, muß sie das transzendentale Ideal als Grund der Erscheinungsrealität denken. Und weil praktische Vernunft die materiale Beschaffenheit von Handlungen nicht so antizipieren kann, daß Moralität Glückseligkeit impliziert, muß sie das Dasein eines "Urhebers der Natur" postulieren. Und weil theoretische und praktische Vernunft diese gemeinsame Struktur aufweisen, machen transzendentale Theologie und Moraltheologie e i η System rationaler Theologie aus. (3) Die vorhergehende Untersuchung von Kants Theorie über das transzendentale Ideal und dessen Zusammenhang mit der durchgängigen Bestimmung hat den Charakter einer Interpretation von Texten gehabt. Es ist also lediglich versucht worden, sie als historisch vorliegende Theorie darzustellen. Man kann aber natürlich nicht

Schluß

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völlig die Frage ausklammern, ob diese Theorie in irgendeinem Sinne aktuelle Relevanz haben könnte. Diese Frage enthält wiederum verschiedene Teilaspekte. Zunächst muß man sagen, daß in demselben Maße, wie es der Untersuchung gelungen ist, übersehene Züge an Kants Religionsphilosophie hervorzuheben, sie eine Möglichkeit darbietet, die gegenwärtige Religionsphilosophie in eine neue Richtung zu bewegen. Denn Kant ist nach wie vor für die Religionsphilosophie, bzw. philosophische Theologie eine der anregenden Gestalten. Nun hat Kant bis jetzt vorwiegend kraft einer Interpretation inspirierend gewirkt, welche den Zusammenhang zwischen seiner Destruktion der Gottesbeweise und seiner Grundlegung eines Gottesverhältnisses auf der Basis menschlicher Moralität betonte. Durch den Aufweis, daß das transzendentale Ideal ein sinnvoller Begriff ist, hat die Untersuchung die Bedeutung der theoretischen Vernunft für die philosophische Rekonstruktion des Gottesverhältnisses des Menschen zu rehabilitieren gesucht. Für Kant gäbe es offenbar keinen Sinn, mit einem Gottespostulat der praktischen Vernunft ganz ohne einen korrelierenden Gottesbegriff der theoretischen Vernunft zu operieren. Diese Annahme wird auch durch die oben angedeutete Struktur-Parallelität zwischen der Funktion des Gottesbegriffes innerhalb der theoretischen und der praktischen Vernunft bestätigt. Kant scheint also vorauszusetzen, daß auch der moralisch gläubige Mensch sich den Inhalt seines Glaubens theoretisch explizieren können muß. Das müßte auch in der Weise auf die gegenwärtige Diskussion einwirken, daß man erneut die Frage stellt, ob es wirklich ausgeschlossen ist, daß zwischen dem Gottesbegriff und dem theoretischen, bzw. kognitiven Weltbezug des Menschen ein Zusammenhang bestehen könnte 5 . Wenn man nun die Frage nach der aktuellen Relevanz Kants aufwirft, muß man allerdings — zweitens — dem Umstand Rechnung tragen, daß gegenwärtiges philosophisches Denken weitgehend auf der Grundlage dessen vollzogen wird, was K.-0. Apel eine 'Transformation der Transzendentalphilosophie" genannt hat 6 . Diese Bezeichnung impliziert ganz allgemein den Gedanken, daß der Ansatzpunkt philosophischer Reflexion nicht mehr im menschlichen Bewußtsein, sondern in der Sprache gesucht wird. Um diesen Gedanken etwas näher zu erläutern, möchte ich auf die folgenden Überlegungen von E. Tugendhat hinweisen. Nach Tugendhat haben sich — sehr vereinfacht ausgedrückt — im Laufe der Geschichte bis jetzt drei grundlegende Typen philosophischen Denkens ausgebildet. Man kann sie den 5

6

Sowohl in der Beurteilung des Zusammenhanges zwischen theoretischer und praktischer Vernunft in Bezug auf den Gottesbegriff bei Kant, als auch in der Überzeugung von einer aktuellen Relevanz dieses Zusammenhanges bin ich ganz mit Wood einig. Von letzterem sagt er: Obwohl es berechtigt ist, daß im gegenwärtigen religionsphilosophischen Denken betont wird, daß religiöser Glaube in der existenziellen Situation des Menschen begründet ist, darf das nicht die Verantwortung des Glaubens dafür verflüchtigen, einen "theoretical account of the content of its belief' zu geben (A.a.O., S. 151. Meine Hervorh.). Siehe etwa die Einleitung zu "Von Kant zu Peirce: Die semiotische Transformation der Transzendentalen Logik" ("Transformation der Philosophie", Bd. 1. S. 157ff).

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Schluß

ontologischen, den bewußtseinsphilosophischen und den sprachphilosophischen nennen. Der ontologische Typus, der die Antike und das Mittelalter kennzeichnet, setzt unreflektiert voraus, daß es möglich ist, von der Struktur des Seienden selbst etwas auszusagen. Mit der Neuzeit setzt eine Reflexion ein in dem Sinne, daß nun die Notwendigkeit der Frage gesehen wird, wie Seiendes dem menschlichen Bewußtsein gegeben ist. Diese Reflexion wird durch Kants Transzendentalphilosophie radikalisiert, indem es nach ihm anscheinend überhaupt keinen Sinn gibt, das Seiende unabhängig von der Bedingungen der menschlichen Subjektivität, es zu erkennen, zu denken. Die Philosophie der letzten hundert Jahre ist demgegenüber dadurch charakterisiert, daß man wohl an der Notwendigkeit der transzendentalen Frage nach der Gegebenheitsweise des Seienden festhält. Die transzendentalphilosophische Problematik wird jedoch dadurch transformiert, daß man die Frage nach der Gegebenheitsweise von der Sprache her stellt: Was heißt es, sich durch sprachliche Ausdrücke auf Gegenstände zu beziehen? Für Tugendhat ist dies "die sprachanalytisch gereinigte Frage der Transzendentalphilosophie"7. Vor dem Hintergrund der hier angedeuteten Lage müßte man also sagen, daß, wenn eine kantische Theorie aktuelle Relevanz beanspruchen kann, sie fähig sein müßte, in eine sprachphilosophische Gestalt "übersetzt" zu werden. Nun gibt es ein grundlegendes Element in Kants theoretischer Philosophie, das in der Tat derart "übersetzt" werden kann, nämlich die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft. Durch diese Unterscheidung hebt Kant die monistische Auffassung vom menschlichen Denken im Rationalismus auf — einen Monismus, der dazu tendiert, dieses auf mathematisch-wissenschaftliches Denken zu reduzieren. Durch Abgrenzung der Vernunft im Verhältnis zum Verstand hebt Kant eine Form der Rationalität hervor, die anderen Kriterien unterworfen ist als diejenigen, die Naturwissenschaft im strengen Sinne auszeichnen - die aber dennoch zu den Voraussetzungen von Naturwissenschaft gehört. Und diese Form der Rationalität kennzeichnet eben auch den Entwurf der Gottesidee. - Diese kantische Unterscheidung müßte in einem gegenwärtigen Kontext zu einer Untersuchung der Eigenart religiöser Sprache, etwa im Kontrast zur Sprache der Naturwissenschaft, anregen. Diese Untersuchung ist innerhalb der analytischen Religionsphilosophie schon längst im Gange — allerdings weitgehend ohne Bezugnahme auf Kant. Als Teil einer solchen Untersuchung müßte man schließlich drittens die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, mit Kant einen Zusammenhang zwischen dem Problem

7

A.a.O., S. 88. Zu dieser Überlegung siehe die ganze 5. Vorlesung. Die Unterschiede, die zwischen Apel und Tugendhat bezüglich der Art der sprachphilosophischen Transformation der Transzendentalphilosophie bestehen, können wir hier ignorieren. - Ähnlich wie die beiden genannten Autoren betont M. Dummett die fundamentale Rolle der Sprachphilosophie: "the philosophy of language is the foundation for all the rest of philosophy". ("Can Analytical Philosophy be Systematic, and Ought it to Be? ", "Truth and other Enigmas", S. 454. - Deutsche Übersetzung in "Wahrheit. Fünf philosophische Aufsätze").

Schluß

263

der Erkennbarkeit von Einzelnem und der pMosophischen Genese des Gottesbegriffes zu behaupten. Bei der Beantwortung dieser Frage läßt sich eine Kritik an Kant sicherlich nicht vermeiden: Der Gedanke von Begriffen, die singular in der Bedeutung durchgängig bestimmt sind, läßt sich kaum halten. Wie schon im Laufe der Untersuchung angedeutet wurde, muß die Frage nach der Bezugnahme auf Einzeldinge von der Semantik der singulären Termini her angegangen werden. Und wie auch angedeutet wurde, sind es die "definite descriptions", bzw. Kennzeichnungen, die Kants durchgängig bestimmten Begriffen am nächsten kommen. Genauer gesagt sind es solche Kennzeichnungen, welche nur deskriptive Prädikate enthalten (vgl. das oben über Strawsons Leibniz-Darstellung gesagte, S. 256 ). Obwohl nun die Semantik der Kennzeichnungen — besonders in den letzten Jahren - recht umstritten ist, scheint doch eine recht verbreitete Einigkeit darüber zu herrschen, daß rein deskriptive Kennzeichnungen keine unike Verwendung garantieren können. Bezugnahme auf Einzelnes scheint also immer ein demonstratives, bzw. raum-zeitlich lokalisierendes Element enthalten zu müssen. — Und auch wenn Bezugnahme auf Einzelnes durch rein deskriptive Kennzeichnungen möglich wäre, wären wir noch immer weit von Kants durchgängig bestimmten Begriffen entfernt - und noch weiter von dem von ihm behaupteten Zusammenhang zwischen diesen Begriffen und dem Gottesbegriff als Ideal der Vernunft. Diese Konklusion muß uns jedoch nicht davon abhalten, zu fragen, ob nicht ein Zusammenhang zwischen dem Problem des Einzeldinges — unter den Prämissen der Gegenwartsphilosophie gestellt — und dem GottesbegrifF, bzw. der Sprache von Gott bestehen könnte. Daß wenigstens diese Frage sinnvoll sein kann, sollen die folgenden Andeutungen versuchen, plausibel zu machen. Kant unterscheidet, wie wir gesehen haben, zwischen einer demonstrativen (bzw. raum-zeit lokalisierenden) Individuation und einer deskriptiven kraft durchgängig bestimmter Begriffe. Daß man heute Kants zweite Möglichkeit verwerfen würde, bedeutet nicht, daß das Demonstrative und die Raum-Zeit Lokalisierung alleine die Problematik der singulären Termini aufklären könnten. Ohne näher darauf einzugehen, können wir vielmehr feststellen, daß deskriptive Prädikate immer für identifizierende Bezugnahme notwendig zu sein scheinen. Das bedeutet wiederum, daß das traditionelle philosophische Problem der Universalien mit der Problematik der Einzeldinge unlöslich verknüpft ist. Ich möchte dies zunächst wieder anhand einiger Überlegungen von P. F. Strawson erläutern. In "Individuals^nähert sich Strawson der Problematik der singulären Termini und der Einzeldinge von verschiedenen Seiten. Anhand einer Analyse der Semantik der singulären Termini, d.h. deijenigen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um mit sprachlichen Ausdrücken "identifying reference" vorzunehmen, kommt er zu dem Ergebnis, daß die Lokalisierung im Raum und Zeit fundamental ist. Man muß deshalb materielle Einzeldinge von einer gewissen Dauer, dJi. Körper und Personen, als "basic particulars" ansetzen. In diesem Zusammenhang gelangt er zu der

264

Schluß

obengenannten These von der Unentbehrlichkeit des Demonstrativen. (A.a.O., S. 15-58). Mit diesem Hinweis auf die Unentbehrlichkeit des Demonstrativen, bzw. der Raum-Zeit Lokalisierung ist jedoch nicht alles gesagt. Strawson nähert sich nämlich dem Problem von einer anderen Seite dadurch, daß er fragt, ob es möglich sei, die traditionelle Auffassung zu verteidigen, es bestehe die folgende Asymmetrie innerhalb der Subjekt-Prädikat Struktur: Während Ausdrücke für Einzeldinge nur an Subjekt-Stelle stehen können, können Ausdrücke für Universalia sowohl an Subjekt- als auch am Prädikat-Stelle auftreten. Im Zuge der Verteidigung dieser Auffassung stellt Strawson nun ein "category criterion" fur den Subjekt-Prädikat Unterschied auf. Wenn wir etwa zwei Formen von Universalia betrachten, die sortalen ("Katze") und die charakterisierenden ("schwarzhaarig"), zeigt sich, daß sie in asymmetrischer Weise mit Einzeldingen verbunden sind, nämlich durch die "Bänder" "ist eine Instanz von" und "ist charakterisiert durch". In die Einzelheiten an Strawsons Verteidigung der Subjekt-Prädikat-Asymmetrie brauchen wir uns nicht zu vertiefen. Entscheidend ist, daß dadurch, daß diese Universalia die Asymmetrie zwischen Subjekt und Prädikat begründen, der Analyse der singulären Termini und der Einzeldinge ein neuer Aspekt hinzugefügt wird: Für die Identifikation wenigstens einiger Einzeldinge - und d.h. für die Bezugnahme auf sie als Einzelne ist es wesentlich, daß auf sie sortale und/oder charakterisierende Prädikate angewendet werden können. (Vgl. a.a.O., S. 167ff). Da Universalia somit für die Identifikation von Einzeldingen notwendig sind, endet man nach Strawson unumgänglich am traditionellen Universalien-Problem. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß er das ontologische Verhältnis zwischen Universalia und Einzeldingen durch den Ausdruck "nicht-relationelles Band" ("non-relational tie") bestimmt. Daß die "Bänder" "instanziieren" und "charakterisieren" nicht Relationen sind, begründet er u.a. mit dem Hinweis darauf, daß hier Größen von verschiedenem Typus verbunden werden. In dem Aufsatz "Universals" hat Strawson nun diese Analyse vertieft. Er spricht hier nicht von nicht-relationellen Bändern, sondern von der "nicht-natürlichen Relation" zwischen Einzeldingen und Universalia: Von den Einzeldingen könne man sagen, sie existierten in der Natur, nicht jedoch von den mit ihnen verbundenen Universalia - diese seien "incorrigibly abstract" (a.a.O., S. 7). - Das führt zu der Konklusion, daß hinsichtlich der Universalia ein platonisch-aristotelisches Dilemma herrscht: Der Piatonismus behauptet zu recht, daß Universalia nicht in der Natur existieren - er bestimmt jedoch fälschlicherweise die Relation zwischen Einzelding und Universale von einer natürlichen Analogie (Urbild - Abbild) her. Der Aristotelismus wiederum bestreitet zu recht diese Analogie — tendiert jedoch fälschlicherweise dazu, die Universalia mit den Einzeldingen zusammen in der Natur unterzubringen. Daß Strawson an diesem Dilemma endet, kann man nur so verstehen, daß seine Analyse der Problematik des Einzeldinges eine genuin metaphysische Frage impliziert, auf die er keine eindeutige Antwort geben zu können vorgibt.

Schlug

265

Strawson würde es sich ohne Zweifel verbieten, daß man das Prädikat "religionsphilosophisch" auf seine Analysen anwendete. Hingegen finden wir bei einem Denker mit einem ganz anderen Ausgangspunkt, Κ. E. Logstrup, eine Behandlung der Einzeldings- und Universalienproblematik, die nicht nur metaphysische, sondern auch religionsphilosophische Überlegungen impliziert. Ausgangspunkt von Logstrups Gedankengang innerhalb dieser Problematik ist, was er die "Singularität des Universale" nennt. Damit meint er folgendes: Wenn es um Prädikate wie etwa die Farbennamen geht, kommt es nicht zu einem adäquaten Verständnis von ihnen, solange man sie als Allgemeinbegriffe im Sinne von mehreren Einzeldingen gemeinsamen Merkmalen auffaßt. Die Grundlage fur das Verständnis dieser Prädikate besteht vielmehr darin, daß sie Universalia bezeichnen, die singular sind. So bezeichnet "rot" z.B. eine Farbe, die im strengen Sinne dieselbe ist, obwohl sie an einer Mannigfaltigkeit von Einzelgegenständen auftritt. Auch nach Logstrup ist das Universale ein notwendiges Element für das Verstehen des Einzeldinges: Dieses Verstehen ist nämlich nicht dadurch erschöpft, daß das Einzelding in Raum und Zeit lokalisiert ist. Vielmehr gilt, so Logstrup: "Das Einzelne erhält seine Einzigkeit von dem Ort her und von der Zeit her, an denen es sich im Raum-Zeit Kontinuum befindet. Das Einzelne erhält ferner seine Einzigkeit von dem Typus her, dem es angehört, denn der Typus ist singulär"8. ("Typus" ist hier etwa synonym mit "Universale"). Ferner impliziert das Verhältnis zwischen Einzelding und Universale wie bei Strawson ein metaphysisches Problem. Zwar kann man nach Logstrup sagen, das Universale sei in der Natur - oder, wie er sich eher ausdrückt: im Universum. Das rätselhafte liegt dann nicht in einer nicht-natürlichen Relation, sondern in dem Umstand, daß das Universale, obwohl ein Singuläres, an mannigfaltigen verschiedenen Raum- und Zeitstellen auftritt. Nach Logstrup ist es nun naheliegend, an dieses metaphysische Problem eine religionsphilosophische Überlegung zu knüpfen. Die Religionsphilosophie von Logstrup hat allgemein den Charakter einer philosophischen Rekonstruktion des jüdisch-christlichen Schöpfungsgedankens. Er versucht, den Gedanken der Schöpfung als eine "religiöse Deutung" des Daseins und des Universums darzustellen. Und einer der Ansatzpunkte für die religiöse Deutung ist auf philosophischer Ebene eben das Verhältnis zwischen Einzelding und singulärem Universale: "Was den Gedanken der Erschaffenheit nahelegt, ist, daß das Singuläre verbreitet ist, und nicht in der Weise an Zeit und Ort gebunden ist wie die rem numerische Individualität und Partikularität. Das ist eine Deutung und keine Erklärung" 9 .

8 9

"Zeit und Logik", S. 19f. "Das singuläre Universale", S. 294. Eine umfassende Darstellung seiner Religionsphilosophie hat Logstrup in seinem leider noch nicht auf deutsch erschienenen Buch "Skabelse og tilintetgorelse. Religionsfüosofiske betragtninger. Metafysik IV" gegeben. - Daß Logstrup von

266

Schluß

Zu dieser Problematik wäre natürlich sehr viel mehr zu sagen. Ich habe hier nur andeuten wollen, daß die Problematik der Einzeldinge auch innerhalb gegenwärtiger Philosophie zu sowohl metaphysischen als auch religionsphilosophischen Überlegungen Anlaß geben kann. Und so könnte es also sein, daß wir nicht nur mit Kierkegaard den Einzelnen als Ansatzpunkt von religionsphilosophischem Denken wählen sollten, sondern auch mit Kant das Einzelne.

einer "religiösen Deutung" te Problem der religiösen Deutungen statt. Ich habe "Skabelsestankens religiose

spricht, indiziert übrigens, in welcher Weise er das oben erwähnSprache auffafit: religiöses Reden findet in einer Sprache der versucht, diesen Ansatz in einem kleinen Aufsatz zu erläutern: sprog".

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PERSONENREGISTER

Albrecht, W. 118,121,154 Anselm v. Canterbury 42f Apel, K.-O. 261 Aristoteles 92,235 Arnauld, A. 32 Arndt, H.W. 63 Ayer, A.J. 240 Baumbach, B. 7 Baumgarten, A.G. 47-76,174,178,191, 197,200,214, 255,257 Beck, J.S. 120 Bennett, J. 1 6 1 , 1 6 7 , 1 6 9 , 1 9 1 , 2 0 7 Bissinger, A. 59 Bohatec, J. 7 Cassirer, E. 32 Cohen, H. 9ff, 79, 178, 223, 228

Krüger, L. 35 Kuhlmann, W. 160 Kulenkampff, J. 223,228 Lehmann, G. 3 Leibniz, G.W. 2 M 6 , 6 3 f f , 68, 69, 71, 75, 118f, 160,168, 255ff Lenders, W. 64,66 Legstrup, K.E. 266 Lüthje, H. 4 8 , 5 3 Maier, A. 201,205,214 Martin, G. 25 Meier, C.F. 92,95 Menzel, L. 80 Mertens, H. 2 2 3 , 2 2 8 , 2 3 4 Mylius, I. 64, 210f Newton, I. 9 , 1 0 , 252

Descartes, R. 23,42f Dummett, M. 262 Frege, G. 110 Guttmann, J. 6 Haack, S. 82 Hegel, G.W.F. 79,160 Heidegger, M. 8,12f, 16ff, 19, 27, 78, 79, 151 Heimsoeth, H. 168,174, 178, 191, 192f, 198, 223, 228 Henrich, D. 16f, 19,43,44, 73, 74, 132, 152, 191,211,238 Herring, H. 33 Hintikka, J. 97 Hoekstra, I. 6 Howell, R. 98 Jachmann, R.B. 4 Jäsche, G.B. 80 Jalabert, J. 43 Jelke, R. 7

Parsons, Ch. 97 Paton, H J . 7 9 , 1 0 5 , 1 0 8 , 1 1 0 , 121,132, 156, 205 Picht, G. 8,17ff, 235 Pippin, R.B. 156 Piaton 179 Popper, K.R. 240 Prauss, G. 159f Quine, W.v.O. 78, 81-85,169 Redmann, H.-G. 7f Reich, K. 79f, 166 Riehl, A. 79 Rohs, P. 207 Rosenkranz, K. 79 Russell, B. 2 5 , 2 7 , 8 3 , 8 4 Schmalenbach, H. 7f Schweitzer, A. 4f, 9 Strawson, P.F. 14ff, 77,178, 244, 256f, 263ff

274 Thompson, Μ. 97,109 Thilo, Ch.A. 6f ToneUi, G. 79 Troeltsch, E. 5f Tugendhat, E. 258, 261f de Vleeschauwer, H.J. 79 Vuillemin, J. 80

Personenregister Weihing, E. 6 Wittgenstein, L. 77 Wolff, Ch. 21,47-76,174,178,191, 200, 214, 255, 257 Wood, A.W. 198,237,255,261 Wundt.M. 47,59

SACHREGISTER

Ästhetik 1 1 , 8 6 , 8 9 transzendentale 15,113-21, 170 Affirmation 199 All 5 7 , 5 9 , 6 3 , 2 5 8 Allgemeinbegriff 2 9 , 9 3 , 230f, 265 Allgemeinheit 168,196 Allheit 175, 196 Analogie 246 Analysis 25ff, 122ff, 132-36, 140 Analytik 89f, 157,170 , transzendentale 10, 78, 90f, 152,159, 161, 1 7 0 , 1 8 1 , 2 1 6 , 2 2 3 analytisch-synthetisch 78, 106f Anschauung 94, 97ff, lOOf, 137,141,14752, 177, 182,208, 231, 257f als singulare (bzw. einzelne) Vorstellung 2, 13, 9 3 , 9 5 , 108, 110,113f, 119f, 127, 152ff, 230,136f, 153 , empirische 8 7 , 1 1 8 , 1 2 1 , 1 4 3 , 146, 203 , reine 87, 113,118,122, 125,142 Anschauung - Begriff l f , l l f , 15,93,103, 105f, 121, 130,134 Anschauung - Verstand 12f, 86,152 Antinomie 5 , 1 6 0 , 1 8 0 , 238 der prakt. Vern. 160 Apperzeption 31, 140, 143, 182, 237 , reine (transzendentale) 136, 138, 153 Apprehension (apprehendieren) 147ff, 152, 153f, 156,234 Argument a contingentia mundi 34ff, 37, 39f Argument, ontologisches (vgl. Gottesbew., ontol.) 3 3 , 7 0 , 7 5 Bedingung 6 5 , 1 6 5 , 1 6 7 f f , 172,177 Bedingungen, Totalität der 168f, 172,175 Begriff 23-25, 32, 86, 92-99, lOOff, 110, 113ff, 123,125f, 191,226 , durchgängig bestimmter 9 6 , 9 9 , 1 1 1 , 153,193,199, 235,256, 263 , empirischer 155, 225ff, 234

, problematischer 181f , vollständiger 193,256 Begriff - Gegenstand 88 Bejahung, transzendentale 199, 204, 207, 209 Bestimmung (bestimmen) 50f, 53ff, 65, 96, 145f, 197 von Begriffen 191f, 197 Bewußtsein 9f, 3 Iff, 263 conceptus infimus 95f, 98, 109, 111,127, 153f, 230, 235f, 256 conceptus singularis 95,110 conceptus summus 95 Deduktion, metaphysische 113,122-27, 174 , transzendentale 78, 90,101, 128-56, 159, 162, 234ff, 241f definite description (vgl. Kennzeichnung) 83f, 263 Demonstrativbegriff (-ausdruck) 95,97 ff, 109, 154, 236, 256 Demonstratives 231f, 259, 263f Denken 101, 122f, 163, 239, 257, 263 determinatio (determinieren etc.) 50f, 52ff, 55ff, 61, 75, 94, 197 Dialektik 89f, 180, 185 der prakt. Vern. 261 , tränszendentale 5, 7, 9ff, 16, 77, 90f, 127,157 Differenz, numerische 97,119f Ding 196, 204f, 209, 258 an sich lOf, 12,178, 203 überhaupt 2 3 1 , 2 3 3 , 2 3 6 , 2 5 8 Disjunktion 186-89 durchgängige Bestimmung (vgl. omnimoda determinatio) 54ff, 75,120f, 91-98, 207f, 211, 215ff, 234f, 251ff, 255ff, 258,263 Eigenname 96f, 98 Eigenschaften Gottes 213

276

Sachregister

Einbildungskraft 2 3 , 1 6 124f, 133,149 152,155, 237 Einheit 117,126f, 135,163,171 der Anschauung 145, 147-52, 234 des Bewußtseins 117 der Erfahrung 1 1 , 2 2 0 , 2 2 3 , 2 3 5 , 240ff, 249ff, 259ff Einschränkung 6 0 , 2 0 8 Einteilung, logische 187ff, 192,207 Einzelbegriff (singulärer) 29, 95ff, 109, 127, 15 3f, 193 Einzelding (-gegenständ) 14, 53f, 5 6 , 9 3 , 108f, 190, 209, 233, 252,255ff Einzelnes l l f f , 15,19f, 33, 77-85,94ff, 99, 127, 152, 156, 185,194, 210, 229ff, 234, 258f, 263ff Einzelnheit 3 3 , 2 5 3 , 2 5 9 der Anschauung 115ff, 147-52,154, 234 Einzelsubstanz (individuelle) 23, 27-33, 64, 66,255 Einzelurteil 102,109f, 153 Empfindung 32f, 114, 202, 205, 234 Empfindungskorrelat 201ff, 211, 216 Endliches 60-62 ens 48-53 ensentium 212 ens infinitum 7 0 , 7 1 ens necessarium 3 6 , 4 0 , 4 2 f , 45f, 66-70, 73ff, 238 ens originarium 212f, 215 ens perfectissimum 36,42f, 44f, 60, 66f, 69, 70-73, 74f ens realissimum 1,62, 73, 207, 210ff, 214, 218f, 231f, 238f, 258f ens summum 251 Erfahrung 4, 9 , 1 1 , 1 2 , 1 4 , 1 3 0 , 1 5 9 , 223, 254 , mögliche (Möglichk. d.) 1, 10,162, 217, 240f, 247, 251 Erkenntnis 9 , 5 0 , 8 6 , 92f, lOOff, 122ff, 132ff, 141,158, 191,239 , intellektuelle 32f Erkenntnis - Gegenstand 89, 91 Erscheinung 14,101, 1 0 4 , 1 1 4 , 1 1 9 , 1 2 9 f , 147, 154, 158,176f, 201,203, 234 essentia (Wesen) 49f, 52f, 56,64, 69f Ethik 11,261 exigentia essentae 4 1 , 4 3 , 6 3 Existenz 49,52f, 55, 59, 72, 7 4 , 1 9 7 , 2 0 5

Extension 94f, 116,167f, 186ff Form der Anschauung 148,151 formale Anschauung 148,151 Freiheit 5 , 7 , l l , 3 5 f f , 250 Gegenstand 8 2 , 1 0 1 , 1 1 3 , 1 4 0 f , 177,181, 239,258 Gegenstand (Objekt) der Erfahrung 130, 204, 231,257 in der Idee 242ff, 246f, 260 überhaupt 1 3 0 , 1 4 5 , 2 3 1 , 2 3 4 , 2 4 7 Gegenstandsbezug 8 7 , 9 3 , lOlff, 105ff, 114,122,126,129,131,142,145, 193, 196,241,243f Gesetz 156,171,223f, 234 Glückseligkeit 261f Gottesbegriff Iff, 5f, 12, 6 0 , 1 8 5 , 2 5 8 , 263 Gottesbeweis 1, 33-46,66-76,180,185, 190f, 261 , kosmologischer 67 , ontologischer (vgl. Arg., ontol.) 42ff, 71,181,214, 238f Gotteserkenntnis 4, 240 Gottesidee 5 , 1 2 , 2 4 5 Grund, zureichender (principium rationis) 25, 27, 30, 35f, 38ff, 46, 48f, 65, 257 Grundsatz 171f, 174 der Bestimmbarkeit 192 (Prinzip) der durchgängigen Bestimmung 194, 197, 214, 219, 229f, 233f, 235ff, 240 der Homogenität 225f, 231 der Spezifikation 225f, 228,230f, 233,237 der Vernunft 173 des Verstandes 10,162, 171,173, 223, 234f, 243 Gültigkeit (bzw. Realität), objektive 101, 129ff, 142f, 146, 182,196, 240ff Gut, höchstes 261f "Ich denke"-Beweis 137f, 140,147, 152 Ideal 198,207,211 der Vernunft 180f, 1 8 5 , 1 9 0 , 1 9 9 , 241 f, 263 , transzendentales 2, 4, 6 , 1 5 , 1 9 f f , 77f, 157,191-219, 239f, 246f, 255ff Idealismus, transzendentaler 15f

Sachregister Idee 1 , 1 0 , 1 8 , 23f, 33, 6 3 , 1 8 1 , 1 9 0 , 1 9 7 , transzendentale 179ff Identität des Selbstbewufitseins 136f, 139f indeterminatum (unbestimmt) 51f, 56 Individualität 64 Individuation, deskriptive 232 Individuationsprinzip (principium individuduationis) 54f, 5 8 , 6 3 , 119, 197f, 210, 23 Iff Individuiertheit 120f intelligibile 200 Intension 94f, 192 Kategorie 1 1 , 1 0 3 , 1 1 3 , 1 2 4 f f , 128f, 131, 142,144f, 154, 177, 182f, 223, 226, 234f, 240f, 246 Kategorientafel 92, 125 Kennzeichnung (vgl. definite description) 83f, 97ff, 109, 235, 263 konstitutiv 241f Kontingenz 34ff, 37ff, 68, 70 Limitation 60-62,189 Logik, allgemeine 86,91,113f, 122,125, 132,136 .formale 1,2, 10, 77,260 .transzendentale 1 , 2 , 1 0 , 8 6 - 9 1 , 1 0 3 , 113, 122,125ff, 132, 136,189, 196, 254, 258 Materie 217, 235, 248 , transzendentale 204, 206, 209, 233 Materie - Form 114,166f, 234, 259 "Meinigkeits-Beweis" 137f, 140, 147,152 Merkmal (nota) 23f, 93f, 108,117,165, 191,265 metaphysica specialis 185,190 Metaphysik (metaphysisch) 8, 13f, 66, 178f, 264ff Metaphysik-Kritik 1 , 4 , 2 4 4 Möglichkeit (möglich) 36-42,43f, 48f, 5 I f f , 5 5 , 6 3 , 69, 75f, 193ff, 208ff, 216f, 231, 235 Monade 30-33, 35, 38, 256 Moral 5 Moralität 3 , 2 5 0 , 2 6 0 Moraltheologie 4 , 5 , 2 5 9 f mundus intelligibilis 71 mundus sensibilis 71

277

Natur 1 1 , 1 5 6 , 2 2 3 , 2 4 8 , 2 5 0 , spezifische 224f, 228f, 23 3f, 240 243 , systematische Einheit der 11, 225, 233f, 240, 243 überhaupt 11, 156, 223f, 234 natura formaliter spectata 224 natura materialiter spectata 224 Naturwissenschaft 9ff, 248, 262 Negation 5 2 , 5 8 , 6 0 , 62, 73f, 187, 199f, 202ff, 209ff, 212 Notwendigkeit 35f, 3 8 , 4 0 noumenon 200f Objektivität 144,147, 258 Offenbarung 2f Offenbarungsreligion 2 omnimoda determinatio (vgl. durchg. Best.) 55, 57ff, 63, 75, 96, 190, 214, 255f omnitudo realitatis (realitatum) 73, 206ff, 214f, 219, 231, 233, 251, 255, 258 Paralogismus 5 , 1 8 0 , 1 8 2 Perzeption 30, 32ff, 257 phaenomenon 70, 200f Philosophie der Logik 2, 77f Postulat 261f principium exclusi medii (Satz v. ausgeschl. Dritten) 51f, 192,197, 255 principium identitatis indiscernibilium 29, 33,118f, 160, 256 Prinzip 162,168,171, 176,183 Quantor 81f ratiocinatio polysyllogistica 167f Raum 114ff, 122,128f, 141,148ff, 152, 208, 212f, 231ff, 256, 263, 265 Realität (realitas) 39ff, 46,52, 58, 60ff, 69ff, 73f, 195, 200ff, 231, 236 .Kategorie der 202 realitas noumenon 201,204 realitas phaenomenon 201, 203, 204f, 209 Reflexion, transzendentale 118,159ff, 191 Regel 154,162,165f, 168 regulativ 6, 221, 244, 252 Religion 2ff, 7f Religionslehre, philosophische 3 Religionsphilosophie (religionsphilosophisch) 2-9, 261, 265f

278

Sachregister

repraesentatioo singularis 12, 108, 127, 257 Rezeptivität 1 , 1 1 4 , 1 2 2 Sachheit 195, 200, 204f, 209 Schein 9 0 , 1 5 7 , 1 5 8 - 6 3 , 1 7 1 , 1 7 3 , 1 7 8 , 182,239 des Ideals 214-19,229 Schema 155, 241, 243f, 246f Schluß 164,169 , dialektischer 190 .disjunktiver 185,207f Schöpfungsgedanke 267 Selbstbewußtsein 3 3 , 1 3 6 4 2 , 1 4 3 f , 146, 149ff, 152, 259 sensibile 200 Singularität 21, 115,117, 118f, 121,151, 234f, 245 Singuläres 53-59,95 Sinnkriterium 240 Sinnlichkeit 1,114,158f Spontaneität 1, 122,133f Sprache 261 , religiöse 262, 266 Subjekt-Prädikat Struktur (bzw. Relation) 25, 28, 105,106ff, 165, 236, 264 Subsumtion 154ff, 166,169 summa intelligentia 251 summum bonum 251 suppositio absoluta 244f suppositio relativa 244f Syllogismus 162,164ff, 169 SyUogistik 48, 81,169 Synthesis 122ff, 127, 132-36, 137ff, 145, 147ff, 153f, 156, 173f, 177 System der Philosophie 8f, 1 1 , 1 6 , 1 8 , 4 8 , 221, 248,260 der Vernunft 4 , 1 8 theologia moralis 4 theologia naturalis 4, 21, 62, 66-76,185 theologia rationalis 3 theologia speculativa 4 Theologie l f f , 5 , 2 3 9 f , transzendentale 4 , 1 7 9 , 211-14, 215, 238-47, 259f der Vernunft 4, 8 Terminus, singulärer 82ff, 97,102, 108f, 111, 232, 263f Übergang 248

Unbedingtes 160, 172f, 175f, 178 Unendliches 26, 29, 60-62,115 Unendlichkeit 33, 69, 115f Universale 263ff Universelles 55-59 Universum 29, 33, 64, 66, 256 Unsterblichkeit 5, 7 Unvollkommenheit 62 Urteil 25-27,99-111,123,125f, 135f, 153, 165 .ästhetisches 22lf , synthetisches 236, 237 , unendliches 187f, 195 Urteilsform (bzw. -funktion) 78, 99, 103, 126,144f Urteilskraft 154, 220ff, 225 Urteilsstruktur 1,135,142-44,159, 236f Urteüstafel 125f, 186 veritedefait 26, 29, 34ff verite de raison 26 verites eternelles 33,37 Verneinung, transzendentale 200, 207 Vernunft 2, 9 , 1 5 7 , 161-83, 220f, 225, 227, 257f, 261f , logische Funktion der 164-69 , praktische 260 , theoretische l f , 5f, 13 Vernunftbegriff 175f, 179,181,198 Vernunftreligion 2ff, 6 Vernunftschluß 164-69,176,180 Verstand l f , 122,126,133f, 136, 139f, 1 4 2 , 1 5 0 , 1 6 9 , 1 7 4 , 221, 227, 257f Vorstellung 92f, 97,100f, 116f, 122f, 137ff, 153,176ff, 182,185 , allgemeine 2, 93,114f, 139,154 , singulare (bzw. Einzel-) 93,113f, 116,119f, 212, 254 Wahrheit 25ff, 34ff, 65, 77, 89f, 169, 227f Wahrnehmung 102, 147f, 149,152, 201f, 234 Welt 4, 37ff, 68f, 70, 75, 249f Welten, mögliche 3 7 , 6 9 , 7 0 Wesen aller Wesen 180f, 212, 251 Widerspruchssatz (bzw. -prinzip) 25f, 48f, 51,58, 67, 75f, 192f, 195,257 Zeit 12f, 114ff, 122,128f, 141,148ff, 152, 202, 231ff, 256, 263, 265

KANT-STUDIEN ERGÄNZUNGSHEFTE Im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann herausgegeben von Gerhard Funke und Joachim Kopper

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Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

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G

Berlin · New York

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Die Ontotheologie des vorkritischen Kant Groß-Oktav. X . 307 Seiten. 1980. Ganzleinen 1 2 0 , ISBN 3 11 008130 X (Band 112)

Peter Schulthess

Relation und Funktion Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur theoretischen Philosophie Kants Groß-Oktav. X I I , 399 Seiten. 1981. Ganzleinen D M 8 4 , I S B N 3 11 008439 2 (Band 113)

Monika Sänger

Die kategoriale Systematik in den metaphysischen Anfangs gründen der Rechtslehre Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants Groß-Oktav. X I I , 259 Seiten. 1982. Ganzleinen D M 7 2 , ISBN 3 11 008883 5 (Band 114)

Carl Wilhelm Heinrich Braun

Kritische Theorie versus Kritizismus Zur Kant-Kritik Theodor W . Adornos Groß-Oktav. X I I , 311 Seiten. 1983. Ganzleinen D M 8 8 , ISBN 3 11 009541 6 (Band 115)

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