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German Pages 752 [756] Year 1982
Humanvermögensrechnung Herausgegeben von Herbert Schmidt
Humanvermögensrechnung Instrumentarium zur Ergänzung der unternehmerischen Rechnungslegung Konzepte und Erfahrungen Herausgegeben von
Herbert Schmidt
W Walter de Gruyter DE G Berlin-NewYork 1982
Veröffentlichung der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen Redaktion: Heike Schmidt
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Humanvermögensrechnung: Instrumentarium zur Erg. d. Unternehmer. Rechnungslegung - Konzepte u. Erfahrungen / hrsg. von Herbert Schmidt. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1982. (Veröffentlichung der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen) ISBN 3-11-008853-3 NE: Schmidt, Herbert [Hrsg.]
© Copyright 1982 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung u n d Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner F o r m (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) o h n e schriftliche G e n e h m i g u n g des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Druckerei Wagner, Nördlingen. Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer Buchgewerbe G m b H , Berlin.
Vorwort Dieses Sammelwerk erscheint zu einem Zeitpunkt, da gesellschaftsbezogenes Handeln der Unternehmen, vor allem im Hinblick auf ihre Mitarbeiter, in der Öffentlichkeit in besonderem Maße diskutiert wird: Neue Technologien, der internationale Wettbewerbsdruck wie auch die Situation am Arbeitsmarkt erfordern einen hohen Grad an Bereitschaft zur Anpassung und Umstellung auf Seiten der Mitarbeiter, aber auch eine besondere Fürsorgepflicht der Unternehmensleitungen. Gerade die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, die Soziale Marktwirtschaft, verpflichtet die Unternehmen wie in keinem anderen Lande zu Verhaltensweisen, die neben der ökonomischen Effizienz auch die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Entscheidungen berücksichtigen. Voraussetzung für die verstärkte Einbeziehung des Humankapitals und seiner Interessen in Unternehmensentscheidungen sind jedoch ein ausgeprägteres Bewußtsein über den Wert der Arbeitskraft und aussagefähigere, detaillierte Informationen aus der betrieblichen Personal-, Arbeits- und Sozialwirtschaft, die über die traditionellen Bereiche betrieblicher Informationssysteme hinausgehen. Zur sachkundigen Erstellung solcher unternehmensbezogenen Sozialinformationssysteme mangelte es bislang vor allem an aussagefähigen Datenerfassungskonzepten und Grundsätzen für eine ordnungsgemäße Rechnungslegung: Dem konventionellen kaufmännischen Rechnungswesen fehlt die Ergänzung durch eine systematische Humanvermögensrechnung. Zwar werden die Kostenwirksamkeit der Sozialgesetzgebung für die Unternehmen, der Bildungsaufwand, die Fluktuationskosten und ähnliches laufend hervorgehoben, Sozialdaten und kompatible Kostenerfassungen in diesem Bereich sind jedoch nach wie vor Mangelware. Eine Signalwirkung für die Weiterentwicklung dieser Rechenschaftslegung wird zweifellos vom neuen Bilanzrichtlinie-Gesetz (Bundesrats-Drucksache 61/82 vom 19. März 1982) ausgehen, das u. a. die Zulässigkeit „freiwilliger Angaben und weiterer Pflichtangaben prüfungspflichtiger Unternehmen" ausdrücklich vorsieht. Dieser Band versucht, das Startzeichen für einen Aufbruch zu gemeinsamem, standardisiertem Vorgehen zu geben. E r kann jedoch - angesichts des Entwicklungsstandes - noch kein in sich geschlossenes Konzept für eine Humanvermögensrechnung bieten. Vorgelegt wird vielmehr eine Bestandsaufnahme über vorhandene Ansätze und Anregungen zur Entwicklung und Ergänzung der betriebswirtschaftlichen durch eine umfassendere gesellschaftsbezogene Rechnungslegung. Die hier vorgelegten Konzepte und Überlegungen basieren auf einem wohl als pionierhaft anzusehenden Seminar, das 1974 in Bonn vom Fachausschuß „Perso-
VT
Vorwort
nal und Arbeit" im Ausschuß für wirtschaftliche Verwaltung in Wirtschaft und öffentlicher Hand e. V. (AWV), Frankfurt, durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie vom Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt wurde. Wissenschaftler und Vertreter der Wirtschaftspraxis, vornehmlich aus den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern, sowie Vertreter der Tarifparteien und die durch den Themenkreis angesprochenen Bundesministerien für Arbeit und Sozialordnung, für Wirtschaft sowie für Bildung und Wissenschaft beteiligten sich an dieser Diskussion. Neben der vermehrten Praktizierung von Humanvermögensrechnungen wurde eine ergänzende Erfassung von Beschäftigten- und Sozialdaten in leistungsfähigen betrieblichen Sozialinformationssystemen vorgeschlagen. Sie sollen die Basis liefern für: - effizientere Management-Techniken, insbesondere bei Planungs-, Steuerungsund Kontrollmaßnahmen im Bereich der Personalpolitik als auch für - aussagefähige Berichtssysteme der Unternehmen und für eine das Humanvermögen einschließende gesellschaftsbezogene Rechnungslegung. Mit der Vorlage dieses Sammelwerkes soll einem vielfach geäußerten Wunsch Rechnung getragen werden, die Ergebnisse dieses Erfahrungsaustausches und der Bemühungen um Weiterentwicklung des Ansatzes der Humanvermögensrechnung einer weiteren interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck wurden die ursprünglichen Beiträge intensiv überarbeitet, vielfach erweitert sowie aufeinander abgestimmt. Neue Erkenntnisse wurden in zusätzlichen Beiträgen dargestellt und als wesentliche Ergänzung aufgenommen. Den Autoren sei für ihr engagiertes und von viel Idealismus getragenes Mitwirken gedankt. Besonderer Dank gebührt Herrn Professor Dr. Meinolf Dierkes, Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin sowie wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen. Er hat an der seinerzeitigen AWV-Veranstaltung und bei der Entstehung dieses Werkes maßgeblich mitgewirkt. Der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen bin ich für die Sicherstellung dieser Veröffentlichung im Rahmen ihrer Schriften verbunden. Herrn Dr. Hans H. Wenkebach, dem Geschäftsführer der Stiftung, danke ich an dieser Stelle für die konstruktive Unterstützung bei der Herausgabe dieses Sammelwerkes. Vielen Dank zu sagen habe ich meiner Frau, die mit Verständnis und Geduld an diesem Projekt intensiv mitgearbeitet hat. Neben den umfangreichen Redaktionsarbeiten besorgte sie die Ubersetzung und Überarbeitung der fremdsprachigen Texte und erstellte das Register. Bonn, den 19. März 1982
Herbert Schmidt
Inhalt Teil 1 Ziele und Aufgaben der Humanvermögensrechnung Betriebswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Aspekte Humanvermögensrechnung der Unternehmen Einzel- und gesamtwirtschaftliche Argumente zur Ergänzung der betrieblichen Rechnungslegung Herbert Schmidt 1. Einzel- und gesamtwirtschaftliche Aspekte der Humanvermögensrechnung . . . 2. Bedeutung des Faktors Arbeit 3. Die Humanvermögensrechnung als Meßinstrument 4. Weiterentwicklung der Grundlagen für die Humanvermögensrechnung 5. Humankapitalrelevante Arbeitsmarktpolitik des Staates 6. Einfluß der Arbeitsbedingungen auf betriebliches Humankapital und staatliches Sozialbudget 7. Humanvermögensrechnung als betriebswirtschaftliches Instrument zum Nachweis gesellschaftlicher Verantwortung (Sozialbilanz)
3 3 7 11 15 18 29 38
Humanvermögensrechnung - Entwicklung von Konzepten für eine erweiterte Rechenschaftslegung der Unternehmen Rainer Marr
45
1. Die Entwicklung des Humanvermögengedankens 2. Grundkonzepte der Humanvermögensbewertung 3. Entwicklungstendenzen
45 47 49
Teil 2 US-amerikanische Ansätze zur Erfassung und Bewertung des Humanvermögens I. Das Konzept des Human Resource Accounting (HRA) Die Erfassung des Humankapitals im Unternehmen - Ziele, Aufgaben, Bedeutung R. Lee Brummet
61
1. Einleitung 2. Bedeutung der Humankapitalrechnung für das Unternehmen 3. Ermittlung der Humankapitalkosten 4. Ermittlung des Humankapitalwertes
61 62 67 70
VIII
Inhaltsverzeichnis
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals Eric Flamholtz
73
1. Einführung 2. Das Konzept des Human Resource Accounting (HRA) 3. Die Bedeutung des HRA für das Management 4. Die Messung von Kosten und Wert des Humankapitals 5. Ein Kontinuum von HRA-Systemen 6. Das System bei Lester Witte & Company 7. Zusammenfassung und Schlußbemerkungen
73 74 74 79 84 90 97
Die Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation - Konzepte und Erfahrungen Robert L. Woodruff, jr.
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1. Werdegang der R. G. Barry Corporation 2. Entwicklung einer Philosophie der Unternehmensführung 3. Erforderliche Information über das Humankapital 4. Kostenansatz des Human Resource Accounting 5. Verbesserung der Erfassung von HRA-Daten 6. Auswirkung der Humankapitalrechnung 7. Künftiges Vorgehen 8. Zusammenfassung
99 100 102 104 107 114 115 116
Fluktuationskostenanalyse Erfahrungen Herbert Wayne Gustafson
127
1. 2. 3. 4. 5.
Konzeptionelle Grundlagen und praktische
Einleitung Überblick Anwendungsmöglichkeiten Methoden Zukunft der Fluktuationskostenanalyse
127 131 138 154 163
II. Das Humankapital der Unternehmen in der sozialwissenschaftlichen Analyse Arbeitsqualität, Arbeitsproduktivität und Humanvermögensrechnung Ermittlung potentieller Steigerungen der Produktivität von Arbeitskräften Neal Q. Herrick
169
1. Einführung 2. Derzeitiger Bedarf an produktivitätsbezogenen Daten 3. Ein Forschungsprogramm zur Messung der Arbeitsqualität 4. Das Konzept der Ermittlung potentieller Steigerungen der Arbeitsproduktivität 5. Praktische Anwendung des Projektes 6. Das Ziel: Verbesserung der Arbeitsqualität
169 171 172 183 186 189
Inhaltsverzeichnis Entwicklung und Anwendung von Bewertungsmaßstäben für das Humankapital in Organisationen Edward E. Lawler 1. 2. 3. 4.
Gründe für die Erfassung und Bewertung der Human-Organisation Mögliche Bewertungsmethoden Eigenschaften von Mitarbeitern Mögliche unbeabsichtigte Auswirkungen der Humanvermögensrechnung in einer Organisation 5. Bewertungen von Arbeitsplatz und Organisationsmerkmalen 6. Meßgrößen aufgrund von Selbstbeurteilungen 7. Produktivitätsfeindliche Verhaltensweisen 8. Bedeutung für Management-Entscheidungsprozesse 9. Verwendung von Indikatoren für die externe Berichterstattung 10. Verwendung der Indikatoren durch den Staat 11. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
IX
191 191 194 195 203 206 207 208 209 212 215 219
Teil 3 Europäische Perspektiven und Erfahrungen zur Humanvermögensrech' nung I. Praktizierung der Humanvermögensrechnung Europäische Erfahrungen bei der Einführung der Humanvermögensrechnung Edmond Marqués
227
1. Einführung 2. Beginn der Humankapitalrechnung in Europa 3. Kritische Gedanken zum Konzept des HRA in Europa
227 227 237
Möglichkeiten und Grenzen betrieblicher Vermögensrechnung und Berichterstattung im Bereich des Humankapitals aus der Sicht der Praxis Edzard Reuter
241
1. Humanvermögensrechnung und ihre Aufgaben 2. Anwendungsmöglichkeiten in der betrieblichen Praxis 3. Grenzen der praktischen Anwendung 4. Möglichkeiten zur Information über das Humankapital 5. Grenzen der Berichterstattung über das Personal- und Sozialwesen 6. Schlußbemerkung
241 244 249 251 253 255
Humankapitalrechnungen - Kritische Bemerkungen aufgrund von Erfahrungen in einem Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie Waldemar Kropp / Hartmut Wächter
257
1. Einleitung 2. Erfahrungen mit einem HRA-Konzept in einem Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie
257 258
X
Inhaltsverzeichnis
3. Erweiterung des H R A im Rahmen der qualitativen Personalplanung 4. Verwertungsaspekte des H R A
276 278
II. Humanvermögensrechnung aus gewerkschaftlicher Sicht Humankapitalrechnung und Arbeitnehmerinteressen - E i n Beitrag aus der Sicht der Gewerkschaften Ursula Engelen-Kefer
283
1. Zur Situation des betrieblichen Personalwesens 2. Kritische Betrachtung verschiedener Konzepte der Humankapitalrechnung . . . 3. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen für die Entwicklung einer an Arbeitnehmerinteressen orientierten Personalplanung und -politik
283 285 294
Teil 4 A n s ä t z e zur Ergänzung des k o n v e n t i o n e l l e n R e c h n u n g s w e s e n s I. Bildungsinvestitionen in der H u m a n v e r m ö g e n s r e c h n u n g D a s Humankapital in der gesamtwirtschaftlichen H u m a n v e r m ö g e n s r e c h nung - M e ß k o n z e p t e des Bildungskapitals im intersystemaren Vergleich . Armin Hegelheimer 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Humankapitalansatz und „bürgerliche" Bildungsökonomie Bildungsfondskonzept und marxistische Bildungsökonomie Beitrag des Humankapitals zum Wirtschaftswachstum Einfluß der Bildungsfonds auf die ökonomische Potenz Humankapitalansatz und Bildungsfondskonzept im Vergleich Humankapitalansatz und Bildungsfondskonzept in der Kritik der neomarxistischen Bildungsökonomie Zur Kritik des neomarxistischen Ansatzes Humankapitalkonzept als Ertragswert- und Kostenwertprinzip Langfristige Entwicklung des Human- und Sachkapitals Humankapital im Konjunkturverlauf Humankapital und Verteilungseffekte Humankapital als Entscheidungskalkül der Humanvermögensbildung
Versuch einer bildungsökonomischen B e w e r t u n g der Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland Wolfgang 1. 2. 3. 4. 5.
Dietrich
303
303 305 307 311 314 315 318 321 325 330 331 332
335
Winterhager
Gegenstand Zwecke, Fragestellungen Hauptvariablen, Modellrechnungen Einige weitere Variablen Die aktuelle Perspektive einer Polarisierung der Berufsanforderungen
335 336 337 341 344
Inhaltsverzeichnis Einzelbetriebliche Finanzierung versus zwischenbetrieblicher Interessenausgleich bei betrieblichen Bildungsinvestitionen Eberhard Müller-Steineck 1. Einleitung 2. Grundlagenarbeit der Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung" (SVK) 3. Zur Praktikabilität eines zentralen Berufsbildungsfonds nach dem Vorschlag der Sachverständigenkommission 4. Derzeitiger Stand der Finanzierungsdiskussion 5. Ein Lösungsansatz Personalvermögensrechnung: zur Übertragung des Humankapital-Konzeptes auf die betriebliche Personalinfrastruktur Gerhard E. Ortner 1. Die betriebliche Personalinfrastruktur als Erfahrungsobjekt von Bildungsökonomie und Bildungsbetriebslehre 2. Legitimation der Übertragung des Humankapital-Konzeptes auf die betriebliche Personalinfrastruktur 3. Definition und Veränderung betrieblicher Zielfunktionen 4. Die Bewertung des betrieblichen Personalvermögens 5. Die Bestimmung des betrieblichen Personalertrages 6. Zur Problematik der bisher entwickelten Ansätze zur Übertragung des Humankapital-Konzeptes auf die betriebliche Personalinfrastruktur 7. Die Entwicklung eines „Arbeitsorientierten Personalvermögens-Konzeptes" aus bildungsökonomischer Sicht 8. Politische und betriebliche Bedingungen eines „Arbeitsorientierten Personalvermögens-Konzeptes"
XI
347
347 348 350 351 353
357
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II. A u f w e n d u n g e n in der Arbeitswirtschaft als Gegenstand der Humanvermögensrechnung D a s volkswirtschaftliche Humankapital - Möglichkeiten zur quantitativen Erfassung und Bewertung des Humankapitals einer Volkswirtschaft, dargestellt am Beispiel makroökonomischer Unfallfolgekostenrechnungen . . . Fritz Voigt
399
1. Die Rolle des Humankapitals in der Nationalökonomie 2. Die Bewertung der unfallbedingten Humankapitalausfälle 3. Schlußbemerkungen
399 402 414
Betriebswirtschaftliche Aspekte der Steigerung der Arbeitsqualität durch Produktionsumstellungen Theodor Ellinger / Hans-Josef Weber
419
1. Einführung 2. Ursachen und Wirkungen von Produktionsumstellungen 3. Kennzeichnung der menschengerechten Arbeit
419 419 421
XII
Inhaltsverzeichnis
4. Einfluß der betrieblichen Ziele und Zielbeziehungen auf die Umstellungsplanung 5. Zielharmonie zwischen Arbeitsqualitätssteigerung und Rationalisierung 6. Bewertung von menschengerechten Produktionsumstellungen 7. Zusammenfassung Betrieblicher Arbeits- und Unfallschutz als Gegenstand der Humankapitalrechnung Manfred Hagenkötter / Sylvia Wehner
423 425 427 429
433
1. Einleitung 2. Bewertung der betriebswirtschaftlichen Folgen von Arbeitsunfällen 3. Sozialindikatoren als Kontrollinstrumente für die ökonomische und soziale Effizienz betrieblicher Maßnahmen
433 435
Arbeitsschutz- und Arbeitsunfallkosten im betrieblichen Rechnungswesen Thomas Reichmann
457
1. 2. 3. 4.
457 458 460 475
Einleitung Der Einfluß des Arbeitsschutzes auf die Produktionskosten Der Einfluß des Arbeitsschutzes auf die Betriebsunfallkosten Zusammenfassung
448
III. Humanvermögensrechnung als Informations- und Entscheidungssystem
D e r Firmenwert eines Unternehmens bei Berücksichtigung seines Humankapitals Peter Lindemann 1. Die Bedeutung des Humankapitals in einem Unternehmen 2. Die herkömmliche Art der Bewertung eines Unternehmens als Ganzes 3. Bestimmungsgründe für die Bewertung des Humankapitals bei der Unternehmensbewertung 4. Beispiel einer Unternehmensbewertung zum Zwecke eines Kaufes (modifizierter praktischer Fall) Human Resource Accounting: Entscheidungsrechnung über das betriebliche Humanvermögen Michael Conrads / Wolfgang Goetzke / Günter Sieben 1. Einordnung des Human Resource Accounting (HRA) in das Bemühen der Betriebswirtschaftslehre, Instrumente für die Entscheidungspraxis zu entwickeln 2. Zur Charakterisierung des H R A als Entscheidungsrechnung über das betriebliche Humanvermögen 3. Zur Abgrenzung des H R A vom Social Accounting 4. Der „Wert menschlicher Ressourcen" 5. Modelle des H R A als Entscheidungsmodelle 6. Abschließende Betrachtung
481 481 481 484 489
493
493 494 495 496 499 502
Inhaltsverzeichnis Systemgestützte Planung, Verwaltung und Kontrolle des Humanvermögens Michel Domsch
XIII
betrieblichen 507
1. Begriff und Bedeutung des betrieblichen Humanvermögens 2. Gestaltung des „Informations-Managements" zur Humanvermögensrechnung . . 3. Zusammenfassende Schlußbetrachtung
507 508 516
Humanvermögensrechnung - Ihre Kontrolle und Prüfung als modernes Informationssystem Hartmut J. Will
519
1. Einleitung 2. Personal-Informationssysteme 3. Prüfungsschnittstellen 4. Schlußbemerkung
519 520 533 543
IV. Betriebliche Sozialindikatorensysteme zur Ergänzung der Humanvermögensrechnung Humanvermögensrechnung oder Personalindikatorensysteme? - Die Ermittlung von Informationen über den Wert des Humanvermögens von Organisationen mit Hilfe der innerbetrieblichen Meinungsforschung . . . Rainer Marr 1. Human-Resource-Accounting - Grundlage besserer betriebswirtschaftlicher Entscheidungen? 2. Alternativen der Erfassung des Sozialpotentials von Organisationen 3. Ansätze für eine Ermittlung motivationsabhängiger Veränderungen des Sozialpotentials 4. Der Sozialpotentialbericht 5. Zusammenfassung Betriebliche Sozialindikatoren aus der Arbeitswirtschaft als Bestandteil der Humanvermögensrechnung Fritz Bisani 1. Humanvermögen und Wertbegriff in der Betriebswirtschaftslehre 2. Bestimmungsgrößen des Humanvermögens 3. Realisierung eines Indikatorensystems zur Arbeitswirtschaft in der französischen „bilan social" 4. Diskussionsvorschlag für ein Indikatorensystem zur Bewertung des Humanvermögens 5. Schlußbetrachtungen
549
549 551 557 567 571
577 577 580 586 589 595
XIV
Inhaltsverzeichnis
V . Humanvermögensrechnung bei Investitionen in Entwicklungsländern D i e Bedeutung des Humanvermögens für Unternehmungen in Entwicklungsländern - Ein Projektbericht Wolfgang Goetzke
601
1. 2. 3. 4.
601 601 602 609
Einführung Der Wert des Humankapitals in Industrie- und Entwicklungsländern Eine praktische Untersuchung Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus dem Projekt
Bildungsökonomische Beurteilung von Ausbildungsinvestitionen in Entwicklungsländern Gunter Kohlheyer
611
1. Hintergrund 2. Produktivitätsanalyse als Entscheidungshilfe 3. Bisherige Resultate
611 613 625
Teil 5 Humanvermögensrechnung als Bestandteil einer erweiterten gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung I. Humankapitalbewertung in der externen Rechnungslegung Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung Sachverhalten aus der Unternehmenspolitik Hans-Detlev Küller
von
gesellschaftsbezogenen 637
1. Sozial-„Buchführung" und Humanvermögensrechnung 2. Sozial-„Bilanzierung"
637 643
Humankapitalerhaltungsrechnungen und deren Bedeutung für die Jahresabschlußrechnung als extern orientierte Rechnungslegung Michael Conrads / Josef Kloock
657
1. 2. 3. 4. 5.
Einleitung Zum Begriff „Humankapitalerhaltung" Humankapitalerhaltung aus koalitionsbezogener Sicht Humankapitalerhaltungskonzeptionen Einbeziehung von Humaiikapitalerhaltungsrechnungen in (aktienrechtliche) Jahresabschlußrechnungen
657 658 659 662 665
Inhaltsverzeichnis
XV
II. Humanvermögensrechnung und Sozialbilanz Das Humanvermögen in der Sozialbilanz des Unternehmens Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
677
1. Konzeptionelle Beziehungen zwischen Humanvermögensrechnung und Sozialbilanz 2. Der Stellenwert von Informationen über das Humanvermögen in Sozialbilanzen 3. Die Behandlung des Humanvermögens in Sozialbilanzen 4. Das Humanvermögen in der Sozialbilanz - Was sind die nächsten Schritte? . . .
678 680 686 718
Verzeichnis der Mitarbeiter Sachregister
721 727
Teil 1 Ziele und Aufgaben der Humanvermögensrechnung Betriebswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Aspekte
Humanvermögensrechnung der Unternehmen Einzel- und gesamtwirtschaftliche Argumente zur Ergänzung der betrieblichen Rechnungslegung Herbert
Schmidt
1. Einzel- und gesamtwirtschaftliche Aspekte der Humanvermögensrechnung 1.1 Staatliches Interesse Das Rechnungswesen umfaßt bislang nur rudimentär und unvollkommen eine Kostenrechnung, die auf das Humankapital der Unternehmen gerichtet wäre. Der eigentliche „Wert" der Belegschaft im betriebswirtschaftlichen Sinne konnte bislang monetär nicht quantifiziert werden. Ebenso fehlt noch eine systematische oder standardisierte Erfassung aller Aufwendungen der Unternehmen, die - unmittelbar oder - mittelbar von Einfluß für die Erhaltung, die Wertsteigerung oder die Verminderung des Humankapitalwertes sind, den der Mitarbeiterstamm eines Unternehmens charakterisiert. Von unmittelbarem Einfluß wären z. B. alle Investitionen in das Humankapital in Form berufsqualifizierender Maßnahmen. Mittelbar bedeutsam sind alle unternehmerischen Aufwendungen, die der Verbesserung der Arbeitsbedingungen dienen und die einen humankapitalschonenden Effekt im Sinne der Erhaltung der physischen Arbeitskraft zur Folge haben. Dies gilt insbesondere für die Vermeidung und Minderung von Streßbelastungen, Berufskrankheiten, Arbeitsunfällen und Frühinvalidität. Solche umfassende Humanvermögensrechnungen in Unternehmen finden unter zwei Gesichtspunkten auch staatliches Interesse: (1) Die Einbeziehung des Humankapitals in das betriebliche Rechnungswesen wäre die Grundlage für ein leistungsfähiges betriebliches Sozial- und Entscheidungssystem. Es könnte eine qualifiziertere Gestaltung der Unternehmenspolitik bewirken; der Stellenwert betrieblicher Personal-, Arbeits- und Sozialpolitik für das Unternehmen käme vermehrt zum Ausdruck. Eine sozialpolitisch erwünschte Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungssituation in den Betrieben könnte die Folge sein. Durch so induzierte Steigerung der Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer würde eine wirtschaftspolitisch erwünschte Produktivitäts- und Leistungssteigerung der Wirtschaft bewirkt.
4
Herbert Schmidt
(2) Mannigfache Maßnahmen des Staates haben humankapitalrelevanten Charakter; sie sollten in der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ihren Ausdruck finden. Dies gilt z. B. für arbeitsmarkt-, bildungs- oder arbeits(schutz)politische Aktivitäten, deren Wirkungen sich in den Unternehmen niederschlagen. Die Messung der Produktivität betrieblicher und staatlicher Maßnahmen, die auf das einzel- oder gesamtwirtschaftliche Humankapital gerichtet sind, ist unzulänglich. Es fehlt bisher „in der deutschen Betriebswirtschaftslehre an Versuchen, ein Informationssystem zu entwickeln, das geeignet wäre, dieses Sozialpotential so abzubilden und seine Veränderungen aufzuzeigen, daß die gewonnenen Informationen eine brauchbare Grundlage für die Verbesserung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen darstellen" (Marr 1979, S. 54). Ähnlich weist das staatliche Sozialinformationssystem Lücken auf. Die Wirksamkeit und Produktivität staatlicher arbeitsorientierter Maßnahmen läßt sich noch nicht oder nur in Ansätzen quantifizieren. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung oder das staatliche Sozialbudget bedürfen hinsichtlich arbeitsweltbezogener Daten noch der Ergänzung.
1.2 Komplementarität zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Produktivität Unter Produktivität wird gemeinhin das Maß für die Ergiebigkeit oder Leistung der Produktionsfaktoren verstanden, d. h. der Einsatz von Kapital (Kapitalproduktivität) oder des Faktors Arbeit (Arbeitsproduktivität) wird in Beziehung gesetzt zum Produktionsergebnis. Gesamtwirtschaftlich gibt die Produktivität Hinweise über die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft. Die bisher gebräuchlichen Methoden der Produktivitätsmessung entbehren noch eines schlüssigen Ansatzes zur Erfassung der Produktivität des Humankapitals. Die Arbeitsproduktivität gibt Auskunft über das Verhältnis zwischen Produktionsmenge und Beschäftigtenzahl, daher auch Beschäftigtenproduktivität genannt. Die Stundenproduktivität gibt die Produktionsmenge an, die von einem Beschäftigten durchschnittlich in einer Stunde hergestellt wird. Wenn von der Produktivität unternehmerischer Maßnahmen in bezug auf das Humankapital gesprochen wird, so ist in der Regel der positive, neutrale oder negative bzw. „unproduktive" Einfluß eines betrieblichen Aufwandes auf die Arbeits- oder die Stundenproduktivität gemeint. In diesem Beitrag wird auf die Ergänzungsbedürftigkeit dieses Ansatzes sowie auf die Komplementarität zwischen einzel- und volkswirtschaftlicher Produktivität hingewiesen. Eine Investition kann betriebswirtschaftlich hochproduktiv, gleichzeitig gesamtwirtschaftlich aber außerordentlich bedenklich sein. Bei humankapitalrelevanten Handlungs- bzw. Verhaltensweisen ist neben den betriebswirtschaftlichen Aspekten die soziale und gesellschaftliche Verträglichkeit zu prüfen. Einzelwirtschaftliche Produktivität sollte auch von gesamtwirtschaftlicher Produk-
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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tivität begleitet sein. Das Ergebnis einzelwirtschaftlichen Handelns auf den Gebieten Personal und Arbeit wird gesamtwirtschaftlich aggregiert seine Entsprechung in der staatlichen Sozialberichterstattung finden: in sinkenden Raten des gesellschaftlichen Aufwandes für arbeitsweltbedingte, von den Betrieben externalisierten Kosten. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob das betriebswirtschaftliche Produktivitätsmaß im Humankapitalbereich wegen der zu berücksichtigenden ethisch-moralischen Bezüge überhaupt das Maß aller Dinge sein kann. Wie später darzulegen sein wird, nimmt der Staat den Betrieben durch die Art und Weise seiner zum nicht unerheblichen Teil auch produktivitätsorientierten sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen eigene Humankapitalinvestitionen ab. Gleichermaßen sind die Sozialkosten für Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Berufsunfähigkeit usw. beträchtlich. Sie sind zum Teil die Ursachen dafür, daß später beim Bemühen um die Wiedereingliederung der Betroffenen in das Erwerbsleben durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Eingliederungsbeihilfen ein Ausgleich der niedrigeren Produktivität dieser Personen durch den Staat vorgenommen wird. Unterlassene betriebliche Investitionen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen können so langfristig negativ kumulierende Wirkungen gesellschaftlicher Art haben. Betriebswirtschaftlich kann eine die Frühinvalidität von Mitarbeitern verhindernde Investition unproduktiv, gesamtwirtschaftlich aber außerordentlich produktiv sein. Daraus soll hier gefolgert werden, daß auf Grund der sozialen Verantwortung der Unternehmen humankapitalrelevante Investitionen auch dann getätigt werden müssen, wenn eine unmittelbare betriebswirtschaftliche Produktivitätssteigerung nicht meßbar ist, negative individuelle und gesellschaftliche Folgewirkungen auf Grund etwa von Arbeitsplatzanalysen jedoch vermutet bzw. nicht ausgeschlossen werden können (so auch Raffee 1974, S. 207). Staatlich gesetzte Normen zwingen in bestimmten, als gefährlich erkannten Arbeitsbereichen schon zu entsprechendem unternehmerischem Handeln. Nicht alles kann und soll jedoch staatlich reglementiert sein. Eine Synthese von einzelund gesamtwirtschaftlich geprägtem Produktivitätsbewußtsein bei unternehmerischen Entscheidungen kann ebenso effizient, oft sogar noch effizienter sein.
1.3 ökonomische und soziale Effizienz humankapitalrelevanter Aktivitäten Der enge betriebswirtschaftliche Produktivitätsmaßstab ist ergänzungsbedürftig. Hier könnte der von Marr propagierte, auf den Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit gerichtete Effizienzansatz ein Schritt in die richtige Richtung sein. Betriebswirtschaftliche Effizienz bedeutet gemeinhin einen möglichst hohen ökonomischen Zielerreichungsgrad durch optimale Produktionsfaktorenkombination in einer Organisation. Marr differenziert dagegen zwischen ökonomischer und sozialer Effizienz, „ökonomische Effizienz im Personalbereich bedeutet die Erfüllung von sachlichen Organisationszwecken, z. B. die Bereitstellung von
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Herbert Schmidt
Gütern und Dienstleistungen durch den Einsatz von Mitarbeitern nach dem Prinzip der sparsamen Verwendung knapper Mittel. Dieses Prinzip wird verwirklicht durch ein möglichst günstiges Verhältnis von Faktorertrag zu Faktoreinsatz (Arbeitsproduktivität) bzw. von Leistungen zu Kosten (Arbeitswirtschaftlichkeit). Arbeitsproduktivität bzw. Arbeitswirtschaftlichkeit sind der Beitrag der Personalwirtschaft zur ökonomischen Effizienz der Organisation (z. B. Gewinn, Rentabilität). Soziale Effizienz äußert sich in der Erfüllung der Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen der Mitarbeiter. Diese Bedürfnisse sind sehr vielfältig und unterschiedlich, es gehören z. B. dazu gute Bezahlung, angenehme Arbeitsbedingungen, individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und Schutz vor berufsbedingten Krankheiten" (Marr/Stitzel 1979, S. 57). Dieser modifizierte Effizienz- bzw. Produktivitätsansatz entspricht der vom Gesetzgeber angestrebten Richtschnur für ökonomisches und soziales Handeln, wie er durch das 1952 vorgelegte und 1972 neu kodifizierte Betriebsverfassungsgesetz intendiert wurde. Christlich-soziale, ethisch-moralische und gesellschaftliche Wertvorstellungen sollen, zusammen mit den ökonomischen Erfordernissen in den Organisationen, zu einem Ausgleich gebracht werden. Dem humankapitalorientierten Management wurde durch die Institution Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen Gewicht gegeben. Diese Philosophie der Unternehmensführung hatte weitreichende Folgen für die Entwicklung neuer und ergänzter Instrumentarien der Unternehmenspolitik. Mangelhaft war bislang die Entwicklung eines entsprechend modifizierten, humankapitalorientierten betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens. Als Humankapital eines Unternehmens soll hier der Wert der Belegschaft, d. h. der in einer Organisation Beschäftigten, verstanden werden. Die Humanvermögensrechnung ist das betriebswirtschaftliche Instrumentarium, das der Erfassung der Kosten und der Bewertung des aktivierbaren Humankapitals bzw. betrieblichen Humanvermögens dient. Der hier unterstellte Humankapitalbegriff kann nicht ausschließlich auf die als kapitalisierungswürdig erscheinenden investiven Personalausgaben beschränkt sein, abzüglich der Abschreibungen, die von der Beschäftigungsdauer abhängig sind. Das vom zukünftigen Nutzen eines Mitarbeiters oder einer Belegschaft für das Unternehmen ausgehende Wertprinzip ist ein schwer zu realisierender Ansatz. Wertmaßstäbe und die Datenerfassung sind noch außerordentlich unvollkommen. Allerdings ist festzustellen, daß bei dieser Betrachtungsweise unser besonderes Anliegen, d. h. der die qualitative Steigerung des Humankapitalwertes ergänzende Ansatz zur physischen Humankapitalerhaltung, augenfällig wird. Einschlägige unternehmerische Maßnahmen würden betriebswirtschaftlich plausibler vertreten und in das Entscheidungskalkül leichter einbezogen werden können. Neben der monetären Erfassung oder adäquaten Beschreibung des Humankapitalwertes soll außerdem Gegenstand der Humanvermögensrechnung die Erfassung und Analyse
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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der humankapitalrelevanten Aufwendungen des Unternehmens sein. Die nicht unmittelbar den Humankapitalwert steigernden Investitionen zur menschengerechten Arbeitsgestaltung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Maßnahmen zur Erhöhung der Leistungsbereitschaft sowie andere die ökonomische und soziale Effizienz des Humankapitals steigernde Aufwendungen sind daher als Bestandteile einer umfassenden Humanvermögensrechnung zu sehen.
2. Bedeutung des Faktors Arbeit 2.1 Zur Entwicklung des Humankapitalansatzes Über den Wert des Menschen als Arbeitskraft und Produktionsfaktor ist viel diskutiert worden. Auch Versuche zur Schätzung seines Wertes, zur Qualitätsmessung und zur Ausfüllung des Begriffs Humankapital haben Tradititon (siehe Beispiele bei Voigt, S. 399 ff. und Hegelheimer, S. 303 ff.) 1 . Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Lohnzuwächsen und Bildungsinvestitionen ist unbestritten. Analysen zur differenzierten Betrachtung des Humankapitals als eines konsumtiven oder investiven Faktors führten zu einer modifizierten Bewertung und Analyse dieses Produktionsfaktors. Mit steigendem Bildungsstand eines Menschen ist im Arbeitsleben in der Regel ein steigendes Einkommen verbunden. Der Faktor Mensch gewinnt so auch an „Wert als Konsument" im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben. Der homogene Humankapitalansatz wurde folgerichtig differenziert. Bei der Charakterisierung des Wertes des Faktors Arbeit wurde nach - quantitativen (Beschäftigtenzahl, Alter, geleistete Arbeitszeit, Mengenleistung etc.) und - qualitativen (Investitionen in das Humankapital, Bildungsmaßnahmen, Qualität der Belegschaft) Merkmalen in der wissenschaftlichen Betrachtungsweise unterschieden (Schultz 1961, S. 1 ff.). Trotz vielfältiger Beschäftigung mit Fragen des Humankapitals fällt eine exakte Quantifizierung seines volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Wertes noch heute schwer. Nichtsdestoweniger setzt sich der Wunsch nach mehr Klarheit über den Stellenwert des Humankapitals im Staate durch. Leistungsbereitschaft, Intelligenz, Kreativität, Erfindungsgeist, Wissen, Erfahrung, Initiative, Entschei1 Hinweise auf Beiträge ohne Jahreszahlen beziehen sich auf die im vorliegenden Band enthaltenen Arbeiten.
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Herbert Schmidt
dungsfreude, Verantwortungs- und Risikobereitschaft charakterisieren den volkswirtschaftlichen Wert des Humankapitals. Wirtschaftliche Leistungskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft hängen unmittelbar von ihm ab. Die Verfügbarkeit über Produktionsfaktoren ist gekennzeichnet durch Knappheitsgrenzen, z. B. bei Energie oder Rohstoffen. Die menschliche Arbeitskraft ist als Ergebnis von Bildungsanstrengungen und dem Leistungswillen der Arbeitnehmer zu einem besonderen Wert geworden; ein solches Humankapital befähigt zu besonderen Leistungen bei der Herstellung hochqualifizierter Produkte, zum Betreiben komplizierter Produktionsverfahren und zur kreativen Weiterentwicklung einer komplexen Produktionsstruktur. Die Erhaltung dieses Humankapitals in unserer Gesellschaft ist auch ein Garant für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Diese Produktionskraft muß pfleglich genutzt und ihre Effizienz weiter gesteigert werden.
2.2 Humankapital und Arbeitskosten in der Unternehmenspolitik In der unternehmerischen Praxis ist der Wert des Humankapitals ebenfalls relativ früh gesehen worden. Als „immaterieller Firmenwert" erhielt er Bedeutung bei Betriebsveräußerungen. Bei der Standortsuche von Unternehmen spielte die Qualität des regional verfügbaren Arbeitskräftepotentials eine besondere Rolle. Schon im ersten Stadium der Industrialisierung wählten Unternehmer gern dort ihren Standort, wo auf Grund von Konkursen und Betriebsstillegungen ausgebildete und erfahrene Arbeitskräfte verfügbar waren. Solche „Parasitärindustrie" sparte teure Investitionen in das eigene Humankapital und konnte auch andere Vorteile vorangegangenen regionalen Wirtschaftswachstums nutzen (Schmidt 1966, S. 91 f., 194 f.). Die Entwicklung eigenständiger Ansätze zur Bewertung des betrieblichen Humankapitals sind der neueren Betriebswirtschaftslehre vorbehalten (siehe Marr, S. 45 ff., und Weiermair 1975, S. 384 ff.). Die betriebliche Personalpolitik war über lange Dekaden vom Prinzip der Arbeitskräftepumpe gekennzeichnet, dem System des „hire and fire", d. h. die Arbeitskräfte wurden je nach Bedarf vom Betrieb als ubiquitärer Faktor an den Arbeitsmarkt abgegeben oder von dort wieder reaktiviert. Die physische Erhaltung des Humankapitals, des „Verschleißfaktors Mensch", ist ein Problem, seit moderne Techniken die Arbeitswelt zu kennzeichnen begannen. Nicht von ungefähr ist der Arbeitsschutz der älteste Teil der Sozialpolitik. Eine zunehmende Neuorientierung der Unternehmenspolitik mit der Tendenz zur stärkeren Beachtung des Faktors Arbeit und des humanen Anspruchs der Beschäftigten ergab sich mit dem Wirksamwerden des Sozialstaatsprinzips und der von ihm ausgehenden Gestaltungszwänge in der Sozialen Marktwirtschaft. Die Arbeitsund Sozialgesetzgebung einerseits und die Initiative von Unternehmen und Tarifparteien führten zur Differenzierung des unternehmenspolitischen Instru-
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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mentariums, zur Konzipierung vorausschauender und präventiver Managementtechniken. Die Personalplanung wurde als integraler Bestandteil der Unternehmensplanung definiert, die das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer regelnden Betriebs- und Unternehmensverfassungen in der Wirtschaft wurden konkreter ausgestaltet (Schmidt 1975a, S. 13 ff. und 1978, S. 155 ff.). Kennzeichnend für alle diese Bewegungen waren das steigende Bewußtsein um den Wert des Humankapitals, die Erkenntnis der Notwendigkeit zur Steigerung und Erhaltung der intellektuellen und physischen Qualität dieses Faktors sowie der Wille der Unternehmen zur Rechenschaftslegung und Dokumentation ihrer sozialen Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Gesellschaft durch ökonomische und arbeitsorientierte Verhaltensweisen. Die Arbeitskosten in der Bundesrepublik kennzeichnen den Faktor Arbeit als teuer. Er beeinflußt die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist durch steigende Anteile der Lohnkosten an den Gesamtkosten betroffen. Die Entwicklung der Entgelte für geleistete Arbeit und die Höhe der Personalzusatzkosten sind seit einer Reihe von Jahren Gegenstand kritischer Analysen (Abb. la und lb). Pro 100,- DM direkten Arbeitsentgeltes eines Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie waren 1980 durchschnittlich noch 75,20 DM an Personalzusatzkosten zu tragen. Hierzu werden heute gemeinhin gezählt: (1) gesetzliche Personalzusatzkosten; das sind Sozialversicherungsbeiträge, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kosten als Folge des Mutterschutzgesetzes, des Schwerbehindertengesetzes, Beiträge zur Unfallversicherung usw., (2) tarifliche und weitere Personalzusatzkosten; das sind Leistungen entsprechend dem Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung, Gratifikationen und Prämien, zusätzliche Pensionsversicherung, Wohnungshilfe und Naturalleistungen, Urlaub, zusätzliches Urlaubsgeld, Urlaubsabgeltung, Entlassungsentschädigungen, Belegschaftseinrichtungen, Familienbeihilfen, Berufsausbildung und sonstige Nebenkosten, (3) freiwillige Sozialleistungen; das sind Gewinn- und Ertragsbeteiligung, allgemeine Gratifikationen, betriebliche Altersversorgung, Wohnungshilfe, Werksverpflegung, Gesundheitsbetreuung, Übernahme von Fahrtkosten, Arbeitssicherheit, Arbeitskleidung, Abfindungen, zusätzliches Urlaubsgeld, Jubiläumsgeschenke, Fortbildungslehrgänge, Zuschüsse zur Kranken- und Unfallversicherung, Werksfürsorge, Erholungs- und Ferienheime, individuelle Beihilfen, Weiterzahlung von Lohn und Gehalt bei Tod, Betriebsausflüge und -feste, Kuren und Heilverfahren, Information und Werkszeitschriften, zusätzliche Zahlungen an Kranke, Prämien für Verbesserungsvorschläge, Werksbüchereien, Umzugskosten, Tren-
10 24,41
Herbert Schmidt Arbeitskosten j e S t u n d e insgesamt 23,96
23,40
23,16 2 U 6
2I 40
-
20,81 18,23
13,99
14,40
13,36
17,51
17,35
16,80
13,05
15,10 14,80
13,30
14,49
8,42
16,88
12
9,56
13,16
12,73
10,19 10,42
9,56
10,04
10,11 6,96
B
S
D
NL
9.09
6,91
CH
N
3,93
5,07
DK
USA
Durchschnittsstundenlohn
7,79
F
11,64
9,82
7,30
9,23
6,63 4,28
7,07 4.07
I
-35.12;09.
8,03
CDN
2,86
2.53 A
GB
J
4.34 2,35
IRL
E
GR
Personalzusatzkosten
Quelle: Nach Institut der deutschen Wirtschaft, iwd, Nr. 17, 1981. Jahresdurchschnitt 1980 der amtlichen Devisenkurse, zum Teil vorläufige Zahlen.
Abb. la: Personalzusatzkosten im internationalen Vergleich (Arbeitskosten je Stunde in der verarbeitenden Industrie in DM)
167,7 ! 135,1 118,0
USA
104,3
CDN
102,4 !
•m
'^IOÒ.Ó;
/vi)
NL
N
CH
93,0 ?
S HXM)^ ¡97,2 "92.9
99,0
DK NL
84,7 83,2
B
82,0
CH
73,6 68,5
F
62,2
GB
55,4 1970
A
47,2
IRL
41,8
(Bundesrepublik Deutschland = 100)
USA
77,9
I
74,8
F
74,1
CDN
71,8
A
64,5:
GB
56, 8
J
52,8
IRL
51,7
E
[32,7 29,0
91,5 DK
GR
GR
1980
49,7 28,3 1
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, iwd, Nr. 17, 1981. Basis: Stundenverdienste und Personalzusatzkosten je geleistete Arbeitsstunde in DM.
Abb. lb: Vergleich der Arbeitskosten-Position wichtiger Weltmarkt-Konkurrenten der Bundesrepublik Deutschland 1970 und 1980
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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nungsgelder, Zuwendungen an Werksgruppen, Begabtenförderung, allgemeinbildende Lehrgänge. Diese aufzählende Vielfalt des Personalaufwandes (nach einer Darstellung des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1979) schafft Unbehagen. Die Unzufriedenheit mit der Systematik (Kador 1976, S. 897 und 1979, S. 1045; Hemmer 1981, S. 14 „Eine einheitliche Systematik der Personalzusatzkosten ist nicht vorhanden") ist in der Praxis erkannt. Das diffuse Nebeneinander von investiven und rein sozialen Leistungen verhindert Transparenz der Zusammenhänge und Messung der Effizienz unternehmerischer humankapitalrelevanter Leistungen. Die Personalkosten der Unternehmen gelten nicht von ungefähr als „unbekannte Größe". Durch Schaffung zusätzlicher Kostenstellen, durch systematische Erfassung der erforderlichen betrieblichen Daten in leistungsfähigen Informationssystemen und unter Anwendung neuer Auswertungsmethoden könnte diese Aufgabe gelöst werden (Hentschel 1975, S. 265 ff.). Eine solche systematische Erfassung könnte über das unternehmerische Interesse hinaus auch Anhaltspunkte dafür bringen, ob staatliche Aktivität erforderlich oder nicht erforderlich ist und welche Probleme sie gegebenenfalls mit sich bringen könnte. Eine Sozial-Enquete über das soziale Engagement der deutschen Wirtschaft (Dierkes/Ullmann 1979, S. 92) brachte Hinweise darauf, daß der unternehmerische Spielraum für eine eigenständige betriebliche Sozialpolitik durch Gesetzgeber und Gewerkschaften immer enger wird. Andererseits ist auch zu berücksichtigen, daß der Belastbarkeit der Betriebe mit Personalzusatzkosten Grenzen gesetzt sind. Die Grundlage für eine generalisierende Beurteilung dieser Fragen nach Wirtschaftssektoren, Branchen, Betriebsgrößen und Regionen könnte eine nach einheitlichen Prinzipien erstellte Humanvermögensrechnung erbringen. Darüber hinaus gebieten Kostenhöhe und der im Arbeitskräftepotential des Unternehmens ruhende Wert ein exakteres und aussagefähigeres Rechnungswesen für den Bereich des Humanvermögens.
3. Die Humanvermögensrechnung als Meßinstrument 3.1 Der US-amerikanische Ansatz zur Humanvermögensrechnung Bei der Suche nach geeigneten Konzepten für eine standardisierte Erfassung kompatibler betrieblicher Daten über das Humankapital und für die Operationalisierung solcher Informationen in einer das Instrumentarium des konventionellen kaufmännischen Rechnungswesens ergänzenden Humanvermögensrechnung liegt es nahe, den US-amerikanischen Ansatz des Human Resource Accounting (HRA)
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auf seine Eignung zur Lösung der gestellten Aufgaben hin zu analysieren. Das Konzept des Human Resource Accounting umfaßt: (1) das Cost Accounting; hierunter fällt die Erfassung und Messung aller personalbezogenen Aufwendungen eines Unternehmens wie Kosten der Personalakquisition, Auswahl, Einstellung, berufliche Bildungsmaßnahmen (menschliche Aktiva); weiterhin zählen dazu die Fluktuationskosten bzw. alle Aufwendungen des Unternehmens, die ihm beim Ersatz ausscheidender Mitarbeiter entstehen; (2) das Value Accounting; es beinhaltet die Erfassung und Messung des ökonomischen Wertes der Belegschaft für die sie beschäftigende Organisation; sowohl individuelle wie Gruppenbewertungen werden propagiert. Beide Ansätze zusammen sollen die Entscheidung und Verhaltensweisen beim Personalmanagement in dem Sinne beeinflussen, daß die Belegschaft bzw. die einzelnen Mitarbeiter als ein für die Organisation wichtiger Kapitalbestandteil, das Humankapital, zu verstehen ist, dessen Wert es sorgsam zu verwalten gilt. An dieser Stelle soll nicht weiter auf die Darstellung von Einzelheiten des US-amerikanischen HRA-Ansatzes eingegangen werden (dazu siehe Flamholtz 1974 sowie im vorliegenden Band S. 73 ff.; Brummet, S. 61 ff.; Woodruff, S. 99 ff.; Gustafson, S. 127 ff.). Wesentlich ist die Grundidee, mit der in den Vereinigten Staaten versucht wurde, Verständnis für mehr Humanität im Arbeitsleben in einem freien, kapitalorientierten Wirtschaftssystem zu erreichen. Bei einer überwiegenden Ausrichtung unternehmerischen Handelns an rein ökonomischen Größen, insbesondere an der Kapitalproduktivität, soll hier verdeutlicht werden, daß auch Investitionen in das Humankapital des Unternehmens produktiv sein können. Mehr personalbezogene Attitüden beim Management können ebenfalls leistungssteigernd wirken. Die Arbeitsproduktivität des Unternehmens kann durch motivierende Personal- und Bildungspolitik, durch Einbeziehung auch psychologischer und soziologischer Erkenntnisse in die Unternehmensführung gesteigert werden (Likert 1961, 1967, 1973; Lawler 1971 und S. 191 ff.). So gesehen, kann die Humanvermögensrechnung als ein Informationssystem bzw. Hilfsmittel zum wirtschaftlicheren, rentableren Einsatz des betrieblichen Arbeitskräftereservoirs verstanden werden.
3.2 Modifizierte deutsche Variante zum HRA-Konzept Bei einem internationalen Gedankenaustausch zum HRA-Ansatz (1974), insbesondere zwischen amerikanischen und deutschen Praktikern und Wissenschaftlern, wurden grundsätzliche Unterschiede über die Beurteilung, Konzipierung und Anwendung arbeitsorientierter Managementtechniken deutlich. Die Grundideen
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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der Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik, insbesondere die Sozialpflichtigkeitsklausel des Grundgesetzes, haben die Mentalität und Verhaltensweisen in der Wirtschaft nachhaltig geprägt. Die These vom sozialen Ausgleich, die Vermeidung unerwünschter sozialer Effekte unternehmerischen Handelns und die Notwendigkeit entsprechend gestalteter Managementtechniken sind weitgehend zum Selbstverständnis in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft geworden. Deshalb ist in deutschen Firmen vielfach selbstverständlich, was in ausländischen Firmen großen Überzeugungsaufwandes über Sinn und Zweck bestimmter arbeitsbezogener Managementtechniken, Handlungsweisen und Investitionen bedarf. Manager multinationaler Unternehmen mit Niederlassungen in der Bundesrepublik haben hier besondere Erfahrungen sammeln können. Gravierende Kostenunterschiede gegenüber Investoren im Ausland sind den Mutterfirmen oft schwer zu erklären. Dies gilt u. a. auch für die Lohnzusatzkosten. Die Schwankungsbreite der Personalzusatzkosten in v. H. des Direktlohnes lag 1979 z. B. zwischen weniger als 30 v. H. in Dänemark, Kanada, Japan, Irland und Großbritannien und über 100 v. H. in Italien (IDW 1980). Sinn, Wert und Bedeutung solcher sozialorientierter Leistungen könnten leichter verdeutlicht werden, wenn sie systematisch in einer betrieblichen Humanvermögensrechnung erfaßt würden und hinsichtlich ihrer ökonomischen und sozialen Effizienz analysiert werden könnten. Solche Uberzeugungshilfen wären auch für Staat und Politik von Nutzen, die vielfach gefordert sind, Angleichungen der internationalen Sozialpolitik mit dem Ziel tendenzieller Gleichbelastung der Unternehmen bzw. der Einräumung gleicher Arbeitsschutzrechte für die Beschäftigten zu erreichen. Was national als menschengerecht und humankapitalschonend erkannt worden ist, sollte überzeugend auch international im Sinne sozialen Fortschritts vertreten werden können (Schmidt 1982). Sozialer Fortschritt und wettbewerbsneutralere Ausgangspositionen könnten auch international erreicht werden, wenn gesellschaftspolitische Zweckmäßigkeiten, wissenschaftliche Erkenntnisse und positive Erfahrungen der Wirtschaftspraxis Allgemeingut würden. Die Harmonisierungsbestrebungen in den Europäischen Gemeinschaften (EG), bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) u. a. haben auch die Beeinflussung unternehmerischer Managementtechniken auf dem sozialen Gebiet zum Gegenstand. National wie international mangelt es jedoch noch an allgemein anerkannten Grundsätzen für eine ordnungsgemäße Humanvermögensrechnung oder gesellschaftsbezogene Rechnungsführung. Der US-amerikanische HRA-Ansatz erscheint zu eng. Neben den unmittelbar personenbezogenen Aufwendungen, wie sie im H R A erfaßt werden, schlagen in der Bundesrepublik mehr und mehr auch jene Investitionen zu Buche, die zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit getätigt werden. Gute oder schlechte Arbeitsbedingungen im Unternehmen sind kostenrelevant. Die Arbeitsökonomie hat große Bedeutung für die Entwicklung des Humankapitalwertes eines Unter-
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nehmens. Gute Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung motivieren zur Arbeit, vermindern Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie Frühinvalidität, senken die Fluktuations- und Absentismusrate und den Krankenstand. Humankapital kann so besser genutzt werden. Investitionen der Unternehmen im Bereich der Arbeitswirtschaft gelten als produktiv, sie erhalten bzw. steigern den Wert des eingesetzten Humankapitals. Hier setzt auch die Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Rechnungswesen und der Aktivierung des Humanvermögens ein. Humankapitalrelevante Aufwendungen der Betriebe verschwinden z. T. unter den Gemeinkosten oder werden als „Sozialklimbim" den freiwilligen Sozialleistungen zugerechnet (siehe S. 9 ff.). Kosten für Bildungsmaßnahmen und Bildungseinrichtungen z. B. haben aber eindeutig Investitionscharakter. Desgleichen dienen die Aufwendungen im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der physischen Erhaltung des Humankapitals. Investitionen in die Mitarbeiterqualifikation und in die Arbeitsgestaltung sind als langfristig wirkende Maßnahmen zu werten. Der volle Nutzen fällt erst in den Folgeperioden an. Hier zeigt sich, daß vom Instrumentarium her der Humanvermögensrechnungsansatz hilfreich sein könnte. Auch der Aufwand der Unternehmen für die Arbeitsgestaltung, d. h. für den gesamten Bereich der Arbeitsökonomie, muß in diese Rechnung mit einbezogen und zu einem interdependenten betrieblichen Sozialinformationssystem ausgebaut werden. Hier ist anzuknüpfen an die eingangs gemachten Effizienz- bzw. Produktivitätsbetrachtungen. Durch eine qualifizierte Humanvermögensrechnung könnten wesentliche Kriterien für die Beurteilung der Wirksamkeit des humankapitalrelevanten unternehmerischen Handelns gewonnen werden. Nicht alle Effekte könnten nach den bisherigen Erkenntnissen jedoch auf diesem Wege objektiv gemessen werden. Zu ergänzen wäre die Humanvermögensrechnung daher durch die Erfassung von Daten zur Erstellung betrieblicher Sozialkennziffern bzw. Sozialindikatoren. Hierunter sind neben den monetären Werten, die sich als objektive Kennziffern aus der Humanvermögensrechnung ergeben, auch die unproblematisch zu erfassenden betriebsstatistischen Daten und die aus ihnen abgeleiteten Fluktuations- und Absentismusraten, Alters- und Beschäftigungsstrukturdaten etc. zu verstehen. Darüber hinaus können die subjektiven Sozialindikatoren, die durch Meinungsbefragungen im Betrieb erfaßt werden können (Arbeitszufriedenheit, besondere Probleme und Wünsche der Arbeitnehmer), kontextbezogen zur Ergänzung der Humanvermögensrechnung genutzt werden.
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4. Weiterentwicklung der Grundlagen für die Humanvermögensrechnung 4.1 Herausforderung der Betriebswirtschaft Bei allem in der Diskussion anzutreffenden Konsens über die grundsätzliche Beurteilung des Ansatzes der Humanvermögensrechnung und des Konsenses über ihre Zielsetzung ist die theoretische Entwicklung und die praktische Anwendung dieses Rechnungssystems noch relativ unentwickelt. Zeitweise war es außerordentlich ruhig um dieses betriebswirtschaftliche Instrument geworden. Zu viele Schwachstellen im Humankapitalbereich der Unternehmen könnten mit dieser Methode entdeckt werden, wurde befürchtet. Als noch problematischer für die verantwortlichen Entscheider wird die Möglichkeit angesehen, daß Managementleistungen durch die Humanvermögensrechnung gemessen und Unterlassungssünden durch dieses Informationssystem transparent gemacht werden könnten. Die Nichtanwendung der Humanvermögensrechnung und ihrer innovativen Weiterentwicklung könne von den betroffenen Entscheidern, d. h. dem Management selbst ausgehen (Lawler, S. 206). Jede Idee bedarf zu ihrer Durchsetzung eines relativ breiten Grundkonsenses, ehe sie als Innovation Eingang in die Praxis erhält. So sehr die Initialzündung von den Vereinigten Staaten kam und die ersten praktischen Erfahrungen in US-Firmen gesammelt wurden, die Chance zur echten Weiterentwicklung dieses Konzepts wird sich aber in der Bundesrepublik aus drei Erkenntnisgründen ergeben: (1) die hohen Arbeitskosten und das Bewußtsein über den Wert der Belegschaft für die Unternehmung (personal- und qualifikationsorientierter Ansatz der Humanvermögensrechnung), (2) die wachsenden Aufwendungen der Unternehmen zur Analyse von Belastungs- und Gefährdungsbereichen in der Arbeitswirtschaft sowie die Investitionen zur menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung im Interesse der Humankapitalerhaltung (arbeitsökonomischer Ansatz der Humanvermögensrechnung), (3) die steigenden externen Sozialkosten und gesellschaftlichen Zwänge, die für die betriebliche Humanvermögensrechnung relevant sind, d. h. - die zunehmende Transparenz über gesamtwirtschaftliche, also externe Folgekosten aufgrund unterlassener unternehmerischer Aktivitäten in der betrieblichen Arbeits-, Personal- und Sozialwirtschaft, - die staatlichen Bemühungen, am Verursacherprinzip orientierte Präventivund Schutzmaßnahmen dort verpflichtend zu regeln, wo der Selbststeuerungsmechanismus angepaßter unternehmerischer oder sozialpartnerschaftlicher Verhaltensweisen versagt, sowie
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- problembewußte Kritik und öffentliches Interesse an Fragen des Arbeitslebens (gesamtwirtschaftlich orientierter Ansatz zur qualifizierten gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung). Das betriebliche Humankapital besteht nicht nur aus Investitionen der Unternehmen. Das „Geistkapital" z. B. basiert auf den umfangreichen privaten und öffentlichen Aufwendungen im Bereich der vorberuflichen Bildung. Die Berücksichtigung der lediglich dem Unternehmen entstandenen Kosten würde dem Anspruch auf eine vollständige Erfassung und Pflege des Humankapitals nicht gerecht. Andererseits stehen Daten über die Ausbildungskosten verschiedener Schultypen und Bildungsgänge bislang nur unzureichend zur Verfügung. Die Bildungsökonomie könnte diese Lücke in absehbarer Zeit schließen und standardisierte Richtwerte bieten (s. die Beiträge von Hegelheimer, S. 303 ff., MüllerSteineck, S. 347 ff., Winterhager, S. 335 ff.). Problematischer ist die Frage nach der Art und Weise der Aktivierung des betrieblichen Humanvermögens in der Bilanz. Ethisch-moralische Grundsätze gebieten hier äußerste Zurückhaltung bei der Bewertung und Abschreibung des einzelnen Mitarbeiters. Der gesellschaftliche Anspruch an die soziale Verpflichtung der Unternehmen erfordert demgegenüber jedoch eine ganzheitliche Betrachtung, die auch mit einer dementsprechend umfassenden gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung verbunden sein müßte. Der US-Ansatz des Human-Resource-Accounting sieht im Rahmen der betrieblichen Aufwandserfassung ein Value Accounting vor. Auch in der Bundesrepublik Deutschland gab es schon zu relativ frühem Zeitpunkt Stimmen, die sich für eine weitreichende Aktivierung des Humankapitals in der Bilanz aussprachen (Zimmerer 1967, S. 24 f. und 1973, S. 291 ff.). Ein Lösungsvorschlag könnte sein, das Humanvermögen standardisiert zu erfassen und auszuweisen, nachdem es betrieblich anonymisiert und aggregiert wurde (Schmidt 1973, S. 204 ff.). Auch dieser Anonymisierungsansatz birgt in der Umsetzung und bei der Operationalisierung der Daten viele ungelöste Probleme in sich. Für die betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis erwachsen eine Reihe von Aufgaben. Zur verstärkten Berücksichtigung des Humankapitals im Management und im betrieblichen Rechnungswesen sind standardisierte und anerkannte - Führungs- bzw. Handlungsprinzipien für die Gestaltung der personalen und sachlichen Arbeitsbedingungen, - institutionelle Voraussetzungen zur Gewährleistung von interdisziplinärer Zusammenarbeit im Betrieb bei der Lösung arbeitsbezogener Managementaufgaben und integrierter Unternehmenspolitik, d. h. z. B. simultane, nicht reaktive Personalpolitik, durch organisatorische Maßnahmen, - systematische Grundlagen für eine kompatible, kontextorientierte Datenerfassung bzw. -operationalisierung sowie
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- Konzepte für eine solche Daten nutzende erweiterte Kostenrechnung und Wirtschaftsprüfung (Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung) zu schaffen.
4.2 Staatliche Impulse zur Intensivierung sozialorientierter Rechnungslegung Der Staat ist zweifellos verpflichtet, Entwicklungen wie jene bei der Datenerfassung im Sozialbereich einzelwirtschaftlicher Organisationen aus Gründen der Kompatibilität und der Standardisierung von Informationssystemen zu beobachten. Die von ihm erlassenen Datenerhebungs- und Meldepflichten, insbesondere im Rahmen der Sozial- und Steuergesetzgebung, aber auch im Rahmen der wirtschaftsrechtlich relevanten Regelungen und Publizitätspflichten, zwingen zu einem koordinierten Vorgehen wegen der einzel- und gesamtwirtschaftlichen Interdependenzen. Eine wissenschaftlich fundierte und in der Praxis erprobte Konzeption der Humanvermögensrechnung wäre auch aus diesen Gründen erwünscht. In Frankreich haben Gesetzgeber und Regierung im Zusammenhang mit dem arbeitsrechtlichen Sozialbilanzgesetz (Loi n° 77-769 du 12 juillet 1977 relative au bilan social de l'entreprise. Art. 1, titre III du livre IV du code du travail, chapitre VIII, Art. L. 438; Art. 2-4) Vorschriften zur Erfassung von Arbeits- und Sozialdaten erlassen (Erlaß vom 8. Dezember 1977 der Minister für Arbeit und für Landwirtschaft; gültig für Industrie und Landwirtschaft) und diese publizitätspflichtig gemacht (s. Bisani, S. 586 ff.). Die Wirtschaft hatte als Reaktion auf die staatliche Maßnahme geeignete Schritte zur Gestaltung einer adäquaten Humanvermögensrechnung und sozialorientierten Rechnungslegung zu entwickeln. Wenngleich gewisse Vorarbeiten vorlagen (z. B. Marqués 1974; Kapp/Petitguyot 1978; Beaujolin/Sud 1977; Lavernhe/Pierre 1977), so muß sich die vollständige Realisierbarkeit und die Effizienz des Konzepts in der Praxis noch erweisen (Vogelpoth 1980, S. 204 ff.; Schredelseker/Vogelpoth 1981, S. 252 ff.; ANACT 1979). Bei staatlich verordneter Rechnungslegung ist deren Praktikabilität und der Nutzen eines solchen Instruments sowohl für das unternehmerische Management, die Belegschaft und für externe Interessierte nicht sofort zwangsläufig. Eine aus dem freiwilligen Zusammenwirken aller interessierten Gruppen entstehende abgestimmte und anerkannte Systematik der Humanvermögensrechnung wäre vorzuziehen. Die zum Teil noch kontrovers geführte Diskussion um den Wert bzw. die Problematik der unternehmerischen Humanvermögensrechnung und Sozialbilanzerstellung zeigt, wie wichtig es wäre, diesen neuen Entwicklungen aufgeschlossen und unterstützend gegenüberzustehen. Wenngleich keine geschlossene Konzeption der Humanvermögensrechnung in deutschen Unternehmen realisiert wurde, so sind doch Teile humankapitalrelevanter Daten aus betrieblichen Rechnungs- und Berichtssystemen in freiwillig vor-
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gelegten Sozialbilanzen von Unternehmen bereits enthalten (Dierkes/Hoff S. 677 ff.)- Darüber hinaus gewinnt in der Bundesrepublik Deutschland das Instrumentarium der Humanvermögensrechnung im Zusammenhang mit dem vom Parlament zu beschließenden „Gesetz zur Durchführung der Vierten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinie-Gesetz)" Bedeutung. Es wird z. Z. von der Bundesregierung beraten. Im Anhörungsverfahren der Bundesregierung hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gefordert, dem - allerdings arbeitsrechtlichen Beispiel Frankreichs folgend, auch aktienrechtliche Regelungen vorzusehen, die Aufschluß über humankapitalrelevante und soziale Aufwendungen der Unternehmen erlauben. Einen umfangreichen Katalog denkbarer Sozialdaten, die in diesem Zusammenhang erfaßt werden könnten, hat der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bereits 1979 vorgelegt. Wie die gesetzlichen Regelungen im einzelnen aussehen werden, etwa bei den Aufwendungen für soziale Einrichtungen der Betriebe, bei der Verrechnung der sozialen Leistungen, insbesondere im Falle der betrieblichen Altersversorgung, kann noch nicht gesagt werden. Im Sinne der oben ausgeführten Zusammenhänge wäre eine Einbeziehung von sozialwirtschaftlichen Wertansätzen in die Vermögensrechnung zweckmäßig. Auch Regelungen, die freiwillige Angaben über Strukturdaten aus der Arbeits-, Personal- und Sozialwirtschaft der Unternehmen oder die Information über humankapitalrelevante Aufwendungen expressis verbis im Rahmen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung zuließen, würden nachhaltige Signalwirkung haben können. Operationale Konzepte für eine entsprechende betriebswirtschaftliche Rechnungslegung würden einen solchen Innovationsprozeß zweifellos fördern und dem konventionellen Rechnungswesen neue Impulse geben. Auch für die Wirtschaftsprüfung ergäben sich neue Perspektiven (Will, S. 519 ff.).
5. Humankapitalrelevante Arbeitsmarktpolitik des Staates 5.1 Mangelhaftes betriebswirtschaftliches Problembewußtsein Die Bereitschaft, das Humankapital stärker in das unternehmerische Kalkül einzubeziehen, ist zweifellos durch eine Reihe von staatlichen Maßnahmen gefördert worden. Entsprechend dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist der Staat gehalten, dort gestaltend einzugreifen, wo Marktwirtschaft, d. h. ein eigenständiger Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Interessen durch das freie Spiel der Kräfte, nicht oder nur begrenzt stattfindet. In einem gewissen Zusammenhang zur betrieblichen Humanvermögensrechnung stehen dabei besonders die staatlichen Aufwendungen im Rahmen seiner
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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- Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik sowie der - Politik zur Verbesserung der Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen in der Wirtschaft, d. h. der Verbesserung des Arbeitsrechts, der Arbeitsschutzpolitik, Unfallverhütung und der Bemühungen um mehr Humanität im Arbeitsleben. Es ist überraschend, feststellen zu müssen, wie gering sogar bei Topmanagern die Kenntnis über den finanziellen Aufwand des Staates für Folgekosten unternehmensrelevanter Ereignisse und zum Teil unterlassener Investitionsmaßnahmen ist, z. B. bei der Personal- und Bildungspolitik oder bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Auch der Aufwand des Staates für Maßnahmen, die die betriebsrelevante Leistung des Humankapitals steigern, wird allenthalben kaum gesehen. Der Produktivitätsnachteile bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern ausgleichende Aufwand des Staates im Rahmen seiner Arbeitsmarktpolitik wird in der Regel nicht als humankapitalrelevante, sondern als ausschließlich sozialpolitische Maßnahme gewertet. Das Prädikat „unproduktiv" ist bei solchen staatlichen Aktivitäten bis heute kaum zu löschen gewesen, so sehr arbeitsmarktpolitische Erfolge auch einen Wertsteigerungseffekt bei Arbeitskräften haben, die aufgrund der staatlichen Maßnahmen einen Arbeitsplatz erhalten und dem betrieblichen Humankapital zuzuschlagen sind. Der individuelle Wert einer beruflichen Qualifikation für die eigene Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitsplatzerhaltung und die Bedeutung für die Steigerung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes bzw. seiner Teilarbeitsmärkte sind zunächst zweitrangig, aber erwähnenswert.
5.2 Aufwendungen für Arbeitsbeschaffung und Humankapitalerhaltung Einige Leistungen der staatlichen Arbeitsmarktpolitik, die von Bedeutung auch für das betriebliche Humankapital sind, seien hier genannt.2 Bei den Maßnahmen aktiver, vorausschauender Beschäftigungspolitik wird in der Regel davon ausgegangen, daß sie langfristigen „unproduktiven" Zahlungen von Arbeitslosengeld vorzuziehen sind. Es gilt als billiger, Arbeitslosigkeit zu verhindern, als sie zu finanzieren. Eine Million Arbeitslose kosten rd. 20 Mrd. DM jährlich (Blüm 1981, S. 1077). Dies ist ein Betrag, der sicher produktiver eingesetzt werden kann. Berücksichtigt man nicht nur die Zahlung von Arbeitslosengeld, sondern auch den Einnahmeausfall des Staates an Steuern und Sozialabgaben, so erhöhen sich die
2 Die hier gemachten Ausführungen sind vor den Sparmaßnahmen von Bundesregierung und Parlament - Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz-AFKG) vom 22. 12. 1981 (BGBl. I S. 1497) - verfaßt worden. Die grundsätzlichen Aussagen dieser Analyse werden dadurch nicht relativiert; die öffentliche Diskussion unterstreicht die Notwendigkeit adäquater Dokumentation sozialer Verantwortung in Unternehmen und Arbeitswelt.
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Durchschnittskosten je Arbeitslosen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld auf über 28 0 0 0 . - DM. Die Bundesregierung rechnete 1981 mit jährlichen Kosten für die Arbeitslosenversicherung von durchschnittlich 18 700 DM 24 000 DM 28 000 DM
für einen Arbeitslosen, für einen Arbeitslosen, der einen Arbeitsplatz im Bereich der „sozialen Dienste" zugewiesen erhält, für einen Arbeitslosen, der an qualifizierenden Weiterbildungskursen teilnimmt, die staatlich gefördert werden.
Neben dem Beschäftigungseffekt, daß ca. 60 000 vermittlungsfähige Arbeitslose auf diese Art wertschöpfungsorientiert eingesetzt werden und kein „arbeitsloses Einkommen" erhalten, tritt auch eine Wertsteigerung des gesamtwirtschaftlichen Humankapitals ein. Bei den Firmen, die solcherart „subventioniertes" Humankapital aufnehmen, vermindert sich die Summe eigener Investitionen in das betriebliche Humanvermögen entsprechend. Eine Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft z. B., die normalerweise am Arbeitsmarkt keine qualifizierten Fachkräfte fände, erspart sich Unterhalts-(Gehalts-)kosten, Schulungsaufwand, Internatskosten bei externer Bildungsmaßnahme, Arbeitsausfall usw., die für eine 5-monatige Zusatzschulung angefallen wären, wie sie von der Bundesanstalt für Arbeit arbeitslosen Akademikern nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) finanziert werden. Der Aufwand eigener betrieblicher Berufsbildungsinvestitionen kann entsprechend niedriger gehalten werden. Als humankapitalrelevante Leistungen für Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) können für 1981 in der Bundesrepublik gelten:
(1) Berufsqualifizierende Maßnahmen darunter: - individuelle Förderung der beruflichen Bildung - Unterhaltsgeld - institutionelle Förderung der beruflichen Bildung - Förderung der Arbeitsaufnahme (Bewerbungs-, Reise-, Zuschüsse für Arbeitgeber bzw. Einarbeitungskosten usw.) - Leistungen zur Rehabilitation (berufsfördernde Maßnahmen, Förderung der Eingliederung Behinderter und behindertengerechter Arbeitsplätze usw.) (2) Kurzarbeitergeld, Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung darunter:
5 250,5 Mio DM 1 5 5 1 , 3 Mio DM 1 777,0 Mio DM 45,0 Mio DM
650,0 Mio DM
1 189,3 Mio DM 2 445,1 Mio DM
Humanvermögensrechnung der Unternehmen - Kurzarbeitergeld (einschl. anteilige Zuschüsse zu den Beitragsleistungen der Arbeitgeber zur Kranken- und Rentenversicherung) - Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - Zuschüsse an Arbeitgeber zu den Lohnkosten älterer Arbeitnehmer, Arbeitsplatzbeschaffung und -gestaltung (3) Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft darunter: - Schlechtwettergeld - Wintergeld (produktive Winterbauförderung) - Mehrkostenzuschüsse (4) Leistungen bei Arbeitslosigkeit und bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers darunter: - Arbeitslosengeld - Konkursausfallgeld
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1 491,1 Mio DM 850,0 Mio DM
104,0 Mio DM 1 934,8 Mio DM 981,7 Mio DM 840,0 Mio DM 75,0 Mio DM 10 857,8 Mio DM 586,3 Mio DM 230,0 Mio DM
Die einzel- und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen sind vielfältig und sollen hier hinsichtlich ihrer Wirkungsschwerpunkte (Abb. 2) nicht vertiefend analysiert werden. Sie sollen im Prinzip produktivitätsfördernd wirken. Langfristige Arbeitslosigkeit und damit Wertschöpfungseinbußen aus brachliegendem Humankapital sollen vermieden werden. Da, wo die Chancengleichheit im Wettbewerb um die Arbeitsplätze erheblich beeinträchtigt ist, erfolgt eine Subventionierung in Höhe der verminderten Leistungskraft eines Arbeitnehmers. Dies gilt insbesondere für wegen ihres Alters Leistungsgeminderte, Behinderte und weniger qualifizierte und daher schwerer vermittelbare Beschäftigtengruppen. Eine Erklärung ist zu den an sich rein sozialpolitischen Charakter tragenden Leistungen bei Arbeitslosigkeit (4) zu machen. Sie können humankapitalrelevante Bedeutung erhalten, wenn sie z. B. subsidiär zu Bildungsmaßnahmen erfolgen oder auch im Falle vorübergehender Freisetzung wegen mangelhafter Unternehmens- bzw. Personalplanung. Zumindest moralisch kann diese Möglichkeit auch als „Erleichterung" von Freistellungsentscheidungen gewertet werden. Die Frage, inwieweit der Staat die Unternehmen durch seine Maßnahmen im Humankapitalbereich zu stark subventioniert und die unternehmerische Mentalität negativ beeinflußt und statt eigenverantwortlichen dynamischen Verhaltensweisen eine auf Dauer retardierende, subventionsorientierte Personal- und Unternehmenspolitik bewirkt, ist noch nicht ausdiskutiert. (Dies gilt auch für die Motivation von Arbeitslosen zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung). Eine intensivierte interne Humanvermögensrechnung und eine externe Rechnungslegung der Unternehmen könnten hier objektive Maßstäbe liefern. Eine generelle Erkenntnis über den Wert des Humankapitals bzw. den auch betriebswirtschaftlichen Wert des
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staatlichen Aufwandes hierfür ist in Betrieb und Öffentlichkeit gegeben. Davon zeugt die Erörterung der „Mitnehmereffekte". Der Mitnahmeeffekt kennzeichnet jene Unternehmen, die ohnehin beabsichtigen, zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen oder Bildungsinvestitionen durchzuführen, und die sich die dafür entstehenden Lohn-, Akquisitions-, Einarbeitungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zum Teil aus öffentlichen Mitteln zur Arbeitsbeschaffung finanzieren lassen, d. h. originäre betriebliche Kosten externalisieren.
5.3 Unternehmerische Verhaltensweisen auf dem Arbeitsmarkt als Ausdruck des Bewußtseins über den betriebswirtschaftlichen Wert des Humankapitals 5.3.1 Veränderte Verhaltensweisen in der Personalpolitik Eine exakte Personalplanung, einschließlich der dazu erforderlichen, durch die Humanvermögensrechnung zu fundierende Personalaufwandsplanung, würde die Kontrolle, im Sinne besserer Steuerung und Verbesserung des Managements von Humankapital unterstützen. „Parasitären" Verhaltensweisen von Förderungsmittel beantragenden Unternehmen soll durch die Einschaltung von Betriebs- und Personalräten jener Organisationen entgegengewirkt werden. Bei der Antragstellung muß eine Stellungnahme dieser Mitbestimmungsgremien beigefügt werden (bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld z. B. durch § 72 Abs. 1 AFG vorgeschrieben). Abgesehen von zweifellos zu beobachtenden negativen unternehmerischen Verhaltensweisen kann ein steigendes Wertempfinden der Unternehmen für ihr Humankapitel registriert werden. Seit einiger Zeit wird deutlich, daß die betriebliche Personalpolitik zusätzliche Komponenten in ihren Verhaltensmustern berücksichtigt. Der Weg der Arbeitskräftefreisetzung bei saisonal bedingten Beschäftigungseinbrüchen oder der Austausch nicht mehr benötigter Arbeitnehmer einer bestimmten Berufsgruppe gegen solche mit Qualifikationen, die technologischen bzw. strukturellen Wandlungen im Betrieb am besten entsprechen, ist mit nicht unbeträchtlichen Kosten verbunden. Der Vorgang von Entlassungen und Wiedereinstellungen ist kostenwirksam. Eine Garantie, das „richtige", vielleicht sogar das erhoffte gleiche Humankapital nach Bedarf erneut wieder aktivieren zu können, besteht nicht. Außerdem erfordern Kündigungsschutzrechte und die Zahlung von Abfindungen an die zu Entlassenden einen hohen administrativen, organisatorischen und finanziellen Aufwand.
5.3.2 Humankapitalabbau durch Sozialpläne Im Gegensatz zu saisonalen Schwankungen ließe sich solcher Aufwand bei langfristigen strukturellen Wandlungen durch vorausschauende Unternehmens-
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und eine synchron verlaufende, abgestimmte Personalplanung vermindern (Schmidt 1975 a, S. 15). Sozialpläne, die einen sozialen Härteausgleich bei Arbeitsplatzverlust regeln sollen (§ 112 BetrVG), können teuer werden, falls sie aufgrund mangelhafter unternehmerischer Planung ad hoc aufgestellt werden müssen. Sozialpläne als Kostenfaktor, zumal bei Unternehmensinsolvenzen, geraten zunehmend in die öffentliche Diskussion (siehe H a j e 1979, Beuthien 1980 und die dort aufgeführte Literatur). Im Falle von Betriebsänderungen, d. h. bei ( 1 ) Einschränkung und Stillegung des Betriebes oder von Betriebsteilen, (2) Betriebsverlegungen oder Verlegung von Betriebsteilen, ( 3 ) Betriebszusammenschlüssen, (4) Änderungen der Betriebsorganisation, des -zwecks oder der -anlagen sowie ( 5 ) Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren können die betroffenen Arbeitnehmer einen „Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen (Sozialplan)" (§ 112 Abs. 1 B e t r V G ) verlangen. In der Praxis haben sich bei der Festlegung von Abfindungsquoten verschiedene Formeln entwickelt: - pro Jahr Betriebszugehörigkeit eine Monatsvergütung, - Lebensalter X Betriebszugehörigkeit, - Lebensalter X Betriebszugehörigkeit X Monatsverdienst, dividiert durch einen nach Altersgruppen gestaffelten Devisor. Beuthien (1980, S. 32, Fn. 73) stellt in diesem Zusammenhang fest, „daß diese Abfindungsformeln bei oft jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit vieler Arbeitnehmer, insbesondere derjenigen in hoher Gehaltsstufe, insgesamt in die Millionen gehen". Er argumentiert, daß zu teure, evtl. sogar die Eigentumsgarantie verletzende Sozialpläne auch die Existenzfähigkeit von Unternehmen tangieren können. Fehlendes Risikokapital und eingeschränkte unternehmerische Initiative wiederum würden möglicherweise auch die verbleibenden Arbeitsplätze gefährden. Das Problembewußtsein über die Bedeutung und umfassende Wirkung von Sozialplänen ist noch unvollkommen ausgeprägt. Die Zusammenhänge beim Abbau von Humankapital bedürfen zweifellos, neben den juristischen Auseinandersetzungen, auch der ökonomischen Analyse, für die wiederum die Humanvermögensrechnung die Grundlagen schaffen könnte. Wegen der hohen Kostenwirksamkeit von Personalabbaumaßnahmen empfiehlt sich immer mehr der Einsatz neuer Rechnungsmethoden, die Erfassung zusätzlich erforderlicher Daten im Interesse qualifizierterer Managementgrundlagen für eine vorausschauende Politik und ökonomisch wie sozial besser abgesicherte Entscheidungen.
Humanvermögensrechnung der Unternehmen
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5.3.3 Fluktuationskosten und Arbeitsmarktsegmentation Kosten im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Mitarbeitern aus einem Unternehmen oder bei Einstellungen sind nicht mehr belanglos (Gustafson, S. 127 ff.). Echte Kostenwerte sind standardisiert und allgemein erfaßt kaum bekannt. Eine Studie der Kienbaum-Unternehmensberatung (Manager-Magazin, H. 10, 1976, S. 24) erbrachte durchschnittliche Einstellungskosten (Anwerbungs-, Auswahl-, Verwaltungs-, Anlern- und Einarbeitungskosten), und zwar für -
Hilfsarbeiter Facharbeiter Sekretärin Programmierer Abteilungsleiter Fachdirektor
10 360 10 625 16 029 31 086 44 600 52 250
DM DM DM DM DM DM.
Die Kosten für Facharbeiter erscheinen dabei unterschätzt, zumal auf dem Arbeitsmarkt gerade sie besonders schwer zu finden sind. Beträchtlich sind vielfach auch die Entlassungskosten. Im Zusammenhang mit dem Aufwand für Sozialpläne wurde hierauf bereits hingewiesen. Abfindungssummen von einigen zehntausend DM sind keine Seltenheit. Die Höhe solcher Fluktuationskosten und der Mehraufwand für die Wiederbeschaffung qualifizierter Arbeitskräfte hat tendenziell eine Segmentierung des Arbeitsmarktes bewirkt. Pauschal kann festgestellt werden, daß die Unternehmen ihre interne Arbeitsmarkt- und Personalpolitik aufgrund gewachsenen Bewußtseins über den Wert und die Kosten ihres Humankapitals umgestellt haben. Da exakte betriebswirtschaftliche Berechnungen noch kaum vorliegen, ist davon auszugehen, daß Unternehmen z. Z. noch eher intuitive Humankapitalentscheidungen treffen. Empirische Arbeitsmarktstudien weisen darauf hin, daß insbesondere Groß- und Größtunternehmen humankapitalerhaltende Verhaltensweisen entwickelt haben (Brinkmann/Kühl/Schultz-Wild/Sengenberger 1979). In einer wachsenden Zahl von Betrieben wird „ein jeweils mehr oder minder großer, fast immer für den Betrieb besonders wichtiger Teil der Arbeitsplätze nur von Arbeitskräften eingenommen werden, die dem zugehören, was man als .Stammbelegschaft' bezeichnen könnte" (Lutz 1980, S. 38). Betriebliche Maßnahmen sind - zumindest in den größeren Betrieben - gezielt auf eine Erhaltung des unverzichtbaren Humankapitalstocks gerichtet. Bildungsmaßnahmen, Aufstiegschancen und Arbeitsplatzsicherheit im Unternehmen schränken bei den geförderten Arbeitnehmern den Wunsch nach beruflicher Mobilität bzw. Unternehmenswechsel ein. Diese betriebsspezifische Humankapitalerhaltung gilt ganz besonders für den Bereich der qualifizierten Arbeitskräfte, deren Verbleib langfristig den Unternehmen besonders wichtig erscheint, d. h. wo die Humankapitalbeschaffungs- oder -wiederbeschaffungskosten besonders hoch wären. Lediglich für den Betrieb weniger „wertvolle" Teile des Humankapitals, z. B. ungelernte oder angelernte Arbeits-
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kräfte, die einfach ersetzbar bzw. austauschbar scheinen, werden an den externen Arbeitsmarkt abgegeben oder dort wieder nachgefragt. Der traditionelle berufsorientierte gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarkt verliert durch diese „betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation" als Folge gestiegenen Bewußtseins über den Wert des Humankapitals an Bedeutung. Die aus den obigen Ausführungen abzuleitende Differenzierung zwischen - primären, betriebsinternen Arbeitsmärkten mit stabiler Beschäftigung - sekundären, externen Arbeitsmärkten mit instabilen Beschäftigungsbedingungen und - berufsfachlichen Teilarbeitsmärkten ist von steigender Bedeutung für die Anpassung oder Neuorientierung der staatlichen Beschäftigungspolitik (Lutz/Sengenberger 1980), da die überkommene Vorstellung des funktionsfähigen, auf dem Lohnregulativ beruhenden und Mobilität unterstellenden Arbeitsmarktes in Frage gestellt wird. Die bereits in der Personalplanungsdiskussion herausgearbeitete Komplementarität zwischen dem innerbetrieblichen Arbeitsmarkt und dem externen Arbeitsmarkt sowie der staatlichen Arbeitsmarktpolitik erhält hier neue Akzente.
5.3.4 Humankapitalerhaltung durch Kurzarbeit Ein besonders aktueller Aspekt über den Zusammenhang zwischen staatlicher Arbeitsmarktpolitik und unternehmerischer Humankapitalerhaltungspolitik ergibt sich aus dem Phänomen der Kurzarbeit in Betrieben und der Gewährung von Kurzarbeitergeld aufgrund des Arbeitsförderungsgesetzes (§§ 63 ff. AFG). Bei dieser gesetzlichen Regelung sind zwei Funktionen zu unterscheiden: (1) die Vermeidung von Arbeitslosigkeit durch Sicherung der Arbeitsplätze (vorrangiges staatliches Interesse) sowie (2) die Erhaltung der Belegschaft, d. h. des Humankapitals, für den Betrieb. Das Kurzarbeitergeld beträgt 68 v. H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 68 Abs. 4 Satz 1 AFG). Für die betriebliche Humanvermögensrechnung hat diese arbeitsmarktpolitische Maßnahme Subventionscharakter. Die gemeinhin anzusetzenden Entlassungs- und Wiederbeschaffungskosten, die nach dem Konzept des cost accounting zu erfassen wären, sowie durch die Verschlechterung des Betriebsklimas wegen Arbeitsplatzunsicherheiten bedingte zwangsläufige Produktivitätseinbußen fallen bei den aus wirtschaftlichen Gründen zur Kurzarbeit marktbedingt gezwungenen Unternehmen nicht an. Zeitverzögerungen, die die Reagibilität der Unternehmen zur Wahrnehmung neuer Marktchancen einschränken könnten,
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entfallen. Die Stabilität der Arbeitsverhältnisse eines Betriebes bleibt erhalten; die Wettbewerbsfähigkeit wird - von seiten des Humankapitals - nicht beeinträchtigt. Längerfristig verkürzt arbeitende Betriebe können über die sechsmonatige Regelbezugsfrist hinaus bis zu 18 Monaten Kurzarbeitergeld beziehen. In 30 Arbeitsamtsbezirken wird Kurzarbeit bis zu 21 Monaten, in 42 Arbeitsamtsbezirken sogar bis zu 24 Monaten zugelassen (Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung über die Verlängerung der Frist für den Bezug des Kurzarbeitergeldes vom 8. 12. 1980). Die Dauer der Maßnahmen läßt Schlußfolgerungen hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Bedeutung und des finanziellen Gewichtes des Kurzarbeitergeldes zu. Die Bundesanstalt für Arbeit rechnet für das Jahr 1981 mit durchschnittlich 380 000 Kurzarbeitern. Das Kurzarbeitergeld wird im Durchschnitt 233,57 D M , einschl. der anteiligen Sozialversicherungsbeiträge, die der Arbeitgeber zu leisten hätte und die ihm durch diese Maßnahme erstattet werden, 327 D M je betroffenen Beschäftigten betragen. Die Förderungsmaßnahmen zeigen, daß sie neben den Arbeitslosigkeit vermeidenden Effekten auch im Rahmen der Unternehmenspolitik als zusätzliches Instrument betrieblicher Beschäftigungspolitik Gewicht gewinnen. In der Unternehmensstrategie kann die Möglichkeit zur externen Finanzierung der Kosten für Kurzarbeit zum Gegenstand langfristiger, die Flexibilität des Unternehmens erhöhender Produktions- und Unternehmensplanung werden. Die Externalisierung betrieblicher Humankapitalkosten kann dabei nicht ausgeschlossen werden (Mitnahmeeffekt). Durch intensive Vorarbeit und Lagerhaltung lassen sich Absatzkrisen von weniger verantwortungsbewußten Unternehmen auch „planen". Der öffentliche Vorwurf zur „Privatisierung der Gewinne" und zur „Sozialisierung von Verlusten" ist bereits erhoben worden (Schröder 1979, S. 2). Eine Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeit (Flechsenhar 1978, S. 443 ff.) erbrachte, daß die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitgeber nur 28 v. H. der 1977 bei Kurzarbeit angefallenen Personalkosten von 1,524 Mrd. D M zu tragen hatten. Der Rest verteilte sich auf die
- Bundesanstalt für Arbeit (Zahlung des Kurzarbeitergeldes sowie der anteiligen Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung plus Ausfall von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung)
"1 00
- betroffenen Arbeitnehmer - unter Steuerausfällen leidenden Gebietskörperschaften - Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und Berufsgenossenschaften
V.
14,6
V.
H. H.
5,6
V.
H.
43,3 v. H.
Das Phänomen Kurzarbeit hat also eine sehr starke gesellschaftliche Komponente. Der einzelne Arbeitnehmer, die Beitragszahler, Steuerzahler usw. sind letztlich die besonders Betroffenen. Die Forderung zur zweckentsprechenden haushälterischen Verbuchung in einer unternehmerischen Humanvermögensrechnung und die
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Bereitschaft, diese Daten in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung der Öffentlichkeit vorzulegen, erscheint angesichts der aufgezeigten Zusammenhänge nur verständlich. Es mangelt an verläßlichen Nachweisen über die Notwendigkeit zur Kurzarbeit, d. h. ob sie nicht fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt wurde. Die obengenannte Kontrolle durch die Betriebsräte ist als problematisch anzusehen, weil eine negative Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung gegenüber der Arbeitsverwaltung eine Massenentlassung der Mitarbeiter heraufbeschwören könnte, wenn im Zweifelsfalle Arbeitnehmer ohne die Kurzarbeitergeldregelung entlassen werden müßten, deren Arbeitsplatzsicherheit der Betriebsrat stabilisieren möchte. Vielfach fehlt es gerade diesem „Kontrollorgan", d. h. dem Betriebsrat, an aussagefähigen Informationsunterlagen, die für solche Beurteilungen unabdingbar wären. In Zweifelsfällen kann daher sicher von einer Harmonie zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat bei der Kurzarbeits-Anzeige ausgegangen werden. Allerdings dort, wo eine wirksame Unternehmens- und Personalplanung im Betrieb erfolgt und wo die Bereitschaft zur Information und gemeinsamen Abstimmung mit dem Betriebsrat im Sinne der geltenden Beratungs- und Mitbestimmungsrechte vorliegt, sollte der Wert der vom Staat intendierten Kontrolle durch die Arbeitnehmerseite nicht negiert werden. 5.3.5 Humankapitalrelevanz des Arbeitsmarkt-Sonderprogramms Schließlich sei auf die Humankapitalrelevanz des Arbeitsmarkt-Sonderprogramms der Bundesregierung von 1979 verwiesen. Es hatte die Förderung der innerbetrieblichen Qualifizierung von Arbeitnehmern zum Ziel und sollte zum Dauerbestandteil öffentlicher Arbeitsmarktpolitik werden. 80 bis 90 v. H. der Lohnkosten der an Weiterbildungskursen teilnehmenden Arbeitnehmer wurden von staatlicher Seite übernommen. Die mit diesem Programm verbundene Begleitforschung (Lutz 1981) ergab, daß insbesondere bei Klein- und Mittelbetrieben ein „aufgestauter, latenter Qualifizierungsbedarf" besteht. Hier zeigt sich ebenfalls ein Wertbewußtsein für das Humankapitel, allerdings in negativer Weise. Es gibt offensichtlich auch Firmen, die wegen des Risikos der Abwanderung (unerwünschte Mobilität der Arbeitskräfte) Investitionen in ihr Humankapital scheuten und die Ausbildung eines ausreichenden Facharbeiterstammes unterließen. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Arbeitsmarktes ist hier, im Vergleich zu besonders humankapitalbewußten und Humankapital haltenden Firmen, offensichtlich sehr hoch. Als besonders problematisch erscheint dabei die Tendenz, daß viele Betriebe der Steigerung der Arbeitsproduktivität sekundäre Bedeutung beimessen. Ohne die Arbeitsmethoden zu ändern und zu rationalisieren wurde durch Ergänzung des Maschinenparks und durch Mehreinstellung von Arbeitnehmern mit gleicher Technik weiterproduziert. Eine solche Vereinfachung der Arbeit durch Kapitalerweiterung (capital widening) oder gar — bei nur verstärktem Personaleinsatz — Kapitalverdünnung (capital thinning) aus falsch verstandenem Wertbewußtsein über das Humankapital und die Bedeutung der Investition erscheint betriebs- wie
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volkswirtschaftlich da bedenklich, wo Sachkapitalvertiefung (capital deepening), gepaart mit hochwertigem Facharbeiterstamm, allein die Wettbewerbsfähigkeit und damit unternehmerische Existenzfähigkeit und die Sicherheit der Arbeitsplätze auf Dauer garantieren könnte. Im Gegensatz zur japanischen Automatisierungsstrategie sind viele dieser Probleme in der Bundesrepublik in der Zeit relativ leichter und „billiger" Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer entstanden. Exakte Daten der Humanvermögensrechnung im Sinne einer systematischen Kostenerfassung, Bewertung, Wirkungs- und betriebswirtschaftlichen Nutzenfeststellung gibt es noch nicht. Exemplarische Feldstudien und vergleichende Analysen unternehmerischer und sozialer Verhaltensweisen bieten Indikatoren zur Wertmessung und zum Wertwandel des Humankapitals in Unternehmen, Gesellschaft und Staat. Die oben dargelegten Beziehungen zwischen staatlicher Aktivität, gesellschaftlichem Aufwand und betrieblichen Aspekten der Humankapitalbildung und -erhaltung dokumentieren die Bedeutung der staatlichen Maßnahmen für den qualitativen Bestand des Humanvermögens. Sie unterstreichen auch das Interesse, welches eine betriebliche Humanvermögensrechnung im Rahmen einer sozialverpflichteten Unternehmenspolitik in unserer Wirtschaftsordnung einzelwirtschaftlich wie unter gesellschaftspolitischen Aspekten fände.
6. Einfluß der Arbeitsbedingungen auf betriebliches Humankapital und staatliches Sozialbudget 6.1 Beginn der Erfassung und Analyse von Arbeitsunfallfolgekosten Die eingangs begründete arbeitsökonomische Modifikation und Ergänzung des US-amerikanischen Human-Resource-Accounting-Ansatzes in der Bundesrepublik Deutschland hatte seine Ursache in dem steigenden Bewußtsein über den auf makroökonomischer Ebene erfaßten Humankapitalverlust aufgrund wenig menschengerechter Arbeitsbedingungen. Weniger der bereits dargelegte überwiegend bildungsökonomische Aspekt von qualifizierenden Maßnahmen, als vielmehr der arbeitsorientierte Ansatz zur Feststellung des Verzehrs von Humankapital in der Unternehmenspraxis aufgrund inferiorer Arbeitsgestaltung stand im Vordergrund. Die physische Vernichtung des „Verschleißfaktors Arbeit" in den Betrieben verursachte gesamtwirtschaftliche Arbeitsunfallfolgekosten und wachsende Aufwendungen im staatlichen Sozialbudget. So registrierte der Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung für 1968 und 1969 (BMA 1971): 1968 1. Unfälle und Berufskrankheiten darunter: tödliche Unfälle und Berufskrankheiten 2. Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung
1969
2 513 433
2 631 299
6 198 4,8MrdDM
6 247 5,1 Mrd DM
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Nach einer Phase sinkender Unfallziffern nach 1961 (3,2 Mio angezeigte Unfälle und Berufskrankheiten) war ab 1967 ein neuerlicher Anstieg zu verzeichnen und weiter wachsende Folgekosten zu befürchten. Neben der Intensivierung der zweifellos auch kostenwirksamen Arbeitsschutzgesetzgebung und der Konzipierung von Maßnahmen zur Förderung der Humanisierung der Arbeit wurde versucht, die einzel- und gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge dieses Phänomens aufzuzeigen. Neben mehr Transparenz sollte die Datenerfassung und Kostenrechnung in den Unternehmen mit dem Ziel angeregt werden, verstärkt den arbeitsökonomischen Wert von Investitionen in die Arbeitsgestaltung, den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung zu erkennen, d. h. zur Erhaltung und Pflege des betrieblichen Humankapitalstocks und zur Vermeidung externer Sozialkosten beizutragen. Gewissermaßen dogmengeschichtlichen Wert haben in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu den „gesamtwirtschaftlichen Aspekten der Arbeitsunfälle" im Unfallverhütungsbericht für die Jahre 1968 und 1969, der dem Parlament und der Öffentlichkeit 1971 vorgelegt wurde (BMA 1971, S. 105 f.): „Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen werden in erster Linie deshalb ergriffen, um den arbeitenden Menschen zu schützen und ihn vor Verletzungen, Krankheit, Invalidität oder Tod und dem damit verbundenen Leid zu bewahren. Darüber hinaus haben Unfälle aber auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen, die das Versorgungsniveau des einzelnen und der Volkswirtschaft insgesamt senken. Die in diesem Bericht genannten Aufwendungen der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind nur ein kleiner Teil der Verluste, die durch Unfälle verursacht werden. Schon die Kosten, die den anderen Sozialversicherungszweigen - z. B. der Kranken- und Rentenversicherung - durch Unfälle entstehen, sind weitgehend unbekannt. Im folgenden soll über die Gesamtheit der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Arbeitsunfällen ein kurzer Überblick gegeben werden. Zunächst entstehen unmittelbar am Unfallort Schäden an Personen und am Produktivkapital. Diese Schäden sind mit den Kosten zu bewerten, die anfallen, um den Zustand wiederherzustellen, der vor dem Unfall gegeben war. Bei der Instandsetzung des Produktivkapitals handelt es sich, ökonomisch gesehen, um erhöhte Reinvestitionskosten, die ohne Unfall vermeidbar gewesen wären. Die Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Minderung von Schäden an den verunglückten Menschen sind im Rahmen der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation in jüngster Vergangenheit erheblich ausgebaut worden. Im Gegensatz zum Produktivkapital sind die gesundheitlichen Schäden oft nicht mehr völlig rückgängig zu machen. Als Folge der am Unfallort eingetretenen Schäden ergeben sich in naher und fernerer Zukunft Einkommensverluste. Sie entstehen dadurch, daß während der
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Instandsetzungs- und Rehabilitationsphase die beschädigten Arbeitsplätze bzw. Maschinen sowie die Arbeitskräfte, die einen Unfall erlitten, für die Produktion nicht zur Verfügung stehen. Dadurch ergeben sich Produktionsausfälle; das gesamtwirtschaftliche Realeinkommen sinkt. Soweit die gesundheitlichen Folgen eines Arbeitsunfalles so schwerwiegend sind, daß eine vollkommene Ausheilung nicht möglich ist, wird die Fähigkeit des einzelnen, Einkommen zu erzielen, dauerhaft gemindert. Dem Unfallgeschädigten droht darüber hinaus die Gefahr, selbst einen seinen geminderten Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz nicht mehr zu finden. Gesamtwirtschaftlich gesehen, verringern sich dadurch sowohl Quantität als auch Qualität des Faktors Arbeit und bewirken somit eine dauerhafte Minderung des Sozialprodukts. An diesen Einkommensverlusten ist auch der Staat durch ein geringeres Steueraufkommen beteiligt. Ein Teil der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, die für Schadensfeststellung, -regulierung und -beseitigung eingesetzt werden müssen, könnten in dem Maße, in dem die Unfallzahlen und die Unfallschwere reduziert werden, produktiveren Verwendungsmöglichkeiten zugeführt werden. Das dadurch entgangene Mehreinkommen stellt ebenfalls einen Einkommensverlust dar. Der vorübergehende Ausfall von Produktivkapital und Arbeit durch den Arbeitsunfall bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Schäden beseitigt sind, sowie die Bindung von Faktoren für die Schadensbeseitigung senken das gesamtwirtschaftliche Produktionsniveau. Dieser Rückgang des Realeinkommens reduziert die Investitionsausgaben stärker als die für Konsumgüter, so daß das gesamtwirtschaftliche Wachstum nicht nur vorübergehend abgeschwächt wird, sondern sich langfristig entlang eines niedrigeren Wachstumspfades bewegt. Darüber hinaus wird die sektorale Produktionsstruktur durch Unfälle ungünstig verändert, da die absolute Höhe des Sozialprodukts darüber entscheidet, in welchem Verhältnis sich die einzelnen Nachfrageströme den höherwertigen oder den niederwertigen Wirtschaftsgütern zuwenden; die Höhe der Nachfrage wiederum bestimmt die Höhe der Produktion in den einzelnen Wirtschaftssektoren. Unerwünschte Verteilungswirkungen durch Arbeitsunfälle ergeben sich dadurch, daß die Unfallfolgekosten teilweise zu Lasten unbeteiligter Dritter gehen, so z. B. auch zu Lasten des Staates, insbesondere des Sozialhaushalts. Alle diese Tatsachen machen deutlich, welche weitreichenden gesamtwirtschaftlichen Wirkungen und Kosten über die unmittelbaren Unfallschäden hinaus durch Arbeitsunfälle verursacht werden. Die Maßnahmen der Unfallverhütung verursachen allerdings nicht nur Kosten. Im Rahmen von Nutzen-Kosten-Analysen, in denen den Belastungen Kosteneinsparungen durch verhinderte Unfälle gegenüberzustellen wären, ergäbe sich ein anderes Bild. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß die Maßnahmen der Unfallverhütung bei weitem noch nicht bis zu jenem Punkt
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vorangetrieben worden sind, wo der Aufwand der Unfallverhütung die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse durch verhinderte Unfälle übertrifft. Daher empfiehlt es sich nicht nur aus humanitären, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen, die Aktivitäten der Unfallverhütung zu forcieren. Unter diesem Blickwinkel sind die Vergabe von Forschungsaufträgen zur Unfallverhütung, die Förderung der Arbeitswissenschaften und der vermehrte Einsatz von technischem Unfallverhütungspersonal und Betriebsärzten zu beurteilen. Für die Zukunft wird den Problemen der Aus- und Fortbildung geeigneter Fachkräfte, der Intensivierung von Forschung und Lehre an Hochschulen und Fachhochschulen sowie der vermehrten Umsetzung von Forschungsergebnissen in der Praxis erhöhte Aufmerksamkeit beizumessen sein."
6.2 Impulse staatlicher Sozialberichterstattung aus der Arbeitswelt für die Humanvermögensrechnung Die sozialen Probleme und die Dimension der Kosten im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfallgeschehen und die vermehrte Klarheit über die betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Implikationen in diesem Bereich haben vielfältige Folgewirkungen gehabt. Insbesondere ist die Datenerfassung und die Budgetierung von Kosten aus der Arbeitswirtschaft ausgebaut worden. Das Sozialbudget der Bundesregierung macht diese Zusammenhänge in verstärktem Maße transparent. Betriebliche Daten, die Bestandteile einer Humanvermögensrechnung der Unternehmen sein könnten, werden aggregiert im staatlichen Sozialbudget und im Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung ausgewiesen, soweit Meldepflichten bestehen. Eine systematische umfassende einzelwirtschaftliche Humanvermögensrechnung ist sicher noch nicht die Quelle dieser Datenakkumulation. Zum Vergleich zu den für 1968/69 angeführten Unfalldaten weist der Unfallverhütungsbericht für das Jahr 1978 (BMA 1980 a, S. 92) 2 057 285 Unfälle und Berufskrankheiten, darunter 4 351 tödliche Unfälle und Berufskrankheiten mit tödlichem Ausgang aus. An Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung werden 9,755 Mrd DM ausgewiesen (BMA 1980 a, S. 112). Das Sozialbudget (BMA Tab. 1: Arbeitgeberleistungen für Entgeltfortzahlung (in Mio DM) Entgeltfortzahlung
1974
1978
1979
1980
1984
bei Krankheit bei Heilverfahren bei Mutterschaft
17 870 1 350 350
22 160 1 550 400
23 850 1 550 400
25 100 1 600 450
30 450 2 000 500
Summe
19 570
24 110
25 800
27 150
32 950
Quelle: BMA 1980 b, S. 117.
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1980 b, S. 85) weist - unter Einbeziehung der gesundheitsrelevanten Leistungen aller Sozialversicherungsträger - an Arbeitsunfallkosten für 1979 11,420 Mrd DM und für 1980 12,051 Mrd DM aus. Für 1984 werden 15,195 Mrd DM projektiert. Eingeschlossen sind alle arbeitsunfallbedingten Einkommensleistungen (Invaliditätsrenten, Kranken- und Übergangsgeld, Entgeltfortzahlung) sowie Sachleistungen. Das Sozialbudget bietet hinsichtlich der für eine Humanvermögensrechnung bedeutsamen Aufwendungen der Arbeitgeber für Entgeltfortzahlung zunehmend mehr Transparenz (Tab. 1). Hier handelt es sich um jenen Aufwand, den öffentliche und private Arbeitgeber aufgrund rechtlicher Verpflichtung bei Krankheit, Heilverfahren und Mutterschaft der Arbeitnehmer zu zahlen haben. Die Daten aus der betrieblichen Arbeitswirtschaft, soweit sie im Sozialbudget festgehalten sind, beruhen weitgehend noch auf Schätzungen. Eine systematische Würdigung der sozialorientierten Aufwendungen und ihre funktionale Zuordnung im Sozialbudget oder in einer ergänzten volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist bislang nicht möglich. Der Stand des betrieblichen Rechnungswesens und die Erfassung kompatibler Daten für aussagefähige Sozialinformationssysteme des Managements sind noch unvollkommen. Zweifelsohne wird durch die staatliche Ausweisung arbeitsweltbezogener und gesellschaftspolitisch wichtiger Daten neben den genannten Berichtssystemen auch durch die beim Bundesarbeitsminister erstellte Sammlung „Gesellschaftliche Daten" (BPA 1979), durch die Akkumulation von Daten bei den Trägern der Sozialen Sicherung und in der Sozialdatenbank beim BMA (Schmidt 1977) - ein indirekter Zwang zu einer qualifizierten und spezifizierten Rechnungslegung über das Humankapital und dieses tangierende Investitionen und Leistungen in den Unternehmen ausgeübt. Die Gestaltung der Beitragssätze zur Unfallversicherung läßt den Sinn humankapitalschonender unternehmerischer Verhaltensweisen ebenfalls erkennen; die nach § 725 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung den einzelnen Unternehmen aufzuerlegenden Zuschläge oder Nachlässe zum Unfallversicherungsbeitrag werden in ihrer Höhe danach bemessen, wie schwer die Arbeitsunfälle oder wie hoch ihre Kosten sind, oder es wird eine Kombination dieser Merkmale zugrunde gelegt. Investitionen, die einer verbesserten Arbeitsgestaltung im Betrieb dienen, können sich so auch in der Kostenrechnung über verminderte Versicherungsbeiträge niederschlagen. Neben den Personalkosten werden in den Unternehmen zunehmend auch die Kosten für den Arbeitsplatz erfaßt, an dem Mitarbeiter qualifikationsgerecht eingesetzt werden. Diese Kalkulationen dienen u. a. als Entscheidungshilfen für die Personalplanung und Arbeitsorganisation. Sie liefern Kriterien dafür, ob Mehrfachbesetzungen, d. h. die Einführung von Schichtarbeit, Nachtarbeit oder auch eine Eignung für Teilzeitarbeit oder für Schwerbeschädigte, betriebswirtschaftlich rentabel oder aus sozialen Gründen vertretbar sind. In Zukunft wird den Arbeitsplatzkosten als Amortisation für die Einrichtungsinvestitionen des Arbeitsplatzes genauso wie der sozialen Effizienz von Aufwendungen für die menschen-
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gerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung Aufmerksamkeit im Rahmen des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens beigemessen werden.
6.3 Physische Beeinträchtigung von Arbeitnehmern als Grund für die Weiterentwicklung der arbeitsorientierten Humanvermögensrechnung Die Erörterung der Qualität der Arbeitsbedingungen als Phänomen der Humankapitalerhöhung oder -Verminderung wird fortgeführt werden. Schlechte Arbeitsbedingungen oder fehlende bzw. mangelhafte unternehmerische Maßnahmen zu ihrer Verbesserung werden weiterhin als Gründe für Negativ-Indikatoren gelten: Fehlzeiten im Betrieb, Krankenstand, Ausschußproduktion, Fluktuation, Arbeitsunzufriedenheit, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Frühinvalidität. Die Vermeidung und Eindämmung von Frühinvalidität wird noch oft zur Begründung von Investitionserfordernissen auf dem Gebiet der Arbeitsorganisation und der menschengerechten Arbeitsgestaltung angeführt werden. Die Diskussion um die Herabsetzung der Altersgrenze für Berufstätige, die Regelung der flexiblen Altersgrenze sowie die Überlegungen zur weiteren Verkürzung der Arbeits- und Lebensarbeitszeit münden bei der Feststellung nach den damit verbundenen Kosten für die Rentenversicherungsträger ein in die Frage, welcher Prozentsatz der heute ins Arbeitsleben Eintretenden überhaupt die reguläre Altersgrenze von 65 Jahren erreicht: nicht einmal 50 v. H. Nach den allgemeinen Sterbetafeln sterben in der Bundesrepublik Deutschland vor Erreichen der vorgezogenen Renten-Altersgrenze mit 63 Jahren (Männer) bzw. mit 60 Jahren (Frauen) - rd. 25 v. H. der 20-jährigen Männer und - rd. 10 v. H. der 20-jährigen Frauen. Zusätzlich dazu kommt, daß nach altersspezifischen Invaliditätsquoten im Durchschnitt - rd. 25 v. H. der 20-jährigen Männer und - rd. 12,5 v. H. der 20-jährigen Frauen vor der Erreichung ihres Rentenalters Frühinvaliden werden. Folglich erreichen nur - rd. 50 v. H. der 20-jährigen Männer das Rentenalter mit 63 Jahren und - rd. 75 v. H. der 20-jährigen Frauen das Rentenalter mit 60 Jahren. Die Gründe für dieses hohe Invaliditätsrisiko werden gerne den Unternehmen, den dort gegebenen Arbeitsbedingungen und mangelhafter humankapitalrelevanter Investitionstätigkeit zugeschrieben. Es ist zu konstatieren, daß selbstverständlich
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auch außerberufliche, in der persönlichen Physis des Mitarbeiters liegende Gesundheitsmängel die Ursache für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben sind. Die totale Negierung eines Zusammenhangs zwischen Arbeitsbedingungen und Frühinvalidität, der sich direkt nicht nachweisen ließe (Müller 1981, S. 38), wäre jedoch genauso einseitig wie eine Pauschalverurteilung in anderer Richtung. In der Arbeitswelt werden insbesondere drei Beschäftigten-Kategorien mit überdurchschnittlichen berufsspezifischen Invaliditätsrisiken unterschieden (IAB 1980, S. 113 ff.): (1) Berufe mit hohen Anteilen an ungelernten Arbeitskräften, (2) Berufe mit hoher Wahrscheinlichkeit an schädigenden Umgebungseinflüssen, wie Lärm, Erschütterungen, Staub, Hitze, chemischen Dämpfen und Stoffen sowie sonstigen physischen Einwirkungen, (3) Berufe mit besonderen Unfallgefahren. Das Todes- und Invaliditätsrisiko liegt bei Arbeitern über, bei Angestellten unter den oben genannten Durchschnittswerten. Eine exakte ursachenbezogene Zuordnung nach Invaliditätsgründen gibt es nicht, aber die Aussagen über den tendenziellen Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen (auch Schicht- und Nachtarbeit, Fließbandarbeit) und vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben unterstreichen diese Annahme (Müller/Volkholz 1980, S. 416 ff.). Das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) wies kürzlich darauf hin, daß die durchschnittliche Lebenserwartung um 12 Jahre verlängert werden könnte, gelänge es, die durch Krankheiten und Unfälle verlorenen Lebensjahre durch rechtzeitige Minderung der Risiken zu erhalten. In der unternehmerischen Praxis gibt es das Phänomen einer „indirekten Abschreibungspraxis" von Humankapital. Nachlassende Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern und beginnende Anzeichen einer Frühinvalidität machen den unternehmerischen Wunsch verständlich, leistungsgeminderte Arbeitskräfte durch produktivere zu ersetzen. Es steht der Vorwurf im Raum, daß Unternehmen mit Hilfe des Staates und der Solidargemeinschaft der Versicherten beginnen, ihre Personalprobleme zu lösen. Sinkt der individuelle Humankapitalwert eines Arbeitnehmers durch beginnende Leistungsminderung aufgrund steigenden Lebensalters, so kann durch die Manipulationsmöglichkeiten im Netz der sozialen Sicherung eine manchmal sogar für alle Beteiligten befriedigende - »Lösung« auf Kosten der Gesellschaft gefunden werden. Wird z. B. ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber entlassen, entsteht nach 52 Wochen der Arbeitslosigkeit mit Vollendung des 60. Lebensjahres ein Anspruch auf ein vorgezogenes Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit aus seiner Rentenversicherung. Ergänzt durch die unternehmerischen Ausgleichszahlungen zwischen den vorgezogenen Sozialversicherungsleistungen (Arbeitslosengeld bzw. Rente) und dem gehabten Einkommen als Beleg-
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schaftsmitglied in der entlassenden Firma auf dem Wege von Sozialplänen oder durch spezielle Vereinbarung gewinnt diese Möglichkeit legaler — aber vom Gesetzgeber nicht beabsichtigter - »Transaktion von Humankapital« den Wert eines neuen für das Unternehmen produktivitätssteigernden Managementinstruments. Hier begegnet uns wieder das Phänomen der Mitnahmeeffekte, wie wir sie bei der Erörterung des Kurzarbeitergeldes bereits erwähnten. Es ist verständlich, wenn in der Öffentlichkeit diese Art von Ausgliederungsmodalitäten, d. h. Personalabbau bei nur geringfügiger Höhe von Ausgleichszahlungen durch das Unternehmen und auf Kosten der Allgemeinheit, kritisiert wird. Eine verantwortungsbewußte Rechnungslegung über das Humanvermögen des Unternehmens und eine gewisse extern gerichtete Humankapitalberichterstattung im Rahmen des gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens würde sicherlich einen die soziale Verantwortung der Unternehmen erhöhenden Effekt zeitigen. Der Vorwurf der gezielten Freisetzung 59 Jahre alter Arbeitnehmer als betrieblicher Beschäftigungsstrategie könnte damit relativiert werden (Friedmann/Weimer 1980, S. 563 ff.; Scharf 1980, S. 550 ff.). Humankapitalliquidationen bei der frühinvaliditätsbedingten Arbeitskräftefreisetzung könnten auf mittel- bis langfristige Sicht, zumindest zu einem bestimmten Teil, durch humankapitalerhaltende Investitionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vermieden werden. Die Darstellung vielfältiger Belastungsschwerpunkte in der Unternehmenspraxis weist auf ein Reservoir an Verbesserungsmöglichkeiten in unserer Arbeitswelt hin (Volkholz 1977), die humankapitalerhaltenden und soziale Kosten einsparenden Charakter haben würden.
6.4 Ansätze zur Erfassung der „Humanisierungskosten" Die zum Teil durch staatliche Förderungsmittel initiierten Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Humanvermögensrechnung haben zunächst wenig mehr als eine methodische und instrumenteile Verbesserung des kaufmännischen Rechnungswesens ergeben. Es wurde versucht, Arbeitsschutzkosten, Kosten für Gesundheitsmaßnahmen und -einrichtungen im Betrieb, Unfallverhütungskosten usw. zu erfassen. Als „kostenwirksame" Gesetze, die analytische, die Arbeitsorganisation einbeziehende Humanvermögensrechnungsmethoden wünschenswert erscheinen ließen, gelten insbesondere - das Arbeitssicherheitsgesetz (1973), das die Einstellung von Betriebsärzten und Sicherheitskräften im Betrieb und die Durchführung entsprechender Aufgaben verbindlich vorschreibt, - die Arbeitsstättenverordnung (1975), die Mindestnormen zur menschengerechten Arbeitsgestaltung setzt, - die Arbeitsstoffverordnung (1972, 1975), die mehr Gesundheitsschutz bei der Tätigkeit mit gefährlichen Arbeitsstoffen fordert,
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- die diversen Unfallverhütungsvorschriften ( U W ) , die insbesondere die Entstehung von Berufskrankheiten eindämmen sollen (z. B. Strahlenschutzverordnung, U W „Lärm", „Schutz gegen gesundheitsgefährlichen mineralischen Staub" u. a.). Darüber hinaus hat das Betriebsverfassungsgesetz vielfältige institutionelle und organisatorische Maßnahmen mit Kostencharakter zur Folge gehabt. Die sich aus diesem Gesetz ergebende Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat und gemeinsame Gestaltung der Arbeitsbedingungen sowie die Forderungen zur Ausarbeitung und Vorlage detaillierter Unterlagen bzw. Informationen, die von Belang für die Arbeitnehmer sind, zwangen ebenfalls zur Bereitstellung von Mitteln, die in eine Humanvermögensrechnung einbezogen werden müßten. Unter diesem Druck von Gesetzen, staatlichen Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften und Sicherheitstechnischen Regelwerken (z. B. des DIN, VDI, VDE, VDMA) - z. Z. gelten in der Bundesrepublik rund 30 000 für den Arbeitsschutz wichtige Vorschriften - und den dadurch bedingten Kosten ergab sich der Wunsch nach mehr Transparenz in diesem Managementbereich. In einer Reihe von Betrieben bemüht man sich um die Erfassung der sog. „Humanisierungskosten", d. h. auch um jene Aufwendungen, die über die reinen Arbeitsschutzkosten hinaus Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen haben. Hervorhebenswert sind einige Forschungsprojekte, die im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung (BAU) durchgeführt wurden: a) Die Kosten von Betriebsunfällen (Grabnitzki 1970); dies war ein erster, noch vom BAU-Vorläufer, dem Bundesinstitut für Arbeitsschutz, durchgeführter Versuch zur Ermittlung und Erfassung von Unfallkosten. b) Die gesamtwirtschaftliche Problematik der Arbeitsunfallfolgekosten (Voigt/ Franke/Jokl 1973); Die volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitsunfälle (Franke/Jokl 1975); Prognose der volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitsunfälle (Franke/Jokl 1976). Diese drei durch den Unfallverhütungsbericht 1968/69 initiierten Untersuchungen (siehe diesen Beitrag, S. 30 ff.) erbrachten eine erste Bestandsaufnahme über diesen Problemkreis und Angaben über gesamtwirtschaftliche Arbeitsunfallfolgekosten (d. h. betrieblich und volkswirtschaftlich) in der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von rund 30 Mrd. DM jährlich; rund 10 Mrd. davon werden in der unternehmerischen Kostenrechnung als Beiträge zu den Unfallversicherungsträgern sichtbar. c) Wirtschaftlichkeitsvergleich an Werkzeugmaschinen mit unterschiedlichen Arbeitsschutzvorrichtungen (Reichmann/Kollerer 1977). Diese Untersuchung erbrachte erste betriebswirtschaftliche Hinweise auf die Produktivität von
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Herbert Schmidt Arbeitsschutzkosten. Investitionen in die Arbeitssicherheit können produktionskostensenkend sein.
d) Über die Wirksamkeit von Arbeitssicherheitsprämien (Bartels 1976). Die BAU-Untersuchung hat die Analyse finanzieller Anreize hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Vermeidung von Arbeitsunfällen zum Gegenstand. e) Industrielle Schichtarbeit in betriebswirtschaftlicher Sicht (Müller-Seitz 1978). Die Studie zeigt mögliche Kostenalternativen zur Schichtarbeit auf; ökonomisch bedingte Schichtarbeit übersteigt deutlich die aus produktionstechnischen Gründen erforderlich gehaltene Schichtarbeit. Betriebswirtschaftliche Kostenaspekte weisen auf Risiken in Beschäftigtenbereichen, die alternative Formen der Arbeitsorganisation und -zeitregelung aus Gründen wirtschaftlicher wie sozialer Effizienz geboten erscheinen lassen. Es handelt sich um erste Ansätze zur Schaffung von mehr Klarheit durch Kostenbewußtsein im Humankapitalbereich, soweit es sich um Aufwendungen aus den arbeitsökonomischen Aufgabengebieten des Unternehmens handelt (vertiefend siehe in diesem Band Hagenkötter/Wehner, S. 433 ff.; Voigt, S. 399 ff.; Reichmann, S. 457 ff.; Ellinger/Weber, S. 419 ff.). Auch im Rahmen der Begleitforschung zum Aktionsprogramm für die Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens (BMA/BMFT 1974), mit 1981 rund 120 Mio. DM zur Förderung der Forschung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Betrieben, wird versucht, betriebswirtschaftliche Ansätze der Humanvermögens- und Wirtschaftlichkeitsrechnung zu verifizieren (Kirchner 1980, S. 33 ff.; die betriebswirtschaftlich relevanten Projekte zur Humanisierung der Arbeit können beim Informationszentrum „Arbeitswissenschaft und Arbeitsschutz" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, Dortmund, abgerufen werden).
7. Humanvermögensrechnung als betriebswirtschaftliches Instrument zum Nachweis gesellschaftlicher Verantwortung (Sozialbilanz) Der Wert des Humanvermögens ist vielfach beeinflußbar. Mannigfache Argumente über einzel- und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge humankapitalrelevanter Aktivitäten oder Inaktivitäten in Unternehmen sind angeführt worden. Die umfangreichen gesamtwirtschaftlichen Folgekosten unvollkommener unternehmerischer Verhaltensweisen weisen auf die gesellschaftliche Bedeutung des einschlägigen Geschehens in der modernen Arbeitswelt hin. Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Diese freiheitliche und sozialorientierte Wirtschaftsordnung ist maß-
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geblich für die staatliche Gesetzgebung und setzt die Leitmaximen für unternehmerisches, gesellschaftliches und individuelles Handeln. Durch die Gesetzgebung hat sich eine Wirtschafts- und Sozialverfassung herauskristallisiert, die wirtschaftliche und soziale Einseitigkeiten in unserer Gesellschaft vermeiden helfen soll. Entsprechend sind auch die einzelwirtschaftlichen Betriebs- und Unternehmensverfassungen durch soziale Mindestnormen geprägt, die dem Interessenausgleich von Kapital und Arbeit dienen sollen. Die oben angeführten Probleme bei der realen Gestaltung der arbeitsbezogenen Unternehmenspolitik zeigen, daß das Problembewußtsein über den Wert der menschlichen Arbeitskraft in der Wirtschaftspraxis gestiegen ist. Gleichzeitig belegen die gemachten Angaben jedoch auch, wie sehr das Ringen um ökonomisch und sozial ausgeglichene Verhaltensund Managementweisen noch anhält und wie sehr betriebliches Handeln gesellschaftliche Wirkungen zeitigt. Hinsichtlich der Umweltprobleme (insbesondere Belastung der Ökologie) und verstärkter Analyse gesellschaftsbezogener Verhaltensweisen der Unternehmen sind Fortschritte erzielt worden. Die Anlastung der Kosten unerwünschter Folgen von Wasser- und Luftverschmutzung entsprechend dem Verursacherprinzip oder die Anprangerung gesellschaftlich verantwortungslosen unternehmerischen Handelns führte zu freiwilligen Aktionen von Firmen zur Dokumentation ihres sozial verantwortungsbewußten Handelns. Diese gesellschaftliche Rechnungslegung wird zur Zeit von rd. 30 Unternehmen als Sozialbilanz der Öffentlichkeit vorgelegt. Die Deutsche Shell AG war das erste Unternehmen, das seine Sozialbilanz als Bestandteil des Geschäftsberichts 1975 auch der pflichtmäßigen Prüfung und Kontrolle durch die Wirtschaftsprüfung unterziehen ließ. Die Aussagefähigkeit der Sozialbilanzen war seit ihren ersten Anfängen umstritten. Es fehlten Informationen aus der betrieblichen Arbeits-, Personal- und Sozialwirtschaft bei gleichzeitig vermehrter Veröffentlichung von gesamtwirtschaftlich negativ zu Buche schlagenden Daten aus der Arbeitswelt. Die Sozialbilanz der Unternehmen bedarf nach wie vor der Ergänzung durch Daten aus den betrieblichen Sozialinformationssystemen selbst. D. h. auch Informationen über die betriebsinternen sozialorientierten Verhaltensweisen und Aufwendungen sind gefragt. Positive, nach außen gerichtete öffentlichkeitswirksame Aktionen, z. B. der Begrünung des Industrieareals oder gemeinnützige Stiftungen, allein besagen noch nichts über die betriebsintern üblichen sozialen Verhaltensweisen oder die Externalisierung von Kosten aufgrund ungenügender Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Auch positive Aufwendungen zugunsten der Arbeitnehmer und negative Erscheinungen über Unfallgeschehen, Krankenstand und Fluktuation sind gefragt. An dieser Stelle wird daher abschließend plädiert für eine verstärkte Berücksichtigung von Ergebnissen aus der Humanvermögensrechnung in der unternehmerischen Sozialberichterstattung bzw. Sozialbilanz. Gerade auf diesem Gebiet gibt es
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bereits sehr frühe Ansätze: die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) hat bereits in ihrem Geschäftsbericht über das Geschäftsjahr vom 1. Oktober 1937 bis 30. September 1938 (AEG 1939, S. 10 ff.) eine dem Zeitgeist entsprechende Übersicht über die »Sozialen Leistungen für die Gefolgschaft und Aufwendungen für die Volksgemeinschaft« veröffentlicht. Diese Rechenschaftslegung über die Sozialpolitik des Unternehmens, die in den Folge jähren fortgeführt wurde, ist gewissermaßen ein Vorläufer der heute modernen Sozialberichterstattung. Die Sozialpflichtigkeitsklausel des Grundgesetzes hat zweifellos einen Wandel der Unternehmenspolitik zur Folge gehabt. Alternative humankapitalorientierte Managementmethoden sind entwickelt worden. Die Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung des Betriebsgeschehens hat den Ausgleich der Interessen von Kapital und Arbeit nachhaltig gefördert. Neben der ökonomischen Effizienz wird auch die soziale Effizienz unternehmerischer Maßnahmen berücksichtigt. Die Messung der Gesamteffizienz aller humankapitalrelevanter Aktivitäten der Unternehmen und des Ausmaßes ihrer gesellschaftlichen Verantwortung könnte durch eine aussagefähige, gesellschaftsbezogene Rechnungslegung dokumentiert werden. Wer von mangelhaftem Einfluß humanvermögensgerechter Rechnungslegung ausgeht bzw. ökonomische Wirkungen oder Reaktionen darauf überhaupt negiert, verkennt, daß vielfältige unternehmerische Investitionen und Führungsprinzipien gerade aus der Einsicht über den Wert und aus den Zwängen resultieren, die sich aus der Transparenz schaffenden Humanvermögensrechnung ergeben (Vieweg 1981, S. 26 f.). Die Gefahr, durch die eigenen Aktionäre, Arbeitnehmer, aber auch die Öffentlichkeit (u. a. Berufsgenossenschaften, Verbände, Presse) auf schlechtes Abschneiden auf diesem Gebiet (Betriebs-, Branchenvergleich) hingewiesen zu werden, hat zunehmend Einfluß auf das Investitionsbudget und die Gestaltung arbeitsbezogener Managementtechniken. Das Ausmaß der Einbeziehung von Daten aus der betrieblichen Humanvermögensrechnung in die Sozialbilanz gibt neben der Tatsache, daß sie als betriebswirtschaftliches Instrument dem Management Anhaltspunkte zur Messung der Effizienz und Steuerung eigener Führungsaufgaben bietet, auch Aufschluß über die Leistungsfähigkeit des betrieblichen Sozialinformationssystems. Daten aus der Arbeits-, Personal- und Sozialwirtschaft der Unternehmen liegen zum Teil schon vielfältig vor (Dierkes/Hoff, S. 677 ff.). Es bedarf oftmals noch des in sich geschlossenen systematischen Konzepts einer Humanvermögensrechnung sowie kompatibler Datenerfassungsgrundsätze für die Integration solcher Daten in die Sozialbilanz.
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Humanvermögensrechnung - Entwicklung von Konzepten für eine erweiterte Rechenschaftslegung der Unternehmen Rainer
Marr
1. Die Entwicklung des Humanvermögengedankens Die Frage nach dem „Wert" des einzelnen Menschen als Mitglied eines sozialen Systems für eben dieses System, in dem er eine bestimmte Funktion, eine mehr oder weniger systemerhaltende Rolle zu spielen hat, hat seit jeher die Ethik, vor allem aber auch die Rechtsprechung beschäftigt. Für die Rechtsprechung stellte sich dies stets als ein ganz pragmatisches Problem dar. So legt z. B. das altdeutsche Recht in Form des „Blutgeldes" eine Geldsumme fest, mit der sich die Sippe eines Erschlagenen die Blutrache abkaufen lassen konnte. Ähnliche Regelungen finden sich bei fast allen Völkern des Altertums - teilweise bis zum Beginn der Neuzeit. Bei derartigen Wertansätzen ging es nie darum, den Wert eines Menschen an sich zu ermitteln, sondern wertbestimmend war immer die Bedeutung der Rolle bzw. Funktion des Betreffenden für einen bestimmten Ausschnitt seines sozialen Umfeldes, z. B. seine Familie, eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, etc. Es verwundert daher nicht, wenn dieser grundökonomische Gedanke bei der Entstehung der Wirtschaftswissenschaften bereits recht früh wieder aufgegriffen wurde - z. B. mit dem Versuch, den ökonomischen Wert des einzelnen Bürgers für seinen Staat quantitativ auszudrücken. Im Hintergrund stand dabei die geschichtliche Erfahrung, daß Wohlstand und Entwicklung einer Nation nicht nur von ihren natürlichen Ressourcen, sondern auch - und vielleicht in erster Linie - von ihren humanen Ressourcen, d. h. den Erfahrungen, dem Können, von Leistungsbereitschaft, Wagemut und Besonnenheit der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft abhängen. Mithin würde sich in der Beeinflussung dieser Größe auch eine Möglichkeit bieten, im Konkurrenzkampf der Nationen besser zu bestehen. So wurde eine Reihe von Versuchen unternommen, Wertansätze aufzustellen - häufig aufbauend auf dem geschätzten Beitrag des einzelnen zum Sozialprodukt —, ohne daß es gelungen wäre, ein widerspruchsfreies, überzeugendes Konzept zu entwikkeln. Es wurde offensichtlich, daß das Bezugsfeld zu weit für eine Wertgeneralisierung ist. Die ohne praktischen Problemlösungsdruck geführte wissenschaftliche Analyse scheiterte an den Schwierigkeiten der Werterfassung. Ein gewisser Druck zur Problemlösung, der zu einem Neuaufleben der Diskussion führte, kam aus dem einzelwirtschaftlichen Bereich. Die Bewertung von Menschen - in diesem Falle als Mitarbeiter einer Organisation - wurde und ist angesichts der
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Rainer Marr
steigenden Zahl von Verkäufen ganzer Unternehmungen im Rahmen wachsender Konzentration in der Wirtschaft einerseits und der Knappheit qualifizierter Arbeitskräfte andererseits ein Problem von aktueller Bedeutung. Bei der ersten spektakulären Übernahme eines großen deutschen Unternehmens durch ein amerikanisches, als 1928 die renommierte Adam Opel A G von General Motors gekauft wurde, standen dem Kaufpreis von über 33 Millionen Dollar nur für etwa 20 Millionen Dollar reale Aktiva als Gegenwert gegenüber. Der Differenzbetrag von über 13 Millionen Dollar wurde zu einem wesentlichen Teil als Äquivalent für den „Erwerb" eines hochqualifizierten Personalstammes betrachtet 1 . Eine exakte, von beiden Verhandlungspartnern aufgestellte und akzeptierte Wertberechnung für das „Humanvermögen" lag dem aber nicht zugrunde. Vielmehr spiegelt diese Zahl Verhandlungsgeschick und Machtverteilung zwischen Käufer und Verkäufer wider.
Quelle: nach Schoenfeld (1974), S. 7. Abb. 1: Gliederung betrieblicher „Vermögenswerte"
Humanvermögensrechnung - erweiterte Rechenschaftslegung
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Den Wert qualifizierter Mitarbeiterpotentiale, ihre Bedeutung für wirtschaftliche Entwicklungsprozesse machten die Nachkriegsjahre gerade in der Bundesrepublik besonders deutlich. Die Verbindung von hoher Qualifikation und Leistungsmotivation war Grundlage und Triebkraft eines beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwungs. In der jungen betriebswirtschaftlichen Forschung der Nachkriegszeit fand dieses Phänomen allerdings kaum Berücksichtigung, weil sich das eher technizistisch orientierte Produktionsfaktorenkonzept Gutenbergs2, das als Grundparadigma in der Betriebswirtschaftslehre dominierte, zur Erfassung der Arteigenheit des im „Produktionsfaktor Arbeit" liegenden Potentials kaum eignet. Die Anstöße für die wissenschaftliche Diskussion kamen vielmehr aus den USA, vor allem durch die Forschungsarbeiten von Rensis Likert3. Hier taucht auch erstmals im Zusammenhang mit dem in den Mitarbeitern verkörperten Potential der Vermögensbegriff auf. Grundlage hierfür war die Forderung nach einer Erweiterung des Vermögensbegriffes in bezug auf alle Ressourcen, die für die betriebliche Leistungserstellung einen zukünftigen wirtschaftlichen Nutzen repräsentieren, weil ein solchermaßen erweiterter Vermögensbegriff eine sinnvollere Basis sowohl für die Entscheidungsaufgaben des Managements wie auch für Anlageentscheidungen externer Kapitalgeber darstellen würde als die traditionell legalistische, auf einen in der Vergangenheit erfolgten, beweisbaren Erwerb abstellende Betrachtungsweise (Schoenfeld 1974, S. 6). Abb. 1 zeigt einen Gliederungsansatz des betrieblichen Vermögens unter Berücksichtigung auch solcher Vermögensteile, die ein zukünftiges Nutzungspotential verkörpern. Er läßt die Erfassungs- und Bewertungsprobleme, besonders in bezug auf das Humanvermögen, offenkundig werden.
2. Grundkonzepte der Humanvermögensbewertung Die Verwendung des Vermögensbegriffes für die im Mitarbeiterpotential verkörperten betrieblichen Ressourcen legt den Versuch einer monetären Bewertung für dieses Potential nahe. Gelänge eine geldmäßige Bewertung der von den Mitarbeitern in der Zukunft zu erwartenden Leistungen, so hätte dies den Vorteil, bei betrieblichen Allokationsentscheidungen auf eine (vom Wertmaßstab her) homogene Entscheidungsbasis zurückgreifen zu können - als Voraussetzung für eine rationale Vermögensverwendung. Daher sind auch alle in der amerikanischen Literatur vorgeschlagenen Bewertungsansätze von dem Bemühen gekennzeichnet, das Humanvermögen in Geldwerten auszudrücken. Die Vielzahl der Vorschläge läßt sich dabei nach der gewählten quantitativen Basis differenzieren - z. B. Entgelthöhe der Mitarbeiter, Marktpreis bzw. Wiederbeschaffungskosten eines qualitativ vergleichbaren Potentials, akkumulierte Personalkosten der Vergangenheit, kapitalisierte personalbezo-
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Rainer Marr
gene Gewinnbeiträge - mit jeweils unterschiedlichen Erfassungsproblemen. Nach der Vergangenheits- oder Zukunftsorientierung können als grundlegende Bewertungsprinzipien sowohl für die Bewertung einzelner Mitarbeiter, ganzer Arbeitsgruppen und Abteilungen oder der gesamten Organisation das Kosten- und das Wertprinzip gegenübergestellt werden. Bei einer Bewertung nach dem Kostenprinzip steht im Vordergrund die Trennung der Personalkosten in: a) periodenbezogene Aufwendungen (Lohn- und Gehaltszahlungen, Zulagen und vermögenswirksame Leistungen, Arbeitsgeberanteil zur Sozialversicherung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld etc.) und b) investive Aufwendungen (Kosten für Anwerbung, Auswahl, Einstellung, Einarbeitung, Aus- und Weiterbildung, Personalersatz), von denen eine Beeinflussung der künftigen Leistungsfähigkeit der Organisation zu erwarten ist. Personalausgaben, die als investiv anzusehen sind, werden kapitalisiert und über ihre erwartete Nutzungsdauer abgeschrieben. Der um die Abschreibungen verminderte Restwert wird als „Humanvermögen" aktiviert, wobei z. B. Fluktuationen durch Sonderabschreibungen erfaßt werden müssen. Als Bewertungsalternativen nach dem Kostenprinzip bieten sich Anschaffungs-, Wiederbeschaffungs- und Opportunitätskosten an. Bei Zugrundelegung der Anschaffungskosten erfolgt die Bewertung des Humanvermögens zu tatsächlichen, durch Beschaffung, Einarbeitung, Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter entstandenen Kosten. Die R. G. Barry Corp. in Columbus/Ohio veröffentlichte seit 1969 einen (Pro-forma-)Jahresabschluß unter Berücksichtigung des Humanvermögens auf der Grundlage von Anschaffungskosten (Pyle 1970 und Woodruff im vorliegenden Band). Bei der Wahl der Wiederbeschaffungskosten als Bewertungsalternative werden die Kosten angesetzt, die entstünden, wenn gegenwärtig beschäftigte Mitarbeiter durch gleichwertige ersetzt werden müßten. Erfolgt die Bewertung des Humanvermögens zu Opportunitätskosten, so ist der entgangene Nutzen bei bestmöglichem alternativem Einsatz der Mitarbeiter zugrunde zu legen. Dieser kann nur mit Hilfe eines innerbetrieblichen Marktmechanismus ermittelt werden, d. h. die verschiedenen Abteilungen konkurrieren um einzelne Mitarbeiter und legen - ähnlich wie auf dem „Markt für Berufssportler" - durch ihr Angebot deren Wert fest (vgl. Hekimian/Jones 1967). Die Folge eines solchen Vorgehens sind Unterbewertungen nicht nur solcher Mitarbeiter, die ohne Schwierigkeiten am externen Arbeitsmarkt gewonnen werden können, sondern auch von Spezialisten, für die ggf. nur in einer Abteilung Bedarf besteht. Vergangenheitsbezogen ist auch die „Firmenwert-Methode" von Hermanson bzw. die von ihm selbst als Verbesserung vorgeschlagene „effizienzgewichtete Personal-
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kosten-Methode" 4 . Bei erstgenanntem Bewertungsansatz werden im Vergleich zur Branche überdurchschnittliche Gewinne als Indikator des Humanvermögens herangezogen und dessen Wert durch den Kapitalwert der Gewinndifferenz zum Ausdruck gebracht. Bei der Personalkostenmethode wird der Berechnungsmodus gegenüber der Firmenwert-Methode durch Heranziehung des Gegenwartswertes zukünftig geschätzter Personalkosten differenziert. Das Humanvermögen ergibt sich aus der Differenz des mit der betriebs-individuellen Effizienzrate gewichteten Gegenwartswertes zukünftiger Personalkosten und dem ungewichteten Gegenwartswert. Zukunftsbezogen sind die Bewertungsansätze von Lev und Schwartz (1971) sowie von Flamholtz (1974), dessen Konzept wohl die meiste Aufmerksamkeit verdient. Bei beiden Bewertungsansätzen werden nicht die in der Vergangenheit verursachten Kosten, sondern die von den Mitarbeitern künftig zu erwartenden Leistungen in den Mittelpunkt gestellt. Lev und Schwartz schlagen vor, das Humanvermögen eines Unternehmens über die zukünftigen Einkommen der Mitarbeiter unter Berücksichtigung des jeweiligen Lebensalters der einzelnen Mitarbeiter sowie eines Wahrscheinlichkeitsfaktors für die verbleibende Dienstzeit zu bestimmen. Der Ansatz von Flamholtz ist unter den vorliegenden monetären Ansätzen zweifellos der theoretisch differenzierteste, aber damit zugleich auch mit den größten Erfassungsproblemen belastet 5 . Flamholtz versucht, die programmatischen Gedanken von Likert zu operationalisieren und entwickelt hierfür zunächst ein zahlreiche verhaltenswissenschaftliche Kategorien aufnehmendes Erklärungsmodell, das einzelne, den individuellen Wert des Mitarbeiters für die Organisation bestimmende Größen in einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang bringt. Er geht davon aus, daß die Leistung jedes einzelnen Mitarbeiters als zukünftiger Beitrag zur betrieblichen Gesamtleistung meßbar ist und macht den Wert dieser Leistung dabei abhängig von der Position des einzelnen Mitarbeiters in der Hierarchie, seinem Leistungsniveau und der Dauer seiner Tätigkeit in jeder Position. Die dadurch bedingten Meßprobleme sind offenkundig und lassen dieses Modell für die praktische Anwendung bis auf wenige Ausnahmefälle, wo günstigere Zurechnungsbedingungen gegeben sind (z. B. Unternehmens-Beratungsgesellschaften, Steuerberatungskanzleien etc.), weitgehend ungeeignet erscheinen. Sein Wert ist eher heuristischer Natur und liegt in der Differenzierung der Werteinflußgrößen in solche personaler und organisationaler Art und in dem Versuch, plausible Abhängigkeitsverhältnisse aufzudecken.
3. Entwicklungstendenzen In der Bundesrepublik fand die in den USA geführte Human-Resource-Accounting-Diskussion 6 zunächst große Beachtung. Sie wurde in Überblicksartikeln
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aufgearbeitet 7 und in wissenschaftlichen Monographien in Einzelaspekten vertieft 8 . Ausschlaggebend für dieses Interesse war vermutlich, daß -
einerseits durch die verhaltenswissenschaftlich-entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre das Bewußtsein hinsichtlich der Bedeutung der „Humankomponente" für betriebliche Leistungsprozesse geschärft und damit ein fruchtbarer Boden für innovative Bemühungen auch im Bereich des traditionell güterorientierten Rechnungswesens bereitet worden war und
-
andererseits für die vor allem von den politischen Entscheidungsträgern forcierte Humanisierungsdiskussion Argumente benötigt wurden, welche die Sinnhaftigkeit mitarbeiterorientierter Maßnahmen (im Sinne der Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens) auch unter ökonomischer Perspektive zu vermitteln vermochten. So hatte - unabhängig von der in der Bundesrepublik bis dahin noch nicht literarisch dokumentierten HRA-Diskussion - Schmidt bereits 1973 (S. 204) gefordert: „Thus it seems absolutely necessary to try to assess more effectiveley the value of personal management in the economic and socially oriented deployment of a company's human resources." Gerade hierfür aber schien das HRA-Konzept hervorragend geeignet, das als rein ökonomisches Konzept den Mitarbeiter als „Wertfaktor" in den Mittelpunkt stellt.
Unter den verschiedenen Bewertungsprinzipien rückte dabei der pragmatische Kostenansatz, wie er bei der Barry Corp. zur Anwendung gelangte, in den Vordergrund. Zwar entspricht dieser am wenigsten der von Likert propagierten Wertidee, für ihn spricht aber, daß er keine allzu großen Erfassungs- und Bewertungsprobleme aufwirft und daß er dem methodischen Konzept des traditionellen betrieblichen Rechnungswesens folgt. In die deutsche Diskussion fand eine im Sinne des HRA-Konzeptes erweiterte Personalkostenplanung als integrierter Bestandteil der Personalplanung vor allem durch die Beiträge von Dierkes (und Freund 1975) und Schmidt (1975) Eingang. Zweifellos vermag eine differenzierte Kostenplanung, die z. B. neben Einstellungsund Einarbeitungskosten auch alle Maßnahmen der Personalentwicklung erfaßt, das Investitionsbewußtsein der verantwortlichen Entscheidungsträger zu fördern und eine wesentlich verbesserte Grundlage für eine Vielzahl von personalbezogenen Entscheidungen zu liefern (Marr 1982). Aussagen über den Wert des Humanvermögens lassen sich daraus aber nicht ableiten. Zudem werfen vor allem die erforderlichen Abschreibungen Bewertungsprobleme auf. Aufnahmebereitschaft für das neue HRA-Konzept fand sich vor allem bei jenen Wissenschaftlern, die mehr dem Personalbereich nahestanden, während insbesondere die Fachvertreter des betrieblichen Rechnungswesens ihm mit ausgeprägter und angesichts des Mißverhältnisses von Anspruch und Leistungsvermögen auch verständlicher Skepsis begegneten.
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Es zeigte sich auch bald, daß das vor allem von Likert aufgezeigte wissenschaftliche Feld weder besonders leicht zu erschließen war, noch daß das Verfolgen der von den amerikanischen Autoren eingeschlagenen Wege die Gewähr für eine Fruchtbarmachung im Sinne der Verbesserung betrieblicher Entscheidungsgrundlagen bieten konnte. Der Autor (Marr 1974, sowie der Beitrag in diesem Band, S. 549 ff.) äußerte die Vermutung, daß a) sich die vorgezeichneten Wege als methodische Sackgasse erweisen werden und b) die einseitig ökonomische Orientierung der vorgeschlagenen Konzepte nicht nur deren Eignung als Entscheidungsgrundlage in Frage stellt, sondern auch erhebliche Akzeptanzprobleme bei den monetär bewerteten Mitarbeitern erzeugen könnte. Im Hintergrund steht dabei die Auffassung, daß eine Monetarisierung des Humanvermögens - im Sinne einer sehr direkten Interpretation des Begriffes Humanvermögens-Rechnung - umfassend weder möglich noch sinnvoll ist. Die monetäre Umformung und Zusammenfassung von sozialwissenschaftlichen Kategorien, wie sie z. B. das Flamholtzsche Modell enthält, - könne nur willkürlich und nicht intersubjektiv nachvollziehbar erfolgen, - werde dem Abbildungsobjekt, der koordinierten Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter, nicht gerecht und - bedeute den Verzicht auf die Möglichkeit einer differenzierten Analyse von Veränderungen des abgebildeten Potentials. Statt dessen wird die Entwicklung eines Personalindikatorensystems mit vorrangig qualitativen Elementen vorgeschlagen, wenn hierfür auch zunächst erhebliche Forschungsaufwendungen getätigt werden müßten. Gestützt wird diese Auffassung durch die aktuellen Bemühungen einiger Großunternehmen der deutschen Wirtschaft, ein standardisiertes und damit für den zwischenbetrieblichen Vergleich geeignetes Instrumentarium für die innerbetriebliche Meinungsforschung zu entwickeln. Durch Mitarbeiterbefragung und Korrelation der Einstellungswerte zu verschiedenen Elementen der Arbeitssituation mit „offenen" Variablen, wie z. B. Ausschuß-, Absentismus-, Fluktuations- oder Beschwerdequote, könnten Veränderungen des „Humanvermögens", wenn auch nur näherungsweise, so doch vermutlich valider als bei rein monetären Ansätzen ermittelt werden. Angesichts der betriebsverfassungsrechtlich gesicherten Mitbestimmungsrechte der Mitarbeiter bei der Befragungsgestaltung kann zudem davon ausgegangen werden, daß dieses Instrumentarium nicht nur Kriterien der ökonomischen Effizienz berücksichtigt und damit für eine einseitige Verbesserung betrieblicher
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Rainer Marr
Entscheidungsgrundlagen sorgt, sondern auch auf soziale Effizienzkriterien bezogene Tatbestände hervorhebt und sie so den Entscheidungsträgern bewußt und zugänglich macht. Zumindest wird die Handlungsperspektive des Managements erweitert. Ein Personalindikatorensystem macht aber monetäre Bewertungsansätze und damit Bemühungen um deren Weiterentwicklung nicht überflüssig, sondern ergänzt bzw. erweitert sie um wichtige qualitative Informationen. Die zunächst zögernde, dann mehr von der Wirtschaftspraxis als von der wissenschaftlichen Diskussion forcierte Entwicklung der Sozialbilanzkonzepte (Dierkes/Bauer 1973, Fischer-Winkelmann 1980) läßt erwarten, daß monetäre HumanvermögensRechnung und Personalindikatoren zu einem umfassenden Berichtssystem verschmelzen werden, das zunächst vor allem organisationsintern der Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen des Managements - und damit aber auch der Kontrolle seines Entscheidungsverhaltens - dienen soll und wird.
Volkswirtschaftliche Human-CapitalKonzepte (siehe hierzu die Beiträge von Hegelheimer, Ortner, Voigt in diesem Band) Gedankliche Grundlegung für die Entwicklung einzelwirtschaftlicher Konzepte (1964-1967)
Hermanson LT-
Likert _l
Modelle mit ausschließlich ökonomischer Orientierung
US-amerikanische Ansätze (1969-1974)
Konzepte mit dominant pragmatischer Orientierung (Bewertung des Human-Vermögens nach dem Kostenprinzip), z.B. Konzept der R. G. Barry Corp. (siehe hierzu den Beitrag von Woodruff in diesem Band)
1 i
Modelle mit Berücksichtigung von Kriterien ökonomischer und sozialer Effizienz
Konzepte mit stärker verhaltenswissenschaftlich-theoretischem Anspruch (Bewertung des Humanvermögens nach dem Nutzenbeitrag); v. a. Flamholtz (siehe hierzu den Beitrag von Flamholtz in diesem Band)
L
Entwicklungstendenzen
Pe rsonalindikatore nmode lle auf der Basis verhaltenswissenschaftlicher Modelle (Verzicht auf eindimensionale Bewertung) (siehe hierzu die Beiträge von Bisani, Marr in diesem Band)
Integrationskonzepte
Abb. 2: Konzepte der Humanvermögens-Rechnung und ihre Entwicklung
Humanvermögensrechnung - erweiterte Rechenschaftslegung
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Abb. 2 verdeutlicht die Zusammenhänge der verschiedenen Bewertungskonzepte. In dem Maß, in dem durch ihre theoretische Weiterentwicklung sowie durch praktische Erfahrung im Umgang mit ihnen und daraus resultierenden Bewertungskonventionen eine „Objektivierung" der Bewertungsansätze möglich wird, gewinnen sie an Bedeutung als integrativer Teil einer auch an die Organisationsumwelt gerichteten erweiterten, gesellschaftsorientierten Rechenschaftslegung der Unternehmungen. Auch wenn aufgrund der bestehenden Defizite an theoretischer und empirischer Forschung Werte für das Humanvermögen nicht in bilanzfähiger Form angegeben werden können - eine Intention, die im übrigen auch kaum sinnvoll erscheint - , so dürfte dennoch auch unvollständigen und aufgrund ihrer Bewertungsprinzipien angreifbaren „Werten" gegenüber der völligen Vernachlässigung eines zentralen betrieblichen Wertfaktors der Vorzug zu geben sein. Letztlich kommt es weit weniger auf den „absoluten Wertbetrag" als vielmehr auf dessen Veränderung im Zeitablauf an. Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Humanvermögens im Verhältnis zum Sachvermögen erscheinen solche Informationen immer unverzichtbarer. Grenzen und Möglichkeiten der Humanvermögens-Rechnung beim derzeitigen Stand der Erkenntnisse soll dieser Sammelband verdeutlichen.
Anmerkungen 1 So der damalige „Generaldirektor" von General Motors, A. P. Sloan (1964, S. 326). 2 Vgl. z. B. die Kritik am Produktionsfaktoransatz in bezug auf den „Faktor Arbeit" bei Reichwald (1977). 3 Vgl. v. a. Likert (1967). Gleichzeitig erschien ein programmatischer Aufsatz von Hekimian/Jones (1967). Beide Arbeiten stützen sich - zumindest implizit - auf kurz vorher veröffentlichte Gedanken von Hermanson (1964). 4 Vgl. Hermanson (1964). Eine Kurzbeschreibung der Bewertungsvorschläge von Hekimian/Jones und von Hermanson findet sich bei Schoenfeld (1974). 5 Vgl. auch den Beitrag von Flamholtz in diesem Band. 6 Vgl. Brummet/Pyle/Flamholtz 1969 a, b; Likert/Bowers 1969; Woodruff/Whitmann 1970; Flamholtz 1971, 1972; Caplan/Landekich 1974; Singelton/Tylor/Spurgeon 1974. 7 Vgl. z. B. Schoenfeld 1974; Dierkes/Freund 1975; Weiermaier 1976; Zülch 1976. 8 Vgl. z. B. Conrads 1976; Streim 1977; Aschoff 1978.
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Rainer Marr
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Teil 2 US-amerikanische Ansätze zur Erfassung und Bewertung des Humanvermögens
I. Das Konzept des Human Resource Accounting (HRA)
Die Erfassung des Humankapitals im Unternehmen - Ziele, Aufgaben, Bedeutung R. Lee Brummet
1. Einleitung Humankapitalrechnung ist das Verfahren zur Erfassung des Humankapitals und zur Überwachung seiner Dynamik. Dies ist eine sehr breite und allgemeine Definition, für die es viele „Unterdefinitionen" gibt. Einige unserer Erörterungen werden sich mit speziellen Teilthemen befassen, welche von dieser Definition erfaßt werden. Vom Standpunkt des Rechnungsprüfers aus betrachtet, befassen wir uns mit verschiedenen Möglichkeiten einer Erweiterung der Rechnungsfunktion, um das Humankapital als Aktiva eines Betriebes zu verstehen. In den Augen von Personalchefs befassen wir uns mit einigen Möglichkeiten zur Erfassung von personaltechnischen Gegebenheiten, klassifiziert nach Fachwissen, Kenntnissen, Aufnahmefähigkeit und Verhalten. In diesem Zusammenhang erörtern wir Möglichkeiten der Vermittlung besser verständlicher und nützlicherer Information zusätzlich zur Basisinformation in bezug auf das Betriebspersonal. Damit regen wir an, die Position des Personalchefs in den meisten Betrieben aufgrund eines stärkeren Hervortretens seiner Funktion in der Vorstellung der Geschäftsleitung stark aufzuwerten. Den Managern als den Entscheidungsträgern in Unternehmen bietet die Humankapitalrechnung die Möglichkeit, ihnen mehr und bessere Information als bisher zu vermitteln. Wenn sie davon überzeugt sind, daß die Quantität und Qualität der ihnen zur Verfügung stehenden Information die Qualität ihrer Entscheidung bedingt, dürften sie die Bedeutung dieses Potentials erkennen. Wirtschaftswissenschaftler haben sich viele Jahre mit der Konzeption des Humankapitals befaßt. Untersuchungen wurden durchgeführt, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Ressourcen einer Nation für die Entwicklung von Humankapital aufgewendet werden sollen, um wirtschaftliches und soziales Wachstum zu fördern. Doch im Hinblick auf die Quantifizierung des Humankapitals wurde bis vor einigen Jahren wenig getan. Rechnungswesenexperten haben sich methodisch mit den finanziellen und materiellen Ressourcen von Unternehmen befaßt. Sie ließen jedoch die in den Mitarbeitern und in der Verwaltung manifestierten Ressourcen völlig außer acht, obgleich sie von so entscheidender Bedeutung für den Erfolg aller Betriebe sind. Während Personalexperten die Probleme der Einstellung und Schulung sowie die Pflege der Motivation in der Human-Organisation behandelten, wurden kaum
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R. Lee Brummet
Anstrengungen unternommen, um sich mit den Informanten innerhalb des Betriebs zu koordinieren, damit deren Expertisen bei Entscheidungsprozessen des Managements Berücksichtigung finden konnten. In den späten 60er Jahren erschienen die ersten Veröffentlichungen über Rechnungswesen und Personalfragen sowie über allgemeine Managementprobleme, in denen die Möglichkeit formalisierter Informationssysteme, die sich auf das Humankapital beziehen, erörtert wurde. Eine begrenzte Zahl von Unternehmen in den U S A und West-Europa hat auf diesem Gebiet mit befriedigenden Ergebnissen experimentiert. Einige dieser Aktivitäten sind veröffentlicht worden. Das American Institute of Certified Public Accountants, die National Association of Accountants und American Accounting Association in den U S A haben Ausschüsse eingerichtet, die auf diesem Gebiet arbeiten.
2. Bedeutung der Humankapitalrechnung für das Unternehmen Wir wollen jetzt die Bedeutung dieses Themas untersuchen. Wie wichtig ist das Humankapital im Unternehmen? Obgleich sich auf diese Frage nur schwierig eine Antwort finden läßt, liegt nach Meinung von R. Likert vom Institute for Social Research an der University of Michigan der Wert des Humankapitals etwa bei einem Betrag, der das zwanzigfache der Jahreseinnahmen eines Unternehmens ausmacht. Wenn man dieser Schätzung zustimmt, dann muß man bedenken, daß in einer Periode, in welcher das Humankapital z. B. um 5 v. H. im Wert abnimmt, gar kein Gewinn entstanden ist, obwohl man davon ausging, daß er in normaler Höhe angefallen sei. Die Gesellschaft schloß mit plus/minus 0 ab. In einer Periode, in der der Wert des Humankapitals um 10 v. H. absank, wäre der für normal gehaltene Gewinn tatsächlich Verlust in dieser Größenordnung gewesen. Gleiches gilt selbstverständlich auch umgekehrt, so daß in Perioden, in denen das Humankapital sich rasch entwickelte, die Gewinne zu niedrig ausgegeben werden. Ich halte es nicht für übertrieben anzunehmen, daß in manchen Unternehmen eine Verringerung, in anderen eine Erhöhung des Humankapitalwertes in der Größenordnung von jährlich 5 oder 10 v. H. zu verzeichnen ist. Einige dieser Veränderungen sind auf Kündigungen oder Neueinstellungen von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen zurückzuführen. Die meisten sind jedoch unbekannt und lassen sich erst durch psychologische oder sozio-psychologische Untersuchungen feststellen. Sie sollen diejenigen Faktoren ermitteln, die tatsächlich verändernd auf das Humankapital einwirken, einschließlich des Verhaltens und der Einstellung von im Unternehmen beschäftigten Personen. Diese falsche Darstellung des Gewinns für das gesamte Unternehmen hat ihr Pendant in dem Bemühen, die Leistung von Managern innerhalb der Organisation
Erfassung des Humankapitals im Unternehmen
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zu messen. Dadurch, daß solches Gewicht auf die Feststellung des richtigen Gewinns und die Rechnungslegung gelegt wurde, wurde auch stark hervorgehoben, welchen Beitrag der Gewinn zur Investitionsfinanzierung leistet. Die Ungenauigkeit sowohl im Zähler wie im Nenner dieser Rechnung ist darauf zurückzuführen, daß wir das Humankapital außer acht gelassen haben. Der Zähler ist falsch dargestellt, weil er die Dynamik der menschlichen Organisation in dem in Frage stehenden Zeitraum nicht wiedergibt, und der Nenner ist ungenau, weil er die Investitionen des Unternehmens in sein Personal nicht beinhaltet, welche sich noch nicht bezahlt gemacht haben. Außerdem ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, daß die Ziele der Abteilungen mit hoher Humankapitalintensität im allgemeinen sehr einfach zu erreichen sind, da die meisten ihrer Aktiva nicht in den Nenner des Leistungsindex aufgenommen sind, während die Abteilungen mit sehr geringem Humankapitalanteil sich einem sehr schwer zu erreichenden Ziel gegenübersehen, da fast die gesamten Kapitalien im Nenner des Bruches enthalten sind. Als Erweiterung dieser Konzeption sind Prämienlohn-Systeme innerhalb von Unternehmen häufig unzweckmäßig in ihrer Funktion, da die herkömmliche Rechnung den falschen Personen die Prämien zukommen läßt. Nehmen wir an, daß eine bestimmte Abteilung des Unternehmens Schwierigkeiten hat, die ihr gesetzten Gewinnziele zu erreichen: Aufgrund der durch das Rechnungssystem vermittelten Anzeichen für einen geringen Gewinn wird der verantwortliche Abteilungsleiter ersetzt. Innerhalb weniger Monate nach dem Wechsel scheinen sich die Dinge zu bessern und die Rechnungsberichte beginnen, bessere Gewinne auszuweisen. Unter diesen Umständen sieht es so aus, als hätte der neue Abteilungsleiter ausgezeichnete Arbeit geleistet, so daß er in einen anderen Sektor zu versetzen ist, in dem er dringender benötigt wird. Dieser Wechsel wird durchgeführt, und es kommt ein dritter Abteilungsleiter, der die Verantwortung für die Abteilung übernimmt. Er sieht sich schwierigen Problemen gegenüber, welche durch die Methode seines Vorgängers verursacht wurden. Harter Druck auf die Arbeiter, Straffung der Produktionsnormen und Kürzung des Etats sowie Anwendung autokratischer Methoden haben möglicherweise die durch das konventionelle Rechnungswesen entstandenen kurzfristigen Zahlen verursacht, welche eine Verbesserung in einer Periode zeigen, in der eigentlich eine rapide Verschlechterung stattfindet. Wenn in unserem Beispiel eine periodische Erfassung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten erfolgt wäre, hätte der zweite Geschäftsführer möglicherweise nicht so gut dagestanden. Die Information über die Arbeitsleistung der Mitarbeiter hätte vielleicht gezeigt, daß die Abnahme des Humankapitalwertes die Umsatzsteigerung bzw. die Kostensenkung überkompensiert, so daß die Gesamtleistung des Abteilungsleiters unter derjenigen seines Vorgängers lag. Mit anderen Worten, das herkömmliche Rechnungswesen, das die Erfassung des Humankapitals nicht berücksichtigt, kann gute Leistungsberichte über einen schlechten Abteilungsleiter und schlechte Leistungsberichte über einen guten Manager erbringen, weil der mit
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dem Wechsel von Führungsmethoden verschiedener Manager auftretende Einfluß auf das Verhalten ihnen untergebener Mitarbeiter sich erst nach einem Time-lag auswirkt. Die Geschäftsleitung zeigt sich über die Gewinnhöhe, d. h. über den Gewinnschwund, besorgt und sucht Mittel und Wege zur Reduzierung der Kosten. Die Löhne und andere Personalkosten explodieren wie in den meisten produktiven Abteilungen. Wenn Leute entlassen werden, wirkt sich dies unmittelbar auf den ausgewiesenen Gewinn aus. Der Schaden oder Verlust für den Betrieb schlägt sich erst später nieder; denn die mit dem Ersatz derartiger Personen verbundenen Kosten werden bis zu dem Zeitpunkt verschoben, an dem die Geschäftslage die Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes zu rechtfertigen scheint. Ein Rechnungswesen, welches die in das Humankapitel getätigten Investitionen und die Verluste derartiger Investitionen bei Entlassung der betreffenden Personen außer acht läßt, bewirkt in vielerlei Hinsicht, daß das Management nur kurzfristig plant. Die Humankapitalrechnung kann eine langfristige Personalplanung der Geschäftsleitung initiieren, die auch solche Entscheidungen betrifft, welche sich auf Fähigkeiten und Motivationen der Mitarbeiter auswirken. Obgleich wir wissen, daß der kurzfristige Bestand eines Unternehmens absolute Voraussetzung für seine langfristige Existenz ist, versteht es sich, daß eine langfristige Betrachtungsweise im Hinblick auf Gewinnmaximierung den Wirkungsgrad von Handlungen der Geschäftsleitung insgesamt verbessern kann. Die Außerachtlassung der in das Humankapital getätigten Investitionen kann die Personalentscheidungen weiter beeinflussen. Untersuchen wir den Fall, daß der Geschäftsführer eines Unternehmens durch den geringen Gewinn seiner Gesellschaft beunruhigt ist. In dem dem Aufsichtsrat vorzulegenden Bericht ist zu erklären, warum die Gewinne der Gesellschaft auf DM 3 , - pro Aktie gegenüber DM 4,50 pro Aktie im vorangehenden Jahr gefallen sind. Nehmen wir weiter an, daß er vor Ablauf dieses Zeitraums die Möglichkeit hatte, eine Investition von DM 100 0 0 0 , - in eine neue Maschine oder aber die Investition eines ähnlich hohen Betrages in ein Schulungsprogramm für die Angestellten vorzunehmen. Er neigt zweifellos zu dem Ersatz der Maschine, da er sieht, daß er bei einer derartigen Entscheidung immer noch seinem Vorstand berichten kann, die Gewinne beliefen sich auf DM 3 , - pro Aktie, während bei einer Entscheidung zugunsten einer Investition in das Personal sich diese auf die Gewinne für die laufende Periode auswirkt, so daß er möglicherweise nur einen Gewinn von DM 2,95 pro Aktie ausweisen kann. In einem sehr realen Sinne muß er seine Entscheidung zwischen zwei vergleichbaren Investitionen treffen. Es ist sehr wohl möglich, daß die Erträge aus der Investition in das Schulungsprogramm die Erträge aus der Investition in die Maschine überschreiten. Dennoch basierte die Entscheidung auf der Besonderheit des Rechnungswesens, welches die Maschine als Aktivum und daher als Investition betrachtet, während der Aufwand für ein Schulungsprogramm in der Periode, in der er anfiel, als Ausgabe abzusetzen ist.
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Ein bekanntes Konzept aller Personalabteilungen ist der Arbeitsplatzwechsel der Beschäftigten. Das Ausmaß dieses Phänomens variiert erheblich in den verschiedenen Ländern und den verschiedenen Unternehmen. In vielen Betrieben in den U S A sind die Kosten des Arbeitsplatzwechsels sehr erheblich. Dennoch berichten die Personalabteilungen in den meisten Fällen darüber nur in Prozentangaben. So wird von einem Wechsel von 25 v. H. in einer Abteilung des Unternehmens gesprochen und von 18 v. H. in einer anderen. Es gibt keine Zahlen, welche die Signifikanz dieser „turnover"-Raten angeben. Dabei ist es gut möglich, daß die 18 v. H. Arbeitsplatzwechsel teurer sind als die 25 v. H. Das Problem besteht darin, daß wir eine Möglichkeit zur Messung der realen wirtschaftlichen Bedeutung dieses Phänomens benötigen. Diese Bedeutung muß vom Typ und den Fähigkeiten derjenigen Personen ausgehen, die durch den Arbeitsplatzwechsel betroffen sind, sowie von der Knappheit derartiger Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem innerbetrieblichen Arbeitsmarkt. Mit den vorstehenden Ausführungen soll dargestellt werden, daß Manager bestrebt sind, großes Gewicht auf diejenigen Dinge zu legen, die in ihrem Unternehmen systematisch erfaßt werden. Als Rechnungswesenexperten sollten wir daher versuchen, die für ein Unternehmen wichtigsten Aspekte zu ermitteln und diejenigen Daten bereitzustellen, welche sich auf diese Aspekte beziehen. Mit anderen Worten das Management ist geneigt, in Kategorien zu denken derart, daß die Dinge, die wirklich zählen, diejenigen sind, welche gezählt werden. Die Informanten sollten daher diejenigen Dinge akzentuieren, die tatsächlich im Betrieb zählen. Sicherlich gehört das Humankapital zu den wichtigen meßbaren Faktoren in allen Betrieben. Ein interessantes Beispiel dafür zeigte sich vor einigen Jahren, als ein leitender Angestellter der Firma Motorola in den U S A kündigte und Präsident der Fairchild Camera, einer wichtigen Konkurrenzfirma, wurde. Er nahm auch eine Reihe von wichtigen Mitarbeitern von Motorola mit. Innerhalb von 10 Tagen nach diesem Ereignis verringerte sich der Marktwert des gesamten Aktienkapitals der Motorola um 88 Millionen oder etwa 20 v. H. ihres Wertes. Man sieht also, daß Personen den Markt beobachten, die diesen Wechsel für ein bedeutsames Ereignis für beide Gesellschaften hielten. Dennoch wiesen die Bilanzen keinen Verlust für Motorola und auch keinen Gewinn für die Fairchild Camera aus. Für Faichild Camera wurden aufgrund der Kosten für ihre Bemühungen, die leitenden Angestellten abzuwerben, sogar geringere Gewinne für diesen Zeitraum ausgewiesen. Ein weiteres Problem besteht darin, daß das Humankapital in der Bilanz nicht auftaucht. Während hochdifferenzierte Techniken schon seit Jahren bei der Erfassung von Realkapital entwickelt wurden, geschah das im Bereich des Humankapitals nicht. Dies ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß Ausgaben für das Humankapital nicht als Investitionen angesehen wurden, und daher auf
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eine langfristige Wirkungsanalyse zur Rechtfertigung derartiger Ausgaben verzichtet wurde. Obgleich erhöhte Komplikationen auftreten, wenn die Wirkungen von Investitionen in das Humankapital im Gegensatz zu denen in das Realkapital ermittelt werden sollen, so ist es zunächst einmal wichtig, Ausgaben für das Humankapital als Investitionen anzusehen. Die langfristige Untersuchung der Wirkungen derartiger Ausgaben ist sicherzustellen. Wir müssen eine systematische Methode zur Kennzeichnung von Investitionen und zur Messung ihrer Wirkungen entwickeln, um die Höhe des in das Humankapital zu investierenden Betrages und seine Aufteilung einfacher ermitteln zu können. Die Anwendung von „CashFlow"-Methoden sind in diesem Bereich ebenso möglich wie bei der Erfassung des Realkapitals. Es ist jedoch anzunehmen, daß bei der Ermittlung des Humankapitalwertes diejenigen Berechnungen, die sich auf erwartete künftige Einnahmen beziehen, zum Teil modifiziert werden. Man könnte weitere Beispiele für die Bedeutung und Notwendigkeit der Ermittlung von Humankapitaldaten anführen. Vorstehende Ausführungen mögen jedoch genügen. Es ist überraschend, daß bei einer derartigen Fülle von Möglichkeiten weder im Rechnungswesen noch im Informationswesen der Unternehmen große Anstrengungen zur Erfassung von Informationen in diesem Bereich unternommen worden sind. Es bestehen allerdings einige offensichtliche Hindernisse für eine wirksame Arbeit auf diesem Gebiet, die sich z. B. aufgrund von gesetzlichen Vorschriften für den Bereich des Rechnungswesens ergeben. Betriebliche Aktiva werden oft als wirtschaftlich bedeutende Posten definiert, die zumindest im wirtschaftlichen Eigentum des Unternehmens stehen. Das Besitzproblem wirkte abschreckend. Für Managementzwecke schlage ich vor, unter Aktiva solche Posten zu verstehen, die für den künftigen Erfolg des Unternehmens bedeutend sind, und daß die Frage des Eigentums keine Rolle spielen sollte. Obgleich das Humankapital sich nicht im Besitz eines Unternehmens befindet, ist es von entscheidender Bedeutung für seine Zukunft. Allein die Tatsache, daß eine Gruppe von Personen gegenwärtig in einem Unternehmen angestellt ist und für dieses arbeitet, rechtfertigt die Annahme einer hohen Wahrscheinlichkeit, daß sie auch in Zukunft hier arbeiten und dem Betrieb zur Verfügung stehen wird. Der Unterschied liegt weitgehend in der Art der Kontrolle, welche die Geschäftsleitung über das Humankapital im Gegensatz zum Sachkapital, das sich rechtlich im Eigentum des Unternehmens befindet, ausübt. Man könnte sogar argumentieren, daß das Fehlen einer rechtlichen Kontrolle über das Humankapital ein weiterer Grund für eine genaue Erfassung dieses Humankapitals ist. Dies kann nur dadurch geschehen, daß das Humanvermögen als ein Aktivum angesehen wird. Personen, die sich mit dem Rechnungswesen befassen, sind geneigt, Positionen in die Bilanz aufzunehmen, die „greifbar" und sichtbar sind. Wenn Maschinen gewartet oder ersetzt werden, um die Herstellung von Produkten effektiver zu gestalten, dann sind die Ergebnisse sichtbar oder zumindest für Ingenieure offensichtlich und folglich zögern Rechnungsprüfer nicht lange, Ausgaben zu kapitalisieren aufgrund der Tatsache, daß
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sich daraus künftige Gewinne ergeben. Werden andererseits die Angestellten durch Schulungsprogramme weitergebildet oder dadurch, daß ihnen andere Positionen im Betrieb zugewiesen werden, dann ist die bei ihnen vorgegangene Veränderung nicht so offensichtlich, und der künftige Nutzen für das Unternehmen ist - obschon vorhanden - nicht so leicht zu quantifizieren. Wir sollten daher Möglichkeiten zur Ermittlung des voraussichtlichen Nutzens aus derartigen Maßnahmen für ein Unternehmen entwickeln und in gleichem Maße darauf vertrauen, daß sich diese Maßnahmen auszahlen, wie wir dies bei der Erfassung des Realkapitals tun. Bemühungen in dieser Hinsicht würden nicht nur ein Basis für eine Methodologie der Rechnungslegung schaffen, sondern auch die Information liefern, welche das Management bei der Entscheidungsfindung unterstützt, welche Art der Humankapitalinvestition für die Beschäftigten des Unternehmens am produktivsten ist. Man kann natürlich Einwände gegen das Konzept als solches erheben, daß Personen, in welchem Informationssystem auch immer, durch eine monetäre Größe repräsentiert werden. Für einige impliziert dies den Verlust von persönlicher Indentität oder den Mangel des Managements, sich mit den Beschäftigten zu identifizieren. Zugegebenermaßen ist dies ein sensitiver Bereich, in welchem Sorge darüber, daß die Humankapitalrechnung etwa eine Bedrohung für die Individualität bedeutet, gegen die man sich stellt oder wehrt, nicht unangebracht ist. Dieses Problem läßt sich weitgehend durch ein wirksames Kommunikations- und Informationsprogramm lösen, das während der Implementierung eines HumankapitalInformationssystems fortbestehen sollte. Man könnte jedoch auch folgendermaßen argumentieren: Da es unvermeidlich ist, daß in Betrieben wichtige Personalentscheidungen getroffen werden, werden derartige Entscheidungen besser und eher im Interesse der Beschäftigten getroffen, wenn sie auf einem fundierten Urteil und zuverlässigen Informationen beruhen. Obgleich es richtig ist, daß zusätzliche Information über Beschäftigte in einem Unternehmen zu ihrem Nachteil verwendet werden kann, wäre dies nur dann der Fall, wenn die Motive der Geschäftsleitung fragwürdig sind. Damit wird natürlich ein anderes Problem angeschnitten, welches nicht Gegenstand dieses Beitrages ist. Nützliche Information kann gleichzeitig immer auch gefährliche Information sein, wenn sie in die Hände eines Managers mit unlauteren Absichten gelangt. Wir hoffen, daß es nicht allzu viele Manager dieser Art gibt.
3. Ermittlung der Humankapitalkosten Nachdem wir nun einige Möglichkeiten und Notwendigkeiten für die Erfassung des Humankapitals und einige unserer Probleme bei der Erlangung systematischer Informationen über das Humankapital innerhalb der Unternehmen erörtert haben,
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wollen wir uns den speziellen Aspekten dieses Themas zuwenden. Ich halte es für sinnvoll, die folgenden Ausführungen in die Ermittlung der Humankapitalkosten und des Humankapitalwertes zu unterteilen. Wenden wir uns zunächst der Ermittlung der Humankapitalkosten zu. Die Humankapitalkostenrechnung schließt die Ermittlung sämtlicher das Humankapital betreffender Ausgaben ein um festzustellen, welche dieser Ausgaben langfristige und welche kurzfristige Bedeutung für den Betrieb haben. Diejenigen mit langfristigem Charakter sollten „kapitalisiert" und während des gesamten genutzten Zeitraums ausgewiesen werden. Diejenigen mit kurzfristiger Bedeutung sollten als „Kosten" behandelt und vom Gewinn der laufenden Periode abgezogen oder gegen die Einnahmen der laufenden Periode aufgerechnet werden. Die zuerst genannte Gruppe sollte in den Büchern der Gesellschaft als Aktiva oder Kapital verbucht und auf diese Weise überwacht werden. Zwei Arten von Verbuchungsmöglichkeiten sollten hier in Erwägung gezogen werden. Zunächst sollten Kosten nach der betreffenden Funktion, wie z. B. Einstellung, Schulung, Erfahrung, organisatorische Entwicklung etc. aufgezeichnet werden. Die zweite Klassifizierung sollte nach den betreffenden Personen oder Personengruppen erfolgen. Durch diese Unterteilung kann ein Unternehmen seine Investitionen differenziert sowohl nach verschiedenen funktionellen Kostenbereichen als auch nach verschiedenen Beschäftigtengruppen aufzeichnen. Die Kosten für das Humankapital lassen sich aus speziellen Rechnungen sowie aus allen anderen extern entstandenen Kosten ermitteln. Ferner können sie als Teil der während der Zeiträume der Humankapitalentwicklung gezahlten Löhne und Gehälter angesetzt werden. Im Zusammenhang mit der ersten Gruppe können Zahlungen für Reisen oder Fortbildung oder andere Kosten für Fortbildungsprogramme berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit der zweiten Gruppe können bei der Zuweisung einer neuen Position Lern- und Einarbeitungskosten während der ersten Wochen oder Monate ermittelt werden, so daß ein bestimmter Teil der Löhne und Gehälter während dieser ersten Zeit als Investition in die Person zu betrachten ist, von der künftig Erträge zu erwarten sind. In einigen Unternehmen werden „Ausbildungskurven" verwendet. Die gesamten Kosten unterhalb dieser „Ausbildungskurve" werden während des Zeitraumes kapitalisiert, in dem eine Person oder Personengruppe ihre Leistung bis zu einer bestimmten Form verbessert. Einstellungskosten und andere allgemeine Personalkosten lassen sich in Normbeträgen für verschiedene Arten von Arbeiten ermitteln, die dem Humankapital daher als Teil der Gesamtinvestition zugerechnet werden können. Nach Festlegung des in das Humankapital investierten Betrages müssen die Nutzungsdauer dieser Investition ermittelt und entsprechende Abschreibungsbeträge angesetzt werden. Um die Nutzungsdauer zu ermitteln, sollte man Untersuchungen über die Investitionsergebnisse durchführen sowie darüber, inwieweit sich
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die Investitionen für das Unternehmen auszahlen. Einstellungs- und andere allgemeine Kosten, welche für alle Angestellten entstehen, sollten über denjenigen Zeitraum verteilt werden, in dem der Beschäftigte voraussichtlich in dem Unternehmen bleiben wird. Um dies praktisch durchführen zu können, entwickeln einige Unternehmen Modelle, die das Verhalten von Beschäftigten innerhalb eines Betriebes anhand von Parametern wie Alter, Geschlecht, Allgemeinbildung, Familiengröße und anderen Faktoren abschätzen. Die Kosten für Fortbildung und Entwicklung sollten über den Zeitraum verteilt werden, in dem der Arbeitnehmer diese Erfahrung für seine Position im Unternehmen nutzen kann. Wenn z. B. ein Mitarbeiter ausgebildet wird, einen Rechner unter Verwendung von Fortran zu bedienen und das Unternehmen diese Sprache nur für einen Zeitraum von 2 Jahren zu verwenden beabsichtigt, sollten diese Ausbildungskosten über einen Zeitraum von nicht länger als 2 Jahren abgeschrieben werden. Wenn in einer anderen Situation ein leitender Angestellter an einer Fortbildungsveranstaltung teilnimmt, dann ist anzunehmen, daß das Unternehmen über einen viel längeren Zeitraum, z. B. 5 bis 10 Jahre, davon profitieren wird, je nachdem wie lange der Arbeitnehmer voraussichtlich noch im Unternehmen verbleiben wird und wie lange es noch bis zur Erreichung des normalen Pensionsalters dauert. Wenn Personen aus Altersgründen aus dem Betrieb ausscheiden oder das Beschäftigungsverhältnis aus anderen Gründen lösen, sollte der noch nicht berücksichtigte Betrag abgeschrieben und als Verlust verbucht werden. Das Veralten von Qualifikationen, welches entweder aus Mangel an Bedarf oder durch Übernahme in eine Position verursacht wurde, in welcher diese Qualifikation nicht genutzt werden kann, sollte ebenfalls zu einer Verlustbuchung führen. Selbst Verschlechterungen des Gesundheitszustandes von Beschäftigten können ein Grund für die Verbuchung von zusätzlichen Verlusten sein. Diese Verfahren der Kapitalisierung und Abschreibung von Kosten liefern die Basis, um die Investitionen in das Humankapital eines Unternehmens ständig aufzuzeichnen. In Perioden, in denen das Volumen von Humankapitalinvestitionen stark steigt, werden die Unternehmensgewinne nicht in unangemessener Weise vermindert. In Zeiten, in denen Fortbildung und andere Arten von Humankapitalinvestitionen verhältnismäßig gering sind, wird, da eine kontinuierliche Abschreibung erfolgt, der Nettogewinn nicht zu hoch angesetzt, wie dies bei der herfcbmmlichen Rechnungslegung der Fall ist. Jährliche und möglicherweise monatliche Geschäftsberichte für das Unternehmen sowie für einzelne Abteilungen weisen die Veränderung des Nettobuchwertes des Humankapitals aus und geben die Auswirkung derartiger Änderungen auf die Gewinne oder die Gewinnbeitragszahlen für diese Periode wieder.
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4. Ermittlung des Humankapitalwertes Obgleich die Humankapitalkostenrechnung ein wesentlicher erster Schritt ist, um das Bewußtsein auf diesem Gebiet zu fördern und zur Bereitstellung interessanter Informationen beizutragen, sollte dies nur als erster Schritt angesehen werden. Obgleich das formale Rechnungswesen in vielen Ländern auf aus Kosten abgeleitete Zahlen beschränkt wurde, ist eine Veränderung im Denkprozeß zugunsten der Ermittlung des „wahren Wertes" festzustellen. Im Bereich des Humankapitals sind Kostenwerte möglicherweise noch weniger geeignet zur Darstellung des Humankapitalwertes als beim Sachkapital eines Unternehmens. Wir dürfen uns daher nicht mit Kennziffern begnügen, die nur die Kosten wiedergeben. Wir müssen stattdessen die reale Erfassung der wirtschaftlichen Bedeutung des Humankapitals eines Unternehmens bzw. seines Wertes anstreben. Wenden wir uns daher der Ermittlung des Humankapitalwertes zu. Obgleich es viele wohlbekannte Konzeptionen der Wertermittlung gibt, die im Bereich des Humankapitals Anwendung finden können, ist das bedeutendste wohl die Ermittlung des Gegenwartswertes von zukünftigen Leistungen für eine Organisation. Wir verstehen deshalb den Wert des Humankapitals eines Unternehmens als die Differenz zwischen dem Gegenwartswert aller künftigen Nutzen, welche Beschäftigte voraussichtlich einem Betrieb erbringen, und dem Gegenwartswert aller Zahlungen seitens des Unternehmens an diese Personen. Mit anderen Worten, der Wert eines oder aller Beschäftigten eines Unternehmens ist der Gegenwartswert der Nettobeiträge, die für den Betrieb erbracht werden. Diese Konzeption des Humankapitalwertes ist zwar einleuchtend, doch sehr schwierig zu berechnen. In vielen Fällen müssen wir auf Ersatzwerte zurückgreifen, um sinnvolle Näherungswerte oder zumindest einige Kennziffern zu erhalten, mit deren Hilfe wir eine Erhöhung oder Verminderung des Wertes und ggf. das Ausmaß dieser Veränderung feststellen können. In anderen Beiträgen werden die verschiedenen Konzeptionen und Möglichkeiten in diesem Bereich erörtert. Zur Ermittlung von Kennziffern wird man in verstärktem Maße auf die Arbeiten von Verhaltensforschern zurückgreifen müssen. Die Humankapitalkostenrechnung ist ein praktikabler Weg, der weitgehend von Experten des Rechnungswesens in Zusammenarbeit mit Personalfachleuten entsprechend dem neuesten Stand der Erkenntnis entwickelt werden kann. Die Humankapitalwertrechnung muß neue verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse und neue Forschungsergebnisse berücksichtigen. Forschungsaktivitäten in diesem Bereich müssen forciert werden. Eine systematische enge Verbindung der Daten der Humankapitalkostenrechnung mit denen der Humankapitalwertrechnung führt dazu, daß Erträge aufgrund der Bildung von Humankapital sowie aus der Nutzung des Humankapitals ermittelt werden können. Wir können jetzt die Investitionserträge wesentlich vollständiger
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erfassen, indem wir sowohl die Investitionen in das Humankapital wie auch dynamische Veränderungen der ökonomischen Bedeutung des Humankapitals berücksichtigen. Unter Verwendung dieser Daten kann das Management seine Entscheidungsfindung verbessern, indem es die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf das Humankapital sowie Gesichtspunkte der Humankapitalinvestitionen und -pflege besser berücksichtigt. Ich habe bisher nicht ausgeführt, in welchem Ausmaß ich interne Information im Unternehmen und externe Berichterstattung für nötig halte. Für mich sind dies zwei getrennte Dinge. Humankapitalrechnung findet in beiden Bereichen Anwendung, doch hat die interne Anwendung in jedem Fall die Priorität. Unser Problem einer Vereinheitlichung des Rechnungswesens und einer Standardisierung in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen sollte unser Interesse an der besseren Bereitstellung von Informationen zur Verbesserung von Managemententscheidungen nicht beeinträchtigen. Unsere einzigen Beschränkungen sollten deshalb die Kosten für Datensammlung und Berichterstattung innerhalb des Betriebes sein. Andererseits ist die Vergleichbarkeit und allgemeine Anwendbarkeit gut formulierter Grundsätze zum Zweck der externen Berichterstattung unerläßlich. Es wird zweifellos eine gewisse Zeit dauern, bis diese Methoden allgemeine Anwendung finden und bis zu einem Punkt kodifiziert werden können, der die Verwendung von Daten über Humankapitalrechnung für die externe Berichterstattung rechtfertigt. Dennoch ist dies für die Zukunft ein sehr interessantes Gebiet. Es ist interessant, über die Fehlallokation von Ressourcen innerhalb verschiedener Ökonomien nachzudenken, die darauf beruht, daß über das Humankapital Informationen fehlen ebenso wie über den Umfang des Potentials an Humankapital in verschiedenen Unternehmen. Bei der Einführung der Humankapitalrechnung in einem Unternehmen sollte man zunächst mit einer Abteilung beginnen; es braucht also nicht die ganze Skala möglicher Methoden im gesamten Betrieb angewendet zu werden. Man würde sich nur erheblichen Kommunikationsproblemen und den Schwierigkeiten, die mit einem abrupten Wechsel verbunden sind, gegenüberstehen. Ich halte es für zweckmäßig, eine Abteilung des Unternehmens auszuwählen, in der eine hohe Aufnahmebereitschaft für Erforschung und Anwendung neuer Konzeptionen und bereits ein relativ hohes Maß an Humankapitalorientierung vorhanden ist. Mit Hilfe einer Mittelsperson sollten Rechnungswesen und Personalabteilung ihre eigenen Methoden entwickeln und die Ergebnisse kritisch untersuchen. Dieses Verfahren ist evolutionär und ermöglicht zweckmäßige Veränderungen innerhalb des Unternehmens. Wenn die Beschäftigten den Wert der Information und der im Unternehmen stattfindenden Veränderung begreifen, sollten sie entscheiden, wie weit und wie schnell die Methoden auch in anderen Sektoren oder im gesamten Unternehmen durchgesetzt werden sollen. Abschließend möchte ich betonen, daß die Leistung des Managements in einem Unternehmen darin besteht, durch Akquisition, Entwicklung, Pflege und Nutzung
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von Ressourcen einen Erfolg zu erzielen. Eine der wichtigsten Komponenten ist sicherlich das Humankapital. Um ihre Aufgabe zu erfüllen, müssen Manager über die nötigen Informationen über Arbeitskräfte verfügen. Informationssysteme für Unternehmen wie für die Gesellschaft sind in dieser Hinsicht nicht sehr hilfreich gewesen. Ich glaube, daß die nächsten Jahre in bezug auf die Entwicklung von Konzeptionen und Techniken zur Erfassung des Humankapitals sehr produktiv sein werden, um dem Management fundiertere Entscheidungen zu ermöglichen.
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Flamholtz
1. Einführung Während des letzten Jahrzehnts hat die Idee der Rechnungslegung über die Belegschaft als Ressourcen von Organisationen, d. h. der Humanvermögensrechnung, bei Managern, Verhaltenswissenschaftlern, Finanzanalytikern und Rechnungswesenexperten zunehmendes Interesse gefunden. Der Grundgedanke war, „das Personal in der Bilanz auszuweisen", weil man erkannt hatte, daß die Mitarbeiter wertvolle Ressourcen darstellen und finanzielle Berichte über Unternehmungen unvollständig sind, wenn sie nicht den Stand der personellen Aktiva widerspiegeln (Hekimian/Jones 1967). Methoden der Rechnungslegung über das Humankapital würden dann später mehr als Führungsinstrumente denn für Zwecke der finanziellen Berichterstattung entwickelt. Einige Unternehmensorganisationen haben bereits damit begonnen, solche Rechnungssysteme für ihr Humanvermögen zu entwickeln (siehe Flamholtz 1974). Dieser Beitrag ist gedacht als Einführung in die Humanvermögensrechnung als ein Management-Instrument. Er behandelt die grundsätzlichen Fragen, die das Management beschäftigen: - Was ist „human resource accounting"? - Welche Rolle spielt es beim Management des Personals? - Wie können wir eine Humanvermögensrechnung durchführen, mit anderen Worten, wie können wir Investitionen in Mitarbeiter, die Kosten, sie zu ersetzen, und ihren Wert für die Organisation messen? - Welches sind die verschiedenen Typen von „human resource accounting"Systemen und für welche Art von Organisation sind die einzelnen Systeme am besten geeignet? Darüber hinaus beschreibt der Beitrag eine konkrete Fallstudie aus einer Unternehmung (Lester Witte & Company, Certified Public Accountants), die ein Rechnungssystem über den Wert ihres Humankapitals entwickelt hat. Die Fallstudie soll dazu dienen, den praktischen Nutzen und die Probleme des „accounting for human resources" zu illustrieren.
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2. Das Konzept des Human Resource Accounting (HRA) Wörtlich genommen bedeutet „Human Resource Accounting" Rechnungslegung über Mitarbeiter als Ressourcen der Organisation. Es umfaßt die Messung der Kosten, die einer Unternehmung oder einer anderen Organisation entstehen bei Anwerbung, Auswahl und Einstellung sowie Ausbildung und Entwicklung ihrer personellen Aktiva. Es umfaßt weiterhin die Messung der Beträge, die aufgewendet werden müßten, um einen Beschäftigten der Organisation zu ersetzen. Es umfaßt auch die Messung des ökonomischen Wertes von Mitarbeitern für Organisationen. Der Begriff „human resource accounting" sollte jedoch nicht nur wörtlich verstanden werden; denn er hat auch eine übertragene oder symbolische Bedeutung. Human Resource Accounting ist nicht nur ein System der Messung von Kosten und Wert der Beschäftigten für eine Organisation, sondern es ist auch eine Denkweise über das Personalmanagement. Es behauptet die Notwendigkeit, Mitarbeiter als wertvolle Ressourcen der Organisation zu begreifen, als Ressourcen, deren Wert genutzt oder verschwendet werden kann, je nach dem, wie diese Ressourcen verwaltet werden.
3. Die Bedeutung des HRA für das Management Ein Hauptziel des Human Resource Accounting ist es, Systeme bereitzustellen, die Angaben über Kosten und Wert von Mitarbeitern für eine Organisation liefern. Aus der Management-Perspektive besteht die Aufgabe des Human Resource Accounting darin, den Entscheidungsträgern zu helfen, Entscheidungen aufgrund eines Kosten-/Wert-Kalküls, also der Schätzung von Kosten und Wert, zu treffen. Die Messung von Kosten und Wert des Humanvermögens ist erforderlich, um (1) die Personalplanung und die Entscheidungsfindung des Personal-Managements zu unterstützen und (2) um das Top-Management in die Lage zu versetzen, die Effektivität zu messen, mit der das Humankapital durch untere ManagementEbenen (vor allem in großen dezentralisierten Unternehmungen) entwickelt, erhalten und genutzt wurde. Genauer gesagt, das Management benötigt die Messung von Kosten und Wert des Humankapitals, um Entscheidungen fällen zu können in allen Phasen des „human resource management"-Prozesses: Personalbeschaffung, -entwicklung, -allokation, -erhaltung, -nutzung, -bewertung und -entlohnung.
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3.1 Die Personalbeschaffung Die Personalbeschaffung umfaßt Anwerbung, Auswahl und Einstellung von Personal, um den gegenwärtigen und den für die Zukunft erwarteten Bedarf der Organisation an menschlicher Arbeitskraft zu decken. Die erste Stufe bei der Personalbeschaffung ist die Prognose des zukünftigen Personalbedarfs; wenn dieser ermittelt ist, muß das Management den Personalbedarf in ein „manpower acquisition budget" übersetzen. Dies ist im wesentlichen ein Prozeß der Kostenschätzung. Human Resource Accounting kann nützlich sein bei der Budgetierung der Personalbeschaffung. Es kann Messungen der Standardkosten von Anwerbung, Auswahl und Einstellung des Personals liefern, die zur Erstellung von Personalbeschaffungsbudgets benutzt werden können. Die Personalauswahl ist ein weiterer Prozeß, bei dem das Human Resource Accounting eine Rolle spielen kann. Für ihre Auswahlentscheidungen benötigen die Manager Berechnungen des ökonomischen Wertes alternativer Kandidaten für eine bestimmte Position. Ein Personalchef wird bei der Wahl zwischen mehreren attraktiven Bewerbern um eine bestimmte Position versuchen, im Idealfall den Kandidaten auszuwählen, der für die Organisation den größten zukünftigen Wert hat. Verfahren zur Messung des erwarteten Wertes von Mitarbeitern sind jedoch gegenwärtig nicht verfügbar, außer in Form von nicht-monetären Ersatzmessungen etwa durch Punktwertungen in Tests zur Ermittlung des „Management-Potentials". Wenn der erwartete Wert des Personals monetär gemessen werden könnte, wäre es den Personal-Managern möglich, auf Entscheidungsregeln für die Personalauswahl zurückzugreifen, die den erwarteten Wert des Humankapitals einer Organisation optimieren.
3.2 Anwerbungs- und Entwicklungspolitik Durch Ermittlung der historischen durchschnittlichen Kosten für die Personalanwerbung sowie für die Ausbildung zu den verschiedenen Positionen kann das Human Resource Accounting dem Management helfen, die Trade-offs zwischen den Kosten der Anwerbung von außen und der Entwicklung im Innern abzuschätzen. Auf diese Weise liefert es die notwendige ökonomische Information zur Formulierung von Personalanwerbungs- und Personalentwicklungspolitiken.
3.3 Die AUokation personeller Ressourcen Die AUokation personeller Ressourcen umfaßt den gesamten Prozeß, in dessen Rahmen den Mitarbeitern verschiedene Aufgaben und Rollen innerhalb der
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Organisation zugeteilt werden. Die Allokationsentscheidung unterliegt mehreren Zielsetzungen, die manchmal miteinander in Konflikt stehen. Zunächst soll die auszuführende Aufgabe möglichst gut erfüllt werden. Das könnte bedeuten, daß das Management die „am meisten qualifizierte" Person einer bestimmten Position zuweist. Zusätzlich gilt es jedoch, das Personal einer Organisation zu entwickeln, und das Management wird möglicherweise anstreben, auch solche Personen einzustellen, die ihre Fähigkeiten erst nach einem „learning-on-the-job" entfalten. Das bedeutet jedoch, daß nicht immer unbedingt die „höchstqualifizierte" (erfahrenste) Person ausgewählt wird. Drittens möchte das Management seinem Personal Aufgaben zuweisen, die dessen eigenen Vorstellungen entsprechen. Im Idealfall verteilt das Management das Personal so auf Positionen, daß folgende drei Variable optimiert werden: Arbeitsproduktivität, Personalentwicklung, persönliche Zufriedenheit. Human Resource Accounting kann helfen, die Variablen zu quantifizieren, die in eine Personalallokationsentscheidung eingehen, und sie durch einen gemeinsamen monetären Nenner ausdrücken. Dies wird dem Management helfen, die Trade-offs zu erkennen, die bei einer Allokationsentscheidung existieren, und den optimalen Aktionskurs auszuwählen. Zum Beispiel könnte die Lineare Programmierung verwendet werden, um die optimale Lösung des Personalallokations-Problems zu bestimmen.
3.4 Die Erhaltung des Humanvermögens Die Erhaltung des Humanvermögens umfaßt den Prozeß der Erhaltung von Fähigkeiten der Mitarbeiter als Individuen und der Effektivität des durch die Organisation entwickelten Systems. Wenn nicht ermittelt wird, in welchem Ausmaß in einer Division, einer Arbeitsstätte oder einer Abteilung das Humankapital erhalten wurde, kann dies für eine Organisation kostspielig sein. Kurzfristig könnte zum Beispiel ein Divisions-Manager sein Personal unter Druck setzen, um vorübergehend dessen Produktivität zu erhöhen oder Kosten zu senken - bei Vernachlässigung der Auswirkungen auf die Motivation des Personals, auf dessen Haltung und die menschlichen Beziehungen. Im Endergebnis verlassen jedoch fähige und gutausgebildete Angestellte die Organisation, nachdem sie unzufrieden geworden sind. Die Kosten, sie zu ersetzen, könnten beträchtlich sein. Eine Organisation muß Rechnung legen über ihr Humanvermögen, um dessen Substanzverzehr zu vermeiden. Manager müssen verantwortlich gemacht werden für die Erhaltung der ihnen zugeteilten Human Vermögenswerte. Diese Erhaltung wird vielfach in Veränderungsraten gemessen. Veränderungsraten sind jedoch aus zwei Gründen ungeeignete Indikatoren der Humankapitalerhaltung. Erstens sind sie historische Daten und als solche dem Management nicht verfügbar, bevor die Veränderung eingetreten ist. Daher können sie auch nicht als Frühwarn-Signal
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dienen, das rechtzeitig die Notwendigkeit besonderer Erhaltungsmaßnahmen anzeigt. Zweitens sagen Veränderungsraten noch nichts über die ökonomischen Wirkungen der Veränderungen aus, die realistischer durch monetäre Messungen demonstriert werden. Human Resource Accounting kann das Management unterstützen, indem es ein Frühwarnsystem zur Erhaltung des in der Organisation manifestierten Humankapitals liefert. Es kann mit gewissen (sozial-psychologischen) Indikatoren die Arbeitsbedingungen innerhalb des Unternehmens messen und melden, und das Management kann Trends dieser Variablen antizipieren, bevor Personalbewegungen oder Produktivitätssenkungen auftreten. Korrektureingriffe können auf diese Weise vorgenommen werden, bevor die Probleme tatsächlich auftreten.
3.5 Die Nutzung des Humankapitals Die Nutzung des Humankapitals ist aufzufassen als der Prozeß der Nutzung von Leistungen der Mitarbeiter, um Organisationsziele zu erreichen. Human Resource Accounting kann dem Manager helfen, personelle Ressourcen effektiv und wirksam einzusetzen, indem es Muster oder einen konzeptionellen Rahmen für die Nutzung des Humankapitals zur Verfügung stellt. Gegenwärtig ist das Personalmanagement in Organisationen weniger effektiv als es sein könnte, weil ein einheitlicher Orientierungsrahmen dazu fehlt (Flamholtz 1972a). Manager besitzen weder ein gültiges Kriterium für Personalentscheidungen noch eine Methodologie, um zukünftige oder gegenwärtige Konsequenzen solcher Entscheidungen abzuschätzen. Offensichtlich helfen die Kriterien „Produktivität" und „Zufriedenheit", die häufig Strategien des Personalmanagements zugrunde liegen, nicht völlig zufriedenstellend bei der Lösung von Problemen des Personalmanagements. Auch in den Fällen, in denen eines dieser beiden Kriterien zu Ungunsten des anderen verbessert werden soll, ist es häufig unmöglich, die ökonomischen Konsequenzen solcher Entscheidungen zu bestimmen, da Produktivität und Zufriedenheit im einzelnen sowie unter Berücksichtigung ihrer Interdependenzen schwer meßbar sind. Die Vorstellung des „Human Resource Value" liefert eine mögliche Lösung für diese Probleme. Sie kann als der „gesunde Menschenverstand" des Personalmanagements dienen. Sie kann gleichzeitig Ziel und Kriterium für das Personalmanagement liefern. Genauer gesagt, sein Ziel kann darin gesehen werden, zum Wert der gesamten Organisation durch die Optimierung des Wertes ihres Humankapitals beizutragen. Als Effektivitätskriterium dient dabei die gemessene Wertänderung des Humanvermögens einer Organisation. Wenn das Ziel des Personalmanagements in der Optimierung des Wertes des Humanvermögens gesehen wird, dann stellen Aufgabenbeschreibung, Auswahl, Rollenzuweisung, Entwicklung, Leistungsbewertung und Entlohnung nicht mehr nur ein Bündel von Hilfsfunktionen dar, sie sind vielmehr ein Bündel
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verfügbarer Strategien, die verfolgt werden können, um den Wert der menschlichen Aktiva und darüber hinaus den Wert der ganzen Organisation zu beeinflussen. Was bedeutet dies für den Manager? Es bedeutet, daß der Manager einen theoretischen Rahmen erhält, an dem er seine personalbezogenen Überlegungen, Aktionen und Entscheidungen orientieren kann. Dieser Rahmen oder dieses Muster empfiehlt als Kriterium für die Entscheidungsfindung den Grad, in dem der Wert des Humanvermögens optimiert wird. Das bedeutet auch, daß der Manager quantitative Aussagen erhält über das Ausmaß, in dem sein Oberziel erreicht wurde, nämlich über den Grad, in dem der Wert des Humankapitals für die Organisation optimiert wurde.
3.6 Bewertung und Entlohnung des Humankapitals Die Bewertung des Humankapitals umfaßt den Prozeß der Abschätzung des Wertes des Personals für eine Organisation. Sie umfaßt die Messung der Produktivität (Funktionserfüllung) und der Förderbarkeit der Menschen. Gegenwärtig werden Mitarbeiter meist mit Hilfe nicht monetärer Methoden beurteilt. Diese Methoden können jedoch keine Anwendung finden für Probleme der Personalbeschaffung, -entwicklung, -allokation und -erhaltung oder für die oben erwähnten Entscheidungen; für diese Probleme werden monetäre Methoden zur Bewertung des Humankapitals benötigt. Human Resource Accounting kann die Bewertung des Humanvermögens durch die Entwicklung gültiger und verläßlicher Meßmethoden für den Wert von Mitarbeitern für eine Organisation unterstützen. Diese Methoden können sowohl monetäre als auch nicht monetäre Messungen umfassen. Sie werden es erlauben, Entscheidungen über das Personalmanagement auf einer Kosten-Wert-Basis zu fällen. Die Bewertung des Humanvermögens wird auch einen Einfluß auf die Gestaltung der Entlohnungssysteme für die Beschäftigten haben. Diese Systeme sollen motivieren und die optimale Funktionserfüllung des Personals bewirken, damit die Organisationsziele erreicht werden. „Belohnungen" umfassen dabei Entschädigungen, Beförderungen und symbolische „Belohnungen" wie die Anerkennung der Aufgabenerfüllung. Die Bewertung des Humankapitals wird es ermöglichen, Entlohnungen innerhalb einer Organisation entsprechend dem Wert der Personen für die Organisation einzusetzen. Sie wird z. B. das Management in die Lage versetzen, Entscheidungen über Löhne und Gehälter aufgrund des Wertes des Personals für die Unternehmung zu begründen. Human Resource Accounting kann auch dazu dienen, die Effizienz der Personalmanagementfunktion zu beurteilen. Es kann helfen, Standardkosten der Anwer-
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
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bung und Entwicklung von Personal zu ermitteln, die dann mit den aktuellen Kosten der Personalabteilung aus der Erfüllung ihrer Beschaffungs- und Entwicklungsfunktion verglichen werden. Die Abweichungen vom „Standard" können analysiert werden, um u. U. geringe Effizienz bei der Personalbeschaffung und -entwicklung aufzudecken.
4. Die Messung von Kosten und Wert des Humankapitals Während die bisherigen Ausführungen aufgezeigt haben, wie Human Accounting das Personalmanagement unterstützen könnte, werden im Abschnitt bereits entwickelte (vgl. Flamholtz 1974, Kap. 2, 3, 5, Konzepte und Methoden zur Rechnungslegung über Kosten und Humankapitals kurz dargestellt und beschrieben.
Resource folgenden 6 und 7) Wert des
4.1 Die Messung der Kosten Drei verschiedene Ansätze sind für die Messung der Kosten des Humankapitals vorgeschlagen worden: Ist-Kosten, Kosten für den Ersatz und Opportunitätskosten. „Ist-Kosten" sind die tatsächlichen, historischen Aufwendungen, die eine Investition in Ressourcen verursacht hat. „Wiederbeschaffungskosten" umfassen den Aufwand, den man heute auf sich nehmen müßte, um bestimmte Ressourcen der Organisation zu ersetzen. „Opportunitätskosten" umfassen den maximalen Betrag, den die Ressourcen bei alternativer Verwendung verdienen könnten.
4.1.1 Ist-Kosten Die Ist-Kosten des Humankapitals beziehen sich auf den Aufwand, der erforderlich war, Personal zu beschaffen und zu entwickeln. Hier besteht eine Analogie zum Konzept der Ist-Kosten für andere Aktiva. Zum Beispiel umfassen die Ist-Kosten einer Anlage oder einer Ausrüstung die gesamten Kosten für die Beschaffung dieser Ressourcen. Die Ist-Kosten des Humankapitals umfassen in der Regel Kosten für Anwerbung, Auswahl, Anstellung, Plazierung, Unterrichtung und „on-the-job-training" (vgl. Abb. 1). Einige dieser Faktoren stellen direkte, andere indirekte Kosten dar. Zum Beispiel sind die Kosten der Anstellung und Plazierung direkte Kosten, während Teile der Kosten für die Zeit eines Vorgesetzten während der Ausbildung indirekte Kosten darstellen.
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Quelle: Flamholtz (1974), S. 37. Abb. 1: Modell für die Messung der Ist-Kosten des Humanvermögens
4.1.2 Wiederbeschaffungskosten Die Wiederbeschaffungskosten des Humankapitals beziehen sich auf den Aufwand, den man heute auf sich nehmen müßte, um gegenwärtig beschäftigte Mitarbeiter zu ersetzen. Wenn z. B. ein Individuum eine Organisation verlassen würde, entstünden Kosten für Anwerbung, Auswahl und Ausbildung einer Ersatzperson. Die Kosten für den Ersatz von Mitarbeitern umfassen in der Regel sowohl die Kosten durch das Ausscheiden eines Angestellten als auch die Kosten der Beschaffung und Entwicklung eines Ersatzes (vgl. Abb. 2). Sie umfassen sowohl direkte als auch indirekte Kosten. Da Wiederbeschaffungskosten als Kriterium für Managemententscheidungen dienen sollen, sollten sie sowohl Opportunitätskosten als auch echten Aufwand umfassen.
4.1.3 Opportunitätskosten Die Opportunitätskosten des Humankapitals beziehen sich auf den Wert „menschlicher Ressourcen" in ihrer günstigsten alternativen Verwendung. Obwohl dem Namen nach ein Kostenkonzept, ist dieses Konzept der Kosten des Humankapitals
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
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Quelle: Flamholtz (1974), S. 42. Abb. 2: Modell für die Messung der Wiederbeschaffungskosten des Humankapitals
eng verwandt mit dem Wertansatz. Hekimian und Jones (1967), die diesen Ansatz vorgeschlagen haben, sehen ein „System konkurrierenden Bietens" vor, um die Opportunitätskosten zu messen.
4.2 Die Messung des Wertes Die Probleme bei der Ermittlung des Wertes des Humankapitals unterscheiden sich deutlich von denen bei der Messung seiner Kosten. Die Messung von Kosten umfaßt deren Ermittlung und ihre Akkumulation. Sie stellt einen vor allem auf die Vergangenheit ausgerichteten Prozeß dar. Der Wert bezieht sich dagegen auf die Zukunft. Seine Ermittlung erfordert Prognosen und ist infolgedessen mit Unsicherheit verbunden. Das Konzept des Human Value ist abgeleitet aus der allgemeinen Volkswirtschaftstheorie (Fisher 1927). Wie alle Ressourcen besitzen auch die personellen
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einen Wert, weil sie in der Lage sind, künftigen Nutzen zu stiften. Daher kann der Wert menschlicher Ressourcen - wie auch der Wert anderer Ressourcen definiert werden als der auf die Gegenwart diskontierte Wert ihrer künftigen Nutzungen. Dieses Konzept des Wertes des Humankapitals kann auf Individuen wie auf Gruppen und ganze Human-Systeme angewendet werden. Im Rahmen der Entwicklung des Human Resource Accounting sind sowohl monetäre als auch nicht-monetäre Methoden der Wertermittlung vorgeschlagen worden. Monetäre Messungen werden benötigt, weil Geld den gemeinsamen Nenner bei Unternehmungsentscheidungen darstellt. Nicht-monetäre Messungen werden benötigt, weil sie manchmal geeigneter sind als monetäre Messungen und als Ersatzverfahren, wenn monetäre Messungen nicht verfügbar sind.
4.2.1 Nicht-monetäre Messungen Rensis Likert und David Bowers (1973) haben ein Modell entwickelt, das die Effektivität eines Humansystems und auf diese Weise auch die Effektivität einer Organisation insgesamt erklärt. Sie haben die Messung bestimmter Dimensionen einer Humanorganisation (wie z. B. „Unternehmungsführung", „Klima innerhalb der Organisation" und „Gruppenprozeß") durch Befragungstechniken vorgeschlagen, aus denen auf künftige Änderungen des Produktivitätspotentials einer Organisation geschlossen werden kann. Während Likert und Bowers sich auf Gruppen beziehen, hat Flamholtz (1972b) versucht, ein Modell zu entwickeln, das die Determinanten des Wertes eines Individuums für eine Organisation erklärt. Das in Abb. 3 gezeigte Modell enthält die ökonomischen, sozialen und psychologischen Faktoren, die den Wert einer Person für eine Firma bestimmen. Es basiert auf der Prämisse, daß der Wert einer Person bestimmt wird von den Eigenschaften, die die Person in die Organisation einbringt (wie z. B. Charakter, Fähigkeiten und Motivation) und den Charakteristika der Organisation selbst (wie Struktur, Belohnungssystem, Führungsstil und Rollenbeschreibungen).
4.2.2 Monetäre Messung Es sind verschiedene Methoden zur Messung des monetären Wertes des Humanvermögens vorgeschlagen worden. Einige sollen den Humankapitalwert direkt messen, während andere als Ersatzmessungen gedacht sind. Brummet/Flamholtz/Pyle (1968) haben einen direkten Ansatz vorgeschlagen zur Messung des Wertes einer Gruppe. Ihre Methode umfaßt die Prognose der zukünftigen Gewinne einer Unternehmung, ihre Diskontierung zum Gegenwartswert und schließlich die Verteilung auf das Humankapital entsprechend seinem
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals Eigenschaften des Einzelnen
Eigenschaften der Organisation
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Instrumentale Determinanten des Einzelnen
Instrumentale Determinanten der Organisation
_
mögliche Delerminante
Abb. 3: Bestimmungsgrößen des Wertes eines Mitarbeiters für eine Organisation
relativen Beitrag. Flamholtz (1971 und 1974) hat sich mit dem Problem der Messung des Wertes eines Individuums für eine Organisation beschäftigt und hat das Problem der Individuen-Bewertung in das Konzept eines stochastischen Prozesses mit Entlohnungen gefaßt. E r hat darüber hinaus ein „stochastisches Entlohnungsmodell" für die monetäre Bewertung von Individuen vorgestellt. Das Modell, das schematisch in Abb. 4 dargestellt ist, ist auf der Ansicht begründet, daß eine Person keinen abstrakten Wert für eine Organisation hat, sondern nur über die Rollen („Service-States"), die sie ausfüllen soll. Der Aufgabenbereich einer Person unterliegt im Zeitablauf Änderungen. Wenn ein Individuum für eine abgegrenzte Zeitperiode eine bestimmte Position besetzt, so erhält die Organisation einen gegebenen Betrag von Dienstleistungen. Da die Aufgabenbereiche, welche die Mitarbeiter in Zukunft ausfüllen werden, nicht mit Sicherheit bekannt sind, müssen wir die mathematische Erwartung der Leistung einer Person messen. Um also den Wert eines Individuums für eine Organisation zu ermitteln, müssen wir erstens die Zeitperiode schätzen, über die eine Person voraussichtlich Leistungen für eine Organisation abgibt, zweitens die Service-States bestimmen, die die Person voraussichtlich ausfüllen wird, drittens den Wert messen, der der Organisation erwächst, wenn das Individuum den Aufgabenstatus für eine bestimmte Zeitperiode ausfüllt, und viertens für jeden Aufgabenstatus die Wahrscheinlichkeit schätzen, daß eine Person in einer bestimmten zukünftigen Periode diesen Status ausfüllen wird. Das Ergebnis ist die direkte Messung des erwarteten Wertes einer Person für eine Organisation.
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Hermanson (1964) hat zwei mögliche Techniken für die Entwicklung von Ersatzmessungen für den monetären Wert des Humankapitals vorgeschlagen: (1) die Methode des unentgeltlich erworbenen Goodwills und (2) die Methode des korrigierten Gegenwartswertes. Erstere umfaßt die Prognose der Zukunftsgewinne und die Zuordnung jeglicher Überschreitungen des normalen Branchengewinns zum Humanvermögen. Dieser Ansatz basiert auf der Prämisse, daß Mitarbeiter verantwortlich sind für unterschiedliche Gewinne bei verschiedenen Unternehmungen. Letztere Methode wird genauer genannt „Methode der korrigierten diskontierten Zukunftslöhne". Sie besteht in der Verwendung des Gegenwartswertes der laufenden Lohn(Gehalts-) Zahlungen an das Personal - korrigiert um einen Effizienzfaktor - als Ersatzmaß für den Wert des Humankapitals.
Leistungsgruppen
Abb. 4: Ein dreidimensionales Modell des Mobilitätsexperiments als ein stochastischer Prozeß mit Leistungsentlohnungen
Lev und Schwarz (1971) haben ebenfalls die Benutzung der diskontierten Gehaltszahlungen als Ersatzmessung des Humankapitalwertes vorgeschlagen. Sie meinen, daß aufgrund ihrer Methode auch aggregiert werden könne, um Gruppen und die ganze Organisation zu bewerten.
5. Ein Kontinuum von HRA-Systemen Für verschiedene Organisationen ist es in unterschiedlichem Maße erforderlich, das Humankapital in Rechnungssystemen zu erfassen. Während die eine Unter-
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
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nehmung mit rudimentären Ansätzen auskommt, können in der anderen nur hoch-entwickelte Verfahren zufriedenstellen. Genauso kann der Bedarf einer rechnungstechnischen Erfassung der „menschlichen Ressourcen" bei ein und derselben Unternehmung im Zeitablauf variieren. Um die verschiedenen Typen der Fähigkeit zum Human Resource Accounting zu illustrieren, stellt Tab. 1 ein Kontinuum von fünf Human-Resource-AccountingSystemen vor. Diese Tabelle zeigt verschiedene Funktionen des Personalmanagements (Personalplanung, Entscheidungsfindung, Erhaltung usw.) und die Fähigkeit der rechnungstechnischen Erfassung des Humankapitals durch die einzelnen Systemebenen.
5.1 HRA-System I Eine Organisation mit einem System I zur Rechnungslegung des Humankapitals besitzen die meisten der Personalinformationssysteme, die Voraussetzung für die Realisierung eines Human Resource Accounting sind. Das System I besteht in einer nominellen - aber sehr elementaren - Fähigkeit zum Human-ResourceAccounting; d. h. es besteht aus Personal-Systemen, die denselben Funktionen dienen sollen wie kompliziertere Systeme des Human-Resource-Accounting, denen aber entwickelte Fähigkeiten fehlen. Dies ist der Stand in den meisten gutgeführten, großen und mittleren Unternehmungen. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, und wahrscheinlich umfassen sie die meisten, wenn nicht alle der sog. „Fortune's 500", der größten Unternehmungen in den U.S.A.
5.2 HRA-System II In einer Organisation mit einem System II umfaßt die Personalplanungsfunktion die Schätzung der Kosten von Anwerbung und Ausbildung. Die Personalkosten werden getrennt budgetiert und nicht nur einfach bei den „Allgemeinen und Verwaltungsausgaben" untergebracht. Entscheidungen im Rahmen der Personalpolitik sind auf einen Kosten/Wert-Kalkül begründet. Z. B. werden Personalauswahlentscheidungen auf der Grundlage von Kriterien wie dem erwarteten Wert einer Person für die Unternehmung gefällt. Entscheidungssubjekte sind sich der Trade-offs zwischen einer Person mit einem hohen erwarteten bedingten Wert und einer anderen mit einem hohen erwarteten realisierbaren Wert in höherem Maße bewußt. In einer Organisation des Systems II besitzt das Management nicht nur Daten über Fluktuationsraten, sondern auch Daten über die Kosten dieser Fluktuation.
Beurteilung von Leistung und Potential auf nominalem Messniveau
nicht verfügbar
V. Effizienzkontrolle des Personalmanagements
nicht verfügbar
Fluktuationsraten
Traditionelle Methoden für Auswahl, Bildung und Einsatz
IV. Bewertung des Humanvermögens
B. im Voraus
III. Personalerhaltung A. nachträglich
B. Politik
Personalkosten unter „Gemeinkosten und Verwaltungsaufwand"
II. Entscheidungsfindung über Humankapital A. Budgetierung
'
Vergleich von Ist-Kosten und historischen Kosten
Beobachtete Werteinordnungen auf ordinalem Messniveau
Daten über Haltungen
Fluktuationskosten
Wertorientierte Auswahlentscheidung
Getrennte Budgetierung der Personalkosten
Geschätzte Kosten von Anwerbung, Ausbildung usw.
Basissystem eines HR A
notwendiges Personalsystem
Datenbank über Fähigk. d. Personals Pläne für den Personalersatz (-wiederbeschaffung)
System II
System I
I. Personalplanung
Funktionen des Personalmanagements
Vergleich von Plankosten und Istkosten Abweichungsanalyse
Psychometrische Vorhersage des potentiellen Wertes Intervallskalierung des Wertes
Erwartete Fluktuationskosten (Wiederbeschaffung)
Wiederbeschaffungskosten
Anwerbung vs. AusbildungTrade-off-Analysen
Budgetsysteme für Anwerbung, Ausbildung usw. Budgetierung der Wiederbeschaffungskosten
Vergleich von Istkosten und Standardkosten Abweichungsanalyse
Messung des ökonomischen Wertes von Gruppen
Erwartete Opportunitätskosten Verantwortlichkeit für Personalerhaltung
Opportunitätskosten
Optimierungsmodelle des Personaleinsatzes
Kostenvergleiche von Unternehmenseinheiten untereinander
Messung des ökonomischen Wertes von Individuen
Erwartete Verringerung des bedingten und realisierbaren Wertes
Abschreibung des Humankapitalwertes
Gehaltsermittlung auf der Basis von Wertüberlegungen
Budgetierung des Humankapitals ROI-Budgetierung der Investition ins Humankapital
Stochastische BelohnungsBewertungsmodelle Simulationen zum Wert des Humanvermögens
Standard- und Ist-Pers.kosten Stochastische Modelle der Personalmobilität Belegschaftssimulationen Budget der Standard- u. Istkosten Beschaffungs- und Wiederbeschaffungskosten
Totales HRA-System
Entwickeltes HRA-System
Wiederbeschaffungskosten
mittleres HRA-System
System V
System IV
System III
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Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
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Auf diese Weise werden die Fluktuationen durch einen gemeinsamen Nenner mit mehr Informationsgehalt ausgedrückt. Daten, welche die Einstellung einer Person wiedergeben, sowie Messungen über Zufriedenheit und festgestellte Motivation sind verfügbar und werden als Indikatoren benutzt, um wahrscheinliche Änderungen der Personalfluktuation vorauszusagen. Im System I I ist die Bewertung des Humanvermögens begründet auf Kriterien des erkannten Wertes, die über ordinale Messungen ermittelt werden. Die Effizienz des Personalmanagements wird bewertet, und Berichte vergleichen tatsächliche Ist-Kosten mit historischen Kosten ähnlicher Aktivitäten. Dieses System basiert also auf der Dokumentation historischer Personalkosten. Gegenwärtig entwickeln verschiedene Organisationen diesen Grad der Fähigkeit zum Human Resource Accounting oder haben ihn bereits entwickelt wie Honeywell-Bull, Elf Petroleum, A . T . & T . , R. G. Barry Corporation und Touche Ross and Company (Montreal office).
5.3 HRA-System III Im System I I I gibt es eine mittlere Fähigkeit zum Human Resource Accounting. Die Personalplanung berücksichtigt Wiederbeschaffungskosten wie auch IstKosten. Die Formulierung von Budgets und Politiken bezüglich des Humanvermögens ist Gegenstand einer systematischeren Analyse. Es gibt ein formales System der Budgetierung von Anwerbung, Ausbildung usw. Der Personalbedarf wird als formaler Teil einer umfassenden Unternehmungsplanung und nicht einfach auf einer ad-hoc-Basis geplant. Politische Entscheidungen, welche die Trade-offs zwischen den Variablen des Humanvermögens betreffen, werden einer Analyse unterzogen. Z. B. wird die Wahl zwischen der Anwerbung erfahrener Arbeiter und der Anstellung und Ausbildung nicht ausgebildeten Personals im Rahmen einer Trade-off-Analyse untersucht. Im System I I I werden die Kosten der Personalfluktuation gemessen und über sie berichtet. Manager werden möglicherweise aufgefordert, kontrollierbare Personalbewegungen zu erklären. Der Prozeß der Humankapitalbewertung basiert auf einer psychometrischen Voraussage des Potentials einer Person, und der Wert wird mittels nicht-montärer Begriffe geschätzt unter Verwendung von Intervallskalen. Die Effizienz des gesamten Personalmanagement-Prozesses basiert auf einem Vergleich von budgetierten und tatsächlichen Kosten, und bei Abweichungen werden Erklärungen verlangt. In einer Unternehmung, einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft, wurden die Daten im Rahmen des Systems III benutzt, um die Effizienz von Politik und Praxis der Personalplanung zu bewerten. Z. B. gab es einen signifikanten Unterschied zwischen den Standardkosten und den erwarteten Kosten des Personalersatzes. Untersuchungen ergaben, daß diese Unterschiede auf nicht-adäquate Praktiken der Personalbesetzung zurückzuführen waren.
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In einer anderen Organisation (A. T. & T.) ist ein Versuch gemacht worden, die Kosten für die Wiederbeschaffung des Personals zu messen, um die Kontrolle der Personalfluktuation zu unterstützen. Flanders (1971, S. 205-206) berichtet, daß A. T. & T. ein System der „human resource accountability" entwickelt hat, das dazu dienen soll „. . . die Effizienz des Managements bei der Aus- und Weiterbildung zu erhöhen. Dies wird dadurch erreicht, daß die Kosten des Personalersatzes (Anstellung, Ausbildung, Leistungen) wie Investitionen und nicht wie laufender Aufwand behandelt und die Manager für diese Investitionen direkt verantwortlich gemacht werden wie für die anderen Investitionen auch, die in ihren Verantwortungsbereich fallen." In einer anderen Unternehmung, einem großen multinationalen Chemieunternehmen, werden die Kosten der Wiederbeschaffung des Personals gemessen und in der Personalplanung verwendet. Ähnlich hat einmal der stellvertretende Generaldirektor einer großen Raumfahrtgesellschaft beschrieben, wie seine Unternehmung falsche Entscheidungen über Personalentlassungen getroffen hatte aufgrund der Vernachlässigung der Wiederbeschaffungskosten des Personals. Er sagte, daß die Entscheidung genau entgegengesetzt gelautet hätte, wenn solche Kosten bekannt gewesen und berücksichtigt worden wären.
5.4 HRA-System IV Eine Organisation mit einer Fähigkeit des Systems IV hat ein entwickeltes System des Human Resource Accounting. In solchen Organisationen begründet sich die Personalplanung auf Standardkosten der Beschäftigten. Man verwendet stochastische Modelle, um die Mobilität der Belegschaft vorauszusagen und den künftigen Personalbedarf zu bestimmen. Der Computer wird benutzt, um Simulationen bei der Personalplanung durchzuführen, und in den Modellen werden Parameter variiert, so daß Sensitivitätsanalysen durchgeführt werden können. Im Entscheidungsprozeß werden Budgets auf Standardkostenbasis formuliert. Optimierungsmodelle finden Verwendung bei Entscheidungen im Rahmen der Personalpolitik. Z. B. kann der Einsatz der Belegschaft auf Optimierungsmodellen basieren. Die Personalerhaltung wird nicht nur mit Hilfe historischer und Wiederbeschaffungskosten beurteilt, sondern auch unter Verwendung von Opportunitätsüberlegungen. Die Organisation verfügt über ein dauerhaftes System der rechentechnischen Erfassung des Humankapitals und über ein Kriterium zur Bewertung seiner Erhaltung durch das Management. Die Unternehmung besitzt darüber hinaus ein ständiges Kontrollprogramm für Personalbewegungen und benutzt Messungen der erwarteten Opportunitätskosten dieser Bewegungen als Basis für Entscheidungen im Rahmen der Kontrolle der Personalfluktuation. Im System IV erfaßt die Organisation den Wert von Gruppen, jedoch nicht von Individuen. Die Effizienz des Personalmanagementprozesses wird bewertet durch einen Vergleich der
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
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tatsächlichen mit den Standardkosten, und es existiert ein formales System, das Abweichungen meldet und erklärt. System IV basiert auf der Verwendung von Opportunitätskosten. Gegenwärtig gibt es keine Unternehmungen, die eine solche Entwicklungsstufe erreicht haben, obwohl einige Elemente dieses Systems entwickelt wurden. Z. B. hat das Canadian office der Touche Ross & Company Opportunitätskosten benutzt bei der Rechnungslegung über ihre Investitionen in Mitarbeiter. Andere Unternehmungen, darunter eine große Gesellschaft, die zahlreiche elektrische Produkte herstellt und verkauft, haben stochastische Modelle der Mobilität des Personals entwickelt. Solche Unternehmungen sind in der Lage, Opportunitätskosten in ihre Modelle einzuführen, um sie von quantitativen zu Modellen auf Kosten/Wert-Basis umzustellen. Dies würde ihnen die Möglichkeit verschaffen, einen System-IV-Leistungsgrad zu entwickeln.
5.5 HRA-System V System V repräsentiert die völlige rechentechnische Erfaßbarkeit des Humankapitals. Die Personalplanung basiert auf einem stochastischen Modell der Entlohnungsbewertung, und es werden Simulationen der Wirkungen von Unternehmungsgesamtplänen auf das Humankapital durchgeführt. Im Entscheidungsprozeß gibt es eine formale Budgetierung des Humankapitals. Return on Investment ist das Kriterium zur Bewertung des Humankapitaleinsatzes genauso wie für andere Ressourcen auch. Entscheidungen im Rahmen der Personalpolitik sind vollständig auf einen Kosten/Wert-Kalkül begründet. Z. B. werden Löhne und Gehälter auf der Grundlage des zukünftigen Wertes von Personen für die Unternehmung ermittelt. Personalerhaltung wird sowohl ex ante wie auch ex post kontrolliert. Ex ante wird die Personalverringerung durch erwartete bedingte und realisierbare Ersatzkosten gemessen. Es werden Personalrotations-Kontrollprogramme initiiert, wenn die erwartete Verringerung zu groß ist. Die Organisation des Systems V verfügt über ein Subsystem der „human resource accountability", und die Manager sind verantwortlich für die Opportunitätskosten der kontrollierbaren Substanzverringerung des Humankapitals. Es wird von ihnen erwartet, daß sie personelle Aktiva genauso erhalten wie physische und finanzielle Werte, die ihnen anvertraut sind. Der Bewertungsprozeß des Humankapitals umfaßt die Messung des ökonomischen Wertes von Individuen im einzelnen wie auch aggregiert in Abteilungen, Produktionsstätten oder Divisionen. Schließlich wird die Effizienz der Personalmanagementfunktion nicht nur durch einen Vergleich von Ist- und Standardkosten beurteilt, sondern auch durch Gegenüberstellung vergleichbarer Organisationseinheiten. Zusammengefaßt stellt das System V die maximale Leistungsfähigkeit eines Human Resource Accounting dar.
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Dieses System mißt den ökonomischen Wert von Mitarbeitern für eine Unternehmung. Es ist außerordentlich schwierig, diesen Grad der Leistungsfähigkeit zu entwickeln, weil er sehr hohe Informationsanforderungen stellt. Gegenwärtig befindet sich zumindest eine Unternehmung, die Lester Witte & Company, Certified Public Accountants, im Prozeß der Entwicklung zu einer System-V-Leistungsfähigkeit. Die Firma sieht zwei Hauptanwendungen ihres Systems vor: (1) als Überwachungsinstrument für die Effektivität der Erhaltung und Entwicklung des Wertes des Humankapitals in einer Unternehmung, und (2) als Werkzeug, das bei verschiedenen Personalentscheidungen wie Auswahl, Entwicklung, Einsatz und Gehaltsentscheidung benutzt werden soll. Kurz, die Firma möchte sich in die Lage versetzen, folgende Frage zu beantworten: „Anerkennt, erhält oder verkennt die Unternehmung gegenwärtig den Wert ihres Humanvermögens?" Ist diese Information einmal verfügbar, kann sie durch den Vorstand benutzt werden, um den Beitrag eines Partners zur Unternehmung einzuschätzen, und darüber hinaus als Basis für eine partnerschaftliche Gewinnverteilung dienen. Das System von Lester Witte & Company wird ausführlicher im folgenden Abschnitt beschrieben.
5.6 Zusammenfassung Gegenwärtig entwickeln einige Organisationen Systeme des Human Resource Accounting auf allen Stufen des Kontinuums. Man entwickelt häufiger eine System-II-Leistungsfähigkeit als eine System-III-Leistungsfähigkeit und eine System-III-Leistungsfähigkeit häufiger als eine System-IV-Leistungsfähigkeit usw. Es sollte gezeigt werden, daß wenige Gesellschaften wirklich alle Elemente eines Systemtyps des Human Resource Accounting entwickelt haben. Es existieren meist nur Teile eines Systems.
6. Das System bei Lester Witte & Company Dieser Abschnitt beschreibt das Human Resource Accounting System, das bei Lester Witte & Company, Certified Public Accountants, in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde. Dabei ist beabsichtigt, ein Beispiel für eine Organisation zu skizzieren, die gegenwärtig damit beschäftigt ist, ein System für die Rechnungslegung über den Wert des Humanvermögens zu entwickeln. Denn es gibt zwar einige veröffentlichte Berichte über Systeme, um die Kosten des Humanvermögens zu messen, es existieren gegenwärtig jedoch keine weiteren Beschreibungen über die Messung des Humankapitalwertes.
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6.1 Informationen zur Organisation Lester Witte & Company ist eine Unternehmung von Certified Public Accountants. Ihr Kundenstamm besteht aus relativ kleinen und mittleren Unternehmungen verschiedener Branchen. Die Firma hat 27 Büros in den Vereinigten Staaten und unterhält Kontakte zu Firmen in der ganzen Welt. Ihr Mitarbeiterstab umfaßt ungefähr 275 Personen, darunter 50 Teilhaber.
6.2 Die Entwicklung der Bewertung des Humanvermögens Im Juli 1971 begann der Verfasser mit Lester Witte & Company zusammenzuarbeiten, um ein System der Rechnungslegung über den Wert des Humanvermögens dieser Unternehmung zu entwerfen. (Bei der Entwicklung dieses Systems habe ich eng mit Todd S. Lundy, C.P.A., einem Teilhaber der Firma, zusammengearbeitet.) Gegenwärtig ist ein System entwickelt worden, das für eine Versuchsstudie in zwei der wichtigsten Büros der Firma implementiert wurde.
6.3 Die grundlegenden Ziele des Systems Das System der Bewertung des Humanvermögens hat zwei miteinander verwandte Ziele. Vorrangiges Ziel ist es sicherzustellen, daß man sich um das Personal und seine Entwicklung in der Unternehmung Gedanken macht. In gewisser Hinsicht sollte die Tatsache, daß die Unternehmung Änderungen des Wertes von Mitarbeitern mißt, signalisieren, daß man die Notwendigkeit anerkennt, (wertvolle) personelle Ressourcen zu entwickeln und zu erhalten. Das bedeutet, daß schon in der Methode eine Mitteilung liegt - allein die Tatsache, daß dieser Aspekt (Wert des Personals) gemessen wird, sollte die dafür notwendige Beachtung bewirken. Dieser Gedanke beruht auf dem alten Sprichwort, daß, was gemessen und worüber berichtet wird, auch in die Leistungsbewertung eingeht und was nicht gemessen wird, ignoriert bleibt. Das zweite damit verwandte Ziel ist es zu messen, wie die Firma ihr Humankapital entwickelt und erhalten hat. Wie Arthur E. Witte, der leitende Teilhaber der Firma, feststellte, „glauben wir, daß wir den Wert der Mitarbeiter für die Unternehmung erhöhen. Aber tun wir auch, was wir sagen? Arbeiten wir tatsächlich am Wert des Humankapitals unserer Firma?" Die grundlegende Prämisse des Systems ist also, daß sich die Unternehmung mit ihrem Personal beschäftigt. Wenn man die Tatsache akzeptiert, daß vorrangiger Zweck ist, den Grad der Aufmerksamkeit und Beschäftigung mit dem Personal zu erhöhen, dann: (1) ist die Bewertung des Humankapitals einfach ein Mittel zu diesem Zweck, und (2) wenn der Grad der Aufmerksamkeit und Beschäftigung mit dem Personal gehoben wird, dann ist das nützlich.
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Wir versuchen nicht, theoretisch perfekte Maße der Humankapitalbewertung zu entwickeln; wir versuchen, das Verhalten so zu beeinflussen, daß die Belegschaft auf allen Ebenen sich mit der Entwicklung und Erhaltung des Humanvermögens beschäftigt. Wir versuchen, gültige, verläßliche und praktikable Maße zu entwikkeln. Wir erkennen, daß auf dieser Entwicklungsstufe das System nicht perfekt ist. Mit der Zeit müssen viele Einzelheiten ausgearbeitet werden. Wir hoffen, Verbesserungen entwickeln zu können mit der Erfahrung, die wir durch die Benutzung der Information gewinnen. Nachdem wir diesen Uberblick über den generellen Zweck des Systems gegeben haben, werden im folgenden seine Methoden diskutiert.
6.4 Die Messung des Humankapitalwertes Die Messung des Humankapitalwertes bei Lester Witte & Company umfaßt die Anwendung des stochastischen Belohnungs-Bewertungsmodells, das oben diskutiert wurde. Die Anwendung des Modells, das wir noch einmal kurz darstellen, umfaßt vier Hauptschritte: (1) die Bestimmung des Bündels von „leistungsabgebenden Positionen" (service states), die Menschen in der Organisation einnehmen können, (2) die Messung des durch die Organisation abgeleiteten Wertes dadurch, daß ein Individuum die einzelnen service states für eine bestimmte Periode einnimmt, (3) die Schätzung der Wahrscheinlichkeiten (für alle Personen und alle möglichen Stellungen), daß eine Person in bestimmten zukünftigen Perioden eine Stellung einnimmt, (4) die Diskontierung des Wertes der künftigen erwarteten Leistungsbeiträge einer Person.
6.4.1 Die Bestimmung der „leistungsabgebenden Positionen" (service states) Service States sind die Klassen, in die man die an die Organisation Leistungen abgebenden Mitarbeiter einordnen kann. Das System der Service States bei Witte zeigt Tab. 2. Die Messung der Service-State- Werte Die grundlegende Idee des stochastischen Entlohnungs-Bewertungsmodells ist, daß, wenn ein Individuum für eine bestimmte Zeitperiode einen Service State einnimmt, die Organisation Entlohnungen aus seinen Leistungen ableitet. Prinzipiell können diese Entlohnungen sowohl im monetären als auch in nicht-
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
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Tab. 2: Service States Descriptions State No.
Name
Description
Staff accountant (A)
0-1 year experience; works as assistant on audit, tax or Management Controls engagements; may be responsible on one man engagements; no supervisory responsibilities; may have light client contact. Generally 1-2 years experience; works on either one man engagements or may have one assistant; has significant client responsibility in technical areas; client business and financial consulting generally in unsophisticated areas. Generally 3-4 years experience; is in charge of all engagements he handles; has number of assistants necessary to complete assingments; significant client contact at both technical and advisory levels; generally limited partner contact on his engagements except at highest levels of sophistication; definite partner potential; responsible for development of all subordinates. Handles all levels of client contact normally held by partner; partner surrogate; management of numerous client engagements including technical review, client advisory contact; substantial administrative responsibility in his area of speciality; counseling responsibility for all subordinates he deals with; will be a strong technical specialist and/or be responsible for significant inputs of new clients and/or total client management responsibility for a significant group of clients; definite short term partner potential. Ultimate responsibility for clients including technical review, consulting, marketing, specific office administrative responsibilities including some new client acquisition and human resource development. Responsibility for major (in fee volume and client size) clients of firm; either partner in charge of office, recognized authority within firm in his area of expertise (technical or administrative) including human resource development and/ or responsible for substantial productive marketing efforts for the firm. This service state is occupied when a person is transferred to another office. This service state is occupied when a person leaves the firm.
Staff accountant (B)
3.
Staff accountant (C)
Manager
Partner (A)
6.
Partner (B)
7.
Transferred Exit
Quelle: Flamholtz (1974), S. 264.
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monetären Einheiten gemessen werden. Bei Lester Witte & Company werden zwei Konzepte des Service-State-Wertes verwendet: (1) der Brutto-Service-State-Wert und (2) der Netto-Service-State-Wert. Der „Brutto-Service-State-Wert" kann gemessen werden als: (1) Brutto-Service-State-Wert
= produktive Stunden X
Verrechnungssatz.
Die „produktiven Stunden" einer Person sind als Stunden produktiver Leistung, eingeschlossen die Stunden, die den Kunden gewidmet werden, die in die Berufsausbildung investierten Stunden, Verwaltungsstunden usw. Ausgeschlossen sind alle Stunden nicht-produktiver Zeit wie Ferien, Krankheitstage usw. Es ist jedoch kein Versuch gemacht worden, den Effizienzgrad von Mitarbeitern während bestimmter Stunden abzuschätzen. Diese Stunden werden durch das normale Zeit-Bericht-System der Unternehmung bestimmt. Der „Verrechnungssatz" ist die Rate oder der Preis, der Kunden berechnet wird für die Leistungen des Individuums. Sie ist der beste, verfügbare Beweis für den Marktwert einer Person. Sie wird benutzt als ein „Transferpreis" für produktive Stunden, die man den Kunden nicht berechnen kann. „Der Netto-Service-State-Wert" kann gemessen werden als: (2) Netto-Service-State-Wert
= Brutto-Service-State-Wert
— Gehalt.
Das bedeutet, wir subtrahieren das Gehalt einer Person vom Brutto-ServiceState-Wert, um den Netto-Service-State-Wert zu ermitteln. Das ist der Nettobeitrag eines Service-State zum Wert der Unternehmung. Der Brutto-ServiceState-Wert behandelt einen Service-State analog einem Ertrags-Zentrum (revenue center), während der Netto-Service-State-Wert ihn analog einem GewinnZentrum (profit center) behandelt.
6.4.2 Die Schätzung von Wahrscheinlichkeiten Die Modellanwendung erfordert auch die Schätzung der Wahrscheinlichkeiten, mit denen eine gegebene Person jeden möglichen Service State in einer bestimmten Zeit einnehmen wird. Diese Wahrscheinlichkeiten der Mobilität können aus zwei Quellen abgeleitet werden: (1) historische Wahrscheinlichkeiten, die aus Wahrscheinlichkeitsbestimmungen aufgrund der Erfahrungen der Unternehmung in der Vergangenheit ermittelt werden, oder (2) subjektive Wahrscheinlichkeiten, die den Grad der geschätzten Wahrscheinlichkeit künftiger Ergebnisse widerspiegeln. Sowohl historische als auch subjektive Wahrscheinlichkeiten haben Vorteile und Grenzen. Aus praktischen Gründen hat man sich bei Witte entschieden, der Verwendung subjektiver Wahrscheinlichkeiten den Vorrang zu geben. Die Benutzung historischer Wahrscheinlichkeiten wurde abgelehnt, weil man nicht erwartet, daß die künftige Mobilität der Vergangenheit unverändert folgt.
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Den historischen Wahrscheinlichkeiten wird also die prognostische Relevanz abgesprochen. Die subjektiven Wahrscheinlichkeiten können aus mehreren Quellen ermittelt werden, um ihre Verläßlichkeit zu testen. Bei Witte benutzen wir für jedes Büro zwei Teilhaber (partner) als Datenquelle.
6.4.3 Die Diskontierungsrate Zusätzlich zu den oben aufgeführten Daten wird eine Diskontrate benötigt, um künftige Werte auf ihren Gegenwartswert abzudiskontieren. Die bei Witte benutzte Diskontrate ist der Selbstkosten-Zinssatz (prime interest rate).
6.5 Wertmaße eines Individuums Im stochastischen Belohnungs-Bewertungsmodell können wir zwei verschiedene Maße des Wertes einer Person für eine Organisation ableiten: (1) den erwarteten bedingten Wert (expected conditional value) und (2) den erwarteten realisierbaren Wert (expected realizable value). Ersterer ist der Wert eines Individuums für eine Organisation, wenn die Person während der gesamten Zeit, in der sie wahrscheinlich produktive Leistungen abgeben kann, ihre Mitgliedschaft in der Organisation aufrechterhält. Letzterer stellt den Wertanteil dar, der von dem bedingten Wert eines Individuums als tatsächlich realisierbar angesehen wird. Die Differenz zwischen den beiden Konzepten ist zurückzuführen auf die „Fluktuationswahrscheinlichkeit", also die Wahrscheinlichkeit, daß eine Person die Organisation verlassen wird. Der erwartete bedingte Wert einer Person kann formelmäßig definiert werden als: m- 1 (3)
E (CV)
=
2 t = 1
2 R, j = 1 (i +
P (Rj) ky
wobei: E (CV) - erwarteter bedingter Wert; Rj — der aus jedem Service State (j) abzuleitende Wert; P(Rj) - Wahrscheinlichkeit, daß die Organisation den Wert Rj erlangen wird; t - Zeit; m - Service State des Verlassens der Organisation und (1 + k ) ' - Gelddiskontierungsfaktor. Der erwartete realisierbare Wert einer Person kann formelmäßig definiert werden als:
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Eric Flamholtz m
(4) E (RV) =
2 t = 1
-
2
l =i
1
Ri - P (Ri)
(1 + *)'
wobei alle Symbole dieselbe Bedeutung haben wie in Ausdruck (3). Der Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken ist, daß der Service State des Verlassens der Organisation (j = m) in letzterem enthalten ist, im ersten jedoch nicht. Zu diesen beiden Konzepten der Personalbewertung existieren zwei analoge traditionellere Konzepte der Bewertung. Ersterer verhält sich analog zu „Accounts Receivable Gross", letzter zu „Accounts Receivable Net". So wie der Unterschied zwischen Account Receivable Gross und Net der Wahrscheinlichkeit für uneinbringliche Rechnungen zuzuschreiben ist, rührt der Unterschied zwischen bedingtem und realisierbarem Wert des Humankapitals aus der Fluktuationswahrscheinlichkeit des Personals her.
6.6 Gegenwärtiger Stand der Systementwicklung Das System ist im Rahmen einer Versuchsstudie in zwei Büros der Unternehmung implementiert worden. Das oben beschriebene Modell einer Humankapitalbewertung ist zwecks Übertragung der Datenverarbeitung auf den Computer programmiert worden. Die Berichte, die das Management erhält, basieren auf vier verschiedenen Untersuchungseinheiten: Individuen, Service States, Büros und die Unternehmung insgesamt. Es existieren vier verschiedene Anwendungsbereiche der durch das Modell einer Humankapitalbewertung gelieferten Informationen: 1. 2. 3. 4.
Bewertung der Personalentwicklung durch das Management, individuelle Laufbahnplanung, Personalplanung, Planung und Bewertung der erwarteten Beiträge a) der verschiedenen Service States der Firma und b) der verschiedenen Büros der Firma.
Es handelt sich hier um mögliche Anwendungsbeispiele für die Zeit, wenn das System erst einmal vollständig entwickelt ist (d. h. wenn seine Verläßlichkeit getestet und es in der ganzen Firma eingeführt ist). Gegenwärtig kann das System in jedem Bereich nur auf Versuchsbasis benutzt werden. Es sollte festgehalten werden, daß wegen des Bedarfs an Prognosedaten zur Eingabe in das Bewertungsmodell das System analog einem Budgetierungssystem für Planung und Kontrolle zu sehen ist. Die Funktion des Modells Humankapitalbewertung ist es, die Personalplanung und ihre Kontrolle zu unterstützen.
Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humankapitals
97
6.7 Untersuchung der Wirkungen auf Verhalten und Entscheidungen Als Teil der Entwicklungsarbeit für das System bei Lester Witte & Company beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen des Systems auf Haltungen und Entscheidungen des Personals. Um diese zu studieren, wurde ein kontrolliertes Untersuchungsfeld geschaffen. Während des Projektes wurden Verhaltensbeobachtungen durchgeführt, die sich mit verschiedenen Aspekten des Personalmanagements beschäftigen. Sie wurden jedoch auch bereits vor der Einführung des Systems durchgeführt, um Messungen der Haltungen ohne das System zu erhalten. Diese Untersuchungen wurden nicht nur in den beiden Büros vorgenommen, in denen das System eingeführt wurde, sondern auch noch in einem dritten Büro. Das dritte Büro dient als Kontrolle des sog. „Hawthorne-Effektes", des Effektes auf Menschen, die sich bewußt sind, daß sie an einem Experiment teilnehmen. Wenn die Haltungsänderung in den beiden Büros des Experiments signifikant verschieden ist vom dritten Büro, dann ist dies offensichtlich eine Auswirkung des Systems. Wir versuchen, auch die Auswirkungen des Systems auf das Entscheidungsverhalten und die Urteilsbildung über das Humankapital zu studieren. In diesem Zusammenhang haben wir die Leistungsbewertung für die Beförderungsbeurteilung vor der Einführung des Systems beobachtet. Wir werden auch diesen Prozeß beobachten, nachdem das System eingeführt ist, um eventuell auftretende Wirkungen zu beurteilen.
6.8 Ergebnis Das System der Bewertung des Humanvermögens bei Lester Witte & Company befindet sich noch in der Entwicklung. Es gilt, verschiedene Probleme zu lösen und noch offene Fragen zu beantworten. Das System sollte nicht als normatives System für alle Unternehmungen beschrieben werden, sondern als ein als geeignet erscheinendes für diese besondere Gesellschaft. In Begriffen des oben beschriebenen Einordnungssystems gesprochen, bietet Lester Witte ein Beispiel für eine Organisation, die einen „System V"-Leistungsgrad entwickelt. Dieser Abschnitt hat das System kurz beschrieben, um den erwarteten Nutzen, die Methoden und die Probleme des „Accounting for Human Resources" aufzuzeigen.
7. Zusammenfassung und Schlußbemerkungen Dieser Beitrag hat eine Einführung geboten in Anwendungen, Konzepte und Methoden der Rechnungslegung über Kosten und Wert des Humanvermögens. Er hat Human Resource Accounting definiert als Rechnungslegung über das Human-
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Eric Flamholtz
kapital als Ressourcen der Organisation. Er hat die Auffassung vertreten, daß Humanvermögensrechnung nicht nur Messungen umfaßt, sondern auch eine Denkweise über das Personalmanagement. Es wurde auch die Rolle des Human Resource Accounting für das Personalmanagement untersucht. Darüber hinaus wurden die verschiedenen Konzepte und Methoden der Messung von Kosten und Wert des Humanvermögens aufgezeigt und kurz beschrieben. Weiterhin wurde ein Einordnungsschema für verschiedene System-Typen des Human Resource Accounting vorgestellt. Schließlich wurde das bei Lester Witte & Company entwickelte System als ein Beispiel für Anwendung, Methoden und Probleme des Human Resource Accounting charakterisiert. Dieser Beitrag hat nur die Kernpunkte eines neuen noch in der Entwicklung befindlichen Feldes berührt. Obwohl wir während des letzten Jahrzehnts auf diesem Gebiet einige Fortschritte erzielt haben, gibt es noch viel zu tun. Insofern sollte man es als einen Bericht über die Fortschritte in der Entwicklung des Human Resource Accounting sehen.
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Die Humankapitalrechnung der R. G. Barry Corporation - Konzepte und Erfahrungen Robert L. Woodruff,
jr.
1. Werdegang der R. G. Barry Corporation Die R. G. Barry Corporation wurde im Jahre 1947 gegründet. Wir entwickeln, produzieren und verkaufen bequemes Schuhwerk für Männer, Frauen und Kinder. Die Verteilung erfolgt im wesentlichen über Warenhäuser, Diskontläden, Supermärkte und Kettenläden. R. G. Barry ist keine große Gesellschaft. Die Umsätze für 1979 beliefen sich auf etwa 109 Millionen Dollar. Fast sämtliche Verkäufe erfolgen in den kontinentalen Vereinigten Staaten. Wir beschäftigen 2300 Leute an acht geographisch verschiedenen Orten. Unsere Gesellschaft hat in den letzten Jahren eine kontinuierliche Entwicklungsphase durchgemacht. Seit ihrem Beginn im Jahre 1947 bis zum Jahre 1962 sind die Umsätze auf 5,4 Millionen Dollar gestiegen. Das Wachstum war stetig, doch nicht spektakulär. Das Geschäft befand sich in den Händen zweier Familien. Im Jahre 1962 wurde zur Finanzierung der Produktion, um den steigenden Verbraucherbedarf decken zu können, das erste öffentliche Aktienangebot gemacht. Seit diesem Zeitpunkt betrug die Wachstumsrate der Gesellschaft pauschal mehr als 15% pro Jahr. Dies ist das Ergebnis von internem Wachstum und Akquisition. Seit 1971 ist R. G. Barry zum Börsenhandel zugelassen. Das Unternehmen ließ sich in seiner Geschichte von zwei Grundüberzeugungen leiten. Die erste ist die Uberzeugung, daß die Kunden - Personen außerhalb unserer Organisation - das Fortbestehen unseres Unternehmens bestimmen. Es ist wichtig, daß wir prompt auf die Wünsche des Kunden in bezug auf Mode, Farbe und Bequemlichkeit der von uns verkauften Produkte reagieren. Des weiteren müssen wir ein Qualitätsprodukt anbieten, welches für den Kunden einen angemessenen Gegenwert für den Preis darstellt, den zu zahlen er bereit ist. Die zweite Überzeugung besteht darin, daß Arbeitnehmer - oder Mitarbeiter, wie wir sie nennen - Personen innerhalb unserer Organisation - den Schlüssel für unsere Rentabilität und Wachstumsfähigkeit in der Hand haben. Unsere Produktion besteht zu fünfundzwanzig Prozent aus genähtem Schuhwerk. Die Herstellungstechnologie entspricht grundsätzlich dem Stand der Bekleidungs-
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Robert L. Woodruff
industrie. Aufgrund der Änderungen der Mode und der geringen Größe der meisten beteiligten Unternehmen ist die Bekleidungsindustrie mit der Mechanisierung und Automatisierung der Herstellungsverfahren im Rückstand. Folglich macht im Vergleich zu anderen Industrien in der Bekleidungsindustrie der Faktor Arbeit - d. h. die Mitarbeiter - einen erheblichen Anteil an den Herstellungskosten pro Einheit aus: Aufgrund der geringen erforderlichen Anfangsinvestitionen ist die Industrie starker Konkurrenz ausgesetzt. Es versteht sich, daß für R. G. Barry Personen sowohl innerhalb wie außerhalb der Firma einen großen Einfluß darauf haben, inwieweit wir unsere Ziele erreichen.
2. Entwicklung einer Philosophie der Unternehmensführung Im Jahre 1956 kamen die 24 leitenden Angestellten von R. G. Barry in einer Reihe von Aussprachen zu einer kritischen Selbstanalyse unserer Organisation zusammen. Diese Gruppe wurde als Beirat des Präsidenten bezeichnet. Den Anstoß hierfür gaben der Unsicherheit auslösende Tod des höchsten leitenden Angestellten der Gesellschaft und die Übernahme des Präsidentenamtes der Gesellschaft durch seinen Sohn, Gordon Zacks, welcher zu dieser Zeit dreiunddreißig Jahre alt war. Der Führungsstil seines Vaters war wohlwollend autokratisch. Der Paternalismus seines Vaters paßte nicht zu dem natürlichen Führungsstil Gordons. Unter der Führung seines Vaters war die Organisation geographisch an einem Ort konzentriert, wodurch Kontrolle durch Beobachtung möglich war. Im Jahre 1965 erwarb die Gesellschaft an einem 600 Meilen entfernten Ort eine neue Produktionsstätte. Eine jederzeitige persönliche Beobachtung der geschäftlichen Aktivitäten war nicht mehr möglich. Es war eine grundsätzliche Änderung des Führungsschemas, insbesondere der Planungs- und Kontrollfunktionen, erforderlich, um den neuen Gegebenheiten des Unternehmens Rechnung zu tragen. Aufgabe des Beirates des Präsidenten war es, das Ziel des Unternehmens und die Annahmen über die beschäftigten Personen zu untersuchen, sowie die Rolle und Verantwortung des Geschäftsführers von R. G. Barry zu präzisieren. Als die Gruppe die Zielsetzung der Gesellschaft untersuchte, ergab sich, daß der eigentliche Wert des Unternehmens weit über dem konventionell ermittelten Nettowert lag. Der Beirat des Präsidenten folgerte, daß die Gründe für diese Diskrepanz teilweise auf Personen außerhalb der Organisation und teilweise auf Personen innerhalb der Organisation zurückzuführen waren. Der reale Wert des Unternehmens ist seine erwartete Fähigkeit, im Laufe der Zeit einen ständigen Gewinnstrom zu erzielen. Die Qualität dieses Gewinnstromes hängt von den Kunden ab, die das Produkt
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
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oder den Service alternativen Produkten kontinuierlich vorziehen. Die Qualität dieses Gewinnstromes hängt in gleicher Weise auch von der Fähigkeit der Gesellschaft ab, qualifizierte Mitarbeiter für Konstruktion, Produktion und Verkauf des Produktes oder der Dienstleistung wirksam zu gewinnen und zu halten. Der Gewinnstrom kann auch - möglicherweise in geringerem Maße - von der Art der Beziehungen der Gesellschaft zu den Lieferanten, Gläubigern oder in einigen Fällen zu der Regierung beeinflußt werden. Es war klar, daß Personen innerhalb und außerhalb von R. G. Barry Vermögenswerte in einem sehr realen Sinne darstellen, und zwar Vermögenswerte, über die wir sehr wenig Information hatten. Als wir dieses Konzept des Unternehmenswertes untersuchten, wurde uns zunehmend klarer, daß der Erfolg von R. G. Barry von unserer Fähigkeit abhängt, Bedingungen zu schaffen, durch welche Mitarbeiter angespornt werden, ihren Beitrag an Aufwand und Ideen zur Erreichung der Unternehmensziele zu leisten. Welche Ziele eine Wirtschaftsorganisation auch immer hat, letzten Endes werden sie in bestimmte „harte" Ergebnisse übersetzt wie z. B. Rentabilität, Umsatz, Investitionserträge, Liquidität, Marktanteil, Gewinne pro Aktie etc. In diesen Bereichen wird die Leistung eines Unternehmens herkömmlicherweise als erfolgreich oder nicht erfolgreich beurteilt. Wir sind der Ansicht, daß das Ergebnis unternehmerischer Tätigkeit aus einer Kombination von Ressourcen entsteht, und zwar aus Realkapital, Finanzmitteln, Humanvermögen und immateriellen Faktoren. Das Unternehmen ist ein System oder besser gesagt, ein Subsystem - , das zur Optimierung der Ergebnisse eines effektiven Managements aller Ressourcen bedarf. Wenn wir das Unternehmen als System betrachten, stellt Rentabilität oder Wachstum oder jedes andere meßbare Ergebnis einen Ertrag aus der Investition in das System dar, d. h. aus der Gesamtkombination eingesetzter Ressourcen. Bei Verwendung dieses Modells besteht der Führungsprozeß aus der Akquisition und Entwicklung der erforderlichen Ressourcen, ihrer Pflege und ihrer optimalen Zuteilung und Ausnutzung. Aufgabe der Unternehmensleitung ist es sodann, die Planung, Organisation, Durchführung von Maßnahmen sowie die Überwachung einer Kombination von zur Erreichung bestimmter gesetzter Ziele erforderlichen Ressourcen zu steuern. Bei R. G. Barry präzisierten wir fünf Ergebnisbereiche, für welche unsere Geschäftsführer rechenschaftspflichtig sind. Es handelt sich um: Gewinn, Solvenz, Realkapital, Humankapital (intern) und immaterielle Werte. (Zu den letzteren zählen Firmenname, Warenzeichen, Handelsmarken, Ruf in Bezug auf Dienstleistungen). Unser herkömmliches Rechnungsinformationssystem ermittelte lediglich für drei dieser Bereiche Informationen: Gewinn, Solvenz und Realkapital. Da lediglich drei Schlüsselbereiche ausgewertet und gemeldet wurden, war es für
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Robert L. Woodruff
Manager nur natürlich, optimale Ergebnisse in den herkömmlichen Bereichen anzustreben, unabhängig davon, was und wieviel über den Wert der Humankapitalien geredet wurde. Die Art und Weise, in der wir über unsere Unternehmen und die von uns für wichtig erachtete Information denken, beeinflußt die Handlungsweise des Managements. Was bewertet wird, welcher Informationsrückfluß an das Management erfolgt und anhand welcher Information man glaubt, beurteilt zu werden, all dies sind Faktoren, die das Verhalten der Unternehmensleitung beeinflussen. Wenn nicht alle wichtigen Ergebnisbereiche in das Rückkopplungssystem eingegliedert werden, kann der Geschäftsführer sich ermutigt fühlen, Entscheidungen zu treffen, welche nicht unbedingt im Interesse der Organisation liegen - und, was noch schlimmer ist - welche möglicherweise erst bekannt werden, wenn sich die Organisation in erheblichen Schwierigkeiten befindet. Ein Beispiel ist die Erzeugung kurzfristiger Gewinne auf Kosten einer Personalaufstockung, welche für eine langfristige Unternehmenskontinuität erforderlich ist.
3. Erforderliche Information über das Humankapital Da die Prioritäten der Manager, ihre Werte, Planungen und Entscheidungen von der Art und Weise der Information abhängen, welche sie erhalten, waren wir von der Notwendigkeit einer Information über die Änderungen in bezug auf das Humankapital und die immateriellen Faktoren überzeugt. Die verfügbaren Verfahren zur Ermittlung von Informationen über das Humankapital bestanden in Meinungsumfragen über das Humankapital eines Unternehmens sowie in Marktforschungsuntersuchungen über die immateriellen Faktoren. Da wir der Ansicht waren, daß die Arbeit von Rensis Likert die fortschrittlichste Methode zur Ermittlung und Auswertung von Informationen über kausale und intervenierende, den Wert des Humankapitals beeinträchtigende Variablen war, baten wir ihn um seine Hilfe. William Pyle, der mit R. Likert zusammenarbeitete, empfahl uns die Berechnung des Humankapitals in Dollarwerten. Die Erkenntnis, daß Personen Aktiva der Organisation sind und einen wirtschaftlichen Wert darstellen, ist nicht neu. Die Idee, daß das Rechnungssystem das Humanvermögen im normalen, üblichen Informationssystem über die Aktivposten eines Unternehmens - in gleicher Weise wie z. B. Finanzvermögen - enthalten sollte, sprach uns sehr an. Obgleich uns die Arbeit von Rensis Likert ursprünglich deswegen interessierte, weil wir ein Verfahren zur Vermittlung von soziophysiologischer Information über das Humankapital eines Unternehmens suchten, waren wir doch von der Idee
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
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fasziniert, daß man alle wichtigen Ergebnisbereiche, für welche der Geschäftsführer bei uns verantwortlich ist, in Dollar messen kann. W. Pyle, damaliger Direktor des Human Resource Accounting Program für die Graduate School of Business Administration der University of Michigan, und ein aus leitenden Angestellten der R. G. Barry bestehendes Team bildeten eine Gruppe zur Untersuchung der Zweckmäßigkeit dieser Konzeption. Diese Gruppe zusammen mit R. Lee Brummet, derzeitiger Professor for Accounting an der University of North Carolina, und Eric Flamholtz, damaliger Direktor des Accounting-Information Systems Research Program, Graduate School of Business Administration, University of California at Los Angeles (U.C.L.A.), war 15 Monate lang damit beschäftigt, Ideen über die Implementierung eines Systems zu testen, welches das Sammeln von Informationen über und die Darstellung von in Dollar bewerteten Transaktionen ermöglicht, welche das Humankapital beeinflussen. Unsere ursprünglichen Ziele zur Entwicklung eines derartigen Informationssystems über das Humankapital waren folgende: (1) Unterstützung eines neuen Managementsystems, welches die gesamten Aktiva des Unternehmens berücksichtigt. (2) Integration der Information über das Humankapital des Unternehmens in den betrieblichen Informationsfluß, welcher den Einfluß von Änderungen des Humankapitals auf den Gewinn - oder Verlust - des Unternehmens angibt. Dies war für uns ein dominierendes Ziel, da es schwierig, wenn nicht unmöglich ist, mehrere Ziele mit dem gleichen Nachdruck zu verfolgen. Die Möglichkeit, daß in Zukunft eine einzige Indexzahl die Änderungen in allen 5 Schlüsselbereichen anzeigt, war außerordentlich faszinierend für uns. (3) Ermöglichung einer präziseren Berechnung der Erträge des Unternehmens aus den gesamten eingesetzten Ressourcen und nicht nur aus dem Realkapital oder den finanziellen Vermögenswerten. Dadurch könnten Manager analysieren, auf welche Weise Änderungen in der Zusammensetzung und im Status der eingesetzten Ressourcen die Erreichung der gesetzten Ziele beeinflussen. (4) Versorgung der Manager mit dem notwendigen Informationsrückfluß in bezug auf Führung und Verwaltung des ihnen anvertrauten Humankapitals und der immateriellen Faktoren des Unternehmens, so daß sie entsprechende Korrekturen ihrer Entscheidungen vornehmen können, um ungünstige Tendenzen auszugleichen oder die Bedingungen für diese Kapitalien weiter zu verbessern. Wir verstehen Humankapital als ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der internen Führung unseres Unternehmens. Ursprünglich betrachteten wir die
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Humankapitalrechnung als eine Möglichkeit, der Unternehmensleitung modifizierte Gewinn- und Verlustrechnungen, welche die Änderungen in bezug auf das Humankapital und die immateriellen Faktoren des Unternehmens wiedergeben, sowie konventionelle Informationen vorzulegen. Von dem Team wurde ein umfassendes Modellkonzept zur Entwicklung der Humankapitalrechnung entworfen. Dieses Modell beinhaltete konzeptionell interne und externe Humanvermögenswerte. Es akzeptierte individuelle und synergistische Arten von Investitionen in Personen. Es berücksichtigte laufenden Aufwand, Personalersatzkosten sowie die Erfassung des ökonomischen Wertes und versuchte darüber hinaus, alle diese Konzepte zu den Änderungen in den sozio-psychologischen Strukturen des Unternehmens sowie zu den Endresultaten in Beziehung zu setzen. Es erübrigt sich mitzuteilen, daß sich seine Implementierung als unmöglich erwies (s. Anhang A).
4. Kostenansatz des Human Resource Accounting Wir begannen die Operationalisierung des HRA-Systems mit der Ermittlung der Kosten. Hierbei werden die Investitionen des Unternehmens in das Personal sowie die aufgrund dieser Investitionen auftretenden Änderungen gemessen. Die Gründe für die Wahl dieses Verfahrens waren folgende: der überwiegende Teil der Informationen ist ohne weiteres verfügbar; das Verfahren zur Ermittlung der Kosten entspricht weitgehend der herkömmlichen Berechnung; die Informationen bedeuten keine Bedrohung für Personen innerhalb der Organisation. Die Information über die Kosten wird in sieben Funktionsbereichen ermittelt: (1) Anwerbungskosten — Kosten, welche mit der Anwerbung und Auswahl neuen (Führungs)-Personals verbunden sind. Zu dieser Kategorie gehören u. a. Kosten für die Werbung, Reisekosten für die Interviewer oder die Interviewten, Zuweisung von Personal, Arbeitszeit für die interne Auswahl ungeeigneten Personals, durch Interview, Tests und Auswertung derselben entstandene Kosten. Kosten für abgewiesene Bewerber werden den Kosten zugeordnet, welche durch die Vermittlung eines angenommenen Bewerbers entstehen. (2) Einstellungskosten - Kosten, welche durch „Anbordnehmen" eines neuen Mannes entstehen. Zu dieser Kategorie gehören Unterbringungskosten, Umzugskosten, ärztliche Untersuchungen, Zuordnung von Personal und Arbeitszeit für die Einstellung einer neuen Person und ihre Ausrüstung mit dem erforderlichen Arbeitsmaterial, um sie in die Lage zu versetzen, ihre Arbeit ordnungsgemäß durchzuführen. (3) Orientierungskosten - Kosten, welche normalerweise unmittelbar nach der Einstellung oder nach einem möglichen Übergang von einem Arbeitsplatz zu
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
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einem anderen entstehen. Sie beziehen sich auf normale Orientierungsprogramme, Schulungen etc. (4) Informelle Schulungskosten - Kosten, welche mit dem Einweisungsverfahren eines neuen Angestellten verbunden sind, um seine vorhandenen Kenntnisse an die speziellen Erfordörnisse seiner neuen Aufgabe anzupassen. Die mit diesem Verfahren verbundenen Kosten sind normalerweise ausschließlich Gehaltskosten und ändern sich mit jedem Arbeitsplatz, je nach Rang innerhalb der Organisation, Zahl der Untergebenen, Kooperationsschema außerhalb der Abteilung etc. (5) Einarbeitungskosten — Kosten, welche mit dem komplizierten Verfahren der Integration eines neuen Managers in die Organisation bis zu dem Zeitpunkt verbunden sind, da er als voll verantwortliches Mitglied betrachtet werden kann. Zu derartigen Kosten gehören das Kennenlernen der Unternehmensphilosophie, ihrer Geschichte, ihrer Geschäftspraktiken, Ziele, Kommunikationsschemata, der früheren Vorgehensweisen, der Präzedenzfälle, Verständnis für die Mitarbeiter, mit denen der neue Stelleninhaber regelmäßig zu tun haben wird. Diese Kosten, welche sich nach Rang und Umfang der Position richten, schließen Gehaltskosten ein. (6) Informelle Entwicklungskosten - Kosten, welche durch Investitionen in „onthe-job-training" entstehen, welche nach der anfänglichen Einarbeitungszeit anfallen und welche für die Gesellschaft über den laufenden Verrechnungszeitraum hinaus von Wert sein werden. Kenntnisse, die man während Fortund Weiterbildungsveranstaltungen erlangt, werden normalerweise nicht als Teil der Tätigkeit eines Beschäftigten angesehen. (7) Formelle Entwicklungskosten - Kosten, welche durch Investitionen zur Steigerung der Fähigkeiten eines Managers in Bereichen entstehen, die jenseits der speziell für seine Position erforderlichen Fähigkeiten liegen. Zu dieser Kategorie gehören Managementseminare, Universitätsprogramme oder Kurse etc. Die Kosten werden anhand von „Anträgen auf Aus- und Weiterbildung" gesammelt und nach Beurteilung des Teilnehmers in Bezug auf die Relevanz der Maßnahme modifiziert (s. Anhang B). Die Bemühungen konzentrierten sich auf die Identifizierung, das Sammeln und die Darstellung von Informationen über die Kosten des Führungspersonals. Die Gründe, weshalb wir mit dem Management begannen, waren folgende: Die Anwerbung, Einstellung, Einarbeitung und Schulung von Führungspersonal ist komplexer; im Durchschnitt bedingen Manager wesentlich höhere Dollarinvestitionen für die Industrie, zu der wir uns zählen; und wir waren der Ansicht, daß ein stärkerer Einfluß auf das Managementverhalten dadurch erreicht werden könnte, wenn wir mit der Humanvermögensrechnung im Managementbereich beginnen.
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Die von uns zusammengetragenen Informationen über Kosten oder Investitionen enthielten zweierlei: (1) Die direkten Ausgaben für Aktivitäten wie Anwerbung, Einstellung von Personal, Ausbildung und Seminare etc., und (2) Gehaltsanteile für Ausbildungs-, Einarbeitungs- und Entwicklungszeiten Zeiten, in denen die Organisation nicht voll von den Leistungen eines Beschäftigten profitieren kann. Kosten, welche als Investitionen in das Humankapital klassifiziert werden, müssen die Voraussetzungen herkömmlicher Kalkulationen zur Kapitalisierung erfüllen, d. h. die Aufwendungen erbringen einen Ertrag über einen Zeitraum, der über die laufende Rechnungsperiode (üblicherweise 12 Monate) hinausgeht. Typische Investitionen in Führungspersonal auf verschiedenen Ebenen der BarryCorporation bei Aufnahme des Programmes waren folgende: (1) Unteres Management
$
3 000
(2) Industrieingenieur
$ 10 000
(3) Mittleres Management
S 16 000
(4) Führungsspitze
$ 38 000
Die Information über die Kosten wird von den einzelnen Managern zusammengetragen und ergibt sich aus den sieben Funktionsbereichen. Die Kosten der Humankapitalrechnung werden jährlich auf der Grundlage der erwarteten Arbeitsdauer des Beschäftigten, oder im Falle von Ausbildungs- und Fortbildungskosten, über einen festliegenden kürzeren Zeitraum abgeschrieben. Jeder Betriebsleiter muß die für seine Untergebenen aufgewendeten Kosten halbjährlich überprüfen und alle speziellen Abschreibungen in Bezug auf Ausbildung, Erfahrung oder Entwicklung angeben, welche durch „Überalterung der Investition" erforderlich werden. Die endgültige Abschreibung der Kosten eines Beschäftigten erfolgt bei ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen. Das Kosten-System wurde im Jahre 1970 auf eine große Gruppe von Arbeitern und Bürokräften ausgedehnt. Das Subsystem für diese große Zahl von Personen innerhalb eines relativ begrenzten Bereiches von Qualifikationen ist etwas modifiziert, da Art und Ausmaß der Investitionen erhebliche Unterschiede gegenüber denjenigen aufweisen, die für Führungspersonal getätigt werden. Lediglich drei Funktionsrechnungen werden für diese Gruppe verwendet: Einstellung, Orientierung und Ausbildung. Das System verwendet durch Arbeitsplatzklassifizierung entwickelte Normen und läuft über den Computer. Diese Ausgaben werden auch auf der Grundlage der erwarteten Beschäftigungszeit abgeschrieben. Die endgültige Abschreibung erfolgt beim Ausscheiden aus dem Unternehmen.
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
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Die Schätzdaten über die „erwartete Beschäftigungsdauer" basieren auf den Fluktuationsdaten von R. G. Barry. Folgende drei Faktoren erwiesen sich als starke Indikatoren der erwarteten Beschäftigungsdauer: (1) Stellung innerhalb der Organisation (2) Alter, (3) bisherige Beschäftigungszeit. Wir entwickelten gewichtete Wahrscheinlichkeitskurven für diese drei Variablen und ermittelten aus ihnen die gesamte zu erwartende künftige Beschäftigungsdauer. Uber diesen Zeitraum wird das Investitionskonto dann abgeschrieben. (Die erwartete Beschäftigungsdauer einer typischen Näherin von über 29 Jahren mit einer bisherigen Beschäftigungsdauer von weniger als 1 Jahr betrug aufgrund dieser Formel 1,8 Jahre.)
5. Verbesserung der Erfassung von HRA-Daten Das Sammeln von Daten ist ein Prozeß. Die Analyse der Daten und ihre Ubersetzung in brauchbare Information für die Betriebsleiter war schwieriger. Nach Erstellung der ersten Humankapital-Investitionsbilanz für jede Abteilung wurden die Änderungen auf den jeweiligen Konten gebucht und eine korrigierte Bilanz auf Vierteljahresbasis erstellt. Die alte und die neue Bilanz und der Unterschied zwischen den beiden wurden dem Geschäftsführer vorgelegt. Dies entspricht dem Verfahren einer periodischen Inventur und der Angabe des historischen Dollarwertes. Diese Information war zwar interessant für die Betriebsleiter, erwies sich jedoch für ihre Entscheidungen oder die Auswertung ihrer Leistungen als nicht brauchbar (s. Anhang C). Im Jahre 1970 entwickelten wir einen Humankapital-Etat. Anhand der Arbeitskräfteprojektionen, die im normalen jährlichen Gewinn-Planungsprozeß erstellt werden, wurden die ungefähren Kosten in bezug auf Investitionen für zusätzliches Personal und die Entwicklung des vorhandenen Personals abgeleitet. Außerdem wurden Prognosen über freiwillige und unfreiwillige Fluktuation und normale Abschreibungen vorgenommen. Das Ergebnis war ein Humankapital-Plan (s. Anhang D). Berichte an das Management reflektierten die tatsächlichen Investitionen und Abschreibungen gegenüber den geplanten Investitionen und Abschreibungen für das Vierteljahr. Wir benutzten dieses Verfahren über eine Reihe von Jahren. Einer der Nachteile bestand darin, daß der Humankapital-Etat tatsächlich einige der Einstellungs- und Entwicklungskosten im Kosten-Etat des Managers verdoppelte. Dies glich sich selbstverständlich aus, wenn man den Einfluß der Humankapitalrechnung auf den konventionellen Gewinn berücksichtigt; dennoch war dies in gewisser Hinsicht für die Betriebsleiter verwirrend.
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Ein drittes Verfahren zur Darstellung der Einflüsse von Änderungen im Humankapital bestand in einer Berichtigung des herkömmlichen Gewinns dahingehend, daß die Netto-Humankapitalinvestition und Abschreibungen auf Vierteljahresbasis wiedergegeben wurden. All diese Verfahren verwendeten Informationen über die Humankapitalrechnung auf einer von den betrieblichen Erfordernissen losgelösten Abstraktionsebene. Keiner dieser Versuche, Informationen über Nettoinvestitionen in das Humankapital und deren Rückwirkung auf herkömmlichen Gewinn und Verlust zu liefern, hatte einen nennenswerten Einfluß auf die Managemententscheidungen. Wenn man berücksichtigt, daß die Idee der Humankapitalrechnung völlig neu war, dann waren diese Ergebnisse vielleicht zu erwarten. Da es kein Modell gab, an dem man sich orientieren konnte, war die Planung des verwendeten HRA-Systems auf die Leistungen einer kleinen Gruppe von Personen beschränkt. Obgleich erheblicher Aufwand für die Schulung von Betriebsleitern betrieben wurde, beteiligten sie sich nicht an der Systemplanung. Viele von ihnen betrachteten den Aufwand als in hohem Maße akademisch. Wie bei einem derartigen neuen Informationssystem zu erwarten, erwiesen sich einige der ursprünglichen Konzeptionen als undurchführbar, andere als zu kompliziert. Änderungen wurden im Anfangsstadium der Systementwicklung sowohl in bezug auf die zusammengetragenen Daten wie auf ihre Weitergabe durchgeführt. Ein weiterer Punkt ist der Erwähnung wert. In einer Aktiengesellschaft, die von den Anlegern als expandierendes Unternehmen verstanden sein will, sind pauschale Steigerungen der Gewinne pro Aktie, welche nach konventionellen Berechnungen kalkuliert werden, von großer Bedeutung. Die Meinung der Finanzexperten kann von ausschlaggebender Bedeutung sein, insbesondere, wenn die Gesellschaft eine Erhöhung ihres Aktienkapitals plant. Obgleich wir der Ansicht sind, daß Ergebnisse aufgrund eines ordnungsgemäßen Managements aller Ressourcen errechnet werden, sieht sich ein Unternehmen auch der Bewertung durch die Finanzwelt ausgesetzt. Zwar liefert ein wirksames System zur Humankapitalrechnung Informationen in bezug auf die Art der Vor- und Nachteile in einer derartigen Situation. Gleichzeitig wird jedoch innerhalb des Systems ein Druck ausgeübt, Entscheidungen zu treffen unter Berücksichtigung ihrer Rückwirkung auf die Zahlen, welche in den Geschäftsberichten veröffentlicht werden. Das umfassendere System, von welchem das Untersystem ein Teil ist, legt Wert auf kurzfristige konventionelle Ergebnisse. In dem Maße, wie die Akquisitionsziele bzw. die eigenen Aktienoptionen der leitenden Angestellten ihr Verhalten beeinflussen, entstehen Gegenkräfte zum „Gesamtrechnungskonzept". Solange die externen Systeme keinen Wert auf Humankapitalinformation bei der Bewertung des Unternehmens legen, ist es zweckmäßig, von der Aufnahme des Humankapitals in die Bilanz abzusehen.
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
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Wie vielleicht bekannt ist, hat R. G. Barry eine auf dem Gesamtkonzept beruhende Proforma-Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung in den letzten Jahresberichten veröffentlicht (s. Anhang E). Der Grund hierfür war das weitverbreitete Interesse am HRA und nicht etwa die Absicht, die Anleger zu beeinflussen. Trotz der Veröffentlichung der Proforma-Erklärungen in unserem Jahresbericht bleibt es die Aufgabe des von uns verwendeten Humankapital-Informationssystems, das interne Management zu verbessern. Diese Erklärungen werden in Zukunft nicht in den Jahresberichten erscheinen. Unsere schlechten Erfahrungen mit der Weitergabe von HRA-Informationen in bezug auf das gesamte System veranlaßten uns, einige spezielle, begrenzte Anwendungen von Informationen über die Humanvermögensrechnung zu untersuchen. Hier erwies sich die Information als nützlich, und hatte in beträchtlichem Ausmaß Einfluß auf die Hierarchie der Prioritäten der Manager, ihre Entscheidungen und - hoffentlich - die von ihnen erreichten Ergebnisse. Eine der ersten spezifischen Anwendungen brachte eine Reduktion des Führungspersonals mit sich, die aufgrund eines Geschäftsrückganges erforderlich wurde. Die nicht abgeschriebenen Humankapitalinvestitionen in der zu entlassenden Gruppe wurden überprüft und die ursprüngliche Entscheidung dahingehend modifiziert, daß ein Marktforscher behalten wurde, der für uns eine hohe Investition bedeutete. In einem anderen Fall wurde der tatsächliche Betrag einer Investition festgestellt, welche für eine größere organisatorische Umstrukturierung erforderlich war. In diesem speziellen Fall stellte der Leiter einer Nähfabrik mit mehr als 300 Leuten die gesamte Arbeitsorganisation um und machte aus einem individuellen, in hohem Maße betriebswirksamen Leistungs-Produktionsverfahren einen Prozeß mit kleinen Team-Gruppen, welche für die gesamte Montage des Produktes verantwortlich waren. Die konventionell ermittelten Investitionen erforderten neue Materialhandhabungsgeräte, einige zusätzliche Nähmaschinen und eine Reihe von Arbeitshilfen. Ferner war eine gewisse Änderung des Stromnetzes erforderlich; die Gesamtkosten beliefen sich auf $ 70 000,-. Der Ertrag aus den Investitionen für diese Änderung versprach, riesig zu werden. Die Kosten für Orientierung, Schulung, Nachschulung sowie Einarbeitung der Aufsichtspersonen und Belegschaft wurden durch Anwendung der Humankapitalrechnung ermittelt. Später wurden die durch den Verlust einer Aufsichtsperson und mehrerer Arbeiter entstandenen Investitions-Abschreibungen ebenfalls errechnet. Die zusätzlichen Investitionen in das Humankapital und die durch die Veränderung direkt entstandenen Verluste betrugen fast das Vierfache der Realkapitalkosten. In diesem Beispiel zeigte sich, daß aufgrund des Ertrags aus den Gesamtinvestitionen sowohl in das Human- wie das Realkapital sich der Wechsel immer noch lohnte, so daß wir mit der Umstrukturierung fortfuhren. Bei späteren Bewertungen vorgeschlagener Änderungen im soziotechnischen System sind Investitionen beider Arten in der R.O.I.-Kalkulation enthalten.
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Robert L. Woodruff
Es hat sich herausgestellt, daß die Berücksichtigung gewisser Humankapitalkosten als Teil der Investitionsgrundlage zur Ermittlung der Rentabilität einer vorgeschlagenen Verbesserung sowohl logisch wie nützlich bei der Entscheidung zwischen verschiedenen Investitionsalternativen ist. Die andere bedeutende Anwendung, für deren Entwicklung wir - und eine Reihe anderer Gesellschaften - beträchtliche Zeit aufgewendet haben, besteht in der Erstellung eines Berichtes über Fluktuationskosten. In unserer Organisation wurden Managern geplante Ausgaben, tatsächliche Ausgaben und Abweichungen berichtet. Wenn ein Betriebsleiter einen Monatsbericht mit einer Negativ-Abweichung in Höhe von $ 11 0 0 0 , - für Materialverbrauch erhält, muß er umgehend etwas unternehmen, um das Problem zu untersuchen und zu korrigieren. Wenn er einen herkömmlichen Monatsbericht über Personalfluktuation erhält, könnte dieser eine 3%-ige Rate ausweisen. Vorausgesetzt, daß es sich hier nicht um eine schwerwiegende Änderung handelt, würde der verantwortliche Manager höchstwahrscheinlich nichts unternehmen, selbst wenn die damit verbundenen Kosten größer als der durch die Materialabweichung verursachte Betrag von $ 11 0 0 0 , sein sollten.
Grenzen herkömmlicher
Fluktuationsstatistiken
Herkömmliche Fluktuationsstatistiken vermitteln einem Geschäftsführer keine ausreichenden Informationen zur Bewertung des ökonomischen Effektes der von ihm festgestellten Fluktuation. Sie geben z. B. keinen Aufschluß darüber, ob eine Gesellschaft besonders intensiv oder erst kürzlich in diejenigen Beschäftigten investiert hat, welche die Gesellschaft verlassen. Eine 5-10%-ige jährliche Fluktuationsrate bei Führungspersonal kann aufgrund von Industrie-Statistiken als „normal" oder „vernünftig" angesehen werden. Wenn diese 5 Prozent die leitenden Angestellten des Unternehmens ausmachten, wäre die Rückwirkung auf die Firma offensichtlich wesentlich größer, als wenn es sich um das untere Management gehandelt hätte. Die Schwierigkeit mit den herkömmlichen Fluktuationsstatistiken liegt darin, daß sie jeder „Transaktion" gleiches Gewicht geben, ohne Rücksicht auf (1) die Stellung innerhalb des Unternehmens, (2) das Alter der aus dem Unternehmen ausscheidenden Person, (3) die bisherige Beschäftigungszeit, (4) die Höhe der Investition, welche das Unternehmen in den Beschäftigten vorgenommen hat und (5) das Leistungsniveau und/oder -potential der Person.
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
111
Häufig erfolgt eine zusätzliche Analyse der Fluktuationsdaten im Verhältnis zur Länge der Dienstzeit, zum Geschlecht, zum Alter, zu den Gründen des Ausscheidens, zur Arbeitsplatzklassifikation oder zur Position etc. Dadurch können mögliche Probleme identifiziert und Strategien zur Lösung der Probleme gefunden werden.
HR A als Rettungs-
oder
Hilfsmittel
Die Verwendung von HRA-Daten kann der Unternehmensleitung eine präzise Darstellung der wirtschaftlichen Situation und der Folgen der Personalfluktuation liefern. Die herkömmliche Fluktuationsrate ist die Gesamtzahl der Kündigungen aus welchen Gründen auch immer, dividiert durch die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in der betrachteten Organisationseinheit pro Periode.
Abgangsrate =
Anzahl der in einem bestimmten Zeitraum ausgeschiedenen Personen Anzahl der Personen pro Organisationseinheit und Periode 1
+
Anzahl der Personen pro Organisationseinheit und Periode 2
2
In ähnlicher Weise ist die konventionelle Zugangsrate die Gesamtzahl von Neueinstellungen während eines Zeitraumes dividiert durch die durchschnittliche Beschäftigungszahl in der betrachteten Organisationseinheit pro Periode.
Zugangsrate =
Anzahl der in einem bestimmten Zeitraum eingestellten Personen Anzahl der Personen pro Organisationseinheit und Periode 1
+
Anzahl der Personen pro Organisationseinheit und Periode 2
2
Die allgemein anerkannte Formel für die Personalersatzrate lautet:
Personalersatzrate =
Anzahl der ausgeschiedenen Leute, welche zu ersetzen sind Anzahl der Personen pro Organisationseinheit und Periode 1
+
Anzahl der Personen pro Organisationseinheit und Periode 2
2
HRA-Daten lassen sich zur Umrechnung der konventionellen Abgangsrate in die monetäre Abgangsrate verwenden.
112
Robert L. Woodruff Monetäre Abgangsrate
Durch Aussscheiden von Personen induzierte Abschreibungen Anzahl der Personen in Zeiteinheit 1
Anzahl der Personen in Zeiteinheit 2
In ähnlicher Weise kann die herkömmliche Zugangsrate in die monetäre Zugangsrate umgewandelt werden.
Monetäre Zugangsrate =
Investitionen, die für neu eingestellte Beschäftigte erforderlich sind Anzahl der Personen in Zeiteinheit 1
Anzahl der Personen Zeiteinheit 2
Die monetäre Abgangsrate liefert einen Index der für die Organisation auftretenden Verluste. Es zeigt sich, daß diese Rate von der Höhe der abgeschriebenen Investitionen sowie von der Anzahl der ausscheidenden Personen beeinflußt wird. Die monetäre Zugangsrate liefert einen Index für die von der Organisation in das Personal getätigten Investitionen. Diese Rate wird ebenfalls durch die Höhe der Investitionen sowie durch die Zahl der neu eingestellten Personen beeinflußt. Die ökonomische Auswirkung der Arbeitskräftefluktuation auf eine Organisation ist ein Produkt sowohl der abgeschriebenen Humankapitalinvestition bewertet in Geld, wie der Notwendigkeit zu Investitionen als Vorleistungen, um ausscheidendes Personal zu ersetzen. Werden Abschreibungen und Ersatz-Investitionen zusammengenommen und mit dem durchschnittlichen Betrag der Investitionen in das Humankapital verglichen, so ergibt sich ein monetärer Fluktuationsindex. Investitionsbetrag für ausscheidende Erforderliche Investitionen für + one arer Personen in der laufenden Periode Neueinstellungen Fluktuations-Index = Gesamtinvestition in Zeiteinheit 1 + Gesamtinvestition in Zeiteinheit 2 2
Tab. 1 veranschaulicht eine hypothetische Situation in drei Betrieben. Jeder beschäftigt im Durchschnitt die gleiche Anzahl von Angestellten. Die Fluktuation gemäß konventioneller Ermittlung reicht von 5 v. H. in Betrieb B bis 20 v. H. in Betrieb C. Für unsere Zwecke müssen alle ausscheidenden Personen ersetzt werden. Bei Verwendung des durchschnittlichen Investitionsbetrages in das Humankapital in jedem Betrieb zur Ermittlung der monetären Abgangsrate und der monetären Zugangsrate werden die Unterschiede in den Fluktuationsraten in jedem Betrieb offensichtlich. Der sich ergebende monetäre Index besagt, daß
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
113
Tabelle 1 A
B
C
Durchschnittliche Beschäftigtenzahl
100
100
100
Anzahl der ausscheidenden Personen
10
5
20
Normale Fluktuation
10
5 v. H.
20 v. H.
Durchschnittlicher Betrag der Investition in das Humankapital
1 000 000
1 000 000
1 000 000
Humankapitalabschreibungen in $ ^ ^ ^ ^
75 000
150 000
100 000
V.
H.
7,5
in v. H.
Erforderliche Human^ ^ ^ kapitalersatz^ ^ ^ Investitionen ^ ^ ^ in $ ^ ^ in v. H.
120 000
Monetärer Fluktuationsindex
19,5
15 200 000
12
/ /
10 180 000
20
35,0
18 28,0
Tabelle 2 T2
TI
T3
Durchschnittliche Beschäftigtenzahl
200
350
500
Anzahl der ausscheidenden Personen
20
35
50
Normale Fluktuation
10 v. H.
10 v. H.
10 v. H.
Durchschnittlicher Betrag der Investitionen in das Humankapital
1 000 000
000 000
3 000 000
HumankapitalabSchreibungen in $ ^ ^ ^ ^ ^ ^
60 000
180 000
370 000
Erforderliche Humankapitalersatz^ investitionen ^ ^ ^ in $ ^ ^ ^
in v. H. ^
6 ^
140 000
9 280 000
12,4 410 000
^
in v. H. Monetärer Fluktuationsindex
14 20 v. H.
14 / / 23,0 v. H.
26,1 v. H.
13,7
114
Robert L. Woodruff
Betrieb B mit der niedrigsten konventionell ermittelten Fluktuation sich tatsächlich in der am wenigsten erwünschten Situation befindet, was die monetären Auswirkungen auf das Unternehmen betrifft. In einem weiteren Beispiel sei wiederum angenommen, daß alle ausscheidenden Personen zu ersetzen sind. Tabelle 2 zeigt, daß eine konstante herkömmlich ermittelte Fluktuationsrate über drei Perioden nicht notwendigerweise bedeutet, daß die Fluktuation konstant geblieben ist. Der monetäre Fluktuations-Index zeigt ein stetiges Anwachsen und besagt, daß die Struktur der Fluktuation einen ständig wachsenden monetären Einfluß auf die Organisation hat. Obgleich eine detaillierte Analyse zur Ermittlung der Gründe für diesen Trend notwendig wäre, besagen die Zahlen für die monetäre Abgangsrate und die monetäre Zugangsrate, daß in jedem aufeinanderfolgenden Zeitraum die Abschreibungsbeträge sich den erforderlichen Ersatzinvestitionen nähern. Das bedeutet, daß die bisherige Beschäftigungszeit der ausscheidenden Personen möglicherweise relativ kurz sind. In beiden Situationen nach Tabelle 1 und nach Tabelle 2 würde die Verwendung des monetären Fluktuationsindex eine weitere Untersuchung der Fluktuation herbeiführen, während konventionelle Zahlen dieses Problem gar nicht aufdekken. Das Formular für den Bericht über Fluktuation im Managementbereich bei R. G. Barry ist als Anhang F abgedruckt. Die der Organisation entstehenden Kosten finden in dieser Form der Darstellung bessere Beachtung.
6. Auswirkung der Humankapitalrechnung Es hat sich herausgestellt, daß spezielle Anwendungen von Daten der Humanvermögensrechnung bei Auftreten hartnäckiger, wiederkehrender Probleme eine optimale Möglichkeit zur Durchführung positiver Änderungen in der Organisation bieten. Dies ist der Weg, den die meisten anderen mit Humanvermögensrechnung arbeitenden Unternehmen beschritten haben. Die vorstehenden HRA-Anwendungen - d. h. diejenigen, mit deren Hilfe relevante Information vermittelt wird, durch welche eine Verbesserung der Entscheidungen seitens der Unternehmensleitung erreicht werden kann - bringen Vorteile mit sich, die unserer Meinung nach ein System zur Humanvermögensrechnung (oder -information) vermitteln sollte. Die Anwendung des Systems bei R. G. Barry hatte eine spürbare Wirkung auf das Verhalten. Es ist jedoch schwierig, HRA von anderen, organisatorisches Verhalten
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
115
beeinflussenden Programmen zu isolieren. Zunächst ist die Investition von Zeit und Energie in ein System zur Berechnung des Wertes von Personen eine Bestätigung der von uns vertretenen Meinung in bezug auf die Bedeutung von Mitarbeitern für unseren Fortschritt. Zweitens läßt die Behandlung vieler Ausgaben als Investitionen in Beschäftigte deutlich werden, daß Arbeitnehmer Kapital und nicht nur Kosten oder Aufwand darstellen. Drittens werden Aus- und Fortbildungsausgaben in ganz anderem Licht gesehen, wenn sie als Investition in einen Produktionsfaktor und nicht nur als Kosten verstanden und häufig als unwichtig abgetan werden.
7. Künftiges Vorgehen Obgleich R. G. Barry bei der Einführung eines Systems der Humankapitalrechnung im Jahre 1968 als Pionier galt, betrachten wir uns nicht mehr als auf der Schwelle zu neuen Entwicklungen auf dem Gebiet des H R A stehend. In den letzten Jahren haben wir das Kosten-System (mit einigen wenigen Verfeinerungen) beibehalten und zwei für R. G. Barry zweckmäßige Anwendungen ausgearbeitet. Dies erfolgte nicht, weil wir Zweifel an dem Wert des HRA-Systems oder dessen Anwendbarkeit auf unsere Gesellschaft hatten. HRA ist ein Informationssystem, welches der Unternehmensleitung organisierte Daten über ihnen anvertrautes Humankapital liefert. Eine Verbesserung der Information ist nur eine Möglichkeit zur Verbesserung des Managements. In den letzten Jahren hat sich die personelle Funktion mehr auf direkte Aktivitäten bei der Entwicklung von Führungs- und geführtem Personal konzentriert. Ein Teil dieser Bemühungen, wie z. B. die Einführung von Teams im Produktionsprozeß in unseren Unternehmen, sind unmittelbar mit der Anwendung der Humankapitalrechnung verbunden ebenso wie ein Teil der Managementfortbildungsprogramme. Für eine Gesellschaft unserer Größe haben wir erhebliche Finanzmittel und Arbeitskraft im Anfangsstadium der Entwicklung des HRA-Systems aufgewendet. Andere haben aus unseren Bemühungen - und Fehlern - gelernt. Jetzt lernen wir aus der hervorragenden Arbeit anderer Unternehmen. Wir möchten die Gültigkeit einiger unserer ersten Annahmen bestätigen und unsere Anwendungen auf der Grundlage dieser Entwicklungen bei R. G. Barry ausdehnen.
116
Robert L. Woodruff
8. Zusammenfassung R. G. Barry arbeitet seit fünf Jahren mit einem System zur Erfassung der Humankapitalkosten. Die Daten aus den Geschäftsberichten boten uns keine nützliche und richtungsweisende Information. In speziellen Anwendungsfällen war die Humankapitalrechnung zweckmäßig für die Beschaffung neuer Information zur Beeinflussung der Problemlösung und Entscheidung durch das Management. Wir sind weiterhin überzeugt von dem langfristigen Wert, ja der Notwendigkeit der Humankapitalrechnung für unser Unternehmen in der Zukunft. Unsere Motivation basiert auf der organisatorischen Effizienz und nicht auf humanitären Gründen. Das Humankapital ist der einzige Produktionfaktor, der in der Lage ist, sich selbst zu entwickeln und seinen Wert für das Unternehmen zu steigern. In einer Zukunft, in der technologische und soziale Änderungen wahrscheinlich in rascherer Folge eintreten werden, wird das Unternehmen entwicklungsfähige Manager benötigen, um diesen Anforderungen gewachsen zu sein. Humanvermögensrechnung kann dabei eine wichtige Rolle spielen.
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation
117
Anhang A Informationsbedarf der Geschäftsleitung
X N e u e n v e r b u n d (positive) W e r t e n t w i c k l u n g d e r Eins a t z f a k t o r e n (z. B. Kosten, Wiederbeschaflungskosten)
»InvestitionsVariable«
I n f o r m a t i o n ü b e r die W e r t e r h a l t u n g d e r Einsatzfaktoren (»Buchwert«)
KausalVariable
lntervenierVariable
I n f o r m a t i o n ü b e r die Nutzung der Einsatzfaktoren ( » ö k o n o m i s c h e r Wert«)
ErgebnisVariable
finanzieri) ngsbezogene
Erträge a u s »Investit i o n e n in t e c h n o l o gische R e s s o u r c e n «
E N S A T Z F A K T 0 R E N
I technologische I N T E R N E
|—[
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Kosten
mitarbeiterbezogene
Erträge aus Investitionen in H u m a n k a p i t a l
auf das einzelne Individuum bezogene a u f d a s Interaktionssystem bezogene —I
R E S E S X 0 T E R R C N E E N
|—|
Erträge aus Investitionen in administrative R e s s o u r c e n (z.B. P l a n u n g s - u n d Koordinierungssystem)
Kosten
kundenbezogene | — j Kosten
verschiedene
Ertrag aus »Investitionsvariablen«
Kosten
Einsatzbedingungen Einsatzbedingungen
-Umsätze Synergistische Bedingungen: Einstellungen etc.
- Marktanteil - Erträge
Erträge aus Investitionen in e x t e r n e R e s s o u r c e n (z. B. G o o d w i l l , W e r b u n g , Öffentlichkeitsarbeit)
-Reingewinn
Abb. 1: Modell eines Rechnungssystems für alle betrieblichen Einsatzfaktoren
118
Robert L. Woodruff
Anhang B FORMAL TRAINING/DEVELOPMENT REQUISITION (PARTS A AND B)
Number
A. INFORMATION TO BE COMPLETED BY REQUESTING DEPARTMENT: 1. Participant Data: a. Name b. Date of Hire _ c. Check one: .
Position . . Date Present Position Assumed . Outlay Cost Only . Outlay Cost and Replacement Cost . Replacement Cost Only
. Age.
2. Description of Training/Development Requested: 3. Reason for Request (Include Position Performance Objektive Associated with Requested Training/Development): 4. Requested Training/Development Dates . 5. Request Submitted by: a. Name
_ Position.
. Date .
B. INFORMATION TO BE COMPLETED BY PERSONNEL DEPARTMENT COORDINATOR: 1. Where will Training/Development Take Place? a. Within the Company 1. Location 2. Beginning D a t e .
. Ending Date _
b. Outside the Company 1. Conducted by 2. Location 3. Beginning D a t e .
. Ending Date _ Account Charges
2. Training/Development Costs
Replacement Costs
Outlay Costs
a. Direct Costs 1. Tuition 1. Travel 3. Living Expenses 4. Training/Development Material . 5. Other b. Allocated Costs Payroll Number
Time Required
For Accounting Dept. Use
Participant: Instructor (s):
c. Total
3. Training/Development Approved by: Name
Position
Date
Humankapitalrechnung bei der R. G. Barry Corporation F O R M A L T R A I N I N G / D E V E L O P M E N T R E Q U I S I T I O N ( P A R T S C, D, A N D E) C. Evaluation of Training/Development by Participant
Personnel Dept. Use
1. H o w closely did the training/development experience relate to your job performance objectives? (circle one) Somewhat Related
Moderately Related
Highly Related
(1)
(2)
(3)
If "Moderately" or "Highly Related," state in what specific ways:
2. All things considered, to what extent do you feel this training/development experience contributed to your growth as a manager? (circle one) Somewhat (i)
Moderately (2)
A Great Deal (3)
If "Moderately" or " A Great Deal," state in what specific ways:
3. All things considered, to what extent do you feel this training/development experience contributed to your growth as a person? (circle one)
Somewhat
co
Moderately (2)
A Great Deal (3)
If "Moderately" or " A Great Deal," state in what specific ways:
4. If another manager, whose position was similar to your own, was considering the possibility of participating in this training/development, would you recommend that he do so? (circle one)
Not Sure
Probably
Definitely
(1)
(2)
(3)
D. Personnel Department Comments:
E. Accounting Department Use:
(Total) (Average)
119
120
Robert L. Woodruff
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Bestand an BruttoBildungsfonds im materiellen Bereich der Volkswirtschaft der DDR
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Meßkonzepte des gesamtwirtschaftlichen Bildungskapitals
329
ren. Andererseits erhellt daraus aber auch, warum in der Startphase der Bildungsökonomie, in der ein künftiger Mangel an qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitskräften als entscheidender Wachstumsengpaß unterstellt wurde, gerade das Humankapitalkonzept eine so breite Resonanz gefunden hat und „Bildungsökonomie" und „Humankapital" gleichsam Synonyma wurden. Werden nämlich qualifizierte und hochqualifizierte Arbeitskräfte als knapper Faktor angesehen und wird ein langfristig steigender Bedarf an ihnen unterstellt, so gewinnen die öffentlichen Leistungen der staatlichen Bildungspolitik, konkretisiert im Humankapital, einen strategischen Steuerungsimpuls.
Tab. 5: Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, Produktionspotentials, Bruttoanlagevermögens und Humankapitalstocks in der Bundesrepublik Deutschland 19601975 1965
1960 Produktionspotential - Mrd DM zu Preisen von Bruttoanlagevermögen - Mrd DM zu Preisen von Humankapitalstock - Mrd DM zu Preisen von Bruttoinlandsprodukt - Mrd DM zu Preisen von
1970
1975
1970
477,8
625,4
763,8
928,2
1970
1 461,7
1 995,3
2617,8
3370,6
1970
662,2
777,3
812,1
937,4
1970
435,4
555,5
694,0
759,2
Erwerbstätige - in 1000 Arbeitsplätze - in 1000
26 092 27 465
Bruttoanlagevermögen zu Humankapitalstock Humankapitalkoeffizient (Humankapitalstock je BIP-Einheit) bzw. Bildungsfondsintensität - in DM Kapitalintensität (Kapitalstock je Erwerbstätigen) - in DM Humankapitalintensität (Humankapitalstock je Erwerbstätigen) - in DM Humankapitalproduktivität (BIP je Humankapitalstockeinheit) - in DM
26 780 28 605
26 582 28 108
25 303 28 715
2,21
2,57
3,22
3,60
1,52
1,40
1,17
1,23
56 021
74 507
98 480
133 210
25 227
28 651
30 452
37 047
0,66
0,71
0,85
0,81
Quelle: Alex und Weißhuhn (1980, S. 45) Denn durch die überwiegende staatliche Finanzierung verliert nicht nur das entgangene Einkommen weiterführender Bildung als Kostenfaktor für die individuelle Ausbildungsentscheidung an Gewicht, so daß die Individuen ihre Ausbildung weitgehend als „kostenlos" empfinden. Auch die Betriebe werden dadurch in einer Phase der Knappheit an Arbeitskräften und Humankapital von den Qualifi-
330
Armin Hegelheimer
zierungskosten entlastet, so daß als Folge der staatlichen Finanzierung weiterführender Bildung die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gezielt erhöht und der Wachstumsprozeß entsprechend vorangetrieben wird. Im Zeitalter der Wachstums- und Vollbeschäftigungspolitik sowie makroökonomischer Globalsteuerung wird die Bildungspolitik somit selbst zum Wachstumsfaktor, die als Strukturpolitik des Arbeitskräftepotentials einen fallenden Grenzertrag der privaten Realkapitalinvestitionen und damit die schon von den Klassikern und Keynes befürchtete Stagnation der Antriebskräfte des kapitalistischen Entwicklungsprozesses, die in einem stationären Zustand (mit konstantem Konsum und reiner Reinvestitionstätigkeit) auslaufen müßte, zu verhindern sucht. Das Humankapital als wesentliche Bestimmungsgröße der Qualität des Nachwuchses avanciert damit in einer Phase der Arbeitskräfteknappheit und von Qualifikationsengpässen zum „leading factor" des künftigen wirtschaftlichen Leistungsniveaus, so daß aus der Sicht des Humankapitalkonzepts ein umfassender Ausbau des Bildungswesens geboten erscheint. Daraus wird schon sichtbar, welche weitreichenden Schlußfolgerungen allein aus einem lediglich auf das Kostenwertprinzip reduzierten Humankapitalkonzept gezogen werden können oder gezogen worden sind. Die Stärke des so definierten Humankapitalkonzepts liegt in der Erfassung der direkten Ausbildungskosten, ihrer Gegenüberstellung mit den Alternativkosten der Ausbildung sowie dem Vergleich der Sachkapitalentwicklung mit der Entwicklung des Humankapitalbestandes.
10. Humankapital im Konjunkturverlauf Hinzu kommt, daß der Humankapitalansatz entsprechend dem Kostenwertprinzip nicht nur wachstumspolitische Schlußfolgerungen für Perioden der Hochkonjunktur mit Arbeitskräftemangel und Qualifikationsdefiziten zuläßt, sondern auch konjunkturpolitische Wirkungszusammenhänge in Phasen der Rezession mit Arbeitslosigkeit und Qualifikationsüberschüssen sichtbar machen kann. So haben Untersuchungen gezeigt, daß das Humankapital bei seinem jetzigen Gewicht über den Multiplikator-Akzelerator-Mechanismus eine wesentliche Stabilisierungsfunktion im Wachstums- und Konjunkturprozeß gespielt hat, weil die Bildungsausgaben mit ihrem hohen Anteil von Personalausgaben nicht nur kurzfristig Nachfrage nach Konsumgütern auslösen (Einkommenseffekt), sondern über die Konsumnachfrage auch auf die Nachfrage nach längerfristigen Investitionsgütern zurückwirken (Kapazitätseffekt). Darüber hinaus kann aber auch der Schluß gezogen werden, daß - wie es bereits ansatzweise in einer Reihe von Ländern praktiziert wird - die Bildungs- und Weiterbildungsaufwendungen auch bewußt als ein Stabilisierungsfaktor der Konjunkturpolitik eingesetzt werden können. Denn es erscheint produktiver, bei Arbeitslosigkeit in der Rezession öffentliche Mittel für
Meßkonzepte des gesamtwirtschaftlichen Bildungskapitals
331
Bildung und Weiterbildung einzusetzen, als sie lediglich für reine Arbeitslosenunterstützungs-Zahlungen zu verwenden. Das zunehmende Vordringen des Humankapitals gegenüber dem Sachkapital kann damit auch eine Verstetigung des Wirtschaftsprozesses und des konjunkturellen Wirtschaftsablaufes erleichtern oder fördern, sofern die Bildungs- und Weiterbildungsaufwendungen antizyklisch eingesetzt werden. Dazu ist es jedoch erforderlich, die Bildungsinvestitionen in das volkswirtschaftliche Kreislaufkonzept einzubetten, um die konjunktur- und wachstumspolitischen Auswirkungen von Bildungsinvestitionen, d. h. ihre Einkommens- und Kapazitätseffekte, simultan erfassen zu können.
11. Humankapital und Verteilungseffekte Ein anderes Anwendungsfeld des Humankapitalkonzepts für weitergehende Forschungen sind die verteilungspolitischen Wirkungen, die mit Bildungsinvestitionen verknüpft sind. Bei zunehmender Konzentration der Wirtschaft dürften sich die Überwälzungsmöglichkeiten von besonderen Bildungsabgaben oder von allgemeinen Ertragsteuern, die u. a. auch zur Erhöhung des staatlichen Bildungsbudgets erhoben werden, gleichfalls vergrößern, so daß von Seiten der Unternehmen kein bzw. ein zumindest tendenziell abnehmender Widerstand gegen eine Expansion der Bildungsausgaben zu erwarten ist. In diesem Fall wird folglich das Humankapital überwiegend durch erzwungenen Konsumverzicht der abhängig Beschäftigten gebildet, während die Unternehmen Nutznießer der staatlichen Bildungsaufwendungen sind. So unerwünscht dies zunächst aus verteilungspolitischen Gründen erscheinen mag, so steigt doch auch durch diesen Mechanismus der Humankapitalbildung und -Verwendung die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Dadurch wird nicht nur die Investitionstätigkeit der Unternehmen angeregt, sondern zugleich via Wachstum auch das Steueraufkommen erhöht, so daß der Spielraum für die Vornahme von weiteren, zusätzlichen Bildungsinvestitionen größer wird. Dieser Mechanismus führt folglich zu einer Umlenkung von privatem Konsum auf das öffentliche Investitionsgut Bildung. Dies dürfte so lange politisch keine Widerstände hervorrufen, solange die Reallöhne tendenziell steigen. Mit der Analyse der Steuer- und Verteilungswirkungen der Bildungsaufwendungen klingt ein Motiv an, das in der Dogmengeschichte des Humankapitals bereits im vergangenen Jahrhundert eine bedeutsame Rolle spielte. So sollte die Ermittlung des Humankapitals nicht nur die Macht einer Nation widerspiegeln, die ökonomischen Effeke von Bildung bestimmen, die Kriegsverluste zum Zwecke der Aufklärung und Abschreckung der Öffentlichkeit berechnen, Gerichte und Versi-
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Armin Hegelheimer
cherungen im Falle von Personenschäden unterstützen, sondern zugleich auch zur Schaffung eines gerechteren Steuersystems durch Taxierung der „earning capacity" beitragen.
12. Humankapital als Entscheidungskalkül der Humanvermögensbildung Damit werden nun aber auch die Schwächen des Humankapitalkonzepts auf der Basis des Kostenwertprinzips sichtbar: so weist das Konzept die zunehmende Relevanz der kapitalisierten Bildungsaufwendungen für den Wachstumsprozeß und die volkswirtschaftliche Kapitalbildung nach, macht die globalen Zusammenhänge dieses Bedeutungsgeflechts transparent, kann aber gleichwohl keine Strukturkriterien für die Planung der beiden Kapitalarten „reales Anlagevermögen" und „immaterielles Potential" im Rahmen einer integrierten Volks- und Humanvermögensrechnung angeben. Diese sind aber erst ableitbar, wenn ein KostenErtrags-Vergleich vorgenommen und damit das Kostenwertprinzip zugunsten eines voll entwickelten Ertragswertprinzips aufgegeben wird. Damit ist man zwar wieder bei den Zurechnungsproblemen von Humankapitalzuwachs und Einkommenszuwachs angelangt. Doch geht es nun nicht mehr nur um die makroökonomische Ebene einer globalen Humanvermögensrechnung, sondern auch um mikroökonomische Entscheidungskalküle bei dezentralisierter Humanvermögensbildung. Das Humankapital als Element des Humanvermögens ist dabei ein bedeutsamer analytischer Sozial- und Bildungsindikator, der zugleich zu einer rationalen Bewältigung von Entscheidungssituationen beitragen soll. Als Orientierungsdatum für normative Planungsprozesse mit einer ökonomischen Kosten- bzw. Ertragsdimension ist seine Aussagekraft aber auch begrenzt, weil ökonomische Kriterien stets nur ein, wenn auch sehr bedeutsames Kalkül für bildungspolitische Entscheidungen darstellen. Gleichwohl führt seine Berücksichtigung zu einer Systematisierung von Wertentscheidungen der Individuen, Bildungsinstitutionen, Betriebe und öffentlichen Hände über die Höhe und Struktur ihrer Bildungsaktivitäten. Dazu ist jedoch zugleich erforderlich, daß es als zunächst isoliert gewonnenes Teilresultat durch interdisziplinäre Forschung mit den ihnen entsprechenden Gewichten in den Gesamtzusammenhang der Bildungspolitik eingeordnet wird. Mit der Integration des Humankapitals in die Humanvermögensrechnung wird damit nicht nur der staatliche Planungsprozeß verbessert und der Ausbau der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu einem System Sozialer Indikatoren gefördert. Vielmehr wird auch ein Beitrag zu einer verbesserten Entscheidungsfindung von Individuen und Unternehmen bei der individuellen oder betrieblichen Humankapitalbildung geleistet. Die betriebliche Humanvermögensrechnung kann dabei zugleich einen
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wichtigen Anstoß für die Entwicklung einer integrierten Unternehmensrechnung und einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung der Betriebe geben.
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Versuch einer bildungsökonomischen Bewertung der Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland Wolfgang
Dietrich
Winterhager
1. Gegenstand 1.1 Das „duale System" und die Alternativen Die dominierende Form beruflicher Bildung in der Bundesrepublik Deutschland ist die Lehre im „dualen System". Diese Ausbildung findet in den Betrieben und in der Regel an einem, teils auch an zwei Wochentagen in einer öffentlichen Berufsschule statt. Sie wird von etwa 55 Prozent aller Jugendlichen durchlaufen, wobei es sich überwiegend um eine dreijährige Ausbildung nach dem Abschluß der Hauptschule handelt. Staatliche Regelungen dazu sind das Berufsbildungsgesetz und die Ausbildungsordnungen der einzelnen Berufe, die der Bund für den außerschulischen Teil erläßt, während die einzelnen Bundesländer durch ihre Schulgesetze und Unterrichtspläne den schulischen Teil regeln. Es befinden sich insgesamt etwa 1,3 Millionen Jugendliche in einer solchen Ausbildung. Andere Formen außerschulischer Berufsbildung gibt es nur in geringem Umfang. So haben z. B. Anlernprogramme für Jungarbeiter, besondere Ausbildungsgänge für Abiturienten und Trainee- Ausbildungen für Jungakademiker ein Volumen von jeweils weniger als ein Prozent im Vergleich zur Lehrlingsausbildung. Größere Bedeutung besitzen dagegen schulische Ausbildungsgänge an Universitäten, Fachschulen, Berufsfachschulen und anderen beruflichen Schulen. In der vorliegenden Abhandlung sollen diese Formen jedoch nicht weiter beachtet werden. Ebenso soll die berufliche Weiterbildung nicht behandelt werden. Als Kernstück des beruflichen Ausbildungssystems der Bundesrepublik soll deshalb hier nur die Lehrlingsausbildung im „dualen System" behandelt werden.
1.2 Meßbare Größen Eine bildungsökonomische Betrachtung muß sich auf ökonomisch meßbare Größen beziehen. Das sind einmal Kosten und Erträge der Ausbildung, die unmittelbar als monetäre Größen entstehen; zum anderen handelt es sich um „opportunity
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Wolfgang Dietrich Winterhager
costs", die als entgangene Erträge, besonders als entgangene Einkommen für alternative Verwendungen anstatt der Ausbildung erfaßt werden können. In der Bildungsökonomie ist diskutiert worden, ob es sinnvoll sei, im Falle einer Bildungspflicht mit opportunity-costs zu rechnen, da eine Alternative zur Ausbildung dann und insoweit vom Gesetzgeber ausgeschlossen ist. Normalerweise wird man diese Frage verneinen, anderes gilt jedoch, wenn der Gesetzgeber selbst über diese Frage zu entscheiden beabsichtigt, oder wenn es sich um gesamtwirtschaftliche Berechnungen etwa im internationalen Vergleich handelt. In der Bundesrepublik ist die Teilzeit-Berufsschule eine solche Pflichtschule für alle Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr, die keine Vollzeitschule besuchen. Insoweit gelten diese Überlegungen hierfür. Demgegenüber ist die betriebliche Lehre bisher eine freiwillige Ausbildung. Es wird jedoch diskutiert, die Vollzeitbildungspflicht (die in einer Schule oder in einem betrieblichen Bildungsgang wahrgenommen werden kann) über die Hauptschule hinaus zu verlängern (vgl. z. B. Reform der Berufsbildung 1974a und b). In diesem Falle müßte auch hier umgedacht werden. Nicht berücksichtigt werden können die nicht in Geld meßbaren Kosten und Erträge. Das sind einmal Größen, die keinerlei Geldausdruck finden, zum anderen aber auch „spillover" Effekte, die zwar ökonomisch wirksam, aber aus technischen Gründen nicht meßbar sind. Bei den Individuen ist das z. B. die individuelle Befriedigung oder Abneigung, eine Ausbildung zu durchlaufen, das damit verbundene Sozialprestige, die Auswirkungen auf die spätere Erziehung der eigenen Kinder etc. Bei den Betrieben handelt es sich etwa um das Renommee der Firma und das Betriebsklima. In der Gesamtwirtschaft schließlich geht es um den Wert einer gebildeten Gesellschaft an sich, das Funktionieren demokratischer Regeln, das internationale Ansehen und ähnliches. Bildungsökonomische Rechnungen und Bewertungen, wie sie hier versucht werden, sind deshalb unvollständig; sie treffen (besonders auf der Seite der Erträge) nur einen Teil der erklärungs- und entscheidungsrelevanten Tatbestände. Besonders für Bildungsentscheidungen auf den einzelnen Ebenen sind sie deshalb nur ein Hilfsmittel, keinesfalls aber eine unmittelbare Vorgabe.
2. Zwecke, Fragestellungen Die Zwecke bildungsökonomischer Bewertungen von beruflichen Bildungsgängen können sehr verschieden sein. Für die Individuen soll hier die Entscheidungshilfe für die Wahl einer Ausbildung im Vordergrund stehen, wobei die Entscheidung im Einzelfall auch aus vielen anderen - möglicherweise dominierenden - Motiven
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getroffen werden mag. Daneben ergibt sich ein Erklärungswert für Einkommensdifferenzen. Für die Betriebe wird eine Humankapitalbewertung im Rahmen der Unternehmensbewertung, aber auch innerhalb von laufenden Geschäftsberichten versucht. Erhebliche Bedeutung haben Bewertungsvorgänge nicht nur über Ausbildungsfragen, sondern auch über Einstellungen und Entlassungen, über Lohnforderungen qualifizierter Kräfte, über die Personalplanung und damit letztlich oft auch über die Betriebstätigkeit überhaupt. In diesem täglichen Betrieb ist der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Personalentscheidungen zugleich erhebliche Wertbewegungen bedeuten. Für die Gesamtwirtschaft sind wirtschaftliche und bildungspolitische Zwecke anzuführen. Erklärungen und Entscheidungshilfen für gesamtwirtschaftliche Entwicklungen können durch Humankapitalrechnungen gefunden werden, und durch die Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Kosten und der wirtschaftlichen Effekte werden der staatlichen Bildungspolitik zusätzliche Informationen vermittelt.
3. Hauptvariablen, Modellrechnungen Im folgenden werden einige einfache Modellrechnungen mit Daten aus den Jahren 1971/72 vorgelegt, durch die die Größenordnungen deutlich werden sollen. Für die Bedenken gegen einzelne dieser Rechnungen sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. Eine Fortschreibung dieser Zahlen nehmen seit einigen Jahren der BMBW (vgl. für die letzten Zahlen BMBW 1980/81, S. 180 f.) sowie das Bundesinstitut für Berufsbildung vor. Die Werte verdoppeln sich danach etwa innerhalb eines Jahrzehnts.
3.1 Die Auszubildenden 3.1.1 Kostenwert Die einzelnen Auszubildenden tragen Kosten für ihre Bildung im wesentlichen dadurch, daß sie während ihrer Ausbildungszeit auf ein Einkommen als ungelernte Arbeiter verzichten und statt dessen nur eine niedrigere Ausbildungsvergütung beziehen (opportunity-costs). ti . . . tm L 1 so beträgt der
= die Ausbildungsjahre, = der Lohnsatz für einen Jungarbeiter und = die Ausbildungsvergütung, Kostenwert K der Ausbildung für einen Auszubildenden
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(1) K =
Z ti (L—1). i=1 Für 1971/72 betrugen die Werte hierzu in der Bundesrepublik Deutschland im einzelnen für: - die Ausbildungsdauer im Durchschnitt drei Jahre, - die Vergütung eines Jungarbeiters (einschließlich betrieblicher Sozialleistungen) durchschnittlich 680,- DM monatlich oder 8160,- DM im Jahr (Statistisches Bundesamt 1972, Abschnitt VII) und - die Ausbildungsvergütungen für einen Auszubildenden im Durchschnitt 268,DM monatlich oder 3216,- DM jährlich (Sachverständigenkommission 1974, S. 354; für neuere Daten vgl. BMBW 1980). Demnach ist der Kostenwert eines Auszubildenden ( l a ) K = 3 ( 8 1 6 0 - 3 2 1 6 ) = 14 832,- DM. Neben diesen opportunity-costs können den Individuen auch direkte Kosten für Lehrmittel, Fahrten, Berufskleidung u. ä. entstehen. Diese Kosten werden jedoch fast ausschließlich vom Arbeitgeber und teils auch vom Staat übernommen und sind gegenüber dem entgangenen Einkommen vernachläßigbar gering.
3.1.2 Ertragswert, Verzinsung Die Individuen beziehen Erträge aus ihrer Ausbildung im wesentlichen dadurch, daß sie während ihrer Erwerbsdauer als Facharbeiter, Handwerksgesellen oder gelernte Angestellte ein höheres Arbeitseinkommen erhalten als ungelernte Kräfte. Sind = die Erwerbsjahre tm + i . • • tn A = das Durchschnittseinkommen eines Gelernten und a = das Durchschnittseinkommen eines Ungelernten pro Jahr, so beträgt die Summe der Erträge E für einen Auszubildenden zunächst rechnerisch n
(2) E =
2 ti ( A - a ) . i=m+1
Die Lohndifferenz zwischen gelernten und ungelernten Kräften wird bei verschiedenen Gruppen männlicher Arbeitnehmer in der BRD für 1971 ziemlich einheitlich mit ungefähr 1,30 DM pro Arbeitsstunde ausgewiesen (Statistisches Bundesamt 1972). 1 Bei ca. 1800 Arbeitsstunden im Jahr ergibt das ein jährliches Mehreinkommen von ca. 2340,- DM. Demnach ist bei etwa 40 Erwerbsjahren
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(2a) E = 40 • 2340 = 93 6 0 0 - D M .
Der Barwert dieser Erträge E' bei Beginn der Erwerbstätigkeit beträgt bei einem rechnerischen Zinssatz von p = 6% näherungsweise2 (3) E' oder
100 P
(A-a)
100 (3a) E' = — - • 2340 = 39 0 0 0 - DM. 6 Der interne Zinsfuß einer Berufsausbildung beträgt rechnerisch näherungsweise (4) p' = 100
- ^ p - ,
unter Zugrundelegen der vorliegenden Daten also (4a) p' = 100
2 340
15,8%-
3.2 Die Betriebe Die Betriebe tragen direkte Kosten für die Berufsausbildung, indem sie dem Auszubildenden Ausbildungsvergütungen zahlen und Personal, Räume, Sachmittel und Verwaltungsleistungen zur Verfügung stellen. Von diesen Bruttokosten sind die Erträge aus produktiven Leistungen der Auszubildenden abzuziehen. Sind BÄK = die Brutto-Ausbildungskosten der Betriebe pro Lehrling und Jahr und E = die Erträge aus produktiver Leistung pro Lehrling und Jahr, so beträgt der Wert der Nettoausbildungskosten NAK der Ausbildung für einen Lehrling insgesamt m (5) NAK = 2 ti (BÄK - E). i=1 Für 1972 betrugen die Werte hierzu im einzelnen m =3 BÄK = 6 948,- DM E
= 2 561,- DM (Sachverständigenkommission 1974, S. 92 und 93).
Demnach betrugen die Netto-Ausbildungskosten für einen Lehrling (5a) NAK = 3 (6 948 - 2 561) = 13 161,- DM. Die gesamten betrieblichen (Netto-)Ausbildungskosten während des Jahres 1972 betrugen in der BRD 5,3 Mrd. DM, der gesamte Leistungsbeitrag der Auszubil-
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denden zum Bruttosozialprodukt betrug 3,4 Mrd. DM (Sachverständigenkommission 1974, S. 436). Diese Werte haben sich im letzten Jahrzehnt nach Schätzungen verdoppelt (BMBW 1980/81). Die Betriebe können Erträge nach der Ausbildung durch die produktive Beschäftigung der Ausgebildeten beziehen. Wie bereits Becker (1963, bes. S. 9-49) gezeigt hat, entstehen solche Erträge (unter neoklassischen Annahmen) nur dann und insoweit, als betriebsspezifische Qualifikationen und Mobilitätsbeschränkungen vorliegen; andernfalls werden über den Arbeitsmarkt Lohn und Leistung der Ausgebildeten angeglichen. Die Dauer solcher ertragswirksamen Beschäftigung ist nicht mit der Dauer der Erwerbstätigkeit gleichzusetzen, da ein Teil der Ausgebildeten nach mehr oder weniger langer Beschäftigung den Betrieb wechselt (ohne oder auch mit einem Berufswechsel). Es ist jedoch bekannt, daß im Betrieb ausgebildete Kräfte wesentlich weniger wechseln als von außen rekrutierte. Die Betriebe sparen hierdurch Kosten der Fluktuation und Kosten der Einarbeitung extern rekrutierter Fachkräfte, die als indirekte Erträge der Ausbildung angesehen werden können. Mit einer sehr vorsichtigen Schätzung kann man annehmen, daß die Betriebe ihre Ausbildungskosten insgesamt während einer durchschnittlich 10jährigen Dauer der Betriebszugehörigkeit mit einer angemessenen Verzinsung wieder als Erträge vereinnahmen. Das wären ca. 2000,- bis 2500,- DM je Ausgebildeten und Jahr, oder ca. 25 000,- DM innerhalb der 10-Jahres-Frist. Darüber hinaus entstehen nicht meßbare weitere Effekte zugunsten der Betriebe sowie ein gewisser Ausgleich dadurch, daß abgewanderte Fachkräfte ersetzt werden durch solche, die in anderen Betrieben ausgebildet wurden.
3.3 Die Gesamtwirtschaft Als gesamtwirtschaftliche Kosten während einer dreijährigen Ausbildung können zunächst die Kosten der Individuen und der Betriebe addiert werden. Unter den o. a. Annahmen könnten auch die staatlichen Ausgaben für Berufsschulen hierzu addiert werden. Sie betrugen für einen Berufsschüler im Jahre 1971 insgesamt 1133,- DM (vgl. Jahrbuch 1974, S. 122), im Jahre 1979 etwa 2200,- DM (vgl. BMBW 1980/81, S. 76). Würde ein Berufsschüler als Ungelernter arbeiten, statt einen Tag die Woche zur Schule zu gehen, so erhöhte dies seinen Lohn um ca. 680 : 4 DM = 170 DM monatlich, oder 2040 DM im Jahr. Die jährlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten für die betriebliche Ausbildung eines Lehrlings können also auf 4944 + 4387 = 9331 DM veranschlagt werden, bei Einbeziehung der Berufsschule erhöht sich dieser Betrag um 3173 DM auf 12 504 DM. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten für eine dreijährige Ausbildung
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belaufen sich auf 27 993 DM bzw. 37 512 DM. Die Kosten für die Lehrlingsausbildung in der BRD insgesamt sind unter den genannten Annahmen für das Jahr 1972 auf ca. 11,2 bzw. 15,0 Mrd. DM zu veranschlagen.
3.4 Streuungen Die Streuungen um die hier verwendeten Durchschnittswerte sind erheblich. Große systematische Unterschiede bestehen beispielsweise je nach der Fachrichtung der Ausbildung, der Branche und der Betriebsgröße der Betriebe, dem Geschlecht, der Vorbildung und dem Alter der Auszubildenden sowie nach Regionen. Darüber hinaus bestehen erhebliche, nicht systematische Differenzen im Einzelfall, besonders bei den Kosten und den Erträgen der Betriebe. Das äußerst sich z. B. darin, daß sich zwischen den Kosten und der Qualität der betrieblichen Ausbildung nur eine schwache Korrelation feststellen läßt. Diese ökonomische Undeterminiertheit ist besonders darauf zurückzuführen, daß das Kostenbewußtsein bei der betrieblichen Ausbildung wenig entwickelt ist und daß die Nettoausbildungskosten sehr sensibel auf geringe Änderungen der Realdaten reagieren. Wenn z. B. ein Ausbilder in einem Kleinbetrieb Unterweisungen nur für die dortigen ein oder zwei Auszubildenden durchführt, so sind - bei fast gleicher Ausbildungsqualität - die diesem Vorgang zuzurechnenden Personalkosten je Auszubildenden um ein Vielfaches höher als bei einer größeren Gruppe von Unterwiesenen. Und wenn (bei hohen Bruttokosten und hohen Produktivarbeiten von Auszubildenden) die Nettokosten gering sind, so ändern sie sich prozentual sehr stark, wenn nur eine der Randbedingungen variiert wird.
4. Einige weitere Variablen 4.1 Arbeitslosigkeit Mit steigender Vorbildung sinkt bekanntlich die Gefahr und die jeweilige relative Quote der Arbeitslosigkeit. Daneben bestehen typische Unterschiede in den einzelnen Berufszweigen. Für individuelle Berufswahlentscheidungen haben solche Unterschiede erhebliche Bedeutung: Arbeitslosigkeit ist auch heute noch ein Problem, nachdem der größere Teil des Einkommensausfalls durch das System der sozialen Sicherung abgedeckt wird.
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Für gesamtwirtschaftliche Betrachtungen sind solche Unterschiede dagegen zwar nicht bedeutungslos, aber doch auch nicht von zentraler Relevanz. Aus den vorliegenden Daten kann z. B. nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß gesamtwirtschaftlich jeweils ein relativer Überschuß an Ungelernten besteht. Zum Teil werden ja nicht die Tätigkeiten von Ungelernten in einer Rezession obsolet, sondern diese Positionen werden mit qualifizierteren Kräften besetzt, um diese für eine spätere höherwertige Tätigkeit im Betrieb zu behalten. Es kann deshalb nur insoweit, als friktioneile Arbeitslosigkeit durch bessere (breitere) Berufsausbildung vermieden wird, von gesamtwirtschaftlich wirksamen Effekten gesprochen werden. Dieser Teil der Arbeitslosigkeit kann jedoch bisher nicht zuverlässig gemessen werden.
4.2 Konjunkturabhängigkeit Die Lage auf dem Arbeitsmarkt als Folge der konjunkturellen Situation kann auf die Bildungsentscheidungen der Jugendlichen einen Einfluß insofern ausüben, als eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit nicht oder nur zu verschlechterten Bedingungen besteht. So ist generell beobachtet worden, daß während konjunkturell ungünstiger Zeiten der Andrang zu den weiterführenden Bildungseinrichtungen wächst. Für die betriebliche Ausbildung gilt dies aber nur in sehr beschränktem Maße, weil mit dem Konjunkturverlauf nicht nur das Arbeitsplatzangebot, sondern auch das Angebot an Ausbildungsplätzen variiert (vgl. dazu Steinbach 1974). Deshalb verändern sich nicht nur die Beschäftigungschancen, sondern auch die Ausbildungschancen der Individuen, und zwar in gleicher Richtung und in ähnlichem Ausmaß. Für bildungsökonomische Überlegungen der Betriebe dagegen sind konjunkturelle Daten von ganz erheblicher Bedeutung: In Phasen allgemeiner Verfügbarkeit von Arbeitskräften der verschiedenen Qualifikationen ist ihr Interesse an kostspieligen Ausbildungsmaßnahmen zur Sicherung des Nachwuchsbedarfs sehr viel geringer als in Zeiten allgemeiner Uberbeschäftigung. Die Betriebe variieren ihr Ausbildungsangebot deshalb - betriebswirtschaftlich sinnvoll - prozyklisch, und eine überbetriebliche Finanzierung der betrieblichen Ausbildung wird in der Bundesrepublik unter anderem deshalb gefordert, um die damit verbundenen, bildungspolitisch unerwünschten Wirkungen zu vermeiden (vgl. dazu besonders Sachverständigenkommission 1974, S. 357 sowie Berufsbildungsgesetz, Regierungsentwurf 1975/Siebentes Kapitel). Gesamtwirtschaftlich schließlich kann Unterbeschäftigung in einer Rezession generell als „Ressourcenverschwendung" interpretiert werden, und zwar um so mehr, wenn sie sich auf qualifizierte Kräfte bezieht. Dabei wird die Alternative, besonders Arbeitslose in Bildungsprozesse einzubeziehen, unter anderem deshalb,
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weil hier keine „opportunity-costs" entstehen, im wesentlichen nur für die Weiterbildung angestrebt (vgl. z. B. Arbeitsförderungsbericht Tz 64, passim).
4.3 Das Veralten von Wissen Es ist heute üblich anzunehmen, daß gerade berufs- und tätigkeitsbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten schnell - und zwar mit zunehmendem Tempo veralten und durch neues Wissen ersetzt und ergänzt werden müssen. Die Halbwertzeit der Berufsqualifikation auf dem Facharbeiterniveau wird oft auf etwa fünf bis zehn Jahre veranschlagt. Das führt zu der Forderung nach ständiger und zunehmender beruflicher Weiterbildung und einer Verkürzung der Erstausbildung. In bildungsökonomischer Sicht liegt dann das Optimum bei einer kürzeren und weniger kostpieligen Ausbildung. Tatsächlich haben Untersuchungen gezeigt, daß das Tempo des wirtschaftlichen Strukturwandels damit überschätzt wurde. Auch eine Beschleunigung läßt sich für die letzten Jahre nicht nachweisen. Überschlägige Befragungen von Experten anhand von veralteten Ausbildungsordnungen für mehrere Ausbildungsberufe nach der Aktualität der dort angeführten Inhalte lassen auf eine Halbwertzeit in der Größenordnung von mindestens 20 Jahren schließen. Es kommt hinzu, daß der Wandel in den einzelnen Wirtschaftszweigen und Berufen sehr unterschiedlich ist. Sehr schnellen, laufenden Änderungen sind jeweils nur wenige Berufe unterworfen (z. B. in der Elektroindustrie, besonders im Bereich der Datenverarbeitung), die Mehrzahl der Berufe wird nur von gelegentlichen schubweisen Erneuerungen getroffen. Die Obsoletierung durch Wegfall von Berufen und Entstehung neuer Berufen (das ist keineswegs identisch mit dem tatsächlichen Berufswechsel, siehe dazu unten) scheint ebenfalls nur geringe Bedeutung zu haben. Zum Beispiel wurde aus den USA berichtet, daß dort 1964 nur 3% der Beschäftigten in Berufen waren, die erst nach 1950 entstanden sind, während 77% sich in Berufen befanden, die bereits vor 1850 bestanden (Lahner 1970, S. 35). Dieser Wandel kann durch die natürliche Fluktuation aus Altersgründen ohne weiteres abgefangen werden. Schließlich gibt es gelegentlich Kontraktionen und Expansionen im quantitativen Umfang einzelner Wirtschaftszweige und Berufe, die eine Obsoletierung des Wissens eines Teils der Fachkräfte bedeuten. (In den letzten Jahrzehnten z. B. für Bergleute und Bäcker mit tatsächlichen Wechselquoten zwischen 35 und 50% in einer Dekade.) Obsoletierung ist damit in einzelnen Berufen, die ihren Inhalt und/oder ihren quantitativen Umfang rasch ändern, durchaus relevant. Als allgemeines Problem wird sie jedoch oft überschätzt.
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4.4 Berufswechsel, Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Ähnlich wie das Veralten von Wissen ist auch der Umfang des Berufswechsels in der Vergangenheit überschätzt worden. Nach einer Berufsverlaufsuntersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (vgl. Hofbauer/ König 1973, S. 40 ff.) betrug der Berufswechsel männlicher Ausgebildeten in den letzten zwei Jahrzehnten im Durchschnitt 32,4%; dabei handelte es sich jedoch nur bei 16,4% um einen Wechsel, nach dem nur noch wenig oder nichts aus dem zunächst erlernten Beruf verwendet werden konnte; d. h., nur jeder sechste Erwerbstätige wechselte in diesem Sinne seinen Beruf. Es kommt hinzu, daß diese Wechsel oft mit einem Aufstieg verbunden sind, und bei der Beurteilung ist auch zu berücksichtigen, daß ein erheblicher Teil des Berufswechsels, besonders aus dem Handwerk, nach einer vorangegangenen Fehlausbildung erfolgt ist. Für die Individuen, aber auch für die Gesamtwirtschaft stellen solche Fehlinvestitionen offensichtliche Verluste dar. Für die Betriebe läßt sich dies jedoch nicht ohne weiteres sagen: die entsprechenden Ausbildungsverhältnisse waren bei den Ausbildungsbetrieben oft mit Nettoerträgen verbunden, und für die späteren „Erwachsenenberufe" besteht häufig nicht die Notwendigkeit einer umfassenden Berufsausbildung (vgl. dazu z. B. Ebel 1962, S. 16, passim). Ähnlich wie der Berufswechsel wird auch ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben als partielle Fehlinvestitionen in Ausbildung betrachtet. Das betrifft vor allem weibliche Jugendliche, die nach einer Ausbildung und einer kürzeren Berufsdauer in den Haushalt wechseln. Hier bietet die Ausbildung jedoch immerhin eine Sicherung für die (zunehmend realisierte) Möglichkeit einer späteren höherwertigen Beschäftigung; im übrigen wird - unabhängig von bildungsökonomischen Überlegungen - dem Ziel der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern hier der Vorrang gegeben.
5. Die aktuelle Perspektive einer Polarisierung der Berufsanforderungen Detaillierte Untersuchungen der letzten Jahre in der Bundesrepublik deuten darauf hin, daß sowohl Prognosen, die von einer „Dequalifizierung" als auch solche, die von einer allgemeinen Höherqualifizierung der Arbeitskräfte im Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung sprachen, nicht zutreffen. Statt dessen scheint es, daß die Berufstätigen, die bisher als Facharbeiter, Handwerker und Kaufmannsgehilfen tätig waren, sich tendenziell in zwei Gruppen mit unterschiedlichem Tätigkeitsniveau aufspalten: Die eine Gruppe wird zu höherqualifizierten Spezialisten u. ä. weitergebildet, die andere sinkt auf un- und angelernte Tätigkeiten ab (vgl. Kern/Schumann 1970, S. 139, passim und dort angegebene Literatur).
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Eine solche „Polarisierung" der Berufstätigen steht jedoch im Widerspruch zu dem erklärten bildungspolitischen Ziel einer systematischen beruflichen Ausbildung aller Jugendlichen, sie hat damit zugleich erhebliche bildungsökonomische Konsequenzen. Viele Jugendliche sehen bereits heute den Nutzen einer längeren Berufsausbildung unter Verzicht auf Einkommenschancen nicht mehr ein; es kann erwartet werden, daß sich diese Entwicklung verstärkt und daß danach die Quote der ungelernten Jungarbeiter (derzeit etwa 8 bis 10% vom Altersjahrgang) wieder steigt. Das ist aus der Sicht der Jugendlichen rational, da sich eine Berufsausbildung ohnehin oft nicht mehr ökonomisch lohnt - auch wenn sie aus anderen Gründen wünschenswert sein mag. Ähnlich ist auch die Entwicklung in den Betrieben, deren Angebot an Ausbildungsplätzen im letzten Jahrzehnt sehr starke Schwankungen aufwies. Dies ist neben konjunkturellen und politischen Ursachen auch darauf zurückzuführen, daß ein Teil des Nachwuchses später nicht in Berufspositionen für gelernte Kräfte benötigt wird. Damit wäre es - nur bildungsökonomisch gesehen - auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll, etwa ein Drittel des Nachwuchses nicht (mehr) auszubilden oder nur in kurzen Lehrgängen auf den Beruf vorzubereiten. Eine solche Politik stünde allerdings in eklatantem Widerspruch zu bildungs- und gesellschaftspolitischen Zielen. Der einzig gangbare Weg in der Zukunft wird deshalb darin bestehen, auch das System der Arbeit so weiter zu entwickeln (zu „humanisieren") und politisch zu beeinflussen, daß jeder eine Chance zu qualifizierter Arbeit erhält. Eine Ausbildung muß zugleich darauf abzielen. Dies wird nicht einfach sein, nachdem in der Bundesrepublik heute ein Nachlassen der Bildungsanstrengungen zu beobachten ist. Durch die staatliche Bildungspolitik werden z. B. heute mehrjährige Bildungsgänge geschaffen, die zum Tankwart, Chemieanlagenwerker, Gebäudereiniger, Berufskraftfahrer oder Postboten führen, Berufe also, die auch während einer Ausbildung von einigen Wochen gelernt werden könnten. Daß entgegen kurzfristigen Bedarfsüberlegungen Ausbildungsgänge so gestaltet werden müssen, daß sie systematisch „Überqualifikation" vermitteln, ist demgegenüber den Jugendlichen, den Betrieben aber auch vielen Wirtschafts- und Finanzpolitikern schwer begreiflich zu machen. Aus dieser Situation läßt sich die Prognose ableiten, daß viele Probleme und Fragestellungen der Ökonomie des beruflichen Bildungswesens sich künftig auf die Arbeitswissenschaft im weiteren Sinne verlagern werden.
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Wolfgang Dietrich Winterhager
Anmerkungen 1 Bei den weiblichen Arbeitnehmern ist die Differenz - bei niedrigerem Lohnniveau - geringer. Im vergangenen Jahrzehnt dürfte sie sich vorübergehend verringert haben. 2 Aus Gründen rechnerischer Vereinfachung wird die geringe Differenz zwischen einer ewigen Rente und einer Dauer von 40 Jahren hier vernachlässigt.
Literatur Arbeitsförderungsbericht der Bundesregierung. Bundestagsdrucksache VII/403. Becker, G. S.: Human Capital. New York 1963. Berufsbildungsgesetz. Regierungsentwurf 1975. BMBW (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft): Informationen Bildung Wissenschaft. H. 11, 1980. BMBW (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft): Grund- und Strukturdaten 1980/ 81. Bonn 1980. Ebel, H.: Die Konzentration der Berufe und ihre Bedeutung für die Berufspädagogik. Köln und Opladen 1962. Hofbauer/König: Berufswechsel bei männlichen Erwerbspersonen in der B R D . Mitteilungen (IAB), 1973, Heft 1, S. 40 ff. Jahrbuch Wissenschaft - Ausbildung - Schule. Köln 1974. Kern/Schumann: Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein. Hrsg. vom RKW. Frankfurt/ Main 1970. Lahner, U.: Zur Prognose neuer Berufe. Mitteilungen (IAB). Nr. 1, 1970. Reform der Berufsbildung: darin (1974a): „Markierungspunkte der Bundesregierung für die berufliche Bildung vom 15. 11. 1973"; (1974b): Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur beruflichen Bildung, April 1972". Berlin 1974. Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung: Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung (Abschlußbericht). Bonn/ Bielefeld 1974. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 1972. Steinbach, S.: Analyse der Konjunkturabhängigkeit der betrieblichen Berufsausbildung in der BRD. Studien und Materialien der Sachverständigenkommission . . ., Band 2, Bielefeld 1974.
Einzelbetriebliche Finanzierung versus zwischenbetrieblicher Interessenausgleich bei betrieblichen Bildungsinvestitionen Eberhard
Müller-Steineck
1. Einleitung Unternehmen, die Auszubildende einstellen oder Mitarbeiter weiterbilden, tätigen Investitionen in das Humankapital. Ob sie aus volkswirtschaftlicher Sicht genügend investieren und vor allem mit ausreichender Qualität investieren, ist insbesondere zwischen den Sozialpartnern - Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften - im Hinblick auf die betriebliche Berufsausbildung umstritten. Dreh- und Angelpunkt dieses Streits um Quantitäten und Qualitäten in der beruflichen Bildung ist die Finanzierung: Für die Gewerkschaften ist die einzelbetriebliche Finanzierung betrieblicher Ausbildung qualitätsmindernd und ein Widerspruch zur freien individuellen Entscheidung über Bildung; für die Arbeitgeber ist die einzelbetriebliche Finanzierung als Regelfall Garant einer ideologiefreien, an der Praxis ausgerichteten beruflichen Bildung ohne unnötige bürokratische Hemmnisse. Während Kosten und Nutzen von Investitionen in das materielle Vermögen von Unternehmen noch vergleichsweise zuverlässig berechnet werden können, sind bei Investitionen in das Humankapital zwar die Kosten, nicht aber der Nutzen eindeutig bestimmbar. Das theoretisch geeignetste Modell der Humanvermögensrechnung ist die Methode der zukünftigen Leistungsbeiträge. Der Humanvermögenswert wird nach dieser Methode durch den Gegenwartswert (Ertragswert) der zukünftigen Beiträge jedes aus- bzw. weitergebildeten Mitarbeiters zur Wertschöpfung des Unternehmens bestimmt. Der Wert einer Investition in das Humankapital ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Ertragswert eines aus- oder weitergebildeten Mitarbeiters vor und nach der Bildungsmaßnahme. Dieses Verfahren ist jedoch noch weniger praktikabel, als andere Verfahren, da bereits Prognosen über zukünftige Unternehmensergebnisse problematisch sind und die Zuordnung dieser Unternehmensergebnisse auf die sie verursachenden Faktoren, wie z. B. das Humankapital, bisher nicht lösbar erscheint (vgl. Stein 1980, S. 72 f.; vgl. auch zur volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise Alex/Weißhuhn 1980, insbesondere S. 19 ff.).
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Eberhard Müller-Steineck
2. Grundlagenarbeit der Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung" (SVK) Der Bildungsrat forderte bereits 1969 in seinen Empfehlungen „Zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung" einen Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben als Voraussetzung zur Verbesserung der Qualität in der Berufsausbildung (vgl. Deutscher Bildungsrat 1969). Die politische Entscheidung über eine Neuordnung der Finanzierung wurde jedoch angesichts der unzureichenden Kenntnisse über Umfang, Arten und Kosten der beruflichen Bildung vertagt; die Bundesregierung setzte 1971 auf einstimmigen Beschluß des Bundestages eine Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung (SVK) ein. In dem Einsetzungsbeschluß des Bundeskabinetts heißt es zu den Aufgaben der Kommission: „Die Kommission soll Klarheit über den Umfang, die Verteilung und die Aufbringung der derzeit verwendeten Mittel schaffen. Sie soll daneben die finanziellen Konsequenzen verschiedener Reformvorschläge zur Verbesserung der beruflichen Bildung ermitteln. Sie soll ferner Finanzierungsalternativen erarbeiten, mit denen eine gleichrangige Mindestqualität der beruflichen Bildung in den Einzelbetrieben erreicht werden kann" (SVK 1974, S. 435; vgl. zur Finanzierungsdiskussion und zu den Argumenten für und gegen einzelne Finanzierungsformen Müller-Steineck/Wiederhold-Fritz 1980, S. 1 ff.). Die Sachverständigenkommission schuf im Laufe ihrer dreijährigen Arbeit die Grundlage für die weitere Diskussion um die Reform der beruflichen Bildung; wesentliche Ergebnisse sind: - Die Bruttokosten der beruflichen Bildung außerhalb der Schulen betrugen in der Bundesrepublik Deutschland im Untersuchungszeitraum (1971/72) rd. 11 Mrd. DM jährlich. Die von den Auszubildenden während der Ausbildung erwirtschafteten Erträge werden mit rd. 3,4 Mrd. DM angesetzt. Folglich ergeben sich Nettokosten von 7,7 Mrd. DM, von denen allein die gewerbliche Wirtschaft fast 7,6 Mrd. DM trägt. - Von den insgesamt 7,7 Mrd. DM Nettokosten entfallen auf die Berufsausbildung rd. 5,3 Mrd. oder 70 v. H. und auf die berufliche Weiterbildung rd. 2,1 Mrd. DM oder 28 v. H.; die restlichen Nettokosten verteilen sich auf sonstige Bildungsaktivitäten wie die Ausbildung von Praktikanten oder Umschulungsmaßnahmen (vgl. SVK 1974, S. 436). - Weniger als 20 v. H. aller Betriebe bilden aus und haben damit Kosten der Berufsausbildung zu tragen (vgl. SVK 1974, S. 25 und Sausen/Winterhager 1974, insbesondere S. 40 ff.) Das heißt, über vier Fünftel der Betriebe bilden nicht aus, sondern werben ausgebildete Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt an; bei diesen Betrieben entstehen daher keine Kosten der Ausbildung, sondern nur Kosten der Anwerbung und Einarbeitung.
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- Die Sachverständigenkommission empfiehlt, die einzelbetriebliche Finanzierung durch einen zentralen Berufsbildungsfonds abzulösen, um das Angebot und die Qualität der beruflichen Bildung zu erhöhen. Der zentrale Berufsbildungsfonds soll aus einer Umlage, die von allen privaten und öffentlichen Arbeitgebern erhoben wird, gespeist werden; er soll den ausbildenden Betrieben, die mit genügender Qualität ausbilden, die Kosten der Ausbildung - genauer: Standard-Vollkosten bei Normalqualität - ersetzen. Die Sachverständigenkommission macht zu ihrem Vorschlag zwei, hier bedeutende Einschränkungen: ein zentraler Berufsbildungsfonds ist erstens eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für beabsichtigte Reformen, z. B. zur Anhebung der Ausbildungsqualität, und er ist zweitens vor allem deshalb einer Finanzierung aus Steuermitteln vorzuziehen, um angesichts knapper öffentlicher Mittel Verzögerungen im Ausbau und in der Verbesserung der Berufsausbildung zu vermeiden und das Prinzip der Selbstverwaltung der betroffenen Gruppen beizubehalten (vgl. S V K 1974, S. 368 ff. und S. 440 f.). - Die Weiterbildung soll zunächst nur in Ausnahmefällen und dann schrittweise in den zentralen Berufsbildungsfonds einbezogen werden, da dieser Bildungsbereich weniger transparent, heterogen organisiert und raschen Wandlungen unterworfen ist (vgl. SVK 1974, S. 384 f.). - Die Hypothese, daß die Betriebe die Qualität der Berufsausbildung vernachlässigen und gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, um dadurch finanzielle Vorteile zu erzielen, läßt sich nach den Feststellungen der Kommission nicht halten (vgl. SVK 1974, S. 294). Wenn die Sachverständigenkommission nachweist, daß die Kosten der betrieblichen Ausbildung die während der Ausbildung im Betrieb erzielten Erträge bei weitem überschreiten 1 , dann muß dies Auswirkungen auf die Kosten-NutzenÜberlegungen der Ausbildungsbetriebe haben. Wird die Ausbildung abgebrochen oder wechselt der Auszubildende nach abgeschlossener Ausbildung den Betrieb, so ist der ausbildende Betrieb nicht mehr in der Lage, seine aufgewendeten Kosten durch künftige Leistungsbeiträge des ausgebildeten Mitarbeiters zu decken. Folgerichtig hat dies zu der Forderung geführt, Rückstellungen für drohende Verluste aus Ausbildungsverträgen bilden zu können. In der wohl ersten gerichtlichen Entscheidung hierzu hat das Finanzgericht Berlin die Bildung von Rückstellungen mit einer interessanten Begründung abgelehnt. Ein Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung ist nach Auffassung des Finanzgerichts gegeben, da der Betrieb durch die Ausbildung seine allgemeinen betrieblichen Belange fördert, indem er eine als Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit empfundene soziale Leistung erbringt und den Kritikern des dualen Systems der Ausbildung in Betrieb und Berufsschule entgegenwirkt (vgl. Scheidle/Scheidle 1980, S. 719 ff.). Die Schwierigkeit, den Nutzen der Ausbildung zu quantifizieren, hat das Gericht durch die Unterstellung dieser „betrieblicher Vorteile nach allgemeiner Erfahrung" umgangen.
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3. Zur Praktikabilität eines zentralen Berufsbildungsionds nach dem Vorschlag der Sachverständigenkommission Die Sachverständigenkommission hat sicher Pionierarbeit geleistet, als sie ihren Vorschlag für einen zentralen Berufsbildungsfonds ausgearbeitet hat, ausgehend vom empirischen Befund ihrer Untersuchungen unter Einbeziehung aller wesentlichen volks- und betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Seit Abschluß ihrer Arbeiten wurde die Reform der Finanzierung in Theorie und Praxis jedoch weiterentwickelt. Bei der Vorbereitung einer Umlagefinanzierung nach dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz (das vom Bundesverfassungsgericht am 10. Dezember 1980 - Az: 2/BvF 3/77 - aufgehoben wurde) und mit tarifvertraglich vereinbarten Finanzierungsregelungen konnten Erfahrungen gesammelt werden (vgl. zur Darstellung Müller-Steineck/Wiederhold-Fritz 1980, S. 4 f. und BMBW 1980a, S. 83 f.), die insbesondere auf der Vergabeseite des zentralen Berufsbildungsfonds Zweifel an seiner Praktikabilität aufkommen lassen. Die von der Sachverständigenkommission bevorzugte Erstattung der StandardVollkosten bei Normalqualität an die Ausbildungsbetriebe ist keine Lösung, die angesichts der schwankenden Kosten und der kaum meßbaren Qualität als gerecht empfunden werden kann: - Ein praktikables Vergabeverfahren muß mit wenigen kostenorientierten Zuschußgruppen auskommen. Die Sachverständigenkommission hat bei ihren Untersuchungen jedoch enorm schwankende Kosten von Betrieb zu Betrieb im gleichen Ausbildungsberuf festgestellt. Sie hat ermittelt, daß bei einigen Berufen die Nettokosten in den einzelnen Betrieben um mehr als 100 v. H. um die durchschnittlichen Nettokosten aller Betriebe in einem Ausbildungsberuf streuen; bei 144 untersuchten Ausbildungsberufen, die im Durchschnitt Nettokosten verursachen, weisen in 64 Berufen eine Reihe von Betrieben sogar Nettoerträge auf (vgl. SVK 1974, S. 168 und S. 177 ff.). Angesichts dieser Kostenschwankungen müssen wenige Zuschußklassen, mit denen ein praktikables Vergabeverfahren auskommen muß, zu einer ungerechten Kostenerstattung führen. - Die Qualität der Berufsausbildung ist als Gesamtindikator nicht meßbar. Die Sachverständigenkommission hat Modelle zur Messung der Input- und Outputqualität entwickelt, wobei z. B. die Inputqualität in 105 Qualitätselemente aufgefächert werden mußte. Die empirischen Untersuchungen haben auch keinen engen Zusammenhang zwischen Kosten und Qualität der Berufsausbildung ergeben (vgl. SVK 1974, S. 186 ff. und S. 289 ff.). - Die von der Sachverständigenkommission vorgeschlagenen Qualitätskontrollen - Vorabprüfung der Eignung von Betrieben für die Ausbildung und Überprüfung der Einhaltung von Qualitätsstandards während der Ausbildung - setzen
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Lenkungssysteme voraus, die stark in die betriebliche Sphäre eingreifen und daher von den Betroffenen abgelehnt werden (vgl. SVK 1974, S. 440). Abgesehen von diesen Schwierigkeiten, die für einen zentralen Berufsbildungsfond noch hätten gelöst werden müssen, sind die Vorschläge der Sachverständigenkommission - nicht ihre wissenschaftlichen Untersuchungen - im politischen und verbandspolitischen Raum auf so unterschiedliche Resonanz gestoßen, daß es heute wohl keine Chancen mehr für ihre Umsetzung in die Ausbildungswirklichkeit gibt. Nicht zuletzt hat hierzu das Ausbildungsplatzförderungsgesetz von 1976 beigetragen, das eine bescheidene Finanzierungsregelung für den Fall von Engpässen auf dem Ausbildungsstellenmarkt vorsah, jedoch von der Bundesregierung bis zur Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht 1980 nicht ausgelöst wurde.
4. Derzeitiger Stand der Finanzierungsdiskussion Seit der Mitte der 70er Jahre wurde ein Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zwar auch mit einer Anhebung der Ausbildungsqualität begründet, vor allem aber zur Erzielung eines höheren Angebots an Ausbildungsplätzen gefordert. Der quantitative Engpaß auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist jedoch weitgehend überwunden. Die Zahl der jährlich neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse stieg von rund 460 000 in 1975 auf über 651 000 in 1980; für 1981 wird ebenfalls mit über 650 000 neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnissen gerechnet. Während die Sachverständigenkommission die Zahl der ausbildenden Betriebe 1971/72 auf rd. 400 000 schätzte, liegt sie heute, obwohl der Gesamtbestand an Unternehmen deutlich gesunken ist, um rd. 25 v. H. höher (vgl. BMBW 1980b, S. 92 und S. 239 sowie SVK 1974, S. 25). Sicher bestehen noch ernst zu nehmende Engpässe, insbesondere regional und für Problemgruppen von Jugendlichen, jedoch ist aufgrund der kommenden geburtenschwachen Jahrgänge abzusehen, daß sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt in den nächsten Jahren deutlich entspannt. Die insgesamt positive Entwicklung trotz der quantitativen Herausforderung durch die geburtenstarken Jahrgänge ist weitgehend mit der einzelbetrieblichen Finanzierung erreicht worden: Zu den etwa 10 Mrd. DM, die die Wirtschaft derzeit für die betriebliche Berufsausbildung jährlich netto 2 aufwendet, steuert die öffentliche Hand nur knapp ein Zehntel durch Sonderprogramme als Zuschüsse in Problemregionen und für Problemgruppen bei (vgl. zu den Maßnahmen zur finanziellen Förderung der beruflichen Bildung BMBW 1980a, S. 82 ff.). Der quantitativen Herausforderung wird in den 80er Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung eine wesentlich verschärfte Konkurrenz zwischen betrieblicher Ausbildung im dualen System und vollzeitschulischer Ausbildung folgen. Es kann geschätzt werden, daß heute bereits etwa 100 000 Jugendliche vor
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allem an Berufsfachschulen eine vollzeitschulische Ausbildung erhalten, die eine betriebliche Ausbildung ersetzt (vgl. Max-Planck-Institut 1980, Band 2, S. 1003 ff. und zur Entwicklung der Berufsfachschulen BMBW 1980b, S. 27). Während 1980 fast 530 000 Schüler nach Beendigung ihrer Vollzeitschulpflicht von den Schulen abgingen, werden es infolge der kommenden geburtsschwächeren Jahrgänge 1990 nach einer Prognose der Kultusministerkonferenz weniger als 300 000 Schulabgänger sein (vgl. BMBW 1980b, S. 60). Angesichts des steigenden Anteils von Jugendlichen auf weiterführenden Schulen ist damit zu rechnen, daß sich die Zahl der Auszubildenden bis 1990 etwa halbiert. Wie ernst für die betriebliche Berufsausbildung die Konkurrenz schulischer Angebote zu nehmen ist, zeigt sich auch an dem Anteil der Kinder von Selbständigen in Berufsfachschulen, die eine betriebliche Ausbildung im dualen System ersetzen; nach einer Untersuchung waren Selbständige unter den Eltern der Berufsfachschüler mit 30 v. H. am stärksten vertreten, obwohl ihr Anteil im Bundesdurchschnitt nur bei 11 v. H. liegt, (vgl. Georg/Grüner/Scherer 1979, S. 6 ff.) Zwar wird die betriebliche Berufsausbildung in der Bundesrepublik auch international gelobt, wie die jüngste OECD-Studie ausweist (vgl. „OECD-Bericht lobt das deutsche System", Handelsblatt vom 14. 1. 1981), da das praxisnahe Lernen am Arbeitsplatz die Übergangsschwierigkeiten von der Ausbildung in den Beruf erleichtert, doch sind sich alle an der beruflichen Bildung Beteiligten - Gewerkschaften, Arbeitgeber, Bund und Länder - einig, daß die Qualität der betrieblichen Berufsausbildung steigerungsfähig und ihre Anhebung wünschenswert ist. Im Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufsbildung, in dem alle an der beruflichen Bildung Beteiligten vertreten sind, wurden in den letzten beiden Jahren Überlegungen aufgrund von Modellrechnungen angestellt, durch welche Maßnahmen die Qualität der betrieblichen Berufsausbildung weiter verbessert werden kann. Dabei zeigt sich, daß Qualitätsverbesserungen mit erheblichen Kosten und damit Finanzierungsbedarf verbunden sind; einige Beispiele: - Etwa ein Drittel aller ausbildenden Handwerksbetriebe haben eine Lehrwerkstatt oder eine Lehrecke. Wenn in den verbleibenden 150 000 ausbildenden Handwerksbetrieben Lehrecken mit einem Investitionsaufwand von DM 5000 pro Lehrecke eingerichtet werden sollen, so sind 750 Mio. DM erforderlich. - Zur Zeit gibt es etwa 30 000 hauptamtliche Ausbilder in Industrie und Handel; auf einen hauptamtlichen Ausbilder kommen 25 Auszubildende. Wenn dieses Verhältnis rechnerisch auf die Hälfte verbessert werden soll, dann entstehen bei einem durchschnittlichen Gehalt je hauptamtlichen Ausbilder von DM 40 000 Kosten von 1,2 Mrd. DM pro Jahr. - Soll das vom Deutschen Handwerkskammertag entwickelte Modell zur Berufseingliederung und Berufsausbildung Lernbehinderter, das mit viel Erfolg erprobt wird, für 100 000 Jugendliche - das sind noch nicht einmal alle Jugendliche, die jährlich ohne Hauptschulabschluß ihre Vollzeitschulpflicht
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beenden - bundesweit eingeführt werden, entstehen zusätzliche Kosten von über 600 Mio. DM pro Jahr. - Vergleichsweise (!) geringe Kosten entstehen bei dem Einsatz von Medien (Arbeitsanweisungen, Filme, Übungsblätter o. a.). Werden DM 50 pro Ausbildungsjahr und Auszubildenden gerechnet, so belaufen sich die jährlichen Kosten bei derzeit 1,7 Mio Auszubildende auf 85 Mio DM. Es ist leicht glaubhaft zu machen, daß sich diese Beispiele fast beliebig vermehren ließen und dabei ein Finanzierungsbedarf in Milliardenhöhe zusammenkommt. Es darf aber nicht verkannt werden, daß sich die an der beruflichen Bildung Beteiligten auf diese modellhaften Überlegungen zur Verbesserung der Ausbildungsqualität mit unterschiedlicher Zielsetzung für daraus zu ziehende Konsequenzen in der Finanzierung einlassen. Die Gewerkschaften wollen über die Qualitätsdiskussion den Gedanken eines zentralen Berufsbildungsfonds nach den Vorschlägen der Sachverständigenkommission neu beleben, während die Arbeitgeber, wenn überhaupt eine Änderung der einzelbetrieblichen Finanzierung angestrebt wird, weitere Sonderprogramme und Steuererleichterungen zur Verbesserung der Qualität erreichen wollen. Die Bundesregierung hält sich in dieser Diskussion weitgehend zurück und überläßt es den Sozialpartnern, sich zu einigen.
5. Ein Lösungsansatz Aus den bisherigen Überlegungen bleibt festzuhalten: (1) Nachdem sich der Ausbildungsstellenmarkt entspannt, wird für die 80er Jahre die Ausbildungsqualität der betrieblichen Berufsausbildung für die Konkurrenzfähigkeit gegenüber schulischen Angeboten entscheidend. (2) Die Nettokosten der betrieblichen Ausbildung streuen von Betrieb zu Betrieb so stark, daß eine kostenorientierte Förderung der betrieblichen Berufsausbildung durch einen zentralen Berufsbildungsfonds nach dem Vorschlag der Sachverständigenkommission praktikabel nicht möglich ist; es besteht kein gesicherter Zusammenhang zwischen Kosten und Qualität der betrieblichen Ausbildung. (3) Die Qualität der betrieblichen Ausbildung ist praktikabel nicht meßbar; es ist jedoch möglich, sich auch aus der unterschiedlichen Sicht der an der Berufsbildung Beteiligten auf qualitätssteigernde Maßnahmen zu einigen; sie verursachen hohe Kosten.
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(4) Die ausbildenden Betriebe sind nicht in der Lage, zusätzliche Kosten aus qualitätsverbessernden Maßnahmen zu tragen, es sei denn, sie werden auf der anderen Seite von bestehenden Kosten entlastet. Folgt man diesen Überlegungen, so läßt sich daraus im Unterschied zum zentralen Berufsbildungsfonds der Sachverständigenkommission ein Anreizsystem zur Qualitätsverbesserung ableiten, das den Erkenntnissen und der Weiterentwicklung der Berufsausbildung im dualen System seit Mitte der 70er Jahre Rechnung trägt. Dabei kann angeknüpft werden an die tarifvertraglich vereinbarten Finanzierungsregelungen und an die Förderpraxis der öffentlichen Hand, z. B. bei der Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten, die insbesondere zur Ergänzung der betrieblichen Ausbildung in Handwerksbetrieben zur Steigerung der Ausbildungsqualität geschaffen wurden. Angesichts der knappen öffentlichen Mittel sind Sonderprogramme zur weiteren Anhebung der betrieblichen Ausbildungsqualität weniger wahrscheinlich; jedoch könnte eine Umlagefinanzierung eine neue Chance erhalten, wenn sie allein als Anreizsystem zur Qualitätssteigerung und nicht als Lenkungs-, Kontroll- und Ausgleichssystem für die gesamte betriebliche Berufsausbildung verstanden wird. Ein solches Anreizsystem kann in zweifacher Hinsicht qualitätssteigernd konzipiert werden: - Im Rahmen einer Grundfinanzierung, die nicht an den Nettokosten orientiert ist, können Ausbildungsbetriebe von objektiv feststehenden Kosten entlastet werden, um innerbetrieblich Spielräume für weitere Qualitätssteigerungen zu schaffen. - Im Rahmen einer Zusatzfinanzierung, die als flexible Regelfinanzierung anzulegen ist, können qualitätsverbessernde Maßnahmen bezuschußt werden, wobei sich die Kontrolle auf die Prüfung bei Zuschußgewährung beschränken sollte. Die Grundfinanzierung könnte umfassen: - Erstattung der Ausbildungsvergütungen als wichtigsten Kostenfaktor, + in voller Höhe oder bis zu einem Höchstsatz (BAFöG-Satz, Durchschnitt der Ausbildungsvergütungen), + für die gesamte Ausbildungszeit oder für bestimmte Zeiten (Berufsschule, Zeiten des Besuchs überbetrieblicher Berufsbildungsstätten, Urlaub), - Erstattung der Kosten überbetrieblicher Unterweisung Internatskosten, Fahrtkosten).
(Lehrgangskosten,
Die Zusatzfinanzierung sollte leicht nachweisbare, qualitätsrelevante Tatbestände betreffen, z. B.: - Einrichtung betrieblicher Lehrwerkstätten, Lehrecken im Handwerk, Lehrlabors; - Einstellung hauptamtlicher Ausbilder, Aus- und Weiterbildung von Ausbildern;
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- Einsatz von Ausbildungsmitteln (Medien und Umsetzungshilfen); - Durchführung von theoretischem betrieblichen Unterricht in organisierter Form; - Auch die Förderung benachteiligter Personengruppen kann als Qualitätsförderung im weiteren Sinne einbezogen werden. Pauschalierte Erstattungen sind für abgrenzbare Personenkreise durchaus sinnvoll. Bei der Zusatzfinanzierung sollten die Erstattungsleistungen flexibel gehalten werden; es ist wohl wünschenswert, daß unterschiedliche Schwerpunktsetzungen für ein oder mehrere Jahre vorgenommen werden. Die Grundfinanzierung sollte soweit wie nötig, die Zusatzfinanzierung soweit wie möglich vorgesehen werden. Ob ein solches Anreizsystem aufgestaute Widerstände gegen das Prinzip Umlagefinanzierung überwinden kann, hängt von mehreren Einflußfaktoren ab. Entscheidend wird jedoch sein, ob die Wirtschaft im Interesse der Jugendlichen und im eigenen Interesse an gut und praxisnah ausgebildeten Mitarbeitern in die Offensive gehen will gegenüber schulischen Angeboten aller Art. Ob ein bundesweites Anreizsystem, vergleichbar den Förderprogrammen des Bundes oder den tarifvertraglich vereinbarten Finanzierungsregelungen, oder eine dezentrale Organisationsform, vergleichbar bestehenden Regelungen auf Kammerebene, gefunden wird, ist für das Ziel weniger entscheidend als die Frage, wer in der betrieblichen Berufsausbildung das Sagen haben soll. Die Sozialpartner könnten sich einigen, wenn sich die Gewerkschaften zu einem Anreizsystem bekennen und sich von den Vorschlägen der Sachverständigenkommission lösen und die Arbeitgeber sicher sein können, daß die betriebliche Berufsausbildung durch ein solches Anreizsystem nicht unnötig kontrolliert und reglementiert wird. Der Bund könnte einen Anstoß für ein Anreizsystem geben, wenn er seine heute für Förderprogramme bereitgestellten Mittel einspeist und sich damit an der Finanzierung beteiligt.
Anmerkungen 1 Für alle untersuchten 148 Ausbildungsberufe lagen die durchschnittlichen Bruttokosten (1971/72) bei DM 8380 pro Ausbildungsjahr und die durchschnittlichen Nettokosten bei DM 6040 (vgl. SVK 1974, S. 165 und S. 182). 2 Die Bruttokosten - also ohne Berücksichtigung der bei der Ausbildung anfallenden Erträge - liegen wesentlich höher. Die ausbildenden Betriebe zahlten 1979 allein rd. 8,7 Mrd. DM an Ausbildungsvergütungen; die Ausbildungsvergütungen machen nach den Ergebnissen der Sachverständigenkommission (1971/72) etwa 40 v. H. der Bruttokosten aus (vgl. Beicht/Noll/Wiederhold-Fritz 1980, S. 6 ff., insbesondere S. 13). Die im Text angegebenen 10 Mrd. DM Nettokosten sind die vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft fortgeschriebenen Ergebnisse (1971/72) der Sachverständigenkommission. Das Bundesinstitut für Berufsbildung schließt z. Z. ein umfangrei-
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ches Forschungsprojekt, „Nettokosten der betrieblichen Berufsausbildung", ab; wesentliche Ergebnisse werden 1982 veröffentlicht. Erste Auswertungen lassen vermuten, daß die Nettokosten 1980 über 20 Mrd. DM (!) lagen.
Literatur Albach, H.: Kostenrechnung der beruflichen Bildung. USW-Schriften für Führungskräfte, Band 10. Wiesbaden 1978. Alex, L. und G. Weißhuhn: Ökonomie der Bildung und des Arbeitsmarktes. Theoretische und methodische Grundlagen der Analyse der Bildungsinvestitionen und der Beziehungen zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem. Schriften zur Berufsausbildungsforschung des Bundesinstituts für Berufsbildung, Band 59. Berlin 1980. Beicht, U., I. Noll, S. Wiederhold-Fritz: Ausbildungsvergütungen nach Ausbildungsberufen - Untersuchung eines wesentlichen Kostenfaktors in der betrieblichen Berufsausbildung anhand von Tarifverträgen. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 5/1980, S. 6 ff. (Die Langfassung ist veröffentlicht als Heft 21 der Schriftenreihe Materialien und statistische Analysen zur beruflichen Bildung des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung, 1981). BMBW (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft): Berufsbildungsbericht 1980. BMBW - Schriftenreihe Berufliche Bildung 11, Bonn 1980 (a). BMBW (Bundesminister für Bildung Wissenschaft): Grund- und Strukturdaten 1980/81, Bonn 1980 (b). Deutscher Bildungsrat: Zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung. Empfehlungen der Bildungskommission. Bonn 1969. Georg, W., G. Grüner und W. Scherer: Berufsausbildung in metallgewerblichen Vollzeitschulen. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 1/1979, S. 6 ff. Grünewald, U. und G. Kohlheyer: Daten betrieblicher Berufsausbildung. Auswertungen der Erhebungen der Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung" aus den Jahren 1972 und 1973. Materialien und statistische Analysen zur beruflichen Bildung des Bundesinstituts für Berufsbildung, Heft 5. Berlin 1978. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Projektgruppe Bildungsbericht: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland - Daten und Analysen. 2 Bände, Reinbek bei Hamburg, Mai 1980. Müller-Steineck, E. und S. Wiederhold-Fritz: Finanzierung der Berufsausbildung - Überblick über wichtige Etappen der Diskussion. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 5/1980, S. 1 ff. Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung (SVK): Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung (Abschlußbericht). Bielefeld 1974. Sausen, H. und W. D. Winterhager: Strukturdaten der beruflichen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Studien und Materialien der Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung, Band 7. Bonn 1974. Scheidle, H. und G. Scheidle: Zur bilanziellen Behandlung von Ausbildungsverträgen Zugleich eine Stellungnahme zum Urteil des Finanzgerichts Berlin vom 22. 10. 1979. In: Betriebs-Berater, Heft 14, 1980, S. 719 ff. Stein, H.: Humanvermögensrechnungsmodelle und ihre Anwendung auf Bildungsinvestitionen. In: Wirtschaft und Erziehung, Heft 3/1980, S. 72 ff.
Personalvermögensrechnung: zur Übertragung des Humankapital-Konzeptes auf die betriebliche Personalinfrastruktur Gerhard E. Ortner
1. Die betriebliche Personalinfrastruktur als Erfahrungsobjekt von Bildungsökonomie und Bildungsbetriebslehre Die Probleme der betrieblichen Personalfluktuation und ihre ökonomischen Konsequenzen sowohl für einzelwirtschaftliche Systeme als auch für das sozioökonomische Gesamtsystem eignen sich in besonderem Maße als Widerlager für eine systematische Diskussion des Konzeptes einer „betrieblichen Personalvermögensrechnung", wie sie hier unternommen werden soll. Hier zeigen sich bildungsmikroökonomische Probleme mit besonderer Deutlichkeit, wenn man die Kosten der Personalinfrastruktur als Investitionen in die „Elemente" dieser Personalstruktur, also in die Mitarbeiter, auffaßt (Engel 1970, S. 26 ff.). Sie werden somit zu Bildungsinvestitionen, die durch Betriebe getätigt werden, die aber an den Mitarbeitern gleichsam kleben bleiben und die mit diesen auch „verloren" gehen können. Dabei haben unter anderem die steigenden Kosten dieses betrieblichen Teilbereiches (Mäding 1971, S. 43), aber auch grundlegende Änderungen in der Auffassung von Betrieb als einem sozialen System mit ökonomischen und metaökonomischen Zielsetzungen dazu geführt, daß die Erfassung solcher bildungsmikroökonomischer Größen „problematisiert" wurde. Einer solchen analytischen Erfassung haftet nicht lediglich akademisches Interesse an; vielmehr versucht man hierdurch bildungsmikroökonomische Kosten- und Ertragskategorien in die systematische Entscheidungsvorbereitung im Betrieb einzubeziehen (Häusler 1975, S. 342). Man versucht darüber hinaus, das in den Mitarbeitern, ihren Kenntnissen, Fähigkeiten, ihrer Leistungs- und Einsatzbereitschaft akkumulierte „Personalvermögen" rechnerisch zu erfassen, um es dem innerbetrieblichen Zeit- bzw. dem zwischenbetrieblichen Unternehmensvergleich zugänglich zu machen. Hier gerät man an die grundsätzliche Problematik aller bildungsmikroökonomischer Quantifizierung: Sollen die akkumulierten diskontierten Einkommenserwartungen (also letztlich „Ausbildungsmarktpreise") (Psacharopoulus 1973, S. 61 ff.) oder die aufgelaufenen und vorausgeschätzten Kosten der Personalinfrastruktur als Basis der „Bewertung" herangezogen werden.
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Gerhard E. Ortner
Danach stellt sich die Problematik der periodisierenden „Abschreibung" von Bildungsinvestitionen, die ja in den Mitarbeitern (im engsten Wortsinne) „verkörpert" sind. Durch die Auffassung vom Arbeitsplatz als „Lehr- und Lernsystem" sui generis stellt sich die Erfassung der nichtformalen Ausbildung durch Einsatz (Anwachsen der Methodenerfahrung, Abnahme von Fehlerquoten, Erbringen zusätzlicher Information etc.) (Dierkes/Freund 1974, S. 62) als weiterreichendes Problem. Diese Detailproblemstellungen und deren Lösungsversuche können zum Konzept einer betrieblichen Personalvermögensrechnung (auf bildungsmikroökonomischer Basis) zusammengesetzt werden. Man gelangt zur Notwendigkeit einer Personalvermögensrechnung, indem man den Teilausschnitt aus dem gesamtwirtschaftlichen Humankapital, das innerhalb des Betriebes wirksam wird, als „innerbetriebliches Personalvermögen" definiert. Die Anforderungen an ein solches betriebliches Rechnungssystem, das bildungsmikroökonomischen Kategorien entspricht und sich an den Anforderungen der Mitarbeiter und des Betriebes (sofern diese nicht a priori zur Deckung gebracht sind) orientiert, sowie die Möglichkeiten und Konsequenzen eines solchen Systems aus bildungsökonomischer Sicht sollen im folgenden Beitrag anhand ausgewählter Probleme dargestellt werden.
2. Legitimation der Übertragung des Humankapital-Konzeptes auf die betriebliche Personalinfrastruktur 2.1 Betriebliche Zielfunktionen und Notwendigkeit der Adaptierung Bei einer bildungsmikroökonomischen (bzw. bildungsbetrieblichen) Erörterung von Problemen des Humankapital-Faktors im mikroinstitutionellen Feld (z. B. der „Betriebe in Verwaltung und Wirtschaft") stellen sich ähnliche Probleme, wie bei der Übertragung von bildungsmakroökonomischen Kategorien in die Mikroinstitutionen des Bildungswesens, also die Schulen (aller Stufen, Arten, Typen etc.) bzw. Forschungsinstitutionen; es ist zu überprüfen, wie weit das makroökonomisch hergeleitete Konzept des Humankapitals in den Mikrobereich übertragbar ist, welche Adaptionen vorgenommen werden müssen, schließlich wo die Grenzlinien von Legitimation und Praktikabilität gezogen werden müssen (Ortner 1975a, S. 7). Die Erörterung der Konsequenzen (z. B. hinsichtlich betrieblicher Entscheidungen bei unterschiedlich hoher Personalfluktuation) einer betrieblichen Personalvermögensrechnung, hat zur Voraussetzung, daß prinzipielle Fragen der Zieldefinition und Zieloperationalisierung sowie deren methodischer und organisatorischer Umsetzung vorab geklärt werden müssen (Ortner 1975b, S. 12 ff.). Man findet sich hierbei alsbald in einem - dem Theoretiker wie Praktiker wohlvertrauten Dilemma: Die Summe der Detailfragen, der Einzelansätze und Mikrovorschläge, die bei neuen methodischen Ansätzen einer vergleichbaren
Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
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Reichweite auftauchen bzw. vorgebracht werden, erschwert die Analyse des Gesamtmodells und die Beurteilung von Sinnfälligkeit und Zweckmäßigkeit des Gesamtansatzes ganz außerordentlich. Das Spannungsverhältnis zwischen möglichst praxisnahen Vorschlägen, wie sie die betriebliche Basis möglichst kurzfristig verlangt, und der theoretischen Analyse und Synthese, wie sie zur Einordnung in Gesamtkonzepte gefordert werden müssen, behindert den Dialog Theorie und Praxis; die Folgen sind - bekanntermaßen - jeweils „Monismus" und „Isolationismus". Der Denk- und Arbeitsaufwand bei der Lösung der Detailprobleme zur praktischen Umsetzung soll dabei keineswegs unterschätzt werden. In der Regel ist er so hoch, daß für die zusammengesetzte Gesamtbeurteilung nur mehr wenig übrig bleibt. Es soll daher zunächst an ausgewählten Punkten des Problemgesamtraumes einer mitarbeiterorientierten und bildungsökonomischen Personalvermögensrechnung das Frageschema nach Legitimation und Effektivität deutlich gemacht werden. Die Begründung der Notwendigkeit einer intensiven Befassung mit dem Produktionsfaktor Arbeit in Theorie und Praxis — und zwar nicht bloß im Makrozusammenhang von nationalen, supra- bzw. internationalen Wirtschaftssystemen leitete Schmidt in einem Vortrag noch 1973 von dem heute bereits zum Desiderat gewordenen Druck einer dauernden Uberbeschäftigung ab (vgl. Schmidt 1975, S. 13). Dieser Druck, der jenseits mitarbeiterorientierter Vorstellungen von einer „Humanisierung" des Arbeitsplatzes, der, aus dem arbeitswissenschaftlichen Bereich stammend (für den Bildungsbereich vgl. Krommweh 1974, S. 15), konsequenterweise vor allem in der gewerkschaftlichen Argumentation aufgenommen und akzentuiert wurde, und der von den einzelnen Institutionen („Betrieben") in Wirtschaft und Verwaltung eine intensive Befassung mit der innerbetrieblichen Personalstruktur, mit dem „Arbeitspotential" und seiner Aktualisierung verlangt, ist offensichtlich aus der Mehrzahl dieser Institutionen entwichen; zumindest gilt dies für die Industriestaaten, bei denen, ob ihres früher so hohen Beschäftigungsniveaus, der Abschwung überproportional stark deutlich wird. Würde man sich auch heute lediglich auf die Notwendigkeit eines Abbaues von Diucksituationen durch Überbeschäftigung auf hohem ökonomischen Konjunkturniveau berufen können (Häusler 1975, S. 339), so müßte das theoretische und praktische Interesse an Problemen des Personals, seiner innerbetrieblichen Entwicklung, d. i. seiner formalen und nichtformalen Ausbildung und seines Einsatzes längst erlahmt sein. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall: Im Gegenteil, das Interesse an einer systematischen Gestaltung und Steuerung des betrieblichen Faktorbereiches „Arbeit" bzw. an Planungs- und Organisationsfragen des Sachbereiches „Personal", trotz einer Umstrukturierung des Arbeitssystems hin zu einem Arbeitgeber(Anbieter-)Markt, hat heute ein bislang nicht vorstellbares Ausmaß erreicht. Dabei ist freilich kritisch anzumerken, daß lediglich das Erfahrungsobjekt „Personal" bzw. „Arbeit als Produktionsfaktor" gleichgeblieben ist. Das Interesse der Unternehmensleitung konzentriert sich nicht länger auf Fragen des maximalen
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Ertrages der Personalpotentiale im Betrieb; gefragt wird nicht länger, wie diese beispielsweise durch Arbeitsgestaltung, partizipative Modelle und individuell motivierende Strukturen zu höherem Ertrags-Beitrag gebracht werden (z. B. durch Implementierung kreativitätsfördernder Verfahren). Im Mittelpunkt der Überlegungen steht angesichts der sozioökonomischen Probleme nunmehr die Möglichkeit der „Einsatzminimierung" bei Sicherung eines betrieblichen Mindestertrages. Kostenoptimierung scheint heute das dominierende erkenntnisleitende Interesse betriebswirtschaftlicher Überlegung im Personalbereich zu sein. Hier muß es Anliegen einer bildungsmikroökonomischen Theorie sein, verhindern zu helfen, daß „Kostenoptimierung" mit rigoroser Einsparungspolitik zu Lasten des in Personen verkörperten Potentials, verstanden als Summe aller individuellen und sozialen Bildungsleistungen, gleichgesetzt wird. Das Interesse der Betriebsleitung an kostenminimaler Gestaltung und Steuerung der betrieblichen Personalinfrastruktur trifft sich mit den Initiativen, wie sie unter anderem im Betriebsverfassungsgesetz normiert sind, und die die „menschgerechte Gestaltung der Arbeit" vorschreiben (Weißer 1975, S. 35). Diese werden zur unabdingbaren Vorgabe für alle betrieblichen bzw. betriebspolitischen Personalmaßnahmen; die rigorose Kostenminimierung ist also nicht nur durch bildungsmikroökonomische Überlegungen bzw. durch Ertragsüberlegungen ausgeschlossen: Das geänderte Verständnis von dem, was ein Betrieb sein kann und sein darf, was ein „Unternehmen" als sowohl ökonomisches als auch als soziales System bedeutet, fixiert Grenzen, bis zu denen eine Kostenminimierung legitimierbar bleibt (Hegelheimer 1971, S. 34). Auch hier scheinen bildungstheoretische und gesellschaftspolitische Einflüsse wirksam geworden zu sein. Ergänzt man diese soziopädagogische Argumentation durch eine Begründung aus der Natur eines Betriebes als „permanentes Bildungssystem", so erkennt man den engen Bezug zur bildungsökonomischen Theorie deutlich.
2.2 Außerbetriebliche Aspekte und Grenzen der Übertragbarkeit Gleichgültig aber aus welchen Begründungszusammenhängen für eine stärkere Gewichtung des Produktionsfaktors Arbeit argumentiert wird, scheint es den Leitungen von Betrieben in Wirtschaft und Verwaltung (unabhängig von den Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln und unabhängig vom ökonomischen Sektor) generell notwendig und sinnvoll, nach operablen und effektiven Instrumenten, die diesen Bedingungen im Rahmen der betrieblichen Zielerreichungsstrategien Rechnung tragen, Ausschau zu halten. Als eines unter anderen denkmöglichen Instrumenten scheint hier das Konzept der „human resource accountancy" (HRA-Konzept), wie es von U.S.-amerikanischen Betrieben entwickelt und zumindest partiell eingeführt wurde, in Frage zu kommen (Dierkes/ Freund 1975, S. 315 ff.). Die betrieblich-politischen Grundlinien dieses Konzepts
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und die Verfahren können der U.S.-amerikanischen Literatur bzw. den diesbezüglichen Forschungs- und Entwicklungsberichten entnommen werden. Sie machen zugleich die Grenzen des Human-capital-concept U.S.-amerikanischer Provenienz deutlich. Es ist vor dem Hintergrund einer von den U.S.-amerikanischen Erfahrungen abweichenden ökonomischen und politischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu fragen, ob überhaupt und wenn ja, mit welchen Adaptionen und bis zu welchem Grade, das HRA-Konzept auf die Verhältnisse in abweichende sozioökonomische Systeme, insbesondere das der Bundesrepublik Deutschland, übertragen werden kann. Hier muß vor allem auf die unterschiedlichen Auffassungen über Gestaltung und Steuerung von Gesamtwirtschaft und Einzelwirtschaften, auf die unterschiedliche Intensität der Eingriffe, die abweichenden Eingriffsmöglichkeiten des Staates in sozioökonomische Entwicklungen ebenso verwiesen werden wie auf die offensichtlich voneinander abweichenden Tendenzen der „Betriebsideologie" ( = „philosophy" der Unternehmen) sowie schließlich auf die völlig voneinander abweichenden Entwicklungen der Bildungsökonomie (vgl. u. a. Hüfner/Naumann 1969 und Bayer 1973). Aus dem traditionell unterschiedlich bewältigten Theorie-Praxis-Konflikt in den verschiedenen sozioökonomischen Systemen ergibt sich eine Summe von Differenzen in der Behandlung praktischer und theoretischer Probleme: Droht durch den extremen Pragmatismus U.S.-amerikanischer Unternehmen auch in deren theoretischer Überhöhung ein nur wenig reflektierter „Aktionismus", so gelangt hierzulande nicht selten auch der praktisch Tätige durch den permanenten Drang zu „wissenschaftlicher Absicherung" seiner Tätigkeit schließlich zu einem die Umsetzungspraxis behindernden „Theoretismus". Solche extremen Fehlentwicklungen in der relativ kurzen Geschichte der wiederentdeckten Bildungsökonomie in der Bundesrepublik Deutschland leidvoll durchmessen (Alex 1975, S. 90 ff.) - drohen auch in diesem Bereich. Sie hier zu erwähnen, heißt nicht sie zu dramatisieren; das Problem sollte lediglich aufgezeigt, auch von den Praktikern erkannt werden. Es sollten nämlich nach Ansicht des Verfassers die prinzipiellen Fragen nach den Zielen, die Fragen nach der einzel- und gesamtwirtschaftlichen, der betrieblichen und politischen Legitimierung ebensowenig gering geachtet werden, wie die mühevollen Probleme der Entwicklung von validen und effektiven, das heißt auch kurzfristig wirksamen Methoden (Ortner 1975b, S. 16). Dies soll - in gebotener Kürze - an einigen wenigen Beispielen demonstriert werden. Dazu ist es freilich auch notwendig, grundsätzliche terminologische Fragen zu klären; logische Konsistenz und Verständlichkeit wären sonst erheblich behindert. Ein hier intendierter semantischer Mindestkonsens erleichtert die Diskussion und verhindert (nach aller bisheriger Erfahrung), daß tiefgehend „philosophische" Fragen an mehrfachen, meist grundsätzlichen Begriffsmißverständnissen festmachen und dort in permanenter Diskussion verharren (Ortner, 1973b, S. 135). Auch aus Gründen einer interdisziplinären Diskussion, insbesondere zwischen makroökonomisch-politischen und mikroökonomisch-betrieblichen Ansätzen, empfiehlt
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es sich für die Ausprägungsformen des Phänomens „Arbeit" bzw. dessen Aggregationsform im gesamtwirtschaftlichen Bereich den (etablierten) Ausdruck „Humankapital" zu verwenden, im einzelwirtschaftlich (mikroinstitutionellen) Bereich jedoch den der betrieblichen Theorie entsprechend konstruierten Begriff „Personalvermögen'" zu gebrauchen. Dies entspricht allein schon von seinem terminologischen Anspruch her eher den bildungstheoretischen Ansätzen: „Personalvermögen" kann einmal als das in den Mitarbeitern verkörperte Potential (Fähigkeiten, Einstellungen etc.) (Yoder 1970, S. 223), zum anderen als „Vermögensbestandteil" im Sinne der betrieblichen Bilanztheorie gedeutet werden (Dierkes/Freund 1974, S. 60). Diese Doppelnatur erweist sich als operational, sowohl für die Bildungs- als auch für die einzelwirtschaftlich-ökonomische Theorie. Den beiden Begriffen entsprechen auf gesamt- und einzelwirtschaftlichem Niveau die quantitativen Instrumente: Personalvermögensrechnung (human-capital-accountancy) und Humankapitalrechnung (als integraler Teil einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) (Huppert 1971, S. 65 ff.).
2.3 Politisch-praktische und theoretische Kritik an der Legitimation Humankapital kann in einer gesellschaftlichen Gesamtbetrachtung als Pendant des sozialen Produktionsfaktors Arbeit innerhalb des sozioökonomischen Systems gesehen werden. Der Produktionsfaktor Arbeit, der das soziale Gesamtsystem „Gesellschaft" mitbestimmt, bildet sich im Humankapital ab. Diesem sozioökonomischen Konstrukt entspricht in den Einzelinstitutionen, in den „sozioökonomischen Subsystemen" (Verwaltungsinstitutionen, Wirtschaftsbetrieben, Schulen u. a. m.) das institutionelle „Personalvermögen". In einem solchen Stufensystem wird der Stellenwert des Konzeptes einer mikroinstitutionellen Personalvermögensrechnung deutlich; die Einordnung zeigt gleichermaßen Möglichkeiten wie Grenzen. Erst dies macht es möglich, das Konzept einer rationalen, politischen wie betrieblichen, theoretischen wie praktischen Kritik auszusetzen. Kritik kann hier prinzipiell mindestens an zwei Problemkreisen ansetzen: Zunächst am Problem der Legitimation, also der gesellschaftlichen, sozialen, ökonomischen Zulässigkeit (Jaeggi 1973, insbes. S. 55 ff. und S. 89 ff.), sodann am Problem der Realisation, der Operabilität, der „Machbarkeit" mit ihren Folgeproblemen: der Zieloperationalisierung, der Umsetzungsmethoden und der Kontrollinstrumente. Dies sind keineswegs bloß akademisch-theoretische Probleme. Eine Erörterung der Legitimation ist heute auch für die praktisch-betriebliche Entscheidungsvorbereitung von Bedeutung; ihr Einfluß ist durch die Betriebsverfassungs-Gesetzgebung entscheidend gestärkt worden. Die Situation der Mitbestimmungsmöglichkeit hinsichtlich der betrieblichen Personalinfrastruktur unterscheidet sich in der Bundesrepublik Deutschland (Schwerdtfeger 1973) prinzipiell von der in U.S.amerikanischen Unternehmen. Die letztlich ideologisch-politische Frage nach der Legitimation ist für die Betriebsleitungen hierzulande keineswegs länger ephemer;
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ideologisch-politische Probleme erscheinen vielmehr innerhalb des in die Entscheidungsvorbereitung einzubeziehenden metaökonomischen Datenkranzes, sie sind von unmittelbarem Einfluß. Sollte hier die Legitimation (im gesamtsozioökonomischen Zusammenhang) nicht schlüssig nachgewiesen werden können, so erübrigt sich im sozioökonomischen System hierzulande die Methodendiskussion weitgehend; es sei denn, man reduziert sie auf den akademischen Schutzraum von „Denkmöglichkeiten". Vor solchen Problemen scheinen die Vertreter des HRAKonzepts in den USA ganz offensichtlich (noch) nicht zu stehen (Baran/Sweezy 1973, insbes. S. 352 ff.). Auch hier zeigt sich nach Ansicht des Verfassers die unterschiedliche (hier: bildungs-)ökonomische Denkweise, trotz ähnlicher, aber keinesfalls kongruenter ökonomischer Systeme und trotz Ähnlichkeiten im soziopolitischen Gesamtsystem. Dies erklärt auch, warum dem zunächst als „rein" ökonomisches Phänomen erkannten Fragenkomplex des betrieblichen Personalvermögens auch von Seiten der Bildungsökonomie und der Bildungsbetriebslehre Interessengruppe
Beurteilung des PVK bzw. der PVR
Ansatz/ Vorgehensweise
Eigentümer und Eigentümerunternehmer in ihrer Eigenschaft als Eigentümer („Kapital")
Die Bedeutung des betrieblichen Kapitals wird unterrepräsentiert und in der Bilanzdarstellung zu wenig gewichtet
kapitalorientiert/ kapitalistisch
Leitende Mitarbeiter und Eigentümerunternehmer in ihrer Funktion als leitende Mitarbeiter („Management")
Eine PVR gibt zu wenig Auskunft über die Kostenverursachung bzw. die Herkunft der in die Personalstruktur investierten Mittel
ertragsorientiert/ betriebswirtschaftlich
Mitarbeiter („Arbeit i.e.S.")
Eine PVR dient einer verstärkten Arbeitskontrolle durch die Unternehmensleitung zur Gewinnmaximierung
arbeitsgestaltungsorientiert/ gewerkschaftlich
praktisch-betrieblicher Bereich
theoretisch-metaökonomischer Bereich Bildungswissenschaften
Eine PVR versucht, Menschen in Währungseinheiten auszudrücken; Bildung wird „versachlicht"
anthropologisch
Gesellschaftswissenschaften
Eine PVR dient der betrieblichen und/oder politischen Systemstabilisierung (unabhängig vom jeweiligen sozioökonomischen System)
ideologiekritisch
Abb. 1: Ansätze theoretischer und praktischer Kritik am betrieblichen Personalvermögenskonzept
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Interesse entgegengebracht wird; Personalvermögen und Humankapital werden eben nicht als bloß ökonomische Faktoren beurteilt (Widmaier 1975a, S. 42 f.). Dies spiegelt sich auch in der aktuellen oder potentiellen Kritik an den Konzepten und den zugehörigen Recheninstrumenten (Gesamtwirtschaftliche Humankapitalrechnung - Einzelwirtschaftliche Personalvermögensrechnung) wider. Die Übersicht in Abb. 1 soll im Ausschnitt abbilden, von welchen unterschiedlichen politischen Argumentationslagen bzw. Interessenspositionen aus die Zulässigkeit des betrieblichen Personalvermögenskonzeptes bzw. der betrieblichen Personalvermögensrechnung (PVR) kritisiert werden kann.
3. Definition und Veränderung betrieblicher Zielfunktionen Wie oben bereits erwähnt, ist die Beantwortung der Fragen nach theoretischer Legitimation bzw. politischer Zulässigkeit des Personalvermögenskonzeptes aus bildungspolitikwissenschaftlicher und in bildungsbetrieblicher (also bildungsmakro- und -mikroökonomischer) Sicht keineswegs bloß von theoretischem Interesse; sie wird beim gegenwärtigen Bewußtseinsstand in unserem sozioökonomischen Gesamtsystem vielmehr zur Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung. Bisherige Erfahrungen zeigen, daß motivationale Widerstände, die aus Legitimationskrisen bzw. Legitimationsschwächen folgen, die Umsetzungspraxis erheblich behindern, im Extremfall die praktische Umsetzung unmöglich machen. Erst wenn die Frage nach Legitimation prinzipiell positiv beantwortet werden kann, ist daher sinnvollerweise die Frage nach der Realisation mit ihren methodischen und organisatorischen Konsequenzen zu stellen. Als Verklammerung von Legitimierungs- und Realisierungsebene diente dann eine stufenweise Operationalisierung von Zielen und Subzielen, also von originären und abgeleiteten Zielen, die zu Zielhierarchien zusammengebaut werden können. Erst eine solche logisch konsistente Hierarchie, die an ihrer Basis so weit operationalisiert ist, daß die praktische Zielumsetzung auch überprüft werden kann, ermöglicht eine zulässige und effektive Einführung eines Personalvermögenskonzeptes. Im folgenden seien Teilziele eines solchen denkbaren, wenn auch noch nicht detailliert ausgearbeiteten und validierten Zielsystems einer Personalvermögensrechnung demonstrativ angeführt. Ziel(e) einer Personalvermögensrechnung könnten sein (vgl. dazu auch Schaefer 1975, S. 53): - Sicherung einer leistungsfähigen Personalinfrastruktur zur Erfüllung der betrieblichen bzw. betriebspolitischen Zielstellungen (welcher Art auch immer), - Darstellung des Gesamtpotentiales einer Institution unter Berücksichtigung aller
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am betrieblichen Leistungserstellungsprozeß Beteiligten (zu welchen Zwecken auch immer), - Nachweis der Kosten (als Hinweis auf das „Ausmaß" der betrieblichen „Anstrengungen") hinsichtlich der sozial- und arbeitsrechtlich postulierten „menschengerechten Gestaltung der Arbeit" im Betrieb (Marchai 1975, S. 12), - Darstellung des Anteils des Produktionsfaktors „Arbeit" als (mindest gleichberechtigtes Wirkungspotential, insbesondere in Bezug zum Betriebs-Kapital (mit allen denkbaren betrieblichen und politischen Konsequenzen). Schon diese knappe Auswahl zeigt Zielformulierung unterschiedlichster Interessenspositionen, aber auch unterschiedlicher Operationalitätsstufen, d. h. auf unterschiedlichen Ebenen innerhalb der Gesamt-Zielhierarchie (zum Ziel-MethodenSystem vgl. u. a. Ortner 1974b). An einem einfachen Beispiel läßt sich die Bedeutung von methodisch-organisatorischen „Folgemaßnahmen" für oder gegen bestimmte Zielvorstellung darstellen. Gegeben sei das Problem der „Aktivierung von Personalkosten i. e. S. (d. h. Kosten für und aus der betrieblichen Personalinfrastruktur)". Zur Abdeckung der ersten und der dritten oben angeführten Zielstellung reichte es aus (wie dies u. a. Brummet darstellt) jeweils die Kosten für -
Personalaquisition (Chorafas 1974, S. 80 ff.), Personalentwicklung, Personalpflege (nach Schmidt 1975, S. 17 f.), Produktivitätsausfall während der Einarbeitungs- bzw. gegebenenfalls der Umarbeitungszeit sowie - der Umschulungszeit (nach Gustavson) zu aktivieren bzw. dieses Kostenaggregat als Vermögensbestandteil bilanzmäßig auszuweisen. Dieser Ansatz genügt jedoch der zweiten und vierten der oben angeführten Ziel-Forderungen nicht. Mit Hilfe von Methoden, die im traditionellen Kostenrechnungsinstrumentarium nicht enthalten sind, sind zur Abdeckung dieser Forderung zusätzlich - die Ertragserwartungen (nach Flamholtz, hier zitiert nach Dierkes/Freund 1974, S. 62), das ist das als Erwartungswert auszuweisende Potential des betrieblichen Produktionsfaktors „Arbeit" (das „Vermögen der Personalstruktur", das „Personalvermögen i. e. S."), mit ihrem Anteil am betrieblichen Produktionsprozeß insgesamt auszuweisen.
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3.1 Die wechselseitige Beeinflussung von Zielvorgabe und Methodenentwicklung Mit Hilfe dieses in all seinen politischen Bedingungen und praktischen Konsequenzen weitreichenden und mehrschichtigen Beispiels kann die methodische Problematik des PVR-Konzeptes abgesteckt werden. Ausgehend von der Aufgabe, nämlich das Personalvermögen einer Institution in seiner Bedeutung für die Leistungserstellung der Gesamtinstitution darzustellen bzw. rechnerisch abzubilden, zeigen sich unter anderem folgende Verfahrensprobleme: - Es stellt sich zunächst die Frage nach dem zukünftigen Beitrag der Mitarbeiter zur sozialen, ökonomischen und technischen Leistungserstellung der Institution und das Problem der Quantifizierung dieses Beitrags. - Bei Eintritt von Mitarbeitern in eine Institution können nicht wie beim Erwerb von Grundstücken, Gebäuden, Anlagen etc. „Anschaffungspreise", die in der Regel mindestens die Selbstkosten der Lieferanten (i. e. S.) abdecken, ermittelt werden. Die Betriebe kämen in die absurde Situation, die Bildungs- und Lebenserhaltungs-Gesamtkosten der Mitarbeiter bis zu ihrem Eintritt in den Betrieb dem Bildungs- und/oder Beschäftigungssystem (einschließlich der „erhaltenden" Familie) „ablösen" zu müssen. - Eine Aktivierung ausschließlich der Bildungs-Investitionen des Unternehmens, das den Mitarbeiter beschäftigt, bleibt letztlich willkürlich. Verzerrungen können nicht ausgeschlossen werden; so kann beispielsweise ein Versagen der betrieblichen Personalaquisition erhöhte Ausbildungs- bzw. Einarbeitungskosten verursachen, die, wenn sie aktiviert würden, den rechnerischen Wert des Personalvermögens aufschwemmen. - Akzeptiert man nach Gustavson eine langfristige Entsprechung von Einkommen und Leistungsbeitrag der Mitarbeiter, kann man, allerdings unter erheblichen Vorbehalten, das zu erwartende Einkommen der Mitarbeiter als Hilfsgröße zur Ertragsbestimmung heranziehen. Durch die Gehaltszahlung vergütet der Betrieb nicht nur die (kognitiven) Fähigkeiten, das Wissen und die Fertigkeiten, sondern auch die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter und setzt sie ex ante in die Personalvermögensrechnung ein. Dies ist zunächst nicht ohne Risiko für den Betrieb; zudem bezieht sich dieser Betrag auch auf die Einsatzbereitschaft (z. B. Lernbereitschaft), die vor dem Eintritt in den Betrieb selbst aufgebracht wurde. Die Mitarbeiter wiederum amortisieren ihren individuellen Konsumaufschub während ihrer (Aus-)Bildungsphase (zumindest zu einem wesentlichen Teil). Verfolgt man das zweite und vierte der oben skizzierten Ziele, strebt also eine sowohl arbeits- als auch kapitalorientierte Personalvermögensrechnung an, so wären als rechnerischer Betrag des Gesamtpersonalvermögens die diskontierten Gehälter bzw. Löhne mit einer stochastisch zu bestimmenden mittleren Verweildauer der Mitarbeiter anzusetzen. Man kann sich leicht überschlägig ausrechnen,
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welch hohen Anteil ein solchermaßen ausgewiesenes Personalvermögen an den Gesamtaktiva eines Betriebes erreichen würde. Dennoch: Erst ein solches Konzept, so unvorstellbar es heute noch mancher Betriebsleitung scheinen mag, entspricht der Mehrzahl der Forderungen nach einer angemessenen Berücksichtigung des Faktors „Arbeit", wie sie heute politisch erhoben und auch schon betrieblich - zumindest ansatz- bzw. versuchsweise - umgesetzt werden.
3.2 Die Konsequenzen der Veränderungen betrieblicher Zielvorstellungen Die konstitutive Komponente der Zielentscheidungen und der Subzielableitungen wird, so sollte gezeigt werden, erst in den Detailproblemen bzw. den Lösungsversuchen dieser deutlich. Dazu noch ein besonders drastisches Beispiel: Die Entscheidungen über die Vorgangsweise bei der Berücksichtigung von „Ergänzungsinvestitionen" in einer betrieblichen Personalvermögensrechnung spiegeln die Auffassung von Wesen und Zweck des Betriebes wider, sie zeigen deutlich auch ihren gesellschaftspolitischen Gehalt. Die in der „human-capital-accountancy"-Praxis in den USA beispielsweise anzutreffende „Abschreibung der Investitionen in das Personalvermögen auf 0 " kann als ein Indiz für eine rigoros einzelwirtschaftliche Auffassung vom Unternehmenszweck gelten. Vor dem Hintergrund einer weiterreichenden Motivanalyse von betrieblichen Instrumenten ergibt sich, wie oben ausgeführt, neben dem Problem der Machbarkeit, das im Bereich der exakten Bestimmung des Personalvermögens ohnedies beträchtliche Schwierigkeiten bietet, auch das Problem der „Zulässigkeit", über einzelwirtschaftliche Überlegungen hinaus. Dies ist ein generelles Problem, das bei einem Versuch, das HK-Konzept analog den U.S.-amerikanischen Modellen zu übernehmen, nicht unberücksichtigt bleiben darf. Dies vor allem deshalb, weil die diesen Vorstellungen zugrundeliegenden ökonomischen Zielsysteme hierzulande nicht länger uneingeschränkt akzeptiert werden. Es zeigen sich vielmehr in der betrieblichen Praxis in der Bundesrepublik Deutschland, Anzeichen der Akzeptanz einer gleichsam „neonormativen Theorie des Unternehmens". Entsprechende Initiativen von Unternehmensleitungen, die sich auf ein gestiegenes gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein berufen, werden zwar gelegentlich von ihren Gegnern lediglich als apologetische Aktivitäten eingestuft, es kann der betrieblichen Praxis jedoch letztlich gleichgültig sein, aus welchen Motiven auch immer durch eine Personalvermögensrechnung „ethische" (auf Schär 1923 oder Nicklisch 1929-32 aufbauend) Aspekte zur Aufwertung des Produktionsfaktors „Arbeit" in die betriebliche Produktionssphäre getragen werden. Die steigende Wertschätzung der Beiträge des Faktors „Arbeit" zur betrieblichen Produktion im Verbünde des sozioökonomischen Gesamtsystems ergänzt an der Produktions- und Distributionsbasis die Bestrebungen des ursprünglich „ökonomistischen" Humankapitalkonzepts (OECD-Study Group in the Economics of Education, S. 60 f.) der Nationalökonomie bzw. der Bildungsmakroökonomie in Richtung auf politisch-
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strategisch artikulierte „Rehumanisierungstendenzen" von Produktion bzw. „Arbeit i. e. S." (Hegelheimer 1975b, S. 339). Vor diesem Hintergrund eines tendenziellen Wandels in der Auffassung von betrieblichen Zielen ist auch durch eine Personalvermögensrechnung keineswegs eine „Dehumanisierung" der Arbeitswelt bzw. eine Beeinträchtigung der Stellung des einzelnen Mitarbeiters, durch eine bilanzmäßige Aktivierung seines Arbeitspotentials, zu befürchten. Im Gegenteil: der formale, rechnerische Ausweis des akkumulierten und „bewerteten" Arbeitspotentials neben dem materiellen Betriebsvermögen stellt eine auch bilanzmäßig dokumentierte Aufwertung des Faktors „Arbeit" in Wirtschaftseinzelinstitutionen dar. Dies bezieht sich in gleicher Weise auch auf die „Abschreibungen" im personellen Bereich, denn hier geht es ja nicht um die Devalorisierung von mitarbeitenden Menschen, sondern um die einsatzgerechte Verteilung von Kosten bzw. von eingesetzten Finanzmitteln über die Einsatz- bzw. Leistungsperioden. Das Personalvermögenskonzept könnte sich in ähnlicher Weise positiv auf die menschengerechte Gestaltung der Arbeit auswirken wie die „Sozialbilanzen" auf die „umweltorientierte Produktionsgestaltung" der Betriebe (Schaefer 1975, S. 55). Aus der dort vorgenommenen gegenseitigen Aufrechnung der Leistungen zwischen dem öffentlichen Bereich und Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, seien sie auch bloß aus dem Wunsch nach öffentlicher Legitimation oder apologetischer Image-Pflege geboren, könnten wesentliche Impulse für eine mitarbeiterorientierte Personalvermögensrechnung gewonnen werden. Die Aufwandszusammenstellung nach „Innerem" und „Äußerem Bezugsfeld", als die sich die bislang in der Bundesrepublik publizierten „Sozialbilanzen" bei näherer betriebswirtschaftlicher Betrachtung herausstellen, könnten zu einer, auch als solcher ausgewiesenen und bezeichneten „Personalaufwandsrechnung" führen. Dies wäre die Grundlage für eine „Umwertung" ( = „Umrechnung") der Bewegungsgrößen einer G-&V-Rechnung in die Bestandsgrößen, wie sie die „Personalvermögensrechnung" vorzunehmen hätte. Ergebnis wären die Aktiva einer „Personalbilanz", die dann auch betriebswirtschaftlich-theoretisch zu Recht als solche bezeichnet werden könnte. Dabei scheint es dann allerdings sinnvoll, die „Personalaktiva" als entsprechend gekennzeichneten Teil der Gesamtbilanz auszuweisen.
4. Die Bewertung des betrieblichen Personalvermögens 4.1 Globale Lösungsstrategie: Ausklammerang des Problems Die Erstellung von „Personalbilanzen" bedeutet also letztlich nichts weniger als die Dokumentation des personalen Arbeitspotentials eines Wirtschaftsbetriebes oder einer Verwaltungsinstitution. Durch diese bilanzmäßige Aktivierung des individuellen Arbeitsvermögens der Mitarbeiter wird die besondere Funktion des
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Produktionsfaktors „Arbeit" im Verhältnis zu anderen, in traditionellen Rechnungs- bzw. Informationssystemen überrepräsentierten Produktionsfaktoren zum Ausdruck gebracht. Dabei entsteht neben den, vor allem durch Begriffs-Mißverständnisse begründeten, normativen Konflikten eine erhebliche Zahl von „technischen" Problemen, begleitet von einer - so zeigen es erste Versuche - Unzahl von methodisch-organisierten Detailproblemen. Manch eines dieser Probleme ist nichts anderes als ein innerbetrieblicher Reflex von makro- und metaökonomischen Problemen, wie sie die traditionelle Bildungsökonomie und ihre fortgeschriebenen Teildisziplinen, die Bildungspolitikwissenschaft (für den Bereich des Bildungswesens insgesamt) und die Bildungs-Betriebslehre (für den einzelinstitutionellen Bereich von Bildung und Ausbildung) (Ortner 1975b, S. 16) seit längerer Zeit ausgemacht und - wenigstens teilweise mit Erfolg analysiert haben. Daraus ergibt sich aber, daß sich Probleme des innerbetrieblichen „Humankapitalkonzeptes", beispielsweise materialisiert im Modell einer betrieblichen Personalvermögensrechnung, ihrer inneren und äußeren politischen Dimension nicht ohne weiteres entledigen können; politische Argumente für und gegen dieses Konzept sind nicht nur in der tagespolitisch polemikangereicherten Diskussion zu erwarten, sie sind letztlich problemimmanent und berühren zudem nicht selten Probleme, die zunächst nur als instrumental-technisch erscheinen, sich aber letztlich doch auf einen politischen Kern zurückführen lassen (vgl. Hegelheimer 1975a, S. 77 ff.). Vor diesem Problemhintergrund ist die Motivlage für eine betriebliche Personalvermögensrechnung auf der Seite der Betriebsleitung, also im Führungsbereich der Wirtschafts- und Verwaltungsinstitutionen zu überprüfen. Das Problem des betrieblichen Personalvermögens ist in der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis erkannt; in den bisher entwickelten praktischen Ansätzen versuchte man, unter Mitarbeit von Theoretikern das Problem in seiner Komplexität so weit zu reduzieren, daß man über globale Erklärungsmodelle hinaus zu praktischen Steuerungs- und Gestaltungshinweisen gelangt. Die angestrebte Operationalität (besonders der U.S.-amerikanischen Modelle) bedingt notwendigerweise eine Reduktion des Problems auf ausgewählte Gestaltungsdimensionen bzw. Steuerungsparameter. Als generelle Alternative bietet sich hierbei dem betrieblichen Steuerungsanspruch die Globalstrategie der „Ausklammerung des Problems" aus der betrieblichen Gestaltungssphäre (vgl. Ortner 1971b). Dafür kann als Argument angeführt werden, daß die quasi-öffentliche Natur der Personalentwicklung bzw. Ausbildung eine betriebliche Steuerung weder notwendig noch zulässig mache; so werde schließlich die allgemeine und weitgehend auch die spezielle Berufsvorbildung nicht durch die betrieblichen Bedarfsträger finanziert (Käser 1969, S. 140 f.). Man hofft dabei, daß die interne Summe der betrieblichen Investitionen in die Personalinfrastruktur stets geringer bleibt als die externen Bildungsinvestitionen, deren Ertragskomponente man mit den eintretenden Mitarbeitern aus dem Bildungs- bzw. Beschäftigungssystem übernehmen kann (vgl. Hegelheimer 1975a, S. 75).
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4.2 Differenzierte Lösungsstrategie: Reduktion von Einarbeitungs- und Personalverlustkosten Begnügt man sich jedoch nicht damit, die Notwendigkeit betrieblicher Personalinvestitionen als externes Datum gleichsam schicksalhaft hinzunehmen, so bieten sich zunächst zwei grundlegende Strategien zur Verbesserung der Kostensituation an; es kann versucht werden, die „Einarbeitungskosten", die Kosten der Einschulungszeit und die des Einsatzes während der Einschulungszeit zu reduzieren. Neben intern-betrieblichen Verbesserungen der Ausbildungsstruktur wäre es eine hierfür besonders geeignete Strategie, die Praxisnähe der Ausbildung durch Mitwirkung bei curricularen Festlegungen im Bildungssystem zu erreichen. Damit gewinnen die betrieblichen Aufgaben des Personalvermögenskonzeptes erneut nicht nur wirtschafts- sondern letztlich gesellschaftspolitische Dimensionen (Beelitz/Freudenfeld 1975, S. 106 ff.). Die zweite Teilstrategie zielt auf eine Reduktion der Personalverluste (Chorafas 1974, S. 80 f.). Auch dies Ziel ist jedoch nicht bloß ein materiell-betriebliches, nämlich die Erreichung eines ökonomischen „Breakeven-Punktes der Personalsicherung"; es hat vielmehr sozialpsychische und soziale Dimensionen im metamateriellen Bereich und schließt auch Fragen der Mit- und Selbstbestimmung bzw. der Mit- und Selbstverantwortung ein (Muhr 1975, S. 71). Dies wiederum erschließt, von der betrieblichen Strategie her argumentierend, den generell politischen, schließlich „wirtschaftsethischen" Aspekt einer Personalvermögens-Betrachtung; die Frage nach dem „Wert" der Personalstruktur für ein Unternehmen, für einen Betrieb, für eine Verwaltungsinstitution, zielt nur teilweise auf eine aggregierbare Ertragskomponente, die sich schließlich als „Hilfsvariable" herausstellt. Sie reicht im Sinne einer neonormativen betrieblichen Theorie letztlich in den Bereich des Ideologisch-Werthaften. Unmittelbar anschließend an solche normative Überlegungen muß gefragt werden, wieviel eine Institution in Verwaltung und Wirtschaft zur Gestaltung ihrer Personalinfrastruktur aufwenden muß, soll und kann. Hierfür könnten folgende Rahmenmarkierungen gelten: Sie muß mindestens so viel aufwenden, wie sozialrechtliche Erfordernisse postulieren. Dies bedeutet die Verpflichtung zur Minimierung der Personalverlustkosten, ja die Verpflichtung, die Personalschwankungen (aus betriebsexternen Gründen) gering zu halten. Die normative Frage nach dem „Soll" orientiert sich an betrieblichen Zielvorstellungen, z. B. einer arbeits- bzw. mitarbeiterorientierten Einzelwirtschaftslehre. In diese Richtung tendiert selbst Mellerowicz in seinen Überlegungen zu „Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung" (Mellerowicz 1971, insbes. S. 86-104). Dabei kann freilich die Obergrenze des internen Investitionspotentials (einschließlich einer internen Umverteilung potentieller Gewinnanteile in mitarbeiterorientierten Einzelwirtschaften) nicht ohne Gefährdung der Institution überschritten werden. Versucht man nun in der Praxis den „Wert" oder zumindest den „Stellenwert" des Personalvermögens, verstanden als Teil der in der Gesamtbilanz ausgewiesenen
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betrieblichen Mittelverwendung, im Zusammenhang mit anderen Vermögensbestandteilen (Materialvermögen, Finanzvermögen etc.) zu fixieren, so zeigen sich komplexe Zusammenhänge und Abhängigkeiten, die über die anderer Produktionsfaktoren weit hinausgehen. So erweist sich das Personalvermögen, also das Gesamtpotential der betrieblichen Personalstruktur, als abhängig von individuellen, subjektiven und objektiven Faktoren, wie Wissensstand, Einsatzbereitschaft, Lernneigung, Lernfähigkeit, Motivlage, physische und psychische Konstitution (Ortner 1971a), aber auch von sozialpsychischen (Blake/Mouton 1964, S. 36 f.), sozialen, internen und externen Aspekten, wie Entwicklung des Betriebes und seiner Teilbereiche in sozialer und ökonomischer Hinsicht, sozioökonomische Gesamtentwicklung etc. Auf einen vergleichbaren Komplexitätsgrad trifft man, wenn man versucht, auch nur das reduzierte Teilproblem der Personalverlustkosten quantitativ zu fassen. Zu rational erfaß- und begründbaren Kostenanteilen, wie -
Personalaquisitionskosten, Einstellungskosten, Einschulungs- und Einarbeitungs- bzw. Umschulungskosten
treten rational nicht erfaßbare bzw. begründbare Kostenanteile, die sich, wie z. B. Ertragsminderungen, infolge von Good-will-Minderungen durchaus auch auf die ökonomische Gesamtentwicklung des Betriebes auswirken können. Unabhängig vom Feinheitsgrad der quantitativen Bestimmung von Verlusten bei Personalschwankung gilt als weitgehend sichere allgemeine Aussage, daß bei hohem „Personalumsatz" betriebliche Personalinvestitionen den einzelnen Trägerinstitutionen verloren gehen. Es ist freilich möglich, wenn auch nicht sicher, daß diese Verluste durch Personalaquisition und systematische Personalentwicklung wieder hereingebracht werden können. Die Möglichkeit hierzu scheint entscheidend von der Höhe der Kosten während der Einschulungs- bzw. Ausbildungsphase abzuhängen und davon, wie weit diese Kosten durch Einsatz während dieser Phase (vom Eintritt in die Institution bis zum Erreichen der vollen individuellen Stellenleistung) amortisiert werden könne. Dies wird sich mit unterschiedlicher Komplexität und unterschiedlicher Spezialität der Stellenanforderung unterschiedlich gestalten; empirische Daten liegen hierfür noch nicht in ausreichender Menge und in befriedigender Qualität vor. Man kann dennoch mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad vermuten, daß ein (letztlich exakt bestimmbarer) Break-even-Punkt zwischen der Funktion der Mehraufwendungen zur Verminderung der Personalfluktuation und der Funktion der Verluste von geleisteten Personalinvestitionen existiert (Engel 1970, S. 113 f.). Entscheidungsinstrumente hierfür sind jedoch noch nicht vorhanden; auch dieses Defizit unterstützt die Forderung nach Entwicklung einer instrumentalen Personalvermögensrechnung und ihrer Einbeziehung in die gesamtbetrieblichen Kontroll-(Informations-, „Rechen"-)Systeme.
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4.3 Einzelbewertungsansatz: Betriebswirtschaftliche und bildungsökonomische/bildungsbetriebliche Kostenbestimmung Zur Bestimmung der Kosten der Personalfluktuation sind die Personalentwicklungskosten, die bis zum Erreichen der optimalen Stellenleistung anfallen, mindestens in zwei Blöcke aufzuspalten, nämlich in die Kosten der Personalaquisition („hiring cost") und die Kosten der Ausbildungs- bzw. Einarbeitungsphase i. e. S. („training-cost"). Es wird gelegentlich der Standpunkt vertreten, daß diese Kosten bis zum Erbringen der vollen individuellen Stellenleistung akkumuliert und diese Summe als „Grundinvestition" aufgefaßt werden soll, die man sodann beispielsweise über die zu erwartende Einsatzleistungsdauer abschreiben kann. Diese Auffassung berücksichtigt jedoch das Phänomen eines weiter wachsenden Arbeitsertrages (auch über die ursprünglich geforderte individuelle Stellenleistung hinaus) nicht ausreichend (Abb. 2); es wird dabei nämlich eine Art „Zusatznutzen" durch eine Quasi-Kuppelproduktion erzielt. Der diesem zuzurechnenden Betrag kann sinnvollerweise nicht als Personalinvestition für die ursprünglich intendierte Stellenerfüllung verrechnet werden. Ihm entspricht eine andere als die durch die Investition zu sichernde Leistung. Der Personalgrundinvestitionsbetrag ist daher zu splitten; die bei Personalverlust sonst auszuweisenden Verlustkosten wären im anderen Falle „überhöht", d. h. im Sinne exakter Kostenrechnung nicht leistungsbzw. hier leistungsaws/aZ/sbezogen. Die exakte Bestimmung der Personalverlustkosten bzw. der Kosten bei drohendem Personalverlust sind für die Betriebsführung letztlich entscheidend, wenn über „Bleibeverhandlungen" beraten wird. Hier stellt sich die Frage, welcher Personalverlust kurz- und mittelfristig gerade noch toleriert werden kann und wann, bei gegebenem Personal- bzw. Arbeitserwartungswert, die variablen Personalkosten zur Verhinderung von Personalausfallskosten erhöht werden müssen. Weder exakte Kalküle noch valides Datenmaterial liegen gegenwärtig für diese Berechnungen vor; hier klafft noch eine Lücke sowohl in der betriebswirtschaftlichen als auch der bildungs(mikro)ökonomischen Literatur. Um die Schwierigkeiten bildungsökonomisch exakter Kostenbestimmung zu veranschaulichen, sei demonstrativ auf die speziellen Erfassungs- bzw. Bewertungsprobleme verwiesen. Diese beziehen sich einmal auf Kosten, die dadurch (als „Ertragsminderungen") entstehen, daß der Mitarbeiter den Punkt der optimalen Stellenleistung nicht erreicht. Muß er nun an einer anderen Stelle eingesetzt werden, so gehen zumindest Teile der Ausbildungs- und Einschulungskosten absolut „verloren". Dies bezieht sich zum anderen auch auf die Opportunitätskosten, die in der Folge von Einschulungs- bzw. Ergänzungsausbildungsphasen anfallen. Bleibt der Mitarbeiter trotz nichtoptimaler Stellenleistung aber dennoch an seinem Einsatzort, müßte die (permanente) Minderleistung als „Ertragsminderung" zu den Ausbildungs- und Einschulungskosten hinzugerechnet werden.
Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
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Abb. 2: Personalentwicklungskosten und individuelle Qualifikation während der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase (Demonstrationsdiagramm) KPG Kaef Kaev KPE 1,2
-
QG 1,2
-
Qae 1,2
-
Gesamtkosten der Personalentwicklung (PE) PE-Fixkosten der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase PE-Variable-Kosten der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase (alternative Verläufe) Individuelle PE-Kosten der Mitarbeiter (1 - ohne, 2 - mit Einsatz während der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase) Gesamtqualifikation (1 bei stellenbezogener „Uberqualifikation", 2 bei stellenbezogener „Unterqualifikation") Qualifikation während der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase (alternative Verläufe: 1 - bei stellenbezogener „Überqualifikation", 2 - bei stellenbezogener „Unterqualifikation")
Ähnlich ist die Verrechnung von Kosten, die durch Überschreiten der geplanten Einarbeitungszeit entstehen, zu sehen; in dieser „Überschreitungsphase" werden die Stellenleistungen in der Regel vom Optimum entfernt sein; die „Leistungs"Differenz ist den Ausbildungskosten hinzuzurechnen. Allfällige Unterschreitungen der geplanten Ausbildungszeit können als direkt verrechenbare Zusatzerträge
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Gerhard E. Ortner
Beschäftigungseinheiten]
Abb. 3: Akkumulierung der Personalverlustkosten bei starken Personalschwankungen ohne Berücksichtigung der Arbeitseinsätze in der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase (Demonstrationsdiagramm)
berücksichtigt werden. Sinnvollerweise werden sie gegen die entstandenen Kosten der „Personalvermögensbildung" unmittelbar aufgerechnet (Abb. 3 und 4). Die Berücksichtigung des Einsatzes während der Ausbildungs- und Einarbeitungszeit erfordert die Einbeziehung von „Erträgen" als Kostenminderung. Diese Kosten-Ertrags-Verklammerung führt zu den zentralen Problemen einer bildungsmikroökonomischen Kostenrechnung (Mäding 1971, S. 36 und S. 104 ff.), von denen drei hier beispielhaft angeführt werden sollen. Eine exakte bildungsmikroökonomische Kosten/Ertragsrechnung bedarf mindestens der Lösung folgender Probleme. (Zur grundsätzlichen Problematik von makroökonomisch ansetzenden Kosten-Ertragsanalysen vgl. Billerbeck 1968, S. 20 ff.; zur Bewertung der Kosten und Erträge der Bildungsinvestitionen Billerbeck 1968, S. 75-145):
Beschäftigungseinheiten]
Abb. 4: Akkumulierung der Personalverlustkosten bei starken Personalschwankungen mit Berücksichtigung der Arbeitseinsätze während der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase (Demonstrationsdiagramm) Kvn Kaev Kaef
-
Personalverlustkosten PE-Variable Kosten der Ausbildungs- und Einarbeitungsphase PE-Fixkosten der Ausbildungs- und Einarbeitsphase
Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
375
- Überwindung des Mangels an Operationalität der Stellenanforderungen; nur eine solche ließe das „Messen" der Stellenerfüllung (sowie das „Schätzen" von Ertrags-Erwartungswerten) zu. Die Operationalität der Stellenanforderung nimmt jedoch mit Aufsteigen in der beruflichen Kompetenzhierarchie überproportional ab (Ortner 1971a). - Bestimmung der Kosten der Personalentwicklung insgesamt unter Berücksichtigung nicht nur der exakt bestimmbaren Kosten „formaler Ausbildung", sondern auch der nur annäherungsweise bestimmbaren Kosten nichtformaler Ausbildung (vgl. Abt 1971, Abb. 6, S. 304). - Problem der Aktivitäten, denen nicht direkt Erträge bzw. Kostenminderungen zugerechnet werden können, und ihre Berücksichtigung in der „Ertragsdiskontierung" zur Personalbilanzierung. Die Schwierigkeiten bei der kostenrechnerischen Problemlösung haben insbesondere bei U.S.-amerikanischen Experten dazu geführt, die exakte Bestimmbarkeit von Kosten in diesem Bereich überhaupt zu bezweifeln; dies ist nur so lange richtig, als man nach „objektiven" Kostenkriterien sucht und den instrumentalen Charakter vom Kostenrechnungssystem übersieht. Mit Bezug auf bestimmte Einsatzgebiete und Anwendungsbereiche lassen sich die jeweils untereinander unterschiedlichen Kosten auch in Bildungsinstitutionen jedoch ausreichend genau bestimmen (Kahlert/Döring 1973, S. 127 ff. und Ortner 1978b, S. 28 f.). Dies gilt auch für weite Bereiche der Personalvermögensrechnung.
Personalentwicklungsaktivitäten
Ausbildung
Ausbildungskomponente: Schulung (formal)
Einsatzkomponente: (Ein-)Schulung (nicht formal) Ausbildungskostenanteil (exakt bestimmbar) Personalentwicklungskosten
Einsatz
Einsatzkostenanteil j (annäherungsj weise schätzbar) 1
Abb. 5: Personalentwicklung: Aktivitäten und Kosten (formale, nichtformale Ausbildung und Einsatz als betriebliches Gesamtbildungspotential)
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5. Die Bestimmung des betrieblichen Personalertrages 5.1 Investitionstheoretische Ansätze: Diskontierung künftiger Einkommen In einer bildungsökonomischen Gesamtbetrachtung darf das Bildungskostenproblem jedoch nicht von der Ertragskomponente gelöst werden. Es muß daher, trotz aller bekannten, ja zumindest tendenziell notorischen Schwierigkeiten, (Aus-) Bildungserträge zu quantifizieren, auch hier auf die Probleme der Bewertung des zukünftigen Ertrages der „Personal-Bestände", des „Personalvermögens", eingegangen werden. Während hinsichtlich der dazu einsetzbaren Kalküle, in der betriebswirtschaftlichen Theorie und der betrieblichen Praxis bereits quantitativ und qualitativ Ausreichendes erarbeitet wurde (zur bildungsbetrieblichen Anwendung solcher Kalküle vgl. Richter 1975, S. 439 ff., und Lobin 1975, S. 433 ff.), fehlen entsprechende Ergebnisse der dafür materiell zuständigen Lerntheorie fast vollständig. In investitionstheoretischer Betrachtung zeigt sich die Bewertung der Personalbestände als diskontierte Summe zukünftiger Erträge, die dem eingesetzten Personal (möglichst) direkt zugerechnet werden können. Diese Erträge hängen aber nicht nur von den zum Bewertungszeitpunkt vorhandenen Fähigkeiten und Einstellungen ab; auch die zukünftigen Kenntnisse, auch die zukünftige Bereitschaft diese einzusetzen, müßte in ein einigermaßen exaktes Kalkül mit eingehen (Ortner 1971b, S. 60). Dabei werden die Schwierigkeiten um so größer, je weiter die zu erbringende Arbeit sich von „operationalisierten Zielbestimmungen" entfernt, je „höher qualifiziert" die Arbeit, je weniger bestimmbar das erwartete Ergebnis im Detail ist (Brinkmann/Rippe/Garding 1972, S. 62 ff.). Dabei scheint weder eine direkte noch eine indirekte Überführung der Arbeit hochqualifizierter Mitarbeiter in Anteile an der betrieblichen Gewinnerzielung weder theoretisch zulässig noch insgesamt brauchbar. Zumindest nicht für diejenigen „Unternehmen im weitesten Sinne", in denen nicht Gewinnmaximierung das betriebliche Zielspektrum dominiert. So steht letztlich das betrieblich ansetzende Personalvermögens-Konzept vor den gleichen Bewertungsproblemen wie das sozialökonomische Human-Kapital-Konzept. Durch den überragenden Einfluß von Kategorien wie Bildung, Ausbildung, Wissen und Bereitschaft, dieses anzuwenden, etc. also von Größen, die nicht nur schwer faßbar, sondern überdies in einander überlagernden kurz- und langfristigen Zyklen der Veränderung unterworfen sind, schließlich auch der absoluten Obsoleszenz unterliegen, fließen in jeden Quantifizierungsversuch letztlich nicht exakt quantifizierbare, nicht selten (vor allem im affektiven Bereich) irrationale Größen ein. Da der „wirkliche Wert" (unabhängig von einer möglicherweise dahinterliegenden Werttheorie) letztlich nicht exakt bestimmt werden kann, muß - so man die bildungsökonomischen Ansätze dieser Zielsetellung nicht grundsätzlich für sinnlos oder unzulässig hält auf Hilfskonstrukionen ausgewichen werden (Döring 1974, S. 49 ff.; vgl. auch
Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
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Mügge 1979). Aus der Summe der hier dominierenden sozialen, psychischen und pädagogischen Kategorien seien demonstrativ aufgezählt: - Der Zunahme der Arbeitsleistungsertrags-Erwartung durch akkumulierte Erfahrung am Arbeitsplatz steht die permanente Obsoleszenz des Wissens gegenüber, die in der Regel durch nichtformale Ausbildung allein nicht aufgefangen werden kann. - Die Obsoleszenz ist in den verschiedenen Wissensgebieten unterschiedlich und betrifft Inhalte in wesentlich höherem Maße als Methoden; auf einen „Ersatz" des inhaltlichen Wissens durch ein Mehr an Methodenwissen kann jedoch schon allein deshalb nicht ausgewichen werden, weil sich, wie theoretische und praktische Methodiker übereinstimmend erklären, dieses nicht ohne jenes vermitteln läßt. - Die Möglichkeit, das Personalpotential eines Mitarbeiters durch die Diskontierung seiner (mehrfachgeschätzten) Einkommenserwartung zu erfassen, hat ihre Grenzen in der letztlich nicht eindeutigen Zuordnung von Ausbildung (bzw. Ausbildungsinvestitionen) und Arbeitsleistung. Zwar stehen (Aus-) Bildung und Leistungspotential in ursächlichem Zusammenhang, aber es ist nicht möglich, von den aufgewendeten (Aus-)Bildungsinvestitionen mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit auf die Aktualisierung des individuellen Arbeitspotentials zu schließen. Dies gilt insbesondere für mikroinstitutionelle Prognosen (Poignant 1969, S. 62); aber auch die Bildungsmakroökonomie hat das Problem der exakten Erfassung von Erwartungswerten für Erträge von Ausbildungsgängen, deren Kosten man einigermaßen genau bestimmen kann, noch nicht gelöst. Man behilft sich weiterhin (zumindest im Bereich der hochqualifizierten Arbeitskräfte, deren Stellen in der Regel das höchste Maß an Komplexität aufweisen) mit dem Rechensurrogat der akkumulierten und diskontierten individuellen Einkommen als erfahrungsorientierte Näherungswerte (Hegelheimer 1971, S. 86 ff.). Man nimmt dabei in Kauf, daß man zukünftige „Preise" in die Kostenerfassung aufnimmt, die nicht notwendigerweise Aufschluß über die zukünftige Leistungserstellung geben. Die Schätzung zukünftigen Ertrages von Bildungsinvestitionen ist letztlich ein pädagogisches und kein bildungsöfconomisc/ies bzw. bildungsbetriebliches Problem; eine Quantifizierung aufgrund einer „Marktbewertung" im Beschäftigungssystem ist zwar grundsätzlich möglich, scheint jedoch letztlich nicht hinreichend, da es die Bedingungen des Bildungsertrages und seines Zustandekommens aus der Bewertung ausschließt. Knappheit allein ist sicherlich nicht ein ausreichendes Indiz für den Leistungsbeitrag eines mit einer im Bildungssystem knappen Qualifizierungsstruktur ausgestatteten Mitarbeiters (vgl. hierzu die Sonderstellung von hochqualifizierten Arbeitskräften im medizinischen Bereich, dargestellt in Ortner 1975d, S. 18 ff.).
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5.2 Lerntheoretischer Ansatz: Überlegungen zu einer DeckungsBeitragsrechnung Bei Beurteilung der „Bewertbarkeit" des sozioökonomischen Humankapitals sowie des betrieblichen „Personalvermögens" zeigen sich die Bezüge dieser ökonomischen Aufgabenstellung zu pädagogischen Disziplinen also deutlich. Dies bezieht sich insbesondere auf die „ertragsorientierte Bewertungskomponente", die zur Ergänzung der „kostenorientierten Dimension" stets gefordert wird. Hier muß vor Illusionen gewarnt werden: Das Problem der eindeutigen Messung von „pädagogischem Ertrag ist, mit Ausnahme von aufs einfachste reduzierten Teilproblemen (Frank 1975a, S. 425 ff.), noch nicht gelöst. Mangels entsprechender umsetzbarer Ergebnisse der Lernpsychologie bzw. ähnlich ansetzender Disziplinen, wird die Bewertung des Personalvermögens zumindest mittelfristig auf das Berechnungssurrogat der Kosten ausweichen müssen. Dabei könnten entscheidende Verbesserungen durch Plankostenansätze erreicht werden. (Loitlsberger/Rückle/Knollmayer 1973). Aus der Summe der Probleme, die für eine exakte Bestimmung des zu erwartenden Arbeitsertrages unter Berücksichtigung der „Bildungskosten i. e. S." gelöst werden müssen, sei aufgezählt: - die offensichtlich gegenläufigen Entwicklungen „Zunahme der Erfahrung" („nichtformale Ausbildung durch Tätigkeit") vs. „Abnahme der Leistungsfähigkeit (und/oder Leistungsbereitschaft)" (physischer und psychischer „Verschleiß"), - Verringerung des Einflusses „materieller Motive" auf die Leistungsbereitschaft durch Entstehen neuer Prioritäten und einen weitgehenden Ausgleich zwischen den Ebenen der Einkommenshierarchie, - Zurechnung von „sozialen Kosten" physisch und/oder psychisch „verschlissener" Mitarbeiter; Kosten für den Erhalt von Leistungsbereitschaft (mittel- und langfristig); Zurechnungsprobleme der Kosten von prophylaktischen Maßnahmen (unter dem Humanisierungs- und Ökonomisierungsapsekt). Die bisher vorliegende Kalküle für einen Personalkosten-Ertragsvergleich zeigen dieselben Mängel wie die Modelle zur Berechnung von pädagogischer Effektivität in Abhängigkeit von Kosten und Ertrag (beispielsweise der eingesetzten unterrichtstechnologischen Medien). Die Kalküle sind meist logisch stimmig, die Erhebung der Kosten kann durch eine Adaptierung der existierenden Kostenrechnungsmodelle gesichert werden (Krommweh 1971, S. 66 ff. und Ortner 1978a, S. 19 ff.), die Ertragsgrößen bleiben unscharf, unsicher oder überhaupt im Dunkeln. Hier fehlt ein Berechnungsmaßstab bzw. Berechnungsinstrument, das vielleicht deshalb nicht gefunden werden kann, weil man immer noch versucht, die Ertragsgrößen möglichst sicher direkt zu „messen" (vgl. Ortner, 1974c). Stochastische Kalküle zur Arbeitsleistungserwartungs-Analyse bleiben, wie in der Bildungsmikroökonomie, offene Forderung. Ertragsberechnungsmöglichkeiten bestehen
Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
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nur für solche spezialisierte Dienstleistungsunternehmen, die das Arbeitsangebot ihrer Mitarbeiter durch Preise für Inanspruchnahmen von Personalkapazität weiterverrechnen können (z. B. Beratungsunternehmen); es wäre zu überlegen, ob nicht durch eine modifizierte Deckungsbeitragsrechnung der geschätzten Anteile der Mitwirkung am Unternehmensgesamterfolg auch in Nichtdienstleistungsunternehmen das Problem der zukünftigen Arbeitserträge wenigstens teilweise gelöst werden könnte. Dies erschiene sinnvoller als die unternehmensinterne Verrechnung von Dienstleistungsgrößen, deren Bewertung wiederum maximal subjektiv sein müßte, wenn sie sich nicht, was ja ausgeschaltet werden sollte, auf die Verrechnung von Personalkosten reduzierte. Hierdurch würde letztlich der „Wert" einer innerbetrieblichen „Beratung" als Funktion der Personalkosten und nicht als Ertragserwartung dargestellt. Die Kosten-Ertragsrechnung würde damit zur „ertragsunabhängigen" Aufrechnung von Kosten und letztlich bloß „ertragsverdächtigen" Kostenminderungen. In konkreten betrieblichen Entscheidungssituationen können die in einer solchen Hilfsrechnung gewonnenen Daten sicherlich nicht weiterhelfen.
5.3 Bildungsbetrieblicher Ansatz: Innerbetriebliche Intensivanalyse Bei der Erfassung der qualitativen Dimension des betrieblichen Personalvermögens finden sich die „Bildungsmikroökonomen" schließlich vor den gleichen Schwierigkeiten wieder, die schon die Bildungsmakroökonomen bei der Erfassung von Qualifikationsangebot und Qualifikationsbedarf auf staatlicher und überstaatlicher Ebene nicht völlig bewältigen konnten (Riese 1967, S. 75 f.). Da Begriffe und Inhalte der „Berufe" weder eindeutig noch operational beschrieben sind, müssen die Tätigkeiten, Tätigkeitsanforderungen und die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten innerbetrieblich exakt erfaßt werden; nur so ist es möglich, die (formalen oder nichtformalen) Ausbildungsanforderungen zu bestimmen (Hegelheimer/Weißhuhn 1974, S. 33 f.). Diese sind wiederum erst die Grundlage für eine einigermaßen exakte Ex-ante-Bewertung der zu erwartenden Arbeitserträge. Durch eine solche exakte Anforderungsermittlung könnten Anschlußwerte für eine daran anknüpfende, auf Daten der Praxis abstützende Anforderungsrechnung auf überbetrieblicher Basis gewonnen werden. Die „innerbetriebliche Intensivanalyse" dient also nicht nur der innerbetrieblichen Bewertung des Personalvermögens, sondern auch einer zwischenbetrieblichen Vergleichsrechnung, schließlich einer gesamtwirtschaftlichen („bildungsmakro- und bildungsmikroökonomischen") Bildungsbedarfsrechnung (vgl. Rolff 1971, S. 254), die sich an zu erwartenden Arbeitsleistungen orientiert. Damit könnte der empirischen Bildungsökonomie, die sich heute weitgehend als Theorie der (staatlichen) Bildungspolitik versteht (Ortner 1975b, S. 19) und die es sich zum Ziel gesetzt hat, neben allgemeinen
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Erkenntnissen auch konkrete politische Handlungshilfen anzubieten (Bayer 1973, S. 373), eine neue Basis geschaffen werden. Es zeigt sich auch hier deutlich die enge Verklammerung von bildungsgesamtökonomischen und innerbetrieblichausbildungsökonomischen Überlegungen: Eine bildungsökonomische Personalvermögensrechnung wird zur informationellen Klammer zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Überlegungen zur Sozialökonomie (Hegelheimer 1975a, S. 75). Eine Beurteilung des betrieblichen Personalvermögens, die sich lediglich auf die Kostendimension einer Personalvermögensrechnung beschränkt, erscheint aus Mdwngsökonomischer Sicht verkürzt; desgleichen ist eine einseitige betriebliche Betrachtung und Analye nicht zulässig. Dies gilt in besonderem Maße bei Beurteilung der betrieblichen und bildungsökonomischen Konsequenzen von Personalschwankungen. Durch die in den Betrieb eintretenden Mitarbeiter werden ja zunächst gleichsam „kostenlos" (wenn man vom Finanzierungsanteil des Beschäftigungssystems über die abzuführenden Steuern einmal absieht), Bildungsvorleistungen übernommen (Widmaier 1969, S. 173), für die unmittelbar keine Investitionen vorgenommen werden müssen. Diese wurden aber nicht bloß durch den Staat und sein institutionalisiertes Bildungssystem aufgebracht. Es sind darin zusätzliche Anteile der Mitarbeiter selbst, ihrer Eltern, sofern diese Ausbildung und Lebensunterhalt finanzierten, schließlich dritter Unternehmen, die entweder direkt in die Ausbildung investiert hatten oder an dieser mittelbar durch das Gewähren von Einarbeitungszeiten und Umarbeitungsphasen, in denen zusätzliche Erfahrung gesammelt werden konnte, beteiligt waren. Dabei gehen diejenigen Investitionen, denen Kenntnisse und Fähigkeiten entsprechen, die an der neuen Stelle verwertet werden können, in den betreffenden Betrieb als „Zusatzertrag" ein; die am neuen Arbeitsplatz „nicht verwertbaren" belasten nicht den Betrieb, sondern gehen individuell (zumindest für die Dauer der Tätigkeit des Mitarbeiters an der Stelle, für die sie nicht erfordert werden) verloren.
5.4 Bildungsökonomischer Ansatz: öffentliche Bildungsvorleistungen und betriebliches „Bildungsertrags-Differential" In einzelwirtschaftlicher Betrachtung wird die staatliche Bildungsfinanzierung zur versteckten Investitionshilfe für einzelne Institutionen. Diese wird um so größer sein, je höher der Anteil hochqualifizierter Arbeitskräfte an der betrieblichen Produkt- bzw. Dienstleistungserstellung ist. Aber auch in allen anderen personalintensiven Betrieben werden (daher im Tertiären Bereich in aller Regel tendenziell mehr als in anderen Produktionsbereichen) die Pvoduktivitätskennzahlen und damit letztlich die „Rentabilitäten" des eingesetzten Kapitals nach oben gedrückt. Die ausgewiesene „Rentabilität" personalintensiv produzierender bzw. dienstleistender Betriebe liegt deshalb über der tatsächlich den Unternehmensleistungen zuzumessenden, weil das in den Kenntnissen und Einstellungen der Mitarbeiter
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enthaltene „Personalvermögen" eben auch durch externe Bildungsinvestitionen akkumuliert und fremd- (zumindest nicht direkt durch das Unternehmen, das das individuelle Personalvermögen aktualisiert) „finanziert" wurde. Da aber die Berechnungsbasis der Unternehmensrentabilität stets das durch das Unternehmen selbst bereitgestellte oder beschaffte Kapital bleibt, wächst diesem in den traditionellen Kennzahlenrechnungen ein Ertrag zu, der in einem differenzierten Berechnungssystem auf die extern finanzierten Bildungs-Vorleistungen entfiele. Es scheint nicht zulässig, dieses „Bildungsertrags-Differential", das man pointiert auch als „Rente der höherqualifizierten Unternehmensleistung" bezeichnen könnte, allein über die Kosten der Personalaquisition (die bei hochqualifizierten Arbeitskräften in Zeiten der Hochkonjunktur sicherlich überdurchschnittlich hoch liegen werden) in das Unternehmen »hineinzurechnen«. So bleibt die Frage nach der Berücksichtigung der Bildungs-Vorleistungen, die außerhalb des Unternehmens, sei es im öffentlichen Bildungssystem, sei es in anderen Institutionen des Beschäftigungssystems (Öffentliche Verwaltung und Wirtschaft; private Verwaltung und Wirtschaft), geleistet wurde, zunächst offen. Ein Weg zur Beantwortung bestünde in der differenzierten Berücksichtigung der Bildungs-Vorleistungen durch die unterschiedliche Lohn- und Gehaltsgestaltung. In Verfolgung eines strikt marktwirtschaftlichen Ansatzes könnte man eine hohe positive Korrelation zwischen akkumulierten Bildungs-Vorleistungen und dem höheren individuellen Einkommen (Psacharopoulos 1973, S. 19 ff.), das dem „Ertragsdifferential" für das Unternehmen aufgrund des (wie auch immer gemessenen) höheren Ertrages der hochqualifizierten Arbeitskraft entspricht, unterstellen. Diese breit, wenn auch eher subkutan akzeptierte Vorstellung muß auf zweifache Kritik stoßen: Zum einen ist es, wie oben angeführt, bislang nicht möglich, eine exakte und quantitativ fixierbare Relation zwischen sozialen und individuellen Bildungsinvestitionen und Arbeitsertrag herzustellen. Die Summe der in einem Individuum oder einer Gruppe akkumulierten Bildungsanstrengungen kann zu einem höheren Arbeits- bzw. Arbeitsertragspotential führen, muß aber nicht. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und unterschiedlich. Die Ergebnisse der Lerntheorie reichen für eine exakte Beurteilung nicht aus, die Bildungstheorie befaßt sich mit solchen Fragen gar nicht bzw. nur an ihrem bildungsökonomischen Rande. Dem „Marktpreis" eines höheren Einkommens, dem zweifelsfrei höhere Personalkosten für das Unternehmen entsprechen, kann somit nicht die Funktion zugeordnet werden, höhere Bildungsinvestitionen aus dem externen Bereich auszugleichen. Stellt man lediglich auf diese ab (und nicht etwa auf die konkret erbrachte Arbeitsleistung), würde die Personalplanung und die zugehörige Finanzplanung zu einem unternehmerischen Personalroulette, bei der sich die Betriebsleitungen, indem sie auf die Wirksamkeit des Bildungssystems vertrauen, als Quasi-Systemspieler in Sicherheit wiegen.
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Der zweite Einwand richtet sich gegen die individuelle Zumessung einer „Bildungsrente" für hoch- und höherqualifizierte Arbeitskräfte, die ja die „Bildungsinvestitionen" in sich „selbst" nur zu einem Teil leisteten. Die Vorstellung von gehaltlicher Einstufung lediglich aufgrund von Bildungs-Vorleistungen, von Bildungs/orma/qualifikationen, ist zwar die übliche und dient als wesentliches Stimulans für die Aufnahme und das Absolvieren höherer Bildungsgänge, gleichwohl ist sie im Sinne der bildungstheoretischen und bildungspolitischen Grundlagen, wie sie hier für eine mitarbeiterorientierte und bildungsökonomische Personalvermögens-Rechnung aufgestellt werden, unzulässig (Becker/Bahro 1974, S. 27). Sie führt ungeachtet der Umsetzbarkeit im Beschäftigungssystem lediglich zu einem individuellen Maximalkonsum von öffentlichen Bildungsressourcen; in fast aller Regel nicht etwa, um Bildungsziele höherer Ordnung zu erreichen, sondern um, geschützt durch ein rigides Einstufungssystem, insbesondere der Gehaltsskalen im öffentlichen Dienst, die konsumierten Bildungsmittel als lebenslang sichere Vorsorgeinvestition auf dem Personal„markt" zu gebrauchen.
6. Zur Problematik der bisher entwickelten Ansätze zur Übertragung des Humankapital-Konzeptes auf die betriebliche Personalinfrastruktur 6.1 Lösungsvoraussetzungen: Politische und betriebliche Anforderungen Beide Einwände müßten durch eine Personalpolitik, die sich auf eine mitarbeiterorientierte Personalvermögensrechnung abstützt, berücksichtigt werden. Die Interessenlage der Eigner der Produktionsmittel (privat oder öffentlich) und der im Betrieb Beschäftigten kommen dabei weit stärker zur Deckung als dies trotz aller formalen Mitbestimmung in den sozioökonomischen unterschiedlichen Systemen bislang der Fall ist. Sie führen zu einer Verlagerung der Entlohnungspolitik weg von den Bildungs-Vorleistungen, die entweder nicht direkt arbeitsrelevant sind oder deren individuelle Zurechnung problematisch bleibt, und hin zur arbeitsund damit leistungsorientierten „Bewertung" des „individuellen Arbeitsvermögens", akkumuliert zum „betrieblichen Personalvermögen". Hilfsrechnungen über das Marktmodell (von Weizsäcker 1974, S. III) sind schon allein deshalb, weil sie mit dem Konjunkturverlauf mitschwingen, bildungstheoretisch nicht befriedigend, bildungspolitisch sogar unzulässig (Winterhager 1969). Hilfsrechnungen aber, die bei den akkumulierten Bildungsinvestitionen in den einzelnen Mitarbeiter ansetzen, sind, weil einseitig Input-orientiert, lerntheoretisch nicht zulässig. So sehen sich die „Human-Kapital-Rechner" vor demselben Dilemma, das auch die bildungsökonomische Theorie, soweit sie sich mit diesem lästigen Basis-Problem bislang überhaupt abgab, nicht befriedigend lösen konnte:
Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
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Es sind zwar die Kosten eines Produktionsfaktors einigermaßen exakt zu bestimmen (wenn man vom „Preischarakter" mancher Gehaltsfestlegungen für Spezialisten in Hochkonjunkturlagen absieht), die Fixierung der Ertragskomponente, des Anteils am betrieblichen Ertrag, bedarf erst der Lösung, die angesichts der Fülle der Einflußfaktoren wohl noch auf sich warten lassen wird (Mäding 1971, S. 36). Als Ausweg für mittelfristige Behelfslösungen dient eine Reduzierung der KalkülVariablen, auch solcher, deren Einfluß nicht nur erkannt, sondern sogar nachgewiesen worden ist; dies kennzeichnet auch die Mehrzahl der in der U.S.amerikanischen Literatur dargestellten und in der betrieblichen Praxis angewendeten Berechnungsmodelle. Nicht selten reduziert man dadurch allerdings auch die Aussagekraft der Kalküle auf Trivialitäten, wie etwa: „Für eine bestimmte Funktion bzw. eine bestimmte Stelle ist es ökonomischer bis zu einem bestimmten Betrag mehr an laufenden Personalkosten zu tolerieren, als die überproportionale Kostenbelastung für einen Personalwechsel (Kosten der auslaufenden Aktivität bei verminderter Arbeitsleistung, Personalaquisition, Einarbeitungsdifferential etc.) zu riskieren." Wie in manchen - übrigens durchaus zielführenden Ansätzen der Bildungsmikroökonomie (Frank 1975b, S. 14 ff.) - versucht man hier die Ertragskomponente durch Gleichsetzen in Alternativrechnungen zu eliminieren und anschließend eine mindest sub-optimale Lösung durch Kostenminimierung zu erreichen. Zur Verbesserung der Informationsbasis für betriebliche personalpolitische Entscheidungen bedarf es jedoch feinerer Instrumente, die Aussagen geringer Trivialität ermöglichen (Stein 1980, S. 73).
6.2 Lösungshilfen: „Individuelle Bildungsbilanzen" und „Arbeitsorientierte Personalvermögensrechnung" Eine notwendige Voraussetzung zur Erfassung der bildungsökonomischen Konsequenzen von Personalschwankungen bestünde in der Erstellung „Individueller Bildungsbilanzen". In diesen könnten die individuellen Bildungsanstrengungen der Mitarbeiter erfaßt werden. Es ist dabei davon auszugehen, daß unabhängig von der Funktion und dem Aufgabenbereich (wenn auch differenziert nach interner Zusammensetzung) Kenntnisse, Fähigkeiten und die Bereitschaft, diese einzusetzen, nicht bloß von formalen Berufsvor-, -fort- oder -Weiterbildungsaktivitäten abhängen (Chorafas 1974, S. 41 f.). Die Phasen praktischer Tätigkeit in fremden Betrieben oder auch im eigenen Unternehmen ergänzen die Lernperioden in Schulen im weitesten Sinne. Es ist also nicht so, daß eine unternehmerische Bildungsinvestition in einen Mitarbeiter über die Dauer des Obsoleszenzintervalls „abgeschrieben" werden muß. Gleichzeitig wachsen dem Mitarbeiter durch die praktische Anwendung des Wissens neue Kenntnisse zu (Ortner 1971b, S. 47): Kenntnisse, die vielleicht über das formal Gelernte hinausgehen, in vielen Fällen davon abweichen. Ob sich solche Ergebnisse nichtformalen Lernens so weit
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quantifizieren lassen, daß sie in eine individuelle Bildungsbilanz sinnvollerweise aufgenommen werden können, kann derzeit noch nicht beantwortet werden. Sicher scheint jedoch, daß in einer individuellen Bildungsbilanz, die als Basisinformation für die bildungsökonomische „Bewertung" im Sinne einer „arbeitsorientierten Personalvermögensrechnung" hilfreich sein könnte, folgende Aspekte berücksichtigt werden müssen: - formale Berufsvorbildung, Berufsweiter- bzw. Berufsfortbildung (nach den dabei insgesamt entstandenen Kosten einschließlich von Schätzgrößen des eventuellen Konsumverzichtes der Ausgebildeten während der Bildungsphasen), - nichtformale berufliche Erfahrung durch praktischen Einsatz (innerhalb und außerhalb des Betriebes), -
Bildungsinvestitionen - aus öffentlichen Haushalten, - durch die Betriebe, - durch den Mitarbeiter selbst.
Wie weit erzielte Einkommen (unter Berücksichtigung der oben angeführten Vorbehalte) als „Ertragsindiz" mit herangezogen werden können oder sollen, muß erst untersucht werden. Sinnvoller erscheint eine Ertragsprognose aufgrund differenzierter Leistungsbewertungssysteme; hier bleibt allerdings das Problem der Dimension der mit den Kosten zu vergleichenden Erträge bestehen (vgl. Dale 1970, insbesondere das Kapitel „Manpower resources: personnel appraisals", S. 225 f.). Des weiteren müßte geprüft werden, ob eine solche „Individuelle Bildungsbilanz" im engeren betriebswirtschaftlichen Sinne als „Gewinn- und Verlustrechnung" oder als „Bestandsrechnung" angelegt werden sollte. Unabhängig davon scheint die Berücksichtigung der individuellen Aufwendungen und Erträge, der „Bildungsbestände und deren Finanzierung als eine Mindestvoraussetzung, um dem Produktionsfaktor „Arbeit" und dem bestimmenden Systemelement „Personal" in seiner Bedeutung für sozioökonomische Produktions- und Dienstleistungsprozesse gerecht zu werden. Die Erfassung dieser individuellen Größen ist, wie in der Bildungsökonomie, Voraussetzung für die Brauchbarkeit von „Personal- oder Sozialbilanzen" auf betrieblicher Basis (Marchai 1975, S. 9); daß sie nicht oder noch nicht angestellt werden, liegt nicht in ihrer Unnotwendigkeit, sondern in der Schwierigkeit ihrer Aufstellung begründet (Schaefer 1975, S. 54). Die allgemeine ökonomische Theorie und Praxis sollte nicht in den Fehler der traditionellen Bildungsökonomie verfallen, die, als sie sich aus erkannter Notwendigkeit den Problemen der exakten Input-Output-Bestimmung zuwandte und die Schwierigkeit der Erfassungsprobleme an der Basis von Bildungs- und Beschäftigungssystem erkannte, erschreckt wieder der theoretisch-eleganteren und in ihrer Unbestimmtheit auch wesentlich weniger angreifbaren Makrobetrachtung
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zuwandte (von Recum 1969, S. 6). Personalfluktuationen als eines der entscheidenden Phänomene betrieblicher Personalstruktur und -ablaufe beeinflussen betriebliche Gesamtstrukturen und Gesamtprozesse in hohem Maße. Je mehr, im Sinne einer betrieblichen Pflicht zur Humanisierung der Arbeitswelt (Mellerowicz 1971, S. 17), aber auch einer Auffassung vom Betrieb als nicht bloß ökonomischer Einheit, sondern als soziales System, die Systemelemente „Mitarbeiter" an individueller und sozialer Bedeutung und Beachtung gewinnen (Rohde 1972, S. 155), desto wichtiger werden Instrumente zur qualitativen und quantitativen Erfassung, Beschreibung und Analyse: Eine „arbeitsorientierte Personalvermögensrechnung" könnte, trotz aller methodischen Probleme und ideologischer Einwände, ein geeignetes Instrument zur quantitativen und qualitativen Problemlösung sein. Humanisierung der Arbeit in administrativen und ökonomischen Institutionen kann sich zudem nicht länger bloß auf die Entlastung von (körperlich) schwerer Arbeit beziehen. Mit zunehmender mitarbeiterorientierter Arbeitsgestaltung wachsen allerdings auch deren Kosten. Dabei geht man davon aus, daß sie über mehrere Perioden verteilbar und schließlich (zumindest zum größten Teil) abbaubar sind. Dennoch ergibt sich das Problem, diese Kosten als „Bildungskosten im weitesten Sinne" zu erheben und zuzurechnen. Erst dadurch kann der quantitative Aspekt von Personalentwicklung und Personalplanung deutlich gemacht werden. Hier ist zu entscheiden, ob diese Kosten objektbezogen verrechnet werden, oder ob sie gleichsam an den Mitarbeitern, für die sie direkt entstehen, „kleben" bleiben. Vorausgesetzt, die Kostenströme sind periodisierbar und leistungsbezogen in Währungseinheiten ausdrückbar, müssen folgende Fragen beantwortet werden: Gehen die Leistungen mit dem „schwankenden" Personal verloren, weil sie individuell anfallen und verrechnet werden, oder handelt es sich hierbei um Fixkosten-ähnliche Größen, die als „Investitionen in die Personalinfrastruktur" aufgefaßt werden müssen und die sich im Firmenwert (meßbar oder nicht) niederschlagen, und die daher dem Betrieb auch bei Ausscheiden von Mitarbeitern erhalten bleiben? Alle bisherige Erfahrung bestätigt, daß sich sozioökonomische Systeme gleich welcher Ordnungsstruktur und gleich welcher Makro-Zielvorstellungen in der Regel nicht von selbst „humanisieren". Vor allem dann nicht, wenn solche Humanisierungspostulate in Konkurrenz zu anderen Systemzielen treten. Solange keine Verfahren vorliegen, die quantitatives Licht in das undifferenzierte Dunkel der vielfältigen und vielschichtigen personellen und materiellen Beziehungen in sozioökonomischen Gesamtsystemen bringen, läßt sich für alles und jedes trefflich streiten, läßt sich alles und jedes schlüssig „beweisen". Die traditionelle bildungsmifcroökonomische Forschung hat dort, wo sie überhaupt begonnen wurde (Ortner 1973a, S. 55), bereits wieder aufgegeben; sie war methodischem Unvermögen (Clement 1972, S. 7) und ideologischem Druck (Huisken 1972 und die darin aufgeführte zahlreiche Literatur) aus verschiedensten Positionen nicht gewachsen. Einer gesellschaftlich verpflichteten allgemeinen ökonomischen Theorie sollte es nicht auch so ergehen.
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7. Die Entwicklung eines „Arbeitsorientierten Personalvermögens-Konzeptes" aus bildungsökonomischer Sicht
7.1 Zur Legitimation der Ziele: Der betriebliche ökonomiebegriff Beurteilt man das Personalvermögens-Konzept aus bildungsökonomischer Sicht, so zeigen sich durchaus Möglichkeiten der politischen und betrieblichen, pädagogischen und ökonomischen Legitimation. Diese zumindest tendenziell günstige Situation im Ziel- (und Verwendungs-) -bereich trifft auf das Feld der praktischen Umsetzung nicht zu; hier werden theoretische und praktische Schwächen eines Personalvermögens-Konzeptes, mehr noch die einer betrieblichen Personalvermögensrechnung, offenkundig. Sie rühren daher, daß einerseits das Problem der Bewertung potentieller Fähigkeiten und Kenntnisse, einschließlich der Bereitschaft, diese auch einzusetzen, noch nicht befriedigend gelöst ist; sie betreffen aber auch die Kostendimension: Das „Schulungs-Kostenbewußtsein" ist innerbetrieblich durch die traditionelle Dominanz des als „kostenlos" empfundenen, externen öffentlichen und privaten Schulwesens gering. Dazu kommt, daß das Problem unidisziplinär keinesfalls lösbar scheint. Auf der Ertragsseite sind vor allem Lernund Sozialisationstheorie angesprochen; die Kostendimension erfordert zumindest kostentheoretische Überlegungen (z. B. hinsichtlich der Kosteneinflußfaktoren der Personalentwicklung) und mikrozensorische Betriebsanalysen, für die die Betriebs- und/oder Arbeitswissenschaften Ergebnisse bereitzustellen hätten. Über all den im zweiten Abschnitt skizzierten Detailproblemen darf freilich nicht der Gesamtbezug übersehen werden; gerade bei bildungsmikroökonomischen Fragestellungen muß der stets darin gebrauchte ökonomiebegriff offengelegt werden. Dies gilt auch für die zumindest partiell bildungsökonomische Fragestellung einer betrieblichen Personalvermögensrechnung. Aus der breiten Palette von möglichen Zielorientierungen seien zwei herausgegriffen: Der Begriff der Wirtschaftlichkeit im Betrieb kann einerseits, ausschließlich betrieblich orientiert, auf das Erzielen von Ertragsüberschüssen („Gewinnen") ausgerichtet sein. Dies bedeutet eine Reduktion auf eine Teilmenge der am Leistungserstellungsprozeß beteiligten Faktoren. Der Begriff der „Wirtschaftlichkeit" kann aber auch arbeitsbzw. personalorientiert verstanden werden. Dabei versucht man, durch Einbeziehung des Personalbereiches in die Gewinnverteilungsfunktion, alle Produktionsfaktoren „umfassend" zu berücksichtigen. Die Entscheidung für oder gegen einen der möglichen Ökonomie-Begriffe hängt wiederum entscheidend von der Zielstellung des Unternehmens ab: Auch hier haben sozial- und erziehungswissenschaftliche Komponenten Eingang in die allgemeine betriebliche Theorie gefunden. Neben das Ziel der Produktion und/ oder Dienstleistung mit dem Metaziel des Erzielens von Ertragsüberschüssen (des Betriebes als Gesamtsystem) treten metaökonomische Ziele wie beispielsweise die
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„Befriedigung" der am betrieblichen Prozeß Beteiligten durch die durch sie geleistete Arbeit. Neben die jeweils einseitige Gewichtung von Eigentümern („Kapital") und/oder Mitarbeitern („Arbeit") bei Verteilung von Ertragsüberschüssen treten im zunehmenden Maße Mischformen. Je nach Satisfaktionsbedingungen im betrieblichen Produktionsprozeß wird sich auch der einer Personalvermögensrechnung zugrunde zu legende Ökonomie-Begriff verändern. Beabsichtigt man eine stärkere Gewichtung des betrieblichen Produktionsfaktors „Arbeit", so erweist sich eine Personalvermögensrechnung mit der Möglichkeit eines bilanzmäßigen Ausweisens des personellen „Vermögens" als durchaus geeignetes Instrument.
7.2 Zur Operationalität der Methoden: Entwicklung eines Verbundsystems für eine „Arbeitsorientierte Personalvermögensrechnung" Wenn man davon ausgeht, daß die Kosten für Einschulung und Einsatz (bis zum Erreichen von Ausbildungszielen) auch potentielle Erträge bzw. wenigstens realistische Ertragserwartungen widerspiegeln, so kann man durch die Aktivierung mittlerer Personalentwicklungskosten einen ersten (behelfsmäßigen) Aufschluß über das Personalpotential in Relation zu den anderen betrieblichen Produktionsfaktoren gewinnen. Es ist sicherzustellen, daß diese jeweiligen Schätzgrößen durch Zeit- und Betriebsvergleiche auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden. Dabei sind punktuelle Ergänzungsuntersuchungen darüber anzustellen, wie sich Ausbildungsaktivitäten (in Zeit und/oder Währungseinheiten ausgedrückt) auf die Arbeitsgestaltung und das Arbeitsergebnis (in Zeit-, Mengen- und/oder Währungseinheiten ausgedrückt) auswirken. Dabei ist zu berücksichtigen, daß - und nicht nur bei komplexen höchstqualifizierten Arbeitsaufgaben - die Güte der Arbeitsgestaltung der betrieblichen „Organisation" ja keineswegs nur am Kriterium der ökonomischen Effektivität, sondern auch hinsichtlich der individuellen oder sozialen Identifikation gemessen werden kann. Wie die organisationsanalytische Erfahrung zeigt, muß die Erfüllung dieser beiden Kriterien keineswegs immer miteinander positiv korrelieren. Dies trifft insbesondere für den Bereich der Verwaltung zu, in dem eine weitgehend positive Identifikation durch die Beteiligten sehr oft einer nur geringen „ökonomischen Effektivität" entspricht. Die daran in der Regel anknüpfende Forderung nach „ökonomischer Rationalisierung" der Verwaltung berücksichtigt dieses Spannungsverhältnis nicht oder nicht ausreichend (Lutz/ Düll/Kammerer/Krenz 1970, S. 52 f.); dies mag ein Grund für den geringen Erfolg solcher Anstrengungen in der Verwaltungspraxis bisher sein. Auch hier stellt sich das Problem der Quantifizierung, ja schließlich der prinzipiellen „Quantifizierbarkeit" der bestimmenden Parameter, die, aus nichtökonomischen bzw. nichttechnischen Bereichen stammend, auf die Leistungserstellung unmittelbar oder mittelbar einwirken. Einer der wesentlichen Einflußfaktoren, den
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Organisationspsychologie bzw. Organisations-Sozialpsychologie versuchen zu orten und zu fixieren, ist die (wie auch immer feststellbare) „Zufriedenheit" der Mitarbeiter (Likert 1961, S. 162 ff.). Ungeachtet der grundsätzlichen Problematik, die für Anwender und Betroffene entsteht, wenn man ermittelt, wie diese „technisch" erzielt werden kann ( = extern bedingte Sozialisation) bzw. ob deren Ursachen nicht letztlich wiederum „ökonomisch" (im Sinne einer Politökonomie der betrieblichen Situation) sind (Offe 1973, S. 159 f.), stellt sich hier die Frage nach der Bewertbarkeit der Erfüllung qualitativer Zielvorstellungen. Nach allen bisherigen Erfahrungen scheitern alle Versuche, diese in Währungseinheiten auszudrücken (Hejl/Tharun 1975, S. 14 ff.). Daß es dennoch immer wieder versucht wird, liegt in der Praktikabilität einer Quantifizierung in Währungseinheiten für den ja letztlich beabsichtigten Vergleich mit Kostengrößen begründet. Als Ersatzlösung bleibt die freie ( = verbal dargestellte) oder die strukturierte ( = durch Noten bzw. Notenklassen indizierte) „Bewertung" durch die Betroffenen im Betrieb, also intern, oder durch Experten von außerhalb, also „extern". Beide Formen haben, wenn sie isoliert eingesetzt werden, gravierende Nachteile: Der internen Bewertung fehlt der zwischenbetriebliche „Feed-back", die individuellen, oft verdeckten Motive der internen Bewerter können zu Verzerrungen führen. Die externe Bewertung kann an den Eigenheiten des Unternehmens und seiner Personalinfrastruktur sehr leicht vorbeibeurteilen. Es bietet sich auch hier (wie das von der Bildungsökonomie als letztlich einziges Verfahren mit einigermaßen befriedigenden Ergebnischancen gefordert wurde) ein Verbundsystem mit externen und internen Bewertungskomponenten an. Ein solches hat freilich den Nachteil höherer Komplexität und dementsprechend höherer Kosten; die Störanfälligkeit der reduzierten Bewertungssysteme läßt Verbundsysteme höherer Ordnung dennoch als einzig gangbare Variante erscheinen.
8. Politische und betriebliche Bedingungen eines „Arbeitsorientierten Personalvermögens-Konzeptes" Der Erfolg eines betrieblichen Personalvermögens-Konzeptes und dessen Instrumentes, der Personalvermögensrechnung, wird, wie dies an der Geschichte der Bilanzierungstheorien, der Bilanzierungspraxis und vor allem des Bilanzierungsrechtes schlüssig nachgewiesen werden kann, davon abhängen, wie weit die Erstellung (und Publikation) von Personalvermögensrechnungen bzw. Personalbilanzen verbindlich gemacht werden kann. Dies bezieht sich nicht nur auf die Erstellung überhaupt, sondern auch auf die Bilanzierungsgrundsätze, insbesondere die der Bilanzklarheit und der Bewertungsverfahren (der „Umwertungs- und Beurteilungsmaßstäbe"). Dies ist konstitutives Erfordernis für eine - zumindest gesamtgesellschaftlich - wünschbare Anbindung einer makrobildungs-ökonomischen Gesamtrechnung an die Personal-Kennzahlenermittlung in den Betrieben.
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Nur ein solcherart fundiertes Zahlenwerk könnte einer staatlichen Bildungspolitik ausreichend exakte Aufschlüsse über eine beschäftigungsorientierte Gestaltung und Steuerung des (Aus-)Bildungssystems geben. Gerade auf diese quantitative Verbindung des Bildungssystems zum Beschäftigungssystem warten zahlreiche bildungsökonomische Theoretiker. Diejenigen, die die Hoffnung auf solche quantitative Hilfen bereits aufgegeben haben, zögern nicht, die bisherige Bildungsökonomie (allerdings auch aus anderen Gründen und vor allem mit divergierenden Begründungen) für gescheitert zu erklären (Widmaier 1975b, S. 31). In der Tat ist eine der wesentlichen Folgen des Fehlens von quantitativen Daten über betriebliche Personalbestände und Personalbewegungen, die das durch formale und nichtformale Bildung entstandene Personalpotential berücksichtigen, die praktische Wirkungslosigkeit bildungsökonomischer Makromodeile (Bayer 1975). Es fehlt die mengenmäßig einigermaßen fixierbare Klammer zwischen staatlich und weitgehend zentral geplantem Bildungssystem und dem atomistisch ungeplanten bzw. individuell-rahmengeplantem Beschäftigungssystem. Systemkritiker leiten daraus die Sinnlosigkeit von bildungsökonomisch fundierter ( = „bildungsplanerischer") Bildungspolitik ab. Es bedarf also nicht nur die Personalvermögensrechnung der Ertragsschätzungmethoden einer empirischen Bildungsökonomie, auch die Bildungsökonomie erfordert, zur konkreten bildungsplanerischen Umsetzung ihrer theoretischen Modelle, die durch die Methoden der Personalvermögensrechnung in der Praxis ermittelten Daten. Bildungsplanung, als gesamtwirtschaftliche Aktivität, und Personalplanung, als betriebliche Funktion, stehen also in engem inhaltlichen und methodischen Bezug. Dennoch ist die theoretische und praktische Kooperation von im Makrobereich ansetzenden Bildungsökonomen und in den Betrieben wirkenden „Personalwirtschaftlern" oder „Personalentwicklern" nur rudimentär entwickelt. Dies mag in der unterschiedlichen Qualifikationsstruktur (Volkswirte vs. Betriebswirte) der Experten beider Bereiche liegen; die bestehende jeweilige Isolation läßt sich aber weder wissenschaftlich-methodisch noch politisch-praktisch begründen. Im Gegenteil: Bildungsökonomische Untersuchungen haben bereits vor geraumer Zeit die konstitutive Natur von Bildungsplanung für die betriebliche Personalentwicklung aufgedeckt (Alex 1972). Eine Trennung der beiden Bereiche führt zur verkürzten Betrachtungsweise in beiden Systemen: Bildungsplanung im staatlichen System müßte weiter ohne die Basisdaten der Betriebe erfolgen, die Betriebe wiederum gelangen zu verzerrten Ergebnissen, wenn sie versuchen, ohne Berücksichtigung des weitgehend öffentlichen Bildungssystems das ihnen zur Verfügung stehende bzw. zur Verfügung gestellte „Personalvermögen" zu bewerten. In dieser hier angedeuteten, verzahnten Interessenlage zeigt sich eine letzte Analogie der Personalvermögensrechnung zur betrieblichen „Vermögensrechnung im allgemeinen": die Abhängigkeit der Bewertungs- und Beurteilungsgrundsätze von den Zielen bzw. der Verwendung der ermittelten Ergebnisse. Wie in der Dichotomie von individuellen Eigentümerinteressen (in den handelsrechtlichen
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Bestimmungen gefaßt) und den Interessen des Fiskus (in den steuerrechtlichen Bestimmungen normiert) (Illetschko 1964, S. 114 ff.), so liegt auch im Spannungsfeld zwischen individuell-betrieblichen und gesellschaftlich-bildungsökonomischen Zielen einer Personalvermögensrechnung die Grundlage für unterschiedliche Bewertungsschemata. Ein Beispiel: Das Unternehmen könnte versuchen, durch seine Bewertungsverfahren die Eingangsgrößen ( = die öffentlichen BildungsVorleistungen) möglichst gering zu bewerten, um den Potentialzuwachs im eigenen Unternehmen höher ansetzen zu können; das öffentliche Interesse könnte erfordern, diese Eingangsbeträge möglichst hoch anzusetzen, um den Beitrag der öffentlich finanzierten (Bildungs-) Infrastruktur für den einzelnen Wirtschaftsbetrieb (und die schon allein daraus ableitbare höhere soziale Verpflichtung) deutlich zu machen. Im Extremfall könnten sogar abgabenrechtliche Konsequenzen daran geknüpft werden. Da mehr und mehr Unternehmen daran gehen, ihre mittelbaren und unmittelbaren Leistungen in der Hoffnung auf positive öffentliche Folgewirkung in „Sozialbilanzen" zu publizieren, ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß der „öffentliche Bereich" insofern kontert, als er versucht, die öffentlichen Leistungen, die durch die Unternehmen in Anspruch genommen werden, ebenfalls auszuweisen bzw. ausweisen zu lassen, und zwar, im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis, auf das einzelne Unternehmen bezogen. Bei Beurteilung der Probleme der betrieblichen Umsetzung des Human-KapitalKonzeptes auf bildungsökonomischer Grundlage sollte schließlich eine wesentliche Einstellungsveränderung im bildungsökonomischen Denken, die sich in der Tat mit einer Vielzahl von ähnlichen Fragestellungen (im Bereich pädagogischen Ertrages allerdings ohne rechten Erfolg) befaßt hatte, nicht übersehen werden. Bildungsökonomie wird heute nicht länger bloß als makro- oder gar mikroökonomische Theorie des Bildungssystems verstanden. Sie versteht sich als „Theorie der (staatlichen) Bildungspolitik" mit all den sozialen, pädagogischen und ökonomischen Querbezügen, die hierbei anfallen. Dies bringt mit sich, daß die „bildungsökonomische" Argumentation vor dem Hintergrund der wissenschaftstheoretischen Position der Mehrzahl derer, die auch heute noch als Bildungsökonomen tätig sind, zumindest tendenziell zu einer „strategischen", d. h. politischen wird. Bildungsökonomische Denkprodukte werden operationalisiert und zu bildungspolitischen (bzw. allgemein-politischen) Postulaten geformt. Aus dieser Position ist durchaus zu erwarten, daß eine „arbeitsorientierte Personalvermögensrechnung" zu einem bildungsökonomischen bzw. bildungspolitischen Desiderat wird. Sie ist nicht ein Managementinstrument im alleinigen Interesse der Betriebseigner (auch nicht, wenn es sich dabei um staatliche Organe handelt), gegen die sich die Mitarbeitervertreter zur Wehr zu setzen hätten, sie wird vielmehr zur Argumentationsbasis des Produktionsfaktors „Personal". Ein Indiz für diese Entwicklung liefern die U.S.-amerikanischen Vertreter des innerbetrieblichen Human-KapitalKonzeptes, die es nicht etwa gegenüber den Gewerkschaften, sondern gegenüber den Unternehmern vertreten und verteidigen.
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Letztlich darf die Summe der einzelnen Probleme der Personalvermögensrechnung, sei es im Ziel-, sei es im Methodenbereich, nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Teufel der Übertragung des Human-Kapital-Konzeptes in die sozioökonomischen Mikroinstitutionen nicht nur im Detail liegt. Die Konsequenzen der Grundprinzipien einer kapital- und arbeitsorientierten Personalvermögensrechnung, mehr freilich noch einer akzentuiert arfte/fsorientierten Personalvermögensrechnung, reichen weiter, als es zunächst scheinen mag. Vielleicht sogar weiter, als es die vorwiegend betrieblich ansetzenden praxisnahen Konzeptentwickler ursprünglich intendiert hatten. Eine große Anzahl der dabei berührten Komponenten wird erst sichtbar, wenn man sich nicht länger undisziplinär-ökonomisch dem Problemkreis nähert. Durch die Einbeziehung bildungstheoretischer Überlegungen, durch sozialwissenschaftliche Ansätze, wie sie die neuere Bildungsökonomie mit ihren beiden Ästen der „Bildungspolitikwissenschaft" und der „BildungsBetriebslehre" (Ortner 1974a) in die Grenzbereiche zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen „Bildung" und „Wirtschaft" einbringen kann, scheint es denkbar, eine Personalvermögensrechnung zu entwickeln, die es ermöglicht, den ganz offensichtlich im Wandel befindlichen Zielstellungen von Wirtschaftsbetrieben und Verwaltungsinstitutionen besser als bisher zu entsprechen. Sofern, politischen Gesamtdesideraten entsprechend, der Antagonismus von Kapital und Arbeit in der Produktionsstrategie erhalten bleibt und man, ebenfalls politisch motiviert, die daraus resultierenden Spannungen weitgehend abbauen will, wird man ein Instrument benötigen, das diesen Ausgleich, gleichermaßen transparent und ausgewogen, bewerkstelligen kann: Eine arbeitsorientierte Personalvermögensrechnung, die auch bildungsökonomischen (politischen wie betrieblichen) Kategorien entspricht, könnte hierzu in besonderem Maße geeignet sein.
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Personalvermögensrechnung aus bildungsökonomischer Sicht
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II. Aufwendungen in der Arbeitswirtschaft als Gegenstand der Humanvermögensrechnung
Das volkswirtschaftliche Humankapital Möglichkeiten zur quantitativen Erfassung und Bewertung des Humankapitals einer Volkswirtschaft, dargestellt am Beispiel makroökonomischer Unfallfolgekostenrechnungen Fritz
Voigt
1. Die Rolle des Humankapitals in der Nationalökonomie 1.1 Erste Ansätze einer ökonomisierung des menschlichen Lebens Die gesamte Problematik der Erfassung und Bewertung des „human capital" einer Volkswirtschaft wurde lange Zeit durch die einseitig realkapitalorientierte theoretische Nationalökonomie ausgeklammert. Ein wesentlicher Grund hierfür mag in der heute noch weitverbreiteten Aversion liegen, das menschliche Leben als das sogenannte „pretium vivendi" überhaupt in die ökonomische Betrachtung mit einzubeziehen. Die fachliche Diskussion hierüber wurde dementsprechend jahrzehntelang nahezu ausnahmslos von wissenschaftlichen Außenseitern 1 geführt, die sich überdies heftigen moraltheoretisch begründeten Vorwürfen ausgesetzt sahen. Die zwangsläufige Analogie zwischen Mensch und Ware, die sich bei der ökonomischen Betrachtung des Menschen aufdrängt, mag viele Nationalökonomen davon abgehalten haben, sich diesem Problemkomplex ausgiebig zu widmen. Zu den wenigen herausragenden Wissenschaftlern, die sich in dieser Hinsicht über die Konventionen und Vorurteile ihrer Zeitgenossen hinweggesetzt haben, gehört beispielsweise Johann Heinrich von Thünen (1875, S. 145 f.), der das Problem der ökonomischen Betrachtung des menschlichen Lebens folgendermaßen beschreibt: „Eine innere Scheu scheint die Schriftsteller und überhaupt Alle von der Betrachtung, was der Mensch kostet, welches Kapital in ihm enthalten ist, abzuhalten. Der Mensch scheint uns zu hoch zu stehen, und wir fürchten eine Entwürdigung zu begehen, wenn wir eine solche Betrachtungsweise auf ihn anwenden. A u s dieser Scheu entspringt aber Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe über einen der wichtigsten Punkte der Nationalökonomie, und andererseits ist es nachgewiesen, daß Freiheit und Würde des Menschen auch dann, wenn er den Gesetzen des Kapitals unterworfen ist, siegreich
bestehen
können."
Der originellste und nach allem, was uns aus der Dogmengeschichte bekannt ist, wohl auch erste Versuch einer quantitativen Erfassung und Bewertung des menschlichen Lebens wurde bereits vor rund 300 Jahren von dem englischen
400
Fritz Voigt
Nationalökonomen und Mathematiker Sir William Petty vorgenommen (Hull 1899, S. 233 ff.)- Petty entwickelte nicht nur eine eigenständige theoretische Konzeption über das „human capital", sondern er stellte auch konkrete empirische Berechnungen zur monetären Bewertung des menschlichen Lebens an. So berechnete er beispielsweise für den Geldwert eines britischen Staatsbürgers einen Betrag von 70-90 Pfund. Derartige Berechnungen dienten Petty nicht etwa als bloße Zahlenarithmetik, sondern er leitete aus ihnen ganz konkrete wirtschafts- und sozialpolitische Schlußfolgerungen ab. So hatte er z. B. berechnet, daß im Jahre 1687 der Geldwert eines Menschen in England 90, in Irland hingegen nur 70 Pfund betrug. Hieraus zog er den Schluß, daß es ökonomisch sinnvoll und lohnend sei, Arbeitskräfte von Irland nach England zu verlagern. Wie überzeugend und einleuchtend uns heute auch immer die so begründete Notwendigkeit einer quantitativen Erfassung und Bewertung des Humankapitals sowohl aus mikro- als auch aus makroökonomischer Sicht erscheinen mag, bei ihren Zeitgenossen und auch bei den späteren Nationalökonomen fanden diese oben skizzierten Theorien jedoch lange Zeit keine Beachtung.
1.2 Die Behandlung des Humankapitals im Rahmen der Wachstumstheorie Erst der neoklassischen Wachstumstheorie sollte es - wenngleich auch, wie noch zu zeigen sein wird, nur über Umwege - vorbehalten bleiben, die Problematik des Humankapitals wieder aufzuwerfen. Ursprünglich beschäftigte sich die Wachstumstheorie nur mit dem Problem der Erhöhung und Qualitätssteigerung des Realkapitalbestandes einer Volkswirtschaft. Erst als in den meisten Industrienationen die vorhandenen Ressourcen fast vollständig ausgeschöpft waren (Vollbeschäftigung von Arbeit und Kapital), setzte sich die Erkenntnis durch, daß ein stetiges Wirtschaftswachstum vor allem durch Produktivitätssteigerungen der nur noch begrenzt vermehrbaren Ressourcen zu erreichen ist. Dies erfordert eine gezielte Anwendung des technischen Fortschritts sowie die qualitative Verbesserung des vorhanden Arbeitskräfteangebots durch eine längere Ausbildung. Schließlich sind erhöhte Anstrengungen nötig, um das vorhandene Arbeitsangebot in möglichst vollem Umfang aufrechterhalten zu können. Die Aktivitäten, die zur „Humanisierung der Arbeitswelt" (beispielsweise Schmidt 1973) unternommen werden, deuten bereits in diese Richtung. Der technische Fortschritt nimmt zwar eine zentrale Stellung in der modernen Wirtschaftstheorie ein, doch gibt es noch keine umfassende Konzeption, die die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und technischem Fortschritt in befriedigender Weise erklärt hat. In den herkömmlichen Wachtumsmodellen wird der technische Fortschritt als exogen gegebene, zeitabhängige Variable im Rahmen von makroökonomischen Produktionsfunktionen berücksichtigt (vgl. z. B. Solow
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
401
1957). Dies wiederum bedeutet nichts anderes als die implizite Annahme, daß der technische Fortschritt „kontinuierlich vom Himmel fällt" (Ehrlicher 1964, S. 873, falling like manna from heaven); d.h. also, der technische Fortschritt wird in diesen modelltheoretischen Ansätzen als ein außerökonomisch gesetztes Datum und nicht als abhängige Variable von Investitionen in Erziehung sowie Aus- und Fortbildung des gesamtwirtschaftlichen Humankapitals angesehen. Dennoch wäre es verfehlt, den Nationalökonomen auch heute noch den Vorwurf zu machen, die Bedeutung des „human capital" bei ihren Untersuchungen völlig zu ignorieren. Der gesamte Komplex der Bildungs- und Gesundheitsökonomie oder beispielsweise der ökonomischen Unfallforschung wäre ohne die Berücksichtigung des Humankapitalfaktors nicht denkbar. Ansätze zur Einbeziehung des Humankapitals in die ökonomische Analyse finden sich u. a. bei Correa (1963) und Denison (1964). Beide Wissenschaftler kommen zu dem Schluß, daß eine Erhöhung des Einsatzes der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital nur zum Teil die Ursache für Sozialproduktssteigerungen sind, und zwar nach Correa nur zu etwa 40%-50%; die andere Hälfte ist auf das Wirken eines dritten Faktors (sogenannter rest unexplained) zurückzuführen. 2 Dieser dritte Faktor setzt sich im wesentlichen aus Größen zusammen, welche die für das Sozialproduktswachstum relevante Kombination von Arbeit und Kapital bestimmen, wie z. B. Organisationstalent, die Einstellung gegenüber technischen und sozialen Neuerungen sowie gegenüber der Forschung (sog. Forschungs„mindedness") und nicht zuletzt der allgemeine Gesundheitszustand der Arbeitsbevölkerung (Bombach 1964, S. 31). Es wird daher auch von der Existenz eines „Komplementaritätsverhältnisses" zwischen Investitionen in das Realkapital und solchen in das Humankapital gesprochen. Investitionen in das Realkapital erfordern adäquate Investitionen in das Humankapital, wobei letztere wegen ihrer Kompliziertheit und Langfristigkeit der Sachkapitalbildung vorausgehen müssen. Tinbergen, Correa und Bos (Correa/Tinbergen 1962, Tinbergen/Bos 1964) stellten in einem Modell den direkten Zusammenhang zwischen dem Arbeitspotential einer bestimmten Ausbildungsstufe und dem Volkseinkommen her. Hauptziel dieser Untersuchung war es, Rückwirkungen auf den Umfang und die Qualität des erforderlichen Arbeitspotentials bei Vorgabe alternativer Wachstumsraten des Volkseinkommens zu ermitteln. Diese wenigen Hinweise, die wegen der hier gebotenen Kürze auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, mögen genügen, um einen kurzen Aufriß über den Stellenwert des Humankapitals in der Nationalökonomie zu geben. Im folgenden soll nunmehr ganz speziell ein Bereich der angewandten Humankapitalforschung - nämlich der der ökonomischen Unfallforschung - angesprochen werden (vgl. Voigt/Helms 1970, Voigt/Franke/Jokl 1973, Franke/Jokl 1976).
402
Fritz Voigt
2. Die Bewertung der unfallbedingten Humankapitalausfälle 2.1 Allgemeine Bewertungsansätze Eine Analyse, die sich mit den gesamtwirtschaftlichen Folgewirkungen von Unfällen befaßt, muß zwangsläufig das Humankapital einer Volkswirtschaft und seine Beeinträchtigung durch eben diese Unfälle in die Betrachtung mit einbeziehen. Unfälle bewirken als unmittelbare Folge eine totale oder partielle Zerstörung verschiedener gesamtwirtschaftlicher Vermögensbestände; d. h. es tritt ein außerplanmäßiger Verzehr von zuvor voll nutzbaren Werten ein, ohne daß als Äquivalent unmittelbar neue Werte geschaffen werden. Unterteilt man das Gesamtvermögen einer Volkswirtschaft in Arbeits- und Sachvermögen (Krelle 1967, S. 10), so gilt es also zu analysieren, in welchem Ausmaß beide Vermögensarten infolge von Unfällen reduziert werden und welche Verluste daraus für die gesamte Volkswirtschaft erwachsen. Dies hört sich an und für sich nicht weiter schwierig an. Bei näherem Hinsehen sieht sich der Wissenschaftler, der sich diese Aufgabe gestellt hat, jedoch mit einer umfangreichen Bewertungsproblematik konfrontiert. Lassen wir die Problematik, die sich im Zusammenhang mit der quantitativen Erfassung und Bewertung der unfallinduzierten Realkapitalschäden ergibt, einmal außer acht, da sie hier nicht von unmittelbarem Interesse ist. Die Bewertungsproblematik, die bei der monetären Erfassung der unfallbedingten Humankapitalschäden auftritt, ist, für sich allein genommen, bereits komplex genug, wie ja auch die vorausgegangenen Beiträge gezeigt haben. Das Arbeitsvermögen einer Volkswirtschaft wird gemeinhin definiert als die in Geld bewerteten Fähigkeiten der Menschen, Einkommen zu erzielen (Krelle 1967, S. 10), d. h. also die individuell unterschiedliche Fähigkeit zur Einkommenserzielung wird zum Maßstab für das in einen Menschen zu seiner Erziehung, Ausbildung und Gesunderhaltung investierte Kapital (Voigt/Franke/Jokl 1973). Der Terminus „Arbeitsvermögen" ist enger gefaßt als der Begriff „Humankapital". Während man mit dem Ausdruck „Arbeitsvermögen" nur das „human capital" der erwerbstätigen Personen einer Volkswirtschaft beschreibt, umfaßt das „Humankapital" auch den Wert der nicht-erwerbstätigen Bevölkerungsgruppen, also etwa Kinder, Rentner und Hausfrauen, wobei man bei letzteren davon ausgeht, daß sie eine unentgeltliche Leistung erbringen, die demzufolge auch bei der konventionellen Sozialproduktsrechnung außer Ansatz bleibt. Makroökonomisch gesehen wird das Arbeitsvermögen nun unmittelbar reduziert, wenn erwerbstätige Menschen durch Unfälle getötet oder doch zumindest so schwer verletzt werden, daß ihre Fähigkeit, Einkommen zu erzielen, dauerhaft oder vorübergehend gemindert wird. Der Staat, die Unternehmen und die privaten Haushalte investieren ja schließlich
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
403
erhebliche Geldbeträge in das Erziehungs-, Ausbildungs- und Gesundheitswesen, die dann eben infolge von Unfällen nicht mehr die erwartete „Rendite" erbringen, um dies einmal in der investitionstheoretischen Terminologie auszudrücken. Will man die Reduzierung des Humankapitals infolge von Unfällen messen, so impliziert dies die Notwendigkeit, einen geeigneten Bewertungsmaßstab zu finden, mit dessen Hilfe sich das monetäre Äquivalent für den Humankapitalausfall ausdrücken läßt. Grundsätzlich ist der Wert des menschlichen Lebens primär immateriell determiniert, d. h. er unterliegt, wenn man von einigen Ausnahmen (man denke beispielsweise an die horrenden Ablösungssummen, die für professionelle Fußballspieler und dergl. gezahlt werden) absieht, keiner unmittelbaren marktmäßigen Beziehung. Dementsprechend weit ist auch die Spanne der möglichen Wertansätze, die in der Fachliteratur zur Erfassung des sog. pretium vivendi unterbreitet werden. Das Spektrum der Wertansätze (siehe auch Kentner 1972) reicht von der Auffassung, das menschliche Leben sei mit dem monetären Äquivalent der chemischen Grundstoffe anzusetzen, auf die sich jedes menschliche Wesen zurückführen läßt, bis zu dem Vorschlag, als Geldbetrag für ein Menschenleben seien die Millionensummen zugrunde zu legen, die der einzelne oder die Gesellschaft bereit ist, für die Errettung eines Lebens aufzuwenden. 3 Die aus der Fachliteratur bekannten Bewertungsansätze zur kostenmäßigen Erfassung des menschlichen Lebens lassen sich in einer schematischen Übersicht kurz wie folgt skizzieren (Kentner 1972, S. 644): Ansätze zur Bewertung des menschlichen Lebens
„subjektiver" Wertansatz
1
soziale Zahlungsbereitschaft
individuelle Zahlungsbereitschaft
„objektiver" Wertansatz
Kostenwertberechnung
1
Ertragswertberechnung
Wenn hier zwischen „subjektiven" und „objektiven" Wertansätzen unterschieden wird, so soll mit diesem Unterscheidungskriterium keineswegs ein Werturteil über die Methoden selbst abgegeben werden, sondern diese Differenzierung dient lediglich dazu, die einzelnen Verfahren von ihrem jeweiligen Anknüpfungspunkt her zu charakterisieren. Anknüpfungspunkt der „subjektiven" Wertansätze ist die sogen, „willingness to pay" und zwar einmal aus individueller Sicht und zum anderen aus der Sicht eines sozialen Gemeinwesens (Familie, Staat etc.). Im Gegensatz hierzu versuchen die „objektiven" Wertansätze, an bestimmte statistisch erfaßte oder zumindest faßbare makroökonomische Größen anzuknüpfen.
404
Fritz Voigt
2.2 Der Ertragswert als spezieller Bewertungsansatz Im Rahmen der von uns durchgeführten Untersuchungen (Voigt/Helms 1970, Voigt/Franke/Jokl 1973, Franke/Jokl 1976) haben wir uns grundsätzlich für die „objektiven" Bewertungsansätze und ganz speziell bei der quantitativen Erfassung der arbeitsunfallinduzierten Humankapitalschäden für die Anwendung des Ertragswertansatzes entschieden. Als Wertäquivalent für den Humankapitalausfall, den eine Volkswirtschaft infolge von Arbeitsunfällen erleidet, wird also der entgangene Produktionsbeitrag in Ansatz gebracht, den die Unfallverletzten oder -getöteten normalerweise (d. h. wenn sie keinen Unfall gehabt hätten) erwirtschaftet haben würden. Zu diesem Zweck werden die unfallbedingten Ausfallzeiten der getöteten und verletzten Personen ermittelt. Dabei wird für die Getöteten eine Ausfallzeit in Ansatz gebracht, die sich vom Unfallzeitpunkt bis zum Ende der erwarteten Arbeitslebenszeit erstreckt; d. h. also bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Berufstätiger normalerweise aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Wir setzen bei unserer Untersuchung diesen Zeitpunkt mit dem 63. Lebensjahr an. Die so ermittelten Ausfallzeiten der durch Arbeitsunfälle getöteten Personen werden mit einem anteiligen Sozialproduktsbeitrag gewichtet und auf das Unfalljahr abdiskontiert. Hier wird bereits ein wesentlicher Unterschied zwischen der mikro- und der makroökonomischen Betrachtungsweise deutlich. Während ein einzelnes Unternehmen den Verlust durch den Tod eines Mitarbeiters kostenmäßig nur dadurch spürt, daß ein neuer Mitarbeiter angeworben, eingestellt und eingearbeitet werden muß, bedeutet der Unfalltod dieses Menschen für die Volkswirtschaft als ganzes einen irreversiblen Verlust an Humankapital. Analoges gilt für die Personen, die infolge eines Arbeitsunfalls so schwer verletzt wurden, daß ihre Erwerbsfähigkeit dauerhaft gemindert ist. Auch hier macht sich der Verlust für das einzelne Unternehmen nur begrenzt bemerkbar, für die gesamte Volkswirtschaft tritt jedoch entsprechend dem Grad und der Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit ein - wenngleich nicht immer irreversibler Verlust an Humankapital ein. Bei dem Ertragswertansatz wird also der gesamtwirtschaftliche Verlust an Humankapital in Form von entgangenem Sozialprodukt gemessen, und zwar nicht nur im Unfalljahr selbst, sondern entsprechend den Ausfallzeiten der Unfallverletzten und -getöteten über die gesamte restliche Arbeitslebenszeit hinweg. Zusätzlich zu den gesamtwirtschaftlichen Produktionsausfällen, die durch den Verlust an Humankapital entstehen und die einzelwirtschaftlich nur für die Dauer der Lohnfortzahlung, der evtl. Einarbeitungszeit eines neuen Mitarbeiters etc. als Produktionsausfälle wirksam werden, gehen in die gesamtwirtschaftliche Unfallkostenrechnung auch noch die Heilbehandlungskosten für die Unfallverletzten Personen ein; d. h. die Humankapitalschäden, die mehr oder weniger „reparabel"
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
405
sind, werden über die Kosten der Heilbehandlung, die notwendig ist, um den status quo ante wieder herzustellen, monetär bewertet. In Analogie zu dem investitionstheoretischen Ansatz zur Bewertung von Realkapitalschäden findet hier somit eine Bewertung der Humankapitalschäden zu ihren „Reproduktionskosten" statt. Bei der quantitativen Erfassung und Bewertung der Kosten, die der Volkswirtschaft durch den arbeitsunfallinduzierten Humankapitalausfall entstehen, müssen somit - entsprechend den obigen Ausführungen - folgende Positionen berücksichtigt werden (Voigt/Franke/Jokl 1973, S. 56 ff.): (1) die Kosten der unfallbedingten Personenschäden, (2) die Kosten des durch die Personenschäden bedingten Produktionsausfalls sowie (3) die Kosten des Freizeitausfalls der Unfallverletzten Personen. Die immateriellen Personenschäden wie Angst, Aufregung, Schmerz, Verlust an Lebensfreude und dergleichen, die als unmittelbare Folge von Unfällen entweder bei dem Verunglückten selbst oder bei Dritten (Mitarbeitern, Freunden, Familienangehörigen etc.) auftreten können, wurden im Rahmen der von uns erstellten empirischen Analyse nicht berücksichtigt. Diese sogenannten „intangiblen" Kostenpositionen stellen zwar ebenfalls einen Verzehr von Rechtsgütern dar (Seidenfus 1961, Steinhöfler 1966), die immateriellen Schäden werden jedoch individuell in unterschiedlichem Ausmaß empfunden und entziehen sich von daher einer objektiven monetären Bewertung. Bei der empirischen Quantifizierung der volkswirtschaftlichen Kosten unfallbedingter Humankapitalschäden müssen diese immateriell determinierten Schadensarten somit außer Ansatz bleiben, obgleich sie grundsätzlich als Bestandteile des Humankapitals anzusehen sind. Die quantitativ erfaßbaren Kosten der arbeitsunfallbedingten Personenschäden setzen sich im wesentlichen aus den Kosten zusammen, die durch die stationäre und/oder die ambulante Heilbehandlung der Unfallverletzten Personen verursacht werden; hierunter fallen demnach alle Kosten, die aufgewandt werden müssen, um die gesundheitliche Einbuße, die die von einem Arbeitsunfall betroffenen Personen erlitten haben, ganz oder zumindest teilweise zu beseitigen. Nach unseren Berechnungen 4 belaufen sich die gesamten, durch Arbeitsunfälle bedingten Personenschadenskosten im Jahre 1972 in der Bundesrepublik Deutschland auf rd. 2,033 Mrd. DM. Je Arbeitsunfall ergeben sich daraus im Durchschnitt Personenschadenskosten in Höhe von ca. 642,- DM. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick darüber, wie sich diese Kostenposition im einzelnen zusammensetzt. Zusätzlich zu den Personenschadenskosten werden in der gesamtwirtschaftlichen Unfallkostenrechnung - wie bereits erwähnt - auch die Produktionsausfälle berücksichtigt, die die Volkswirtschaft durch den Ausfall der Unfallverletzten
406
Fritz Voigt
Tab. 1: Die Personenschadenskosten (in DM) bei Arbeits- und Wegeunfällen in der B R D im Jahre 1972
Unfallart
Stationäre Behandlungskosten
Ambulante Behandlungskosten
Sonstige Personenschadenskosten
Personenschadenskosten insgesamt 2 (l)-(4)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Arbeitsunfälle Wegeunfälle
1 296 440 709 190 524 875
408 435 502 42 037 312
84 296 776 11 495 016
1 789 172 987 244 057 203
Unfälle insges.
1 486 965 584
450 462 814
95 791 792
2 033 230 190
Kosten
Quelle: Eigene Berechnungen
Arbeitskräfte erleidet. Auf die theoretischen Implikationen, auf denen eine derartige makroökonomische Berechnung beruht, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden (Voigt/Franke/Jokl 1973, S. 84 ff.). Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß wir zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Produktionsausfälle eine makroökonomische Produktionsfunktion vom Typ der Cobb-DouglasProduktionsfunktion benutzt haben. Bei der Ermittlung der durch die unfallinduzierten Humankapitalschäden bewirkten Produktionsausfälle muß zwischen kurz- und langfristigen Folgewirkungen unterschieden werden. Als kurzfristige Folgewirkung treten makroökonomische Produktionsausfälle im Unfalljahr (hier im Jahr 1972) selbst auf. Die tödlichen Unfälle sowie die Unfälle, die dauerhafte Invalidität der Betroffenen zur Folge haben, bewirken jedoch irreversible Humankapitalschäden und damit über das Unfalljahr hinaus auch langfristig gesamtwirtschaftliche Produktionsausfälle. Diese langfristigen, monetarisierten Folgewirkungen werden mit ihrem Barwert auf das Unfalljahr abdiskontiert und gehen als Nettogröße in die Unfallkostenrechnung ein. Da im Zusammenhang mit der hier vorliegenden Problematik der Bewertung des Humankapitals insbesondere die monetäre Bewertung der tödlichen Unfälle interessant sein dürfte, sei diese Unfallkategorie - abweichend von unserer empirischen Untersuchung (Franke/Jokl 1976) - an dieser Stelle gesondert hervorgehoben. Aus den Berechnungen in Tab. 2 folgt, daß sich die volkswirtschaftlichen Kosten eines tödlichen Arbeits- und/oder Wegeunfalls im Jahre 1972 in der BRD durchschnittlich auf 238 000 DM beliefen. Hierbei wurden ausschließlich die unfallbedingten Humankapitalschäden und ihre makroökonomischen Folgewirkungen berücksichtigt. Die ebenfalls auftretenden, unfallbedingten Realkapitalschäden und ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen wurden hier bewußt außer Ansatz gelassen.5
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
407
Tab. 2: Der Produktionsausfall infolge der Humankapitalschäden durch tödliche Arbeitsund Wegeunfälle in der BRD Produktionsausfall (in DM) im Unfalljahr 1972
in den Folgeperioden (Barwert)
insgesamt
(1)
(2)
(3)
(4)
Getötete insgesamt
87 247 485
1 316 922 559
1 404 170 044
14 770
222 943
237 713
je Getöteten im Durchschnitt
Quelle: Eigene Berechnungen aufgrund der Werte in Franke/Jokl ( 1 9 7 6 )
Der in Tab. 2 angegebene Wert von 238 000 DM kann auch interpretiert werden als der durchschnittliche volkswirtschaftliche Wert (Ertragswert) eines Erwerbstätigen in der BRD im Jahre 1972 - ausgedrückt in Geldeinheiten. Multipliziert man nun diesen Wert mit der Gesamtzahl der Erwerbstätigen des Jahres 1972 in der BRD, so ergibt sich zumindest pauschal die Größenordnung für das monetäre Äquivalent des gesamtwirtschaftlichen Humankapitals der erwerbstätigen Bevölkerung in der BRD für 1972; d. h. es gilt: 238 000 DM • 26 463 000 6 = 6 298 1 94 • 106 • DM Dementsprechend würde sich das volkswirtschaftliche Humankapital der Erwerbstätigen - also das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvermögen - in der BRD im Jahre 1972 auf ca. 6,3 Billionen DM belaufen. Tab. 3: Der Produktionsausfall infolge der Humankapitalschäden durch Arbeits- und Wegeunfälle in der BRD Produktionsausfall (in DM) im Unfalljahr 1972
in den Folgeperioden (Barwert)
insgesamt
(1)
(2)
(3)
(4)
für Arbeits- und Wegeunfälle insgesamt
4 960 823 536
7 091 356 000
12 052 179 536
je Arbeits- und/oder Wegeunfall im Durchschnitt
1 567
3 806
Quelle: Eigene Berechnungen 1 D a volkswirtschaftliche Produktionsausfälle in den Folgeperioden nahezu ausnahmslos nur durch tödlich und invalid-verletzte verunglückte Personen verursacht werden, wurde auf eine Durchschnittswertberechnung, die sich auf alle Arbeits- und Wegeunfälle bezieht, in diesem Falle verzichtet.
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Fritz Voigt
Betrachtet man den insgesamt durch die Arbeits- und Wegeunfälle des Jahres 1972 bewirkten gesamtwirtschaftlichen Produktionsausfall, so läßt sich die allein auf die unfallbedingten Humankapitalschäden zurückzuführende, potentielle Sozialproduktsminderung wie in Tab. 3 dargestellt quantifizieren. Nach diesen Berechnungen belief sich der durch Humankapitalschäden infolge von Arbeits- und Wegeunfällen induzierte gesamtwirtschaftliche Produktionsausfall im Jahre 1972 auf ca. 4,96 Mrd. DM. Bezieht man auch die langfristigen Folgewirkungen mit in die Analyse ein, so ergibt sich als Barwert der auf das Unfalljahr abdiskontierten Produktionsausfälle in den Folgeperioden ein Betrag von zusätzlich rd. 7,1 Mrd. DM. Die kumulierte Gesamtwirkung der unfallinduzierten makroökonomischen Produktionsausfälle entspricht somit einem monetären Äquivalent von knapp 12,1 Mrd. DM; oder anders ausgedrückt: durch den unfallbedingten gänzlichen (Unfalltote) oder teilweisen (Unfallverletzte) Ausfall von Arbeitskräften erleidet die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland eine Einbuße an potentiellem Sozialprodukt, die sich bezogen auf das Jahr 1972 auf ca. 12,1 Mrd. DM beläuft. Da wir zur Quantifizierung der Produktionsausfälle die Ausfallzeiten der verunglückten Personen ermitteln mußten, wurde - quasi als Nebenprodukt der gesamten Berechnungen - festgestellt, daß die Arbeitsunfälle des Jahres 1972 einen Arbeitskräfteausfall bewirkten, der einer ganzjährigen Minderung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitskräftepotentials in der BRD um ca. 170 000 Erwerbstätige entsprach. Als weitere, im Zusammenhang mit der hier aufgeworfenen Fragestellung relevante Kostenposition wurde ein Wertäquivalent für die Freizeiteinbußen ermittelt, die die verunglückten Personen durch den Unfall zwangsläufig in Kauf nehmen mußten. Die Freizeit und die in ihr ausgeübten Tätigkeiten gehen zwar nicht als selbständige Wertkomponente in die herkömmliche Sozialproduktsrechnung ein; da Freizeiteinbußen einerseits zweifellos einen negativen Wohlstandseffekt darstellen und überdies andererseits das Humankapital einer Volkswirtschaft insoweit negativ tangieren, als die den Erwerbstätigen üblicherweise zur Rekreation ihrer Arbeitskraft zur Verfügung stehende Zeit mehr oder weniger stark beeinträchtigt wird, darf die Freizeitkomponente nicht unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus stellen die Freizeit und die in ihr ausgeübten Tätigkeiten ein wichtiges Element der allgemeinen, auf qualitative und quantitative Wohlstandsmaximierung der Staatsbürger ausgerichtete wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen dar, so daß die Einbeziehung der bewerteten Freizeitverluste in das Humankapitalkonzept gerechtfertigt erscheint. Es bleibt aber festzuhalten, daß es sich bei dieser Kostenposition um keine sozialproduktrelevante Größe handelt. Das monetäre Äquivalent für die unfallbedingten Freizeitausfälle belief sich nach unseren Berechnungen im Jahre 1972 auf rd. 4 Mrd. DM. Bei dieser Rechnung wurde davon ausgegangen, daß der verunglückte Arbeitnehmer 1 Stunde Freizeit
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
409
in seiner individuellen Wertschätzung genauso hoch veranschlagt wie eine Stunde Arbeitszeit (Nell-Breuning 1965, S. 140; Funck 1968; Pusch 1972; Kentner 1970).
Tab. 4: Der bewertete Freizeitausfall von Arbeits- und Wegeunfallverletzten im Jahre 1972 Freizeitausfall (in DM) je Arbeits- und Wegeunfall
insgesamt (in 1000 DM) (1)
(2)
4 012 648
1 267
Quelle: Franke/Jokl (1976) S. 244.
Faßt man nun die hier im einzelnen aufgeführten Kostenpositionen zusammen, so ergibt sich als Gesamtwert für die durch Arbeits- und Wegeunfälle im Jahre 1972 verursachten Humankapitalschäden in der B R D ein Betrag von rd. 18,1 Mrd. DM (vgl. Tab. 5). Bezogen auf den einzelnen Arbeitsunfall (einschließlich der Bagatellunfälle) errechnet sich hieraus ein Durchschnittswert für den Humankapitalschaden je Unfall in Höhe von ca. 5700 DM. Dieser Wert kann allerdings lediglich als grober „Faustwert" angesehen werden, da er auf einer pauschalen Durchschnittswertbildung beruht, der von der Schwere des einzelnen Unfalls abstrahiert, und sich daher nicht für eine Kalkulation bezüglich eines individuellen Unfalls eignet.
Tab. 5: Die durch Arbeits- und Wegeunfälle des Jahres 1972 bedingten volkswirtschaftlichen Humankapitalkosten in der B R D (in DM) Personen Schadenskosten
Kosten des Produktionsausfalls infolge der Humankapitalschäden
Zwischensumme sozialproduktsrelevante Kosten
Kosten der Freizeitausfälle
unfallbedingte Humankapital kosten insgesamt
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
Für Arbeitsund Wegeunfälle insgesamt
2 033 230 190
12 052 179 356
14 085 409 726
4 012 684 000
18 098 093 726
Je Unfall im Durchschnitt
642
3 806
4 449
1 267
5 697
Quelle: Eigene Berechnungen
410
Fritz Voigt
2.3 Der Kostenwert als Bewertungsansatz in der makroökonomischen Unfallfolgekostenrechnung Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß neben dem oben dargestellten Ertragswertansatz als weiterer sogenannter „objektiver" Bewertungsmaßstab für den monetären Wert des menschlichen Lebens der Kostenwert eines Menschen ermittelt werden kann. Betrachtet man die „personelle Infrastruktur" einer Volkswirtschaft unter rein ökonomischen Gesichtspunkten als das Entwicklungspotential der geistigen, unternehmerischen, handwerklichen und sonstigen menschlichen Fähigkeiten im Rahmen eines Gemeinwesens, so ergibt sich der Kostenwert für das so verstandene gesamtwirtschaftliche „human capital" in Analogie zur allgemeinen Investitionstheorie aus den Kosten, die zur Bildung dieses Entwicklungspotentials insgesamt aufgewandt werden mußten. Die Kostenwertberechnungen entsprechen somit den Substanzwertkalkulationen für Realkapital in der herkömmlichen Betriebswirtschaftslehre (Wöhe 1969, S. 436 ff.). Da sowohl die Kostenwert- wie auch die Ertragswertberechnungen auf den jeweiligen Gegenwartszeitpunkt bezogen werden (Bewertung zu Wiederbeschaffungs- bzw. Reproduktionskosten), müßten, rein theoretisch, Kosten- und Ertragswert eines Menschen in jedem Zeitpunkt übereinstimmen. Dies ist jedoch eine theoretische Ideal-Fiktion, die in der empirischen Realität so gut wie nie zutrifft. Im Regelfall liegt der Ertragswert über dem Kosten- respektive dem Substanzwert, wie auch die nachfolgenden, als Beispiele aufgeführten Berechnungen zeigen werden. Der Kostenwert eines Menschen wird im allgemeinen wie folgt ermittelt (Voigt/ Helms 1970, S. 53 ff.): (1) Kostenwert eines Menschen in der Altersgruppe j, des Bildungsweges i in der Periode t
Kwy
=
KiLb, +
Lebenshaltungskosten eines Menschen in der Altersgruppe j, des Bildungsweges i in der Periode t
KL
DV
Ausbildungskosten in der Altersgruppe j für den Bildungsweg i in der Periode t
Betrag der Abschreibung in der Altersgruppe j, des Bildungsweges i
Der menschliche Kostenwert richtet sich somit grundsätzlich nach dem Gegenwarts- oder Zeitwert des in einen Menschen zu seiner Erziehung, Ausbildung und Lebenshaltung insgesamt investierten monetären Kapitals. Allerdings liegt auch dem Kostenwertansatz insoweit ein Erwerbspersonenkonzept zugrunde, als prinzipiell davon ausgegangen wird, daß eine Investition in den Menschen (in Form von Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten) nur bis zu seinem Eintritt in das Erwerbsleben erfolgt. Bis zu diesem Zeitpunkt werden keinerlei Abschreibungen vorgenommen (DV in Formel (1) ist also Null). Zum Zeitpunkt seines Eintritts in das Erwerbsleben bzw. mit Beendigung seiner Ausbildung erreicht ein Mensch
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
411
nach diesem Bewertungsansatz seinen höchsten Kostenwert. Zugleich setzt von diesem Zeitpunkt an die Abschreibung auf den einmal erreichten Kostenwert über die Dauer der voraussichtlichen Arbeitslebenszeit eines Menschen ein. In der ökonomischen Unfallforschung wird der Kostenwertansatz für die monetäre Bewertung der unfallbedingten Humankapitalschäden von nicht-erwerbstätigen Personen im Sinne der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (also Kindern, Schülern, Studenten, Hausfrauen, Rentnern) zugrunde gelegt (Hansmeyer/Nelsen 1958, S. 29 ff.; Willeke/Bögel/Engels 1967). Entscheidend für die Wahl des Kostenwertansatzes ist die Tatsache, daß der Ertragswertansatz auf einer primär sozialprodukt-bezogenen Konzeption beruht, während die obengenannte Personengruppe keinen produktiven Sozialproduktbeitrag im Sinne der herkömmlichen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung leistet (Leipert 1975, S. 69 ff.) und sich somit für eine Bewertung nach dem Ertragswertansatz nicht eignet. Allerdings führen auch die methodisch konzeptionellen Implikationen des Kostenwertansatzes - wie die nachfolgend aufgeführten empirischen Beispiele zeigen werden noch nicht zu einer endgültig zufriedenstellenden Lösung bei der Bewertung des Humankapitals.
Tab. 6: Der Kostenwert des Menschen, getrennt nach Altersgruppen und Geschlecht (in D M ) von 1959-1970 Altersgruppe in Jahren Jahr
Geschlecht
1 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 19702
1
unter 5
5-15
15-25
25-45
45-65
65 mehr
2
3
4
5
6
7
8
m w m w m w m w m w m w m w m w m w m w
7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 9 9 9 9
283 283 528 528 773 773 018 018 263 263 508 508 753 753 998 998 243 243 978 978
27 25 28 26 29 27 30 28 31 29 32 30 33 31 34 32 35 33 38 36
189 476 233 461 277 446 321 431 365 416 409 401 453 386 497 371 541 356 673 311
71 66 74 69 77 72 80 75 83 78 86 81 90 83 93 86 96 89 105 98
008 033 178 027 348 021 518 015 688 009 858 003 028 997 198 991 368 985 878 976
53 48 55 50 57 52 60 55 62 57 65 59 67 61 70 64 72 66 80 73
077 344 527 619 977 894 427 169 877 444 327 719 777 994 227 269 677 544 977 369
20 21 21 22 22 24 23 25 24 26 25 27 26 28 27 29 28 30 31 33
766 937 725 969 684 001 643 033 602 066 561 097 520 129 479 161 438 193 315 289
Quelle: Voigt/Helms (1970), S. 61. 1 Der Buchstabe m symbolisiert männliche, der Buchstabe w weibliche Personen. 2 Eigene Berechnungen; Fortschreibung der Wertansätze auf das Jahr 1970.
3 5 3 5 3 5 3 5 3 6 3 6 4 6 4 6 4 7 5 8
064 118 228 357 392 596 556 835 720 074 884 313 048 552 212 791 376 030 687 473
und
412
Fritz Voigt
Im Rahmen einer vor einigen Jahren von uns durchgeführten Forschungsarbeit (Voigt/Helms 1970, S. 52 ff.) wurden Kostenwertberechnungen nach dem hier geschilderten Prinzip für die Jahre 1959-1967 erstellt. Der Kostenwert eines Menschen wurde dabei für unterschiedliche Ausbildungswege, getrennt nach Altersgruppen und Geschlecht, ermittelt.7 Als durchschnittliche Kostenwerte über alle Ausbildungsgänge ergaben sich die Werte in Tabelle 6. Eine neuere, von uns für die Jahre 1974 und 1975 erstellte Kostenwertberechnung führte zu folgenden Ergebnissen: Tab. 7: Der Kostenwert des Menschen (in DM), getrennt nach Altersgruppen, Geschlecht und Ausbildungsgängen für die Jahre 1974 und 1975 Kostenwert des Menschen in den Ausbildungsgängen Jahr
Altersgruppe
Geschlecht
1
2
3
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
153 143 114 111 49 57 6 15
155 650 661 957 140 344 552 019
46 43 125 118 90 88 38 45 5 11
203 898 314 283 433 984 757 577 168 937
041 807 988 008 499 665 643 268 607 784
16 16 75 70 132 125 95 94 41 48 6 12
129 129 041 807 788 411 827 346 069 324 845 656
-18
1974
m w 18-25 m w 25-45 m w m 45-65 w 65 und m mehr w m w 6 -18 m w 18-25 m w m 25-45 w m 45-65 w 65 und m mehr w
174 164 174 170 77 87 14 22
255 750 371 366 498 261 531 854
-6
1975
75 70 182 173 181 177 80 91 15 23
041 807 988 008 943 706 864 020 162 839
75 70 160 151 120 117 51 60 8 15
4
5
insgesamt
(7)
(8)
(9)
102 952 96 633 74 296 72 697 31 841 37 235 4 245 9 295
46 43 107 100 82 78 33 39 4 9
203 898 122 595 377 633 893 531 570 821
72 241 68 007 108 744 102 113 78 475 76 819 33 632 39 946 5 605 10 305
16 16 72 68 113 106 84 82 35 41 5 10
129 129 721 487 162 313 791 985 767 733 930 796
113 106 82 80 35 41 4 10
72 68 120 112 86 84 37 43 6 11
903 810 198 352 228 156 697 779
841 607 235 790 768 851 186 460 198 382
Quelle: Eigene Berechnungen 1 Als Ausbildungsgänge wurden unterschieden: (1) 9 Jahre Gymnasium + 5,5 Jahre Hochschule (2) 9 Jahre Gymnasium + 3 Jahre Fachhochschule (3) 9 Jahre Gymnasium (4) 6 Jahre Gymnasium od. Realschule + 3 Jahre berufsbildende Schule (5) 5 Jahre Hauptschule bzw. evtl. Realschule + 3 Jahre berufsbild. Schule Für jeden der 5 Ausbildungsgänge eine 4jährige Grundschulbildung
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
413
2.4 Kritische Würdigung der Bewertungsansätze Die hier im einzelnen aufgeführten empirischen Berechnungen sollen abschließend noch einer kurzen kritischen Würdigung im Hinblick auf die methodischen Implikationen der Bewertungsansätze unterzogen werden. Von der methodischen Konzeption her gesehen, sind die Kostenwertberechnungen so angelegt, daß jeder Mensch seinen maximalen Kostenwert mit Beendigung seiner jeweiligen Ausbildung erreicht. Von diesem Zeitpunkt an wird der Kostenwert linear bis an das zu erwartende Lebensende eines Menschen abgeschrieben. Diese Verfahrensweise führt dann zwangsläufig dazu, daß die menschlichen Kostenwerte in Tab. 6 in der Altersgruppe der 15-25jährigen und - bedingt durch die andere Altersklasseneinteilung - in Tab. 7 in der Gruppe der 18-25jährigen am höchsten sind. Demgegenüber sind die Kostenwerte der über 65jährigen Personen infolge der linearen Abschreibung geradezu diskriminierend niedrig. Im Rahmen einer so verstandenen Kostenwertberechnung wird das gesamte, nach Abschluß der Ausbildung erworbene Potential menschlicher Fähigkeiten und Erfahrungen - also das, was im weitesten Sinne unter „know how" zu verstehen ist - kostenmäßig nicht mehr berücksichtigt. Eine derartige Kostenwertberechnung abstrahiert somit von der Tatsache, daß Erwerbstätige mit langjähriger Berufserfahrung für ein Unternehmen normalerweise als Mitarbeiter wertvoller sind als etwa Jugendliche, die zwar über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen aber noch ohne jegliche praktische Berufserfahrung sind. Das Ausmaß der gegenwärtigen Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland deutet zumindest diese Tendenz an. Die hier erwähnten Unzulänglichkeiten, die die Kostenwertberechnungen aufgrund ihres methodischen Konzepts bereits von vornherein implizieren, haben im Bereich der ökonomischen Unfallforschung zu einem diversifizierten Vorgehen bei der Wahl eines geeigneten Bewertungsansatzes zur Monetarisierung des menschlichen Lebens geführt. Danach ist der Wert eines erwerbstätigen Menschen nach dem Ertragswertansatz zu ermitteln, während für nicht-erwerbstätige Personen der Kostenwert in Ansatz zu bringen wäre. Dieses modifizierte Bewertungsverfahren hat den Vorteil, daß über den Ertragswertansatz, der an die individuell unterschiedlichen menschlichen Fähigkeiten zur Einkommenserzielung anknüpft (Voigt/Franke/Jokl 1973, S. 21), auch ein Wertäquivalent für das oben erwähnte „know-how" der im Berufsleben stehenden Personen gefunden werden kann. Dabei wird davon ausgegangen, daß sich das im Laufe des Erwerbslebens eines Menschen angesammelte berufliche Erfahrungspotential in einem entsprechenden Einkommen niederschlägt. Eine analoge Anwendung des Ertragswertkonzepts auf die nicht-erwerbstätigen Personen würde hingegen fiktive Einkommenskalkulationen für diese Personengruppe bedingen und daher zu empirisch nicht abgesicherten Ergebnissen führen.
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Fritz Voigt
Aus diesem Grund wird das Humankapital der Nicht-Erwerbstätigen (Kinder, Schüler, Studenten, Hausfrauen, Rentner) in der ökonomischen Unfallforschung üblicherweise über den Kostenwertansatz quantifiziert. Als nachteilig mag die Tatsache empfunden werden, daß dieses Vorgehen zwangsläufig für Erwerbstätige zu einem höheren Humankapitalwert führt als für Nicht-Erwerbstätige, was im Extremfall bedeuten könnte, daß der ökonomische Wert des Humankapitals einer Hausangestellten über dem Humankapitalwert einer Hausfrau liegt, die unentgeltlich die gleiche Leistung vollbringt. Im Grunde stellt auch die Anwendung des Kostenwertansatzes auf die nichterwerbstätigen Personen eine gewisse Inkonsistenz dar; denn wie bereits eingangs ausgeführt wurde, basiert die Kostenwertberechnung ebenfalls auf einem investitionstheoretischen Amortisationskonzept, das an eine Erwerbstätigkeit der zu bewertenden Personen anknüpft. Dementsprechend sind die in den Tab. 6 und 7 aufgeführten Kostenwerte als auf den Gegenwartszeitpunkt bezogene Restwerte einer ursprünglich getätigten Investition in das human capital zu verstehen; d. h. beispielsweise, daß nach den Angaben in Tab. 7, Sp. (4), eine Person mit abgeschlossener Hochschulausbildung in der Altersklasse der 25-45jährigen, bezogen auf den Betrachtungszeitpunkt 1975, einen ökonomischen Beitrag bis zu ihrem Lebensende einbringen muß, der einem Barwert von ca. 182 000 D M (bei Männern) respektive 178 000 D M (bei Frauen) entspricht. Erst dann hat sich die ursprüngliche Investition in das Humankapital amortisiert. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Amortisationsperiode mit Beendigung der Ausbildung zu dem Zeitpunkt einsetzt, zu dem ein Mensch in das Berufsleben eintritt (Voigt/ Helms 1970, S. 59). Es wird somit prinzipiell auch bei dem Kostenwertansatz eine Erwerbstätigkeit der zu bewertenden Personen unterstellt, so daß es nicht ganz korrekt ist, dieses Bewertungsverfahren auch auf Nicht-Erwerbstätige mit abgeschlossener Ausbildung zu übertragen. Zur Rechtfertigung dieses Verfahrens könnte jedoch andererseits vorgebracht werden, daß hier durchaus ein Äquivalent zu den realkapitalbezogenen Substanzwertkalkulationen in der Betriebswirtschaftslehre gegeben ist und überdies der Kostenwertansatz bisher die einzige Möglichkeit darstellt, das Leben der nicht-erwerbstätigen Personen mit Hilfe eines „objektiven" Bewertungsmaßstabs statistisch empirisch zu bewerten.
3. Schlußbemerkungen Die vorliegenden Ausführungen sollten dazu dienen, einen kurzen Uberblick über die theoretischen Grundlagen einer makroökonomischen Humankapitalrechnung zu geben, wobei am Beispiel gesamtwirtschaftlicher Unfallfolgekostenrechnungen aufgezeigt wurde, wie sich die jeweiligen Bewertungsansätze empirisch verifizieren
Humankapital und makroökonomische Unfallfolgekostenrechnungen
415
lassen. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, daß es für die Bewertung des volkswirtschaftlichen Humankapitals noch keinen theoretisch und empirisch vollständig zufriedenstellenden Lösungsansatz gibt. Dieser Vorwurf trifft aber in gleicher Weise auf die von der herkömmlichen Betriebswirtschaftslehre für die Bewertung des Realkapitals (Maschinen, Gebäude etc.) entwickelten Verfahren sowie auf die mikroökonomischen Ansätze zur Humankapitalbewertung zu. Als Fazit bleibt somit festzuhalten, daß die hier aufgeführten empirischen Berechnungen nur als Näherungswerte mit rein ökonomischer Bezugsbasis angesehen werden können. Eine derartige Kalkulation ist immer dann zulässig, wenn auch die zu vergleichenden Größen rein ökonomischer Natur sind, wie dies etwa im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Unfallfolgekostenrechnungen der Fall ist. Überdies kann die Einbeziehung ökonomischer Aspekte den Bemühungen um eine Intensivierung des Unfallschutzes in allen Lebensbereichen (Haus- und Freizeitunfälle, Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle, Schüler- und Kindergartenunfälle) stärkere Impulse verleihen, indem z. B. das Ausmaß der unfallbedingten gesamtwirtschaftlichen Humankapitalschäden monetär erfaßt und dargestellt wird. Könnte dieses Ziel erreicht werden, so wäre damit zugleich ein weiterer Schritt in Richtung auf eine Verbesserung der allgemeinen „Lebensqualität" vollzogen.
Anmerkungen 1 Vgl. hierzu etwa Adam Müller (1922). Eine umfangreiche dogmengeschichtliche Darstellung über die Behandlung des „human capital" in der ökonomischen Theorie findet sich bei J. R. Walsh (1935). 2 Clement (1968, S. 10) spricht sogar von zwei Drittel, mit denen der dritte Faktor am Wirtschaftswachstum beteiligt ist. 3 Hin Ansatzpunkt hierfür wären etwa die enormen Lösegelder, die gerade in jüngster Zeit z. T. von privaten Personen aber auch in zunehmendem Maße von Staaten zur Errettung bedrohter Menschenleben gezahlt werden. 4 Die nachfolgenden Zahlenangaben stammen aus (Franke/Jokl 1976). 5 Da die makroökonomischen Folgewirkungen der unfallbedingten Realkapitalschäden allerdings integrativer Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Unfallfolgekostenrechnung sind, können die hier angegebenen Werte nur begrenzt mit den Wertangaben in (Franke/Jokl 1976) verglichen werden. 6 Anzahl der Erwerbstätigen in der B R D 1972 (Statistisches Bundesamt 1974, S. 137). 7 Insgesamt werden fünf Bildungswege unterschieden: (1) 9 Jahre Gymnasium (Abitur) mit einem sich anschließenden Hochschulstudium, das im Durchschnitt 11 Semester bzw. 5 Jahre dauert. (2) 9 Jahre Gymnasium mit einem anschließenden dreijährigen Besuch einer berufsbildenden Schule. (3) 7 Jahre Gymnasium plus 3 Jahre berufsbildende Schule. (4) 6 Jahre Realschule bzw. Gymnasium (Mittlere Reife) plus 3 Jahre berufsbildende Schule. (5) 5 Jahre Volksschule plus dreijährige Berufsschulausbildung. Bei allen Ausbildungsgängen ist zusätzlich eine vorausgehende vierjährige Volksschulausbildung anzusetzen.
416
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Betriebswirtschaftliche Aspekte der Steigerung der Arbeitsqualität durch Produktionsumstellungen Theodor Ellinger und Hans-Josef
Weber
1. Einführung Die allgemein zu beobachtende Verknappung oder Verteuerung von Ressourcen und die Verschärfung der nationalen sowie insbesondere der internationalen Wettbewerbssituation zwingen die Unternehmungen, ihr Augenmerk verstärkt auf die Erhöhung der Effizienz und Wirtschaftlichkeit ihrer Aktionen zu richten. Parallel hierzu läßt sich in den Industriegesellschaften seit einigen Jahren eine Steigerung des menschlichen Selbstwertbewußtseins erkennen. In der Bundesrepublik fand diese Tendenz zunächst ihren Niederschlag in der sozialpolitischen Forderung nach Steigerung der Lebensqualität. Unternehmungsrelevant konkretisierte sich diese Forderung in dem Drängen nach ökologischer Ausrichtung der industriellen Produktion und nach menschengerechter Gestaltung des Arbeitslebens („Steigerung der Arbeitsqualität"). Die Realisierung beider Vorstellungen erscheint aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf den ersten Blick mit ertragsminderndem Aufwand verbunden, den Rationalisierungsbestrebungen entgegenlaufend, situationsverschärfend und daher nur mit erheblichem Widerstand durchsetzbar. Deshalb schienen dem Gesetzgeber Maßnahmen zur Durchsetzung in Form von Gesetzen (z. B. Umweltschutz-, Arbeitsschutzgesetz) und Verordnungen notwendig. 1 In den nachstehenden Ausführungen wird die häufig zugrunde gelegte These eines zwangsläufigen Zielkonflikts zwischen Rationalisierung und Steigerung der Arbeitsqualität analysiert. Aus dieser Untersuchung wird die Notwendigkeit des Einsatzes von Methoden deutlich, die auch den personellen Bereich für eine stärkere quantitative Durchdringung erschließen; Instrumente des Human Resource Accounting (HRA) können hier angewandt werden.
2. Ursachen und Wirkungen von Produktionsumstellungen Unternehmerisches Handeln ist eingebettet in eine auf die Unternehmen einwirkende Umwelt (vgl. Abb. 1). Veränderungen in den gesellschaftlichen Vorstellungen, auf den Beschaffungs-
420
Theodor Ellinger / Hans-Josef Weber
Abb. 1: Einflußfelder der Unternehmungsumwelt (in Anlehnung an Ellinger u. a. 1977, S. 383)
und Absatzmärkten sowie der technologische Wandel können die Bedingungen der unternehmerischen Betätigung so umgestalten, daß aus betriebswirtschaftlichen Gründen eine Reaktion der Unternehmung erforderlich wird. Die Umgebungseinflüsse können direkt (z. B. Kurzarbeit infolge Rückgang einer Produktnachfrage, Fertigungsautomatisierung infolge Mangels an zuverlässigem Fachpersonal), aber auch indirekt wirksam werden. Der Fortschritt auf dem Gebiet der elektronischen Digitaltechnik zwang die traditionelle Uhrenindustrie, die Bauprinzipien ihrer Produkte vollständig umzustoßen. Hierdurch war nun wiederum das Erfordernis einer einschneidenden Produktionsumstellung gegeben. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, erwünschten oder unerwünschten Außeneinflüssen zu begegnen. Entweder man versucht, die Wirkungen der Einflüsse zu neutralisieren bzw. für sich nutzbar zu machen oder die Ursachen der Einflüsse zu manipulieren (z. B. aktive Beeinflussung der Nachfragesituation durch werbewirksame Maßnahmen). Normalerweise muß die Unternehmung deshalb, und dies gilt insbesondere für die Mittel- und Kleinbetriebe, dem allgemeinen Trend der Änderungen folgen. Sie kann sich über eine Produkt- und Produktpreisänderung, eine Änderung der Lieferzeit oder eine Änderung der qualitativen sowie quantitativen Produktionskapazität anpassen. Von besonderer Bedeutung für die Unternehmung sind Produktionsumstellungen („Technische Umstellungen", Koch 1971). Hierunter verstanden seien „alle durch aktives Handeln hervorgerufenen erstmaligen und auf Dauer angelegten Veränderungen soziotechnischer Arbeitssysteme" (Ellinger 1977, S. 382). Sie sind >mutati-
Steigerung der Arbeitsqualität durch Produktionsumstellungen
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ve Veränderungen< im Sinne Gutenbergs (vgl. Gutenberg 1979, S. 398 ff.) und gekennzeichnet durch eine qualitative Änderung des innerbetrieblichen Geschehens. In den nachstehenden Ausführungen wird, entsprechend der Bedeutung in der industriellen Praxis, das besondere Augenmerk auf sprunghafte Veränderungen betrieblicher Subsysteme gelegt, insbesondere auf Veränderungen einzelner Arbeitsplätze. Bei den durch betriebsexternen Wandel hervorgerufenen Produktionsumstellungen zeigt nur ein Teil auf den ersten Blick eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Faktoreinsatzes und damit einen Rationalisierungseffekt (zum Begriff Rationalisierung vgl. Pfeiffer 1979, Sp. 1758). Bei der Durchsetzung dieser Umstellungen entstehen keine Konflikte mit wirtschaftlichen Zielsetzungen der einzelnen Unternehmung. Anders erscheint dieses bei den Anpassungsvorgängen, die durch humane oder soziokulturelle Vorstellungen bewirkt werden. Insbesondere die gesetzlichen Umwelt- und Arbeitsschutzvorschriften scheinen rationalisierende Wirkungen vermissen zu lassen. Ausgehend von diesem globalen Eindruck ist zu verstehen, daß spontane betriebliche Aktivitäten zur Verbesserung der Arbeitsqualität nicht allzu häufig sind. An diversen Einzelphänomenen (z. B. Gesetze und Verordnungen, Programme) läßt sich nun erkennen, daß die Bedeutung soziokultureller Einflüsse auf die herkömmliche industrielle Arbeitswelt zunimmt. Eine Analyse von Produktionsumstellungen, die der „Humanisierung der Arbeit" bzw. der „menschengerechten Arbeitsgestaltung" dienen, gewinnt deshalb für Theorie und Praxis zunehmend an Bedeutung.
3. Kennzeichnung der menschengerechten Arbeit Bevor die betriebswirtschaftliche Problematik der Durchsetzung arbeitsqualitätssteigernder Maßnahmen analysiert wird, ist darauf einzugehen, was unter „menschengerecht" oder „human" zu verstehen ist. Die inhaltliche Konkretisierung dieser Begriffe liegt außerhalb des Bereichs der Wirtschaftswissenschaften. Aus diesem Grunde soll die Thematik hier nur angeschnitten werden. Als eine erste Kennzeichnung ist die aus der arbeitswissenschaftlichen Literatur zu entnehmende Vorstellung zu sehen, als „menschengerecht" das aufzufassen, was den Bedürfnissen des Menschen nach dem heutigen Stand der sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung entspricht oder entsprechen soll (vgl.
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Kirchner 1972, S. 13; D G B / Ö G B / S G B 1974, S. 8). Diese Vorstellung enthält zwei grundlegende Erkenntnisse: (a) Das „Menschengerechte" ist vor einem weltanschaulichen Hintergrund zu sehen. Die konkretisierende Merkmalsmenge fällt unterschiedlich aus entsprechend der jeweiligen gesellschaftlichen oder individuellen weltanschaulichen Perspektive, die das Menschenbild prägt (vgl. Kreikebaum 1977, S. 77). (b) Das „Menschengerechte" unterliegt einem Wandel. Das, was gestern noch als zumutbare Arbeitsbelastung galt, kann heute als eine nicht mehr statthafte Arbeitsbedingung aufgefaßt werden (vgl. Laßmann 1976, S. 768). Aus beiden Aussagen lassen sich nicht unmittelbar operationalisierbare Merkmale der menschengerechten Arbeitsgestaltung ableiten, wohl aber sind sie geeignet, die tiefe Verankerung dieser Frage zu kennzeichnen. Beschränkt man sich, entsprechend der Vorgehensweise der Naturwissenschaften, auf den funktionellen Aspekt einer Gegebenheit und konzentriert sich nicht auf eine philosophische Hinterfragung, läßt sich ein für die vorliegende Fragestellung praktikables Ergebnis erreichen. Zur inhaltlichen Bestimmung dessen, was unter „menschengerecht", unabhängig von der jeweiligen Weltanschauung, zu verstehen ist, scheint es zweckmäßig und plausibel zu sein, von zwei Thesen auszugehen: (a) Das „Menschengerechte" setzt die Gewährleistung des physischen und psychischen Wohlergehens arbeitender Menschen im Zusammenhang mit der Arbeitsausführung voraus (arbeitswissenschaftlicher Aspekt, vgl. Hettinger 1975, Kaminsky 1971). (b) Das „Menschengerechte" ist in Relation zu sehen zu den individuell vorliegenden menschlichen Bedürfnissen, die abhängig sind vom Leistungsvermögen des Menschen, seinem wirtschaftlichen Wohlergehen und seiner Stellung innerhalb einer sozialen Gemeinschaft (sozialwissenschaftlicher Aspekt, vgl. Maslow 1970, S. 46 f.; Rosenstiel 1975, S. 139 ff.; Baumgarten 1975). Diese elementaren Thesen erklären z. B., warum eine arbeitsstrukturierende Maßnahme nicht in jedem Fall einen Effekt zeigt, der als Steigerung der Arbeitsqualität empfunden wird. Menschen mit beschränktem Leistungsvermögen und geringer Flexibilität empfinden z. B. eine Bereicherung des Arbeitsinhaltes eher als Belastung. Dies äußert sich in auftretender Nervosität, Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation und damit verbundener Leistungsminderung. Neben der Möglichkeit, Phänomene plausibel zu erklären, lassen diese Thesen auch die Ableitung von Bewertungsgrößen zu. Einerseits sind aufgrund arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse objektive (gesundheitsbezogene) Kriterien und Abhängigkeiten des „Menschengerechten" formulierbar (z. B. physische Beiast-
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barkeit; Lärm-, Hitzebelastbarkeit). Andererseits erscheint es möglich, unter Nutzung sozialwissenschaftlicher und psychologischer Methoden über eine Feststellung der Arbeitszufriedenheit Zugang zu erlangen zu den individuellen offenen und latenten Bedürfnissen der Arbeitskraft (vgl. Nieder 1977).
4. Einfluß der betrieblichen Ziele und Zielbeziehungen auf die Umstellungsplanung Die Anpassung der Arbeitsverhältnisse an die Bedürfnisse des Menschen sind in der Regel mit Produktionsumstellungen verbunden, die sorgfältig zu planen sind. Auf den ersten Blick weisen Umstellungsplanungen gegenüber sonstigen Planungsvorgängen strukturell keine Besonderheiten auf. Der allgemeinen Problemerkennung folgt die Fixierung der Handlungsziele. Einerseits ist die Kenntnis dieser Ziele Voraussetzung für die Generierung der zielwirksamen Maßnahmen, andererseits liefern die Ziele die Kriterien für die Beurteilung der zu erwartenden Maßnahmenwirkung. Der Zielfestlegung folgt die Zusammenstellung der der Aufgabenlösung dienenden Maßnahmen unter Berücksichtigung der individuellen Handlungsbedingungen. Wenn mehrere Mittel oder Mittelkombinationen zur Verwirklichung der Ziele zur Verfügung stehen, ist auf der Basis einer Wirkungsanalyse eine Bewertung der Alternativen durchzuführen. Aus ihr ergibt sich eine Handlungsempfehlung. Die Ermittlung eines Handlungsoptimums kann ein wiederholtes Durchlaufen der Planungsphasen erforderlich machen (zum allgemeinen Planungsablauf vgl. Kubicek 1975, S. 15 ff.). Die nun durchzuführende Betrachtung der Umstellungsplanung läßt jedoch Besonderheiten erkennen. Wie schon ausgeführt, sollte in hochentwickelten Industriegesellschaften in zunehmendem Maße davon auszugehen sein, daß bei Produktionsumstellungen nicht nur Einzelziele, sondern gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden. So ist nicht nur die Erreichung betriebswirtschaftlicher, sondern auch die technischer und insbesondere humaner Ziele anzustreben. In allen Fällen aber müssen die Umstellungen unter diesen drei Aspekten beurteilt werden. 2 Anfängliche Überlegungen konzentrierten sich auf die als komplex erscheinende Zielsituation. Unter dem Eindruck der Erfahrungen, die mit der konsequenten Anwendung der taylorschen Grundsätze auf die Gestaltung der menschlichen Arbeit gesammelt wurden und aufgrund der offensichtlichen Diskrepanz zwischen Aufwand und Ertrag traditioneller „Humaninvestitionen" im Personalbereich,
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wurde allgemein eine zwangsweise Antinomie zwischen Gestaltung menschengerechter und effizienter bzw. wirtschaftlicher Arbeit vermutet. Eine differenziertere Problemanalyse (vgl. Ellinger 1974) sowie eine Reihe gezielter Fallstudien (vgl. Ellinger/Weber/Schüring/Winter 1975, 1976a, b) widerlegten einerseits die Antinomiethese, zeigten andererseits deutlich die Mehrzielwirksamkeit von Produktionsumstellungen. Geht man von dieser vielfach bestätigten (vgl. auch Koch 1971) simultanen Wirkung produktionsumstellender Maßnahmen auf mehrere Ziele aus, läßt sich ein bestehender Grundzusammenhang mengentheoretisch verdeutlichen. Abb. 2 zeigt die möglichen Entscheidungsfelder, die sich aus einer Mehrzielsetzung der Unternehmung ergeben.
zulässiger Lösungsraum optimaler Lösungsraum
Abb. 2: Entscheidungsfelder betriebswirtschaftlicher, technischer und humaner Zielsetzung (in Anlehnung an Ellinger 1978, S. 89)
Durch die drei Kreise sind die Maßnahmen entsprechend den drei Zielsetzungen technischer, wirtschaftlicher und humaner Art aufgeteilt. Die inneren Kreisflächen beinhalten jeweils die Menge der Maßnahmen, die sich auf die angesprochene Zielerreichung positiv auswirken, die äußeren Ringflächen zusätzlich die für die jeweilige Zielerfüllung indifferenten Maßnahmen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht kommt den sich ergebenden Schnittmengen besondere Bedeutung zu. Die innere Schnittmenge beschreibt den optimalen, die äußere den zulässigen Lösungsraum. Außerhalb des gekennzeichneten zulässigen Lösungsbereichs sind die Maßnahmen zu finden, die sich zumindest auf die Erreichung eines Zieles negativ auswirken. So zeigt z. B. Punkt A in Abb. 2 eine Maßnahme mit positiver Wirksamkeit auf die technische und betriebswirtschaftliche Zielsetzung und negativer Auswirkung auf das humane Ziel. Der Punkt A' kennzeichnet eine Maßnahme mit positiver Wirkung auf das betriebswirtschaftliche Ziel, Indifferenz hinsichtlich des technischen Ziels und mit negativer Wirkung auf das humane Ziel.
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Mit Hilfe dieses Modells lassen sich auch die Grenzen der Steigerung der Arbeitsqualität veranschaulichen. Wird bei angespannter wirtschaftlicher Situation durch eine arbeitsqualitätssteigernde Maßnahme das wesentliche betriebswirtschaftliche Ziel der Existenzsicherung gefährdet, so kann sie nicht realisiert werden. Es ist dabei anzuerkennen, daß die Sicherung der Arbeitsplätze vieler Arbeitskräfte höher zu bewerten ist als eine risikofördernde, steigende Arbeitsqualität für wenige. In der betrieblichen Praxis dürfte die Situation, daß eine Unternehmung mehrere Ziele gleichrangig verfolgt, selten auftreten. Häufiger zu beobachten ist die Anerkennung eines wirtschaftlich orientierten Oberziels unter restriktiver Einbeziehung technologischer und arbeitsqualitätsbezogener Aspekte.
5. Zielharmonie zwischen Arbeitsqualitätssteigerung und Rationalisierung Ausgehend von einer hierarchischen Ordnung betrieblicher Ziele (vgl. hierzu Heinen 1971) und der Mehrzielwirksamkeit von Umstellungsmaßnahmen läßt sich nun ein betriebliches Aktionsfeld erschließen, das sich über die zur Zeit praktizierten Maßnahmen hinaus erstreckt und wesentliche Impulse zur Verbesserung der betrieblichen Arbeitssituation geben kann. In Theorie und Praxis setzt sich immer mehr die Ansicht durch, daß zum Aufgabenbereich der Unternehmung nicht nur die Verfolgung ökonomischer, sondern auch außerökonomischer (z. B. humaner und gesellschaftlicher) Oberziele gehört. Zur Erreichung dieser Oberziele setzt man Mittel ein, die betriebsintern als Ziele anzusprechen sind. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind die Ziele der Rationalisierung des Produktionsablaufs und der menschengerechten Arbeitsgestaltung hinsichtlich ihrer wechselseitigen Beziehung und ihrer praktischen Durchsetzung. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die menschengerechte Rationalisierung zu richten. In der Praxis werden Produktionsumstellungen vorgefunden, die sowohl hinsichtlich der Rationalisierung als auch der Steigerung der Arbeitsqualität eine positive Wirkung zeigen. Eine solche Steigerung beider Zielerreichungsgrade wird je nach Umstellungssituation auf verschiedene Weise erreicht. Schon in den Anfängen der wissenschaftlichen Betriebsführung wurde in Verbindung mit einer zu Rationalisierungszwecken durchgeführten Ordnung des Arbeitsablaufs ein Nebeneffekt erzielt, der dem menschlichen Bedürfnis nach geordneten
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Verhältnissen entgegenkam und somit zur Steigerung der Arbeitsqualität beitrug. Humane Nebeneffekte lassen sich auch erzielen durch Erhöhung des Mechanisierungs- und Automatisierungsgrades. Die positive Wirkung ergibt sich daraus, daß der Mensch aus seiner engen räumlichen und zeitlichen Kopplung mit dem Produktionsablauf herausgelöst wird und dadurch die Möglichkeit erhält, seinen Eigengesetzlichkeiten entsprechend am Produktionsprozeß mitzuwirken oder ihn zu prägen. Sobald die ergriffenen Maßnahmen die menschlichen Eigengesetzlichkeiten unbeachtet ließen, zeigten sie im Humanbereich negative Auswirkungen, wie z. B. bei der taktgebundenen Fließfertigung. Der gleiche Doppeleffekt wurde in anderen Fällen dadurch erzielt, daß man bewußt die menschengerechte Gestaltung der Arbeit als Mittel zur Rationalisierung verwandte. Ausgehend von dem Tatbestand, daß Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation zu produktivitätsminderndem Verhalten führt, (vgl. Hessisches Institut für Betriebswirtschaft 1960; Affeid 1967) wurden durch Verbesserung der Arbeitsverhältnisse erhebliche Kostensenkungen erzielt (z. B. Senkung der durch Absentismus, Fluktuation und Ausschußquoten verursachten Kosten, vgl. Herrick in diesem Band). Auch dort, wo der Ausgangspunkt und das Schwergewicht der Umstellungsmaßnahmen nur im humanen Bereich zu liegen scheinen, sind vielfach gleichzeitig Rationalisierungseffekte festzustellen. Ergebnisse der Anwendung moderner Methoden der Arbeitsstrukturierung bestätigen diese Aussage (siehe Warnecke 1979, Sp. 267 ff., und Warnecke u. a. 1975, S. 665 f.). In der Regel wird bei Produktionsumstellungen der Doppeleffekt der Rationalisierung und der Steigerung der Arbeitsqualität um so mehr in Erscheinung treten, je besser es gelingt, durch die Kombination unterschiedlich wirkender Maßnahmen (z. B. organisatorischer, technischer Art) das breite Spektrum menschlicher Eigengesetzlichkeiten zu berücksichtigen. Wie in Ansätzen bei wenigen durchgeführten Fallstudien (vgl. Ellinger/Weber/ Schüring/Winter 1975, 1976a, b) zu erkennen ist, ist von einer umfassenden empirischen Analyse von Produktionsumstellungen die Gewinnung allgemeiner Prinzipien zu erwarten, die nicht nur der Rationalisierung dienen, sondern ohne zusätzlichen Aufwand auch zur menschengerechten Arbeit führen können. Damit wäre eine wesentliche Hilfe für die menschengerechte Rationalisierung von Produktionsvorgängen gegeben. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse in die Praxis stößt aus verschiedenen Gründen auf erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst ist davon auszugehen, daß in Unternehmungen die Bedeutung der menschengerechten Rationalisierung für die Situation der Unternehmung als
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Ganzes bisher nicht hinreichend gewürdigt wurde. Außerdem erschwert es die komplexe Zielsituation zwischen Rationalisierung und menschengerechter Arbeitsgestaltung, im Einzelfall die positiven Auswirkungen der einzusetzenden Maßnahmen mit hinreichender Sicherheit vorauszusagen oder mit notwendiger Genauigkeit nachzuweisen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Wirkung dieser Maßnahmen von der jeweiligen Produktionssituation abhängig ist. So läßt z. B. die Verschiedenartigkeit der Menschen eine Maßnahme in einen Fall als positiv, im anderen als negativ erscheinen. Solche Tatbestände zwingen dazu, auf breiter empirischer Basis das Feld der Einflußgrößen stärker zu durchdringen und allgemeine Erkenntnisse herauszuarbeiten, die bei individueller Bewertung als konkrete Entscheidungshilfen eingesetzt werden können.
6. Bewertung von menschengerechten Produktionsumstellungen Die gegebene komplexe Entscheidungssituation erfordert eine Ergänzung der traditionellen sachmittelorientierten Bewertung durch eine personalorientierte. Die Vernachlässigung von personalorientierten Kosten-Nutzen-Bestandteilen bei Anwendung traditioneller Wirtschaftlichkeitsvergleichsrechnungen dürfte nicht selten zur Ablehnung einer Umstellung führen, die sich unter Berücksichtigung sämtlicher Wirkgrößen als nutzbringend erwiesen hätte. Faßt man das Human Resource Accounting als ein differenziertes personalorientiertes System von Datenermittlungs- und Datenverarbeitungsmodellen auf, liegt eine vorteilhafte Anwendung problemadäquater Bestandteile zur Umstellungsbewertung nahe. Dies gilt insbesondere für die personalkostenorientierten Ansätze (vgl. hierzu Herrick in diesem Band, Biffar 1959, Lange 1962, Compes 1965). Schließlich sind im Zusammenhang mit der Beantwortung von Zweckmäßigkeitsund Vorteilhaftigkeitsfragen einfache Wertzahlen brauchbar, die eine Umstellung charakterisieren. Abb. 3 zeigt das Ergebnis einer Umstellungsbewertung auf der Basis betriebswirtschaftlicher und humaner Kriterien (aus Ellinger u. a. 1975, S. 48). Die Säulengruppen sollen die durch die Umstellung erzielten prozentualen Veränderungen veranschaulichen. Die einzelnen Säulen versinnbildlichen die zielwirksamen Kriterien, die Säulenhöhen ihre jeweilige Ausprägung. Für die Ausgangssituation wurden die einzelnen Merkmale mit jeweils 100% angesetzt. Um die Vorteilhaftigkeit von Einzelwirkungen der Umstellung augenfällig zu machen, mußte bei verschiedenen Merkmalen auf eine reziproke Darstellung des geprüften Kriteriums übergegangen werden. Führt z. B. eine Umstellung zu einer
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Theodor Ellinger / Hans-Josef Weber relatives M a ß der Kriteriènausprägung
Situation vor der Umstellung
(= 100%)
Situation nach d e r Umstellung
b etriebs wirtschaftlich e Kriterien 1 2 3 4
Produktivität Fertigungskosten Durchlaufzeit Persönlich bedingte Produktivitätsminderung
5 Fachkenntnisse 6 Berufl. Geschicklichkeit 7 Verantwortung für die Arbeitsausführung 8 Verantwortung für den Arbeitsablauf 9 Belastung der Muskeln 10 Aufmerksamkeit 11 Nachdenken 12 Umgebungseinflüsse
Abb. 3: Wirkung einer Produktionsumstellung
m
h
relatives M a ß der positiven Kriterienausprägung
fíL, ib
- Situation vor der U m s t e l l u n g (=100%)
1 — Situation nach der Umstellung _ zielwirksame " Kriterien betriebswirtschaftliche Kriterien
humane Kriterien
Abb. 4: Modifizierte Darstellung der Umstellungswirkungen
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Reduktion der Fertigungskosten, ist dies ein betriebswirtschaftlicher Vorteil, dasselbe gilt für die Steigerung der Produktivität. Dieser Tatbestand läßt sich anschaulicher darstellen, wenn sich positive oder negative Ergebnisse einheitlich in einer Zunahme oder Abnahme der Säulenhöhen niederschlagen, wie dies aus Abb. 4 ersichtlich ist. Das dargestellte Beispiel zeigt sowohl hinsichtlich der Rationalisierung als auch der menschengerechten Arbeitsgestaltung mit Ausnahme eines einzigen Merkmals, bei dem durch die Umstellung keine Veränderung eintrat, nur positive Auswirkungen. Die Zweckmäßigkeit dieser Umstellung ist offensichtlich. In der Regel werden jedoch Umstellungsergebnisse wegen des Auftretens von negativen Wirkungen nicht so einfach zu beurteilen sein. Zur Erreichung eines Gesamturteils müssen in situationsgerechter Weise positive und negative Wirkungen gegenübergestellt werden. Eine brauchbare Entscheidungshilfe ist (analog den Verhältnissen bei der lohnorientierten Arbeitsbewertung) nur über eine Gewichtung der einzelnen Kriterien zu erreichen. Beim Versuch, eine Gewichtung sämtlicher Kriterien durchzuführen, stößt man jedoch rasch an die Grenzen der Leistungsfähigkeit in einer rein betriebswirtschaftlich ausgerichteten Analyse (zur angedeuteten Bewertungsproblematik vgl. Winter 1978).
7. Zusammenfassung Die vorliegenden Ausführungen setzten sich mit dem Problem der menschengerechten Rationalisierung auseinander. Sie analysierten die Zusammenhänge zwischen Rationalisierung und Steigerung der Arbeitsqualität. Hierbei wurden Bereiche der Zielkonformität rationalisierender und arbeitsqualitätssteigernder Maßnahmen deutlich. Erläutert wurden Rationalisierungsreserven, die in der menschengerechten Gestaltung verborgen sind, bisher weitgehend ungenutzt blieben und als Motivatoren der Steigerung der Arbeitsqualität dienlich sein können. Hingewiesen wurde aber auch auf noch offene Fragen. Nach wie vor fehlt ein geschlossenes praxisgerechtes Instrumentarium zur objektiven Beurteilung von Produktionsumstellungen nach technischen, wirtschaftlichen und humanen Aspekten. Offensichtlich ist eine besondere Bedeutung der Entwicklung allgemeiner Kriterien für die Durchführung von Produktionsumstellungen beizumessen, die eine eindeutige Diagnose der einzelnen Situation unter der Fragestellung ermöglichen, ob Umstellungsmaßnahmen zu einer menschengerechten Rationalisierung führen oder ob zwischen Rationalisierung und menschengerechter Arbeitsgestaltung gegenläufige Wirkungstendenzen vorliegen.
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Anmerkungen 1 Zu den die menschliche Arbeit betreffenden, geltenden Normen (vgl. Ellinger 1979). 2 Auf die besondere Rolle, die dem Menschen als Planungsobjekt zukommt, weist bereits Gutenberg in der 18. Aufl. (1971) seines ersten Bandes der Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre hin.
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Betrieblicher Arbeits- und Unfallschutz als Gegenstand der Humankapitalrechnung Manfred Hagenkötter
und Sylvia
Wehner
1. Einleitung Die Aufgaben des Arbeitsschutzes haben sich in den letzten Jahren allein durch gesetzgeberische Tätigkeiten in erheblichem Umfang erweitert. Dies hat zur Verbesserung der Arbeitsqualität sowie zur Senkung des Unfallgeschehens beigetragen. Während im Jahre 1970 in der Bundesrepublik Deutschland noch 2,7 Millionen Berufsunfälle registriert wurden, konnte 1979 ein Rückgang von etwa 19 v. H. gegenüber 1970 erreicht werden (vgl. Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1981). Das abnehmende Unfallgeschehen in den letzten 10 Jahren ist sicherlich in großem Maße auf die positive Entwicklung des Arbeitsschutzsystems zurückzuführen. Es darf jedoch nicht von der Tatsache abgelenkt werden, daß die Ursachen auch in arbeitsmarktpolitischen und konjunkturellen Bereichen zu suchen sind, so u. a. in der Abnahme der Beschäftigten in besonders unfallträchtigen Bereichen und in der Zunahme weniger gefährdeter Bereiche, aber auch in dem konjunkturellen Rückgang und der damit verbundenen Verringerung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Die genannten Zahlen aus dem Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung sind jedoch nicht ausreichend, um einen Überblick über den gesamten Unfallschutz und das Humanisierungsgeschehen im Arbeitsleben abzugeben, da sie nur Aufschluß über angezeigte Berufsunfälle und Berufskrankheiten geben. Die gesetzlich anerkannten Berufskrankheiten sind aber nur ein geringer Bruchteil aller arbeitsbedingten Erkrankungen. Es kann heute sicherlich nicht die Rede davon sein, daß körperliche Schwerarbeit und monotone Belastungstätigkeiten dank des technischen Fortschritts zu den Randproblemen des Arbeitslebens gehören. Ergebnisse einer Untersuchung zeigen, daß 3,7 Millionen von rund 22,3 Millionen Lohn- und Gehaltsempfängern (rd. 17 v. H.) und 2,7 Millionen von insgesamt 10,9 Millionen Arbeitern (rd. 25 v. H.), in der Bundesrepublik unter extrem schlechten Bedingungen arbeiten (vgl. Volkholz 1977). Angesichts der zunehmenden Automatisierung und technologischen Entwicklung, zum Beispiel auch in weiten Bereichen des Dienstleistungssektors, kann deshalb kaum von einem Belastungsrückgang gesprochen werden. Vielmehr stellt sich ein Wandel innerhalb der Struktur der Belastungsfaktoren im Arbeitsprozeß ein, der weit über die Erträglichkeitsgrenzen hinausgeht und zu massiven Gesundheitsschäden führen kann.
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Manfred Hagenkötter / Sylvia Wehner
Geht die Betrachtung über die Darlegung sozialer und ethischer Komponenten der Betroffenen hinaus und bezieht ökonomische Größen mit in das Problemfeld ein, so werden die Folgen auftretender Humanisierungsdefizite 1 um so deutlicher. Allein die volkswirtschaftlichen Unfallfolgekosten wurden für 1980 mit 33 Milliarden D M vorausgesagt 2 (vgl. Franke/Jokl 1976b). Die Ergebnisse eines bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung (BAU) durchgeführten Forschungsprojektes zeigen noch genauer, wie hoch die betrieblichen Kosten für einen Arbeitsunfall anzusetzen sind. Im Rahmen einer Untersuchung bei 29 ausgewählten Unternehmen wurde ermittelt, daß den Betrieb jeder arbeitsunfallbedingte Ausfalltag durchschnittlich 6 8 5 , - D M pro Arbeitnehmer kostet (vgl. Schneider 1980). Diese Zahlen zeigen, wie notwendig die Schaffung eines aussagefähigen Rechnungswesens ist, das den Unternehmenserfolg nicht nur zu den traditionellen, sondern zu allen Vermögenswerten eines Betriebes in Beziehung setzt und deutlich macht, wie Änderungen des Gesamtvermögens sich auf das Erreichen der Unternehmensziele auswirken. Die Mengen und Werte von Leistungs- und Güterabgängen infolge eines Arbeitsunfalls (Arbeitsunfallfolgekosten) schmälern den Gewinn, vermindern das potentiell mögliche betriebliche und gesamtwirtschaftliche Wachstum und tragen zu einer Reduzierung der Vermögensbestände einer Volkswirtschaft bei. Zwar kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine konsistente Aufwands- und Ertragsrechnung für Humanisierungsinvestitionen durchgeführt werden, die einer klassischen Investitionsrechnung gerecht würde, es liegen jedoch Ansätze und praktische Erfahrungen einer Unfallkostenrechnung vor, die im ersten Teil der Arbeit näher analysiert werden. Möglichkeiten einer quantitativen Bewertung von Humanisierungserfolgen und Grenzen ihrer bisher praktikablen und damit aussagefähigen Darstellung werden im zweiten Teil dieser Arbeit diskutiert. Die B A U sieht es als ihre Aufgabe an, neben den eigentlichen Forschungszielen einer sicherheits- und menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt gleichzeitig durch entsprechende Forschungsumsetzungsaktivitäten, die im Rahmen des neu errichteten Bundeszentrums Humanisierung des Arbeitslebens bei der B A U bereits praktiziert werden, Entscheidungshilfen anzubieten, mit denen die Unternehmer den Erfolg ihrer Bemühungen um das ihnen anvertraute Humankapital besser beurteilen und ihr eigenes Verhalten entsprechend besser gestalten können. Erste richtungsweisende Akzente für die Formulierung neuer Forschungsschwerpunkte seitens der B A U wurden mit diesen oben genannten Forschungsprojekten bereits gesetzt. Unfälle sind nicht wie bisher allein aus rein soziotechnischen Produktions- oder Arbeitsbedingungen heraus zu betrachten, sondern ebenso als betriebliche Störungsfaktoren zu sehen, für deren Beseitigung auch ökonomische Größen maßgeblich sind.
Arbeitsschutz als Gegenstand der Humankapitalrechnung
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2. Bewertung der betriebswirtschaftlichen Folgen von Arbeitsunfällen Untersuchungen im Rahmen der Arbeitsschutzforschung zeigen (vgl. z. B. Bonefeld/Kröger/Macheleidt 1979 oder Bonefeld/Dicke/Kamps 1979), daß ein bis zwei Drittel aller Unfallursachen durch organisatorische Umstände gegeben sind und nicht auf rein technisch-konstruktive Gegebenheiten oder menschliches Fehlverhalten oder gar Versagen, gemäß früherer Begriffsdefinitionen, beruhen. Die Erforschung der Ursachen von Arbeitsunfällen verlief in der Regel so, daß immer neue Ursachen erkannt wurden, die die schon zahlreich vorhandenen Unfallursachenkataloge durch neue Begriffe erweiterten. Damit wurde der Unfall mehr oder weniger bewußt vom eigentlichen Betriebsgeschehen isoliert betrachtet. Verstärkt wurde diese Einstellung dadurch, daß die im Zusammenhang mit Unfällen gebräuchlichen Begriffe wie „Verletzung", „Schmerz", „ R e n t e " und „Krankenhaus" u. a. m. der Welt des Sozialen entstammen und nicht der Sprache und der Begriffswelt des Betriebes entsprachen, in denen Begriffe wie „Leistung", „Produktivität", „Kosten", „Aufwand" usw. vorherrschen. Dies hatte zur Folge, daß der Unfall oft als ein nicht zum Betriebsablauf gehörender Fremdkörper im Betrieb angesehen wurde und man das Ereignis „Unfall" als ein vom technologischen Prozeß des Betriebes losgelöstes Ereignis verstand. Diese Loslösung des Unfalls vom Betrieb führte dazu, Bestrebungen zur Vermeidung von Unfällen einseitig auf die Person auszurichten und durch Appelle an das Verantwortungsgefühl den Menschen auf sicherheitsgerechtes Handeln zu normieren. Erst die Betrachtungsweise des Unfalls als ein vom Betrieb her unerwünschtes vom planmäßigen Betriebsablauf abweichendes Ereignis, also eine Störung des Betriebsablaufes schlechthin, läßt eine objektive Betrachtung unternehmenspolitischer Fehlentwicklungen zu, die durch rechtzeitiges Gegenwirken betrieblicher Entscheidungen Abhilfen schafft. An diesem Punkt stellt sich Praktikern die Frage, inwieweit die sozialen Zielgrößen Sicherheit am Arbeitsplatz und Humanisierungserfolge in Übereinstimmung stehen mit der ökonomischen Zielgröße Produktivität des Arbeitssystems. Beispiele aus Betrieben des Bergbaus und anderer Industriezweige zeigen, wie wenig diese stereotypen Vorurteile mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun haben. Bei einer Untersuchung sozialer Einflüsse und Häufigkeiten der Arbeitsunfälle im Ruhrbergbau wurde die Gesamtheit aller meldepflichtigen Unfälle unter Tage in Beziehung gesetzt zur Verteilung der Schachtanlagen nach Förderung pro Mannschicht (Produktivität). Das Ergebnis: Die Schachtanlage mit dem höchsten Wert der Unfallhäufigkeit liegt unter, die mit dem niedrigsten Wert über dem Produktivitätsdurchschnitt. Der Beweis, daß eine gesteigerte Produktivität auch in Bergwerksbetrieben offenbar nicht auf Kosten eines höheren Risikos für die Gesundheit und das Leben der Betriebsangehörigen zu erreichen ist, ist damit gegeben (vgl. Hagenkötter 1969).
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Eine Fragebogenaktion bei Pionierunternehmen, die neue Formen der Arbeitsstrukturierung in ihren Betrieben einführten, führte zu dem Ergebnis, daß bei der Mehrzahl der betroffenen Arbeitnehmer Unzufriedenheit abgebaut werden konnte. Es zeigten sich ferner Verbesserungen hinsichtlich einer höheren Flexibilität der Mitarbeiter, bei der Produktqualität und die erhöhte Identifizierung der Mitarbeiter mit den Produkten. Obwohl dem während der Einführungsphase Aus- und Fortbildungskosten gegenüberstanden, die sich anfänglich auch geringfügig als Produktionsrückgänge und damit als Kostensteigerungen ausgewirkt haben, wurden die Ergebnisse allgemein als sehr positiv gewertet (vgl. Gaugler/Kolb/Ling 1977). In einer Enquête über das soziale Engagement der deutschen Industrie 3 , durchgeführt bei etwa 150 deutschen Industrieunternehmen wird deutlich, daß sich Investitionen für menschengerechte Arbeitspläte in der Weise auszahlen, daß sie zu einer Senkung von Ausschußquoten sowie zu einer Minderung von Fluktua t i o n - und Absentismusraten führen. Humanität und Produktivität lassen sich demnach durchaus in Einklang bringen (vgl. Dierkes/van den Bergh 1976a).
2.1 Die Kosten der Arbeitsunfälle im betrieblichen Rechnungswesen Maßgeblich für die Analyse und Darstellung der Arbeitsunfallkosten ist, wie exakt das Untersuchungsobjekt, der Arbeitsunfall, definiert und gemessen wird. Während einige Definitionen den Begriff „Unfall" lediglich im Sinne einer Körperbzw. Gesundheitsschädigung sehen (vgl. u. a. REFA 1972 sowie Neuloh 1956), gehen heutige Begriffsbestimmungen über die direkten Personenschäden hinaus und beziehen Sachschäden und sonstige Arbeitsunfallfolgekosten mit in das Betrachtungsfeld ein. Ein .Arbeitsunfall' ist „ein plötzliches, ungeplantes Ereignis, das Störungen oder Unterbrechungen des normalen Produktionsprozesses hervorruft, weil entweder Personen- oder Personen- und Sachvermögen beschädigt wurde. Dabei muß das schädigende Ereignis in einem ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des bzw. der Betroffenen stehen" (Voigt/ Franke/Jokl 1973, S. 13). Die Besonderheit der Arbeitsunfallkosten ist darin zu sehen, daß Arbeitsunfälle in der Regel unvorhersehbare Ereignisse darstellen und damit direkt von dem Grad der vorherrschenden Arbeitssicherheit in einem Unternehmen abhängig sind. Die Kosten für die präventive Bekämpfung möglicher Schädigungen, wie z. B. die Unfallverhütungsmaßnahmen und die Maßnahmen der Vorsorge gegen Berufskrankheiten, wurden bislang nicht in einzelwirtschaftliche Kostenbetrachtungen mit einbezogen, obwohl zwischen der Summe genannter Sicherungskosten und den Unfallkosten ein Zusammenhang besteht: Je höher die Sicherungskosten, desto eher sind geringere Kosten für Unfälle und Berufskrankheiten zu erwarten. Der Nutzen der Sicherungskosten läßt sich jedoch nur schwer messen, da keine genauen Aussagen darüber existieren, wie viele Unfälle tatsächlich vermieden
Arbeitsschutz als Gegenstand der Humankapitalrechnung
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werden (vgl. Krause/Zander 1976). Eine Einbeziehung dieser Kostengröße ist dennoch sinnvoll, da gerade sie durch planerische Entscheidungen maßgeblich beeinflußbar ist. Die Möglichkeiten einer selektiven Reduktion von Problemlösungen bei der Entscheidung, was geplant und was nicht geplant werden soll, z. B. im Rahmen von Sicherungsinvestitionen, wäre damit größer. Die direkten betriebswirtschaftlichen Auswirkungen von Arbeitsunfällen und ihre Erfassung können nach bestimmten Merkmalen unterschieden werden. Es entstehen i. d. R. Kosten infolge einer Gesundheitsschädigung der betroffenen Arbeitsperson, Kosten des durch den Arbeitsunfall entstehenden Sachschadens und Kosten einer durch Unfall verursachten Betriebsunterbrechung. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Kostengrößen werden die Kosten einer Betriebsstörung als Ausfall eines Produktionsfaktors bisher nicht oder nicht in vollem Umfang in die Kostenbetrachtung mit einbezogen. Welchen Umfang und welches Ausmaß eine Betriebsunterbrechung - als technische Auswirkung einer Betriebsstörung auf den betrieblichen Prozeß der Leistungserstellung bzw. -Verwertung annimmt und welche ökonomischen Konsequenzen sich daraus für das Unternehmen ergeben, wird an anderer Stelle in diesem Band 4 sehr deutlich herausgestellt. Gegenstand der Betrachtungen in diesem Beitrag ist daher insbesondere die Analyse und Erfassung von Kosten infolge einer Personenschädigung bzw. einer kombinierten Personen- und Sachschädigung, hervorgerufen durch einen Arbeitsunfall. Ausgehend von der Zurechenbarkeit anfallender Kosten auf bestimmte Kostengrößen ist die Unterteilung in Einzel- und Gemeinkosten erforderlich. Während Einzelkosten dem Arbeitsunfall direkt zurechenbar sind, können Gemeinkosten nur mit Hilfe von Schlüsseln auf den einzelnen Kostenträger (Unfall) umgelegt werden. Es existiert nur ein indirekter Kausalzusammenhang zwischen Kostenträger und Kostenverursachung. Zu den Arbeitsunfall-Gemeinkosten gehören insbesondere die von den Unternehmen zu leistenden Beitragszahlungen an die Berufsgenossenschaften - die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Die von ihnen erhobene Beitragshöhe errechnet sich entsprechend der Unternehmensgröße nach Häufigkeit und Schwere der sich ereignenden Unfälle in gleichartigen Betrieben oder Betriebszweigen anhand aufgestellter Belastungsziffern und Lohnsummen der einzelnen Unternehmen. Die Grundbeiträge in der jeweils festgesetzten Gefahrenklasse, einschließlich der dazu notwendigen Verwaltungsarbeit sowie Haftpflicht- und Sachversicherungen sind als fixe Kosten anzusetzen, da sie auch anfallen, wenn kein Unfall geschieht. Lediglich durch eine Veränderung der bisherigen Beitragsstruktur in der Form, daß sich die Bemessung der Beitragshöhe an den tatsächlich ereigneten Unfällen orientiert, kann eine variable Einzelkostenstruktur dieser Größen bewirkt werden (vgl. Klostermeier/Maurer 1975). Die Beeinflußbarkeit dieser Kostengrößen ist daher ebenso gering wie bei den anfallenden Kosten für Erste-Hilfe-Einrichtungen bzw. den Kosten für betriebsärztliches Personal.
438
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Erst die Kosten, die aus der Personen- bzw. Sachschädigung resultieren, bilden eine für den Unternehmer entscheidende Einflußgröße; denn nur der Anteil variabler Kosten entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang eine Kostenbeeinflussung durch betriebliche Maßnahmen herbeigeführt werden kann. Wird davon ausgegangen, daß die Unternehmen die Instrumente der Personalplanung in der Weise nutzen, daß für die Ermittlung des personellen und organisatorischen Istzustandes die Einwirkungen 5 auf den vorhandenen Arbeitsplatz und die Personalstruktur mit analysiert werden, so bieten sich auch Ansätze für eine Betrachtung kostenwirtschaftlicher Konsequenzen von Arbeitsunfällen. Die im Jahre 1971 durchgeführten Änderungen bei der Bemessungsgrenze von Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall haben für die Arbeitnehmer eine entscheidende Verbesserung hinsichtlich der finanziellen Versorgung bewirkt. Zugleich bilden die Lohnfortzahlungen, die an den bisherigen Bezügen des Arbeitnehmers gemessen werden, einen wesentlichen Kostenfaktor für die Unternehmer. In den Kapazitätsberechnungen der Personalbedarfsplanung werden die Faktoren einer ständigen Verfügbarkeit des Personals bereits berücksichtigt, basierend auf dem Durchschnittswert für die Ausfalltage bestimmter Personengruppen aus vergangenen Perioden, um eine wirtschaftliche und damit auch termingerechte Nutzung der Potentialfaktoren zu gewährleisten (vgl. z. B. Menz 1966). Es fehlen jedoch praktische Aussagen über kostenwirtschaftliche Konsequenzen bei Veränderungen der Personalstrukturen oder bei Veränderungen der Arbeitszeit infolge arbeitsunfallbedingter Ausfallzeiten. Ergeben sich Umstrukturierungsmaßnahmen aufgrund eines durch Arbeitsunfall ausfallenden Arbeitnehmers, so ist zunächst die Dauer der wahrscheinlichen Ausfallzeit maßgebend dafür, ob eine Veränderung der Betriebszeit in Form von Überstunden günstiger ist als eine Veränderung der Belegschaftsstärke. Da alle Beschäftigten eines Betriebes zunächst einen „innerbetrieblichen Arbeitsmarkt" bilden (siehe Schmidt 1975), ist zu prüfen, ob eine Personalbeschaffung aus den eigenen Reihen durch Umbesetzungen oder Beförderungen gegeben ist. Stellt sich dabei heraus, daß ein Neubedarf an Arbeitskräften erforderlich ist, so sind Mittel und Wege der Personalbeschaffung auf dem externen Arbeitsmarkt zu planen. Bei innerbetrieblichen Umstellungsprozessen des Arbeitsplatzes fallen interne Qualifikationskosten an. Diese entstehen dadurch, daß Personal kurzfristig freigestellt werden muß, um Anlernprozesse am Arbeitsplatz oder Schulungen durch Betriebsangehörige durchführen zu können. Es können des weiteren Opportunitätskosten dadurch entstehen, daß während des Anlernprozesses eine volle Nutzung der Kapazität, gemessen an der bekannten Normalausbringung, nicht gegeben ist. Um jedoch abzuwägen, ob es günstiger ist, Arbeitskräfte aus dem eigenen Betrieb umzuschulen oder neue Arbeitskräfte zu beschäftigen, ist es sinnvoll, einen
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Alternativvergleich aufzustellen, der einerseits die internen Qualifikationskosten und andererseits die externen Beschaffungskosten gegenüberstellt. Zu den Beschaffungskosten zählen beispielsweise die Inseratkosten, Vorstellungskosten und Spesenersatzkosten. Bei vorübergehender Abwesenheit von Arbeitnehmern infolge von Krankheit oder Arbeitsunfällen kommt dem Aspekt des flexiblen Personalaustausches, in der Praxis häufig als Springersystem bezeichnet, besondere Bedeutung zu. Sinn und Zweck dieser Umstellungsprozesse ist die Erfüllung einer plandeterminierten Leistungserstellung, die durch Abwesenheit oder Ausfall einzelner Mitarbeiter nicht gegeben wäre. Im Fall intensiv gefügeartiger Kooperationen entstehen zwar erhöhte Personalkosten infolge der Beschäftigung zusätzlicher Mitarbeiter oder im Rahmen zeitlicher Anpassungen an gegebene Personalengpässe; es entstehen jedoch keine zusätzlichen Arbeitsplatzkosten. Bei einer zeitlichen Anpassung an gegebene Beschäftigungsschwankungen in Form einer Veränderung der normalen Betriebszeit von Aggregaten bei konstantem Bestand an Potentialfaktoren und gleichbleibender Intensität treten zu den Lohnkosten die Überstunden- und Nachtarbeitszuschläge sowie Sonn- und Feiertagszuschläge. Das bedeutet, daß innerhalb einer gewissen Betriebszeit konstante Lohnkosten anfallen, daß jedoch beim Überschreiten dieser Arbeitszeit eine prozentuale Steigerung der Lohnkosten zu bemerken ist (vgl. Wöhe 1974). Neben diesen Arbeitsunfallkosten als Konsequenz einer termingerechten Einhaltung der Leistungserstellung müssen die direkten Unfalleinzelkosten Berücksichtigung finden, die aufgrund der erlittenen Verletzung den Arbeitnehmer daran hindern, seinen bisherigen Beruf weiter auszuüben. Hierunter fallen u. a. alle Kosten der Umschulung, die das Unternehmen zum Teil übernimmt. In der Regel entstehen neben den Kosten aus der Gesundheitsschädigung eines Arbeitnehmers auch Kosten aufgrund der Beschädigung von betrieblichem Sachvermögen. Dazu gehören insbesondere, bezogen auf Sachkapitalkosten, die Maschinenbeschaffungskosten für identische Ersatzmaschinen oder für funktionsgleiche Maschinen sowie Materialkosten wie z. B. Werkstoffbeschaffungskosten, Werkzeuge u. ä. Daneben ergeben sich Kosten infolge einer Beschädigung der Arbeitskleidung oder einer Zerstörung von Sicherheitsvorkehrungen. Als Bewertungsgrundlage dienen dabei sowohl die Reparaturkosten wie auch die Wiederbeschaffungskosten, wobei zu berücksichtigen ist, daß bei einer Instandsetzung der Sachmittel in den ursprünglichen Zustand gegebenenfalls eine Werterhöhung entsteht, die bei der Verrechnung der anzusetzenden Kosten berücksichtigt werden muß.
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2.2 Die Erfassung einzelwirtschaftlicher ArbeitsunfaIl(folge)kosten Bisherige betriebliche Betrachtungsweisen über die wirtschaftliche Effizienz und kostenmäßige Beurteilung von Unfällen und Humanisierungsmaßnahmen gehen wenn überhaupt - von einer sehr vereinfacht dargestellten Unfallkostenrechnung aus. Mangelndes Problembewußtsein, fehlende allgemeine und spezifische Kostenmodelle für den Anwender und Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Ermittlung dieser Kosten waren Gründe für die Nichtberücksichtigung der ökonomischen Komponente. Eine Möglichkeit zur Erfassung und Bewertung von Arbeitsunfallkosten bietet die BAU an. Mit ihrem im Jahre 1980 durchgeführten Forschungsprojekt „Welche betrieblichen Kosten entstehen pro Unfalltag" (Schneider 1980) wird versucht, mit Hilfe einer umfassenden, einfachen und praxisnahen Unfallkostenrechnung und -kalkulation die Grundlage für unternehmerische Planungen und Budgetierungen zu schaffen. Ausgehend von praktischen Unterlagen, wie Unfallberichten, Statistiken, Meldungen an die Berufsgenossenschaft, Lohndaten, Arbeitsplatzkosten, Unfallschäden und sonstigen Daten aus dem Personal- und Rechnungswesen wurde eine Kostenermittlung bei 29 Unternehmen durchgeführt. Die Form der Erfassung und Auswertung der Unfallkosten sollte dabei so gestaltet sein, daß sie für Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe verschiedener Wirtschaftszweige und unabhängig von der Rechtform, von der Firmenstruktur und der betrieblichen Organisation einsetzbar ist. Den Grad der Anwendbarkeit und Spezifität nachstehend dargestellter Kostengrößen schon jetzt auf ein bestimmtes Niveau zu fixieren, bzw. einen allgemeingültigen Aussagegehalt - gar eine Anlehnung an bestimmte Wertgrößen - abzuleiten, wäre sicherlich falsch. Die Projektergebnisse wurden auf der Basis praktischer Erfahrungen erarbeitet und bedürfen daher einer zusätzlichen theoretischen Vertiefung und Ergänzung, basierend auf den Erkenntnissen moderner Betriebswirtschaftslehre, insbesondere auf dem Gebiet des betrieblichen Rechnungswesens. Nachstehende Ausführungen sollen die theoretische Grundlage dafür jedoch nicht nachholen, sondern lediglich einige Schwachstellen bisheriger Darstellungen von Unfallkosten aufzeigen und versuchen, Lösungsrichtungen anzubieten. Voraussetzung für die Ermittlung von Unfallkosten ist - unabhängig von der Unternehmensgröße - eine funktionsfähige betriebliche Kostenrechnung, die der Erfüllung unternehmensinterner und -externer Aufgaben gerecht wird. Ausgehend von den Grundelementen betriebswirtschaftlicher Kostenrechnungskonzeptionen müssen allgemeine Grundsätze, die die Struktur und die verschiedenen Verfahrensprinzipien der Kostenrechnung betreffen, gewahrt bleiben. Wichtiger als die Aufzählung einzelner Kostengrößen, die für die Bewertung von Arbeitsunfällen in Betracht kommen, ist daher die Erfassung und Verrechnung der Kosten nach einer vorgegebenen Kostenstruktur gemäß den Stufen der Kostenrechnung (Kostenarten-, Kostenstellen-, Kostenträgerrechnung). Wie tief diese Aufgliederung der
Arbeitsschutz als Gegenstand der Humankapitalrechnung
441
Kosten geschehen soll, ist weitgehend abhängig sowohl von der Unternehmensgröße als auch von der organisatorischen Struktur und Vielfalt des Produktionsprozesses. Unterteilungskriterien sind u. a. Art der Kosten (z. B. Personalkosten, Materialkosten, Abschreibungen und sonstige Kosten), Zurechenbarkeit der Kosten auf bestimmte Bezugsgrößen (Einzelkosten und Gemeinkosten) und die Reagibilität auf Veränderungen der Kosteneinflußgrößen (fixe und variable Kosten). Die Ansätze nachstehender Tabelle zeigen keine konsequente Übereinstimmung mit einer zuvor genannten Unterteilung. Vielmehr bilden Kostenartenblöcke und Kostenverursachungsblöcke eine Gemeinsamkeit, wobei u. a. auch Kosten aufgeführt werden, die für das Ereignis eines Arbeitsunfalls nicht relevant sind, z. B. die Kosten für den Betriebsrat, die Betriebsversammlung und das Sanitätspersonal. Ob diese Kosten einbezogen werden sollen, ist jedoch in Theorie und Praxis umstritten, zumal wenn man von dem Begriff der „relevanten Kosten" (siehe Kilger 1974) ausgeht. Danach hängt die Entscheidung darüber, welche Kosten als relevant erachtet werden, von der speziellen Problemstellung ab. Entweder kann davon ausgegangen werden, daß über alle Produktionsfaktoren frei verfügt werden kann, so daß keinerlei Engpässe oder Restriktionen wirksam werden. Andererseits können Engpässe bei Produktionsfaktoren auftreten, so daß die Fragestellung nicht darauf ausgerichtet ist, ob Produktionsfaktoren eingesetzt werden sollen, sondern wie knappe Faktoren zu verwenden sind. Nicht nur die Frage nach der Kostenrelevanz bestimmter Größen ist entscheidend, sondern vielmehr auch die Diskussion über die Abbaufähigkeit fixer und variabler Kostenbestandteile. Die traditionelle Kostenrechnung geht bei der Erklärung der Abhängigkeit von Veränderungen bestimmter Einflußgrößen ausschließlich von der Beschäftigung aus. Alle Kosten, die sich bei Beschäftigungsschwankungen verändern sind variable, alle unverändert gebliebenen fixe Kostenarten. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, die Reagibilität der Kosten auf andere im Betriebsprozeß wichtige Kosteneinflußgrößen zu beziehen. Maßnahmen zur Unfallverhütung oder das Ereignis Unfall selbst seien hier beispielhaft genannt. Bei der Diskussion einer stärkeren Beachtung und Einbeziehung der Betriebsunterbrechungskosten infolge eines Arbeitsunfalls 4 und im Zusammenhang mit der Problematik abbaufähiger Kosten darf auch die bisher stets außer acht gelassene Betrachtung von Nutz- und Leerkosten nicht fehlen (vgl. hierzu u. a. Wöhe 1974). Die zunehmende Bedeutung von Kosteninformationen für unternehmenspolitische Entscheidungen hat in den letzten Jahren zur Entwicklung einer Reihe unterschiedlicher Kostenrechnungssysteme geführt, die sich nach den Kriterien des Kosteninhalts (Ist-, Normal-, Plankosten) und nach dem Verrechnungsumfang (Vollkostenrechnung, Teilkostenrechnung) unterscheiden. Ohne eine inhaltliche Diskussion über Vor- und Nachteile einzelner Kostenrechnungssysteme vorwegzunehmen, sollten diese Ansätze moderner Kostenrechnung, die bei dem in Tabelle 1
Manfred Hagenkötter / Sylvia Wehner
T a b . 1: E r m i t t l u n g s s c h e m a WELCHE BETRIEBLICHEN GESAMTKÜSTEN ENTSTEHEN PRO UNFALLTAG ?
r F i x e Kosten I [Variable K. I fEinzelkosten I
442
1. Personalkosten ohne leistungsmäßiges Äquivalent 1.1 Arbeitskosten für den Verunglückten als Entgelt für die Arbeitsleistung (Monatsdurchschnitt) F
E
F
E
F
E
F
E
F
E
1.211 Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung
F
E
1.212 Feiertags-,
F
E
F
E
1.214 Kosten Betriebsrat. Betriebsversammlung
F
E
1.215 Beiträge zur Berufsgenossenschaft (Einzelkosten)
F
E
1.216 Umlage Konkursausfallgeld, Insolvenz s i cherung, Schwerbeh i ndertenabgabe, lohnabhängige Steuern
F
E
1.11 Brutto-Stundenentgelt 1.12 Bruttogehalt
(Grundlohn)
(Grundgehalt)
1.13 Zusätzliche Entgeltsbestandteile (übertarifliche und Sonderzuschläge, Arbeitsplatz-, Funktions-, StandortZulagen) 1.14 Leistungsbezogene Entgeltsbestandteile (Leistungszulagen, Erfolgsbeteiligung, Provisionen, Umsatzbeteiligung, Vergütung für Mehrarbeit, Überstunden, Rufbereitschaft; Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, für Wehr-, Schicht- und Spätarbeit; Prämien) SUMME durchschnittliches
1.2 Arbeitszusatzkosten
Arbeitsentgelt
(Monatsdurchschnitt)
1.21 Gesetzliche soziale Aufwendungen
Urlaubsvergütung
1.213 Lohnfortzahlung bei Krankheit und Mutterschutzausgleich (unfallbedingte Krankheitskosten sind zu eliminieren)
c gewerbliche a 4-1 V C Mitarbeiter
angestellte Mitarbeiter
JU
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DM
E Monat
io
%
DM Monat
%
Arbeitsschutz als Gegenstand der Humankapitalrechnung Fortsetzung Tab. 1:
c , g f gewerbliche a •> •M i g g Mitarbeiter o --i = — C c a — tu X £ § DM % u. =S ^ J Monat
1.22 Tarifliche soziale Aufwendungen 1.221 Zusätzliches Urlaubsgeld
F
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1.222 Teile eines 13. Monatseinkommens, Weihnachtsgeld, Gratifikationen
p
E
F
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E
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p
E
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1.223 Vermögensbildende Arbeitgeberl eistung ( 6 2 4 , — DM-Gesetz), Ausgleichszahlungen für ältere Arbeitnehmer, Besitzstandszahlungen 1.23 Freiwillige soziale Aufwendungen (Vertrag, Betriebsvereinbarung) 1.231 Betriebliche Altersversorgung, Unterstützungskasse, Beihilfen 1.232 Werkswohnungen, Werksverpflegung, Arbeitskleidung, Naturalleistungen, Jubiläumsgeld, Fahrtkosten 1.24 Sonstige soziale Aufwendungen 1.241 Verbandsbeiträge nach Lohnsumme, Personalanwerbungskosten, PersonalVerwaltungskosten
1.242 Aus- und Fortbildungskosten, Lehrwerkstatt, Bank-Buchungsgebühr 1.243 Einzelkosten für Sicherheitsfachkräfte, Sicherheitsbeauftragte, Betriebsärzte, Sanitätsdienst, Krankenwagen (AfA, Raum, Pflege), Feuerwehr SUMME durchschnittlicher Arbeitszusatzkosten
f
GESAMTSUMME Arbeltskosten im Monat
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GESAMTSUMME Arbeitskosten Im Jahr
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Gesamt-Arbeltskosten pro Arbeitsstunde
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GESAMT-ARBEITSKOSTEN PRO ARBEITSTAG
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angestellte Mitarbeiter OM Monat
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Fortsetzung Tab. 1: c a o a X
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Bildungsökonomische Beurteilung von Ausbildungsinvestitionen
629
630
Gunter Kohlheyer
Bei den oben genannten Projekten sind folgende Ergebnisse zu verzeichnen: (1) Das projektierte Regional-Institute for Skill-Development in Südthailand, in dem semi-skilled-workers ausgebildet werden sollen: - Die Ausbildung wird für die Absolventen der ca. 6-monatigen Kurse bereits ein Jahr nach Abschluß rentabel. - Die Projektrentabilität insgesamt stellt sich 8 Jahre nach Projektbeginn ein. (2) Das Korean-German-Busan-Vocational-Training-Institute in Südkorea, in dem qualifizierte Facharbeiter ausgebildet werden; nach siebenjähriger Laufzeit ergibt sich folgender Stand: - Für die Absolventen zahlt sich die Ausbildung etwa 3 bis 4 Jahre nach Abschluß der zweijährigen Ausbildungszeit aus. - Die gesamten Nettoausbildungskosten für einen Trainee werden - wie unter (1) - nach ca. 7 bis 8 Jahren „verdient". (3) Die projektierte Ausbildungsstätte für hochqualifizierte Techniker in Singapur läßt selbst nach 15 Jahren Laufzeit keinerlei Aussicht auf positive Barwerte erkennen. (4) Auch die indische Technikerschule erweist sich als ökonomisch problematisch. Zwar ist hier die Ausstattung weit weniger aufwendig konzipiert worden als im singapurianischen Beispiel. Dies wird jedoch durch die vergleichsweise lange Ausbildungsdauer teilweise kompensiert. Es zeigt sich an den Projektbeispielen, daß mit steigendem Qualifikationsniveau im Bereich der Facharbeiterausbildung die Rentabilität zu sinken beginnt. Dies geht nur zum Teil auf die aufwendigere Projektausstattung zurück, sondern ist auch durch gewisse Grenzen bei den Steigerungen der persönlichen Einkommen bedingt. Vor allem aber spielt auf den oberen Qualifikationsniveaus die Chance, durch Ausbildung aus einem Zustand der Arbeitslosigkeit herauszukommen keine entscheidende Rolle mehr. Es ist deshalb zu fragen - und an weiteren Analysen zu prüfen - , wieweit die Forderung nach Rentabilität je nach Projekttyp anders auszufallen hat. Die Fallbeispiele sichern hierfür noch keine ausreichende Grundlage.
Bildungsökonomische Beurteilung von Ausbildungsinvestitionen
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Literatur Bildungsforschung (Sozialwissenschaftliches Institut Ichendorf): Standardisierte Kriterien zur Beurteilung von Ausbildungsinvestitionsvorhaben. Gutachten für den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bonn 1976. Boeninger und E. Kausei: Alternative Policies for Financing Higher Education. In: The Financing of Education in Latin America. Inter American Development Bank. Washington 1979. British Overseas Development Administration: Guidelines for the Preparation of Evaluation Studies. London, Eland House 1979. Cohen, S. I.: A Research Programme on Manpower Planning. Centre for Development Planning. Erasmus University Rotterdam 1979. Drouet, P.: Evaluación sistemática de programas de formacion professional. Cinterfor, Estudios y Monografías. Montevideo 1971. IOETS (International Office Educational Testing Service): A Manual for the Analysis of Costs and Outcomes in Non-formal Education. Princeton 1979. Kohlheyer, G., unter Mitwirkung von H. Dieterich: Bildungsökonomische Beurteilung von Ausbildungsinvestitionsvorhaben in Entwicklungsländern - Felderprobung. Forschungsprojekt im Auftrage des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bonn 1979. Ritzen, J. M., und J. B. Balderston: Methodology for Planning Technical Education. New York 1975. World Bank, Education Department: The Evaluation of Manpower Training Programs. Washington 1980. Zymelman, M.: The Economic Evaluation of Vocational Training Programs. World Bank Occasional Papers No. 21, 1976.
Teil 5 Humanvermögensrechnung als Bestandteil einer erweiterten gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung
I. Humankapitalbewertung in der externen Rechnungslegung
Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung von gesellschaftsbezogenen Sachverhalten aus der Unternehmenspolitik Hans-Detlev
Küller
Die Praxis der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung ist zwar noch recht jung, so daß eine Herausbildung von Rechenschafts-Grundsätzen, die den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung vergleichbar wäre, noch gar nicht möglich war. Die Unterschiedlichkeit der praktizierten Berichte wird jedoch bereits in einem derart frühen Stadium als unbefriedigend empfunden. Dies gilt speziell auch für die berichterstattenden Unternehmen selbst, die gesellschaftliche, z. B. gewerkschaftliche, Kritik an existierenden Sozialbilanzen mit dem Hinweis auf einen bisher fehlenden Zwang zur Normierung haben abwehren können. Auch dürften manche Unternehmen wegen des Fehlens anerkannter Grundsätze für gesellschaftsbezogene Rechnungslegung davor zurückgeschreckt sein, eigene Aktivitäten zu entwikkeln. Einige der in der Bundesrepublik Deutschland sozialbilanzierenden Unternehmen haben aus diesem Tatbestand im Jahre 1976 die Konsequenz gezogen und in einem Arbeitskreis versucht, eine gemeinsame Richtlinie für gesellschaftsbezogene Berichterstattung zu entwickeln.1 Die im folgenden dargestellten Betrachtungen sind deshalb als ein Gegenvorschlag zu sehen, mit dem der Arbeitskreis-Empfehlung begegnet werden soll, die bereits in kurzer Zeit eine beachtliche Sogwirkung hat entfalten können. Dabei wird die von Unternehmerseite selbst aufgestellte Forderung nach Bilanzwahrheit etc. auch bei gesellschaftsbezogener Rechnungslegung aufgegriffen und in enger Anlegung an die herkömmlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung 2 ein Bezugsrahmen entwickelt, der für eine künftige Weiterentwicklung von Sozialbilanzen zu einer tatsächlichen gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung brauchbar sein könnte.
1. Sozial-,,Buchführung" u n d H u m a n v e r m ö g e n s r e c h n u n g Die bisher nur rudimentär vorhandene Einwirkung des Staates bzw. gesellschaftlicher Kräfte auf die interne und externe Sozialberichterstattung hat zu einer weitgehenden Beschränkung von Umfang und sachlicher Klarheit der Aufzeich-
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Hans-Detlev Küller
nungen im nichtmonetären Bereich geführt. Dies geschah nicht zuletzt auch, um Dritten (z. B. den Arbeitnehmern des Unternehmens) den Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. die Beziehung des Unternehmens zum Arbeitnehmer und zur Umwelt bzw. den Grad der Interessenerfüllung zu erschweren - selbst auf Kosten der eigenen Übersicht. Die im Bereich der Humanvermögensrechnung seit einigen Jahren bedauerte Ignoranz der Unternehmenspraxis gegenüber wissenschaftlichen Konzepten hat hier ihre wahre Ursache: Es ist nicht die mangelnde Bereitschaft der Unternehmer, wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Praxis zu integrieren, vielmehr eher die Befürchtung, durch eine Aufzeichnung des tatsächlichen oder vermuteten ökonomischen „Wertes" von Arbeitnehmern - wie unvollkommen auch immer eine derartige Aufzeichnung ausfallen mag - könnten diese Informationen an die Hand bekommen, die zu geldwirksamen Forderungen an die Unternehmen führen. Diese befürchteten Rückwirkungen auf die Unternehmenspolitik werden offenbar schwerwiegender eingeschätzt als der positive Beitrag, den eine Humanvermögensrechnung z. B. infolge größerer Übersichtlichkeit zu erbringen vermag. An diesem Zustand wird sich so lange auch nichts ändern, wie es nicht gelingt, zu Konventionen zu kommen, die genügend konkret beschreiben, wann, in welchem Umfang, in welcher Form und mit welchem Ziel ein Unternehmen z. B. das sogenannte Humanvermögen zu erfassen hat. Als eine Voraussetzung, zu derartigen Konventionen zu gelangen, ist es erforderlich, ebenso wie ursprünglich im Bereich der Finanzbuchhaltung Grundsätze für eine Dokumentation der gesellschaftsrelevanten Vorgänge in einer Unternehmung zu entwickeln. Hierbei ist ebenso wie bei der Buchhaltung davon auszugehen, daß mit Hilfe eines derartigen Informationsziels die drei Ziele Dokumentation, Selbstinformation und Rechenschaft zugleich angesteuert werden müssen.
1.1 Dokumentation Die Forderung nach - möglichst - vollständiger Dokumentation gesellschaftsbezogener Vorgänge innerhalb eines Unternehmens läßt sich damit begründen, daß eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen, zahlreiche durch die Unternehmensleitung getroffene Maßnahmen oder die Unterlassung geforderter Maßnahmen, direkt oder indirekt die Interessen anderer berühren können. Diese Selbstverständlichkeit der wechselseitigen Verschränkung von ökonomischen Dispositionen und gesellschaftlich-politischen Gegebenheiten bildet schließlich den Ausgangspunkt für die Philosophie der gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens bzw. für die Publizierung von Sozialbilanzen. Daß eine umfassende Dokumentation gesellschaftlicher Wirkungen der Geschäftspolitik überhaupt notwendig ist, dürfte unbestritten sein.
Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung
639
Vergleichsweise weniger Einmütigkeit ist jedoch bei der Konkretisierung dieses Grundsatzes zu erwarten, besonders hinsichtlich der Frage, was als Vollständigkeit der Dokumentation anzusehen ist. Denn das Kriterium „Vollständigkeit" bedeutet, daß alle relevanten gesellschaftsbezogenen Vorgänge und Unterlassungen erfaßt werden müssen. Welche Vorgänge und Unterlassungen als gesellschaftlich relevant anzusehen sind, ist jedoch vorläufig noch eine Frage der subjektiven Einschätzung, solange sich bestimmte Sprachregelungen noch nicht durchgesetzt haben. Damit unterliegt jedoch auch die Beurteilung, ob eine gesellschaftsbezogene Dokumentation vollständig ist oder nicht, einer subjektiven Bewertung. Die Lösung dieses Dilemmas kann - wenigstens näherungsweise - durch einen Rückgriff auf die G o B und die bereits geschilderte Zwecksetzung der Buchhaltung gefunden werden: Ähnlich der Aufgabenstellung der normalen Buchhaltung, eine Dokumentation zu liefern, um ein arglistiges Entziehen von Vermögensgegenständen zu verhindern, ist die Aufgabe der Dokumentation gesellschaftlich relevanter Vorgänge zu sehen: Durch eine realitätsnahe Abbildung gesellschaftlicher Wirkungen geschäftspolitischer Entscheidungen soll für Dritte (z. B. Arbeitnehmer, Umwelt, Öffentlichkeit) überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen werden, den Grad der Zielerreichung bzw. das Ausmaß der Erfüllung ihrer Interessen durch die Unternehmenspolitik überprüfen zu können. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob sie auch ein tatsächliches Einsichtsrecht in die einzelnen Bestandteile der Dokumentation erhalten oder nicht. Zwar könnte dies Gegenstand möglicher Abmachungen, Tarifverträge oder auch gesetzlicher Regelungen sein. Davon ist jedoch nicht die Frage abhängig zu machen, ob vollständig dokumentiert werden soll oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, daß eine Unternehmungsleitung nicht die Möglichkeit erhält, durch unvollständige Dokumentation anderen Beteiligten die objektive Grundlage für die Feststellung zu entziehen, ob gesellschaftliche Ziele erreicht worden sind oder nicht. Ein anderes Ergebnis ist schon deshalb nicht denkbar, weil eine vollständige Dokumentation auch nur im Unternehmen selbst und nicht z. B. in externen Informationssystemen erstellt werden kann. Dies ergibt sich aus der Natur der Sache: Nur diejenigen Stellen im Unternehmen, zu deren Aufgabe es gehört, alle ökonomisch relevanten Vorgänge (Maßnahmen und Unterlassungen) zu dokumentieren und auszuwerten, sind in der Lage, zugleich auch die gesellschaftlich relevanten Bezüge dieser Vorgänge zu registrieren. Andere Beteiligte, z. B. Arbeitnehmer und Umwelt, sind zunächst „Außenstehende", denen aufgrund fehlender Kenntnis über die Gesamtheit der Geschäftsvorfälle auch die Möglichkeit fehlt, in voller Breite die gesellschaftlichen Bezüge der Unternehmenspolitik erfassen bzw. würdigen zu können, wie sich an einigen Beispielen demonstrieren läßt: - Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer liegt, erbrachte Mehrleistungen aufgrund von Produktivitätssteigerungen durch eine entsprechend höhere Ver-
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Hans-Detlev Küller
gütung honoriert zu bekommen, ist es zunächst zur Anspruchsbegründung erforderlich, das tatsächliche Ausmaß der Leistungssteigerung festzustellen. Dies ist jedoch nur dem Unternehmen selbst möglich. Externe Analysen, die sich z. B. auf Umsatzsteigerungen oder andere Größen beziehen, sind notwendigerweise unvollkommen oder beruhen sogar auf falschen Annahmen. - Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer liegt, erhöhte Risiken für Beschäftigung, Einkommenserzielung, Gesundheit etc. durch eine geeignete Politik der Absicherung wenigstens teilweise abzudecken, ist zunächst eine Kenntnis der tatsächlichen Risiken selbst bzw. ihres Ansteigens erforderlich. Niemand jedoch ist zu einer derartigen Bestandsaufnahme (nicht ohne weiteres auch zu einer zweckentsprechenden Bewertung) vorhandener Risiken objektiv besser im Stande als die Unternehmensleitung, zu deren Aufgabe auch ganz allgemein die Totalerfassung aller relevanten Risiken gehört. - Wenn es im Interesse von Arbeitnehmern und regionaler Umwelt liegt, sich gegen mögliche Katastrophenfälle (z. B. Austritt gefährlicher Stoffe) zu schützen, ist wiederum zunächst die Kenntnis der Existenz entsprechender Risikofaktoren Voraussetzung. Auch hierbei ist jedoch ausschließlich die Unternehmensleitung imstande, sämtliche relevanten Risikofaktoren zu registrieren.
Damit ist eine tragfähige Begründung für das Erfordernis „Vollständigkeit" abgeleitet. Vollständigkeit der Dokumentation gesellschaftlich relevanter Bezüge ist total zu verstehen, also unteilbar und unabdingbar. Die Frage, ob die vollständige Erfassung auch zu einer entsprechenden totalen Berichtspflicht führen muß, ist hiervon jedoch unabhängig. Es kommt zunächst auf die vollständige Dokumentation überhaupt an. Welche Teile dieser Dokumentation zu veröffentlichen sind, kann erst dann entschieden werden, wenn die übrigen Grundsätze (z. B. Rechenschaft, Klarheit etc.) präzisiert sind.
1.2 Selbstiniormation Ein systematisches Festhalten gesellschaftlicher Bezüge von Geschäftsvorfällen ist weiterhin auch für eine sachgerechte Selbstinformation der Unternehmensleitung notwendig. Auch hier wiederum läßt sich in Analogie zur Zwecksetzung der „normalen" Buchhaltung argumentieren. Wird die Existenz gesellschaftlicher Wirkungen zahlreicher Geschäftsvorfälle anerkannt, ist es konsequent, wenn die Unternehmensleitung im Eigeninteresse über diese Wirkungen informiert wird. Andernfalls könnten aufgrund fehlender Informationen Unternehmensentscheidungen fehlerhaft ausfallen, u. U. sogar zu Kapitalverlusten führen. Auch hier wiederum einige Beispiele:
Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung
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- Wird z. B. das System der Arbeitsbedingungen im Betrieb von einer relevanten Zahl von Arbeitnehmern als unbefriedigend oder gesundheitsschädlich empfunden, können daraus - je nach Art des Prozesses der Artikulation von Unmut Reaktionen der Arbeitnehmer resultieren, die den normalen Geschäftsgang stören: Absentismus, Abwanderung, Streiks etc. Um im Interesse der Rentabilitätserzielung diese Reaktion planend erfassen bzw. Gegenkonzepte aufstellen zu können, ist eine umfassende Kenntnis aller möglichen „Risiken", hier der möglichen Forderungen, die aus empfundenen Beeinträchtigungen resultieren, notwendig. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Unternehmensleitung die Einschätzung teilt, Arbeitnehmerinteressen seien verletzt. Entscheidend ist vielmehr die Kenntnis des Potentials von Forderungen, unabhängig davon, ob diese Forderungen aus der Sicht der Unternehmensleitung berechtigt sind oder nicht. - Besteht die Möglichkeit, daß die regionale Umwelt bzw. die politische Öffentlichkeit bestimmte unternehmenspolitische Maßnahmen (Investitionen, unterlassene Reduzierung von Emissionen, Firmenaufkäufe etc.) negativ einschätzt, drohen hieraus je nach Art des Willensbildungsprozesses möglicherweise ebenfalls Gegenreaktionen. Diese können sich teils in Imageverlusten, teils in politischen Forderungen oder in gesetzgeberischen Maßnahmen niederschlagen. Um die daraus resultierenden Gefahren für die Rentabilität des eingesetzten Kapitals umfassend einschätzen zu können, ist vorab eine Bestandsaufnahme der relevanten Interessen und möglichen Forderungen notwendig. Auch hier kommt es nicht auf eine Identifizierung der Unternehmensleitung mit diesen Interessen an; entscheidend ist vielmehr die genaue und umfassende Kenntnis aller möglichen Forderungen. Somit erweist es sich auch aus der Notwendigkeit der Selbstinformation als erforderlich, gesellschaftliche Wirkungen von Geschäftsvorfällen umfassend und systematisch zu erfassen.
1.3 Rechenschaft Daß erst bei einer umfassenden Dokumentation gesellschaftlich relevanter- Vorgänge die sogenannten externen Gruppen, wie Arbeitnehmer oder Umwelt, eine objektive Grundlage erhalten, den Grad der Erreichung ihrer Ziele zu überprüfen, wurde bereits erwähnt. Geht man darüber hinaus und verlangt von der Unternehmensleitung einen Bericht darüber, wie die Geschäftspolitik zur Erfüllung von Interessen beigetragen hat, wird die moralische Kompetenz der Rechenschaft sichtbar. Rechenschaft wird dann verlangt, wenn jemandem etwas zu treuen Händen anvertraut ist. In einer Einzelunternehmung mag es sich dabei lediglich um die Zurverfügungstellung von Kapital (z. B. stillen Einlagen) handeln, weshalb eine anderweitige Rechenschaftspflicht nicht erforderlich erscheint. Sofern jedoch
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eine Unternehmung als nicht mehr rein private, sondern als gesellschaftliche Veranstaltung begriffen wird, impliziert dies auch die Verpflichtung zur Rechenschaft gegenüber der Gesellschaft. Das bedeutet z. B., daß die Arbeitnehmer, die ihre Arbeitskraft der Unternehmung „zu treuen Händen" zur Verfügung gestellt haben, Rechenschaft verlangen können. Diese Rechenschaft gegenüber den Arbeitnehmern umfaßt alles, was ein Arbeitnehmer wissen muß, um entscheiden zu können, ob er seine Arbeitskraft weiterhin dem Unternehmen zur Verfügung stellt, ob er Vertragsänderungen verlangen muß, ob er sich mit geforderten Leistungssteigerungen einverstanden erklärt oder nicht. Demnach erstreckt sich für die Arbeitnehmer die Berichterstattung aus dem Gesichtspunkt der Rechenschaft auf Informationen - über den Ertrag aus Arbeitsleistungen (Produktivität), - über die Vergütung der Arbeitsleistung und die Kriterien hierfür (einschließlich der Frage, ob die verwendeten Kriterien zur Lohndifferenzierung einem Solidaritätsanspruch genügen können), - über den Verschleiß des Arbeitsvermögens sowie - über die Gefährdung der Arbeitskraft. Ähnliche Überlegungen gelten hinsichtlich des Verhältnisses von Unternehmung und Staat. Dieser stellt dem Unternehmen bzw. dem Unternehmen insgesamt eine bestimmte Infrastruktur sowie gegebenenfalls direkte und indirekte Subventionen zur Verfügung. Daraus resultiert eine Verpflichtung zur Rechenschaft darüber, was eine Unternehmung mit diesen staatlichen Leistungen anfängt, welche Produktivitätsbeziehungen existieren, ob eine zweckentsprechende Verwertung der Mittel erfolgt usw. Der Staat soll in die Lage versetzt werden können, zu beurteilen, ob eine Entscheidung über Aufrechterhaltung oder Abbau der Subventionierung sachgerecht ist. Wiederum ähnlich verhält es sich in bezug auf das Verhältnis von Unternehmung und natürlicher Umwelt. Hierbei liegt der Gedanke zugrunde, daß auch die sogenannten freien Güter (z. B. Luft, Wind etc.) Faktoren darstellen, die einer Unternehmung „anvertraut" sind. Daraus wird eine Verpflichtung zur Rechenschaft abgeleitet, über die Verwertung dieser Faktoren zu berichten. Letztlich könnte auch rein ökonomisch eine umfassende gesellschaftliche Rechenschaftspflicht begründet werden: Ausgehend vom Gedanken einer möglichst rentablen Verwertung volkswirtschaftlichen Kapitals sollte Rechenschaft erkennbar werden, wie sinnvoll in den einzelnen Unternehmen die volkswirtschaftlichen Kapitalfonds (z. B. Arbeits-„Vermögen" Infrastruktur, freie Güter etc.) verwendet werden. Mögliche Fehlallokationen würden erkennbar gemacht, eine Grundlage für „kapitallenkende" Maßnahmen wäre geschaffen.
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Als Ergebnis dieser grundsätzlichen Überlegungen zur gesellschaftsbezogenen Buchführung läßt sich festhalten, daß sowohl aus dem Erfordernis der Dokumentation als auch aus dem der Selbstinformation und Rechenschaft die Notwendigkeit abgeleitet werden kann, gesellschaftlich relevante Geschäftsvorfälle - umfassend, d. h. vollständig, und - systematisch zu erfassen. Demnach lassen sich auch die sogenannten formellen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung auf die gesellschaftsbezogene Dokumentation sinngemäß übertragen. Eine aus dem speziellen Berichtsgegenstand herrührende Notwendigkeit, von diesen Grundsätzen abzuweichen, ist jedenfalls nicht begründbar.
2. Sozial-„Bilanziening" Aus den gleichen Gründen wie bei der Buchhaltung unmittelbar (Dokumentation, Selbstinformation, Rechenschaft) ist im Bereich der Bilanzierung ein System von Grundsätzen entwickelt worden, wobei der Gedanke der Rechenschaft im Vordergrund steht. Durch Informationen, wie sie die Bilanz gibt, wollen die am Unternehmensgeschehen Beteiligten ihre „Zielrealisierungsmöglichkeiten" kennenlernen, etwa - um Einfluß nehmen oder - um Konsumausgaben realistischer planen zu können. Die Bilanz ist jedoch als Spiegelbild des wirtschaftlichen Geschehens am Bilanzstichtag ebenso wie das wirtschaftliche Geschehen selbst zwangsläufig „Verteilungskampf" (u. U. nur zwischen mehreren Gesellschaftern, falls Arbeitnehmer nicht beschäftigt werden). Es stellt sich deshalb ständig das Problem einer möglicherweise einseitig an bestimmten Interessen ausgerichteten Bilanzierung. Um dieses im Prinzip unlösbare Grundproblem der Bilanzierung auf ein erträgliches Maß eingrenzen zu können, wurden in der Praxis sowie vom Gesetzgeber und der Wissenschaft Prinzipien der Bilanzierung entwickelt, die jedoch nicht einheitlich begründet werden. In Anlehnung an Leffson (1976, S. 95) wird im folgenden von 10 Grundsätzen ausgegangen: Der Grundsatz der Richtigkeit verlangt, daß eine Darstellung der Vermögenslage bzw. des Wertes einzelner Vermögensposten den zur Darstellung dieses Tatbestandes geltenden Grundsätzen und Regeln entsprechen muß. Diese Regeln bewirken
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wiederum eine Reduzierung des Gewichts subjektiver bzw. emotionaler Einschätzungen bei der Bewertung von Vermögensposten, für die eindeutige Werte nicht vorhanden sind (Bewertungsproblem), da eine intersubjektive Nachprüfbarkeit eher ermöglicht wird. Der Grundsatz der Willkürfreiheit fordert vom Unternehmer, bei der Bilanzaufstellung sich darum zu bemühen, ein nach seiner inneren Uberzeugung richtiges Bild der Wirklichkeit zu geben, da Rechenschaft und Willkür einander ausschließen. Das Prinzip der Wesentlichkeit fordert ein Außerachtlassen unwesentlicher Einflußgrößen, um die entscheidungswirksamen Informationen herauszufiltern. Die Prinzipien der Klarheit bzw. der Vollständigkeit verlangen eindeutige Bezeichnungen von Bilanzposten, Transparenz von Bewertungsmethoden bzw. ihrer Änderungen, übersichtliche und zweckentsprechende Bilanzgliederung, vollständige Bestandsaufnahme und Auswertung von Informationen externer und interner A r t über den Berichtsgegenstand, eine unverkürzte Abgrenzungsgrundsätze Darstellung sowie die sogenannte Bilanzidentität. Die fordern im Verbund mit Realisations- und Imparitätsprinzip eine möglichst exakte Periodisierung der Erfolge und eine ebenso exakte Aussonderung leistungsfremder Erfolgsbestandteile, bei Wahrung des Gebotes der Kapitalerhaltung. Der Grundsatz der Vergleichbarkeit verlangt eine Kontinuität in der Berichterstattung sowie eine Offenlegung von sogenannten Unstetigkeiten. Das Prinzip der Vorsicht fordert schließlich die Berücksichtigung von Risiken bei der Festsetzung von Bewertungen mit Hilfe möglichst objektivierbarer Verfahren zur Risikoschätzung. Bei der Herausbildung der G o B im Bereich der herkömmlichen Bilanzierung hat sich teils durch Übung, teils durch Gesetz, teils durch wissenschaftliche Begründung allmählich die Selbstverständlichkeit ergeben, worüber in einer normalen Bilanz zu berichten ist: In der Bilanz sollen Vermögens- und Schuldposten, in der Gewinn-und Verlustrechnung Aufwendungen und Erträge einer Periode einander gegenübergestellt werden. Dies ist häufig gar nicht mehr besonders hervorgehoben, weil selbstverständlich. Eine entsprechende Selbstverständlichkeit im Bereich der Sozialberichterstattung existiert keineswegs. In der Praxis berichten die Unternehmen über Aufwendungen, bei denen ein Nutzen unterstellt wird. Die theoretischen Ansätze einer Humanvermögensrechnung schlagen den gleichen W e g ein. Nur zum Teil wird in der Sozialbilanzpraxis auch über qualitative, also im Prinzip nicht in Geldgrößen darstellbare Sachverhalte, z. B. Arbeitsplatzgefährdung etc., berichtet. Die A u f wandserläuterung ist nach wie vor repräsentativ. Ein derartiger Zustand ist jedoch äußerst unbefriedigend, und zwar aus mehreren Gründen: a) A u s Aufwendungen auf einen Nutzen bzw. Interessenerfüllung zu schließen, ist nicht besonders logisch:
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- Selbst in der kaufmännischen Buchführung wird ein derartiger Schritt nicht getan. In der GuV wird nicht eine Gliederung der Aufwendungen vorgenommen, denen entsprechende Geldnutzen bzw. Erträge zugeordnet werden. Dies wäre zwar prinzipiell möglich, jedoch ist noch niemand auf diese Idee gekommen (Leffson 1976, S. 161). Vielmehr wird umgekehrt - ausgehend vom Gedanken, daß prinzipiell jeder Aufwand nur getätigt wird, um Erträge zu erzielen - der Gesamtertrag bzw. Einzelerträge als Ausgangspunkt genommen, denen dann bestimmte Aufwandsposten zugeordnet werden. - Nutzen bzw. Interessenerfüllung können schon deshalb nicht mit Aufwandsposten identifiziert werden, da dann unterlassene Aufwendungen logischerweise auch aufgenommen werden müßten, ob sie nun einen Nutzen oder einen Nicht-Nutzen darstellen. b) Bei vielen Berichtstatbeständen von Sozialbilanzen handelt es sich um sogenannte qualitative Daten, die sich einer Ökonomisierung, d. h. einer Bewertung als Geldertrag oder Geldaufwand, auch dann entziehen, wenn die Erfüllung dieser Ziele zweifellos mit Aufwand verbunden ist. Wie will man auch Lebensqualität bewerten? c) Eine zu weit getriebene Identifizierung zwischen Geldgrößen und qualitativen Daten würden den Ökonomisten erneut Auftrieb geben, die möglichst eine einheitliche Darstellung sozialer und finanzieller Sachverhalte erzielen und - mit aller Gewalt - alle Lebensbereiche oder Interessen in Geldgrößen ausdrücken wollen. Dieser Weg ist jedoch, wie die Sozialindikatoren-Forschung zeigt, als Sackgasse anzusehen. Es muß deshalb vorrangiges Ziel einer den Problemen gerecht werdenden Sozialberichterstattung sein, die Gefahr einer ökonomisierung nicht ökonomisierbarer Tatbestände zu vermeiden. Hierzu bieten sich folgende Methoden an: - „Reine Lösungen". Hier gibt es zwei Unterfälle: - qualitative Berichterstattung entsprechend dem Konzept der Sozialindikatoren, - Darstellung des Mengengerüstes beim Verbrauch gesellschaftlicher Güter. - „Pragmatische Lösung": eine Kombination von ökonomischen und qualitativen Daten mit der Darstellung qualitativer Daten als Strukturierungsprinzip. Die beiden ersten Wege werden als nicht sonderlich sinnvoll angesehen. Ein Außerachtlassen der Betrachtung von Geldgrößen würde zwar manche Bewertungsprobleme bzw. Zuordnungsprobleme vermeiden. Ein derartiges Verfahren würde jedoch das Kind mit dem Bade ausschütten und die Illusion nähren, als hätte
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die Geldsphäre der Unternehmenspolitik nicht zu interessieren, wenn es um die Erfüllung oder Nichterfüllung von Interessen geht. Dabei würde übersehen, - daß in einer Geldwirtschaft die Unternehmenspolitik zwangsläufig mit Ausgaben und Einnahmen verbunden ist und die Aneignung des Einnahmeüberschusses eine politisch höchst relevante Problematik darstellt, die sehr viel mit gesellschaftlicher Verantwortung zu tun hat (Problematik von Profitanalysen, Einkommensverteilungsrechnungen); - daß die Unternehmenspolitik, die sich in einer bestimmten Einnahmen- und Ausgaben- bzw. Aufwands- und Ertrags-Struktur niederschlägt, nicht weiter hinterfragt werden kann, wenn nicht die Problematik alternativer Aufwandsdispositionen etc. ins Spiel gebracht wird. Überdies würde eine derartige Position angesichts der gegenwärtig vorfindbaren Praxis der Sozialbilanzierung auf unüberwindbare Hemmnisse stoßen. Denn die Unternehmen werden sich kaum dazu verleiten lassen, lediglich qualitativ zu berichten und zu verschweigen, wieviel Geld bestimmte Maßnahmen zur Umweltverbesserung, zur Humanisierung etc. gekostet haben. Für das von Mintrop 3 vorgeschlagene Konzept, lediglich das Mengengerüst für den Verbrauch externer Güter darzustellen, scheinen überdies noch sämtliche praktischen Voraussetzungen zu fehlen. Bei der Ableitung von Bilanzierungsgrundsätzen für die Sozialberichterstattung wird deshalb im folgenden davon ausgegangen, daß das erwähnte dritte, eher pragmatische, Konzept sinnvoll ist. Ausgangspunkt sind hier die Interessen der Betroffenen, die gegenüber einer Unternehmung artikuliert werden. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung dieser Interessen durch die Unternehmenspolitik soll sich in einer gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung niederschlagen, wobei auch die hierzu möglicherweise einzusetzenden Geldmittel, in der Regel also betriebliche Aufwendungen, von Interesse sind.
2.1 Das Problem gesellschaftlicher Relevanz Nun muß allerdings bei der Aufstellung von Bilanzierungsgrundsätzen für die gesellschaftsbezogene Rechenschaftslegung berücksichtigt werden, daß Interessen eine nicht immer operationalisierbare sowie überdies auch stark wandelbare Größe für die Unternehmenspolitik darstellen. Ein Konzept zur gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung muß dies bedenken, um nicht allzu starr zu werden. So standen z. B. in den frühen 60er Jahren in der politischen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland Bildungsfragen im Vordergrund. Später rückte die Diskussion um Lebensqualität, speziell auch um Fragen des Umweltschutzes, ins Blickfeld. Heute wiederum sind Fragen der Arbeitsplatzsicherung ganz allgemein, der Jugendarbeitslosigkeit speziell, Hauptgegenstand öffentlicher Erörterungen.
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Für die Zukunft sind ähnliche Akzentverschiebungen durchaus möglich, auch wenn - wie angenommen werden muß - auf absehbare Zeit die Beschäftigungspolitik weiterhin im Zentrum aller gesellschaftlichen und unternehmerischen Bemühungen zu stehen hat. Für die Aufstellung von Bilanzierungsgrundsätzen bedeutet dies, daß durch sie nicht ohne weiteres die Berichtsgegenstände selbst im einzelnen festgelegt werden können. Dies würde zu einer Starrheit des Berichtswesens führen, die den sich wandelnden gesellschaftspolitischen Erfordernissen unter Umständen nicht gerecht werden würde. Aufgabe von Bilanzierungsgrundsätzen kann es allenfalls sein, Verfahren zu normieren, mit denen jeweils die Berichtsinhalte gefunden werden sollen. So ist z. B. ein Grundsatz zweckmäßig, wonach nicht über etwas berichtet werden sollte, was nach Meinung der Berichtsempfänger als irrelevant anzusehen ist (dies setzt einen gewissen Einigungszwang zwischen Unternehmen und gesellschaftlichen Gruppen).
2.2 Abgrenzung als Dauerproblem Die beschriebene prinzipielle Wandelbarkeit gesellschaftlicher Interessen läßt zwar eine generelle Festlegung der Berichtsinhalte nicht zu. Dennoch ist damit nicht gesagt, daß eine Normierung von Berichtspflichten nicht sinnvoll und notwendig wäre. Denn auch bei sich wandelnden Interessen bzw. Schwerpunktverlagerungen in der öffentlichen Diskussion bleiben für die Unternehmung stets folgende Probleme, die bei jeder gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung auftauchen: -
Das Problem begrenzter Ressourcen: Unabhängig von der Art gesellschaftlicher Interessen bzw. der Artikulierung dieser Interessen besteht für eine Unternehmung die Notwendigkeit, aus ihnen eine Auswahl zu treffen, da kaum eine Situation vorstellbar ist, in der eine Unternehmung alle Interessen gleichzeitig erfüllen kann. Die bei dieser Auswahlentscheidung zugrundeliegenden Entscheidungsregeln, d. h. die Kriterien zur Setzung von Prioritäten werden notwendigerweise immer von der Unternehmensleitung formuliert, wenn auch u. U. aufgrund gesellschaftlichen Drucks. Es ist deshalb in jedem Falle erforderlich, über die gefundenen Entscheidungsregeln zu berichten. Denn die Frage, welche Interessen erfüllt werden und welche nicht, wird immer von höchster gesellschaftlicher Relevanz bleiben.
-
Das Problem der Abbildung von Interessen in einer gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung: Dies Problem ist weniger politisch als methodisch zu sehen. Interessen können durch einen (von der Unternehmung bewirkten) Nutzen positiv berührt sein, u. U. aber auch durch eine unterlassene Schädigung; Nutzen und vermiedener Schaden sind jedoch sehr unterschiedliche
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Tatbestände. Interessen können negativ berührt sein durch eine Schädigung, ebenso aber durch einen nicht erbrachten Nutzen, wiederum zwei sehr unterschiedliche Kategorien. Eine unternehmerische Maßnahme kann schließlich Schädigung des einen, aber gleichzeitig Erfüllung eines anderen Interesses bewirken (man denke an den Fall der Rationalisierungsinvestitionen). Die Abbildung von Interessenerfüllung bzw. -nichterfüllung in einer gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung und ihre verursachungsgerechte Zuordnung auf unternehmerische Dispositionen (Nutzenstiftung, Schadensvermeidung, Schädigung, unterlassende Nutzenstiftung) ist deshalb ein dauernd vorhandenes methodisches Problem. Es ist Aufgabe von Grundsätzen für die Bilanzierung gesellschaftlicher Tatbestände, dieses Abgrenzungsproblem auf eine objektivierbare Weise zu lösen.
2.3 Monetäre Größen und gesellschaftliche Interessen Da im Prinzip sowohl Aufwendungen als auch Erträge, sowohl Aufwandsunterlassungen als auch Ertragsverzichte je nach Standpunkt des Betroffenen mit positiven oder negativen Bewertungen belegt werden können, ist es regelmäßig nicht möglich, aus einer einzigen Geldgröße, z. B. aus Erträgen, eine für alle „Betroffenen" gleichermaßen zutreffende Beziehung (z. B. Nutzen) abzuleiten. Umgekehrt können nutzenstiftende Wirkungen für alle Betroffenen zugleich nicht durch eine einzige Maßnahme erreicht werden. Deshalb erscheint es im übrigen auch unmöglich, eine zusammengefaßte Rechnungslegung zu konzipieren, welche die ökonomischen Werte der herkömmlichen Rechnungslegung in die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung zu integrieren versucht. Jeder entsprechende Versuch müßte in einer Sackgasse landen. Die Bilanz herkömmlicher Art und eine gesellschaftsbezogene Rechnungslegung müssen vielmehr streng voneinander abgegrenzt werden. Diese Notwendigkeit soll anhand folgender Aussagen unterstrichen werden, die die Problematik aufzeigen, Aufwendungen und Nutzen miteinander zu vermengen: - Erste Aussage: Jeder Aufwand ist nützlich! Begründung: Jede Einkommensbildung ist nützlich. Jeder Aufwand führt aber direkt (Löhne für Arbeitnehmer, Steuern) oder indirekt (Vorleistungen) zu Einkommen. Deshalb ist jeder Aufwand nützlich, die gesamte Aufwandsrechnung kann in eine gesellschaftsbezogene Rechenschaftslegung integriert werden. - Zweite Aussage: Jeder Gewinn ist nützlich! Begründung: Gewinn wird immer zu Einkommen. Deshalb ist jeder Gewinn nützlich. Die gesamte Ertragsrechnung kann deshalb in eine gesellschaftsbezogene Rechenschaftslegung integriert werden.
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Dritte Aussage: Jeder Aufwand, bis auf die Steuern, ist schädlich! Jede als Betriebsausgabe geltend gemachte Aufwendung mindert die Finanzmasse des Staates, der damit weniger Reformen finanzieren kann. D a gesellschaftliche Schäden in einer gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung erscheinen müssen, müssen also auch alle Aufwendungen, bis auf die Steuern, dargestellt werden.
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Vierte Aussage: Jeder Gewinn ist schädlich! D a gesellschaftliche Schäden in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung zu berichten sind, müssen vor allem die „wahren" Gewinne in dieser Rechnungslegung erscheinen.
Diese Aussagen zeigen auf, wie absurd es wäre, die prinzipiellen Unterschiede gesellschaftlicher und ökonomischer Kategorien zu leugnen und die vielfältigen Abgrenzungsprobleme zu mißachten. Gerade dies geschieht jedoch in der Praxis von Sozialbilanzen. So wird z. B . -
Ertrag zum Nutzen für die Arbeitnehmer umgewidmet (offen in den ersten Sozialbilanzen der S T E A G sowie in der ersten Sozialbilanz von Pieroth, versteckt in fast allen übrigen Sozialbilanzen), 4
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Aufwand, speziell aber die Aufwendungen für die Arbeitnehmer, als schädlich bewertet (offen in der ersten Sozialbilanz von Pieroth, versteckt in fast allen anderen),
- jeder Aufwand als nützlich bezeichnet (z. B . in der Leistungsrechnung der Shell) (vgl. Deutsche Shell A G 1975 ff.) Erforderlich sind deshalb Verfahrensweisen bzw. Grundsätze, die zwar die simultane Darstellung von Indikatoren und monetären Größen erlauben, die damit verbundenen Abgrenzungsprobleme jedoch zu lösen versuchen.
2.4 Ergebnis: Grundsatz der Abgrenzung zur Gewinn- und Verlustrechnung Aus den geschilderten Schwierigkeiten der Überschneidung von Gewinn- und Verlustrechnung und gesellschaftsbezogener Rechenschaftslegung läßt sich folgender Grundsatz ableiten: Die G u V ist eine Erfolgsrechnung für die Kapitaleigner. Höhe, Quellen und Entwicklung des Kapitalerfolgs ist vor allem in der GuV erkennbar. Erfolge, die einen Nutzen für die Eigentümer darstellen, dürfen deshalb nicht in einer gesellschaftsbezogenen Rechenschaftslegung auftauchen. Dies würde zu einer doppelten Darstellung führen, die die Frage nach dem Sinn zweier verschiedener Rechnungslegungs-Instrumente erneut aufwerfen würde. Dieser Grundsatz gilt zunächst uneingeschränkt, und zwar selbst dann, wenn ein Kapitalerfolg möglicherweise zugleich auch einen gesellschaftlichen Nutzen dar-
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stellt. Würde dieser Grundsatz nicht beachtet, blieben die Mißbrauchsmöglichkeiten zu groß. Der Neigung der Unternehmen, Gewinne als ausschließlich gesellschaftlich nützlich darzustellen, z. B. nach einer Formel, wonach höhere Gewinne zu mehr Arbeitsplätzen führen, wäre nicht genügend begegnet.
2.5 Modifikationsregel bei der Behandlung investiver Unternehmer-Dispositionen Die strikte Anwendung des eben formulierten Grundsatzes der Abgrenzung von klassischer Gewinn- und Verlust-Rechnung und gesellschaftsbezogener Rechnungslegung einschließlich Humanvermögensrechnung würde allerdings den Spielraum für Dokumentation und Bilanzierung gesellschaftsbezogener Tatbestände über Gebühr einschränken. Sämtliche Aufwendungen, die zur Gewinnerzielung erforderlich sind (z. B. Lohnzahlungen) dürften in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung nicht auftauchen, solange sie immer geeignet sind, kurz- oder langfristig die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und damit die Profitchancen der Eigentümer zu erhöhen, dies selbst dann, wenn sie - allgemein anerkannt zugleich „nützlich" für Dritte, z. B. die Arbeitnehmer, sind. Besonders bei den investiven Aufwendungen, die im Vordergrund der Überlegungen stehen, zu einer Bilanzierung des betrieblichen Humanvermögens zu gelangen, müßte dies zu einer erheblichen Einschränkung des Betrachtungsfeldes führen, die als unerwünscht anzusehen ist. Denn Aufwendungen des Unternehmens z. B. im Bildungsbereich (betriebliche Aus-, Fort- und Weiterbildung) - können (nicht müssen) den Arbeitnehmern eines Unternehmens bzw. einem Teil der Arbeitnehmer zugute kommen, z. B. über einen infolge gestiegener Qualifikation erhöhten „Marktwert" ihrer Arbeitskraft; - können (wiederum nicht: müssen) aber auch zugleich den Eigentümern zugute kommen, z. B. durch ein gestiegenes Leistungspotential bzw. eine erhöhte Leistungsmotivation nach der Qualifikationsmaßnahme, welche sich in höheren Produktivitäten und letztlich in höheren Gewinnen niederschlagen kann. Ähnlich verhält es sich mit Investitionen ins Sachvermögen: Neuinvestitionen können, auch wenn sie primär zur Profitstabilisierung führen sollen, mit arbeitsplatzsichernden Effekten verbunden sein, was indes keineswegs zwangsläufig eintreten muß. Wiederum Ähnliches gilt bei Beteiligungs- oder Forschungsinvestitionen, wo sowohl für Anteilseigner als auch Arbeitnehmer positive und negative Effekte zugleich eintreten können. Auch der Fall des sogenannten „Sozialkapitals" ist ähnlich zu beurteilen: Eine Unternehmung, die für künftige Stillegungsmaßnahmen bereits in ertragsstarken Jahren Rückstellungen für Sozialpläne bildet, spart zunächst einmal Steuern und erhält hierdurch preiswerte Finanzierungsmittel, was die Rendite der Eigentümer
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steigern hilft. Zugleich kann eine derartige Maßnahme jedoch einen Nutzen für die Arbeitnehmer darstellen, da Rückstellungen ohne eine konkrete Verpflichtung zur Zahlung im Stillegungsfalle nicht möglich und die Arbeitnehmer folglich in einem gewissen Maße gegen die Folgen von Stillegungsmaßnahmen abgesichert sind (zum Konzept des Sozialkapitals vgl. Küller 1980). In all diesen Fällen wäre es unangemessen, die jeweiligen Aufwendungen nur einer Seite, ob den Arbeitnehmern oder den Anteilseignern, als Nutzen zuordnen zu wollen. Da häufig aus Investitionen positive Effekte für Kapitaleigner und Arbeitnehmer zugleich zu erwarten sind (einen der Ausnahmefälle stellen die Rationalisierungsinvestitionen dar), ist eine gesonderte Darstellung des Investitionsaufwandes bzw. ähnlich zu beurteilender Fälle zweckmäßig. Eine derart getrennte Darstellung soll also den Charakter des „Doppelnutzens", der aus diesen Aufwendungen resultiert, unterstreichen. Dies bedeutet allerdings, daß die bisherige Abgrenzungsregel etwas modifiziert werden muß, und zwar sowohl in einschränkender als auch in erweiternder Weise: — Eine Einschränkung ist insofern erforderlich, als unter Berücksichtigung investiver Vorgänge nicht alle denkbaren betrieblichen Aufwendungen für die Arbeitnehmer der Kategorie „Erfüllung von Interessen der Arbeitnehmer" zugeordnet werden können. Vielmehr sind die als investiv anzusehenden Aufwendungen für Arbeitnehmer, z. B. im Bildungsbereich, aus demjenigen Aufwand herauszurechnen, der der Kategorie „Erfüllung von Arbeitnehmer-Interessen" zugeordnet werden soll. Sodann wäre dieser investive Aufwand gesondert darzustellen. Dies würde dem Charakter dieser Aufwendungen, eben zugleich auch unternehmerische Investition im Interesse der Anteilseigner zu sein, besser entsprechen als eine ausschließliche Zuordnung zu den Arbeitnehmer-Interessen. Eine entsprechende Überlegung gilt bei dem sogenannten Sozialkapital bzw. bei Einsparungen von Aufwendungen, die zugleich zu Einsparungen der persönlichen Aufwendungen von Arbeitnehmern führen können (Senkung des Krankenkassenbeitrages einer Betriebskrankenkasse: Ersparnis für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugleich). - Eine Erweiterung ist insofern angemessen, als auch Investitionsaufwendungen in das Sachvermögen, in das Beteiligungsvermögen bzw. in die Forschung entgegen der ursprünglichen Abgrenzungsregel doch in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung als berichtsfähig anzusehen sind. Allerdings sind diese Einschränkungen bzw. Erweiterungen der Berichtsinhalte von gesellschaftsbezogener Rechnungslegung nur dann vertretbar, wenn sämtliche Aufwendungen bzw. Einsparungen mit doppelten Wirkungen gemeinsam als gesonderte Kategorie dargestellt werden und ihr zwangsläufiger Doppelnutzen - nützlich sowohl für Eigentümer als auch für die Arbeitnehmer - klar angesprochen wird.
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2.6 Modifikationsregel bei der Abgrenzung von Unternehmensaktivitäten und Privatinteressen Aus einem weiteren Grund erweist es sich als zu eng, bei Unternehmensaufwendungen einen möglichen Nutzen bzw. Schaden für andere (Arbeitnehmer, Öffentlichkeit) anzunehmen, einen Nutzen für die Eigentümer jedoch nicht. Neben den Investitionsaufwendungen existiert eine Reihe weiterer Aufwandsarten, die als langfristig nutzbringend auch für die Anteilseigner anzusehen sind. Auch hier wäre es unangemessen, lediglich zu konstatieren, daß Aufwendungen erforderlich für die Leistungserstellung und deshalb nicht als Nutzen für die Eigentümer anzusehen sind. Gerade die Frage, ob diese Aufwendungen tatsächlich erforderlich sind, ist aber u. U. in höchstem Maße streitig: - In Personengesellschaften, deren Inhaber zugleich politisch aktiv ist, ist es beispielsweise nicht möglich, politisches Privatinteresse von geschäftlichen Erfordernissen streng zu trennen, obgleich dies sinnvoll und der Sache angemessen wäre. Werden z. B. Veranstaltungen im gesellschaftlich-politischen Bereich, z. B. Podiumsdiskussionen, Seminare etc. durch steuerlich absetzbare Firmenaufwendungen finanziert, kann dies langfristig verkaufsfördernd bzw. allgemein imagebildend für das gesamte Unternehmen sein. In diesem Fall könnte eine derartige Veranstaltung u. U. auch für die Arbeitnehmer der Unternehmung als gleichfalls nützlich angesehen werden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, daß lediglich Wahlkampfwerbung bzw. Imageförderung für einen Bundestagsabgeordneten, der zufällig zugleich Firmeninhaber ist, vorliegt, ohne daß also ein geschäftspolitischer Nutzen im Vordergrund steht. - Für den Fall, daß eine Unternehmung aufgrund eines Kartellvergehens ebenso bestraft wird wie der persönlich verantwortliche Geschäftsführer bzw. das Vorstandsmitglied, stellt sich in der Praxis häufig das Problem, ob die als persönlich gedachte Geldbuße für einzelne Mitglieder der Geschäftsleitung aus der Firmenkasse erstattet wird oder nicht. Auch hier existiert ein Unschärfebereich zwischen notwendigem Betriebsaufwand und Gewinnverwendung bzw. verdeckter Gehaltserhöhung. - Wenn eine Unternehmensleitung beschließt, für Zwecke der Kunstförderung Geldmittel bereitzustellen, mag es auf den ersten Blick gerechtfertigt sein, den entsprechenden Aufwand in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung der Berichtskategorie „Spenden etc." zuzuordnen. Schwieriger würde es jedoch bereits dann, wenn es sich um die Förderung einer speziellen Institution handelt, deren Vorsitzender zugleich ein Mitglied der Geschäftsleitung des spendenden Unternehmens ist. Empfänger und Geber sind hier zumindest teilweise identisch, eine weitere Grauzone zwischen Betriebsaufwand und privater Gewinnverwendung wird sichtbar.
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Es wäre unangemessen, diejenigen Aufwendungen, die in den beschriebenen Grauzonen anzusiedeln sind, einseitig zu behandeln und in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung lediglich als Nutzen „für andere" auszuweisen. Es wäre gleichfalls unangemessen, den Tatbestand zu vernachlässigen, daß bestimmte Betriebsaufwendungen (vgl. den Fall der Kartellstrafen) nur formal Aufwandscharakter haben, bei vernünftiger Betrachtung jedoch als Gewinnverwendung bzw. als „private Angelegenheit" anzusehen sind. Diese Überlegungen führen dazu, die eingangs erwähnte Abgrenzungsregel für die Abgrenzung zwischen G u V und gesellschaftsbezogener Rechnungslegung erneut zu modifizieren, und zwar wiederum sowohl in einschränkender als auch in erweiternder Weise: -
Eine Einschränkung ist insofern erforderlich, als nicht alle Aufwendungen, bei denen die Firmenleitungen einen Nutzen für andere unterstellt, der Berichtskategorie „Erfüllung von Interessen anderer" zugeordnet werden können. Vielmehr sind diejenigen Aufwendungen, bei denen die Grenze zur privaten Interessenbefriedigung fließend ist, herauszurechnen und gesondert darzustellen.
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Eine Erweiterung ist notwendig, um diejenigen Betriebsaufwendungen zu erfassen, bei denen die Unternehmensleitung zwar keinen Nutzen unterstellt und bei denen folglich eine Berichtersattung in der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung nicht möglich ist, die aber gleichwohl beachtenswert sind. Dies gilt vor allem für den Fall der auf Firmenkosten gezahlten persönlichen Strafen für einzelne Vorstandsmitglieder. Hier wäre gleichfalls der „Doppelcharakter" dieser Aufwendungen zu kennzeichnen. Sie stellen sowohl Gewinnverwendung als auch Betriebsaufwand dar.
D a ß hierbei immer noch genügend Beurteilungsspielraum übrigbleibt, liegt in der Natur der Sache. Das Abgrenzungsprinzip hat somit hinsichtlich seiner Wirksamkeit gewisse Grenzen. Dieser Bewertungsspielraum kann jedoch im Zusammenhang mit den übrigen Grundsätzen der Sozialbilanzierung noch weiter eingeengt werden.
2.7 Übrige Bilanzierungsgrundsätze Die sinnvolle Abgrenzung der Berichtstatbestände in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung von denjenigen der klassischen Gewinn- und Verlust-Rechnung stellt das Hauptproblem der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung dar. Ist dieses Problem durch geeignete Abgrenzungsregeln, wie sie vorstehend entwickelt wurden, genügend gelöst, bereitet die Übertragung der klassischen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung auf die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung vergleichsweise weniger Schwierigkeiten:
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Der Grundsatz der Wesentlichkeit dient, wie bei der herkömmlichen Bilanz auch, dem Informationsinteresse der Berichtsempfänger. Die Wahrung dieses Grundsatzes macht eine Verständigung mit den Hauptbetroffenen von Sozialbilanzen über die Auswahl von Berichtesgegenständen in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung erforderlich. Der Grundsatz der Vergleichbarkeit fordert eine Stetigkeit der Berichterstattung sowie einen Erläuterungszwang für Unstetigkeiten. Die Vergleichbarkeit von Sozialbilanzen verschiedener Unternehmen wird stark beeinträchtigt, wenn bei der Darstellung von Geldbeträgen auf andere als aus die auch in einer herkömmlichen Bilanz verwendeten Datenquellen zurückgegriffen werden kann. Der Grundsatz der Vollständigkeit verlangt bei einer Darstellung möglicher nutzenstiftender Unternehmensaktivitäten einen simultanen Ausweis der Nutzensteigerungen für die Eigentümer sowie ein Verbot von Saldierungen. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit fordert als weiterer Abgrenzungsgrundsatz eine Einschränkung gesellschaftsbezogener Berichterstattungen. Sekundäreffekte unternehmenspolitischer Maßnahmen dürfen danach in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung nicht dargestellt werden, um Mißbrauchsmöglichkeiten zu vermeiden. Die Grundsätze der Richtigkeit und Willkürfreiheit fordern bei einer Darstellung gesellschaftlich relevanter Vorgänge und ihrer Bezüge zur Unternehmenspolitik eine Reduzierung subjektiver Einschätzungs-Spielräume auf ein Minimum. Dies bedingt den Ausweis auch von Unterlassungen und Konflikten sowie eine klare Abgrenzung von unternehmenspolitischen und privaten Aktivitäten. Dies bedingt zugleich ein Verbot des Ausweises fremder Aktivitäten als eigene Erfolge, schränkt die Möglichkeit, Dritten ohne deren Willen Interessen zu unterstellen, ein und verbietet versteckte Wertungen gesellschaftlicher Sachverhalte. Die Wahrung dieser Grundsätze macht allerdings eine vorher erfolgte Verständigung mit den Hauptadressaten gesellschaftsbezogener Berichterstattungen über die Grundsätze der Datenauswahl, Datendefinition und Datenbewertung erforderlich. Der Grundsatz der Klarheit verlangt eine Aufgliederung gesellschaftsbezogener Berichte nach klar abgrenzbaren Interessenbereichen und eine Trennung „freiwilliger" von „sonstigen" Maßnahmen. Weiterhin erfordert der Klarheitsgrundsatz eine Offenlegung von Bewertungsregeln und eine Erläuterung von Änderungen in der Beurteilung. Als nicht auf eine gesellschaftsbezogene Rechnungslegung anwendbar müssen lediglich das Realisations-, das Imparitäts- und das Vorsichtsprinzip gelten. Zwar besteht zwischen dem nicht übernommenen Realisations- und dem neu formulierten Unmittelbarkeitsprinzip eine gewisse Ähnlichkeit: Beide Prinzipien versuchen Abgrenzungsprobleme zu lösen, das Realisationsprinzip der Zeit nach, das Unmittelbarkeitsprinzip der Sache nach. Dennoch erscheint es unangemessen, das
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Realisationsprinzip auf die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung zu übertragen und mit einem neuen Inhalt zu versehen. Der Grundgedanke des Vorsichtsprinzips ist in den formulierten Grundsätzen der Abgrenzung, Richtigkeit und Wesentlichkeit bereits angesprochen, bedarf deshalb keiner besonderen Hervorhebung. Ein dem Imparitätsprinzip vergleichbarer Rechnungslegungsgrundsatz ist in der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung schließlich überhaupt nicht erforderlich. Damit erscheint ein vorläufig tragfähiges Gerüst von Grundsätzen ordnungsmäßiger gesellschaftsbezogener Rechnungslegung geschaffen zu sein. Es stellt auf die speziellen Inhalte gesellschaftsbezogener Rechnungslegung ab und verhindert bei voller Anwendung sowohl ein Ausufern bei der Darstellung gesellschaftsbezogener Tatbestände als auch eine mißbräuchliche Nutzung vorhandener Darstellungsspielräume. Dies gilt auch dann, wenn die weitere Diskussion möglicherweise zusätzliche Modifikationen der skizzierten Grundsätze als erforderlich ansehen mag.
Anmerkungen 1 Vgl. Arbeitskreis „Sozialbilanz-Praxis" (1977). Mitglieder dieses Arbeitskreises sind gegenwärtig folgende Firmen: BASF AG, Bertelsmann AG, Deutsche Shell AG, Pieroth GmbH, Rank Xerox GmbH, Saarbergwerke AG, STEAG AG, Bayer AG, Volkswagenwerk AG, Audi NSU AG, Ford-Werke AG, Wella AG, Kölner Bank eGmbH, Rheinbraun AG, Rud-Kettenfabrik, Lufthansa AG. Zur Kritik der Rahmenempfehlungen des Arbeitskreises Sozialbilanzpraxis vgl. Küller (1978) sowie Kücken (1980) und Fischer-Winkelmann (1980). 2 Den folgenden Ausführungen liegt die Darstellung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung bei Leffson (1976) zugrunde. 3 Beispiele einer am Mengengerüst orientierten Konzeption finden sich bei Mintrop (1976) sowie Müller-Wenk (1978). 4 Vgl. die ersten Sozialbilanzen der Firma STEAG AG, Essen (ab dem Jahre 1973), die Sozialbilanz der Firma Pieroth 1974/75, Bad Kreuznach 1976, sowie die ersten Sozialbilanzen der in Fußnote 1 genannten Firmen. Zur Kritik vgl. Martens u. a. (1978) sowie IG Chemie, Papier, Keramik (1978).
Literatur Arbeitskreis „Sozialbilanz-Praxis": Sozialbilanz heute. E m p f e h l u n g e n d e s Arbeitskreises „Sozialbilanz-Praxis" zur aktuellen Gestaltung g e s e l l s c h a f t s b e z o g e n e r U n t e r n e h m e n s rechnung. O . O., April 1 9 7 7 . D e u t s c h e Shell A G (Hrsg.): Geschäftsbericht/Sozialbilanz. H a m b u r g 1 9 7 5 ff. F i s c h e r - W i n k e l m a n n , W. D . : Gesellschaftsorientierte U n t e r n e h m e n s r e c h n u n g . M ü n c h e n 1980. I G C h e m i e , Papier, Keramik, Verwaltungsstelle Ludwigshafen (Hrsg.): B A S F Sozialbilanz, A n a l y s e , Kritik. Ludwigshafen, April 1 9 7 8 (Broschüre). K ü c k e n , N . : Sozialbilanzen a m S c h e i d e w e g . In: D e r B e t r i e b , 33. Jg., 1 9 8 0 , S. 1 5 0 1 - 1 5 0 5 sowie 1556-1561.
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Hans-Detlev Küller
Küller, H.-D.: Neuere Tendenzen im Bereich unternehmerischer Öffentlichkeitsarbeit, dargestellt am Beispiel der Sozialbilanzen und den Empfehlungen des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis vom April 1977. In: DGB-Bundesvorstand, Abt. Gesellschaftspolitik: Arbeitspapiere zur Unternehmenspolitik und Mitbestimmungspraxis Nr. 5/1978. Düsseldorf, Juli 1978. Küller, H.-D.: Mitbestimmung und Unternehmensfinanzierung. In: Koubek/Küller/Scheibe-Lange (Hrsg.): Betriebswirtschaftliche Probleme der Mitbestimmung. 2. Aufl. Köln 1980. Leffson, U.: Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung. 4. Aufl. Düsseldorf 1976. Martens, R. u. a.: Die Sozialbilanz der BASF 1976 - eine Analyse aus gewerkschaftlicher Sicht. Manuskript der Abteilung Gesellschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand, Juni 1978. Mintrop, A.: Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung. Zürich 1976. Müller-Wenk, R.: Die ökologische Buchhaltung, Frankfurt-New York 1978.
Humankapitalerhaltungsrechnungen und deren Bedeutung für die Jahresabschlußrechnung als extern orientierte Rechnungslegung Michael Conrads und Josef
Kloock
1. Einleitung In den letzten Jahren ist die Forschung auf dem Gebiet gesamtwirtschaftsbezogener (gesellschaftsbezogener) Rechnungslegungen oder Dokumentationsrechnungen (mit corporate social accounting oder auch Sozialbilanzen bezeichnet) sehr intensiviert worden (vgl. z. B. Dierkes/Bauer 1973, Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 1974, Weihe 1975, S. 219 ff., Fischer-Winkelmann 1980). Dagegen beschäftigte man sich mit der Weiterentwicklung einzelwirtschaftsbezogener (unternehmensbezogener) Rechnungslegungen oder Dokumentationsrechnungen, indem sie etwa auf spezifische, nicht nur gewinnorientierte Ziele der direkten Unternehmensbeteiligten ausgerichtet werden, lediglich am Rande, wie z. B. mit solchen bezüglich der Abbildung des Humankapitals eines Unternehmens 1 . Ausgehend vom koalitionstheoretischen Ansatz eines Unternehmens soll daher in diesem Beitrag untersucht werden, wie Humankapitalerhaltungsrechnungen als Beispiele für unternehmensbezogene, nicht nur gewinnorientierte Rechnungslegungen konzipiert werden können. Dabei sind vor allem die Konsequenzen aufzudecken, die solche Rechnungslegungen auf die Jahresabschlußrechnungen in ihrer Funktion als Informations- und Ausschüttungsermittlungsrechnungen (Schildbach 1975) haben. Bei dieser Analyse wird bezüglich beider Funktionen von der These ausgegangen, daß die bisherigen extern orientierten Rechnungslegungen als unternehmensbezogene Rechnungslegungen aufgrund ihrer Ausrichtung am Erfolgsindikator Gewinn (gemäß handels- und steuerrechtlichen Vorschriften) in erster Linie den direkten Kapital- und Gewinninteressen der Eigenund Fremdkapitalgeber eines Unternehmens und des Fiskus (als Vertreter des Staates in seiner Eigenschaft als Steuerempfänger) entgegenkommen. Unternehmensbezogene Rechnungslegungen für andere Koalitionsgruppen erfordern jedoch, auch die Nichtgewinninteressen dieser Koalitionsteilnehmer sowie die der Eigner und des Staates gleichgewichtig mitzuberücksichtigen. Soweit sich diese Nichtgewinninteressen auf die Humankapitalerhaltung beziehen, müssen außer den bisherigen extern orientierten Rechnungslegungen neu zu entwickelnde Humankapitalerhaltungsrechnungen als wesentliche Bestandteile unternehmensbezogener Rechnungslegungen angesehen werden. Die grundlegende Konzeption von Humankapitalerhaltungsrechnungen und deren Bedeutung für Jahresab-
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Michael Conrads / Josef Kloock
Schlußrechnungen als extern orientierte Rechnungslegungen, dargestellt am Beispiel eines Jahresabschlusses unter Einbeziehung des Geschäftsberichtes gemäß dem Aktiengesetz 1965 (AktG), stehen in den weiteren Ausführungen zur Diskussion.
2. Zum Begriff „Humankapitalerhaltung" Entsprechend der Literatur wird mit dem Begriff „Humankapital" (Humanvermögen oder Human Resources) die güterwirtschaftliche Substanz (auch „materielles" Kapital genannt) des Produktionsfaktors „Menschliche Arbeitsleistungen" eines Unternehmens bezeichnet (Conrads 1974, S. 378 f.; Weiermair 1975, S. 384). Beim Humankapital handelt es sich somit um Kapital im weiteren Sinne (Börner 1975, Sp. 2102). Jedes Humankapital eines Unternehmens läßt sich durch personen- und arbeitsplatzbezogene Merkmale (Karr/Stooß/Ulrich 1974, S. 36 ff.), die quantitativer oder qualitativer Art sein können, näher kennzeichnen. Zu den quantitativen Merkmalen gehören die Zahl der besetzten Arbeitsplätze (und somit die Zahl der angestellten Mitarbeiter) und die pro Mitarbeiter geleistete Arbeitszeit. Alle Faktoren, die das physische und psychische Leistungspotential von Mitarbeitern beeinflussen, wie z. B. Bildungs-, Arbeitsleistungs- und Gesundheitsniveau, zählen zu den qualitativen Merkmalen. Das Streben nach Humankapitalerhaltung kann sich daher auf die Erhaltung von quantitativen und/oder qualitativen Humankapitalmerkmalen eines Unternehmens während eines bestimmten Zeitraumes (Periode) beziehen. Demnach stellen z. B. die Abschaffung von Mehrarbeitszeiten (Überstunden, Zusatzschichten), die Einführung von Kurzarbeit oder die Auflösung von besetzten Arbeitsplätzen Maßnahmen dar, die eine Humankapitalerhaltung bezüglich quantitativer Merkmale gefährden. Eine Humankapitalerhaltung bezüglich qualitativer Merkmale ist gegebenenfalls dann nicht mehr gewährleistet, wenn etwa auf notwendige Ausbildungs- oder Fortbildungsmaßnahmen verzichtet wird. Je nachdem, ob man eine absolut gleichbleibende oder eine in Abhängigkeit bestimmter Bezugsgrößen variierende Humankapitalerhaltung anstrebt, wird im folgenden zwischen absoluter und relativer Humankapitalerhaltung unterschieden. Die relative Humankapitalerhaltung umfaßt sowohl Fälle, in denen das Humankapital wächst (relativ wachsendes) als auch Fälle, in denen es abnimmt (relativ abnehmendes Humankapital).
Humankapitalerhaltungsrechnungen in der Jahresabschlußrechnung
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3. Humankapitalerhaltung aus koalitionsbezogener Sicht Entsprechend dem koalitionstheoretischen Ansatz der Unternehmenstheorie sieht man in einem Unternehmen eine Koalition von direkten Unternehmensbeteiligten, wie z. B. von Anteilseignern, Gläubigern, Unternehmensführung (leitenden Angestellten gemäß § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz 1972 (BetrVG)), Arbeitnehmern (gemäß § 5 BetrVG), Lieferanten, Kunden und des Staates, soweit er direkt beteiligt ist, wie etwa in seiner Eigenschaft als Steuerempfänger (Fiskus) oder als Wirtschaftslenker (bei Befreiung von Steuerzahlungen oder Gewährung von Subventionen). Die direkten Unternehmensbeteiligten erwarten aus ihrer unmittelbaren Beteiligung am Unternehmen Anreize und sind bereit, hierfür entsprechende Beiträge zu leisten. Gemäß der auf dem koalitionstheoretischen Ansatz basierenden Anreiz-Beitragstheorie ist die Existenz eines Unternehmens gesichert, solange für jeden Unternehmensbeteiligten der Nutzenzuwachs aufgrund geleisteter Anreize des Unternehmens mindestens den Nutzenentgang aufgrund geleisteter Beiträge des Beteiligten kompensiert (Nick 1975, S. 38 ff.). Ohne die Nutzenvorstellungen von Unternehmensbeteiligten näher zu konkretisieren (hierzu wäre eine empirische Erhebung erforderlich), sollen im folgenden mögliche Einflüsse von Anreizen in Form der (absoluten oder relativen) Humankapitalerhaltung auf die Interessen (Nutzenvorstellungen) von Unternehmensbeteiligten untersucht werden. Die Arbeitnehmer (und auch leitenden Angestellten) eines Unternehmens sind sicherlich diejenigen Beteiligten, die von Anreizen in Form der Humankapitalerhaltung unmittelbar betroffen werden. Absolute oder relativ wachsende Humankapitalerhaltung, insbesondere absolute oder relativ wachsende Humankapitalerhaltung bezüglich quantitativer Merkmale, verstößt offenkundig nicht gegen die Interessen von Arbeitnehmern. Dagegen gefährdet der Verzicht auf absolute Humankapitalerhaltung oder die relativ abnehmende Humankapitalerhaltung bezüglich quantitativer Merkmale die Arbeitszeiten oder die Arbeitsplätze und auch das Einkommen (die finanziellen Anreize) einzelner oder gegebenenfalls aller Arbeitnehmer eines Unternehmens, sofern Sonderfälle, wie z. B. abnehmende Arbeitszeiten mit mindestens gleichbleibendem Einkommen, unberücksichtigt bleiben. Nicht ausreichende Humankapitalerhaltung in bezug auf qualitative Merkmale kann das Ausbildungsniveau und daher die Leistungsfähigkeit mindern. Der Verzicht auf absolute Humankapitalerhaltung oder die relativ abnehmende Humankapitalerhaltung liegt, von Sonderfällen abgesehen, nicht im Interesse der Arbeitnehmer. Es ist jedoch eine differenziertere Betrachtungsweise erforderlich, sofern die über die Personalpolitik entscheidenden Koalitionsteilnehmer zur Existenzsicherung eines Unternehmens (einer Koalition) eine Humankapitalreduzierung für notwendig halten. Dieser Fall tritt beispielsweise ein, wenn sich nur durch Personalrationalisierungsmaßnahmen, die zu Einsparungen von Arbeitsplätzen und somit von Lohnkosten führen, die Arbeitsplätze und Arbeitszeiten der im
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Unternehmen verbleibenden Arbeitnehmer sichern lassen. Für diese erweist sich dann der Verzicht auf absolute Humankapitalerhaltung als vorteilhaft. Es kann infolgedessen nicht immer davon ausgegangen werden, daß die Gruppe der Arbeitnehmer bezüglich einer Humankapitalerhaltung stets einheitliche Interessen verfolgt. Die finanziellen Anreize eines Unternehmens für die Anteilseigner bestehen in den Dividendenzahlungen und möglichen Verkaufserlösen für ihre Anteilswerte (Aktien). Streben Anteilseigner danach, das Unternehmen als langfristige Dividendenquelle zu erhalten (Going-Concern-Concept), so liegt eine zur Unternehmenserhaltung erforderliche absolute oder relativ wachsende Erhaltung des Humankapitals sicherlich ebenso im Interesse dieser Anteilseigner wie der Arbeitnehmer. Anteilseigner, die als Ziel eine kurzfristige Maximierung der Dividendenzahlungen und der Verkaufserlöse für ihre Anteilswerte verfolgen, werden eine solche Humankapitalerhaltung dann nicht unterstützen, wenn die möglichen Ausschüttungen durch (aufwandsauslösende) Maßnahmen zur Erhaltung des Humankapitals gekürzt werden, ohne daß sich diese Kürzungen kurzfristig auf den Kurswert der Anteilswerte positiv auswirken. In dem letzten Fall kollidieren Arbeitnehmer- und Anteilseignerinteressen sowie die Anteilseignerinteressen untereinander. Eine absolute oder relativ wachsende Humankapitalerhaltung ist dann nur zu Lasten von einzelnen Anteilseignerinteressen möglich. Auch die Interessen der übrigen Unternehmensbeteiligten werden durch Anreize in Form der Humankapitalerhaltung unterschiedlich berührt. Alle Koalitionsteilnehmer, die an einer langfristigen Beteiligung am Unternehmen interessiert sind, werden grundsätzlich eine Humankapitalerhaltung fordern, die ihre langfristigen Beteiligungswünsche erfüllt. Im Gegensatz hierzu werden alle Unternehmensbeteiligten mit z. B. kurzfristigen Gewinnmaximierungszielen jede Humankapitalerhaltung, die ihre Gewinnmöglichkeiten schmälert, ablehnen. Anreize in Form der Humankapitalerhaltung berühren ebenfalls die Interessensphäre des Staates. Die Interessen des Staates können mit denen der übrigen direkten Unternehmensbeteiligten im Hinblick auf eine Humankapitalerhaltung von quantitativen Merkmalen übereinstimmen oder kollidieren, je nachdem, ob die von den übrigen direkten Unternehmensbeteiligten verfolgte Humankapitalerhaltung die gesamtwirtschaftspolitischen Ziele einer anzustrebenden oder zu erhaltenden Vollbeschäftigung oder einer abzubauenden Nachfrage nach Arbeitskräften unterstützt oder diesen Zielen zuwiderläuft. Ebenfalls sind Übereinstimmungen oder Kollisionen der Interessen bezüglich zu ergreifender Ausbildungsmaßnahmen in Abhängigkeit der von Unternehmen angestrebten Humankapitalerhaltung und der vom Staat verfolgten ausbildungspolitischen Aufgaben möglich. So können sich Maßnahmen der Unternehmen zur Humankapitalerhaltung von quantitativen Merkmalen und des Staates gegenseitig ergänzen, wenn in staatlichen Bildungsinstitutionen allgemeine und in Unternehmen spezifische Berufs-
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kenntnisse vermittelt werden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, daß sie miteinander kollidieren, wenn z. B. Unternehmen nicht genügend Ausbildungsplätze, Ausbilder und Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen oder die Qualität staatlicher Bildungsinstitutionen für eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit nicht ausreicht. Die Interessen der direkten Unternehmensbeteiligten werden also durch einzelne mögliche Formen der Humankapitalerhaltung gegebenenfalls in unterschiedlicher Weise tangiert. Die Erhaltung des Humankapitals aus Unternehmens- oder koalitionsbezogener Sicht erfordert daher Kompromisse zwischen den direkten Unternehmensbeteiligten, die einen für alle Beteiligten akzeptablen Interessenausgleich ermöglichen. Probleme der Humankapitalerhaltung treten bei allen Planungsaufgaben eines Unternehmens auf, die den Personalbereich mitbetreffen. Zur Festlegung der künftigen personalpolitischen Entwicklungen und zur Aufstellung von (kurz-, mittel- oder langfristigen) Personalplänen eines Unternehmens müssen sich die Unternehmensbeteiligten im Falle unterschiedlicher Humankapitalinteressen auf eine anzustrebende oder beizubehaltende Form der Humankapitalerhaltung einigen. Diese Einigung ist im Rahmen der gesetzlich festgelegten Mitbestimmungsvorschriften (wie etwa nach dem AktG, BetrVG, Mitbestimmungsgesetz 1976 (MitbestG)) und/oder der unternehmensspezifisch vereinbarten Mitbestimmungsregelungen für die einzelnen Koalitionsgruppen bzw. für deren Vertreter herbeizuführen. An diesem Einigungsprozeß nehmen bei einer Aktiengesellschaft etwa der Aufsichtsrat - mit z. B. paritätischer Zusammensetzung von Vertretern der Aktionäre sowie der Arbeitnehmer gemäß § 7 MitbestG - , der Vorstand - durch den Aufsichtsrat bestellt - und der Betriebsrat als Vertreter der Arbeitnehmer teil. Die Beteiligung des Staates ist indirekt durch Setzen von Rahmenbedingungen, deren Einhaltung oder Nichteinhaltung an bestimmte „Belohnungen" oder „Bestrafungen" geknüpft ist, wie z. B. die gesetzlich mögliche Berufsausbildungsabgabe gemäß dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz 1976, gewährleistet. Inwieweit die Unternehmensbeteiligten bzw. deren Vertreter in den Einigungsprozeß über die für alle Koalitionsteilnehmer eines Unternehmens als verbindlich anzusehende Humankapitalerhaltungsform einzubeziehen sind, soll nicht weiter untersucht werden. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß eine Einigung auf eine bestimmte Humankapitalerhaltungsform als Grundlage unternehmerischer Personalplanungen vorliegt. Dem Problem der Humankapitalerhaltung kommt jedoch ebenfalls für eine (aktienrechtliche) Jahresabschlußrechnung als extern orientierte Rechnungslegung Bedeutung zu. Gemäß dem koalitionsbezogenen Ansatz besteht die Aufgabe der (aktienrechtlichen) Jahresabschlußrechnung als Informationsrechnung darin, den am Informationsbeschaffungs- und -Verarbeitungsprozeß der Unternehmensführung nicht direkt beteiligten Koalitionsteilnehmern zumindest Informationen über
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das abgelaufene Wirtschaftsjahr (für Kontroll- oder gegebenenfalls Prognosezwekke) eines Unternehmens zu vermitteln. Im Hinblick auf Anreize des Unternehmens bezüglich einer möglichen Humankapitalerhaltung sind daher auch Informationen über das Humankapital zur Verfügung zu stellen. Wie der (aktienrechtliche) Jahresabschluß um Informationen über das Humankapital ergänzt werden kann oder soll, ist aber weniger eine Frage der Humankapitalerhaltung als ein Problem der Humankapitalabbildung. Auf sie wird daher bei der Dokumentation einer Humankapitalerhaltung noch eingegangen. Für die (handelsrechtliche) Jahresabschlußrechnung als Gewinn- oder nach Aktienrecht als Jahresüberschußverwendungsrechnung können Fragen der Humankapitalerhaltung bezüglich der Gewinnverwendung eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise dürfte die Ausschüttung eines Gewinnes (Jahresüberschusses), der lediglich durch den Verzicht auf Ausbildungsausgaben entstanden ist, gegen die Humankapitalerhaltungsinteressen der Arbeitnehmer verstoßen, sofern ohne diese Ausgaben etwa die absolute Erhaltung qualitativer Merkmale des Humankapitals nicht mehr gewährleistet ist. Inwieweit Interessenkonflikte zwischen den Unternehmensbeteiligten bezüglich der Gewinnverwendung (Jahresüberschußverwendung) auftreten, hängt von der verfolgten Humankapitalerhaltungsform der Unternehmensbeteiligten ab. Es sollen daher zunächst verschiedene Konzeptionen der Humankapitalerhaltung, mit deren Hilfe man sich auf mögliche Humankapitalerhaltungsformen einigen kann, als notwendiger Bestandteil jeder Unternehmenserhaltung vorgestellt und erörtert werden.
4. Humankapitalerhaltungskonzeptionen Die bisher aus der Literatur bekannten Konzepte der Unternehmenserhaltung als Substanzerhaltung (Schmidt 1970, Sp. 772 ff.; Börner 1975, Sp. 2096 ff.; Jacobs/ Schreiber 1979, S. 93 ff.) gehen zwar grundsätzlich von einer Sachkapital- und Humankapitalerhaltung aus. Jedoch werden Fragen der Humankapitalerhaltung gar nicht oder nur am Rande behandelt 2 . Infolgedessen basieren die Substanzerhaltungskonzeptionen auf der (unerwähnt bleibenden) Prämisse, daß das für eine Sachkapitalerhaltung notwendige Humankapital in eindeutiger Weise mitgesichert wird. Die bisher aus der Literatur bekannten Substanzerhaltungskonzeptionen sind also nur als Sachkapitalerhaltungskonzeptionen zu verstehen. Aber nicht allein die Vernachlässigung des Humankapitals macht die Entwicklung spezifischer Humankapitalerhaltungskonzeptionen erforderlich. Entscheidend für die Notwendigkeit ihrer Entwicklung ist die Tatsache, daß sich Sachkapital- oder Geldkapitalerhaltung einerseits sowie Humankapitalerhaltung andererseits gegenseitig ausschließen können. Sie führen gegebenenfalls zu Interessenkonflikten zwischen den Unternehmensbeteiligten. So kann beispielsweise eine Sachkapital- oder Geldkapitaler-
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haltung lediglich bei Personalentlassungen gewährleistet sein; ein Fall, der bei stark steigenden Personal- und Sozialkosten nicht immer auszuschließen ist. Ebenfalls kann z. B. eine (absolute) Humankapitalerhaltung eine Sachkapitaloder Geldkapitalerhaltung verhindern, wenn etwa Geldmittel statt für Ersatzinvestitionen für die Deckung von Verlusten, die durch die Erhaltung von Arbeitsplätzen entstehen, verwendet werden müssen. Die gegebenenfalls unterschiedlichen Interessen, die Unternehmensbeteiligte mit ihrer Beteiligung an einem Unternehmen verfolgen, bedingen somit auch die Entwicklung spezifischer Humankapitalerhaltungskonzeptionen. Die Entwicklung von Humankapitalerhaltungskonzeptionen sollte von den möglichen personalpolitischen Zielvorstellungen der Unternehmensbeteiligten ausgehen. In Anbetracht der in diesem Beitrag zur Diskussion stehenden Frage nach der Bedeutung von Humankapitalerhaltungsrechnungen für (aktienrechtliche) Jahresabschlußrechnungen wird jedoch in Anlehnung an die aus der bilanztheoretischen Literatur bekannten Substanz- bzw. Sachkapitalerhaltungskonzeptionen (Schmidt 1970, Sp. 774 ff.; Börner 1975, Sp. 2100 ff.; Jacobs/Schreiber 1979, S. 105 ff.) von folgenden möglichen Humankapitalerhaltungskonzeptionen ausgegangen:
Erhaltungskonzeptionen
absolute (reproduktive) Humankapitalerhaltung
relative Humankapitalerhaltung
- absolute Arbeitsplatzerhaltung
- relative Arbeitsplatzerhaltung, z. B. organische, leistungsäquivalente oder Erfolgs-Arbeitsplatzerhaltung - relative Arbeitszeiterhaltung, z. B. organische, leistungsäquivalente oder Erfolgs-Arbeitszeiterhaltung
Zu erhaltende Humankapitalmerkmale quantitative Humankapitalmerkmale
- absolute Arbeitszeiterhaltung (in der Regel Normalarbeitszeit) qualitative Humankapitalmerkmale
- absolute Leistungspotentialerhaltung (gegebenenfalls spezifiziert nach einzelnen Merkmalen wie Bildungs-, Arbeitsleistungsund Gesundheitsniveau)
- relative Leistungspotentialerhaltung, z. B. organische, leistungsäquivalente oder Erfolgs-Leistungspotentialerhaltung
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Die einzelnen Konzeptionen der Humankapitalerhaltung beziehen sich zunächst jeweils auf alle quantitativen und qualitativen Merkmale, die das Humankapital eines Unternehmens kennzeichnen. Unter absoluter (reproduktiver) Humankapitalerhaltung ist daher die Erhaltung aller Arbeitsplätze, der (Normal-)Arbeitszeit pro Mitarbeiter und des Leistungspotentials aller Mitarbeiter eines Unternehmens (für eine Periode) zu verstehen. Hieraus ergibt sich, daß im Falle der Versetzung und des Ausscheidens von Mitarbeitern wegen Unternehmenswechsel, Erreichen der Altersgrenze, Invalidität oder Tod der jeweilige Arbeitsplatz neu zu besetzen ist. Als mögliche Bezugsgrößen für eine relative Humankapitalerhaltung werden die aus der Literatur über Substanzerhaltungskonzeptionen bekannten Größen gewählt, wobei Fragen der Definition und Meßbarkeit dieser Größen nicht zur Diskussion stehen. Infolgedessen ist eine relative Arbeitsplatzerhaltung z. B. als organische, leistungsäquivalente oder Erfolgs-Arbeitsplatzerhaltung denkbar. Eine organische Arbeitsplatzerhaltung ist dann gewährleistet, wenn die Zahl der Arbeitsplätze eines Unternehmens in Abhängigkeit von der relativen Stellung des Unternehmens in der Gesamtwirtschaft (Volkswirtschaft eines Landes oder mehrerer Länder z. B. der Europäischen Gemeinschaft oder der Welt) erhalten bleibt. Eine leistungsäquivalente Arbeitsplatzerhaltung liegt bei Erhaltung der Arbeitsplätze eines Unternehmens entsprechend der durch technischen Fortschritt und Bedarfsverschiebungen bedingten Branchenentwicklung eines Landes oder einer größeren Wirtschaftseinheit vor. Mit einer Erfolgs-Arbeitsplatzerhaltung wird die Erhaltung der Arbeitsplätze eines Unternehmens in Abhängigkeit vom Erfolgs(geld)kapital (Erfolg gemäß der ökonomischen Gewinnkonzeption), also von den künftigen Unternehmenserfolgen, bezeichnet. Eine Erfolgs-Arbeitsplatzerhaltung ist dann als gewährleistet anzusehen, wenn die Zahl der Arbeitplätze jeder Periode in der Höhe erhalten wird, die einen in jeder Periode gleichbleibenden Ertragswert als Barwert der künftigen Unternehmenserfolge (Erfolgs(geld)kapital) bei vorgegebenem Kapitalisierungszinsfuß sichert (Erfolgs(geld)kapitalerhaltung). Die Erfolgs-Arbeitsplatzerhaltung wird also an der Erfolgs(geld)kapitalerhaltung ausgerichtet. Bezüglich der relativen Arbeitszeit- und Leistungspotentialerhaltung lassen sich die gleichen Bezugsgrößen der Humankapitalerhaltung verwenden, so daß organische, leistungsäquivalente oder Erfolgs-Arbeitszeit- und Erfolgs-Leistungspotentialerhaltungen unterschieden werden können. Alle Konzeptionen der relativen Humankapitalerhaltung bedingen bei abnehmenden Bezugsgrößen keine absolute Humankapitalerhaltung mehr. Sie verstoßen sicherlich dann gegen die Interessen der Arbeitnehmer und gegebenenfalls auch des Staates, wenn die Bezugsgrößen von Periode zu Periode so stark schwanken, daß z. B. eine relative Arbeitsplatzerhaltung stets auch Entlassungen bzw. Neueinstellungen von Arbeitnehmern erfordert. Dagegen werden Formen der relativen Humankapitalerhaltung, die sich bezüglich der quantitativen Merkmale etwa mittels auftretender Fluktuationen
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einschließlich des Ausscheidens aus Altersgründen von Arbeitnehmern realisieren lassen, den Interessen der Arbeitnehmer und des Staates eher gerecht. Konzeptionen der Humankapitalerhaltung können auch als Mischformen der (reinen) Erhaltungskonzeptionen gemäß der Tabelle von Seite 663 gebildet werden. So ist es möglich, eine Humankapitalerhaltungskonzeption als eine leistungsäquivalente Arbeitsplatz-, eine absolute Arbeitszeit- und eine absolute Leistungspotentialerhaltung zu konzipieren. Eine solche Konzeption der Humankapitalerhaltung umfaßt dann die Erhaltung der Arbeitsplätze in Abhängigkeit der Branchenentwicklung, die absolute Erhaltung der Arbeitszeit (Normalarbeitszeit) und des Leistungspotentials aller Beschäftigten. Andere Mischformen sind ohne weiteres möglich und lassen sich analog beschreiben. Ist wegen der Schwierigkeiten, die vorgeschlagenen Bezugsgrößen der Humankapitalerhaltung exakt zu definieren oder zu messen, keine Eiiligung zwischen den Unternehmensbeteiligten auf eine der dargestellten Konzeptionen der relativen Humankapitalerhaltung möglich, so können ohne weiteres andere Bezugsgrößen der Konzeption für eine relative Humankapitalerhaltung zugrundegelegt werden. Inwieweit die einzelnen Konzeptionen der Humankapitalerhaltung auch eine Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltung beinhalten, ist für die weiteren Ausführungen bis auf eine Ausnahme, die die Berücksichtigung von Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltung im Falle der Geldentwertung in (aktienrechtlichen) Jahresabschlußrechnungen betrifft, ohne Belang. Auf eine Abgrenzung der Humankapitalerhaltungskonzeption von Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltungskonzeptionen soll daher verzichtet werden.
5. Einbeziehung von Humankapitalerhaltungsrechnungen in (aktienrechtliche) Jahresabschlußrechnungen Im letzten Abschnitt wurden mögliche Konzeptionen einer Humankapitalerhaltung entwickelt. Da Personalplanungsrechnungen nicht zur Diskussion stehen, wird für die weiteren Ausführungen unterstellt, daß die Unternehmensbeteiligten sich etwa zu Beginn einer Periode auf eine Form der Humankapitalerhaltung geeinigt haben. Diese wird als die von den Koalitionsteilnehmern geplante Humankapitalerhaltung bzw. als Soll-Humankapitalerhaltung bezeichnet. Für die Aufstellung einer (eventuell extern orientierten) Dokumentationsrechnung der Humankapitalerhaltung (Humankapitalerhaltungsrechnung) wird die für den Aufstellungsstichtag jeweils gültige Soll-Humankapitalerhaltung unabhängig von dem zugrundeliegenden Planungszeitraum herangezogen. Die erste Aufgabe einer Humankapitalerhaltungsrechnung besteht dann darin, die geplante und die realisierte Humankapitalerhaltung zunächst in überprüfbarer Form abzubilden bzw. zu dokumentieren. Die geplante Humankapitalerhaltung liegt in Form der Daten vor, auf die sich die Koalitionsteilnehmer geeinigt haben. Die am Ende einer Periode
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realisierte Humankapitalerhaltung ist in den Kategorien der quantitativen und qualitativen Merkmale des Soll-Humankapitals zu dokumentieren. Eine Dokumentation realisierter quantitativer Merkmale des Humankapitals stößt auf keine großen meßtechnischen Schwierigkeiten. Bezüglich der Dokumentation realisierter qualitativer Humankapitalmerkmale, etwa physischer und psychischer Leistungspotentialdeterminanten, kann auf Meßmethoden zurückgegriffen werden, die im Rahmen der Arbeitswissenschaften bereits erarbeitet worden sind (Singleton u. a. 1973, Singleton/Spurgeon 1975). Es erhebt sich nun die Frage nach möglichen Konsequenzen für eine Jahresabschlußrechnung, wenn die realisierte von der geplanten Humankapitalerhaltung abweicht. Dabei wird hier zunächst der Fall untersucht, in dem die realisierte Humankapitalerhaltung kleiner ist als die geplante, also die Soll-Humankapitalerhaltung durch die Geschäftstätigkeit des Unternehmens in der abgelaufenen Periode nicht erreicht wurde. Der andere Fall soll, sofern die vereinbarte Soll-Humankapitalerhaltung nicht korrigiert wird, analog zum ersten Fall behandelt werden. Für eine Jahresabschlußerstellung bietet es sich an, der durch die Geschäftstätigkeit des Unternehmens nicht realisierten Soll-Humankapitalerhaltung durch Bereitstellung von Geldbeträgen, die in Zukunft die Erhaltung sichern sollen etwa durch Bildung von zweckgebundenen Rückstellungen oder Rücklagen — Rechnung zu tragen. In Analogie zu den beiden grundlegenden Konzeptionen von Erfolgsrechnungen (Börner 1975, S. 2098 ff.) können Humankapitalerhaltungsrechnungen an dem in Jahresabschlußrechnungen ausgewiesenen zu verteilenden Jahreserfolg eines Unternehmens anknüpfen oder dazu dienen, die Höhe des zu ermittelnden Jahreserfolges mitzubestimmen. Im ersten Fall ist eine Humankapitalerhaltungsrechnung Bestandteil der Jahreserfolgsverwendungsrechnung und im zweiten Fall ist sie in die Jahreserfolgsermittlungsrechnung zu integrieren. Liegt die Höhe der für eine Humankapitalerhaltung erforderlichen Beträge bereits zu Beginn der Jahresabschlußerstellung fest, so besteht die Möglichkeit, die Humankapitalerhaltungsrechnung in die Jahreserfolgsermittlungsrechnung einzubeziehen. Eine solche Lösung ist dann denkbar, wenn sich die Koalitionsmitglieder schon zum Zeitpunkt der Humankapitalerhaltungsplanung auf die Beträge geeinigt haben, die bei einer nicht erreichten Soll-Humankapitalerhaltung zum Periodenende einbehalten oder die bei einer gesamtwirtschaftlichen Lösung des Humankapitalerhaltungsproblems an humankapitalerhaltende Stellen (Arbeitsämter) abgeführt werden sollen. In diesem Fall sind die für eine Humankapitalerhaltung notwendigen Beträge als Aufwand zu erfassen. Diese Beträge lassen sich, wenn sie abgeführt werden (gesamtwirtschaftliche Lösung), mit den Ausgleichsabgaben für zu wenig beschäftigte Schwerbehinderte ( § 8 des Schwerbehindertengesetzes 1979) vergleichen. Werden sie einbehalten, da die angestrebte, jedoch nicht erreichte Soll-Humankapitalerhaltung durch das Unternehmen selbst zu realisieren ist (einzelwirtschaftliche Lösung), dann sind diese Beträge den Rückstellungen
Humankapitalerhaltungsrechnungen in der Jahresabschlußrechnung
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im Falle unterlassener Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden, vergleichbar. Es liegen also entweder vergangene Auszahlungen oder künftige Auszahlungsverpflichtungen vor, über die zu Beginn der Jahresabschlußerstellung bereits entschieden ist; sie werden als Aufwendungen der Gewinn- und Verlustrechnung erfaßt. Soll hingegen erst im Rahmen der Jahresabschlußerstellung über die Höhe der für eine nicht erreichte Soll-Humankapitalerhaltung einzubehaltenden Beträge entschieden werden, bietet es sich an, die Humankapitalerhaltungsrechnung erst an den in der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelten Erfolg anknüpfen zu lassen. Eine Humankapitalerhaltungsrechnung als Jahreserfolgsverwendungsrechnung setzt im Gegensatz zum obigen Fall allerdings voraus, daß die Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens für die abgelaufene Periode einen Gewinn (positiven Erfolg) oder nach Aktienrecht einen Jahresüberschuß ausweist. Anderenfalls können Beträge für eine künftige Humankapitalerhaltung in Form von Zuweisungen zu (humankapitalzweckgebundenen) Rücklagen nur durch Umbuchungen von (Gewinn-)Rücklagen bereitgestellt werden. Denkbar sind ebenfalls Mischformen, bei denen die für eine Erhaltung des Soll-Humankapitals erforderlichen Beträge teilweise durch die Jahreserfolgsermittlungs- und teilweise durch die Jahreserfolgsverwendungsrechnung bereitgestellt werden. Ersichtlich hängt die Wahl zwischen beiden Grundformen und möglichen Mischformen der Humankapitalerhaltungsrechnung - Humankapitalerhaltungsrechnung als Erfolgsermittlungs- und/oder als Erfolgsverwendungsrechnung - von der Erfolgs- bzw. Gewinndefinition einer Jahresabschlußrechnung ab. Schließt man sich der Erfolgsdefinition des § 157 AktG an - und dies soll im folgenden geschehen - erscheint es im Falle einzelwirtschaftlicher Lösungen der Humankapitalerhaltung zweckmäßig, eine Humankapitalerhaltungsrechnung als Jahresüberschußverwendungsrechnung zu konzipieren, also die Jahreserfolgsermittlung nach Aktienrecht ohne Humankapitalerhaltungsrechnung durchzuführen. Darüber hinaus spricht für diese Wahl, daß etwa Rückstellungen für im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen bezüglich einer Humankapitalerhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden, im Aktienrecht nicht vorgesehen bzw. nicht gestattet sind (vgl. § 153 Abs. 7 AktG). Für eine Humankapitalerhaltungsrechnung als aktienrechtliche Jahresüberschußverwendungsrechnung ergibt sich somit die Aufgabe, den Teil des Jahresüberschusses (gegebenenfalls der (Gewinn-)Rücklagen) auszuweisen, der aufgrund von Beschlüssen der Unternehmensbeteiligten für künftige Humankapitalerhaltungsmaßnahmen einer Aktiengesellschaft bereitgestellt werden soll und daher nicht ausgeschüttet werden darf. Insofern sind diese Aufgaben von Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltungsrechnungen bei Geldentwertung und von Humankapitalerhaltungsrechnungen identisch. (Zu beachten ist jedoch, daß mit einer Humankapitalerhaltung einerseits und mit einer Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltung bei
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Inflation andererseits unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. Sofern also Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltungsrechnungen bei Inflation im Rahmen von Jahresüberschußverwendungsrechnungen für notwendig erachtet werden 3 , sind diese zusätzlich zu den hier konzipierten Humankapitalerhaltungsrechnungen durchzuführen). Bei Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltungsrechnungen bereitet jedoch die Ermittlung des nicht auszuschüttenden Teils des Jahresüberschusses in Abhängigkeit der von den Koalitionsteilnehmern festgelegten Kapitalerhaltungsform (einschließlich Scheingewinndefinition) keine großen Schwierigkeiten. Dagegen stellt sich einer Humankapitalerhaltungsrechnung das Problem, die Differenz zwischen geplanter und realisierter Humankapitalerhaltung, die primär nicht monetär gemessen wird, in einen für die Soll- Humankapitalerhaltung bereitzustellenden Teil des Jahresüberschusses umzurechnen. Ist also z. B. eine geplante absolute Arbeitsplatzerhaltung in einer Periode nicht erreicht und trotzdem ein Jahresüberschuß erzielt worden, muß mittels der Humankapitalerhaltungsrechnung bestimmt werden, wieviel vom erzielten Jahresüberschuß (absolut oder prozentual) zur künftigen Soll-Arbeitsplatzerhaltung seitens der Koalition „Unternehmen" einzubehalten ist. Um die angestrebte, jedoch nicht erreichte SollHumankapitalerhaltung zu realisieren, ist der Einsatz von Kapital erforderlich. Hierbei handelt es sich z. B. um den für Einrichtungen von Arbeitsplätzen oder für Ausbildungsmaßnahmen erforderlichen Kapitaleinsatz. Der Anteil von Eigenkapital für diesen Kapitaleinsatz (Selbstfinanzierungsquote) hängt letztlich vom gewünschten und durch Abstimmung mit den betreffenden Koalitionsmitgliedern (Eigen- und Fremdkapitalgebern) realisierbaren Verschuldungsgrad eines Unternehmens ab. Ist der gewünschte Verschuldungsgrad festgelegt (etwa gleich dem bisherigen), dann ergibt sich aus diesem Verschuldungsgrad und dem für die geplante Humankapitalerhaltung erforderlichen Kapitaleinsatz der Eigenkapitalanteil, der durch die Einbehaltung erzielter Jahresüberschüsse (der betrachteten oder früherer Perioden durch Umbuchung von (Gewinn-)Rücklagen) aufzubringen ist. Um jedoch den erforderlichen Kapitaleinsatz und daher die Ausgaben zur Erreichung des angestrebten Soll-Humankapitals zu bestimmen, müssen die hierfür benötigten Maßnahmen bzw. Alternativen bekannt sein. Bezüglich quantitativer Merkmale einer nicht erreichten (etwa absoluten, organischen oder leistungsäquivalenten) Soll-Humankapitalerhaltung, wie Arbeitsplätze oder Arbeitszeit, ist also die Kenntnis der besten arbeitsplatzschaffenden oder arbeitszeiterhaltenden Maßnahmen erforderlich. Im Hinblick auf qualitative Merkmale der verfolgten Soll-Humankapitalerhaltung tritt die zusätzliche Schwierigkeit auf, daß sich die für eine Beurteilung von Maßnahmen der Leistungspotentialerhaltung notwendigen Ausbildungserfolge und damit die hierfür anzusetzenden Ausgaben noch schwieriger prognostizieren lassen. Humankapitalerhaltungsrechnungen im Rahmen von Jahresüberschußverwendungsrechnungen sind somit kurz- oder mittelfristige Planungsrechnungen, die zwecks Erhaltung des angestrebten Soll-
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Humankapitals durchzuführen sind. Ebenfalls bedingen Formen der Erfolgshumankapitalerhaltung, die für eine Erfolgskapitalerhaltung notwendigen Humankapitalerhaltungsmaßnahmen mit Hilfe von im Gegensatz zu den anderen Konzeptionen langfristigen, erfolgsorientierten Planungsrechnungen zu bestimmen. Unabhängig davon, welche Humankapitalerhaltungsform verfolgt wird, ist somit der Planungscharakter von Humankapitalerhaltungsrechnungen im Rahmen von Jahresüberschußverwendungsrechnungen offenkundig. Der sich gemäß einer Humankapitalerhaltungsrechnung ergebende Eigenkapitalanteil am Kapitaleinsatz für die angestrebte Soll-Humankapitalerhaltung kann die gemäß § 58 Abs. 1 und 2 AktG anzusetzende Hälfte des Jahresüberschusses übersteigen, über die Vorstand und Aufsichtsrat verfügen können, falls sie den Jahresabschluß feststellen. In diesem Fall hängt die Bereitstellung von Eigenkapital für die angestrebte Soll-Humankapitalerhaltung von der Hauptversammlung, also allein von den Aktionären ab. Um daher die Humankapitalerhaltungsinteressen der Unternehmensbeteiligten dann zu schützen, wenn sich die Hauptversammlung entgegen den Humankapitalerhaltungsbeschlüssen ihrer Vertreter im Aufsichtsrat und Vorstand für eine Ausschüttung des Bilanzgewinns entscheidet, bieten sich folgende zwei Lösungsvorschläge an. So ist es möglich, die Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat bezüglich einer Jahresüberschußverwendung über den § 58 AktG hinaus zu erweitern. Eine solche Kompetenzerweiterung kann darin bestehen, daß für den Fall einer nicht erreichten Soll-Humankapitalerhaltung, auf die sich die Vertreter der Aktionäre und Arbeitnehmer unter Beachtung gesetzlicher Mindestvorschriften geeinigt haben, der Jahresüberschuß zuerst für die angestrebte Soll-Humankapitalerhaltung zu verwenden ist. Nur über die Verwendung des dann verbleibenden Restes bzw. im Höchstfall über die Verwendung der Hälfte des Jahresüberschusses entscheidet die Hauptversammlung 4 . Eine solche Lösung eröffnet, weil Humankapitalerhaltungsrechnungen wegen ihres Planungscharakters ohne weiteres manipulierbar sind, die Gefahr einer zu großen Beeinträchtigung der Gewinninteressen, unter Umständen sogar der durch § 254 AktG geschützten Mindestgewinninteressen, von Aktionären. Auch wenn Humankapitalerhaltungsrechnungen durch Wirtschaftsprüfer geprüft werden sollten, bleibt diese Gefahr weiterhin bestehen, solange Grundsätze ordnungsgemäß aufgestellter Planungsrechnungen fehlen 5 . Um daher die durch das zur Zeit gültige Aktiengesetz den Aktionären eröffneten Möglichkeiten, über die Verwendung der Hälfte des erzielten Jahresüberschusses selbst zu entscheiden, nicht zu stark einzuschränken, bietet sich folgender zweite Lösungsvorschlag an. Man erweitert die Humankapitalerhaltungsrechnung um eine Rechnung zur genauen Ermittlung des Betrages, der durch den Verzicht auf die angestrebte Soll-Humankapitalerhaltung einen Jahresüberschuß erst entstehen ließ oder einen entstandenen erhöht hat. Liegt dieser Betrag über der gemäß § 58 Abs. 1 und 2 AktG anzusetzenden Hälfte des Jahresüberschusses (über der 50%-Grenze), so stellt er den Höchstbetrag dar, über dessen Verwendung Vorstand und Aufsichtsrat zwecks der ange-
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strebten Soll-Humankapitalerhaltung entscheiden können. In der Regel dürfte dieser Betrag, der im wesentlichen die durch Verzicht auf eine Arbeitsplatz-, Arbeitszeit- und Leistungspotentialerhaltung entstehenden Aufwandsersparnisse wiedergibt, kleiner ausfallen als der für eine angestrebte Soll-Humankapitalerhaltung erforderliche Eigenkapitalbedarf. Durch eine solche Beschränkung über die Verwendung des Jahresüberschusses durch Vorstand und Aufsichtsrat ist im Gegensatz zum ersten Lösungsvorschlag besser gewährleistet, daß die Gewinninteressen der Aktionäre nicht zu stark durch die Humankapitalinteressen von anderen Unternehmensbeteiligten beeinträchtigt werden. Außerdem besteht weiterhin die Möglichkeit, daß die Aktionäre im Rahmen des Bilanzgewinnverwendungsbeschlusses weitere Beträge für eine als erforderlich betrachtete Humankapitalerhaltung zur Verfügung stellen. Bezüglich eines solchen Beschlusses sind allerdings die durch § 254 AktG gegebenenfalls garantierten Mindestgewinnansprüche in Höhe von 4 % des Grundkapitals (abzüglich der noch nicht eingeforderten Einlagen) zu berücksichtigen. (Inwieweit eine solche Humankapitalerhaltungsrechnung um eine Geldkapital- oder Sachkapitalerhaltungsrechnung im Falle von Geldentwertungen zu ergänzen ist, soll hier nicht erörtert werden.) Einigen sich die Unternehmensbeteiligten unter Zustimmung der Kapitalmehrheit der Aktionäre auf eine anzustrebende (gegebenenfalls längerfristige) Soll-Humankapitalerhaltung, dann erübrigen sich die vorhin diskutierten Lösungsvorschläge. In diesem Fall ergibt sich die Möglichkeit, diese Einigung in entsprechenden Satzungsbestimmungen zu verankern; denn die Aktionäre können den Vorstand und Aufsichtsrat durch die Satzung ermächtigen, je nach dem Realisationsgrad der Soll-Humankapitalerhaltung Beträge hierfür in die freien Rücklagen einzustellen, auch wenn dadurch die 50%-Grenze überschritten wird. Bei dieser Konstellation ist dann eine explizite Zustimmung der Hauptversammlung zur Einbehaltung von Beträgen des Jahresüberschusses für die angestrebte Soll-Humankapitalerhaltung zu den jeweiligen Abschlußzeitpunkten nicht mehr erforderlich. Einer Humankapitalerhaltungsrechnung bei dem zur Zeit gültigen Aktienrecht kommt also die Aufgabe zu, die von den Koalitionsteilnehmern geplante sowie die im Verlaufe einer Periode realisierte Humankapitalerhaltung möglichst überprüfbar zu dokumentieren. Darüber hinaus bildet sie, wenn die angestrebte SollHumankapitalerhaltung größer ist als die realisierte Humankapitalerhaltung, die Konsequenzen der durch die Geschäftstätigkeit nicht ereichten Soll-Humankapitalerhaltung im Rahmen der Jahresüberschußverwendung (bei einzelwirtschaftlichen Lösungsansätzen) oder gegebenenfalls der Jahresüberschußermittlung (bei gesamtwirtschaftlichen Lösungsansätzen) ab. Für den Fall, daß eine realisierte Humankapitalerhaltung die vereinbarte SollHumankapitalerhaltung übersteigt, bietet sich, sofern die Soll-Humankapitalerhaltung nicht nachträglich korrigiert wird, folgende zum schon erörterten Fall analoge Lösung an. Im Rahmen der Jahresüberschußverwendungsrechnung sind dann
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bisher gebildete (humankapitalzweckgebundene) Rücklagen zunächst zugunsten des Jahresüberschusses mit der Absicht aufzulösen, sie auszuschütten oder anderen Verwendungszwecken zuzuführen. Dieser Eigenkapitalentzug soll dann in der nächsten Periode durch Reduzierung des Humankapitals auf die vereinbarte Sollgröße ausgeglichen werden. Die Höhe dieses Betrages ist wie beim schon erörterten Fall zu ermitteln. Es erscheint zweckmäßig, den Vorstand mit der Erstellung einer solchen Humankapitalerhaltungsrechnung zu beauftragen. Soweit solche Humankapitalerhaltungsrechnungen einen Teil des Jahresabschlusses - als Jahresüberschußverwendungs- oder eventuell als erfolgsbestimmende Aufwandsrechnungen - bilden, unterliegen sie auch den aktienrechtlichen Vorschriften bezüglich der Publizität von Jahresabschlußrechnungen. Eine andere Frage ist, ob und in welchem Umfang die Dokumentationen der angestrebten Soll-Humankapitalerhaltung und der realisierten Humankapitalerhaltung - etwa als Teil des Sozialberichtes im Geschäftsbericht - veröffentlicht werden sollen. So sehr einerseits die möglichst umfassende Information der nicht an der Unternehmensführung beteiligten Koalitionsteilnehmer wünschenswert ist, müssen andererseits Forderungen der Unternehmensleitung bzw. der direkten Unternehmensbeteiligten nach Geheimhaltung solcher Informationen respektiert werden, die Konkurrenzunternehmen Aufschluß über beabsichtigte Maßnahmen der Geschäftstätigkeit vermitteln können. Auch hier gilt es, zwischen den kontroversen Interessenlagen verschiedener Koalitionsteilnehmer Kompromisse zu suchen. Je nach dem Ausmaß der Publizität von Humankapitalerhaltungsrechnungen im aktienrechtlichen Jahresabschluß und Geschäftsbericht werden sie für den Fall ihrer Realisation in der Praxis mehr oder weniger Teil des Prüfungsobjektes der periodischen Jahresabschlußprüfungen sein. Dies erscheint als geeigneter Weg, durch die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer, die im Interesse aller Unternehmensbeteiligten prüfen, zu starken Manipulationen bei der Dokumentation der Humankapitalerhaltung seitens des Vorstandes vorzubeugen.
Anmerkungen 1 Vgl. z. B. Conrads ( 1 9 7 6 ) ; Aschoff ( 1 9 7 8 ) . Auf die Abgrenzung zwischen gesamtwirtschafts- und einzelwirtschaftsbezogener Rechnungslegung wird nicht näher eingegangen. In der Literatur wird zum Teil eine solche Abgrenzung nicht befürwortet; vgl. z. B. Löcherbach ( 1 9 7 6 ) , S. 53 ff. 2 Vgl. Sommerfeld ( 1 9 3 4 , S. 4); Schmidt ( 1 9 7 0 , Sp. 775 f.). Aspekte einer Humankapitalerhaltung und deren Beziehungen zur Sachkapitalerhaltung diskutieren auch die Projektgruppe im WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes
1974,
S. 237) sowie Chmielewicz (1975, S. 89). 3 Vgl. Sieben (1971, S. 61 ff.); Sieben/Schildbach (1973, S. 5 7 7 ff.); Vierte Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften 1978, die mit Artikel 33 ein Wahlrecht zur Geld- oder Sachkapitalerhaltung einräumt.
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4 Vgl. Sieben ( 1 9 7 1 ) , der einen entsprechenden Vorschlag für die Substanzerhaltung (Sachkapitalerhaltung) zur Diskussion gestellt hat. 5 Vgl. zu Vorschlägen für Grundsätze ordnungsmäßig aufgestellter Planungsrechnungen z. B. Puckler ( 1 9 7 4 , S. 157 ff.); Bretzke ( 1 9 7 4 , S. 2 9 2 ff.).
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II. Humanvermögensrechnung und Sozialbilanz
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz des Unternehmens Meinolf Dierkes und Andreas
Hoff
Die Diskussion um eine Erweiterung der Unternehmensberichterstattung in den Bereich der gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit hinein hat in den letzten Jahren sowohl in der Wissenschaft als auch vor allem unter den Tarifpartnern sichtbar zugenommen. Gleichzeitig ist die Zahl der Unternehmen, die Sozialbilanzen veröffentlichen, und derjenigen, die sie für interne Zwecke erstellen, deutlich gestiegen (Dierkes/Ullmann 1979, S. 96). Parallel zu dieser Entwicklung ist jedoch die wissenschaftliche Diskussion um eine Humanvermögensrechnung (human resource accounting) zurückgegangen. Sie lebt erst in der letzten Zeit in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem im Umfeld der Erfassung von Wirkungen bei Maßnahmen im Bereich der Humanisierung der Arbeit, wieder auf (Vieweg 1981, S. 18 ff.). Das Interesse der Praxis an einer Humanvermögensrechnung ist jedoch weiter gering (Maier 1980, S. 34); eine größere Zahl von Unternehmen, die mit verschiedenen Ansätzen der Humanvermögensrechnung experimentieren, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in anderen Ländern im Gegensatz zur Entwicklung bei den Sozialbilanzen nicht. Auf der anderen Seite weisen Sozialbilanzen in der Regel einen sehr umfangreichen und detaillierten Bericht zum Beziehungsfeld Unternehmen-Mitarbeiter auf, auch wenn dieses nur ein Teilgebiet einer allgemeinen und umfassenden gesellschaftsbezogenen Berichterstattung ist (Vieweg 1981, S. 19). Es ist daher zu prüfen, inwieweit die Behandlung des Humanvermögens in Sozialbilanzen dem entspricht, was durch die Humanvermögensrechnung erreicht werden sollte, bzw. ob Sozialbilanzen in ihrem auf das Bezugsfeld Unternehmen Mitarbeiter bezogenen Teil nicht sogar weitergehende Schritte - wenn auch in konzeptionell anderer Form - in Richtung der Entwicklung eines personalbezogenen Rechnungswesens darstellen (Kropp 1979). Eine derartige Übernahme von Aufgaben und Zielen der Humanvermögensrechnung durch Sozialbilanzen könnte damit dem zunehmenden Bedarf an einer Verbesserung der Datenbasis in diesem Bereich gerecht werden, ohne mit der oft als zweifelhaft angesehenen Konzentration auf die Erfassung des Aufwandes für das Humanvermögen verbunden zu sein (Maier 1980, S. 31). Ob und inwieweit Sozialbilanzen tatsächlich Aufgaben der Humanvermögensrechnung übernommen haben, soll im folgenden geprüft werden. Hierbei werden
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zunächst die konzeptionellen Bezüge zwischen Humanvermögensrechnung und Sozialbilanzen daraufhin überprüft, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten vorliegen und vor allem in welchem Umfang Ziele der Humanvermögensrechnung von Sozialbilanzen mitgetragen werden. Sodann soll festgestellt werden, wie hoch der Stellenwert von Informationen über das Humanvermögen in den konzeptionellen Vorstellungen zu Sozialbilanzen, wie sie von Wissenschaft, Unternehmen und Gewerkschaften entwickelt worden sind, ist, und wie weit sich diese in der Praxis der Berichterstattung niederschlagen. Mit Hilfe von Inhaltsanalysen veröffentlichter Sozialbilanzen werden sodann Umfang und Qualität der Berichterstattung über das Humanvermögen in Sozialbilanzen untersucht. Hierbei wird die von den Unternehmen praktizierte Berichterstattung auch Informationswünschen und -anforderungen gegenübergestellt, wie sie ihren Niederschlag in der französischen Gesetzgebung zur Sozialbilanz von 1977 und im Forderungskatalog des Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1979 gefunden haben. Auf dieser Basis können dann abschließend Vorschläge und Möglichkeiten für die weitere Entwicklung diskutiert werden.
1. Konzeptionelle Beziehungen zwischen Humanvermögensrechnung und Sozialbilanz Die Aufgabe, Ansätze für die Behandlung des Humanvermögens in Sozialbilanzen von Unternehmen zu entwickeln und gleichzeitig die bisherigen Experimente der Unternehmenspraxis zu analysieren, kann nicht ohne eine grundlegende Diskussion der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der hier zugrunde liegenden theoretisch-konzeptionellen Vorstellungen angegangen werden. Dies ist um so mehr der Fall, als einerseits in der wissenschaftlichen Literatur wie in der Unternehmenspraxis die Humanvermögensrechnung oft als Vorläufer der Sozialbilanz angesehen wird (Faltlhauser 1978, S. 87), andererseits jedoch in der Diskussion um Sozialbilanzen Ideen und Konzepte der traditionellen Ansätze der Humanvermögensrechnung nicht oder nur in stark modifizierter Form aufgegriffen wurden. Wenn angenommen wird, daß es sich hierbei nicht allein um Kommunikationsbarrieren im Forschungsprozeß oder in der wirtschaftlichen Praxis handelt, dann müssen die Ursachen hierfür in unterschiedlichen Ansprüchen und Zielsetzungen zu finden sein. Humanvermögensrechnungen dienen der aufgabenorientierten Abbildung des Humanvermögens im Unternehmensrechnungssystem (Conrads 1976, S. 29). Ziel dieser Darstellung ist es, durch Erfassung des Humanvermögens in internen oder externen Unternehmensberichten bessere Informationen „über die menschlichen Ressourcen eines Unternehmens (bereitzustellen), die ein effektives Management innerhalb einer Organisation ermöglichen oder fördern sollen" (Conrads 1976,
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
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S. 27), oder, stärker eingeschränkt, die „Auswahl unter verschiedenen möglichen Investitionsalternativen des Humanvermögens zu stützen" (Conrads 1976, S. 26). Humanvermögensrechnungen wurden zunächst im wesentlichen auf die Erfassung und Aktivierung von Aufwendungen (Schoenfeld 1974, S. 1 ff.), vor allem in den Bereichen Personalanwerbung, Einstellung und Fortbildung (Dierkes/Freund 1975, S. 119 ff.), beschränkt; darüber hinausgehende Ausweitungen des Aufwandkonzepts in den Bereich der Arbeitssicherheit und Gesundheit hinein, in Hinblick auf Arbeitszufriedenheit und andere psychische Aspekte der Arbeitswelt (Dierkes/Coppock 1975, S. 316 ff.) sowie auf nicht aufwandsbezogene Aspekte (Schoenfeld 1974, S. 1 ff.) wurden in der akademischen Literatur zwar diskutiert, von der Unternehmenspraxis jedoch nicht in sichtbarem Umfang aufgegriffen. Im Gegensatz zur Humanvermögensrechnung sollen Sozialbilanzen einer systematischen Erfassung und Dokumentation der gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit, Belastungen wie Nutzen, dienen (Dierkes 1974, S. 20; Fischer-Winkelmann 1980, S. 23). Sozialbilanzen versuchen dieser Aufgabe im Rahmen unterschiedlicher Konzepte gerecht zu werden (Einzelheiten siehe z. B. Dierkes 1974, S. 69 ff., Dierkes 1978, Hoff 1982. Zur Kritik vgl. FischerWinkelmann 1980), die insgesamt das Ziel haben, möglichst umfassend über alle wesentlichen gesellschaftlichen Konsequenzen der Unternehmenstätigkeit zu berichten. Obwohl diese beiden Ansätze der neueren betriebswirtschaftlichen Forschung, die Humanvermögensrechnung und die Sozialbilanz, somit weitgehend unterschiedliche Ziele verfolgen, gibt es eine Reihe bedeutender Gemeinsamkeiten: Beide berichten, wenn auch mit anderer Zielsetzung und unterschiedlichen Schwerpunkten, über die Beziehungen Unternehmen-Mitarbeiter; die Sozialbilanz breiter unter Einschluß nicht-monetärer Daten; die Humanvermögensrechnung begrenzter und, wenigstens ihre an der Aufwandsrechnung orientierte Version, unter weitgehender Beschränkung auf monetäre Daten. Beide Konzepte stellen eine Erweiterung des klassischen Rechnungswesens und der traditionellen internen und externen Berichterstattung des Unternehmens dar. Sie haben daher z. T. vergleichbare Daten- und Methodenprobleme. Trotz dieser Gemeinsamkeiten überwiegen konzeptionell die Unterschiede, die vor allem in folgenden drei Bereichen liegen: Humanvermögensrechnungen erfordern keine Veränderung in den traditionellen Zielvorstellungen der Unternehmung (Conrads 1976, S. 156), während Sozialbilanzen wenigstens langfristig ohne die „Implementierung überbetrieblicher gesamtgesellschaftlicher Ziele in die Zielpläne des Unternehmens" (Conrads 1976, S. 156) und eine „betriebspolitische Auseinandersetzung über die relevanten Ziele und damit eine aktive Verfolgung auch von sozialen Zielen" (Kropp 1979, S. 25) nur schwer vorstellbar sind. Sozialbilanzen sollen schwerpunktmäßig gesellschaftliche Kosten und Nutzen der
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Unternehmenstätigkeit erfassen, die in eine Humanvermögensrechnung nicht oder nur beschränkt eingehen. Schließlich sind Sozialbilanzen nicht auf das Beziehungsfeld Unternehmen-Mitarbeiter beschränkt. Obwohl sie hier in der Praxis oft einen Schwerpunkt der Berichterstattung setzen, gehen sie vom konzeptionellen Anspruch her weit über dieses Gebiet hinaus. Diese letztlich wesentlichen Divergenzen in Ziel, Aufgabe und Anspruch müßten damit zu großen Unterschieden zwischen der Berichterstattung über das Humanvermögen in Sozialbilanzen und wenigstens den klassischen Formen der Humanvermögensrechnung in der Unternehmenspraxis führen.
2. Der Stellenwert von Informationen über das Humanvermögen in Sozialbilanzen Versucht man einen Überblick darüber zu geben, welche Bedeutung die Aspekte des Humanvermögens in der Diskussion um Sozialbilanzen wie auch bei deren konkreter Erstellung haben, so bieten sich drei Ebenen der Analyse an: - die Struktur der Teilnehmer am Dialog über die Entwicklung von Sozialbilanzen - die Empfehlungen über mögliche inhaltliche Schwerpunkte - die Bedeutung, die Aspekten des Humanvermögens in den bisher vorgelegten Sozialbilanzen beigemessen wird. In allen drei Bereichen macht die Analyse gleichermaßen deutlich, daß die Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern, wie sie von der Humanvermögensrechnung erfaßt werden sollen (Dierkes/Coppock 1975, S. 113 ff.), bislang auch im Mittelpunkt der Diskussion und der Entwicklung von Sozialbilanzen im deutschsprachigen Raum gestanden haben. Die Diskussion der letzten Jahre um die Erstellung von Sozialbilanzen in der Bundesrepublik Deutschland wurde neben der Wissenschaft von Unternehmen und Unternehmensverbänden sowie Gewerkschaften aktiv getragen. Dies gilt sowohl für die wissenschaftlich begründete oder auch politisch motivierte Kritik an den ersten Konzepten als auch in Hinblick auf Vorschläge für die weitere inhaltliche und konzeptionelle Gestaltung. Umweltschutzinitiativen, Verbraucherschutzgruppen oder auch breiter an einem sozial verantwortlich orientierten Unternehmensverhalten interessierte Vereinigungen, wie sie vor allem in den USA die Diskussion mitgestaltet haben (Dierkes 1974, S. 69 ff.), waren in der politischen Auseinandersetzung um Sozialbilanzen in der Bundesrepublik Deutschland nicht präsent. Schon allein die Zusammensetzung der hier agierenden gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen macht deutlich, daß Fragen der Erfassung und
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Bewertung von Aspekten des Humanvermögens viel stärker im Mittelpunkt der Diskussion um Sozialbilanzen stehen mußten, als dies beispielsweise in den Vereinigten Staaten der Fall ist - ein Ergebnis, zu dem auch eine 1979 vom US-Department of Commerce durchgeführte Analyse des Entwicklungsstandes der Sozialbilanzen in den USA und Westeuropa kommt, die für Westeuropa eine „heavy emphasis on employee welfare" (US Department of Commerce 1979, S. 30) feststellt. Diese Aussage wird auch durch andere Analysen der bisherigen Entwicklung bestätigt. So betont Fischer-Winkelmann die besondere Rolle der Tarifpartner in der Diskussion um Sozialbilanzen u. a. durch den folgenden Hinweis: „Wir heben den Dialog zwischen Unternehmerseite und Gewerkschaften an dieser Stelle deswegen hervor, weil in der Bundesrepublik Deutschland bisher die härteste Kritik an der Sozialbilanzierungspraxis wie auch an der -forschung von gewerkschaftlicher Seite vorgetragen wurde" (Fischer-Winkelmann 1980, S. 167). Domsch führt dazu aus: „Die Diskussion zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen zeigt. . ., daß keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über das „Ob" der Erstellung von Sozial-Bilanzen bestehen. Die Diskussion bezieht sich vielmehr auf wichtige Details, d. h. auf das „Wie". Sie wird so lange andauern, bis nicht die . . . Forderungen arbeitgeber- und arbeitnehmerseitig gemeinsam behandelt sowie mit wissenschaftlich fundierten Konzepten untermauert sein werden" (Domsch 1979, S. 109). Die Konzentration auf die Erfassung des und die Berichterstattung über den Mitarbeiterbereich wird darüber hinaus in der überwiegenden Zahl der Empfehlungen zum Inhalt von Sozialbilanzen deutlich. So sind beispielsweise in der Anlage 1, „Statistiken im Rahmen des Sozialberichts", der Empfehlungen des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis nur Informationen enthalten, die sich auf die Struktur der Mitarbeiterschaft beziehen sowie sich mit weiteren, neu eingeführten Aspekten der Beziehung „Unternehmen-Mitarbeiter" (Arbeitszeit, Unfallgeschehen, Aus- und Weiterbildung, Mitarbeiterinformation usw.) beschäftigen (Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis 1977). Abgeschwächt gilt diese Dominanz der Mitarbeiterbelange auch für den Katalog, der vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1979 vorgelegt wurde. Hier beschreiben von insgesamt 10 Unterbereichen 6 Aspekte der Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern, lediglich ein Bereich soll Angaben über ökonomische Leistungen enthalten, die übrigen drei über andere Felder gesellschaftlicher Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit berichten. Diese zentrale Bedeutung des Mitarbeiterbereichs wurde von Unternehmensvertretern ebenso häufig hervorgehoben (z. B. Faltlhauser 1978, S. 132 und S. 140) wie von Gewerkschaftsseite (Küller 1978, S. 255). Dafür bieten auch die Forderung des DGB-Bundesvorstandes in seiner Stellungnahme von 1979 nach Mitwirkung der Mitarbeitervertreter an der Erstellung einer Sozialbilanz wie auch die faktische Mitwirkung des Betriebsrats in einzelnen Fällen, z. B. bei der Erstellung der Sozialbilanz der Bertelsmann AG, Gütersloh, Anhaltspunkte. Ein gleiches gilt
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für die Tatsache, daß Sozialbilanzen häufig in Mitarbeiterzeitschriften veröffentlicht worden sind und Mitarbeiter oft auch explizit als wichtigste Adressaten genannt werden (Faltlhauser 1978, S. 29). Noch deutlicher als durch diese schon recht eindrucksvolle Liste wird die herausragende Rolle des Mitarbeiterbereichs bei einer Analyse der Inhalte von bislang veröffentlichten Sozialbilanzen. Zu diesem Zweck wurde eine Auswahl von dreißig unterschiedlichen Versuchen einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung im deutschsprachigen Raum einer quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen (das folgende nach Dierkes/Hoff 1981). Hierbei wurden über die explizit als „Sozialbilanzen" bezeichneten Versuche hinaus auch diejenigen Ansätze miteinbezogen, die zwar nach allgemeinem Verständnis erste Schritte auf dem Wege zu einer solchen umfassenderen Unternehmensberichterstattung darstellen, die jedoch nicht unbedingt auch als Sozialbilanzen bezeichnet werden. Es wurde somit ein breites Spektrum von Formen der Sozialberichterstattung berücksichtigt, das von ausführlichen Sozialberichten traditioneller Art bis zu umfassenden Sozialbilanzen reicht (vgl. Tab. 1). Folgende Formen einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung wurden in die Untersuchung einbezogen: - 6 Geschäftsberichte mit mehr oder weniger ausführlichem Bezug auf den allgemein gesellschaftlichen Bereich; - 12 Sozialberichte, im wesentlichen auf das innere Bezugsfeld orientiert; - 9 Sozialbilanzen, sowie - 3 integrierte Geschäftsberichte/Sozialbilanzen. Tab. 1: Die inhaltsanalytisch untersuchten Berichte Audi NSU Auto Union AG: BASF AG: Battelle-Institut e. V.: Bayer AG: BBC AG: Bertelsmann AG: B. Braun Melsungen AG: Buderus AG: Degussa: Deutsche BP AG: Deutsche SHELL AG: Eternit AG: Hoechst AG: Kölner Bank von 1867 eG: Landesforstverwaltung des Landes Baden-Württemberg (Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt):
Mitarbeiter - Unternehmen (1978) Menschen, Arbeit, Geschäft '77 (1978) Batteile-Bilanz (1976) Bayer in Wirtschaft und Gesellschaft (1976) BBC-Sozialbericht 1977 (1978) Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977/78 (1978) Sozialbilanz (1978) Buderus-Post (1978) Personal- und Sozialbericht 1977/78 (1979) Sozialreport (1976) Geschäftsbericht/Sozialbilanz (1979) Geschäftsbericht 1978 (1979) Hoechst '77 (1978) Geschäftsbericht '77 - Sozialbilanz - (1978)
Sozialbilanz 1976/77 des Staatsforstbetriebs (1979)
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Mannesmann AG: E. Merck AG: Migros-Genossenschafts-Bund: Mobil Oil AG: F. Pieroth GmbH: Veith-Pirelli AG: Rank Xerox GmbH: Rheinische Braunkohlenwerke AG: Rieger und Dietz GmbH & Co.: Saarbergwerke AG: Stadtsparkasse Köln: Stahlwerke Peine-Salzgitter AG: Steag AG: Stinnes AG: Volkswagen AG:
683
Mannesmann 1978: Mitarbeiter und Umwelt (1979) Das Unternehmen und seine Mitarbeiter - Personelles und soziales Geschehen im Jahre 1977 (1978) Sozialbilanz (1978) Geschäftsbericht 1977 (1978) Pieroth-Sozialbilanz 1975/76 (1977) Sozialbericht 1976 (1977) Geschäfts- und Sozialbericht 1976 (1977) Rheinbraun Personal- und Sozialbericht 1977 (1978) R U D Sozialbilanz, 101. Geschäftsjahr (1976) Sozialbilanz '77 (1978) Geschäftsbericht 1977 (1978) Personal-, Arbeits- und Sozialwirtschaft 1975/76, 1976/77 (1978) Sozialbilanz '78 (1979) Stinnes 1977 (1978) Mitarbeiterzeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Sozialbericht 1978 (1978)
Daß eine solche Aufgliederung des Spektrums sinnvoll ist, wird durch Daten einer breit angelegten Untersuchung unter Großunternehmen der deutschen Wirtschaft gestützt (Dierkes/Ullmann 1979). Hier ergab sich, daß rund die Hälfte der untersuchten Unternehmen Teile einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung erstellen, von traditionellen Sozialberichten über deren Anreicherung mit einer Wertschöpfungsrechnung und die Ausweitung des Berichtsspektrums über den Personal- und Sozialbereich hinaus bis hin zur Erstellung neuartiger Rechenwerke wie der Sozialrechnung und zur Verwirklichung der zielbezogenen Berichterstattung (goal accounting und reporting). Sämtliche dieser Entwicklungsstufen sind in der hier zugrunde gelegten Auswahl vertreten. Darüber hinaus wurde versucht, auch der zeitlichen Entwicklung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung durch eine Auswahl von Berichten, die zu verschiedenen Zeitpunkten seit 1975 veröffentlicht wurden, gerecht zu werden (vgl. Tab. 1). Damit ist zwar ein direkter Vergleich zwischen den Veröffentlichungen einzelner Firmen nicht immer möglich; die Grundlinien und Grundprobleme der Entwicklung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung lassen sich allerdings gerade im Wechsel der Randbedingungen der Unternehmenstätigkeit besser herausarbeiten. Auffallen dürfte bei der Betrachtung der in die Untersuchung einbezogenen Berichte, daß zwei schweizerische Unternehmen vertreten sind (die BBC AG und der Migros-Genossenschafts-Bund). Sie wurden mit aufgenommen, weil ihre Berichte vielfach als wegweisend angesehen werden, da sie in verschiedener Hinsicht über die gegenwärtige Praxis in der Bundesrepublik Deutschland hinausweisen und in einigen Bereichen Anregungen für die Entwicklung von Indikatoren enthalten.
684
Meinolf D i e r k e s / A n d r e a s H o f f
1
3 6 2 6
25 12 3,5 20 14,5 8 0,8 7 13,5 9 7 1 1,5 2,5 5 10 30 8 1,5 4 4,5 3 13 3,5 11,5 1,5 36 2 1,5 5
2 0,5 5
l 2 1 5
1,5 0,5 5 8
2
1
3
0,5
3 l 1
Zielkatalog
1 3
-
- Konsumenten
- Konkurrenten
- Lieferanten
gesellschaftliche Umwelt -
- natürliche Umwelt
- Mitarbeiter
Gesamtumfang der gesellsbezogenen Berichterstattung
31 21 13 42 17 37 13 0,2 1,3 6 7 3 15 1 15 8 25 7 2,5 44 7 9,5 9,5 11 1 13 36 5 34 13 4,5 0,5 10,5 6,5 6 7 1 14,5 5 15 8 8,5 36 2 6 29 3 6,5
- Sozialrechnung
56 44 40 68 28 104 3 48 28 48 62 30 72 36 24 24 64 90 40 24 20 40 40 12 36 62 48 20 60 12
u; + u1
- Wertschöpfungsrechnung
Audi BASF Battelle Bayer BBC Bertelsmann B. Braun Buderus Degussa Deutsche B P Deutsche Shell Eternit Hoechst Kölner Bank Landesf orst verw. Mannesmann Merck Migros Mobil Oil Pieroth Pirelli Rank Xerox Rheinbau RUD Saarbergwerke Stadtsparkasse Köln Stahl P.S. Steag Stinnes VW
Geschäftsberichtselemente
Gesamtumfang der Veröffentlichung
Tab. 2: Quantitative A n a l y s e d e r A n s ä t z e z u einer g e s e l l s c h a f t s b e z o g e n e n R e c h n u n g s legung nach B e z u g s f e l d e r n 1
0,5 3 2,5 1 0,5
0,5 3 1 2
1 1 5
0,5
0,5 2,5 1,5 1
l 3,5 0,5
1,5 3,5 1
0,5 6
3 10,5 0,5 0,5
0,5
1
0,5
l
8
0,5
0,5
1 0,5 0,5 0,5 1,5 1 3 1 1 1 0,5 2 1,5
1 4
1,5 0,5 1,5 0,5
1 0,5
0,5
1,5 0,5 1
4 2 1 1 1,5
1
0,5
1 5 1,5 0,5 2 1 1
0,5
Angaben in Seiten. Bis auf in der ersten Spalte werden Bilder nicht angerechnet; Grafiken nur zum umfangmäßig angemessenen - Teil.
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
685
Die Untersuchung ist methodisch als Pilotstudie angelegt; es geht lediglich um eine erste Bestandsaufnahme des Inhalts und der Qualität der vorliegenden Berichte, auf deren Basis in erster Linie Trendaussagen gemacht werden, die der weiteren empirischen Absicherung bedürfen. sonstige Bereiche
Schaubild 1: Prozentuale Anteile der einzelnen Bezugsfelder an den vorgelegten Informationen über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit
Tab. 2 und Schaubild 1 geben die durchschnittlichen prozentualen Anteile der einzelnen Bezugsfelder an den vorgelegten Informationen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit wieder. Beide zeigen, daß der Bereich Mitarbeiter, der in sämtlichen vorliegenden Berichten behandelt wird, eindeutig dominiert. Dies gilt in noch stärkerem Maße, wenn man berücksichtigt, daß die Rechenwerke Wertschöpfungsrechnung und Sozialrechnung zum größten Teil Informationen geben, die diesem Bereich zuzurechnen sind: Die Sozialrechnung besteht zu etwa zwei Dritteln aus Daten, die dem Mitarbeiterbereich entstammen; die Wertschöpfungsrechnung wird sogar wegen der vielfach intendierten verteilungspolitischen Zielrichtung häufig im Mitarbeiterteil der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung veröffentlicht und kommentiert. Knapp drei Viertel des Berichtsvolumens in den heutigen Ansätzen gesellschaftsbezogener Berichterstattung sind damit den Mitarbeitern und ihren Belangen gewidmet. Alle anderen Bezugsfelder sind quantitativ von untergeordneter Bedeutung; sie liegen im Mittel aller Ansätze gesellschaftsbezogener Berichterstattung unter 10% der Gesamtinformationen. Eine solche Konzentration auf Mitarbeiterfragen ist jedoch nicht nur in den Sozialbilanzen des deutschsprachigen Raumes zu finden. Auch das französische
686
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Gesetz von 1977, das eine Verpflichtung zur Sozialbilanz einführte (zu Einzelheiten siehe Vogelpoth 1980), sieht lediglich Indikatoren im Mitarbeiterbereich vor. Diese Konzentration auf den Mitarbeiterbereich entspricht voll den mit der Gesetzgebung verbundenen Absichten des Parlaments, das sich zum Ziel gesetzt hatte, „die Beziehung zwischen der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmern bzw. ihren Interessenvertretern umzugestalten" (Vogelpoth 1980, S. 156). Die nächsten Jahre werden zeigen müssen, ob dieses Ziel erreicht werden kann. In diesem Fall würde es wohl wahrscheinlich sein, daß „die Sozialbilanz in Zukunft durchaus eine Erweiterung dahingehend erfahren (kann), daß auch die Beziehungen des Unternehmens zu anderen Unternehmensgruppen erfaßt werden" (Vogelpoth 1980, S. 267). Auf absehbare Zeit gilt jedoch für Frankreich exklusiv, was in der Bundesrepublik Deutschland tendenziell der Fall ist, daß nämlich Sozialbilanzen im wesentlichen mitarbeiterbezogene Informationen enthalten. Sie nehmen daher, wenigstens von der Intention her, Funktionen einer breiten Konzeption der Darstellung und Analyse des Humanvermögens, die über die ersten Aufwandsrechnungen hinausgeht, wahr. Die Sozialbilanz muß daher gegenwärtig, von Ausnahmen abgesehen, eher als Ansatz eines personenbezogenen Rechnungswesens (Kropp 1979) mit teilweiser Erweiterung auf andere Gebiete als als Rechenwerk angesehen werden, das generell über die gesellschaftlichen Nutzen und Kosten der Unternehmenstätigkeit berichtet.
3. Die Behandlung des Humanvermögens in Sozialbilanzen Die grundlegende Frage, inwieweit die Sozialbilanz-Entwicklung Aufgaben der Humanvermögensrechnung mit übernommen hat, wird nicht nur durch den Stellenwert geklärt, den personalbezogene Informationen in dieser Berichterstattung haben, sondern auch durch die Einzelbereiche, die durch diese Berichterstattung abgedeckt werden, sowie durch die Qualität der hier benutzten Indikatoren und Berichterstattungsverfahren. Um zu klären, welche personalbezogenen Informationen in heutigen Sozialbilanzen gegeben werden, wurde aus Gründen der Forschungsökonomik aus den oben erwähnten 30 untersuchten Ansätzen zu einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung eine Auswahl von 20 zusätzlich auf die im Mitarbeiterbereich verwendeten Indikatoren hin analysiert und zu Vergleichszwecken den Indikatoren des französischen Sozialbilanzgesetzes von 1977 sowie dem Katalog gewerkschaftlicher Forderungen zum Inhalt einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung (Sozialbilanz) von Großunternehmen gegenübergestellt. Tab. 3 gibt eine Liste der in diesen Teil der Untersuchung aufgenommenen Sozialbilanzen. Tab. 4 stellt die von den Unternehmen benutzten Indikatoren den im französischen Gesetz und im Forderungskatalog des DGB gestellten Anforderungen gegenüber.
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
687
Tab. 3: Die beim Indikatorenvergleich berücksichtigten Sozialbilanzen Audi NSU Auto Union AG: BASF AG: Battelle-Institut e. V.: BBC AG: Bertelsmann AG: Buderus AG: Degussa: Deutsche BP AG: Deutsche Shell AG: Eternit AG: Hoechst AG: Kölner Bank von 1867 eG: Mannesmann AG: E. Merck AG:
Migros-Genossenschafts-Bund Mobil Oil AG: F. Pieroth GmbH: Veith-Pirelli AG: Rank Xerox GmbH: Steag AG:
Mitarbeiter - Unternehmen (1978) Menschen, Arbeit, Geschäft '77 (1978) Batteile-Bilanz (1976) BBC-Sozialbericht 1977 (1978) Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977/78 (1978) Buderus-Post (1978) Personal- und Sozialbericht 1977/78 (1979) Sozialreport (1976) Geschäftsbericht/Sozialbilanz (1979) Geschäftsbericht 1978 (1979) Hoechst '77 (1978) Geschäftsbericht '77 - Sozialbilanz - (1978) Mannesmann 1978: Mitarbeiter und Umwelt (1979) Das Unternehmen und seine Mitarbeiter Personelles und soziales Geschehen im Jahre 1977 (1978) Sozialbilanz (1978) Geschäftsbericht 1977 (1978) Pieroth-Sozialbilanz 1975/76 (1977) Sozialbericht 1976 (1977) Geschäfts- und Sozialbericht 1976 (1977) Sozialbilanz '78 (1979)
In Einzelfällen ergeben sich hierbei Abgrenzungs- und Vergleichbarkeitsprobleme, die bei einem so unterschiedlichen Entwicklungsstand, wie sie die einzelnen, hier analysierten Sozialbilanzen repräsentieren, nur pragmatisch gelöst werden konnten. Die vorgelegten Daten sind daher in Hinblick auf verschiedene Einzelindikatoren eher als Tendenzinformationen anzusehen, bei denen annähernd vergleichbare Indikatoren gleichen Gruppen zugeordnet wurden. Schon auf den ersten Blick macht Tab. 4 die große Heterogenität in der Berichterstattung der Unternehmen deutlich: Die Zahl der die jeweiligen Indikatoren als Maßgröße einzelner Aspekte einer mitarbeiterbezogenen Politik nutzenden Unternehmen verändert sich von Indikator zu Indikator, obwohl in verschiedenen Bereichen eine eindeutige Häufung festzustellen ist. Die Unterschiede in der Berichterstattung zeigen einmal die je nach Branche, Unternehmensgröße und Unternehmenspolitik unterschiedlichen Schwerpunkte der mitarbeiterbezogenen Unternehmenspolitik auf; sie spiegeln jedoch ebenso den noch fehlenden oder wenigstens nicht genügend ausgebildeten Konsens darüber wider, was als Bestandteil der Humanvermögenspolitik des Unternehmens in eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung aufgenommen werden soll. Lediglich in den folgenden Bereichen ist eine sichtbare Politik- und Interessenkongruenz und auch ein hoher Konsens über die zu verwendenden Indikatoren festzustellen:
688
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
- grundlegende Strukturdaten, - Fluktuationskennzahlen, - Lohn- und Gehaltsstruktur, - sonstige Sozialleistungen und Lohnnebenkosten, - Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen, - Unfallstatistiken und betrieblicher Gesundheitsschutz, - Aus- und Weiterbildung, - innerbetriebliche Information. Hier geben überwiegend mehr als die Hälfte der untersuchten Unternehmen entsprechende Informationen anhand annähernd vergleichbarer Indikatoren. Zu allen anderen Bereichen sind nur wenige oder keine Informationen in veröffentlichten Sozialbilanzen zu finden.
Tab. 4: Die in Sozialbilanzen verwendeten Indikatoren im Vergleich zum Indikatorenkatalog des französischen Sozialbilanzgesetzes von 1977 und zu den Forderungen des DGB-Bundesvorstandes von 1979
Indikatoren
DGB
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen
X
X
X
X
18 13 10 17
Personalbestand und -struktur Beschäftigte insgesamt Frauen Ausländer Auszubildende
X X
X X
5
Durchschnittsalter der Stammbelegschaft
X
X
12
Arbeitnehmer unterteilt nach Altersgruppen Vollbeschäftigte Teilzeitbeschäftigte Gleitzeitbeschäftigte Arbeiter kfm. Tarifangestellte techn. Tarifangestellte AT-Angestellte leitende Angestellte
X
X
9
Stammbelegschaft nach Nationalität
Zahl der Arbeitnehmer in den Qualifikationsgruppen - ungelernte Arbeiter - angelernte Arbeiter - Facharbeiter - ungelernte Angestellte - angelernte Angestellte - übrige Angestellte
X X X X X X X X
X
3 4 11 11 2 6 6
X X X X X X
1 2
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Indikatoren
Berufsabschluß - ohne Berufsausbildung - gewerbliche Lehre - davon im Betrieb — kfm. Lehre - davon im Betrieb - Fachhochschule/Akademien - Hochschule - Übrige
DGB
Gesetz
X
1 1
X
2
X X X X X
1 3
X X X
unbefristete Arbeitsverhältnisse befristete Arbeitsverhältnisse - Saisonarbeiter - Leih- und Fremd-Arbeitnehmer
X
Heimarbeiter
X
X
1
X
1
X X
X
Personalbestand nach Monaten
X
zeitweilig unbesetzte Stellen
X
zeitweilig durch Umsetzung freiwerdende Stellen
X
innerbetrieblicher Stellenmarkt offene Stellen davon - ausgeschrieben - intern ausgeschrieben — extern ausgeschrieben - dem Arbeitsamt gemeldet
2
X X X X X
Höhergruppierung
X
Abgruppierung
X
Änderungskündigung
X
Einstellungen gesamt davon: - Auszubildende - Umschüler - schwer zu vermittelnde Arbeitnehmer - Rehabilitanden - Schwerbehinderte
1
X
Betriebswechsel
davon verbunden mit: - Wechsel des Betriebes - Höhergruppierung - Abgruppierung 0 Unternehmenszugehörigkeit
Zahl der berichtenden Unternehmen
1 X
2 1
X X X X
9
X
6
X
6
X X X X
2
689
690
Meinolf -Dierkes / Andreas Hoff
Indikatoren
DGB
- im Rahmen der Resozialisierung von Arbeitnehmern
X
0 Alter der eingestellten Arbeitnehmer
X
Gesetz
1
Anzahl der behinderten Arbeitnehmer
X
Anzahl der in Folge von Berufsunfällen behinderten Arbeitnehmer
X
Qualifikationsstruktur der behinderten Arbeitnehmer
X
Ausgaben für die Förderung der Arbeitsaufnahme - davon öffentlich finanziert
X
Beendigung von Arbeitsverhältnissen insgesamt
X
X
X
X
X
X
davon wegen: - Erreichen der Altersgrenze - Tod, Invalidität - Kündigung durch Arbeitgeber - Kündigung durch Arbeitnehmer - Wirtschaftliche Gründe - Auslaufen befristeter Verträge - Während der Probezeit - sonstige Gründe - einvernehmliche Auflösung
Zahl der berichtenden Unternehmen
9
X
X X
X
8
6 1 6 7
X X
2
X X
2
X
1
Betriebsstillegung/Teilstillegung
X
Zahl der betroffenen Arbeitnehmer
X
1
davon mit Sozialplänen verbunden
X
2
Aufwand von Sozialplänen in D M
X
1
Refinanzierung durch staatliche Stellen
X
Abfindungsaktionen
X
Zahl der betroffenen Arbeitnehmer
X
1
Aufwand in D M
X
3
Refinanzierung durch staatliche Stellen
X
Kurzarbeit - Zahl der Arbeitnehmer - Zahl der entschädigten Stunden - Höhe der Entschädigung
1
X
X
X
X
X
X X
Kündigungsschutz: Arbeitnehmer mit Unkündbarkeit
X
Arbeitnehmer mit Kündigungsfrist 6 Monate und mehr
X
1
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Indikatoren
DGB
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen
Arbeitnehmer mit Kündigungsfrist 3 - 6 Monate
X
Arbeitnehmer mit kürzerer Kündigungsfrist
X
X
20
0 Vergütung des Monats Dezember außer den nicht monatlich wiederkehrenden Prämien (Basis 173 Stunden)
X
2
Prozentsatz der Arbeitnehmer, deren Dezember-Gehalt außer den nicht monatlich wiederkehrenden Prämien 1 , 3 % niedriger ist als der allen Berufen garantierte Mindestlohn
X
2
Betrag zwischen dem Durchschnitt der 1 0 % Gehaltsempfänger, die die höchsten Vergütungen erhalten, und dem Durchschnitt der 10%, die die niedrigsten Vergütungen erhalten
X
2
Gehaltssumme der 10 höchsten Vergütungen
X
2
Personalkosten
X
17
X
8 7
Einkommen jährliche Lohn- und Gehaltssumme
davon: - aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen - aufgrund tarifvertraglicher und freiwilliger Vereinbarungen
X
Prozentsatz der Arbeitnehmer, die im Monat über der Basis des festgelegten Stundenlohns bezahlt werden Prozentsatz der Arbeitnehmer, deren Gehalt im ganzen oder teilweise vom Ertrag abhängt Zahl der Arbeitnehmer mit: - Akkordlohn - Prämienlohn - Zeitlohn - Festgehalt - sonst. Lohnformen - am Fließband/über 50 Jahre
X
X
X
7
2 1 2 1
X X X X X X
0 Einkommen der Mitarbeiter
X
davon: - tariflich
X
- je männlichem Arbeitnehmer
X
12
1
691
692
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Indikatoren
DGB
- j e weiblichem Arbeitnehmer - j e ausländischem Arbeitnehmer
X
Lohn je Arbeiter
X
- davon: tariflich
X
Gehalt j e Tarifangestelltem
X
Gehalt j e AT-Angestelltem
X
Gehalt je leitendem Angestellten
X
Vergütung je Auszubildenden (1. Jahr)
X
Vergütung j e Teilzeitarbeitnehmer
X
Vergütung j e Leiharbeitnehmer
X
Zuschläge für Mehrarbeit - Summe in 100 D M - je betroffenem Arbeitnehmer in D M
X
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen 2
X X
2 1
1
X X
1
Zuschläge für Schicht- und Nachtarbeit - Summe in 1000 D M - j e betroffenem Arbeitnehmer in D M
X
Erschwerniszulagen - Summe in 1000 D M - Summe je betroffenem Arbeitnehmer in D M
X
Urlaubsgeld
X
10
Weihnachtsgeld/13. Monatsgehalt
X
10
X X
X X
Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld
X
vermögenswirksame Leistungen (Summe)
X
Beträge der Erfolgsbeteiligung
X
15 X
9
0 Summe der Erfolgsbeteiligung pro Gehaltsempfänger
X
3
Kapitalanteil der Arbeitnehmer
X
4
Darlehen an Arbeitnehmer
X
6
Aufwand für die Betriebskrankenkasse
X
2
Beiträge der B B K ( 0 Beitragssatz)
X
9
Wohnungszuschüsse
X
Essenszuschüsse
X
8
Kontoführungsgebühren
X
1
X
6
1
zusätzliche Kindergeldzuschüsse
5
Fahrgeldzuschüsse
X
Prämien für Verbesserungsvorschläge
X
13
Jubiläumszuwendungen, Geschenke
X
7
X
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Indikatoren
DGB
Deputate
X
Zusatzaltersversorgung (DM, Zahl der Arbeitnehmer) - davon durch ausgegliederte Pensionskasse - in Form von Pensionsrückstellungen - überbetrieblich Übergangsgeld Summe der sonstigen Zahlungen und Leistungen davon: - tariflich - durch Betriebsvereinbarung geregelt - freiwillige Leistungen
X
Gesetz
X
Zahl der berichtenden Unternehmen
18 4
X
2 1
X X X
1
X
11
X
5 1 7
Werkswohnungen
X
4
- davon refinanziert durch Dritte
X
X X
Zuschüsse für Werkswohnheime
X
2
Zuschüsse für Werkswohnungen
X
3
Erholungseinrichtungen
X
4
Sport- und Freizeitförderung
X
6
Betriebsferien
X
Werksbücherei
X
2
Werksverkehr
2
Kindergarten
X
Sozialbetreuung und Beratungsstellen
X
6
Werksküche
X
10
0 Preis je Essen
X
1
Arbeitszeit tarifliche Wochenarbeitszeit
X
1
- unter 40 Stunden
X
- unter 41 Stunden
X
1
- über 40 Stunden
X
1
X
3
0 Wochenarbeitszeit je Arbeitnehmer - davon je Vollzeitbeschäftigtem Überstunden je betroffenem Arbeitnehmer und Monat Ausfallzeiten insgesamt davon: - Urlaub
1
X
5
X
X
X
2
X
X
6
693
694
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Indikatoren
-
Erholzeiten Krankheit Unfälle Militärdienst Bildung sonstige Gründe Schwangerschaft unbegründetes Fehlen
0 Krankenstand Ausgleich der Ausfallzeiten durch: - Uberstunden - Vollzeitbeschäftigte - Teilzeitbeschäftigte - befristete Arbeitsverhältnisse - Leiharbeitnehmer - Fremdarbeitnehmer - Sonstiges Hauptwohngebiete der Arbeitnehmer - Arbeitnehmer mit ständigem Arbeitsplatz bis 10 km - 10-40 km - mehr als 40 km von der Wohnung entfernt
DGB
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen
X X
X X
5 6 1
X
5
X
X
1 7
X
X X X X X X X
2 X
X X
X
1
zwei Schichten
X
1
drei Schichten
X
1
vier Schichten
X
Kontischicht
X
Wechselschicht
X
1
X
1
Am Stichtag Beschäftigte in Schichtarbeit
davon: - Arbeiter - Angestellte - Frauen - Ausländer
X X X
Feiertagsarbeit
X
bezahlte Mindesterholzeiten
X
davon: - Arbeiter - Angestellte - organisiert (z. B. Bandstopp) - individuell 0 Urlaub je Arbeitnehmer
1 X
X X X X X
X
4
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Indikatoren
DGB
Urlaubsdauer (Zahl der Arbeitnehmer)
X
Zahl weiterer bezahlter freier Tage
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen 4
X
4
Arbeitsgestaltung Beurteilung der Arbeitssituation durch Arbeitnehmer
5
Gruppenarbeit
X
Arbeitnehmer mit gleichen Arbeitsvorgängen innerhalb eines kurzen Zeitabstandes
X
Arbeitnehmer ohne unmittelbare Kommunikationsmöglichkeiten
X
Arbeitsplätze mit erweitertem Arbeitsinhalt staatliche Zuschüsse für Maßnahmen zur Veränderung der Arbeitsorganisation
X
Maßnahmen zur Beseitigung von Gefahren bzw. Belastungen Verdrängung gefährlicher Arbeitsplätze durch Maschinen
X
1
X
X
4
X
1
Arbeitsplatzerleichterungen durch Einsatz von Maschinen Ersatz gesundheitsschädlicher Werkstoffe
X
1
Maßnahmen zur Milderung von Gefahren bzw. Belastungen Abschirmung von Staub, Erschütterung
X
1
X
2
Personenschutz
X
Aufwand für Schutzkleidung
X
5
Fachkräfte für Ergonomie
X
1
staatl. Zuschüsse für Maßnahmen zur Veränderung der Technik
X
X
Arbeitsplätze mit mehr als 85 Dezibel Hörbelastung allgemeine Hörbelastung
X
Zahl der Arbeitnehmer, die der Hitze ausgesetzt sind
X
Ergebnisse der Untersuchungen der Luftqualität
X
Investitionsvolumen für technische Sicherheit Grad der Verwirklichung des Vorjahresprogramms
X
5
X
2
1
695
696
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Indikatoren
DGB
tatsächliche Sicherheitssituation
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen
X X
X
14
X
X
2
X
X
X
X
1 1
Zahl der Unfallopfer, die Zeit- oder Dienstleistungspersonal sind
X
X
Wegeunfälle
X
X
5
Aufteilung nach Gründen
X
3
Zahl der Unfälle mit Feststellung ernster Risiken
X
1
angezeigte Arbeitsunfälle davon: - tödlich - nicht tödlich - Mit weniger als 6 Wochen Ausfallzeit - mit mehr als 6 Wochen Ausfallzeit
X
Zahl der Unfälle verbunden mit Stürzen
X
Zahl der Unfälle mit Maschinen
X
1
Zahl der Unfälle im innerbetrieblichen Verkehr
X
1
Zahl der Unfälle durch Umgang mit gefährlichen Stoffen
X
1
Berufskrankheiten
X
X
Zahl der Berufskrankheiten mit pathologischen Krankheiten von beruflichem Charakter
X
Zahl der Erklärungen der Arbeitgeber von Verfahren, die geeignet sind, Berufskrankheiten hervorzurufen
X
Betriebsärzte: - hauptamtlich - nebenamtlich
X
Einsatzzeiten insgesamt
X
X
12 5 5
X
5
X X
6
weitere Fachkräfte für die medizinische Versorgung X
X
1
Vorsorgeuntersuchungen
X
X
3
Fachkräfte für Arbeitssicherheit - hauptamtlich - nebenamtlich
X
Einsatzzeiten insgesamt
X
Einsatzzeiten überbetrieblicher Dienste
X
1
Sicherheitsbeauftragte
X
4
Einsatzzeiten überbetrieblicher Dienste
X X
6 2 1
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Indikatoren
DGB
Gesetz
2
Arbeitsschutzausschuß Verstöße gegen Arbeitsschutz-Vorschriften
X
Aufwand für Gesundheitssicherung
X
Refinanzierung durch staatliche Stellen
X
5
Zahl der vom Betriebsarzt für untauglich erklärten Arbeitnehmer
X
Zahl der im Unternehmen in Folge von Arbeitsuntauglichkeit neu eingruppierten Arbeitnehmer
X
Bildung und Mitbestimmung Bildungsurlaubsregelung
Zahl der berichtenden Unternehmen
X
tarifvertraglich bzw. gesetzlich geregelter Bildungsurlaub
X
Bildungsurlaub aufgrund betrieblicher Vereinbarungen
X
einzelvertraglich geregelter Bildungsurlaub
X
Inanspruchnahme von Qualifikationsmaßnahmen
X
1
Erwachsenenbildung
X
6
Fortbildung
X
X
13
Teilnahme an überbetrieblichen Fortbildungsmaßnahmen
X
X
5
Teilnahme an sonstigen Maßnahmen der Fortbildung
X
Teilnahme an Umschulungsmaßnahmen
X
X
1 X
1 4
Führungsausbildung Teilnahme an Rehabilitations- und Resozialisierungsmaßnahmen
X
Bildung mit anschließender Höhergruppierung
X
X
1
Bildungsaufwand gesamt
X
X
14
davon: - je Arbeiter - je Tarifangestelltem - je AT-Angestelltem - je leitendem Angestellten staatliche bzw. öffentliche Zuschüsse zur betrieblichen Weiterbildung
X X X X X
697
698
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Indikatoren
DGB
Gesetz
Zahl der berichtenden Unternehmen
interne Weiterbildung
X
7
Zahl der Teilnehmer an einem Lehrgang
X
2
Zahl der Weiterbildungsstunden
X
4
Zahl der Stellen des Stammpersonals, die intern befördert werden
X
Zahl der Ausbildungsplätze
X
4 3
Zahl der eingestellten Ausbilder
X
vorzeitig beendete Ausbildungsverhältnisse
X
Abschlußprüfungen davon: - nicht bestanden - in ein Arbeitsverhältnis übernommen
X
7
X X
1 5
Bildungsaufwand Berufsausbildung
X
9 4
Bildungsaufwand j e Auszubildendem
2
Ausbildungsvergütungen
X
Bildungsaufwand für Ausbilder
X
Bildungsaufwand für Bildungsbeauftragte
X
staatliche bzw. öffentliche Förderung der Berufsausbildung
X
0 Auflage der durch das Unternehmen verbreiteten Belegschaftsinformationen
X
1
Belegschaftsinformation
X
9
Aufwand für Belegschaftsinformation
X
3 9
Zahl der Betriebsräte
X
- davon freigestellt
X
Jugendvertreter
X
4
Wirtschaftsausschuß
X
4
Betriebsversammlungen
X
2
Teilversammlungen
X
X
4
Teilnahme an den Wahlen zum Betriebsrat
X
3
Unterzeichnerdatum der letzten Betriebsvereinbarung
X
2
Zahl der Betriebsräte, die an Bildungsurlauben teilgenommen haben
X
1
Zahl der Beschwerden nach § 84 und § 85 B e t r V G
X
Zahl der Einigungsstellenverfahren
X
1
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Indikatoren
DGB
Zahl der anhängigen Arbeitsgerichtsverfahren - davon Kündigungsschutzverfahren - davon Weiterbeschäftigung gem. § 102 BetrVG - davon Klage seitens des Betriebsrates/ Arbeitnehmers
X
Besuchsbetreuung
Zahl der berichtenden Unternehmen
1
X X
X
Zahl der nicht gearbeiteten Tage wegen Streiks Zahl der entschiedenen Arbpitsgerichtsverfahren
Gesetz
699
X
1
X
2
Solche Bereiche sind in der Tabelle einmal durch die Anforderungen des französischen Gesetzes und des DGB-Katalogs, zum anderen durch die Berichterstattung einzelner Unternehmen definiert. Große Unterschiede zeigen sich insbesondere bei Informationen über - Qualifikationsstruktur, - Kurzarbeit, - Kündigungsschutz, - Zeitlohn-, Fließband- und Schichtarbeit, - Struktur von betrieblichen Unfällen, - Konflikte und Mitbestimmung. Hierbei dürfte es sich zum Teil um Informationen aus dem Beziehungsfeld Unternehmen-Mitarbeiter handeln, über die nicht nur aus methodischen Gründen wenig oder gar nicht berichtet wird. Auch wenn man die mangelnde Relevanz einzelner Indikatoren für einige der untersuchten Unternehmen berücksichtigt, bleibt ein Teil übrig, bei dem unternehmenspolitische Überlegungen der Grund für die eingeschränkte Auskunftsfreudigkeit sein dürften. Daß dies jedoch nicht einzig ausschlaggebend ist, sondern daß auch konzeptionelle Fragen in Hinblick darauf, was in eine solche Berichterstattung aufgenommen werden soll, Unterschiede in der Berichterstattung erklären, machen die Divergenzen zwischen den Informationsverpflichtungen des französischen Sozialbilanzgesetzes und dem Forderungskatalog des DGB deutlich. Dies gilt insbesondere für Indikatoren im Bereich der Personalstruktur, z. B. für Stellenbesetzungsverfahren, Höher- und Abgruppierungen, für die Anteile von Randgruppen und Auszubildenden an der Gesamtzahl der Beschäftigten sowie für personalrelevante Informa-
700
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
tionen im Umfeld von Betriebsstillegungen. Ähnliche Unterschiede sind im Bereich sonstiger Sozialleistungen zu finden, bei denen die Informationsanforderungen des DGB weitaus umfangreicher und detaillierter sind als die des französischen Gesetzes. Ebenso verlangt der DGB-Katalog generell Informationen über die Inanspruchnahme von Subventionen bei den in Frage kommenden Maßnahmen - Informationen, die im Rahmen der Pflichtberichterstattung nach dem französischen Gesetz nicht gefordert sind. Interessanterweise verlangen weder der DGB-Katalog noch das französische Gesetz Daten über subjektive Aspekte der Arbeitsbedingungen - Angaben, die in der Literatur als sehr wesentlich angesehen (z. B. Lawler 1973) und die immerhin von fünf der zwanzig untersuchten Unternehmensberichte bereitgestellt werden. Versucht man, ein Gesamtbild der inhaltlichen Aspekte der Berichterstattung im Beziehungsfeld Unternehmen-Mitarbeiter zu geben, so dürfte neben einer Zurückhaltung der Unternehmen in einzelnen Bereichen immer noch der nicht entwickelte Konsens über das, was berichtet werden soll und wie im einzelnen zu berichten ist, die wesentlichen Unterschiede in der Berichterstattung erklären. Daß dies der zentrale Faktor ist, wird besonders deutlich beim Vergleich der Indikatoren zur Arbeitsgestaltung. Hier versuchen der DGB und das französische Gesetz im Prinzip das gleiche, nämlich die Belastungen am Arbeitsplatz und Maßnahmen zu ihrer Reduktion zu erfassen. Der Forderungskatalog des DGB stellt jedoch eher auf die Berichterstattung über Maßnahmen ab, während das französische Gesetz sich auf belastungsorientierte Informationen, d. h. auf Immissionswerte und die Zahl der hierdurch betroffenen Personen, konzentriert. Insgesamt fällt auf, daß Unternehmensberichterstattung, DGB-Katalog und -eingeschränkt- französisches Gesetz in weiten Teilen Informationen verlangen oder geben, die mit der grundlegenden Idee der Sozialbilanz nur peripher zusammenhängen. Das Konzept der Sozialbilanz stellt Angaben über gesellschaftliche Nutzen und Kosten in den Mittelpunkt seiner Forderung nach Berichterstattung; die meisten der in veröffentlichten Sozialbilanzen gegebenen Informationen sind jedoch nicht dieser Natur, sondern sind als Strukturdaten, Reaktionen und Verhaltensdispositionen eher einem allgemeinen personalbezogenen Rechnungswesen (für Einzelheiten siehe Kropp 1979, S. 113 ff. und 128 ff.) zuzuordnen als einer Gesamtdarstellung gesellschaftlicher Nutzen und Belastungen in diesem Bereich. Lediglich das französische Gesetz weist bei einer Reihe von Indikatoren, z. B. im Bereich der Arbeitsgestaltung, eine stärkere Orientierung auf die grundlegende Idee der Sozialbilanz auf. Es läßt sich daher auch nach der Analyse der genutzten oder geforderten Indikatoren die oben bereits getroffene Feststellung aufrechterhalten, daß nämlich die Berichterstattung im Beziehungsfeld Unternehmen-Mitarbeiter, wie sie gefordert und praktiziert wird, eher einer konzeptionell breit angelegten Humanvermögensrechnung entspricht, bei der jedoch die Investitionsaspekte unterrepräsentiert sind, als der Grundidee einer Sozialbilanz. Ein Überblick über die Behandlung des Humanvermögens in Sozialbilanzen wäre
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
701
jedoch nicht vollständig, wenn lediglich der U m f a n g der Berichterstattung sowie die Zahl und A r t der hierbei verwendeten Indikatoren betrachtet würde. Ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, zu prüfen, inwieweit die Qualität der Berichterstattung konzeptionell dem Stand des Wissens entspricht. Erst eine qualitativ hochwertige Berichterstattung ermöglicht es ja, diese Daten als Grundlage mitarbeiterbezogener Entscheidungen wie auch als externen Maßstab für den Erfolg bereits durchgeführter Maßnahmen in diesem Bereich und zur Bestimmung notwendiger nächster Schritte heranzuziehen. Zu diesem Zweck sei noch einmal auf die Inhaltsanalyse von 30 im deutschsprachigen R a u m veröffentlichten „Sozialbilanzen" zurückgegriffen, die nicht nur die quantitativen Aspekte der Berichterstattung umfaßt, sondern darüber hinausgehend in einer qualitativen Untersuchung auch den methodisch-konzeptionellen Stand der Berichterstattung erheben und bewerten sollte (vgl. Dierkes/Hoff 1981). Mit Hilfe einer fünfwertigen Skala wurde versucht, eine Beurteilung der vorliegenden Berichte in ihren Berichtsdimensionen nach allgemeinen Kriterien der Sozialbilanzierung zu ermöglichen. Die Skala enthält die folgenden Stufen (vgl im einzelnen Dierkes/Hoff 1981, S. 21 ff.): 1 kurze verbale Aussage und/oder un- bzw. kaum kommentierter Indikator von schlechter Qualität 2 verbale Aussage mit erläuternden Indikatoren von mittlerer Qualität 3 ausführlichere Darstellung unter Verwendung von internem Vergleichsmaterial von guter Qualität 4 ausführliche Darstellung unter Verwendung von internen und externen Vergleichsdaten von sehr guter Qualität 5 ausführliche kritische Erschließung des Berichtsfeldes mit Hilfe externer und interner Vergleichsgrößen; Planungsbezug. Die Analyse der Qualität der Berichterstattung korrespondiert in etwa mit den Ergebnissen der quantitativen Analyse (vgl. den Überblick in Tab. 5): Tab. 5: Qualitätskennziffern für die Berichterstattung in den einzelnen Berichtsunterdimensionen im Überblick Dimension
Zahl der berichtenden Unternehmen
Qualitätskennziffer
Mitarbeiter Personalpolitik Personalstand Prinzipien/allg. Ausrichtung
30 19
2.37 1.63
25 24 21 18
2.28
Personalstruktur Auszubildende Status Altersstruktur Frauen
1.88
2.19 2.00
702
Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Dimension
Zahl der berichtenden Unternehmen
Qualitätskennziffer
1 Ausländer Funktionale Verteilung Schwerbeschädigte Regionale Verteilung Qualifikation Teilzeitbeschäftigte Persönliche Daten Personalaufwand Personalaufwand Löhne und Gehälter Lohn- und Gehaltsstruktur Entlohnungsgrundlagen Personalzusatzaufwand Gesetzl. Sozialleistungen Tarifliche Leistungen Sonstige Sozialleistungen
16 13 13 12 10 8 5
2.31 2.15 2.08 2.33 2.00 1.88 1.60
21 30 4 10 12 29 8 10
1.81 2.40 1.50 1.40 2.42 1.72 1.63 1.20
Sonstige Sozialleistungen Betriebliche Altersversorgung Vermögensbildung Verpflegung Prämien/Gratifikationen Wohnen Unterstützungen/Beihilfen Vorschlagswesen Urlaubsgeld sonst. Freizeitaktivitäten Betriebskrankenkasse Jubiläen/Treueprämien Versicherungen Sport Sozialberatung Werksverkehr Deputate/Rückvergütungen Abfindungen/Sozialpläne sonst. Sonst. Sozialleistungen
27 25 23 22 21 20 19 18 15 14 13 13 11 11 8 7 6 (24)
2.19 1.88 1.48 1.36 1.71 1.45 2.26 1.28 1.40 2.57 1.38 1.15 1.45 1.73 1.50 1.29 1.67 (1.42)
Bildung Ausbildung Fort-/Weiterbildung Allg. Angaben
26 25 10
2.58 2.08 1.40
A rbeitsbedingungen Unfälle Arbeitssicherheit Gesundheitswesen Psychologischer Dienst
21 22 23 3
2.62 1.68 1.83 1.33
2
3
4
5
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz Dimension
Qualitätskennziffer
Zahl der berichtenden Unternehmen
1 Arbeitszeitstruktur Schichtarbeit Gleitzeitsysteme Humanisierung
16 7 4 8
1.94 1.43 2.00 1.38
Betriebsklima Betriebszugehörigkeitsdauer Fluktuation Krankenstand Kündigungen Mitarbeiterinformation Mitarbeiterbefragungen Konflikte Führungsprinzipien
17 16 15 13 18 6 3 5
2.18 2.38 2.27 2.23 1.39 1.83 1.67 1.60
Mitbestimmung Gremien Verhandlungsprozesse
22 21
2.22 1.19
6
1.00
13 12 9 6 7 11
1.46 1.75 1.44 1.17 1.43 1.64
Sonstige Maßnahmen Recycling Umweltforschung Umweltfreundliche Produkte Energieeinsparung Mitwirkung an Gesetzgebung
8 4 4 3 3
1.38 1.50 1.75 2.33 1.33
Gesellschaftliche Umwelt Staat Steuern/Gebühren Freistellungen Infrastrukturmaßnahmen Hilfeleistungen für den Fiskus
20 10 6 6
1.55 1.40 1.83 1.00
Öffentlichkeit Spenden/Stiftungen Öffentlichkeitsarbeit Veröffentlichungen Soziale Programme
17 13 7 5
1.47 1.46 1.71 1.60
Natürliche Umwelt Umweltschutzabteilung Umweltschutzanlagen Bereich Abluft Bereich Abwasser Bereich Abfall Bereich Lärm Bereich Landschaftsschutz Allgemeine Aussagen
703
2 1
m • • i
•
•••• •••• • • I
•
mm ™
i
• i
• •
•
•
•
3 1
4 1
5
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Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Dimension
Zahl der berichtenden Unternehmen
Qualitätskennziffer
1
Forschung und Entwicklung Investitionen/Kosten/Erträge Aktivitäten Mitarbeiter
7 13 7
1.43 1.54 1.14
i
Lieferanten Zulieferungen
10
1.40
•
7 5 5 4
1.71 1.60 1.80 1.50
Konsumenten Versorgungsqualität Kundenbefragungen Marketingpolitik Beratung
2 1
3 1
4 1
5
- Der Bereich Mitarbeiter ist sowohl nach Grob- wie nach Feinstruktur das am besten erschlossene Bezugsfeld. Die Unterdimensionen sind allerdings qualitativ verschieden gut dokumentiert. Während die bereits in der gängigen Geschäftsberichtserstattung üblichen Indikatoren Personalstand - mit Angaben zur Personalstruktur - , Personalaufwand einschließlich Sozialleistungen und Bildungsanstrengungen qualitativ relativ hochwertig ausfallen, sind die über Personalerfassungssysteme weniger leicht erhebbaren Bereiche Arbeitsbedingungen, Betriebsklima und Mitbestimmung verhältnismäßig schlecht erschlossen. Auffallend ist allgemein die Tendenz, Aufwands-, d. h. Inputgrößen in den Vordergrund zu stellen; subjektive Indikatoren werden dagegen kaum verwendet, obgleich gerade sie die bisher qualitativ schlecht dokumentierten Berichtsdimensionen verbessern könnten. Häufig sind diese Berichte deshalb zu bemängeln, „weil sie die Probleme einer mehrdimensionalen Quantifizierung und Aussagefähigkeit sowie den Entscheidungsbezug der Daten zu wenig reflektieren und soziale Sachverhalte, die negative Wirkungen in der Öffentlichkeit hervorrufen können, weitgehend ausklammern" (Kropp 1979, S. 235). - Sämtliche anderen Bereiche sind höchstens von Pionierunternehmen ansatzweise erschlossen: Während es im Bereich Mitarbeiter bereits gewisse implizite Konventionen über Berichtsfelder und zugehörige Indikatoren zu geben scheint, steht die Entwicklung in den übrigen Bereichen noch am Anfang. - Die Verfügbarkeit von Daten scheint allgemein eine wesentlichere Qualifikation für ihre Verwendung in den Ansätzen zu einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung zu sein als eine unzweifelhafte Indizierung des abzudeckenden Bereiches. Schon daraus erklärt sich zum großen Teil, warum die Schwerpunkte der vorliegenden Ansätze in den traditionell datenmäßig gut erschlossenen Gebieten liegen. So dürfte die quantitativ besonders hochentwickelte Berichterstattung im Mitar-
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
705
beiterbereich darauf zurückzuführen sein, daß es „nicht zuletzt dank dem gut ausgebauten EDV-Personalinformationssystem . . . möglich (ist), eine Vielzahl von Daten - über Alter, Herkunft, berufliche Tätigkeit der Mitarbeiter usw. - zu speichern und zu interpretieren", wie einer der Berichte hervorhebt (BBCSozialbericht 1978, S. 8). Hinzu kommt, daß diese Daten im Gegensatz zu vielen Informationen aus Bereichen wie natürliche Umwelt, Produkte, Marketingstrategien überwiegend als dem noch relativ wenig sensitiven Bereich der Unternehmenstätigkeit zugehörig angesehen und deshalb bereitwilliger als andere Informationen veröffentlicht werden. Schließlich sind aber auch die methodischen Probleme der Erschließung der anderen Bezugsfelder in der Unternehmensrechnungslegung, vielleicht mit Ausnahme des Bereichs „natürliche Umwelt", nicht zu unterschätzen. Das für die vorliegende Untersuchung zentrale Beziehungsfeld UnternehmenMitarbeiter zeigt, daß insbesondere die Dimensionen Personalpolitik, Personalstruktur, Personalaufwand, freiwillige Sozialleistungen, Bildung, Arbeitsbedingungen, Betriebsklima und Mitbestimmung, die sich mehr oder weniger detailliert in fast allen Berichten wiederfinden, am besten strukturiert sind. Im einzelnen lassen sich im Bereich Personalpolitik zwei Berichtsdimensionen unterscheiden (vgl. Tab. 6): einmal Prinzipien und allgemeine Ausrichtung der Personalpolitik, zum anderen die Dokumentation der Belegschaftsentwicklung. Sämtliche Firmen geben Auskunft zumindest über den aktuellen Personalstand eine Angabe allerdings, die auch in den traditionellen Geschäftsberichten üblicherweise anzutreffen ist. Die Qualität der hierauf bezogenen Ausführungen liegt im Durchschnitt relativ hoch bei 2.37. Vorbildliche Darstellungen enthalten neben der allgemeinen Beschreibung der Personalentwicklung im gesellschaftlichen Kontext interne, oft stark untergliederte Vergleichsdaten auf Geschäftsjahresoder gar Monatsniveau sowie externe Vergleichszahlen über die Belegschaftsentwicklung vergleichbarer Unternehmen bzw. der gesamten Branche. Die Grundsätze der Personalpolitik werden weniger häufig angesprochen - von etwa 2 h der analysierten Unternehmensberichte - und liegen auch qualitativ im Mittel unter der Dokumentation der Personalstandsentwicklung - bei 1.63. Vorbildliche Darstellungen verbinden in dieser Unterdimension wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte mit allgemeinen Geschäftsprinzipien, die durch einzelne Maßnahmenkomplexe erläutert werden können (z. B. Abfindungen, Sozialpläne usw. mit weiterem statistischen Unterbau). Auch die Dimension Personalstruktur ist relativ gut dokumentiert - auf der Grundlage der betrieblichen Personalerfassungssysteme, die für den Mitarbeiterbereich in der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung verhältnismäßig stark genutzt werden. Es ist in diesem Bereich - wie im vorher aufgeführten - davon auszugehen, daß sämtliche der angesprochenen Informationen firmenintern vor-
706
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1 2 1 1 2
1 1
2 1 1 1
1
1 2 2 4
1
2 3 2 1 5 3 1 3 3 2 2 2 2 2 2 3 3 3 2 2 2 2 3 2 4
2 2 3 3
1 2 3 2 2 2
2 1
2 1
3 3
2 3 2
3 2 3 3
l l 3 2 4
3 3 1 2
3 2 2 3
1
1
2
2
1 2 3 2 2 1
2
3
3 1 2 3 3 2
2 3
3 2 1
4 1 1
1
1
3
2 3
1
2 2
1
1
3 2 2 2
2
3 3
1
2 1
3 2
1
1
1 2
1
2 3 2 1 3
1
1
1
3
2
2
3
3 2 3 3 2 3
2
freie Stellen
Personalentwicklung
persönliche Lebensverhältnisse
Schwerbehinderte
Auszubildende
2
2
3
2
3
2
2 3 2
l 2
1
2
2
3 3
2 3 1 1 2 2 2 2 3 3 2 2 2 1
2 3
Teilzeitkräfte/ Aushilfen
Ausländer
3 3
Frauen
2 2
Alter
Qualifikation
Status
3 1 3 3
regionale Verteilung
3 3
funktionale Zuordnung
Audi BASF Batteile Bayer BBC Bertelsmann B. Braun Buderus Degussa Deutsche BP Deutsche Shell Eternit Hoechst Kölner Bank Landesforstverw. Mannesmann Merck Migros Mobil Oil Pieroth Pirelli Rank Xerox Rheinbraun RUD Saarbergwerke Stadtsparkasse Köln Stahl P.S. Steag Stinnes VW
Entwicklung des Personalstandes
Personalpolitik
Tab. 6: Die Qualität der Berichterstattung im Bereich „Personalstand und Personalstruktur''
i 3 3
3 2 3
2
2
3
2 1
1
3 2
3 1
1
1
2
1 2 1 1
2
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
707
handen sind, ihre eventuelle NichtVeröffentlichung also ebenfalls eine bestimmte Informationspolitik widerspiegelt. Besonders häufig werden - in der zusätzlich angegebenen Qualitätsstufe - die folgenden Unterdimensionen abgedeckt: Unterdimension
Zahl der berichtenden Unternehmen
Durchschnittliche Qualität der Berichterstattung
- Auszubildende - Status (Angestellte, gewerbliche Arbeitnehmer etc.) - Altersstruktur - Frauen - Ausländer - funktionale Verteilung der Mitarbeiter nach Unternehmensbereichen - Schwerbeschädigte - regionale Verteilung der Mitarbeiter - Qualifikation (Berufsabschluß etc.) - Teilzeitbesch./Aushilfen - weitere persönliche - z. B. familialeBelegschaftsdaten
25 Unternehmen 24 Unternehmer
2.28 1.88
21 18 16 13
Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen
2.19 2.00 2.31 2.15
13 12 10 8 5
Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen
2.08 2.33 2.00 1.88 1.60
Der Personalaufwand spielt in sämtlichen betrachteten Ansätzen der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung eine zentrale Rolle. Große Uneinheitlichkeit kennzeichnet allerdings die Behandlung dieser Dimension in der Unternehmensberichterstattung (vgl. Tab. 7): Während sämtliche Unternehmen die Kategorie „Löhne und Gehälter" zum Teil sogar weiter untergliedert dokumentieren und nahezu alle Berichte auf die gesetzlichen Sozialleistungen eingehen, findet die umfassendere Kategorie des „Personalzusatzaufwandes", der außer den gesetzlichen noch die tariflichen und die sonstigen Sozialleistungen umfaßt, nur in knapp der Hälfte der untersuchten Fälle Verwendung. Bei den hierüber berichtenden Firmen ist die Dimension Personalzusatzaufwand auch qualitativ gut erschlossen: im Mittel mit 2.42. Ansonsten herrscht einige Verwirrung, was die Klassifizierung von gesetzlichen, tariflichen und sonstigen evtl. „freiwilligen" - Sozialleistungen betrifft. Die Qualität der diesbezüglichen Aussagen ist daher auch deutlich niedriger. Die für sich auch qualitativ relativ gut erschlossene Dimension Löhne und Gehälter - übliche Materialien sind hier: Aufwandsgrößen im Zeitvergleich, Lohnbeispiele, Reallohnentwicklung, z. T. externe Vergleichsmaßstäbe - , die mit 2.40 im Mittel deutlich über dem allgemeinen Berichtsniveau liegt, fällt in ihren Unterdimensionen weniger zufriedenstellend aus: Nur wenige Unternehmen
708
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Tab. 7: D i e Qualität der Berichterstattung in den Bereichen „Personalaufwand und Sozialleistungen"
2 1
1 1 2 2 1 2 2
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1 1
1
2 2 3 2 3 1 2 1 2 2 1 1
2 4 4 3 1 1
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2 1 1 2 1 2
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2 2 2 2 3 3 2 3 3 3 3 2
l 2
l 2
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1
3 2 3 2 1 2 2
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1 1 1 1 2 1 1 1 1 1
1 1 3 3 1 2 2 2 2 2 2
1 1 1 1 1
1
2 2 1 1 4 1 2 3 1 2 3 3
1 1 1 1
2 1 3
2 2 1 3
1 1 1
1 1 I
3 3 3 3 1
Betriebskrankenkasse
Altersversorgung
- tarifliche Leistungen
- sonstige („freiwillige") Sozialleistungen
1 2
3
Vorschlagswesen
3
l 3 3 2 1 1 1 2 3 2 2 2 1 1 1 1 1
2 1
- gesetzliche Sozialleistungen
Personalzusatzaufwand
Lohn- und Gehaltsstruktur
3 3
Vermögensbildung
3 3 1
2 2
Urlaubsgeld
2 2 2
2 4 4 2 1 4 2 2 3 3 2 2 1 2 2 3 3 4 2 2 3 2 3 1 3 2 2 3 1 2
Entlohnungsgrundlagen
2
Löhne und Gehälter
Personalaufwand
Audi BASF Batteile Bayer BBC Bertelsmann B. Braun Buderus Degussa Deutsche BP Deutsche Shell Eternit Hoechst Kölner Bank Landesforstverw. Mannesmann Merck Migros Mobil Oil Pieroth Pirelli Rank Xerox Rheinbraun RUD Saarbergwerke Stadtsparkasse Köln Stahl P. S. Steag Stinnes VW
Prämien und Gratifikationen
Sonstige Sozialleistungen
Personalaufwand und Sozialleistungen
2
3 4 4 2 3 1 3 3
1 4 2
3 3
2 1 2
1
3 2 1 3 1 2
1
3
Werksverkehr
2 2
2
1
2
1
2 2
1
1
1
1
1 1
1
3
2 2
3 2 l
2 1
2 2 2 2
2 2 2 2 2 2
2 2 3
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1 1
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1 1
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2 1
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l 1
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1
1
1 l
1 l
1
1 1 l
1 l
l
2
1
2
2
1
1
1
2
Arbeits- und Berufsbekleidung
Ubertariflicher Urlaub
Rückvergütungen/Deputate
innerbetriebliche Stellenausschreibung
Sozialräume
Versicherungen
Abfindungen/Sozialpläne
Jubi läe n/Treueprämie n
Sozialberatung und -betreuung
Kontoführungsgebühren
1
Unterst litzung'Beihilfen
Sonst. Freizeiteinrichtungen u. -Veranstaltungen
Kindergarten
Sport
2 Bibliothek
2 Wohnen/Umzüge
Verpflegung
1
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Sonstige Sozialleistungen I
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2 l l
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1
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bemühen sich - und dann mit qualitativ schlechten Resultaten - um einen Ausweis der realisierten Lohn- und Gehaltsstruktur bzw. der Entlohnungsgrundlagen. Über die unter Verteilungsaspekten sicherlich für die Unternehmen im Vordergrund stehende Aufwandsgröße Lohn und Gehalt hinaus muß deren innere Struktur also noch wesentlich stärker herausgehoben werden, um eine Beurteilung der sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf diesem Gebiet zu erlauben. Insgesamt gehört jedoch auch der Bereich Personalaufwand - bei allen internen Gliederungsunstimmigkeiten - noch zu den verhältnismäßig gut erschlossenen Berichtsdimensionen. Auch in diesem Fall handelt es sich um einen Bereich, der bereits in den traditionellen Geschäftsberichten an prominenter Stelle im Sozialbericht berücksichtigt wird, mit sicherlich verteilungspolitischer Zielrichtung, die dann besonders deutlich wird, wenn man als weiteren Beleg noch die Stellung des Personalaufwandes in der Wertschöpfungsrechnung heranzieht. Die sonstigen Sozialleistungen, häufig auch als „freiwillige" bezeichnet, sind einerseits oft tariflich oder durch Betriebsvereinbarung abgesichert, stehen andererseits häufig vornehmlich im Firmeninteresse, wie etwa das betriebliche Vorschlagswesen. Sie werden hier deshalb nicht als freiwillige Leistungen bezeichnet. Diese sonstigen Sozialleistungen nehmen in den meisten Berichten den Hauptteil des Mitarbeiterfeldes ein (ihre Vielfalt dokumentiert Tab. 7). Die Berichtsqualität in diesem Bereich leidet vor allem darunter, daß allzu häufig lediglich Aufwandsgrößen zur Dokumentation der einzelnen Sozialleistungen - oft im Rahmen von Sozialrechnungen - verwendet werden, die für sich allein angesichts der großen Abgrenzungsprobleme und der vielfältigen Regelungen in diesem Feld keineswegs zufriedenstellen können. Die durchschnittlichen Qualitätskennziffern wurden für die häufigsten, d. h. von mindestens 20% der Unternehmen genannten Unterdimensionen wie folgt ermittelt: - betriebliche Altersversorgung - Vermögensbildung - Verpflegung - Prämien und Gratifikationen - Wohnen - Unterstützungen/Beihilfen - Vorschlagswesen - Urlaubsgeld - sonstige Freizeitaktivitäten - Betriebskrankenkasse - Jubiläen/Treueprämien — Versicherungen - Sport - Sozialberatung
27 25 23 22 21 20 19 18 15 14 13 13 11 11
Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternemen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen
2.19 1.88 1.48 1.36 1.71 1.45 2.26 1.28 1.40 2.57 1.38 1.15 1.45 1.73
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
- Werksverkehr - Deputate/Rückvergütung - Abfindungen/Sozialpläne
8 Unternehmen 7 Unternehmen 6 Unternehmen
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1.50 1.29 1.67
Die übrigen genannten sonstigen Sozialleistungen - Bibliothek, übertariflicher Urlaub, Arbeitskleidung, Sozialräume, innerbetriebliche Stellenausschreibung, die Erstattung von Kontoführungsgebühren und Kindergarten - werden nur von wenigen Unternehmen angeführt und weisen - bis auf die innerbetriebliche Stellenausschreibung mit 2.00 - niedrige durchschnittliche Qualitätskennziffern zwischen 1.00 und 1.60 auf. Von überdurchschnittlicher Qualität sind vor allem Berichtsteile, die neben einer Aufwandsbetrachtung auch die näheren Modalitäten der entsprechenden Sozialleistung dokumentieren. In der Dimension betriebliche Altersversorgung werden beispielsweise häufig die Anzahl der Berechtigten, der Umfang ihrer Rentenansprüche, ihre Gesamtversorgung und die näheren Regelungen zur Entstehung eines Rentenanspruches genannt. Die Betriebskrankenkasse - mit der höchsten Qualitätskennziffer - wird vielfach mit Angaben zu Ein- und Ausgabenstruktur, zur Anzahl der Mitglieder, zu den Beitragssätzen im Vergleich zu anderen Krankenkassen und ähnlichen Zusatzinformationen ausführlich dargestellt. Das betriebliche Vorschlagswesen wird durch die Anzahl der eingereichten Vorschläge, die Beteiligungsquote der Belegschaft, die durchschnittliche Prämienhöhe und ähnliches dokumentiert, wobei vor allem anzumerken bleibt, daß kaum jemals der Nutzen, den das Unternehmen aus den Verbesserungsvorschlägen zieht, auch nur ansatzweise quantifiziert wird. Bei der Vermögensbildung schließlich stehen neben Aufwandsgrößen die Anzahl der berechtigten Mitarbeiter, der Umfang ihres finanziellen Engagements sowie ihre spezifischen Rechte im Vordergrund. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die relativ gute Erschließung der genannten Dimensionen im Bereich Sonstige Sozialleistungen durch relativ ausführliche verfahrenstechnische Hinweise, die zugleich Auskunft über Konstruktion und Ausführung der entsprechenden Sozialleistungen geben, zustande kommt. Zielgruppe ist hier wohl in erster Linie die Belegschaft, die an diese „Sozialleistungen", die oft auch dem Unternehmen Vorteile bringen, herangeführt werden soll. Die Berichte über sämtliche anderen Sozialleistungen werden von reinen Aufwandsrechnungen mit höchstens kurzen Erläuterungen dominiert. Herauszuheben sind allerdings das Wohnungswesen, das häufig mit einer Dokumentation über Quantität und Qualität der von Firmenseite bereitgestellten Wohngelegenheiten aufwartet; die Sozialberatung, in der sich zuweilen Angaben über die Ratsuchenden finden lassen; und die häufig mit Verfahrensdetails angereicherten Auskünfte über Abfindungen/Sozialpläne, deren Aufnahme in die Reihe der betrieblichen Sozialleistungen sicherlich nicht unumstritten ist. Alle anderen Bereiche - darunter die relativ populären „Verpflegung", „Prämien/Gratifikationen" und „Unterstüt-
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Meinolf Dierkes / Andreas Hoff
Tab. 8: D i e Qualität der Berichterstattung im Bereich „Betriebliche Arbeits- und Lebensbedingungen"
AUDI BASF Batteile Bayer BBC Bertelsmann B. Braun Buderus Degussa Deutsche BP Deutsche Shell Eternit Hoechst Kölner Bank Landesforstverw. Mannesmann Merck Migros Mobil Oil Pieroth Pirelli Rank Xerox Rheinbraun RUD Saarbergwerke Stadtsparkasse Köln Stahl P. S. Steag Stinnes VW
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4
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1 3
Gleitzeitregelungen
Schichtarbeitsregelungen
i
3 1
1 2 2 2
3 3 2 3 1
Arbeitszeitstniktur
Betriebspsychologischer Dienst
Betriebsärzte/Gesundheitswesen
Verbesserungen von Arbeitsbedingungen
Unfälle
Arbeitssicherheit
3
3 4 4 2 4 4 2 3
1 2
Arbeitsbedingungen
2 2 2 2 3
3 2
2 2 1 2 3 3
Bildung im ganzen
Fort- u. Weiterbildung
Ausbildung
Aus-, Fort-, Weiterbildung
1 2 3
i 3
1
1
1 1 2 2
1 2
1 2 3 1 2 2 2 2
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1
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1 1 2
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3 3
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3
2
1 1 2 1 2 1 4 1 3 1 2
1 3 3 1
2
2
2 1
1
1
1
1 2
4 1
Das Humanvermögen in der Sozialbilanz
Betriebsklima und
Mitbestimmung
Arbeitszufriedenheit
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