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German Pages viii, 248 [253] Year 2023
Wilhelm Merz
Höhere Mathematik in Beispielen Analysis und etwas Lineare Algebra
Höhere Mathematik in Beispielen
Wilhelm Merz
Höhere Mathematik in Beispielen Analysis und etwas Lineare Algebra
Wilhelm Merz Mathematik Universität Erlangen Erlangen, Deutschland
ISBN 978-3-662-68087-2 ISBN 978-3-662-68088-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Nikoo Azarm Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar.
v
Vorwort Ich gratuliere zu Ihrer Entscheidung, dieses Buch erworben zu haben und danke Ihnen dafür. Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß, sich mit den von mir angebotenen Beispielen aus gängigen und interessanten Themenbereichen der Mathematik ausgiebig zu beschäftigen. Ich danke allen recht herzlich, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Erlangen im Mai 2023
Wilhelm Merz
Inhaltsverzeichnis
1
Vorbetrachtungen und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.1 Absolutbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.2 Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.3 Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2
Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.1 Zahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.2 Zahlenreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.3 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3
Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.1 Eigenschaften elementarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.2 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.3 Stetigkeit von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.4 Eigenschaften stetiger Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
4
Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.1 Ableitungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4.3 Regeln von L’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
vii
viii
5
Inhaltsverzeichnis
Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5.1 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
6
Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.1 Stammfunktionen und unbestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . 213 6.2 Bestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6.3 Integrationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 6.4 Flächeninhalte und Volumina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Kapitel 1
Vorbetrachtungen und Grundlagen
„Wehret den Anfängen! “ lautet das Motto dieses einführenden Kapitels. Wir gehen darin gezielt auf Beträge, Wurzeln und komplexe Zahlen ein, auf grundlegende Themenbereiche, die überall zu finden und erfahrungsgemäß häufige Fehlerquellen sind, welche wir mit sorgfältig ausgewählten Beispielen in Kürze ausgemerzt haben werden.
1.1 Absolutbetrag Ein unverzichtbarer Bestandteil der Mathematik ist der Absolutbetrag einer reellen Zahl. Definition 1.1. Für x ∈ R heißt x |x| := −x
:
x ≥ 0,
:
x 0, x = 0, x 0, dann lässt sich damit jetzt die legendäre ε-Umgebung um den Punkt a ∈ R (vgl. Rechenregel 1.4, 3) formulieren als Uε (a) := {x ∈ R : |x − a| < ε} = {x ∈ R : −ε < x − a < ε} = {x ∈ R : a − ε < x < a + ε}. d) Es gilt x2 < 4 ⇐⇒ |x| < 2 ⇐⇒ −2 < x < 2. e) Es gilt {x ∈ R : |x − 1| = −1} = ∅.
(1.1)
4
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
Die Einführung der ε-Umgebung (1.1) gibt uns die Gelegenheit offene und abgeschlossene Intervalle in R zu erklären. Seien a, b ∈ R mit a < b. Dann heißen (a, b) := {x ∈ R : a < x < b} bzw. [a, b] := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b}
(1.2)
offenes bzw. abgeschlossenes Intervall der Länge b − a. Allgemeiner dagegen ist Definition 1.6. Eine Menge bzw. ein Intervall I ⊂ R heißt offen, wenn für jedes a ∈ I eine ε-Umgebung Uε (a) gemäß (1.1) derart existiert, dass Uε (a) ⊂ I. Eine Menge bzw. ein Intervall K ⊂ R heißt abgeschlossen, falls R \ K offen ist.
Beispiel 1.7. Nach obiger Definition sind die leere Menge ∅ und ganz R offene Mengen. Da ∅ = R \ R und R = R \ ∅ gelten, sind beide Mengen auch abgeschlossen. Wir kommen zurück zu Betragsungleichungen. Beispiel 1.8. Welche x ∈ R erfüllen |x − 1| < x? Gemäß Definition 1.1 ergeben sich die beiden Fälle x − 1 : x − 1 ≥ 0, |x − 1| = 1 − x : x − 1 < 0. Aus dem ersten Fall x − 1 ≥ 0 ergibt sich die Bedingung x ≥ 1, und damit liefert die Auflösung des Betrages |x − 1| < x ⇐⇒ x − 1 < x ⇐⇒ −1 < 0 eine wahre Äquivalenzumformung. Somit erfüllen alle x ≥ 1 die gegebene Ungleichung. Aus dem zweiten Fall x − 1 < 0 ergibt sich die Bedingung
1.1 Absolutbetrag
5
x < 1, und damit liefert die Auflösung des Betrages |x − 1| < x ⇐⇒ 1 − x < x ⇐⇒ 1/2 < x, also 1/2 < x < 1 gemäß der letzten Bedingung für x. Fassen wir nun diese beiden Teillösungen zusammen, so ergibt sich x ∈ [1, ∞) ∪ (1/2 < x < 1) = (1/2, ∞). Alternativ führt auch hier Rechenregel 1.4, 3 deutlich schneller zum gewünschten Resultat. Es gilt −x < x − 1 < x ⇐⇒ −2x < −1 ⇐⇒ x >
1 . 2
Zusammenfassung. In den bisherigen Beispielen stand die Auflösung des Betrages gemäß Definition 1.1 an erster Stelle. Daraus resultierten längere Fallunterscheidungen für die gesuchte Größe x ∈ R. Ist dagegen die Anwendung der Rechenregel 1.4, 3 möglich, so verkürzen sich i. Allg. die Berechnungen erheblich! Auch bei komplizierteren Gleichungen bzw. Ungleichungen ändert sich diese Vorgehensweise nicht. Beispiel 1.9. Welche x ∈ R erfüllen die Ungleichung |x2 + x − 2| < x + 2?
(1.3)
Wir beginnen mit der langen Version gemäß Definition 1.1. Die Auflösung des Betrages führt auf die beiden Fälle x2 + x − 2 : x2 + x − 2 ≥ 0 , 2 |x + x − 2| = 2 − x − x2 : x2 + x − 2 < 0 .
(1.4)
Wir analysieren in (1.4) den ersten Fall, also die eingerahmte quadratische Ungleichung x2 + x − 2 ≥ 0 um zunächst Einschränkungen für die Unbekannt x ∈ R festzulegen. Wir schreiben x2 + x − 2 = (x + 2)(x − 1) und bekommen damit
6
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
(x + 2) ≥ 0 und (x − 1) ≥ 0 (x + 2)(x − 1) ≥ 0 ⇐⇒ oder (x + 2) ≤ 0 und (x − 1) ≤ 0 x ≥ −2 und x ≥ 1 ⇐⇒ oder x ≤ −2 und x ≤ 1 x≥1 ⇐⇒ oder x ≤ −2. Zusammenfassend sind also x ∈ (−∞, −2] ∪ [1, ∞)
(1.5)
die Lösungsintervalle der quadratischen Ungleichung. Damit liefert jetzt die Auflösung des Betrages gemäß (1.4) |x2 + x − 2| < x + 2
⇐⇒ (Bsp.1.5,d)
⇐⇒
x2 + x − 2 < x + 2 ⇐⇒ x2 < 4 |x| < 2 ⇐⇒ −2 < x < 2,
also resultiert 1≤x 0 und (x − 1) < 0 (x + 2)(x − 1) < 0 ⇐⇒ oder (x + 2) < 0 und (x − 1) > 0 x > −2 und x < 1 ⇐⇒ oder x < −2 und x > 1 −2 < x < 1 ⇐⇒ oder x ∈ {}, wobei der zweite Zweig irrelevant ist. Insgesamt ist also x ∈ (−2, 1)
(1.7)
die Lösungsmenge dieser quadratischen Ungleichung. Auflösung des Betrages gemäß in (1.4) ergibt |x2 + x − 2| < x + 2 ⇐⇒ 2 − x − x2 < x + 2 ⇐⇒ 0 < x2 + x ⇐⇒ 0 < x(x + 2) ⇐⇒ x < −2 oder x > 0, also 0 0 oder x < −2.
8
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
Aus b) ergibt sich x2 + x − 2 < x + 2 ⇐⇒ x2 < 4 ⇐⇒ −2 < x < 2. Die beiden Fälle a) und b) zusammen ergeben schließlich x ∈ (0, 2).
Befinden sich nun auf beiden Seiten einer Gleichung oder Ungleichung Beträge, dann werden diese der Reihe nach aufgelöst und es wird jeweils wie in den beiden Beispielen davor verfahren. Beispiel 1.10. Wir bestimmen alle x ∈ R, welche die Ungleichung |3x − 5| > 2|x + 2|
(1.9)
erfüllen. Wir beginnen mit der langen Version , schreiben (1.9) in der Form |3x − 5| − 2|x + 2| > 0, lösen den ersten Betrag auf und erhalten zunächst die beiden Fälle 3x − 5 − 2|x + 2| : x ≥ 5/3, |3x − 5| − 2|x + 2| = 5 − 3x − 2|x + 2| : x < 5/3,
(1.10)
welche wir im Folgenden gesondert betrachten: Wir lösen jetzt im ersten Fall von (1.10) den noch ausstehenden Betrag auf und ermitteln daraus wieder zwei Fallunterscheidungen der Form 3x − 5 − 2x − 4 : x ≥ 5/3 und x ≥ −2, 3x − 5 − 2|x + 2| = 5 − 3x + 2x + 4 : x ≥ 5/3 und x < −2 bzw. gleichbedeutend mit 3x − 5 − 2x − 4 : x ≥ 5/3, 3x − 5 − 2|x + 2| = 5 − 3x + 2x + 4 : x ∈ {}, wobei der zweite Zweig in (1.11) natürlich irrelevant ist. Für x ≥ 5/3 erhalten wir 3x − 5 − 2x − 4 > 0 ⇐⇒ x > 9.
(1.11)
1.1 Absolutbetrag
9
Da x > 9 obige Bedingung in (1.11) für x schon erfüllt, liegt damit die erste Teillösung der vorgelegten Ungleichung (1.9) vor. Wir lösen jetzt im zweiten Fall von (1.10) den noch ausstehenden Betrag auf und ermitteln daraus die Fallunterscheidungen 5 − 3x − 2x − 4 : x < 5/3 und x ≥ −2, 5 − 3x − 2|x + 2| = 5 − 3x + 2x + 4 : x < 5/3 und x < −2. bzw. gleichbedeuten mit 5 − 3x − 2x − 4 : −2 ≤ x < 5/3, 5 − 3x − 2|x + 2| = 5 − 3x + 2x + 4 : x < −2.
(1.12)
Der erste Zweig in (1.12) liefert −5x + 1 > 0 ⇐⇒ x < 1/5, also gilt x ∈ [−2, 1/5) gemäß der Einschränkung (1.12) an x ∈ R. Der zweite Zweig in (1.12) ergibt 9 − x > 0 ⇐⇒ x < 9, also gilt x ∈ [−∞, −2) gemäß der Einschränkung an x. Die zweite Teillösung der gegebenen Ungleichung (1.9) lautet damit zusammen x < 1/5 . Die Gesamtlösung resultiert aus den beiden oben eingerahmten Teillösungen und lautet x ∈ (−∞, 1/5) ∪ (9, +∞) = R \ [1/5, 9]. Die dazugehörige kurzen Version liefern wir im späteren Beispiel 1.25.
Mit den Rechenregeln 1.4 lässt sich eine der wichtigsten Ungleichungen beweisen. Satz 1.11. Für alle x, y ∈ R gilt die Dreiecksungleichung |x + y| ≤ |x| + |y|.
Beweis. Da x ≤ |x| und y ≤ |y|, gilt nach Summation
10
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
x + y ≤ |x| + |y|. Damit ergibt sich − |x| + |y| ≤ x + y ≤ |x| + |y| ⇐⇒ |x + y| ≤ |x| + |y| nach Rechenregel 1.4, 3.
qed
Als kleines Beispiel dazu betrachten wir |4 − 6| ≤ |4| + | − 6| = 4 + 6 = 10, d. h., mit 2 ≤ 10 liegt eine überaus „großzügige Abschätzung“ des linken Betrages vor. Die berechtigte Frage lautet nun: „Wann liegt Gleichheit vor? “ Diese gilt, wenn eine der beiden Zahlen das positive Vielfache der anderen ist. Wenn also y := λx gilt, dann resultiert aus Rechenregel 1.4, 1, dass |x + λx| = (1 + λ)|x| = |x| + |λx| für alle λ ≥ 0 und x ∈ R.
(1.13)
Anders formuliert, Gleichheit liegt vor, wenn beide im Betrag stehenden Zahlen das gleiche Vorzeichen haben oder mindestens eine der beiden Zahlen 0 ist. So ist beispielsweise 5 = |2 + 3| = |2| + |3| = 5, 5 = | − 2 − 3| = | − 2| + | − 3| = 5. Als Folgerung der Dreiecksungleichung ergibt sich Satz 1.12. Für alle x, y ∈ R gilt die umgekehrte Dreiecksungleichung |x| − |y| ≤ |x + y|.
Beweis. Wir bekommen mit der Dreiecksungleichung |x| = |x + y − y| ≤ |x + y| + |y| =⇒ |x| − |y| ≤ |x + y| und |y| = |y + x − x| ≤ |y + x| + |x| =⇒ |y| − |x| ≤ |y + x| bzw. −|y + x| ≤ |x| − |y| aus der letzten Ungleichung. Zusammengefasst bedeutet dies −|x + y| ≤ |x| − |y| ≤ |x + y|,
1.1 Absolutbetrag
11
also |x| − |y| ≤ |x + y| nach Rechenregel 1.4, 3.
qed
Gleichheit liegt hier vor, wenn die Vorzeichen beider Zahlen verschieden sind oder wenn mindestens eine der beiden Zahlen 0 ist. So ist beispielsweise bei gleichem Vorzeichen ! 1 = |2| − |3| = |2 − 3| = | − 1| ≤ |2 + 3| = 5 eine grobe Abschätzung. Bei verschiedenen Vorzeichen erhalten wir ! 1 = |2| − | − 3| = |2 − 3| = |2 − 3| = 1 bzw.
! 1 = | − 2| − |3| = |2 − 3| = | − 2 + 3| = 1.
Bemerkung 1.13. Die (umgekehrte) Dreiecksungleichung kann für alle x, y ∈ R mit folgendem alternativen „Mittelterm“ geschrieben werden: |x| − |y| ≤ |x ± y| ≤ |x| + |y|.
(1.14)
Die allgemeine Dreiecksungleichung lautet n n P P ak ≤ |ak |. k=1
(1.15)
k=1
Beweis. Diese Ungleichung lässt sich mit dem Prinzip der vollständigen Induktion bestätigen. Wir gehen in zwei Schritten vor: a) Induktionsanfang: Sei n = 1, dann ergibt sich die wahre Aussage 1 1 X X ak = |a1 | ≤ |a1 | = |ak |. k=1
k=1
b) Induktionsschritt: Wir machen die Induktionsannahme, dass die Aussage für ein beliebiges n > 1 richtig ist. Daraus folgern wir, dass die Aussage dann auch für n + 1 stimmt. Es gilt
12
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen n n X n+1 X (∗) X ak = ak + an+1 ≤ ak + |an+1 | k=1
k=1 (∗∗)
≤
n X
|ak | + |an+1 | =
k=1
k=1 n+1 X
|ak |,
k=1
womit die vorgelegte Ungleichung bestätigt ist. In (∗) haben wir die Dreiecksungleichung gemäß Satz 1.14 und in (∗∗) die Induktionsannahme verwendet, indem der Betrag unter die Summe gezogen wurde. qed Man glaubt es kaum, es gibt auch noch eine Vierecksungleichung. Satz 1.14. Für alle a, b, c, d ∈ R gilt die Vierecksungleichung |a − b| − |c − d| ≤ |a − c| + |b − d|.
Beweis. Aus der Dreiecksungleichung ergibt sich |c − d| ≤ |c − a| + |a − d| ≤ |c − a| + |a − b| + |b − d| = |a − c| + |a − b| + |b − d|. Daraus resultiert − |a − b| − |c − d| = |c − d| − |a − b| ≤ |a − c| + |b − d|. Analog ergibt sich |a − b| ≤ |a − c| + |c − b| ≤ |a − c| + |c − d| + |d − b| = |a − c| + |c − d| + |b − d|. Daraus reultiert |a − b| − |c − d| ≤ |a − c| + |b − d|. Insgesamt gilt damit die gewünschte Vierecksungleichung |a − b| − |c − d| ≤ |a − c| + |b − d|. qed
1.2 Wurzeln
13
Auch hier drängt sich die Frage nach Gleichheit auf. Diese ist jedoch nicht so einfach wie zuvor bei der Dreiecks- und umgekehrten Dreiecksungleichung zu beantworten. Umfangreiche Berechnungen liefern zahlreiche verschiedene Fälle, von denen hier zumindest einer vorgestellt wird. Eine kurze Rechnung bestätigt die nachfolgende Implikation: a > b = c = d =⇒ |a − b| ≤ |a − b|. Als weiteren Fall dürfen Sie abschließend die Gültigkeit der Gleichheit bei c>a>b=d überprüfen.
1.2 Wurzeln Auch Wurzeln sind ständiger Begleiter bei nahezu allen Rechnungen. Definition 1.15. Wir suchen für a ∈ R mit a ≥ 0 die nichtnegative Lösung x ≥ 0 von xn = a, n √ ∈ N. Dieses x heißt die n-te Wurzel aus a. Wir schreiben dafür x = n a oder x = a1/n . Darin bezeichnen wir die Zahl a ≥ 0 als Radikand der Wurzel.
Satz 1.16. Falls ein solches x ≥ 0 existiert, dann ist es eindeutig.
Beweis. Angenommen, es existieren zwei Lösungen x, y ≥ 0 mit xn = y n = a und x < y. Potenzieren wir nun die Ungleichung x < y auf beiden Seiten mit n ∈ N, dann ergibt sich xn < y n und daraus der Widerspruch a = xn < y n = a. Damit folgt die Eindeutigkeit.
qed
Wir vereinbaren für quadratische Wurzeln die gewohnte Schreibweise √ 2
a =:
√
a.
14
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
√ Beachten Sie nochmals, dass n a, n ∈ N, gemäß obiger Definition 1.15 nur √ 3 für Zahlen a ≥ 0 definiert ist. Somit ist z. B. der Ausdruck −8 nicht er√ klärt, insbesondere gilt 3 −8 = −2 nicht, obwohl doch (−2)3 = −8 richtig ist. Denn wäre der Ausdruck richtig, ergäbe sich mit den Regeln der Potenzgesetze √ 1 1 2 3 −8 = (−8) 3 = (−8) 6 = (−8)2 6 = 2 ̸= −2. (1.16) Was ist also schiefgelaufen? In wenigen Augenblicken sehen Sie die ganze Wahrheit. Zunächst noch Beispiele 1.17. Für reelle Zahlen gelten folgende Resultate: p a) (−2)2 = | − 2| = 2. b) x2 = 0 hat die Lösung x = 0. √ √ √ c) x2 = 2 hat die Lösungen x = ± 2, denn (x − 2)(x + 2) = x2 − 2 = 0. √ d) x3 = 2 hat die Lösung x = 3 2. e) x2 = −2 hat keine Lösung. Folgerung 1.18. Für die reellen Lösungen der Gleichung xn = a gelten: √ ± n a : n = 2k (d. h., n gerade), a≥0: x= n √ a : n = 2k + 1 (d. h., n ungerade),
a 0, z 0 := (1.19) 1 : z = 0, nicht definiert : z < 0.
Bemerkung 1.21. Mit obiger Festlegung 00 := 1
(1.20)
bekommen zahlreiche Formeln, wie die bekannte binomische Formel ihre Gültigkeit. Beispiel 1.22. Für beliebige Zahlen a, b ∈ R und n ∈ N0 gilt die binomische Formel n X n k n−k (a + b)n = a b . (1.21) k k=0
16
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
Daraus ergibt sich z. B. mit a := 1 und b := −1 der Spezialfall 00 = (1 − 1)0 =
0 X 0
k
k=0
(−1)k =
0 (−1)0 = 1 , 0
da 00 = 0!/0! = 1, also 0! := 1 definiert ist. Diese Festlegung lässt sich anhand der rekursiven Eigenschaft der Fakultät, d. h. durch die Darstellung (n + 1)! = n! (n + 1)
(1.22)
motivieren. Aus (1.22) resultiert n! =
(n + 1)! , (n + 1)
.. . 0! =
1! = 1. 1
Beispiele 1.23. Es folgen weitere Beispiele zur Vereinbarung (1.20): a) Für den Binomialkoeffizienten gilt n n! := , k k!(n − k)1 damit also
0 0! = = 1. 0 0! 0!
b) Bei der Exponentialreihe ex =
∞ X xk k=0
k!
,
gilt für x = 0 mit 0! = 1 die Beziehung 1 = e0 =
∞ X 0k k=0
k!
= 00 .
c) Entsprechendes gilt auch für die Cosinus-Reihe cos x =
∞ X (−1)k k=0
Denn für x = 0 mit 0! = 1 gilt
(2k)!
x2k .
(1.23)
1.2 Wurzeln
17
1 = cos 0 =
∞ X (−1)k k=0
(2k)!
02k = 00 .
d) Als letztes Beispiel dazu sei die geometrische Reihe ∞ X k=0
qk =
1 , |q| < 1, 1−q
erwähnt. Überzeugen Sie sich zur Übung selbst von der nötigen Vereinbarung (1.20). Wir untersuchen nun im weiteren Verlauf Wurzelgleichungen für die Unbekannte x ∈ R. Generell lässt sich dazu sagen, dass solche Gleichungen zur Elimination der Wurzeln entsprechend potenziert und die damit ermittelten Lösungsmengen stets überprüft werden müssen. Denn Quadrieren einer Gleichung „vergrößert“ evtl. die Lösungsmenge, was schon ein sehr einfachens Beispiel zeigt: x=1
=⇒ 2 x = 1 ⇐⇒ x = ±1, ⇐= ̸
(1.24)
insgesamt also keine Äquivalenzumformung vorliegt. Denn bei reellen Zahlen gilt für die quadratischen (und damit i. Allg. für gerade) Potenzen a = b =⇒ a2 = b2 und a2 = b2 =⇒ ̸ a = b. Beispiel 1.24. Gegeben seien die beiden Gleichungen √ √ x − 1 = 2 und x − 1 = −2.
(1.25)
(1.26)
Wir quadrieren beide Geichungen und erhalten für beide Varianten dieselbe lineare Gleichung x − 1 = 4 mit der reellen Lösung x = 5. Eine Überprüfung zeigt, dass für die zweite Gleichung erwartungsgemäß der ermittelte Wert keine Lösung darstellt. Quadrieren kann nichtlösbare Gleichungen „lösbar“ machen, wie es bei der zweiten Gleichung in (1.26) der Fall ist. Erklärung. Quadrieren (bzw. Anwendung gerader Potenzen) ist auf ganz R gemäß (1.25) keine Äquivalenzumformung. Beschränken wir uns jedoch auf einen der beiden Bereiche (−∞, 0) oder (0, ∞), dann schon. Anders formuliert, Quadrieren ist streng monoton fallend im negativen Bereich, denn für a, b > 0 gilt
18
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
−a < −b ⇐⇒ a2 > b2 ,
(1.27)
und ist streng monoton steigend im positiven Bereich, da a < b ⇐⇒ a2 < b2 .
(1.28)
Wir kommen nun zu der im Beispiel 1.10 angekündigten kurzen Version der Berechnungen. Beispiel 1.25. Dazu führen wir eine Reihe von Äquivalenzumformungen durch. Es gelten |3x − 5| > 2|x + 2| (1.28)
⇐⇒ 9x2 − 30x + 25 > 4x2 + 16x + 16
⇐⇒ 5x2 − 46x > −9 ⇐⇒
x−
46 10
2
1936 100
>
46 44 ⇐⇒ x − > 10 10
(1.17)
⇐⇒ −x +
46 44 46 44 > oder x − > 10 10 10 10
1 oder x > 9 5 1 1 ⇐⇒ x ∈ −∞, ∪ 9, +∞ = R \ , 9 . 5 5 ⇐⇒ x
x ?
(1.44)
Bevor wir quadrieren, muss eine Fallunterscheidung gemacht werden. Fall 1: Für x < 0√ist die Ungleichung p immer erfüllt, da in diesem Fall für die linke Seite stets x2 − 2x + 1 = (x − 1)2 ≥ 0 gilt. Fall 2: Sei nun x ≥ 0. Dann ist gemäß (1.43) Quadrieren eine äquivalente Umformung. Wir erhalten x2 − 2x + 1 > x2 ⇐⇒ 0 ≤ x
0 erhalten wir x − 1 > x ⇐⇒ 0 < −1, also gibt es keine Lösung für diesen Fall. Fall 2: Für x − 1 < 0 erhalten wir −x + 1 > x ⇐⇒ x
1 . 2
Beispiel 1.40. Welche x ∈ R erfüllen die Ungleichung √ 4x − 4 ≥ x ?
(1.46)
Für x ≥ 1 ist der Radikand nichtnegativ. Also ist in diesem Bereich Quadrieren der Ungleichung eine Äquivalenzumformung und wir erhalten 4x − 4 ≥ x2 ⇐⇒ (x2 − 2)2 ≤ 0. Damit ist die Ungleichung (1.46) eigentlich eine Gleichung, weil sie lediglich für den einzelnen Wert x = 2 erfüllt ist, also 2 ≥ 2 gilt. Die strikte Ungleichung √ 4x − 4 > x ist somit nicht lösbar, wie Sie sofort erkennen! Abschließend betrachten wir noch eine Ungleichung. Beispiel 1.41. Welche x ∈ R erfüllen die Ungleichung √ x + 2 < |x + 1| ?
(1.47)
Für x ≥ −2 ist die Wurzel definiert. Dafür gelten folgende Äquivalenzumformungen:
28
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
√
x ≥ −2 ⇐⇒
x + 2 < |x + 1|
x + 2 < x2 + 2x + 1
⇐⇒
1 < x2 + x
⇐⇒
5 < 4
1 x+ 2
√
5 < x + 2
⇐⇒
2
1 2
√
5+1 x | {z2 }
⇐⇒
√
5−1 . 2
≈−1,62
Insgesamt gilt also √
x∈
5+1 −∞, − 2
Haben Sie die Zahl
√ G :=
√
! ∪
! 5−1 ,∞ . 2
5+1 2
erkannt? Natürlich, was für eine Frage! G ist der goldene Schnitt. Jede Zahl lässt sich eindeutig als Kettenbruch darstellen. Der goldene Schnitt nimmt in diesem Zusammenhang eine einmalige Stellung ein. Dazu zunächst Definition 1.42. Eine rationale Zahl x ∈ R liefert einen endlichen Kettenbruch der Form 1
x = a0 +
1
a1 + a2 +
1 . a3 + · · · . . 1 an−1 +
1 an
1.2 Wurzeln
29
mit an ̸= 1, a0 ∈ Z und a1 , · · · , an ∈ N gefordert werden, um die eindeutige Darstellung zu wahren. Wir schreiben abkürzend x = [a0 , a1 , · · · , an ].
Entsprechend gilt Definition 1.43. Eine irrationale Zahl x ∈ R lässt sich durch einen unendlichen Kettenbruch der Form 1
x = a0 +
1
a1 +
1
a2 + a3 +
1 a4 + · · ·
darstellen, worin a0 ∈ Z und ai ∈ N für i ∈ N gelten. Wir schreiben abkürzend x = [a0 , a1 , a2 , a3 , a4 , · · · ].
Um einen Kettenbruch zu berechnen, wenden wir folgendes Verfahren an: Kettenbruchdarstellung. Sei x ∈ R. Dann bezeichne [x] ∈ Z den ganzzahligen Anteil von x. Damit gilt x = [x] + (x − [x]) . | {z } Rest Daraus resultiert im Vergleich mit der Kettenbruchdarstellung die Rekursion 1 , x − a0 1 a1 := [x1 ] mit dem inversen Rest x2 := , x1 − a1 1 a2 := [x2 ] mit dem inversen Rest x3 := , x2 − a2 .. . a0 := [x] mit dem inversen Rest x1 :=
Das Verfahren wird abgebrochen, sobald der inverse Rest ganzzahlig ist, was für x ∈ Q der Fall ist. Für x ∈ R \ Q endet das Verfahren nie. Insgesamt
30
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
erhalten wir den gewünschten Kettenbruch x = [a0 , a1 , a2 , · · · ], mit ai := [xi ] für i ≥ 0. Beispiel 1.44. a) Sei x = 3,14. Mit [3,14] = 3 liefert die Rekursion a0 =
[3,12]
= 3 ,
a1 = [7,1429 · · · ] = 7 , a2 =
[7]
= 7 1
und damit den Kettenbruch 3,14 = [3, 7, 7] = 3 +
b) Sei x =
.
1
7 +
7
11 . Mit [x] = 3 liefert die Rekursion 3 a0 = [11/3] = 3 , a1 = [3/2] = 1 , a2 =
und damit den Kettenbruch
[2]
= 2
11 = [3, 1, 2] = 3 + 3
1 1 +
1
.
2
c) Die Kreiszahl π hat die Darstellung π = [3, 7, 15, 1, 292, 1, 1, 1, 2, 1, 3, 1, 14, · · · ] . √
d) Der goldene Schnitt G =
5+1 2
liefert die Darstellung
G = [1, 1, · · · ] = [ 1 ]. Aufgrund dieser Darstellung wird G als die nobelste Zahl bezeichnet. Gegenbeispiel 1.45. Um die Forderung an ̸= 1 aus Definition 1.42 zu untermauern, betrachten wir nochmals x = 11/3. Wir hatten
1.3 Komplexe Zahlen
31
[3, 1, 2] = 3 +
1 1 +
1
1
!! = 3 + 1 +
2
= [3, 1, 1, 1].
1 1 +
1 1
Wie das Beispiel deutlich zeigt, liefert eine Missachtung der erwähnten Konvention (hier a3 = 1 im zweiten Kettenbruch) eine Mehrdeutigkeit der Darstellung. Unser rekursiver Algorithmus berücksichtigt die gewünschte Forderung jedoch automatisch!
1.3 Komplexe Zahlen Es gibt bekanntlich keine Zahl x ∈ R, welche die Gleichung x2 = −1
(1.48)
erfüllt. Die Mathematiker gaben an dieser Stelle jedoch nicht auf und haben mit der genialen Erfindung der sog. imaginären Einheit i als „Zahl“ durch eben diese Festlegung (1.49) i2 := −1 einen Weg gefunden, der eingangs genannten Gleichung und damit auch weitaus komplizierteren Gleichungen vernünftig entgegenzutreten. Obige Gleichung (1.48) hat damit die Lösungen x = ±i, womit der Weg zu den komplexen Zahlen wie folgt freigegeben ist: Definition 1.46. Eine komplexe Zahl ist eine Größe der Form z := a + ib oder z := a + bi,
(1.50)
mit a, b ∈ R und der gemäß (1.49) definierten imaginären Einheit i. Darin heißen a =: Re (z) der Realteil von z, b =: Im (z) der Imaginärteil von z. Die Menge der komplexen Zahlen wird mit dem Symbol C := a + ib : a, b ∈ R bezeichnet.
32
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
Beispiele 1.47. Komplexe Zahlen zk ∈ C, k = 1, 2, 3, sind: a) z1 := 2 + 3i mit Re (z1 ) = 2 und Im (z1 ) = 3, b) z2 := 2 mit Re (z2 ) = 2 und Im (z2 ) = 0, c) z3 := 3i mit Re (z3 ) = 0 und Im (z3 ) = 3. Aus Teil b) des Beispiels wird ersichtlich, dass R ⊂ C gilt. Bemerkung. An dieser Stelle sei erwähnt, dass eine komplexe Zahl weder positiv noch negativ ist. Das Produkt zweier positver bzw. zweier negativer reeller Zahlen ist bekanntlich stets positiv. Bei komplexen Zahlen kann eine derartige Charakterisierung aus besagten Gründen nicht zutreffen. Wählen Sie „gegenbeispielsweise“ die komplexe Zahl z := i, dann gilt gleichermaßen i · i = (−i) · (−i) = −1 < 0 sowie (−i) · i = i · (−i) = 1 > 0.
Beachten Sie zudem, dass die im Gegensatz zu (1.49) häufig verwendete Festlegung der imaginären Einheit durch √ i := −1 so nicht erklärt ist, denn daraus ergäbe sich der Widerspruch r √ √ 1 1 1 =√ = =⇒ i2 = 1. i = −1 = −1 i −1
Bezeichnung 1.48. Sei z = a + ib ∈ C. Dann heißt z¯ := a − ib
(1.51)
die zu z ∈ C konjugiert komplexe Zahl.
Beispiele 1.49. Konjugiert komplexe Zahlen z¯k ∈ C, k = 1, 2, 3, sind: a) z1 := 2 − 3i, dann ist z¯1 := 2 + 3i, b) z2 := 2, dann ist z¯2 := 2, c) z3 := 3i, dann ist z¯3 := −3i.
1.3 Komplexe Zahlen
33
Beachten wir die Festlegung (1.49), dann kann mit komplexen Zahlen wie mit reellen Zahlen gerechnet werden. Die vier Grundrechenarten {±, ·, :} in C fassen wir wie folgt zusammen: Rechenregeln 1.50. Sei γ ∈ R. Es gelten folgende Regeln: 1. γ(a + ib) = (a + ib)γ = γa + iγb. 2. (a1 + ib1 ) ± (a2 + ib2 ) = (a1 ± a2 ) + i(b1 ± b2 ). 3. (a1 + ib1 ) · (a2 + ib2 ) = (a1 a2 − b1 b2 ) + i(b1 a2 + b2 a1 ). 4.
a1 + ib1 (a1 + ib1 )(a2 − ib2 ) 1 = = 2 (a1 a2 + b1 b2 ) + i(b1 a2 a2 + ib2 (a2 + ib2 )(a2 − ib2 ) a2 + b22 − a 1 b2 ) , wobei a2 oder b2 ̸= 0.
Bemerkung 1.51. Für eine komplexe Zahl z = a + ib gilt stets z · z¯ = z¯ · z = (a + ib) · (a − ib) = a2 + b2 ∈ R .
(1.52)
Deswegen wird bei der Division zweier komplexer Zahlen mit der konjugiert Komplexen zu der im Nenner stehenden Zahl erweitert, um im Nenner einen rein reellen Anteil zu bekommen. Damit kann dann zum Weiterrechnen mit γ := 1/ a22 + b22 obige Rechenregel 1 verwendet werden. Beispiele 1.52. Seien u := 2 + 3i, v := 4 + 2i und w := i gegeben. Dann gelten: a) uv = (2 + 3i)(4 + 2i) = 8 + 4i + 12i + 6i2 = 2 + 16i.
b)
u 2 + 3i (2 + 3i)(4 − 2i) 14 + 8i 7 + 4i = = = = = 0, 7 + 0, 4i. v 4 + 2i (4 + 2i)(4 − 2i) 20 10
c)
v 4 + 2i −i(4 + 2i) = = = −2 − 4i = −(2 + 4i). w i −i · i
d)
w i i i(14 − 8i) 8 + 14i = = = = . u¯ v (2 + 3i)(4 − 2i) 14 + 8i (14 + 8i)(14 − 8i) 260
34
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
e) u−1 =
1 u ¯ 2 + 3i = = . u u¯ u 13
f) w3 = i3 = i · i2 = −i.
Letzteres kann verallgemeinert werden zu nachfolgender Rechenregel 1.53. Für k ∈ N0 ergibt sich 1 : n = 4k, i : n = 4k + 1, in = −1 : n = 4k + 2, −i : n = 4k + 3.
Mit obiger Rechenregel 1.53 und der binomischen Formel n
n
z = (a + ib) =
n X n k=0
k
an−k (ib)k ,
(1.53)
welche natürlich auch für komplexe Zahlen gilt, lassen sich höhere Potenzen recht einfach bestimmen. Beispiele 1.54. Es gelten folgende Auswertungen: a) (1−2i)3 = 13 +3·12 (−2i)+3·1(−2i)2 +(−2i)3 = 1−6i−12+8i = −11+2i. b) i2847 = i4·711+3 = i4·711 · i3 = 1 · i3 = i · i2 = −i.
Gleichung (1.52) hat eine besondere Bedeutung, denn dahinter verbirgt sich der Betrag einer komplexen Zahl. Definition 1.55. Sei z = a + ib ∈ C mit a, b ∈ R . Dann heißt p √ |z| := z z¯ = a2 + b2 ∈ R
(1.54)
Absolutbetrag oder kurz Betrag von z mit der konjugiert komplexen Zahl z¯ = a − ib von z.
1.3 Komplexe Zahlen
35
Jede komplexe Zahl lässt sich als Pfeil in der x-y–Ebene darstellen, dessen Länge dem Betrag dieser Zahl entspricht.
Betrag und Konjugierte von z := x + iy Damit ist z. B. für z = 7 + 2i der Betrag |z| = natürlich |¯ z | = |z|.
√
53. Für z¯ = 7 − 2i gilt
Rechenregeln 1.56. Für komplexe Zahlen gelten folgende Resultate: 1. (z1 ± z2 ) = z¯1 ± z¯2 , (z1 · z2 ) = z¯1 · z¯2 , (z1 : z2 ) = z¯1 : z¯2 , 2. Re (¯ z ) = Re (z), Im (¯ z ) = −Im (z), 3. Re (z) =
1 2
(z + z¯) , Im (z) =
4. z · z¯ = |z|2 ≥ 0,
1 2i (z
− z¯),
z1 z1 z¯2 = , z2 |z2 |2
5. |z1 · z2 | = |z1 | · |z2 |, |z1 : z2 | = |z1 | : |z2 |, 6. |z| = 0 ⇐⇒ z = 0, 7. In Analogie zu (1.14) gilt auch hier die (umgekehrte) Dreiecksungleichung: |z1 | − |z2 | ≤ |z1 ± z2 | ≤ |z1 | + |z2 |.
Mit den bisher formulierten Rechenregeln für komplexe Zahlen lassen sich eine Reihe von Aufgabenstellungen formulieren. Nachfolgende Seiten liefern eine kleine Auswahl an Beispielen dazu. Wir beginnen mit dem Nachweis der Dreiecksungleichung. Beweis. Zunächst überzeugen wir uns, dass für jedes w ∈ C die Ungleichung
36
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
w + w ≤ 2|w| gilt. Schreiben wir dazu w in der Darstellung w = a + bi mit a, b ∈ R. Dann gilt √ (∗) p w + w = a + bi + a − bi = 2a ≤ 2|a| = 2 a2 ≤ 2 a2 + b2 = 2|w|, (1.55) da in (∗) die Ungleichung a2 ≤ a2 + b2 und damit auch also die Monotonie der Wurzel verwendet wurde.
√
a2 ≤
√
a2 + b2 gilt,
Seien jetzt z1 , z2 ∈ C beliebig. Dann setzen wir w := z1 z 2 in (1.55) ein und erhalten mit einigen der oben formulierten Rechenregeln (Sie identifizieren die richtigen), dass z1 z 2 + z1 z 2 ≤ 2|z1 z 2 | ⇐⇒ z1 z 2 + z 1 z2 ≤ 2|z1 | |z 2 | ⇐⇒ z1 z 1 + z1 z 2 + z 1 z2 + z2 z 2 ≤ z1 z 1 + 2|z1 ||z2 | + z2 z 2 ⇐⇒ (z1 + z2 )(z 1 + z 2 ) ≤ |z1 |2 + 2|z1 ||z2 | + |z2 |2 2 ⇐⇒ (z1 + z2 )(z1 + z2 ) ≤ |z1 | + |z2 | 2 ⇐⇒ |z1 + z2 |2 ≤ |z1 | + |z2 | ⇐⇒ |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | gilt. Da die beiden komplexen Zahlen z1 und z2 beliebig waren, gilt die Dreiecksungleichung für alle z1 , z2 ∈ C. qed Beispiel 1.57. Sei z1 := 1 + i und z2 := λz1 , λ ∈ R. a) λ := 2: √ |z1 + z2 | = |(1 + i) + 2(1 + i)| = 3|1 + i| = 3 2, √ |z1 | + |z2 | = |(1 + i)| + 2|(1 + i)| = 3|1 + i| = 3 2. Damit gilt Gleichheit bei der Dreiecksungleichung. b) λ := −2: √ |z1 | − |z2 | = |1 + i| − | − 2| |1 + i| = |1 + i| − 2 |1 + i| = | − 1| 2, √ |z1 + z2 | = |(1 + i) − 2(1 + i)| = | − 1| 2. Damit gilt Gleichheit bei der umgekehrten Dreiecksungleichung.
1.3 Komplexe Zahlen
c) λ := 0:
37
√ |1 + i| − 0 = |(1 + i) + 0| = |1 + i| + 0 = 2.
Damit gilt Gleichheit insgesamt. Die soeben gewonnenen Erkenntnisse sind verallgemeinbar. Folgerung 1.58. Seien z1 , z2 ∈ C mit z2 := λz1 , z1 ̸= 0 und λ ∈ R. Dann gelten für die Ungleichungskette (mit der Summe im mittleren Betrag) |z1 | − |z2 | ≤ |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | folgende Aussagen: a) Ist eine komplexe Zahl das positive Vielfache einer anderen, dann liegt in der Dreiecksungleichung Gleichheit vor, denn aus |z1 | + |z2 | = 1 + |λ| · |z1 | und |z1 + z2 | = |1 + λ| · |z1 | folgt, dass !
1 + |λ| = |1 + λ| ⇐⇒ λ ≥ 0. b) Ist eine komplexe Zahl das negative Vielfache einer anderen, dann liegt in der umgekehrten Dreiecksungleichung Gleichheit vor, denn aus |z1 | − |z2 | = 1 − |λ| · |z1 | und |z1 + z2 | = |1 + λ| · |z1 | folgt, dass ! 1 − |λ| = |1 + λ| ⇐⇒ λ ≤ 0. c) Ist eine der beiden komplexen Zahlen 0, dann liegt gemäß obiger Unterscheidungen insgesamt Gleichheit vor! Den Fall mit der Differenz im mittleren Betrag, also |z1 | − |z2 | ≤ |z1 − z2 | ≤ |z1 | + |z2 |, dürfen jetzt Sie analysieren. Beispiele 1.59. Sei z := x + iy ∈ C. a) Welche Punktmenge verbirgt sich hinter der Gleichung 2|z − 1| = |z + 2|? Wir schreiben die gegebene Gleichung aus und formen gemäß gültiger Rechenregeln um. Wir erhalten
38
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
2|z − 1| = |z + 2| ⇐⇒ 2|x − 1 + iy| = |x + 2 + iy| p p ⇐⇒ 2 (x − 1)2 + y 2 = (x + 2)2 + y 2 (∗) ⇐⇒ 4 x2 − 2x + 1 + y 2 = x2 + 4x + 4 + y 2 ⇐⇒ x2 − 4x + y 2 = 0 ⇐⇒ (x − 2)2 + y 2 = 4. Dies sind alle Punkte auf der Kreislinie um den Punkt (2, 0) mit Radius 2. b) Welche Punktmenge verbirgt sich hinter der Ungleichung 2|z − 1| < |z + 2|? Wir erhalten entsprechend zur vorherigen Teilaufgabe 2|z − 1| < |z + 2| ⇐⇒ 2|x − 1 + iy| < |x + 2 + iy| p p ⇐⇒ 2 (x − 1)2 + y 2 < (x + 2)2 + y 2 (∗) ⇐⇒ 4 x2 − 2x + 1 + y 2 < x2 + 4x + 4 + y 2 ⇐⇒ x2 − 4x + y 2 < 0 ⇐⇒ (x − 2)2 + y 2 < 4. Dies sind alle Punkte im Inneren des Kreises um den Punkt (2, 0) mit Radius 2. Warum war Quadrieren an den mit (∗) gekennzeichneten Stellen eine Äquivalenzumformung (siehe dazu (1.25) und (1.43))? Beispiel 1.60. Wir lösen die Gleichung 4 + 20i + (−2 + 2i)z = 2 + 4i 1 + i + (2 − i)z für z ∈ C. Für den Nenner muss 1 + i + (2 − i)z ̸= 0 gelten, also aufgelöst nach z ergibt z ̸=
−1 − i −(1 + i)(2 + i) 1 3 = = − − i. 2−i (2 − i)(2 + i) 5 5
(1.56)
1.3 Komplexe Zahlen
39
Folgende Umformungen sind äquivalent: 4 + 20i + (−2 + 2i)z 1 + i + (2 − i)z
= 2 + 4i
⇐⇒ 4 + 20i + (−2 + 2i)z
= (2 + 4i)(1 + i + (2 − i)z)
⇐⇒ 4 + 20i + (−2 + 2i)z
= 2 + 2i + (4 − 2i)z + 4i − 4+ +4i(2 − i)z
⇐⇒ ((−2 + 2i) − (4 − 2i))z− −4i(2 − i)z ⇐⇒ (−6 + 4i − 8i − 4)z
= 2 + 2i + 4i − 4 − 4 − 20i = −6 − 14i
⇐⇒ z =
−6 − 14i −10 − 4i
⇐⇒ z =
60 − 24i + 140i + 56 116 + 116i = 116 116
=
(−6 − 14i)(−10 + 4i) (−10 − 4i)(−10 + 4i)
⇐⇒ z = 1 + i. Im Vergleich mit (1.56) gilt 1 + i ̸= −1/5 − 3i/5, also ist z = 1 + i die gesuchte Lösung. Wir kommen nun zu Wurzeln komplexer Zahlen. Definition 1.61. Die Lösungen z ∈ C von z 2 = α + iβ =: c ∈ C heißen komplexe Wurzeln bzw. komplexe Quadratwurzeln aus c.
Eine Lösung obiger Gleichungen erlangen wir durch Einsetzen des Ansatzes z = x + iy in die Gleichung z 2 = α + iβ. Das nachfolgende Beispiel soll diese Vorgehensweise und den nicht unerheblichen Aufwand verdeutlichen. Beispiel 1.62. Gesucht werden komplexe Zahlen z = x + iy, welche z 2 = −2i erfüllen. Dazu machen wir den Ansatz !
z 2 := (x + iy)2 = (x2 − y 2 ) + 2xyi = 0 − 2i. Wir vergleichen Real- und Imaginärteil, quadrieren diese und erhalten
40
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
2 2 vgl. (1.25) x − y = 0, =⇒ 2xy = −2,
x4 + y 4 − 2x2 y 2 = 0,
4x2 y 2 = 4.
Wir addieren die letzten beiden Gleichungen x4 + y 4 − 2x2 y 2 + 4x2 y 2 = (x2 + y 2 )2 = 4 =⇒ 0 ≤ x2 + y 2 = 2. Dazu addieren bzw. davon subtrahieren wir x2 − y 2 = 0 mit dem Resultat 2x2 = 2 =⇒ x = ±1 bzw. 2y 2 = 2 =⇒ y = ±1. Durch Quadrieren, also unter Berücksichtigung von (1.25) haben wir evtl. zuviele Lösungen. In den Ausgangsgleichungen galt aber 2xy = −2, weshalb nur die beiden Lösungen z1 = 1 − i und z2 = −z1 = −1 + i
(1.57)
in Frage kommen. Beispiel 1.63. Wie lauten die beiden komplexen Nullstellen der quadratischen Gleichung z 2 + (1 + i)z + i = 0? (1.58) Wir erhalten mithilfe der Mitternachtsformel p √ −(1 + i) ± (1 + i)2 − 4i −(1 + i) ± 1 − 2i + i2 z1,2 = = 2 2 √ −(1 + i) ± −2i (1.57) −(1 + i) ± ± (1 − i) = = 2 2 −(1 + i) ± (1 − i) = . 2 Daraus resultieren die beiden Lösungen z1 = −i und z2 = −1. Ein Probe bestätigt die Richtigkeit dieser Resultate. Wir formen jetzt die Wurzel aus der Mitternachtsformel etwas anders um und erhalten alternativ p p √ −2i = 1 − 2i + i2 = (1 − i)2 , also gilt
√
−2i =
p (1 − i)2 = ±(1 − i).
(1.59)
1.3 Komplexe Zahlen
41
Allgemein gilt das folgende Resultat: Folgerung 1.64. Die Lösungen z ∈ C von z n = α + iβ =: c ∈ C, n ∈ N, heißen n-te komplexe Wurzeln aus c. Jede komplexe Zahl z ∈ C, z ̸= 0, besitzt dabei genau n verschiedene n-te Wurzeln.
Bei komplexen Wurzeln sind – im Gegensatz zu reellen Wurzeln – keine besonderen Rechenregeln oder Einschränkungen wie Vorzeichenüberprüfung zu beachten. Es stellt sich lediglich die Frage nach einer effizienten Berechnung. Das letzte Beispiel hat gezeigt, dass schon die Berechnung von Quadratwurzeln einen erheblichen Aufwand erfordert. Die Berechnung von Wurzeln höheren Grades wird mit der vorgestellten Methode noch mühseliger, erfordert ggf. ein hohes Maß an Kreativität oder wird gar unmöglich. Dazu noch zwei für spätere Betrachtungen interessante Beispiele, deren Berechnungsaufwand sich noch in Grenzen hält. Beispiele 1.65. Es gelten folgende Resultate: a) Gesucht werden komplexe Zahlen zk = x + iy, k = 1, 2, 3, welche z3 = i erfüllen. Dazu machen wir den Ansatz ! z 3 = (x + iy)3 = x3 − 3xy 2 + 3x2 y − y 3 i = i. Wir vergleichen Real- und Imaginärteil, quadrieren diese und erhalten vgl. (1.25) x6 − 6x4 y 2 + 9x2 y 4 = 0, x3 − 3xy 2 = 0, =⇒ 9x4 y 2 − 6x2 y 4 + y 6 = 12 . 3x2 y − y 3 = 1, Wir addieren die letzten beiden Gleichungen x6 + 3x4 y 2 + 3x2 y 4 + y 6 = 1 ⇐⇒
x2 + y 2
3
=1
vgl. (1.37) 2 ⇐⇒ x + y 2 = 1.
Daraus resultieren die beiden Darstellungen y 2 = 1 − x2 , x2 + y 2 = 1 ⇐⇒ oder x2 = 1 − y 2 .
(1.60)
42
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
Wir setzen den ersten Zweig aus (1.60) in die obige Gleichung x3 − 3xy 2 = 0 ein und erhalten nach einer kurzen Rechnung √ 2
x(4x − 3) = 0 ⇐⇒ x1 = 0 oder x2,3 = ±
3 . 2
(1.61)
Wir setzen jetzt den zweiten Zweig aus (1.60) in die obige Gleichung 3x2 y − y 3 = 1 ein und ermitteln nach einer kurzen Rechnung 4y 3 − 3y + 1 = 0 ⇐⇒ y1 = −1 oder y2,3 =
1 . 2
(1.62)
Die richtige Kombination der fünf Werte aus (1.61) und (1.62) ergeben unter Zuhilfenahme der Gleichung x2 +y 2 = 1 die drei gesuchten Wurzeln für die komplexe Zahl z = i: √ √ 3 i 3 i z1 = + , z2 = − + und z3 = −i. 2 2 2 2 Die Probe zk
3
= i, k = 1, 2, 3, bestätigt die Berechnungen.
b) Gesucht werden komplexe Zahlen zk = x + iy, k = 1, 2, 3, welche z3 = 1 erfüllen. Dazu machen wir den Ansatz ! z 3 = (x + iy)3 = x3 − 3xy 2 + 3x2 y − y 3 i = 1. Wir vergleichen Real- und Imaginärteil, quadrieren diese und erhalten vgl. (1.25) x3 − 3xy 2 = 1, =⇒ 3x2 y − y 3 = 0,
x6 − 6x4 y 2 + 9x2 y 4 = 12 , 9x4 y 2 − 6x2 y 4 + y 6 = 0.
Wir addieren die letzten beiden Gleichungen x6 + 3x4 y 2 + 3x2 y 4 + y 6 = 1 ⇐⇒
x2 + y 2
3
=1
vgl. (1.37) 2 ⇐⇒ x + y 2 = 1.
1.3 Komplexe Zahlen
43
Daraus resultieren die beiden Darstellungen y 2 = 1 − x2 , x2 + y 2 = 1 ⇐⇒ oder x2 = 1 − y 2 .
(1.63)
Wir setzen den ersten Zweig aus (1.63) in die obige Gleichung x3 − 3xy 2 = 1 ein und erhalten nach einer kurzen Rechnung 1 4x3 − 3x − 1 = 0 ⇐⇒ x1 = 1 oder x2,3 = − . 2
(1.64)
Wir setzen jetzt den zweiten Zweig aus (1.63) in die obige Gleichung 3x2 y − y 3 = 0 ein und ermitteln nach einer kurzen Rechnung √ 2
y(3 − 4y ) = 0 ⇐⇒ y1 = 0 oder y2,3 = ±
3 . 2
(1.65)
Die richtige Kombination der fünf Werte aus (1.64) und (1.65) ergeben unter Zuhilfenahme der Gleichung x2 +y 2 = 1 die drei gesuchten Wurzeln für die komplexe Zahl z = 1: √ √ 1 3 1 3 z1 = 1, z2 = − + i und z3 = − − i . 2 2 2 2 Die Probe zk
3
= 1, k = 1, 2, 3, bestätigt die Berechnungen.
Bei höheren Potenzen (z. B. schon bei z 5 = 1) ist es fraglich, ob obige Methoden überhaupt noch praktisch durchführbar sind. Dagegen wird die Berechnung komplexer Wurzeln denkbar einfach, wenn komplexe Zahlen nicht mehr wie bisher in kartesischen Koordinaten in Form von Real- und Imaginärteil, sondern in Polarform dargestellt werden. Um dies zu bewerkstelligen und um den Sachverhalt zu erklären, benötigen wir die bekannten trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus. Wir betrachten dazu in der (x, y)-Ebene den Einheitskreis um den Ursprung. Jeder Punkt P = P (x, y) auf diesem Kreis kann als Pfeil mit Länge 1 durch den Ursprung repräsentiert werden, der mit dem Pfeil E(0, 1) einen Winkel
44
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
φ einschließt. Wir bezeichnen die x-Koordinate des winkelabängigen Punktes P = P (x, y) mit cos φ, die y-Koordinate mit sin φ. Dadurch haben wir für φ ∈ R die trigonometrischen Funktionen φ 7→ cos φ und φ 7→ sin φ erklärt, dessen mögliche Richtungen in der nachstehenden Skizze durch die mit ± markierten Pfeile angedeutet werden, wenn also φ sowohl positiv (gegen den Uhrzeigersinn) als auch negativ (im Uhrzeigersinn) orientiert sein darf.
+
y
P(x,y) sin ϕ
ϕ
E(1,0) x
cos ϕ
Winkelfunktionen Darin ist nicht zu erkennen wie oft sich der angedeutete Pfeil bereits um den Ursprung gedreht hat, der Winkel φ ∈ R also nur bis auf ein additives Vielfaches von 2π festgelegt ist. Dieser sog. „sichtbare“ Winkel wird auch Hauptwert eines Winkels genannt. Um Unterscheidungen zu treffen, wird dieser gelegentlich mit φH bezeichnet. Einige markante Werte der trigonometrischen Funktionen finden Sie in den nachfolgenden Tabellen: φ
0
sin φ
1 2
cos φ
1 2
√ √
30o = ˆ π6 45o = ˆ π4 60o = ˆ π3 90o = ˆ π2
0=0
1 2
4=1
1 2
√ √
1
1 2
3
1 2
√ √
2
1 2
2
1 2
√ √
3
1 2
1
1 2
√ √
4=1 0=0
(1.66)
1.3 Komplexe Zahlen
φ sin φ
45 o 3π 120o = ˆ 2π ˆ 4 150o = ˆ 5π 3 135 = 6 1 2
√
1 2
3
√ cos φ − 12 1
√
1 2
2
√ − 12 2
√
180o =π ˆ 1 2
1
√
0=0
(1.67)
√ √ − 12 3 − 12 4 = −1
Die Funktionsverläufe sind in den nachfolgenden Graphen dargestellt:
sin ϕ 1 −π
3π _ 2
_π -1 2
3π -_ 2
0
_π 1 2
2π ϕ
π
-1
Graph der Sinus–Funktion
cos ϕ 1 3π -_ 2
_π 1 2
−π _π -1 2
0
π 3π _ 2
2π
ϕ
-1
Graph der Cosinus–Funktion Sinus und Cosinus sind auf ganz R erklärte reelle Funktionen, für die folgende Rechenregeln Gültigkeit haben: Rechenregeln 1.66. Seien φ, ψ ∈ R. Dann gelten folgende Resultate: 1. −1 ≤ sin φ ≤ 1, −1 ≤ cos φ ≤ 1,
46
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
2. cos2 φ + sin2 φ = 1, 3. cos(−φ) = cos φ, d. h., cos ist eine gerade Funktion, 4. sin(−φ) = − sin φ, d. h., sin ist eine ungerade Funktion, 5. cos(φ + 2kπ) = cos φ, sin(φ + 2kπ) = sin φ, k ∈ Z, d. h., beide Funktionen sind 2π-periodisch.
Aus der 2. und 5. Rechenregel resultiert Folgerung 1.67. Gilt für zwei Zahlen a, b ∈ R der Zusammenhang a2 + b2 = 1, dann existiert ein Winkel φ ∈ R mit cos φ = a und sin φ = b. Dabei ist φ bis auf ein additives Vielfaches von 2π eindeutig bestimmt. Der Hauptwert φH eines Winkels φ ist der „sichtbare Winkel“ und ist eindeutig bestimmt. Es gilt der Zusammenhang φH − φ = 2kπ für ein k ∈ Z.
Jetzt sind wir in der Lage die angestrebte Polardarstellung einer beliebigen komplexen Zahl z = x + iy anzugeben, deren Länge durch den Betrag p r := |z| = x2 + y 2 gegeben ist. Sie lautet z = r cos φ + i sin φ .
(1.68)
1.3 Komplexe Zahlen
47
i z = x + iy = |z|
:r
y = r sin ϕ
ϕ x = r cos ϕ Polardarstellung von z = x + iy Den Winkel φ ∈ R ermitteln wir durch Vergleich von Real– und Imaginärteil gemäß x cos φ = , r ! r cos φ + ir sin φ = x + iy =⇒ y sin φ = . r
(1.69)
Damit lässt sich φ beispielsweise elektronisch ermitteln. Beispiel 1.68. Sei z = 2 − 3i. Daraus resultiert √ r := |z| = 13. Wir erhalten weiter die approximativen Werte 2 cos φ = √ = 0,5547 · · · =⇒ φ = ±0,98 · · · , 13 −3 sin φ = √ = −0,8320 · · · =⇒ φ = −0,98 · · · . 13 Wir nehmen den gemeinsamen Wert φ = −0,98 · · · als resultierenden Winkel und erhalten die Polardarstellung √ z = 13 cos(−0,98 · · · ) + i sin(−0,98 · · · ) .
Beispiel 1.69. Sei z = 1 + i. Daraus resultieren sofort r := |z| = φ = π/4. Also ist √ π π z = 2 cos + i sin 4 4
√
2 und
48
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
die Polardarstellung von z. Wir führen noch eine Probe durch. Es gilt gemäß obiger Tabelle (1.66), dass √ √ ! √ π π √ 2 2 2 cos + i sin = 2 +i = 1 + i. 4 4 2 2
Natürlich ist die Ermittlung des Winkels φ gemäß (1.69) umständlich, wenn nicht gerade markante Werte entsprechend obiger Tabellen (1.66) und (1.67) vorliegen oder Werte, die sich damit erschließen lassen. Eine einfache Methode ergibt sich mit Hilfe des Arcustangens, der Umkehrabbildung des Tangens, zwei weitere Winkelfunktionen, die Ihnen jetzt vorgestellt werden. Definition 1.70. Die Funktion tan x :=
sin x cos x
heißt Tangens. An den Nullstellen von cos ist diese Funktion nicht definiert und weist Unendlichkeitsstellen (Pole) auf. Der Definitionsbereich D lautet somit n o 1 D := R \ k + π : k∈Z , 2 wie aus dem oben dargestellten Funktionsverlauf des cos ersichtlich ist. Der Wertebereich umfasst ganz R. Demnach liegt eine Abbildung der Form tan : D → R vor.
tan x
3π − __ 2 −π
_ π 2
_π _ 2 0
__ 3π 2 π
Graph der Tangens-Funktion
2π x
1.3 Komplexe Zahlen
49
Die π-Periodizität des Tangens kann wie folgt geschrieben werden: tan x = y0 =⇒ x = x0 + kπ, x0 , y0 ∈ R, k ∈ Z .
(1.70)
Definition 1.71. Die Umkehrfunktion des Tangens im Bereich (−π/2, π/2) heißt Arcustangens. Es liegt also eine Abbildung der Form π π arctan : R → − , 2 2 vor.
Graph der Arcustangens–Funktion Damit ergibt sich im Gegensatz zu (1.69) die folgende präzisere Darstellung des gesuchten Winkels in der x-y–Ebene. Dabei resultiert φ ∈ [0, 2π) für x ̸= 0 aus y arctan : x > 0, y ≥ 0, x y φ := arctan + 2π : x > 0, y < 0, (1.71) x arctan y + π : x < 0, y ∈ R, x der Reihe nach (im Uhrzeigersinn) in den vier Quadranten. Entlang der yAchse fehlen in (1.71) noch die beiden Winkel
50
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
π : x = 0, y > 0, 2 φ := 3π : x = 0, y < 0, 2
(1.72)
welche hiermit nun auch festgelegt sind. Einige spezielle Werte finden Sie in der nachfolgenden Tabelle: x
arctan x
√ − 3
−
π 3
−1
1 −√ 3
π 4
−
−
π 6
−
1 2
−0,4636 0
0
1 2
1 √ 3
0,4636
π 6
1 π 4
√
3
π 3
Beispiele 1.72. Die Berechnng der Beträge nachfolgender komplexer Zahlen zk , k = 1, · · · , 6, für die Polardarstellung ist klar. Es gelten folgende Resultate: √ a) Die beiden komplexen Zahlen z1,2 = 1 ± i 3 haben gemäß obiger Tabelle und (1.71) die Polardarstellungen z1 = 2 (cos φ1 + i sin φ1 ) , z2 = 2 (cos φ2 + i sin φ2 ) , wobei
√
3 = 1 √ − 3 φ2 = arctan + 2π = 1 √ b) Die beiden komplexen Zahlen z3,4 = −1 ± i 3 belle und (1.71) die Polardarstellungen φ1 = arctan
π , 3 5π . 6 haben gemäß obiger Ta-
z3 = 2 (cos φ3 + i sin φ3 ) , z4 = 2 (cos φ4 + i sin φ4 ) , wobei
√ − 3 2π φ3 = arctan +π = , 1 3 √ 3 5π φ4 = arctan +π = . 1 3 √ c) Die beiden komplexen Zahlen z5,6 = ±i 3 haben gemäß (1.72) die Polardarstellungen
1.3 Komplexe Zahlen
51
√ 3 (cos φ5 + i sin φ5 ) = i 3 sin φ5 , √ √ z6 = 3 (cos φ6 + i sin φ6 ) = i 3 sin φ6 ,
z5 =
√
da φ5 =
π 3π und φ6 = . 2 2
Wir formulieren nun eine von Leonhard Euler eingeführte Abkürzung zur Polardarstellung und werden in wenigen Augenblicken feststellen, dass sich damit nicht nur der Schreibaufwand reduziert, sondern auch das Rechnen mit komplexen Zahlen, speziell die Berechnung derer Wurzeln, erheblich vereinfacht. Definition 1.73. Für alle φ ∈ R schreiben wir eiφ := cos φ + i sin φ.
(1.73)
Diese Gleichung heißt Euler-Formel.
Damit lautet die Polardarstellung einer komplexen Zahl z mit r = |z| und φ ∈ R mithilfe der Euler-Formel z = reiφ = rei(φ+2kπ) ,
(1.74)
wobei wir die 2π−Periodizität der trigonometrischen Funktionen in weiser Voraussicht berücksichtigen. Der große Vorteil dieser „abkürzenden Schreibweise“ liegt nun darin, dass dafür die Potenzgesetze gelten und somit insbesondere Potenzieren und damit verbunden Wurzelberechnungen sehr einfach werden. Beispiel 1.74. Sei z = 1 + i. Die Polardarstellung dieser Zahl lautet z=
√
π
2ei 4 =⇒ z 2 =
√
π
2ei 4
2
π
π
= 2e2i 4 = 2ei 2 = 2i.
Wir machen den kurzen Test mithilfe der kartesischen Darstellung z 2 = (1 + i)2 = 2i. Weiter gilt z 100 =
√
π
2ei 4
100
(1.74)
= 250 ei25π = 250 eiπ = −250 .
52
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
Den Test mithilfe der kartesischen Darstellung führen wir aus Zeit– und Platzgründen lieber nicht durch! Wir verallgemeinern das letzte Beispiel. Es gelten folgende Rechenregeln 1.75 (Regeln von De Moivre). Für alle r, r1 , r2 , φ, φ1 , φ2 ∈ R gilt r 1. reiφ = re−iφ = iφ , e 2. r1 eiφ1 · r2 eiφ2 = r1 · r2 ei(φ1 +φ2 ) , 3.
r1 eiφ1 r1 i(φ1 −φ2 ) = e , iφ 2 r2 e r2
4. (reiφ )n = rn einφ für alle n ∈ Z.
Folgerung 1.76. Aus der 4. Rechenregel folgt insbesondere, dass (cos φ + i sin φ)n = cos(nφ) + i sin(nφ).
(1.75)
Beispiel 1.77. Es gilt der Zusammenhang !
(cos φ + i sin φ)2 = cos2 φ − sin2 φ + 2i cos φ sin φ = cos 2φ + sin 2φ. Vergleichen wir Real- und Imaginärteil, so erhalten wir cos2 φ − sin2 φ = cos 2φ, 2 cos φ sin φ = sin 2φ. Hinter diesem Beispiel verbergen sich die sog. Additionstheoreme der Form Rechenregeln 1.78. Seien φ, ψ ∈ R, dann gelten die beiden Additionstheoreme: 1. cos(φ ± ψ) = cos φ cos ψ ∓ sin φ sin ψ, 2. sin(φ ± ψ) = sin φ cos ψ ± sin ψ cos φ.
Eine wichtige Anwendung der Rechenregeln 1.75 ist die komfortable Berechnung komplexer Wurzeln. Ausgangspunkt ist dabei folgende Rechnung:
1.3 Komplexe Zahlen
53
Sei z = reiφ gegeben, dann liefert 1
z n = reiφ
n1
1
φ
= r n ei n
nur eine von n verschiedenen n-ten Wurzeln. Berücksichtigen wir zudem die 2π–Periodizität gemäß (1.74), dann ergeben sich schließlich alle wie folgt: Satz 1.79. Sei c = reiφ ̸= 0, n ∈ N . Die Lösungen der Gleichung z n = c ∈ C sind gegeben durch zk =
√ n
r eiφk mit φk =
φ + 2kπ , n
k = 0, 1, 2, · · · , n − 1.
Die Lösungen von z n = c ̸= 0 heißen n-te komplexe Wurzeln von c ∈ C, und wir bezeichnen die Menge der zk mit √ n c := {z0 , z1 , · · · , zn−1 }. Diese bilden ein regelmäßiges n-Eck auf dem Kreis mit dem Radius
√ n
r.
Bemerkung 1.80. √ √ 1. Es gilt n 0 = 0. Für c ̸= 0 ist die komplexe Wurzel n c stets n-deutig, d. h., √ n
c ist eine n-elementige Menge.
(1.76)
Dies gilt auch, wenn wir aus einer reellen Zahl die komplexe Wurzel berechnen. 2. Wegen √ m der√Mehrdeutigkeit haben viele Potenzgesetze aus R, wie z. B. ( n z) ̸= n z m , keine allgemeine Gültigkeit mehr. So gilt z. B. gemäß Beispiel 1.65, dass ( ) √ √ 3 i 3 i = −i, ± 2 2 und erhalten, wenn wir elementweise potenzieren, die einelementige Menge !3 √ √ 3 3 i 3 3 i = (−i) , ± = {i}. 2 2 Dagegen gilt
54
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
√ 3
Demnach sind
i3 =
√ 3
( −i =
√
3 i i, ± − 2 2
) .
√ √ 3 3 3 i und i3 zwei verschiedene Mengen!
Wie Sie leicht nachrechnen, gilt dagegen √ √ 2 3 3 i2 = i . 3. Rechenoperationen wie
√ 3
i+ ·
√ 5
i =?
bleiben wegen (1.76) ungeklärt, da eine Addition und eine Multiplikation auf zwei verschiedene Mengen bezogen nicht existiert. Beispiele 1.81. Wir greifen Beispiele 1.65 nochmals auf. Die Beträge lauten für alle der drei nachfolgenden komplexen Zahlen r = 1. √ a) Gesucht werden komplexe Zahlen zk = 3 reiφk , k = 0, 1, 2, φk ∈ R, welche z3 = i erfüllen. Bei der Polardarstellung von i beträgt der Winkel φ = π/2. Damit lauten gemäß Satz 1.75 die Winkel φk =
π/2 + 2kπ . 3
Die drei Wurzeln sind somit π
z0 = ei 6 = cos π6 + i sin π6 , z1 = e i
5π 6
5π = cos 5π 6 + i sin 6 ,
z2 = e i
9π 6
9π = cos 9π 6 + i sin 6 ,
deren kartesische Darstellungen erwartungsgemäß mit den Berechnungen aus Beispiel 1.65 a) übereinstimmen. √ b) Gesucht werden komplexe Zahlen zk = 3 reiφk , k = 0, 1, 2, φk ∈ R, welche z3 = 1 erfüllen. Bei der Polardarstellung von 1 beträgt der Winkel φ = 0. Damit lauten gemäß Satz 1.79 die Winkel φk =
2kπ . 3
1.3 Komplexe Zahlen
55
Die drei Wurzeln sind somit z0 = ei·0 = 1, z1 = e i
2π 3
2π = cos 2π 3 + i sin 3 ,
z2 = e i
4π 3
4π = cos 4π 3 + i sin 3 ,
deren kartesische Darstellungen erwartungsgeäß mit den Berechnungen aus Beispiel 1.65 b) übereinstimmen. √ c) Gesucht werden jetzt komplexe Zahlen ek = 5 reiφk , k = 0, 1, · · · , 4, φk ∈ R, welche z5 = 1 erfüllen. Die Winkel gemäß Satz 1.79 sind φk =
2kπ . 5
Daraus resultieren e0 = ei·0 = 1, e1 = ei
2π 5
2π = cos 2π 5 + i sin 5 ,
e2 = ei
4π 5
4π = cos 4π 5 + i sin 5 ,
e3 = ei
6π 5
6π = cos 6π 5 + i sin 5 ,
e4 = ei
8π 5
8π = cos 8π 5 + i sin 5 .
Sie bilden ein 5-Eck im Einheitskreis.
i
e1
e2 1 2π 5
e3 e4 5-te Einheitswurzeln
e0
56
1 Vorbetrachtungen und Grundlagen
d) Nun gilt für Wurzeln aus Teil b) und c), dass beispielsweise √ √ 1 3 3 5 i 10π z1 ∈ 1 =⇒ (z1 ) = e 3 = − − i , 2 2 p √ √ √ 1+ 5 5− 5 5 3 i 6π 5 √ e1 ∈ 1 =⇒ (e1 ) = e =− −i , 2 2 2 √ √ m im Einklang mit ( n z ) ̸= n z m aus obiger Bemerkung 1.80. Ebenso gilt für die beiden Mengen insgesamt √ √ 3 5 1 := {z0 , z1 , z2 } = ̸ {e0 , e1 , e2 , e3 .e4 } =: 1 !
Das in R viel diskutierte Beispiel darf in C natürlich nicht fehlen. √ Beispiel 1.82. Gesucht ist die Menge 3 −8. Die entsprechende Polardarstellung von z = −8 lautet z = 8eiπ . Daraus resultiert n π o n √ √ o √ 5π 3 −8 = 2ei 3 , 2eiπ , 2ei 3 = 1 + i 3, −2, 1 − i 3 .
Kapitel 2
Folgen und Reihen
Begriffe wie Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Integration werden auf der Basis eines „Grenzübergangs“ definiert. Somit sind Folgen, Reihen und der damit verbundene Begriff des Grenzwertes wichtigste Bestandteile der Analysis.
2.1 Zahlenfolgen Definition 2.1. Eine Zuordnung bzw. Abbildung der Form a : N → R; n 7→ a(n) =: an heißt reelle Zahlenfolge. Dabei bezeichnet an das n-te Folgenglied und {an }n∈N ⊂ R die Menge aller Folgenglieder.
Beispiele 2.2. Einige grundlegende Folgen sind: a) Die identische Folge ist a1 = 1, a2 = 2, a3 = 3, a4 = 4, · · · bzw. an = n, n ∈ N. b) Eine konstante Folge ist a1 = 1, a2 = 1, a3 = 1, a4 = 1, · · · bzw. an = 1, n ∈ N. c) Die reziproke Folge lautet a1 = 1, a2 =
1 1 1 1 , a3 = , a4 = , · · · bzw. an = , n ∈ N. 2 3 4 n
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 W. Merz, Höhere Mathematik in Beispielen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9_2
57
58
2 Folgen und Reihen
d) Eine streng monoton fallende Folge ist 2 3 4 5 n+1 , a2 = , a3 = , a4 = , · · · bzw. an = , n ∈ N. 1 2 3 4 n e) Eine streng monoton steigende Folge ist a1 =
a1 =
1 2 3 4 n , a2 = , a3 = , a4 = , · · · bzw. an = , n ∈ N. 2 3 4 5 n+1
f) Eine alternierende Folge ist a1 = −1, a2 = 1, a3 = −1, a4 = 1, · · · bzw. an = (−1)n , n ∈ N. g) Eine weitere alternierende Folge ist a1 = 0, a2 = 2, a3 = 0, a4 = 2, · · · bzw. an = 1 + (−1)n , n ∈ N.
Definition 2.3. Es gelten folgende Vereinbarungen: 1. Sei {an }n∈N eine reelle Zahlenfolge. Dann heißt a ∈ R Grenzwert von {an }n∈N , falls es zu jedem ε > 0 eine Zahl N (ε) ∈ N gibt mit der Eigenschaft ∀n ≥ N (ε) und n ∈ N =⇒ |an − a| < ε. 2. Falls {an }n∈N einen Grenzwert a besitzt, dann sagt man, dass {an }n∈N gegen a konvergiert und die Folge somit konvergent ist. Anderenfalls ist die Folge divergent.
Erklärung. a) Bei der Zahl N (ε) ∈ N handelt es sich um eine natürliche Zahl, welche von ε > 0 abhängt. Dabei wird N (ε) umso größer, je kleiner ε > 0 gewählt wird. b) Zu a ∈ R und ε > 0 ist die Menge Uε (a) = {an ∈ R : |an − a| < ε} gerade die in (1.1) erwähnte ε-Umgebung von a und bedeutet, dass a genau dann Grenzwert der Folge {an }n∈N ist, falls für jedes (noch so kleine) ε > 0 alle bis auf endlich viele Folgenglieder in Uε (a) liegen, also alle diejenigen, die den Index n ≥ N (ε) tragen. Man sagt auch, dass sich fast alle Folgenglieder in Uε (a) befinden. Wenn also beispielsweise – bei entsprechend kleinem ε > 0 – die „ersten“ 10100000000000000000000000000 Folgenglieder außerhalb der Umgebung liegen, und ab dem nächsten Folgenglied alle weiteren unendlich viele in Uε (a) verbleiben, dann sprechen wir von Konvergenz.
2.1 Zahlenfolgen
59
Bezeichnung 2.4. Ist a der Grenzwert von {an }n∈N , dann schreiben wir lim an = a oder an → a für n → ∞. n→∞
Weiter gilt Definition 2.5. Eine reelle Zahlenfolge {an }n∈N strebt gegen +∞ bzw. −∞, falls es zu jedem ε > 0 eine Zahl N (ε) ∈ N gibt mit der Eigenschaft 1 1 an > bzw. an < − ε ε für alle n > N (ε). Wir schreiben lim an = ±∞ oder an → ±∞ für n → ∞
n→∞
und nennen diese „Grenzwerte“ uneigentlich.
Beispiele 2.6. Für die Folgen aus den Beispielen 2.2 gelten folgende Grenzübergänge: a)
d)
lim n = ∞,
n→∞
lim
n→∞
b)
n+1 = 1, n
lim 1 = 1,
n→∞
e)
lim
n→∞
c)
1 = 0, n→∞ n lim
n = 1. n+1
Mit Definition 2.3 und der binomischen Formel aus Beispiel 1.23 lässt sich nachfolgender Grenzwert bestätigen: Beispiel 2.7. Es gilt lim
n→∞
√ n
n = 1.
Wir zeigem, dass für alle ε > 0 ein N (ε) ∈ N existiert mit N (ε) > 2/ε2 . Dieser Zusammenhang berechnet sich wie folgt: √ Wir setzen bn := n n − 1 ≥ 0, lösen dies nach n auf und erhalten mit der Binomialentwicklung aus Beispiel 1.23 n n 2 n n = (1 + bn )n = 1 + bn + bn + · · · + bn−1 + bnn . 1 2 n−1 n
60
2 Folgen und Reihen
Die rechte Seite kann beispielsweise abgeschätzt werden durch n n 2 n n 2 n−1 n b , 1+ bn + b + ··· + b + bn ≥ 1 + 1 2 n n−1 n 2 n also gilt nach (1.23) n≥1+
n 2 n(n − 1) 2 b ⇐⇒ n − 1 ≥ bn . 2 n 2
Damit ergibt sich schließlich das gewünschte Resultat r √ 2 2 ! (1.43) n bn = | n − 1| ≤ < ε ⇐⇒ n > 2 . n ε
Mithilfe von Definition 2.3 lassen sich nachfolgende Resultate für reelle Zahlenfolgen bestätigen. Folgerungen 2.8. Es gelten folgende Aussagen: a) Eine Zahlenfolge {an }n∈N hat höchstens einen Grenzwert. b) Jede konvergente Folge ist beschränkt, d. h. es existiert eine untere und obere Schranke. Die Umkehrung gilt i. Allg. nicht! c) Eine monotone (wachsend oder fallend) und beschränkte Folge ist konvergent.
Erklärungen. Zu a) Angenommen die Folge {an }n∈N hat zwei verschiedene Grenzwerte |b − a| a ̸= b. Da ε > 0 beliebig gewählt werden kann, setzen wir ε := > 0. 2 Dann gibt es gemäß Definition 2.3 natürliche Zahlen N1 (ε) ∈ N und N2 (ε) ∈ N mit n ≥ N1 (ε) =⇒ |an − a| < ε, n ≥ N2 (ε) =⇒ |an − b| < ε. Für n ≥ max {N1 (ε), N2 (ε)} ergibt sich |a − b| ≤ |a − an | + |an − b| < ε + ε = |b − a|, also der Widerspruch
2.1 Zahlenfolgen
61
|a − b| < |a − b|. qed Demnach sind die beiden nachstehenden Folgen divergent: −1 : n ungerade, (i) (−1)n = 1 : n gerade, und (ii)
1 + (−1)n
0 : n ungerade, = 2 : n gerade.
(2.1)
(2.2)
Zu b) Da die Folge {an }n∈N konvergent ist, gibt es z. B. für das großzügig gewählte ε := 1 ein N (1) ∈ N , sodass für alle n ≥ N (1) die Abschätzung |an − a| < 1 gilt. Daraus folgt nun mit der Dreiecksungleichung, dass |an | = |an − a + a| ≤ |an − a| + |a| < 1 + |a|. Mit S := max{|a1 |, |a2 |, · · · , |aN (1)−1 |, 1 + |a|} ergibt sich die Behauptung |an | ≤ S für alle n ∈ N. Dass die Umkehrung nicht gilt, zeigt das Gegenbeispiel 2n + 1 a2n = → 1 für n → ∞, n+1 2n an = (−1)n =⇒ n 2n + 2 a2n+1 = − → −1 für n → ∞. 2n + 1 Trotzdem ist die divergente Folge beschränkt, denn (−1)n n + 1 ≤ 2 für alle n ∈ N. n Ebenso sind die beiden Folgen in a) und b) aus dem vorherigen Unterpunkt als Gegenbeispiele zu sehen! Zu c) Wir betrachten nur den Fall einer monoton wachsenden Folge. Sei dazu a := sup an und ε > 0 beliebig. Dann existiert wegen der Monotonie ein Index N (ε) ∈ N mit a − ε < aN (ε) . Das bedeutet für alle n ≥ N (ε), dass a − ε < aN (ε) ≤ an =⇒ |an − a| < ε. Das heißt a = lim an . n→∞
62
2 Folgen und Reihen
So ist die Folge 1 n offensichtlich streng monoton steigend und beschränkt. Der Grenzwert lautet a = 3. Wir bestätigen dies wie folgt: an := 3 −
Sei ε > 0 beliebig vorgegeben. Ab einem bestimmten Folgenindex N (ε) ∈ N muss für alle n > N (ε) die Ungleichung an > 3 − ε gelten. Wir bestimmen N (ε) gemäß 3−
1 1 1 > 3 − ε ⇐⇒ ε > ⇐⇒ n > =: N (ε). n n ε
Nehmen wir spaßeshalber an, dass a = 4 der Grenzwert obiger Folge {an }n∈N ist. Damit ergibt sich dann folgender Widerspruch bei der Berechnung von N (ε) ∈ N: 1 > n : ε < 1, 1 1 ε−1 3 − > 4 − ε ⇐⇒ < ε − 1 ⇐⇒ n n 1 < n : ε > 1. ε−1
Bisher haben wir uns mit „elementaren“ Folgen beschäftigt, deren Konvergenzverhalten offensichtlich war. Wie lässt sich dagegen das Verhalten der „komplizierteren“ Folge an :=
n8 + n4 1 + 13 8 n +n n
(2.3)
ermitteln? Um dies zu bewerkstelligen formulieren wir Rechenregeln 2.9. Seien {an }n∈N und {bn }n∈N Folgen mit an → a und bn → b, jeweils für n → ∞. Dann gelten folgende Resultate: 1. für die Summenfolge (an + bn ) → (a + b), 2. für die Produktfolge (an · bn ) → (a · b), an a 3. für die Quotientenfolge → , falls bn ̸= 0. bn b
2.1 Zahlenfolgen
63
Beispiele 2.10. Mithilfe obiger Rechenregeln ergeben sich folgende Resultate: a) Es gilt 1 1 + . . . + → 0 + . . . + 0 = 0. n n | {z } k-mal
b) Für alle k ∈ N gilt 1 1 1 = · . . . · → 0 · . . . · 0 = 0. k n |n {z n} k-mal
c) Folgen der nachstehenden Art kommen oft vor: 10 28 − 20 28n4 − 20n3 + 10n n + n3 = → 2. 14n4 + 200 14 + 200 n4
Folgerung 2.11. Seien p, q ∈ N, dann gilt für die Quotientenfolge allgemein ∞, falls p > q, p n → 1, falls p = q, nq 0, falls p < q. Dass die oben formulierte Folge (2.3) gegen 1 konvergiert, haben Sie sich sicherlich schon überlegt. Beispiele 2.12. Divergente Folgen, deren Summe, Differenz, Produkt und Quotient konvergieren sind: a) Summe:
an = n und bn = −n für alle n ∈ N,
b) Differenz: an = n und bn = n c) Produkt:
für alle n ∈ N,
n
an = (−1) und bn = (−1)n für alle n ∈ N,
d) Quotient: an = (−1)n und bn = (−1)n für alle n ∈ N. Die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten bei Folgen, frei nach dem Motto: „Wer rast schneller gegen Unendlich,“ fassen wir in der nachfolgenden „Stärketabelle“ zusammen: p1
a∈R
np ≺ nq ≺ an ≺ n! ≺ nn .
(2.4)
64
2 Folgen und Reihen
Beweis. Wir bestätigen die letzte Ungleichung n! < nn für n ≥ 2 mit vollständiger Induktion. Wir gehen in zwei Schritten vor: a) Induktionsanfang: Sei n = 2, dann ergibt sich die wahre Aussage 2! = 2 < 22 = 4. b) Induktionsschritt: Wir machen die Induktionsannahme, dass die Aussage für ein beliebiges n ≥ 2 richtig ist. Daraus folgern wir, dass die Aussage dann auch für n + 1 stimmt. Es gilt (∗)
(n + 1)! = n! (n + 1) < nn (n + 1) < (n + 1)n (n + 1) = (n + 1)n+1 , womit die vorgelegte Ungleichung bestätigt ist. In (∗) haben wir die Induktionsannahme verwendet. qed Mit der Stärketabelle (2.4) lassen sich die nachfolgenden Grenzwerte rechtfertigen: Beispiele 2.13. Der „Schnellere“ gemäß obiger Tabelle (2.4) dominiert das Konvergenzverhalten folgender Quotienten: Sei a > 1 und p ∈ N, dann erhält man an → ∞. np Dagegen ist für a ∈ R beliebig an → 0. n! Schließlich gilt
nn → ∞. n!
Weitere Kombinationen dürfen Sie sich selbst zusammenstellen. Beispiel 2.14. Aus der soeben formulierten Stärketabelle (2.4) ergibt sich sofort nk lim n = 0 für ein beliebiges k ∈ N. n→∞ 2 Dies ergibt sich auch aus dem üblichen Trick, den gegebenen Ausdruck A := nk /2n in der Form
2.1 Zahlenfolgen
65
A = eln A = ek ln n−n ln 2 zu schreiben. Da k ln n − n ln 2 → −∞ für n → ∞, folgt lim ek ln n−n ln 2 = 0.
n→∞
Beispiel 2.15. Seien b1 , b2 , · · · , bν ∈ R fest gegeben mit bk ≥ 0, k = 1, · · · , ν. Wir bestimmen den Grenzwert der Folge p an := n bn1 + · · · + bnν . Wir setzen B := max {b1 , · · · , bν } . Damit gilt 1
1
1
bn1 + · · · + bnν ≤ ν · B n ⇐⇒ (bn1 + · · · + bnν ) n ≤ (ν · B n ) n = ν n · B. Ebenso ergibt sich 1
B n ≤ bn1 + · · · + bnν ⇐⇒ B ≤ (bn1 + · · · + bnν ) n . Es liegt also folgende Ungleichungskette vor: 1
B ≤ an ≤ ν n · B. 1
Da limn→∞ ν n = 1, folgt lim an = B.
n→∞
Siehe dazu zum Vergleich auch Beispiel 2.7. Es gilt ganz allgemein für konvergente reelle Folgen das folgende Einschließungsoder Sandwichprinzip: an → A, bn → A, an ≤ cn ≤ bn =⇒ cn → A. Beispiel 2.16. Gegeben sei die Folge an :=
cos(n2 ) . n
Es gilt limn→∞ an = 0, denn −1 ≤ cos(n2 ) ≤ 1 =⇒ −
1 cos(n2 ) 1 ≤ ≤ . n n n
(2.5)
66
2 Folgen und Reihen
Bemerkung 2.17. Sind {an }n∈N und {bn }n∈N konvergente reelle Zahlenfolgen mit lim an = a, lim bn = b und an < bn n→∞
n→∞
für alle n ∈ N, dann gilt a ≤ b und nicht a < b. Gegenbeispiel 2.18. So erfüllen die beiden Folgen an ≡ 0 und bn = 1/n für alle n ∈ N die strikte Ungleichung an < bn , der Grenzwert ist jedoch bei beiden Folgen 0. Bemerkung 2.19. Die Folgen in (2.1) und (2.2) sind divergent, da die Grenzübergänge bei beiden Beispielen keine eindeutigen, sondern verschiedene Werte liefern. In diesem Fall sprechen wir von Häufungspunkten einer Folge. Beispiel 2.20. Setzen wir nk := 2k, k ∈ N, dann durchläuft nk für k → ∞ alle geraden natürlichen Zahlen. Ersetzen wir also beispielsweise in der Folge an = (−1)n den Index n mit nk = 2k, dann erhalten wir die sog. Teilfolge {ank }k∈N mit {ank }k∈N ⊂ {an }n∈N , gegeben durch ank := a2k = (−1)2k mit lim (−1)2k = 1. k→∞
Durchlaufen wir gemäß nk := 2k − 1 die ungeraden natürlichen Zahlen, so erhalten wir limk→∞ (−1)2k−1 = −1. Im soeben betrachteten Beispiel 2.20 wurde nicht die „ganze Folge“ betrachtet, sondern nur eine Teilmenge davon, woraus unterschiedliche Konvergenzverlaten reultierten. Wir fassen zusammen Definition 2.21. Gegeben sei die Folge {an }n∈N sowie die streng monoton wachsende Folge {nk }k∈N natürlicher Zahlen. Dann heißt {ank }k∈N eine Teilfolge von{an }n∈N .
Dies veranlasst zur Definition 2.22. Eine Zahl a ∈ R heißt Häufungspunkt einer Folge {an }n∈N , genau dann, wenn eine Teilfolge {ank }k∈N von {an }n∈N existiert mit ank → a für k → ∞.
2.1 Zahlenfolgen
67
Bemerkung 2.23. Jeder Häufungspunkt einer Folge {an }n∈N kann also mithilfe einer Teilfolge angesteuert werden, insbesondere der Grenzwert als einziger Häufungspunkt selbst. Wir formulieren nun den bekannten Satz von Bolzano-Weierstrass: Satz 2.24. Eine beshränkte Folge {an }n∈N ⊂ C hat mindesten einen Häufungspunkt.
Beispiel 2.25. Eine Folge mit drei Häufungspunkten ist gegeben durch 2 : n durch 4 teilbar, n n(n+1)/2 an := 1 + (−1) (−1) = −2 : n durch 4 teilbar mit Rest 2, 0 : n ungerade.
Um auf die so seltsam wirkende Unterscheidung zwischen einer durch 4 teilbaren Zahl mit Rest 0 oder mit Rest 2 zu kommen, gehen wir folgendermaßen vor: Zunächst wird die übliche Unterscheidung n ist gerade oder ungerade getroffen. Der letztere Fall ist klar, wogegen der Fall „ n gerade“, also n = 2k für k ∈ N, die besagten Unterscheidungen liefert. Es gilt nämlich, wenn wir jetzt wie folgt k ∈ N in gerade und ungerade aufteilen: k a2k = 1 + (−1)2k (−1)2k(2k+1)/2 = 2 (−1)k(2k+1) = 2 (−1)(2k+1) 2 : k gerade, d. h., n durch 4 teilbar, = 2 (−1)k = −2 : k ungerade, d. h., n durch 4 teilbar mit Rest 2.
Beispiel 2.26. Eine komplexwertige Folge mit vier Häufungspunkten ist gegeben durch n3 + n n an := 3 i , n ∈ N, n + n2 wobei i ∈ C die imaginäre Einheit bezeichnet. Um die Häufungspunkte zu ermitteln, erinnern wir uns an Rechenregel 1.53 mit
68
2 Folgen und Reihen
1 i in = −1 −i Da
: n = 4k, : n = 4k + 1,
(2.6)
: n = 4k + 2, : n = 4k + 3.
n3 + n = 1, n→∞ n3 + n2 lim
ergeben sich für an ⊂ C gemäß (2.6) und wegen der Rechenregln 2.9 die Häufungspunkte {1, i, −1, −i}. Bemerkung 2.27. Die im letzten Beispiel ermittelten Häufungspunkte lassen sich nicht der Größe nach ordnen, weil auf C keine Ordnungsstruktur gegeben ist! Dagegen lassen sich Häufungspunkte reeller Zahlenfolgen klassifizieren gemäß Definition 2.28. Wir unterscheiden zwischen dem größten L ∈ R und dem kleinsten l ∈ R Häufungspunkt einer reellen Zahlenfolge {an }n∈N , und benennen diese sinngemäß limes superior bzw. limes inferior mit den Bezeichnungen lim sup an := L bzw. lim inf an := l. n→∞
n→∞
Uneigentliche Häufungspunkte sind ebenfalls zugelassen, d. h., auch lim sup an = ±∞ bzw. lim inf an = ±∞ n→∞
n→∞
sind möglich. Oft werden auch die Bezeichnungen lim := lim sup bzw. lim := lim inf verwendet.
2.1 Zahlenfolgen
69
Beispiele 2.29. a) Gegeben sei die reelle Folge an := exp (−1)n+1 n((−1) Dann gilt exp(−n) : n gerade, 0 : n gerade, lim an = lim = n→∞ n→∞ exp 1 : n ungerade 1 : n ungerade.
n
)
n
Also sind lim inf an = 0 und lim sup an = 1. n→∞
n→∞ n
b) Gegeben sei die Folge an = n((−1) ) . Jetzt gilt n : n gerade, ∞ : n gerade, lim an = lim = n→∞ n→∞ 1 0 : n ungerade. : n ungerade n Also sind lim inf an = 0 und lim sup an = ∞. n→∞
n→∞
Existieren neben lim inf und lim sup noch weitere Häufungspunkte einer Folge, dann liegen diese stets dazwischen. Aus Definition 2.28 ergibt sich folgendes Resultat: Folgerung 2.30. Sei {an }n∈N eine beschränkte Folge reeller Zahlen und sei M := a ∈ R : lim ank = a für eine Teilfolge {ank }k∈N k→∞
die Menge aller Häufungspunkte. Falls lim inf an = l und lim sup an = L, n→∞
n→∞
dann gilt {l, L} ⊂ M ⊂ [l, L].
Beispiele 2.31. Bei den nachstehenden beiden Folgen bestimmen wir die Menge M aus Satz 2.30: a) Die reelle Folge an := sin n ist durch |an | ≤ 1 beschränkt und nicht konvergent. Doch für jedes a ∈ [−1, 1] existiert eine Teilfolge {ank }k∈N von {an }n∈N mit
.
70
2 Folgen und Reihen
lim ank = a.
k→∞
Also hat die Folge {sin n}n∈N nach Definition 2.22 unendlich viele Häufungspunkte mit lim inf an = −1 und lim sup an = 1. n→∞
n→∞
Somit bekommen wir das Intervall M = [−1, 1].
Wir zeigen jetzt, dass jedes a ∈ [−1, 1] ein Häufungspunkt der Folge an := sin n ist. Dazu „komplexifizieren“ wir diese Folge und betrachten gemäß (1.73) die Folge bn := ein = cos n + i sin n, n ∈ N. Grund der Komplexifizierung liegt darin, dass alle Folgenglieder auf dem Einheitskreis liegen, da p | bn | = sin2 n + cos2 n = 1 gilt. Zudem werden die Eigenschaften der Exponentialfunktion noch hilfreich sein. Diese Kreislinie ist beschränkt und abgeschlossen, somit existiert nach Satz 2.24 mindestens ein Häufungspunkt a0 ∈ C, also eine Teilfolge mit lim bk = a0 , k→∞
wobei wir der Einfachheit halber eben diese Notation gewählt haben anstatt {bnk }k∈N . Es existieren also eine ε-Umgegebung Uε (a0 ) um a0 und zwei verschiedene Indizes k1 , k2 ∈ N mit bk1 , bk1 ∈ Uε (a0 ) bzw. | bk2 − bk1 | ≤ ε, worin bk2 ̸= bk1 und k2 − k1 ∈ N, also – wie es so schön heißt – ohne Einschränkung der Allgemeinheit k2 > k1 gelte. Wir bilden jetzt eine weitere Teilfolge von {bn }n∈N , nämlich bk1 +m(k2 −k1 ) = ei(k1 +m(k2 −k1 )) , k1 , k2 ∈ N fest und m ∈ N, also mit km := k1 + m(k2 − k1 ) ∈ N eine gültige Teilfolge. Es wird demnach der Index k1 sukzessive um k2 − k1 > 0 erhöht und für zwei aufeinanderfolgende Glieder gilt stets:
2.1 Zahlenfolgen
71
bkm+1 − bkm = bk +(m+1)(k −k ) − bk +m(k −k ) 1 2 1 1 2 1 = ei(k1 +(m+1)(k2 −k1 )) − ei(k1 +m(k2 −k1 )) = ei(k1 +(k2 −k1 )) − eik1 · eim(k2 −k1 ) | {z } =1 = eik2 − eik1 ≤ ε. Nun durchschreiten nach genau 2π/(bk2 − bk1 ) Schritten die Folgenglieder den Eiheitskreis mit konstantem Abstand, der kleiner oder gleich ε > 0 ist. Wir finden also in jeder ε-Umgebung auf dem Einheitskreis mindestens eines der eben betrachteten Folgenglieder. Da dies allerdings für jedes noch so kleine ε > 0 gilt, ist jeder Punkt auf dem Einheitskreis ein Häufungspunkt. Wir „entkomplexifizieren“ wieder, indem wir lediglich die Imaginärteile der Folge und der Häufungspunkte in Betracht ziehen. Somit ist jeder Punkt des abgeschlossenen Intervalls [−1, 1] Häufungspunkt der Folge an = sin n. Daraus resultiert auch die Divergenz der Folge! Dennoch zeigen wir jetzt spaßes- und auch übungshalber die Divergenz der Folge an := sin n durch einen separaten Beweis. Wir gehen indirekt vor und nehmen an, dass ein eindeutiger Grenzwert a ∈ [−1, 1] existiert, also lim sin n = a
n→∞
(2.7)
gilt. Auch jede Teilfolge besitzt im Falle der Konvergenz den Grenzwert aus (2.7). So gilt beispielsweise lim sin(n + k) = a,
n→∞
wobei k ∈ N fest gewählt ist. Wir verwenden das Additionstheorem für den Sinus gemäß Rechenregel 1.78 und erhalten sin(n + k) = sin n cos k + cos n sin k p = sin n cos k ± 1 − (sin n)2 sin k.
72
2 Folgen und Reihen
Wir führen auf beiden Seiten den Grenzübergang für n → ∞ durch und erhalten p a = a cos k ± 1 − a2 sin k bzw. a(1 − cos k) = ±
p
1 − a2 sin k.
(2.8)
Daraus resultiert durch Quadieren a2 (1 − cos k)2 = (1 − a2 ) (sin k)2 Dies ist gleichbedeutend mit a2 =
=
(sin k)2 1 − (cos k)2 1 = = (1 + cos k) 2 − 2 cos k 2 − 2 cos k 2 2 2 2 1 1 + cos k2 − sin k2 = cos k2 . 2
also a=±
q
cos k2
2
= ± cos k2 .
Wir betrachten nun zwei verschiedene Teilfolgen und wählen dazu k = 1 und k = 2. Wir erhalten die beiden Mengen möglicher Grenzwerte M1 := − cos 12 , cos 12 , M2 := {− cos 1, cos 1 } . Da ein Grenzwert eindeutig ist, müsste dieser in beiden Mengen liegen. Es gilt jedoch M1 ∩ M2 = ∅. Dies bestätigt wiederum die Divergenz der Folge. Entsprechendes gilt auch für die Folge cn := cos n. Überprüfen Sie dies doch als lehrreiche Übungsaufgabe. Nach diesem Marathonlauf ist die nächste Folge eher mit einem gemütlichen Spaziergang zu vergleichen. b) Sei
n an := 2 − (−1)n . n+2
2.1 Zahlenfolgen
73
Diese Folge ist ebenfalls beschränkt und hat neben lim inf an = 1 und lim sup an = 3 n→∞
n→∞
keine weiteren Häufungspunkte. Somit gilt also M = {1, 3}. Bemerkung 2.32. Eine reelle Zahlenfolge {an }n∈N ist genau dann konvergent, wenn die Menge M aus Satz 2.30 einelementig ist.
Wir wechseln das Thema. Beispiel 2.33. Wir bestimmen zwei reelle Folgen {an }n∈N und {bn }n∈N derart, dass für n → ∞ folgende Ungleichungskette gilt: lim an + lim bn < lim (an + bn ) < lim an + lim bn < lim (an + bn ) < lim an + lim bn . Die Wahl an := 0, 1, 2, 1, 0, 1, 2, 1, 0, 1, 2, 1, . . . , bn := 2, 1, 1, 0, 2, 1, 1, 0, 2, 1, 1, 0, . . . liefert die gewünschte Ungleichungskette mit den konkreten Werten 0 < 1 < 2 < 3 < 4. Es gelten folgende Eigenschaften für den limes superior und limes inferior: Satz 2.34. Gegeben seien zwei reelle Folgen {an }n∈N und {bn }n∈N . Es gelten stets folgende Ungleichungen: lim sup(an + bn ) ≤ lim sup an + lim sup bn , n→∞
n→∞
n→∞
lim inf (an + bn ) ≥ lim inf an + lim inf bn . n→∞
n→∞
Beispiel 2.35. Die beiden reellen Folgen
n→∞
74
2 Folgen und Reihen
(−1) n2 : n gerade, an := 1 : n ungerade 2
und
(−1) n2 +1 : n gerade, bn := 1 : n ungerade 2
bestätigen die Ungleichungen aus Satz 2.34. Zunächst gilt 0 : n gerade, a n + bn = 1 : n ungerade, also sind lim inf (an + bn ) = 0 und lim sup(an + bn ) = 1. n→∞
n→∞
Jede der beiden Folgen {an }n∈N und {bn }n∈N hat drei Häufungspunkte, denn −1 : n gerade und nicht durch 4 teilbar, an = 1 : n gerade und durch 4 teilbar, 1 : n ungerade 2
und
1 : n gerade und nicht durch 4 teilbar, bn = −1 : n gerade und durch 4 teilbar, 1 : n ungerade. 2
Damit haben wir lim sup an = 1 und lim inf an = −1 n→∞
n→∞
sowie lim sup bn = 1 und lim inf bn = −1. n→∞
n→∞
In Zahlen lauten die (strikten) Ungleichungen aus Satz 2.34 damit 1 < 2 und 0 > −2. Bemerkung 2.36. Bei konvergenten Folgen, wenn also für eine Folge {an }n∈N die Beziehung lim an = lim sup an = lim inf an n→∞
n→∞
n→∞
gilt, liegt in Satz 2.34 stets Gleichheit (in beiden Ungleichungen) vor. Dies resultiert aus der Rechenregel 2.9, 1. Übrigens: Falls a ∈ R der Grenzwert von {an }n∈N ist, so gilt stets
2.1 Zahlenfolgen
75
lim an = a ⇐⇒ lim sup an = lim inf an = a.
n→∞
n→∞
n→∞
Gegenbeispiel 2.37. Gibt es Folgen {a1,n }n∈N , {a2,n }n∈N , . . ., welche – als Gegenbeispiele zu Satz 2.34 – die Ungleichung lim sup(a1,n + a2,n + . . .) > lim sup a1,n + lim sup a2,n + . . . n→∞
n→∞
n→∞
erfüllen? Ja, beispielsweise die unendlich vielen Folgen der Form a1,n = 1, 0, 0, 0, 0, . . . a2,n = 0, 1, 0, 0, 0, . . . a3,n = 0, 0, 1, 0, 0, . . . .. . bzw. in kompakter Notation ak,n
1 : k = n, := 0 : k = ̸ n
für k, n ∈ N. Daraus resultiert lim sup ak,n = 0 für alle k ∈ N n→∞
sowie a1,n + a2,n + a3,n + . . . = 1, 1, 1, . . . , also lim sup(a1,n + a2,n + a3,n + . . .) = 1. n→∞
Die Ungleichung liest sich damit zahlenmäßig als 1 > 0. Für eine endliche Anzahl von Folgen gilt diese Ungleichung gemäß Satz 2.34 natürlich nicht! Abschließend formulieren wir alternativ zu Definition 1.6 die Abgeschlossenheit mittels konvergenter Zahlenfolgen.
76
2 Folgen und Reihen
Definition 2.38. Eine Menge A ⊂ R heißt abgeschlossen, genau dann wenn für jede in A enthaltene konvergente Zahlenfolge {an }n∈N ⊂ A auch deren Grenzwert in A enthalten ist, wenn also lim an =: a ∈ A
n→∞
gilt. Eine Menge B ⊂ R heißt offen, falls R \ B abgeschlossen ist. Gegenbeispiel 2.39. Das Intervall A := (0, 5] ist nicht abgeschlossen, da an := 1/n ⊂ A, aber limn→∞ an = 0 ∈ / A.
2.2 Zahlenreihen Eine unendliche Reihe ist eine Folge von Partialsummen. Sei also {an }n∈N eine reelle Zahlenfolge, dann setzen wir s1 := a1 , s2 := a1 + a2 , .. .
(2.9)
sn := a1 + . . . + an =
n X
ak .
k=1
Wir ordnen also einer Folge {an }n∈N eine weitere Folge {sn }n∈N nach obiger Vorschrift (2.9) zu. Wir beschränken uns hier auf reelle Folgen und weisen auf Abweichungen gesondert hin. Konvergiert die Folge der Partialsummen, dann schreiben wir lim sn = lim
n→∞
n→∞
n X
ak =:
k=1
∞ X
ak =: s,
(2.10)
k=1
wobei s ∈ R. Im Falle einer Divergenz ist auch s ∈ {±∞} zugelassen. Natürlich darf eine Reihe bei jedem beliebigen Index k := k0 ∈ Z starten, d. h., s=
∞ X
ak
(2.11)
k=k0
ist ebenfalls möglich. Bei allgemeinen Ausführungen schreiben wir der Einfachheit halber k = 1.
2.2 Zahlenreihen
77
Beispiel 2.40. Die geometrische Summenformel liefert für festes q ∈ R eine Zahlenfolge {sn }n∈N ⊂ R, gegeben durch 1 − q n+1 n : q ̸= 1, X 1−q sn := qk = (2.12) k=0 n + 1 : q = 1. Während lim q n+1 = q · lim q n = 0 für alle |q| < 1 in (2.12) gilt, divergiert n→∞
n→∞
dagegen die Folge {q n+1 }n∈N für alle |q| ≥ 1, q ̸= 1. Das heißt, die Folge {sn }n∈N konvergiert nur für |q| < 1. Wir fassen das Haupresultat für die geometrische Reihe zusammen: lim sn = lim
n→∞
n→∞
n X
qk =
k=0
∞ X
qk =
k=0
1 für alle − 1 < q < 1. 1−q
Die geometrische Reihe gehört zu den wenigen Reihen, bei denen der Summenwert explizit angegeben, und damit das Konvergenzverhalten auf einfache Art und Weise analysiert werden kann. Auch bei der nachfolgenden Reihe ist dies der Fall: Beispiel 2.41. Die Teleskop-Summe liefert eine Zahlenfolge (sn )n∈N ⊂ R, gegeben durch sn :=
n X k=1
n
X 1 = k(k + 1)
k=1
1 1 − k k+1
=1−
1 , n+1
(2.13)
worin sich also bis auf den ersten und letzten Summanden alle wegheben. Wir sehen sofort, dass und wohin diese Folge konvergiert. Wir fassen zusammen: lim sn = lim
n→∞
n→∞
n X k=1
∞
X 1 1 =: = 1. k(k + 1) k(k + 1) k=1
Ein allgemeines Konvergenzkriterium für Reihen lautet: Satz P∞ 2.42 (Cauchy-Kriterium für Reihen). Eine reelle Zahlenreihe k=1 ak konvergiert genau dann, falls zu jedem ε > 0 ein N (ε) ∈ N existiert, derart dass für alle n, m ≥ N (ε) mit m > n die Abschätzung m X sm − sn = ak < ε k=n+1
78
2 Folgen und Reihen
gilt. P∞ Folgerung 2.43. Konvergiert die Reihe k=1 ak , dann folgt für m := n + 1, dass an+1 < ε für alle n ≥ N (ε) ∈ N gilt. Als notwendige Bedingung für die Konvergenz muss also lim ak = lim |ak | = 0
k→∞
(2.14)
k→∞
gelten. Die Umkehrung ist i. Allg. falsch. P∞ Beispiele 2.44. a) Die Reihe k=1 (1 − k1 )k ist divergent, denn lim ak = lim
k→∞
k→∞
1−
1 k
k =
1 ̸= 0. e
b) Die harmonische Reihe ∞ X 1 s= k
(2.15)
k=1
ist divergent, obwohl ak =
1 k
eine Nullfolge ist.
Wäre die Reihe konvergent, so gäbe es nach dem Cauchy-Kriterium für Reihen zu ε = 1/2 ein N (1/2) ∈ N mit folgender Eigenschaft: n, m ≥ N
1 , m > n =⇒ 2
m X 1 1 < . k 2
k=n+1
Nun gilt für jedes N ∈ N, dass NX +N k=N +1
1 1 1 N 1 = + ... + ≥ = , k N +1 N +N N +N 2
im Widerspruch zur Annahme. c) Dagegen konvergiert die alternierende harmonische Reihe der Form s=
∞ X k=1
(−1)k+1
1 . k
(2.16)
Dazu untersuchen wir die Differenz sm − sn für m > n mit der Wahl m := n + l, l ∈ N. Es gilt 1 1 1 1 . sn+l − sn = (−1)n − + − . . . + (−1)l+1 n+1 n+2 n+3 n+l | {z } =: A
2.2 Zahlenreihen
79
Der Ausdruck in eckigen Klammern ist für alle l ∈ N positiv, denn 1 1 1 1 + ... + , l gerade, A= − − n+1 n+2 n+l−1 n+l 1 1 1 1 1 A= − + ... + − + , n+1 n+2 n+l−2 n+l−1 n+l l ungerade. Da stets A < 1/(n + 1) gilt, folgt insgesamt die Ungleichung sn+k − sn
0 gilt sn+k − sn < ε für alle n > 1 − ε . ε Das letzte Beispiel gibt Anlass zu folgender Verallgemeinerung: P∞ Definition 2.45. Eine reelle Reihe der Form k=1 (−1)k+1 ak mit Koeffizienten ak ≥ 0 heißt alternierende Reihe.
P∞ Satz 2.46 (Leibniz-Kriterium). Die Reihe k=1 (−1)k+1 ak mit Koeffizienten ak ≥ 0 konvergiert genau dann, wenn lim ak = 0
k→∞
und ein K ∈ N existiert, sodass ak ≥ ak+1 für alle k ≥ K.
Beweis. Für k > K und jedes l ∈ N gilt in völliger Analogie – zwar etwas anders hingeschrieben – zu Beispiel 2.44 b), dass
80
2 Folgen und Reihen
(sk+l − sk ) =
k+l X
(−1)j+1 aj = (−1)k+2 ak+1 + . . . + (−1)k+l+1 ak+l
j=k+1
= (−1)k ak+1 − (ak+2 − ak+3 ) − . . . − ak+l ≤ ak+1 . |{z} | {z } ≥0
≥0
Wir schließen hieraus |sk+l − sk | ≤ ak+1 → 0 für k → ∞. Die Folge der Partialsummen ist also nach dem Cauchy-Kriterium konvergent. qed Beispiel 2.47. Die Leibniz-Reihe ∞ X k=0
(−1)k
1 1 1 1 = 1 − + − + ··· 2k + 1 3 5 7
erfüllt wegen ak :=
1 1 > =: ak+1 2k + 1 2k + 3
für alle k ∈ N0 := N ∪ {0} sowie wegen lim ak = 0
k→∞
die Voraussetzungen des Leibniz-Kriteriums und ist somit konvergent. Für diese konvergente Reihe kann mit Mitteln der Differential- und Integralrechnung gezeigt werden, dass ∞ X
(−1)k
k=0
1 π = . 2k + 1 4
Für die Reihe aus dem Beispiel davor ergibt sich mithilfe der selben Mittel der Wert ∞ X 1 (−1)k+1 = ln 2. (2.17) k k=1
Elementare Manipulationen, die bei endlichen Summen den Wert nicht verändern, sind bei unendlichen Summen (Reihen) nicht erlaubt. So ist eine Umordnung der Summanden einer Reihe i. Allg. nicht zulässig, denn dadurch kann sich das Konvergenzverhalten ändern. Dazu Beispiel 2.48. Mit der soeben genannten Reihe (2.17) erhalten wir
2.2 Zahlenreihen
81
ln 2 = 1 −
1 2
+
−
1 4
+
−
1 6
+
−
1 8
+ ...
+ 12 ln 2 = 0 +
1 2
+0 −
1 4
+0 +
1 6
+0 −
1 8
+ ...
1 3
1 2
1 5
1 7
1 4
+ ...
=
3 2
ln 2 = 1
+
1 3
−
+
1 5
+
1 7
−
An der letzten Zeile ist zu erkennen, dass durch diese Summation eine Umordnung der ersten Zeile vorliegt und dadurch ein anderer Reihenwert zustande kommt. Das Weglassen von Klammern ist i. Allg. falsch. Dazu betrachten wir das Beispiel 2.49. Gegegeben sei die konvergente Reihe ∞ X
ak := (1 − 1) + (1 − 1) + (1 − 1) + . . . = 0,
k=0
worin ak := (1 − 1) gesetzt wurde. Schreiben wir dagegen 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + . . . =:
∞ X
bk ,
k=0 k wobei jetzt bk = (−1) Pn gilt. Diese Reihe ist divergent, und Pn es gelten die Beziehungen sn := k=0 bk = 0 für gerade n sowie sn := k=0 bk = 1 für ungerade n.
Umgekehrt dürfen bei divergenten Reihen keine Klammern gesetzt werden, bei konvergenten Reihen dagegen schon! Ebenso kann sich durch Weglassen unendlich vieler Reihenglieder das Konvergenzverhalten einer Reihe ändern. Dazu das Beispiel 2.50. Wir streichen in der harmonischen Reihe alle Summanden, deren Nenner die Zahl 0 enthält. Die sog. gestrichene harmonische Reihe s′ hat die Form: 1 1 1 1 1 1 s′ = + ··· + + + ··· + + + ··· + 1 9 11 19 21 99 1 1 + + ··· + + ··· 111 999 k ∞ X 1 1 9 2 3 ≤ 9·1+9 · +9 · + ··· = 9 · 10 100 10 k=0 | {z } geom. Reihe 1 = 9· 9 = 90. 1 − 10
82
2 Folgen und Reihen
Aus der Nichtnegativität der Reihenglieder und der Beschränktheit der Reihe ergibt sich die Konvergenz. Dies gilt allgemein: Satz 2.51. Es gelte ak ≥ 0 für alle k ∈ N. Die Reihe giert genau dann, wenn ein K > 0 existiert, sodass sn :=
n X
P∞
k=0
ak konver-
ak ≤ K für alle n ∈ N.
(2.18)
k=1
Beispiel 2.52. Die Reihe
∞ X 1 ist konvergent. Um dies zu sehen, verk2
k=1
wenden wir das Kriterium (2.18) für ak := 1/k 2 . Ist k ≥ 2, dann gilt die Abschätzung mit einer „berechenbaren“ TeleskopReihe der Form 1 1 1 1 ≤ = − , k2 k(k − 1) k−1 k P∞ P∞ also gilt mit der Aufteilung k=1 k12 = 1 + k=2 k12 sn =
n X k=1
ak ≤ 1 +
n X k=2
1 1 − k−1 k
=1+1−
1 < 2 =: K n
für alle n ≥ 2. Euler zeigte, dass
∞ X 1 π2 = . 2 k 6
k=1
Bemerkung 2.53. Allgemein gilt die Aussage ∞ konvergent : α > 1, X 1 ist divergent : α ≤ 1. kα k=1
(2.19)
In diesem Zusammenhang lässt sich das Euler-Produkt erklären. Bemerkung 2.54. Sei P := {2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, · · · } die Menge der Primzahlen. Es gilt der Zusammenhang ∞ X Y 1 1 = 1 für α > 1. α k 1 − pα p∈P k=1
(2.20)
2.2 Zahlenreihen
83
Beweis. Um die Gleichheit in (2.20) nachzurechnen, schreiben wir die Summe zunächst aus und erhalten mit der abkürzenden Schreibweise ζ(α) := = 1 +
1 1 1 1 1 1 + α + α + α + α + α + ··· . 2α 3 4 5 6 7
Multiplikation mit 1/2α liefert nur gerade Anteile im Nenner 1 1 1 1 1 1 1 1 ζ(α) = α + α + α + α + α + α + α + · · · . 2α 2 4 6 8 10 12 14 Subtraktion dieser Reihe von der Reihe ζ(α) eliminiert alle geraden Anteile im Nenner, d. h. wir erhalten 1 1 1 1 1 1 1 1 − α ζ(α) = 1 + α + α + α + α + α + α + · · · . 2 3 5 7 9 11 13 Multiplikation dieser Reihe mit 1/3α liefert nur 3-er Anteile im Nenner 1 1 1 1 1 1 1 1 1 − α ζ(α) = α + α + α + α + α + α + · · · , 3α 2 3 9 15 18 21 24 Subtraktion dieser Reihe von der Reihe 1 − 21α ζ(α) eliminiert alle 3-er Anteile im Nenner, d. h. wir erhalten jetzt 1 1 1 1 1 1 1 1 1− α 1 − α ζ(α) = 1 + α + α + α + α + α + α + · · · . 3 2 5 7 11 13 17 19 Wir fahren nun beliebig lange auf diese Art und Weise fort und erhalten letzt(un)endlich 1 1 1 1 ··· 1 − α 1− α 1− α 1 − α ζ(α) = 1, 7 5 3 2 also die gewünschte Gleichheit ζ(α) =
1−
=
1 2α
1 1 − 21α
1−
1 3α
1 1 − 31α
1 1−
1 5α
1−
1 1 − 51α
1 7α
···
1 1 − 71α
··· =
1 1 . 1 − pα p∈P Y
qed Ohne weitere Begründung verraten ich Ihnen noch, dass
84
2 Folgen und Reihen ∞ X Y 1 1 π2 = = . 2 k 6 1 − p12 p∈P k=1
Weiter gilt für die Reihe der reziproken Primzahlen, also für die „ausgedünnte harmonische Reihe“ der Form X1 1 1 1 1 1 = + + + + + · · · = ∞. p 2 3 5 7 11 p∈P
Bemerkung 2.55. Vergleichen wir diese Reihe mit der gestrichen harmonischen Reihe aus Beispiel 2.50, dann lässt sich salopp sagen, dass die Anzahl der Primzahlen unendlich groß und deren Mächtigkeit größer ist als die Anzahl der natürlichen Zahlen, welche keine 0 enthalten. Wir wechseln jetzt das Thema und kommen nochmals zurück zur konvergenten alternierenden harmonischen Reihe, siehe Beispiele 2.44 c), gegeben durch ∞ X 1 s := (−1)k+1 . k k=1
Summieren wir nun über die Beträge, also über ∞ ∞ X X 1 (−1)k+1 1 = , k k k=1
k=1
dann resultiert daraus die divergente harmonische Reihe, siehe Beispiele 2.44 b). Allgemein gilt P∞ Definition 2.56 (Absolute Konvergenz). Eine Reihe k=1 ak heißt P∞ absolut konvergent, wenn auch die Reihe k=1 |ak | konvergiert.
Wir überprüfen jetzt einige Reihen auf absolute Konvergenz. Beispiele 2.57. Es gelten: a) Die Reihe ∞ X sin k 3 + 3 2k 3 + 2k + 1
k=1
ist absolut konvergent, da die Abschätzung
2.2 Zahlenreihen
85
sin k 3 + 3 1 3 ≤ 2k + 2k + 1 2k 3 gilt, und die „größere“ Reihe ∞ ∞ X 1 1X 1 = 2k 3 2 k3
k=1
k=1
konvergent ist. Wir sprechen auch von einer konvergenten majorisierenden Reihe, kurz von einer konvergenten Majorante. b) Die Reihe ∞ X k=1
1 k 0,99
ist divergent, da die harmonische als „minorisierende“ Reihe divergiert, weil also ∞ ∞ X 1 X 1 ≤ k k 0,99 k=1
k=1
gilt, und somit eine divergente Minorante vorliegt.
Beispiel 2.58. Die beiden Reihen ∞ X sin(kx) k=1
kα
und
∞ X cos(kx) k=1
kα
, α > 1, x ∈ R,
sind absolut konvergent. Beide besitzen – siehe (2.19) – dieselbe konverP∞ gente Majorante k=1 k1α , da sin(kx) ≤ 1 , cos(kx) ≤ 1 . kα kα kα kα Allgemein gilt das Vergleichskriterium Satz 2.59. Falls ein K ∈ N existiert und die Abschätzung 0 ≤ |ak | ≤ bk für alle k ≥ K gilt, dann liegen folgende Aussagen vor: P∞ P∞ 1. Ist k=1 bk konvergent, dann ist k=1 ak absolut konvergent, P∞ P∞ 2. ist k=1 |ak | divergent, dann ist auch k=1 bk divergent.
86
2 Folgen und Reihen
P∞ GegenbeispielP 2.60. Gibt es eine konvergente Reihe k=1 ak und eine di∞ vergente Reihe k=1 bk mit der Eigenschaft |ak | ≥ bk , k ∈ N? Zwei alte Bekannte erfüllen diese Bedingungen. Es sind ak := (−1)k+1
1 1 und bk := . k k
Wir kommen nochmals zurück zu Beispiel 2.48. Dies legt die Vermutung nahe, dass bei konvergenten Reihen Umordnungen derart vorgenommen werden können, sodass jeder beliebig vorgegebene Summenwert angenommen werden kann. Bezeichne dazu π : N0 → N0 (2.21) eine Umordnung, welche einen Index k ∈ N0 an genau eine Stelle unter den Werten π(0), π(1), π(2), π(3), · · · abbildet. Kurz gesagt, die Summationsreihenfolge der unendliche Reihe ∞ X
ak = a0 + a1 + a2 + a3 + · · ·
k=0
wird gemäß ∞ X
aπ(k) = aπ(0) + aπ(1) + aπ(2) + aπ(3) + · · · ,
k=0
also z. B. zu
∞ X
aπ(k) = a2 + a3 + a0 + a1 + · · ·
k=0
umsortiert. P∞ Satz 2.61 (Riemannscher Umordnungssatz). Sei eine k=1 ak konvergente, aber nicht absolut konvergente, reelle Reihe. Dann existiert zu jedem a ∈ R ∪ {±∞} eine Umordnung π : N0 → N0 mit a=
∞ X
aπ(k) .
k=0
Ein ähnliches Resultat für komplexe Reihen behandelt der Satz von Steinitz, auf den wir nicht näher eingehen werden. Dagegen gilt
2.2 Zahlenreihen
87
Satz P∞ 2.62 (Umordnung absolut konvergenter Reihen). Sei k=0 ak eine absolut konvergente Reihe (komplex oder reell) P∞und sei π : N0 → N0 eine Umordnung. Dann konvergiert auch k=0 aπ(k) absolut und es gilt ∞ ∞ X X aπ(k) = ak . k=0
k=0
Beispiel 2.63. Es existiert eine Umordnung π : N → N der alternierenden harmonischen Reihe, sodass ∞ X
(−1)π(k)+1
k=1
1 = ∞. π(k)
(2.22)
Die Umordnung sieht beispielsweise wie folgt aus: ∞ X k=1
(−1)π(k)+1
1 1 1 1 1 1 1 = 1− + − + + − π(k) 2 3 4 5 7 6 1 1 1 1 1 + ··· + + + + − 9 11 13 15 8 ··· +
1 1 + + ··· 2k + 1 2k + 3
··· +
1 1 − 2k+1 − 1 2k + 2
± ···
Wir schauen uns jetzt diese Umordnung etwas genauer an. Bei den eingerahmten negativen Zahlen befinden sich im Nenner stets gerade Zahlen. Zwischen zwei solchen Zahlen sind Summen, deren Summanden im Nenner nur ungerade Zahlen haben. Wir zählen die Anzahl die Summanden dieser dazwischenliegenden Teilsummen, welche wir mit sk , k ∈ N, bezeichnen. Für k ≥ 1 erhalten wir
88
2 Folgen und Reihen
s1 :=
1 , 3
s2 :=
1 1 + , 5 7
s3 :=
1 1 1 1 + + + , 9 11 13 15
s4 :=
1 1 1 1 + + + ··· + , 17 19 21 31
.. . sk :=
1 1 1 + + · · · + k+1 2k + 1 2k + 3 2 −1
und erkennen, dass jede dieser Teilsummen genau 2k−1 Summanden enthält! Daraus resultiert die Abschätzung 1 1 1 + + · · · + k+1 2k + 1 2k + 3 2 −1 ≥
1 1 1 + k+1 + · · · k+1 k+1 2 2 2 | {z } 2k−1 −mal
≥
2k−1 1 = . k+1 2 4
Mit dieser Erkenntnis erhalten wir die Abschätzung für die Partialsumme Sn :=
n X
(−1)π(k)+1
k=1
1 π(k)
gemäß 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Sn ≥ 1 − + − + − + − +··· + − 2 4 4 4 6 4 8 4 2n + 2 | {z } | {z } | {z } | {z } | {z } = 12
(∗)
≥
=0
1 ≥ 12
1 ≥ 12
1 ≥ 12
1 1 + (n − 1) . 2 12
Damit resultiert die Divergenz der Folge der Partialsummen, also
2.2 Zahlenreihen
89
lim Sn = ∞
n→∞
und bestätigt (2.22). Um die obige mit (∗) markierte Ungleichung zu rechtfertigen, stellen wir zunächst fest, dass insgesamt 2n + 2 Kästchen und somit (2n + 2)/2 geschweifte Klammern in der besagten Ungleichung vorliegen. Aus den beiden ersten Klammern resultiert die Größe 1/2 und damit verbleiben die restlichen (2n + 2)/2 − 2 = n − 1 Summanden, welche jeweils durch die Größe 1/12 abgeschätzt wurden.
Beispiel 2.64. Die alternierende Reihe ∞ X
(−1)k+1
k=1
1 k2
ist absolut konvergent, deswegen gilt für jede Umordnung π : N → N, dass ∞ X k=1
∞
(−1)π(k)+1
X 1 1 = (−1)k+1 2 . 2 (π(k)) k k=1
Weiter geht es mit der Herleitung bekannter Konvergenzkriterien. Dazu kann das Majorantenkriterium in Verbindung mit der geometrischen Reihe zur Formulierung solcher effektiver verwendet werden. Gilt nämlich PKriterien ∞ für die Koeffizienten einer Reihe k=1 ak die Abschätzung |ak | ≤ q k < 1 für alle k ≥ K ab einem Index K ∈ N, dann folgt aus der Konvergenz der majorisierenden geometrischen Reihe die absolute Konvergenz der besagten Reihe. Es gilt also das Folgende: P∞ Satz 2.65 (Wurzelkriterium). Die Reihe k=1 ak ist absolut konvergent, falls eine Zahl q ∈ (0, 1) existiert und ein K ∈ N mit p k |ak | ≤ q < 1 für alle k ≥ K. (2.23) p Existiert der Grenzwert limk→∞ k |ak |, dann ist für die absolute Konvergenz die Bedingung p lim k |ak | < 1 (2.24) k→∞
90
2 Folgen und Reihen
gleichbedeutend. Gilt dagegen für den Grenzwert p lim k |ak | > 1, k→∞
dann liegt stets Divergenz bei der Reihe vor. Im Falle p lim k |ak | = 1 k→∞
kann keine Aussage getroffen werden, weil sowohl Konvergenz als auch Divergenz für die Reihe möglich ist.
Mit ähnlichen Argumenten ergibt sich alternativ folgendes Resultat: P∞ Satz 2.66 (Quotientenkriterium). Die Reihe k=1 ak ist absolut konvergent, falls eine Zahl q ∈ (0, 1) existiert und ein K ∈ N mit ak+1 (2.25) ak ≤ q < 1 für alle k ≥ K. Existiert der Grenzwert limk→∞ |ak+1 /ak |, dann ist für die absolute Konvergenz die Bedingung ak+1 1, lim k→∞ ak dann liegt stets Divergenz bei der Reihe vor. Im Falle ak+1 =1 lim k→∞ ak kann keine Aussage getroffen werden, weil sowohl Konvergenz als auch Divergenz für die Reihe möglich ist.
Anmerkung. Es wäre falsch, aus der Beschränktheit der Beträge der Folgen (2.23) und (2.25) jeweils auf die Konvergenz eben dieser „Betragsfolgen“ zu schließen. Deswegen muss in den beiden Sätzen 2.65 und 2.66 die Existenz der Grenzwerte für die Bedingungen (2.24) und (2.26) vorausgesetzt werden!
2.2 Zahlenreihen
91
Gegenbeispiel 2.67. Die Folge ak :=
1 2 + · (−1)k 3 3
ist divergent, denn es liegen die beiden Häufungspunkte 1 − : k ungerade, 3 lim ak = k→∞ 1 : k gerade vor. Für den Betrag dieser Folge gilt die Beschränkung |ak | ≤ 1 für alle k ∈ N. Dennoch ist |ak | divergent, denn 1 : k ungerade, 3 lim |ak | = k→∞ 1 : k gerade.
Wir wenden jetzt das Wurzel- und das Quotientenkriterium an. Beispiel 2.68. Die Reihe s :=
∞ X k4 k=0
3k
konvergiert, denn das Wurzelkriterium liefert r p lim k |ak | = lim
k→∞
k
k→∞
k4 = lim k→∞ 3k
√ 4 k k 3
=
1 < 1. 3
Darin haben wir gemäß Beispiel 2.7 den Grenzwert √ k lim k = 1 k→∞
verwendet. Auch das Quotientenkriterium bestätigt die Konvergenz, denn 4 ak+1 (k + 1)4 · 3k 1 k+1 1 lim = lim = lim · = < 1. k→∞ ak k→∞ 3k+1 · k 4 k→∞ 3 k 3 Beispiele 2.69. Aus BeispielP2.44 b) wissen wir, dass die harmonische Reihe P∞ 1 ∞ divergiert, die Folge k=1 k12 aus Beispiel 2.52 konvergiert. Mithilfe k=1 k
92
2 Folgen und Reihen
des Wurzel- oder des Quotientenkriteriums ließe sich dies jedoch nicht ermitteln, da sich für beide Reihen mit beiden Kriterien stets der unentschiedene Fall ergibt. Beispiel 2.70. Die Reihe ∞ X
s :=
k=0
k2
k+4 − 3k + 1
ist divergent. Wir versuchen dies mithilfe des Quotientenkriteriums zu verifizieren. Eine kurze Rechnung ergibt 2 ak+1 = lim (k + 5)(k − 3k + 1) = 1. lim k→∞ (k + 4)(k 2 − k − 1) k→∞ ak Auch das Wurzelkriterium liefert diesen Grenzwert. Das Minorantenkriterium führt hier zum Erfolg. Es gilt 4 4 k 1+ 1+ 1 k k = · |ak | = , 3 1 3 1 k 2 1− + 2 k 1− + 2 k{z k } k k | =: bk wobei der Betrag für k ≥ 3 weggelassen werden kann. Da lim bk = 1,
k→∞
existiert ein K ∈ N derart, dass bk > a für alle k ≥ K gilt für ein a ∈ R mit 0 < a < 1. Wir wählen beispielsweise a = 1/2 dann resultiert ∞ X k=1
∞ 1 X1 |ak | > · für alle k ≥ K. 2 k k=1
Dies ist eine divergente Minorante, woraus auch die Divergenz der vorgelegten Reihe folgt. Fazit. Bei gebrochen rationalen Ausdrücken liefern Wurzel– und Quotientenkriterium stets den Grenzwert 1, weshalb eine Aussage über das Grenzverhalten nicht möglich ist. Beispiel 2.71. Die Reihe s :=
∞ X k=0
k+4 k3 + k + 1
2.2 Zahlenreihen
93
ist konvergent. Wie im vorangegangenen Beispiel bringen uns Quotienten– und Wurzelkriterium nicht weiter. Es liegt auch hier ein gebrochen rationaler Summand vor. Hier führt nun das Majorantenkriterium zur gewünschten Aussage. Es gilt 4 4 k 1+ 1+ 1 k k = 2· |ak | = , 1 1 1 1 k 3 1+ 2 + 3 k 1+ 2 + 3 k{z k } k k | =: bk Da lim bk = 1,
k→∞
existiert ein K ∈ N derart, dass bk < a für alle k ≥ K gilt für ein a ∈ R mit a > 1. Wir wählen beispielsweise a = 2 dann resultiert ∞ X
|ak | < 2 ·
k=1
∞ X 1 für alle k ≥ K. k2
k=1
Dies ist eine konvergente Majorante, woraus auch die (absolute) Konvergenz der vorgelegten Reihe folgt. Folgerung 2.72. Wenn also die Diverenz zwischen Nenner- und Zählergrad bei gebrochen rationalen Ausdrücken größer als 1 ist, dann liegt Konvergenz vor. Denn in diesem Fall kann stets eine konvergente Majorante gemäß (2.19) gefunden werden! Mit dem nun folgenden Beispiel leiten wir eine Erweiterung des Wurzel– und Quotientenkriteriums und damit auch einen Vergleich beider Kriterien her. Beispiel 2.73. Gegeben sei die Reihe ∞ X 2 + (−1)k+1 k=0
2k
=
1 3 1 3 1 + 1 + 2 + 3 + 4 + ··· . 0 2 2 2 2 2
(2.27)
Wir wollen deren Konvergenzverhalten mithilfe des Quotientenkriteriums 2 + (−1)k+1 überprüfen. Mit ak = ergibt sich 2k 1 ak+1 1 2 + (−1)k+1 (−1) 6 : k ungerade, ak = 2 · 2 + (−1)k+1 = 3 : k gerade. 2
94
2 Folgen und Reihen
Also sind
ak+1 1 ak+1 3 = . lim inf = und lim sup n→∞ ak 6 ak 2 n→∞
Was nun? Wir versuchen es mit dem Wurzelkriterium und erhalten 1/k p 2 + (−1)k+1 1 lim k |ak | = lim = , k→∞ k→∞ 2 2 da 2 + (−1)
k+1 1/k
31/k : k ungerade, = → 1 für k → ∞. 11/k : k gerade
Während das Quotientenkriterium keine brauchbare Aussage liefert, liegt gemäß des Wurzelkriteriums Konvergenz vor. Was verbirgt sich nun hinter diesem Beispiel? Wir erweitern dazu zunächst die im Satz 2.65 formulierten Konvergenz- bzw. Divergenzeigenschaften. Satz 2.74 (Wurzelkriterium). Sei folgende Aussagen:
P∞
k=1
ak eine Reihe. Dann gelten
a) Ist lim sup
p k
|ak | < 1,
k→∞
dann ist die Reihe absolut konvergent. b) Ist lim sup
p k
|ak | > 1,
p k
|ak | = 1,
k→∞
dann ist die Reihe divergent. c) Gilt lim sup k→∞
dann kann keine Aussage über das Konvergenzverhalten getroffen werden.
Wir erweitern jetzt die im Satz 2.66 formulierten Konvergenz– bzw. Divergenzeigenschaften.
2.2 Zahlenreihen
95
Satz 2.75 (Quotientenkriterium). Sei gelten folgende Aussagen:
P∞
k=1
ak eine Reihe. Dann
a) Ist ak+1 < 1, lim sup ak k→∞ dann ist die Reihe absolut konvergent. b) Ist ak+1 > 1, lim inf k→∞ ak dann ist die Reihe divergent. c) Gilt ak+1 ≤ 1 ≤ lim sup ak+1 , lim inf k→∞ ak ak k→∞ dann kann keine Aussage über das Konvergenzverhalten getroffen werden.
Beachten Sie in den letzten beiden Sätzen die Unterschiede im Teil b) der Aussagen. Das letzte Beispiel zeigt, dass das Wurzelkriterium stärker ist als das Quotientenkriterium, bei dem obige Reihe gerade den unentschiedenen Fall c) erfüllt. Es gelten weiter folgende Aussagen: Satz 2.76. Sei {ak }k∈N ⊂ R eine Folge. Dann gelten nachstehende Eigenschaften: p ak+1 ≤ lim inf k |ak |. a) lim inf k→∞ k→∞ ak p ak+1 k . b) lim sup |ak | ≤ lim sup ak k→∞ k→∞ c) n Ist die Folge {|ak+1 |/|ak |}k∈N konvergent, dann ist auch die Folge o p k |ak | konvergent und es gilt k∈N
lim
k→∞
p k
ak+1 . |ak | = lim k→∞ ak
Die Umkehrung (siehe letztes Beispiel) gilt nicht.
96
2 Folgen und Reihen
Mit weiteren Beispielen belegen wir obige Feststellungen. Beispiel 2.77. Gegeben sei die Folge ∞ X k=1
2 5 + (−1)k
k =
1 1 1 1 1 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + ··· . 21 3 2 3 2 3
(2.28)
Das Wurzelkriterium liefert 1 : k ungerade, p 2 2 k |ak | = = 5 + (−1)k 1 : k gerade. 3 Also gilt lim sup
p k
|ak | =
k→∞
1 < 1. 2
Somit liegt nach Satz 2.74 absolute Konvergenz der Reihe vor. Andererseits ergibt sich k ak+1 5 + (−1)k =2· ak k+1 (5 + (−1)k+1 )
1 3 = 1 2
k 2 : k ungerade, 3 k 3 · : k gerade. 2 ·
Also gilt ak+1 1 ak+1 = ∞. lim inf = und lim sup k→∞ ak 3 ak k→∞ Damit kann mithilfe dieses Kriteriums gemäß Satz 2.75 keine Aussage über das Konvergenzverhalten getroffen werden. Es gilt also Konvergenz der Reihe gemäß des stärkeren Wurzelkriteriums. Ebenso sind die Eigenschaften a) und b) aus Satz 2.76 erfüllt. Da sowohl beim Wurzel- als auch beim Quotientenkriterium jeweils zwei Häufungspunkte vorliegen, ist Eigenschaft c) aus dem eben erwähnten Satz nicht erfüllt. Es gilt lediglich die Kontraposition, welche besagt np o ak+1 k |ak | divergiert =⇒ divergiert. ak k∈N k∈N Abschließend lernen Sie ein Beispiel kennen, bei dem das Quotientenkriterium den unentscheidbaren Fall ergibt, während das stärkere Wurzelkriterium wieder die tatsächliche Konvergenz bestätigt.
2.3 Potenzreihen
97
Beispiel 2.78. Dazu betrachten wir die Reihe ∞ X
ak :=
k=1
∞ X
2(−1)
k
−k
.
(2.29)
k=1
Das Quotientenlkriterium liefert den unentschiedenen Fall k+1 2 : k ungerade, (−1) −(k+1) ak+1 2 = = k ak 2(−1) −k 1 : k gerade. 8 Also sind
ak+1 1 ak+1 = 2. lim inf = und lim sup n→∞ ak 8 ak n→∞
Das Wurzelkriterium hat auch hier das letzte Wort mit dem aussagekräftigeren Grenzwert p (−1)k 1 k |ak | = lim 2 k −1 = 2−1 = . k→∞ k→∞ 2 lim
Damit ist die vorgelegte Reihe konvergent.
2.3 Potenzreihen Eine unendliche Reihe der speziellen Form P (x) :=
∞ P
ak (x − x0 )k , ak ∈ R,
(2.30)
k=0
heißt Potenzreihe um den Entwicklungspunkt x0 ∈ R. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, ob ein Intervall der Form I := (x0 − c, x0 + c) um den Entwicklungspunkt mit noch zu bestimmendem c ∈ R existiert, in dem die Potenzreihe für alle x ∈ I konvergiert. Meistens genügt es, den Spezialfall x0 = 0 zu analysieren, also ein Intervall I := (−c, c) um den Ursprung zu finden! Beispiel 2.79. Wir betrachten die Reihe P (x) =
∞ X xk k=1
k2
.
(2.31)
98
2 Folgen und Reihen
Gemäß Bemerkung 2.19 wissen wir, dass die Reihe auf jeden Fall für x = 1 konvergiert. Mit dieser Information lässt sich dann zeigen, dass zumindest auch für alle x ∈ (−1, 1)
(2.32)
Konvergenz vorliegt. Ob sich das Intervall weiter vergrößern lässt, wird noch Inhalt dieses Abschnittes sein. Zunächst gilt das folgende Resultat: P∞ Satz 2.80. Die Potenzreihe k=0 ak xk konvergiere für x = c, c ̸= 0. Dann konvergiert die Reihe sogar absolut für alle x ∈ (−c, c).
Beweis. Da die Reihe
P∞
k=0
ak ck konvergiert, muss notwendigerweise lim ak ck = 0
k→∞
gelten. Diese konvergente Folge ist beschränkt, d. h. es existiert eine positive Zahl K ∈ R derart, dass k ak c ≤ K für alle k ∈ N gilt. Damit ergibt sich für die Summanden der gegebenen Reihe folgende Abschätzung: k k ak xk = ak ck · x ≤ K x . c c Die geometrische Reihe ∞ X k=0
x Kq k mit q := < 1, da |x| < c, c
P∞ dient somit als konvergente Majorante von k=0 ak ck , woraus die absolute Konvergenz der vorgelegten Reihe im vorgegebenen offenen Intervall folgt. qed Beispiel 2.81. Wir betrachten nochmals die Reihe (2.31) aus dem vorherigen Beispiel. Das Quotientenkriterium (2.26) liefert |x|k+1 k 2 lim = |x| · lim k→∞ |x|k (k + 1)2 k→∞
k k+1
2 = |x|.
Damit liegt absolute Konvergenz für alle |x| < 1 vor. Dies bestätigt die Aussage von Satz 2.80 und zeigt auch, dass mit (2.32) bereits das maximale offene Konvergenzintervall vorliegt. Auch das Wurzelkriterium (2.24) bestätigt dieses Ergebnis.
2.3 Potenzreihen
99
An den beiden Randpunkten x = ±1 liegt auch absolute Konvergenz vor. Für x = 1 wissen wir das bereits und für x = −1 haben wir die alternierende Reihe ∞ X (−1)k P (−1) = , k2 k=1
welche nach dem Leibniz-Kiterium (Satz 2.46) konvergiert (auch absolut). Insgesamt konvergiert die Reihe (2.31) absolut für x ∈ [−1, 1].
Wir untersuchen jetzt das auf die Potenzreihe (2.30) bezogene „ inverse“ Wurzelkriterium 1 p (2.33) ρ1 := lim k |ak | k→∞
und das „inverse“ Quotientenkriterium ak , ρ2 := lim k→∞ ak+1
(2.34)
für den Fall, dass diese beiden Grenzwerte existieren. Beispiel 2.82. Wir wenden obige Kriterien auf die Reihe (2.31) an. a) Aus (2.33) ergibt sich (siehe auch Beispiel 2.7) ρ1 =
√ 2 1 k p = lim k = 1. k 2 k→∞ lim |1/k |
k→∞
b) Aus (2.34) ergibt sich 2 1/k 2 = lim k + 1 ρ2 := lim = 1. k→∞ 1/(k + 1)2 k→∞ k Beispiel 2.83. Wir wenden obige Kriterien jetzt auf P (x) :=
∞ X k+2 k=0
an. a) Aus (2.33) ergibt sich
2k
xk
(2.35)
100
2 Folgen und Reihen
ρ1 =
1 lim
p k
k→∞
|(k +
2)/2k |
= 2 · lim √ k k→∞
1 = 2, k+2
da (siehe auch Beispiel 2.7) p √ √ k k k + 2 = k · k 1 + 2/k → 1 · 1. b) Aus (2.34) ergibt sich (k + 2) 2k+1 = 2 · lim k + 2 = 2. ρ2 := lim k k→∞ k→∞ k + 3 2 (k + 3)
Als Verallgemeinerung der beiden letzten Beispiele gilt Folgerung 2.84. Existieren die Grenzwerte in (2.33) und (2.34), dann sind sie gleich, d. h. ρ1 = ρ2 =: ρ. (2.36)
Die zentrale Konvergenzaussage ist das nun folgende Resultat: Satz 2.85. Die der Potenzreihe (2.30) durch (2.36) zugeordnete Größe heißt Konvergenzradius der Potenzreihe, d. h., die Reihe konvergiert absolut im offenen Intervall Iρ (x0 ) := {x ∈ R : |x − x0 | < ρ} = {x ∈ R : x0 − ρ < x < x0 + ρ}. (2.37) Dabei sind die Fälle ρ = 0 und ρ = +∞ miteingeschlossen. Über die Randpunkte des Intervalls Iρ (x0 ) lässt sich i. Allg. keine Aussage treffen; diese müssen gesondert durch Einsetzen in die Reihe untersucht werden. Außerhalb des offenen Intervalls, also für |x − x0 | > ρ divergiert die Potenzreihe.
Beweis. Sei (2.24), falls
P∞
k=1
lim
ak (x−x0 )k eine Potenzreihe. Die Reihe konvergiert gemäß
k→∞
q p k |ak ||x − x0 |k = lim k |ak | |x − x0 | < 1.
Das ist gleichbedeutend mit
k→∞
2.3 Potenzreihen
101
|x − x0 |
1 divergiert die vorgegebene Reihe. Insgesamt liegt Konvergenz vor für x ∈ [−1, 1), wobei absolute Konvernz nur im Inneren des Intervalls vorliegt und nicht auch noch am Randpunkt x = −1 ! b) Sei P (x) :=
∞ X k=0
k (x + 2)k .
102
2 Folgen und Reihen
Sowohl das Wurzel- als auch das Quotientenkriterium liefert den Wert ρ = 1. Da x0 = −2, ergibt sich das offene Konvergenzintervall I1 (−2) = (−3, −1). An den Randpunkten ergeben sich die beiden divergenten Reihen P (−3) =
∞ X
(−1)k k und P (−1) =
k=0
∞ X
k.
k=0
Ebenso ist die Reihe divergent für x < −3 und x > −1. Insgesamt liegt also absolute Konvergenz vor für x ∈ (−3, −1). c) Sei P (x) :=
∞ X
k! (x − 1)k .
k=0
Das Quotientenkriterium liefert den Grenzwert k! = lim 1 = 0. lim k→∞ (k + 1)! k→∞ k + 1 Das Wurzelkriterium ergibt ebenfalls 1 1 lim √ = = 0. k „∞“ k!
k→∞
Demnach liegt kein ausgedehntes Konvergenzintervall vor und die Reihe konvergiert lediglich im Entwicklungspunkt x0 = 1 mit dem Reihenwert P (1) = 0. d) Die Potenzreihe (2.35) ist in den beiden Randpunkten x = ±2 divergent, denn ∞ ∞ X X P (−2) = (−1)k (k + 2) und P (2) = (k + 2). k=0
k=0
Insgesamt liegt also absolute Konvergenz für x ∈ I2 (0) = (−2, 2) vor. Mit dem nun folgenden Beispiel leiten wir eine Erweiterung der bisherigen Berechnungen des Konvergenzradius ein.
2.3 Potenzreihen
103
Beispiel 2.87. Gegeben sei die Potenzreihe P (x) :=
∞ X
2 + (−1)k
k
xk .
(2.38)
k=1
Um uns einen Überblick zu verschaffen, schauen wir uns zunächst die Struktur der Koeffizienten k ak := 2 + (−1)k an. Es gilt 1 : k ungerade, ak = 3k : k gerade. Das (inverse) Quotientenkriterium ergibt für k → ∞ die beiden Häufungspunkte 1 0 : k ungerade, ak k : k ungerade, = 3 −→ ak+1 k ∞ : k gerade. 3 : k gerade, Das (inverse) Wurzelkriterium liefert für k → ∞ die beiden Häufungspunkte 1 : k ungerade, 1 1 p −→ = 1 k |2 + (−1)k | |ak | : k gerade. 3 Welcher der vier potentiellen Kandidaten ist nun der richtige Konvergenzradius? Die Antwort lautet 1 ρ= . 3 Aber warum? Alternativ zu (2.33) definieren wir dazu die Größe ρ :=
1 lim sup
p k
|ak |
.
(2.39)
k→∞
Damit gilt folgendes allgemeines, nach Cauchy-Hadamard benanntes Resultat:
104
2 Folgen und Reihen
Satz 2.88. Der Konvergenzradius einer Potenzreihe lässt sich immer gemäß (2.39) ermitteln und es gelten weiterhin die Aussagen des Satzes 2.85. Bemerkung 2.89. Für die Reihe (2.38) aus dem letzten Beispiel lieferte das Quotientenkriterium keine Aussage, während mit dem stärkeren Wurzelkriterium (2.39) der korrekte Konvergenzradius ermittelt werden konnte. Bemerkung 2.90. Wenn die Folge der Koeffizienten {ak }k∈N beschränkt P∞ ist, dann hat die Potenzreihe k=0 ak xk Konvergenzradius ρ ≥ 1. Denn wegen der Beschränktheit existiert ein M > 0 mit der Eigenschaft |ak | ≤ M für alle k ∈ N, also gilt p √ 1 k = lim sup k |ak | ≤ lim sup M = 1 ⇐⇒ ρ ≥ 1. ρ k→∞ k→∞
(2.40)
Beispiel 2.91. Zu (2.40) betrachten wir einige Potenzreihen. a) Sei ∞ X
P (x) :=
1000 xk .
k=0
Die Folge der Koeffizienten ak := 1000 ist offensichtlich beschränkt für alle k ∈ N. Das Wurzelkriterium liefert √ k lim sup 1000 = 1. k→∞
Also gilt in Übereinstimmung mit Bemerkung 2.90, dass ρ = 1. Das Konvergenzintervall ist somit gegeben durch (−ρ, ρ) = (−1, 1), denn an den Randpunkten x = ±1 liegt Divergenz vor. b) Sei P (x) :=
∞ X 1 k x . kek
k=1 1 kek
Die Folge der Koeffizienten ak := spielsweise |ak | ≤ 1 für alle k ∈ N.
ist beschränkt, denn es gilt bei-
Das Wurzelkriterium liefert r lim sup k→∞
k
1 1 = . kek e
2.3 Potenzreihen
105
Damit gilt in Übereinstimmung mit Bemerkung 2.90, dass ρ = e ≥ 1. Das Konvergenzintervall ist somit gegeben durch (−ρ, ρ) = (−e, e). An den Randpunkten x = ±e liegt ebenfalls Konvergenz vor, also schließt das endgültige Konvergenzintervall die beiden Randpunkte mit ein. c) Sei P (x) :=
∞ X
kxk .
k=1
Die Folge der Koeffizienten ak := k ist unbeschränkt. Dennoch beträgt der Wert des Konvergenzradius mindestens 1. Gemäß Beispiel 2.86 b) ist dieser tatsächlich gerade ρ = 1. d) Sei P (x) :=
∞ X
k k xk .
k=1
Auch die Folge dieser Koeffizienten ak := k k ist unbeschränkt. Gemäß (2.39) beträgt der Konvergenzradius ρ = 0 < 1. Die Reihe konvergiert somit nur für x = 0 und P (0) = 0. Fazit. Die Beschränktheit der Folge {ak }k∈N ist keine notwendige Bedingung dafür, dass der Konvergenzradius mindestens den Wert 1 annimmt. Um das zu erreichen, dürfen die Koeffizienten „bis zu einem gewissen Grad“ auch unbeschränkt sein, was Beispiel 2.91 c) widerspiegelt. Im Gegensatz dazu ist in Beispiel 2.91 d) die Unbeschränktheit der Koeffizienten „zu stark“, um überhaupt ein ausgedehntes Konvergenzintervall zu bekommen ! Siehe dazu auch Beispiel 2.86 c) und vergleichen Sie zudem diese Sachverhalte als kleine Übung mit der Stärketabelle (2.4). Bei komplexen Potenzreihen der Form K(x) :=
∞ X
ak (z − z0 )k , ak , z, z0 ∈ C,
(2.41)
k=0
trifft der Begriff Konvergenzradius im wahrsten Sinne des Wortes zu, weil der Konvergenzbereich tatsächlich das Innere eines Kreises ist. Das Äußere des besagten Kreises ist der Divergenzbereich und auf der Kreislinie liegt der unentschiedene Fall vor. Nachstehende Graphik demonstriert diese unterschiedlichen Bereiche.
106
2 Folgen und Reihen
Im Divergenzbereich Bereich absoluter Konvergenz
Re keine allg. Konvergenzaussage
Konvergenzkreis um z0 = 0 Beispiele 2.92. Wir analysieren einige komplexe Reihen. a) Gegeben sei K(x) :=
∞ X
(1 + i)k z k .
k=0
Der Konvergenzradius ergibt sich aus q √ 1 = lim sup k |1 + i|k = lim sup |1 + i| = 2. ρ k→∞ k→∞ Der Bereich absoluter Konvergenz ist somit das Innere des Kreises um √ den Ursprung z0 = 0 mit Radius ρ = 1/ 2. b) Gegeben sei K(x) :=
∞ p X
k2 + k −
k k p k2 + 1 z − (1 + i) .
k=0
Der Konvergenzradius ergibt sich aus r p k p p p 1 k = lim sup k2 + k − k2 + 1 = lim sup k2 + k − k2 + 1 ρ k→∞ k→∞ = lim sup √ k→∞
k2
k−1 1 − 1/k 1 √ p = lim sup p = . 2 2 2 +k+ k +1 1 + 1/k + 1 + 1/k k→∞
Der Bereich absoluter Konvergenz ist somit das Innere des Kreises um den Punkt z0 = 1 + i mit Radius ρ = 2. c) Eine knackige Potenzreihe ist gegeben durch
2.3 Potenzreihen
107
K(x) :=
∞ X k=0
k k z 2 − 2iz − 1 . k (1 + i)
Wir bringen diese Reihe zunächst auf die gewohnte Form (2.41). Wir erhalten ∞ X k=0
∞ ∞ X k X 2k n k k 2 z − 2iz − 1 = z − i =: bn z − i , k k (1 + i) (1 + i) n=0 k=0
wobei bn :=
0
(1 + i) 2
: n ungerade,
n 2 n
: n gerade.
Damit ergibt sich p n n p 1 1 = lim sup n |bn | = lim sup p 2 = √ . ρ n→∞ n→∞ 2 |1 + i| Der Bereich absoluter Konvergenz√ist somit das Innere des Kreises um den Punkt z0 = i mit Radius ρ = 2. Die Auswertung solcher Reihen auf der Kreislinie ist i. Allg. kaum durchführbar. Eine sinnvolle Übung ist es dennoch, obige Potenzreihen an den ausgewählten Randpunkten z ∈ {ρ, iρ, −ρ, −iρ} auf Konvergenz zu untersuchen. Abschließend schauen wir uns noch folgende prominente Potenzreihen an: ∞ X xk x2 x3 x e = =1+x+ + + ··· , k! 2! 3! k=0 ∞ 2k+1 3 5 7 X x x x x k sin x = (−1) =x− + − ± ··· , (2.42) (2k + 1)! 3! 5! 7! k=0 ∞ 2k 2 4 6 X x x x x k cos x = (−1) =1− + − ± ··· . (2k)! 2! 4! 6! k=0
Alle diese Reihen haben Konvergenzradius ρ = ∞, was Sie auch ohne Rechnung sofort erkennen! Für |x| < 1 haben wir noch die bekannte Reihe
108
2 Folgen und Reihen
ln(x + 1) =
∞ X
(−1)k
k=0
xk+1 x2 x3 x4 =x− + − ± ··· . k+1 2 3 4
(2.43)
Abschließend stellen wir uns noch die Frage, wie die Potenzreihe von f (x) := 3 3x aussieht? Die Antwort ist sehr einfach, denn hier liegt die Exponentialreihe der folgenden Form vor: f (x) = ex
3
ln 3
=: ey =
∞ X yk k=0
k!
:=
∞ X x3 ln 3 k!
k=0
k =
∞ X (ln 3)k x3k k=0
k!
.
(2.44)
Kapitel 3
Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
Wie wäre die Mathematik ohne Funktionen? Langweilig oder ganz anders oder überhaupt nicht existent oder wie eine Fußballmannschaft ohne Ball?! Denken wir nicht weiter daüber nach, wir haben ihn ja, diesen Ball. Funktionen sind das Herz der Mathematik und mit deren Hilfe sind wir in der Lage, „funktionale“ Zusammenhänge aus den verschiedensten Anwendungsbereichen zu beschreiben.
3.1 Eigenschaften elementarer Funktionen Nahezu jede „Aktion“ zwischen Mengen wird durch eine Abbildung formuliert. Als andere gängige Bezeichnungen werden dafür auch die Begriffe Funktion oder Operator verwendet. Definition 3.1. Seien D und W nichtleere Mengen. 1. Eine Vorschrift f , die jedem x ∈ D genau ein y ∈ W zuordnet, heißt Abbildung von D in W . 2. D heißt Definitionsbereich von f , und f (D) := y ∈ W : es existiert x ∈ D mit y = f (x) ⊆ W heißt Bild- oder Wertebereich von f .
Erst die Angaben von Definitions- und Wertebereich und zugehöriger Abbildungsvorschrift legen eine Funktion f eindeutig fest. Diese drei Erfordernisse werden symbolisch © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 W. Merz, Höhere Mathematik in Beispielen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9_3
109
110
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
f : D → W gegeben durch x 7→ f (x) oder y = f (x) vereint zum Ausdruck gebracht. Abkürzend bezeichnen wir mit Abb (D, W ) := {f : D → W : f ist eine Funktion} die Menge aller Funktionen von D in W . Bemerkung 3.2. Häufig wird der Definitionsbereich einer Funktion f auch mit Df , der Wertebereich mit Wf bezeichnet. Oft ist es günstig nur eine Teilmenge des Definitionsbereichs, also eine Restriktion von f auf eben diese Teilmenge von Df zu betrachten. Wenn Definitions- und Wertebereiche nicht näher spezifiert werden (können), deuten wir mit der Schreibweise f : R → R an, dass es sich lediglich um eine reellwertige Abbildung abhängig von einer reellen Variablen handelt. Beispiele 3.3. a) Sei D := {x} und W = {y1 , y2 }. Dann ist mit f : D → W gegeben durch f (x) := y1 und gleichzeitig f (x) := y2 keine Funktion gemäß Definition 3.1, da einem Wert aus dem vorgegebenen Definitionsbereich zwei Werte aus dem Bildbereich zugeordnet werden. b) Ist dagegen D := {x1 , x2 } und W = {y} festgelegt. Dann liegt mit der Vorgabe f : D → W gegeben durch f (x1 ) := f (x2 ) := y im Sinne obiger Definition eine Funktion vor. c) Sei f : R → R gegeben durch f (x) := (x − 1)2 + 2. Der (maximale) Definitionsbereich lautet tatsächlich Df := R, während für den Wertebereich lediglich Wf := [2, ∞) ⊂ R gilt. Demzufolge scheint die Angabe f : R → [2, ∞) gegenüber der ursprünglichen eher angepasst zu sein. d) Sei f : Df → Wf die n-te Wurzelfunktion gegeben durch
3.1 Eigenschaften elementarer Funktionen
111
f (x) :=
√ n
x,
wobei n ∈ N fest gewählt ist und Df = [0, +∞) = Wf .
y x 3
1
x
1 f (x) =
x √ n
x, n ∈ N
An dieser Stelle soll die Invertierbarkeit einer Abbildung besprochen werden. Dazu folgende Definition 3.4. Sei f : Df → Wf , Df , Wf ⊆ R, eine Funktion. Diese heißt 1. surjektiv, falls für jedes y ∈ Wf ein x ∈ Df mit y = f (x) existiert; 2. injektiv, falls für x1 , x2 ∈ Df mit x1 ̸= x2 stets f (x1 ) ̸= f (x2 ) gilt; 3. bijektiv, falls für jedes y ∈ Wf genau ein x ∈ Df mit y = f (x) existiert. Kurz gesagt: bijektiv ⇐⇒ surjektiv und injektiv.
Beispiele 3.5. a) Die Abbildung f : R → R gegeben durch f (x) = x2 ist weder surjektiv noch injektiv. Dagegen ist die Abbildung f : R → [0, ∞) gegeben durch f (x) = x2 surjektiv und nicht injektiv. Die Abbildung
112
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
f : [0, ∞) → [0, ∞) gegeben durch f (x) = x2 ist bijektiv. b) Die Abbildung f : R → [0, ∞) gegeben durch f (x) = ex injektiv und nicht surjektiv. Die Abbildung f : R → (0, ∞) gegeben durch f (x) = ex ist bijektiv. Fazit: Vorgegebene Definitions- und Wertebereiche betimmen maßgeblich die in Definition 3.4 beschriebenen Eigenschaften einer Funktion.
Folgerung 3.6. Sei f : Df → Wf , Df , Wf ⊆ R, eine bijektive Funktion. Dann existiert eine eindeutig bestimmte Umkehrfunktion oder auch inverse Funktion genannt der Form f −1 : Wf → Df mit x = f −1 (y).
Beispiel 3.7. Es sei n = 2m + 1, m ∈ N, eine ungerade Zahl. Dann ist die Funktion f (x) = xn auf ganz R bijektiv. Wir überprüfen die Injektivität: Für alle x1 , x2 ∈ R mit f (x1 ) = f (x2 ) ergibt sich (vgl. Folgerung 1.18): p p (x1 )3 = (x2 )3 =⇒ sign(x1 ) 3 |x1 |3 = sign(x2 ) 3 |x2 |3 =⇒ x1 = x2 , da |x3 | = |x|3 für alle x ∈ R gilt. Somit sichert Folgerung 3.6 die Existenz ihrer Umkehrfunktion. Im Einklang mit Folgerung 1.18 für ungerade Wurzeln resultiert p y = xn ⇐⇒ x = sign(y) n |y|. Vertauschen wir noch die beiden Variablen, dann haben wir die gesuchte inverse Funktion p f −1 (x) = sign(x) n |x| für alle x ∈ R.
3.1 Eigenschaften elementarer Funktionen
113
f(x)
xn , n=2m+1 x n
-1
f(x) = sign x |x|
Umkehrfunktion von f (x) := x2m+1 , m ∈ N
Beispiel 3.8. Es sei n = 2m, m ∈ N, eine gerade Zahl. Dann ist die Funktion f (x) = xn gesondert auf den beiden Intervalle I0 := (−∞, 0] und J0 := [0, +∞) bijektiv. Somit haben wir eine Aufteilung der Umkehrfunktion in die beiden Zweige √ −1 f− (x) := − n x für alle x ≥ 0 : f− (x) := xn , x ∈ I0 = (−∞, 0], −1 f+ (x) :=
√ n
x für alle x ≥ 0 : f+ (x) := xn , x ∈ J0 = [0, +∞).
f(x) f+ (x)=n x -1
n
x , n=2m
x f- (x)=- n x -1
Zweige der Umkehrfunktion von f (x) := x2m , m ∈ N
114
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
Bemerkung 3.9. Der Graph der Umkehrfunktion f −1 , nämlich G(f −1 ) = {(y, x) ∈ R2 : x = f −1 (y), y ∈ Wf }, geht aus dem Graphen G(f ) := {(x, y) ∈ R2 : y = f (x), x ∈ Df } der Funktion f : Df → R durch Spiegelung an der Geraden y = x hervor. Dieser Sachverhalt resultiert aus der geometrischen Anschauung unter Berücksichtigung der Identität f −1 f (x) = x für alle x ∈ Df .
y
f-1
y=x
-1
x
f (f(x))
f
f(x)
x
x
Spiegelung an der Winkelhalbierenden
Beispiel 3.10. Prominente Pärchen sind: a) Df = R, Wf = (0, ∞) mit f (x) = ex , f −1 (y) = ln y. b) Df = [− π2 , π2 ], Wf = [−1, 1] mit f (x) = sin x, f −1 (y) = arcsin y. c) Df = [0, π], Wf = [−1, 1] mit f (x) = cos x, f −1 (y) = arccos y. d) Df = (− π2 , π2 ), Wf = (−∞, ∞) mit f (x) = tan x, f −1 (y) = arctan y. e) Df = (0, π), Wf = (−∞, ∞) mit f (x) = cot x, f −1 (y) = arccot y. Vertauschen wir bei f −1 die Variablen x und y, dann wird Df −1 := Wf und Wf −1 := Df . Beispiele 3.11. Hier noch zwei Beispiele zur Invertierbarkeit mit Wurzeln. a) Sei f (x) = (x − 3)2 + 1 mit Df := R und Wf := {x ∈ R : x ≥ 1}. Bijektivität liegt gesondert auf den beiden Teilintervalle R = (−∞, 3) ∪ [3, +∞)
3.2 Grenzwerte von Funktionen
115
des Definitionsbereichs vor. Wir berechnen die Inverse gemäß p y = (x − 3)2 + 1 ⇐⇒ y − 1 = (x − 3)2 ⇐⇒ y − 1 = |x − 3|. √ Damit ergibt sich x = ± y − 1 + 3 bzw. die beiden Zweige der Umkehrfunktion √ f −1 (x) = ± x − 1 + 3, x ≥ 1, nach Vertauschung der Argumente. b) Sei f (x) = (x − 3)3 + 1 mit Df := R und Wf := R. Wir berechnen die Inverse gemäß y = (x − 3)3 + 1 ⇐⇒ y − 1 = (x − 3)3 , p also x = sign(y − 1) 3 |y − 1| + 3 bzw. p f −1 (x) = sign(x − 1) 3 |x − 1| + 3, x ∈ R, nach Vertauschung der Argumente. Abschließend zur Invertierbarkeit noch ein Beispiel 3.12. Die Abbildung f : Q → R gegeben durch f (x) = x3 ist injektiv, denn für alle q1 , q2 ∈ Q mit f (q1 ) = f (q2 ) gilt (vgl. Folgerung 1.18): p p (q1 )3 = (q2 )3 =⇒ sign(q1 ) 3 |q1 |3 = sign(q2 ) 3 |q2 |3 =⇒ q1 = q2 , da |x3 | = |x|3 für alle x ∈ R. Die Abbildung ist nicht surjektiv, denn als Wertebereich ist R vorgegeben und y = 2 wird nicht angenommen, denn !
2 = q 3 =⇒ q =
√ 3
2 ̸= Q.
3.2 Grenzwerte von Funktionen Wenn eine Funktion f : R → R an bestimmten Stellen x0 ∈ R nicht definiert ist, also sog. Definitionslücken vorliegen, kann natürlich die Auswertung
116
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
f (x0 ) nicht durchgeführt werden. Lediglich Grenzwertbetrachtungen an den „verbotenen“ Stellen machen Sinn und es gilt lim f (x) := g ̸= f (x0 ).
x→x0
(3.1)
Dazu präzisieren wir Definition 3.13. Sei f : Df → R, Df ⊂ R. 1. Die Funktion f hat an der Stelle x0 ∈ R den Grenzwert g ∈ R, falls für jede Folge {xn }n∈N ⊂ Df mit lim xn = x0 die Grenzwertbiln→∞ dung lim f (xn ) = g (3.2) n→∞
gilt. 2. Die Funktion f hat an der Stelle x0 ∈ R den rechtsseitigen Grenzwert g + ∈ R, falls für jede monoton fallende Folge {xn }n∈N ⊂ Df mit lim xn = x0 die Grenzwertbildung n→∞
lim f (xn ) = g +
n→∞
(3.3)
gilt. Für jede monoton steigende Folge {xn }n∈N ⊂ Df mit lim xn = n→∞ x0 gilt entsprechend die linksseitige Grenzwertbetrachtung lim f (xn ) = g − .
n→∞
(3.4)
Bemerkung 3.14. In der obigen Definition wird nicht x0 ∈ Df gefordert. Bemerkung 3.15. Da obige Grenzwertbetrachtung für jede gegen x0 ∈ R konvergierende Folge gelten muss, schreiben wir folgenunabhängig einfach nur lim f (x) = g bzw.
x→x0
lim f (x) = g ± .
x→x± 0
Beispiel 3.16. Sei f : Df → R gegeben durch f (x) :=
1 . 1 − x2
Der Definitionsbereich lautet Df := R \ {−1, 1} ⊂ R, während für den Wertebereich Wf := R \ [0, 1) ⊂ R gilt.
3.2 Grenzwerte von Funktionen
117
y
1 x 1
-1
f (x) =
1 1−x2
An den beiden Punkten x0 = ±1 liegen sog. Polstellen vor, also Stellen, an denen die Funktion gegen +∞, −∞ oder ±∞ zusteuert. Verallgemeinert lässt sich also sagen: Definition 3.17. Eine Funktion f : Df → R hat an einer Stelle x0 ∈ ̸ Df eine Polstellen, falls lim |f (x)| = ∞. (3.5) x→x0 ±
Beispiel 3.18. Die Funktion f (x) := x ist auf ganz R definiert. Schreiben wir spaßeshalber f˜(x) := x2 /x, dann haben wir eine „künstliche“ Lücke bei x = 0 eingebaut und müssen diese Stelle aus dem Definitionsbereich ausschließen. Wir schreiben die ursprüngliche Funktion f somit in der „geklammerten“ Form f˜(x) : x ∈ R \ {0}, f (x) := 0 : x = 0.
Diese Überlegungen motivieren zu den nachfolgenden Beispielen, in denen f˜ Funktionen mit und f Funktion ohne Lücken bezeichnen: Beispiel 3.19. Gegeben sei die Funktion (4x + 6) ln(x + 1) − (x2 + 6x) f˜(x) := 2x4
(3.6)
mit Df˜ := (−1, 1) \ {0}. Um zu prüfen, ob x = 0 tatsächlich aus dem Defintionsbereich ausgeschlossen werden muss und um damit die Lücke bei x = 0 zu belassen, verwenden wir
118
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
die Reihenentwicklung (2.43). Wir setzen diese in die obige Funktion (3.6) ein und erhalten nach einer längeren und einfachen Rechnung die Darstellung f (x) :=
∞ X
(−1)k
k=0
2 3 − k+3 k+4
xk
2 3 2 3 2 3 − − − x+ − x2 − − x3 ± · · · 4 5 5 6 6 7
=
2 3 − 3 4
= −
1 1 1 2 + x − x2 + x3 ± · · · , 12 10 10 21
wobei jetzt der erweiterte Definitionsbereich Df := (−1, 1) gewählt werden kann. Wir überprüfen dies übungshalber, indem wir den Konvergenzradius dieser Reihe berechnen. In Analogie zu Beispiel 2.7 ermitteln wir s s 2 3 k+1 k lim sup − = lim sup k k + 3 k + 4 (k + 3)(k + 4) k→∞ k→∞ √ k
= lim sup √ k k→∞
k+1 1 √ = = 1. k 1·1 k+3 k+4
Das Wurzelkriterium (2.39) liefert damit tatsächlich das Konvergenzintervall Df = (−1, 1). An den beiden Randpunkten x = ±1 des Intervalls liegt keine Konvergenz vor, wovon Sie sich im Rahmen einer kleinen Übungsaufgabe selbst überzeugen können. Ein Tipp dazu: Satz 2.46 und Beispiel 2.70. Aus der obigen Darstellung entnehmen wir, dass f (0) = −1/12. Damit gilt auch die Darstellung f˜(x) : x ∈ (−1, 1) \ {0}, f (x) = 1 − : x = 0. 12 Beispiel 3.20. Die Abbildung 2x − 1 f˜(x) = x
3.2 Grenzwerte von Funktionen
119
ist auf R \ {0} definiert. Um auch hier die Lücke an der Stelle x0 = 0 zu „entfernen“, schreiben wir den Anteil 2x = ex ln 2 in Analogie zu (2.44) als Reihe und erhalten ! ∞ ∞ ∞ X 2x − 1 1 X (ln 2)k xk 1 X (ln 2)k xk (ln 2)k xk−1 = −1 = = x x k! x k! k! k=0
=
k=1
∞ X (ln 2)k+1 k=0
(k + 1)!
k=1
xk =: f (x).
Wir wissen, dass die Exponentialreihe und somit auch die oben modifizierte Form für alle x ∈ R konvergiert. Denn das Quotientenkriterium (2.34) zur Bestimmung des Konvergenzradius ergibt (ln 2)k+1 (k + 2)! k+2 = lim = ∞, k+2 k→∞ (k + 1)! (ln 2) k→∞ ln 2 lim
womit all unsere Vermutungen bestätigt sind. Somit gilt auch die Darstellung f˜(x) : x ∈ R \ {0}, f (x) = ln 2 : x = 0. Alternativ dazu, berechnen wir jetzt den Grenzwert an der Stelle x0 := 0. Es gilt ex ln 2 − 1 eax − 1 lim f˜(x) = lim =: lim , x→0 x→0 x→0 x x wobei x0 ̸∈ Df˜. Bekanntlich gilt eax = lim
(∗)
n→∞
1+
ax n n
ax = 1 + ax, n→∞ n wobei an der mit (∗) markierten Stelle die Ungleichung von Bernoulli vorliegt. Damit resultiert aus den unterstrichenen Teilen folgende „Abschätzung nach unten“: eax − 1 ≥ a für x > 0. (3.7) x ≥ lim
1+n
Für die nun folgende „Abschätzung nach oben“ verwenden wir die binomische Formel (1.23) und die Beziehung
120
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
1 n 1 n−1 = für k = 1, . . . , n. n k k k−1 Es gilt 1 + ax eax − 1 n = lim n→∞ x x
n
−1
(3.8)
.
(3.9)
Für obige rechte Seite resultiert ! n n n k X X 1 + ax − 1 1 n (ax) n (ax)k−1 (1.23) n = − 1 = a x x k nk k nk k=0
(3.8)
= a
n X k=1
≤ a
n−1 X n − 1 (ax)k n − 1 (ax)k−1 1 1 · =a · k−1 k k−1 n k k n k+1 k=0
n−1 X k=0
k=1
n − 1 (ax)k ax =a 1+ k k (n − 1) n−1
n−1 .
Damit ergibt sich für (3.9) die Abschätzung n−1 eax − 1 ax ≤ lim a 1 + = aeax . n→∞ x n−1 Insgesamt gilt a≤
eax − 1 ≤ aeax für x > 0. x
Analog lässt sich zeigen, dass aeax ≤
eax − 1 ≤ a für x < 0. x
Aus limx→0± aeax = a folgt mit dem Sandwichprinzip (2.5) der Grenzwert eax − 1 = a. x→0± x lim
Bestätigen Sie als kleine Übungsaufgabe, dass für die Funktion g(x) :=
2x x
durch Dg := R \ {0} der maximale Definitionsbereich gegeben ist.
(3.10)
3.2 Grenzwerte von Funktionen
121
Beispiel 3.21. Der Definitionsbereich Df˜ der Funktion sin x f˜(x) = x
(3.11)
ist zunächst gegeben durch Df˜ := R \ {0}. Verwenden wir für den Sinus die Reihenentwicklung (2.42), dann ermitteln wir ! ∞ ∞ 2k+1 X sin x 1 X x2k k x = (−1) = (−1)k x x (2k + 1)! (2k + 1)! k=0
= 1−
k=0
x2 x4 x6 + − ± · · · =: f (x). 3! 5! 7!
Da f (0) = 1, gilt auch
f (x) :=
f˜(x) : x ∈ R \ {0}, 1
: x = 0,
wobei also Df = R. Bemerkung 3.22. Die im letzten Beispiel 3.21 betrachtete Funktion hat einen Namen. Es handelt sich um den Sinus cardinalis und wird kurz als Sinc-Funktion bezeichnet: sinc(x) :=
sin x . x
(3.12)
Ferner gilt der Zusammenhang ∞ Y sin x x = cos k . x 2 k=1
Wir analysieren nun die „Funktionsauswertung“ von sinc für x = 0 durch eine alternative Herangehensweise. Wir zeigen, dass für den Grenzwert an der Stelle x0 := 0 die Auswertung sinc(0) := lim
x→0
sin x =1 x
gilt. Es sei dazu 0 < x < π/2. Aus dem (als bekannt vorausgesetzten) Strahlensatz resultiert gemäß nachfolgender Skizze die Beziehung y=
sin x , cos x
122
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
woraus sich die Ungleichung 0 < sin x < x
0 ein δ = δ(ε, x0 ) > 0 existiert, sodass |f (x) − f (x0 )| < ε für alle x ∈ D mit 0 < |x − x0 | < δ.
(3.16)
Analoge Formulierungen gelten für die links- bzw. rechtsseitige Stetigkeit in x0 ∈ Df .
ε−δ-Kiste
f(x) y0 + ε y0 y0 - ε
x0 - δ
x0
x0 + δ
x
Graph verläuft komplett in der ε − δ–Kiste
Beachten Sie. Die Zahl δ > 0 hängt neben ε > 0 i. Allg. auch noch vom Punkt x0 ab.
Beispiel 3.38. Die Thomae-Funktion, auch Popcorn-Funktion genannt, ist gegeben durch 1 p : x = ∈ Q, p ∈ Z, q ∈ N, q q f (x) := 0 : x ∈ R \ Q, wobei obiger Bruch vollständig gekürzt, also nur die Eins gemeinsamer Teiler ist. Diese Funktion ist nur in allen irrationalen Punkten x ∈ R\Q stetig, in allen rationalen Punkten x ∈ Q ist sie unstetig. Um dieses seltsame Stetigkeitsbzw. Unstetigkeitsverhalten zu verstehen, gehen wir wie folgt vor: Wir fixieren zunächst einen rationalen Punkt x0 := p0 /q0 und wählen um den Funtionswert y0 := f (x0 ) = 1/q0 eine ε-Umgebung (y0 − ε, y0 + ε) mit
130
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
0 0 derart, dass sich der Funktionsverlauf für alle x ∈ (x0 − δ, x0 + δ) komplett in der gewählten ε-Umgebung befindet, dass also |f (x) − f (x0 | < ε gilt. Wir nehmen jetzt einen irrationalen Punkt x0 ∈ R \ Q für den f (x0 ) = 0 gilt. Wir geben ein beliebiges ε > 0 vor und erhalten um den Nullpunkt die ε-Umgebung (−ε, ε). Außerdem legen wir vorübergehend ein δ > 0 fest und betrachten die daraus resultierende δ-Umgebung (x0 − δ, x0 + δ). Wir überlegen jetzt, welche x-Werte aus der vorgelegten δ-Umgebung die Stetigkeitsanforderungen |f (x) − f (x0 )| = |f (x)| < ε nicht erfüllen. Dies sind rationale Zahlen der Form x=
p 1 mit |f (x)| = ≥ ε, q |q|
also mit
1 . ε Davon gibt es in der obigen δ-Umgebung für jedes ε > 0 nur endlich viele. Deswegen lässt sich stets ein kleineres 0 < δ˜ < δ finden, sodass für alle ˜ x0 + δ) ˜ die gewünschte Beziehung |f (x)| < ε gilt, also Stetigkeit x ∈ (x0 − δ, vorliegt. |q| ≤
Bemerkung 3.39. Es gibt übrigens keine Funktion, welche in den rationalen Zahlen stetig und in den irrationalen Zahlen unstetig ist! Die rationalen Unstetigkeiten der Popcorn-Funtion sind hebbar. Wir setzen an allen rationalen Stellen f (r) := 0. Für alle r ∈ Q gilt damit lim f (x) = 0 = f (r) .
x→r
Wir haben auf diese Weise die stetige Nullfunktion erschaffen. Allgemein gilt Definition 3.40. Eine Funktion f : Df → R hat bei x0 ∈ Df eine hebbare Unstetigkeit, wenn lim f (x) = g und f (x0 ) ̸= g
x→x0
gelten.
(3.17)
3.3 Stetigkeit von Funktionen
131
f(x) f(x0) g+ε g g-ε x0 - δ x0
x0 + δ
x
lim f (x) = g, wobei f (x0 ) ̸= g gilt
x→x0
Zusammenfassung. Bisher haben wir drei Typen von Unstetigkeitsstellen kennengelernt. Gemäß Definition 3.23 eine Lücke, gemäß Definition 3.33 einen Sprung und gemäß Definition 3.40 eine hebbare Unstetigkeit. Weitere Typisierungen von Unstetigkeiten sollen hier nicht vorgenommen werden. Pole gemäß Definition 3.17 sind wie zu Beginn des Abschnittes festgestellt wurde keine Unstetigkeitsstellen! Beispiel 3.41. Die Betragsfunktion f (x) := |x|, Df := R, ist stetig auf ganz D. Zum Nachweis der Stetigkeit verwenden wir die umgekehrte Dreiecksungleichung ||x| − |x0 || ≤ |x ± x0 |.
(3.18)
Für jedes x0 ∈ R und für jede Zahl ε > 0 gilt (3.18)
|f (x) − f (x0 )| = ||x| − |x0 || ≤ |x − x0 | < δ := ε für alle x ∈ R mit 0 < |x − x0 | < δ. Es ist zu beachten, dass die Zahl δ = δ(ε) = ε hier gleichmäßig bezüglich x0 ∈ R wählbar ist, also nicht von x0 abhängt.
132
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
f(x)
x Graph der Funktion f (x) := |x|
Beispiel 3.42. Wir greifen nochmals die Funktion (3.15) auf und zeigen jetzt die Stetigkeit mithilfe der Definition 3.37. Wir wählen x0 ̸= 0 und ε > 0 fest. Danach definieren wir (in weiser Voraussicht) die Zahl 1 δ(ε) := min{ε |x0 |2 , |x0 |}. 2 Daraus ergeben sich die stets gültigen Ungleichungen δ≤
1 |x0 | 2
(3.19)
δ≤
ε |x0 |2 . 2
(3.20)
und
Damit erhalten wir (3.19) (3.18) |x| − |x0 | ≤ |x − x0 | ≤ δ ≤ 1 |x0 |, 2
also auch
und schließlich
1 1 − |x0 | < |x| − |x0 | < |x0 |, 2 2 1 3 |x0 | < |x| < |x0 | 2 | {z } 2 (∗)
für alle x mit 0 < |x − x0 | < δ. Hieraus ergibt sich nun |f (x) − f (x0 )| =
||x| − |x0 || |x||x0 |
(3.18)
≤
|x − x0 | (∗) 2|x − x0 | < |x||x0 | |x0 |2
(3.20)
0 hier sowohl von ε > 0 als auch von x0 ∈ Df abhängt. Zeigen Sie jetzt als kleine Übungsaufgabe die „einpunktige“ Stetigkeit der Funktion aus Beispiel 3.36 mithilfe der ε − δ – Kiste. Bei nahezu allen elementaren Funktionen ist es möglich Stetigkeitsbetrachtungen mit den in diesem Abschnitt formulierten Methoden durchzuführen. Bei komplizierteren bzw. zusammengesetzten Funktionen ist diese Vorgehensweise i. Allg. sehr aufwendig. Nachfolgende Sätze helfen, dies zu bewerkstelligen, da sich die Stetigkeit der Funktionen f und g auf deren algebraische Verknüpfungen vererbt: Satz 3.43. Die Funktionen f, g : R → R seien im Punkt x0 ∈ Df ∩ Dg stetig. Dann sind auch die folgenden Funktionen in x0 stetig: 1. f ± g, f · g, λ f für alle λ ∈ R, 2.
f , sofern g(x0 ) ̸= 0 gilt. g
Weiter gilt Satz 3.44. Existiert das Kompositum g ◦ f in x0 ∈ Df , ist ferner die Funktion f stetig im Punkt x0 und die Funktion g stetig im Punkt f (x0 ) ∈ Dg , so ist auch g ◦ f stetig in x0 ∈ Df .
Beweischen. Aus der Stetigkeit von f folgt lim f (x) = f (x0 ). Da auch g x→x0
stetig ist, muss jetzt lim g [f (x)] =
x→x0
gelten.
lim f (x)→f (x0 )
g [f (x)] = g [f (x0 )] qed
134
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
Beispiel 3.45. So ist f : R → R gegeben durch f (x) :=
x3 sin(x2 ) ex + e−x
3
als Summe, Produkt, Quotient und Kompositum auf ganz R stetiger Funktionen ebenfalls auf R stetig. Beispiel 3.46. Sei f : R → R eine stetige Funktion, dann ist auch das Quadrat f 2 : R → R stetig. Dies resultiert aus dem letzten Satz 3.44, wenn wir die stetige Funktion g(x) = x2 wählen. Denn damit ergibt sich die stetige Funktion f 2 : R → R gegeben durch die Komposition f 2 (x) = g f (x) . Die Umkehrung gilt dagegen nicht, wie nachstehendes Gegenbeispiel bestätigt: Sei f 2 (x) ≡ 1. Diese auf ganz R stetige Funktion resultiert beispielsweise durch Quadrieren aus der unstetigen Funktion 1 : x ≥ 0, f (x) := −1 : x < 0. Die Umkehrung gilt deswegen nicht, weil Quadrieren bzw. Potenziern mit geraden Potenzen gemäß (1.25) keine Äquivalenzumformung darstellt. Bei ungeraden Potenzen liegt dagegen gemäß (1.37) sehr wohl eine Äquivalenzumformung vor. Es gilt also f : R → R stetig ⇐⇒ f 2n+1 : R → R stetig, n ∈ N.
Wir kommen nochmals zurück zu Beispiel 3.41, worin die Betragsfunktion f (x) = |x| auf R als stetig erklärt wurde. Für ein beliebig vorgegebenes ε > 0 resultierte δ = δ(ε) , also unabhäng von der betrachteten Stelle x0 ∈ R. Anders formuliert, die so gewonnene und einmal zusammengebaute ε − δ – Kiste passt an jeder beliebigen Stelle x0 ∈ R. Greifen wir dagegen nochmals Beispiel 3.42 auf, also die Stetigkeitserklärung für 1 , x ∈ Df := R \ {0}, f (x) := |x|
3.3 Stetigkeit von Funktionen
135
dann erkennen wir, dass für ein beliebig vorgegebenes ε > 0 stets die Beziehung δ = δ(ε, x0 ) gilt. Die zusätzliche Abhängigkeit von x0 ∈ Df bedeutet, dass die ε − δ – Kiste an jeder Stelle des Definitionsbereichs neu gezimmert werden muss. Dies führt auf Definition 3.47. Eine Funktion f : Df → R heißt auf Df ⊂ R gleichmäßig stetig, wenn für alle ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 existiert, sodass |f (x) − f (y)| < ε für alle x, y ∈ Df mit 0 < |x − y| < δ.
(3.21)
Der feine Unterschied zu Definition 3.37 besteht also darin, dass sich hier die Stetigkeitsbestätigung auf keine feste Stelle x0 ∈ Df bezieht, sondern überall gleichermaßen gilt. Sind zwei Funtionen stetig, so gilt dies gemäß Satz 3.43 auch für deren Produkt. Überträgt sich die gleichmäßige Stetigkeit ebenfalls auf Produkte? Gegenbeispiel 3.48. Die beiden Funktionen f (x) = x und g(x) = sin x sind auf R gleichmäßig stetig, deren Produkt f (x)g(x) = x sin x dagegen nicht. Wir überprüfen zuerst die gleichmäßige Stetigkeit von f und g. Sei dazu ε > 0 vorgegeben, dann gilt für alle x, y ∈ R mit |x − y| < δ jeweils 1) |f (x) − f (y)| = |x − y| < δ := ε, x − y x − y 2) |g(x) − g(y)| = | sin x − sin y| = 2 sin cos 2 2 x − y (∗∗) ≤ 2 sin ≤ |x − y| < δ := ε, 2 (∗)
worin bei (∗) die Additionstheoreme für Sinus und Cosinus verwendet wurden und danach die Abschätzungen | cos z| ≤ 1 und | sin z| ≤ z. Für beide Funktionen konnte δ = δ(ε) demnach nur in Abhängigkeit von ε > 0 gewählt werden, womit gleichmäßige Stetigkeit vorliegt. Beim Produkt h(x) := f (x)g(x) funktioniert dies nicht. Es gilt
136
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
|h(x) − h(y)| = |x sin x − y sin y| = |x sin x − y sin x + y sin x − y sin y| ≤ |x − y|| sin x| + |y|| sin x − sin y| ≤ |x − y| + |y|| sin x − sin y| ≤ |x − y| + |y||x − y| siehe (∗∗) ≤ 1 + |y| |x − y| < ε,
also resultiert daraus die ortsabhängige Wahl δ :=
ε . 1 + |y|
Da eine ortsunabhängige Wahl nicht existiert, zeigt dies lediglich die Stetigkeit und nicht die gleichmäßige Stetigkeit von h auf R. Wählen wir als Definitionsbereich dagegen ein abgeschlossenes und beschränktes Intervall, beispielsweise Dh := [−a, a], a > 0, dann ist h : Dh → R sehr wohl gleichmäßig stetig. Obige Abschätzung kann wie folgt modifiziert werden: |h(x) − h(y)| ≤ (1 + |y|) |x − y| ≤ (1 + a) |x − y| < ε, da |y| ≤ a gilt, womit
ε 1+a unabhängig von x, y ∈ Dh gewählt werden kann. δ :=
Jede gleichmäßig stetige Funktion ist insbesondere stetig. Die Umkehrung dieser Aussage ist i. Allg. falsch. Es gilt jedoch folgendes Resultat: Satz 3.49. Eine stetige Funktion f : [a, b] → R ist auf dem abgeschlossenen und beschränkten Intervall [a, b] ⊂ R gleichmäßig stetig.
Beispiel 3.50. Gemäß Beispiel 3.42 ist die Funktion f (x) :=
1 , x ∈ Df := (0, +∞), x
auf Df stetig, aber nicht gleichmäßig stetig. Fixieren wir jedoch a, b ∈ R mit 0 < a < b < +∞, so gilt [a, b] ⊂ Df , und mit δ(ε) := εa2 folgt für jedes Zahlenpaar x, y ∈ [a, b], |x − y| < δ, dass
3.3 Stetigkeit von Funktionen
|f (x) − f (y)| =
137
|x − y| |x − y| δ ≤ < 2 = ε, |xy| a2 a
gleichbedeutend mit der gleichmäßigen Stetigkeit auf dem abgeschlossenen und beschränkten Intervall [a, b]. Gegenbeispiel 3.51. Gegeben seien das in Q abgeschlossene und beschränkte Intervall [0, 2] ⊂ Q und die Abbildung f : Q → R, definiert durch
√ 0 ≤ x < 2, f (x) := 1 : √2 < x ≤ 2. 0 :
Diese Funktion ist auf ihrem Definitionsbereich stetig und nicht gleichmäßig stetig. An den beiden Randpunkten des Intervalls liegt links- bzw. rechtsseitige Stetigkeit vor, da die beiden Grenzwerte lim f (x) = f (0) = 0 bzw.
x→0+
lim f (x) = f (2) = 1
x→2−
existieren und den Funktionswerten entsprechen. Von Interesse √ ist somit lediglich das Verhalten von f um die irrationalle Stelle x ¯ := 2 herum.√Es genügt, √ die beiden offenen und davon nur eines der Teilintervalle (0, 2) oder ( 2, 2) zu betrachten. √ Seien 0 < ε < 1 und √ x0 ∈ Q mit x0 ∈ (0, 2) =: I0 vorgegeben. Egal wie nahe x0 ∈ Q bei x ¯ := 2 gewählt wird, es existiert stets ein δ = δ(ε, x0 ) > 0 derart, dass √ Iδ (x0 ) := {x ∈ Q : |x − x0 | < δ} ⊂ (0, 2), √ da I0 offen ist. Kurz gesagt, je näher x0 ∈ Q an x ¯ := 2 heranrückt, desto kleiner muss δ > 0 gewählt werden, sodass Iδ (x0 ) komplett in I0 ist, also stets eine Abhängigkeit von der betrachteten Stelle vorliegt und somit keine gleichmäßige Stetigkeit erreicht werden kann. Wo liegt jetzt der Widerspruch zu Satz 3.49? Der Definitionsbereich von f ist lediglich die „diskrete“ Menge Q und nicht eine kontinuierliche Teilmenge in R. Elegant formuliert bedeutet dies, dass [0, 2] ⊂ Q keine vollständige Menge ist und dies ja stillschweigend im genannten Satz vorausgesetzt wird. Eine stetige Funktion kann auch auf einem unbeschränkten abgeschlossenen Intervall gleichmäßig stetig sein. Dazu
138
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
Beispiel 3.52. Gegeben sei das rechtsseitig unendliche abgeschlossene Intervall Df := [1, ∞). Dann ist die Funktion f (x) :=
1 x2
auf Df gleichmäßig stetig, denn 2 y − x2 (y + x)(y − x) ≤ 2|x − y|, |f (x) − f (y)| = 2 2 = x y x2 y 2 da 0
0 ein ε > 0 existiert, sodass |f (x) − f (y)| ≥ ε für gewisse x, y ∈ Df mit 0 < |x − y| < δ
(3.22)
gilt. Um dies auf f (x) = x2 anzuwenden, sei δ > 0 vorgegeben und es gelte 1 ≤ y < x. Damit resultiert |f (x) = f (y)| = |x2 − y 2 | = x2 − y 2 = (x + y)(x − y) ≥ 2y(x − y). Wir wählen x := y + 2δ , also gilt auch |x − y| < δ. Daraus folgt |f (x) − f (y)| ≥ 2y
δ = δy. 2
3.3 Stetigkeit von Funktionen
Wir wählen weiter y :=
139
1 und erhalten damit δ |f (x) − f (y) ≥ 1,
wobei also ε := 1 das Gewünschte gemäß (3.22) leistet. Wir setzen uns nun mit der Komposition gleichmäßig stetiger Funktionen auseinander. Beispiele 3.54. Gegeben seien f (x) :=
1 1 und g(x) := 2 . x x
a) Bekanntlich sind die beide Funktionen im rechtsseitig unendlichen abgeschlossenen Intervall D = [1, ∞) gleichmäßig stetig. Bilden wir die Komposita f g(x) = x2 = g f (x) , dann wissen wir gemäß Beispiel 3.53, dass auf D keine gleichmäßige Stetigkeit resultiert. b) Fixieren wir dagegen das Intervall D := (0, 1), dann sind die Funktionen f und g nicht gleichmäßig stetig, die Komposita f g(x) = x2 = g f (x) , auf D dagegen schon.
Âllerdings gilt ganz allgemein Satz 3.55. Seien f, g : D → R gleichmäßig stetige Funktionen mit gemeinsamen Definitionsbereich D ⊂ R. Dann ist auch die Summe f + g auf D gleichmäßig stetig.
Beweis. Sei ε > 0 vorgegeben. Wir teilen dies gerecht auf die beiden Funktionen auf und setzen daher ε1 :=
ε ε und ε2 := . 2 2
Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von f und g existieren δ1 > 0 und δ2 > 0 derart, dass
140
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
|f (x) − f (y)| < ε1 für alle x, y ∈ D mit 0 < |x − y| < δ1 , |g(x) − g(y)| < ε2 für alle x, y ∈ D mit 0 < |x − y| < δ2 gelten. Wir setzen δ := min(δ1 , δ2 ), dann gilt für alle |x − y| < δ mithilfe der Dreiecksungleichung (f (x) + g(x)) − (f (y) + g(y) | ≤ |f (x) − f (y)| + |g(x) − g(y)| ≤ ε1 + ε2 = ε. qed Fazit. Stetigkeit hält gegenüber algebraischen Operation stand wie es in den Sätzen 3.43 und 3.44 formuliert wurde. Hinsichtlich der gleichmäßigen Stetigkeit lässt sich dies (abgesehen von der Addition gemäß Satz 3.55) nicht pauschalisieren wie die letzten Beispiele 3.48 bis 3.54 gezeigt haben. Hier kommt es maßgeblich auf die gewählten Definitionsbereiche an!
3.4 Eigenschaften stetiger Funktionen Wer stetig wächst und noch nicht an die Decke stößt, kann ohne anzustoßen noch ein wenig weiterwachsen. So verbergen sich hinter der Stetigkeit zahlreiche weitere interessante Eigenschaften. Die prominenteste davon ist der aus dem Nullstellensatz resultierende Zwischenwertsatz von Bolzano. Wir beginnen also mit Satz 3.56 (Nullstellensatz von Bolzano). Für eine auf einem abgeschlossenen und beschränkten Intervall [a, b] ⊂ R stetige Funktion f : [a, b] → R gelte f (a) · f (b) < 0 (d. h. f (a) und f (b) haben verschiedenes Vorzeichen). Dann besitzt f im offenen Intervall (a, b) mindestens eine Nullstelle f (x0 ) = 0 für ein x0 ∈ (a, b).
3.4 Eigenschaften stetiger Funktionen
141
f(x)
b
x0
x
a
Nullstellensatz von Bolzano
Die Erklärung dieses anschaulich doch so klaren Sachverhaltes beruht auf dem Prinzip der Intervallschachtelung. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, dass f (a) > 0 und f (b) < 0. Aus algorithmischer Sicht schreiben wir [a0 , b0 ] := [a, b], halbieren das Intervall I0 := [a0 , b0 ] und erhalten den Mittelpunkt a 0 + b0 m0 := . 2 Gilt nun f (m0 ) = 0, dann liegt die Nullstelle bereits fest und wir sind fertig. Im Falle f (m0 ) < 0 wählen wir als neues Intervall I1 := [a1 , b1 ] mit a1 := a0 und b1 := m0 . Ist dagegen f (m0 ) > 0 setzen wir a1 = m0 und b1 := b0 . Als nächstes ermitteln wir aus I1 den Mittelpunkt m1 :=
a 1 + b1 2
und fahren auf diese Weise fort. Wir erhalten so eine Folge von immer kleiner werdenden Intervallen In := [an , bn ], n ∈ N0 , mit den Eigenschaften: 1.) Die Folge {an }n∈N0 ist streng monoton steigend, beschränkt und somit konvergent. 2.) Die Folge {bn }n∈N0 ist streng monoton fallend, beschränkt und somit konvergent. 3.) Die Folge {an − bn }n∈N0 = {(a0 − b0 )/2n }n∈N0 ist eine Nullfolge, d. h., beide Folgen haben den selben Grenzwert lim an = x0 = lim bn .
n→∞
n→∞
Wegen der Stetigkeit von f resultiert daraus
142
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
lim f (an ) = f (x0 ) = lim f (bn ).
n→∞
n→∞
Da {f (an )}n∈N0 > 0 und {f (bn )}n∈N0 < 0 kann nur f (x0 ) = 0 gelten.
Beispiel 3.57. Die Abbildung f : [0, 6] → R gegeben durch f (x) := 20 − 29x + 10x2 − x3 ist stetig und hat die Eigenschaften f (0) > 0 und f (6) < 0, womit mindestens eine Nullstelle im vorgegebenen Intervall vorliegt. Tatsächlich sind es die drei Nullstellen x0 = 1, x1 = 4 und x2 = 5. Wir starten jetzt eine Intervallschachtelung und lassen uns überraschen, welche der drei Nullstellen damit erkannt wird. Wir halbieren der Reihe nach die nachfolgend vorgelegten Intervalle gemäß der Vorschrift mn := (an + bn )/2: I0 := [0, 6] =⇒ m0 := 3. Da f (3) < 0, ergibt sich I1 := [0, 3] =⇒ m1 :=
3 . 2
Da f (3/2) < 0, ergibt sich
3 I2 := 0, 2
=⇒ m2 :=
3 . 4
Da f (3/4) > 0, resultiert jetzt 3 3 9 I3 := , =⇒ m3 := . 4 2 8 .. . .. . lim In = [1, 1] = {1}
n→∞
Wir erkennen, dass die Iterationsfolge gegen die Nullstelle x0 = 1 konvergiert, die restlichen beiden Nullstellen jedoch nicht erfasst werden. Durch Modifikation des Ausgangsintervalls kann jedoch eine der beiden anderen Nullstellen in den Blickwinkel der Iteration geraten. Diese Aufgabe sei Ihnen überlassen. Gegenbeispiel 3.58. Ist die nachfolgende Aussage wahr oder falsch?:
3.4 Eigenschaften stetiger Funktionen
143
Die Abbildung f : [a, b] → R sei stetig und es gelte f (x0 ) = 0 für ein x0 ∈ (a, b). Dann existieren x1 , x2 ∈ (a, b) mit f (x1 ) > 0 und f (x2 ) < 0. Die Aussage ist falsch, denn f (x) = x2 für x ∈ [−10, 10] ist ein Gegenbeispiel zu dieser Aussage. Wir kommen zu einer amüsanten Anwendung des Nullstellensatzes. Beispiel 3.59. Sei f : R → R eine 2π-periodische Funktion. Wir setzen g(x) := f (x) + f (x + π) − f x +
π 2
−f x+
3π 2
.
Mithilfe des Nullstellensatzes lässt sich zeigen, dass g im abgeschlossenen Intervall [0, π2 ] mindestens eine Nullstelle hat. Mit der vorausgesetzten Periodizität f (0) = f (2π) erhalten wir g(0) = f (0) + f (π) − f
π 2
3π 2
= f (2π) + f (π) − f π π π π = f ( π2 + 3π 2 ) + f( 2 + 2 ) − f 2 − f 2 + π = −g π2 .
Aus der Beziehung g(0) = −g g(0) · g
−f
π 2
π 2
π 2
−f
3π 2
ergibt sich schließlich =− g
π 2
2
≤ 0.
Da obiges Produkt auch auf den Randpunkten Null werden kann, sind die Nullstellen von g möglicherweise auch dort zu finden! Setzen wir jetzt f (x) := sin(x), dann ergibt sich g(x) := sin(x) + sin(x + π) − sin x +
π 2
− sin x +
3π 2
≡0 .
Entsprechendes gilt auch für f (x) := cos(x). Dies liegt daran, dass in beiden Fällen die Beziehungen f (x + π) = −f (x) , f x + π2 = −f x +
3π 2
.
gelten und sich somit alle Terme für alle x ∈ R gegenseitig eliminieren. Beispiel 3.60. Eine Auto legt in 1 Stunde eine Strecke von A nach B zurück. Es fährt im selben Zeitraum von 1 Stunde von B nach A zurück. Gibt es eine Stelle auf der Wegstrecke, welche das Auto nach der selben Zeit sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg passiert.
144
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
Die Antwort lautet ja. Wir begründen das mit dem Nullstellensatz vonBolzano. Seien dazu ohne Einschränkung der Allgemeinheit A, B ∈ R und 0 < A < B. Seien weiter x : [0, 1] → [A, B] mit x(0) = A und x(1) = B eine stetige Abbildung, welche die Strecke des Hinweges repräsentiert und y : [0, 1] → [B, A] mit y(0) = B und y(1) = A eine stetige Abbildung für die Strecke des Rückweges. Die stetige Differenz der beiden Funktionen f (t) := y(t) − x(t) liefert f (0) = B − A und f (1) = A − B, also gilt f (0) ·f (1) < 0. Nach dem Nullstellensatz von Bolzano existiert somit ein t0 ∈ (0, 1) mit f (t0 ) = 0. Wir kommen nun zur angekündigten Verallgemeinerung des Nullstellensatzes. Es gilt folgende Aussage: Satz 3.61 (Zwischenwertsatz von Bolzano). Eine stetige Funktion f : [a, b] → R nimmt jeden Wert des Intervalls zwischen f (a) und f (b) mindenstens einmal an.
Beweis. Für f (a) = f (b) ist nichts zu beweisen. Gelte also f (a) ̸= f (b) und sei y0 ein Punkt aus dem offenen Intervall f (a), f (b) . Dann folgt (f (a) − y0 ) · (f (b) − y0 ) < 0. Das heißt, die Funktion φ(x) := f (x) − y0 erfüllt die Voraussetzungen des Nullstellensatzes. Somit existiert ein x0 ∈ (a, b) mit φ(x0 ) = 0 = f (x0 ) − y0 . qed
3.4 Eigenschaften stetiger Funktionen
145
f(x) f(a) y0 b a
x
x0
f(b)
Zum Zwischenwertsatz von Bolzano
Merke: Das Bild eines abgeschlossenen Intervalls [a, b] unter einer stetigen reellwertigen Funktion f ist das abgeschlossene Intervall f [a, b] = min f (x), max f (x) . x∈[a,b]
x∈[a,b]
Beispiel 3.62. Die Stetigkeit ist lediglich eine hinreichende Bedingung für die Gültigkeit des Zwischenwertsatzes. Für x ∈ [0, 1] ist die Funktion x : x rational, f (x) := 1 − x : x irrational nur im Punkte x0 := 1/2 stetig (vgl. Beispiel 3.36). Dennoch nimmt f jeden Wert zwischen dem Minimum f (0) = 0 und dem Maximum f (1) = 1 an. Beispiel 3.63. Ein Auto fährt eine Strecke von 500 km ohne Stop in genau 5 Stunden. Muss es immer einen zusammenhängenden Zeitabschnitt von exakt 1 h geben, in welchem das Auto eine Strecke von genau 100 km zurücklegt, um die geforderte Strecke in der vorgebenen Zeit zu bewältigen? Die Antwort lautet ja. Wir begründen dies mit dem Zwischenwertsatz von Bolzano. Dazu bezeichne x(t) die Strecke in km, die das Auto in der Zeit 0 ≤ t ≤ 5 gemessen in Stunden zurückgelegt hat. Die stetige Funktion f (t) := x(t) − x(t − 1), t ∈ [1, 5], bezeichnet die in einer Stunde zurückgelegte Strecke. Gilt nun für jeden dieser Streckenabschnitte f (k) < 100 km für alle k = 1, · · · , 5, so hätte das Auto in
146
3 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
keinem Zeitabschnitt von 1 h eine Strecke von mindestens 100 km zurückgelegt. Somit kann das Auto auch nicht die Gesamtstrecke in der Zeit von 5 h zurückgelegt haben, da 5 X f (k) < 500. k=1
Ein ähnlicher Sachverhalt ergibt sich mit der Annahme f (k) > 100 km für alle k = 1, · · · , 5, wobei das Auto jetzt zu weit fahren würde, da 5 X
f (k) > 500.
k=1
Also muss es Zeiten a, b ∈ [1, 5] geben mit f (a) ≥ 100 und f (b) ≤ 100. Aus dem Zwischenwertsatz resultiert nun die Existenz eines t0 ∈ [1, 5] mit f (t0 ) = 100. Gegenbeispiel 3.64. Ein Auto fährt eine Strecke von 550 km ohne Stop in genau 5,5 Stunden. Muss es auch hier stets einen zusammenhängenden Zeitabschnitt von exakt 1 h geben, in welchem das Auto eine Strecke von genau 100 km zurücklegt, um die geforderte Strecke in der vorgebenen Zeit zu bewältigen? Die Antwort lautet jetzt nein! Dazu folgendes Gegenbeispiel, bei dem dies nicht so ist: Das Auto legt in der ersten halben Stunde 75 km zurück und in der nächsten halben Stunde nur 20 km. Es fährt also 95 km. Diesen Rhythmus behält das Auto auch in den nächsten 4 Stunden bei und legt in der letzten halben Stunde noch die restlichen 75 km zurück. Obwohl das Auto in den ersten fünf Streckenabschnitten jeweils nur 95 km zurücklegt, also stets unterhalb der Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 km/h fährt und dies auch in jedem beliebigen Zeitintervall von einer Stunde gilt, schafft es erstaunlicherweise die gewünschte Strecke 5 · 95 km+75 km=550 km in der vorgegebenen Zeit von 5,5 Stunden.
Kapitel 4
Differentialrechnung
Mithilfe der Differentialrechnung lassen sich nicht nur die wesentlichsten Eigenschaften von Funktionen beschreiben und erklären, vielmehr ist dieser Themenbereich neben den Funktionen selbst die bedeutendste Grundlage für nahezu jeden Anwendungsbereich. Wenn das im letzten Beispiel erwähnte Auto 500 km ohne Stop in genau 5 Stunden zurücklegt, beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit bekanntlich 100 km/h. Nun fährt ein Auto i. Allg. nicht über eine längere Strecke hinweg mit konstanter Geschwindigkeit, sondern variiert diese – zumindest ohne aktivierten Tempomat – punktuell. Mit dieser Erkenntnis sind wir auch schon bei der Differentialrechnung angekommen und werden in Kürze auf das Auto zurückkommen.
4.1 Ableitungsbegriff Die relative Änderungsrate der Funktion f : R → R an einer Stelle x0 ∈ Df ⊂ R ist gegeben durch den Differenzenquotienten f (x) − f (x0 ) f (x0 + h) − f (x0 ) = x − x0 h für x ∈ Df mit x := x0 + h, h > 0. Die Sekantenfolge durch die beiden Punkte x0 +h, f (x0 +h) und x0 , f (x0 ) des Graphen G(f ) von f lautet S(x; h) =
f (x0 + h) − f (x0 ) (x − x0 ) + f (x0 ). h
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 W. Merz, Höhere Mathematik in Beispielen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9_4
147
148
4 Differentialrechnung
y T(x) f(x0+h) f(x0)
S(x;h) G(f)
x0
x
x0+h
x
Die Tangente ist der Grenzwert der Sekantenfolge
Damit haben wir bereits alle Zutaten für Definition 4.1. Sei f : R → R mit Df ⊂ R. 1. Die Funktion f heißt im Punkt x0 ∈ Df differenzierbar, wenn der Grenzwert lim
x→x0
f (x) − f (x0 ) f (x0 + h) − f (x0 ) bzw. lim h→0 x − x0 h
(4.1)
in R existiert, wobei x − x0 := h ̸= 0 gesetzt wurde. Dieser Limes wird mit df f ′ (x0 ) oder (x0 ) dx bezeichnet und heißt die Ableitung von f im Punkt x0 ∈ Df . 2. Die affin lineare Funktion T (x) := f (x0 ) + f ′ (x0 ) (x − x0 ), x ∈ R, heißt die Tangente an den Graphen G(f ) von f im Punkt (x0 , f (x0 )) mit der Steigung f ′ (x0 ).
Die Ableitungen elementarer Funktionen lassen sich i. Allg. leicht mithilfe des Differenzenquotienten bestimmen: Beispiel 4.2. Die konstante Funktion f (x) := c, x ∈ Df := R, c ∈ R,
4.1 Ableitungsbegriff
erfüllt lim
h→0
149
f (x0 + h) − f (x0 ) c−c = lim = 0 = f ′ (x0 ). h→0 h h
Es gilt also (c)′ = 0 für alle x ∈ Df . Beispiel 4.3. Die Potenzfunktionen f (x) := xn , x ∈ Df := R, n ∈ N, erfüllen (x0 + h)n − xn0 f (x0 ) = lim h→0 h ′
= lim
h→0
n X n k=1
k
(1.23)
=
hk−1 xn−k 0
Pn lim
k=0
n k
h→0
hk xn−k − xn0 0 h
n n−1 = x 1 0
= nxn−1 . 0 Das heißt (xn )′ = nxn−1 für alle x ∈ Df .
Beispiele 4.4. a) Die Exponentialfunktion f (x) := ex , x ∈ Df := R, erfüllt
ex0 +h − ex0 eh − 1 (3.10) x0 = ex0 lim = e . h→0 h→0 h | {z h }
f ′ (x0 ) = lim
=1
Somit (ex )′ = ex für alle x ∈ Df .
b) Die Logarithmusfunktion g(x) := ln x, x ∈ Dg := {x ∈ R : x > 0}, hat leider keine passenden Eigenschaften, um die Ableitung direkt mithilfe des Differenzenquotienten zu berechnen. Deswegen ist ein kleiner Umweg unter
150
4 Differentialrechnung
Zuhilfenahme der Eigenschaft eln x = x erforderlich. Sei ε > 0, dann setzen wir y0 + ε := ln(x0 + h) =⇒ x0 + h = ey0 +ε , =⇒ x0 = ey0 .
y0 := ln x0 Damit ergibt sich dann g ′ (x0 ) = lim
h→0
ln(x0 + h) − ln x0 ln(x0 + h) − ln x0 = lim h→0 h (x0 + h) − x0
(y0 + ε) − y0 1 ε (3.10) 1 1 1 = y0 lim ε = = ln x0 = . y +ε y y 0 0 0 ε→0 e −e e ε→0 e − 1 e e x0 | {z } =1
= lim
Somit (ln x)′ =
1 für alle x ∈ Dg . x
Beispiel 4.5. Die Betragsfunktion f (x) := |x|, x ∈ Df := R, ist differenzierbar mit Ausnahme des Punktes x0 = 0, denn dort gilt d+ f f (h) − f (0) |h| h (x0 ) := lim = lim = lim = +1, h→0 h→0+ h h→0+ h dx h d− f f (−h) − f (0) | − h| | − h| (x0 ) := lim = lim = − lim = −1. h→0 h→0− −h h→0− | − h| dx −h Wir haben in x0 = 0 verschiedene rechts- und linksseitige Grenzwerte der Differenzenquotienten, deshalb existiert f ′ (0) nicht. Insgesamt gilt +1 : x > 0, ′ f (x) = −1 : x < 0, ∄ : x=0 oder eleganter geschrieben (|x|)′ = sign x für alle x ̸= 0.
4.1 Ableitungsbegriff
151
Folgerung 4.6. Existiert an einer Stelle x0 ∈ Df nur der links- bzw. rechtsseitige Grenzwert des Differenzenquotienten einer Funktion f oder sind die beiden Grenzwerte verschieden, dann nennen wir diese jeweils die linksbzw. rechtsseitige Ableitung von f . Der Limes (4.1) kann also nur als einseitiger Grenzwert existieren und heißt für h > 0 d− f 1 (x0 ) := lim f (x0 − h) − f (x0 ) die linksseitige Ableitung, h→0 h dx + d f 1 2. (x0 ) := lim f (x0 + h) − f (x0 ) die rechtsseitige Ableitung h→0 h dx 1.
von f in x0 . Beispiel 4.7. Die Wurzelfunktion √ f (x) := x, x ∈ Df := {x ∈ R : x ≥ 0} ist differenzierbar mit Ausnahme des Randpunktes x0 = 0, denn dort gilt √ d+ f f (h) − f (0) h 1 (x0 ) = lim = lim = lim √ = +∞. h→0+ h→0+ h h→0+ dx h h Für x0 > 0 ergibt sich mithilfe des Differenzenquotienten √ √ x0 + h − x0 f (x0 + h) − f (x0 ) ′ f (x0 ) = lim = lim h→0 h→0 h h = lim √ h→0
1 1 √ = √ . 2 x0 x0 + h + x0
Somit √ 1 ( x )′ = √ für alle x > 0. 2 x
Beispiel 4.8. Gegeben sei die Heaviside-Funktion 1 : x ≥ 0, f (x) := x ∈ Df := R. 0 : x < 0, Die einzig interessante Stelle ist der Punkt x0 = 0. Dort existiert der rechtsseitge Grenzwert des Differenzenquotienten und lautet
152
4 Differentialrechnung
d+ f f (x0 + h) − f (x0 ) 1−1 (x0 ) = lim = lim = 0. h→0 h→0 dx h h Der linksseitige Grenzwert des Differenzenquotienten gen nicht, da f (0) ̸= 0 gilt.
d− f dx (x0 )
existiert dage-
Wir hätten bei x0 = 0 mit dem tatsächlichen Funktionswert f (0) = 1 die Grenzwertbetrachtung d− f f (x0 − h) − f (x0 ) 0−1 (x0 ) = lim = lim = ∞. h→0 h→0 −h dx −h
Beispiel 4.9. Die Signum-Funktion (vgl. +1 sign(x) := 0 −1
Definition 1.2) lautet :
x > 0,
:
x = 0,
:
x < 0,
wobei x ∈ Df := R. Die beiden einseitigen Ableitungen nicht, da f (0) ̸= ±1. gilt.
d± f dx (0)
existieren
Wir hätten bei x0 = 0 mit dem tatsächlichen Funktionswert f (0) = 0 die Grenzwertbetrachtungen d± f f (x0 ± h) − f (x0 ) ±1 − 0 (x0 ) = lim = lim = ∞. h→0 h→0 dx ±h ±h Beispiel 4.10. Gegeben sei die stetige Funktion f (x) := x|x|, x ∈ Df = R. Diese Abbildung kann auch in der Form x2 : x ≥ 0, f (x) = −x2 : x < 0 geschrieben werden (vgl. Beispiel 3.30). An der Stelle x0 = 0 stimmen rechtsund linksseitiger Grenzwert der Differenzenquotienten überein. Für beide gilt d± f f (x0 ± h) − f (x0 ) (x0 ) = lim = ± lim h = 0. h→0 h→0± dx ±h Somit ist f auf ganz Df (insbesondere für x0 = 0) differenzierbar und gemäß Beispiel 4.3 gilt
4.1 Ableitungsbegriff
153
2x : x ≥ 0, (x|x|)′ = −2x : x < 0.
Die Beispiele des gegenwärtigen Abschnittes beherbergen verschieden Eigenschaften hinsichtlich der Differentiation, welche nun systematisch zusammengefasst und verallgemeinert werden. Satz 4.11. Sei f : Df → R, Df ⊂ R. 1. Ist f im Punkt x0 ∈ Df differenzierbar, dann ist f im Punkt x0 ∈ Df auch stetig. Die Umkehrung gilt nicht. 2. Stimmen links- und rechtsseitiger Grenzwert der Differenzenquotienten von f im Punkt x0 ∈ Df überein, dann ist f im Punkt x0 ∈ Df auch differenzierbar. Die Umkehrung gilt natürlich auch. 3. Ist f im Punkt x0 ∈ Df unstetig, dann kann dort keine Ableitung vorliegen.
Beweis. Sei f : Df → R und x0 ∈ Df . Dann gelten: 1. Die Stetigkeit resultiert aus der Beziehung f (x0 + h) − f (x0 ) lim f (x0 + h) − f (x0 ) = lim · h = f ′ (x0 ) · 0 = 0. h→0 h
h→0
Dass die Umkehrung nicht gilt, belegt Beispiel 4.5 für x0 = 0. 2. Bei den beiden einseitigen Differenzenquotienten wird stets von h > 0 ausgegangen, beim Differenzenquotienten vom vorzeichenunabhängigen h ∈ R, was der Sachverhalt erklärt. 3. An Unstetigkeitsstellen existiert höchstens eine der beiden einseitigen Ableitungen. qed Bemerkung 4.12. I. Allg. gilt der Zusammenhang: lim f ′ (x) ̸= lim
x→x0 ±
x→x0 ±
f (x) − f (x0 ) . x − x0
(4.2)
154
4 Differentialrechnung
Beispiel 4.9 bestätigt obige Bemerkung, denn für x ̸= 0 resultiert 0 : x > 0, ′ sign(x) := 0 : x < 0 und somit gilt für die beiden Grenzwerte der Ableitungsfunktion ′ lim sign(x) = 0. x→0±
Gleichzeitig wissen wir, dass die beiden einseitigen Ableitungen, also die d± sign Grenzwerte der entsprechenden Differenzenquotienten dx (x0 ) für x0 = 0 nicht existieren. Beispiel 4.13. Gegeben seien die Funktionen f (x) := sin(x) und g(x) := cos(x) mit Df = Dg = R. Wir berechnen die Ableitung des Produktes der beiden trigonometrischen Funktionen f (x)g(x) := sin(x) cos(x), x ∈ Df ∩ Dg := R. Mithilfe des Differenzenquotienten ergibt sich folgende längere Rechnung: f (x)g(x)
′
= lim
f (x0 + h)g(x0 + h) − f (x0 )g(x0 ) h
= lim
sin(x0 + h) cos(x0 + h) − sin(x0 ) cos(x0 ) h
h→0
h→0
(∗)
= lim
h→0
sin(x0 + h) cos(x0 + h) − sin(x0 + h) cos(x0 ) h
sin(x0 + h) cos(x0 ) − sin(x0 ) cos(x0 ) h sin(x0 + h) cos(x0 + h) − cos(x0 ) = lim h→0 h cos(x0 ) sin(x0 + h) − sin(x0 ) + lim h→0 h + lim
h→0
(∗∗)
= sin(x0 ) lim h→0 |
cos(x0 + h) − cos(x0 ) {z h }
+ cos(x0 ) lim h→0 |
(I)
sin(x0 + h) − sin(x0 ) , {z h } (II)
4.1 Ableitungsbegriff
155
wobei in (∗) der Differenzenquotient durch den Term − sin(x0 + h) cos(x0 ) + sin(x0 + h) cos(x0 ) = 0 ergänzt und in (∗∗) bereits der Grenzübergang lim sin(x0 + h) = sin(x0 )
h→0
durchgeführt wurde. Wir berechnen die Grenzwerte (I) und (II) unter Zuhilfenahme der Additionstheoreme für cos und sin (siehe Rechenregeln 1.78). Wir erhalten (I) : lim h→0 |
cos(x0 + h) − cos(x0 ) cos(x0 ) [cos(h) − 1] − sin(x0 ) sin(h) = lim h→0 h {z h } ′ = cos(x0 )
= cos(x0 ) lim h→0 |
(II) : lim h→0 |
cos(h) − 1 sin(h) − sin(x0 ) lim = − sin(x0 ) . h→0 h {z } | {z h } =0 =1
sin(x0 + h) − sin(x0 ) sin(x0 ) [cos(h) − 1] + cos(x0 ) sin(h) = lim h→0 h h {z } ′ = sin(x0 )
= sin(x0 ) lim h→0 |
cos(h) − 1 sin(h) + cos(x0 ) lim = h→0 {z h } | {z h } =0 =1
cos(x0 ) .
Insgesamt ergibt sich damit sin(x) cos(x)
′
= − sin2 (x) + cos2 (x) für alle x ∈ R.
Beispiel 4.14. Gegeben sei die Tangens-Funktion definiert durch tan(x) :=
sin(x) 1 , x ∈ Dtan := {x ∈ R : x ̸= k + π, k ∈ Z}. cos(x) 2
Mithilfe des Differenzenquotienten und den Resultaten aus dem vorangegangenen Beispiel erhalten wir folgende Berechnung:
156
4 Differentialrechnung
tan(x)
′
= lim
h→0
1 sin(x0 + h) sin(x0 ) − h cos(x0 + h) cos(x0 )
1 sin(x0 + h) − sin(x0 ) cos(x0 ) h→0 cos(x0 ) cos(x0 + h) h 1 cos(x0 + h) − cos(x0 ) − lim sin(x0 ) h→0 cos(x0 ) cos(x0 + h) h
= lim
=
1 sin(x0 + h) − sin(x0 ) cos(x0 ) lim h→0 cos2 (x0 ) h − lim
h→0
=
1 cos(x0 + h) − cos(x0 ) sin(x0 ) lim h→0 cos2 (x0 ) h
cos2 (x0 ) + sin2 (x0 ) 1 = . 2 2 cos (x0 ) cos (x0 )
Somit tan(x)
′
=
1 für alle x ∈ Dtan . cos2 (x)
Entsprechendes ergibt sich für die Cotangens-Funktion cot(x) :=
cos(x) , x ∈ Dcot = {x ∈ R : x ̸= kπ, k ∈ Z}. sin(x)
Wir erhalten cot(x)
′
=
−1 für alle x ∈ Dcot . sin2 (x)
4.2 Ableitungsregeln Das letzten beiden Beispiele 4.13 und 4.14 haben gezeigt, dass die Berechnung der Ableitungen elememtarer Funktionen mithilfe von Differenzenquotienten überaus umfangreich werden können. Deshalb formulieren wir eine Reihe von Differentiationsregeln um damit komplizierte Grenwertbestimmungen zu vereinfachen oder gar zu vermeiden.
4.2 Ableitungsregeln
157
Satz 4.15 (Summen-, Produkt-, Quotientenregel). Die Funktionen f, g : R → R seien im Punkt x0 ∈ Df ∩ Dg ⊂ R differenzierbar. Dann sind f ± g, f · g und für g(x0 ) ̸= 0 auch f /g in diesem Punkt differenzierbar. Es gelten folgende Regeln: (f ± g)′ (x0 ) = f ′ (x0 ) ± g ′ (x0 )
(Summenregel).
(f · g)′ (x0 ) = f ′ (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g ′ (x0 )
(Produktregel).
f (x0 ) g(x0 )
′ =
f ′ (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g ′ (x0 ) g 2 (x0 )
(Quotientenregel).
Beispiel 4.16. Gegeben sei die rationale Funktion r(x) :=
x5 − 3x2 + 5x − 2 , x ∈ Dr := R \ {−1, 2}. (x − 2)2 (x + 1)
Mit der Quotientenregel ergibt sich nach einer kurzen Rechnung
x5 − 3x2 + 5x − 2 (x − 2)2 (x + 1)
′
=
(5x4 − 6x + 5)(x − 2)2 (x + 1) − (x5 − 3x2 + 5x − 2)(x − 2)3x (x − 2)4 (x + 1)2
=
2x6 − 5x5 − 10x4 + 3x3 − 4x2 + 13x − 10 für alle x ∈ Dr . (x − 2)3 (x + 1)2
Mithilfe des Differenzenquotienten würden sich die Berechnungen extrem in die Länge ziehen.
Die nun folgende Kettenregel für die Komposition von Funktionen ist eine der wichtigsten Differentiationsregeln: Satz 4.17 (Kettenregel). Für die Funktionen f, g : R → R sei durch f ◦ g die Komposition zumindest in einem offenen Intervall I ⊆ Dg ⊂ R erklärt. Sind die Funktionen g im Punkt x0 ∈ I und f im Punkt g(x0 ) differenzierbar, dann ist auch f ◦ g in x0 differenzierbar und es gilt die Kettenregel
158
4 Differentialrechnung
(f ◦ g)′ (x0 ) = f (g(x0 )
′
= f ′ g(x0 ) · g ′ (x0 ).
Beispiel 4.18. Die Ableitung der abklingenden Exponentialfunktion f (x) := e−x =
1 , x ∈ Df := R, ex
kann sowohl mit der Quotienten- als auch mit der Kettenregel abgeleitet werden. Es gilt zunächst für ein beliebiges x0 ∈ R ′ 1 −ex0 = = −e−x0 . ex0 e2x0 Mit f (y) = ey und g(x) = −x ist (f ◦ g)(x) = f (g(x) = e−x , also ergibt sich f (g(x0 )
′
= f ′ g(x0 ) · g ′ (x0 ) = e−x0 · (−1).
Zusammenfassend ist also e−x
′
= −e−x für alle x ∈ Df .
Beispiel 4.19. Die beiden auf ganz R definierten Hyperbelfunktionen Cosinus hyperbolicus und Sinus hyperbolicus sind lineare Kombinationen der Exponentialfunktion wie folgt:
cosh x =
ex + e−x , 2
sinh x =
ex − e−x . 2
Aus der Summenregel der Differentiation und dem Beispiel davor resultiert (cosh x)′ =
ex − e−x = sinh x, 2
(sinh x)′ =
ex + e−x = cosh x. 2
Es gilt der Zusammenhang cosh2 x − sinh2 x = 1.
(4.3)
4.2 Ableitungsregeln
159
cosh x
1 _ e-x 1 _ ex 2 1 _ 2 2
sinh x x
1 _ e-x 2
1
1 _ ex 2
x Graph von cosh x
Graph von sinh x
Beispiel 4.20. Wir leiten die auf Df := {x ∈ R : −1 ≤ x ≤ 1 stetige Funktion p f (x) := 1 − |x| ab. Die Kettenregel liefert −1 2√1 − x : x > 0, f ′ (x) = 1 √ : x < 0. 2 1+x Mit der Beziehung x/|x| = ±1 gilt dann p ′ 1 − |x| = −
2|x|
x p für alle x ∈ Df \ {0}. 1 − |x|
Als einfache Übung bestätigen Sie, dass die einseitigen Ableitungen mit den beidseitigen Grenzwerten der Ableitungsfunktion im folgenden Sinne übereinstimmen (vgl. dazu auch Satz 4.11): d± f 1 (0) = lim f ′ (x) = ∓ . x→0± dx 2 Im Nullpunkt hat f natürlich keine Ableitung.
160
4 Differentialrechnung
Beispiel 4.21. Wir berechnen jetzt an der Stelle x0 = 1 die Tangente T (x) = f (x0 ) + f ′ (x0 )(x − x0 ) der Abbildung f (x) :=
p
e
√
x−1 ,
Df = {x ∈ R : x ≥ 0}.
Zweifache Anwendung der Kettenregel liefert √
f ′ (x) =
e
x−1
·
1 √
2 x
√ √ 2 e x−1 √ √ e x−1 √ . = 4 x
√ √ · e x−1 2 x √ √ = √ √ 2 e x−1 · e x−1 √
e
x−1
·
1 √
Mit f (1) = 1 resultiert daraus 1 T (x) = 1 + (x − 1). 4
Die Berechnung der Ableitung des Logarithmus mithilfe des Differenzenquotienten, wie es im Beispiel 4.4 b) durchgeführt wurde, erwies sich als sehr trickreich. Es wurde soz. ein „Umweg“ über die Expoentialfunktion eingeschlagen. Dahinter verbirgt sich folgende allgemeine Regel: Satz 4.22 (Ableitung der Umkehrfunktion). Die reelle Funktion y = f (x) sei auf einem Intervall I ⊆ R stetig und besitze die Umkehrfunktion f −1 : f (I) → R. Ist f im Punkt x0 ∈ I differenzierbar mit f ′ (x0 ) ̸= 0, so ist auch f −1 im Punkt y0 := f (x0 ) differenzierbar und es gilt ′ 1 1 . f −1 (y0 ) = ′ = ′ −1 f (x0 ) f f (y0 )
Beweis. Für eine beliebige Nullfolge 0 ̸= εn ∈ R mit y0 + εn ∈ f (I) setzen wir xn := f −1 (y0 + εn ). Da die Umkehrfunktion f −1 stetig ist, folgern wir lim xn = f −1 (y0 ) = x0 . Damit ergibt sich (vgl. Beispiel 4.4 b)): n→∞
4.2 Ableitungsregeln
161
′ f −1 (y0 + εn ) − f −1 (y0 ) xn − x0 f −1 (y0 ) = lim = lim n→∞ n→∞ εn f (xn ) − f (x0 ) −1 f (xn ) − f (x0 ) 1 = lim = ′ . n→∞ xn − x0 f (x0 ) qed
Besondere Aufmerksamkeit widmen wir dem nun folgenden Beispiel 4.23. Gegeben seien die beiden Funktionen x ∈ Dh := R,
h(x) := arctan x, g(x) := arctan
1 + x 1−x
, x ∈ Dg := R \ {1}.
Wir beginnen mit h und verwenden zur Bestimmung der Ableitung Satz 4.22, indem wir h als die Inverse von tan betrachten. Damit gilt 1 = (tan x0 )′ x0 =arctan y0
(arctan y0 )′ =
1 1 cos2 (arctan y0 )
1 cos2 (arctan y0 ) + sin2 (arctan y0 ) cos2 (arctan y0 )
=
1 1 = , 1 + y02 1 + tan2 (arctan y0 )
=
da cos2 (x) + sin2 (x) = 1 für alle x ∈ R. Zusammenfassend ist also ′
(arctan x) =
1 für alle x ∈ Dh . 1 + x2
Mit diesem Resultat erhalten wir in Verbindung mit der Kettenregel g ′ (x) = 1+ Es gilt auch hier
1 1 + x 2 · 1−x
2 1 = . (1 − x)2 1 + x2
162
4 Differentialrechnung
arctan
1+x 1−x
′ =
1 für alle x ∈ Dg . 1 + x2
Wir haben das äußerst überraschende Ergebnis h′ (x) = g ′ (x) bzw. g ′ (x) − h′ (x) = 0 für alle R \ {1}.
(4.4)
Was verbirgt sich also hinter diesem Resultat? Wir klären auf! Zunächst gelten lim±
x→1
1+x 2 = lim± − 1 − = ∓∞, 1−x 1−x x→1
1+x 2 = lim −1− = −1. x→±∞ 1 − x x→±∞ 1−x lim
Daraus ergeben sich wegen der Stetigkeit des arctan die Grenzwerte lim± arctan
x→1
und lim arctan
x→±∞
1 + x π =∓ 1−x 2
1 + x 1−x
π = arctan(−1) = − . 4
(4.5)
(4.6)
Bei x = 1 liegt demnach ein Sprung der Höhe π vor. Für die Differenz f := g − h gelten mit arctan 1 = π/4 und den Grenzwerten (4.6) und (4.5) folgende Auswertungen: 3 lim f (x) = − π und 4 1 lim f (x) = π und − 4 x→1 x→1+
3 lim f (x) = − π, 4 1 lim f (x) = π. x→−∞ 4 x→+∞
Da zudem f ′ (x) = 0 für x ̸= 1, folgern wir die Darstellung 3 − π : x > 1, 4 f (x) = 1 π : x < 1. 4
(4.7)
Demnach unterscheiden sich h und g auf den beiden Ästen (−∞, 1) und (1, ∞) jeweils nur durch eine Konstante, womit die anfängliche Verblüffung bei (4.4) jetzt zum Aha-Effekt umschlagen sollte.
4.2 Ableitungsregeln
163
Beispiel 4.24. Auf ähnliche Art und Weise werden die Ableitungen der anderen sog. zyklometrischen Funktionen (siehe Beispiel 3.10) berechnet. Wir fassen zusammen: 1 1 − x2 ′ −1 arccos x = √ 1 − x2 ′ 1 arctan x = 1 + x2 ′ −1 arccot x = 1 + x2 arcsin x
′
= √
für alle x ∈ (−1, +1), für alle x ∈ (−1, +1), für alle x ∈ R, für alle x ∈ R.
Beispiel 4.25. Völlig analog zu Beispiel 4.23 verhält sich p f (x) := arcsin x + arcsin sign x · 1 − x2 . Hieraus resultiert die Darstellung π 2 f (x) = −π 2
:
x ∈ (0, 1],
:
x ∈ [−1, 0).
Es lohnt sich, dies zu überprüfen! Ein ähnliches Resultat liefert auch p g(x) := arccos x + arccos sign x · 1 − x2 . Beispiel 4.26. Die Beziehung (4.7) kann auch ohne Differentialrechnung hergeleitet werden. Dazu verwenden wir das Additionstheorem tan(α − β) =
tan α − tan β , 1 + tan α · tan β
welches sehr einfach mit den Additionstheoremen 1.78 für cos und sin als empfehlenswerte Übung nachgerechnet werden kann. Mit 1+x α := arctan und β := arctan x 1−x erhalten wir damit tan(α − β) =
1+x 1−x − x 1+x 1 + 1−x x
=
(1 + x) − x(1 − x) 1 + x2 = = 1. (1 − x) + x(1 + x) 1 + x2
164
4 Differentialrechnung
Die Periodizität des Tangens liefert gemäß (1.70) die Beziehung 1 + x π f (x) := arctan − arctan x = + kπ, k ∈ Z. 1−x 4 | {z } =α−β Da beispielsweise f (0) = π/4 und
3 lim f (x) = − π, 4
x→+∞
lässt sich Darstellung (4.7) folgern, also k = −1 auf (1, ∞) und k = 0 auf (−∞, 1).
4.3 Regeln von L’Hospital Wir greifen nochmals Grenzwertbetrachtungen von Funktionen auf und formulieren dazu einige Beispiele. Beispiele 4.27. Sei dazu x ∈ (0, ∞), dann erhalten wir x 0 = =0 x→0 cos x 1
a) lim
,
cos x 1 = =∞ x 0
,
cos x 1 = =0 x→0 cot x ∞
,
b) lim
x→0
c) lim
cot x ∞ = =∞ , x→0 cos x 1
d) lim
e) lim ex + x2 = ∞ + ∞ = ∞ x→∞
.
Wir verallgemeinern bzw. ergänzen obige formale Rechenregeln in der nachfolgenden Tabelle. Dazu bezeichnen f, g, h reellwertige Funktionen mit den uneigentlichen Grenzwerten lim f (x) = lim h(x) = +∞
4.3 Regeln von L’Hospital
165
und dem Grenzwert lim g(x) = r ∈ R.
Limes–Regel (i)
lim [f (x) + g(x)] = +∞
Formale Rechenregel ∞ + r = ∞ für alle r ∈ R
(ii) lim [f (x) g(x)] = +∞ falls r > 0 ∞ · r = ∞ für alle r > 0
(iii) lim [f (x) h(x)] = +∞
∞·∞=∞
(iv) lim [f (x) + h(x)] = +∞
∞+∞=∞
(v)
lim
(vi) lim
g(x) =0 f (x)
r = 0 für alle r ∈ R ∞
f (x) = +∞ falls r > 0 g(x)
∞ = ∞ für alle r > 0 r
(4.8)
Bemerkung 4.28. Es fehlen noch formale Rechenregeln für die unbestimmten Ausdrücke 0 ∞ , , 0 · ∞, ∞ − ∞. 0 ∞ Diese Rechenregeln können i. Allg. nicht durch algebraische Operationen aus den Grenzwerten der einzelnen Funktionen erschlossen werden. Erinnern wir uns nochmals gemäß (3.12) an den Grenzwert von haben hier den unbestimmten Fall
sin x x .
Wir
0 sin x = . x→0 x 0 lim
Mit Hilfe des Strahlensatzes und des Sandwichprinzips (2.5) konnte der Grenzwert 1 ermittelt werden. Dass die Bestimmung des Grenzwertes deutlich einfacher funktioniert, belegt der nun folgende Satz:
166
4 Differentialrechnung
Satz 4.29 (Regel von L’Hospital für 00 ). Die reellen Funktionen f, g ∈ Abb (R, R) seien differenzierbar im gelochten Intervall (a, b) \ {x0 } und es gelte lim f (x) = 0 = lim g(x),
x→x0
x→x0
g ′ (x) ̸= 0 ∀ x ∈ (a, b) \ {x0 }.
Existiert der Grenzwert c := lim f ′ (x)/g ′ (x), so gilt für den unbex→x0
stimmten Ausdruck lim
x→x0
f (x) f ′ (x) = lim ′ = c. g(x) x→x0 g (x)
(4.9)
Es kann auch x0 = a oder x0 = b gelten (einseitige Grenzwerte). Ferner sind die Fälle x0 = a = −∞ oder x0 = b = +∞ zugelassen, ebenso die uneigentlichen Grenzwerte c = ±∞.
Beispiele 4.30. Einige der nachfolgenden Grenzwerte der unbestimmten Form 00 wurden bereits mit algebraischen Methoden in Abschnitt 3.2 berechnet. Wir verwenden jetzt die Regel von L’Hospital und kennzeichnen die entsprechenden Stellen mit L’H. a) lim
x→0
sin x L′ H cos x = lim = 1. x→0 x 1
eax − 1 L′ H aeax = lim = a. x→0 x→0 1 x
b) lim
tan x 1/ cos2 x = lim = 1. x→0 x→0 x 1
c) lim
Bemerkung 4.31. Die Regel von L’Hospital gilt auch für den unbestimmten Fall f (x) ∞ lim = . x→x0 g(x) ∞ Beispiele 4.32. Jetzt bestimmen wir Grenzwerte der unbestimmten Form ∞ ∞ mit der Regel von L’Hospital und kennzeichnen die entsprechenden Stellen auch hier mit L’H. x L′ H 1 = lim x = 0. x→∞ ex x→∞ e
a) lim
4.3 Regeln von L’Hospital
b) lim
x→∞
167
ln x L′ H 1/x 1 = lim x = lim = 0. x→∞ e x→∞ xex ex
ln x L′ H 1/x 1 = lim = lim = 0. x→∞ xn x→∞ nxn−1 x→∞ nxn
c) lim
Führt die Anwendung der Regel von L’Hospital wieder auf einen unbestimmten Fall, darf die Regel solange weitergeführt werden, bis sich ein erlaubter formaler Ausdruck ergibt. Beispiele 4.33. In den nachfolgenden Grenzwertbestimmungen treten bei der Anwendung der Regel von L’Hospital die unbestimmten Fälle 00 und ∞ ∞ jeweils mehrfach hintereinander auf. x − sin x L′ H 1 − cos x sin x L′ H = lim = lim = 0. x→0 x sin x x→0 sin x + x cos x x→0 2 cos x − x sin x
a) lim
b) lim
x2 ex L′ H 2x + x2 L′ H 2 + 2x L′ H 2 = lim = lim = lim = 0. 2 x x→∞ 2(e − 1) x→∞ 2ex x→∞ 2ex − 1)
x→∞ (ex
Beispiel 4.34. Wie oft muss die Regel von L’Hospital im nachfolgenden Beispiel angewandt werden, um auf einen auswertbaren Ausdruck zu kommen? Hier ist die Antwort: xn L′ H nxn−1 L′ H n! L′ H = lim = · · · = lim x = 0. x x→∞ ex x→∞ x→∞ e {z e | } n − mal lim
Beispiel 4.35. Etwas unfangreicher wird die Grenzwertbestimmung für lim
x→ π 2
Hier liegt der unbestimmte Fall L’Hospital führt zunächst auf limπ
x→ 3
tan(3x) =? tan x ∞ ∞
vor. Die Anwendung der Regel von
tan(3x) L′ H 3/ cos2 (3x) 3 cos2 x = limπ = lim , 2 x→ 2 1/ cos2 x x→ π tan x 2 cos (3x)
also auf den jetzt unbestimmten Fall 00 . Bevor wir erneut die besagte Regel anwenden, formen wir zuerst an der nachfolgenden mit (∗) markierten Stelle um und differenzieren erst dann gemäß L’Hospital. Wir erhalten
168
4 Differentialrechnung
limπ
x→ 2
3 cos2 x (∗) = 3· cos2 (3x) L′ H
cos x cos(3x)
limπ
sin x 3 sin(3x)
lim
tan(3x) 1 = . tan x 3
x→ 2
= 3·
2
limπ
x→ 2
2
=3·
1 3 · (−1)
2 =
1 . 3
Zusammenfassend ist also x→ π 2
Wenn obige Umformung bei (∗) nicht durchgeführt wird, sind noch zwei weitere L’Hospital-Schritte notwendig, um ans Ziel zu gelangen. Dies nachzurechnen überlasse ich Ihnen. Wir kommen zu Beispielen, bei denen die Regel von L’Hospital aus unterschiedlichen Gründen nicht greift. Gegenbeispiele 4.36. Bei den Berechnungen nachfolgender Grenzwerte mithilfe von L’Hospital wird es uns schwindelig, wie Sie in wenigen Momenten gesehen haben werden. a) Sei f (x) x := lim √ . x→∞ g(x) x→∞ 1 + x2 lim
Wir haben die vielversprechende Situation f (x) ∞ = . x→∞ g(x) ∞ lim
Dummerweise drehen wir uns nur im Kreis, denn √ f ′ (x) 1 + x2 g(x) = = , ′ g (x) x f (x) f ′′ (x) x f (x) = √ = , 2 g ′′ (x) g(x) 1+x .. . Tatsächlich bekommen wir mit algebraischen Umformungen x · x1 f (x) 1 = lim √ = lim r = 1. 1 x→∞ g(x) x→∞ x→∞ 1 1 + x2 · +1 x x2 lim
4.3 Regeln von L’Hospital
169
b) Ähnlich ergeht es uns mit f (x) ex − e−x := lim x . x→∞ g(x) x→∞ e + e−x lim
Wir haben auch hier die Situation lim
x→∞
f (x) ∞−0 ∞ = = . g(x) ∞+0 ∞
Und schon wieder drehen wir uns nur im Kreis, denn f ′ (x) ex + e−x g(x) = x = , ′ g (x) e − e−x f (x) f ′′ (x) ex − e−x f (x) = = , g ′′ (x) ex + e−x g(x) .. . Algebraische Umformungen ergeben f (x) 1 − e−2x = lim = 1. x→∞ g(x) x→∞ 1 + e−2x lim
Bei manchen Grenzwertbestimmungen sind die Voraussetzung des Satzes 4.29 nicht erfüllt, weshalb die Anwendung der Regel von L’Hospital also nicht möglich ist. Gegenbeispiel 4.37. Wir haben auch hier wieder den vielversprechenden Fall sin x + x ∞ lim = , x→∞ cos x + x ∞ denn hier greift die in (4.8) formulierte Limesregel (i), welche auch dann Gültigkeit hat, selbst wenn limx→∞ g(x) nicht existiert, jedoch beschränkt bleibt. Dies trifft bei g(x) = sin x oder g(x) = cos x für x → ∞ zu. Es spricht also zunächst nichts gegen die Anwendung der L’Hospitalschen Regel. Wir erhalten jedoch lim
x→∞
sin x + x L′ H cos x + 1 = lim , x→∞ − sin x + 1 cos x + x
wobei der letzte Grenzwert nicht existiert und folglich die Voraussetzungen des Satzes 4.29 nicht erfüllt sind. Folgende kleine algebraische Umformung führt jedoch schnell zum Ziel:
170
4 Differentialrechnung
sin x + x = lim x→∞ cos x + x x→∞ lim
sin x x cos x x
+1 0+1 = = 1. +1 0+1
Gegenbeispiel 4.38. Auch bei diesem Grenzwert deutet alles auf die Regel von L’Hospital hin, denn x2 cos(1/x) 0 · beschränkt 0 = = . x→0 sin x 0 0 lim
Wir erhalten aber x2 cos(1/x) L′ H 2x cos(1/x) − x2 sin(1/x) · (−1/x2 ) = lim x→0 x→0 sin x cos x 2x cos(1/x) + sin(1/x) = lim , x→0 cos x lim
worin der letzte Grenzwert nicht existiert, denn setzen wir die Nullfolge xk :=
1 (k + 1/2)π
ein, dann werden für k → ∞ die alternierende Werte (−1)k cos xk angenommen. Folglich bleiben die Voraussetzungen des Satzes 4.29 unerfüllt. Ohne algebraische Änderungen, sondern lediglich anders hingeschrieben ergibt x2 cos(1/x) x lim = lim · lim x cos(1/x) = 1 · 0 = 0. x→∞ x→∞ sin x x→0 sin x | {z } =0·beschränkt
Wir kommen jetzt zum unbestimmten Fall 0 · ∞ . Dieser Fall entspricht einem Grenzwert lim f (x)g(x), worin lim f (x) = 0 und lim g(x) = ∞. x→x0
x→x0
x→x0
Stattdessen formen wir um auf einen der beiden nachfolgenden unbestimmten Ausdrücke: lim
x→x0
f (x) 0 = 1/g(x) 0
oder
lim
x→x0
g(x) ∞ = , 1/f (x) ∞
wobei x0 ∈ R ∪ {±∞}. Beispiel 4.39. Die folgenden Grenzwerte sind vom besagten Typ:
4.3 Regeln von L’Hospital
171
a) Es seien α > 0, β > 0 beliebige Zahlen. ln x L′ H 1 = lim = 0, x→0+ x−α x→0+ −α x−α
lim xα ln x = lim
x→0+
α
β
lim x (ln x) = lim
x→0+
h
x→0+
x
α/β
ln x
iβ
=
lim x
x→0+
α/β
β ln x
= 0,
wobei der letzte Grenzwert auf den davor zurückgeführt wurde. ln(1 + x1 ) 1 b) lim x ln 1 + = lim x→+∞ x→∞ x x−1 L′ H
(1 + x1 )−1 (−x−2 ) = 1. x→∞ (−x−2 )
= lim
(x − π2 ) π c) limπ x − tan x = limπ x→ 2 x→ 2 2 cot x L′ H
= limπ x→ 2
1 = −1. −1/ sin2 x
Auch im nachfolgenden Beispiel funktioniert L’Hospital zunächst nicht: Gegenbeispiel 4.40. Der Grenzwert 2 lim ex − 1 · ln2 x x→0+
hat die unbestimmte Form 0 · ∞. Also wandeln wir diesen um in 2
lim
ex − 1
x→0+
1 ln2 x
=
0 . 0
Wenden wir jetzt L’Hospital an, dann resultiert lim
x→0+
2xex
2
−2 x ln3 x
=
0 . 0
Wir sind also nicht weitergekommen. Bevor wir jetzt erneut (vergeblich) L’Hospital anwenden, formen wir den ursprünglichen Grenzwert ein wenig um in
172
4 Differentialrechnung 2
2
ex − 1 · x ln2 x = x→0+ x
2 √ ex − 1 · lim x ln x x→0+ x→0+ x !2 2 ex − 1 ln x = lim · lim √1 x→0+ x→0+ x x !2
lim
lim
L′ H
=
=
1 x −1 2x3/2
2
lim 2xex · lim
x→0+
x→0+
lim 2xe
x→0+
x2
·
√ lim −2 x
2 = 0 · 0 = 0.
x→0+
Wir besprechen jetzt den unbestimmten Fall ∞ − ∞ . Dieser Fall ent spricht einem Grenzwert der Form lim f (x) − g(x) mit lim f (x) = ∞ = x→x0
x→x0
lim g(x). Wir betrachten stattdessen den unbestimmten Ausdruck
x→x0
g(x) lim f (x) 1 − , x→x0 f (x) wobei x0 ∈ R ∪ {±∞} und verschiedene Fälle zu unterscheiden sind: g(x) < 1 a) lim x→x0 f (x) > 1 b) lim
x→x0
g(x) =1 f (x)
=⇒ =⇒
=⇒
lim f (x) − g(x) = +∞, lim f (x) − g(x) = −∞.
x→x0 x→x0
lim f (x) − g(x) hat die Form ∞ · 0 .
x→x0
Beispiel 4.41. Dazu entsprechend betrachten wir die Grenzwerte. a) a. lim
x→0+
i 1 1 1h x 1 − = lim 1− = ∞ · = ∞. x→0+ x x 2 ln(1 + x) 2 ln(1 + x) 2 | {z } →1/2
| b. lim
x→0+
{z
→1/2
}
i 1 2 1h 2x − = lim 1− = ∞ · (−1) = −∞. x→0+ x x ln(1 + x) ln(1 + x) | {z } →2 | {z } →−1
4.3 Regeln von L’Hospital
173
b) a. Bei der Grenzwertbestimmung von 1 1 lim − x→0+ x ln(1 + x) gilt lim
x→0+
g(x) x = lim = 1, f (x) x→0+ ln(1 + x)
also ergibt sich hier schon mal kein uneigentlicher Grenzwert ±∞. Eine geringfügige Modifikation liefert jetzt 1 1 ln(1 + x) − x lim − = lim x→0+ x x→0+ x ln(1 + x) ln(1 + x) L′ H
=
= L′ H
=
lim
1/(1 + x) − 1 x/(1 + x) + ln(1 + x)
lim
−x x + (1 + x) ln(1 + x)
lim
−1 1 =− . 1 + ln(1 + x) + 1 2
x→0+
x→0+
x→0+
b. Bei der Grenzwertbestimmung von 1 1 lim − x→0+ sin x x treffen wir auf einen alten Bekannten lim
x→0+
g(x) sin x = lim = 1, f (x) x→0+ x
also ergibt sich auch hier kein uneigentlicher Grenzwert ±∞. Eine geringfügige Modifikation liefert jetzt 1 1 x − sin x lim − = lim x→0+ sin x x→0+ x sin x x L′ H
1 − cos x x→0+ sin x + x cos x
L′ H
sin x 0 = = 0. x→0+ 2 cos x − x sin x 2−0
=
=
lim
lim
174
4 Differentialrechnung
Wir kommen zurück zum Ausdruck 00 . In den Rechenregeln 1.20 haben wir 00 := 1 festgelegt und konnten damit eine Reihe von Formeln, wie die binomische Formel, die Exponentialreihe und die Reihen der trigonometrischen Funktionen rechtfertigen. Doch im Grunde ist der Ausdruck 00 überhaupt nicht definiert, denn dahinter verbirgt sich aufgrund der Potenzgesetze die unbestimmte Form 00 = 01−1 =
01 0 = . 1 0 0
Daher werden derartige unbestimmte Ausdrücke mit den Regeln von L’Hospital analysiert und auf Grenzwerte der Form lim f (x)g(x) mit
x→x0
lim f (x) = lim g(x) = 0
x→x0
(4.10)
x→x0
in Verbindung gebracht, wobei x0 ∈ R ∪ {±∞}. Um solche Grenzwerte zu berechnen, wird obiger Grenzprozess umgeschrieben in die Form g(x)
(∗)
lim
g(x) 1/ ln[f (x)]
lim
ln[f (x)] 1/g(x)
lim f (x)g(x) = lim eg(x) ln[f (x)] = lim e 1/ ln[f (x)] = ex→x0
x→x0
x→x0
x→x0
wobei G1 := lim
x→x0
=: eG1 ,
g(x) 0 = 1/ ln[f (x)] 0
oder gleichbedeutend in die Form ln[f (x)]
(∗)
lim f (x)g(x) = lim eg(x) ln[f (x)] = lim e 1/g(x) = ex→x0
x→x0
x→x0
x→x0
wobei G2 := lim
x→x0
=: eG2 ,
ln[f (x)] ∞ = . 1/g(x) ∞
An den mit (∗) gekennzeichneten Stellen geht die Stetigkeit der Exponentialfunktion ein, worin die Grenzwertbildung in die Potenzierung hineingezogen wurde! Insgesamt gilt G1 = G2 =: G. Wenn also gemäß L’Hospital der Grenzwert G ∈ R berechnet wird, ist eG der gesuchte Wert. Als naheliegendes Beispiel dazu betrachten wir f (x) := g(x) := x, d. h.,
4.3 Regeln von L’Hospital
175
f (x)g(x) = xx . Wir bringen dies gemäß ln x
xx = ex ln x = e 1/x auf die o. g. Form
∞ . Der Grenzwert führt mit ∞ ln x L′ H 1/x = − lim = − lim x = 0, x→0 1/x x→0 1/x2 x→0
G = lim auf das Resultat
lim xx = e0 = 1.
x→0
Dies scheint die obige Festlegung 00 := 1 zu rechtfertigen. Doch das nun folgende Gegenbeispiel f (x) = e−1/x und g(x) = x mit limx→0 f (x) = limx→0 g(x) = 0 verwirft diese kurzfristige Freude. Denn es gilt direkt, ohne die Regel von L’Hospital anwenden zu müssen, dass x g(x) lim f (x) = lim e−1/x = e−1 ̸= 1. x→0
x→0
Noch allgemeiner demonstriert das nachfolgende Gegenbespiel, dass beliebig viele Zuordnungen für unseren Ausdruck möglich sind: Gegenbeispiel 4.42. Sei a > 0 eine beliebige reelle Zahl. Dann gilt e−a = lim e−ax
2
/x2
x→0
2 2 x = lim e−a/x = 00 . x→0
Damit sind also Grenzwertbetrachtungen der Form lim f (x)
g(x)
x→0
nicht geeignet, um obige Konvention 00 := 1 zu bestätigen! Bemerkung 4.43. Da 0z = 0 für alle z > 0 gilt, wäre auch die Vereinbarung 00 := 0 denkbar. Denn gemäß (4.10) ergibt die Wahl 2
f (x) = e−1/x und g(x) = x mit limx→0 f (x) = limx→0 g(x) = 0 tatsächlich
176
4 Differentialrechnung
lim f (x)
g(x)
x→0
= lim e−1/x x→0
2 x
= lim e−1/x = 0. x→0
Gestatten Sie an dieser Stelle einen kleinen Nachtrag. Es geht um den Satz von Stolz, ein Analogon zur Regel von L’Hospital für Zahlenfolgen.
Satz 4.44 (Satz von Stolz). Sei {bn }n∈N ⊂ R eine streng monoton wachsende, unbeschränkte reelle Zahlenfolge mit strikt positiven Folgengliedern bn > 0. Sei {an }n∈N ⊂ R eine weitere reelle Zahlenfolge derart, dass der Grenzwert bn − bn−1 lim n→∞ an − an−1 existiert. Dann gilt auch bn bn − bn−1 = lim . n→∞ an n→∞ an − an−1 lim
Beispiel 4.45. Seien an := n + 1 und bn := n. Dann ergibt sich sofort bn − bn−1 n − (n − 1) = lim = 1. n→∞ an − an−1 n→∞ (n + 1) − n lim
(4.11)
Daraus rtesultiert, dass auch lim
n→∞
bn n = lim = 1. n→∞ n + 1 an
(4.12)
Betrachten wir die Angelegenheit jetzt von der anderen Seite, dann erkennen wir den unbestimmten Fall lim
n→∞
bn ∞ = . an ∞
Mit der Hilfe von (4.11) lässt sich der Grenzwert nun ermitteln. Natürlich wissen wir wie der Grenzwert in (4.12) lautet. Um dies aber formal zu bestätigen, muss Definition 2.3 herangezogen werden und das funktioniert wie folgt: limn→∞
n n+1
= 1, denn n ! = 1 < − 1 n + 1 n+1 ε
4.3 Regeln von L’Hospital
177
für alle (beliebig kleine) vorgegebenen ε > 0 genau dann, wenn 1 1 1−ε < ε ⇐⇒ n > − 1 = . n+1 ε ε
(4.13)
Wir wählen also N (ε) > 1−ε ε , so, dass N (ε) ∈ N und damit gilt dann für alle n > N (ε) obige Ungleichung (4.13). Beispiel 4.46. Seien an := tiert nicht, denn lim
n→∞
1 n
und bn := n. Nachfolgender Grenzwert exis-
bn − bn−1 n − (n − 1) = lim 1 = − lim n · (n − 1) = −∞. 1 n→∞ n→∞ an − an−1 n − n−1
Wir betrachten jetzt gesondert lim
n→∞
bn n = lim 1 = lim n2 = +∞. n→∞ n→∞ an n
Dieser Grenzwert existiert auch nicht und es liegt die Vermutung nahe, dass die Umkehrung des Satzes 4.44 gilt. Dass dies nicht stimmt, bestätigt nachfolgendes Gegenbeispiel. Gegenbeispiel 4.47. Wir betrachten jetzt die beiden Folgen {an }n∈N = {10, 10, 100, 100, 1000, 1000, 10000, 10000, · · · }, {bn }n∈N = {10, 11, 100, 101, 1000, 1001, 10000, 10001, · · · }. Es gelten an − an−1 90 900 9000 = 0, , 0, , 0, , 0, · · · , bn − bn−1 n∈N 89 899 8999
an bn
= n∈N
10 100 1000 10000 1, , 1, , 1, , 1, , ··· 11 101 1001 10001
.
Daran erkennen wir, dass der Grenzwert mit lim
n→∞
bn = 1, an
existiert, obwohl lim
n→∞
bn − bn−1 an − an−1
nicht existiert. Anders formuliert, die Umkehrung des Satzes von Stolz gilt nicht.
178
4 Differentialrechnung
Abschließend noch Beispiele bei denen die Regel von L’Hospital mit der Differenzierbarkeit in Verbindung gebracht wird. Beispiele 4.48. Sei f : [0, ∞) → R eine stetige Funktion. Diese ist im Punkt x = x0 ∈ (0, ∞) differenzierbar, falls der Grenzwert lim
x→x0
f (x) − f (x0 ) x − x0
existiert. Dazu betrachten wir: a) Die Funktion ln x : x ̸= 1, f (x) = x − 1 x : x=1 ist in x0 = 1 differenzierbar. Nachdem Sie die Stetigkeit überprüft haben, erhalten wir mit ln(1) = 0 und zweimaliger Anwendung der Regel von L’Hospital f (x) − f (1) = lim x→1 x→1 x−1 lim
L′ H
ln x (x−1)
−1
x−1
ln x − (x − 1) x→1 (x − 1)2
= lim
1 x
− 1 L′ H −x−2 = lim x→1 2x − 2 x→1 2
= lim
= − lim
x→1
1 1 =− . 2x2 2
Der Grenzwert existiert, also ist f an der entsprechenden Stelle differenzierbar. b) Ist die Funktion x2 + 1 : x < 1, f (x) = −x2 + 3x : x ≥ 1. ebenfalls an der Stelle x0 = 1 differenzierbar? Nachdem Sie auch hier die Stetigkeit überprüft haben, erhalten wir mit der Regel von L’Hospital für den linksseitigen Grenzwert lim−
x→1
f (x) − f (1) = x−1 L′ H
=
lim−
x→1
x2 + 1 − 2 x2 − 1 = lim− x−1 x−1 x→1
lim 2x = 2.
x→1−
Entsprechend ergibt sich für den rechtsseitigen Grenzwert
4.3 Regeln von L’Hospital
lim+
x→1
179
f (x) − f (1) −x2 + 3x − 2 L′ H = lim+ = lim+ (3 − 2x) = 1. x−1 x−1 x→1 x→1
Die Grenzwerte sind verschieden, womit die Existenz eines solchen nicht gegeben ist. Demach liegt keine Differenzierbarkeit in x0 = 1 vor. Anstatt der Regel von L’Hospital kann an den markierten Stellen auch einfach nur eine Polynomdivision durchgeführt werden!
Kapitel 5
Lineare Algebra
Dieser Bereich der Mathematik beschäftigt sich nahezu ausschließlich mit Vektoren und Matrizen. Diese finden natürlich auch Einzug in andere Disziplinen mathematischer Betrachtungen. Ausgangspunkt der linearen Algebra sind lineare Gleichungssysteme, welche im Gegensatz zu nichtlinearen Gleichungen die außergewöhnliche Eigenschaft besitzen, stets exakt lösbar zu sein, sofern eine Lösung existiert. In vielen Anwendungen sind lineare Gleichungssysteme immer wieder zu finden und genau damit beginnt der nächste Abschnitt.
5.1 Lineare Gleichungssysteme Bei Stetigkeitsbetrachtungen können durchaus lineare Gleichungssysteme erforderlich sein. Dazu folgender Sachverhalt: Beispiel 5.1. Sei f : R → R gegeben durch 10 : x < −1, f (x) = p(x) : −1 ≤ x < 2, 1 − 3x : x ≥ 2, worin p : R → R ein Polynom kleinstmöglichen Grades sein soll, welches wir so bestimmen, dass f stetig ist. Das gesuchte Polynom muss also die beiden Bedingungen p(−1) = 10, und p(2) = −5
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 W. Merz, Höhere Mathematik in Beispielen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9_5
(5.1)
181
182
5 Lineare Algebra
erfüllen. Demnach muss p ein Polnom vom Grade höchstens eins sein mit der Darstellung p(x) = ax + b, a, b ∈ R. Um das Polynoms zu bestimmen, setzen wir die zwei Bedingungen (5.1) in die obige Darstellung ein und erhalten folgendes Gleichungssystem für die unbekannten Koeffizienten a, b ∈ R: −a + b = 10,
(5.2)
2a + b = −5. Intuitiv lösen wir die erste Gliechung in (5.2) nach b = 10 + a auf, setzen dies in die zweite Gleichung ein und erhalten damit a = −5, woraus sich wiederum b = 5 ergibt. Die stetige Funktion f lautet nun 10 : x < −1, f (x) = 5 − 5x : −1 ≤ x < 2, 1 − 3x : x ≥ 2.
Wir erweitern obiges Beispiel geringfügig gemäß Beispiel 5.2. Sei f : R → R gegeben durch 10 : x < −1, f (x) = p(x) : −1 ≤ x < 2, 1 − 3x : x ≥ 2, worin p : R → R ein Polynom kleinstmöglichen Grades sein soll, welches wir so bestimmen, dass f stetig ist und zusätzlich p(0) = 1 gelten soll. Das gesuchte Polynom muss also die drei Bedingungen p(−1) = 10, p(2) = −5 und p(0) = 1
(5.3)
erfüllen. Demnach muss p ein Polnom vom Grade höchstens zwei sein mit der Darstellung p(x) = ax2 + bx + c, a, b, c ∈ R.
5.1 Lineare Gleichungssysteme
183
Um das Polynoms zu bestimmen, setzen wir die drei Bedingungen (5.3) in die obige Darstellung ein und erhalten folgendes Gleichungssystem für die unbekannten Koeffizienten a, b, c ∈ R: a − b + c = 10, 4a + 2b + c = −5, c=
(5.4)
1.
Auch hier gehen wir intuitiv vor, indem wir den bereits bekannten Wert c = 1 in die zweite Gleichung einsetzen und nach b = −3 − 2a auflösen. Dies setzen wir in die erste Gleichung ein und erhalten a = 2, woraus sich nun b = −7 ergibt. Die stetige Funktion f lautet damit 10 : x < −1, f (x) = 2x2 − 7x + 1 : −1 ≤ x < 2, 1 − 3x : x ≥ 2.
Wir wenden nun eine etwas andere Methode an, um das Gleichungssystem (5.4) zu lösen. Nach wie vor bietet es sich an, den Wert c = 1 in die übrigen Gleichungen einzusetzen. Nach einer kleinen Umformung ergibt sich a− b =
9,
(5.5)
4a + 2b = −6.
Unser Plan ist es nun, eine der beiden Variablen zu eleiminieren, beispielsweise a. Dazu multiplizieren wir die erste Gleichung (in Gedanken) mit 4, subtrahieren diese von der zweiten Gleichung und erhalten das „neue“ System a− b = 9, 6b = −42. Aus der letzten Gleichung erschließen wir b = −7 und erhalten damit aus der ersten Gleichung a = 2. Diese Vorgehensweise lässt sich verallgemeinern und führt auf den berühmten Algorithmus von Gauß oder auch Elimination nach Gauß genannt. Ein allgemeines lineares Gleichungssystem ist gegeben durch
184
5 Lineare Algebra
a11 x1 + a12 x2 + . . . + a1n xn = b1 a21 x1 + a22 x2 + . . . + a2n xn = b2 .. .. .. .. . . . . .
(5.6)
am1 x1 + am,2 x2 + . . . + amn xn = bm Darin sind die Koeffizienten aij ∈ R, i = 1 . . . , m, j = 1, . . . , n, gegeben und die Unbekannten xj ∈ R, j = 1, . . . , n, gesucht. Das dazugehörige rechteckiges Gebilde der Form a11 a12 . . . a1n a21 a22 . . . a2n A := .. .. .. . . .
(5.7)
am1 am2 . . . amn heißt Matrix oder Koeffizientenmatix mit m Zeilen und n Spalten. Eine Matrix ist ein Element A ∈ Rm,n . Im Falle m = n nennen wir die Matrix quadratisch. Wir fassen die Lösungskomponenten zu einem Vektor zusammen und schreiben x1 .. ⃗x := . = (x1 , · · · , xn )T ∈ Rn . xn Entsprechend lautet die rechte Seite als Vektor geschrieben b1 ⃗b := ... = (b1 , · · · , bm )T ∈ Rm . bm Mit einem Vektor ist immer ein Spaltenvektor gemeint. Wird er beispielsweise aus Platzgründen in eine Zeile geschrieben, nennen wir diesen den dazugehörigen transponierten Vektor, womit obige Notation erklärt ist. Ebenso resultiert aus der Schreibweise A⃗x = ⃗b
5.1 Lineare Gleichungssysteme
185
die Darstellung (5.6), womit die Multilikation einer Matrix mit einem Vektor erklärt ist. Beachten Sie dabei die Dimensionierungen m und n! Wenn wir jetzt die rechte Seite einer Gleichung dazuschreiben ⃗ (A | b) :=
a11 a12 . . . a1n b1
a21 a22 . . . a2n b2 .. .. .. .. , . . . . am1 am2 . . . amn bm
nennen wir dieses Konstrukt die erweiterte Koeffizientenmatrix und schreiben abgekürzt (A | ⃗b). Genau darauf wenden wir die Eliminationsschritte des Gauß-Verfahrens an. Wir subtrahieren/addieren das geeignete Vielfache bestimmter Zeilen zu anderen solange, bis die Lösung abgelesen bzw. auf einfache Art und Weise bestimmt werden kann. Auch der Tausch von Zeilen ist zulässig. Dann legen wir jetzt los und demonstrieren anhand verschiedener Beispiele verschiedene Szenrien. Beispiele 5.3. a) Wir lösen das lineare Gleichungssystem x1 + 2x2 + 3x3 = 0, x1 + 3x2 + 2x3 = 1, 2x1 + x2 − x3 = 1, indem wir auf die erweiterte Koeffizientenmatrix - wie es nachfolgend bei jedem Schritt angedeutet wird - den Gauß-Algorithmus anwenden
12
3 0
II − I
III − 2 · I −→ 1 3 2 1 2 1 −1 1
1
2
3 0
III + 3 · II −→ 0 1 −1 1 0 −3 −7 1
12
3 0
0 1 −1 1 . 0 0 −10 4
Ausgeschrieben sieht die umgewandelte Gleichung nun aus wie folgt: x1 + 2x2 + 3x3 = 0, x2 −
x3 = 1,
− 10x3 = 4.
186
5 Lineare Algebra
Die Rückwärtssubstitution 2 x3 = − , 5 2 3 = , 5 5 6 6 x1 = −2x2 − 3x3 = − + = 0 5 5
x2 = 1 + x3 = 1 −
führt auf den eindeutigen Lösungsvektor ⃗x =
3 2 0, , − 5 5
T .
b) Etwas umfangreicher ist das Gleichungssystem 2x1 − x2 − x3 + 3x4 + 2x5 =
6,
−4x1 + 2x2 + 3x3 − 3x4 − 2x5 = −5, 6x1 − 2x2 + 3x3
− x5 = −3,
+ 4x3 − 7x4 − 3x5 = −8,
2x1
x2 + 8x3 − 5x4 − x5 = −3. Wir wenden auf die erweiterte Koeffizientenmatrix (A | ⃗b) - wie bei jedem Schritt angedeutet - den Gauß-Algorithmus an und erhalten II + 2 · I
2 −1 −1
−4 2 6 −2 2 0 0 1
3
2
6
III − 3 · I
IV − I 3 −3 −2 −5 II ↔ IV −→ 3 0 −1 −3 4 −7 −3 −8 8 −5 −1 −3
2 −1 −1
0 0 0 0
1 1 1 0
3
2
6
8 −5 −1 −3 6 −9 −7 −21 5 −10 −5 −14 1 3 2 7
5.1 Lineare Gleichungssysteme
III − II
2 −1 −1
IV − II 0 III ↔ V −→ 0 0 0
187
3
2
6
IV + 3 · III 8 −5 −1 −3 V + 2 · III −→ 0 1 3 2 7 0 −3 −5 −4 −11 0 −2 −4 −6 −18 1
2 −1 −1
0 1 V + 2 · IV −→ 0 0 0
1 0 0 0
3
2 −1 −1
0 0 0 0
2
6
1 0 0 0
3
2
6
8 −5 −1 −3 1 3 2 7 0 4 2 10 0 2 −2 −4
8 −5 −1 −3 1 3 2 7. 0 4 2 10 0 0 −3 −9
Schreiben wir das so umgewandelte Gleichungssystem wieder in der vollen Pracht hin, erhalten wir 2x1 − x2 − x3 + 3x4 + 2x5 =
6,
x2 + 8x3 − 5x4 − x5 = −3, + x3 + 3x4 − 2x5 =
7,
4x4 − 2x5 = 10, − 3x5 = −9. Die Rückwärtssubstitution x5 = 3, x4 = 14 (10 − 2 · x5 ) = 1, x3 = 7 − 2 · x5 − 3 · x4 = −2, x2 = −3 + 1 · x5 + 5 · x4 − 8 · x3 = 21, x1 = 12 (6 − 2 · x5 − 3 · x4 + 1 · x3 + 1 · x2 ) = 8 führt auf den eindeutigen Lösungsvektor ⃗x = (8, 21, −2, 1, 3)T .
188
5 Lineare Algebra
Fazit. Beide Matrizen sind quadratisch, d. h. es liegen ebenso viele Gleichungen wie Unbekannte vor. Die Gauß-Eliminationen führen in beiden Fällen auf eine Dreiecksgestalt oder vollständige Staffelform der Matrix. Die entsprechende erweiterten Koeffizientenmatrix lautet damit a ˜11 a ˜12 . . . a ˜1n ˜b1 ˜22 . . . a ˜2n ˜b2 0 a ⃗ (A | b) −→ . . . (5.8) . . .. . . . . .. .. 0 ... 0 a ˜nn ˜bn
und Einträgen a ˜ij , ˜bj ∈ R, i, j = 1, · · · , n. In derartigen Fällen liegt stets eindeutige Lösbarkeit vor. Auch das nächste Beispiel liefert eine eindeutige Lösung. Es liegen jedoch mehr Gleichungen als Unbekannte vor. Beispiel 5.4. Wir lösen jetzt x1 + 2x2 + 3x3 = 0, x1 + 3x2 + 2x3 = 1, 2x1 + x2 − x3 = 1, 4x1 + 2x2 − 2x3 = 2, indem wir wie immer auf die erweiterte Koeffizientenmatrix (A | ⃗b) wie bei jedem Schritt den angedeuteten Gauß-Algorithmus anwenden. Es resultiert II − I
12
3 0
III − 2 · I
1 3 2 1 IV − 4 · I −→ 2 1 −1 1 4 2 −2 2
1
2
3 0
III + 3 · II
0 1 −1 1 III + 6 · II −→ 0 −3 −7 1 0 −6 −14 2
IV − 2 · III −→
12
3 0
0 1 −1 1 . 0 0 −10 4 00 0 0
12
3 0
0 1 −1 1 0 0 −10 4 0 0 −20 8
5.1 Lineare Gleichungssysteme
189
Ausgeschrieben sieht die umgewandelte Gleichung nun so aus: x1 + 2x2 + 3x3 = 0, x2 −
x3 = 1,
− 10x3 = 4, 0 = 0. Die vierte Gleichung kann ignoriert werden. Die Rückwärtssubstitution führt wie folgt auf die eindeutige Lösung: 2 x3 = − , 5 2 3 = , 5 5 6 6 x1 = −2x2 − 3x3 = − + = 0, 5 5 x2 = 1 + x3 = 1 −
also lautet der eindeutige Lösungsvektor ⃗x =
3 2 0, , − 5 5
T .
Fazit. Die Matrix ist nicht quadratisch. Das System hat mehr Gleichungen als Unbekannte, es liegt also ein überbestimmtes Gleichungssystem vor. Allgemein formuliert liefert das Gauß-Verfahren eine Matrix mit der erweiterten Form a ˜11 a ˜12 . . . a ˜1n ˜b1 0 a ˜22 . . . a ˜2n ˜b2 . . . . . . .. .. . . . . . (A | ⃗b) −→ 0 . . . 0 a (5.9) ˜nn ˜bn 0 ... ... 0 0 . .. . . . . . . ... ... 0 ... ... 0 0 und Einträgen a ˜ij , ˜bj ∈ R, i, j = 1, · · · , n. Eindeutige Lösbarkeit ergibt sich genau in den Fällen einer Matrix A ∈ Rm,n , m > n, bei denen m − n redundante Nullzeilen vorliegen und die ersten n Zeilen in eine Dreiecksmatrix resultieren.
190
5 Lineare Algebra
Am Beispiel erkennen Sie natürlich sofort, dass im Gleichungssystem die vierte Zeile das Vielfache der dritten ist. Dies kann im allgemeinen Fall für mehrere Zeilen zutreffen, womit die Redundanz gewisser Gleichungen erklärt ist und das Gauß-Verfahren genau diese Gleichungen im System identifiziert und als Nullzeilen rauswirft. Die nächsten Beispiele behandeln verschiedene Fälle der nichteindeutigen Lösbarkeit eines linearen Gleichungssystems und erklären, was Nichteindeutigkeit bedeutet. Beispiele 5.5. a) Wir beginnen mit x1 + 2x2 + 3x3 =
0,
x1 + 3x2 + 2x3 =
1,
2x1 + x2 + 9x3 = −3, indem wir auf die erweiterte Koeffizientenmatrix (A | ⃗b) wie bei jedem Schritt angedeutet den Gauß-Algorithmus anwenden
123
0
II − I
III − 2 · I −→ 1 3 2 1 2 1 9 −3
1
2
3
0
0 1 −1 1 0 −3 3 −3
1 2
3 0
III + 3 · II −→ 0 1 −1 1 . 0 0 0 0
(5.10)
Ausgeschrieben sieht die umgewandelte Gleichung nun aus wie folgt: x1 + 2x2 +
3x3 = 0,
x2 −
x3 = 1, 0 · x3 = 0.
Die Rückwärtssubstitution führt auf eine mehrdeutige Lösung, denn die dritte Gleichung ist für jedes x3 = C ∈ R erüllt. Wir schreiben
5.1 Lineare Gleichungssysteme
191
x3 = C, x2 = 1 + x3 = 1 + C, x1 = −2x2 − 3x3 = −2 − 5C, also lautet der mehrdeutige Lösungsvektor −2 − 5C −2 −5C ⃗x = 1 + C = 1 + C , C ∈ R. C 0 C Mehrdeutig bedeutet also, dass gleich unendlich viele Lösungen vorliegen. b) Gegeben sei das lineare Gleichungssystem 2x1 + x2 + x3 + x4
= 0,
+ x4 − x5 = 1,
x1 2x2 + x3
+ 2x5 = 2.
Auf die erweiterte Koeffizientenmatrix wenden wir die Umformungen an: 2 1 1 1 0 0 1 0 0 1 −1 1 I ↔ II II − 2 · I −→ 1 0 0 1 −1 1 −→ 2 1 1 1 0 0 0 2 1 0 2 2 0 2 1 0 2 2
1 0
0
1 −1
1
üblichen Gauß
1 0 0
0 1 1 −1 0 2 1 0
Ausgeschrieben liest sich das Gleichungssystem jetzt wie folgt: + x4 − x5 =
1,
x2 + x3 − x4 + 2x5 = −2, − x3 + 2x4 − 2x5 =
6.
1
2 −2 2 2
III − 2 · II −→ 0 1 1 −1 2 −2 . 0 0 −1 2 −2 6
x1
1 −1
(5.11)
192
5 Lineare Algebra
An dieser Form erkennen wir, dass die beiden Unbekannten x4 und x5 frei wählbar sind, also x4 = A und x5 = B, A, B ∈ R beliebig. Rückwärtssubstitution führt somit auf die mehrdeutige Lösung 1 , 2 1 x2 = −1 + x3 + x4 = , 2 1 x1 = 1 − x2 − x3 = − . 2 x4 = −1 + x3 + x4 =
also lautet der mehrdeutige Lösungsvektor 1−A+B 1 −1 1 4 −1 0 4−A ⃗x = −6 + 2A − 2B = −6 + A 2 + B −2 , A, B ∈ R. 0 1 0 A B 0 0 1
Fazit. Liefert der Gauß-Algorithmus bei Matrizen A ∈ Rm,n mit m ≥ n keine Dreieckgestalt gemäß (5.9), sondern eine unvollständige Stufenform gemäß (5.10), dann kann niemals eindeutige Lösbarkeit vorliegen. Das Gleichungssystem enthält frei wählbare Koeffizienten im Lösungsvektor. Ebensowenig kann eine Gleichung mit mehr Unbekannten als Gleichungen (m < n) eine eindeutige Lösung besitzen, weil auch hier gemäß der Stufenform (5.11) frei wählbare Koeffizienten rechts vom Diagonalelement enthalten sind. Allgemein formuliert, liefert das Gauß-Verfahren bei Matrizen A ∈ Rm,n , m ≥ n > r, erweiterte Formen der Gestalt
5.1 Lineare Gleichungssysteme
193
a ˜11 a ˜12 . . .
⃗ (A | b) −→
0 a ˜22 . . . .. . . . . . . .
... a ˜1n ˜b1
˜b2 .. . ... a ˜rn ˜br ... 0 0 .. .. . . ... 0 0
... a ˜2n .. .
0 ... 0 a ˜rr 0 ... .. . 0 ...
oder entsprechend für A ∈ Rm,n , a ˜11 0 (A | ⃗b) −→ .. .
(5.12)
m < n, die erweiterte Formen a ˜12 . . . ... a ˜1n ˜b1 a ˜22 . . . ... a ˜2n ˜b2 .. .. .. .. . . . .
(5.13)
0 ... 0 a ˜mm . . . a ˜mn ˜bm
Schließlich untersuchen wir noch den Fall unlösbarer linearer Gleichungsysteme. Beispiel 5.6. Gegeben sei das lineare Gleichungssystem 2x1 + x2 + 12 x3 + x4
= 0,
+ 12 x4 − 12 x5 = 1,
x1 2x2 + x3
+ 2x5 = 2.
Die Gauß-Elimination führt auf 2 1 12 1 0 0 1 0 0 12 − 12 1 I ↔ II II − 2 · I −→ 1 0 0 12 − 12 1 −→ 2 1 12 1 0 0 0 2 1 0 2 2 0 2 1 0 2 2
1 0 0
1 2
III − 2 · II −→ 0 1 12 0 0 0 0 0
− 12
1
1 0 0
1 2
0 1 12 0 0 2 1 0
− 12
1 −2 2 2
1 −2 . 0 6
1
(5.14)
194
5 Lineare Algebra
Die letzte Zeile in (5.14) beinhaltet den Widerspruch ( 0 0 0 0 0 | 6 ), womit keine Lösung vorliegen kann. Die erweiterten Koeffizientenmatrix hat z. B. bei einer Matrix A ∈ Rm,n mit m ≥ n > r die allgemeine Form
a ˜11 a ˜12 . . .
⃗ (A | b) −→
0 a ˜22 . . . .. . . . . . . . 0 ... 0 a ˜rr 0 ... .. . 0 ...
... a ˜1n ˜b1
... a ˜rn ˜br , . . . 0 ˜br+1 .. .. . . . . . 0 ˜bm
... a ˜2n .. .
˜b2 .. .
(5.15)
wobei die Einträge ˜br+1 , · · · , ˜bm ∈ R nicht alle den Wert Null annehmen. Eine beliebte Aufgabenstellung im Zusammenhang mit linearen Gleichungssystemen ist die Verwendung von Matrizen und/oder rechte Seiten mit Parametern. Beispiel 5.7. Für welche Werte des Parameters s ∈ R besitzt das lineare Gleichungssystem mit der Koeffizientenmatrix As ∈ R4,4 und rechter Seite ⃗bs ∈ R4 , wobei s − 1 −1 0 −1 −1 0 s − 2 1 −1 s ⃗ , As = , bs = 1 1 0 s 0 s 1−s 1 0 1 genau eine Lösung, unendlich viele Lösungen bzw. keine Lösung? Wir starten die Gauß-Elimination mit dem Tausch der 1. und 4. Spalte, i.Z. (1) ↔ (4), führen Buch über diese Aktion, tauschen im weiteren Verlauf noch die Spalten (3) ↔ (4) und erläutern, wie und warum eine derartige Vertauschung (im Gegensatz zu einem Zeilentausch) am Schluss wieder rückgängig gemacht werden muss. Wir erhalten
5.1 Lineare Gleichungssysteme
−1 −1 −1 s − 2 0 0 0 1−s
IV − II −→
195
0 s − 1 −1 1
0
s
1
1
s
s II − I −→ 1 1
−1 −1 0 s − 1 −1
−1 −1 0 s−1 0 0 0 1−s
0 s − 1 1 1 − s s + 1 (3) ↔ (4) −→ 0 0 s 1 1 0 0 2 1 s+2 IV − III −→
−1 −1 s − 1
0
0 s − 1 −1
1 1 − s s + 1 s 1 1 1 s 1
−1 −1 s − 1 0
−1
0 s − 1 1 − s 1 s + 1 0 0 1 s 1 0 0 1 2 s+2
−1
0 s − 1 1 − s 1 s + 1 . 0 0 1 s 1 0 0 0 2−s s+1
An dieser Darstellung erkennen Sie: - Für s ̸= 1 und s ̸= 2 gibt es genau eine Lösung, weil die Matrix A in diesem Fall in eine vollständige Zeilenstufenform der Form (5.9) übergeht. - Für s = 1 liegt nach einem weiteren Gauß-Schritt eine Form der Art (5.12) vor, woraus unendlich viele Lösungen resultieren. - Für s = 2 ergibt sich in der letzten Zeile ein Widerspruch gemäß (5.15), womit keine Lösung vorliegt. Die Angabe der konkreten Lösungen ist nicht in der Aufgabenstellung verlangt. Der Fall der eindeutigen Lösbarkeit wird natürlich ausgeführt. Wir wählen s = 0 und erhalten
−1 −1 −1 0 −1
0 −1 ⃗ (A0 | b0 ) −→ 0 0 0 0 Ausgeschrieben haben wir damit
1 1 1 0 0 2
1 . 1 1
196
5 Lineare Algebra
−x1 − x2 − x3
Mit x4 =
1 2
= −1,
− x2 + x3 + x4 =
1,
x3
=
1,
2x4 =
1.
und x3 = 1 liefert die Rückwärtssubstitution 1 , 2 1 =− . 2
x2 = −1 + x3 + x4 = x1 = 1 − x2 − x3 Der Łösungsvektor lautet demnach ˜ := ⃗x
1 1 1 − , , 1, 2 2 2
T ?
˜ = ⃗b0 gilt: Wir machen die Probe und überprüfen, ob tatsächlich A0 ⃗x −1 −1 0 −1 − 12 − 12 −1 0 −2 1 −1 12 − 12 0 = ̸= = ⃗b0 . 1 0 0 0 1 1 1 1 3 0 1 1 0 1 2 2 Was ist passiert? Der Spaltentausch bei der Durchführung des Gauß-Algorithmus muss in der richtigen Reihenfolge wieder rückgängig gemacht werden! Wir beginnen mit dem zuletzt durchgeführten Spaltentausch und enden Schritt für Schritt mit dem ersten. Im vorliegenden Beispiel gilt somit
− 12
(3) ↔ (4) −→ 1
1 2
1 2
− 12
(1) ↔ (4) −→ 1 2 1 1 2
Mit dem nun korrekten Lösungsvektor ⃗x =
1,
1 1 1 , ,− 2 2 2
T
1
1 2 1 2
− 12
5.1 Lineare Gleichungssysteme
197
klappt auch die Probe. Wir erhalten das richtige Ergebnis für A0 ⃗x = ⃗b0 gemäß
−1 −1 0 −1
1
−1
0 −2 1 −1 12 0 = . 1 0 0 0 12 1 0 1 1 0 − 12 1 Beispiel 5.8. Das nachfolgende lineare Gleichungssystem A⃗x = ⃗b mit A ∈ R5,5 und ⃗b ∈ R5 hat eine eindeutige Lösung. Um Gauß-Schritte zu reduzieren, führen wir einen mehrfachen Spaltentausch durch. Die zugehörige erweiterte Koeffizientenmatrix des Gleichungssystems hat die Gestalt 2 2 −1 3 −1 6 −1 0 1 −5 8 −3 (A | ⃗b) := 2 0 0 3 1 7 . 2 0 0 4 0 10 −2 0 0 2 0 −4 Wir führen jetzt der Reihe nach die Spaltenvertauschungen (1) ↔ (2), (2) ↔ (3) und (3) ↔ (5) durch. Ohne die einzelnen Vertauschungen explizit zu formulieren, erhalten wir schließlich eine Matrix, bei der nur noch ein Gauß-Schritt zur vollständigen Stufenform notwendig ist. Es gilt also 2 −1 −1 3 2 6 2 −1 −1 3 2 6 0 1 8 −5 −1 −3 0 1 8 −5 −1 −3 V − 12 · IV −→ 0 0 1 3 2 7. 0 0 1 3 2 7 0 0 0 4 2 10 0 0 0 4 2 10 0 0 0 2 −2 −4 0 0 0 0 −3 −9 Die Rückwärtssubstitution führt auf den eindeutig bestimmten Vektor
198
5 Lineare Algebra
x5 = 3, x4 = 14 (10 − 2 · x5 ) = 1, x3 = 7 − 2 · x5 − 3 · x4 = −2, x2 = −3 + 1 · x5 + 5 · x4 − 8 · x3 = 21, x1 = 12 (6 − 2 · x5 − 3 · x4 + 1 · x3 + 1 · x2 ) = 8, also ˜ := (8, 21, −2, 1, 3)T . ⃗x Um daraus den Lösungsvektor zu ermitteln, beginnen wir mit dem zuletzt durchgeführten Spaltentausch und enden Schritt für Schritt mit dem zuerst durchgeführten. Wir erhalten der Reihe nach
8
21 (3) ↔ (5) −→ −2 1 3
8
21 (2) ↔ (3) −→ 3 1 −2
8
3 (1) ↔ (2) −→ 21 1 −2
3
8 21 . 1 −2
Eine Probe bestätigt ⃗x = (3, 8, 21, 1, −2)
T
als Lösungsvektor. Es gilt
2
−1 2 2 −2
2 −1
3 −1
0
1 −5
0
0
3
0
0
4
0
0
2
3
6
8 8 −3 = 1 21 7. 0 1 10 0 −2 −4
Fazit. Vertauschungen von Spalten sind bei der Durchführung des GaußAlgorithmus nicht zwingend erforderlich. Die Berechnungen können jedoch bei gezielten Vertauschungen vereinfacht bzw. Gauß-Schritte reduziert werden. Wichtig ist jedoch eine genaue Buchführung der Aktionen, um am Ende den korrekten Lösungsvektor zu ermitteln, da die Vertauschungn in umgekehrter Reihenfolge wieder rückgängig gemacht werden müssen.
5.1 Lineare Gleichungssysteme
199
Beispiel 5.9. Gilt A⃗x = ⃗0, dann sprechen wir von einem homogenen linearen Gleichungssystem. Sei dazu −1 −1 0 −3 −3 2 0 −2 −1 1 A := 1 2 1 3 2 . −1 2 3 2 −1 0 1 1 3 2 Da die rechte Seite der Nullvektor ist, können wir hier auf die erweiterte Koeffizientenmatrix verzichten und erhalten nach einigen Gauß-Schritten die unvollständige Stufenform −1 −1 0 −3 −3 −1 −1 0 −3 −3 2 0 −2 −1 1 0 1 1 0 −1 1 2 1 3 2 −→ viel Gauß −→ 0 0 0 1 1 . −1 2 3 2 −1 0 0 0 0 0 0 1 1 3 2 0 0 0 0 0 An dieser Darstellung erkennen wir die freie Wählbarkeit der 3. und 5. Komponente des Lösungsvektors. Mt x3 := A und x5 := B, A, B ∈ R beliebig, erhalten wir nach Rückwärtssubstitution x1 = −x2 − 3x4 − 3x5 = A − B, x2 = −x3 + x5 = −A + B, x4 = −x5 = −B,
0 1 −1 −A + B 0 −1 1 ⃗x = A = 0 + A 1 + B 0 , A, B ∈ R. 0 −1 B 0 B 0 0 1 A−B
Fazit. Aus dieser Darstellung entnehmen Sie, dass bei eindeutiger Lösbarkeit homogener linearer Systeme nur die triviale Lösung ⃗x = ⃗0 infrage kommt! Aus
200
5 Lineare Algebra
der aus dem Gauß-Verfahren resultierenden Stufenform der Matrix A ∈ Rm,n lässt sich gemäß vorheriger Beschreibungen die Art der Lößbarkeit ablesen. Der entsprechend zu (5.15) unlösbare Fall kann hier natürlich niemals eintreten! Abschließend betrachten wir Gleichungssysteme A⃗x = ⃗b mit einer komplexen Matrix A ∈ C4,4 und komplexer rechter Seite ⃗b ∈ C4 . Beispiele 5.10. Sei i ∈ C die imagin¨re Einheit mit i2 = −1. a) Die erweiterte Koeffizientenmatrix des soeben erwähnten komplexen linearen Gleichungssystem erfordert einen einzigen Gauß-Schritt um eine vollständige Stufenform zu erlangen 2+i 0 0 0 5 2+i 0 0 0 5 0 2 − i 0 0 5 III − iIV 0 2 − i 0 0 5 . −→ 1 −2 2i −1 i 1 − 2i −2 + 4i i 0 0 2 −4 1 i 1 2 −4 1 i 1 Im Fall der hier vorliegenden unteren Dreiecksmatrix führt ausnahmsweise Vorwärtssubstitution zum eindeutigen komplexen Lösungsvektor. Wir erhalten 5 5(2 − i) = = 2−i , 2+i (2 + i)(2 − i) 5 5(2 + i) = = = 2+i , 2−i (2 − i)(2 + i)
x1 = x2
ix3 = (−1 + 2i)x1 + (2 − 4i)x3 = 8 − i =⇒ x3 =
8−i −i(8 − i) = = −1 − 8i , i −i2
ix4 = 1 − 2x1 + 4x2 − x3 = 6 + 14i =⇒ x4 =
3 + 15i −i(3 + 15) = = 14 − 6i , i −i2
also lautet der komplexe Lösungsvektor T
⃗x = (2 − i, 2 + i, −1 − 8i, 14 − 6i) . b) Die erweiterte Koeffizientenmatrix eines komplexen linearen Gleichungssystems mit den Parametern A, B ∈ C und einigen Gauß-Schritten lautet
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild
201
3 −2 1 − i 3i I ↔ II 1 −i 0 0 −→ i 1 A + Bi 4
II − 3I
1
i
0 1 −i 0 3 −2 1 − i 3i i 1 A + Bi 4
0
0
III − iI −→ 0 −2 + 3i 1 − i 3i . 0 0 A + Bi 4 Für welche Werte A, B ∈ C liegt mehrdeutige, eindeutige und keine Lösbarkeit vor? An dieser Darstellung erkennen Sie: - Es existieren keine Werte A, B ∈ C mit denen die Matrix in eine unvollständige Zeilenstufenform (5.12) gebracht werden kann, woraus mehrdeutige Lösbarkeit resultieren würde. - Für beliebig A, B ∈ C mit der Einschränkung, dass nicht beide Parameter gleichzeitig Null sind, liegt gemäß (5.9) eine eindeutige Lösbarkeit vor. - Für A = B = 0 ergibt sich in der letzten Zeile ein Widerspruch gemäß (5.15), womit keine Lösbarkeit vorliegt. Vorschlag. Wählen Sie gemäß obiger Beschreibung Zahlen A, B ∈ C und bestimmen Sie dazu die eindeutige Lösung des korrespondieren linearen Gleichungssystems.
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild Betrachten wir Abbildungen der Form f : R → R, dann ist die einzige Klasse linearer Abbildung gegeben durch die Funktionenschar
f (x) := a x für alle x ∈ R, a ∈ R beliebig gewählt.
202
5 Lineare Algebra
Es gilt hier offensichtlich für den Definitions- und Bildbereich R : a ̸= 0, D = R, Bild f = {0} : a = 0. Die lineare Funktion enthält den Spezialfall der trivialen Funktion f (x) := 0 für alle x ∈ R.
y a 1
x
Lineare Funktion f (x) := a x Lineare Funktionen haben somit die Eigenschaft f (λx + µy) = λf (x) + µf (y), λ, µ ∈ R für alle x, y ∈ R. Insbesondere resultiert daraus mit der Wahl λ, µ = 0 die für lineare Funktionen charakteristische Eigenschaft f (0) = 0. Betrachten wir nun allgemein reelle Abbildungen f : Rn → Rm mit Definitionsbereich Rn und Bildbereich Rm , n, m ∈ N, dann nehmen unter all diesen Abbildungen die linearen Funktionen eine Sonderstellung ein. Dies liegt daran, dass lineare Abbildungen in vielen Anwendungen auf natürliche Weise auftreten und leicht handzuhaben sind. So führen beispielsweise Siegelungen und Rotationen auf derartige Abbildungen. Allgemein gilt nun Definition 5.11. Eine Abbildung f : Rn → Rm heißt linear genau dann, wenn gilt
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild
203
f (λ ⃗x + µ ⃗y ) = λ f (⃗x) + µ f (⃗y ) ∈ Rm für alle λ, µ ∈ R und ⃗x, ⃗y ∈ Rn . Setzen wir λ = µ = 0, so resultiert für lineare Abbildungen die stets gültige Beziehung f (⃗0) = ⃗0. (5.16)
Definition 5.12. Wir bezeichnen zur Abkürzung L(Rn , Rm ) := {f : Rn → Rm : f ist lineare Abbildung} die Menge aller linearen Abbildungen zwischen den angegebenen Räumen.
Beispiele 5.13. Die Abbildung f : R5 → R3 gegeben durch
x1 − 2x5 + x3
f (⃗x) = x2 + 4x4 − x3 , ⃗x = (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 )T ∈ R5 , x4 − x1 ist eine lineare Abbildung, denn es gilt mit ⃗y = (y1 , y2 , y3 , y4 , y5 )T die Beziehung x1 − 2x5 + x3 y1 − 2y5 + y3 f (λ⃗x + µ⃗y ) = λ x2 + 4x4 − x3 + µ y2 + 4y4 − y3 , x4 − x1 y4 − y1 insbesondere gilt ⃗0 ) = ⃗0 . f (|{z} |{z} R5
R3
b) a) Die Abbildung f : R5 → R3 gegeben durch
204
5 Lineare Algebra
f (⃗x) =
x1 − 2x5 + x3 + 1
, ⃗x = (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 )T ∈ R5 ,
x2 + 4x4 − x3 x4 − x1
ist keine lineare Abbildung, denn f (⃗0) = (1, 0, 0)T ̸= ⃗0. c) Die Abbildung f : R2 → R2 gegeben durch f (⃗x) =
x1 + x2 x1 x2
, ⃗x = (x1 , x2 )T ∈ R2 ,
ist ebenfalls nicht linear, denn mit ⃗y = (y1 , y2 )T gilt (λx + µy ) + (λx + µy ) 1 1 2 2 f (λ⃗x + µ⃗y ) = (λx1 + µy1 )(λx2 + µy2 ) ̸= λ
x1 + x2 x1 x2
+ µ
y1 + y 2 y1 y2
.
Die Beziehung f (⃗0) = ⃗0 gilt dagegen schon, woraus wir zusammen mit dem vorherigen Beispiel erschließen, dass es sich dabei lediglich um eine notwendige Bedingung für die Linearität handelt.
Jede lineare Abbildung lässt sich auf eindeutige Weise als Matrix darstellen. Um diese Matrix zu kreieren, bedarf es der Einführung einiger Begriffe aus der Linearen Algebra. Dazu präzesiern wir nochmals das Produkt einer Matrix A ∈ R(m,n) mit einem Vektor ⃗x ∈ Rn . Es gilt
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild
205
Definition 5.14. Das Produkt der Matrix a11 a12 · · · a1n a21 a22 · · · a2n (m,n) A= . .. . . .. ∈ R .. . . . am1 am2 · · · amn
mit dem Vektor ⃗x = (x1 , x2 , . . . , xn )T ∈ Rn ist der Vektor ⃗y = (y1 , y2 , . . . , ym )T ∈ Rm gegeben durch
y1
a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn
y2 a21 x1 + a22 x2 + · · · + a2n xn := . .. .. . . yn am1 x1 + am2 x2 + · · · + amn xn Das heißt, das Produkt „Matrix mal Vektor“ wird nach dem Schema „Zeile mal Spalte“ gebildet.
Wir benötigen weitere Themenbereiche der Linearen Algebra. Definition 5.15. Ein Vektor w ⃗ ∈ Rn , der sich als Summe anderer Vektoren gemäß w ⃗=
m X
λi ⃗vi mit λi ∈ R und ⃗vi ∈ Rn ,
i = 1, . . . , m, m, n ∈ N,
i=1
darstellen lässt, heißt Linearkombination der Vektoren ⃗v1 , . . . , ⃗vm . Die Skalare λ1 , . . . , λm heißen Koeffizienten der Linearkombination. Im Falle m = 1 heißt w ⃗ skalares Vielfaches von ⃗v1 .
Beispiele 5.16. a) Es seien w, ⃗ ⃗v1 , . . . , ⃗v4 ∈ R4 . Aus
206
5 Lineare Algebra
2 1 1 0 −2 1 1 0 −1 −2 w ⃗ := = 2 − 2 + 3 − 3 0 0 1 0 −6 −1 1 0 2 =: 2⃗v1 − 2⃗v2 + 3⃗v3 − ⃗v4 folgt, dass w ⃗ eine Linearkombination der Vektoren ⃗v1 , . . . , ⃗v4 ist mit den Koeffizienten λ1 = 2, λ2 = −2, λ3 = 3, λ4 = −1. b) In Rn erhalten wir mit den Einheitsvektoren ⃗ej := (0, . . . , 0, |{z} 1 , 0, . . . , 0)T ∈ Rn , j = 1, . . . , n, j–te Stelle
die Darstellung
λ1
λ2 n w ⃗= λj ⃗ej = .. ∈ R für alle λ1 , . . . , λn ∈ R. j=1 . λn n X
Das heißt, jeder Vektor w ⃗ ∈ Rn kann als Linearkombination der Einheitsvektoren ⃗e1 , . . . , ⃗en dargestellt werden. Beispiel 5.17. Wir gehen jetzt umgekehrt vor, indem die Vektoren w, ⃗ ⃗v1 , ⃗v2 , ⃗v3 , ⃗v4 ∈ R4 aus Teil a) des Beipiels 5.16 vorgegeben und die Koeffizienten λ1 , λ 2 , λ 3 , λ 4 ∈ R gesucht sind. Dies führt auf ein lineares Gleichungssystem mit der erweiterten Koeffizientenmatrix
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild
207
1 1 0 −2 2 1 1 1 0 −1 −2 1 0 1 −→ Gauß-Schritte −→ 0 0 1 0 3 0 0 −1 1 0 2 −6 0 0
0 −2 2 1 1 0
0 1 . 0 3 0 0
Wir erkennen die mehrdeutige Lösbarkeit und erhalten nach Rückwärtssubstitution den Lösungsvektor ⃗λ = (4 + 2C, −2, 3, C)T , C ∈ R. Die Wahl C = −1 liefert die im vorherigen Beispiel 5.16 festgelegten Koeffizienten. Schauen wir die Vekoren nochmals genauer an, dann stellen wir fest, dass ⃗v1 = −2⃗v4 .
Definition 5.18. Ein Vektorsystem ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vm ∈ Rn heißt linear unabhängig genau dann, wenn jeder Vektor w ⃗ ∈ Rn genau eine Linearkombination aus den Vektoren ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vm ∈ Rn besitzt. Andernfalls heißt das System ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vm linear abhängig. Bemerkung 5.19. Insbesondere lassen sich linear unabhängige Vektoren nicht gegenseitig linear kombinieren.
Definition 5.20. Jedes linear unabhängige Vektorsystem der Länge n ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vn ∈ Rn bildet eine Basis von Rn . Das bedeutet, jeder Vektor w ⃗ ∈ Rn lässt sich damit mit eindeutig bestimmten Koeffizienten λi ∈ R gemäß ⃗v =
n X
λi ⃗vi
i=1
linear kombinieren. Wir sagen, dass Rn vom o. g. Vektorsystem aufgespannt wird und verwenden die Schreibweise n n o X Rn = w ⃗ ∈V : w ⃗= λi ⃗vi , λi ∈ R =: span{⃗v1 , . . . , ⃗vn }. i=1
208
5 Lineare Algebra
Bemerkung 5.21. Liegen m linear unabhängige Vektoren ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vm ∈ Rn mit der Eigenschaft m < n vor, dann gilt natürlich span{⃗v1 , . . . , ⃗vm } ⊂ Rn . Wir sagen, dass dass Vektorsystem einen m-dimensionalen Teilraum bzw. eine m-dimensionale Ebene durch den Ursprung im Rn aufspannt.
Beispiel 5.22. Für m = 1 bildet für jeden Vektor ⃗x ∈ Rn span{⃗x} ⊂ Rn eine 1-dimensionale Ebene, also eine Gerade durch den Ursprung.
Satz 5.23. Gegeben sei ein Vektorsystem ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vm ∈ Rn , m ≤ n. Dann gilt ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vm sind linear unabhängig ⇐⇒ Aus ⃗0 =
m P
λi ⃗vi folgt stets λ1 = λ2 = · · · = λm = 0. Das heißt,
i=1
es existiert nur die triviale Darstellung des Nullvektors. Anderenfalls sind die Vektoren linear abhängig.
Beispiele 5.24. a) In Rn bilden die Einheitsvektoren ⃗ej := (0, . . . , 0, |{z} 1 , 0, . . . , 0)T , j = 1, . . . , n, j–te Stelle
eine Basis. Es gilt ⃗0 =
n X
λk ⃗ek = (λ1 , . . . , λn )T
k=1
genau für λ1 = · · · = λn = 0. Das heißt, die Vektoren ⃗e1 , . . . , ⃗en sind linear unabhängig. Weiter gilt
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild
209
Rn = span{⃗e1 , . . . , ⃗en }. b) In Rn reduziert sich das Nachprüfen der linearen Unabhängigkeit eines Vektorsystems ⃗v1 , . . . , ⃗vm ∈ Rn , auf das Lösen eines homogenen linearen Gleichungssystems mit n Zeilen und m Spalten. Wir prüfen in R3 die lineare Unabhängigkeit des Systems ⃗v1 := (1, 1, 1)T , ⃗v2 := (1, 1, 2)T , ⃗v3 := (2, 1, 1)T . Die erweiterte Koeffizienten des homogenen Gleichungssystems lautet 112 0 11 2 0 (⃗v1 , ⃗v2 , ⃗v3 , ⃗0) = 1 1 1 0 −→ Gauß-Schritte −→ 0 1 −1 0 . 121 0 0 0 −1 0 Also gilt λ1 = λ2 = λ3 = 0. c) In R2 sind die drei Vektoren ⃗v1 := 11 , ⃗v2 := 25 , ⃗v3 := 01 linear abhängig, denn es gilt ⃗0 = −2⃗v1 +⃗v2 −3⃗v3 bzw. das entsprechende homogene Gleichungssystem ist mehrdeutig lösbar. Wir kommen zurück zu linearen Abbildungen. Bekanntlich ist eine lineare Abbildung durch zwei Bildpunkte an zwei beliebigen Stellen aus dem Definitionsbereich eindeutig bestimmt. Wegen (5.16) genügt es, nur einen einzigen weiteren Punkt zu wählen, um eine lineare Abbildung eindeutig festzulegen. Es gilt
Satz 5.25. Sei ⃗v1 , ⃗v2 , . . . , ⃗vn ∈ Rn eine Basis von Rn . Dann gilt 1. Jedes f ∈ L(Rn , Rm ) ist allein durch die Vorgabe der Bilder w ⃗ j := f (⃗vj ) ∈ Rm für alle j = 1, . . . , n, eindeutig bestimmt. 2. Ist speziell ⃗e1 , . . . , ⃗en die Standardbasis des Rn und sei eine beliebige lineare Abbildung f ∈ L(Rn , Rm ) gegeben, so bilden die Vektoren ⃗aj := f (⃗ej ) ∈ Km für alle j = 1, 2, . . . , n, die Spalten einer Matrix A := (⃗a1 , . . . , ⃗an ) ∈ R(m,n) mit der Eigenschaft A⃗x = f (⃗x) für alle ⃗x ∈ Rn .
210
5 Lineare Algebra
Beispiel 5.26. Es ist A ∈ L(R5 , R3 ) so zu bestimmen, dass die lineare Abbildung f : R5 → R3 , gegeben durch
x − 2x5 + x3 1 f (⃗x) = x2 + 4x4 − x3 für alle ⃗x = (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 )T ∈ R5 , x4 − x1
als Matrix repräsentiert wird. Offenbar ist die Abbildungsvorschrift f : R5 → R3 linear, so dass f als 3 × 5–Matrix darstellbar ist. Wir setzen A = (⃗a1 , ⃗a2 , . . . , ⃗a5 ) und berechnen die Spaltenvektoren ⃗aj = f (⃗ej ) aus der obigen Vorschrift: f (⃗e1 ) = (1, 0, −1)T , f (⃗e2 ) = (0, 1, 0)T , f (⃗e3 ) = (1, −1, 0)T , f (⃗e4 ) = (0, 4, 1)T , f (⃗e5 ) = (−2, 0, 0)T . Hieraus ergibt sich die Darstellung
1 0
1 0 −2
A = (⃗a1 , ⃗a2 , ⃗a3 , ⃗a4 , ⃗a5 ) = 0 1 −1 4 −1 0 0 1
5 3 0 ∈ L(R , R ). 0
Bemerkung 5.27. Allgemein entspricht einer Matrix der Dimensionierung A ∈ R(m,n) eine lineare Abbildung der Form A ∈ L(Rn , Rm ). Wir definieren jetzt zwei unverzichtbare Begriffe im Zusammenhang mit linearen Abbildungen. Definition 5.28. Sei f ∈ L(Rn , Rm ) eine lineare Abbildung mit zugehöriger Matrix A ∈ R(m,n) . Dann heißt die Menge Kern A = {⃗x ∈ Rn : A⃗x = ⃗0} der Kern von A. Für die Lösungsmenge dieses homogenen Gleichungssystems A⃗x = ⃗0 gilt also
5.2 Lineare Abbildungen, Kern und Bild
211
Kern A ⊂ Rn . Die Menge Bild A = span{⃗a1 , ⃗a2 , . . . , ⃗an },
⃗ak = A⃗ek für alle k = 1, 2, . . . , n
heißt Bild von A. Somit gilt Bild A ⊂ Rm und dieses wird von den Spaltenvektoren der Matrix A aufgespannt.
Beispiel 5.29. Wir bestimmen Kern und Bild der linearen Abbildung bzw. Matrix aus Beispiel 5.26. Um den Kern zu bestimmen, lösen wir das korrespondierende homogene Gleichungssystem 1 0 1 0 −2 0 1 0 1 0 −2 0 III + I (A | ⃗0) = 0 1 −1 4 0 0 −→ 0 1 −1 4 0 0 . −1 0 0 1 0 0 0 0 1 1 −1 0 Daraus resultiert der Lösungsvektor
1 −5 1 ⃗x := A⃗x1 + B⃗x2 := A −1 + B 1 , 1 0 0 1 −1
wobei A, B ∈ R frei wählbar sind. Dabei gilt span{⃗x1 , ⃗x2 } ⊂ R5 . Die beiden linear unabhängigen Vektoren ⃗x1 , ⃗x2 ∈ R5 spannen im R5 einen zweidimensionalen Teilraum auf. Um das Bild von A zu bestimmen, überprüfen wir, wieviele der fünf Spaltenvektoren der Matrix linear unabhängig sind. Dazu vertauschen wir in der Matrix A Zeilen mit Spalten und erhalten die sog. transponierte Matrix der Form
212
5 Lineare Algebra
1
0 −1
0 1 T A = 1 −1 0 4 −2 0
1 0 −1
0 1 0 0 −→ Gauß-Schritte −→ 0 0 0 0 1 0 0 0
0 1. 0 0
Die nichtverwindenden Zeilen schreiben wir wieder als Spaltenvektoren und diese linear unabhängigen Vektoren spannen das Bild im R3 auf. Wir bekommen also mit 1 0 0 ⃗b1 := 0 , ⃗b2 := 1 , ⃗b3 := 0 −1 0 1 die Darstellung Bild A = span{⃗b1 , ⃗b2 , ⃗b3 } = R3 . Da das Bild den kompletten Bildraum R3 umfasst bedeutet dies, dass das Gleichungssystem A⃗x = ⃗b für alle rechten Seiten ⃗b ∈ R3 stets lösbar ist.
Kapitel 6
Integration
Eine andere Bezeichnung für Integration könnte auch umgekehrte Differentiation sein. Im nachfolgenden Abschnitt werden Sie mit einer Reihe von Funktionen konfrontiert, die diese Begriffsbildung untermauern. Die Aufgabe lautet also, dass zu einer gegebenen Funktion f : R → R eine Funktion F : R → R gefunden wird mit der Eigenschaft F ′ = f. Bei einfachen und grundlegenden Abbildungen f funktioniert dieser Ansatz recht gut. Bei „komplizierten“ Funktionen kommen weitere Überlegungen dazu, welche wir in weiteren Abschnitten formulieren werden.
6.1 Stammfunktionen und unbestimmte Integrale Wie lässt sich der Prozess der Differentiation umkehren, d. h., wie löst man die Gleichung F ′ (x) = f (x) bei gegebener Funktion f : R → R nach F auf? So ist beispielsweise F (x) = tan x + C, C ∈ R beliebig, Lösung der Gleichung F ′ (x) =
1 , cos2 (x)
wie die Beispiele 4.3 und 4.14 bestätigen. Wir erkennen, dass die Funktion F nicht eindeutig bestimmt ist, da die Konstante C ∈ R jeden Wert annehmen darf. Die Funktion F hat zudem einen Namen und unter Berücksichtigung der Definitionsbereiche der beteiligten Funktionen legen wir fest:
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 W. Merz, Höhere Mathematik in Beispielen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9_6
213
214
6 Integration
Definition 6.1. Gegeben sei die reellwertige Funktion f : Df → R. Eine Funktion F : DF → R heißt auf einem Intervall I ⊆ Df ∩ DF eine Stammfunktion von f , wenn F ′ (x) = f (x) für alle x ∈ I gilt.
Bemerkung 6.2. Sind F1 , F2 zwei Stammfunktionen auf I ⊆ R zu ein und der selben Funktion f , dann unterscheiden sich diese (wie bereits erwähnt) lediglich durch eine Konstante, d. h. es gilt stets F1 (x) − F2 (x) = C, x ∈ I, C ∈ R. Definition 6.3. Durch das unbestimmte Integral wird die Menge aller Stammfunktionen zu f durch Z f (x) dx = F (x) + C, x ∈ I ⊆ Df , C ∈ R, gegeben.
Bemerkung 6.4. Gemäß der bisherigen Ausführungen gelten die Zusammenhänge Z Z d f (x) dx = f (x) bzw. f ′ (x) dx = f (x) + C dx für alle x ∈ I ⊆ Df und C ∈ R. Jede Ableitungsformel liefert eine Integrationsformel. Dementsprechend stellen wir in den nachfolgenden Tabellen eine Reihe von Grundintegralen zusammen:
6.1 Stammfunktionen und unbestimmte Integrale
Unbestimmtes Integral
215
Definitionsbereich
Z (a)
Z (b)
Z (c)
x ∈ R, λ ∈ R
λ dx = λ x + C
xp dx =
x∈R : p ∈ N, x ∈ (−∞, 0) oder x ∈ (0, +∞) : p = −2, −3, −4, . . . , x ∈ (0, +∞) : p ∈ R \ {−1} sonst
xp+1 +C p+1
dx = ln |x| + C x
x ∈ (−∞, 0) oder x ∈ (0, +∞)
Bemerkung 6.5. Spezialfälle der Formel (b), jeweils auf geeigneten Intervallen, sind: Z
Z
dx 1 = − + C, x2 x
√
x dx =
2 3/2 x + C, 3
Z
√ dx √ = 2 x + C. x
Denken Sie in der Formel (c) stets an den Betrag beim Logarithmus. Denn für x < 0 gilt ja nach der Kettenregel:
′ ′ −1 1 ln |x| = ln(−x) = = . −x x
Bemerkung 6.6. Versuchten wir Formel (b) mit p kämen wir den Unsinn Z Z dx x−1+1 = x−1 dx = = x −1 + 1 Wir merken uns also besser Formel (c).
= −1 anzuwenden, be1 . 0
216
6 Integration
Unbestimmtes Integral Z (d)
ex dx = ex + C
x∈R
Z (e)
Z cos x dx = sin x + C,
Z (f)
Definitionsbereich
sin x dx = − cos x + C
x∈R
Z cosh x dx = sinh x + C,
sinh x dx = cosh x + C
x∈R
Aus den Ableitungsformeln der zyklometrischen Funktionen gilt weiterhin:
Z (g) Z (h) Z (i)
Unbestimmtes Integral
Definitionsbereich
1 dx = arctan x + C 1 + x2
x∈R
√
1 dx = arcsin x + C 1 − x2
x ∈ (−1, +1)
√
−1 dx = arccos x + C 1 − x2
x ∈ (−1, +1)
Falls die Funktion f für alle x ∈ I differenzierbar ist und falls f (x) ̸= 0 ∀ x ∈ I ′ gilt, so ist ja ln |f (x)| = f ′ (x)/f (x) ∀ x ∈ I. Hieraus ergibt sich Z
f ′ (x) dx = ln |f (x)| + C, x ∈ I. f (x)
(6.1)
Mit Hilfe dieser Integrationsregel berechnen sich die folgenden unbestimmten Integrale:
6.1 Stammfunktionen und unbestimmte Integrale
217
Unbestimmtes Integral Z (j)
Z
sin x dx = − ln | cos x| + C cos x
Z
cos x dx = ln | sin x| + C sin x
tan x dx = Z
(k)
cot x dx = Z
(l)
Z tanh x dx =
Z (m)
Definitionsbereich
Z coth x dx =
1 x ̸= (n + )π, n ∈ Z 2 x ̸= nπ, n ∈ Z
sinh x dx = ln(cosh x) + C cosh x
x∈R
cosh x dx = ln | sinh x| + C sinh x
x ̸= 0
Verwenden wir die Ableitungsformeln von tan, cot, tanh und coth, so erhalten wir die folgenden unbestimmten Integrale: Unbestimmtes Integral Z
1 dx = tan x + C cos2 x
Z
1 dx = − cot x + C sin2 x
x ̸= nπ, n ∈ Z
Unbestimmtes Integral
Definitionsbereich
(n)
(o)
Z (p) Z (q)
Definitionsbereich 1 x ̸= (n + )π, n ∈ Z 2
1 dx = tanh x + C cosh2 x
x∈R
1 dx = − coth x + C sinh2 x
x ̸= 0
Beachten wir noch die Identität sin x = 2 sin
tan x2 f (x) x x x x =: ′ , cos = 2 tan cos2 = 1 f (x) 2 2 2 2 2 cos2 x 2
also andersrum
1 f ′ (x) = . sin x f (x)
218
6 Integration
Es resultieren mit einer analogen Identität für sinh aus der Regel (6.1) die folgenden unbestimmten Integrale:
Z (r) Z (s)
Unbestimmtes Integral
Definitionsbereich
1 x dx = ln | tan | + C sin x 2
x ̸= nπ, n ∈ Z
1 x dx = ln | tanh | + C sinh x 2
x ̸= 0
Bemerkung 6.7. Jede auf einem Intervall I ⊆ R differenzierbare Funktion ist dort auch stetig. Somit sind Stammfunktionen auf den entsprechenden Intervallen stets stetig.
6.2 Bestimmte Integrale In diesem Abschnitt verzieren wir das Integralzeichen mit einer unteren und oberen Grenze. Mit obiger Bemerkung 6.7 formulieren wir folgende Definition 6.8. Es sei F auf dem Intervall I eine Stammfunktion der gegebenen Funktion f ∈ Abb (R, R) und es gelte [a, b] ⊆ I, a, b ∈ R mit a < b. Dann heißt Z b b f (x) dx := F (b) − F (a) =: F (x) (6.2) a
a
das bestimmte Integral von f über [a, b]. Die Punkte a und b heißen untere bzw. obere Integrationsgrenze. Die Funktion f wird Integrand genannt.
Beispiele 6.9. Nachfolgende Stammfunktionen ermitteln wir duch Raten 1
Z
2xex
a) 0
2
+1
dx = ex
2
1 = e2 − e.
+1
0
6.2 Bestimmte Integrale
Z
4
√ 4 e x √ dx = e x = e2 − e. 2 x 1
1
1 2x 2 dx = ln |x + 1| = ln 2 − ln 2 = 0. x2 + 1 −1
b) 1
Z c)
−1
Z
219
√
1
d) −1
1 x2 + 1 1 1 1 dx = (x2 + ln x2 ) = + ln 1 − − ln 1 = 0 ? 2x 4 4 4 −1
Teil d) ist mit einem Fragezeichen versehen, warum. Hier ist die Antwort:
Bemerkung 6.10. Es ist darauf zu achten, dass das Integrationsintervall [a, b] nicht über I hinausgeht, worin F ′ (x) = f (x) für alle x ∈ I gilt.
Gegenbeispiele 6.11. Die nachstehenden Berechnungen sind wegen Nichtbeachtung der letztgenannten Bemerkung 6.10 falsch: 1 a) Die Stammfunktion aus Beispiel 6.9, d) F1 (x) = (x2 +ln x2 ) ist in x = 0 4 nicht definiert und somit auch nicht differenzierbar. b) Gilt Z2
2 dx = tan x = tan 2 − tan 1? cos2 x −1
−1
Dies ist falsch, weil die Funktion F2 (x) = tan x an der Stelle x = π2 ∈ [−1, 2] nicht definiert (also auch nicht stetig) und somit nicht differenzierbar ist. Bemerkung 6.12. Der Tangens wird als stetige Funktion gehandelt. Denn Stetigkeit bezieht sich auf den Definitionsbereich einer Abbildung. Konkret bedeutet dies nπ o sin x f (x) := tan x = ist stetig für alle x ∈ Dtan := R\ +kπ : k ∈ Z . cos x 2 Entsprechend gilt auch g(x) := cot x =
cos x ist stetig für alle x ∈ Dcot := R \ {kπ : k ∈ Z}. sin x
Siehe dazu auch Abbildung zu (3.15).
220
6 Integration
c) Gilt Z1 −1
p 1 sign x p dx = 2 |x| = 2 − 2 = 0? −1 |x|
p Auch dies ist falsch, weil die Funktion F3 (x) = |x| an der Stelle x = 0 ∈ [−1, +1] zwar stetig ist, dort aber eine Spitze hat, so dass sie bei x = 0 nicht differenzierbar ist.
6.3 Integrationstechniken Die bisherigen Integrale konnten durch einfache Differentiationsregeln bzw. durch Raten ermittelt werden. Bei den meisten Integralen funktioniert dies allerdings nicht. Die nachfolgenden, auch noch so einfach erscheinende Integrale belegen dies: Beispiel 6.13. Die beiden Integrale Z Z I1 = cos2 x dx und I2 = sin2 x dx besitzen aus noch nicht ersichtlichen Gründen die Stammfunktionen F1 (x) =
x 1 + sin 2x + C, 2 4
F2 (x) =
x 1 − sin 2x + C, 2 4
wobei C ∈ R. Wollten wir dies durch differenzieren bestätigen, werden wir zunächst enttäuscht, denn F1′ (x) =
1 1 1 + cos(2x) bzw. F2′ (x) = 1 − cos(2x) . 2 2
Verwenden wir dagegen das Additionstheorem cos2 (2x) = cos2 x − sin2 x und die berühmte Formel cos2 x + sin2 x = 1, dann ergibt sich nach wenigen Rechenschritten
6.3 Integrationstechniken
cos2 x =
221
1 1 1 + cos(2x) bzw. sin2 x = 1 − cos(2x) . 2 2
(6.3)
Um die letzten beiden Stammfunktionen zu erklären, formulieren wir Satz 6.14. (Linearität des Integrals). Haben die Funktionen f und g auf dem Intervall I ⊂ R Stammfunktionen F bzw. G, so ist die Funktion λ F + µ G auf I eine Stammfunktion von λ f + µ g, λ, µ ∈ R: Z Z Z λ f (x) + µ g(x) dx = λ f (x) dx + µ g(x) dx, b
Z
b
Z
λ f (x) + µ g(x) dx = λ
a
f (x) dx + µ a
(6.4)
b
Z
g(x) dx a
für a, b ∈ I.
„Anwendung der Linearität“ führt mit (6.3) auf folgende Integrale und wir erhalten mit Satz 6.14 sofort: Z Z 1 1 x 1 I1 = dx + cos 2x dx = + sin 2x + C, 2 2 2 4 Z I2 =
1 dx − 2
Z
1 x 1 cos 2x dx = − sin 2x + C. 2 2 4
Eine weitere Anwendung der Linearität beinhaltet Beispiel 6.15. Seien ak ∈ R, k = 1, · · · , n, dann gilt Z X n
k
ak x dx =
k=0
n Z X
ak xk dx =
k=0
n X k=0
ak
xk+1 +C k+1
für alle x ∈ R und C ∈ R.
Wir greifen nochmals das vorangegangene Beispiel 6.13 auf, um eine weitere Integrationsregel einzuführen. Beispiel 6.16. Das unbestimmte Integral Z I = cos2 x dx
222
6 Integration
besitzt auch die Stammfunktion F (x) =
x 1 + sin x cos x + C, 2 2
wobei C ∈ R. Mithilfe des Additionstheorems sin(2x) = 2 sin x cos x kann F auf die Stammfunktion aus Beispiel 6.13 zurückgeführt werden. Auch das nachfolgende Beipiel basiert auf der noch zu besprechenden Integrationsregel. Zunächst jedoch resultiert wie aus heiterem Himmel Beispiel 6.17. Das ebenfalls so einfach erscheinende Integral Z I = ln |x| dx besitzt die Stammfunktionen F (x) = x ln |x| − x + C, C ∈ R, welche mit den eingangs genannten „Lösungsmetrhoden“ durch Erraten sicherlich nicht bestimmt werden kann. Natürlich überprüfen wir die Richtigkeit dieser Behauptung durch Differentiation: F ′ (x) = ln |x| + x ·
1 − 1 = ln |x|, x
wobei Bemerkung 6.5 berücksichtigt wurde. Damit ergibt sich weiterhin Z e Z e e ln |x| dx = ln x dx = (x ln x − x) = 1, 1
1
1
wobei |x| = x im gegebenen Integrationsbereich gilt. Hier nun die angekündigte Regel, welche auf der Produktregel der Differentiation basiert. Mit abgekürzter Schreibweise gilt Z Z Z Z (f g)′ = f ′ g + f g ′ ⇐⇒ f g = f ′ g + f g ′ ⇐⇒ f g ′ = f g − f ′ g. Formal liest sich das als Satz 6.18. (Partielle Integration). Sind f und g im Intervall I differenzierbar und hat die Funktion f ′ g eine Stammfunktion H, so ist f g−H eine Stammfunktion von f g ′ :
6.3 Integrationstechniken
Z
223
Z
′
f (x)g (x) dx = f (x)g(x) −
Zb
f ′ (x)g(x) dx, | {z } = H(x) + C
b Zb f (x)g (x) dx = f (x)g(x) − f ′ (x)g(x) dx
(6.5)
′
a
a
a
|
{z
b = H(x)
}
a
für a, b ∈ I.
Beispiel 6.19. Aller guten Dinge sind drei. Also nochmals Z Z Z cos2 x dx = cos x cos x dx = cos x sin x − − sin x sin x dx | {z } | {z } | {z } |{z} | {z } |{z} ′ ′ f f g g f g Z Z = cos x sin x + sin2 x dx = cos x sin x + (1 − cos2 x) dx.
Die unterstrichenen Anteile führen auf Z Z 2 cos2 x dx = cos x sin x + dx, woraus sich unmittelbar die Stammfunktion aus Beispiel 6.16 ergibt. R Entsprechend dürfen Sie als kleine Übungsaufgabe I = sin2 x dx berechnen. Bei der Anwendung der Formeln (6.5) ist es entscheidend, welche der beiden Integranden als f bzw. g ′ identifiziert werden. Dazu einige Beispiele 6.20. In den nachfolgenden Integralen gilt C ∈ R. a) Wir setzen im nachfolgenden Integral f (x) := x und g ′ (x) := e−x . Damit ergibt sich Z Z xe−x dx = x(−e−x ) − −e−x dx = −e−x (1 + x) + C.
224
6 Integration
b) Wir vertauschen jetzt die Rollen und setzen g ′ (x) := x und f (x) := e−x . Damit ergibt sich jetzt Z Z 2 x2 −x x −x −x xe dx = e + e dx. 2 2 Dies führt in eine Sackgasse! Die Potenzen werden erhöht anstatt sie zu reduzieren, um die Integrale einfacher zu gestalten. c) Wir setzen im nachfolgenden Integral f (x) := x2 und g ′ (x) := e−x . Damit ergibt sich nach zweimaliger Anwendung partieller Integration Z Z x2 e−x dx = −x2 e−x + 2xe−x dx = −x2 e−x +
− 2xe−x +
Z
2e−x dx
= −e−x (x2 + 2x + 2) + C. d) Wir setzen im nachfolgenden Integral g ′ (x) := x und f (x) := ln x. Damit ergibt sich jetzt Z Z 2 x2 x 1 x2 1 x ln x dx = ln x − · dx = ln x − + C. 2 2 x 2 2 e) Jetzt ist es soweit, wir greifen Beispiel 6.17 auf. Dazu setzen wir f (x) := ln x und g ′ (x) := 1. Damit ergibt sich Z Z 1 1 · ln x dx = x ln x − x · dx = x ln x − x + C, x > 0. x
Das letzte Beispiel 6.20 e) gibt Anlass für einen „Spezialfall der partiellen Integration“ . Die Formel der partiellen Integration aus Satz 6.18 nimmt im Sonderfall g(x) := x bzw. g ′ (x) := 1 folgende Form an:
6.3 Integrationstechniken
225
Z
Z f (x) dx = x f (x) −
x f ′ (x) dx.
Wir verwenden R die Formel (6.6), wenn entweder das Integral das Integral f (x) dx bekannt ist.
(6.6)
R
x f ′ (x) dx oder
Beispiele 6.21. In den nachfolgenden Integralen gilt C ∈ R. Wir verwnden Formel (c) aus Abschnitt 6.1 für die beiden nächsten Integrale: a) Es sei f (x) := arctan x und g(x) := x. Wir erhalten Z Z 1 2x arctan x dx = x arctan x − dx 2 1 + x2 | {z } =:h′ (x)/h(x)
1 = x arctan x − ln(1 + x2 ) + C, 2
b) Es sei f (x) := arccot x und g(x) := x. Wir erhalten Z Z 1 −2x arccot x dx = x arccot x − dx 2 1 + x2 | {z } =:h′ (x)/h(x)
= x arccot x +
1 ln(1 + x2 ) + C, 2
c) Es sei f (x) := ln2 x und g(x) = x. Wir erhalten mit Beispiel 6.20 c): Z Z Z 1 ln2 x dx = x ln2 x − 2 x · ln x dx = x ln2 x − 2 ln x dx x = x ln2 x − 2x ln x − 2x + C, x > 0.
Greifen wir nochmals Beispiele 6.9 a), b) auf, dann erkennen wir einen Integranden der Form f (g(x))g ′ (x). Dahinter verbirgt sich die Kettenregel der Differentiation. Wenn also F eine Stammfunktion von f ist, gilt der Zusammenhang d d (F ◦ g)(x) = F (g(x)) = F ′ (g(x))g ′ (x) = f (g(x))g ′ (x) = (f ◦ g)(x)g ′ (x). dx dx
226
6 Integration
Wird also obengenannte Form erkannt, gilt es eine Stammfunktion von f zu bestimmen. Es gelten nun folgende Integrationsregeln für unbestimmte und bestimmte Integrale:
Satz 6.22. (Substitutionsregel). Hat die Funktion f auf dem Intervall I ⊆ Df eine Stammfunktion F und ist die Funktion g : I0 → I differenzierbar, so ist F ◦ g auf dem Intervall I0 eine Stammfunktion von (f ◦ g) g ′ : Z Z f g(x) g ′ (x) dx = f (u) du u=g(x) , x ∈ I0 , Zb
g(b) Z f g(x) g (x) dx = f (u) du, a, b ∈ I0 .
a
g(a)
(6.7)
′
Gilt darüber hinaus, dass g ′ (t) ̸= 0, t ∈ I0 , so besitzt die Funktion g eine Inverse, und es gilt Z Z f (x) dx = f g(u) g ′ (u) du u=g−1 (x) , x ∈ I, g −1 Z (b)
Zb
′
f g(u) g (u) du, a, b ∈ I.
f (x) dx = a
(6.8)
g −1 (a)
Anhand von Beispielen soll nun der Umgang mit obigen Darstellungen und Formeln präzisiert werden. Wir beginnen mit der Formel (6.7) indem wir die Darstellung f g(x) g ′ (x) umwandeln in die Form f (u). Beispiele 6.23. Wie immer gilt auch hier im Folgenden C ∈ R. a) Wir beginnen mit dem unbestimmten Integral Z Z 2 f (g(x))g ′ (x) dx = 2xex +1 dx. Wir führen dies gemäß (6.7) auf die Darstellung Z f (u) du u=g(x) zurück. Wir setzten
6.3 Integrationstechniken
227
du du = 2x =⇒ dx = . dx 2x
u := x2 + 1 =⇒ Damit Z
f (u) du u=g(x) =
Z
2 eu du u=g(x) = eu u=g(x) = e|x{z+1} + C. =F (g(x))
b) Wir berechnen jetzt das bestimmten Integral gemäß (6.7) und erhalten mir den transformierten Grenzen u ∈ [g(0), g(1)] = [1, 2]: 1
Z
2xe
x2 +1
2
Z dx =
0
1
2 eu du = eu 1 = e2 − e.
c) Wir bestimmen weiter das unbestimmte Integral Z Z 3 ′ f (g(x))g (x) dx = x2 ex /3 dx. Wir setzten u := Damit Z
x3 du du =⇒ = x2 =⇒ dx = 2 . 3 dx x
f (u) du u=g(x) =
Z
3 eu du u=g(x) = eu u=g(x) = e|x{z/3} + C. =F (g(x))
d) Wir berechnen jetzt das Integral Z I=
3
x2 ex dx
indem wir dieses zuerst auf die Form Z Z 3 1 f (g(x))g ′ (x) dx = 3x2 ex dx 3 bringen. Wir setzten jetzt wie bisher u := x3 =⇒
du du = 3x2 =⇒ dx = 2 . dx 3x
Damit Z Z 1 1 1 f (u) du u=g(x) = eu du u=g(x) = eu u=g(x) = 3 3 3
3
ex + C. |{z}
=F (g(x))
228
6 Integration
e) Formel (c) aus Abschnitt 6.1 kann mithilfe der Substitutionsregel erklärt werden. Mit der Substitution u := g(x) und mit du/dx = g ′ (x) ergibt sich Z ′ Z ′ Z g (x) g (x) du du dx = · ′ = = ln |g(x)| + C. u=g(x) g(x) u g (x) u u=g(x) f) Wir setzten nun g(x) = sin x und erhalten mit g ′ (x) = cos x die Darstellung Z Z Z cos x cos x du cot x dx = dx = · sin x u cos x u=sin x = ln |u| u=sin x = ln | sin x| + C, x ̸= nπ, n ∈ Z. Eine ähnliche Vorgehensweise trifft auf den tan zu. Überprüfen Sie das.
Wir gehen jetzt den umgekehrten Weg und wandeln gemäß (6.8) die Darstellung f (x) um in f (g(u))g ′ (u) mit einem noch zu bestimmendem g(u). Beispiele 6.24. Wie immer gilt auch hier im Folgenden C ∈ R. a) Wir beginnen mit dem unbestimmten Integral Z Z p f (x) dx = 1 − x2 dx. Wir führen dies gemäß (6.8) auf die Darstellung Z f g(u) g ′ (u) du u=g−1 (x) zurück. Wir setzten x := sin u (= g(u)) =⇒
dx = cos u =⇒ dx = cos u du. du
Daraus und mit u = arcsin x = g −1 (x) ergibt sich
6.3 Integrationstechniken
229
Z p Z Z p Z 2 2 2 1 − x dx = 1 − sin u cos u du = cos u −1 u=g (x) u=g −1 (x) | {z } | {z } =g ′ (u)
=f (g(u))
(∗)
u
1 sin u cos u + C 2 2 u=arcsin x p 1 = u + sin u 1 − sin2 u u=arcsin x + C 2 =
√ 1 arcsin x + x 1 − x2 ) + C, 2
=
+
wobei in (∗) Beispiel 6.19 verwendet wurde. b) Wir betrachten jetzt das bestimmte Integral b
Z
1
Z f (x) dx =
a
p 1 − x2 dx.
0
Wir setzten x := sin u (= g(u)) =⇒
dx = cos u =⇒ dx = cos u du. du
Mit u = arcsin x = g −1 (x) und gemäß (6.8) ergibt sich g −1 Z (b)
b
Z
f g(u) g ′ (u) du =
f (x) dx = a
g −1 (a)
=
u 2
+
π 2
Z
cos2 u du
0
π2 1 π sin u cos u = . 2 4 0
c) Wir betrachten jetzt etwas allgemeiner Z Z p f (x) dx = a2 − x2 dx, a > 0. Mit der Substitution x := a sin u (= g(u)) =⇒ dx = a cos u du und u = arcsin(x/a) (= g −1 (x)) das unbestimmte Integral
230
6 Integration
Z
f (g(u)) g ′ (u) du u=g(x) =
Z p
= a
2
= a2
a2 − a2 sin2 u a cos u du u=g(x)
Z p Z
1 − sin2 u cos u du u=arcsin(x/a)
cos2 u du u=arcsin(x/a)
p a2 u + sin u 1 − sin2 u u=arcsin(x/a) + C 2 ! r a2 x x x2 = arcsin + 1− 2 +C 2 a a a
(∗)
=
=
p 1 2 x a arcsin + x a2 − x2 + C. 2 a
wobei in (∗) wiederum Beispiel 6.19 verwendet wurde. d) Sei nun speziell Z f (x) dx =
Z p
1 − 4x2 dx.
Eine kleine Umformung und das vorangegengene Beispiel Teil c) liefern mit a = 1/2 s Z p Z 2 1 1 − 4x2 dx = 2 − x2 dx 2 ! r 1 1 2 = arcsin(2x) + x −x + C. 4 4 Bemerkung 6.25. Die Substitution aus den letzten Beispielen 6.24 basieren alle auf der berühmten Formel cos2 x + sin2 x = 1. Die nachfolgenden Beispiele lassen sich nur „fast“ mit Formel (6.7) bewältigen, worin noch ein klein wenig nachgeholfen werden muss. Dazu Beispiele 6.26. Nachfolgend gilt C ∈ R. a) Wir beginnen mit dem unbestimmten Integral Z Z f (x) dx = x3 (1 − x2 )100 dx. Die Substitution
6.3 Integrationstechniken
231
u := 1 − x2 =⇒ dx = − führt zuächst auf Z
x3 (1 − x2 )100 dx = −
1 2
Z
du 2x
x2 u100 du.
Der x-abhängige Term lässt sich glücklicherweise als u-Ausdruck schreiben, nämlich x2 = 1 − u, also ist insgesamt Z Z 1 x3 (1 − x2 )100 dx = − (1 − u) u100 du u=1−x2 2 Z 1 =− u100 − u101 du u=1−x2 2 101 102 ! 1 − x2 1 − x2 1 =− − . 2 101 102 | {z } =: F (x) Wir überprüfen dies und berechnen 100 101 1 1 − x2 (−2x) − 1 − x2 (−2x) 2 100 101 = x 1 − x2 − 1 − x2
F ′ (x) = −
=x
100
− 1 − x2
100
+ C.
1 − x2
= x3 1 − x2
1 − x2
100
b) Im folgenden, ähnlich strukturierten Integral wie soeben, ist die Substitution du u := x2 =⇒ dx = 2x erfolgreich. Gemäß Beispiel 6.20, c) ergibt sich Z
2
x5 e−x dx =
1 2
Z
x4 e−u du =
1 2
Z
u2 e−u du u=x2
1 = − e−u u2 + 2u + 2 u=x2 + C 2 2 1 = − e−x x4 + 2x2 + 2 + C. 2
232
6 Integration
Die Probe ist eine etwa vierzeilige Übung für Sie. Beispiel 6.27. Ohne jegliche Integrationsregeln ist leicht zu erkennen, dass Z 101 x3 dx = 0. (6.9) 2 4 3 x6 −101 arctan(x ) cos(x ) cosh(x ) + e Ausschlaggebend für diese Erkenntnis ist die Tatsache, dass f (x) := x3 eine ungerade Funktion ist. Es gilt also f (−x) = −f (x) und das bedeutet für bestimmte Integrale der Form Z a a4 (−a)4 x3 dx = − = 0, a ∈ R. (6.10) 4 4 −a Da die Funktionen im Nenner des Integrals (6.9) gerade sind, also f (−x) = f (x) erfüllen, wird die genannte Eigenschaft (6.10) nicht beeinträchtigt. Dies gilt natürlich für alle Potenzfunktionen mit ungeraden Potenzen: Z a a2n (−a)2n x2n−1 dx = − = 0, a ∈ R, n ∈ N. (6.11) 2n 2n −a
f(x)
x
Ungefährer Verlauf einer Parabel ungeraden Grades
Graphisch gesehen bedeutet (6.11), dass sich die beiden Flächeninhalte links und rechts der y-Achse wegen des verschiedenen Vorzeichens gegenseitig wegheben. Die Thematik Flächeninhalte mittels Integration greifen wir im nun folgenden Abschnitt auf.
6.4 Flächeninhalte und Volumina
233
6.4 Flächeninhalte und Volumina Wie am Ende des vorangegangenen Abschnitts angedeutet, kann das Ergebnis eines bestimmten Integrals als der Flächeninhalt A zwischen dem Graphen des Integranden und der x-Achse interpretiert werden. Dabei werden die Flächen unterhalb der x-Achse mit einem negativen Vorzeichen versehen. Beispiele 6.28. Ein Blick auf den untenstehenden Funktionsgraphen des Cosinus rechtfertigtt folgende Flächeninhalte A: Z π2 π a) A = cos x dx = sin x −2 π = 2, 2
−π 2
3π 2
Z b) A =
3π 2
Z c) A = π 2
3π cos x dx = sin x −2 π = 0, 2
−π 2
3π cos x dx = sin x π2 = −2. 2
x
x
Graph der Cosinus–Funktion
Bemerkung 6.29. Bestimmte Integrale haben die Eigenschaft b
Z
c
Z f (x) dx =
b
Z f (x) dx +
a
a
f (x) dx
(6.12)
c
für c ∈ [a, b] ⊂ R. Beispiel 6.30. Mit (6.12) berechnen wir Z
3π 2
π 2
Z | cos x| dx =
A= −π 2
Z
−π 2
π 2
3π 2
Z cos x dx −
= −π 2
π 2
3π 2
Z
| cos x| dx
cos x dx + π 2
π 3π cos x dx = sin x −2 π − sin x −2 π = 4, 2
2
234
6 Integration
also der tatsächliche (positive) Flächeninhalt zwischen der x-Achse und dem Graphen von Cosinus. Sind zwei Funktionen f, g : [a, b] → R gegeben, so ist der geometrische Flächeninhalt A zwischen den Graphen von f und g in der folgenden Weise definiert:
A=
Zb
f (x) − g(x) dx, f (x) ≥ g(x) für alle x ∈ [a, b].
a
y dx f(x) A g(x)
a
x
b
x
Flächeninhalt zwischen den beiden Graphen von f und g
Beispiel 6.31. Gesucht ist der Inhalt A des Flächenstückes zwischen den Graphen der Funktionen f (x) := sin x und g(x) := 3x/5π.
y
5 6
f(x)
g(x) 5 6
Flächeninhalt zwischen sin x und 3x/5π
x
6.4 Flächeninhalte und Volumina
235
Dazu überlegen wir uns graphisch, dass f (x) = g(x) genau für x−1 := −5π/6, x0 := 0, x1 := 5π/6 erfüllt ist, und dies bestätigt folgende Wertetabelle: − 5π 6 0
5π 6
2π
f (x) − 12 0
1 2
0
g(x) − 12 0
1 2
x
6 5
>1
Für x ≥ 2π gilt g(x) ≥ 6/5 > 1, womit keine weiteren Nullstellen der Funktion f − g auftreten. Es folgt in Analogie zu Beispiel 6.30 und aus der soeben formulierten Vorüberlegung: Z
0
3x
A= −5π/6
=
h 3x2 10π
= 2+
5π
− sin x dx +
+ cos x
√
3−
5π/6
Z
sin x −
0
3x dx 5π
h 3x2 i5π/6 − cos x + 10π 0 −5π/6
i0
5π . 12
Beispiel 6.32. Der Flächeninhalt eines Halbkreises mit Radius r > 0 ist mit den Mitteln der Integralrechnung zu bestimmen.
y f(x)= r2-x2
-r
+r
Flächeninhalt eines Halbkreises
x
236
6 Integration
Aus der Gleichung x2 + y 2 = r2 der Kreislinie mit Radius r > 0 erhält man für den oberen Halbkreisbogen die explizite Darstellung p y = f (x) = r2 − x2 , −r ≤ x ≤ r. Das Integral Z
r
A=
r
Z f (x) dx = 2
−r
p r2 − x2 dx
0
berechnet man gemäß Beispiel 6.24 c) mit Hilfe der Substitution x = r sin u, =⇒ dx = r cos u du und u = arcsin(x/r) : A = 2r2
π/2
Z
cos2 u du = r2 0
π/2
Z
(1 + cos 2u) du 0
iπ/2 h 1 1 = r2 u + sin 2u = r2 π. 2 2 0 Damit klärt sich auch der Flächeninhalt des ganzen Kreises.
Wir berechnen nun dreidimesionale Volumina bestimmter Körper. Dazu verwenden wir einen Trick, um dies mit zweidimensionalen Flächenberechnungen zu bewältigen. Wir legen gemäß nachstehender Skizze einen dreidimensionalen Körper K über die eindimensionale x-Achse. An der Stelle x =const bezeichne q(x) den Flächeninhalt des Schnittes durch diesen Körper.
y K
q(x)
a
x Gesamtvolumen
Das Gesamtvolumen von K ergibt durch
b
6.4 Flächeninhalte und Volumina
237 b
Z V =
q(x) dx. a
y dx y= r2-x2
-r
x
r
x
Volumenberechnung einer Kugel Beispiel 6.33. Es ist das Volumen einer Kugel vom Radius r > 0 nach dem soeben erwähnten Prinzip zu bestimmen. Die Schnittfläche der Kugel um den Mittelpunkt (0, 0) mit der Ebene x =const ist ein Kreis und hat den Flächeninhalt q(x) = πr2 = πy 2 = π(r2 − x2 ). Hieraus folgt Z
r
(r2 − x2 ) dx =
VKugel = π −r
4 3 πr . 3
Die Kugel ist der Spezialfall eines Rotationskörpers. Für die Volumina von Rotationskörpern gelten folgende Vereinfachungen. (a) Bei Rotation um die x-Achse: Es gelte f (x) ≥ g(x) für alle x ∈[a, b]. Dann hat die Schnittfläche den Flächeninhalt q(x) = π f 2 (x) − g 2 (x) und somit folgt Z b Vx = π f 2 (x) − g 2 (x) dx. a
238
6 Integration
y f(x) g(x) a
x
b
x 1 2
q(x)
Volumen eines Rotationskörpers bei Rotation um die x–Achse
y b
a x
Volumen eines Rotationsellipsoids Beispiel 6.34. Zu bestimmen ist das Volumen desjenigen Rotationskörpers, der durch Rotation der Ellipse x 2 a
+
y 2 b
=1
um die x-Achse entsteht.lösen die Darstellung der Ellipse nach y auf und erhalten s f (x) :=
x2 b2 1 − 2 , g(x) := 0, −a ≤ x ≤ a. a
Es folgt Z
a
VEll. = π
b −a
2
x2 1− 2 a
dx =
4 2 πb a. 3
Hier ist auch der Sonderfall der Kugelvolumens mit a = b = r enthalten.
6.4 Flächeninhalte und Volumina
239
y
y f(x)
q(x) g(x)
a
x
b x
x
Volumen eines Rotationskörpers bei Rotation um die y–Achse
y h
f(x)
g(x)
r
x
Volumen eines geraden Kreiskegels
(b) Bei Rotation um die y–Achse: Es gelte f (x) ≥ g(x) für alle x ∈ [a, b]. Dann ist q(x) ein Zylindermantel mit dem Flächeninhalt q(x) = 2πx (f (x) − g(x)), und somit folgt b
Z
x (f (x) − g(x)) dx.
Vy = 2π a
Beispiel 6.35. Wir bestimmen das Volumen eines geraden Kreiskegels der Höhe h und des Basiskreisradius r > 0. Wir haben hier f (x) := h, g(x) :=
hx r ,
0 ≤ x ≤ r, zu setzen. Es gilt nun
x2 x (f (x) − g(x)) = h · x − r
240
6 Integration
und somit r
Z
x−
VKegel = 2πh 0
x2 r
dx =
1 2 πr h. 3
Abschließend verändern wir die Notation im Integral aus Beispiel 6.34 ein wenig und erhalten Beispiel 6.36. Seien E, d ∈ R und n ∈ N, dann 3E 4
Z
d
x2 n 1− 2 d −d
3E dx = 4
3E = 4
nx3 nx − 2 3d
d
−d
nd nd nd − + nd − 3 3 3E 2nd = 2nd − 4 3 = End .
Literaturverzeichnis
Forster, O.: Analysis 1, Differential– und Integralrechnung einer Veränderlichen. 10. Aufl., Vieweg + Teubner, 2011. Gelbaum, B. R., Olmsted, J. M. H.: Counterexamples in Analysis, 2. Aufl., San Francisco London Amsterdam: Holden-Day, 1965. Merz, W., Knabner, P.: Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Lineare Algebra und Analysis in R. 1. Aufl., Berlin Heidelberg: Springer, 2013. Merz, W., Knabner, P.: Endlich gelöst! Aufgaben zur Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Lineare Algebra und Analysis in R. 1. Aufl., Berlin Heidelberg: Springer, 2014. Meyberg, K., Vachenauer, P.: Höhere Mathematik 1, Differential- und Integralrechnung, Vektor- und Matrizenrechnung. 6. Aufl., Berlin Heidelberg: Springer, 2001. Turtur, C. W., Prüfungstrainer Mathematik, Klausur- und Übungsaufgaben mit vollständigen Musterlösungen. 1. Aufl., Wiesbaden. Teubner, 2006.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 W. Merz, Höhere Mathematik in Beispielen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68088-9
241
Sachverzeichnis
Abbildung, 109 lineare, 201, 203 abgeschlossene Menge, 4, 76 abgeschlossenes Intervall, 4 abklingenden Exponentialfunktion, 158 Ableitung, 148 Betragsfunktion, 150 Exponentialfunktionen, 149 Kettenregel, 157 linksseitige, 151 Logarithmusfunktion, 149 Potenzfunktionen, 149 Produktregel, 157 Quotientenregel, 157 rechtsseitige, 151 Regeln allgemeine, 157 Summenregel, 157 Umkehrfunktion, 160 Wurzelfunktion, 151 absolut konvergent, 89, 90, 98, 100 Absolutbetrag, 1, 2, 34 absolute Konvergenz, 84, 85 Umordnungssatz, 87 Additionstheorem, 52, 163, 220 algebraische Verknüpfungen, 133 Algorithmus von Gauß, 183 allgemeine Dreiecksungleichung, 11 alternierende harmonische Reihe, 78 alternierende Reihe, 79 Anwendung der Linearität, 221 Arcustangens, 49 Ausdruck unbestimmter, 165 Bedingung
hinreichende, 145 notwendige, 204 berühmte Formel, 220, 230 Bernoulli Ungleichung von, 119 bestimmtes Integral, 218 Betrag, 1, 34, 215 Betragsfunktion, 131 Betragsungleichung, 3, 4 bijektiv, 111 Bild, 201, 211 Bildbereich, 109 Binomialkoeffizient, 16 binomische Formel, 15, 34, 59, 119 Bolzano-Weierstrass Satz von, 67 Cauchy -Kriterium, 77 Cosinus Rechenregeln, 46 Cosinus hyperbolicus, 158 Cosinus-Reihe, 16 Cotangens-Funktion, 156 Darstellung des Nullvektors triviale, 208 De Moivre Regeln von, 52 Definitionsbereich, 109, 110 Definitionslücke, 115 Differential -quotient, 148 Differentiation umgekehrte, 213 Differentiationsregeln, 156 Differenzenquotient, 147
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243
244 divergent, 58 Divergenz, 58 dreidimensionales Volumen, 236 Dreiecksungleichung, 9, 11, 35, 131 allgemeine, 11 umgekehrte, 10, 11, 35, 131 Ebene, 208 Einheitsvektor, 206 Einschließungsprinzip, 65 Elimination nach Gauß, 183 Epsilon-Delta-Kiste, 129 erweitert Koeffizientenmatrix, 185 Erweiterung der Kriterien, 93 Euler -Formel, 51 -Produkt, 82 Exponentialfunktion abklingenden, 158 Exponentialreihe, 16 Flächeninhalt eines Halbkreises, 235 geometrischer, 234 Flächeninhalt Kreis, 236 Flächeninhalte, 233 Folge alternierende, 58 identische, 57 konstante, 57 Produkt-, 62 Quotienten-, 62 reziproke, 57 Sekanten-, 147 streng monoton, 58 streng monotone, 58 Summen-, 62 Form geklammerte, 117, 126 formale Rechenregel, 164, 165 Formel berühmte, 220, 230 binomische, 15, 34, 59, 119 Euler-, 51 fortsetzbar stetig, 126 Funktion, 109 Cotangens-, 156 gerade, 232 Grenzwert, 116 Heaviside-, 151 inverse, 112 Limes, 116
Sachverzeichnis lineare, 201 Nullstellensatz, 140 rationale, 157 Signum-, 152 Tangens-, 155 trigonometrische, 44, 154 Rechenregeln, 46 ungerade, 232 Wurzel-, 110 Zwischenwertsatz, 144 zyklometrische, 163 Gauß Algorithmus von, 183 Elimination nach, 183 gebrochen rationale Reihe, 92, 93 geklammerte Form, 117, 126 geometrische Flächeninhalt, 234 Reihe, 77 Summenformel, 77 geometrische Reihe majorisierende, 89 gerade Funktion, 232 gestrichene harmonische Reihe, 81 gleichmäßig stetig Negat von, 138 gleichmäßige Stetigkeit Komposition, 139 Produkt, 135 gleichmäßig stetig, 135 Gleichung komplexe quadratische, 40 Gleichungssystem überbestimmtes, 189 homogenes lineares, 199, 209 lineares, 181, 183 unlösbares, 193 goldene Schnitt, 28 Grenzwert, 116 einer Folge, 58 rechtsseitiger, 116 Regel von L’Hospital, 166 uneigentlicher, 59, 164 Grund –integral, 214 Häufungspunkt, 66 Häufungspunkt einer Folge, 66 harmonische Reihe, 78 gestrichene, 81 Hauptwert, 44 Heaviside-Funktion, 151 hebbare Unstetigkeit, 130, 131
Sachverzeichnis hinreichende Bedingung, 145 homogenes lineares Gleichungssystem, 199 Hyperbelfunktion, 158 imaginäre Einheit, 31, 32, 67 Imaginärteil, 31 Induktion vollständige, 11, 64 injektiv, 111 Integral –s, Linearität des, 221 bestimmtes, 218 Grund–, 214 unbestimmtes, 213, 214, 216, 217 Integrand, 218 Integration, 213 –sgrenze obere, 218 untere, 218 partielle, 222 Spezialfall der partiellen, 224 Integrationstechniken, 220 Intervall abgeschlossenes, 4 offenes, 4 Intervallschachtelung, 141, 142 inverse Funktion, 112 inverses Quotientenkriterium, 99 Wurzelkriterium, 99 Kern, 201, 210, 211 Kettenbruch, 28 endlicher, 28 unendlicher, 29 Kettenbruchdarstellung, 29 Kettenregel, 157 Koeffizienten der Linearkombination, 205 Koeffizientenmatix, 184 Koeffizientenmatrix erweiterte, 185 komplexe Potenzreihe, 105 komplexe quadratische Gleichung, 40 komplexe Wurzel, 39, 52 Kompositum, 133 konjugiert komplexe Zahl, 32, 34 Kontraposition, 96 konvergent absolut, 89, 90, 98, 100 Konvergenz -Kreis, 106 absolute, 84, 85 einer Zahlenfolge, 58
245 Konvergenzkriterium, 89 Konvergenzradius, 100, 118 Kreis Flächeninhalt, 236 Konvergenz-, 106 Kriterien Erweiterung der, 93 Kriterium Cauchy-, 77 von Leibniz, 79 Wurzel-, 89, 94, 95 Wurzel- , 90 kubische Potenz, 23 L’Hospital Differenzierbarkeit, 178 greift nicht, 168 mehrfach, 167 Regel von, 166 Lücke, 117, 119, 122, 131 Leibniz Kriterium, 79 Leibniz-Reihe, 80 Limes, 116 –Regel, 165 limes inferior, 68 limes superior, 68 liminf, 95 limsup, 94, 95 Linear -kombination, 205 linear abhängig, 207 unabhängig, 207 lineare Abbildung, 201 lineare Funktion, 201 lineares Gleichungssystem, 181, 183 Linearität Anwendung der, 221 des Integrals, 221 linksseitig stetig, 124 linksseitige Ableitung, 151 Majorante, 85 Majorantenkriterium, 93 majorisierende geometrische Reihe, 89 Matrix, 184 Staffelform der, 188 transponierte, 211 Matrix mal Vektor, 205 Matrix mit Parametern, 194 Menge abgeschlossene, 4, 76 offene, 4, 76
246 vollständige, 137 Minorante, 85 Minorantenkriterium, 92 monotone Zahlenfolge, 60 Monotonie Wurzel, 36 n-te komplexe Wurzel, 41, 53 Wurzel, 13 Negat von gleichmäßig stetig, 138 negativ orientiert, 44 nicht gleichmäßig stetig, 138 nobelste Zahl, 30 notwendige Bedingung, 204 Nullstellensatz, 140 obere Integrationsgrenze, 218 offene Menge, 4, 76 offenes Intervall, 4 Operator, 109 Ordnungsstruktur, 68 orientiert negativ, 44 positiv, 44 Partialsumme, 76 partielle Integration, 222 Anwendung der, 224 Pol, 131 Polarform, 43 Poloardarstellung, 46 Polstelle, 117 Popcorn-Funktion, 129 positiv orienteirt, 44 Potenz kubische, 23 quadratische, 17 Potenzreihe, 97 komplexe, 105 Primzahl, 82 Produkt -regel, 157 Euler-, 82 Matrix mit Vektor, 205 Produktfolge, 62 quadratische Potenz, 17 quadratische Ungleichung, 5 quadratische Wurzel, 13 Quotienten -regel, 157 Quotientenfolge, 62
Sachverzeichnis Quotientenkriterium inverses, 99 Radikand, 13 rationale Funktion, 157 Realteil, 31 Rechenregel fomale, 164, 165 rechtsseitig stetig, 124 rechtsseitige Ableitung, 151 reelle Zahlenfolge, 57 Regel allgemeine Ableitungs-, 157 Ketten–, 157 Produkt-, 157 Quotienten-, 157 Substitutions–, 226 Summen-, 157 von L’Hospital, 166 Regeln von De Moivre, 52 Reihe alternierende, 79 alternierende hamonische, 78 gebrochen rationale, 92, 93 geometrische, 77 gestrichene harmonische, 81 hamonische, 78 Leibniz-, 80 majorisierende geometrische, 89 Potenz-, 97 Teleskop-, 82 unendliche, 76 Riemann Umordnungssatz, 86 Rotation, 237 Rückwärtssubstitution, 186, 187, 189, 190 Sandwichprinzip, 65, 120, 122, 165 Satz Nullstellen-, 140 von Bolzano-Weierstrass, 67 von Stolz, 176 Zwischenwert-, 144 Schnitt goldene, 28 Sekantenfolge, 147 Signum, 2, 152 Signum-Funktion, 152 Sinc-Funktion, 121 Sinus Rechenregeln, 46 Sinus cardinalis, 121 Sinus hyperbolicus, 158 skalares
Sachverzeichnis Vielfaches, 205 Spaltentausch, 194, 196–198 Spezialfall der partiellen Integration, 224 Sprung, 126, 127, 131 Stärketabelle, 63 Staffelform der Matrix, 188 Stammfunktion, 213, 214, 218 stetig, 123 gleichmäßig, 135 linksseitig, 124 rechtsseitig, 124 stetig fortsetzbar, 126 Stetigkeit Satz über, 133 Stolz Satz von, 176 Substitutionsregel, 226 Summe Teleskop-, 77 Summen -regel, 157 Summenfolge, 62 Summenformel geometrische, 77 surjektiv, 111 Tangens, 48 Tangens-Funktion, 155 Tangente, 148 Teilfolge, 66 Teilraum, 208 Teleskop -Summe, 77 Teleskop-Reihe, 82 Thomae-Funktion, 129 transponierte Matrix, 211 transponierter Vektor, 184 trigonometrische Funktion, 44, 154 trigonometrische Funktionen Rechenregeln, 46 triviale Darstellung des Nullvektors, 208 umgekehrte Differentiation, 213 umgekehrte Dreiecksungleichung, 10, 35 Umkehr -funktion Ableitung der, 160 Umkehrfunktion, 112 Zweige, 113, 115 Umordnung, 81, 86 Umordnungssatz absolut konvergenter Reihen, 87
247 von Riemann, 86 unbestimmter Ausdruck, 165 unbestimmtes Integral, 213, 214, 216, 217 uneigentlicher Grenzwert, 59 unendliche Reihe, 76 ungerade Funktion, 232 Ungleichung allgemeine Dreiecks-, 11 Dreiecks-, 9, 11 mit Betrag, 3, 4 quadratischen, 5 umgekehrte Dreiecks-, 10 Vierecks-, 12, 15 Ungleichung von Bernoulli, 119 unlösbares Gleichungssystem, 193 Unstetigkeit hebbar, 130, 131 untere Integrationsgrenze, 218 Vektor, 184 transponierter, 184 Vergleichskriterium, 85 Verknüpfungen algebraische, 133 Vielfaches skalares, 205 Vierecksungleichung, 12, 15 vollständige Induktion, 11, 64 vollständige Menge, 137 Volumen dreidimensional, 236 Volumina, 233 Vorwärtssubstitution, 200 Wertebereich, 109, 110 Wurzel, 13 -kriterium, 89, 90, 94, 95 komplexe, 39, 52 Monotonie, 36 n-te, 13 n-te komplexe, 41, 53 quadratische, 13 Wurzelfunktion, 110 Wurzelgleichung, 17 Wurzelkriterium inverses, 99 Wurzelungleichung, 26 Zahl konjugiert komplexe, 32, 34 nobelste, 30 Zahlenfolge Häufungspunkt einer, 66
248 komplexwertige, 67 Konvergenz einer, 58 monotone, 60 reelle, 57
Sachverzeichnis Stärketabelle für, 63 Zweige Umkehrfunktion, 113, 115 Zwischenwertsatz, 144 zyklometrische Funktion, 163