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German Pages [542] Year 2015
Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914)
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 46
Maren Goltz, Werner Greiling, Johannes Mötsch (Hg.)
Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826 –1914) Kultur als Behauptungsstrategie?
2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914) auf einem Stuhl sitzend (Ausschnitt); Gemälde von Hans Fechner (Öl/Leinwand), undatiert; Standort: Meininger Museen, VI 601
© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Wissenschaftliche Redaktion und Satz: Pierre Fütterer Korrektorat: Lydia Penzel, Berlin Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-50151-8
INHALT Vorwort ............................................................................................................................. 9 FÜRST UND DYNASTIE ALFRED ERCK Georg II. – der bedeutendste Vertreter des herzoglichen Hauses Sachsen-Meiningen .......................................................................................................15 MARGRET DOROTHEA MINKELS Königin Elisabeth von Preußen und das Haus Sachsen-Meiningen ....................47 MARTINA LÜTDKE Die morganatische Eheschließung zwischen Georg II. von Sachsen-Meinigen und Helene Franz. Ein monarchischer Normbruch im Spannungsfeld höfischer Erwartungen und bürgerlicher Öffentlichkeit ..........................................................................................65 MAREN GOLTZ Helene von Heldburg – eine Ehefrau auf Augenhöhe ...........................................83 HERRSCHAFT UND VERWALTUNG GERHARD MÜLLER Verfassung und politische Kultur im Frühkonstitutionalismus. Das Beispiel Sachsen-Meiningen ............................................................................. 103 KATHARINA WITTER Zwischen provinzieller Befindlichkeit und Reichspolitik. Georg II. und das herzogliche Haus im Spiegel der preußischen Gesandtenberichte über den Meininger Hof .................................. 111 CHRISTOPH GANN Der gnädige Herzog? Georg II., sein Begnadigungsrecht bei Todesurteilen und andere Fragen auf dem Gebiet von Recht und Gerechtigkeit ....................................................................................................... 131
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INHALT
WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT UWE SCHIRMER Ländliche Gesellschaft und Agrarverfassung im Herzogtum Sachsen-Meiningen (1826–1914) ............................................................................. 153 HANS-WERNER HAHN Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel im Herzogtum Sachsen-Meiningen .................................................................................................... 173 HANNELORE SCHNEIDER „Die evangelische Kirche braucht nicht Macht zu haben und soll nicht Macht haben.“ Georg II. und die evangelische Landeskirche im Herzogtum ............................................................................................................. 187 WERNER GREILING Presse und Öffentlichkeit in Sachsen-Meiningen als Vehikel der Moderne? .............................................................................................................. 203 FLORIAN G. MILDENBERGER Herzog Georg II. und sein Medizinalreferent Georg Leubuscher als Wegbereiter einer neuen Gesundheitspolitik im Herzogtum Sachsen-Meiningen .................................................................................................... 223 BILDUNG UND WISSENSCHAFT CHRISTINE FREYTAG Das Volksschulwesen unter Georg II. Entwicklungen und Impulse im Herzogtum Sachsen-Meiningen ......................................................... 247 STEFAN GERBER Georg II. von Sachsen-Meiningen und Moritz Seebeck. Zwischen Prinzenerziehung und Wissenschaftspolitik ........................................ 267 CLAUDIA TASZUS Herzog Georg II. als Mäzen Ernst Haeckels......................................................... 287
INHALT
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KUNST UND KULTUR PETRA STUBER Reines Theater. Überlegungen zu drei Inszenierungen des Meininger Hoftheaters aus den Anfangsjahren der Gastspielzeit zwischen 1874 und 1877............................................................................................................. 303 PAUL S. ULRICH Die Meininger im Spiegel der Theateralmanache des 19. Jahrhunderts............ 327 CHRISTIAN STORCH Georg II. und das Theater in Bad Liebenstein zwischen Kurbetrieb und dramaturgischem Anspruch ............................................................................. 357 WOLFGANG TÜRK „Nennt man bei den Meiningern die besten Namen …“. Arthur Fitger, Helene von Heldburg und Georg II. von Sachsen-Meiningen .................................................................................................... 381 HERTA MÜLLER Das Verhältnis des Erbprinzen und Regenten Georg II. von Sachsen-Meiningen zur Chormusik......................................................................... 397 HANS-JOACHIM HINRICHSEN „Daß die beste Republik ein kunstsinniger, kunstverständiger Fürst ist“ – Georg II. und die Meininger Hofkapelle in der „Ära Bülow“ ................. 415 BERND ERNSTING Harmonie in Klang und Kunst. Herzog Georg II., Elisabeth von Herzogenberg und Adolf von Hildebrand ............................................................. 427 INGRID REIßLAND „Wäre ich aber Künstler geworden statt Herzog, hätte ich schon in Bildern etwas Ordentliches zu Wege gebracht! Dessen bin ich überzeugt.“ Erbprinz Georg/Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen als Zeichner und Kunstmäzen.............................................. 459 Zeittafel zu Georgs II. Regierungsjahren 1866 bis 1914 ..................................... 493 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 509 Farbabbildungsteil ...................................................................................................... 513 Abbildungsnachweis .................................................................................................. 529 Personenregister ......................................................................................................... 533 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 548
VORWORT
Vorwort Gott dem Allmächtigen hat es gefallen, heute morgen Seine Hoheit den Herzog Georg II. von Sachsen Meiningen aus diesem Leben abzurufen. Seine Hoheit Herzog Georg ist heute morgen 2 Uhr 25 Minuten in Bad Wildungen im 89. Jahre seines Lebens und im 47. Jahre einer reich gesegneten Regierung sanft verschieden. Seine Regierung war geleitet durch Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und unübertroffene Milde, sein Streben war die Erhebung des Volkes zu edlerem Lebensgenuß. Seine ehrwürdige Fürstengestalt wird seinem Land und Volk und allen denen, die er dereinst durch Kampf zum Sieg führte, in unvergeßlicher treuster Erinnerung bleiben. Mit ihm werden wir den letzten der Fürsten zur Gruft geleiten, die das neue Deutsche Reich begründet und das Kaiserreich proklamiert haben.1
Mit diesen Worten gab das „Regierungsblatt für das Herzogthum SachsenMeiningen“ am Todestag Georgs II. den Tenor vor, der fortan für die Würdigung von Leben und Wirken des Herzogs Geltung erlangte. Man war sich einig, dass mit Georg II. eine große Herrschergestalt das Zeitliche gesegnet und zugleich ein Zeitalter sein Ende gefunden hatte. Was man im Juni 1914 in Meiningen noch nicht wusste, aber doch schon erahnen konnte, ist die Tatsache, dass Letzteres nicht nur für das Herzogtum, sondern – wenn auch aus anderen Gründen – für ganz Deutschland, Europa und die Welt galt. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914, der alsbald Europa, den Nahen Osten, Afrika und Ostasien erfasste und auch auf den Weltmeeren geführt wurde, endete das „lange 19. Jahrhundert“, dessen innerer Schwerpunkt „ungefähr in den 1860er bis 1880er Jahren liegt“.2 Die lange Regierungszeit des Herzogs Georg II. von Sachsen-Meiningen deckt den Kern der Epoche ab. Dabei stand der Regierungsantritt des Erbprinzen im Jahre 1866 unter keinem guten Stern, gingen ihm doch eine existentielle Krise des Herzogtums und der von Preußen erzwungene Thronverzicht seines Vaters Bernhard II. voraus. Der konkrete Anlass für diese innenpolitische Zäsur war die Parteinahme Meiningens für Österreich im Kampf gegen Preußen um die Hegemonie in Deutschland. Doch darüber hinaus gab es das strukturelle Problem eines wiederkehrenden Mediatisierungsdrucks, der im 19. Jahrhundert auf allen Kleinstaaten Thüringens lastete und auch das Bild späterer Geschichtsschreiber prägte. Wolfram Siemann gilt die territoriale Zersplitterung in Thüringen als „das historisch Untypische, indem sie jenem für das 19. Jahrhundert typischen Pro1 2
Regierungsblatt für das Herzogthum Sachsen-Meiningen (Sonderausgabe), Nr. 99 vom 25. Juni 1914. Jürgen OSTERHAMMEL, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 17.
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VORWORT
zeß fortschreitender Zentralisierung der Verwaltung nicht erlag.“ Thüringen sei „das Extrem deutscher Teilungsgeschichte“,3 dessen politische Bestandssicherung über die gewaltsamen politischen „Flurbereinigungen“ der napoleonischen Ära, der Revolution von 1848/49 und des Zugriffs durch Otto von Bismarck 1866 noch heute frappieren würde. Dass auch ein überdurchschnittlich begabter Monarch wie Georg, der seinen Thron in einer innenpolitischen Krisensituation bestieg und sich gleichzeitig mit intensiven Reichseinigungsbestrebungen konfrontiert sah, kein leichtes Amt antrat, liegt auf der Hand. Dass er der Mit- und Nachwelt auch außerhalb des Herzogtums als „Theaterherzog“ und somit vor allem durch künstlerische Aktivitäten bekannt geworden ist, kann als gesichert gelten. Inwiefern sich diese vielfältige kulturell-künstlerische und mäzenatische Tätigkeit Georgs II. als Teil der Behauptungsstrategie eines mindermächtigen Monarchen deuten lässt, gehört zu den zentralen Fragestellungen im Kontext der Herrschaft Georgs. Denn in welcher Beziehung dieses Engagement zur eigentlichen Regierungsarbeit stand, in welchem Verhältnis sich Politik und Kultur in Sachsen-Meiningen ausbalancierten, sind Fragen, die sich bei jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Person Georgs II. und mit der Geschichte seines Herzogtums im späten 19. Jahrhundert stellen. Der 100. Todestag des ehedem europaweit bekannten Herzogs war Anlass für eine Tagung, die vom 26. bis 28. Juni 2014 in Meiningen unter dem Motto „Kultur als Behauptungsstrategie“ stattfand. In einer Kombination aus detaillierter, quellennaher Binnenbetrachtung und theoriegeleiteter Außenperspektive kamen hier mehr als 20 Beiträge zum Vortrag und in eine teils intensive Diskussion. Die fünf Sektionen widmeten sich den Themenfeldern „Fürst und Dynastie“, „Herrschaft und Verwaltung“, „Wirtschaft und Gesellschaft“, „Bildung und Wissenschaft“ sowie „Kunst und Kultur“. Dabei war der letzte Bereich besonders umfangreich, doch es konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass sich der Tatendrang des Herzogs auch auf viele weitere Handlungsfelder erstreckte. Georgs Regentschaft begann 1866 nicht nur mit einem klaren Bekenntnis zur Verfassung von 1829, sondern auch mit einer regen legislativen Tätigkeit, die zur weiteren Liberalisierung des politischen Systems, des Rechtswesens und verschiedener Teilbereiche der Gesellschaft führte. Der Tagungsband versammelt die Mehrzahl der Vorträge in einer überarbeiteten, für den Druck erweiterten Fassung. Sie präsentieren neue empirische Erkenntnisse und differenzierte wissenschaftliche Deutungen, setzen in vielen Fällen aber auch Impulse für die weitere Forschung und zeigen Desiderate auf. Reiche Betätigungsfelder für die Zukunft eröffnen sich beispielsweise im Fi3
Wolfram SIEMANN, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995, S. 51.
VORWORT
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nanzwesen des Herzogtums, für die Geschichte des Landtags, für die Geschichte der politischen Parteien und des Vereinswesens zwischen Reichsgründung und Kriegsausbruch, für das Menschenbild Georgs II., für die häufig durchaus eigenwillige Reichspolitik des Herzogtums und hinsichtlich eines zeitgenössischen Monarchenvergleichs, etwa mit Heinrich XXII. Reuß älterer Linie und mit Carl Alexander sowie Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach. Offene Fragen blieben in den Beiträgen zur Schulpraxis im Herzogtum, zur Wissenschaftspolitik Georgs über seine Kontakte zu Moritz Seebeck und Ernst Haeckel hinaus, zur Heirat Georgs mit Ellen Franz und deren medialer Wahrnehmung und zu einer Reihe anderer Aspekte. Als wünschenswert haben sich zudem literaturwissenschaftliche Untersuchungen herausgestellt, etwa über Georg II. als literarischen Helden. Insofern erweist sich der Tagungsband trotz seines reichen Ertrags auch und vor allem als eine Zwischenbilanz der Forschung. *
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Die Herausgeber danken den studentischen Hilfskräften Vivien Stawitzke und Julia Beez (beide Jena) für die redaktionelle Hilfe und für die Erstellung des Personenregisters. Dank gilt Pierre Fütterer und Dr. Alexander Krünes (beide Jena) für die Redaktions- und Satzarbeiten. Dem Bürgermeister der Stadt Meiningen, Herrn Fabian Giesder, sei herzlich für die großzügige finanzielle Unterstützung der Tagung und sein Grußwort gedankt. Eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist den Teilnehmern und Gästen die Gastfreundschaft der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten bei den Führungen in Schloss und Park Altenstein durch deren Direktor, Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus, den Schloss- und Parkverwalter, Herrn Ulrich Muschiol, sowie Dr. Bertram Lucke, den zuständigen Mitarbeiter des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie. Während die Finanzierung der wissenschaftlichen Tagung aus Mitteln der Stadt erfolgte und die Organisation in den Händen der Meininger Museen lag, wofür deren Direktor Winfried Wiegand Dank gebührt, wurde der Druckkostenzuschuss für das Buch von der „Historischen Kommission für Thüringen“ aus den ihr vom Freistaat Thüringen zugewendeten Mitteln beigesteuert. Schließlich danken die Herausgeber allen Beiträgern sehr herzlich dafür, dass sie sich auf die Idee der Tagung eingelassen und ihre Manuskripte fristgerecht zur Verfügung gestellt haben. Jena und Meiningen, im Sommer 2015
ALFRED ERCK GEORG II. – DER BEDEUTENDSTE VERTRETER
Georg II. – der bedeutendste Vertreter des herzoglichen Hauses Sachsen-Meiningen Herzog Georg II. hat sich hinsichtlich der Historie seines Fürstenhauses einer ausgesprochen pragmatischen Herangehensweise befleißigt. Als es galt, nach dem verheerenden Brand von 1874 den neuentstehenden Straßen seiner Residenzstadt einen Namen zu geben, befahl er kurzerhand, die Magistrale in Teilabschnitte zu untergliedern und diese nach seinem Urgroßvater, seinem Großvater und seinem Vater zu benennen. Jene, die Hauptstraße links und rechts flankierenden Straßen, hatten Sachsen, Wettiner und Ernestiner zu heißen. Die Seitenstraßen wurden gewissermaßen den Gemahlinnen seiner Vorfahren zugewiesen, die letzten beiden nach seinen verstorbenen Frauen bezeichnet. Schaut man heute bei einem Gang durch Meiningens Innenstadt auf die Straßenschilder, glaubt man sich in die Zeiten barocken Absolutismus zurück versetzt ! Als Georg 1879 von seinem Hofprediger Karl Schaubach darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass seinem Herzogtum die 200-Jahrfeier ins Haus stünde, winkte der ganz energisch ab: Erwünscht wäre es, wenn man über diese Frage mit Stillschweigen hinweggehen würde. Die damalige Landesteilung kann man doch kaum absolut als ein Glück ansehen, welche als solche zu feiern wäre. Würden die Tage oder der eine derselben gefeiert, so müsste, um des Anstands Willen, ein außerordentlicher Spektakel losgetreten werden, welcher in dieser geschäftslosen und geldarmen Zeit andererseits gar nicht am Platze wäre. Es fragt sich auch, ob es politisch ist, die Existenz der kleinen Staaten jetzt extra zu feiern und über ihre Nützlichkeit eine Zeitungspolemik heraufzubeschwören. Nicht ganz unrichtig ist’s, was man von den Kleinstaaten sagt: Sie haben eine Ähnlichkeit mit Jungfrauen, die darin besteht, dass es am besten mit ihnen bestellt ist, wenn nicht von ihnen gesprochen wird.1
Dergleichen gegensätzliche Positionierungen Georgs lassen sich beliebig um weitere Beispiele ergänzen. Doch mit einer solchen, auch vom Gedankenansatz des Historismus geleiteten Herangehensweise an die Geschichte werden wir uns gerade in diesen Tagen nicht zufrieden geben wollen. Vielmehr erscheint es ebenso sinnvoll wie zweckmäßig, danach zu fragen, wie man Georg II. in der 1
Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Geheimes Archiv (im Folgenden: GA) XIV. D. 19, Aktennotiz Georgs II. vom 7. November 1879.
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ALFRED ERCK
Geschichte seines Herzogshauses zu verorten habe und welche Spielräume für kreatives Wirken er sich in seinem Kleinstaat hat erschließen können.
1. Zur Geschichte des herzoglichen Hauses Sachsen-Meiningen (1681 bis 1866) Geht man an den Anfang der Historie von Sachsen-Meiningen zurück2 und setzt man diesen in Bezug zur Regierungszeit Georgs II., dann fallen einem zwei Momente ins Auge, die als Leitlinien für die Beurteilung der Meininger Herrscher zwischen 1681 und 1866/71 dienen können: einen dynastischen3 und einen geopolitischen.4 Es ist jene, durch die Geschichte schon weitgehend ins Absurde verbannte testamentarische Verfügung Ernsts des Frommen („Regimentsordnung“) gewesen, sein Erbe unter all seinen mehr oder weniger gleichberechtigten sieben Söhnen aufzuteilen, die zur Gründung des Meininger Herzogtums geführt hat.5 Weil sich dessen Herrscher erst nach 1800 zur Einführung der Primogenitur entschließen konnten, haben dynastische Auseinandersetzungen mit den Anverwandten – mittels derer man eine „Arrondierung“ seines Territoriums betrieb – die Landesgeschichte in besonderer Weise beeinflusst. Da die Oberhäupter der Gothaer, Weimarer u. a. Häuser nicht anders dachten und handelten, kann man die Thüringer Geschichte nur als Ganzes betrachten oder gar nicht. Als Bernhard I. 1680 vorerst in sein provisorisches Schloss einzog, jenen „Bibrabau“, in dem ehedem die Amtleute der Würzburger Fürstbischöfe gewohnt hatten und von wo aus der Henneberger Erbanfall von 1583 bis zur Realteilung von 1660 verwaltet worden war, scheint er sich einer weiteren Besonderheit seines Herzogtums bewusst geworden zu sein: „Die schwarze Henne soll mir goldene Eier legen“, soll er damals gesagt haben. Es ist eine Grenzlandschaft gewesen, die ihm zu Eigen geworden war. Vorwiegend fränkischer Abstammung sind die Bewohner gewesen, die durch den Heiligen Kilian christianisiert und aus der Nürnberger Sebalduskirche heraus 2
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Ludwig HERTEL, Neue Landeskunde des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Geschichtliches. Zweiter Teil: Meiningische Geschichte von 1680 bis zur Gegenwart. Erste Hälfte. Bis zum Regierungsantritt Herzog Bernhards II. (1821), in: Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte u. Landeskunde 47 (1904), S. 182–318. Wolfgang HUSCHKE, Politische Geschichte von 1572 bis 1775, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, 1. Teil, 1. Teilband (Mitteldeutsche Forschungen, 48/V/1,1), Köln/Wien 1982, S. 48 f. Günther SCHÖNFELD, Mitteldeutschland aus geographischer Sicht – Versuch einer Deutung, in: Jürgen JOHN (Hg.), „Mitteldeutschland“. Begriff – Geschichte – Konstrukt, Rudolstadt/Jena 2001, S. 161–179. HUSCHKE, Politische Geschichte (wie Anm. 3), S. 242 f.
GEORG II. – DER BEDEUTENDSTE VERTRETER
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reformiert worden waren, die in Gulden und nicht mit Talern rechneten. Die ehemals hennebergischen Ämter im Herzogtum gehörten dem Fränkischen, andere dem Obersächsischen Reichskreis an. Kurzum: Meiningen und mit ihm drei weitere in der Nachfolge Ernsts entstandene Herzogtümer sind geopolitisch zumindest bis 1866 weitgehend dem Süden des Deutschen Reichs resp. Bundes zuzuordnen. 1826 hatte Bernhard II. diese Region dann – jedenfalls zu wesentlichen Teilen – wieder vereinigen können. Sein Festhalten an der Südoption hat ihn schließlich die Herrschaft gekostet. Bernhard I., regierend von 1680 bis 1706, gebührt das Verdienst, aus Meiningen eine Residenzstadt mit Schloss und höfischen Institutionen wie Kapelle, Bibliothek und Sammlungen, mit Verwaltungseinrichtungen und mit den benötigten Akademikern und Militärs usw., auch einer Hofgesellschaft gemacht zu haben. Kaisertreu ist er gewesen, hat seinen Beitrag zu den Kriegen gegen die Türken und in der Pfalz geleistet. Familienmensch, der er auch gewesen war, hat er allen seinen Söhnen eine vortreffliche Bildung zuteilwerden lassen. Die schöne und intelligente Tochter Elisabeth Ernestine Antoinette war als Gemahlin für Kaiser Karl VI. und die Könige von Frankreich und Schweden im Gespräch. Als Äbtissin von Gandersheim sollte sie eine bemerkenswerte Rolle spielen. Selbstredend hatte Bernhard I. Schulden gemacht, die Kammer sowie die Landeskasse in eine Schieflage hinein manövriert. Obgleich seine Brüder in Eisenberg, Coburg und Römhild vor ihm aus dem Leben schieden, gelang es ihm letztendlich nur, aus den Erbanfällen das „Oberland“ um Sonneberg für sich zu gewinnen.6 Bernhard, der von sich behauptet hat, die väterlichen Landesteilungen abgelehnt zu haben, hinterließ seinerseits ein Testament, das zwar die weitere Zersplitterung seines kleinen Territoriums untersagte, aber eine gemeinsame Regierung der gleichberechtigten drei Söhne verordnete. Damit war eine für das Land verhängnisvolle und für seine Bewohner leidvolle Entwicklung vorprogrammiert worden. Denn der älteste Sohn Ludwig I. (regierend von 1706 bis 1724) war nicht gewillt, die Herrschaft mit seinen beiden Brüdern Friedrich Wilhelm und Anton Ulrich zu teilen. In kaiserlichen Kriegsdiensten geprägt, barocke Repräsentation ausstellend samt bigotter Kirchlichkeit, verzettelte er sich im Ringen um den Coburger Erbanfall und im Streit mit seinem jüngsten Bruder, der auf seinen Rechten als Mitregent bestand. (Mit jenen beiden Nachkommen Ernst Ludwigs, die das Format besessen hätten, ein kluges Regiment zu führen, hatte man in Meiningen kein Glück; der Erstgeborene Joseph Bernhard verstarb
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ThStAM, GA XV, B 38, Eigenhändiges Testament Bernhards I. vom 28. August 1683. Vgl. hierzu auch Georg EMMRICH, Bernhard der Erste, in: Archiv für Herzogl. S. Meiningischen Lande 1 (1832/34), Heft 1–2, S. 1–30.
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früh und die Tochter Louise Dorothea hat von Gotha aus ihrem Herkunftsland eigentlich nur Schaden zugefügt.)7 Während Friedrich Wilhelm und die Ernst Ludwig I. überlebenden Söhne Ernst Ludwig II. und Karl Friedrich zur Regierung weder fähig noch wirklich willig gewesen waren, ist Anton Ulrich ein hoch gebildeter, tatkräftiger, aber egozentrischer Mann gewesen, der sich aufgrund seiner Ehe mit der bürgerlichen Philippine Cäsar dynastisch in eine höchst problematische Situation hineinmanövriert hatte. Sowohl wider seine Brüder als auch gegen den erklärten Willen der Herzöge in Gotha, Hildburghausen und Saalfeld sowohl um seine Erbansprüche als auch um die Standeserhöhung seiner Frau und die Sukzessionsfähigkeit seiner reichen Kinderschar kämpfend, hielt er sich zunächst in Amsterdam, dann am Wiener Hof bei dem ihm anverwandten Kaiser Karl VI. und schließlich in Frankfurt am Main auf. Entsprechende Prozesse vor dem Reichshofrat in Wien und dem Reichskammergericht in Wetzlar, seine ausufernde Sammelleidenschaft ließen einen Schuldenberg anwachsen, den weder er selbst noch seine Nachkommen mehr überschauen konnten. Nachdem seine sämtlichen Neffen und auch sein Bruder Friedrich Wilhelm aus dem Leben geschieden waren, gelangte Anton Ulrich 1746 zur Alleinherrschaft. Von Frankfurt aus hat er bis 1763 sein Land mehr schlecht als recht verwaltet, mit seinen Anverwandten sinnlose und in kriegerische Auseinandersetzungen mündende Streitereien angezettelt. In den Kriegen um Schlesien hat er seine Verpflichtungen gegenüber Maria Theresia erfüllt, weiterhin Schulden aufgehäuft, seinen Untertanen allerdings nicht geholfen, die Lasten des Siebenjährigen Krieges zu erleichtern. Indem er nach dem Tod Philippines mit Charlotte Amalie von HessenPhilippsthal eine zweite Ehe einging, aus der auch zwei ihn überlebende Söhne Karl und Georg hervorgingen, sicherte Anton Ulrich seinem Haus die Fortexistenz. Die von ihm zusammengetragenen, aber nicht genutzten Sammlungsstücke sollten sich als ein überaus reicher Schatz erweisen. 8 Zwischen 1763 und 1775 führte Charlotte Amalie in ihrer Eigenschaft als Obervormünderin das Regiment für ihre minderjährigen Söhne im 37.000 Einwohner zählenden Herzogtum. Mit Weimars Anna Amalia in gleicher Lage befindlich und mit ihr in lebhafter Kommunikation stehend, sich schon bald mit Staatsdienern umgebend, die an der Ilm geprägt worden waren, eröffnete sie dem Meininger Herzogtum die Perspektive ins Zeitalter der Aufklärung und des Bürgertums. Sie verstand es, mittels kluger Heiratspolitik und vernünftigen Ausgleichen, wieder geordnete Beziehungen zu den anverwandten Häusern herzu7 8
Günter BERGER/Julia WASSERMANN, Vetternwirtschaft. Briefwechsel zwischen Friedrich II. und Luise Dorothea von Sachsen-Gotha, Berlin 2012, S. 149 f. ThStAM GA T 64, Biographische Notizen des Geh. Hofraths Brückner über Herzog Anton Ulrich.
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stellen. Nachdem ihr ältester Sohn Karl – eine sensible Intellektuellennatur – schon 1782 kinderlos verstorben war, gelangte Georg I. an die Regierung. Ihm wird man am ehesten gerecht, wenn man ihn mit Weimars Carl August vergleicht. Ob U. Heß9 und nach ihm R. Jonscher10 mit ihrem Urteil, nicht in Weimar unter Carl August, sondern in Meiningen unter Georg I. seien die Ideen des „aufgeklärten Absolutismus am konsequentesten durchgesetzt“ worden, richtig liegen, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Belangvoll erscheint in unserem Kontext, dass es der Meininger Herzog darauf angelegt hatte, den hohen Idealen der erlesenen Geister die praktische Konsequenz auf dem Fuße folgen zu lassen. Dass diese Vorgehensweise angesichts der obwalteten Miserabilität der Verhältnisse und der Unangemessenheit der zur Verfügung stehenden Mittel zu grotesken Aktionen des Fürsten und zu Fehlentscheidungen führen musste, haben Goethe, Schiller und Herder den Meininger dann sehr wohl wissen lassen. Was hier vor allem interessiert, ist die Tatsache, dass sich Meiningen damals in dynastischer wie in geopolitischer Hinsicht nach Norden hin orientierte und auf Weimar zu bewegte. Daran ist nicht zuletzt die Französische Revolution Schuld gewesen. Die Kunde, dass man in Paris die Bastille gestürmt hatte, hat Carl August und Georg wohl auf einem gemeinsamen Jagdausflug im Meininger Oberland erreicht. Doch während der Weimarer mit den Preußen gegen Frankreich ins Feld ziehen sollte, hatte der Meininger – auch für die Weimarer Enklaven im südlichen Thüringen – im fränkischen Reichskreis die Höhe und Form der fälligen Kriegsbeiträge auszuhandeln. Dass sich Georg 1795 dem Baseler Sonderfrieden anschloss, gleichzeitig den Habsburgern die Gefolgschaft aufkündigte und beim Wienbesuch von 1802 vom Länderschacher auf dem Reichsdeputationshauptschluss angewidert war, darf man als äußerliche Zeichen für einen prinzipiellen Richtungswechsel ansehen. (Dass seine Tochter Ida mit Bernhard von Weimar den zwar jüngeren, aber tüchtigeren Sohn von Carl August ehelichen sollte, sei hier nur am Rande erwähnt.) Was aus Georg im Vergleich zu Carl August noch hätte werden können, wäre er nicht schon 1803 aus dem Leben geschieden, erscheint immerhin die Frage wert.11
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Ulrich HEß, Der aufgeklärte Absolutismus in Sachsen-Meiningen, in: Forschungen zur thüringischen Landesgeschichte. Friedrich Schneider zum 70. Geburtstag am 14. Oktober 1957 (Veröffentlichungen des Thüringischen Landeshauptarchivs Weimar, 1), Weimar 1958, S. 1–42. 10 Reinhard JONSCHER, Kleine thüringische Geschichte, Jena 1993, S. 146. 11 Andrea JAKOB (Red.), Herzog Georg I. von Sachsen-Meiningen. Ein Präzedenzfall für den aufgeklärten Absolutismus? (Südthüringer Forschungen, 33), hg. von den Meininger Museen, Meiningen 2005.
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Zwar hatte Georg als letzter Thüringer Herrscher 1802 endlich das Erstgeburtsrecht in seinem Fürstenhaus eingeführt, doch sollte dieser Entscheid für die nächsten Generationen ohne praktische Bedeutung bleiben; sowohl Georg als auch dessen Sohn Bernhard zeugten jeweils nur den Erbprinzen. Für besagten Bernhard, geboren 1800, hatte dessen Mutter Luise Eleonore, von den Hohenlohe-Langenburger Fürsten abstammend, das nunmehr 56.000 Einwohner zählende Herzogtum zu regieren. Das hieß unter den obwaltenden Umständen, es in den Wirren und Kriegen des Napoleonischen Zeitalters überleben zu lassen. Da es ihr sowohl am Willen und an der Kraft als auch an Gelegenheiten mangelte, wurde von Luise der Reformkurs des Gatten nicht fortgesetzt. Allerdings gelang ihr durch die Vermählung ihrer ältesten Tochter Adelheid mit dem späteren König Wilhelm IV. von England der einzige Coup der Meininger im europäischen Ehegeschäft.12 In den Augen von Sohn Georg hatte sich Bernhard II. während seiner frühen Regierungszeiten bleibende Verdienste um sein Land und um die herzogliche Familie erworben. Er gab seinem Sachsen-Meiningen zu Zeiten Metternichscher Reaktion die Verfassung von 1824, bildete – im Unterschied zu Coburg und Gotha – nach dem Erbanfall von 1826 aus seinem Land einen Einheitsstaat, der 1829 jenes Grundgesetz erhielt, an das sich auch der Sohn bis an sein Lebensende halten sollte. Das nunmehr 71.000 Bewohner zählende Sachsen-Meiningen war nach Weimar zum zweitgrößten Herzogtum im Thüringer Raum aufgerückt. Es konnte seine Einnahmen beträchtlich steigern, und Bernhard sah sich in die Lage versetzt – zumeist indem er seine königliche Schwester in unschöner Weise auch noch um finanzielle Unterstützung anbettelte – kostspielige Baumaßnahmen zu leisten, von denen der Sohn profitierte – namentlich den Theaterbau von 1831. Doch schon bald gewannen konservative Denkweise und biedermeierische Bequemlichkeit in Bernhards Verhalten die Oberherrschaft. Als er sich in der Revolution von 1848 nach Georgs Meinung allzu opportunistisch zu Zugeständnissen an die Forderungen der Revolutionäre (insbesondere in der Domänenfrage) bereit fand, die er später wieder rückgängig machte, verlor der Vater beim Sohn zunehmend an Achtung. Immerhin setzte Bernhard jenen Bestrebungen, in Meiningen Banken mit einer beträchtlichen Zukunft zu etablieren, keinen Widerstand entgegen. 1849 kam es zur Gründung der Landeskreditanstalt, 1856 zur Mitteldeutschen Kreditbank, 1862 der Deutschen Hypothekenbank. Meiningen befand sich auf dem 12 Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Adelheid. Die Meiningerin auf dem englischen Königsthron. Ein Frauenschicksal während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Sonderveröffentlichungen des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins e.V., 19), Meiningen 2004.
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Wege zum bedeutendsten Bankenstandort zwischen Leipzig und Frankfurt am Main13 Die Kreditinstitute ermöglichten den Bau der Werrabahn (Eröffnung 1857), erlaubten eine merkliche Hebung des allgemeinen Lebensniveaus im Lande.14 Allerdings hat es Bernhard nicht verstanden, nach 1848 die Zeichen der Zeit richtig zu deuten. Obzwar sein Land seit 1833 Mitglied im deutschen Zollverein, Nutznießer preußischer Straßenbaumaßnahmen war und der Sohn zu den Hohenzollern hinneigte, hielt der Vater starrsinnig an kaum noch zu bewahrenden Souveränitätsrechten fest, versteifte sich auf die „Triasidee“ in der nationalen Frage, fühlte sich durch Bismarcksche Grobschlächtigkeiten brüskiert und durch österreichische Avancen hofiert und landete schließlich, mehr oder weniger schwankend in der Sache, im Lager der Verlierer von 1866. Der Sohn jedoch hatte mit Charlotte eine Preußin geehelicht, mit der Südoption des Herzogtums war ein für allemal Schluss. Als es 1900 galt, des 100. Geburtstages des Vaters zu gedenken, hatte Georg alle Hände voll zu tun, um dessen Biographen K. von Stein die in seinen Augen richtige Sichtweise auf seinen Erzeuger und dessen dynastische Ideen und geopolitische Fehlspekulationen nahe zu legen.15
2. Georgs Leben bis zum Regierungsantritt (1826 bis 1866)16 Erbprinz Georg ist am 2. April 1826 als erstes Kind eines noch jugendlichen Vaters und dessen Gemahlin Marie, Tochter von Kurfürst Wilhelm II. von Hessen, im Meininger Schloss zur Welt gekommen. Er ist gewissermaßen als Einzelkind herangewachsen, denn erst 1843 gesellte sich ihm Schwester Auguste bei. Georg hat die Mutter sein Leben lang reinen Herzens geliebt, ihr in vielen aufschlussreichen Briefen erstaunlich offenherzig auch seine privatesten Angelegenheiten mitgeteilt.17 Die Beziehungen Georgs zu seinem Vater hingegen erscheinen zwiespältig – und dies seit frühen Jugendtagen.18 Das intelligente, vielfach begabte Kind 13 Alfred ERCK, Kleine Bankengeschichte der Stadt Meiningen, Meiningen 2000. 14 Eduard, Adolf, Karl u. Ernst SCHAUBACH, Chronik der Stadt Meiningen 1835–1907, hg. und bearb. von Karin KÖHLER/Helga WÖLFING, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, S. 167. 15 Karl von STEIN, Herzog Bernhards Lebensgang. Ein Exemplar des Manuskripts befindet sich im Thüringer Staatsarchiv Meiningen: ThStAM GA JJ 92, 93, 94. 16 Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 21999. 17 Briefe Georgs an seine Mutter Marie, ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), Nr. 914 bis 1047; Briefe Maries an Georg , ThStAM, HA, Nr. 773 bis 844. 18 ThStAM, HA 1044 bis 1060, Briefe Georgs an seinen Vater; ThStAM, HA, Nr. 722 bis 735, Briefe Bernhards an Georg.
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scheint angesichts des ihn hoffierenden Personals und der herzlichen Zuneigung seiner oftmals kränkelnden Mutter, reichlich verwöhnt und schon beizeiten auch bequem und eigenwillig gewesen zu sein. Ausgewiesene Pädagogen wie F. Fröbel und C. L. Nonne rieten Georgs Eltern dringend, den Prinzen zu Disziplin und gemeinschaftlichem Leben zu erziehen. Ab 1835 hat für zehn Jahre Moritz Seebeck die Führung von Georg übernommen, ja in gewisser Hinsicht dessen leiblichen Vater ersetzt. Seebecks Hauptverdienst um Georg wird man mit Sicherheit in jenem Beitrag zu sehen haben, den der hoch gebildete und sehr ambitionierte Mann bei dessen Charakterbildung geleistet hat. Wenn der Meininger Herzog späterhin „Fideliter et constanter“ zu seinem Leitspruch erhoben hat, dann kann man das sehr wohl als eine Art von Quintessenz Seebeckscher Erziehungskunst bewerten.19 Man könnte – sehr verkürzt – jene Prägungen, die Georg durch Seebeck erfahren hat, in einigen Punkten zusammenfassen: Hohe Geburt muss sich durch eigene Leistungen ständig neu beweisen und im Vergleich, besser in der Kommunikation, mit anderen Leistungsträgern ständig weiter entfalten – ein Renaissanceideal also. Preußen fällt aufgrund seiner glorreichen Geschichte, der Effizienz von Verwaltung und Heer, seines Wirtschaftspotentials sowie der Strahlkraft seines wissenschaftlichen Lebens die Führungsrolle in Deutschland zu.20 William Shakespeare hat als absoluter Maßstab jeglicher Bühnenkunst zu dienen. Darüber hinaus wurde frühzeitig Georgs zeichnerisches Talent erkannt, zunächst durch den Hofmaler P. Schellhorn, später auch durch W. Lindenschmit d. Ä. ausgebildet. Da sich Georgs Musikalität offenbarte, genoss er bald auch Klavierunterricht und erkor Beethoven zu seinem Lieblingskomponisten. Georg, der sich sehr gern in freier Natur bewegte, schon frühzeitig Freude an der Jagd und am Reisen hatte, genoss die Sommeraufenthalte auf Schloss Altenstein oder in Tirol sehr, erfuhr prägende Eindrücke gelegentlich eines längeren Besuchs bei seiner Tante Adelheid in London 1842. Von 1844 bis 1846 hat Georg an der Bonner Universität Staats- und Rechtswissenschaften studiert, auch Kollegien in Geschichte und Kunstgeschichte besucht. Zunächst begleitet von Seebeck, dann von dem sächsischen Offizier E. v. Reitzenstein, hat der Erbprinz namentlich zu Professoren einen engeren, auch persönlichen Kontakt hergestellt, die schon wenig später in der Revolution allgemein und im Frankfurter Paulskirchenparlament eine, wenn auch unterschiedliche, so doch exponierte Rolle spielen sollten: F. Ch. Dahlmann, E. M. Arndt, G. Kinckel, nicht zuletzt C. Th. Perthes. 19 ThStAM, GA XV LL 17, Brief Moritz Seebecks an Bernhard II. vom 20. Juni 1836. 20 [Sophie VON SEEBECK (Hg.)], Aus sonniger Kindheit. Briefe von Moritz Seebeck, Berlin 1916.
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Georg, der offenkundig überaus wissbegierig gewesen ist und infolgedessen intensiv studiert hat, scheint als bleibenden Gewinn dieser Studien für sein künftiges Leben vor allem ein recht sensibles Gespür für die Bewegungen des Volkswillens entwickelt zu haben. Um politische Verwerfungen zu vermeiden, festigte sich bei ihm die Überzeugung, dass ein Fürst sich an den Geist von Verfassungen, wohl auch an den Buchstaben von Gesetzen zu halten habe, wenn er nicht Revolutionen heraufbeschwören will. Weil er seine wichtigste Studienarbeit über die Geschichte der Domänen im Meininger Herzogtum verfasst hat, wurde er schon auf der Universität für jene für seine Familie existentielle Bedeutung erlangende Thematik sensibilisiert, die schon zwei Jahre später im Zentrum der Revolution im Herzogtum stehen sollte.21 Während der Semesterferien unternommene Reisen nach Paris (1845) und London (1846) waren dazu angetan, dem im Hörsaal Gelernten eine anschauliche Ergänzung angedeihen zu lassen.22 Weil Georg schon bald engere Kontakte zu den Leitgestalten der Düsseldorfer Malerschule – namentlich zu P. v. Cornelius – herstellte, dort auch seine eigenen Zeichnungen vorlegte, gelangte er in eine gewisse Jüngerschaft zu Kaulbach, Overbeck u. a. Die eigene Orientiertheit an den Vorgaben des Historismus erfuhr infolgedessen ihre Bestätigung und Vertiefung. Dem Erbprinzen hatten sowohl die Studien wie das studentische Leben derart gut gefallen, dass er seinen Vater überredete, ihn noch zwei Semester in Leipzig studieren zu lassen. Spezielle volkswirtschaftliche Lehrveranstaltungen, mehr noch die Teilnahme am kulturellen Leben der Messestadt, sollten sein geistiges Profil weiter prägen helfen. Dann ließ sich der Antritt seines Militärdienstes nicht weiter hinauszögern. Obgleich keineswegs Anhänger hohenzollernscher Politik, doch überzeugt von der Leistungsfähigkeit des preußischen Militärs, schickte Bernhard seinen Sohn nach Berlin/Potsdam ins Gardekürassierregiment. Dieser trat Ende Dezember 1847 seinen Dienst als Premier-Leutnant an. Als vorzüglicher Schütze und als guter Reiter machte er offenkundig keine schlechte Figur. Das Hofleben unter König Wilhelm IV. empfand er als ausgesprochen langweilig, die Domkonzerte hingegen als überaus beeindruckend. Doch der Ausbruch der Revolution unterbrach frühzeitig und jäh die kaum begonnene militärische Karriere des Meininger Erbprinzen. Vom Vater zurückbeordert, traf er schon am 18. März 1848 in Meiningen ein. Inwieweit Georg dem Herzog beim Bewältigen jener Herausforderungen, mit denen sich die Herrscherfamilie während der revolutionären Ereignisse 21 ThStAM, GA XV E. 2 und GA XIV, E 6, Akten zum Domänenstreit sowie GA XV JJ 85, Brief Georgs an Bernhard vom 22./23. März 1854. 22 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 16), S. 62–68.
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konfrontiert sah, wirklich hat beistehen können, lässt sich schwer abschätzen. Der Sohn hat Bernhard II. jedenfalls wiederholt ins Zentrum der Unruhen, nämlich nach Hildburghausen, begleitet, die Offiziere jener militärischen Kontingente, die den bedrängten Meiningern aus den benachbarten Staaten zu Hilfe gekommen waren, zu „Kriegsspielen“ in einem eigens zu dem Zwecke eingerichteten Saal im Schloss bei Laune gehalten, sich auch einige Wochen in Frankfurt am Main zu diplomatischen Gesprächen aufgehalten.23 Anfang April 1849 zog Georg dann mit dem Meininger Bataillon unter Oberst von Buch als Stabsoffizier in den Krieg gegen Dänemark. Im Spätsommer und Frühherbst unternahm er eine Abenteuerreise durch Norwegen, wo er lebhafte Eindrücke von der Landschaft und den Leuten in sich aufnahm.24 Am 21. Oktober versprachen sich in Berlin Charlotte von Preußen und der Meininger Erbprinz, einander fürs Leben angehören zu wollen. Zu Weihnachten hat man sich verlobt und am 15. Mai 1850 haben die beiden geheiratet. Indem der Erbprinz die Tochter von Prinz Albrecht und der von diesem geschiedenen Prinzessin Marianne der Niederlande heiratete, gehörte er fortan dem engeren Familienkreis des preußischen Herrscherhauses an; denn der regierende König Friedrich Wilhelm IV. und der spätere Kaiser Wilhelm waren Brüder von Charlottes Vater. Sie alle haben fortan den Meininger als einen der Ihrigen angesehen und auch in schwierigen Situationen zu ihm gestanden. Georg und „Lolo“ – so ihr Kosename – haben einander innig geliebt. Im Sommer 1850 besuchte man die Mutter in Den Haag, erhielt von ihr als Hochzeitsgeschenk eine stilvolle, zauberhaft am Comer See in Italien gelegene Villa, die den Namen Carlotta erhielt und schon bald als eine Art von Musenhof fungierte. Die beiden lebten zunächst im Meininger Schloss, später auch monatelang in Berlin. Man bereiste Österreich und Oberitalien, weilte in Paris und nicht selten auf Schloss Altenstein. Georg rückte in regelmäßigen Abständen zu den Manövern des preußischen Heeres ein, fungierte 1853/54 für ein halbes Jahr als Kompaniechef im 1. Garderegiment zu Fuß – der Eliteeinheit des preußischen Heeres.25 Jene Jahre, die Georg zwischen 1848 und 1855 in besonderer Nähe zum preußischen Königshof und zum preußischen Militär lebte, sind als die Lebenszeit anzusehen, in der er seine Revolutionsängste am intensivsten reflektierte, seine Abneigung zum politischen Frankreich am deutlichsten artikulierte und im
23 ThStAM, Hofmarschallamt (im Folgenden: HMA), Nr. 1380, Herzogliches Fourierbuch 1845 bis 1848, Eintragungen zwischen dem 18. März und 20. Dezember 1848. 24 ThStAM, HA 1149, Georgs Aufzeichnungen über eine Norwegen-Reise 1849. 25 ThStAM, HA 1048, Briefe Georgs an den Vater 1853. Vgl. dazu auch Dorothea MINKELS, Elisabeth von Preußen. Königin in der Zeit des AusMÄRZens, Norderstedt 2008, S. 443 ff.
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Krimkrieg der russischen Partei zuneigte. Es war – wenn man so will – seine konservativste Phase. Charlotte schenkte vier Kindern das Leben: 1851 wurde Erbprinz Bernhard geboren, 1852 Georg (1855 verstorben), 1854 die Tochter Marie und 1855 starb die knapp 24jährige Frau gleich nach der Geburt des letzten Kindes.26 Der tief betroffene Georg verlor zunächst jegliche Lebenslust. Erst eine mit erstaunlicher Konsequenz betriebene Kunsttherapie eröffnete ihm neue Daseinsperspektiven. Seine beiden, ihm verbliebenen Kinder der elterlichen Obhut überlassend, reiste er mit dem Maler Andreas Müller, zeitweilig auch mit dessen Kollegen Carl Lossow und dem Dichter Ludwig Bechstein, in die Alpen und hernach bis Ende 1856 durch Italien. Müller arbeitete während jenes Zeitraumes an einer „Apotheose von Charlotte“ – von ihren verstorbenen Kindern gerufen, von Heiligen getragen und von einem Chor aus Engeln besungen, schwebt die schöne junge Frau über Meiningen in den Himmel (Farbabbildungsteil, Abb. 16, S. 526). Indem Georg und Müller in den Kirchen und Sammlungen Italiens die Meisterwerke der Renaissance-Künstler studierten, arbeiteten sie – eines Sinns – sozusagen gemeinsam an dieser Ikone. Später hat Georg jene Zeit auch als intensives Studium der „Bilderkunstbetrachtung“ bezeichnet.27 Man sollte aber auch nicht verkennen, dass er sich seinerzeit die Grundlagen für sein Engagement für die Kirchenmusik und vor allem für seine Theaterregie aneignete. Der Besuch der Chorkonzerte der Sixtinischen Kapelle sollte ihn zu seinem Einsatz für die Kirchenchormusik im Herzogtum anregen. Seine tiefe Kenntnis der Renaissancekunst wurde zu einer Inspirationsquelle für seine Theaterarbeit. Indem er nämlich die Denk- und Malweise der venezianischen Koloristen ablehnte und sich den vom Neuplatonismus geleiteten Kunstauffassungen der Florentiner anschloss, setzte auch er auf die Kraft des Geistes, der gestalteten Form und letztendlich der Linie in der bildenden Kunst. Unter dem Einfluss seines als „Komponier-Müller“ in die Kunstgeschichte eingegangenen Begleiters wurden darüber hinaus jene erregten Bewegungen analysiert, mit denen ein Leonardo oder Raffael seine Schlachtenbilder oder Kreuzabnahmen darzustellen verstand. Die szenische Arrangementkunst des „Theaterherzogs“ erfuhr auf solche Weise ihre Schulung. Als Georg dann 1857 – diesmal mit Detlev von Liliencron, dem Musikkenner – bis nach Paris und London auf Brautschau unterwegs war, hat man dem musikalischen Leben in den Metropolen ein besonderes Augenmerk geschenkt. Die Besuche von Opernaufführungen (die seinerzeit entschieden sorgfältiger
26 M. von EGLOFFSTEIN, Prinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen, in: Heimatklänge. Beilagen zum Meininger Tageblatt vom 24. August, 7. und 14. September 1935. 27 ThStAM, HA 980–992, Georgs Italienbriefe an die Mutter.
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ausgestattet waren, als die Schauspiele) und auch von Konzerten dominierten das Reiseprogramm. Fündig geworden ist Georg allerdings erst zu Beginn des Jahres 1858 in Berlin. Die Auserwählte stammte aus dem Fürstenhaus Hohenlohe-Langenburg, hieß Feodore und war erst 19 Jahre alt. Die Ehe von „Feo“ und dem 32jährigen Georg sollte sich nicht komplikationslos gestalten. Noch bevor sie eigene Kinder hatte, musste die junge Frau Mutterpflichten bei ihren Stiefkindern erfüllen – Bernhard und Marie haben ihr diese Bemühungen ein Leben lang zu danken gewusst. Ihre eigenen Söhne, Ernst (1859 geboren) und Friedrich (1861) verblieben in der Obhut von Bediensteten, während sie mit Erstgenannten monatelang in Italien kurte. Gerne ist Feodore mit ihrem Gatten gereist – quer durch Frankreich, auch nach Spanien, natürlich in Italien usw., ins Hohenloher Land. Doch jenen intensiven Kunststudien, die Georg betrieb, vermochte sie nur partielle Freuden abzugewinnen. Erst allmählich, zumeist unter leidvollen Erfahrungen, entwickelte sich ihre Charakterstärke, vom ihr geistig überlegenen Partner oft nicht gebührend respektiert.28 Aus unterschiedlichen politischen Präferenzen, künstlerischen Differenzen und nicht zuletzt aus höchst menschlichen, aber doch spannungsträchtigen Interessenlagen entwickelten sich zwischen dem Herzog und dem Erbprinzen während der 1860er Jahre scharfe Konflikte. Wiederholt hat Georg seine Eltern wissen lassen, dass er wieder einmal aus Meiningen geflohen sei, weil er dort für seine „brachliegenden Kräfte“ keinerlei angemessene Betätigung finden konnte. Seine „Reise-Manie“ sei „eine natürliche Folge“ seiner „Lebenssituation“.29 Denn Bernhard II. räumte dem Erbprinzen weder auf dem politischen Feld noch in der Kunstszene ein wirkliches Mitspracherecht ein. Weil sich der Herzog sukzessive von seiner Bindung an Preußen lossagte, gestattete er dem Sohn auch keine militärische Karriere in preußischen Diensten. In diese Konstellation hinein fiel der Entscheidungskampf zwischen Preußen und Österreich-Ungarn um die Vorherrschaft in Deutschland. Etwa parallel mit der Annäherung des Vaters an die Habsburger Partei stieg der Sohn nominell im preußischen Heeresdienst schließlich zum General auf. Man wird sagen können, dass sich um 1863 die Konfrontation zwischen beiden weitgehend verhärtet hatte. Im Grunde genommen waren Bernhard II. und seine Ratgeber 1866 weitgehend getriebene, von allen Seiten gleichermaßen enttäuschte Männer, die jene Veränderungen, die schließlich zustande gekommen sind, weder wollten noch sich vorstellen konnten.30 Als der Vater im Krieg schließlich in Panik geriet und 28 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 16), S. 216 ff. 29 ThStAM, HA 1001, Brief Georgs an die Mutter vom 15. Oktober 1860. 30 Erich SCHMIDT, Das Verhältnis Sachsen-Meiningens zur Reichseinigung 1851–1871, Halle 1930.
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aus seinem Land nach Bayern floh, musste sich der Sohn schon ernsthaft Gedanken darüber machen, ob denn das Meininger Herzogtum und damit sein Erbe überhaupt noch zu retten seien. (Darüber, was sich während der Sommermonate und im Frühherbst 1866 in der herzoglichen Familie, in ministeriellen Kreisen, unter den verschiedenen Unterhändlern mit den siegreichen Preußen usw. zutrug, ist schon einiges publiziert worden. Nicht weniges blieb bislang unerforscht. Manches wird – da ganz offenkundig Aktenbestände vernichtet worden sind – wohl nie aufgeklärt werden können. Beinahe bis an sein Lebensende hat Bernhard II. jedenfalls mit seinem Schicksal von 1866, vor allem mit seinem Sohn bitter gehadert.)31
3. Jahre des Übergangs (1866 bis 1873) Nachdem Georg am 21. September 1866 endlich ans Regiment gelangt und sein Herzogtum Mitglied im Norddeutschen Bund geworden war, ist er bestrebt gewesen, sämtliche sich vor ihm auftürmenden Probleme gleichsam im Vorwärtsgang zu bewältigen. Auf solche Weise hat er auch eigene Bedenklichkeiten, die ihm mitunter gekommen sein mochten, und die ihn mit dem Gedanken der Mediatisierung hatten kokettieren lassen, zu überspielen versucht. Denn sein kleines Herzogtum (mit mittlerweile 180.000 Einwohnern) hatte in diesem Bund – wie später im Kaiserreich – manche Souveränitätsrechte aufgeben müssen und war zwecks militärischer Aufrüstung zu immer höheren Zahlungen genötigt worden. Es wurde von Bismarck wie der preußischen Ministerialbürokratie (K. F. von Savigny) reichlich drangsaliert. Auch der Landtag protestierte gegen die um sich greifende „preußische Machtherrschaft“.32 Weil die geschichtliche Entwicklung die Einigung Deutschlands auf die Tagesordnung gesetzt hatte und sich Georg diese nur in Form eines Kaiserreichs mit dem preußischen König an der Spitze hat vorstellen können, machte er sich jenen Vorschlag zu eigen, den Großherzog Peter von Oldenburg ins Gespräch gebracht hatte – nämlich, dass alle deutschen Fürsten König Wilhelm gemeinsam die Kaiserkrone antragen sollten. Georg ist mit diesem Vorschlag an Carl Alexander von Weimar33, an Ernst II. von Coburg und Gotha, sogar an den 31 ThStAM, HA 758, Bernhard II., Vorschlag einer Erinnerung der Regierenden (Reform der Bundesverfassung), Abschrift 1860; ThStAM, HA 761, 762, Promemoria von Prof. Zachariae für Bernhard II. 1866; ThStAM, HA 732, Briefe Bernhards an Georg vom 2. August 1866, 5. und 17. Juli 1867. 32 Verhandlungen des Landtags von Sachsen-Meiningen 1862–1866, Protokoll vom 3. Oktober 1866; Ulrich HEß, Geschichte Thüringens 1866–1914, aus dem Nachlaß hg. v. Volker WAHL, Weimar 1991, S. 44 ff. 33 ThStAM, HA 1098, Briefwechsel zwischen Georg II. und Carl Alexander.
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bayerischen Ministerpräsidenten Ch. von Hohenlohe-Schillingsfürst herangetreten. Er stieß bei ihnen allerdings weitgehend auf Ablehnung. In diesem Zusammenhang äußerte Georg übrigens jene Absicht, die er später gelegentlich der Berlin-Gastspiele von Hoftheater und -kapelle weiterverfolgt hat, nämlich dass es gelte, dem leistungsfähigen, aber ausbeuterischen preußischen Staatswesen eine humanisierende Kultur beizufügen.34 Weil es unter Bernhard II. zu einem Reformstau im Herzogtum gekommen war, ging Georg mit dem von ihm ins Amt berufenen Staatsminister A. F. von Krosigk daran, dringend notwendige Gesetzesänderungen vorzunehmen.35 Zum Teil preußische Beispiele adaptierend oder Maßgaben des Norddeutschen Bundes umsetzend, doch auch eigenen Intentionen folgend, wurden eine Kreiseinteilung anstelle der Ämter eingeführt, judenfeindliche Artikel des Grundgesetzes von 1829 gestrichen, die Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit durchgesetzt, ein liberaleres Wahlgesetz, ein modernes Volksschulgesetz ebenso durch den Landtag lanciert wie das Domänengesetz von 1871, die synodale Verfasstheit der evangelischen Landeskirche auf den Weg gebracht und neue Steuerregelungen initiiert. Es sind zumeist in die Zukunft weisende Reformen gewesen, die während jener Jahre angeschoben worden sind. Da Georg in den Auseinandersetzungen mit dem Vater viele ungünstige Vergleiche abgerungen worden waren (etwa die Hälfte der Hofkasseneinkünfte verblieben beim alten Herzog, auch die Verfügungsgewalt über die Schlösser Altenstein und Landsberg usw.), erwies sich der Spielraum, innerhalb dessen sich der neue Herzog zu bewegen vermochte, als überaus eng. Er sah sich veranlasst in Liebenstein nach der Villa Feodora (1863) noch die Villa Georg (1873/74) errichten zu lassen und weiterhin Schulden zu machen. In den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ist Georg mit Begeisterung gezogen. Denn es galt, gegen Napoleon III. die deutsche Reichseinigung durchzusetzen. Im Rang eines Generals fungierte er als Stabsoffizier der 22. Infanterie-Division, der auch die Meininger Regimenter Nr. 32 und 95 angehörten. Er hat die Schlachten um Metz und Sedan mitgekämpft, war auch ins feindliche Feuer geraten, hatte die militärische Führung der Franzosen durchweg als dilettantisch und verantwortungslos abqualifiziert. Nach der Versailler Kaiserproklamation, die er als „erhebend“ empfunden hatte36, war er allerdings wegen „rheumatischer Beschwerden“ zur Kur nach Aachen gereist und dann ins Herzogtum zurückgekehrt. 34 Brief Georgs an Carl Alexander von Sachsen-Weimar vom 22. Dezember 1866, in: Dorfzeitung, Hildburghausen, Beilage vom 28. Juni 1914; Zeitung Deutschland, Weimar vom 30. März 1926. 35 ThStAM, GA X 7, Berichte A. von Krosigks an Georg vom 19. Dezember 1866, 18. Januar 1867; ThStAM, HA 1126 Briefe A. von Krosigks an Georg 1867/68. 36 ThStAM, HA 560, Brief Georgs an die Mutter vom 18. Januar 1871.
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Die mit der Übernahme des Regiments verbundene Verfügungsgewalt über das Hoftheater hat Georg im Herbst 1866 mit der programmatischen Ankündigung verbunden, sein Schauspielensemble zu befähigen, die Werke Shakespeares in mustergültiger Weise darzubieten. In der ersten Spielzeit wurden dann auch „Hamlet“, „König Lear“, „Othello“, „König Richard III.“ und „Julius Cäsar“ zur Aufführung gebracht. 1867/88 sollten „Macbeth“, „König Johann“, „König Richard II.“ und „König Heinrich IV.“ (Erster Teil) folgen.37 (Wenn man bedenkt, dass von den genannten Dramen eigentlich nur der „Cäsar“ im Reiserepertoire der „Meininger“ eine zentrale Rolle spielen sollte, also jenes Stück des großen Briten, in dem Aktionen von Volksmassen das dramatische Geschehen bestimmen, dann wird man der Frage nachzugehen haben, in welchem Maße sich jene Neuerungen, die in den „Meininger Prinzipien“38 zusammengefasst werden, in erster Linie auf entsprechende Historienstücke beziehen). Georg hat 1867/68 Deutschlands seinerzeit bedeutendsten ShakespeareÜbersetzer F. Bodenstedt als Intendanten für seine Hofbühne gewonnen. Viele namhafte Spezialisten für Kostümkunde, wie K. Weiß, für die Bühnentechnik, wie H. Brandt, für antike Geschichte, so H. Köchly u. a. logierten wochenlang im Meininger Schloss, nicht wenige Stars der deutschen Bühne kamen zu Gastspielen an die Werra. Doch die erzielten Resultate überzeugten Georg nicht wirklich. Erst als er mit dem Schauspieler Ludwig Chronegk39 und der ersten Liebhaberin Ellen Franz zwei exzellente Praktiker an seiner Seite wusste, nahm die Theaterarbeit gehörig Fahrt auf, spektakuläre Neuerungen waren die Folge – nicht zuletzt dank der Kooperation mit dem Brücknerschen Atelier in Coburg. Der führende Berliner Rezensent K. Frenzel unterbreitete Georg dann Anfang 1870 den Vorschlag, mit ausgewählten Inszenierungen in Berlin aufzuwarten. Die erste Gastspielreise musste allerdings mehrfach verschoben werden. Denn 1871 verhinderte der Krieg die Tournee, 1872 verbot der Tod von Feodore das Gastspiel und 1873 heiratete der Herzog überstürzt die Franz, mit der er wohl schon 1868 ein Liebesverhältnis eingegangen war. Die zwischen einem regierenden Reichsfürsten und der Komödiantin geschlossene (morganatische) Ehe löste nämlich einen Skandal aus, der durch das Verlangen des Vaters nach Entmündigung des Sohnes und durch Georgs
37 Meininger Museen, Theaterwissenschaftliche Abteilung, Das Meininger Hoftheater 1831 bis 1918. Sammlung der Theaterzettel 1866 bis 1868. 38 Alfred ERCK/Volker KERN, Die Meininger Prinzipien. 12 Neuerungen, die das herzoglich sachsen-meiningische Hoftheater in das europäische Theaterleben einbrachte, in: Meininger Museen und Kuratorium Kulturstadt Meiningen, Meiningen o. J.; Alfred ERCK (Hg.), Meiningen. Lexikon zur Stadtgeschichte, Meiningen 2008, S. 155f. 39 Alfred ERCK/Christoph GANN/Hannelore SCHNEIDER, Ludwig Chronegk und die „Meininger“, Meiningen 2012.
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undiplomatischen Eigensinn, mit dem er die sofortige und allseitige Anerkennung seiner Frau durchsetzen wollte, auf die Spitze getrieben wurde. In der zur Freifrau Helene von Heldburg erhobenen Schauspielerin hatte Georg eine Partnerin gefunden, die, ihrerseits kinderlos, sich beinahe vollständig „ihrem Herzog“ widmen konnte. Abgesehen von den Regierungsgeschäften hat sie an sämtlichen Lebenstätigkeiten Georgs teil gehabt. Will man einige „Ressorts“ besonders hervorheben, so wären zu nennen: ‐ das intensive Rollenstudium insbesondere mit heranreifenden Bühnentalenten; ‐ die Korrespondenz mit einer beträchtlichen Zahl bedeutender Künstler und Intellektueller; ‐ die Profilierung Meiningens zu einer Musikmetropole (F. Liszt, Cosima Wagner, H. v. Bülow, schließlich die Einbeziehung von J. Brahms); ‐ in späteren Jahren auch das Bemühen, um einen gewissen Zusammenhalt der herzoglichen Familie, insbesondere der Enkelkinder.40 Man wird behaupten können, dass Georg, der 1873 mit A. O. von Giseke einen überaus liberal eingestellten und ihm treu ergebenen Staatsminister ins hohe Amt geholt hatte,41 nunmehr wohl gerüstet an die Bewältigung noch anspruchsvollerer Probleme sowohl in der Regierung als auf dem Kunstsektor herantreten konnte.
4. Georgs bedeutendste Lebensphase (1874 bis 1890/91) Am 1. Mai 1874 begannen im Berliner Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater die Gastspielreisen des Meininger Hoftheaters – einer Schauspieltruppe, die schon bald als „Die Meininger“ bezeichnet worden ist. Sie sollten zu jener Herausforderung werden, deren Meisterung Chronegk den Rest seines Lebens und denen Georg wie Helene einen Großteil ihres kreativen Potentials geopfert haben. Die Wirkungen, die der „Theaterherzog“ und seine Künstlerschar erzielten, waren in ihrer Zeit überaus beträchtlich. Denn die Vorstellungen inspirierten nicht allein die Theaterwelt und viele intellektuelle Zirkel. Sie lieferten auch hinlänglich Gesprächstoff an den Fürstenhöfen in ganz Europa. Als dann nach 1881 auch die Meininger Hofkapelle unter Hans von Bülow und mit J. Brahms auf „Missions-
40 Vgl. ThStAM, HA 318 bis 336, Korrespondenz zwischen Helene und Georg; ThStAM, HA 1, Briefwechsel Helenes mit H. v. Bülow; ThStAM, HA 42, 43, Briefwechsel Helenes mit Johannes Brahms; ThStAM, HA 39, 40, Briefwechsel Helenes mit Cosima Wagner. 41 ThStAM, HA 1118, 1119, Briefwechsel Georgs mit A. von Giseke.
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reisen“ ging, da fungierte das an sich bedeutungslose Meiningen beinahe zwei Jahrzehnte lang als ein kulturelles Zentrum in Mitteleuropa.42 Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Georg II. in erster Linie der Landesherr in Sachsen-Meiningen gewesen ist und seine Lebenstätigkeiten vor allem in diesem Bezugsfeld zu bewerten sind. Dort gab letztendlich Bismarck jene Ziele vor und bestimmte das Schrittmaß, denen auch Georg zu folgen hatte. Im Prinzip hat der Meininger Herzog den Reichskanzler bei seinen auf den inneren Reichsausbau gerichteten Schritten unterstützt. Die auf die Bewahrung des Friedens und des Status quo abzielende Außenpolitik des Reichs fand Georgs völlige Zustimmung.43 Die meisten der Gastspielreisen seiner Kunstinstitute waren mit den deutschen Botschaften in den jeweiligen Hauptstädten abgestimmt, dienten letztendlich der neuinitiierten „auswärtigen Kulturpolitik“ Deutschlands. Allerdings hatte es immer wieder Diskrepanzen zwischen der Reichsregierung und Georg resp. Giseke und auch Verärgerungen zwischen der kaiserlichen Familie und dem Meininger Herzog gegeben. Sie waren letztendlich geglättet bzw. unter der Decke gehalten worden. Doch 1878 kam es zu offensichtlichen Brüchen auf verschiedenen Ebenen und aus unterschiedlichsten Motiven. Sie können an dieser Stelle nur markiert werden: Die Kaiserattentate, der „Berliner Kongress“, die „Sozialistengesetze“, Bismarcks Versuche einer Wahlmanipulation im Sonneberg-Saalfelder Wahlkreis, die Heirat zwischen Erbprinz Bernhard und Charlotte, der Tochter seines Freundes Kronprinz Friedrich Wilhelm, lösten bei Georg unterschiedlichste und zumeist von Berlin abweichende Reaktionen aus. Selbst die Gastspielreisen in die Reichshauptstadt erfuhren damals eine erste Unterbrechung.44 Im eigenen Herzogtum ist Georg bestrebt gewesen, seinen Reformkurs fortzusetzen. Den Interessen der weitgehend exportorientierten Industrie vor allem im „Oberland“ und Saalfelder Raum Rechnung tragend und sich politisch auf die stabile Mehrheit der liberalen Parteien im Landtag stützend, legte er Wert auf die Wahrung des Freihandelsprinzips und plädierte für eine nur mäßige Einmischung des Staates in die wirtschaftlichen Prozesse sowie für Zurückhaltung bei den sozialen Belangen. Um sich im Bundesrat eine gewisse Unabhän-
42 Ann Marie KOLLER, The Theater Duke Georg II. of Saxe-Meiningen and the German Stage, Stanford 1984; John OSBORN, The Meininger Court Theatre 1866–1890, Cambridge 1988. 43 Vgl. ThStAM, HA 67, Korrespondenzen Georgs mit Otto von Bismarck und ThStAM, Staatsministerium, Abt. I, 58, 60, HA 1302–1321, Korrespondenzen Georgs mit A. von Giseke. 44 ThStAM, HA 257, 1307, Berichte A. v. Gisekes an Georg 1878.
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gigkeit zu bewahren, ließ er sein Herzogtum nicht in Gemeinschaft mit den thüringischen Staaten, sondern vom Königreich Bayern vertreten. Georgs autoritärer Regierungsstil war inzwischen voll ausgeprägt. Er stützte sich bei seinen Entscheidungen auf die mündliche und mehr noch die schriftliche Kommunikation mit seinem Staatsminister, den Ressortchefs (Staatsräten) sowie mit seinen Hofmarschällen und seinen Flügeladjutanten. Er hat sich eines gründlichen Aktenstudiums – mit vielen Randnotizen – befleißigt. Es gab zumeist klare und schnelle Entscheidungen in Personalangelegenheiten, auch in vielen Sachfragen. Die Abstimmungsprozesse mit dem Landtag bei Etat- und Gesetzesvorlagen dauerten entschieden länger. Denn kaum eine Vorlage des Herzogs resp. seines Ministeriums konnte ohne gravierende Veränderungen das Parlament passieren. Nicht wenige wurden abgelehnt. In Georgs privatem Umfeld vollzogen sich während jenes Zeitraumes gravierende Veränderungen. 1882 ist Bernhard II., der sich zu Ende seines Lebens mit der Schwiegertochter abgefunden und mit dem Sohn wieder ausgesöhnt hatte, verstorben. Damit fielen der Hofkasse wie der Schatulle Georgs deutlich höhere Einkünfte zu. Da er in Anbetracht der besonderen Ausgaben, die für das Hoftheater wie die Hofkapelle mit der Aufnahme der Gastspieltätigkeiten anfielen, beide Institute Mitte der 1870er bzw. zu Beginn der 1880er Jahre auf seine Schatulle übernommen hatte, waren seine privaten Schulden noch einmal beträchtlich in die Höhe geschnellt. Der Wegfall des väterlichen Hofstaates, darüber hinaus die deutlich gestiegenen Domäneneinnahmen, erlaubten es ihm endlich, an die Rückzahlung seiner beträchtlichen Kredite zu denken. Als die Mutter 1888 aus dem Leben schied, konnte er dann auch daran gehen, den schon lange anvisierten Umbau von Schloss Altenstein in die Wege zu leiten.45 Dem Erbprinzen Bernhard räumte auch Georg keine Mitspracherechte bei der Herrschaft im Herzogtum ein, erlaubte ihm – der durchaus das Zeug gehabt hätte, auch als Intellektueller von sich reden zu machen – eine steile Karriere in der preußischen Armee, die ihn 1895 zum kommandierenden General des VI. Armeekorps mit Sitz in Breslau aufsteigen ließ. Sein jüngster Sohn Friedrich ehelichte 1889 die Prinzessin Adelheid zu Lippe-Biesterfeld. 1892 ging sein Lieblingssohn Ernst, der sich nach langem Suchen dann doch zum Maler hatte ausbilden lassen, mit Katharina Jensen, einer Bürgerlichen, die Ehe ein und schloss infolgedessen seine vielen Söhne von der Meininger Thronfolge aus. Da die an Porphyrie schwer erkrankte Erbprinzessin nur eine Tochter Feodore hatte zur Welt bringen können, ruhte der Fortbestand des Meininger Herzoghauses
45 ThStAM, Neueres Rechnungswesen 7a, Belege über Einnahme und Ausgabe der herzoglichen Schatulle 1869 bis 1914; ThStAM, Neueres Rechnungswesen II., Hofrechnungen 3a, Rechnung über Einnahme und Ausgabe bei der herzoglichen Hofkasse 1866 bis 1914.
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auf den männlichen Nachkommen von Friedrich. Für deren angemessene Erziehung hat Georg späterhin beträchtliche finanzielle Mittel bereitgestellt. In den Jahren zwischen 1874 und dem Beginn der 1890er Jahre erlebten die Künste in Meiningen ihre höchste Blüte und zugleich eine Ausstrahlung, deren Wirkungen und Fernwirkungen noch längst nicht erforscht und geschweige denn publik gemacht worden sind. An dieser Stelle sollen diesbezüglich nur wenige Stichworte genannt werden. Bedeutungsvoll erscheint es vor allem, sich zu vergegenwärtigen, worin die Besonderheit der Leistungen besteht, die Georg auf dem kulturellen Sektor gelungen sind und wie diese mit seinen anderen Aktivitäten, namentlich mit seiner Herrscherfunktion und auch mit seinen persönlichen Neigungen, in ein fruchtbares Verhältnis zueinander gebracht werden konnten. In diesem Zusammenhang sei auf einige Gesichtspunkte hingewiesen, die dieses ungewöhnliche Spannungsfeld beschreiben könnten. 1. Es ist auffällig, dass Georg gelegentlich gesetzgeberischer Initiativen, der Installierung bestimmter Einrichtungen, auch der Errichtung von privaten wie öffentlichen Bauwerken immer wieder auf das Beispielgebende, das Musterhafte derselben hingewiesen hat.46 Diese Gepflogenheit trug schließlich auch dazu bei, dass Historiker sich angewöhnten, von einem „liberalen Musterstaat“ zu sprechen, den Georg zu schaffen bestrebt gewesen sei.47 Ein Gleiches galt für den Kunstsektor – Musterinszenierungen, Musterkonzerte sollten zustande kommen. Es ist eine Art von moderner Modellmethode gewesen, deren sich Georg sowohl in der Politik wie der Kunst bediente: im Kleinen, d. h. in Sachsen-Meiningen, wurde ausprobiert, was man anderswo bzw. im Großen nachmachen konnte – sofern man dazu bereit wäre. „Meiningen voran!“ hat er des Öfteren seinen Staatsräten zu gerufen. Diese Denk- und Vorgehensweise verband das politische und das künstlerische „Geschäft“, das Georg leisten wollte. Wichtig dabei: das Notwendige und das Spielerische verloren sich nicht aus den Augen. 2. Bei seinen Beiträgen, die Georg zur Entwicklung eines modernen Regietheaters geleistet hat, bedingten sich seine gesellschaftliche Stellung und seine künstlerischen Bestrebungen gleichfalls. Wenn man so will, war eigentlich nur ein regierender Fürst zu seiner Zeit dafür prädestiniert, das Regietheater voranzubringen. Schon der Meininger Erbprinz und spätere Herzog kannte sich aufgrund eigener Erfahrungen in den meisten
46 Karl von STEIN, Die Kunst unter Georg II., Meiningen 1909. 47 Ulrich HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 32), S. 215; HUSCHKE, Politische Geschichte (wie Anm. 3), S. 221.
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Lebenssphären recht gut aus. Klare und knappe Ansagen waren ihm, der kein großer Redner gewesen ist, sehr wohl geläufig. 3. Georg ist ein Künstler gewesen, den man auch als ein Multitalent anzusehen hat. Gewiss fungierte das Zeichnerische bei diesem Augenmenschen als Leitkompetenz. Doch er ist wohl auch ein ordentlicher Klavierspieler und ein ambitionierter Sänger gewesen, der sich in der Geschichte der Musik ausgezeichnet zurecht fand. Modernes Regietheater verlangt das Zusammenführen sämtlicher Kunstgattungen in der Inszenierung. Da erwies es sich als äußerst vorteilhaft, dass Georg in ihnen allen behaust war. 4. Natürlich lebte und webte Georg in der Gedankenwelt des Historismus – deshalb auch sein Streben nach Werktreue in den Künsten. Seine bevorzugte Epoche der Kulturgeschichte ist die Renaissance gewesen. Und jene Art von Zusammenspiel zwischen Herrscher und Künstler, das er anstrebte, mochte dem abgeschaut sein, was ein Herzog Alfonso von Ferrara oder ein Cosimo von Medici in Florenz, vielleicht gar ein Franz I. von Frankreich vorexerziert hatte. In diesem Kontext erschienen Georg die hohe Geburt und auch die reale Machtstellung eines Fürsten nur als eine Verpflichtung, sich vermittels eigener Leistung im Kreise anderer Hochkreativer selbstbewusst bewegen zu können.48 Dass sich derartige Intentionen in der harten Realität nur höchst partiell umsetzen lassen, veranschaulichen nicht zuletzt jene Erfahrungen, die er mit ambitionierten Künstlern (und diese mit ihm) hat sammeln müssen. Für einen Hans von Bülow wie für Richard Strauss, auch für Paul Lindau und manchen Bühnenheroen jener Tage erwuchsen aus Sachzwängen wie Kompetenzstreitigkeiten scheinbar nicht regulierbare Konflikte, die zur Trennung mit dem Fürsten führten. Jenes Verhältnis, das sich zwischen Georg und von Bülow entwickelt hat, kann als Exempel für dieses Spannungsverhältnis dienen. Zwei Männer, die einander Freunde fürs Leben hätten werden können, gingen ein Verbündnis ein, bei dem der Eine dann doch der „Herr“ und der Andere der „Knecht“ gewesen ist – wie auch die Beziehung zwischen Georg und Chronegk angelegt war. Natürlich haben von Bülows Beethoven-Konzerte von 1880 Georg den höchsten künstlerischen Genuss verschafft, sein Vortrag von Klavierstücken den Herzog immer wieder zu Tränen gerührt, die Erfolge der Hofkapelle in Berlin und Wien mit Stolz erfüllt. Doch ein ewiges Bündnis zwischen diesen beiden in einem
48 ThStAM, HA 413/VII, Marie Fitger, Der Cardinal Fürst Hohenlohe.
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Dienstverhältnis dürfte nicht machbar gewesen sein. Von Bülow schied 1885/86 im Zorn aus Meiningenschen Diensten.49 Um 1890 ging für Georg seine vielleicht aufregendste, auf jeden Fall erfolgreichste Lebensphase zu Ende. 1888 war nicht allein Kaiser Wilhelm I. verstorben, sondern auch noch Georgs Freund, gleichsam seine politische Orientierungsgestalt, Friedrich Wilhelm. Mit ihm würde „Deutschlands letzte Hoffnung“ dahin gehen, hatte Georg schon zuvor an Kardinal Gustav Adolf von Hohenlohe-Schillingsfürst geschrieben.50 Dem Meininger Herzog war wohl mehr als den anderen Reichsfürsten bewusst, dass man üblen Zeiten entgegensah. Krieg war das Schreckgespenst, vor dem er sich fürchtete. Als sein Hoftheater Anfang 1890 in St. Petersburg eintraf, erfuhren die Schauspieler, dass man in Berlin dabei war, sich des Erbes des entlassenen Bismarcks zu entledigen, zum Beispiel, indem man den Rückversicherungsvertrag mit Russland nicht erneuert hatte. Auslandsgastspiele deutscher Künstler wurden zunehmend schwieriger. (Jener Ausweg, der sich dem Meininger Hoftheater aus dem Dilemma eröffnet hätte, nämlich Amerika-Reisen, waren aus vielen Gründen – auch wegen Chronegks Widerstreben – gescheitert.51) Im deutschen Sprachbereich war die Schauspielkunst – nicht zuletzt dank Meininger Errungenschaften – über das Illusionstheater der Hofbühne hinausgeschritten. Georg wie Helene sehnten sich überdies danach, aus der Tretmühle „Gastspielreisen“ herauszukommen.52 Schlussendlich starb Chronegk im Sommer 1891. Georg hatte als 65-Jähriger die Prioritäten seines Lebens in mancher Hinsicht neu zu setzen.
5. Schwierige Zeiten (1890/91 bis 1906) Es sind zwei Momente gewesen, die Georgs Denken und Verhalten nach seinem 25. Regierungsjubiläum (1891) zunehmend beeinflusst haben: sein ständig wachsendes Unbehagen über die Entwicklungen, die die Politik im Reich und darüber hinaus in ganz Europa nahmen, und jene Rücksichten, die er (und mit ihm Helene) wegen ihres sich verschlechternden Gesundheitszustandes, auch sich häufender Unfälle, zu nehmen hatte. Sicherlich hatte sich auch bei Georg während seiner Regentschaft ein Gespür dafür entwickelt, dass der Verlauf der politischen Geschichte, an der er als 49 Alfred ERCK/Inge ERCK/Herta MÜLLER, Hans von Bülows Meininger Jahre (Südthüringer Forschungen, 25), Meiningen 1991. 50 ThStAM, HA 1089, Brief Georgs an Kardinal Hohenlohe vom 2. Dezember 1887. 51 Alfred ERCK, Weshalb die „Meininger“ nicht in Amerika gastierten? in: Meininger Schüler-Rundbriefe. Epistola 102 (2012), S. 74–83; ebd. 103 (2013), S. 58–65. 52 Brief Helenes an Arthur Fitger vom 31. August 1890, in: Helene FRANZ, Freifrau von Heldburg. Fünfzig Jahre Glück und Leid, Leipzig 1926, S. 54.
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Akteur wie Beobachter selbst beteiligt war, sowohl von strukturellen Bedingungen wie von den handelnden Personen abhing. Jene Richtungen, in die die Wirtschaft wie die Militärpolitik, die Diplomatie wie das Geistesleben sich bewegten, gefielen ihm im Ganzen nicht. Aufgrund seiner Herkunft und seiner Lebenserwartungen wird allerdings auch Georg die Rolle, die die Fürsten in der Politik noch zu spielen in der Lage waren, keineswegs gering veranschlagt haben. Doch das Exempel, welches der junge deutsche Kaiser dabei war zu demonstrieren, missfiel ihm gänzlich. Denn Wilhelms II. gesamte Persönlichkeitsstruktur war der eigenen diametral entgegengesetzt.53 Ende der 1880er Jahre mochte auch Georg noch mit Kronprinz Friedrich Wilhelm und Victoria darauf gesetzt haben, die Herrschaft von Bismarck und vom alten Kaiser so lange aushalten zu können, bis ein Kaiser Friedrich III. manche Weiche der deutschen und europäischen Politik würde anders stellen können – in Richtung liberalen Parlamentarismus und anglophiler Außenpolitik. Doch Friedrich Wilhelms Tod hatte derartige Optionen – über deren Erfolgsaussichten man berechtigte Zweifel hegen darf – zunichte gemacht. Will man jene Gesichtspunkte zusammenfassen, bei denen sich Georg von Meiningen im mehr oder weniger deutlichen Gegensatz zur Reichspolitik, zum „persönlichen Regiment“ von Wilhelm II. und zu den Intentionen dessen engsten Vertrautenzirkels befand, dann wird man hervorzuheben haben: 1. Regelrecht gefürchtet hat sich Georg vor dem Ausbruch eines schrecklichen Krieges, in dessen Mittelpunkt das deutsche Reich stehen würde. Deshalb hat er den immer weiter um sich greifenden Militarismus für eine ernste Gefahr erachtet. Bei seinem Rückblick auf 25 Jahre Regierung hat er seinem Freund Carl Werder, der zugleich ein Lehrer von Wilhelm II. gewesen war, die bekannten Worte geschrieben: Recht fraglich ist’s, ob wir die Ruhe behalten, welche seit dem Kriege gegen Frankreich herrschte und ob wir nicht kolossalen Stürmen entgegensehen, die vielleicht noch in meine Regierungszeit fallen. Es will mir scheinen, als würde man an höchster Stelle bei uns immer chauvinistischer – vielleicht, weil man einsieht, dass der bewaffnete Friede uns auch nach und nach ruiniert, vielleicht aber auch, weil der häufige Anblick großer deutscher Heeresmassen das Vertrauen in die eigene Kraft stärkt. Was werden wir aber bestenfalls erreichen, wenn wir losplatzen?: Die Erhaltung des Status Quo. Den besitzen wir schon heute! Geht die Geschichte aber schief, was dann?54
Er jedenfalls sähe kein Ziel, hat er an anderer Stelle bemerkt, dass es lohne, „die Welt in Flammen“ zu setzen.55 53 ThStAM, HA 426, Briefe von Prinz Wilhelm an Georg zwischen 1880 und 1885; ThStAM, HA 1500, Georgs Auslassungen über Wilhelm II., z. B. Brief Georgs an Ziller vom 5. August 1908. 54 ThStAM, HA 395, Brief Georgs an Karl Werder vom 21. September 1891. 55 HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 32), S. 417.
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2. Mit größter Skepsis stand Georg den deutschen Expansionsbestrebungen, also dem Erwerb von Kolonien, der Errichtung von Stützpunkten und insbesondere jenem Flottenbauprogramm gegenüber, das Wilhelms II. Lieblingsidee und Tirpitz’ Mission gewesen ist und das England letztendlich den Anlass geliefert hat, um der Alliance gegen Deutschland und Österreich beizutreten.56 3. Sehr entschieden hat sich Georg gegen alle Bestrebungen gewandt, die darauf abzielten, die Freiheitsrechte und die Würde der Person zu beschränken. Entsprechende Gesetzesvorlagen, so die Verschärfung der Militärgerichtsbarkeit, die Verfolgung der Angehörigen von politischen Straftätern, auch staatliche und kirchliche Intoleranz in Glaubensangelegenheiten, stießen auf seinen energischen Widerstand.57 4. Regelrecht verhasst war Georg jener „Byzantinismus“, den Wilhelm II. um sich verbreiten ließ und der bei Reichskanzler von Bülow seine deutlichste Ausprägung erfahren hat. Einen „Wilhelm den Großen“ mochte er auch nicht akzeptieren, die Errichtung seines Denkmals auf dem Kyffhäuser hat er mit manchem Spott verfolgt.58 In der Innenpolitik wusste Georg mit seinen Staatsministern Friedrich von Heim (1890 bis 1902)59 und insbesondere Rudolf von Ziller (1902 bis 1912) Partner an seiner Seite, die sowohl im Bundesrat als auch im Herzogtum darauf sahen, dass die Rechtsstaatlichkeit gewahrt und das Toleranzprinzip hoch geachtet worden ist. Er setzte durch, dass 1897 – damit eine Vorreiterrolle im Thüringischen spielend – die Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt wurde. Mit Nachdruck engagierte sich Georg für die Entwicklung der Fortbildungsschulen und erreichte, dass sie auch von den Mädchen besucht werden mussten. Sein besonderes Augenmerk richtete der Herzog auf die Gesundheitsfürsorge. Mit Brachialgewalt zwang er die widerstrebenden Eltern der Meininger Gesellschaft, auch ihre Töchter den schulärztlichen Pflichtuntersuchungen zuzuführen. In Glaubensfragen hingegen pochte der Herzog auf die Wahrung des Toleranzprinzips. Als Heim den Einheitsbestrebungen der preußischen Staatskirche – die Georg von seiner evangelischen Landeskirche abzuwenden bemüht war – keinen energischen Widerstand entgegensetzte, hatte der verdienstvolle Staatsmann 56 Brief Helenes an E. Stötzer vom 19. November 1900, in: FRANZ, Glück (wie Anm. 52), S. 143; ThStAM, Staatsministerium Äußeres 1130, Notizen Georgs vom 25. November 1899 und ThStAM, Staatsministerium Äußeres 1121, Notizen Georgs 26. November 1905. 57 ThStAM, Staatsministerium, Abt. I, 28, 1 k; Staatsministerium, Abt. des Inneren 3338. 58 ThStAM, Staatsministerium Äußeres 1157, Notiz Georgs o. D.; ThStAM, GA XIV D 20, Brief Georgs an Heim vom 3. November 1897. 59 ThStAM, HA 1339–1364, Briefe F. von Heims an Georg.
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zu gehen. Auf jedwede Intoleranz pflegte Georg jedenfalls sehr intolerant zu reagieren.60 Bei aller Distanzhaltung gegenüber dem Kaiser, seinen Kanzlern und Militärs darf allerdings nicht aus dem Auge verloren werden, dass Georg II. von Sachsen-Meiningen ein deutscher Reichsfürst gewesen ist, also – wenn man so will – ein Paladin seines Kaisers, auch ein in vielfacher Hinsicht naher Verwandter des preußischen Herrscherhauses. Infolgedessen sind jene Kompromisse, die er immer wieder eingegangen ist, gewissermaßen vorprogrammiert gewesen. Einige von ihnen sollen als Beispiele angeführt werden. 1. Georg und mit ihm Helene hatten lange Zeit darauf vertraut, dass Wilhelm II. sein Versprechen aus prinzlichen Zeiten, nämlich Helene eine volle gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, nach 1888 einlösen werde. Als der sich 1889 weigerte, seine Ankündigung in die Tat umzusetzen, ist die Verbitterung bei Georg zwar groß gewesen,61 dennoch hat es auch späterhin zwischen dem Kaiser und dem Herzog gewisse Arrangements gegeben.62 2. Zwei Söhne Georgs – Bernhard als Schwager des Kaisers und in seiner Eigenschaft als Generalfeldmarschall und Friedrich als kommandierender General – waren de facto und dem Geiste nach zutiefst verwurzelt im preußischen Militär, wohl auch in dessen Denkweise.63 3. Auch in praktischer Hinsicht vermochte sich Georg gegenüber entsprechenden Anliegen in seinem Herzogtum, nämlich das Protektorat über den Flottenverein zu übernehmen, während der „China-Expedition“ Geld für eine telegraphische Verbindung nach Fernost zu spenden usw., nicht zu entziehen.64 4. Schließlich hat man – wenn auch mit einigem Erstaunen – zur Kenntnis zu nehmen, dass Georg sich nach 1910 höchst intensiv und keineswegs im Konsens mit Helene und Prinz Ernst dafür engagiert hat, aus dynastischen Motiven seine Enkelin Charlotte Feodora mit Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar – einem Parteigänger des Kaisers und nicht unproblematischen Charakter – und dann auch Adelheid ausgerechnet mit Adalbert von Preußen, also jenem Kaisersohn, der in der Hohenzollernfamilie für die Marine zuständig war, zu vermählen.65 60 ThStAM, Staatsministerium IV, 13032, Brief Georgs an Heim vom 7. Juli 1902. 61 ThStAM, HMA, Nr. 1286, Telegramm Wilhelms II. an Georg vom 4. Mai 1889; Meininger Tageblatt vom 10. August 1889. 62 ThStAM, HA 331, Brief Helenes an Georg vom 13. Juli 1911. 63 Briefe von Erbprinz Bernhard an Georg, ThStAM, HA 1196, 1197. 64 Meininger Tageblatt vom 24. Juli 1900. 65 ThStAM, HA 406, Briefe Charlotte Feodoras an Helene; ThStAM, HA 411, Briefe Prinz Adalberts an Helene 1909 bis 1915.
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Georg, der sein Leben lang unter asthmatischen Beschwerden zu leiden hatte, der auch anfällig für Erkältungen gewesen ist, ist in den 1890er Jahren mehrfach schwer gestürzt (auf dem Immelborner Bahnhof, auf einem Bahnhof in Italien, beim Verlassen des Meininger Theaters, durch einen Pferdeabwurf). Aufgrund seines Gewichtes erlitt der Hüne besonders schwere Knie- und Hüftverletzungen, die ihn mitunter monatelang ans Bett fesselten, ihn auf Krücken in den Wohnräumen herumhumpeln ließen. Mittels jener Bewegungstherapien, die ihm der Münchner Professor M. J. Oertel verordnet hatte, auf ausgedehnten Wanderungen und vielen Jagdausflügen, ist er bestrebt gewesen, mit diesen gesundheitlichen Problemen zurande zu kommen. Ab 1889 begann Georg auch, sich wegen seiner zunehmenden Schwerhörigkeit bei verschiedenen Ärzten vorzustellen. Überdies kränkelte auch Helene fortwährend. Kurzum: Nach 1890 wurden aus den vielen Bildungsreisen und Aktivurlauben primär Erholungs- und schließlich Kuraufenthalte. Fortan war man häufig in Begleitung eines entsprechenden Leibarztes unterwegs.66 Selbstverständlich haben sich Georg und Helene auch nach dem Ende der Gastspielreisen für „ihr Theater“ engagiert. Man wolle „in ganz kleinen Verhältnissen ein exzeptionell gutes Theater haben können und spitzen uns auf mancherlei Kaviar“, hat Helene A. Fitger wissen lassen. Frei vom Zwang, ständig mit epoche- und kassemachenden Novitäten aufwarten zu müssen, experimentierten sie mit Stücken neuerer Autoren. Georg wagte sogar den Versuch, seine „Meininger Prinzipen“ in die Opernregie einzubringen, brachte eine „Fidelio“Einstudierung heraus. Doch dann geriet die Neuorientierung krankheitsbedingt gehörig ins Stocken. Georg musste sogar knappe zwei Jahre seiner Residenzstadt fernbleiben. Fortan hat der Herzog bei Schlüsselinszenierungen auch weiterhin als Dramaturg, seltener als Regisseur, aber häufig als Ausstattungsleiter fungiert. Als Paul Lindau zwischen 1895 und 1899 als Hoftheaterintendant wirkte, interessante Neueinstudierungen vor allem französischer Autoren bewerkstelligte, auch eigene Stücke in Szene setzte, fühlte sich Georg animiert, einfallsreich als Bühnenbildner zu arbeiten. Gelegentlich der Aufführung des Lindauschen Dramas „Der Andere“ am 12. November 1893 gelang es dem Herzog und seinem Intendanten, die Spitzen des deutschsprachigen Theaters und die Kritiker der führenden französischen Zeitungen nach Meiningen zu lotsen. Georg übernahm es, für sie alle den Gastgeber zu spielen – ein kulturelles Ereignis, das in Berlin höchstes Missfallen erregte. In den Jahren zwischen 1896 und 1903 wirkte mit Fritz Steinbach ein exzellenter und zugleich kooperativer Kapellmeister an der Spitze der Hofkapelle. Von Georg verpflichtet, sich der Pflege des kompositorischen Schaffens von 66 ERCK/SCHNEIDER , Georg II. (wie Anm. 16), S. 514–524.
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J. Brahms anzunehmen, hat Steinbach sich als der führende Brahmsinterpret seiner Zeit profiliert. Zwei Meininger Musikfeste 1895 und 1899 führten die Freunde dieses Komponisten in der Werrastadt zusammen. Das erste Festival konnte der Meister noch miterleben, anlässlich des zweiten hat man ihm zu Ehren nur noch sein erstes Denkmal einweihen können. Inzwischen hatte sich Georgs Gehörleiden derartig verschlimmert, dass er nur einen Teil der Konzerte wahrnehmen konnte. Weil Auslandsgastspiele von Orchestern weniger politischen Animositäten ausgesetzt waren als jene des Sprechtheaters, konnte die Hofkapelle ihre musterhaften Brahmsinterpretationen auch jenseits der Grenzen des Reichs, namentlich in England, mit weitreichenden Wirkungen vorstellen. Studiert man die herzoglichen Fourierbücher aus jenen Tagen, geht man die Schatullrechnungen durch, blättert man in den Briefen, die Georg und Helene während jener Zeitspanne geschrieben bzw. empfangen haben, dann bleibt der alles dominierende Eindruck: Das Paar lebte und webte im Kulturbetrieb des Jahrzehnts in dessen Gänze mit – und dennoch war ihr Veralten vom Flair einer gewissen Distanz umwoben.67
6. Ein Greis mit Tatendrang (1906 bis 1914) Überdenkt man die Haltungen, die Georg nach seinem 80. Geburtstag (der als mediales Ereignis in weiten Teilen Europas reflektiert worden ist68), den er sehr wohl als eine Zäsur in seinem Leben ansah, eingenommen und die Handlungen, die er begangen oder eben auch unterlassen hat, dann will einem scheinen, als habe da ein Greis danach getrachtet, recht Verschiedenartiges auf seine Weise zu kombinieren: Gegenüber dem Geist der Zeit und den Trends in der Politik mochte ihm jedweder Protest seinerseits als aussichtslos erscheinen. Auf diesem Feld griff bei ihm Resignation zusehends um sich. Diese Feststellung will nicht besagen, dass Georg in seinem Herzogtum die Dinge einfach hat schleifen lassen. Denn das ist keineswegs der Fall gewesen. Doch allein die Tatsache, dass er 1912 mit Karl Schaller einem ausgesprochen konservativen Nationalliberalen das Staatsministerium anvertraut hat, signalisiert eine gewisse Ausweglosigkeit.69 Diese Behauptung soll auch nicht bedeuten, dass Georg im privaten Zirkel nicht mehr „politisiert“ hätte. Allein die Lektüre jener Briefwechsel, die er (resp. Helene) 67 ThStAM, HMA, Nr. 1388, 1389, Fourierbücher 1887 bis 1907. 68 Im ThStAM werden hunderte entsprechender Zeitungsartikel aufbewahrt. Vgl. ThStAM, HA 1554 bis 1620. 69 ThStAM, HA 1413, 1414, Briefe Karl Schallers an Georg und Helene.
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mit Ernst Haeckel70 oder Charles Waldstein71 seinerzeit geführt hat, macht deutlich, wie lebhaft der Herzog am politischen Geschehen der Zeit interessiert gewesen ist. Doch auch Georg geriet mehr oder weniger in die Position eines kommentierenden Beobachters des Geschehens. Wenn es die Situation im eigenen Lande (inzwischen beinahe 280.000 Einwohner zählend) erforderlich machte oder sich entsprechende Möglichkeiten eröffneten, hat Georg Lösungen für herangereifte Probleme angestrebt und dann auch herbei geführt, die schon Erstaunen hervorrufen. Dabei ist er seinem Grundsatz treu geblieben, nämlich mit seinen Handlungen Musterhaftes zu bewirken. Kraftvoll und großzügig ist in solchen Fällen verfahren worden. Schließlich wird man auch hervorzuheben haben, dass Georg während seines letzten Lebensjahrzehntes eine Reihe von Einrichtungen geschaffen und Entwicklungen angeschoben hat, die über sein Leben hinaus reichen sollten. Bis zu einem gewissen Maße – und er ist sich dieses Umstandes sehr wohl bewusst gewesen – verpflichtete er seinen Nachfolger – oft gegen dessen Willen – im Interesse des Landes und dessen Bewohnern im Sinne des Erblassers zu handeln. Es sind beispielgebende Handlungen auf ausgewählten Feldern gewesen, die seinerzeit noch erfolgt sind. Deshalb sollen diese auch auf exemplarische Weise – zudem stichpunktartig – vorgestellt werden. Ganz im Sinne fortschrittlich-liberaler Einstellungen hat sich Georg energisch für die Verbesserung des Gesundheitswesens im Herzogtum – um das es nicht mehr gut bestellt war – eingesetzt. Insbesondere durch G. Leubuscher72 fachlich beraten, förderte er den Bau und die Ausstattung von Krankenhäusern, die Gesundheitserziehung bei allen Bevölkerungsschichten und die Sonderrechte, die dem Arzt am Krankenbett (etwa gegenüber dem Geistlichen) einzuräumen sind. Als das alte Georgenkrankenhaus in Meiningen um 1900 an die Grenzen seiner Möglichkeiten gelangt war, hat er den Bau einer modernen Einrichtung (und deren Finanzierung durch das Land) mit allen (sogar mit nicht immer ganz korrekten) Methoden vorangetrieben. In die 1903 eröffnete Einrichtung hat Georg auch im Nachgang noch beträchtliche Summen aus seiner Schatulle einfließen lassen.73 Flankierend zu den verschiedenen Krankenhausbauten im Herzogtum begründete Georg 1902 eine nach ihm benannte Stiftung für Krankenpflege. Ihre Aufgabe bestand darin, Mädchen (unabhängig von kirchlichen Einrichtungen) für den Krankenpflegeberuf zu qualifizieren und 70 71 72 73
ThStAM, HA 87, 88, 89, 1331 bis 1337, Briefe Ernst Haeckels an Georg. ThStAM, HA 83, 84, 85, Briefe Charles Waldsteins an Georg. ThStAM, HA 280, 42, HMA, Nr. 2252, Briefe Georg Leubuschers an Georg. ThStAM, Staatsministerium, Abt. des Inneren 5327, Brief Georgs an Max von Butler vom 15. 1. 1898; Verhandlungen des Landtags von Sachsen-Meiningen 1898/1900, 1902, 1903/04.
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ihnen während ihrer Tätigkeit auch eine entsprechende Heimat zu bieten. Georg ließ 1907 ein entsprechendes Schwesternhaus errichten. Es sollte auch jene Gemeindeschwestern ausbilden, die er jeder Kommune im Herzogtum zur Verfügung stellen wollte und die mittels einer Mischfinanzierung zu unterhalten waren.74 Jenes neue Volksschulgesetz, das schließlich 1908 den Landtag passieren sollte, ist von der Fachwelt im In- wie im Ausland hoch gelobt, von den konservativen Kreisen hingegen heftig attackiert worden. Es lief in seiner Intention darauf hinaus, Schule/Staat und Kirche (abgesehen vom Religionsunterricht) zu trennen. Es sah eine weitere Hebung des Lehrerstandes (auch dessen Ausbildung) vor. Weil G. Strupp – als Wortführer der israelitischen Kultusgemeinde in Meiningen – vehement darauf gedrungen hatte, die gesetzlich verankerte Gleichstellung der Juden durch dieses Gesetz gewahrt zu wissen, wurden nach langen Auseinandersetzungen im Landtag auch Bestimmungen aufgenommen, die in ihrem Kern darauf hinausliefen, dass der Staat für jüdische Kinder höhere Mittel als für die Mehrheit der Schüler einsetzen musste, um dieses Prinzip einhalten zu können.75 Als am 5. März 1908 jenes Theater bis auf die Grundmauern abbrannte, in dem Georg nach eigenen Bekundungen – bei schlechter Luft, aber bester Stimmung – große Teile seines Lebens als Regisseur und Ausstattungsleiter wie als Besucher von Schauspiel- und Konzertaufführungen verbracht hatte (schätzungsweise 2.500 Besuche von Vorstellungen des Schauspiels bzw. des Konzerts, an vielleicht 2.000 Tagen hat er dort Regie geführt, Kostüm- und Dekorationsproben abgehalten), da hat er – ohne zu klagen noch zu zögern – einen Neubau angeordnet. Den deutschen Bühnenverbänden und der Bankenwelt, die ihm angeboten hatten, für die anfallenden Kosten aufzukommen, erteilte er eine Absage: Der Herzog von Meiningen errichte sich sein Theater selbst oder er besitze keines. Schenken könne man es ihm nicht – so lautete seine Botschaft. Georg hat das Baugeschehen am neuen Hoftheater intensiv – wenn auch aus der Ferne – begleitet. Wochenlang hat er mit seinem Hofbaumeister Karl Behlert über den Bauplänen gesessen, mit ausgewiesenen Architekten und Intendanten gefachsimpelt, mit Sohn Ernst ästhetische Aspekte geklärt und schließlich etwa zwei Drittel der Baukosten aus seiner Schatulle beglichen.76 Indem er Max Grube überzeugen konnte, die Leitung des Hauses zu übernehmen, wusste er
74 Jährliche Berichte der Herzog-Georg-Stiftung für Krankenpflege, Meiningen ab 1902. 75 ThStAM, Staatsministerium, Kirchen- und Schulsachen, Nr. 6136, 6156; Verhandlungen des Landtags Sachsen-Meiningen 1906/1908. 76 Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Die Hoftheaterbauten in Meiningen, Teile II bis IV, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 15 (2000), S. 257– 293; 17 (2002), S. 221–250; 18 (2003), S. 131–156.
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auch dessen künstlerische Führung in guten Händen.77 Ursprünglich hatte Georg das Gebäude „Der Kunst“ und „Dem Volke zur Freude und Bildung“ widmen wollen. Doch schien ihm der aufklärerisch-pädagogisierende Bildungsauftrag der Bühne wohl nicht mehr ganz zeitgemäß und wurde durch „Erhebung“ ersetzt. Eingeweiht wurde das im Stil des Neoklassizismus gehaltene Gebäude am 17. Dezember 1909 mit den ersten beiden Teilen der „Wallenstein“-Trilogie. Es erscheint von einiger Symbolkraft, dass neben den Mitgliedern der herzoglichen Familie nur noch die Spitzen der deutschen Bühnen- und der deutschen Bankenwelt von Georg zur Festtafel in den Marmorsaal des Schlosses und zur Einweihungsfeier ins Theater geladen worden sind. Das moderne Gebäude, der erfahrene Grube, die leistungsfähigen jungen Darsteller (unter ihnen Helene Thimig, Rose Lichtenstein, Franz Nachbaur, Hermann Roebbling, Hermann Thimig) ließen beim greisen Georg das Theaterblut noch einmal gehörig in Wallung kommen. Bei einer ganzen Reihe von Inszenierungen hat er mitgearbeitet, eine überzeugende Ausführung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ im Februar 1910 herausgebracht, in der zweiten Hälfte von 1911 Kleists „Penthesilea“ erarbeitet und im Alter von 86 Jahren noch Shaws „Cäsar und Cleopatra“ in Szene gesetzt.78 Nicht minder vital und auch mutig erwies sich Georg, als er 1911 gegen den erklärten Willen seines Oberhofmarschalls von Schleinitz den genialen, aber keineswegs bequemen Max Reger an die Spitze seiner Hofkapelle berief und ihm sein Orchester für verschiedene Experimente, für Konzertreisen, die den Klangkörper noch einmal nach Berlin und ins Ausland führen sollten, und schließlich für die Ausrichtung des Regers Schaffen gewidmeten Musikfestes 1913 zur Verfügung stellte. Wohl noch bemerkenswerter erscheint der Umstand, dass Georg mit Reger in eine erstaunlich intensive mündliche und schriftliche Kommunikation getreten ist, die noch einmal ein beredtes Zeugnis für das geistige Format und die menschliche Größe dieses Herzogs ablegt. Gesundheitlich ging es mit Georg und Helene in jenen Jahren ständig bergab. Oft schon zu Jahresbeginn verließen sie Meiningen, um gen Süden zu reisen. Während des Frühsommers sahen sie sich veranlasst, an verschiedenen Orten zu kuren – Georg in Bad Wildungen, Helene in Karlsbad. Der alte Herzog litt unsäglich unter der Trennung von seiner Frau, schrieb ihr mitunter zwei Liebesbriefe an einem Tag,79 erfüllte aber bis in seine letzten Lebenstage hinein die 77 ThStAM, HA 131, 132, 1697, 1698, Briefe von Max Grube an Georg; ThStAM, HA 125, 127, 128 Briefe von Max Grube an Helene. 78 ThStAM, HMA, Nr. 1389, 1390, Fourierbuch 1910 bis 1914. 79 ThStAM, HA 314, 323, 332, 334, Briefe Georgs an Helene. Vgl. hierzu auch Inge GROHMANN, Skandal und Liebe. Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und die Freifrau von Heldburg, Norderstedt 2012.
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Regentenpflichten gewissenhaft. Allerdings überstiegen die jährlichen Reiseauslagen inzwischen die 100.000-Mark-Marke. Es entbehrt nicht der Symbolhaftigkeit, dass Georg Ende 1913 auffällig oft in sein Theater ging. Am 21. Dezember schaute er sich noch einmal seinen „Sommernachtstraum“ an. Am 28. jenes Monats besuchte er eine Vorstellung von „Cäsar und Cleopatra“. Tags darauf reiste er nach Cannes ab. Georg sollte sein Theater und seine Residenz nicht mehr wieder sehen. Nach über drei Monaten Aufenthalt auf Cap Martin verbrachte er bis Ende Mai den Frühling des Jahres 1914 auf der Villa Carlotta. Dann reiste er nach Deutschland zurück, ließ sich am 29. Mai von Eisenach per Automobil auf den Altenstein bringen. Zwei Tage später – es ist Pfingsten gewesen – versammelte sich beinahe die gesamte Familie zum letzten gemeinsamen Diner. Eine Woche später siedelten Georg und Helene ins Kurhotel nach Bad Wildungen um. Jene drei Menschen, die ihm zu Ende seines Lebens die liebsten gewesen sein mochten, nämlich Helene, Sohn Ernst und Enkelin Adelheid, waren in seiner Nähe, als er am 26. Juni 2.25 Uhr aus dem Leben schied. Etwa zur gleichen Zeit, als man ihn in Meiningen zu Grabe trug, fielen im fernen Sarajevo jene Schüsse, die den Anlass für einen Krieg liefern sollten, den nur wenige wirklich gewollt, den zu verhindern aber kaum einer bereit bzw. fähig gewesen ist. Es war Prinz Ernst, der die unglückliche Helene wiederholt mit dem Gedanken hat trösten wollen: Der verstorbene Herzog habe glücklicher gelebt als die meisten Menschen seiner Zeit und vielleicht all seine Vorfahren. Vor allem sei es ihm erspart geblieben, am Ende seines Daseins noch einen Krieg zu erleben, „den er nie verstanden hätte“.80 Allerdings hat er ihn kommen sehen, wie er namentlich seinen Künstlerfreunden, so Max Grube, nach 1890 wiederholt prophezeite. Georg ist keiner jener „Schlafwandler“ gewesen, von denen Christopher Clark in seinem Buch berichtet;81 er wusste, dass ein großer Krieg ausbrechen würde, aber auch er hatte keinerlei Vorstellung davon, wie man ihn hätte verhindern können. Wollte man resümierend konstatieren, aus welchen Gründen Georg II. als bedeutendster Meininger Herrscher in die Geschichte der Region und als ein Reformator in jene der Bühnenkunst eingegangen ist, dann wird man sagen können: Der zweite Georg hat länger als all seine Vorgänger und als sein Nachfahre regiert, nämlich 48 Jahre. Er ist schon von den Zeitgenossen als ein kraftvoller Herrscher und als ein kreativer Künstler (wenn man so will als Vollender 80 ThStAM, HA 366 III, Briefe Ernsts an Helene vom Sommer bis Ende 1914. 81 Christopher CLARK, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, aus dem Englischen übersetzt von Norbert JURASCHITZ, München 2014.
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des Illusionstheaters und Wegbereiter der modernen Regiekunst) wahrgenommen worden. Bedenkt man die Rahmenbedingungen, die im zweiten deutschen Kaiserreich seinem Wirken gesetzt waren, dann wird man auch konstatieren können, dass dem Meininger Herzog – mehr als den meisten Regenten seiner Zeit – durch sein persönliches Engagement auf jenen Feldern, die zu bestellen, ihm möglich war, beachtliche Leistungen gelungen sind. Im Gesundheitswesen, in der Volksbildung, auf dem Gerichtssektor und selbstredend in der Schauspielkunst und im Konzertleben erreichte er tatsächlich Mustergültiges. Georgs Reputation in der Fürstenwelt und beim eigenen Volk ist beachtlich gewesen. In seiner geopolitischen Ausrichtung hatte sich Georg – vielleicht sogar ohne den Blick auf seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu richten – schon beizeiten dafür entschieden, sein Herzogtum nach dem Norden und Westen Deutschlands zu orientieren. Dass er im hohen Alter von jenem dynastischen Denken, das in seiner Jugend keine unbedeutende Rolle gespielt und das er ab 1873 geflissentlich suspendiert hatte, bei der Verheiratung seiner Enkelinnen noch einmal eingeholt werden würde, dürfte ihm selbst nicht völlig bewusst gewesen sein. Gleichsam wie ein Lehrbeispiel muten seine vergeblichen Bemühungen an, gegen Denk- und Verhaltensweisen (auch mit den Mitteln der Kunst) anzukämpfen, die Kriege für erstrebenswert hielten und Intrigen für ein probates Mittel der Politik erachteten. Seine gesellschaftliche Stellung band auch Georg II. von Sachsen-Meiningen in Verhältnisse ein, denen er oft genug durch Flucht aus seiner Umgebung und mittels Rückerinnerung an scheinbar ehrlichere Zeiten zu entkommen suchte: durch viele Reisen auf denen er sich frei fühlte und durch Anleihen beim Wertkonservatismus, der ihm half, herangereifte Probleme der Moderne auf seine Weise zu interpretieren und auch zu meistern. Der Verfasser dankt Frau Dr. Hannelore Schneider, Archiv der evangelischlutherischen Landeskirche in Eisenach, und Frau Katharina Witter, Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, für ihre wertvollen Hinweise.
MARGRET DOROTHEA MINKELS KÖNIGIN ELISABETH VON PREUßEN
Königin Elisabeth von Preußen und das Haus Sachsen-Meiningen Die Bezüge zwischen der Tochter des bayerischen Königs Maximilian I. Joseph und dem Herzogtum werden unter drei Aspekten beleuchtet: Der seit 1821 regierende Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen hielt 1823 beim bayerischen König um die Hand seiner Tochter Prinzessin Elisabeth an, obwohl sie seit drei Jahren als dem Kronprinzen von Preußen versprochen galt. Die zweite Beziehungsebene betrifft die Schwester von Herzog Bernhard II., die englische Königin Adelaide. Der Hauptteil ist der Nichte des preußischen Königspaares, Prinzessin Charlotte von Preußen, gewidmet, die 1852 Bernhards Sohn, den Erbprinzen Georg von Sachsen-Meiningen, heiratete. Zuletzt werden die Bezüge zu Preußen nach dem Tod von König Friedrich Wilhelm IV. zu Lebzeiten der Königinwitwe Elisabeth sowie in Kürze diejenigen nach ihrem Tod aufgezeigt.
1. Bernhard II. Herzog von Meiningen bat den bayerischen König 1823 um Elisabeths Hand Anlässlich der Hochzeit ihrer Zwillingsschwester Amalie am 10. November 1822 sah Elisabeth den Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen (1800– 1882) zum ersten Mal – unter 300 Hochzeitsgästen. Er fiel ihr nach dem Diner beim Ball auf. Die zweite Begegnung fand am 16. Mai 1823 statt, als Elisabeth mit ihrer Familie in Weimar am Hof des Großherzogs Carl Friedrich und der Großfürstin Maria Pawlowna zu Besuch war. (Als Schwester des Zaren Alexander I. war die Gastgeberin eine Schwägerin der bayerischen Königin Caroline, einer geborenen Prinzessin von Baden.) Zur gleichen Zeit weilte auch der Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen am Weimarer Hof, wo seine jüngste Schwester Ida seit 1816 mit Prinz Karl Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach verheiratet war. Der Junggeselle war zu allen drei baierischen Prinzessinnen freundlich und nett. Dennoch war es Elisabeth, die den Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen so beeindruckt hatte, dass er noch in Weimar um ihre Hand
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anhielt.1 Ihre Zwillingsschwester Amalie meinte, er sei katholisch, weshalb sie ihn ihr sehr empfahl.2 Der seit 1821 regierende Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen war keine schlechte Partie für eine leicht hinkende Prinzessin – infolge eines schon seit der Geburt kürzeren rechten Beins. Andererseits besaß sie nicht nur sehr schöne große blaue, „sprechende Augen“, sondern außergewöhnliche Qualitäten in Bezug auf Intelligenz und Bildung auf allen Gebieten des menschlichen Wissens. Der Herzog fuhr ihr nach Würzburg nach und blieb zehn Tage dort. Elisabeth gestand ihrer Mutter ihre Zuneigung zu dem stattlichen Prinzen.3 Die Königin gab das Geständnis an den Vater weiter. In einem vertraulichen Gespräch versprach der bayerische König dem Meininger Herzog seine Tochter, falls Preußen die Beziehung lösen würde. Am 15. und 16. Juni 1823 meldete der Oberstallmeister von Lindenau die Neuigkeit unter dem Siegel der Verschwiegenheit nach Meiningen weiter. Er lobte dabei den Geist und die liebenswürdige Lebhaftigkeit der Prinzessin.4 Als der bayerische Hof wieder nach München zurückgekehrt war, erhielt König Maximilian I. Joseph von Bayern ein offizielles Schreiben des Herzogs von Sachsen-Meiningen, in dem dieser um Prinzessin Elisabeths Hand anhielt. Diese fühlte sich an ihr Versprechen dem preußischen Kronprinzen gegenüber gebunden.5 Sie antwortete ihrem Vater, sie könne sich nicht erklären, solange sie nicht gewiss sei, dass zu ihrer Verbindung mit Friedrich Wilhelm keine Aussicht mehr besteht. Da die Prinzessin seit dem Sommer 1819 schon als halb verlobt mit Kronprinz Friedrich Wilhelm angesehen wurde, konnte man dem preußischen König ein Ultimatum stellen. Der bayerische König schickte den Bruder seiner Schwiegertochter Therese, den in bayerischen Diensten stehenden Prinzen Georg von Sachsen-Hildburghausen, im Sommer 1823 heimlich zum preußischen Kronprinzen, der sich gerade in Pommern aufhielt. Er sollte sich erkundigen, ob ihn noch ein wirklich festes Band der Liebe mit Elisabeth verbinde.6 Kronprinz Friedrich Wilhelms Antwort war eindeutig: „Seine Liebe sei uner1 2 3 4 5
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Johann Georg Herzog zu SACHSEN, Der Übertritt der Kronprinzessin Elisabeth von Preußen zum Protestantismus, Köln 1920, S. 40. Daraus kann man schließen, dass die Prinzessinnen von Baiern (so die zeitgenössische Schreibweise) noch wenig über das Herzogtum Sachsen-Meiningen wussten. Der Landesherr war das Oberhaupt der protestantischen Kirche im Herzogtum. Hubert von BASTGEN, Der Heilige Stuhl und die Heirat der Prinzessin Elisabeth von Bayern mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, Freiburg 1930, S. 7. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. III, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 109. Seit dem Sommer 1821 wollte sich Elisabeth mit der evangelischen Lehre ernstlich beschäftigen und sich darin belehren lassen, ob es möglich sei, die gewünschte Überzeugung zu gewinnen, damit sie den Übertritt vom katholischen zum protestantischen Glauben vollziehen könnte. SACHSEN, Übertritt (wie Anm. 1), S. 25. Ebd., S. 40; Prinz Adalbert VON BAYERN, Max I. Joseph von Bayern, München 1957, S. 825.
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schütterlich. Aber die Entscheidung liege bei seinem Vater.“7 Der Oberstallmeister Lindenau und andere am Hof hofften, dass die Nachricht aus Berlin negativ ausfallen würde. Der Päpstliche Nuntius in München, Kardinal Francesco Serra di Cassano, gab nach Rom die Versicherung gut unterrichteter Personen weiter, „man zweifle gar nicht daran, dass die Heirat der Prinzessin Elise mit dem Herzog von Meiningen zustande komme, weil in Würzburg alles festgesetzt worden sei“.8 Nachdem der Herzog von Sachsen-Meiningen offiziell um Prinzessin Elisabeths Hand angehalten hatte, schwor der Kronprinz, unvermählt zu bleiben, „wenn ihm Elisabeth nicht zuteil würde“.9 Nun lenkte der preußische König doch ein. Der Hausminister Fürst Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein riet ihm, der konfessionellen Frage keine Bedeutung mehr beizumessen, sondern sie ganz den Gefühlen der Beteiligten zu überlassen.10 Nachdem die Prinzessin zugesichert hatte, dass ein späterer Übertritt zum Protestantismus erfolgen könne, hielt auch König Friedrich Wilhelm III. von Preußen am 27. August 1823 in einem Schreiben an den König von Bayern offiziell um die Hand von Elisabeth für seinen ältesten Sohn an. Nach mehr als vierjährigem Ringen fand die Hochzeit am 16. November in München per procuram nach katholischem Ritus und am 29. November 1823 nach protestantischem in Berlin statt. Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen besuchte die einst geliebte Elisabeth auch nach ihrer Hochzeit mit dem Rivalen gemeinsam mit seiner Frau Marie, die er am 23. März 1825 geheiratet hatte. Herzogin Marie, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel (1804–1888), war eine Cousine von Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen. Ihre Mutter Auguste von Preußen (1780–1841) war eine Schwester des Königs Friedrich Wilhelm III., also eine Tante des Kronprinzen. Der Kontakt zum Haus Meiningen wurde auf verwandtschaftlicher Ebene weitergeführt.
2. Die Kontakte zu Prinzessin Adelheid von Sachsen-Meiningen Die Schwester von Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen, Prinzessin Adelheid (1792–1849), hatte 1818 den 53-jährigen Wilhelm Heinrich von Großbritannien, Herzog von Clarence, geheiratet, der schon zehn zwischen 1794 und 1807 geborene Kinder aus einer Verbindung mit der Schauspielerin Dorothy 7 8 9 10
Ernst LEWALTER, Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1939, S. 241. BASTGEN, Der Heilige Stuhl (wie Anm. 3), S. 8. SACHSEN, Übertritt (wie Anm. 1), S. 40. Fürst Wilhelm Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (1770–1851) war seit 1819 Hausminister.
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Jordan hatte.11 Die preußische Kronprinzessin verbrachte 1825 in Bad Ems viele Stunden gemeinsam mit Adelheid Herzogin von Clarence. Diese hatte ein schweres Schicksal getroffen: Ihre sechs Kinder waren zwischen 1819 und 1824 kurz nach der Geburt gestorben. Sie stand wie die preußische Kronprinzessin unter großem Druck, da von ihr erwartet wurde, dass sie einem künftigen Thronfolger das Leben schenken würde; denn ihr Gemahl, der nun 61-jährige Herzog Wilhelm Heinrich, war der nächste in der englischen Thronfolge. Die preußische Kronprinzessin traf am 10. Juni 1826 mit ihrem Gefolge einschließlich ihrer Ärzte wieder in Ems ein. Ihrem um die Gesundheit seiner Schwiegertochter und den Erhalt der Dynastie besorgten Schwiegervater schrieb sie: „Meine Reise war sehr glücklich. […] Ich bin vorgestern hier eingetroffen […] Die Herzogin von Clarence habe ich hier gefunden.“12 Offensichtlich wusste Elisabeth, dass sich die Herzogin Adelheid ebenfalls in Bad Ems aufhielt, aber nicht in welchem Hotel. Die preußische Kronprinzessin schrieb 1826 an ihren Mann über seinen englischen Onkel, den Herzog von Clarence: Der Herzog ist im Augenblick sehr leidend und geht gar nicht aus. Er hat drei seiner Töchter mit sich, wovon eine leidend ist. Die jüngste habe ich gestern gesehen, wohl eine von denen, die in Coblenz waren. Ich habe lange kein hübscheres Gesicht gesehen.13
Die genannten Damen waren Töchter des Herzogs Wilhelm Heinrich aus dessen Verbindung mit der irischen Schauspielerin Dorothy Jordan-Bland, für deren Erziehung sich seine legitime Gemahlin Adelheid engagierte. Als die preußische Kronprinzessin Elisabeth 1826 in Bad Ems zur Kur weilte, teilte sie ihrem Mann mit: „Als ich Dir Sonnabend geschrieben hatte, ging ich zur Herzogin von Clarence nicht ohne einige Besorgnis […]. Sie war gleich so gut und freundlich, dass sie ganz mein Herz gewonnen.“14 Vier Jahre später, am 26. Juni 1830, bestieg der Herzog mit 65 Jahren als König William IV. den englischen Thron. Adelheid von Sachsen-Meiningen wurde als legitime Gemahlin Queen Adelaide von Großbritannien und Irland, Königin von Hannover. Wegen ihrer Kinderlosigkeit engagierte sie sich für die zukünftige Königin, die Nichte ihres Mannes, Prinzessin Victoria, die Tochter 11 Prinzessin Adelheid Luise Therese Caroline von Sachsen-Meiningen (1792–1849). Wilhelm Heinrich von Großbritannien, Herzog von Clarence (1765–1837), war ein Sohn von König Georg III. von Großbritannien und Irland (1738–1820) und der Prinzessin Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz (1744–1818). Zu Prinzessin Adelheid vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Adelheid. Eine Meiningerin auf dem englischen Königsthron, Meiningen 2004. 12 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStA PK), Brandenburg-Preußisches Hausarchiv (künftig: BPH) Rep 50 T, Nr. 11, Blatt 1: Brief von Elisabeth an König Friedrich Wilhelm III. aus Bad Ems, 10. Juni 1826. 13 Die erwähnte jüngste Tochter war Amalia Cary, Viscountess Falkland (1807–1858). 14 GStA PK, BPH Rep 50 Nr. 12, Bl 1–3, Brief vom 12. Juni 1826.
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des verstorbenen Edward Augustus, Herzog von Kent. König William IV. starb 1837. Als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. 1842 als Gast der Queen Victoria nach London kam, war die Königinwitwe Adelaide schon aus Schloss Windsor ausgezogen. Der preußische Botschafter Josias von Bunsen hatte den Auftrag, einen Besuch des Königs Friedrich Wilhelm IV. bei ihr vorzubereiten. Der König schrieb am 30. Januar 1842 an seine Gemahlin: „Um 10 geht’s zu Fuß nach Adelaide Cottage.“15 Die Königinwitwe Adelaide lebte in der ihr zugesprochenen königlichen Residenz Marlborough House am Bushy Park im Südwesten Londons. Vermutlich wurde im Kreis dieser vom Theater begeisterten Herrschaften auch über das Meininger Theater gesprochen, das infolge einer Stiftung im Jahr 1829 durch die damalige Herzogin von Clarence Fortschritte machte.16 1843 wird der Berliner Adolph von Minutoli Hofmarschall und dort der Theaterdirektor werden.17
3. Prinzessin Charlotte von Preußen Der vierte Sohn von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Königin Luise, Prinz Albrecht, und Prinzessin Marianne, die Tochter des Königs Willem I. der Niederlande, bekamen am 21. Juni 1831 im Schloss Schönhausen bei Berlin eine Tochter, die auf die Vornamen Friederike Luise Wilhelmine Marianne Charlotte protestantisch getauft wurde. Das Leben der Prinzessin Charlotte von Preußen war bis zu ihrer Hochzeit mit Georg von SachsenMeiningen im Jahr 1850 von traurigen Phasen geprägt. Prinzessin Charlotte litt sehr darunter, dass die Mutter ihre Ehe ab 1842 durch eine Liebesbeziehung mit ihrem niederländischen Lakai und Kutscher Johannes van Rossum zerstört hatte. In diesem Zusammenhang kam es zu einem tragischen Vorfall, durch den sowohl der Vater als auch die Mutter Preußen für längere Zeit verließen. Prinz Albrecht musste dies auf Befehl seines ältesten Bruders König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen; denn er hatte in seiner Wut einen Wache stehenden 15 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Elisabeth von Bayern. Briefwechsel des Königspaares, hg. von der Königin Elisabeth von Preußen Gesellschaft, Bd. 1, Norderstedt 2014, S. 106. 16 Die feierliche Eröffnung des klassizistischen Baus für 600 Besucher fand am 31. Geburtstag des Herzogs am 17.12.1831 mit der Oper Fra diavolo/Das Gasthaus von Terracina von Daniel Auber nach einem Text von Eugène Scribe statt. Das Theater von Meiningen wurde anfangs von kleinen Theatergesellschaften bespielt. Alfred ERCK, Geschichte des Meininger Theaters 1831–2006, Meiningen 2006. 17 Adolph Menu von Minutoli (1802–1848), der älteste Sohn von Johann Heinrich Carl Freiherr von Menu und Charlotte von Woldeck, hatte eine Prüfungsarbeit über den deutschen Zollverein verfasst.
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Soldaten erstochen, weil der durch lauten Salut seine Frau und ihren Geliebten Rossum, dem der Prinz nachspionierte, gewarnt und ihnen zur Flucht verholfen hatte.18 Der Prinz wurde auf eine Mission zum Vizekönig Mehmed Ali nach Ägypten gesandt, wo er sich der Expedition von Dr. Richard Lepsius anschließen sollte. Er hielt sich von Februar bis August 1843 in Ägypten auf. Nach seiner Rückkehr reiste Charlottes Mutter im Herbst 1843 nach Italien (Neapel, Ischia, Rom). Die kinderlos gebliebene Königin Elisabeth von Preußen übernahm daher schon 1843 die Oberaufsicht über die Erziehung der drei Kinder von Albrecht und Marianne, ihres sechsjährigen Neffen Albrecht und ihrer beiden Nichten, der zwölfjährigen Charlotte und der einjährigen Alexandrine. Das bedeutet aber nicht, dass die Kinder aus ihrer häuslichen Umgebung im prächtigen Prinz Albrecht Palais in der Wilhelmstraße in Berlin herausgerissen worden wären und ins Berliner Residenzschloss umgezogen wären. Sie blieben mit ihrer Gouvernante Fräulein Marie von Schuckmann in ihren vertrauten Räumen. Die durch ihr väterliches Erbe finanziell unabhängig gewordene Prinzessin Marianne erwarb 1844 die Villa Sommariva am Comer See. Weihnachten verbrachte sie 1844 in Florenz. 1845 reiste sie nach Rom. Da sie doch sehr unter der Trennung von ihren Kindern litt, erhielt sie 1846 vom Königspaar eine Einladung nach Potsdam aus Anlass des neunten Geburtstags ihres Sohnes Prinz Albrecht (Abbatchen). Zur Aufnahme des Sohnes in das 1. Garde-Regiment zu Fuß durfte sie 1847 nicht nach Preußen kommen. Prinzessin Marianne bat Königin Elisabeth, Prinzessin Charlotte nach ihrer Konfirmation im Jahr 1847 zu verheiraten, um sie aus der „mißlichen Lage zu befreien, mit ihrem Vater unter einem Dach leben zu müssen“.19 Es gehörte zu den Aufgaben der Königin, familiäre Hochzeiten zu arrangieren. Diesbezüglich dachte Königin Elisabeth zunächst an den ältesten Sohn ihrer Zwillingsschwester Amalie, den 19-jährigen Prinz Albert von Sachsen.20 Als es 1848 in ganz Europa Freiheitsbestrebungen gab, ließ sich die selbstbewusste Prinzessin Marianne nicht mehr durch königliche Machtworte an ihren Gemahl binden. Als am 18./19. März in Berlin Barrikadenkämpfe stattfanden, war Prinzessin Marianne nicht in der Stadt. Die Kinder waren vermutlich mit Fräulein von Schuckmann im Potsdamer Residenzschloss, weil es im Frühjahr 1848 in Potsdam keine Barrikaden gab. Noch im März 1848 kaufte Prinzessin Marianne den Rusthof aan de Vliet in Voorburg bei Den Haag. Der Einzug
18 Gorch PIEKEN/Cornelia KRUSE, Ein preußisches Liebesglück. Eine deutsche Familie aus Afrika, Berlin 2007, S. 17. 19 Annette DOPATKA, Marianne von Preußen Prinzessin der Niederlande. Leben und Wirken einer selbstbewussten Frau, Frankfurt a. M. 2003, S. 46. 20 Albert Prinz von Sachsen (1828–1902), ab 1873 König Albert I. von Sachsen.
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erfolgte im Mai 1848. Ihre Kinder besuchten sie dort und feierten mit ihr den zwölften Geburtstag von Prinz Albrecht. Erst am 28. März 1849 erfolgte die Scheidung des Prinzen Albrecht von Preußen und der Prinzessin Marianne der Niederlande durch das Berliner Kammergericht.21 Was kaum jemand wusste: Die Prinzessin war zu diesem Zeitpunkt schwanger von ihrem – mit einer anderen Frau verheirateten – Kutscher Johannes van Rossum. Die Prinzessin verlor das Aufenthaltsrecht in Preußen und die Vormundschaft für ihre Kinder. Wegen des Verbannungsdekrets für ihre Mutter, also das Verbot, preußischen Boden zu betreten, durften ihre Kinder Prinz Albrecht und Prinzessin Charlotte sie im Mai/Juni 1849 in den Niederlanden besuchen. Gemeinsam unternahmen sie Besichtigungen in Den Haag und Scheveningen. Im königlichen Schloss im Haag lebte Tante Luise von Preußen, die Schwester des Vaters der Kinder. Sie war seit 1824 mit Prinz Friedrich der Niederlande verheiratet. Wegen des ungenierten Verhaltens der Prinzessin Marianne in Bezug auf ihren Geliebten Rossum war die Stimmung im Haag schlecht. Der preußische Gesandte Hans Graf von Königsmarck hatte allen Verkehr mit ihr eingestellt. Daher durften Mariannes Kinder nicht an den Huldigungsfeiern in Amsterdam für ihren Onkel, den niederländischen König Willem II., teilnehmen. Man sah ihrer Mutter die Schwangerschaft noch nicht an. Die Rückreise der Kinder wurde als Bildungsreise organisiert.
4. Charlottes Ehe mit dem Erbprinzen Georg von Sachsen-Meiningen-Hildburghausen Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen hatte mit seinem Sohn Erbprinz Georg immer wieder vom vorbildlichen Wirtschaftsleben, der Armee und dem Bildungswesens in Preußen gesprochen. Daher hatte er mit Moritz Seebeck einen preußischen Pädagogen als Erzieher seines Sohnes gewählt.22 Im April 1847 machte Georg seine Visiten bei den königlichen Herrschaften.23 Der Sohn der Prinzessin Marie von Hessen-Kassel, einer Cousine des Königs Friedrich Wilhelm IV., wurde von Prinz Wilhelm „sehr freundlich“ empfangen. Dieser war der Vater von Georgs Bonner Studienkollegen Friedrich 21 Der König wollte das öffentliche Ärgernis einer nicht standesgemäßen Heirat seines Bruders mit der Hofdame der Prinzessin Marianne bis zum letzten Moment verhindern. 22 Stefan GERBER, Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Universitätskurator Moritz Seebeck (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 14), Köln/Weimar/Wien 2004. 23 Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, S. 70 f.
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Wilhelm. Prinz Carl war der Vater des Prinzen Friedrich Carl, mit dem Georg in seinem Studium in Bonn 1846 lockere Kontakte gepflegt hatte.24 Prinz Wilhelm, der wegen der Kinderlosigkeit des Königs als Thronfolger vorgesehene Prinz von Preußen, wurde von Anfang an zur wichtigsten Bezugsperson des Erbprinzen Georg von Sachsen-Meiningen. Nach einem Brief des Königs vom 2. November 1847 drängte Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen darauf, dass sich sein Sohn Georg nach Semesterschluss in Berlin in Bezug auf einen Diensteintritt in die preußische Armee vorstellte.25 Erbprinz Georg war dem preußischen König vermutlich 1841 – im Alter von 14 Jahren – in England vorgestellt worden, wo er sich mit seinen Eltern unter den Festgästen bei der Taufe des Prinzen von Wales befand. Erst nach einer immer wieder verlängerten Studienzeit traf Georg nach Weihnachten 1847 zum Dienstantritt in der preußischen Armee beim Garde-Kürassierregiment in Potsdam ein. Er hatte zwar nur eine dreimonatige Militärausbildung in heimatlichen Regimentern absolviert, sich aus Büchern jedoch ein großes Wissen über Militärgeschichte angeeignet. Nach der schriftlichen Meldung seines Dienstantritts als „aggregierter Premierlieutnant im Garde-Kürassierregiment“ wurde er am 30. Dezember 1847 im Berliner Residenzschloss vereidigt. Durch eine Depesche wurde Erbprinz Georg zum Diner beim Königspaar eingeladen. Obwohl er über seine Mutter ein Verwandter des Königs war, hatte er wohl nicht damit gerechnet; denn er musste sich einen geeigneten Anzug leihen.26 Bei diesem Diner beim Königspaar hat Prinz Georg die Prinzessin Charlotte von Preußen vermutlich zum ersten Mal gesehen. Am 31. Dezember 1847 besuchte er eine von Herzog Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha komponierte Oper, in der nicht die Musik, sondern die junge Taglioni ihn begeisterte.27 Nach der Februar-Revolution in Paris schrieb Erbprinz Georg am 10. März 1848, einen Tag nach einer vom Polizeipräsidenten Minutoli genehmigten Volksversammlung vor der Stadt Berlin, an seine Mutter: „Die Throne wackeln zu gewaltig.“28 Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen setzte alle Hebel in Bewegung, um Georg aus der Schußlinie zu ziehen. Reitzenstein erhielt den Auftrag, beim König zu intervenieren und Georg einen Posten zu verschaffen, der einer-
24 Ebd., S. 78. 25 Thüringer Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Staatsministerium, Abt des Äußeren, Nr. 251, Brief von König Friedrich Wilhelm IV. an Herzog Bernhard II. vom 2. November 1847. 26 ThStAM, Geheimes Archiv (im Folgenden: GA) XV LL 17, Brief Georgs an seine Mutter vom 31. Dezember 1847. Vgl. auch ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 73. 27 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 72. Brief Georgs an seine Mutter vom 31. Dezember 1847, ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), Nr. 947. 28 ThStAM, HA, Nr. 951. Vgl. außerdem Margret Dorothea MINKELS, Reisen im Auftrag preussischer Könige gezeichnet von Julius von Minutoli, Norderstedt 2013, S. 172–176.
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seits Gefahr für Leib und Leben ausschließe und der andererseits vermiede, diesem und anderen das Gefühl zu geben, sich zu drücken.29
Der Prinz von Preußen „veranlasste, dass der Prinz, falls das Regiment bei ausbrechenden Unruhen aufsitzen müsse, zum König kommandiert werden sollte“. Nachdem eine Ordre an das Regiment bezüglich des Erbprinzen Georg ausgestellt worden war, konnte er noch am gleichen Tag in einem zweiten Brief an seine Mutter über Beobachtungen am 13. März berichten: Gestern erhielten wir den Befehl, uns zum Ausrücken bereit zu halten. Um 6 Uhr ritt ich im Küraß in die Kaserne; ich mochte in meinem Schwadron wohl eine halbe Stunde sein, da kam der Befehl zum Ausrücken. Im Nu war Alles zu Pferd, die […] Munition ausgegeben, und Alles auf dem Hof rangirt. Da ich für die Fälle ein für alle Mal zum König als Ordonnanz commandirt bin, so ritt ich, hinter mir eine Ordonnanz gleich fort, und im Trabe durch die Maßen, wo die Leute mich groß ansahen. Ich glaubte, vor dem Schloß und an den Garnhaus, wo ich vorbeikam das tobende Volk zu finden, doch waren daselbst nur friedliche Spaziergänger. Im Schloßhof stand bereits ein Infanteriebataillon, hinter dem Portal nach der Schloßfreiheit (gestrichen) Stechbahn zu ein Zug Infanterie quer vor. Die Spaziergänger durften jedoch noch hindurchgehen. Ich meldete mich bei König, der von seinen Adjutanten umgeben war.30
Der Major Erbprinz Georg trank mit der Königin Elisabeth Tee.31 Am 14. März schrieb er an seine Mutter: Gestern rückte unser Regiment wieder aus, und die dritte Schwadron kam in der Brüderstraße zum Einhauen. Sie stieß ganz unverhofft auf eine Art Barrikade; […] von einer Größe, die quer über die Straße geht, die Bohlen weggenommen worden, nur hinter der Gasse aufgethürmt. […] Aus den Fenstern, die der Pöbel besetzt hatte, flogen Nachttöpfe, große Steine. […] Es setzten die Züge über, wobei einer stürzte, […] 16 blieben und 30 liegen sterbend! – Dieses […] erbitterte die Bürger.32
29 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 74. E. von Reitzenstein war der militärische Erzieher Georgs. 30 ThStAM, HA, Nr. 951, Brief vom 14. März 1848. 31 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 74. 32 In der Beschreibung des Kommandanten des 1. Bataillons des Kaiser-Franz-Regiments, Major von Falckenstein, ist die Rede von einer lärmenden Menge, die von Kürassieren verfolgt wurde. Detaillierte Angaben zu den Vorgängen am Spittelmarkt: „Die vorrückende Kompanie wurde mit Pflastersteinen empfangen, von denen drei Grenadiere getroffen wurden.“ (Karl Ludwig von PRITTWITZ, Berlin 1848. Das Erinnerungswerk des Generalleutnants Karl Ludwig von Prittwitz und andere Quellen zur Berliner Märzrevolution und zur Geschichte Preussens um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1985, S. 62 f.). Vermutlich hat Erbprinz Georg seiner Mutter berichtet, was er von Kameraden gehört hatte.
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Mit diesen Zahlen erfahren wir vom Erbprinzen Georg Details, die im militärischen Standardwerk des Generals von Prittwitz nicht zu finden sind. Das Königspaar verließ Berlin am Abend des 14. März in Richtung Potsdam.33 Da die beiden Briefe Georgs vom 14. März für längere Zeit dessen letzte Briefe aus Berlin sind, kann man annehmen, dass König Friedrich Wilhelm IV. ihm Urlaub gewährt hatte und er am 15. März, als sich die Lage in Berlin zuspitzte, auf dem Weg in die Heimat war. Am 18. und 19. März 1848, den Tagen, die als die der „Berliner Märzrevolution“ in die Geschichte eingingen, war er nicht mehr in Berlin. Durch Georgs Berichte und die Vorgänge in Salzungen und Sonneberg wurden Herzog Bernhard II. und seine Berater so eingeschüchtert, dass der Herrscher am 20. März eine lange Liste von Forderungen der „Oberländer“ gewährte. Die aufsehnerregende Erschießung des kunstsinnigen Meininger Hofmarschalls Adolph von Minutoli am 6. April 1848 fand zwar im Revolutionsjahr statt, hatte jedoch auf diese Entscheidung kaum Einfluss lagen ihr doch eine Eifersuchtsgeschichte und ein persönlichen Racheakt zugrunde.34 Nach dem Feldzug gegen Dänemark 1849 und einer langen Norwegen-Reise kehrte der Erbprinz Georg von Sachsen Meiningen nach Preußen zurück. Er verkehrte vor allem am Hof des Prinzen Wilhelm und dessen Familie im Palais Unter den Linden in Berlin und im Schloss Babelsberg in Potsdam. Nachdem Georg seine Eltern Anfang Oktober 1849 über seine Heiratsabsichten mit Prinzessin Charlotte von Preußen informiert hatte, bat er die Gemahlin des Thronfolgers Prinz Wilhelm, Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, um Unterstützung in dieser Angelegenheit. Sie fragte im Herbst 1849 in einem Brief bei der Königin Elisabeth wegen einer Audienz des Prinzen Georg von Meiningen an:35 Liebe Elise, zwei Worte um Dir das folgende zu sagen: Georg von Meiningen erbittet sich eine Audienz bei dir und bittet um die Gunst einer speziellen Unterredung mit Dir. Ich habe ihm gesagt, dass ich deine Anordnungen in dieser Angelegenheit erbitten werde. Er möchte um die Hand von Charlotte anhalten, die ihm seiner Ansicht nach mehr als anderen zugeneigt ist, obwohl sich diese, trotz dieser Auffassung, bisher nur mit meinem Sohn beschäftigt hat. Mademoiselle de Schuckmann, mit der ich gestern Abend die Ange33 Am 13. März war der österreichische Außenminister Fürst Metternich zum Rücktritt gezwungen worden. Die Depesche aus Wien wurde vom Prinzen Wilhelm per Post verzögert an den König in Potsdam weitergeleitet. 34 ThStAM, Appellationsgericht Hildburghausen, Nr. 747, Untersuchungssache gegen Heinrich Mylius von Schweina, Kaspar Wagner und Ernestine Wagner von Meiningen wegen Mordes bzw. Verleitung zum Mord und wegen verschiedener Diebstähle betr. die Ermordung des Hofmarschalls von Minutoli in Meiningen. Vgl. außerdem MINKELS, Reisen (wie Anm. 28), S. 239 f. 35 GStA PK Berlin, Rep. 51 T, Lit. p, Nr. 3, Blatt 65, undatierter Brief, hg. von der Königin Elisabeth von Preussen Gesellschaft e.V., Transkription und Übersetzung aus dem Französischen Klaus ALEKER-OWENS.
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legenheit erörtern wollte, versuchte eine Besprechung der Sache mit mir zu vermeiden, was ich für sehr natürlich halte, da ich in sie keinerlei Vertrauen habe und da ich in keinster Weise die Angelegenheit mit Charlotte beeinflussen kann. Nichts desto trotz erlaube ich mir die Ansicht, dass die in Frage stehende Partie sehr günstig erscheinen würde. In Anbetracht des Charakters und der Grundsätze verdient Georg es, dass man ihn schätzt; seine künftige Stellung wird vorteilhaft sein, die Atmosphäre innerhalb seiner Familie (wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf) ist gut, es kann sich deshalb nur um persönliche Angelegenheiten der jungen Person handeln, ebenso um Betrachtungen, die Du allein ergründen musst; hiermit weißt Du, weshalb ich es wage, die ganze Sache deinen Händen anzuvertrauen; nichts anderes denkend und nichts anderes wollend als diese dir anzuempfehlen.36
Die Königin hat dem Heiratsprojekt scheinbar zögerlich gegenüber gestanden. Nach seinem Brief an die Mutter schien Georg eine Zusage nicht sobald zu erwarten.37 Am 21. Oktober 1849 schrieb Georg an seine Mutter: Eben verlässt mich Prinz Albert, bei dem ich gestern um Lolo anhielt und brachte mir von derselben das Jawort!!! Ich bin überzeugt, daß Ihr Euch darob freuen werdet. Ich bin ganz selig, und gehe jetzt zum Familiendiner nach Sanssouci, wo ich das Ja aus der Prinzessin Mund hören werde. – Bis zur Einwilligung der Mutter, die in Palermo ist, soll es noch geheim bleiben. Bitte schreibe derselben dahin so wie ich es auch morgen tun werde.38
Mit den beiden folgenden Briefen teilte Georg seiner Mutter mit: Die Königin hatte nicht vorher mit Lolo gesprochen, da der König nicht wollte, daß sie dem Prinzen vorgriffe. […] Der Prinz hat […] die Entscheidung ganz in ihre Hand gelegt. […] Wie schön, daß es keine arangirte Partie ist, sondern eine aus Neigung. […] Ich war zum Diner invitirt und bekam vor Tisch von Charlotte das Jawort in einer Fensterecke, so daß es niemand merkte. Bei Tisch kam ich in schicklicher Weise nicht neben sie zu sitzen, worüber die Königin sehr ins Lachen kam. Nach Tisch war ich bis ½8 im Marmorpalais bei ihr. Wir nennen uns Du, doch nicht vor Menschen.39
Die hübsche, charmante, lebensfrohe Prinzessin war sich mit Erbprinz Georg schnell einig geworden. Ihrer zukünftigen Schwiegermutter teilte Charlotte am 22. Oktober 1849 mit, dass sie „mit tausend Freuden […] ihrem lieben Sohn ihr Jawort gegeben habe und Gottes Segen darauf für ihn“.40 Es ist zeitlich über36 Da Prinz Friedrich vom kinderlosen Königspaar insgeheim als der nächste preußische König betrachtet wurde, kann man aus dem Hinweis, dass Augusta Charlotte auch als Gemahlin für ihren Sohn Friedrich in Betracht gezogen hatte, schließen, dass sich die Eskapaden der Prinzessin Marianne nicht negativ auf die Heiratschancen der hübschen Tochter ausgewirkt hatten. 37 ThStAM, HA, Nr. 958, Brief von Marie an Georg vom 23. Oktober 1849. 38 Ebd. 39 Ebd.; Georg nannte seine Ehefrau später „Charlo“ oder „Lolo“. 40 ThStAM, HA, Nr. 850, Brief Charlottes an Georgs Mutter, die Herzogin Marie von Sachsen-Meiningen, vom 22. Oktober 1849.
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raschend, dass die Anknüpfung der Heirat im gleichen Monat geschah, in dem Charlottes Halbbruder Johann Wilhelm – ein halbes Jahr nach der Ehescheidung der Prinzessin Marianne – am 30. Oktober 1849 in dem kleinen Ort Cefalu auf Sizilien unehelich zur Welt kam.41 Wahrscheinlich erfuhr die achtzehnjährige Charlotte nichts – und außer dem Königspaar und seinen Informanten – zunächst niemand davon. Der König war mit dem Ringen mit verschiedenen Kräften um die endgültige Verfassung beschäftigt, die im Januar 1850 bekannt gegeben werden sollte.42 Dreizehn Tage nach dem Tod seiner Tante Adelheid wurde Erbprinz Georg am 15. Dezember 1849 in Preußen zum Major la suite des Gardekürassier Regiments ernannt und mit den Schwertern zum Adlerorden dekoriert. Die feierliche Verlobung von Georg und Charlotte fand am ersten Weihnachtsfeiertag 1849 statt. Die pietistisch fromm erzogene Charlotte schloss sich dem jungen Mann wegen der „missglückten Ehe“ ihrer Eltern „umso inniger an“.43 Die Einzelheiten des Ehepaktes umfassen 40 Seiten. Charlottes vom preußischen König ausgesetzte Mitgift betrug 50.000 preußische Taler, ein Geschenk in gleicher Höhe sowie „eine Ausstattung wie dem Ansehen des königlichen Hauses gemäß“. Die Morgengabe der Meininger war Schmuck im Wert von 3.000 Talern. Der Ehevertrag enthält auch Rückversicherungen im Fall des Todes des Ehepartners, der Wiedervermählung des anderen, einen Artikel über Vertragsaufhebung „für den Fall eines Todes vor dem ehelichen Beilager“, Vormundschaften, Kindererziehung usw. Er trägt die Unterschriften der Chefs der Herrscherhäuser, König Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, Markgraf zu Brandenburg (Langtitel) und Bernhard Erich Freund, von Gottes Gnaden Herzog zu Sachsen-Meiningen und Hildburghausen (Langtitel). Mitunterzeichner waren Charlottes Vater sowie Georg.44 Die protestantische Hochzeit der Prinzessin Charlotte mit dem Erbprinzen Georg fand am 18. Mai 1850 in der Kapelle des Charlottenburger Schlosses in Anwesenheit des 41 Die Intrige der Prinzessin Marianne, ihre Hofdame Fräulein von Förster solle das Kind als das ihre ausgeben und auf ihren Namen taufen lassen, funktionierte aufgrund der Ablehnung des ehrenhaften Fräuleins nicht. Sie reiste sofort nach der Aufforderung – ungeachtet ihrer geringen finanziellen Möglichkeiten – von Sizilien nach Deutschland zurück. Im GStA PK sind zwei Briefe an Königin Elisabeth, welche Details der skandalösen Vorgänge beschrieben (Vgl. GStA, BPH Rep 60 I, N 1, Nr.7, Blatt 20–24). Ein Brief von Julie Gräfin zu Münster, geborene von der Marwitz, einer engen Freundin der Königin Elisabeth, vom 1. Oktober 1850 bestätigt die Angaben. Während der Säugling in der Obhut des Personals zurückblieb, reiste Prinzessin Marianne zwei Wochen nach seiner Geburt weiter nach Ägypten. Vgl. DOPATKA, Marianne (wie Anm. 19), S. 39, Abbildung des etwa 12-jährigen Johann Wilhelm. 42 Am 6. Januar 1850 leistete König Friedrich Wilhelm IV. den Eid auf die revidierte Verfassung vom 5. Dezember 1848. 43 ThStAM, HA, Nr. 985, Brief Georgs an seine Mutter vom 14. Februar 1856. 44 Zum „Ehepakt“ vgl. ThStAM, HA, Nr. 1536, Nachtrag Nr. 444.
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Königspaares, des Brautvaters Prinz Albrecht und der Eltern des Bräutigams statt. Prinzessin Marianne weilte Ende Mai noch in Neapel.45 Anlässlich der Hochzeit hat der preußische König dem Brautpaar den Nordflügel des Marmorpalais in Potsdam als Wohnsitz zugewiesen.46 In diesen Räumen fand am Sonntag, dem 19. Mai, nach dem Besuch der Kirche ein Diner ohne Robe und die Gratulationscour statt. Am folgenden Tag wurde im Berliner Schloss in großer Robe ein Ball gefeiert und eine Gala-Oper gegeben. Georgs Eltern blieben dieser Veranstaltung fern.47 Als das Königspaar zwei Tage später abreisen wollte, erfolgte auf dem Potsdamer Bahnhof das zweite Pistolen-Attentat auf den König.48 Das Königpaar lebte danach – während die Schusswunde am Arm des Königs nur sehr langsam heilte – einige Monate zurückgezogen im Schloss Charlottenburg.49 Charlotte hielt sich während der Dienstzeit ihres Mannes lieber in Berlin im Haus ihres Vaters auf, wo sie aufgewachsen war, als einsam mit Fräulein Schuckmann im Marmorpalais in Potsdam.50 Im Garten des Prinz Albrecht Palais begegnete Charlotte dem zeichnenden Adolf Menzel. 1850 ließ sie sich von ihm porträtieren und nahm selbst Malunterricht bei ihm.51 Charlotte bekam beim Komponisten Julius Stern, dem König Friedrich Wilhelm IV. ein Gesangsstudium in Paris ermöglicht hatte, Musikunterricht. Sie komponierte einen Marsch für die GardeKürassiere, zu denen ihr Mann gehörte, den sog. Geschwindmarsch, sowie einen Defiliermarsch für türkische Musik.52
45 DOPATKA, Marianne (wie Anm. 19), S. 40. 46 Jörg MEINER, Möbel des Spätbiedermeier und des Historismus. Die Regierungszeiten der preussischen Könige Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861) und Wilhelm I. (1861–1888), Berlin 2008, S. 326. 47 Es ist denkbar, dass die Anschaffung einer teuren großen Robe für zwei Personen das Ehepaar von dem Ereignis fernhielt, auf das nur der Adel in der Residenzstadt Wert legte. 48 Als das Königspaar am 22. Mai 1850 aus den Königszimmern im Bahnhof kam, um in seinen Salonwagen nach Potsdam einzusteigen, eilte der geistesgestörte, ehemalige GardeFeuerwerker Max Sefeloge in Armeeuniform auf sie zu und schoss aus nächster Nähe eine Pistole auf den König ab. Der Attentäter wurde für den Rest seines Lebens in die Irrenanstalt in Halle eingewiesen. 49 Eine Folge des Attentats war angeblich die Oktroyierung des preußischen Pressegesetzes vom 5. Juni 1850. Vgl. Adolf STRECKFUß, Die März-Revolution in Berlin. Erinnerungen aus dem Jahr 1848, Bd. 1, Berlin 1867, S. 196. 50 Ihre Mutter hatte Charlotte schon gleich nach der Konfirmation verheiraten wollen, um sie aus der „mißlichen Lage zu befreien, mit ihrem Vater unter einem Dach leben zu müssen“. Vermutlich hatte die Prinzessin keinen eigenen Koch; denn nach der Geburt ihres zweiten Kindes schickte ihre Mutter ihr einen aus Voorburg zu ihren Diensten. Vgl. hierzu DOPATKA, Marianne (wie Anm. 19), S. 46 f. 51 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 96. 52 ThStAM, Armeemarschsammlung, Nr. 557.
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Als Hochzeitsreise fuhr das glückliche junge Ehepaar im Sommer 1850 zunächst nach Tremezzo am Comer See. Hier traf der Erbprinz Georg zum ersten Mal Charlottes Mutter. Vermutlich sahen Charlotte und Georg dort auch Johannes Wilhelm, Charlottes dreiviertel Jahr alten Halbbruder. Im August schrieb Charlotte an ihre Schwiegermutter, dass sie „bald Großmamma“ werden würde.53 Die gemeinsame Zeit am Comer See scheint einvernehmlich gewesen zu sein. Charlottes Mutter schenkte ihrer ältesten Tochter zur Hochzeit eine Villa, die in der Übereignungs-Urkunde vom 23. September 1850 den Namen „Villa Carlotta“ erhielt.54 Am 1. April 1851 brachte Charlotte in Meiningen den Sohn Bernhard (1851–1928) zur Welt. Der zukünftige Erbprinz blieb dort in der Obhut seiner Großmutter Marie, während Charlotte ihrem Mann wieder nach Preußen folgte. Nach seiner Gesundung hatte der König verfügt, dass Georg – als Ehemann eines Mitglieds der königlichen Familie und Erbprinz aus einem regierenden Haus – mit seiner Frau täglich nicht nur zum Diner in Sanssouci erscheinen musste, sondern – nach den Schießübungen von 5 bis halb 9 Uhr – auch zum Tee und anschließenden Souper.55 Der Garnisonsdienst gefiel Georg nicht. Wegen des 15-Stunden-Arbeitstages wollte er den König bitten, ihn wenigstens vom Tee zu suspendieren.56 1851 fand Georg die Teeabende in Anwesenheit des Königs „fürchterlich langweilig“.57 Das ist verwunderlich, da meist interessante Gäste eingeladen waren. Der berühmte Naturforscher Alexander von Humboldt war fast täglich dabei. Das Königspaar sorgte für außergewöhnliche Opern- und Ballettaufführungen in Berlin und Potsdam. Georg und Charlotte besuchten diese gern und häufig, Schauspiele seltener. Sie schlossen mit dem königlichen Kapellmeister Giacomo Meyerbeer nähere Bekanntschaft. Charlotte hatte eine besondere Vorliebe für die französische Tragödin Rachel, die das preußische Königspaar immer wieder für Gastspiele einlud.58 Georg war fasziniert, dass der preußische König den farbigen Schauspieler Ira Aldridge für die tragenden Partien der shakes-
53 ThStAM, HA, Nr. 850, Brief Charlottes an ihre Schwiegermutter vom 6. und 7. August 1850. 54 DOPATKA, Marianne (wie Anm. 19), S. 41. 55 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 92. 56 ThStAM, HA, Nr. 965, Brief Georgs an seine Mutter vom 8. Juni 1851. Der Wunsch wurde ihm abgeschlagen, da „man mindestens ein halbes Jahr unter derartigen Bedingungen leben müsse, um wirklich Nutzen aus dem Dienst in der preußischen Armee zu ziehen“. Vgl. dazu auch ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 92 f. 57 ThStAM, HA, Nr. 966, Brief Georgs an seine Mutter vom 6. September 1851. 58 1852 ließ der preußische König für Elisabeth-Rachel Félix eine Marmor-Statuette auf der Pfaueninsel aufstellen.
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peareschen Tragödien eingeladen hatte59. Der Königin Elisabeth unterstand das Hoftheater in Charlottenburg. Prinzessin Charlotte nahm gern an Liebhaber-/ Amateur-Theateraufführungen teil, Georg nur manchmal. Beide studierten gemeinsam die Kostümbücher, die Georg schon früher angeschafft hatte.60 Die niveauvollen Domkonzerte unter der Leitung von August Heinrich Neithard mit hervorragenden Instrumentalisten und einem A-capella-Chor waren meist in die weltlichen Feiern und die Gottesdienste des musikalischen Königshauses integriert. Als Charlotte im April 1852 Prinz Georg Albrecht (1852–1855) geboren hatte, kam ihre Mutter im Mai nach Meiningen und „stand ihr für einige Wochen zur Seite“.61 Prinzessin Maria/Marie Elisabeth (1853–1923) kam 1853 im Potsdamer Schloss zur Welt, wo das Ehepaar seit 1852 wohnte. Da sie etwas verwachsen war, wurde sie das Sorgenkind. Weil die Kinder die meiste Zeit bei ihrer Großmutter in Meiningen aufwuchsen, haben sich Charlotte und ihre Schwiegermutter in hunderten Briefen über die Kindererziehung miteinander ausgetauscht. Am 13. Juni 1853 ermöglichte Charlotte ihrem Vater Prinz Albrecht von Preußen die morganatische Heirat mit seiner langjährigen Geliebten Rosalie von Rauch (1820–1879) in Meiningen. Nun erkannte auch König Friedrich Wilhelm IV. den Gerichtsbeschluss zur Scheidung – von vier Jahren zuvor – an. Nach der Geburt eines weiteren Sohnes, ihres vierten Kindes, starb Charlotte. Der preußische König bestellte 1855, also in Charlottes Todesjahr, eine Skulptur beim in Meiningen geborenen Bildhauer Ferdinand Müller (1815– 1881), welche das Ehepaar Charlotte und Georg von Meiningen und drei ihrer Kinder, den vierjährigen Bernhard, den dreijährigen, ebenfalls 1855 verstorbenen Prinzen Georg Albrecht sowie die zweijährige Marie zeigte.62 Nach dem Tod von König Friedrich Wilhelm IV. am 2. Januar 1861 wurde der Prinz von Preußen als Wilhelm I. König, Prinzessin Augusta Königin. Im schnell zu erstaunlichen Leistungen gewachsenen Kultur- und Industriestaat spielte nun das Militär wieder die Hauptrolle. Durch den Sieg der preußischen Truppen gegen jene von Sachsen und Österreich in der Entscheidungsschlacht bei Königgrätz in Böhmen war Preußen am 3. Juli 1866 zur Führungsmacht in Deutschland geworden. Am 19. Juli 1866 hat Georg seinen Vater ersucht, ihm den Eintritt in die preußische Armee zu gestatten. Da Herzog Bernhard II. sich im deutschen Krieg gegen Preußen gestellt hatte, teilte der preußische König 59 Ira Aldridge (1807–1867) hatte im Januar/Februar 1858 auch vier Auftritte, u. a. als Othello, Shylock und Macbeth, am Meininger Hoftheater. Vgl. Volker KERN, Aldridge, in: Alfred ERCK (Hg.), Meiningen. Lexikon zur Stadtgeschichte, Meiningen 2008, S. 19. 60 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 93. 61 DOPATKA, Marianne (wie Anm. 19), S. 47. 62 Das Original befindet sich heute in der Orangerie in Potsdam.
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Georg in einem Brief am 13. August mit, dass der Herzog bestraft werden müsse.63 Georg reiste nach Berlin, um seinem Vater das Herzogtum zu retten.64 Am 4. September 1866 erhielt die im Schloss Sanssouci lebende Königinwitwe Elisabeth einen merkwürdigen Brief von Georg: Gnädigste Königin Euer Majestät bitte ich um Vergebung, bei Allerhöchstdieselben mich nicht abgemeldet zu haben: meine Abreise nach Meiningen wurde jedoch so rasch beschlossen, daß es mir zu meinem großen Bedauern unmöglich wurde, mich nach Sanssouci zu begeben. Eurer Majestät fernen Gnade mich empfehlend, verbleibe ich Diener und Neffe Herzog von Sachsen-Meiningen.65
Das ist verwunderlich; denn sein Vater Herzog Bernhard II. hatte am 4. September noch gar nicht offiziell abgedankt.66 Der Brieftext ist eine verklausulierte Botschaft.67 Am 19. September rückten preußische Truppen in Meiningen ein; am 20. September wurde die Abdankungsurkunde von Herzog Bernhard II. publiziert. Im letzten Lebensjahr der Königin Elisabeth von Preußen, 1873, trat der 1851 geborene Bernhard, der zweite Sohn von Georg und Charlotte, in den preußischen Militärdienst ein. Elisabeth war dann schon fünf Jahre tot, als Bernhard 1878 in Potsdam wiederum eine Prinzessin Charlotte von Preußen (1860–1919) heiratete. Als zweites Kind von Kronprinz Friedrich und Kronprinzessin Victoria war sie eine Enkelin des nunmehrigen Kaisers Wilhelm I. und der Kaiserin Augusta. Der an griechischer Kultur und Literatur interessierte Prinz war zu einem Mitglied der kaiserlichen Familie aufgestiegen. 1914 wurde der ehemalige preußische Generalfeldmarschall als Bernhard III. regierender Herzog von Sachsen-Meiningen. Er war der letzte; denn in der Novemberrevolution dankte er auf Druck des Meininger Arbeiter- und Soldatenrates einen Tag nach seinem Schwager Kaiser Wilhelm II. am 10. November 1918 ab. 63 ThStAM, HA, Nr. 1006. 64 ThStAM, HA, Nr. 1006, Brief Georgs an seinen Vater vom 20. August 1866; Dazu auch ERCK / SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 154 f. Herzog Bernhard II. ging es um Formalitäten der Abdankung sowie die rechtliche und finanzielle Absicherung seines restlichen Lebens. Der Vater wollte Mitregent bleiben. 65 GStA PK, BPH Rep 50 T, Nr. 74, Brief von Herzog Georg II. vom 4. September 1866 an Königin Elisabeth von Preußen. 66 Erst am 7. September hat Bernhard II. dem preußischen Verhandlungspartner Karl Friedrich v. Savigny schriftlich seine Abdikation angekündigt. 67 Die politisch immer noch gut unterrichtete Königinwitwe Elisabeth verstand den Hinweis; denn in einem königlichen Schreiben vom 27. Juli 1866 hatte König Wilhelm I. von einer „Übertragung der Regierung des Herzogtums auf den Erbprinzen“ geschrieben. Der auf Abdankung hinzielende Vorschlag wurde über Bismarck an den Justizminister Savigny weitergeleitet. Als Georg schon wieder in Meiningen war, erhielt Oberst von Buch am 7. September weitere Instruktionen. Er gab an Savigny die Erklärung ab, dass „der Herzog, um dem Lande keine weiteren Opfer aufzubürden, zu Gunsten seines Sohnes abdanken wolle“.
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Zusammenfassend kann man sagen, dass sich von der unerfüllt gebliebenen Liebe des Herzogs Bernhard II. von Sachsen-Meiningen zur Prinzessin Elisabeth von Bayern innerhalb von fast 100 Jahren ein Bogen bis zur Mitgliedschaft in der Kaiserlichen Familie von Wilhelm I. und Wilhelm II. und dem Ende beider Dynastien gespannt hat.
MARTINA LÜDTKE DIE MORGANATISCHE EHESCHLIEßUNG
Die morganatische Eheschließung zwischen Georg II. von Sachsen-Meiningen und Helene Franz Ein monarchischer Normbruch im Spannungsfeld höfischer Erwartungen und bürgerlicher Öffentlichkeit
Im allgemeinen, darin hast Du ja recht, gehört zu einem Grafen eine Gräfin,wer wollte das bestreiten? Aber wenn es keine Gräfin sein kann, so kommt nach der Gräfin gleich die Schauspielerin, weil sie, dir darf ich das sagen, der Gräfin am nächsten steht.1
Die deutsche „Revolution“ von 1918 wird sich bald zum einhundertsten Mal jähren und damit auch das Ende der konstitutionellen Monarchie in Deutschland. Doch ebenso wenig, wie die Frage nach den Ursachen für das „lautlose Verschwinden“ der letzten monarchischen Bundesfürsten nach dem Ende des ersten Weltkrieges hinreichend geklärt ist, so unklar geblieben sind Selbst- und Fremdverständnis dieser besonderen Sozialformation.2 Die politische Kultur des Kaiserreiches war ein sensibles Gefüge normativer Vorstellungen über und Erwartungen an gesellschaftliche Ordnung, das einem permanenten Deutungsprozess unterworfen war. Im Spannungsfeld einer zunehmenden Politisierung, Pluralisierung und Demokratisierung der Gesellschaft mussten sich die Quellen für die Legitimation von Herrschaft verändern. Dabei waren es insbesondere zwei Strömungen, die die Monarchie ihrer ureigensten Grundlagen beraubten: die Auflösung der verbindlichen religiös-sakralen Weltordnung und die Bürokratisierung des Herrschaftsapparates waren die Signaturen einer die Alternative von Chaos und Ordnung enthaltenden Epoche, die 1
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Franziska Franz alias Gräfin Petöfy zu ihrer Vertrauten Hannah, in: Theodor FONTANE, Graf Petöfy, 12. Kapitel. Inspiration für Fontanes Roman, den er 1880 zu skizzieren begann, war die Heirat der Schauspielerin Johanna Buska (~1848–1922) mit dem Grafen Nikolaus Casimir Török von Szendrö (1812–1884). Wie ihre reale Namensvetterin Ellen Franz hatte die Romanfigur Franziska Franz auf (Wiener) Bühnen gestanden. Sebastian HAFFNER, Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick, München 2001, S. 162. Insgesamt gab es 25 Bundesstaaten, drei davon waren die Freien Städte: Hamburg, Bremen und Lübeck; Elsaß-Lothringen hatte den Status „Reichsland“. Die verbleibenden 21 Bundesstaaten waren Monarchien; allerdings gab es 1918 nur 19 regierende Monarchen, da Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin im Februar 1918 die Regentschaft für das Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz übernommen hatte; dieses Prinzip der Personalunion galt auch für das Fürstentum Reuß älterer Linie, dessen Regent von Oktober 1908 bis November 1918 Heinrich XXVII. Reuß jüngerer Linie war.
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unwiderruflich die Gottesgnadendämmerung der Moderne anbrechen ließ – scheinbar.3 Denn die Zählebigkeit des „monarchischen Prinzips“ wurde zwar auch von Zeitgenossen thematisiert und problematisiert, doch bis zum äußeren Zusammenbruch von 1918 ohne strukturelle Konsequenzen, so dass der „methodisch fortschrittlichste […] deutsche Historiker des späten Kaiserreichs und der Zwischenkriegszeit“ Otto Hintze das „monarchische Prinzip als derart „mit der ganzen Struktur des Reiches […] verwachsen“ bezeichnete, dass es „nur durch eine Revolution durch das Prinzip der parlamentarischen Regierung ersetzt werden“ konnte.4 Und so bedeuteten der Zerfall des gesellschaftlichreligiösen Konsens, die Einbindung in einen wachsenden Verwaltungsapparat, und selbst die Tatsache, dass die konstitutionelle Monarchie die Instrumente ihrer Überwindung bereits in sich trug, nur theoretisch und im Nachhinein ein Ende der Monarchie – in der Praxis lebte sie fort.5 Dies war einerseits auf der theoretischen Ebene möglich durch ihre Integration in das System des zeitgemäßen Verfassungsstaates mithilfe philosophisch-juristischer Konstruktionen. Zum anderen wurde die metaphysisch-religiöse Quelle der Anerkennung der Monarchen über die Familie bzw. die Geschlechterfolge historisch verlängert und verfestigt, während sie selbst weiterhin „eine Schlüsselstellung in der deutschen politischen und künstlerischen Kultur einnahmen“.6 Doch wie bewegten sich die Monarchen zwischen Gottesgnadentum und Medienrevolution, Standesbewusstsein und gesellschaftlicher Nivellierung? Mit welchen Instrumenten begegneten sie den Herausforderungen ihrer Zeit? Was waren ihre Legitimationsstrategien, was galt ihnen als Normverletzung, und von 3
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Wolfgang SCHLUCHTER, Der autoritär verfaßte Kapitalismus. Max Webers Kritik am Kaiserreich („Bürokratisierung des Herrschaftsapparates“), in: DERS. (Hg.), Rationalismus der Weltbeherrschung. Studien zu Max Weber, Frankfurt 1980, S. 134–169; Zygmunt BAUMANN, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 1992. Max Weber an Friedrich Naumann, 12. November 1908, in: Horst BAIER/M. Rainer LEPSIUS/Wolfgang J. MOMMSEN u. a. (Hg.), Max Weber Gesamtausgabe. Abt. 2: Briefe, Bd. 5: Briefe 1906–1908, Tübingen 1990, S. 693–696; Jürgen KOCKA, Otto Hintze, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.), Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 275–298, hier 275; Otto HINTZE, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: DERS., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hg. von Gerhard OESTREICH, Göttingen 1970, S. 359–389, hier 379. Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: DERS. (Hg.), Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte („Instrumente ihrer Überwindung“), Frankfurt a. M. 2006, S. 273–305; Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart („Fortleben in der Praxis“), München 2000, S. 122 f. Karl Ferdinand WERNER, Fürst und Hof im 19. Jahrhundert: Abgesang oder Spätblüte?, in: DERS. (Hg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. DeutschFranzösischen Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.–30. September 1982 (Pariser Historische Studien, 21), Bonn 1985, S. 1–52.
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wem wurden diese sanktioniert? Welche Erwartungen an sich selbst hatten diese scheinbar verharrenden und müßigen Akteure „in einer der Tendenz nach leistungsorientierten Gesellschaft“, und welche Erwartungen trug diese Gesellschaft an sie heran?7 Suchten sie aktiv ihre Position zu rechtfertigen oder nur zu verhindern, dass die konstitutionelle Monarchie aus den „falschen“ Gründen „geglaubt [wurde]“?8 Klar scheint eines: die monarchische Staatsform verfügte trotz ihrer selbst Zeitgenossen anachronistisch erscheinenden Neuerfindung 1871 bis in den ersten Weltkrieg hinein über eine ausreichende Basislegitimität, die sie den Zeitgenossen angemessen und selbstverständlich erscheinen ließ.9 Die Frage ist: wie dehnbar war dieses monarchische Kapital? Gefahren drohten nicht nur von außen. Das monarchische Kapital litt auch dann Schaden, wenn die bisherigen Anpassungen der Bevölkerung an ein aus heutiger Sicht sehr undemokratisches System in Frage gestellt wurden – und zwar nicht durch diese Bevölkerung, sondern durch die Ordnungsmacht Monarchie selbst. So scheinbar geschehen im Falle des Herzogtums Sachsen-Meiningen unmittelbar nach der Reichsgründung: am 18. März 1873 hatte Georg II. von Sachsen-Meiningen, in seinem siebten Regierungsjahr in dritter Ehe die Hofschauspielerin Helene Franz, Künstlername Ellen Franz, geheiratet und im Anschluss zur Frau von Heldburg erhoben. Die morganatische Ehe stellte im 19. Jahrhundert keine Seltenheit dar.10 Dennoch löste Georg mit dieser Ehe großes Befremden aus: Kritik kam von zwei deutschen Kaisern, der herzoglichen Familie, Hofbediensteten und Teilen der Meininger Gesellschaft, anderen Bundesfürsten, in- wie ausländischen Zeitungen, und nicht zuletzt preußischen Gesandten. Dass Georg sich nicht standesgemäß verheiratet hatte, war dabei eine Sache – die Vermittlung dieser Heirat, seine Kommunikation, was diese anbelangte, eine andere. Das Ideal seines Standes, nach dem der Adelige in allem, was er tut, im Gleichgewicht erscheinen muss und nach Goethes Wilhelm Meister allen Prüfungen und Fährnissen des Lebens mit „leichtsinniger Zierlichkeit“ begegnet und banalen Verpflichtungen mit „feierlicher Grazie“ nachkommt, um Balance
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Henri de Saint-Simon (eigentlich: Claude-Henri de Rouvroy, Comte de Saint-Simon) war ein Wegbegleiter Auguste Comtes, zitiert in: Wolfgang SCHLUCHTER, Aspekte bürokratischer Herrschaft. Studien zur Interpretation der fortschreitenden Industriegesellschaft, Frankfurt/M. 1985, S. 20 f. 8 REINHARD, Staatsgewalt (wie Anm. 5), S. 21. 9 Vgl. Heinrich POPITZ, Phänomene der Macht, Tübingen ²1992, S. 223 f. 10 Zum wenig unkonventionellen Charakter der morganatischen Eheschließung: Heinz HOLZHAUER, Ludwig und Alexandrine. Eine privatfürstliche Ehescheidung vor dem Reichsgericht, in: Stefan Chr. SAAR/Andreas ROTH (Hg.), Heinz Holzhauer. Beiträge zur Rechtsgeschichte, Berlin 2000, S. 161–181, hier 176.
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und Nonchalance zu demonstrieren – all dies hatte Georg außer Acht gelassen.11 Die Hitzigkeit, die diese Debatte annahm, war auch dafür verantwortlich, dass Helene ihrem frisch Angetrauten keine jubelnden, sondern eher kummervolle Briefe schrieb: Ich gehe einem Leben voll Demüthigungen und Kränkungen entgegen und sehe ein, daß ich sie allein werde tragen müssen, das macht mich bitter und hart. Ich muß in mancher Beziehung Unrecht leiden und das macht den Charakter nicht besser sondern schlechter.12
Was war diesen Briefen Helenes, die in den verregneten Augusttagen von 1873 in Georgs Jagdhaus in Liebenstein zwischen Büchsenschrank, Hirschgeweihen und nass gewordenem Kuchen unter Zornestränen verfasst wurden, vorausgegangen? Georg, am 2. April 1826 als erstes Kind von Bernhard II. Erich Freund, Herzog von Sachsen-Meiningen (1800–1882), und seiner Frau Marie, einer Prinzessin von Hessen-Kassel (1804–1888), in Meiningen geboren, wurde die Einheit Deutschlands bald zu einem der wichtigsten politischen Ziele, sehr in Gegensatz zu seinem Vater, der sich allmählich immer mehr in Opposition gegen Preußen begab. Diese Loyalitätskonflikte gewannen stetig deutlichere Konturen, und als der preußische Kronrat am 28. Februar 1866 den „unausweichlichen Krieg“ beschloss, sah sich Georg politisch und familiär einer Zerreißprobe ausgesetzt: sein Vater stand auf Seiten Österreichs, während sein „ehemaliger“ Schwiegervater Albrecht an seine Ehre als preußischer Militär appellierte.13 Der Kompromiss, der zwischen Preußen und Sachsen-Meiningen zum Erhalt des Herzogtums geschlossen wurde, bestand schließlich in der Abdankung Bernhards zugunsten seines Sohnes Georg im Spätsommer 1866.14 Da halfen auch 11 Johann Wolfgang von GOETHE, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Berlin 1795/96, zitiert in: Dagmar BURKHART, Eine Geschichte der Ehre, Darmstadt 2006, S. 92 f. 12 Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, (im Folgenden: ThStAM), HA, Nr. 1188, Helene an Georg II., 9. August 1873. 13 Prinz Albrecht (1809–1872), neuntes Kind von König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise von Preußen, hielt auch im Krisenjahr 1873 zu seinem „Herzensjungen“. Dies ist sicher auch auf seine eigenen Erfahrungen zurückzuführen: am preußischen Hof wegen seiner zweiten, morganatischen Ehe mit Rosalie von Rauch nicht mehr erwünscht, verließ er 1853 aus Protest Preußen und ließ sich bei Dresden nieder. Vgl. Daniel SCHÖNPFLUG, Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640–1918 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 207), Göttingen 2013, S. 103 f. 14 Lediglich auf den Anspruch auf die seit 1826 preußische Enklave Altlöbnitz musste verzichtet werden. Eine andere, früh von Bernhard verworfene Option für seinen Verbleib auf dem Thron wäre eine Kriegsentschädigung von drei Talern auf den Kopf der Bevölkerung und die Abtretung der Grafschaft Camburg und der Herrschaft Wangern (Schlesien) gewesen.
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die „freundschaftlichen Gesinnungen“, an die Bernhards Frau Marie bei ihrem Vetter, dem preußischen König Wilhelm appellierte, nichts, ebenso wenig dessen eigenes „mehr als wehmütige[s] Gefühl“.15 Eine „neue Zeit“ brach zum einen an durch Georgs nun auch konstitutionell verankerte Zugehörigkeit zu Preußen. Aber auch privat vollzogen sich tiefgreifende Veränderungen: in diesen Zeiten des politischen Umbruchs und Neuanfangs entstand eine große Nähe zwischen dem Fürsten und einer gewissen, seit 1868 am Meininger Hoftheater engagierten Ausnahmeschauspielerin. Die 1839 in Naumburg an der Saale geborene Herminie Helena Marie Auguste Franz debütierte nach Engagements in Coburg, Oldenburg und Mannheim 1868 als Shakespeares Julia in Meiningen.16 Georg beschränkte seine persönliche Kommunikation mit Helene bald nicht mehr auf Applaus aus der Fürstenloge. Gerüchte kamen auf, Georgs zweite Ehefrau Feodore reagierte auf die Entfremdung mit Flucht in die Krankheit. Sie starb mit 32 Jahren im Februar 1872 an Scharlach. Die Empfindungen ihres Mannes dürften durchmischter gewesen sein, und auch Helene schrieb an ihre Mutter, dass der Tod Feodores das Schlimmste sei, was Georg und ihr habe passieren können, da er sie zum öffentlichen Handeln zwang. Georgs Vater hingegen ahnte mehr von diesen Vorgängen als ihm selbst bewusst war, wenn er seinen Sohn eindringlich davor warnte, mit seiner Art des gesellschaftlichen Umgangs Zustände wie im Nachbarstaat (Sachsen-Coburg und Gotha) herbeizuführen. Im Januar 1873 schrieb er seinem Sohn, Du solltest doch die angenommene Sitte [eigentlich Unsitte] des Herzogs von Coburg, mit der Theaterwelt intimer zu verkehren, u. häufig Soupers mit Schauspielern abzuhalten, nicht nachahmen. Es ist nicht schicklich für einen Souverain, sich auf diese Weise mit Schauspielern zu familiarisieren. […] Solche Dinge werden im Volk nicht nachsichtig beurtheilt!17
Georg und Helene gingen in die Offensive und ließen sich früher als geplant am 18. März 1873 in Liebenstein trauen. Schon der Trauvorgang und die damit ver15 ThStAM, HA, Nr. 846, Anfang September 1866, Herzogin Marie von Sachsen-Meiningen an König Wilhelm von Preußen („freundschaftliche Gesinnungen“); Wilhelm an Marie, 22. September 1866, zitiert in: Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Meiningen/Zella-Mehlis ²1999, S. 155. Maries Mutter Auguste von Preußen (1780–1841) und Wilhelms Vater, Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770–1840) waren Geschwister. 16 Dies war ihr Taufname; ihr Künstlername lautete Ellen. Vgl. Otto von KURNATOWSKI, Georg II. von Sachsen-Meiningen und Hildburghausen. Ein Lebens- und Kulturbild, Hildburghausen 1914, S. 70–72; siehe auch: Freifrau von Heldburg (Ellen FRANZ), Fünfzig Jahre Glück und Leid. Ein Leben in Briefen aus den Jahren 1873–1923, hg. von Johannes WERNER, Leipzig 1926. 17 ThStAM, HA, Nr. 310, Bernhard an Georg, 6. Januar 1873.
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bundene Kommunikationspolitik Georgs, bzw. deren Nichtvorhandensein, lösten Unwillen und Proteste aus, denn vertrauensbildende Maßnahmen und integres Handeln sahen anders aus. Georgs Strategie bestand darin, Tatsachen zu schaffen, keinen Raum für Einwände zu lassen und kurz darauf in die Flitterwochen nach Italien aufzubrechen. Nicht nur seine Familie, auch die Hof- und Staatsbediensteten informierte Georg überwiegend schriftlich und erst im Nachgang von der Eheschließung, so seine obersten Beamten, den Staatsminister v. Krosigk, den Baron Egloffstein und den Hofmarschall Baron Stein. Freiherrn von Krosigk untersagte er sogar, ihm unmittelbar darauf zu schreiben.18 Georgs Hofprediger Schaubach erfuhr erst durch den Kollegen, der in Liebenstein die Trauung vollzogen hatte, von dem Ereignis. In „noch nicht erlebte innere Bedrängnis“ und „unausgleichbaren Widerstreite der dankbaren Anhänglichkeit und eigener Ueberzeugung“ habe ihn „diese Thatsache, die das sittliche Urtheil in Anspruch nimmt“ versetzt.19 Dies ist nur ein Beispiel für die große Skepsis, die Helene und damit auch Georg in den nächsten Wochen und Monaten von Seiten des Hofes wie der bürgerlichen Gesellschaft entgegengebracht wurde. Ignorieren konnten sie sie kaum; Entgegnungen auf Helenes „Höflichkeitsdarbringungen“ in Form von Besuchen blieben aus, der Gruß auf der Straße wurde ihr verweigert, in der Zeitung wurde sie als eine „für nicht übertriebene Ansprüche ganz gute Schauspielerin“ geschmäht. Helenes Bemühungen, in Meiningen gesellschaftlich Fuß zu fassen, ließen sich zunächst so wenig fruchtbar an, so dass sich Georg bald gezwungen sah, zu ihrer Verteidigung festzustellen, dass niemand genöthigt wird, mit meiner Gemahlin Umgang zu pflegen, wenn aber Artigkeiten, die sie gewährt, unerwidert bleiben, so sind der Natur der Sache nach diejenigen, die es angeht, gesellschaftlich von mir zu ignoriren.20
Für einen besonnenen Umgang mit den Fragen, der Skepsis und der Kritik, die seine Hochzeit aufgeworfen hatte, fehlte Georg aber die Nervenstärke. Stattdessen verfolgte er eine rigide Personalpolitik, der auch langgediente Hofbeamte und -bedienstete zum Opfer fielen, so der Adjutant seines Sohnes Bernhard. Die Reihen der Hofdamen seiner Tochter Marie lichteten sich, und auch der Staatsminister Freiherr von Krosigk wurde im Oktober 1873 in den Disposi-
18 Anton Ferdinand Freiherr von Krosigk 1820–1892, 1. Amtszeit: September 1861– Oktober 1864; 2. Amtszeit: September 1866–Oktober 1873. Krosigk beteuerte später seine Dankbarkeit für dieses Verbot, da es schwer sei, „das rechte Wort zu finden, wenn im Herzen die widersprüchlichsten Gefühle sich bekämpfen.“ ThStAM, HA, Nr. 312, Krosigk an Georg, 21. März 1873. 19 ThStAM, HA, Nr. 312, Schaubach an Georg, 25. März 1873. 20 ThStAM, HA, Nr. 527, Georg an Bernhard, 27. November 1873.
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tionsstand versetzt.21 Im Rückblick scheint es, als sei Georg einer intoleranten gesellschaftlichen Haltung seinerseits mit Intoleranz begegnet, die er kraft seiner Landesherrlichkeit aber nicht nur in Worte fassen, sondern auch in Taten umsetzen konnte: vielleicht fürchtete er, dass ihn die Entschlusskraft, die ihn die unstandesgemäße Heirat hatte eingehen lassen, verlassen würde, wenn er zu defensiv, zu gesprächsbereit auftrat. Entsprechend autoritär versuchte Georg der kritischen Presseberichterstattung Herr zu werden und die öffentliche Meinung durch einen anonym verfassten Artikel im Meininger Tageblatt zu manipulieren, indem er die schauspielerischen Leistungen der Schauspielerin Swoboda, die Helene nach deren Heirat am Meininger Theater ersetzt hatte und vom Publikum auf demonstrative Weise frenetisch gefeiert wurde, beißend und hasserfüllt kritisierte.22 Damit machte sich Georg noch angreifbarer, insbesondere, da seine Lenkungsversuche rasch entdeckt wurden. Seiner Mutter gegenüber gab Georg offen zu, dass er von Zeit zu Zeit Artikel lancierte. Als Motiv gab er an, er hätte verhindern wollen, dass sich jemand „uns gegenüber durch zu hitziges [Abwerthen] unserer Verbindung compromittiere“.23 Gar nicht zu steuern vermochte Georg die überregionale Presse, die zum Teil ganz bemerkenswerte Positionen zu seiner skandalträchtigen Ehe entwickelte, so die in Berlin erscheinende „Illustrirte Damen-Zeitung Bazar“:
21 Bernhards Adjutant Freiherr von Schleinitz wurde, nachdem er Erbprinz Bernhard auf dessen Studienreise in den Nahen Osten begleitet und dort allmählich (aber offenbar für Georg mit unbefriedigendem Ergebnis) auf die Tatsache von Georgs Wiedervermählung vorbereitet hatte, aus dem Dienst entlassen: ThStAM, HA, Nr. 296, Georg an Bernhard, 21. August 1873. Maries Hofdamen von Einsiedel und Leigh ließ Georg wegen ihres unpassenden Verhaltens und wegen ihres schlechten Einflusses (Leigh) auf die übrigen Damen von Buttlar und von Holleben aus der Umgebung der Prinzessin Marie entfernen. Vgl. ThStAM, HA, Nr. 527, Georg an Bernhard, 14. Dezember 1873. Offensichtlich bestand besonders bei Frau von Buttlar die Gefahr der Illoyalität, doch ab Herbst 1873 stand sie, wie Stein seinem Herrn schrieb, „ganz auf Ihrer Seite“. ThStAM, HA, Nr. 307, Stein an Georg, 5. Oktober 1873. Ersetzt wurde Krosigk durch den bisherigen Hofbeamten Albrecht von Giseke. Nicht uneigennützig an dieser Scharade beteiligt war Hofmarschall Stein, für den sich mit der Absetzung Krosigks ein lang gehegter Wunsch erfüllte. Vgl. Eduard, Adolf, Karl u. Ernst SCHAUBACH, Chronik der Stadt Meiningen, hg. und bearb. von Karin KÖHLER/Helga WÖLFING, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, Eintrag vom 8. Oktober 1873. ThStAM, HA, Nr. 307, Korrespondenz Steins mit Georg. 22 Eine triumphierende Darstellung erfolgte auch in der Neuen Freien Presse, Ausgabe vom 20. April 1873. 23 ThStAM, HA, Nr. 1011, Georg an Marie, 18. März 1873.
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MARTINA LÜDKE Gegen altehrwürdige, durch die Weltordnung bewährte Ueberlieferungen macht der von ihnen zuhöchst Getragene, der Mächtigen Einer, der Herr, die Rechte des Herzens geltend – das erscheint Diesen gefährlich und Jenen absurd, ja, je weniger wir bisher an der Befugnis des Fürsten, hoch über uns Anderen zu stehen, gezweifelt haben, um so mehr sind wir jetzt geneigt, ihm die Befugnis, sich auf schlicht bürgerliche Art sein Glück zu schaffen, zu bestreiten.24
Die Argumentation basierte auf der Vorstellung einer ungleichen Welt, deren Akzeptanz allein auf der schlichten Grundlage von Tradition eingefordert worden war und die sich anzueignen bereits genug Energien gekostet hatte. Dass die davon geprägten Lebenswelten nun erneut durch die ungleiche Verbindung zwischen Fürst und Schauspielerin in Frage gestellt wurde, verlieh der hierarchisierten, durch erwartbares Verhalten geregelten bürgerlichen Lebenswelt eine unerwünschte, weil unberechenbare Dimension.25 Sie stellte die Ordnung ihres Lebens, ein solches Leben überhaupt infrage. Die Herausforderung, mit diesen Normverletzungen umzugehen, war auf Seiten der Skandalierer, des Publikums und der Skandalierten naturgemäß groß.26 Die Presse vermochte Georg, wenn auch leidlich, durch inoffizielle Eingaben zu beeinflussen, sein Hofpersonal konnte Georg durch Disziplinarmaßnahmen und Entlassungen kurz halten – doch sein eigen Fleisch und Blut konnte er nicht entlassen, am allerwenigsten seine Eltern. Für diese war die dritte Ehe ihres Sohnes nichts anderes als „ein großes Unglück […] für Dich, für unsere Familie, so wie für das Land!“27 Nachdem Georg sich sieben Jahre zuvor auf reichspolitischer Ebene gegen sie hatte stellen müssen, sahen sich Bernhard und Marie nun auch auf dynastiepolitischer Ebene enttäuscht. Mit der Tatsache, dass Georg seinen Vater nicht in seine Heiratsabsichten miteinbezogen hatte, wiederholte sich für Bernhard die traumatische Erfahrung seiner Abdankung von 1866.28 Abermals wurden seine Maßgaben und Auffassungen ignoriert, wieder wurde seine Autorität als Vater, aber auch als eine an der Staatsspitze stehende gesellschaftliche Größe beiseitegeschoben.29 Aufgebracht hielt Bernhard seinem Sohn vor, dass sich ein Herrscher nicht von seinen Gefühlen leiten 24 Der Bazar. Illustrirte Damen-Zeitung, Nr. 28/4, 28. Juli 1873. 25 Vgl. Heinrich POPITZ, Die normative Konstruktion von Gesellschaft, Tübingen ²1980, S. 5 f. 26 Vgl. Manfred PIWINGER/Wolfgang NIEHÜSER, Skandale. Verlauf und Bewältigung (Schriftenreihe PR-Kolloquium, 3), Wuppertal 1991, S. 12 f. 27 ThStAM, HA, Nr. 1011, Bernhard an Georg, in Replik auf dessen Bitte, seiner Ehe den elterlichen Segen für seine Verbindung zu geben, Briefwechsel vom 5. und 8. Februar 1876. 28 Dass sie ihn bis an sein Lebensende begleitete, zeigen diverse Briefe seiner Frau Marie an Georg oder auch an Kaiser Wilhelm. Vgl. ThStAM, HA, Nr. 297. 29 ThStAM, HA, Nr. 296, Zum Status Bernhards s. a. Georg an seinen Sohn Erbprinz Bernhard, 21. August 1873.
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ließe, sondern von seiner Beherrschung über eben diese – ansonsten büßte er die Legitimation seiner herausgehobenen Position ein: Ein reg. Fürst soll nicht nur Seinen Neigungen leben, er gehört dem Land u. soll Kraft genug besitzen dem Land u. seinem Beruf zu Liebe Opfer zu bringen. Kann er dieses Opfer nicht bringen, so steigt er vom Thron herab, dann ist er nicht mehr würdig darauf zu sitzen!30
Am folgenden Tag machte er seinen Standpunkt noch ein wenig deutlicher: Ich muß gestehen, dass ich Dich nicht für zurechnungsfähig halte, u. dass ich glaube, Du kannst die Regierung nicht fortführen. Ein Fürst, der so der öffentlichen Meinung ins Gesicht schlägt, u. die Sympathien des Volkes absichtlich verscherzt, kann nicht Regent bleiben. [Bedeutet] ein Officier der eine solche Heirath einginge würde von seinen Kameraden gezwungen werden den Abschied zu nehmen.31
Auch vermutete Bernhard, es herrsche bereits Günstlingswirtschaft am Hofe, und weiterhin, dass Georgs „Verhältniß zur Franz u. Deine Verbindung mit ihr […] ein Werk preußischer Diplomatie [sei]. Man will die deutschen Fürsten heruntersetzen, u. sie noch u. noch unmöglich machen.“32 Gleichzeitig suchte Bernhard aber auch Rückendeckung beim Kaiser selbst, worüber sich Georg noch Jahre später bitterlich bei seiner Mutter beschwerte: Er rief den Kaiser um Hülfe an, weil er wähnte, durch dieses könne ein deutscher Fürst, Bundesgenosse des Königs von Preußen, zur Trennung seiner legalen Ehe genöthigt werden! Er wandte sich an den Manne hin, der ihn zur Abdankung gezwungen hatte, an das [Herz] der Macht, die ihm stets ein Dorn im Auge gewesen war, deren ‚Züchtigung‘ er 1866 ersehnt hatte, an den, dessen Diplomatie in Papa’s Augen meine Verbindung mit meiner Frau […] verschuldet haben sollte […] zum Zwecke der Herabwürdigung der kleinen deutschen Fürsten, eine Behauptung, die in Papa’s 2tem nach meiner Hochzeit an mich gerichteten Brief steht, den ich kürzlich erst wieder gelesen, und die er vielleicht mit derselben Feder geschrieben hat wie den, die Bitte um Hilfe enthaltenden Brief an den Kaiser. Muß ich nicht an den Haß meines Vaters glauben, wenn ich sehe, daß er seinem Stolz so viel vergiebt, dass er einen Schiedsrichter in seine Familie ruft, den er im selben Augenblick gegen mich einer unlauteren Politik zeihet, über welchem Unrecht ich freilich bei meiner Kenntniß von dem erhabenen Character des hohen Herrn nur lächeln konnte.33
Im November 1873 schließlich ging Bernhard so weit, das herzogliche Staatsministerium zu veranlassen, entsprechende juristische Gutachten zu erstellen, da er seinen Sohn „gänzlich im Unklaren“ über die morganatische Ehe meinte, die nichts anderes sei „als ein durch priesterliche Einsegnung sanctionirtes 30 31 32 33
ThStAM, HA, Nr. 310, Bernhard an Georg, 21. März 1873. ThStAM, HA, Nr. 310, Bernhard an Georg, 22. März 1873. Ebd. ThStAM, HA, Nr. 1014, Georg an seine Mutter Marie, 23. Juni 1876.
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Concubinat“.34 Diese auch sachlich inkorrekte Beleidigung veranlasste Georg dazu, mit seinem Vater bis auf weiteres nur noch über den offiziellen Kanal des Staatsministeriums zu kommunizieren und ihm auf diesem Wege das juristische Gutachten zu übermitteln wie auch die Bitte, im Verkehr mit seinen Enkeln davon abzusehen, seine „von der Wissenschaft nicht gebilligten Ansichten über die morganatische Ehe zur Geltung zu bringen“.35 Deutlich spricht aus diesen Zeilen Georgs nicht unbegründete Sorge, insbesondere seine ältesten Kinder aus seiner ersten Ehe mit der sehr jung verstorbenen Charlotte von Preußen könnten gegen ihn eingenommen werden. Tatsächlich reagierten Prinzessin Marie und Erbprinz Bernhard abwartend bis offen ablehnend auf Georgs dritte Ehefrau. Der 22-jährige Erbherzog Bernhard weilte zum Zeitpunkt der Eheschließung mit Helene gerade in Griechenland und teilte seinem Vater mit, er habe nicht erwartet, dass Deine Wahl auf Deine jetzige Frau gerade fallen würde […]; und würde ich den Gedanken mit entschiedener Schroffheit zurückgewiesen haben, falls er mir durch jemand anders, als Dich, vermittelt worden wäre.36
Das Schreiben blieb zwiespältig; der Prinz mochte sich in seinem Urteil nicht festlegen, und sein vorgeblicher Gleichmut wurde von ihm zu angestrengt thematisiert, als dass er echter Überzeugung hätte entspringen können: „Du hast zu entscheiden; und »was der König thut, ist gut«. Mir wenigstens kann es »gut« sein, denn ich bin mündig, Officier und wohl die geringste Zeit in Meiningen.“ Gleichzeitig gab Bernhard seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass sein Vater die Absicht haben könnte, sich „so schnell nach der unvergesslichen, seligen Mama wieder zu verheirathen“ und sorgte sich außerdem um den Status seiner Schwester, da die morganatische Ehe des Vaters „der Welt gegenüber ihrem Renommée gefährlich sein dürfte“.37 Diese Sorge teilte Bernhard mit seinem Großvater. Dieser berief sich in diesem Zusammenhang auf die Empfehlung des Kaisers, die dieser über seinen Gesandten Friedrich Wilhelm von Hohenlohe bereits im Frühjahr 1873 hatte ausrichten lassen, wonach es „eine Notwendigkeit“ sei, die künftige Stellung der Prinzeß Marie namentlich der Frau v. Heldburg gegenüber zu präcisiren u. wie die Verhältnisse liegen halten S. Majestät es für das einfachste u. Natur-
34 ThStAM, HA, Nr. 310, Bernhard an Georg, 6. November 1873. 35 ThStAM, HA, Nr. 527, Georg über das Staatsministerium an Bernhard, 8. November 1873. 36 ThStAM, HA, Nr. 310, Erbherzog Bernhard an Georg, 23. April 1873. 37 Ebd.
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gemäßeste wenn die Prinzessin bei ihren Großeltern, bei Euer Hoheit und Ihro Hoheit der Herzogin eine bleibende Stätte fände.38
Marie hingegen demonstrierte ihre Irritation über die so früh auf den Tod der Stiefmutter Feodore folgende Neuvermählung, indem sie sich oft nicht an die von Georg aufgestellten Regeln des sozialen Verkehrs hielt, die sie von dessen Ehe kritisch gegenüberstehenden Dritten abschirmen sollten. So hatte Georg Marie untersagt, während ihres Aufenthalts bei Carl Alexander von SachsenWeimar und Eisenach ungefragt bei den Großeltern in Meiningen zu übernachten. Als sie es ihren eigenen Worten zufolge dennoch tat, während Georg in der Villa Carlotta am Comer See weilte, entspann sich ein Briefwechsel zwischen Vater und Tochter, der eher die Bezeichnung „Verhör“ verdient hätte.39 Die Frage nach der gesellschaftlichen Stellung Helenes in Bezug auf Georgs Kinder belastete auch das Verhältnis zwischen dem Herzog und Helene. Während Georg von seinem Vater bezichtigt wurde, despotengleich den gesellschaftlichen Verkehr seiner Tochter einschränken zu wollen, hatte Helene Schwierigkeiten, in der Haltung ihres Mannes gegenüber Marie Konsequenz und Weitsicht zu entdecken und warf ihm vor, daß Du sie gar nicht fühlen lässest, daß sie auf eine höchst kränkende Art im Unrecht gegen Dich ist. Wir werden noch sehen, wohin ihr offenkundiges Auflehnen gegen Deinen Willen und Dein ruhiges Hinnehmen desselben, führt […].40
Gleichzeitig taten Helene solche Ausbrüche leid, sie bezeichnete sich als „Zornwinkel“ und „wasserbleiches Angstgestell“, dessen einzige Qualität es wäre, fern von ihrem Mann zu weilen, und beklagte verzweifelt, „daß ich störend zwischen Dich und Deine Kinder geraten bin, daß ich jetzt nicht wieder aus dem Wege gehen kann!“41 Helenes Fremdwahrnehmung als Störfaktor wird eindrucksvoll dokumentiert durch die Korrespondenz zwischen Georg und seinem Hofmarschall Stein. Wie alle anderen Hofbeamten stand Stein im Frühjahr 1873 vor der Entscheidung, um die Entlassung zu bitten, weil Georgs unstandesgemäße Heirat nicht mit den eigenen Normvorstellungen vereinbar war, oder das Amt weiterhin unter ausdrücklichen Loyalitätsbekundungen auszufüllen. Von Stein entschied sich im Gegensatz zu seinen Kollegen dem Baron Egloffstein, dem Flügeladjutanten 38 ThStAM, HA, Nr. 310, Bernhard an seinen Sohn Georg, undat., Hohenlohe zitierend (vermutlich innerhalb der letzten Dezemberwochen 1873). 39 Vgl. ThStAM, HA, Nr. 300, Die Korrespondenz zwischen Georg und Marie, Juni 1874. Marie begründete darin ihren Besuch u. a. mit der Anwesenheit ihrer Tante Augusta. 40 ThStAM, HA, Nr. 1188, Helene an Georg, 9. August 1873. Helene nahm hier Bezug auf Bernhards Verbot, ohne seine Erlaubnis in Meiningen zu übernachten, über das sich Marie – Ignoranz vortäuschend – hinweggesetzt hatte. Vgl. ThStAM, HA, Nr. 300, Die Korrespondenz zwischen Georg und Marie, Juni 1874. 41 ThStAM, HA, Nr. 1188, Helene an Georg, 9. August 1873.
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Bernhards, und dem Oberhofmeister der verstorbenen Herzogin Feodore, Uechtritz, für letzteres. Dies war für ihn privat mit einigen Nachteilen verbunden: seine klare Stellungnahme für Georg bewirkte, dass sich fast „Alle, die dem Hofe nahe stehen“ von ihm abwandten.42 Zwar profitierte Stein auch von seiner Monopolstellung, weil er sich selbst in Kontrast zu den „Intrigeuren“ setzte, die den „neuen Verhältnissen aus dem Wege gehen wollen“ und sich nicht zu „dem Gedanken erheben [könnten], dass man mit Thatsachen wachsen muss“ sondern vielmehr alles täten, „um Euer Hoheit Ansehen und Würde zu vernichten“.43 Doch in Georgs Abwesenheit während der langen Hochzeitsreise konnte er allein nicht viel ausrichten und bekniete Georg geradezu, schon eher aus Italien zurück zu kehren, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen: „[…] entweder Sie erretten sich durch rasche That oder sie werden überwältigt und gehen unter. – Stellen Sie das Gleichgewicht durch persönliches Eingreifen wieder her.“44 Andererseits versuchte der Hofmarschall Georg zu beruhigen, beispielsweise mit der Einschätzung, dass die Ablehnung der Heirat „nur“ von einer klar eingrenzbaren Gruppe ausginge, die sich aus den beharrenden Kräften der konservativen Hofbeamten sowie der höheren Hofdienerschaft, der ehrgeizigen preußischen oder Preußen loyal gegenüberstehenden Offiziere und jenen reaktionären Kreisen zusammensetzte, die sich im großen Palais um den alten Herzog Bernhard zusammenfanden. Von der durchschnittlichen „Altmeininger“ Gesellschaft wurde die Heirat jedoch, Stein zufolge, insgesamt wohlwollend bis nachsichtig aufgenommen. Aus diesen Reihen, so versicherte er seinem Herrn, würde man „bestimmt nicht offensif vorgehen“.45 Im Gegenteil seien die „Altmeininger“ zu dem Geburtstagsdiner ihres Landesherrn am 2. April viel zahlreicher erschienen als zu den Feierlichkeiten anlässlich des Kaisergeburtstages am 22. März. Für diesen hatte ein gewisser Oberst Zeuner geworben, ein Vertrauter des Altherzogs, in der Erwartung, dass die Partizipation hieran als Stimmungsbarometer dienen würde. Dies war auch der Fall, allerdings mit einem Ausschlag, der wohl kaum den Vorstellungen Zeuners bzw. denen seiner mutmaßlichen Auftraggeber im „Großen Palais“ entsprochen haben dürfte: zu Georgs 47. Geburtstag am 2. April erschienen laut Stein „fast noch ein Mal so viele
42 Zu von Steins eigener gesellschaftlicher Ächtung, die er fassungslos konstatierte („Es ist als ob die Leute den Verstand verloren hätten!“) trug bei, dass seine Schwiegermutter und seine Frau in Florenz mit Baronin Heldburg zusammengetroffen waren. ThStAM, HA, Nr. 307, Stein an Georg, 7. Juli 1873 und 21. September 1873. 43 ThStAM, HA, Nr. 307, Stein an Georg, 25. April 1873. 44 Ebd. 45 ThStAM, HA, Nr. 307, Stein an Georg, 3. April 1873.
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Civilisten“ als bei den Ehrdarbietungen zum 76. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I.46 Wilhelm selbst hätten diese Zahlen vermutlich nicht viel ausgemacht, wohl aber die mangelnde Ehrerbietung, die Georg seinem eigenen Stand der regierenden Monarchen entgegen brachte. Der Kaiser war noch längere Zeit nach Erhalt der Nachricht über die Vermählung Georgs „aufgebracht“ gewesen, wie Georg vom umtriebigen Stein erfuhr.47 Auch hier war es weniger das „Was“ als das „Wie“ gewesen, das Wilhelms Unmut geschürt hatte. Georgs Stolz und sein Selbstverständnis als souveräner Fürst hatten es ihm verboten, sich direkt beim Kaiser zu rechtfertigen. Einen Zwischenfall in den Reihen des preußischen Militärs in Meiningen als Anlass nehmend, stellte Georg aber indirekt Kontakt mit Wilhelm her, der sich im Dezember 1873 schließlich schriftlich an Georg wandte. Er las seinem Neffen die Leviten, doch schickte er diesem die versöhnliche Feststellung voraus, dass „Morganatische Ehen unter Fürsten ein zu Recht bestehendes Verhältnis“ seien, „also nicht verpönt“.48 Geduldig beschrieb der Kaiser die konfliktträchtigen Geschehnisse in Meiningen weniger aus der eigenen oder der Perspektive Georgs, als vielmehr aus der der Bevölkerung, um Georg die Voraussetzung für eine nachhaltige Konfliktbewältigung zu verdeutlichen: Verständnis für die Sicht der Umwelt. Der „Stellung […], die der Dame zur Familie und Gesellschaft anzuweisen ist“, und dem damit verbundenen Zeitraum, in dem insbesondere diese, aber auch alle anderen damit zusammen hängenden Fragen zu klären gewesen wären, hatte Georg nach der Meinung seines Onkels nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet, denn: Die Freundlichkeiten, die man der Actrice in gesellschaftlichen Kreisen ausnahmsweise hatte angedeihen lassen, konnten keinesfalls übertragen werden auf die morganatische Gemahlin des Souverains, die man noch vor wenigen Tagen für Geld auf der Bühne gewohnt war zu sehen.49
Die mit Helenes zukünftiger Stellung in der Gesellschaft zusammenhängenden Schwierigkeiten hätten mit „Delikateße“ bewältigt werden können, doch wäre Georg zum einen zu ungeduldig gewesen, zum zweiten hätte er versäumt, Helenes Anspruchslosigkeit zu kommunizieren, und zum dritten hätte verdeutlicht werden müssen, dass die Eheschließung der Beginn einer neuen „Häuslichkeit“ (und nicht die Antwort auf vorübergehende Leidenschaften) hatte sein sollen. Der Kaiser kritisierte, dass Georg zu hastig vorgegangen sei und, so wörtlich, es versäumt habe, „Gras darüber wachsen“ zu lassen. Hinsichtlich der von Georg beklagten Ignoranz gegenüber den höheren Damen der Gesellschaft, denen 46 47 48 49
ThStAM, HA, Nr. 307, Stein an Georg, 3. Mai 1873. Ebd. ThStAM, HA, Nr. 308, Wilhelm I. an Georg, 4. Dezember 1876. Ebd.
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Helene die Aufwartung gemacht hatte, die aber nicht erwidert worden waren, legte Wilhelm seinem Neffen nahe, „bis zum Jahrestage Deiner Rückkehr aus Italien“ keine weiteren Schritte zu unternehmen. Das Versäumnis „jener Damen“ führte Wilhelm darauf zurück, dass Georg die zukünftige Stellung seiner Frau nicht deutlich genug gemacht habe.50 Während die Haltung Wilhelms I. für Georgs Handlungen und Entscheidungen durchaus bedeutsam war, kam Wilhelm II. für eine solche Rolle sowohl aus menschlichen wie aus politischen Gründen nicht in Frage. Dabei hatte er Georg 1880 noch versprochen, das Unrecht, das ihm und Helene aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung widerfahren war, wieder gut zu machen, soweit es in seiner Macht stünde.51 Als reine Polemik erwies sich diese Aussicht aber spätestens 1889. Dem erwarteten kaiserlichen Besuch waren wochenlange Organisationsarbeiten, u. a. mit einer Coburger Flaggenmanufaktur und dem Liebensteiner „Kur-Hotel“ vorausgegangen, um den kaiserlichen Gast und sein Gefolge standesgemäß begrüßen und unterbringen zu können. Wilhelm ließ alles platzen. Eine Woche vor der geplanten Ankunft am 19. August 1889 erreichte Georg die telegraphische Botschaft, dass Seine Hoheit vom derzeitigen Aufenthaltsort Bayreuth nicht gen Liebenstein aufgebrochen, sondern auf dem Weg „nach London, Grand Hotel Trafalgarsquare“ sei.52 Um dieses diplomatische Gift so gut wie möglich zu neutralisieren, ließ Georg in der Neuen Preußischen Zeitung und einigen der Meininger Zeitungen die Meldung lancieren, er selbst hätte auf Anraten seiner Ärzte eine Kur in mildere Gefilde nicht mehr länger aufschieben können, was leider auch bedeutete, dass das Meininger Publikum auf den Besuch des Kaisers „vorerst“ würde verzichten müssen.53 Die Kränkung saß allerdings tiefer, als es die entsprechenden, schnell an den Hofmarschall hingeworfenen Weisungen vermuten ließen. Georgs Einladung hatte nicht nur Gelegenheit für den kaiserlichen Neffen sein sollen, „dem edlen Waidwerk […] obliegen zu können“.54 Die kaiserliche Gunst eines Besuches hätte auch Jahre nach Georgs morganatischer Eheschließung akzeptanzfördernd wirken können. Dies 50 Ebd., s. a. Anm. 20. 51 Wilhelm in seinem Weihnachtsschreiben vom 23. Dezember 1880, zitiert in: ERCK/ SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 15), S. 446. 52 ThStAM, Hofmarschallamt, Nr. 1286, Hofmarschall Freiherr von Röpert an Stein, Telegramm vom 11. August 1889. 53 Ebd., Notiz Georgs an Röpert, und Röpert an Georg, Telegramm vom 11. August 1889. Siehe auch den Eintrag in der Meininger Chronik zum 11. August 1876: SCHAUBACH, Chronik der Stadt Meiningen (wie Anm. 21), S. 366 f. Der preußische Gesandte Ludwig Raschdau geht in seinen Memoiren ebenfalls auf den Vorfall ein, vgl. Ludwig RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter. Ein Buch der Erinnerungen an deutsche Fürstenhöfe 1894–1897, Berlin 1939, S. 62 f. 54 ThStAM, Hofmarschallamt, Nr. 1286, Wilhelm an Georg, Telegramm vom 4. Mai 1889.
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galt umso mehr für den daraufhin anzuberaumenden Gegenbesuch Georgs in Potsdam – bei dem Helene ihn womöglich doch begleitet hätte. Es ist zu vermuten, dass weniger Wilhelm selbst als seine Frau Auguste Viktoria starke moralische Vorbehalte geltend gemacht und ihren impulsiven Mann an dem geplanten Besuch gehindert hatte, um einer diplomatisch heiklen Situation zu entgehen.55 Verstärkend mag noch hinzugekommen sein, dass die Kaiserin nicht an die 1875 gescheiterten Pläne, Georgs und Feodores Sohn Ernst zu ehelichen, erinnert werden wollte.56 Die besonderen Umstände dieses nicht stattgefundenen Besuches führten schließlich dazu, dass der jeweilige preußische Gesandte seine Frau in Meiningen nicht mehr vorstellte – eine Tradition, mit der erst der zwischen 1894 und 1897 an den thüringischen Höfen akkreditierte Ludwig Raschdau brechen sollte.57 Ebensowenig, wie Wilhelm II. Georgs Ehe mit Helene anerkannte, sollte er die Ehe von Georgs und Feodoras Sohn Friedrich mit Adelheid zu Lippe-Biesterfeld als ebenbürtig beurteilen; und der Umstand, dass Ernst, Georgs zweiter Sohn, der erste aus der Ehe mit Feodore, bei seiner morganatischen Ehe mit einem Fräulein Jensen nicht auf seine Thronrechte verzichtet hatte, war nach Einschätzung des Kaisers „ganz ausgeschlossen“.58 Georg hatte durch seine Heirat mit Helene der standesgemäßen Ehe ihren Status als wichtigsten Koordinationspunkt adligen Selbstverständnisses (und damit auch adliger Selbstrechtfertigung) abgesprochen. Das Legitimitätsprinzip des Gottesgnadentums verlor ein weiteres Mal an Glaubwürdigkeit. Der legitimatorischen Wirkung der dynastischen Eheschließung als wichtigstes innenpolitisches Werkzeug der Herrschaftssicherung lag aber noch eine zweite Komponente zugrunde. Während ihre inhaltliche Begründung seit der Französischen Revolution im Verblassen begriffen war, gewann die formelle Seite der Norm, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bürgerlichen Leistungsgesellschaft, an
55 Wilhelm selbst empfand diese sehr strengen Auffassungen seiner Gattin, die geschiedene Frauen generell nicht empfing, als anstrengend und genügte ihnen oft nur oberflächlich, vgl. Robert von Zedlitz-Trützschler, Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof. Aufzeichnungen des ehemaligen Hofmarschalls Wilhelms II., hg. von Gerd FESSER, Bremen 2005, S. 174 f. 56 Vgl. John C. G. RÖHL, Young Wilhelm. The Kaiser’s Early Life 1859–1888, Cambridge u. a. 1998, S. 355, 881 (Anm. 137). 57 Georg reagierte seinerseits mit bösartigen, aber sehr subtilen Andeutungen auf die Unfähigkeit des Kaisers. So fiel unter Umständen nicht zufällig nach der so genannten „Handlangerrede“ Wilhelms II. vom 26. Februar 1897 vor dem preußischen Provinziallandtag Georgs Wahl für eine kurz darauf folgende Predigt auf den Bibeltext „Gott gibt dem Regenten einen löblichen Kanzler“. Vgl. RASCHDAU, Fürstenhöfe (wie Anm. 53), S. 120, 161 u. 174. 58 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Sachsen-Meiningen, R 3341, Raschdau an den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1. März 1896.
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Gewicht.59 Das Konzept der göttlichen Auserwähltheit und des elitären Geblütsrechtes, auf denen das Gottesgnadentum fußte, hatte an Strahlkraft verloren. Auf der anderen Seite war die Berechenbarkeit und Verlässlichkeit, kurz: der Ordnungswert, der durch die Normerfüllung des Ebenbürtigkeitsgebots entstand, in den Vordergrund gerückt. Dieser durch die Selbstbindung des Herrschers geschaffene Ordnungswert war die wichtigste Voraussetzung für seine Binnenlegitimität gegenüber der eigenen, adligen Sozialformation wie auch für seine Basislegitimität gegenüber der Bevölkerung.60 Vordergründig hatte Georgs Heirat mit einer Bürgerlichen jedoch einem der zentralen Leitmotive des bürgerlichen Zeitalters, auf sein Herz zu hören, entsprochen. Dennoch hatte er damit zunächst konträr zu den Erwartungen der maßgeblichen Meininger Gesellschaftskreise – der höheren Offiziersfamilien und der Hofgesellschaft – gehandelt. „Das erhofft Exotische […] enthüllte sich als erwartungswidrig.“61 Es war einigermaßen exotisch, dass Georg als regierender Landesfürst eine bürgerliche Schauspielerin heiratete, doch da diese Liebesheirat Werten der Aufklärung wie dem Ehrbegriff als dem Menschen innewohnend, entsprach, hätte das exotische, das außergewöhnliche daran theoretisch eine grundsätzlich positive Besetzung erfahren können. Immerhin erfüllte sie in geradezu plakativer und sentimental anrührender Weise die impliziten Forderungen Schillerscher Dramen, die den Kanon eines durchschnittlichen Bürgerhaushalts zierten.62 Eine solche positive Konnotation kann jedoch nur so lange bestehen, wie sie sich auf wahrhaft Fremdes bezieht, das (mit eigenen Idealvorstellungen) aufgeladen werden kann – nicht, wenn sie die Form von übererfüllten Erwartungen, d.h. von Befürchtungen, annimmt.63 Doch Helene hatte bereits eine bekannte Stellung in der gesellschaftlichen „Choreografie“ als fähige Schauspielerin, und es bereits bis zur Hofschauspielerin in einem der weltweit führenden Ensembles gebracht – mehr konnte und durfte sie nicht erwarten. 59 Als ein lohnenswerter Ansatz, um Schnittstellen zwischen bürgerlichem Leistungsethos und den sich wandelnden Bezügen höfischer Kultur zu definieren, erscheint in diesem Zusammenhang auch Karl Otto Hondrich, der in Anlehnung an Heinz Hartmann (1965) die These vertritt, dass die Autorität einer Einheit in einem sozialen System sich umso mehr in Legitimität verwandelt, je dauerhafter sie positiv bewertete Leistungen erbringt. Vgl. Karl Otto HONDRICH, Theorie der Herrschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 85 f. 60 POPITZ, Phänomene (wie Anm. 9), S. 233. 61 Christian KADEN, Skandal und Ritual in der Musik, in: Joachim BRÜGGE (Hg.), Musikgeschichte als Verstehensgeschichte. Festschrift für Gernot Gruber zum 65. Geburtstag, Tutzing 2004, S. 583–596, hier 587. 62 Zur Aussagekraft von Literaturbeständen vgl. Hans Ulrich GUMBRECHT, „Phönix aus der Asche oder: Vom Kanon zur Klassik“, in: Aleida ASSMANN/Jan ASSMANN (Hg.), Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, München 1987, S. 284–299; siehe auch Hans MEDICK, Weben und Überleben in Laichingen 1650– 1900. Lokalgeschichte als Allgemeine Geschichte, Göttingen ²1997, S. 447–449. 63 KADEN, Skandal und Ritual (wie Anm. 61), S. 587.
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Übertrat sie, wie nun geschehen, die Standesgrenzen doch, wurde der bürgerliche Wertehimmel auf die Probe gestellt. Insbesondere die Gruppen, die besonders viel in das bestehende System investiert und dementsprechend auch zu verlieren hatten, zeigten sich insgesamt überfordert. Das Privileg derer, die den Preis zahlten, ihre Anstellung am Hof zu verlieren, war, ihr bisheriges Normund Wertesystem beibehalten zu können und dieses nicht entsprechend den neuen Arbeits- und Lebensbedingungen neu justieren zu müssen (oder zu können).64 Ein weiterer Vorteil war, dass von dieser zunächst geschützten Seite aus die Abweichler skandaliert werden konnten, was ebenfalls der Selbstlegitimierung diente: indem von einer noch durch tradierte Bezugsmöglichkeiten abgesicherten Position auf „die anderen“ als abnorm verwiesen wurde, konnte die eigene Person wie auch die eigene Gruppe als Wertelite bestätigt und bestärkt werden. Die in diesem Fall abnorm Handelnden wie von Stein standen folgerichtig vor der Aufgabe, ihre Legitimation vor sich selbst auf andere Weise zu erlangen, und zwar durch die Identifizierung mit den neuen, durch die Normüberschreitung frei gesetzten Werten.65 In diesem Fall bestanden sie darin, dem privaten Lebensglück Priorität vor der Norm der standesgemäßen Eheschließung einzuräumen. In Helenes – und bis zu einem gewissen Grade nun auch in Georgs – weiterem, gemeinsamen Leben ging es nicht zuletzt um sehr praktische, strategische Erwägungen, die das gesellschaftliche (Über-)Leben möglich bzw. leichter machen sollten. Über Jahre und Jahrzehnte änderte sich nicht zuletzt aufgrund ihrer immensen kulturellen Strahlkraft die Bewertung ihrer Verbindung: aus dem Stein des Anstoßes wurde ein auffällig schimmernder Kiesel, aus „ungewöhnlich“ wurde „außergewöhnlich“ – doch die Verwunderung blieb. Denn obwohl Helenes und Georgs Leben angesichts der vielen Widrigkeiten wenig mit einem Märchen zu tun gehabt hatte, bemühten die Zeitungen eben diese Deutungskategorie noch anlässlich Helenes 75. Geburtstag. Offenbar verfügte auch der gesellschaftliche Mainstream, der sich selbst als aufgeklärt und liberal gab, über keine Kategorie für das, was der Schauspielerin Ellen Franz widerfahren war. Zu fantastisch war ihr Schicksal, und so konnte ihr nur eine weitere Rolle zugedacht werden: die der Protagonistin in dem „Märchen ihres Lebens“. 64 Zu dieser Beschränkung eigener und fremder Optionen siehe Geoffrey BRENNAN/James M. BUCHANAN, Die Begründung von Regeln. Konstitutionelle Politische Ökonomie, Tübingen 1993, S. 108: „Nur dann, wenn das rationale Individuum weiß, in welcher Weise die individuellen und kollektiven Entscheidungen (‚collective‘ und ‚public choice‘ bei Wahlen, Märkte, Recht) in der Umgebung stabil ausfallen, kann es darauf seine individuelle Strategie ausrichten. Rationale Individuen haben daher aus Eigennutz Interesse daran, die Optionen von individuellen und kollektiven Akteuren (und damit nolens volens zugleich auch ihre eigenen) grundsätzlich und langfristig zu beschränken.“ 65 Vgl. ThStAM, HA, Nr. 307, Stein an Georg, 25. April 1873.
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Helene von Heldburg – eine Ehefrau auf Augenhöhe Helene von Heldburg war zweifellos eine Frau, die ihrem Ehemann Herzog Georg II. zwar nicht im wörtlichen Sinne – was bei einer Körpergröße von über zwei Metern zugegebenermaßen auch schwierig ist –, aber im übertragenen Sinne auf Augenhöhe begegnete (Abb. 1). Bemerkenswerterweise inszenieren bereits die überlieferten späten Fotografien in genau dieser Weise (im Auf- bzw. Hinblicken des Herzogs zu ihr bzw. auf sie) und dies selbst auf einer körperlichen Ebene, die Gleichrangigkeit suggeriert. Welch anderes Bild vermitteln hingegen die beinahe zeitgleichen Fotografien von Richard und Cosima Wagner, obwohl bei diesem Paar das körperliche Verhältnis gerade umgekehrt war (Abb. 2).
1. Lebensweg – Ausbildung, Freundschaft, Theaterkarriere und die Ehe mit Georg II. Angesichts der Biographie und des beruflichen Werdeganges der Freifrau liegt die Annahme mehr als nahe, dass der „Theaterherzog“ hier auf eine Frau traf, die ihm in intellektueller und künstlerischer Hinsicht ebenbürtig war, sein ausgeprägtes Interesse an Kunst, Literatur, Musik und insbesondere Theater teilte und sich, man denke nur an ihre Zweisprachigkeit (deutsch/englisch) und ihre 13-jährige Bühnenerfahrung, auf diesen Feldern auch substantiell und mit ergänzenden Fähigkeiten einbringen konnte. Im Fall Helene von Heldburgs wurden die Grundlagen für ihre intellektuelle und künstlerische Entwicklung bereits im Elternhaus gelegt. Ihr Vater, Hermann Franz (1803–1870),1 war ein promovierter Lehrer: ab 1826 zunächst Hilfslehrer am Domgymnasium und zugleich Lehrer an der Handelsschule in Naumburg. Offenkundig besaß er eine solche breite und überzeugende Ausbil1
Hermann Franz, geb. Naumburg, 2. Februar 1803, gest. Berlin, 4. Februar 1870, verh. 4. Juli 1838 mit Sarah Franz, geb. Grant. Die nachfolgenden Informationen folgen Bruno KAISER, Die Lehrer des Naumburger Domgymnasiums von 1801 bis 1930, Naumburg 1930, S. 8. Ähnlich auch Martina FETTING, Zum Selbstverständnis der letzten deutschen Monarchen. Normverletzungen und Legitimationsstrategien der Bundesfürsten zwischen Gottesgnadentum und Medienrevolution (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte, 30), Bruxelles u. a. 2013, S. 123 f.
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dung, dass er nach seinem Doktorexamen wohl als Erzieher nach England gehen konnte. 1847 befand er sich nachweislich wieder in Deutschland und wurde Mitbegründer und Direktor der Berliner Handelsschule.2 Über ihre aus dem englischen Middlesex stammende Mutter Sarah Franz ist wenig bekannt, doch lässt sich zumindest feststellen, dass sich ihr Leben nicht auf die Rolle als Hausfrau und Mutter zweier Kinder beschränkte, sondern sie literarisch überaus interessiert3 und auf diesem Gebiet auch schöpferisch tätig war.4 Ellen Franz, die spätere Helene von Heldburg, wuchs folglich in einem breit interessierten, ökonomisch abgesicherten, zweisprachigen Haushalt auf, was sich wohl positiv auf ihre Entwicklung auswirkte. Zudem war das Verhältnis zwischen Ellen Franz und ihren Eltern überaus eng und herzlich. Dies belegen nicht nur der Briefwechsel und die bis ins hohe Alter bestehende innige Beziehung, sondern auch die Unterstützung der Eltern für ihren nicht gerade alltäglichen Berufswunsch als Schauspielerin. Die Eltern ermöglichten ihr eine künstlerische Ausbildung, zu der neben Schauspielunterricht bei Minona Frieb-Blumauer auch seit ca. 1859 Klavierunterricht bei Hans von Bülow gehörte. In dessen Umfeld lernte sie die junge Cosima Liszt von Bülow kennen, mit der sie eine Freundschaft verband, die sechs Jahrzehnte überdauerte, Höhen wie Tiefen barg und für die beiden Frauen zu einem prägenden Aspekt ihres Lebens wurde.5 2 3
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Ludwig KATTE, Rückblick auf den Zweck, die Errichtung und den Entwicklungsgang der Berliner Handelsschule während ihres 25jährigen Bestehens, Berlin 1873. Ellen bat ihre Mutter, Salomon Hermann Mosenthals „Deborah“ zu lesen (Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Hausarchiv (im Folgenden: HA), Nr. 387, X, Brief Ellen Franz an Sarah Franz, Tuesday morning, Ende August 1860), ebenso das „Feuer in der Mädchenschule“ (ThStAM, HA, Nr. 387, IX, Brief Ellen Franz an Sarah Franz, 9. November 1860). Wohl zu Beginn des Jahres 1861 erbat Ellen von ihrer Mutter eine Ausgabe von Friedrich Schillers „Wallensteins Tod“, in Vorbereitung auf die Übernahme der Thekla. ThStAM, HA 387, X, Brief Ellen Franz an Sarah Franz, ohne Datum. Einzelne Gedichte enthält ThStAM, HA, Nr. 259, I. So u. a. das Gedicht auf Ellen, datiert auf Coburg, 12. Oktober 1860: „Give me the eye that brightens,/That brightens with a smile,/Give me the eye that lightens:/A cruelty or guile:/Give me the eye that dances/Like sunlight in its glee,/That joy itself enhances/And birds e’en sorrow flea!/If you a blithesome maiden/With such an eye should see,/And youthful pride arrayed in/My Ellen sure is she!” Siehe auch Maren GOLTZ/Herta MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen. Die Briefe von Cosima Wagner an Ellen Franz/Helene von Heldburg = The Queen and the Chick. Cosima Wagner’s Correspondence with Ellen Franz/Helene von Heldburg (Beiträge zur Kulturgeschichte der Musik, 9), München 2014, S. 41. Abgedruckt in dem Band das auf Cosima von Bülow bezogene Gedicht „The Refutation“ (S. 64 f.) sowie das für ihre älteste Tochter „To ‚Daniella‘ on heaving nursed her for the first time“ (ebd., S. 58 f.). Siehe die Einführung zu GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4), S. 10–69.
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Abb. 1: Eugenie Stötzer, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Helene von Heldburg, um 1914
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Abb. 2: Cosima und Richard Wagner, (Fotografie: Fritz Luckhart), 1872
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Durch den Kontakt zu Cosima von Bülow erweiterten und intensivierten sich Ellen Franzʼ Interessen, Neigungen und Möglichkeiten. Die überlieferten und inzwischen edierten 77 Briefe von Cosima von Bülow bzw. Wagner an Ellen Franz bieten in dieser Hinsicht reiche Informationen: Neben gemeinsamen Theater- und Konzertbesuchen gehörten hierzu auch intensive Gespräche über Literatur, Kunst und Theater, und Ellen wurde über Cosima und deren Vater Liszt bzw. den Ehemann Hans von Bülow in prominente künstlerische Kreise eingeführt. Vor allem ist jedoch der intensive Austausch mit Cosima über die verschiedensten Facetten der Schauspielkunst zu erwähnen: Dieser reichte von praktischen Ratschlägen bezüglich der Rollenauswahl6 und Rollenanlage7 bis hin zur grundsätzlichen Motivation zur nicht immer einfachen, aber aus Sicht der jungen Frauen unerlässlichen künstlerischen Arbeit8 – getreu dem Motto: „Leb wohl meine Liebe und arbeite nun, es ist kein Vergnügen, zum Theater zu gehen.“9 Von Cosima erhielt Ellen Hinweise zur Pflege der Stimme,10 bezüglich der für Schauspieler unabdingbar notwendigen Fähigkeit zur Entrückung und Verzauberung11 und der Lektüre von dramatischen, literarischen wie philosophischen Texten.12 Ab Spielzeitbeginn im September 1860 schlug Ellen Franz dann eine professionelle Schauspielkarriere ein, die nach verhaltenem Start in Gotha/Coburg – wobei die Hintergründe wohl eher persönlicher als künstlerischer Natur waren – schließlich von Erfolg gekrönt war. Nach Engagements in Stettin, Frankfurt an der Oder, Oldenburg und Mannheim folgte eine eindrucksvolle Karriere in Meiningen. 6
Siehe die Briefe Cosima von Bülow an Ellen Franz nach dem 10. Februar 1860 (6. Brief) bezüglich der Portia aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ und vom 18. April 1861 (32. Brief) in: GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4). 7 Ebd., Brief Cosima von Bülow an Ellen Franz, 22. August 1860, 18. Brief. 8 Im Brief Cosima von Bülow an Ellen Franz vom 6. September 1860 motivierte sie diese, eine sehr gute Leistung abzuliefern. Siehe GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4), 20. Brief. Ellen schrieb an ihre Mutter Sarah Franz, „That I wish to strike Dawison as something außer-gewöhnlich!“ Brief Ellen Franz an Sarah Franz, Saturday afternoon, in: ThStAM, HA 387, II. Vgl. weiterhin GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4), Brief von Cosima von Bülow an Ellen Franz, 7. Februar 1861, 25. Brief; ebd., Brief nach dem 12. März 1861, 29. Brief. 9 Ebd., Brief Cosima von Bülow an Ellen Franz, nach dem 14. Juli 1860, 14. Brief. 10 Ebd., Brief Cosima von Bülow an Ellen Franz, 6. September 1860, 20. Brief. 11 Im Brief Cosima von Bülow an Ellen Franz, 29. August 1860 (19. Brief) sinniert Cosima über den Begriff des fluidum. Siehe auch GOLTZ/MÜLLER, Königin und Täubchen (wie Anm. 4), Brief vom 18. April 1861, 32. Brief. 12 So empfiehlt Cosima Helene die Lektüre von Shakespeares „Hamlet“ (Brief vom 21. März 1860, 7. Brief), Honoré de Balzacs „Eugenie Grandet“ (Brief vom 6. September 1860, 20. Brief) und von Friedrich Schleiermachers „Monologen“ (Brief vor dem 10. März 1861, 28. Brief). Siehe GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4).
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In den ersten vier Meininger Spielzeiten stand sie an fast jedem SchauspielAbend auf der Bühne, was um die 50 Aufführungen pro Saison (jeweils von Oktober bis April) bedeutete und sich erst 1871/72 und 72/73 vergleichsweise deutlich auf etwa 30 Aufführungen pro Spielzeit reduzierte. Ihr ohnehin umfangreiches Repertoire erweiterte sie in Meiningen allein um folgende Shakespeare-Rollen: Lady Macbeth („Macbeth“), Titania („Ein Sommernachtstraum“), Cordelia („König Lear“), Viola („Was ihr wollt“), Hero („Viel Lärm um Nichts“) und die Hermione („Wintermärchen“). Kurz vor ihrem Bühnenabschied gab sie sogar ein einziges Mal in ihrer Karriere den Oberon im „Sommernachtstraum“. Doch gilt es ebenfalls festzuhalten, wie präsent sie auch in den Lustspielen war.13 Die Ballung der Paraderollen (auffällig gerade in Sachen Shakespeare) 1872/73 deutet auf eine längerfristig geplante Abschiedssaison hin, da mit der für die zweite Aprilhälfte bzw. Anfang Mai 1873 vorgesehenen Hochzeit mit Herzog Georg II. aus Standesrücksichten absehbar auch das Ende ihrer aktiven Bühnenlaufbahn verbunden war. Wie aus den überlieferten Programmzetteln hervorgeht, wurden für Ellen Franz´ Rollen in dieser Spielzeit jedoch bereits auffallend oft Gäste verpflichtet, zuletzt im März 1873 noch unmittelbar vor der Hochzeit Maria Swoboda (Wien) als Maria Stuart (11. März: „Maria Stuart“), Catharina (13. März: „Der Widerspenstigen Zähmung“) und Prinzessin Eboli (16. März: „Don Karlos“), was wohl als Reaktion auf die Anfeindungen gegen die Ehe und Entgegenkommen gegenüber den Erwartungen der höfischen Gesellschaft zu verstehen ist. Trotz der Widrigkeiten am Schluss ihrer aktiven Bühnenlaufbahn war Ellen Franz also mit der Wahl des Berufes der Schauspielerin nach anfänglichen Schwierigkeiten durchaus erfolgreich.14 Angesichts dieses Hintergrundes und des engen Verhältnisses zu Herzog Georg, der die Heirat immerhin gegen massive Widerstände durchsetzte,15 liegt – wie bereits erwähnt – die Annahme nahe, dass Helene von Heldburg auch maßgeblich an der künstlerischen Arbeit des herzoglichen Hofes beteiligt war. Ähnlich wie bei Ludwig Chronegk erfährt ihr Wirken im Kontext der Meininger Theater- und Kulturgeschichte in der Forschung bislang nur selten eine Würdigung. In der Regel konzentriert sich gerade die einschlägige Über13 Beispielsweise trat sie in der Spielzeit 1869/70 25 Male in Lustspielen auf, bei insgesamt 55 Auftritten überhaupt. 14 Wie problematisch die Einschätzung künstlerischer Fähigkeiten in der rückwärtigen Perspektive ist, wird an einem Bericht über die skandalträchtige Hochzeit am 20. April 1873 deutlich, wo scharfzüngig von einer „für nicht übertriebene Ansprüche […] ganz gute[n] Schauspielerin“ die Rede ist. Siehe MEYER, Was sich der Thüringer Wald erzählt, oder: Schauspielerin und Herzog, in: Neue Freie Presse, Wien, 20. April 1873. 15 Siehe FETTING, Zum Selbstverständnis der letzten deutschen Monarchen (wie Anm. 1), S. 113–171; sowie den Beitrag von Martina LÜDTKE im vorliegenden Band.
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blicksliteratur allein auf den Herzog als alles anregende und entscheidende Person: Einflussreich war in dieser Hinsicht John Osbornes Einschätzung, der in der Einleitung zu seiner Quellensammlung „Die Meininger“ festhielt: Mit dem Ausscheiden Bodenstedts übernahmen zwei Mitglieder der Truppe bedeutende Rollen neben dem Herzog, blieben ihm aber untergeordnet: Ellen Franz und Ludwig Chronegk.16
Noch das 1998 erschienene „Handbuch der Historischen Buchbestände für Thüringen“ stilisiert nur den „Theaterherzog“ zum „Schöpfer des Meininger Hoftheaters“.17 Und in ähnlicher Form finden sich derartige Allgemeinplätze etwa auch in Steffen Raßloffs „Geschichte Thüringens“.18 Die Gründe für diese mangelnde Wahrnehmung des Wirkens von Helene von Heldburg sind sicherlich vielschichtiger Natur. Eine zentrale Rolle dürfte hier bereits die zeitgenössische Rezeption spielen – etwa die eigene „Reclame“ der Truppe sowie Rezensionen und Zeitungsberichte von Fachleuten – die sich auf den Herzog konzentrierte und damit auch die frühe Forschung beeinflusste. Das macht u. a. John Osbornes Quellensammlung „Die Meininger“ deutlich.19 Diese Fokussierung auf den Herzog war wiederum den gesellschaftlichen Verhältnissen und nicht zuletzt der unstandesgemäßen Ehe geschuldet. Eine zeitgenössische Ausnahme, wie die Berichterstattung von Charles Waldstein aus dem Jahre 1891,20 wurde bislang offenbar wenig rezipiert, hatte dieser doch geschrieben: But the most important assistant the Duke has found in his present wife, Baroness von Heldburg, a lady of great refinement and taste, of English origin on her mother’s side, and formerly (she was married in 1873) the leading actress of the Meiningen theatre. This lady has worked indefatigably at the perfecting of the troupe; the training of the actors, male as well as female, is now in her hands, and she also supervises the department of costumes for the actresses. Thus, with such a conscientious and able manager as Herr Chronegk has proved himself to be, and with his cultured spouse supervising and inspiring the work of the actors, the efforts begun by the Duke have been carried to their
16 John OSBORNE (Hg.), Meininger. Texte zur Rezeption, Tübingen 1980, S. 14. 17 Friedhilde KRAUSE, Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 19, Hildesheim 1998, S. 27. 18 Steffen RAßLOFF, Geschichte Thüringens, München 2010, S. 76. 19 Die Textsammlung enthält u. a. Texte von Wilhelm Oechelhäuser, Karl Frenzel, Hans Hopfen, Rudolph Genée, Ludwig Speidel, Paul Lindau, Clement Scott, William Archer, Otto Brahm, A. N. Ostrovskij, Gustave Frédérix, Jules Claretie, André Antoine, K. S. Stanislavskij. 20 Charles WALDSTEIN, The court theatre of Meiningen, in: The Harper’s monthly 82 (1891), S. 743–757.
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MAREN GOLTZ highest realization. But the final authority remains with the Duke himself, and with him is the final appeal.21
Eine ebenfalls wenig rühmliche Rolle spielte hierbei die erste Veröffentlichung zu Helene von Heldburg mit dem bezeichnenden Titel „Fünfzig Jahre Glück und Leid“ aus dem Leipziger Verlag Koehler & Amelang.22 In ihr sammelten die Herausgeber – der emeritierte Theologe Johannes Werner23 und die am Beginn ihrer verlegerischer Tätigkeit stehende Else von Hase-Koehler24 – nach dem Tod der Baronin zahlreiche Briefe Helene von Heldburgs an diverse Adressaten, wobei bezeichnenderweise kaum Briefe vor 1890 Berücksichtigung fanden, die doch kultur- und theaterhistorisch weitaus interessanter gewesen wären.25 Zudem vereint die Sammlung vor allem Schreiben, die eher privater Natur sind und in denen das künstlerische Wirken nur am Rande thematisiert wird, und die wichtigen Konvolute der Korrespondenz mit Chronegk, Bülow, Cosima oder Steinbach fehlen, da deren Nachlässe noch nicht zugänglich waren. Nicht nur die Einführung enthält einige Unschärfen, wie die adlige Mutter,26 die Tätigkeit des Vaters als Erzieher der Söhne von Lord Livingstone27 und den 21 Ebd., S. 748. 22 Freifrau von Heldburg (Ellen Franz), Fünfzig Jahre Glück und Leid. Ein Leben in Briefen aus den Jahren 1873–1923, hg. von Else von HASE-KOEHLER, Leipzig 51929. 23 Johannes Werner (1864–1937) war von 1894 bis 1899 Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Marburg und danach Privatgelehrter in Leipzig. Werners Spezialgebiete waren Kirchen-, Kunst- und Kulturgeschichte. Bei K. V. Koehler war er u. a. beteiligt an der Herausgabe von Biographien bzw. Lebenserinnerungen von Andrew Carnegie (1921), Wilhelm von Kügelgen (1924), Paula von Bülow geb. Gräfin von Linden (1924), Friedrich Adolf Krummachers (1926), Franziska von Altenhausen (1927), Elisa von der Recke (1927), Oswald Boelcke (1932) und Max von Arnim (1937). 24 Else von Hase-Koehler (geb. Brugmann), geb. 20. Oktober 1883, Leipzig, gest. 2. Mai 1945, verheiratet mit dem Inhaber des Verlages Koehler & Amelang in Leipzig: Mitarbeiterin, Verlagslektorin, Herausgeberin. Sie gab im Verlag nach „Fünfzig Jahre Glück und Leid“ (1926) u. a. die von Max Reger stammenden „Briefe eines deutschen Meisters“ heraus (1928). 25 Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, S. 224. 26 Heldburg, Fünfzig Jahre Glück und Leid (wie Anm. 22), S. 7. 27 Ebd. Für folgenden Hinweis vom 4. März 2015 bin ich Herrn Dr. Johannes Mötsch außerordentlich dankbar: „Die schottische Adelsfamilie Livingstone ist im 18. Jahrhundert erloschen, der erste Titel Earl of Newburgh und der zweite Titel (jetzt Lord Levingston geschrieben) wurde in weiblicher Linie weitervererbt. Countess of Newburgh war in den 1830er Jahren Maria Cecilia Giustiniani (gest. 1877), seit 1815 verheiratet mit Carlo Marchese Bandini. Aus der Ehe sind vier Töchter und ein Sohn hervorgegangen. Dieser Sohn Sigismondo Niccolo Bandini, geb. 1818, führte, wie in GB bis heute üblich, den zweiten Titel seiner Mutter, also Lord Levingston. Zu ihm würde passen, dass er in den 1830er Jahren einen Erzieher hatte. Er folgte der Mutter 1877 als 8th Earl of Newburgh; seit 1857 war er british subject (was nicht heißt, dass er nicht bereits vorher dort gelebt hat, Katholiken war dort seit 1832 die Religionsausübung gestattet).“
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Sprechunterricht bei Heinrich Marr.28 Besonders trivial wirken die Briefe Helene von Heldburgs an die Herausgeberin Else von Hase-Koehler, denen auch das absatzfördernde Zitat für den Titel entlehnt ist.29 Denn gerade sie zeichnen sich durch einen sehr emotionalen, ja geradezu tränenreichen Ton aus und drehen sich nur um das persönliche Verhältnis zwischen den beiden Frauen. Zudem findet sich gleich im ersten Brief die angesichts ihres Lebensweges und der übrigen Korrespondenz recht überraschende Aussage, Helene von Heldburg habe sich angeblich „seit fünfzig Jahren überhaupt nur als ein Anhängsel“ [des Herzogs, d.V.] gefühlt, weshalb sie die Bitte der Verlegergattin um das Schreiben von Memoiren abgelehnt haben soll.30 Noch verdächtiger erscheinen die insgesamt 31 Postsendungen, wenn man in Betracht zieht, dass es bislang nicht einen einzigen anderen Beleg für eine Verbindung zwischen Else von Hase-Koehler und der Freifrau gibt, da Helene von Heldburg an ihrem Lebensabend eher zurückgezogen lebte und kaum noch neue Kontakte knüpfte, geschweige denn neue Patenschaften einging. Eine publikumswirksame Fälschung, die aber für die Rezeption erhebliche Bedeutung hatte, ist folglich durchaus in Betracht zu ziehen, zumal sich in dem reichhaltigen und gut geordneten Nachlass der Freifrau im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen bzw. in den Meininger Museen keine Gegenüberlieferung findet und 1926 wohl niemand die Kenntnisse und das Interesse hatte, diese als solche zu entlarven. Schließlich ist sowohl die Sensibilität für Frauen- und Geschlechtergeschichte als auch das Wissen um die Frühzeit Helene von Heldburgs und ihre Berliner Netzwerke erst in jüngerer Zeit stärker gewachsen. Dennoch gibt es, insbesondere in Spezialstudien, inzwischen auch differenziertere Stimmen, die das Wirken der Freifrau durchaus würdigen. Aber selbst diese Arbeiten belassen es in der Regel bei sehr allgemeinen Aussagen bzw. generellen Annahmen, die sich aus dem oben beschriebenen Hintergrund speisen, ohne diese weiter zu konkretisieren oder ausführlich zu belegen. Schon um 1977 sah der Mannheimer Kustos Wilhelm Herrmann ihre Verdienste an den „Meininger Reformen“ „als Schauspiellehrerin und auf literarisch-dramaturgischem Gebiet“.31 1989 benannte der damalige Leiter des Theatermuseums, 28 Heldburg, Fünfzig Jahre Glück und Leid (wie Anm. 22), S. 7 f. 29 Ebd., 238–255. Bei den 31 Postsendungen handelt es sich um 27 Briefe bzw. Briefauszüge, eine Ansichtskarte und drei Telegramme. Der Titel ist dem Brief vom 17. März 1923 entlehnt, in: ebd., S. 255. In dieser Tradition bewegt sich auch die Veröffentlichung: Inge GROHMANN, Skandal und Liebe – Herzog Georg II. von Sachsen Meiningen und die Freifrau von Heldburg. Zitate aus Dokumenten, Briefen und Erinnerungen, Norderstedt 2012. 30 Heldburg, Fünfzig Jahre Glück und Leid (wie Anm. 22), Brief Helenes von Heldburg an Else von Hase-Koehler, 22. März 1921, S. 56 f. 31 Wilhelm HERRMANN, Die Schauspielerin Ellen Franz – Ein Porträt von Oskar Begas. Gedrucktes Typoskript, um 1977, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Theater- und
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Volker Reißland, ihre Einbindung in die künstlerischen Prozesse und konstatierte, dass ihr „eine Bedeutung in dramaturgischen Fragen, in der Förderung von jungen Schauspielerinnen und Schauspielern und der Arbeit mit ihnen (Sprecherziehung und Rollengestaltung) zuerkannt“ wurde.32 Welchen Anteil an den Schauspielinszenierungen und der Vorbereitung der Gastspielreisen die Freifrau im Einzelnen hatte, müssten aber künftige detaillierte wissenschaftliche Untersuchungen ergeben.33 21 Jahre später nannte Fabian Kern sie – wohlgemerkt in Fußnote 634 seiner bedeutenden Forschungsarbeit über die Coburger Theatermalerfamilie Brückner und ihre Beziehungen zu den Bayreuther Festspielen – eine „kongeniale Mitarbeiterin“,34 um ihr im Folgenden die „innere[n] Regie“ (Textregie) und dem Herzog die „äußere[n] Regie“ (Szenenregie) als Wirkungsfelder zuzuschreiben.35 Es ist daher dringend an der Zeit für eine detaillierte Sicht auf das Wirken Helene von Heldburgs, unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Quellen, die es ermöglichen, diese Annahmen und allgemeinen Aussagen auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, sie gegebenenfalls zu korrigieren, zu bekräftigen, zu erweitern, und vor allem: zu konkretisieren. Zunächst ist zu konstatieren, dass die strukturellen Bedingungen für eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Helene von Heldburg und Georg II. überaus günstig waren, auch wenn dies mitunter persönlich tragischen Momenten geschuldet war. Als sich die Schauspielerin und der 41-jährige Herzog kennenlernten, war sie 28 Jahre alt, eine etablierte Künstlerin und aufgrund dessen und ihrer sozialen Herkunft nicht wie ihre Vorgängerinnen auf adlige Rollenmodelle als Ehefrau und Mutter determiniert. Mithin handelte es sich nicht um eine Ehe mit einer sehr jungen, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht gefestigten bzw. von vornherein auf eine Rollenerwartung festgelegten Frau, in der Abhängigkeiten und vorgegebene Lebensmuster quasi bestimmend waren. Auch von Seiten des Herzogs gestaltete sich die dritte Ehe unter gänzlich anderen Vorzeichen: Georg war in seiner Herrschaft etabliert und dynastische Überlegungen dürften aufgrund der vier Kinder aus den vorangegangenen Ehen keine dominante Rolle gespielt haben, von politischen oder ökonomischen Erwägungen ganz zu schweigen. Vielmehr war der Herzog auf dem Weg, sich verstärkt dem künstlerischen Bereich zuzuwenden und die Wahl seiner neuen Part-
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Musikgeschichtliche Sammlungen. Für die Übersendung danke ich herzlich Frau Liselotte Homering, Leiterin der dortigen Abteilung Theater- und Literaturgeschichte. Volker REIßLAND, Helene – Freifrau von Heldburg. Zum 150. Geburtstag, in: Almanach für Kunst und Kultur im Bezirk Suhl 9 (1989), S. 59. Ebd. Fabian KERN, Soeben gesehen. Bravo, Bravissimo. Die Coburger Theatermalerfamilie Brückner und ihre Beziehungen zu den Bayreuther Festspielen (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, 79), Berlin 2010, S. 331 f., Anm. 634. Ebd., S. 73.
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nerin fiel bezeichnenderweise auf eine Person aus diesem Bereich, die er nur gegen erhebliche Widerstände durchsetzen konnte. Persönliche Interessen und Neigungen besaßen hier also ein anderes Gewicht als bei den früheren Eheschließungen, wobei Georg allerdings auch hier bereits eine gewisse Eigenständigkeit bewiesen hatte. Hinzu kam, dass die Ehe ungewollt kinderlos blieb,36 so dass eine möglicherweise damit verbundene Ein- bzw. Beschränkung durch bzw. auf die Mutterrolle erst gar nicht im Raum stand. Gleichfalls darf man nicht unterschätzen, dass ihr zum einen der Abschied von der Bühne nicht leicht fiel, so dass ihr Wille, mit dem Theater verbunden zu bleiben und sich hinter den Kulissen einzubringen, umso größer war. Und schließlich dürften die stellenweise nachweisbare gesellschaftliche Ablehnung, Verunglimpfung, Distanzierung und das schwierige Verhältnis zur herzoglichen Familie sie und Georg zusätzlich motiviert haben, sich mit voller Energie auf eine erfolgreiche Theater- und Konzertarbeit zu stürzen. Einen Beleg dafür, in welchen Gewissensnöten sich Helene von Heldburg in der Zeit um die Heirat befand und wie schwer ihr der Abschied von der Bühne tatsächlich fiel, bietet ein Antwortbrief der Malerin Bertha Frenzel: Die Rücksichten gegen einen ‚hohen Adel und verehrtes Publikum‘ wiegen mir so federleicht wie Ihnen. Anders stellt sich das Verhältnis im Hinblick auf die hohe herzogliche Familie und ich hoffe, Sie verzeihen es mir a conto meiner durchaus menschheitsliebenden Natur, wenn ich mein Mitgefühl und deren Empfindungen nicht verstehe. Ich bin selbst eine zu zärtliche Tochter und Schwester, – und auch Mutter würde ich sein –, um nicht alle Empfindungen dieser zu verstehen. Und da wünsche ich dann allen Gemüthern möglichst baldige Beruhigung und Begebung in das Unabänderliche. Wie ich sehe, bin ich schon in die Beantwortung Ihrer Fragen, Verehrteste, hineingekommen: Was ich zu Ihrer plötzlichen Verheirathung gesagt habe? Ob ich mich sehr gewundert oder ob ich längst gewußt habe, daß Sie sich liebten? Auf letztere beide Fragen antworte ich mit einem einfachen ‚Ja‘. Denn wenn ich auch eben das Letztere glaubte, so hätte ich mir bis vor kurzem eine solche Wirkung Ihres Trunkes aus dem Brautbrunnen […] nicht träumen lassen. Ihre letztere Frage, ‚ob Einen etwas für das Aufgeben der Liebe entschädigen könne?‘ ist am schwersten zu beantworten. Darüber ließen sich Bogen, ja Bände schreiben. Also fürchten Sie Nichts, solche moralischen Abhandlungen post festum und am unrechten Ort sind doppelt unglücklich. Genießen Sie jetzt an Seiner Seite – ich hoffe, es besteht hinsichtlich Ihrer Briefe keine Gütergemeinschaft! […] Für Alles habe ich eher Verständnis als für Ihr Bedauern über das ‚Aufgeben‘ Ihres ‚schönen Berufs‘. Die 36 Wohl Ende August 1873 erlitt Helene eine Fehlgeburt. Herzog Georg II. notierte damals, „daß meine Frau seit einer Reihe von Tagen an’s Bett gefesselt ist: Leider trat nämlich ein, was Sie bei unserer Fahrt nach Immelborn als zu verhütenden Ausgang des damaligen Zustandes meiner Frau bezeichneten. Es ist dies recht unangenehm und traurig! Glücklich ist, daß die Schwangerschaft eine sehr kurze war, wohl nicht länger gewährt haben kann, als 4 ½–5 Wochen so daß das Ereignis ohne alle Folgen, so Gott will, vorübergehen wird.“ ThStAM, HA 393 II, Brief Herzog Georg II. an Karl Werder, 5. September 1875.
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häßlichsten Seiten desselben haben Sie gar nicht kennen gelernt, als Sie so lange wohlgeborgen in Meiningen saßen. Ich habe eine Reihe der berühmtesten Künstlerinnen gesprochen, die sich sehr aus dem ‚schönen Beruf‘ heraus sehnten, es findet sich nur Niemand, der sie davon erläßt. Die ‚Freundin‘ in des Wortest tiefster Bedeutung ‚Ihres Herrn und Gemahls‘ zu sein, halte ich für einen schöneren Beruf. Der Herzog schrieb, daß Sie sehr angegriffen wären, das begreife ich und kann ich willig nachempfinden. Ich hoffe aber, daß die Reise Sie ganz herstellen wird und daß wir uns gesund und heiter in Venedig wiedersehen.37
2. Anteil an der künstlerischen Arbeit Wie lassen sich nun die Handlungs- und Gestaltungsräume und der Einfluss Helene von Heldburgs näher fassen? In diesem Kontext lassen sich vier große Felder herausarbeiten, die im Folgenden diskutiert werden sollen: Die Korrespondenz, das Einbringen von eigenen Netzwerken, Stückauswahl und -bearbeitung sowie Schauspielerauswahl und -führung.
2.1 Die Korrespondenz Wiederholt ist festgestellt worden, dass vor allem Helene von Heldburg es war, welche die Korrespondenz mit den Künstlern führte. Bereits Erck und Schneider konstatierten, dass sie eine „unermüdliche Korrespondentin“ war, „die den anspruchsvollen Kreis jener Persönlichkeiten zusammenhielt, der zu Georgs Lebenselement geworden war bzw. werden sollte“.38 Und die Menge der Briefe ist in der Tat frappierend; diese geht in die Tausend. Bereits ein grober Überblick zeigt, dass der Herzog und seine Ehefrau hier eine Art Arbeitsteilung betrieben, ohne dass der andere jedoch von der jeweiligen Kommunikation ausgeschlossen war: teils korrespondierten beide mit denselben Künstlern, teils überwog der Anteil Helene von Heldburgs, teils der des Herzogs. Überliefert ist zudem, dass beide gleichzeitig an ihrer Korrespondenz saßen und sich über den Inhalt austauschten bzw. sich Briefe vorlasen oder den Briefen des Partners eigene Bemerkungen/Notizen hinzufügten. Für den frühen Briefwechsel mit Ludwig Chronegk stellte etwa Petra Stuber fest, dass der Herzog die Briefe seiner Frau „sekundierte“, d. h. mit Worten bzw.
37 ThStAM, HA 53, Brief Bertha Frenzel an Helene von Heldburg, 6. April 1873. Bertha Frenzel (geb. Schmack, 1835–1903), seit 1863 Frau des Theaterkritikers Karl Frenzel. 38 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 25), S. 221.
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Notizen (Bleistift/Tinte) versah.39 So ergänzte er etwa bezüglich der von Helene von Heldburg angemahnten Weglassung der Bärenzwingerszene in Kleists „Herrmannsschlacht“ am oberen Briefrand: „Meine Frau hat recht.“ Allerdings sollte dies weniger als Kontrolle durch den „Theaterherzog“ interpretiert und vor allem zeitlich und inhaltlich differenziert werden. Zum einen gilt es, den Charakter der Randbemerkungen des Herzogs einmal näher zu betrachten (eingreifend, verändernd, bestätigend). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die entsprechenden Briefe Dinge behandelten, die in das ureigenste Interessensfeld des Herzogs gehörten, so dass sein „Sekundieren“ verständlich wird. Immerhin setzte auch Helene von Heldburg ergänzende Bemerkungen unter seine Briefe. Schließlich ist zu beachten, dass ihrerseits nach der Hochzeit auch eine Neudefinition bereits vorhandener Beziehungen, wie etwa zu Chronegk, erfolgen musste und es angesichts der gesellschaftlichen Anfeindungen geraten schien, in der Korrespondenz möglichst keine Angriffsflächen zu bieten – und hier war der Herzog zweifellos am Anfang mit den Tücken dieses Feldes vertrauter. Spätestens seit 1877 enthalten Helene von Heldburgs Briefe an Chronegk nahezu keine Notizen des Herzogs mehr.40 Auch dort ist also Differenzierung geboten.
2.2 Das Einbringen von eigenen Netzwerken Ein entscheidendes Netzwerk, das Helene von Heldburg aus Berlin mit nach Meiningen brachte, war mit ihrer Jugendfreundin Cosima bzw. mit deren Exmann Hans von Bülow verknüpft. Wie bedeutend dies für ihr Selbstverständnis wie auch für ihre Außendarstellung war, zeigt die Tatsache, dass der Redakteur der „Neuen Freien Presse“ Wien über den Verkehr der jungen Frau in den „sogenannten geistreichen Kreisen“ Berlins und den „intimen Umgang“ mit der „vielgenannte[n] Cosima Liszt-Bülow-Wagner“ informiert war und von seiner Kenntnis bereits zu Beginn seines Berichtes über die skandalträchtige Hochzeit Gebrauch machte.41 Tatsächlich kam Hans von Bülow bereits Weihnachten 1873 das erste Mal nach Meiningen42 und fühlte sich sogleich aufgehoben wie ein „verlorener Sohn“.43 Auch die Entsendung von 26 Hofkapellmitgliedern zu 39 Petra STUBER, Doppeltes Spiel. Kleists Herrmannsschlacht in der Inszenierung des Meininger Hoftheaters 1875 in Berlin, in: Beiträge zur Kleist-Forschung 21 (2007/2008), S. 45. 40 ThStAM, HA 212–223. 41 MEYER, Was sich der Thüringer Wald erzählt (wie Anm. 14). 42 GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4), S. 33–56. 43 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Musikabteilung (im Folgenden: SBPK Berlin), Bülow-Briefe 55, Nachl. 85, Brief Hans von Bülow an Franziska von Bülow, 4. Juli 1876, S. 69.
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Richard Wagners ersten Festspielen nach Bayreuth erscheint durch die persönlichen Verbindungen in einem anderen Licht.44 Nicht von ungefähr rief Franz Liszt 1877 der Fürstin Sayn-Wittgenstein die „charmante Engländerin“ ins Gedächtnis,45 die Jahre zuvor mit Cosima in Berlin „sehr verbunden gewesen war“ und, dass beide nun wieder an die Jugendfreundschaft anknüpften. Bülows Berufung 1880 nach Meiningen ist auch als fürsorgende Geste der Baronin zu interpretieren,46 in seiner miserablen privaten Situation nach der Scheidung samt der notwendigen beruflichen Neuorientierung.47 Und nicht zuletzt hatte die herzogliche Familie Anteil an der Wiederbegegnung des Dirigenten und Pianisten mit seinen beiden Kindern. Und Johannes Brahms wäre seinerseits wiederum ohne Bülows Zutun wohl kaum nach Meiningen gekommen.48
2.3 Stückauswahl und -bearbeitung Zumindest in zwei Fällen lässt sich bereits jetzt feststellen, dass Helene von Heldburg auch Einfluss auf die Stückauswahl und -bearbeitung hatte. Im März 1891 jedenfalls schrieb sie bezüglich Joseph Viktor Widmanns griechischer Tragödie an Arthur Fitger: Ja, die Önone! Eigentlich meine Önone, denn ich habe ihre Aufführung gegen alle maßgebenden Faktoren durchgesetzt durch Bitten, Vorstellen, Zureden, Schmollen! Über den Erfolg kann ich Sie mit einem Worte unterrichten: Kaviar! […] Ich finde das Publikum im Unrecht, der Herzog den Dichter – über den Wert des Stückes als Dichtung sind wir aber ganz einig. Eins gebe ich zu: Widmann verlangt zuviel Mitgebrachtes vom Publikum, er wendet sich an einen zu kleinen Kreis von Menschen. […] Ich bereue auch keinen Augenblick, es durchgedrückt zu haben, und der Herzog ebensowenig, daß er mir den 44 Maren GOLTZ/Herta MÜLLER, „Die Werra ist meine Freundin“ – Richard Wagner in Meiningen, in: Richard Wagner in Mitteldeutschland, hg. im Auftrag der WagnerVerbände von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von Ursula OEHME und Thomas KRAKOW, Leipzig 2013, S. 190–207. 45 Vermutlich hatten sich beide bei einem Treffen Anfang März 1859 kennen gelernt. Siehe GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4), Brief Cosima von Bülow an Ellen Franz, 2. März 1859, 1. Brief, Liszts Bemerkung über Ellen Franz siehe in: La Mara (1899), S. 453. 46 SBPK Berlin, Bülow-Briefe 55 Nachl. 85, 102, Brief Hans von Bülow an Franziska von Bülow, 6. Januar 1881. 47 SBPK Berlin, Bülow-Briefe 55 Nachl. 85, 101, Hans von Bülow an Franziska von Bülow, 6. Januar 1881. Bülow schilderte Georg II. im Januar 1881 als „sehr interessiert an vielen Details, hört sich viele Proben an, erstmals unter Dankestränen über den empfangenen Kunstgenuss umarmt und geküßt“. 48 Hans-Joachim HINRICHSEN (Hg.), Hans von Bülow. Die Briefe an Johannes Brahms, Tutzing 1994, S. 9–26. Zur Bedeutung von Meiningen für Brahms’ Spätwerk Maren GOLTZ/Wolfgang SANDBERGER/Christiane WIESENFELDT (Hg.), Spätphase(n)? Johannes Brahms’ Werke der 1880er und 1890er Jahre. Internationales musikwissenschaftliches Symposium Meiningen 2008, München 2010, passim.
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Gefallen getan hat. Wir haben, beide, großen Genuß am Einstudieren und Vorbereiten gehabt, haben uns an der Aufführung gefreut und verdanken ihr die persönliche Bekanntschaft Widmanns, der uns den besten und angenehmsten Eindruck gemacht hat.49
Und im Fall der geplanten Hereinnahme der von dem Kleist-Bearbeiter Rudolf Genée gestrichenen Bärenzwingerszene in Kleists „Herrmannsschlacht“ warnte sie im Vorfeld eindringlich: Ich habe mir zwar vorgenommen in Zukunft in Theatersachen weniger ‚vorne weg zu scheppern‘, aber trotzdem würde ich es für sehr Unrecht halten Ihnen nicht zu sagen, daß ich finde, Sie steuern im Verein mit dem Herzog, in Bezug auf die Herrmannsschlacht auf die größten Unannehmlichkeiten los.50
Die Frage, die sich grundsätzlich stellt, ist hier klar und deutlich benannt: Wie viel „Vornewegscheppern“ seiner Frau duldete der Herzog in künstlerischen Fragen? Bei der Beantwortung wird man hinsichtlich der Bereiche Theater und Musik wohl zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, und dies zusätzlich auch zeitlich noch stark differenzieren müssen. Dass sie aber selbst darauf verwies, dass sie dieses in Zukunft etwas weniger tun möchte, belegt auch, dass dies kein Einzelfall von „Vornewegscheppern“ war.
2.4 Schauspielerauswahl und -führung Inwieweit die Schauspielerin mit den 13 Jahren Bühnenerfahrung konkret an Planung und Realisation der künstlerischen Produktionen beteiligt war, ließ sich bis zu den Forschungen und Veröffentlichungen von Petra Stuber allenfalls abschätzen. Wie fruchtbringend ihre Fragestellungen sind, sieht man an ihren Detailuntersuchungen zu einzelnen Inszenierungen: so zu Heinrich von Kleists „Herrmannsschlacht“ (1875), einschließlich des Gastspiels in Berlin, dem „Käthchen“ (1876) sowie zu den Aufführungen von Franz Grillparzers „Esther“ und „Ahnfrau“ und Friedrich Hebbels „Judith“ am Meininger Hoftheater.51 Dabei behandelt Petra Stuber nicht nur die Korrespondenz mit Chronegk und andern bzw. die Theaterzettel oder die Hofrechnungen, sondern analysiert, soweit vorhanden, auch die im Bestand der Meininger Museen befindlichen Rollenbücher, Soufflierbücher, Skizzen zu Bühneneinrichtung und Arrangements sowie Prospekte. Aufgrund dieses akribischen Quellenstudiums kommt sie zu frappierenden Ergebnissen, die auch das eine oder andere vermeintlich felsenfeste Meininger Prinzip nicht undiskutiert stehen lassen.
49 HELDBURG, Fünfzig Jahre Glück und Leid (wie Anm. 22), Brief Helene von Heldburg an Arthur Fitger 12. April 1891, S. 56 f. 50 ThStAM, HA 209, Helene von Heldburg an Ludwig Chronegk, undatiert. 51 Siehe auch Petra STUBERS Beitrag im vorliegenden Band.
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Erst 2009 schrieb sie zur „Herrmannsschlacht“: „Täglich gab es nun Einzelproben, zu denen Helene von Heldburg mit den Schauspielern und Schauspielerinnen die Rolle Silbe für Silbe durchging.“52 2011 hielt sie fest, dass die Freifrau die Einrichtung des Textes für die Inszenierung von Grillparzers „Esther“ übernahm, ebenso wie die Einzelproben.53 Auch zur Aufgabenverteilung bei dieser konkreten Inszenierung äußert sich Stuber und kommt zu dem Ergebnis, dass die szenische Einrichtung und die Effekte (sie spricht von einem „fotografischen Moment“ als „Schnittpunkt der sich aus der Meisterschaft des Herzogs als Maler und Zeichner auf der einen Seite und seinem Faible für Technik, Licht und Geschwindigkeit auf der anderen Seite ergab“) sowie die Kostümentwürfe in der Hand des Herzogs lagen. Währenddessen ging die unermüdliche Perfektionierung der Truppe auf ihr Konto, vom Schauspieler ausgehend, in Einzelproben.54 Vielversprechend hinsichtlich der Thematik ist ebenfalls Claudia Sandigs an der Friedrich-Schiller-Universität Jena angesiedelte „Studie zur ‚Wallenstein‘Rezeption auf dem Theater (1799–1914)“ innerhalb des DFG Projektes „Historisieren. Bedeutung und Funktion des Kulturmusters für die Rezeption von Schillers Geschichtsdramen auf dem Theater und in der Schule des 19. Jahrhunderts (2011–2015)“ (Projektleitung: Prof. Dr. Nina Birkner). In ihrem Einführungsvortrag zur Ausstellung „Schillers Piccolomini – Das Bühnenbild Bankettsaal zum 4. Akt“ im Theatermuseum „Zauberwelt der Kulisse“ am 21. Februar 2015 machte sie u. a. auf die stellenweise von zeitgenössischen Rezensenten bemängelte Texttreue bzw. -verständlichkeit aufmerksam. Auf entsprechende Nachfrage teilte sie mit, dass die Baronin auch am Probenprozess des „Wallenstein“ maßgeblich beteiligt war, Einzelunterricht erteilte und den Hauptdarsteller Josef Nesper als „Wallenstein“ mit einem „Betonungsleitfaden“ ausstattete.55
3. Resümee Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verantwortlichkeit für die Arbeit auf den Gebieten Musik und Theater als soziale Norm zweifellos in der landesherrlichen Hand des Herzogs lag und auch auf diesen bezogen wurde. In der sozialen Wirklichkeit gestaltete sich die Situation jedoch wesentlich differenzierter, und gerade in der Kombination als Gattin des Dienstherrn und etablierte 52 Petra STUBER, Doppeltes Spiel (wie Anm. 39), S. 49. 53 DIES., Seltsame Vorstellungen, Grillparzer und Hebbel am Meininger Hoftheater, in: Hebbel-Jahrbuch 66 (2011), S. 11. 54 Ebd., S. 9–14. 55 E-Mail Claudia Sandig, M. A. an die Verfasserin, 1. März 2015.
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Frau vom Fach darf der Einfluss und Anteil von Helene von Heldburg sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht keinesfalls unterschätzt werden. Eine Frau, wie die in Fragen von Arbeitsteilung und Reduktion auf männliche Autorenschaft erfahrene Cosima Wagner, dankte im September 1896 in einem Schreiben an die Jugendfreundin dem Herzog für sein Wirken bzw. die „unauslöschlichen fruchttreibenden Eindrücke“,56 um einen Brief später auch den Anteil Helene von Heldburgs an den Leistungen der „Meininger“ mit den Worten hervorzuheben: „Das für den Herzog Geschriebene war auch zur Hälfte für Sie selbst bestimmt, denn der Herzog hätte ohne Deine Unterstützung solch ein großes Unterfangen nicht auf sich nehmen können.“57 Der Tod des Herzogs im Juni 1914 bedeutete zweifelsohne einen tiefen Einschnitt, doch betonen auch die vielfältig weiter bestehenden Kontakte ihre Eigenständigkeit. Dennoch hatte sie durch den Tod des Herzogs jeglichen direkten Einfluss verloren. Als morganatische Ehefrau war sie ebenso wenig berechtigt, weiterhin im Schloss zu wohnen. Vielmehr bezog sie ihren Witwensitz, die Veste Heldburg und hielt sich abwechselnd dort, im Kaser auf der Saletalm am Königssee bei Berchtesgaden oder im Meininger Helenenstift auf. Vermutlich ordnete sie in ihrer Witwenzeit u. a. die ihr testamentarisch zugesprochenen Hinterlassenschaften des Künstlers Georg, die Künstler-Korrespondenz und seine Zeichnungen. Allerdings hielten sowohl Künstler als auch verbliebene bzw. ehemalige Angehörige von Theater und Hofkapelle – jenseits des Meininger Hofes – den Kontakt zu Helene von Heldburg aufrecht. Wie ihr im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen aufbewahrter Nachlass zeigt, befanden sich darunter u. a. Adolf von Hildebrand, Eugenie Stötzer, Richard Voß, Paul Lindau, Helene und Alfred Jachmann, Margarete von Schleinitz, Rita von Gaudecker, Karl Piening und Clara sowie Fritz Steinbach. Es bleiben vornehmlich die Schauspieler und Schauspielerinnen, die ihr auch in der Zeit bis zu ihrem Tod schreiben, so u. a. Amanda Lindner, Franz Nachbaur, Ludwig Wüllner, Josef Nesper, Ludwig Barnay, ebenso Max und Maria Grube. Zum Freundes- und Bekanntenkreis zählen auch Ernst und Walther Haeckel, Eduard Fritze, Paul und Anna Graue, Ida von Holtzendorff und Charles Waldstein.
56 Im Brief Cosima Wagner an Helene von Heldburg, 11. September 1896, heißt es: „Wenn ich in meiner bescheidenen Thätigkeit zurückblicke u. mich nach den Eindrücken befrage, welche entscheidend in meinem Leben gewesen sind, so stehen die Aufführungen in Meiningen vor meinem geistigen Auge u. ein Gefühl des Dankes erhebt sich zu Demjenigen, dem ich diese unauslöschlichen fruchttreibenden Eindrücke schulde. In der That steht dieses Meininger Theater, wie ich es zu kennen das Glück hatte, gleich einer Oase in der jetzigen Kunstwüstenei u. es ist mir immer, als ob man dem Herzog nicht genügend dafür gedankt hätte, u. lange nicht genug von ihm gelernt habe.“ GOLTZ/MÜLLER (Hg.), Königin und Täubchen (wie Anm. 4), 66. Brief. 57 Ebd., Brief Cosima Wagner an Helene von Heldburg, 23. September 1896, 67. Brief.
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Neben der beschriebenen gemeinsamen Arbeit verfolgte sie auch unabhängig eigene Projekte. Von ihren Interessen berichtet etwa der Bestand ihrer Bibliothek, welcher u. a. Bücher zu verschiedensten Themen, Musikalien und Prachtausgaben von Homers „Odyssee“ und William Shakespeares „Sommernachtstraum“ angehörten.58 Ende der 1870er Jahre realisierte sie beispielsweise die wenige Monate nach dem 70. Geburtstag der Mutter erfolgte Herausgabe eines Gedichtbandes mit 100 Werken von Sarah Franz,59 die sie wohl mit einer lobenden Einschätzung des britischen Historikers und Dichters Thomas Macaulay sowie mit der kritischen Unterstützung des Musikschriftstellers George Grove vorbereitete.60 Als Partnerin auf Augenhöhe hat Helene von Heldburg in verschiedenster Weise auf das Meininger Kunst- und Kulturleben eingewirkt und es ist nicht nur im Hinblick auf diese bemerkenswerte Frau, sondern generell für die Meininger Kulturgeschichte lohnend, sich noch intensiver mit ihrem Wirken auseinanderzusetzen.
58 ThStAM, Hofmarschallamt, Nr. 729, Taxation der Bibliothek der Freifrau von Heldburg. 59 Das Buch erschien 1878 unter dem Titel „Wild Flowers“ bei Macmillan & Cie in London. 60 Am 20. November 1878 schrieb George Grove an Helene von Heldburg: „I read the poems before I read Macaulay’s letter, and – if I may say so without presumption – fully endorse what he says about them. They are full of poetic spirit and feeling, of goodness and true tenderness and of a certain soft simplicity and naturalness which are irrepressibly charming when compared with the fantastic and exaggerated stuff which now takes current too often as poetry. On the other hand I ought not - writing in perfect goodness – to conceal from you that in form they are passés and in execution often imperfect and that I should be wrong if I led you to believe that they would have any remunerative role – on this point I have consulted one of the members of the firm who quite agrees with me – In fact it would be hardly right to put them in competition with the ordinary works of the day.“ ThStAM, HA 82.
GERHARD MÜLLER VERFASSUNG UND POLITISCHE KULTUR
Verfassung und politische Kultur im Frühkonstitutionalismus Das Beispiel Sachsen-Meiningen
Ihren Anfang nahm die konstitutionelle Monarchie im Herzogtum SachsenMeiningen mit dem „Grundgesetz über die Landschaftliche Verfassung des Herzogthums Sachsen-Coburg-Meiningen“1 vom 4. September 1824. Damit folgte man dem Trend zur Konstitutionalisierung, der in den Ernestinischen Staaten mit dem „Grundgesetz einer Landständischen Verfassung für das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach“ vom 5. Mai 18162 eingeleitet worden war. Vor Sachsen-Meiningen hatten außerdem bereits SachsenHildburghausen (1818) und Sachsen-Coburg-Saalfeld (1821) eine Konstitution erhalten.3 Das weimarische Grundgesetz war noch ein politisches Experiment gewesen, mit dem versucht werden sollte, den Artikel XIII der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 als Hebel zur liberal-konstitutionellen Ausgestaltung der deutschen Bundesstaaten einzusetzen. Denn dort war ohne nähere Erläuterung bestimmt worden, dass „[i]n allen Bundesstaaten […] eine landständische Verfassung stattfinden“ werde.4 Das Meininger Grundgesetz hingegen fiel bereits in eine Zeit, in der diese Bestrebungen durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 illusionär geworden waren. Die Wiener Ministerkonferenzen von 1820 schließlich hatten den Gestaltungsrahmen für einzelstaatliche Verfassungen durch das Primat des „monarchischen Prinzips“ strikt eingegrenzt. Das Meininger Grundgesetz von 1824 konnte mithin keine aufsehenerregende politische Innovation mehr darstellen. Ähnlich wie das weimarische Grundgesetz enthielt es eigentlich nur ein Parlamentsstatut, das Rechte, Struktur und Zusammen1
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Verordnung, die Bekanntmachung des Grundgesetzes über die Landschaftliche Verfassung des Herzogthums Sachsen-Coburg-Meiningen betr., vom 24. September 1824, in: Michael KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute, Berlin-Heidelberg 2015, S. 672–685. Grundgesetz über die Landständische Verfassung des Großherzogthums SachsenWeimar-Eisenach vom 5. Mai 1816, in: ebd., S. 811–832. Grundgesetz der landschaftlichen Verfassung des Fürstenthums Hildburghausen vom 18. März 1818; Gesetz, die ständische Verfassung des Herzogthums Coburg-Saalfeld betreffend, vom 8. August 1821, in: ebd., S. 597–616, 658–672. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1818, Anhang, Nr. 23, Deutsche Bundesakte vom 15. Juni 1815, S. 143–155, hier S. 150.
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setzung des Landtags sowie das Wahlrecht regelte. Bis hin zur wörtlichen Übernahme einzelner Bestimmungen folgte es dem Weimarer Vorbild. Es ersetzte die alten Ständevertretungen durch einen gewählten Landtag für das gesamte Herzogtum, der aus Vertretern der Rittergutsbesitzer, Städtebürger und Bauern zusammengesetzt war. Wie in Sachsen-Weimar-Eisenach wählten die Ritter direkt, die Bürger und Bauern indirekt durch Wahlmänner. Ebenso hatte der Landtag das Recht zur Kontrolle der Etats, zur Bewilligung der Steuern und zur Mitwirkung an der Landesgesetzgebung. Bürgerliche Grundrechte, wie sie 1816 in Weimar mit der Pressefreiheit und dem Recht auf eine unabhängige Gerichtsbarkeit in drei Instanzen zumindest ansatzweise eingeführt worden waren, versuchte man in Meiningen gar nicht erst aufzunehmen. Schon bei Verkündung des Grundgesetzes war abzusehen, dass die bevorstehende Neukonfiguration des Territorialbestandes der jüngeren Ernestiner es schon bald obsolet machen würde. Dieser Fall trat ein, als das Herzogshaus von Sachsen-Gotha und Altenburg 1825 ausstarb und die verbleibenden ernestinischen Speziallinien ihre territorialen Verhältnisse mit dem Hauptsukzessionsvertrag vom 12. November 18265 neu regelten. Aus Sachsen-Coburg-Meiningen wurde nun SachsenMeiningen, ein Staat mit einem völlig neuen Zuschnitt. Das Territorium des Herzogtums vergrößerte sich erheblich (von bisher ca. 970 km2 mit 55.000 Einwohnern auf ca. 2.400 km2 mit 134.000 Einwohnern),6 indem das bisherige Herzogtum Sachsen-Hildburghausen mit Ausnahme der Ämter Königsberg und Sonnefeld, das bisher Coburg-Saalfelder Gebiet mit den Ämtern Saalfeld, Gräfenthal und Themar und die Ämter Camburg und Kranichfeld sowie ein Drittel des Amtes Römhild aus dem ehemaligen Sachsen-Gotha und Altenburg angegliedert wurden. Da in Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Coburg-Saalfeld bereits neue Grundgesetze eingeführt worden waren, in den vormals gothaaltenburgischen Gebieten hingegen noch altständische Verhältnisse bestanden, wurde ein Grundgesetz, das diese weit verstreuten Territorien Sachsen-Meiningens zu einer staatlichen Einheit zusammenfasste, unabdingbar. Im Unterschied zum Grundgesetz von 1824 war die neue „vereinigte landschaftliche Verfassung“7 vom 23. August 1829 eine Vollverfassung. Das von dem Jenaer Rechtswissenschaftler Karl Ernst Schmid ausgearbeitete Grundgesetz8 definierte in seinem ersten Titel das Herzogtum als einheitlichen Staat, 5 6 7
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Vgl. Hermann SCHULZE (Hg.), Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, Bd. 3, Jena 1883, S. 34–36. Vgl. KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden (wie Anm. 1), S. 22. Grundgesetz für die vereinigte landschaftliche Verfassung des Herzogtums Sachsen Meiningen, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogtum S. Meiningen (im Folgenden: Gesetzsammlung Sachsen-Meiningen), Nr. 13 (1829), S. 139–174, sowie in: KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden (wie Anm. 1), S. 685–726. Vgl. Reinhard JONSCHER, Thüringische Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert – ein Abriß, in: Harald MITTELSDORF (Red.), Thüringische Verfassungsgeschichte im 19. und
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dessen Herzog gemäß dem „monarchischen Prinzip“ alle Zweige der obersten Staatsgewalt in sich vereinigte. Für die Rechtsverhältnisse des Herzogshauses besaßen nach wie vor die Verträge und Observanzen des Herzoglichen, Großherzoglichen und Königlich Sächsischen Gesamthauses subsidiarische Gültigkeit. Der zweite Titel definierte „allgemeine Rechte und Pflichten der Untertanen“. Hierbei handelte es sich nicht um einen Grundrechtekatalog im heutigen Verständnis. Immerhin waren den Meiningern aber einige wichtige Rechte garantiert wie zum Beispiel das Recht, nicht an andere Staaten ausgeliefert zu werden, der Anspruch auf Gestattung von Gewerbeberechtigungen, der Anspruch auf Versorgung bei Unterhaltslosigkeit, der vorrangig durch die Angehörigen und die Gemeinden, subsidiär aber durch den Staat zu gewährleisten war, das Recht auf Auswanderung, die Gleichberechtigung der christlichen Konfessionen sowie das Recht, als Zeuge oder Gerichtsmann aufzutreten und an den Landtagswahlen teilzunehmen. Die jüdische Religion war von dem Recht auf Religionsfreiheit insofern ausgenommen, als ihre Verhältnisse besonderen Gesetzen unterworfen wurden. Dabei ist aber vorauszusetzen, dass bereits 1814 in Meiningen eine außerordentlich liberale Judengesetzgebung eingeführt worden war,9 die Verfassung mithin auf schon bestehendes Recht Bezug nahm. Der dritte und vierte Titel definierten die Grundsätze des Rechts der Gemeinden und Kooperationen sowie der Kirchen und milden Stiftungen im Herzogtum. Hervorzuheben ist hier besonders der Art. 28, der den Untertanen das Recht gewährte, „zu Zwecken, welche an sich nicht gesetzwidrig sind, Gesellschaften zu stiften“. Erstmals wurde damit die Vereinsfreiheit verfassungsmäßig garantiert. Juristische Persönlichkeitsrechte sollten derartige Gesellschaften allerdings nur mit Genehmigung des Staates erlangen dürfen. Ein außerordentlich ausführlicher Titel des Grundgesetzes beschäftigte sich mit dem Staatsvermögen sowie den Kammer- und Schatullgütern. Ähnlich wie das in Sachsen-Weimar-Eisenach erlassene „Gesetz über die Bedeutung des Kammervermögens im Staatshaushalt des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach“ vom 17. April 182110 schrieb auch das Meininger Grundgesetz die Separierung von Landschafts- und Kammervermögen fest. Erst in seinem sechsten Titel behandelte das Grundgesetz von 1829 Landesvertretung und Wahlrecht. Im Wesentlichen übernahm es jedoch die Bestimmungen des Grundgesetzes von 1824. Die abschließenden allgemeinen Bestimmungen enthielten u. a. den Grundsatz der Kontrasignatur und 20. Jahrhundert (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, 3), hg. vom Thüringer Landtag, Jena 1993, S. 18. 9 Vgl. Gabriele OLBRISCH, Landrabbinate in Thüringen 1811–1871. Jüdische Schul- und Kulturreform unter staatlicher Regie (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 9), Köln/Weimar/Wien 2003. 10 Großherzogl. S. Weimar-Eisenach’sches Regierungs-Blatt auf das Jahr 1821, Nr. 20 vom 18. Mai 1821, S. 493–495.
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der Unabhängigkeit der Rechtspflege. Damit schritt die „vereinigte landschaftliche Verfassung“ den Rahmen des übergeordneten Bundesverfassungsrechts, wie er nach den Karlsbader Beschlüssen und den Wiener Ministerkonferenzen gegeben war, voll aus. Indem sie außer dem Rechtsstaatsprinzip erstmals auch wirtschaftliche und soziale Rechte der Untertanen garantierte, ging sie weit über die anderen thüringischen Staaten hinaus. In der Literatur wird sie daher mit Recht als eine der liberalsten Verfassungen des vormärzlichen Deutschen Bundes11 gewürdigt. Ebenso wie in anderen thüringischen Staaten wurde in der Revolution von 1848/49 auch in Sachsen-Meiningen ein demokratisches Landtagswahlrecht eingeführt,12 und ebenso musste man es auch hier nach dem Scheitern der Revolution durch die Übernahme restriktiver Bundesbeschlüsse der Reaktionsjahre wieder außer Kraft setzen und ein Klassenwahlrecht einführen.13 Das Grundgesetz von 1829 blieb aber weiterhin gültig und bestand bis zum Ende der Monarchie 1918. Es konnte mithin einen gestaltbaren Rahmen für die liberale Politik abgeben, die Herzog Georg II. nach seiner Regentschaftsübernahme am 20. September 1866 praktizierte. Das erste verfassungsrechtlich relevante Gesetz, das Georg II. außer den zur Übernahme der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes erforderlichen Gesetzen erließ, war das Gesetz über die Presse vom 8. Juni 1867.14 Dieses Gesetz antizipierte im Wesentlichen bereits die Regelungen des 1874 für das gesamte deutsche Kaiserreich erlassenen Pressegesetzes. Es hob die reaktionären Bundes-Pressegesetze von 1854 auf und unterwarf das Pressewesen lediglich dem allgemeinen Strafrecht. Speziell sollten darüber hinaus lediglich die Beleidigung fürstlicher Personen, die Herabwürdigung der Heiligkeit von Religion, Ehe und Familie, die Verherrlichung von Straftaten, Pornographie u. Ä. verpönt sein. In den folgenden Jahren wurden auch die Geschäftsordnung des Landtags und das Landtagswahlrecht reformiert.15 Das meiningische Landtagswahlrecht blieb zwar ein Klassenwahlrecht insofern, als weiterhin je vier Abgeordnete der 11 Vgl. Peter Michael EHRLE, Volksvertretung im Vormärz. Studien zur Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld zwischen monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation, Frankfurt/M. 1979, S. 140. 12 Vgl. Gesetz, die Wahl der Landtagsabgeordneten für das Herzogthum S. Meiningen betreffend, vom 3. Juni 1848, in: KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden (wie Anm. 1), S. 706–726. 13 Vgl. Gesetz über die Wahl der Landtagsabgeordneten für das Herzogthum vom 25. Juni 1853, in: ebd., S. 726–735. 14 Vgl. Gesetzsammlung Sachsen-Meiningen, 1865–1867, S. 357–359. 15 Vgl. Gesetz, die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag betreffend, vom 23. April 1868, sowie Gesetz über die Wahl der Landtags-Abgeordneten vom 24. April 1873, in: KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden (wie Anm. 1), S. 735– 736, 745–748.
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Großgrundbesitzer und der Höchstbesteuerten gewählt wurden, denen 16 Abgeordnete gegenüberstanden, die aus allgemeinen Wahlen hervorgingen. Wesentlich aber war, dass es sich nunmehr um ein allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht handelte und nicht, wie in Preußen oder auch in einigen thüringischen Nachbarstaaten, um ein indirektes Wahlverfahren. Die Wahlen sollten zwar öffentlich sein, doch waren die Wahlscheine außerhalb des Wahllokals auszufüllen und dann in einem verschlossenen Umschlag verdeckt einzuwerfen. Es waren mithin nur wenige gesetzgeberische Aktivitäten erforderlich, um auf der bestehenden Grundlage des liberalen Grundgesetzes von 1829 eine Verfassungsrechtskonfiguration herzustellen, die nur noch teilweise, etwa durch das Wahlrechtsprivileg der Höchstbesteuerten, eingeschränkt war. Zwar blieb Sachsen-Meiningen eine konstitutionelle Monarchie, in der die Regierungen nicht vom Parlament, sondern vom Monarchen eingesetzt wurden und letztlich immer der Regent am längeren Hebel saß. Betrachtet man jedoch die nachfolgende Entwicklung bis zum Ende des deutschen Kaiserreichs, so fällt auf, dass die verfassungsrechtliche Konfiguration des deutschen Konstitutionalismus in Sachsen-Meiningen unter Georg II. einen dauerhaften und krisenfreien Bestand hatte, dass es im Verhältnis zwischen Regierung und Landtag kaum Konflikte gab und dass die konstitutionellen Mitwirkungsrechte nicht, wie in den Reußischen Fürstentümern, durch weitere Partizipationseinschränkungen oder, wie in Sachsen-Weimar-Eisenach durch das Wahlrecht von 1909,16 in einem konservativ-neoständischen Sinne zurückgeschraubt wurden. Das historische Verdienst von Georgs fast fünfzigjähriger Regentschaft bestand vor allem darin, diese verfassungspolitische Liberalität bewahrt und aufrechterhalten zu haben. SachsenMeiningen wurde damit ein Musterbeispiel für die politische Kultur des Frühkonstitutionalismus, eines Systems, das von seinen Grundprinzipien her auf konsensuales Handeln von Parlament und Regent angelegt war und nur funktionieren konnte, wenn beide Partner tolerant blieben und die Kunst des Kompromisses beherrschten. Georg II. hatte diese Grundsätze wie kaum ein anderer deutscher Reichsfürst seiner Zeit verinnerlicht und machte sie zur Richtschnur seines fürstlichen Selbstverständnisses. Leider ist es nicht möglich, Georgs konstitutionelle Praxis hier ausführlich darzustellen. Lediglich ein Beispiel soll an diesem Ort gleichsam stellvertretend für alle anderen erörtert werden: Georgs Handeln in der Domänenfrage.17 Wie in den anderen thüringischen Staaten war es auch in Sachsen-Meiningen lange heftig umstritten, ob die herzoglichen Kammergüter und Domänen als 16 Vgl. Regierungsblatt für das Großherzogtum Sachsen, Landtagswahlgesetz vom 10. April 1909, Nr. 10, 23. April 1909, S. 53–68. 17 Vgl. Ronald HOFFMANN, Die Domänenfrage in Thüringen. Über die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen mit den ehemaligen Landesherren in Thüringen nach dem Ersten Weltkrieg (Rechtshistorische Reihe, 334), Frankfurt/M. u. a. 2006.
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lediglich zweckgebundenes, zur Bestreitung des Unterhalts der fürstlichen Personen und der Regierungsaufgaben bestimmtes Eigentum des herzoglichen Hauses oder aber als Staatsbesitz anzusehen seien. Für ein Land wie SachsenMeiningen besaß diese Frage größte Bedeutung, war doch sein Territorium von insgesamt 2.468 km2 zur Hälfte von Wald bedeckt, und der Umfang des Domänenwaldes betrug über 45.000 ha, also über ein Drittel der gesamten Waldfläche des Landes, während nur ca. 1.500 ha des Domänenlandes auf andere Nutzflächenarten entfielen. Das Grundgesetz von 1829 hatte die Domänen noch uneingeschränkt als herzoglichen Besitz definiert, doch vermochte der Landtag in der Folgezeit eine zumindest teilweise Staatsbindung des Domänenvermögens durchzusetzen. Die Revolution von 1848 brachte den Umschlag ins andere Extrem: die Domänen wurden verstaatlicht und das herzogliche Haus auf eine Zivilliste gesetzt. Herzog Bernhard und Erbprinz Georg weigerten sich aber nach dem Ende der Revolution, diese Reglung weiterhin anzuerkennen. Mit dem Gesetz vom 3. Juni 1854, das mit nur 24 gegen 23 Stimmen gerade noch durch den Landtag gebracht worden war, wurden die Domänen, ähnlich wie in mehreren anderen thüringischen Staaten, wieder zum Eigentum des herzoglichen Hauses erklärt. Sie erhielten den Status eines Familienfideikommisses des sachsengothaischen Gesamthauses mit dem Zweck, den Unterhalt des herzoglichen Hauses zu finanzieren. Lediglich Überschüsse, sofern sie vorhanden waren, sollten auch zur Finanzierung der Landesverwaltung verwendet werden. Doch nur wenige Jahre später regten sich die Verstaatlichungsbefürworter aufs Neue, und es kam zu dem bekannten wissenschaftlichen Streit über die Meininger Domänenfrage18, der die prominentesten Rechtsgelehrten der Zeit beschäftigte und eine ganze Bibliothek juristischer Gutachten und Streitschriften erzeugte. Da der Druck des Landtags auf eine Revision des Gesetzes von 1854 nicht nachließ, aber beide Seiten durchaus triftige Rechtsgründe anzuführen vermochten, rief man das Oberappellationsgericht in Dresden als Schiedsgericht an. Nach 13-jähriger Prozessführung spielte dieses jedoch den Ball im November 1867 wieder an die Politik zurück, indem es empfahl, das Problem durch einen Vergleich zu lösen. Dabei sei, so empfahl das Gericht, der Schwerpunkt nicht auf die Eigentumsfrage, sondern auf die Verpflichtung des Domänenvermögens zu legen, sowohl den Bedarf des herzoglichen Hauses und Hofs sicherzustellen, als auch zur Staatsfinanzierung beizutragen.19 Ein daraufhin vorgelegter Gesetzentwurf, der dem Land ein Fünftel der Domänen als Eigentum zugestehen wollte und ansonsten auf das Gesetz von 1854 zurückgriff, erschien dem Landtag 18 Vgl. Hannelore SCHNEIDER, Der Domänenstreit in Sachsen-Meiningen, in: Michael GOCKEL/Volker WAHL (Hg.), Thüringische Forschungen. Festschrift für Hans Eberhardt zum 85. Geburtstag am 25. September 1993, Weimar/Köln/Wien 1993, S. 429– 450, hier 438–440. 19 Vgl. ebd., S. 439.
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unannehmbar und wurde wieder zurückgezogen. Erst ein weiterer, 1871 verkündeter Kompromissvorschlag des Oberappellationsgerichts wurde zur Grundlage eines Regierungsentwurfs, über den Georg II. mit dem Landtag übereinkommen konnte. Das neue Gesetz vom 20. Juli 187120 nahm keine Realteilung mehr vor und ließ die Eigentumsfrage offen. Es schrieb aber grundsätzlich fest, dass das gesamte Domänenvermögen außer zum Unterhalt für das herzogliche Haus auch zur Deckung der Staatsbedürfnisse beizutragen habe. Die Verwaltung der Domänen und ihrer Kassen wurde einer staatlichen Behörde unter Leitung des Staatsministeriums unterstellt. Dem Herzog wurde eine jährliche Rente von 230.000 Gulden (= 394.286 Mark) zugesprochen. Davon waren der Unterhalt des herzoglichen Hauses und Hofes sowie die Apanagen und die Wittümer zu bestreiten. Der verbleibende Überschuss wurde zwischen Herzog und Staatskasse in zwei gleiche Teile geteilt. Erst wenn das Haus Sachsen-Meiningen der Regierung entsagen würde, so die salomonische Bestimmung des Gesetzes, sollte eine Realteilung erfolgen, wobei drei Fünftel des Domänenvermögens als Privateigentum an das Herzogshaus und der Rest an den Staat fallen sollten. Damit wurde der Streit um die Domänen zwar bis zum Ende der Monarchie 1918 nicht geklärt, aber doch dauerhaft auf Eis gelegt, wenn man von einigen späteren Vorstößen absieht, die Georg II. zurückwies. Hannelore Schneider, die den Meininger Domänenstreit untersucht hat, ist der Meinung, dass das oft gefeierte historische Verdienst Georgs II., den Domänenstreit beigelegt zu haben, eine Überbewertung darstellt. Dies ist sicherlich auch richtig, wenn man die Domänenfrage für sich allein und unabhängig von der Gesamtsituation betrachtet, denn andere Staaten, wie z. B. Sachsen-Altenburg,21 gingen eindeutig weiter und nahmen eine Realteilung des Domänenvermögens vor. Sieht man das Problem jedoch aus der verfassungspolitischen Perspektive, so zeigt sich, wie außerordentlich weitsichtig der von Georg II. vorgeschlagene Kompromiss war. Mit ihm konnten beide Seiten leben, ohne das Gesicht zu verlieren, er ermöglichte es ihnen, das fragile System des Konstitutionalismus in Sachsen-Meiningen über Jahrzehnte hinweg stabil zu halten. In anderen thüringischen Staaten hingegen (z. B. in Sachsen-Gotha oder Schwarzburg-Rudolstadt) bildete das Domänenproblem weiterhin ein virulentes Konfliktfeld, das das Miteinander von Landtagen und Regenten zeitweise schwer belastete und so das konsensuale Funktionieren des konstitutionellen Systems erschwerte oder gar lahmlegte.
20 Gesetz über das Domänenvermögen vom 20. Juli 1871, in: KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden (wie Anm. 1), S. 736–744. 21 Vgl. Gesetz, die definitive Regulierung der Rechtsverhältnisse am Domänenvermögen betreffend, vom 29. April 1874, in: KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden (wie Anm. 1), S. 541–576.
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Zwischen provinzieller Befindlichkeit und Reichspolitik Georg II. und das herzogliche Haus im Spiegel der preußischen Gesandtenberichte über den Meininger Hof
Im folgenden Beitrag soll der Blick von außen auf den Hof und das Herzogtum Sachsen-Meiningen gerichtet werden, für den die im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin überlieferten Akten über Sachsen-Meiningen eine geeignete Quellenbasis bieten. Sie umfassen im Wesentlichen die Berichte der in Weimar lebenden, recht häufig wechselnden preußischen Gesandten für die thüringischen Staaten, die daraufhin eventuell erfolgten Reaktionen im Auswärtigen Amt sowie in anderen Ministerien und Berichte weiterer diplomatischer Niederlassungen innerhalb und außerhalb des Deutschen Reiches über die herzogliche Familie. Zu diesen Berichten gibt es noch eine interessante Ergänzung: Der in Weimar von 1894 bis 1897 tätige Gesandte Ludwig Raschdau hat seine tagebuchartigen Aufzeichnungen aus dieser Zeit 1939 veröffentlicht. Er war wegen seiner persönlichen Feindschaft mit dem von dem Journalisten Maximilian Harden als ‚Graue Eminenz des Auswärtigen Amtes‘ bezeichneten Friedrich von Holstein auf diese unbeliebte Stelle abgeschoben worden und hielt den Posten für wenig anspruchsvoll. Entsprechend schätzte er die Qualifikation seiner Vorgänger nicht allzu hoch ein, was man aber sicher nicht unwidersprochen hinnehmen kann. Es handelte sich wohl eher um eine Stelle, die gerne an Anfänger im diplomatischen Dienst vergeben wurde, damit sie erste Erfahrungen erwerben konnten. Vielen von ihnen war später eine steile Karriere vergönnt: Botschafter in Paris, Lissabon, Wien, es finden sich unter ihnen auch hohe Beamte im Auswärtigen Amt. Die ersten 13 Jahre von Georgs Regierungstätigkeit fehlen allerdings völlig. Der früheste Bericht an den Außenminister stammt aus dem Jahre 1879. Er führt uns in die Zeit des Politikwechsels Bismarcks mit der Abkehr von der liberalen Freihandelspolitik zu einer Politik der Schutzzölle, die die meisten nach Deutschland importierten Waren verteuerte und der deutschen Schwerindustrie aus der Krise helfen sollte, womit der Kanzler aber ebenfalls den Interessen der Großagrarier nachkam. Damit wurde auch die im Herzogtum verbreitete liberale Strömung unerwünscht und unter Beobachtung gestellt.
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Anfang April 18791 berichtete der Gesandte Friedrich Graf zu LimburgStirum2 über einen Besuch bei Herzog Georg aus Anlass dessen am 2. April stattfindenden Geburtstags, der aber auch aufklären sollte, was die Meininger Regierung gegen den Landrat Karl Baumbach (1844–1896)3 in Sonneberg unternommen hatte. Baumbach war in das Blickfeld der Reichspolitik geraten, weil er anlässlich der Wahlagitation für die letzten Reichstagswahlen seinem Freund Eduard Lasker, einem führenden Politiker der Nationalliberalen Partei, Quartier geboten hatte. Georg erklärte, er habe dem Landrat einen Verweis erteilt und ihn angewiesen, künftig während der Dauer der Wahlagitation Urlaub zu nehmen. Die liberalen Politiker würden aber im Sonneberger Wahlkreis ohnehin wieder gewählt werden. Baumbach hatte übrigens als liberaler Politiker von 1880–1893 selbst ein entsprechendes Reichstagsmandat inne.4 Der Gesandte zeigte ein gewisses Verständnis für die dortige Bevölkerung, die sich nicht für den Schutz der nationalen Produktion interessiere, weil sie von der Erzeugung billiger Holzspielwaren lebe und billiges Holz brauche. Er wäre aber sicher nicht erfreut gewesen, wenn er die folgende Randbemerkung des Herzogs zum Problem Baumbach vom 26. Oktober 1881, notiert nach einer Besprechung mit dem preußischen Gesandten, gelesen hätte: Ich halte es für ungesetzlich, den Staatsbeamten die Rechte, welche ihnen als Staatsbürgern zustehen, zu beschränken. Wenn der Reichskanzler verlangt, daß Staatsbeamte bei Wahlen zum Reichstag nicht in oppositioneller Richtung thätig sein dürfen, sollte er, um dies Verlangen zu legalisieren, einen Gesetzentwurf einbringen, der den Staatsbeamten verbietet, sich an den Wahlen zu betheiligen und sich wählen zu lassen.5
Der nächste Gesandte in Weimar, Hugo Graf (später Fürst) von Radolin (1841– 1914), berichtete zunächst über die Beisetzung Herzog Bernhards II. Auf Befehl des vom Tode seines Vaters tief ergriffenen regierenden Herzogs seien dem Verstorbenen alle Ehren wie bei noch regierenden Herren erwiesen worden, alle deutschen Höfe seien in Meiningen durch akkreditierte Gesandte oder besondere Abgesandte vertreten gewesen.
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Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337. 1875–1880 preußischer Gesandter in Weimar. Vgl. Alexander VON SIEBOLD, Die Tagebücher, Teil C: Anmerkungen und Register, hg. von Vera SCHMIDT (Acta Sieboldiana, Teil 7, Veröffentlichungen des Ostasien-Instituts der Ruhr-Universität Bochum, 33), Wiesbaden 1999, S. 88. Vgl. Bernd HAUNFELDER, Die liberalen Abgeordneten des Deutschen Reichstags 1871– 1918. Biographisches Handbuch, Münster 2004. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337. Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Staatsminister und Abt. des herzoglichen Hauses u. des Äußeren, Nr. 60, Blatt 1.
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Ludwig Raschdau äußerte sich in seinen Erinnerungen wenig schmeichelhaft über seinen Vorvorgänger: Hier in Weimar […] war er wegen seiner guten gesellschaftlichen Formen beliebt, und dem Großherzog gefiel seine ans Slawische streifende Unterwürfigkeit. Er hat ihn jetzt nach der Wartburg eingeladen. Im übrigen aber ist hier alles über die mäßigen geistigen Eigenschaften Radolins einig, auch seine guten Freunde.6
Im Jahre 1884 kritisierte Radolin anhand von Artikeln der Weimarischen Zeitung das Wahlergebnis im zweiten Meininger Wahlkreis (Saalfeld-Sonneberg). Dort hatte die aus der Liberalen Vereinigung und der Deutschen Fortschrittspartei hervorgegangene Freisinnige Partei viele Stimmen an die Sozialdemokraten verloren, sodass eine Stichwahl erforderlich wurde. Der Wahlkampf sei nur gegen Bismarck und mit der Hoffnung auf eine Thronbesteigung des Kronprinzen Friedrich ausgerichtet gewesen. Man bedauerte das schlechte Abschneiden der Nationalliberalen, von denen man sich ein gemeinsames Agieren mit den Konservativen gewünscht hätte. Der Außenminister forderte daraufhin einen vertraulichen Bericht von Radolin, denn die preußischen Behörden beklagten sich darüber, daß Seitens der Meiningischen Behörden das Socialistengesetz in laxer Weise gehandhabt, daß insbesondere der Wahlagitation der Socialisten daselbst in keiner Weise vorgebeugt würde. Es nähme dies freilich hier nicht Wunder, denn es sei bekannt, daß die dortigen Beamten hoch und niedrig – oppositionell seien.
Man wolle wissen, „was denn in Meiningen wirklich vor sich gehe, da ev. die Ausführung des genannten Reichsgesetzes durch Einschreiten des Kaisers gesichert werden müsse“.7 Die dortigen Beamten seien, auch wenn sie sich als nationalliberal bezeichneten, doch fortschrittlich in ihrer Tendenz. Dies habe seinen Grund in der Tatsache, dass die Beamten aufgrund ihrer niedrigen Besoldung auf das Nebeneinkommen aus Verwaltungsratsstellen an der Werra-Eisenbahn und bei den in Meiningen bestehenden Bankinstituten angewiesenen seien und damit in Abhängigkeit zu Leuten treten, die anerkannt fortschrittlich gesinnt sind und nicht wenig Anhang im Lande haben. Hierzu kommt noch, daß der leitende Staatsminister [Giseke], wenn auch selbst gemäßigt in seinen Ansichten, mit zu wenig Autorität den Ausschreitungen seiner Untergebenen entgegen zu treten scheint. Ein bedauerlicher Einfluß
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Ludwig RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter. Ein Buch der Erinnerungen an Deutsche Fürstenhöfe 1894–1897, Berlin 1939, S. 22. Aus Raschdaus Worten kann natürlich auch Neid sprechen, denn Radolin wurde später Botschafter in Paris – eine durchaus anspruchsvolle Stelle. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, undatierte Weisung, dort auch das vorherige Zitat.
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in Meiningen ist, wie ich höre, der des Theaterintendanten Chronegk,8 der bei einem mäßigen moralischen und politischen Ruf aus einem früheren Comiker bei der Liebhaberei des Herzogs für das Theater Vertrauensmann desselben geworden ist und nicht wenig dazu beitragen soll im Lande politisch nachtheilig zu wirken, jedenfalls aber dem Hofe schadet und bei seiner Stellung an demselben ein schlechtes Beispiel nach unten giebt.9
In den Jahren 1884 und 1886 wurde lediglich von verschiedenen Gesandtschaften über Reisen des Erbprinzenpaares berichtet, die es teils gemeinsam, teils getrennt unternahm. Hier ging es darum, im Vorfeld der Reise einen standesgemäßen Empfang, eine entsprechende Unterbringung und eine militärische Begleitung der hohen Herrschaften zu gewährleisten. Über den angemessenen Empfang und die Behandlung während des Aufenthalts wurde dann ebenfalls Bericht erstattet, wobei natürlich die Tatsache, dass die Erbprinzessin die Schwester des deutschen Kaisers war, bei der Beurteilung dieser Frage eine wichtige Rolle spielte. 1888 beklagte der nunmehrige Gesandte Eduard von Derenthall (1835– 1919)10 die bedenkliche Zunahme sozialdemokratischer Stimmen bei den Ergänzungswahlen für die Stadtverordnetenversammlung am 14. September in Sonneberg.11 Von sieben neu zu wählenden Stadtverordneten seien fünf sozialdemokratische Kandidaten gewählt worden. Die lokale Organisation der Sozialdemokraten, die namentlich auch in den großen industriereichen Dörfern der Nachbarschaft sehr viele Anhänger habe, solle in Sonneberg eine ausgezeichnete sein. „Ob die Herzogliche Regierung in Meiningen den Ernst des jetzigen Vorgangs zu würdigen weiß, vermag ich nicht zu beurtheilen“. Am Rand findet sich die Bemerkung von der Hand des Kaisers: „Baumbach!“ – Ein Hinweis auf den bereits unangenehm aufgefallenen Sonneberger Landrat und nunmehrigen Reichstagsabgeordneten der Liberalen. Mehrfach wurde nach Berlin über personelle Veränderungen innerhalb des Staatsministeriums berichtet, so nach dem Tode des Staatsrats Friedrich von Uttenhoven im Mai 1889 oder nach dem Ausscheiden des Staatsministers Giseke, der sich 1890 aus gesundheitlichen Gründen pensionieren ließ. Dessen Nachfolger wurde Friedrich Heim, der wiederum im April 1890 das Auswärtige Amt darüber informierte, dass Georg und Helene mit Prinz Ernst eine Reise nach Pera (heute Stadtteil von Istanbul) über Athen unternahmen. Der Herzog reise inkognito unter dem Namen eines Barons von Ravenstein. Georg und 8
Auf Ludwig Chronegk (1837–1891) soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, dies bleibt anderen Beiträgen dieses Bandes vorbehalten. 9 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, Bericht vom 8. April 1884. 10 Eduard von Derenthall wurde später Gesandter in Lissabon und Stuttgart, wechselte 1900 ins Auswärtige Amt. 11 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, Bericht vom 24. September 1888 an den Reichskanzler.
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Ernst seien als Gäste des Sultans Abdülhamid II. mit allen Ehren und äußerstem Wohlwollen empfangen und auch mit hohen Orden dekoriert worden, der Sultan wiederum erhielt das Großkreuz des Ernestinischen Hausordens. Der Osmanenherrscher habe großen Gefallen an der Unterhaltung mit Georg gezeigt und Musikstücke der besten Kräfte der kaiserlichen Kapelle aufführen lassen.12 Auf dem Rückweg geriet der Herzog allerdings bei der Durchreise durch Bulgarien mit dem Orientexpress in diplomatische Schwierigkeiten, als ihm im Namen des von Deutschland noch nicht anerkannten Fürsten Ferdinand aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha militärische Begleitung angetragen wurde. In Philippopel (heute Plowdiw) begrüßte ihn im Namen des Fürsten der Obersthofmarschall, Graf Forbas, gemeinsam mit einem für den Herzog abkommandierten Flügeladjutanten. Als der Herzog mit Hinweis auf sein striktes Inkognito dankend ablehnte, wies der Hofmarschall darauf hin, dass kürzlich ein italienischer Prinz trotz Inkognito diese Begleitung angenommen habe. Daraufhin erklärte Georg dem Grafen, dass er durch ein solches Entgegenkommen keinen Entscheidungen der Reichsbehörden vorgreifen und sich gegenüber Berlin nicht in eine schlechte Lage bringen wolle. Infolge dessen blieb der Flügeladjutant in Philippopel zurück, worüber der Oberhofmarschall „desappointirt“ war. Auch in Sofia wurde der Herzog im Namen der Regierung empfangen und betonte wiederum sein Inkognito. Georg war bereits durch Botschafter von Radowitz darüber informiert gewesen, dass aus der Durchreise durch Bulgarien politisches Kapital geschlagen werden sollte. Kaiser Wilhelm bemerkte am Rand: „Es wäre praktischer dann gewesen, nicht durch Bulgarien zurückzureisen!“13 1892 besuchte auch das erbprinzliche Paar drei Wochen lang die Türkei und wurde als Gast des Sultans behandelt, mehrfach eingeladen und mit Geschenken überhäuft.14 Es schloss sich ein siebentägiger Aufenthalt in Rumänien an, wobei König Karl von Rumänien und der Thronprinz sich bemühten, der Schwester des Kaisers einen herzlichen Empfang zu bereiten und damit ihre Anhänglichkeit an den Kaiser zu demonstrieren.15 Im Juli 1892 berichtete Derenthall an Reichskanzler Leo von Caprivi, dass Heim ihn über die Verlobung des Prinzen Ernst im März des Jahres mit Katharina, der jüngsten Tochter des Schriftstellers Wilhelm Jensen informiert habe. Diese sei vom Herzog schweren Herzens genehmigt worden, da zu befürchten sei, dass er sich sonst überhaupt nicht vermählen würde.16
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Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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Am 15. Februar 1893 vermeldete Derenthall einen kleinen Verfassungskonflikt im Herzogtum Sachsen-Meiningen, der wohl durch Nachgeben der Regierung beigelegt werden konnte. Aus den Zeitungsberichten seien bereits gewisse Spannungen zwischen dem Landtag und der Regierung seit der Landtagseröffnung spürbar gewesen. Zu größeren Differenzen sei es dann bei den Etatberatungen gekommen. Nachdem die Landtagsmehrheit gegen den Willen der Regierung durchgesetzt hatte, dass der Etat nicht wie bisher üblich für die gesamte Finanzperiode 1893–1895, sondern nur für das Jahr 1893 genehmigt werden sollte, kam es dann bei der Durchberathung des Etats [zu] weitere[n] Differenzen […] Sehr erhebliche Ueberweisungen aus der Reichskasse in Verbindung mit gesteigerten Einnahmen aus den Staatsforsten hatten, wie in den meisten thüringischen Staaten, so auch in Meiningen, während der letzteren Finanzperiode größere Ueberschüsse ergeben, die bis Ende 1891 auf zusammen M 160.0000 angewachsen waren. Da die erhöhten Anforderungen des Reichs ähnlich günstige Ergebnisse für die Zukunft nicht erwarten ließen, so wünschte die Regierung diese Summe als gesonderten Fond für Notfälle und außerordentliche Bedürfnisse zu reservieren, anstatt dieselben ganz oder theilweise für Deckung der laufenden Staatsausgaben in Anspruch zu nehmen. Sie hatte daher die bisherigen Steuern in voller Höhe in den neuen Etatsentwurf eingestellt und sich bei Bemessung der Ausgaben auf das nothwendigste Maß beschränkt. Bei der Etatsberatung wurden jedoch von nationalliberaler Seite Anträge gestellt, die theils Gehaltsverbesserungen für die Volksschullehrer, theils den Erlass mehrerer Termine der Grund- und Gebäudesteuern bezweckten, also einerseits auf Erhöhung der Ausgaben, andererseits auf Verminderung der Einnahmen hinausliefen und den hierdurch entstehenden Fehlbetrag aus den vorhandenen Beständen decken wollten. Die Regierung widersetzte sich diesen Anträgen, da bei den getrübten finanziellen Zukunftsaussichten größte Sparsamkeit geboten sei und ein einmal bewilligter Steuererlaß später, im Bedarfsfalle, nicht leicht rückgängig gemacht werden könne. Sie fand hierbei wenigstens theilweise die Unterstützung der deutschfreisinnigen Landtagsminorität, während die national liberale Majorität ziemlich geschlossen entgegentrat. Als darauf, aller Einwendungen der Minister ungeachtet, in der Sitzung vom 3. d. M. [Februar 1893] die oppositionellen Anträge mit großer Majorität angenommen wurden, erklärte die Regierung, welche dies vorausgesehen und sich der Zustimmung des in Cannes in Südfrankreich verweilenden Herzogs vergewissert hatte, auf eine Steuerermäßigung nicht eingehen zu können und deshalb ihrerseits das vom Landtage modifizierte Etatsgesetz ablehnen zu müssen. Sie nahm hierbei das Recht für sich in Anspruch, die bisherigen Steuern bis zum Zustandekommen eines neuen Etats unverkürzt weiter zu erheben und stützte sich für ihre Auffassung auf den § 81 der Meiningischen Verfassung, Inhalts dessen ‚abgelaufene Verwilligungen‘ in der Zwischenzeit bis zur verfassungsmäßigen Periode des nächsten Landtags und nach Eröffnung desselben bis zur Bestimmung des neuen Finanzetats in Geltung bleiben sollen […]. Zugleich wurde ein herzogliches Reskript verlesen, welches die Vertagung des Landtags auf unbestimmte Zeit verfügte. Im Lande scheint dies ungewohnt energische Vorgehen große Aufregung hervorgerufen zu haben. Man bestritt die Anwendbarkeit des § 81 der Verfassung auf den vorliegenden Fall und glaubte in der entgegengesetzten Auslegung der Regierung eine Verkümmerung
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des dem Landtage zustehenden Steuerbewilligungsrechts erblicken zu müssen. Wie nicht anders zu erwarten, gingen in diesem Punkte die Deutschfreisinnigen mit den Nationalliberalen Hand in Hand und beide Parteien begegneten sich in der Forderung, daß das Ministerium den Landtag auflösen oder zurücktreten müsse. Daß von einer Auflösung keine Besserung der Lage zu erwarten sei, wenn die bisherigen Abgeordneten eine Steuerermäßigung als Wahlparole ausgeben konnten, war von vorn herein einleuchtend und zum Rücktritt scheinen die Minister nicht geneigt gewesen zu sein. In der That wäre auch eine Ministerkrisis in einem kleineren Lande, in dem neue Ministercandidaten schwer zu finden sind, eine kaum zu überwindende Schwierigkeit gewesen. Man entschloß sich daher, den Chef des Finanzdepartements, Staatsrat Ziller, zu persönlichem Vortrage über die Sachlage zu Seiner Hoheit den Herzog nach Cannes zu schicken und das Ergebnis dieser Sendung ist ein vollständiger Rückzug der Regierung gewesen. Die am 12. d. M. [Februar 1893] erschienene Nummer [14] der meiningischen Gesetzessammlung veröffentlicht das Steuergesetz und den Staatshaushaltsetat für das Jahr 1893 in der den Beschlüssen des Landtags entsprechenden Fassung, wonach zur Bilanzierung des Etats der Betrag von M 230.740 aus den angesammelten Beständen entnommen werden soll. Der Conflikt dürfte hierdurch beseitigt, die Autorität der Regierung aber schwerlich gestärkt worden sein.17
Im November 1893 erregte der Empfang zweier französischer Journalisten in Meiningen die Gemüter des Kaisers, der Beamten in Berlin und des Botschafters in Paris, der noch bis Januar 1894 auch in den Zeitungen für Gesprächsstoff sorgte. Hierbei spielte die Tatsache, dass die Erbprinzessin als Schwester des Kaisers in die Affäre verwickelt war, eine große Rolle. Auf Einladung des Intendanten Paul Lindau weilten Theodore Cahu vom „Figaro“ und Arthur Levy, der für verschiedene Zeitschriften tätig war, anlässlich der Aufführung seines Schauspiels „Der Andere“ in Meiningen und wurden ohne weitere Umstände auch zur herzoglichen bzw. erbprinzlichen Tafel geladen. Hier ließ sich der ehemalige Hofmarschall Karl Freiherr von Stein in eine Unterhaltung mit den beiden ein, in der er sich zu unbedachten Äußerungen über seine frühere Tätigkeit während des Deutsch-Französischen Krieges als Präfekt in Troyes hinreißen und insbesondere – als unpassend empfundene – Bemerkungen über sein Verhältnis zu Fürst Bismarck fallen ließ. Darüber hinaus empfahl er die beiden Journalisten sogar dem Kaiser zu einer Audienz. Stein, der glaubte, eine mit Deutschland versöhnliche, dem deutschen Kaiser freundlich gesonnene Stimmung in Frankreich wahrzunehmen, musste sich nach dem Erscheinen verschiedener Zeitungsartikel im „Figaro“ und anderen Blättern für sein Verhalten rechtfertigen. Der deutsche Botschafter in Paris äußerte sich in seinem daraufhin eingeholten Bericht vernichtend über Cahu, den er als ‚Revanchejournalisten‘ des „Figaro“ bezeichnete. Wilhelm II. schäumte, „dem Herzog muß
17 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, Bericht vom 15. Februar 1893.
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gelegentlich zu verstehen gegeben werden, daß ich nicht wünsche, daß meine Schwester mit Presshalunken des Figaro zusammen gebracht werde“.18 Derenthall berichtete, er sei eigens wegen dieser Angelegenheit nach Meiningen gereist und habe vertraulich die Vermittlung des Staatsministers Heim gesucht, der lebhaftes Verständnis für den Unwillen des Kaisers bekundet habe, sich aber nur ungern dazu verstehen wolle, eine Andeutung in dem vom Kaiser befohlenen Sinne beim Herzog zu machen. Die Weigerung Wilhelms im Sommer 1889, bei dem damals beabsichtigten Besuch am Meininger Hofe der morganatischen Gemahlin Georgs zu begegnen, habe beim Herzog „ein noch nicht überwundenes Gefühl der Kränkung zurückgelassen“. Heim „sprach die Besorgnis aus, dieses Gefühl durch die von mir erbetene Andeutung, welche einen indirekten Vorwurf enthalte, gesteigert zu sehen“. Er wolle versuchen eine wenig verletzende Form zu finden, „wisse aber bei der großen Feinfühligkeit des Herzogs nicht, inwieweit ihm dies gelingen werde“. Im ungünstigsten Falle könne ein Aussprechen hierüber die Sache nur verschlimmern, was er im Interesse des guten Einvernehmens zwischen dem Kaiser und dem Herzog als deutschem Bundesfürsten zu vermeiden wünsche.19 Die Affäre versorgte noch bis Januar 1894 die Zeitungen und die Behörden mit Gesprächsstoff. Der Botschafter in Paris, Graf Georg Herbert zu Münster, bedauerte in seinem Schreiben vom 3. Dezember 1893 an Caprivi, dass die beiden „Preß-Juden“ durch den Meininger Herzog empfangen und über die Gebühr gut behandelt worden seien und dass die Schwester des Kaisers mit solchem Gesindel habe an einem Tisch sitzen und sich unterhalten müssen. Er bestritt die von Stein bemerkte Politik-Wandlung in Frankreich und riet allen kleinen deutschen Höfen, sich um Informationen an die deutsche Botschaft in Paris zu wenden, bevor sie französische Literaten oder Journalisten empfangen. Auf Derenthall folgte Ludwig Raschdau auf dem Weimarer Gesandtenposten. Seine amtliche Tätigkeit bestand damals zunächst in der Vorbereitung des Übergangs der thüringischen Eisenbahnen an Preußen. Bevor er sein Beglaubigungsschreiben in Meiningen abgeben konnte, traf er am 8. Februar 1895 in Gotha bei einer Einladung zur herzoglichen Tafel mit der zufällig anwesenden Erbprinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen zusammen.
18 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339, undatierte Randbemerkung des Kaisers zu einem Artikel der National-Zeitung vom 20. November 1893. 19 Ebd., Bericht vom 3. Dezember 1893, dort auch die vorangegangenen Zitate.
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Sie sagte: Sie habe mich schon längst mal sprechen wollen. Da sei in Meiningen das Unsagbare geschehen, daß auf dem Gymnasium der Geburtstag des Kaisers vollständig übersehen worden sei; keine Gedenkfeier seitens der Lehrer, keine Vorfeier (der Tag fiel auf einen Sonntag), nichts von alledem. Da müßte man dreinschlagen, ich sei der Mann dazu und sollte es gleich dem Kaiser melden. Ich fragte, wer die Schuld an dem Unglück trage. Das liege, erklärte die Prinzessin, in letzter Linie am Minister Heim, diesem Ekel. Ich bat, dem Kaiser nichts sagen zu dürfen, und auch sie möge es nicht tun. Er rege sich leicht auf, und es gäbe dann ein Aufsehen, das schlimmer sei als der Vorfall. Ich würde Herrn von Heim von der Sache freundschaftlich sprechen und sei sicher, daß sie nicht wieder vorkommen würde. Darauf versprach die Prinzessin, ihrem Bruder nichts zu melden. Der Zwischenfall ließ mich erkennen, daß es in Meiningen nicht ganz friedlich zugeht. Denken Sie, fuhr sie fort, mein Schwiegervater liest nur die ‚Nation‘ (das in fortschrittlichem Sinne geleitete Wochenblatt der Fortschrittspartei). Bald darauf aber merkte ich, daß die Prinzessin eine Leserin der Hardenschen ‚Zukunft‘ sei. Und als ich ihr leicht mit dem Finger drohte, erklärte sie lebhaft, man müsse beide Teile hören, und das Blatt sei interessant geschrieben. Sie schien von den Berliner Verhältnissen wenig erbaut. Von der Meininger Lage meinte sie ‚cherchez la femme‘. Sie sei zwar befreundet mit Frau von Heldburg, aber deren Einfluß sei doch nicht immer zum besten. Diese Charakteristik hielt mich nicht ab, letztere als eine sehr liebenswürdige Dame zu bezeichnen.20
Raschdau bezog die Freifrau von Heldburg als morganatische Ehefrau des Herzogs im Gegensatz zu seinem obersten Dienstherrn in seine Besuche in Meiningen ein, auch um zur Verbesserung des preußisch-meiningischen Verhältnisses beizutragen. Allerdings hatte er seine Probleme mit Staatsminister Friedrich Heim, was in vielen seiner Berichte und Notizen zum Ausdruck kommt. Bei einem seiner Besuche in Meiningen erlebte der Gesandte die Erstaufführung von Lindaus Stück „Der Erste“ mit. Seiner Einschätzung nach war der dramatische Stoff, „aber in der Bearbeitung eine Folter für die Nerven des Publikums, dann wieder im Schluß versöhnend“, aus „Geschäftsgründen“, wie der Autor in „Selbstverhöhnung“ meinte.21 Am 1. März 1896 informierte Raschdau seine Vorgesetzten in Berlin darüber, dass man in Meiningen im Verborgenen eine Gesetzesvorlage erarbeitet habe. Hintergrund des Geschehens waren die Auseinandersetzungen um die Thronfolge im Fürstentum Lippe, die das Haus Sachsen-Meiningen deshalb tangierten, weil damit gleichzeitig die Ebenbürtigkeit der Ehefrau des Prinzen Friedrich, einer geborenen Gräfin zur Lippe-Biesterfeld, nachträglich in Frage gestellt wurde. Da Prinz Friedrich der einzige Nachkomme Herzog Georgs war, der für erbberechtigten Nachwuchs sorgen konnte, bedrohte dieser Streit die Zukunft des herzoglichen Hauses und bescherte dem Herzog somit einiges 20 RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter (wie Anm. 6), S. 14. 21 Ebd., S. 63.
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Kopfzerbrechen. Er entschied sich deshalb für eine Verfassungsergänzung, die er vom Landtag bestätigen lassen wollte. Demnach wolle man mit Hinblick auf das Fehlen eines männlichen Erben in der Familie des Erbprinzen und dessen Bruders, […] die Erbfolge der Nachkommenschaft des dritten Sohnes, des Prinzen Friedrich, sichern. […] Die Ehe dieses Letztgenannten mit der Gräfin Adelheid zur Lippe-Biesterfeld wird als eine ebenbürtige anerkannt.22
Der Kaiser notierte am Rand: „Was sie aber nicht ist!“ Die Ansicht, „daß der Fall auch gewisse Konsequenzen für die Beurtheilung des Lippischen Streitfalls mit sich bringe, möchte ich nicht theilen.“ Wilhelm II. bemerkte dazu: Ja! Es soll nun Zwangslage für Anerkennung der Ebenbürtigkeit und Erbberechtigung in Lippe geschaffen werden. […] Denn einmal kann die autonome Regelung solcher Verhältnisse in einem Bundesstaate nicht als Präjudiz für die Beurtheilung in anderen Staaten gelten,
und außerdem werde die meiningische Vorlage voraussichtlich materiellen und formellen Einwendungen begegnen. Denn entweder sei die Ehe nach den in dem Hause obwaltenden Bestimmungen ebenbürtig, dann ist es auch die Ehe des Prinzen Friedrich mit der Gräfin Adelheid und dann bedürfte es keiner Vorlage, die diese Ebenbürtigkeit noch besonders erklärt; oder aber diese Ebenbürtigkeit ist nicht vorhanden: dann aber erhebt sich die Frage, ob die Vorlage – in diesem Punkte Wandel schaffen kann.
Es sei nicht bekannt, ob man die Agnaten (also die verwandten herzoglichen Familien, die nach früheren hausgesetzlichen Regelungen und bisheriger Gewohnheit nach einem Aussterben der Meininger Linie erbberechtigt wären) dazu befragt hatte. Erlischt nun nach dieser Anschauung der Mannesstamm des herzoglichen Spezialhauses, so wären die herzoglichen Häuser von Sachsen-Altenburg und Sachsen-Koburg-Gotha zur Erbfolge berufen. [Anmerkung des Kaisers: richtig] Weiter käme dann das großherzogliche Haus von Sachsen-Weimar und schließlich das königliche Haus Sachsen in Frage. Auf diese Weise würde es früher oder später – in Abwesenheit besonderer Abmachungen – wieder zu einem Zusammenfall (Personalunion) deutscher Bundesstaaten kommen. Diejenigen, welche hiergegen grundsätzliche Bedenken erheben, werden daher mit dem Vorgehen der meiningischen Regierung eher einverstanden sein. [Anmerkung des Kaisers: ganz bestimmt nicht].
Bei der Kompliziertheit der juristischen Fragen rechnete Raschdau damit, dass der Gesichtspunkt der politischen Zweckmäßigkeit für die Handhabung der Angelegenheit durch die Agnaten entscheidend sei. Der vorliegende Regelungs-
22 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3341. Alle nachfolgenden Zitate auf dieser Seite sind ebenfalls dieser Quelle entnommen.
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versuch habe viel für sich und könne wohl in Zukunft auch als Beispiel für anderweite Schwierigkeiten herhalten.23 Die Ausführungen, die Staatsminister Heim allerdings vor dem Meininger Landtag machte, als er die Gesetzesvorlage über die Thronfolge und die Rechtsverhältnisse des herzoglichen Hauses dort einbrachte, veranlasste den Gesandten wiederum zu einem empörten Bericht nach Berlin. Unter dem Hintergrund, dass ein Schiedsgericht über die Thronfolge in Lippe entscheiden sollte, habe Heim folgendes geäußert: Wie der Graf Ernst (zur Lippe Biesterfeld) voll von seiner Berechtigung als nächster Agnat überzeugt sei, so stehe auch der dortige (lippische) Landtag und der überwiegende Theil der Bevölkerung auf seiner Seite, es werde das wohl auch von Seiten der Schiedsrichter anerkannt werden.24
Raschdau attestierte dem Staatsminister einen Mangel an politischem Taktgefühl. Schließlich habe Sachsen-Meiningen dem Bundesratsbeschluss, der vor einigen Wochen den Reichskanzler mit der Bestellung eines Schiedsgerichts beauftragt habe, zugestimmt. Es sei in allen politischen Körperschaften Sitte, einer richterlichen Entscheidung nicht vorzugreifen, was Heim ohne jede Nötigung tue. Ich werde an anderer Stelle zu berichten haben, wie Herr von Heim sich seit Jahren berechtigten Wünschen der Reichsregierung zu verschließen scheint und sich zu diesem Zwecke in einer gewissen Obstructionspolitik gefällt. Die Haltung Herrn von Heims wird, wie ich sehe, auch bei den thüringischen Regierungen bemerkt und ich hatte daher bei meinen früheren Vorschlägen geglaubt, dass es schon um des guten Beispiels willen nützlich sein werde, wenn der Herr Minister irgendwie avertirt [verwarnt, d.V.] wird.
Wie man sich denken kann, wurde in ganz Deutschland, und selbstverständlich auch in Lippe, die Regelung der Erbfolgefrage in Meiningen verfolgt.25 Die nächsten Agnaten (Herzog Ernst I. von Sachsen-Altenburg, Herzog Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha sowie Großherzog Carl Alexander von SachsenWeimar-Eisenach) legten schließlich Verwahrung gegen die gesetzliche Regelung ein. Das Schiedsgericht unter dem sächsischen König bestätigte aber letztlich die Erbfolge des Vaters der Prinzessin Adelheid, des Grafen Ernst zur Lippe-Biesterfeld. Kaiser Wilhelm II., der gerne seinen Schwager Adolf zu Schaumburg-Lippe als Thronfolger gesehen hätte, erlitt eine Niederlage.
23 Ebd. 24 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, Bericht vom 27. April 1896. Das nachfolgende Zitat auf dieser Seite ist ebenfalls dieser Quelle entnommen. 25 Lippische Landes-Zeitung vom 4. März 1896.
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Eine bereits von Ende Februar 1896 stammende Meldung Raschdaus ist ein weiteres Beispiel für das empfindliche Verhältnis zwischen dem Kaiser und dem Meininger Regenten: Der Herzog ist ein sehr fleißiger Arbeiter und studirt eingehend die Acten der Ihm unterbreiteten Staatsgeschäfte. So war ich nicht verwundert, als Seine Hoheit mich an der Tafel wegen des Antrags des preußischen Landraths in Schmalkalden anredete. Derselbe hat sich direct an das herzogliche Landrathsamt in Meiningen mit dem Ersuchen gewandt, die landespolizeiliche Genehmigung zum Bau einer Feldbahn, deren Betrieb von der Königlichen Eisenbahnbrigade erfolgen würde, auf meiningischem Gebiet mit thunlichster Beschleunigung zu erwirken. Dieser Weg hat in Meiningen Bedenken erregt und in der Frage des Herzogs sprach sich einiges Befremden aus.26
Raschdau habe dem Herzog erklärt, dass das unbürokratische Vorgehen seinen Grund darin gehabt habe, den brandgeschädigten Einwohnern von Brotterode möglichst schnell Hilfe angedeihen zu lassen, Georg habe sich aber über das Vorgehen des preußischen Landrats nicht beruhigen können. Er war also sehr darauf bedacht, die ihm nach der Gründung des Norddeutschen Bundes bzw. der Deutschen Reiches verbliebenen Rechte in keiner Weise durch Preußen beeinträchtigen zu lassen. Entsprechend wurde von preußischer Seite dem Landrat in Schmalkalden nahegelegt, bei der meiningischen Empfindlichkeit den unmittelbaren Geschäftsverkehr mit gleichrangigen oder höheren Verwaltungsbehörden zu unterlassen.27 Das gestörte Verhältnis zwischen dem Meininger Herzogshaus und Kaiser Wilhelm II. wird auch in der folgenden kurzen Notiz deutlich: Am 21. April 1896 fand in Coburg die Hochzeit der Prinzessin Alexandra von SachsenCoburg und Gotha mit dem Erbprinzen Ernst von Hohenlohe-Langenburg statt: Am 21. reiste ich im Gefolge des Kaisers im Sonderzug nach Meiningen. Ich hatte hier auf Bitten der Tochter des Herzogs, Prinzessin Marie, eine Begegnung mit dem Kaiser vermittelt. Er empfing sie in seinem Salonwagen stehend, im Jagdanzug, aber nur für fünf Minuten. Ich war herausgetreten und konnte die Szene von außen beobachten. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Begegnung den bestehenden Groll zwischen den zwei Häusern beseitigt hätte.28
Die Reise zu dieser Hochzeit bot auch Anlass zu Beschwerden über angebliche Missstände bei der Werra-Bahn nach ihrem Übergang an Preußen. Diese waren u. a. deshalb laut geworden, weil viele der anreisenden Fürsten keinen Platz in der ersten Klasse gefunden hatten und gezwungen waren, in Wagen zweiter 26 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339, Bericht vom 25. Februar 1896. 27 Ebd., Schreiben des preußischen Innenministers an das Auswärtige Amt vom 11. Juni 1896. 28 RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter (wie Anm. 6), S. 69 f.
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Klasse zu reisen. Nach Raschdaus Meinung war Klagen über die Werra-Bahn eine gewisse politische Bedeutung beizumessen, insbesondere weil in Meiningen die Übernahme durch Preußen selbst in Regierungskreisen als eine Art wirtschaftlicher Mediatisierung empfunden worden sei. Hier hatten viele der schlecht bezahlten herzoglichen Beamten bei der Privatbahn als Aufsichtsratsmitglieder oder in anderen Funktionen Nebeneinkünfte gehabt, auf die sie jetzt verzichten mussten. Deshalb wäre es nach Meinung Raschdaus wichtig gewesen, wenn die Neuorganisation der Werra-Bahn Verbesserungen gebracht und damit kleineren Staaten den praktischen Beweis geliefert hätte, dass der Übergang der wichtigsten Verkehrswege in preußische Hand für sie von Nutzen sei.29 Aus Anlass des Übergangs der thüringischen Bahnen an Preußen wurden auch die Staatsminister der beteiligten Staaten ausgezeichnet. Jetzt bot sich Raschdau endlich die Möglichkeit, dem ungeliebten Staatsminister Heim die Quittung für sein „wenig bundesfreundliches Verhalten“ zu präsentieren. Im Bundesrat war man seiner nicht habhaft geworden, weil er sich dort nicht hatte blicken lassen. Nun regte Raschdau unter Beifügung eines umfangreichen Beschwerdekatalogs an, Heim bei der fälligen Ordensverleihung zu übergehen.30 Am 5. Mai 1896 berichtete der deutsche Botschafter in Rom, von Bülow, an das Auswärtige Amt, dass auf den Herzog und die Freifrau, die unter strengstem Inkognito gemeinsam mit dem Dichter Richard Voß durch Italien reisten, auf dem gestrigen Ausflug von Frascati nach Rocca di Papa ein bewaffneter Überfall durch zwei Vermummte stattgefunden habe. Nach Aushändigung von 55 Lire habe der Wagen glücklicherweise unbehelligt weiterfahren können. Die italienische Regierung habe ihr lebhaftes Bedauern zum Ausdruck gebracht, sich entschuldigt und erklärt, nach den Schuldigen zu fahnden. Georg habe im Augenblick des Überfalls große Ruhe bewahrt, sei aber unangenehm „impressioniert“.31 In der Folgezeit wird immer wieder über den Gesundheitszustand des Herzogs berichtet, insbesondere wenn dieser durch Unfälle oder Krankheiten beeinträchtigt war. Im Oktober 1896 wurde schließlich über Abdankungsabsichten des Herzogs gemunkelt.32 Raschdau notierte am 30. Oktober in seinem Tagebuch: Vor einigen Tagen begab ich mich nach Meiningen, angeblich um der ersten Aufführung des Lindauschen Stückes ‚Der Abend’ beizuwohnen, zu der mich der Dichter eingeladen, tatsächlich, um mich dort geschäftlich umzusehen. Als ich den Minister Heim nach der Quelle des Gerüchts von Abdankungsgedanken des Herzogs fragte, meinte er, dieser 29 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, Bericht vom 25. April 1896. 30 Ebd. 31 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339. Zum Überfall auf den Herzog vgl. auch den Beitrag von Christoph GANN in diesem Band, S. 134 f. mit Abb. 1. 32 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3337, Bericht vom 19. Oktober 1896.
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würde sich eher den Finger abbeißen, als eine solche Urkunde unterschreiben. Der Vater habe auf den Druck Preußens auf seine Krone verzichtet, aber der Herzog Georg denke nicht daran. Dabei deutete Heim an, daß solche Wünsche vielleicht bei den Nächstbeteiligten obwalten; namentlich auf die Erbprinzessin schien er nicht gut zu sprechen. Diese Stimmung ist gegenseitig. […] Die erbprinzlichen Herrschaften luden mich zum Glase Bier ein, und ich sah sie am nächsten Tage beim Theaterintendanten. Der Erbprinz Bernhard ist in mancherlei Dingen wohlbewandert, hat doch sogar deutsche Dramen ins Neugriechische übersetzt. Die Unterhaltung mit ihm ist aber auf die Länge beschwerlich. Er ist unstet und zappelig, ohne rechte Haltung, jedenfalls nicht das, was man sich unter einem preußischen kommandierenden General vorstellt. Doch soll er seine Sache bei den schlesischen Manövern gut gemacht und ein besonderes Belobigungsschreiben vom kaiserlichen Schwager erhalten haben.33
Am 17. März 1897 berichtete Raschdau nach Berlin, dass sich der Herzog an diesem Tage aus seiner Residenz nach England begebe. Zunächst wolle er sich für wenige Tage in London aufhalten und einige Shakespeare-Vorstellungen ansehen, dann in das Seebad Bournemouth reisen, wo auch der (bekanntlich in England lebende und dort morganatisch vermählte) Prinz Eduard von Sachsen-Weimar Wohnsitz nehmen will. […] Der Herzog, der längere Jahre die Beschäftigung mit dem Theaterwesen aufgegeben hatte, widmet Sich jetzt wieder sehr lebhaft der Aufgabe der Vervollkommnung der Bühne. Es sind in letzter Zeit verschiedentlich scenische Veränderungen in großen Dramen auf dem Meininger Theater versucht worden, die die Beachtung berufener Kreise verdienen.34
In seinem Tagebuch notierte Raschdau am 15. März 1897 zu diesem Thema: Der Herzog steckt wieder zum Entsetzen Lindau’s, der sich nicht dareinreden lassen will und Lust und Mut verloren hat, ganz in Theatersachen, wo er bis ins einzelne verfügt. Er sei ein Tyrann und Despot seiner Natur nach, meinte unwillig Lindau, wenn er nachher auch wieder die Liebenswürdigkeit selbst sei. Der Herzog hat die Bosheit gehabt, für die Feier des 22. März den Bibeltext für die Predigt aus Jesus Sirach zu bestimmen: ‚Gott gibt dem Regenten einen löblichen Kanzler‘. Daß er den Kaiser nicht liebt, weiß alle Welt. Aber dieser Wink ist denn doch gerade jetzt, vor dem Provinziallandtag, ein starkes Stück. Der Fall wird viel besprochen.35
Am 13. August 1897 berichtete Raschdau über eine herzogliche Einladung nach Altenstein. Georg habe sich teilnehmend nach einem Unfall des Kaisers erkundigt und ihn scherzend gefragt, „wie viel Körbe sich der junge König von Serbien bereits geholt“ habe. König Alexander habe nämlich vor einigen Monaten 33 RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter (wie Anm. 6), S. 92. 34 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339. 35 RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter (wie Anm. 6), S. 120. Der Herzog spielte auf die Bemühungen Hohenlohes um eine liberale Militärjustizreform in der preußischen Armee nach bayerischem Vorbild an, der sich Wilhelm II. widersetzte und zu einer Kanzlerkrise führten.
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formell beim Herzog anfragen lassen, ob er sich der Enkelin Feodora nähern und zu diesem Zweck nach Deutschland kommen dürfe. Georg aber habe ohne Nachfrage bei den Eltern abgewinkt, eine Zukunft in Belgrad hielt er wohl für nichts Verführerisches.36 In seinem Tagebuch notierte Raschdau über seinen Besuch in Altenstein: „Für den Kaiser hat der Meininger Herzog keine besondere Sympathie. Aber er fragte doch nach seinem Auge, das er sich auf der Nordlandreise verletzt hatte.“ Die Schwerhörigkeit mache eine Unterhaltung schwierig, aber Georg sei ein wohlunterrichteter Fürst mit Erfahrung, der sich nicht scheue, auch ein kritisches Wort zu äußern. Mit seinem ausdrucksvollen Kopf ist der Herzog eine hoheitsvolle Erscheinung. Von allen deutschen Souveränen, die ich kenne, erschien er mir als der würdevollste. Etwa nur den Großherzog von Baden möchte ich ihm an die Seite stellen.37
Mit Bezug auf seinen Abschied von Meiningen am 1. Oktober 1897 notierte Raschdau, die deutschen Landesfürsten zeigten wenig Gedenken an den Kaiser: Sie fragen gerade nur das Nötigste, was die Höflichkeit verlangt und auch das mit einer gewissen Zurückhaltung. Seine Reiselust wird allgemein abfällig beurteilt. Man fragt, wie sie physisch auf Seine Majestät wirke, die politische Zweckmäßigkeit wird nicht weiter berührt, man bezweifelt sie von vornherein, von besonderen Fällen abgesehen. Herzog Georg erwähnte, daß der Kaiser bei unerwarteten Vorgängen sich aufrege. Er nannte den Fall Lippe, bei dem man sich in Berlin doch stark verrechnet habe. Ich wich der Unterhaltung aus, indem ich die Schuld auf den verstorbenen Fürsten Woldemar und das unglückliche Gutachten Prof. Labands schob. Aber es ist kaum zweifelhaft, daß die deutschen Fürsten sich heimlich über das Mißgeschick freuen, daß der Versuch, kaiserliche Hauspolitik zu treiben, erfahren hat.
Wenn er sich einen Nutzen davon verspräche, würde er eine entsprechende Warnung in Berlin aussprechen. Gerüchte über angebliche Pläne einer gewaltsamen Verfassungsänderung im Reich habe er dem Herzog ausgeredet. Frau von Heldburg sei froh, dass er seine Frau mitgebracht habe, was vorher nicht üblich gewesen sei. „Die morganatische Gemahlin tut, wie ich oft höre, viel Gutes, und ihr Einfluß auf den Herzog wird mir als günstig bezeichnet.38 In seinem Abschlussbericht über die Weimarer Zeit charakterisiert Raschdau den Herzog als einen durchaus national gesinnten Fürst[en] und ich glaube, daß, wo es sich um Lebensinteressen des Reichs handelt, man Seiner freudigen Mitwirkung sicher sein kann. In der Behandlung wird man aber insofern vorsichtig sein müssen, als bei dem hohen Herrn – 36 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339, Bericht vom 13. August 1897; dort auch das vorangegangene Zitat. 37 RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter (wie Anm. 6), S. 160 f.; dort auch das vorherige Zitat. 38 Ebd., S. 173 f.; dort auch das vorherige Zitat.
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wahrscheinlich nicht von Sich aus – ein gewisses Mißtrauen obwaltet, als ob Seinen fürstlichen Rechten nahe getreten werden könnte. Ist Er aber in dieser Richtung beruhigt, so ist meines Erachtens die Verständigung nicht schwer, zumal Seine Hoheit in der Unterhaltung mit großer Offenheit verkehrt.39
Nach dem Ausscheiden Raschdaus nimmt die Zahl der Berichte aus Meiningen stark ab, es gibt nur noch wenige Meldungen, die über Reisen der herzoglichen Familie oder über den Gesundheitszustand des Herzogs hinausgehen. Schlagzeilen machte der Rücktritt des Erbprinzen Bernhard vom Kommando des 6. Armeekorps, wie der Bericht Radolins, nunmehr deutscher Botschafter in Paris, vom 18. Mai 1903 an Reichskanzler von Bülow zeigt, und das nicht nur in Deutschland. Die dem Rücktritt zugrundeliegenden Korpsbefehle des Prinzen wegen der Soldatenmisshandlungen wurden nicht positiv gesehen: Man ist der Ansicht, daß der in dem letzten Befehle gemachte Vorbehalt Klage führende Soldaten in andere Truppenteile zu versetzen, nur um sie vor rachsüchtiger Behandlung sicher zu stellen, eine Prämie auf den Geist der Unzufriedenheit bedeute und unruhigen Elementen eine willkommene Möglichkeit gewähre, Regiment oder Garnison zu wechseln. Insbesondere aber widerspreche die Bekanntgabe dieses Befehls an die Mannschaften dem militärischen Geiste, da sie geeignet sei, von vornherein die Vorgesetzten in’s Unrecht zu setzen.40
Die Presse bemerkte auch die persönlichen Differenzen zwischen dem Kaiser und seinem Schwager Bernhard. Eine Anfang des Jahres 1904 vom Erbprinzenpaar unternommene Reise über Tanger nach Algier41 führte zu Aufregung in der französischen Presse, weil man vermutete, der Besuch der Erbprinzessin sei die Einleitung zu einer Reise des Kaisers gewesen, der seine Schwester zum „Rekogniszieren“ ausgeschickt habe.42 Georg selbst hielt sich während seines Geburtstags am 2. April in der Regel in Cap Martin oder auf der Villa Carlotta auf, was wegen der kaiserlichen Geburtstagsglückwünsche dann dem Auswärtigen Amt mitgeteilt wurde. Im Jahre 1906 stand schließlich der 80. Geburtstag des Herzogs an, und im ganzen Land wurden Feierlichkeiten vorbereitet.43 Der Landesherr ging aber auch diesen aus dem Wege und begab sich wieder an die französische Côte d’Azur. Dort wurde ihm persönlich ein kaiserliches Gratulationsschreiben durch den Legationssekretär in Nizza überreicht.
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Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3339, Bericht vom 1. Oktober 1897. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3340. Ebd., Telegramm vom 8. Februar 1904 aus Tanger u. folgende Berichte. Ebd., u. a. Berichte des Botschafters in Paris vom 4. März 1904 und 6. März 1904 an den Reichskanzler. 43 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3340.
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Im Februar 1908 wurde seit längerer Zeit erstmals wieder über politische Vorgänge im Herzogtum berichtet. Der Gesandte Botho Graf von Wedel44 meldete, dass die Regierung dem Landtag eine Steuerreform vorgeschlagen habe, bei der Einkommen bis 800 Mark steuerbefreit sein sollten. Auch mittlere Einkommen wollte man entlasten, höhere aber schärfer besteuern. Zur Deckung der Mindereinnahmen sollte eine Vermögenssteuer eingeführt werden. Dafür stimmten die Sozialdemokraten und einige Linksdemokraten. Der Finanzausschuss lehnte den Vorschlag aber ab und brachte eine eigene Vorlage ein, die wiederum von der Regierung abgelehnt wurde.45 Weiterhin besorgt beobachtete man das Anwachsen der Sozialdemokratie in Thüringen. Am 13. Oktober 1909 meldete Wedel dem Auswärtigen Amt eine Zunahme sozialdemokratischer Stimmen bei der Reichstagsersatzwahl in Coburg und bei den Landtagswahlen in Meiningen in fast allen Wahlkreisen, bei letzterer seien neun von 16 Sitzen an sie gegangen, ein zehnter in der Stichwahl. Damit hatte sie die absolute Mehrheit bei bisher lediglich sieben Sitzen. Die Verstimmung über die Art der Reichsfinanzreform46 habe in ganz Thüringen zu einer Stärkung der Sozialdemokratie geführt, die rechts stehenden Parteien haben an Terrain verloren. Die Antisemiten hätten bisher eine ziemliche Rolle gespielt, „da in einigen Landkreisen der Antisemitismus in hoher Blüte stand“, die Affäre Schack habe natürlich dazu beigetragen, das Vertrauen in diese Partei zu erschüttern.47 In eine etwas peinliche Lage geriet die herzogliche Familie, wie ein Bericht des Gesandten Wedel vom 20. Dezember 1909 an den Reichskanzler und Aussenminister Theobald von Bethmann-Hollweg zu erkennen gab, aus Anlass der 44 Tobias C. BRINGMANN, Handbuch der Diplomatie 1815–1963, Auswärtige Missionschefs in Deutschland und deutsche Missionschefs im Ausland von Metternich bis Adenauer, München 2001, S. 333. 45 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3338. 46 Durch die vermehrten Rüstungsausgaben war der Finanzhaushalt des Reiches immer mehr in Schieflage geraten, zumal das Reich ohnehin nur über geringe eigene Einnahmen verfügte. 1906 war als erste direkte Reichssteuer eine Erbschaftssteuer eingeführt worden, die aber das Defizit alleine nicht decken konnte, die Einführung weiterer Steuern wurde vom Reichstag verweigert, Kreditaufnahmen waren nötig. Reichskanzler von Bülow bemühte sich um eine umfassende Finanzreform und brachte Ende 1908 eine Vorlage ein, die v. a. die ärmeren Bevölkerungsschichten durch Verbrauchssteuern belastet hätte, was zu Protesten der Sozialdemokratie führte. Auch die Konservativen verweigerten sich wegen geplanter Erhöhung der Erbschaftssteuer und wegen angekündigter Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Das Scheitern der Finanzreformpläne führte letztlich zum Rücktritt Bülows. 47 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts R 3338; dort auch da Zitat. Wilhelm Schack war seit November 1905 Reichstagsabgeordneter des weimarischen Wahlkreises 2 (Eisenach und Dermbach) der Deutschnationalen Partei. Er hatte unter dem Pseudonym Triole einer Reisebegleiterin eine Dreierbeziehung mit seiner Frau angeboten. https://de. wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Schack, Zugriff am 4. Juni 2014.
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Hochzeitsfeierlichkeiten für Prinzessin Carola Feodora mit Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach. Die niederländische Königin Wilhelmina hatte nämlich den Wunsch zu erkennen gegeben, bei der Vermählung durch ihren Gemahl, den Prinzen Heinrich, vertreten zu sein. Man war aber in Meiningen nicht in der Lage, den Prinzen standesgemäß unterzubringen und musste höflich darum bitten, einen Vertreter zu senden, der mit den Verhältnissen Nachsicht üben könne. Der Großherzog lud aber schließlich das niederländische Königspaar zu den Einzugsfeierlichkeiten nach Weimar ein und befreite somit den Meininger Hof aus der peinlichen Lage.48 Am 6. Oktober 1912 meldete Wedel das Ableben des Staatsministers Rudolf Freiherr von Ziller49 und die Ernennung des bisherigen Vorstands der Ministerialabteilung des Innern, Karl Schaller, zum Staatsminister.50 Dies ist die letzte aktenkundige Information der preußischen bzw. Reichsbehörden über das Herzogtum oder die herzogliche Familie zu Lebzeiten Georgs. Am 20. Juni 1914 informierte ein Telegramm des neuen Herzogs Bernhard den Reichskanzler vom Ableben seines Vaters in Bad Wildungen.51 Die in den Zeitungen erschienenen Nachrufe würdigten v. a. Georgs Verdienste um die Schauspielkunst. Darüber hinaus sei er nach dem Tode des Prinz-Regenten Luitpold der älteste der deutschen Bundesfürsten gewesen. Der Gesandte in Weimar informierte seine Vorgesetzten über den testamentarisch formulierten Wunsch des Verstorbenen, dass nur die nächsten Verwandten an der Beerdigung teilnehmen sollten. In Berlin war achttägige Hoftrauer angeordnet worden. Der mit der Vertretung des abwesenden Weimarer Gesandten beauftragte preußische Gesandte in Dresden, Ulrich Graf von Schwerin, reiste zur Beisetzung nach Meiningen, wo ihn die Mitteilung überraschte, dass diese nur im engsten Familienkreise stattfinden sollte. Er berichtete nun dem Reichkanzler, dass er sich eigentlich mit der Niederlegung eines Kranzes am Sarge habe begnügen wollen. Da er aber nun einmal angereist war, habe man ihn zur Teilnahme an der Trauerfeier eingeladen. Die Freifrau sei krank gewesen. Die Trauerrede des Hofpredigers war in der Form hervorragend; die nationale Gesinnung des Herzogs, Seine Tugenden als Landesvater, Seine künstlerische Betätigung wurden gefeiert, doch musste es wohl jeden, der den Meiningischen Verhältnissen ferner stand, eigenartig berühren, dass Seiner Familie mit keinem Worte gedacht wurde. Die Beiset[z]ung erfolgte nicht im Herzoglichen Erbbegräbnis, sondern auf einem vom verstorbenen Fürsten selber bestimmten Platze im städtischen Friedhofe; Freifrau von Heldburg soll dort einst neben Ihm ruhen. Der Trauerzug dauerte über eine halbe Stunde und war bei der drückenden Hitze für den 63jährigen Herzog Bernhard sichtlich anstrengend. 48 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 3340. 49 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 3338. 50 Ebd. 51 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 3340.
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Vom Kirchhof begab man sich direkt ins Schloss, woselbst Familien- und Marschallstafel stattfand. Eine Defiliercour vor dem Herzogspaare schloss sich an, die erst während des Frühstückes angesagt wurde. Ich eröffnete dieselbe; beide Herrschaften hatten die Gnade, mich anzureden, und konnte ich bei dieser Gelegenheit das Beileid Euerer Excellenz noch mündlich aussprechen. Von besonderer Liebenswürdigkeit war Ihre Königliche Hoheit die Frau Herzogin, Die Sich meiner von vor einigen 25 Jahren in Berlin erinnerte. Als ich mich nach der Cour noch beim Staatsminister Schaller verabschiedete, bat mich dieser, Eurer Excellenz seine angelegentlichen Empfehlungen zu übermitteln.52
Im Jahre 1915 erteilte der Bundesrat seine Zustimmung zur Herstellung von 90.000 M in Drei- und 60.000 M in Zweimarkstücken als Denkmünzen zur Erinnerung an Herzog Georg. Sie wurden auf dem königlich Bayerischen Hauptmünzamt geprägt.53 Zusammenfassend lässt sich feststellen: 1. Die Reisen der herzoglichen Familie gewinnen für die Reichsaußenpolitik Relevanz, wenn diplomatische Interessen gestreift werden, wie im Falle der Durchreise Georgs durch Bulgarien oder wenn sie das Verhalten oder die Würdigung der Erbprinzessin Charlotte als Kaiserschwester betreffen. Auch der Besuch zweier französischer Journalisten in Meiningen, die auf Einladung des Intendanten Lindau zum Theaterbesuch angereist und an die herzogliche Tafel geladen worden waren, schlug diplomatische Wellen, weil das brisante Verhältnis zu Frankreich berührt wurde. 2. Wenn die Beobachtung und Bekämpfung unerwünschter politischer Gegner der Reichsregierung – insbesondere der Sozialdemokratie, aber auch der Liberalen – im Fokus der Berichterstattung steht, wobei immer wieder die „laxe“ Haltung der Meininger Regierung ein Ärgernis für die preußischen Beamten darstellt, werden die innenpolitischen Interessen des Deutschen Reiches tangiert. V. a. Staatsminister Heim wird wenig bundesfreundliches Verhalten attestiert. 3. Berührt wird auch die meiningische Landespolitik, die Wahrung der verbliebenen Souveränitätsrechte. Der Herzog konnte sehr empfindlich reagieren, wenn von außen eingegriffen wurde und seine Kompetenzen bedroht waren, wie die eigentlich unwichtige Episode um die Anlegung einer Feldbahn auf meiningischem Territorium durch Preußen zeigte. Die wirtschaftliche Lage im Herzogtum wird nur am Rande gestreift. 4. Das breite Feld der meiningischen Kulturpolitik wird – außer in den Episoden über Lindau und das Theater – kaum berührt, gewürdigt wird sie nicht. 52 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 3340, Bericht vom 30. Juni 1914. 53 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 3340.
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Die herzogliche Hauspolitik kommt bei der Behandlung des Lippe’schen Thronfolgestreits zum Tragen, der den Fortbestand des herzoglichen Hauses gefährdete, und dem Georg auf ganz eigene Weise begegnete. Das Bemühen des Kaisers, in Detmold seinem Schwager Adolf zu Schaumburg-Lippe einen Thron zu verschaffen, musste Georg aber auch deshalb suspekt sein, weil er es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Fürstenhauses empfand. Selbst die Installation eines Schiedsgerichts mit einem oder mehreren fürstlichen Vertretern erschien ihm als derartige Einmischung, letztlich hat er aber dazu widerstrebend seine Zustimmung gegeben. Persönliche Befindlichkeiten werden sichtbar anhand der Spannungen im Verhältnis Georgs zum Kaiser, die einerseits durch das Verhalten Wilhelms II. gegenüber der Freifrau von Heldburg entstanden sind, sich aber auch auf unterschiedliche Charaktere und verschiedene Auffassungen auf politischem Gebiet gründen.
CHRISTOPH GANN DER GNÄDIGE HERZOG?
Der gnädige Herzog? Georg II., sein Begnadigungsrecht bei Todesurteilen und andere Fragen auf dem Gebiet von Recht und Gerechtigkeit
1. Einleitung Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang, Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen, Zur Erde unter ihr; zwiefach gesegnet: Sie segnet den, der giebt, und den, der nimmt.1
So lässt William Shakespeare in „Der Kaufmann von Venedig“ Porzia zu Shylock sagen. Für Immanuel Kant war das Begnadigungsrecht indes „wohl unter allen Rechten des Souveräns das schlüpfrigste, um den Glanz seiner Hoheit zu beweisen und dadurch doch im hohen Grade unrecht zu tun“.2 Vor allem bei der Todesstrafe kommt noch der theologische Aspekt hinzu. Johann Gottfried Herder verdeutlichte dies am Beispiel des „ersten Mörders“ Kain: Der erste Würger […] wird nicht erwürgt, sondern gebürget. […] Wem gab Gott das erste Zeichen? Wem verbürgte er zuerst sein Wort? Einem harten Menschen – einem Mörder in der wildesten Verzweiflung. Ihr Zeichenforderer, ein Wink für Euch!3
Mit Shakespeares Behandlung des juristischen Themas Strafen und Begnadigen, insbesondere in „Der Kaufmann von Venedig“ und in „Maß für Maß“ sowie auch durch Kleists Stück „Prinz von Homburg“ eröffnete das klassische Welttheater „den Zugang zum Begriff der Gnade“.4 Und Arthur Kaufmann wunderte es nicht, „dass fast alle Dichter von Rang juristische Themen aufgegriffen und verarbeitet haben“. Das Thema Recht und Gnade stehe im Vordergrund, 1 2 3 4
William SHAKESPEARE, Dramatische Werke, Vierter Teil, übersetzt von August Wilhelm Schlegel, Berlin 1799, S. 117. Immanuel KANT, Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1803, S. 236. Johann Gottfried HERDER, Älteste Urkunde des Menschengeschlechts, in: Herders Sämmtliche Werke, hg. von Bernhard SUPHAN, Bd. 7, Berlin 1884, S. 144 f. Johann-Georg SCHÄTZLER, Handbuch des Gnadenrechts, München 1976, S. 5.
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nirgendwo sonst zeige „sich so deutlich die Grenze des Rechts wie an der Gnade“.5 Für den Theater-Herzog Georg II., dessen „Meininger“ den „Kaufmann von Venedig“ und den „Prinz von Homburg“ bei ihren Gastspielreisen oft aufführten, blieb es nicht bei der szenischen Darstellung auf der Bühne. Als regierender Herzog hatte er selbst die letzte Entscheidung über Leben oder Tod nach der Verhängung von Todesurteilen. König Oskar von Schweden und Norwegen beschrieb die Verantwortung so: Das Gesetz enthält die unbeweglichen Anforderungen der Gerechtigkeit, die kalten Berechnungen des Verstandes; die Gnade hingegen ist die Stimme des innersten Gefühls des Gesammtwohls, und dessen Herzenseingebung. Aber das erwähnte Vorrecht, das schönste unter denen der Krone, muß sparsam angewendet werden; es ist so schwer wie verantwortungsvoll, das Wort auszusprechen, welches unwiderruflich ein Menschenleben endet.6
2. Herzog Georg II. – Recht und Gerechtigkeit Herzog Georg II. wurde zu seinem 70. Geburtstag vom Landtag mit dem Beinamen „Georg der Gerechte“7 geehrt. Eines seiner Prinzipien war: „Macht soll nicht vor Recht gehen.“8 Nachdem er einen missbrauchten Schüler empfangen hatte, schrieb er: „Die ganze Sache ist mir nicht einerlei; ich will vermieden sehen, daß einem meiner Untertanen Unrecht geschieht.“9 Ähnlich soll bereits Herzog Georg I. nach einem ungerechten Urteilsspruch befunden haben: „Meine Untertanen müssen Recht bekommen, wenn sie Recht haben, und sollte ich selbst die Gegenpartei sein.“10 Deutlich auch die Worte Georgs II., als er Bismarcks Auffassung nicht teilte. Hinsichtlich einer Kandidatur für den Reichstag 5
Arthur KAUFMANN, Recht und Gnade in der Literatur, in: Neue Juristische Wochenschrift (1984), S. 1062–1069, bes. S. 1062. 6 OSKAR I. [Kronprinz/König], Ueber Strafe und Strafanstalten, Leipzig 1841, S. 13. 7 Vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen ²1999, S. 525. Die Ehrung wurde wohl im Februar 1896 beschlossen, vgl. Bericht über Dank des Herzogs in der Sitzung vom 29. Dezember 1896, Verhandlungen des Landtags des Herzogthums S. Meiningen. Vom 2. Juli 1895 bis 11. März 1897, Meiningen 1897, S. 133. 8 Zitiert nach ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7), S. 146 und 250 (Notiz und Bemerkung Georgs II. von Februar 1887). 9 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7), S. 172. 10 Zitiert nach Ludwig HERTEL, Politische Geschichte von den frühesten Zeiten an bis auf die Gegenwart. Zweiter Teil: Meiningische Geschichte von 1680 bis zu Gegenwart (Neue Landeskunde des Herzogthums Sachsen-Meiningen, 10), Hildburghausen 1904, S. 254.
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äußerte der Herzog: „Ich halte es für ungesetzlich, den Staatsbeamten die Rechte, welche ihnen als Staatsbürger zustehen, zu beschränken.“11 Und im Zusammenhang mit den Sozialistengesetzen und der von Bismarck 1887 hinzugefügten Expatriierungsklausel meinte er, derartige Gesetze würden der „Gerechtigkeit Hohn sprechen“.12 Erck und Schneider bezeichnen Georg II. als „konsequenten Vertreter des Rechts- und Ordnungs-Prinzips“.13 Wenn SachsenMeiningen als „liberaler Musterstaat“14 angesehen wurde, war dies besonders Georg II. zu verdanken, der auf die Gesetzgebung intensiv einwirkte.15 An einzelnen Beispielen aus verschiedenen Bereichen wird seine Einstellung deutlich.
2.a) Strafrecht Im Strafrecht hielt er die Regelungen zur Geldstrafe für reformbedürftig. Er meinte, eine solche wäre nur bei Abstellung auf die Höhe der Einkommenssteuer gerecht. Schon bei seinen „Herrn Staatsräthen“ fand seine Idee aber „gar keinen Anklang“, wie er rückblickend anmerkte, nachdem er im „Berliner Tageblatt“ vom 28. Juni 1891 gelesen hatte, dass auch der Strafrechtler Franz v. Holtzendorff seine Meinung teilte. Georg stimmte dem Artikel zu: „Abstufung der Geldstrafe nach der Vermögenslage ist allein gerecht“ und hielt es für „unbegreiflich“, dass die Reichsgesetzgebung dies noch nicht geändert habe. „Es muss aber noch dahin kommen!“,16 schrieb er am 1. Juli an seine Justizabteilung und bat, den Zeitungsartikel zu lesen. Weiter meinte er fünf Tage darauf, „dass es mit einer Reform des Strafsystems noch gute Wege hat, davon bin ich leider überzeugt“.17 11 Zitiert nach ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7), S. 251 f. Notiz Georgs II. vom 26. Oktober 1881. 12 Ebd., S. 255; vgl. auch Andreas WOLFRUM, Die Sozialdemokratie im Herzogtum Sachsen-Altenburg zwischen 1848 und 1920, Weimar 2003, S. 134; sowie mit weiteren Beispielen Hannelore SCHNEIDER, Nachklassische Kultur und konservativ-humanistische Politik Georgs II. von Sachsen-Meiningen, in: Jürgen JOHN (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar/Köln/Wien 1994, S. 471–488, hier S. 482 f. 13 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7), S. 253. 14 Vgl. Friedrich-Wilhelm GÜLSDORFF, Das Gesetz betreffend das Verwaltungsstreitverfahren vom 15. März 1897 im Herzogtum Sachsen-Meiningen, in: Thüringer Verwaltungsblätter Nr. 6 (2013), S. 121–128, hier S. 123; Reinhard JONSCHER, Thüringische Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert – Ein Abriß, in: Harald MITTELSDORF (Red.), Thüringische Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhundert (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, 3), hg. vom Thüringer Landtag, Jena 1993, S. 36; ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7), S. 165. 15 Vgl. GÜLSDORFF, Das Gesetz betreffend das Verwaltungsstreitverfahren (wie Anm. 14). 16 Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 1213. 17 Ebd.
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Abb. 1: Zeichnung des Raubüberfalls auf Georg II. in der Zeitung „Le Petit Parisien“ vom 17. Mai 1896
Er musste auch selbst Erfahrungen mit Straftätern machen. Sein Flügeladjutant von Engel wurde 1873 verhaftet, da er unberechtigt auf den Namen des Herzogs Wechsel ausgestellt hatte.18 In einem Prozess der Mitteldeutschen Kreditbank soll Rechtsanwalt Isaak Strupp sogar für eine Eidesleistung des Herzogs gesorgt haben.19 Bei anderen „krummen Geschäften“ von Bediensteten soll der Herzog auf die Einstellung von Untersuchungen hingewirkt haben.20 Im Mai 18 Vgl. Eduard, Adolf, Karl und Ernst SCHAUBACH, Chronik der Stadt Meiningen 1835 bis 1907, hg. von Karin KÖHLER und Helga WÖLFING, Meiningen 1997, S. 283. 19 Vgl. Jacob SIMON, Ein jüdisches Leben in Thüringen. Lebenserinnerungen bis 1930 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, 17), S. 252. 20 So ohne nähere Angaben ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7), S. 270.
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1896 wurde Georg II. zusammen mit seiner Ehefrau und dem Schriftsteller Richard Voß in der Nähe von Rom Opfer eines Raubüberfalls. In einer Zeichnung der Zeitung „Le Petit Parisien“ ist ein standhafter Herzog neben den bewaffneten Räubern zu sehen (Abb. 1). Das Präsidium des Landtags beglückwünschte ihn „zur Errettung“.21
2.b) Staatsbürgerliche Gleichberechtigung – Gegner des Antisemitismus Überregional wurde Georg II. auf dem Gebiet der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung22 wahrgenommen. Dies gründete sich auf seinen klaren zwanzig Worten im Kampf gegen den Antisemitismus, geschrieben in einem Telegramm an den Landesrabbiner und die Kultusgemeinde Bauerbach vom 18. Juni 1892: „Angesichts der Versuche, der Verirrung des Antisemitismus auch bei uns Eingang zu verschaffen, können die Israeliten Meiningens auf mich zählen.“23 Der Literaturhistoriker Konrad Beyer führte es ein Jahr später in einem Manifest gegen Antisemitismus an und bemerkte: „Vortrefflich, edler Fürst! Obige Worte mögen Deinem vorbildlichen, aller Lobpreisungen abholden Fürstencharakter und Deinem universellen Herzen ein bleibendes Denkmal errichten!“24 Tatsächlich blieben Georgs Worte im Gedächtnis. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ druckte sie zum Tode des Herzogs ab und schrieb, dies lehre, dass „glücklicherweise nicht alle Christen, namentlich die höchstgestellten, Antisemiten sind“.25 Jüdische Blätter führten zudem als Beleg dafür, dass Georg II. „frei von konfessionellen Vorurteilen war“, die Wahl Ludwig Chronegks als sein Gehilfe an sowie die große Anzahl jüdischer Talente im Ensemble der „Meininger“.26 Dies wurde auch in der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Der Antisemit Adolf Bartels meinte, „so hoch man auch das Verdienst Herzogs Georg II. einschätzen muß, der leitende Regisseur war doch der Jude Ludwig Chronegk,
21 Verhandlungen des Landtags (wie Anm. 7), S. 133. 22 Die Bekämpfung des Antisemitismus ist nicht nur Frage der Humanität, sondern vor allem auch der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung. Vgl. Moritz BRASCH, [ohne Titel], in: Freiheit, Liebe, Menschlichkeit! Ein Manifest des Geistes von hervorragenden Zeitgenossen (ohne Hrsg.), Berlin 1893, S. 57. 23 Das Telegramm ist u. a. abgedruckt in: Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, Nr. 26, 26. Juni 1892, S. 223 f. 24 Konrad BEYER, Der Antisemitismus und das neunzehnte Jahrhundert, in: Freiheit, Liebe, Menschlichkeit! (wie Anm. 22), S. 9–12, hier S. 12. 25 Allgemeine Zeitung des Judentums, 20. Juli 1914. Siehe auch Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 1. Juli 1914. 26 Ebd.
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und über den urteilt man heute sehr scharf“27 und verwendete den Ausdruck „Deutsches Theater jüdischer Nation“28 für die frühere Zeit. Das NS-Hetzblatt „Der Stürmer“ zitierte Georgs Worte im Jahr 1941 und kommentierte „amüsiert“: „Da den Juden das Geschehen in der Gegenwart schwer auf die Nerven geht, holen sie sich Trost aus billigen Erinnerungen.“29 Wie geschätzt Georg II. bei seinen jüdischen Untertanen war, zeigen die Worte des Landrabbiners Moritz Dessauer bei der Weihe der Meininger Synagoge im Jahre 1883. Der Herzog unterscheide als „weiser Vater nicht Schooßund Stiefkinder“.30 Umso betrüblicher erschien für Georg und Chronegk, dass der 1880 sein Amt als Intendant der Meininger Hofkapelle antretende Dirigent und Komponist Hans von Bülow zu den öffentlich bekanntgemachten Erstunterzeichnern der Antisemiten-Petition des Berliner Lehrers Bernhard Förster von 1880/81 gehörte. Darin wurde gefordert, die Gleichberechtigung der Juden rückgängig zu machen.31 Deutliche Worte gegen die Judenfeindschaft fand neben dem Herzog damals aber auch der Dichter Rudolf Baumbach: „Der Antisemitismus ist die Modekrankheit des geistigen Pöbels.“32
2.c) Audienztage Offen für die Begegnung mit seinen Landeskindern zeigte sich der Herzog durch das Abhalten von Audienztagen. Unangekündigte Personen, die begnadigt werden wollten oder eine Geldunterstützung begehrten, ohne Geld für die Rückreise zu haben, wollte er dagegen nicht sprechen. Er ersuchte die Landräte, diese Personen von einer Anreise zu warnen. Als die „Dorfzeitung“ über die Warnung berichtete, vermerkte Georg am 22. Januar 1909: „Leider ist dieser Inhalt zu der Annahme berechtigend, ich wolle mir die Audienzler vom Leibe halten. Das ist aber keineswegs der Fall. Ich war so unvorsichtig, nicht zu lesen, was Rittmeister Heyl den Landräten geschrieben hat.“33 Georg hatte drei Tage zuvor angemerkt, er fürchte, „dass bei uns verhältnismäßig mehr Gnadengesuche verfasst werden als in den anderen Staaten. Die unbegründeten Gesuche 27 28 29 30
Adolf BARTELS, Geschichte der thüringischen Literatur, Bd. 2, Jena 1942, S. 160. Ebd. An der Klagemauer. Sie haben es herrlich weit gebracht, in: Der Stürmer 24 (1941). Moritz DESSAUER, Weihereden gehalten bei der Einweihung der neuen Synagoge in Meiningen am 13. und 14. April 1883, Meiningen 1883, S. 4. 31 Vgl. Alfred ERCK/Christoph GANN/Hannelore SCHNEIDER, Ludwig Chronegk und die „Meininger“, Meiningen 2012, S. 73 f. 32 Freiheit, Liebe, Menschlichkeit! (wie Anm. 22), S. 20. Schwieriger ist die Bewertung des Schriftstellers Ludwig Bechstein, vgl. Christoph GANN, Moses Sachs – ein jüdischer Pionier aus Dreißigacker (1. Teil), in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 27 (2012), S. 121–142, bes. S. 129, 131–136. 33 ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 443, S. 9.
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sind für Ministerialabteilung III eine große Plage, ich glaube aber nicht, dass dagegen etwas zu machen ist“.34 Nun wollte er nicht, dass es scheine, als wolle er sich „einen Teil Arbeitslast abschminken“.35 So äußerte er auch: „Ich habe für gewöhnlich, keineswegs zu viel zu tun.“36
2.d) Strafvollzug Wenn behauptet wird, Georg II. habe 1893 angewiesen, die Gefangenen im Zuchthaus Untermaßfeld mit „Sie“ anzureden,37 ist dies nicht ganz zutreffend. Die Direktion des Zuchthauses Maßfeld hatte sich gegenüber der Justizabteilung zur Frage der Beibehaltung des „Sie“ geäußert. Die anderenorts übliche Gefangenenanrede mit „Du“ sei ein „Überbleibsel aus früheren Zeiten“, in denen sich „Angehörige der unteren Volksklassen mit ‚Du‘ angeredet“ hätten. Dies sei jetzt anders: „Auch der Bettler, der Landstreicher wird heute im bürgerlichen Leben vom gebildeten Mann mit ‚Sie‘ angeredet“ und das „Du“ werde lediglich unter Freunden und Verwandten verwendet.38 Georg II. hielt den Bericht für überzeugend und entschied am 5. Februar 1893, „wir halten an dem ‚Sie‘ für Maßfeld fest“39. Er schätzte, dass die Anrede mit „Sie“ seit 1870 verwendet wurde und „wahrscheinlich schon seit früher. […] Die Beibehaltung des ‚Du‘ in den meisten Zuchthäusern ist ein alter Zopf!“40 Er meinte überdies: „Das Wärterpersonal gehört nicht zu den gebildetesten ebenso wie in den Irrenanstalten.“41 Im November 1873 hatte er bereits den Verzicht auf Körperstrafen im Zuchthaus angeordnet.42
3. Georg II. und die Todesstrafe Eine generelle Einstellung des Herzogs zur schärfsten Strafe, der Todesstrafe, lässt sich den Akten zu den einzelnen Todesurteilen nicht entnehmen. Ob Georg II. tatsächlich die Todesstrafe abgelehnt und auf deren Abschaffung überall gehofft hat, wie es Erck und Schneider schreiben43, erscheint der Über34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Ebd. Ebd. (Vermerk vom 22. Januar 1909). Ebd. So z. B. in Chronik der JVA Untermaßfeld, in: Burggeist, Anstaltszeitschrift der JVA Untermaßfeld (2013), S. 8–13, hier S. 9. ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 988, S. 82–85, bes. S. 83. Ebd., S. 88. Ebd. Ebd., S. 88 (Anmerkung vom 4. Februar 1893). Vgl. Chronik Untermaßfeld (wie Anm. 37), S. 9. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 7 ), S. 147 (dort ohne Quelle).
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prüfung wert. Wichtig war für ihn jedenfalls ein rücksichtsvoller Umgang mit den Todgeweihten. Als zwei aus Steinbach Hallenberg gebürtige Mörder, für deren Begnadigung er nicht zuständig war, erst sieben Monate nach dem Urteil in Erfurt hingerichtet wurden, merkte er am 26. Oktober 1889 an: Es liegt eine große Grausamkeit darin, zum Tode Verurtheilte so entsetzlich lange auf Erfüllung ihres Schicksals warten zu lassen. Gegen solche Grausamkeit, sollte ich meinen, träte [der] mehr oder minder gefühlslose Ausfall einer Kriminaluntersuchung zurück!44
3.a) Gesetzliche Grundlage Bei Bemühungen um eine Abschaffung der Todesstrafe war Sachsen-Meiningen kein Vorreiter. Wie Reuß nahm es trotz der Proklamation der Frankfurter Grundrechte von 1848 zwei Jahre später den Strafgesetzbuch-Entwurf der Thüringer Staaten nur abgeändert, unter Beibehaltung der Todesstrafe, an. In Frankfurt a. M. hatten die beiden Meininger Abgeordneten Louis Müller und Werner Johannes zur Mehrheit gehört, die für eine Abschaffung der Todesstrafe, vorbehaltlich des Kriegs- und Seerechts, gestimmt hatte.45 Auch der Verfassungs- und Gesetzgebungs-Ausschuss des Landtags von Sachsen-Meiningen sprach sich im März 1850 mehrheitlich gegen eine Beibehaltung der Todesstrafe aus:46 Da die Todesstrafe hier „fast gar nicht zur Ausführung“ komme, sei vorzuziehen, wenn durch das Gesetz die Begnadigung „überflüssig wird, da nichts dem Ansehen des Gesetzes mehr schadet, als die sichere Aussicht des Verbrechers auf Begnadigung“.47 Der Landtag entschied sich jedoch mit 14 gegen acht Stimmen in einer nicht namentlichen Abstimmung für die Todesstrafe. Anschließend erklärten vier Abgeordnete, die für die Beibehaltung gestimmt hatten, sie seien eigentlich gegen die Todesstrafe. Der Abgeordnete Tuiskon Ziller glaubte, sich einer politischen Notwendigkeit unterwerfen zu müssen, der Präsident Carl Luther und der Abgeordnete Peter Morgenroth hielten dies zur Einführung der Schwurgerichte für notwendig und der Abgeordnete Werner Johannes verwies auf die Beibehaltung der Todesstrafe in den 44 ThStAM, Staatsministeriums, Abt. der Justiz, Nr. 1090, S. 122. 45 Siehe 131. Sitzung vom 7. Dezember 1848, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden National-Versammlung zu Frankfurt a. M., Nr. 132, 8. Dezember 1848, S. 3943 f. Das Abstimmungsergebnis lag bei 256 zu 176 Stimmen, vgl. ebd., S. 3947. 46 Bericht des Verfassungs- und Gesetzgebungs-Ausschusses betreffend mehrere Abänderungen zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches vom 13. März 1850, Beilagen zu den Verhandlungen des Landtages des Herzogthums S. Meiningen vom 4. April bis 22. Juni 1850, Beilage 43, S. 277 f. 47 Ebd., S. 277.
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größeren deutschen Staaten.48 In der vorausgegangenen Sitzung hatte Staatsrat Friedrich Eduard Oberländer ausgeführt, dass es nicht darum ginge, ob die Todesstrafe überhaupt beibehalten werden soll, sondern blos darum, ob sie dermalen noch und so lange beibehalten werden soll, als sie nicht in einem größern Umkreis der Nachbarstaaten aufgehoben worden49
sei. Der Abgeordnete Haring, der gegen die Beibehaltung der Todesstrafe gestimmt hatte, meinte, es dürfte im Herzogtum „wohl schwerlich je wieder ein Todesurtheil zur Vollstreckung kommen“ und es sei „praktisch ganz gleichgültig“, ob die Todesstrafe „auf dem Wege des Gesetzes oder auf dem der Begnadigung“ aufgehoben werde.50 Er sollte sich täuschen. So wurde von den drei zwischen 1860 und 1865 ergangenen Todesurteilen eines vollstreckt.51 Sachsen-Meiningen und Reuß blieben bei der Todesstrafe im Bereich des Thüringer Strafgesetzbuches nicht lange allein. In den Jahren 1856/57 wurde sie nach und nach auch in den anderen Staaten wieder eingeführt.52 Später wurde die Frage der Todesstrafe kontroverser Verhandlungsgegenstand im Reichstag des Norddeutschen Bundes. In der 2. Beratung über den Entwurf eines Strafgesetzbuches im März 1870 stimmten 81 Abgeordnete für die Beibehaltung der Todesstrafe. Dagegen sprachen sich 118 Abgeordnete aus, unter ihnen Julius Hoffmann aus Sachsen-Meiningen.53 Auf Drängen Bismarcks kam es in der Dritten Lesung jedoch zu einer Mehrheit von 127 zu 119 Stimmen für die Todesstrafe.54 Die Todesstrafe war durch Enthauptung zu vollstrecken (§ 13 StGB vom 15. Mai 1871) und galt bei Hochverrat (§ 80 StGB) und Mord (§ 211 StGB). In einem Entwurf war sie auch noch für die tätliche Beleidigung gegen Bundes48 Verhandlungen des Landtages des Herzogthums S. Meiningen vom 4. April bis 22. Juni 1850, 18. Öffentliche Sitzung vom 23. April 1850, S. 128 f. 49 Ebd., 17. Öffentliche Sitzung vom 22. April 1850, S. 120. 50 Ebd., S. 124. 51 Vgl. Übersicht über die in den Staaten des Norddeutschen Bundes in dem Zeitraum vom 1. Januar 1860 bis 1. Januar 1865 ergangenen und vollstreckten Todesurteile, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, I. Legislatur-Periode - Session 1870, Bd. 3, Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages von Nr. 1–72, Anlage A, S. XXXVII f. 52 Sachsen-Weimar-Eisenach am 14. Juli 1856, Schwarzburg-Rudolstadt am 15. August 1856, Sondershausen am 19. Juli 1857, Coburg-Gotha am 4. November 1857, vgl. L. TRIEST, Hinrichtung und Todesstrafe, in: Karl von ROTTECK/Karl WELCKER (Hg.), Das Staats-Lexikon, Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. 8, Leipzig ³1863, S. 141–188, hier S. 162. 53 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, I. Legislatur-Periode - Session 1870, Bd. 1, Berlin 1870, 12. Sitzung, 1. März 1870, S. 119–137, hier S. 136. 54 Ebd., Bd. 2, Berlin 1870, 52. Sitzung, 23. Mai 1870, S. 1119–1151, bes. S. 1140. Der Abgeordnete Hoffmann war beurlaubt.
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fürsten vorgesehen gewesen. Soweit der Appellationsgerichtsrat Anton Vollert aus Eisenach meinte, „der Kreis der todeswürdigen Verbrechen ist demnach enger gezogen worden, als dies bis jetzt von irgend einer Gesetzgebung, welche die Todesstrafe überhaupt kennt, geschehen“,55 war dies für Sachsen-Meiningen und Reuß unzutreffend. Dort gab es die Todesstrafe zuvor nur für Mord. Unter Geltung der Strafprozessordnung des Herzogtums von 1850 war das rechtskräftige Todesurteil dem Herzog nach Art. 357a Nr. 1 zur Einsicht vorzulegen und es bedurfte dessen Vollziehungsbefehl. Die Reichsstrafprozessordnung von 1877 verlangte indes gemäß § 485 keine solche Bestätigung mehr. Sie machte die Vollstreckung von der Entschließung des Staatsoberhauptes abhängig, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Die Begnadigung erfolgte durch Umwandlung in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe. Bereits kurz nach seinem Regierungsantritt gewährte Georg II. einem ehemals zum Tode verurteilten Mörder die Freiheit unter der Bedingung, dass dieser nach Amerika auswandert und nicht mehr zurückkommt.56 Es handelte sich um Caspar Wagner, der im Jahr 1848 den Hofmarschall von Minutoli erschossen hatte und von Herzog Bernhard II. zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden war. Wagner kam 1899 nach Meiningen und wollte dem Herzog zeigen, dass er sich der Gnade würdig erwiesen hatte.57 Herzog Georg II. wohnte, anders als es wohl sein Vorgänger gehandhabt hatte,58 den Gerichtsverhandlungen, in denen die Verhängung von Todesstrafe drohte, soweit ersichtlich, nicht bei. Er besuchte aber wenigstens eine Verhandlung, als 1885 ein Tagelöhner aus Molsdorf zum Tode verurteilt wurde und er nicht für die Gnadenentscheidung zuständig war.59
3.b) Fall Büchner und Complicen Im Dezember 1881 hatte Georg II. erstmals über eine Begnadigung nach Verhängung der Todesstrafe zu befinden und zwar bei drei gleichzeitig zum Tode Verurteilten. Das Schwurgericht in Gera hatte am 10. Dezember die verwitwete 55 Anton VOLLERT, Der Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, in: Anton VOLLERT (Hg.), Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, Bd. 17, Jena 1870, S. 1–68, bes. S. 8. 56 Vgl. ThStAM, Schreiben Ministerialabteilung III an die Herzogl. Direction der Straf- und Besserungsanstalt zu Maßfeld vom 15. November 1866, Direktion Gemeinschaftliches Männerzuchthaus Untermaßfeld Nr. 80, S. 14. 57 Vgl. SCHAUBACH, Chronik (wie Anm. 18), S. 434. 58 Vgl. Allgemeine Schwurgerichtszeitung für Deutschland und die Schweiz, Bd. 4, Nürnberg 1859, S. 40 (dort als Anmerkung der Redaktion zum Aufsatz von Oberstaatsanwalt von TIPPELKIRCH zu Stettin, Über den Beruf der Geschwornen. Die Conflicte des Wahrspruchs mit dem Begnadigungsrecht und ihre Lösung, S. 23–42). 59 Siehe Prozessbericht im Meininger Tageblatt, 18. Februar 1885.
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Rosine Büchner, deren Sohn Wilhelm Paschold und die ledige Johanne Pröschold aus Gräfenthal des Doppelmordes und der Brandstiftung für schuldig befunden. Es hatte an drei Verhandlungstagen 57 Zeugen und Sachverständige vernommen.60 Wegen der Brandstiftung verhängte es zudem eine Strafe von je 10 Jahren gegen die Angeklagten Büchner und Pröschold und von acht Jahren gegen Paschold. Opfer waren ihre Hausmitbewohner Dorothea Gläser und deren geistesschwache Tochter Henriette. Ihnen waren im November des Vorjahres in ihrer Wohnung der Schädel eingeschlagen bzw. der Unterkiefer weggeschlagen worden. Zudem wurde ein Brand gelegt. Der Herzog holte in Vorbereitung seiner Gnadenentscheidung Stellungnahmen ein. Der Schwurgerichtshof führte am 17. Dezember 1881 aus, es handle sich um „einen an zwei armen, hülfslosen Frauen in der grausamsten Weise ausgeführten, längst geplanten Doppelmord, dessen Motiv Eigennutz und Habsucht“ waren.61 Bei den Täterinnen liege „nicht der entfernteste Grund zu einer Begnadigung“62 vor. Paschold könne dagegen der „höchstlandesherrlichen Gnade empfohlen werden“, da der 21-Jährige noch nicht lange strafmündig war, immer einen guten Ruf genossen habe und erst wenige Tage vor der Tat dem Mordplan beigetreten sei.63 Oberstaatsanwalt Horst Lommer aus Jena, der den Prozess beobachtet hatte, die Staatsanwälte Hagen und Nohr64 sowie der Vorstand der Justizabteilung, Friedrich von Uttenhoven,65 befürworteten zuletzt auch eine Begnadigung Pröscholds. Sie hegten Zweifel an deren (voller) Schuld. Der Geheime Justizrat Cronacher hielt die Schuld Pröscholds ebenfalls für bedenklicher, was Georg II. teilte.66 So war sie hauptsächlich durch die Aussage ihrer siebenjährigen Tochter belastet worden, beteuerte ihre Unschuld und stellte als einzige ein Gnadengesuch. Zudem behauptete die Verurteilte Büchner nun, sie sei eine Alleintäterin gewesen. Uttenhoven erachtete die Einleitung einer neuen Untersuchung hinsichtlich Paschold und Pröschold für notwendig, da sie nur dann ggf. straffrei werden könnten. Mit der Hinrichtung der Büchner solle gewartet werden, damit sie ggf. vor Gericht vernommen werden könnte.67 Georg II. selbst vermerkte am 9. Januar 1882: Durch die Aussagen der Büchner liegt die Sache so, dass die Wiederaufnahme der Untersuchung als etwas sehr zu erhoffendes betrachtet werden muss. Ich habe die Unter60 61 62 63 64
Vgl. Meininger Tageblatt, 15. Dezember 1881. ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 644, S. 7. Ebd., S. 9. Ebd. Ebd., Bericht des Oberstaatsanwaltes Lommer vom 30. Dezember 1881, S. 27–36, hier S. 32 u. 35 f. 65 Ebd., Schreiben Uttenhovens vom 7. Januar 1882, S. 40 f. 66 Ebd., Anmerkung Georgs II., S. 37 und 85. 67 Ebd., Schreiben Uttenhovens vom 7. Januar 1882, S. 40 f.
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suchungsakten allerdings nicht gelesen. Nach dem Material, das mir zu Gebote stand, erscheint mir die Schuld der Pröschold aber unerwiesen. Meines Wissens beruht die Annahme, dass die Mordtat am Abende vor der Brandlegung stattfand, nur auf der Aussage des Kindes, die möglicher Weise ganz aus der Luft gegriffen ist. Es wäre ein schauderhafter Gedanke, wenn man sich sagen müsste, die Pröschold verbüsst vielleicht ganz unschuldig lebenslängliche Zuchthausstrafe. Dieser Gedanke würde ein so drückender sein, dass über kurz oder lang Begnadigung eintreten würde. Und – wer weiß, ob dann nicht eine Mörderin begnadigt werden würde? […] Die Herrn Staatsanwälte dürfen nicht an das ihrem Rufe vielleicht nicht Vorteilhafte, das in einer Wiederaufnahme des Prozesses liegt, denken! Oder besser – der Oberstaatsanwalt darf nicht den Ruf des Staatsanwaltes Nohr zu sehr schonen wollen und den der Richter, die alle die Enthauptung der Pröschold befürworteten.68
Oberstaatsanwalt Lommer räumte einem Wiederaufnahmeantrag indes keine Erfolgsaussicht ein, da keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorlägen. Die Staatsanwaltschaft müsse zudem Scheu empfinden, den auf ihren Antrag gefällten Urteilsspruch der Geschworenen öffentlich zu diskreditieren und ihre Wirksamkeit in künftigen Fällen zu gefährden, hieß es in seinem Bericht vom 13. Januar 1882.69 Georg wünschte eine Besprechung mit Lommer, Uttenhoven und Cronacher und traf dann am 16. Januar 1882 die erstaunliche Entschließung, alle drei Verurteilten zu begnadigen.70 Ein seitens Pröscholds gestellter Wiederaufnahmeantrag blieb ohne Erfolg. Einem unschuldig in der Sache Inhaftierten bewilligte der Herzog, „wenn wie nicht zu bezweifeln aus der Staatskasse nicht verabfolgt werden kann“, was der Fall war, 60 RM aus seiner Schatulle.71 Rosine Büchner und Wilhelm Paschold starben 1883, Johanne Pröschold 1887.72
3.c) Fall Schmidt Über den nächsten Fall, ein Todesurteil des Schwurgerichts in Meiningen vom 28. Oktober 1891 gegen die 25-jährige Perlenarbeiterin Antonie Schmidt aus Lauscha wegen Mordes an ihrer viermonatigen Tochter, steht keine Ministerialakte zur Verfügung. Aus dem Prozeßbericht des „Meininger Tageblatts“ vom 29.10.1891 geht hervor, dass der Vorsitzende Richter die zwölf Geschworenen darüber belehrte, dass es falsch wäre nur deshalb, weil beim Morde mildernde 68 69 70 71 72
Ebd., S. 76 f. Ebd., S. 79–82, bes. S. 81. Ebd., S. 91. ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 644, S. 96. Vgl. Frank ESCHE, Rosine Büchner, Wilhelm Paschold und Johanne Pröschold – Der Gräfenthaler Doppelmord, in: Frank ESCHE/Wolfgang KRÜGER, Thüringer Mörderinnen 1859–1938. Frauenschicksale zwischen Liebe und Schafott, Arnstadt 2009, S. 111–124, bes. S. 123 f.
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Umstände nicht bewilligt werden könnten, Totschlag anzunehmen: „Die Geschworenen hätten Recht zu sprechen – die Gnade stehe dem regierenden Herrn zu!“ Die Geschworenen hielten einen Mord für gegeben. Der Verhandlung wohnten Staatsminister Friedrich von Heim, Cronacher und Oberstaatsanwalt Lommer bei. Am 3. Dezember 1891 berichtete die „Henneberger Zeitung“ über die erfolgte Begnadigung zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe.
3.d) Fall Malter Einfach war die Begnadigungsentscheidung im Fall des wegen Raubmordes am 23. Februar 1895 zum Tode verurteilten Landwirts Anton Malter aus Eschenbach. Georg II. hatte, nach Lesen einer Meldung über die Tat in der „Werrazeitung“, seine Justizabteilung am 6. März 1894 angefragt: „Weiß man hier schon davon?“73 In einer zur Vorbereitung der Gnadenentscheidung eingeholten Stellungnahme führten die Richter des Schwurgerichtshofs am 24. Februar 1895 aus, sie erachteten „den Schuldigspruch der Geschworenen für gerechtfertigt“.74 Da aber ein reiner Indizienbeweis vorlag, schlösse dies die Möglichkeit eines anderen Sachverhalts weniger aus, „als ein directer Beweis dies gethan haben würde“. Für den „nach menschlicher Voraussicht allerdings höchst unwahrscheinlichen Fall“, dass sich die Unschuld des Angeklagten herausstellen sollte und um die Möglichkeit einer Rehabilitierung „nicht gänzlich abzuschneiden“,75 empfahlen sie die Befürwortung der Begnadigung. Georg sprach daraufhin bereits vier Tage nach Urteilsspruch die Begnadigung zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe aus.76 Das Vorgehen der Richter ist schwierig zu beurteilen. Letztlich stellte ihre Stellungnahme entweder ein Plädoyer für den Nichtvollzug der Todesstrafe bei Vorlage eines reinen Indizienbeweises dar, oder sie wollten offenbaren, dass sie sich bei der Verurteilung doch nicht so sicher waren. Der Gerichtsberichterstatter Sling kommentierte ein ähnliches Verhalten eines Gerichts in Zeiten der Weimarer Republik so: „Man salviert nicht sein Gewissen, indem man durch einen Nachsatz zum Todesurteil den Versuch macht, die irreparable Ausführung des Spruchs zu verhindern.“77 Der Rechtsanwalt Jacob Simon führt in seinen Lebenserinnerungen den Fall Malter als Beispiel dafür an, dass mitunter Geschworene jemanden für schuldig halten bei Prozessen, „in denen die Strafkammer oder überhaupt die Juristen nie verurteilt hätten“.78 Im Fall Malter seien 73 74 75 76 77 78
ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 653, S. 1. Ebd., S. 17 f. Ebd. Ebd., S. 17. SLING, Richter und Gerichtete, Berlin 1929, Der Fall Strasser (am Ende). SIMON, Jüdisches Leben (wie Anm. 19), S. 74.
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die Juristen wegen der „Zweifelhaftigkeit des Beweises außer sich“79 gewesen. Dies zeige sich auch an der Begnadigung noch vor Rechtskraft. Simon war in dem Verfahren allerdings nicht der Verteidiger. Wenn die Richter den Spruch der Geschworenen tatsächlich einstimmig als irrig empfunden hätten, hätten sie nach § 317 Satz 1 Strafprozessordnung die Sache zur neuen Verhandlung vor das Schwurgericht der nächsten Sitzungsperiode verweisen müssen. Mit der Anregung einer Begnadigung durfte dies nicht umgangen werden, da auch eine lebenslange Zuchthausstrafe ein großes Übel war. Merkwürdig war auch ein Nachspiel im Fall Malter. Im Jahr 1904 behauptete ein Gerichtsschreiber des Amtsgerichts Meiningen gegenüber dem Verurteilten Malter, es sei ein Bericht eingegangen, welcher erweise, dass zwei andere den Mord begangen hätten. Dies erfand er, um zu sehen, was „Malter dazu sage“.80 Georg kommentierte am 18. Oktober 1904: „Schlechte Witze, wie Gerichtsschreiber Morschewsky sich dennoch erlaubt hat, dürften nicht gestattet sein und sollten verwiesen werden.“81 Das Ministerium veranlasste daraufhin zwei Tage später eine ernstliche Verweisung des Gerichtsschreibers wegen des „völlig ungehörigen Verhaltens dem Gefangenen Malter gegenüber“.82 Einem nach 15 Jahren Zuchthaus im März gestellten Gnadengesuch von Malters Anwalt mit Hinweis, möglicherweise sei dieser unschuldig verurteilt worden, gab der Herzog nicht statt.83
3.e) Fall Steiner Der nächste, wiederum kompliziertere Fall betraf einen Mord vom April 1896 in einem Wald nahe Steinach. Dort war die ledige, geistesschwache, hochschwangere 35-jährige Amalie Eichhorn erwürgt worden. Unter Verdacht geriet der Holzarbeiter Paul Steiner aus Steinach, den das Opfer zuvor als Vater ihres noch nicht geborenen Kindes angegeben hatte. Mitte Oktober fand der Prozess vor dem Schwurgericht in Meiningen wegen Mordes und früher begangener Sittlichkeitsverbrechen statt. Staatsminister Heim und Oberstaatsanwalt Lommer waren zugegen. Steiner, der die Taten hartnäckig leugnete, wurde am 17. Oktober 1896 zu zwei Jahren Zuchthaus und zum Tode verurteilt. Der Schwurgerichtshof sprach sich in seinem Bericht vom gleichen Tag für einen Vollzug der Todesstrafe aus. Er verwies darauf, dass Steiners Anwalt, Albert 79 Ebd. 80 ThStAM, Staatsministerum, Abt. der Justiz, Nr. 653, Schreiben Ministerialabteilung III an das Amtsgericht Meiningen vom 20. Oktober 1904, S. 64. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Ebd., Schreiben Ministerialabteilung III an Rechtsanwalt Ortweiler vom 10. März 1910, S. 74.
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Strupp, in der Verhandlung, auf weitere Ausführungen verzichtend, die Entscheidung der Schuldfragen lediglich anheimgestellt habe. Die zwölf Geschworenen hätten Steiner – wie zuverlässig verlautet – einstimmig für schuldig befunden.84 Nachdem der Herzog erfuhr, dass Steiner „Speise und Trank“ verweigerte „und vermittels Magensonde gewaltsam zu ernähren“ sein werde,85 schickte er frühmorgens ein Telegramm aus Altenstein an Staatsminister Heim und meinte, dass „ein bequemes Mittel ihn zum Essen zu bringen“ sein müsste, „ihm eine dampfende Bratwurst u. Semmel und ein halbe Liter Bier zu der Zelle zu stellen, ohne darüber Bemerkung zu machen“.86 Ob der bodenständige herzogliche Ratschlag versucht wurde, ist unklar. Am gleichen Tag begann Steiner jedenfalls wieder mit der Nahrungsaufnahme. Auch Oberstaatsanwalt Lommer sprach sich gegen eine Begnadigung aus. Die ganze Hässlichkeit und Schlechtigkeit der Tat […] und der bösartige, scheinheilige, starre, zu Reue gar nicht fähige, Charakter des Täters, ergeben eine so einfache Lage der Sache, dass dieses Mal nicht nur die Organe des Staates sich für den Vollzug der Strafe aussprechen müssen, sondern auch der gemeine Mann.87
Andernfalls würde vielmehr geargwöhnt werden, dass die hiesige Justizverwaltung – anders als die der anderen Thüringer Staaten – es nicht mehr über sich bringe, für den Vollzug der gesetzlichen Strafe einzutreten. Eine derartige Anschauung über einen sonst allgemein so angesehenen und hoch geachteten Staat wäre aber sehr nachteilig, bedauerlich und für einen treuen Anhänger desselben besonders schmerzlich.88
Das Reichsgericht verwarf eine von Steiner eingelegte Revision. Nachdem Staatsminister Heim ebenfalls den Vollzug empfahl, paraphierte Georg die vorbereitete ablehnende Entscheidung am 8. Dezember 1896: Seine Hoheit der Herzog haben in der Untersuchung wider den Holzarbeiter Paul Steiner aus Steinach wegen Mordes die Entschließung gefasst, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen, und das Gnadengesuch des Steiner abgelehnt.89
Georg vermerkte weiter:
84 ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 1075, S. 6 f. 85 Ebd., Telegramm Georgs II. aus Altenstein an Staatsminister Heim, 21. Oktober 1896, S. 9. 86 Ebd. 87 Ebd., Stellungnahme des Oberstaatsanwaltes Lommer vom 30. November 1896, S. 23 f. 88 Ebd. 89 Ebd., Verfügung Georgs II. vom 8. Dezember 1896, S. 31.
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Von allen Mordtaten, welche seit 30 Jahren stattgefunden haben, ist diese die verruchteste und kann ich nichts finden, was die schauderhafte Tat in einem Lichte erscheinen liesse, dass ein Recht zur Begnadigung gäbe.90
Die ablehnende Entscheidung sollte Steiner erst am Tage vor der Hinrichtung mitgeteilt werden. Als aus Untermaßfeld die Nachricht kam, dass Steiner Spuren von Geistesstörung zeige, bedurfte es noch einer ärztlichen Untersuchung. Georg wollte, dass der Irrenarzt die „ruhige Lage der Ermordeten“ berücksichtigt und schrieb: Steiner musste daran liegen, dass die gemordete Person wie von dem Baumstamme erschlagen aussah, es wäre, sollte man meinen, daher in seinem Interesse gewesen, ihr eine unregelmäßige Lage zu geben, stattdessen hat er die Arme so zurecht gelegt als wenn die Leiche in Sorge sich befände, und gar in die eine Hand noch ein Reiß gelegt – als wie eine Art Liebeszeichen. Denkbar wäre es, dass dieses sonderbare Verhalten St.´s mit Geistesversehrbarkeit zusammenhinge. Wahrscheinlicher ist freilich, dass St. Verrücktheit simuliert.91
Steiner wurde in die Irrenanstalt nach Hildburghausen verlegt. Der Herzog vermerkte: Am Ende ist er durch die Aufregung, in welche er durch das Urteil und durch die Ungewissheit über sein Loos versetzt sein musste, wirklich verrückt geworden. Ich hörte, er habe seinen Kot wahrscheinlich mit Appetit verzehrt. Wenn er bei Verstand wäre, zeugte dies von merkwürdiger Energie.92
Später ergänzte Georg: „Versessen auf seine Familie bin ich nicht. Wenn Steiner wirklich verrückt wäre, sollte es mich freuen.“93 Wenig später bat er seine Ministerialabteilung um Mitteilung, ob „in dem Befinden und Verhalten Steiners während seiner Tat und nach derselben irgend ein Punkt zu finden [ist], welcher es rechtfertigen könnte, dem Mörder die Todesstrafe zu erlassen“.94 Für den Fall, dass Steiner nur simulierte, sah Georg keinen Grund für eine Begnadigung, stellte seiner Justizabteilung aber folgende Frage: „Die lange Dauer des Harrens in Ungewißheit, ob die Todesstrafe vollzogen werde oder nicht, kann wohl kaum als ein triftiger Grund zur Begnadigung angesehen werden?“95 Es scheint, als suchte der Herzog nach einem Umstand, der eine Begnadigung rechtfertigen könnte.
90 Ebd., Vermerk Georgs II. vom 10. Dezember 1896, S. 33. 91 Ebd., Anmerkung Georgs II. vom 16. Dezember 1896, S. 35 (Hervorhebung im Original). 92 Ebd., Anmerkung Georgs II. vom 27. Dezember 1896, S. 38. 93 Ebd., Anmerkung Georgs II. undat. (Hervorhebung im Original). 94 Ebd., Verfügung Georgs II. vom 22. Januar 1897, S. 41. 95 Ebd., Vermerk Georgs II. vom 30. Januar 1897, S. 47.
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Zwei Irrenärzte begutachteten Steiner und hielten ihn für einen Simulanten, so dass Georg am 2. März 1897 entschied, dass es bei der Zurückweisung der Begnadigung bleibe und der Grund für die lange Zeit zwischen Urteil und Hinrichtung mit bekannt zu geben sei.96 Die Hinrichtung wurde auf den 12. März, halb neun Uhr früh im Zuchthaus Untermaßfeld festgesetzt. Am Vortag wurde Steiner darüber und über die Entscheidung des Herzogs informiert. Zur Hinrichtung erschienen u. a. der Staatsanwalt Seel, die Richter des Landgerichts Graf und Heil und der Anstaltsgeistliche Oberkirchenrat Füßlein aus Untermaßfeld. Vor der Vollstreckung durch Scharfrichter Reindel aus Magdeburg mittels des Beils erklärte Steiner: „Ich habe ja nichts gethan, was soll ich denn nur machen, helfen Sie mir, daß ich nicht tot gemacht werde.“97 Auch hier gab es noch ein Nachspiel. Der Anstaltsgeistliche Füßlein berichtete, er habe in den Tagen zuvor versucht, Steiner zu einem Geständnis zu bringen. Dies unter Hinweis, es sei „vielleicht der letzte Sonntag [...], den er hier auf Erden erlebe“ bzw. er werde „wohl in kürzerer Zeit [vor Gott] stehn“.98 Damit war für Georg – entgegen seiner Weisung – auf die bevorstehende Hinrichtung angespielt worden. Den Hinweis Füßleins, Steiner glaube, „durch hartnäckiges Leugnen der Todesstrafe, vor der er doch sichtlich eine gewaltige Angst hat, zu entgehen“,99 kommentierte der Herzog am Rand mit: „Natürlich hatte er Angst davor.“100 Am Morgen der Hinrichtung sagte Füßlein schließlich zum heftig zitternden und mit den Händen ringenden Steiner: Gestern ehe Ihnen das Endurteil verkündigt wurde, hatte ich den Auftrag, wenn Sie Ihr Verbrechen eingestanden hätten, sofort an den Herrn Staatsanwalt zu telegraphieren, vielleicht hätten Sie dann noch Gnade gefunden. Sie wissen, wie herzlich und dringend ich Sie gebeten habe, Ihr Gewissen zu erleichtern.101
Darauf habe Steiner gebeten: „Helfen Sie mir, telegraphieren Sie.“102 Georg zeigte sich empört: „Es ist ein starkes Stück am Hinrichtungsmorgen dem Steiner zu sagen, siehste nun hast du durch Nichtgeständnis deine Begnadigung selbst verscherzt.“103 Die Ansprache des Geistlichen zeuge von einer Gehässigkeit Steiner gegenüber. Er passe sich nicht als Zuchthaus-Seelsorger und habe sich „über die Maßen taktlos (gepaart mit einer gewissen Unempfind-
96 97 98 99 100 101 102 103
Ebd., Vermerk Georgs II. vom 2. März 1897, S. 54. Ebd., Protokoll über die Vollstreckung des Urteils, 12. März 1897, S. 61 f. Ebd., Bericht des Anstaltsgeistlichen am Männerzuchthaus zu Untermaßfeld vom 12. März 1897, S. 66–68. Ebd., S. 66. Ebd. Ebd., S. 67. Ebd. Ebd., Anmerkung Georgs II., S. 67.
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lichkeit für die seelischen Zustände eines Anderen)“104 gezeigt. Ihm wurde daher die „höchste Mißbilligung“ für die „unangemessene Haltung“105 erteilt. In der „Sonneberger Zeitung“ vom 19. März 1897 hieß es, der Herzog sei einer Begnadigung im letzten Augenblick wohl nicht vollständig abgeneigt gewesen und Steiner sei Opfer des vielverbreiteten Irrtums, ohne Tateingeständnis könne keiner hingerichtet werden. Tatsächlich kam die Anweisung zum Telegraphieren ohne Wissen des Herzogs und des Ministeriums vom Ersten Staatsanwalt Freytag. Dieser rechtfertigte sich, es sei ihm nicht um eine Begnadigung, sondern um die Protokollierung eines etwaigen Geständnisses gegangen, und weiter: Wenn „allerhöchst“ die Vollstreckung ungeachtet des Vorliegens nur eines Indizienbeweises für geboten erachtet worden sei, hätte ein nachträgliches Geständnis diese „allerhöchste Entschließung nur um so nothwendiger erscheinen lassen“.106 Weshalb Georg II. sich in diesem Fall erstmals „ungnädig“ zeigte, erscheint unklar. Der Mord war in seiner Durchführung kaum so grausam wie der Doppelmord von Gräfenthal, bei dem er sogar die Haupttäterin Büchner begnadigt hatte. In beiden Fällen hatten sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Ministerium gegen eine Begnadigung ausgesprochen. Auch war es seinerzeit nicht so, dass zum Tode verurteilte Frauen stets begnadigt worden wären.107 Eine mögliche Erklärung bietet eine Äußerung des preußischen Gesandten Ludwig Raschdau.108 Dieser war auf Einladung Georgs drei Tage nach der Hinrichtung Steiners nach Meiningen gekommen. In seinem Bericht weist er darauf hin, die Zeitungsmeldungen über den Nichtgebrauch der Begnadigung nach 31-jähriger Regierungszeit seien zutreffend. Und weiter: Die Sinnesänderung ist wie ich vertraulich erfahre, von einem Umstande ausgegangen, der auch sonst bei den für und gegen die Todesstrafe sprechenden Erwägungen eine wichtige Rolle spielt. Ein wegen Mordes in einem bayerischen Zuchthause internierter Sträfling entfloh vor einiger Zeit aus seiner Haft und beging kurz darauf einen neuen Mord. Dieser – übrigens mit dem Meininger Fall sonst in keiner Beziehung stehende – Vorgang scheint auf den Herzog großen Eindruck gemacht zu haben.109
104 Ebd., Anmerkung Georgs II. vom 22. März 1897, S. 72. 105 Ebd., Schreiben Ministerialabteilung III an Kirchenrat Füßlein vom 10. April 1897, S. 79. 106 Ebd., Bericht des Ersten Staatsanwalts vom 18. März 1897, S. 72 f. 107 In Preußen waren von den von 1854 bis 1865 zum Tode verurteilten Kapitalverbrechern 89 weiblich (=22 %), von denen 19 hingerichtet wurden. Vgl. Richard J. EVANS, Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987, Berlin 2001, S. 375. 108 Für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Frau Katharina Witter. 109 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes R 3337, Bericht des Gesandten von Raschdau vom 17. März 1896.
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In Raschdaus veröffentlichten Erinnerungen heißt es zudem süffisant, der Grund für die Nichtbegnadigung sei „eigentlich ein solcher, zu dessen Erkenntnis es nicht eines Menschenalters bedarf“.110
3.f) Fälle Polz und Franke Nachfolgend gab es keine neuen Todesurteile, bei denen Georg II. das Gnadenrecht zustand. Dennoch erfolgte im Jahr 1910 eine Hinrichtung im Zuchthaus Untermaßfeld. Hintergrund war, dass das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha nach der Aufnahme weiblicher Gefangener im Zuchthaus Gräfentonna anfragte, ob „die Ausführung des Todesurteils“ gegen den Bäckergesellen Paul Polz aus Eisenach im gemeinschaftlichen Zuchthaus Untermaßfeld erfolgen könne.111 Die Zustimmung aus Meiningen führte zu scharfen Zuschriften an die „Dorfzeitung“ aus Hildburghausen. Es werde gefragt, teilte die Redaktion dem Staatsministerium mit, wie Sachsen-Meiningen „dazu kommt, für Coburg u. Gotha Henkerdienste zu leisten!“112 Wegen einer Hineinziehung der Hoheit in den Zuschriften werde von einem Abdruck vorerst abgesehen. Nach der erfolgten Hinrichtung berichtete Staatsrat Friedrich Trinks dem Herzog auf dessen Anfrage, er habe der Hinrichtung nicht beigewohnt, da „in jeder Beziehung der Auffassung entgegengetreten werden [sollte], als habe die diesseitige Justizverwaltung mit diesem Strafvollzug etwas zu tun“.113 Georg II. vermerkte am Rand: „Besten Dank!“114 Mit einem jugendlichen Mörder hatte er sich ab 1899 zu befassen. Der 14-jährige Richard Franke war im November 1895 vom Schwurgericht Rudolstadt wegen Mordes an einem Forstwart zu zwölf Jahren und einer Woche Gefängnis verurteilt worden. Für eine Todesstrafe war er nach § 57 S. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch zu jung. Sein Vater, der zum Schießen aufgefordert hatte, erhielt lebenslängliche Zuchthausstrafe. Der damalige Staatsanwalt und nunmehrige Landrichter Bernhardt zweifelte an der Urteilsrichtigkeit und der Gerechtigkeit der Strafe hinsichtlich des Jugendlichen.115 So soll der Vater vom Forstwart gewürgt worden sein. Die Gefängnisdirektion regte einen Erlass des Strafrestes an, die Justizabteilung war dagegen. Georg II. entschied, es möge in anderthalb bis zwei Jahren die Frage der Begnadigung erneut angeregt werden, 110 Ludwig RASCHDAU, In Weimar als Preußischer Gesandter. Ein Buch der Erinnerungen an Deutsche Fürstenhöfe 1894–1897, Berlin 1939, S. 120. 111 ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 561, Schreiben Sächsisches Staatsministerium vom 18. Oktober 1910, S. 6. 112 Ebd., Schreiben Redaktion Dorfzeitung vom 10. November 1910, S. 13. 113 Ebd., S. 14. 114 Ebd. 115 Ebd., Bericht Ministerialabteilung III vom 16. Februar 1899, S. 13–16, hier S. 13.
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CHRISTOPH GANN
da bei einer Verurteilung wegen Totschlags die Strafe wohl nicht viel niedriger als die Höchststrafe von siebeneinhalb Jahren ausgefallen wäre.116 Im Februar 1901 bewilligte er dann die vorläufige Entlassung des Richard Franke.117 Bezüglich des Vaters lehnte er 1904 und 1906 Begnadigungen ab und bat um Wiedervorlage nach 15 Jahren Haftzeit.118 Im Jahr 1909 befürworteten der Anstaltsgeistliche Füßlein und der Zuchthausdirektor eine bedingte Begnadigung. Der Erste Staatsanwalt in Rudolstadt hielt ebenfalls nur eine vorläufige Entlassung für veranlasst, die aber § 23 Strafgesetzbuch bei lebenslänglicher Zuchthausstrafe nicht vorsah. Staatsrat Trinks schlug vor, Strafaufschub mit Aussicht auf Begnadigung bei guter Führung zu gewähren. Der 61-jährige Franke habe „schwer gebüßt“ und wegen seines Alters erscheine fraglich, ob eine spätere Freilassung „für ihn noch Wert hätte oder überhaupt in Betracht komme“.119 Georg II. gewährte daraufhin „Strafaufschub mit Aussicht auf Begnadigung bei guter Führung bis Ende des Jahres 1914“.120
4. Bewertung Die angeführten Fälle zeigen, dass Georg II. sich gewissenhaft und gründlich mit der, wie Oberstaatsanwalt Lommer es nannte, „ohnehin widerwärtigen“ und „schweren Angelegenheit“121 der Begnadigungsentscheidung befasste. Aus den Aktenvermerken geht hervor, dass Georg sich der schweren Situation vom zum Tode Verurteilten sehr bewusst war, dass er einfühlsam war und jede Erschwernis für sie vermeiden wollte. Während sein Vorgehen im Fall der Mörderin Büchner auf Vorbehalte gegenüber einer Vollstreckung der Todesstrafe, jedenfalls bei Frauen, hindeutet, lässt der Fall Steiner erkennen, dass er zwar kein Verfechter der Todesstrafe war, aber auch nicht als deren Gegner angesehen werden kann. Möglicherweise hat bei ihm tatsächlich eine Sinnesänderung stattgefunden, wie es Raschdaus Bericht nahe legt. Ein gnädiger Herzog? Mit Einschränkung ja.
116 Ebd., Anmerkung Georgs II. vom 16. Februar 1899, S. 16. 117 Ebd., Schreiben Ministerialabteilung III an den Ersten Staatsanwalt in Rudolstadt vom 19. Februar 1901, S. 18. 118 Ebd., Schreiben Ministerialabteilung III vom 10. September 1904 mit Paraphe Georgs II.; ebd., Vermerk Georgs II. vom 21. Juni 1906, ebd., S. 23 f. 119 Ebd., Bericht Ministerialabteilung III vom 9. Dezember 1909, S. 34–42, bes. S. 40. 120 Ebd., Vermerk Ministerialabteilung III vom 9. Dezember 1909, S. 42. 121 ThStAM, Staatsministerium, Abt. der Justiz, Nr. 1090, Bericht des Oberstaatsanwaltes zu Jena vom 31. November 1884, S. 5–22, hier S. 16.
UWE SCHIRMER LÄNDLICHE GESELLSCHAFT UND AGRARVERFASSUNG
Ländliche Gesellschaft und Agrarverfassung im Herzogtum Sachsen-Meiningen (1826–1914) Die ländliche Bevölkerung des heutigen Freistaates Thüringen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in eine Ordnung eingebunden, für die der Begriff „Mitteldeutsche Grundherrschaft“ gebräuchlich ist.1 Tragende Säulen dieses Systems waren: einklagbare Besitzrechte; das Grundrecht, frei zu erben, zu vererben und zu testieren; uneingeschränkte Freizügigkeit; die Autonomie der bäuerlichen Gemeinden; das Recht, vor Gericht ohne Vormund zu erscheinen und zu prozessieren sowie gegebenenfalls zu appellieren; relativ erträgliche Erbzinslasten, moderate Frondienste sowie nicht zuletzt eine weitgehende mündliche Meinungsfreiheit im ländlichen Raum jenseits der heftig umkämpften Pressefreiheit.2 Allerdings existierte im System der Mitteldeutschen Grundherrschaft, wozu faktisch das heutige Mitteldeutschland abzüglich der Altmark und der beiden Lausitzen gehörte, ein strukturelles Gefälle hinsichtlich der Freiheit und Selbstbestimmung sowie der Erbgewohnheiten. Aus territorialer Perspektive betrachtet, überschnitt sich das System der Mitteldeutschen Grundherrschaft im Westen mit fränkischen Rechtsgewohnheiten und im Osten und Nordosten mit der ostelbischen Gutsherrschaft, die sich jedoch erst im Lauf der Frühen Neuzeit herausgebildet und verfestigt hat. Charakteristisch für die ostelbische Gutsherrschaft waren Schollenbindung, Hörigkeit sowie gegebenenfalls Leibeigenschaft der Bauern.3 Derartige Bedrückungen und Unfreiheit waren den Bauern in Thüringen hingegen völlig fremd. Die Heterogenität innerhalb der Mitteldeutschen Grundherrschaft wird nicht zuletzt durch verschiedene Erbgewohnheiten dokumentiert. Im fränkischen Teil Thüringens und im Thüringer Becken war die Realteilung der bäuerlichen Höfe üblich, während in den anderen Gebieten das Anerbrecht, also die 1 2
3
Friedrich LÜTGE, Die mitteldeutsche Grundherrschaft und ihre Auflösung (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 4), Stuttgart ²1957. Beispielsweise kannten die ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Mandate und Erlasse nicht den Tatbestand der Majestätsbeleidigung; zur Pressefreiheit vgl. Werner GREILING, Presse und Öffentlichkeit in Thüringen. Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 6), Köln u. a. 2003. Kurt ANDERMANN, Leibeigenschaft, in: Albrecht CORDES u. a. (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 20. Lieferung (Lehnrechtsbücher – Liermann, Hans [1893–1976]), Berlin ²2014, Sp. 771–777, hier Sp. 773 f.
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UWE SCHIRMER
geschlossene Hofübergabe dominierte.4 Die Tatsache, dass es im Gebiet der Mitteldeutschen Grundherrschaft divergierendes Erbrecht gab, impliziert die Frage, inwieweit sich fränkisches Recht, altthüringische Rechtsgewohnheiten und das Sachsenspiegelrecht in Thüringen überschnitten, ergänzt und vermischt sowie ausgeschlossen haben. Auf keinen Fall war in der ländlichen Gesellschaft Thüringens ein einheitliches, überregional geltendes Recht gültig – so wie in den nördlichen, nordöstlichen und östlichen Regionen mit dem Sachsenspiegelrecht. Im Untersuchungsgebiet, im Herzogtum Sachsen-Meiningen, herrschte uneingeschränkt fränkisches Recht vor. Friedrich Lütge, der unbestritten ein großes Standardwerk zur mitteldeutschen Agrarverfassungsgeschichte vorgelegt hat, ist sich der Zuordnung der Landstriche südwestlich des Thüringer Waldes selbst unsicher. Einmal negiert er die Zugehörigkeit dieser Region zum System Mitteldeutsche Grundherrschaft, an anderen Stellen rechnet er sie selbstverständlich hinzu, was er freilich mit den ernestinischen Staats- und Verfassungsverhältnissen erklärt.5 Das Herzogtum Sachsen-Meiningen war während des gesamten 19. Jahrhunderts im hohen Maße agrarisch geprägt und diese Prägung war auch zu Lebzeiten Herzog Georgs II. vorherrschend. Zwar ist die gewerbliche und teilweise auch zögerliche industrielle Entwicklung, besonders um Saalfeld, Sonneberg, Pößneck und Meiningen, bis zum Tode Herzog Georgs nicht in Abrede zu stellen, aber letztlich besaß die Region zwischen der Rhön und dem Thüringer Wald, zwischen Bad Salzungen und Hildburghausen eine Wirtschafts- und Sozialstruktur, die sich durch Agrarwirtschaft, Klein- und Heimgewerbe auszeichnete. Nach der statistischen Erhebung von 1864 lebten 178.065 Menschen in Sachsen-Meiningen.6 Zur sogenannten Berufsbevölkerung wurden insgesamt 76.124 Personen gezählt, die sich auf die einzelnen Berufs- und Gewerbezweige wie folgt verteilten (vgl. Tabelle 1).7
4 5 6 7
Wilhelm ABEL, Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Deutsche Agrargeschichte, 2), Stuttgart 1978, S. 74 f., 222 f. LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 1), S. 20, 270–273. Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstatistik Deutschlands 1815–1875, Bd. I: Quellen zur Bevölkerungsstatistik Deutschlands 1815–1875, hg. von Wolfgang KÖLLMANN, bearbeitet von Antje KRAUS, Boppard am Rhein 1980, S. 308. Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstatistik Deutschlands 1815–1875, Bd. IV: Quellen zur Berufs- und Gewerbestatistik Deutschlands 1816–1875: Mitteldeutsche Staaten, hg. von Wolfgang KÖLLMANN., bearbeitet von Antje KRAUS, Boppard am Rhein 1995, S. 347–389, hier S. 389.
LÄNDLICHE GESELLSCHAFT UND AGRARVERFASSUNG
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Tabelle 1: Berufs- und Gewerbezweige im Herzogtum Sachsen-Meiningen (1864) Gewerbezweig (nach der amtlichen Statistik von 1864) Land- und Forstwirtschaft Bergbau Industrie und Gewerbe Handel, Verkehr, Gast- und Schankwirtschaft Staats- und Kirchendienst, Gesundheitswesen, freie Berufe Dienstleistungen Berufslose, Anstaltsinsassen Summe * Berufsbevölkerung, absolute Zahlen
Berufsbev.*
%
24.066 1.128 30.331 3.303 3.354 10.489 3.453 76.124
31,6 1,5 39,8 4,3 4,4 13,8 4,5 100,0
Zwar standen nach dieser Statistik Industrie und Gewerbe vor der Land- und Forstwirtschaft, aber das Herzogtum war um 1864 noch nicht von einer breitgefächerten Industrialisierung durchdrungen. Es herrschten die traditionellen Gewerbezweige vor. Diese Tatsache wird nicht zuletzt durch das Verhältnis der Handwerksmeister und selbständigen Gewerbeinhaber einerseits, deren Zahl sich auf 14.299 belief, und der bei ihnen angestellten Knechte, Mägde, Lehrlinge und Gehilfen (16.032 Personen) andererseits unterstrichen – so problematisch auch generalisierende statistische Angaben sein mögen. Letztlich dominierte in Sachsen-Meiningen die Heimindustrie. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es nur ein knappes Dutzend Fabriken mit mehr als einhundert Fabrikarbeitern: die Porzellanfabrik Hüttensteinach mit 102 Arbeitern, die Porzellanfabrik Limbach (102), die Spinnerei Zwick (Warthammer) mit 80 Männern und 100 Frauen, die Eisenhütte Augustenthal (146), das Eisenwerk Bernhardshütte (195), das Eisenhüttenwerk in Obersteinach mit 260 Arbeitern sowie die Kammgarnspinnerei Glücksbrunn mit 280 Fabrikarbeitern. Die 190 Mitarbeiter im Bibliographischen Institut Hildburghausen wird man wohl kaum als klassische Fabrikarbeiter ansehen können. Proletarisch geprägt waren hingegen die rund 250 bis 335 Steinbrucharbeiter, die als Tagelöhner bzw. befristete Arbeiter im herrschaftlichen Schifferbruch Lehesten schuften mussten.8 Indessen war der Schiffersteinbruch letztlich keine Errungenschaft der Industrialisierung. Das 1826 entstandene Herzogtum Sachsen-Meiningen setzte sich aus dem Unterland entlang der Werra zwischen Meiningen und Bad Salzungen, dem Oberland, das von Hildburghausen und Sonneberg über den Rennsteig nach
8
Wilhelm ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (Insonderheit im Herzogtum Meiningen) vor dem Jahre 1848 (Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, NF Beiheft 11), Jena 1927, S. 218 f.
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Norden bis Saalfeld und Pößneck ausgriff sowie einigen Exklaven zusammen.9 Im regionalen Vergleich muss Sachsen-Meiningen als Standort bezüglich der klimatischen, hydrologischen und ackerbaulichen Verhältnisse ein teilweise gutes, letztlich aber doch nur befriedigendes bis schlechtes Zeugnis ausgestellt werden. Nicht im Entferntesten können sich die Ackerböden des Herzogtums mit jenen der Magdeburger Börde, der Merseburger-Querfurter Platte, dem Thüringer Becken, dem Altenburger-Leipziger Land, der Lommatzscher Pflege oder dem Bautzener Land vergleichen.10 Hinsichtlich der Bonität sei jedoch darauf verwiesen, dass es innerhalb des 1826 neugebildeten Herzogtums beträchtliche Unterschiede gab. So waren und sind die ackerbaulichen Verhältnisse um Camburg als gut bis sehr gut, im Orlagau bis Pößneck als gut, im Unterland als gut bis befriedigend und im Oberland als leidlich sowie teilweise sogar als schlecht zu bewerten. Freilich sind stets die lokalen Verhältnisse zu beachten. Beispielsweise herrschten auf dem fruchtbaren Keuper im Amt Römhild (mit 14 Dörfern) deutlich bessere Verhältnisse vor als in dem näher am Gebirgsrand liegenden Amt Themar mit 16 Ortschaften.11 Allerdings war der naturräumliche Standortnachteil bei weitem nicht die einzige Crux. Problematisch war das Amalgam, welches sich aus dem Standortnachteil, den traditionellen Rechtsverhältnissen samt negativen Implikationen (Realteilung) und der ungenügenden Integration in den überregionalen Wirtschaftskreislauf zusammensetzte. Eingangs wurde betont, dass die Rechtsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung insgesamt gut waren. Weder die Bauern noch die bäuerlichen Unterschichten unterlagen einer wie auch immer gearteten Hörigkeit. Bezüglich der Freizügigkeit waren sie ungebunden. Wer über Besitz verfügte, konnte ihn verkaufen oder vererben und in die Stadt oder in die Fremde ziehen.12 Allerdings musste bei jedem Besitzwechsel das Lehngeld (Handlohn, Lehnware) an den Grundherrn gezahlt werden. Das Lehngeld stand mit dem so genannten Besthaupt in einer Rechtstradition. Besthaupt bedeutet, dass dem Grundherrn bei jedem Besitzwechsel das beste Stück Vieh überlassen werden musste. Fraglos war das 9
Hans-Werner HAHN, Vom Thüringer Kleinstaatenjammer zum Land Thüringen. Die ‚Thüringen-Frage‘ 1806 bis 1920, in: Robert KRETZSCHMAR u. a. (Hg.), Zusammenschlüsse und Neubildungen deutscher Länder im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2013, S. 125–152; Hans HERZ, Thüringen. Zwölf Karten zur Geschichte 1485–1995, Erfurt 2003, Kartenteil, Karte 7. 10 Oskar AUGUST, Bodenbewertung auf der Grundlage der Gemeindegrenzenkarte 1930/36, in: Otto SCHLÜTER/Oskar AUGUST (Hg.), Atlas des Saale- und mittleren Elbegebietes, Leipzig ²1958, Blatt 45; Rudolf MATZ, Agraratlas über das Gebiet der DDR. Mit Erläuterungen, Gotha 1956, Kartenblätter 17–19. 11 Werner EMMERICH, Die siedlungsgeschichtlichen Grundlagen, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER, Geschichte Thüringens, Bd. I: Grundlagen und frühes Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen, 48/I), Köln/Wien 1968, S. 207–315, hier S. 244. 12 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 17–86.
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eine Belastung, besonders wenn die Intervalle des Besitzwechsels kurz waren, denn zu einem gewöhnlichen Bauernhof gehörten in vorindustrieller Zeit ein Pferde- oder Ochsengespann sowie drei bis vier Kühe. Diese Belastung ist in Salzungen, wie auch in anderen Regionen, im Spätmittelalter bzw. zu Beginn der Neuzeit in einen festen Geldbetrag umgewandelt worden, denn dort musste bei jedem Lehnfall bis zum Jahr 1845 ein Gulden und 40 Kreuzer – so viel kostete um 1500 eine Kuh – vom Hoferben oder Hofkäufer gezahlt werden.13 Vor den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts richtete sich die Höhe des Lehngeldes nach dem Verkaufspreis bzw. geschätzten Wert des Hofes, wobei es – beinahe von Dorf zu Dorf – beträchtliche lokale und regionale Unterschiede geben konnte. Im Herzogtum Sachsen-Meiningen lag die Höhe des Lehngeldes Mitte des 19. Jahrhunderts in etwa zwischen 0,5 und über 6,5 % des Wertes vom geerbten Hof. Eine zunehmende Bedrückung für die Hoferben war zudem das Schreibgeld, das im Erbfall zusätzlich zu zahlen war. Das Schreibgeld – oder auch „Schreibschilling“ genannt – war während des Spätmittelalters eingeführt worden. Dass dies eine mittelalterliche Abgabe war, belegt der Begriff Schreibschilling, denn der Schilling als Zähleinheit für Pfennige war im Mittelalter gebräuchlich. Willkürlich war zudem die Gewohnheit der Grundherren, diese Gebühr, die sich ebenfalls nach dem Wert des Hofes richtete, von allen Erbberechtigten in gleicher Höhe zu fordern. Hintergrund dieser Praxis war die nicht unberechtigte Sorge der Grundherren, dass das zum Hof gehörende Land noch weiter geteilt und zersplittert wurde. Und so bürgerte sich in manchen Dörfern beim Erbfall die Sitte ein, dass der Hof formal nur einem Erben geschlossen übergeben wurde – um eben das Schreibgeld bloß einmal bezahlen zu müssen. Inoffiziell teilten die Erben trotzdem das Ackerland auf, so dass dies nicht in den Gerichtsbüchern und Katastern niedergeschrieben wurde. Die Folge war, dass im Katasterwesen am Vorabend der Agrarreform bzw. im Zuge der Separierung ein heilloses Durcheinander herrschte.14 Das Schreibgeld, dies sei abschließend betont, überlebte indirekt und versteckt in vielen Territorien die Agrarreformen, denn schon Ende des 19. Jahrhunderts forderte die Staatsbürokratie die sogenannte Grunderwerbssteuer bei Kauf eines Bauernhofes, die jedoch nicht in den anonymen Staatshaushalt floss, sondern in der entsprechenden Landgemeinde verblieb. Auch die Besitzlosen konnten, nach Entrichtung des Abzugsgeldes, ihre angestammte Heimat verlassen. Als Relikt der Unfreiheit muss allein die um Salzungen geübte Rechtspraxis gelten, dass ländliche Besitzlose die Einwilligung
13 Ebd., S. 52, Anm. 4. 14 Ebd., S. 52 f.
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des Gerichtsherrn für den Fall des Eheschlusses benötigten.15 Allerdings ist auch dies zu relativieren, denn es war ein weitverbreiteter und allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, dass nur diejenigen eine Ehe schließen konnten, die über Haus und Hof bzw. über eine Werkstatt oder ein Geschäft verfügten – also über die so genannte „ökonomische Nische“, die der jungen Familie das materielle Auskommen sichern sollte. Problematisch war jedoch, dass ein kleines Haus sowie die Hoffnung auf Arbeit oft als ausreichend erschienen, einem jungen Paar den Eheschluss zuzubilligen. Schwierig wurde es für sie vor allem, wenn infolge gewerblicher Krisen die Arbeit der Tagelöhner in den Wäldern, an den Kohlemeilern und in den Steinbrüchen nicht mehr nachgefragt wurde. Dann herrschte besonders in den Mittelgebirgsregionen bitterste Not.16 Es ist kein Zufall, dass der aus Grimms Märchen bekannte Vater von Hänsel und Gretel – der seine hungernden Kinder tief in den Wald führt – ein arbeitsloser Holzfäller war. Derartige Erfahrungen haben indes nicht nur in den Erzählungen des einfachen Volkes ihren Niederschlag gefunden, sondern auch in den amtlichen Berichten, die über die katastrophale Not der Waldarbeiter Zeugnis ablegten. So berichtete der Feldjäger Christian Wenzel aus Unterneubrunn (Amt Eisfeld) über Not und Hunger jener Leute, die als Tagelöhner auszukommen hatten. Er teilte dem Ministerium des Inneren von Sachsen-Meiningen im Juni 1831 mit: Ich kann nicht unterlassen, über die wirklich bedrängte Lage der Waldbewohner und wirklich große Not, die herrscht, zu melden. a) Mit Wahrheit kann ich mehrere Familien namhaft machen, welche wirklich von Hunger gequält umhergehen und ihre Nebenmenschen um eine Gabe bitten (dabei Menschen), die es noch nie getan haben. Viele leben auf meiner Station, die nicht mehr wissen, wie sie sich und ihre Familie ernähren sollen […] Andere haben Kleider, Hausgeräte etc. verkauft und sich Rat damit verschafft, sich aber dadurch so arm gemacht, dass sie das Gotteshaus nicht besuchen können und, wollen sie ja einmal in die Beichte gehen, so borgen sie sich einen Anzug. b) Sehr viele haben kein eigenes Quartier, kein Feld und keine Wiesen, können sich kein Stückchen Vieh halten, müssen Haus und Acker für schweres Geld mieten, und an Brot, Fleisch, Gemüse etc. ist gar nicht zu denken. c) Es ist schon vorgekommen, dass Lehrer den Kindern Brot oder sonst etwas zu Essen reichen müssen, um dieselben nicht in der Schulstube vor Hunger umfallen zu sehen. d) Es ist vorgekommen: […] es kamen Kinder aus meiner Station und sprachen mich um eine Gabe an und sagten: Schenken sie uns etwas, damit wir uns Brot kaufen können, denn wir haben lange nichts gegessen.‘ e) Ich kann viele Familien namhaft machen, in deren Haus seit einem halben Jahr und noch länger kein Bissen Brot gekommen ist. Ich habe mich selbst überzeugt, dass sie das Gemüse oder Suppe, welches sie aus zusammengebettelten Kartoffeln zubereitet, ungeschmelzt verzehrt haben. h) Es ruhen Glashütten, Eisen- und Blechhämmer, und alle diese sonst damit beschäftigten Menschen haben keinen Verdienst. Sie legen sich daher auf etwas 15 Ebd., S. 59, Anm. 2. 16 Helmut BRÄUER, Nachbemerkungen, in: DERS., Empörung im Erzgebirge – Vom Kampf ums Brot in alter Zeit, Taucha 2014, S. 86–94.
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anderes und verderben andere mit. k) Die Holzmacher haben nicht Arbeit wie sonst. Der Tagelöhner weiß keinen Tagelohn zu bekommen, weil jeder, der sonst nährende Geschäfte treiben konnte, seine Feldarbeit selbst tut, und ich kann daher mit Wahrheit sagen: Die Lage der Waldbewohner ist traurig und bedrängt.17
Die Hinweise auf die nichtarbeitenden Glashütten, Eisen- und Blechhämmer sowie der damit verbundene Nachfrageausfall nach Holz und Holzkohle traf eben jene Waldarbeiter besonders hart, die als Tagelöhner stets aufs Neue Arbeit suchen mussten. Wurden sie erwerbslos, führte dies zu Mangel und Hunger. Ihre katastrophale Lage verschlimmerte sich noch mehr, wenn sie kein Ackerland besaßen. Dann waren sie auf Gedeih und Verderb vom Nahrungsmittelmarkt abhängig. Wetteranomalien, die zu schlechten Getreide- und Kartoffelernten führten, sorgten zudem – wie im Vorfeld der Revolution von 1848/49 – für Höchstpreisnotierungen, so dass sich die Notlage der Menschen, die völlig auf die Märkte angewiesen waren, noch zusätzlich verschlechterte. In Sachsen-Meiningen kam noch hinzu, dass – vergleichbar mit dem sächsischen Erzgebirge, dem Böhmerwald oder den hessischen Gebirgsregionen – in den mittleren und höheren Lagen die Ertragsstabilität beim Getreide ohnehin zu wünschen übrig ließ. Eine zusätzliche Crux war in Sachsen-Meiningen zudem die Besitzzersplitterung, infolgedessen nur die größeren Bauern die Märkte mit Getreide beliefert haben. Kurzum: das Herzogtum war bei schlechten oder nur mäßigen Ernten auf Getreideimporte angewiesen. Neben den ungünstigen ackerbaulichen Bedingungen mit den kargen Böden, der nur zögerlichen Industrialisierung sowie mäßigen Integration in den industrialisierten Wirtschaftskreislauf – die Anbindung an das überregionale Eisenbahnnetz erfolgte jedoch bereits 1858 – war die Rechtspraxis der Realteilung diskussionslos ein schwerwiegender Standortnachteil. Für weite Teile des Herzogtums war die Realteilung der bäuerlichen Güter Gewohnheitsrecht. Während östlich der Saale, aber auch in der Magdeburger Börde das Anerbrecht, also die geschlossene, ungeteilte Übergabe des Hofes an den ältesten oder jüngsten Sohn absolut dominierend war, herrschte in Sachsen-Meinungen sowie darüber hinaus auch teilweise im Thüringer Becken die seit dem Hochmittelalter geltende fränkische Rechtspraxis vor, wonach die Höfe geteilt werden konnten.18 Zwar versuchten die ernestinischen Herzöge seit dem 17. Jahrhundert diese Gewohnheit einzuschränken, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Infolgedessen veränderte sich die ländliche Sozialstruktur dramatisch, denn es überwog deutlich zersplitterter Kleinbesitz. Dies belegen bereits die Steuer- und Zinsregister des
17 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 216. 18 LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 1), S. 56 f.
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16. Jahrhunderts. Noch stärker verdeutlicht dies jedoch die offizielle Statistik aus der Regierungszeit Herzog Georgs II.19 Tabelle 2: Hektargröße der landwirtschaftlichen Betriebe in Sachsen-Meiningen (1882, 1907)
Größe bis 2 Hektar 2 bis 5 Hektar 6 bis 20 Hektar 21 bis 100 Hektar über 100 Hektar Gesamt
1882 Anzahl der Höfe 19.540 5.060
Hektar, gesamt 13.670 19.964
1907 Anzahl der Höfe 21.587 5.369
Hektar, gesamt 15.883 21.958
6.431
78.505
6.322
74.879
927
31.706
559
25.348
67
13.566
46
10.154
32.025
157.411
33.883
148.222
1882 gab es in Sachsen-Meiningen etwas mehr als 32.000 landwirtschaftliche Betriebe. Über drei Viertel aller Höfe verfügte nur über eine Betriebsgröße von bis zu fünf Hektar. 1907 – die Zahl aller landwirtschaftlichen Höfe war infolge weiterer Besitzteilungen inzwischen auf 33.883 angestiegen – lag der Anteil der Kleinstbetriebe (bis 5 Hektar) sogar bei knapp 80 %.20 Während in der Magdeburger Börde oder östlich der Saale der Anteil der Mittel- und Großbauern bei mehr als der Hälfte und noch höher lag,21 betrug er in Sachsen-Meiningen nur 19 Zur Bevölkerungsstatistik des 16. Jahrhunderts vgl.: Manfred STEINERSTAUCH, Zur Bevölkerungsentwicklung in den hennebergischen Ämtern Schleusingen und Suhl im 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 6 (1991), S. 56–81; zur Agrarstatistik des 19. Jahrhunderts: Reinhold SKARUPKE, Studien zur sozialökonomischen Struktur der Land- und Forstwirtschaft in Sachsen-Meiningen 1871–1914, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 8 (1993), S. 157–173, hier S. 158. 20 Alle Angaben zur Agrarstatistik nach: SKARUPKE, Studien zur sozialökonomischen Struktur der Land- und Forstwirtschaft (wie Anm. 19), S. 158. 21 Thomas NABERT, Der Großgrundbesitz in der Preußischen Provinz Sachsen 1913–1933. Soziale Struktur, ökonomische Position und politische Rolle (Mitteldeutsche Forschungen, 107), Köln et al. 1992; Reiner GROSS, Die bürgerliche Agrarreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Problem des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus in der Landwirtschaft (Schriftenreihe des Staatsarchivs Dresden, 8), Weimar 1968; Eduard MÜLLER, Der Großgrundbesitz in der Provinz Sachsen. Eine agrarstatistische Untersuchung (Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle an der Saale, 67), Jena 1912.
LÄNDLICHE GESELLSCHAFT UND AGRARVERFASSUNG
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ein Fünftel. Die gesellschaftlichen Folgen dieser zersplitterten Sozialstruktur waren für Sachsen-Meiningen, das selbstverständlich nach wie vor eine agrarische Gesellschaft war, folgenschwer. Die bäuerlichen Zwerghöfe und Häuslerstellen, die mit einem traditionellen Bauernhof wenig zu tun hatten, kämpften beständig ums Überleben. In Krisenzeiten führte dies oftmals zu Zwangsversteigerungen. Beispielsweise wurden allein in der Rhön während der Weltwirtschaftskrise zwischen 1928 und 1932 jährlich einige hundert Klein- und Zwergbetriebe zwangsversteigert; 1931 waren es sogar 1 197 zwangsversteigerte Höfe.22 Infolge der starken Besitzzersplitterung hatte sich während des 18. und 19. Jahrhunderts eine immer stärker anwachsende ländliche Unterschicht herausgebildet. Sie rekrutierte sich aus jenen Hof- und Haustellenbesitzern, die nur über wenige Parzellen verfügten. Aufgrund ihres geringen Landbesitzes musste die Viehhaltung eingeschränkt bleiben. An eine Marktquote war kaum zu denken und selbst die Eigenversorgung war nicht immer gesichert. Aufgrund der starken Besitzzersplitterung sowie der ungünstigen naturräumlichen Bedingungen dominierten bei der Viehhaltung Ziegen und Schafe, die in gewisser Weise das Signum für die Dominanz der Häusler und Kleinbauern waren. Eine Viehzählung im Herzogtum Sachsen-Meiningen aus dem Jahre 1852 offenbart das strukturelle Gefälle, zwischen dem stärker heimgewerblich geprägten Oberland und dem Unterland sowie den einzelnen Exklaven (vgl. Tabelle 3). Es versteht sich von selbst, dass solche Kriterien wie die Hektarerträge des Getreides oder der Viehbesatz der Höfe sicherere Anhaltspunkte bilden als die bloßen Mengenangaben des Viehs. Außerdem ist in Betracht zu ziehen, dass es völlig unklar ist, zu welcher Jahreszeit die Viehzählung vorgenommen wurde. Dass die Bestände im Frühherbst bedeutend höher als im späten Frühjahr waren, liegt vor allem im Hinblick auf das Hausschlachten während der Herbst- und Wintermonate auf der Hand. Somit eignen sich nachfolgende Daten bestenfalls für eine deskriptive Beschreibung.
22 Karl-Heinz SCHMÖGER, Einige Materialien zur Geschichte der Arbeiter- und Bauernbewegung in der Rhön (1895–1933), in: Beiträge zur bäuerlichen Geschichte Südthüringens. 15. bis 20. Jahrhundert, hg. vom Agrarhistorischen Museum des Bezirkes Suhl, Kloster Veßra 1980, S. 59–71, hier S. 66.
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162 Tabelle 3:
Viehbesatz in den Verwaltungsämtern des Herzogtums Sachsen-Meiningen (1852)23
Salzungen Wasungen Meiningen Römhild Hildburghausen Eisfeld Sonneberg Gräfenthal Saalfeld Camburg Kranichfeld Summe:
Bevölkerung 15.899 11.370 21.654 14.190
Pferde
Rinder
Schafe
Ziegen
Schweine
509 232 530 377
6.841 5.949 8.572 8.679
11.877 9.169 16.043 12.159
1.676 1.383 1.907 1.484
4.461 2.470 5.507 5.511
19.730
341
10.911
14.509
1.968
6.634
13.628 28.923 12.087 16.877 8.897 3.109 166.364
87 195 230 393 929 270 4.093
5.096 10.838 4.964 5.667 3.759 1.323 72.599
3.635 6.415 2.622 8.660 10.369 7.774 103.232
1.825 3.275 1.787 1.540 1.243 527 18.615
1.586 3.100 1.451 3.254 3.578 1.017 38.569
Ein überregionaler Vergleich – beispielsweise mit Kurhessen, dem Königreich Sachsen oder der preußischen Provinz Sachsen – bezüglich der Viehbestände pro Kopf oder pro Quadratkilometer verbietet sich fast von selbst. Schließt man sich jedoch der These an, dass der Pferdebestand pro Kopf ein Kennzeichen agrarwirtschaftlicher Leistungskraft ist – zumal die Anzahl der Pferde auf den Höfen sehr stabil war –, dann offenbart der überregionale Vergleich mit dem Königreich Sachsen bzw. die regionale Gegenüberstellung im Herzogtum Sachsen-Meiningen selbst, wo die Zentren landwirtschaftlicher Leistungsstärke lagen. Während im Königreich Sachsen auf einen Einwohner durchschnittlich 0,045 Pferde kamen, waren es in Sachsen-Meiningen im Landesdurchschnitt nur 0,024 Pferde.24 Noch bemerkenswerter ist freilich die Verteilung im Herzogtum, denn im Amtsbezirk Camburg kamen auf zehn Menschen ein Pferd, in Kranichfeld waren es 0,08 und auch Salzungen lag mit 0,03 noch über dem Landesdurchschnitt. Dass diese statistischen Berechnungen in hohem Maße mit der tatsächlichen landwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit korrelieren, untermauert Georg Brückners Landeskunde. In höchsten Tönen lobt er den Ackerbau, die Viehzucht sowie Garten- und Obstkultur im Verwaltungsamt Camburg, betont 23 Georg BRÜCKNER, Landeskunde des Herzogtums Meiningen. Zweiter Teil: die Topographie des Landes, Meiningen 1853, S. 810. 24 Datengrundlage für das Königreich Sachsen: Hubert KIESEWETTER, Industrialisierung und Landwirtschaft. Sachsens Stellung im regionalen Industrialisierungsprozeß Deutschlands im 19. Jahrhundert (Mitteldeutsche Forschungen, 94), Köln u. a. 1988, S. 230, 287.
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ausdrücklich, dass die Bauern dort bereits die Vierfelderwirtschaft eingeführt haben, im starken Umfang agrarische Produkte exportieren und schließlich bemerkt er, dass „das Amt Camburg fast durch und durch ein ökonomisches Land ist und im Vergleich zu den übrigen Amtsdistrikten die reichste Scheune und der beste Viehstall des Herzogtums“ sei.25 Mit Bezug auf die anderen statistischen Angaben zum Jahr 1852 treten die bevölkerungsreichen Amtsbezirke des Oberlandes (Hildburghausen, Eisfeld, Sonneberg, Gräfenthal) allesamt mit einer Struktur hervor, die auf die spezifischen und letztlich schwierigen Agrarverhältnisse vor Ort hinweisen. Es dominierten extensive Weidewirtschaft und Heimgewerbe. Der Landbau sei – um nochmals Brückner zu zitieren – hier „nicht Zweck, sondern Beihilfe zu anderen Erwerbszweigen“.26 Viele der bäuerlichen Kleinstbetriebe lebten am Rande des Subsistenzminimums und waren auf Heimarbeit angewiesen – entweder über das Verlagssystem oder in eigener Verantwortung. Alle Familienangehörigen gingen einer gewerblichen Tätigkeit nach: als Schnitzer, Weber, Korb- und Hutmacher oder man arbeitete nachgelagert in der Produktion von Schiefertafeln und Griffeln. Die gewerblichen Heimarbeiter waren indes ebenfalls von den Mechanismen des Marktes abhängig, so dass vor allem im Oberland in Krisenzeiten ländliche Notstandsgebiete entstanden, die denen in Nordhessen, im schlesischen Gebirgsland oder im Erzgebirge vergleichbar waren. Der geringe Landbesitz sowie die nicht innovative Heimarbeit führten zu Selbstausbeutung und Pauperismus. De jure waren jedoch auch die Hofbesitzer, die nur über ein Achtel, Sechzehntel oder sogar nur über den 32. Teil einer Hufe verfügten, Teil der bäuerlichen Gemeinde, da sich ihre Parzellen in der verhuften Dorfgemarkung befanden. Die vollbesitzenden Bauern wollten jene Landarmen freilich nicht als vollwertige Mitglieder der alten Rechtsgemeinde anerkennen, so dass es latente Widersprüche zwischen den mittleren und größeren Bauern einerseits und den Kleinbauern und Landarmen andererseits gab. Der stets virulente Gegensatz zwischen Besitz und faktischer Besitzlosigkeit innerhalb der Dorfgemeinschaft brach vor allem im Zuge der Agrarreformen auf und überlagerte in dramatischer Weise den alten traditionellen Widerspruch von Herrschaft und Genossenschaft; zwischen Staat und Landesherrschaft einerseits und dem Bauernstand andererseits.27 Der Begriff „Bauernstand“ – um zu den inneren Widersprüchen auf dem Lande zurückzukehren – ist aufgrund der asymetrischen Besitzstruktur anachronistisch, denn die leistungsfähigen Mittel- und Großbauernbetriebe waren in jeder Gemeinde in der Minderheit, wobei der Amtsbezirk Camburg eine 25 BRÜCKNER, Landeskunde des Herzogtums Meiningen (wie Anm. 23), S. 705. 26 Ebd., S. 362. 27 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 38–42.
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Ausnahme darstellte.28 Besonders den größeren Bauern standen die Kleinbetriebe und Landarmen gegenüber, so dass die Dorfgemeinschaft als autonomes Subjekt nur bedingt handlungsfähig war. Dies erschwerte das Aufbrechen der Dreifelderwirtschaft, das Ende der Hut- und Triftgerechtigkeit sowie die Separation und Zusammenlegung der Parzellen ungemein, musste doch in jeder Gemeinde eine einfache Mehrheit für das Ende des alten Agrarsystems votieren. Zwar war es den bäuerlichen Gemeinden im Herzogtum Sachsen-Meiningen infolge vielfältiger Dekrete und Mandate (1809, 1835, 1846, 1855) möglich, die traditionelle mittelalterliche Dorf- und Gemeindeverfassung aufzubrechen und zu überwinden, doch dies geschah – wie in fast allen deutschen Regionen – sehr zögerlich. Wie erwähnt, musste für die Zusammenlegung der Parzellen und Grundstücke innerhalb der Dorfgemarkung (Separation) und der damit verbundenen Ablösung der Dreifelderwirtschaft ein Mehrheitsbeschluss innerhalb der bäuerlichen Gemeinde herbeigeführt werden.29 Oft scheiterte dies am Votum der Kleinbauern, so dass alle Bauern – unabhängig von ihrer Besitzgröße und ihrer Einstellung zu modernen agrarwirtschaftlichen Erfordernissen – weiter im alten System von Dreifelderwirtschaft samt Flurzwang und damit unter dem Joch der Hut- und Triftgerechtigkeit mehr oder weniger notgedrungen weiterwirtschaften mussten. Die Einführung der Fruchtfolgewirtschaft und damit einhergehend der Anbau von Leguminosen und Kartoffeln oder Zuckerrüben sowie die ganzjährige Stallfütterung des Viehs wurden durch das Festhalten an der alten Agrarverfassung stark behindert. Der agrarwirtschaftliche Fortschritt konnte nicht Fuß fassen, so dass die gesamte Region im überregionalen Vergleich noch weiter zurückfiel. Die geringe Marktquote der bäuerlichen Betriebe, die sozialen Spannungen innerhalb der Dorfgemeinde und die zögerliche Auflösung der Dreifelderwirtschaft ließen die rückständige Region weitestgehend erstarren, so dass fast jedes Jahr einige tausend Menschen ihre Heimat verließen und auswanderten.30 Es wäre zu einfach, den teilweise apologetischen Argumenten radikaler Spätaufklärer zu folgen und die Schuld an diesen Missständen allein bei den zumeist adligen Grundherren oder der herzoglichen Administration suchen zu wollen. Unstrittig ist, dass es nicht wenige, vor allem adlige Grundherren gab, die sich vehement jeglicher Neuerung widersetzten! Allerdings waren es auch die bäuerlichen Gemeinden, die äußerst unentschlossen waren und den agrarwirtschaftlichen Fortschritt als Wagnis für eine offene Zukunft und somit als ein Risiko empfanden. Namentlich betraf dies die Separation, die in Sachsen-Meiningen 28 BRÜCKNER, Landeskunde des Herzogtums Meiningen (wie Anm. 23), S. 701–718. 29 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 94–96; LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 1), S. 270–272. 30 Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstatistik Deutschlands 1815–1875, Bd. I (wie Anm. 6), S. 309.
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durch das Gesetz vom 29. Mai 1855 ermöglicht und geregelt wurde.31 Wie bereits mehrfach erwähnt, sollte es allen Bauern infolge der Separation gestattet werden, ihre Parzellen, die in den einzelnen Gewannen lagen, zu größeren Feldern zusammenzulegen. Die Parzellierung der Dorfgemarkung, dies sei mit Nachdruck betont, war jedoch nicht allein eine Folge der Realteilung, sondern sie war ein Grundpfeiler der mittelalterlichen Agrarverfassung, die sich wiederum auf die gemeinsame Arbeitsorganisation innerhalb der bäuerlichen Gemeinde gründete. Freilich sei auch festgehalten, dass die Realteilung natürlich die Zersplitterung der einzelnen Feldparzellen befördert hat. So war es keine Seltenheit, wenn sich das gesamte zu einem einzigen Bauernhof gehörende Ackerland aus weit über 100 kleinen Ackerteilen zusammensetzte. Beispielsweise sollen in Martin Luthers Heimatort Möhra im 19. Jahrhundert zu einem mittleren Bauerngut 250 separate Ackerteilchen gehört haben.32 Doch die Separation, die in letzter Konsequenz auch das Ende der bäuerlichen Gemeinde als Zweckverband gemeinschaftlich organisierter Arbeit bedeutete, setzte sich nur sehr zögerlich durch.33 Im mitteldeutschen Vergleich scheinen die bäuerlichen Gemeinden Thüringens besonders konservativ gewesen zu sein. Im 1920 zu Bayern gekommenen Coburger Land waren im Jahre 1927 (!) nur 16,5 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche separiert. In Jüchsen, an der Straße von Römhild nach Meiningen gelegen, zog sich die Flurzusammenlegung bis 1943 (sic!) hin. Und in Hindfeld bei Römhild wurde sie erst zwischen 1947 und 1952 bewerkstelligt!34 Alternativ formuliert: Es herrschten in wenigen Dörfern zwischen Rhön und Thüringer Wald noch Mitte des 20. Jahrhunderts teilweise archaische Agrarverfassungsverhältnisse vor, welche die Modernisierung der Landwirtschaft natürlich extrem behindert haben. Um sich das Ausmaß der Zersplitterung vor Augen zu halten, sei die Gemeinde Dingsleben bei Hildburghausen angeführt. Dort wurden im Zuge der Separation 6.900 kleine und mittlere Parzellen in der Dorfgemarkung zu insgesamt 1.160 Parzellen zusammengelegt.35 Ein Fortschritt war dies freilich noch nicht, zumal einzelne erbberechtigte Bauern selbst im 20. Jahrhundert noch an der Gewohnheit der Realteilung festgehalten haben und einzelne Feldstücke abermals teilen ließen. Überaus anschaulich beschrieb Levin Freiherr von Wintzingerode-Knorr (1830–1902) die Zersplitterung der Fluren am Vorabend der Separierung. Seine 31 LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 1), S. 272. 32 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 21. 33 Vgl. die beispielhafte Studie von: Stefan BRAKENSIEK, Agrarreform und ländliche Gesellschaft. Die Privatisierung der Marken in Nordwestdeutschland 1750–1850, Paderborn 1991; ferner: Werner RÖSENER, Der Wandel der Kulturlandschaft aus der Perspektive der Agrargeschichte, in: Heike DÜSELDER u. a. (Hg.), Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule, Köln u. a. 2014, S. 79–92, hier S. 88–90. 34 EMMERICH, Siedlungsgeschichtliche Grundlagen (wie Anm. 11), S. 219, 414. 35 Ebd., S. 219.
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Zeilen scheinen aus einer romantischen Perspektive betrachtet wie ein Blick auf ein ökologisches Paradies, das infolge der Agrarreformen untergegangen ist. Freilich steht dem eine agrarwirtschaftliche Sicht entgegen, denn die alte Flurverfassung versinnbildlicht Stillstand und Stagnation. Sie gründet sich auf die Parzellierung und den damit verbundenen Flurzwang im System der Dreifelderwirtschaft. Dies verhinderte eine individuelle landwirtschaftliche Bewirtschaftung mit moderner Fruchtfolgewirtschaft einschließlich des Feldfutteranbaus. Zudem sei nachdrücklich betont, dass die Separierung nicht zur postkollektiven Großraumwirtschaft führte, wenngleich Wintzingerode-Knorrs Zeilen suggerieren, dass durch die Separierung ein fast unberührtes Ökosystem untergegangen sei. Letztlich notierte er: Die großen Änger und Triften, welche sich früher in den Fluren fanden, die vielen Hecken, Raine und Obstbäume, welche die einzelnen Flurteile, oft die einzelnen Äcker von einander schieden, die kleinen, inmitten des Ackerlandes gelegenen Baumgruppen, Feldhölzchen und Wäldchen […] sind ebenso verschwunden wie die [mit] vielen Windungen die Flur durchziehenden, meist mit Bäumen und Gebüschen dicht besetzten Bäche und Flüsse […]. Die Bäche, deren Gefälle möglichst unschädlich gemacht worden, sind begradigt, die sie begleitenden Gebüsche und Bäume bestehen nicht mehr. Die vielen Ecken und Winkel der Wälder, welche in die Felder hineinragten: die Feldecken, welche in gleicher Weise sich in den Wald hineinzogen, haben meist gradlinige Grenzen zwischen Wald und Feld Platz gemacht; die inmitten der Waldungen gelegenen Wiesen und Felder sind zu den Forsten gezogen und oft mit jungen Schonungen bestanden.36
Die herzogliche Ministerialbürokratie in Meiningen glaubte bereits in den 1820er Jahren erkannt zu haben, dass die zersplitterten Gemarkungen das Grundübel für die missliche Lage in der Landwirtschaft sei. Aus diesem Grunde ließ der Herzog die Arbeits- und Wirtschaftsorganisation in drei seiner Domänengüter im Unterland und in einem Domänengut auf dem Wald verändern, um den Bauern agrarwirtschaftliche Erfolge mittels veränderter Anbaumethoden vor Ort vorzuführen. Seit 1834 versuchten außerdem so genannte „Landeskulturvereine“ den agrarwirtschaftlichen Fortschritt im Lande zu propagieren. Außerdem wanderten kleine landwirtschaftliche Ausstellungen, in denen der Agrarfortschritt dokumentiert wurde, als Wanderausstellungen durchs Herzogtum. Sie wurden 1843 in Camburg, im Jahre 1844 in Saalfeld sowie im darauffolgenden Jahr in Sonneberg gezeigt.37 Doch die Bauern blieben wie überall skeptisch, misstrauisch und zurückhaltend. Als Hemmnis des agrarwirtschaftlichen Fortschritts sahen vor allem die Volksaufklärer die alten Agrarverfassungsverhältnisse an, die sich auf den 36 Ebd., S. 219. 37 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 89 f., 92. Hier weitere Beispiele für die Reformbewegungen seitens der Bürokratie, insbesondere durch Vereine und Aufklärung.
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Widerspruch zwischen Herrschaft und Genossenschaft gründeten. In SachsenMeiningen schlossen sich die Landstände aufklärerischen Forderungen an und sie sprachen gegenüber der Meininger Regierung ihren „dringenden Wunsch“ aus, dass sie sich dieser Sache annehme. Tatsächlich erließ sie mit dem 23. Dezember 1834 ein Reskript, wonach alle Bauern, die von der herzoglichen Domänenverwaltung grundherrlich abhängig waren, ihre Erbzinsen, Zehnten, Lehngelder und Fronen durch gütliche Vereinbarung ablösen konnten.38 1837 folgte ein weiteres Ausschreiben, so dass es den landesherrlichen Bauern ermöglicht wurde, sich von den alten grundherrlichen Lasten freizukaufen. Während sich alle Bauern, deren Grundherr das Herzogtum Sachsen-Meiningen war, sukzessive von den Erbzinsen, Zehnten und Fronen durch beträchtliche Geldzahlungen ablösen konnten, mussten die Masse der Sachsen-Meininger Bauern, deren Grundherren adliger oder bürgerlicher Herkunft waren, weiter im alten grundherrlichen System verharren. Die adligen und bürgerlichen Grundbesitzer stellten sich den Neuerungen entschieden in den Weg. Erst mit dem „Gesetz über die Ablösung grund- und gerichtsherrlicher Lasten“ vom 23. März 1846 wurde der Weg für alle Bauern in die verfassungsrechtliche Freiheit eröffnet. Die Patrimonialgerichtsbarkeit wurde zum 1. Januar 1847 aufgehoben.39 In gewisser Weise versinnbildlichen beide Gesetze die Geburtsurkunde für die einstmals grund- und gerichtsherrlich abhängigen Bauern. Nunmehr durften sie sich als gleichberechtigte Staatsbürger fühlen. Skepsis sei indes angebracht. Treffender erscheint es, beiden Gesetzen nur eine gewisse Symbolkraft zuzubilligen, denn letztlich veränderten sich nur die abstrakten Herrschaftsverhältnisse, in welche die Bauern eingebettet waren. Während die Bauern nur zögerlich und schleppend die Separation der Gemarkungen bewerkstelligten, nahmen sie die staatlichen Reformvorschläge hinsichtlich der Ablösung der Erbzinsen, Fronen und Arbeitsdienste resolut an. Überall häuften sich die Anträge der Bauern, welche die Reliquien der Feudalund Erbuntertänigkeit beseitigt wissen wollten. Bei der Ablösung feudaler Lasten wurden alle Geld-, Natural- und Arbeitsleistungen, die im System der Grund- und Gerichtsherrschaft an die Herrschaft zu zahlen und zu entrichten waren, in einen festen Geldbetrag umgerechnet. Seine Höhe schwankte zwischen dem ca. Achtzehn- bis Fünfundzwanzigfachen. Das Gesetz vom 23. März 1846 sah einen Betrag vor, der dem Fünfundzwanzigfachen entsprach.40 Die 38 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 100. 39 LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 1), S. 271 f. 40 Hans-Heinrich BASS, Hungerkrisen in Preußen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 8), St. Katharinen 1991, passim; Manfred GAILUS/Heinrich VOLKMANN (Hg.), Der Kampf um das tägliche Brot. Nahrungsmangel, Versorgungspolitik und Protest 1770–1990 (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin, 74), Opladen 1994.
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abzugeltenden Beträge erhielten die Grundherren. Jedem Klein-, Mittel- oder Großbauern war es möglich, den fälligen Geldbetrag sofort zu entrichten. Zumeist lehnten die Herren es ab, die Ablösungssumme über die Zeit hinweg in Jahres- und Monatsraten abzuzahlen. Die Missernten der frühen 1840er Jahre sowie die Notjahre 1846 und 1847 behinderten ernstlich das Reformprojekt,41 denn der relative Wohlstand der größeren Bauern war gemindert worden. Ohnehin erschien es für alle Bauern als günstiger, die Ablösungen über die Jahrzehnte hinweg mit einer relativ geringen Rate und günstigen Zinsen abzuzahlen. Um einen Ausverkauf des Bauernlandes – so wie dies in Brandenburg-Preußen im Zuge der dortigen Reformmaßnahmen geschehen war – zu verhindern,42 sollte nach sächsischem bzw. kurhessischem Vorbild eine Landrentenbank eingerichtet werden, die für alle ablösungswilligen Bauern günstige Kredite zur Verfügung zu stellen hatte. Im Königreich Sachsen hatte die Staatsregierung 1832 eine derartige Kreditanstalt gegründet. Die Kredite wurden hypothekarisch auf den bäuerlichen Besitz verschrieben. Wenige Monate später, im Juni 1832, folgte sodann Kurhessen mit der Gründung der Landeskreditkasse, die ebenfalls für die Ablösung der grundherrlichen Lasten der Bauern eingerichtet worden war.43 Deutschlandweit galten die sächsischen und hessischen Modalitäten der Ablösung als Vorbild. In Sachsen-Meiningen waren bereits 1826 auf dem Landtag Stimmen laut geworden, die auf eine Ablösung der feudalen Lasten mittels einer Hypothekenordnung drängten. Immer wieder kamen derartige Forderungen auf – nicht zuletzt aufgrund der Gründungen der Landeskreditanstalten im Königreich Sachsen und in Kurhessen. Jedoch formierte sich auch der Widerstand der bürgerlichen und adeligen Grund- und Gerichtsherren im Herzogtum. Als misslich erwies sich abermals die heillose Zersplitterung des bäuerlichen Grundbesitzes. Das Katasterwesen war in Unordnung. Folglich erwies sich die Einführung einer Grundbuchordnung, welche die unabdingbare Voraussetzung für ein geordnetes Hypothekenwesen war, als äußerst schwierig.44 Erst nach der Revolution wurde mit Gesetz vom 25. August 1849 eine „Landes-Creditanstalt“ errichtet, die durch das Gesetz vom 6. Mai 1850 zur Ablösungskasse erweitert wurde. Damit wurde es allen Bauern gestattet, sich bei diesem staatlichen Finanzinstitut zweckgebundene Kredite zu besorgen, die ausschließlich für die Ablösung der 41 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 95 f. 42 Vgl. dazu: Hartmut HARNISCH, Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratischer Revolution von 1848/49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg, Weimar 1984, S. 107–114 et passim. 43 Friedrich LÜTGE, Geschichte der deutschen Agrarverfassung vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Deutsche Agrargeschichte, 3), Stuttgart ²1967, S. 258 f.; GROSS, Bürgerliche Agrarreform in Sachsen (wie Anm. 21), S. 133–144. 44 ENGEL, Wirtschaftliche und soziale Kämpfe in Thüringen (wie Anm. 8), S. 100–102.
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feudalen Lasten dienten. Der Weg für die Separation ermöglichte schließlich das bereits mehrfach erwähnte Gesetz vom 29. Mai 1855.45 Überschaut man die Lasten und Verpflichtungen sowie die verfassungsrechtlichen Hemmnisse, welche die bäuerliche Bevölkerung in Sachsen-Meiningen um 1800 – also vor den Agrarreformen – zu ertragen und zu erdulden hatte, dann waren dies Beschwernisse, die im Zusammenhang mit der Grund- und Gerichtsherrschaft standen: Erbzins, Zehnt, Lehngeld, Schreibschilling, Abzugsgeld usw.; ferner die Frondienste samt der so genannten unangemessenen Dienste sowie schließlich der Flurzwang infolge der Dreifelderwirtschaft. Letztlich müssen jedoch auch die indirekten und direkten Steuern, die der Staat forderte, beachtet werden. Es wurde darauf verwiesen, dass es ein äußerst beschwerlicher Weg war, um sich von Flurzwang und Dreifelderwirtschaft zu befreien. Nur ganz allmählich setzte sich die Separation durch. Die finanziellen Verpflichtungen, die in Verbindung mit der Grundherrschaft standen, konnten relativ schnell durch die entsprechenden Gesetze vom August 1849 und Mai 1850 abgelöst werden. Alle Bauern empfanden dies als Befreiung. Nunmehr mussten sie keine Natural- und Erbzinsen mehr an ihre Grundherren zahlen; dafür jedoch – sofern sie sich nicht sofort mittels einer einmaligen Zahlung der Ablösungssumme freigekauft hatten – tilgten und verzinsten sie ihren Ablösungskredit bei der „Landes-Creditanstalt“. Allerdings ist auch zu betonen, dass die einstmals grundherrlichen Geld- und Naturalabgaben sowie teilweise auch die ungeliebten Frondienste für die Bauern noch halbwegs erträglich waren. Belastender waren und blieben vor allem die Steuern des Staates und die unangemessenen Dienste. Das Verhältnis zwischen grundherrlichen Lasten einerseits und Steuern andererseits lag in etwa bei eins zu zwei bis vier. Der Staat forderte demnach das Doppelte bis Vierfache im Vergleich zum Grundherrn.46 Insofern müssen – jedoch aus einer fiskalischen Perspektive heraus betrachtet – die Errungenschaften der Agrarreformen relativiert werden, zumal die liberalen Steuersysteme des 19. Jahrhunderts ungleich zwischen Stadt und Land austariert waren. Es konnte durchaus vorkommen, dass erfolgreiche Mittel- und Großbauern oft mehr Steu45 LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 1), S. 272. 46 Es ist kritisch darauf zu verweisen, dass es überregional keine vergleichbaren Daten gibt, die exakt die Belastungen der bäuerlichen Bevölkerung durch den Grundherrn einerseits (Erbzins, Dienste etc.) und den frühmodernen bzw. liberalen Staat anderseits (Steuern) dokumentieren. Vgl. die Fallstudie bei: Uwe SCHIRMER, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Sachsen zwischen 1720 und 1830. Bemerkungen zu Verfassung, Wirtschaft und Alltag, in: DERS. (Hg.), Sachsen 1763 bis 1832. Zwischen Rétablissement und bürgerlichen Reformen (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft, 3), Beucha 1996, S. 128– 171, hier S. 158 f; ferner: Leo HUSCHKE, Landwirtschaftliche Reinertrags-Berechnungen bei Klein-, Mittel- und Großbetrieb. dargelegt an typischen Beispielen Mittelthüringens, Jena 1902.
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ern zahlten als erfolgreiche Industrielle, die über viele Fabrikarbeiter geboten. Und schließlich sei auf die unangemessenen Dienst der Bauern verwiesen. Die alte Grundherrschaft war kein privates Herrschaftsverhältnis zwischen Herr und Knecht, sondern ein öffentliches Rechtsinstitut. Der Grundherr besaß die Polizeigewalt und war für öffentliche Belange zuständig. Hierbei ging es auch um den Gemeinen Nutzen. Dies wiederum betraf die Unterhaltung und Ausbesserung der Wege, Stege und Straßen. Obgleich es nur primitive Arbeiten und Aufgaben waren, fielen sie doch auf die bäuerlichen Gemeinden zurück. Im Zuge der Agrarreformen blieben die unangemessenen Straßen- und Wegedienste sowie die Winterdienste im Zuständigkeitsbereich der bäuerlichen Gemeinden. Zwar wurde diese nunmehr mit einem geringen Entgelt vergütet, aber sie blieben – wie auch die Steuern – drückend und belastend. Und dies wurde auch so empfunden. Insofern schauten nicht wenige Bauern mit Argwohn auf ein liberales Wirtschaftssystem, das sie im Vergleich mit den gewerblichen und industriellen Klein-, Mittel- und Großunternehmern scheinbar schlechter stellte. Vor allem: die Bauern wurden pauschal nach dem Umfang ihres Landbesitzes besteuert – also unabhängig von Gewinn und Verlust. Im Gegensatz dazu wurden die Gewerbetreibenden und Industriellen nach der jährlichen Rentabilität ihrer Werkstätten und Fabriken veranschlagt.47 Das liberale Wirtschaftssystem eröffnete jedoch jedem Bauern den Weg zu einem mehr oder weniger schlichten Wohlstand. Neben Fleiß, Tüchtigkeit und Wettergunst waren natürlich die Markt- und Verfassungsverhältnisse ausschlaggebend. Es besteht ein Konsens in der Forschung darüber, dass sich infolge der Industrialisierung und der Verbesserung der Transportwege in die industriellen Ballungszentren die Absatzmöglichkeiten agrarischer Produkte enorm verbessert haben. Jeder Bauer konnte – fast unabhängig von seiner Betriebsgröße – mit einer entsprechenden Marktquote sein Vermögen mehren. Nicht umsonst werden die Jahrzehnte vor und nach der Reichsgründung von 1871 als die „goldenen Jahre“ der deutschen Landwirtschaft bezeichnet.48 Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts kann – so man wachen Auges durch die mitteldeutschen Regionen fährt – der enorme Aufschwung bestaunt werden, der nicht wenige Dörfer in jenen Jahrzehnten erfasst hat. Manifest wird er durch die noch heute erhaltene Bausubstanz der Bauerngüter, die vorrangig zwischen 1860 und 1914 errichtet worden sind: mächtige Wohnhäuser, große Stallungen und Scheunen. Die Grundlage für diesen, in jeder Hinsicht einschneidenden Wandel waren nicht die Ablösungen der feudalen Lasten, sondern die besitzrechtlichen Veränderungen innerhalb der Gemarkungen. Natürlich war die Separation Teil der 47 Walter ACHILLES, Deutsche Agrargeschichte im Zeitalter der Reformen und der Industrialisierung, Stuttgart 1993, S. 40 f. 48 Wilhelm ABEL, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg u. a. ³1978, S. 273 f.
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Agrarreform. Jedoch hat erst die Separation den Bauern die Möglichkeit eröffnet, individuell und in jeder Hinsicht unabhängig vom einstmaligen Grundherren und von der bäuerlichen Gemeinde zu wirtschaften. Zwar wird mit Recht darauf verwiesen, dass der Separation nicht im Gleichschritt der agrarwirtschaftlich-produktionstechnische Fortschritt folgte,49 aber zumindest stand es nunmehr jedem Bauern frei zu, nach eigenen Vorstellungen die Fruchtfolge zu bestimmen, „neue“ Früchte wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Leguminosen anzubauen, gegebenenfalls Mineraldünger einzusetzen, seine Feldfrüchte in den Ställen zu veredeln und die Produkte eigener Feld- und Stallarbeit auf die Märkte zu tragen. In Sachsen-Meiningen war zwar seit 1834 bzw. 1855 für die Bauern der Weg zur Separation frei, indessen verzögerten und verschleppten sich die besitzrechtlichen Umgestaltungen in den Feldmarken bis um 1900 sowie zum Teil weit darüber hinaus. Der Widerspruch zwischen der politischen Dorfgemeinschaft und der konservativen Rechtsgemeinschaft der Landbesitzer erscheint rückblickend das größte Hemmnis im Herzogtum gewesen zu sein. Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts glaubte, die bäuerliche Gemeinde könne von sich aus alle Probleme vor Ort selbstständig lösen. Doch er unterschätzte das bäuerliche Beharrungsvermögen und den ländlichen Konservatismus grundsätzlich. Jahrzehnte später schuf Oswald Spengler mit einem gelegentlich fehlgedeuteten Zitat diesem Beharrungswillen ein literarisches Denkmal: Der Bauer ist der ewige Mensch, unabhängig von aller Kultur, die in den Städten nistet. Er geht ihr vorauf, er überdauert sie, dumpf und von Geschlecht zu Geschlecht sich fortzeugend, auf erdverbundene Berufe und Fähigkeiten beschränkt, der Ausgang und die immerfließende Quelle des Blutes, das in den Städten Weltgeschichte macht.50
49 ACHILLES, Agrargeschichte (wie Anm. 47), S. 106 f. 50 Oswald SPENGLER, Der Untergang des Abendlandes. Zweiter Band: Welthistorische Perspektiven, München 1922, S. 668.
H A N S -W E R N E R H A H N INDUSTRIALISIERUNG UND GESELLSCHAFTLICHER WANDEL
Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel im Herzogtum Sachsen-Meiningen Als der württembergische Liberale Paul Pfizer 1832 die Herstellung eines deutschen Einheitsstaates forderte, da begründete er dies unter anderem mit dem wirtschaftlichen und sozialen Elend, „welches eine unselige Zerstückelung über Deutschland gebracht“ habe.1 Schon zwölf Jahre zuvor hatte der Nationalökonom Friedrich List kritisiert, dass die deutschen Bundesstaaten „sich gegenseitig nach denselben Grundsätzen behandeln, nach welchen ganze Nationen verfahren“.2 Obwohl es in der Folgezeit vor allem durch die Gründung des Zollvereins zweifellos zu ersten Verbesserungen kam, hat Friedrich List diese Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Rückständigkeit und politischer Zersplitterung bis zu seinem Tode immer wieder hervorgehoben. Der deutsche „Partikularismus“ blockierte demnach nicht nur den Weg zum politisch erwünschten Einheitsstaat, sondern verhinderte auch einen raschen Fortschritt Deutschlands zum modernen Industriestaat und damit die Überwindung des im Vormärz so stark hervortretenden Pauperismus.3 Unter den auf einen schnellen industriellen Fortschritt setzenden deutschen Liberalen hatten daher die Kleinstaaten einen schlechten Ruf.4 Der nationalliberale Reichstagsabgeordnete und Publizist Karl Braun schrieb nach 1871 zu dem aus seiner Sicht unvermeidbaren Schicksal des Kleinstaats: Seine Ohnmacht wurde darin offenbar, als der moderne Verkehr Anstalten erforderte, die innerhalb der künstlichen Schranken bunter Vielherrschaft nicht errichtet werden konnten. Dampfmaschinen, Eisenbahnen und Telegraphen haben, weil sie Blick und Willen für große Beziehungen des Staatslebens erfordern, die meisten unserer Kleinstaaten in
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Paul Achatius PFIZER, Briefwechsel zweier Deutschen, neu hg. von Georg KÜNTZEL, Berlin 1911, S. 263–267. Friedrich Lists Denkschrift aus dem Jahre 1820 über die wirtschaftliche Lage Deutschlands nach den napoleonischen Kriegen, in: Erwin VON BECKERATH u. a. (Hg.), Friedrich List. Schriften, Reden, Briefe, Bd. 1, Teil 2, Berlin 1929, S. 528. Zu List ausführlich William HENDERSON, Friedrich List. Eine historische Biographie des Gründers des Deutschen Zollvereins und des ersten Visionärs eines vereinten Europa, Düsseldorf/Wien 1984. Vgl. Theodor SCHIEDER, Partikularismus und nationales Bewusstsein im Denken des Vormärz, in: Werner CONZE (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815– 1848, Stuttgart ²1970, S. 9–38.
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nicht geringerem Maße zerstört, wie die geräuschvollen Vorgänge, die man sonst unter dem Begriff großer geschichtlicher Aktionen begreift.5
Braun hatte dabei mit dem Herzogtum Nassau jenen Staat vor Augen, in dem er selbst aufgewachsen und politisch aktiv geworden war und dessen Annexion durch Preußen im Jahre 1866 er ausdrücklich begrüßte, weil das kleine Herzogtum Nassau aufgrund seiner verfehlten Politik ein wirtschaftlich rückständiges Land geblieben sei und schon aus diesem Grunde kein Lebensrecht mehr gehabt habe.6 Wie Herzog Adolf von Nassau hatte sich bekanntlich auch Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen im Krieg von 1866 gegen Preußen gestellt. Er musste danach zwar seinem Sohn Georg II. die Regentschaft überlassen, von einer Annexion aber blieb Sachsen-Meiningen verschont. Im Unterschied zu Nassau, Kurhessen und Hannover kamen die Menschen in den Thüringer Kleinstaaten aber auch nicht in den Genuss einer preußischen Wirtschaftsverwaltung und -politik, der viele Zeitgenossen in den annektierten Gebieten eine wichtige, den Strukturwandel und das Wachstum fördernde Rolle zuschrieben.7 Waren so kleine Staaten wie das Herzogtum Sachsen-Meiningen, so fragten auch nach der Reichsgründung manche Beobachter, überhaupt in der Lage, den Erfordernissen des neuen Industriezeitalters nachzukommen, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und angemessen auf die damit verbundenen sozialen Folgen zu reagieren. Diesen Fragen soll im Folgenden in drei Schritten nachgegangen werden. Zunächst soll geprüft werden, inwieweit der Kleinstaat vor der Gründung des Deutschen Reiches wirklich dem wirtschaftlichen Fortschritt im Wege stand. Zweitens soll umrissen werden, wie sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Regierungszeit Georgs II. in Sachsen-Meiningen entwickelten und in welchem Maße der Regent selbst hier Einfluss zu nehmen versuchte. Im letzten Teil des Beitrages geht es schließlich um die Frage, inwieweit der wirtschaftliche und soziale Wandel nicht nur das Bild des Kleinstaates, sondern auch die Beziehungen zwischen Dynastie und Bevölkerung veränderte und gerade um 1900 die Kleinstaatenkritik in veränderter Form wieder aufleben ließ.
5 6 7
Karl BRAUN, Verkehrte Verkehrspolitik, in: DERS., Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei, Bd. 5, Hannover 1881, S. 71–89, hier S. 89. Zu Braun vgl. Winfried SEELIG, Von Nassau zum Deutschen Reich. Die ideologische und politische Entwicklung von Karl Braun 1822–1871 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 28), Wiesbaden 1980. Zu den ökonomischen Folgen der Annexion in Hessen vgl. Hans-Werner HAHN, Wirtschaft und Verkehr 1800–1945, in: Winfried SPEITKAMP (Hg.), Handbuch der hessischen Geschichte, Bd. 1: Bevölkerung, Wirtschaft und Staat in Hessen 1806–1945 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 63,1), Marburg 2010, S. 73–249, hier S. 140–142.
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Fragt man nach den aus den kleinstaatlichen Strukturen resultierenden Behinderungen des wirtschaftlichen Fortschritts, so treten in der Frühphase des 1815 geschaffenen Deutschen Bundes vor allem die zollpolitischen Verhältnisse ins Blickfeld, unter denen auch die thüringischen Kleinstaaten besonders zu leiden hatten. Mit dem 1834 ins Leben getretenen Deutschen Zollverein, dem auch alle thüringischen Staaten angehörten, schienen die schlimmsten Auswüchse der politischen Zersplitterung Deutschlands zumindest für einen Großteil des Deutschen Bundes und für Thüringen beseitigt zu sein.8 Es gab freilich weiterhin andere Felder der Wirtschaftspolitik, auf denen ein kleiner Staat wie Sachsen-Meiningen rasch ins Hintertreffen zu geraten schien. Von einem kleinen Staat mit geringen finanziellen Ressourcen und einem kleinen Hof des Herrschers konnten nur begrenzt Nachfrageeffekte ausgehen, die die gewerbliche Wirtschaft stimulierten. Es fehlten die Mittel, um große Infrastrukturprojekte voranzubringen oder attraktive höhere Gewerbeschulen einzurichten, wie dies etwa die Königreiche Preußen, Sachsen oder Hannover taten.9 Freilich sollte man den Zusammenhang von Kleinstaatlichkeit und wirtschaftlicher Rückständigkeit differenzierter betrachten. Die neuere Industrialisierungsforschung fragt nämlich nicht mehr nur danach, wie die so genannte „Kleinstaaterei“ oder der vielfach verketzerte „Partikularismus“ die Entfaltung neuer wirtschaftlicher Kräfte gehemmt habe, sondern wirft sogar die Frage auf, ob nicht die für Deutschland typischen dezentralen Strukturen „in der gegebenen Lage der aufholenden Industrialisierung eher förderlich“ gewesen seien.10 Zum einen konnten zwar deutsche Staaten, allen voran Preußen und das Königreich Sachsen, mit verschiedensten Maßnahmen den Industrialisierungsprozess fördern. Aber nirgendwo in Deutschland war Industrialisierung eine staatliche Veranstaltung, die sich nach einem entsprechenden Masterplan vollzog.11 Zum anderen hat die 8
Vgl. hierzu Hans-Werner HAHN, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984; zu Thüringen: Hans-Werner HAHN, Thüringischer Zollverein und regionale Wirtschaftsinteressen. Erfurt als Zentralort einer neuen thüringischen Wirtschaftspolitik 1834– 1848/49, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 60, NF 7 (1999), S. 75–87. 9 Hierzu grundlegend Wolfram FISCHER, Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Deutschland am Beginn der Industrialisierung, in: DERS., Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 1), Göttingen 1972, S. 60–74; sowie RUDOLF BOCH, Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert (EDG, 70), München 2004. 10 Eckhard SCHREMMER, Föderativer Staatsverbund, öffentliche Finanzen und Industrialisierung in Deutschland, in: Hubert KIESEWETTER/Rainer FREMDLING (Hg.), Staat, Region und Industrialisierung, Ostfildern 1985, S. 3–66, hier S. 23; vgl. ferner Oliver VOLCKART, Politische Zersplitterung und Wirtschaftswachstum im Alten Reich, ca. 1650–1800, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 86,1 (1999), S. 1–38. 11 Vgl. den Forschungsüberblick bei Hans-Werner HAHN, Die Industrielle Revolution in Deutschland (EDG, 49), München ³2011, S. 51–53.
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neuere Forschung gezeigt, dass die Industrialisierung vor allem ein regionales Phänomen war. Wenn man sich die Führungsregionen des deutschen Industrialisierungsprozesses aber genauer anschaut, dann stellt man schnell fest, dass sie ihre Entwicklung weniger staatlichen Eingriffen verdankten, sondern Vorbedingungen wie günstiger Verkehrslage, Bodenschätzen, jahrhundertealten Gewerbetraditionen, Bildungsstand der Bevölkerung oder ausreichendem Arbeitskräftepotential. Zu solchen Führungsregionen gehörten in Deutschland Teile des preußischen Rheinlandes und große Teile des Königreichs Sachsen.12 In den Thüringer Kleinstaaten war dagegen ein deutsches Manchester wie Chemnitz vor 1871 nicht zu finden. Im Vergleich zu den Führungsregionen deutscher Industrialisierung wirkte ein Staat wie Sachsen-Meiningen im Jahr des Regierungsantritts von Herzog Georg II. in der Tat etwas rückständig. Dies lag nun aber keineswegs in erster Linie daran, dass hier eine unzeitgemäße Wirtschaftspolitik ähnlichen Entwicklungen im Wege gestanden hätte. Gewiss hat es in dieser Hinsicht noch hemmende Faktoren gegeben. Als der talentierte junge Feinmechaniker Moritz Hensoldt, dessen Vater Amtsekretär in Sonneberg war, sich 1846 in Sonneberg niederlassen wollte, wurde er durch überkommene Regelungen des Ortsbürgerrechts zunächst hingehalten.13 Erst 1862 wurden die Privilegien der Sonneberger Kaufleute beseitigt und in Sachsen-Meiningen wie in anderen Thüringer Kleinstaaten generell die Gewerbefreiheit eingeführt.14 Dieses lange Festhalten an älteren Gewerbeordnungen mit ihren Schutzrechten für Zünfte und Innungen musste aber dem zügigen Aufbau neuer großgewerblicher Strukturen nicht unbedingt entgegenstehen, wenn diese wie im Königreich Sachsen die notwendigen Konzessionen der Regierung erhielten. Man sollte deshalb die wachstumshemmenden Faktoren kleinstaatlicher Wirtschaftspolitik nicht überschätzen. Es gab auch zukunftsweisende Elemente. So bezeichnete der Jenaer Nationalökonom Bruno Hildebrand die Regelungen der für das gesamte Wirtschaftsleben wichtigen Bauernbefreiung, die nach 1848/49 über staatliche Ablösungsbanken zu niedrigen Zinssätzen vorangetrieben wurde, als „eine recht eclatante Lichtseite der vielberufenen deutschen Kleinstaaterei“.15
12 Hubert KIESEWETTER, Erklärungshypothesen zur regionalen Industrialisierung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 67 (1980), S. 305–333. 13 Hierzu ausführlich Christine BELZ-HENSOLDT, Zwei Pioniere der Optik. Carl Kellners Briefe an Moritz Hensoldt 1846–1852, Gladenbach 2007, S. 27. 14 Zur Situation in Sonneberg vgl. Emanuel SAX, Die Hausindustrie in Thüringen. Wirtschaftsgeschichtliche Studien. 1. Teil: Das Meininger Oberland, Jena 1885, S. 11–13; Hans DRESSEL, Die Entwicklung von Handel und Industrie in Sonneberg, Diss. Leipzig 1908, S. 82–84. 15 Zitiert nach Friedrich FACIUS, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte
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Im Übrigen waren es weniger die zweifellos reformbedürftigen Regelungen des Gewerbe- und Niederlassungsrechts, die eine rasche Industrialisierung des Kleinstaates Sachsen-Meiningen verhinderten. Weit wichtiger waren wirtschaftsgeographische Faktoren. Der Kleinstaat lag nicht an den großen europäischen Handelsrouten, wie sie Rhein oder Elbe darstellten. Man besaß in Thüringen anders als an der Ruhr oder der Saar zu wenige Bodenschätze, die günstig abzubauen und industriell zu nutzen waren. An diesen Faktoren scheiterte die 1845 vom Hildburghausener Verleger Carl Josef Meyer gegründete „Deutsche Eisenbahnschienen-Compagnie“ in Neuhaus-Schierschnitz. Trotz gewaltiger Investitionen, modernster Technik und qualifizierten Arbeitern wurde das Werk zur größten Fehlinvestition der deutschen Eisenindustrie des 19. Jahrhunderts, weil am Ende die Erzbasis der Region unzureichend war, die Steinkohlen der Region nicht geeignet waren und damit die falsche Standortwahl getroffen worden war.16 Auch staatliche Direktsubventionen hätten das Ende als Industrieruine nicht verhindern können. Ein Kleinstaat wie Sachsen-Meiningen wies nun aber für einen Industrialisierungsprozess um die Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs nur ungünstige Voraussetzungen auf. Die neuere Forschung hat gezeigt, dass erfolgreiche Industrialisierungsprozesse meist nicht schlagartig im Sinne einer „Industriellen Revolution“ einsetzten, sondern einen eher evolutionären Charakter hatten. Es bedurfte einer langen Vorbereitungsphase, in der Grundlagen der späteren Wachstumsprozesse gelegt wurden.17 Wichtige Faktoren waren in diesem Zusammenhang der Bildungsstand der Bevölkerung, lange Gewerbetraditionen und das Vorhandensein von Unternehmertalenten und erfahrenen Arbeitskräften. In dieser Hinsicht brachten die Thüringer Kleinstaaten durchaus Potential ein. Der allgemeine Bildungsstand der Bevölkerung konnte sich im deutschen Vergleich sehen lassen. Und durch die langen Erfahrungen mit gewerblicher Produktion war ein Unternehmerpotential entstande, das schon vor 1866 auf sich aufmerksam machen konnte. Dies zeigt etwa der Blick auf die Lauschaer Glasmacherfamilien Greiner, Müller und Geißler18 oder das Beispiel des Feinmechanikers Moritz Hensoldt, der bei einem Saalfelder Meister ausgebildet worden war und 1851 die Mechanik des Diorama „Ein Volksfest auf der in der Neuzeit, 2. Teil, (Mitteldeutsche Forschungen 48/V, 2), Köln/Wien 1978, hier S. 142. 16 Vgl. Rainer FREMDLING, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert. Die Eisenindustrien in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Berlin 1986, S. 333 f. 17 Zu den langfristigen Vorbedingungen regionaler Industrialisierung vgl. Hubert KIESEWETTER, Das einzigartige Europa. Zufällige oder notwendige Faktoren der Industrialisierung, Göttingen 1996. 18 Vgl. hierzu Wolfgang HUSCHKE, Forschungen über die Herkunft der thüringischen Unternehmerschicht des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden 1962, S. 34–36.
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Rosenau“ fertigte, mit dem sich die Thüringer Staaten 1851 auf der ersten Weltausstellung in London präsentierten.19 Der Glasfabrikant Heinrich Geißler und Hensoldt gründeten ihre großen Werke später allerdings im preußischen Rheinland. Sachsen-Meiningen war, so kann man deshalb feststellen, in gewerblicher Hinsicht keineswegs ein völlig zurückgebliebener Kleinstaat. Auch wenn spektakuläre Entwicklungsschübe, wie sie die industriellen Kernregionen aufwiesen, bis zum Regierungsantritt Georgs II. noch ausblieben, so wies Sachsen-Meiningen um 1866 eine vielgestaltige Gewerbeproduktion und eine Gewerbedichte auf, die deutlich über dem deutschen Durchschnitt lag. Die Einwohnerzahl des Herzogtums betrug 1864 etwa 178.000, die Zahl der Erwerbstätigen lag bei etwa 76.000. Von diesen waren bereits über 30.000 in den Bereichen Industrie, Gewerbe und Bergbau tätig. Mit fast 41,3 % übertraf dieser Sektor den Anteil der in Landwirtschaft und Forsten tätigen Berufsbevölkerung (31,6 %) deutlich.20 Der Rest der Erwerbsbevölkerung entfiel auf die Dienstleistungsberufe. In anderen deutschen Staaten besaß der primäre Sektor, also die Landwirtschaft, noch einen weit größeren Stellenwert. Der genauere Blick in die Statistik des gewerblichen Sektors zeigt einerseits die Vielfalt der Gewerbeproduktion in Sachsen-Meiningen, andererseits wird aber deutlich, dass abgesehen vom Bergbau größere Betriebe mit zahlreichen Arbeitern, Gesellen und Gehilfen fehlten. In etlichen Gewerbezweigen war die Zahl der Meister größer als die der Gesellen. Die wichtigsten und entwicklungsfähigsten Zweige dieser vielgliedrigen und kleinteiligen Produktion waren die im Sonneberger Land ansässige Heimindustrie, vor allem die Spielzeugherstellung und die Glasbläserei, das Textil- und Ledergewerbe im Pößnecker Raum, die Drahtgewebeproduktion und der Apparatebau in Saalfeld, die Tabakherstellung in Salzungen und der Schieferabbau in Lehesten.21 Grundlagen für weiterführende gewerbliche Entwicklungen waren also im Jahr des Regierungsantritts Herzog Georg II. vorhanden, und der meiningische Staat hatte auch im Bereich der Infrastruktur schon wichtige Voraussetzungen geschaffen. So war die durch Saalfeld führende 19 Karsten POREZAG, Hensoldt. Geschichte eines optischen Werkes in Wetzlar, Bd. 1: Familien- und Gründungsgeschichte, Wetzlar 2001, S. 167–169. 20 Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstatistik Deutschlands 1815–1875, Bd. IV: Quellen zur Berufs- und Gewerbestatistik Deutschlands 1816–1875, hg. von Wolfgang KÖLLMANN, bearb. v. Antje KRAUS, Boppard 1995, S. 347–349. 21 Ein Überblick über die Entwicklung bieten Wolfgang MÜHLFRIEDEL, Die Industrialisierung in Thüringen. Grundzüge der gewerblichen Entwicklung in Thüringen von 1800 bis 1945, Erfurt 2001; Falk BURKHARDT, Gewerbe, Industrie und Industrialisierung in den thüringischen Residenzen, in: Konrad SCHEUERMANN/Jördis FRANK (Hg.), neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen, Essays, Mainz 2004, S. 425–444; zu Pößneck jetzt Eva AYMANS, Industriekultur in Pößneck. Lebenswelten im 19. und 20. Jahrhundert, Pößneck 2011; Horst MORITZ, Thüringen im 19. Jahrhundert. Von der Agrar- zur Industriegesellschaft, Teil 1: 1800–1870, Erfurt 2010, Teil 2: 1871–1918, Erfurt 2012.
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wichtige Straßenverbindung zwischen Nürnberg und Leipzig ausgebaut worden. 1858 wurden wichtige Teile des Landes mit der Werra-Eisenbahn an das deutsche Bahnnetz angeschlossen.22 Zudem hatte sich Meiningen mit der 1856 gegründeten Mitteldeutschen Kreditbank, der 1862 gegründeten Mitteldeutschen Hypothekenbank und dem expandierenden privaten Bankhaus Strupp zum wichtigsten Finanzplatz Thüringens entwickelt, was dem weiteren kapitalintensiven Ausbau der modernen Industrie sehr entgegenkommen musste.23 Wie gestaltete sich nun die wirtschaftliche Entwicklung unter dem neuen Herzog Georg II.? Als Monarch eines kleinen deutschen Staates, der seit 1866 der Wirtschaftsgesetzgebung des Norddeutschen Bundes, beziehungsweise dann des Deutschen Reiches unterworfen war, blieb zwar nun noch weniger Raum für eigene Initiativen.24 Allerdings konnte auch der Landesherr eines Kleinstaates auf verschiedene Weise die wirtschaftliche Entwicklung fördern oder hemmen. Dies hing nicht zuletzt mit seiner Grundeinstellung zu den neuen industriellen Wirtschaftsformen zusammen. Wie sich die Monarchen des 19. Jahrhunderts zum Industrialisierungsprozess verhielten, müsste noch gründlicher erforscht werden. Feststellen kann man zunächst einmal, dass die Welt der modernen Industriewirtschaft im 19. Jahrhundert noch nicht im Mittelpunkt des Interesses deutscher Monarchen stand. Der Biograph des bayerischen Königs Ludwig I. kommt zu dem Schluss: Dass Politik und Kunst, kirchliche Erneuerung und Staatsverwaltung im Tätigkeitsfeld des Königs vor dem Ökonomischen rangierten, versteht sich von selbst. Die Welt der freien Wirtschaft war nicht die seine. Wie hätte sie es auch sein sollen.25
Selbst von der Monarchin des Mutterlandes der Industrialisierung, von Queen Victoria, wird berichtet, dass sie erst 1851 zum ersten Mal die Industriezentren Liverpool und Manchester, die zweit-, beziehungsweise viertgrößte Stadt ihres Königreichs, besucht habe. Zur Lokalisierung der beiden Städte nannte sie in einem Brief die beiden Adelssitze Croxteth und Worsley, die ihr wie dem adeligen Empfänger offenbar vertrauter waren als die neuen industriellen Zentren.26 Manche Monarchen standen einigen Errungenschaften des Industriezeitalters geradezu ablehnend gegenüber. König Ernst August von Hannover soll den 22 Vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis 1997, S. 122. 23 Alfred ERCK, Kleine Bankengeschichte der Stadt Meiningen, Meiningen 2000, S. 14–16. 24 Zum wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum der Kleinstaaten im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich vgl. Ulrich HEß, Geschichte Thüringens 1866–1914, Weimar 1991, S. 64–66. 25 Heinz GOLLWITZER, Ludwig I. von Bayern. Eine politische Biographie, München 1986, S. 656 f. 26 Gottfried NIEDHART, Geschichte Englands im 19. und 20. Jahrhundert, München 1987, S. 42.
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Eisenbahnbau mit den Worten kritisiert haben, dass dann „jeder Schuster und Schneider so rasch reisen kann wie ich“.27 Nicht wenige Monarchen fürchteten, dass die Industrialisierung und der mit ihr einhergehende Aufstieg des Bürgertums auch die Erosion der bisherigen Herrschaftsformen beschleunigen würde.28 Bei genauerem Hinsehen ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Zum einen bekundeten manche Monarchen ein großes Interesse an den neuen technischen Entwicklungen. Technikbegeisterung und -förderung konnten wie beim deutschen Kaiser Wilhelm II. zu einem wichtigen Element der Herrschaftsinszenierung werden.29 Zum anderen konnten auch Monarchen schon aus Eigeninteresse an der neuen industriellen Welt nicht völlig vorbeischauen. Für die großen Staaten wurden die wirtschaftlichen Fortschritte zu einem wichtigen Faktor der Machtpolitik. Aber auch für kleinere Staatswesen war das wirtschaftliche Wachstum notwendig, um die fiskalischen, administrativen und gesellschaftlichen Herausforderungen einer neuen Zeit zu bestehen. Selbst wenn die neue industrielle Welt nicht im Zentrum des monarchischen Interesses stand, waren sich Herrscher wie der sächsische König Johann I. ihrer Bedeutung für das eigene Land nur zu bewusst und zogen daraus auch entsprechende Konsequenzen, indem sie Gewerbeausstellungen besuchten, führende Industrielle mit Orden und anderen Auszeichnungen ehrten oder auch das gewerbliche Schulwesen förderten.30 Was nun das Verhalten von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen der unaufhaltsam heraufziehenden Welt der modernen Industrie gegenüber betrifft, so bedarf es zwar noch ausführlicherer Forschungen als bisher. Indes sind bestimmte Grundmuster auch hier deutlich zu erkennen, die auf eine für viele Monarchen typische ambivalente Wahrnehmung der neuen Wirtschaftsformen schließen lassen. Als Erbprinz Georg II. 1857 die Industrielandschaft um Manchester besuchte, hat dies bei ihm offenbar einen ähnlich negativen Eindruck hervorgerufen,31 wie es der französische Gesellschaftsanalytiker Tocqueville schon 1835 beschrieben hatte:
27 Vgl. Rolf Peter SIEFERLE, Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984, S. 112. 28 So der letzte Kurfürst von Hessen. Vgl. KARL BRAUN, Der letzte der deutschen Kurfürsten, in: DERS., Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei, Bd. 4, Hannover 1876, S. 169–200. 29 Hierzu Wolfgang KÖNIG, Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technischindustrielle Welt, Paderborn 2007. 30 Vgl. Hans-Werner HAHN, Industrialisierung, Wirtschaftspolitik und deutsche Frage. Sächsische Wirtschaftspolitik unter König Johann 1854–1873, in: Winfried MÜLLER/ Martina SCHATTKOWSKY (Hg.), Zwischen Tradition und Modernität. König Johann von Sachsen 1801–1873, Leipzig 2004, S. 143–162. 31 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 22), S. 122.
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Inmitten dieser stinkenden Kloake hat der große Strom der menschlichen Industrie seine Quelle, von hier aus wird er die Welt befruchten. Aus diesem schmutzigen Pfuhl fließt das reine Gold. Hier erreicht der menschliche Geist seine Vollendung und hier seine Erniedrigung; hier vollbringt die Zivilisation ihre Wunder, und hier wird der zivilisierte Mensch fast wieder zum Wilden.32
Die Licht- und Schattenseiten des industriellen Fortschritts hat offenbar auch ein so wacher Geist wie Georg wahrgenommen und später versucht, darauf zu reagieren. Gewiss wird man nicht sagen können, dass die moderne Industrie ein Feld war, dem sich Georg II. mit ganzem Engagement und Interesse widmete. Notwendige Gesetzesentwürfe über technische Neuerungen soll er in der Regel ohne große Kommentierung unterzeichnet haben, während er andere Gesetzesentwürfe oft ausführlich kommentierte.33 Trotzdem interessierte sich Georg schon als Erbprinz für die wirtschaftlichen Fortschritte in seinem Lande. Er pflegte, anders als der Vater, engere Kontakte zur wirtschaftlichen Elite des kleinen Landes, etwa zum führenden Sonneberger Unternehmer Adolf Fleischmann, und regte 1858 in Sonneberg die Gründung eines „Kunst- und Industrievereins“ an. Der Verein sollte dazu beitragen, die künstlerische Qualität der in Heimarbeit gefertigten Produkte zu heben und dadurch die Exportchancen zu steigern. Auch in seinen Regierungsjahren hat Georg II. gerade in dieser Hinsicht einige Akzente gesetzt. Er hat spezielle Bildungsstätten wie die „Zeichen- und Modellierschule“ in Lauscha oder eine „Modellier- und Holzschnitzschule“ in Sonneberg ins Leben gerufen, der Georg II. eine reiche Sammlung von Zeichnungsvorlagen und Kunstblättern Berliner, Dresdener und Münchener Künstler schenkte.34 Der Herzog war der Ansicht, dass Geschmack und Kunstfertigkeit der Produzenten von Spielwaren und Glas noch ungenügend ausgeprägt seien und beklagte in diesem Zusammenhang auch die Trägheit von Verlegern und Heimarbeitern. Er wollte „Gewerbe- und Kunstausstellungen“ im Lande nutzen, um den Geschmack von Produzenten und Konsumenten auf ein höheres Niveau zu heben und schickte Glasbläser zur Weiterbildung nach Böhmen.35 Teilweise waren diese Aktivitäten freilich die Folge der massiven Kritik, die die Zustände in der Heimarbeit des Thüringer Waldes am Ende des 19. Jahrhunderts reichsweit hervorgerufen hatten.36 32 Alexis de TOCQUEVILLE, Notizen von einer Reise nach England (1835), in: Wolfgang KÖLLMANN, Die Industrielle Revolution, Stuttgart 1987, S. 43. 33 Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Grundpositionen, Leistungen und Wirkung seiner Persönlichkeit, Diss. Jena 1989, S. 48. 34 DRESSEL, Entwicklung (wie Anm. 14), S. 105. 35 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 22), S. 122. 36 Emanuel SAX, Die Hausindustrie in Thüringen, 3 Teile, Jena 1882–1888; vgl. auch Gerhard A. RITTER/Klaus TENFELDE, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S. 232–234.
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Landesherrliche und staatliche Initiativen in Sachen Geschmacksbildung konnten, wie am Beispiel der württembergischen Kunstgewerbeförderung gezeigt worden ist, durchaus Entwicklungsimpulse für die gewerbliche Produktion geben.37 In Bezug auf die schwierigen Verhältnisse des stark saison- und konjunkturabhängigen Heimgewerbes des Thüringer Waldes blieben die Folgen der herzoglichen Initiativen aber offenbar begrenzt. Immerhin war Georg II. nicht abzusprechen, dass er sich für die Interessen dieses Gewerbes einsetzte. Er besuchte Orte wie Lauscha, um sich genauer zu informieren. Er unterstützte die Forderungen der Meininger Handels- und Gewerbekammer und trat auf der Reichsebene für eine Freihandelspolitik ein, weil sie den Interessen des stark exportabhängigen Heimgewerbes entsprach. Im Oktober 1901 verwahrte sich der Herzog gegen das „künstlich großgezogene Geschrei der Agrarier“ und die von ihnen wie von der Schwerindustrie verlangten zollpolitischen Korrekturen mit den Worten: Die Zollerhöhungen mögen nur minimal sein […] Wir haben allen Grund einen Zollkrieg zu fürchten, der die Industriebevölkerung des Oberlandes in ein Elend stürzen würde, an das man nicht denken kann, ohne zu schaudern.38
Georg II. blieb somit in wirtschaftspolitischer Hinsicht alles andere als untätig. Dies unterstreicht auch sein Engagement für das Technikum Hildburghausen, eine höhere Fachschule für Bau- und Maschinenbautechniker, die er finanziell unterstützte und bei der er auch an der Auswahl der Lehrer mitwirkte. Dennoch scheint sein Interesse an den neuen großindustriellen Strukturen etwas geringer geblieben zu sein. Diese industriellen Großbetriebe kamen in der Zeit des Kaiserreichs nun auch in Sachsen-Meiningen immer stärker auf. Vor allem in Saalfeld und Pößneck entstanden nun zahlreiche neue Betriebe des Nahrungs- und Genussmittelsektors, der Textil- und Lederindustrie, des Maschinen- und Apparatebaus und der Porzellanproduktion. In Unterwellenborn wurde 1873 die Maximilianshütte gegründet, mit der Sachsen-Meiningen nach dem Fehlschlag der Meyerschen Gründung Anschluss an die Entwicklung der modernen Eisenindustrie fand.39 Hinzu kam die Kaliindustrie, die seit den 1890er Jahren in Thüringen rasch expandierte, 1907 in den zu Sachsen-Meiningen gehörenden Gruben 1.200 Personen beschäftigte und die soziale Struktur im Werratal grundlegend veränderte. Aus Bauerndörfern wurden Bergarbeitergemeinden, die viele Zuwanderer anzogen und neue Siedlungen entstehen ließen. Der Kleinstaat hat 37 Ingrid CLEVE, Geschmack, Kunst und Konsum. Kulturpolitik als Wirtschaftspolitik in Frankreich und in Württemberg (1805–1845) (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 111), Göttingen 1996. 38 Zitiert nach HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 24), S. 421 f. 39 Zum Aufstieg der Großindustrie zusammenfassend FACIUS, Geschichte (wie Anm. 15), S. 278–280; MÜHLFRIEDEL, Industrialisierung (wie Anm. 21), S. 51–53.
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die neuen wirtschaftlichen Chancen, die der Kalibergbau brachte, recht konsequent genutzt, sich selbst an der Ausbeutung der Bodenschätze beteiligt und notwendige Infrastrukturmaßnahmen wie die Verbesserung der Eisenbahnverbindungen vorangetrieben.40 In welchem Maße der Herzog Georg II. diesen Strukturwandel hin zu großindustriellen Formen wahrnahm, förderte oder hemmte, müsste noch genauer untersucht werden. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass Georg II. gegenüber der Großindustrie nicht zuletzt aufgrund seiner in Manchester gewonnenen Erfahrungen ein distanziertes Verhältnis bewahrte. Vor allem seine Residenzstadt sollte nicht von neuen großindustriellen Strukturen bestimmt werden, wie dies etwa in Greiz der Fall war, sondern sich als Verwaltungs-, Garnisonsund vor allem Kulturstadt profilieren.41 Selbst die Rauchbelästigung durch die wenigen Schornsteine des von der Preußischen Staatsbahn betriebenen Meininger Eisenbahnausbesserungswerkes, das am Ende der Regierungszeit Georgs II. ausgebaut wurde, empfand der Monarch als überaus lästig. Aus heutiger Sicht erscheinen monarchische Sorgen um das Stadtbild oder die Hoffnungen auf einen möglichst sozialverträglichen, auf den Mittelstand setzenden wirtschaftlichen Wandel durchaus sympathisch. Um 1900 lief man freilich Gefahr, dass ein Kleinstaat wie Sachsen-Meiningen ökonomisch gegen dynamischere Regionen zurückfiel, zumal mit den angestrebten Verbesserungen in der Heimindustrie weder das nötige Wachstum noch die Lösung der teilweise noch immer unbefriedigenden sozialen Verhältnisse zu erreichen war. Und auch die wachsenden Anforderungen auf dem Sektor der Staatsfinanzen42 waren nur durch eine leistungsfähige Wirtschaftsstruktur zu erfüllen. All dies war auch dem Herzog und seinen Regierungsbeamten nur zu bewusst. In ihrem Jahresbericht von 1901 hob die Handels- und Gewerbekammer für den Kreis Meiningen hervor, dass die Regierung gerade angesichts ihrer Erfahrungen mit den Folgen von Wirtschaftskrisen „den Wert und die Bedeutung einer großen und leistungsfähigen Industrie kennen und schätzen gelernt“ habe.43 Es war nicht zuletzt dem Vorsitzenden dieser 1881 gegründeten Kammer, dem Meininger Bankier Gustav Strupp, zu verdanken, wenn sich diese Einsicht in der Führung des Kleinstaates stärker Bahn brach. Der 1851 geborene Meininger Bankier und Landtagsabge40 Lothar BRÜCKNER/Eckart BÜXEL/Hermann-Josef HOHMANN, Die ersten Jahrzehnte. Der Aufstieg des Werra-Fulda-Reviers zwischen 1893 und 1933, in: Ulrich EISENBACH/ Akos PAULINYI (Hg.), Die Kaliindustrie an Werra und Fulda. Geschichte eines landschaftsprägenden Industriezweigs (Schriften zur hessischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, 3), Darmstadt 1998, S. 49–78. 41 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 22), S. 122 f. 42 Vgl. hierzu Otto COSTABELL, Die Entwicklung der Finanzen im Herzogtum SachsenMeiningen von 1831 bis zur Gegenwart, Jena 1908. 43 Bericht der Handels- und Gewerbekammer für den Kreis Meiningen auf das Jahr 1901 unter Berücksichtigung der Jahre 1899 und 1900, Meiningen 1902, S. 75.
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ordnete war in wirtschaftlicher Hinsicht zweifellos die wichtigste und rührigste Persönlichkeit während der Regierungszeit Georgs II. Über das Bankhaus der Familie Strupp, den Aufsichtsrat der Deutschen Hypothekenbank und vielfältige Beteiligungen an industriellen Unternehmen hat Gustav Strupp maßgeblich zur regionalen Wirtschaftsentwicklung Thüringens beigetragen, wobei sein besonders auf die Porzellanindustrie konzentriertes Engagement weit über die Grenzen des kleinen Sachsen-Meiningen hinausreichte.44 Auch wenn Strupp im Landtag den Herzog mahnte, die herzoglichen Domänen nicht weiter von der Steuerpflicht auszunehmen, so hat Georg II. diesen Vertreter des deutschjüdischen Bürgertums sehr geschätzt und zugleich die Rechte der jüdischen Bürger gegen den auch im Meininger Land aufkommenden Antisemitismus entschieden verteidigt.45 In gesellschaftspolitischer Hinsicht erwies sich Georg II. generell viel aufgeschlossener als viele seiner monarchischen Zeitgenossen. Durch seine moderate Politik trug er mit dazu bei, dass die gesellschaftlichen und politischen Spannungen in Sachsen-Meiningen nicht so groß waren wie in anderen deutschen Regionen. Gewiss führten auch hier die mit den neuen Wirtschaftsstrukturen verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen zu Spannungen und Konflikten zwischen Adel und Bürgertum, zu wachsender Unzufriedenheit der von den materiellen Zugewinnen erst wenig profitierenden Arbeiterschaft sowie zu antisemitischen Strömungen unter Handwerkern und Bauern. Das liberale Herrschaftsverständnis des Monarchen, aber auch die kommunalen sozialpolitischen Aktivitäten linksliberaler Unternehmerpersönlichkeiten minderten die sozialen Spannungen und ließen große Teile der Meininger Sozialdemokraten auf einen reformistischen Kurs einschwenken.46 Wie sich der gesellschaftliche Wandel, der Aufstieg eines auf die neue wirtschaftliche Macht gestützten Bürgertums und die mit der Industrialisierung verbundene Zunahme der Lohnarbeiterschaft, in der politischen Kultur des Kleinstaates und im Verhalten seines Herzogs
44 Ausführlich hierzu Alfred ERCK, Gustav Strupp als Bankier und Industrieller, 4 Teile, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 24 (2009), S. 163–180; ebd. 25 (2010), S. 155–180; ebd. 26 (2011), S. 249–283; ebd. 27 (2012), S. 173–192; ebd. 28 (2013), S. 193–223; ebd. 29 (2014), S. 235–262; ferner Alfred ERCK, Dr. Gustav Strupp und die Entwicklungen in der thüringisch-fränkischen Porzellanindustrie zwischen 1884 und 1918, in: Porzellanland Thüringen. 250 Jahre Porzellan aus Thüringen, hg. vom Museumsverband Thüringen, Jena 2010, S. 255–261. 45 Alfred ERCK, Emanzipations-, Gleichstellungs- und Akkulturationsbestrebungen der Juden des Herzogtums Sachsen-Meiningen im Spiegel des Landtagsgeschehens (1824 bis 1918/22), in: Zwischen Mitgestaltung und Ausgrenzung. Jüdische Abgeordnete und jüdisches Leben als Thema in Thüringer Parlamenten (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, 26), Erfurt 2007, S. 133–190, hier S. 171 f. 46 Vgl. HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 24), S. 463.
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niederschlug, müsste freilich noch eingehender erforscht werden als bisher.47 Zu fragen ist aber auch, wie sich der gesellschaftliche Wandel im Kaiserreich und die immer stärkere Ausrichtung auf die großen nationalen Fragen auf die Stellung der kleinstaatlichen Monarchen auswirkten. Schwächte ihre verspottete Situation als „Zaunkönige“48 im mächtigen Deutschen Reich auch ihre Position gegenüber der eigenen Bevölkerung? Unter den Thüringer Monarchen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dürfte dies am wenigsten auf Georg II. zugetroffen haben. Er blieb in weiten Bevölkerungskreisen persönlich geachtet.49 Im Bürgertum fand er Anerkennung durch seine kulturellen Aktivitäten, in der zunehmend sozialdemokratisch orientierten Arbeiterschaft war die Akzeptanz nicht zuletzt auf die ablehnende Haltung zurückzuführen, die Georg II. vor allem gegenüber dem Sozialistengesetz, aber auch gegenüber anderen repressiven Maßnahmen der Reichspolitik einnahm. Dennoch trugen gerade die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen an der Jahrhundertwende dazu bei, dass die kleinstaatlichen Strukturen zunehmend kritisch hinterfragt wurden. Der mit fortschreitender Industrialisierung immer dringlicher werdende Aufbau einer leistungsfähigen Energiewirtschaft stieß, wie vor allem die Fernübertragung von Elektroenergie zeigte, unter den kleinstaatlichen Verhältnissen mit den vielen Ex- und Enklaven auf besondere Probleme. Dies führte auch in bürgerlichen Kreisen zur Forderung nach einer umfassenden Verwaltungsreform und eines engeren Bundes zwischen den Thüringer Kleinstaaten.50 Zu der wirtschaftlich motivierten Kritik kamen die immer lauter vorgetragenen Bedenken, ob die Kleinstaaten noch in der Lage waren, auf die noch ungelösten sozialen Fragen angemessene Antworten zu geben. Die in den Reichstagswahlen erstarkenden Sozialdemokraten kritisierten nicht nur das für sie ungünstige Landtags- und Kommunalwahlrecht und die von Georg II. verteidigte Steuerfreiheit des herzoglichen Domänenvermögens, sondern stellten schließlich auch die gesamte Existenz der Kleinstaaten in Frage. Ihre Kritik gipfelte in Arthur Hofmanns Schrift über den „Thüringer Kleinstaatenjammer“. Hofmann, ein in Saalfeld gewähltes Mitglied des Meininger Landtags, verlangte in seiner als Weckruf an alle Thüringer bezeichneten Schrift ein Ende der
47 Man kann die von Jürgen John (vgl. DERS., Gedanken über künftige Forschungen zur Geschichte Thüringens, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 17 (1990), S. 42–44.) erhobene Forderung nach einer modernen Gesellschaftsgeschichte Thüringens nur nochmals unterstreichen, muss freilich auch einräumen, dass dies schon angesichts der Vielfalt der kleinstaatlichen Verhältnisse nicht leicht zu realisieren ist. 48 Helmut REICHOLD, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahrhundert. Eine Studie zum Föderalismus im Bismarckreich, Paderborn 1977. 49 Vgl. HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 24), S. 430. 50 Beate HÄUPEL, Die Gründung des Landes Thüringen. Staatsbildung und Reformpolitik 1918–1923, Weimar 1995, S. 20–22.
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geldverschlingenden Vielregiererei, welche die „Lebensweise der breiten Schichten der Thüringer Bevölkerung“ herabdrücke. Seine Kernsätze lauteten: Thüringen, das an Naturschönheiten so reiche Land, darf aber nicht mehr, wie bisher, infolge seiner politischen Zerstückelung, als der Paria unter allen Ländern in Deutschland dastehen. Auch ein von der Natur verschwenderischer bedachtes Territorium vermöchte es für die Dauer nicht auszuhalten, das meist und kostspieligst regierte, außerdem noch Preußen tributpflichtige Land zu sein, das nebenbei auch noch den fortgesetzt gesteigerten Anforderungen des Reiches genügen soll. Die Regsamkeit und hohe Intelligenz seiner Bewohner prädestinieren das Land geradezu, in industrieller Hinsicht eine führende Rolle einzunehmen. Heute aber erscheint ganz Thüringen nur als eine große Versorgeanstalt für Fürsten und Fürstendiener.51
Aus der Sicht der Sozialdemokraten schien eine solch massive Kritik berechtigt. Trotz der wirtschaftlichen Fortschritte, die auch ein kleiner Staat wie das Herzogtum Sachsen-Meiningen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verzeichnen konnte, trotz der um 1900 weiter steigenden Reallöhne und der sozialpolitischen Verbesserungen waren die Lebensbedingungen vieler Arbeiter noch immer recht karg, vielfach sogar ausgesprochen schlecht. Das galt insbesondere für die Hausindustrie in Südthüringen mit miserablen Einkommen, widrigen Wohnverhältnissen, noch immer vorhandener Kinderarbeit und gesundheitsgefährdenden Zuständen wie in der Zündholzfabrikation. Auch im Kalibergbau blieben die Löhne noch niedrig. Doch sollte all das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Meininger Kleinstaat in der Regierungszeit Herzog Georgs II. nicht nur weitere wichtige Vorleistungen für den wirtschaftlichen Fortschritt erbracht, sondern auch in sozialer Hinsicht Verbesserungen auf den Weg gebracht hatte, die viele um 1850 noch nicht für möglich gehalten hatten.
51 Arthur HOFMANN, Thüringer Kleinstaatenjammer. Ein Weckruf an alle Thüringer ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit, Saalfeld 1906, S. 30.
H A N N E L OR E S C H N E I D E R DIE EVANGELISCHE KIRCHE BRAUCHT NICHT MACHT ZU HABEN
„Die evangelische Kirche braucht nicht Macht zu haben und soll nicht Macht haben.“ Georg II. und die evangelische Landeskirche im Herzogtum
Die evangelische Kirche hat mit Gebet und Glockenklang das ganze Leben Georgs II. begleitet. Bereits Monate bevor er das Licht der kleinen sachsenmeiningischen Welt erblickte, wurde für Mutter und Kind in allen Kirchen des Landes Fürbitte getan. Es gehörte schon aus Staatsräson zur Existenz eines Erbprinzen, dass man große Erwartungen an ihn stellte. Diese bezogen sich nicht nur auf die Tatsache, dass er einst seinem Vater als regierender Herzog nachfolgen würde, sondern er erhielt von der ersten Minute an gleichzeitig die Weihe für sein zukünftiges Amt als Oberhaupt der Meininger Landeskirche, das er Jahrzehnte später gleichzeitig antreten würde. Mit Glockenläuten und Gebet hat man ihn vor hundert Jahren auch zu Grabe getragen und der Trauer Ausdruck verliehen, als das Leben dieses bedeutenden Fürsten zu Ende gegangen war. Die dazwischen liegende Spanne von mehr als 88 Jahren soll hinsichtlich seiner Haltung zur evangelischen Kirche punktuell etwas näher betrachtet werden. Bei aller Kürze, die hier geboten ist, muss betont werden, dass dieses Thema – wenngleich ab und zu in anderen Zusammenhängen schon einmal angeschnitten1 – dennoch Neuland ist. Denn über Georg II. als Oberhaupt seiner Kirche ist noch nicht viel gesagt oder geschrieben worden. Die Meininger gehörten zu den lutherischen Ernestinern, waren stolz auf diese Tatsache und versäumten es nicht, das auch zur Schau zu stellen. Mit vielem Aufwand wurden Lutherfeiern regelmäßig zu jedem Jubiläum absolviert, so auch innerhalb der Lebens- und Regierungszeit Georgs II.2 Zu dieser Haltung 1
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Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Meiningen/Zella-Mehlis 1997, S. 564– 580. Zu Georgs Verhältnis zwischen Natur, Kirche und Religion: DIES., Zur Kirchengeschichte im Herzogtum Sachsen-Meiningen zwischen 1866 und 1914, Manuskript, Meiningen 2014, 43 S. Als Beispiel seien aus dem Pfarrarchiv Meiningen, Abt. Kirchliche Feiertage die folgenden Quellen genannt: 25/2 200, Lutherjubiläum, Lutherreformationsfeste (1717–1860); 25/3 Lutherjubiläen (1717–1883); 25/14 und 25/17 300. Todestag Luthers (1846); 26/3 400. Geburtstag Luthers (1883).
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fühlten sie sich als Nachkommen der Ernestiner verpflichtet, denen Luther sein reformatorisches Vermächtnis anvertraut hatte und die es ihrerseits als eine der wichtigen geschichtlichen Aufgaben betrachteten, dieses Erbe fortzusetzen. Im Grundgesetz Sachsen-Meiningens vom 21. August 1829 ist die evangelische Kirche als Landeskirche festgeschrieben.3 An diesem Fakt änderte sich nichts während der Lebenszeit und der Regierungszeit Georgs II. Es ist der äußere Rahmen für die meisten und wichtigsten kirchenpolitischen Verordnungen und Entscheidungen geblieben, die seinerzeit getroffen wurden. Als protestantischer Landesherr war Georg II. gleichzeitig „summus episcopus“, also Kirchenfürst oder Landesbischof der Landeskirche von Sachsen-Meiningen. Die Kirche wurde stets als wesentlicher Bestandteil der obrigkeitlichen Verwaltung begriffen. Pfarrer waren eine Art Staatsbeamte und der Pfarrerstand auch in Sachsen-Meiningen mit ausgeprägtem Standesbewusstsein versehen. Seit der Reformation setzte sich der Grundsatz durch, dass jeder Pfarrer akademisch gebildet sein musste. Man begegnete Pfarrern mit Hochachtung. Das hat das Ansehen der Pfarrer, insbesondere auf dem Lande, stark gehoben. Auch dahingehend waren Pfarrer ein privilegierter Stand, dass sie keine Steuern zahlten. Dem Herzog als oberstem Kirchenherrn stand als unmittelbares Instrument seiner Machtausübung in diesem Bereich das Ministerium für Kirchen- und Schulsachen zur Verfügung.4 Mittelbehörden waren zur Zeit Georgs II. 16 Superintendenturen, die im Meiningischen Ephorien hießen, sowie 22 Kirchenund Schulämter. Die untere Ebene bildeten die Pfarreien. Außer Änderungen an der Spitze des Sachsen-Meininger Kirchenaufbaus hat sich innerhalb der Lebensspanne Georgs an der Struktur der Kirchenorganisation wenig geändert. Dieses Festhalten an überkommenen Strukturen an der kirchlichen Basis (trotz enormen Bevölkerungswachstums) hatte vor allem wirtschaftliche Gründe. Jeder neuen Pfarrstelle hätte eine ausreichende Pfründe zugeschlagen werden müssen, die sich aus unterschiedlichstem Grundbesitz, Erbzinsen, Zehnten, Geld und Naturalerträgen zusammensetzte, wovon ein Pfarrer mit seiner manchmal recht zahlreichen Familie auch leben können musste. Bis 1912 hatte ein meiningischer Pfarrer aufgrund der gestiegenen Bevölkerungszahlen etwa fünfmal so viele Seelen zu betreuen wie 100 Jahre zuvor. Eine wirkliche seelsorgerische Versorgung der Pfarrkinder war den Pfarrern unter 3
4
Grundgesetz für die vereinigte landschaftliche Verfassung des Herzogtums Sachsen Meiningen vom 12. September 1829, Tit. IV. Von den Kirchen und milden Stiftungen, Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogtum Sachsen-Meiningen, Bd. I, S. 139–181. Ulrich HEß, Geschichte der Behördenorganisation der thüringischen Staaten und des Landes Thüringen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1952 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 1), Jena/Stuttgart 1993, S. 86 f. und 103.
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diesen Verhältnissen immer schwieriger möglich. Natürlich haben wir es im 19. Jahrhundert, gerade in der Zeit, über die wir hier reden, mit vielfältigen Umbruchsprozessen, einer zunehmenden Industrialisierung, dem Drängen sozialer Fragen, dem Aufkommen und Erstarken der Sozialdemokratie zu tun. Die „Sonntagsruhe“ spielte zunehmend keine Rolle mehr. Rein offiziell wohl, aber in der Praxis nicht mehr. Auch am neuen Meininger Theaterbau 1908/09 wurde des Sonntags gearbeitet, ohne dass der Herzog als oberster Kirchenherr auch nur daran dachte, Einhalt zu gebieten. Das religiös-sittliche Leben geriet zunehmend in Verfall. Was sich viele Gemeindeglieder, auch Geistliche wünschten, war zwar nötiger denn je, wurde aber immer unmöglicher: mehr Seelsorge und stärkerer Einsatz der Geistlichen für die sozialen Belange des Kirchenvolks. Der Druck der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, aber ganz gewiss auch die pekuniär bedingte Unbeweglichkeit der Meininger Amtskirche, Strukturen zu schaffen, die auf diese neue und oft bedrohliche Welt hätten regieren können, führten zu einer zunehmenden Entkirchlichung, die auch in SachsenMeiningen in dieser Zeit deutlich wird. In gewisser Hinsicht wurde hier kirchlicherseits ein Rückzug angetreten. Historisch überfällig und immer wieder vom Kirchenvolk gefordert, um im kirchlichen Leben neue Wege gehen zu können, war auch in den thüringischen Staaten eine synodale Kirchenverfassung. Sachsen-Meiningen war nach Sachsen-Weimar (1874) das zweite Land in Thüringen, in dem es dazu kam (1876). In den Verhandlungen vor dem Meininger Landtag war man sich im Wesentlichen einig darüber, dass die Synode als ein Gegenstand von großer Bedeutung für die Kirche anzusehen war. Die Zustände in der evangelischen Kirche schienen „leider nicht die erfreulichsten“ zu sein. Den Klagen der Geistlichen, dass der Kirchenbesuch abnehme und dass kirchliche wie religiöse Lauheit und die materiell gefärbte Zeit Schuld daran seien, wurde entgegen gehalten, dass die Kirche „leider viel zu sehr an althergebrachten Formen hänge, […] für die die Gebildeten der Gegenwart kein Verständnis“ mehr hätten. Das wollte man mit der neuen Kirchenverfassung ändern, in der Hoffnung, dass damit der Kirche wieder ein Hauch neuen Lebens eingeflößt werde.5 Georg II. hat sich hier von Anfang an bemüht, derartige Bewegungen zu unterstützen. Die Bestrebungen der evangelischen Landeskirchen, über Ländergrenzen hinaus zu einer engeren Kooperation, ja zu einem gewissen Zusammenschluss zu gelangen, erzeugten beim Meininger Herzog durch die Politik Preußens, auch hier die Vorherrschaft zu erlangen, zunächst höchste Vorsicht. Später waren der preußische Machtanspruch sowie der überzogene deutsche Nationalismus im kirchlichen Bereich sowie Machtstreben aus Berlin auch noch auf kirchlichem 5
Verhandlungen des Landtags des Herzogtums Sachsen-Meiningen vom 22. November 1869–22. Dezember 1870, Meiningen, 98. öffentliche Sitzung 16. Dezember 1869.
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Gebiet ein Grund dafür, dass sich Georg II. äußerst vehement entsprechenden Vorstellungen widersetzte.6 Als diese Bewegung schließlich eskalierte und deutlich wurde, dass mit Hilfe des Kaisers beabsichtigt sei, den „unfruchtbaren und unsympathischen kirchlichen Partikularismus“7 zu überwinden, war der Meininger Herzog auf das Höchste alarmiert. Er räumte ein, dass Freude und Stolz über den Zusammenschluss des deutschen Reiches noch lebhaft empfunden würde, und daher jeder partikularistische Vorschlag Anklang fände und auch der Zusammenschluss der evangelischen Kirchen etwas Bestechendes hätte. Aber würde man es tun, ohne nachzudenken, wäre das Resultat ein „kaiserliches Papsttum“!8 Georg versuchte, seiner Amtskirche deutlich zu machen: „Je weniger unsere Kirche einem hierarchischen Aufbau ähnelt, je besser. Die evangelische Kirche braucht nicht Macht zu haben und soll nicht Macht haben.“9 In seinen Augen hatte Kirche kein Machtfaktor zu sein, sondern sie sollte Religiosität, Sittlichkeit, sicher auch Herzensfrömmigkeit im Volke verankern und pflegen, auch erzieherisch wirken. Immer dort, wo er derartige Orientierungsgrößen durch das Machtgehabe der Kirchenoberen gefährdet sah, war er bemüht, gegenzusteuern. Umgekehrt ist ihm daran gelegen gewesen, den Laien und ihren Aktivitäten einen angemessenen Raum zur Verfügung zu stellen. Wie gefährlich dieser neuerliche Machtanspruch aus Berlin war, wollten die Meininger Kirchenmänner, insbesondere der Staatsminister Friedrich v. Heim nicht verstehen. Widersetzlichkeit in diesem Punkt trotz klarer Instruktionen kostete Heim schließlich sein Ministeramt. Wir wollen es an dieser Stelle halten, wie Georgs Erzieher Moritz Seebeck, der in seiner Erziehungskonzeption für den Prinzen seinerzeit vorschlug, die Zeitumstände durch die Vorstellung der großen „Flügelmänner“10 deutlich zu machen. Wichtige Flügelmänner waren in diesem Zusammenhang natürlich die Hofprediger. Sie standen im Zentrum kirchlich-religiöser Handlungen des Herrschers, in einer exponierten Stellung innerhalb der Kirchenhierarchie, hatten Einfluss auf die Mitglieder der Hofkirchengemeinde, auf die Politik wie das gesellschaftliche Leben im Herzogtum und – was ebenso wichtig war – auch die Beziehungen zwischen dem Souverän und den Hofgeistlichen standen ebenso 6
Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Ministerium für Kirchen- und Schulsachen 13032, Evangelische Kirchenkonferenz insb. Zusammenschluss der deutschen evangelischen Landeskirchen 1900/03. 7 Ebd., Vertrauliches Schreiben des Evangelisch-lutherischen Landeskonsistoriums Dresden am den Meininger Oberkirchenrat vom 30. Dezember 1901. 8 Ebd., Schreiben Georgs an Heim vom 11. Februar 1902. 9 Ebd., Notizen Georgs für Heim vom 13. Januar 1902. 10 ThStAM, Geheimes Archiv (im Folgenden: GA) XV LL 17, Brief Moritz Seebecks an Bernhard II. vom 20. Juni 1835 über Erziehungsprinzipien.
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im Zentrum des öffentlichen Interesses. Der Herzog war in jeder Beziehung eine öffentliche Person. Dem Hofgeistlichen oblag es, die Fürstenkinder zu taufen, zumindest teilweise ihre religiösen Unterweisungen zu führen, sie zu konfirmieren, zu trauen, ihnen später die Leichenpredigt zu halten. Sie standen nicht nur der Hofkirchengemeinde vor und verfügten im Gegensatz zu anderen Geistlichen im Hoforganisten, einem Hofkantor und weiteren Mitarbeitern über einen recht ansehnlichen Personalbestand. Sie hielten auch die Kanzelpredigt in der Hofkirche, reichten das Abendmahl, waren für die Seelsorge auch des Herzogs zuständig. Dergleichen setzt Vertrauen voraus und schafft es – in manchen Fällen aber auch nicht. Der erste für Georg wichtige Hofprediger war Constantin Ackermann,11 der zwischen 1837 und 1869 dieses Amt ausgefüllt hat. Ihm hat er als Erbprinz wie als junger Herzog vollkommen vertraut. Ackermann, von Herder beeinflusst, von Goethe beeindruckt, suchte die Klassik mit dem Christentum zu verbinden und bewies dabei viel Kunstverständnis. Er hatte zwischen 1850 und 1855 jenem „jungen Hof“ angehört, den der Erbprinz samt Charlotte, seiner ersten Gemahlin, um sich versammelte. Intellektuelle wie Ludwig Bechstein und der Kirchenmusiker Bernhard Müller gehörten dazu. Wie Georg hielt auch Ackermann die Musik für Gottes schönste Gabe. Der nächste, der nach Ackermann dieses Amt bekleidete, war Karl Schaubach.12 Er hatte bereits zehn Jahre im meiningischen Kirchendienst gestanden und war schon unter Herzog Bernhard II. Hofkaplan (2. Geistlicher) gewesen. Karl Schaubach hat von 1869 bis 1906 immerhin 37 Jahre als Georgs Hof-, schon bald als Oberhofprediger fungiert. Aus verschiedenen Gründen gab es keine vertrauensvolle und ersprießliche Zusammenarbeit zwischen Georg und Schaubach. In die Schaubach-Phase fallen gleich zu Beginn aufsehenerregende und skandalträchtige Vorgänge, die sich in ihrem Höhepunkt um die Heirat Georgs mit der Schauspielerin Ellen Franz und ihre Erhebung zur Freifrau von Heldburg drehten13 – eine Eheschließung übrigens, die auf Georgs Betreiben ganz bewusst nicht vom Oberhofprediger vorgenommen wurde, sondern von einem einfachen Landpfarrer aus Schweina.14 11 Hannelore SCHNEIDER, Ackermann, in: Alfred ERCK (Hg.), Meiningen. Lexikon zur Stadtgeschichte, Meiningen 2008, S. 17 f.; Rudolf HERRMANN, Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 2, Weimar 1947, S. 420; ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), S. 420. 12 Hannelore SCHNEIDER, Schaubach, in: Meiningen. Lexikon, S. 191; HERRMANN, Kirchengeschichte (wie Anm. 11), S. 420. 13 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), S. 194–203. 14 Pfarrerkartei des Landeskirchenarchivs, Pfarrer in Schweina, Karl August Wolf (1826– 1895); ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), S. 194.
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Schaubach zeigte sich dann auch durch das Verhalten des Herzogs sowohl dienstlich als auch geistig und existentiell schwer erschüttert, rechnete mit seiner möglichen Entlassung, da er in seiner Reaktion auf die Information über die morganatische Heirat seines Landes- und Kirchenchefs, einige brisante Dinge auszusprechen gewagt hatte. (Von Ängsten und Nöten war die Rede, die er hätte ausstehen müssen, und von Gerüchten, die er nur antippen musste, weil es ohnehin die Spatzen von den Dächern pfiffen. Das alles bezog sich auf das Verhältnis Georgs mit Ellen Franz noch während seiner Ehe mit Herzogin Feodore, das seelische Leiden und den Tod derselben und stellte schwere Vorwürfe dar.)15 Das Tischtuch zwischen dem Herzog und seinem obersten Seelsorger wäre hier eigentlich zerschnitten, aber man wahrte den Schein und Schaubach blieb bis 1906 im Amt. Immerhin hatte Georg mit Ausnahme seines alten Lehrers Moritz Seebeck all jene Persönlichkeiten aus seinen Diensten entlassen, die seine Heirat mit der Schauspielerin zu kritisieren gewagt hatten. Schaubach durfte bleiben. Die Ansichten des Herzogs und seines Oberhofpredigers Kirche und Religion betreffend gingen weit auseinander. Georg vertrat auch in kirchlichen Angelegenheiten liberale Auffassungen, Schaubach hingegen war strenger Lutheraner und hatte einige Probleme, z. B. mit dem Umgang seines Fürsten mit der katholischen Kirche (einschließlich seiner persönlichen Freundschaft zu Kardinal Gustav Adolf von Hohenlohe)16 und seiner Unterstützung der jüdischen Kultusgemeinde. In Georgs Künstler- und Intellektuellen-Zirkeln ist stets ein Höchstmaß an Toleranz praktiziert worden. Dergleichen konnte einem Geistlichen lutherischer Prägung wie Schaubach keineswegs gefallen. Georg ist mit einer recht großen Zahl von jüdischen Intellektuellen gut befreundet gewesen. Sein engster Helfer in allen Theaterangelegenheiten ist der Jude Ludwig Chronegk gewesen, mit dem er rückhaltlos sämtliche Lebens- und Glaubensprobleme erörtern konnte.17 Doch auch mit jenen ihrer Freunde, die man als „Freidenker“ bezeichnen könnte, pflegten Georg und die Freifrau einen offenherzigen Umgang. Das ist
15 Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), S. 194. 16 Alfred ERCK, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Kardinal Gustav Adolf Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Notizen zu einer außergewöhnlichen Freundschaft, in: Norbert MOCZARSKI/Katharina WITTER (Hg.), Thüringische und Rheinische Forschungen Bonn-Koblenz-Weimar-Meiningen, Festschrift für Johannes Mötsch zum 65. Geburtstag, Leipzig/Hildburghausen 2014, S. 323–341. 17 Alfred ERCK/Christoph GANN/Hannelore SCHNEIDER, Ludwig Chronegk und die ‚Meininger‘, Südthüringisches Staatstheater, Meiningen 2012; ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), Kap. 4 und 5.
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bei den Literaten Björnsterne Björnson und Hendrik Ibsen ebenso der Fall gewesen wie bei Arthur Fitger, dem Dramatiker und Poeten.18 Ein besonderes Kapitel bildet in dieser Hinsicht Ernst Haeckel – der Vorkämpfer des Monistenbundes und der Verfasser einer Reihe von kirchen- bzw. religionskritischen Schriften. Georg und seine Frau haben Haeckels Schriften gelesen, auch mit deren Verfasser sowie im Freundeskreis darüber diskutiert. Man wird davon auszugehen haben, dass sich weder der Herzog noch die Freifrau völlig mit den Ideen Haeckels identifiziert haben. Doch in erster Linie Interesse, auch eine gewisse Sympathie für manche seiner Überlegungen darf sicher angenommen werden.19 Im Verhältnis mit dem Oberhofprediger Schaubach eskalierte die Situation 1883, als die Synagoge in Meiningen fertig gestellt war und Georg II. sich bei der Einweihungsfeier mit der Tatsache konfrontiert sah, dass die katholische Geistlichkeit gekommen war, aber kein Vertreter seiner eigenen Landeskirche, auch Schaubach nicht. Das konnte sich ein Herzog von Meiningen natürlich nicht bieten lassen. Er beschloss, ein Diner zu geben, bei dem der Rabbiner, der katholische Geistliche, die Ministerialbeamten der Kultusabteilung und die Direktoren der Schulen anwesend sein sollten, aber nicht Schaubach, der sich natürlich gekränkt fühlte. Die offiziellen Beziehungen zwischen dem Herzog und seinem Hofprediger waren also höchst kompliziert. Wie oft Georg die von Schaubach abgehaltenen Gottesdienste in der Hofkirche besucht hat, lässt sich schlecht ausmachen. Außer zu Festgottesdiensten anlässlich des Kaisers Geburtstag – da war das gesamte Offizierskorps mit Galauniformen angetan in der Kirche des Schlosses präsent – hat er sich nur selten in seiner Hofkirche blicken lassen, nicht einmal regelmäßig zu den höchsten kirchlichen Feiertagen. Kaum besser dürfte es um seine Abendmahlsteilnahme beim Oberhofprediger bestellt gewesen sein. Selbstredend ist es während jener über dreißigjährigen, nicht nur friedlichen Koexistenz zwischen Fürst und Geistlichem zu mannigfaltigen Absprachen gekommen. Denn nicht wenige staatliche und familiäre Akte waren gemeinsam vorzubereiten. Georgs Bestreben, den kirchlichen Handlungen durch Einbeziehung der Musik (Orgelspiel und vor allem Gesang) ein eindrucksvolleres Gepräge und eine tiefere Innerlichkeit zu verleihen, war keineswegs nach Schaubachs Geschmack. Erst die Nachfolger Schaubachs als Hofprediger unter Georg II. waren jene Theologen, die er gemäß seinen Überzeugungen in ihr geistliches Amt berufen 18 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), Kap. 5; Alfred ERCK, Björnson, in: DERS. (Hg.), Meiningen (wie Anm. 11), S. 41 f.; Volker KERN, Fitger, in: ebd., S. 75; Alfred ERCK, Ibsen, in: ebd., S. 121 f. 19 HERRMANN, Kirchengeschichte (wie Anm. 11), S. 595.
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konnte. Direkter Nachfolger Schaubachs wurde Paul Diedrich Graue20 von 1906 bis 1909, was einiges Aufsehen erregte, da Graue für Meiningen seine Stelle an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin aufgab. Ein symbolträchtiger Schritt also. Wie das „Berliner Tageblatt“ konstatierte, sei damit der „unstreitig […] geistig bedeutendste Prediger Berlins“21 nach Meiningen gegangen. An Hegels spekulativer Religionsphilosophie gebildet, verbindet Graue in seinen Kanzelreden das freieste religiöse Denken mit der innigsten religiösen Herzensempfindung, ein vornehmer Geist, der mehr für gebildete Hörer begabt ist, als für den sogenannten kleinen Mann,22
hieß es dazu im Berliner Tageblatt. Graue, der in Berlin ein großes und vor allem intellektuelles Publikum gewohnt war, musste sich in die engen provinziellen Meininger Verhältnisse fügen und sich mitunter auch an unkooperativen Kollegen reiben. Georg machte ihn – um seiner Stellung und damit seinem geistigen Auftrag mehr Gewicht zu verleihen – zum Mitglied des Kirchenrates, verlieh ihm den Titel des Oberhofpredigers. Graue wollte in Meiningen Fruchtbares bewirken, da er sich von der preußischen Landeskirche zunehmend abgestoßen fühlte und sie dogmatisch und verhärtet empfand. Deshalb setze er seine Hoffnung auf eine kleine Landeskirche wie Meiningen, die dazu berufen schien, als „Salz und Licht“ der Kirche zu wirken. Doch in der Kleinstadt Meiningen waren und blieben die materiellen wie die geistigen Verhältnisse eben klein – auch in der Landeskirche. Georg II. empfand Graue schließlich dann doch nicht als so aufgeklärt liberal, wie er gehofft hatte. Aufkommende Probleme spitzten sich aber nicht mehr zu, weil Graue schon 1909 krankheitsbedingt aus seinen Meininger Ämtern wieder ausschied.23 Dennoch gab es Irritationen. Die Presse von Berliner Zeitungen bis zur Hildburghäuser Dorfzeitung polemisierte über den Fall Graue und die Meininger Kirchenverhältnisse. Um die Menschen im Herzogtum zu beruhigen, wurde im Tageblatt ausdrücklich gemeldet, dass Graue wirklich aus Gesundheitsrücksichten ginge. Graue erklärte sich später noch vor der Meininger Landessynode. Bei dieser Gelegenheit hat er auch Prinzipielles zum Verhältnis von Staat und Kirche geäußert: „Unser Staat sei kein atheistischer Staat, denn er lasse Religionsunterricht erteilen und sei deshalb ein religiös-sittlicher Kulturstaat; die Kirche brau20 Hannelore SCHNEIDER, Graue, in: ERCK (Hg.), Meiningen (wie Anm. 11), S. 94; HERRMANN, Kirchengeschichte (wie Anm. 11), S. 421. 21 HERRMANN, Kirchengeschichte (wie Anm. 11); Berliner Tageblatt vom 27. September 1906. 22 Berliner Tageblatt vom 27. September 1906. 23 Meininger Tageblatt vom 21. September 1909.
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che nun nicht mehr isoliert [zu] leben, wo Religion Volkssache sei.“24 Und Graue weiter: „Schule und Kirche neben einander, sind zwei Finger an Gottes Hand.“ Graues letzte Worte in Meiningen während seiner Abschiedspredigt endeten mit der Aufforderung: „Baut eure Seele, baut die Gemeinde, baut das Herzogtum!“ Er habe jedweden Ehrungen aus dem Weg gehen wollen und die Stadt in aller Stille verlassen – ein „großer, bedeutender, bescheidener Mann“, war wenig später in der Zeitung über ihn zu lesen.25 Danach kam ab 1909 der aus dem Braunschweigischen stammende, kulturell hochgebildete Ferdinand Rahlwes,26 der 1906 schon im Gespräch gewesen war. Ihm sollte später die Aufgabe zufallen, seinem Landes- und Kirchenherrn die Grabrede zu halten. Offen für kirchliche Neuerungen, wurde Rahlwes als „kraftvoller und zielklarer Führer“27 seiner Gemeinde in schwierigen Zeiten bezeichnet. 1918 sollte er schließlich auf der Seite der Meininger Kirche maßgeblich an der Vereinigung der Thüringer Landeskirchen mitwirken.28 Zur gleichen Zeit, als Rahlwes noch unter Georg II. Hofprediger war, begann sich Max Reger in Meiningen wieder intensiver der Orgelmusik zu widmen. Und es ist sicher kein Zufall gewesen, dass, anlässlich Georgs Geburtstag, 1913 Reger zum Generalmusikdirektor und gleichzeitig Rahlwes zum Oberhofprediger ernannt wurden. Wer wäre im vorliegenden Zusammenhang noch zu nennen: Mit Sicherheit der von 1891–1900 als Meininger Superintendent fungierende Otto Dreyer,29 den man als einen Mann „nach dem Herzen Georgs“ bezeichnete. Bemerkenswert ist sein soziales Engagement gewesen. Zu einem Zeitpunkt, als nach dem Fall der Sozialistengesetze die preußische Landeskirche ihren Geistlichen nahe legte, sich keinesfalls in entsprechende Auseinandersetzungen einzumischen, entwarf Dreyer für den Meininger Oberkirchenrat eine Art von Denkschrift „Die Aufgabe des Geistlichen im Hinblick auf die sozialen Zustände der Gegenwart“, die eine längere Diskussion in diesem Gremium auslöste, deren Akzentsetzungen aber für die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg ihre Bedeutung 24 Protokoll der Landessynode Sachsen-Meiningen vom 14. September–24. September 1909; Meininger Tageblatt vom 29. September 1909. 25 Ebd. 26 Hannelore SCHNEIDER, Rahlwes, in: ERCK (Hg.), Meiningen (wie Anm. 11), S. 176; Landeskirchenarchiv Eisenach, Personalakten Ferdinand Rahlwes, Staatsministerium Departement des Kultus Sachsen-Meiningen R02. 27 HERRMANN, Kirchengeschichte (wie Anm. 11), S. 422. 28 Landeskirchenarchiv Eisenach, Oberkirchenrat, Beratungen im Vorfeld der Gründung der Thüringer evangelischen Kirche. Allg. 25.b; Allg. 156; Allg. 163. 29 Hannelore SCHNEIDER, Dreyer, in: ERCK (Hg.), Meiningen (wie Anm. 11), S. 63; Otto DREYER, Antrittspredigt, gehalten in der Stadtkirche zu Meiningen über Apostel 4, 12 am Sonntag Exaudi, den 10. Mai 1891, Meiningen 1891.
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behalten sollten, denn man hat sich in kirchlichen Kreisen immer wieder auf Dreyers Ideen und Vorschläge berufen. Der Kirchenmann hatte in seinen Ausführungen, die 1892 als Kanzelverkündigung publik gemacht wurden, hervorgehoben, dass in einer Zeit […] entgegengesetzter Strömungen […] den evangelischen Pfarrern eine überaus wichtige Aufgabe zugefallen [sei], namentlich auch, [dass,] was die Lösung der sozialen Fragen [betrifft], welche schon lange an Bedeutung alle anderen überragt und die sämtliche aller Vaterlandsfreunde mit schwerer Sorge erfüllt,30
die Geistlichen nicht abseits stehen dürften. Durch Minister Heim in Umlauf gebracht und als Erlass des Oberkirchenrates bestätigt, hat sich diese Initiative auch als ein kirchengeschichtlich bedeutungsvolles Dokument erwiesen. Während der letzten 15 Regierungsjahre hat Georg II. durch gezielt vorgenommene Personalentscheidungen seiner Landeskirche neue Impulse gegeben und das Augenmerk der Kirchenleitung auf herangereifte Probleme gerichtet. Indem er die genannten Geistlichen bei passenden Gelegenheiten an seine Tafel bat, sie auch mit jenen Geistesgrößen bekannt machte, die regelmäßig seine Gäste waren, versuchte er, sie in seine Kunst- und Kulturpolitik einzubinden, die für ihn immer auch als Kirchenpolitik zu verstehen war. Das hieß für ihn, zur Modernisierung und zur Liberalisierung der Meininger Kirchenpolitik beizutragen. Georg II. war ein begnadeter Künstler. Kirchlich-religiöse Themen nahmen in seinem Kunstengagement einen herausragenden Platz ein. Hier soll beispielhaft ein Bereich herausgegriffen werden – die Musik, die er besonders innig liebte, zunächst Beethoven, später Brahms. Parallel dazu entwickelte sich seine Vorliebe für den Chorgesang. Er begeisterte sich am Gesang der englischen Kirchenchöre, des Berliner Domchores und an der Wiedergabe der Chorsätze Palestrinas, die er in der Sixtinischen Kapelle in Rom immer wieder anhörte.31 Und es verwundert eigentlich nicht, dass Georg II. auch auf dem Gebiet der Kirchenmusik ganz bewusst danach strebte, musterbildend zu wirken. In der Tradition von Luther und Bach stehend, war er sich sicher, dass die Musik am ehesten geeignet wäre, die menschliche Seele zu berühren und dass Kirchengesang eines der wirksamsten Mittel zur Erbauung wäre, vielleicht mehr noch, als eine Predigt.32
30 ThStAM, Ministerium für Kirchen- und Schulsachen, 13037, Otto DREYER, Die Aufgabe des Geistlichen im Hinblick auf die sozialen Zustände der Gegenwart, Meiningen 1892. 31 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), S. 94 f. 32 Südthüringer Kulturstiftung, Meininger Museen, Musikabteilung, 188/3, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 19. Dezember 1860.
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Bereits als Erbprinz (Ende der 1850er Jahre) lernte er den Kirchenmusiker Bernhard Müller kennen und seinen Salzunger Kirchenchor schätzen. Daraus entstand – natürlich von Ackermann nachhaltig unterstützt – die Idee, auch hier eine Mustervereinigung mit hohem Qualitätsanspruch zu kreieren, die den anderen Kirchenchören im Herzogtum als Vorbild dienen solle. Im November 1869 hatte der Meininger Landtag eine Vorlage zur Reorganisation der Kirchenchöre33 zu beraten, die auf die Initiative Georgs II. zurückging. Es war vorgesehen, dem Kirchenmusikdirektor Müller durch den Landtag eine Vergütung von 405 Gulden jährlich und entsprechende Reisekosten einschließlich seines späteren Ruhegehalts genehmigen zu lassen. Von Anfang an war klar, dass der Landtag dieser Vorlage zustimmen würde, schon weil jeder wusste, dass sie vom Landesherrn persönlich initiiert war. Dennoch verlief die Diskussion an jenem 29. November 1869 nicht widerspruchslos. Die Abgeordneten beeilten sich zuerst, ihr positives Votum zu unterstreichen, dann wiesen sie auf die überall geforderten Einsparungen hin. Man habe vor ein paar Jahren erst eine Änderung der Staatsorganisation vorgenommen, die vielen Staatsangehörigen beträchtliche Opfer abverlangte, und nun werde praktisch zur Hebung der Kirchenmusik eine neue Stelle kreiert,34 lautete ein Kritikpunkt. Es kam auch die Frage auf, ob die Lehrer, die gut ausgebildet das (Lehrer-)Seminar verließen, sich nicht selbst heranbilden könnten, dann wäre die beabsichtigte Stelle entbehrlich. Schließlich wurde gefordert, dass diese „Renumeration“ von der Kirche übernommen werden sollte, sobald diese durch die in Aussicht stehende Synodalverfassung Selbständigkeit erlangt hätte. Ein anderer erinnerte an den „enormen Aufwand, der für das Waffenhandwerk gemacht werde“ und fand demgegenüber die hier geforderten Ausgaben „verschwindend“ und „winzig“. Er habe „für Alles, was Licht und Bildung im Volke verbreite, ein warmes Herz“.35 Dementsprechend gab der Landtag einen Tag später eine Erklärung ab, in der dieser Vorlage mehrheitlich zugestimmt wurde.36 Natürlich ging auch der Salzunger Kirchenchor auf Reisen. Zwischen 1862 und 1881 wurde in 48 Städten mit 138 Konzerten gastiert.37 Richard Wagner hätte die Salzunger am liebsten für die Aufführung des „Parsifal“ in Bayreuth gewonnen. Doch sein Vorhaben scheiterte am Widerstand der Eltern. 1869 brachte man ein „Regulativ für den Gesangs-Unterricht in den Volksschulen des Herzogtums Sachsen-Meiningen“ auf den Weg. Hierin wurde 33 Verhandlungen des Landtags des Herzogtums Sachsen-Meiningen vom 22. November 1869–22. Dezember 1870, Beilage 1, S. 1. 34 Ebd., S. 8. 35 Ebd., S. 9 f. 36 Ebd., Beilage 25, S. 191. 37 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 1), S. 414 f.
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bestimmt, dass dieser spezielle Unterricht in der Volksschule „dem praktischen Leben zu dienen“ habe, er solle „kirchlich-sittliche Lebenszwecke“ befördern.38 Choräle, liturgische Gesänge, auch Volkslieder waren einzustudieren. Das wurde aber nicht ins Belieben der örtlich Verantwortlichen gesetzt. Die Überprüfung der gesangesmäßigen Fähigkeiten und des Standes der Kirchenchöre war Bestandteil der regelmäßigen Kirchen- und Schulvisitationen. Man kann sagen: Georg II. hat sich wohl intensiver und sachkundiger als alle anderen deutschen Bundesfürsten um die Entwicklung der Kirchenmusik, insbesondere um die Kirchenchöre, bemüht und sich zweifellos auch darum verdient gemacht. Sein Ziel dabei war, durch guten Gesang Glaubenskraft zu erzeugen. „Es muß in der Musik dasselbe sein, wie in den Künsten“, schrieb Georg 1860, „effekthaschende sentimentale Bilder kann man in der Kirche nicht brauchen […] hier soll nicht Wehmut und weichliches Zerfließen der Gemeinde erzielt werden, sondern Kraft für den Glauben durch das Leben“.39 Georg II. forderte gerade in religiöser Hinsicht ein Höchstmaß an Toleranz. Ein jeder sollte reinen Herzens nach dem für ihn Höchsten streben dürfen. Die christliche Botschaft zu verkündigen, zu verbreiten, möglichst auch zu leben, bedeutete für ihn, einen geistigen Vorgang zur Bewegung des Gemütes zu vollziehen. Für den Meininger Herzog begründete sich seine liberale Einstellung in religiös-kirchlichen Angelegenheiten letztendlich auf seinen Vorstellungen von der Freiheit des Individuums überhaupt und an vorderster Stelle in der Freiheit bei Gewissensentscheidungen. Religiöse Überzeugungen gehörten für ihn dazu. Ein jeder hatte das Recht, entsprechend seiner inneren Einstellung, seinen eigenen Weg zur Seligkeit zu suchen. Natürlich erinnert das an Friedrich den Großen, bei dem jeder nach seiner Fasson selig werden durfte. Aber der wiederum gehörte ja auch zu den wichtigen Vorbildern Georgs. Wenn der Mensch nach Höherem strebt – und das war für den Meininger Herzog unerlässlich – dann musste sein Gemüt seelisch gekräftigt werden. Die Sittlichkeit im Volk zu heben – zumindest zu gewährleisten – hielt er für die herausragende Pflicht eines Herrschers. Kultur war in seinen Augen ein Mittel dazu. Man konnte Kultur jedoch nicht verordnen. Aber sie war in seinen Augen ohne Religion und Kirche auch nicht zu erreichen und zu garantieren. Die religiöse Unterweisung sämtlicher Kinder durch schulischen Religionsunterricht, durch Vorbereitung auf die Konfirmati38 ThStAM, Staatsministerium, Abt. für Kirchen- und Schulsachen Nr. 14143, Kirchenchöre 1867–1898; Kirchenarchiv Meiningen 14/25, Maßnahmen zur Verbesserung der Kirchenmusik in Meiningen, Regulativ für den Gesangsunterricht in den Volksschulen. 39 Meininger Museen, Musikabteilung 188/3, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 19. Dezember 1860.
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on usw. hat Georg II. für unverzichtbar gehalten. Nach seiner Ansicht war es die Pflicht der Geistlichen in seiner Landeskirche, das Evangelium zu verkünden und sinnstiftend auf die Gemeinde einzuwirken. Die Kunst hatte in seinen Augen eine Vermittlerfunktion um der religiösen Unterweisung zu dienen. „Wozu existiert die Kunst, wenn nicht dazu, ernste religiöse Gedanken bildlich darzustellen und zu verewigen“,40 hat er diesbezüglich einmal an seine Mutter geschrieben. Die engsten Verflechtungen zwischen staatlichen und kirchlichen Belangen hatte es naturgemäß auf dem Gebiet des Schulwesens gegeben. Oberste Schulbehörde war in Sachsen-Meiningen die Ministerialabteilung für Kirchen- und Schulsachen (vor 1848 das Konsistorium). Der Ortsgeistliche war unmittelbarer Vorgesetzter des Lehrers. Das Volksschulgesetz von 1874 brachte einschneidende Änderungen. Der Pfarrer war nun nicht mehr Ortsschulaufseher und auch kein „geborenes“ Mitglied im Schulvorstand. Nach Artikel 4 im ersten Abschnitt dieses Gesetzes stand der Religionsunterricht noch an erster Stelle und galt als „wesentlich und unerlässlich“.41 Dem Ortsgeistlichen oblag auch die Aufsicht über den Religionsunterricht. Das war alles, was er zu dieser Zeit noch – kraft Gesetz – mit der Volksschule zu tun hatte. Als das neue Volksschulgesetz von 1908 durchgesetzt worden ist, hat der evangelische Pfarrverein des Herzogtums wegen der „völligen Scheidung der Arbeitsgebiete der Kirche und der Schule“ heftig protestiert. Gelassen wunderte sich Georg nur, dass „dieser Einspruch nicht schon früher“ gekommen sei. Jener hauptsächlich von einer breiten Schicht von Bürgern aus Pößneck getragenen Bewegung, aus Glaubensgründen aus der evangelischen Landeskirche auszutreten, stand Georg sehr offen gegenüber. Entsprechenden „Dissitentengesetzgebungen“ hat er seine Unterschrift ohne Vorbehalte gegeben. Das Volksschulgesetz von 190842 hob auch die Aufsicht des Pfarrers über den Religionsunterricht auf. Einer der Reibungspunkte in der Diskussion zu diesem Volksschulgesetz war wiederum die Frage, ob und wie der Geistliche in den Schulvorstand käme – von Amtswegen oder nur durch Wahl als Vater seiner Kinder.43 Die Ortsschulaufsicht wurde aufgehoben und die Aufsicht über die Schulen allein dem pädagogisch gebildeten Kreisschulinspektor übertragen. Die Verpflichtung der Lehrer zur Übernahme kirchendienstlicher Ämter fiel ebenfalls 40 ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), K. 8/M. 89, Brief Georgs an seine Mutter vom 14. April 1867. 41 Beilagen zu den Verhandlungen des Landtags des Herzogtums Sachsen-Meiningen vom 27. Juli 1873–19. März 1875, Beilage 35, S. 436. 42 Verhandlungen des Landtags des Herzogtums Sachsen-Meiningen vom 6. November 1907–17. Dezember 1907 und vom 13. Januar 1908–29. Januar 1908, S. 182–541. 43 Ebd.
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weg und wurde durch Verträge mit entsprechenden Vergütungen ersetzt. Weil bei den Unterrichtsfächern die Religions- und Sittenlehre gegen den Willen der Sozialdemokraten beibehalten wurde, stimmten sie am 17. Dezember 1907 gegen das Gesetz.44 Dieses neue Meininger Schulgesetz fand sehr geteilte Aufnahme: Die einen fanden es „recht unglücklich“. Liberale Professoren wie Wilhelm Rein begrüßten es „mit Freude“. Rein schrieb Artikel für Tages- und Fachzeitungen, in denen er dieses neue Volksschulgesetz als Lichtblick in der dunklen deutschen Kulturlandschaft bezeichnete.45 Weite Teile der evangelischen Kirche lehnten es ab.46 Es gab aus Kreisen der evangelischen Kirche aber auch Unterstützung. Der liberale Graue setzte sich im „Protestantenblatt“ in Berlin ganz nachdrücklich für das Meininger Gesetz ein.47 Georgs Bindungen an die Kirche und sein Glaubensbekenntnis sind während seines langen Lebens deutlichen Entwicklungen unterlegen gewesen. Seine Eltern hat man einmal als „treueste Kirchgänger des Landes“ apostrophiert.48 Die Kirchlichkeit Georgs II. war anders gelagert und mit dem treuen Kirchgängertum der Eltern nicht vergleichbar. Seine Lebensführung, die vielen Reisen, nicht zuletzt der intensive Umgang mit herausragenden Künstlern und Intellektuellen jener Zeit haben dazu geführt, dass Georg religiöse Bedürfnisse auf unterschiedlichste Weise zu befriedigen suchte. Sein eigenes Künstlertum, die Wahrnehmung insbesondere von musikalischen Veranstaltungen – darunter nicht wenige der Kirchenmusik gewidmete – ermöglichten ihm, sich hohen Idealen, dem Göttlichen anzunähern. Wie schon mehrfach betont, erweisen sich jene Signale, die von Georg II. in Sachen Kirche und insbesondere bezüglich des Religiösen ausgingen, als zielorientiert und zugleich auch als widersprüchlich. Georg war bestrebt, religiöse Bedürfnisse in erster Linie im Umgang mit Kunst und Künstlern, nicht mit Geistlichen oder der Lektüre der Bibel zu befriedigen. Der Meininger Herzog verfügte über eine reiche Sammlung kirchlicher Kunst und sehr viele Abbildungen kirchlicher Bauwerke. Jenes Erscheinungsbild, das Georg bot, hat führende Geister seiner Zeit zu aufschlussreichen Bemerkungen veranlasst. Richard Wagner sah in diesem Herzog das leibhaftige Ebenbild der alten sächsischen Herzöge, das etwas „durchaus heidnisches“ an sich habe.49 Die geistige Tradition, in der er stand, hat Ernst
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Ebd. ThStAM, Staatsministerium, Abt. für Kirchen- und Schulsachen Nr. 6136. Vgl. ebd. Ebd., Graue im Protestantenblatt vom 3. 3. 1909. HERRMANN, Kirchengeschichte (wie Anm. 11), S. 396. Cosima WAGNER, Die Tagebücher, Bd. III, München/Zürich 1982, S. 523.
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Haeckel wiederholt bewogen, sich an ihn als den Förderer geistiger Freiheit in der Nachfolge von Friedrich dem Weisen zu wenden.50 Alles in allem wird man konstatieren können, dass dieser Meininger Herzog in den Augen eines einfachen Gemeindeglieds wohl weniger als treuer Kirchgänger wahrgenommen wurde, wie noch sein Vater, sondern als sittlicher Erzieher seines Volkes.
50 ThStAM, HA, K. 17. M 82, Briefe Ernst Haeckels an Helene vom 6. Dezember 1892; ebd. K. 17. M 85, Briefe Ernst Haeckels an Helene vom 6. November 1899.
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Presse und Öffentlichkeit in Sachsen-Meiningen als Vehikel der Moderne? 1. Vorbemerkung Zu den herausragenden Verlagsstandorten in der überaus dichten Medienlandschaft Thüringen zählt Meiningen nicht. Alles, was an der Spitze stand, was sich erstmalig ereignete oder was besonders originell war, fand andernorts statt. Der erste Drucker Thüringens war in Erfurt aktiv geworden, in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Jena und Altenburg folgten in den 1520er Jahren, Meiningen erst 1675. Dies war für eine Residenzstadt ein ausgesprochen später Zeitpunkt. Die ersten Zeitschriften aus Thüringen erschienen in Jena, kurz vor dem Ende des 17. Jahrhunderts. Sie wandten sich in erster Linie an ein akademisch gebildetes Publikum und gelten als Vorläufer von Fachzeitschriften. Als dann das Zeitschriftenwesen expandierte, sich auf fast 30 verschiedene Verlagsorte in Thüringen verteilte und bis 1830 knapp 500 verschiedene Periodika hervorbrachte, war Meiningen an diesem immensen Aufkommen als einzige Residenzstadt der Region überhaupt nicht beteiligt. Und auch die ersten Zeitungen Thüringens erblickten nicht in Meiningen das Licht der Welt, sondern in Jena und in Gotha. Seit 1674 erschienen „Privilegirte Jenaische Zeitungen“, seit 1692 „Gothaisch-Wöchentliche Gazetten“, aus denen die „Privilegirte Gothaische Zeitung“ hervorging.1 Für Rudolstadt ist das erste Periodikum, das vermutlich zur Gattung der Zeitungsextrakte gehörte, ab 1715 nachgewiesen.2 Doch zur Presse zählen nicht nur die „Zeitungen“ und „Zeitschriften“ sowie – mit gewissen Abstrichen hinsichtlich der sehr langen Erscheinungsintervalle von einem Jahr – die so genannten Schreibkalender, sondern seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch eine weitere eigenständige Gattung, nämlich
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Vgl. Werner GREILING, Presse und Öffentlichkeit in Thüringen. Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 6), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 163–180. Vgl. Claudia TASZUS, Die Fürstlich privilegierte Hofbuchdruckerei Rudolstadt (1772– 1824). Ihre Beziehung zum Verlag Johann Friedrich Hartknoch d. J. und ihre Stellung im literarischen Deutschland, Bd. 1, Eutin 2011, S. 70.
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die Intelligenzblätter. Auch hierbei stand Meiningen zeitlich nicht an der Spitze.3 Denn das erste Intelligenzblatt Thüringens kam 1734 in Weimar heraus, ging vergleichsweise rasch wieder ein und bedurfte deshalb 1755 einer Neugründung. Inzwischen hatten sich Intelligenzblätter in anderen Orten etabliert, so seit 1746 in Erfurt, 1751 in Gotha und seit 1752 in Eisenach und Jena. Weitere Vertreter dieser Gattung folgten auf dem Fuß. Die Intelligenzblätter woben ein dichtes Netz für das lokale und regionale Anzeigenwesen, leisteten einen Beitrag für die Nachrichtenvermittlung und trugen zu einem elementaren aufklärerischen Räsonnement bei. In der Mitte der thüringischen Gründungswelle von Intelligenzblättern kam dann auch Meiningen hinzu. Am 4. Juni 1763 erschien die erste Ausgabe der „Meiningische[n] wöchentliche[n] Anfrage und Nachrichten“. Dieses Blatt war in der Presselandschaft Thüringens dann aber doch eine Besonderheit, denn vom kurzlebigen Weimarer Intelligenzblatt von 1734 abgesehen stellten alle Intelligenzblätter Thüringens private Gründungen dar. Sie wurden von Verlegern, Buchhändlern oder Publizisten initiiert. Diese bemühten sich bei der Obrigkeit um eine Konzession und möglichst um ein ausschließliches Privilegium für ein bestimmtes Territorium. Dann richteten sie in aller Regel ein Intelligenz-Comptoir ein – eine Mischung aus Redaktionsstube, Anzeigenannahme und Vertriebsbüro – und betrieben ihre Blätter mit Eifer und im positiven Falle auch mit wirtschaftlichem Gewinn.
2. Anstoß durch die Obrigkeit: Die Anfänge des Pressewesens in Sachsen-Meiningen In Meiningen war es anders. Dem Meininger Blatt lag eine obrigkeitliche Initiative zugrunde. Es war niemand anderes als Herzogin Charlotte Amalie, die Urgroßmutter Georgs II., welche unter dem Datum des 18. Mai 1763, zwei Monate nach Beginn ihrer Regentschaft,4 „gnädigst zu befehlen geruhet, daß künftighin alle Sonnabende Mittags das Meiningische Intelligenz-Blatt von dem hie-
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Zum Folgenden vgl. GREILING, Presse und Öffentlichkeit (wie Anm. 1), S. 191–263; DERS., „Publicitätsvehikel und Sittenspiegel“. Zur Programmatik thüringischer Intelligenzblätter. Eine Dokumentation (Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte, Beiheft 35), Weimar/Jena 2004. Vgl. Ludwig HERTEL, Neue Landeskunde des Herzogtums Sachsen-Meiningen, Heft 10: Geschichtliches. Politische Geschichte von den frühsten Zeiten an bis auf die Gegenwart, Zweiter Teil: Meiningische Geschichte von 1680 bis zur Gegenwart, Erste Hälfte: Bis zum Regierungsantritt von Herzog Bernhard II. (1821) (Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde, 47), Hildburghausen 1904, S. 238 ff.
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sigen Hofbuchdrucker, Friedemann Christoph Hartmann ausgegeben werde“.5 Dabei folgte man nicht der thüringischen Normalvariante, sondern dem preußischen Beispiel. In Preußen war am 6. Januar 1727 durch Friedrich Wilhelm I. eine königliche Verordnung über die Schaffung von Intelligenzblättern ergangen. Der König wollte ein Intelligenzwerk wie in anderen europäischen Hauptund Handelsstädten errichten, und schon am 3. Februar 1727 erschien das erste Stück eines Intelligenzblattes in Berlin. Es trug den Titel „Wöchentliche Berlinische Frag- und Anzeigungsnachrichten“.6 Der Gattungsname „Intelligenzblatt“ taucht hier also nicht im Titel auf, ebenso wenig wie in Meiningen. Der Name des ersten Meininger Blattes lautete „Meininger öffentliche Anfrage und Nachrichten“, die erste Nummer kam am 4. Juni 1763 heraus. An diesem Tag begann somit in Sachsen-Meiningen das Zeitalter periodischer Massenmedien, die wiederum eine wichtige Facette der modernen bürgerlichen Gesellschaft darstellen. Selbstverständlich wurden in Meiningen auch zuvor schon überregionale Zeitungen und Zeitschriften rezipiert, nicht zuletzt bei Hofe. Aber bis 1763 war Meiningen hierfür eben nicht Verlagsort, nicht Produktionsstandort. Doch was versprach sich Charlotte Amalie von dem neuen Intelligenzblatt? Und inwiefern taugte es als „Vehikel der Moderne“? „Der Vortheil ist allzugroß, welchen die IntelligenzBlätter oder wöchentliche Nachrichten dem Publico verschaffen, als daß nicht die ansehnlichsten Städte in Teutschland den Nutzen dieser Blätter längst gesehen hätten.“7 So beginnt das Avertissement des Meininger Blattes. Nach einer weitläufigen allgemeinen Würdigung der Pressegattung folgen einige Informationen zum künftigen Inhalt des Meininger Blattes, zu dem die wöchentlichen Viktualienpreise ebenso zählen wie Anzeigen über Gebote und Gesuche verschiedenster Art. Auf einen Nachrichtenteil wie in den meisten anderen thüringischen Blättern sollte verzichtet werden, „auser wenn sich etwa hier und da Begebenheiten von besonderer Merkwürdigkeit zugetragen hätten“.8 Doch schon in der ersten Aus-
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Nachricht von einem IntelligenzBlatt, welches auf gnädigsten Befehl der Durchlauchtigsten Fürstin und Frau Charlotten Amalien, verwittibten Herzogin zu Sachsen etc. Unserer gnädigsten Ober-Vormünderin und LandesRegentin, künftighin in der Fürstl. ResidenzStadt Meiningen wöchentlich ausgegeben werden soll, Meiningen 1763, unpag. Vgl. auch Peter HEINZL, Literatur und Literaturmarkt im südlichen Thüringen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Aachen 1997, S. 127–176. Vgl. Holger BÖNING, Die preußischen Intelligenzblätter, in: Bernd SÖSEMANN (Hg.), Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 207–238; Gerhard OST, Das preußische Intelligenzwerk, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 43 (1930), S. 44–75. Nachricht von einem IntelligenzBlatt (wie Anm. 5), unpag. Ebd.
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gabe war eine Rubrik „Zeitungs-Extract“ enthalten,9 die man später ausdrücklich mit dem Titel „Politische Nachrichten“ versah. Außerdem wurden obrigkeitliche Mandate und Verordnungen sowie weitere obrigkeitliche Verfügungen angekündigt, da es nötig sei, „daß durch solche gemeinnützige Nachrichten der Unterthan seiner Pflicht abermals erinnert wird“.10 Von den Aufgaben der modernen Presse erfüllte das Meininger Intelligenzblatt dennoch nur einen Teil. Der Information und Nachrichtenvermittlung wurde man zumindest teilweise gerecht, der Meinungsbildung bestenfalls ansatzweise. Und mit der aufklärerischen Forderung an die Presse, einen öffentlichen Richterstuhl des Publikums zur Kontrolle und Kritik der Obrigkeit zu etablieren, befasste sich dieses Blatt gar nicht. Es agierte eher im Sinne der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung, entsprach aber dennoch nicht nur den Interessen der Obrigkeit, sondern auch jenen der Gesellschaft insgesamt. Und immerhin wurde mit der Eigenschaft der „Gemeinnützigkeit“ argumentiert und zweifellos auch gemeiner Nutzen gestiftet. Mit dem Intelligenzblatt von 1763 begann in Sachsen-Meiningen also so etwas wie eine aktive Pressepolitik. Es war eine aufgeklärte Monarchin,11 die ein obrigkeitsnahes Periodikum für vielerlei Zwecke zu nutzen suchte. So schlicht das Blatt in der Folge auch anmuten mag, lag ihm doch die Einsicht zugrunde, dass die weitere Entwicklung von Staat und Gesellschaft einer intensiven Kommunikation bedarf und dass diese Kommunikation mit einem öffentlichen und allgemein verfügbaren Medium realisiert werden konnte. Publizität und Disponibilität wurden schon in der Gründungsabsicht deutlich gemacht. Als Vehikel der Moderne fungierte es jedoch bestenfalls ansatzweise. Das änderte sich auch nicht, als sich das Blatt im Jahr 1826 auf obrigkeitliche Anordnung zum „Herzoglich Sachsen-Meiningischen Regierungs- und Intelligenzblatt“ wandelte.12
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Vgl. Meiningische wöchentliche Anfrage und Nachrichten, 1. Stück vom 4. Juni 1763, unpag. 10 Nachricht von einem IntelligenzBlatt (wie Anm. 5), unpag. 11 Vgl. Bärbel RASCHKE, Charlotte Amalie Herzogin von Sachsen-Meiningen (1730–1801). Leben und Wirken im Kontext westeuropäischer und deutscher Aufklärung, in: FRANCIA. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 25/2 (1998), S. 69–103. 12 Vgl. Verordnung, die Einführung eines Regierungs- und Intelligenz-Blattes betreffend (27. Dezember 1825), in: Sammlung der in dem Herzogthum S. Meiningen ergangenen Landes-Gesetze von den Jahren 1822 bis 1826, Hildburghausen 1829, S. 68 f.
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3. Das Jahr 1826 als territorialpolitische und pressegeschichtliche Zäsur Das Jahr 1826 setzte für Sachsen-Meiningen dann in doppelter Hinsicht eine Zäsur. Es war das Geburtsjahr des späteren Herzogs Georg II. und es war auch das Jahr der letzten größeren Territorialverschiebung im ernestinischen Thüringen. Diese war nach dem Tod Friedrichs IV., des letzten Herzogs von SachsenGotha-Altenburg, am 11. Februar 1825 nötig geworden. Der Teilungsvertrag, der dann am 12. November 1826 zustande kam, bedeutete das Ende des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg,13 aber auch das Ende des Herzogtums Hildburghausen. Dieses kam jetzt zum größeren Teil an Meiningen, das außerdem von Coburg die Landesportion Saalfeld und einige kleinere Gebietsstücke erhielt. Mediengeschichtlich bedeutet dies, dass seinerzeit der weitaus bedeutsamere Verlagsstandort Hildburghausen zur Presselandschaft des Herzogtums Meiningen neu hinzukam und dass auch weitere Orte, etwa Saalfeld und Pößneck, ins Kalkül zu ziehen waren. In Hildburghausen gab es ebenfalls ein Intelligenzblatt, nämlich „Hildburghäusische Wöchentliche Anzeigen“ seit 1766, die von Beginn an auch politische Nachrichten ankündigten.14 Sie wurden 1799 in „Hildburghäusisches Wochenblatt“ umbenannt und mit landesherrlicher Verordnung vom 5. Mai 1810 per 9. Juni des gleichen Jahres in ein „Herzoglich SachsenHildburghäusisches Regierungs- und Intelligenzblatt“ umgewandelt. Trotz des offiziellen Status wurden aber auch jetzt Rubriken wie „Zeitungsnachrichten“, „Privatbekanntmachungen“ und „Intelligenznachrichten“ beibehalten.15 Das Regierungsorgan erschien unter diesem Titel letztmalig am 18. November 1826.16 Nach Einverleibung in das vergrößerte Herzogtum Sachsen-Meiningen fungierte das Periodikum seit dem 25. November 1826 als „Herzoglich SachsenMeiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogthum Hildburghausen“. In dessen erster Ausgabe informierten die bisherigen Herzöge Friedrich von Sachsen-Hildburghausen, Ernst von Sachsen-Coburg und Saalfeld sowie Bernhard Erich Freund von Sachsen-Meiningen über den Teilungsvertrag
13 Vgl. Hans TÜMMLER, Die Zeit Carl Augusts von Weimar 1775–1828, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. V/1, 2. Teilbd., (Mitteldeutsche Forschung 48/V,1,2), Köln/Wien 1984, S. 696 f. 14 Vgl. Avertissement vom 24. März 1766, in: Hildburghäusische wöchentliche Anzeigen auf das Jahr 1766, unpag. 15 Vgl. Herzoglich Sachsen-Hildburghäusisches Regierungs- und Intelligenzblatt, Nr. 1 vom 9. Juni 1810. 16 Vgl. Herzoglich Sachsen-Hildburghäusisches Regierungs- und Intelligenzblatt, Nr. 46 vom 18. November 1826.
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vom 12. November.17 Vom nächsten Jahrgang an wurden Titel und Geltungsbereich erweitert. Seit dem 6. Januar 1827 erschien das Periodikum für fast vier Jahrzehnte als „Herzoglich Sachsen-Meiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogthum Hildburghausen und das Fürstentum Saalfeld“.18 Dessen letzte Ausgabe kam am 31. Dezember 1864 heraus und bot im „nichtamtlichen Teil“ nach wie vor auch die wichtigsten Nachrichten der Tagespolitik.19 Dabei waren sowohl in den meiningischen als auch in den ehemals hildburghäusischen Gebieten alle Gemeinden verpflichtet, das Regierungs- und Intelligenzblatt zu halten und den Untertanen vor allem die landesherrlichen Verordnungen zur Kenntnis zu geben. Da dies für das Herzogtum Coburg zuvor nicht verbindlich geregelt war und mit der territorialen Neuordnung von 1826 ja auch coburgische Territorien an Meiningen fielen, nämlich die Verwaltungsbezirke Saalfeld, Gräfenthal, Camburg und Kranichfeld sowie das ehemalige Amt Themar, wurde diese Pflicht am 9. April 1838 auch in diesen Territorien verordnet und zugleich für das gesamte Herzogtum Sachsen-Meiningen nochmals bekräftigt: In allen Gemeinden des Landes müssen die im Regierungsblatt enthaltenen Verordnungen vor versammelter Gemeinde durch den Ortsvorstand verlesen, das Blatt selbst aber muß jedem Mitgliede der Commune auf Verlangen zur Durchsicht mitgetheilt werden.20
Für die Ausprägung von Öffentlichkeit und für den bürgerlichen Wandel waren jedoch jene Zeitungen und Zeitschriften, die von der Obrigkeit weitgehend unabhängig waren, wichtiger als die Amts- und Regierungsblätter. Zu ihnen zählte seit dem 3. Januar 1835 das Periodikum „Unterhaltendes und gemeinnützliches Wochenblatt. Eine Zeitschrift für Stadt und Land“ in Meiningen. Neben topographischen und statistischen Berichten, ökonomischen Beiträgen und „gemeinnützlichen“ Sachen richtete der verantwortliche Redakteur und Drucker Friedemann Keyßner21 von der ersten Ausgabe an eine Rubrik „Kurze Uebersicht der neuesten Zeitereignisse“ ein.22 Das volksaufklärerisch und unterhaltend angelegte Blatt war politisch recht gemäßigt, diskutierte aber immerhin das 17 Vgl. ebd., Nr. 47 vom 25. November 1826, S. 207–209. 18 Vgl. Herzoglich Sachsen-Meiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogthum Hildburghausen und das Fürstentum Saalfeld, Nr. 1 vom 6. Januar 1827. 19 Vgl. ebd., Nr. 105 vom 31. Dezember 1864, S. 648–650. 20 Landesherrliche Verordnung vom 9. April 1838, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthume S. Meiningen, S. 283 f., hier S. 283. 21 Friedemann Keyßner (gest. 1851) hatte 1832 das Hofdruckerei-Privileg seines verstorbenen Onkels Philipp Heinrich Hartmann (1765–1832) übernommen. Ihm folgte dann sein Sohn Karl Keyßner (1830–1901). 22 Unterhaltendes und gemeinnützliches Wochenblatt. Eine Zeitschrift für Stadt und Land, Nr. 1 vom 3. Januar 1835, S. 3 f.
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Phänomen der „Öffentlichkeit“23 und rekurrierte zudem immer wieder auf das Geschehen im Herzogtum Meiningen. Vor allem jedoch ist im Zusammenhang von Presse und Öffentlichkeit einer der wichtigsten Unternehmer, Verleger und Publizisten zu nennen, der seinen Aufstieg in Hildburghausen nahm, deutschlandweite Bedeutung erlangte und den Standpunkt einer vormärzlichen Opposition vertrat: Carl Joseph Meyer.24 Meyer gründete am 19. Mai 1832 in Hildburghausen das Journal „Der Volksfreund, ein Blatt für Bürger in Stadt und Land“. Ihm war allerdings nur eine sehr kurze Existenz beschieden, wurde das Blatt doch durch Beschluss der Deutschen Bundesversammlung bereits am 6. September 1832 verboten. Bei Meyers Periodikum schwang bereits im Titel ein Bezug auf die Volksaufklärung, aber auch eine Anspielung auf Blätter mit gleichgelagerten Intentionen mit. Denn „Volksfreund“ war seit Jean-Paul Marats „L’ami du peuple“, dem zeitweilig wohl wirkungsmächtigsten Periodikum der Französischen Revolution, auch in Deutschland ein vielfach benutzter Titel.25 Mit ihm wurde in aller Regel eine bestimmte Tendenz und Wirkungsabsicht signalisiert. „Der Volksfreund“ Meyers postulierte noch am Ende des kurzen Erscheinungszeitraums in einer Ansprache an seine Leser vehement die Notwendigkeit von Gedanken- und Pressefreiheit.26 Doch er wurde ein Opfer jener Verschärfung der politischen Atmosphäre im Deutschen Bund, die mit den entsprechenden Bundesartikeln von Juni und Juli 1832 manifest geworden war und sowohl zum Verbot des Preßund Vaterlandsvereins als auch zur Unterdrückung mehrerer oppositioneller Periodika geführt hatte.27 Frühzeitig existierten auch Periodika, die sich an ein spezielles Fachpublikum richteten und dadurch von vornherein einen nur eingeschränkten Wirkungskreis hatten. Zu ihnen zählt beispielsweise die von Friedrich Wilhelm Lomler herausgegebene „Praktische Predigerzeitung“, von der seit 1829 in der Kesselringschen Hofbuchhandlung zu Hildburghausen wöchentlich zwei Ausgaben er23 Ebd., Nr. 2 vom 9. Januar 1836, S. 10 f. 24 Zu Meyer vgl. Heinz SARKOWSKI, Das Bibliographische Institut. Verlagsgeschichte und Bibliographie 1826–1976, Mannheim/Wien/Zürich 1976. 25 In der Bibliographie zur Volksaufklärung sind im deutschsprachigen Raum für die Zeit vor der Französischen Revolution lediglich zwei Periodika aufgeführt, die das Wort „Volksfreund“ im Titel führen. Von 1791 bis 1800 hingegen konnten 23 Neugründungen mit diesem Titel nachgewiesen werden, von denen die meisten ebenfalls periodisch erschienen. Vgl. Holger BÖNING/Reinhart SIEGERT, Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850, Bd. 2: Der Höhepunkt der Volksaufklärung 1781–1800 und die Zäsur durch die Französische Revolution, Stuttgart/Bad Canstatt 2001, Sp. 2959–2962. 26 Vgl. Der Volksfreund an seine Leser, in: Der Volksfreund, ein Blatt für Bürger in Stadt und Land, Nr. 34 vom 15. September 1832, S. 185. 27 Vgl. Ernst-Rudolf HUBER (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Stuttgart u. a. ²1978, S. 132 f. und 134 f.
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schienen und die den Theologen im Herzogtum Meiningen Bibelerklärungen und Predigtentwürfe „für den unmittelbaren Gebrauch in der Kirche“ lieferte.28 Ein allgemeines Publikum hatte hingegen die „Dorfzeitung“ im Blick, ein weiteres Blatt aus Hildburghausen, das zugleich eine große überregionale Bedeutung und große Kontinuität erlangte. Sie wurde seit 1818 von Georg Friedrich Kesselring verlegt, von Friedrich Wilhelm Gadow gedruckt und von Karl Friedrich Nonne herausgegeben.29 Die „Dorfzeitung“ adressierte sich an die ländliche Bevölkerung und nicht an „die vornehmen Herren in der Stadt“,30 wollte vom Weltgeschehen informieren und richtete hierzu die feste Rubrik „Welthändel“ ein. Zugleich sollten die Leser unterhalten werden, auch mittels Humor und Satire. Und schließlich enthielt die „Dorfzeitung“ auch Anzeigen. Politisch hatte das Blatt ein gemäßigt liberales Profil, das in verschiedenen Staaten des Deutschen Bundes dennoch mehrfach zum Einschreiten der Zensurbehörden führte und auch den Unmut hoher Politiker, unter ihnen Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich, hervorrief. Zweimal wurde durch den Bundestag in Frankfurt am Main für ganz Deutschland das Verbot des Blattes angedroht.31 Karl Ludwig Nonnes „Dorfzeitung“, deren Verbreitung selbstverständlich auch vor 1826/27 über die Landesgrenzen hinweg erfolgt war, erweiterte das publizistische Angebot aus dem Herzogtum Sachsen-Meiningen beträchtlich. Für ihren politischen Teil griff sie neben eigenen Korrespondenzen und Zuschriften auch auf überregionale Zeitungen zurück. Die in dem Blatt genannten Quellen waren unter anderem die „Allgemeine Zeitung“, die „Aachener Zeitung“, die „Frankfurter Zeitung“, der „Fränkische Merkur“, die „Hannoversche Zeitung“, der „Nürnberger Correspondent“ und die „Rheinischen Blätter“. Es wurde also gewissermaßen der nationale Pressehorizont in das Herzogtum geholt, und der Erfolg bei den Lesern war beträchtlich. Gerhard Füsser zufolge stieg die Auflage von knapp 1.000 Exemplaren im zweiten Jahr zeitweise bis auf 15.000.32 Dabei zählte die „Dorfzeitung“ trotz ihrer Selbstbezeichnung gattungsmäßig zunächst zu den Zeitschriften. Die Tendenz zur Pressegattung „Zeitung“ verstärkte sich jedoch, als man nach anfänglich wöchentlichem Erscheinen dazu 28 Avertissement, in: Praktische Predigerzeitung. Beiblatt zur Allgemeinen Kirchenzeitung, Hildburghausen, Nr. 1 vom 1. Juli 1829, S. 1. 29 Die erste Ausgabe erschien undatiert. Das zweite Blatt trägt das Datum 7. Februar 1818. Vgl. auch Gerhard FÜSSER, Bauern-Zeitungen in Bayern und Thüringen von 1818–1848. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Bauernstandes und der deutschen Presse (Zeitung und Leben, 8), Hildburghausen 1934, S. 89–157. 30 Dorfzeitung, Nr. 1 [o.D.], S. 1. Vgl. auch Angela TREIBER, Die Dorfzeitung von Hildburghausen als evangelisches Lektüreangebot. Zum Wandel medialen Wissenstransfers im frühen 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Volkskunde, NF 22 (1999), S. 72–92. 31 Vgl. FÜSSER, Bauern-Zeitungen in Bayern und Thüringen (wie Anm. 29), S. 130 f. 32 Vgl. ebd., S. 99 f.
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überging, zwei Exemplare pro Woche herauszubringen. Seit 1828 erschien das Blatt zusätzlich zur bisherigen Samstagsausgabe auch noch dienstags. Ergänzt wurde die „Dorfzeitung“ von einer Extrabeilage mit dem Titel „Beiwagen“, die separat bezogen werden konnte. Im Gründungsjahrgang 1818 erschienen in unregelmäßiger Folge von diesem „Beiwagen“ zwölf „Fuhren“, im zweiten Jahrgang 1819 bereits 15. Adressiert war der „Beiwagen“, wie das Hauptblatt auch, in erster Linie an den Landmann: Der Beiwagen wird auch in dem neuen Jahr hinter der Dorfzeitung herkutschieren, so oft Fracht und Passagiere da sind. Das Postgeld ist das alte, 3 Kreuzer für die Station oder Zeile; wer aber auf dem Hauptwagen fährt, zahlt nichts. […] Auf Paketen mit gedruckten Sachen, die an Dorfzeitungsleser adressirt, z. B. Schriften, die für die Bauern u. dergl. geschrieben sind, wird zuweilen der Werth kurz angegeben werden. Das können sich die Herren Buchhändler merken, und ihre Bücher, zumal wenn sie was taugen, einschicken.33
Hinzu kam dann in den 1830er Jahren noch „Der Dorfzeitungs=Gemeinde Geheimes Plauderstübchen“. Diese „Zugabe zur Dorfzeitung“ erschien ohne ein festes Intervall „zu unbestimmten Zeiten, das Jahr etwa 30 bis 40 Blätter“.34 Der Jahrgang 1834 beispielsweise umfasste 28 Ausgaben mit insgesamt 112 Seiten. Im Hauptblatt pegelte sich der Anteil politischer Berichte auf etwa 25 % ein.35 Vom 14. April 1848 an erschien die „Dorfzeitung“ dann viermal wöchentlich, sie war in der Revolution also faktisch zu einer Tageszeitung geworden. Mehr noch als bisher stellte sie nun das Politische, die „Welthändel“, ins Zentrum der Berichterstattung.36
4. Politische und rechtliche Rahmenbedingungen Vor einer Betrachtung des „publizistischen Dammbruchs“ im Jahr 1848 sei ein kurzer Blick auf die Rahmenbedingungen für die Presse geworfen. Mit dem „Preßgesetz“ der Karlsbader Beschlüsse und der darin geregelten Vorzensur für alle Publikationen unter 20 Druckbogen war seit 1819 ohnehin eine repressive 33 Beiwagen zur Dorfzeitung, 1. Fuhre 1819, S. 69. 34 Der Dorfzeitungs=Gemeinde Geheimes Plauderstübchen, Nr. 28 vom 31. Dezember 1834, S. 112. 35 Vgl. ebd., Beilage 12. 36 Vgl. Dorfzeitung, Nr. 71 vom 14. April 1848, S. 279: „Die Zeit wird immer ernster und reicher, die Zeitungen haben Mühe, mit der stürmisch eilenden Zeit gleichen Schritt zu halten. Obgleich die Dorfzeitung bisher schon durch Extrablätter für ihre Leser sorgte, so reicht doch auch das nicht mehr aus, und sie wird daher von heute an bis auf Weiteres, ohne Erhöhung des Preises, viermal wöchentlich hier ausgegeben werden, so daß der günstige Leser am Morgen beim Frühstück schon erfährt, was gestern aus der Welt geworden ist. Außer den Welthändeln werden auf diese Weise auch die Bekanntmachungen schneller nach allen Gegenden hin verbreitet werden.“
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Tendenz dominierend.37 Für das gesellschaftliche und politische Leben im Herzogtum waren zudem die Verfassungsbestimmungen von Bedeutung, so jene vom 4. September 1824. Diese erste Meininger Verfassung orientierte sich am Beispiel des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach von 1816,38 ohne allerdings deren ausdrückliche Bestätigung der Freiheit der Presse zu übernehmen.39 Diese war seit dem Herbst 1819 allerdings auch in Weimar nicht mehr in Kraft. Nach der Territorialreform von 1826 galten in den nunmehr drei Landesteilen Meiningen, Hildburghausen und Saalfeld unterschiedliche Verfassungsbestimmungen. Deshalb wurde der Jenaer Rechtsprofessor Karl Ernst Schmid mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt. Diese „vereinigte landschaftliche Verfassung“ vom 23. August 1829 war bis zum Ende der Fürstenherrschaft 1918 in Kraft und ersetzte für Meiningen die Verfassung von 1824, die im Übrigen als „eine der fortschrittlichsten Konstitutionen des deutschen Vormärz“40 galt. Die Presse fand in den 110 Verfassungsartikeln von 1829 keine Erwähnung. In Sachsen-Meiningen blieben weiterhin jene Bestimmungen gültig, die eine Vorzensur für alle Publikationen in einem Umfang bis zu 20 Bogen vorsahen, denn die Karlsbader Beschlüsse von 1819 wurden bis zum Jahre 1848 immer wieder verlängert. Die Obrigkeit in Sachsen-Meiningen entwickelte im Übrigen eine durchaus beachtliche Aktivität, um Regelungen für das Verlagsmetier zu schaffen. Hierzu zählt ein Gesetz gegen den Nachdruck vom 7. Mai 1829, das einen modern anmutenden Schutz der Urheberrechte jedes Autors zu dessen Lebzeiten und 20 Jahre nach dem Tod festlegte.41 Und hierzu zählen ferner diverse Verordnun37 Zum Folgenden vgl. Ernst Rudolf HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart u. a. 1960, S. 742–745; DERS. (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 27), S. 102–104. 38 Grundgesetz über die Landständische Verfassung des Großherzogthums SachsenWeimar-Eisenach vom 5. Mai 1816, in: Michael KOTULLA, Thüringische Verfassungsurkunden. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute, Berlin/Heidelberg 2015, S. 811– 832. 39 Vgl. Verordnung, die Bekanntmachung des Grundgesetzes über die Landschaftliche Verfassung des Herzogthums Sachsen-Coburg-Meiningen betr., vom 24. September 1824, in: ebd., S. 672–685. 40 Peter Michael EHRLE, Volksvertretung im Vormärz. Studien zu Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld zwischen monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation, Frankfurt am Main 1979, S. 140. Vgl. auch die Sammlung der in dem Herzogthum S. Meiningen ergangenen Landes-Gesetze von den Jahren 1822 bis 1826, Hildburghausen 1829, S. 139–174; Wilhelm SCHNEIDER, Die geschichtliche Entwicklung des Landtagswahlrechts in Sachsen-Meiningen, Diss., Jena 1923. 41 Vgl. Verordnung vom 7. Mai 1829, den Büchernachdruck und Handel mit nachgedruckten Büchern betreffend, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen Meiningen, Meiningen [o. J.], S. 105–108.
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gen, mit denen die Umsetzung von Bundesbeschlüssen im eigenen Territorium vollzogen wurde. Das wichtigste Gesetz war dabei zweifellos jenes vom 22. März 1848, in dessen erstem Artikel Herzog Bernhard von SachsenMeiningen anordnete: „Die Presse ist frei; die Censur ist für immer aufgehoben.“42 Zugleich wurden alle „diesem Gesetze entgegenstehenden Verordnungen und Bestimmungen“ außer Kraft gesetzt (§ 4). Fortan musste jedes Druckerzeugnis „mit dem Namen des Druckers oder Verlegers und, wenn es eine Zeitung oder Zeitschrift ist, mit dem Namen des verantwortlichen Herausgebers versehen werden.“ (§ 2) Vergehen und Verbrechen der Presse sollten nach dem bestehenden Recht geahndet werden, eine Kaution für die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften oder andere Restriktionen wurden nicht eingeführt.
5. Revolution und Pressefrühling Das Jahr 1848 wurde im Herzogtum Sachsen-Meiningen wie überall in Deutschland zu einem wichtigen Einschnitt, auch für die Presse. Sie begann eine wesentlich aktivere Rolle zu spielen und nutzte den Zustand der Zensurfreiheit, der seit einer entsprechenden Empfehlung des Deutschen Bundestages vom 3. März 1848 bereits in den Tagen danach geherrscht hatte. Der Hunger der Menschen nach Informationen und Nachrichten war groß, und groß war auch das Publikationsbedürfnis vieler Protagonisten der Revolution. Beidem wurde man in neuer Qualität und in bislang nicht gekannter Quantität gerecht. In fast allen Regionen Deutschlands wurden im Zeitraum von 1848 bis 1850 mehr Zeitungen gegründet, als zuvor insgesamt überhaupt bestanden hatten. Es gab einen großen Gründungsboom, eine regelrechte Presseexplosion. In vielen Fällen nahmen einzelne Blätter auch ein deutliches parteipolitisches Profil an. Man kann davon sprechen, dass die Märzrevolution 1848 die Geburtsstunde der Partei- und Meinungspresse in Deutschland war.43 Insgesamt erschienen in den Jahren von 1848 bis 1850 in Deutschland über 1.600 Zeitungen. In Thüringen kamen zwischen 1848 und 1850 mehr als 250 Periodika heraus, die sich den Bewegungen der Zeit und den politischen Fragen verpflichtet fühlten. Hierzu zählten nun auch Blätter aus SachsenMeiningen, wo Herzog Bernhard am 7. März 1848 die Aufhebung der Zensur verkündet hatte. Das „Unterhaltende und gemeinnützliche Volksblatt“ druckte 42 Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthume Sachsen-Meiningen, Bd. 9, Meiningen [o. J.], S. 35 f., hier S. 35. 43 Vgl. Martin HENKEL/Rolf TAUBERT, Die deutsche Presse 1848–1850. Eine Bibliographie (Deutsche Presseforschung, 25), München u. a. 1986, S. 22–28; Jürgen WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln/Weimar/Wien ²2008, S. 215–245.
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am 11. März 1848 den „Entwurf eines Gesetzes wegen Freigebung der Presse“, berichtete regelmäßig vom politischen Geschehen in Frankreich, Deutschland sowie im Herzogtum Meiningen und stellte sich auf den Boden maßvoller, aber nicht radikaler Veränderungen. Nach einer von der Nachrichtenflut verursachten Extra-Beilage am 15. März kündigte der Herausgeber am 18. März ein künftiges Erscheinen zweimal pro Woche an, was seit dem 22. März auch erfolgte. Drei Wochen später, mitten im 14. Jahrgang, wandelte sich der Titel in „Volksblatt für das Herzogthum Sachsen-Meiningen“. Der neue Verleger und Redakteur Wilhelm Arthur Passow entwarf das publizistische Programm, legte sich und sein Periodikum auf einen konstitutionell-monarchischen Standpunkt fest, plädierte für „einen ruhigen, gesetzlichen Gang“44 der Veränderungen und erläuterte auch die Rolle, welche er der Presse und Öffentlichkeit für den Veränderungsprozess zuteilte: Eine neue Zeit ist über Deutschland aufgegangen. Wir dürfen hoffen, daß es eine gute Zeit der wahren, gesetzlichen Freiheit und des allgemeinen Wohles werden wird, wenn jeder Deutsche dem Rufe des Vaterlandes gehorcht, wenn jeder die neue Zeit zu verstehen sucht und ihr gemäß zu handeln fest entschlossen ist. […] Das Recht der freien Vereinigung und der freien Presse gibt jedem Bürger die Möglichkeit, seine Einsicht in die öffentlichen Angelegenheiten durch Rath oder Warnung geltend zu machen. Ich hoffe, daß das Volksblatt in dem eben näher bezeichneten constitutionell-monarchischen Sinne segensreich wirken könne und werde. […] Das Volksblatt soll fortan nicht blos die Angelegenheiten der Stadt Meiningen, sondern die des Herzogthums und Deutschlands […] besprechen.45
In diesem Sinne wurde das Periodikum zu einer Plattform für den öffentlichen Diskurs über die Revolution. Es publizierte zahlreiche Nachrichten, Petitionen und Programmtexte und bezog dabei mehr und mehr liberale Positionen. Das „Herzoglich Sachsen-Meiningische Regierungs- und Intelligenzblatt“ hingegen setzte sein Erscheinen relativ unbeeindruckt fort und versuchte nur gelegentlich, den Tendenzen der Zeit gerecht zu werden. So war beispielsweise der Ausgabe vom 1. April 1848 ein „Auszug aus dem Volksblatt Nr. 16“ angehängt, in dem von revolutionären Ereignissen in Meiningen am 25. März berichtet, eine Petition vom 26. März 1848 abgedruckt und im redaktionellen Kommentar zugleich vehement vor den politischen Aktivitäten des Hildburghäuser Unternehmers und Publizisten Carl Joseph Meyer „und Consorten“ gewarnt wurde.46
44 Volksblatt für das Herzogthum Sachsen-Meiningen, Nr. 21 vom 15. April 1848, S. 81 f., hier S. 81. 45 Ebd. 46 Herzoglich Sachsen-Meiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt, Nr. 14 vom 1. April. 1848, S. 109–118 (Anhang unpag.)
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Im Verlauf der Revolution, wenn auch relativ spät, war es noch zu einer völligen Neugründung gekommen, nämlich zur Etablierung des „Meininger Tageblatts“ am 2. Juli 1849.47 Mit vier Ausgaben pro Woche kann dieses Periodikum als erste moderne Tageszeitung Meiningens gelten. Erschienen ist sie bis Ende 1935. Das Blatt begleitete also die gesamte Regierungszeit Georgs II. und ist heute eine interessante Quelle für das Geschehen in Staat und Gesellschaft. Von Beginn an stellte es das Geschehen in der Stadt Meiningen und im Herzogtum in einen nationalen Zusammenhang. In der Revolution wollte das „Meininger Tageblatt“ keine Parteifärbung annehmen, sondern „zu gegenseitiger Verständigung […] Gelegenheit bieten“. Der Effekt einer öffentlichen Kommunikation sollte durch die Einrichtung einer zentralen Rubrik mit dem Titel „Sprechsaal“ erreicht werden, für die die Leser ausdrücklich zur Mitwirkung eingeladen wurden: Es soll ein Sprechsaal sein in dem jede Partei ihre Stimme erheben und ihre Ansicht vertreten kann. Jede Stimme soll sich freimüthig aussprechen dürfen, nur eine bleibe für immer ausgeschlossen, die Stimme jeder Art von Gemeinheit. […] Zunächst sollen es die Angelegenheiten unserer Stadt sein, die besprochen werden, aber auch die weiteren Kreise des ganzen Herzogthums und des großen deutschen Vaterlandes sollen Berücksichtigung finden.48
Jetzt also, seit der Revolution von 1848/49, leistete die Presse in Meiningen das, was man in der modernen bürgerlichen Gesellschaft von ihr erwarten kann und was ihr die Medienwissenschaft als zentrale Aufgaben zuschreibt: Nachrichtenvermittlung und Information, Mitwirkung an der Meinungsbildung sowie Kontrolle und Kritik. Und auch zwei weitere Bereiche, die ebenfalls als Aufgaben der Presse gelten, wurden in Meiningen bedient, nämlich Bildung und Unterhaltung. Zu den Blättern aus der Residenzstadt Meiningen traten Periodika aus den anderen Verlagsorten des Herzogtums hinzu, so aus Hildburghausen, Pößneck, Römhild, Saalfeld und Sonneberg.49 Organe wie die „Deutsche Volksleuchte. Zeitschrift für den Bürger und Landmann“ oder „Freies deutsches Volksblatt“, die beide 1848 in Hildburghausen gegründet worden waren, deuten bereits im Titel ihr entschiedenes Engagement für die Bewegungen und Ziele der Revolutionszeit an. Die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ schwenkte auf einen revolutionären Kurs ein und rückte das politische Geschehen ins Zentrum der Berichterstattung. So informierte das Blatt beispielsweise sehr detailliert und voller 47 Vgl. Meininger Tageblatt, Nr. 1 vom 2. Juli 1849. 48 Probeblatt zum Meininger Tageblatt, 23. Juni 1849, unpag. 49 Deutsche Volksleuchte, hg. von L. KÖHLER und K. HENKEL, Hildburghausen 1848; Freies deutsches Volksblatt. Hildburghausen 1848/1849; Unterhaltendes und Gemeinnützliches Volksblatt. Eine Zeitschrift für Stadt und Land. Meiningen 1848.
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Sympathie über den Aufstand in Wien vom 13. bis 15. März 1848 und verknüpfte hierbei das aktuelle Geschehen mit grundsätzlichen Überlegungen: Um das Panier der Freiheit, das die goldne Inschrift trägt: durch Eintracht stark, schaaren sich ‚Deutschlands‘ Fürsten und Völker, die drückenden Fesseln fallen und es bewährt sich allenthalben die uralte Erfahrung, daß nicht Bajonette die Throne stützen und schirmen, sondern allein die Herzen und Arme braver Bürger und Patrioten. Unter den neuesten Tagesereignissen liefert der Aufstand in Wien dazu den besten Beleg. Zu beklagen ist nur, daß erst Blut fließen mußte, ehe dem Kaiser von Oesterreich die Augen aufgingen und er den Flinten und Kanonen, die auf seine Residenzbewohner abgefeuert wurden, zu schweigen befahl.50
Und tags darauf frohlockte das Blatt: „Es lässt sich an, als ob die ‚Frühlingssonne‘ uns ein freies und einiges ‚Deutschland‘ bringen wolle.“51
6. Grundtendenzen nach 1848/49 In Sachsen-Meiningen hatte sich die Revolution von 1848/49 wie fast überall in Deutschland als eine Hoch-Zeit für die Presse und für das öffentliche Räsonnement über Staat und Gesellschaft gezeigt. Nach dem Ende der Revolution verschlechterten sich die politischen Rahmenbedingungen für die Presse jedoch deutlich. Unter dem Datum des 4. September 1854 setzte Herzog Bernhard Erich Freund in Sachsen-Meiningen die restriktiven „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse“ in Kraft,52 die die deutsche Bundesversammlung am 6. Juli 1854 beschlossen hatte. Detaillierte Ausführungsbestimmungen zu einzelnen Artikeln folgten mit dem Meininger Gesetz vom 23. Mai 1856.53 Obwohl man zur Vorzensur der Karlsbader Beschlüsse nicht zurückkehrte, bedeuteten die 26 Paragraphen für Verleger, Herausgeber und Redakteure doch eine Vielzahl von Beschränkungen und kriminalisierten alles, was der Obrigkeit nicht gefiel.54 Die Intensität der Berichterstattung und der publizistischen Debatten ging spürbar zurück, kam aber nicht zum Erliegen. Für ihre Fortsetzung in gemäßigter Form sorgten das „Meininger Tageblatt“ und die „Meininger Zeitung für 50 Dorfzeitung, Nr. 54 vom 22. März 1848, S. 213. 51 Dorfzeitung, Extra-Blatt, Nr. 56 vom 23. März 1848, S. 219. 52 Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen-Meiningen, Bd. 11, Meiningen [o. J.], S. 341–349. – Der Text dieses Bundes-Preßgesetzes ist abgedruckt bei Richard KOHNEN, Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution von 1848, Tübingen 1995, S. 54–59. 53 Gesetz vom 23. Mai 1856, zur Ausführung des Bundesbeschlusses vom 6. Juli 1854, die Verhinderung des Mißbrauchs der Presse betreffend, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen-Meiningen, Bd. 12, Meiningen [o. J.], S. 248–251. 54 Vgl. Jürgen MÜLLER, Der Deutsche Bund 1815–1866 (EDG, 78), München 2006, S. 39 f.
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Stadt und Land“. Die „Meininger Zeitung“ deckte ein breites Spektrum ab und bot ihren Lesern auch einen Fortsetzungsroman, vor allem aber eine Fülle von Stoff und stets die neuesten Nachrichten. Reichstags- und Landtagsberichte aus bester Feder, Handels- und Gewerbekammer-Berichte, desgl. […] umfangreiche Nachrichten aus Thüringen und Franken.55
Diverse Modifizierungen führten seit 1884 zur „Meininger Werra-Zeitung“ und seit 1902 zur „Meininger Zeitung / Werrabote“. Nach dem Ersten Weltkrieg kam dann 1919 auch das erste regionale SPD-Blatt hinzu, die „Werra-Wacht“.56 Veränderungen gab es auch in der offiziösen Presse. Das „Herzoglich Sachsen-Meiningische Regierungs- und Intelligenzblatt“ und das „Herzoglich Sachsen-Meiningische Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogthum Hildburghausen und das Fürstentum Saalfeld“ stellten zum Jahresende 1864 ihr Erscheinen ein, um vom 2. Januar 1865 an einem einheitlichen „Regierungsblatt für das Herzogthum Sachsen-Meiningen“ Platz zu machen. Dessen vier Ausgaben pro Woche behielten das bisherige breite Profil bei und trugen durch ihren Nachrichtenteil ähnlich wie die nichtamtlichen Tageszeitungen dieser Jahre von Beginn an auch zur politischen Information und kulturellen Bildung der Leser bei. Bereits in der Ankündigung wurde formuliert: In seinem nichtamtlichen Theile wird das Regierungsblatt zunächst eine kurze Uebersicht der Tages-Ereignisse, Aufsätze statistischen Inhalts und Correspondenzen aus allen Theilen des Herzogthums bringen. Besondere Aufmerksamkeit wird es der Thätigkeit der wissenschaftlichen, landwirthschaftlichen und gewerblichen Vereine des Landes widmen. Ferner wird es in seinem Feuilleton auf angenehme Unterhaltung seiner Leser bedacht sein. Am Schlusse wird es regelmäßig den neuesten Frankfurter Geldcours mittheilen.57
Die Blätter außerhalb der Residenzstadt versuchten, dem lokalen und regionalen Geschehen gerecht zu werden und zugleich das Herzogtum Meiningen nicht außer Acht zu lassen. Die territorialpolitischen Grenzen spielten hierbei nur eine untergeordnete Rolle, was in mehreren Fällen bereits im Untertitel signalisiert wurde. Die „Pößnecker Zeitung“ beispielsweise suchte ihre Leser auch im preußischen Kreis Ziegenrück, im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und in den Schwarzburgischen Landen, widmete sich auf ihrer Titelseite dem Geschehen in Deutschland und Europa und führte zudem eine Rubrik „Thüringen und Nachbarstaaten“, an deren Spitze meist Meldungen aus Sachsen-Meiningen
55 Meininger Zeitung für Stadt und Land, Nr. 4 vom 6. Januar 1883, unpag. 56 Vgl. die knappen Bemerkungen zu den Zeitungen in: Alfred ERCK (Hg.), Meiningen. Lexikon zur Stadtgeschichte, Meiningen 2008, S. 241. 57 Abonnements-Einladung, in: Herzoglich Sachsen-Meiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt, Nr. 105 vom 31. Dezember 1864, S. 654.
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standen.58 Das „Saalfelder Kreisblatt“ verstand sich als „Thüringer Rundschau. Organ für Saalfeld, Gräfenthal, Lehesten und Kranichfeld“ und führte anders als die „Pößnecker Zeitung“ neben der Rubrik „Thüringen und Nachbarstaaten“ noch eine separate Spalte „Aus dem Herzogtum“. Im ausgehenden 19. Jahrhundert erschien es im Folioformat mit sechs Ausgaben pro Woche. Zeitungsfrei war lediglich der Montag.59 Und die „Zeitung für Themar und Umgegend“, redigiert, gedruckt und verlegt von Franz Adler in Themar, war seit 1901 ebenfalls eine vergleichsweise moderne Tageszeitung. Im zwölften Jahrgang 1912, erschien sie viermal pro Woche und enthielt regelmäßig die Rubrik „Thüringen und Nachbarstaaten“.60
7. Die Presse während der Regentschaft Georgs II. Das vergleichsweise liberale Herrschaftsverständnis Georgs II. sorgte nach seinem Amtsantritt 1866 für eine Liberalisierung von Politik, Gesellschaft und Rechtswesen im Herzogtum und führte zu Reformen im Schul- und Verwaltungssystem. Auch die Presse, welche die durch den Rücktritt des Herzogs Bernhard Erich Freund verursachte landesgeschichtliche Zäsur öffentlich gemacht hatte,61 geriet rasch in den Fokus seiner legislativen Tätigkeit. In Abstimmung mit dem Landtag gewährte Georg II. der Presse bereits ein Jahr später vergleichsweise liberale Rahmenbedingungen. Mit dem „Preßgesetz“ vom 8. Juni 1867 unterwarf man die Drucker, Buchhändler, Bibliotheksbetreiber und Verleger im Herzogtum lediglich jener Reglementierung, die auch für andere Gewerbetreibende galt, nämlich der Konzessionspflicht (Art. 1 und 2).62 Sämtliche Druckschriften, die im Herzogtum herausgebracht wurden, mussten zudem die Namen und Wohnorte des Druckers und des Verlegers sowie – falls es sich um periodische Schriften handelte – zusätzlich den Namen des verantwortlichen Redakteurs enthalten (Art. 4). Die für 58 Vgl. Pößnecker Zeitung. Früher Wochenblatt-Allgemeiner Anzeiger zugleich für Ranis, Ziegenrück, die angrenzenden Weimar’schen, Schwarzburg’schen etc. Gebietstheile, Nr. 95 vom 25. April 1893, unpag.; ebd. Nr. 99 vom 29. April 1893, unpag. 59 Vgl. Saalfelder Kreisblatt. Zugleich Thüringer Rundschau. Organ für Saalfeld, Gräfenthal, Lehesten und Krannichfeld, 75. Jahrgang 1892. 60 Zeitung für Themar und Umgegend. Allgemeiner Anzeiger für Stadt und Land, 12. Jahrgang (1912). 61 Vgl. die Rücktrittserklärung „An Meine getreuen Meininger!“ von Bernhard Erich Freund, in: Regierungsblatt für das Herzogtum Sachsen Meiningen“, Nr. 150 vom 20. September 1866. Vgl. auch ebd., Nr. 151 vom 21. September 1866: „An Meine lieben Meininger! (Amtsantritt Georgs); Meininger Tageblatt vom 22. September 1866. 62 Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthume Sachsen-Meiningen, Bd. 17, Meiningen [o. J.], S. 357–365, hier S. 357.
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die Presse tätigen verantwortlichen Redakteure mussten im Besitz des Staatsbürgerrechts sein (Art. 5) und hafteten für den gesamten Inhalt des Periodikums (Art. 19). Die Presse wurde nicht zensiert, doch ihr Missbrauch und entsprechende Gesetzesverstöße wurden nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches gerichtlich geahndet (Art. 11-16). Zugleich wurden mit diesem Gesetz die „Allgemeinen Bundesbestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit betreffend“63 vom 6. Juli 1854 für Sachsen-Meiningen ausdrücklich aufgehoben (Art. 27). Mit den Regelungen von 1867 wurden für das Herzogtum SachsenMeiningen in gewisser Weise die Bestimmungen des Reichspressegesetzes vorweggenommen, das seit dem 1. Juli 1874 überall in Deutschland die Pressefreiheit garantierte.64 Das legislative Engagement des Herzogs in diesem Bereich zeigt zudem, dass er die enorm gewachsene Bedeutung der Presse erkannt hatte. Fast zeitgleich zur Regierungsübernahme Georgs II. gab es in Deutschland intensive öffentliche Debatten zu dieser Thematik, wobei es der Speyerer Domkapitular Wilhelm Molitor 1866 in einer Schrift mit dem programmatischen Titel „Die Großmacht der Presse“ auf den Punkt brachte: Die Tagespresse ist eine Großmacht, die sich nicht ignoriren lässt und deren Eingreifen in die Geschicke der Völker umso gewaltiger erscheint, je weniger sie wählerisch ist in ihren Mitteln.65
Die Pressevielfalt insgesamt wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts größer, sowohl im nationalen Horizont als auch in Sachsen-Meiningen. Zu den Neugründungen der Zeit zählen die „Ergänzungsblätter zur Kenntnis der Gegenwart“, die seit 1866 von H. J. Meyer im Verlag des Bibliographischen Instituts zu Hildburghausen herausgegeben wurden und außerordentlich anspruchsvolle Beiträge zu den Bereichen Philosophie, Geschichte und Literatur, aber auch zur Kunst und zu den Naturwissenschaften enthielten.66 63 Vgl. Sammlung der landesherrlichen Verordnungen (wie Anm. 52), S. 341–349; KOHNEN, Pressepolitik des Deutschen Bundes (wie Anm. 52), S. 54–59. 64 Vgl. WILKE, Grundzüge (wie Anm. 43), S. 253 f. 65 Wilhelm MOLITOR, Die Großmacht der Presse. Ein Wort für unsere Tage aus der mitteleuropäischen Staatengruppe, Regensburg/New York 1866, S. 6 f. Vgl. auch Jürgen WILKE, Auf dem Weg zur „Großmacht“: Die Presse im 19. Jahrhundert, in: DERS., Von der frühen Zeitung zur Medialisierung. Gesammelte Studien II, Bremen 2011, S. 285– 300. 66 Ergänzungsblätter zur Kenntniß der Gegenwart, hg. von H. J. MEYER, Hildburghausen 1866 ff. Vgl. außerdem: Allgemeine Rundschau auf dem Gebiete des Unterrichtswesens aller Länder. Eine internationale Monatsschrift, hg. von F. KÖRNER, Hildburghausen 1880/1881; Bericht der Handels- und Gewerbekammer für den Kreis Hildburghausen, hg. von Handels- und Gewerbekammer für den Kreis Hildburghausen, Hildburghausen 1887–1911; Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart, hg. von H. J. MEYER, Hildburghausen 1871–1875; Ergänzungsblätter zur Kenntniß der Ge-
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Herzog Georg II. selbst nutzte die Presse für seine politischen Interessen und zur Selbstdarstellung. Die Zeitungen begleiteten seine Regentschaft und neigten kaum zur Konfrontation. Dieses weitgehende Einvernehmen zeigte sich nicht zuletzt an den diversen Huldigungen, die dem Fürsten zu besonderen Anlässen beispielsweise im „Meininger Tageblatt“ entboten wurden. Bereits in der politischen Krise des Jahres 1866 wurden nach dem Rücktritt Bernhards II. nicht nur Georgs Ansprache „An meine lieben Meininger!“ und die Verordnung vom 20. September 1866, eine Art Regierungserklärung, abgedruckt, sondern dem neuen Herzog auch die besten Absichten und eine außerordentliche Befähigung attestiert. Zuversichtlich äußerte man sich, dass „Herzog Georg Seine schwere Aufgabe zum Segen für Volk und Vaterland lösen“ werde. Wissen wir ja doch, daß Er ein helles Auge hat für das Wahre, und ein warmes Herz für alles Schöne und Gute, hat Er sich doch‚ bei fürstlichen Worten und Ehren verbindlich gemacht, die Verfassung des Herzogthums zu beobachten, aufrecht zu erhalten und zu beschützen, und Seinen festen Willen dahin ausgesprochen, eine auf Gerechtigkeit und Wohlwollen gestützte Regierung zu führen und des Landes Wohlfahrt nach Kräften zu fördern.67
Am Vorabend des 50. Geburtstages des Monarchen, der auf einen Sonntag fiel, berichtete das „Meininger Tageblatt“ von einer „Feier, welcher allerwärts im Meininger Lande die wärmsten Sympathien entgegenkommen“, um dann mit dem Wunsch zu schließen: „Möge des Himmels Segen fernerweit walten über dem Leben und Wirken des allgemein verehrten und geliebten Fürsten und über dem gesammten Fürstenhause!“68 Am Geburtstag selbst gab es im Meininger Hoftheater „[z]ur höchsten Feier Seiner Hoheit des regierenden Herzogs“ eine
genwart, hg. von H. J. MEYER, Hildburghausen 1866–1871; Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. Chronik der Reisen und geographische Zeitung, hg. von H. J. MEYER, Hildburghausen 1862–1910; Pädagogische Rundschau auf dem Gebiete des Unterrichtswesens aller Länder. Eine internationale Monatsschrift für praktische und wissenschaftliche Fortbildung der Lehrer, hg. von F. KÖRNER, Hildburghausen 1882– 1885; Tägliche Nachrichten. Bilder aus der Zeit und dem Leben, Hildburghausen 1888– 1894; Deutscher Familienfreund. Illustriertes Familienblatt, Pößneck 1913–1919; Nationale Volkszeitung für Mitteldeutschland, Pößneck: 1904–1918; Thüringer Warte. Monatsschrift für die geistigen, künstlerischen und wirtschaftlichen Interessen Thüringens, hg. von der Elgersburger Ritterschaft, Pößneck 1904–1909; Saalfelder Volksblatt, Saalfeld 1889–1904; Volksblatt. Sozialdemokratisches Organ für die Kreise Saalfeld, Rudolstadt, Ziegenrück und Lobenstein, hg. von der Sozialdemokratischen Partei Deutschland, Saalfeld 1904–1933; Sonneberger Zeitung. Älteste und meistgelesene Tageszeitung im Südthüringer Industriegebiet, Sonneberg 1882–1932; Thüringer Volksfreund. Organ für die Interessen des gesamten werktätigen Volkes, hg. von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sonneberg 1907–1933. 67 Meininger Tageblatt vom 22. September 1866, unpag. 68 Meininger Tageblatt, Nr. 77 vom 1. April 1876, unpag.
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Aufführung von Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“.69 Und die „Meininger Zeitung“ apostrophierte Georg II. einige Jahre später in ähnlicher Diktion als „erhabenen Fürsten unseres Herzogthums“,70 dem die Bewohner des Landes „in aufrichtiger Verehrung und Liebe“71 verbunden seien. Nach dem Tod des Herzogs wurde seiner Person und seiner Tätigkeit in der Presse erneut gehuldigt. Dem „Meininger Tageblatt“ galt der verstorbene Fürst als „ein trefflicher, wie ein Vater geliebter Fürst […] betrauert im weiten deutschen Reiche, an dessen Aufrichtung und Erhaltung er mit Verständnis und Treue gearbeitet hat.“72 Georg habe „eine treffliche Regententätigkeit entfaltet“ und sich des wirtschaftlichen Aufschwunges seines Landes und Deutschlands freuen dürfen. Bei hoher Auffassung seines fürstlichen Berufs war er für das, was Deutschlands Wohlfahrt fördern konnte, zu arbeiten, unermüdlich tätig. In seinem Lande führte er die einfacheren und moderneren Formen der Verwaltung ein, die Finanzen begründete er durch ein neues Steuersystem; Kirche und Schule spürten wohltuend sein liberales Regiment.
Gewürdigt wurde auch sein Wirken „auf dem Gebiete der Kunst“, habe er doch „auf dem Gebiete der szenischen Kunst bahnbrechend gewirkt“. Und selbst die Ehe mit seiner dritten Gemahlin, der Freifrau von Heldburg, die in den Anfangsjahren Anlass für mancherlei Kritik geboten hatte, auch in der Presse, wurde nun ausschließlich positiv gewürdigt.
8. Fazit Mit der vorliegenden Skizze sollte gezeigt werden, dass die Presse und die maßgeblich von den Printmedien etablierte Öffentlichkeit die Entwicklung des Herzogtums Sachsen-Meiningen nicht lediglich begleitet und widergespiegelt, sondern im Wechselspiel mit Staat und Gesellschaft aktiv mitgestaltet, ja vorangetrieben hat. Als Resümee seien die folgenden acht Thesen formuliert: 1. Wie in Deutschland insgesamt wurde die Presse im Herzogtum SachsenMeiningen im langen 19. Jahrhundert zu einem Modernisierungsfaktor.73 Sie trug zur Demokratisierung des Wissens bei, verbreiterte das Meinungsspektrum und förderte die Politisierung der Gesellschaft. 69 70 71 72
Ebd. (Anzeige). Meininger Zeitung für Stadt und Land, Nr. 75 vom 3. April 1883, unpag. Meininger Zeitung für Stadt und Land, Nr. 78 vom 2. April 1890, unpag. Diese und die folgenden Zitate auf dieser Seite aus: Meininger Tageblatt, Nr. 146 vom 25. Juni 1914, unpag. 73 Vgl. Hans-Werner HAHN/Helmut BERDING, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 14), Stuttgart 2010, S. 392.
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2. Die Residenzstadt Meiningen wurde vergleichsweise spät zu einem Medienstandort und blieb in der Folge lediglich ein Verlagsort dritten Ranges. 3. Das Zeitalter der periodischen Massenmedien begann in Sachsen-Meiningen im Jahre 1763. Die in diesem Jahr erfolgte Gründung eines Intelligenzblattes auf Initiative der Herzogin Charlotte Amalie stellt einen Thüringer Sonderfall dar. 4. Für Quantität und Qualität der Presse im Herzogtum Sachsen-Meiningen stellte das Jahr 1826/27 eine Zäsur dar, vor allem durch den Zugewinn des bedeutenden Verlagsstandortes Hildburghausen. 5. Die Revolution von 1848/49 markierte in Sachsen-Meiningen den Durchbruch zur politischen Massenpresse, bei der stärker als bisher auch eine gesamtdeutsche Orientierung hervortrat. 6. Nach dem Ende der Revolution stellten die 1850er Jahre auch für die Presse in Sachsen-Meiningen eine Reaktionszeit dar, deren Rahmen durch die restriktiven „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Missbrauchs der Presse“ von 1854 gesetzt wurde. Ein freisinniger Umgang des Staates mit der Presse wurde in Sachsen-Meiningen aber nicht erst mit dem Reichsgesetz über die Presse von 1874 erreicht, sondern mit einem eigenen Pressegesetz vom 8. Juni 1867. Dessen 27 Artikel markieren den Durchbruch zur „Normalität“ der modernen Gesellschaft. 7. Diese liberalen Bedingungen wurden kurze Zeit nach dem Regierungsantritt Georgs II. geschaffen. Auf dieser Grundlage agierte der Herzog mit einer Mischung aus liberaler Haltung und autoritärem Regierungsstil. Die Presse hatte ihren Platz gefunden, gewährleistete ein bestimmtes Maß an Öffentlichkeit und öffentlicher Kontrolle, lieferte Nachrichten und Informationen, trug zur politischen Meinungsbildung bei und sicherte zugleich ein zunehmend größeres Maß an allgemeiner Bildung und an Unterhaltung. Mit der Herrschaft Georgs II., von dessen Aktivitäten nicht zuletzt sein Wirken für das Theater große Aufmerksamkeit in der Presse fand, hatte sie sich arrangiert. 8. Eine besonders herausragende Rolle ist der Presse in Meiningen dennoch nicht zuzuschreiben. Das Herzogtum repräsentiert eine durchschnittliche Variante für den Aufstieg zur bürgerlichen Gesellschaft und für den Platz der Presse als „Vierte Gewalt“, den sie sich seit 1848 erstritten hatte und über den Tod Georgs II. hinweg behauptete, als ein meist unspektakuläres, aber stetig wirksames „Vehikel der Moderne“.
F L O R I A N G. M I L D E N B E R G E R HERZOG GEORG II. UND SEIN MEDIZINALREFERENT
Herzog Georg II. und sein Medizinalreferent Georg Leubuscher als Wegbereiter einer neuen Gesundheitspolitik im Herzogtum Sachsen-Meiningen Im Jahre 1927 feierte die Herzog-Georg-Stiftung ihr 25-jähriges Jubiläum. Sie war 1902 auf Empfehlung Georg Leubuschers von Herzog Georg II. gegründet worden, um die Ausbildung von Krankenschwestern zu professionalisieren. In einer Festschrift gedachte die erste Oberin auch Leubuscher mit einem etwas zwiespältigen Lob: „Herr Geheimrat Leubuscher, der allerverehrte Leiter und Lehrer der Schwesternschaft, wird im Schwesternkreis fortleben, solange noch Schwestern in der Arbeit stehen, die ihm ihre Ausbildung verdanken.“1 Das bedeutete indirekt, dass sein Werk offenbar bereits ein Jahrzehnt nach seinem Tod sukzessive in Vergessenheit geriet. Dabei hatte Leubuscher nicht nur die Errichtung der Anstalt zur Krankenschwesternausbildung auf den Weg gebracht, sondern auch die eines neuen Krankenhauses. Zusätzlich hatte er seit seiner Ernennung zum Medizinalreferent 1897 die Gemeindekrankenpflege institutionalisiert, ein Schularztsystem installiert und viel zur Verbreitung hygienischen Gedankengutes beigetragen. Doch tatsächlich wurde dieses Werk in Lehrbüchern der 1920er Jahre nicht gewürdigt. Im bedeutenden „Lexikon der Pädagogik der Gegenwart“ wurde suggeriert, das Schularztsystem sei in Thüringen erst 1925 eingeführt worden und zudem ein Produkt der sozialdemokratisch induzierten „Volkswohlfahrtspflege“.2 Auch in dem vom „Reichsausschuss für hygienische Volksbelehrung“ autorisierten und damit maßgeblichen Lehrbuch für Schulgesundheitspflege aus dem Jahre 1930 wurden Name und Werk Leubuschers nicht erwähnt. Hinsichtlich der Rolle des modernen Schularztes betonte Adolf Gottstein (1857–1941), dieser solle ab jetzt besser „Schülerarzt“ heißen, da nicht mehr die Schule sondern die Kinder selbst im Mittelpunkt
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Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Staatsministerium, Abt. Inneres, Akt Nr. 9252, 1902–1927. Zur 25jährigen Gedenkfeier der Herzog Georg Stiftung den Schwestern des Hauses gewidmet von ihrer ersten Oberin und mütterlichen Freundin Frieda Treiber, Meiningen 1927, S. 3. Ferdinand VONESSEN, Schularzt, Schulärztin, in: Lexikon der Pädagogik der Gegenwart, Bd. II, Freiburg/B. 1932, S. 794–797, hier S. 795.
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stünden.3 Dadurch ließ Gottstein erkennen, warum frühere Wegbereiter keine Erwähnung fanden – sie hatten als Vollstrecker eines überkommenen Obrigkeitsstaates agiert und sollten deshalb aus der Geschichte getilgt werden. Allerdings stammte die Bezeichnung „Schülerarzt“ weder von Gottstein noch seinen Unterstützern, sondern sie wurde bereits mindestens 1912 geprägt – durch Georg Leubuscher.4 Diese Vergangenheitspolitik war durchaus erfolgreich, das Werk Georg Leubuschers geriet im eigenen Fach, der Wissenschafts- und Medizingeschichte sukzessive in Vergessenheit. In der Lokalgeschichtsschreibung war dies anders, hier wurde auch die enge Zusammenarbeit zwischen Leubuscher und seinem Landesherrn stets betont.5 2012 beleuchtete Alfred Erck die Schwierigkeiten des Duos Georg II./Leubuscher bei der Durchführung der Modernisierung der Gesundheitspolitik aufgrund der vielfach ablehnenden Haltung des Landtags.6
1. Hort des Gestrigen? Heilkulturen und Gesundheitspolitik im Herzogtum Sachsen-Meiningen vor Leubuschers Amtsantritt 1897 Die historische Landschaft Thüringen, aufgespalten in verschiedene Territorien, galt im 19. Jahrhundert vielfach als Bastion vormoderner Heilkulturen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren insbesondere die Schwarzburger Herzogtümer als Zentren der Herstellung fragwürdiger pharmazeutischer Produkte verrufen. Versuche der Meininger Herzoglichen Verwaltung, den Handel zu kontrollieren, waren seit 1803 unternommen worden, doch hatte man 1837 ein-
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Adolf GOTTSTEIN, Die Einflüsse der Schule auf die Gesundheit der Kinder, in: Kurt ADAM/Friedrich LORENTZ/Karl METZNER (Hg.), Lehrbuch der Gesundheitspflege und der Gesundheitslehre in der Schule. Im Auftrag des Reichsausschusses und der Landesausschüsse für hygienische Volksbelehrung unter Mitarbeit bedeutender Fachgelehrter, Leipzig 1930, S. 188–209, hier S. 209. Georg LEUBUSCHER, Über Schularztwesen und Schularzttätigkeit, in: KorrespondenzBlätter des Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen 41 (1912), S. 525–533, hier S. 525. Siehe z. B. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, S. 462–465. Alfred ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik Sachsen-Meiningens zwischen 1826 und 1918 im Spiegel des Landtagsgeschehens, in: Harald MITTELSDORF (Red.), Die Behandlung der Sozial- und Gesundheitspolitik in den Thüringischen Landtagen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen), hg. von Thüringer Landtag, Weimar 2012, S. 185–259.
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räumen müssen, dass diese Überwachung nicht funktionierte.7 In den Zeiten der Cholera und des Versagens der Medizin blühte der Handel mit Wunderheilmitteln erneut auf.8 Erst die Einführung der Branntweinsteuer 1887 machte viele der Zubereitungen unrentabel. Die Entwicklung der medizinisch-chemischen Industrie sorgte dafür, dass viele zuvor mühsam in privaten Verfahren herzustellende Grundstoffe allgemein verfügbar wurden. Die Produzenten wechselten auf andere Produkte um und profitierten enorm von der seit der Reichsgründung 1871 in ganz Deutschland geltenden Kurierfreiheit, die eine Überwachung des pharmazeutischen Marktes faktisch verunmöglichte. Das Herzogtum Sachsen-Meiningen war vor allem bei Homöopathen geschätzt. So widmete der geschäftstüchtige Autodidakt und Sanatoriumsbetreiber in Köthen, Arthur Lutze (1813–1870), sein von ihm verfasstes Lehrbuch der Homöopathie Herzog Bernhard II. v. Sachsen-Meiningen.9 1854 war hier ein homöopathischer Ärzteverein gegründet worden.10 Einer der bedeutendsten ärztlichen Wegbereiter der Homöopathie in Deutschland war Karl Friedrich Trinks (1800–1868), der in Meiningen als Medizinalrat wirkte. Er spielte eine wichtige Rolle in den erbitterten Streitigkeiten zwischen den Homöopathen und Schulmedizinern in Leipzig, insbesondere gegen den Anatomen und Kolumnisten der „Gartenlaube“, Carl Ernst Bock (1809–1874).11 Der wiederum versuchte auf die Gesundheitspolitik in Sachsen-Meiningen Einfluss zu nehmen, indem er die Hofärzte des Herzogs über die neuesten Trends in der Schulmedizin informierte.12 Keine Seite konnte über die andere triumphieren, was auch damit zusammenhing, dass Regierung und Landtag in Meiningen an staatlichen Eingriffen in den heilkundlichen Markt ziemlich uninteressiert waren. Dies zeigte sich beispielsweise 1866/67 als infolge des „Deutschen Krieges“ Flüchtlinge ins Herzogtum drängten und die Ausbreitung von Seuchen befürchtet wurde. Anstatt staatlicherseits Maßnahmen zu ergreifen, sollte die Versorgung und Unterbringung notleidender Menschen durch private Wohltätigkeitsvereine 7
Sabine BERNSCHNEIDER-REIF, Laboranten, Destillatores, Balsamträger. Das laienpharmazeutische Olitätenwesen im Thüringer Wald vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2001 (zugleich Diss. rer. nat. Marburg 1999), S. 322. 8 Otto LUDWIG, Der Thüringer Kräutergarten. Von Heilkräutern, Hexen und Buckelapothekern, Erfurt 1995, S. 184. 9 Arthur LUTZE, Lehrbuch der Homöopathie, Cöthen 1860, S. I. 10 Meiningen, in: Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie 18 (1887), S. 478. 11 Carl HELBIG, Bock gegen Bock. Herrn Prof. Dr. Carl E. Bock’s Angriffe auf das homöopathischen Heilverfahren, zumeist aus seinen eigenen Schriften widerlegt, Dresden 1856, S. 5; siehe auch Florian MILDENBERGER, Medizinische Belehrung für das Bürgertum. Medikale Kulturen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ (1853–1944), Stuttgart 2012, S. 59–63. 12 Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Abt. Handschriften, 19. November 1847, Brief Bocks an N.N.
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geschehen.13 Auch unter der neuen Regierung von Herzog Georg II. änderte sich an der Passivität der Obrigkeit in gesundheitspolitischen Belangen vorerst nichts. Seit den 1830er Jahren war immer wieder im Landtag diskutiert worden, ob man Amtsärzte überhaupt benötige und eine staatliche Einmischung in Fragen der Gesundheit der Bevölkerung nicht unter der Rubrik der Geldverschwendung abzuhandeln sei.14 Die hohe Kindersterblichkeit und das Versprechen des herzoglichen Staatsministeriums, diese reduzieren zu können, gaben schließlich den Ausschlag, dass der Landtag doch entsprechende Summen bewilligte. Der von der Universität Jena 1856 an die Spitze der Medizinalverwaltung berufene Ottomar Domrich (1819–1907) verfügte aber weder über die dauerhafte Unterstützung des Landtages noch die der Verwaltung oder des Souveräns.15 1872 trat das „Gesetz über die Kranken-, Hilfs-, Sterbe- und Viehversicherungskassen“ in Kraft, ab 1875 wurde die Schulpflicht gesetzlich geregelt, auch wurden die Pflichten des Amtsarztes neu bestimmt. Bis dahin konnte es leicht geschehen, dass Lehrer und Schüler zwar über einen sauberen Abort verfügten, in den Klassenräumen aber unter Kohlenoxydvergiftungen litten.16 Die Klassen waren weiter mit bis zu 60 Schülern überfüllt. Im Falle von Infektionskrankheiten der Schüler konnte die Schule durch Anordnung des zuständigen Arztes ab 1876 geschlossen werden, aber auf die Idee, auch die Gesundheit der Lehrer zumindest fallweise zu überprüfen, kam die Verwaltung erst 1888.17 Die Beamten des Staatsministeriums wiederum sahen sich ab 1876 mit einer neuen Doppelloyalität konfrontiert: sie mussten nicht nur dem Souverän und dem Landtag Bericht erstatten, sondern auch noch dem Reichsgesundheitsamt. Hierzu gehörte u. a. die Durchsetzung des 1874 erlassenen Reichsimpfgesetzes.18 Doch zeigte sich hier, dass eine umfängliche statistische Erfassung benötigt wurde.19 Darauf war die Meininger Verwaltung nur ungenügend vorbereitet. Gerade aber die 13 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 210. 14 Ebd., S. 197. 15 Zu Domrich siehe Wolfgang HASCHKE, Anfänge der Physiologie in Jena im 19. Jahrhundert bis zum Bau des physiologischen Instituts (1880–1892), in: Jürgen KIEFER/Horst HEINECKE (Hg.), Aufsätze zur Geschichte der Medizin und ihrer Grenzgebiete in Mitteldeutschland, Erfurt 1997, S. 145–170, hier S. 148 f. 16 Carl BUZER, Das Medizinal- und Sanitätswesen im Herzogtum Sachsen-Meiningen mit Rücksicht auf die Reichsgesetzgebung bearbeitet von Dr.med. Anton BUZER und mitgeteilt von dessen Sohn (Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde, 35), Hildburghausen 1900, S. 1–82, bes. S. 2. 17 Ebd., S. 9. 18 Siehe hierzu Eberhard WOLFF, Prävention, Impfzwang und die Rolle der Medizinethnologie. Ein Beitrag zu Akzeptanz und Durchsetzbarkeit prophylaktischer Maßnahmen und der Legitimität präventiven Zwangs – aus historisch-ethnologischem Blickwinkel, in: Curare. Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychiatrie 14 (1991), S. 79–90. 19 ThStAM, Staatsministerium, Abt. Inneres 2673, S. 168–178.
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Statistik war für die Arbeit des Reichsgesundheitsamtes von zentraler Bedeutung.20 Eine tatsächliche Strategie, wie „öffentliche Gesundheit“ zu gestalten sei, hatte aber im Staatsministerium noch nicht Gestalt angenommen.21 Die reichseinheitlichen Vorgaben zur Krankenversicherung in den 1880er Jahren wurden umgesetzt, aber eigene Impulse fehlten. Es mangelte am Willen zu Investitionen, die Verwaltung setzte auf die Zusammenarbeit mit anderen Thüringischen Fürstentümern, z. B. bei der Errichtung einer psychiatrischen Anstalt in Hildburghausen.22 Die Untätigkeit der Regierung war wahrscheinlich kein Zufall. So konnte die für das Steueraufkommen wichtige Spielzeugwarenindustrie rund um Sonneberg ebenso wie die lokale Porzellanherstellung nicht auf Kinderarbeit verzichten, die eigentlich verboten war. 1893 erschien eine das Ansehen des Herzogtums massiv beschädigende Publikation über diese Zustände aus der Feder des Nationalökonomen Emanuel Sax (1857–1896).23 Versuche der inkriminierten Betriebe, sich durch eine von ihnen bezahlte Gegenstudie reinzuwaschen, misslangen. Das Herzogtum Sachsen-Meiningen galt im Deutschen Reich als Inbegriff für Rückständigkeit und Verantwortungslosigkeit der Behörden in Fragen der öffentlichen Gesundheit. Das 1903 erlassene Reichsgesetz über Kinderarbeit kann als direktes Resultat der von Sax beschriebenen Zustände bezeichnet werden.24 Problematisch war auch die Situation der stationären Betreuung kranker Personen. Neben dem Georgenkrankenhaus in Meiningen (für arme Untertanen) gab es in den 1890er Jahren noch eine Reihe weiterer Hospitäler mit einer Kapazität von etwa 25 Betten in Saalfeld, Gräfenthal und Bettelhecken sowie eine größere Klinik in Hildburghausen.25 Hinzu traten Privatanstalten für die höheren Schichten. Die staatlichen Krankenhäuser besaßen allerdings kein eigenes ärztliches Personal, sondern heuerten nach Bedarf Privatärzte an, die eine „Remuneration“ erhielten, aber mittellose Patienten kostenlos betreuen mussten.26 Die Ärzte organisierten sich ab 1892 im neu gegründeten Meininger Ärzteverband, an dessen Spitze bezeichnenderweise Domrich stand, 20 Axel C. HÜNTELMANN, Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876–1933, Göttingen 2008, S. 213. 21 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 217. 22 Carl BUZER, Das Medizinal- und Sanitätswesen im Herzogtum Sachsen-Meiningen mit Rücksicht auf die Reichsgesetzgebung bearbeitet von Dr. med. Anton BUZER und mitgeteilt von dessen Sohn (Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde, 27), Hildburghausen 1897, S. 81–88, hier S. 81. 23 Emanuel SAX, Die Hausindustrie in Thüringen. Wirtschaftsgeschichtliche Studie, I. Teil: Das Meininger Oberland, Jena 1882. 24 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 226. 25 BUZER, Das Medizinal- und Sanitätswesen im Herzogtum Sachsen-Meiningen (wie Anm. 16), Heft 28, Hildburghausen 1897, S. 3–22, hier S. 17 f. 26 Ebd., S. 17.
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der doch eigentlich die Interessen der staatlichen Verwaltung gegenüber den niedergelassenen Ärzten hätte durchsetzen sollen.27 Doch vertrauten die sozial benachteiligten Personengruppen ohnehin eher umherschweifenden Wunderheilern, wie der Pfarrer in Milda bei Kranichfeld, Ernst Seidel, 1897 mitteilte.28 Domrich musste erkennen, dass es mit den Verbotsgesetzen gegen Wunderkuren und entsprechende Arzneien nicht getan war. Die Obrigkeit verlor allmählich das Vertrauen der Bevölkerung. Das war nicht unproblematisch, denn in den 1890er Jahren erstarkte im Herzogtum die Sozialdemokratie, deren Anführer gegen die unhaltbaren Arbeits- und Lebensbedingungen der Unterschicht mit Streiks und Debatten im Landtag protestierten. Doch nicht nur die Unterschichten vertrauten bei der Wiederherstellung der eigenen Gesundheit nicht vorrangig den schulmedizinischen Akteuren. Auch Herzog Georg II. ließ sich zeitweise von dem aus Ansbach stammenden Gymnasialprofessor und Propagandist der Naturheilkunde, Max Oertel (1835–1897), in gesundheitlichen Fragen beraten.29 Der Herzog musste als Patient Gymnastikübungen durchführen und Diät halten und dürfte damit als Vorbild für die Meininger Oberschicht gedient haben. Auf Dauer war Georg II. wohl nicht überzeugt von Oertels Konzepten, noch zu dessen Lebzeiten wandte er sich den schulmedizinischen Überlegungen des Berliner Klinikers Paul Fürbringer (1849-1930) zu und engagierte 1897 mit dem Jenaer Universitätsprofessor Georg Leubuscher einen überzeugten Gegner alternativtherapeutischer Ansätze.30
2. Die neue Gesundheitspolitik in Meiningen im Kontext der Zeit Diese Berufung war nicht ungewöhnlich, auch Domrich war vor seiner Anstellung als Medizinalreferent Professor in Jena gewesen. Doch mit Georg Leubuscher wurde erstmals ein Jude an die Spitze der öffentlichen Gesundheitsverwaltung eines deutschen Staates berufen. Er war der Sohn des Mitstreiters Rudolf
27 Reyk SEELA, Die Ärzteschaft in Thüringen. Eine Vereins- und Standesgeschichte, Jena 2000, S. 98. 28 Ernst SEIDEL, Sympathieformeln und Zaubermittel aus dem Saalthal (Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningensche Geschichte und Landeskunde, 29), Hildburghausen 1898, S. 37–55, bes. S. 51. 29 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 5), S. 514. 30 Ebd., S. 515.
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Virchows (1821–1902), Rudolf Leubuscher (1821–1861).31 Georg Leubuscher hatte das Friedrichwerdersche Gymnasium in Berlin besucht und ab 1877 in Heidelberg, Berlin und Jena Medizin studiert, wo er 1881 promoviert wurde und ein Jahr später die Approbation erhielt.32 Nach mehreren Jahren als Assistent folgte 1885 die Habilitation in spezieller Pathologie. Neben der Tätigkeit als Universitätsdozent betrieb Leubuscher in Jena eine erfolgreiche Praxis. Zeitgenossen war er bekannt als Erforscher des Magens bei Geisteskranken.33 1892 wurde er zum außerordentlichen Professor für gerichtliche Medizin und Toxikologie ernannt.34 Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit hatte er in Jena mit dem später einflussreichen Psychologen Theodor Ziehen (1862–1950) kooperiert,35 auf den er sich gelegentlich auch während seiner Zeit in Meiningen bezog.36 Mit seiner Ernennung zum Medizinalreferenten unterstand Leubuscher der Abteilung II des herzoglichen Staatsministeriums und musste einmal im Monat dem Staatsminister Bericht erstatten.37 In seiner Karrierezeit handelte es sich dabei um Karl Schaller (1846–1922), Friedrich Trinks (1844–1930) und Rudolf v. Ziller (1832–1912). Zu Leubuschers Aufgaben zählten die Aufsicht über das gesamte medizinische Personal und Apotheken, „Obacht gegen Pfuscher“ und die nicht approbierten Akteure des medizinischen Marktes (Hebammen, Dentisten etc.).38 Er wurde hierbei von der fünfköpfigen Medizinaldeputation unter seinem Vorsitz unterstützt. Außerdem diente er dem Landesherrn als persönlicher Leibarzt und behandelte auch dessen Ehefrau sowie hochgestellte Persönlichkeiten aus dem Freundeskreis des Herzogs. Er kooperierte eng mit Georg II., der die meisten der Reformen seines Medizinalreferenten unterstützte. Leubuschers Gesundheitspolitik fußte auf zwei Säulen: adäquat moderne Krankenversorgung für Erwachsene und präventive Medizin für die Minderjährigen im Herzogtum Sachsen-Meiningen. Von Beginn an stand diese unter dem 31 Zu Georg Leubuschers Vater siehe Albert ERLANGER, Der Psychiater Rudolf Leubuscher 1821–1861, med. Diss., Zürich 1971. 32 Joseph OEBBECKE, Georg Leubuscher, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 29 (1916), S. 153–160, hier S. 157. 33 Franz Carl MÜLLER, Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert, Bd. II: Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik, Berlin 1902, S. 560. 34 Isidor FISCHER, Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre, Bd. 2, Berlin/Wien 1933, S. 899. 35 Georg LEUBUSCHER/Theodor ZIEHEN, Klinische Untersuchungen über die Salzsäureabscheidung des Magens bei Geisteskranken, Jena 1892. 36 Georg LEUBUSCHER, Über Notwendigkeit der Ausbildung der Lehrer in Gesundheitspflege, Leipzig/Berlin 1911, S. 10. 37 Georg GOECKEL, Das Staatsrecht des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Nach den erlassenen Gesetzen und Verordnungen schematisch dargestellt, Jena 1905, S. 57. 38 Ebd.
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Problem der Finanzierbarkeit – 1900 hatte der kleine Staat 8,2 Millionen Goldmark Schulden.39 Wie erwähnt, war die ärztliche Versorgung erkrankter Untertanen im Herzogtum Sachsen-Meiningen nur unzureichend gegeben. Leubuscher übernahm mit seiner Ernennung zum Medizinalreferenten auch die Leitung des Georgenkrankenhauses in Meiningen.40 Dessen Ausbau und Modernisierung trieb er ab 1898 voran und tauschte sich hierbei bisweilen direkt mit Herzog Georg aus.41 Dieser hatte ihm zuvor ermöglicht, gemeinsam mit dem zuständigen Hofbaumeister Otto Schubert (1854–1930) in ganz Deutschland Krankenhäuser zu besuchen, um einen idealen Neubau in Meiningen zu ermöglichen.42 Der Landtag hatte lange gezögert, das Projekt zu finanzieren und Staatsministerium sowie Landesherr hatten große Anstrengungen unternehmen müssen, um die Bewilligung von insgesamt 325.000 Mark zu erreichen.43 Die Freigabe der Mittel gelang im März 1901. Anfang April 1903 erfolgte die Einweihung des neuen Gebäudes, das als Landeskrankenhaus diente und von Leubuscher persönlich geleitet wurde. Es war für 100 Patienten ausgelegt, beherbergte aber in Ausnahmesituationen auch 122 Kranke.44 Mit der Vollendung eines Gebäudes und der Anstellung von Ärzten war das Landeskrankenhaus in Meiningen aber noch nicht betriebsfähig. Um 1900 war es noch keineswegs üblich in Deutschland, dass ausgebildetes Personal die Pflege der Patienten übernahm.45 Leubuscher überzeugte den Landesherrn von der Notwendigkeit der Ausbildung von Krankenschwestern, der daraufhin 1902 die Gründung einer „Herzog Georg Stiftung für Krankenpflegerinnen“ genehmigte und mit 20.000 Mark aus seiner Privatschatulle förderte.46 Die hier ausgebildeten Krankenschwestern arbeiteten jedoch nicht nur im Landeskrankenhaus, sondern wurden auf Wunsch Leubuschers auch als Gemeindeschwestern in Kleinstädten und Dörfern des Herzogtums eingesetzt, um so vor Ort Kranken erste fachliche Hilfe bieten zu können und zugleich die
39 Ulrich HEß, Geschichte Thüringens 1866 bis 1914. Aus dem Nachlaß hg. von Volker WAHL, Weimar 1991, S. 223. 40 Joseph OEBBECKE, Georg Leubuscher (wie Anm. 32), S. 156. 41 ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), Akt 1386, Leubuscher Prof. Dr. Briefe an Herzog Georg II. 1901/02, 28. November 1902, Leubuscher an Georg II. 42 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 5), S. 462. 43 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 240. 44 Ebd., S. 242. 45 Gordon UHLMANN, Leben und Arbeiten im Krankenhaus. Die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse des Pflegepersonals im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Alfons LABISCH/Reinhard SPREE (Hg.), „Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett“. Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1996, S. 400–419, hier S. 401. 46 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 246.
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Aufgaben der Medizinalstatistik zu erfüllen.47 Auf diese Weise gelang es Leubuscher, einen Gesamtüberblick bezüglich Krankenständen und den häufigsten gesundheitlichen Problemen im Herzogtum Sachsen Meiningen zu gewinnen. Bis 1910 bildete die Stiftung 53 Schwestern aus, wobei 19 von ihnen als „Lehrschwestern“ weiteres medizinisches Personal anlernen konnten.48 Die Einrichtung der Gemeindeschwesterstationen wurde aus Spenden des Vaterländischen Frauenvereins finanziert.49 Die Gemeindeschwestern leisteten wichtige Arbeit und führten beispielsweise 1913 im Landkreis Hildburghausen 3011 Krankenbesuche durch und assistierten in zwölf Fällen Ärzten bei akuten Behandlungen.50 Doch die erfolgreiche Arbeit des Georgenkrankenhauses Meiningen war stets bedroht, wenn der Landtag kein Geld bewilligen wollte. Die hohen Unterhaltskosten und die lange Verweildauer der Patienten im Krankenhaus wurden seitens der Abgeordneten 1913 moniert.51 Gemäß der Landesstatistik verbrachte ein männlicher Patient 1910 im Durchschnitt 27 Tage, eine Frau 37 Tage in der Klinik.52 Damit lag die Verweildauer um ein Vielfaches über dem Reichsdurchschnitt.53 Auch kritisierten die Abgeordneten, dass die Klinik in Meiningen pro Jahr 110.000 Mark verbrauchte, aber nur 60.000 erwirtschaftete.54 Zuvor hatte sich Herzog Georg II. überrascht und ablehnend gezeigt, als Leubuscher ihn um einen Zuschuss zum Ankauf moderner Röntgenapparate ersucht hatte55 – letztendlich bewilligte der Landtag diese Kosten.56 Doch hing das Funktionieren einer staatlich garantierten medizinischen Versorgung von der Kooperationsbereitschaft und Effektivität der niedergelassenen Ärzte und von der Verhinderung naturheilkundlicher Konkurrenz ab. So wandte sich Leubuscher vehement gegen die Einrichtung eines Lehrstuhls für Natur-
47 ThStAM, Staatsministerium, Abt. Inneres, Akt Nr. 2077, Achter Bericht der Herzog Georg Stiftung für Krankenpflegerinnen 1909, Meiningen 1910, S. 3. 48 Ebd., Neunter Bericht der Herzog Georg Stiftung für Krankenpflegerinnen 1910, Meiningen 1911, S. 3. 49 Ebd., 31. März 1911, Vaterländischer Frauenverein an die Herzog Georg Stiftung. 50 ThStAM, Staatsministerium, Abt. Inneres, Akt Nr. 9252, Elfter Jahresbericht der Herzog Georg Stiftung für Krankenpflegerinnen 1912, Meiningen 1913, S. 20. 51 Verhandlungen des Landtages des Herzogtums Sachsen Meiningen, vom 19. November 1912 bis 13. Dezember 1912, vom 1. Juli 1913 bis 4. Juli 1913 und vom 20. November 1913 bis 11. Dezember 1913, Meiningen 1913, S. 86. 52 Statistik des Herzogtums Sachsen Meiningen, Bd. 12, hg. vom Statistischen Bureau des Herzoglichen Staatsministeriums, Meiningen 1914, S. 64. 53 Reinhard SPREE, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, S. 103. 54 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 244. 55 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 5), S. 463. 56 Verhandlungen des Landtages 1913 (wie Anm. 51), S. 87.
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heilkunde an der Universität Jena57 und bekämpfte Kollegen, die entsprechende Ansätze vertraten. Dies bekam der in Meiningen stationierte preußische Stabsarzt Alfons Cornelius (1865–1933) zu spüren, der ab 1898 seine „NervenpunktMassage“ zur Behandlung neuralgischer Leiden bewarb.58 Er definierte bestimmte Punkte am Rücken seiner Patienten, an denen er therapeutisch ansetzte. Bei deren Auffindung ließ er sich jedoch nicht von objektiven Kriterien sondern von seiner „hohen Gefühlstechnik“ leiten – mithin das Gegenteil naturwissenschaftlicher Annäherung an die Patienten.59 Etwa 1905 eskalierte der Streit, als ein im Georgenkrankenhaus verunglückter Patient auf Anregung von Cornelius Leubuscher verklagte. Der reagierte mit einem Ehrengerichtsverfahren gegen Cornelius, wodurch er dessen militärärztliche Karriere in Meiningen beendete.60 Trotz dieses Streits war Leubuscher an einer engen Zusammenarbeit mit den ihm zuarbeitenden Meininger Ärzten interessiert. Daher unterstützte er die Gründung eines Berufsverbandes Thüringer Ärzte im öffentlichen Dienst, der im Dezember 1912 als „Thüringer Medizinalbeamtenverein“ aus der Taufe gehoben wurde.61 Im Herzogtum Meiningen hatte Leubuscher 64 Kollegen als Mitglieder gewonnen.62 Diese Zahl lässt zum einen erahnen, welchen Aufschwung der ärztliche öffentliche Dienst genommen hatte und zum anderen ist anzunehmen, dass auch Privatärzte, die konsularisch für den Staat tätig wurden, sich als Vollstrecker des Herzogtums verstanden. Es war Leubuscher gelungen, eine schlagkräftige, zuverlässige und treue Medizinalbürokratie aufzubauen. Diese benötigte er auch, um sein zweites großes Ziel zu verwirklichen: die Erziehung der Kinder und Jugendlichen (sowie ihrer Eltern) im Herzogtum Sachsen-Meiningen zu einem gesunden Leben. Er konzentrierte sich hierbei auf 57 Verhandlungen des Landtages des Herzogtums Sachsen Meiningen, vom 27. November 1906 bis 11. Dezember 1906, vom 6. November 1907 bis 17. Dezember 1907 und vom 13. Januar 1908 bis 29. Januar 1908, Meiningen 1908, S. 355. 58 Alfons CORNELIUS, Die Nervenpunktlehre. Eine neue Erklärung der nervösen Leiden und ein Mittel, ihnen erfolgreich entgegenzutreten, Bd. I, mit einem Anhang „Die Nervenmassage“, Leipzig 1909, S. V, 1; zu Cornelius siehe Alma KREUTER, Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Bd. I, München 1996, S. 233. 59 Alfons CORNELIUS, Ueber Kreuzschmerzen, in: Heinrich MENG (Hg.), Kreuzschmerzen. Ihre Deutung und Behandlung, Stuttgart 1925, S. 44–46, hier S. 46. 60 Jacob SIMON, Ein jüdisches Leben in Thüringen. Lebenserinnerungen bis 1930 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Thüringen, Große Reihe, 17), Wien 2009, S. 126. 61 Thüringer Medizinalbeamtenverein, in: Korrespondenz-Blätter des Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen 41 (1912), S. 618–619. 62 Mitgliederverzeichnis des Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen, in: Korrespondenz-Blätter des Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen 41 (1912), S. 624–633, bes. S. 630.
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den umfassenden Ausbau der medizinischen Umsorgung der schulpflichtigen Jugend. Seit den 1830er Jahren hatten immer wieder Ärzte eine bessere Ausstattung von Schulen, die hygienische Überwachung von Gebäuden, Lehrern und Schülern gefordert und ein Eingreifen des Staates angeregt.63 1896 führte Wiesbaden die schulärztliche Untersuchung ein, nach der Jahrhundertwende folgten weitere Großstädte.64 In dieser Phase existierten über mehrere Jahre private und öffentliche Initiativen nebeneinander.65 In Sachsen-Meiningen erfolgte durch Erlässe des Staatsministeriums am 21. April 1900 die Einrichtung schulärztlicher Kontrollen der Volksschulen, am 1. Mai 1901 auch der höheren Schulen.66 1901 besuchte Leubuscher eine Tagung in Wiesbaden und berichtete seinem Landesherrn über die Chancen und Bedingungen des Aufbaus eines schulärztlichen Dienstes.67 Mit Hilfe der von den Gemeindeschwestern verbesserten Medizinalstatistik und der Einführung von standardisierten Meldebögen über den Gesundheitszustand jedes Schülers gelang es Leubuscher sukzessive sich ein Gesamtbild über die Leiden der Jugend im Herzogtum Sachsen-Meiningen zu verschaffen. Diese Bögen mussten die von Leubuscher ernannten und dem Staatsministerium bezahlten 33 Schulärzte ausfüllen. Dabei handelte es sich z.T. um niedergelassene Ärzte, die für die Tätigkeit als Schulärzte angeworben wurden.68 Jedes Jahr musste jeder von ihnen im Durchschnitt 1200 Kinder untersuchen, jede Anamnese dauerte 3 bis 4 Minuten. Zahn-, Hör- und Sehprobleme wurden notiert, ebenso weitere Krankheiten. Doch Leubuscher hielt bei bestimmten Gruppen eine umfassendere Beobachtung für notwendig: Für gewisse Arten von Schülern erscheint eine weit eingehendere gesundheitliche Kontrolle notwendig. Hier sind in erster Linie die Insassen der sogenannten Hilfsschulen zu nennen, d.h. derjenigen Schulen oder Klassen, in denen schwachbegabte aber noch bildungsfähige Kinder unterrichtet werden. Diese Kinder bieten in viel höherem Maße als 63 Jürgen OELKERS, Physiologie, Pädagogik und Schulreform im 19. Jahrhundert, in: Philipp SARASIN/Jakob TANNER (Hg.), Physiologie und industrielle Gesellschaft, Studien zur Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1998, S. 245–285, bes. S. 248. 64 Adelheid Gräfin zu CASTELL-RÜDENHAUSEN, Die Überwindung der Armenschule. Schülerhygiene an den Hamburger öffentlichen Schulen im Zweiten Kaiserreich, in: Archiv für Sozialgeschichte 22 (1982), S. 201–226, hier S. 204. 65 Siri ROßBERG, Johannes Rabnow und das „Modell Schöneberg“ – ein kommunales Gesundheitswesen zwischen Sozialreform und Bevölkerungspolitik, 1900–1914, in: Axel C. HÜNTELMANN/Johannes VOSSEN/Herwig CZECH, Husum 2006 (Hg.), Gesundheit und Staat. Studien zur Geschichte der Gesundheitsämter in Deutschland 1870–1950, S. 125–136, bes. S. 132. 66 Georg LEUBUSCHER, Schularzttätigkeit und Schulgesundheitspflege, Leipzig/Berlin 1907, S. 1. 67 ThStAM, HA, Akt 1386, Leubuscher Prof. Dr. Briefe an Herzog Georg II. 1901/02, 2. Juni 1901, Leubuscher an Georg II. 68 LEUBUSCHER, Über Schularztwesen (wie Anm. 4), S. 527.
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die Insassen der Normalschulen krankhafte Veränderungen dar und stammen zum guten Teil aus den sozial niedrigstehenden Bevölkerungsschichten.69
Die Kosten für die erste umfassende Untersuchung der 40.000 Schulkinder im Jahre 1901 betrugen 12.000 Mark.70 Der Landtag hatte erwartet, dass damit die Arbeit erledigt wäre, doch Leubuscher plante angesichts vieler Krankheiten, Zahnproblemen, und der Unkenntnis der Schüler über hygienische Maßnahmen die Einrichtung von Schulbädern, Aufklärungsunterricht und vor allem regelmäßiger weiterer Kontrollen. Hierzu zählte auch die Anstellung fest bezahlter Schulärzte. Damit beschwor Leubuscher nicht nur den Widerstand der Abgeordneten herauf, sondern auch der niedergelassenen Ärzte sowie Lehrer, die jeweils befürchteten durch die neue staatliche Einrichtung der Schulärzte in ihrer Berufsausübung behindert zu werden. Letzteren sprach Leubuscher die Fähigkeit ab, die Gesundheit ihrer Zöglinge überhaupt beurteilen zu können.71 Es dauerte bis etwa 1909, dass sich Leubuscher mit allen Berufsgruppen geeinigt hatte und die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen gelang. Demnach sollten die Schulärzte die Krankheiten nur diagnostizieren, nicht aber therapieren.72 Sie oder die Lehrer informierten die Eltern, die jedoch den Empfehlungen der Ärzte selten folgen wollten oder (aus materiellen Gründen) konnten.73 Gleichzeitig förderte Leubuscher die Weiterbildung der Lehrer in hygienischen Fragen, da der Schularzt nur ein bis zweimal pro Jahr die Schüler untersuchte.74 Der Oberlehrer-Verein in Sachsen-Meiningen begrüßte schon 1906 die Einführung des schulärztlichen Dienstes, da die Lehrer von der Überwachung der hygienischen Bedingungen und dem Ausbau der Schulgebäude direkt profitierten.75 Die hygienische Normierung der Schulhäuser hatte Leubuscher bereits 1900 als grundlegende Maßnahme bezeichnet.76 Im Falle weit verbreiteter chronischer Erkrankungen unter der Schülerschaft ordnete Leubuscher direkt ärztliche Behandlungen an, z. B. bei Tuberkulose. Dies war ihm möglich, weil die Krankenversicherungen sich schon 1903 bereitfanden, die anfallenden Kosten zu übernehmen.77 Kinder mit offener Tuberkulose wurden aus dem Unterricht
69 70 71 72 73 74 75
Ebd., S. 529. Georg LEUBUSCHER, Staatliche Schulärzte, Berlin 1902, S. 47. Ebd., S. 11 u. 15. LEUBUSCHER, Über Schularztwesen (wie Anm. 4), S. 530. Ebd., S. 530 f. LEUBUSCHER, Über Notwendigkeit der Ausbildung der Lehrer (wie Anm. 36), S. 6. Georg LEUBUSCHER, Schularzttätigkeit und Schulgesundheitspflege, Leipzig/Berlin 1907, S. 8. 76 LEUBUSCHER, Staatliche Schulärzte (wie Anm. 70), S. 57. 77 Georg LEUBUSCHER, Tuberkulose und Schule, in: Die Gesundheitswarte der Schule. Monatsschrift für Stadt- und Landlehrer 1 (1903), Nr. 1,S. 6–11, Nr. 2, S. 26–33, bes. S. 31.
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entfernt, ebenso betroffene Lehrer.78 Hier war Sachsen-Meiningen führend, Preußen zog mit einem entsprechenden Erlass erst 1907 nach.79 Ein Problem war am Anfang die Beteiligung der Privat- und Mädchenschulen, die erst allmählich vom Staatsministerium genötigt wurden, sich ebenfalls Kontrollen zu unterwerfen.80 Die Abgeordneten des Landtages zeigten sich an der Arbeit der Schulärzte zunehmend interessiert.81 Allerdings bezweifelten die Mitglieder der SPD schon 1903 die Zustimmung der Unterschichten zu diesem Eingriff in die Sphäre der elterlichen Erziehung.82 Dem widersprach das Staatsministerium vehement. 1907 wäre das schulärztliche System beinahe kollabiert, als der Landtag gegen die Stimmen der nun die ärztliche Arbeit unterstützenden Sozialdemokraten den Zuschuss für die Durchführung der Untersuchungen der Schulkinder von 6.000 auf 3.000 Mark zusammenkürzte. Jedoch glich Herzog Georg II. den Fehlbetrag aus seiner Privatschatulle aus. Dies kommentierte ein Abgeordneter der SPD kritisch: Es macht tatsächlich einen sonderbaren Eindruck, daß dieser Posten damals vom Landtag gekürzt worden ist, obgleich der Posten einer wichtigen Kulturaufgabe gewidmet war. Daß es nun eines Gnadenaktes des Herzogs bedurfte, um diese 3.000 M. zu ergänzen, das freut mich, wie gesagt nicht, es macht vielmehr einen recht deprimierenden Eindruck auf mich.83
Die Vertreter der SPD zogen auch die Effektivität des „Impfgeschäfts“ in Zweifel. Impfungen gegen Pocken und Diphtherie sollten die Schulkinder vor entsprechenden Leiden schützen. Anstelle zentraler Impfstellen kamen die Ärzte in Meiningen zu den Patienten, 1902 gab es im Herzogtum 16 Impfbezirke mit insgesamt 273 Impforten.84 Vordergründig schienen die Kampagnen der Gegner von Impfungen in Meiningen kaum Erfolg zu haben: bei einer Gesamtbe78 Georg LEUBUSCHER, Ziele der schulärztlichen Tätigkeit, in: Die Umschau. Übersicht über die Fortschritte und Bewegungen auf dem Gesamtgebiet der Wissenschaft und Technik, sowie ihrer Beziehungen zu Literatur und Kunst 13 (1909), S. 333–335, bes. S. 334. 79 Martin KIRCHNER, Tuberkulose und Schule, in: Verhandlungen der XII. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege und der IV. Versammlung der Vereinigung der Schulärzte Deutschlands vom 28. bis 30. Mai 1912 in Berlin, hg. von Hugo SELTER/Ferdinand STEPHANI, Leipzig/Hamburg 1912, S. 5–27, bes. S. 7. 80 ThStAM, HA, Akt 1386, Leubuscher Prof. Dr. Briefe an Herzog Georg II. 1901/02, 13. November 1902, Leubuscher an Georg II. 81 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 255. 82 Verhandlungen des Landtages des Herzogthums Sachsen-Meiningen vom 29. November 1903 bis 13. Januar 1904, Meiningen 1904, S. 167. 83 Verhandlungen des Landtags des Herzogthums Sachsen-Meiningen 1908 (wie Anm. 57), S. 361. 84 Statistik des Herzogthums Sachsen Meiningen, hg. vom Herzoglichen Staatsministerium, Abtheilung des Innern, Bd. 8, Meiningen 1902, S. 108.
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völkerung von 250.731 Bürgern im Jahre 1900 verweigerten sich nur 12 dem Impfzwang.85 1907 wurde die Zahl der Impfbezirke auf 17, die der Orte auf 287 angehoben. Bei der Volkszählung 1905 lebten in Sachsen-Meiningen 286.916 Bürger, von denen sich nun 50 der Impfung entzogen.86 1910 waren es 73 Personen.87 Darüber hinaus starben 1907 46 Kinder an Diphtherie, 1908 waren es 57, 1909 42.88 Offenbar zeigte entweder das Serum mitunter keine Wirkung oder aber eine höhere Zahl an Eltern als jene der offiziellen Impfgegner entzog ihren Nachwuchs den staatlichen Maßnahmen. 1907 berichteten Ärzte, dass bei den Impfkampagnen in Schulen, Eltern sich aktiv dem Zwang widersetzten.89 Daran konnten auch Aufklärungskampagnen mit Flugblättern des Reichsgesundheitsamts offenbar nichts ändern.90 Leubuscher und die ihn stützende Bürokratie aber ließen keinen Zweifel aufkommen, dass sie mit Gegnern der Impfungen nicht diskutieren wollten und die Umsetzung des Impfgesetzes mit allem Nachdruck verfolgten.91 Eine weitere, die Gesundheit der Schulkinder gefährdende Krankheit war die Tuberkulose. Sie war um 1900 eine „Massenseuche“ in Deutschland. Etwa eine Million Menschen waren erkrankt, die Sterblichkeit betrug noch 1911 16,5 pro 100.000 Betroffene.92 Leubuscher räumte 1907 im Landtag ein, die Krankheit sei auch in Sachsen-Meiningen weit verbreitet. In den Schulen habe man 40 Kinder mit offener Tbc entdeckt.93 Die Krankheit forderte 1907 389 Todesopfer, wovon 23 Kinder von im Alter 1–15 Jahren waren.94 Zusätzlich starben 88 Kinder an Lungenentzündung.95 Leubuscher zielte nicht nur darauf ab, die erkrankten Schüler zu identifizieren, zu isolieren und behandeln zu lassen, sondern der Verbreitung der Krank85 Ebd., S. 355. 1895 war die Zahl der Impfgegner genauso hoch, siehe ebd., S. 107. 86 Statistik des Herzogtums Sachsen Meiningen, hg. vom Statistischen Bureau des Herzoglichen Staatsministeriums, Bd. 11, Meiningen 1911, S. 29 f. 87 Ebd., S. 367. 88 Ebd., S. 147, 195, 315. 89 Zur Schulgesundheitspflege. Das Impfgeschäft in der Schule, in: Korrespondenz-Blätter des Allgemeinen Ärztlichen Vereins von Thüringen 36 (1907), S. 109–114, hier S. 111. 90 Max KOENIGSBECK, Der schulhygienische Ferienkurs für Lehrer höherer Lehranstalten in Göttingen (8.–13. Oktober 1906), in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 20 (1907), S. 91–117, hier S. 109; Siehe auch Reinhard SPREE, Anspruch und Wirklichkeit der Krankenhausbehandlung im 19. Jahrhundert, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 19 (2000), S. 143–152, hier S. 145. 91 Verhandlungen des Landtages des Herzogtums Sachsen Meiningen vom 28. November 1909 bis 4. März 1910, Meiningen 1910, S. 71. 92 Beate WITZLER, Großstadt und Hygiene. Kommunale Gesundheitspolitik in der Epoche der Urbanisierung, Stuttgart 1995, S. 169. 93 Verhandlungen des Landtages des Herzogtums Sachsen Meiningen 1908 (wie Anm. 57), S. 358. 94 Statistik des Herzogtums Sachsen-Meiningen, Bd. 11, hg. vom Statistischen Bureau des Herzoglichen Staatsministeriums, Meiningen 1907, S. 146. 95 Ebd., S. 147.
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heit an sich entgegenzuwirken. Da ihm aufgrund der Kompetenzregelung im Staatsministerium die Einmischung in die Belange staatlicher Wohnbauförderung versperrt war, konzentrierte er sich auf prophylaktische Maßnahmen in seinem Zuständigkeitsbereich. Hierbei wollte er nicht nur die Schüler, sondern auch ihre Eltern von den Vorzügen einer invasiven Medizinalpolitik überzeugen. Daher förderte Leubuscher die Einrichtung von Schulbädern. Seit 1890 war über deren Einrichtung im Deutschen Reich diskutiert worden,96 aber erst die 1902 unter Mitwirkung Leubuschers gegründete „Deutsche Gesellschaft für Volksbäder“ trieb den Aufbau dieser Einrichtungen voran.97 Eltern, die sich gleichwohl den Möglichkeiten der Sauberkeit für ihren Nachwuchs verweigerten, wurden sanft unter Druck gesetzt und zugleich mit den Chancen für die kostenlose Behandlung kranker Jungen und Mädchen geködert. So nutzte Leubuscher seine Stellung als Medizinalreferent und Oberkontrolleur der staatlichen Bäderanstalten, um chronisch kranke Schulkinder nach Salzungen zur Kur zu schicken.98 Leubuscher war bemüht, seine Forderung nach Schulbädern zeitnah umzusetzen. 1901 präsentierte er erstmals seine konkreten Wünsche,99 1907 gab es im ganzen Herzogtum verteilt zahlreiche Anstalten:100 im Landkreis Meiningen in Meiningen selbst, Wasungen, Salzungen, Schweina und Kloster Allendorf. Im Kreis Hildburghausen waren Schulbäder in Eisfeld und Themar eingerichtet, im Kreis Sonneberg in Sonneberg, Köppelsdorf, Ernstthal, Lauscha, Theuern und Steinach. Im Saalfelder Gebiet gab es sie in Saalfeld, Graba, Lichtenhain, Gräfenthal, Preißnitz und Münchengosserstädt. In Pößneck durften Schüler das städtische Volksbad nutzen.
96 Max A.R. BRÜNNER, Die Schulhygiene auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1911, in: Gesundheit. Zeitschrift für Städtehygiene und Gesundheitstechnik 36 (1911), S. 611–613, hier S. 611. 97 Staatsbibliothek zu Berlin, Handschriftensammlung, Slg. Darmst. 1918.309, Aufruf der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder, unterzeichnet von Leubuscher; OEBBECKE, Georg Leubuscher (wie Anm. 32), S. 157; Mitgliederverzeichnis der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder, in: Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder 1 (1902), S. 13–40, bes. S. 27. 98 Georg LEUBUSCHER/Fritz ADAM, Der Arzt in der Hilfsschule. Zwei Vorträge, gehalten auf dem VII. Verbandstage der Hilfsschulen Deutschlands in Meiningen am 14. April 1909, Langensalza 1909, S. 17. 99 Georg LEUBUSCHER, Der Schularzt und seine Einführung im Herzogtum SachsenMeiningen. Vortrag, gehalten in der Versammlung für Kinderforschung in Jena am 3. August 1901, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 14 (1901), S. 605–609, hier S. 609. 100 LEUBUSCHER, Schularzttätigkeit (wie Anm. 75), S. 48 f.
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3. Sex, Drugs & rebellische Jugend Neben den Impfkampagnen und den Aufklärungsbemühungen bei Tuberkulose gab es auch Krankheiten, bei deren Behandlung der Staat eingreifen musste, weil die bürgerlichen Stiftungen und Fördervereine sich weigerten, die Betroffenen zu unterstützten, da diese an ihrem Schicksal selbst schuld seien: z. B. im Fall von Alkoholismus.101 Leubuscher unterschied sehr genau zwischen den Trinkgewohnheiten der Erwachsenen und den gesundheitlichen Problemen für Kinder und Jugendliche. So betonte er, Alkohol sei für Erstere keineswegs immer schädlich, wohl aber für letztere.102 Leubuscher ließ 1906/1907 durch die ihm unterstellten Schulärzte Befragungen mit Schülern und Eltern durchführen, um den Umfang des Missbrauchs alkoholischer Getränke definieren zu können. Demnach konsumierten in Nordheim von 49 Kindern der 7. Klasse 38 regelmäßig Wein, 4 Schnaps und der Rest Bier.103 In der vierten Klasse einer Mädchenschule tranken von 28 Schülerinnen 14 regelmäßig Bier, 27 hatten schon Wein gekostet und 14 an Schnaps genippt.104 Im Kreis Meiningen waren insgesamt von 1.006 Schülern nur 10 abstinent.105 Für Leubuscher war klar, dass die Gesundheit der Schüler untrennbar mit der Verhinderung des Alkoholkonsums verbunden war. Herzog Georg II. unterstützte dieses Vorhaben durch einen Erlass im Sommer 1906, wonach eine Schulstunde im Monat der Aufklärung vor den Gefahren des Alkohols gewidmet sein musste.106 Leubuscher sekundierte Kollegen aus der Schulgesundheitspflege. So nannte sein Bewunderer Adolf Thiele (1867–1933) auf dem in Meiningen abgehaltenen 7. Verbandstag der deutschen Hilfsschulen 1909 den Alkoholismus weit gefährlicher für die Zukunft der Jugend als die in diesem Zusammenhang überschätzte Tuberkulose.107 Ein Problem war, dass vielen Lehrern – gerade auf Schulausflügen – der Alkoholgenuss der Schüler als völlig normal erschien.108 Hier waren die Schulärzte als Aufklärer besonders gefordert, aber energische Kollegen waren selten, z. B. Max Fiebig in Jena, der Leubuscher 101 102 103 104 105
Barbara HEINEVETTER, Sozialpolitik in Thüringen 1860 bis 1952, Erfurt 1996, S. 5. LEUBUSCHER, Schularzttätigkeit (wie Anm. 75), S. 50. Ebd., S. 51. Ebd. Ebd., S. 52. Ähnliche Ergebnisse brachte eine Untersuchung in Braunschweig, siehe Heinrich VON FRANKENBERG, Der Alkoholgenuss der Schulkinder, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 19 (1906), S. 695–707. 106 Georg LEUBUSCHER, Schulhygiene, in: Rudolf ABEL (Hg.), Handbuch der praktischen Hygiene, Bd. 2, Jena 1913, S. 35–102, hier S. 96. 107 Adolf THIELE, Der VII. Verbandstag der Hilfsschulen Deutschlands in Meiningen am 13., 14. und 15. April 1909, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 22 (1909), S. 402– 411, hier S. 404. 108 Martin HARTMANN, Die höhere Schule und die Gesundheitspflege, Leipzig 1905, S. 46.
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zuarbeitete.109 1908 erklärte Leubuscher vor dem Landtag des Herzogtums Sachsen-Meiningen den Kampf gegen den Alkoholismus zu einer zentralen Säule seiner Reformen.110 Leubuschers starkes Engagement auf diesem Gebiet war nicht (allein) der Nächstenliebe geschuldet. Die mit der Sozialdemokratie sympathisierenden Naturheilkundigen – vulgo „Kurpfuscher“ – waren stark in die Aufklärung vor den Gefahren des Alkoholismus eingebunden. Es wurden Kurse für Jugendliche angeboten111 und in wirkmächtigen Gesundheitsbüchern warnten die Autoren vor den Gefahren des Alkohols für die Jugend.112 Unterschwellig forderten die Naturheiler neben einer Umstellung der Ernährungsgewohnheiten Sozialreformen.113 Die engen Wohnverhältnisse und Perspektivlosigkeit in den Unterschichten begünstigte die Hinwendung zu Alkohol.114 Die Kneipe fungierte als „Salon der Arbeiter“.115 Auch die SPD selbst stand spätestens ab 1903 auf Seiten der Gegner des Alkoholkonsums.116 Die sich nach 1900 als „Wandervogel“ entfaltende Jugendbewegung strebte über die Ebene der „Reinheit“ nach einer Emanzipation von staatlichen Kontrollen.117 Die Bemühungen Leubuschers um die Nüchternheit der Schulkinder müssen daher als Versuch gesehen werden, die Kontrolle über die jüngeren Generationen, egal welcher Herkunft, zu bewahren. Dabei sah sich Leubuscher der Kritik seitens vieler Zeitgenossen ausgesetzt, die anstelle einer Konzentration auf die Jugend eine gänzliche Entalkoholisierung der Bevölkerung anstrebten. Seitens der Obrigkeit wurde in Preußen ab 1900 mit dem
109 Johannes TRÜPER, Max Fiebig gestorben, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 21 (1916), S. 153–155. 110 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 248. 111 Richard POENICKAU, Hygienische Jugendkurse, in: Der Naturarzt 41 (1913), S. 161– 163, 195–197, bes. S. 162. 112 Moritz PLATEN, Die neue Heilmethode. Lehrbuch der naturgemäßen Lebensweise, der Gesundheitspflege und der naturgemäßen Heilweise (diätetisch-physikalische Therapie), Bd. 3, Berlin/Leipzig 1907, S. 502. 113 E. WEGENER, Kinderpflege und Schulhygiene. Hygienische Schulerziehung, in: Der Naturarzt 28 (1900), S. 46–49, bes. S. 48. 114 Gerhard A. RITTER/Klaus TENFELDE, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S. 510. 115 Bernd HEY/Matthias RICKLING, „Seid mäßig und nüchtern, fleißig und sparsam, zufrieden und gehorsam“. Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitspropaganda in evangelischen Kirchengemeinden, in: Bernd HEY/Matthias RICKLING/Kerstin STOCKHECKE/Bärbel THAU (Hg.), Alkohol – Sünde oder Sucht? Enthaltsamkeitsbewegung. Trinkerfürsorge und Suchtberatung im evangelischen Westfalen, Bielefeld 2004, S. 9–24, bes. S. 22. 116 Judith BAUMGARTNER, Antialkoholbewegung, in: Diethart KERBS/Jürgen REULECKE (Hg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen, 1880–1933, Wuppertal 1998, S. 141–154, hier S. 148. 117 Paul WEINDLING, Health, race, and German politics between national unification and Nazism. 1870–1945, Cambridge/Mass. 1989, S. 209.
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Aufbau von Beratungsstellen begonnen, aber erst 1910 sollte dieses Agieren durch ein Machtwort Kaiser Wilhelm II. offizielle Unterstützung erhalten.118 Die Verhinderung des Alkoholkonsums bei Minderjährigen diente aber nicht nur konkreten gesundheitsprophylaktischen Zwecken, sie sollte auch dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche vor sexuellen Entgleisungen bewahrt würden: „sine Baccho friget Venus“ war die Idee der Ärzte.119 Leubuscher hatte diese Problematik früh erkannt und darauf hingewirkt, dass die Schüler sexuell aufgeklärt werden sollten, im Oktober 1904 entsprach Georg II. dem Drängen seines Vertrauten und erließ eine entsprechende Verordnung. Diese verlangte eine sexuelle Aufklärung, insbesondere bezüglich der enthemmenden Wirkung des Alkohols – nach Ende der Schulzeit.120 Doch auch auf diesem Gebiet war Leubuscher eher Gejagter des Zeitgeistes als Protagonist einer gesunden Zukunft. Schon 1898 hatte der Naturheiler und Volksaufklärer Wilhelm Siegert über die problematische Verbindung von Alkoholkonsum und sexueller Verführung im Kreise von Kindern und Jugendlichen geschrieben.121 In Eingaben an staatliche Verwaltungen betonten Vorkämpfer der Naturheilkunde ihre Verdienste im Kampf gegen Alkohol und für die Sittlichkeit.122 Die Idee der sexuellen Aufklärung der vor dem Eintritt ins Berufsleben stehenden Absolventen lässt darauf schließen, dass ihm Eigenverantwortung und ihre Förderung näher lagen als die totale Kontrolle. Vielleicht ahnte er auch nach den Erfahrungen mit dem „Impfgeschäft“, dass sich diese ohnehin nicht erringen ließ. Er förderte alternative Schulformen, die körperliche und geistige Förderung der Kinder zum Ziel hatten, z. B. die Landerziehungsheime. So nannte er diese „außerordentlich segensreich in hygienischer Beziehung“ und lehnte lediglich das Nacktturnen in der Anstalt Wickersdorf ab.123 Auch Herzog Georg II. stand dem Landerziehungsheimgedanken positiv gegenüber. 118 Paul WEINDLING, Hygienepolitik als sozialintegrative Strategie im späten Deutschen Kaiserreich, in: Alfons LABISCH/Reinhard SPREE (Hg.), Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Bonn 1989, S. 37–56, hier S. 42. 119 Lutz SAUERTEIG, Krankheit, Sexualität, Gesellschaft. Geschlechtskrankheiten und Gesundheitspolitik in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1999, S. 46. 120 LEUBUSCHER, Schularzttätigkeit (wie Anm. 75), S. 69 f. 121 Wilhelm SIEGERT, Die Unkeuschheit. Ihre Ursachen, Folgen und wirksame Bekämpfung. Heilung der Onanie und ihre Folgen. Ein Mahnwort an die erwachsene Jugend, an Eltern und Lehrer. Preisschrift des Deutschen Bundes der Vereine für Gesundheitspflege und arzneilose Heilweise, Berlin 31898, S. 8 f. 122 Staatsarchiv Gotha, Akten für das Herzogliche Staats-Ministerium, Dep. II Loc. 88, Nr. 3, Bekämpfung der Kurpfuscherei 1903–1920, Eingabe des Dr. Strünkmann zur Genehmigung einer Akademie für freie, biologische Heilkunst/Broschüre. 123 Hermann LIETZ, Die Bedeutung der Landerziehungsheime vom hygienischen und pädagogischen Standpunkte, in: Hugo SELTER/Ferdinand STEPHANI (Hg.), Verhand-
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In Fragen der Sexualität änderte Leubuscher seine Meinung öfters. So wandte er sich noch 1901 gegen zu viel Betätigung in der Natur und insbesondere das Fahrradfahren, weil dieses die Onanie begünstige.124 Ein Jahr später (1902) empfahl er, Schulkindern das Fahrradfahren näher zu bringen, da dies der Prophylaxe von Herzkrankheiten diene.125 Im gleichen Jahr wischte er Einwände gegen die von ihm favorisierten Schulbäder wegen der Nacktheit der Badenden mit dem Hinweis vom Tisch, die „Prüderie hat noch niemals die Moralität befördert“.126 Ein paar Jahre später, als er die Konkurrenz durch die aufstrebende Sexualreformbewegung zu spüren bekam, stand er der mit „Nacktheit“ verbundenen Sexualaufklärung wieder reservierter gegenüber. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass Leubuscher grundsätzlich einer freien sexuellen Entfaltung der Bürger im privaten wohlwollend gegenüber stand. Anderenfalls hätte er kaum 1899 die Petition Magnus Hirschfelds an den Reichstag zur Abschaffung des „Homosexuellenparagraphen“ §175 unterschrieben.127 Leubuscher stand ab etwa 1905 vor einem weiteren Problem. Die mit der Alkoholfrage verbundene Diskussion um die frühzeitige Einführung der Sexualaufklärung vermischte sich mit der Debatte um eine mögliche Überlastung der Schüler mit immer neuem, aber unnützem Wissen. Die eventuelle „Überbürdung“ der jungen Menschen begünstige deren Abgleiten in neurasthenische Zustände, Hysterie, Alkoholismus und sexuelle Verfehlungen. Die „deutsche Jugend“ schien so als Soldaten und zukünftige Arbeiter untauglich zu werden.128 Die Überforderung der Kinder drohte angeblich den Ausbruch organischer Leiden zu begünstigen, z. B. Kurzsichtigkeit. Diese wurde von einigen Ärzten als Folge juvenilen Alkoholmissbrauchs angesehen.129
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lungen der XII. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege und der IV. Versammlung der Vereinigung der Schulärzte Deutschlands vom 28. bis 30. Mai 1912 in Berlin, Leipzig/Hamburg 1912, S. 93–136, bes. S. 126 f. LEUBUSCHER, Der Schularzt und seine Einführung (wie Anm. 100), S. 608; Zum Zeitkontext siehe Joachim RADKAU, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 2000, S. 219. LEUBUSCHER, Staatliche Schulärzte (wie Anm. 70), S. 45. Ebd., S. 54. Petition an die gesetzgebenden Körperschaften des deutschen Reiches behufs Abänderung des §175 des R.-St.-G.-B. und die sich daran anschliessenden ReichstagsVerhandlungen, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1 (1899), S. 239–269, hier S. 243. Jürgen BENNACK, Gesundheit und Schule. Zur Geschichte der Hygiene im preussischen Volksschulwesen, Köln/Wien 1990, S. 185. P. KSCHISCHO, Alkohol und Volksschule, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 25 (1912), S. 665–681, bes. S. 665.
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Die Myopie galt schon in den 1860er Jahren neben der Rückgratverkrümmung als die klassische „Schulkrankheit“.130 Seit den 1880er Jahren verbanden Kritiker des Schulsystems beide Leiden und stellten das Lernsystem an sich in Frage.131 In der wirkmächtigen Zeitschrift „Die Gartenlaube“ warnten Autoren um 1900, dass diese „Schulkrankheiten“ Anzeichen einer allgemeinen Degeneration des deutschen Volkes sein könnten und setzten so Behörden und Ärzte gleichermaßen unter Druck.132 Leubuscher übernahm die Kritikpunkte und stellte bei eigenen Studien am Gymnasium Meiningen fest, dass von 144 Schülern 49 (34 %) kurzsichtig seien.133 1908 bestätigte er diese Ergebnisse vor dem Landtag und schloss sich Reformvorschlägen nach anderen Tischen, Beleuchtung und Lernmethoden an.134 Schülern mit Rückenproblemen ermöglichte er ab 1899 als eine seiner ersten schulärztlichen Maßnahmen eine speziell auf sie zugeschnittene Gymnastik.135 Diese fand weithin Anerkennung in Deutschland.136 Wahrscheinlich förderte er auch die Einführung einer einheitlichen Schulbank, um die Schüler altersspezifisch vor Rückenleiden bewahren zu können.137 Ein weiteres körperliches Leiden von Schulkindern spielte für Leubuscher eine wichtige Rolle: Die Gesundheit der Zähne. 1911 wurde die Schulzahnarztpflege verpflichtend in Köln eingeführt,138 1912 eröffnete die Medizinalverwaltung im Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha die erste Schulzahnklinik in Thüringen.139 Sachsen-Meiningen folgte 1914. 130 CASTELL-RÜDENHAUSEN, Die Überwindung (wie Anm. 64), S. 203; siehe als zeitgenössisches Beispiel Hermann COHN, Die Kurzsichtigkeit unter den Schulkindern und ihre Beziehungen zu Schultisch und Helligkeit der Schulzimmer. Nach Untersuchungen an 7568 Schülern, in: Deutsche Klinik Zeitung für Beobachtungen aus deutschen Kliniken und Krankenhäusern 18 (1866), S. 64–67; Rudolf VIRCHOW, Ueber gewisse, die Gesundheit benachteiligende Einflüsse der Schulen, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin 46 (1869), S. 447–470. 131 OELKERS, Physiologie, Pädagogik (wie Anm. 63), S. 253. 132 Charlotte TURCK, Die „Gartenlaube“ als Sprachrohr der Kinderheilkunde. Ein Beitrag zur Bedeutung der populärwissenschaftlichen Aufklärung in der deutschen Pädiatrie 1880–1914, med. Diss., Freiburg/B. 1993, S. 57. 133 LEUBUSCHER, Staatliche Schulärzte (wie Anm. 70), S. 40. 134 Verhandlungen des Landtages 1908 (wie Anm. 57), S. 357. 135 LEUBUSCHER, Staatliche Schulärzte (wie Anm. 70), S. 11. 136 Aus Versammlungen und Vereinen. Berliner Verein für Schulgesundheitspflege, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 22 (1909), S. 117–119, bes. S. 117. 137 Zur zeitgenössischen Debatte siehe Georg SICHELSTIEHL/Paul SCHUBERT, Die Nürnberger Schulbank, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 14 (1901), S. 77–85; Wilhelm FRANK, Lehrbuch der Schul-Gesundheitspflege, Mönchengladbach 21909, S. 217. 138 Hans Jürgen APEL/Jürgen BENNACK (Hg.), Hygiene in preussischen Schulvorschriften. Eine Zusammenstellung unter besonderer Berücksichtigung der Rheinlande, Köln 1986, S. 15. 139 Margarete MAU, Die Volksgesundheit in Thüringen. Ihre Entwicklung und ihre Förderung seit 1914, Jena 1930, S. 70.
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Auch in der Frage der „Überbürdung“ schlug er sich auf die Seite der Reformer. Wahrscheinlich teilte er die Sorgen seiner schulärztlichen Kollegen, die nervöse Probleme der Schüler und Kurzsichtigkeit als verschiedene Anzeichen einer größeren Krise interpretierten.140 Er erklärte, die „Überbürdung“ sei gerade in den höheren Lehranstalten gegeben – also den Ausbildungsstätten der künftigen Elite.141 Aus diesem Grunde empfahl Leubuscher die Abschaffung des die Nerven strapazierenden Abiturs.142 Als Abhilfe forderte er die umfängliche Betreuung der Schüler durch engagierte, gut bezahlte und entsprechend motivierte Schulärzte. Diese Strategie sollte langfristig in Deutschland Erfolg haben.143 Auch die pädagogische Arbeit der Lehrer gedachte Leubuscher zu professionalisieren, wozu u. a. die Abschaffung der „drakonischen Strenge“ in den Klassenzimmern gehörte.144 Auf dem Gebiet der Sexualaufklärung und der damit verbundenen Bereiche zur Kontrolle der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen konnte sich Leubuscher 1914 vordergründig als Sieger fühlen. Es war ihm gelungen, die verschiedenen Diskursstränge zugunsten seines Programms der Schulärzte und aufgeklärten Lehrer zu bündeln. Es ist aber zweifelhaft, ob die Meininger Eltern bei der Entwicklung der jugendlichen Sexualität wirklich den (Schul)behörden den Vortritt gegenüber dem eigenen Nachwuchs überließen oder sich lieber auf volksaufklärerische Schriften wie die höchst erfolgreichen naturheilkundlichen Broschüren von Franz Schönenberger (1865– 1933) und Wilhelm Siegert verließen.145 Letztendlich aber stand Leubuscher am Ende seiner Amtszeit vor einem großen Problem: Dem kleinen Staat SachsenMeiningen ging das Geld aus. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems aber erfolgte im Ersten Weltkrieg. Schon im Herbst 1914 kam es aufgrund des Zusammenbruchs der Exportindustrie zu einer Verarmungswelle und einem Anstieg der Krankenzahlen.146 Georg Leubuscher räumte in einem Brief an seine Tochter Charlotte (1888– 1961) im Herbst 1915 ein, dass das Landeskrankenhaus auf einen solchen Ansturm nicht vorbereitet war.147 Die Verbreitung der Tuberkulose nahm wieder
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Aus Versammlungen und Vereinen (wie Anm. 136), S. 118. LEUBUSCHER, Ziele der schulärztlichen (wie Anm. 78), S. 334. Ebd., S. 335. OELKERS, Physiologie, Pädagogik (wie Anm. 63), S. 276. LEUBUSCHER, Über Notwendigkeit (wie Anm. 36), S. 344. SAUERTEIG, Krankheit, Sexualität, Gesellschaft (wie Anm. 119), S. 230. Friedrich FACIUS, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. V/2 (Mitteldeutsche Forschungen, 48/V, 2), Wien 1978, S. 300 u. 302. 147 ThStAM, Best. 497230 (Nachlass Leubuscher), Nr. 31, 23. Oktober 1915 Georg Leubuscher an Charlotte Leubuscher.
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zu.148 Viele Krankenschwestern wurden an die Ostfront dienstverpflichtet, andere mussten zusätzlich im neu geschaffenen Reservelazarett in Meiningen arbeiten.149 1918 drohte dem Herzogtum endgültig der Staatsbankrott.150 Die schulärztlichen Dienste in Deutschland wurden insgesamt schon kurz nach Kriegsbeginn erheblich reduziert.151 In seiner täglichen Arbeit als Arzt im Landeskrankenhaus Meiningen sah Leubuscher sich mit den Schrecken des Krieges konfrontiert. Angesichts dieser Erfahrungen radikalisierte sich sein Weltbild und er widmete sich in seiner letzten Publikation einem Gebiet, dem er vor 1914 keine Beachtung geschenkt hatte, der Verbreitung der Abtreibung in Thüringen.152 Er schlug vor, den Zugang zu abtreibungserleichternden Mitteln durch nichtärztliches Personal zu verbieten.153 Damit stimmte er in den Chor derjenigen Ärzte ein, die teilweise schon vor 1914 vor einem scheinbar drohenden „Rassetod“ gewarnt und eugenische Gegenmaßnahmen gefordert hatten.154 Schließlich erfuhr Leubuscher für sein Lebenswerk doch noch Anerkennung durch das Reichsgesundheitsamt, in dessen Beirat er 1916 berufen wurde. Doch noch ehe er sich dieser Aufgabe widmen konnte, starb er am 27. Februar 1916 in Meiningen. So schied er rechtzeitig genug aus dem Leben, um den Kollaps seines Lebenswerks im „Kohlrübenwinter“ 1916/17 nicht mehr verfolgen zu müssen. Erst in den 1920er Jahren wurde im neuen Freistaat Thüringen an die Vorarbeiten Leubuschers angeknüpft, ohne dass dabei sein Name Erwähnung fand.
148 Sylvelyn HÄHNER-ROMBACH, Sozialgeschichte der Tuberkulose. Vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unter besonderer Berücksichtigung Württembergs, Stuttgart 2000, S. 260 f. 149 ThStAM, Staatsministerium, Abt. Inneres, Akt 2078, Dreizehnter Jahresbericht der Herzog Georg Stiftung für Krankenpflegerinnen 1914, Meinigen 1915, S. 5 u. 14. 150 ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik (wie Anm. 6), S. 255. 151 Martin HAUPT, Probleme der schulärztlichen Tätigkeit dargestellt an der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 1888–1938, med. Diss., Bonn 1963, S. 20. 152 Georg LEUBUSCHER, Krimineller Abort in Thüringen, in: Vierteljahresschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen 50 (1915), S. 1–36. 153 Ebd., S. 36. 154 Anna A. BERGMANN, Von der „unbefleckten Empfängnis“ zur „Rationalisierung des Geschlechtslebens“. Gedanken zur Debatte um den Geburtenrückgang vor dem ersten Weltkrieg, in: Christine KULKE (Hg.): Rationalität und sittliche Vernunft. Frauen in der patriarchalen Realität, Pfaffenweiler 1988, S. 164–186, hier S. 164.
CHRISTINE FREYTAG DAS VOLKSSCHULWESEN UNTER GEORG II.
Das Volksschulwesen unter Georg II. Entwicklungen und Impulse im Herzogtum Sachsen-Meiningen
Die Politik Georg II. ist gekennzeichnet durch zahlreiche Gesetzgebungen und Erlasse, mit denen das Herzogtum Sachsen-Meiningen liberalisiert und die Entwicklungen in Deutschland vorangetrieben werden sollten. Vor allem im schulischen Bereich wird dies durch eine Vielzahl an Verordnungen und Erlassen zwischen 1875 und 1908 deutlich: Herzog Georg II. wollte insbesondere das Volksschulwesen ‚neu‘ gestalten und erließ im März 1875 das „Volksschulgesetz“, welches die Aufgaben und die Verwaltung der Volksschulen, deren Errichtung und Unterhaltung, Unterrichtsgegenstände, Schulpflicht und Schulbesuche sowie die Ausbildung und Anstellung von Volksschullehrern und -lehrerinnen festlegte. Zudem wurden die Führung von Kleinkinderschulen, Fortbildungsschulen, Mittelschulen, Rettungshäusern und der Privatunterricht geregelt. Er setzte sich zudem für eine Gleichberechtigung der Frau in akademischen und auch pädagogischen Berufen ein, was vor allem in der Neuauflage des Volksschulgesetzes vom Januar 1908 deutlich wird. Zuvor trat allerdings im April 1904 ein „Allgemeiner Lehrplan“ für das Volksschulwesen in Kraft, worin die Lehr- und Unterrichtsziele sowie die Inhalte und Methoden der einzelnen Fächer klar organisiert wurden. Überdies errichtete Georg II. eine eigenständige Schulverwaltung, führte die ärztliche Untersuchung von Schülern ein und bemühte sich, körperliche Strafen und Züchtigungen in der Schule abzuschaffen. Gleich zu Beginn seiner Regierungszeit 1866 baute er sich bis zum Jahr 1890 mit Albrecht Otto Giseke, Friedrich Heim sowie Friedrich von Uttenhoven eine Regierungsspitze für kirchliche und schulische Angelegenheiten auf, um diese Vorhaben zu verwirklichen.1 Sein Ziel war es, die Impulse seines Vaters Bernhard II. weiterzuverfolgen,2 nachdem dieser auf Druck Preußens abdanken musste.3 1 2
Vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 21999, S. 232 u. 470. Herzog Bernhard II. sorgte „für die geistige und sittliche Bildung seines Volkes; er ist Freund des öffentlichen Gottesdienstes und weiht seine besondere Aufmerksamkeit den Schulen und Bildungsanstalten seines Landes, sowohl den Gelehrten-, Real-, Gewerbund Industrieschulen, als auch dem Schullehrerseminar, den Volksschulen, Kleinkinderbewahranstalten und Gewerb- und anderen Vereinen.“ (David VOIT, Das Herzogthum
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CHRISTINE FREYTAG
Ein Blick zurück in die aktive Regierungszeit Bernhards von 1821–1866 und in einschlägige pädagogische Fachlexika4 aus dieser Zeit lassen erkennen, dass durch die Reformation im 16. Jahrhundert und die Reformation des Schulwesens unter Herzog Ernst dem Frommen von Sachsen-Gotha-Altenburg in der Mitte des 17. Jahrhunderts die Schulen in den herzoglichen thüringischsächsischen Ländern relativ übereinstimmend organisiert waren. Der „Gothaer Schulmethodus“, als Schulordnung von Andreas Reyher verfasst, fand ab 1642 Eingang in die Herzogtümer Meiningen, Coburg-Gotha und Altenburg sowie Weimar.5 Doch besonders das Herzogtum Sachsen-Meiningen gestaltete das Schulwesen neu aus, welches vor allem auf den Bestrebungen Herzog Bernhards II.6 und des Oberkonsistorialrats Ludwig Nonne basierte.7 Nonne selbst war Schüler Johann Heinrich Pestalozzis und wird in der „Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens“ als „Organismus der Meininger Volksschule“8 bezeichnet, da er die zukünftigen Lehrer in der Methode Pestalozzis ausbildete.9 Neben Schulversäumnisstrafen führte er regelmäßige
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Sachsen-Meiningen, historisch, statistisch, geographisch und topographisch dargestellt für Schule und Haus, Gotha 1844, S. 120). Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 86, 145, 150– 152 u. 160. Vgl. WEIDEMANN, Die sächsischen Herzogthümer, in: Karl Adolf SCHMID (Hg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Bd. 7, Gotha 1869, S. 485; vgl. E. PETZOLDT, Sächsische Herzogthümer, in: DERS. (Hg.), Handwörterbuch für den Deutschen Volksschullehrer, Bd. 2, Dresden 1874, S. 142; vgl. D. EBERHARD, S.-Meiningen, in: Ernst Max ROLOFF (Hg.), Lexikon der Pädagogik, Bd. 4, Freiburg im Breisgau 1915, Sp. 485. Vgl. WEIDEMANN, Herzogthümer (wie Anm. 4), S. 485. Bereits 1804 wurde im Herzogtum eine Landesschulkommission unter Leitung des Generalsuperintendenten Dr. Genßler, des Regierungsrats Eusebius Lotz sowie des Amtmanns Fr. Bartenstein gegründet, welche sich für die Ausbildung der Lehrer, Schulbücher, Schulhäuser, Schulversäumnisstrafen, das Schuleingangsalter mit fünf Jahren und den Besuch der Schule auf acht Jahre einsetzten (vgl. Armin HUMAN, Chronik der Landdiözese Hildburghausen, I. Teil: Allgemeines, Kulturgeschichtliches. XIII. Schulwesen, in: Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde, 81 (1922), S. 96.). Vgl. PETZOLDT, Sächsische Herzogthümer (wie Anm. 4), S. 144; vgl. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen, in: Karl Adolf SCHMID (Hg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Bd. 7, Gotha 1869, S. 514; vgl. Gustav Adolf LINDNER, Sächsische Herzogthümer, in: DERS. (Hg.), Encyklopädisches Handbuch der Erziehungskunde mit besonderer Berücksichtigung des Volksschulwesens, Wien/Leipzig 1884, S. 762. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 514. Vgl. zur Lehrerbildung im Herzogtum auch den Bericht des Lehrers Johann Caspar Knopf (1790–1859), welcher im Landesschullehrerseminar Hildburghausen ausgebildet und in Schweickershausen als Lehrer angestellt wurde: Rainer SCHELLER, Reformer Schulmeister Nachbar. Johann Caspar Knopf (21. Januar 1790–9. Februar 1859) – Das Leben im Grabfeld in den Jahren bis 1814/1817 nach den Tagebüchern und weiteren
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Lehrerkonferenzen und den ganzjährigen Schulbesuch auf dem Land ein. Zudem wurden die Lehrergehälter angehoben und Lehrgegenstände wie Wandtafeln, Schwämme, Kreide, eine Lesemaschine oder auch Wandkarten und Lehrbücher10 festgelegt.11 So sind nach den „Schriften des Vereins für SachsenMeiningische Geschichte und Landeskunde“ 1904 rückblickend auf das Jahr 1847 290 Schulen mit 373 Lehrern und 27 194 Schülern sowie die Errichtung von Fortbildungsschulen zur Erhaltung, Festigung und Erweiterung der Kenntnisse der Volksschule mit Praxisbezug festzuhalten. Auch wurde bereits zehn Jahre zuvor, also 1837, eine Lehrerwitwenkasse für Hinterbliebene eingeführt.12 Das „Herzogliche Staatsministerium für Kirchen-und Schulensachen“ wurde nach dem Konsistorium ab 1848 zur landesherrlichen Oberbehörde erklärt und besaß die Aufsicht über alle äußeren und inneren Angelegenheiten des gesamten Schulwesens im Herzogtum.13 Die Aufsicht über die Ortsschulen besaßen dabei
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Quellen. Ein Beitrag zur Geschichte der Lebensweise und des Alltags in Deutschland, Leipzig/Hildburghausen 2007, vor allem S. 17–66, 213–230. Dazu gehören „der lutherische kleine Katechismus, die Bibel, das Gesangbuch und eine Bearbeitung der biblischen Geschichte“ sowie für das Fach Deutsch „die verschiedenen Lehrstufen Lesebücher“ (WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen [wie Anm. 7], S. 518). Ebenso sind Hinweise auf Lehrbücher bei HUMAN, Chronik der Landdiözese Hildburghausen (wie Anm. 6) zu finden. Hier zählt er Schulbücher auf, die ihm bekannt geworden sind und auch in Hildburghausen verwendet wurden. Dazu zählen u. a.: das „Teutsche Lesebüchlein für die Schulen in den S. Hildburghäusischen Landen“ aus dem Jahr 1825, das „Gothaische[s] Rechenbüchlein“, „Götz’s Schreibvorschriften“, „Rochows Kinderfreund“, ab 1793 „Koppes Katechismuserklärung“ sowie „G. Rosenmüllers Religionsgeschichte und erster Religionsunterricht“, 1817 „Nonnes klassisches Reformationsbüchlein“, 1821 „Hübners biblische Historien, Dinters Schullehrerbibel für den Lehrer, F. Kühnholds Rechenbüchlein, H. Stephanis Wandfibel und Lesetabellen, Nägelis Gesangsschule“, ab 1847 das „Thüringische Lesebuch“ und „Fiedlers biblische Historien“, dann 1853 „K. Kühners Kinderfreund und Festlehre, Bogenhardts Liederbüchlein, Marbachs arithmetisches Exempelbüchlein, K. Ackermanns Spruchbuch, A. Weidemanns und E. Wölfings Katechismuserklärungen“, ab 1865 „Hungers Wandfibel“ und „H. Peters Geographie für Volksschulen, Erhardts Wandkarten, Greßlers Naturgeschichte (für den Lehrer)“, ab 1870 „Karten von Handtke und Sohr, Globus von Schotte“, ab 1877 „Geißlers Wandbilderatlas der Vögel, C. Kehrs Geometrie (für den Lehrer)“ und „E. Schäffers Wandkarte der Thüringischen Staaten“, ab 1916 das „Biblische[s] Lesebuch von Schäfer-Rahlwes, Rechenbücher von Erck und Barnikol, Chr. Mühlfelds Liederbuch“ oder auch das „Thüringische[s] Lesebuch (I–III)“ (vgl. HUMAN, Chronik der Landdiözese Hildburghausen [wie Anm. 6], S. 101 f.). Vgl. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 515–518. Vgl. Ludwig HERTEL, Neue Landeskunde des Herzogtums Sachsen-Meiningen, Heft 11: Geschichtliches. Politische Geschichte von den frühsten Zeiten an bis auf die Gegenwart, Zweiter Teil: Meiningische Geschichte von 1680 bis zur Gegenwart, Erste Hälfte: Bis zum Regierungsantritt von Herzog Bernhard II. (1821), in: Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde 50 (1904), S. 344. Vgl. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 524; vgl. Armin HUMAN, Die Reformation in Kirche und Schule des Herzogtums Sachsen-Meiningen, in:
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die Lokalkirchen- und Schulvorstände und somit vor allem der Ortsgeistliche bzw. der Ephorus in seiner Funktion als Oberpfarrer. Zu den Schulvorständen im nichtkirchlichen Bereich gehörten Lehrer, Rektoren oder auch der Bürgermeister.14 Für das Schulwesen traten in der Folge verschiedene Gesetze in Kraft: Moritz Seebeck verfasste für die beiden Gymnasien in Meiningen und Hildburghausen am 24. November 1836 eine „Verordnung, die Ordnung der beiden Landesgymnasien in Meiningen und Hildburghausen betr.“,15 welche noch bis in Georgs Zeiten hinein gültig blieb. Die 1842 erlassene „Verordnung“ für die beiden Realschulen in Meiningen und Saalfeld wurde in Anlehnung an die Gymnasialordnung von Dr. Kießling, Direktor des Joachimsthaler Gymnasiums in Berlin, verfasst und sollte verstärkt auf den Beruf vorbereiten.16 Mit der „Verordnung vom 7ten April 1845, über die Zeit der Einführung, Confirmation und Entlassung der Schulkinder“17 wurde die Schulzeit für Jungen und Mädchen in den Städten vom 6. bis zum 14. Lebensjahr auf acht Jahre, für Jungen und Mädchen auf dem Land vom 6. bis zum 13. Lebensjahr auf sieben Jahre festgelegt.18 Im Sommer 1846 wurde angeordnet, dass die Begutachtung des inneren und äußeren Zustandes von Kirchen und Schulen von Geistlichen und Mitgliedern des Herzoglichen Konsistoriums durchgeführt werden sollte.19 Im Juni 1862 wurden alle bisherigen Lehrerwitwenkassen aus dem Herzogtum zu einer gemeinsamen vereinigt20 und die Besoldung der Volksschullehrer 185621
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Gustav SCHOLZ (Hg.), Die Reformation und ihre Wirkung in Ernestinischen Landen. Gedenkblätter zur Jubelfeier der Reformation, Bd. 3, Leipzig 1917, S. 58. Vgl. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 525. Vgl. Verordnung, die Ordnung der beiden Landesgymnasien in Meiningen und Hildburghausen betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen-Meiningen (im Folgenden: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen), Bd. 3: Enthält die Verordnungen von den Jahren 1835–1836, Meiningen 1835, S. 229 f.; vgl. außerdem WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 530. Vgl. Verordnung vom 11. Mai 1842, die Ordnung der beiden Realschulen in Meiningen und Saalfeld betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen. Enthält die Verordnungen vom 20. Jul. 1841 bis zu Ende des Jahres 1842, Bd. 6, Meiningen 1841, S. 279 f.; vgl. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 532. Vgl. Verordnung vom 7ten April 1845, über die Zeit der Einführung, Confirmation und Entlassung der Schulkinder, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 8: Enthält die Verordnungen von den Jahren 1845, 1846 und 1847, Meiningen 1845, S. 1–3; vgl. außerdem HUMAN, Chronik der Landdiözese Hildburghausen (wie Anm. 6), S. 78. Vgl. WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 516. Vgl. Verordnung vom 4. Juli 1846, die Kirchen- und Schulvisitationen betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 8 (wie Anm. 17), S. 179–182. Vgl. Gesetz vom 11. Juni 1862, betreffend die Vereinigung der verschiedenen LehrerWittwenkassen und die Errichtung einer allgemeinen Lehrer-Wittwenkasse, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 15: Enthält die vom 1. Januar bis 27. August 1862 ausgegebenen Verordnungen, Meiningen 1862, S. 42–54.
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und 186222 angehoben und weiter nach Dienstort abgestuft. Zwar existierte nach der „Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens“ 1869 im Herzogtum Sachsen-Meiningen kein allgemeines Schulgesetz für die Volksschule, „trotzdem bildet[e] das Volksschulwesen einen auf gesetzlicher Basis ruhenden wohlgeordneten und lebenskräftigen Organismus“.23
1. Das Volksschulgesetz 1875 In der „Real-Encyclopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens nach katholischen Principien“ aus dem Jahr 1884 ist nachzulesen, dass das Volksschulgesetz vom 22. März 1875 „die bestehende Schulgesetzgebung durchgreifend ändert[e]“.24 Georg II. war, wie auch sein Vater, der Annahme, dass der Staat die höchste Verpflichtung gegenüber der Erziehung und Bildung seines Volkes besitzt, da dadurch die Sittlichkeit angehoben und grundlegende Kenntnisse vermittelt werden sollten.25 Mit der Volksschulgesetzgebung fand damit unter Georg, so schrieb es Schmidt 1886 im „Bericht über das Schulwesen des Kreises Meiningen“, eine „Reorganisation des Volksschulwesens im Herzogtume“26 statt und Sachsen-Meiningen zählte damit „im Schulwesen zu den fortschrittlichsten Bundesstaaten“27 in Deutschland. Gleich im ersten Artikel des Volksschulgesetzes ist die Funktion der Volksschule klar formuliert: Die Volksschule hat die Aufgabe, ihren Zöglingen unter sorgsamer Berücksichtigung des körperlichen Gedeihens derselben durch Unterricht, Uebung und Erziehung die Grundlagen religiös-sittlicher und nationaler Bildung und die für das bürgerliche Leben notwendigen allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten zu gewähren.28
21 Vgl. Gesetz vom 13. Mai 1856, die Verbesserung des Diensteinkommens der Volksschullehrer betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 12: Enthält die Verordnungen von den Jahren 1855 und 1856, Meiningen 1855, S. 239–241. 22 Vgl. Gesetz vom 23. Juni 1862, die Verbesserung des Diensteinkommens der Volksschullehrer betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 15 (wie Anm. 20), S. 119–122. 23 WEIDEMANN, Das Herzogthum S. Meiningen (wie Anm. 7), S. 526. 24 Hermann ROLFUS/Adolph PFISTER, Sachsen-Meiningen, in: DERS. (Hg.), Real-Encyclopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens nach katholischen Principien, Bd. 5, Mainz 1884, S. 300. 25 Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 246. 26 R. SCHMIDT, Bericht über das Schulwesen des Kreises Meiningen und der Bezirke Themar-Römhild in den Jahren 1875/76–1885/86, Meiningen 1886, S. 3. 27 EBERHARD, S.-Meiningen (wie Anm. 4), Sp. 485. 28 Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: Ludwig GREINER, Volksschulgesetzgebung im Herzogtum S.-Meiningen. Sammlung der noch gültigen Gesetze, Ausschreiben und
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Um dies zu erreichen wurden in den Städten und auf den Dörfern ein- und mehrklassige Volksschulen eingerichtet: Einklassige Volksschulen bestanden aus einer unteren, mittleren und oberen Abteilung, welche gemeinsam von Jungen und Mädchen besucht werden konnten. Beim Unterricht konnten jeweils zwei aufeinanderfolgende Klassen miteinander kombiniert werden – also bspw. die untere und die mittlere oder die mittlere und die obere Klasse. Ab 61 Schülern musste eine neue Klasse eingerichtet werden und ein Lehrer sollte nicht mehr als insgesamt 120 Kinder unterrichten. In mehrklassigen Volksschulen durften nicht mehr als 60 Schüler eine Klasse besuchen. Vor allem Schulen in größeren Städten mussten demzufolge Parallelklassen einrichten und somit mehrklassig werden. Ab drei Klassen wurden dann Jungen und Mädchen in den oberen Klassen getrennt voneinander unterrichtet29 und ab vier Klassen war ein Rektor an der Schule einzusetzen, „der zugleich die Stelle des ersten Lehrers verwaltet“30 und mit der Schulaufsicht betraut war.31 In einklassigen oder kleineren mehrklassigen Schulen übernahm der erste Lehrer diese Aufgabe. Es wurden 32, maximal 36 Stunden in der Woche gelehrt und der Unterricht fand das ganze Jahr über, bis auf 60 Tage Ferien, statt. Zu den Unterrichtsfächern gehörten neben Deutsch und Rechnen vor allem Religions- und Sittenlehre. Dabei konnten Kinder entsprechend ihrer Konfession Religionsunterricht erhalten. Konfessionslose Kinder hatten allerdings an einem Religionsunterricht einer anerkannten Religion teilzunehmen oder diesen Unterricht durch privaten zu ersetzen. Weiter wurden Formenlehre, Natur- und Erdkunde, Geschichte, Gesang, Zeichnen, Turnen für die Knaben, Gymnastik und Handarbeiten für die Mädchen gelehrt.32 Wichtig war dabei, dass der Unterricht das „Fassungsvermögen der Kinder nicht“ 33 übersteigt. Die „Schulzucht“ war streng, aber geprägt von einem „väterlichen Charakter“.34 Allerdings durfte die „körperliche Züchtigung […] nur ausnahmsweise“35 angewendet werden. Wenn ein Lehrer zu viel oder unangemessen züchtigte, konnten strafrechtliche Konsequenzen oder auch Disziplinarverfahren bis hin zur Suspendierung in die Wege geleitet werden.36 Lehrer wurden bei „fleischliche[m] Vergehen[s] und Verletzung des Schamgefühls
29 30 31 32 33 34 35 36
Reskripte inbetreff des Volksschulwesens im Herzogtum S.-Meiningen, nebst einem Inhalts-Verzeichnis, einer chronologischen Zusammenstellung des Inhalts und einem Sachregister, Pößneck 1903, S. 1. Vgl. ebd., S. 1–4. Ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 2 f. u. 12. Ebd., S. 2. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 22.
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der Schulkinder“37 oder unsittlichen und anstößigen Handlung aus dem Dienst entlassen und bekamen die „bürgerlichen Ehrenrechte“38 aberkannt. Für die Volksschule musste zudem ein eigenes Gebäude zur Verfügung gestellt werden, „welches nach Lage, Größe, Einrichtung und Ausstattung den Bedürfnissen des Unterrichts genügt und den Anforderungen der Gesundheitspflege entspricht“.39 Dem alleinigen Lehrer bzw. dem Rektor waren ferner eine Wohnung und Wirtschaftsräume in der Schule bereit zu stellen. Die Errichtung und Unterhaltung der Volksschulen oblag den Gemeinden, wobei sich eine Gemeinde auch mit anderen Gemeinden zusammenschließen konnte. Ebenso konnte eine Religionsgemeinschaft eine eigene Volksschule bei Selbstübernahme der Kosten gründen. An der Stelle der Gemeindebehörde stand hier dann allerdings der Vorstand der Religionsgemeinde. Von der Gemeinde konnte für den Schulbesuch Schulgeld erhoben werden. Die Kosten für ein Jahr beliefen sich je nach Stadt oder Land bzw. danach, wie viele Geschwisterkinder bereits zur Schule gingen, zwischen zwei Mark und 50 Pfennig und zehn Mark, wobei das Schulgeld für arme, bedürftige Eltern erlassen werden konnte.40 Darüber hinaus bestand im Herzogtum Sachsen-Meiningen Schulpflicht: Alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren hatten die Volksschule zu besuchen; eine Befreiungen war nur bei körperlicher oder geistiger „Unfähigkeit zur Teilnahme am Unterrichte“41 möglich. Alternativ konnten die Schülerinnen und Schüler auch privaten Unterricht erhalten, eine höhere Schule oder ein Erziehungsinstitut im In- und Ausland besuchen. Eltern hatten aber dafür zu sorgen, dass das Kind zum gesetzlich festgelegten Zeitpunkt eingeschult wurde und die Schule regelmäßig besuchte. Falls ein Kind nicht zum Unterricht erscheinen konnte, musste dies vorher beantragt werden. War eine Beantragung im Vorfeld nicht möglich, musste diese nachträglich erfolgen. Fand keine Anzeige im Vor- oder Nachhinein statt, wurde eine Strafe von 20 Pfennig für jeden teilweisen oder ganz versäumten Unterricht am Vor- bzw. Nachmittag erhoben. Wiederholte sich das unentschuldigte Versäumnis innerhalb von vier Wochen, wurde die Strafe auf 50 Pfennig für den halben und bis zu 1 Mark für den gesamten Schultag angehoben. Wurde das Strafgeld nicht innerhalb von acht Tagen gezahlt, fand eine Umwandlung der Geldstrafe in Haft statt.42 37 Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen. Enthält die von 1874 bis 1877 ausgegebenen Verordnungen, Bd. 20, Meiningen 1874, S. 191. 38 Ebd. 39 Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 4. 40 Vgl. ebd., S. 4–7. 41 Ebd., S. 10. 42 Vgl. ebd., S. 10–12.
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Bei den Volksschullehrern war zwischen ordentlichen und außerordentlichen Lehrern zu unterscheiden: Ordentliche Volksschullehrer waren „Hauptlehrer, welche den Hauptunterricht an einer Schule oder Klasse zu erteilen haben“.43 Jeder ordentliche Volksschullehrer musste bis zu 32 Stunden in der Woche unterrichten.44 Außerordentliche Lehrer waren „Fachlehrer, welche nur für einzelne Unterrichtsfächer […] angestellt sind“.45 Die Anstellung der Lehrer konnte dabei fest oder vorläufig bzw. provisorisch, also befristet oder unbefristet, sein. Predigt- und Pfarramtsanwärter sowie Geistliche konnten ohne Nachweis einer Befähigung als Religionslehrer eingestellt werden.46 Die Ausbildung eines ordentlichen Volksschullehrers erfolgte in dem vom Staat eingerichteten Schullehrerseminar – übrigens erstmals von Herzog Carl im Jahr 1776 in Meinigen errichtet, welches auch zugleich eines der ersten Lehrerseminare in Deutschland war.47 Wer darüber hinaus Rektor werden mochte, hatte das sogenannte „Rektorexamen“ abzulegen, wofür ein mindestens dreijähriges akademisches Studium sowie Kenntnisse in Latein, Englisch oder Französisch vorzuweisen waren.48 Die Lehrer an Volksschulen [waren] verpflichtet, alle mit ihrem Amt verbundenen Geschäfte gewissenhaft zu besorgen, ihre Unterrichtsstunden regelmäßig und pünktlich zu halten, überhaupt den von den Schulbehörden ausgehenden Vorschriften und Anordnungen pünktlich zu entsprechen.49
Von ihnen wurde demzufolge sittliches, ehrenhaftes Verhalten erwartet und sie sollten als Vorbild für die Schüler fungieren. Ferner mussten sie Lehrerkonferenzen und Fortbildungen besuchen50 und bei einer Heiratsabsicht eine „dienstliche Erlaubnis“51 bei der Oberschulbehörde einholen. Lehrerinnen hingegen, welche während der Dienstzeit heirateten, hatten ihre Anstellung auf Veranlassung der Oberschulbehörde niederzulegen.52 Frauen konnten im Übrigen als Lehrerinnen eingestellt werden, wenn sie den Handarbeitsunterricht abhielten
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 19. Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 13 u. 38. Vgl. ebd., S. 14. Vgl. hierzu auch Hans TÜMMLER, Die Zeit Carl Augusts von Weimar 1775–1828, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. V/1, 2. Teilbd. (Mitteldeutsche Forschungen, 48/V, 1, 2), Köln/Wien 1984, S. 707. Vgl. Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 14 f. Ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 15–19. Ebd., S. 22. Vgl. Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 20 (wie Anm. 37), S. 192.
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und dazu die „technische und moralische Befähigung“53 besaßen. Das heißt, sie sollten den Besuch eines Lehrerinnenseminars vorweisen oder eine entsprechende Prüfung bei der Oberschulbehörde abgelegt haben. Dann konnten sie auch einzelne Fächer, den Klassenunterricht in den ersten drei Schuljahren und die Mädchenklassen übernehmen.54 Wenn ein fest angestellter Lehrer das 70. Lebensjahr erreichte bzw. sich im 50. Dienstjahr befand, konnte er in den Ruhestand gehen und weiter das volle Gehalt und Alterszulagen beziehen. Provisorisch eingestellte Lehrer hatten hingegen kein Recht auf Pensionsansprüche. Die Witwe, eheliche Kinder oder Erben eines verstorbenen ordentlich angestellten Lehrers hatten noch bis zum Ende des Sterbemonats sowie bis zu drei Monate danach Anspruch auf seine Besoldung bzw. seine Rente und konnten für diese Zeit die Dienstwohnung nutzen und die Alterszulage beziehen.55 Georg II. hat überdies einen sehr komplexen Verwaltungsapparat für das Schulwesen aufgebaut und in dem Volksschulgesetz verankert, der hier in seinen Grundzügen vorgestellt wird (Abb. 1).
Abb. 1: Verwaltungsapparat für das Schulwesen 53 Ebd. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 24–27.
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Die Oberschulbehörde war die Ministerialabteilung für Schul- und Kirchensachen und besaß die oberste Leitung und Aufsicht des gesamten Schulwesens. Der Schulrat stellte das Referat für Schulsachen der Oberschulbehörde und für Schulvisitationen dar und hatte alle fünf Jahre jede Volksschule hinsichtlich ihres äußeren und inneren Zustandes zu überprüfen und die Ergebnisse der Oberschulbehörde zu melden. Aufgaben der Oberschulbehörde waren: Gesetze entwerfen und erlassen, die Einrichtung und Aufsicht des Lehrerseminars, Anstellungen von Lehrern, die Verteilung der Staatsmittel auf die Schulen, Lehrplanaufstellungen und Auswahl der Lehrbücher, die Regelung der Lehrerbesoldung, die Leitung von Disziplinarverfahren und Ernennung von Kreisschulinspektoren. Kreisschulinspektoren beaufsichtigten ebenfalls das gesamte Schulwesen und besuchten die Schulen ihres jeweiligen zugeteilten Kreises. Zu ihren primären Aufgaben gehörte es, die neu angestellten Lehrer ins Amt einzuführen, Stundenpläne in den Schulen zu prüfen sowie die Verwendung und Anzahl von Lehrbüchern und Lehrapparaten in den Schulen zu überwachen. Ferner mussten sie bei ihrem Schulbesuch darauf achten, dass die rechtlichen Vorschriften zur Aufnahme und Entlassung von Schulkindern eingehalten wurden und Disziplin, Ordnung und Zucht in der Schule herrschte. Sie überprüften außerdem die Nebentätigkeiten des Lehrers, den Zustand des Lehrerzimmers und auch seine Dienstwohnung und leiteten die Lehrerkonferenzen in ihrem Wirkungskreis. Sobald sie Mängel oder Missstände feststellten, meldeten sie diese dem Kreisschulamt. Das Kreisschulamt setzte sich aus dem Herzoglichen Landrat (in kleineren Städten ist dies auch der erste Bürgermeister) und dem Kreisschulinspektor zusammen. Der herzogliche Landrat wurde, ebenso wie der Kreisschulinspektor, von der Regierung eingesetzt. Gemeinsam besaßen sie die Aufsicht über den Unterrichtsbetrieb, die Tätigkeit der Lehrer und die Leitung des Schulwesens in ihrem jeweiligen Kreis. Schulangelegenheiten wurden in den Gemeinden von den entsprechenden gesetzlichen Behörden verwaltet – und zwar vom Schulvorstand der Gemeinde. Der Schulvorstand bildete die Spitze des Ortsschulwesens und stellte damit die untere Schulbehörde dar. Er bestand aus dem Bürgermeister bzw. dem Ortsvorsteher, aus dem Rektor bzw. dem ersten Lehrer sowie aus drei Gemeindemitgliedern des Gemeinderats, welche übrigens auch Geistliche sein konnten.56 Aufgaben des Schulvorstandes waren es, die Ortsschulen und das Schulgebäude, das Grundstück, das Schulinventar und die Schulausstattung zu beaufsichtigen sowie das dienstliche und private Verhalten des Lehrers zu kontrollieren. Bei Streitigkeiten zwischen Lehrern und Eltern oder Lehrern untereinander hatten sie eine Mittlerfunktion und mussten eingreifen und schlichten. Der Schulvorstand musste alle drei Jahre den Ortsschulaufseher aus seiner Mitte heraus wählen, der wiederum den Lehrer bei 56 Vgl. ebd., S. 43–50.
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seinen Aufgaben unterstützte. Die unmittelbare Aufsicht über die jeweilige Schule und die Vertretung dieser nach außen hin hatten die Rektoren oder erste Lehrer zu übernehmen. Zudem überwachten sie die Einhaltung des Lehrplans und des Unterrichts und sorgten für die Anschaffung von Lehr- und Lernmitteln.57 Mit dieser Verwaltungsstruktur wurde alles und jeder – vor allem aber der Lehrer – bis auf die Oberschulbehörde selbst kontrolliert und die Geistlichen zunehmend aus dem schulischen Bereich verdrängt. Sie hatten nur noch die Möglichkeit, den Religionsunterricht zu leiten und in den Schulvorstand gewählt zu werden. Neben der Volksschule gab es weitere schulische Einrichtungen im Herzogtum Sachsen-Meiningen, welche ebenfalls beaufsichtigt und überprüft wurden: Kleinkinderschulen bzw. Kindergärten fungierten als öffentliche Erziehungs- und Unterrichtsanstalten für Kinder im noch nicht schulpflichtigen Alter. Der Unterricht war in Anlehnung an Friedrich Fröbels Anschauungsunterricht ausgerichtet und durfte der Volksschule nicht vorgreifen.58 Fortbildungsschulen besaßen die Aufgabe, „die aus der Volksschule entlassenen Knaben in den erlangten Kenntnissen und Fertigkeiten, welche vorzugsweise für das bürgerliche Leben förderlich sind, weiter zu führen“.59 Für jede Schulgemeinde sollte es mindestens eine Fortbildungsschule geben und so die Schulpflicht noch um zwei Jahre und somit bis zum 16. Lebensjahr für die Knaben verlängert werden – es sei denn, sie besuchten eine weiterführende höhere Schule oder erhielten Privatunterricht. Mädchen, welche aus der Volksschule entlassen wurden, konnten ebenfalls für zwei Jahre eine Fortbildungsschule explizit für Mädchen besuchen, wenn eine solche in der Gemeinde eingerichtet war. Neben der Volksschule konnten in einer Gemeinde auch Schulen ohne Schulpflicht, sogenannte Mittelschulen, eröffnet werden, welche über das Konfirmandenalter hinausgingen. Dabei mussten sie aber den Lehrplan der Volksschulen weiter verfolgen, ohne das Ziel der höheren Schulen, wie Gymnasien oder Realschulen, anzustreben.60 Darüber hinaus wurden Rettungsanstalten „für die Erziehung 57 Vgl. ebd., S. 20. 58 Vgl. ebd., S. 51. 59 Ebd.; 1922 schrieb Armin Human über die Fortbildungsschule, dass immer noch in der Diskussion sei, ob sie „als allgemein bildende Schulgattung anzusehen sei, oder aber als Schule sachlichen und beruflichen Charakters, wodurch neben der praktischen Ausbildung an der Arbeitsstelle der Schüler theoretisch in Gewerbekunde ausgebildet und dabei auch die allgemeine Bildung und Charakterausbildung gefördert werde“ (HUMAN, Chronik der Landdiözese Hildburghausen [wie Anm. 6], S. 100). Als Lehrbücher in Fortbildungsschulen galten für Jungen „Der Weggefährte“ und für Mädchen „Die junge Thüringerin“ (vgl. ebd., S. 101). Die Funktion und Unterschiedlichkeit der Fortbildungsschulen ist wenig beachtet und sollte noch einmal gesondert untersucht werden. 60 Vgl. Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 51–53.
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verwahrloster oder Verwahrlosung ausgesetzt gewesener Kinder“61 aufgebaut, in denen der Unterricht nach den Vorschriften der Volksschule durchzuführen war. Privater Unterricht konnte, um den Volksschulunterricht zu ersetzen, zu Hause genossen werden, durfte aber nur von dazu befähigten Lehrerinnen und Lehrern oder Erziehungsberechtigten nach den Richtlinien der Volksschule durchgeführt werden. Privatschulen und Privaterziehungsanstalten wurden allerdings von der Oberschulbehörde geschlossen, wenn religiöse, sittliche oder gesundheitliche Bedenken vorlagen.62 Mit dem Volksschulgesetz 1875 wurden Kirchen- und Schulämter durch Kreisschulinspektoren ersetzt und den Geistlichen die lokale Aufsicht über die Schulen entzogen. Der Religionsunterricht war je nach Konfession möglich und konnte sogar für religiöse Minderheiten privat organisiert werden, wobei eine Konfession auch auf eigene Kosten eine Volksschule gründen konnte.63 Neu im Unterricht eingeführt wurden die Formenlehre, Geschichte, Naturkunde bzw. Naturlehre, das Zeichnen und Turnen64 und zudem wurde die Frau in den Lehrerberuf verstärkt mit einbezogen.65 Es folgten noch zahlreiche weitere gesetzliche Ergänzungen, Erlasse, Reskripte und Bekanntmachungen für das Schulwesen, die hier kurz aufgezeigt werden sollen: So wurden mit den Gesetzen 187366 und 189867 die Pensionen und Pensionsbezüge sowie das Witwengeld geregelt und erhöht. Die Anhebung der Lehrerbesoldung, für die sich Georg II. einsetzte, wurde 1900,68 190569 und auch 190870 neu organisiert. Hier wurde das Gehalt eines fest angestellten Lehrers auf 1250 Mark im Jahr inklusive freier Dienstwohnung oder Mietentschädigung an61 62 63 64 65 66
67 68 69 70
Ebd., S. 53. Vgl. ebd., S. 54. Vgl. ebd., S. 300 f. Vgl. SCHMIDT, Bericht über das Schulwesen des Kreises Meiningen (wie Anm. 26), S. 9. Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 247. Vgl. Gesetz vom 14. März 1873, betreffend die Erhöhung der aus der allgemeinen Lehrerwittwenkasse zu entrichtenden Pensionen und die Verlängerung des Pensionsbezugs für die Kinder der Lehrer, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 19: Enthält die von 1870 bis 1873 ausgegebenen Verordnungen, Meiningen 1870, S. 333. Vgl. Gesetz vom 9. März 1898, die allgemeine Lehrerwittwenkasse betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnunge, Bd. 23: Enthält die von 1891 bis 1899 ausgegebenen Verordnungen, Meiningen 1907, S. 275 f. Vgl. Gesetz vom 9. Februar 1900, betreffend die Besoldungsverhältnisse der Lehrer und Lehrerinnen der Volksschule, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 24: Enthält die von 1900 bis 1906 ausgegebenen Verordnungen, Meiningen 1900, S. 27–29. Vgl. Gesetz vom 19. Dezember 1905, betreffend die Besoldungs- und Pensionsverhältnisse der Lehrer und Lehrerinnen der Volksschule, sowie die Versorgung der Witwen und Waisen der Volksschullehrer, in: ebd., S. 381–385. Vgl. Gesetz vom 3. Januar 1908, betreffend die Besoldungsverhältnisse der Volksschullehrer, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 25: Enthält die von 1907– 1914 ausgegebenen Verordnungen, Meiningen 1906, S. 35 f.
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gehoben. Auch die Alterszulage und die Zulage für einen Rektor wurden 1908 erhöht.71 1876 wurden noch einmal die Schulversäumnisse und deren Strafen in den Volksschulen klarer geregelt72 und 1886 angeordnet, dass säumige Schüler beim Fehlen im Unterricht durch die Ortsdiener zum Unterricht abgeholt werden konnten.73 Körperliche Züchtigungen durch den Lehrer waren – wenn möglich – zu vermeiden, außer bei Ungehorsam, Lüge, Tierquälerei, sittlicher Rohheit oder Gefühllosigkeit. Für diesen Zweck durfte zu einer dünnen, biegsamen Rute oder einem Stock gegriffen werden, was 1876 gesetzlich geregelt wurde.74 Dennoch kam es trotz wiederholter Ermahnungen immer wieder zu körperlichen Züchtigungen wegen Kleinigkeiten gegenüber Schülern. Infolgedessen gab es 190775 noch einmal die Ermahnung, körperliche Bestrafungen nur in Ausnahmefällen anzuwenden.76 1889 traten zum Artikel 70 aus dem Volksschulgesetz von 1875 folgende Bestimmungen für Lehrerinnen77 hinzu, nämlich: Dass eine Festanstellung möglich war, wenn sie sich drei Jahre lang untadelig geführt hatte und dass es bei einer Hochzeit nicht mehr zum sofortigen Verlust ihrer Pensionsberechtigung und Anstellung kam. Ihr Dienst konnte dann mit einer besonderen Genehmigung von der Oberschulbehörde weiter zugelassen werden.78 Mit dem Volksschulgesetz wurde auch die Volksschullehrerausbildung weiter professionalisiert, welche 1877 mit der „Seminar-Ordnung“79 ihren Höhepunkt fand. Es wurden damit Aufnahmebedingungen, schriftliche und mündliche Prüfungen, Abschlussprüfungen oder Stipendienmöglichkeiten geregelt. Das Seminar war nun nicht mehr dreiklassig und dauerte drei Jahre, sondern 71 Vgl. Änderung des Besoldungsgesetzes vom 12. Febr. 1894 (Rektorenzulage), in: Ludwig GREINER, Nachtrag zur Volksschulgesetzgebung im Herzogtum Sachsen-Meiningen. Sammlung der seit 1903 erschienen Gesetze, wichtigen Ausschreiben und Reskripte inbetreff des Volksschulwesens im Herzogtum S.-Meiningen, nebst einem Inhaltsverzeichnis und einem Sachregister, Pößneck 1908, S. 6 f. 72 Vgl. Schulversäumnisse in den öffentlichen Volksschulen, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 158–162. 73 Vgl. Abholung säumiger Kinder durch die Ortsdiener, in: ebd., S. 253. 74 Vgl. Strafgewalt des Lehrers, in: ebd., S. 243–245. 75 Vgl. Körperliche Züchtigung in der Schule betr. (Reskript vom 14. Dezember 1907), in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 93 f. 76 Vgl. ebd. 77 Vgl. Gesetz vom 10. April 1889, Gesetz, enthaltend einige Aenderungen und Ergänzungen des Volksschulgesetzes vom 22. März 1875, die Lehrerinnen betr., in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, Bd. 22: Enthält die von 1884 bis 1890 ausgegebenen Verordnungen, Meiningen 1884, S. 261–264. 78 Vgl. An die Stelle des Art. 70 treten folgende Paragraphen des Gesetzes vom 10. April 1889, enthaltend einige Aenderungen und Ergänzungen des Volksschulgesetzes vom 22. März 1875, die Lehrerinnen betreffend, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 39–43. 79 Vgl. Seminar-Ordnung, in: ebd., S. 163–187.
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war jetzt sechsklassig und auf sechs Jahre und somit um die doppelte Zeit verlängert.80 1902 wurde eine „Neue Prüfungsordnung für das Lehrer-Examen“ erlassen, welche sich verstärkt der Pädagogik und Didaktik zuwandte.81 Sachsen-Meiningen war einer der ersten Staaten in Deutschland überhaupt, welcher 1900 die ärztliche Untersuchung der Schulkinder einführte, die auch für Privat- und höhere Schulen und ab 1913 auch für Fortbildungsschulen galt.82 Gemeinsam mit dem Mediziner Georg Leubuscher, der in Deutschland für eine schulärztliche Betreuung kämpfte, setzte sich Georg II. für eine ärztliche und zahnärztliche Betreuung von Schulkindern ein.83 So wurde 1900 mit der „Anweisung für schulärztliche Untersuchungen“84 geregelt, dass mit Geldern aus der Staatskasse Schulärzte die Gesundheit der Kinder in den Volksschulen zu überprüfen hätten. Insbesondere die neu eingeschulten Kinder mussten hinsichtlich ihrer Körperbeschaffenheit und Gesundheit sowie alle Knaben des 8. Schuljahres im Hinblick auf ihren künftigen Beruf untersucht werden.85 Mädchen ab dem 5. Schuljahr durften allerdings nur mit der Zustimmung der Eltern eine ärztliche Untersuchung wahrnehmen, wobei Eltern generell auf Wunsch bei der Untersuchung dabei sein konnten.86 Darüber hinaus hatte der Lehrer ab 1901 besonders auf richtiges und gerades Sitzen der Schüler, saubere Toiletten und eine gute Zahnpflege der Kinder zu achten.87
2. Allgemeiner Lehrplan 1904 Erste Änderungen zum Volksschulgesetz von 1875 werden mit dem „Allgemeinen Lehrplan“ deutlich, welcher am 1. April 1904 in Kraft trat.88 Hier wurden noch einmal die detaillierte Aufteilung der Klassen, die Festlegung der Unterrichtsinhalte und der genaue Stundenplan gesetzlich veranktert: Volksschulen konnten jetzt einklassig, zweiklassig oder mehrklassig sein. Bei einklassigen Volksschulen wurden drei Abteilungen gebildet, die sich nach dem Unterricht und der Bildungsstufe richteten. Die dritte Abteilung war die Unterabteilung und umfasste die Kinder der ersten beiden Schuljahre. Die zweite Abteilung, 80 81 82 83 84 85 86 87 88
Vgl. ebd., S. 186 f. Vgl. Neue Prüfungsordnung für das Lehrer-Examen, in: ebd., S. 224–229. Vgl. EBERHARD, S.-Meiningen (wie Anm. 4), Sp. 486. Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 464. Vgl. Anweisung für schulärztliche Untersuchungen, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 232–235. Vgl. ebd., S. 232 f. Vgl. ebd., S. 234. Vgl. ebd., S. 237 f. Vgl. Die Unterrichtserteilung in den Volksschulen. (Allgemeiner Lehrplan), in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 52–77.
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auch als Mittelabteilung bezeichnet, umfasste die 3. und 4. Klasse und die 1. Abteilung, die Oberabteilung, die letzten vier Schuljahre. Alle schulpflichtigen Kinder jeden Alters wurden von einem Lehrer in einem Zimmer unterrichtet und Jungen und Mädchen in der oberen Klasse nicht voneinander getrennt. Zweiklassige Schulen waren Schulen mit zwei Lehrern und zwei Unterrichtsräumen. Jeder Lehrer unterrichtete dabei vier Jahrgänge: Der Lehrer der Unterklasse die Klassen 1 bis 4 und der Lehrer der Oberklasse die Klassen 5 bis 8. Es existierte auch hier keine Geschlechtertrennung. Zu dieser kam es erst in den mehrklassigen Schulen, in denen Jungen und Mädchen in den oberen Klassen getrennt voneinander unterrichtet wurden. Die Unterrichtszeit betrug 32 Stunden in der Woche und die Stunden wurden – hier als Beispiel für die einklassige Volksschule – wie folgt in den Klassen verteilt:89 Tabelle 1:
Allgemeiner Lehrplan der einklassigen Volksschule90
Lehrstunde: Religion Deutsch (mit Lesen und Schreiben) Rechnen Formen-RaumLehre Naturlehre/ Naturbeschreibung Erdkunde/ Heimatkunde Geschichte Gesang Zeichnen Turnen im Sommer/im Winter Rechnen und Deutsch Handarbeit der Mädchen
3. Abteilung (5.-8. Klasse) 2 8
2. Abteilung (3.-4. Klasse) 4 8
2 -
4 -
1. Abteilung (1.-2. Klasse) 5 10 (8h für Mädchen in Mädchenfortbildungsklassen) 4 1
-
gesamt 4
2
-
2
-
2 2
2 2 2 2
2
2
2
89 Vgl. ebd., S. 52–55. 90 Erstellt nach Angaben in GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 52–55.
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Aufgabe des Religionsunterrichts war es, das religiöse Bewußtsein der Kinder zu entwickeln und zu klären, sie in die Glaubensund Sittenlehre der Kirche einzuführen und durch Lehre und Uebung zu befähigen, an dem Gottesdienste der Gemeinde lebendigen Anteil zu nehmen.91
Die Inhalte waren dabei die Geschichte der Bibel, christliche Religionsgeschichte, Lesen der Bibel, Katechismus, Kirchenlieder und Gebete. In erster Linie sollte dieser Unterricht einen „erziehlichen Charakter haben“,92 wobei der Lehrer durch Vorbildwirkung auf die Gesinnung, die Überzeugung und den Willen der Kinder einzuwirken hatte. Der Geschichtsunterricht sollte nicht bloß Fakten und Zahlen vermitteln, sondern vor allem Begeisterung für hervorragende Persönlichkeiten erwecken, den Bürgersinn und die Vaterlandsliebe beleben und eine religiöse Weltanschauung in die Herzen der Kinder pflanzen.93
Aus der Antike sollte nur das Notwendigste herausgefiltert und vor allem die Geschichte des Mittelalters und der neueren Geschichte in Deutschland, allen voran die Kulturgeschichte, gelehrt werden. Keinesfalls durfte der Lehrer zu viele Informationen oder Zahlen verwenden. Er hatte die geschichtlichen Hintergründe frei und lebendig vortragen. Muttersprache und Hochdeutsch sollten im Deutschunterricht so gelehrt werden, dass die Schüler Informationen richtig auffassen und wiedergeben, dass sie Bücher lesen sowie sich klar und deutlich, mündlich wie schriftlich, verständlich ausdrücken konnten. Logisches Denken und das richtige, selbständige Schlussfolgern musste der Rechenunterricht vermitteln. Dabei sollten die Rechenaufgaben Bezug zum Leben und den zukünftigen Berufen der Kinder haben und besonders für die Mädchen einen hauswirtschaftlichen Bezug herstellen.94 In der Formen-Raum-Lehre wurden die Arten von Linien, Winkeln, Dreiecken, Vierecken, regelmäßigen Vielecken, der Kreis, der Würfel, das Prisma, der Zylinder, die Pyramide, die Kugel, das Oktaeder, Tetraeder und andere regelmäßige Körper95
geübt und auch selbst gezeichnet. Die Mädchen hatten statt der Formen-RaumLehre hauswirtschaftlichen Berechnungsunterricht. Im Naturkundeunterricht sollten nützliche und schädliche Pflanzen und Tiere aus der Heimat und der Fremde sowie Gesteine, Erdarten und Naturerscheinungen, Eigenschaften des Körpers oder physikalische Werkzeuge, wie Thermometer, Barometern oder der
91 92 93 94 95
Ebd., S. 56. Ebd. Ebd., S. 59. Vgl. ebd., S. 59–67. Ebd., S. 67.
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Kompass, kennen gelernt werden.96 Der Geografieunterricht beinhaltete „Heimatkunde, Vaterlandskunde, Erd- und Himmelskunde“.97 Dabei sollten geografische Grundbegriffe vermittelt, kartografisches Zeichnen, Himmelsbeobachtungen, die Geografie von Thüringen und Meiningen sowie Deutschland und Europa gelehrt werden.98 Auch war Gesangsunterricht „ein wesentliches Hilfsmittel in der Erziehung. Er bildet den Sinn für das Schöne, veredelt das Gemüt und gibt den Kindern einen Liederschatz ins Leben mit“,99 welcher Trost und Freude spenden kann. Dazu gehörten Choräle, Volkslieder oder auch der liturgische Gesang. Die dritte Abteilung sollte zunächst nur das Gehör und die zweite und erste Abteilung das Singen nach Noten, Texte und Melodien der Volkslieder sicher einüben.100 Das Zeichnen soll Auge und Hand der Kinder üben, den Sinn für Ebenmaß, Regelmäßigkeit und Schönheit wecken und den Schülern die Fertigkeit vermitteln, einfache Zeichnungen zu entwerfen und auszuführen.101
Weiter hatte das Turnen zur „Kräftigung und Gewandtheit des Körpers“102 beizutragen. Es besaß überdies „eine große sittliche Bedeutung“, da mit dem Turnen die „Selbstbeherrschung, Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze, Pünktlichkeit, Ausdauer und andere Tüchtigkeiten“ geübt werden mussten, „welche im Dienste des Vaterlandes und in der Ausübung des praktischen Berufs von hohem Werte sind“.103 Gymnastische Übungen und Turnen sowie einfache Geräteübungen sollten auch Mädchen durchführen. Während der Wintermonate entfiel allerdings der Turnunterricht und die Stunden wurden auf Deutsch oder Rechnen aufgeteilt. In den beiden letzten Schuljahren erhielten die Mädchen vier Stunden in der Woche Handarbeitsunterricht, sofern sie nicht an einer Mädchenfortbildungsschule Handarbeitsunterricht gelehrt bekamen. Dazu gehörten Stricken, Stopfen, Nähen, Zuschneiden, Ausbessern und es sollte weiter der Sinn für ordentliche, sparsame und anständige Kleidung gefördert werden. Der Lehrplan für die einklassigen Volksschulen stellte zugleich die Grundlage für den Unterricht in mehrklassigen Volksschulen dar, allerdings wurde der Unterrichtsstoff hier aufgrund der höheren Lehrerzahl erweitert und vertieft. So sollten zum Beispiel mehr Rechenarten für den Gebrauch im bürgerlichen Leben geübt werden oder mehr Beobachtungen in der Natur erfolgen, der Bau des 96 97 98 99 100 101 102 103
Vgl. ebd., S. 67–69. Ebd., S. 69. Vgl. ebd., S. 69 f. Ebd., S. 70. Vgl. ebd., S. 70 f. Ebd., S. 71. Ebd. Ebd., S. 71 f.
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menschlichen Körpers ausführlicher betrachtet werden und Mädchen verstärkt Hauswirtschaftsunterricht erhalten.104
3. Das Volksschulgesetz 1908 Das Ziel Georgs II. war, dass der Einzelne frei und selbstverantwortlich leben und für sich selbst sorgen kann. Genau dies wollte er mit seinen Vorstellungen des Schulwesens erreichen und so die Bewohner seines Herzogtums auf eine höhere Stufe der Menschlichkeit und Sittlichkeit führen.105 1908 und in den letzten Jahren seiner Regierungszeit, wurde aus diesem Grund ein neues Volksschulgesetz entworfen. Jetzt sollte der Unterricht verstärkt ein „erziehender Unterricht sein, insbesondere soll[te] er die Selbsttätigkeit der Schüler in Anspruch nehmen“.106 Es wurde also nun mehr Wert auf Eigenständigkeit und Selbsttätigkeit gelegt und ein Lehrer durfte nur noch insgesamt 80 Schüler und nicht mehr 120 Kinder unterrichten.107 Bei der Erbauung neuer Schulhäuser war zudem ein Spielplatz zur freien Bewegung einzuplanen.108 Die Dauer der Schulpflicht betrug jetzt nur acht Jahre und wurde nicht mehr bis zum 14. Lebensjahr begrenzt.109 Das Schulgeld wurde bei Geschwisterkindern, welche ebenfalls die Schule mit besuchten, auf bis zu 2 Mark gesenkt,110 dafür Ordnungsstrafen für Schulversäumnisse auf bis zu 2 Mark erhöht,111 welche nun auch an den Fortbildungsschulen gezahlt werden mussten.112 Lehrer und Lehrerinnen wurden, bis auf das Gehalt, gleichgestellt113 sowie das Rentenalter von 70 auf 65 Jahre gekürzt.114
104 Vgl. ebd., S. 72–74. 105 Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 530. 106 Volksschulgesetz vom 3. Januar 1908, in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 8–45, hier S. 38. 107 Vgl. ebd., S. 40; Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 4. 108 Vgl. Die Unterrichtserteilung in den Volksschulen. (Allgemeiner Lehrplan), in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 40. 109 Vgl. ebd., S. 44; Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 10. 110 Vgl. Die Unterrichtserteilung in den Volksschulen. (Allgemeiner Lehrplan), in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 42. 111 Vgl. ebd., S. 45 f.; Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 12. 112 Vgl. Die Unterrichtserteilung in den Volksschulen. (Allgemeiner Lehrplan), in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 69. 113 Vgl. ebd., S. 52; vgl. Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen (wie Anm. 37), S. 192.
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Kirche und Schule wurden ab jetzt völlig voneinander getrennt115 und damit der kirchliche Einfluss sowie die Aufsichtsrechte der Geistlichen beendet.116 Der Volksschullehrerberuf wurde weiter professionalisiert und die Lehrerbildung zunehmend vom Staat übernommen.117 Insbesondere mit den Regelungen in „Schul- und Kirchenangelegenheiten ist Georg weit über jenes in seiner Zeit erreichte Niveau an liberalen Neuerungen hinausgegangen“118 und die Schulgesetze von 1875 und 1908 „haben die höchste Anerkennung der Fachwelt gefunden“.119 Das „Lexikon der Pädagogik“ zählt Sachsen-Meiningen im Jahr 1915 zu dem Staat mit einem der besten Volksschulgesetze in ganz Deutschland.120 Bis 1903 wurden 18 neue Lehrerstellen pro Jahr eingerichtet,121 160 neue Schulhäuser erbaut und bis 1914, also bis zum Ende der Regierungszeit Georgs II., 976 Lehrerstellen geschaffen, wovon 160 von Lehrerinnen besetzt wurden, und 49 710 Schulkinder im Herzogtum Sachsen-Meiningen unterrichtet.122 Georg II. setzte sich sehr für das Volksschulwesen ein, welches zum Bestandteil seiner Sozialpolitik wurde.123 Er war in der Lage, die Ansprüche des Hauses und die der Zeit miteinander in Einklang zu bringen, wenn nicht gar darin eine Vorbildfunktion zu übernehmen.124 Seine Bemühungen im schulischen und volksbildnerischen Bereich sind dabei gekennzeichnet durch Weitblick, liberale Gesetzesentwürfe, die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Lehrerberuf sowie eine grundlegende Bildung für alle Mädchen und Jungen im Herzogtum Sachsen-Meiningen. Damit ist Meiningen unter ihm, so hat es Otto von Kurnatowksi 1914 formuliert, „‚das Land der Schulen‘ geworden“.125 Allerdings, so fügt er weiter hinzu, ist es „bedauerlich, daß […] noch so wenig von 114 Vgl. Die Unterrichtserteilung in den Volksschulen. (Allgemeiner Lehrplan), in: GREINER, Nachtrag (wie Anm. 71), S. 55; vgl. Volksschulgesetz vom 22. März 1875, in: GREINER, Volksschulgesetzgebung (wie Anm. 28), S. 23. 115 Vgl. HUMAN, Die Reformation (wie Anm. 13), S. 79. 116 Vgl. EBERHARD, S.-Meiningen (wie Anm. 4), Sp. 485. 117 Vgl. Bernd WUNDER, Die Verstaatlichung der Volksschule im 19. Jahrhundert, in: Ulrich ANDERMANN/Kurt ANDERMANN (Hg.), Regionale Aspekte des frühen Schulwesens, Tübingen 2000, S. 222–225. 118 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 230. 119 Ebd., S. 246. 120 Vgl. EBERHARD, S.-Meiningen (wie Anm. 4), Sp. 485. 121 Vgl. ebd., Sp. 487. 122 Vgl. HUMAN, Die Reformation (wie Anm. 13), S. 80. 123 Vgl. Alfred ERCK, Die Sozial- und Gesundheitspolitik Sachsen-Meiningens zwischen 1826 und 1918 im Spiegel des Landtagsgeschehens, in: Die Behandlung der Sozial- und Gesundheitspolitik in den Thüringischen Landtagen seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, hg. vom Thüringer Landtag, Weimar 2012, S. 238. 124 Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 1), S. 7. 125 Otto VON KURNATOWKSI, Georg II. Herzog von Sachsen Meiningen und Hildburghausen. Ein Lebens- und Kulturbild, Hildburghausen 1914, S. 54.
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diesem hochbedeutenden Fürsten bekannt und es daher unmöglich ist, seinen Lebensgang vollständig und in klar abgeschlossenem Bilde zu schildern.“126 Das gilt insbesondere für das Schulwesen und den diesbezüglichen Verwaltungsapparat, welches auch durchaus kritisch und als sehr kontrollierend bewertet werden kann. Dennoch – und das muss herausgestellt werden – zeugte die Persönlichkeit Georgs „von scharfem Verstande, hoch entwickelten psychischen Eigenschaften, großer Selbstlosigkeit und Charakterstärke“127 und er war „an erster Stelle Mensch, Fürst und Fürsorger seines Volkes, Diener seines Gottes“.128 Das ist am 28. September 1866 im „Regierungsblatt für das Herzogthum Sachsen Meiningen“ zu erkennen, indem er seinem Volk versprach, die Initiativen seines Vaters weiter zu verfolgen – und dieses Versprechen einhielt: Es wird Mein Bestreben sein, den inneren Verhältnissen die erforderliche Pflege zu Theil werden zu lassen, insbesondere die vielen bewährten Einrichtungen ihrer weiteren Entwickelung und Ausbildung zuzuführen, durch welche Mein Vater in allen Zweigen des Staatslebens für die Wohlfahrt des Landes sorgte.129
126 127 128 129
Ebd., S. 39. Ebd., S. 83. Ebd., S. 5. Regierungsblatt für das Herzogthum Sachsen Meiningen, Nr. 155 vom Freitag, 28. September 1866, S. 667 f.
STEFAN GERBER HERZOG GEORG II. UND MORITZ SEEBECK
Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Moritz Seebeck Zwischen Prinzenerziehung und Wissenschaftspolitik
Das Verhältnis von Person und Struktur, von historischem Individuum und politisch-sozialen Verhältnissen, mit denen sich der Einzelne konfrontiert sieht und handelnd auseinandersetzt, bildet von jeher ein Grundthema historischer Forschung und Analyse. Wird in der Geschichtswissenschaft – je nach den aktuellen Trends – mal das eine, mal das andere Ende dieses Spannungsbogens stärker betont und untersucht, so bildet doch gerade die kleinstaatliche Universitäts- und Wissenschaftspolitik des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kaiserreichs ein anschauliches Beispiel für die Verschränkung von handelnden Personen und Strukturen: Sich den Protagonisten kleinstaatlicher Politik, seien es Monarchen, Minister und Regierungsbeamte, Kommunikatoren und Mitgestalter der öffentlichen Meinung oder eben Universitätskuratoren, über einen biographischen Zugriff zu nähern, führt deshalb auch in die Strukturgeschichte hinein – beides lässt sich nicht voneinander trennen.1 Die Beziehung zwischen Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Moritz Seebeck, der erst Erzieher Georgs und später über mehr als 25 Jahre, von 1851 bis 1877, Kurator der Universität Jena war,2 ist daher nicht nur als 1
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Knappe und instruktive Überblicke zu Theorie und Praxis der Biographik bietet jetzt: Christian KLEIN (Hg.), Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart/Weimar 2011; dort besonders: Falko SCHNICKE, Begriffsgeschichte: Biographie und verwandte Termini, ebd., S. 1–6; Anita RUNGE, Wissenschaftliche Biographik, ebd., S. 113–121; Wolfram PYTA, Geschichtswissenschaft, ebd., S. 331–338. Vgl. auch Christian von ZIMMERMANN, Biographische Anthropologie. Menschenbilder in lebensgeschichtlicher Darstellung (1830–1940), Berlin u. a. 2006. Zur Geschichtswissenschaft: Olaf HÄHNER, Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. u. a. 1999; Hans-Christof KRAUS, Geschichte als Lebensgeschichte. Gegenwart und Zukunft der politischen Biographie, in: Hans-Christof KRAUS/Thomas NICKLAS (Hg.), Geschichte der Politik – Alte und neue Wege (Historische Zeitschrift, Beiheft 44), München 2007, S. 311–332. Vgl. zu Seebeck insgesamt: Stefan GERBER, Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Universitätskurator Moritz Seebeck (Veröffentlichungen der Historischen Kommission in Thüringen, Kleine Reihe, 14), Köln/Weimar/Wien 2004.
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STEFAN GERBER
Element der persönlich-individuellen Entwicklung Georgs von Bedeutung, sondern auch von unmittelbarer politischer Relevanz: Politik, zumal die Universitäts- und Wissenschaftspolitik, war in den thüringischen Staaten des „langen 19. Jahrhunderts“ oft „face-to-face“-Politik, „Kommunikation unter Anwesenden“3 und vom persönlichen Verhältnis der Akteure, von ihren Kommunikationsmöglichkeiten und Kommunikationsweisen wohl noch deutlicher mitbestimmt, als dies in größeren Staaten der Fall war.4 Und selbst in solchen größeren Staatswesen, auch in Preußen oder in der Habsburgermonarchie, waren, wie Forschungen der letzten drei Jahrzehnte gezeigt haben, einzelne Wissenschaftsmanager durchaus in der Lage, dem System ihren Stempel aufzudrücken und die Entscheidungen sowohl der Regierungen als auch der Hochschulen nachhaltig zu beeinflussen.5 Um das Verhältnis von Georg II. und Seebeck unter dem Blickwinkel der thüringischen Universitäts- und Wissenschaftspolitik – „zwischen Prinzenerziehung und Universitätsverwaltung“ – im Folgenden knapp zu charakterisieren, sollen drei Fragekomplexe berührt werden. Zum einen: Wie entstand das zeitlebens enge Verhältnis von Georg II. und Moritz Seebeck und wie war es beschaffen? Zum zweiten: Welche strukturellen Voraussetzungen ermöglichten es, dass dieses persönliche Verhältnis Relevanz für die Universitäts- und Wissenschaftspolitik im kleinstaatlichen Thüringen gewann? Und zum dritten schließlich: Welche fassbaren Auswirkungen hatte dieses Verhältnis in der konkreten Universitäts- und Wissenschaftspolitik?
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Vgl. André KIESERLING, Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme, Frankfurt/M. 1999. Zur „Anwesenheitskommunikation“ vgl. mit Blick auf die frühe Neuzeit insgesamt: Rudolf SCHLÖGL, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155–224. Zur Universitäts- und Wissenschaftspolitik im kleinstaatlichen Thüringen im 19. Jahrhundert vgl. Gerhard MÜLLER, Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena, Heidelberg 2006; Steffen KUBLIK, Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800, Marburg 2009; GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2). Beispielhaft für die „graue Eminenz“ des preußischen Hochschulwesens: Bernhard VOM BROCKE, Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im deutschen Kaiserreich 1882–1907: das „System Althoff“, in: Peter BAUMGART (Hg.), Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs, Stuttgart 1980, S. 9–118. Für die Habsburgermonarchie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. v. a.. die Forschungen Waltraud Heindls, u. a.: Waltraud HEINDL, Beamtentum, Elitenbildung und Wissenschaftspolitik im Vormärz, in: Hanna SCHNEDL-BUBENICEK (Hg.), Vormärz: Wendepunkt und Herausforderung. Beiträge zu Literaturwissenschaft und Kulturpolitik in Österreich, Wien/Salzburg 1983, S. 46–65; DIES., Beamte, Staatsdienst und Universitätsreform. Zur Ausbildung der höheren Bürokratie in Österreich (1780–1848), in: Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 4 (1987), S. 35–53.
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I. Das Verhältnis von Georg II. und Moritz Seebeck Als Herzog Georg II. im Sommer 1884 die Nachricht erhielt, dass Moritz Seebeck 79-jährig in Jena gestorben war, schrieb er erkennbar aufgewühlt an seine Mutter vom „Tode meines lieben, edlen Seebeck“: Er war einer der vortrefflichsten Menschen, die es gegeben und ich danke es Papa sehr, sehr, daß er die ausgezeichnete Wahl traf, ihn mir zum Erzieher zu geben. Seebeck’s Schuld ist’s nicht, wenn nicht mehr aus mir wurde. – Sein Tod thut mir sehr leid.6
„Dieser Todesfall“, so der Herzog zwei Tage später erneut an die Mutter, „geht mir, wie Du Dir denken wirst, ungeheuer nahe. Ich liebte S. und bin ihm sehr viel Dank schuldig“.7 Bei einer Durchsicht der erhaltenen Teile des Briefwechsels zwischen Moritz Seebeck und dem Erbprinzen, dann Herzog von SachsenMeiningen, stößt der Betrachter, wie auch in diesen letzten Aussagen zu Seebeck, immer wieder auf Spuren eines engen Vertrauensverhältnisses, ja – auch jenseits der Tradition „empfindsamer“ Briefkonvention, die gerade bei Seebeck noch erkennbar nachwirkte – auf den Ausdruck einer emotionalen Bindung zwischen beiden. Seebeck selbst hatte dieser Emotionalität, der er seinerseits unumwunden den Akzent väterlicher Liebe gab, deutlichen Ausdruck verliehen, als er 1845 am Ende seiner Tätigkeit als Prinzenerzieher Georgs gestanden hatte. An den Vater, Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen schrieb er aus Bonn, es werde für ihn eine schwere, schwere Stunde, wo ich mich trennen muß von ihm, der mir wie ein eigener Sohn ist; doch es ist ihm gut, daß ich gehe, und das soll u. wird mein Trost sein. Was wäre auch Liebe ohne Opfer?8
Als der Herzog zum Ende des Wintersemesters 1844/45 in Bonn die von Seebeck erbetene Entlassung aus der Erzieherstellung gewährte, teilte Seebeck dem Erbprinzen, wie er berichtete, die Sache sehr gemach mit […] Er hörte mir erst ruhig zu, […] sah mich fest an und sagte: ‚Kein Mensch ist auf der Welt, dem ich so viel danke als Ihnen, das werde ich nie vergessen.‘ Mir wurde es schwer, meiner Haltung Meister zu bleiben, doch behielt ich soweit Fassung und Ruhe, daß ich […] der ganzen Unterredung einen milden, freundlichen
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Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Hausarchiv (im Folgenden HA), Nr. 1031, Bl. 3r–4r, Brief von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen an Herzogin Marie von Sachsen-Meiningen, Salet, 9. Juni 1884. Vgl. auch GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 121 f. ThStAM, HA, Nr. 1031, Brief von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen an Herzogin Marie von Sachsen-Meiningen, Salet, 11. Juni 1884, Bl. 6r–7v. ThStAM, HA, 536, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, Bonn, 16. Januar 1845, unpag.
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STEFAN GERBER
Ausklang geben konnte. […] Wohin mich auch meine Geschicke weisen, mein Herz bleibt ihm nahe, so lange es schlägt.9
Und noch fast vierzig Jahre später, in Seebecks Geburtstagsbrief an Herzog Georg II. im April 1883, kam er auf den Tag seiner Übernahme des Erzieheramtes als einen für sein und Georgs Leben prägenden Einschnitt zurück.10 Wie war diese enge Bindung an Moritz Seebeck, die bis zu Seebecks Tod in gelegentlichen Besuchen des Kurators und Pensionärs beim Herzog erneuert wurde und sich auch auf Seebecks Kinder, besonders August Wilhelm von Seebeck, den ältesten Sohn und späteren preußischen General, erstreckte,11 zu Stande gekommen? Der Altphilologe Seebeck war 1835 als Direktor des Meininger Gymnasiums und zur Durchführung einer Gymnasialreform nach preußischem Vorbild, auf nachdrückliche Empfehlungen aus dem preußischen Kultusministerium und dem preußischen Gymnasialwesen nach Meinigen berufen,12 aber schon nach wenigen Monaten zum Erzieher des Erbprinzen ernannt worden. Am 5. September 1835 schwor er in Meiningen, das Wohl des mir zur Erziehung und Ausbildung anvertrauten Erbprinzen Georg in physischer, moralischer und intellectueller Hinsicht unverrückt im Auge zu behalten und gleichermaßen darüber zu wachen, daß demgemäß auch der von anderen Lehrern übernommene Specialunterricht ertheilt werde.13
Schon der dem Herzog zuvor vorgelegte Erziehungsplan, der an dieser Stelle keine wiederholte ausführliche Analyse erfahren kann und soll,14 zeigte an we-
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ThStAM, HA, Nr. 536, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, 20. Februar 1845, unpag. Vgl. ThStAM, HA, Nr. 1451, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, Jena, 1. April 1883, Bl. 3r–4r. Vgl. ThStAM, HA, Nr. 201/I, Sophie von Seebeck, die zweite Frau August von Seebecks, pflegte eine intensive Korrespondenz mit der Freifrau von Heldburg, der Frau und ab 1914 Witwe Georgs II. Vgl. ThStAM, HA, Nr. 201/II, ThStAM, HA, Nr. 420/Mappe IV. Einige dieser Briefe sind veröffentlicht in: Freifrau von Heldburg (Ellen Franz), Fünfzig Jahre Glück und Leid. Ein Leben in Briefen aus den Jahren 1873–1923, hg. von Else VON HASE-KOEHLER, Leipzig 61926, S. 220–224. Vgl. ferner Brief von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen an August von Seebeck, August 1899, in: [Sophie VON SEEBECK (Hg.)], Aus sonniger Kindheit. Briefe von Moritz Seebeck. Berlin 1916, 11 f.; ThStAM, HA, Nr. 1434, Brief von August von Seebeck an Herzog Georg II. von SachsenMeiningen, 31. März 1887 – Zu General August Wilhelm von Seebeck vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 73–75. Vgl. dazu ausführlich GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 97–121. ThStAM, GA XV LL 2, Eidesformel für Moritz Seebeck, 5. September 1835, Bl. 24r– 24v. ThStAM, GA XV LL 17, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, Meiningen, 20. Juni 1835, 1r–8r. Zu diesem Erziehungsplan vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwi-
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sentlichen Punkten die Grundlagen für das zeitlebens so positive Verhältnis Georgs zu Seebeck – ganz anders, als das Verhältnis vieler anderer künftiger Monarchen zu ihren Prinzenerziehern, etwa die ambivalente und spannungsreiche Beziehung Kaiser Wilhelm II. zu seinem Erzieher Georg Ernst Hinzpeter.15 Erste und grundsätzliche Bedingung Moritz Seebecks war, dass der Erbprinz mit ihm im Kreise seiner Familie leben müsse. Erziehung sei, so stellte Seebeck, der Tendenz seiner „pädagogischen“ Persönlichkeit zum Grundsätzlichen entsprechend, eine allgemeine Definition an den Anfang, „die stetige Gewöhnung [...] an eine gewisse Art zu denken und zu handeln“. Diese Gewöhnung könne beim Jüngling nur erreicht werden, wenn der Erzieher zu ihm im „Verhältniß der Freundschaft“ stehe, bei einem Kind wie Georg aber nur dadurch, dass er fast wie ein Adoptivkind in die Familie des Erziehers aufgenommen werde. Offenbar ohne Sorge, den Vaterrechten des Herzogs zu nahe zu treten, schrieb Seebeck, der Prinz solle sich „an mir wie der Sohn am Vater“ heraufbilden, bis er selbst allmählig in seinem eigenen Wesen erstarkt, und in erwachendem Bewußtsein seiner geistigen Individualität sich immer freier und selbständiger fühlt, und aus dem Zögling ein Freund wird.
Dabei wolle er ihn keineswegs nur nach seinem Vorbild oder einem abstrakten Erziehungsideal bilden, sondern in allem auf die „Natur“ des Kindes und auf die Verhältnisse achten, in die er hineingeboren worden sei.16 „Prinzenerziehung“ war keine Gelegenheitsaufgabe, sondern ein in der Pädagogik des 18. und 19. Jahrhunderts breit als besonderer Fall von Erziehung reflektierter Bereich.17 Im Mittelpunkt stand dabei stets die Frage, wie die besonderen Gegebenheiten des fürstlichen Standes so in die Erziehung integriert bzw. unter pädagogischen Gesichtspunkten behandelt werden konnten, dass sie keine Nachteile für die Entwicklung des Kindes darstellten und nicht jene Art von Fürst hervorbrächten, den Seebeck 1835 mit den Begriffen „exaltirt“ und „excentrisch“ umschrieb18 und den Herzog Bernhard II. in seiner Erziehungsinstruktion als ein „unnatürliches und erkünsteltes Wesen“ bezeichnete, „in seiner Art auch ein
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schen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis 1997, S. 28–41; GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 123–125. Vgl. dazu v. a. John C. G. RÖHL, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859–1888, München 1993, S. 158–187. Vgl. ThStAM, GA XV LL 17, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, Meiningen, 20. Juni 1835, Bl. 1r–8r, hier Bl. 1v–2r. Vgl. z. B. Prinzenerziehung, in: Karl Adolf SCHMID (Hg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten, Bd. 6, Gotha 1867, S. 357–375 und in: W[ilhelm] REIN (Hg.), Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik, Bd. 7, Langensalza 21908, S. 1–10. ThStAM, GA XV LL 17, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, Meiningen, 20. Juni 1835, Bl. 1r–8r, hier Bl. 3r.
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Kaspar Hauser“.19 Grundsätzlich ging die bürgerliche Theorie der Prinzenerziehung davon aus, dass auch für einen Prinzen kein anderes Ziel anzustreben sei, als „jene allgemeine, menschlich-christliche Bildung, welche von unseren höheren Lehranstalten erstrebt wird“.20 Seebeck verlangte deshalb, dass der Prinz weiterhin eine öffentliche Schule besuchte – was nicht gestattet wurde; Seebeck und einige andere erteilten fortan Privatunterricht. Weitgehender war seine Vorstellung, dass der Erbprinz nicht nur mit bürgerlichen Kindern – Seebeck meinte hier seine eigenen Kinder – lebe und spiele, sondern dass Georg auch hauptsächlich mit der Familie Seebeck esse und schlafe. Zudem betonte Moritz Seebeck, dass seine Position als Erzieher nur haltbar sei, wenn er sich des uneingeschränkten Vertrauens des Herzogs erfreuen könne. Dazu gehöre, daß er den Eltern über alle Vorfälle und seine damit verbundenen Wünsche und Vorstellungen offen berichten dürfe, vor allem aber, daß meine Autorität dem Zögling gegenüber fest und unbedingt sei, daß Niemand außer den Durchlauchtigsten Eltern irgendwie, es sei direkt oder indirekt in meine Wirksamkeit eingreife, und daß selbst die höchsten Entschließungen immer nur unmittelbar und ohne den Gebrauch eines fremden Zwischenorgans an mich gelangen.21
Diese erstaunlich selbstbewussten Forderungen des 30-jährigen Pädagogen konnten nicht ohne Widerspruch bleiben: Ein Briefkonzept des Herzogs, das auf Seebecks Forderungen Bezug nimmt, ist in einem entrüsteten Ton gehalten, zeigt aber zugleich, dass Bernhard das umfassende, ja im Wortsinne „radikale“ der Erziehungsvorstellung Seebecks erfasst hatte. „Es kann“, so warf Bernhard II. aufs Papier, „unmöglich ihr Ernst sein, daß die Eltern des Ihnen anvertrauten Kindes von jetzt an auf jeden Einfluß auf die physische Erziehung ihres Kindes verzichten sollen.“ Zugleich aber bestätigte er: Sie können verlangen, daß wir Ihnen Vertrauen schenken und daß wir Ihre Stimme im Rath ganz vorzugsweise berücksichtigen, wenn verschiedene Ansichten zwischen Ihnen und uns stattfinden.22
Seebeck setzte sich mit seiner Konzeption weitgehend durch. Sie sollte sich, wie die Biographen Georgs II., Alfred Erck und Hannelore Schneider einschätzen, „glänzend“ bewähren, was 1835 durchaus noch nicht abzusehen war.23
19 So zit. in: Kuno FISCHER, Erinnerungen an Moritz Seebeck, wirkl. Geheimrath und Curator der Universität Jena. Nebst einem Anhange: Goethe und Thomas Seebeck, Heidelberg 1886, S. 49. 20 SCHMID, Encyklopädie (wie Anm. 17), S. 357. 21 ThStAM, GA XV LL 17, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, Meiningen, 20. Juni 1835, Bl. 1r–8r, hier Bl. 7r. 22 Ebd. 23 ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 14), S. 39.
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Es waren die pädagogische (Selbst-)Ermächtigung des Prinzenerziehers Seebeck und der ausgesprochen familiäre, sich des Erbprinzen gewissermaßen erzieherisch „bemächtigende“ Zug in seinem Erziehungskonzept, der die emotionalen Bindungen Georgs zu Seebeck schuf. Der Erzieher war und blieb ihm – bei aller Distanz, die Georg durchaus zwischen Seebeck und seiner „fürstlichen Person“ zu wahren wusste – ein Vorbild an protestantisch-idealistisch grundierter Moralität und Gesinnungstreue, die sich mit der Bereitschaft zur individuellen Hinwendung, ja zur Einfühlung verbanden. Die Skepsis, die Georg II. späterhin persönlich gegenüber vielen moralischen und religiösen Forderungen des in seiner zweiten Lebenshälfte immer konservativer denkenden und fühlenden Seebeck entwickelte, änderte daran nichts. Es galt nach wie vor, was Erbprinz Georg nach der Trennung von Seebeck an seine Mutter Herzogin Marie von Sachsen-Meiningen geschrieben hatte: Seebeck und er seien Freunde geworden und werden es auch dann ebenso bleiben, wenn wir auch nicht in demselben Haus miteinander wohnen, […] denn er wird gegen mich gewiß immer offen und ehrlich bleiben, doch seine Meinung nicht zurückhalten, sondern sagen, was er denkt, wie er’s mir immer zu thun gewohnt war!24
Schon einige Wochen zuvor, zu Weihnachten 1844, hatte Seebeck seinerseits seinem „Zögling“, zukünftige Diskrepanzen und die sich verändernden Lebenseinstellungen antizipierend, in emotionaler Offenheit jenseits höfischer Formen bekannt: Aber nicht wahr? Wenn auch unsere Bahnen u. Bestrebungen und Denk- u. Handlungsweisen sich mehr u. mehr scheiden, eine vollständige innerliche Scheidung unserer Gemüther ist niemals möglich. Gewiß nicht; wollten Sie sich auch ganz von mir wenden, ich behielte Sie doch in meinem Herzen, u. an dieser Stelle giebt es keine Macht, die Sie von mir scheiden könnte.25
Betrachtet man diese Bindung Georgs an den Erzieher aus der Perspektive seines später spannungsreichen und komplizierten Verhältnisses zum Vater Bernhard II., so kann sie wohl, wie der Herzog auch argwöhnte, als einer der Keime dieser Entfremdung angesehen werden. Dies gilt auch deshalb, weil – viele Beispiele aus Seebecks Aufzeichnungen, Berichten und Briefen ließen sich hier anführen26 – nicht nur die kindliche Sozialisation Georgs, sondern auch sein politisches und soziales Denken stark von Seebeck beeinflusst wurde. Dies galt auch über das Ende der Erzieherzeit hinaus, denn der Briefwechsel zwischen Seebeck und dem Erbprinzen bzw. Herzog berührte besonders in den zwei Jahrzehnten 24 ThStAM, HA, Nr. 927, Brief von Erbprinz Georg von Sachsen-Meiningen an Herzogin Marie von Sachsen-Meiningen, Bonn, 20. Februar 1845, Bl. 9r–10v, hier Bl. 9r. 25 ThStAM, HA, Nr. 1435, Brief von Moritz Seebeck an Erbprinz Georg von SachsenMeiningen, Meiningen, 28. Dezember 1844, Bl. 9r–10v, hier Bl. 9r. 26 Vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 126–138.
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zwischen der Revolution 1848/49 und der Reichsgründung, von den allgegenwärtigen Universitätsangelegenheiten abgesehen, durchaus auch oft politische Gegenstände. Die tendenziell konfliktträchtige Prägung des Erbprinzen durch Seebeck lag zum einen in der dezidierten Option des Erziehers, der 1831 mit einer preußisch-patriotischen Schrift hervorgetreten war,27 für Preußen als deutsche Führungsmacht, die im Konflikt von 1866 bedeutsam werden sollte. Zum anderen zeigen sich in Georgs politischen Urteilen auch Spuren des konstitutionellen Staatskonservatismus, den Seebeck vertrat: Eine Haltung, die Vorbehalte gegen allzu frontalen Hochkonservatismus kultivierte, aber vor allem auch Abstand zu allen demokratischen Vorstellungen hielt.
II. Das Verhältnis zwischen Seebeck und Georg II. und die Universitäts- und Wissenschaftspolitik im kleinstaatlichen Thüringen Universitäts- und wissenschaftspolitisch relevant wurde das auf der Prinzenerzieherzeit basierende Verhältnis, als Moritz Seebeck 1851 Kurator der Universität Jena wurde. Damit geraten die strukturellen Voraussetzungen in den Blick, unter denen die persönliche Beziehung Georg II. und Moritz Seebecks für die Entwicklung von Universität und Wissenschaft im ernestinischen Thüringen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutsam wurde. Das Amt des Universitätskurators,28 das in Jena nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 erstmals geschaffen worden war, war seit 1843 unbesetzt gewesen, 1848 aufgehoben worden und wurde nun, 1851, schon mit Blick auf den konkreten Amtsanwärter Seebeck erneuert.29 Von ihrer rechtlichen Konstruktion her war die Kuratel seit 27 Vgl. [Moritz SEEBECK], Gesinnung eines preußischen Landwehrmannes. Ausgesprochen in drei Briefen, Berlin/Stettin/Elbing 1831. Ausführlich zu dieser Schrift vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 134–140. 28 Zum allgemeinen Überblick über die Entwicklung des Kanzler- und Kuratorenamtes an deutschen Universitäten vgl. Emil SEHLING, Daniel von Superville. Das Kanzleramt an der Universität Erlangen. Ein Beitrag zur Universitätsgeschichte, Leipzig 1893; Ludwig BERNHARD, Akademische Selbstverwaltung in Frankreich und Deutschland. Ein Beitrag zur Universitätsreform, Berlin 1930, S. 99–106; Alexander KLUGE, Die UniversitätsSelbstverwaltung. Ihre Geschichte und gegenwärtige Rechtsform, Frankfurt am Main 1958, S. 63–65; Laetitia BOEHM, Cancellarius universitatis. Die Universität zwischen Korporation und Staatsanstalt, in: Gert MELVILLE/Rainer A. MÜLLER/Winfried MÜLLER (Hg.), Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm anläßlich ihres 65. Geburtstages, Berlin 1996, S. 695–713; Stefan GERBER, Kurator, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 7, Stuttgart 2008, Sp. 390– 393. 29 Zur Geschichte der Kuratel in Jena vgl. Max VOLLERT, Geschichte der Kuratel der Universität Jena. Nach den Kuratelakten bearbeitet, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringi-
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1851, als sie ihrer politischen Überwachungsfunktionen weitgehend entkleidet wurde, als Vermittlungs- und Ausgleichsinstanz zwischen der Universität und ihren seit 1826 vier Erhalterstaaten, dem Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach sowie den Herzogtümern Sachsen-Coburg und Gotha, SachsenMeiningen und Sachsen-Altenburg entworfen. Die Unterhaltung der Universität durch vier „Nutritoren“ erforderte eine Schnittstelle, die außerhalb der universitären Selbstverwaltung stand, aber auch nicht unmittelbar in die Ministerialbürokratien der Erhalterstaaten eingebunden war. Seebeck gestaltete sein Amt auf dieser Grundlage zu einer zentralen politisch-administrativen Instanz, die in der kleinstaatlichen Universitäts- und Wissenschaftspolitik seit den 1850er Jahren die Gewichte zunehmend zugunsten der Kuratel als eines Entscheidungszentrums verschob und auch die Verfassungswirklichkeit der Jenaer Universität prägte – es überzeichnet die Verhältnisse in der Universitätsverwaltung des kleinstaatlichen Thüringen zwischen 1851 und 1877 nicht, von einem „System Seebeck“ zu sprechen.30 Der Jenaer Orientalist Johann Gustav Stickel notierte 1877 beim Tode Seebecks über den Kurator: Die ganze Leitung der Universität wurde bürokratisch; als Korporation verblieb ihr nur ein äußerer Schein von Einfluß; Seebeck war Autokrat bis in die kleinsten Dinge. […] Es war ein ganz persönliches Regiment; die Kuratel hat Gewalt des Senats und Prorektors absorbiert.31
Welche Faktoren ermöglichten es dem Kurator, vom Vermittler zum Gestalter kleinstaatlicher Universitätspolitik in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu werden? Grundlegend war die Tatsache der gemeinsamen Unterhaltung und Verwaltung der Jenaer Hochschule durch vier Kleinstaaten, die ein unterschiedliches Interesse an der Universität und eine daher mehr oder weniger stark ausgeprägte Bereitschaft zu ihrer Finanzierung zeigten. Vor allem gestalteten sich aufgrund sorgsam gewahrter Administrationsrechte Entscheidungsprozesse der vier sche Geschichte 31 (1918), 1–54; ebd. 32 (1920), 1–53, 175–226; Friedrich STIER, Geschichte der Kuratel der Universität Jena von 1878–1922, 3 Bde., Jena 1952. (Unveröffentlichtes Manuskript im UA Jena); GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), ab S. 222; Stefan GERBER, Die Universität Jena 1850–1918, in: Traditionen – Brüche – Wandlungen. Die Universität Jena 1850–1995, hg. von der Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 23–269, hier S. 57–62. 30 Das geschieht, in Anlehnung an Bernhard vom Brockes Formulierung vom „System Althoff“ in Preußen, in: Stefan GERBER, Das „System Seebeck“. Das Wirken des Jenaer Universitätskurators Moritz Seebeck 1851 bis 1877, in: Matthias STEINBACH/Stefan GERBER (Hg.), „Klassische Universität“ und „akademische Provinz“. Studien zur Universität Jena von der Mitte des 19. bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, Jena/ Quedlinburg 2005, S. 33–58. 31 ThULB Jena, Abteilung Handschriften und Sondersammlungen, Nachlass Stickel 2, 7, 425v, Tagebucheintragung von Johann Gustav Stickel, 31. August 1877.
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Regierungen oft langwierig. Nicht selten entstand ein Entscheidungsvakuum, in das der Kurator – vor Ort und unmittelbar im Bilde über die Situation in Universität und Regierungen – vorstoßen konnte. Die persönliche Vertrauensstellung Seebecks an allen vier Höfen, insbesondere in Meiningen und Weimar, wo neben der gemeinsamen Universitätsunterhaltung auch akademische Separatkassen für eine begrenzte eigene Universitätspolitik unterhalten wurden,32 musste unter diesen Bedingungen an Gewicht gewinnen. Zudem war Seebeck nicht nur zwischen 1835 und 1845 Prinzenerzieher in Meiningen gewesen. Von 1848 bis 1850 war er als kleinstaatlicher Diplomat Bevollmächtigter aller thüringischen Regierungen bei der Provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt und danach dem Verwaltungsrat der Union in Berlin gewesen. Hier war er als entschiedener Streiter gegen die Mediatisierung seiner thüringischen Auftraggeber hervorgetreten.33 Als Vertreter eines preußischen Staatskonservativismus, der ihn noch in den 1830er Jahren zum entschiedenen Gegner einer Konstitutionalisierung Preußens gemacht hatte, hatte sich Seebeck unter dem für ihn traumatischen Eindruck der 1848er Revolution dem gemäßigten, konstitutionellen Liberalismus angenähert. Diese pragmatische Haltung brachte Seebeck in seiner Frankfurter Zeit, neben seinen gleichsam „natürlichen“ Verbindungen zur konservativen Café-Milani-Fraktion,34 in enge Berührung mit führenden Männern des gemäßigt-liberalen Casino wie Heinrich von Gagern, Eduard Simson, Johann Gustav Droysen oder dem von Seebeck außerordentlich geschätzten Karl Mathy.35 Zwischen 1848 und 1850 formte sich so bei Seebeck das politische Konzept heraus, das er ab 1851 vor allem im Zusammenspiel mit dem weimarischen Staatsminister der Jahre 1849 bis 1870, Bernhard von Watzdorf, und mit Gottfried Theodor Stichling, Mitarbeiter Watzdorfs, ab 1867 Chef des weimarischen Kultusdepartements und Familienfreund der Seebecks,36 zur Grundlage der Universitätspolitik machte. Mit Watzdorf, den Seebeck ebenfalls aus Frankfurt kannte, verband den Kurator die Überzeugung, dass ausgeprägte Reaktionsmaßnahmen nach der Revolution das 32 Zu den Separatkassen vgl. GERBER, Universität Jena 1850–1918 (wie Anm. 29), S. 77–79. 33 Vgl. dazu Paul WENTZCKE, Thüringische Einigungsbestrebungen im Jahre 1848. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung. Mit einem Anhang: Politische Briefe Moritz Seebecks aus Frankfurt und Berlin 1848–1851, Jena 1917. 34 Hier besonders zu dem bayerischen Abgeordneten Hermann von Rotenhan. So war der umfängliche Brief zur Mediatisierungsfrage, den Seebeck 1848 als Flugschrift drucken ließ, zunächst an Rotenhan gerichtet. Vgl. [Moritz SEEBECK], Aus einem Briefe als Manuscript gedruckt, Frankfurt a. M., den 24. October 1848, in: WENTZCKE, Einigungsbestrebungen (wie Anm. 33), S. 280–285. 35 Vgl. dazu GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 153–179. 36 Zur weimarischen Kultuspolitik dieser Jahre und dem Verhältnis zu Seebeck vgl. Stichlings Lebenserinnerungen: Gottfried Theodor STICHLING, Aus Drei und Fünfzig Dienstjahren. Erinnerungen, Weimar 1891, S. 174 f.
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falsche politische Konzept seien und ein flexibles Zusammenwirken mit gemäßigt-liberalen Kräften auch für den Kleinstaat lebensnotwendig sei.37 Grundlage der Jenaer Universitätspolitik in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren aber nicht nur dieses politische Konzept und die entsprechenden politischen Verbindungen Seebecks. Seit seiner Zeit als Lehrer am Berliner Joachimsthalschen Gymnasium und als Mitarbeiter Johannes Schulzes im preußischen Kultusministerium,38 als Prinzenerzieher und an der Universität Bonn hatte Seebeck vor allem im preußischen Bildungs- und Universitätswesen ein dichtes Netz von Vertrauensleuten geknüpft, das er, wie sein umfänglicher Briefwechsel zeigt, gerade in dem für eine kleinere, unterfinanzierte Universität wie Jena schwierigen Professoren-Berufungsgeschäft intensiv nutzte.39 Dies, wie auch seine weitausgreifenden Akquisitionsreisen, ließ Seebeck zu einer bekannten Gestalt in der deutschen „Universitätsszene“ der 1850er und 1860er Jahre werden und erschwerte seine Aufgabe bisweilen zusätzlich. 1856 schrieb er an den sachsen-altenburgischen Staatsminister Alfred von Larisch: Nachdem ich die meisten deutschen Universitäten besucht habe, wäre es mir nur erwünscht, nun auch noch Erlangen aus eigener Anschauung näher kennen zu lernen. Aber incognito kann es nach meiner bisherigen Erfahrung nicht geschehen. […] So war ich vorigen Sommer eben erst nach Marburg gekommen, als ich schon aufgesucht wurde, obschon ich weder im Mietshaus noch sonst meinen Namen genannt hatte, und bei Fortsetzung meiner Reise mußte ich davon schon unterwegs in den Zeitungen lesen.40
Es war, wie diese skizzenhaften Andeutungen deutlich machen, die im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts einzigartige Erhalterstaatsverfassung der Universität Jena, die der Person des Universitätskurators in Jena weitreichende Spielräume eröffnete. Die konkrete Nutzbarkeit dieser Spielräume war – wie Seebecks vergleichsweise „schwache“ unmittelbare Nachfolger in der Jenaer Universitätskuratel zeigen41 – Aushandlungssache. Seebeck besaß dafür durch seine preußischen und Frankfurter Beziehungsnetze, seine Nähe zu den entscheidenden Ministern und Beamten der ernestinischen Regierungen, vor allem aber durch seine persönliche Nähe zu einem der Monarchen nahezu ideale Voraussetzungen. Es ist deshalb nicht zu stark zugespitzt zu sagen, dass Georg II. 37 Zum Verhältnis zwischen Watzdorf und Seebeck vgl. den (universitäts-) politisch und persönlich ergiebigen Briefwechsel beider: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), Nachlass Bernhard von Watzdorf, Nr. 96, 97, 108 u. 149. 38 Vgl. dazu GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 83–96. 39 Vgl. Ebd., S. 434–524. 40 Thüringisches Staatsarchiv Altenburg (im Folgenden: ThStAA), Geheimes Ministerium Nr. 1603, Brief von Moritz Seebeck an Alfred von Larisch, 14. März 1856, unpag. 41 Zur weiteren Entwicklung der Jenaer Universitätskuratel, die nach Seebeck von Heinrich von Eggeling (1877–1884) und August von Türcke (1884–1909) weitergeführt wurde, und erst unter Kurator Max Vollert (1909–1922) wieder an Bedeutung gewann, fehlt eine Untersuchung. Vgl. STIER, Geschichte der Kuratel (wie Anm. 29).
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das System eines „bevollmächtigten Kurators“, das Seebeck in Jena etablierte, entscheidend mit ermöglicht hat – „Person“ und „Struktur“ waren einmal mehr nicht voneinander zu trennen.
III. Wirkungen Wo nun lassen sich Beispiele für die konkreten Auswirkungen der Beziehung von Georg II. und Moritz Seebeck in der Universitätspolitik festmachen? Seebeck betrachtete den Meininger Konnex zu Beginn seiner Kuratel als entscheidenden Vorteil seiner Amtsführung und blieb, obwohl nun offiziell von allen vier „Nutritoren“ bestellt und besoldet, doch besonders an Meiningen gebunden: Auch nach seinem Wechsel nach Jena wurde Seebecks Einkommen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil durch Sachsen-Meiningen finanziert. Die 1.500 Taler jährlicher Pension, die er für seine dem Herzogshaus geleisteten Dienste erhielt, blieben lange überlebensnotwendig, denn die Querelen um seine Kuratorbesoldung waren ein Spiegelbild der Finanzschwäche der Erhalterstaaten der Jenaer Universität: Die von allen vier Erhaltern finanzierten 500 Taler Jahresgehalt konnten nur dadurch auf die notwendige Mindesthöhe gebracht werden, dass sich der Weimarer Großherzog bereitfand, jährlich 500 Taler von seiner Zivilliste beizusteuern. Eine wichtige Rolle spielten für Seebeck deshalb immer, auch nach den im Laufe der Jahre folgenden Gehaltserhöhungen, Sonderleistungen aus der altenburgischen, der meiningischen und gelegentlich auch der gothaischen Separatkasse für Universitätszwecke. Der jährliche Urlaubszuschuss von 600 Talern bzw. nach 1873 von 200 Mark für den Kurator kam beispielsweise durch solche Leistungen zustande.42 Auch über diese weiterbestehende finanzielle Bindung hinaus, suchte Moritz Seebeck, besonders bis zum Konflikt und Regierungswechsel von 1866, Erbprinz Georg, mit dem er weiterhin in engem brieflichen Kontakt stand, zur Beeinflussung der sachsen-meiningischen Universitätspolitik unter Umgehung des Meininger Ministeriums zu nutzen. Berufungsangelegenheiten erörterte er ausführlich mit Georg, so dass die Briefe zwischen Georg und Seebeck besonders aus den späten 1850er und 1860er Jahren eine aufschlussreiche Quelle zur Jenaer Berufungspolitik dieser Zeit sind – gerade weil sie sich unterhalb der offiziellen Schwelle der ausführlichen, gelegentlich ausufernden Denominationsberichte bewegen, die Seebeck bei jeder Professorenberufung bei allen vier Regierungen einreichte. In besonders heiklen Fällen versuchte Seebeck, die Meininger Verbindung zu nutzen, um Eingriffe anzuregen, die offiziell nicht von ihm aus42 Zu diesen Zahlen und zur Gesamtproblematik vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 263–272.
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gehen durften. So beispielsweise in dem auch unter dem Gesichtspunkt des Umgangs mit jüdischen Gelehrten an der Jenaer Universität des 19. Jahrhunderts aufschlussreichen Fall des Bonner Privatdozenten und bekannten Altphilologen Jakob Bernays.43 Seebeck betrachtete ihn als einzigen zur Verfügung stehenden geeigneten Nachfolger für den im Frühjahr 1851 gestorbenen Jenaer Gräzisten Ferdinand Gotthelf Hand.44 Seine Bonner Informanten Christian August Brandis, Friedrich Gottlieb Welcker und Friedrich Ritschl hatten Bernays Seebeck in Briefen ans Herz gelegt.45 Ein Vorstoß Seebecks bei dem ihm ebenfalls gut bekannten Chef der Kirchen- und Schulabteilung des Meininger Ministeriums, Otto von Bibra, hatte eine Abwehrhaltung gegen die Berufung eines Juden gezeigt, zumal Bernays, anders als viele andere jüdische Bildungsbürger im 19. Jahrhundert, zu keinem Zeitpunkt bereit war, um der akademischen Karriere willen zum Christentum überzutreten. Seebeck, dessen Briefe von damals konventionellen antijüdischen Vorurteilen nicht frei sind,46 den aber in diesem Fall die Zurücksetzung eines begabten Wissenschaftlers stärker empörte, versuchte über Erbprinz Georg diskret den Herzog selbst ins Spiel zu bringen: Man könne nun, so schrieb er Georg, nur auf „Ihren Durchl. Herrn Vater“ hoffen, denn dieser sehe „diese wie andere Dinge von einem freieren Standpunct […] als seine Herren Räthe“.47 Die Intervention Bernhards erfolgte dann, scheiterte aber am kategorischen Widerstand der anderen Höfe. Tatsächlich konnte Jacob Bernays erst im Zuge der vollständigen Emanzipation während der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 akademisch reüssieren und wurde, nachdem Friedrich Ritschl Bonn in Richtung Leipzig verlassen hatte, als Extraordinarius an die Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität zurückberufen. Das Jahr 1866 und der folgenschwere Konflikt in Sachsen-Meiningen, der zur Abdankung Bernhards II. und zum Regierungsantritt Georg II. führte, 43 Zu Bernays vgl. v. a. Hans I. BACH, Jacob Bernays. Ein Beitrag zur Emanzipationsgeschichte der Juden und zur Geschichte des deutschen Geistes im 19. Jahrhundert (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, 30), Tübingen 1974; Jean BOLLACK, Ein Mensch zwischen zwei Welten. Der Philologe Jacob Bernays, Göttingen 2009. – Ausführlicher zum hier geschilderten Vorgang GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 501 f. 44 Zu Hand vgl. Gustav QUECK, Ferdinand Gotthelf Hand nach seinem Leben und Wirken nebst Auszügen aus Briefen von Heyne, Carus, Passow, G. Hermann u. A. und der Grabrede des Geh. Kirchenraths Schwarz, Jena 1852; Karl Ritter VON HALM, Hand, Ferdinand Gotthelf, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 10, Leipzig 1879, S. 499 f. Zu Hands sozialen Aktivitäten vgl. Matthias STEINBACH, Ökonomisten, Philantrophen, Humanitäre. Professorensozialismus in der akademischen Provinz, Berlin 2008, S. 135–163. 45 Zu Seebecks Verhältnis zu Brandis, Welcker und Ritschl vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 130–138. 46 Vgl. Ebd., S. 500. 47 ThStAM, HA, Nr. 1440, Brief von Moritz Seebeck an Erbprinz Georg von SachsenMeiningen, 10. November 1851, Bl. 4r–11v, hier Bl. 11rv.
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bedeutete für diese Form von Universitätspolitik eine Belastung. Zwar war nun Seebecks „Zögling“ selbst an die entscheidende Stelle vorgerückt, aber der weiterschwelende Konflikt mit dem Vater warf seine Schatten auch auf das Verhältnis zu Seebeck. Der Jenaer Universitätskurator unterstützte die Entscheidung Georgs für Preußen zwar ausdrücklich, stand aber andererseits doch auch in einem Vertrauensverhältnis zum abgedankten Herzog und war aufgrund seiner monarchisch-legitimistischen Gesinnung entsetzt über die Entthronung dreier deutscher Monarchen durch Bismarck und die nachfolgenden preußischen Annexionen. Wie lange dieser Familienkonflikt nachwirkte und wie er die Universitätspolitik beeinflusste, sollte sich noch am Ende der Ära Seebeck zeigen: Seebeck, der seine Nachfolge in der Jenaer Universitätskuratel selbst im direkten Kontakt mit den Monarchen regeln wollte, schlug den bekannten und tatsächlich gut geeigneten Philologen Rochus von Liliencron vor, der seit 1869 Hauptredaktor der Allgemeinen Deutschen Biographie in München war, aber zwischen 1855 und 1868 als Intendant der Hofkapelle und Bibliothekar in meiningischen Diensten gestanden hatte – als Vertrauter von Herzog Bernhard.48 Liliencron, der 1852–55 in Jena gelehrt hatte,49 war bereit, für das verglichen mit München bescheidene Gehalt von 2.500 Talern anzunehmen. Alle Erhalter stimmten zunächst zu – außer Georg II., der ganz offenbar diesen Mann Bernhards II. nicht in Jena sehen wollte. Das führte dazu, dass auch die beiden anderen herzoglichen Regierungen, die in Personalfragen zumeist auf enge Abstimmung bedacht waren, um Weimarer Vorschlägen gegebenenfalls entgegentreten zu können, den Vorschlag nun ablehnten. Liliencron war indes nicht nur eine gute Wahl, er war auch ein persönlicher Freund Moritz Seebecks, der in Liliencrons Jenaer Zeit alles ihm Mögliche für den mittellosen Extraordinarius getan hatte. Und obwohl Georg seine Ablehnung mit dem Rühmen der „Objectivität“ Seebecks verknüpfte, dessen Auffassungen für seine Universitätspolitik „eine so sichere und zuverlässige Grundlage abgegeben“ hätten,50 war diese Ablehnung des Herzogs doch Grund für eine nachhaltige Verstimmung. Möglicherweise kam sie nicht nur wegen der engen Verbindung Liliencrons zum alten Herzog, sondern auch dadurch zustande, dass Seebeck kurz vor den ge48 Zu Liliencron vgl. Anton BETTELHEIM (Hg.), Lebenserinnerungen. Aus dem Nachlaß von Rochus Freiherrn v. Liliencron, Berlin 1913; DERS., Leben und Wirken des Freiherrn Rochus von Liliencron. Mit Beiträgen zur Geschichte der Allgemeinen Deutschen Biographie, Berlin 1917. 49 Zu Liliencrons Jenaer Zeit vgl. auch Stefan GERBER, Wissenschaft und Politik im Wechselspiel. Heinrich Rückert, Franz Xaver Wegele und Rochus von Liliencron als Germanisten, in: Reinhard HAHN/Angelika PÖTHE (Hg.), „…und was hat es für Kämpfe gegeben“. Studien zur Geschichte der Germanistik an der Universität Jena, Heidelberg 2010, S. 33–60. 50 ThStAA, Gesamtministerium Nr. 1117, Vol. 2, Brief des meiningischen Ministeriums an das weimarische Ministerium, 3. Dezember 1874, Bl. 183r–183v, hier Bl. 183v.
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schilderten Ereignissen seinem ehemaligen Zögling entschieden von der Heirat mit der Schauspielerin Ellen Franz abgeraten hatte.51 Bezeichnenderweise konnte der verärgerte Seebeck es sich leisten, hart zurückzuschlagen: Über den auf Betreiben Georgs II. anstelle von Liliencron vorgeschlagenen preußischen Kultusbeamten Rudloff schrieb Moritz Seebeck an die Ministerien der Jenaer Erhalterstaaten, er erinnere sich nicht, von diesem Mann „je ein Urtheil von wirklich sachlichem Belang oder eine von bestimmter Gesinnung nur irgend durchklungene Äußerung gehört zu haben.“ Der Meininger Kandidat sei ein Karrierist, dem für das Kuratoramt „persönliche Haltung“, „geistige Potenz“, „Tact und Discretion“ gänzlich fehlten.52 Bezeichnend für das auf lebensgeschichtlich sehr stabilen Grundlagen beruhende Verhältnis ist es aber auch, dass solche Ereignisse das Grundeinverständnis zwischen Seebeck und Georg II. nicht beeinträchtigten. Zu Beginn seiner Regierung hatte Seebeck Georg Grundsätze vorgelegt, die dieser zur Basis seiner Universitätspolitik machen sollte.53 Immer wieder suchte Seebeck den direkten Kontakt zu Georg II., nicht zu Unrecht darauf vertrauend, das persönliche Darlegung seiner Meinungen und Absichten ihre Wirkung auf den Herzog nicht verfehlen würde. Bezeichnend für diese Konstellation war z. B. das Vorgehen des Kurators in der umstrittenen Berufung des Heidelberger Philosophen Kuno Fischer: Georg II. hegte Bedenken gegen diese Personalie – nicht in erster Linie, weil Kuno Fischer in Heidelberg wegen des Vorwurfs des „Pantheismus“ in Konflikt mit der universitären Theologie und dem badischen Staat geraten war, sondern wohl vor allem, weil Sachsen-Weimar und Carl Alexander, die aus südthüringischer Sicht stets des politischen und kulturellen Hegemoniestrebens verdächtig waren, die Berufung forcierten, und weil es die Solidarität mit einer anderen herzoglichen Regierung zu wahren galt: Sachsen-Altenburg, das schon seit einiger Zeit die Berufung „positiverer“, d.h. theologisch konservativerer Theologen in die liberal geprägte Jenaer Theologenfakultät auf seine Fahnen geschrieben hatte, wollte der Berufung Fischers nur zustimmen, wenn gleichzeitig die gewünschte theologische Berufung realisiert würde. Seebeck machte dieses Junktim zu schaffen und den ganzen Sommer 1856 zog der Kurator, wie das
51 Zum gesamten Vorgang der versuchten Berufung Liliencrons in das Jenaer Kuratoramt vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 653–657. Zur Diskrepanz zwischen Seebeck und dem Herzog wegen der Heirat mit Ellen Franz vgl. Brief von Helene Freifrau von Heldburg an Sophie von Seebeck, 19. Dezember 1919, in: Freifrau von Heldburg, Fünfzig Jahre (wie Anm. 11), S. 222. 52 ThStAA, Gesamtministerium Nr. 1117, Bericht von Moritz Seebeck an die Ministerien der Erhalterstaaten, 27. Februar 1875, Vol. 2, Bl. 216r–223v. 53 ThStAM, HA, Nr. 1440, Brief von Moritz Seebeck an Erbprinz Georg von SachsenMeiningen, 10. November 1851, Bl. 4r–11v. Zu Seebecks Amtsverständnis insgesamt vgl. auch GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 281–354.
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Haupt der Jenaer liberalen Fakultät Karl Hase spöttisch notierte, umher nach ‚einem gläubigen Theologen‘, den soll sich Altenburg haben versprechen lassen für die Zulassung von Kuno Fischer, dem in Heidelberg die venia docendi als wegen Pantheismus genommen worden war.54
Den Widerstand Georgs – und das war in der „Causa Fischer“ der Schlüssel zum Erfolg – konnte Seebeck in einem langen persönlichen Gespräch mit dem Herzog im Sommer 1856 in Saalfeld überwinden. Georg ließ seine Bedenken fallen und es gelang, trotz weiteren Widerstandes aus Altenburg, Fischer zum Wintersemester 1856/57 zunächst als besoldeten Honorarprofessor zu berufen, und im Herbst 1857, ungeachtet des fortbestehenden Widerstrebens der sachsen-altenburgischen Regierung, zum Ordinarius aufrücken zu lassen.55 Vor allem aber bremste Seebeck durch sein kontinuierliches, von der Autorität eines ehemaligen Prinzenerziehers und Herzogs-Vertrauten gestütztes Einwirken auf das meiningische Ministerium, die Tendenz des südthüringischen Herzogtums, sich von der Unterhaltung der Jenaer Universität zurückzuziehen. Seit dem 18. Jahrhundert waren besonders von den Herzogtümern SachsenCoburg-Saalfeld, Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Meiningen fortgesetzt Klagen darüber laut geworden, das Weimarer Herzogtum profitiere zum einen unverhältnismäßig stark von dieser gesamternestinischen Einrichtung und mache die Universität auf der anderen Seite zum Instrument seiner Hegemonialbestrebungen im ernestinischen Thüringen. Natürlich gingen diese Klagen, die auf Verminderung oder gar Einstellung der Unterhaltsbeiträge abzielten, hauptsächlich auf die in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts geradezu verzweifelte Finanzlage der Herzogtümer zurück: Während Sachsen-Meiningen unter der Regentschaft der Herzoginwitwe Charlotte Amalie nach 1763 konsolidiert werden konnte, standen Hildburghausen und Coburg seit 1769 bzw. 1772 unter der Zwangsverwaltung kaiserlicher Debit- und Administrationskommissionen.56 Dies und die Sorgen um wachsende Kosten wegen der von Weimar angestrebten Universitätsreform führten dazu, dass Meiningen und CoburgSaalfeld 1817 von der Unterhaltung der Jenaer Universität, und damit auch von der aktiven Mitsprache in den Universitätsangelegenheiten zurücktraten, auch wenn die hausrechtlich garantierten Rechte durch dieses Zurücktreten nicht erloschen. Sachsen-Weimar und Sachsen-Gotha stellten daraufhin in einem 54 Karl von HASE, Annalen meines Lebens, Leipzig 1891, S. 122. 55 ThHStAW, Nachlass B. v. Watzdorf Nr. 108, Zum Gespräch und zum gesamten Vorgang vgl. Brief von Moritz Seebeck an Bernhard von Watzdorf, Jena, 1856 [genaues Datum fehlt], Bl. 75r–78v. 56 Vgl. dazu umfassend: Siegrid WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806, Köln/Weimar/Wien 2002, bes. S. 257–431.
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Staatsvertrag ihre Universitätsunterhaltung auf eine neue Grundlage.57 Erst mit der dynastischen und territorialen Neuordnung von 1826 kehrten dann alle verbliebenen ernestinischen Staaten, auch das vergrößerte Sachsen-MeiningenHildburghausen, in die Nutritorengemeinschaft der Jenaer Universität zurück. Die Skepsis gegenüber der Universitätsfinanzierung, wie auch gegenüber der Finanzierung anderer gesamternestinischer Institutionen, verstärkte sich in Meiningen, das mit dem Erwerb Hildburghausens und Saalfelds zum zweitgrößten thüringischen Staat nach Weimar aufgestiegen war, nach der Rückkehr in die Universitäts-Mitunterhaltung eher noch. Diese Zurückhaltung nahm in der Regierungszeit Georg II. auch deshalb tendenziell zu, weil der großbetriebliche Ausbau der universitären Wissenschaft bisher ungeahnte Summen verlangte und die Jenaer Universität nach der Reichsgründung in eine Finanzierungskrise geriet, die immer wieder zu Gerüchten um eine bevorstehende Schließung dieser einzigen von Kleinstaaten unterhaltenen deutschen Universität führte.58 Seebeck bat Georg II. nicht nur öffentlich solchen Gerüchten entgegenzutreten, sondern führte dem Herzog auch immer wieder die Bedeutung der Jenaer Universität im Rahmen eines kleinstaatlichen Politikkonzepts vor Augen, das auf „Kultur als Behauptungsstrategie“ und auf infrastrukturelle Leistungen der Kleinstaaten setzte, in denen sie sich durchaus mit größeren Bundestaaten messen konnten – Konzepte, die Georg II. selbst verfolgte und in die er deshalb auch die teure Jenaer Hochschule einpassen konnte. Anders als Sachsen-Coburg, das sich noch im Ersten Weltkrieg mit dem Argument aus der Mit-Unterhaltung der Jenaer Universität zurückziehen wollte, die Unterhaltsverpflichtung beziehe sich nur auf das lediglich in Realunion verbundene Herzogtum Sachsen-Gotha,59 blieb Sachsen-Meiningen damit dauerhaft ein „Nutritor“ der Universität Jena. Die Prämissen der Kulturfinanzierung Georgs II., die natürlich auf einer eigenständigen meiningischen Kulturpolitik, vor allem auf Hofkapelle und Theater lagen, gingen im Rahmen eines auf „Kultur“ basierten prestigepolitischen Projekts mit der Universitätsunterhaltung trotz aller Belastungen Hand in Hand. Wie stark diese Koppelung war, zeigte sich gerade in denjenigen universitätspolitischen Anliegen, in denen Seebecks persönliche Intervention beim Meininger Herzog nicht erfolgreich war. Das war z. B. der Fall, als Sachsen57 Vgl. dazu ausführlich: Gerhard MÜLLER/Thomas PESTER, Konstitutionalisierung und Universitätsreform. Die Neuordnung der Universität Jena 1817 bis 1821, in: DIES., Konstitutionalisierung und Universitätsreform: Die Statuten und Gesetze für die Universität Jena von 1817 bis 1821, Teilbd. 1: Dokumente, Weimar 2005, S. 31–43. 58 Zur Finanzkrise der Universität Jena in den 1870er Jahren vgl. GERBER, Universitätsverwaltung (wie Anm. 2), S. 579–595. 59 Vgl. Schiedsspruch der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München in dem Schiedsverfahren zwischen den Herzogtümern Coburg und Gotha über die Verpflichtung zur Mit-Unterhaltung der Universität Jena vom 17. Mai 1916, München 1916.
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Meiningen 1871 ankündigte, sich aus dem gemeinsamen, 1864 gegründeten statistischen Büro der thüringischen Staaten (mit Ausnahme des Fürstentums Reuß älterer Linie) zurückzuziehen, um eine eigene statistische Landesbehörde zu schaffen. Zu Recht sah der Kurator mit den fehlenden Beiträgen Meiningens und der Unfähigkeit der Universitätskasse, diese zu ersetzen, den Bestand der Institution gefährdet. In einem persönlichen und dringlichen Brief wandte er sich daraufhin im November 1871 an Georg II. von Sachsen-Meiningen, um eine Rücknahme des Beschlusses zu erreichen. Eine Schließung des statistischen Büros, so Seebeck, würde ein einschneidender Verlust für Universität wie für Erhalterstaaten, für kleinstaatliches Prestige durch Wissenschaft und gute Administration sein. Erst jüngst habe ich in einem belgischen Journal, also in dem Journal eines Landes, wo man Wesen und Werth der Statistik wie nur sonst irgendwo zu beurtheilen versteht, gelesen, daß auch in dieser Wissenschaft vor Allem schon wieder von den Deutschen zu lernen sei, und da war namentlich auf die Universität Jena gewiesen, und was ihr Unterricht in Statistik leistet, wie ein Muster vor Augen gestellt.
Nur dem statistischen Büro habe die Jenaer Hochschule diesen Aufschwung ihrer staatswissenschaftlichen Lehre zu verdanken. Daneben gelte es insgesamt zu bedenken, dass die Statistik sich in jüngster Zeit „für alle Interessen des Gemeinlebens zu so sichtlich wachsender Bedeutung“ erhebe, daß auf die Dauer kein Staat, auch der kleinste nicht, der kundigen Hände zu ihrer Pflege entrathen kann, und möchte ein solcher in Deutschland da nicht aus eigenem Antriebe mitthätig sein, so würde er doch mit der Zeit den dringenden Anforderungen seiner Verbündeten nicht zu widerstehen vermögen; denn auch die sorgsamsten statistischen Erhebungen lassen ohne Gleiche im Gebiete des Nachbars [sic.] sich nicht gehörig sicherstellen und verwerthen.
Deshalb müsse das Ausscheiden aus dem gemeinsamen statistischen Büro ein völlig falsches Signal sein; vielmehr gelte es, das Büro „als Ernestinisches Gemein-Institut zu heben und weiter auszugestalten“.60 Dennoch schied SachsenMeiningen aus. Hier war, ähnlich wie beim Rückzug Sachsen-Coburg und Gothas vom Statistischen Büro 1875, einzelstaatlicher Behauptungswille auch beim Meininger Herzog stärker als die Plausibilität und Attraktivität einer Stärkung kleinstaatlicher Strukturen durch begrenzte Kooperation. Ein öffentlicher Prestigegewinn, wie ihn die Kulturförderung oder die Universitätsfinanzierung als ganzes verhießen, wurde im Blick auf das Statistische Büro nicht erwartet. Knapp zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die lebensgeschichtlich begründete enge Beziehung zwischen Herzog Georg II. und Moritz Seebeck ein eindrückliches Beispiel für die Auswirkungen individueller Faktoren in der 60 ThStAM, HA, Nr. 1448, Brief von Moritz Seebeck an Herzog Georg von SachsenMeiningen, 25. November 1871, Bl. 3r–4v, hier Bl. 3r–4r.
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Universitäts- und Wissenschaftspolitik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts darstellt. Auch wenn die auf diesem persönlichen Verhältnis zweier entscheidender Protagonisten beruhende Konstellation nur im Kontext struktureller Faktoren, d. h. hier universitärer und sachsen-meiningischer Eigeninteressen, begrenzter finanzieller Spielräume und einer flachen Regierungs- und Verwaltungsbürokratie in den thüringischen Kleinstaaten angemessen eingeordnet werden kann, ist ihre universitätspolitische Relevanz doch unübersehbar. Ohne die Berücksichtigung dieser Personenkonstellation müssen einer historischen Analyse entscheidende Motive und Handlungsformen kleinstaatlicher Politik im Thüringen – und darüber hinaus im Deutschland des 19. Jahrhunderts unverständlich bleiben. Deshalb mündet diese knappe Bestandsaufnahme zu den strukturellen Auswirkungen des persönlichen Verhältnisses von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Moritz Seebeck in ein Plädoyer, sowohl die Universitätsund Wissenschaftsgeschichte als auch die Rekonstruktion politischer Entscheidungsprozesse in den thüringischen und deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts noch stärker (oder wieder stärker) als eine Geschichte konkreter Akteure und ihrer Vernetzungen zu betreiben.
CLAUDIA TASZUS GEORG II. ALS MÄZEN ERNST HAECKEL
Georg II. als Mäzen Ernst Haeckels Anfang des 19. Jahrhunderts galt die Philosophie noch als Leitwissenschaft für die sich neu formierende und ausdifferenzierende Naturwissenschaft. Die Auseinandersetzungen um die Evolutionslehre Darwins gegen Ende des 19. Jahrhunderts kehrten dieses Verhältnis aber um, so dass nunmehr das Naturwissen die Philosophie bestimmen sollte. Mit Darwins Buch „Origin of Species“ wurden die Humanwissenschaften selbst Objekte einer biologischen Analyse. Dieser Umbruch in eine neue Ordnung des Wissens wirkte sehr rasch und umfassend. Die sich daraus entwickelnde wissenschaftliche Anthropologie stellte nunmehr den Menschen als ein Naturprodukt dar, dessen Wahrnehmung, Wille und Seelenleben physikalisch zu erklären seien. Diese geistige Strömung vertrat auch der Jenaer Mediziner und Zoologe Ernst Haeckel (1834–1919), der auf dem Kontinent um die Jahrhundertwende der wohl bedeutendste und streitbarste Vorkämpfer des Darwinismus war, was ihm den Beinamen „deutscher Darwin“ oder das weniger schmeichelhafte Epitheton „Darwins deutsche Bulldogge“1 einbrachte. Als erster Biologe veröffentlichte er 1866 in seiner „Generellen Morphologie der Organismen“ detaillierte Stammbäume, in denen sich auch der Mensch einreihte, und forderte, noch weit über Darwin hinausgehend, dass die Evolutionstheorie oder, wie zu dieser Zeit noch genannt, die „Entwickelungs-Lehre“ die Basis für eine moderne, ausschließlich an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte Weltsicht bilden solle. Die Verlagerung der innerbiologischen Diskussion um die Evolutionslehre auf eine breite gesellschaftspolitische Ebene stellte zum einen den Bezug auf die Theorien des Sozialdarwinismus, der Eugenik, Euthanasie, Rassenkunde usw. her, die in Haeckels Denken um 1900 immer breiteren Raum gewannen. Zum anderen rief die von Haeckel durch zahlreiche Schriften und die Gründung des Monistenbundes forcierte Ideologisierung, Politisierung und Popularisierung der Evolutionsbiologie ebenso wie die daraus konsequenterweise folgende antiklerikale Position Haeckels und ihr entscheidender Einfluss auf die zwischen 1906
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Analog zu Thomas H. Huxley, dem wohl bedeutendsten englischen Protagonisten der Evolutionstheorie, der den Spitznamen „Darwin‘s Bulldog“ führte und seit 1862 mit Haeckel korrespondierte. Beide, Haeckel und Huxley, waren, im Gegensatz zu dem eher zurückhaltenden Darwin selbst, sehr streitbare und eloquente Geister.
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und 1914 stattfindende Kirchenaustrittsbewegung im Deutschen Reich massive Reaktionen hervor.2 Der weltweit, gerade auch in katholischen Ländern als Vorkämpfer dieser Entwicklung geltende „grand old man of Germany“3 polarisierte die Nation. Der zahlreichen Anhängerschar, von der u. a. in seinem Nachlass mehrere Tausend Fanpostbriefe und -karten mit Lebensbekenntnissen sowie Gedichten und Liedern auf den ‚Nestor der deutschen Wissenschaft‘ und ‚Reformator‘ zeugen,4 stand daher auch eine entsprechend starke feindselige Partei gegenüber: Sei es in Form des Keplerbundes, einer Gegengründung zum Deutschen Monistenbund, oder in einer ganzen Reihe anonymer Drohbriefe klerikaler Fanatiker, die in einem durchaus ernstgemeinten Steinwurfattentat auf Haeckel am 4. März 1908 gipfelte (siehe Abb. 1).5 Daneben hatte Haeckel mit Anfeindungen von Fachkollegen oder Angriffen im universitären Bereich und aus politischen Kreisen zu kämpfen. Dass er sich in diesen Auseinandersetzungen behaupten und viele seiner Projekte frei und ungestört verwirklichen konnte, verdankt er in erster Linie der maßgeblichen Hilfe, die ihm von höchster Stelle, von den Kuratoren und den Erhaltern der Universität Jena selbst, den Herzögen von Sachsen-Coburg-Gotha (Ernst II.), Sachsen-Altenburg, Sachsen-Meiningen (Georg II.) und dem Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (Carl Alexander; Erbprinz Karl August) zuteilwurde.
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Heiko WEBER/Maurizio di BARTOLO/Olaf BREIDBACH, Monismus um 1900 – Organisation und Weltanschauung, in: Jahrbuch für Europäische Wissenschaftskultur 3 (2007), S. 7–18; vgl. dazu auch Paul ZICHE (Hg.), Monismus um 1900. Wissenschaftskultur und Weltanschauung, Berlin 2000; Heiko WEBER, Monistische und antimonistische Weltanschauung. Eine Auswahlbibliographie, Berlin 2000. Warren C. BANES, Short Talks on Free Thought, [Chicago] 1911, S. 32. Vgl. Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 43950, Haeckel an die Redaktion der Münchner Neuesten Nachrichten, 3. März 1904. Allein zu seinem 70. Geburtstag erhielt Haeckel mehr als 1100 Glückwunschbriefe und -postkarten aus aller Welt, die er nur unter Zuhilfenahme eines gedruckten Dankesbriefes und schließlich noch der Veröffentlichung desselben in der Presse beantworten konnte. Siehe dazu u. a. Haeckel an Waldemar Klinghammer, 16. März 1908, Archiv des ErnstHaeckel-Hauses Jena, ID 39642, darin auch Ausschnitt aus der Jenaischen Zeitung, Nr. 64/1908 „Ueber das Attentat auf Prof. Ernst Haeckel“; Archiv des Ernst-HaeckelHauses Jena, ID 10279, Georg II. von Sachsen-Meiningen an Haeckel, 11. März 1908: „Das ist ja ein ganz abscheuliches Attentat, das gegen Sie verübt worden ist! Von ganzem Herzen betrübt mich die Beunruhigung, welche Ihnen dadurch geworden ist und hoffe ich, die Person, welche so niederträchtig war, einen Stein nach Ihnen in Ihr Arbeitszimmer zu schleudern, werde ausfindig gemacht werden. Die Polizei in unseren kleinen thüringischen Staaten ist freilich nicht besonders findig und entbehrt der Gewandtheit und Findigkeit der Detektivs in den großen Städten, vielleicht gelingt es ihr aber doch, den Kerl zu erwischen.“
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Abb. 1: Anonymer Drohbrief an Ernst Haeckel, Rom, 29. September 1904
Die offene und liberale Förderung von Kunst und Wissenschaft wurde zunächst vor allem vom Weimarer Großherzog Carl Alexander getragen, der dies als Erbgut des sächsisch-ernestinischen Fürstenstammes ansah.6 In Bezug auf 6
In diesem Sinne Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10213, Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach an Haeckel, 23. Juli 1878; ebd., Haeckels Rede zur Amtseinführung des Kurators Heinrich von Eggeling, 25. Oktober 1884; ebd., Haeckel an Carl
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Haeckel äußerte sich dieses Interesse durch die von Kurator Seebeck übermittelte Einladung zu Vorträgen am Weimarer Hof, die Genehmigung und Teilfinanzierung von längeren Forschungsaufhalten, die instrumentale Ausstattung und den Bau des Zoologischen Instituts sowie die Vermehrung der Sammlungen.7 Als Carl Alexander starb, kam mit seinem Enkel Wilhelm Ernst ein Mann an die Regierung, der zwar als Erbe des Vermögens seiner Großmutter Sophie als reichster deutscher Fürst seiner Zeit galt, aber, wie Haeckel enttäuscht feststellen musste, keinerlei Interesse an Naturwissenschaften hatte. Umso wichtiger wurde seit Ende der 1880er Jahre das nicht auf Verpflichtung, sondern auf Freundschaft, Achtung, gemeinsamen künstlerisch-ästhetischen Interessen (z. B. Zeichnen, Theater) sowie ähnlichen politisch-weltanschaulichen Auffassungen fußende Bündnis mit Georg II. von SachsenMeiningen und dessen Frau Helene von Heldburg.8 Die von Januar 1889 bis Juli 1919, also kurz vor Haeckels Tod, andauernde Korrespondenz umfasst 78 Briefe von Georg II. an Haeckel sowie 77 Briefe von Haeckel an den Meininger Regenten, außerdem 74 Briefe von Helene von Heldburg an Haeckel und umgekehrt 75 Briefe an dieselbe, wobei man aufgrund der Kongenialität des Herzogspaares deren Korrespondenz als Gesamtbriefwechsel betrachten und nicht separat behandeln kann, wir haben es also mit insgesamt 284 Korrespondenzstücken zu tun. Diese Korrespondenz enthält hauptsächlich Briefe, aber auch Telegramme (meist zu Geburtstagen) und Postkarten, sowie Beilagen – worunter zahlreiche Schriften mit Widmungen Haeckels und Fotos zu rechnen sind.9 Persönlich kennengelernt haben sich Haeckel und Georg II. in Haeckels sog. „Laboratorium“ im Zoologischen Institut im Sommer 1888.10 Es sollten noch
Alexander, 10. Januar 1889, ID 33008; vgl. dazu auch Stefan GERBER, Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Universitätskurator Moritz Seebeck (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Thüringens, Kleine Reihe, 14), Köln/Weimar/Wien 2004, bes. S. 396–421. 7 GERBER, Moritz Seebeck (wie Anm. 6), S. 341, 449–452. 8 Vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Zur geistigen Kultur eines Biologen. Die Korrespondenz von E. Haeckel mit Herzog Georg II. und Freifrau Helene, in: Almanach für Kunst und Kultur im Bezirk Suhl 9 (1988), S. 60–67; DIES., Georg II. von SachsenMeiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, ZellaMehlis/Meiningen 1997, bes. S. 569 f. 9 Standorte der Korrespondenz sind die Meininger Museen, das Thüringische Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM) und das Ernst-Haeckel-Haus in Jena. 10 Georg II. hatte gemeinsam mit seiner Gattin, Helene von Heldburg, das Anfang Mai 1884 offiziell eröffnete neue Zoologische Institut in Jena besucht und besonderes Interesse an Haeckels Untersuchungen der Siphonophoren (Staatsquallen) für das von der englischen Regierung herausgegebene voluminöse Werk „Voyage of H. M. S. Challenger“ gezeigt (Meininger Museen, Br 295/4, Haeckel an Georg II., 10. Januar 1889); vgl. dazu
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wenigstens 15 wechselseitige, oft mehrtägige Besuche an den verschiedensten Orten folgen, die Haeckel reflektierend auf der Rückseite einer Porträtpostkarte des Herzogs festhielt (siehe Abb. 2).
Abb. 2: Porträtpostkarte von Georg II., rückseitig Haeckels Aufzählung der gegenseitigen Besuchsorte
Den Auftakt zum andauernden und fruchtbaren Gedankenaustausch mit dem herzoglichen Paar bildete ein Besuch des Zoologie-Professors auf der Veste Heldburg vom 18. bis 20. Mai 1889, zu dem sich Haeckel, der zwar ursprünglich Medizin studiert hatte, aber nie praktischer Arzt werden wollte, an seinem insgesamt zehnten schweren Patienten, dem Meininger Hofmarschall, verging, was sich von seiner Seite aus so anhörte: Hoffentlich hat sich der Herr Hofmarschall […] von seinem Unwohlsein ganz erholt. Mir hat dasselbe das Glück verschafft, die Gesamtzahl meiner „schweren“ Patienten (3 in Berlin, 2 in Sicilien, 4 in Ceylon) um einen vermehren zu können, und da keiner von jenen 9 glücklich gewesenen Patienten unter meiner Behandlung (– oder trotz derselben! –)
auch Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10246, Georg II. an Haeckel, 24. Januar 1889.
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gestorben ist, glaube ich auch dem würdigen alten Herrn noch ein langes Leben prophezeien zu können.11
Helene von Heldburg meinte gegenüber Haeckel: Zu dem Wertvollsten das mir die Vereinigung mit meinem Gatten im Leben gebracht hat, gehört meine Anteilnahme an seinem Bekanntwerden mit den Besten seiner Zeit. Wie lange wir uns schon auf Sie, hochverehrter Herr Professor, gefreut hatten, habe ich Ihnen schon neulich erzählt. Ihr lieber Besuch gehört nun zu den Lebensstunden, deren man sich am gernsten erinnert […].12
Wenig oder gar nicht bekannt ist indessen, dass Haeckels erste „Bekanntschaft“ mit Georg als Erbprinzen bereits auf Anfang August 1855 datiert ist, als er auf seiner Alpenreise im Gasthof des am Fuße des Großglockner gelegenen, sagenumwobenen Goldgräberdorfes und Botaniker-Eldorados Heiligenblut abstieg und notierte: Überhaupt ist Heiligenblut jeden Sommer fast von irgend einer großen Berühmtheit oder Notabilität heimgesucht und dabei um ein paar Anekdoten bereichert worden. So war vor einigen Wochen der Erbprinz Georg von Meiningen, als armer Maler verkleidet, hier gewesen, hatte unter diesem Inkognito eine Menge lustiger Streiche verübt u. schließlich auf die große weiße Wand neben dem Ofen mit Kohle einen sehr hübschen Ritter Georg mit dem Drachen hingemalt, der jetzt noch da stand.13
Für die Wahrnehmung Haeckels durch Georg II. war zunächst vor allem Moritz Seebeck maßgebend. Ungeachtet einer insgesamt distanzierten Haltung Sachsen-Meiningens zur Jenaer Gesamtuniversität wirkte die enge persönliche, bis zu Seebecks Tod andauernde Beziehung des Universitätskurators zu Herzog Georg II. forcierend auf Georgs Interesse an Haeckel und dessen Forschungen.14 Neben der geistigen Anteilnahme, dem regen gedanklichen Austausch 11 ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Helene von Heldburg, 22. Mai 1889; vgl. dazu auch Meininger Museen, Br 295/3, Haeckel an Georg II., 22. Mai 1889. 12 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10299, Helene von Heldburg an Haeckel, 24. Mai 1889. 13 Ernst HAECKEL, Reise in die deutschen Alpen […] und nach Ober-Italien […] im Herbst 1855 in neun Wochen (vom 12ten August bis 14ten Oktober 1855), Kap. VIII (egh. Mskr., 20 Bl., Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena). – Vielleicht ein ähnliches Bild wie das des Heiligen Georg am Kommandantenbau der Veste Heldburg, das Georg II. 1885 skizziert hatte und das Arthur Fitger später ausführte (vgl. Alfred ERCK/Axel SCHNEIDER/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben in Bildern, Meiningen 2014, S. 99), 1994 restauriert. Der Drachentöter Georg war ein allzeit beliebtes Motiv, das Haeckel schon seit seiner frühesten Kindheit kannte und bewunderte (Vgl. Haeckel an seine Mutter Charlotte, 12. Oktober 1842, Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 43832); zu Fitgers Bildnis vgl. auch den Beitrag von Wolfgang TÜRK in diesem Band, hier vor allem S. 388–391. 14 GERBER, Moritz Seebeck (wie Anm. 6), S. 335 u. 340 f.
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über nahezu alle Reisen, Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen Haeckels sind es vor allem die Entwicklung in Kunst, Philosophie und die politischen Zeitumstände, die im Fokus seiner Korrespondenz mit dem herzoglichen Paar standen. Die hohen Herrschaften nahmen jede Publikation Haeckels zur Kenntnis und studierten selbst deren mehrfache Auflagen intensiv und mit großem Interesse und Verständnis (so 10 Auflagen der „Schöpfungsgeschichte“).15 Im Gegenzug bedachte man Haeckel u. a. mit einer Prachtausgabe des von Helene von Heldburg geschätzten Philosophen Francis Bacon und einem transportablen Aquarium lavatorium.16 Besonders wichtig wurde Georgs Unterstützung für Haeckel seit den 1890er Jahren, als dieser begann, seinen offensiven Kampf um die Durchsetzung der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft, insbesondere der Evolutionsbiologie, im Volksbildungswesen aufzunehmen. Nach dem Erscheinen des reaktionären Volksschulgesetz-Entwurfes 1892 schrieb Haeckel an Helene von Heldburg: Erst vor wenigen Tagen hatten wir Ihrer freundlichst gedacht, bei einem ernsten Gespräche, welches ich mit einigen nächststehenden und patriotisch gesinnten Freunden über die schweren Gefahren hatte, welche unserem Vaterlande durch das Anstürmen der römischen Hierarchie drohen, und durch die unbegreifliche Verblendung, in welcher die preußische Regierung das mittelalterliche Volksschul-Gesetz als Heilmittel gegen die socialen und politischen Schäden der Neuzeit durchsetzen will; in der That nur zum Gewinn der klerikalen Macht. Wir waren dabei einig in der Hoffnung, daß die deutschen Fürsten – falls wirklich jenes unselige Gesetz zur Thatsache werden und damit der Unterricht um Jahrhunderte zurückgeschraubt werden sollte – sich dem von Preußen angebahnten Rückschritte energisch wiedersetzen und seine Ausdehnung auf das Deutsche Reich verhindern würden. Ich selbst vertrete dabei die Überzeugung, daß die Thüringer Fürsten – und vor allem Ihr Durchlauchtigster Herr Gemahl – die Beschützer der Reformation! – nicht dulden würden, daß der freie Gedanke und das freie Gewissen im Herzen Deutschlands in Ketten gelegt werden!17
15 Siehe dazu u. a. ThStAM, HA, NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Georg II., 4. Oktober 1902; Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10340, Helene von Heldburg an Haeckel, 9. November 1889; Freifrau von Heldburg (Ellen Franz). Fünfzig Jahre Glück und Leid. Ein Leben in Briefen aus den Jahren 1873–1923, hg. von Else von HASE-KOEHLER, Leipzig 21926, S. 89: „Der Herzog ist auf seine alten Tage noch ein passionierter Leser geworden, nicht von Romanen, sondern von interessanten wissenschaftlichen Werken. Jetzt ist er über einem Buche, das ihm Häckel geschickt hat und die Geschichte Jesu betrifft.“ (Helene von Heldburg an Reinhold Franz, 28. November 1894). 16 Vgl. ThStAM, HA, NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Helene von Heldburg, 26. Juni 1889, 12. November 1889. 17 ThStAM, NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Helene von Heldburg, 17. Februar 1892.
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Gemeinsam verständigte man sich über Haeckels Presseartikel gegen die „Weltanschauung des neuen Kurses“,18 und Haeckel suchte nicht nur die Billigung Georgs, sondern gedachte die ernestinische Wissenschaftstradition in die Pflicht zu nehmen. An Helene schrieb er z. B.: Obwohl Sie […] schon von meinem vorgestern erschienenen Traktätchen ‚Die Wissenschaften und der Umsturz‘ Kenntniß genommen haben werden, will ich doch nicht verfehlen, Ihnen pflichtschuldigst dieses vermessene ‚Corpus delicti‘ meinerseits mit der Bitte um gnädige Aufnahme ergebenst zu Füßen zu legen. Daran knüpfe ich die weitere Bitte, mich bei Ihrem erlauchten Herrn Gemahl, falls derselbe von dem Pamphlet Kenntniß nehmen sollte, ein gütiges Wort zu meinen Gunsten einzulegen. Vielleicht dient es mir zur Entschuldigung, daß wir armen gehetzten Professoren, als die gefühllosesten ‚Umsturz-Männer‘, uns im Stande der Nothwehr befinden. Wenn der berühmte ‚Neue Curs‘ sich so weiter entwickelt, kommen wir doch am Ende noch auf den Scheiterhaufen und müssen uns mit Fitgers ‚Hexe‘19 trösten. Falls ich diesem unangenehmen Geschick noch rechtzeitig entrinne, würde ich Sie, als Herrin der Heldburg, um eine Zufluchtsstätte auf diesem herrlichen Schlosse bitten. Vielleicht kann ich als Stubenmaler oder Gärtner Ihnen dienstbar sein. Einstweilen hoffe ich jedoch noch, daß der ‚Umsturz von oben‘ sich verzögert, und daß wir die hohe Ehre haben werden, Sie und den Durchlauchtigsten Herrn Herzog als hochwerthe Gäste in unserer bescheidenen Medusen-Villa am LeutraStrome bewirthen zu dürfen.20
Helene antwortete: Nein zu einem buen retiro auf der ‚fränkischen Leuchte‘ für Sie wird es nicht kommen, aber das Verdienst, daß es nicht dazu kommt, haben eben Männer wie Sie! – Ich würde mir anmaßend vorkommen Ihnen das zu sagen, wenn es nicht eben so sehr im Auftrage des Herzogs, wie in dem meines eigenen Herzens geschähe.21
Es war auch ein deutliches Signal nach außen, dass Georg II. anordnete, Haeckels Sammelwerk „Kunstformen der Natur“ (Leipzig & Wien 1899–1904), ein Tafelwerk, das die meist nur mikroskopisch sichtbare Ästhetik der niederen
18 Ernst HAECKEL, Die Weltanschauung des neuen Kurses. Separat-Abzug aus: „Freie Bühne für den Entwicklungskampf der Zeit“, III. Jg., 3. Heft, Ausgabe 1892. 19 Gemeint ist: Arthur FITGER, Die Hexe. Trauerspiel in fünf Aufzügen, Oldenburg 41885. Fitger, der gefeierte Bremer Malerfürst und Schriftsteller, war mit Haeckel und Georg II. befreundet. Seine damalige literarische Großtat, das Aufsehen erregende GottleugnerDrama „Die Hexe“, das den Kampf zwischen fanatischem Aberglauben und freier Aufklärung thematisiert, wurde europaweit ein großer Bühnenerfolg und kam sogar in Amerika zur Aufführung. Vgl. außerdem: TÜRK, „Nennt man bei den Meiningern die besten Namen …“ (wie Anm. 13), S. 384 f. 20 ThStAM, NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Helene von Heldburg, 4. Februar 1895. 21 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10351, Helene von Heldburg an Haeckel, 6. Februar 1895.
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Tier- und Pflanzenwelt in anspruchsvollem Vierfarbdruck populär zu machen suchte, für die höheren Schulen des Herzogtums anzuschaffen.22 Ihren Höhepunkt erreichten die Anfeindungen gegen Haeckel nach dem Erscheinen seines populärwissenschaftlichen Buches „Die Welträthsel“, das nahezu schlagartig eine ungeheure Verbreitung erreichte, so dass gleich mehrere Auflagen nötig wurden.23 Die Angriffe gingen so weit, dass versucht wurde, bei den Erhaltern der Jenaer Universität Haeckels Absetzung von seinem Lehrstuhl durchzusetzen. Dazu Haeckel: Sollte mir die volle Bekehrung zum ‚wahren Glauben‘ (– da die Auswahl so schwer ist!! –) in diesem Jahre nicht gelingen, und der Staatsanwalt meine Disciplinar-Maaßregelung und Absetzung wegen ‚Glaubenmangels‘ durchsetzen, so bleibt mir als letzte Hoffnung die bescheidene Stellung, die Sie mir als Gärtner oder Stubenmaler auf Ihrer herrlichen Heldburg im Nothfalle gütigst zugesichert haben!24
Georg II. reagierte prompt: Im April 1899 konnte Haeckel erleichtert seinen Dank für die Verleihung des Komtur-Kreuzes I. Klasse des Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Hausordens aussprechen. Das bedeutete jedoch nicht, dass sich Georg mit allen Auffassungen, die Haeckel in seinen „Welträthseln“ geäußert hatte, sowie auch der Art der Haeckelschen Polemik identifizierte: Die Welträthsel, welche sie so freundlich waren, mir zu schenken und wofür ich Ihnen herzlich danke, habe ich mit außerordentlichem Interesse gelesen […]. Die Verspottung eines Glaubenssatzes, den die Mehrzahl der Geister hochhält, ist nicht wohl gethan und dabei unklug: will man gewinnen, darf man nicht verletzen. […] Was die in den Welträthseln enthaltene Lehre betrifft, welche Sie mit erfreulichem Wissen und Scharfsinn auch für den Laien möglichst klar dargelegt haben, so bekenne ich, daß Ihre Definition des Monismus noch viel Kopfzerbrechen macht. Wenn ich auch von dem außerweltlichen Gott zu abstrahiren im Stande bin, so fehlt mir doch das Vorstellungsvermögen für den monistischen Begriff der Gottheit. Eher würde ich mir noch vorstellen können, daß das, was die monistische Lehre mit Gott bezeichnet, eine der Materie von selbst innewohnende Kraft oder Energie sei, welche dann zur Aeußerung kommt, wenn die Bedingungen dazu gegeben sind.25
Außerdem stieß sich Georg an Haeckels Auffassung zur Urzeugung:
22 Vgl. Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10361, Helene von Heldburg an Haeckel, 4. März 1899. 23 Ernst HAECKEL, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie, Bonn 1899. 24 ThStAM, NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Helene von Heldburg, 1. Januar 1899. 25 Dieses Zitat und das folgende: Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10243, Georg II. an Haeckel, 9. Dezember 1899.
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[…] jetzt noch erscheint mir das Auftreten des organischen Lebens als ein unvermittelter Sprung, der in der Naturentwicklung der Erde stattgefunden haben soll. Da nun Unvermitteltes in der Natur nicht vorkommt, könnte ich eher mit Schroen auf den Gedanken kommen, daß das Leben nicht erst von dem Augenblicke an begonnen habe, wo Pflanzen- und Thierwelt ihren Anfang genommen, sondern daß irgend wie, wie wir noch nicht wissen, auch die anorganische Welt einen Lebensprozeß durchgemacht habe resp. durchmache, daß also Leben von Ewigkeit her bestanden habe. […] Zu der 2ten Auflage Ihres Werks und zu deßen Uebersetzungen gratulire ich herzlich.
Haeckel nahm Georgs Kritik durchaus ernst: Die vierte [Auflage] will ich wesentlich verbessern und namentlich viele verletzende Schärfen in Bezug auf Religion, Christenthum etc. entfernen […]. Die Angriffe der Theologen werden erst noch kommen. Prof. Harnack nennt das Buch ein ‚lächerliches und armseliges Machwerk‘ – ohne irgend auf die Streitpunkte einzugehen. Desgleichen die ‚Germania‘. Wenn man bedenkt, wie wir monistischen Naturforscher und besonders wir Darwinisten seit 40 Jahren von der Ecclesia militans geschimpft und verflucht werden, wird man unsere Schärfe begreiflich finden.
Zugleich versuchte Haeckel wiederum, die liberale Geistes-Tradition der Ernestiner einzufordern: Ew. Hoheit wird es interessiren zu hören, daß ich im November die Ehre eines längeren Besuches Ihres Neffen, des Prinzen Ernst von Sachsen-Altenburg hatte; er unterhielt sich mit mir über die ‚Welträthsel‘ länger als 2 Stunden – in fast allen Punkten zustimmend. Der talentvolle und wissensdurstige Prinz, der mehrere Jahre hier bei uns studirte, ist durch eigenes gründliches Forschen in der Natur – und besonders durch seine astronomischen Studien – zur kosmologischen Perspective und monistischen Weltanschauung geführt worden. […] Ich halte es für höchst wichtig und erfreulich, daß unter dem jetzigen Nachwuchs der deutschen Fürsten sich solche klare, ehrliche und naturwissenschaftlich gebildete Köpfe befinden; sie können der mächtig wachsenden Reaction auf geistigem Gebiet erfolgreich entgegentreten. Daß gerade unsere Ernestischen Fürsten in Thüringen – der Wiege der Reformation! – dieses hohen Berufes eingedenk bleiben, ist ein kulturhistorisches und deutsch patriotisches Verdienst (namentlich dem wachsenden Mystizismus in Berlin gegenüber!)26
Als Haeckel 1900 eine Forschungsreise in die Tropen antrat, meinte Georg besorgt: Bringen Sie uns den Jenenser Professor, auf den in Deutschland nur die Ignoranten und die Diener der Kirche nicht stolz sind, in gutem Stande zurück! […] Möchten Sie im Zwanzigsten Jahrhundert eine weite, weite Etappe zurücklegen und die von Ihnen gelehr-
26 ThStAM, HA, NL Helene von Heldburg, Nr. 1332, Haeckel an Georg II., 16. Dezember 1899.
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te Wahrheit die civilisirte Menschheit immer mehr und mehr erfüllen! Dies ist mein Wunsch zum Jahreswechsel.27
Nach seiner Rückkehr verlieh er ihm die Meininger Amicis-Medaille für Wissenschaft und Kunst in Silber, verbunden mit folgendem Anschreiben: […] erlaube ich mir, Ihnen eine Schaumünze zu schicken. Sie ist bestimmt für meine Freunde unter den Künstlern und Wißenschaftlern und zeigt vorne mein Bild und auf der Rückseite die Kunst und Wißenschaft, durch 2 Figuren repräsentirt, welche unter einem Lorbeerbaum befindlich. Der alte Mann mit dem Stabe, der in einem aufgeschlagenen Buche liest, soll nicht etwa ich sein, wie jemand die Figur interpretirt hat!!! Mein Bildniß ist nach meiner Büste von Hildebrand unter Leitung dieses Künstlers von einem ehemaligen Schüler desselben copirt und die ganz hübsche Composition ist auch von ihm. Er heißt Römer.28
So sehr sich Georg für Haeckel einsetzte und ihm mit seinen Möglichkeiten öffentliches Ansehen verschaffte, so kritisch blieb er weiterhin gegenüber bestimmten, seiner Meinung nach unzulässig verkürzenden Übertragungen naturwissenschaftlicher Denkprinzipien auf gesellschaftliche und politische Verhältnisse. In einem ungewöhnlich langen Brief setzte er sich 1904 mit Haeckels Befürwortung rassenhygienischer Maßnahmen wie z. B. der Tötung schwer-behinderter Kinder auseinander, die dieser in seinem überaus erfolgreichen Buch „Lebenswunder“,29 von dem in gut zwei Monaten 9000 Exemplare abgesetzt worden waren, ausgesprochen hatte: Ich vermag mich mit den Folgerungen wohl zu befreunden, die Sie in dem von mir bis jetzt Gelesenen aus der monistischen Weltanschauung ziehen, nur nicht mit einem Punkte. Sie gestatten wohl, ihn zu berühren: Aus Nützlichkeitsgründen für die Allgemeinheit sollen gewiße Kategorien von Menschen getödtet werden dürfen, resp. getödtet werden! Wäre da nicht zu befürchten, durch die Consequenzen, die mit einer Verminderung der Scheu vor dem Tödten des Nächsten verbunden sein müßte, werde die Sicherheit des 27 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10249, Georg II. an Haeckel, 26. Dezember 1900. 28 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10252, Georg II. an Haeckel, 15. November 1901. Der Stempel zur Münze wurde von Georg Römer, einem Schüler Adolf von Hildebrands, geschnitten, zur Ausprägung kamen 20 silberne und vier goldene Münzen, die der Herzog als Geschenkmedaille hauptsächlich an befreundete Künstler und Gelehrte verlieh. Vgl. dazu Ludwig GROBE, Die Münzen des Herzogtums SachsenMeiningen, Meiningen 1891, Nr. 421; Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portrait, München 1984, S. 149; ERCK/SCHNEIDER/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 13), S. 235 (Abb. der Schaumünze in Gold). Weiteres über die Komposition auf der Münzrückseite (Kunst und Wissenschaft) siehe auch Bayerische Staatsbibliothek München, NL A. v. Hildebrand, Sign. ANA 550, Georg II. an Adolf von Hildebrand, 4. November 1900 und 10. März 1901 (Für die Mitteilung dankt die Verfasserin Herrn Uwe Bornscheuer). 29 Ernst HAECKEL, Die Lebenswunder. Gemeinverständliche Studien über Biologische Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche über die Welträthsel, Stuttgart 1904.
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Lebens ungemein vermindert werden? Sollte es einst üblich werden, den Irrsinnigen, von welchem die Psychiater annehmen, er sei unheilbar, durch Mehrheitsbeschluß einer Sachverständigen-Commission zu vernichten, würde anschließend hieran denn nicht bald die Unsitte entstehen, das einfache, wohlfeile Mittel der Tödtung auch solchen gegenüber anzuwenden, welche aus anderen als aus Irrsinn hergeleiteten Gründen für die Mitmenschen lästig und unbequem sind? Ich glaube ja! – Und, was die spartanische Selection betrifft, würden unter Herrschaft derselben nicht eine Menge Kinder wegen Schwächlichkeit umgebracht werden, die, wenn sie am Leben gelaßen worden wären, in späteren Jahren sich zu kräftigen Individuen entwickelt haben würden? – Jede nicht perverse Mutter liebt das von ihr zur Welt gebrachte Kind, auch dann, wenn es krüppelhaft ist. Denken Sie daran, lieber Häckel, welch entsetzliche Aufregung es für die Mutter eines nicht ganz normalen neugeborenen Kindes sein würde, müßte sie fürchten, es sich aus Nützlichkeitsgründen entrißen zu sehen und stellen Sie sich ihre Verzweiflung vor, wenn die Tödtung stattfände. Gäbe das nicht Zustände ähnlich dem bethlehemitischen Kindermord? Und wo wäre die Altersgrenze für die Abschlachtung? Wollte man warten bis nach absolvirtem Wochenbett aus Rücksicht für‘s Leben der Mutter, […] – und wer würde bei Erkrankung eines seiner Kinder noch einen Arzt herbeizuziehen wagen, wäre zu befürchten, dieser werde statt als Helfer sich als Vermittler der Tödtung des Patienten erweisen?[!]30
Die Errichtung eines Phylogenetischen oder kurz Phyletischen Museums, in der „eine vielseitig ausgestattete Schausammlung alle auf die Deszendenztheorie und den Darwinismus bezüglichen Erscheinungen durch Bilder und Präparate erläutern und dem gebildeten Publikum zugänglich machen sollte“ war neben der Errichtung des Zoologischen Instituts 1883 seit den späten 1870er Jahren ein Lieblingswunsch Haeckels, der sich auf einen Besuch des British Museum of Natural History in London zurückführen lässt.31 Obwohl bei der Kuratel und dem Weimarischen Staatsministerium Haeckels Vorschläge entschiedene Zustimmung fanden, konnte der Plan aufgrund fehlender finanzieller Mittel erst 1907 ausgeführt werden. Die Nutritoren stimmten Haeckels Plänen zu, aber nur der Herzog von Meiningen stiftete spontan 20.000 Mark.32 Georg kommentierte dies mit der Feststellung, er sei
30 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10266, Georg II. an Haeckel, 20. November 1904. 31 Georg USCHMANN, Geschichte der Zoologie und der zoologischen Anstalten in Jena 1779–1919, Jena 1959, S. 165; vgl. dazu auch Universitätsarchiv Jena, C 640, bes. Bl. 1r–2v, Bericht Haeckels über die Gründung des Phylogenetischen Museums in Jena v. 5. Januar 1907. 32 ThStAM, Staatsministerium, Abt. Kirchen- und Schulsachen, R: Universität Jena, Phylogenetisches Museum, Nr. 11265 I, Randnotiz Georgs II. über die Stiftung von 20.000 Mark auf der Stellungnahme des Kurators Heinrich v. Eggeling v. 7. Januar 1907, die zusammen mit dem Bericht Haeckels beim Meininger Staatsministerium eingegangen war, Bl. 1r.
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glücklich, daß meine Spende zu ihrem famosen Vorhaben, ein Phylogenetisches Museum zu bauen, Ihren Beifall hat. Ich gab mich der Hoffnung hin, mein Beispiel werde die Miterhalter der Universität bewegen, so viel beizusteuern, daß ohne Inanspruchnahme der Zeiß-Stiftung ein Fond aufgebracht werde, aus welchem auch die Verwaltungs- und Unterhaltungskosten des Museums würden bestritten werden können. Bis jetzt scheint zu meinem Verdruße dazu aber leider wenig Aussicht; denn die Minister von Weimar, Altenburg und Gotha stehen der pekuniären Inanspruchnahme ihrer gnädigstes Herrn kühl gegenüber.
Georgs Name wurde mit dem einer Reihe anderer Förderer des Museumsbaus auf Ehrentafeln verewigt. Während der Weimarer Großherzog seine (weitaus kleinere) Spende zunächst anonym behandelt wissen wollte, erklärte Georg: Meine Wenigkeit hat aber noch für ein zweites bene zu danken, das Sie mir zugedacht haben, nämlich für Aufnahme meines Namens auf die Ehrentafel, welche in das Philetische Museum kommen soll. Ich finde mich dadurch geehrt und bin stolz darauf als Anhänger Ihrer Lehre öffentlich bezeichnet zu sein.33
1910 ließ Georg zudem noch sein Porträt, gemalt von seinem Sohn Ernst, für das Phyletische Museum anfertigen.34 Zu dieser Zeit war Haeckel bereits durch seinen Amtsnachfolger Ludwig Plate auf eine menschlich sehr üble Art aus dem Zoologischen Institut und dem Phyletischen Museum verdrängt worden. Als 1912 die Eröffnungsfeier des Museums und des neuen Hörsaalgebäudes für das Zoologische Institut stattfinden sollte, wies Georg den Kurator der Universität, Max Vollert, in einem eigenhändigen Marginaldekret vom 28. April an: Die Hauptperson bei dieser Feier muß Heckel [!] sein, der den Bau veranlaßt und das Geld dafür bekommen hat. Der ‚gute‘ Plate ist kein Freund Heckel’s und wird möglicher
33 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10281, Georg II. an Ernst Haeckel, 27. Juli 1908. 34 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 40083, darüber Haeckel an Georg II., 7. November 1910: „Das prachtvolle Geschenk, welches Sie mit Ihrem recht getroffenen Porträt in unserem Phyletischen Museum gemacht haben, ist vorgestern wohlbehalten hier eingetroffen, und heute Vormittag von dessen Schöpfer, Ihrem Herrn Sohn, sowie von seiner Exzellenz Herrn Geheimrat Eggeling, in Augenschein genommen worden. Wir finden, daß Prinz Ernst seine hohe Aufgabe vorzüglich gelöst hat, und daß das Bild sowohl in Bezug auf künstlerische Auffassung, wie auf vollkommene Ähnlichkeit Nichts zu wünschen übrig läßt. Das herrliche Bild wird in dem schönen Saal des phyletischen Archivs einen passenden, heute von uns ausgesuchten Platz erhalten, und kommenden Generationen das Gedächtnis des edlen und hochbegabten Fürsten lebendig erhalten, der für Wissenschaft und Kunst so lebendiges Interesse besitzt und so viel geschaffen hat. Gegenüber dem Porträt von Ew. Hoheit und von Goethe (an der Nordwand des Saales) werden die vier großen Porträt-Figuren (an der Südwand) angebracht werden, welche im Auftrage von Dr. Rottenburg der Porträtmaler Karl Bauer in München ausgeführt hat: die vier Gründer der Deszendenz-Theorie: Lamarck, Darwin, Goethe, Haeckel.“ – Das Porträt Georgs II. befindet sich heute im Vorraum zum Arbeitszimmer Haeckels.
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Weise Alles thun, um diesen bei der Feier in den Schatten zu stellen. Der Curator sollte vor der Feier die Augen aufmachen, um eine Verletzung H’s unmöglich zu machen.35
Nicht zuletzt waren Erwägungen dieser Art der Grund dafür, dass Georg noch wenige Wochen vor seinem Tod dafür sorgte, dass die ernestinischen Herzöge Haeckel die höchste Auszeichnung verliehen, die es in ihren Landen gab, das Großkreuz des ernestinischen Hausordens, mit dem sich zugleich der erbliche Adel verband.36 Höhepunkte in Haeckels Beziehung zu Georg II. waren neben den persönlichen Zusammentreffen auf Schloss Altenstein, an der Riviera oder in der Villa Carlotta auch die Besuche des Herzogspaars in der Villa Medusa in Jena. Besonders stolz war Haeckel, den Herzog im Juli 1897 auf seinen Lieblingsplatz auf Meininger Gebiet, die Ammerbacher Platte, einen romantischen Aussichtspunkt bei Jena, zu führen. Als ihm dieses Stück Land von seinen Freunden 1906 zum Geburtstag geschenkt wurde, präsentierte er sich dem Herzog freudig als Meininger Untertan.37 Darauf antwortete Georg mit leichter Ironie: Stolz bin ich, Sie als Meininger Staatsbürger begrüßen zu können, lieber Häckel. Möchten Sie an Ihrem so schönen Besitze im Meininger Lande noch viele Freude haben und die Meininger Grundsteuer sich nicht an Sie heranwagen.38
35 ThStAM, Staatsministerium, Abt. Kirchen- und Schulsachen, R: Universität Jena, Nr. 11268, Bl. 10r; über den weiteren Verlauf der Angelegenheit siehe ebd., Bl. 12r–13r. 36 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10298: Die Mitteilung über die anlässlich Haeckels 80. Geburtstag geplante Auszeichnung erfolgte im letzten Brief Georgs II. an Haeckel v. 13. Dezember 1914: „Nur wenige Tage trennen Sie vom 80sten Lebensjahre, einem gewichtigen Abschnitte in Ihrem Leben, den bei besten Kräften Sie begehen mögen. Auf welche Fülle von Arbeit können Sie zurückblicken, durch welche Sie die Menschheit denn doch eine ganz gehörige Strecke weiter gebracht haben. Ein solcher Rückblick muß Sie glücklich stimmen. Recht gefreut hat mich, daß meine Herrn Vettern, die Herzöge von Altenburg und Coburg mit Enthusiasmus einerseits und mit Freude andererseits zugestimmt haben, uns die Ehre geben zu wollen, unser ernestinisches Großkreuz an Ihrem Geburtstage von uns annehmen zu wollen […].“ 37 ThStAM, NL Helene von Heldburg, Nr. 87, Haeckel an Helene von Heldburg, 9. März 1906; ThStAM, NL Helene von Heldburg, Nr. 1335, Haeckel an Georg II., 28. März 1906. 38 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ID 10275, Georg II. an Haeckel, 30. März 1906.
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Reines Theater Überlegungen zu drei Inszenierungen des Meininger Hoftheaters aus den Anfangsjahren der Gastspielzeit zwischen 1874 und 1877
1. Vorgeschichte Einen Eindruck von der Besonderheit der Meininger Inszenierungen und eine Ahnung davon, warum sie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Furore machten, bekommt man nur, wenn man sich ihren Ort innerhalb der europäischen Theatergeschichte vergegenwärtigt. Drei Jahrhunderte vorher, am Ende des 16. Jahrhunderts in Italien, entstand eine Spezies von Theater in einem abgeschlossenen Raum, der eigens dafür gebaut wurde. Zuschauerraum und Szene waren fest installiert und befanden sich einander gegenüber. Andrea Palladio hatte die antiken römischen Vorbilder erforscht und für die Accademia Olimpica in Vicenza eine Schauwand nach römischem Muster geplant, die nun eben nicht unter freiem Himmel sondern viel kleiner im geschlossenen Raum stehen sollte. Palladios Entwurf sah in der Schauwand nach römischem Muster eine große Mittelpforte vor und rechts und links davon zwei kleinere Türen. Das Proszenium war ein schmaler Streifen davor, hier wurde der Text der Figuren gesprochen. Hinter die Türöffnungen hatte Palladio vermutlich nach römischem Vorbild Periakten konzipiert, drehbare Prismen, auf denen sich perspektivische Malerei befand, vielleicht aber auch nur einen Vorhang. 1580 starb Palladio, da befand sich das Teatro Olimpico noch in der Planungsphase. Das für die europäische Theatergeschichte und unser Thema so wichtige Ereignis fand erst danach statt: die Entstehung der Bühne. Die Akademie kaufte 1582 für den Theaterbau noch einen weiteren Baugrund hinzu, der, so hieß es im Antrag, „für die Perspektiven“ notwendig sei und der von hinten direkt an jenen Raum mit der von Palladio geplanten Schauwand grenzte.1 Der Raum hinter der Schauwand konnte dadurch vertieft und vergrößert werden. Die Mittelpforte und die beiden Türen wurden ebenfalls vergrößert, die Zuschauerreihen wurden weiter weg vom Proszenium gerückt, an den beiden Seiten der Schauwand wurde im rechten Winkel ein Rahmen gebaut, der das Proszenium begrenzte und noch einmal 1
Fernando RIGON, Das Teatro Olimpico in Vicenza, Mailand 2004, S. 40.
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zwei Türen erhielt. Hinter die vergrößerten Öffnungen der Schauwand, in jenen neu hinzugewonnenen Raum, wurden dann die von Vincenzo Scamozzi perspektivisch gebauten und gemalten Kulissen aufgestellt, die den Blick der Zuschauer bis heute in eine perspektivisch gebaute und gemalte Stadt lenkten (Farbabbildungsteil, Abb. 1a u. 1b, S. 514). In den Theaterbauten der darauf folgenden Jahrzehnte wurde aus der Mittelpforte eine immer größere Bühnenöffnung, die schließlich bis zu den Seiten reichte (Abb. 1).
Abb. 1: Giambattista Aleotti, Schauwand des Teatro Farnese in Parma, 1619
Der Raum dahinter wurde immer tiefer und so entstand die Bühne, auf der noch bis heute gespielt wird. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurden in diesem Spielraum Kulissenpaare aufgestellt, die parallel zur Bühnenrampe ausgerichtet und perspektivisch bemalt waren. Diese Stellung der Kulissen mit ihren perspektivischen Malereien lenkte den Blick des Zuschauers in eine zentrale Perspektive, deren Fluchtpunkt sich hinten auf einem Abschlussprospekt befand. Obwohl im Detail verschieden, machen die beiden nachstehenden Abbildungen die zentralperspektivische Bühneneinrichtung deutlich, die eine vom
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Beginn zentralperspektivischer Einrichtung in Ferrara 1606 (Abb. 2), die andere an deren Ende in Weimar um 1800 (Abb. 3).
Abb. 2: Grundriss des Teatro degli Intrepidi in Ferrara, 1606
Abb. 3: Grundriss des Hoftheaters in Weimar nach dem Umbau, 1798
Durch die Sichtachse blieben Zuschauerraum und Bühnenraum miteinander verbunden und der so eingerichtete Spielraum bot dem Zuschauer eine transparente und einsichtige Ordnung. Für diese zentralperspektivische Ordnung des Theaters sind jene Theatertexte entstanden, die später unter dem Begriff des klassischen Dramas zusammengefasst wurden: Sie besitzen eine zentrale
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Handlung, eine zentrale Perspektive und sie erzählen ihre Geschichte kontinuierlich durch relativ wenige Figuren an wenigen Schauplätzen und in einer überschaubaren Zeit. Ungefähr 250 Jahre war diese Ordnung des Spielraumes in Europa herrschende Theaterkonvention. Mit dieser Konvention haben die Meininger Inszenierungen seinerzeit radikal gebrochen und ihre undurchschaubaren Bühnenräume verwirrten und überraschten die Zuschauer innerhalb weniger Jahre ab 1874 in ganz Europa. Am Beispiel der Inszenierungen von Kleists „Die Herrmannsschlacht“ (1875) und „Das Käthchen von Heilbronn“ (1876) sowie der Inszenierung von Grillparzers „Die Ahnfrau“ (1877) soll nun von diesem Theater der Undurchschaubarkeit die Rede sein, das gleichzeitig ein Theater der Verwandlung und der Überraschung war. Inszenierungen, die nach Texten von Kleist und Grillparzer erarbeitet worden waren, hatten viel Erfolg auf den Gastspielreisen. Nach den Inszenierungen von Schiller- und Shakespeare-Texten waren es die meistgespielten.2 Das ist in unserem Zusammenhang nicht nur wegen der Statistik interessant, sondern vor allem deshalb, weil die meisten dieser erfolgreichen Texte epische sind, mit mehreren Handlungen, vielen Figuren, häufig wechselnden Schauplätzen, gesungenen Liedern. Epische Texte besitzen im Unterschied zum klassischen Drama keinen zentralen Fluchtpunkt und keine zentrale Ausrichtung und waren offenbar gerade deshalb für das neue Theater der Meininger geeignet.3
2. „Die Herrmannsschlacht“ 1875 Ihre Inszenierung der „Herrmannsschlacht“ erarbeiteten die Meininger für ihr zweites Berliner Gastspiel 1875. Es dauerte mehrere Wochen, gespielt wurde am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater, dem heutigen Deutschen Theater. Für das Berliner Publikum wurde diese Inszenierung zur großen Attraktion des Gastspiels. Zwölf Mal wurde sie innerhalb weniger Wochen aufgeführt. Dass es gerade die „Herrmannsschlacht“ war, mit der die Meininger solchen Erfolg hatten, ist für sich genommen eine schöne Episode in der Theatergeschichte. Unmittelbar bevor nämlich die Meininger ihre Inszenierung in Berlin zeigten, waren bereits ca. 20 Aufführungen einer anderen Inszenierung der „Herrmannsschlacht“ in Berlin über die Bühne gegangen und zwar im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Das war kein Zufall, denn sowohl der Mei2 3
Vgl. hierzu Paul RICHARD, Chronik sämtlicher Gastspiele des Herzogl. Sachs. Meiningeschen Hoftheaters während der Jahre 1874–1890. Statistische Übersicht, Leipzig 1881, unpag. Dramatische Texte wie z. B. Hebbels „Judith“ waren eher ungeeignet für die Meininger Spiel- und Arbeitsweise, vgl. hierzu Petra STUBER, Seltsame Vorstellungen. Grillparzer und Hebbel am Meininger Hoftheater, in: Hebbel-Jahrbuch 66 (2011), S. 7–29.
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ninger Herzog als auch Botho von Hülsen, der Intendant des Königlichen Schauspielhauses, wussten seit langem von den Inszenierungsabsichten des jeweils anderen. Beide hatten sie die Herausforderung angenommen und ließen es auf einen Vergleich ihrer Theaterarbeiten ankommen. In diesem Vergleich wurde das Neue und Aufsehenerregende der Meininger Inszenierung besonders deutlich.4 Beide Inszenierungen verwendeten nicht den Kleist-Text, sondern eine Bearbeitung des Berliner Autors Rudolf Genée, die dieser 1871 angefertigt hatte. Er hatte Kleist für einen positiven Reichsgründungsmythos verwenden und ihn zum Klassiker machen wollen, der harte unbearbeitete Text war dafür jedoch nicht geeignet. In seiner Bearbeitung schliff Genée die demagogischen Seiten der Herrmann-Figur ab, er entfernte Szenen, die Herrmanns perfide Kriegslisten zeigen oder politisch anstößig und unmoralisch waren, er tauschte Wörter aus, dichtete Verse hinzu und veränderte die Akt- und Szeneneinteilung, kurzum, von Kleists Text war in dieser Bearbeitung nicht mehr viel übrig. Anders als es oft zu lesen ist, spielten die Meininger also nicht den Kleist-Text in der Originalfassung, sie haben nicht „das Original wiederhergestellt“.5 Die Meininger arbeiteten stattdessen bis zur Premiere mit der 1871 gedruckten Genée-Fassung und noch der später gedruckten Meininger Einrichtung liegt diese Bearbeitung zugrunde.6 Das Regiebuch, das sich im April 2009 im Verlaufe meiner Forschungen im Depot des Meininger Theatermuseums fand, belegt das zweifelsfrei. Die eingestrichene Textfassung des Regiebuches ist ein Palimpsest. Man kann die ineinander geschriebenen Schichten Kleist – Genée – Meininger, außer in groben Zügen und an einigen demonstrativen Beispielen nicht voneinander ablösen. Kleists Text ist in der Genée-Bearbeitung als ursprünglicher nicht mehr kenntlich und kein noch so umfangreicher Kommentar würde die großen und kleinen Veränderungen und Umstellungen einholen. Die hier abgebildeten Seiten des Regiebuches machen das deutlich (Abb. 4).7 4 5
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Genauer hierzu Petra STUBER, Doppeltes Spiel. Kleists Herrmannsschlacht in der Inszenierung des Meininger Hoftheaters 1875 in Berlin, in: Beiträge zur Kleistforschung 21 (2007/08), S. 35–53. Die Geschichte, die Meininger hätten die Kleistfassung gespielt, wird unter anderem erzählt in: Heinrich von KLEIST, Werke und Briefe in vier Bänden, hg. von Siegfried STRELLER u. a., Berlin 1993, S. 684; vgl. auch Günther EMIG (Hg.), Kleists Hermannsschlacht am Meininger Hoftheater. Meininger Museen/Theatermuseum und Kleist-Archiv Sembdner Heilbronn. Ausstellungskatalog, Heilbronn 2002, S. 7; Dieter HOFFMEIER, Die Meininger – Streitfall und Leitbild. Untersuchungen zur Wirkungsgeschichte der Gastspielaufführungen eines spätfeudalen Hoftheaters, Berlin 1988, S. 113. Repertoire des Herzoglich Meiningen’schen Hoftheaters, II. Heft, Kleist, Die Herrmannsschlacht. Offizielle Ausgabe. Nach dem Scenarium des Herzoglich Meiningen’schen Hoftheaters bearbeitet, v. Grumbkow, Hofverlag, o. O. 61883. Dies ist die im Meininger Theatermuseum erhaltene Ausgabe. Für ihre Hilfe bei der Herstellung der Druckvorlagen aus den Beständen der Meininger Museen danke ich Frau Maren Goltz und Herrn Volker Kern.
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Abb. 4: Seiten aus dem Meininger Regiebuch zur Inszenierung der „Herrmannsschlacht“ von 1875
Gedruckt sichtbar liegt der Meininger Einrichtung hier der erste Auftritt des II. Aktes der Genée-Fassung zu Grunde. Die Meininger Einrichtung, obwohl sie prinzipiell auch die ersten beiden Akte des Kleist-Textes wie Genée zusammenlegt, verzeichnet jedoch mit handschriftlichem Eintrag eine von Genée abweichende aktinterne Szenenfolge. Sie befindet sich hier noch im ersten Akt und bei einer Verwandlung zum zweiten Bild. Sucht man nun, was der GenéeFassung aus Kleists Original zugrunde liegt, so findet man bei Kleist im zehnten Auftritt des zweiten Aktes einen Dialog zwischen den Figuren Herrmann und Luitgar, in dem ungefähr und im Groben dasselbe passiert. Dennoch findet sich kaum ein Wort von Kleist bei Genée und den Meiningern wieder und schon gar nicht in der ursprünglichen Aufeinanderfolge. Bei Kleist heißt es zu Beginn in II.10.: Luitgar tritt auf. – Die Vorigen. Herrmann: Du bist entschlossen, hör ich, Luitgar, An Marbod heimlich eine Botschaft zu besorgen? Luitgar: Ich bins’, mein hoher Herr. Herrmann: Kann ich gewiss sein, Daß das, was ich dir anvertraue, Vor morgen nacht in seinen Händen ist?
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309 Luitgar: Mein Fürst, so sicher, als ich morgen lebe, So sicher auch ist es ihm überbracht. Herrmann: Gut. – Meine beiden blonden Jungen wirst du, Den Rinold und den Adelhard, Empfangen, einen Dolch, und dieses Schreiben hier, […].8
In Meiningen wurde während des Probenprozesses aber auch die GenéeFassung verändert. Zum einen wurde mehr als ein Drittel des Textes gestrichen. Die hier abgebildeten Seiten des eingestrichenen Regiebuches vermitteln davon einen Eindruck (Abb. 5).
Abb. 5: Seiten aus dem eingestrichenen Meininger Regiebuch zur Inszenierung der „Herrmannsschlacht“ von 1875
Zum anderen hatten die Änderungen in vielen Fällen mit der Meininger Einrichtung der Bühne zu tun. In der hier abgedruckten Seite des Regiebuches betrifft das neben der Akteinteilung und den Szenenanweisungen am Beginn, die Änderung des Wortes „Zelt“ in das Wort „Haus“. Weit bedeutsamer jedoch als solche eher pragmatischen Änderungen ist etwas anderes. Die Meininger spielten – vermutlich zum ersten Mal überhaupt – auch die sogenannte Bärenzwingerszene. Das ist jene Szene bei Kleist, in der sich Herrmanns Frau 8
Heinrich von KLEIST, Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, in: Dramen 1808– 1811, hg. von Ilse-Marie BARTH u. a., Bd. 2, Frankfurt/Main 1987, S. 475.
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Thusnelda grausam am Römer Ventidius für dessen Betrug an ihr rächt. Sie täuscht ihn und bestellt ihn zu einem vermeintlichen Stelldichein an den Bärenzwinger und liefert ihn dann der Bärin zum Fraß aus. Bei Genée ist diese Szene gestrichen und in den Rezensionen zur Berliner Inszenierung am Königlichen Schauspielhaus wird diese Streichung von der Kritik als großer Vorzug der Genée-Fassung gegenüber dem Kleist-Text bewertet. Das war, bevor die Meininger nach Berlin fuhren. In das Meininger Regiebuch ist diese Szene in die Genée-Fassung hineinmontiert und zwar genauso, wie sie bei Kleist steht. Diese Szene zu spielen, ist offenbar ein Vorschlag von Ludwig Chronegk gewesen, denn Helene von Heldburg schrieb an Chronegk vermutlich im Januar 1875, dass doch gerade in der Weglassung dieser Szene Genées Verdienst bestehe und dass die Berliner Kritiker eben auch dieser Meinung gewesen seien. Außerdem gab sie in diesem Brief zu bedenken, was Genée selbst dazu sagen würde, der doch auf Du und Du mit allen Kritikern sei. Wolle Chronegk jedoch das Risiko eingehen und die Szene tatsächlich aufführen, so bliebe nur, an Genée zu schreiben und ihm mitzuteilen, dass man auf seine Bearbeitung verzichten und stattdessen Kleist spielen würde: Wollen Sie, trotz Allem, die Scene riskieren, so bleibt Ihnen, meiner Ansicht nach, nur ein Weg u. der ist, Sie schreiben Genée, Sie verzichten auf seine Bearbeitung, da der Herzog sich sehr für das Experiment der Aufführung der 3 wichtigsten von ihm gemachten Änderungen interessiere, und Sie vermuthen mußten, dass er sich nicht herbeilassen würde, solche Eingriffe in seine Bearbeitung zu genehmigen, so würde das hiesige Hoftheater versuchsweise das Original aufführen.9
Wie stets hatte der Herzog den Theaterbrief seiner Frau gegengelesen. Am oberen Briefrand sekundierte er und notierte: „Meine Frau hat recht“. Die Aufführung der Bärenzwingerszene ist vermutlich der Auslöser für jenen Mythos gewesen, die Meininger hätten Kleist im Original aufgeführt. Die Rede von der Aufführung des Originals taucht in den Rezensionen zum Meininger Gastspiel immer wieder auf, sie hat sich verselbständigt und ist bis heute zu lesen. Dass es bis auf die Bärenzwingerszene jedoch die GenéeFassung war, mit der die Meininger arbeiteten, geriet dabei einfach in Vergessenheit. Um die Ausstattung der Bühne für die „Herrmannsschlacht“ kümmerte sich Herzog Georg II. wie so oft selbst. Gemeinsam mit dem Maler Andreas Müller entwarf und zeichnete er Figurinen aller Figuren, fertigte für die Schauplätze kolorierte Zeichnungen und Arrangement-Skizzen an und machte darüber hinaus Detailskizzen in Briefen. Vor allem die Arrangementskizzen machen den epischen Charakter dieser Inszenierung deutlich (Abb. 6, 7). Sie vermeiden eine 9
Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Hausarchiv (im Folgenden: HA), Nr. 209, Helene von Heldburg an Ludwig Chronegk, undatiert.
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zentralperspektivische Ordnung auf der Bühne und die einsichtige Lenkung des Zuschauerblicks, statt dessen sind sie eher darauf bedacht, einen schweifenden Blick der Zuschauer zwischen mindestens zwei Bewegungszentren zu installieren.
Abb. 6: Arrangementskizze von Georg II. zur „Herrmannsschlacht“ (I. Akt, 3. Szene)
Abb. 7: Arrangementskizze von Georg II. zur „Herrmannsschlacht“ (II. Akt)
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Neben der Zerstreuung in mehrere Bewegungszentren ist auf diesen Skizzen noch etwas anderes sichtbar: Nicht alle Figuren sind dem Publikum zugewendet, vielmehr sind sie miteinander beschäftigt und einige drehen dem Betrachter sogar den Rücken zu. Das hatte es bis dahin nicht gegeben, stets wurde im Theater darauf geachtet, dass die Schauspieler eine dem Publikum zugewendete Position auf der Bühne einnahmen. In Goethes Theaterregeln zum Beispiel, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden waren, beschäftigen sich gleich mehrere Paragraphen mit der optimal zum Publikum hingewendeten Körperhaltung und Fußstellung der Spieler.10 In den Arrangementskizzen des Herzogs für die „Herrmannsschlacht“ wird der Bühnenraum als in sich abgeschlossener aufgefasst, hier kann der Zuschauer nicht nur nicht alles mit einem Blick durchschauen, sein Blick wird sogar abgewehrt. Jene vorhin abgedruckten beiden Seiten des Regiebuchs unterstützen diesen Eindruck (Abb. 4). Auf der rechten Seite ist das Textpalimpsest zu sehen, auf der linken Seite, dem sogenannten Einschuss, ist die Bühneneinrichtung für den Schauplatz Teutoburg. Hinten als Abschluss ist ein Waldprospekt eingezeichnet, davor aber nicht mehr eine perspektivisch auf ihn hinauslaufende Einrichtung und schon gar keine rampenparallel gehängten bzw. gestellten zweidimensionalen Kulissen, sondern ineinander geschachtelt und geschoben zwei Haufen, ein Zaun, auf einem Hügel eine dreidimensionale Linde, zwei Häuser; vor einem nur ein Zaun, vor dem anderen, dem Haus des Herrmann, eine Steinbank zum Sitzen und eine begehbare Treppe am Haus hinauf. Prospekte und Versatzstücke ließ der Herzog im Coburger Theateratelier Brückner malen. Nicht immer war er mit den Arbeiten dieser Maler zufrieden. Einmal waren ihm ihre Farben auf dem Rückwandprospekt zu hell, ein anderes Mal betraf seine Kritik die Baumbögen. Sie waren von den Brückners als geschlossene Bögen angefertigt worden. Georg II. bestand aber auf durchbrochene Bögen, die das Licht und auch dahinter gesetzte Dekorationsteile durchscheinen ließen: „Ueber Brückners habe ich bei Ansehen der Dekorationen zur Herrmannsschlacht mich längst sehr geärgert. Die 2 Baumbögen müssen durchbrochen werden; dann wird’s im Teutoburger Wald besser rauschen.“11 Die Dekorationen der Meininger „Herrmannsschlacht“ existieren nicht mehr. Erhalten haben sich jedoch Dekorationsteile der „Käthchen“-Inszenierung, die ein Jahr später von den Meiningern erarbeitet wurde. Deren Baumbögen, bei denen bemalte Leinwand auf Netzgaze appliziert ist, geben einen Eindruck von
10 Johann Wolfgang GOETHE, Regeln für Schauspieler, in: DERS. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens (Münchner Ausgabe), hg. von Karl RICHTER in Zusammenarbeit mit Herbert G. GÖPFERT, Norbert MILLER und Gerhard SAUDER, Bd. 6.2, München/Wien 1988, S. 721–745. 11 ThStAM, HA, Nr. 210, Georg II. an Ludwig Chronegk, undatiert.
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jener Durchlässigkeit und Leichtigkeit, die Georg II. zur Einrichtung des Teutoburger Waldes vorgeschwebt haben muss. Anders als bei den Meiningern spielte man am Berliner Königlichen Schauspielhaus die „Herrmannsschlacht“ noch in der alten perspektivischen Kulissenordnung. Für den Einzug des Römerheeres in Teutoburg ist ein pointierter Vergleich der beiden Inszenierungen von Max Grube überliefert, der diese Differenz fokussiert. Der Meininger Schauplatz Teutoburg habe den Eindruck einer engen Ortschaft erweckt, mit Häusern, Hügel, Linde, nur ein schmaler Gang habe neben dem Hügel vorbei in den Bühnenhintergrund geführt. Die Römerdarsteller seien mit grauen Helmen und Gepäck vorn aus der ersten Gasse auf die Bühne gekommen, hätten sich durch die enge Gasse gleich nach hinten gezwängt und seien im Hintergrunde wieder verschwunden. Was das Publikum nicht gleich habe erkennen können, weil es die Soldatendarsteller immer nur kurz und mit Helm und von hinten gesehen habe, sei die Tatsache gewesen, dass es immer dieselben Darsteller waren, die, kaum seien sie hinten abgegangen, vorn wieder aus der ersten Gasse aufgetreten seien. Man habe so den Eindruck einer nicht enden wollenden Heeresmasse gewonnen. Auf der Bühne des Königlichen Schauspielhauses hingegen habe die Szene ganz anders ausgesehen: Die Bühne war sehr tief und schien es noch mehr zu sein, weil die Malerei des Hintergrundes eine Ebene darstellte, auf der vereinzelte Hütten standen. Irgendeine Unterbrechung des weiten Bühnenraumes fand nicht statt, er bildete ein von den Waldkulissen begrenztes mächtiges Rechteck, und über diesen großen freien Platz kam nun bei klingendem Spiel das Römerheer anmarschiert. Und es war ein stattliches Heer, es mochten wohl ein paar Kompagnien sein, in blitzblanken Helmen und Harnischen, in Reih’ und Glied, haarscharf ausgerichtet, so zogen sie im prächtigen, echt preußischen Stechschritt parallel der Fußrampe von rechts nach links quer über die Bühne. Kein Mensch konnte im Zweifel sein, dass da wackere preußische Landesverteidiger, in römische Rüstungen gesteckt, Parademarsch über die Bühne machten.12
Die Undurchschaubarkeit des Meininger Bühnenraums hat einen Großteil der damaligen Faszination ausgemacht. Gearbeitet und geprobt wurde in Meiningen fast ein Vierteljahr, üblich war damals eine Praxis, wie sie auch das Königliche Schauspielhaus hatte, dort wurde die „Herrmannsschlacht“ innerhalb einer Woche eingerichtet, nach höchstens sieben Proben.13 Bevor die Meininger eine Inszenierung auf Gastspiel schickten, wurde sie am Meininger Publikum ausprobiert. Mit der Meininger Premiere der „Herrmannsschlacht“ war das herzogliche Paar gar nicht zufrieden. Gemessen daran, wie sie sonst ihre Begeisterung ausdrückten, klangen jene einen Tag nach der Premiere an Ludwig Chronegk geschriebenen Zeilen regelrecht enttäuscht: 12 Max GRUBE, Geschichte der Meininger, Berlin/Leipzig 1926, S. 83. 13 Charlotte KLINGER, Das Königliche Schauspielhaus in Berlin unter Botho von Hülsen (1869–1886), Berlin 1954, S. 182.
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Es ging ja sehr gut gestern Abend, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Wir haben uns gut unterhalten u. das Publikum, wie es schien, auch. Nur eins ging sehr ausnahmsweise schlecht: Die Verwandlungen! Ich bitte Sie, lassen Sie nur die Leute ein Bischen exerzieren mit den heutigen Verwandlungen! Der letzte Akt besonders, wird sonst ganz zerrissen […].14
Im letzten Akt der Meininger Inszenierung gab es drei Schauplätze und damit zwei Verwandlungen. Dieser fünfte Akt war es, der das größte Aufsehen erregte, denn er begann mit jener noch nie gespielten Bärenzwingerszene. Die Meininger spielten die fünf Auftritte auf dem ersten Schauplatz in diffusem und zunehmend heller werdendem Licht, „bei Tagesanbruch“. Danach musste eine schnelle Verwandlung in den Schauplatz „Teutoburger Wald. Schlachtfeld. Es ist Tag“ geschehen, auf dem Varus auf offener Bühne getötet wurde, und zum Schluss wurde in einer zweiten Verwandlung die Szene „Teutoburg. Platz unter Trümmern“ eingerichtet. Bis zum Gastspiel in Berlin waren es noch gut vier Wochen, aber der Herzog und seine Frau reagierten auf die schlecht funktionierenden Verwandlungen zur Meininger Premiere fast panisch und setzten alle Hebel in Bewegung, um sie geschwinder und lautloser gehen zu lassen. Das lässt ahnen, welch ein kompliziertes Unterfangen diese Verwandlungen damals gewesen sind. Die Drehbühne war noch nicht erfunden, das geschah erst um 1890, elektrisches Licht gab es in diesen Jahren auch noch keines sondern erst Anfang der 1880er Jahre. Die Meininger Inszenierungen standen in einem denkwürdigen Zwischenraum. Einerseits schafften sie die alte und einfach umzubauende Kulissenbühne ab, andererseits stand ihnen für ihre aufwendigen Dekorationen genau jene Technik, die deren Umbau später erleichtern würde, noch nicht zur Verfügung. Gleich am Tag nach der Premiere kündigte sich der Herzog zu einer dreistündigen Verwandlungsprobe an und verfügte, Regisseur Ludwig Chronegk möge doch bitte die Leute früher zusammenklingeln lassen als die Arrangements fertig seien, damit die Pausen kürzer würde. Etwa dreißig Leute waren für diese Umbauten verantwortlich, unter anderem auch zehn hinzubestellte Soldaten aus dem Meininger Regiment. Die Letzteren machten beim Umräumen so viel Lärm, dass der Herzog doch tatsächlich für sie Filzschuhe kaufen ließ.15 Zufrieden war er aber noch lange nicht und bezeichnete seine Techniker und Requisiteure entnervt als „Faselhänse, vergessene Kerle und energielose Semmelaffen“.16
14 ThStAM, HA, Nr. 210, Helene von Heldburg an Ludwig Chronegk, undatiert. 15 ThStAM, HA, Nr. 210, Georg II. an Ludwig Chronegk, 11. und 14. März 1875. 16 ThStAM, HA, Nr. 210, Georg II. an Ludwig Chronegk, undatiert.
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3. „Das Käthchen von Heilbronn“ Für das dritte Berliner Gastspiel 1876 erarbeiteten die Meininger unter anderem Kleists „Käthchen von Heilbronn“. Helene von Heldburg muss der Wettkampf um die „Herrmannsschlacht“ noch deutlich in Erinnerung gewesen sein, denn einige Wochen vor dem Auftritt in Berlin bat sie ihren Mann inständig: „Sage nur noch nicht allgemein in Berlin, dass wir Käthchen geben, sonst spielt uns Hülsen den Streich, es […] gleichzeitig mit uns inszeniert, geben zu lassen“.17 Der Text wurde auch für diese Arbeit stark gekürzt, Akteinteilung und die Abfolge der Schauplätze wurden verändert. Die Figuren und ihre Geschichten waren in dieser Inszenierung vor allem dazu da, um an eindrucksvollen Schauplätzen mit Effekt ins rechte Licht gerückt zu werden. Um eine spezielle Auslegung der Geschichte, um besondere Blickwinkel auf die Figuren ging es weder in der Textfassung noch in der Inszenierung. An keiner Stelle des umfangreichen Briefwechsels, den Herzog Georg II. und seine Frau Helene von Heldburg mit dem Regisseur Ludwig Chronegk während der Arbeit am „Käthchen“ führten, wurden hermeneutische Probleme erörtert. Alle Briefe und Telegramme drehten sich stattdessen um Kostüme, Bühnentechnik und die schnelle Verwandlung des Bühnenraumes. War in früheren Theaterfassungen von Kleists Stück, beispielsweise derjenigen von Franz Ignaz von Holbein, die Zahl der auftretenden Figuren und Schauplätze erheblich reduziert worden, so blieben die Figuren in der Meininger Fassung bis auf zwei kleine Stichwortgeber alle erhalten.18 Ebenso verhielt es sich mit den im Kleist-Text vorgesehenen Schauplätzen. In Holbeins Bearbeitung wurden Schauplätze und Szenenwechsel ganz offenbar des bühnentechnischen Aufwandes, den die Verwandlungen von Landschafts- in Zimmerdekorationen und umgekehrt bedeuteten, um ein Drittel reduziert. Bei den Meiningern blieben die Schauplätze bis auf zwei erhalten und es kamen sogar noch acht weitere hinzu. Diese vielfachen Schauplatzwechsel waren neu in der Theaterpraxis. Neu war auch, dass der Herzog, entgegen der damals üblichen Theaterpraxis, die vorhandenen Dekorationen in möglichst vielen Inszenierungen wiederzuverwenden, fast alle „Käthchen“-Dekorationen neu anfertigen ließ. Es scheint so, als ob die Schauplätze und ihre Wechsel für die Meininger nicht aufwendig genug sein konnten, um deren perfekte Einrichtung drehte sich fast die gesamte Arbeit. Bewerkstelligt wurden die verschiedenen Verwandlungen von einem Schauplatz in den anderen durch eine kluge Anfertigung, Aufhängung und Ausleuchtung der Dekorationsteile. Beispielsweise konnten die 17 ThStAM, HA, Nr. 319, Freifrau Helene von Heldburg an Georg II., 20. März 1876. 18 Vgl. Heinrich von KLEIST, Das Käthchen von Heilbronn. Großes romantisches Ritterschauspiel in fünf Aufzügen. Nebst einem Vorspiele in einem Aufzug, genannt: Das heimliche Gericht von Heinrich von Kleist, für die Bühne bearbeitet, Pesth (Budapest) 1822.
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Bögen und Hänger der Schauplätze Höhle, Wald und Köhlerhütte schnell ineinander umgewandelt werden. Der in die Dekorationen eingearbeitete Eingang zur Höhle (Farbabbildungsteil, Abb. 2, S. 515) und zur Köhlerhütte (Farbabbildungsteil, Abb. 3, S. 515) wiederholte sich und so konnten die Teile, die in zwei Szenen nacheinander gebaucht wurden, von Anfang an und teilweise unsichtbar hintereinander gehängt werden. Dann konnte schnell ein Hänger hochgezogen und ein anderer heruntergelassen werden und legte man noch eine dreidimensionale Baumast-Attrappe (Farbabbildungsteil, Abb. 4 u. 5, S. 516) an eine günstige Stelle und änderte das Licht, so war ein Schauplatzwechsel vollbracht. Das war nur möglich, weil anstelle der perspektivisch eingerichteten Kulissenpaare und Soffitten eine Vielzahl von Teilstücken gehängt wurde, oft aus durchbrochenem Material, mit Applikationen versehen und speziell beleuchtet. An den Maler Moritz Lehmann schrieb der Herzog sehr genaue Anweisungen bezüglich der Dekorationen, er solle wissen, daß die Gegenstände auf dem Bogen so plastisch sein müssen als möglich. Der Höhleneingang muß daher so weit vorne liegen, daß eine hohe Perspektive entsteht, wenn Personen in demselben erscheinen. Die Steinmassen, welche rechts und links der Höhle, müssen so hoch über die Bühne ragen, daß sie etwa so hoch als ein Mensch sind. Dies ist nöthig, um die Illusion zu wahren, sonst kommt der Schatten der Schauspieler an Stellen der Landschaft, wohin er in Natura nicht treffen kann. Ich setze bei allen meinen Dekorationen auf dieses Erforderniß. Wird es unbeachtet gelassen, fehlt die Illusion und man ist sofort durch den Eindruck gestört, daß man es mit bemalter Leinwand zu tun hat. – Ich liebe die Dekorationen möglichst kräftig gemalt, nicht blaß. Die meisten Dekorationsmaler lieben Letzteres und denken, die Schauspieler müßten dunkel vom Hintergrund sich abheben. In der Natur hebt der Mensch sich auch nicht dunkel von seiner Umgebung ab, sondern steht im selben Lichte, wie die Gegenstände, welche auf derselben Ebene sind wie er.19
Die neuen transparenten und asymmetrisch geordneten Hängedekorationen brachten aber auch ungeahnte logistische Schwierigkeiten mit sich, gingen doch auf einmal die Verwandlungen des Bühnenraumes schneller vor sich, als sich zum Beispiel die Schauspieler für ihren nächsten Auftritt umkleiden konnten: „Die Badescene kann nicht fortgetragen werden wegen des Umzugs von Nesper, der Zeit haben muss, den Harnisch anzulegen“, schrieb der Herzog resigniert an seinen Regisseur, nachdem zuvor der schnell Umbau eifrig geübt worden war.20 Die Verwandlungen erforderten ein kompliziertes räumliches und zeitliches Ordnungssystem auf der Hinterbühne, von dem die Zuschauer nicht das Geringste ahnen durften. Unsichtbar und schnell mussten sie vonstatten19 ThStAM, HA, Nr. 210, Brief Georgs II. vom 9. Dezember 1875. Sämtliche der 13 neuen „Käthchen“-Dekorationen wurden vom Pester Maler Moritz Lehmann gemalt und nicht, wie bislang angenommen, von den Brüdern Brückner in Coburg. 20 ThStAM, HA, Nr. 211, Georg II. an Chronegk, 9. März 1876.
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gehen, wie eine Zauberei, sonst wäre ihr eigentlicher Effekt, die Überraschung der Zuschauer, dahin gewesen. In aufwendigen Technikproben, die oft in Abwesenheit der Schauspieler stattfanden, musste „Stabilität in die Verwandlungen“ gebracht werden: „Sie können sich am Vorstellungsabend auf den Kopf stellen, die Verwandlungen werden langsam gehen, wenn nicht in extra Proben System in die Verwandlungen gebracht worden ist“, schrieb der Herzog an den Regisseur.21 Technikproben ohne Schauspieler waren neu in der Theaterpraxis. Für den Herzog waren solche Technikproben „ohne Mitglieder, für Dekoration, Beleuchtung und alles was damit zusammenhängt“ sowie „die systematische Einteilung der Verantwortungsarbeit“ vor dem dritten Berliner Gastspiel unumgänglich, hatten doch bei den ersten „Käthchen“-Vorstellungen in Meiningen die Verwandlungen länger als die Spielszenen gedauert.22 Für die Meininger „Käthchen“-Probe am 6. März 1876 beispielsweise bestellte der Herzog noch zehn Soldaten und sechs Zimmerleute aus der Stadt hinzu; funktionierten die Verwandlungen zu seiner Zufriedenheit, stellte er eine „Extragratifikation in Aussicht“.23 Noch musste der größte Teil der Umbauten von Hand erledigt werden, elektrische Hebe- und Transportvorrichtungen oder eine Drehbühne gab es damals noch nicht. Und als sie ein paar Jahrzehnte später überall an den Theatern zur Verfügung standen, war es mit der Faszination für die Meininger vorbei. Aus keinem anderen Grund als ihrer Verwandlungen wegen spielte die Figur der Kunigunde für den Herzog in dieser Inszenierung die größte Rolle. Auf ihre Einrichtung wurde die meiste Sorgfalt verwendet. Während die Figur des Käthchens kaum eine Erwähnung erfuhr, beschäftigten Kunigundens Kostüme und deren gute Sichtbarkeit auf der Bühne den Herzog und seine Frau bis zur letzten Minute vor der Meininger Premiere. Dank ihrer überraschenden und unheimlichen Verwandlung von einer schönen in eine hässliche Frau und umgekehrt avancierte Kunigunde zur Hauptgestalt dieser Inszenierung und wurde von der in Meiningen damals am höchsten bezahlten Schauspielerin, Fräulein Moser-Sperner, gespielt. Für die schnelle Verwandlung von der hässlichen zur schönen Kunigunde im fünften Akt ersann der Herzog eine aufwendige und absurde Maske.
21 ThStAM, HA, Nr. 211, Georg II. an Chronegk, 6. März 1876. 22 Ebd. 23 Ebd.
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Die Scene, in der Kunigunde als häßliche Mamsell erscheint, müssen wir noch probieren. Sie müßte, nachdem sie als häßlich abgegangen in dem Brautgewand wiederkehren, das zum raschen Anlegen eingerichtet sein müßte. Diese goldene, korbartige mit Perlen gestickte und Rosen garnierte Mütze und das Haar müßte in einem Stück zusammenhängen, die Taille des Rocks könnte sie zu Anfang der Scene anhaben, darüber eine […] Art Mantel. Den Rock, der zur Taille gehört, würfe sie dann nur über. Das Gesicht müßte durch eine federnde Vorrichtung in der Backengegend gequetscht werden. Die falschen hohen Backen wären auf die Federn gemalt […] Gelänge es, so wäre die Scene spaßhaft und drastisch. Daß Frau Moser in Natur häßlich sei, wird niemand im Publikum denken. Aber als ältliche Vettel hinausgehen und unmittelbar darauf in blendendem Glanz zurückzukommen denke ich mir sehr amüsant.24 (Abb. 8)
Abb. 8: Brief Georgs II. an Chronegk vom 9. März 1876
Ganz zur Zufriedenheit des Herzogs ließ sich diese Verwandlung wohl nicht realisieren. Deshalb instruierte die Freifrau den Regisseur noch einmal ganz genau:
24 ThStAM, HA, Nr. 211, Georg II. an Chronegk, 9. März 1876.
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[D]ie Einsturz-Geschichte ist aber doch sehr schwierig und das Auftreten der 3 Herren von Thurneck hinterdrein macht mich auch nicht zur Seligen! Nesper soll nur noch Mal recht losbrüllen. In dem Akt soll die Moser, die sich 1-2 Mal recht schnell umziehen muss nur das Kostüm des 2. Aktes anbehalten, u. ja nicht im Négligée sein, sie nimmt sich sonst den Effekt des 5. Aktes. In diesem muß sie sich vor dem Auftreten des Grafen ein bißchen dehnen u. sich einmal ganz zum Bauernmädchen herumdrehen, damit man sie auch ordentlich erkennt. Drum soll die Alte allein heraustreten und Rosalie der Moser die Schleppe tragend, folgen. Zum Schluß kann die Moser viel mehr tun – ich meine in der letzten Scene, wenn der Herold vortritt und liest muß sie schon eine große Pantomime machen u. vor ihrem Abgang könnte sie vielleicht den Leuten halbohnmächtig in die Arme sinken und dann mit Effekt abgehen.25
Diesen Brief schickte die Herzogin aus Meiningen nach Berlin, denn ihr war vor dem großen Ereignis in Berlin „ganz bänglich ums Herz“, so dass sie zu Hause geblieben war. Deutlich formulierte sie ihre Zweifel an der Inszenierung, als sie Chronegk gegenüber in diesem Brief zugab, dass das „Käthchen“ „ja wohl amüsant“ sei, aber alles vom Technischen abhinge und leicht misslingen könnte. Bis zum letzten Moment vor der Berliner Premiere wurde geändert und probiert, eine Praxis, die wegen der immer verschiedenen bühnentechnischen Bedingungen auch an anderen Gastspielorten erforderlich war. Das Ziel dieser unaufhörlichen Änderungen war, ganz im Gegensatz zur bisherigen Spielpraxis seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nicht das affektvolle Spiel der Schauspieler und schon gar nicht ein allzeit hörbarer Text.26 Stattdessen drehte sich alles um den besten optischen Effekt für die Zuschauer. Wie später bei Filmaufnahmen mussten die Schauspieler auf die für sie vorgesehenen Positionen im Spielraum achten: „Der Herzog bittet alle Rauchmaschinen vor den Engel zu stellen, damit ja viel Rauch entsteht. Die Dohm muß auch ja an die rechte Stelle treten, damit man sie ordentlich sieht“, übermittelte die Freifrau dem Regisseur, um ihn im Nachsatz noch zu bitten, ob er nicht „in dem Moment wo sie heraustritt“ sicherheitshalber selbst bei der Schauspielerin sein könne.27 Chronegks Erfolgsmeldungen aus Berlin waren Meldungen über Geschwindigkeit, Rhythmus und geglückte Überraschung. Am 12. Mai 1876 schrieb er an die thüringischen Herrscher:
25 ThStAM, HA, Nr. 211, Freifrau Helene von Heldburg an Chronegk, 29. April 1876. 26 In der sogenannten Hally-Szene der „Herrmannsschlacht“ wurde fast unhörbar geflüstert, so wie auch in der Verschwörungsszene von Shakespeares „Julius Cäsar“. 27 Freifrau Helene von Heldburg an Chronegk (wie Anm. 24).
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Da das Publikum spät kam, konnte ich erst 7 ¼ beginnen, 2 Pausen á 10 Minuten und das Ganze gegen 10 ½ fertig, hieran mögen Sie, liebe Frau von Heldburg entnehmen, wie die Verwandlungen gingen und ich glaube, ich hätte mir etwas angetan, wenn trotz meiner Anstrengungen die Verwandlungen nicht gegangen wären.28
Der Meininger Beleuchtungsmeister Behrendt, so berichtet Chronegk in diesem Brief weiter, habe sogar extra seinen Vater und seine beiden Brüder zur Vorstellung mitgenommen, um die Beleuchtung bei den Verwandlungen schnell zu regeln. Nach den Verwandlungen habe es jeweils stürmischen Beifall gegeben, besonders der Regen sei für alle sichtbar gewesen und habe so famos gewirkt, dass mancher im Publikum in Versuchung gekommen sei, den Regenschirm holen zu lassen. Die Flammen beim Schlossbrand wären enorm gewesen (das nötige Wasserdepot und die Löschmannschaften standen bereit), und als der plastische Fenstersims von Schloss Thurneck herunterkrachte, habe das ganze Publikum vor Schreck aufgeschrien. Mit dem Verweis darauf, dass besonders die schnellen Wechsel und Verwandlungen die Zuschauer beeindruckt hätten, schloss Chronegk seinen Erfolgsbericht: „Die Szenen wirken hier sehr komisch, so daß die wechselnde Wirkung von Angst und Komik auf das Publikum einen eigenartigen Reiz auszuüben scheint.“
4. „Die Ahnfrau“ Die Inszenierung der „Ahnfrau“ ein Jahr später, also im Jahre 1877, sei das Schönste gewesen, was man von den Meiningern bis dahin gesehen habe, hieß es in den damaligen Rezensionen. Dieses Lob war mehr als ein Superlativ, denn die Meininger gastierten mittlerweile das vierte Jahr in Folge und für jeweils einen ganzen Monat in Berlin. Jedes Mal wurden ihre Inszenierungen gefeiert, vor allem die Ausstattungen, die spektakulären Verwandlungen und nicht zuletzt die Stückwahl. Die Meininger waren sich der Erwartungen, die an sie gerichtet waren, bewusst und der Gastspielplan, den sie Jahr für Jahr mit Bedacht entwarfen, erweist sich selbst als eine umfangreiche Inszenierung. Bereits zum zweiten Berliner Gastspiel 1875 hatten die Meininger eine Grillparzer-Inszenierung gezeigt, und zwar das „Esther“-Fragment. Mit ihrer zweiten Grillparzer-Inszenierung nun hatten sich die Meininger fast zwei Jahre lang befasst, das war für damalige Theaterverhältnisse, in denen die Vorbereitung einer Einrichtung nur ein bis zwei Wochen dauerte, ein außergewöhnlicher Umstand. Er verweist darauf, dass sich in Deutschland erst am Ende des 19. Jahrhunderts und eben besonders durch den Einfluss der Meininger eine Theaterpraxis durchsetzte, in der über28 ThStAM, HA, Nr. 229, Chronegk an Georg II. und Helene von Heldburg am 12. Mai 1876.
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haupt von einer Inszenierung zu sprechen war. Am Ende der langen Arbeit an der „Ahnfrau“ war ein Meisterstück an technischer und dramaturgischer Präzision entstanden. Liest man in den Rezensionen die Beschreibungen einzelner Bühnenvorgänge und davon, dass manche Szenen so schaurig wirkten, dass sie Ohnmachten unter den Zuschauerinnen auslösten, dann drängt sich der Vergleich mit dem Grand Guignol, das ein paar Jahre später in Paris gegründet wurde, auf. Der Herzog jedenfalls war bei dieser Inszenierung in seinem Element. Überliefert ist eine Vielzahl von ihm gezeichneter und kolorierter Szenenarrangements, Figurinen und Kostümdetails. Überliefert ist auch seine Beteiligung an den technischen Tüfteleien und Tricks, die zur großen Wirkung der „Ahnfrau“ auf die Zuschauer beitrugen. Die Inszenierung beruhte auf einer Überraschung und sie folgte damit dem dramaturgischen Prinzip des Textes. Überraschung ist nichts anderes als eine unerwartete Unterbrechung im gewohnten Lauf der Dinge. Fünf Akte hat das Stück und erscheint damit auf den ersten Blick ganz konventionell. Jene Einteilung in Akte oder Aufzüge entstand theaterhistorisch im Zusammenhang mit theaterpraktischen Bedürfnissen; Schauplätze und Masken mussten gewechselt werden, dafür waren Umbauten und Umzüge notwendig, die eine Spielpause erforderten. Grillparzers „Ahnfrau“ erfüllt zwar die Konvention der Einteilung in Akte bzw. Aufzüge, jedoch findet in den ersten vier Aufzügen kein einziger Schauplatzwechsel statt. Alle vier finden in ein- und demselben Bühnenbild statt, das eine düstere gotische Halle vorstellt. Allein das Licht wechselt. Der erste Aufzug spielt bei Grillparzer am „späten Winterabend“, im Meininger Soufflierbuch ist „Dämmerlicht“ notiert. Geht der Vorhang dann zum zweiten Aufzug wieder auf, liegt dieselbe Halle bei Grillparzer „in dichtem Dunkel“ und bei den Meiningern ist es „Nacht“. So wird es auch im dritten und im vierten Aufzug bleiben. Das war auf zweifache Weise für das Publikum irritierend. Zum einen, weil es andauernd dunkel und dämmrig war und es kaum etwas sehen konnte, ein Umstand, den man in der Theaterpraxis bis dahin stets vermieden hatte. Zum anderen deshalb, weil der Vorhang aufging, ein ums andere Mal, und der Schauplatz, um dessen Wechsel Willen er für gewöhnlich zuund wieder aufgezogen wurde, unverändert blieb. Hinzu kam, dass dies in einer Inszenierung der Meininger geschah, die für nichts anderes berühmt waren als für ihre Schauplatzwechsel. Erst als niemand mehr an den Wechsel des Schauplatzes dachte, wechselte er. Anstelle der immer gleichen Innenansicht einer gotischen Halle sah man zu Beginn des 5. Aufzuges das Schloss von außen, den „Schlosshofzwinger, links an einer Wand Wohngebäude“. Der Meininger Herzog entwarf diese Szene von Schnee bedeckt und in hellem Licht (Abb. 9). Nach dieser kurzen hellen Szene wurde der Schauplatz gleich noch einmal gewechselt, so wie es auch der Text vorsieht. Die Szene öffnete sich nach hinten und gab ein dunkles Grabgewölbe frei (Abb. 10).
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Abb. 9: „Schlosshofzwinger, links an einer Wand Wohngebäude“. Bühnenbildentwurf Georgs II. zur „Ahnfrau“ (V. Akt), 1877
Abb. 10: Bühnenbild- und Arrangemententwurf Georgs II. zur Gruft der „Ahnfrau“ (V. Akt.), 1877
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Dieser letzte Schauplatz, die düstere Totengruft, hatte den Herzog am längsten beschäftigt und den ganzen Erfindungsreichtum des Theatertechnikers Behrendt herausgefordert. In Briefen (Abb. 11) und Skizzen notierte der Herzog genau, wie die beiden Särge in der Gruft zu stehen hatten, in deren einem die Darstellerin der Bertha-Figur lag und aus deren anderem die Ahnfrau gespenstisch emporstieg.
Abb. 11: Brief Georgs II. an Ludwig Chronegk vom 12. Februar 1877
Die Darstellerin der gestorbenen Bertha musste sich bereits vor der Bühnenverwandlung zur letzten Szene in den Sarg legen. Neben ihrem Sarg hatte, erhöht und im rechten Winkel, der Sarg der Ahnfrau zu stehen, damit das Publikum – von allen Plätzen im Zuschauerraum aus – den Auftritt der Ahnfrau gut sehen konnte. Hinter dem Ahnfrau-Sarg, die Skizze im oben abgebildeten Brief des Herzogs macht die heute kurios erscheinende Konstruktion deutlich, hockte ein Bühnenarbeiter. Er zog aufs Stichwort an verschiedenen Schnüren, öffnete auf diese Weise langsam den Sarg und richtete die Ahnfrau auf. Damit jener Bühnenarbeiter vom Publikum nicht gesehen werden konnte, musste der Sarg der Ahnfrau, der ohnehin schon auf einem Podest stand, einen Meter hoch sein, um ihn zu verdecken. Wie von unsichtbarer Hand wurde der Sargdeckel
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geöffnet und die Darstellerin der Ahnfrau, die ihrerseits auf einem schwarz ausgeschlagenen Brett befestigt war, wurde aufgerichtet. Alle Rezensenten schwärmten von diesem schauerlichen Anblick: Bleich fällt das Mondlicht von oben herab auf die Ahnengruft und beleuchtet in einer Nische des Hintergrundes den Sarg, in dem die Ahnfrau ruht. Bei dem Klang der Mitternachtsglocke öffnet sich der Sargdeckel und der Leichnam der Ahnfrau erhebt sich, wie durch eine unsichtbare Kraft, ohne eigene Bewegung emporgehoben. Sie steht endlich und rückt vor, aber sie bewegt sich nicht.29
In dieser wie in anderen Rezensionen wurde mit Bewunderung auch von den akustischen Effekten dieser Inszenierung geschwärmt. Von einem „abgetönten Kreischen und Stöhnen und Schwirren“ ist die Rede, von einem „Nerven erregenden, halb mysteriösen Schwirren von Tönen, das der Sturm in den Wetterfahnen und Schloten des alten Schlosses erregt“ habe.30 Erst vor kurzer Zeit hat sich in Meiningen die Notation der Musik zur damaligen Inszenierung angefunden. Hier ist ein D-Moll-Motiv notiert, das gleichzeitig das akustische Auftrittsmotiv für die Figur der Ahnfrau ist. Unsichtbar hinter einer Gardine wurden im Bühnenhintergrund zwei Instrumente gespielt, links eine Violine, rechts eine Gitarre. Um einen möglichst ungewohnten Ton zu erzeugen, wurde auch die Gitarre mit einem Geigenbogen gestrichen, wiederholt und mit wechselnder Stärke. Melodien und Harmonien durften nicht erkennbar sein, das Ganze sollte „nur tongeschwängerte Luft“ bedeuten.31 Erhalten hat sich auch das Soufflierbuch zur „Ahnfrau“ von 1877, zur Grundlage hat es ein Exemplar der bei Cotta in Stuttgart 1874 erschienenen Ausgabe. Hier bestätigt sich ein Befund, der sich bereits bei meinen Forschungen zu den Meininger Inszenierungen von Kleists „Käthchen“ und der „Herrmannsschlacht“ herausgestellt hatte.32 Die Meininger haben die Texte nicht im Original belassen, sondern sie haben sie radikal verändert. Fast die Hälfte des „Ahnfrau“-Textes ist gestrichen (Abb. 12). 29 Berliner Börsen-Courier vom 9. Juni 1878. Ein Exemplar der Ausgabe befindet sich in: Meininger Museen, Theatermuseum, Rezensionsmappe zur ‚Ahnfrau‘, S. 1 (handpaginiert). 30 Ebd. sowie Berliner Fremdenblatt vom 12. Juni 1878. Ein Exemplar der Ausgabe befindet sich in: ebd., S. 5 (handpaginiert). 31 Vgl. Wilhelm Reif, Zwanzig Bühnenmusiken. Abschrift. Meiningen 1895, Nr. 11: ‚Die Ahnfrau‘. Meininger Museen, Sig. XI/5–301/Nhs 779, S. 50 f. Hier ist u. a. auch die Musik zur „Herrmannsschlacht“ notiert. Zu ihrem Partituren-Fund vgl. Maren GOLTZ, Die Praxis der Bühnen-und Zwischenaktmusik bei den Theateraufführungen der „Meininger“ während der Regierungszeit Herzog Georgs II. von Sachsen Meiningen (1866–1914), in: Petra STUBER/Ulrich BECK (Hg.), Theater und 19. Jahrhundert, Hildesheim 2009, S. 73–93. 32 Vgl. hierzu grundlegend: STUBER, Doppeltes Spiel (wie Anm. 4); EMIG (Hg.), Kleists „Hermannsschlacht“ (wie Anm. 5).
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Abb. 12: Seiten aus dem Soufflierbuch zur „Ahnfrau“
Gestrichen waren vor allem Wiederholungen, poetische Ausschmückungen und körperlich anzügliche Stellen sowie lange Passagen reflexiver Figurenreden und die klugen Reflexionen über Sprache und Rhetorik. Diese Striche gleichen in ihrer Tendenz denjenigen in den beiden von mir untersuchten Kleist-Fassungen der Meininger. Darüber hinaus gibt es jedoch hier noch eine weitere Entdeckung zu machen: Gestrichen aus dem Text war auch, was sich in Bühnenbild, Beleuchtung oder Musik transformieren ließ. In der ersten Szene waren beispielsweise Berthas Rede über den Winter und des alten Grafen Rede über die Zeit und darüber, dass die Tage kürzer werden, gestrichen. Dass rauer Winter ist, musste nicht mehr gesagt und ausgesprochen werden. In jener hellen Überraschungsszene zu Beginn des 5. Aufzugs lag der Schlosshof im Schnee. Dass die Zeit vergeht und dass es Abend ist, musste nicht mehr gesagt werden, die Zeit verging mit dem dunkler werdenden Licht auf der Bühne. Das Publikum konnte den kalten Wind im Schwirren der D-Moll-Akkorde nicht überhören, nicht umsonst war es ein Geigenbogen, der verfremdend über Gitarrensaiten streicht. Musik und Bühnenbild illustrieren und doppelten hier nicht den Text, sie hatten in diesem Inszenierungsgefüge ihren eigenen Part übernommen.
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5. Schluss Natürlich geschieht ein Bruch mit einer jahrhundertealten Theatertradition nicht im Handumdrehen. Einzelne Beispiele zur Aufhebung der zentralperspektivisch eingerichteten Kulissenbühne sind auch von anderen Theatern im 19. Jahrhundert überliefert, zum Beispiel vom Düsseldorfer Theater in der Zeit von Karl Immermann. Dekorationen, Dekorationsentwürfe und Kostüme, die nur für jeweils eine Inszenierung gedacht waren, gab es auch früher schon. Berühmt sind die Entwürfe von Karl Friedrich Schinkel für das Königliche Opernhaus und von Karl Blechen für das Königstädtische Theater in Berlin. Und selbst Goethes Theaterregeln, die vorhin erwähnt wurden, um eine zentralperspektivisch zum Publikum gedrehte Körperhaltung der Schauspieler anzuführen, arbeiteten durch das Proszeniumsverbot, das in ihnen ausgesprochen wird, gleichzeitig auch an der Aufhebung der Zentralperspektive und der Abschließung des Spielraumes gegen das Publikum mit. Die Meininger haben diese Tendenzen nicht nur gebündelt. Sie haben eine neue Art, Theater zu machen, entwickelt und mit ihren Gastspielreisen, die sie in alle großen Städte Europas führten, durchgesetzt: Ein Theater ohne zentralperspektivische Kulissenbühne, mit langen Proben- und Vorbereitungszeiten für eine jede Inszenierung, in der alle Theaterelemente, also Raum, Licht, Ton, Sprache, Schauspieler aufeinander bezogen waren. Man kann ruhig sagen, dass sie das Theater damals revolutioniert haben.
P A U L S. U L R I C H DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
Die Meininger im Spiegel der Theateralmanache des 19. Jahrhunderts Theateralmanache bzw. -journale bieten interessante Möglichkeiten, Informationen über das Theater zu ermitteln, obwohl sie selten als Quellen in der Forschung herangezogen werden. Welche Informationen darin enthalten sind, wird ersichtlich, wenn man etwas über die unterschiedlichen Arten, Entstehung, Herausgeber, Umfang, Inhalte und Zielgruppen dieser Veröffentlichungen weiß. Die ersten Theateralmanache im deutschsprachigen Raum erschienen ab 1776. Danach folgte eine Explosion, wie das „Allgemeine Theater-Lexikon“ 1839 bestätigt: Keine Kunst, keine Wissenschaft hat so viel ausschließlich für sie bestimmte Almanache aufzuweisen, als das Theater. Seit der Mitte des vorherigen Jahrhunderts ist fast kein Jahr ohne einen oder mehrere Almanache für Schauspieler und Schauspielfreunde vergangen, besonders in Deutschland, wo jedes nur irgend bedeutende Theater einen Almanach gehabt hat.1
Obwohl die Aussage stimmt, wurde keine Differenzierung zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Almanachen gemacht: den universalen Almanachen und den lokalen Journalen.2
1. Universale Theateralmanache Die universalen Almanache sind Werke, die das gesamte deutschsprachige Theater als Gegenstand haben. Sie wurden als Fortsetzungswerk konzipiert, selbst wenn nur ein Jahrgang erschien. Ursprünglich beinhalteten sie vorwiegend 1 2
Louis SCHNEIDER, Almanache für das Theater, in: Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde, Bd. 1, Altenburg/Leipzig 1839, S. 53. Die Titel waren sehr unterschiedlich. In der nachfolgenden Behandlung werden die Begriffe „Theateralmanach“ bzw. „Almanach“ für Veröffentlichungen verwendet, die die Theater in mehreren Orten bzw. das gesamte deutschsprachige Theater behandeln. Diese Werke wurden über den normalen Buchhandel vertrieben, d.h. sie waren weit verbreitet. Die Begriffe „Theaterjournal“ bzw. „Journal“ werden für Veröffentlichungen verwendet, die – meist von einem Souffleur herausgegeben – sich nur mit einem Theater bzw. mit einer Theatergesellschaft befassen. Sie wurden nur am Ort des behandelten Theaters verteilt bzw. verkauft. Die hier behandelten Journale sind nicht mit den handgeschriebenen Tagebüchern der Theater zu verwechseln, die nur für interne Zwecke geführt wurden.
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Theaterstücke3 und Aufsätze zum Theater, ergänzt mit Auflistungen des Personals der größeren Theater. Der Redaktionsschluss war im Herbst, d.h. am Anfang der Saison. Personaländerungen (Abgänge, Vertragsbruch, Heirat, Tod) der vorherigen Spielzeit wurden nachgetragen, beim Wechsel zu einer anderen Gesellschaft mit Ortsangabe. In den lokalen Journalen wird seltener von Änderungen berichtet. Da im 19. Jahrhundert immer mehr Theaterbetriebe aufgenommen wurden, beanspruchte die Auflistung des Personals so viel Platz, dass die Almanache letztlich fast ausschließlich diesem Zweck dienten. Die ab 1836 erschienenen Theateralmanache wurden als Organe von Theateragenturen herausgebracht und dienten vorwiegend als Nachweis, wo Schauspieler tätig waren. Die Informationen über die Theatergesellschaften wurden zu Beginn der Saison an die Redaktionen geschickt und die Almanache erschienen am Ende des Jahres. Anhand der Angaben über das Personal unter den einzelnen Theatergesellschaften ist es möglich, dessen Laufbahn zu rekonstruieren, was durch fehlende Vornamen jedoch erschwert wird.4 Problematisch ist auch, dass in parallel erschienenen Almanachen die Gesellschaften nur zu 80 % deckungsgleich sind.5 Der von 1836 bis 1893 erschienene „Almanach für Freunde der Schauspielkunst“ wurde von Ludwig Wolff, dem Souffleur der Königlichen Schauspiele in Berlin, herausgebracht, der zudem eine Theateragentur gründete. Dieser Almanach war eine Fortsetzung von Wolffs „Repertorium und Personalbestand der Königlichen Schauspiele zu Berlin“, das von 1830 bis 1836 erschien. Der Almanach wurde bald ein unverzichtbares Nachschlagewerk für die im Theater tätigen Personen und war zusätzlich ein Werbemittel für Wolffs Theateragentur, die zunehmend Einfluss auf Personal und Spielpläne gewann. Mit seinem Almanach setzte Wolff die Darstellung des Personals möglichst vieler Theater
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Veröffentlichungen, die ausschließlich die Wiedergabe von Theaterstücken beinhalten – sogenannte „Dramatische Taschenbücher“ – sind nicht Gegenstand dieses Aufsatzes, da sie mit der Theaterpraxis nichts zu tun hatten. Der Verfasser hat die Angaben zu sämtlichem Personal (inklusive die Abgänge und Gastspiele) aus dem „Almanach für Freunde der Schauspielkunst/Deutschen BühnenAlmanach“ in einer Datenbank erfasst und teilweise auch die aus „Ferdinand Roeders Theater-Kalender“ und dem „Almanach der Genossenschaft Deutscher BühnenAngehöriger“, so dass die Verfolgung einzelner Personen für die Jahre 1836 bis 1893 möglich ist. Eine eindeutige Zuordnung war oft schwierig, da während dieser Zeit selten Vornamen verwendet wurden. Meldungen von den Theatern wurden vor Redaktionsschluss geliefert; außerdem haben Direktoren von Gesellschaften an stehenden Theatern unterschiedlich auf die Anfragen der Herausgeber der Almanache reagiert. Besonders wenig vertreten sind Meldungen von ambulanten Gesellschaften.
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fort, wie sie bereits in Heinrich August Ottokar Reichards „Theaterkalender“6 und anderen Theateralmanachen7 präsentiert wurden. Ähnlich wie seine Vorgänger druckte Wolff sowohl dramaturgische Aufsätze als auch Theaterstücke, die von seinem parallel zur Theateragentur betriebenen Bühnenvertrieb angeboten wurden. Der Almanach begann mit der Auflistung des Personals, des Repertoires und den Gästen der Berliner Königlichen Schauspiele, gefolgt von einem Stück und theaterbezogenen Aufsätzen. Am Schluss erfolgte ein Verzeichnis der deutschen Bühnen mit dem jeweiligen aktuellen Personalstand8 am Anfang der Saison. Im ersten Jahrgang (1836) wurden 52 ständige Theater verzeichnet, im letzten (1893) 490. Ab Jahrgang 12 (1848) gab es ein Personenregister.9 Ab Jahrgang 18 (1854)10 wurde der Almanach in „Deutscher Bühnen-Almanach“ umbenannt, bis zu seiner Einstellung 1893 (57. Jahrgang). Zwischen 1858 und 1879 erschien ein Konkurrent: „Ferdinand Roeders Theater-Kalender“. Ferdinand Roeder (1807–1880), Schauspieler, Theaterdirektor und Theateragent, der von Dezember 1842 bis April 1843 sogar Direktor der Theatergesellschaft in Meiningen war, verwendete eine andere Präsentation in seinem Kalender. Ursprünglich hatte er folgende Teile: 1. ein theaterbezogenes Kalendarium, 2. ein alphabetisches Verzeichnis von neu aufgeführten Bühnenstücken mit Angabe der Spielorte, 3. ein nach Orten geordnetes Register der Bühnen mit Angabe der neu aufgeführten Werke, 4. ein alphabetisches Verzeichnis der gastierenden Bühnenkünstler nebst Angabe ihres Wohnsitzes, der Bühnen, an denen sie gastierten und der Rollen, in denen sie auftraten, 5. ein 6
Reichards Theaterkalender – häufig Gothaer Theaterkalender genannt – erschien von 1775 bis 1800 unter zwei verschiedenen Namen mit abweichendem Inhalt: in Gegenden, in denen der Verkauf von Kalendern gesetzlich geregelt war, unter dem Namen „Theaterkalender“, in anderen Regionen unter dem Titel „Taschenbuch für die Schaubühne“. 7 Vgl. u. a. August Wilhelm IFFLAND, „Almanach für Theater und Theaterfreunde“ (1807– 1812); Johann Wilhelm LEMBERT, „Taschenbuch für Schauspieler und Schauspielfreunde“ (1815–1823); August KLINGEMANN, „Allgemeiner Theater-Almanach für das Jahr 1822“; Eduard BEURMANN, „Almanach der deutschen Bühne auf das Jahr 1835“. 8 Häufig wurden die ausgeschiedenen Mitglieder der Gesellschaft mit Angaben, wohin sie gegangen waren, die Gäste mit Herkunftsbühnen und neu engagierte Mitglieder gelistet. Öfters verzeichnet waren auch die neu inszenierten bzw. zum ersten Mal aufgeführten Stücke. 9 Im Register befinden sich lediglich die Namen mit Hinweis auf Bühnen, an denen die Personen engagiert waren. Abgänge sowie Gastspiele als auch technisches und verwalterisches Personal sind im Register nicht vertreten. 10 Die Umbenennung erfolgte unter der Herausgeberschaft vom ebenfalls vorherigen Souffleur Alois Heinrich (1812–1861), der von 1847 bis 1859 den Almanach herausbrachte. Nach Heinrich folgte Ludwig (Louis) Schneider als Herausgeber in den Jahren 1860 bis 1861. Ab dem 26. Jahrgang (1862) übernahm Albert Entsch (1820?–1882) und nach dessen Tod, bis zur Einstellung des Almanachs, sein Sohn Theodor Entsch (1853–1913) die Verantwortung.
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alphabetisches Register der Bühnen mit Angabe der gastierenden Künstler, 6. ein geographisch geordnetes Verzeichnis der Bühnen nebst engagiertem Personal, 7. ein Register sämtlichen Personals der Bühnen mit Angabe, wo sie engagiert waren und 8. ein Adressenkalender, der in systematischer Ordnung wichtige Einrichtungen für das Theatergeschäft auflistete. Die späteren Ausgaben verzichteten auf die Teile 2. bis 5., deren Inhalt zum Teil – ähnlich wie beim „Deutschen Bühnen-Almanach“ – im Verzeichnis der Bühnen integriert wurde. Nach der Gründung der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in 1871 erschien ab 1873 ein weiterer Almanach: der „Almanach der Genossenschaft Deutscher-Bühnen-Angehöriger“. Die ersten zwei Jahrgänge verzeichneten lediglich Mitglieder der Genossenschaft. Ab 1875 wurde sämtliches Personal der verzeichneten Bühnen aufgelistet und, abgesehen von genossenschaftlichen Meldungen und einer Chronik der vergangenen Saison, war er ähnlich strukturiert wie der „Deutsche Bühnen-Almanach“.11 In den GenossenschaftsAlmanachen gibt es nur zwei Aufsätze über das Theater in Meiningen: Isidor Landaus Aufsatz anlässlich der Silbernen Hochzeit von Herzog Georg II. und Freifrau von Heldburg12 sowie Eugen Isolanis Aufsatz zum Tod des Herzogs.13 Zusätzlich sind zwei weitere Aufsätze über die Meininger zu erwähnen, die in der Genossenschafts-Zeitschrift erschienen.14 Die ab 1875 im Genossenschafts-Almanach abgedruckte „Chronologie des Theaters“ wurde ursprünglich von dem Schriftsteller und Lexikograph Josef Kürschner (1853–1902) geliefert. Die Beiträge wurden aus einer Chronologie kumuliert, die wöchentlich in der von der Genossenschaft ebenfalls herausgegebenen Zeitschrift „Deutsche Bühnengenossenschaft“ erschien. In 1877 gab es u. a. deshalb Streit zwischen der Genossenschaft und Kürschner, weil dieser die Chronologie unverändert selbstständig unter dem Titel „Chronologie des Theaters“ von 1875 bis 1877 herausgab. Nach der Trennung veröffentlichte Kürschner ein „Jahrbuch für das deutsche Theater“ (1879 und 1880), mit einer Chro11 Im Jahr 1890 wurde der Almanach in „Neuer Theater-Almanach“ umbenannt; eine weitere Umbenennung in „Deutsches Bühnen-Jahrbuch“ erfolgte 1915. 12 Isidor LANDAU, Herzog Georg von Sachsen-Meiningen und Freifrau von Heldburg, in: Neuer Theater-Almanach, 10 (1889), S. 53–60. Besonders interessant in Landaus Aufsatz ist sein Bericht über die Aufführung des „Kaufmanns von Venedig“ mit den ehemaligen Mitgliedern des Meininger Ensembles, ein einmaliges Ereignis, das nur mit der Aufführung von Frank Wedekinds „Der Marquis von Keith“ im Berliner Staatlichen Schauspielhaus, anlässlich der Albert Steinrück-Gedächtnisfeier am 28. März 1929, vergleichbar ist. 13 Eugen ISOLANI, Herzog Georg von Meiningen, in: Deutsches Bühnen-Jahrbuch, 26 (1915), S. 50–66. 14 Gustav SCHEFRANEK, Die letzte Gastspielreise der Meininger, in: Deutsche BühnenGenossenschaft 19 (1899), Nr. 33 (31. August 1890), S. 337–340; Josef DISCHNER, Vom Meininger Theater, in: Dramaturgische Beilage zur Deutschen Bühnen-Genossenschaft, Nr. 40 (3. April 1908), S. 157–158.
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nologie in abgewandelter Form und Aufsätzen zum Theater (u. a. Hans Herrig über die Meininger Gastspiele),15 jedoch ohne Theatergesellschaften und deren Personalbestände. Ab 1878 erschien die Chronologie weiter im „Almanach der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger“ in unterschiedlichen Formaten, teilweise unterteilt in biografische (Jubiläen und Todesmeldungen) und theaterbezogene Meldungen. Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen für kurze Zeit zwei weitere Almanache, die das jeweilige Personal der Gesellschaften auflisteten: Georg Elsners „Deutscher Bühnenkalender“ auf das Jahr 1901, 1902, 1903 (Berlin 1900–1902) und das von 1912 bis 1918 vom Deutschen Bühnen-Verein als Konkurrent zum „Neuen Theater-Almanach“ herausgegebene „Deutsche Theater-Adreßbuch“. Ab 1836 ist das Theater in Meiningen immer in den Almanachen verzeichnet. Somit ist es möglich, das Personal16 zu Beginn der jeweiligen Saison festzustellen. Die von der Meininger Gesellschaft mitbespielten Theater in Bad Liebenstein und Hildburghausen haben zum Teil eigenständige Eintragungen. Meldungen über die Gastspiele der Meininger17 sind in der Chronik des „Almanachs der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger“ bzw. seiner Fortsetzung, des „Neuen Theater-Almanachs“ zu finden; andere Almanache haben keine entsprechende Rubrik. Die Dokumentation ist unvollständig und sehr knapp gehalten. Die erste Erwähnung lautet: „1. Mai –18. Juni 1876: Gastspiel der Meininger im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin“, die letzte Meldung war „1. Juli 1890: Mit dem heutigen Tage schließt die letzte Gastspiel-Rundreise der Meininger in Odessa.“. Insgesamt gab es 62 Meldungen.18 Zu den umfangreicheren Meldungen gehören die vom 2. Juni 1878,19 15 Hans HERRIG, Die Meininger. Ihre Gastspiele und deren Bedeutung für das deutsche Theater, in: Jahrbuch für das deutsche Theater, 2 (1880) S. 217–219. 16 Herzog Georg II. wird nur zwischen 1910 bis 1914 im Neuen Theater-Almanach unter dem Personal des Theaters erwähnt. 17 Sporadisch erscheinen kurze Hinweise auf die Meininger Gastspiele unter den Einträgen der Meininger Bühne als „Bemerkenswerthe“. Siehe „Deutscher Bühnen-Almanach“: 45 (1881), S. 396; 46 (1882), S. 413; 47 (1883), S. 236; 48 (1884), S. 261; 49 (1885), S. 303; 50 (1886), S. 318; 51 (1887), S. 297; 52 (1888), S. 336; 53 (1889), S. 334; 54 (1890), S. 351; 56 (1891), S. 360. In „Almanach der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger“ (im Folgenden: AGDBA): 5 (1887), S. 325; 6 (1878), S. 331; 7 (1879), S. 437; 8 (1880), S. 157; 11 (1883), S. 181; 12 (1884), S. 183 u. 185; 13 (1885), S. 189–190; 14 (1886), S. 201–203; 15 (1887), S. 223; 16 (1888), S. 210; 17 (1889), S. 199. In „Neuer Theater-Almanach“ (im Folgenden: NTA): 1 (1890), S. 138; 2 (1891), S. 346. 18 AGDBA 3 (1875), S. 23, 74; 5 (1877), S. 108, 130; 6 (1878), S. 145, 152; 7 (1879), S. 136– 137, 148–149, 209, 220, 235, 241, 246, 249–250; 8 (1880), S. 208, 211 f., 214 f., 218, 221, 237, 241,246; 9 (1881), S. 138, 140 f., 151 f., 159, 165, 167; 10 (1882), S. 202, 225, 233– 236, 251 u. 253; 11 (1883), S. 127, 129, 130, 134, 142, 146, 152, 157; 12 (1884), S. 111, 123; 13 (1885), S. 126, 131 u. 139 f.; 14 (1886), S. 123 u. 142; NTA 2 (1891), S. 28–29.
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vom 9. Juli 1878 über den Brand des Frankfurter Stadttheaters während der Anwesenheit der Meininger,20 vom 11. Februar 1879 über den Fall Therese Grunert,21 vom 30. Mai 1881 über das Gastspiel in London mit der Besetzung von „Julius Cäsar“ und einer Chronologie der gespielten Stücke,22 vom 30. August 1884 über die „Maria Stuart“-Inszenierung am Viktoria-Theater in Berlin23 und vom 10. August 1890 mit der Ankündigung der Einstellung der Gastspiele.24 Eine Statistik über Shakespeare-Aufführungen auf deutschen Bühnen wurde von der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft geführt und von 1887 bis 1891 im „Almanach der Genossenschaft“ bzw. „Neuen Theater-Almanach“ veröffentlicht.25 In dieser ist der Anteil der Meininger Aufführungen enthalten, aber nicht extra ausgewiesen.26 Es folgte eine Tabelle mit Auflistung der Spielorte und -dauer der Meininger Gastspiele.27
2. Lokale Theaterjournale Lokale Theaterjournale behandeln ausschließlich eine Theatergesellschaft und sind nicht als Fortsetzungswerke einzuordnen (auch wenn Bibliotheken sie meistens als solche behandeln). Sie wurden fast immer zum Zweck einer zusätz19 „2.6.1878: Die Vereitelung d. Nobiling’schen Attentat’s unter heutigem Datum muß erwähnt werden, weil die von dem erlauchten Haupte Kaiserl. Majestät abgewendete Todesgefahr verschiedenen Bühnen Anlaß giebt zu begeisterten patriotischen Kundgebungen. – Die Meininger in Berlin unterlassen die beabsichtigte, unter den obwaltenden Umständen unpassend erscheinende Aufführung von Julius Cäsar.“ AGDBA 7 (1879), S. 235. 20 AGDBA 7 (1879), S. 249 f. 21 „11.2.1879 Fall Therese Grunert (weiteren Verlauf unt. 7. u. 8. Apr. [Ausschluss aus dem Deutschen Bühnen-Verein]).“ AGDBA 8 (1880), S. 218. Dieses Ereignis wird im folgenden Dokument ausführlich beschrieben: Die Meiningen'sche Theater-Intendanz gegenüber dem Deutschen Bühnen-Verein. Nach amtlichen Quellen, Meiningen 1879. 22 AGDBA 10 (1882), S. 233–236. 23 Mit einem Auszug aus der Rezension der Inszenierung in den „Hamburger Nachrichten“. AGDBA 13 (1885), S. 139 f. 24 NTA 2 (1891), S. 28–29. 25 Statistik der Shakespeare-Aufführungen an Deutschen Bühnen, in: AGDBA 16 (1887), S. 133 f.; 17 (1889), S. 109 f.; NTA, 1 (1890), S. 34; 2 (1891), S. 31. 26 Dies ist ermittelbar aus Tabellen 2 und 3. 27 Gastspiele des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen, in: AGDBA 16 (1887), S. 135 f.; AGDBA 17 (1889), S. 111 f.; NTA 1 (1890), S. 36 f.; 2 (1891), S. 32 f. Ebenfalls gesondert aufgelistet waren die „Gastspiele der Münchener“ in: AGDBA 16 (1887), S. 136 f.; AGDBA 17 (1889), S. 112 f.; NTA, 1 (1890), S. 35 f., „Dr. Otto Devrient‘s Lutherspiele“, in: AGDBA 16 (1887), S. 137; AGDBA 17 (1889), S. 113 f.; NTA 1 (1890), S. 33–35, und „Hans Herrig‘s Luther-Festspiel“, in: AGDBA 17 (1889), S. 115.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
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lichen Einnahmequelle der Souffleure, als Ersatz für eine Benefiz-Aufführung28 entweder am Ende der Saison oder zum neuen Jahr, veröffentlicht.29 Sie können als ein Souvenir betrachtet werden, denn sie reflektierten, was im jeweiligen Theater stattfand; sie enthalten meistens eine Auflistung des Personals und eine chronologische Auflistung der in der vergangenen Saison gespielten Stücke,30 mit Angaben über Gäste und Benefizaufführungen. Gedichte und Anekdoten wurden als Füllstoff hinzugefügt. Titel, Inhalt und Umfang der Journale können sehr unterschiedlich sein und erschweren deren Identifikation. In den lokalen Theaterjournalen der Orte, in denen die Meininger gastierten, wurden die Gastspiele nicht erwähnt, da diese Journale ausschließlich über die ortsansässige Gesellschaft und ihre Saison berichteten; die Meininger Gastspiele fanden jedoch außerhalb der normalen Spielzeiten statt. Gastspiele sind in den Meininger Theaterjournalen nur dreimal erwähnt: in den Jahren 1884 bis 1886. Für die letzten vier Jahre fehlen Meininger Theaterjournale, so dass die Aufführungen und Gastspiele hierin nicht nachweisbar sind.
3. Meininger Theater in den Meininger Theaterjournalen Obwohl es in Meiningen Theateraufführungen vor 1833 gegeben hat, sind diese in Theaterjournalen nicht dokumentiert. Die erhaltenen Meininger Theaterjournale31 beginnen mit dem Jahr 1833 und sind fast vollständig bis 1907 (siehe Anhang) erhalten, d.h. sie fangen mit dem Bau des ersten Theatergebäudes in Meiningen an und hören mit dem Brand des Theaters 1907 auf. 28 Für eine ausführliche Behandlung der Meininger Theaterjournale, siehe Paul S. ULRICH, The Role of Souffleur Journals in the 19th Century as exemplified by those of the Meiningen Theatre, in: Georg GELDNER (Hg.), Der Milde Knabe oder Die Natur eines Berufenen. Ein wissenschaftlicher Ausblick (Mimundus, 9), Wien 1997, S. 77–111. Für Behandlungen der Souffleurjournale, siehe Paul S. ULRICH, Abonnement Suspendu der Unterirdischen Gedächtnisstützen. Souffleurjournale und –almanache. Quellen der deutschen Theatergeschichte, in: Aktuelle Tendenzen der Theatergeschichte (Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, 37/38), hg. von der Gesellchaft für Theatergeschichte, Berlin 1997, S. 83–101; Paul S. ULRICH, Pankratius Brüllers Vermächtnis. Der Souffleur und seine Theateralmanache und -journale, in: Wolfdietrich FISCHER/Claudia WIENER (Hg.), Jahrbuch der Rückert-Gesellschaft (Rückert-Studien, 13), Würzburg 2001, S. 157–181. 29 Journale sind eine zuverlässigere Quelle für das Repertoire; Theaterzettel sind Ankündigungen, die kurzfristige Änderungen im Spielplan nicht berücksichtigen. 30 Mit sehr verkürzten bibliografischen Angaben, d. h. Kurztitel und ggf. Verfasser. 31 Von den von der Meininger Theatergesellschaft mitbespielten Orten Hildburghausen und Bad Liebenstein gibt es wenig erhaltene Journale: für 1821 und 1848 für Hildburghausen und für 1834, 1855, 1874 und 1878 für Bad Liebenstein, wobei die letzten zwei Exemplare nur in älteren Zettelkatalogen nachgewiesen, aber bis jetzt nicht auffindbar waren.
334
PAUL S. ULRICH
Die gesellschaftlichen und theaterbaulichen Strukturen in Meiningen beeinflussten die Spielplangestaltung. Obgleich die Einwohnerzahl in Meiningen von 1846 bis 1889 von 5.000 auf 9.000 anstieg, war ein Theater mit 700 Plätzen32 eine große Herausforderung für den Direktor. Nur mit Lustspielen und Possen bzw. Schauspielen mit Gesang konnte es einigermaßen wirtschaftlich geführt werden. 1866 wurde das Theater Privateigentum von Herzog Georg II. und mit seiner Bevorzugung von Shakespeare und Schiller im Spielplan wurden kräftige Zuschüsse notwendig. Auswertungen der Meininger Journale geben Einblick in das Angebot. Zwischen Dezember 1832 und März 1907 sind 3.438 Abende mit 4.296 aufgeführten Stücken dokumentiert. Von den wöchentlich drei bis vier Spieltagen wurde am häufigsten sonntags, am wenigsten montags und sonnabends gespielt. Die Zahl der aufgeführten Stücke pro Saison (gespielt wurde in Meiningen vorwiegend von Dezember/Januar bis Ostern) schwankt zwischen 20 und 120, wobei vor 1866 Wiederholungen von Stücken innerhalb einer Saison relativ selten waren; selbst nach 1866 gab es selten vier Wiederholungen. Nicht überraschend ist, dass besonders ab 1874 die Stücke mit den meisten Wiederholungen für Gastspiele ausgewählt waren. Eine Analyse der in Meiningen gespielten Autoren zeigt die Verschiebungen in der Repertoirepolitik nach 1866. Vor Herzog Georgs Regierungsantritt beherrschten Autor(innen) wie Charlotte Birch-Pfeiffer, Louis Schneider, Roderich Benedix, W. Friedrich, August von Kotzebue, Carl Ludwig Blum und Louis Angely den Spielplan. Dieser hatte sich kaum unterschieden von den Spielplänen aller deutschen Bühnen, d.h. Lustspiele und Possen dominierten. Nach der Übernahme des Theaters durch den Herzog war der Meininger Spielplan wesentlich anders: Es wurden vor allem Stücke mit höherem literarischen Wert gespielt. Stücke mit hohem Unterhaltungswert blieben noch im Repertoire, deren Anzahl ging jedoch drastisch zurück. Die Autoren, die ab 1866 im Mittelpunkt des Repertoires standen, wurden vorher selten gespielt; die zwei meist aufgeführten Autoren waren Shakespeare33 und Schiller. 32 Sowohl das „Allgemeine Theater-Lexikon“ von 1846 (vgl. Meiningen, in: Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler [wie Anm. 1], Bd. 5, S. 262 f.) als auch Sachses Statistisches Handbuch von 1854 (Carl Albrecht SACHSE, Statistisches Handbuch für Bühnenvorstände. Bühnenkünstler und Bühnenfreunde, Hamburg 21854, S. 208–209) geben die Anzahl der Sitze als 1200 an. 33 Damit ist das Versprechen, das Herzog Georg durch Wilhelm Roßmann 1866 angekündigt hat, nachgewiesen, dass „[...] das Meininger Hoftheater, [...] in die Reihe der Shakespeare-Bühnen eingetreten ist. Dasselbe wird fortan den Darstellungen Shakespearescher Stücke eine ganz besondere Sorgfalt zuwenden, das darstellende Personal in dieser Rücksicht wählen und seine Ehre dareinsetzen, mit den besten Bühnen in der Bereicherung der Shakespeareschen Rezeption zu wetteifern“. (John OSBORNE (Hg.), Die Meininger. Texte zur Rezeption, Tübingen 1980, S. 33).
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
335
Folgende Tabelle (Tabelle 1) der meistgespielten Autoren34 verdeutlicht die Verschiebungen in der Repertoirepolitik. Tabelle 1: Autoren, deren Werke 20 oder mehr Aufführungen in Meiningen von 1833 bis 1907 hatten. Autor
1832–1865
1866–1873
1874–1887
1891–1907
Gesamt
Shakespeare, William
43
100
116
45
304
Schiller, Friedrich von
34
40
116
24
214
Birch-Pfeiffer, Charlotte
148
27
26
0
201
Benedix, Roderich
98
45
28
4
175
Friedrich, W.
96
34
5
1
136
Schneider, Louis
105
11
4
0
120
Kotzebue, August von
82
8
7
1
98
Kleist, Heinrich von
19
6
55
10
90
Blum, Carl Ludwig
74
10
3
0
87
Moser, Gustav von
3
34
35
14
86
Angely, Louis
71
3
6
0
80
Goethe, Johann Wolfgang von
20
22
19
15
76
Gutzkow, Carl
39
12
4
15
70
Töpfer, Karl Friedrich Gustav
58
10
1
0
69
Raupach, Ernst Benjamin Salomon
47
15
0
0
62
Lessing, Gotthold Ephraim
12
11
18
17
58
Grillparzer, Franz
2
4
22
26
54
Ellmenreich, Friederike
52
1
0
0
53
Bauernfeld, Eduard von
24
27
1
0
52
34 In dieser Tabelle sind Autoren von Sprechstücken gelistet; Opern standen ab 1866 nicht mehr auf dem Spielplan.
PAUL S. ULRICH
336 Görner, Carl August
34
13
5
0
52
Molière
5
17
20
10
52
Laube, Heinrich
32
7
5
2
46
Holtei, Karl Eduard von
33
2
9
0
44
Hell, Theodor
37
6
0
0
43
Castelli, Ignaz Vincenz Franz
37
3
1
0
41
Nestroy, Johann Nepomuk
30
2
3
6
41
Mosenthal, Salomon Hermann von
26
4
9
0
39
Wolff, Pius Alexander
17
3
12
4
36
Holbein, Franz Ignaz von
33
0
0
0
33
L´Arronge, Adolph
0
0
23
10
33
Feldmann, Leopold
28
0
4
0
32
Grandjean, Moritz Anton
12
4
16
0
32
Putlitz, Gustav Heinrich zu
13
12
4
3
32
Plötz, Johann von
16
12
2
0
30
Weißenthurn, Johanna Franul von
30
0
0
0
30
Bahn, Adolf
20
9
0
0
29
Kettel, Johann Georg
25
2
2
0
29
Cosmar, Alexander
14
8
2
4
28
Kaiser, Friedrich
28
0
0
0
28
Kalisch, David
16
11
1
0
28
Ritter, Karl August
26
0
0
0
26
Albini
24
0
0
0
24
Marsano, Wilhelm
24
0
0
0
24
Tenelli, M.
20
3
0
0
23
Müller, Hugo
4
13
4
1
22
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
337
Elz, Alexander
13
5
3
0
21
Ziegler, Friedrich Wilhelm
21
0
0
0
21
Anzengruber, Ludwig
0
3
0
17
20
Lebrun, Karl August
20
0
0
0
20
Raimund, Ferdinand
16
1
2
1
20
Vergleicht man die 49 Stücke mit zehn oder mehr Aufführungen in Meiningen mit der Anzahl der Aufführungen dieser Stücke während der Gastspiele, dann sind 16 der 41 Gastspiel-Stücke vertreten. Zehn der elf Stücke mit 17 oder mehr Aufführungen sind Stücke, die dem Herzog am Herzen lagen. Tabelle 2: Stücke mit zehn oder mehr Aufführungen in Meiningen von 1833 bis 1907 Titel
1833– 1865
1866– 1873
1874– 1886
1891– 1907
Summe in Gastspiele Meiningen
Wilhelm Tell
5
5
18
5
33
223
Julius Cäsar
0
7
18
0
25
330
Käthchen von Heilbronn
7
3
11
4
25
83
Kaufmann von Venedig
4
7
11
1
23
94
Hamlet
4
7
9
2
22
-
Romeo und Julia
3
6
8
3
20
-
Räuber
2
5
11
1
19
104
Fiesko
2
2
15
0
19
152
Maria Stuart
7
3
6
2
18
89
Faust I
5
6
4
2
17
-
Versprechen hinter’m Herd
8
4
4
1
17
-
Wallensteins Lager
1
4
11
0
16
176
Ahnfrau
1
0
10
5
16
79
Der eingebildete Kranke
0
5
8
3
16
83
Minna von Barnhelm
5
1
6
4
16
-
PAUL S. ULRICH
338 Waise aus Lowood
6
3
7
0
16
-
Der verwunschene Prinz
8
6
1
0
15
-
Don Carlos
2
5
3
4
14
-
Wallensteins Tod
3
1
10
0
14
140
Kabale und Liebe
3
4
3
4
14
Macbeth
1
5
6
2
14
10
Richards Wanderleben
12
1
1
0
14
-
Er ist nicht eifersüchtig
5
5
3
0
13
-
Fröhlich
12
1
0
0
13
-
Die gelehrten Frauen
0
1
10
2
13
-
Uriel Acosta
7
1
2
3
13
-
Emilia Galotti
1
4
3
4
12
-
Er muß auf‘s Land
9
1
2
0
12
-
Gefängnis
6
3
3
0
12
-
Glas Wasser
5
4
1
2
12
-
Philippine Welser
2
2
6
2
12
-
Zopf und Schwert
6
3
1
2
12
-
Hermannsschlacht
0
0
11
0
11
101
Am Klavier
6
2
3
0
11
-
Bluthochzeit
0
4
7
0
11
85
Esther
0
0
11
0
11
11
Götz von Berlichingen
2
4
0
5
11
-
Hochzeitsreise
4
5
2
0
11
-
Viel Lärm um Nichts
3
5
1
2
11
-
Piccolomini
0
1
9
0
10
161
Braut von Messina
2
3
1
4
10
-
Deborah
7
2
1
0
10
-
Erziehungsresultate
6
3
1
0
10
-
Grille
3
3
4
0
10
-
Jäger
4
3
3
0
10
-
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
339
Karlsschüler
9
1
0
0
10
-
Tagebuch
3
7
0
0
10
-
Vater der Debütantin
8
2
0
0
10
-
Vetter
7
3
0
0
10
-
Von Sieben die Häßlichste
9
1
0
0
10
-
Tabelle 3: Gegenüberstellung der Anzahl der Aufführungen der Gastspielstücke mit der Anzahl der Aufführungen in Meiningen Gastspiel35
In Meiningen (1833–1907)36
Julius Cäsar
330
27
Wintermärchen
233
26
Wilhelm Tell
223
33
Jungfrau von Orleans
194
8
Wallensteins Lager
176
17
Piccolomini
161
11
Fiesko
152
19
Wallensteins Tod
140
15
Was Ihr wollt
132
16
Räuber
104
20
Hermannschlacht
101
12
Kaufmann von Venedig
94
25
Maria Stuart
89
20
Bluthochzeit
85
11
Titel
Der eingebildete Kranke
83
16
Käthchen von Heilbronn
83
25
Ahnfrau
79
16
Esther
74
11
Hexe
56
3
Preciosa
54
31
35 Entnommen von Paul RICHARD, Chronik sämmtlicher Gastspiele des Herzogl. Sachs.Meiningen’schen Hoftheaters während der Jahre 1874–1890. Statistische Uebersicht, Leipzig 1891, Tabelle VI. 36 Ohne die Jahre 1886 bis 1890.
PAUL S. ULRICH
340 Prinz von Homburg
38
4
Die gelehrte Frauen
29
13
Lydia
25
2
Widerspenstigen Zähmung
21
9
Zwischen den Schlachten
21
7
Marino Faliero
19
2
Iphigenie auf Tauris
14
8
Galeotto
12
2
Braut von Messina
11
10
Herrgottschnitzer
11
6
Macbeth
10
14
Kronprätendenten
7
3
Miß Sara Sampson
7
5
Alexandra
5
2
Rosen von Tyburn
5
0
Papst Sixtus V.
4
9
Frau Lucrezia
2
0
‘s Nullerl
2
3
Gespenster
2
1
Jäger
2
10
Erbförster
2
8
Obgleich die Gastspiele großes Ansehen genossen und eine große Auswirkung auf das deutschsprachige sowie ausländische Theater hatten, waren persönliche Kontakte mit den Aktivitäten im Hoftheater selbst noch ein stärkerer Einfluss auf die Verbreitung der Meininger Prinzipien.37 Vorort hatten Schauspieler(innen) die beste Möglichkeit, die Praxis der Meininger zu studieren. Wenn man die Engagements des Meininger Theaters aus den Almanachen und Meininger Journalen zusammenbringt und vergleicht, ist die berufliche Mo37 Die Meininger Prinzipien sind tiefgreifende Reformen, die bis heute wirksam sind. Sie wurden vom Herzog, dessen Ehefrau Helene Freifrau von Heldburg (vormals Schauspielerin Ellen Franz) und dem Schauspieler und Regisseur Ludwig Chronegk erarbeitet. Sie regeln u. a. Werktreue der Stücke, Authentizität der Bühnenbilder und Kostüme, Probezeiten, die Umkehr vom Startheater zur Ensembleleistung, die Hinführung zum Regietheater/Gesamtkunstwerk und die Beachtung des ideellen und erzieherischen Werts des Theaters.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
341
bilität der Mitglieder sowohl vor als auch nach dem Engagement in Meiningen erkennbar. Eindeutig ist, dass trotz Fluktuation, viele Mitglieder lange in Meiningen tätig waren – besonders während der Gastspieljahre (1874 bis 1890) (vgl. Tabelle 4). Zwar hatten einzelne Künstler auf anderen Bühnen38 ebenfalls lange Engagements, aber die relative Stabilität innerhalb des Ensembles war sehr ungewöhnlich. Künstler, die von 1866 bis 1893 langfristig in Meiningen engagiert waren39
Tabelle 4:
Jahre in Meiningen 25 22 21 20 18 17 16 15 13 12 11 10 9 8 7
Schauspieler Ludwig Chronegk Paul Richard, Anna Schwencke Romanus Hassel, Paul Stein, Friedrich Stoppenhagen Marie Berg40 Minna Schmidt Ludwig Denkhausen, Leopold Teller, Emma Teller-Habelmann Laura Eckardt, Otto Godeck, Bertha Krause, Elise Krause, Clara Schmidthoff Carl Görner Ferdinand Brehm, Hermann Heine Agnes Eckardt, Lukas von Raven Adelheid Godeck, Gertrud Godeck, Emil Pückert, Clara Stangenberg, Josef Weilenbeck Josef Nesper, Hugo Seydelmann, Karl Weiser Carl Grube, Julius Nollet, der Musikdirektor Wilhelm Reiff, Carl Schwencke Carl Busse, Helene Orla, Heinrich Rupprecht Max Beck,41 Helen Busse, Ludwig Raupp, Gustav Schefranek, Johanna Schmidt, Heinrich Weyer
Nicht überraschend ist, dass die Beschäftigungszeiten des nicht darstellerischen Personals noch stabiler waren. Beispiele sind: der Bratschist Edmond Koch (30 Jahre), der Theatermeister Carl Schäfer (28 Jahre), der Kassierer Helbig (26 Jahre), der Sekretär, Bibliothekar und Hausmeister Philipp Machold (23 Jahre), der Konzertmeister und Violinist Friedhold Fleischhauer (22 Jahre), der Theaterarzt Doebner und der Theaterbeleuchter Leopold Schlesinger (je 38 39 40 41
Betrifft vorwiegend die Hofbühnen, weniger die städtischen bzw. privaten Theater. Die Auswertung bezieht sich auf Einträge im „Deutschen Bühnen-Almanach“. Frau Berg wurde 1901 pensioniert, so dass sie insgesamt 27 Jahre in Meiningen aktiv war. Im „Neuen Theater-Almanach“ ist er bis 1899 als Mitglied des Meininger Ensembles aufgeführt, d.h. insgesamt 13 Jahre.
PAUL S. ULRICH
342
17 Jahre), der ursprüngliche Schauspieler, später Garderobier Wilhelm Plettung (16 Jahre), die Friseure Heinrich Kunst und sein Vater (15 bzw. 18 Jahre), die Garderobiere Adolf Geißenhöner und Schmidt (je 15 Jahre), der Theaterdiener und Requisiteur Carl Schäfer jun. (13 Jahre), der Theatermaler W. Hampe, der Garderobier Seeber und der Theaterdiener Winter (je 12 Jahre), die Friseure Otto Hoß und seine Frau (je 10 Jahre), der Souffleur Georg Bourlier42 (9 Jahre) und der Maschinenmeister Chr. Ostertag (8 Jahre). Bei der Verfolgung der Berufswege der Meininger fällt auf, dass viele von denen, die bei Gastspielen mitwirkten, bald danach ein Engagement an einem Gastspielort bekamen, d.h. die Gastspiele waren ein Sprungbrett. Wie sich dies schon beim ersten Gastspiel in Berlin in 1874 auswirkte, ist aus folgender Tabelle (5) zu ersehen: Tabelle 5: Berufswege der Mitglieder der Erstbesetzung von „Julius Cäsar“ am 1. Mai 1874 im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin (aus dem „Deutschen Bühnen-Almanach“). Schauspieler
Spielorte
Barnay, Ludwig (1842–1924)
1863: Graz, Landschaftliches Theater 1864: Mainz, Stadttheater 1865: Riga, Stadttheater 1866–1867: Mainz, Stadttheater 1868: Leipzig, Stadttheater 1869–1870: Weimar, Großherzogliches Hoftheater 1872–1875: Frankfurt/Main, Stadttheater 1874: Posen, Stadttheater 1875: Kiel, Stadttheater 1875: Lübeck, Tivoli-Theater 1875–1893: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater (Ehrenmitglied) 1876–1880: Hamburg, Stadttheater 1884: Berlin, Deutsches Theater 1886: Amsterdam, Grand Théâtre 1889–1894: Berlin, Berliner Theater 1891–1893: Hamburg, Thalia-Theater (Ehrenmitglied) 1891–1893: Hamburg, Stadttheater (Ehrenmitglied)
Berg, Maria
1874–1893: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Berger, Carl
[ohne Nachweis]
Besozzi
[ohne Nachweis]
Bredow, Ada
1875: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1876–1877: Berlin, Wallner-Theater
42 George Bourlier (gest. 1884) hat die größte Anzahl der erhaltenen Theaterjournale erstellt: 49 in Lübeck, 9 in Meiningen und 1 in Bad Liebenstein.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
343
1879–1880: Wien, k. k. priv. Carl-Theater Büchner, Julius
1875–1893: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Chronegk, Ludwig
1857: Görlitz, Stadttheater 1861: Berlin, Callenbach’sches Vaudeville-Theater 1863: Berlin, Meysel’sches Theater 1864: Zürich, Aktien-Theater 1865: Leipzig, Stadttheater 1866: Breslau, Stadttheater 1866: Königsberg, Stadttheater 1867–1891: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1870: Bad Liebenstein, Herzogliches Hoftheater, SommerSaison
Denkhausen, Martin (1810–1883)
1846–1847: Lübeck, Stadttheater 1847–1860: Lübeck, Tivoli-Theater 1859: Elberfeld, Stadttheater 1865: Erfurt, Sommertheater 1865: Thorn, Stadttheater 1868–1884: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Faber
[ohne Nachweis]
Godeck, Otto (1838–1892)
1866: Neiße, Stadttheater 1868–1870 Potsdam, im Königlichen Schauspielhause 1871: Neiße, Stadttheater 1872: Berlin, Louisenstädtisches Theater 1872: Köthen, Saison-Theater 1873: Kiel, Stadttheater 1874: Berlin, Vorstädtisches Theater 1875–1891: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Grube, Max (1854–1934)
1876: Detmold, Fürstliches Theater 1877–1878: Lübeck, Stadttheater 1879–1882: Bremen, Stadttheater 1883–1884: Leipzig, Stadttheater 1885–1886: Dresden, Königlich Sächsisches Hoftheater 1887–1889: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1889–1893: Berlin, Königliche Schauspiele 1890–1893: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater (Ehrenmitglied)
Hassel, Romanus (1822–1897)
1857–1872: Berlin, Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater 1873–1893: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Heine, Hermann
1869–1882: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1883–1893: Köln, Stadttheater
Hellmuth-Bräm, Wilhelm (1827–1889)
1862–1867: Hamburg, Stadttheater 1868: St. Pauli/Hamburg, Wülffkens Theater 1868: Wien, k. k. priv. Carl-Theater 1869–1870: Frankfurt/Main, Stadttheater 1871–1873: Dresden, Königliches Hoftheater 1874–1879: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
PAUL S. ULRICH
344 1877–1889: Berlin, Königliche Schauspiele 1893: Berlin, Neues Theater Jürgensen, Adolf (1850–1925)
1873–1874: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1875–1876: Oldenburg, Großherzogliches Theater 1877: Halle/Saale, Stadttheater 1878: Barmen, Stadttheater 1879: Berlin, National-Theater 1881: Hannover, Residenz-Theater 1882: Posen, Stadttheater 1883–1887: Hannover, Königliche Schauspiele 1888: Bad Harzburg, Saison-Theater 1889–1893: Kassel, Königliches Theater
Klühn, Marie
1872–1876: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Löwe
[ohne Nachweis]
Nesper, Josef (1844–1929)
1872: Aachen, Stadttheater 1873: Köln, Stadttheater 1874: Bremen, Stadttheater 1875–1884: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1885–1893: Berlin, Königliche Schauspiele
Plettung, Georg (ab 1860 Schauspieler und Garderobier, ab 1875 nur Garderobier) Raupp, Ludwig (1845–1931)
Richard, Paul (1840–1915) Setti, Auguste
1859–1878: Meiningen, Herzogliches Hoftheater 1870: Bad Liebenstein, Herzogliches Hoftheater, SommerSaison 1866–1867: Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater 1868–1869: Oldenburg, Stadttheater 1870: Amsterdam, Grand Théâtre in der Amstelstraße u. van Lier’s Theater, Sommer-Theater 1872–1878: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1879–1886: Frankfurt/Main, Stadttheater 1872–1893: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1867: Chemnitz, Stadttheater 1868: Chemnitz, Thalia-Theater 1868: Klagenfurt, Landschaftliches Theater 1869: Olmütz, Stadttheater 1870: Wien, k. k. priv. Theater in der Josefstadt 1871: Nürnberg, Stadttheater 1872: Würzburg, Stadttheater 1873: Graz, Landschaftliches Theater 1874: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1875–1879: Stuttgart, Königliches Hoftheater 1880–1881: New York, Germania-Theater 1883: Sigmaringen, Fürstliches Hoftheater 1884: Nürnberg, Stadttheater 1885: Dortmund, Stadttheater 1886: Danzig, Stadttheater
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
345
1888–1889: Bad Kreuznach, Saisontheater Stein, Paul
1859: Breslau, Stadttheater 1862–1863: Breslau, Sommertheater 1864: Breslau, Stadttheater 1862–1865: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1865–1867: Breslau, Sommertheater 1868–1888: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1870: Bad Liebenstein, Herzogliches Hoftheater, SommerSaison
Stoppenhagen, Friedrich (1826–1887)
1854: Lüneburg, Tivoli-Theater 1855–1856: Heidelberg, Stadttheater 1857–1858: Amsterdam, Grand Théâtre des Variétés 1859: Wiesbaden, Herzogliches Theater 1860: Aschersleben, Reisende Gesellschaft Heinrich Gärtner 1860: Kassel, Kurfürstliches Hoftheater 1860: Magdeburg, Stadttheater 1861–1862: Stettin, Stadttheater 1861: Wiesbaden, Herzogliches Theater 1864: Nürnberg, Stadttheater 1864–1869: Wiesbaden, Herzogliches Theater 1865: Aachen, Stadttheater 1867–1887: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
Teller, Leopold (1844–1908)
1869–1870: Pest, Deutsches Theater 1871: Pest, Deutsches Aktien-Theater 1872–1873: Leipzig, Stadttheater 1874–1890: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1891–1893: Hamburg, Stadttheater 1893: Karlsbad, Stadttheater 1893: Lübeck, Stadttheater
Timm, Wilhelm
1871: Oldenburg, Großherzogliches Hoftheater 1872: Nürnberg, Stadttheater 1873–1874: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1875: Berlin, Woltersdorff-Theater 1876: Frankfurt/Main, Stadttheater 1877: Bremen, Stadttheater 1877: Wildbad, Badetheater, Sommersaison 1887: Amsterdam, Grand Théâtre und Schouwburg 1888: Barmen, Stadttheater 1889: Basel, Stadttheater 1890: Brünn, Stadttheater 1892: Mönchengladbach, Stadttheater 1892: Salzburg, k. k. Theater 1893: Laibach, Landes-Theater
Wallner, Franz
1874: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1875–1876: Hamburg, Thalia-Theater
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PAUL S. ULRICH
Weidt, Fanny (geb. 1848)
1864: Augsburg, Stadttheater 1865: Bad Kissingen, Theater – Sommer-Saison 1866–1868: Bamberg, Stadttheater 1868–1869: München, Aktien-Volkstheater 1870–1874: Frankfurt/Main, Stadttheater 1874: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater 1875: Darmstadt, Großherzogliches Hoftheater 1875: München, Isarvorstadt-Theater 1876: Darmstadt, Großherzogliches Hoftheater
Zimmermann
1875–1876: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater
In Paul Richards Gastspielchronik ist ein „Verzeichnis der früheren, in den Gastspielstücken beschäftigten Mitglieder des Meininger Hoftheaters“,43 das die Spielstätten der Mitglieder 1890 nachweist und belegt, wie verstreut sie waren. Noch eindrucksvoller sind die Wanderwege, die in den universalen Almanachen ermittelt werden können.44 Beispiele aus dem „Deutschen Bühnen-Almanach“ sind: ‐ Hermann Bohrmann (geb. 1862) 1881–1885: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater; 1887: Crefeld, Stadttheater; 1888: Rudolstadt, Stadttheater und im Sommer Swinemünde, Stadttheater; 1889: Düsseldorf, Stadttheater und im Sommer Stettin, Bellevue- und Elysium-Theater; 1890: Düsseldorf, Stadttheater; 1891: Heidelberg, Stadttheater und im Sommer Zürich, SommerInterims-Theater; 1892: Baden-Baden, Großherzogliches Hoftheater (Gastspiel des Süddeutschen Hoftheater-Ensembles); 1891–1893: Nürnberg, Stadttheater und im Sommer Berg bei Stuttgart, Kurtheater ‐ Leo Connard (geb. 1860) 1880: Marburg/Drau, Stadttheater; 1882: Triest, Armonia-Theater; 1884–1886: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater; 1887: Mainz, Stadttheater; 1888: Chemnitz, Stadttheater; 1889: Moskau, Theater-Paradies; 1890–1892: Prag, Königlich Deutsches Landestheater u. Neues Deutsches Theater; 1893: Stuttgart, Königliches Hoftheater ‐ Paul Doß (geb. 1861) 1884: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater; 1885: Straßburg, Stadttheater; 1886: Berlin, Victoria-Theater; 1887: Ulm, Stadttheater; 1889–1890: Elberfeld, Stadttheater; 1890–1893 (Sommer): Magdeburg, Victoria-Theater; 1891–1893: Dessau, Herzogliches Hoftheater 43 RICHARD, Chronik sämmtlicher Gastspiele (wie Anm. 35), S. 154–159. 44 Der Verfasser hat in einer Datenbank sämtliches Personal deutschsprachiger Bühnen von 1836 bis 1893 aus dem „Almanach für Freunde der Schauspielkunst/Deutschen BühnenAlmanach“ erfasst. Andere Almanache sind teilweise nur bis 1889 ausgewertet. Für die Jahre ab 1893 steht eine Auswertung der Almanache noch aus.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
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‐
Ludwig Fambach (1862–1912) 1882: Kassel, Königliches Hoftheater; 1883: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater; 1884: St. Gallen, Stadt- und Aktien-Theater; 1885: Aarau, Stadttheater und St. Gallen, Stadt- und Aktien-Theater; 1886: Frankfurt/Oder und Frauenfeld, Ensemble-Gastspiel; 1887: Eberswalde, Ensemble-Gastspiel und Budapest, Sommertheater im Stadtwäldchen; 1888: Augsburg, Stadttheater; 1889–1890: Zürich, Aktientheater; 1891: Aachen, Stadttheater; 1892–1893: Magdeburg, Stadttheater; 1893 im Sommer Stadttheater Brandenburg: Sommertheater ‐ Adolf Jürgensen (1850–1925) 1873–1874: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater; 1875– 1876: Oldenburg, Großherzogliches Theater; 1877: Halle/Saale, Stadttheater; 1878: Barmen, Stadttheater; 1879: Berlin, National-Theater; 1881: Hannover, Residenz-Theater; 1882: Posen, Stadttheater; 1883– 1887: Hannover, Königliche Schauspiele; 1888: Bad Harzburg, SaisonTheater; 1889–1893: Kassel, Königliches Theater ‐ Sofie Treßler (gest. 1911) 1884: Guben, Stadttheater; 1885: Meiningen, Herzoglich Sächsisches Hoftheater; 1887: St. Petersburg, Deutsches Kaiserliches Hoftheater; 1888: Breslau, Lobe-Theater; 1889: Berlin, Lessing-Theater; 1890– 1892: Mannheim, Großherzogliches Hof- und National-Theater; 1893: Stuttgart, Königliches Hoftheater Auch die beruflichen Wege des nicht darstellerischen Personals, z. B. Theatermaler, Garderobier, Friseur, sind in den Almanachen zu verfolgen. In einigen Fällen wechselten Schauspieler ihre Tätigkeit zum Garderobier (z. B. Ludwig Raupp). Nachdem die Gastspiele 1890 eingestellt wurden, blieb das Hoftheater in Meiningen – trotz eines fast 50 %-Rückgangs der Anzahl der engagierten Künstler45 – weiterhin ein Magnet für Schauspieler(innen) am Anfang ihres Berufslebens. Zu den späteren Größen der deutschsprachigen Bühnen gehörten u. a. Albert Bassermann (1890–94 in Meiningen), Gertrud Eysoldt (1890–91 in Meiningen), Rudolf Fuchs (1898–1914 in Meiningen), Helene Thimig (1908–11 in Meiningen) und Hermann Thimig (1910–14 in Meiningen). Wie bereits erwähnt, war die Mitwirkung bei den Gastspielen ausschlaggebend für spätere Engagements der Künstler. Zudem waren sie als Gäste in weiteren Gesellschaften gefragt. Hier geben die Almanache Hinweise, auf welchen Bühnen sie gastierten.46 45 1890 hat das Theater – laut des „Neuen Theater-Almanachs“ – 51 künstlerische Mitglieder und 1891 nur 28. 46 Die Nachweise in den Almanachen sind nicht immer vollständig; einige Bühnen haben nur das engagierte Personal eingereicht und nicht die gastierenden Künstler.
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Tabelle 6: Anzahl der Gastspiele der Künstler, die zwischen 1874 und 1890 in Meiningen waren.47 Schauspieler
Anzahl der Gastspiele
Ulrich, Pauline (Ehrenmitglied)
142
Possart, Ernst von (Ehrenmitglied)
136
Barnay, Ludwig (Ehrenmitglied)
121
Haverland, Anna (1880, 1883)
87
Robert, Emmerich (Ehrenmitglied)
63
Grube, Max (1887-1892)
42
Kainz, Josef (1878–1880)
33
Dettmer, Friedrich (1879–1881)
30
Prasch-Grevenberg, Auguste (1878–1878, 1889–1890)
28
Nhil, Robert (1883)
25
Drach, Emil (1883–1884)
20
Frieb-Blumauer, Minona (Ehrenmitglied)
17
Nißen, Hermann (1879–1880)
17
Ernst, Carla (1888)
16
Moser-Sperner, Marie von (1875–1877, 1880–1882)
16
Kraußneck, Arthur (1881)
15
Pauli, Adele (1875–1879)
15
Kauffmann, Konrad (1881)
13
Knorr, Hilmar (1886–1889)
13
Nesper, Josef (1875–1884)
13
Kober, Gustav (1878–1881)
12
Bülow, Hans von (1883–1885)
11
Rinald, Ferdinand (1875–1878)
11
Fischer, Emilie (1884)
10
Kreutzkamp, Heinrich (1874)
10
47 Die Jahre, in denen sie in Meiningen engagiert waren, sind in runden Klammern.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
349
Die Gäste in Meiningen in den Jahren 1874 bis 1885 waren: ‐ 1874: Ludwig Barnay, Ada Bredow, Marie Feistel, Marie von MoserSperner, Maurice Neville, Adele Pauli, Agnes Resener, Ferdinand Rinald und Hanna von Rothernburg; ‐ 1875: Hedwig Dohm, Emma Habelmann, Margarete Helbig, Maurice Neville, Herr Norbert, Emmerich Robert und Louise Theisen; ‐ 1876: Auguste Grevenberg, Emma Griebe, Therese Grunert, Emilie Hennies, Fanny Janauschek, Herr Köhler, Julie Neumann, Leopold Schmeling, Wilhelm Tomann und Pauline Ulrich; ‐ 1877: Emilie Becker, Friedrich Dettmer, Jenny Frauenthal, Hr. Günther, Emilie Hennies, Irma Jelenska, Josef Lewinsky, Herr Schneider und Georg Wächter; ‐ 1878: Emilie Hennies, Emil Litaschi, Hermann Nißen und Carl Scholling ‐ 1879: Christine Haffner, Margarethe Ullmicher, Ludwig Welly und Ignaz Wolf; ‐ 1880: Franz Hillmann, Arthur Kraußneck, Eugen Mauthner und Adolf Winds; ‐ 1881: Herr Arndt, Ludwig Barnay, Anna Haverland, Anton Baron von Klesheim, Camilla von Mondthal, Herr Otto und Hugo Waldeck; ‐ 1882: Willy Gunz, Anna Haverland, Friederike Kronau, Frl. Leithner, Margarete Liban, Margarethe von Olah, Marie Schanzer und Karl Weiser; ‐ 1883: Frl. Achterberg, Emil Drach, Anna Haverland, Frl. Jürgens, Olga Lorenz, Ernst von Possart, Hr. Schultz und Franz Wallner; ‐ 1884: Alexander Barthel, Willy Felix, Hr. Förster, Engelhard Göbel, Lydia Hauffe, Hilmar Knorr, Herr Rimbach, Wilhelm Rüttiger, Eduard Wendt und Adolf Winds; ‐ 1885: Herr Bauer, Ilse Gerhard, Frl. Kaden und Karl Porth. Wie die verschiedenen Beispiele zeigen, liefern Theateralmanache und Theaterjournale viele Informationen über das Meininger Theater und können mit Materialien aus anderen Quellen kombiniert werden. Die Meininger Journale geben kompakte Übersichten über den jeweils aktuellen Stand der dortigen Theaterpraxis und zeigen das Umfeld, woraus sich die Gastspiele entwickelt haben. Die universalen Almanache ermöglichen dem Forscher u. a., die zahlreichen Wege der Meininger Künstler zu verfolgen.
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Anhang:
Bibliographie Meininger Theaterjournale (chronologisch)48
DAHM, Friedrich: Theater-Journal. Den hohen Gönnern und Freunden der dramatischen Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1833. 14 S. Repertoir: 1. Dezember 1832–24. Februar 1833. STENZ, Heinrich: Theater-Journal vom 1. Januar, bis 18. April 1834 auf dem Herzoglichen Hoftheater hieselbst gegebenen Vorstellungen. Allen hochachtbaren Abonnenten und respectiven Theaterfreunden ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1834. 16 S. Repertoir: 1. Januar 1834–18. April 1834. HÖLLZEMANN, Heinrich: Theaterjournal. Den hohen Gönnern und Freunden der dramatischen Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1835. 12 S. Repertoir: 16. November 1834–25. März 1835. KOSCH, Ernst: Theater-Journal der vom 1. November 1835–20. März 1836 auf dem Herzoglichen Hoftheater hieselbst gegebenen Vorstellungen. Allen hochgeehrten Abonnenten und respectiven Theaterfreunden ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1836. 12 S. Repertoir: 1. November 1835–20. März 1836. STRAUBE, F. H.: Repertoir und Personalbestand des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen unter Direction des Herrn Karl Graf von Hahn-Neuhaus vom 30. Oct. 1836 bis den 4. April 1837. Allen hohen Gönnern und Freunden des Theaters ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1837. 16 S. Repertoir: 30. Oktober 1836–4. April 1837. RICHTER, Charlotte: Theater-Journal der auf dem Herzoglichen Hoftheater unter Direction des Herrn Heinrich Pfister gegebenen Vorstellungen. Allen hochgeehrten Abonnenten und Gönnern des Theaters ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1838. 8 S. Repertoir: 21. Januar 1838–29. April 1838. GERWIG, J. C.: Repertoir und Personalbestand des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen unter der Direction der Madame Ernestine Bethmann vom 16. December 1838–16. März 1839. Allen Gönnern und Freunden des Theaters ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1839. 8 S. Repertoir: 16. Dezember 1838–15. März 1839. GERWIG, J. C.: Repertoir und Personalbestand des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen unter der Direction des Herrn Heinrich Bethmann vom 4. November 18139 bis 1. März 1840. Allen Gönnern und Freunden des Theaters ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1840. 8 S. Repertoir: 4. November 1839– 1. März 1840. WESCHE, Amalie: Theater-Journal der unter der Direction des Herrn Otto Stotz im Herzoglichen Hoftheater gegebenen Vorstellungen. Allen hohen Gönnern 48 Alle Titel befinden sich im Theatermuseum, Meiningen.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
351
und Freunden der dramatischen Kunst unterthänigst gewidmet, Meiningen 1841. 8 S. Repertoir: 29. November 1840–02. April 1841. JAUCH, Bernhard Otto: Repertoir des Herzoglich Meiningischen Hoftheaters unter der Direction des Herrn Otto Stotz vom 1. December 1841 bis 3. April 1842. Den höchsten Gönnern und Freunden der Schauspielkunst ergebenst dargebracht. Meiningen 1842. 8 S. Repertoir: 1. Dezember 1841–3. April 1842. ANGE , Friedericke: Journal des Herzoglich S. Meiningischen Hoftheaters. Den L hohen Gönnern und Freunden der dramatischen Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1843. 4 Bl. Repertoir: 4. Dezember 1842–3. April 1843. ARMITTER, Oliver: Journal des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters vom 17. Dec. 1843–17. April 1844. Allen Gönnern der Kunst achtungsvoll gewidmet, Meiningen 1844. 9 S. Repertoir: 17. Dezember 1843–17. April 1844. HEINEMANN, J.: Journal des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters vom 1. December 1844–18. März 1845. Nebst einem Anhang komischer Gedichte und Theateranekdoten. Allen Gönnern der Kunst achtungsvoll gewidmet, Meiningen 1845. 8 S. Repertoir: 1. Dezember 1844–18. März 1845. HEINEMANN, J.: Journal des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters. Nebst einem Anhang komischer Gedichte und Theateranekdoten. Allen Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1846. 8 S. Repertoir: 1. Dezember 1845–17. März 1846. WENIGER, Heinrich: Repertoir des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters unter der Direction des Herrn Friedrich Spielberger vom 16. December 1846–1. April 1847. Den höchsten Gönnern und Freunden der Schauspielkunst ergebenst dargebracht, Meiningen 1847. 8 S. Repertoir: 17. Dezember 1846–31. März 1847. HEINEMANN, J.: Theater-Journal (für die Saison 1847). Nebst einem Anhang komischer Gedichte, humoristischer Aufsätze, Lieder aus Opern und Possen, und Theateranekdoten. Allen Gönnern der Kunst hochachtungsvoll dargebracht, Bayreuth 1848. 16 S. Repertoir: 1. Sepetember 1847–23. November 1847. HEINEMANN, J.: Theater-Journal (für die Saison 1848). Nebst einem Anhang komischer Gedichte, humoristischer Aufsätze, Lieder aus Opern und Possen, und Theateranekdoten. Allen Gönnern der Kunst hochachtungsvoll dargebracht, Meiningen 1848. 15 S. Repertoir: Dezember 1847–7. April 1848. HEINEMANN, J.: Theater-Almanach des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters (für die Saison 1849). Allen Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1849. 8 S. Repertoir: 27. Dezember 1848–18. März 1849. HEINEMANN, J.: Almanach des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters (für die Saison 1850). Herausgegeben und allen Gönnern und Freunden der Kunst
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hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1850. 16 S. Repertoir: 18. Januar 1850–9. April 1850. HEINEMANN, J.: Theater-Almanach des Herzogl. S. Meiningen’schen Hoftheaters (für die Saison 1850/51). Herausgegeben und allen Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1851. 8 S. Repertoir: 1. Dezember 1850–15. April 1851. ERTRAM : Theater-Journal des Herzogl. S. Meiningen’schen Hoftheaters für die B Saison 1851/52. Allen Gönnern und Freunden der Schauspielkunst ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1852. 4 Bl. Repertoir: 30. November 1851–4. April 1852. HEINEMANN, J.: Theateralmanach für die Saison 1854. Allen Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1854. 16 S. Repertoir: 17. Dezember 1853–17. April 1854. BANNHOLZER, Karl: Theater-Journal. Den hohen Gönnern und Freunden der dramatischen Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1855. 16 S. Repertoir: 03. Dezember 1854–28. März 1855. HEINEMANN, J.: Theater-Almanach. Saison 1856/57. Allen Gönnern und Freunden dramatischer Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1857. 15 S. Repertoir: 21. November 1856–7. April 1857. LEIHN, Carl Rudolph: Theater-Almanach für das Herzogliche Hoftheater zu Meiningen während der Winter-Saison von 1858–1859, Meiningen 1859. 8 S. Repertoir: 1. Oktober 1858–17. April 1859. GENTSCH, William: Journal des Herzoglichen Theaters zu Meiningen. WinterSaison 1859/60, Meiningen 1860. 8 S. Repertoir: 30. Oktober 1859–15. April 1860. BANDEMER, Adolph: Jahrbuch des Herzoglichen Theaters zu Meiningen. Winter-Saison von 1860–1861, Meiningen 1861. 16 S. Repertoir: 31. Oktober 1860–05. April 1861. BECKER, Eduard: Journal des Herzogl. Sächs. Hoftheaters in Meiningen. Winter-Saison von 1861–1862, Meiningen 1862. 12 S. Repertoir: 27. Oktober 1862–14. April 1863. BECKER, Eduard: Journal des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen. Saison vom Oktober 1862–April 1863, Meiningen 1863. 8 S.49 ZUFELDE, Ernst: Theater-Almanach des Herzoglichen Hoftheaters zu Meiningen. Wintersaison von 1864–1865, Meiningen 1865. 14 S. Repertoir: 16. Oktober 1864–30. April 1865. LICHTENBERG, Otto: Almanach des Herzogl. sächs. Hoftheaters zu Meiningen. Wintersaison von 1865–1866. Allen Gönnern und Freunden gewidmet, Meiningen 1866. 11 S. Repertoir: 29. Oktober 1865–6. April 1866. 49 Nur Titel ohne chronologische Auflistung.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
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SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzoglich Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1866–1867. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1867. 16 S. Repertoir: 2. November 1866–15. April 1867. SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzoglich Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1867–1868. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1868. 16 S. Repertoir: 20. Oktober 1867–15. April 1868. SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzogl. Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1868–1869. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1869. 16 S. Repertoir: 15. Oktober 1868–15. April 1869. SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzogl. Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1869–1870. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1870. 16 S. Repertoir: 17. Oktober 1869–16. April 1870. SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzogl. Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1870–1871. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1871. 16 S. Repertoir: 1. November 1870–30. April 1871 SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzogl. Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1871–1872. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1872. 15 S. Repertoir: 26. Oktober 1871–8. Februar 1872. SCHULTZ, Christian: Almanach des Herzogl. Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1872–1873. Den Gönnern und Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1873. 16 S. Repertoir: 15. Oktober 1872–20. März 1873. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Saison von 1873–1874. Hg. und allen Freunden der SchauspielKunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1874. 12 S. Repertoir: 16. Oktober 1873–15. April 1874. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. S.-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1874–1875. Hg. und allen Freunden der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1875. 8 S. Repertoir: 1. November 1874–4. April 1875. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. S.-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1875–1876. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1876. 8 S. Repertoir: 14. November 1875–18. April 1876. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. Sachs.-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1876–1877. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochach-
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PAUL S. ULRICH
tungsvoll gewidmet, Meiningen 1877. 12 S. Repertoir: 03. Dezember 1876–15. April 1877. BOURLIER, George: Almanach des Herz. S.-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1877–1878. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1878. 12 S. Repertoir: 9. Dezember 1877–14. April 1878. OURLIER , George: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen HoftheaB ters. Saison 1879. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1879. 8 S. Repertoir: 3. Januar 1879–15. April 1879. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1880. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1880. 8 S. Repertoir: 4. Januar 1880–18. April 1880. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1880–81. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1881. 12 S. Repertoir: 22. Dezember 1880–13. April 1881. BOURLIER, George: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1881–82. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1882. 12 S. Repertoir: 17. Dezember 1881–10. April 1882. BRAUN, Julie: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1883. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1883. 8 S. Repertoir: 4. Januar 1883–25. März 1883. RICHTER, Paul: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1884. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1884. 8 S. Repertoir: 1. Januar 1884–13. April 1884. RICHTER, Paul: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1885. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1885. 8 S. Repertoir: 1. Januar 1885–12. Februar 1885. RICHTER, Paul: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1885–86. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1886. 8 S. Repertoir: 13. Dezember 1885–31. März 1886. RICHTER, Paul: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1886–87. Hg. und allen Freunden der Schauspielkunst hochachtungsvoll gewidmet, Meiningen 1887. 8 S. Repertoir: 14. Oktober 1886–23. Januar 1887. KLEBSCH, Hugo: Almanach des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen. Saison 1891/92, Meiningen 1892. 11 S. Repertoir: 18. Oktober 1891–13. April 1892.
DIE MEININGER IM SPIEGEL DER THEATERALMANACHE
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BERNHARD, Marie: Almanach des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen. Saison 1893/94, Meiningen 1894. 8 S. 19. Repertoir:Oktober 1893–15. April 1894. BERNHARD, Marie: Almanach des Herzoglichen Hoftheaters in Meiningen. Saison 1894/95, Meiningen 1895. 8 S. Repertoir: 18. Oktober 1894–15. April 1895. GEISENHOFER, Ida: Statistischer Rückblick der Saison 1895/96 des Herzoglich Sächsischen Hoftheaters zu Meiningen. Allen Freunden und Gönnern der Kunst hochachtungsvoll gewidmet, Schweidnitz 1896. 4 S.50 ÜBERSICHT der während der Spielzeit 1895/96 zu Meiningen und Hildburghausen gegebenen Vorstellungen und Konzerte. Herzogliches Hoftheater zu Meiningen, Meiningen 1896. 15 S. Repertoir: 17. Oktober 1895–15. April 1896. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzogl. Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters. Saison 1900–1901. Hg. und Herrn Intendanzrath Richard ehrfurchtsvoll gewidmet, Meiningen 1901. 12 S. Repertoir: 18. Oktober 1900–14. April 1901. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters. Saison 1902–1903. Hg. und allen Gönnern der Kunst gewidmet, Meiningen 1903. 8 S. Repertoir: 17. Oktober 1902–13. April 1903. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzoglich S. Meiningischen Hoftheaters. Saison 1903–1904. Hg. und allen Gönnern der Kunst gewidmet, Meiningen 1904. 8 S. Repertoir: 18. Oktober 1903–14. April 1904. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzoglich S. Meiningischen Hoftheaters. Saison 1904–1905. Hg. und allen Gönnern der Kunst gewidmet, Meiningen 1905. 8 S. Repertoir: 16. Oktober 1904–13. April 1905. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzoglich S. Meiningischen Hoftheaters. Saison 1905–1906. Hg. und allen Gönnern der Kunst gewidmet, Meiningen 1906. 7 S. Repertoir: 2. November 1905–8. April 1906. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzogl. S. Meiningischen Hoftheaters. Saison 1906–1907. Hg. und allen Gönnern der Kunst gewidmet, Meiningen 1907. 8 S. Repertoir: 18. Oktober 1906–14. April 1907. WAGNER, Sophie: Almanach des Herzogl. Sachsen Meiningischen Hoftheaters. Saison 1907–1908. Hg. und allen Gönnern der Kunst gewidmet, Meiningen 1908. 7 S. Repertoir: 17. Oktober 1907–1. März 1908.
50 Nur Titel ohne chronologische Auflistung.
CHRISTIAN STORCH GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
Georg II. und das Theater in Bad Liebenstein zwischen Kurbetrieb und dramaturgischem Anspruch Kurorte fristen in kulturwissenschaftlichen Diskursen nachwievor ein Schattendasein, ungeachtet ihrer politischen Bedeutung, die durch historische Schlagworte wie Karlsbader Beschlüsse oder Emser Depesche und nicht zuletzt durch das am 18. Juli 1914 in Bad Ischl von Kaiser Franz Josef I. verfasste Manifest „An meine Völker!“, das die Kriegserklärung Österreichs an Serbien enthielt, zumindest punktuell den Fokus auf sie gerichtet hat. Als Kristallisationspunkte von Kultur und Geistesgeschichte werden sie allerdings eher peripher wahrgenommen und tauchen vor allem in populärwissenschaftlichen Schriften, seltener als Qualifikationsschriften oder in Tagungsbänden auf.1 Dieser Umstand ist u. a. einem gängigen Klischee geschuldet, nach dem sich die „gute Gesellschaft“2 im Kurort vor allem den leichten bis ‚seichten‘ Musen wie Operette und Wiener Walzer hingab, gerne amourösen Abenteuern nachtrachtete, auf Braut- oder Bräutigamschau ging und weitreichenden politischen Wegmarkierungen ein Podium bot. Das Klischee ist nun freilich lediglich eine Seite einer recht diffus profilierten Medaille. Auf der anderen stehen enorme künstlerische Leistungen wie das Engagement des Weimarer Hoftheaters unter Goethes Leitung in Bad Lauchstädt zwischen 1791 und 1811, die Konzertabende Clara Schumanns und Pauline Viardot-Garcías in Baden-Baden in den 1860er Jahren und möglicherweise auch
1
2
Vgl. u. a. Ian BRADLEY, Water Music. Music Making in the Spas of Europe and North America, Oxford 2010; Heinz KOCH, Kurmusik in Kreuznach und Münster am Stein im 19. und frühen 20. Jahrhundert, posthum hg. von Wolfgang BIRTEL und ChristophHellmut MAHLING, Bad Kreuznach 2009; Michael MATHEUS (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Stuttgart 2001; Burkhard FUHS, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900 (Historische Texte und Studien, 13), Hildesheim/Zürich/New York 1992; Klaus GÜNZEL, Bäder-Residenzen. Kuren und Amouren, Diplomatie und Intrigen, Stuttgart 1998; Ulrika KIBY, Bäder und Badekultur in Orient und Okzident: Antike und Spätbarock, Köln 1995. Lediglich in der Architekturgeschichte haben Kurorte bislang eine eingehendere wissenschaftlich-systematische Aufmerksamkeit erfahren. Vgl. Anke ZIEGLER, Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Idealtypus im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main u. a. 2004; Rolf BOTHE, Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984. FUHS, Mondäne Orte (wie Anm. 1), S. 47.
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CHRISTIAN STORCH
die Aktivitäten des Meininger Hoftheaters in Bad Liebenstein zwischen 1869 und 1881. Im vorliegenden Beitrag soll zum einen die Geschichte des Liebensteiner Theaters in Begleitung der Biografie Georgs II., also von ca. 1826 bis 1914, anhand ausgewählter Stationen rekonstruiert werden. Zum anderen werden einige, zum jetzigen Zeitpunkt sicher noch unvollständige Details des Meininger Engagements in Liebenstein mit Hilfe erhaltener Theaterzettel aus den Jahren 1873 bis 1875 wie auch von Zeitzeugenberichten und Eintragungen im „Deutschen Bühnen-Almanach“ vorgestellt. Es soll darum gehen, einen Einblick in das Repertoire der Meininger in Liebenstein zu erhalten vor dem Hintergrund ihrer künstlerischen Leistungsfähigkeit, die sich bekanntlich in den europaweiten Gastspielreisen ab 1874 instruktiv geäußert hat, sowie im Kontext des zuvor aufgezeigten Theaterbetriebs in Liebenstein im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Wie zu zeigen sein wird, nahm auch das Theaterprogramm der Meininger Rücksicht auf den Ort seiner Aufführungen. Abschließend soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob die Gastspiele des Meininger Hoftheaters in Liebenstein lediglich eine unwesentliche Facette eines sowieso auf ‚leichte Kost‘ ausgerichteten Kurtheaterbetriebs ausgemacht haben oder ob die Präsenz eines zunehmend europaweit beachteten Theaterensembles nicht doch eine Sonderstellung in der Theatergeschichte Liebensteins eingenommen hat.
1. Das Comödienhaus Liebenstein als Gastspieltheater im 19. und frühen 20. Jahrhundert Das „Comödienhaus“ oder „Schauspielhaus“ in Bad Liebenstein, wie es seit seiner Eröffnung im Jahr 1800 variabel genannt wurde, war als multifunktionales Kursaalgebäude konzipiert und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auch genutzt worden.3 Eine mehrjährige Bespielung durch eine einzelne bürgerliche oder höfische Schauspielergesellschaft, wie etwa in Lauchstädt oder Pyrmont, hat es hier bis zum Engagement des Meininger Hoftheaters in den 1870er Jahren vermutlich nicht gegeben. Zumindest aus den ersten Jahren ist eine solche Praxis nicht verbürgt. Dafür wurden auswärtige Theatertruppen bei ihren Opernaufführungen von der Meininger Hofkapelle begleitet, die bereits 1815 von Friedrich Mosengeil als „vortreffliche […]“4 bezeichnet wurde und 3
4
Vgl. Christian STORCH, Musik und Theater in der Badekultur um 1800. Das Comödienhaus in Bad Liebenstein, in: Die Musikforschung 67 (2014), S. 154–174; DERS., Vom Comödienhaus zum KurTheater. Die Geschichte des Theaters in Bad Liebenstein von 1800 bis heute, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 81–92. Friedrich MOSENGEIL, Das Bad Liebenstein und seine Umgebungen, Meiningen 1815, S. 10.
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deren Engagement für den theatralischen Kurbetrieb um 1800 eine durchaus unübliche Konstellation darstellte: In Mehrheit begleiteten die Akteure auf der Bühne ein „zusammengestoppelt[es]“5 Orchester, bestehend entweder aus versierten Orchestermusikern und ortsansässigen Instrumentalisten (wie in Lauchstädt) oder gänzlich aus gerade verfügbaren Musikern (wie in Karlsbad). In den Jahren 1827 und 1828, also kurz nach Georgs Geburt, gastierte die herzogliche Coburger Schauspielergesellschaft unter der Leitung ihres Musikdirektors Adolph Lübke in Liebenstein. Im Jahr 1832 folgte eine Truppe unter der Direktion eines Herrn Petri aus Altona und 1833 schließlich die Bethmannsche Schauspielergesellschaft, die bereits 1831 das neu erbaute Meininger Hoftheater eröffnet hatte und nun zum Sommeraufenthalt nach Liebenstein eingeladen worden war. Der am 8. Mai 1833 unterzeichnete „Contract“ befindet sich heute im Kurarchiv Bad Liebenstein.6 Wie aus zwei weiteren Archivalien hervorgeht, wurden am 21. Juli bzw. Anfang August 1833 die Opern „Die Hochzeit des Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart bzw. „Fra Diavolo“ von Daniel Auber aufgeführt. Hierzu wurden vom Meininger Hoforchester „Capellisten“ sowie „Militär-Hornisten“ separat über die Liebensteiner Badekasse entlohnt.7 In den 1840er Jahren ging der Theaterbetrieb trotz hoher Kurgastzahlen8 offenbar zurück und erreichte um 1850 einen Tiefpunkt: Daran [an das Fürstenhaus] reiht sich das Schauspielhaus, das jedoch zu theatralischen Vorstellungen nicht mehr benutzt wird und in seinen vorderen Nebenräumen eine reiche Auswahl verkäuflicher Kunst- und Schmuckwaren bietet.9
Aus den 1850er und 1860er Jahren sind bislang kaum Theateraufführungen oder Engagements von Schauspielergesellschaften bekannt. Lediglich für das Jahr 1857 ist das Ensemble der vereinigten Stadttheater von Hildesheim und Mühlhausen als gastierende Truppe überliefert, so dass zumindest für die Folge5 6 7
8
9
Vgl. Frh. – **: Ueber Karlsbad (Beschluß des Briefes), in: Zeitung für die elegante Welt 3, 91 (1803), Sp. 723 f. Vgl. Kurarchiv Bad Liebenstein, Ordner 0065, Kurtheater Akten und Verträge von 1824 bis 1833, Contract mit Herrn Schauspieldirector Heinrich Eduard Bethmann wegen theatralischer Vorstellungen im Bade Liebenstein im Sommer 1833. Vgl. Kurarchiv Bad Liebenstein, Ordner 0073, Berechnung der Kosten für den Capellmeister Grund und 9. Capellisten zur Aufführung der Oper Figaro den 21. Jul. und Berechnung der Kosten für den Capellmeister Grund, 8 Capellisten, 8 Militär-Hornisten, welche zur Aufführung der Oper Frau Diavolo auf 4 Tage hier waren. Vgl. Franz FRITZE, Der Nordwesten des Thüringer Waldes oder Zehn Tage in Ruhla. Gemälde aus dem Badeorte Ruhla und seiner Umgebung Eisenach, Wilhelmsthal, Altenstein, Liebenstein, Inselsberg und Reinhardsbrunn. Ein Reisehandbuch und Wegweiser, Berlin 1854, S. 100 u. 102. Heinrich SCHWERDT, Liebenstein: Mineralbad, Molkenkur- und Kaltwasserheilanstalt im Herzogthum Meiningen, Gotha 1854, S. 14 f.
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CHRISTIAN STORCH
jahre ein bespieltes Liebensteiner Theater anzunehmen ist.10 Grundsätzlich ist die Regierungszeit Herzog Bernhards II. von Sachsen-Meiningen hinsichtlich der kulturellen Entwicklung Liebensteins quellentechnisch recht blass. Theatervorführungen, Konzerte oder die etwaige Präsenz von bedeutsamen Künstlern sind kaum bekannt und harren der historiografischen Aufarbeitung. Erst mit dem Regierungsantritt Georgs II. von Sachsen-Meiningen und den Gastspielen des Meininger Hoftheaters zwischen 1869 und 1881, verbunden mit beginnenden Einträgen im „Deutschen Bühnen-Almanach“, wird die Theatergeschichte in Liebenstein wieder stärker konturierbar (siehe unten). Spätestens ab 1879 gastierte parallel bzw. jahreszeitlich vor dem Meininger Hoftheater eine weitere Theatertruppe unter der Leitung des Regisseurs, Schauspielers und Operettendichters Richard Manz, die vornehmlich Operetten und Lustspiele im Programm hatte, sich im Schauspielfach aber kaum von den Spielplänen der Meininger unterschied: So kamen zwischen dem 14. und 20. Juli jenen Jahres die Lustspiele „Die Tochter Belials“ von Rudolf Kneisel, „Spielt nicht mit dem Feuer“ von Carl Josef Mittell und „Kanonenfutter“ von Julius Rosen auf die Bühne.11 Zumindest Kneisels Schauspiel stand bereits 1873 auf dem Spielplan des Meininger Hoftheaters (siehe Tab. 1). Im „Deutschen Bühnen-Almanach“ sind denn auch unter dem Stichwort ‚Regie‘ die Gattungen Schauspiel, Posse und Operette vermerkt; die Liebensteiner Badekapelle (bestehend aus 18 Musikern) begleitete unter der Leitung ihres langjährigen Kapellmeisters Schwarz.12 Interessant ist zudem die namentliche Unterscheidung zwischen „Hoftheater“ (in Bezug auf die Vorstellungen der Meininger) und „BadeTheater“ (in Bezug auf Richard Manz’ Schauspielergesellschaft). Offenkundig gab es noch keinen festen Namen für das Gebäude, sondern dieser orientierte sich an der Art seiner Bespielung und Herkunft der Theaterakteure. Bis 1888 erscheinen im „Deutschen Bühnen-Almanach“ keine dezidierten Einträge mehr zu Liebenstein. Dafür sind den Liebensteiner Kurlisten bis in die 1890er Jahre hinein Theateranzeigen zu entnehmen, aus denen allgemeine Ankündigungen oder sogar einzelne Wochenspielpläne mit Stückangaben hervorgehen. Im Jahr 1884 beispielsweise gastierte Theodor Basté. In seiner Ankündigung weist er explizit auf die Gastrollen seiner erst fünfzehnjährigen Tochter Charlotte hin:
10 Vgl. Hildesheim und Mühlhausen (Vereinigte Stadttheater), in: Deutscher Bühnen-Almanach 22 (1858), S. 427 f. 11 Vgl. Kurarchiv Bad Liebenstein, Ordner 0006, Liste der anwesenden Kurgäste und Durchgereisten zu Bad Liebenstein, Nr. 5, 12. Juli 1879, S. 4. 12 Liebenstein (Bade-Theater) und Meiningen (Herzogl. Sächsisches Hoftheater, verbunden mit dem Hoftheater im Bade Liebenstein), in: Deutscher Bühnen-Almanach 44 (1880), S. 189 u. S. 211–213.
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Theater-Nachricht. Den geehrten Curgästen und allen Theaterfreunden der Umgegend von Liebenstein mache ich hiermit die ergebenste Anzeige, dass mir von der verehrlichen Bade-Direction wiederum die Leitung des hiesigen Bade-Theaters übertragen ist und ich die Saison am 6. Juli eröffnen werde. Das Personal besteht aus tüchtigen Mitgliedern von Hof- und guten Stadt-Theatern und wird die kaiserl. russische Hofschauspielerin Frl. Charlotte Basté einen längeren Cyclus von Gastrollen geben. Das Repertoir wird aus den besten Novitäten bestehen. Mein Unternehmen dem Interesse aller Theaterfreunde empfehlend, zeichnet Hochachtungsvoll ‚Theodor Basté‘, Dir.13
Weitere Details dieser Theatersaison lassen sich aus den Liebensteiner Kurlisten nicht entnehmen. Für das Jahr 1887 geht aus einem Eintrag im „Deutschen Bühnen-Jahrbuch“ nicht nur hervor, dass die Theatersaison vom 1. Juli bis zum 1. September dauerte, sondern auch, dass das Theater in jenen Jahren 500 Personen fasste und damit eine um knapp die Hälfte größere Kapazität besaß als heute (336 Sitze + 4 Rollstuhlplätze). Die Direktion des gastierenden Theaterensembles hatte seit diesem Jahr Joseph Darmer inne, der insbesondere für die „Regie des Trauer- und Schauspiels“14 verantwortlich zeichnete. Als aufgeführte Werke werden allerdings nur vier Komödien genannt: die vieraktigen Lustspiele „Goldfische“ und „Roderich Heller“ von Franz von Schönthan und „Tilli“ von Francis Stahl sowie die vieraktige Posse „Papageno“ von Rudolf Kneisel. Operetten wurden unter Darmers Leitung in diesem Jahr nicht gegeben, wohl aber in der darauffolgenden Saison, in der als Orchester die Badekapelle angegeben ist.15 Für die Jahre 1891, 1892, 1894 und 1895 sind im Liebensteiner Kurarchiv Theateranzeigen erhalten geblieben, die zumindest einen Großteil der jährlichen Spielpläne wiedergeben. Aus ihnen lässt sich erkennen, dass das Theaterprogramm nahezu ausnahmslos aus aktuellen Lustspielen und Operetten der Zeit bestanden hat und nur selten große Opern oder ernste Dramen auf die Bühne kamen wie beispielsweise Albert Lortzings „Der Rattenfänger von Hameln“ am 19. August 1894 oder Friedrich Schillers Tragödie „Die Räuber“ am 10. August 1894, in der der Meininger Hofschauspieler Carl von Maixdorff mitwirkte. Zu Gast waren Theaterensembles unter der Leitung von Otto Winzer vom Fürstlichen Theater Rudolstadt (1891, 1892), Georg Schaffnit von den Stadttheatern 13 Kurarchiv Bad Liebenstein, Ordner 0006, Liste der anwesenden Kurgäste und Durchgereisten zu Bad Liebenstein, Nr. 3, 28. Juli 1884, S. 3 14 Bad Liebenstein (Badetheater. Sommersaison 1887), in: Deutscher Bühnen-Almanach 52 (1888), S. 296 f. 15 Erwähnung finden im Almanach-Eintrag allerdings lediglich zwei Schauspiele: das „Volksstück mit Gesang in 6 Bildern“, „Kornblumen des Kaisers“, von Martin Böhm und das „Drama in 3 Acten und 1 Vorspiel“, „Galeotto“, von José Echegaray. Vgl. Bad Liebenstein (Badetheater. Sommersaison 1888), in: Deutscher Bühnen-Almanach 53 (1889), S. 297.
CHRISTIAN STORCH
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Döbeln und Greiz (1894) sowie Reinhard Goeschke von den Stadttheatern Neisse und Schweidnitz (1895). In diese Jahre fällt auch eine umfangreiche Renovierung des Hauses mit der Installation einer elektrischen Lichtanlage sowie neuen Dekorationen.16 In folgenden Tabellen (1–8) sind die in den Theateranzeigen enthaltenen Programmvorschauen aufgelistet. Tabelle 1: Spielplan der Schauspielergesellschaft von Otto Winzer in Bad Liebenstein, 1891 Datum der Aufführung
Autor
Titel lt. Quelle / Anmerkungen
5. Juli 1891
Adolph L’Arronge
Mein Leopold
7. Juli 1891
Leon Treptow
Jägerliebchen
9. Juli 1891
Adolph L’Arronge
Der Veilchenfresser
10. Juli 1891
Hermann Sudermann
Die Ehre
12. Juli 1891
Eduard Jacobson
Der Mann im Monde
14. Juli 1891
Hermann Sudermann
Die Ehre
16. Juli 1891
Wilhelm Mannstädt / Georg Steffens
Die schöne Ungarin
17. Juli 1891
Carl Laufs
Pension Schöller Tischlein deck dich, Eselein streck dich, Knüppel aus dem Sack (Kindervorstellung)
19. Juli 1891 Heinrich Wilken / Gustav Michaelis
Kyritz-Pyritz
20. Juli 1891
Carl Laufs
Ein toller Einfall
23. Juli 1891
Gustav von Moser
Der Bibliothekar
24. Juli 1891
Gustav von Moser
Reif-Reiflingen
26. Juli 1891
Ernst von Wildenbruch
Die Quitzows
28. Juli 1891
Gustav von Moser
Nervös
30. Juli 1891
Karl August Görner
Ein glücklicher Familienvater
J. Kneiff / Gustav Michaelis
S’Lieserl oder Die Macht des Gesanges
Hermann Sudermann
Sodoms Ende
31. Juli 1891 2. August 1891
Lügenmäulchen und Wahrheitsmündchen (Kindervorstellung)
16 Vgl. Bad Liebenstein, Kurtheater, in: Neuer Theater-Almanach 3 (1892), S. 347.
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
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Wilhelm Mannstädt / Georg Steffens
Die wilde Katze
4. August 1891
Anton Anno
Die beiden Reichenmüller
6. August 1891
Pius Alexander Wolff / Carl Maria von Weber
Preciosa
7. August 1891
Alexandre Bisson
Der selige Tourpinel
9. August 1891
Pius Alexander Wolff / Carl Maria von Weber
Preciosa oder Die Zigeuner in Spanien
11. August 1891
Paul Lindau
Die beiden Leonoren
13. August 1891
Eduard Jacobson / Franz Roth
Die junge Garde (Benefiz für Frau Marie Winter-Kleyn)
16. August 1891
Karl von Holtey
Lenore
18. August 1891
Rudolf Kneisel
Wo ist die Frau?
Tabelle 2:
Spielplan der Schauspielergesellschaft von Otto Winzer in Bad Liebenstein, 1892
Datum der Aufführung
Autor/Komponist
Titel lt. Quelle / Anmerkungen
27. Juni 1892
Gustav von Moser
Reif-Reiflingen
28. Juni 1892
Ernst von Wildenbruch
Der neue Herr
3. Juli 1892
Gustav Räder
Robert u. Bertram oder Die lustigen Vagabonden
5. Juli 1892
Gustav Kadelburg / Oscar Blumenthal
Die Grossstadtluft
7. Juli 1892
Adolph L’Arronge
Doktor Klaus
10. Juli 1892
Gustav Lemoine / Heinrich Schäffer
Muttersegen oder Die Perle von Savoyen
12. Juli 1892
Carl Laufs
Der stille Associé
14. Juli 1892
Oscar Blumenthal
Der Zaungast
15. Juli 1892
(Extravorstellung)
17. Juli 1892
Doktor Faust’s Zauberkäppchen (Kindervorstellung) Ferdinand Raimund
Der Verschwender (außerdem zweites und letztes Ballett-Gastspiel)
19. Juli 1892
Richard Voss
Schuldig
21. Juli 1892
Gustav Freytag
Die Journalisten
CHRISTIAN STORCH
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24. Juli 1892
Eduard Jacobson / Wilhelm Mannstädt
Fräulein Feldwebel
26. Juli 1892
Nataly von Eschstruth / Hermann von Anderten
Sie wird geküsst
28. Juli 1892
Gustav von Moser
Das Stiftungsfest
31. Juli 1892
Alexander Rost
Ludwig der Eiserne oder Das Wundermädchen aus der Ruhl
2. August 1892
Paul Lindau
Ein Erfolg
4. August 1892
Franz von Schönthan
Der Raub der Sabinerinnen
7. August 1892
Eduard Jacobson
Der Mann im Monde
9. August 1892
Nataly von Eschstruth und Hermann von Anderten
Sie wird geküsst
11. August 1892
Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer
14. August 1892
Roderich Benedix
Das Gefängnis oder Alle müssen brummen
16. August 1892
Heinrich Wilken
Ehrliche Arbeit (Benefiz für Frau Marie Winzer)
18. August 1892
Karl Gutzkow
Der Königsleutnant
23. August 1892
Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer
25. August 1892
Eduard Jacobson
Die Lachtaube (Benefiz für Herrn Müller)
28. August 1892
Wilhelm Mannstädt / Georg Steffens
Die schöne Ungarin (Benefiz für den Komiker und Regisseur Herrn Otto Wenghöfer)
(in Vorbereitung)
Pietro Mascagni
Cavalleria Rusticana
Tabelle 3: Spielplan der Schauspielergesellschaft von Georg Schaffnit in Bad Liebenstein, 1894 Datum der Aufführung
Autor/Komponist
Titel lt. Quelle / Anmerkungen
24. Juni 1894
Wilhelm Mannstädt / Georg Steffens
Der Walzerkönig (Eröffnungsvorstellung)
26. Juni 1894
Julius Rosen
Barfüssige Fräulein
28 Juni 1894
Siegfried Staack
Die Else vom Erlenhof
1. Juli 1894
Leon Treptow
Flotte Weiber
3. Juli 1894
Maria Günther-Brauer
Der neue Stiftsarzt
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
5. Juli 1894
Oscar Blumenthal
365 Ein Tropfen Gift Der Struwelpeter (Kindervorstellung)
8. Juli 1894 Leon Treptow
Schützenlis’l
10. Juli 1894
Eugene Marlitt
Das Geheimnis der alten Mamsell (Romanbearbeitung)
12. Juli 1894
Adolph L’Arronge
Der Compagnon
13. Juli 1894
Leon Treptow
Flotte Weiber
15. Juli 1894
Rudolf Kneisel
Papageno
Franz von Suppé
Flotte Bursche
Albert Peter Johann Krüger
Lamm und Löwe
17. Juli 1894
19. Juli 1894
Rudolf Kneisel
Sie weiss etwas!
20. Juli 1894
Gustav Kadelburg
Mauerblümchen Die Mär vom tapfern Schneiderlein (Kindervorstellung)
22. Juli 1894
24. Juli 1894
Gaetano Donizetti
Die Regimentstochter
Gustav von Moser
Militärfromm
Joseph Mendelssohn
Er muss aufs Land
26. Juli 1894
Arthur Müller
Die Verschwörung der Frauen
27. Juli 1894
Carl August Specht
Elsbeth oder: Die Rebellen von Altenstein
29. Juli 1894
Carl August Specht
Elsbeth oder: Die Rebellen von Altenstein
31. Juli 1894
Pius Alexander Wolff / Carl Maria von Weber
Preciosa
2. August 1894
Gustav Kadelburg
Der Herr Senator
3. August 1894
Oskar von Redwitz
Philippine Welser Robinson Crusoe (Kindervorstellung)
5. August 1894 Rudolf Kneisel
Gretchen’s Polterabend
6. August 1894
Carl August Specht
Elsbeth oder: Die Rebellen von Altenstein
7. August 1894
Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Waise von Lowood (Gastspiel von Emma Stössl vom Stadttheater Elberfeld)
CHRISTIAN STORCH
366 9. August 1894
Julius Stinde
Familie Buchholz
10. August 1894
Friedrich Schiller
Die Räuber (Gastspiel des Herzoglich-Meiningenschen Hofschauspielers Maixdorff)
12. August 1894
Joseph Victor von Scheffel
Der Trompeter von Säkkingen
14. August 1894
Alexander Rost
Das Wundermädchen aus der Ruhl (Benefiz für Paul Amberg)
16. August 1894
Brandon Thomas
Charley’s Tante
17. August 1894
Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Waise von Logwood
19. August 1894
Albert Lortzing
Der Rattenfänger von Hameln
21. August 1894
Brandon Thomas
Charley’s Tante
23. August 1894
Charlotte Birch-Pfeiffer
Dorf und Stadt (Gastspiel von Thessa Klinkhammer)
24. August 1894
Adolph L’Arronge
Dr. Klaus
26. August 1894
Carl Millöcker
Muttersegen [oder Ein Blitzmädel]
28. August 1894
Franz von Schönthan
Die berühmte Frau (Benefiz für Ludwig Maeder)
30. August 1894
Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Waise von Logwood (Benefiz für Carl Machold)
Tabelle 4: Spielplan der Schauspielergesellschaft von Reinhard Goeschke in Bad Liebenstein, 1895 Datum der Aufführung
Autor/Komponist
Titel lt. Quelle / Anmerkungen
16. Juni 1895
Oscar Blumenthal / Gustav Kadelburg
Zwei Wappen
18. Juni 1895
Gustav von Moser
Unsere Frauen
20. Juni 1895
Eduard Jacobson
Der Mann im Monde
21. Juni 1895
Franz von Schönthan
Der Raub der Sabinerinnen
23. Juni 1895
Heinrich Wilken
Hopfenraths Erben
25. Juni 1895
Franz von Schönthan / Gustav Kadelburg
Zum wohltätigen Zweck
27. Juni 1895
Franz von Schönthan
Goldfische
28. Juni 1895
Gustav Kadelburg
Grossstadtluft
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
367
30. Juni 1895
Adolph L’Arronge / Carl Millöcker
Hasemanns Töchter
2. Juli 1895
Carl Laufs
Der ungläubige Thomas
4. Juli 1895
Oscar Blumenthal / Gustav Kadelburg
Zwei Wappen
5. Juli 1895
Wilhelmine von Hillern
Augen der Liebe
7. Juli 1895
Eduard Jacobson / Franz Roth
Die junge Garde
9. Juli 1895
Ludwig Fulda
Die Kameraden
11. Juli 1895
Franz von Schönthan / Gustav Kadelburg
Zum wohltätigen Zweck
12. Juli 1895
Carl Jeffé
Das Bild des Signorelli
28. Juli 1895
Anna Goeschke
Die Schwanenprinzessin (Kindervorstellung)
Ludwig Ganghofer / Hans Neuert
Der Herrgottschnitzer von Ammergau
30. Juli 1895
Oscar Blumenthal
Niobe
2. August 1895
Gustav von Moser
Der Soldatenfreund (Benefiz für Reinhard Goeschke)
Das zu Beginn seiner Nutzung multifunktionale Gebäude diente im späteren 19. Jahrhundert vornehmlich oder gar ausschließlich theaterspezifischen Vorführungen und nicht mehr auch als Tanz- und Speisesaal wie noch in den Anfangsjahren nach 1800. Die zur Straße hin befindlichen Nebenräume wurden hingegen unterschiedlich genutzt. Zunächst als Badekammern und Theaterfundus konzipiert, erfolgte bereits wenige Jahre nach der Eröffnung eine Umgestaltung in Gästezimmer.17 Spätestens ab den 1870er Jahren befand sich hier die Hofbuchhandlung „Brückner & Renner“, wie aus Anzeigen für Ansichtsmappen mit Lithografien und Fotos vom Kurort hervorgeht. Ebenfalls in diesem Nebentrakt des Theaters befand sich eine Wohnung, in der in den 1880er Jahren ein Physiotherapeut namens F. Körner und dessen Frau aus Berlin während der Badesaison Massagen und Heilgymnastik anboten. Zudem nutzte der Meininger „Hof-Goldarbeiter und Juwelier“ C. Göpfert das Theatergebäude für „wohlgeeignete Gelegenheitsgeschenke zu den solidesten Preisen und in
17 Vgl. Karl Ernst Adolf von HOFF/Christian Wilhelm JACOBS, Der Thüringer Wald. Besonders für Reisende geschildert, Bd. 1: Erste oder nordwestliche Hälfte, Gotha 1807, S. 562 f.
368
CHRISTIAN STORCH
schönster Auswahl: feinste Bijouterien und courante Gold- und Silberwaare“.18 Aber auch Bekleidung wurde während der Badesaison im Theater selbst oder in den Seitenräumen angeboten, beispielsweise im Jahr 1876 von J. Sachs: Herrengarderobe, Stoffe, Regen- und Sonnenschirme, Wäsche und vieles mehr.19 Das Liebensteiner Theater hat demnach in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens seine zentrale Funktion als Zentrum des Kurbetriebs weitgehend beibehalten. Platziert direkt am Brunnenplatz und gegenüber dem Kurhaus (dem heutigen Hotel Kaiserhof), diente es sowohl als Ankunfts- und Abfahrtsort der Reiseund Postkutschen als auch als ein Kultur- und Geschäftszentrum. Im Jahr 1913, ein Jahr vor Georgs Tod, übernahmen Maximilian Graf von Wiser und die Gräfin Sophie von Rüdiger die Kuranlagen, zu denen auch das Theatergebäude gehörte, weshalb es ab 1913 „Gräfliches Kurtheater“ hieß. Bespielt wurde es von Ferdinand Skuhra, dem Intendanten des Stadttheaters in Brandenburg an der Havel, der mit einem Großteil seines 70-köpfigen Ensembles anreiste und – kurspezifisch – vor allem die neuesten Lustspiele und Operetten auf die Bühne brachte.20 Kurz vor Georgs Tod, im Mai 1914, wurde das Gräfliche Kurtheater nach einer umfassenden Renovierung neu eröffnet: Das Kurtheater wird sich dem Publikum in beinahe völlig neuer Gestalt präsentieren, denn mit grossem Kostenaufwande wurden Zuschauerraum und Bühne einer durchgreifenden Renovation unterzogen. Entsprechend den Vorbildern der letzten Theaterneubauten ist das Orchester versenkt worden, der Schnürboden wurde, um einen schnelleren Dekorationswechsel zu erzielen, bedeutend erhöht, die Bühnenbeleuchtung verbessert, so dass in bühnentechnischer Hinsicht unser Kurtheater nunmehr auch höheren Anforderungen als bisher genügen kann. Im Zuschauerraum ist eine Verlängerung des I. Ranges bis an den Bühnenrahmen erfolgt, neue Aufgänge für die Logen sind geschaffen worden, die Beleuchtung wurde verstärkt, und die Verkleidung der Wände auf einen ruhigen, vornehmen Ton gestimmt, dem sich die in weiss gehaltene Decke harmonisch anpasst. Foyer, Kasse und Publikumsgarderoben sind ebenfalls ganz verändert worden und das Parkett hat durchweg Klappstühle und einige Reihen Fauteuils erhalten. Kurz, die Badedirektion hat ihr Möglichstes getan, um sowohl den Badegästen als auch den Bewohnern von Liebenstein und Umgebung eine unserem Kurorte würdige Kunst- und Erholungsstätte zu schaffen. Die ganze Neugestaltung ist, wie alles bisher, grosszügig und vornehm.21
18 Kurarchiv Bad Liebenstein, Ordner 0006, Liste der anwesenden Kurgäste und Durchgereisten zu Bad Liebenstein, Nr. 5, 12. Juli 1884, Beilage. 19 Kurarchiv Bad Liebenstein, Ordner 0007, Liste der anwesenden Kurgäste und Durchreisenden zu Bad Liebenstein, Nr. 10, 19. August 1876, S. 3. 20 Gräfl. Stahlbad Liebenstein. Bade-Woche (Kurliste), Nr. 1, 6. Mai 1914. 21 Ebd., Nr. 4, 6. Juni 1914.
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
369
Die Renovierungsarbeiten konnten allerdings nur wenige Wochen vom Publikum bestaunt werden: Nach Ausbruch des Krieges Anfang August wurde das Theater vorübergehend behördlich geschlossen.22
2. Das Herzogliche Hoftheater Meiningen in Liebenstein Dass Liebenstein und vor allem Schloss Altenstein für Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen mehr bedeuteten als einen erholsamen Sommeraufenthalt, ist hinlänglich bekannt. Gerade hier kam es zum Austausch mit Künstlerpersönlichkeiten wie Johannes Brahms, Franz Liszt, Anton Rubinstein oder Henrik Ibsen wie auch zur morganatischen Eheschließung mit der Schauspielerin Ellen Franz. Zudem war die Villa Georg am Fuße des Burgberges der Ort, an dem die Entscheidung für die erste Berliner Gastspielreise 1874 getroffen wurde.23 Liebenstein und Altenstein boten dem Herzog somit einen privaten Rückzugsraum und einen Ort künstlerischer Kommunikation, Begegnung und Planung gleichermaßen. Mit Beginn des Meininger Engagements in Liebenstein im Jahr 1869 wurde aus dem Badetheater das „Herzoglich Sachsen-Meiningensche Hoftheater in Liebenstein“, ein Titel, der bereits für einen ersten Imagegewinn des Theaters bei der Badegesellschaft gesorgt haben dürfte. Gleichwohl wurde das langjährige Engagement im Jahr 1870, möglicherweise kriegsbedingt, unterbrochen. Erst ab 1871 gastierten die Meininger nun regelmäßig auf ihrer Zweit- und Probenbühne im Kurort, wenige Kilometer entfernt vom Sommerschloss Altenstein. Der „Deutsche Bühnen-Almanach“ dieser Jahre gibt lediglich ansatzweise die personellen Bedingungen und das Theaterprogramm wieder. In der Regel wird beim Eintrag „Liebenstein“ auf den wesentlich umfangreicheren Beitrag über Meiningen verwiesen, in dem neben den Personalaufstellungen hinter und auf der Bühne Gastspielreisen sowie die jeweils neuen Stücke des Repertoires vermerkt sind. Das erste Gastspiel im Jahr 1869 fand indes noch einen separaten Eintrag unter dem Stichwort „Liebenstein“. Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass nicht Friedrich Bodenstedt als Intendant des Meininger Theaters das Liebensteiner Engagement künstlerisch betreute, sondern der Meininger Schauspieler und Regisseur Ludwig (Heinrich Werner) Menzel, dem die Direktion eines Teils der Meininger Truppe oblag. Zu dieser gehörten, laut „Almanach“, u. a. auch Ludwig Chronegk und Ellen Franz. Da die Liebensteiner Kur22 Liebenstein (S.-M.), Gräfl. Kurtheater, in: Deutsches Bühnen-Jahrbuch 26 (1915), S. 480. 23 Vgl. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 21999, S. 295.
370
CHRISTIAN STORCH
kapelle als Orchester wie auch Gotthardt Kützing24 als Musikdirektor Erwähnung finden, muss es zumindest musikalische Einlagen, Schauspielmusik oder gar dezidierte Opern- oder Operettenaufführungen gegeben haben. Eine Repertoireliste ist zumindest im Liebensteiner Eintrag nicht zu finden.25 Unter dem Stichwort „Meiningen“ sind zahlreiche dort im Jahr 1869 neu aufgeführte Stücke aufgelistet, so u. a. „Die Nibelungen“ von Friedrich Hebbel, das Lustspiel „Ein kleiner Dämon“ von Adolf Bahn, das Trauerspiel „Die Royalisten oder Cromwell’s Ende“ von Ernst Benjamin Raupach, Friedrich Schillers „Die Piccolomini“ oder auch das „Recept gegen Schwiegermütter“, ein Lustspiel in einem Aufzug von Wilhelm Lange. Welche dieser wie auch der weiteren aufgelisteten Schauspiele in Liebenstein aufgeführt worden sind, ist derzeit noch unbekannt. Ab 1871 hatte der neue Meininger Direktor Carl Grabowsky auch die Leitung der Liebensteiner Sommersaison inne. Im „Deutschen Bühnen-Almanach“ findet sich deshalb ab diesem Jahr kein gesonderter Eintrag mehr über Liebenstein. In die Grabowsky-Jahre fallen auch die im Meininger Theatermuseum erhaltenen Theaterzettel der Jahre 1873–1875, die im Folgenden etwas eingehender betrachtet werden sollen. Zunächst fällt auf, dass im Jahr 1873 vorrangig Lustspiele auf die Bühne gekommen sind. Lessings „Emilia Galotti“ (am 7. September) wie auch die ersten beiden Akte aus Goethes „Faust, der Tragödie erster Teil“ (am 4. September) stehen ziemlich verlassen zwischen solch illustren Titeln wie „Gute Nacht, Hänschen!“ von Arthur Müller (am 7. August), „Der Ball zu Ellersbrunn“ von Carl Blum (am 19. und 24. August) oder „Jettchens Liebe und Kabale“ von Hermann Salingré (am 27. August). Besondere Aufmerksamkeit verdient ein Dedikationsabend am 22. August „Zum Besten der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger: Musikalisch-declamatorisch-dramatische Abendunterhaltung in 3 Abtheilungen“. In der ersten Abteilung wurde die Ouvertüre zu „Die Felsenmühle“ von Carl Gottlieb Reissiger aufgeführt, danach Lieder sowie der „Zug der Frauen“ aus Wagners „Lohengrin“. Die zweite Abteilung bestand aus der Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ von Gioachino Rossini, einem Minnelied sowie dem einaktigen Lustspiel „Becker’s Geschichte“ von Eduard Jacobson. In der dritten Abteilung schließlich wurden der Strauß-Walzer „Künstlerleben“ sowie das Possenspiel „Ein bengalischer Tiger, oder: Der weiße Othello“ von
24 Gotthardt Kützing, bis 1867 Dirigent der Meininger Militärkapelle, leitete bis 1871 die Liebensteiner Badekapelle. Vgl. Maren Goltz, Musiker-Lexikon des Herzogtums SachsenMeiningen (Online), , Datum des Zugriffs: 6. Januar 2015, S. 165. 25 Vgl. Liebenstein (Bad), in: Deutscher Bühnen-Almanach 34 (1870), S. 198 f.
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
371
Bernhard Anton Herrmann aufgeführt.26 Die Theatervorstellungen begannen jeweils um 19 Uhr abends. Der Zuschauerraum bestand aus fünf Preisklassen: Mittelloge, Erster Rang, Parquett, Erstes Parterre und Zweites Parterre. Wie aus einem Brief von Josef Kainz hervorgeht, verfügte das Theater ebenfalls über die obligatorische Herzogsloge.27 Der programmatische Sprung im Jahr 1874 ist evident. Bestand der Spielplan des Vorjahres – soweit ihn die erhaltenen Theaterzettel wiedergeben – nahezu gänzlich aus aktuellen zeitgenössischen Werken, insbesondere Lustspielen, so kamen zwischen Mitte Juli und Ende August 1874 mehrere historische Dramen auf die Bühne: William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ (am 26. Juli), August Wilhelm Ifflands „Die Jäger“ (am 2. und 25. August), Franz Grillparzers „Sappho“ (am 6. und 11. August), Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ (am 23. August) sowie Molières „Der eingebildete Kranke“ (am 27. August). Aus Friedrich Schillers „Maria Stuart“ wurden hingegen lediglich die Akte 1, 3 und 5 aufgeführt. Unsicher ist zudem das Programm der Abschlussvorstellung der Meininger am 30. August, die „[z]um Besten der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger“ avisiert ist. Ein erhaltener Theaterzettel weist Schillers Tragödie „Kabale und Liebe“ als das gegebene Drama aus. Auf einem anderen Zettel ist der Titel (nicht aber die Dedikation und das Datum) überklebt mit Rudolf Kneisels Lustspiel „Die Tochter Belias’s, oder: Die Scheinheiligen“. Auch im Spielplan der Sommersaison 1875 sind zahlreiche ‚klassische‘ Werke verzeichnet, so Grillparzers „Esther“ (am 15. Juli, „Mit neuen Decorationen von Herrn Hof-Decorations-Maler Brückner in Coburg“; später auch am 1. August), der Goethes Einakter „Die Geschwister“ vorausging. Weitere ‚Klassiker‘ waren Goethes „Clavigo“ (am 3. August), Molières „Die gelehrten Frauen“ (am 8. August), Lessings „Emilia Galotti“ (am 15. August) sowie Molières „Der eingebildete Kranke“ (am 27. August). Aus Schillers „Don Carlos“ wurde am 5. August lediglich die 8. Szene des 3. Aktes aufgeführt, ein äußerst kurzer Dialog zwischen dem Marquis von Posa und dem Herzog von Alba unmittelbar vor dem Treffen des Marquis’ mit König Philipp. Diese Szene ist allerdings zu kurz, um sie als Talentschau der Meininger zu apostrophieren. Sie steht deshalb recht einsam vor zwei im Anschluss gegebenen einaktigen Lustspielen: zunächst Wolfgang Müller von Königswinters „Sie hat ihr Herz entdeckt“, hiernach – 26 Der Theaterzettel nennt nur den Untertitel „Der weiße Othello“ und gibt als Autor einen gewissen Briesbarré an, der sich allerdings auch in keinem französischen Bibliothekskatalog lokalisieren lässt, ungeachtet der Tatsache, dass Herrmanns Possenspiel auf einer französischen Vorlage beruht. 27 Vgl. einen Brief von Josef Kainz an seine Mutter vom 27. August 1877, in: Barbara ALBRECHT/Günter ALBRECHT (Hg.), Die Sterne dürfet ihr verschwenden. Schauspielererinnerungen des 18. und 19. Jahrhunderts, Berlin 1980, S. 461–463, hier S. 462.
CHRISTIAN STORCH
372
passend zum Kuraufenthalt – Adolf Bahns „Wunderkuren“. Drei Tage später (am 8. August) sollte William Shakespeares „Julius Cäsar“ aufgeführt werden, jenes Schauspiel, mit dem die Meininger auf ihrer ersten Gastspielreise nach Berlin im Vorjahr solch große Furore gemacht hatten.28 Der Theaterzettel ist allerdings durchgestrichen, so dass vermutlich aus personellen oder organisatorischen Gründen umdisponiert werden musste, ein anderes Stück oder gar keines auf die Bühne kam. Ein Großteil des Spielplans 1875, soweit ihn die Theaterzettel wiedergeben, bestand aus Lustspielen zeitgenössischer Autoren wie etwa „Die Hochzeitsreise“ von Roderich Benedix und „Rothe Haare“ von Moritz Anton Grandjean (am 20. Juli), dem Schwank „Epidemisch“ von Johann Baptist von Schweitzer (am 27. Juli), „Vom Stamm der Asra“ von Hedwig Dohm (am 17. August) oder auch „Dir wie mir“ von Roger Anton Ascher am selben Tag. Tabelle 5: Spielplan des Herzoglich-Meiningischen Hoftheaters in Liebenstein, 1873 Datum der Aufführung
Autor
Titel des Werkes lt. Quelle/ Anmerkungen
24. Juli 1873
Eugène Scribe (Th. Gassmann)
Feen-Hände (Lustspiel)
31. Juli 1873
Eduard von Bauernfeld
Moderne Jugend (Chronegk spielt Isidor von Fernau)
3. August 1873
Roderich Benedix
Ein Lustspiel (Gastspiel Emil Hahn, Direktor des VictoriaTheaters Berlin; Chronegk spielt Tümpel, einen Aufwärter)
5. August 1873
Jean Baptiste Molière (bearbeitet von Julius von Werther)
Gelehrte Frauen (Chronegk spielt Trissotin, einen Dichter)
7. August 1873
Arthur Müller
Gute Nacht, Hänschen! (Chronegk spielt Pater Richter vom Orden Jesu)
Eduard Mautner
Dramatische Scene: Der Richter – Der Staatsanwalt – Die Geschworenen (vorgetragen von Frau Berg)
Roderich Benedix
Gegenüber
10. August 1873
28 Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 377 f.
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
373
12. August 1873
Salomon Hermann von Mosenthal
Deborah (Volks-Schauspiel; Chronegk spielt einen Dorfbader)
17. August 1873
Emile Souvestre / Eduard Devrient
Der Fabrikant
19. August 1873
Carl Blum
Der Ball zu Ellersbrunn (Chronegk spielt Commissionsrath Zucker)
22. August 1873
Diverse Autoren (Untertitel: Zum Besten der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger: Musikalisch-declamatorischdramatische AbendUnterhaltung in 3 Abtheilungen)
1. Abt.: Ouvertüre zu Die Felsenmühle von Reissiger; Das Kind der Witwe von Halm; Mein Lied von Ferdinand Gumpert; Frau Nachtigall von Taubert; Der Alchymist von Prutz; Amor vor ein Kriegsgericht; Das seltene Blümlein; Zug der Frauen aus Lohengrin von Wagner; 2. Abt.: Ouvertüre zu Wilhelm Tell von Rossini; Minnelied von Geibel; Becker’s Geschichte, Lustspiel von Jacobson (Chronegk spielt Berger); 3. Abt.: Künstlerleben, Walzer von Strauß; Ein weißer Othello, Possenspiel von Briesbarré (Chronegk spielt Zahrt)
24. August 1873
Carl Blum
Der Ball zu Ellersbrunn
27. August 1873
Carl Wilhelm Koch
Die Vorleserin
Hermann Salingré / A. Lang
Jettchens Liebe und Kabale (Original-Posse mit Gesang; Chronegk spielt Jettchen)
29. August 1873
Carl Blum
Der Ball zu Ellersbrunn
31. August 1873
Salomon Hermann von Mosenthal
Deborah
2. September 1873
Ernst Wichert
Der eiserne Krug (Zur Feier des 2. Septembers)
Louis Schneider
Der Kurmärker und die Picarde (Genrebild mit Gesang; Chronegk spielt Friedrich Wilhelm Schulze, Wehrmann im 3. Kurmärkischen Landwehrregiment)
Johann Wolfgang von Goethe
Faust (1. u. 2. Akt; Mephisto gespielt v. Herrn Teller vom
4. September 1873
CHRISTIAN STORCH
374
Stadttheater Leipzig als Gast) Carl Gründorf
Ein Opfer der Consuln (Horatius Claudias gespielt von Herrn Teller)
7. September 1873
Gotthold Ephraim Lessing
Emilia Galotti (Odoardo gespielt von Herrn Hellmuth-Bräm vom Königl. Hoftheater Dresden als Antrittsrolle; Marinelli gespielt von Herrn Teller)
9. September 1873
Gustav von Moser
Das Stiftungsfest (Chronegk spielt Schnake, einen Vereinsdiener)
14. September 1873
Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Grille (Ländliches Charakterbild)
Tabelle 6: Spielplan des Herzoglich-Meiningischen Hoftheaters in Liebenstein, 1874 Datum
Autor
Titel des Werkes lt. Quelle
16. Juli 1874
Johann Baptist von Schweitzer
Epidemisch (Schwank)
21. Juli 1874
Gustav von Moser
Das Stiftungsfest
23. Juli 1874
Rudolf Kneisel
Die Tochter Belial’s, oder: Die Scheinheiligen
26. Juli 1874
William Shakespeare (bearbeitet von Johann Ludwig Deinhardstein)
Der Widerspenstigen Zähmung (Chronegk spielt Grumio)
28. Juli 1874
Björnsterne Björnson
Zwischen den Schlachten
Carl Wilhelm Koch
Die Vorleserin
30. Juli 1874
Roderich Benedix
Das Lügen
2. August 1874
August Wilhelm Iffland
Die Jäger
4. August 1874
Otto Girndt
Deutsches Strafrecht
6. August 1874
Franz Grillparzer
Sappho
Albert Lindner
Die Bluthochzeit (insg. 24 namentlich aufgeführte Charaktere plus Kammerherren, Hofdamen etc.)
11. August 1874
Franz Grillparzer
Sappho
13. August 1874
Friedrich Schiller
Maria Stuart (1., 3. und 5. Akt)
16. August 1874
Björnsterne Björnson
Zwischen den Schlachten
9. August 1874
GEORG II. UND DAS THEATER IN BAD LIEBENSTEIN
375
Jean Baptiste Molière
Der eingebildete Kranke (Chronegk spielt Thomas Diafoirus)
18. August 1874
Albert Lindner
Die Bluthochzeit
20. August 1874
Heinrich Laube
Graf Essex
Friedrich Hebbel
Maria Magdalena (Ein bürgerliches Drama)
23. August 1874 25. August 1874
August Wilhelm Iffland
Die Jäger
27. August 1874 (?)
Johann Baptist Schweitzer
Epidemisch
27. August 1874 (?)
Björnsterne Björnson
Zwischen den Schlachten
Jean Baptiste Molière
Der eingebildete Kranke
Friedrich Schiller
Kabale und Liebe (Letzte Vorstellung; Zum Besten der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger)
Rudolf Kneisel
Die Tochter Belial’s, oder: Die Scheinheiligen (Letzte Vorstellung; Zum Besten der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger) [ursprünglich Kabale und Liebe; Titel mit neuem Titel überklebt]
30. August 1874 (?)
30. August 1874 (?)
Tabelle 7: Spielplan des Herzoglich-Meiningischen Hoftheaters in Liebenstein, 1875 Autor bzw. Komponist
Titel des Werkes lt. Quelle/ Anmerkungen
Franz Grillparzer
Esther (Mit neuen Decorationen von Herrn Hof-Decorations-Maler Brückner in Coburg)
Johann Wolfgang von Goethe
Die Geschwister (1 Akt; vor Esther)
18. Juli 1875
Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Waise von Lowood (1. Abt.: Jane; 2. Abt.: Rochester)
20. Juli 1875
Roderich Benedix
Die Hochzeitsreise
Moritz Anton Grandjean
Rothe Haare
22. Juli 1875
Gustav von Moser
Das Stiftungsfest
25. Juli 1875
Salomon Hermann von Mosenthal
Die Sirene
Datum der Aufführung
15. Juli 1875
CHRISTIAN STORCH
376 27. Juli 1875 1. August 1875
Johann Baptist Schweitzer
Epidemisch
Otto Franz Gensichen
Was ist eine Plauderei
Franz Grillparzer
Esther
3. August 1875
Johann Wolfgang von Goethe
Clavigo
5. August 1875
Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien (3. Akt, 8. Szene)
Wolfgang Müller von Königswinter
Sie hat ihr Herz entdeckt
Adolf Bahn
Wunderkuren
William Shakespeare
Julius Cäsar [durchgestrichen]
Jean Baptiste Molière
Die gelehrten Frauen
Björnsterne Björnson
Zwischen den Schlachten
Felix von Stein-Kochberg
Der vierte October
12. August 1875
Rudolf Kneisel
Die Tochter Belial’s, oder: Die Scheinheiligen
15. August 1875
Gotthold Ephraim Lessing
Emilia Galotti
N. N.
Im Judenbacher Dorfwirthshaus i[m] Jahre 1530
Roger Anton Ascher
Dir wie mir
Hedwig Dohm
Vom Stamm der Asra
19. August 1875 (?)
Roderich Benedix
Das Lügen
19. August 1875 (?)
Wolfgang Müller von Königswinter
Sie hat ihr Herz entdeckt
Moritz Anton Grandjean
Rothe Haare
22. August 1875
Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Waise von Lowood
24. August 1875
Salomon Hermann von Mosenthal
Die Sirene
27. August 1875
Jean Baptiste Molière
Der eingebildete Kranke (Vorletzte Vorstellung in dieser Saison)
29. August 1875
Ferdinand Kürnberger
Das Pfand der Treue (Letzte Vorstellung in dieser Saison)
8. August 1875 10. August 1875
17. August 1875
Wie den Memoiren des ehemaligen Meininger Schauspielers Max Grube zu entnehmen ist, wurden aus dem umfangreichen Repertoire des Meiningischen Hoftheaters mehrheitlich ‚leichte‘ Werke für die Liebensteiner Sommersaison
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ausgewählt, äquivalent den Spielplänen anderer Kurtheater im deutschsprachigen Raum: Liebenstein, das jetzt [1917] eine verhältnismäßig bescheidene Rolle unter den deutschen Bädern spielt, war damals ein Mode-, ja fast ein Luxusbad. Das mochte wohl großenteils darin liegen, daß der Meininger Hof im Sommer dort residierte und daß es in unserem lieben Vaterlande viele Erlkönige gibt, die beglückt sind, wenn sie ‚Erreicht den Hof mit Müh und Not‘. Auch in diesem Jahre [1874] hatte Herzog Georg die hübsche kleine Villa in Liebenstein bezogen und besuchte mit seiner jungen Gemahlin fleißig das kleine Theaterchen. Da es nur eine Hofloge enthielt, so war durch diese eine dicke rote Schnur gezogen, auf deren einer Seite der regierende Herr, auf der anderen seine ‚nicht ebenbürtige Gemahlin‘, Freifrau von Heldburg, Platz nahmen, denn irgendwie mußte der Rangunterschied doch gewahrt werden. Über diese Hofetikette wird niemand mehr gelächelt haben als Herzog Georg, der nicht nur ein freisinniger Fürst, sondern auch ein wahrhaft freisinniger Mann war. In Liebenstein kümmerte sich der Herzog übrigens nicht um die Inszenierungen, der Spielplan bestand meist aus leichterer Ware, doch fehlten auch Molièreund Shakespearesche Lustspiele nicht.29
Interessant ist zudem die Beobachtung, dass Ludwig Chronegks Mitwirkung in den Liebensteiner Theatervorführungen in den überlieferten Jahren abnahm. Spielte er im Jahr 1873 noch in nahezu jedem zweiten Stück mit, so taucht sein Name im Jahr 1874 nur noch vereinzelt auf und im Jahr 1875 gar nicht mehr. Diese Abnahme an Bühnenpräsenz war der Zunahme organisatorischer Aufgaben in Vorbereitung des Frühjahrsgastspiels 1874 in Berlin geschuldet. Zudem trat Chronegk in zunehmendem Maße als Regisseur in Erscheinung, so dass sein Rückzug nicht nur von der Liebensteiner Bühne damit zwangsläufig einherging. Bis dahin wirkte Chronegk in Liebenstein in folgenden Rollen – vorwiegend als Nebendarsteller – mit: Tabelle 8: Rollen Ludwig Chronegks in Liebenstein, 1873–1875 Datum der Aufführung
Autor: Werk
Rolle Ludwig Chronegks
31. Juli 1873
Bauernfeld: Moderne Jugend
Isidor von Fernau
3. August 1873
Benedix: Ein Lustspiel
Tümpel
5. August 1873
Molière: Gelehrte Frauen
Trissotin
7. August 1873
Müller: Gute Nacht, Hänschen!
Pater Richter vom Orden Jesu
12. August 1873
Mosenthal: Deborah
ein Dorfbader
19. August 1873
Blum: Der Ball zu Ellersbrunn
Commissionsrath Zucker
29 Max GRUBE, Erinnerungen eines Glückskindes, Leipzig 1917, S. 253 f.
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22. August 1873
Jacobson: Becker’s Geschichte Briesbarré: Ein weißer Othello
Berger Zahrt
27. August 1873
Salingré / Lang: Jettchens Liebe und Kabale
Jettchen
29. August 1873
Blum: Der Ball zu Ellersbrunn
Commissionsrath Zucker
31. August 1873
Mosenthal: Deborah
ein Dorfbader
2. September 1873
Schneider: Der Kurmärker und die Picarde
Friedrich Wilhelm Schulze, Wehrmann im 3. Kurmärkischen Landwehrregiment
9. September 1873
Moser: Das Stiftungsfest
Schnake, einen Vereinsdiener
21. Juli 1874
Moser: Das Stiftungsfest
Schnake, einen Vereinsdiener
26. Juli 1874
Shakespeare: Der Widerspenstigen Zähmung
Grumio
16. August 1874
Molière: Der eingebildete Kranke
Thomas Diafoirus
27. August 1874
Molière: Der eingebildete Kranke
Thomas Diafoirus
Aus den Rollenaufstellungen der Theaterzettel geht zudem hervor, welche Schauspieler in diesen Jahren zum Probevorspiel oder von anderen Theatern des Reiches für ein Gastengagement eingeladen wurden. So gastierte am 5. August 1873 in Benedix’ „Ein Lustspiel“ der Direktor des Berliner VictoriaTheaters, Emil Hahn, in einer nicht genannten Rolle. In den ersten beiden Akten aus Goethes „Faust“ wirkte am 4. September 1873 Leopold Teller als Mephisto mit und stellte dem Herzog sein Talent vor. Auch in dem darauffolgenden einaktigen Schwank „Ein Opfer der Consuln“ von Karl Gründorf spielte Teller mit, und zwar in der Rolle des Horatius Claudius. Der Schauspieler war zu diesem Zeitpunkt Ensemblemitglied des Leipziger Stadttheaters, wie der Theaterzettel verrät. Drei Tage später, am 7. September 1873, agierte Teller in Lessings „Emilia Galotti“ als Marinelli an der Seite von Wilhelm HellmuthBräm vom Königlichen Hoftheater Dresden, der in Liebenstein in der Rolle des Odoardo seine Antrittsrolle als festes Meininger Ensemblemitglied bestritt.30
30 Hellmuth-Bräm war bereits in der Meininger Spielzeit 1872/73 von Georg zu Gastrollen eingeladen worden, um seine Eignung für die anvisierten Gastspielreisen zu testen. Vgl. ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 23), S. 208 f.
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Wie Erck und Schneider mitteilen, fungierte das Liebensteiner Theater während der Jahre der Meininger Gastbespielung als öffentliche Probebühne für die Herbsttourneen: Noch intensiver als in Meiningen wurden die Vorstellungen auf der dortigen [Liebensteiner] Bühne dazu benutzt, um neuengagierte Schauspieler mit den ‚Meininger Prinzipen‘ vertraut zu machen, sie in das Ensemble zu integrieren, Verschiedenes auszuprobieren, die Herbsttournee vorzubereiten.31
Auch Josef Kainz bestätigt in einem Brief an seine Mutter vom 27. August 1877 diese Praxis. Kainz hatte erst kurz zuvor seinen Engagementvertrag für das Meininger Hoftheater erhalten und seine erste Probe als Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe“ gerade hinter sich. Zuvor hatte er Goethes „Clavigo“ gesehen und gestand: Am Sonnabend [den 25. August 1877] ging ich denn mit sehr schwerem Herzen zur Probe; ich hatte vorher eine ‚Clavigo‘-Vorstellung gesehen und konnte darnach beurteilen, in welch ein vorzügliches Ensemble ich da komme.32
Wie der Spielplan des Meininger Hoftheaters in Liebenstein in den Jahren 1876 bis 1881 ausgesehen hat, ist – bis auf die beiden von Kainz genannten Dramen von Goethe und Schiller – bislang nicht erforscht, vor allem hinsichtlich des zweigeteilten Spielplans in aktuelle Lustspiele und historisch-kanonisierte Dramen, mit denen die Meininger in den europäischen Metropolen gastierten, sowie in Bezug auf die aufwendigen Kulissen, die aus technischen Gründen in Liebenstein möglicherweise gar nicht oder nur in reduzierter Form zur Anwendung kommen konnten.33 Für den Kurort blieben die mehrjährigen Sommer(proben)gastspiele des Meininger Hoftheaters dennoch eine singuläre Periode, da der Ort so zum Bestandteil der überaus erfolgreichen Europatourneen wurde, er gleichzeitig als Talentbühne für neue Mitglieder und Anwärter des Theaterensembles fungierte und Georg nicht zuletzt die Präsenz einer internationalen Badegesellschaft zur weiteren Bewerbung des Ensembles und seiner Inszenierungen nutzen konnte. Wie Kainz und Grube zudem bestätigen, war Georg zu zahlreichen Aufführungen bzw. Proben persönlich anwesend und verschaffte damit dem Theaterbetrieb ein gehobenes Prestige, wie es bereits sein Großvater Georg I. und die Herzogin Luise Eleonore getan hatten.34
31 Ebd., S. 376. 32 Brief von Josef Kainz (wie Anm. 27), S. 461 f. 33 Zur Inszenierungspraxis des Meininger Hoftheaters unter Georg II. vgl. den Beitrag von Petra STUBER im vorliegenden Band. 34 Vgl. hierzu u. a. die zahlreichen Tagebucheinträge Luise Eleonores von Sachsen-Meiningen zwischen 1801 und 1812, in: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Geheimes Archiv, XV FF 19, Tagebücher der Herzogin Luise Eleonore von Sachsen-Meiningen.
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Für die Jahre und Jahrzehnte nach 1881 lässt sich für das Liebensteiner Kurtheater bislang keine ähnliche Konstellation nachweisen. Die Meininger kehrten erst 1936 und auch zunächst nur für eine Saison nach Liebenstein zurück: Einige Schauspieler unter der Direktion des Meininger Oberspielleiters Georg Lang gaben Lustspiele und Operetten.35 Eine in den Jahren 1949/50 geschlossene Vereinbarung zwischen dem Meininger Landestheater und der Kurdirektion des neuen Volksheilbades Liebenstein läutete schließlich eine erneute langjährige Präsenz der Meininger auf der Bühne des Kurtheaters ein – nun aber unter völlig anderen kulturpolitischen Prämissen.36
35 Vgl. Walter BÖRNER, Die Entwicklung des Bades Liebenstein 1610–1939, masch., Bad Liebenstein 1953, S. 171. 36 Vgl. den Veranstaltungsplan des Volksheilbades Bad Liebenstein, Bad Liebenstein 1950, unpag.
WOLFGANG TÜRK „NENNT MAN BEI DEN MEININGERN DIE BESTEN NAMEN …“
„Nennt man bei den Meiningern die besten Namen …“ Arthur Fitger, Helene von Heldburg und Georg II. von Sachsen-Meiningen
Der bildungsbeflissene Leser der populären Monatsschrift „Die Kunst für Alle“ konnte in der Oktoberausgabe des Jahres 1899 – aufgehoben in den autobiographischen Aufzeichnungen eines norddeutschen Malers – folgenden Bericht einer Englandreise aus dem Jahre 1885 finden: Im täglichen Umgang mit den gebildetsten Menschen, eine Herrlichkeit nach der andern, die den gewöhnlichen Touristen ewig verschlossen bleibt, zu geniessen, die Parks, die Schlösser, die unbeschreiblich reichen Sammlungen der alten Lords, der gesellschaftliche Verkehr in diesen sonst so exklusiven Kreisen, Liebhabertheater der höchsten Aristokratie (Shakespeares ‚Wie es euch gefällt‘ unter freiem Himmel im Park von Combe-House), von Lord Salisbury in Person durch die Schätze von Hatefield, von Lord Sackville durch das museumsartige Schloss Knowle, vom Prinzen Edward von Weimar durch das Schloss Windsor, von würdigen Professoren durch die herrlichen Colleges von Cambridge geführt und von den Damen des Hauses an der Frühstückstafel bewirtet werden, während die Abende noch für das eine oder andere Theater, vorzugsweise Irwing und Ellen Terry frei bleiben, das lohnte schon die Ueberfahrt über den Kanal, zumal ich bei dieser auch noch obendrein als Gast des Norddeutschen Lloyd auf den schönsten Schiffen der Welt fuhr.1
Und der Maler schließt: „Ich gebe zu, dass ich seit diesen englischen Reisen von einem gewissen Grössenwahn nicht frei zu sprechen bin.“2 Der norddeutsche Reisende war der Bremer Malerdichter Arthur Fitger (Abb. 1), jahrelanger Freund und Intimus des Theaterherzogs Georg II. von Sachsen-Meiningen und der Freifrau von Heldburg, die ihn mehr als einmal auf ihren ausgedehnten Privatreisen zum geistvoll-kultivierten Begleiter gewählt hatten. Fitgers unmittelbarer künstlerischer Wirkungskreis bildeten zunächst die norddeutschen Hansestädte, vornehmlich die nordwestdeutsche Region, in der er aufgrund seiner solitären Stellung als schnell schaffender Historien- und
1 2
Arthur Fitger, Aus meinem Leben, in: Die Kunst für Alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, 15 (1899), S. 110 f. Ebd.
WOLFGANG TÜRK
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Dekorationsmaler, als Dramatiker und Kunstkritiker seit der Reichsgründung 1871 über Jahrzehnte hinaus ein ungebrochenes Kunstdiktat ausübte.3
Abb. 1: Porträtfotografie Arthur Fitgers (Fotografie eines unbekannten Fotografen), um 1890 3
Der vorliegende Beitrag stützt sich auf die in Vorbereitung befindliche Monographie zu Leben und Werk Arthur Fitgers, mit der erstmalig eine Würdigung des Künstlers unter Berücksichtigung der vollständigen künstlerischen und literarischen Hinterlassenschaft erfolgen wird. Bis zum Erscheinungstermin vgl. für die biographischen Angaben hier wie im Folgenden: Helmut WOCKE, Arthur Fitger, Sein Leben und Schaffen (Breslauer Beiträge zur Literaturgeschichte, NF, 36), Stuttgart 1913; Georg VON LINDERN, Arthur Fitger, Maler und Poet 1840–1909, Delmenhorst 1962; Wilhelm GILLY DE MONTAUT, Studie zum malerischen Oeuvre des Malerpoeten Arthur Fitger (Delmenhorster Schriften, 11), Delmenhorst 1984; Wolfgang TÜRK, Arthur Fitger (1840–1909). Ein Bremer Maler des Späthistorismus, Historismus in Nordwestdeutschland. Ausstellungskatalog, hg. von dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Oldenburg 2001, S. 128–147, 209–212.
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1840 in Delmenhorst geboren, hatte Fitger nach einer leidvoll durcheilten Schulzeit in seiner Heimatstadt und im benachbarten Oldenburg die Kunstakademien in München (1858–1860) und Antwerpen (1861–1862) absolviert, war somit gleichermaßen mit der idealschönen Linienkunst der Cornelius-Schule wie ihrer koloristischen Antipode in Gestalt der belgischen Historienmalerei vertraut geworden. Ein bescheidenes Reisestipendium des Großherzogs von Oldenburg ermöglichte ihm 1863 einen zweijährigen Aufenthalt in Italien, den er dem traditionellen Ausbildungskanon gemäß zu Studium und Kopie der alten Meister, vornehmlich Tizians und Palma Vecchios, zu nutzen verstand. Familiäre und finanzielle Gründe zwangen Fitger 1865 zur Rückkehr in die norddeutsche Heimat, letztlich zur Übersiedlung von Delmenhorst nach Bremen, das einem jungen, ehrgeizigen und schaffensfreudigen Künstler vielversprechendere Möglichkeiten zu bieten schien. Die zunächst dürftige Auftragslage sollte sich für den jungen Künstler erst nach der Reichsgründung 1871 im Zuge der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungen beleben, die sich in der Hansestadt in einer verhältnismäßig kurzen konjunkturellen Blüte ausprägten. Wachsendem Wohlstand und Geltungsbedürfnis gemäß verlangte das alteingesessene Handelspatriziat, stärker noch eine neue Schicht junger, aufstrebender Unternehmer in Architektur, Kunst und Lebensstil nach ihr angemessenen Ausdrucksformen der Repräsentation. Öffentliche und private Gebäude, die sich dem Zeitgeschmack gemäß in die historischen Stile von Gotik, Renaissance und Barock kleideten und ihre bürgerlichen Bauherren hinter den erborgten Formen feudaler Macht verbargen, bedurften einer Ausstattungsund Dekorationskunst, die ihrerseits die Schaulust des Auges befriedigen sollte. Beschränkte sich die künstlerische Innenausstattung von Gebäuden in der Hansestadt bisher weitgehend auf bescheidene Steinskulpturen und Tafelgemälde, zumeist niederländischer Provenienz, so galt es nunmehr, gewaltige Wände und Plafonds mit monumentalen Malereien zu füllen. Fitger, der als Gehilfe des Historienmalers Otto Knille (1832–1898) bereits maßgeblich an einem allegorischen Monumentalgemälde für die neu erbaute Börse mitgearbeitet hatte (1869), verstand es – nicht zuletzt dank Intervention einflussreicher Freunde und Gönner – die Vergabe zahlreicher Auftragsarbeiten für sich zu entscheiden. Die neuen Aufgaben kamen nicht nur Fitgers Wunsch nach der lange entbehrten künstlerischen Betätigung entgegen, sie entsprachen geradezu seiner Neigung, wie er in seinen autobiographischen Notizen vermerkte, „von Haus aus niemals anders empfinden und konzipieren [zu können] als dekorativmonumental“.4
4
Arthur FIGTER, Aus meinem Leben, in: Die Kunst für Alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, 1 (1886), S. 182.
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Ein zügig schaffendes Talent, handwerkliches Können als Ergebnis der jahrelangen akademischen Schulung, umfassende Kenntnisse um die historischen Stilformen, eine stupende Belesenheit, schließlich die erzählerische Kraft eines Malers, der sich gleichzeitig zum Dichter berufen fühlte, ließen innerhalb weniger Jahre ein überreiches Werk entstehen, das in der Vielzahl seiner Bildthemen allen Wünschen und Vorstellungen der privaten und städtischen Auftraggeber gerecht werden konnte. Fitgers pompöse Ausstattungskunst gestaltete in ihrer farbenprächtigen Opulenz im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Innenräume der öffentlichen Gebäude Bremens: der Rembertikirche, des Hauses Seefahrt, des Ratskellers, des Reichspostamts, des Schüttings, der Börse, des Rutenstifts, des Künstlervereins und des St. Joseph-Stifts. Sie fand sich in den großbürgerlichen Villen der führenden Familien Bremens, in den prunkvollen Salons der Hochseedampfer der HAPAG und des Norddeutschen Lloyd und schmückte in reicher, bisweilen überladener Ornamentik die Ehrenbürgerbriefe und Glückwunschadressen der Stadt. „Welche Fülle der Gesichte!“ vermerkte der zeitgenössische Betrachter im Rückblick auf das vielgestaltige Werk Fitgers bewundernd, Geschöpfe der antiken Mythologie, Allegorien des christlichen Mittelalters, Personifikationen der Renaissance, Gestalten aus Märchen und Sagen, aus Shakespeare und den deutschen Klassikern, komische Alltagsfiguren, alles in anmutig-erhabener oder grotesker Pose. Nur die unbegrenzte Phantasie eines malenden Dichters konnte die Fülle dieser Bilder hervorbringen.5
Fitgers rascher Ruhm, der Aufstieg zum populärsten norddeutschen Auftragsmaler seiner Zeit, konnte dabei durch sein schriftstellerisches Engagement nur konsolidiert werden: Sieben Dramen, unter denen „Die Hexe“ (1876) europaweit, ja selbst in Amerika zum nachhaltigen Bühnenerfolg wurde, drei Bände selbst verfasster Lyrik, Übersetzungen von Lord Byron und Émile Augier akzentuierten Fitger nicht nur als Doppelbegabung – als eine Art „uomo universalis“ schien er darüber hinaus zu jeglichem Kunsturteil autorisiert. Die Rezensionen und Kritiken, die Fitger in erstaunlicher Vielfalt wortgewandt und pointenreich über Malerei, Dichtung, Architektur und Musik, über Ausstellungs- und Denkmalfragen verfasste und in der vom Bruder redaktionell betreuten „WeserZeitung“ veröffentlichte, galten dem kunstinteressierten Publikum als Richtlinien des guten Geschmacks und prägten in ihrem apodiktischen Gehalt die Kunstmeinung einer ganzen Region: Fitger, der Kritikerpapst, eine Autorität, eine Instanz, eine Art Sachwalter des Schönen im Reich der bildenden Künste. Die künstlerische und gesellschaftliche Reputation erfuhr ihren sichtbaren Ausdruck in der großbürgerlichen Villa, die sich Fitger auf dem Zenit seines 5
Hermann TARDEL, Arthur Fitger, in: Bremische Biographie des 19. Jahrhunderts, hg. von der Historischen Gesellschaft des Künstlervereins, Bremen 1912, S. 141.
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Ruhms 1890 in Horn bei Bremen auf einem parkähnlichen Grundstück errichten ließ. Der historisierenden Wohnkultur der Zeit gemäß beherbergte das Innere des Hauses, das ein weiträumiges Atelier mit repräsentativen Wohnräumen verband, eine Vielzahl erworbener Altertümer, Stilmöbel und Preziosen, die mehr durch Fülle und Üppigkeit denn durch stilistische Abstimmung in ihrem zufälligen Arrangement überzeugten. Das Atelier, gleichsam Höhepunkt der Raumfolge, begriff sich in der Vielzahl seiner historisierenden Versatzstücke, die eines neuen Gesamteindrucks halber ständig neu arrangiert werden konnte, als ständiges Stimulans für die Malerei, als bühnenhafte Kultstätte des künstlerischen Schaffens. Abgegrenzt von der prosaischen Alltagswirklichkeit, gleichsam prädestiniert für den schöngeistigen gedanklichen Austausch, öffnete sich Fitgers Atelier als Ort von Konzerten, Opernsoireen, Lesungen und Kostümfesten dem gesellschaftlichen Verkehr, in dem der Maler glänzender Mittelpunkt von städtischen Honoratioren, Auftraggebern und Künstlerfreunden war. Fitgers eminente künstlerische und literarische Produktivität, seine unermüdliche Schaffensfreude, ein universalistischer Bildungsanspruch, der ihm in künstlerischen Dingen scheinbar jegliche Kompetenz zusprach, ein bereits zu Lebzeiten erfahrener Ruhm, der sich in den äußeren Formen bürgerlicher Repräsentation Ausdruck verlieh, die kollegialen und freundschaftlichen Verbindungen zu Malern wie Anton von Werner und Franz von Lenbach, Dichtern wie Paul Heyse, Komponisten wie Johannes Brahms und Gustav Mahler, Kritikern wie Georg Brandes und Adolph l’Arronge, schließlich dem populären Theaterherzog Georg II. von Sachsen-Meiningen prägten das Bild vom norddeutschen Malerfürsten, der als offizieller Maler der Hansestadt über die Grenzen seiner Wirkungsstätte hinaus seinen Ruhm überregional zu manifestieren verstand. Aus dem regen künstlerischen Austausch über Fitgers populärstes Theaterstück, das Schauspiel „Die Hexe“,6 das seit 1886 zum festen Repertoire der Meininger zählte und 56 Aufführungen erlebte, entwickelte sich zwischen dem herzoglichen Paar und dem Bremer Maler ein jahrzehntelanger, künstlerischer Austausch, von dem an die 550 erhalten gebliebenen Briefe, Karten und Telegramme beredsames Zeugnis ablegen.7 Nicht nur, dass die Meininger auch
6
7
Arthur FITGER, Die Hexe. Trauerspiel in fünf Aufzügen, Oldenburg 1876. Das Kulturkampfdrama spielt zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und thematisiert das Schicksal der angeblichen „Hexe“ Thalea, die ihren individuellen Religionsbegriff gegen alle Dogmatik bis in den Tod hinein verteidigt. Höhepunkt des Schauspiels ist das Zerreißen der Bibel, weshalb das Stück vielerorts mit einem Zensurverbot belegt wurde oder nur bei Abänderung der blasphemischen Textpassage gespielt werden durfte. Der Briefwechsel zwischen Arthur Fitger und dem Herzoghaus von Sachsen-Meiningen befindet sich im Staatsarchiv Bremen (im Folgenden: StaB, Bestand Arthur Fitger 7,79– 25–31, 40) und im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM, Hausarchiv [im Folgenden: HA], Nr. 141–148 sowie Nr. 1295–1299).
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Fitgers Bearbeitung von Lord Byrons „Marino Faliero“ (1886)8 und das Trauerspiel „Die Rosen von Tyborn“ (1888)9 aus der Feder des Malerdichters auf die Bühne brachten, Fitger wurde immer wieder bei Inszenierungs-, Besetzungsund Ausstattungsfragen beratend um seine Einschätzung gebeten. Bewahrte Fitger dabei gegenüber dem Herzog ein gewisses Maß an ehrfurchtsamer Zurückhaltung, so verband ihn ein umso herzlicheres, beinahe inniges Verhältnis mit Helene von Heldburg, die er noch von ihrem Engagement am Hoftheater in Oldenburg (1862–1864) kennen mochte. In der umfangreichen, in einem leichten Plauderton gehaltenen Korrespondenz finden literarische und dramatische Neuerscheinungen, künstlerische Versuche der Freifrau und generelle Geschmacksfragen ebenso Erwähnung wie detaillierte Schilderungen von Reisen und Kuraufenthalten, familiäre Angelegenheiten und das gesundheitliche Befinden. Nachdem Fitger 1889 vierzehn Lünetten die „Erzeugnisse des Meininger Landes“10 darstellend für den Speisesaal des Schlosses Altenstein geliefert hatte und das größte Lob des Souveräns gefunden hatte – „Sie haben alle seine Wünsche nicht nur erfüllt, sondern übertroffen und ihm eine große Freude bereitet“,11 vermerkte die Freifrau –, wurde der Bremer Künstler über sein dramatisches Schaffen zunehmend auch zu Malaufträgen herangezogen. Im Dezember 1895 bat Helene von Heldburg den Künstler um Mithilfe bei der Neugestaltung der „Galerie d’Honneur“ im Schloss Elisabethenburg, die sie zu einem Raum „in der Art der englischen Schlösser einzurichten“12 gedachte. Die Idee der Freifrau sah vor, eine Eckwand der Galerie mit zwei Stillleben – die Theater- und Jagdleidenschaft des Meininger Herrschergeschlechts versinnbildlichend – dekorativ aufzuwerten, „da Jagdpassion und Musik- u. Theaterliebe […] durch Generationen immer hier zu Hause [waren]“.13 Fitger modifizierte die Idee und entwarf zunächst das Großgemälde „Thespiskarren“ (Abb. 2, 8
9
10
11 12 13
Lord Byron’s Marino Faliero. Für das Meiningen’sche Hoftheater übersetzt und bearbeitet von A. FITGER, Oldenburg 1886. Im Zentrum der 1821 in London uraufgeführten historischen Tragödie Byrons steht der von dem Dogen Marino Faliero angezettelte, schließlich verratene, schließlich niedergeschlagene Aufstand gegen die Willkürherrschaft des venezianischen Adels (1355). Arthur FITGER, Die Rosen von Tyburn. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Oldenburg 1888. Das Stück führt in die Mitte des 17. Jahrhunderts an den Hof Karls II. von England und thematisiert die enge Freundschaft des Königs mit Robert Radley, der als Mörder Karls I. entlarvt und – auf Hinwirken der verführerischen Magdalena Hollam – hingerichtet wird. Die Lünetten zeigten Kinder und Putten mit landwirtschaftlichen Produkten und Jagdtrophäen. Bei dem Brand des Schlosses Altenstein im Jahre 1982 wurde der Speisesaal des Schlosses mit den Rundbogenbildern komplett zerstört. Es hat sich lediglich ein – im Nachlass Arthur Fitgers befindlicher – Entwurfskarton in Originalgröße erhalten. StaB 7,79–26, Helene von Heldburg an Arthur Fitger am 28. August 1889. StaB, 7,79–26, Helene von Heldburg an Arthur Fitger am 9. Dezember 1895. Ebd.
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Farbabbildungsteil, Abb. 6, S. 517), das einem nach dem ersten griechischen Tragödiendichter benannten Theaterwagen mit Orest und Iphigenie als zentralem Geschwisterpaar, einem Furienchor, allegorischen Repräsentanten der Komödie wie der Tragödie sowie Kränze und Geld sammelnden Begleitfiguren zeigt. Die Figur des den Zug anführenden Thespis, dem der Künstler – wie er schrieb – den „Charakter eines Weisen, eines Propheten […] noch mehr die Würde eines Homer“14 verleihen wollte, weist dabei deutliche Züge seines Freundes und Gönners, des Theaterherzogs, auf.
Abb. 2: Arthur Fitger, Thespiskarren, 1896
Bei dem als Pendant zum „Thespiskarren“ 1896 begonnenen Bild „Die wilde Jagd“ (Abb. 3, Farbabbildungsteil, Abb. 7, S. 518) griff Fitger auf den Aberglauben um Hanns von Hackelberg zurück, der das Sakrileg beging, am Sonntag während des christlichen Gottesdienstes seiner Jagdleidenschaft nachzugehen und als Strafe zur ewigen Jagd verdammt wurde. Der Geisterzug, welcher der Überlieferung nach den wilden Jäger mit Schreien, Johlen, Heulen und Jammern, manchmal aber auch mit lieblicher Musik durch die Lüfte begleitet, überführt Fitger in eine illustre, mittelalterliche Jagdgesellschaft, die elegant über das unwegsame, sumpfige Gelände hinwegsetzt. Hatte der Herzog, der ursprünglich von den beiden Bildern durch Helene von Heldburg überrascht werden sollte, dann aber doch den Entstehungsprozess mitverfolgte, sich beim „Thespiskarren“ noch mit Kritik zurückgehalten, fand er bei der „Wilden Jagd“ eine deutlichere Sprache: So kritisierte Georg II. in der Skizze die Anlage der Figuren und Pferde, die mangelnde historische Authentizität der Gewandung, die unangebrachten modernen englischen Sättel und die Stärke der Jagdspieße.15 Noch nach (!) Fertigstellung des Gemäldes empfahl
14 ThStAM, HA, Nr. 142, Arthur Fitger an Helene von Heldburg am 21. Dezember 1895. 15 Vgl. StaB 7,79–25, Georg II. an Arthur Fitger am 8. Februar 1896.
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er, die Körperhaltung des gestürzten Reiters und den zentralen Weidenbaum, der leicht mit aufspritzendem Wasser zu verwechseln sei, zu modifizieren.16
Abb. 3: Arthur Fitger, Die wilde Jagd, 1896
Auch bei der Auftragsvergabe für das monumentale Wandbild am Kommandantenbau der Veste Heldburg dürfte die Freifrau ihren Einfluss geltend gemacht haben, den Künstlerfreund aus Bremen mit der Ausführung zu betrauen. Unter Berücksichtigung mehrerer Skizzen und mannigfaltiger, immer wieder in den Entstehungsprozess eingreifender Änderungswünsche des Herzogs entwarf Fitger 1898/99 in wenigen Wochen die monumentale Giebelfigur des Heiligen Georgs als Drachentöter, die von seinen Gehilfen Hermann Fette, Kunz Meyer und Cornelis Jetses schließlich auf die präparierte Außenwand übertragen wurde. In dreifacher Lebensgröße zur Darstellung gebracht, vermag uns aus heutiger Sicht zweifellos der erste unausgeführte Entwurf (Abb. 4) in seiner theatralischen Wirksamkeit am ehesten überzeugen. Der Reiz der unvollendeten, die Phantasie beflügelnden Vorskizze, für die Fitger die Rüstung, die Amanda Lindner 1887 in der Titelrolle der „Jungfrau von Orléans“ getragen hatte, aus dem Fundus des Meininger Theaters auslieh, übertrifft in ihrer mitreißenden Gestaltungskraft die endgültige Fassung, die durch ihre unmittelbare, räumlich begrenzende Umgebung, das abgewalmte Vordach und das von Fachwerk umschlossene Giebelfenster, in ihrer Gesamtwirkung stark beeinträchtigt wird (Abb. 5).
16 Vgl. StaB 7,79–25, Georg II. an Arthur Fitger am 31. Dezember 1896.
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Abb. 4: Arthur Fitger vor dem Entwurfskarton zum „Heiligen Georg“ in seinem Atelier in Bremen-Horn (Fotografie eines unbekannten Fotografen), 1898/99
Der Entschluss Georgs, eine Darstellung des mythischen Drachentöters an zentraler, kaum übersehbarer Stelle zu platzieren, dabei ganz bewusst den in den Burghof eintretenden Besucher zu weitreichenden Gedankenverbindungen einzuladen, entsprach einer alten Tradition. Seit dem Spätmittelalter stellten sich Städte, Burgen und Herrscherhäuser unter das schützende Patronat des legendären Ritterheiligen, der als Sieger über den Ungeist und Bezwinger des Bösen gleichermaßen christliche wie auch herrscherliche Tugenden in einer Person vereinigte.17 Vor diesem Hintergrund ist Georgs Entscheid für das Bild des mythischen Drachentöters nicht bloß als spätromantischer Einfall eines Regenten misszuverstehen, der die pittoreske Gestalt seiner Burg um ein bildkünstlerisches Attribut zu erweitern wünschte. Der Herzog, dem über die Bühnenwelt seines Theaters hinaus Geschichte zum verpflichtenden Maßstab geworden war, zeigte 17 Elisabetta LUCCHESI PALLI u. a., Georg, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 6, Freiburg 1974, Sp. 365–390.
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sich vielmehr bestrebt, im Bild seines Namenspatrons einen althergebrachten, politisch-gesellschaftlichen Anspruch zu suggerieren: die Allgegenwart des Herrschers.
Abb. 5: Arthur Fitger, Der Heilige Georg, 1899, Kommandantenbau der Veste Heldburg
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So wie in den Residenzen des Absolutismus, vornehmlich den Schlössern der französischen Ludwige, eine subtile Allegorik und Symbolik die permanente Präsenz des Königs verdeutlichen soll,18 so galt es, auch die Besucher der Veste in monumentaler Eindringlichkeit an den Burgherren zu erinnern: eben jenen Georg II., der sich im Zeitalter konstitutioneller Monarchien nun nicht mehr als machtvoller Potentat verstanden wissen wollte, sondern als treusorgender Landesvater, der sich wie sein großer Namenspatron in guter Tradition der Vernichtung des Übels verschrieben hatte. Es war ein anderer Fürst, der nur wenige Jahre zuvor ebenfalls den „Heiligen Georg“ zum Kampf gerufen hatte: Bayerns Märchenkönig Ludwig II. (1845– 1886) ordnete für den prunkvollen, byzantinisierenden Thronsaal in der „Neuen Burg Hohenschwangau“, dem heutigen Schloss „Neuschwanstein“, eine Darstellung des Ritterheiligen in achsialer Ausrichtung auf die marmorne Thronestrade an. In einer phantastischen Konglomeration verschmolz der ausführende Künstler Waldemar Kolmsberger 1884 den Drachentöter mit dem Schwanenritter Lohengrin (Abb. 6, Farbabbildungsteil, Abb. 8, S. 519), der – von Richard Wagner zur hehren Lichtgestalt verklärt – im Zweikampf mit Friedrich von Telramund auch gegen die dunklen, zerstörerischen heidnischen Mächte antritt.19 Ohne den einsamen Sonderling auf dem bayerischen Thron, der in seinen rauschhaften Phantasmagorien einem mythisch verklärten Königtum im Zeichen des Grals nachträumte, ohne diesen Ludwig mit dem lebensnahen, realitätsverbundenen Georg II. von Meiningen gleichsetzen zu wollen, bleibt doch festzuhalten, dass hier zwei Regenten im Bewusstsein schwindender politischer Machtfülle die legendenumwobenen Identifikationsfiguren der Vergangenheit als Zeugen einer großen Tradition in ihren Schlossbauten bildkünstlerisch heraufbeschworen. Beiden war die Leidenschaft zur Bühne eigen, beide fanden Gefallen an theatralischen Bildinszenierungen, beide beriefen hochbegabte Dekorationsmaler in ihre Dienste, die oftmals weniger kongenial schöpferisch, sondern folgsam ausführend, sich fürstlichem Willen beugend, tätig wurden. War es das Bewusstsein dieser Abhängigkeit, die Fitger bewog, dem Drängen des fürstlichen Paares nach anfänglichem Zögern schließlich doch nicht nachzugeben und seinen Wohnsitz nach Meiningen zu verlegen?20 Ihm, der den 18 Vgl. Martin WARNKE u. a. (Hg.), Handbuch der politischen Ikonographie, 2 Bde., München 22011; besonders die Artikel „Bildnisersatz“ (I, S. 170–178), „Herkules“ (I, S. 465– 472), „Sonne“ (II, S. 358–365), „Residenz“ (II, S. 310–318). 19 Vgl. Sigrid RUSS, Neuschwanstein. Der Traum eines Königs, München 1983; Marcus SPANGENBERG, Der Thronsaal von Schloss Neuschwanstein. Ludwig II. und sein Verständnis vom Gottesgnadentum (Große Kunstführer, 206), Regensburg 1999. 20 StaB, 7,79–26, Helene von Heldburg spricht am 15. Januar 1889 von einem „Übersiedlungsplan“ Fitgers, am 4. Februar 1889 davon, sich mit ihm gemeinsam „nach einem schönen Fleckchen Erde“ umzusehen.
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Abb 6: Waldemar Kolmsberger, Der Heilige Georg, 1884, Thronsaal im Schloss Neuschwanstein, Füssen
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weltoffenen Geist der freien Reichs- und Hansestadt Bremen so schätzte, ihm, dem die Kaufleute und Großbürger im Norden bei ihren Malaufträgen alle Freiheiten der künstlerischen Gestaltung beließen, ihm, dem als Malerfürst, als – in Anspielung auf sein erfolgsverwöhntes Wiener Vorbild, dem Repräsentationsmaler Hans Makart (1840–1884) – „Makart des Nordens“ gefeierten Künstler, diesem Arthur Fitger musste trotz aller Wertschätzung für das Meininger Herrscherpaar die Vorstellung einer möglichen Rolle als ein höfisch gebundener, von fürstlicher Gunst abhängiger Künstler nur wenig behagt haben. Die Kritikfreudigkeit des Herzogs, seine permanent eingeklagten Änderungswünsche und Verbesserungsvorschläge sollten den auch folgerichtig 1908/09 bei der Arbeit am Schmuckvorhang für das neu erbaute Meininger Hoftheater das Faß fast zum Überlaufen bringen. Es war ein Vorschlag des Bremer Malerdichters, den „Parnaß“, Raffaels Wandgemälde des geheiligten, den Künsten und Wissenschaften geweihten Berges aus der „Stanza della Segnatura“ im vatikanischen Palast als Kopie zum zentralen Bildmotiv des Theatervorhangs zu machen. Der rege Briefwechsel und Austausch an Farbskizzen zwischen Bremen und Meiningen dokumentierte in den Folgemonaten dabei die wachsenden Zweifel an der Wahl des Motivs. Der vom Herzog immer wieder eingeklagten Übereinstimmung mit dem Original hielt Fitger die Beschädigung des Wandgemäldes in Rom und seine qualitativ unzureichenden Reproduktionen entgegen. Besonders kontrovers wurde die Frage nach der künstlerischen Gestaltung des zentralen Bildfelds unterhalb der Apollogestalt diskutiert, an dem sich im päpstlichen Palast eine Türöffnung befindet. Fitger konnte seine Idee, den kastalischen Quell, der am Fuße des Parnass entspringt, in eine von Putten spielerisch gerahmte Brunnenanlage zu überführen gegen eine gemalte Inschrifttafel, die die Auswahl des Bildthemas begründen sollte, schließlich durchsetzen. Die wochenlang schwelende Auseinandersetzung über die Ausführung des Monumentalwerks beendet der Herzog im Januar 1909 – da der sonst so höfliche Fitger immer gereizter reagierte – in einem konzilianten Brief, in dem er sich für seine steten Korrekturen entschuldigte: Ich bin überzeugt, der Vorhang wird ein Prachtstück werden, mag nun im Einzelnen der Fuß, die Hand oder die Mantelfalte einer Figur ein paar Centimeter höher, tiefer, mehr rechts oder links sich befinden als auf dem Original oder mag der Castalische Quell im Sande versickern, ein Bächlein speisen oder einen kleinen Teich bilden.21
Im April 1909 wurde der Vorhang, den der Künstler dem Herzog zur Neueröffnung des Theaters geschenkt hatte, in Einzelteilen nach Meiningen geliefert. Der schwer erkrankte Fitger, der am 28. Juni 1909 starb, übertrug noch vor seinem Tod die Zusammenfügung der Teile und letzte Retouchen seinem Schüler 21 StaB 7,79–25, Georg II. an Arthur Fitger am 17. Januar 1909.
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Theo Schwalm, der das letzte Werk seines Lehrers vor Ort vollendete (Abb. 7, Farbabbildungsteil, Abb. 9, S. 520).
Abb. 7: Arthur Fitger, Der Parnaß (Schmuckvorhang für das Hoftheater Meiningen), 1909, Südthüringisches Staatstheater Meiningen
Fitgers Ruhm war zu diesem Zeitpunkt schon mehr als ein Jahrzehnt verblasst. Mit der 1899 erfolgten Wahl des jungen Gustav Pauli (1866–1938) zum Direktor der Bremer Kunsthalle wurde nur noch äußerlich ein Fanal für eine sich seit Jahren abzeichnende Neuorientierung im Bremer Kunstleben gesetzt. Pauli hatte auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen und des politischen Klimas zugunsten der Sozialdemokratie reagiert und war der allgemein erhobenen Forderung nach einer breiteren Volksbildung mit einer neuen Ausstellungskonzeption entgegengetreten. Die Kunsthalle, durch eine dilettantische doch zugleich geschäftstüchtige Leitung zum Ort des bloßen Kunsthandels herabgesunken, begriff sich fortan als vermittelnde Institution zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft und öffnete ihre Säle einer neuen Kunst, zeigte Impressionisten und Naturalisten und förderte die aufstrebenden Worpsweder Maler, die sich vor den Toren der Stadt zusammengefunden hatten. Dem akademischen Idealismus verpflichtet, dem er tagtäglich in seinen Schöpfungen malerisch Ausdruck verlieh, focht der Kritiker Fitger mit Leidenschaft und Vehemenz gegen das Aufkommen der Moderne, polemisierte scharfzüngig gegen das Primat des Formalen in der Freilichtmalerei und die
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naturalistische Themenwelt, mit der er eine „Herrschaft der prinzipiellen Häßlichkeit“22 gefahrvoll heraufdämmern sah. Die Polarisierung des Bremer Kunstlebens um die Jahrhunderwende, die Kontroverse zwischen der bürgerlich-konservativen Gruppierung mit ihrem Sprecher Arthur Fitger und einer wachsenden Zahl progressiver Kunstliebhaber um Gustav Pauli, kulminierte in einem – sich bald an jeder künstlerischen Frage des öffentlichen Lebens entzündenden – Schlagabtausch, der letztlich mit einer Preisgabe des „Stadtheiligen“23 Fitgers endete. Die zunehmend despektierlichen Äußerungen des Künstlers über die Vertreter der „modernen Richtung“, die auch von einer überregionalen Presse peinlich berührt wahrgenommen wurden, und ein schwindender Rückhalt selbst bei einstigen Auftraggebern und Gönnern, hatten seine Position bereits empfindlich geschwächt: ein bewusst entschiedener Rückzug aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Hansestadt, das sich in der Aufgabe von Mitgliedschaften und Ehrenämtern widerspiegelte, tat ein Übriges, um das Bild des starrsinnigen Akademikers zu prägen, der in der Abgeschiedenheit seines Künstlerheims einer scheinbar längst überholten Kunstauffassung nachtrauerte. Als gegen den Widerstand Fitgers die Ausstattung der Güldenkammer im Bremer Rathaus 1904 dem jungen Heinrich Vogeler (1872–1942) aufgetragen wurde, hatte Fitger bereits seit längerem den Rückzug in eine verbitterte Einsamkeit angetreten, um sich einer Welt, die ihn nicht mehr verstand und seine Ideale verlachte, in der Rolle des abweisenden Skeptikers und Pessimisten zu verweigern. Von diesen künstlerischen Kontroversen und Auseinandersetzungen, von Fitgers mit schärfster Polemik geführten Kampf gegen die Moderne, von seinem erbitterten Ringen um verloren geglaubten Ideale, der letztlich gesellschaftlichen Verweigerung wie auch seinen depressiven Verstimmungen schweigt der Briefwechsel mit Georg II. und der Freifrau von Heldburg. Vielleicht vermied Fitger ganz bewusst in dieser Korrespondenz letzte Offenheit und Aussprache – aus Stolz, aus verletzter Eitelkeit, vielleicht in der trügerischen Annahme, im fernen Meiningen die längst verlorene Rolle des norddeutschen Malerfürsten, dem in Bremen immer weniger Bewunderer ihre Aufwartung machten, noch weiter spielen zu können. Die Lektüre der überreichen Korrespondenz enttäuscht damit in ihrem Erkenntniswert – immer dann, wenn Bildschöpfungen nur im Hinblick auf historische Treue und gelungene Komposition bewertet werden, die Auseinandersetzung mit aktuellen Dramen nur auf Besetzungsfragen und Kritikerreaktionen reduziert ist und ein künstlerisch-kultureller Umbruch, der Kampf zwischen 22 Arthur Fitger zit. n. Kurd SCHULZ, Arthur Fitger, ein bremischer Dichter der Übergangszeit, in: Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 7 (1963), S. 315. 23 Hans Rosenhagen (1902) zit. n. David ERLAY, Vogeler und seine Zeit, Fischerhude 1981, S. 19.
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Tradition und Moderne, die sich zu Lebzeiten Georgs II. und Fitgers unweigerlich die Bahn bricht, gänzlich unkommentiert bleibt. Umso mehr erfahren wir von dem Verhältnis von fürstlichem Auftraggeber und bürgerlichem Maler zu einer Zeit, in der die Autarkie des Künstlers und die Originalität seines Werks längst durchgesetzt waren, über Persönlichkeit und Psychogramm dreier Menschen, die sich den dramatischen und bildenden Künsten und ihrer Förderung verschrieben, schließlich über den Freundeskosmos des Meininger Musenhofs, in dem der Bremer Malerdichter als Doppelbegabung, dessen Dramen auf dem Meininger Theater zu sehen waren, dessen Bildschöpfungen bis heute die herzoglichen Residenzen schmücken, eine exzeptionelle Rolle spielte. Geben wir der Freifrau von Heldburg in der Bedeutung Fitgers für Meiningen das letzte Wort. Knapp zehn Jahre nach dem Tod des Malers 1918 telegraphierte sie in Erinnerung an ihre Silberhochzeit mit dem Herzog an Marie Fitger, die Schwester des Künstlers nach Bremen: „Heute vor 20 Jahren war Ihr treuer Bruder zu unserer Ehrung hergeeilt ich denke seiner allein nennt man bei den Meiningern die besten Namen wird auch der seine genannt.“24
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StaB 7,79–27, Helene von Heldburg an Marie Fitger am 13. März 1918.
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Das Verhältnis des Erbprinzen und Regenten Georg II. von Sachsen-Meiningen zur Chormusik Zählte die musikalische Chorarbeit auch zur Behauptungsstrategie des Erbprinzen und Monarchen Georg? Welche Rolle spielte Chormusik in seinem Leben? Sie haben keine Idee w i e die Neunte den Herzog wachend und schlafend u in seinen Fieberphantasien erregte, und wie ihn der Gedanke an den Schluss [an den Sinfoniesatz mit Chorbeteiligung – d. V.] z. B. regelmäßig zum Weinen bringt,
schrieb Helene von Heldburg dem designierten Meininger Hofkapellintendanten Hans von Bülow am 7. Januar 1880 vom Krankenbett ihres Mannes.1 Ein Jahr vor seinem Dienstantritt, also im Dezember 1879, wollte Bülow des Herzogs sehnlichsten Wunsch erfüllen, in Meiningen endlich und erstmals eine vollständige und kongeniale Interpretation dieser „erhabensten und unwahrscheinlichsten von sämtlichen Symphonien Beethovens“ zur Aufführung zu bringen.2 Das Vorhaben musste verschoben werden, weil Georg schwer erkrankte. Ab dem 1. Oktober 1880 begann dann aber Bülows „Reise um Beethoven in 80 Tagen“, in denen er ausschließlich Beethovenwerke, darunter die neun Sinfonien, mit der Hofkapelle studierte und aufführte. Am 80. Tag, dem 19. Dezember, war eine Doppelaufführung der 9. Sinfonie mit dem Schlusssatz über Schillers Ode An die Freude die Krönung dieses Experimentes.3 Über die musikgeschichtliche Tragweite dieses Meininger Beethoven-Herbstes 1880 waren sich der Herzog, Helene und Bülow voll bewusst. An seine Mutter schrieb Bülow, durch sein „[…] zum ersten Male […] praktiziertes Proben- und Studiensystem, gemäß dem Motto ‚In der Kunst gibt es keine Bagatelle – die kleinste Kleinigkeit ist etwas Wesentliches‘“ sei „Epochemachendes“ geleistet worden.4 Für die Aufführung der Chorfantasie und den Schlusschor der 9. Sinfonie hatte Bülow eigens eine Art Meininger Chorreform initiiert, indem er dem bisherigen Hofkapellmeister Emil Büchner die Leitung des Meininger Chorvereins 1 2 3 4
Sammlung Musikgeschichte der Meininger Museen (im Folgenden: MM), Br 158/10, Brief Helene von Heldburgs an Hans von Bülow vom 7. Januar 1880. Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Hausarchiv (im Folgenden: HA), Nachlass Heldburg (im Folgenden: NH) 934, Brief des Erbprinzen Georg an seine Mutter vom 1. November 1845. Vgl. MM, Prz 2937. Marie VON BÜLOW (Hg.), Hans von Bülow. Briefe und Schriften, Bd. VI, Leipzig 1907, S. 47 f.
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entzogen und die „erste Kraft“ der Hofkapelle, den Solocellisten Friedrich Hilpert, mit dem Einstudieren der Chorpartien betraut hatte. Bereits Anfang September nahm sich Bülow sogar selbst der Chorarbeit an und führte auch hier sein Prinzip der Einzelproben ein. Damit entstand der erste sinfonische Amateurchor in Sachsen-Meiningen. Georg und Helene haben diese Meininger Beethoven-Wochen mit intensiver Anteilnahme, mit mehr als 40 Probenbesuchen und zahlreichen Bülow-Gesprächen begleitet. Die gründlichste Vorbereitung des Herzogs galt dabei der 9. Sinfonie. In Wagners Aufsatz „Zum Vortrag der IX. Symphonie Beethovens“ aus seinem Besitz befinden sich Bleistifteinzeichnungen von des Herzogs Hand.5 Unterstrichen ist z. B. jene Stelle, an der Wagner die von ihm so benannte „Schreckensfanfare“ zu Beginn des 4. Satzes mit folgenden Worten erläutert: „Nun war Licht gewonnen: die furchtbare Fanfare stürmte in ihrer rhythmischen Chaotik über uns herein, und wir begriffen, warum es endlich zum ‚Worte’ kommen musste.“ Hier vermerkte Georg am Rande: „Mit Bülow conferiren.“6 Es ist vorstellbar, warum Georg genau zu dieser Stelle der Beethoven-Partitur Gesprächsbedarf mit Bülow hatte, bezeichnete Wagner doch mit dem Hinweis auf das Einsetzen der menschlichen Stimme, jenen genialen Kunstgriff Beethovens, der eine neue Epoche der Musikentwicklung einleiten sollte: Beethoven hatte die Dramaturgie der Sinfonie zu einem solchen Kulminationspunkt getrieben, dass nur der Mensch der „furchtbaren Schreckensfanfare“ und ihrer „rhythmischen Chaotik“ Einhalt gebieten konnte und zwar mit den berühmten Worten, die Beethoven einer Bassstimme zuweist und die nicht aus Schillers Ode, sondern von Beethoven stammen: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.“ Und danach setzt der Chor mit dem dreimaligen Ausruf „Freude!“ und dann erst mit dem Hymnus „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium“ ein. Das legt die Frage nahe, ob hier Chormusik als Botschaft oder als Behauptungsstrategie diente, oder richtiger die Behauptungsstrategie in der Chormusik als Botschaft bestand? Georgs Beschäftigung mit der 9. Sinfonie begann während seiner Studienzeit in Bonn. Dort erlebte er das Werk erstmalig zu Pfingsten 1845 während des Düsseldorfer Musikfestes unter der Leitung von Julius Rietz.7 Darüber berichte5
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MM, V B 86/9, Richard WAGNER, Zum Vortrag der IX. Symphonie, in: Gesammelte Schriften Bd. 9, Leipzig 1873, S. 275–304. Die neunbändige Erstausgabe der Gesammelten Schriften hatte Wagner dem Herzog als Dank für dessen Gastfreundschaft bei seinem Meiningen-Besuch im März 1877 mit einer persönlichen Widmung geschenkt. Ebd., S. 287. ThStAM, HA, NH 930. Der Rezensent F. R. der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ (25 (1845), S. 430 ) nennt Julius Rietz als Dirigenten, während Erbprinz Georg im Brief an seine Mutter vom 2. Mai 1845 mitteilt: „Dies ist eine Symphonie, die man nur äußerst
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te der Erbprinz seiner Mutter: „[D]ie 9te Symphonie v. Beethoven […] gefiel mir ausnehmend; wenn im letzten Theil der Chor: ‚Freude schöner Götterfunken […]‘ einfällt, ist man vom imposanten Eindruck überwältigt.“8 Das verwundert schon aus dem Grund nicht, weil allein 464 Chorsänger und 174 Instrumentalisten mitwirkten. 1845 nahezu 700 Mitwirkende in Beethovens 9. Sinfonie: Gigantomanie oder auch eine Art Behauptungsstrategie der Veranstalter? Nur wenige Wochen später, vom 10. bis 12. August 1845, fand das große von Franz Liszt initiierte dreitägige Beethovenfest zum 75. Geburtstagsjubiläum des Komponisten in Bonn statt. Georg hat es intensiv miterlebt und nach Hause berichtet, z. B. dass er an einer Chorprobe für den Schlusssatz der 9. unter Liszt’s Leitung die leichten Stellen mitgesungen habe.9 Wochen später offenbarten zwei Briefe an seine Mutter, dass der Sohn nicht nur von den beiden Aufführungen beeindruckt war, sondern dass er das Werk selbst durch eine intensive Analyse zutiefst verinnerlicht hatte und dessen Botschaft zu einem Lebensinhalt, ja zur Lebensmaxime gemacht hatte.10 Wenn er z. B. seine Bitte an die Eltern, die englische Königin-Witwe (die Schwester seines Vaters) im Frühjahr 1847 nach Madeira begleiten zu dürfen, wie folgt begründet: „Ich würde viele Freude […] dabei haben – und Freude ist ein Götterfunken, obendrein ein schöner, und ein schöner Götterfunken [ist] etwas, das der Mensch nicht von der Hand weisen darf! Freude ist etwas Herrliches […].“11 Sogar das Credo seines Lebenswerkes, sein DEM VOLKE ZUR FREUDE UND ERHEBUNG im Giebel des Portikus seines 1909 neu erbauten Theaters, war und ist der Aussage der 9. Sinfonie verwandt. Die geistige Auseinandersetzung des Studenten Georg mit dem Werk betraf nicht den Schillertext allein, sondern die von Beethoven geschaffene musikalisch-dramaturgische Neudeutung des Textes. Das legt sein leidenschaftliches Plädoyer für die 9. nahe, das er seiner Mutter im Herbst 1845 schrieb, nachdem diese sie in Meiningen gehört und für langweilig befunden hatte.12 Er „traue“, so schrieb er ihr,
selten zu hören bekommt, und Capellmeister Dorn aus Cöln, welcher dirigiren wird und neulich mir einen Besuch machte, sagte, sie werde ganz gut ausgeführt werden.“ 8 ThStAM, HA, NH 930, Brief Georgs vom 17. Mai 1845. 9 Die Aufführung der 9. Sinfonie am Vorabend der Denkmalsenthüllung stand dann aber unter der Leitung von Louis Spohr. 10 ThStAM, HA, NH 934, Brief Georgs vom 1. und 10. November 1845. 11 ThStAM, HA, NH 945, Brief Georgs vom 5. Februar 1847. 12 ThStAM, Hofmarschallamt 1380. Die Aufführung hatte während eines „Concert[es] im Tafelzimmer“ am 26. Oktober 1845 im Meininger Schloss Elisabethenburg vor 19 Personen stattgefunden. Laut dem als Extrablatt ins Fourierbuch eingelegten Programm kamen folgende Werke zur Aufführung: „1) Neunte Synfonie von Beethoven, erster, zweiter und
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der meininger Kapelle bei ihrer schwachen Besetzung nicht zu, das sie diese Riesensymphonie mit der Kraft, Ausdruck und Gediegenheit ausgeführt hat, mit der sie aufgeführt werden muß, um den überwältigenden Eindruck zu machen, den sie bei ihrer hiesigen Aufführung hervorbrachte. Auch ist man in einer Hofsoiree zu Anhörung eines Werks solcher Art, wo man ganz gesammelt sein muß, nicht aufgelegt. Die Damen nun gar, können am wenigsten darüber urtheilen, wenn sie immer mitten darin in der Aufführung an ihren Mustern zählen, nähen und respektive stricken! Auch würde die Symphonie einen verständlichern Eindruck gemacht haben, wenn der letzte Theil auch mit aufgeführt worden wäre; denn dieser enthält die große Lösung des Ganzen, durch die himmlische Befriedigung, die er nach den 3 ersten Theilen der Trostlosigkeit einerseits im ersten und dritten Satz und der frommen Ergebenheit in den Schmerz, wie dieser anderseits im zweiten Satz, dem Adagio, ausgedrückt ist, bringt.13 Wenn der vierte Satz nicht mit aufgeführt wird, muß freilich das Entsetzliche, Wilde des Scherzo’s, (eines der künstlichsten,14 was Beethoven componirt hat, indem fugenartig fortwährend eine Stimme nach der andern einfällt) sonderbar aufhellen.15
Während die 9. (ohne Schlusssatz) am Meininger Hof offenbar eine nebensächliche musikalische Abendunterhaltung gewesen war, wurde gerade deren Finalsatz für Georg in der Beethovenstadt Bonn zum Initial für sein BeethovenVerständnis und sein Verständnis von Chormusik! Seine Analyse der Beethoven-Sinfonie verrät einen bemerkenswerten musikalischen Sachverstand des Erbprinzen. Die Grundlagen dafür wurden in seiner Musik liebenden und ausübenden Familie ebenso gelegt, wie durch die beiden Persönlichkeiten, die für seine Musikausbildung in Meiningen zuständig waren, nämlich den Komponisten, Dirigenten und Musikpädagogen Adolf Reichel16 sowie den Meininger Hofkapellisten Carl August Langlotz.17 Wenn Georg seiner Mutter aus Bonn scherzhaft schrieb, es werde jetzt wohl recht still um sie sein, da sie „nun nicht mehr das Gekreische und Geklimpere“ ihres Sohnes höre,18
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dritter Satz. 2) Potpourri für Fagott von Jacobi. 3) Ouverture zu Stradella von Flotow. 4) Variationen für die Flöte von Böhm. 5.) Ouverture zum Cheval de Bronze von Auber.“ Laut mündlicher Auskunft von Frau Dr. Beate Angelika Kraus vom Beethoven-Haus Bonn war es bis um 1845 durchaus üblich, die beiden Mittelsätze in umgekehrter Reihenfolge, d.h. den langsamen Satz Adagio molto e cantabile als 2. Satz und das Molto vivace als 3. Satz aufzuführen. Gemeint ist wohl eines der kunstvollsten. ThStAM, HA, NH 934, Brief Georgs vom 10. November 1845. Adolf Reichel (1816–1896), Musiklehrer, Dirigent und Komponist, der in Berlin studierte, danach in Meiningen, u. a. auch in Dresden tätig war. Bis 1857 wirkte er als Lehrer und Komponist in Paris, danach zehn Jahre in Dresden und schließlich sehr verdienstvoll in der Schweiz als Direktor der Berner Musikgesellschaft, des Cäcilienvereins und der Musikschule in Bern. Georg war Adolf Reichel bis an dessen Lebensende in dankbarer Verehrung zugetan. Carl August Langlotz (geb.?–1884) war von 1827–vor 1867 Mitglied der Meininger Hofkapelle, Kammermusiker, Geiger und Klarinettist, aber auch als Klavierlehrer tätig. ThStAM, HA, NH 919, Brief Georgs vom 7. Mai 1844.
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lässt diese Bemerkung darauf schließen, dass ihm auch Gesangsunterricht zuteil geworden ist. Seine Fertigkeiten auf dem Klavier scheinen beachtlich gewesen zu sein. Wenn er z. B. von Beethovens f-Moll-Sonate19 oder von „meine beethovnische Sonate, die mit der marcia funebre sulla morte d’un Eroe“20 oder über die von Mendelssohn vorgetragene cis-Moll-Sonate21 schrieb, gab er zu erkennen, dass sowohl ihm, wie auch seiner Mutter diese Beethovensonaten vertraut waren, er sich mit ihnen auseinandergesetzt und sie gespielt haben könnte. Und so verwundert es nicht, wenn sowohl in seiner Bonner als auch Leipziger Wohnung ein Klavier stand,22 oder dass er drei Wochen nach seiner Ankunft in Bonn der Mutter mitteilte, noch keinen Klavierlehrer angenommen zu haben.23 Auch aus Leipzig erklärte er ihr wenige Wochen nach Vorlesungsbeginn, wegen zu viel Arbeit für sein Studium noch keinen Klavierunterricht genommen zu haben.24 Der Student Georg arbeitete aber nicht nur an der Entwicklung eigener musikalischer Fertigkeiten, besuchte nicht nur Konzerte und musikalische Höhepunkte der Region, sondern er bewegte sich auch mit Vorliebe in Kreisen, in denen bedeutende Interpreten zu Gast waren und musizierten, oder wo anspruchsvolle Hausmusik gepflegt wurde, wie etwa in der Familie von Prof. Dahlmann,25 wohin übrigens auch sein Meininger Musiklehrer Adolf Reichel geladen war.26 Ein gern gesehener Gast war der Erbprinz offenbar auch in einer musikalisch hochkarätigen Soiree von Studenten.27 Eine besondere 19 Georg war zu einem „musikalischen Kränzchen“ eingeladen worden. „Hier wurde vierhändig die c moll Symphonie gespielt […] und die f moll Sonate von Beethoven aufgeführt.“ Gemeint ist die Sonate op. 2 Nr. 1. Vgl. ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), NH 937. 20 Vgl. ThStAM, HA, NH 945. Zum Geburtstag war „unter Andern […] Mendelson da, der nach Tisch sehr schön spielte, unter Anderen auch meine beethovnische Sonate, die mit der marcia funebre sulla morte d’un Eroe“. Gemeint ist die Sonate Nr. 12 As-Dur op. 26. 21 Vgl. ThStAM, HA, NH 945. „Gestern Abend hatte ich einen ausnehmend genussreichen Abend bei Frege. Mendelsohn spielte erst die Cis Moll Sonate von Beethoven […]“. Gemeint ist die Sonate Nr. 14 op. 27 Nr. 2, die so genannte „Mondscheinsonate“. 22 Vgl. ThStAM, HA, NH 942. So schreibt er seiner Mutter am 29. Oktober 1846 aus Leipzig: „Ich habe jetzt ein recht gutes Klavier gemiethet und bin nun im Stande auch gegen einen über mir wohnenden Klavierspieler zu revangiren, der mich den ganzen Tag durch ein und denselben Triller amüsirt.“ 23 Vgl. ThStAM, HA, NH 919, Brief Georgs vom 12. Mai 1844. „Ich habe auch noch keinen Klavierlehrer angenommen.“ 24 ThStAM, HA, NH 943, Brief Georg vom 2. Dezember 1846. „Daher habe ich keine Zeit, wenigstens nicht vor Weihnachten Französisch noch Klavier zu beginnen.“ 25 Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Historiker, Mitglied der ‚Göttinger Sieben’ und Mitverfasser der Paulskirchen-Verfassung 1848. Erbprinz Georg hörte bei ihm Vorlesungen über die Französische Revolution, deutsche Geschichte, Politikwissenschaft und Staatstheorie. 26 Reichel befand sich zu der Zeit offenbar auf der Durchreise nach Paris. 27 ThStAM, HA, NH 937, Brief Georgs vom 8. Dezember 1845. „Hier wurde vierhändig die c moll Symphonie [5. Sinfonie von Beethoven – d. V.] gespielt, einige größere Sachen
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Zuneigung brachte ihm der Gürzenich-Kapellmeister Heinrich Dorn entgegen, der ihm nicht nur seine persönliche Aufwartung machte, sondern auch eine eigene Komposition, ein „Allegro appassionato“, dedizierte und als Prachtexemplar schenkte.28 Georgs Beschäftigung mit Musik war also keineswegs eine marginale Freizeitabwechslung und -unterhaltung, sie war für ihn – genauso wie die Beschäftigung mit und das Sammeln von Kunstwerken – ein Lebensbedürfnis mit hohem geistigem und emotionalem Anspruch. Die seit 1817 stattfindenden Niederrheinischen Musikfeste hat Wolfgang Sandberger „musikalische Olympiaden“ genannt, bei denen der Chorgesang, „die Stärke der Rheinländer“, im Mittelpunkt stand.29 Gemeint sind die Aufführungen von Chorsinfonik, Oratorien, Messen und Kantaten, davon zahlreiche Werke als Ur- und deutsche Erstaufführungen. Von letzteren partizipierte auch der Meininger Erbprinz. So lernte er Händels Oratorium „Joshua“,30 Mozarts „Requiem“31 und Beethovens „Missa Solemnis“,32 die beiden Letzteren sogar als deutsche Erstaufführungen, kennen. Aber es waren nicht nur die Kompositionen, die für ihn zu bleibenden Eindrücken wurden, es waren die großen Chöre, auch die soziale Komponente dieser Chorpraxis, das geeinte Musizieren von Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft bis hin zum Adel. Ihn beeindruckte, dass eine solche Vielzahl Laien in der Lage war, Spitzenwerke europäischer Chorsinfonik zu bewältigen. „Bürgerliche Gesangvereine waren es, die bis etwa 1850 und zum Teil weit darüber hinaus die deutsche Musikkultur trugen“, schreibt Harald Lönnecker. Und weiter: Den Charakter dieser Vereine machte ein Ineinandergreifen von geselliger Kultur, Bildungsfunktion und bürgerlicher Repräsentanz aus: Sie erfüllten kommunikative Scharnierfunktionen an der Nahtstelle zwischen Geselligkeit und Politik, Gesang diente als Medium der Politisierung.33
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gesungen, und noch ein notturno von Chopin, und die f moll Sonate von Beethoven [op. 2 Nr.1–d. V.] aufgeführt.“ ThStAM, HA, NH 935, Brief Georgs vom 13. März 1846. Vgl. http://www.swr.de/-/id=10206056/property=download/nid=659552/1n7sx74/ swr2-musikstunde-20120926.pdf, Zugriff 16. Mai 2014. Die Aufführung fand während des Niederrheinischen Musikfestes am 11. Mai 1845 in Düsseldorf statt. Die Aufführung ebd. am 12. Mai vor Mendelssohn Bartholdys Chorkantate „Die erste Walpurgisnacht“ und Beethovens 9. Sinfonie. ThStAM, HA, HN 920, Brief Georgs vom 2. Juni 1844. Georg hatte eine Aufführung im Gürzenich erlebt: „Das ist eine ganz grandiose Musik […]“. Harald LÖNNECKER, Sängerverein und Sängerfest. https://www.historicum.net, Zugriff 25. Mai 2014.
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Genau diese Erfahrung, nämlich ein Sängerfest zur Propagierung politischer Ziele zu ge- oder zu missbrauchen, machte Georg mit dem deutsch-flämischen Sängerfest, das im Juni 1846 in Köln stattfand. Nach Meiningen berichtet er, dass er zwar nicht in Köln dabei war, aber in Godesberg das Diner von etwa 1500 Sängern unter freiem Himmel sah. Nach dem Mahl hielten verschiedentliche Sänger von dem Balkon des einen Gasthofs herab begeisterte Reden über deutsche Freiheit etc. Man sprach auch von deutscher und flämischer Seite den Wunsch aus, dass Belgien sich zu Deutschland halten solle, ja deutsch werden sollte, wenigstens Flamland. Einige Holsteiner sprachen über die holsteinisch schleswigschen Verhältnisse auf eine Art, die in Dänemark kein großes Ergötzen bewirken wird.34
Hier – übrigens nahmen auch Meininger Sänger an dem Fest teil – erlebte der Erbprinz zwei hoch brisante politische Themen, denn das holstein-schleswigdänische Problem zum Beispiel sollte ja noch 20 Jahre schwelen und schließlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit Preußen/Österreich führen. Als habe Lönnecker dieses Kölner Sängerfest vor Augen, formulierte er verallgemeinernd: Die von den Vereinen veranstalteten regionalen und überregionalen Sängerfeste dienten der Herstellung politischer Öffentlichkeit […] hier war die Verbreitung liberaler Ideen möglich, hier konnte die nationale Einheit propagiert und damit verbundene politische Aufbruchshoffnungen geweckt und geschürt werden. Soziale und regionale Grenzen wurden im Zeichen der Nation aufgebrochen, im Fest wurde die Nationsbildung zu einem Massenerlebnis.35
Somit hatte der spätere Herzog und Regent Georg in Godesberg einen weiteren Aspekt von Chormusik als Behauptungsstrategie, nämlich als politische Machtausübung, kennen gelernt, aber damals bereits eine distanzierte Beobachterstellung dazu eingenommen. Georg nahm aber aus den Bonner Studienjahren noch eine weitere Erfahrung für das künftige Agieren hinsichtlich seiner Chorarbeit mit: Aus Bonn und aus der deutschen Kirche in London klagte er wiederholt über langweilige Gottesdienste, akademisch langatmige Predigten, über schlecht gesungene und über minderwertige Kirchenmusik, die ihm gelegentlich den Kirchgang verleidete. Interessant ist also, dass Erbprinz Georg die für sein späteres Leben wichtigen Erfahrungen über Chormusik, Chorwesen und Chorarbeit während der Bonner Studienjahre gesammelt hat.
34 ThStAM, HA, NH 940, Brief Georgs vom 17. Juni 1846. 35 Ebd.
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1. Salzunger Kirchenchor Der 12. Dezember 1860 sollte eine Sternstunde für die Entwicklung des Chorwesens im Herzogtum Sachsen-Meiningen werden. An jenem Mittwochabend gastierte erstmals der Salzunger Kirchenchor unter der Leitung seines Kantors Bernhard Müller36 in der Meininger Stadtkirche und bot ein A-cappella-Konzert mit geistlichen Werken aus sechs Jahrhunderten.37 Es sollen rund 2000 Zuhörer zu dem Ereignis geströmt sein,38 nachdem Georg die Kantoren, Kirchenchöre, Lehrer und Schüler des Herzogtums nachdrücklich hatte einladen, im Vorfeld 200 Textbücher und große Anschlagzettel, Meininger Sängern sogar Noten eines im Programm enthaltenen Palestrina-Gesanges verteilen lassen. Was ihn veranlasste, das Salzunger Ensemble in die Residenzstadt einzuladen, formulierte er Bernhard Müller gegenüber glasklar: Ich bezwecke mit Ihrem Concerte eine großartige Propaganda für Wahrung des Kirchengesang’s. Wenn eine große Anzahl Lehrer und angehende Lehrer, sowie Schüler hört, was geleistet werden kann, mit denselben Mitteln, wie sie überall im Lande vorhanden sind, so dürfte doch erreichbar sein, daß Mancher sich an die Brust schlägt u. zur Erkenntniß kommt.39
Verfolgte der Erbprinz hier eine Behauptungsstrategie durch Beispiel? Was Bernhard Müller und sein Chor zu leisten fähig war, liest sich in einer Rezension im Meininger Tageblatt wie folgt: Wer neulich das leise Anklingen (z. B. in dem ‚O bone Jesu‘), das wie im Hauch hinsterbende Verklingen gehört hat, wird uns darin beistimmen […] Wohllaut, Fülle und Reinheit des Tones sind mit einer Präcision gepaart, die namentlich in dem rhythmisch so schwierigen Kyrie von Palästrina und in der fünfstimmigen Bach’schen Motette große Anerkennung verdiente. Man fühlt eben, dass alle Mitwirkenden mit wahrer Hingebung bei der Sache sind, dass es ihnen rechter Ernst um die edle Kunst ist, in deren Ausübung eine geschickte Hand sie trefflich leitet.40
Und das Fazit des Rezensenten nach dem Meininger Konzert lautete:
36 Bernhard Müller (1824–1883), aus Sonneberg stammend, Elementarlehrer in Salzungen, 1851 auch Kantor der Salzunger Stadtkirche, 1866 KMD und hauptamtlich für das Kirchenchorwesen im Herzogtum Sachsen-Meiningen zuständig. Verfasser musik- und gesangspädagogischer Schriften. Ausführliche biografische Angaben siehe Christian MÜHLFELD, Das Kirchenmusikwesen im Herzogtum S.-Meiningen mit besonderer Berücksichtigung des Salzunger Kirchenchors, Hildburghausen 1908, S. 43. 37 Vgl. MM, Prz 4; MÜHLFELD, Kirchenmusikwesen (wie Anm. 36), S. 53 f. 38 Meininger Tageblatt vom 14. Dezember 1860. 39 MM, Br 177/1, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 10. Dezember 1860. 40 Meininger Tageblatt vom 21. November 1860. Diese Rezension bezog sich auf den dem Meininger Konzert vorausgegangenen Auftritt des Chores in der Salzunger Stadtkirche.
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Wir erwarteten einen Kunstgenuß, fanden aber bei weitem mehr – wir fanden eine Herzenserquickung, eine Geisteserhebung, eine Seelen-Veredlung und -Stärkung.41
Mit diesem Konzert war also in der Residenzstadt und im Herzogtum SachsenMeiningen offenbar etwas Besonderes, etwas bisher nicht Erlebtes vor sich gegangen. Georg und Müller hatten an diesem 12. Dezember 1860 eine neue kirchenmusikalische Institution geschaffen, sie hatten die dem Bürgergeist entsprungene Konzertform in die Kirche geholt und unter Beweis gestellt, dass geistliche Erhebung und würdevolle Andacht in dieser Form möglich sind. Hier bahnte sich eine Reform des Kirchenmusikwesens weit über Sachsen-Meiningen hinaus an. Denn gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte ‒ durch die Aufklärung ausgelöst ‒ die Säkularisierung mit u. a. tief greifenden Umwälzungen in der kirchenmusikalischen Praxis und der schulischen Musikausbildung um sich gegriffen. Die bürgerliche Geistesbewegung des 18. Jahrhunderts verstand die Kirchenmusik auf die Gemeinde bezogen, weswegen die Musiksprache entsprechend verständlich sein musste. Zugelassen war sowohl a-cappella- als auch instrumental begleiteter Gesang wie auch reine Instrumentalmusik. Naturwissenschaftlich orientierte Gymnasien hatten die Lateinschulen mit deren hohem Niveau musikalischer Ausbildung abgelöst. Da das durch diesen Strukturwandel bedingte mehr und mehr verkümmernde musikalische Potential der Schulen nicht mit den kirchlichen Anforderungen Schritt halten konnte, kam es zwangsläufig zu Qualitätsverlusten mit kontraproduktiven Rückwirkungen auf die Andacht der Gläubigen. Über die Verhältnisse in der südthüringer Region klagte z. B. 1840 der Saalfelder Kantor seinen Vorgesetzten: Da hört man an heiliger Stätte oft so unheilige Töne, daß man nur wünschen kann, es würde besser gar keine Musik daselbst aufgeführt. Bald wird eine, die Kräfte der Exekutierenden weit übersteigende Komposition mit vielem Schweiß heruntergearbeitet, daß es einem grauen möchte, unrein, durcheinander, ohne Takt und Seele, ohne Ordnung. Man möchte drein springen. Bald hört man Töne, die wohl zum Tanzen, aber nicht zum Beten auffordern; es wird geschmettert, getrommelt wie auf der Wachtparade, alles im lieben Gotteshaus.42
Auch Christian Mühlfeld, der ab 1884 den Salzunger Kirchenchor leitete, erlebte die für Saalfeld geschilderten Verhältnisse als Kind im südthüringischen Gumpelstadt mit und schilderte die entstandene wahre Höllenmusik. Weil die Sänger, darunter Knaben und Mädchen, in der Regel die Noten und ihre Werte nicht kannten und alles nach dem Gehör eingeübt werden mußte, weil ferner die ungeübten Instrumentalisten ihre Instrumente nicht selten nur zu den Kirchenmusiken zur Hand nahmen und darauf kaum einige Töne hervorbringen 41 Meininger Tageblatt vom 14. Dezember 1860. 42 MÜHLFELD, Kirchenmusikwesen (wie Anm. 36), S. 43.
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konnten, wurde dann auch öfters ‚umgeworfen‘ und es atmeten sowohl die Mitwirkenden als auch die Zuhörer förmlich auf, wenn ein solches Tonstück durchgewürgt und alle Sänger, Geiger, und Bläser, gemeinschaftlich aufhörten.43
Beide Berichte werfen ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Kirchenmusik im Herzogtum Sachsen-Meiningen um 1850. Georg meinte aber: Es muß in der Musik dasselbe sein, wie in den bildenden Künsten: effekthaschende sentimentale Bilder kann man in der Kirche nicht brauchen, sondern solche, welche […] dem Besucher nicht schmeicheln, sondern ihn richten; Richten in sofern als der Zuschauer dem Kunstwerk, den bedeutenden Persönlichkeiten gegenüber, die er im Bilde vor sich siehet, seinen eigenen Unwerth, seine eigene verhältnißmäßige Nichtigkeit fühlt. – Ähnliches muß der Hörer der Kirchenmusik auch erfahren […]. In der Kirche soll nicht gerade Wehmut und weichliches Zerfließen der Gemeinde erzielt werden, sondern Kraft durch den Glauben für das Leben […]. Ich glaube, daß der Kirchengesang eines der wirksamsten Mittel zur Erbauung ist, ein sichereres als die Predigt vielleicht.44
Und so wurde für Erbprinz Georg klar, dass mit Bernhard Müller und dem Salzunger Chor eine Reform der vokalen Kirchenmusikpflege in SachsenMeiningen gelingen könnte. Bezeichnend ist, dass er sich mit diesen Aktivitäten in die völlig andersartigen kulturpolitischen Strebungen seines regierenden Vaters einmischte, zumal seine Versuche scheiterten, die Gepflogenheiten in der Residenzstadt nach dem Salzunger Vorbild zu reformieren. – Hierin ist durchaus eine Behauptungsstrategie Georgs zu erkennen. Zunächst sorgte er für die Qualifizierung des Chorleiters, der nach seiner Meinung mindestens einmal im Jahre – auf Kosten Georgs natürlich – auf Reisen gehen müsse, um andere Chöre, Dirigenten, Arbeitsweisen kennen zu lernen. Die erste Station sollte Franz Liszt in Weimar sein, „den zu besuchen ich dringend rate […] Könnten Sie ihn spielen hören, wäre es für Sie unschätzbar […] Ein so außerordentliches Spiel können Sie nie wieder hören.“45 Sodann sollte Müller zu Georgs Lehrer Adolf Reichel nach Dresden reisen,46 dann den führenden deutschen Kirchenchor, den Domchor zu Berlin kennen lernen.47 In Berlin müsse er Schauspielvorstellungen, das Atelier von Peter Cornelius sowie die größte Musikaliensammlung im Neuen Museum besuchen und nach Mög-
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Ebd., S. 44. MM, Br 188/3, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 19. Dezember 1860. MM, Br 177/4, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 6. Januar 1861. Reichel war zu der Zeit dort Lehrer für Komposition und Kontrapunkt am Dresdener Konservatorium sowie Dirigent der Dreyßigschen Singakademie. 47 Der 1465 von Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg gegründete ‚Dhumkerke’ galt als erster Berufschor mit Bezahlung der Sänger und war 1843 von Mendelssohn Bartholdy reorganisiert und zu internationalem Ansehen geführt worden. Danach leiteten Otto Nikolai († 1849) und August Neithardt († April 1861) den Chor auf hohem Niveau. 1850 hatte Neithardt den Chor sogar zu seiner ersten Auslandsreise nach London geführt.
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lichkeit Abschriften alter Gesänge mitbringen.48 In den Folgejahren dehnte Georg die Reiseziele für Müllers Studien bis nach München, in die Schweiz und nach Rom aus, wo er den Sixtinischen Kapellchor kennen lernte. Im Frühjahr 1861 entwarf Georg sofort eine Konzeption für die Weiterentwicklung des Chores. Er verpflichtete sich – übrigens bis an sein Lebensende – den Chor aus seiner Tasche finanziell zu unterstützen, sogar jedes Chormitglied quasi zu entlohnen, „damit sie sich ohne pekuniäre Einbußen dem Anliegen widmen können“,49 so seine Begründung. Damit verband er allerdings die Forderung, dass seine Unterstützung „der Veredelung des Kunstgesangs in der Kirche“, nicht dem Volksgesang gelte. Demzufolge lag ihm auch die ethische und charakterliche Erziehung der Knaben am Herzen. Er meinte: Für die Kinder ist es ganz gewiß moralisch nur heilsam mit ganzer Hingebung u. Aufbringung von sittlicher Kraft an der Darstellung gediegener Compositionen Theil zu nehmen. Die edle Musik veredelt [...]
und „die Kinder lernen […], wie man es anpacken muß, um gemeinschaftlich Tüchtiges u Großes zu leisten“.50 Seinen Part dabei formulierte Bernhard Müller 1864 im „Meininger Tageblatt“ so: Der Dirigent des Chors muß vor allem die Fähigkeit besitzen, in den Geist der Musik einzudringen. Denn nur der Geist macht lebendig. Die neuere Musik, namentlich das Virtuosentum, hat in der Überwindung aller technischen Schwierigkeiten […] das Heil gesucht, dabei aber das Wesen der heiligen Tonkunst außer Acht gesetzt.51
Diesem Ziel diente z. B., dass Georg den Chor mehrmals zu Theateraufführungen nach Meiningen einlud. So übrigens auch am Abend nach dem Gründungskonzert, da stand Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ im Spielplan. Georg unterstützte die Arbeit Müllers nach allen Seiten hin. Er übermittelte ihm Noten, empfahl Bücher, z. B. über den gregorianischen Gesang oder Thibaut’s Schrift „Über die Reinheit der Tonkunst“, er regte ihn an, zu Ostern Choräle aus Bachs Passionen einzustudieren, machte Vorschläge für die Konzertprogramme ebenso wie zum Ausbildungs- und Erziehungsprogramm, erstellte
48 MM, Br 177/6, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 26. Januar 1861. „Vielleicht wären da ambrosianische und gregorianische Gesänge zu bekommen. Nur fragt es sich wie die Noten jener alten Gesänge sind u. ob der Custos es verstehet, die alten Notenzeichen in neue zu übersetzen.“ 49 MM, Br 177/7 und 177/8, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 27. Februar und 14. März 1861. Über die finanziellen Zuwendungen Georg II. und deren Verteilung an den Chor vgl. MÜHLFELD, Kirchenmusikwesen (wie Anm. 36), S. 56 und seinen hs. Einschub vor S. 61. 50 MM, Br 179/26, Brief Georgs an Bernhard Müller vom 29. November 1863. 51 Meininger Tageblatt, Nr. 82 vom 9. April 1864, Artikel von Bernhard Müller.
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Kostenpläne für die Konzertreisen des Chores. Dabei sparte er nicht mit sachlich-kritischen Anmerkungen. Seine weitere Fürsorge galt dem äußeren Erscheinungsbild des Chores. Er entwarf eine Chorkleidung, lieferte detaillierte Entwürfe, bestellte Stoffe, empfahl Schneider und Händler, berechnete die Preise, sorgte dafür, dass wenig bemittelten Choristen seine Unterstützung zuteil wurde. Derartig ausstaffiert, präsentierten sich die Sänger zum ersten Mal zur Einweihung des Luther-Denkmals in Möhra am 25. Juni 1861. Durch die anwesenden führenden Kirchenvertreter von weither drang die Kunde von der Leistungsstärke der Salzunger Sänger erstmals über die Landesgrenzen Sachsen-Meiningens hinaus.52 Damit war der Weg geebnet zur letzten Etappe des gemeinsamen Reformwerks: Der Salzunger Kirchenchor sollte ein Reise-Ensemble werden und für die meisterliche Interpretation anspruchsvoller geistlicher Vokalkunst missionieren. Zu Pfingsten 1862 brachen die Sänger zu ihrer ersten Konzertreise in das Meininger Oberland nach Hildburghausen, Eisfeld, Sonneberg und Coburg auf, so auch im Folgejahr. Damit dürfte dieses Amateur-Ensemble der erste Kirchenchor überhaupt gewesen sein, der sich auf Konzertreisen begab. 1864 führte ihn seine Mission dann schon nach Gotha, Weimar, Jena, Camburg. Diese Reisen wurden schließlich zur alljährlichen Tradition. Immer weiter zog der Chor seine Kreise durch Thüringen, bis 1869 sogar Einladungen nach Nürnberg, Fürth, Erlangen und Bamberg eintrafen. Wenn auch das soeben erst entstandene Eisenbahnnetz genutzt werden konnte, waren derartige Reisen mit bedeutenden Kosten für Fahrt, Verpflegung, Unterbringung und mit enormem organisatorischem Aufwand verbunden. Auf Bernhard Müller und den erwachsenen Chormitgliedern lastete außerdem die große Verantwortung für die Kinder. Über das Konzert in Nürnberg 1869 teilt uns Christian Mühlfeld folgenden Bericht aus dem „Fränkischen Kurier“ mit: Die weiten Räume der Lorenzkirche waren kaum fähig, die Hörer zu fassen; Kopf an Kopf standen sie in allen Gängen, allen Ecken. Voll hoher Erwartung waren sie alle gekommen […] Es war ein wundervoller Gesang, der die Räume der Kirche durchwogte, ein Gesang so lieblich, engelsmild, und dann wieder so ernst, so erhaben […] Diese glockenhellen, metallreichen Knabenstimmen, diese markigen, klangvollen Männerstimmen, und diese Stimmen alle so biegsam und weich und alle von einem Impuls getrieben und gelenkt, wirkten ergreifend. Es war, als ob der Chor von einer Seele belebt würde […], bald im leisesten Piano kaum atmend, dann bis zum stärksten Forte anschwellend, dabei aber immer voll Maß und heiliger Schönheit.53
52 MÜHLFELD, Kirchenmusikwesen (wie Anm. 36), S. 57. Siehe auch das Programm der Einweihungsfeierlichkeit (Hg. von Bernhard MÜLLER?), hs. Einschub vor S. 57. 53 MÜHLFELD, Kirchenmusikwesen (wie Anm. 36), S. 58 f.
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Nicht jeder auswärtige Konzertauftritt war künstlerisch und finanziell derart erfolgreich. Es gab auch Rückschläge und Tadel. Dennoch wurden die Reiseziele für den Salzunger Chor immer anspruchsvoller. Bis nach Stuttgart, Regensburg, Augsburg, Worms führte sie der Weg. Als Bernhard Müller 1883 starb, hatten seine Sänger in 48 Orten 133 Konzerte gegeben, sogar mit einem finanziellen Überschuss, der wohltätigen Zwecken zugeführt wurde, wie Christian Mühlfeld mitteilt.54 An diesem Punkt stellt sich wieder die Frage: Diente dieses Missionieren für hoch artifizielle vokale Kirchenmusik von Laiensängern unter professioneller Leitung einer Behauptungsstrategie des Erbprinzen und Monarchen? Ja, wenn man darunter das Durchsetzen hoher Ansprüche an dieses Kunstgenre und an dessen Interpretationsprinzipien meint, wenn man den großen Gewinn an künstlerischer, sozialer, charakterlicher Bildung, die dieses Projekt bezweckte und erreichte, im Auge hat. Ja, in Bezug auf eine Profilierung und Schärfung künstlerischer Positionen des Erbprinzen in Abgrenzung zu Kunstanschauungen und Kulturpolitik des Vaters am Meininger Hof. Aber das Gewicht ist auf Behauptung, weniger auf Strategie zu legen. Nein, wenn man unterstellen wollte, die Reformarbeit und die Konzertreisen des Salzunger Ensembles seien Teil von Georgs Strategie zur Behauptung seiner politischen Macht, zum Erhalt seines Hauses, seines Landes gewesen. Nach seinem Regierungsantritt 1866 ernannte Georg II. Bernhard Müller zum Kirchenmusikdirektor und richtete im Jahr darauf eine neue Stelle für ihn ein, die ihn als Lehrer entlastete, indem er an der Salzunger Bürgerschule nur noch Gesangsunterricht zu erteilen und den Kirchenchor zu leiten hatte. Ansonsten sollte er die vielfach im Herzogtum entstandenen Kirchenchöre fachlich und methodisch anleiten. Dazu verfasste Müller eine Reihe theoretischer Schriften und praktischer Notenausgaben. 1870 z. B. erschien das auf Veranlassung Georgs II. ausgearbeitete „Regulativ für den Gesangunterricht in den Volksschulen“55 im Druck. So begann Müllers beharrliche Pionierarbeit im Herzogtum reiche Früchte zu tragen. Sie strahlte sogar auf die Gesangvereine aus. Auch außerhalb Sachsen-Meiningens hatte die Entwicklung des Kirchenmusikwesens an Dynamik gewonnen. Der Historismus, und in seinem Schlepptau die theoretischen wie praktischen Auseinandersetzungen mit dem Palestrinastil56 und dem Cäcilianismus57 haben befruchtend auf die Entstehung der 54 Vgl. MM, Br 179/26, vom 29. November 1863. 55 Meininger Tageblatt vom 18. Dezember 1883. 56 Peter ACKERMANN, Palestrina, in: Musik in Geschichte und Gegenwart 2, Personenteil, Bd. 13, Kassel u. a. 2005, Sp. 7–46, hier 30–32. 57 Winfried KIRSCH, Caecilianismus, in: Musik in Geschichte und Gegenwart 2, Sachteil, Bd. 2, Kassel u. a. 2005, Sp. 317–326.
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neuen kirchenmusikalischen Strukturen und Institutionen gewirkt. Ein Ergebnis dieses Prozesses war die Gründung des evangelischen Kirchengesangvereins in Deutschland am 27. September 1883 als Dachverband für die evangelischen Kirchenchöre. Welchen Anteil der Salzunger Kirchenchor daran hatte, fasste der Vorsitzende und Gründer dieses Vereins der Geh. Staatsrat Professor Hallwachs 1885 in einem Brief an Christian Mühlfeld zusammen,58 nachdem sich die Salzunger zum Beitritt entschlossen hatten: Dem Salzunger Kirchenchor und seinem unvergeßlichen Dirigenten [Bernhard Müller] haben wir ja die erste Anregung zu unserm Vorgehen in der Kirchengesangvereinssache zu danken.59
2. Hans von Bülow Wenn auch in den Städten des Herzogtums von Saalfeld über Sonneberg bis nach Salzungen innerhalb zweier Jahrzehnte leistungsstarke Kirchenchöre und Gesangvereine entwickelt werden konnten, so bedurfte es in der Residenzstadt im Jahre 1880 noch des eingangs erwähnten reformerischen Eingreifens von Bülow, um überhaupt eine leistungsstarke Chorvereinigung zu schaffen und für die geplanten chorsinfonischen Werke Beethovens auf das von ihm angestrebte Niveau zu bringen. Der so entstandene Meininger Singverein Bülow’scher Prägung ermöglichte binnen kürzester Zeit im Herbst 1880 in drei Abonnementskonzerten Meininger Erstaufführungen chorsinfonischer Werke Beethovens, nämlich den „Elegischen Gesang“ für gemischten Chor und Streichinstrumente, „Meeresstille und glückliche Fahrt“ für Chor und Orchester, die „Chorfantasie“ und schließlich die 9. Sinfonie.60 Übrigens folgte Bülow einer Empfehlung Georgs II., für den Schlusschor den Salzunger Kirchenchor zur Verstärkung hinzu zu ziehen; damit eine neue Herausforderung für dieses Ensemble schaffend. An dieser Stelle ist festzustellen, dass der Umfang und die Intensität von Bülows Arbeit mit dem Meininger Singverein bisher unterschätzt wurde. Denn nach dem Beethoven-Herbst 1880 folgte nicht nur eine weitere Doppelaufführung der IX. zu Georgs Geburtstag am 2. April 1881. 14 Tage später dirigierte 58 Ludwig Moritz Hermann Wilhelm Hallwachs (1826–1903), Jurist und Geheimer Staatsrat in Darmstadt, Förderer des Kirchengesangs. 59 Brief von Hallwachs an Christian Mühlfeld vom 11. Oktober 1885. Original eingeheftet in MÜHLFELD, Das Kirchenmusikwesen (wie Anm. 36), S. 61. 60 Der „Elegische Gesang“ op. 118 stand am 21. November, die Kantate „Meeresstille und glückliche Fahrt“ op. 112, 3 Chöre aus „Die Ruinen von Athen“ op. 113 und die Chorfantasie c-Moll op. 80 wenige Tage später am 12. Dezember auf den Programmen.
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Bülow das „Große Vokal- und Instrumental-Konzert“ zum Besten der Witwenkasse, und da war ein neues Genre, nämlich die Oper zu bewältigen, mit Chören aus Wagners „Fliegendem Holländer“, „Lohengrin“ und „Tannhäuser“ sowie aus Mendelssohns Melodram „Athalia“ op. 74. Zum Totensonntag 1881 sorgte Bülow mit der Hofkapelle und dem Singverein mit der denkwürdigen Meininger Erstaufführung von Brahms’ „Deutschem Requiem“ für einen weiteren chorsinfonischen Höhepunkt in der Residenzstadt. Wenn Bülow auch hin und wieder selbst Chorproben leitete, so vertraute er die kontinuierliche Chorarbeit zunächst dem Solocellisten der Kapelle Friedrich Hilpert, ab Herbst 1882 seinem Stellvertreter Kapellmeister Franz Mannstaedt an, welch letzterer allerdings auf dem Gebiet glücklos agierte, weil es zwischen ihm und Bülow kein gutes Einvernehmen gab und Bülow sich von der Chorverantwortung zurückzog.61 Von den stolzen Anfängen des sinfonischen Chores war bis zum Ende von Mannstaedts Dienstzeit schließlich nur ein Damengesangverein übrig, zu dessen Liebling sich im Herbst 1885 der junge Richard Strauss als neuer Chorleiter mauserte.62 Nur blieb ihm während der einen Saison, die ihm in Meiningen vergönnt war, wenig Zeit zur Profilierung seiner Chorarbeit.
3. Fritz Steinbach Fritz Steinbach hingegen, bei Eintritt in das Hofkapellmeisteramt 1886 31 Jahre jung, trat das schwere Bülow-Erbe mit mutigem Selbstvertrauen und kluger Taktik an.63 Wie seinerzeit Bülow, wurde er lange vor seinem offiziellen Dienstantritt bezüglich einer Neugründung des Meininger Singvereins aktiv, denn er plante die Mitwirkung eines gemischten Chores im „Benedictus“ aus Liszt’s „Ungarischer Krönungsmesse“ bereits am 21. Oktober im Rahmen einer 61 Dieser Rückzug war wohl in erster Linie der zunehmenden Verantwortung für und der vor allem gesundheitlichen Belastungen durch die großen Konzertreisen der Hofkapelle, aber auch persönlichen Animositäten Bülows geschuldet. Denn Georg II. hatte den Hofkapellintendanten mit seiner Entscheidung übergangen, Franz Mannstädt zu Bülows Entlastung, ohne Rücksprache mit ihm genommen zu haben, eingestellt, was das Verhältnis Bülows sowohl zu Georg II. als auch zu Mannstaedt erheblich trübte. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass Bülow seinen ungeliebten Stellvertreter mit der Chorarbeit, des Monarchen Lieblingsfeld, beauftragte. 62 Richard STRAUSS, Briefe an die Eltern 1882–1906, hg. von Willi SCHUH, Zürich/Freiburg 1954, S. 58 f: „Frau von Bülow war sehr entzückt, wie famos ich mich in der ersten Gesangvereinsprobe unter den sechzig Damen benommen habe; nun, nun, nun man ist nicht umsonst schon einundzwanzig Jahre alt.“ 63 Bülow hatte als Klaviersolist mehrfach und anerkennend unter Steinbachs Leitung musiziert. Außerdem dürfte Steinbach durch seinen Schwager Franz Mannstädt genauestens über die Meininger Musikverhältnisse informiert gewesen sein.
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Gedächtnisfeier in der katholischen Kirche für den am 31. Juli 1886 verstorbenen Komponisten. Da hatte er fünf Wochen Probenzeit zur Verfügung. Und vier Wochen später, zum Totensonntag am 21. November, hatte er sich die Aufführung des Brahms-Requiems vorgenommen. Steinbach beraumte daher, wie Bülow sechs Jahre zuvor, intensive Separatproben der einzelnen Stimmgruppen an, so dass er bereits am 11. Oktober, elf Tage nach seinem offiziellen Amtsantritt, die erste Gesamtprobe wagen konnte. Zwar klappte der Zulauf vor allem von Männerstimmen nicht optimal,64 dennoch verstand man in Meiningen sehr schnell, dass der neue Hofkapellmeister nicht nur in puncto Orchester-, sondern auch in der Chorerziehung wieder Bülow’sche Qualitätsmaßstäbe anlegte. Dazu gehörten z. B. methodischer Unterricht, musikgeschichtliche Unterweisungen und Werkeinführungen.65 Ab 1891 fanden „um den Sinn für gute Musik zu pflegen und in immer weitere Kreise zu tragen“ pro Saison mehrere Kammerkonzerte im Singverein statt. Bis zu drei Singvereinskonzerte je Winterhalbjahr stellten zwar hohe Anforderungen an die Damen und Herren Chormitglieder, waren für sie aber auch Anreiz, und sie brachten dem jungen Kapellmeister, der Hofkapelle sowie dem Chorensemble wachsende Sympathie bei Hofe ein. Palmsonntag 1888 konnte Steinbach bereits mit 200 Mitwirkenden Händels Oratorium „Judas Maccabäus“ aufführen. Damit hatte er sich endgültig durchgesetzt, denn der Herzog würdigte Steinbachs Leistungen mit der definitiven Anstellung und einer erheblichen Gagenerhöhung.66 Aber Steinbachs Ehrgeiz blieb nicht auf die Residenzstadt beschränkt. Er besuchte die Chöre in Hildburghausen, Sonneberg und Saalfeld, leitete die dortigen Chordirigenten an. Schon im Oktober 1888 führte er mit den vereinigten Chören von Hildburghausen und Meiningen Schumanns „Paradies und die Peri“ auf. Zielstrebig, was z. B. das breit gefächerte Repertoire der Chöre anbelangte und mit unverminderter Energie arbeitete Steinbach auf den ersten Höhepunkt seiner Bemühungen hin: Zu des Herzogs Geburtstag am 2. April 1889 vereinte er erstmals drei Chöre, den Salzunger Kirchenchor, den Meininger Sing- und den Köhler’schen Gesangverein Hildburghausen zur Aufführung der IX., um dann, nachdem er wegen der zunehmenden Zahl der Mitwirkenden die Singvereinskonzerte in die inzwischen umgebaute und Ende 1889 eingeweihte Meininger Stadtkirche verlegen konnte, endlich das erste Highlight seiner landesweiten Chorarbeit zu erreichen: 300 Mitwirkende brachten zum Totensonntag 1890 J. S. Bachs „Matthäuspassion“ zur Erstaufführung im Herzogtum. Ganz im Sinne Georgs, und Bülows Vorbild folgend, hatte Steinbach in den Chören Einfüh64 Steinbach musste noch am 3. Januar 1887 im Meininger Tageblatt dazu auffordern, dass sich Männerstimmen für den Singverein melden möchten. 65 Vgl. Mitteilung im Meininger Tageblatt vom 10. Juni 1891. 66 Hans MERIAN, Fritz Steinbach, in: Die redenden Künste, in Zeitschrift für volkstümliche Kunst, 8. Jahrgang.
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rungsvorträge gehalten und mit ausführlichen Artikeln im Tageblatt auch das Meininger Publikum vorbereitet. Damit keineswegs am Ziel, steuerte Steinbach mit Haydn’s „Schöpfung“ und Brahms’ „Triumphlied“ 1891, mit Liszt’s „Entfesseltem Prometheus“ 1892 den nächsten, vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere an: Am 10. Dezember 1893 hatte Steinbach 320 Chorsänger aus fünf Sachsen-Meininger Städten zusammengeführt zur Erstaufführung von Beethovens „Missa solemnis“. Fast 50 Jahre hatte Georg II. darauf warten müssen, das Werk, das ihn 1844 im Kölner Gürzenich unter Heinrich Dorns Leitung tief beeindruckt hatte, in seiner Heimat zu erleben. Aktiv begleitete er z. B. die komplizierten logistischen Vorbereitungen, kümmerte sich um die Werbung, um Eintrittspreise. In der letzten Probenphase war Steinbach in alle Landesteile gereist, um den Leistungsstand der Chöre zu vergleichen. Ein Problem waren z. B. große Dialektunterschiede in der Aussprache.67 Eine Woche vor dem Konzert waren die fünf Chöre zur öffentlichen Generalprobe nach Meiningen zu transportieren.68 Dafür war Publikum zu organisieren, denn dessen Eintrittsgelder sollten das zu erwartende Defizit ausgleichen. Diesbezüglich gab der Herzog Steinbach zu bedenken, dass es sich um ein sehr ernstes Werk handele, weswegen tüchtige und mehrmalige Reklame nötig sei. Das Konzert selbst wurde ein enormer Erfolg. Es hinterließ bei den Mitwirkenden und Zuhörern einen ungewohnt tiefen Eindruck. Georg und Helene waren so ergriffen und überwältigt, dass der Herzog dem Hofkapellmeister eine weitere Gehaltserhöhung zubilligte, übrigens auf das Bülow-Niveau von 5.000 M und ihn „in freudiger Anerkennung der ganz außerordentlichen Verdienste um Hebung des musikalischen Lebens und Strebens im Herzogtum“ zum Generalmusikdirektor ernannte.69 Das war eine hoch verdiente Anerkennung, denn Steinbach hatte inzwischen nicht nur die Abonnementskonzerte der Hofkapelle nach Hildburghausen und Sonneberg ausgedehnt, er veranstaltete auch chorsinfonische Aufführungen in den Heimatstädten der Chöre.70 Die Krönung der Karriere des Hofkapellmeisters und des ‒ laut der Laudatio des Herzogs ‒ von ihm „entwickelten musikalischen Lebens und Strebens im Herzogtum“ waren die drei von Steinbach konzipierten, organisierten und geleiteten Landesmusikfeste 1895, 1899 und 1903. Es waren Musikfeste des Landes für das Land, weil nicht nur sechs Chöre aus allen Teilen des Herzog67 Auf der Nordseite des Thüringer Waldes, (z. B. in Saalfeld), ist der Dialekt sächsisch, auf der Südseite (in Sonneberg, Hildburghausen, Römhild, Meiningen, Salzungen) fränkisch geprägt. 68 Die Chöre kamen aus Salzungen, Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Saalfeld. 69 MERIAN, Fritz Steinbach (wie Anm. 66). 70 Zum Beispiel fand am 3. April 1892 eine Aufführung von Haydn’s „Schöpfung“ mit dem Köhler’schen Gesangverein und der Meininger Hofkapelle in Hildburghausen, am 4. April 1897 in Sonneberg eine Aufführung der „Matthäuspassion“ J. S. Bachs mit dem Singverein Sonneberg und der Meininger Hofkapelle unter Steinbachs Leitung statt.
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tums,71 Orchesterkollegen aus Deutschland und der Schweiz sondern auch das Publikum, das mit Sonderzügen der Werrabahn anreiste, sowie internationale Gäste in die Residenzstadt kamen. 500 Mitwirkende zählten die Programmhefte auf, und bei der Beherbergung der Gäste geriet die Stadt an ihre Grenzen.72 In diese großartige Entwicklung fiel jedoch ein tragischer Wehrmutstropfen: Der Herzog musste wegen seines Gehörleidens den Festen fern bleiben. Mit einem halben Jahrhundert Verzögerung gelangte jene Chorbewegung, die ihn als Student im Rheinland so tief berührt und geprägt hatte, in seiner Heimat zu beeindruckender Entfaltung. Deren Anfänge hat er mit gestaltet, ihre Entwicklung aktiv begleitet und gefördert. Die gereiften Früchte konnte er zwar ernten, jedoch nicht genießen. Diese Freude war für ihn kein Götterfunke mehr. – Zu wessen Gunsten ist hier nun die Frage nach der Behauptungsstrategie zu beantworten?
71 Der sechste Chor kam aus Römhild. 72 Die gedruckte „Fremden-Liste“ des 2. Landesmusikfestes 1899 enthält z. B. über 700 Namen von angereisten Gästen, die zum größten Teil in Privatquartieren absteigen mussten. Dieser Umstand bereitete Georg II. Kopfzerbrechen, weil, wie er Steinbach mitteilte, die meisten Haushalte z. B. noch nicht über ein „water closet“ verfügten.
H A N S -J O A C H I M H I N R I C H S E N „DAß DIE BESTE REPUBLIK EIN KUNSTSINNIGER, KUNSTVERSTÄNDIGER FÜRST IST“
„Daß die beste Republik ein kunstsinniger, kunstverständiger Fürst ist“ – Georg II. und die Meininger Hofkapelle in der „Ära Bülow“ Für die Musikgeschichte der Jahrzehnte vor und nach 1900 ist die Stadt Meiningen vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie in der Biographie von Johannes Brahms, von Richard Strauss und von Max Reger eine bedeutende Rolle spielt. Und diese wichtige Rolle hat ihre Grundlage in den fünfeinhalb Jahren, die ich hier abkürzend die „Ära Bülow“ nennen will; gemeint ist der Zeitraum zwischen 1880 und 1885, den der Dirigent und Pianist Hans von Bülow (1830– 1894) als künstlerischer Leiter der Meininger Hofkapelle verbrachte.1 Und diese Ära ist unauflösbar verflochten mit der Regierungszeit des Herzogs Georg II. (1866–1914). Das kleine Herzogtum Sachsen-Meiningen trat nach dem deutschösterreichischen Krieg von 1866 dem Norddeutschen Bund und 1871 dem Deutschen Reich bei; nach dem Ersten Weltkrieg wurde es aufgelöst und dem Freistaat Thüringen zugeschlagen.2 Die Residenzstadt Meiningen zählte mit ihren ca. 9.000 Einwohnern zu den kleinsten Residenzen des deutschen Reichsgebiets. Die nächste größere Stadt war, durch die Eisenbahnlinie einer privaten Gesellschaft (der Werrabahn) angeschlossen, Eisenach, auf dessen Publikum das Meininger Kulturleben lange Zeit angewiesen blieb. Jedoch sollte sich Meiningens Theater und sein Orchester aufgrund gezielter kulturpolitischer Maßnahmen zu den einflussreichsten und meistdiskutierten Phänomenen des deutschen Kulturlebens entwickeln. Georg II., der seinen nach dem verlorenen Krieg zur Abdankung gezwungenen Vater im September 1866 in der Regierung ablöste, gründete seinen Lebensplan ausdrücklich auf eine Rolle als Kunstmäzen. Auf der Basis einer 1
2
Siehe auch Styra AVINS, The „Excellent People“ of the Meiningen Court Orchestra and the Third Symphony of Johannes Brahms, in: Maren GOLTZ/Wolfgang SANDBERGER/ Christiane WIESENFELDT (Hg.), Spätphase(n)? Johannes Brahms’ Werke der 1880er und 1890er Jahre. Internationales musikwissenschaftliches Symposium Meiningen 2008, München 2010, S. 32–45 sowie Robert PASCALL, Zur Meininger Uraufführung der 4. Symphonie und ihrer Bedeutung für Komponist und Werk, in: ebd., S. 33–60. Gerhard KÖBLER, Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien und reichsunmittelbaren Geschlechter vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 61999, S. 389, 551.
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Erziehung, die auch eine solide künstlerische Ausbildung einschloss, erklärte er das kulturelle Leben seiner Residenz zu einem seiner speziellen Anliegen: Sein so verstandenes Mäzenatentum ging über die Finanzierung der Kultur weit hinaus. Es bedeutete vielmehr eine unmittelbare inhaltliche Einflussnahme und Mitgestaltung (nicht aus politischen, sondern aus künstlerischen Gründen). Bei seinem Regierungsantritt im Alter von 40 Jahren fand Georg II. die folgenden Institutionen als tragende Säulen des Meininger Kulturlebens vor, deren Neuorganisation man als wichtige Voraussetzung für die spätere Ära Bülow kennen muss: das Hoftheater, die Hofkapelle und die Militärkapelle. Im Hoftheater hatte unter Georgs Vorgänger Sprechtheater- und Opernbetrieb stattgefunden. Der Opernbetrieb wurde unter Georg II. sofort abgeschafft und zwar aus Qualitätsgründen, wodurch die Hofkapelle nun zum exklusiven Konzertorchester wurde. Der Verzicht auf ein Opernensemble kam dem Theater wie dem Orchester finanziell zugute. Die Militärmusik – früher eine willkommene Orchesterverstärkung bei Festaufführungen – andererseits kam infolge der Eingliederung des sächsisch-meiningischen Militärs in die königlich-preußische Armee unter das Oberkommando Preußens und war damit dem Kompetenzbereich des Herzogs weitgehend entzogen. Als Theaterliebhaber begann Georg II. gemeinsam mit seinem Oberregisseur und späteren Intendanten Ludwig Chronegk sich umgehend der eingreifenden Reform der Aufführungs- und Inszenierungspraxis zu widmen. Bekannt und weit über die Region hinaus einflussreich wurde dieses Reformkonzept unter dem Namen „Meininger Prinzipien“: a) das Gebot der konsequenten Werk- und Texttreue, b) das Prinzip einer bis in Ausstattungsdetails hinein realistisch-historistischen Inszenierungspraxis, c) die rigorose Durchführung des Ensemble-Gedankens (der auch Hauptdarstellern regelmäßige Statistendienste zumutete) und d) die Kunst der überzeugenden Volksszenen- und Massenchoreographie – zusammengefasst also: Illusionstheater, Ensemblebildung und Massenregie. Bemerkenswert ist, dass hier die Idee des Hoftheaters kurz vor ihrem endgültigen Ende gewissermaßen zu einer letzten Konsequenz geführt wurde: Der Herzog übernahm nicht nur die juristische und die finanzielle, sondern faktisch auch die künstlerische Leitung des Theaters. Nach einer mehrjährigen Einarbeitungsphase setzte Georg II. im Frühjahr 1873 mehrere kulturpolitische Signale: Hierher gehören die Erklärung sowohl des Theaters als auch des Orchesters zu seinem persönlichen Eigentum, mit der Konsequenz, dass beide ausschließlich aus der herzoglichen Privatschatulle finanziert wurden, andererseits in allen künstlerischen und personellen Belangen direkt dem Herzog unterstanden. Aber auch seine „morganatische“ Eheschließung mit einer (von ihm geadelten) Schauspielerin lässt sich vor diesem Hintergrund interpretieren. Für das nach den herzoglichen Prinzipien reformierte Theater wurden nun auswärtige Gastspiele ins Auge gefasst und seit 1874 auch
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in zunehmendem Umfang durchgeführt: Im Frühjahr 1874 gaben die Meininger 47 Vorstellungen in Berlin, 1875 wurde diese Unternehmung wiederholt und im Herbst des Jahres durch 37 bzw. 17 Vorstellungen in Wien bzw. Budapest noch überboten. Übrigens waren diese Reisen mit elf Güterwaggons voll Dekorationen und Ausstattungsmaterial auch eine organisatorische Meisterleistung des Meininger Hofmarschallamts. 1881 stellte das Ensemble seine ShakespeareInszenierungen sogar in London vor. Man muss sich klar machen, welche Herausforderung (und welches Risiko) dies alles bedeutete: Es wurden gewissermaßen die führenden Bühnen der beiden deutschsprachigen Metropolen in die Schranken gefordert und eine neue Art der Shakespeare-Inszenierung im Heimatland des Dichters vorgeführt, und zwar mit überwältigendem künstlerischen und finanziellen Erfolg. Das Meininger Theater war übrigens auch das erste deutschsprachige Theater, das 1876 ein Stück von Henrik Ibsen auf die Bühne brachte. Es ist darin für das Berliner Deutsche Theater und für das Wiener Burgtheater richtungweisend geworden. Berühmte Schauspieler, die später in Berlin unter Max Reinhardt oder in Wien am Burgtheater Karriere machten (wie Gertrud Eysoldt oder Josef Kainz), haben in Meiningen unter Ludwig Chronegk und Georg II. begonnen. Dieser Erfolg, den der Herzog freilich nur von Meiningen aus genießen konnte (nur einer Wiener Vorstellung wohnte er inkognito bei), lieferte dann auch das genaue Modell – den Anreiz wie den Maßstab – für die spätere Reisetätigkeit des Meininger Orchesters unter Hans von Bülow. Wir kommen damit also zu der traditionsreichen Meininger Hofkapelle. Neben dem Aus- und Umbau des Theaterbetriebs, der eigentlichen Domäne des Herzogs, rückte auch die Hofkapelle in das Zentrum kulturpolitischer „Fürsorge“. 1867, also gleich nach dem Amtsantritt Georgs II., fungierte Meiningen als Austragungsort für das Tonkünstlerfest des „Allgemeinen Deutschen Musikvereins“ unter Franz Liszt, und im Sommer 1876 wurde die Kapelle dem Bayreuther Unternehmen Richard Wagners als Festspielorchester zur Verfügung gestellt. Die Leistungsfähigkeit des Meininger Orchesters und sein Repertoire blieben allerdings unter dem noch vor Georgs Amtsantritt eingestellten Hofkapellmeister Emil Büchner (1865–1881) ein ständiges Objekt herzoglicher Kritik. Gemessen an der überregional, ja sogar international gewürdigten Qualität des Meininger Theaters bildete das Orchester geradezu ein Ärgernis. Erst 1879 gelang mit der Verpflichtung des in Hannover gerade frei gewordenen Dirigenten Hans von Bülow, den der Herzog durch die Vermittlung seiner Gattin, einer ehemaligen Klavierschülerin Bülows, kennenlernte, die Schaffung neuer Voraussetzungen. Die nur wenige Jahre dauernde Ära Bülow (1880–1885), für den eigens die Stelle eines „Intendanten der Hofkapelle“ eingerichtet wurde, schuf die Grundlage für den überregionalen Ruhm des Meininger Orchesters, der sich noch kurz
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vor dem Ersten Weltkrieg darin ausdrückte, dass ein Musiker wie Max Reger es als künstlerische Erfüllung empfand, als Meininger Hofkapellmeister zu wirken (1911–1914). Zu den wichtigsten Arbeitsbedingungen, die Bülow vorfand, zählte die einzigartige Befreiung des Orchesters vom Theaterdienst, die eine Konzertprobenarbeit in bis dahin nicht gekannter Intensität ermöglichte. Bülows eigene Schilderung dieser Probenarbeit nimmt übrigens das Vorbild der Ensembleproben des Theaters in Anspruch: Ich arbeite nach den Meininger Prinzipien: Separatproben von Bläsern und Streichern, letztere wieder subdividirt in 1. und 2. Geigen, Violen, Celli und Bässe. Jede dynamische Nüance wird studirt, jeder Bogenstrich, jedes Staccato genau gleichmäßig vorgezeichnet, musikalische Phrasirung und Interpunktion in jedem Detail probirt.3
Die Kehrseite der Medaille war jedoch, dass die meisten Musiker – anders als die Ensemblemitglieder des Theaters – immer nur saisonweise, von Anfang Oktober bis Mitte April, beschäftigt waren. Nach dem 2. April, dem Geburtstag des Herzogs, pflegte die Meininger Konzertsaison zu enden, und das Herzogspaar reiste in die Sommerfrische ab. Exemplarisch – und daher eine Konzentration auf diesen kurzen Zeitraum rechtfertigend – sind die Wirkungsjahre Bülows in Meiningen darin, dass sie alle künstlerischen, organisatorischen, kulturpolitischen und finanziellen Probleme des fürstlich betreuten Meininger Musiklebens wie im Brennspiegel vorführen. Sie lassen sich als komplexes System von Interessengemeinsamkeiten und Interessenkonflikten beschreiben, aus dem ich vier Themen herausgreife.
1. Gemeinsame ästhetische Grundüberzeugungen des Fürsten und seines Intendanten Aus Gründen der Orchester- und Publikumserziehung (der „Stilbildung“) wurde ein im sonstigen Konzertbetrieb so nicht denkbares Programm durchgeführt. Sämtliche Abonnementskonzerte der ersten Saison (1880/81) (vgl. Anhang 1) galten dem symphonischen Œuvre Beethovens (einschließlich einer Doppelaufführung der Neunten Symphonie). Auch weiterhin konnte Bülow mit herzoglicher Billigung in Meiningen eine kompromisslose, nur künstlerischen Prinzipien verpflichtete Programmpolitik durchführen. Dieser künstlerische (und nicht der eher bescheidene pekuniäre) Aspekt der Meininger Stellung war für Bülow fraglos der ausschlaggebende. Es sind allerdings Fälle belegbar, in denen der Herzog sich, als Anwalt des auf Ab3
Hans von Bülow, Briefe und Schriften, hg. v. Marie VON BÜLOW, Leipzig 1895–1908, Bd. 6, S. 36, Fn. 2.
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wechslung bedachten Meininger Konzertpublikums argumentierend, gegen Bülows Programmgestaltung wendete. Die speziellen Meininger Arbeitsbedingungen in der Anfangszeit der Ära Bülow waren auch der entscheidende Grund für Johannes Brahms, durch Bülow eingeladen, neue Werke (wie das 2. Klavierkonzert) zunächst abseits der breiten Öffentlichkeit in Meiningen auszuprobieren, die Meininger Hofkapelle also geradezu wie ein Versuchslabor zu nutzen. Allerdings war es dann gerade Brahms, der sich schon im darauffolgenden Jahr zusammen mit Bülow und dem Meininger Orchester auf jene Reisen begab, mit denen die Hofkapelle aus ihrer provinziellen Abgeschiedenheit heraustrat und sich der europäischen Öffentlichkeit präsentierte.
2. Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer kulturpolitischen Missionierungsaufgabe, die der Herzog mit seinem Intendanten teilte Nach dem Modell der erfolgreichen auswärtigen Gastspiele des Theaterensembles wurden seit 1881 auch Tourneen des Orchesters durchgeführt, die den „Meininger Prinzipien“ schließlich selbst in den Musikmetropolen Berlin und Wien Anerkennung verschafften. Vermutlich hat diese Idee bei Bülows Anstellung von Anbeginn an eine Rolle gespielt, obwohl sich dies nicht dokumentarisch belegen lässt. Allerdings waren dafür zunächst erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden. Erprobt wurde das Tourneekonzept im Frühjahr 1881 erst einmal in der näheren Umgebung (Franken, Bayern) und erst ein Jahr später überregional. Die mehrwöchigen Tourneen mussten, teilweise mit Strafentlassungen, gegen den anfänglichen Widerstand der Musiker durchgesetzt werden. Der Anhang 2 gibt einen Überblick über die Reisetätigkeit des Orchesters unter Bülow. Ein Detailausschnitt (vgl. Anhang 3) zeigt, wie dicht die Termine lagen, wie strapaziös mit anderen Worten diese Tourneen gewesen sein müssen. Das finanzielle Risiko der normalerweise lukrativen Orchesterreisen musste, wie sich im Falle von Bülows Ausfall durch längere Krankheit zeigte, die herzogliche Privatkasse tragen. Als Organisator der Tourneen war der Berliner Konzertagent Hermann Wolff tätig, der sich eigentlich erst mit den Reisen der Meininger Kapelle die Grundlage für seine aufstrebende Firma schuf. Wolff erhielt während der Berliner Konzerte 5 %, in allen übrigen Städten 10 % der Netto-Einnahmen. Als er im Herbst 1882 für die ausgefallene Tournee entschädigt werden musste (mit einem Betrag, der fast die Hälfte von Bülows Jahresgehalt ausmachte), wollte Bülow dafür aufkommen, was jedoch der Herzog nicht zuließ.
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3. Konflikte zwischen lokalen und überregionalen Gesichtspunkten Bülows Anstellungsbedingungen garantierten ihm erhebliche Freiräume zur Verfolgung seiner privaten Karriere. Der Herzog hatte es in einem Brief an Bülow (28. Januar 1880) so ausgedrückt: „Ein pied à terre in Meiningen an der Spitze, resp. über der Kapelle, von wo Sie jederzeit nach allen Richtungen der Windrose ausfliegen können.“4 Und in dem Angebot der Freifrau von Heldburg hatte es schon im November 1879 geheißen: Sie nehmen sich unseres Musikbedürfnisses an, soweit es Ihnen mit Ihrer auswärtigen Thätigkeit vereinbar scheint. Wir sind hier vom 1. Nov. bis 1. Mai; in der Zeit geben Sie uns Orchesterconcerte, entweder unter Ihrer persönlichen Leitung oder, wenn Sie ausgeflogen sein wollen, unter Büchner’s Leitung. Ruft die season Sie nach England, so gehen Sie natürlich nach England, und wir zehren indessen an dem Theil Ihres Geistes, den Sie während Ihrer Anwesenheit dem Orchester eingehaucht haben. Im Sommer sind Sie so wie so vogelfrei! Wollen Sie sich als Hofcharge angesehen haben, bon, wollen Sie dies nicht, ist der Intendant in Zukunft keine Hofcharge mehr.5
Aber grau ist alle Theorie, und in der Praxis ließ sich diese schöne Konstruktion nicht immer reibungslos realisieren. Bülow nutzte die konzertfreien Zeiten für seine europaweiten Tourneen als Pianist, auf die er auch aus finanziellen Gründen dringend angewiesen war. Sein Jahresgehalt als Intendant der Hofkapelle betrug 5.000 Mark (zum Vergleich das Jahresgehalt des ersten Konzertmeisters Friedhold Fleischhauer: 2.300 Mark, das des ersten Oboisten: 1.050 Mark); da er sich freilich bei der Scheidung von Cosima von Bülow dazu verpflichtet hatte, für jede seiner Töchter 40.000 Mark an Mitgift bereitzustellen (also das Achtfache seines Meininger Jahresgehalts), wird deutlich, dass er die Meininger Bezahlung nur als eher symbolisch betrachten konnte, sich aber auch zu großzügigem Umgang mit seiner eigenen Zeit berechtigt glauben durfte. So blieb der alte Hofkapellmeister Emil Büchner zunächst noch im Amt. Nach seiner Pensionierung wurde zu Bülows Entlastung ein Stellvertreter eingestellt (Franz Mannstädt, 1882–1885; danach der erst einundzwanzigjährige Richard Strauss), der die Abonnementskonzerte während Bülows Abwesenheiten oder Krankheiten leitete. Bülow selbst aber tendierte zunehmend zur Durchführung der auswärtigen Konzerte nur durch ihn selbst und zur Delegation der Meininger Abonnementskonzerte an seinen jeweiligen Stellvertreter. Dem Gesuch Bülows vom Sommer 1885, den Intendanzposten und die Abonnementskonzerte aufzugeben, wurde jedoch nicht stattgegeben. Natürlich hatte 4 5
Hans von Bülow, Briefe und Schriften (wie Anm. 3), Brief von Georg II. von SachsenMeiningen an Hans von Bülow, 28. Januar 1880, S. 1. Ebd., Brief Freifrau von Heldburg an Hans von Bülow, 5. November 1879, S. 1 f.
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dies auch egoistische Motive, da ja eine Begleitung der Kapelle auf Reisen durch den Herzog nicht in Frage kam. Aber Georg II. argumentierte durchaus im Interesse seines patriarchalisch verstandenen Kulturauftrags: Er bestand auch auf Bülows lokaler Präsenz zugunsten der Qualität des Musiklebens in der Residenz. Zu den Maßnahmen, die dem Meininger Musikleben zugutekamen, gehörten beispielsweise die moderate Eintrittspreisgestaltung oder die mit der (privaten) Eisenbahngesellschaft getroffenen Sondervereinbarungen, zwecks Ausdehnung des Einzugsbereichs bis nach Eisenach. In der ersten Bülowschen Konzertsaison waren die Eintrittspreise von 40 Pf. (im Stehparterre und auf der Galerie) bis hin zu 2,50 Mark (Fremdenloge) gestaffelt; von der folgenden Saison an wurden diese Preise geringfügig erhöht (50 Pf. bis 3 Mark) und blieben dann konstant. Lediglich für das Benefizkonzert zugunsten der Pensionskasse des Orchesters (Dezember 1880) gab es deutlich erhöhte Eintrittspreise (zwischen 1 Mark für den Stehplatz und 8 Mark für die Fremdenloge).
4. Konflikte zwischen künstlerischen und finanziellen Interessen Die Orchestergröße hielt sich, von Bülow häufig beklagt, stets nur am unteren Rande des Vertretbaren. Und diese Orchestergröße war von Georg II. auch nur eigens im Hinblick auf die Tourneen hergestellt worden. Nach Bülows Weggang wurden sogleich wieder Stellen eingespart, was dann auch zur baldigen Demissionierung von Bülows Nachfolger Richard Strauss führte. Dabei war das Orchester vor allem auch im Vergleich zum Theater-Ensemble, das ca. 70 feste Mitglieder umfaßte, winzig, was besonders in den Gastspielstädten, die über große Klangkörper verfügten (Berlin oder Wien), stets als Kuriosum vermerkt wurde. Von den ca. 50 Mitgliedern der Hofkapelle waren zudem nur wenige fest eingestellt und pensionsberechtigt. Zu den regelmäßig unter Bülow durchgeführten Konzertveranstaltungen gehörte daher auch das jährliche Benefizkonzert für den Pensionsfonds des Orchesters. Die meisten Musiker waren Saisonarbeitskräfte, die ihr Geld den Sommer über in Bade- und Kurorchestern verdienen mussten. In einigen Fällen zahlte Bülow Gehaltszulagen aus eigener Kasse, um gute Musiker bei der Kapelle zu halten. Bülows Klagen über diesen Zustand füllen Dutzende von Briefseiten. Ich will hier zwei Beispiele aus der Anfangsphase, vom Herbst 1882, zitieren, weil sie ein gravierendes strukturelles Problem betreffen, das für die kleinen, kaum rentabel arbeitenden Hofkapellen in Deutschland typisch gewesen sein dürfte: Wie gut hat es doch der Leiter des herzoglichen Schauspiels! Seine Leute haben einen Monat Ferien, bleiben bei der Fahne. Die meinen, so sehr nur halbmeinen, haben sich fünf Monate in allen möglichen unkünstlerischen Badeorchestern herumgetrieben, der Sorge um die Subsistenz halber.
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Und weiterhin: Für diese künftige Saison hoffe ich mit den von Eurer Hoheit dargebotenen Opfern durchzukommen, ich werde mir die möglichste Mühe geben, die Sache nochmals durchzuschwindeln – das auswärtige Publikum über unsere Mängel hinwegzufitzen. Aber glauben mir Eure Hoheit, das ist aufreibender, als es sich während der Gaukelei empfindet.6
Schon die Mitwirkung der Meininger Kapelle bei den Bayreuther Festspielen war für die Musiker zwar ehrenvoll, aber auch finanziell katastrophal gewesen: Die umfangreichen Vorproben im Sommer 1875 wie auch die eigentlichen Festspielaufführungen im Sommer 1876 hatten, weil in der besten Nebenverdienstzeit stattfindend, für viele Orchestermitglieder den Verzicht auf Einkünfte in Kur- und Badeorchestern bedeutet. Die Aufwandsentschädigung aus der herzoglichen Kasse deckte diese persönlichen materiellen Einbußen bei weitem nicht. Eine tarifliche Bezahlung der Musiker lehnte Georg II. jedoch ausdrücklich aus künstlerischer, dem Leistungsprinzip folgender Überzeugung ab: Ein regelmäßiges Ansteigen der Gehälter, ein vollkommenes Tarifsystem eignet sich durchaus nicht für ein Kunstinstitut, wo es sich handelt um künstlerische Größen einerseits und um Handlanger, Mitläufer, Tonverstärker andererseits […] Die Kapelle wünscht sich ein bequemes Leben. Mit bequemem Leben kontrastiert aber das, was hohe künstlerische Betätigung ist. Um noch bequemer leben zu können, wollen diese Menschen auch noch steigende Gage haben. Je älter sie aber werden, je weniger sind sie zu gebrauchen, besonders die Bläser, welche Luftmangel bekommen u. Zahnlücken. Mit der Tarifisierung ist’s also nichts.7
(Georg hatte übrigens, aus partiell ähnlichen Gründen, auch veranlasst, dass sein Theater zeitweilig [1879–1887] aus der Deutschen Bühnengenossenschaft wieder austrat.) Wegen dauernder Neueinstellungen infolge einer hohen Abwerbungsrate durch andere Orchester boten die gravierenden künstlerischen Folgeprobleme häufige Anlässe für Konflikte zwischen Intendanz und Dienstherrn und waren die eigentliche, tiefer liegende Ursache für Bülows Rücktritt im November 1885, zu dem ein vorübergehendes Zerwürfnis mit Johannes Brahms während der letzten Tournee des Orchesters nur den vordergründigen Anlass gab. Auch sein Stellvertreter Richard Strauss verließ Meiningen eine Saison später, weil er die Reduktion der Kapelle um elf Stellen nicht akzeptieren wollte. Erst unter Bülows kompromissbereiterem Nachfolger Fritz Steinbach gelangen neue Lösungen. Die unter Steinbach 1895, 1899 und 1903 durchgeführten Landesmusikfeste befestigten die überregionale Bedeutung der Meininger Hof6 7
Beide Briefstellen zitiert nach Alfred ERCK/Inge ERCK/Herta MÜLLER (Hg.), Hans von Bülows Meininger Jahre, in: Südthüringer Forschungen 25 (1990), S. 30. Zit. nach Herta MÜLLER, Die Meininger Hofkapelle, in: Coburger Geschichtsblätter der Historischen Gesellschaft Coburg 2 (1994), S. 58.
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kapelle, die vor allem von der durch Bülow etablierten „authentischen“ BrahmsTradition profitierte. *
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So bietet die Meininger Hofkapelle ein Modellbeispiel für eine Kunstinstitution, deren Leistungen aus einem beständigen Kompromiss zwischen materiellen und ideellen Erwägungen hervorgegangen sind. Der pädagogisch-patriarchalische Zuschnitt der herzoglichen Kulturpolitik kommt deutlich in der Giebelinschrift des Meininger Theaterneubaus zum Ausdruck: „Dem Volke zur Freude und Erhebung“ (ursprünglich geplant als „Dem Volke zur Freude und Bildung“). Das kulturelle Niveau der Residenz (und überhaupt des kleinen Herzogtums) hat sicherlich von dieser Kulturpolitik profitiert. Das Meininger Unternehmen hat außerdem, wie eingangs erwähnt, Theater- und Musikgeschichte gemacht. Es heißt schon etwas, wenn ein Musiker vom Format Max Regers, der übrigens später dieses Amt wirklich bekleidete, sagen konnte: „Es gibt nur ein Orchester, das ich habe[n] möchte: Meiningen“. Die Voraussetzung für diesen eminenten Ruf der Kapelle hatten Georg II. und Hans von Bülow in den Jahren der „Ära Bülow“ geschaffen. Es hatten sich während dieser Zeit aber auch alle Schwierigkeiten gezeigt, die das Gelingen dieser Unternehmung in einer immer nur prekären Balance hielten. Bülows Briefäußerung aus seiner frühen Meininger Zeit, „daß die beste Republik ein kunstsinniger, kunstverständiger Fürst“8 sei, ist zwar unmittelbarer Ausdruck der Meininger Ausnahmeerfahrungen. Der Idealismus erwies sich allerdings sehr rasch als pragmatisch überholt: Die Kürze von Bülows Wirken in Meiningen ist auch ein Indiz dafür, dass die Widersprüche – einerseits das künstlerische Niveau von Theater- und Konzertleben, das zeitweilig nicht nur mit den ersten deutschen Großstädten konkurrieren konnte, sondern für diese sogar maßstabsetzend war, andererseits die deutlich spürbare Provinzialität der kleinen Residenz (bis hinein in die finanzielle Dimension der Unternehmung) – keine dauerhafte organisatorische Lösung zuließen. Noch die Kürze der Amtszeit Max Regers ist später unmittelbar ein solches Symptom.
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Brief Bülows vom 12.11.1883, zit. nach ERCK/ERCK/MÜLLER (Hg.), Hans von Bülows Meininger Jahre (wie Anm. 6), S. 33.
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Anhang 1: Programm der Abonnementskonzerte (1880/81) Erste Saison (1880/81): Erster Zyklus: Beethoven I. II. III. IV. V. VI.
07. November 1880: unter anderem 1. und 2 Symphonie; 14. November 1880: unter anderem 3. Symphonie (Eroica); 21. November 1880: unter anderem 4. und 5. Symphonie; 28. November 1880: unter anderem 6. Symphonie (Pastorale); 05. Dezember 1880: unter anderem 7. Symphonie; 12. Dezember 1880: unter anderem 8. Symphonie;
Extra-Konzert (19. Dezember 1880): zweimal 9. Symphonie; Benefizkonzert (25. Dezember1880): unter anderem 5. Klavierkonzert (Solist: Bülow); Zweiter Zyklus: diverse Komponisten I. II. III.
16. Januar 1881: Weber, Schubert; 13. Februar 1881: [von Emil Büchner dirigiert, da Bülow auf Solo-Tournee durch Österreich]; 13. März 1881: Brahms, Raff, Händel, Liszt etc.
Zweite Saison (1881/82): I. II. III. IV. V. VI.
30. Oktober 1881: Mozart; 06. November 1881: Mendelssohn Bartholdy; 13. November 1881: Mozart; 27. November 1881: Brahms; 04. Dezember 1881: Haydn; 11. Dezember 1881: Schumann
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Anhang 2: Tourneen der Meininger Hofkapelle 1881
1882
1884
Ende Januar: Coburg, Bamberg, Erlangen, Nürnberg, Coburg, Sonneberg; Anfang März: Jena, Halle; Ende März: Schweinfurt, Bamberg, Ansbach, Nürnberg, Regensburg, Würzburg. Januar: Eisenach, Berlin, Hamburg, Kiel, Bremen, Hamburg, Berlin, Halberstadt, Leipzig, Köthen; März: Hannover, Bremen, Hannover, Leipzig, Dresden, Leipzig, Hamburg, Lübeck, Bremen, Breslau, Halle, Erfurt. Januar: Eisenach, Frankfurt, Darmstadt, Würzburg, Nürnberg, Erlangen, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Worms, Mainz, Neustadt, Frankfurt, Wiesbaden, Gießen, Kassel; Februar: Hamburg, Kiel, Lübeck, Bremen, Hamburg, Berlin; Oktober bis Dezember: Würzburg, Mannheim, Neustadt, Frankfurt, Karlsruhe, Wiesbaden, Straßburg, Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart, München, Wien, Preßburg, (Buda-)Pest, Wien, Graz, Brünn, Wien, Prag.
1885 März: Hamburg, Lüneburg, Hamburg, Lübeck, Hamburg, Rostock, Stettin, Stolp, Danzig, Königsberg, Elbing, Bromberg, Posen, Landsberg, Berlin, Leipzig; November: Frankfurt, Siegen, Dortmund, Essen, Elberfeld, Düsseldorf, Rotterdam, Utrecht, Amsterdam, Den Haag, Haarlem, Arnheim, Utrecht, Den Haag, Rotterdam, Amsterdam, Krefeld, Bonn, Köln, Frankfurt.
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Anhang 3: Die Tournee der Meininger Hofkapelle vom Januar 1882 Spieltag
Spielort
3. Januar
Eisenach
4. Januar
Berlin
5. Januar
Berlin
6. Januar
Berlin
7. Januar
Berlin
8. Januar
Berlin
9. Januar
Berlin
10. Januar
Hamburg
11. Januar
Hamburg
12. Januar
Kiel
13. Januar
Kiel
14. Januar
Bremen
15. Januar
Hamburg
16. Januar
Berlin
17. Januar
Berlin
18. Januar
Berlin
19. Januar
Halberstadt
20. Januar
Leipzig
21. Januar
Köthen
BERND ERNSTING HARMONIE IN KLANG UND KUNST
Harmonie in Klang und Kunst Herzog Georg II., Elisabeth von Herzogenberg und Adolf von Hildebrand
Politische, gesellschaftliche und kulturelle Umwälzungen zeitigten im fortschreitenden 19. Jahrhundert auch die Wandlung im Verhältnis der Künstler aller Sparten zu ihrem Publikum. Letzteres teilte sich einerseits in anonyme Rezipienten, die etwa als Leser, als Ausstellungs-, Konzert- und Theaterbesucher des Schöpfers Leistung gewissermaßen gegen Gebühr und nur auf Zeit in Anspruch nahmen, und andererseits in Auftraggeber und sonstwie Fördernde, die oftmals die Werkentstehung erst ermöglichten, nicht selten initiierten und manches Mal inhaltlich und gestalterisch mitbestimmten. Ist im folgenden von einem solchen Auftraggeber (und seiner Gattin!) und von den ihm verbundenen Künstlern die Rede, so gilt es vorderhand, deren jeweilige Positionen und das hierauf aufbauende Verhältnis zwischen den Protagonisten zu definieren. Herzog Georg II. (1826–1914) repräsentiert – im Wortsinne – zunächst den aufgeklärten, liberalem Denken aufgeschlossenen Fürsten, der zum ahnbaren Ende des politischen Feudalsystems als (noch) Regierender, als selbst sozialreformerisch Engagierter dennoch strikt an konservativ-konstitutionellen Vorstellungen festhält. Gleichzeitig aber stößt er auf dem Gebiet der Künste die Türen auf in eine Zukunft, von der er hat wissen müssen, daß sie sich seinem Stand künftig nicht mehr existentiell verpflichtet wird sehen. (Abb. 1) Mit ihm teilte das kosmopolitisch denkende und agierende Musikerehepaar Herzogenberg, wie der Herzog in eine vorbestimmte gesellschaftliche Rolle hineingeboren und durch gezielte Ausbildung tief hineingewachsen, die Einsicht, daß Fortschritt in der Kultur Indiz für Wandel eben auch dieser, ihrer Gesellschaft ist. (Abb. 2) Dagegen ist Adolf – zunächst noch ohne jegliches „von“ – Hildebrand (1847– 1921) par excellence ein Aufsteiger, der aus bescheidenen Verhältnissen schließlich im Zenith jenes Künstlerkultes anlangt, den das 19. Jahrhundert so sehr auszeichnet. (Abb. 3) Wo jedoch er, vergleicht man seinen Habitus etwa mit dem Auftreten und der Adorationserwartung mancher Malerfürsten seines schließlich Münchner Umfeldes, in seiner menschlichen Nahbarkeit eine Ausnahme bilden sollte.
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BERND ERNSTING
Abb. 1: Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen mit Helene Freifrau von Heldburg am Klavier (Fotografie eines unbekannten Fotografen), um 1890
HARMONIE IN KLANG UND KUNST
Abb. 2: Heinrich und Elisabeth von Herzogenberg (Fotografie eines unbekannten Fotografen), 1872
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Abb. 3: Adolf von Hildebrand vor einem Landschaftsbild von Ernst Sattler (Fotografie eines unbekannten Fotografen), um 1897
Als Sproß einer demokratisch gesinnten Familie, deren Vater politisches und ökonomisches Opfer des Vormärz und der Restauration in Folge der 1848er Revolution geworden war, stände der Bildhauer eigentlich im antagonistischen Verhältnis zu Exponenten gerade dieses Standes. Daß dies nicht der Fall war,
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daß ihn und den Herzog und dessen Gattin alsbald eine wechselseitig achtungsvolle Freundschaft verbinden konnte, gründet im allen dreien eignenden Gespür für die integere und bereichernde Eigenart eines Gegenübers. Zumindest für Hildebrand ist – sieht man vom problematischen Verhältnis zu Hans von Marées (1837–1887) ab – kein tiefgreifendes Erlebnis menschlicher Enttäuschung überliefert. Musisch mehrspartig begabt waren Herzog wie der 21 Jahre jüngere Künstler: Beherrschte der eine virtuos das Piano, so galt der andere als begabter Dilettant auf Bratsche und Violine.1 Der Herzog konnte den darbietenden Ausdruck seiner Begeisterung auf öffentlicher Bühne inszeniert hören und sehen; hingegen fanden Hildebrands kammermusikalische Freundschaftsbegegnungen im intimen Florentiner, später Münchner Hauskreis statt. Zu seinen musikalisch professionellen Freunden und oft langjährigen Korrespondenten zählen neben den Herzogenbergs u. a. Clara Schumann (1819–1896), Hans von Bülow (1830– 1894), Richard (dessen Musik ihm zeitlebens fremd bleibt) und Cosima Wagner (1813–1883 bzw. 1837–1930), früh der Pianist Giuseppe Buonamici (1846– 1914) und, wiederholt porträtiert, der Dirigent Hermann Levi (1839–1900).2 Der Herzog seinerseits war von Jugend an im Zeichnen geübt und entwarf nicht nur Theaterkostüme und -kulissen. Bemerkenswert war seine Fähigkeit zur räumlichen Vorstellung: Auch darin sprechen er und der Bildhauer, der mit seiner kunsttheoretischen Schrift „Das Problem der Form in der bildenden Kunst“3 das moderne Verständnis der Wechselbeziehung zwischen plastischer 1
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Hildebrand sammelte auch Instrumente: Am 5. Dezember 1881 berichtete er Heinrich von Herzogenberg über den eventuellen Ankauf einer Viola in Florenz, aus Berlin am 24. Oktober 1884 dessen Gattin, daß er in Dresden eine Geige erworben habe. Vgl. Bayerische Staatsbibliothek (im Folgenden: BSB), Ana 550, 3 S., Zitat S. [1] bzw. Postkarte, Rückseite. Für die Erschließung der in der Bayerischen Staatsbibliothek zu München und im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM) bewahrten Archivalien danke ich Vera Bachmann, für Transkriptions- und Textverdichtungshilfe Karin Zeleny; bei Bildbeschaffung und Redaktion unterstützte Isabel Hufschmidt den Verf. Dank gilt auch allen Kollegen, die Anfragen beantworteten und Abbildungen zur Verfügung stellten. Der Beitrag wurde nach den Regelungen der Rechtschreibung vor 1996 abgefaßt. – Zum Überblick zu Biographie und Werk Adolf von Hildebrands vgl. Bernd ERNSTING, Hildebrand, Adolf von, in: Allgemeines Künstler-Lexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 73, Berlin/Boston 2012, S. 157–164 (ausf. und mit vollst. Werkverzeichnis im AKL online). Im Folgenden zu den Hildebrand-Bildnisarbeiten Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portrait, München 1984 (Diss. phil. München 1980). Hiernach auch die jeweiligen (womöglich im Einzelfalle nicht mehr aktuellen) Standortnachweise: Schumann, S. 100, Kat.-Nr. 64; Bülow, S. 127, Kat.-Nr. 101 a und b; Wagner, S. 154, Kat.Nr. 147; Buonamici, S. 81, Kat.-Nr. 35; Levi, S. 98, Kat.-Nr. 60, S. 132, Kat.-Nr. 110, S. 146, Kat.-Nr. 131 a-c, jeweilige Abbildung. Erste Ausg. Straßburg 1893, seitdem weitere, teils durch Hildebrand redigierte Ausgaben bis zur 8. von 1910.
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Form und deren Umraum analysierte und prägte, dieselbe Sprache. Eine Sprache ihrer Gegenwart, deren Gesprächsstoff sich aus Vergangenheiten ableitet und die daraus Zukunft bildet. Sie teilten die schon sprichwörtliche deutsche Italien-Sehnsucht, jedoch in einem postromantischen Verständnis, das die erlebte Zeitgenossenschaft – ob in der idyllischen Villa Carlotta am Comer See oder in San Francesco di Paola oberhalb von Florenz – zurückblendet auf Humanismus und Renaissance. Dem römisch-antik orientierten Klassizismus standen sie fern, Hildebrand als Bildhauer umsomehr, und in einer Epoche eklektizistisch vermengter Historizismen war es in der Architektur die italienische Hochrenaissance, die sie als Quelle für ihre Bauten wählten. Gerade für den Herzog als Verehrer von Peter von Cornelius (1783–1867) ist dies beachtlich, wären dessen spätnazarenischen Bildwelten doch neoromanische oder -gotische Bauformen adäquat gewesen. Wie nicht selten in der Geschichte wechselseitig fruchtbarer Freundschaften bedurfte es eines Katalysators: hier des Komponisten- und Musikerehepaars Heinrich (1843–1900) und Elisabeth (1847–1892) von Herzogenberg. (Abb. 2) Sie, eine geborene von Stockhausen, war über die Eheschließung ihrer Schwester Julia (1842–1895) seit 1875 mit Henry Brewster (1850–1908) verschwägert, deren gemeinsamer Sohn Christopher (1879–1928) im Jahre 1902 die zweitälteste Hildebrand-Tochter, Elisabeth, gen. Liesel (1878–1956), heiratete; die Brewsters waren seit 1874 Florentiner Nachbarn der Familie Hildebrand. Der Künstler sollte zum Bildniszeugen seiner Freundschaften werden, und nicht allein in den hier besprochenen Beziehungen währte diese Verbundenheit über den Tod hinaus, indem sie letztgültigen Ausdruck in den Grabzeichen der Vorangegangenen fand. Das früheste Bildnis, das der Bildhauer seiner seitdem eng vertrauten Korrespondentin widmete, entstand im Juni 1880 in San Francesco di Paola, und im Strahlkreis des genius loci rekurrierte er bewußt auf die Büstenreliefs im strengen Profil der von ihm hochgeschätzten Florentiner Frührenaissance.4 (Abb. 4, 5, 6) 4
Das überhaupt erste von Hildebrand geschaffene Musikerporträt: Elisabeth von Herzogenberg, 1880, Gips, 48 x 30 cm; Florenz, Privatbesitz. HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 82, Kat.-Nr. 36, Abb. Als nahes Beispiel Florentiner Bildnisreliefkunst der Renaissance, das der Bildhauer im Bargello gesehen haben dürfte, vgl. Matteo Civitali (1436–1501), Weibliches Profilbildnis, 1490er Jahre, Marmor, 58 x 43 cm, Florenz, Museo Nazionale del Bargello, Inv.-Nr. 43S; Martina HARMS, Matteo Civitali. Bildhauer der Frührenaissance in Lucca (Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, hg. von Joachim POESCHKE, Bd 1), Münster 1995 (Diss. phil. Würzburg 1991), S. 203 f., Abb. 76. – Außerdem zum Vergleich: Desiderio da Settignano (zwischen 1428 und 1431 – 1464), Olympia, Königin der Macedonier, um 1460–1464, Marmor, 55 x 35 cm, Segovia, Palacio Real de la Granja de San Ildefonso, Inv.-Nr. 10040081, in: Marc BORMAND/Beatrice PAOLOZZI STROZZI/Nicholas PENNY (Hg.), Desiderio da Settignano. La scoperta della grazia nella scultura del Rinascimento, Mailand 2006, S. 92, Abb. 65.
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Abb. 4: Adolf von Hildebrand, Elisabeth von Herzogenberg (Gips, 48 x 30 cm), 1880
Abb. 5: Matteo Civitali, Weibliches Profilbildnis (Bildnis einer Unbekannten) (Marmor, 58 x 43 cm), 1490er Jahre
Abb. 6: Desiderio da Settignano, Olympia, Königin der Macedonier (Marmor, 55 x 35 cm), um 1460–1464
Abb. 7: Adolf von Hildebrand, Elisabeth von Herzogenberg (Marmor nach Modell von 1885, H. 56 cm), 1894
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Zumal er zur gleichen Zeit ihre Schwester Julia als Halbfigur mit verschränkten Händen – eine der originellsten plastischen Bildnisfindungen überhaupt – modellierte, drängte es ihn, wie er Konrad Fiedler (1841–1895) schrieb, nach einer Büstenfassung auch des Elisabeth-Porträts.5 Dieses entstand fünf Jahre später und diente, auf Veranlassung des Witwers sowohl in Marmor wie mehrfach als Gipsabguß ausgeführt, nach Elisabeths Tod im Jahre 1892 deren Freunden als häusliches Erinnerungsmal.6 (Abb. 7)
Abb. 8: Elisabeth von Herzogenberg (Fotografie eines unbekannten Fotografen), undatiert
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Abb. 9 (auch F-Abb. 10): Adolf von Hildebrand, Elisabeth von Herzogenberg mit Notenblatt (Terrakotta, farbig gefaßt, 100 x 68 cm), 1885–86
Julia Brewster, 1880–1881, Marmor, H. 69 cm; Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.-Nr. SK 283. HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 82–85, Kat.-Nr. 37, mehrere Abb. – Zum Herzogenberg-Relief schrieb Adolf von Hildebrand am 4. Juli 1880 an Konrad Fiedler: „[…] es ist so schwer sie ganz in ihr Profil hinein zu bringen. Dagegen ist eine Büste leicht, und das möchte ich später einmal.“ Zitat nach HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 82; diese nach BSB, ohne Signaturnachweis (wohl Ana 550). Elisabeth von Herzogenberg, 1885 (Gips), H. 56 cm (mit Büstenfuß), 2 Ex. in Privatbesitz; Elisabeth von Herzogenberg, 1894 (Marmor), H. 56 cm (mit Büstenfuß), Leipzig, Museum der bildenden Künste, Inv.-Nr. P 146. HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 96– 97, Kat.-Nr. 58 a (Gips) und 58 b (Marmor), Abb. 58 b S. 97. – Unbek. Photograph: Elisabeth von Herzogenberg, undat.; freundlicherweise zur Verfügung gestellt durch Andres Stehli, Verein Internationale Herzogenberg-Gesellschaft, Heiden.
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Innerhalb von Hildebrands Gesamtwerk fällt bei weiblichen Bildnissen die Tendenz auf, diese als teils stark erhabenes Relief zu formen und in einen szenischen Reliefraum zu projizieren, der geradezu nach architektonischer Rahmung verlangte; diese Bühne einer narrativen Selbstvermittlung der Bildgestalten konzipierte er oft in Anlehnung an Florentiner (Majolika-)Reliefkunst der Zeit um 1500.7 Elisabeth widmete er ein solches, ließ trotz eines 1885 in Berchtesgaden gescheiterten, ersten Versuchs nicht nach und schuf das Relief schließlich im Winter 1885/1886 in Florenz.8 (Abb. 8, 9, 10)
Abb. 10: Andrea della Robbia, Madonna mit Kind (Madonna der Architekten) (Terrakotta, farbig glasiert, 135 x 92 cm), 1475–1476
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Als Beispiel solcher Rahmung vgl. Andrea della Robbia (1435–1525), Madonna mit Kind (genannt: der Architekten), 1475–1476, Terrakotta, farbig glasiert, 135 x 92 cm, Florenz, Museo Nazionale del Bargello, Inv.-Nr. Robbie n. 74 (1917); Giancarlo GENTILINI, I della Robbia. La scultura invetriata nel Rinascimento, 2 Bde., Florenz o. J. (1992), Abb. S. 187. Terrakotta, farbig gefaßt, 100 x 68 cm, Wien, Österreichische Galerie Belvedere, Inv.-Nr. 2433; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 99, Kat.-Nr. 62, Abb.; Sigrid ESCHEBRAUNFELS, Adolf von Hildebrand (1847–1921), Berlin 1993, S. 137–140, Abb. 157.
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Die ins Dreiviertelprofil gesetzte Halbfigur suggeriert eine sonst von Hildebrand gemiedene Raumtiefe, die relativ naturalistische Polychromie einen hohen Grad an Verismus und damit an leibhaftiger Präsenz. Das Notenheft und das links unten beigegebene kleine Vöglein lassen die Dargestellte als Sängerin erscheinen. Das Motiv der geflügelten Lyra am unteren Rahmenrand bildet – vergleichbar mit dem wenige Jahre später entstandenen Büstenfuß zum Bildnis Georgs II. – gewissermaßen ihr Zunftwappen; auf ihr heraldisches wurde verzichtet. Ein ähnlich intimes Bild hatte Hildebrand zuvor nur seiner Gattin und den bis dahin drei gemeinsamen Kindern zugedacht.9 Die familiäre Nähe zu den Hildebrands ließ Heinrich von Herzogenberg, den der Bildhauer bei dieser Gelegenheit offenkundig erstmals porträtierte, die Wochen nach der Gattin Tod im Florentiner Hildebrand-Familienkreis verbringen; zehn Jahre später trug sein eigenes, Wiesbadener Grabmal eben dieses Relief.10 (Abb. 11, 12)
Abb. 11: Adolf von Hildebrand, Heinrich von Herzogenberg (Gips), 1892
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Abb. 12: Adolf von Hildebrand, Grabmal Heinrich von Herzogenberg (Nordfriedhof Wiesbaden), 1900
Irene Hildebrand mit ihren drei Kindern, 1881, Terrakotta, farbig gefaßt, 60 x 100 cm, Überlingen, Privatbesitz; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 86, Kat.-Nr. 40, Abb. 10 Heinrich von Herzogenberg, 1892 (Gips, Verbleib unbekannt); Heinrich von Herzogenberg, 1900 (Bronzeguß zum 1902 errichteten Grabmal), Wiesbaden, Nordfriedhof; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 115, Kat.-Nr. 83, Abb. Relief (Gips) und Grabmal (Stein und Bronze).
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Hatte Elisabeth von Herzogenbergs Vater, Bodo Albrecht Freiherr von Stockhausen (1810–1885), bereits selbst bei Frédéric Chopin (1810–1849) Klavierunterricht genommen, so förderte er das Talent seiner Tochter von Anbeginn: Unter ihren Wiener Klavierlehrern war 1863 kurzzeitig auch Johannes Brahms (1833–1897); dieser nahm den Kontakt zur inzwischen verehelichten Schülerin 1874 wieder auf und war seit 1876 häufig Leipziger Gast der Herzogenbergs. Durch sie lernte er 1881 Georg II. kennen, dessen Hausgast er vielmals in Thüringen und viermal in der Villa Carlotta sein sollte. Zu den gemeinsamen Bekannten zählten der Geiger Joseph Joachim (1831–1907)11 und Clara Schumann, mit welcher der Bildhauer intensiv korrespondierte. Dicht und engmaschig war dieses Netzwerk der Musikenthusiasten, innert dessen Hildebrand den künstlerischen Spartenexoten ausmachte; und wie jene sich trotz ihrer teils divergierenden musikalischen Auffassungen in der bildkünstlerischen Wertschätzung gerade dieses Bildhauers einig waren, belegen zahlreiche plastische Zeugnisse von dessen Hand. In Meiningen mag während seiner Zeit als Hofmusikintendant (1880–1885) auch Hans von Bülow, der sich 1870–1871 in Florenz mit Hildebrand angefreundet hatte, vielleicht über seine vormalige Gemahlin Cosima, die mit Hildebrand korrespondierte, dazu beigetragen haben, daß der Herzog um den Bildhauer wußte. Zur ersten persönlichen Begegnung zwischen Georg II. und Hildebrand dürfte es erst im Sommer 1891 gekommen sein: wohl auf Initiative des Herzogs, der durch den Bildhauer porträtiert werden wollte. Dessen Antwort vom 19. Juni 1891 zeugt bei allem gebotenen Respekt zugleich vom künstlerischen, sich allerdings allein aus den Erfordernissen seiner Arbeit herleitenden Selbstverständnis: Beschreibung des procedere, Abwägung, ob Bronze oder Stein, und auf den hieraus folgenden Zeitplan hat sich auch der Herzog einzurichten.12 Warum mag er ausgerechnet diesen Bildhauer angesprochen haben, über dessen Persönlichkeit er gewiß durch die gemeinsamen Freunde unterrichtet war? Eine Antwort lautet: Weil er sich hiermit im durch Hildebrand bereits porträtierten Kreis der künstlerisch Tätigen nicht erst einführte (denn die meisten kannte er bereits), aber doch im Wortsinne monumental als einer von ihnen dauerhaft etablierte – tatsächlich ist sein Bildnis erst das zweite eines Regierenden, das Hildebrand schuf, und dem andere erst später folgten.13 In welcher Situation 11 HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 144 f., Kat.-Nr. 129 a und b, 2 Abb. 12 Adolf von Hildebrand, Starnberg (Villa Lindau), am 19. Juni 1891 an Herzog Georg II., Meiningen. ThStAM, 365 II, Freifrau von Heldburg/Hausarchiv (im Folgenden: HA, Nachlaß. 13 Herzog Georg II. von Sachsen Meiningen, 1891–1892, Gips, H. 87 cm, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, Inv.-Nr. B 583; Herzog Georg II. von Sachsen Meiningen, 1892 (Guß), Bronze, H. 87 cm, Meiningen, Kunstsammlungen, Inv.-Nr. mm_an_0014; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 113 f., Kat.-Nr. 82, 2 Abb. Vermutlich kannte Georg II. Hildebrands Bildnisse des noch kindlichen Ludwig Wilhelm,
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befand sich der ums Bildnis Gebetene 1891, wenn er die Einladung zur Arbeitssitzung nach Thüringen unter Hinweis auf vorrangige Anderverpflichtungen ablehnte und umgekehrt den Herzog nach Bayern einlud? Nach langen Jahren des im Norden weitgehend unbemerkten Schaffens südlich der Alpen war Hildebrand gerade dabei, seinen wachsenden Bekanntheitsgrad in Deutschland gewissermaßen ortsfest zu manifestieren, hatte er doch den Auftrag zum monumentalen Wittelsbacher Brunnen in München erhalten und ein Atelier am dortigen Maffei-Anger eingerichtet.14 Einer landesfürstlichen Protektion über diejenige seitens des Prinzregenten Luitpold von Bayern (1821–1912) hinaus bedurfte der Künstler nicht; auf Porträtaufträge war er kaum (mehr) angewiesen. Daß er nun den Herzog zur Modellsitzung statt inmitten rein kunsttechnischer Geschäftigkeit am Münchner Wirkungsort lieber wochenends mit Gemahlin in der angemieteten Villa Lindau am Starnberger See empfing, ihnen sein eigenes Privatambiente öffnete, wird primär-atmosphärisch die rasche Knüpfung alsbald freundschaftlicher Bande befördert haben.15 Nun kannte Georg II. bereits gewiß von Hildebrand geschaffene Porträts, so dasjenige seines nahen Verwandten Carl Alexander, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach (1818–1901),16 und er hatte in München wie Berlin weitere Werke des Künstlers sehen können.17 (Abb. 16) Ob daraus eine – seine – ästhe-
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Herzog in Bayern (1884–1968), und dessen Vaters, des zeitweise in Tegernsee, wo auch Hildebrand häufiger weilte, praktizierenden Augenarztes Herzog Carl Theodor in Bayern (1838–1909). HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 105, Kat.-Nr. 70, 3 Abb., bzw. S. 108, Kat.-Nr. 72 a (Abb.) und b. Um selbst am Wettbewerb um den Brunnen teilnehmen zu können, war Hildebrand im November 1889 aus der dazu einberufenen Jury ausgetreten. ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 210–225, Abb. 273–301; Sigrid [ESCHE-]BRAUNFELS, Skulptur und Architektur des Wasserspiels. Die Brunnen Adolf von Hildebrands, Berlin 2005, S. 9–31, Abb. 3–28. Hildebrand war eine persönliche Fühlungnahme mit seinen präsumtiven Porträtmodellen wichtig; bevor er zusagte, Clara Schumann zu porträtieren, wollte er sie zunächst auf „neutralem Boden“ im Herzogenberg-Familienkreis kennenlernen. Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, 1885–1886, Marmor, H. 63,5 cm (mit Büstenfuß), Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Schloßmuseum, Inv.-Nr. KPI/00756; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 100, Kat.-Nr. 63, Abb.; Gert-Dieter ULFERTS, Großherzog Carl Alexander begegnet dem Bildhauer Adolf Hildebrand. Plastische Kunst im nachklassischen Weimar zwischen fürstlicher Patronage und institutioneller Bindung, in: Hellmut Th. SEEMANN/Thorsten VALK (Hg.), Das Zeitalter der Enkel. Kulturpolitik und Klassikrezeption unter Carl Alexander (Klassik Stiftung Weimar, Jahrbuch 2010), Göttingen 2010, S. 330–353, zur Büste bes. S. 339–342, Abb. 1, techn. Angaben mit Künstlerbez. in Anm. 31. Im Februar 1891 hatte die durch Konrad Fiedler zur Vorstellung Hildebrands initiierte Ausstellung seiner jüngeren Porträts im Münchner Kunstverein begonnen; im Sommer war der Bildhauer auf der Internationalen Ausstellung im dortigen Glaspalast (wo zugleich eine Marées-Ausstellung stattfand) prominent mit Figuren und Bildnissen vertreten. Ob Georg II. lange zuvor die im September 1884 im Uhrsaal der Königlichen Aka-
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tische Präferenz gegenüber der spätklassizistisch ausdrucksarmen oder der durch Reinhold Begas (1831–1911) neubarock bewegt formulierten Bildhauerkunst zum Denkmal und zum Repräsentationsporträt abzuleiten wäre, ist fraglich. Daß Hildebrand jedenfalls zu beiden in – damals noch ziemlich einsamer – Opposition stand, wird allerdings kaum wem verborgen geblieben sein, der seinerseits in der Sparte von Musik und Theater selbst reichsweit als standeswidrig extravagant galt und neben berufener Zustimmung teils weniger qualifizierte Kritik in der Öffentlichkeit erntete. So könnte es ihm vor dem Hintergrund der Meininger Erfahrungen jüngerer Zeit mit dem preußischen Zentralismus geradezu als Empfehlung gegolten haben, daß zwei Jahre zuvor Hildebrands erfolgreicher Wettbewerbsentwurf zum Berliner Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) durch dessen Enkel, Wilhelm II. (1859–1941), hintertrieben worden war.18 Und dessen Selbstverständnis teilte Herzog Georg II. bestimmt nicht.19 Zu den Umständen der Büstenentstehung nur kurz erinnernd, scheint das erste Modell Anfang Juli 1891 am Starnberger See entstanden zu sein, wobei die Frage der Ausführung als Marmorskulptur oder Bronzeplastik oder beides zunächst unentschieden blieb.20 Im August dann erfuhr die gemeinsame Freundin Elisabeth von Herzogenberg von einer in Marmor geplanten Ausführung.21 Wir dürfen uns vorstellen, daß diese erste Modellversion
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demie der Künste zu Berlin ausgerichtete Hildebrand-Retrospektive mit über 20 Werken gesehen hatte, ist ungewiß. Zum Berliner Nationaldenkmal vgl. ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 467–475, Abb. 771–782a. Zum offiziösen Herrscherporträt der wilhelminischen Ära z. B. Walter Schott (1861– 1938): Kaiser Wilhelm II., Bronze nach Marmor von 1888, in drei verschiedenen Größen offeriert durch die Berliner Gießerei Gladenbeck. Verk.-Kat. Berlin-Friedrichshagen, Aktien-Gesellschaft vorm. H. Gladenbeck & Sohn, Bildgießerei, Berlin, Leipzigerstr. 111, o. J. (um 1910), Taf. C 2. Adolf von Hildebrand, Starnberg, am 10. Juli 1891 an Konrad Fiedler, o. O.: „Ich habe jetzt den Herzog von Meiningen als Büste modellirt, für Marmor und Bronze, […]. Mit dem Herzog komme ich gut aus und ich soll allerlei für ihn machen.“ Adolf von Hildebrand und seine Welt. Briefe und Erinnerungen, besorgt von Bernhard SATTLER, hg. von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste München, München 1962, S. 363 f., Zitat S. 363. – Der Herzog weilte, zeitweise in Begleitung seiner Gemahlin, zwischen dem 6. Juli und 8. August 1891 in München und auf der Saletalmhütte am Königssee und auf einer Alphütte bei Berchtesgaden. Wahrscheinlich kam es zu einem „Antrittsbesuch“ des Herzogs im Münchner Atelier Hildebrands, worauf eine Verabredung zur Modellsitzung in ländlicher Abgeschiedenheit folgte. ThStAM, Fourierbuch 1388. Adolf von Hildebrand, Starnberg, am 9. August 1891 an Elisabeth von Herzogenberg, o. O.: „Besonders gefreut hat mich der Meininger, Euer Freund. Ich hab ihn modellirt und werde ihn diesen Herbst in Marmor hauen.“ SATTLER, Hildebrand (wie Anm. 20), S. 365. Warum auf eine Marmorfassung verzichtet wurde, kann nur vermutet werden: Die beabsichtigte Vervielfältigung (Metall- oder Gipsabgüssen nach originären Skulpturen stand Hildebrand kritisch gegenüber), aber auch der für eine Marmorausführung vielleicht höhere Preis mag eine Rolle gespielt haben; Hildebrands Honorare für Auftrags-
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ehestens in Ton entstand, abgeformt und in Gips ausgegossen wurde; dem Porträtierten, der schon in Starnberg die Serienausformung mindestens sechser Exemplare angesprochen haben muß, wurden wenigstens zwei dieser Abgüsse zugesandt.22 Doch scheint der Bildhauer, sich das Bild des Abwesenden in Erinnerung rufend, noch nicht zufrieden gewesen zu sein: „Die Büste, welche ich nun doch zuerst in Wachs für den Bronzeguß modelliere, schicke ich nächstens von hier […]“.23 (Abb. 13) Zur (Über-) Modellierung in Wachs dürfte ein Gipsabguß der in Ton modellierten Erstversion gedient haben, deren ursprünglicher Erscheinung wahrscheinlich der im Münchner Hildebrand-Nachlaß fragmentarisch erhaltene Gips am nächsten kommt. Die angekündigte Übersendung dieses Wachses als Werkstadium bereitete des Künstlers Gegenbesuch in Thüringen vor, wo Hildebrand laut Meininger Fourierbuch vom 10. bis 21. November 1891 mit Unterbrechungen zu eintägiger Reise (15./16. November) nach Eisenach und – wie er beiden Herzogenbergs berichtete – einer solchen unbekannter Dauer nach Berlin weilte; angesichts seiner Münchner großplastischen Verpflichtungen doch beachtlich lange und gewiß nicht allein zum Zwecke, nunmehr wiederum im Angesicht des lebenden Modells seinen Entwurf zu präzisieren.24 Insofern ist seine undatierte Mitteilung an die eigene Gattin „Jetzt habe ich die erste Sitzung gehabt. Macht viel Müh in Wachs zu modelliren und braucht Geduld.“ dahingehend
bildnisse stiegen seit den 1880er Jahren kontinuierlich an und erreichten in den 1890ern zu Marmorausführungen Beträge, welche etwa dem Doppelten bis Dreifachen eines Professorenjahresgehaltes entsprachen. 22 Georg II., Schloß Altenstein, am 30. August 1891 an Adolf von Hildebrand, o. O.: „Daß die Büsten jetzt nach Meiningen kommen freut mich. Ich bin gespannt darauf, zu sehen, wie ich in Gips aussehe. Wahrscheinlich werden noch mehr als sechs Büsten bestellt werden, wenn man die jetzt kommenden gesehen hat.“ BSB, Ana 550; 4 S., Zitat S. [2]. 23 ThStAM, HA, Nr. 102, Adolf von Hildebrand, München, am 29. Oktober 1891 an Georg II., o. O., 3 S., Zitat S. [2]. 24 ThStAM, Fourierbuch 1388, 10.–21. November 1891: Dienstag, 10. November. „Abends 6 Uhr trafen Herrn [sic] Professor Hildebrand zum modellieren Seiner Hoheit des Herzogs hier ein.“ Sonntag, 15. November. „Nach Aufhebung der Mittagstafel reisten Herrn [sic] Professor Dr. Hildebrand nach Eisenach.“ – Montag, 16. November. „Abends 3/4 6 Uhr kehrten Herrn [sic] Professor Dr. Hildebrand von Eisenach wieder zurück. – Samstag, 21. November. „Mittags 1 Uhr 17 Min. reisten Herrn [sic] Dr. Hildebrand über München zurück. [...] Nachmittags 4 Uhr 28 Min. trafen Herrn [sic] Dr. Brahms sein.“ – SATTLER, Hildebrand (wie Anm. 20), S. 370, 372: Johannes Brahms, der bis zum 26. November blieb, muß schon an Tagen zuvor in Meiningen gewesen sein, wie Hildebrand – laut Bernhard Sattler im November 1891 – seiner Frau berichtete: „Am 19. trifft Brahms ein, um etwas von sich einzuüben. Ob ich dann noch da bin und ihn kennen lerne?“ „Brahms kommt Donnerstag [19. November] auch nach Meiningen.“ „Brahms kam gestern [Brief demnach von Freitag, dem 20. November] und ich hörte noch ein Trio von ihm einüben.“
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mißverständlich, daß er die ganze Arbeit komplett von neuem begonnen habe,25 denn dazu hätte es zunächst der aufwendigen Herstellung und des Trocknens einer Rohform zumindest aus Gips bedurft, entsprechend der ungefähren plastischen Disposition, auf welcher dann, wie üblich, das Bildnis in Wachs aufmodelliert worden wäre. Doch wozu überhaupt einen Entwurf gänzlich verwerfen, den Porträtist und Porträtierter einvernehmlich schon für gut befunden hatten; des Herzogs Zufriedenheit mit seinem Bildnis fand Ausdruck in seiner anläßlich dieses Besuches vorgenommenen Verleihung des Professorentitels an Hildebrand. Nach München zurückgekehrt, wohin er sich die Wachsbüste nach-
Abb. 13: Adolf von Hildebrand, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (Gipsmodell, H. 87 cm), 1891
Abb. 14 (auch F-Abb. 13): Adolf von Hildebrand, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (Bronzeguß, H. 87 cm), 1892
25 SATTLER, Hildebrand (wie Anm. 20), S. 369 f., Zitat S. 368. Zur Berlin-Reise einschl. einer Begegnung mit Kaiser Wilhelm II. vgl. Hildebrands Brief vom 14. November 1891 aus Schloß Altenstein an das Ehepaar Herzogenberg, o. O; Ebd., S. 371. Der lange Aufenthalt dürfte auch dem Studium jener Situation in Schloß Altenstein gedient haben, wo Hildebrand als Pendant zum Abguß des antiken „Merkur“ eine eigene Figur, den „Marsyas“, schaffen sollte; beide Herren gingen zudem leidenschaftlich auf die Pirsch.
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senden ließ,26 machte dieser sich sogleich an die Gußvorbereitung, wobei Büste und Büstenfuß separat in je einem Stück zu gießen waren. Zur Büste scheint der erste Gußversuch mißlungen zu sein.27 Und noch im November 1892 war kein Metallguß erfolgt; wohl aber galt das Modell längst als „abgenommen“, erbat doch der Porträtierte einen (Gips-)Abguß für seinen Sohn.28 Der Guß dürfte erst unmittelbar vor Jahresbeginn 1893 erfolgt sein.29 (Abb. 14) Die Diskussion zwischen Bildhauer und Modell um den Büstenfuß bietet Gelegenheit, das Bildnis Georgs II. mit zwei wenig früher geschaffenen Fürstenbildnissen, nämlich denjenigen Carl Alexanders von Sachsen-Weimar-Eisenach bzw. Carl Theodors in Bayern (1839–1909), zu vergleichen und diesen ein großbürgerliches Bildnis des Jahres 1898 gegenüberzustellen: Hermann Aust (1853–1943),30 der auf Mauritius und La Réunion Firmen gegründet hatte, war
26 ThStAM, HA, Nr. 99, 3 S., Zitat S. [1], Adolf von Hildebrand, München, am 24. November 1891 an Helene von Heldburg, o. O. (wohl Meiningen): „Hochverehrte Frau Baronin, auf Ihr liebenswürdiges Telegramm von gestern wollte ich Ihnen nicht eher danken als wie ich im Stande sein würde, Ihnen die Ankunft der Wachsbüste zu melden. Heute Nachmittag habe ich die Büste ausgepackt und sie wohlerhalten gefunden.“ 27 ThStAM, HA, Nr. 102, 3 S., Zitat S. [2], Adolf von Hildebrand, Florenz, am 28. Mai 1892 an Georg II., o. O.: „Die Bronzebüste Euer Hoheit war hier – ich mußte sie aber leider als unbrauchbar zurückschicken und will sie unter meiner Bewachung in München gleich nochmals gießen lassen.“ Das „zurückschicken“ läßt folgern, daß dieser erste Guß wahrscheinlich in München, wiewohl nicht unter Aufsicht durch den Bildhauer erfolgte, dem das unbefriedigende Produkt nach Italien nachgesandt wurde. Vom erneuten Gußversuch in München könnte er zugunsten einer ihm vertrauten Gießerei in Pistoia Abstand genommen haben. Dies nahegelegt durch Schreiben Georgs II., Cannes, am 27. Mai 1892 an Adolf von Hildebrand, o. O. (wohl Florenz): „Mein Sohn Ernst, der hier ist, theilte mir mit, daß am Gusse der meine Wenigkeit darstellenden Büste ein Malheur passirt ist und daß die Otto Ludwigbüste, welche er sehr bewundert, zum Gusse reif ist. Daß beide Büsten nun in Pistoja gegossen werden, wird ihnen zum Vortheil gereichen, da die Italiener besser gießen als unsere Landsleute. Kaum kann ich die Zeit erwarten, Ihre Meisterwerke zu sehen.“ 28 BSB, Ana 550, 4 S., Zitate S. [4] und [1], Georg II., Schloß Altenstein, am 19. November 1892 an Adolf von Hildebrand, o. O. (wohl München): „Ist meine Büste schon zum Guß gegeben – in München oder in Florenz oder, wie ich vorschlug, an beiden Orten?“ Im selben Brief zuvor: „Darf ich Sie darum bitten, einen Abguß meiner Büste meinem Sohne Ernst in Florenz, Villa S. Leonardo, Via S. Leonardo 5, so zukommen zu lassen, daß dieselbe sicher vor dem Weihnachtsfeste dort sei? Er wünscht sich dieselbe zu diesem Feste.“, 29 BSB, Ana 550, 3 S., Zitat S. [2], Georg II., Cannes, am 1. Januar 1893 an Adolf von Hildebrand, Florenz: „Große Freude bereitet meiner Frau und mir der ausgezeichnete Guß meiner Büste, und sind wir gespannt darauf, sie zu sehen und Ihr Meisterwerk zu bewundern. Wird sie demnächst in Meiningen eintreffen?“ 30 Hermann Aust, Bronze, 92,1 x 45,4 x 31 cm (mit Büstenfuß), Köln, Letter Stiftung, Inv.Nr. 2004.283; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 139, Kat.-Nr. 122, war der Werkverbleib unbekannt; Die Büste in der Ausstellung „Zwischen Verehrung und Augenhöhe –
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1892 nach Deutschland zurückgekehrt und beteiligte sich maßgeblich an der Gründung des Bayerischen Industriellenverbandes. Privat galt er als Sonderling: Er zählte unter die frühen Förderer des Naturheilkundlers Sebastian Kneipp (1821–1897) und trug die nach diesem benannten Sandalen selbst zur ansonsten korrekten Gesellschaftskleidung. In München baute er die Firma Kathreiners Malzkaffee Fabriken GmbH zu einem internationalen Unternehmen auf. Das Verfahren stammte von einem Schüler Max von Pettenkofers (1818–1901), der wie Georg II. und Mitglieder des Wittelsbacher Herrscherhauses zu den regelmäßigen Gästen in Hildebrands Münchner Zirkel zählte. Da auch Aust ein offenes Haus pflegte, ist seine – vielleicht durch Hildebrand vermittelte – Bekanntschaft mit dem Herzog und dessen Gemahlin wahrscheinlich. Sieben Jahre nach der Büste des Herzogs entstand das Aust-Bildnis, und beide belegen das vorrangige Interesse Hildebrands an der Persönlichkeit, nicht am gesellschaftlichen Rang seiner Modelle. Alle vier Bildnisse weisen einen naturalistischen Büstensegmentansatz auf, wodurch sie schon qua schierem Volumen eine größere Raumpräsenz entwickeln als die sonst von Hildebrand gerne im stark reduzierten Büstenansatz formulierten Porträts, von denen stellvertretend hier dasjenige Theodor Heyses (1803–1884) als eines der frühesten, zugleich eindrucksvollsten erinnert sei.31 Und alle vier entstanden zu Lebzeiten der Porträtierten im persönlichen Gegenüber von Modell und Modellierendem, man möchte sagen: als plastischkünstlerische Niederschrift ihres Dialoges. Sämtlich sind sie auf einen Büstenfuß erhoben, der immer den memorialen Charakter schon zu Lebzeiten des Dargestellten verhalten in sich trägt und diesen dann mit dessen Ableben zugunsten des rein retrospektiven (Zimmer-)Denkmales aktiviert. Für die von vornherein posthum entwickelten, zumal für die zur Denkmalsockelung bestimmten Büsten, ist hingegen Hildebrands Bevorzugung des büstenfußlosen Typs der breit und wuchtig auflagernden, zumeist textildrapierten Brust- oder gar der aus einem abstrakten Schaft erwachsenden Hermenbüste charakteristisch: In Meiningen belegen dies die Bildnisse von Brahms wie des Dichters Otto Ludwig (1813–1865); beide sind zum hoch gesockelten, mit Inschriften versehenen Denkmal bestimmt und wenden sich an eine breite, im Falle ihrer Aufstellung im frei zugänglichen Park an eine allgemeine Öffentlichkeit.32 Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914) und die Bildende Kunst“, Meininger Museen, Schloß Elisabethenburg 18. Mai 2014–26. April 2015, ohne Kat. 31 1872–1873, Marmor, H. 41 cm, SMB-PK, Alte Nationalgalerie, Berlin, Inv.-Nr. B I 233; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 62 f., Kat.-Nr. 10, Abb. 32 Brahms: HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 137, Kat.-Nr. 119 (Büste, 1898), Abb. Zum Brahms-Denkmal (1898–1899) vgl. ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 322–324, Abb. 485–489; Ludwig: HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 116 f., Kat.Nr. 85, Abb. 117. Zum Ludwig-Denkmal vgl. ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 321, Abb. 481 f.
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Wie dagegen verhält es sich mit dem Publikum der vier Lebzeitporträts? Die beiden frühen geben keinen schriftlichen Aufschluß über den Dargestellten, die beiden späteren nennen sie, und zwar in jeweils knappster Form: Den Herzog nur mit Vornamen und als den zweiten dieses Namens in der Herrscherlinie,33 den Unternehmer mit dem Initial seines Vornamens und dem einsilbig-kurzen Nachnamen, die römische, bei Georg II. sorgfältigst gestaltete Antiqua diesmal serifenlos und wie beiläufig dem Modellton in der „tabula ansata“ eingeritzt. Allein im persönlichen Umfeld des Dargestellten genutzte Büsten bedürfen nicht dessen Identifizierung qua Namensschild. Tragen sie es trotzdem, so treten sie ähnlich dem öffentlichen Denkmal meist auch andernorts auf: Tatsächlich war die Herzogsbüste zur Vervielfältigung bestimmt, da es im 19. Jahrhundert usus unter Regierenden war, einander das jeweils eigene Konterfei zu übersenden; schriftliche Quellen sprechen von wenigstens sechs Ausführungen (wohl sämtlich in Gips).34 Auf diese Weise bezeugte man Verbundenheit, war im Regelfalle der persönlichen Absenz dem so Beschenkten stets vor Augen und brachte sich – und gegebenenfalls seine mitunter simultan in Wort und Schrift formulierten Erwartungen – dem Adressaten in dessen Lebensumfeld in ebenso diskrete wie permanente Erinnerung. Dies galt um so mehr bei Aufstellung im eigenen Machtbereich – der Landesherr war, wenn nicht „in corpore“, so doch „in effigie“ anwesend: das Büstenbildnis als auch inhaltlich anspruchsheischender wie im Gegenzug Verfassungskonformität garantierender Repräsentant. Prosaisch hingegen des Unternehmers Bildnis, das vermutlich in den Räumen seiner Firma den Mitarbeitern und Besuchern die Omnipräsenz des Geschäftsgründers vermittelte. Austs Büstenfuß folgt einem konventionellen Typus und scheint der Plastik gegenüber fast ein wenig schmächtig dimensioniert, wie, um die extreme Verschmälerung des Bruststücks und die resultierende Vertikalisierung des Gesamten noch zu unterstreichen; lediglich die Materialwahl des roten, weiß geäderten Marmors ist auffällig.35 (Abb. 17) Ähnlich zwar kompositorisch stimmig, aber inhaltlich neutral der qua seiner schwarzen Steinfarbe das Weimaraner Bildnis Carl Alexanders isolierende Büstenfuß. (Abb. 16) Interessanter wird es bei Herzog Carl Theodor, dessen Marmorbüste in familiärem Auftrag entstand, um erst in späterer Bronzeausführung auch im halböffentlichen Ambiente der nach ihm 33 Erhabene Aufschrift in „tabula ansata“ GEORG•II•. 34 Der Meininger Hoflieferant Friedrich Christ (Lebensdaten unbek.) bat Hildebrand um Vervielfältigungs- und Vertriebsgenehmigung zur Herzogsbüste. HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 114. Der Umstand, dass die „private“ Büste Elisabeth von Herzogenbergs (vgl. Anm. 6) in Marmorausführung deren Namen trägt, ist der „post mortem“ und damit „memorialen“ Steinausführung sowie einer beabsichtigten Distribuierung von Gipsabgüssen im Freundeskreis geschuldet. 35 Vermutlich Rosso Rubino, Internationale Naturstein-Kartei (INSK), Nr. 9.4.54.
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benannten Augenklinik Aufstellung zu finden: (Abb. 15) Ihr Sockel ist eigene Bildhauerarbeit, verbindet formal den rund und eingeschnürt gedrehten mit dem Typus des breit lagernden, wozu an deren Übergang zur Volute eingerollte Schmuckbänder eingestellt sind. Besonders bemerkenswert aber ist die beidseitig an den Büstenfußflanken erfolgte Anbringung nahezu frei vor dem Grund gearbeiteter Schilder, die den konkaven Sockelschwung aufnehmen und darin an jene mittelalterlichen Tartschenschilder erinnern, die oft zur Aufnahme von Wappen dienten. Im Falle dieser Herzogsbüste zeigt das linke den Äskulapstab (vgl. das Lyra-„Zunftwappen“ beim Reliefbildnis Elisabeth von Herzogenbergs; Abb. 9), das rechte zwei in heraldischer Motivtradition herzförmige Blätter der Wasserlilie, diese hier oberhalb eines geflochtenen Korbes; beide Wappen lassen die Hauptansicht frei, aus der allein des Mediziners Blick den Betrachter anspricht.36 Anders bei Georg II., zu dessen Büste Hildebrand einen im Vergleich mit der summarischen Großform des eigentlichen Bildnisses aufwendig kleinteiligen Fuß mit zahlreichen Details modellierte. (Abb. 18) Diese, weil erst aus der Nahsicht erfahrbar, lassen bis heute jeden Erstbetrachter, der zunächst die Büste aus der Fernsicht voll erfaßt, näher- und damit in einen Dialog unter vier Augen mit dem Dargestellten treten. Solch wahrnehmungspsychologische Disposition einer Audienz ist tatsächlich selten bei plastischen Bildnissen anzutreffen.
Abb. 15: Adolf von Hildebrand, Herzog Carl Theodor in Bayern (Marmor, H. 72 cm), 1888 36 Für die Übermittlung aktueller Detailangaben und -aufnahmen gilt Elisabeth Strachwitz Dank.
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Abb. 16: Adolf von Hildebrand, Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (Marmor, H. 63,5 cm), 1885–1886
Abb. 17 (auch F-Abb. 11): Adolf von Hildebrand, Hermann Aust (Bronze, H. 76 cm), 1898
Wie beim Porträt Carl Theodors auch hier ein mittelalterlich anmutender Schild, diesmal jedoch gleich einer Visitenkarte vorgewiesen und eindeutig mit dem Wappen, aus dessen implizit genealogischer Wurzel Name und Bildnis der bildgewordenen Persönlichkeit im Wortsinne emporwachsen. Die Idee scheint von
Abb. 18: Adolf von Hildebrand, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (Bronzeguß, Detail Büstenfuß), 1892
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Hildebrand ausgegangen zu sein, denn er hatte um heraldische Vorlagen gebeten: Daß Sie zu meiner Büste einen kunstvollen Fuß machen wollen, erfreut uns!!! Mit diesem Briefe geht eine Copie des meininger Wappens an Sie ab, das ich malen ließ. Die Ritter sind nur Schmuck. Statt der verschiedenen Helme kann auch eine Krone über dem Gesammtwappen stehen, in Form wie die über dem Felde von Sachsen. Genirt die Krone, lassen Sie sie fort. – Sollten Sie mittlerweile das Wappen nicht mehr anbringen wollen, so kehren Sie sich nicht daran, daß ich Ihnen [ein] Bild desselben schickte.37
Die Krone genierte keineswegs, tatsächlich überfängt sie jenes Wappen auf Tartschenschild, der vor einem als Felsformation gegebenen Terrainsockel steht und von zwei bärtigen, halbnackten Assistenzfiguren in motivischer Tradition der mittelalterlichen „Wilden Männer“ aus kauernder Haltung heraus fixiert wird. Zwei früchtespendende Füllhörner sind gewiß mehrsinnig zu verstehen: als Hinweis auf das erfüllte Leben des Dargestellten als Privatperson sowie auf sein und – siehe das Wappen mit impliziertem Stammbaum – seiner Vorfahren segensreiches Wirken im Herzogtum.38 Dieses doppelte (Selbst-)Verständnis kommt auch im Umstand zur Geltung, daß Georg II. zur gleichen Zeit Hildebrand mit zwei – leider nicht im Modell überlieferten und wohl auch nicht für den neu zu gestaltenden Kamin auf Schloß Altenstein ausgeführten – Reliefbildnissen seiner beiden Ahnen Bernhard I. (1649–1706) und Bernhard II. (1800–1882) beauftragte.39 Der dazu jeweils gewünschte „Kranz à la Malatesta“ bezieht sich auf den aus Blättern kunstvoll gebundenen Ehrenkranz in römischantiker Auffassung, mit welchem Agostino di Duccio (1418–[nach] 1481) das 37 BSB, Ana 550, 4 S., Zitat S. 3 f., Herzog Georg II., Meiningen, am 4. Januar 1891 (irrig für: 1892) an Adolf von Hildebrand, o. O. (wohl Florenz). 38 Beim Wappen ließ Georg II. dem Bildhauer mit Schreiben vom 22. Januar 1892 aus Meiningen die Wahl: „Herzlichsten Dank für Ihren Brief aus dem meine Frau und ich mit Freuden ersahen, daß binnen Kurzem meine Büste in Bronce nach Florenz spatzieren wird. Vielleicht sehen wir sie dort in einigen Wochen; denn wir denken daran etwa in 2ter Hälfte März Sie in Ihrem Tuskulum aufzusuchen. Hoffentl. sind Sie als dann noch in Florenz und noch nicht diesseits der Berge. Es wäre uns eine wahre Freude, Sie in Ihrem Heime zu besuchen und Ihre Frau Gemahlin und Kinder kennen zu lernen. Anbei folgen 2 Wappenabbildungen. Das einfache sächsische Wappen ohne Krone u. Mantel wäre vielleicht am besten zu Ihrem Zwecke verwendbar – doch Sie werden’s am Besten wissen, was sich eignet.“ in: BSB, Ana 550, 2 S. (Fragment), Zitat S. [1 f.]. 39 Georg II., Altenstein, am 19. November 1892 an Adolf von Hildebrand, o. O.: „Hat denn der Landbaumeister Schubert in Meiningen Ihnen das Erforderliche zukommen lassen, um die Medaillons Bernhard I u. Bernhard II von Meiningen modelliren zu können, welche die Platte des Galleriekamins schmücken sollen, umgeben von einem Kranz à la Malatesta? Mein Vater, Bernhard II, wurde bekanntlich 82 Jahre alt. Sollten Sie vorziehen, ihn alt statt jung darzustellen, müßten Sie noch Photographien von ihm gesandt bekommen.“ in: BSB, Ana 550, 4 S., Zitat S. [3]; HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 222, unter „zweifelhafte […] Arbeiten“.
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gleichfalls posthum formulierte Porträt des Fürsten Sigismondo Malatesta (1417–1468) im Tempio Malatestiano zu Rimini umschloß; dieses frühhumanistische Vorbild wird Georg II. kaum aus allein ästhetischen Gründen empfohlen haben. „Renaissance“ als Stil-, aber auch als Kulturepochenbegriff ist Anlaß, die vier genannten Hildebrand-Bildnisse weitergehend zu vergleichen: Dasjenige Carl Alexanders entspricht mit dem Zeitkostüm, zumal dem militärischen im hochgeschlossenen Waffenrock und überdrapierten Mantel, so gar nicht den privaten Umständen seiner Entstehung und seiner Bestimmung zur primär nichtöffentlichen Aufstellung.40 So repräsentierte ein Fürst vielleicht gegenüber seinen Untertanen, aber nicht notwendigerweise im intimen Familienkreise. Seltsam distanziert mutet es an und gibt so gar keinen Hinweis auf den intensiven Austausch, den Bildhauer und Modell über viele Jahre und geradezu freundschaftlich pflegten. Ob später Georg II. jemals so intensiv mit Hildebrand über Kunst diskutierte und dessen zunächst noch unpublizierte Gedanken zum „Problem der Form in der bildenden Kunst“ je so reflektierte wie sein Weimaraner Verwandter?41 Und verlieh Georg dem Künstler den Professorentitel, so hatte sich Carl Alexander längst gewünscht, dieses sein von ihm so bewundertes Landeskind – die elterliche Familie Hildebrands lebte in Jena, wohin 1861 der Vater Bruno (1812–1878) als Professor für Nationalökonomie berufen worden war – als Dozenten an die Weimaraner Kunstschule zu locken.42 Diesem mit seinem geraden unteren Brustabschnitt formal noch in der Tradition des klassizistischen Büstenporträts in später Folge der Berliner Schule Christian Daniel Rauchs (1777–1857) verhafteten Werk43 steht das ebenso für die private Wahrnehmung formulierte Bildnis des bayerischen Herzogs Carl Theodor gegenüber: Der an-
40 Zu den Entstehungsumständen vgl. ULFERTS, Großherzog (wie Anm. 16), S. 339 f., Anm. 28. 41 ULFERTS, Großherzog (wie Anm. 16), S. 342 f, zitiert ausführlich aus Tagebucheinträgen Carl Alexanders, teils mit dessen Gedächtnisniederschrift der mit Hildebrand geführten Gespräche. 42 Die Vorbildfunktion zwischen dem ebenfalls von unstillbarer „Italianata“ beseelten Großherzog Carl Alexander und Herzog Georg II. bezüglich des Engagements Adolf von Hildebrands ist wechselseitig: Hatte Georg schon 1891 den „Marsyas“ als Neuentwurf in Auftrag gegeben, so erwarb Carl Alexander im Folgejahr den bereits 1885–1886 entstandenen „Rastenden Merkur“. ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 86– 88, Abb. 88 f. bzw. S. 68–72, Abb. 66. Zum „Rastenden Merkur“ in Weimar vgl. auch ULFERTS, Großherzog (wie Anm. 16), S. 343–350, Abb. 2–4. 43 Beispielsweise Rauchs Bildnisbüste des preußischen Finanzministers Christian Rother, 1845 (Gips) bzw. 1846–1847 (Marmor). Jutta von SIMSON, Christian Daniel Rauch. Œuvre-Katalog (Bildhauer des 19. Jahrhunderts, hg. von Peter BLOCH), Berlin 1996, S. 413 f., Kat.-Nr. 279, Abb. S. 414 (Marmor).
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erkannte Wissenschaftler wird in Tradition antiker Philosophenköpfe44 mit idealisierend bloßem Bruststück wiedergegeben. Beide adelig, beide als Skulptur in Marmor verewigt; doch während der eine regiert und fördert, forscht und heilt der andere, und solche Umstände verlangen nach je individuellen Lösungen. Von den beiden bronzenen Bildnissen sei das spätere, jenes von Hermann Aust, zunächst betrachtet, rezipiert es doch so offenkundig wie virtuos die Herzog Georg-Büste, die Aust zweifellos zumindest durch ihr im Künstleratelier verbliebenes Gipsmodell kannte. Gewiß mag die außer der Frisur besonders ähnliche Barttracht beider Modelle dazu beigetragen haben, das Bruststück jeweils tief nach unten auszuziehen. Es könnte aber den bei all seiner wirtschaftlichen Machtfülle wie gesellschaftlichen Einbindung doch als exzentrisch von seinen Zeitgenossen empfundenen Unternehmer noch anderes dazu bewogen haben, sich in paraphrasierter Fassung der Büste nicht irgendeines, sondern gerade dieses Herzogs dargestellt zu sein zu wünschen, der nämlich seinerseits auf dem Gebiet von Musik und Theater als Unangepaßter und als radikaler Reformer galt. Mit ihr, mit ihm teilt er den leicht nach unten gesenkten Blick, weicht aber infolge der Kopfwendung nach rechts dem Augenkontakt des sich frontal ihm nähernden Betrachters noch entschiedener aus. Der seinem Oberkörper luftig-locker umdrapierte Stoff erinnert viel weniger an die streng gefältelte antike Toga als vielmehr an das formlos-informelle Alternativgewand der um 1900 blühenden Lebensreformbewegung: nicht ungewöhnlich für einen praktizierenden Anhänger Kneipps, den man allmorgendlich im Englischen Garten zu München beim Tau- und Wassertreten beobachten konnte, und konsequent für einen Unternehmer, der den magenschonenden Malzkaffee propagierte. Selbst wenn der Herzog dem Künstler freistellte,45 sein Wappen zu verwenden oder nicht, bleibt der zumindest potentiell offiziöse Repräsentationscharakter des Bildnisses schon dadurch bewiesen, daß ihm nicht – wie in anderen Fällen porträtierter Ehepaare46 – ein als Pendant formuliertes Bildnis Helene von Heldburgs zuwuchs; als morganatisch Angetraute konnte sie nicht offiziell neben dem Landesherrn figurieren. So porträtierte sie Hildebrand im November 1893, also etwa bei Aufstellung der Herzogsbüste im Meininger Schloß, bei dort abgehaltenen Modellsitzungen in einem Terrakottarelief in durchaus bürgerlicher Erscheinung.47 (Abb. 19) Obschon die Disposition des lebensgroß und 44 Dieser Philosophenkopftypus wurde gelegentlich auch den Bildnissen römischer Kaiser zuteil. 45 Vgl. BSB, Ana 550 (wie Anm. 38), S. [1 f.]. 46 Beispiele in den Profilen gegenständiger Porträtrelieftondi bei HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 118, Kat.-Nr. 86 und 87, Abb. 47 HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 124, Kat.-Nr. 94, Abb. Der dortige Hinweis auf ein Patenschaftsverhältnis zum 1889, also vor Beginn persönlicher Bekanntschaft der Familien geborenen Dietrich von Hildebrand (1889–1977) läßt annehmen, es habe sich nicht um eine Taufpatenschaft gehandelt, oder aber die Kindstaufe (Adolf von Hildebrand
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nahezu vollrund gearbeiteten Kopfes in einer tief gemuldeten Nische auf eine beabsichtigt ortsfeste Anbringung dieser Reliefädikula deutet, wahrscheinlich im architektonischen Kontext der Heldburg, gilt das Bildnis als verschollen. Ihres Gemahls Bronzebildnis wünschte sie sich im gemeinsamen Wohnbereich aufgestellt; es war also vor aller sonst möglichen und späterhin praktizierten Verwendung in öffentlicher Wahrnehmung ein ganz und gar privates. Und es mußte dort so eingerichtet werden, daß es der spezifischen Disposition mit dem leicht nach links gewendeten und noch leichter nach vorn geneigten Haupt, in den
Abb. 19: Adolf von Hildebrand, Helene Freifrau von Heldburg (Terrakotta, lebensgroß), 1893
etwas nach oben gewandten Pupillen ponderiert, Rechnung trug.48 Dies war selbstverständlich auch Georg II. bewußt: Würden Sie wohl die Zeichnung zu einem Postamente meiner Büste entwerfen können? Sie wissen natürl., wie hoch mein Kopf postirt werden muß [!] und werden ein Postament zeichnen, (resp. modelliren) welches Ihrem Kunstwerke keinen Eintrag [sc. Nachteil] brächte. Was könnten nicht für Dummheiten gemacht werden, wenn der erste beste sog. Künstler an den Entwurf eines Postamentes sich wagen müßte?49
selbst war nur nominell protestantischer Konfession) sei erst einige Zeit nach der Geburt erfolgt. 48 Gewiß unter Hildebrands Begleitung hatte schon des Herzogs Sohn in Florenz eine Probeaufstellung der ihm im Gipsabguß zugegangenen Büste seines Vaters versucht und war zu einer deutlich über Betrachteraugenhöhe führenden Aufstellung gelangt. BSB, Ana 550, 3 S., Zitat S. [3], Georg II. am 1. Januar 1893 an Adolf von Hildebrand: „Mein Sohn schreibt, er habe den Abguß Ihrer Büste meiner Wenigkeit so hoch gestellt, daß der Fuß in Augenhöhe sich befinde. So mache sie sich am allerschönsten. Sind Sie dieser Ansicht auch?“ 49 BSB, Ana 550, 7 S., Zitate S. [3 f.], Georg II., Cannes, am 19. März 1893 an Adolf von Hildebrand, o. O.: „Da meine Gattin die Büste in dem großen Renaissancewohnzimmer
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Höhe und Positionierung sind neben technischen Fragen zum Postamentmaterial und zur Raumstatik entscheidend für Dargestellten wie Bildhauer, war doch beiden deutlich, welch anspruchsvolle Vorbilder mit dieser Büste reflektiert wurden und ihrem kunstgeschichtlich bewanderten Betrachter zweifellos alsbald vors innere Auge traten: Unter den Büstenbildnissen hoher Kleriker der italienischen Renaissance und des Barock eignet sich nicht zuletzt wegen des wappentragenden Büstenfußes dasjenige des Papstes Gregor XV. (1554–1623) zum Vergleich, welches Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) im Jahre 1622 zum ornamentprunkenden Bronzeguß modellierte.50 (Abb. 20) Mochte nun Georg II.
Abb. 20: Gianlorenzo Bernini, Papst Gregor XV. (Bronze, H. 78 cm), 1622 aufgestellt wissen will, so müßte das Postament derselben von Holz sein. Stein würde, da der Bronceguß schon an sich schwer genug ist, auf den Fußboden des Zimmer’s zu arg drücken, und Bronce wäre wohl auch zu schwer. Es ist nicht erforderl., daß ich die Skizze zum Postamente zu sehen bekomme; die Ausführung könnte gleich in München vergeben werden.“ BSB, Ana 550, 2 S., Zitat S. [1], im herzoglichen Schreiben aus Cannes am 17. April 1893 wurde Hildebrand seine freie Wahl der Sockelgestaltung bestätigt: „Hofmarschall v. Roepert schickte mir Ihren Brief vom 12ten d. Ms. zu. Ich freue mich aus demselben zu erfahren, daß Sie ein Postament für meine Büste entwerfen wollen und bitte ich, dasselbe nun gleich in München in Arbeit geben zu wollen, bevor ich den Entwurf gesehen habe.“ Der Verbleib dieses Postamentes ist dem Verf. unbekannt. 50 Philipp ZITZLSPERGER, Gianlorenzo Bernini. Die Papst- und Herrscherporträts. Zum Verhältnis von Bildnis und Macht, München 2002, o. S., Abb. 26.
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noch so viele kostbare Kleidungsstücke besitzen und hätte er wie sein Weimaraner Verwandter militärisches Kostüm und prächtige Ordenssterne zum Porträt tragen können – er und sein Bildhauer entschieden anders: Tatsächlich läßt sich die Bekleidung des Bruststücks weder nach Schnitt – ein möglicher Rocksaumüberschlag und ein Kragen sind nur angedeutet – noch nach Stofflichkeit mit irgendeinem realen Kleidungsstück in Verbindung bringen. Vielmehr dürfte Hildebrand die durchaus detailreich modellierte Struktur der Bekleidung aus jener der Barttracht entwickelt haben; beide scheinen mancherorts ineinander überzugehen, und Strähnen des Bartes setzen sich dergestalt fort, daß man ehestens einen Pelzmantel zu sehen glaubt.51 Wurden im Falle von Berninis Papstbildnis die Persönlichkeit und die kombiniert geistliche und weltliche Machtfunktion durch eine ikonographisch-apparative Verbindung von Antlitz und Kopf mit dem repräsentativen Herrscherornat und dem Wappen zusammengefaßt, so begriff Hildebrand den Herzog unter Verzicht auf vergleichbare Insignien allein mittels stofflicher Eigenschaften der plastischen Bildmittel als ganzheitliche Persönlichkeit von Intellekt und Seele; dabei diese Entität widerspiegelnd in einer nahezu animalistisch anmutenden Leiblichkeit des Modells, mit der die „Wilden Männer“ des Büstenfußes bestens harmonieren, und deren Ausdruck später Hermann Aust zur bewußten Vorbildnahme gerade dieser für die eigene Büste gestimmt haben könnte. Wendung und Neigung des herzoglichen Kopfes, um den kunsthistorischen Exkurs zu schließen, könnte samt dem wiederum wappentragenden Büstenfuß über Bernini hinaus ein Bildnis Antonio Cerris (1569–1642) inspiriert haben, das Alessandro Algardi (1598–1654) um 1640 in Marmor gestaltete.52 (Abb. 21) Auftraggeber und Künstler finden im Falle der Büste Georgs II. zu seltener Symbiose; ersterer erkannte sich eigenen Briefbezeugungen zufolge als zutreffend erfaßt und verstanden durch den letzteren. Der wiederum brachte seine tiefe Sympathie für den Dargestellten mit Respekt für dessen Innerstes plastisch zum Ausdruck. Seinerseits brach er bezeichnenderweise den ersten und einzigen Versuch, ein Selbstbildnis zu modellieren, schon 1875 ab – und erscheint daher hier nur in Photographie. Der Herzog, die künstlerischen Ambitionen seines 51 Zehn Jahre später sollte ein diesmal unverkennbarer Pelzkragen eine problematische Rolle bei der Münzbildgestaltung zu Herzog Georg II. spielen, der hierzu am 20. Jan uar 1901 aus Meiningen an Adolf von Hildebrand, schrieb: „Zum 200jährigen Jubiläum hat der Kaiser sich und den ersten preußischen König auf 2 und 5 Markstücke prägen lassen und zwar mit Mantel. Ich begreife daher nicht, weshalb man im Reichskanzleramte über den von Ihnen projektierten Pelzkragen einen solchen Spektakel gemacht hat, als würde unser ganzes Münzsystem über den Haufen geworfen. Schön sind die Münzen mit dem Doppelbilde übrigens nicht ausgefallen.“ in: BSB, Ana 550, 4 S., Zitat S. [3]. 52 Andrea BACCHI/Tomaso MONTANARI/Beatrice PAOLOZZI STROZZI (Hg.), I marmi vivi. Bernini e la nascità del ritratto barocco. Ausst.-Kat. Florenz, Museo Nazionale del Bargello 3. April–12. Juli 2009, Florenz 2009, S. 180, Abb. 1.
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Sohnes Ernst (1859–1941) fördernd und dem Mentor Hildebrand anempfehlend,53 mag in beiden eine Art alter ego in einst für sich selbst erträumter Vollendung gesehen haben: Was ihm, dem in eigener Jugend sich zu künstlerischem
Abb. 21: Alessandro Algardi, Antonio Cerri (Marmor, H. 85,5 cm), um 1640
Abb. 22: Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen an Adolf von Hildebrand, 20. September 1900
Wirken berufen Fühlenden durch äußere Umstände verwehrt geblieben war, das lebten ihm nun gewissermaßen stellvertretend Sohn und Bildhauerfreund. Nicht verhehlt sei jedoch das atmosphärische Auf und Ab der persönlichen Beziehung zwischen Herzog und Künstler; davon unbeirrt ging der Briefwechsel, besonders auch zwischen den Gemahlinnen, weiter. Die Querelen um Münzentwürfe anläßlich des bevorstehenden 75. Geburtstages Georgs II., der Disput um dessen Reliefbildnis am Brunnen zu Hildburghausen scheinen zu zeitweiser Distanz geführt zu haben;54 in ausführlichen Briefen legte der Herzog dar, wie wenig er 53 BSB, Ana 550, 7 S., Zitat S. [4 f.], Georg II., Cannes, am 27. Mai 1892 an Adolf von Hildebrand, o. O.: „Mein Sohn Ernst beabsichtigt, sich in Florenz zu etabliren und hat eine Villa unweit von Ihnen gemiethet. Leider sagt er mir, Sie fürchteten, nächsten Winter in München verweilen zu müssen. Ich hatte sehr gehofft, Sie würden ihn gehörig in die Scheere nehmen und war das auch sein Wunsch. Sollten Sie doch im nächsten Winter nach Florenz zurückkehren, so richte ich die inständigste, herzlichste Bitte an Sie, sich künstlerisch seiner annehmen zu wollen und ihn gehörig zu zausen, wo es nöthig ist.“ 54 Zu den Münzentwürfen von 1900–1902 vgl. HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 148, Kat.-Nr. 137 a–c, Abb. (137 b); zum Relief in Hildburghausen ebd., S. 149–150, Kat.-Nr. 138, Abb. S. 149. – Zum 1902 vollendeten Hildburghausener Brunnen vgl. ESCHEBRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 246–248, Abb. 345–349; [ESCHE-]BRAUNFELS, Brunnen (wie Anm. 14), S. 104–107, Abb. 145–147. – Der Dissens zum Brunnen kommt
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und seine Gemahlin mit dem Münzbildnisentwurf zufrieden seien, und erläuterte dies gar mit eigenhändigen Korrekturskizzen.55 (Abb. 22) Daß Georg II. Hildebrand doch nicht den in Aussicht gestellten Auftrag zum ganzfigurigmonumentalen Denkmal seines Vaters, Herzog Bernhards II., erteilte, ist eine Sache.56 Daß er ausgerechnet Hildebrands mittlerweile europaweit arrivierten und antiquierten Lehrer Caspar von Zumbusch (1830–1915) betraute, das muß Hildebrand als künstlerischen – Zumbuschs Entwurf galt schon damals als anachronistisch – und persönlichen Affront verstanden haben.57 Zudem hatte der Herzog sich und seine Gemahlin mitten im Münzbildgerangel 1901, und dies unter den Augen seiner ihn doch höchstlich befriedigenden HildebrandBüste, von Zumbusch in zwei überaus konventionellen, ausdrucksarmen Reliefmedaillons abkonterfeien lassen.58 Es kam zu keinen weiteren Aufträgen an Hildebrand durch den Herzog, der sich seit 1908 immerhin noch für die Verwirklichung von dessen Ernst Abbe-Denkmal in Jena einsetzte.59 Ob Hildebrand solche überhaupt noch entgegengenommen hätte, ist eine andere Frage.
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in mehreren herzoglichen Briefen zum Ausdruck, so im Schreiben aus Gastein am 27. April 1901 an Adolf von Hildebrand: „Wie ich Ihnen schon telegraphierte, kann ich mich nicht entschließen, zu dem Georgsbrunnen, wie er mir in Skizze vorliegt, meine Genehmigung zu geben. Der Conflict, in den ich mich dadurch eventuell zu Ihnen setze, ist mir geradezu schmerzlich, aber andererseits ist meine Ablehnung der beiden Tritonen gegenüber eine so starke und für mich wohlbegründete, daß ich es darauf ankommen lassen muß.“ BSB, Ana 550, 4 S., Zitat S. [1]. Abschrift in ThStAM, HA, Nr. 1125. Aufschlußreich besonders der Brief von Georg II., Salet, am 20. September 1900 an Adolf von Hildebrand, o. O., in: BSB, Ana 550, 8 S., die angemerkte Handzeichnung S. 2. In einem undatierten, wahrscheinlich Anfang 1900 geschriebenen Brief frug Georg II. bei Hildebrand an, ob dieser seines Vaters Denkmal entwerfen wolle, in: BSB, Ana 550, 4 S., zum Denkmal S. [3 f.]. Das 1903 eingeweihte Denkmal wurde 1949 eingeschmolzen. Maria KOLISKO, Caspar von Zumbusch, Zürich/Leipzig/Wien 1931, S. 197–202, S. 138 unter 1903, unpag., Abb. 87. (Modell zur Hauptfigur). – Ausgeführtes Denkmal: historische Ansichtskarte (undat.), freundlicherweise durch Maren Goltz zur Verfügung gestellt, Meiningen, Meininger Museen, Inv.-Nr. XIII/1489. – Gerechterweise sei erinnert, daß zuvor Hildebrand selbst vielleicht von einem Sinneswandel des Herzogs profitiert hatte, als jener die angeblich zunächst an Otto Lang (1855–1929) für Meiningen beauftragte Otto Ludwig-Büste kurzerhand nach Eisfeld weiterreichte und so den Meininger Raum für Hildebrands auch architektonische Denkmallösung arrondierte. KOLISKO, Zumbusch (wie Anm. 57), S. 99, S. 137 (datiert auf 1901), Abb. 91/92, im Abb.-Verz. S. 141 (irrig 1893 datiert). Ernst Abbe (Büste), 1908–1910, Bronze, H. 95 cm, Jena, Friedrich-Schiller-Universität. HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 169, Kat.-Nr. 172, 2 Abb. Ausführlicher, auch zu dieser Büste, siehe ebd., Georg II., Villa Carlotta, am 15. Mai 1909 an Adolf von Hildebrand, Karlsbad, S. 160, Kat.-Nr. 156 a-c, Abb. (156 a), Ernst Abbe (Relief), 1905, Bronze, in unterschiedlicher Kontur und verschiedenen Größen.
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Elisabeth von Herzogenberg, die einst diese Freundschaft zwischen ihren Freunden gestiftet und seitdem in Begegnungen und Korrespondenz begleitet hatte, blieb es erspart, diese Dissonanzen mitzuerleben – vielleicht wäre sie eine erfolgreiche Mittlerin gewesen. Das Modell zur Herzogsbüste, erster sicht- (und greif-)barer Ausdruck ihrer Initiative, dürfte sie noch gesehen haben, bevor sie am 7. Januar 1892 in San Remo verstarb, wo sie und ihr Gatte sich Heilung, zumindest Linderung ihrer Erkrankungen erhofft hatten. Auf Bitte des Witwers gestaltete Hildebrand 1893 das aufwendige, ganz in Renaissance-Manier formulierte Tabernakelgrabmal auf dem (heute: Alten) Friedhof von San Remo.60 (Abb. 23, 24) Das flach gearbeitete Relief zeigt bei aller Porträttreue eine gewisse Idealisierung; doch ist dies konsequent bezüglich des erkennbaren Wunsches
Abb. 23 (auch F-Abb. 14): Adolf von Hildebrand, Grabmal Elisabeth von Herzogenberg (Majolika, Alter Friedhof San Remo), 1892–1893
Abb. 24 (auch F-Abb. 12): Adolf von Hildebrand, Elisabeth von Herzogenberg als Heilige Cäcilie (Terrakotta, farbig gefaßt, 79 x 44 cm), 1892–1893 (Modell)/ 1897 (Ausführung)
60 Majolika, weiß glasiert, von ehem. drei farbig gefaßten Abformungen noch diejenige über Goldgrund in Marburg, Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (Inv.-Nr. 16.666), bewahrte mit aktuellem Standortnachweis (Aufnahme: Bildarchiv Foto Marburg BC 32.147/07). HASS, Hildebrand (wie Anm. 2), S. 121, Kat.-Nr. 92, 2 Abb. (Grabmal, Relief); ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 370 f., Abb. 576–579. – Die farbigen Aufnahmen jüngster Zeit zum Grabmal in San Remo wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt durch Andres Stehli, Verein Internationale Herzogenberg-Gesellschaft, Heiden.
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Hildebrands, auf jene von ihm selbst wie von der Verstorbenen geschätzten Werke Florentiner Bildhauerei zu rekurrieren, vor denen sie oftmals gemeinsam bewundernd gestanden haben dürften. Gab er ihrem Bildnis nun in szenischer Schilderung des Orgelspiels als Reverenz vor ihren Künsten auf dem Tasteninstrument und durch den Nimbus über dem Haupte die gleichzeitige Bedeutung einer Darstellung der hl. Cäcilia, so stellt dies einen unmißverständlichen Bezug auf ein berühmtes Relief dar, von geradezu ikonischem Wert und seinerzeit noch Donatello zugeschrieben.61 (Abb. 25)
Abb. 25: Desiderio da Settignano, Heilige Cäcilia (auch: Heilige Helena) (ehemals Donatello zugeschrieben, Sandstein, 57,2 x 38,1 cm), um 1460–1464
Abb. 26: Adolf von Hildebrand, Grabmal Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Helene Freifrau von Heldburg (Parkfriedhof Meiningen), 1917–1918
Wie er ihr und so manch anderen Freunden das Grabzeichen schuf und dabei gelegentlich das letzte Porträt, so tat Hildebrand diesen letzten Freundschaftsdienst auch Georg II. Dieser hatte, dem Tode schon nahe, selbst noch einen eigenen Entwurf seiner künftigen Grabstelle gefertigt, der in klassischer Ikonographie zwei Genien des Lebens bzw. des Todes figurieren lassen sollte; die 61 Desiderio da Settignano (zw. 1428 und 1431 – 1464), Hl. Cäcilia (auch: Hl. Helena), um 1460–1464, Sandstein, 57,2 x 38,1 cm, Toledo/Ohio, Toledo Museum of Art, Inv.-Nr. 1938.122; BORMAND/PAOLOZZI STROZZI/PENNY, Desiderio (wie Anm. 4), Abb. 67 S. 95. Das Relief existiert in diversen Exemplaren, auch im Bronzeguß, und wurde als solcher bis über das Ende des 19. Jhs. hinaus in Repliken distribuiert. – Die tabulahaltenden Putten am Grabmalsockel in San Remo beziehen sich gleichfalls deutlich auf Donatello.
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Skizzen waren jedoch nach seinem Ableben am 25. Juni 1914 nicht mehr aufzufinden. Seine Witwe ließ, als sie Hildebrand zunächst noch um ein Denkmal und dann vorrangig um einen Entwurf zur Grabstelle bat, freie Hand: Über der großzügigen Treppenanlage, die das metaphorische Hinaufsteigen in höhere Sphären zum beschreitenden Nachvollzug durch die noch Lebenden anbietet, hinterfängt seit 1918 schlichtes Mauerwerk den schlummernden männlichen Genius, geborgen im Schirm der eigenen Flügel.62 (Abb. 26) Die entspannte Pose erinnert weniger an jene dagegen lasziv wirkende des zudem unbekleideten „Barberinischen Fauns“, der seit den 1830er Jahren in der Münchner Glyptothek zu betrachten ist,63 vielmehr gerade durch die Armhaltung zum Kopfe eher an die bukolische Themenwelt spätantiker Sarkophage mit dem schlafenden Endymion,64 an die daraus frühchristlich entlehnte Ruhe des aus Schiffbruch geretteten Jonas in der Kürbislaube. (Abb. 27) Zentrales Motiv ist die orphische
Abb. 27: Römisch, Sarkophag mit Selene und Endymion (Marmor, Detail), um 210 n. Chr. 62 Meiningen, Städtischer Friedhof; ESCHE-BRAUNFELS, Hildebrand (wie Anm. 8), S. 425– 428, Abb. 692–697. – Zur Ausführung des von Helene von Heldburg dem Herzog zugedachten, durch Hildebrand sogleich 1914 im Bozzetto entwickelten Denkmals kam es infolge der Zeitläufte nicht mehr. Das Gipsmodell erhielt sich im Hildebrand-Nachlaß (München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, Inv.-Nr. B 374). Ebd., S. 349–350, Abb. 534–536. 63 Hellenistisch, um 220 v. Chr., Marmor, H. 181 cm (ohne spätere Ergänzungen), Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München, Inv.-Nr. 218. 64 Beispielsweise der römische, um 210 n. Chr. entstandene Marmorsarkophag mit Selene und Endymion; New York, The Metropolitan Museum of Art, Rogers Fund, 1947, Inv.Nr. 47.100.4; Paul ZANKER/Björn Christian EWALD, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage, München 2004, S. 55, Abb. 37 (Gesamt) und S. 103, Abb. 87 (Detail: Endymion).
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Lyra, unbeeindruckt vom Tode mit gänzlich intakten Saiten bespannt, das bereits antike Symbol für die Musik, oft für die Schönen Künste überhaupt. Indem Hildebrand seinem alten Freunde diesen Engel der Musik aufs Grab setzte, diesen wie den unter ihm Beigesetzten dort zur dauernden, zur gelassenen und loslassenden Ruhe kommen ließ, erwies er dem Herzog nicht allein die letzte aller irdischen Ehren – er bestätigte ihm, betrachtet man das Grabmal ihrer gemeinsamen Freundin Elisabeth von Herzogenberg und die Grabstellen anderer Musiker, ausdrücklich seine Zugehörigkeit in deren Kreis. Und hier ist die Harmonie, jene diesseits geteilten Musikempfindens unter den kreativen, unermüdlich suchenden und findenden und andere teilhabenlassenden Menschen wieder und bis heute nachklingend lebendig, selbst unter solchen, die sich zeitweise entfremdet gefühlt und die Nähe des je anderen vermißt haben mögen. Hildebrand, der mit dem Herzogsgrab sein nahezu letztes eigenes Werk schuf und dessen Ausführung bereits seinem Schwiegersohn Theodor Georgii (1883– 1963) überlassen mußte, sollte um nur weniges länger leben: Er starb am 18. Januar 1921 und wurde auf schlichter Grabstelle auf dem Dorffriedhof von Oberföhring bei München beigesetzt. San Remo, Meiningen, München – je letzte Ruheorte dreier bewegter Leben, deren Fäden sich kreuzten und zeitweilig fruchtbar verwoben. Und die einhundertste Todestagswiederkehr des einen mag auch Anlaß sein, zugleich an seine Freunde zu erinnern.
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„Wäre ich aber Künstler geworden statt Herzog, hätte ich schon in Bildern etwas Ordentliches zu Wege gebracht! Dessen bin ich überzeugt.“1 Erbprinz Georg/Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen als Zeichner und Kunstmäzen
Machtanspruch und künstlerisches Talent prägten gleichermaßen Lebensgang, Lebensleistung und Wirkungskreise der wohl bedeutendsten Persönlichkeit des Hauses Sachsen-Meiningen.2 Seine Leistungen auf dem Gebiet des Theaters, und in diesem Kontext auch seine diesbezüglichen Handzeichnungen, sind Gegenstand zahlreicher Abhandlungen und Würdigungen, wobei der Frage, wo und wie er sich die theoretischen und praktischen Voraussetzungen dafür angeeignet hat, bisher kaum nachgegangen wurde. Seine Befähigung, zeichnerisch so exakte und historisch so genaue und detaillierte Figurinen, Bühnenbildentwürfe und Arrangementskizzen für die Inszenierungen seines Hoftheaters anfertigen zu können, ist das Ergebnis lebenslangen Strebens nach Vervollkommnung seiner künstlerischen Begabung, der Aneignung eines immensen historischen und kunsthistorischen Wissens und des Umgangs mit führenden zeitgenössischen Künstlern auf Augenhöhe. Anzumerken ist, dass der Meininger Erbprinz und spätere Herzog Georg II. kein Maler im eigentlichen Sinne war und dies auch nicht anstrebte. Selbstkritisch resümierte er: „Wenn ich mich in Farben versuchte so haben es die Leute immer scheußlich gefunden.“3 Sein bevorzugtes Medium war und blieb die Freihandzeichnung nach Art einer eigenständigen künstlerischen Arbeit. Entsprechend den Zeichnungen der von ihm verehrten Renaissancekünstler Michelangelo, Raffael, Fra Angelico und Dürer arbeitete er zeichnerischkompositorisch mit Betonung der Linienführung und der Umrisse. Seine Kompositionen sind meist monochrom angelegt, auf das Wesentliche reduziert und 1 2 3
Herzog Georg II. an Adolf von Hildebrand, 27. Mai 1892, in: Bernhard SATTLER (Hg.), Adolf von Hildebrand und seine Welt. Briefe und Erinnerungen, München 1962, S. 379. Als bisher umfassendste Würdigung aller Facetten seines Lebens sei verwiesen auf Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 1997. Max GRUBE, Geschichte der Meininger, Berlin/Leipzig 1926, S. 33.
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vorrangig mit Bleistift und Feder ausgeführt, mitunter auch mit dem Pinsel zum Lavieren größerer Flächen. Wo er Farbstifte verwendete, vor allem Blau und Rot, dominiert die Farbigkeit jedoch nie über Form und Komposition. Das umfangreiche Konvolut seiner im Fundus der Meininger Museen befindlichen Arbeiten enthält sowohl flüchtige Skizzen als auch ausgearbeitete detailreiche und teilweise auch signierte und datierte Darstellungen. Neben den hinlänglich bekannten Handzeichnungen zum Theater, auf die hier nur am Rande eingegangen werden soll, sind es vor allem Schlachtenkompositionen, Architekturzeichnungen, Innenraumentwürfe und leicht ins Karikative gehende Personenstudien. Als besonderen „Schatz“ sei auf drei auch äußerlich repräsentative Alben verwiesen, in die Herzog Georg II. seit den späten 1890er Jahren eine Auswahl derjenigen seiner Zeichnungen einklebte, die er offenbar am meisten schätzte. Ein Album trägt den schlichten handschriftlichen Vermerk „Dies Buch gehört Georg“. Der Hauptakzent nachfolgender Untersuchungen liegt auf jenem Lebensabschnitt, in welchem der von seinem Vater von den Regierungsgeschäften weitestgehend fern gehaltene Meininger Erbprinz auf dem besten Wege war, sich als Kunstmäzen zu etablieren und eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Vor allem in den 1840er und 1850er Jahren hatte er mit Hilfe exzellenter Lehrer und Ratgeber sein künstlerisches Talent so weit vervollkommnet, dass sich der Historienmaler Wilhelm von Kaulbach zu der Äußerung veranlasst sah: „Schade, daß Sie ein kleiner Fürst sind, Sie hätten ein großer Maler werden können.“4 Mit dem von Preußen erzwungenen Rücktritt des regierenden Herzogs Bernhard II. von Sachsen-Meiningen im Jahr 1866 fand die unbeschwerte „Musenzeit“ des Erbprinzen Georg ein jähes Ende. Als Regent und auch familiär war er seitdem mit einer Fülle von Problemen konfrontiert, deren Bereinigung er mit Enthusiasmus und enormer Arbeitsdisziplin anstrebte. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Konsequenz es ihm gelang, sich Freiräume für seine künstlerischen Ambitionen zu schaffen. Hinsichtlich seiner Zeichenversuche gelangte er jedoch selbstkritisch zu der Erkenntnis, „daß man nichts zustande bringen kann, wenn man sich nicht der Sache, mit der man sich beschäftigt, voll hingiebt.“5
4 5
Ebd. SATTLER, Hildebrand (wie Anm. 1).
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1. Begabung nutzen, Talente entwickeln Die Basis für seine künstlerische Lebensleistung wurde schon in der Kindheit gelegt. Grundvoraussetzung war zwar die überdurchschnittliche intellektuelle und künstlerische Begabung des Meininger Erbprinzen, hinzu kamen aber ‐ deren umfassende Förderung durch das pädagogische Konzept seines langjährigen Erziehers Moritz Seebeck, ‐ das musisch geprägte familiäre Umfeld, ‐ das Wirken diverser Persönlichkeiten am Meininger Hof hinsichtlich der Bauplanung und der Errichtung des Sommerschlosses Landsberg bei Meiningen (August Wilhelm Döbner, Ludwig Bechstein, Ferdinand Müller, Carl Alexander von Heideloff), ‐ die in diesem Zusammenhang stehende Berufung des Mainzer Historienmalers Wilhelm Lindenschmit d. Ä. zum Meininger Hofmaler und zum Zeichenlehrer Georgs, ‐ der durch Lindenschmit d. Ä. vermittelte Kontakt zu dem Historienmaler Peter von Cornelius. Die im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen vorhandenen Abschriften der Briefe des Pädagogen Moritz Seebeck an seine Mutter und an seine Frau sind eine hinsichtlich der künstlerischen Entwicklung des Meininger Erbprinzen Georg bisher noch nicht ausgewertete Quelle, auf die im Folgenden mehrfach zurückgegriffen werden wird. Als Seebeck 1835 die Ausbildung des Neunjährigen übernahm, urteilte er zunächst noch: Gefühl und mehr noch Gemüt ist vorwaltend, specielle Fähigkeiten noch gering, Beobachtungsgabe gut, Takt vorzüglich, Schicklichkeit und Anstand angeboren, für das Gemeine hat er kein Organ, gegen Fremde ist er zurückhaltend, ja schüchtern, gegen Bekannte ohne allen Rückhalt, frei und unbefangen Alles bekennend, was er denkt und fühlt.6
Die frühe Förderung und wachsendes Selbstvertrauen des Zöglings bewirkten eine auffallend rasche Entwicklung vor allem in den musischen Fächern. So berichtet Seebeck 1838, dass Georg eigene kleine Theaterstücke schreibt, gut Klavier spielt und dabei gern improvisiert sowie rasche Fortschritte im Zeichnen macht.7 Bis in die frühen 1840er Jahre hinein entwarf dieser gern Landschaften, die ihm rasch von der Hand gingen und die er freigiebig verschenkte. Die früheste 6
7
Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Großherzogl. Hausarchiv A XXXIV (Feodora) Nr. 11, 12, Briefwechsel Seebeck an seine Mutter und seine Frau Ida; benutzt wurden Kopien im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), 4-99-002 ZM Nr. 1833 u. 1834, Nr. 13/14, Brief vom 8. November 1835. Ebd., Nr. 38, Brief vom 1. Februar 1838.
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bisher bekannte und auf 1836 datierbare Zeichnung, eine Burgruine (Abb. 1), befindet sich im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen. Georgs Großmutter, Herzogin Luise Eleonore von S.-Meiningen, vermerkte eigenhändig auf der Blattrückseite: „Geschenkt von meinem Enckel Georg d 1.ten Jan: 1836. im Alter von 9. Jahr und 9. Monathe.“8 Von Seebeck darauf angesprochen, dass er Landschaften leichter komponiere als geschichtliche Szenen, antwortete ihm Georg: „Das ist wohl natürlich, bei Landschaften zeichne ich eben, wie es ist, bei historischen Tableaux, wie es sein könnte.“9
Abb. 1: Burgruine. Bleistiftzeichnung, 1836
8 9
ThStAM, Hausarchiv (im Folgenden: HA), Nr. 504. ThStAM, Briefwechsel Seebeck (wie Anm. 6), Nr. 67/68, Brief vom 24. April 1839.
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Abb. 2: Kämpfende Gladiatoren. Bleistiftzeichung, um 1838
Über Georgs ersten Zeichenlehrer, den Hof- und Dekorationsmaler Paul Schel(l)horn urteilte Seebeck wenig schmeichelhaft und vermutlich etwas zu subjektiv: Was würde der Junge leisten, wenn er die Anleitung eines ordentlichen Meisters hätte! Sein Lehrer ist ein stümperhafter Dekorationsmaler, der nicht korrekt zeichnet, und statt zu korrigieren, in der jämmerlichsten Weise schmeichelt.10
Zu den unter Schel(l)horns Anleitung gefertigten Arbeiten gehören 1839/40 gezeichnete und teilweise von Georg signierte und datierte Studienblätter nach Gipsmodellen und anderen Vorlagen. Die Handschrift seines Lehrers ist noch unverkennbar, wie Vergleiche mit Schel(l)horns durchaus nicht „stümperhaften“ akademischen Studien aus seiner Münchener Studienzeit zeigen. Dessen Hauptverdienst dürfte darin bestehen, dem Meininger Erbprinzen die Grundregeln des Kompositorischen gelehrt und ihn in die Grundlagen des anatomisch korrekten Zeichnens eingeführt zu haben. Dies bestätigte Seebeck indirekt folgendermaßen: 10 Ebd., Nr. 45, Brief vom 29. Oktober 1839.
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Sein Talent im Zeichnen war immer bedeutend, zeigt sich aber jetzt weniger in eignen Erfindungen, als im raschen Fortschritt hinsichtlich der Technik. […] Ein Reitergefecht aus der Zeit des 30 jährigen Krieges, welches er jetzt aus der Phantasie zu Papier gebracht hat, ist ganz schön. Handlung, Stellung der Figuren, Ausdruck der Gesichter, Alles ist gelungen und gibt dem Bild Leben und Interesse. Vorgestern hat er auf einem großen Blatt von vielleicht vier Fuß Länge ein großes Schlachtstück entworfen. Es stellt die Schlacht bei Lucka dar, in welcher 1307 seine Ahnen mit Hilfe ihrer Vasallen den Kaiser Albrecht schlugen, der es mit Thüringen und Meißen so machen wollte, wie mit den Schweizern. Gelingt die Ausführung, wie der Entwurf, so wird es ein sehr schönes Bild.11
Zu den Seebeckschen Kindern August, Bernhard und Julie pflegte der mit ihnen aufwachsende Georg ein fast geschwisterliches Verhältnis. Vor allem mit August verband ihn eine lebenslange Freundschaft. 1839 erfüllte er dem Fünfjährigen den Wunsch, auf seinem Schaukelpferd reitend gezeichnet zu werden (Abb. 3).12
Abb. 3: August Seebeck auf dem Schaukelpferd. Bleistiftzeichnung, 1839
1839 stellte Seebeck vier genealogische Tafeln über die Geschichte der sächsischen Häuser zusammen, um die historischen Kenntnisse Georgs hinsichtlich seiner Ahnen zu vertiefen. Den geschichtlich-politischen Teil hielt er für den wichtigsten der Prinzenerziehung. Zu Weihnachten schenkte er seinem Zögling 11 Ebd., Nr. 38, Brief vom 1. Februar 1838. 12 August Wilhelm Julius v. Seebeck (1834–1914), preußischer General der Infanterie, 1871 geadelt. – Zu M. Seebecks Erziehungskonzept gehörte, „daß mein Zögling wie ein Glied der Familie an meinem häuslichen Leben teilnehme“. Georg lebte daher sozusagen als Familienmitglied mit in der Seebeckschen Wohnung im Meininger Schloss.
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im gleichen Jahr Gustav Schwabs „Sagen des klassischen Altertums“, einen eigenhändig und aufwändig gefertigten hölzernen Säbel sowie einen von seiner Frau genähten Ritterrock mit Goldgarnierung.
2. Große Vorbilder und wachsendes Selbstvertrauen Zum künstlerischen Talent entfaltete sich Georgs zeichnerische Begabung jedoch erst unter seinem eigentlichen Zeichenlehrer, dem Mainzer Historienmaler Wilhelm Lindenschmit d. Ä. Dieser wurde 1839 nach Meiningen berufen und war von 1841–1846 mit der Ausmalung des Rittersaales von Schloss Landsberg bei Meiningen beschäftigt. Durch ihn wurde Georg auch mit dem Schaffen anderer führender zeitgenössischer deutscher Maler und Grafiker, vor allem mit den Werken damals bedeutender Historienmaler wie Peter von Cornelius und Wilhelm von Kaulbach vertraut. Sich an diesen Vorbildern orientierend und deren druckgraphisch umgesetzte Arbeiten seither eifrig sammelnd, begann nun ein arbeitsintensiver Lern- und Schaffensprozess. Auch die talentierte Malerin und Bury-Schülerin Kurfürstin Auguste von Hessen-Kassel nahm regen Anteil an den Zeichenversuchen ihres Enkels Georg. Für die ihm zu Weihnachten 1840 geschenkten Proportionsmodelle bedankte er sich brieflich bei ihr mit den Worten: „Die Glieder von Gips und die 3 kleinen Statuen werden mir für’s Zeichnen von sehr großem Nutzen sein, da (ich) daran Verkürzungen, Muskeln und Proportionen lernen kann.“13 Äußerst anregend waren für den phantasievollen Knaben die vielfältigen Gespräche über die Geschichte des Hauses Sachsen sowie über mittelalterliche Architektur, Geschichte und Historienmalerei, die unter Leitung seines Vaters, des Herzogs Bernhard II., in der Planungsphase und während der Bau- und Ausstattungsarbeiten von Schloss Landsberg geführt worden sind. Er hat mir in diesen Tagen eine selbst erdachte, viele Bogen umfassende Erzählung geliefert, welche einen fingierten Kampf um die jetzt hergestellte Burg Landsberg in der Zeit des Rittertums schildert […] und zu Verwundern ist bei seinem Alter, wie gewandt seine Feder ist, um jeden in der ihm angemessenen Sprache reden zu lassen,
berichtete Seebeck 1842.14
13 ThStAM, HA, Nr. 1078, Brief des Erbprinzen Georg an seine Großmutter Auguste von Hessen-Kassel, Meiningen 27. Dezember 1840. 14 Sophie VON SEEBECK (Hg.), Aus sonniger Kindheit. Briefe von Moritz Seebeck, S. 199– 201, Brief Seebecks an seine Mutter vom 19. Februar 1842.
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Abb. 4: Diskuswerfer (Studie nach Gipsmodell). Lavierte Bleistiftzeichnung, 1839/40
Zu eigenen zeichnerisch-kompositorischen Versuchen inspirierte Georg nun vor allem Lindenschmits „Landsberger Bilderzyklus“ zu Themen aus der Vergangenheit des thüringisch-sächsischen Herrschergeschlechts. Seine Favoriten waren das „Prachtturnier Heinrichs des Erlauchten in Nordhausen“, eine ritterliche Freuden- und Friedensfeier anlässlich des beendeten thüringischhessischen Erbfolgekrieges im Jahr 126415 und die „Schlacht bei Lucca“, welche 15 Dem „Prachtturnier“ ist inhaltlich auch der ca. 1840 entstandene Turnierfries im angrenzenden ehemaligen Autographenzimmer zuzuordnen. Es ist eine Arbeit des Meininger Hofbildhauers Ferdinand Müller, einem der besten Schüler Ludwig Schwanthalers an der Münchener Akademie der Bildenden Künste. Er war der einzige unter den Hofkünstlern seines Vaters, dessen Arbeiten auch den Beifall des Erbprinzen fanden.
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ihn schon seit 1838 beschäftigte. Selbstbewusst und korrigierend zeichnete er teilweise sogar in die Entwürfe Lindenschmits hinein, so dass dieser allmählich an seinen eigenen Fähigkeiten zu zweifeln begann. Darin mag auch der Hauptgrund dafür liegen, dass Lindenschmit diese beiden Motive nicht termingerecht vor Ort fertig stellen konnte. Im Gegensatz zu den sechs anderen wandfesten Fresken im Rittersaal sind es in seinem Mainzer Atelier gefertigte Ölbilder. Die bis dahin erreichten Fortschritte Georgs schilderte Seebeck, welcher den Erbprinzen und dessen Eltern 1842 auf einer Reise nach England begleitete, wie folgt: Er ist jetzt bei der Königin [Victoria] und überreicht ihr eine ausgezeichnet gut gelungene Zeichnung, die er ihr auf Verlangen entworfen hat. Es ist wohl das Beste, was er je komponiert hat, und auch die Ausführung ist sauber und gefällig. Einige Frauen, die er in den Vordergrund gestellt hat, sind besonders schön, und doch ist es das erste Mal, daß er es gewagt hat, Frauen zu zeichnen. […] Ich wünschte, daß Lindenschmidt das Bild sähe, er würde sich außerordentlich freuen.16
Georgs größtes Interesse galt den Schlachten von Bouvines 1214 und bei Hemmingstedt im Jahr 1500, von denen er zahlreiche Kompositionen und Detailstudien anfertigte.17 Sie zeugen von einer erstaunlichen Stilsicherheit in Fragen der Bewaffnung und Kleidung und von einer bemerkenswerten Beherrschung der Darstellung bewegter Massenszenen. Von Lindenschmit d. Ä. unterrichtet und von dem Historienmaler Peter von Cornelius, dem Georgs Zeichnungen seit ca. 1843 teilweise zur Begutachtung nach Berlin geschickt wurden, beraten, war es aber vorrangig die anhaltende Leistungsbereitschaft und Disziplin des Meininger Erbprinzen, welche diese Ergebnisse zeitigte. Die 1844 beendete großformatige mit einem kunstvoll gezeichneten Rahmen versehene sowie ausführlich beschriftete und signierte Zeichnung zur Schlacht von Bouvines (Abb. 5, Farbabbildungsteil, Abb. 15, S. 526) ist Höhepunkt und Abschluss seiner ersten künstlerischen Entwicklungsphase zugleich.
16 ThStAM, Briefwechsel Seebeck (wie Anm. 6), Nr. 151, Brief an seine Frau vom 12. Juli 1842. Der Englandbesuch galt vorrangig der Königinwitwe Adelaide (Adelheid), der Schwester des regierenden Herzogs Bernhard II. von Sachsen-Meiningen und somit der Tante des Erbprinzen Georg. 17 In der Schlacht bei Bouvines am 27. Juli 1214 standen sich ein Heer des französischen Königs Philipp II. August und ein englisch-welfisches Heer unter der Führung des Kaisers Otto IV. gegenüber. Sie endete mit einem Sieg Philipp II. und gilt als einer der Fixpunkte in der Entstehung eines französischen Nationalbewusstseins. – In der Schlacht bei Hemmingstedt schlugen am 17. Februar 1500 die Dithmarscher Bauern die zahlenmäßig weit überlegenen Truppen des dänischen Königs Johann I. und seines Bruders Herzog Friedrich von Holstein. Die Schlacht bewahrte die faktische Unabhängigkeit der Bauernrepublik Dithmarschen für weitere 59 Jahre.
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Abb. 5: Große Vorstudie zur Schlacht von Bouvines. Feder über Bleistift, z. T. laviert, um 1842/43
Abb. 6: Selbst. Skizze in einem Brief (Bitte an die Mutter, etwas zeichnen zu dürfen). Federzeichnung, 1842
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3. Große Vorbilder und Freundschaft auf Augenhöhe Ab 1844 absolvierte der Meininger Erbprinz fünf Semester Geschichte, Recht und Kunstgeschichte in Bonn und ab Oktober 1846 ein Semester Jura in Leipzig. Die seiner Meinung nach gelungensten Zeichnungen, vor allem seine Kompositionen zur Schlacht bei Hemmingstedt (Georg nennt sie Schlacht der Ditmarsen/Ditmarschen), nahm er mit nach Bonn und suchte sie weiter zu vervollkommnen (Farbabbildungsteil, Abb. 12, S. 527). Zeit dafür blieb allerdings meist nur in den auch für Kunstreisen und für Künstlerkontakte genutzten Ferien. An den Vater schrieb er 1844: Mit meiner Composition der Schlacht der Ditmarschen bin ich noch gar nicht vorgerückt; denn wenn man mit so vielen andern Dingen beschäftigt ist, die einem noch gänzlich neu sind, kann man keine ordentliche Zeichnung herausbekommen. – Es wird eine angenehme Nebenbeschäftigung in den Ferien sein!18
Abb. 7: Studie Nr. Ø zur Schlacht bei Hemmingstedt. Feder über Bleistift, um 1846
Da sich in Bonn kein kompetenter Lehrmeister und Ratgeber finden ließ, schickte er seine Skizzen an Wilhelm Lindenschmit d. Ä. nach Mainz und stand bis zu dessen frühem Tod 1848 mit ihm in Verbindung.
18 ThStAM, HA, Nr. 1044, Erbprinz Georg an seinen Vater, Herzog Bernhard II., 21. Juni 1844.
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Von entscheidender Bedeutung für seinen weiteren künstlerischen und kunsttheoretischen Entwicklungsprozess war jedoch die persönliche Bekanntschaft mit dem Cornelius-Schüler Wilhelm von Kaulbach. Gleich bei ihrer ersten Begegnung im Juni 1846 in Bad Ems legte er ihm eine unter dem Beistand Lindenschmit d. Ä. gefertigte Skizze zur Schlacht der Ditmarschen vor, „denn im künstlerarmen Bonn kann man sie Niemandem zeigen, der die Sache so versteht, daß er einem darüber Anleitung geben könnte“, berichtet er seiner Mutter, beschreibt ihr seitenlang detailliert seine Komposition und schließt mit den Worten „Alles bis jetzt Beschriebene fand Kaulbach gut und er sagte, er könne davon nichts tadeln, es sei sehr gut componirt“.19 Kaulbach sparte auch künftig nicht mit kritischen, beratenden aber auch lobenden Worten und praktischen Ratschlägen. Davon zeugen u. a. die von null bis fünf nummerierten mehrfach überarbeiteten Studienblätter zur Schlacht bei Hemmingstedt im Fundus der Meininger Museen (Abb. 7–9). Drei dieser Blätter sind mit ausführlichen eigenhändigen Anmerkungen Kaulbachs versehen.
Abb. 8: Studie Nr. 3 zur Schlacht bei Hemmingstedt. Feder über Bleistift, z. T. laviert, um 1846
19 ThStAM, HA, Nr. 941, Erbprinz Georg an seine Mutter, Herzogin Marie (im Folgenden: Georg an seine Mutter), 1. Juli 1846.
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Die kleine Vignette oben links auf Blatt Nr. 3 zeigt, dass Georg seine Studien außerdem auch persönlich mit Peter von Cornelius besprach. Das Porträt im Linksprofil bildet dessen markante Züge ab (Abb. 8). Ein Vergleich mit dem Duktus diverser Porträtskizzen in zahlreichen Briefen Georgs lässt den Schluss zu, dass hier der Schüler seinen „Lehrer“ – vermutlich beim fachlichen Gespräch – porträtiert hat. Wann es zu einer ersten persönlichen Begegnung beider gekommen sein könnte, ist bisher nicht exakt belegbar. Möglicherweise geschah dies in den Monaten seiner militärischen Ausbildung in Potsdam und Berlin zwischen November 1847 und März 1848.
Abb. 9: Detailstudie. „Die Dithmarscher Jungfrau“. Feder über Bleistift, um 1845
Durch Studium, Militärdienst und Familiengründung in den 1840er/1850er Jahren blieb zunächst kaum noch Zeit für eigene bildkünstlerische Tätigkeit. Eine Ausnahme bilden die auf einer Reise nach Norwegen 1849 entstandenen Landschaftszeichnungen. In diesem Metier hat sich Georg zwar auch später noch versucht, erkannte aber wohl selbst seine Grenzen. Wo die Landschaft als Staffage für bewegte Massenszenen oder architektonische Ansichten dient (zumeist bei Arrangement- und Bühnenbildskizzen für sein Hoftheater) sowie in kleinen flüchtigen Skizzen (wie z. B. den während diverser Aufenthalte auf dem Kaser am Königsee entstandenen Zeichnungen), gelingen ihm überzeugende Resultate (Abb. 10).
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1850 wurden die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Haus Sachsen-Meiningen und dem preußischen Königshaus durch die Heirat Georgs mit Prinzessin Charlotte von Preußen, einer Nichte des Königs Friedrich Wilhelm IV., noch intensiviert.20 Friedrich Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem Thron“, verfügte über ein beachtliches Zeichentalent und ging vielschichtigen künstlerischen Interessen nach. Im Gegensatz zu Georgs Vater, der den Intentionen seines Sohnes meist zurückhaltend oder ablehnend gegenüber stand, wurde der preußische König zum väterlichen Freund, Förderer und Ratgeber des Meininger Erbprinzen. Als dieser dem preußischen Königspaar tief erschüttert die Nachricht vom Tod Charlottes übermittelte, bekannte er freimütig: „Seien Euer Majestät überzeugt, daß nichts mich abwendig machen wird, Euer Majestät treu zugethan zu sein. Verzeihen Majestät den Ausdruck, aber ich liebe und verehre Sie.“21
Abb. 10: Wasserfall. Bleistift/Ölkreide, undatiert (1849?)
20 Georgs Mutter Marie war eine Enkelin des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., der wiederum der Urgroßvater von Georgs erster Frau Prinzessin Charlotte von Preußen war. Aufgrund der ehelichen Zerwürfnisse ihrer Eltern, die 1849 in deren Scheidung gipfelte, nahm sich das kinderlose Königspaar Friedrich Wilhelm IV. und Elisabeth liebevoll ihrer Nichte Charlotte an. Der sehr familiäre Kontakt wurde auch auf den Meininger Erbprinzen Georg übertragen. 21 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, BPA Rep. 50J, Nr. 1235, Brief des Meininger Erbprinzen Georg an König Friedrich Wilhelm IV., 3. April 1855.
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Aufgrund dieser hohen Protektion erklären sich auch die persönlichen Kontakte Georgs zu bedeutenden preußischen Hofbeamten wie Peter Joseph Lenné, seit 1854 General-Gartendirektor aller königlich-preußischen Gärten, und dem königlichen Hofarchitekten Friedrich August Stüler. Beide konnte er als Berater für meiningische Pläne (Neubau Marstall, Parkanlagen) gewinnen. Stüler war der Architekt des 1843–1855 erbauten Neuen Museums in Berlin, für dessen Treppenhaus W. von Kaulbach von 1845–1865 an einem insgesamt 39teiligen Zyklus zum Thema „Die Entwicklung der Kulturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart“ (Kriegsverlust; die Originalkartons sind fast vollständig erhalten) schuf. Er lieferte auch die Entwürfe für einen Domneubau mit anschließendem Campo Santo, einer von Friedrich Wilhelm IV. nach dem Vorbild des Campo Santo in Pisa geplanten Grablege der Hohenzollern. P. von Cornelius, damit beauftragt, dessen riesige Wandflächen mit Fresken zu schmücken, arbeitete zwischen 1844 und 1863 an den Kartons für einen diesbezüglichen Freskenzyklus, dessen Ausführung jedoch, wie auch der größte Teil des Dombauprojekts, unterblieb. Durch seine Bekanntschaft mit diesen die Intentionen des preußischen Königs umsetzenden Künstlerpersönlichkeiten war Georg über die neuesten Kunstprojekte allseitig und bestens informiert. Die engsten persönlichen Kontakte unterhielt er jedoch sowohl in Berlin als auch während seines Romaufenthalts 1848/49 zu Cornelius und war überwältigt von dessen Ideenreichtum und seiner kompositorischen Umsetzung der komplizierten von Friedrich Wilhelm IV. vorgegebenen christlichen Themen. Peter von Cornelius war für Georg die bedeutendste Autorität in Kunstangelegenheiten: „Cornelius Name, des bin ich überzeugt, wird in Jahrhunderten neben Raffael u. Michelangelo glänzen.“22 Dessen Gestaltungsprinzipien, seiner Themenwahl mit geschichtlich-philosophischem Hintergrund und seinen an den Altmeistern Raffael und Dürer orientierten Ausdrucksformen blieb Georg lebenslang eng verbunden. Dazu zählten auch die Wiederbelebung der Freskomalerei und die dadurch bedingte Wertschätzung des Kartons als exakte Vorzeichnung von Meisterhand. In diesem Zusammenhang sind seine Aufträge an die Maler Ludwig Richter/Heinrich Spieß (Villa Feodora, Bad Liebenstein, 1863) und Arthur Fitger (Veste Heldburg, 1899) zu sehen.
4. Eigene Kunstprojekte Ohne konkretes Betätigungsfeld in Meiningen und ohne Aussicht auf eine baldige Regierungsübernahme war Prinz Georg auf dem besten Wege, sich ernsthaft als Künstler und Kunstmäzen zu etablieren. Für Ende 1854 ist die 22 ThStAM, HA, Nr. 1001, Georg an seine Mutter, 16. Oktober 1860.
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sicherlich durch Wilhelm von Kaulbach vermittelte Bekanntschaft mit dessen Schüler Andreas Müller (1831–1901) verbürgt. Mit diesem auch von Cornelius hoch gelobten jungen Maler hatte der Meininger Erbprinz Großes vor. Er plante die Errichtung einer Kunstschule in Meiningen unter Müllers Leitung. Sein Vater, der regierende Herzog Bernhard II., stand diesem Plan jedoch ablehnend gegenüber. Daher suchte er nach Möglichkeiten, ein Jahresgehalt von 1.000 Gulden für Müller aufzubringen. In einem Schreiben an seine Mutter zieht er alle Register, um sie dafür zu gewinnen: Du weißt, daß es mir sehr viel daran liegt, einen bedeutenden Künstler hier zu fesseln. […] Für die Stadt wäre es auch eine Annehmlichkeit, und würde neues geistiges Leben herein gebracht, was anzuregen ein Verdienst ist, da es leider nicht prosperirt. […] Kaulbach ist dafür, daß Müller hierherziehe, und wird seinem Lieblingsschüler gewiß zureden. Müller ist noch jung genug und jetzt noch zu haben, während später vielleicht nicht mehr. Ich glaube daher, daß wenn wir uns das Benefiz seiner Gegenwart schenken wollen, keine Zeit verloren werden darf.23
Müller wurde für das Frühjahr 1855 nach Meiningen eingeladen, um ein Vorzimmer der Erbprinzessin Charlotte im Schloss Elisabethenburg mit Szenen aus der Geschichte der Wettiner zu schmücken.24 Doch es sollte anders kommen.
5. Kunst als Therapie Durch Charlottes unvorhersehbaren Tod am 30. März 1855 und weitere tragische Todesfälle in seiner Familie,25 geriet der Meininger Erbprinz in eine tiefe Lebenskrise. Zunächst bestand ein ganz individuelles Mittel seiner Totenehrung in der Vergabe von Kunstwerken. Hierbei griff er auf zwei Hofkünstler seines Vaters zurück, auf den Bildhauer Ferdinand Müller und den Maler Samuel Diez,26 favorisierte aber zugleich von ihm bevorzugte Künstler. Ende Mai trafen unabhängig voneinander Andreas Müller, der Bildhauer Christian Daniel Rauch und Wilhelm von Kaulbach in Meiningen ein. Rauch, der eine Marmorbüste der Erbprinzessin anfertigen sollte, lehnte den Auftrag vermutlich aus Altersgründen ab, denn er starb schon 1857. Die Idee, von Andreas Müller eine 23 TStAM, HA, Nr. 976, Briefe 5 u. 6, Georg an seine Mutter, 14. November 1854. 24 Ludwig BECHSTEIN, Villa Carlotta. Poetische Reisebilder vom Comersee und aus den Lombardisch-Venetianischen Landen, Weimar 1857, S. 34, 72. 25 Erbprinzessin Charlotte starb am gleichen Tag wie der zu früh geborene Sohn im Kindbett. Nur kurze Zeit zuvor, am 27. Januar 1855, war Prinz Georg Albrecht verstorben. 26 Ferdinand Müller nahm die Totenmaske Charlottes ab und fertigte auch die als Zimmerepitaphe gedachten Marmorplastiken von Prinz Georg und von Charlotte auf dem Totenbett sowie die Hände der Erbprinzessin. Samuel Diez porträtierte sie auf dem Totenbett.
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Apotheose Charlottes malen zu lassen, reifte in Georg möglicherweise während gemeinsamer Gespräche mit Müller und Kaulbach. Letzterer, der in Meiningen Georgs Kinder, den Erbprinzen Bernhard und Prinzessin Marie, porträtierte,27 arbeitete in dieser Zeit an einem Ölbild mit dem Titel „Zu Gott“, auf welchem ein Engel ein verstorbenes Kind zum Himmel trägt und welches vom Meininger Erbprinzen käuflich erworben worden ist.28 Der schwebende ganzfigurige Engel im Bildmittelpunkt entspricht modifiziert auch dem Hauptmotiv der 1856/57 vollendeten „Apotheose“.29 Ablenkung und Trost suchte und fand der junge Witwer vor allem durch Kunstreisen und eigene künstlerische Betätigung. So lebte er 1855 zeitweilig inkognito als Maler in München, wurde dort auch für einen solchen gehalten und gab sich auch anderwärts dafür aus. Ernst Haeckel berichtet z. B.: Überhaupt ist Heiligenblut jeden Sommer fast von irgend einer großen Berühmtheit oder Notabilität heimgesucht und dabei um ein paar Anekdoten bereichert worden. So war vor einigen Wochen der Erbprinz Georg von Meiningen, als armer Maler verkleidet, hier gewesen, hatte unter diesem Inkognito eine Menge lustiger Streiche verübt u schließlich auf die große weiße Wand neben dem Ofen mit Kohle einen sehr hübschen Ritter Georg mit dem Drachen hingemalt, der jetzt noch da stand.30
Auf das Motiv des von Georg gewissermaßen als Schutzpatron angesehenen Drachentöters griff er 1899 nochmals zurück, indem er auf der Veste Heldburg durch den Maler Arthur Fitger ein monumentales Fresko anbringen ließ. Seine Villa Carlotta bei Tremezzo am Comer See31 diente ihm seit September 1855 als „Zufluchtsort“ sowie als Ausgangspunkt für ausgedehnte Bildungsreisen und wurde Mittelpunkt intensiver geistiger und bildkünstlerischer Aktivi27 Meininger Tageblatt vom 2. Juni 1855. 28 Im Katalog der „Ausstellung historischer Cartons, Gemälde und Sculpturen“ von 1857 wird das Bild auf S. 10 unter Nr. 68 wie folgt beschrieben: „Engel, ein verstorbenes Kind zum Himmel tragend, […] nach einem Märchen von Andersen. Eigenthum Sr. Hoheit des Erbprinzen Georg.“ 29 Ausführlich zur „Apotheose“ vgl. auch Bertram LUCKE, Glasgemälde-Stiftungen des Herzogs Georg II. von Sachsen-Meiningen, Berlin 2013, S. 109 f., 173–175. 30 Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses, Ernst Haeckel, Alpenreise. Eigenhändiges Manuskript 1855, Kap. VIII, S. 30. Die Transkription erfolgte im Rahmen des Akademieprojekts „Ernst Haeckel: Briefedition (1834–1919)“. Freundliche Mitteilung von Frau Dr. Claudia Taszus, Jena. – Die „lustigen Streiche“ sind wohl eher eine Interpretation Haeckels, denn Georg befand sich in einer tiefen Lebenskrise. 31 Die 1745 auf Betreiben des Marquis Giorgio Clerici erbaute Villa gelangte 1804 in den Besitz des Grafen Gian Battista Sommariva, der sie mit bedeutenden Kunstwerken ausstattete. 1843/44 ging sie in den Besitz der Prinzessin Albrecht von Preußen (Marianne Prinzessin der Niederlande) über, welche sie 1850 ihrer Tochter Charlotte anlässlich deren Heirat mit dem Meininger Erbprinzen Georg übereignete. Seither trägt die Villa Sommariva den Namen CARLOTTA. Nach Charlottes Tod 1855 erbte Georg das Anwesen.
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täten (Abb. 11). Am Beginn stand eine Einladung Georgs an Andreas Müller, an den Meininger Archivar und Hofbibliothekar Ludwig Bechstein (1801–1860) und an den Maler und Grafiker Carl Lossow (1835–1861) zum gemeinsamen Aufenthalt in seiner Villa. Lossow war erst im September 1855 nach Meiningen gekommen, um seinen Malerfreund Andreas Müller zu besuchen. Unerwartet wurde auch ihm die Ehre zuteil, in die künstlerischen Pläne des Meininger Erbprinzen einbezogen zu werden.32 Die von Georg gemeinsam mit Andreas Müller und Carl Lossow unternommenen oder für beide großzügig finanzierten Studienreisen (1855, 1857 und 1858) zu den bedeutendsten italienischen Kunstzentren Rom, Venedig und Florenz sowie diverse Aufträge förderten die am Anfang einer vielversprechenden künstlerischen Karriere stehenden jungen Künstler enorm.
Abb. 11: Villa Carlotta bei Tremezzo am Comer See. Lithographie von K. Steinberg nach Carl Lossow
32 BECHSTEIN, Villa Carlotta (wie Anm. 24), S. 36 f.
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Schon im Oktober 1855 beschäftigte sich Georg wieder ernsthaft mit dem Plan einer Meininger Kunstschule unter Müllers Leitung. Selbstbewusst berichtete er dem Weimarer Großherzog Carl Alexander: Historienmaler Müller; welchen […] ich nach Meiningen gezogen habe, ein sehr ausgezeichneter junger Künstler aus München, jedenfalls der hervorragendste der jüngern deutschen Künstlergeneration, […] Auch [Carl] Lossow wird nach Meiningen kommen und in Müller’s Atelier arbeiten, und so denke ich, daß noch einige andere junge Münchner Historienmaler Müller nachkommen werden, so daß es in nicht zu langer Zeit eine Meininger Schule geben wird, an deren Haupt Müller stehen wird. […] Läßt Du wieder etwas auf der Wartburg malen, kannst Du dann aus größerer Nähe den Künstler haben, und wirst gewiß eben so zufrieden sein, als mit Schwind.33
Dieses von seinem Vater nach wie vor nicht unterstützte Lieblingsprojekt Georgs zerschlug sich vor allem aus finanziellen Gründen. Daher konzentrierten sich seine Pläne zunächst darauf, fern von Meiningen und unter Mitwirkung Müllers und Lossows den genius loci seiner Villa Carlotta neu zu prägen. Hier herrschte noch immer der Kunstgeschmack des ehemaligen Besitzers Graf Sommariva vor, der die Räume vorwiegend mit Skulpturen und Gemälden zeitgenössischer Künstler im Stil des Klassizismus ausgestattet hatte. Wie wenig dies Georg und zu ihren Lebzeiten auch Erbprinzessin Charlotte zusagte, schildert Georg am Beispiel des Vestibüls: „Dieses Vestibül ist Lolo, mir und Allen stets schokant gewesen durch seine Geschmacklosigkeit, und ist es Zeit es umzuändern.“34 Der von Sommariva erworbene „Alexanderzug“, ein 1828 vollendeter weißer Marmorfries des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen, schmückt alle vier Wände der Marmorhalle im ersten Stock.35 Carl Lossow sollte darüber eine sechsteilige diesen erklärende Freskenreihe anbringen, Andreas Müller für die Vorhalle zwei Rundbilder (Die Malerei/Die Sculptur) im Sinne der Raffaelschen Loggien im Vatikan malen und die dem See zugekehrte Hauptfassade mit zwei Freskenzyklen schmücken.36 Davon berichtet Georg seiner Mutter: Müller hat 2 sehr schöne Skizzen gezeichnet für 2 Freskobilder, welche später, d. h. in einigen Jahren ich die Absicht habe, rechts und links am Eingang außen auf die Villawand malen zu lassen, […]. Es werden friesartige Bilder werden, und sollen Ritterthum, 33 ThStAM, HA, Nr. 1093., Erbprinz Georg an Großherzog Carl Alexander von SachsenWeimar-Eisenach, Villa Carlotta, 7. Oktober 1855, hier: pag. 5v–6v, zitiert nach LUCKE, Glasgemäldestiftungen (wie Anm. 29), S. 36. – Carl Alexander betrieb ab 1838 die Wiederherstellung und den Ausbau der Wartburg bei Eisenach zum national-dynas-tischen Denkmal. Die dort 1854–56 von Moritz v. Schwind gemalten Fresken kannte Georg aus eigener Anschauung. 34 ThStAM, HA, Nr. 981. Georg an seine Mutter, Villa Carlotta, 7. Oktober 1855. 35 Eine ausführliche Beschreibung des Frieses findet sich bei BECHSTEIN, Villa Carlotta (wie Anm. 24), S. 95–97. 36 BECHSTEIN, Villa Carlotta, (wie Anm. 24), S. 104–108.
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Ritterlichkeit, und Kunst darstellen: Links der Sängerkrieg auf der Wartburg, rechts das Prachttournier von Nordhausen, das Letztere aus der Geschichte meiner väterlichen, das erstere aus der der mütterlichen Ahnen.37
Die Neugestaltung der Galerie im 2. Obergeschoss wurde dem Meininger Hofbildhauer Ferdinand Müller (1809–1881) übertragen. In Anlehnung an seinen Turnierfries im Autographenzimmer von Schloss Landsberg bei Meiningen und gewissermaßen als Gegenentwurf zum „Alexanderzug“ waren drei Friese vorgesehen, deren Motive „den Kampf des germanischen Elements gegen das wälsche und römische, dargestellt in bedeutenden Zügen aus der Geschichte“ zum Inhalt hatten.38 Auf der Villa Carlotta war Georg Mäzen und Schüler zugleich. „Hier wird viel gezeichnet und gemalt, auch ich zeichne mit“ berichtet er seiner Mutter.39 In dem durch Müller und Lossow geförderten kreativen Schaffensprozess wandte er sich wieder verstärkt jenen historischen Themen zu, die seine Phantasie schon als Knabe beflügelt hatten. Im Oktober 1855 schickte er eine Skizze der Lechfeldschlacht40 nach Meiningen, die ich unter Müller’s Beistand fertig gemacht habe. […] Würde einmal in späteren Tagen diese Composition ganz ausgeführt – was ich übrigens sehr bezweifle – so würde Manches in der Gruppenanordnung geändert werden müssen. Müller tadelt mit Recht Vieles an der Composition […].41
Als er sich im Frühjahr 1856 in Rom aufhielt und dort häufig auch wieder mit Peter von Cornelius zusammentraf, bat er seine Mutter: „Wenn es mögl. ist, laß bitte meine Zeichnung die Schlacht am Lechfelde photographieren und sende diese Photographie her, damit ich sie an Cornelius zeige.“42 Für seine Wohnsuite im Meininger Schloss Elisabethenburg plante er einen sechsteiligen Zyklus
37 ThStAM, HA, Nr. 981, Georg an seine Mutter, Villa Carlotta, 7. Oktober 1855. 38 BECHSTEIN, Villa Carlotta, (wie Anm. 24), S. 100–104; dort auch das Zitat. Themen waren: 1. Der Heereszug der Cimbern über die Alpen/ 2. Die Hermannsschlacht/ 3. Der Barbarossazug in drei Hauptgruppen. Die mittlere, die Belagerung Mailands durch Barbarossa darstellende Gruppe, wurde fast ganz von Georg entworfen. Der Fries kam in seiner Gesamtheit nie zur Ausführung. Nur der 1. Teil des Barbarossazuges blieb erhalten. In den 1930er Jahren wurden die Gussformen im ehemaligen Meininger Atelier F. Müllers von dem Malermeister Wittenberg entdeckt, welcher die Teile neu gießen ließ. Mit Ergänzungen des Stuckateurs W. Beyreiß wurde der Fries, so, wie er heute noch erhalten ist, an seinem Meininger Wohnhaus Am Schwabenberg 10 angebracht. 39 ThStAM, HA, Nr. 981. Georg an seine Mutter, Villa Carlotta, 7. Oktober 1855. 40 Die Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955 ging als Endpunkt der Ungarneinfälle und als größter militärischer Sieg König Otto I. (des Großen) in die Geschichte ein. 41 ThStAM, HA, Nr. 981, Brief 3 u. 4, Georg an seine Mutter, Villa Carlotta, 2. Oktober 1855. 42 ThStAM, HA, Nr. 984, Brief 39, Georg an seine Mutter, Rom, 25. Januar 1856.
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mit Themen aus der Geschichte seiner wettinischen Vorfahren.43 Alle diese Vorhaben kamen allerdings nicht über das Stadium diverser Entwürfe hinaus. Neben den von ihm favorisierten historischen Themen wandte sich Georg in den Jahren ab 1855 auch religiös motivierten Sujets im Stil der Nazarener zu. Deren bedeutendste Vertreter Peter von Cornelius, Friedrich Overbeck, Philipp Veit, Ludwig Schnorr von Carolsfeld und Wilhelm von Schadow waren ihm persönlich bekannt, wie auch deren Freskenzyklen in der Casa Bartholdy und dem Casino Massimo in Rom. Geradezu eine Offenbarung waren für ihn aber die Arbeiten des Malermönchs Fra Angelico (1395/1400–1455), mit denen er Ende 1855 erstmals im Kloster San Marco in Florenz in Berührung kam. Auch der ihn begleitende Andreas Müller empfing hier entscheidende Anregungen für die Komposition der „Apotheose“. In Rom, wohin sich beide im Januar 1856 begaben, vollendete er den als Vorarbeit für das geplante Ölbild gefertigten Karton, über den sich Cornelius äußerst lobend aussprach. Für Georg war es die „schönste neueste Composition“,44 die er anlässlich einer Audienz sogar Papst Pius IX. vorlegte, der sich verhalten kritisch geäußert haben muss, denn er schreibt: Du hast ganz recht, in Deinem Briefe zu sagen, daß S. Heiligkeit sich wahrscheinlich im Karton Müller’s daran gestoßen, daß Lolo wie eine Heilige umgeben sei; dies glaube auch ich, […]. Für mich ist es eine wahre Beruhigung gewesen, mich mit dieser Composition zu beschäftigen, da es mir den Gedanken tief in’s Herz geprägt hat, und ich gar nicht mehr anders denken kann, als daß Lolo in einem besseren Leben ist, u. daß es ihr glücklicher geht, als hienieden.45 (Farbabbildungsteil, Abb. 11, S. 526)
Seit im Zuge der Romantik das Sammeln und die schriftliche Fixierung von Märchen, Sagen und Volksliedern eine Blütezeit erlebte, betätigten sich so namhafte Historienmaler wie Cornelius, Kaulbach, Schwind und deren Schüler, darunter Andreas Müller und Carl Lossow, auch als Illustratoren. Vorbildhaft für den Meininger Erbprinzen waren u. a. die Cornelius’schen Illustrationen „Aventuire von den Nibelungen“ und zu Goethes „Faust“. Als er sich z. B. an einem Motiv aus der Gudrunsage, einem Heldenepos aus dem 13. Jahrhundert, versuchte, äußerte er selbstkritisch: Was mein Zeichnen angeht, so habe ich nichts zu Stande gebracht in Betreff einer Composition aus der Kudrun. Ich wollte componiren, wie Ortwin und Herwig zu Kudrun und Hildburg am Strande der Normandie kommen, während dieselben mit Waschen, im Schnee, beschäftigt sind, und die Viere sich wieder erkennen. Es ist das ein sehr schöner Moment – ich aber zu dumm, ihn zu componiren, weil ich noch niemals Ruhiges Zartes und Inniges componirte, was viel schwerer ist als Bewegtes und Eklatantes. Seitdem habe 43 ThStAM, HA, Nr. 985, Georg an seine Mutter, Rom, 14. September 1856. 44 ThStAM, HA, Nr. 986, Georg an seine Mutter, Rom, 20. März 1856. 45 ThStAM, HA, Nr. 988, Georg an seine Mutter, beginnend in Catania, 9. Mai 1856, endend am 19. Mai 1856, hier S. 13.
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ich morgens einige mal unter dem Beistand von Müller Studienköpfe gezeichnet, um das Modelliren durch richtiges Schattenanbringen zu erlernen.46
Ein überzeugendes Ergebnis dieser Bemühungen ist Georgs Illustration zur Strophe „Der kranke Sohn und die Mutter, Die schliefen im Kämmerlein: Da kam die Mutter Gottes ganz leise geschritten herein“ aus Heinrich Heines Gedicht „Die Wallfahrt nach Kevlaar“ („Buch der Lieder“) (Abb. 12). Dass sich die mit einer zeitgenössischen Rahmung versehene Zeichnung im Privatbesitz von Helene Freifrau von Heldburg, Georgs dritter Gemahlin, befand, zeugt davon, dass beide sie für würdig befanden, bewahrt zu werden.47
Abb. 12: Johannes Burger, Illustration zu Heinrich Heines Gedicht „Die Wallfahrt nach Kevlaar“. Kupferstich 1864/65, nach der Originalzeichnung des Erbprinzen Georg 46 ThStAM, HA, Nr. 992, Brief 21/22, Georg an seine Mutter, Rom 1856 (undatiert). 47 Das Original befindet sich heute auf Schloss Altenstein. Vgl. Renate und Kurt HOFMANN, Johannes Brahms auf Schloss Altenstein und am Meininger Hof. Amtlicher Führer, Rudolstadt/München 2012, S. 77. Für diesen Hinweis danke ich Herrn Dr. Bertram Lucke, Erfurt.
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Ein erneuter Versuch Georgs zur Hebung des künstlerischen Niveaus in Meiningen fand 1857 sichtbaren Ausdruck in der von vom Meininger Erbprinzen organisierten „Ausstellung Historischer Cartons, Gemälde und Sculpturen“, deren Leitung er Müller, Lossow und Bechstein anvertraute. Sie fand in drei Sälen und zwei Kabinetten des Meininger Hoftheaters sowie im Gewächshaus (Orangerie) der Hofgärtnerei im angrenzenden Englischen Garten statt und präsentierte einen Querschnitt durch das Schaffen der bedeutendsten zeitgenössischen Historienmaler aus der Münchner und der Düsseldorfer Malerschule. Die meisten Exponate waren Auftragswerke des bayerischen Königs Ludwig I., des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Zahlenmäßig dominierten die Arbeiten von Peter von Cornelius (z. B. einige großformatige Kartons für den Campo Santo), Wilhelm von Kaulbach (mehrere Kartons für das Treppenhaus des Neuen Museums zu Berlin), Julius Schnorr von Carolsfeld (z. B. Entwürfe zum Nibelungenzyklus im Residenzschloss München) und Moritz v. Schwind (zwölf Entwurfszeichnungen für diverse Fresken auf der Wartburg bei Eisenach). Prinz Georg trat als Auftraggeber mit Exponaten von Andreas Müller („Die Apotheose der Erbprinzessin Charlotte“ und Karton „Schlacht bei Basantello“), Carl Lossow (Illustrationen zu Gedichten von Heinrich Heine und Ludwig Uhland sowie zur Gudrunsage) und Ferdinand Müller (Teilstück des für die Villa Carlotta bestimmten Frieses: Barbarossazug/ Übergang über die Alpen) in Erscheinung. Der Reinertrag war für den von ihm geplanten Heinrichsbrunnen auf dem Meininger Marktplatz vorgesehen, dessen Ausführung sich dann allerdings bis 1872 verzögerte. Obwohl sich die Ausstellung einer großen Publikumsresonanz erfreute, fand sie in den Folgejahren keine Fortsetzung. In den 1860er Jahren hatte die deutsche Historienmalerei ihren Höhepunkt und zugleich einen Endpunkt erreicht, was mit Sicherheit auch dem Meininger Erbprinzen bewusst wurde. Zudem vermochte er seine favorisierten Maler und Künstlerfreunde A. Müller und C. Lossow, die er bis dahin aus den Mitteln seiner persönlichen Hofhaltung finanziert hatte, nicht endgültig an Meiningen zu binden; letztmalige Zahlungen erfolgten 1858/59.48 Der mit 500 Gulden bedachte Lossow verstarb schon 1861 in Rom. Müller, der die beachtliche Summe von 1.250 Gulden erhielt, etablierte sich in München, blieb aber auch in den Folgejahren für den Erbprinzen Georg und späteren Herzog Georg II. ein geschätzter Ratgeber und auch Auftragnehmer. Das 1858 von A. Müller gezeichnete, fast ganzfigurige Bildnis Georgs
48 ThStAM, Neueres Rechnungswesen II, Hofrechnungen 18. Hofhaltung des Erbprinzen Georg, Rechn. Einnahme-Ausgabe Jahr 1858–1866, Rechnung über Einnahme und Ausgabe für die Hofhaltung Sr. Hoh: des Erbprinzen pro 1858/59, S. 25, Bel. Nr. 232 u. 233.
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(Farbabbildungsteil, Abb. 13, S. 528) ist ein einmaliges Dokument dieser Künstlerfreundschaft. Im Fundus der Meininger Museen befindet sich ein Konvolut zarter und sehr detailliert ausgeführter Bleistiftzeichnungen (Figurinen und Details zu Kleists „Hermannschlacht“/um 1875 und zu Schillers „Wallenstein-Trilogie“/ um 1881/82), die der „Theaterherzog“ eigenhändig mit dem Hinweis „von Prof. A. Müller“ versah. Dieser hatte seit 1875 eine Professur für kirchliche Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München inne. Mit ihm war ein Kontakt auf Augenhöhe erwachsen, der auch praktische Züge annahm, als Prof. Müller ab 1885 Georgs „Malersohn“ Prinz Ernst bei seinem Kunststudium in München als Mentor hilfreich zur Seite stand. 1864/65 entschloss sich Georg, als Künstler öffentlich in Erscheinung zu treten und ließ zum Besten eines Armenhauses in Liebenstein einige seiner Arbeiten und von seiner zweiten Frau Feodora gezeichnete Porträtskizzen, zu „Goethe und Friderike“ druckgraphisch umsetzen und vervielfältigen. Die in der Phase seiner Trauerverarbeitung nach 1855 entstandene Heine-Illustration wurde von dem seit 1859 in München ansässigen Kupferstecher Johannes Burger gestochen und dort bei Fr. Felsing gedruckt. Seine unter dem fachlichen Rat von Peter von Cornelius gezeichnete Endfassung der „Schlacht bei Hemmingstedt“ ist durch L. Fischer als Radierung druckgrafisch umgesetzt und durch den bayerischen Hoffotografen Joseph Albert auch fotografisch vervielfältigt worden (Abb. 13, Farbabbildungsteil, Abb. 12, S. 527). „Objektiv sind die Blätter wenig wert, da sie aber von Mitgliedern einer deutschen Regentenfamilie stammen, gewinnen sie an Interesse“ – urteilte Georg 1865 selbstkritisch aber standesbewusst.49 Dieser Schritt in die Öffentlichkeit bildet gewissermaßen den Abschluss jenes Lebensabschnittes, in welchem sich der Meininger Erbprinz als Mäzen versuchte und als Künstler fühlte und diesen Neigungen auch uneingeschränkt nachgehen konnte.
6. Regentenpflichten und Anspruch auf Mustergültigkeit Das Jahr 1866 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Lebensplanung des Meininger Erbprinzen. Seit er als Herzog Georg II. von SachsenMeiningen die Regierungsgeschäfte übernahm, blieb für Kunstreisen, Künstlerkontakte und eigene künstlerische Tätigkeit in der bisher praktizierten Form wenig Zeit. Seine musischen Bestrebungen übertrug er auf die beiden Kunst49 Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln, Nachlaß Georg II., Au 73/74, Brief Georgs an Unbekannt, 11. April 1865.
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institutionen Hoftheater und Hofkapelle und auf die Förderung des Kirchenliedes.
Abb. 13: Kampf der Ditmarsen und Dänen. Radierung von L. Fischer, 1864/65, nach der Originalzeichnung des Erbprinzen Georg
Mit jener Intensität, die er seit seiner Knabenzeit für historische Kompositionen aufgebracht hatte, sah Herzog Georg II. nun sein Theater als „Riesenleinwand“ an, auf der er „in rascher Reihenfolge die abwechselndsten und schönsten freilich auch vergänglichsten Bilder in Erscheinung treten lassen konnte. Er schuf sozusagen Illustrationen zu Bühnendichtungen“.50 Unter seiner Ägide wurden auf der Bühne des Meininger Hoftheaters große Historienbilder dreidimensional „lebendig“, bei deren „Komposition“ der „Theaterherzog“ multifunktional als Regisseur, Dramaturg und Ausstattungsleiter agierte. Es waren nicht zuletzt die mit der bisher praktizierten Zentralperspektive brechenden Bühnenbilder und die Massenszenen, durch welche die „Meininger“ in der Theaterwelt Aufsehen 50 GRUBE, Meininger (wie Anm. 3), S. 34.
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erregten und im In- und Ausland umfangreiche theaterpraktische und theaterästhetische Diskussion auslösten. Angestrebt wurde die zeitgetreue Darstellung historischer Sujets mittels historisch authentischer Bühnenbilder, Kostüme und Requisiten (Abb. 14).
Abb. 14: Bardengesang. Bühnenbild- und Arrangementskizze zu H. v. Kleists „Die Herrmannsschlacht“. Feder und Farbstift über Bleistift, um 1875
Für die Landschafts- und Architekturerfassung der Bühnenbilder nutzte Herzog Georg II. seine auf unzähligen Reisen erworbenen Ortskenntnisse ebenso wie seine Kontakte zu führenden Experten aus Kunst und Wissenschaft. Seine hohen Ansprüche zur kongenialen Umsetzung führten so zu manchem Disput mit der zumeist mit der Ausführung beauftragen Coburger Theaterwerkstatt der Brüder Max und Gotthold Brückner. Grundlegende Vorarbeiten für die Inszenierungen des Meininger Hoftheaters unter Herzog Georg II. waren neben seinen Bühnenbild- und Arrangementskizzen (Abb. 14, 15) auch die bis ins kleinste Detail historisch korrekt gezeichneten und mit zusätzlichen Erläuterungen versehenen Figurinen und Requisitendetails. Jener reiche Fundus in den Meininger Museen ist nur ein Bruchteil dessen, was einmal vorhanden gewesen sein muss. Mit Blei- und Farbstift und/oder mit der Feder und auf das Wesentliche reduziert, brachte er seine Intentionen scheinbar mühelos zu Papier. Ohne die in seiner Erbprinzenzeit über Jahre hinweg komponierten und grafisch umgesetzten Geschichtsinszenie-
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rungen mit ihrer Fülle historisch authentischer Personen, Gegenstände und Landschaften wäre ihm dies kaum möglich gewesen.
Abb. 15: Szenenentwurf „Unterm Hollerbusch“ zu „Das Käthchen von Heilbronn“ von H. v. Kleist. Feder über Bleistift, um 1874
Zeichnungen und Kostümentwürfe mit detaillierten Erläuterungen im Stil der späteren Theaterfigurinen finden sich schon in den Briefen aus seiner Studentenzeit. Bereits 1857/58 hatte er Kostümzeichnungen (z. B. Figurinen zur „Jungfrau von Orleans“) für die von ihm verehrte Schauspielerin Liane Fuhr entworfen.51
7. „Nulla dies sine linea“
52
Diesem Motto ist Herzog Georg II. bis ins hohe Alter gerecht geworden. Auf seinen zahlreichen Reisen waren Stift und Skizzenbuch ständige Begleiter. Mit geübtem Blick reduziert er seine Motive auf das für das Auge Wesentliche der Wahrnehmung und versah die seiner Meinung nach gelungensten Blätter auch mit seiner Signatur, die sich im Laufe der Jahre allerdings mehrfach ändert. 51 Volker KERN, Der Meininger Erbprinz und die „Sentimentale“. Die Beziehung zu Lina Fuhr: Episode mit theaterhistorischer Bedeutung und einer gewissen Pikanterie, in: Meininger Tageblatt vom 7. März 1992, Folge 20 der Reihe „Georg und die Künstler“. 52 „Kein Tag ohne Strich“.
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Besonders viele Landschaftsskizzen entstanden während der zahlreichen Aufenthalte Georgs und Helene von Heldburgs auf ihrem Kaser, einer Berghütte auf der Saletalpe am Königssee (Abb. 16).
Abb. 16: Der Kaser auf der Saletalp am Königsee. Feder über Bleistift, undatiert
Wenn er, was in seinem letzten Lebensdrittel häufig der Fall war, krankheitshalber pausieren musste, versuchte er sich, wie in seiner Erbprinzenzeit, mit Vorliebe an historischen Stoffen (Abb. 17). Sogar auf seinen Löschblättern finden sich neben den obligatorischen Tintenspuren Reiterfiguren und andere skizzierte Motive.
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Eine Sonderstellung unter den Zeichnungen Herzog Georg II. nehmen jene Blätter ein, die im Herbst 1870 auf französischen Kriegsschauplätzen entstanden sind. Im Gegensatz zu seinen in den 1840er/1850er Jahren idealisierterdachten historischen Schlachtenkompositionen sind es authentische Darstellungen des Kampfgewühls und der Schlachtfelder nach Beendigung der Kampfhandlungen. Als Stabsoffizier der 22. Division der 3. Armee nahm Herzog Georg II., wie auch Erbprinz Bernhard, auf Seiten Preußens aktiv an den Kämpfen im Deutsch-Französischen Krieg teil, so an den Schlachten bei Wörth und Sedan (nach denen er zwei nach dem Meininger Großbrand von 1874 wieder aufgebaute Straßenzüge benannte).
Abb. 17: Fechtkampf. Bleistiftzeichnung, um 1900
Im Nachhinein überarbeitete er diese Zeichnungen und ließ einige davon als Lichtdrucke vervielfältigen. Sie unterscheiden sich wohltuend von den nach Kriegsende in allen deutschen Bundesstaaten favorisierten und in unzähligen Reproduktionen unter das Volk gebrachten heroisierenden Schlachtenbildern.
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Auf einer dieser Zeichnungen skizzierte Herzog Georg II. das Kampfgeschehen bei Artenay in der Schlacht bei Loigny und Poupry am 2. Dezember 1870 (Abb. 18). Etwa mittig in der in die Schlacht hineinstürmenden Reitergruppe ist er selbst an seinem langen Bart zu erkennen. Am Unterrand hat er die Beteiligten handschriftlich benannt und zwar (v.l.n.r.): „Pr. Albrecht v. S. Altenburg/ Egloffstein/ich [Georg II.]/Pr. Albrecht [von Preußen]/Reclam/Bernhard [Meininger Erbprinz].“
Abb. 18: Schlachtfeld bei Artenay. Lichtdruck nach einem Original Georgs II. von 1870 mit nachträglichen eigenhändigen Bleistiftüberzeichnungen
Seit Mitte der 1880er Jahre gab es große Bauvorhaben im Meininger Schloss, auf der Veste Heldburg und auf Schloss Altenstein. Auch dafür lieferte er Ideenskizzen und Entwurfszeichnungen (Abb. 19). Als ein Beispiel unter vielen sei hier nur auf das monumentale Wandbild am Nordostgiebel des Kommandantenbaus der Veste Heldburg mit der Darstellung des hl. Georg verwiesen, wofür er diverse Varianten zeichnete, die dem Maler-Poeten Arthur Fitger als entscheidende Vorgaben für den Gesamtentwurf dienten (Abb. 20). Um die historische Stimmigkeit zu garantieren, hatte er sogar jene Rüstung in Fitgers Atelier transportieren lassen, welche Amanda Lindner in der Meininger Inszenierung der „Jungfrau von Orleans“ trug.
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Abb. 19: Detailskizze zum gemeinschaftlichen Wohnzimmer im Meininger Schloss Elisabethenburg. Blei- und Farbstift, um 1886
8. Herzog Georg II. und der „Malerprinz“ Ernst als Alter Ego Seinem Sohn Ernst, der ihm charakterlich und aufgrund seiner künstlerischen Begabung am nächsten stand, ermöglichte er ein Studium der Malerei in München und eine freie und ungebundene Künstlerexistenz in München und Florenz. Mit der Ausmalung eines Vorraums zur Galerie im 2. Obergeschoss der Villa Carlotta verwirklichte Prinz Ernst einen der nicht realisierten Jugendträume seines Vaters, denn 1855/56 waren es dessen Künstlerfreunde A. Müller und C. Lossow gewesen, welche den genius loci der Villa seinem Kunstgeschmack entsprechend prägen sollten. Zwischen 1894 und 1898 schuf Georgs Künstlersohn dort zwei großformatige Wandbilder zu den Themen „Amazonenschlacht“ und „Dionysische Szene“. Auch das 1907 gemalte und den Universitätsgründer Kurfürst Johann Friedrich den Großmütigen von Sachsen darstellende Kolossalgemälde für die Aula der Jenaer Universität ist ein wahres Historienbild im Sinne der künstlerischen Ideale seines Vaters. Diese hatten sich jedoch inzwischen überlebt. In der Kunstwelt führten Auseinandersetzungen über Idealismus und Realismus in der Historienmalerei zu neuen Sichtweisen. Carl von Piloty, Hans Makart und Adolf Menzel feierten sensationelle Erfolge. Sie fanden jedoch nicht die Anerkennung Georgs II., der ihre Bildinhalte als nicht historisch genug befand. Auf Augenhöhe verkehrte er mit solch bedeu-
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tenden zeitgenössischen Malern und Bildhauern wie Franz von Lenbach, Arthur Fitger (der 1889 sogar eine Übersiedlung nach Meiningen plante), Adolf von Hildebrand sowie Caspar Clemens von Zumbusch. Mit Andreas Müller verband ihn weiterhin eine Freundschaft unter Gleichgesinnten. Aufträge vergab er ganz im Sinne Wilhelm von Kaulbachs, welcher ihm schon 1854 dazu geraten hatte, in Meiningen keine weitere Kunstakademie ins Leben zu rufen, sondern gelegentliche Bestellungen an tüchtige Künstler als das wirksamste Förderungsmittel der Kunst zu nutzen, um geistigen Verkehr miteinander und die Schaffung anspruchsvoller Kunstwerke untereinander zu verbinden.53
Abb. 20: Der hl. Georg als Drachentöter. Bleistift, um 1899 53 ThStAM, HA, Nr. 201/(1), Brief Kaulbachs an einen Archidiakonus vom 31. Oktober 1854, nicht bezeichneter Zeitungausschnitt, zitiert nach ERCK/SCHNEIDER, Georg II. (wie Anm. 2), S. 488.
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491
Der von Arthur Fitger gemalte und für das 1909 eingeweihte neue Meininger Hoftheater gestiftete Theatervorhang kann als letzte und ganz spezielle Ehrung und Würdigung für den kunstsinnigen Meininger „Theaterherzog“ gelten. Es ist eine leicht abgewandelte Kopie des von Raffael gemalten „Parnaß“ („Die Idee des Schönen“) in der Stanza della Segnatura im apostolischen Palast des Vatikans, eine Geschichtsmalerei großen monumentalen Stils, wie sie lebenslang auch der Leitstern des Meininger Herzogs gewesen ist. Das Fresko war dem Raffael-Bewunderer Georg durch mehrfache Vatikanbesuche bestens vertraut. Trotz mancher Dispute mit Fitger über Detailfragen entsprach der Vorhang ganz seinem von Jugend an propagiertem Verständnis über die Funktion der Kunst und die Aufgabe des Künstlers. Der Maxime „Nur der Künstler verdient Unterstützung, der die Kunst als solche fördert zum Frommen der Menschheit“54 blieb er zeitlebens treu. Sein künstlerisches Vermächtnis manifestiert sich im Giebelfeld des Portikus am Meininger Theater mit den Worten „Georg II./Dem Volke zur Freude und Erhebung“.
54 Carl von STEIN, Die Kunst in Meiningen unter Georg II., Meiningen 1909, S. 8.
ALFRED ERCK
UND
H A N N E L OR E S C H N E I D E R
ZEITTAFEL
Zeittafel zu Georgs II. Regierungsjahren 1866 bis 1914 Georg II. hat 48 Jahre lang als Landesherr und als Chef des herzoglichen Hauses im Herzogtum Sachsen-Meiningen gewirkt – 15 Jahre davon zu Lebzeiten seines Vaters, Herzog Bernhard II. Gleichzeitig ist er als schöpferischer Künstler aktiv gewesen, hat zahlreiche Kontakte zur geistigen Elite seiner Zeit gepflegt, die höfischen Kunstinstitute Hoftheater und Hofkapelle de facto in Privatunternehmen umgewandelt und diese zeitweilig an die Spitze europäischer Kultur geführt. Doch wenn man sich seinem Leben und Wirken zuwendet, dann sind es in der Regel bestimmte Ausschnitte seiner vielfältigen Tätigkeiten, die man betrachtet. Dabei geht naturgemäß der Gesamtblick verloren. Strebt man danach, Georgs Beitrag zur Entwicklung des Regietheaters zu erfassen oder seine Freundschaft mit Kardinal Hohenlohe herauszuheben, dann ist einem oft nicht bewusst, was auf dem Sektor der Reichs- oder Landespolitik geschah. Umgekehrt vergisst man bei der Betrachtung des Verhältnisses, das zwischen Bismarck und Georg existierte, welche Restaurierungsmaßnahmen gleichzeitig auf der Veste Heldburg anstanden usw. Parallel, ja miteinander zeitlich und sachlich vernetzt, stellten sich für Georg die Verhältnisse als Landesherr, Familienoberhaupt und als Künstler resp. Kulturpolitiker dar. Seine Entscheidungen und Handlungen müssen also aus dem gesamten Beziehungsfeld heraus beurteilt werden, in das er integriert war. Wenn er auf seinen Musenhöfen Villa Carlotta oder Altenstein, auch im Meininger Residenzschloss mit Chronegk, Brahms oder Bülow speiste oder sich mit künstlerischen Angelegenheiten befasste, saßen häufig nicht allein seine Staatsminister, sondern auch jene Probleme mit an der Tafel, die sie gemeinsam mit ihrem Fürsten zu bewältigen hatten – und umgekehrt. Um nicht mit Scheuklappen versehen an die Betrachtung bzw. die Erklärung bestimmter Sachverhalte heranzugehen, haben wir eine Art von Kladde angelegt, die es erlaubt, zumindest überblickartig zu erfassen, was den Meininger Herzog in einer bestimmten Lebensphase – eines Jahres etwa – gleichzeitig bewegt hat. Mittels Stichworten soll angedeutet werden, was innerhalb eines Jahres von Georg II. in den Sphären Reichs- und Landespolitik, auf künstlerischem Sektor bewegt wurde, was sich innerhalb der herzoglichen Familie zutrug und was hinsichtlich seiner Reisen (bei denen sich der Fürst bekanntlich am wohlsten gefühlt hat) zu notieren ist. Um den finanziellen Spielraum anzudeuten,
494
ZEITTAFEL
innerhalb dessen sich Georg während seiner Regierungsjahre bewegen konnte, erweist sich auch ein Blick in die Schatullrechungen als überaus aufschlussreich. Das hiermit vorgelegte Papier stellt eine Handreichung in Form einer außerordentlich groben Übersicht mit nur wesentlichen Fakten dar, die mit mancherlei Unwägbarkeiten und Ungenauigkeiten behaftet ist und der Ergänzung bzw. Vertiefung bedarf. Beispielsweise widersprechen sich bestimmte Angaben aus der Schatulle mit den Abrechnungen der Hofkasse. In weiteren Dokumenten erscheinen noch andere Angaben über verauslagte Reisekosten. Es wäre möglich, einen Überblick über die Einnahmen und Ausgaben der Hofkasse oder auch der Landeskasse anzufügen. Auch könnten vertiefte Einblicke in die Apanagen geliefert werden, die die Meininger Prinzen aus der Hofkasse erhielten. Es wurde darauf verzichtet, die Landesgesetzgebung mit den Protokollen der Landtagsverhandlungen abzustimmen. Die erstmalige Erwähnung von Künstlernamen bezieht sich lediglich auf die den Autoren momentan bekannten Tatsachen – die künftige Forschung kann also auch hier Berichtigungen und Ergänzungen bringen. Doch als eine Art von Groborientierung können die vorliegenden Daten schon hilfreich sein. Letztendlich würde sich der Erkenntnisgewinn nur wirklich herstellen, wenn man diese Daten mit den Lebensverhältnissen und -tätigkeiten in Relation setzen könnte, die man bezüglich jener Herzöge zur Hand hätte, mit denen sich Georg von Meiningen verglichen hat – also Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar und Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha. Auch dies stellt eine Aufgabe weiterer Forschungen dar und kann an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist auch darauf verzichtet worden, die Gastspielreisen, die die Hofkapelle unter F. Steinbach und W. Berger zwischen 1896 und 1911 unternommen hat, darzustellen. Denn dies waren unter Steinbach immerhin 202 in Deutschland und 25 im Ausland, unter Berger 109 im Reich und 17 im Ausland.
Engagement v. Ludwig Chronegk; Beginn ShakespeareRezeption: „Hamlet“; 1. Historisches Konzert der Hofkapelle; Hermann Weiß Engagement v. Friedrich Bodenstedt u. Ellen Franz; Musikfest Franz Liszt; Andreas Müller
Beginn des Streites um den Verkauf der Kupferstichsammlung
Vergrößerung der Hofkapelle; Entlassung Bodenstedts; Hermann Köchly
Regierungsantritt; Anton Ferdinand v. Krosigk: Staatsminister; Carl v. Stein: Hofmarschall
Landtag stimmt für Beitritt zum Norddeutschen Bund; setzt entsprechende Gesetze um; Verabschiedung des Meininger Regiments
Beitritt Zollparlament; Landtag: Gemeindeordnung; Bildung Landkreise
Landtag: Grundgesetzgebung
1866
1867
1868
1869
Kunst
Politik
Jahr
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle
Beginn der Liaison mit Ellen Franz
Familiäres/ Privates
Feodore in Frankreich, Villa Carlotta, Tirol, Italien/ 2.306 fl.
Villa Carlotta, Tirol, Feodore ab Nov. bis April in Italien/ 4.716 fl.
Georg und Feodore in Berlin, Schleswig-Holstein, Frankreich
Bad Ems
Reisen/ Kosten der Reisen
E.: 31.726 fl. A.: 33.058 fl.
E.: 34.900 fl. A.: 34.900 fl.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
ZEITTAFEL
495
Otto Hoppe Hofbaurat
Andreas Müller; Hans v. Bülow
Georg in Versailles; Landtag: Gesetz über Domänenvermögen
Reichstag: Jesuitengesetz; Landtag: Katasterämter
Reichstag: Militärkonvention; Landtag: Wahlrechtsreform; Albrecht v. Giseke: Staatsminister
1871
1872
1873
Karl Frenzel
Georg im Stab der 22. Division
1870
Kunst
Politik
Jahr
3. Reiseplanung des Hoftheaters
2. Reiseplanung des Hoftheaters
1. Reiseplanung des Hoftheaters
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle
Heirat mit Helene
Tod Feodores
Familiäres/ Privates
E.: 87.312 fl. A.: 119.072 fl.
E.: 201.383 fl. A.: 191.775 fl.
E.: 98.918 fl. A.: 101.232 fl.
Villa Carlotta, Aachen/ 568 fl. (andere Quellen: 18.215 fl.)
Italien (Hochzeitsreise auf Kredit: 10.000 fl.)
E.: 80.609 fl. A.: 80.865 fl.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
Georg Bad Ems, Villa Carlotta/ 8.313 fl.
Italien, Villa Carlotta/ 3.293 fl.
Reisen/ Kosten der Reisen
496 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Hodenentzündung
Dresden, Breslau, Köln, Franfurt/M.
Richard u. Cosima Wagner in Meiningen
1877
Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Georg und seinem Vater Bernhard
Berlin, Dresden, Breslau
Hofkapelle, Georg, Helene u. Chronegk in Bayreuth
Landtag: Synodalgesetz
1876
Berlin, Wien, Budapest
Vorproben Bayreuth; Restaurierung Veste Heldburg; Karl Werder
Einführung der Mark; Mitteldeutsche Kreditbank verliert Notenprivileg; Landtag: Volksschulgesetz
1875
Berlin
umstrittener Bilderwerb durch Georg; Villa Georg
Meininger Stadtbrand; Bankiers an Georgs Tafel; Bahnverbindung Meiningen-Schweinfurt
1874
Schottland
Villa Carlotta, Frankreich, viel im Herzogtum
Paris, Villa Carlotta, Heldburg
Paris, Villa Carlotta, München
E.: 100.975 M. A.: 104.556 M.
E.: 70.000 M. A.: 70.472 M. (MarkWährung)
E.: 163.922 fl. A.: 165.010 fl.
ZEITTAFEL
497
F. v. Lenbach
Kauf „Kaser“ auf Saletalm
Bülow und sein Beethovenzyklus; Neubau „Kaser“
Brahms: 2. Klavierkonzert; Tod Ferdinand Müllers
Reichstag: Sozialistengesetz, Wahlmanipulationsversuch Bismarcks
Landtag: Bildung allg. Kapitalfonds der Landeskasse; Landgericht in Meiningen
Antisemitischer Appell: Hans v. Bülow unterschreibt als Dritter von 270.000
Streit mit Bismarck über Wählbarkeit von Beamten
1878
1879
1880
1881
Kunst
Politik
Jahr
Budapest, Breslau, Graz, Bremen, London; Hofkapelle: mehrfach in Franken, Mitteldeutschland
Leipzig, Amsterdam, Düsseldorf, Graz
Wien, Budapest, Köln, Prag, Hamburg
Berlin, Breslau, Frankfurt, Prag, Leipzig
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle
schwere Erkrankung Bernhards II.
1. Besuch Helenes bei Bernhard II.
Geburt Feodoras (Enkelin), Georg: Lungenentzündung
Heirat Erbprinz und Charlotte v. Preußen
Familiäres/ Privates
Italien
Berlin (Hochzeit), Tirol
Reisen/ Kosten der Reisen
E.: 244.945 M. A.: 165.458 M.
E.: 244.945 M. A.: 165.458 M.
E.: 268.159 M. A.: 276.860 M.
E.: 54.723 M. A.: 54.723 (?) M.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
498 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Bad Gastein, Tirol
Italien, Villa Carlotta, Königssee/ 29.723 M.
Wien, Dresden, Prag, Bremen, Barmen, Magdeburg, München Berlin, Dresden, Breslau, Mainz, Straßburg, BadenBaden, Metz, Basel; Hofkapelle: Norddeutschland, Berlin, Leipzig, Süddeutschland, München, Wien, Pest, Brünn, Prag
Zusammenbruch Bülows; Alexander Ritter, Arthur Fitger, Kardinal Hohenlohe; Tod Bernhard Müllers Umbau Stadtkirche
Reichstagswahl: Karl Zeitz; Bahnverbindung ErfurtSuhl-Schweinfurt
1884
Paris, England, Villa Carlotta/ 13.000 M.
Einweihung Meininger Synagoge
Tod Bernhards II.
1883
Berlin, Dresden, Breslau, Leipzig, Nürnberg; Hofkapelle: Berlin, Hamburg, Kiel, Bremen, Halle, Leipzig, Hannover, Dresden
Hofkapelle auf Schatulle; 1. Helenenstift
Ernst v. Roepert: Hofmarschall; Bahnverbindung Meiningen-Suhl
1882
E.: 312.719 M. A.: 192.827 M.
E.: 326.421 M. A.: 354.401 M.
E.: 337.184 M. A.: 363.904 M.
ZEITTAFEL
499
Amsterdam, London/ 31.187 M.
Berlin, Dresden, Breslau, München, Straßburg, Basel
Bülow verlässt Meiningen; Eugen d’Albert als Solist bei Wiederaufnahme der Kapellgastspiele
Bundesrat: Expatriierungsklausel abgelehnt
1887
Paris, Saletalm, Italien/ 24.794 M.
Düsseldorf, Mainz, Bremen
Reisen/ Kosten der Reisen
Entlassung Bülows; Richard Strauss Hofkapellmeister; Strauss’ Entlassung; Chronekgs Schlaganfall, Fritz Steinbach Hofkapellmeister; Ibsens „Gespenster“, Beginn der Umgestaltung des Residenzschlosses
Erbprinzessin Charlotte gehört „Clique“ um Bruder Wilhelm II. an; Mitteldeutsche Kreditbank geht nach Frankfurt/M.
Familiäres/ Privates
Paris, England, Berlin/ 30.272 M.
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle Graz, St. Petersburg, Moskau, Warschau, Königsberg, Triest; Hofkapelle: Westdeutschland u. Holland
1886
Kunst
Richard Strauss, Rudolf Baumbach u. a.; Brahms 4. Sinfonie
Politik
1885
Jahr
E.: 409.955 M. A.: 299.231 M.
E.: 541.280 M. A.: 49.868 ? M.
E.: 507.669 M. A.: 322.650 M.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
500 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
USA-Gastspiele endgültig gescheitert; Beginn Umbau von Schloss Altenstein
Paul Heyse, Paul Lindau, Richard Voß, Alexander Otto, Charles Waldstein; Albert Neumeister geht
Ende der Gastspiele des Hoftheaters; Eugenie Stoetzer
„Dreikaiserjahr“; mit Friedrich Wilhelm starb für Georg „Deutschlands letzte Hoffnung“
Bruch mit Wilhelm II., Opposition gegen Flottenbauprogramm; Reichstag: Wilhelm Thomas; 1. Wahlkreis
Reichstag: Fall Sozialistengesetz v. Georg begrüßt; Entlassung Bismarcks bedauert; Friedrich Heim: Staatsminister; Landtag: Einkommenssteuergesetz
1888
1889
1890
St. Petersburg, Moskau, Kiew, Odessa
Leipzig, Gotha, Stettin, Kopenhagen, Stockholm
Budapest, Prag, Leipzig, Graz, Antwerpen, Rotterdam, Brüssel
Georg errichtet sein Testament, Geburt Enkelin Carola Feodora; Tod Sarah Franz (Mutter Helenes)
Heirat Friedrichs mit Prinzessin Adelheid zur Lippe
Tod der Mutter Marie
Griechenland, Türkei, Bulgarien, Italien, Saletalm ?/ 9.825 M
Wales/ 22.847 M.
Villa Carlotta, London, Bad Gastein/ 41.415 M.
E.: 515.185 M. A.: 419.117 M.
E.: 668.333 M. A.: 640.650 M.
E: 542.967 M. A.: 455.517 M.
ZEITTAFEL
501
Tod Werders
Bundesrat: Meiningen gegen Militärvorlage; Reichstag: Karl Zeitz
1893
1894
Christian Wilhelm Allers erscheint (Zeichnungen)
Bundesrat: Meiningen gegen Verschärfung des Militärstrafrechts; Kinderheilstätte Salzungen
1892
Albert Bassermann geht; Tod Bülows
Tod Chronegks; Paul Richard Hoftheaterintendant; 2. Helenenstift
Otto Dreyer Meiniger Superintendent
1891
Kunst
Politik
Jahr
Cannes, Villa Carlotta, Saletalm/ 35.652 M. Florenz, Saletalm
Heirat Ernsts mit Katharina Jensen, Geburt Enkel Prinz Georg, Unfall Georgs Immelborn
langwierige Erkrankung Georgs
Unfall ital. Bahnhof
Teil der Hofkapelle in Wien; Musikausstellung
Teile der Hofkapelle in Warschau
Italien, Málaga, Cannes (über Winter)/ 118.291? M.
Nizza, Villa Carlotta, Saletalm, Schweiz/ 29.252 M.
Geburt Enkelin Adelheid
Inszenierung „Fidelio“
Reisen/ Kosten der Reisen
Familiäres/ Privates
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle
E.: 471.715 M. A.: ?
E.: 542.165 M. A.: 319.138 M.
E.: 729.865 M. A.: 601.513 M.
E.: 722.768 M. A.: 459.599 M.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
502 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Paul Lindau Hoftheaterintendant
Tod Kardinal Hohenlohe
Tod Brahms
Feier Silberhochzeit „Kaufmann v. Venedig“
Baubeginn Nordkaserne; Verkauf der Werrabahn
Landtag: Baugesetzordnung, Ergänzung Grundgesetz (Erbfolgeregelung); 3. Bataillon in Meiningen; Georg engagiert sich für Frauenstudium
Landtag: Gemeindeordnung, Gesetz Verwaltungsgerichtsbarkeit; Georg Leubuscher Direktor Georgenkrankenhaus
Reichstag: Ernst MüllerMeiningen, 1. Meininger Wahlkreis bis 1918
1895
1896
1897
1898
Hofkapelle: Bremen
Hofkapelle: Berlin
1. Meininger Musikfest; Georg vermacht Helene Handzeichnungen
Heirat Enkelin Feodora mit Heinrich XXX. Prinz Reuß j. L.
Unfall Georgs in Vacenno, Überfall bei Rom
Erbprinz kommandierender General 6. Armeekorps
Menton, Lugano, Villa Carlotta, Saletalm/ 37.000 M.
England, Bournemouth, Saletalm, Wien/ 36.268 M.
Villa Carlotta, Neapel, Rom, Florenz/ 46.001 M.
Amalfi, Villa Carlotta/ 36.872 M.
E.: 666.491 M. A.: 591.301 M.
E.: 508.149 M. A.: ?
E.: 495.063 M. A.: 393.166 M.
E.: 471.715 M. A.: ?
ZEITTAFEL
503
Hofkapelle: Berlin
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Gastein, Saletalm/ 55.052 M.
Ernst Haeckel
Bundesrat: Kritik an Flottenbauprogramm; Reichstag: Kritik an Missständen in Meininger Heimindustrie; 75. Geburtstag Georgs: Stiftung für Lehrerseminar Hildburghausen
1901
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Gastein, Saletalm/ 43.733 M.
Hofkapelle: Berlin, Amsterdam, Rotterdam
Reisen/ Kosten der Reisen
Hans Fechner; Caspar v. Zumbusch
Familiäres/ Privates
Landtag: Einkommenssteuergesetz; Landschulheim Haubinda; Otto v. Schweder: Hofmarschall
1900
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Gastein, Saletalm/ 38.708 M.
Neubau Hypothekenbank
1899
Kunst
2. Meininger Musikfest; Brahmsdenkmal; Entlassung Paul Lindau; Paul Richard wieder Intendant
Politik
Jahr
E.: 781.801 M. A.: 568.784 M.
E.: 598.218 M. A.: 480.649 M.
E.: 563.502 M. A.: 438.746 M.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
504 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Bernhard II. – Denkmal; Steinbach geht; Wilhelm Berger Hofkapellmeister
Karl Behlert Hofbaumeister; Meininger PastellGemälde-Ausstellung
Tod Rudolf Baumbachs; Schillerfeiern
Rudolf v. Ziller: Staatsminister; Stiftung für Krankenpflegerinnen
Reichstag: Kritik an Kinderarbeit im Meininger Herzogtum; Landtag: Wohnungsbaufonds; neues Georgenkrankenhaus
Streit Wilhelms II. mit Georg wegen Lippischer Erbfolge
Georg kritisiert Flottenbau; Gründung Bank für Thüringen
1902
1903
1904
1905
Hofkapelle: London
Ehrenpromotion Landesuniversität Jena
Erbprinz: Generalinspekteur
E.: 671.555 M. A.: 514.564 M.
E.: 592.980 M. A.: 395.564 M.
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Gastein, Saletalm/ 59.726 M.
Cap Martin, Monte Carlo, Villa Carlotta, Bad Gastein, Saletalm/ 64.488 M.
E.: 523.797 M. A.: 463.003 M.
E.: 629.002 M. A.: 535.799 M.
Cap Martin, Bad Gastein, Saletalm/ 50.975 M.
Korsika (Ajaccio), Villa Carlotta, Saletalm/ 53.965 M.
ZEITTAFEL
505
Otto Osmarr
Tod Richard Mühlfelds
Theaterbrand, Neubau Karl Behlert; Hans Olde
A. Hoffmann: „Thüringer Katzenjammer“; Georgs 80. Geburtstag: Medienereignis; Stiftung für Krankenpfleger/Schwesternheim; Paul Graue: Hofprediger
Georg: häufig Spitzenbankiers an Tafel geladen; Leo v. Schleinitz: Hofmarschall
Landtag: Volksschulgesetz; Landschulheim Wickersdorf
1906
1907
1908
Kunst
Politik
Jahr
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle
Tod von Reinhold Franz, Bruder v. Helene
Tod Moritz v. Altenburg (Ehemann v. Schwester Auguste)
Georgs Krankheiten: „Karbunkel“, Gehörleiden
Familiäres/ Privates
Cap Martin, Villa Carlotta, Wildungen/ 72.531 M.
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Gastein, Wildungen/ 85.846 M.
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Gastein/ 67.737 M.
Reisen/ Kosten der Reisen
E.: 869.293 M. A.: 844.553 M.
E.: 760.751 M. A.: 702.960 M.
E.: 49.368 M. A.: 739.665 M.
Schatulle Einnahmen Ausgaben
506 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Cap Martin, Villa Carlotta, Saletalm/ 70.765 M.
Georg und Helene getrennt zur Kur
Hofkapelle: Eisenach, Hildburghausen
Tod Bergers; Max Reger Hofkapellmeister
1911
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Wildungen, Bad Gastein, Berchtesgaden/ 66.442 M.
Heirat Enkelin Feodora mit Großherzog Wilhelm Ernst von SachsenWeimar; Georg und Helene getrennt zur Kur
Wieder gewachsenes Theaterinteresse Georgs
Landtag: Domänenstreit; Hauptwerke der Reichsbahn in Meiningen
Cap Martin, Villa Carlotta, Saletalm/ 77.609 M.
1910
Georg u. Helene kuren getrennt: Georg in Bad Wildungen, Helene in Karlsbad
Einweihung Hoftheater; Intendant Max Grube; Tod Fitgers
Landtag: bei Neuwahl SPD stärkste Fraktion „Rotes Herzogtum“; Ferdinand Rahlwes: Hofprediger
1909
E.: 902.322 M. A.: 614.891 M.
E.: 866.641 M. A.: 703.801 M.
E.: 929.792 M. A.: 708.475 M.
ZEITTAFEL
507
Hofkapelle: Brüssel, weite Teile Deutschlands, auch Dresden
Meininger Musikfest Max Regers, Otto Osmarr wieder Intendant; Dezember: letzter Theaterbesuch Georgs
Max Reger scheidet aus; Fritz Stein als Nachfolger nominiert; Denkmal für Georg bei Adolf v. Hildebrand in Aufttrag gegeben
Georg gegen einmalige Vermögenssteuer der Fürsten zwecks Finanzierung der Verstärkung des Heeres
Tod Georgs II.; Nachfolge Bernhard III.
1913
1914
Hofkapelle: Süddeutschland, München
Hofkapelle: Ostthüringen, West- und Süddeutschland
Karl Schaller: Staatsminister; Ablehnung der Unterstützung des Deutschen Flugverbandes
Gastspiel Hoftheater Hofkapelle
1912
Kunst
Politik
Jahr
Heirat Enkelin Adelheid mit Prinz Adalbert v. Preußen
Brustkatarrh; 1. Automobilfahrt
Georg leidet unter schweren Asthmaanfällen
Familiäres/ Privates
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Wildungen/ 83.708 M.
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Wildungen/ 100.517 M.
Cap Martin, Villa Carlotta, Bad Wildungen/ 74.487 M.
Reisen/ Kosten der Reisen
E.: 959.300 M A.: 943.910 M.
E.: 933.220 M. A.: 673.573 M.
E.: 922.210 M. A.: ?
Schatulle Einnahmen Ausgaben
508 ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Abkürzungsverzeichnis ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abb. Abt. AGDBA
allg. Anm. Art. Aufl. Ausg. bayer. Bearb. Bel. bes. Bd. Bl. BPH BSB bspw. ca. Darmst. ders. d.h. d. i. dies. Diss. dt. ebd. EDG eigtl. engl. e.V. evang. Ev.-Luth. F-Abb. f./ff. fl. franz. Frh. Frl. GA
Abbildung Abteilung Almanach der Genossenschaft Deutscher BühnenAngehöriger allgemein Anmerkung Artikel Auflage Ausgabe bayerisch Bearbeiter Beleg besonders Band Blatt Brandenburg-Preußisches Hausarchiv Bayerische Staatsbibliothek beispielsweise circa Darmstadt derselbe das heißt das ist/diet item dieselbe Dissertation deutsch ebenda Enzyklopädie Deutscher Geschichte eigentlich englisch eingetragener Verein evangelisch Evangelisch-Lutherisch Farbabbildung folgende Gulden französisch Freiherr Fräulein Geheimes Archiv
510 Geh. gest. GStA PK H. HA Habil. hann. HAPAG herzogl. Hg. HMA Hoh. Hr. hs. HStA insb. ital. Inv. Jh. Kap. Kat. k. k. königl. lt. med. M MM Ms. Nachl./NL NF/N. F. NH niederl. N.N. No./Nr. Nov. N.R. o. D. o. J. o. O. op. öster. Pf. phil.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Geheimer gestorben Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Heft Hausarchiv Habilitation hannoveranisch Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft herzoglich Herausgeber Hofmarschallamt Hoheit Herr handschriftlich Hauptstaatsarchiv insbesondere italienisch Inventar Jahrhundert Kapitel Katalog kaiserlich-königlich königlichen laut medizinisch Mark Meininger Museen Manuskript Nachlass Neue Folge Nachlass Heldburg niederländisch Nomen Nominandum Nummer November Neue Reihe ohne Datum ohne Jahr ohne Ort opus österreichisch Pfennig philosophisch
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
preuß. priv. Rechn. Red. rer. nat. röm. rum. russ. S. s. a. S.-Meiningen SBPK sächs. schwed. serb. Sig./ Sign. S.-M. sog. Sp. Sr. StAB StadtA techn. Teilbd. ThHStAW ThStAA ThStAM ThULB u. UA u. a. u. Ä. unbek. undat. Univ. unpag. usw. v. Vgl. Z. zit. z. B.
preußisch privilegiert Rechnung Redaktion rerum naturalium römisch rumänisch russisch Seite siehe auch Sachsen-Meiningen Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung sächsisch schwedisch serbisch Signatur Sachsen-Meiningen sogenannt Spalte Seiner Staatsarchiv Bremen Stadtarchiv technisch Teilband Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Thüringisches Staatsarchiv Altenburg Thüringisches Staatsarchiv Meiningen Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek und Universitätsarchiv unter anderem und Ähnliches unbekannt undatiert Universität unpagniert und so weiter von Vergleich Zeile zitiert zum Beispiel
511
F
514
FARBABBILDUNGEN
Abb. 1a: Teatro Olimpico in Vicenza innen, Schauwand
Abb. 1b:
Teatro Olimpico in Vicenza innen, Zuschauerraum und Schauwand
FARBABBILDUNGEN
Abb. 2: Höhleneingang, Bogen zu „Das Käthchen von Heilbronn“
Abb. 3: Köhlerhütte, Baumbogen zu „Das Käthchen von Heilbronn“
515
516
FARBABBILDUNGEN
Abb. 4: Baumhänger zu „Das Käthchen von Heilbronn“
Abb. 5: Baumhänger zu „Das Käthchen von Heilbronn“
Abb. 6: Arthur Fitger, Thespiskarren, 1896, Schloss Elisabethenburg, Meiningen
FARBABBILDUNGEN
517
Abb. 7: Arthur Fitger, Die wilde Jagd, 1896, Schloss Elisabethenburg, Meiningen
518 FARBABBILDUNGEN
519
FARBABBILDUNGEN
Abb. 8: Waldemar Kolmsberger, Der Heilige Georg, 1884, Thronsaal im Schloss Neuschwanstein, Füssen
Abb. 9: Arthur Fitger, Der Parnaß (Schmuckvorhang für das Hoftheater Meiningen), 1909, Südthüringisches Staatstheater Meiningen
520 FARBABBILDUNGEN
FARBABBILDUNGEN
Abb. 10: Adolf von Hildebrand, Elisabeth von Herzogenberg mit Notenblatt (Terrakotta farbig gefaßt, 100 x 68 cm), 1885–1886
521
522
FARBABBILDUNGEN
Abb. 11: Adolf von Hildebrand, Hermann Aust (Bronze, H. 76 cm), 1898
FARBABBILDUNGEN
Abb. 12: Adolf von Hildebrand, Elisabeth von Herzogenberg als Heilige Cäcilie (Terrakotta farbig gefaßt, 79 x 44 cm), 1892–1893 (Modell)/ 1897 (Ausführung)
523
524
FARBABBILDUNGEN
Abb. 13: Adolf von Hildebrand, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (Bronze, H. 87 cm), 1892
FARBABBILDUNGEN
Abb. 14: Adolf von Hildebrand, Grabmal Elisabeth von Herzogenberg (Majolika, Alter Friedhof San Remo), 1892–1893
525
526
FARBABBILDUNGEN
Abb. 15: Erbprinz Georg von Sachsen-Meiningen, Die Schlacht von Bouvines 1214, Bleistiftzeichnung mit aquarellierter Rahmung, 1844
Abb. 16: Andreas Müller, Apotheose der Erbprinzessin Charlotte, Öl/Leinwand, 1856/57
FARBABBILDUNGEN
Abb. 17: Kampf der Ditmarsen und Dänen. Radierung von L. Fischer, 1864/65, nach der Originalzeichnung des Erbprinzen Georg
527
528
FARBABBILDUNGEN
Abb. 18: Andreas Müller, Erbprinz Georg von Sachsen-Meiningen, Bleistiftzeichnung, 1858
Abbildungsnachweis Beitrag Goltz (nach S. 83): Abb. 1: Meininger Museen, VI 73. Abb. 2: Meininger Museen, B 453a. Beitrag Gann (nach S. 131): Abb. 1: Privatbesitz Christoph Gann. Beitrag Freytag (nach S. 247): Abb.1: Eigene Grafik von Christine Freytag, erstellt nach der Vorlage aus: Ludwig Greiner, Volksschulgesetzgebung im Herzogtum S.-Meiningen. Sammlung der noch gültigen Gesetze, Ausschreiben und Reskripte inbetreff des Volksschulwesens im Herzogtum S.-Meiningen, nebst einem Inhalts-Verzeichnis, einer chronologischen Zusammenstellung des Inhalts und einem Sachregister, Pößneck in Thüringen 1903, S. 43–50 („Volksschulgesetzes vom 22. März 1875“). Beitrag Taszus (nach S. 287) Abb. 1: Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, Sign. 43692. Abb. 2: Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses Jena, ohne Signatur. Beitrag Stuber (nach S. 303): Abb. 1: Vorlage aus: Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters, Bd. 2, Stuttgart/Weimar 1996, S. 37. Abb. 2: Vorlage aus: Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters, Bd. 2, Stuttgart/Weimar 1996, S. 21. Abb. 3: Vorlage aus: Alexander Weichberger, Goethe und das Komödienhaus in Weimar 1779–1825, Leipzig 1928, S. 52. Abb. 4: Meininger Museen, Theatermuseum, IV D 13. Abb. 5: Meininger Museen, Theatermuseum, IV D 13. Abb. 6: Meininger Museen, Theatermuseum, IV H 68. Abb. 7: Meininger Museen, Theatersammlung, IV 0089 H. Abb. 8: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Hausarchiv 211. Abb. 9: Meininger Museen, Theatersammlung, IV 227 H. Abb. 10: Meininger Museen, Theatersammlung, IV 225 H. Abb. 11: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Hausarchiv 212. Abb. 12: Meininger Museen, Theatersammlung, XII 10696/ IV G 104. Beitrag Türk (nach S. 381): Abb. 1: Privatbesitz Familie Fitger. Abb. 2: Meininger Museen, VI 796. Abb. 3: Meininger Museen, VI 797. Abb. 4: Privatbesitz Familie Fitger. Abb. 5: Kommandantenbau der Veste Heldburg. Abb. 6: Thronsaal im Schloß Neuschwanstein, Füssen © Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Abb. 7: Meininger Museen, Dauerleihgabe des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen. Beitrag Ernsting (nach S. 427) Abb. 1: Meininger Museen, Inv.-Nr.: TH I 46. Abb. 2: Verein Internationale Herzogenberg-Gesellschaft Heiden (Schweiz). Abb. 3: Architekturmuseum der Technischen Universität München, Inv.-Nr.: hild-314.1009.
530
ABBILDUNGSNACHWEIS Abb. 4: Abb. 5:
Abb. 6:
Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21:
Abb. 22: Abb. 23: Abb. 24:
Vorlage aus: Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portrait, München 1984, S. 82, Kat.-Nr. 36 (Foto: Angela Hass). Vorlage aus: Martina HARMS, Matteo Civitali. Bildhauer der Frührenaissance in Lucca (Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, 1), Münster 1995, unpag. Abb. 76 (Foto: Archivi Alinari, Florenz). Vorlage aus: Marc BORMAND et al. (Hg.), Desiderio da Settignano. La scoperta della grazia nella scultura del Rinascimento, Ausstellungskatalog, Musée du Louvre Paris 25.10.2006–22.1.2007, Museo Nazionale del Bargello Florenz 22.2.–3.8.2007 und National Gallery of Art Washington 1.7.–8.10.2007, Paris/Mailand 2007, S. 92, Abb. 65 (Foto: Patrimonio Nacional, Madrid). Museum der bildenden Künste Leipzig, Inv.-Nr.: P 146 (Foto: Ursula Gerstenberger). Verein Internationale Herzogenberg-Gesellschaft Heiden (Schweiz). Belvedere, Wien, Inv.-Nr.: 2433. Vorlage aus: Giancarlo GENTILINI, I della Robbia. La scultura invetriata nel Rinascimento, 2 Bde., Florenz o.J. [1992], hier: Bd. 1, Abb. S. 187 (Foto: Marcello Bertoni, Florenz). Vorlage aus: Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portrait, München 1984, S. 115, Kat.-Nr. 83 (Foto: Daniel Hass). Vorlage aus: Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portrait, München 1984, S. 115, Kat.-Nr. 83 (Foto: Daniel Hass). Vorlage aus: Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portait, München 1984, S. 114, Kat.-Nr. 82 (Foto: Hildebrand-Archiv [Gips]; Hanna Groß-Coesfeld, Meiningen [Bronze]). Meininger Museen, Kunstsammlungen, Inv.-Nr.: mm_an_0014 (Foto: Manfred Koch). Vorlage aus: Alexander HEILMEYER, Adolf von Hildebrand, München 1922, Tafel 18. Klassik Stiftung Weimar, Inv.-Nr.: G 1915 (Foto: R. Dreßler, Weimar). LETTER Stiftung Köln, Inv.-Nr.: 2004.083 (Foto: Jean-Luc IkelleMatiba). Meininger Museen, Kunstsammlungen, Inv.-Nr.: mm_an_0014 (Foto: Manfred Koch). Verbleib Original unbekannt; Vorlage aus: Angela HASS, Adolf von Hildebrand. Das plastische Portrait, München 1984, S. 124, Kat.-Nr. 94 (Foto: Hildebrand-Archiv). Paris, Musée Jacquemart-André – Institut de France © Studio Sébert Photographes, Inv.-Nr.: MJAP S 861. Andrea BACCHI et al. (Hg.), I marmi vivi. Bernini e la nascita del ritratto barocco, Ausstellungskatalog, Museo Nazionale del Bargello Florenz, 3.4.–12.7.2009, Florenz 2009, S. 180, Kat.-Nr. 1 (Foto: Manchester City Art Galleries). Bayerische Staatsbibliothek München, Sig.: Ana 550. Verein Internationale Herzogenberg-Gesellschaft Heiden (Schweiz) (Foto: Andres Stehli). Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, Marburg, Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Inv.-Nr. 16.666 (Foto: Bildarchiv Foto Marburg/Horst Fenchel).
ABBILDUNGSNACHWEIS
531
Abb. 25: Marc BORMAND et al. (Hg.), Desiderio da Settignano. La scoperta della grazia nella scultura del Rinascimento, Ausstellungskatalog, Musée du Louvre Paris 25.10.2006–22.1.2007, Museo Nazionale del Bargello Florenz 22.2.–3.8.2007 und National Gallery of Art Washington 1.7.– 8.10.2007, Paris/Mailand 2007, S. 95, Abb. 67 (Foto: Toledo Museum of Art, Ohio). Abb. 26: Foto: Manfred Koch (Privatbesitz). Abb. 27: Paul ZANKER/Björn Christian EWALD, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage, München 2004, S. 55, Abb. 37 (Foto: The Metropolitan Museum of Art, Schecter Lee). Beitrag Reißland (nach S. 459): Abb. 1: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Hausarchiv 504. Abb. 2: Meininger Museen, 41 (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 3: Vorlage aus: ANONYMUS, Aus sonniger Kindheit. Briefe von Moritz Seebeck, Berlin 1916 (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 4: Meininger Museen, IV 1084 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 5: Meininger Museen, IV 1528 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 6: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Hausarchiv 917 (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 7: Meininger Museen, IV 1492 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 8: Meininger Museen, IV 1523 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 9: Meininger Museen, IV 1491 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 10: Meininger Museen, IV 801 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 11: Vorlage aus: Ludwig BECHSTEIN, Villa Carlotta. Poetische Reisebilder vom Comersee und aus den Lombardisch-Venetianischen Landen, Weimar 1857 (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 12: Meininger Museen, IV 1109 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 13: Meininger Museen, IV 1113 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 14: Meininger Museen, IV 88 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 15: Meininger Museen, IV A3-2528 (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 16: Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, o. Sign (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 17: Meininger Museen, IV 2525 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 18: Meininger Museen, IV 870 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 19: Meininger Museen, IV 7942 H (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Abb. 20: Meininger Museen, V 10086–V 10096 (Konvolut 11 Bilder) (Foto: Manfred Koch, Meiningen). Farbabbildungsteil (nach S. 513) Abb. 1a: Vorlage aus: Guido BELTRAMINI/Antonio PADOAN (Hg.), Andrea Palladio. Bildatlas zum Gesamtwerk, München 2002, S. 100 f. Abb. 1b: Vorlage aus: Paul BINSKI, Becket‘s crown. Art and imagination in Gothic England 1170–1300, New Haven (Conneticut) 2004, S. 159. Abb. 2: Meininger Museen, Theatermuseum IV G 40. Abb. 3: Meininger Museen, Theatermuseum IV G 42. Abb. 4: Meininger Museen, Theatermuseum IV G 68. Abb. 5: Meininger Museen, Theatermuseum IV G 69. Abb. 6: Meininger Museen, VI 796. Abb. 7: Meininger Museen, VI 797. Abb. 8: Thronsaal im SchlossNeuschwanstein, Füssen © Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen
532
ABBILDUNGSNACHWEIS Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12:
Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18:
Meininger Museen, Dauerleihgabe des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen. Belvedere, Wien, Inv.-Nr.: 2433. LETTER Stiftung Köln, Inv.-Nr.: 2004.083 (Foto: Jean-Luc Ikelle Matiba). Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, Marburg, Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Inv.-Nr. 16.666 (Foto: Bildarchiv Foto Marburg/Horst Fenchel). Meininger Museen, Kunstsammlungen, Inv.-Nr.: mm_an_0014 (Foto: Manfred Koch). Verein Internationale Herzogenberg-Gesellschaft Heiden (Schweiz) (Foto: Andres Stehli). Meininger Museen, BG 19. Meininger Museen, VI 285. Meininger Museen, IV 1112 H. Meininger Museen, V 1432 H.
Personenregister Das Register verzeichnet die Namen aller im Text- und Fußnotenteil erwähnten historischen Personen mit Ausnahme von Georg II. Jedoch ist darauf verzichtet worden, die Namen der Personen aufzunehmen, auf die im Fußnotenteil nur im Kontext der Forschungsdiskussion rekurriert wird. Ebenso wurden alle Personennamen, die lediglich in bibliographischen Angaben erscheinen, nicht aufgenommen. Abbe, Ernst 454 Abdülhamid II., Sultan 115 Achterberg, E. 349 Ackermann, Constantin 191, 197 Adalbert, Prinz von Preußen 38, 508 Adelheid, Gräfin zur Lippe-Biesterfeld 79, 119–121, 501 Adelheid, Prinzessin von SachsenMeiningen, Herzogin von Clarence, engl./hann. Königin 20, 22, 47, 49–51, 58, 399, 467 Adelheid, Prinzessin von SachsenMeiningen, Prinzessin von Preußen 32, 38, 44, 502, 508 Adler, Franz 218 Adolf I., Herzog von Nassau 147 Adolf, Prinz zu Schaumburg-Lippe 121, 130 Albert I., sächs. König 52, 57 Albert, Joseph 482 Albini, A. (eigtl. Albin von Meddl´hammer) 336 Albrecht I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 464 Albrecht, preuß. Prinz 24, 51–53, 58 f., 61, 68, 488 Albrecht, Prinz v. Sachsen-Altenburg 488 Aldridge, Ira 60 f. Alexander, serb. König 124 Alexander I., russ. Zar 47 Alexandra, Fürstin von HohenloheLangenburg 122
Alexandrine, Prinzessin von Preußen 52 Alfred, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 121 Algardi, Alessandro 452 Allers, Christian Wilhlem 502 Altenhausen, Franziska von 90 Amalia Cary, Viscountess Falkland 50 Amalie Auguste, Prinzessin von Bayern, sächs. Königin 47 f., 52 Amberg, Paul 366 Anderten, Hermann von 364 Angely, Louis 334 Anna Amalia von BraunschweigWolfenbüttel, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 18 Anno, Anton 363 Antoine, André 89 Anton Ulrich, Herzog von SachsenMeiningen 17 f. Anzengruber, Ludwig 337 Archer, William 89 Arndt 349 Arndt, Ernst Moritz 22 Arnim, Max von 90 Ascher, Roger Anton 372, 376 Auber, Daniel-François-Esprit 51, 359, 400 Augier, Émile 384 Augusta, Prinzessin von SachsenWeimar-Eisenach, preuß. Königin, dt. Kaiserin 56, 61 f.
534 Auguste, Kurfürstin von Hessen-Kassel 49, 69, 465 Auguste, Prinzessin von SachsenMeiningen, Prinzessin von SachsenAltenburg 21, 506 Auguste Viktoria, dt. Kaiserin 79 Aust, Hermann 442 f., 449, 452 Bach, Johann Sebastian 196, 408, 412 f. Bacon, Francis 293 Bahn, Adolf 336, 370, 372, 376 Balzac, Honoré de 87 Bandini, Carlo Marchese 90 Bandini, Sigismondo Niccolo → Lord Levingston Barnay, Ludwig 99, 342, 348 f. Bartels, Adolf 135 Bartenstein, Christian Friedemann 248 Barthel, Alexander 349 Bassermann, Albert 347 Basté, Charlotte 360 f. Basté, Theodor 360 f. Bauer 349 Bauer, Karl 299 Bauernfeld, Eduard von 335, 372, 377 Baumbach, Karl 112, 114, 500 Baumbach, Rudolf 136, 505 Bechstein, Ludwig 25, 136, 191, 461, 476, 481 Beck, Max 341 Becker, Emilie 349 Beethoven, Ludwig van 22, 34, 196, 397–402, 410 f., 413, 424, 498 Begas, Reinhold 439 Behlert, Karl 42, 505 f. Behrendt, Oskar 320 Benedix, Roderich 334 f., 364, 372, 374–378 Bethmann, Heinrich Eduard 359 Bethmann- Hollweg, Theobald von 127 Berg 372
PERSONENREGISTER
Berg, Marie (eigtl. Katharina Maria Berg) 341 f. Berger, Carl 342 Berger, Wilhelm 494, 505, 507 Bernays, Jakob 279 Bernhard I., Herzog von SachsenMeiningen 16 f., 447 Bernhard II., Herzog von SachsenMeiningen 9, 17, 20 f., 23 f., 26–29, 32, 47–49, 53 f., 56, 58, 61–63, 68 f., 72–76, 108, 112, 140, 174, 181, 191, 213, 216, 218, 220, 225, 247 f., 269, 271–273, 279 f., 360, 415, 447, 454, 460, 465, 467, 472, 474, 493, 497–499, 505 Bernhard III., Herzog von SachsenMeiningen 25 f., 31 f., 38, 60–62, 70–72, 74, 76, 124, 126, 128, 207, 475, 487 f. Bernhardt 149 Bernini, Gian Lorenzo 451 f. Besozzi, Max 342 Beyer, Konrad 135 Beyreiß, Wilhelm 478 Bibra, Otto von 279 Birch-Pfeiffer, Charlotte 334 f., 365 f., 374–376 Bismarck, Otto von 10, 21, 27, 31, 35 f., 62, 65, 111, 113, 117, 132 f., 139, 280, 498, 501 Bisson, Alexandre 363 Björnson, Björnsterne 193, 374–376 Blechen, Karl 326 Blum, Carl Ludwig 334 f., 370, 373, 377 f. Blumenthal, Oscar 363, 365–367 Bock, Carl Ernst 225 Bodenstedt, Friedrich von 29, 89, 369, 495 Böhm, Martin 361 Böhm, Theobald 400 Boelcke, Oswald 90 Bohrmann, Hermann 346 Bourlier, Georg 342 Brahm, Otto 89
PERSONENREGISTER
Brahms, Johannes 30, 40, 96, 196, 369, 385, 411–413, 415, 419, 422–424, 437, 440, 443, 493, 500, 503 Brandes, Georg 385 Brandis, Christian August 279 Brandt, Heinrich 29 Braun, Karl 173 f. Bredow, Ada 342, 349 Brehm, Ferdinand 341 Brewster, Christopher 432 Brewster, Elisabeth 432 Brewster, Henry 432 Brewster, Julia 432, 434 Briesbarré 378 Brückner, Georg 162 f. Brückner, Gotthold 484 Brückner, Max 484 Buch, Clemens Theodor Perthes von 24, 62 Büchner, Emil 397, 417, 420, 424 Büchner, Julius 343 Büchner, Rosine 140–142, 148, 150 Bülow, Bernhard von 37 Bülow, Hans von 30, 34 f., 84, 87, 95 f., 123, 126 f., 136, 348, 397 f., 410–412, 415–424, 431, 437, 493, 496, 498–500, 502 Bülow, Marie von 349, 411 Bülow, Paula von 90 Bunsen, Josias von 51 Buonamici, Giuseppe 431 Burger, Johannes 482 Bury, Friedrich 465 Buska, Johanna 65 Busse, Carl 341 Busse, Helen 341 Byron, George Gordon 384, 386 Cäsar, Philippine Elisabeth 18 Cahu, Theodore 117 Caprivi, Leo von 115, 118, 121 Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 11, 27,
535 75, 121, 281, 288–290, 438, 442, 444, 448, 476 f., 481, 494 Carl August, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 19, 254, 288 Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 47 Carl, Prinz von Preußen 53 Carl Theodor, Herzog in Bayern 438, 442, 444, 446, 448 Carnegie, Andrew 90 Carola Feodora, Prinzessin von Sachsen-Meiningen, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 128, 501 Caroline, Prinzessin von Baden, bayer. Königin 47 f. Carolyne, Fürstin zu Sayn-Wittgenstein 96 Carolsfeld, Julius Schnorr von 481 Carolsfeld, Ludwig Schnorr von 479 Cassano, Francesco Serra di 49 Castelli, Ignaz Vincenz Franz 336 Cerris, Antonio 452 Charlotte Amalie, Herzogin von Sachsen-Meiningen 18, 204 f., 222, 282 Charlotte, Prinzessin von Preußen, Prinzessin von Sachsen-Meiningen 31, 62, 118, 129, 498, 500 Charlotte, Prinzessin von Preußen, Herzogin von Sachsen-Meiningen 21, 24 f., 47, 51–54, 56–62, 74, 191, 472, 475, 477, 479 Chlodwig, Fürst zu HohenloheSchillingsfürst 28, 124, 439, 499, 503 Chopin, Frédéric 89, 402, 437 Christ, Friedrich 444 Chronegk, Ludwig 29 f., 34 f., 89 f., 94 f., 97, 114, 135 f., 192, 310, 313–315, 318–320, 323, 340 f., 343, 369, 372–375, 377, 416 f., 493, 495, 500, 502
536 Claretie, Jules 89 Clerici, Giorgio 475 Comtes, Auguste 67 Connard, Leo 346 Cornelius, Alfons 232, 432, 465, 467, 478 f., 481 f. Cornelius, Peter von 23, 406, 461, 470, 474 Cosmar, Alexander 336 Cronacher, Andreas 141–143 Dahlmann, Friedrich Christoph 22, 401 D`Albert, Eugen 500 Darmer, Joseph 361 Darwin, Charles Robert 287, 299 Da Vinci, Leonardo 25 Deinhardstein, Johann Ludwig 374 Denkhaus, Martin 343 Denkhausen, Ludwig 341 Derenthall, Eduard von 114, 116, 118 Dessauer, Moritz 136 Dettmer, Friedrich 348 f. Devrient, Eduard 373 Diez, Samuel 474 Döbner, August Wilhelm 461 Doebner, Hermann Friedrich 341 Dohm, Hedwig 349, 372, 376 Domrich, Ottomar 226–228 Donatello (eigtl. Donato di Niccolò di Betto Bardi) 456 Donizetti, Gaetano 365 Dorn, Heinrich 399, 402, 413 Doß, Paul 346 Drach, Emil 348 f. Dreyer, Otto 195 f., 502 Droysen, Johann Gustav 276 Duccio, Agostino di 447 Dürer, Albrecht 459, 473 Echegaray, José 361 Eckard, Agnes 341 Eckardt, Laura 341
PERSONENREGISTER
Eduard, Prinz von Sachsen-WeimarEisenach 124, 381 Edward Augustus, Herzog von Kent 51 Eggeling, Heinrich von 277, 299 Egloffstein 70, 75 Eichhorn, Amalie 144 Einsiedel 71 Elisabeth Ernestine, Prinzessin von Sachsen-Meiningen 17 Elisabeth, Prinzessin von Bayern, preuß. Königin 47–50, 52, 55–58, 61–63,472 Ellmenreich, Friederike 335 Elsner, Georg 331 Elz, Alexander 337 Engel, Clemens von 134 Entsch, Albert 239 Entsch, Theodor 239 Ernst, Carla 348 Ernst, Graf zur Lippe-Biesterfeld 120 f. Ernst, Prinz von Sachsen-Meiningen 26, 32, 38, 42, 44, 79, 114 f., 299, 442, 450, 452, 482, 489 Ernst I., Herzog von Sachsen-GothaAltenburg (auch Ernst der Fromme) 16 f., 248 Ernst I., Fürst zu Hohenlohe-Langenburg 122 Ernst I., Herzog von Sachsen-Altenburg 121, 296 Ernst I., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 54, 207 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 27, 288, 494 Ernst August I., hann. König 179 Ernst Ludwig I., Herzog von SachsenMeiningen 17 f. Ernst Ludwig II., Herzog von SachsenMeiningen 18 Eschstruth, Nataly von 364 Eysoldt, Gertrud 347, 417
PERSONENREGISTER
Faber 343 Falckenstein, Eduard Vogel von 55 Fambach, Ludwig 347 Fechner, Hans 504 Feistel, Marie 349 Feldmann, Leopold 336 Félix, Elisabeth-Rachel 60 Felix, Willy 349 Felsing, Friedrich 482 Feodora, Prinzessin zu HohenloheLangenburg, Herzogin von Sachsen-Meinigen 26, 29, 69, 75 f., 79, 192, 482, 495 f. Feodora, Prinzessin von SachsenMeiningen, Prinzessin Reuß zu Köstritz 32, 38, 125, 498, 503, 507 Ferdinand I., Fürst von Bulgarien 115 Ferrara, Alfonso von 34 Fette, Hermann 388 Fleischhauer, Friedhold 341, 420 Fleischmann, Adolf 181 Flotow, Friedrich von 400 Fiebig, Max 238 Fiedler, Konrad 434, 438 f. Fischer, Emilie 348 Fischer, Kuno 281 f. Fischer, Ludwig 482 Fitger, Arthur 39, 96, 193, 292, 294, 381–389, 391, 393–396, 473, 475, 488, 490 f., 499, 507 Fitger, Marie 396 Förster 58, 349 Förster, Bernhard 136 Fontane, Theodor 65 Forbas 115 Fra Angelico (eigtl. Guido di Pietro) 459 Franke, Richard 149 f. Franz I., franz. König 34 Franz, Ellen → Helene, Freifrau von Heldburg Franz, Hermann 83 Franz, Reinhold 506
537 Franz, Sarah 83 f., 100, 501 Franz Josef I., österr. Kaiser 357 Frauenthal, Jenny 349 Frédérix, Gustave 89 Frege, Woldemar 401 Frenzel, Bertha 93 f. Frenzel, Karl 29, 89, 94, 496 Freytag, Reinhold 148 Freytag, Gustav 363 Frieb-Blumauer, Minona 84, 348 Friedrich, Herzog von SachsenHildburghausen, später SachsenAltenburg 207 Friedrich, Prinz der Niederlande 503 Friedrich, Prinz von Sachsen-Meiningen 26, 32 f., 38, 79, 119 f., 501 Friedrich, W. (eigtl. Friedrich Wilhelm Riese) 334 f. Friedrich I., Großherzog von Baden 125 Friedrich I., Herzog von Holstein 467 Friedrich II., Kurfürst von Brandenburg 407 Friedrich II., preuß. König (auch Friedrich der Große) 198 Friedrich III., dt. Kaiser 31, 35 f., 53, 62, 113, 501 Friedrich III., Kurfürst von Sachsen (auch Friedrich der Weise) 201 Friedrich IV., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 207 Friedrich Carl, Prinz von Preußen 53 Friedrich Franz IV., Großherzog von Mecklenburg-Schwerin 65 Friedrich Wilhelm, Graf zu LimburgStirum 112 Friedrich Wilhelm, Herzog von Sachsen-Meiningen 17 f., 119 Friedrich Wilhelm I., Kurfürst von Hessen 180 Friedrich Wilhelm I., preuß. König 205 Friedrich Wilhelm II., preuß. König 472
538 Friedrich Wilhelm III., preuß. König 48 f., 51, 68 f. Friedrich Wilhelm IV., preuß. König 23 f., 31, 47 f., 50 f., 53 f., 56–61, 472 f., 481 Fritze, Eduard 99 Fröbel, Friedrich 22, 257 Fuchs, Rudolf 347 Fürbringer, Paul 228 Füßlein, Otto 147 Fuhr, Liane 485 Fulda, Ludwig 367 Gadow, Friedrich Wilhelm 210 Gagern, Heinrich von 276 Ganghofer, Ludwig 367 Gascoyne-Cecil, Robert (Marquess of Salisbury) 381 Gaudecker, Rita von 99 Geibel, Emanuel 373 Geißenhöner, Adolf 342 Geißler, Johann Heinrich 177 f. Genée, Rudolf 89, 97, 307–310 Gensichen, Otto Franz 376 Genßler, Johann Andreas 248 Georg, Prinz von SachsenHildburghausen 48 Georg, Prinz von Sachsen-Meiningen 502 Georg I., Herzog von SachsenMeiningen 18–20, 132, 379 Georg III., engl. König 50 Georg Albrecht, Prinz von SachsenMeiningen 25, 61, 474 Georg Herbert, Graf zu Münster 118 Georgii, Theodor 458 Gerhard, Ilse 349 Girndt, Otto 371 Giseke, Albrecht Otto von 30 f., 71, 113 f., 247, 496 Giustiniani, Maria Cecilia 90 Gläser, Dorothea 141 Gläser, Henriette 141
PERSONENREGISTER
Godeck, Adelheid 341 Godeck, Gertrud 341 Godeck, Otto 341, 343 Göbel, Engelhard 349 Göpfert, C. 367 Görner, Karl August 336, 341, 362 Goeschke, Anna 367 Goeschke, Reinhard 362, 367 Goethe, Johann Wolfgang von 19, 67, 191, 299, 321, 326, 335, 357, 370 f., 373, 375 f., 378 f., 479 Gottstein, Adolf 233 f. Grabowsky, Carl 370 Graf 147 Grandjean, Moritz Anton 336, 371, 375 f. Graue, Anna 99 Graue, Paul Diedrich 99, 194 f., 200, 506 Gregor XV., Papst 451 Greiner, Elias 177 Grevenberg, Auguste 349 Griebe, Emma 349 Grillparzer, Franz 97 f., 306, 320 f., 335, 371, 374–376 Grove, George 100 Grube, Carl 341 Grube, Maria 99 Grube, Max 42–44, 99, 313, 343, 348, 376, 507 Gründorf, Carl 374, 378 Grunert, Therese 332, 349 Günther 349 Günther-Brauer, Maria 364 Gumpert, Ferdinand 373 Gunz, Willy 379 Gustav Adolf, Prinz zu HohenloheSchillingsfürst 35, 192 Gutzkow, Karl 335, 364 Habelmann, Emma 349 Haeckel, Ernst 11, 41, 99, 193, 200, 287–300, 475, 504 Haeckel, Walther 99
PERSONENREGISTER
Hahn, Emil 372, 378 Händel, Georg Friedrich 402, 412, 424 Haffner, Christine 349 Hagen 141 Hallwachs, Ludwig Moritz Hermann Wilhelm 410 Hampe, W. 342 Hand, Ferdinand Gotthelf 279 Harden, Maximilian 111 Haring 139 Harnack, Adolf von 296 Hartmann, Friedemann Christoph 205 Hartmann, Philipp Heinrich 208 Hase, Karl 281 Hassel, Romanus 341, 343 Hauffe, Lydia 349 Haverland, Anna 348 f. Haydn, Franz Joseph 413, 424 Hebbel, Friedrich 97, 306, 370 f., 375 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 194 Heideloff, Carl Alexander von 461 Heil 147 Heim, Friedrich von 37, 114 f., 118 f., 121, 123 f., 129, 143–145, 190, 196, 247, 501 Heine, Heinrich 480 Heine, Hermann 341, 343 Heinrich, Alois 329 Heinrich, Herzog zu Mecklenburg, niederl. Prinzgemahl 128 Heinrich XXII., Fürst von Reuß ältere Linie 11 Heinrich XXVII., Fürst von Reuß jüngere Linie 65 Heinrich XXX., Fürst von Reuß jüngere Linie 503 Helbig 341 Helbig, Margarete 349 Helene, Freifrau von Heldburg 11, 29 f., 32, 35, 38–40, 43 f., 65,
539 67–71, 73–81, 83–100, 114, 118 f., 123, 125, 128, 130, 191–193, 221, 270, 281, 290, 292–294, 310, 314 f., 317–319, 330, 340, 369, 377, 381, 386–388, 395–398, 413, 417, 420, 428, 442, 449, 457, 480, 486, 495–498, 501, 506 f. Hell, Theodor 336 Hellmuth-Bräm, Wilhelm 343, 378 Hennies, Emilie 349 Hensoldt, Moritz 176–178 Herder, Johann Gottfried 19, 131, 191 Herrig, Hans 331 Hermann, Bernhard Anton 371 Herzogenberg, Elisabeth von 427, 429, 432, 434 f., 437, 439, 444 f., 455, 458 Herzogenberg, Heinrich von 429, 431 f., 436 Heyl 136 Heyse, Paul 385, 501 Heyse, Theodor 443 Hildebrand, Adolf von 99, 297, 427, 430–432, 434–445, 447–458, 490, 508 Hildebrand, Bruno 176, 448 Hildebrand, Dietrich von 449 Hillern, Wilhelmine von 367 Hillmann, Franz 349 Hilpert, Friedrich 398, 401 Hintze, Otto 66 Hinzpeter, Georg Ernst 271 Hirschfeld, Magnus 241 Hoffmann, A. 506 Hoffmann, Julius 139 Hofmann, Arthur 185 Hohenlohe, Friedrich Wilhelm von 74 Holbein, Franz Ignaz von 315, 336 Holstein, Friedrich August von 111 Holtey, Karl Eduard von 336, 363 Holtzendorff, Franz von 133 Holtzendorff, Ida von 99 Hopfen, Hans 89
540 Hoppe, Otto 496 Hoß, Otto 342 Hülsen, Botho von 307 Human, Armin 257 Humboldt, Alexander von 60 Huxley, Thomas Henry 287 Ibsen, Henrik Johan 193, 369, 417, 500 Ida, Prinzessin von Sachsen-WeimarEisenach 19, 47 Iffland, August Wilhelm 371, 374 f. Immermann, Karl 326 Irving, Henry 381 Isolanis, Eugen 330 Jachmann, Alfred 99 Jachmann, Helene 99 Jacobi, Carl 400 Jacobson, Eduard 362–364, 366 f., 370, 373, 378 Janauschek, Fanny 349 Jeffé, Carl 367 Jelenska, Irma 349 Jensen, Katharina 32, 79, 115, 502 Jensen, Wilhelm 115 Jetses, Cornelis 388 Joachim, Joseph 437 Johann, sächs. König 180 Johannes, Werner 138 Johann I., dän. König 467 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen (auch Johann Friedrich der Großmütige) 489 Jordan, Dorothy 49 f. Joseph Bernhard, Prinz von SachsenMeiningen 17 Jürgens 349 Jürgensen, Adolf 344, 347 Julie, Gräfin zu Münster 58 Kadelburg, Gustav 363, 365–367 Kaden, Antonie 349 Kainz, Josef 348, 371, 379, 417 Kaiser, Friedrich 336
PERSONENREGISTER
Kalisch, David 336 Kant, Immanuel 131 Karl, Herzog von Sachsen-Meiningen 18 f. Karl I., rumän. König 115 Karl VI., Kaiser 17 f. Karl Bernhard, Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 19, 47 Karl Friedrich, Herzog von SachsenMeiningen 18 Kauffmann, Konrad 348 Kaufmann, Arthur 131 Kaulbach, Wilhelm von 23, 460, 465, 470, 473–475, 479, 481, 490 Kesselring, Georg Friedrich 210 Kettel, Johann Georg 336 Keyßner, Friedemann 208 Keyßner, Karl 208 Kießling, Friedrich Wilhelm Gustav 250 Kinckel, Gottfried 22 Kleist, Heinrich von 95, 97, 131, 306–308, 309 f., 315, 324 f., 335 Klesheim, Anton Baron von 349 Klinkhammer, Thessa 366 Klühn, Marie 344 Kneiff, J. 362 Kneipp, Sebastian 443, 449 Kneisel, Rudolf 360 f., 363, 365, 371, 374–376 Knille, Otto 383 Knopf, Johann Caspar 248 Knorr, Hilmar 348 f. Kober, Gustav 348 Koch, Carl Wilhelm 373 f. Koch, Edmond 341 Köchly, Hermann 29, 495 Köhler 349 Königsmarck, Hans Graf von 53 Königswinter, Wolfgang Müller von 371, 376 Körner, F. 367 Kolmsberger, Waldemar 391 Kotzebue, August von 334 f. Krause, Bertha 341
PERSONENREGISTER
Krause, Elise 341 Kraußneck, Arthur 348 f. Kreutzkamp, Heinrich 348 Kronau, Friederike 349 Krosigk, Anton Ferdinand von 28, 70 f., 495 Krüger, Albert Peter Johann 365 Krummacher, Friedrich Adolf 90 Kügelgen, Wilhelm von 90 Kürnberger, Ferdinand 376 Kürschner, Josef 330 Kützing, Gotthard 370 Kunst, Heinrich 342 Kurnatowski, Otto von 365 Laband, Paul 125 Lamarck, Jean-Baptiste de 299 Landau, Isidor 330 Lang, A. 373, 378 Lang, Georg 380 Lang, Otto 454 Lange, Wilhelm 370 Langlotz, Carl August 400 Larisch, Alfred von 277 L´Arronge, Adolph 336, 362 f., 365, 367, 385 Lasker, Eduard 112 Laube, Heinrich 336, 375 Laufs, Carl 362 f., 367 Lebrun, Karl August 337 Lehmann, Moritz 316 Leigh 71 Leithner, Therese 349 Lemoine, Gustav 363 Lenbach, Franz von 385, 490, 498 Lenné, Peter Joseph 473 Lepsius, Richard 52 Lessing, Gotthold Ephraim 335, 370 f., 374, 376, 378 Leubuscher, Charlotte 243 Leubuscher, Georg 41, 223 f., 228–234, 236–244, 260, 503 Leubuscher, Rudolf 229 Levi, Hermann 431 Levy, Arthur 117
541 Lewinsky, Josef 349 Liban, Margarete 349 Lichtenstein, Rose 43 Liliencron, Detlev von 25 Liliencron, Rochus von 280 f. Lindau, Paul 34, 39, 89, 99, 117, 119, 123 f., 129, 363 f., 501, 503 f. Lindenau, Carl Heinrich August von 48 f. Lindenschmit, Wilhelm d.Ä. 22, 461, 465–467, 469 Lindner, Albert 347 f. Lindner, Amanda 99, 388, 488 List, Friedrich 173 Liszt, Franz 30, 87, 96, 369, 399, 406, 411, 413, 417, 424, 495 Litaschi, Emil 349 Löwe 344 Lomler, Friedrich Wilhelm 209 Lommer, Horst 141–145, 150 Lord Levingston 90 Lorenz, Olga 349 Lortzing, Albert 361, 366 Lossow, Carl 25, 475–479, 481, 489 Lotz, Eusebius 248 Louise Dorothea, Prinzessin von Sachsen-Meiningen, Herzogin von Sachsen-Gotha-Altenburg 18 Louise Eleonore, Herzogin von Sachsen-Meiningen 20, 379, 462 Ludwig, Otto 442 f., 454 Ludwig I., bayer. König 179, 481 Ludwig II., bayer. König 391 Ludwig Wilhelm, Herzog von Bayern 437 Lübke, Adolph 359 Lütge, Friedrich 154 Luise, preuß. Königin 51, 53, 68 Luitpold, Prinzregent von Bayern 128, 438 Luther, Carl 138 Luther, Martin 165, 188, 196 Lutze, Arthur 225
542 Macaulay, Thomas 100 Machold, Carl 366 Machold, Philipp 341 Maeder, Ludwig 366 Mahler, Gustav 385 Maixdorff, Carl von 361, 366 Makart, Hans 393, 489 Malatesta, Sigismondo 448 Malter, Anton 143 f. Mannstädt, Franz 411, 420 Mannstädt, Wilhelm 362–364 Manz, Richard 360 Marat, Jean-Paul 209 Marées, Hans von 431 Marianne, Prinzessin der Niederlande und von Preußen 24, 51–53, 57–60, 74, 475 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen 18 Maria Pawlowna, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 47 Marie, Prinzessin von Hessen-Kassel, Herzogin von Sachsen-Meiningen 21 f., 49, 53, 55, 57, 60, 68 f., 72, 273, 472, 501 Marie Elisabeth, Prinzessin von Sachsen-Meiningen 25 f., 61, 70–72, 75, 122, 475 Marlitt, Eugene 365 Marr, Heinrich 91 Marsano, Wilhelm 336 Mascagni, Pietro 364 Mathy, Karl 276 Mauthner, Eugen 349 Mautner, Eduard 372 Maximilian I. Joseph, bayer. König 47–49 Medici, Cosimo von 34 Mehmed Ali 52 Mendelssohn, Joseph 365 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 365, 401 f., 407, 411, 424 Menzel, Adolf 59, 489
PERSONENREGISTER
Menzel, Ludwig Heinrich Werner 369 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 56, 210 Meyer, Carl Joseph 177, 214, 219 Meyer, Hermann Julius 209 Meyer, Kunz 388 Meyerbeer, Giacomo 60 Michaelis, Gustav 362 Michelangelo 459, 473 Millöcker, Carl 367 Minutoli, Adolph Menu von 51, 54, 56, 140 Minutoli, Heinrich Menu von 51 Mittell, Carl Joseph 360 Molière (eigtl. Jean-Baptiste Poquelin) 336, 371 f., 375–378 Molitor, Wilhelm 219 Mondthal, Camilla von 349 Morgenroth, Peter 138 Moritz, Prinz von Sachsen-Altenburg 506 Morschewsky 144 Mosengeil, Friedrich 358 Mosenthal, Salomon Hermann von 336, 373, 375–378 Moser, Gustav von 335, 362–367, 374 f., 378 Moser-Sperner, Marie von 317, 348 f. Mozart, Wolfgang Amadeus 359, 402, 424 Mühlfeld, Christian 406, 408–410 Mühlfeld, Richard 506 Müller 364 Müller, Andreas 25, 310, 474–477, 479, 481 f., 489 f., 495 f. Müller, Arthur 365, 370, 372, 377 Müller, Bernhard 191, 197, 404–410, 499 Müller, Ernst 503 Müller, Ferdinand 61, 461, 466, 474, 478, 481, 498 Müller, Hugo 336
PERSONENREGISTER
Müller, Louis 138 Müller, Ludwig Friedrich 117 Nachbaur, Franz 43, 99 Napoleon III., franz. Kaiser 28 Neithardt, August Heinrich 61, 407 Nesper, Josef 99, 341, 344, 348 Nestroy, Johann Nepumuk 336 Neuert, Hans 367 Neumann, Julie 349 Neumeister, Albert 501 Neville, Maurice 349 Nhil, Robert 348 Nikolai, Otto 470 Nißen, Hermann 348 f. Nohr 141 f. Nollet, Julius 341 Nonne, Karl Ludwig 22, 210, 248 Norbert, Otto 349 Oberländer, Friedrich Eduard 139 Oechelhäuser, Wilhelm 89 Oertel, Max 228 Oertel, Max Josef 39 Ohnet, Georges 364 Olah, Margarethe von 349 Olde, Hans 506 Orla, Helene 341 Osborne, John James 89 Oskar I., schwed. König 132 Osmarr, Otto 506, 508 Ostertag, Chr. 342 Ostrovskij, Alexander Nikolajewitsch 89 Otto 349 Otto, Alexander 501 Otto I., röm.-dt. Kaiser (auch Otto der Große) 478 Otto IV., röm.-dt. Kaiser 467 Overbeck, Friedrich 23, 479 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 196, 404, 410 Palladio, Andrea 303 Paschold, Wilhelm 141 f.
543 Passow, Wilhelm Arthur 214 Pauli, Adele 348 f. Pauli, Gustav 394 f. Perthes, C. Th. 22 Pestalozzi, Johann Heinrich 248 Peter II., Großherzog von Oldenburg 27, 383 Petri 359 Pettenkofer, Max von 443 Pfizer, Paul 173 Philipp II. August, franz. König 467 Piening, Karl 99 Piloty, Carl von 489 Pius IX., Papst 479 Plate, Ludwig 299 Plettung, Georg 344 Plettung, Wilhelm 342 Plötz, Johann von 336 Polz, Paul 149 Porth, Karl 349 Possart, Ernst von 348 f. Prasch-Grevenberg, Auguste 348 Prittwitz, Karl Ludwig von 56 Pröschold, Johanne 141 f. Prutz, Robert Eduard 373 Pückert, Emil 341 Putlitz, Gustav Heinrich zu 336 Rachel → Félix, Elisabeth Radolin, Hugo Fürst von 112 f., 126 Radowitz, Joseph Maria von 115 Räder, Gustav 363 Raff, Joachim 424 Raffael (eigtl. Raffaello Santi) 25, 393, 459, 473, 491 Rahlwes, Ferdinand 195, 507 Raimund, Ferdinand 337, 363 Raschdau, Ludwig 78 f., 111, 113, 118–126, 148–150 Rauch, Christian Daniel 448, 474 Rauch, Rosalie von 61, 68 Raupach, Ernst Benjamin Salomon 335, 370 Raupp, Ludwig 341, 344, 347 Raven, Lukas von 341
544 Recke, Elisa von der 90 Redwitz, Oskar von 365 Reger, Max 43, 90, 195, 415, 418, 423, 507 f. Reichard, Heinrich August Ottokar 329 Reichel, Adolf 400 f., 406 Reiff, Wilhelm 341 Rein, Wilhelm 200 Reindel, Friedrich 147 Reinhardt, Max 417 Reinhartshausen, Johann Wilhelm von 58 Reissiger, Carl Gottlieb 370 Reitzenstein, Eduard von 22, 54 f. Resener, Agnes 349 Reyher, Andreas 248 Richard, Paul 341, 344, 346, 502, 504 Richter, Ludwig 473 Rietz, Julius 398 Rimbach 349 Rinald, Ferdinand 348 f. Ritschl, Friedrich 279 Ritter, Alexander 499 Ritter, Karl August 336 Robert, Emmerich 348 f. Roebbling, Hermann 43 Roeder, Ferdinand 329 Römer, Georg 297 Roepert, Ernst von 451, 499 Rosen, Julius 360, 364 Rossini, Gioachino 370, 373 Roßmann, Wilhelm 334 Rossum, Johannes van 51–53 Rost, Alexander 364, 366 Rotenhan, Hermann von 276 Roth, Franz 363, 367 Rother, Christian 448 Rothernburg, Hanna von 349 Rottenburg, Paul von 299 Rouvroy, Claude-Henri de 67 Rubinstein, Anton 369 Rudloff, Karl 281 Rüdiger, Sophie Gräfin von 368
PERSONENREGISTER
Rüttiger, Wilhelm 349 Rupprecht, Heinrich 341 Sachs, J. 368 Sachse, Carl-Albrecht 334 Saint-Simon, Henri de → Rouvroy, Claude-Henri de Sackville 381 Salingré, Hermann 370, 373, 378 Sandberger, Wolfgang 402 Sattler, Bernhard 440 Savigny, Karl Friedrich von 27, 62 Sax, Emanuel 227 Scamozzi, Vincenzo 304 Schack, Wilhelm 127 Schadow, Wilhelm von 479 Schäfer, Carl 341 Schäfer, Carl jun. 342 Schäffer, Heinrich 362 Schaffnit, Georg 362, 364 Schaller, Karl 40, 128 f., 229, 508 Schaubach, Karl 15, 70, 191–194 Scheffel, Joseph Victor 366 Schefranek, Gustav 341 Schellhorn, Paul 22, 463 Schiller, Friedrich 19, 80, 84, 98, 221, 306, 334 f., 361, 366, 370 f., 374–376, 379, 397–399, 482 Schinkel, Karl Friedrich 326 Schleiermacher, Friedrich 87 Schleinitz, Leo von 71, 506 Schleinitz, Margarete von 99 Schlesinger, Leopold 341 Schlesinger, Paul 143 Schmeling, Leopold 349 Schmid, Karl Ernst 104, 212 Schmidt 342 Schmidt, Antonie 142 Schmidt, Johanna 241 Schmidt, Minna 241 Schmidt, Reinhold 251 Schmidthoff, Clara 241 Schneider 349 Schneider, Louis (eigtl. Ludwig Schneider) 329, 334 f., 373, 378
PERSONENREGISTER
Schönenberger, Franz 243 Schönthan, Franz von 361, 364, 366 f. Scholling, Carl 349 Schubert 447 Schubert, Otto 230, 424 Schuckmann, Marie von 52, 56, 59 Schultz 349 Schulze, Johannes 277 Schumann, Clara 357, 431, 437 f. Schumann, Robert 412, 424 Schwab, Gustav 465 Schwalm, Theo 394 Schwanthaler, Ludwig 466 Schwarz 360 Schweder, Otto von 504 Schweitzer, Johann Bapiste 372, 374–376 Schwencke, Anna 341 Schwencke, Carl 341 Schwind, Moritz von 477, 479, 481 Scott, Clement 89 Scribe, Eugène 51, 372 Seebeck, August Wilhelm von 270, 464 Seebeck, Bernhard 464 Seebeck, Julie 464 Seebeck, Moritz 11, 22, 35, 190, 192, 250, 267–285, 292, 461–465, 467 Seebeck, Sophie von 270 Seeber 342 Seel 147 Sefeloge, Max 59 Seidel, Ernst 228 Setti, Auguste 344 Seydelmann, Hugo 341 Shakespeare, William 22, 29, 43, 69, 87 f., 100, 124, 131, 306, 332, 334 f., 372, 374, 376–378, 381, 384, 408, 417, 495 Shaw, George Bernard 43 Siegert, Wilhelm 240, 243 Simon, Jacob 143 f. Simson, Eduard 276 Skuhra, Ferdinand 368
545 Sling → Schlesinger, Paul Sommariva, Gian Battista 475, 477 Sophie Charlotte, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, engl. Königin 50 Sophie von Oranien Nassau, Großherzogin von Sachsen-WeimarEisenach 290 Souvestre, Emile 373 Specht, Carl August 365 Speidel, Ludwig 89 Spengler, Oswald 171 Spieß, Heinrich 473 Spohr, Louis 399 Staack, Siegfried 364 Stahl, Francis 361 Stangenberg, Clara 341 Stanislawski, Konstantin Sergejewitsch (eigtl. Konstantin Sergejewitsch Alexejew) 89 Steffens, Georg 362–364 Stein, Fritz 508 Stein, Karl Freiherr von 21, 70 f., 75 f., 81, 117, 495 Stein, Paul 341, 345 Steinbach, Clara 99 Steinbach, Fritz 39 f., 90, 99, 402–404, 422, 494, 500, 505 Steiner, Paul 114–118, 150 Stein-Kochberg, Felix von 376 Stern, Julius 59 Stichling, Gottfried Theodor 276 Stickel, Johann Gustav 275 Stinde, Julius 366 Stockhausen, Bodo Albrecht Freiherr von 437 Stössl, Emma 365 Stötzer, Eugenie 85, 99, 501 Stoppenhagen, Friedrich 341, 345 Strauss, Richard 34, 370, 373, 411, 415, 420–422, 500 Strupp, Albert 144 Strupp, Gustav 42, 183 f. Strupp, Isaak 134 Stüler, Friedrich August 473
546 Sudermann, Hermann 362 Suppé, Franz von 365 Swoboda, Maria 71, 88 Szendrö, Nikolaus Casimir Török von 65 Taglioni, Maria (die Jüngere) 54 Taubert, Wilhelm 373 Teller, Leopold 341, 345, 373 f., 378 Teller-Habelmann, Emma 341 Tenelli, M. (eigtl. Johann Heinrich Millenet) 336 Terry, Ellen 381 Theisen, Louise 349 Therese, bayer. Königin 48 Thibaut, Anton Friedrich Justus 408 Thiele, Adolf 238 Thimig, Helene 43, 347 Thimig, Hermann 43, 347 Thomas, Brandon 366 Thomas, Wilhelm 501 Thorvaldsen, Bertel 477 Timm, Wilhelm 345 Tirpitz, Alfred von 37 Tizian (eigtl. Tiziano Vecellio) 383 Tocqueville, Alexis de 180 Töpfer, Karl Friedrich Gustav 335 Tomann, Wilhelm 349 Treptow, Leon 362, 364 f. Treßler, Sofie 347 Trinks, Friedrich 149 f., 229 Trinks, Karl Friedrich 225 Türcke, August von 277 Uechtritz 76 Uhland, Ludwig 481 Ullmicher, Margarethe 349 Ulrich, Graf von Schwerin 128 Ulrich, Pauline 348 f. Uttenhoven, Friedrich von 114, 141 f., 247
PERSONENREGISTER
Vecchio, Palma (eigtl. Jacopo Palma) 383 Veit, Philipp 479 Viardot-García, Pauline 357 Victoria, engl. Königin 36, 50 f., 62, 179, 467 Virchow, Rudolf 228 Vogeler, Heinrich 395 Vollert, Anton 140 Vollert, Max 277, 299 Voß, Richard 99, 123, 135, 363, 501 Wächter, Georg 349 Wagner, Caspar 140 Wagner, Cosima 30, 83 f., 86 f., 90, 95 f., 99, 420, 431, 437, 497 Wagner, Richard 83, 86, 96, 197, 200, 373, 391, 398, 411, 417, 431, 497 Waldeck, Hugo 349 Waldstein, Charles 41, 89, 99, 501 Wallner, Franz 345, 349 Watzdorf, Bernhard von 276 f. Weber, Carl Maria von 363, 365, 424 Wedekind, Frank 330 Wedel, Botho Graf von 127 Weidt, Fanny 346 Weilenbeck, Josef 341 Weiser, Karl 341, 349 Weiß, Hermann 495 Weiß, Karl 29 Weißenthurn, Johanna Franul von 336 Welcker, Friedrich Gottlieb 279 Welly, Ludwig 349 Wendt, Eduard 349 Wenghöfer, Otto 364 Wenzel, Christian 158 Werder, Carl 36, 497, 502 Werner, Anton von 385 Werner, Johannes 90
547
PERSONENREGISTER
Werther, Julius von 372 Weyer, Heinrich 341 Wichert, Ernst 373 Widmann, Joseph Viktor 96 Wildenbruch, Ernst von 362 f. Wilhelm I., dt. Kaiser 24, 27, 35, 53–56, 61–63, 69, 73 f., 77 f., 190, 193, 439 Wilhelm I., niederl. König 51 Wilhelm II., dt. Kaiser 35–38, 62 f., 78 f., 115, 117–122, 124–126, 130, 180, 240, 271, 439, 441, 500 f., 505 Wilhelm II., Landgraf und Kurfürst von Hessen-Kassel 21 Wilhelm II. niederl. König 53 Wilhelm IV., engl. König 20, 49–51 Wilhelm Ernst, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 11, 38, 290, 507 Wilhelmina, niederl. Königin 128 Wilhelm Ludwig, Graf zu SaynWittgenstein-Hohenstein 49 Wilken, Heinrich 362, 364, 366 Winds, Adolf 349 Winter 342
Winter-Kleyn, Marie 363 Wintzingerode-Knorr, Levin von 165 Winzer, Marie 364 Winzer, Otto 361–363 Wiser, Maximilian Graf von 368 Wittenberg, Heinrich 478 Woldeck, Charlotte von 51 Woldemar, Fürst zur Lippe 125 Wolf, Ignaz 349 Wolff, Hermann 419 Wolff, Ludwig 328 f. Wolff, Pius Alexander 336, 363, 365 Wüllner, Ludwig 99 Zeitz, Karl 499 Zeuner 76 Ziegler, Friedrich Wilhelm 337 Ziehen, Theodor 229 Ziller, Rudolf Freiherr von 37, 117, 128, 229, 505 Ziller, Tuiskon 138 Zimmermann 346 Zumbusch, Caspar Clemens von 454, 490, 504
Verzeichnis der Autoren Alfred ERCK, Prof. Dr. Hochschullehrer a. D., Meiningen Bernd ERNSTING, Dr. LETTER Stiftung Köln Christine FREYTAG, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildung und Kultur der Friedrich-Schiller-Universität Jena Christoph GANN Richter am Landgericht Meiningen und Sachbuchautor Stefan GERBER, PD Dr. Forschungstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens an der FriedrichSchiller-Universität Jena Maren GOLTZ, Dr. Kustodin der Sammlung Musikgeschichte der Meininger Museen/Max-RegerArchiv Werner GREILING, Prof. Dr. Professor für Geschichte der Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Hans-Werner HAHN, Prof. Dr. Professor em. für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Friedrich-SchillerUniversität Jena Hans-Joachim HINRICHSEN, Prof. Dr. Professor am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich Martina LÜDTKE, Dr. Realschullehrerin, Bremen Florian G. MILDENBERGER, Prof. Dr. Professor am Lehrstuhl Sprachgebrauch und therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder
AUTORENVERZEICHNIS
549
Magret Dorothea MINKELS Autorin und Realschullehrerin (in Pension), Berlin Johannes MÖTSCH, Dr. Archivdirektor a. D., Meiningen Gerhard MÜLLER, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Akademienprojekt „Ernst Haeckel (1834– 1919): Briefedition“ am Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena Herta MÜLLER, Dipl. phil. Musikwissenschaftlerin. Bis zur Pensionierung langjährige Leiterin der Abt. Musikgeschichte/Max Reger-Archiv in den Meininger Museen Ingrid REIßLAND, Dipl. phil. Kunsthistorikerin, langjährig und bis zur Pensionierung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Meininger Museen tätig Uwe SCHIRMER, Prof. Dr. Professor für Thüringische Landesgeschichte an der Friedrich-Schiller- Universität Jena Hannelore SCHNEIDER, Dr. Leiterin des Landeskirchenarchivs Eisenach Christian STORCH, Dr. Forschungsstipendiat der DFG im Projekt „Die Musikpraxis der deutschen Einwanderer in Santa Catarina, Brasilien, ca. 1850 bis ca. 1900“ an der Universidade do Estado de Santa Catarina, Departamento de Música, Florianópolis Petra STUBER, Prof. Dr. Professorin für Theaterdramaturgie und Theatergeschichte an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig Claudia TASZUS, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Akademienprojekt „Ernst Haeckel (1834– 1919): Briefedition“ am Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena
550
AUTORENVERZEICHNIS
Wolfgang TÜRK, Dr. Pressesprecher und Dramaturg (Schauspiel) am Theater Münster und Lehrbeauftragter am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Paul S. ULRICH Bibliothekar a. D. der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Vorsitzender der Gesellschaft für Theatergeschichte Katharina WITTER Abteilungsleiterin am Thüringischen Staatsarchiv Meiningen
VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. KLEINE REIHE HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING EINE AUSWAHL
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