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German Pages 235 [236] Year 2019
Schriften zum Steuerrecht Band 141
Herausforderungen bei Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Industrie- und Schwellenstaaten Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit am Beispiel des DBA-Vietnam
Von
Dinh V. T. Phan
Duncker & Humblot · Berlin
DINH V. T. PHAN
Herausforderungen bei Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Industrie- und Schwellenstaaten
S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 141
Herausforderungen bei Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Industrie- und Schwellenstaaten Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit am Beispiel des DBA-Vietnam
Von
Dinh V. T. Phan
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-15689-4 (Print) ISBN 978-3-428-55689-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85689-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde am 18. Januar 2018 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 21. November 2018 statt. Während meines Promotionsvorhabens haben mich viele Menschen begleitet. Sie haben maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ihnen möchte ich auf diesem Wege danken. Mein besonderer Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Markus Heintzen. Ohne seine wertvollen, inspirierenden und konstruktiven Hinweise während der gesamten Zeit der Entstehung dieser Arbeit hätte das Promotionsvorhaben nicht in dieser Form abgeschlossen werden können. Die umfassende, herausfordernde und weitsichtige Betreuung sowie seine unermüdliche und vertrauensvolle Unterstützung haben mich zudem ermutigt, das Forschungsvorhaben teilweise an verschiedenen Orten der Welt zu realisieren. Ihm verdanke ich auch mein Interesse für das Steuerrecht. Während meines Studiums verstand er es, Freude und Begeisterung für diese Materie zu wecken. Für all dies bin ich ihm sehr verbunden. Zu danken habe ich ebenso Frau Prof. Dr. Heike Krieger für die Übernahme des Zweitgutachtens und Herrn Prof. Dr. Nguyen Nhu Phat vom Institut für Staat und Recht, Hanoi Vietnam, für die Erstellung des Drittgutachtens. Die Möglichkeit eines solchen Auslandsaufenthalts hat mich mit vielen Menschen zusammengebracht, deren kritische Fragen und deren Gespräche mit ihnen neue Perspektiven eröffnet haben. Grundprämissen und erste gedankliche Grundrisse, auf denen die Überlegungen in dieser Dissertation aufbauen, konnten u. a. an der Melbourne Law School (MLS), Australien, im Rahmen des absolvierten Masterstudiengangs „International Tax“ zur Diskussion gestellt werden. Darüber hinaus ermöglichte die Wahlstation bei Baker & McKenzie Ltd. in HCMC, Vietnam, einen tieferen Einblick in die lokalen Eigenheiten der internationalen Steuerrechtspraxis in Vietnam. Besonders bedanken möchte ich mich bei den damaligen Gastprofessoren der MLS, Herrn Prof. Dr. Pasquale Pistone vom Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht und bei Herrn Prof. Dr. Dr. Pierre Legrand der Université Paris I Pantheon-Sorbonne, deren beider Ansichten über die Rechtsvereinheitlichung nicht gegensätzlicher sein könnten. Dank schulde ich darüber hinaus Herrn Rechtsanwalt Thanh Vinh Nguyen, Partner bei Baker & McKenzie Ltd. in HCMC, Herrn Prof. Vo Tri Hao, von der University of Economics HCM City, und Herrn Prof. Dr. Nguyen Nhu Phat vom Institut für Staat und Recht, Hanoi. Mein Dank in freundschaftlicher Verbundenheit richtet sich zudem an meinen damaligen Kollegen,
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Vorwort
Herrn Rechtsanwalt und Notar Hakki Celik, der mir die zeitlichen Freiräume ermöglicht hat, um diese Arbeit neben dem Beruf fertigstellen zu können. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Ehefrau, Le Phuong Thuy Doan, LLM Tax Law Candidate (London), für die kritischen Anmerkungen und hilfreichen Hinweise zu den hier übersetzten und analysierten vietnamesischen Steuerrechtstexten. Mein Dank gilt zudem meiner Schwester, Dr. med. Dinh Dong Nghi Phan, und meinem Schwager, Dr.-Ing. Phan Lam Huynh, die weite Teile der Arbeit Korrektur gelesen haben. Schließlich danke ich ganz besonders meinen Eltern für die Unterstützung und Motivation. Die Arbeit widme ich meinem Sohn, Julien Phan. Mai 2019
Dinh V. T. Phan
Inhaltsverzeichnis Thematische Einführung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Teil 1 Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Wirtschaftliche Bedeutung Vietnams für die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . 30 1. Handelsvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Investitionsvolumen und China+1-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4. Handelsbeziehungen und Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung in Vietnam im Fall ausländischer Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Steuersystem Vietnams und ausländische Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Investitionsformen in Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Steuerliche Konsequenzen ausländischer Investitionen in Vietnam . . . . . . . . . 37 aa) Einführung in das vietnamesische Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 (1) Historische Stationen des vietnamesischen Steuerrechts . . . . . . . . . . . 38 (a) Entwicklung bis 1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (b) Entwicklung von 1954 bis 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (c) Entwicklung von 1975 bis 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (c) Entwicklung seit 1986 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (d) Entwicklung des Einkommensteuerrechts seit der französischen Kolonialzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (2) Verfassungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (a) Steuergesetzgebung: sozialistische Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . 49 (b) Auslegung und fehlende Gewaltenteilungsstrukturen . . . . . . . . . . 51 (c) Dezentralisierte Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (d) Rechtsweg bei Steuerstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (e) Grundrechtliche Implikationen für das Steuerrecht . . . . . . . . . . . . 54
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Inhaltsverzeichnis (f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (3) Steuersätze und Struktur des vietnamesischen Steuersystems . . . . . . . 55 (a) Einkommensteuersätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (b) Unternehmen- und Körperschaftsteuersätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (c) Struktur des vietnamesischen Steuersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (aa) Struktur des Steueraufkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (bb) Marktwirtschaftsgerechtes Steuersystem . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (cc) Sozialabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (5) Überblick über das vietnamesische Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 60 (a) Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (aa) Einkommensteuerpflicht und steuerbare Einnahmen . . . . . . . 61 (bb) Steuerfreie Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (cc) Abziehbare private Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (dd) Nichtansässige Steuerpflichtige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (b) Unternehmensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (aa) Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (bb) Besteuerungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (cc) Verdeckte Gewinnausschüttung und Verrechnungspreisvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (dd) Anrechnungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (ee) Nichtansässige Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (ff) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (6) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (a) Steuerpflichtige und Steuergegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (b) Investitionsfördernde Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (c) Umsatzsteuerbefreite Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (d) Umsatzsteuererhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Einführung in das Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland – Vietnam 70 (1) Von der Verhandlung bis hin zum Inkrafttreten des DBA Vietnam . . . 71 (2) Anwendung des Abkommens im nationalen Recht der Vertragsstaaten 72 (3) Erforderliches Umsetzungsgesetz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (4) Direkte und indirekte Anwendung im vietnamesischen Recht . . . . . . 73 (5) Besonderheiten des DBA Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (a) Abweichungen vom OECD-Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (b) DBA-Protokoll: Lösung von Qualifikationskonflikten . . . . . . . . . 74 (c) Einführung in die für vietnamesische DBA-Fälle maßgeblichen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Inhaltsverzeichnis
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(d) OECD- und UN-Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (aa) OECD-Musterabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (bb) UN-Musterabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (cc) Bedeutung der Kommentare aus deutscher Sicht . . . . . . . . . . 77 (dd) Bedeutung der Kommentare aus vietnamesischer Sicht . . . . 78 (e) Präjudizierende Verwaltungsbriefe (công va˘ n) . . . . . . . . . . . . . . . 81 (f) Vietnamesisches Verwaltungsrundschreiben 205/2013/TT-BTC 24. 12. 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (g) Nationale Missbrauchsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (6) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Anwendungsfall einer typischen multinationalen Investitionsstruktur . . . . . . . . 84 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Ertragsbesteuerung des unternehmerischen Gewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Besteuerung der vietnamesischen VN-LLC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Besteuerung der deutschen M-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Umsatzsteuerliche Behandlung in Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Ausschüttung der Gewinne an die deutsche M-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 e) Exit-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 f) Fallvarianten: Einsatz von Gesellschaften in Hongkong und auf den British Virgin Islands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Gestaltung über eine BVI-Gesellschaft als „Company limited by Shares“ 92 bb) Gestaltung über eine Hongkong-Company limited by shares . . . . . . . . . . 93 g) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Herausforderungen bei der Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Herausforderungen bei der Auswahl von Finanzbeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Herausforderung bei der Korruptionsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Einnahmeperformanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Rückgriff auf Erkenntnisse des IMF und der Weltbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Einnahmeperformanz der vietnamesischen Steuerbehörde . . . . . . . . . . . . . . . 107 5. Schlussfolgerung für die Leistungsfähigkeit der Steuerbehörde . . . . . . . . . . . . . . 109 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Teil 2 Fallanalyse So´ˆ 1620/TCT-HTQT („Song Bung 2 Hydro Power Project“) vom 16. 05. 2012 112 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
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Inhaltsverzeichnis II. Sachverhalt und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
III. Konsequenz der VN-Entscheidung am Beispiel Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Besteuerung nach innerstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Besteuerung aus Sicht Vietnams als Quellenstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Besteuerung aus Sicht Deutschlands als Ansässigkeitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Besteuerung aus Sicht Japans als Betriebsstättenstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Probleme der abkommensrechtlichen Vermeidung der Mehrfachbesteuerung . . . 119 a) Unter Berücksichtigung der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung 119 aa) DBA Vietnam-Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) DBA Deutschland-Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) DBA Vietnam-Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Ohne Berücksichtigung der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung
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aa) DBA Vietnam-Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) DBA Deutschland-Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 cc) DBA Deutschland-Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 dd) DBA Vietnam-Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Angewandte Prinzipien der Abkommensauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Spannungsverhältnis von Staatssouveränität und „pacta sunt servanda“ . . . . . 126 b) Auslegung nach wirtschaftspolitischen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Herleitung der Ausgangsprämissen der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Innerstaatliches Verständnis der Abkommensberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Abkommensberechtigung nach vietnamesischem DBA-Anwendungserlass 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 V. Widerspruch der vietnamesischen Auffassung zur OECD-Dogmatik . . . . . . . . . . . . 136 1. Betriebsstätte als Nutzungsberechtigter: Abweichung von der OECD-Auffassung 137 2. Nutzungsberechtigungsfähigkeit von Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Zwischenergebnis und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 VI. Wirtschaftspolitische Interessen Vietnams als rationale Begründung . . . . . . . . . . . . 144 1. Einleitung: Interessenslage bilateraler Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. DBA und wirtschaftspolitische Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Reziprozität und Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Vietnams Reziprozitätsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Vietnams Reziprozitätsinteressen und Dreieckssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . 147
Inhaltsverzeichnis
11
VII. Auffassungen zur Abkommensberechtigung von Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Vergleichbarkeit mit selbstständigen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Vergleichbarkeit im Lichte der Bilateralitäts- beziehungsweise Binnenmarktlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Bilaterale Ungleichbehandlung von Betriebsstätte und selbstständigen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Lastenverteilungsgerechte Gleichbehandlung von Betriebsstätte und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Schlussfolgerungen für Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 VIII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Teil 3 Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit
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I. Abkommensrechtliche Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses . . . 161 1. Nachteilsidentifizierung: Vietnam als Ansässigkeitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Nachteilsidentifizierung: Vietnam als Betriebsstättenstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Technische Korrektur an den Anknüpfungspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Ableitung eines an der staatlichen Leistungsfähigkeit orientierten Prinzips . . . . . . 173 1. Die Herausbildung der Charakteristika eines Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Die staatliche Leistungsfähigkeit in Form der Leistungsfähigkeit, Steuern zu erheben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Herausforderung bei der Generierung von Staatseinnahmen . . . . . . . . . . . 175 bb) Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Finanzielle Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 dd) Herausforderungen der Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Merkmale der Leistungsfähigkeit der Steuererhebung nach von Soests Modell 178 aa) Sammeln und verarbeiten von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Leistungsorientierung der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Verantwortlichkeit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 dd) Einnahmeperformanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Normative Verzahnung staatlicher Leistungsfähigkeit und wirtschaftlicher Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Georg von Schanz und das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit 182
12
Inhaltsverzeichnis bb) Völkerbund und das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit . . . . . . . 183 cc) Begriffliche Variationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 dd) Schlussfolgerung für den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Konnexität zwischen staatlicher Leistungsfähigkeit und wirtschaftlicher Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Gleichmäßige Besteuerung versus defizitäre Steuerverwaltung . . . . . . . . 191 bb) Technische Umsetzung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit
193
(1) Beispiel einer bereits erfolgreichen Implementierung in ein Prinzipiengerüst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) Technische Umsetzung anhand des ausgeführten Beispiels . . . . . . . . 193 (a) Subjektiver Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (aa) Korrekturbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (bb) Korrekturwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (b) Objektiver Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (c) Rechtstechnische Korrekturprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Herleitung des Prüfungsschemas zum subjektiven Anwendungsbereich . . . . . . . 196 4. Herleitung des Prüfungsschemas zum objektiven Anwendungsbereich . . . . . . . . 197 5. Herleitung des Prüfungsschemas zur rechtstechnischen Korrekturprüfung . . . . . 198 6. Abgrenzung zu Herbert Dorns Prinzip der staatswirtschaftlichen Zugehörigkeit 199 7. Abgrenzung zum Ansatz des UN-Musterabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Teil 4 Schlussüberlegungen
203
I. Schlussfolgerungen für den „Song Bung 2“-Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Eröffnung des subjektiven Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Korrekturbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Korrekturwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Eröffnung des objektiven Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Verletzung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Intensität der wirtschaftlichen Verflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Bilateral nicht sinnvoll erklärbare Abweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Erforderlichkeit der Lösung zur Nachteilsabwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Rechtstechnische Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II. Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit – ein Widerspruch zur Globaläquivalenz? 211
Inhaltsverzeichnis
13
III. Die staatliche Leistungsfähigkeit als übergeordnetes Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . 215 IV. Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit als Fortbildung des Abkommensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Deutschsprachige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Englischsprachige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Französischsprachige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Vietnamesischsprachige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abbildungen Abb. 1: Skizze zur Mehrfachbesteuerung im Dreieckssachverhalt mit Betriebsstätten
S. 26
Abb. 2: Sachverhaltsskizze – Multinationale Investitionsstruktur – Deutschland/ Vietnam/Thailand
S. 85
Abb. 3: Abwandlung mit möglicher Gestaltung über Offshore-Staaten
S. 87
Abb. 4: Abkommensproblematik bei Dreieckssachverhalten mit Betriebsstätten
S. 113
Abb. 5: Vereinfachte Sachverhaltsdarstellung des „Song Bung 2 Hydro Power“-Falls
S. 115
Tabellen Tab. 1: Wachstumsraten China+1 Strategie
S. 32
Tabelle entnommen aus: Dacy, Douglas C., Foreign aid, war, and economic development – South Vietnam, 1955 – 1975, Cambridge 1986, S. 215.
S. 42
Tab. 2: Einkommensteuersätze Vietnam
S. 56
Tab. 3: Definitivbesteuerung bei unregelmäßigen Einkünften
S. 56
Tab. 4: Steuereinnahmen Vietnam 2013 vom BIP
S. 58
Tab. 5: Steuereinnahmen Deutschland 2014 vom BIP
S. 58
Tab. 6: Indexwerte zu Tax Capability und Tax Effort für Vietnam und Deutschland von 1994 – 2009
S. 108
Thematische Einführung und Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, wie das Steueraufkommen zwischen Industriestaaten und Entwicklungs- oder Schwellenstaaten abkommensrechtlich angemessen aufgeteilt werden könnte.1 Als Antwort soll ein Prinzip entworfen werden, das die für Entwicklungsstaaten geltenden Besonderheiten abkommensrechtlich berücksichtigt. Zu Fragen der Angemessenheit der grenzüberschreitenden Steueraufteilung kommt es generell, wenn ein Unternehmen sowohl im Inland als auch im Ausland Gewinne generiert. Der Ansässigkeitsstaat des Unternehmens, das heißt der Staat, in dem das Unternehmen seinen Sitz oder seine Geschäftsleitung hat, unterwirft nicht nur die von seinem Territorium umgrenzten Einkunftsquellen, sondern gemäß dem Welteinkommensprinzip auch die ausländischen Einkünfte der Besteuerung. Der ausländische Staat hingegen, in dem die ausländischen Gewinne erzielt werden (Quellenstaat), wird wegen der Berührungspunkte mit seinem Hoheitsgebiet sein Besteuerungsrecht an den aus seiner Sicht inländischen Einkünften ebenfalls geltend machen wollen (Territorialitätsprinzip). Hierbei kommt es zu juristischen oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerungen. Juristische Doppelbesteuerungen entstehen, wenn in zwei (oder mehreren Staaten) für denselben Steuergegenstand im selben Zeitraum von demselben Steuerpflichtigen vergleichbare Steuern erhoben werden,2 während eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung vorliegt, wenn derselbe steuerliche Vorgang in zwei oder mehreren Staaten der Besteuerung unterliegt, jedoch bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen. Im Kontext des Doppelbesteuerungsabkommens treten wirtschaftliche Doppelbesteuerungen in der Regel bei Zurechnungskonflikten auf, wie sie beispielsweise bei Personengesellschaften zu finden sind. Die Einkünfte können grundsätzlich entweder nur den Gesellschaftern oder der Personengesellschaft zugeordnet werden. Ersteres ist der Fall, wenn die Personengesellschaft steuerlich als transparent behandelt wird. Letzteres liegt vor, wenn die Personengesellschaft als intransparent behandelt und somit die Personengesellschaft zum Steuersubjekt gemacht wird. Zu einem Zurechnungskonflikt kommt es dann, wenn der eine Vertragsstaat die Personengesellschaft als transparent, der andere Staat sie 1
Der Begriff „Entwicklungsstaat“ ist umstritten und wurde daher auch von seinem Urheber, der Weltbank, kürzlich aufgegeben. Die Weltbank spricht nun von entwickelten und weniger entwickelten Staaten. Siehe hierzu: World Bank, World Development Indicators 2016, Vorwort; zur Vereinfachung und im Hinblick auf die mit ihm verbundenen über Jahrzehnte geführten Diskussionen wird in dieser Arbeit an dem Begriff Entwickungsstaat festgehalten. 2 Vogel, Klaus, Internationales Steuerrecht, DStZ 1997, S. 269, S. 276.
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Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
jedoch als intransparent behandelt. Dadurch wird das Steuersubstrat verschiedenen Steuersubjekten zugerechnet und jeweils besteuert. Vermieden werden wirtschaftliche Doppelbesteuerungen unter anderem durch Vereinbarungen über die Bedeutung eines auslegungsbedürftigen Begriffs oder im Rahmen eines Verständigungsverfahrens zwischen den Staaten. Diese Vereinbarungen sind in der Regel in den Protokollen niedergelegt, die den völkerrechtlich verbindlichen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) beigefügt sind. Diese Abkommen haben allerdings vorrangig den Zweck, die (juristischen) Doppelbesteuerungen zu vermeiden, die aus der Kollision nationaler Steuerhoheiten resultieren. In diesen völkerrechtlichen Verträgen wird reziprok vereinbart, welcher der beiden Staaten in welchen Fällen auf welche Weise auf sein Besteuerungsrecht ganz oder teilweise verzichten soll. Aus staatlicher Sicht ist für die Vermeidung internationaler Doppelbesteuerungen (juristischer Art) der anzuwendende Maßstab entscheidend. Nach diesem richtet sich, ob und auf welche Weise der Wohnsitzstaat oder der Quellenstaat auf die Ausübung seiner Steuerhoheit zu verzichten hat.3 Als Ausgangspunkt der Maßstabsbildung wurde der aus dem internationalen Recht stammende sogenannte „genuine link“ herangezogen.4 Danach soll die Verwurzelung des Steuerpflichtigen und Steuersubstrats in dem jeweiligen Staat entscheidend sein.5 Der maßgebliche Grad der Verwurzelung wurde mit Gerechtigkeits- und Effizienzkriterien seither in vielen Varianten zu bestimmen versucht.6 Durchgesetzt hat sich die sitzstaatsdominierte Besteuerung, wonach vereinfacht dargestellt der Staat vorrangig besteuert, in dem sich der Steuerpflichtige tatsächlich langfristig aufhält und sich mithin wirtschaftlich entfaltet. Diese den Sitzstaat präferierende abkommensrechtliche Aufteilungsentscheidung findet ihre Begründung in dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit.7 Dieses Prinzip fasst die Kombinationswirkung von Vorteils- und Leistungsfähigkeitsprinzip zusammen. Nach dem Vorteilsprinzip sollen die vom Staat zur Verfügung gestellten Vorteile eine wirtschaftliche Verpflichtung zur Beitragsleistung begründen. Die Beitragsleistung soll aber der Höhe nach unabhängig von den in Anspruch genommenen Vorteilen sein. Sie soll sich entsprechend dem Prinzip der 3 Siehe zu dieser Frage bereits Vogel, Klaus, Theorie und Praxis im Internationalen Steuerrecht, DStR 1968, S. 427 ff. 4 Vogel, Klaus, Klaus Vogel On Double Taxation, 3. Aufl., 1997, Introduction, S. 7; siehe auch Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungs-abkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 11 m.w.N. 5 Siehe hierzu auch Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 11; für die Besteuerung werden vom Bundesverfassungsgericht Anknüpfungspunkte gefordert (BVerfG, Beschluss vom 22. 03. 1983 – 2 BvR 475/78, NJW 1983, S. 2757, 2761), die sich mit den Voraussetzungen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht beschreiben lassen. 6 Siehe im Einzelnen: Daurer, Veronika, Tax Treaties and Developing Countries, Diss., 2014, S. 21 f. 7 Siehe ausführlich zum Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit in Teil 3 2. II. a).
Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
17
wirtschaftlichen Zugehörigkeit nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen richten – wie es bei innerstaatlichen Besteuerungsfällen der Fall ist. Die Leistungsfähigkeit spiegelt den Grad der tatsächlich entfalteten einkünftegenerierenden Tätigkeit wider. Dort, wo die vom Staat gewährten wirtschaftlich relevanten Vorteile für die wirtschaftlichen Interessen des Einzelnen am größten sind, wird sich das wirtschaftliche Interesse auch am stärksten entfalten. Dieses der internationalen Steuerrechtsordnung zugrunde liegende Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit (economic allegiance), das seit jüngstem als Globaläquivalenzprinzip bezeichnet wird,8 weist also regelmäßig das Steuersubstrat den kapitalexportierenden Staaten, das heißt dem Ansässigkeitsstaat, zu.9 Das hat jedoch zur Folge, dass überwiegend kapitalimportierende Quellenstaaten nicht in den Genuss eines entsprechenden Steuerverzichts des anderen Vertragsstaates kommen.10 Anders also als bei Abkommen zwischen Staaten, die im Gleichgewicht Kapital sowohl importieren als auch exportieren, das heißt gleichmäßig sowohl als Ansässigkeits- als auch als Quellenstaat auftreten, müssen die vorwiegend kapitalimportierenden Entwicklungsstaaten einen abkommensrechtlichen Steuerverzicht wegen der reziproken Mechanik des Abkommensrechts hinnehmen.11 Der Steuerverzicht des Quellenstaates kann lediglich im Fall eines symmetrischen Investitionsflusses zwischen den Abkommensstaaten ausgleichend funktionieren, in Fällen also, in denen sowohl Kapitalimport als auch -export im Gleichgewicht sind.12 Erstmals trat der aus diesem asymmetrischen Steuerverzicht resultierende Interessenskonflikt zwischen Industrie- und Entwicklungsstaaten in den 1940er-Jahren bei der Konferenz zum Mexiko-Musterabkommen offen zutage.13 Darin wurde zu8
Siehe zur globaläquivalenten Rechtfertigung ausführlich Teil 3 II. 2. a) cc) und Teil 4 II. So hat das Finanzkomitee der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in ihrem Bericht von 1965 festgestellt: „[…] the essential fact remains that tax conventions which capital-exporting countries have found to be of value to improve trade and investment among themselves […].“ Organisation for Economic Co-operation and Development, Fiscal Incentives for Private Investment in Developing Countries: Report of the OECD Fiscal Committee (Paris, 1965), para. 164; auch zitiert in der Einleitung in der Kommentierung der UN Model Double Taxation Convention between Developed and Developing Countries 2001, S. vii. 10 Siehe Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss. 2014, S. 488 am Beispiel der im Vergleich zu den entwickelten Ländern niedrigeren abkommensrechtlichen Quellensteuerhöchstsätze der Entwicklungsländer. 11 Siehe Jacobs, Otto H./Endres, Dieter/Spengel, Christoph et al. (Hrsg.), Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., 2016, S. 75. 12 Im Wesen ähnlich, jedoch anstatt lediglich auf die reziproke Mechanik abstellend, wird vom Welteinkommensprinzip ausgegangen: Paolini/Pistone/Pulina/Zagler, Tax Treaties with developing countries and the allocation of taxing rights, European Journal of Law and Economics, 2014, Nr. 39, S. 1. 13 Für weitere Nachweise: Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/ Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 33. 9
18
Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
nächst zugunsten der fast ausschließlich kapitalimportierenden Staaten eine weitreichende Quellenbesteuerung zugestanden. Einige Jahre später wurden diese Klauseln in der anschließenden Konferenz zum London-Musterabkommen wieder gestrichen. Kompromisse von Seiten der Industriestaaten wurden kategorisch abgelehnt.14 Das gleiche Schicksal teilte bis auf zwei Ausnahmen (Argentinien-Chile und Argentinien-Bolivien) das Anden-Musterabkommen15 von 1971.16 Gehör haben Schwellenstaaten in der internationalen Steuergemeinschaft erst mit dem UNMusterabkommen von 1980 (zuletzt geändert 2017) gefunden, das zugunsten der Schwellenstaaten die Quellenbesteuerung betont.17 Es sieht beispielsweise einen breiteren Betriebsstättenbegriff und höhere Quellensteuersätze vor.18 Bisher blieb es jedoch dabei, dass nur relevante Volkswirtschaften etwaige Forderungen nach einem breiteren Anwendungsbereich ihrer Quellenbesteuerungsrechte, insbesondere in Bezug auf die Höhe der Quellensteuer,19 in den Verhandlungen stellen konnten.20 In der Regel werden sich schwächere Volkswirtschaften 14
Kommentar zum UN-Model Tax Treaty 2001 S. xvii. Abgedruckt in UN Model Tax Treaty Manual S. 192. Fünf Mitgliedstaaten (Bolivien, Chile, Kolumbien, Peru und Venezuela) des Cartenga-Abkommens unterschrieben zusammen mit einem multilateralen Steuerabkommen auch das besagte Anden-Musterabkommen, das bei Vertragsverhandlungen mit einem Industriestaat Anwendung finden sollte. 16 Siehe Baistrocchi, Eduardo, The Use and Interpretation of Tax Treaties in the Emerging World: Theory and Implications, British Tax Review, 2008, S. 372 in Fn. 103: Ronald E. Evans, Régimen Jurídico de la Doble Tributación Internaticional, McGraw Hill, Colombia, 1999, S. 170. 17 Siehe ausführlich zum UN-Musterabkommen Teil 3 II. 7. 18 Ferner ist auf die damaligen im Zuge der deutschen DBA-Politik erfolgten Wirtschaftshilfen für Entwicklungsländer hinzuweisen. So wurden Steuervergünstigungen der Entwicklungsstaaten zur Ankurbelung ausländischer Direktinvestitionen durch das Abkommensrecht in der Weise sichergestellt, dass diese steuerlichen Vorteile nicht durch eine deutsche Besteuerung wieder verloren gingen (tax sparing-clause). Siehe dazu Weber-Fas, Rudolf, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 1982, S. 15. 19 Chisik und Davies argumentieren, dass der Steuerverzicht des Entwicklungsstaates an anderer Stelle durch höhere Quellensteuer teilweise ausgeglichen werde, Asymmetric FDI and tax-treaty bargaining: theory and evidence, Journal of Public Economics 2004, S. 1119. 20 Baistrocchi, Eduardo, The Use and Interpretation of Tax Treaties in the Emerging World: Theory and Implications, British Tax Review 2008, S. 378. Diese Korrelation hat Baistrocchi anhand eines Vergleichsbeispiels zwischen der wirtschaftlich starken Stellung Brasiliens und der eher schwächeren kasachischen Volkswirtschaft dargestellt. Gleiches hat er für Argentinien festgestellt; ein weiteres Beispiel ist bei Miranda Stewart zu finden, in: Stewart, Miranda, Global Trajectories of Tax Reform: The Discourse of Tax Reform in Developing and Transition Countries, Harvard International Law Journal, 2003, S. 168; sie nimmt eine Korrelation zwischen dem bevorstehenden NAFTA-Beitritt Mexikos und dem für Mexiko gegenüber den USA günstig abgeschlossenen DBA von 1992 an und bezieht sich auf einen von dem damaligen amerikanischen Verhandlungsführer Philip D. Morrison geschriebenen Artikel, veröffentlicht im US-MEX Law Journal 1993, S. 211 unter dem Titel „The U. S.-Mexico Tax Treaty: Its Relation to NAFTA and its Status“; allerdings soll hier auch angemerkt werden, dass diese Beobachtungen nicht auf die im Annex des UN Model Manual zu findende Forschungsarbeit von Wijen und Dott, Magenta Bezug nehmen. In dieser wurden die zwischen 1980 bis 1997 15
Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
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dem Wunsch der Industriestaaten beugen und sich entsprechend nach dem für sie ungünstigeren OECD-Musterabkommen richten, damit sie im Wettbewerb um ausländische Investitionen bestehen können. Die Ausgangslage einer Verhandlung über den Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens erschöpft sich nicht nur in dem Abbau steuerlicher Hemmnisse und der Schaffung eines freundlichen Investitionsklimas.21 Die Verhandlungen werden auch von der Symbolwirkung getragen, die von einem DBA-Abschluss ausstrahlt: Die Abkommensunterzeichnung markiert die offizielle Aufnahme in die internationale Handelsgemeinschaft.22 Diese hat die Wirkung, dass insbesondere die Staaten, die untereinander im Wettbewerb um ausländische Investitionen stehen, in Zugzwang geraten und deshalb, um einen erfolgreichen Abschluss herbeizuführen, regelmäßig einen Steuerverlust hinnehmen.23 Zudem lassen sie sich dazu drängen, internationale Standards weitestgehend zu übernehmen, was schließlich auch den Abschluss eines stark am OECD-Musterabkommen angelehnten Abkommens miteinschließt.24 Dieser Konflikt und der sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend rasant entwickelnde Kapital-, Waren- und Personenverkehr zwischen Industriestaaten und Entwicklungs- oder Schwellenstaaten gibt Anlass, das aktuelle, in der Gestalt von Doppelbesteuerungsabkommen erscheinende internationale Steuerrecht25 zumindest geschlossenen Abkommen danach untersucht, wie viele von den UN-Klauseln tatsächlich übernommen worden sind, siehe mehr dazu, Annex No. 6 – UN Model Tax Treaty Manual 2003, S. 231, auch abgedruckt in Bulletin for International Taxation 1997, S. 574 unter dem Titel „The UN Model in Practice“. 21 Einleitung zur UN Model Double Taxation Convention 2001, S. vi. 22 Auf internationale Abkommen im Allgemeinen und im Besonderen auf bilaterale Investitionsschutzabkommen bezogen: UNCTAD World Investment Report 2003, S. 145; von diesem Report auf DBA abgeleitet: Neumayer, Eric, Do Double Taxation Treaties Increase Foreign Direct Investment to Developing Countries?, Journal of Development Studies, 2009 S. 1503. Mit sarkastischem Unterton: Dagan, Tsilly, The Tax Treaty Myth, Journal of International Law and Politics, Vol. 32, 2000, S. 939, 988: „Indeed, the […] international[…] recognition the treaty regime provide may prove much more important for developing countries than for developed countries, the main benefits increased level of legitimacy on international level and, at times a more about robust foreign policy.“ 23 Näheres dazu vor einem spieltheoretischen Hintergrund: Baistrocchi, Eduardo, The Use and Interpretation of Tax Treaties in the Emerging World: Theory and Implications, British Tax Review 2008, S. 377 f. 24 Siehe Pistone, Pasquale, Tax Treaties with Developing Countries: A Plea for New Allocation Rules and a Combined Legal and Economic Approach, in: M. Lang et al. (Hrsg.), Tax Treaties: Building Bridges between Law and Economics, 2010, S. 413; Surrey, Stanley, International Tax Conventions: How they Operate, What They Accomplish, Journal Of Taxation 1965, S. 366; Dagan, Tsilly, The Tax Treaty Myth, Journal of International Law and Politics, Vol. 32, 2000, S. 939, 988. 25 Der Begriff internationales Steuerrecht wird auch als Gesamtheit der Rechtsvorschriften eines Staates, die die Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte regeln, definiert: Frotscher, Gerrit, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 10, Rn. 27; ders., der an anderer Stelle jedoch auf die Dominanz des Abkommensrechts hinweist: S. 19, Rn. 54. Zur Begriffsvielfalt siehe Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 2 bzw. Rn. 1.4. Für ein das Abkommensrecht betonendes Verständnis: Reimer, Ekkehart/Rust,
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Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
infrage zu stellen. Für ein neues Nachdenken über das internationale Steuerrecht reicht eine rein dogmatisch-normative Betrachtungsweise nicht aus.26 Sie würde die einem Abkommen innewohnenden „pluralen Werthaltungen und Realinteressen“27 ausblenden. Eine rein normative Untersuchung kann auch nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden, dass die Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen keine „politischen Staatsverträge“28 seien. Der abkommensrechtliche Ausgleich konfligierender Steuerhoheiten erfolgt letztlich „im Schnittpunkt der Kollision von vitalen Interessen der beteiligten Einzelwirtschaften, Volkswirtschaften und Staatswirtschaften“.29 Die immer wieder auftretende Vernachlässigung außen-, wirtschafts-, rechts- und finanzpolitischer Dimensionen lässt sich damit erklären, dass der Begriff „internationales Steuerrecht“ regelmäßig als rechtsdogmatischer Ordnungsbegriff30 verwendet wird. Indem er als solcher das internationale Steuerrecht als Zusammenfassung derjenigen Normen charakterisiert, die als Regelungsgegenstand grenzüberschreitende Sachverhalte haben, wird das eigentliche Problem dieser Sachverhalte auf ein „Lastenverteilungsproblem“ reduziert, das eher Thema des innerstaatlichen Steuerrechts ist. Die eigentliche Problematik grenzüberschreitender Steuerrechtssachverhalte ist jedoch der Konflikt zweier oder mehrerer Steuerhoheiten. Erst dieser Konflikt der oben genannten kollidierenden Interessen der beteiligten Staaten hat das Instrument des Doppelbesteuerungsabkommens hervorgebracht und ist Ausgangspunkt jeder Problem- und Lösungsartikulation. Insoweit ist dem Vorwort zur vierten Auflage des Kommentars Klaus Vogel on Double Taxation zuzustimmen, worin Doppelbesteuerungsabkommen als das
Alexander (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2014, Vorwort: „The law of international taxation is full of shifts, mutations and surprises. It would lack reliability and legal certainty without its traditional backbone – Double Taxation Convention.“ 26 Weber-Fas, Rudolf, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 1982, S. 56. 27 Ebenda. 28 Siehe hierzu auch Weber-Fas, Rudolf, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 1982, S. 63, der für die Begrifflichkeit auf die Entscheidung des BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1952 – 2 BvE 2/51 –, BVerfGE 1, 372 (396) verweist: „Ein Staatsvertrag wird noch nicht dadurch zu einem politischen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG, daß er sich ganz allgemein mit öffentlichen Angelegenheiten, dem Gemeinwohl oder den Staatsgeschäften befaßt. Wäre dies der Fall, so wäre jeder Staatsvertrag politisch, so daß die im Art. 59 Abs. 2 vorgesehene Begrenzung ihres Sinnes entbehren würde. Hinzukommen muß vielmehr, daß die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung oder sein maßgebliches Gewicht in der Staatengemeinschaft durch den Vertrag selbst berührt werden. Namentlich die Verträge, die darauf gerichtet sind, die Machtstellung eines Staates anderen Staaten gegenüber zu behaupten, zu befestigen oder zu erweitern, sind als politische Verträge in diesem Sinne zu betrachten. Dazu gehören vor allem Bündnisse, Garantiepakte, Abkommen über politische Zusammenarbeit, Friedens-, Nichtangriffs-, Neutralitäts- und Abrüstungsverträge, Schiedsverträge und ähnliche Verträge.“ 29 Ebenda, S. 59. 30 Siehe hierzu Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 2 bzw. Rn. 1.4
Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
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Rückgrat des internationalen Steuerrechts bezeichnet werden.31 Das Problem der „Lastenverteilung“ ist also im Verhältnis zum Abkommensrecht eine Folgefrage des Konflikts, jedoch nicht Ausgangspunkt internationaler Doppelbesteuerungsfragen. Es stellt sich mithin die Frage, inwieweit sich die Ausgangslage, in der sich die Entwicklungs- oder Schwellenländer bei der Verhandlung von Doppelbesteuerungsabkommen befinden, auch abkommensrechtlich niederschlagen soll. Die Verhandlungssituation dieser Staaten ist maßgeblich von einem unauflösbaren, aber letztlich selbst geschaffenen Dilemma bestimmt.32 Es handelt sich um den Konflikt zwischen der Generierung von Steueraufkommen für die Finanzierung der für die Standortattraktivität erforderlichen Faktoren und dem Wettbewerb untereinander um ausländische Direktinvestitionen mittels Übernahme internationaler Standards und steuerlicher Vergünstigungen. Der Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen führt außerdem dazu, dass in großem Ausmaß Steuervergünstigungen das nationale Steuerrecht durchlöchern, obwohl die Wirkung steuerlicher Faktoren (sogenannte künstliche Standortfaktoren33) auf die unternehmerischen Investitionsentscheidungen im Verhältnis zu den anderen Faktoren wie etwa Infrastruktur, Fachkräfte, Arbeitskosten von untergeordneter Bedeutung ist. Das gilt insbesondere in Staaten, in denen diese sogenannten natürlichen Standortfaktoren wegen der schwachen Volkswirtschaft nicht den Anforderungen der ausländischen Investoren entsprechen.34 Anders verhält es sich in 31
Siehe Reimer, Ekkehart/Rust, Alexander (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2014, Vorwort. 32 Ähnlich, aber in eine spieltheoretische Richtung gehend: Baistrocchi, Eduardo, The Use and Interpretation of Tax Treaties in the Emerging World: Theory and Implication, British Tax Review 2008, S. 352. 33 Künstliche Standortfaktoren sind Steuer-, Sozial- und Umweltpolitik. 34 Ausführliche empirische Untersuchungen über die Verwendung der jeweiligen UNKlauseln am Beispiel afrikanischer Staaten: Daurer, Veronika, Tax Treaties and Developing Countries, Diss. 2014; zu der Frage, wie Doppelbesteuerungsabkommen sich tatsächlich auf ausländische Direktinvestitionen auswirken, sind bisher nur eine Handvoll empirische Untersuchungen erfolgt. Mit dem Ergebnis geringer Auswirkungen von DBA: Bloningen, Bruce A., Davies, Ronald B. am Beispiel der USA, The effects of bilateral tax treaties on US FDI activity, International Tax Public Finance, 2004, S. 601; allgemein: Davies, Ronald B., Tax treaties and foreign direct investment: potential versus performance, International Tax and Public Finance, 2004, S. 775; sogar mit negativen Auswirkungen Egger, Peter/Larch, Mario/Pfaffermayr, Michael/Winner, Hannes, The Impact of Endogonous Tax Treaties on Foreign Direct Investment: Theory and Empircal Evidence, Working Paper, Fachbereich für Volkswirtschaft und Statistik, 2004; allerdings existieren aufgrund anderer Methoden und anderem Untersuchungsgegenstand davon abweichende Ergebnisse: Hines Jr., James R., hinsichtlich der positiven Effekte von Steueranrechnungsklauseln: „Tax Sparing“ and Direct Investment in Developing Countries 1998, NBER Working Paper No. W6728 abrufbar von SSRN: http://ssrn. com/abstract=129468; Neumayer zu den Schwächen hierfür verwendeter empirischer Methoden und eigene Ergebnisse, S. 1501; um Missverständnissen vorzubeugen, ist darauf hinzuweisen, dass diese Studien allerdings nicht die Frage beantworten, ob die steuerlichen Faktoren wesentlich ausschlaggebend sind für Direktinvestitionen bzw. das wirtschaftliche Wachstum (hierzu aber Klemm, Alexander/Van Parys, Stefan, Empirical Evidence on the Ef-
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Branchen, in denen die Art der wirtschaftlichen Aktivitäten eine zeitnahe Standortverlagerung erlaubt, wie es bei reinen Finanzaktivitäten der Fall ist.35 Dann kommt es tatsächlich nicht auf diese von der jeweiligen Regierung schwierig zu gestaltenden Faktoren an. Sind sich die Staaten hinsichtlich der natürlichen Standortfaktoren ähnlich, werden die steuerlichen Rahmenbedingungen zu einem gewichtigerem Entscheidungskriterium bei der Standortfrage. Wettbewerbsverzerrende Wirkungen hat daher die Steuerpolitik nur unter relativ gleich starken Staaten.36 Diese Ausgangssituation erschwert es zusätzlich, ein Steuersystem zu schaffen, das den wirtschaftlichen Aufschwung des Schwellenstaates mittragen kann. Schwellenstaaten stehen vor dem Problem, dass sie zum einen darum bemüht sein müssen, dass ihre Einnahmen die wesentlichen Ausgaben decken, ohne hierfür übermäßige Kürzungen in der Staatsverwaltung vornehmen zu müssen.37 Zum anderen haben die Schwellenstaaten darauf zu achten, dass die eingesetzten Mittel zur Erhöhung der Staatseinnahmen nicht zu einer Hemmung wirtschaftlicher Aktivitäten führen.38 Zudem leiden die meisten Schwellenstaaten unter ihrer eigenen wirtschaftlichen Struktur. Das durchschnittlich schwache Einkommen ihrer Bürger und die kaum durchführbare Besteuerung der noch in den Schwellenstaaten dominierenden Agrarwirtschaft erfordern es, Staatseinnahmen vorwiegend durch die Ankurbelung ausländischer Investitionen zu generieren.39 Die an fehlendem Know-how und mangelnder Ausstattung leidende Steuerverwaltung verschärft die staatliche Einnahmeproblematik.40 Solche Staaten stehen somit nicht nur vor dem Problem, Mittel und Wege zu finden, ihre Staatskassen zu füllen, um ihre politischen Programme zu verwirklichen, sondern ringen auch um eine Sicherung der bisherigen Einnahmefects of Tax Incentives, IMF Working Paper WP/09/136); ferner sind diese uneindeutigen empirischen Ergebnisse ein Grund, weshalb kapitalimportierende Staaten an ihrem großzügigen Steuerverzicht festhalten. Hinzukommt, dass durch den hohen Wettbewerbsdruck untereinander um ausländisches Kapital der Wettlauf nicht allein durch steuerliche Anreize entschieden werden kann. 35 Siehe Frotscher, Gerrit, der subtil die Frage der steuerlichen Auswirkung auf die Investitionsentscheidung tendenziell für Finanzaktivitäten für relevant hält. Zudem bezieht er sich hierbei auf Industriestaaten in: Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 7 f., Rn. 21. 36 Siehe hierzu die Berichte der OECD zum schädlichen Steuerwettbewerb: Harmful Tax Competition – An Emerging Global Issue 1998 und Towards Global Co-operation – Progress in Identifying and Eliminating Harmful Tax Practices von 2000; kritische Betrachtung aus Sicht von Nichtmitgliedstaaten bzw. der Asian Development Bank: Adhikari, Ramesh, Tax Policy and Administration in Asian Countries, A Review of Key Issues and Options, Bulletin of International Tax 2002, S. 46. Siehe auch für einen Überblick: Frotscher, Gerrit Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 8 f., Rn. 22 – 26. 37 Tanzi, Vito/H. Zee, Howard, Tax Policy for Emerging Markets: Developing Countries, International Monetary Fund (IMF) Working Paper WP/00/35, 2000, Fiscal Affairs Department, S. 3 f. 38 Ebenda. 39 Ebenda. 40 Ebenda.
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quellen.41 In der Regel gehen nämlich durch die Öffnung des Landes und Liberalisierung des Handels die bisherigen, nicht unerheblichen Einnahmen aus Ausfuhrund Einfuhrzöllen zurück.42 Diese die volkswirtschaftliche Entwicklungsstufe prägenden Charakteristika des jeweiligen kapitalimportierenden Entwicklungs- oder Schwellenstaates werden jedoch vor dem Hintergrund des reziproken Mechanismus des abkommensrechtlichen Steuerverzichts unberücksichtigt gelassen und mit der wirtschaftspolitischen Eigenverantwortlichkeit des Entwicklungsstaates für den Kapitalverkehr gerechtfertigt. Aufgrund dieser Einnahmeproblematik und des gleichzeitig „aufgezwungenen“ Steuerverzichts wurde als Ziel der vorliegenden Untersuchung die Entwicklung eines internationalen Steuerrechtsprinzips formuliert, das im Folgenden als Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit bezeichnet wird. Dieses Prinzip soll ermöglichen, die für Schwellenstaaten oben genannten typischen Besonderheiten abkommensrechtlich zu berücksichtigen. Es löst sich von der (dogmatischen) Vorstellung, dass sich die Aufteilung des Steuersubstrats grundsätzlich primär nach dem individuellen Leistungsfähigkeitsprinzip richten müsse (wie es beim Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Fall ist). Das hier entwickelte Prinzip stellt ausschließlich auf die Fähigkeit des Staates ab, Staatseinnahmen zu generieren. Es kann allerdings nicht die etablierte internationale Steuerrechtsordnung ignorieren und muss daher in das Gerüst der internationalen Steuerrechtsordnung als Korrekturmechanismus implementiert werden. Dieser Lösungsansatz soll am Beispiel Vietnam entwickelt werden. Vietnam ist mit seiner Kommunistischen Partei ein Einparteienstaat und wirtschaftlich als Schwellenstaat einzuordnen. Das Land ist wegen seiner autoritären Staatsform sowie seiner kolonialgeschichtlich entwickelten chinesisch-französisch geprägten vietnamesischen Kultur besonders dazu geeignet, mit seiner Fremdartigkeit das Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit herauszufordern. Darüber hinaus ist es wegen seiner wirtschaftspolitischen Zielsetzung, sich zunehmend in die internationale Wirtschaft zu integrieren und hierdurch die wirtschaftliche Entwicklung mit hoher Geschwindigkeit voranzutreiben, von besonderem Interesse. Vietnams wirtschaftlicher Fortschritt und die damit einhergehenden rechtlichen Rahmenbedingungen sind entsprechend relativ jung. Der internationale Handel mit nicht-sozialistischen Staaten wurde erst 1986 wieder aufgenommen – elf Jahre nach der Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem kommunistischen Norden und dem kapitalistischen Süden und der Wiedervereinigung zur Sozialistischen Republik Vietnam. Diese Erneuerung wurde unter dem gleichbedeutenden Schlagwort „Ðoˆ i mo´,i“ (1986) eingeführt. Sie ist seither Grundlage für die stetige Schaffung und Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen zur Ankurbelung
41
Ebenda. Norregaard, John/Khan, Tehmina S., Tax Policy: Recent Trends and Coming Challenges, IMF working paper 07/274, S. 44. 42
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Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
ausländischer Investitionen in Vietnam.43 Mit diesen Wirtschaftsreformen sollte die seit der Wiedervereinigung ideologisch bedingte Planwirtschaft durch die Marktwirtschaft ersetzt werden. Die Reformen haben die wirtschaftliche Entwicklung des Landes seitdem maßgeblich vorangetrieben. Heute exportiert Vietnam hauptsächlich Rohöl, Textilien, Schuhe, Fisch- und Meeresprodukte, Holzprodukte, Reis, Kaffee und Kautschuk.44 Die Hauptaußenhandelspartner sind die Vereinigten Staaten, Japan, die Europäische Union, China und Australien.45 Im Kontext der internationalen Öffnung ist Vietnam Mitglied mehrerer internationaler Organisationen geworden, etwa der Asia Pacific Economic Cooperation (APEC),46 Association of South East Asian Nations (ASEAN)47 und der World Trade Organization (WTO).48 Ferner hat Vietnam mehrere Freihandelsabkommen geschlossen, wie die ASEAN Free Trade Area (AFTA),49 die ASEAN-China Free Trade Area (ACFTA),50 die ASEAN-Korea Free Trade Area (AKFTA),51 die ASEAN-Japan Free Trade Area,52 das Vietnam-Japan Economic Partnership Agreement53 und die ASEAN-AustraliaNew Zealand Free Trade Area.54 Zudem hat Vietnam 2001 mit den USA das Bilateral Trade Agreement („U. S.-Vietnam BTA“)55 und 2016 das Trans-Pacific-Partnership Agreement56 unterzeichnet. Die Verhandlungen zum European-Trade Agreement57 wurden am 02. 12. 2015 beendet. Um auch diese internationale Integration voranzutreiben, hat Vietnam eine Vielzahl grundlegender gesetzlicher und struktureller Reformen durchgesetzt.58 Vor diesem Hintergrund soll der Lösungsansatz der staatlichen Leistungsfähigkeit aus dem vom vietnamesischen Finanzministerium entschiedenen Fall Soˆ´ : 1620/TCT43 Siehe Entscheidung der VI. Nationalversammlung der Kommunistischen Partei Vietnams vom 18. 12. 1986 (Nghi quyeˆ´t Ðai hoˆi d¯ai bieˆ u toàn quoˆ´c laˆ`n thu´, VI Ða ¨ ng Coˆng sa ¨ n Vieˆt ˙ ˙ Nam, ngày 18 tháng 12 na˘ m˙ 1986). ˙ ˙ ˙ 44 Statistical Year Book Vietnam 2014, S. 518 ff., General Statistics Office Vietnam (Niên giám tho´ˆ ng kê 2014, Toˆ ng cuc Tho´ˆ ng kê). ˙ 45 Statistical Year Book Vietnam 2014, S. 199 ff., General Statistics Office Vietnam (Niên giám thoˆ´ng kê 2014, Toˆ ng cuc Thoˆ´ng kê). ˙ 46 Mitglied seit November 1998. 47 7. Mitglied seit dem 28. 07. 1995. 48 150. Mitglied seit dem 11. 01. 2007. 49 In Kraft seit 01. 01. 1993. 50 In Kraft seit 01. 07. 2005. 51 In Kraft seit 01. 06. 2007. 52 In Kraft seit 01. 12. 2008. 53 In Kraft seit 1. 10. 2009. 54 In Kraft seit 01. 01. 2010. 55 In Kraft seit 01. 10. 2001. 56 Ratifiziert 04. 02. 2016. 57 Es wird erwartet, dass 2019 das Freihandelsabkommen in Kraft tritt. 58 Siehe das Dekret des Politbüros Nr. 22-NQ/TW vom 04. 10. 2013 über die internationale Integrierung Vietnams.
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HTQT („Song Bung 2 Hydro Power Project“) vom 16. 05. 2012 anhand des DBA zwischen Deutschland und Vietnam entwickelt werden. Dieser Fall ist der Fallgruppe der „Betriebsstätten-Dreiecksproblematik bei passiven Einkünften“ zuzuordnen. Charakteristisch für Dreieckssachverhalte ist, dass originäre Besteuerungsrechte dreier Staaten für ein und dieselben Einkünfte miteinander im Konflikt stehen,59 insbesondere in Fällen von passiven Einkünften. Wenn also eine Person im Ansässigkeitsstaat Einkünfte aus dem Quellenstaat generiert, aber diese Einkünfte einer im Drittland gelegenen Betriebsstätte derselben Person oder dem Betriebsstättenstaat zugeordnet werden, wird grundsätzlich nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht dieser drei Staaten jeweils ein Besteuerungsmechanismus ausgelöst.60 Der Quellenstaat wird in der Regel passive Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen, das heißt Lizenzeinnahmen, Dividenden und Zinsen, der Quellenbesteuerung unterwerfen, während im Betriebsstättenstaat aufgrund der mit der Betriebsstätte manifestierten wirtschaftlichen Zugehörigkeit zum Betriebsstättenstaat die Besteuerung dort ausgelöst wird.61 Im Ansässigkeitsstaat hingegen ist das Welteinkommensprinzip Auslöser für die Besteuerung der Einkünfte. Dieser im Dreieck ausgelöste Besteuerungskonflikt muss mit den Instrumenten der Doppelbesteuerungsabkommen gelöst werden, wenn keine entsprechenden unilateralen Regelungen existieren. Bei Dreieckssachverhalten bestehen erhebliche Schwierigkeiten in der genauen Anwendung dieser abkommensrechtlichen Instrumente, insbesondere vor dem Hintergrund des jedem bilateralen Abkommen zugrunde liegenden Reziprozitätsprinzips,62 das nur das Verhältnis zwischen den jeweiligen Vertragsstaaten berücksichtigt und nicht das zum Drittstaat. Je nachdem, welche Lösung im „Song Bung 2 Hydro Power Project“-Fall zur Anwendung kommt, stellt sich die Frage, ob diese Vietnam als Schwellenland benachteiligt. Liegt eine Benachteiligung vor, ist zu prüfen, ob diese Folge ist aus dem Konflikt zwischen der Generierung von Steueraufkommen einerseits und dem Wettbewerb untereinander um ausländische Direktinvestitionen andererseits. Ist hingegen der Lösungsansatz im Ergebnis vorteilhaft für Vietnam, so stellt sich die Frage, ob der Lösungsansatz abkommensdogmatisch begründet werden kann, ohne auf die wirtschaftlichen Besonderheiten eines Schwellenstaates zurückgreifen zu müssen. Ist eine solche Begründung nicht möglich, so ist zu prüfen, ob das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit Abhilfe schaffen kann. 59 Eilers, Stephan, Triangular Cases, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 107, Rn. 1. 60 Ebenda, S. 107, Rn. 2. 61 Den Zusammenhang zur wirtschaftlichen Zugehörigkeit nur umschreibend bejahend, jedoch ohne Bezugnahme auf das von der Expertenkommission von 1923 entwickelten Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, Reimer, Ekkehart in: Reimer/Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, S. 10 und S. 11 bzw. Rn. 32 und Rn. 36. 62 Siehe Eilers, Stephan, Triangular Cases, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 107, Rn. 2 sowie S. 113, Rn. 13.
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Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
Besteuerung: Welteinkommensprinzip
Schuldner
Stammhaus Quellensteuer Darlehensvertrag
Betriebsstätte Zinstilgung Besteuerung Betriebsstätteneinkünfte
Abbildung 1: Skizze zur Mehrfachbesteuerung im Dreieckssachverhalt mit Betriebsstätten
Zusammenfassend stellt sich der Untersuchungsgang wie folgt dar: In Teil 1 soll zunächst ermittelt werden, vor welchen besonderen Herausforderungen die vietnamesischen Finanzbehörden regelmäßig stehen. Hierfür wird im ersten Schritt in einem internationalen Zusammenhang die wirtschaftliche und steuerrechtliche Situation Vietnams unter Berücksichtigung des entwicklungsgeschichtlichen Kontextes herausgearbeitet, in der die vietnamesischen Finanzbehörden agieren müssen. Auf dieser Grundlage wird dann die Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerbehörden im Sinne ihrer Handlungsfähigkeit anhand einschlägiger Kriterien ermittelt. Im Anschluss daran wird in Teil 2 der Dreieckssachverhalt des „Song Bung 2 Hydro Power“-Fall daraufhin untersucht, ob die vom vietnamesischen Ministerium vorgeschlagene Lösung rational mit den bisherigen Argumentationsstrukturen des internationalen Steuerrechts begründet werden kann. Im Ergebnis wird dies zu verneinen sein, sodass ein neuer oder korrigierender Argumentationsstrang entwickelt werden muss, der vor allem auch die Besonderheiten des einzelnen Staates berücksichtigt, insbesondere seine wirtschaftliche und politische Entwicklungsstufe. Hierzu wird in Teil 3 das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit entwickelt. Dafür wird anhand der in Teil 1 und Teil 2 herausgearbeiteten Befunde zunächst analysiert, an welchen Stellen die herkömmliche rechtliche Lösung des Dreieckssachverhalts korrigiert werden müsste, damit die vietnamesische Lösung tragfähig wird. Im Anschluss daran werden die Voraussetzungen für den subjektiven und objektiven
Thematische Einführung und Gang der Untersuchung
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Anwendungsbereich des Prinzips formuliert sowie die Vorgehensweise bei der Entwicklung neuer Korrekturmechanismen. In Teil 4 wird in einer Schlussüberlegung der „Song Bung 2“-Sachverhalt anhand der formulierten Prämissen zusammengefasst. Ferner wird das entwickelte Prinzip vor dem Hintergrund des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit beziehungsweise globaläquivalenten Rechtfertigung diskutiert. Zudem wird Stellung zu seiner möglichen völkerrechtlichen Verbindlichkeit genommen und zur Frage wie im Rahmen einer abkommensrechtlichen Rechtsfortbildung dieses Prinzip durchgesetzt werden könnte.
Teil 1
Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams Die Auswirkungen der in der Einleitung beschriebenen typischen Ausgangssituation von Entwicklungs- und Schwellenstaaten sollen nachfolgend am Beispiel Vietnams herausgearbeitet werden. Hierfür wird in den wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext eingeführt, in dem das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam operiert. Insbesondere wird die Bedeutung Vietnams für die deutsche Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt des Handels- und Investitionsvolumens dargestellt. Außerdem sollen nach einer Einführung in das vietnamesische nationale und internationale Steuerrecht die rechtlichen Rahmenbedingungen an einer typisch steuerlich gestalteten Investitionsstruktur erläutert werden. Davon ausgehend können die für die Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Finanzbehörden unmittelbar und mittelbar bestimmenden rechtlichen und wirtschaftlichen Faktoren vor dem Hintergrund der tatsächlichen und rechtlichen Strukturmerkmale der vietnamesischen Finanzverwaltung konturiert und erläutert werden.
I. Einführung Vietnam weist die Besonderheit auf, dass die Anwendung des innerstaatlichen vietnamesischen Rechtssystems mangels Gewaltenteilung nach westlich-demokratischem Vorbild keine Grenze von Politik und Recht kennt. Das gilt umso mehr bei der Abkommensauslegung. Das Abkommensrecht lässt sich regelmäßig nicht von den nationalen Interessen des Anwenderstaates abstrahieren. Hilfreich ist der Kontext der Abkommensanwendung. Die politisch-soziokulturellen und wirtschaftspolitischen Faktoren sowie tatsächlichen Verhältnisse geben Aufschluss über und Hinweise auf die rechtlichen Ursachen, Probleme und etwaigen Lösungsmöglichkeiten. Das wird auch bei der Beschäftigung mit dem DBAVietnam deutlich. Das vietnamesische Rechtssystem und damit auch das vietnamesische internationale Recht und Steuerrecht sind nicht ohne Weiteres im Kern verständlich. Das Kerninnere des Rechtssystems Vietnams ist für Juristen westlicher Demokratien trotz seiner entwicklungsgeschichtlichen Struktur fremdartig. Es ist eine
I. Einführung
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historisch gewachsene Gemengelage aus französisch-kontinental-europäischen, aber auch chinesisch-konfuzianischen und sowjet-kommunistischen Rechtskulturen. Hinzu kommt die aktuell seit den Ðoˆi mo´,i-Wirtschaftsreformen von 1986 andauernde Übernahme von Rechtsmechanismen aus dem angelsächsischen Raum sowie aus weiteren Staaten (etwa mit kontinentaleuropäischen Rechtssystemen), die Vietnam bei den Gesetzesreformen assistieren. Solche Reformen werden mit hoher Geschwindigkeit und nicht ohne Qualitätsverlust abgeschlossen, um die mit der internationalen Integration einhergehenden Verpflichtungen fristgerecht zu erfüllen. Diese Gemengelage wird nicht nur von den vornehmlich wirtschaftspolitischen Zwecken dominiert, sondern außerdem von dem aus dem sowjetischen Recht übernommenen sozialistischen Rechtsstaatsprinzip1 überdacht. Die Gewaltenteilung ist mithin in Vietnam nicht ein System von „Hemmungen und Gegengewichten“ (checks and balances), das heißt kein System, in dem die politische Macht durch unabhängige Gerichte und durch die Bindung staatlichen Handelns an abstrakte normative Maßstäbe begrenzt wird,2 sondern ein System der staatlichen Arbeitsteilung zur Durchsetzung des staatlichen Willens oder der politischen Macht. Dieses Prinzip liegt ungesehen oftmals der Rechtfertigung für die dem Gesetzeswortlaut widersprechende Rechtsanwendung oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung3 aus politischen Zweckmäßigkeitsgründen zugrunde; aus westlich-demokratischer Sicht erscheint dieses Prinzip als Ursache für etwaige Vollzugsdefizite. Solche Rechtfertigungen stammen jedoch nicht immer aus dem sozialistischen „rule of law“, sondern entspringen in vielen Fällen auch dem „rule of corruption“,4 wenn nicht sogar dem „rule of man“.5 Die Aufhebung der Gewaltenteilung führt dazu, dass das Recht nicht nur in der Funktion der Judikative, sondern vor allem auch in der Funktion der Exekutive und Legislative anzuwenden oder auszulegen ist. Die Anwendung internationaler Steuerrechtsprinzipien auf eine solche Ausgangssituation bringt ihre Belastbarkeit und Spannkraft vor dem Hintergrund ökonomischer, sozialer und kultureller Parameter zum Vorschein.6
1 Siehe hierzu auch das sozialistische Rechtsstaatsprinzip der Volksrepublik China, m.w.N.: Riegner, Michael/Wischmeyer, Thomas, „Rechtliche Zusammenarbeit“ mit Transformationsund Entwicklungsländern als Gegenstand öffentlich-rechtlicher Forschung, Der Staat 2011, S. 436, 451 m.w.N. 2 Allgemeinproblematik bei Entwicklungsstaaten: ebenda, S. 451 m.w.N. 3 Zur Begrifflichkeit, Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 426. 4 Siehe m.w.N.: Riegner, Michael/Wischmeyer, Thomas „Rechtliche Zusammenarbeit“ mit Transformations- und Entwicklungsländern als Gegenstand öffentlich-rechtlicher Forschung, Der Staat 2011, S. 436, 451. 5 Ebenda. 6 Siehe zu den Parametern der Wirksamkeit von Recht, ebenda, S. 463 m.w.N.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
II. Wirtschaftliche Bedeutung Vietnams für die Bundesrepublik Deutschland Die wirtschaftliche Bedeutung Vietnams für Deutschland lässt sich am Handelsvolumen sowie Investitionsvolumen ablesen und im Vergleich mit anderen Staaten verdeutlichen, insbesondere mit China und einigen südostasiatischen Staaten. Auch die historischen Handelsbeziehungen beider Staaten sowie das Verhältnis von privaten Unternehmen und den aus der Planwirtschaft stammenden Staatsunternehmen in Vietnam vermitteln die Grundparameter, in denen die vietnamesischen Steuerbehörden operieren.
1. Handelsvolumen Deutsche Unternehmen haben mit einem Exportvolumen von 952 Milliarden Euro7 im Jahr 2010 maßgeblich zur Erholung Deutschlands von der Rezession in den Jahren 2008/2009 beigetragen.8 Die Euro-Krise konnte bisher nicht, wie damals prognostiziert, das Exportgeschäft zum Einbruch bringen. Das aktuelle deutsche Exportvolumen lag im Jahr 2016 bei 1,206 Billiarden Euro.9 Von diesen Exporten erreichten 200,495 Milliarden Euro den asiatischen Raum.10 Das sind etwa 16,6 Prozent der Gesamtexporte Deutschlands. Von den Gesamtexporten nach Asien entfielen 37 Prozent auf Ausfuhren in die Volksrepublik China.11 Die Einfuhr chinesischer Güter hingegen betrug 9,82 Prozent der Gesamtimporte Deutschlands.12 Nach Vietnam wurden deutsche Güter in Höhe von nur 3,43 Prozent dessen eingeführt, was nach China exportiert wurde.13 Auch die Importe aus Vietnam in die Bundesrepublik Deutschland betrugen im Verhältnis zu China nur knapp 9,33 Prozent.14 Mit einem deutschen Ausfuhrvolumen von 76,1 Milliarden Euro rangiert die Volksrepublik China auf Platz 5 der Handelspartner im Außenhandel der Bundes7
Statistisches Bundesamt, Fachserie 7, Reihe 1, Außenhandel – Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel Jahr 2010, 16. 11. 2011, Gliederungspunkt 1.7. 8 Economist Intelligence Unit, Country Report – Germany, August 2011, S. 8. 9 Statistisches Bundesamt, Fachserie 7, Reihe 1, Außenhandel – Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel – Monatsergebnisse – August 2017, 01. 11. 2017, Gliederungspunkt 1.1. 10 Statistisches Bundesamt, Fachserie 7, Reihe 1, Außenhandel – Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel – 2016 (vorläufige Ergebnisse), 13. 03. 2017, Gliederungspunkt 1.5.1. 11 Ebenda. 12 Ebenda, Gliederungspunkt 1.5.2. 13 Ebenda, Gliederungspunkt 1.5.1. 14 Ebenda, Gliederungspunkt 1.5.2.
II. Wirtschaftliche Bedeutung Vietnams
31
republik Deutschland,15 während Vietnam mit 2,61 Milliarden Euro auf Platz 49 steht.16 Im Hinblick auf das deutsche Importvolumen in Höhe von 93,76 Milliarden Euro belegt China Platz 1 der Handelspartner Deutschlands.17 Vietnam kommt mit 8,75 Milliarden Euro lediglich auf Platz 23.18 Aus vietnamesischer Sicht spielt Deutschland eine gewichtige Rolle und gehört zu den zehn größten Handelspartnern Vietnams (7. Platz);19 zugleich ist Deutschland größter europäischer Handelspartner.20 Dennoch ist das Handelsvolumen Deutschlands im Vergleich zu den anderen Handelspartnern Vietnams niedrig. Die Vereinigten Staaten konnten im Jahre 2016 ein Exportvolumen nach Vietnam von 37,8 Milliarden US-Dollar21 ausweisen und China von 26 Milliarden US-Dollar,22 während das deutsche Handelsvolumen 6 Milliarden US-Dollar betrug.23
+1-Strategie 2. Investitionsvolumen und China+ Trotz des verhältnismäßig geringen Handelsvolumens mit Vietnam bleibt das Land als Investitionsstandort für die deutsche Wirtschaft wichtig. In den letzten Jahren sind sowohl Vietnam als auch die übrigen südostasiatischen Staaten vermehrt in den Fokus multinationaler Unternehmen gerückt. Durch die über die Jahre hinweg gewachsene Abhängigkeit von China als Produktionsstandort sehen sich diese Unternehmen erhöhten wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt. Bedingt werden diese Risiken durch den rapiden wirtschaftlichen Aufschwung Chinas, der die einst günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entsprechend verkürzt. Mit dieser Entwicklung steigen zusammen mit den Löhnen und Rohstoffpreisen auch die Produktionskosten. China verliert als bloßer Fertigungsstandort an Attraktivität. Langfristig reicht es auch nicht mehr aus, auf die chinesischen Küstenstädte auszuweichen. Als erfolgsversprechendere Strategie wird die Auslagerung der gesamten oder von Teilen der Produktionsstätte aus China in einen anderen Staat angesehen, in dem die Löhne verhältnismäßig niedriger sind und die Qualität der Fertigungen auf einem ähnlichen Niveau gehalten werden können (sogenannte China+1-Strategie). Auf diese Weise 15
Ebenda. Ebenda. 17 Ebenda, Gliederungspunkt 1.6. 18 Ebenda. 19 Siehe IMF Direction of Trade Statistics 2016, Vietnam Nr. 582. 20 Ebenda. 21 Siehe IMF Direction of Trade Statistics 2016, Vietnam Nr. 582. Grund für das hohe Handelsvolumen sind u. a. die seit 1994 geschlossenen bilateralen Investitionsabkommen und die auch bereits vor Kriegsende herrschende Entwicklungshilfe seitens der Vereinigten Staaten. 22 Ebenda. 23 Ebenda. 16
32
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
können nicht nur Produktionskosten gesenkt werden, sondern auch durch die dortige Präsens neue Märkte am Fertigungsstandort oder in der umliegenden Region erschlossen werden, wie es bereits in China der Fall war, wo sich mit dem wirtschaftlichen Wachstum eine kaufkräftige breite Mittelschicht entwickelte. Als Alternativstandorte kommen vor allem südostasiatische Staaten wie zum Beispiel Indonesien, die Philippinen, Thailand und Vietnam in Betracht. Aus Sicht der Unternehmen ist eine Expansion in einem anderen Staat sinnvoll, wenn dort erkennbare Wachstumschancen vorhanden sind.24 Nach einer Umfrage wird Vietnam genau aus diesen Gründen vorrangig bei der Investitionsplanung berücksichtigt, was sich auch in den nachfolgend abgebildeten Wachstumsprognosen niederschlägt.25 Tab. 1 Wachstumsraten China+1 Strategie Wachstum gemessen am BIP
Prognostizierte Wachstumsrate 2018
2019
2020
5,8 %
6,1 %
5,5 %
6,5 %
6,4 %
5,8 %
Indonesien
5,2 %
5,0 %
4,5 %
Philippinen29
5,7 %
6,1 %
6,1 %
Thailand30
3,2 %
3,1 %
2,0 %
China26 Vietnam27 28
Dennoch zeigt Deutschlands Investitionsvolumen in Vietnam, dass etwaige Verlagerungen gesamter Produktionsstätten nach Vietnam noch am Anfang stehen. So wurden 2016 nur 21 genehmigte Projekte mit einem Investitionsvolumen von 80,2 Millionen US-Dollar31 registriert, die im Verhältnis zur Summe des deutschen Export- und Importhandelsvolumens mit Vietnam von etwa 13,18 Milliarden USDollar32 lediglich 0,61 Prozent ausmachen. Deutschland fiel beispielsweise im Vergleich mit Frankreich in der Zeit zwischen 1988 und 2016 im Hinblick auf die genehmigten Direktinvestitionen weit zurück. So kann Deutschland in diesem Zeitraum insgesamt 275 Projekte in Vietnam bei einem Investitionsvolumen von 24 Economist Intelligence Unit, Reiche Ernte: Chancen in den südostasiatischen Schwellenländern, 2008 S. 6. 25 Ebenda, S. 21; Economist Intelligence Unit, Re-Drawing the ASEAN map, 2014, S. 29. 26 Economist Intelligence Unit, Country Report – China, Stand: Oktober 2017. 27 Economist Intelligence Unit, Country Report – Vietnam, Stand: Oktober 2017. 28 Economist Intelligence Unit, Country Report – Indonesien, Oktober 2017. 29 Economist Intelligence Unit, Country Report – Philippines, Oktober 2017. 30 Economist Intelligence Unit, Country Report – Thailand, Stand: Oktober 2017. 31 General Statistics Office of Vietnam, Statistical Yearbook 2016, Toˆ ng Cuc Tho´ˆ ng kê Vieˆt ˙ ˙ Nam, Niên giám thoˆ´ng kê 2016, S. 245. 32 Siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 7, Reihe 1, Außenhandel – Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel – 2016 (vorläufige Ergebnisse), 13. 03. 2017, Gliederungspunkt, Gliederungspunkt 1.6.
II. Wirtschaftliche Bedeutung Vietnams
33
1,36 Milliarden US-Dollar vorweisen, während Frankreich mit 487 Projekten bei einem Investitionsvolumen von 3,39 Milliarden US-Dollar weit vor Deutschland liegt.33
3. Zwischenfazit Das relativ höhere Handelsvolumen und das relativ niedrigere Investitionsvolumen legen den Schluss nahe, dass deutsche Unternehmen den Eintritt in den vietnamesischen Markt in Form des Importgeschäfts bevorzugen und dem eigentlich allgemein beliebteren Weg von strategischen Allianzen und Partnerschaften mit vietnamesischen Unternehmen – insbesondere mit staatlichen – mit Vorsicht begegnen.34 Das hat weniger damit zu tun, dass das Exportgeschäft ohnehin einer der Grundpfeiler der deutschen Wirtschaft ist. Vielmehr liegen die Ursachen in den bürokratischen und operativen Hemmnissen:35 Der Eintritt in den vietnamesischen Markt ist trotz der Aufnahme Vietnams in die Welthandelsorganisation im Januar 2007 mit langwierigen und teils willkürlichen Genehmigungsverfahren verbunden, die etwa durch „Lobbyarbeit“ bereits etablierter Marktteilnehmer zu ihrer Verzögerung beitragen.36 Vor allem bemängeln Unternehmen allgemein die schwache Infrastruktur, Korruption, das unzureichende Rechtssystem und den ineffizienten Zolldienst des Landes.37 Vietnam treibt daher unter anderem kontinuierlich die Modernisierung der Infrastruktur und den Aufbau einer Zuliefererindustrie voran. Vor allem muss Vietnam bei Tiefseehäfen, Flughäfen, dem Straßennetz und einer verlässlichen Stromversorgung in den nächsten Jahren weiterhin aufholen.38 Hier besteht somit neben dem Bedarf an Importen von Maschinen und Ausrüstung auch Bedarf am Ausbau und der Modernisierung des Energiesektors.39 Der Aufbau einer Zulieferindustrie ist wichtig General Statistics Office of Vietnam, Statistical Yearbook 2016, Toˆ ng Cuc Thoˆ´ng kê Vieˆt ˙ ˙ Nam, Niên giám tho´ˆ ng kê 2016, S. 245. 34 Siehe Economist Intelligence Unit, Promise or Peril – The Lure of the emerging markets – 2008, S. 11. 35 Economist Intelligence Unit, Reiche Ernte: Chancen in den südostasiatischen Schwellenländern, 2008, S. 13. 36 Schmitt, Stefanie, Vietnams Konsumenten erleben „Revolution“ im Einzelhandel, Germany Trade & Invest vom 17. 12. 2009, http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/mae rkte,did=62600.html. 37 Siehe Statistik in Economist Intelligence Unit, Reiche Ernte: Chancen in den südostasiatischen Schwellenländern, 2008, S.13. 38 Denk, Gunter, Standortduell Vietnam oder Thailand, ASIA Bridge No. 5, 2010, S. 20 f. 39 Beispiel für die Textil- und Bekleidungsindustrie in Vietnam: Goto, Kenta/Natsuda, Kaoru/Thoburn, John, Meeting the challenge of China: the Vietnamese garment industry in the post MFA era, Global Networks, 2011, S. 355, 364. Im Hinblick auf den Energiesektor siehe auch den in Teil 3 besprochenden Fall, bei dem es um die Fremdfinanzierung eines Wasserkraftwerkes geht. 33
34
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
für die Kostenstruktur und Qualität der angefertigten Produkte. Soll Vietnam aufgrund seiner geographisch günstigen Lage auch als Fertigungsstandort dienen,40 von wo aus die Waren in die umliegenden Märkte exportiert werden, so müssen auch die Vorprodukte international wettbewerbsfähig sein. Nach einer Umfrage wird prognostiziert, dass sich das vietnamesische Geschäftsumfeld im Vergleich zu den anderen südostasiatischen Staaten am stärksten verbessern wird,41 sodass Aussicht auf einen wirtschaftlichen Erfolg entsprechender Investitionen besteht.
4. Handelsbeziehungen und Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Vietnam Die Bedeutung Vietnams für Deutschland zeigt sich in der frühen Erweiterung des deutschen DBA-Netzwerkes auf Vietnam. Die Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten reichen bereits bis weit in die Anfänge der Bundesrepublik zurück.42 Mit dem schrittweisen Übergang von der Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft seit 1986 („Ðoˆ i mo´,i“)43 hat auch das Einfuhr- und Ausfuhrvolumen zwischen Deutschland und Vietnam stetig zugenommen. So hat es sich zwischen 1986 und 1992 mehr als verzehnfacht. Im Zuge der Installation eines der freien Marktwirtschaft entsprechenden Steuersystems hat Vietnam auch Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommen. Während die Abkommen zum einen mit Australien und zum anderen mit Thailand zum 31. 12. 1992 in Kraft traten, wurden die Verhandlungen mit Deutschland im Jahr 1993 aufgenommen. Am 16. 11. 1995 unterzeichneten die beiden Staaten das Abkommen, das dann am 27. 12. 1996 in Kraft trat.44
40 Economist Intelligence Unit, Reiche Ernte: Chancen in den südostasiatischen Schwellenländern, 2008, S. 21; Economist Intelligence Unit, Re-Drawing the ASEAN map, 2014, S. 29. 41 Ebenda. S. 20; Economist Intelligence Unit, Re-Drawing the ASEAN map, 2014, S. 29. 42 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1956, Kapitel XIV– Außenhandel, siehe S. 283. 43 Siehe Entscheidung der VI. Nationalversammlung der Kommunistischen Partei Vietnams vom 18. 12. 1986 (Nghi quyeˆ´t Ðai hoˆi d¯ai bieˆ u toàn quoˆ´c laˆ`n thu´, VI Ða ¨ ng Coˆng sa ¨ n Vieˆt ˙ ˙ Nam, ngày 18 tháng 12 na˘ m˙ 1986). ˙ ˙ ˙ 44 Für die Bundesrepublik Deutschland der damalige Staatsminister des Auswärtigen Amtes Dr. Werner Hoyer und der damalige Botschafter in Vietnam Klaus-Christian Kraemer und für die Sozialistische Republik Vietnams ihr damaliger Finanzminister Ho Te; ausführlich zum DBA zwischen Deutschland und Vietnam siehe Teil 1 III. 1. b) cc).
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
35
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung in Vietnam im Fall ausländischer Investitionen Als Problemfelder für die vietnamesische Steuerverwaltung werden insbesondere die Rechnungserstellung für den ertragsteuerlichen Abzug von Betriebsausgaben oder für den Vorsteuerabzug, das Steuererhebungsverfahren, die Steuerstundung und die Verschiebung der Gewinne unter anderem über die Gestaltung von Verrechnungspreisen genannt. Diese Herausforderungen sind in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Seit 2006 wurde offiziell ein Fünfjahresplan für die Reformierung der Steuerverwaltung artikuliert und verfolgt. Dieser wurde vom Premierminister für den Zeitraum 2010 bis 2020 fortgeschrieben und modifiziert. Die Modernisierung der Steuerverwaltung hin zu einer modernen, gerechten und transparenten Behörde zielt insbesondere auf die Reduzierung von Verwaltungskosten im Verhältnis zu den erhobenen Steuern und auf die Stärkung der Steuerehrlichkeit ab. Derzeit werden hierfür insbesondere die steuerliche Betriebsprüfung ausgebaut und mit der Modernisierung der IT-Infrastruktur der Versuch unternommen, einen besseren computergestützten Ablauf der Verwaltungsaufgaben bereitzustellen. Unterstützt wird dieses Vorhaben seit 2007 durch die Weltbank mit dem Projektnamen Tax Administration Modernization Project (TAMP). Hierbei stehen vor allem die Effektivität, Effizienz, Transparenz und Verantwortlichkeit der Behörden im Mittelpunkt.
1. Steuersystem Vietnams und ausländische Investitionen Ein Blick in die jüngere Geschichte Vietnams zeigt, dass die heutigen, oben kurz angeschnittenen Probleme der Steuerverwaltung kaum von den früheren Herausforderungen abweichen und dass eine Reform mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als angenommen. Das Steuersystem des früheren Südvietnams (Republik Vietnam) stand vor denselben Problemen, was folgendes Zitat aus dem Jahr 1966 veranschaulicht: „[…] the problem lies in the non-compliance by Vietnamese taxpayers with a rather complex and sophisticated system of tax laws and inadequate tax administration. This non-compliance flows from poor enforcement, which in turn is the result of tax personnel inadequate as to numbers, ability and authority. Procedures are antiquated and cannot cope with the workload.“45
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die Ausgangssituation der Steuerverwaltung in Vietnam dargestellt. Hierfür werden die Investitionsformen in Viet-
45 Internal Revenue Service Foreign Tax Assistance Staffs, „Vietnam Tax Administration“ 1966, S. 7 zitiert in: Dacy, Douglas C., The Fiscal System of Wartime Vietnam, Study, Institute for Defense Analysis, 1969, S. 59.
36
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
nam skizziert. Im Anschluss wird in das vietnamesische Steuersystem und in das vietnamesische internationale Steuerrecht eingeführt. a) Investitionsformen in Vietnam Seitdem Vietnam die wirtschaftspolitische Reform 1986 einleitete, ist eine langfristige unabhängige wirtschaftliche Unternehmung in Vietnam durch sogenannte ausländische Investitionsgesellschaften oder im Zuge eines Kooperationsvertrages möglich. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind im Investitionsgesetz Nr. 67/2014/QH13 vom 26. 11. 2014 (Luat Ðaˆ`u Tu,) und im Unternehmensgesetz ˙ Nr. 68/2014/QH13 26. 11. 2014 (Luaˆt Doanh nghieˆp) niedergelegt. Neben den in ˙ ˙ diesen Gesetzen vorgesehenen Möglichkeiten kann die Betätigung in Vietnam durch Repräsentanzbüros und Zweigstellen durchgeführt werden. Insgesamt werden die Möglichkeiten unternehmerischer Aktivität in Vietnam variationsreicher, zum Beispiel können ausländische Unternehmen sich auch immer mehr mit Minderheitsbeteiligungen in Vietnam engagieren. Die vietnamesische Regierung ist darum bemüht, ihre durch bilaterale und multilaterale Staatsverträge eingegangenen Verpflichtungen zur Öffnung des Marktes zu erfüllen.46 Im vietnamesischen Investitionsgesetz (Luat Ða`ˆ u Tu,)47 sind die Ausgestaltungen ˙ dieser beiden Investitionsformen in Artikel 22 aufgelistet. Beliebteste Gestaltungsvariante der Direktinvestition ist das Joint Venture.48 Hauptsächlich wird je nach Investitionsstruktur hierfür die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Công ty trách nhieˆm hu˜,u han)49 oder auch die Aktiengesellschaft (Công ty coˆ pha`ˆ n)50 ver˙ ˙ wendet.51 Vietnam ist, wie unter II. 2. erläutert, ein attraktiver Produktionsstandort. Neben steuerlichen Gründen veranlasst die noch ausbaubedürftige Zulieferindustrie in Vietnam die Unternehmen, sogenannte Contract-Manufacturing52-Gestaltungen zu
46
Burke, Fred/Nguyen, Thanh Vinh, Business Operations in Vietnam, BNA Bloomberg, 2014, S. 6. 47 Luat Ða`ˆ u Tu, Nr. 67/2014/QH13. ˙ 48 Saw, Rachel, Vietnam – Business and Investment, Country Surveys IBFD 3.2.1. 49 Artikel 47 des Unternehmensgesetzes (UTG), Luaˆt doanh nghieˆp Nr. 68/2014/QH13 ˙ ˙ 26. 11. 2014. 50 Artikel 110 des Unternehmensgesetzes (UTG), Luaˆt doanh nghieˆp Nr. 68/2014/QH13 ˙ ˙ 26. 11. 2014. 51 Quynh Van, Dinh Thi, Vietnam – Effective Tax Planning and Profit Repatriation Strategies, APTB 2009, S. 262. 52 Siehe allgemein Jacobs/Endres/Spengel, in: Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., 2016, S. 1062 f.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
37
wählen. Unterschieden wird dabei hauptsächlich zwischen Toll Manufacturing53 und Turnkey Manufacturing.54 Beim toll manufacturing wird die Herstellung beim Tochterunternehmen in Vietnam beauftragt. Hierfür werden die für die Produktion erforderlichen Rohstoffe und Materialien von der ausländischen Muttergesellschaft zur Verfügung gestellt. Die geschuldete Leistung der Tochtergesellschaft ist die reine Herstellung des Gutes und seine Lieferung an das Mutterunternehmen. Dafür erhält sie eine entsprechende entgeltliche Gegenleistung. Im Fall einer Turnkey-Manufacturing-Gestaltung werden die Rohstoffe und Materialien beim Mutterunternehmen gekauft und die damit hergestellten Produkte an das Mutterunternehmen veräußert. Die Tochtergesellschaft wird damit im Gegensatz zur Toll-Manufacturing-Gestaltung durch den Gewinn aus der Differenz zwischen den Kosten der Produktion einschließlich der eingekauften Rohstoffe und Materialien und dem Umsatz aus dem Verkauf an das Mutterunternehmen entlohnt. Aus steuerlicher Sicht wirft dieser Sachverhalt insbesondere Fragen zur Umsatzsteuer, zu Einfuhr- und Ausfuhrzöllen sowie ertragsteuerliche Betriebsstättenfragen und Verrechnungspreisprobleme auf. b) Steuerliche Konsequenzen ausländischer Investitionen in Vietnam Um der Problematik steuerlicher Konsequenzen ausländischer Investitionen in Vietnam eine gewisse Tiefenschärfe zu geben, ist die einführende Darstellung in das vietnamesische Steuersystem an die typische Systematik der Steuerrechtsvergleichung angelehnt. Ziel dieser Darstellungsweise ist es, eine fassbare Idee des vietnamesischen Steuerrechts zu vermitteln. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann angesichts der Fülle und Breite nicht erhoben werden. Die Darstellung beginnt mit den allgemeinen historischen Stationen des vietnamesischen Steuerrechts. Anhand der daran anschließenden Erörterung der historischen Entwicklung des Einkommensteuerrechts soll der steuerrechtskulturelle Kontext veranschaulicht werden. Vor diesem Hintergrund werden die verfassungsrechtlichen Strukturmerkmale wie Gesetzgebungsprozess, grundrechtliche Aspekte, Rechtsschutz und vor allem die horizontale und vertikale Verteilung des Steueraufkommens aufgezeigt. Im Anschluss werden die Struktur des Steueraufkommens und die ertragssteuerlichen Steuertarife nachgezeichnet. Dann wird das vietnamesische Ertragssteuerrecht zusammengefasst. Im Rahmen der Einführung in das vietnamesische Unternehmensteuerrecht 53 Siehe Fröhlich, Martin/Piepenstock, Kai, Liefervertrag, Contract Manufacturing und Toll Manufacturing – zur vertrags- und steuerrechtlichen Abgrenzung zwischen Werklieferung und Werkleistung, ZVertriebsR 2016, S. 72. 54 Die Begrifflichkeiten werden uneinheitlich verwendet. So wird Turnkey Manufacturing auch als Contract Manufacturing bezeichnet. Toll Agreement Manufacturing wird indessen auch Consignment Agreement genannt. Zu Turnkey Manufacturing als Contract Manufacturing siehe Engler/Wellmann, in: Vögele, Verrechnungspreise, 4. Aufl., 2015, Rn. 444.
38
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
wird unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Gewinnausschüttung der Entwicklungsstand der vietnamesischen Steuerrechtsanwendung gemessen. aa) Einführung in das vietnamesische Steuerrecht In diesem Kapitel wird neben den historischen Stationen des vietnamesischen Steuerrechts und den verfassungsrechtlichen Aspekten in die vietnamesische Ertragsteuer, Umsatzsteuer sowie in die Steuergesetzgebungspraxis eingeführt. Ferner wird auch in die Besonderheiten des vietnamesischen Steuerstreitverfahrens und der Steuerverwaltung eingeleitet. (1) Historische Stationen des vietnamesischen Steuerrechts Die Geschichte des vietnamesischen Steuerrechts55 ist eng verknüpft mit der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung Vietnams und drückt sich in den aktuell gefällten wirtschafts- und steuerpolitischen Entscheidungen des Landes aus.56 Zweck der Aufarbeitung des historischen Kontexts ist, das aktuelle vietnamesische Steuerrecht und seine Anwendung erklärbar zu machen. Als Ausgangspunkt der geschichtlichen Entwicklung des Steuerrechts wird die insgesamt für Vietnam einschneidende französische Besatzung in Südostasien herangezogen. Die französische Kolonialpolitik für Vietnam wurde von der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung von Nord- und Südvietnam maßgeblich geprägt: Der Norden als französisches Protektorat litt wirtschaftlich unter den politischen Stabilisierungsmaßnahmen Frankreichs,57 während der Süden wirtschaftlich als Kolonie in Form einer Wirtschaftszone gefördert wurde.58 Das Interesse an der wirtschaft55 Eine Zusammenfassung der vietnamesischen Steuerrrechtsgeschichte aus Sicht der Sozialistischen Republik Vietnams gibt: Ministerium für Finanzen und Allgemeine Abteilung für Steuer, Steuern Vietnams sämtlicher Zeitalter, National Politisches Verlagshaus, 2001, (Thue´ˆ Viêt Nam qua các tho`,i ky` Nhà xuaˆ t ba ¨ n Chính tri quo´ˆ c gia) bzw. auf der Internetseite der ˙ thue´ˆ Vieˆt Nam 2011. Siehe auch aus Allgemeine Abteilung für Steuern, So, lu,o,c lich su, ngành ˙ ˙ vietnamesischer Sicht die ausführliche Dissertation von Hoˆ` Tuaˆ n˙ Dung, Steuerpolitk Frankreichs im Norden von 1897 bis 1949 (Chính sách thue´ˆ cua thu,c dân Pháp o, Ba´˘ c ky` tu`, 1897 d¯e´ˆ n ˙ 1945), Diss., Hanoi 2002. 56 Siehe Merette, Sarah, Vietnam’s North-South Gap in Historical Perspective: The Economies of Cochinchina and Tonkin, 1900 – 1940, Diss., London 2013, S. 22 f. m.w.N. 57 Ebenda, S. 140 und 144 f.; siehe aus vietnamesischer Sicht: Hoˆ` Tuaˆ n Dung, welche die fehlende Investition des Steueraufkommens in die Wirtschaft des Nordens hervorhebt, in: Ho`ˆ Tuaˆ n Dung, Steuerpolitk Frankreichs im Norden von 1897 bis 1949 (Chính sách thueˆ´ cua thu,c ˙ dân Pháp o, Ba´˘ c ky` tu`, 1897 d¯e´ˆ n 1945), Diss., Hanoi 2002, S. 93. 58 Merette, Sarah, Vietnam’s North-South Gap in Historical Perspective: The Economies of Cochinchina and Tonkin, 1900 – 1940, Diss., London 2013, S. 116 f.; für entsprechende rechtshistorische Texte siehe Dislère, Pierre, Traité de Legislation Coloniale, 3. Bd., 2. Aufl., 1901; Dekrete vom 17. Oktober 1887, 31. Juli 1898 und 19. April 1899.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
39
lichen Förderung des Südens resultierte aus der vorteilhaften Angebotsstruktur seiner Produkte. Die Nachfrage nach den im Süden typischerweise mit Handel vertriebenen Gütern war auf nationaler sowie internationaler Ebene höher als nach solchen des Nordens. Internationaler Handel und entsprechende Investitionsanreize gingen mit dem Ausbau dieser Wirtschaftsstrukturen einher. Jahrzehnte später zeigte sich dieses wirtschaftliche Gefälle nach dem Vietnamkrieg deutlich.59 Mit dem Sieg des Nordens über den Süden erfolgte der Wiederaufbau des wiedervereinten Landes im Rahmen der Planwirtschaft. Die wirtschaftliche Produktion von Nord und Süd sollte hierfür harmonisiert werden. Die geschichtlich bedingte unterschiedliche Wirtschaftsstruktur beider Regionen wurde hierbei jedoch außer Acht gelassen. Die seit 1986 eingeleitete „Ðoˆ i mo´,i“-Reform60 hat unter anderem nach diesem gescheiterten Versuch, die nordvietnamesische Wirtschaftspolitik auf Südvietnam anzuwenden, die wirtschaftspolitische Neuausrichtung eingeleitet.61 Die damals nach der Wiedervereingung eintretende mangelnde Wirtschaftlichkeit und damit einhergehende abnehmende finanzielle wirtschaftliche Unterstützung anderer kommunistischer Staaten sowie die unwirtschaftlich zentral geführte Staatsverwaltung setzten die Regierung unter Druck, ihren Staatshaushalt nachhaltig zu sanieren, was mit der „Ðoˆ i mo´,i“-Reform geschah. Schlüssel dieser Reform war die Dezentralisierung in allen Kernbereichen. Das ermöglichte unter anderem, wieder an die historisch bestehenden lokalen wirtschaftlichen Gegebenheiten anzuknüpfen62 und hierdurch den wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Zur ersten Orientierung werden zunächst die einzelnen Stationen der steuergeschichtlichen Entwicklung angerissen. Die zur Annäherung an den steuerrechtskulturellen Kontext erforderliche interpretatorische Sichtweise der Steuergeschichte wird im Anschluss am Beispiel des Einkommensteuerrechts erörtert. In diesem wird schwerpunktmäßig die geschichtliche Entwicklung des Einkommensteuerrechts vor dem Hintergrund der Vereinigung von Nord- und Südvietnam thematisiert. (a) Entwicklung bis 1954 Vor der politischen Teilung des Landes am 17. Breitengrad63 in das kommunistische Nordvietnam und das kapitalistische Südvietnam gemäß dem im Rahmen der 59
Siehe hierzu auch die in einer vietnamesischen Dissertation vertretene Auffassung, jedoch ohne weitere Verweisung: Nguye˜ˆ n Xuân So,n, Vervollständigung der Einkommensteuerpolitik in Vietnam nach Maßgabe des Integrationsprozesses in die internationale Wirtschaft (Hoàn thieˆn chính sách thueˆ´ thu nhaˆp o, Vieˆt Nam phù ho,p vo´,i quá trình hoˆi nhaˆp kinh teˆ´ quoˆ´c ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ te´ˆ ), Diss.,˙Hanoi 2007, S. 63 f. 60 Siehe die Entscheidung der VI. Nationalversammlung der Kommunistischen Partei Vietnams vom 18. 12. 1986 (Nghi quyeˆ´t Ðai hoˆi d¯ai bieˆ u toàn quoˆ´c laˆ`n thu´, VI Ða ¨ ng Coˆng sa ¨ n ˙ Vieˆt Nam, ngày 18 tháng 12 na˘ m˙ 1986). ˙ ˙ ˙ ˙ 61 Siehe m.w.N. Merette, Sarah, Vietnam’s North-South Gap in Historical Perspective: The Economies of Cochinchina and Tonkin, 1900 – 1940, Diss., London 2013, S. 287. 62 Siehe ebenda, S. 287 – 290. 63 Siehe Art. 1 S. 2 des Abkommens über den Waffenstillstand in Vietnam vom 20. 07. 1954.
40
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Indochina-Konferenz64 beschlossenen Genfer Abkommen65 vom 20. 07. 1954 wurde der als Tongkin bezeichnete Norden Vietnams und das als Annam und Cochinchina bezeichnete Mittel- und Südvietnam einem für französische Kolonien grundsätzlich typischen Steuersystem66 unterworfen. Im Detail jedoch unterschieden sich diese ausnahmsweise nicht nur von anderen Kolonien, sondern auch untereinander.67 Dahinter stand die koloniale Wirtschaftspolitik der „mise-en-valeur“ (sogenannte Inwertsetzung).68 Mit dieser wurde das Ziel verfolgt, einen größeren Nutzen aus den besetzten Teilen Indochinas, insbesondere Tongkin, Annan und Cochinchina, zu ziehen, und zwar durch die Modernisierung der Produktion, den Aufbau und Ausbau der Infrastruktur sowie durch eine kostengünstige und gleichzeitig auch effektive koloniale Verwaltung.69 Maßgebliche Steuern in Indochina waren daher Verbrauchssteuern auf Opium, Salz und Reiswein. Diese Politik führte jedoch nur im südlichen Teil, in Cochinchina, zu den gewünschten Ergebnissen, da Tongkin, der nördliche Teil Vietnams, als Protektorat geführt wurde. Mit der Implementierung eines Protektorats wurde die einheimische Verwaltungsstruktur beibehalten. Die kolonialen Machtentscheidungen und ihre Umsetzungen durch die einheimische Verwaltung führten immer wieder zu Interessenskollisionen.70 Die einheimische Bevölkerung entwickelte vor diesem Hintergrund eine stärkere Ablehnung der Fremdherrschaft.71 Die staatlichen Ausgaben im Norden wurden daher vorwiegend für die politische Stabilisierung verwendet, das heißt für die verlässliche Aufsicht über die einheimische Verwaltung, für die politische Öffentlichkeitsarbeit, aber auch für die Niederschlagung von Aufständen und für den Ausbau eines funktionierenden Sicherheitsapparates gegen Aufständische.72 Rebellionen gingen einher mit wirtschaftlichem Abschwung, Produktions- sowie Steuerausfällen73 und waren daher so weit wie möglich zu unterbinden. Zusammenfassend hatte dies zur Folge, dass die als Protektorat verwaltete nördliche Region wirtschaftlich geschwächt wurde, während 64
statt.
Die Indochina-Konferenz fand zwischen dem 26. April und dem 21. Juli 1954 in Genf
65 Abkommen über den Waffenstillstand in Vietnam vom 20. 07. 1954 und Genfer Abkommen zur Konferenz über das Problem der Wiederherstellung des Friedens in Indochina, am 21. 07. 1954 verkündet. 66 Siehe hierzu allgemein auch einen historischen Aufsatz von einem der vier Experten der Kommission des Völkerbundes, Seligman, Edwin R.A., The French Colonial Fiscal System, Essays in Colonial Finance by Members of the American Economic Association, 3. Aufl., Vol. 1, Nr. 3, 1900, S. 21 – 39 bzw. 409 – 427. 67 Ebenda, S. 23 f. bzw. S. 423 f. 68 Siehe hierzu ausführlich vom Urheber dieser Politik selbst: Sarraut, Albert, La Mise En Valeur Des Colonies Françaises, Paris 1923. 69 Ebenda, S. 498 f. 70 Zum Ganzen: Merette, Sarah, Vietnam’s North-South Gap in Historical Perspective: The Economies of Cochinchina and Tonkin, 1900 – 1940, Diss., London 2013, S. 111. 71 Ebenda. 72 Ebenda, S. 135. 73 Ebenda, S. 142, S. 279.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
41
die als Kolonie verwalteten restlichen Regionen wirtschaftlich durch den französischen und den internationalen Handel gefördert wurden.74 (b) Entwicklung von 1954 bis 1975 Die Entwicklung der Steuern zwischen den Jahren 1954 und 1974 in Südvietnam soll in der folgenden statistischen Auswertung veranschaulicht werden. Die Tabelle gibt die Steuerarten sowie die entsprechenden Steuereinnahmen für diese Jahre wieder.75 Im Juli 1973 trat das Gesetz über die Umsatzsteuer in Kraft und wurde dementsprechend in der Tabelle berücksichtigt.76 Aus der Tabelle lässt sich entnehmen, dass die größten Steuereinnahmen aus den Verkehrssteuern stammen. Das resultiert aus dem Umstand, dass die Steuern direkt an der Quelle erhoben wurden.77 Durch die Einführung von Quellenbesteuerungen erhöhten sich daher 1967 die Steuereinnahmen aus direkten Steuern, blieben aber im Verhältnis zu den anderen Steuereinnahmen niedrig.78 Die in den 1970er Jahren eingeführten Reformen im Hinblick auf die Umsatzsteuer erhöhten die Steuereinnahmen drastisch. Die Entwicklung der Steuern im kommunistischen Norden konnte nicht nachgezeichnet werden. Entsprechende Daten für Nordvietnam lagen dieser Untersuchung nicht vor. (c) Entwicklung von 1975 bis 1986 Nachdem der kommunistische Norden 1975 die Macht in Südvietnam ergriff, wurde weder das Steuersystem im Norden noch im ehemaligen Südvietnam geändert.79 Die Übertragung des nordvietnamesischen Steuersystems auf den Süden sollte schrittweise erfolgen.80 74
Zum Ganzen: ebenda, S. 142, S. 279. Siehe Dacy, Douglas C. Foreign aid, war, and economic development – South Vietnam, 1955 – 1975, 1986, Tabelle 11.2, 215; zur teilweisen Überprüfung der Ursprungsquelle siehe auch für die Jahre 1962 – 1963 in Dacy, Douglas C., Fiscal System of Wartime Vietnam, S. 337, Institute for Defense Analyses, Tabelle 1 S. 8. Dort ergibt sich, dass die Daten direkt vom vietnamesischen Direktorat für allgemeine Besteuerung stammen. 76 Siehe Dacy, Douglas C. Foreign aid, war, and economic development – South Vietnam, 1955 – 1975, Cambridge 1986, S. 18. 77 Siehe United States Operations Missions, Public Administration Bulletin Vietnam, Nr. 8, 1963, S. 3. Bezug genommen wird auf die Studie von Davis, Ray E., Progress Report of Vietnam Internal Tax System: Showing accomplishments of 1962, including work program for 1963 and recommendations. 78 Siehe Dacy, Douglas C., Foreign aid, war, and economic development – South Vietnam, 1955 – 1975, Cambridge 1986, S. 214. 79 Direktive über die Steuererhebung in den Städten des Südens, Nr. 09/CT-UB, vom 03. 01. 1979, (Chi thi 09/CT-UB ve`ˆ công tác thu thue´ˆ o, thành pho´ˆ na˘ m 1977 do Uy ban nhân dân thành ˙ pho´ˆ Ho`ˆ Chí Minh ban hành); siehe auch die Mitteilung des Volkskomittees der Stadt Ho-Chi Minh Stadt, Nr. 45/TB-UB, vom 01. 03. 1979 (Thông báo 45/TB-UB veˆ` thi hành chính sách thueˆ´ công thu,o,ng nghieˆp do Uy ban nhân dân thành pho´ˆ Ho`ˆ Chí Minh ban hành). ˙ 75
4,3
0,6
5,7 1,0 6,7
4,6
0,5
5,8 1,1 6,9
5,7 1,2 6,9
0,6
4,3
0,8
6,1 1,1 7,2
0,7
4,6
0,8
6,9 1,6 8,5
0,6
5,4
0,9
1,6 0,9 0,5 0,2 4,0 0,9 0,3 1,0 1,2 0,1 0,1 0,4 0,9 0,5 0,3 0,1 6,5 1,7 8,2
1,3 0,9 0,2 0,2 3,4 0,6 0,2 0,9 1,1 0,1 0,1 0,4 0,7 0,4 0,2 0,1 5,4 1,6 7,0
0,2 6,0 2,1 8,1
0,1 0,4 0,8 0,4 0,2
1,0 0,7 0,2 0,1 4,2 1,0 0,5 1,1 1,1
1,4 1,1 0,3
3,1 2,5 0,4 0,2 5,5 9,1 12,8 1,3 1,9 2,5 0,9 2,2 3,4 1,6 2,7 4,1 1,1 1,4 1,7 0,2 0,1 0,2 0,3 0,5 0,7 0,6 1,1 2,3 3,0 0,5 1,1 1,3 0,2 0,4 0,6 0,1 0,4 0,6 0,3 0,4 0,5 7,6 12,8 18,9 3,2 4,0 5,9 10,8 16,8 24,8
1,0 0,8 0,2
4,1 2,9 0,5 0,7 13,6 3,0 3,4 4,4 1,8 0,2 0,2 0,6 3,0 1,1 0,7 0,7 0,5 20,7 6,6 27,3
5,4 3,6 0,6 1,2 19,7 5,8 4,9 5,2 2,9 0,2 0,4 0,3 4,9 2,9 0,9 0,9 0,2 30,0 5,9 35,9
8,0 6,7 1,0 0,3 28,2 9,3 6,6 7,4 3,3 0,3 0,5 0,8 5,8 3,2 1,2 1,1 0,3 42,0 9,0 51,0
10,0 16,3 28,5 39,8 8,7 14,0 25,4 38,3 1,3 1,9 0,4 37,8 49,1 133,4b 203,6b 12,7 16,3 8,4 9,4 11,6 17,7 3,6 3,8 0,3 0,3 0,8 0,9 0,4 0,7 6,8 8,2 7,4 7,5 3,6 3,8 1,6 2,4 1,0 0,9 0,6 1,1 54,6 73,6 169,3 250,9 13,9 25,7 29,3 46,1 68,5 99,3 198,6 297,0
a Data sources: data for 1956 – 61 from A1D-VN (annual, no. 9, p. 49). These data are for overlapping seventeen-month periods corresponding to the Vietnamese fiscal years. During periods when the annual receipts did not change significantly, the seventeen-month period corresponded reasonably well with the calendar year. Data for 1962 and 1963 from Dacy (1969a, Tables 1 and 2). Data for 1964 – 72 from AID (1974b, Apr.-Dune, p. 14). Data for 1973 and 1974 from AID (1974b, Oct.-Dec.). b These figures include the value-added tax put into effect in 1973. c Figures in this row comprise receipts form government agencies, miscellaneous receipts, reimbursements, refunds, and special receipts as listed in AID-VN (annual, no. 9, p. 49).
0,8
0,7
1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974
Direct taxes 0,7 lncome tax Patente Other lndirect & excise 3,7 Production tax Beer & beverages Tobacco Gasoline Motor vehicles Entertainment Other Registration taxes 0,6 Registration & inheritance Dividends Super rent Other Total taxes 5,0 Administrative revenues‘ 0,9 Total revenues 5,9
Source
Table 11.2. Domestic revenue collections in South Vietnam, 1956 – 74a (billion piasters)
42 Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
43
(c) Entwicklung seit 1986 bis heute Im Rahmen der seit Dezember 1986 eingeleiteten „Ðoˆ i-mo´,i-Reformen“ wurden zwischen 1990 und 1995 (erste Phase) Steuerreformen durchgeführt.81 Sie hatten das Ziel, ausreichende Staatseinnahmen sicherzustellen. Die Steuerreformen konzentrierten sich daher auf die Einführung der Importsteuer (1988),82 der allgemeinen Verkehrssteuer83 mit Steuersätzen zwischen 0,5 bis 40 Prozent sowie einer besonderen Verkehrssteuer84 und der Gewinnsteuer.85 Des Weiteren wurden die landwirtschaftliche Nutzungssteuer,86 die Erwerbsteuer für die Übertragung von Grundstücksnutzungsrechten,87 die Steuer auf natürliche Ressourcen88 sowie die Einkommensteuer89 in der ersten Phase der Reform eingeführt.90 Diese Änderungen hatten Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt sowie auf den Staatshaushalt. In dem Zeitraum von 1996 bis 2005 wurde die Steuerpolitik vor allem durch die Aufhebung des US-Embargos bestimmt (zweite Phase).91 Die 11. Nationalversammlung erließ Änderungsgesetze zu den bestehenden Steuern und führte auch
80 Siehe Verordnung zur Reform der Unternehmensteuer und Steuerverwaltung, Nr. 120/ LCT, vom 23. 06. 1980, (Pháp leˆnh su,a d¯oˆ i thueˆ´ công thu,o,ng nghieˆp và thueˆ´ sát sinh na˘ m 1980 ˙ do Uy ban thu,o,ng vu Quo´ˆ c hoˆi˙ ban hành). ˙ ˙ 81 Aus vietnamesischer Sicht: Ngo Dinh Quang/Nguyen Tien Dung, The Tax Reform in Vietnam, Vietnam’s Socio-Economic Development, Nr. 10, 1997. 82 Siehe Gesetz über die Import- und Exportsteuer, Nr. 5-HÐNN8, vom 29. 12. 1987, (Luaˆt ˙ ´ ˆ thue xuaˆ t khaˆ`u, thueˆ´ nhaˆp khaˆ`u hàng maˆu dich). ˙ ˙ ˙ 83 Gesetz über die Umsatzsteuer, Nr. 270B-NQ/HÐNN8, vom 30. 06. 1990 (Luaˆt Thueˆ´ Doanh ˙ thu). 84 Gesetz über besondere Verkehrsteuern, Nr. 270B-NQ/HÐNN8, vom 30. 06. 1990, (Luaˆt ˙ thueˆ´ tiêu thu d¯a˘c bieˆt). ˙ ˙ ˙ 85 Gesetz über die Steuer auf Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit, Nr. 270b-NQ/HÐNN8, vom 30. 06. 1990 (Luaˆt Thueˆ´ Lo,i tu´,c). ˙ ˙ 86 Gesetz über die landwirtschaftliche Nutzungssteuer, 23-L/CTN, vom 10. 07. 1993, (Luaˆt ˙ , ´ thueˆ Su dung Ðaˆ t Nông nghieˆp). ˙ ˙ 87 Gesetz über die Erwerbssteuer für die Übertragung von Grundstücknutzungsrechten, 35L/CTN, vom 22. 06. 1994, (Luaˆt Thueˆ´ Chuyeˆ n quyeˆ`n su, dung Ðaˆ t). ˙ ˙ 88 Verordnung über die Steuern auf natürliche Ressourcen, 34-LCT/HÐNN8 30/03/1990, ´ ˆ ˘ (Pháp leˆnh Thue Tài nguyên nam). ˙ 89 Verordnung über die Einkommensteuer von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen, Nr. 50-LCT/HÐNN8, vom 07. 01. 1991, (Pháp leˆnh Thue´ˆ thu nhaˆp d¯o´ˆ i vo´,i ngu,o`,i có thu nhaˆp ˙ ˙ ˙ cao). 90 Bericht über die Reformen bis 1996 aus Sicht einer in Vietnam ansässigen US-amerikanischen Kanzlei: Duyen, Vo Da Duyen/Vecchi, Sesto, Tax Refocus in Vietnam, Vietnam Law & Legal Forum, January 1997, Vol. 3, Nr. 29, S. 22. 91 A.A. Becker, Ralph: Er sieht vor allem die Asienkrise als Grund für die Reformen, Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 2 f. in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam in Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012); für eine Bestandsaufnahme bis 2002 siehe Pott, Phuong-Mai, Recent Developments in the Vietnames Tax System, APTB Vol. 8 Nr. 4, S. 117 – 132.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
neue Steuergesetze ein, unter anderem das Unternehmensteuergesetz,92 das die Gewinnsteuer ersetzte. Zudem trat nun an die Stelle der allgemeinen Verkehrssteuer das Umsatzsteuersystem.93 Die Aufhebung des US-Embargos löste eine steuerliche Investitionsförderungspolitik aus.94 Zwischen 2006 und 2010 wurde zur Stabilisierung der steuerlichen Staatseinnahmen die steuerpolitische Zielsetzung auf Steuersenkung, Erweiterung von Steuerquellen sowie Förderung von Produktion und Investitionen gerichtet. Die damit einhergehenden Steuerreformen zielten auf eine internationale Integration, Transparenz sowie die Reform der Besteuerungsgrundlagen durch die Verfeinerung des Betriebsausgabenabzugs (dritte Phase) ab. Mit Abschluss der dritten Phase wurde die Grundstruktur eines marktwirtschaftsfähigen Steuersystems implementiert, das auch die Vorgaben der seit 2006 bestehenden WTO-Mitgliedschaft erfüllt.95 Mit der Steuerreformstrategie 2011 bis 2020 soll unter den oben genannten Zielsetzungen das Steuersystem weiter ausgebaut und verfeinert werden.96 (d) Entwicklung des Einkommensteuerrechts seit der französischen Kolonialzeit Das vietnamesische Einkommensteuerrecht hat innerhalb von 150 Jahren eine Vielzahl von Änderungen durchlebt. Sie reichen von der französischen Kolonialzeit und den damit verbundenen militärischen Konflikten sowie der sich daran anschließenden politischen Teilung des Landes und den kriegerischen Auseinandersetzungen über die Einführung der Planwirtschaft nach der kommunistisch geprägten Wiedervereinigung bis hin zu deren notwendiger Überführung in eine international integrierte Marktwirtschaft. Der ursprüngliche, durch die französische Kolonialzeit geprägte Einkommensbegriff des vietnamesischen Steuerrechts umfasste Einkunftsquellen, die der Steuerpflichtige regelmäßig aus dem Vermögen, Handel sowie
Unternehmenssteuergesetz, Nr. 57-L/CTN, vom 10. 05. 1997, (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp doanh ˙ ˙ nghieˆp). 93˙ ´ ˆ ˘ Umsatzsteuergesetz vom 10. 05. 1997 (Luaˆt Thue giá tri gia tang). ˙ ˙ 94 Siehe 7. Zentralkomittee der kommunistischen Partei Vietnams, Bericht zur VIII. Nationalversammlung der Partei vom 28. 06. 1996 – 1. 7. 1996, S. 4 (Báo cáo Chính tri cua Ban ˙ a Ðang). Chaˆ p hành Trung u,o,ng Ða ¨ ng khóa VII tai Ðai hoˆi d¯ai bieˆ u toàn quoˆ´c laˆ`n thu´, VIII cu ¨ ˙ ˙ ˙ ˙ 95 Siehe auch Becker, Ralph, Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 7 in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 96 Entscheidung über die Bestätigung der Strategie zur Steuerreform 2010, Nr. 201/2004/ QÐ-TTg (Quye´ˆ t d¯inh 201/2004/QÐ-TTg phê duyeˆt chu,o,ng trình ca ¨ i cách heˆ tho´ˆ ng thue´ˆ d¯e´ˆ n ˙ 2010 – 2020, ˙ ˙ Stratgie zur Steuerreform na˘ m 2010); Entscheidung über die Bestätigung der Nr. 732/QÐ-TTg, vom 17. 05. 2011, (Quyeˆ´t d¯inh 732/QÐ-TTg na˘ m 2011 veˆ` phê duyeˆt Chieˆ´n ˙ lu,o,c ca ¨ i cách heˆ tho´ˆ ng thue´ˆ giai d¯oan 2011 – ˙2020 do Thu tu,o´,ng Chính phu ). ˙ ˙ ˙ 92
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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aus seiner Berufsausübung bezog.97 Die Bemessungsgrundlage der vietnamesischen Einkommensteuer wurde allmählich über die Zeit durch Hinzutreten weiterer zur Besteuerung bestimmter Einkunftsquellen breiter. Eine der frühesten Steuern auf das Einkommen war die Kopfsteuer.98 Die Voraussetzung der „Regelmäßigkeit“ führte dazu, dass zunächst Kapitaleinkünfte und Glücksspielgewinne nicht der Besteuerung unterlagen. 1938 wandelte sich die Kopfsteuer in zwei Steuerarten. Die erste umfasste Löhne, Renten und ähnliche regelmäßige Zahlungen an natürliche Personen, die der Pauschalbesteuerung unterworfen wurden. Die zweite Steuerart betraf sämtliche Einkunftsquellen. Darunter fielen erneut Löhne. Diese Einkunftsquellen wurden einer tariflichen Besteuerung unterworfen. 1941 wurden die Landwirtschaftsteuer und die Wirtschafts- und Industriewirtschaftsteuer für Unternehmen eingeführt. 1943 wurde die Prämisse der Regelmäßigkeit aufgehoben. Lotteriegewinne wurden gesetzlich als nichtsteuerbar qualifiziert. Kapitaleinkünfte wurden in der Gewinnsteuer besteuert. Im Zuge der Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs der Kommunistischen Partei in Nordvietnam wurden zudem im Jahr 1951 strafähnliche Steuern gegenüber der vermögenden Bevölkerung im Norden erlassen.99 Die in einen militärischen Konflikt mündende Teilung des Landes musste sowohl vom Norden als auch vom Süden finanziert werden.100 Der Rückzug französischen Kapitals musste in beiden Teilen des Landes ersetzt werden.101 Für Südvietnam gelang das zum Teil durch Entwicklungshilfe und Investitionen aus den Vereinigten Staaten. Neben dem Aufbau eines tragbaren Steuersystems102 sollte die Anknüpfung an die Investitionsstrukturen,103 die während der französischen Kolonialherrschaft geschaffen wurden,104 die Wirtschaft Südvietnams stabilisieren und durch den 97 Taylor, Milton C., The Taxation of Income in Viet-Nam, Michigan State University, April 1959, S. 3. 98 Ebenda. 99 Central Intelligence, Failure of the Geneva Settlement in Evolution of the War – Origins of the Insurency 1954 – 1960, Aktz.: IV A. 5. Tab 1. S. 11 mit umfangreichen weiteren Nachweisen, NND 63316, freigegeben 2011 (Pentagon Papers). 100 Siehe Central Intelligence, Stanley Mission S. 61, Kennedy Program and Commitments 1961, Aktz.: IV B 1, NND 63316, freigegeben 2011. Für Vietnam gut dokumentiert: Siehe Taylor, Milton C., The Taxation of Income in Viet-Nam, Michigan State University; Dacy, Douglas C., The Fiscal System of Wartime Vietnam, Institute for Defense Analyses, Study S337; siehe auch das Memorandum der Abteilung Civil Operations and Revolutionary Development Support, Unterabteilung Quantitative Studies of Legal Taxation in IV Corps Tactical Zone, Memorandum vom 29. 04. 1969 von Jones, Leroy adressiert an Vann, John P. 101 Siehe historische gesammelte Gespräche zwischen Baze und Faure in Fußnote 46 bei Statler, Kathryn, Replacing France: The Origins of American Intervention in Vietnam, 2007, S. 202. 102 Siehe US-Finanzministerium, Commissioner of International Revenue, Annual Report for the Fiscal Year ended in June 30, 1966, S. 48. 103 Siehe m.w.N. hierzu Merette, Sarah, Vietnam’s North-South Gap in Historical Perspective: The Economies of Cochinchina and Tonkin, 1900 – 1940, Diss., London 2013, S. 287 – 290. 104 Siehe auch Teil 1 III. 1. b) aa) (1).
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Ausbau dieser Strukturen stärken.105 Trotz rechtlicher Reformen und wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Ankurbelung ausländischer Investitionen von Seiten Südvietnams sowie den Vereinigten Staaten106 sah sich die südvietnamesische Regierung zunehmend dem Druck ausgesetzt, sich für die langsamen Steuer- und Wirtschaftsreformen gegenüber den Vereinigten Staaten rechtfertigen zu müssen.107 Diese subventionierten nämlich den südvietnamesischen Staatshaushalt. Die mangelhafte Steuererhebung108 und die fehlende Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip sowie die investitionshemmenden Mechanismen des Steuersystems und die zu kurz gekommene Bemessungsgrundlage hemmten die staatliche Selbstfinanzierung Südvietnams.109 Aus den gleichen Gründen konnte Nordvietnam ebenfalls nur eine schwache staatliche Selbstfinanzierung vorweisen. Die Entwicklung eines tragfähigen Steuersystems in Nordvietnam konnte mangels Hilfe von außen nicht fortgesetzt werden, so dass Steuern vor allem in Form von Naturalien erhoben wurden und die Dorfbevölkerung mit der Umbenennung der Steuern in „Befreiungssteuer“, das heißt in eine Steuer zur Befreiung Vietnams, zur Abgabe ermutigt wurde.110 Bei Widersetzung gegen die Abgaben wurde zur Vollstreckung der Steuern Waffengewalt eingesetzt.111 Mögliche Doppelbesteuerungen durch die südvietnamesische und nordvietnamesische Regierung aufgrund territorialer Konflikte wurden bei der Steuererhebung auf Seiten des Südens durch niedrigere Steuersätze ausgeglichen.112 Hinsichtlich der Finanzierung der kriegerischen Aus105
Siehe historische gesammelte Gespräche zwischen Baze und Faure in Fußnote 46 bei Statler, Kathryn, Replacing France: The Origins of American Intervention in Vietnam, 2007, S. 202. 106 Siehe den Bericht über die Konferenz zu Investitionsmöglichkeiten in Vietnam vom 28. 02. 1958, A conference on Investment Opportunities in Viet Nam sponsored by American Friends of Vietnam Siles Reporting Service; siehe auch das Gesetz zur Regulierung von Investitionen in Vietnam, Gesetz Nr. 4/72 vom 2. Juni 1972 der Republik Vietnams. 107 Siehe Central Intelligence Agency, Stanley Mission S. 61, Kennedy Program and Commitments 1961, Aktz.: IV B 1, NND 63316, freigegeben 2011; siehe Dacy, Douglas C., Foreign aid, war, and economic development – South Vietnam, 1955 – 1975, Cambridge University Press, 1986, S. 22 ff. 108 Taylor, Milton C., The Taxation of Income in Viet-Nam, Michigan State University, April 1959, S. 89. 109 Ebenda. Siehe auch Dacy, Douglas C, The Fiscal System of Wartime Vietnam, Institute for Defense Analyses, Study S-337, S. 59 110 Richtlinie über die Grundregeln der Steuererhebung in 1969, vom Vietnamesischen ins Englische übersetzt durch die Abteilung IV Corps Tactical Zone, Bericht vom 13. 06. 1969; siehe US-Military Assistance Command, Vietnam, Bericht vom 15. 08. 1969, Aktenzeichen UUPE-U02265; siehe US-Military Assistance Command, Bericht vom 30. 06. 1967, Berichtnummer 6-026-9670-67. 111 Central Intelligence Agency, Special National Intelligence Estimate Number 53-2-61, Bloc Support of the Communist Effort against The Government of Vietnam vom 05. 10. 1961, S. 2, Justifications of the War, Aktz.: V.B.3. Book I, NND 63316, freigegeben 2011 (Pentagon Papers). 112 Siehe Dacy, Douglas C., Foreign aid, war, and economic development – South Vietnam, 1955 – 1975, Cambridge University Press, 1986, S. 114 f.
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einandersetzungen erhielt Nordvietnam von China und der damaligen Sowjetunion erhebliche Unterstützung durch Waffen und Warenlieferungen.113 Nach Kriegsende und Wiedervereinigung im Jahr 1975 versiegten für Südvietnam die finanziellen Mittel aus den Vereinigten Staaten. Der militärische Konflikt mit China und Kambodscha Ende der 1970er-Jahre sowie die Aufrechterhaltung der Streitkräfte und die planwirtschaftliche Subvention von staatlichen Unternehmen zerrten an den staatlichen Mitteln der neuen kommunistischen Regierung. Die angespannte Situation mit China und den USA erforderte für den Aufbau eines sich selbst tragenden Wirtschaftssystems neue Quellen der Entwicklungshilfe, die nur durch die Sowjetunion und die anderen kommunistischen osteuropäischen Staaten hätten gewährt werden können. Die einseitige, auf vietnamesische Nahrungsmittel konzentrierte Wirtschaftspolitik der Sowjetunion verhinderte den Aufbau einer Schwerindustrie, sodass sich Vietnam zwingend wirtschaftlich öffnen musste, was mit der „Ðoˆ i mo´,iReform“114 eingeleitet wurde und seither die Politik Vietnams bestimmt. Mit der Fortentwicklung des im Jahr 1991 eingeführten Einkommensteuerrechts wurde das Wohnsitzprinzip eingeführt.115 Nach Art. 9 der Verordnung über die Einkommensteuer von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen vom 19. 05. 1994, Nr. 33-L/ CTN116 unterliegt jeder, der sich in Vietnam 183 Tage oder mehr im Kalenderjahr aufhält oder in Vietnam über einen festen Wohnsitz verfügt, mit seinem Welteinkommen der Besteuerung.117 Bislang begründeten Ausländer die Steuerpflicht allein durch ihre Anwesenheit in Vietnam (Territorialitätsprinzip).118 Erst mit dem Gesetz über die Einkommensteuer von 2009 wurde auch die unterschiedliche tarifliche Behandlung von Ausländern und vietnamesischen Steuerpflichtigen aufgehoben.119 113
Jian, Chen, China’s Involvement in the Vietnam War, 1964 – 69, The China Quarterly, Nr. 142, 1995, S. 356; Central Intelligence, Communist Aid to North Vietnam, Intelligence Memorandum vom 07. 03. 1968, an den US-Senator Karl Mundt (Freigabe 1999). 114 Siehe Entscheidung der VI. Nationalversammlung der Kommunistischen Partei Vietnams vom 18. 12. 1986, Nghi quyeˆ´t Ðai hoˆi d¯ai bieˆ u toàn quoˆ´c laˆ`n thu´, VI Ða ¨ ng Coˆng sa ¨ n Vieˆt ˙ ˙ ˙ 1986). ˙ ˙ ˙ Nam (Ngày 18 tháng 12 na˘ m 115 Siehe auch Dekret Nr. 05-CP vom 20. 01. 1995 über die Einzelheiten der Umsetzung der Verordnung über die Einkommensteuer von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen vom 19. 05. 1994, Nr. 33-L/CTN. 116 Pháp leˆnh thueˆ´ thu nhaˆp d¯oˆ´i vo´,i ngu,o`,i có thu nhaˆp cao na˘ m 1994, 19/05/1994, Soˆ´ hieˆu ˙ ˙ ˙ 33-L/CTN. ˙ 117 Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Einkommensteuer, Nr. 04/2007/QH12, vom 21. November 2007, (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp cá nhân), siehe auch Art. 9 der Verordnung über die ˙ ˙ mit hohem Einkommen vom 19. 05. 1994 Nr. 33-L/ Einkommensteuer von Steuerpflichtigen CTN. 118 Art. 1 der Verordnung über die Einkommensteuer von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen vom 07. 01. 1991 (Pháp leˆnh thueˆ´ thu nhaˆp d¯oˆ´i vo´,i ngu,o`,i có thu nhaˆp 50-LCT/ ˙ ˙ ˙ HÐNN8). 119 Siehe zur unterschiedlichen Behandlung Art. 10 Abs. 2 der Verordnung über die Einkommensteuer von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen vom 19. 05. 1994, Nr. 33-L/CTN. In die Thematik einführend: Kosters, Bart, The Taxation of Non-Residents under the New Personal Income Tax and Its Application in Relation to Tax Treaties, APTB 2009, S. 248 – 254.
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Die auf die Verordnung von 1991 folgenden Reformen haben zudem dazu geführt, dass sich eine Vielzahl von Freibeträgen und abziehbaren Ausgaben immer mehr durchgesetzt hat. Mit der Reform von 2009 wurden auch Freibeträge und Abzüge aus persönlichen und familiären Gründen eingeführt. Die Einkommensteuer trägt, wie unter (aa) dargestellt, mit 6,8 Prozent der gesamten Steuereinnahmen nur zu einem kleinen Anteil zum Steueraufkommen Vietnams bei.120 (e) Fazit Die getrennten politischen Systeme sowie die getrennten Steuersysteme, die dann ideologisch bis 1986 nach der Wiedervereinigung gemäß der kommunistischen Idee vereint wurden, zeigen den Zwiespalt zwischen Ideologie und wirtschaftlichem Pragmatismus. Dieser Zwiespalt hat sich in einen Konflikt zwischen Wirtschaftsmacht und Gemeinwohl gewandelt. Die Machtposition der Partei ermöglicht es, wirtschaftliche Interessen über die des Gemeinwohls zu stellen. Das Steuerrecht wurde ausschließlich als wirtschaftspolitisches Instrument eingesetzt. Die nähere Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des vietnamesischen Einkommensteuerrechts zeigt, dass Vietnam immer schon mit der Herausforderung zu kämpfen hatte, ein international tragfähiges Steuersystem zu schaffen. Etwaige, in der Vergangenheit erlebte Folgen eines Reformversagens bestimmen die gegenwärtigen steuerpolitischen Entscheidungen und unterstreichen die Nachrangigkeit von Lastenverteilungsfragen, soweit diese selbst nicht als politisch relevant erachtet werden. (2) Verfassungsrechtliche Aspekte Vor dem Hintergrund des vorangegangenen steuergeschichtlichen Querschnitts und des hier zum Vorschein kommenden Einsatzes des Steuerrechts als wirtschaftspolitisches Instrument stellt sich (aus Sicht westlich-demokratisch geschulter Juristen) die Frage, ob der Steuerzugriff durch etwaige höherrangige Freiheitsrechte begrenzt wird. Es stehen sich die „Finanzierung des notwendigen Staatsbedarfs“121 und die persönliche Freiheit des Bürgers gegenüber. Die verfassungsrechtlichen Aspekte eines fremden Steuersystems geben erste Eindrücke, auf welche Weise die Besteuerung gerechtfertigt wird. So könnten die Steuergesetze im Gesamtzusammenhang verfassungsrechtlicher Wertungen geschaffen sein, sodass sich die Steuerrechtfertigung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben messen lassen muss; oder dem Gesetzgeber wird ein mit vorwiegend finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen geprägter Gestaltungsspielraum zugesprochen.122 Über diesen Fragenkomplex geben insbesondere die lan120
Siehe IMF, Government Finance Statistics Yearbook 2015, S. 721. Friauf, Karl-Heinrich, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gesetzgebung über Steuern vom Einkommen und Ertrag, DStJG Bd. 12, 1989, S. 3. 122 Ebenda, S. 3. 121
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deseigene Auffassung zur Rechtsstaatlichkeit, der Gesetzgebungsprozess, etwaige grundrechtliche Implikationen für das Steuerrecht und die Schlichtungsmechanismen von Steuerstreitigkeiten Aufschluss. Entsprechend werden zunächst nachfolgend die verfassungsrechtlichen Aspekte des vietnamesischen Steuerrechts herausgearbeitet. (a) Steuergesetzgebung: sozialistische Rechtsstaatlichkeit Vietnams Rechtsstaatlichkeit unterscheidet sich von der in den westlichen demokratischen Staaten erheblich. Vietnam ist ein Einparteienstaat mit einem Hybrid aus einem marxistisch-leninistischen Rechtssystem einerseits und einem französisch-kontinentaleuropäischen Rechtssystem andererseits. Durchgesetzt haben sich die marxistisch-leninistischen Rechtsprinzipien. Ein demokratisches Verständnis des vietnamesischen Gewaltenteilungsprinzips würde daher zu Missverständnissen führen. Nach unter anderem europäischem Rechtsverständnis dient das Gewaltenteilungsprinzip als Mittel, die Entstehung von autokratischen Strukturen zu hemmen. Dies geschieht dadurch, dass sich die Verfassungsorgane gegenseitig kontrollieren und ein Gleichgewicht der Machtverhältnisse im Staat herstellen. Die sozialistische Rechtsstaatlichkeit (Pháp cheˆ´ xã hoˆi chu nghı˜a) möchte hingegen sichergestellt ˙ wissen, dass die Staatsmacht fähig bleibt, durch alle drei Gewalten einheitlich zu herrschen. Die Gesellschaft soll so in sozialistischer Weise „mit einer Hand“ gesteuert werden. Dieses Prinzip der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit und das der demokratischen Zentralisierung (taˆp trung dân chu)123 spielen bei der Auslegung der ˙ Vorschriften und für das Verständnis vietnamesischer Regelungstechniken eine gewichtige Rolle. Während beispielsweise die deutschen Finanzgerichte nicht an die vom deutschen Bundesministerium der Finanzen erlassenen Anwendungserlasse gebunden sind, sind in Vietnam die von den autorisierten Regierungsbehörden vorgenommenen Kommentierungen zum Recht für den Rechtsanwender maßgebend.124 Entscheidend wird daher bei der Gesetzesauslegung das sein, was der Gesetzgeber bestimmt, beziehungsweise das, was dem Rechtsverständnis des Finanzministeriums entspricht. In der vietnamesischen Verfassung kommt der Nationalversammlung (Quoˆ´c hoˆi) zwar die Gesetzgebungskompetenz für alle Bereiche zu, ˙ mithin auch für das Steuerrecht.125 Das hierfür erforderliche Fachwissen jedoch kann nur das Ministerium für Finanzen zusammen mit der „Allgemeinen Abteilung für Steuern“ und der „Abteilung für Steuerpolitik“ für sich beanspruchen. Zwar erlässt 123 Zum Ganzen m.w.N.: Bich Lien, Bui Thi, Legal Interpretation and the Vietnamese Version of the Rule of Law, National Taiwan University Law Review 2011, S. 321, 324 ff. 124 Zum Ganzen m.w.N.: ebenda; siehe auch: Pham Tuaˆn Kha ¨ i, Gesetzesauslegung aus ˙ Sicht der Exekutive (Gia ¨ i thích pháp luaˆt – cách nhìn cu a hành pháp), Zeitschrift für Staat und ˙ cu´,u laˆp pháp). Recht 2008. Nr. 120, S. 2, (Tap chí nghiên ˙ ˙ 125 Art. 70 Abs. 4 in der Verfassung der Sozialisitischen Republik Vietnams, Ðie`ˆ u 70 (4) , , ´ Hieˆn pháp nu o´ c Coˆng hòa Xã hoˆi chu nghı˜a Vieˆt Nam und siehe Artikel 15 Abs. 1 (b) des ˙ ˙ Gesetzes über das Erlassen von Rechtstexten, Nr. ˙80/2015/QH13, vom 22. 06. 2015 (Luaˆt Ban ˙ hành Va˘ n ba ¨ n quy pham pháp luaˆt). ˙ ˙
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die Regierung, das heißt der Premierminister sowie der stellvertretende Premierminister, Dekrete mit Anwendungsrichtlinien für das Finanzministerium, wie das Steuergesetz im Einzelnen ausgelegt und angewendet werden soll.126 Die „Allgemeine Abteilung für Steuern“ und die „Abteilung für Steuerpolitik“ sind es jedoch, die die Gesetze entwerfen und umsetzen, sodass die Dekrete dort ihren inhaltlichen Ursprung haben. Für die Umsetzung der Gesetze erlässt das Finanzministerium rechtlich verbindliche Rundschreiben, in denen die Finanzbehörden direkt angeleitet werden, wie das Gesetz sowie die Dekrete anzuwenden seien. Dies ist wiederum Hauptursache für das regelmäßig auftretende Problem, dass die neuen Gesetze nicht zur Anwendung kommen können, bevor die Regierung und die zuständigen Ministerien hierzu die Verwaltungsschreiben erlassen haben.127 Das hat zur Folge, dass das Steuersystem mit den verschiedenen Steuerrechtsquellen widersprüchlich ist.128 Diese Konsequenz wird durch die seit dem Verfahren zur Aufnahme in die Welthandelsorganisation bis hin zum eigentlichen Beitritt vielfach ausgelösten Steuerreformen verstärkt. Diese durch Verzögerungen verursachte Widersprüchlichkeit des Steuersystems wird noch deutlicher, wenn berücksichtigt wird, dass 15 verschiedene Rechtsnormtypen existieren,129 die aufeinander abgestimmt sein müssen. Die Vielfalt der Rechtsnormtypen ermöglicht zwar einerseits die flexible Handhabung wirtschaftlicher Reformbestrebungen, verursacht andererseits aber auch ein Durcheinander von konfligierenden Vorschriften. Zudem wird die Effektivität des vietnamesischen Rechtssystems durch das Fehlen einer unabhängig kontrollierenden Instanz geschwächt. Trotz der jüngsten Verfassungsreform, in der unter anderem den Gerichten Unabhängigkeit bei ihrer Entscheidungsfindung zugestanden wurde,130 bleibt es fraglich, ob darin den Gerichten auch eine unabhängige Auslegungskompetenz zugesprochen wird oder ob die Gerichte an die Auslegungen des Finanzministeriums gebunden sind. Da bereits vor der Verfassungsreform die Richter die Gesetze entsprechend der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit gemäß den interpretatorischen Verwaltungsschreiben ausgelegt haben, ist es wahrscheinlich, dass sich nach dem Prinzip der arbeitsteiligen Gewaltenteilung weiterhin die Unabhängigkeit der Gerichte darin erschöpfen wird, zu überprüfen, ob die von dem Finanzministerium vorgegebenen Rechtsanwendungsvorschriften zutreffend ange-
126
Siehe Artikel 19 Abs. 2 des Gesetzes über das Erlassen von Rechtstexten, Nr. 80/2015/ QH13 vom 22. 06. 2015 (Luaˆt Ban hành Va˘ n ba ¨ n quy pham pháp luaˆt). ˙ ˙ ˙ 127 Siehe Nguyen, Phat Tan, Transfer Pricing – The Vietnamese System in the Light of the OECD Guidelines and the Systems in certain Developed and Developing Countries, Diss., 2009, S. 332 f. 128 Ebenda. S. 333. 129 Siehe Gesetz über das Erlassen von Rechtstexten, Nr. 80/2015/QH13, vom 22. 06. 2015. 130 Vgl. Art. 103 Abs. 2 der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnams vom 28. 11. 2013, Ðieˆ`u 103 (3) Hieˆ´n pháp nu,o´,c Coˆng hòa Xã hoˆi chu nghı˜a Vieˆt Nam: Hiernach sind die ˙ in ihrer Entscheidung ˙ ˙ Richter nur an das Gesetz gebunden und unabhängig.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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wandt worden sind.131 In der Praxis spielen daher die Gerichte eine untergeordnete Rolle und können keinen Beitrag bei der Koordination der konfligierender Rechtsvorschriften leisten. (b) Auslegung und fehlende Gewaltenteilungsstrukturen Die Kompetenz der „Allgemeinen Abteilung für Steuern“ zur Umsetzung der Gesetze weist ihr als Exekutive faktisch die Auslegungshoheit zu.132 Probleme bei der Gesetzesanwendung ergeben sich hierbei vor allem durch die Struktur der Steuerverwaltung. Diese ist dem Ministerium der Finanzen unterstellt. Die Zuständigkeit verteilt sich auf die „Allgemeine Abteilung für Steuern“ und die örtlichen Steuerbehörden.133 Hauptsitz der „Allgemeinen Abteilung für Steuern“ ist Hanoi. Die Behörde bietet den örtlichen Behörden Anleitung bei der Anwendung des Steuerrechts.134 Eine Zweigstelle befindet sich in Ho-Chi-Minh-Stadt. Die örtlichen Steuerbehörden unterteilen sich in Provinz-, Bezirks- und Gemeindeabteilungen. Diese sind für die Veranlagung und Erhebung der Steuern zuständig. Die Umsetzung wird mit Dekreten und Rundschreiben über die Auslegung und Anwendung der Steuergesetze erreicht.135 Bei Steuerfragen136 zu konkreten Fällen kann die „Abteilung für Steuern“ sogenannte Verwaltungsbriefe (công va˘ n)137 an lokale Steuerbehörden und auch an Steuerpflichtige erlassen. Diesen Schreiben kommt keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Allerdings haben sie im konkreten Fall eine präjudizielle Wirkung.138 Folge ist unter Umständen, dass faktisches Recht gesetzt wird, ohne die Ursache der Rechtsunklarheit zu beseitigen. Widersprüchliche 131 Zu der Praxis vor der Verfassungsreform: Nguyen, Phat Tan, Transfer Pricing – The Vietnamese System in the Light of the OECD Guidelines and the Systems in certain Developed and Developing Countries, Diss., 2009, S. 334. 132 Zur Auslegung durch die vietnamesische Exekutive im Allgemeinen: Siehe Pham Tuaˆn ˙ a hành Kha ¨ i thích pháp luaˆt – cách nhìn cu ¨ i, Gesetzesauslegung aus Sicht der Exekutive (Gia pháp), Zeitschrift für Staat und Recht 2008. Nr. 120, S. 2, (Tap chí˙ nghiên cu´,u laˆp pháp). ˙ ˙ 133 Siehe Art. 2 Abs. 6 und auch Art. 3 des Dekrets über die Funktionen, Aufgaben, Kompetenzen und organisatorische Struktur des Ministeriums für Finanzen Nr. 215/2013/NDCP vom 23. 12. 2013, (Nghi d¯inh 215/2013/NÐ-CP quy d¯inh chu´,c na˘ ng, nhieˆm vu, quye`ˆ n han và ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ co, caˆ u toˆ chu´,c cu a Boˆ Tài˙ chính). ˙ 134 Siehe Art. 2 Abs. 3 der Entscheidung über die Funktionen, Aufgaben, Kompetenzen und organisatorische Struktur der „Allgemeinen Abteilung für Steuern“, Nr. 115/2009/QD-TTg, vom 28. 09. 2009, (Quy d¯inh chu´,c na˘ ng, nhieˆm vu, quyeˆ`n han và co, caˆ u toˆ chu´,c cu a Toˆ ng cuc ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ Thueˆ´ tru,c thuoˆc Boˆ Tài chính). ˙ ˙ 135 ˙ Siehe in Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (a). 136 Burke, Fred/Nguyen, Thanh Vinh, Business Operations in Vietnam, BNA Bloomberg, 2014, S. 64. 137 Zur Rechtsgrundlage: Nghi d¯inh 110/2004/NÐ-CP ve`ˆ công tác va˘ n thu,; zu den Ein˙ b) ˙ cc) (5) (e). zelheiten der công va˘ n in Teil 1 III. 138 Siehe Nguyen, Phat Tan, Transfer Pricing – The Vietnamese System in the Light of the OECD Guidelines and the Systems in certain Developed and Developing Countries, Diss., 2009, S. 333.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Vorschriften werden nicht korrigiert. Auslegungsfragen könnten entgegen dem Wortlaut entschieden werden. Die „Allgemeine Abteilung für Steuern“ wird insoweit zum eigentlichen Gesetzgeber.139 (c) Dezentralisierte Steuerverwaltung Eine wie in der südvietnamesischen Republik Vietnams ansatzweise vorherrschende Aufteilung des Steueraufkommens140 zwischen der Zentralregierung und den einzelnen Provinzregierungen141 ist durch die eingeleiteten Wirtschaftsreformen „Ðoˆi mo´,i“142 Schritt für Schritt im Rahmen der Dezentralisierung wieder eingeführt und stärker reguliert worden. Nach der vietnamesischen Verfassung steht der Nationalversammlung die Entscheidungskompetenz über den Staatshaushalt und die Aufteilung der staatlichen Einnahmen zu.143 Die Unterteilung des Staatshaushalts in Zentralhaushalt und Provinzhaushalt ist durch die Verfassung vorgegeben.144 Im Detail ist die Aufteilung der staatlichen Einnahmen auf Zentralregierung und Provinzregierungen im Gesetz über den Staatshaushalt geregelt.145 Danach sind folgende Steuereinnahmen ausschließlich der Zentralregierung zuzuordnen:146 – Umsatzsteuer für importierte Waren – Zolleinnahmen – Luxussteuer für importierte Waren – Umweltschutzsteuer für importierte Waren – Steuern für den Abbau von Mineralstoffen sowie Körperschaftsteuer für Gewinne, die an das Sitzstaatunternehmen ausgeschüttet werden, und andere Umsätze aus der Erdölexploration sowie Erdölgewinnung. Folgende Steuereinnahmen werden zwischen Zentralregierung und den Provinzregierungen aufgeteilt:147 139
Ebenda. Für eine Einführung in das südvietnamesische Steuerrecht, siehe Taylor, Milton C., Local Governement Finance in South Vietnam, The Journal of Developing Areas, 1972, S. 399 und siehe University of Hawaii (Honolulu), Asia Training Center für die Berichterstattung durch einen sachverständigen Repräsentanten des USAID, Debrief of a tax advisor (administration) Saigon, Vietnam, 1966 – 1967, S. 7. 141 Vietnam ist in 53 Provinzen aufgeteilt. 142 Siehe Entscheidung der VI. Nationalversammlung der Kommunistischen Partei Vietnams vom 18. 12. 1986 (Nghi quyeˆ´t Ðai hoˆi d¯ai bieˆ u toàn quoˆ´c laˆ`n thu´, VI Ða ¨ ng Coˆng sa ¨ n Vieˆt ˙ ˙ Nam, ngày 18 tháng 12 na˘ m˙ 1986). ˙ ˙ ˙ 143 Art. 70 Abs. 4 in der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnams. 144 Art. 55 in der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnams. 145 Aktuelle Fassung: Luaˆt ngân sách nhà nu,o´,c, 83/2015/QH13, 25. 06. 2016. ˙ 146 Ebenda. Artikel 35 Abs. 1 im Gesetz über den Staatshaushalt (Luaˆt ngân sách nhà nu,o´,c, ˙ 83/2015/QH13, 25. 06. 2016). 147 , ´, Artikel 35 Abs. 2 Luaˆt ngân sách nhà nu o c, 83/2015/QH13, 25. 06. 2016. ˙ 140
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
53
– Umsatzsteuer, außer solche für importierte Waren – Körperschaftsteuer, außer solche für Gewinne und Umsätze aus der Erdölexploration und Erdölgewinnung – Einkommensteuer – Luxussteuer, außer solche für importierte Waren – Umweltschutzsteuer, außer für importierte Waren. Die nachstehenden Steuereinnahmen fließen ausschließlich den Provinzregierungen zu: – Abbaugebühren, außer solche für die Erdölexploration und Erdölgewinnung – Lizenzsteuer. Die durch das Staatshaushaltsgesetz vorgeschriebene Aufteilung der Steuern ist einer der wesentlichen Mechanismen für die Trennung von Staatshaushalt und Provinzhaushalt. Im Übrigen kennt das Staatshaushaltsgesetz auch einen horizontalen und vertikalen Finanzausgleich.148 Die Steuererhebung erfolgt durch die örtlichen Finanzbehörden.149 (d) Rechtsweg bei Steuerstreitigkeiten Gemäß Art. 6 Abs. 9 des Gesetzes über die Steuerverwaltung hat der Steuerpflichtige das allgemeine Recht, gegen den Steuerbescheid Einspruch gemäß Art. 41 einzulegen. Der Einspruch ist in Art. 116 bis Art. 118 geregelt. Nach Art. 116 ist unter Verweisung auf das Gesetz über das Einspruchsverfahren Nr. 02/2011/QH13 vom 11. 11. 2011 (Luaˆt khieˆ´u nai) der Einspruch bei der Ausgangsbehörde innerhalb ˙ ˙ 90 Tagen ab Bekanntgabe einzulegen, Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes über das Ein150 spruchsverfahren. Ist der Einspruchsführer nicht mit der Einspruchsentscheidung der Ausgangsbehörde einverstanden, so kann er gemäß Art. 7 Abs. 2 erneut Einspruch bei der nächsthöheren Behörde einlegen. Alternativ dazu hat er dann auch das Recht, Klage beim Verwaltungsgericht einzureichen (vgl. Art. 7 Abs. 3 Gesetz über das Einspruchsverfahren). Für Steuerstreitigkeiten sind die Verwaltungsgerichte zuständig.151 Besondere Fachgerichte existieren nicht. 148
Ebenda, Artikel 59 Abs. 3. Allgemeiner: Becker, Ralph: Er geht von einer Steuererhebung durch das Finanzministerium aus, Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 17, in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (Stand: März 2012). 150 Regelung über die Einspruchsfrist: Art. 9 Gesetz über das Einspruchsverfahren, Nr. 02/ 2011/QH13, vom 11. 11. 2011, (Luaˆt khieˆ´u nai). ˙ ˙ 151 Siehe Art. 48 Art. 37 (f) des Gesetzes über die Steuerverwaltung, Nr. 78/2006/QH11 ´ ˆ ´ n ly thue ), welches die Zuständigkeit der Gerichte indiziert, und vom 29. 11. 2006, (Luaˆt qua ¨ Art. 2 Abs. 2 Gesetz ˙ über die Organisation der Volksgerichte, Nr. 62/2014/QH13, vom 149
54
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Das Einspruchsverfahren löst gemäß Art. 41 des Gesetzes über die Steuerverwaltung, wie im deutschen Recht, keine aufschiebende Wirkung aus. Die Aussetzung des Verfahrens ist im Wege eines Eilverfahrens bei Gericht gemäß Art. 66 ff. des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren zu beantragen. (e) Grundrechtliche Implikationen für das Steuerrecht Verfassungsrechtlich äußert sich nur Art. 47 der Verfassung zum Steuerrecht. Danach ist jeder verpflichtet, Steuern zu zahlen, wenn ein Gesetz eine solche Pflicht vorsieht. Daraus lässt sich ableiten, dass das Steuerrecht als Eingriffsrecht erachtet wird, das unter Vorbehalt des Gesetzes operiert. Ferner lassen sich theoretisch aus den Art. 14 bis 49 noch folgende Grundrechte und Pflichten im steuerrechtlichen Zusammenhang ermitteln, jedoch nur, wenn diese im Lichte eines deutschen Verfassungsverständnisses gelesen werden. So könnte wie beim Art. 3 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes ein Leistungsfähigkeitsprinzip aus dem Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 16 der vietnamesischen Verfassung abgeleitet werden, wonach alle Menschen gleich vor dem Gesetz seien und nicht diskriminiert werden dürften. Ferner könnte wie beim Eigentumsschutz nach Art. 14 des deutschen Grundgesetzes das Verbot von erdrosselnden Steuern in das Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 32 der vietnamesischen Verfassung hineingelesen werden. Für eine solche an das deutsche Steuerrecht angelehnte hypothetische grundrechtliche Maßstabsbildung lassen sich im vietnamesischen Rechtssystem auch die hierfür erforderlichen „rechtlichen Infrastrukturen“ finden. Gemäß dem Gesetz über den Erlass von Rechtstexten müssen die einfachen Vorschriften höherrangigem Recht und damit der Verfassung genügen.152 Zudem muss die Kohärenz der erlassenen Vorschriften mit dem bestehenden Rechtssystem und der ihr zugrunde liegenden Politik gegeben sein.153 Diese rechtliche Infrastruktur ermöglicht theoretisch, ein durch einzelne verfassungsrechtliche Prinzipien zusammengehaltenes Steuerrecht zu entwickeln. Trotz dieser günstigen Grundvoraussetzungen bleibt ungewiss, ob sich eine solche Entwicklung abzeichnen wird. Es fehlen vor allem eindeutige rechtliche Instrumente, mit denen der Bürger mit den staatlichen Gewalten einen verfassungsrechtlichen Streit in rechtlich relevanter Weise ausfechten könnte. Geregelt ist insoweit lediglich, dass die Gerichte die jeweiligen Rechtstexte auf die Verfassungsmäßigkeit überprüfen und im Fall eines entdeckten Verstoßes die jeweiligen normsetzenden Institutionen anrufen und ihnen eine Änderung vorschlagen
24.112014, (Luaˆt toˆ chu´,c Tòa án nhân dân), siehe auch Art. 30 Gesetz über das Verwaltungsverfahren, ˙Nr. 93/2015/QH13, vom 25. 11. 2016, (Luaˆt toˆ´ tung hành chính). ˙ ˙ 152 Siehe Art. 5 Abs.1 und u. a. Art. 36 Abs. 2 des Gesetzes über das Erlassen von Rechtstexten, Nr. 80/2015/QH13, vom 22. 06. 2015, (Luaˆt Ban hành Va˘ n ba ¨ n quy pham pháp ˙ ˙ luaˆt). ˙ 153 Ebenda.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
55
sollen.154 Offen bleibt, ob sich der Steuerpflichtige erfolgreich auf die Verfassung berufen kann, wenn er sich gegen Steuerbescheide wendet.155 Vorgeschrieben ist nur, dass bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer bereits in Kraft getretenen Vorschrift die Nationalversammlung, das ständige Komitee der Nationalversammlung, die Ethikkommission und andere Kommissionen der Nationalversammlung, die Regierung sowie Mitglieder auf Ministerialebene verpflichtet sind, gegen dieses Gesetz vorzugehen.156 Diese rechtlichen Rahmenbedingungen lassen die Schlussfolgerung naheliegend erscheinen, dass sich der Steuerpflichtige aus der Verfassungswidrigkeit keine zwingenden Konsequenzen für seine Rechtsstellung erhoffen kann. Eine solche Vermutung findet ihre Bestätigung in der vom sozialistischen Rechtsstaatsprinzip157 als Arbeitsteilung geprägten Gewaltenteilung. (f) Fazit Ungeachtet der durch Art. 47 der vietnamesischen Verfassung verliehenen Eingriffsqualität des vietnamesischen Steuerrechts deuten die sozialistische Rechtsstaatlichkeit mit dem fehlenden originären Gewaltenteilungsprinzip sowie der staatliche Finanzierungsbedarf darauf hin, dass die Besteuerung weniger als Eingriff in die Freiheit des Bürgers betrachtet wird, sondern vielmehr als eine finanzpolitische, volkswirtschaftliche und sozialpolitische Notwendigkeit, deren steuertechnische Umsetzung von der Sicherstellung des staatlichen Finanzierungsbedarfs bestimmt wird. Gerade die den Staatshaushalt schonende Dezentralisierung der Verwaltung, hier der Steuerverwaltung, bedarf zugleich einer einheitlichen Durchsetzung des Steueranspruchs. Unterschiedliche Auslegungen einer Steuernorm könnten zu Steuerstreitverfahren führen. Die Vereinheitlichung der Auslegung und Anwendung ohne Gegenprüfung ermöglicht die zeitnahe Beendigung des Verfahrens. Auch die fehlende Möglichkeit, sich als Bürger wegen einer verfassungwidrigen Anwendung der Steuergesetze zur Wehr zu setzen, spricht dagegen, dass sich die Rechtfertigung der Besteuerung in Vietnam an verfassungsrechtlichen Wertungen, wie etwaiger Freiheitsrechte, messen lassen müsste. (3) Steuersätze und Struktur des vietnamesischen Steuersystems Das bisher entworfene Bild des vietnamesischen Steuersystems wird durch die nachfolgende Darstellung der ertragsteuerlichen Steuersätze und der daran anschließenden Struktur des Steueraufkommens ergänzt. 154 Siehe Art. 2 Abs. 7 des Gesetzes über die Organisation der Volksgerichte, Nr. 62/2014/ QH13, vom 24. November 2014. 155 Näheres zum Steuerstreitverfahren in Vietnam siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (d). 156 Burke, Fred/Nguyen, Thanh Vinh, Business Operations in Vietnam, BNA Bloomberg, 2014, S. 47. 157 Im Detail zum sozialistischen Rechtsstaatsprinzip siehe die Ausführungen unten unter Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (a).
56
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
(a) Einkommensteuersätze Für regelmäßige Einkunftsquellen kommt, wie in der Tabelle 2 unten dargestellt, ein progressiver Steuersatz zur Anwendung. Tab. 2 Einkommensteuersätze Vietnam Progressionssteuersatz Monatliches Einkommen in Vietnamesischen Dong (VND)158
Steuertarif159
Ab 5.000.000
5%
Bis 10.000.000
10 %
Bis 18.000.000
15 %
Bis 32.000.000
20 %
Bis 52.000.000
25 %
Bis 80.000.000
30 %
Ab 80.000.000
35 %
Die sogenannten unregelmäßigen Einkunftsquellen unterliegen einer Definitivbesteuerung.160 Innerhalb dieser Gruppe unterscheiden sich je nach Einkunftsart die Steuersätze, siehe Tabelle 3. Tab. 3 Definitivbesteuerung bei unregelmäßigen Einkünften Definitivbesteuerung bei unregelmäßigen Einkünften Steuertarif161
Einkunftsart Kapitaleinkünfte
162
5%
Lizenzeinnahmen163 Lotteriegewinne und Ähnliches Erbschaft und Schenkung165
5% 164
10 % 10 %
158 Die Währung unterliegt erheblichen Schwankungen. 1,– EUR entspricht ca. 25.000 bis 30.000 VND. 159 Ebenda. 160 Artikel 23 des vietnamesischen Einkommensteuergesetzes vom 21. 11. 2007, Nr. 04/ 2007/QH12, (Luaˆt Thue´ˆ thu nhaˆp cá nhân) i.V.m. Art. 2 Abs. 7 des Steueränderungsgesetzes ˙ vom 26. 11. 2014,˙ Nr. 71/2014/QH13, (Luaˆt su,a d¯oˆ i các luaˆt ve`ˆ thue´ˆ ). ˙ ˙ 161 Artikel 23 des vietnamesischen Einkommensteuergesetzes vom 21. 11. 2007, Nr. 04/ 2007/QH12, (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp cá nhân) i.V.m. Artikel 2 Abs. 7 des Steueränderungsgesetzes ˙ vom 26. 11. 2014,˙ Nr. 71/2014/QH13, (Luaˆt su,a d¯oˆ i các luaˆt ve`ˆ thue´ˆ ). ˙ ˙ 162 Artikel 12 des vietnamesischen Einkommensteuergesetzes vom 21. November 2007, ´ Nr. 04/2007/QH12, (Luaˆt Thueˆ thu nhaˆp cá nhân). ˙ ˙ 163 Ebenda, Artikel 16 und Artikel 17. 164 Ebenda, Artikel 15. 165 Ebenda, Artikel 18.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung Tab. 3 (Fortsetzung) Kapitalverkehrseinkünfte166 Anteilsübertragung167
57
20 % 0,1 % (des Veräußerungspreises)
168
Grundstücksübertragung
2 % (des Veräußerungspreises)
Durch die unterschiedlichen Steuersätze wird die Leistungsfähigkeit von der Einkunftsart abhängig gemacht.169 Ob eine solche unterschiedliche Behandlung zulässig ist, kann in Anbetracht der Eigenschaft des vietnamesischen Steuerrechts als primär wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument dahinstehen. (b) Unternehmen- und Körperschaftsteuersätze Zur Ankurbelung der Wirtschaft wurden die Unternehmensteuersätze in den letzten Jahren sukzessive gesenkt. So betrug bis 2014 der Unternehmensteuersatz 25 Prozent, dann 22 Prozent, seit 01. 01. 2016 20 Prozent.170 Zudem werden auch ermäßigte Steuersätze in Höhe von 10 Prozent und 17 Prozent gewährt, abhängig von Investitionsvorhaben und Region.171 (c) Struktur des vietnamesischen Steuersystems Die Struktur des vietnamesischen Steuersystems lässt sich anhand der Struktur des Steueraufkommens, der dem Steuersystem zugrunde liegenden Wirtschaftsordnung sowie eines etwaigen Sozialsystems ablesen. (aa) Struktur des Steueraufkommens Aus der unteren Tabelle 4 lässt sich entnehmen, dass Vietnams Hauptsteuereinnahmequellen die Unternehmensteuer und die Verkehrsteuern sind. Die Einkommensteuer hat deutlich nur einen geringen Anteil. Die gesamten Steuereinnahmen machen 19,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Körperschaftsteuer und die Verkehrssteuern bilden drei Viertel der gesamten Steuereinnahmen.
166
Ebenda, Artikel 13. Ebenda. 168 Ebenda, Artikel 14. 169 Ähnl. Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank 30. 11. 2011, S. 41. 170 Art. 1.6 und Art. 2 des Gesetzes über die Änderung des Unternehmenssteuergesetzes, Nr. 32/2013/QH13, vom 19. 06. 2013; Art. 10 des Dekrets Nr. 218/2013/ND-CP vom 26. 12. 2013 (geändert durch das Dekret Nr. 91/2014/ND-CP vom 01. 10. 2014 und Dekret Nr. 12/ 2015/ND-CP vom 12. 02. 2015). 171 Ebenda, Art. 1.7. 167
58
Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams Tab. 4 Steuereinnahmen Vietnam 2013 vom BIP
Steuereinnahmen Vietnam 2013 Steuereinnahmen gesamt: 683.514 Mrd. Vietnamesische Dong (VND) Steuerart
In Mrd. VND
% des Steueraufkommens172
% BIP173
Einkommensteuer
46.548
6,8
Körperschaftsteuer oder Unternehmensteuer
231.146
33,8
Vermögensteuer
1.516
0,2
Verkehrsteuer (national)
222.131
32,5
Luxussteuer
92.071
13,5
Verkehrsteuer (international)
78.253
11,4
2,19
Sonstige Steuer
11.849
1,7
0,33
7,74 0,04 8,76
Quelle: IMF Government Finance Statistics Yearbook 2015174
Zum Vergleich wird nachfolgend in Tabelle 5 die Steuerstruktur Deutschlands für das Jahr 2014 verkürzt aufgezeigt. Steuereinnahmen Deutschland 2014 Steuereinnahmen gesamt: 665 Mrd. EURO Steuerart
In Mrd. EUR
% des Steueraufkommens175
Einkommensteuer
259
38,94
Körperschaftsteuer
71
10,67
Verkehrsteuer (national)
203
30,52
% BIP176 11,63 6,99
Quelle: IMF Government Finance Statistics Yearbook 2015177
172 Entsprechend der Werte aus dem IMF-Jahrbuch IMF, Government Finance Statistics Yearbook 2015 berechnet. 173 Laut IMF Financial Yearbook 2016 betrug in 2013 das Bruttoinlandsprodukt 3.584.262. Mrd VND, S. 865. 174 Die vom IMF verwendeten Werte wurde vom Vietnamesischen Ministerium für Finanzen zur Verfügung gestellt, siehe IMF, Government Finance Statistics Yearbook 2015, S. 721. 175 Entsprechend der Werte aus dem IMF-Jahrbuch IMF, Government Finance Statistics Yearbook 2015 berechnet. 176 Laut IMF Financial Yearbook 2016 betrug in 2014 das Bruttoinlandsprodukt 2.903,8 Mrd. Euro, S. 380. 177 Die vom IMF verwendete Werte wurde vom Vietnamesischen Ministerium für Finanzen zur Verfügung gestellt, siehe IMF, Government Finance Statistics Yearbook 2015, S. 231.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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Der Vergleich der Steuerstruktur Vietnams und Deutschlands verdeutlicht den typischen Unterschied zwischen Entwicklungs– und Industriestaaten:178 Der prozentuale Anteil der Einkommensteuer liegt in Deutschland weit höher als in Vietnam. (bb) Marktwirtschaftsgerechtes Steuersystem Die ersten Steuerreformen in den 1990er Jahren179 sollten neben der Sicherstellung steuerlicher Einnahmen auch dem Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft dienen.180 Hierfür wurden weitreichende rechtliche Rahmenbedingungen entwickelt, um das zentralwirtschaftliche Steuersystem aufzubrechen. Die drei wesentlichen strukturellen Änderungen im vietnamesischen Steuersystem liegen in der Reduzierung der Abhängigkeit von Einnahmen aus Ölgeschäften und Zoll,181 in der Stärkung des nichtstaatlichen Sektors durch den Abbau staatlicher Unternehmen182 gemessen am Staatshaushalt sowie in der konzentrierten Erhebung von Verkehrssteuern.183 (cc) Sozialabgaben Ein Sozialsystem existiert in Vietnam. Bei den Sozialabgaben wird differenziert. Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung gelten nur für vietnamesische Arbeitnehmer,184 während Abgaben für die Krankenversicherung sowohl für vietnamesische als auch für ausländische Arbeitnehmer gelten.185 Die vom Arbeitgeber getragenen Sozialabgaben stellen keinen Lohn dar und werden auf Ebene des Arbeitnehmers wieder aus der Bemessungsgrundlage herausgerechnet. (4) Fazit Die historische Entwicklung und die politische Agenda, sich international als Volkswirtschaft durchzusetzen, lassen den Schluss zu, dass das vietnamesische 178
Ähnl. Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/ Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank 30. 11. 2011, S. 50. 179 Siehe hierzu Teil 1 III. 1. b) aa) (1) (c). 180 Siehe Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/ Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank 30. 11. 2011, S. 50. 181 Ebenda, S. 19. 182 Ebenda, S. 258. 183 Zur Erhebung von Verkehrssteuern, Ebenda, S. 210; siehe für einen Überblick zu den strukturellen Änderungen, ebenda, S. 18 – 19. 184 Art. 2 Nr. 1 des Sozialgesetzes 2014, Nr. 58/2014/QH13, vom 20. 11. 2014 (Luaˆt Ba ¨ o ˙ hieˆ m xã hoˆi). ˙ 185 Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Krankenversicherung, Nr. 25/2008/QH12, vom 14. 11. 2008 geändert durch das Änderungsgesetz, Nr. 46/2014/QH13, vom 13. 06. 2014 (Luaˆt ˙ ba ¨ o hieˆ m y te´ˆ ).
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Steuersystem ausschließlich als wirtschaftspolitisches Instrument genutzt wird. Das zeigte sich unter anderem in der fehlenden verfassungsrechtlichen Verzahnung des Steuerrechts. Die Reform des vietnamesischen Unternehmensteuerrechts im Hinblick auf die sinkenden Steuertarife deutet auf die Umsetzung wirtschaftspolitischer Ziele hin. Die Struktur des Steueraufkommens bestätigt die Priorisierung des Unternehmensteuerrechts gegenüber dem Einkommensteuerrecht. Die Struktur des Steueraufkommens und die steuerbaren Einkünfte sind Anhaltspunkte dafür, dass das Sozialsystem schwach ausgeprägt ist und ähnlich wie die Einkommensteuer keine Prioriät genießt. Der Wandlungsprozess von der Planwirtschaft zu einer international tragfähigen Marktwirtschaft bleibt weiterhin Ausgangspunkt der Gestaltung des vietnamesischen Steuersystems. (5) Überblick über das vietnamesische Ertragsteuerrecht Vietnam hat die rechtlichen Grundlagen der Ertragsbesteuerung der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes angepasst. Das neue Unternehmensteuerrecht ersetzt die Regelungen über die Besteuerung von Unternehmen. Die körperschaftsteuerliche Unterscheidung zwischen ausländischen und inländischen Kooperationspartnern ist aufgehoben.186 Im Einkommensteuergesetz von 2009 wurde eine tarifliche Angleichung von Ausländern und Inländern durchgeführt. Das Einkommensteuerrecht richtet sich nach dem Welteinkommensprinzip und ist als Schedulensystem strukturiert. (a) Einkommensteuer Aktuelle Rechtsgrundlage für die Einkommensteuer187 ist das Gesetz über die Einkommensteuer Nr. 04/2007/QH12 vom 21. 11. 2007,188 geändert durch das Änderungsgesetz Nr. 32/2013/QH13 vom 19. 06. 2013 und durch das Gesetz Nr. 71/ 2014/QH13 vom 26. 11. 2014. Nachfolgend sollen diese aktuellen Rechtsgrundlagen und steuerrechtsvergleichenden typischen Merkmale des Einkommensteuerrechts Vietnams kurz erläutert
186 Siehe Becker, Ralph: Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 80 f., in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 187 Zusammenfassende Übersetzung des Gesetzes über das vietnamesische Einkommensteuerrecht ohne Gesetzeszitate: Riccardi, Lorenzo, Vietnam Tax Guide – Domestic Fiscal System and International Treaties (2014) S. 7 – 11; siehe auch ohne Gesetzeszitate: Becker, Ralph: Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 20 – 77 in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 188 In Kraft getreten am 01. 01. 2009.
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werden, etwa die steuerfreien Einnahmen, die Abziehbarkeit privater Ausgaben, die Freibeträge und die steuerliche Behandlung nichtansässiger Steuerpflichtiger. (aa) Einkommensteuerpflicht und steuerbare Einnahmen Nach Art. 2 Abs. 1 des vietnamesischen Einkommensteuerrechts (VN-EStG) ist derjenige steuerpflichtig, der als Steueransässiger und als Nicht-Steueransässiger steuerbare Einnahmen im Sinne des Art. 3 (VN-EStG) in Vietnam erzielt.189 (bb) Steuerfreie Einnahmen190 Es sind vor allem Einkünfte aus Landwirtschaft, Fischerei sowie Renteneinkünfte von der Einkommensteuer befreit. Die Besteuerung beginnt erst bei einem relativ hohen Einkommen,191 sodass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung der Besteuerung unterworfen ist. An dieser tariflichen Steuerpolitik wird mit aller Wahrscheinlichkeit auch vor dem Hintergrund der Armutsbekämpfung mittels Stärkung des Arbeitsmarktes und Arbeitslohnes festgehalten.192 Eine Erweiterung der Besteuerung auf niedrigere Einkunftsstufen ist daher nicht absehbar.193 (cc) Abziehbare private Ausgaben Grundsätzlich abziehbar sind 9 Millionen VND (108 Millionen VND/Jahr).194 Für jede weitere vom Steuerpflichtigen abhängige Person195 sind weitere 3,6 Millionen VND monatlich, mithin 43,2 Millionen VND/Jahr, zum Abzug zugelassen. Als private Ausgaben sind zum Beispiel Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung abziehbar.196 Spenden werden nur zum Abzug gelassen, wenn diese an Organisationen gehen, die den gesetzlichen Bestimmungen der Gemeinnützigkeit genügen.197 189 Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Einkommensteuer, Nr. 04/2007/QH12, vom 21. November 2007 (Luaˆt Thue´ˆ thu nhaˆp cá nhân). ˙ ˙ 190 Art. 4 des Gesetzes über die Einkommensteuer Nr. 04/2007/QH12 vom 21. November 2007 (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp cá nhân). Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens: Becker, ˙ ˙ über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 36 ff., in: Abkommen, Text und Ralph: Anhang: Überblick Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 191 Siehe auch Teil 1 III. 1. b) aa) (3) (a). 192 Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/ Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank 30. 11. 2011, S. 47. 193 Ebenda. 194 Art. 19 Nr. 1 a des Gesetzes über die Einkommensteuer, Nr. 04/2007/QH12, vom 21. 11. 2007 i.V.m. Art. 1 Abs. 4 des Änderungsgesetzes, Nr. 26/2012/QH13, vom 22. 11. 2012. 195 Art. 19 Nr. 1b des Gesetzes über die Einkommensteuer, Nr. 04/2007/QH12, vom 21. 11. 2007 i.V.m. Art. 1 Abs. 4 des Änderungsgesetzes, Nr. 26/2012/QH13, vom 22. 11. 2012. 196 Artikel 9 Abs. 2a) des Rundschreibens Nr. 111/2013/TT-BTC vom 15. 08. 2013. 197 Ebenda.
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Nicht abziehbar sind beispielsweise medizinische Ausgaben. Es werden lediglich die von einem Arbeitgeber gewährten Zuschüsse für die medizinische Behandlung gemäß Art. 2 Abs. 2 buchst. g 1) des Rundschreibens 111/2013/TT-BTC nicht der Einkommensteuer unterworfen, wenn die medizinische Behandlung eine ernsthafte Erkrankung des Arbeitnehmers oder seiner direkten Familienangehörigen heilen soll.198 (dd) Nichtansässige Steuerpflichtige Die Regelungen für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage für nichtansässige natürliche Personen richten sich nach den Art. 25 bis 33 des vietnamesischen Einkommensteuergesetzes. Danach unterliegen der Besteuerung gemäß dem Territorialprinzip nur die aus Vietnam stammenden Einkünfte.199 Es gelten die gleichen Einkunftsarten.200 Allerdings können keine persönlichen Ausgaben zum Abzug gebracht werden.201 (ee) Zwischenfazit Die in diesem Abschnitt vorgenommene Darstellung des vietnamesischen Einkommensteuerrechts unter Berücksichtigung seines geschichtlichen Kontextes hat gezeigt, dass sich das vietnamesische Steuerrecht stets im Spannungsverhältnis von Gegensätzen bewegte, und daher könnte, wie in Kapitel III. 1. b) aa) (2) (b) dargelegt, diese geschichtliche Erfahrung Vietnams das „zwanghaft“ erscheinende Flexibilitätsideal in der Gestalt zahlreicher Rechtsetzungsinstrumente ausgelöst haben.202 (b) Unternehmensteuer Die Besteuerung von Unternehmen ist im Unternehmensteuergesetz Nr. 14/2008/ QH12 vom 03. 06. 2008 geregelt.203 Änderungen des Unternehmensteuergesetzes sind in den Änderungsgesetzen 32/2013/QH13 vom 19. 07. 2013 und 71/2014/QH13 vom 26. 11. 2014 geregelt worden. 198 Rundschreiben Nr. 111/2013/TT-BTC vom 15. 08. 2013 zur Anwendung des Einkommensteuergesetzes (Thông tu, 111/2013/TT-BTC Hu,o´,ng da˜ˆ n Luaˆt thue´ˆ thu nhaˆp cá nhân). ˙ ˙ 199 Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Einkommensteuer, Nr. 04/2007/QH12, vom 21. November 2007. 200 Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 und Art. 25 ff. des Gesetzes über die Einkommensteuer, Nr. 04/2007/QH12, vom 21. November 2007. 201 Siehe auch: Becker, Ralph: Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 70, in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 202 Siehe hierzu auch Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (a). 203 Unternehmensteuergesetz, Nr. 14/2008/QH12, vom 3. Juni 2008 (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp ˙ ˙ doanh nghieˆp). ˙
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Folgende Dekrete und Verwaltungsschreiben sind bei der Anwendung mit zu berücksichtigen: – Dekret Nr. 218/2013/ND-CP vom 26. 12. 2013, geändert durch Dekret 91/2014/ ND-CP vom 01. 10. 2014 und Dekret Nr. 12/2015/ND-CP vom 12. 02. 2015, – Rundschreiben Nr. 78/2014/TT-BTC vom 18. 06. 2014, geändert mit Rundschreiben Nr. 119/2014/TT-BTC vom 25. 08. 2014 und Rundschreiben Nr. 151/ 2014/TT-BTC vom 10. 10. 2014 und Rundschreiben 45/2013/TT-BTC vom 25. 04. 2013. (aa) Personengesellschaften Nach dem Unternehmensteuergesetz erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich gemäß Art. 2 auf alle unternehmerischen Organisationen, die nach vietnamesischen Recht, aber auch nach ausländischem Recht gegründet wurden, wie zum Beispiel Körperschaften, vergleichbar mit der deutschen GmbH (công ty trách nhieˆm hu˜,u ha) und Aktiengesellschaften (công ty coˆ phaˆ`n)204. Aber auch Perso˙ ˙ nengesellschaften (công ty ho,p danh)205 unterfallen der Unternehmensteuer, sodass ˙ anders als in Deutschland Personengesellschaften steuerlich als intransparent be206 handelt werden. Wie bei der Einkommensteuerpflicht setzt der Wortlaut für die Entstehung der Steuerpflicht steuerbare Einkünfte voraus. (bb) Besteuerungsgrundlage Unternehmen, die nach dem vietnamesischen Gesetz gegründet worden sind, werden entsprechend dem Welteinkommensprinzip besteuert.207 Bei der Besteuerung von ausländischen Unternehmen wird zwischen solchen mit einer Betriebsstätte und solchen ohne unterschieden. Bei Unternehmen mit einer Betriebsstätte werden nicht nur die mit der Betriebsstätte208 in Vietnam und im Ausland generierten Gewinne besteuert,209 sondern auch alle sonstigen in Vietnam ohne die Betriebsstätte
204 Art. 1 des Unternehmensgesetzes, Nr. 68/2014/QH13, vom 26. 11. 2014 (Luaˆt Doanh ˙ nghieˆp). ˙ 205 Ebenda. 206 Siehe auch: Becker, Ralph: Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 84 f, in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 207 Siehe Art. 2 Abs. 2a) des Unternehmensteuergesetzes, Nr. 14/2008/QH12, vom 3. Juni 2008 (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp doanh nghieˆp). ˙ ˙ ˙ 208 Siehe Art. 2 Abs. 3 in der geänderten Fassung des Unternehmensteuergesetzes, Nr. 32/ 2013/QH13, vom 19. 06. 2013 (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp doanh nghieˆp). ˙ ˙ ˙ 209 Siehe Art. 2 Abs. 2b) des Unternehmensteuergesetzes, Nr. 14/2008/QH12, vom 3. Juni ´ 2008 (Luaˆt Thueˆ thu nhaˆp doanh nghieˆp). ˙ ˙ ˙
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erwirtschafteten Gewinne.210 Auf die Betriebsstätte kommt die Attraktionskraft zur Anwendung, das heißt unabhängig davon, ob die inländischen Gewinne der Betriebsstätte zugeordnet werden können, werden alle inländischen Gewinne in Vietnam der Besteuerung unterworfen.211 Durch diese Attraktionskraft wird ein ausländisches Unternehmen, das keine Betriebsstätte innehat, aber Gewinne aus Vietnam erzielt, mit einem ausländischen Unternehmen gleichgestellt, dass zwar eine Betriebsstätte hat, aber keine zu dieser Betriebsstätte zuordbaren Einkünfte. (cc) Verdeckte Gewinnausschüttung und Verrechnungspreisvorschriften Bei der verdeckten Gewinnausschüttung wird ein eigentlich gesellschaftsrechtlicher Vorgang als nicht fremdüblicher Kauf oder durch einen sonstigen Vertrag zwischen Gesellschaft und Gesellschafter oder einer ihm nahestehenden Person verdeckt. Die steuerlich nicht abziehbaren gesellschaftsrechtlichen Ausschüttungen sollen als Ausgaben verdeckt werden, sodass dann das Unternehmen die Auszahlungen als Ausgaben deklarieren kann. Eine Verdeckungsabsicht ist nicht notwendig, sodass auch dann eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt, wenn von den beteiligten Steuerpflichtigen nicht erkannt wurde oder nicht nachgewiesen werden kann, dass die Konditionen der Transaktion nicht fremdüblich sind, sondern in dem Näheverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter begründet liegen. Im vietnamesischen Steuerrecht fehlen explizite Regelungen zur verdeckten Gewinnausschüttung. Stattdessen dürfte der Anwendungsbereich der vietnamesischen Verrechnungspreisregelungen eröffnet sein. Im Ergebnis hat das eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung zur Folge. Die Anwendbarkeit der vietnamesischen Verrechnungspreisregelungen ergibt sich daraus, dass sich aus diesen nicht entnehmen lässt, ob diese Vorschriften nur auf ausländische Sachverhalte Anwendung finden, wie sie es üblicherweise tun.212 Hierdurch werden faktisch Fälle der verdeckten Gewinnausschüttung entweder auf Ebene der Gesellschaft oder auf Ebene des Gesellschafters automatisch – jedoch unzureichend – mitgeregelt. Allgemein sollen die Verrechnungspreisregeln unangemessene Zahlungen an eine mit der Gesellschaft in Verbindung stehende Person verhindern. Auch Regelungssysteme der verdeckten Gewinnausschüttung zielen darauf ab zu verhindern, dass bedingt durch die Gesellschafterstellung unangemessene Auszahlungen oder Ver210 Siehe Art. 2 Abs. 2c) des Unternehmensteuergesetzes, Nr. 14/2008/QH12, vom 3. Juni 2008 (Luaˆt Thue´ˆ thu nhaˆp doanh nghieˆp). ˙ ˙ ˙ 211 A.A. offenbar: Becker, Ralph, der über diesen Umstand schweigt, Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 89 – 91 f. in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 212 Siehe zur Anwendung auf inländische Transaktionen: Jain, Nitin/Nguyen, Phan Tan, Vietnam – Transfer Prices of Related-Party Transactions from Direct and Indirect Tax Perspectives, APTB 2014, S. 48 – 49.
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günstigungen an Gesellschafter oder an diesen nahestehende Personen die Gewinne der Gesellschaft minimieren.213 Ausgangspunkt beider Regelungssysteme sind damit unangemessene Zahlungen an nahestehende Personen. Nach den vietnamesischen Verrechnungspreisregeln werden unangemessene Zahlungen zwischen sogenannten verbundenen Partnern (các bên liên ke´ˆ t)214 von der Steuerverwaltung gemäß dem sogenannten arm‘s length principle korrigiert.215 Die Korrektur erfolgt über die mittels Verrechnungspreismethoden ermittelten fremdüblichen Bandbreiten. Eine entsprechende Korrektur erfolgt beim ausländischen Zahlungsempfänger regelmäßig über Art. 9 Abs. 2 des OECD-MA. Für den Fall inländischer Transaktionen lassen sich jedoch keine entsprechenden Korrekturvorschriften finden.216 Da für innerstaatliche Transaktionen Vorschriften über eine korrespondierende Korrektur beim jeweiligen verbundenen Partner gänzlich fehlen,217 wirkt sich eine unangemessene Zuviel-Zahlung (beispielsweise in Form eines überhöhten Kaufpreises oder einer überhöhten Gebühr) zunächst nur bei dem von der Steuerprüfung 213 Im deutschen Recht ist die verdeckte Gewinnausschüttung in § 8 Abs. 3 S. 2 KStG geregelt. Die ständige Rechtsprechung hat aber erst den Begriff konkretisiert (z. B. BFH, Urteil vom 10. 4. 2013 – I R 45/11, DStR 2013, 1824, 1826): „Unter einer vGA i. S. des § 8 Absatz 3 Satz 2 KStG 2002 ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder mitveranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrags gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 EStG 2002 i. V. m. § 8 Absatz 1 KStG 2002 auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Senat die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.“ 214 Siehe Rundschreiben über die Grundsätze der Bestimmung des Marktpreises bei Transaktionen zwischen verbundenen Partnern, Nr. 66/2010/TT-BTC, vom 22. April 2010; siehe auch die Rechtsgrundlage für die Steuerverwaltung für die Anpassung entsprechend den Verrechnungspreisen, Artikel 37(f) des Gesetzes über die Steuerverwaltung, Nr. 78/2006/ QH11, vom 29. 11. 2006 (Luaˆt qua ¨ n ly´ thueˆ´). ˙ 215 Teil B des Rundschreibens über die Grundsätze der Bestimmung des Marktpreises bei Transaktionen zwischen verbundenen Partnern, Nr. 66/2010/TT-BTC, vom 22. April 2010; siehe auch Jain, Nitin/Nguyen, Phan Tan, Vietnam – Transfer Prices of Related-Party Transactions from Direct and Indirect Tax Perspectives, APTB 2014, S. 48. 216 Die korrespondierende Korrektur grenzüberschreitender Sachverhalte ist durch Doppelbesteuerungsabkommen sowie den Bezug auf die OECD-Richtlinien zu den Verrechnungspreisen mitumfasst. In der Kommentierung von Becker ist daher davon auszugehen, dass die korrespondierende Korrektur von grenzüberschreitenden Sachverhalten gemeint ist, siehe Becker, Ralph: Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 139 f., in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 217 Siehe Nguyen, Phat Tan, Transfer Pricing – The Vietnamese System in the Light of the OECD Guidelines and the Systems in certain Developed and Developing Countries, Diss., 2009, S. 393.
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kontrollierten Steuerpflichtigen aus. Die auf Ebene der Gesellschaft deklarierten Ausgaben werden korrigiert beziehungsweise storniert. Der daraus folgende höhere Gewinn führt zu einer höheren Bemessungsgrundlage beim geprüften Steuerpflichtigen. Mangels korrespondierender Korrekturregelungen werden jedoch auf Ebene der Gesellschafter die vermeintlichen Einkünfte weder rückgängig gemacht noch im Rahmen einer verdeckten Gewinnausschüttung in entsprechende Dividendeneinkünfte umqualifiziert.218 Das kann eine doppelte wirtschaftliche Besteuerung zur Folge haben, soweit die Zuviel-Zahlungen keine Kapitaleinkünfte und Lizenzeinkünfte darstellen: Die bei der geprüften Körperschaft über die Verrechnungspreise hinzugerechneten Gewinne werden als Gewinneinkünfte im Sinne des Art. 3 des Unternehmensteuergesetzes 2008 der Besteuerung von derzeit 20 Prozent unterworfen. Ist der Gesellschafter dieses geprüften Unternehmens gemäß dem Unternehmensteuerrecht steuerpflichtig, so bleibt es auf Ebene des Gesellschafters beziehungsweise einer nahestehenden Person mangels korrespondierender Korrektur weiterhin bei der Einordnung als Gewinneinkünfte und damit beim regulären Steuersatz von 20 Prozent. Sind die Gesellschafter natürliche Personen, so werden die zu viel ausgezahlten Beträge ebenfalls als Gewinneinkünfte behandelt und nicht entsprechend einer verdeckten Gewinnausschüttung in Kapitaleinkünfte im Sinne des Art. 12 des vietnamesischen Einkommensteuergesetzes 2007 umqualifiziert, sodass statt 5 Prozent Dividendenbesteuerung ein für Gewinneinkünfte anzuwendender Progressionssteuersatz von 5 Prozent bis 35 Prozent Anwendung findet. Nur eine korrespondierende Korrektur, zumindest aber eine Korrektur entsprechend der verdeckten Gewinnausschüttung, verhindert diese wirtschaftliche Doppelbesteuerung. (dd) Anrechnungssystem Die Gefahr einer Kaskadenbesteuerung, d. h. die mehrstufige Besteuerung der Gewinne auf Ebene der Tochter- und in Form der Ausschüttungen auf Ebene der Muttergesellschaft wird nicht durch ein Anrechnungssystem beseitigt. Dividendeneinkünfte von Unternehmensorganisationen werden nicht besteuert. Kapitaleinkünfte von natürlichen Personen hingegen unterliegen einer 5-Prozent-Definitivbesteuerung, sodass mit dem niedrigen Steuersatz die wirtschaftliche Doppelbesteuerung nahezu ganz verhindert wird. Auch eine Ausschüttung aus Vietnam heraus ist steuerfrei. Eine Konzernbesteuerung mit einer konsolidierten Besteuerungsgrundlage sieht das vietnamesische Steuersystem nicht vor, sodass jedes Unternehmen eine eigene Steuererklärung abgeben muss.219
218 A.A. ohne weitere Nachweise: Becker, Ralph, Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 138, in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 219 IBFD, Asia-Pacific, Vietnam – Corporate Taxation, Kapitel 8, Stand: 1. März 2015.
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(ee) Nichtansässige Unternehmen Im Fall von nichtansässigen Unternehmen ist aus Sicht der Steuerverwaltung die Gefahr groß, dass diese keine Steuern entrichten.220 Daher wird diesem Problem mit einem Quellensteuersystem, der sogenannten Steuer auf ausländische Vertragspartner (thue´ˆ nhà tha`ˆ u nu,o´,c ngoài oder Foreign Contractor Withholding Tax)221 begegnet. Danach fällt eine Quellensteuer unter anderem für Zinszahlungen, Lizenzgebühren, Dividendenausschüttungen (an natürliche Personen), Leasinggebühren an.222 (ff) Zwischenfazit Am Beispiel der verdeckten Gewinnausschüttung zeigt sich, dass es an einem zuverlässigen System für die Besteuerung von Unternehmen der Privatwirtschaft fehlt. Grund ist die für Schwellenstaaten nicht einfach zu bewältigende Komplexität,223 die mit der Herstellung und Umsetzung eines reibungslosen Unternehmensteuersystems einhergeht. (6) Umsatzsteuer Die Umsatzsteuer in der heutigen Grundform trat am 01. 01. 1999224 im Rahmen der zweiten Stufe der Steuerreform in Kraft. Die vietnamesische Umsatzsteuer ist derzeit im Gesetz über die Umsatzsteuer Nr. 13/2008/QH12 vom 03. 06. 2008, geändert durch das Änderungsgesetz Nr. 31/2013/QH13 vom 19. 06. 2013 und durch das Änderungsgesetz Nr. 71/2014/QH13 vom 26. 11. 2014 sowie durch das Änderungsgesetz Nr. 106/2016/QH13 vom 04. 04. 2016, geregelt. Zudem sind folgende Verwaltungsschreiben zu beachten: – Rundschreiben über die Anwendung der Umsatzsteuererstattung Nr. 94/2010/TTBTC vom 30. 06. 2010,225 220
2015. 221
IBFD, Asia-Pacific, Vietnam – Corporate Taxation, Kapitel 7.3.3.2, Stand: 1. März
Für weiterführende Recherche auf Englisch: Foreign contractor withholding tax. Zu beachten sind auch die Besteuerung nach den Investitionsformen ausländischer Unternehmen, m.w.N.: Becker, Ralph, Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnam, Rn. 147 f., in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). Siehe hierzu auch in Einzelnen in Teil 2 III. 2. a) aa). 222 Rundschreiben zu Richtlinien bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten von ausländischen Unternehmenseinheiten, die in Vietnam aktiv sind oder die Einkünfte erzielen, Nr. 103/ 2014/TT-BTC vom 6. August 2014 (Hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn nghı˜a vu thueˆ´ áp dung d¯o´ˆ i vo´,i toˆ ˙ tai Vieˆt Nam). ˙ chu´,c, cá nhân nu,o´,c ngoài kinh doanh tai Vieˆt Nam˙hoa˘c˙ có thu nhaˆp ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ 223 Siehe für Entwicklungsstaaten allgemein Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 471 m.w.N. 224 Umsatzsteuergesetz, Nr. 57/1997/L-CTN, vom 10. 05. 1997 (Luaˆt Thueˆ´ giá tri gia ta˘ ng). ˙ ˙ 225 Thông tu, 94/2010/TT-BTC hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn hoàn thueˆ´ giá tri gia ta˘ ng d¯oˆ´i vo´,i hàng ˙ ˙ ˙ ` hoá xuaˆ t khaˆu.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
– Anordnung von steuerlichen Lösungen im Rahmen des wirtschaftlichen Abschwungs Nr. 16/2009/QD-TTg vom 21. 11. 2009,226 – Dekret über die Anwendung des Umsatzsteuerrechts Nr. 209/2013/ND-CP vom 18. 12. 2013,227 geändert durch das Dekret Nr. 91/2014/ND-CP vom 01. 10. 2014228 und durch das Dekret Nr. 12/2015/ND-CP vom 12. 02. 2015, – Rundschreiben Nr. 219/2013/TT-BTC vom 31. 12. 2013 über die Anwendung des Umsatzsteuergesetzes und des Dekrets zum Umsatzsteuergesetz,229 geändert durch das Rundschreiben 151/2014/TT-BTC vom 10. 10. 2014.230 Der Steuersatz beträgt 10 Prozent. Bei bestimmten Waren und Dienstleistungen findet ein reduzierter Steuersatz von 5 Prozent Anwendung. (a) Steuerpflichtige und Steuergegenstand Der Umsatzsteuer unterfallen Lieferungen und Dienstleistungen des Unternehmers. Hierzu gehören auch Unternehmen, bei denen Leistungsort Vietnam ist, auch wenn diese keine Betriebsstätte in Vietnam unterhalten. Ein reverse-charge-Verfahren findet in solchen Fällen Anwendung, das heißt, der Leistungsempfänger und nicht der Leistungserbringer ist ausnahmesweise verpflichtet, die anfallende Umsatzsteuer abzuführen.231 (b) Investitionsfördernde Maßnahmen Bei bestimmten Exportlieferungen findet ein Umsatzsteuersatz von 0 Prozent Anwendung. Dazu gehören unter anderem Waren, die an zollfreie Gebiete geliefert werden oder die innerhalb Vietnams an der Verarbeitungskette entlang geliefert werden, um exportiert zu werden.232 Durch die Nichtbesteuerung von Exportlieferungen sollen Investitionen in Vietnam als Produktionsstandort und zugleich als Absatzmarkt gefördert werden.
226 Quye´ˆ t d¯inh 16/2009/QÐ-TTg ban hành moˆt so´ˆ gia ¨ i pháp ve`ˆ thue´ˆ nha`˘ m thu,c hieˆn chu ˙ ˙ ˙ tru,o,ng kích caˆ`u˙ d¯aˆ`u tu,. 227 , ´, Nghi d¯inh 209/2013/NÐ-CP hu o ng daˆ˜n Luaˆt thueˆ´ giá tri gia ta˘ ng. ˙ ˙ ˙ ˙ 228 Nghi d¯inh 91/2014/NÐ-CP su,a d¯oˆ i các Nghi d¯inh quy d¯inh veˆ` thueˆ´. ˙ ˙, ˙ ˙ ˙ 229 , ´, ´ Thông tu 219/2013/TT-BTC hu o ng daˆ˜n Luaˆt thueˆ giá tri gia ta˘ ng và Nghi d¯inh 209/2013/ ˙ ˙ ˙ ˙ , , NÐ-CP do Boˆ tru o ng Boˆ Tài chính ban hành. ˙ ˙ 230 Thông tu, 151/2014/TT-BTC hu,o´,ng daˆ˜n thi hành Nghi d¯inh 91/2014/NÐ-CP su,a d¯oˆ i, boˆ sung moˆt so´ˆ d¯ie`ˆ u tai Nghi d¯inh quy d¯inh ve`ˆ thue´ˆ do Boˆ tru,o˙,ng˙ Boˆ Tài chính ban hành. ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ 231 ˙ Art. 3 des Rundschreibens Nr. 65/2013/TT-BTC vom 17. 05. 2013; Art. 2. Nr. 2 Dekret über die Anwendung des Umsatzsteuerrechts Nr. 209/2013/ND-CP vom 18. 12. 2013. 232 Art. 8 des Gesetzes über die Umsatzsteuer Nr. 13/2008/QH12 i.V.m. Art. 9 Rundschreiben Nr. 219/2013/TT-BTC vom 31. 12. 2013 über die Anwendung des Umsatzsteuergesetzes und des Dekrets zum Umsatzsteuergesetz.
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(c) Umsatzsteuerbefreite Leistungen Eine Vielzahl von Leistungen (aktuell 26) sind von der Umsatzsteuer befreit, wie etwa Bankgeschäfte, Kapitalverkehrsgeschäfte,233 Versicherungsgeschäfte,234 medizinische Dienstleistungen,235 Übertragung von Technologien und geistigem Eigentum236 sowie Lieferung unverarbeiteter Rohstoffe237.238 Anders als in Deutschland führt eine solch lange Liste an umsatzsteuerbefreiten Gütern in Vietnam zu einer Erhöhung des Verwaltungsaufwandes für den Steuerpflichtigen, insbesondere für Unternehmen, die sowohl umsatzsteuerpflichtige und umsatzsteuerbefreite Leistungen erbringen. Sie müssen Dokumentationspflichten genügen, damit nachgewiesen werden kann, dass für die umsatzsteuerbefreiten Leistungen keine Vorsteuer gezogen worden ist.239 (d) Umsatzsteuererhebung Die Umsatzsteuer wird entweder über das Anrechnungsverfahren oder durch das sogenannte direkte Berechnungsverfahren erhoben.240 Im ersteren Fall wird die Vorsteuer auf die Umsatzsteuer angerechnet. Die Anwendung dieses Verfahrens erfordert eine ordnungsgemäße Buchführung.241 In allen anderen Fällen wird über eine direkte Berechnung zunächst die Wertsteigerung der Leistung ermittelt, das heißt, der Umsatz wird um die eigenen Ausgaben inklusive der Vorsteuer gemindert.242 Diese Wertsteigerung wird der Besteuerung zugrunde gelegt. Ein Vorsteuerabzug kann nicht geltend gemacht werden. bb) Fazit Die Einführung zeigt, dass sich das vietnamesische Steuerrecht über die Geschichte bis hin zur Gegenwart stets als fiskalisches Instrument charakterisieren lässt. Lastenverteilungserwägungen haben bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
233
Art. 5 Nr. 8 Gesetz über die Umsatzsteuer Nr. 13/2008/QH12 vom 03. 06. 2008. Ebenda, Art. 5 Nr. 7. 235 Ebenda, Art. 5 Nr. 9. 236 Ebenda, Art. 5 Nr. 21. 237 Ebenda. Art. 5 Nr. 23. 238 Art. 4 des Rundschreibens Nr. 65/2013/TT-BTC vom 17. 05. 2013; Art. 3 Dekret über die Anwendung des Umsatzsteuerrechts, Nr. 209/2013/ND-CP, vom 18. 12. 2013. 239 Siehe Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank 30. 11. 2011, S. 42. 240 Siehe Art. 9 des Gesetzes über die Umsatzsteuer, Nr. 13/2008/QH12 QH12, vom 03. 06. 2008. 241 Ebenda, Art. 10 Nr. 21. 242 Ebenda, Art. 10. 234
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Zudem konnte verdeutlicht werden, dass die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Interessen ein Praktikabilitätsideal zur Folge hat, sodass eine Flexibilität der Rechtsetzungsinstrumente vorgezogen wird. Hierdurch wird jedoch die Fortentwicklung eines nach Maßstäben der Rechtssicherheit vorhersehbaren Regelungssystems gehemmt. Das damit verzahnte sozialistische Rechtsstaatsprinzip, das keine demokratische Gewaltenteilung kennt, begünstigt eine solche Rechtsentwicklung. Die fehlende Vorhersehbarkeit folgerichtiger Rechtsetzung beziehungsweise Rechtsfortbildung ist ein rechtsstaatliches Defizit. cc) Einführung in das Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland – Vietnam Die anhand des nationalen Steuerrechts identifizierten Risiken mangelnder Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit vietnamesischer Regelungsmechanismen zeigen sich auch im vietnamesischen Abkommensrecht. Die folgende Einleitung in das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam greift dieses Thema wieder auf. Aus Sicht Deutschlands sollen mit dem Abschluss des Abkommens von 1994 die auftretenden Doppelbesteuerungen angemessener vermieden werden als bisher mit unilateralen Instrumenten.243 Die Wirtschaftsbeziehungen sollen dadurch gemäß der Gesetzesbegründung vertieft und gefördert werden. Steuerliche Hindernisse wie Doppelbesteuerungen seien zu beseitigen.244 Zudem seien für die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen auch Klauseln aufzunehmen, die Investitionsanreize zum Aufbau der Infrastruktur Vietnams geben sollen. So wurden beispielsweise die Liefergewinnbesteuerungen für Bau- und Montageleistungen ausgeschlossen.245 Hintergrund ist hierfür die im vietnamesischen Steuerrecht anwendbare Attraktionskraft von Betriebsstätten.246 Gewinne aus der Lieferung von Anlagekomponenten vom Stammhaus an seine in Vietnam belegene Bau- und Montagebetriebsstätte müssten in Vietnam gemäß Art. 2 Abs. 2c) des Unternehmensteuergesetzes 2008 besteuert werden,247 weil auch die in Vietnam generierten Gewinne zu besteuern sind, die nicht der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Durch das abkommensrechtliche „Verbot“ der Lieferbesteuerung sind Bauprojekte aus Sicht des vietnamesischen Steuerrechts steuerlich begünstigt. Das Abkommen folgt im Übrigen grundsätzlich dem OECD-Musterabkommen.248 Ausnahmen finden sich hingegen in der Betriebsstättenregelung im Hinblick 243
BT-Drs. 13/4791, S. 26, Gliederungspunkt I. Zur Gesetzesbegründung BT-Drs. 13/4791, S. 1. 245 BT-Drs. 13/4791, S. 26, Gliederungspunkt I. 246 Siehe hierzu Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b) (bb). 247 Siehe Art. 2 Abs. 2c) des Unternehmensteuergesetzes, Nr. 14/2008/QH12, vom 3. Juni 2008 Luaˆt Thue´ˆ thu nhaˆp doanh nghieˆp ˙ ˙ ˙ 248 BT-Drs. 13/4791, S. 26, Gliederungspunkt I. 244
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auf die Bau- und Montageleistung. Nach dieser soll schon nach sechs anstatt zwölf Monaten eine Betriebsstätte vorliegen. (1) Von der Verhandlung bis hin zum Inkrafttreten des DBA Vietnam Aus der Kommentierung von Becker zum DBA Vietnam lässt sich entnehmen, dass die Verhandlungen über das Doppelbesteuerungsabkommen im Februar 1993 begonnen haben und das Abkommen bereits nach zwei Verhandlungssitzungen am 17. 06. 1994 in Bonn paraphiert worden ist. Des Weiteren sei die Unterzeichnung jedoch erst am 16. 11. 1995 erfolgt. Grund seien die Probleme bei der Übersetzung des englischen Abkommenstextes samt Protokoll in die vietnamesische Sprache gewesen, insbesondere wegen des in der vietnamesischen Sprache teilweise unbekannten Vokabulars des OECD-Musterabkommens.249 Für die Bundesrepublik unterzeichneten der damalige Staatsminister des Auswärtigen Amtes Dr. Werner Hoyer und der damalige Botschafter in Vietnam KlausChristian Kraemer. Für Vietnam unterschrieb der damalige Finanzminister Hoˆ` Teˆ´ stellvertretend für die Regierung.250 Das Abkommen trat am 27. 12. 1996 auf Grundlage des Zustimmungsgesetzes vom 12. 11. 1996 in Kraft. Das Doppelbesteuerungsabkommen folgt, wie oben angesprochen, im Wesentlichen dem Musterabkommen der OECD und regelt mit den Artikeln 1 bis 5 den Geltungsbereich des Vertragswerks sowie die für die Anwendung des Abkommens wichtigen Definitionen. Die Besteuerungsrechte für die einzelnen Einkunftsarten und das Vermögen werden gemäß den Artikeln 6 bis 22 dem Quellen- oder Belegenheitsstaat zugewiesen. Artikel 23 enthält Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch den Wohnsitzstaat für die dem Quellen- oder Belegenheitsstaat zur Besteuerung belassenen Einkünfte und Vermögenswerte. Die Artikel 24 bis 29 regeln den Schutz vor Diskriminierung, die zur Durchführung des Abkommens notwendige Zusammenarbeit der Vertragsstaaten, das Inkrafttreten und das Außerkrafttreten des Abkommens. Ferner werden klarstellende Bestimmungen sowie Klauseln zum Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode in bestimmten Fällen und zum Schutz personenbezogener Daten ergänzend im Protokoll festgehalten.251
249 Zum Ganzen: Becker, Ralph, Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999 – anders als der Anhang zur Kommentierung wurde mit der Ergänzungslieferung vom März 2012 die Kommentierung von Juni 1999 nicht mehr ergänzt), Rn. 1 f. 250 Völkerrechtlich wurde gem. Art. 11 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge in Art. 28 DBA Vietnam vereinbart, dass statt völkerrechtlicher Ratifikation ein Notenwechsel ausreichend sei. 251 Siehe BR-Drs. 253/96, S. 26.
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Bestandteil des Abkommens ist das beigegebene Protokoll, das wie das Abkommen selbst zu beachten und anzuwenden ist. Sowohl das Abkommen als auch das Protokoll sind in deutscher, vietnamesischer und englischer Sprache abgefasst, wobei bei Zweifelsfragen der englische Text entscheidet. Dies ist insbesondere deshalb bedeutsam, weil die Fachterminologie des Musterabkommens vor Abschluss des Abkommens in der vietnamesischen Sprache größtenteils unbekannt war.252 (2) Anwendung des Abkommens im nationalen Recht der Vertragsstaaten Die Anwendung des Abkommens im innerstaatlichen Recht erfolgt entweder direkt oder durch ein Umsetzungsgesetz. (3) Erforderliches Umsetzungsgesetz in Deutschland Für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens in Deutschland ist ein Umsetzungsgesetz erforderlich. Mit diesem Vertragsgesetz kann das Abkommen erst zum einen die für die völkerrechtliche Verbindlichkeit erforderliche Zustimmung der Gesetzgebungskörperschaften und zum anderen die innerstaatliche Geltung mit Rechtsnormcharakter erlangen. Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) bedarf das Abkommen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines im Rahmen der Art. 76 ff. GG verkündeten Bundesgesetzes. Hierbei bedarf es der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 105 Abs. 3 GG. Die von dem Abkommen betroffenen Steuern stehen nämlich gemäß Art. 106 GG ganz oder zum Teil den Ländern oder den Gemeinden zu. Durch dieses sogenannte Ratifizierungsgesetz wird das DBA in das innerstaatliche Recht aufgenommen. Die Normen des DBA sind unmittelbar anwendungsfähig (self-executing-Charakter)253 beziehungsweise als Ermächtigungsnormen254 anzuwenden und haben gemäß § 2 AO im Rang eines Bundesgesetzes Vorrang vor dem nationalen Steuerrecht. Das Gesetz vom 12. 11. 1996 zum Abkommen vom 16. 11. 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen wurde am 19. 11. 1996
252 Becker, Ralph, Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999 – anders als der Anhang zur Kommentierung wurde mit der Ergänzungslieferung vom März 2012 die Kommentierung von Juni 1999 nicht mehr ergänzt), Art. 1, Rn. 3. 253 Siehe Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 626 bzw. Rn. 16.32 m.w.N. 254 Ebenda, S. 699 bzw. Rn. 16.29.
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verkündet und trat mit Notenwechsel gemäß Art. 28 DBAVietnam am 27. 11. 1996 in Kraft.255 (4) Direkte und indirekte Anwendung im vietnamesischen Recht Die Anwendung internationaler Verträge in Vietnam kann gemäß Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von internationalen Verträgen Nr. 108/2016/QH13 vom 09. 04. 2016256 entweder direkt erfolgen, wenn die Regelungen hinreichend sind, oder die Verträge sind, falls erforderlich, mithilfe weiterer Rechtsinstrumente in Vietnam umzusetzen. Die Entscheidungskompetenz hierfür haben die Nationalversammlung, der Staatspräsident oder die Regierung. Die vietnamesische Rechtsgrundlage zum Abschluss von internationalen Abkommen war zum Zeitpunkt des Abkommensabschlusses zwischen Deutschland und Vietnam die Verfassung vom 18. 12. 1980257 und die Verordnung von 25. 10. 1989.258 Für die Ratifizierung und Kündigung von internationalen Verträgen ist gemäß Art. 84 Abs. 15 der vietnamesischen Verfassung von 1980 die Nationalversammlung beziehungsweise gemäß Art. 100 Abs. 16 der Ständige Ausschuss zuständig. In der Verordnung aus dem Jahr 1989 werden diese Zuständigkeiten nochmals in Art. 7 Abs. 2 und Art. 14 wiederholt. Zur Unterzeichnung berechtigt sind gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 1989 auch die jeweiligen Minister. Sie sind für die Anwendung der internationalen Verträge verantwortlich (Art. 11 der Verordnung). Diese Minister sind gemäß Art. 11 Abs. 6 berechtigt, Rechtsvorschriften zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Anwendung des internationalen Vertrages möglich zu machen, im Sinne eines „Anleitens“. Eine solche erste Anleitung wurde in Form eines Verwaltungsbriefes vom 11. 10. 1994 vom Finanzministerium herausgegeben.259 (5) Besonderheiten des DBA Vietnam Nachfolgend werden die im Protokoll zum DBAVietnam vereinbarten Lösungen von Qualifikationskonflikten und die von Becker herausgearbeiteten Abweichungen des DBA Vietnam vom OECD-Musterabkommen kurz dargestellt. Ferner wird auf die vietnamesischen Missbrauchsvorschriften eingegangen.
255 BGBl. 1996 Teil II Nr. 49, ausgegeben zu Bonn am 19. 11. 1996. Art. 2 des Vertragsgesetzes. 256 Luaˆt ky´ keˆ´t và thu,c hieˆn Ðieˆ`u u,o´,c quoˆ´c teˆ´. ˙ ˙ ˙ 257 Verordnung LCT/HÐNN8 vom 25. 10. 1989. 258 Verfassung von 1980 248-LCT vom 18. 12. 1980. 259 Siehe Verwaltungsbrief an alle Steuerbehörden der Provinzen und Städte unter der Zentralregierung, Nr. 1664/TCT-HTQT, vom 11. Oktober 1994 (Công va˘ n Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c ˙ hieˆn Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thue´ˆ hai la`ˆ n). ˙ ˙ ˙
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(a) Abweichungen vom OECD-Text Das Doppelbesteuerungsabkommen mit Vietnam weicht an einigen Stellen vom OECD-Musterabkommen ab.260 So weicht unter anderem, wie die Gesetzesbegründung zum Umsetzungsgesetz erörtert,261 die 6-Monatsfrist für die Bau– und Montageausführungen von der OECD-12-Monatsfrist ab (Art. 5). Außerdem sind Abweichungen bei der Binnen- und Seeschifffahrt zu beobachten, unter anderem bei der Ortsbestimmung der Geschäftsleitung in Fällen, in denen diese an Bord des Schiffes belegen ist, sodass bei unterschiedlicher Qualifizierung des Ortes der Geschäftsleitung (Art. 8) mögliche Doppelbesteuerungen entstehen könnten.262 Bei den Verrechnungspreisen ist eine automatische korrespondierende Korrektur im anderen Staat nicht vorgesehen (Art. 9), sodass unterschiedliche Gewinnzuordnungen zu Doppelbesteuerungen führen.263 Bei den Lizenzgebühren konnte sich Vietnam Quellenbesteuerungsrechte sichern, was das Musterabkommen nicht vorgesehen hat.264 Zu beachten sind auch die im OECD-Musterabkommen dokumentierten abweichenden Auffassungen Vietnams zu den einzelnen Auslegungsvorschlägen der OECD.265 (b) DBA-Protokoll: Lösung von Qualifikationskonflikten Zur einheitlichen Anwendung des Abkommens wurden im Protokoll Vereinbarungen über die Lösungen von konkreten Auslegungsunklarheiten zu Art. 2, Art. 7, Art. 10, Art. 11, Art. 23 und Art. 24 getroffen. Mangels Relevanz für die nachfolgenden Untersuchungen wird wegen der Einzelheiten auf den Wortlaut des Protokolls verwiesen.
260 Für eine Gesamtdarstellung der Abweichungen siehe Becker, Ralph: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999 – anders als der Anhang zur Kommentierung wurde mit der Ergänzungslieferung vom März 2012 die Kommentierung von Juni 1999 nicht mehr ergänzt). 261 Siehe Teil 1 III. 1. b) cc). 262 Zum Ganzen: Becker, Ralph, Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999 – anders als der Anhang zur Kommentierung wurde mit der Ergänzungslieferung vom März 2012 die Kommentierung von Juni 1999 nicht mehr ergänzt), Art. 8, Rn. 3. 263 Ebenda. Art. 9, Rn. 2 f.; siehe hierzu auch die Ausführungen in Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b) (cc). 264 Becker, Ralph, ebenda, Art.12, Rn. 2 f. 265 Beispiele: Für Art. 4 behält sich Vietnam vor, den Sitzstaat auch nach dem Gründungssitz des Unternehmens zu bestimmen, OECD-Musterkommentar 2014, Position zur Art. 4 (1); für Art. 5 behält sich Vietnam vor, bei Baustellen eine Betriebsstätte anzunehmen, wenn das ausländische Unternehmen diese überwacht, Position zur Art. 5 (11); Vietnam behält sich vor, Dienstleistungs-Betriebsstätten mit in Abkommen aufzunehmen, Position zur Art. 5 (14).
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(c) Einführung in die für vietnamesische DBA-Fälle maßgeblichen Quellen Welche Quellen für die Anwendung des DBA Vietnam maßgeblich sind, wird im Folgenden dargestellt. Hierzu gehören die Kommentierungen der OECD und der UN, die unverbindlichen vietnamesischen Verwaltungsbriefe,266 der „công va˘ n“, und der vietnamesische Verwaltungserlass zur Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen mit Vietnam.267 (d) OECD- und UN-Kommentierung Die Musterkommentare können als ein Instrument verstanden werden, mit dem eine Harmonisierung der Abkommensauslegung erreicht werden soll. Aus dem Gebot der internationalen Entscheidungsharmonie268 beziehungsweise gemäß Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge folgt, dass Abkommensnormen „im Lichte ihres jeweils konkreten Gegenstands und Zwecks auszulegen seien, so dass diejenige Auslegung anzustreben sei, die am ehesten Aussicht hat, in beiden Vertragsstaaten akzeptiert zu werden“.269 Eine solche Harmonie geht grundsätzlich davon aus, dass die Vertragsstaaten die in den OECDMusterabkommen und UN-Musterabkommen270 zum Ausdruck kommenden Empfehlungen von OECD oder UN befolgen.271 Doppelbesteuerungsabkommen unterliegen als völkerrechtlicher Vertrag den in Art. 31 bis Art. 33 WÜRV niedergelegten allgemeinen Vorgaben über die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen.272 Bei Nicht-OECD-Mitgliedsstaaten ist die Wirkung dieser beiden Kommentare rechtlich nicht abschließend geklärt.273 Sie werden in der Praxis bisher vorwiegend nur als zusätzliche Argumentationstopoi herangezogen.274 Die tatsächliche Qualität der Musterkommentare als Instrumente der Auslegungsharmonisierung hängt vor allem von der Art und Weise ab, wie das WÜRV ausgelegt wird. Dieses Auslegungsergebnis entscheidet über den Grad der im jeweiligen Anwenderstaat zugesprochenen Maßgeblichkeit dieser Kommentare. Im Rahmen einer von den Mitgliedern der Wirtschaftsuniversität Wien angestoßenen 266
Siehe unten in Teil 1 III. 1. b) cc) (e). Siehe unten in Teil 1 III. 1. b) cc) (f). 268 Zum Ganzen vergleiche Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/ Lehner, Doppelbesteuerungs-abkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 114 ff. m.w.N. 269 Ebenda, Rn. 115 m.w.N. 270 Ebenda, Rn. 134a m.w.N. 271 Ebenda, Rn. 126 m.w.N. 272 Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass es von der Art der Anwendung des WÜRV abhängig ist, wie sich nachträgliche Änderungen der Kommentare auf die Abkommensauslegung auswirken (Problematik der sogenannten statischen oder dynamischen Auslegung). 273 Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 134 m.w.N. 274 Siehe Pistone, Pasquale, General Report, The Impact of the OECD and UN Conventions on Bilateral Tax Treaties (Lang/Pistone/Schuch/Staringer), 1. Aufl. 2011, S. 6 m.w.N. 267
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Zusammentragung von Expertenanalysen über die Auswirkungen des OECD- und UN-Musterabkommens auf bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen in 37 verschiedenen Jurisdiktionen wurden diese Intensitätsstufen der Maßgeblichkeit der Kommentare für einige Staaten zusammenfassend hervorgehoben. Danach wird in Staaten, wie Kanada, den Niederlanden und Großbritannien den OECD- und UNKommentaren von Wissenschaft und Praxis eine fast schon bindende Wirkung beigemessen,275 während in Staaten wie Australien, der Tschechischen Republik und Deutschland die Kommentare vielmehr als ergänzende Auslegungsmittel im Sinne des Art. 32 WÜRV herangezogen werden.276 Frankreich, Italien und Slowenien hingegen messen den Kommentaren lediglich die Qualität einer Literaturmeinung zu.277 Zusammenfassend zeigt sich, dass die über Jahrzehnte andauernde Entwicklung der Musterabkommen durch Expertenteams aus allen Mitgliedsstaaten, bestehend aus Vertretern der Finanzbehörden einerseits und der Wirtschaft andererseits, letztlich einen internationalen, steuerpolitischen Mindestkonsens über die Auslegungsvarianten erfordert, um eine im Rahmen des Prinzips der Entscheidungsharmonie bilateral akzeptierte Abkommensauslegung erreichen zu können. Erforderliche Anpassungen der Auslegungsvorschläge in den Musterkommentaren oder Abweichungen sind hierdurch nicht von vornherein ausgeschlossen, doch müssen diese vorhersehbar sein, damit bei der gefundenen Auslegung am ehesten die Aussicht besteht, in beiden Vertragsstaaten akzeptiert zu werden. Die Schwierigkeit einer rationalen Begründung der Auslegung liegt darin, dass bei der Auslegung durch den jeweiligen Anwenderstaat die steuerpolitischen Interessen regelmäßig zum Ausdruck kommen und Ursache gerichtlicher Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und Behörde sein können. Diese Streitigkeiten werden im Rahmen von Qualifikationskonflikten beziehungsweise Zurechnungskonflikten geführt, bei denen aufgrund unterschiedlicher Rechtskulturen und gleichzeitig fehlender Pflicht zur (Steuer-)Harmonisierung die Auslegungsentscheidung im Ergebnis politischer Natur ist. Im Folgenden wird auf die Kommentare und ihre Bedeutung für die Auslegung aus deutscher und vietnamesischer Sicht eingegangen. (aa) OECD-Musterabkommen Das erste Musterabkommen der OECD wurde 1963 veröffentlicht. Die OECD stützte sich mit erheblichen Änderungen vornehmlich auf das vom Völkerbund beschlossene London-Musterabkommen278 von 1946.279 Das London-Musterab275
Ebenda, S. 5 m.w.N. Ebenda, S. 6 m.w.N. 277 Ebenda, S. 5 m.w.N. 278 Veröffentlicht mit Kommentierung unter der Dokumentennummer C.88M.88.1946.II.A., abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, Bd. IV (1962), S. 4378 ff. 276
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kommen ersetzte damals das Mexiko-Abkommen280 von 1943. Letzteres berücksichtigte nämlich den asymmetrischen Investitionsfluss zwischen Industrie- und Entwicklungsstaaten und wies den Quellenstaaten vorwiegend das Steuersubstrat zu. Dies wurde vom London-Musterabkommen rückgängig gemacht. Die Arbeiten zum ersten OECD-Musterabkommen begannen 1956; damals hieß die OECD noch Organisation for European Economic Co-Operation.281 (bb) UN-Musterabkommen Die vom UN-Generalsekretär eingerichtete Ad Hoc Group of Experts on Tax Treaties between Developed and Developing Countries begann ihre Arbeit im Jahr 1967. Im Jahr 1980 wurde das erste Musterabkommen veröffentlicht. Die Durchsetzung der Klauseln zugunsten der Entwicklungsstaaten hängt nach wie vor von der Verhandlungsposition ab.282 Der Wunsch nach der Sicherstellung der Durchsetzung dieser Klauseln durch überstaatliche Institutionen bleibt weiterhin unerfüllt.283 (cc) Bedeutung der Kommentare aus deutscher Sicht In der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung werden, wie bereits angesprochen, die Musterkommentare als ergänzendes Auslegungsmaterial herangezogen.284 Diese Auslegungsweise enspricht dem Gebot der internationalen Entscheidungsharmonie285 beziehungsweise gemäß Art. 31 Abs. 1 WÜRV. Das setzt im Grundsatz voraus, dass die Vertragsstaaten in ihrem gemeinsamen Abkommen auch den in den OECD-Musterabkommen oder UN-Musterabkommen286 zum Ausdruck kommenden Empfehlungen des OECD- oder UN-Rates gefolgt sind.287 Liegen aus Sicht des BFH Anhaltspunkte vor, die für eine abweichende Auslegung der Musterabkommen sprechen,288 so treten die Musterkommentare hinter diese zurück.289 279
OECD, Report Of The Fiscal Committee On The Draft Convention vom 6. Juli 1963, Dokument C. (63) 87, S. 16. 280 Veröffentlicht mit Kommentierung unter der Dokumentennummer C.88M.88.1946.II.A., abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, Bd. IV (1962), S. 4378 ff. 281 Zur Beteiligung Deutschlands siehe Weber-Fas, Rudolf, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 1982, S. 15. 282 The United Nations Model Double Taxation Convention between Developed and Developing Countries in Manual for Negotiation of Bilateral Tax Treaties between Developed and Developing Countries, UN-Dokument Nr. ST/ESA/94 (2003), S. 24. 283 Siehe Daurer, Veronika, Tax Treaties and Developing Countries, Diss., 2014, S. 61 m.w.N. 284 Siehe Teil 1 III. 1. b) cc) (5) (d). 285 Zum Ganzen siehe auch Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/ Lehner Doppelbesteuerungs-abkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 114 ff. m.w.N. 286 Siehe ebenda, Rn. 134a m.w.N. 287 Siehe ebenda, Rn. 126 m.w.N. 288 Siehe BFH, Urteil vom 31. 07. 1991 – I R 47/90, BFHE 165, 392.
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Umgekehrt dienen die Musterabkommen auch dazu, eine gefundene Auslegung gegebenenfalls zu bestätigen.290 (dd) Bedeutung der Kommentare aus vietnamesischer Sicht Für die Anwendungspraxis haben die Musterkommentare in Vietnam bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen bislang keine bedeutende Rolle gespielt.291 Das trifft auch vor dem Hintergrund der im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge niedergelegten Auslegungsregeln zu. Der auslegungsmethodische Rückgriff auf die Musterkommentare erscheint vielmehr als eine lediglich theoretische Möglichkeit, obwohl direkt oder gewohnheitsrechtlich die Auslegungsprinzipien des WÜRV anzuwenden sind. Mit dem Beitritt Vietnams zum multilateralen Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜRV)292 im Jahr 2001 gelten die in Art. 31 – 33 WÜRV niedergelegten Auslegungsgrundsätze für Vietnam direkt. Als Gewohnheitsrecht hat Vietnam auch schon vorher in Art. 29 Abs. 1 der Verordnung des Ständigen Sitzes der Nationalversammlung vom 20. 08. 1998 Nr. 07/1998/PL-UBTVQH10293 diese Auslegungsgrundsätze anerkannt. Danach soll der Inhalt internationaler Verträge gemäß dem internationalen Recht über die Auslegung von internationalen Verträgen erfolgen.294 Das auf diese Verordnung folgende und sie ersetzende Gesetz über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von internationalen Verträgen vom 14. 06. 2005295 hat die für internationale Verträge entsprechenden Auslegungsprinzipien in Art. 75 – angelehnt an den Art. 31 des WÜRV – explizit benannt. Durch diese Benennung ist ein inzidenter Verweis auf das
289
BFH, Urteil vom 26. 02. 1992 – I R 85/91, BFHE 168, 52; siehe Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 130 ff. m.w.N. 290 BFH, Urteil vom 08. 02. 1995 – I R 42/94, BFHE 177, 83. 291 Im Kommentar zum OECD-Musterkommentar wird hingegen indiziert, dass Vietnam den grundsätzlichen Auslegungen des OECD-Musterkommentars zustimmt, OECD-MA, 2014, S. 4. 292 Siehe Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 04. 12. 2002, abgedruckt im Bundesgesetzblatt 2003 Teil II, Nr. 3, S. 51. 293 Verordnung über Abschluss, Beitritt und Umsetzung von internationalen Verträgen vom 20. 08. 1998 (Pháp leˆnh ky´ ke´ˆ t và thu,c hieˆn Ðie`ˆ u u,o´,c quo´ˆ c te´ˆ ); die Änderung geht einher mit den ˙ 1992, Nr. 68-LCT/HDNN8, zu den Zuständigkeiten ˙ Änderungen in der Verfassung vom˙ 15. 04. bei internationalen Verträgen. Die Verordnung ersetzt die Verordnung LCT/HÐNN8 vom 25. 10. 1989, welche noch auf der Verfassung von 1980 Nr. 248-LCT vom 18. 12. 1980 basiert. 294 Originalwortlaut des Art. 29 Abs. 1 der Verordnung vom 20. 08. 1998: Noˆi dung d¯ie`ˆ u ˙ u,o´,c quoˆ´c teˆ´ d¯u,o,c gia¨ i thích phù ho,p vo´,i pháp luaˆt quoˆ´c teˆ´ veˆ` gia ¨ i thích d¯ieˆ`u u,o´,c quoˆ´c teˆ´. ˙ ˙ ˙ 295 Das Gesetz erfolgte auf die Änderungen der Verfassung 1992 vom 15. 04. 1992, 68-LCT/ HDNN8, durch die Resolution Nr. 51/2001/NQ-QH10 vom 25. 01. 2001; zur allgemeinen Entwicklung aus Sicht der stellvertretenden Direktorin der Abteilung für internationales Recht und internationale Verträge Vietnam: Nguyen, Thi Hoang Anh, Law on Treaties, Vietnam Law & Legal Forum, April 2005, Nr. 128 und Nr. 129.
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WÜRV und damit auf die Art. 32 – 33 des WÜRV hergestellt worden.296 Die spätere Streichung des Art. 75 im Gesetz über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von internationalen Verträgen vom 09. 04. 2016297 dürfte formal wegen des Beitritts keine Auswirkung auf die direkte Anwendung des WÜRV haben. Dass die soeben beschriebene direkte oder gewohnheitsrechtliche Anwendung der Auslegungsgrundsätze des WÜRV dennoch nur theoretisch einen Rückgriff auf die Musterkommentare zur Folge hat, zeigt sich mit Blick auf die Entwicklung der vietnamesischen Vorschriften zu den internationalen Verträgen. Diese legen nahe, dass die Auslegung internationaler Verträge vor allem primär den bei Anwendung aktuellen politischen Interessen Vietnams dienen muss. Die Entscheidungskompetenz über die Auslegung internationaler Verträge ist letztlich dem Premierminister und damit der Regierung zugewiesen. Die Schlussfolgerung einer „politischen Auslegung“ ergibt sich wie folgt: Ausgangspunkt ist der seit der ersten Verordnung über den Abschluss internationaler Verträge vom 25. 10. 1989 in Art. 3 Abs. 3 niedergelegte Maßstab, dass der Abschluss internationaler Verträge unter anderem im Einklang mit den nationalen Interessen stehen müsse. Das Ergebnis der Auslegung müsste demnach eine sich mit den nationalen Interessen Vietnams deckende Bedeutung haben. Das nationale Interesse entspricht aus ideologischer Sicht dem Interesse des Volkes, das von der Kommunistischen Partei verkörpert298 und von den autorisierten staatlichen Institutionen umgesetzt wird. Indem nun im neuen Gesetz über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von internationalen Verträgen vom 09. 04. 2016299 die Auslegungsprinzipien in Art. 75 des vorangegangenen Gesetzes aus dem Jahr 2005 gänzlich gestrichen wurden und im neuen Gesetz gemäß Art. 79 Abs. 7 durch Verweis auf das Gesetz über das Erlassen von Rechtstexten vom 22. 06. 2015300 die Zuständigkeit über die Auslegung von internationalen Verträgen dem Premierminister zugewiesen wurde, kann das in Art. 3 Abs. 3 niedergelegte Postulat der Wahrung nationaler Interessen effektiver verwirklicht werden. Der Regierung kommt hierdurch die Entscheidungsbefugnis über weitere Prüfungskriterien zu, die den Art. 3 Abs. 3 komplementieren. So entscheidet die Regierung, ob etwa die Gesetze gemäß Art. 32 Abs. 2 d) des Gesetzes über das Erlassen von Rechtstexten 2015 im Einklang mit den internationalen Verträgen stehen oder deren Anwendung gemäß Art. 156 des Gesetzes über das Erlassen von Rechtstexten 2015 die Umset-
296
Art. 75 Abs. 2 f) Gesetz über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von internationalen Verträgen, Nr. 41/2005/QH11, vom 14. Juni 2005 (Luaˆt ky´ keˆ´t và thu,c hieˆn Ðieˆ`u u,o´,c quoˆ´c teˆ´). ˙ ˙ ˙ 297 Gesetz über Abschluss, Beitritt und Umsetzung von internationalen Verträgen, Nr. 108/ , , , ` ´ ´ 2016/QH13, vom 09. 04. 2016 (Luaˆt ky´ keˆt và thu c hieˆn Ðieˆu u o´ c quoˆc te´ˆ ). ˙ ˙ ˙ 298 Art. 4 in der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnams vom 28. 11. 2013, Ðie`ˆ u 4 , , Hieˆ´n pháp nu o´ c Coˆng hòa Xã hoˆi chu nghı˜a Vieˆt Nam. ˙ ˙ ˙ 299 Gesetz über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von internationalen Verträgen 108/ ´ ˆ 2016/QH13 vom 09. 04. 2016 (Luaˆt ky´ ket và thu,c hieˆn Ðieˆ`u u,o´,c quoˆ´c teˆ´). ˙ ˙ ˙ 300 Gesetz über das Erlassen von Rechtstexten, Nr. 80/2015/QH13 vom 22. 06. 2015 (Luaˆt ˙ Ban hành Va˘ n ba ¨ n quy pham pháp luaˆt). ˙ ˙
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zung von internationalen Verträgen behindert.301 Auslegungsempfehlungen werden zwar vom Justizministerium in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium sowie den relevanten Behörden verfasst, doch liegt unter Berücksichtigung der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit die Entscheidungsmacht über die Auslegung allein in der Hand der tatsächlichen Machthaber. Die Auslegungsentscheidung der Regierung wird nicht durch ein System von checks and balances überprüft oder infrage gestellt.302 Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen anhand international anerkannter Auslegungsprinzipien oder durch Rückgriff auf Musterkommentare kann daher in Vietnam nicht als selbstverständlich erachtet werden, auch wenn internationale Verträge im vietnamesischen Recht Vorrang gegenüber dem nationalen einfachen Recht haben.303 Die damit einhergehende fehlende steuerliche Planbarkeit etwaiger Investitionen muss daher vorab mit der Finanzverwaltung geklärt werden. Solche Anfragen im internationalen Steuerrecht über die Anwendung bestimmter DBA-Klauseln werden bei der örtlichen Finanzbehörde oder gleich bei der nächst höheren Behörde, der allgemeinen Abteilung für Steuerrecht, gestellt. Die in den Verwaltungsbriefen (công va˘ n)304 dargestellten Ansichten sind dann faktisch verbindlich und bieten insoweit Planbarkeit. Die für eine funktionierende Wirtschaft erforderliche Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von wirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen ist in Vietnam mithin eine punktuelle, das heißt, die Rahmenbedingungen werden für den Einzelfall durch den zeitnahen Austausch zwischen Wirtschaftsakteur und Staat entschieden. Diese durch die fehlende Gewaltenteilung bedingte politisch-motivierte Rechtsanwendung ist nicht primär ideologischer Natur, sondern von pragmatischen Erwägungen motiviert, wenn auch in jeder Hinsicht in zweifelhafter Weise.305 Die beispielsweise zwecks Flexibilität existierende Vielzahl 301 Siehe Art. 95 in der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnams vom 28. 11. 2013, ` ˆ Ðieu 95 Hieˆ´n pháp nu,o´,c Coˆng hòa Xã hoˆi chu nghı˜a Vieˆt Nam, wonach die Regierung aus ˙ ˙ Premierminister, Stellvertretendem Premierminister und ˙den Ministern der jeweiligen Behörden besteht. 302 Zur Gewaltenteilung gemäß dem sozialistischen Rechtsstaatsprinzip: Teil 1 III. b) (2) (a). 303 Siehe z. B. Art. 79 Abs. 3 Nr. 52-L/CTN vom 12. 11. 1996 (Luaˆt Ban hành Va˘ n ba ¨ n quy ˙ Erlassen von Rechtspham pháp luaˆt); aktuell z. B. Art. 39 Abs. 3 d) des Gesetzes über das ˙ ˙ texten, Nr. 80/2015/QH13 vom 22. 06. 2015 (Luaˆt Ban hành Va˘ n ba ¨ n quy pham pháp luaˆt) und ˙ internationalen ˙ ˙ Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes über Abschluss, Beitritt zu und Umsetzung von Verträgen, Nr. 108/2016/QH13, vom 09. 04. 2016 (Luaˆt ky´ keˆ´t và thu,c hieˆn Ðieˆ`u u,o´,c quoˆ´c teˆ´); ˙ 1 DBA-Anwendungserlass ˙ ˙ bei Doppelbesteuerungsabkommen siehe Art. 5 Abs. über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013 (Thông tu, Hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh ˙˜,a Vie ˙ ˆt Nam vo ˙´,i các ˙ nu,o´,c). d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài sa ¨ n giu ˙ ˙ ˙ 304 Im Einzelnen siehe unten in Teil 1 III. 1. b) cc) (5) (d). 305 Seit den „Ðoˆ i mo´,i“-Reformen wurden unter anderem ideologische Sichtweisen instrumentalisiert, um den wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben. So dienten z. B. Gerechtigkeitserwägungen lediglich der Effektivität und Effizienz der Steuererhebung.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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an rechtlichen Instrumenten und die auf allen Ebenen der drei staatlichen Gewalten zugesprochene Kompetenz, diese auch einsetzen zu dürfen,306 wird von der Idee getragen, flexibel auf den zu regulierenden Sachverhalt entsprechend dem Stand der wirtschaftspolitischen Zielrichtung reagieren zu können oder gestaltend Einfluss zu nehmen. Der dahinterstehende Pragmatismus sowie die sowjetische Instrumentalisierung des Rechts als Steuerung der Gesellschaft statt zur Herstellung eines rechtlich geschützten Raumes zur Selbstbestimmung und Freiheit des Individuums in Gemeinschaft mit anderen führt allerdings in der Praxis zu einer unüberlegten Handlungswut statt zu einer wohlüberlegten, durch eine dem Prinzip von checks and balances verbundene, der Gewaltenteilung innenwohnende systematische Überprüfung der Vorschriften. Die Qualität der vietnamesischen Vorschriften und die Systematik der aufeinander bezogenen Normtypen werden daher nicht selten bemängelt.307 Die Anwendung von DBA-Klauseln wird demnach weiterhin maßgeblich durch die Verwaltungsschreiben und Verwaltungsbriefe (công va˘ n) und somit durch die Exekutive bestimmt sein.308 Diese Möglichkeit, mittels Zusammenarbeit mit den Behörden eine gewisse Planbarkeit herzustellen, führt zwangsweise zu einer Unlösbarkeit dieses Problems. Der Kreislauf von der behördlichen Klärung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten der Rechtsvorschriften und der mit Qualitätsverlust verbundenen und eingeschränkt überprüfbaren administrativen Handlungsaktivität wird langfristig die nächste Hürde für Vietnam sein. Der Rückgriff auf eine international anerkannte Auslegung gemäß dem OECD-Musterabkommen hingegen dürfte vor diesem Hintergrund aus Sicht Vietnams die vermeintliche Flexibilität hemmen. (e) Präjudizierende Verwaltungsbriefe (công va˘ n) Die Verwaltungsbriefe spielen eine besondere Rolle bei der Abkommensanwendung. Mit Hilfe dieser Verwaltungsbriefe werden die vom Finanzministerium vertretenen Auffassungen zu einem bestimmten Fall den örtlichen Finanzbehörden und den Steuerpflichtigen mitgeteilt. Durch Anfragen einer solchen Auskunft wird der Kontakt zu den Behörden vorab gesucht, um Planungssicherheit herzustellen, weil aufgrund der durch das sozialistische Rechtsstaatsprinzip bedingten Verschmelzung aller staatlichen Gewalten die effektive Durchsetzung der Rechte des Steuerpflichtigen nicht gewährleistet ist.309 Obwohl die Verwaltungsbriefe keine 306
Siehe im Einzelnen in Teil 1 III. 1. b) aa) (2) nebst Unterkapitel. Siehe Nguyen, Phat Tan, Transfer Pricing – The Vietnamese System in the Light of the OECD Guidelines and the Systems in certain Developed and Developing Countries (Diss.) 2009, S. 332. Ähnlich, jedoch ohne w.N.: Becker, Ralph: Anhang: Überblick über das Steuerrecht Vietnams, Rn. 14 f., in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 308 Dieses Phänomen tritt am Dreieckssachverhaltsbeispiel in Teil 2 deutlich in Erscheinung. 309 Siehe in Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (a). 307
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rechtliche Bindung haben, werden sie faktisch befolgt. In der Praxis ist mit der Beantwortung nach ein bis zwei Monaten zu rechnen, allerdings werden die Fragen nicht immer ausreichend beantwortet.310 Eine Vergleichbarkeit mit der im deutschen Recht angebotenen verbindlichen Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO scheitert daran, dass keine Regelungen existieren, wonach die Verwaltungsbriefe eine rechtlich bindende Geltung für sich beanspruchen können. Auch fehlen Regelungen, die ein geregeltes Verfahren bei solchen Anfragen gewährleisten.311 (f) Vietnamesisches Verwaltungsrundschreiben 205/2013/TT-BTC 24. 12. 2013 Das Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TTBTC, vom 24. 12. 2013 (DBA-Anwendungserlass)312 ersetzt das bis dahin entsprechende Verwaltungsrundschreiben von 2004.313 Der DBA-Anwendungserlass regelt die Anwendung von DBA im Hinblick auf den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich, die Anwendung der Abkommen im Zusammenhang mit dem nationalen Recht und die verfahrensrechtlichen Fragen bei der Auseinandersetzung mit dem Steuerpflichtigen sowie Fragen zu den Zuständigkeiten. Außerdem sind Regelungen zu eigenen Anti-Missbrauchsvorschriften und zu allen im Abkommen geregelten Einkunftsarten sowie den Methoden der Vermeidung von Doppelbesteuerungen zu finden. Der DBA-Anwendungserlass ist mit einer Vielzahl von Fallbeispielen angereichert. Im Vergleich zum ersten DBA-Anwendungserlass aus dem Jahr 1997,314 der lediglich den Anwendungsbereich und die Zuständigkeiten sowie die verfahrensrechtlichen Fragen geregelt hat, gibt der DBA-Anwendungserlass aus dem Jahr 2013 relativ ausführliche Anwendungshilfen an die Hand, insbesondere zur Auslegung des Abkommens. Das Finanzministerium hatte auch schon 310 Burke, Fred/Nguyen, Thanh Vinh, Business Operations in Vietnam, BNA Bloomberg, 2014, S. 64. 311 Ebenda. 312 Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013 (Thông tu, Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài ˙ˆt Nam vo ˙ ´,i các ˙ nu,o´,c). ˙ ˙ sa ¨ n giu˜˙,a Vie ˙ 313 Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 133/2004/TT-BTC, vom 31. 12. 2004 (Thông tu, Hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thue´ˆ hai la`ˆ n d¯o´ˆ i vo´,i các loai thue´ˆ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài ˙ˆt Nam vo ˙ ´,i các ˙ nu,o´,c). ˙ ˙ sa ¨ n giu˜˙,a Vie ˙ 314 Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 52/TC-TCT, vom 16. 08. 1998 (Thông tu, Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài sa ¨ n ˙ˆt Nam vo ˙ ´,i các ˙ nu,o´,c). ˙ ˙ giu˙˜,a Vie ˙
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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vor 1997 Richtlinien für die Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen in Form eines Verwaltungsbriefes vom 11. 10. 1994 herausgegeben, in denen im Detail vorgegeben wurde, wie das Abkommen anzuwenden sei.315 (g) Nationale Missbrauchsvorschriften Gemäß Art. 6 des DBA-Anwendungserlasses 205/2013/TT-BTC vom 24. 12. 2013316 findet zur Vermeidung von Treaty-Shopping eine wirtschaftliche Betrachtungsweise (sogenannte substance-over form approach) Anwendung. In Art. 3 wird negativ bestimmt, wer nicht Nutzungsberechtigter ist (beneficial owner). Eine Nutzungsberechtigung ist zu verneinen,317 wenn – der im anderen Staat ansässige Zahlungsempfänger verpflichtet ist, innerhalb von 12 Monaten 50 Prozent von seinen Einnahmen an einen im Drittstaat ansässigen Dritten weiterzuleiten oder – der im anderen Staat ansässige Steuerpflichtige keine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, unabhängig davon, ob seine Aktivität sich in der Verwaltung von Vermögen erschöpft, oder – der im anderen Staat ansässige Steuerpflichtige zwar wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet, jedoch die hierfür erzielten Einnahmen sich nicht im Verhältnis zu der ausgeübten Aktivität wirtschaftlich sinnvoll abbilden lassen, oder – der Steuerpflichtige letztlich kaum Kontrolle über die die Einnahme generierende wirtschaftliche Aktivität ausübt und entsprechend kaum wirtschaftliches Risiko trägt oder – bei Verträgen zwischen dem im anderen Staat ansässigen und im Inland ansässigen Steuerpflichtigen über passive Einkünfte, soweit diese Verträge im Zusammenhang mit weiteren Verträgen zwischen dem im anderen Staat ansässigen und dem im Drittstaat ansässigen Steuerpflichtigen stehen, oder – der Steuerpflichtige keine oder niedrige Steuern (bis 10 Prozent) entrichtet, die nicht durch Investitionsanreize bedingt sind, oder
315 Siehe Verwaltungsbrief an alle Steuerbehörden der Provinzen und Städte unter der Zentralregierung, Nr. 1664/TCT-HTQT, vom 11. 10. 1994 (Công va˘ n Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn ˙ ˙ Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thue´ˆ hai la`ˆ n). ˙316 ˙ Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013 (Thông tu, Hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thue´ˆ hai la`ˆ n d¯o´ˆ i vo´,i các loai thue´ˆ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài ˙ˆt Nam vo ˙ ´,i các ˙ nu,o´,c); siehe hierzu auch Teil 1 III. ˙1. b) cc) (5) (e). ˙ sa ¨ n giu˜˙,a Vie ˙ 317 Art. 6 Abs. 3 a-g Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013 (Thông tu, Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ ˙ ˜,a ˙Vieˆt Nam˙ vo´,˙i các nu,o´,c). ˙ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài sa ¨ n giu ˙ ˙
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
– der Steuerpflichtige aus nur steuerlichen Zwecken eine Zwischengesellschaft oder ein Vertreter des im Drittstaat ansässigen Steuerpflichtigen ist. Diese Neuerungen sind im Zusammenhang mit den in der gleichen Zeit damals andauernden Verhandlungen zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Vietnam und den Vereinigten Staaten zu lesen.318 Die Missbrauchsvorschriften sind üblich in Abkommen mit Staaten, die dem angelsächsischen Rechtsraum angehören. In Artikel 23 des Abkommens zwischen Vietnam und den USA lassen sich vergleichbare Regelungen finden.319 Zudem finden sich weitere Einzelfallentscheidungen im Erlass, die ebenfalls eine Anwendung des DBA ausschließen. Eine dieser Vorschriften betrifft, wie später zu zeigen sein wird, den hier noch zu prüfenden Fall eines Dreieckssachverhalts mit Betriebsstätten (vgl. Teil 2). (6) Zwischenfazit Die im vietnamesischen Abkommensrecht bestehende Planungsunsicherheit lässt sich nur bedingt mit dem vietnamesischen Anwendungserlass beheben. Dieser schlägt nicht konsequent die Brücke zwischen den Abkommensvorschriften, ihrer Auslegung und Anwendung.
2. Anwendungsfall einer typischen multinationalen Investitionsstruktur Nachfolgender Sachverhalt soll mit dem Ziel steuerlich begutachtet werden, die Mechanismen des vietnamesischen nationalen und internationalen Steuerrechts zu verdeutlichen und zu vertiefen. Damit wird ein erster Eindruck vermittelt, mit welchen Sachverhalten die vietnamesischen Behörden oft konfrontiert werden. a) Sachverhalt Das deutsche Unternehmen M-AG ist als Zulieferer und Produzent in der Textilund Bekleidungsindustrie aktiv. Seit einiger Zeit wird in Vietnam für den deutschen, südostasiatischen, insbesondere auch für den vietnamesischen Markt produziert. Die Produktionsstätte wird von der VN-LLC betrieben, einer vietnamesischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie wird zu 100 Prozent von der M-AG gehalten. 318 Das Abkommen wurde am 07. 07. 2015 unterzeichnet. Mit der Regierungsresolution 29/ NQ-CP vom 24. 02. 2017 über die Ratifizierung des Abkommens und der Protokolle über die Vermeidung von Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Nghi quyeˆ´t 29/NQ-CP na˘ m 2017 phê duyeˆt Hieˆp d¯inh và ˙ nga˘ n ngu`,a vieˆc troˆ´n laˆu thueˆ´ d¯oˆ´i vo´˙,i các˙ loa˙i thueˆ´ Nghi d¯inh thu, veˆ` tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n và ˙ ban hành). ˙ ˙ ˙ thu nhaˆp giu˜,a Vieˆt Nam – Hoa Ky` do Chính phu d¯ánh˙ vào ˙ ˙ 319 Sogenannten Limitation of Benefits-Klauseln.
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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Mit der VN-LLC wird ein Toll-Manufacturing320-Vertrag geschlossen. Die Rohmaterialien werden von einem thailändischen Zwischenhändler direkt an die VNLLC geliefert. Die von der VN-LLC eingenommenen Entgelte für die Herstellung und Lieferung werden später als Dividende an die M-AG ausgeschüttet. Die fertiggestellten Waren werden an die M-AG geliefert. Die M-AG versendet dann die Waren an die Vertriebshändler in Europa und den Vereinigten Staaten.
Vietnam
Lieferung der fertigen Produkte
VN-LLC
Vergütung für Produktion und Lieferung
Toll-Agreement 100 %
Lieferung der Rohmaterialien
M-AG
Gewinnausschüttung
Anweisung Lieferung der Rohmaterialien
Deutschland
Zulieferer Thailand
Abbildung 2: Sachverhaltsskizze – Multinationale Investitionsstruktur – Deutschland/Vietnam/Thailand
Um weiter die Steuerlast zu senken, überlegt die M-AG, Hongkong und die British Virgin Islands in ihre Steuergestaltung einzubeziehen.
320
Zu den Begrifflichkeiten siehe unter III. 1. a).
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Die M-AG gründet dafür eine Gesellschaft in Hongkong, um ihr das operative Geschäft für den gesamten ausländischen Markt zu übertragen. Nun wird zwischen der Hongkong-Gesellschaft und der VN-LLC ein Toll-Manufacturing-Vertrag geschlossen. Die Rohmaterialien werden weiterhin aus Thailand von einem Zwischenhändler direkt an die VN-LLC geliefert. Zudem soll eine BVI-Gesellschaft gegründet werden, die offiziell für die VN-LLC Beratungsleistungen ausführt. b) Ertragsbesteuerung des unternehmerischen Gewinns Grundlage der Besteuerung ist das Unternehmensteuergesetz (UntStG) (Luaˆt thueˆ´ ˙ thu nhaˆp doanh nghieˆp).321 Nach Art. 2 sind alle Organisationen unbeschränkt ˙ ˙ steuerpflichtig, die unternehmerisch tätig sind. Irrelevant für die Besteuerung ausländischer Unternehmen ist der Sitz des Unternehmens.322 Entscheidend ist allein, dass Einnahmen aus Vietnam generiert werden. Hat das Unternehmen jedoch eine Betriebsstätte (co, so, thu,o`,ng trú),323 so sind alle ausländischen Unternehmensgewinne, die der Betriebsstätte zugeordnet werden können, der Besteuerung in Vietnam zu unterwerfen, aber auch alle sonstigen in Vietnam erwirtschafteten Gewinne, selbst wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Betriebsstätte stehen.324 Auch Personengesellschaften sind nach dem UntStG Steuersubjekt, so bestimmt es Art. 2 a) UntStG i. V. m. Art. 130 ff. Unternehmensgesetz. Sie gelten als juristische Personen gemäß Art. 130 Nr. 2 Unternehmensgesetz (UTG).325 Der Einsatz von Personengesellschaften in Vietnam ist eher selten. Im Fall einer Abkommensanwendung kann die Behandlung von Personengesellschaften als Steuersubjekt zu Qualifikationskonflikten führen. Besteuert wird das Welteinkommen, Art. 3 Nr. 2 UntStG und Art. 7 Nr. 2 UntStG. Verluste können nur auf fünf Jahre vorgetragen werden. Ein Rücktrag ist nicht möglich. Der Steuersatz beträgt derzeit 20 Prozent.326 Gleichzeitig sind die zahlreichen Steuervergünstigungen für ausländische Direktinvestitionen zu berücksichtigen, unter anderem die in den Art. 13 bis 15 UntStG genannten. So wird für einen Zeitraum von 15 Jahren ein Steuersatz von 10 Prozent gewährt beziehungsweise für 321 Luaˆt thueˆ´ thu nhaˆp doanh nghieˆp, 51/2001/QH10, 03. 06. 2008; in das Unternehmen˙ steuerrecht˙ einführend siehe Teil 1 III. ˙1. b) aa) (5) (b). 322 Artikel 2 Nr. 1 (b) des Unternehmensteuergesetzes (Luaˆt thue´ˆ thu nhaˆp doanh nghieˆp), ˙ ˙ ˙ 51/2001/QH10, 03. 06. 2008. 323 Im Englischen wird dieser Begriff mit „residence establishment“ übersetzt. 324 Artikel 3 des Rundschreibens Nr. 130/2008/TT-BTC, 26. 12. 2008, zur Anwendung des Unternehmensteuergesetzes und der Erlass Nr. 124/2008/ND-CP vom 11. 08. 2008 (Thông tu, 130/2008/TT-BTC 26. 12. 2008). 325 Luaˆt doanh nghieˆp, 60/2005/QH11, 29. 11. 2006. ˙ ˙ 326 Art. 1.6 und Art. 2 des Gesetzes über die Änderung des Unternehmensteuergesetzes, Nr. 32/2013/QH13, vom 19. 06. 2013; Art. 10 des Dekrets Nr. 218/2013/ND-CP vom 26. 12. 2013 (geändert durch das Dekret Nr. 91/2014/ND-CP vom 1. 10. 2014 und das Dekret Nr. 12/ 2015/ND-CP vom 12. 02. 2015). Siehe auch Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b).
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Trust
M-AG
BVI Consulting
Beratungsvertrag
Deutschland Hongkong
British Virgin Islands
100 %
Lieferung der fertigen Produkte an den Kunden der HK-Ltd.
Vergütung für Produktion und Lieferung
VN-LLC
Toll-Agreement
Vietnam
HK-Ltd.
Anweisung Lieferung der Rohmaterialien
Lieferung der Rohmaterialien
Thailand
Zulieferer
Abbildung 3: Abwandlung mit möglicher Gestaltung über Offshore-Staaten
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
einen Zeitraum von 20 Jahren 15 Prozent, wenn die Investitionsprojekte in bestimmten Gebieten mit einer sozioökonomischen Schieflage oder in bestimmten Sonderwirtschaftszonen ausgeführt werden oder aktuell Nachfrage nach solchen Investitionen besteht. aa) Besteuerung der vietnamesischen VN-LLC Die vietnamesische VN-LLC ist eine nach Art. 33 des UTG errichtete Gesellschaft und kommt somit als Steuersubjekt nach Art. 2 a) UntStG in Betracht. Im vietnamesischen Steuerrecht ist hierfür jedoch ferner erforderlich, dass die VN-LLC auch Gewinne erzielt hat.327 Die Umsätze (Art. 8 UntStG) abzüglich der abziehbaren Ausgaben (Art. 9 UntStG) für den Auftrag der Herstellung und Lieferung der Waren sind für das betreffende Veranlagungsjahr (Art. 5 UntStG) Gewinne aus einer gewerblichen Tätigkeit und damit nach Art. 3 des UntStG steuerbare Einnahmen. Zum Zwecke des Ausgabenabzugs kann die VN-LLC gemäß Art. 9 b) UntStG Ausgaben durch entsprechende Rechnungen nachweisen. Steuerbefreite Einkünfte aus Art. 4 UntStG liegen nicht vor. Ein Verlustvortrag nach Art. 16 UntStG besteht nicht. Die Gewinne werden einem Steuersatz von 20 Prozent unterworfen. Steuervergünstigungen in Form eines niedrigen Steuersatzes nach Art. 13 UntStG oder Steuerbefreiung und Steueranrechnung finden hier keine Anwendung. Zu beachten ist aber, dass die Zahlungen für die Herstellung der Waren einem Drittvergleich standhalten müssen, da sonst eine Korrektur des ermittelten Gewinns über die vietnamesische Verrechnungspreisregelung vorgenommen werden muss.328 bb) Besteuerung der deutschen M-AG Nach Art. 2 d) UntStG unterliegen auch ausländische Unternehmen der Unternehmensteuer, beschränkt auf die inländischen Einkünfte. Das Bestehen einer Betriebsstätte ist hierfür nicht erforderlich. Liegt eine Betriebsstätte im Sinne des Art. 2 Nr. 3 UntStG im Inland vor, so werden nach Art. 2 Nr. 2 c) UntStG alle ausländischen und inländischen Einkünfte, die der Betriebsstätte zugerechnet werden können, der vietnamesischen Besteuerung unterworfen. Gleichzeitig geht das UntStG von einer Attraktionskraft der Betriebsstätte hinsichtlich der sonstigen inländischen Einkünfte aus, Art. 2 Nr. 2 c) UntStG. Eine Betriebsstätte wird in Art. 2 Nr. 3 UntStG als Produktions- oder Geschäftsbetrieb umschrieben, durch den ein ausländisches Unternehmen ganz oder teilweise seine Produktions- oder Geschäftstätigkeit in Vietnam zum Zwecke der Gewinngenerierung ausübt. Ein Betriebsstättenrisiko liegt insbesondere in der Qualifizierung der VN-LLC als Vertreter-Betriebsstätte im Sinne 327
Siehe zu der Besonderheiten der vietnamesischen subjektiven Steuerpflicht Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b) und unten Teil 2 IV. 2. a). 328 Rundschreiben 66/2010/TT-BTC, 22. 04. 2010. Siehe hierzu auch Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (cc).
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des Art. 2 Nr. 3 d) und dd) UntStG. Eine solche kommt beim Contract Manufacturing329 insbesondere dann in Betracht, wenn das Herstellerunternehmen die Rohmaterialien selbstständig für die Herstellung kauft oder wenn es auch gleichzeitig als Repräsentant für das ausländische Unternehmen in Vietnam die Waren ausliefert und Dienste leistet. Ferner ist nicht auszuschließen, dass aus vietnamesischer Sicht keine Abschirmwirkung durch die Verwendung von juristischen Personen greift, sodass eine Betriebsstätte auch dann anzunehmen wäre, wenn das Mutterunternehmen aktiv in das Management der Tochtergesellschaft eingreift oder sich schlicht durch Qualitätskontrollen einmischt. Diese Bedenken sind nur dann bedeutsam, wenn sich das Mutterunternehmen in einem Land befindet, mit dem kein DBA geschlossen wurde. Im Hinblick auf die M-AG wird im Ergebnis keine Betriebsstätte begründet, sowohl aus nationaler als auch aus abkommensrechtlicher Perspektive: Die Investition der M-AG ist als Toll Agreement ausgestaltet. Nach ständiger nationaler Rechtspraxis wird in einem solchen Fall eine Betriebsstätte verneint.330 Auch in abkommensrechtlicher Hinsicht ist das gleiche Ergebnis zu beobachten. Dem Abkommen wird nach Art. 5 Abs. 1 des Verwaltungsrundschreibens über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und von Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC vom 24. 12. 2013331, bei Abweichungen der Vorrang gegenüber dem nationalen Recht eingeräumt. Im Abkommen zwischen Deutschland und Vietnam kommt für die vorliegende Gestaltung allenfalls eine Betriebsstätte in Form einer Fabrikationsstätte gemäß Art. 5 Abs. 2 d) DBA Vietnam in Betracht. Eine Fabrikationsstätte ist eine feste Geschäftseinrichtung, in der Erzeugnisse hergestellt oder vorhandene bearbeitet werden.332 Eine feste Geschäftseinrichtung, deren Gesamttätigkeit nur von vorbereitender Art ist oder sich in bloßen Hilfstätigkeiten erschöpft, begründet keine Betriebsstätte. Da die VN-LLC eine Kapitalgesellschaft ist, greift die Abschirmwirkung, sodass es sich von vornherein nicht um eine abkommensrechtliche Betriebsstätte handeln kann.
329
Siehe hierzu auch Kapitel III. 1 a). Massmann, Oliver/Nguyen Thanh Vinh/Cooper, Giles, Contract Manufacturing and Tolling Agreement, APTB 2006, S. 233, 234. 331 Thông tu, Hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thue´ˆ hai la`ˆ n d¯o´ˆ i vo´,i các loai thue´ˆ ˙ ˜,a Vie ˙ ˆt Nam˙ vo´,i˙ các nu,o´,c. ˙ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài sa ¨ n giu ˙ ˙ 332 Die Definition richtet sich aus deutscher Sicht nach dem OECD-MA, siehe Becker, Rn. 9 und zur Definition: Görl, Maximilian, OECD-MA Artikel 5, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen 6. Aufl. 2015, Rn. 44. 330
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c) Umsatzsteuerliche Behandlung in Vietnam333 Nach Art. 4 des vietnamesischen Umsatzsteuergesetzes (VN-UStG) sind alle unternehmerisch tätigen und importierenden Organisationen und Individuen für Leistungen nach Art. 3 (VN-UStG) umsatzsteuerpflichtig. Umsatzsteuerfrei sind unter anderem nach Art. 5 Nr. 20 VN-UStG Importe von Rohstoffen, die zur Anfertigung und Herstellung von Waren benötigt werden. Die Produkte müssen für den Export vertraglich an einen ausländischen Partner gehen. Der Steuersatz beträgt nach Art. 10 VN-UStG 10 Prozent. Für bestimmte Leistungen fällt ein reduzierter Steuersatz von 5 Prozent an. Die VN-LLC ist grundsätzlich umsatzsteuerpflichtig. Als umsatzsteuerpflichtige Leistung kommt hier sowohl die Lieferung von Rohstoffen und die Herstellung und Lieferung der Endprodukte in Betracht. Beides ist nach Art. 5 Nr. 20 VN-UStG umsatzsteuerfrei, wenn die Rohstoffe zur Herstellung zur Verfügung gestellt werden und die Produkte laut Vertrag ins Ausland exportiert werden sollen. Nach dem TollManufacturing-Vertrag ist Gegenstand des Vertrages, dass dem Produktionsunternehmen VN-LLC die für die Herstellung von Textilien und Bekleidung erforderlichen Rohmaterialien zur Verfügung gestellt und dass die Endprodukte an das Mutterunternehmen M-AG zurückgeliefert werden. Damit greift Art. 5 Nr. 20 VNUStG, sodass keine Umsatzsteuer anfällt. Würde die VN-LLC das Warenkontingent, das für den vietnamesischen Markt bestimmt ist, direkt in Vietnam vertreiben, so fiele eine Umsatzsteuer an gemäß Art. 4 VN-UStG. d) Ausschüttung der Gewinne an die deutsche M-AG Die Ausschüttung der VN-LLC an die M-AG wird in Vietnam nicht der Besteuerung unterworfen gemäß Art. 4 Nr. 6 UntStG. In Deutschland unterliegen nach dem Welteinkommensprinzip alle Einkünfte der M-AG der Besteuerung gemäß § 1 Abs. 1 KStG. Dividendeneinkünfte hingegen bleiben gemäß § 8b Abs. 1 KStG für die Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Allerdings wird in der Konsequenz gesetzlich angeordnet, dass 5 Prozent dieser Einkünfte der Besteuerung unterworfen werden. Nach § 8b Abs. 5 KStG müssen 5 Prozent dieser außer Ansatz gelassenen Einkünfte als nicht abzugsfähige Ausgaben außerbilanziell hinzugerechnet werden. Diese erhöhen das zu versteuernde Einkommen. Entsprechend verfährt das Gewerbesteuergesetz. Ausgeschüttete Gewinne werden grundsätzlich im Ergebnis zunächst gewerbesteuerlich berücksichtigt. Nach § 8 Nr. 5 GewStG sind dem gewerbesteuerlichen Gewinn aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 7 GewStG die nach § 7 Satz 4 2. Hs GewStG i.V.m. § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz gebliebenen Gewinnanteile hinzuzurechnen. Im vorliegenden Fall greift jedoch als Ausnahme zu diesem Grundsatz das sogenannte gewerbesteuerliche 333
Einführend siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (6).
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Schachtelprivileg. Nach § 9 Nr. 7 GewStG dürfen von der Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen die Dividenden gekürzt werden, wenn ununterbrochen seit Beginn des Erhebungszeitraumes eine Beteiligung an der Tochtergesellschaft von mindestens 15 Prozent nachgewiesen werden kann. Die 100 Prozent Beteiligung an der VN-LLC bewahrt somit die M-AG vor der Gewerbesteuer bezüglich 95 % der Dividenden. e) Exit-Strategie Für die Exit-Strategie könnte es möglicherweise auf die steuerliche Standortfrage ankommen. Beim Ausstieg der Muttergesellschaft aus ihrer Investition durch Veräußerung der Anteile an der VN-LLC beeinflusst der Standort die steuerliche Behandlung der Anteilsveräußerung. Nach Art. 2 Nr. 2 UntStG sind die Einnahmen aus der Veräußerung von Anteilen mit 20 Prozent zu versteuern. Je nach Gestaltung kommt auch eine Besteuerung von 0,1 Prozent des Transaktionspreises in Betracht.334 Bei Veräußerungen von Gewinnanteilen im Allgemeinen greift der Auffangtatbestand des Art. 13 Abs. 5 DBAVietnam. Danach kommt es zu einer Besteuerung im Ansässigkeitsstaat des Veräußerers (der im vorliegenden Fall Deutschland ist). Nach § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG bleiben 95 Prozent der Bezüge aus den Veräußerungen von Gewinnanteilen jedoch außer Ansatz. Dies gilt auch für Anteile an ausländischen Gesellschaften. Gewerbesteuerlich wird gem. § 7 S. 4 zweiter Halbsatz GewStG der § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG entsprechend angewendet. Demnach sind nur 5 Prozent der aus dem Exit stammenden Gewinne ertrags- und gewerbesteuerlich belastet. f) Fallvarianten: Einsatz von Gesellschaften in Hongkong und auf den British Virgin Islands Sind alle Steuervergünstigungen „verbraucht“ oder kommen keine in Betracht, so kann das zu versteuernde Einkommen der VN-LLC vor allem im Wege von abziehbaren Betriebsausgaben herabgesetzt werden. Die Verlagerung des operativen Geschäfts nach Hongkong ermöglicht es, die Gewinne der M-AG aus der Lieferung der Waren an die jeweiligen ausländischen Vertriebsunternehmen vor einer Besteuerung zu schützen. Um der vietnamesischen Ertragsteuer von 20 Prozent zu entgehen, ist die Verwendung von Scheinrechnungen335 oder von unangemessenen Verrechnungspreisen üblich. Dadurch können Gewinne in einen Offshore-Staat wie British Virgin Islands 334 Dies ist bei der Verwendung einer JSC der Fall (Joint stock Company), so: Quynh Van, Dinh Thi, Vietnam – Effective Tax Planning and Profit Repatriation Strategies, APTB 2009, S. 262, 263. Dies mag auch einer der Gründe sein, weshalb bei der Investitionsplanung die JSC bevorzugt wird. 335 Siehe hierzu Teil 1 III. 1. b).
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
verlagert werden, anstatt diese dem Zugriff des vietnamesischen Fiskus auszusetzen. Die Verlagerung der Gewinne schadet jedoch nicht nur dem vietnamesischen Fiskus, sondern unter Umständen unter Berücksichtigung des Außensteuergesetzes auch dem deutschen, sodass möglicherweise aufgrund des Parkens der Gewinne in der Offshore-Gesellschaft der Tatbestand der Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO und daran anschließend gegebenenfalls bei Verschleierung der Einkunftsquellen der der Geldwäsche nach § 261 StGB erfüllt werden. In Betracht kommt daher unter anderem, die Attraktionskraft336 der vietnamesischen Betriebsstätte zu nutzen, um ausländische Verluste dort zu kumulieren. Hierfür müsste das Stammhaus im Verhältnis zu Vietnam in einem Nicht-DBA-Staat ansässig sein und verlustbringende Aktivitäten ausüben. Allerdings ist aufgrund des weiten Abkommensnetzwerkes Vietnams dies nur begrenzt möglich. Ausländische Gewinne einer Gesellschaft werden in Hongkong grundsätzlich aufgrund des Territorialitätsprinzips nicht besteuert. Nur inländische Einkünfte sind somit von der Besteuerung in Hongkong betroffen. Auf diese Gestaltungen wird im Folgenden näher eingegangen. aa) Gestaltung über eine BVI-Gesellschaft als „Company limited by Shares“ Mit der Gründung einer Offshore-Gesellschaft haben Unternehmen aus steuerlicher Sicht vor allem die Gewinnverlagerung und die Vermeidung der sogenannten CFC-Regeln (Controlled Foreign Company)337 im Auge. So werden Gewinne entweder in Form von Beratungshonoraren oder durch die Manipulation von Verrechnungspreisen herausgeschleust. Das schwindende Bankgeheimnis macht anonymisierte Beteiligungen an Gesellschaften attraktiv. Der Einsatz solcher Gesellschaften behindert es in erheblichem Maße, den wahren wirtschaftlich Begünstigten zu ermitteln. BVI-Gesellschaften sind alle gemäß § 242 der British Virgin Islands Business Companies Act (BVI-Companies Act) von den Vorschriften der Income Tax Ordinance und somit von der Steuer befreit. Zudem erlaubt die Gesetzeslage auf den BVI Gestaltungen, die es signifikant erschweren, den tatsächlichen Inhaber der Gesellschaft zu ermitteln. So sind gemäß § 6 Abs. 1 BVI-Companies Act unabhängig von der Gesellschaftsform338 beim Handelsregister (BVI Registrar of Corporate Affairs) für die Gründung einer Gesellschaft zwingend der Gründungsvertrag (Memorandum of Association) und der Gesellschaftsvertrag (Articles of Association) sowie gege336
Siehe hierzu Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (bb). CFC-Regeln dienen dazu, die im Ausland durch Gesellschaften steuerlich abgeschirmten und deshalb dort geparkten Einkünfte fiktiv dem ansässigen Unternehmen direkt zuzuordnen und zu besteuern. Vergleiche hierzu die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung des Außensteuergesetzes (AStG), insbesondere §§7 – 14 AStG. 338 Auflistung der unterschiedlichen Gesellschaftsformen in § 5 BVI-Companies Act. 337
III. Ausgangssituation der Steuerverwaltung
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benenfalls sonstige vorgeschriebene Dokumente durch einen für die Registrierung zugelassenen Bevollmächtigten (Registered Agent) einzureichen. Dazu gehört gemäß § 43 A Abs. 1 BVI-Companies Act jedoch nicht die Gesellschafterliste. Diese kann freiwillig eingereicht werden. Anfragen gemäß § 233 Abs. 1 BVI-Companies Act an das BVI Registrar of Corporate Affairs über die Gesellschafter einer Gesellschaft sind damit nicht zielführend. Allerdings müssen diese Dokumente im Büro des Registered Agent vorliegen. Zugriff auf diese Dokumente haben neben dem Registered Agent nur noch gemäß § 100 Abs. 1 und 2 die Geschäftsführung und die Mitglieder der Gesellschaft. Die mit den British Virgin Islands geschlossenen Abkommen über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch ermöglichen der Steuerverwaltung theoretisch, nach Maßgabe der Art. 5 dieser Abkommen einen Zugriff auf diese Informationen. Auf diese Hilfeersuchen wird nur verhalten zurückgegriffen. Sie laufen letztlich leer, wenn sich die erfragten Informationen nicht auf den BVI befinden. Dies wird erreicht, indem zunächst eine weitere Gesellschaft oder ein Trust zwischengeschaltet werden. Diese halten zu 100 Prozent die erste Gesellschaft. So stehen in den beim Registered Agent hinterlegten Dokumenten der Trust oder die Gesellschaft als Gesellschafter der ersten Gesellschaft. Beauftragt wird mit dieser Gründung ein sogenannter Company Management Provider, der die gesamte Gestaltung auf den Inseln verwaltet. Er ist im Zweifel auch der Registered Agent und der Geschäftsführer der ersten Gesellschaft. Hinsichtlich des Trusts müssen keine Dokumente bei irgendeinem Register offengelegt werden. Damit könnten die relevanten Informationen außerhalb der BVI verortet sein. Die VN-LLC könnte eine solche Gestaltung wählen und so die Gewinne aus dem Toll Manufacturing als Beratungskosten deklarieren. Die VN-LLC zahlt diese dann (mittelbar) an die BVI-Gesellschaft. Die Gewinne werden dort bis zur Reinvestition geparkt. Die M-AG würde mit der BVI-Gesellschaft allerdings bei Vorliegen aller Informationen den Tatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG) erfüllen. Das Verschweigen würde dazu führen, dass eine Steuerhinterziehung begangen wird. Falls die hinterzogenen Steuergelder wieder als „saubere Gewinne“ an die M-AG fließen, käme der Tatbestand der Geldwäsche in Betracht. bb) Gestaltung über eine Hongkong-Company limited by shares Die Hongkong-Company Limited by Shares (HK-Limited) nach § 4 Abs. 2 Companies Ordinance ist gemäß § 14 Abs. 1 Inland Revenue Ordinance nur für Gewinne, die in Hongkong erzielt worden sind oder aus Hongkong stammen, verpflichtet, Steuern abzuführen. Entscheidend ist der Ort der gewinngenerierenden Aktivität. Argumentiert werden könnte daher, dass durch die Produktion in Vietnam und die direkte Weiterlieferung an den Kunden keine Steuern in Hongkong entste-
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
hen. Hierdurch könnte eine Nichtbesteuerung des aus dem Vertrieb erzielten Gewinns provoziert werden. Allerdings sind bei Toll-Manufacturing-Gestaltungen nach umstrittener339 Auffassung der Finanzverwaltung in Hongkong (Inland Revenue Department) 50 Prozent der Gewinne als inländische Gewinne mit 16,5 Prozent340 steuerbar. g) Zwischenfazit Die Darstellung der komplexen steuerrechtlichen Fragen, die sich bei einer multinationalen Investitionsstruktur für Vietnam stellen, lässt erahnen, dass die vietnamesische Steuerverwaltung die hierzu erforderliche Sachverhaltsermittlung nicht in genügendem Maße bewerkstelligen kann.
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung Anhand der in den vorigen Kapiteln angerissenen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen werden nachfolgend die Herausforderungen für die vietnamesische Steuerverwaltung herausgearbeitet, insbesondere im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung und die Verarbeitung steuerrelevanter Informationen, die Rekrutierung und Korruptionsbekämpfung. Die Herausforderungen, die sich der Steuerverwaltung stellen, spiegeln sich auch im vietnamesischen Steuerverwaltungsgesetz wider. Diese Probleme schlagen sich direkt in der Einnahmeperformanz beziehungsweise in den Abweichungen zwischen den staatlichen Soll- und Ist-Einnahmen nieder. Insgesamt wird in diesem Kapitel ein Gesamtbild der Leistungsfähigkeit vietnamesischer Steuerbehörden nachgezeichnet, das die Gründe aufdecken soll, die für die Minderung der Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Behörden, Steuereinnahmen zu generieren, ursächlich sind. Diese Herangehensweise orientiert sich an einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der Steuerverwaltung unter Anwendung der von Christian von Soest entwickelten Merkmale zur Ermittlung der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerbehörden,341 namentlich das „Sammeln und Verarbeiten von Informatio-
339 Wolk, Jefferson Vander, Recent Hong Kong Tax Cases: Cause for Alarm: Tax Notes International 2010, S. 437, 440. 340 Schedule 8 (zu § 14 Abs. 2 und § 63 H Abs. 1 A) Inland Revenue Ordinance. 341 Von Soest, Christian, „Measuring the Capability to Raise Revenue“, GIGA Working Paper No. 35, 2006; siehe auch unten in Teil 3 unter II. 1., in dem diese Merkmale abstrakt als Kriterien für das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit formuliert werden.
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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nen“,342 die „Leistungsorientierung der Mitarbeiter“,343 die „Verantwortlichkeit der Verwaltung“344 und die „Einnahmeperformanz“.345 Die ganzheitliche Betrachtungsweise der Steuerverwaltung entspricht weitestgehend auch der „best practice“ regierungsberatender Institutionen.346
1. Herausforderungen bei der Sachverhaltsermittlung Die vietnamesische Steuerbehörde ist mit rund 44.000 Mitarbeitern eine der größten öffentlichen Institutionen des Landes.347 Dennoch ist die Behörde mit der aktiven Sammlung und Verarbeitung von steuerrelevanten Informationen überlastet. Angesichts der immer stärker werdenden Präsenz ausländischer, international renommierter Steuerberatungsgesellschaften ist eine zeitnahe Modernisierung unabdingbar für das vom Staat gesetzte Ziel, eine angemessene Steuer- und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Vor allem müssen die Finanzbehörden zumindest das Ziel umsetzen, den ausgefeilten Steuergestaltungen, insbesondere in Form von Verrechnungspreisstrategien, erfolgreich zu begegnen.348 Aus Sicht des Gesetzgebers lesen sich die Ursachen für diese Ineffizienz in Art. 19 des vietnamesischen Steuerverwaltungsgesetzes349 wie folgt: „Die Steuerverwaltung soll modernisiert werden, und zwar im Hinblick auf Führungsmethoden, Verwaltungsabläufe, Organisationsapparat, Personal, eine breite Anwendung von Informationstechnologien und moderner Techniken auf Grundlage einer Datenbank mit verlässlichen Informationen zwecks Überprüfbarkeit sämtlicher Steuersubjekte und deren steuerlicher Bemessungsgrundlage; eine zügige und genaue Schätzung der zu erhebenden staatlichen Einnahmen soll sichergestellt werden; Probleme und Verletzungen von Steu-
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Ebenda, S. 7 m.w.N. Ebenda, S. 7 m.w.N. 344 Ebenda, S. 8 m.w.N. 345 Ebenda, S. 9 m.w.N. 346 Siehe Le, Tuan Minh/Moreno-Dodson, Blanca/Rojchaichaninthorn, Jeep, Expanding Taxable Capacity and Reaching Revenue Potential: Cross-Country Analysis, Policy Research Working Paper 4559, 2008, World Bank; Le, Tuan Minh/Moreno-Dodson, Blanca/Bayraktar, Nihal, Tax Capacity and Tax Effort: Extended Cross-Country Analysis from 1994 to 2009, Policy Research Working Paper, No. 6252, 2012, World Bank; Vázquez-Caro, Jaime/Bird, Richard M., Benchmarking Tax Administrations in Developing Countries: A Systematic Approach, eJournal of Tax Research 2011, Vol. 9, Nr. 1 S. 5; Fenochietto, Ricardo/Pessino, Carola, Understanding Countries’ Tax Effort, IMF Working Paper No. 13/244, 2013. 347 Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank, S. 24. 348 Ebenda, S. 82; zu den Verrechnungspreisen allgemein siehe Teil 1 III. b) aa) (5) (b) (cc). 349 Luât Qua ¨ n ly´ thueˆ´, 78/2006/QH11, in Kraft seit 01. 07. 2007. Die Übersetzung stammt vom Autor. 343
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams ergesetzen sollen zeitnah aufgedeckt und gelöst werden, und die Effektivität und Effizienz der Steuerbehörde soll gesteigert werden.“
Für die in dieser Vorschrift postulierte Modernisierung wird seit 2007 im Rahmen des „Tax Administration Modernisation“-Projekt (TAMP-Projekt) unter dem Projektnamen „Integrated Tax Administration Information System“ (ITAIS)350 (Projektnummer P099376) die Computerisierung der Steuerverwaltung verfolgt.351 In diesem Rahmen wurden im April 2012 entsprechende Aufträge ausgeschrieben, die von der sogenannten Internationalen Entwicklungsorganisation finanziert werden.352 Dieser Modernisierung könnte jedoch der Steuerbeamte selbst hinderlich sein. Seinen wirtschaftlichen Interessen dürfte die Computerisierung widersprechen, da auf diese Weise der für die Einnahme von Bestechungsgeldern erforderliche direkte Kontakt mit dem Steuerpflichtigen eingeschränkt wird. Von diesen individuellen wirtschaftlichen Interessen abgesehen müssen zudem notwendige IT-Kenntnisse vermittelt werden. Die Masse der Informationen und die noch in Arbeit befindliche Informationstechnik erlauben es nur unter Schwierigkeiten, den Sachverhalt zu ermitteln und die Daten auszuwerten. Die fehlenden Kontrollmöglichkeiten unterwandern die Pflicht des Steuerpflichtigen, genaue, wahrheitsgemäße und vollständige Angaben in der Steuerdeklaration zu machen.353 Die Überlegung einer in Teil 1 III. 2. f) aa) beschriebenen Gestaltung mit einer BVI-Gesellschaft zwecks Gewinnverlagerung wird aus steuerplanerischer Sicht für den Steuerpflichtigen daher attraktiv. Die inadäquate Sachverhaltsaufklärung und die fehlende Möglichkeit eines Datenabgleichs machen es für die vietnamesische Finanzverwaltung derzeit unmöglich, zu identifizieren, ob für die Erhöhung der Betriebsausgaben (und regelmäßig damit einhergehenden Gewinnverlagerung ins Ausland) Scheinrechnungen vewendet wurden, insbesondere wenn ausländische Offshore-Briefkastenfirmen Rechnungsaussteller sind. Diese Schwierigkeiten haben die Verwaltung veranlasst, die in Rechnung gestellten Managementgebühren, Gebühren für die allgemeine Verwaltung, Umsetzung von Geschäftsführungsmaßnahmen und für allgemeine Dienstleistungen unter Generalverdacht zu stellen, sie verkürzten unzulässigerweise den steuerbaren Gewinn. Die Verwaltung versagt so ihre steuerliche Anerkennung. Das erinnert an die im deutschen Recht durch mangelnde Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ausgelöste Schätzungsbefugnis gemäß § 162 AO. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass bei fehlender Ordnungsmäßigkeit der Buchführung sich nicht mehr mit Gewissheit die Richtigkeit der selbsterklärten Steuerbemessungsgrundlagen nachweisen lässt und diese Ungewissheit als Sachverhaltslücke nur durch eine Schätzung zuungunsten des Steuerpflichtigen ge350
ITAIS läuft unter der Projektnummer P099376. Siehe auch Art. 19 Abs. 2 des Gesetzes zur Steuerverwaltung (Luât Qua ¨ n ly´ thue´ˆ ), Nr. 78/2006/QH11, in Kraft seit 01. 07. 2007. 352 Die „International Development Association“ wird von der World Bank verwaltet und ist auch von ihr finanziell abhängig. 353 Art. 7 des Steuerverwaltungsgesetzes (Luât Qua ¨ n ly´ thueˆ´), Nr. 78/2006/QH11, in Kraft seit 01. 07. 2007. 351
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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schlossen werden kann. Im Lichte der vietnamesischen Steuerpraxis würde das bedeuten, dass ohne entsprechende Nachweise keine Gewissheit über die Richtigkeit der in den Rechnungen ausgewiesenen Leistungen und Beträge gewährleistet ist. Selbst wenn also, wie in dem unter III. 2. a) dargestellten Beispiel der VN-LLC, abziehbare Ausgaben gemäß Art. 9 b) UntStG durch entsprechende Rechnungen nachgewiesen werden könnten, würde ihre Echtheit weiterhin angezweifelt werden. Eine mit dem deutschen Recht vergleichbare Regelung (§ 160 AO), nach der Gläubiger beziehungsweise Zahlungsempfänger benannt werden müssen, um Ausgaben zum Abzug zulassen zu können, besteht nicht, genauso wenig eine erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung internationaler Sachverhalte gemäß § 90 Abs. 2 AO. Indem Eingangsrechnungen unter Generalverdacht gestellt werden, wird der Steuerpflichtige in die Situation gedrängt, nachzuweisen, dass Leistungen empfangen wurden und die in den Rechnungen ausgewiesenen Beträge richtig sind. Damit wird dem Steuerpflichtigen faktisch eine erhöhte Mitwirkungspflicht beim Nachweis solcher Leistungen auferlegt. Wann genau diese Mitwirkungspflicht erfüllt sein soll, lässt sich nicht bestimmen. So wird in den Art. 69 bis Art. 74, die die Erhebung und Verwaltung steuerrelevanter Informationen zum Regelungsgegenstand haben,354 vorgeschrieben, dass der Steuerpflichtige sämtliche Informationen vorbringen muss, die für die Steuerfestsetzung erforderlich sind (vgl. Art. 71), jedoch nicht, ob die Finanzbehörde aufgrund etwaiger Amtsermittlungspflichten auch die ihr bekannten Umstände zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigen muss,355 ohne dass der Steuerpflichtige hierzu vorgetragen hat. Die Regelung, dass die Finanzbehörde steuerliche Pflichtverletzungen nachweisen muss, könnte dann ad absurdum geführt werden, wenn die Finanzbehörde die steuerliche Pflichtverletzung schon dann als begründet ansieht, wenn aus Sicht der Behörde der Steuerpflichtige nicht zweifelsfrei die erbrachte Leistung und die Richtigkeit der in den Rechnungen ausgewiesenen Beträge nachweisen kann. Darüber hinaus fehlt es an der grundlegenden Gewährleistung, dass der Steuersachverhalt auch ohne ermessensfremde externe Beeinflussung zutreffend und in angemessener Zeit ermittelt wird. Ökonomischer erscheint es daher, innerhalb eines Korruptionssystems zeitnah gegen eine „Bestechungsgebühr“ eine günstige Entscheidung zu erhalten. Andernfalls zerren Steuerdeklarationen an den finanziellen und zeitlichen Ressourcen des Steuerpflichtigen.356 Doch auch die involvierten Beamten ziehen eine solche ihren privaten wirtschaftlichen Interessen einerseits und Luât Qua ¨ n ly´ thue´ˆ , Nr. 78/2006/QH11, in Kraft seit 01. 07. 2007. So aber in § 88 AO. 356 GIZ Sector Programme Public Finance, Administrative Reform, Addressing Tax Evasion and Tax Avoidance in Developing Countries, 2010, S. 15; siehe auch: The International Bank for Reconstruction and Development/The World Bank, Doing Business in a more transparent World, Economy Profile Vietnam 2012, S. 74: Ein Unternehmen muss durchschnittlich in Vietnam 32 Überweisungen an die Finanzbehörde tätigen, während in den OECD Staaten nur 13 Überweisungen zu tätigen waren. Für die Steuererklärungen müssen insgesamt 941 Stunden aufgebracht werden. In den OECD-Staaten sind es 186 Stunden pro Jahr. 354
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
dem öffentlichen Fiskalinteresse andererseits entgegenkommende Lösung vor. Es wird daher der Weg über die Beeinflussung der Ermessensentscheidung gesucht, und zwar direkt in Bezug auf die in die Bemessungsgrundlage heranzuziehenden steuerlich relevanten Umstände.357 Das wird durch den intensiven direkten Kontakt zwischen Steuerbeamten und Steuerpflichtigen gefördert.358 Die Interaktion zwischen beiden ist von einer Intensität gekennzeichnet, die aufgrund der fehlenden Computerisierung nicht reduziert werden kann.359 Eine Rotation der für den Steuerpflichtigen zuständigen Sachbearbeiter, um die Gefahren der Korruption zu verhindern, ist nicht vorgesehen.360 Korruption erscheint daher insgesamt attraktiver.361 Ihre Kosten sind deutlich geringer als die Summen, die für die Einreichung der Steuererklärung verwendet werden, beziehungsweise die der zu entrichtenden Steuer,362 auch wenn regelmäßig eine ganze Gruppe von Beamten hierfür bestochen werden muss. Der Erfolg einer Gestaltung über Offshore-Staaten, wie in III. 2. f) aa) anhand des Beispiels von Beratungshonoraren an eine BVI-Gesellschaft dargestellt, kann daher erheblich gefährdet sein, soweit nicht die zuständigen Entscheidungsträger der Finanzbehörden mit in die Kostenstruktur der Gestaltung einbezogen wurden. Hierbei spielt auch Art. 76 des vietnamesischen Steuerverwaltungsgesetzes eine bedeutende Rolle. Dieser regelt Verfahrensfragen zur steuerlichen Außenprüfung und sagt in Absatz 2,363 dass bei Verdacht einer Steuerhinterziehung die Steuerbehörde diese innerhalb von zehn Werktagen bei den für die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zuständigen Behörden zu melden verpflichtet ist. Die Frage, ob eine meldepflichtige Verdachtssituation vorliegt, kann somit gegenüber dem Steuerpflichtigen als Drohmittel für die eigenen Interessen eingesetzt werden. Wie auch in China hängt daher der Erfolg einer steuerberatenden beziehungsweise steuergestaltenden und wirtschaftsberatenden Kanzlei von der Qualität ihrer Kontakte zu den jeweiligen zuständigen Finanzbeamten ab.364 Trotzdem wird in Art. 18 Abs. 1 und 357 Siehe Martini, Maira, Overview of Corruption and Anti-Corruption in Vietnam, S. 3, Transparency International U4 Experts, 27. 01. 2012. 358 Ebenda. 359 Ebenda, S. 92; siehe hierzu auch IV. 1. 360 Ebenda, S. 93; dies ist trotz der gesetzlichen Lage noch nicht umgesetzt worden, siehe Art. 26 des Gesetzes über Kader und Staatsbedienstete (Luaˆt cán boˆ, công chu´,c), Nr. 22/2008/ ˙ ˙ QH12 vom 13. 11. 2008. 361 Siehe Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank, 30. 11. 2011, S. 85. 362 Siehe im Allgemeinen: Bahl, Row W./Bird, Richard M., Tax Policy in Developing Countries: Looking Back and Forward, Rotman Working Paper Series IIB Paper Nr. 13 Mai 2008, S. 20. 363 Art. 76 des Steuerverwaltungsgesetzes (Luât Qua ¨ n ly´ thueˆ´), Nr. 78/2006/QH11, in Kraft seit 01. 07. 2007. 364 Siehe den vom USAID jährliche herausgegebenen Vietnam Provincial Competitiveness Index 2015, wonach 2015 in 44 % der großen Unternehmen, 45 % der mittelgroßen und 52 % der
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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Abs. 3 des Steuerverwaltungsgesetzes ausdrücklich die Unbestechlichkeit als Erfordernis einer funktionierenden Steuerverwaltung benannt. In Anbetracht dessen, dass ausländische Investoren vor allem die Korruption und das schwache Rechtssystem in Vietnam bemängeln,365 liegt es nahe, in diese Vorschrift eine vom Gesetzgeber erhoffte positive Signalwirkung hineinzulesen. Die Modernisierung soll auch der Effizienz und Effektivität der Steuererhebung bei der inländischen Bevölkerung dienen. Für ihre Besteuerung wurden bis 2011 bereits 13 Millionen Steuernummern ausgegeben.366 Derzeit wird mit Hilfe der Softwarefirma SAP SE ein System entwickelt, mit dem die Zahlung von Einkommensteuer über Mobilfunk möglich gemacht werden soll.367 Um den jährlichen Ansturm auf die Finanzbehörden für die Abgabe der Steuererklärungen zu reduzieren, können Steuererklärungen über das Internet abgegeben werden.368 Damit wird das Modernisierungspostulat des Art. 19 Abs. 2 Steuerverwaltungsgesetz teilweise verwirklicht, wonach die Schaffung und Verwendung von elektronischen Transaktionen beziehungsweise elektronischer Steuerverwaltung angestrebt werden. Zugleich sollen so die Barzahlungen des Steuerpflichtigen begrenzt und die Verwendung von Bank- und Kreditinstitutionen begünstigt werden. Nach alledem bleibt ohne die hierfür erforderliche Informationsverwaltung ungewiss, ob der Steuerpflichtige nach Recht und Gesetz seine Steuern abführt (Art. 4 Abs.1) und die Steuerverwaltung dabei ihrerseits die Grenzen des Gesetzes einhält (Art. 4 Abs. 2). Erst mit einer ausgereiften Informationsverwaltung kann die hierfür unerlässliche Publizität, Transparenz und die Einhaltung von Gleichheitsprinzipien bewerkstelligt werden (Art. 4 Abs. 3). Die Erhebung und Verwaltung steuerrelevanter Informationen, wie sie das Gesetz zur Steuerverwaltung in Art. 69 – 74 vorsieht,369 bleibt mit erheblichen Hindernissen für die vietnamesische Steuerverwaltung verbunden, sodass das Besteuerungspotenzial nicht adäquat ausgeschöpft werden kann. Die mangelnde Fähigkeit, Informationen adäquat zu sammeln und auszuwerten, wird darüber hinaus erhebliche Folgen für die Besteuerung der in den nächsten Jahren stark wachsenden vietnamesischen mittelständischen Unternehmen etwa im Bereich der Zulieferindustrie haben, was sich zugleich auch auf die Nachhaltigkeit der sich für deutsche Unternehmen bietenden Investitionsgelegenheiten370 auswirken Kleinunternehmen die Verhandlung mit Steuerbehörden als wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg gehalten wird, siehe S. 35 des Berichts. 365 Siehe Statistik in Economist Intelligence Unit, Reiche Ernte: Chancen in den südostasiatischen Schwellenländern, 2008 S. 13. Siehe auch Teil 1 II. 3. 366 Via Mobile Phone PIT Payment, Vietnam Taxation, Ausgabe Nr. 6 2011, S. 18. 367 Ebenda. 368 The 2010 Tax Finalization Period – All Obstacles Timely Tackled, Vietnam Taxation, Ausgabe Nr. 4, 2011, S. 14. 369 Luât Qua ¨ n ly´ thue´ˆ , 78/2006/QH11, in Kraft seit 01. 07. 2007. 370 Siehe hierzu Teil 1 II. 3.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
wird. Die damit verbundene Problematik der „privatisierten“ Steuerverwaltung und ihre Auswirkung auf die Sachverhaltsermittlung werden sich in absehbarer Zeit nicht entfernen lassen.
2. Herausforderungen bei der Auswahl von Finanzbeamten Die Effektivität der Steuerverwaltung ist unter anderem von der Motivation des Personals bestimmt, insbesondere im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit des Erhebungsverfahrens. Ob Entscheidungen sachgerecht ausfallen, hängt von der Person ab, die die Entscheidung fällt.371 Der Missbrauch der amtlichen Position oder bloß das mangelnde Wissen um die komplexen steuerlichen Sachverhalte372 beeinflussen maßgeblich das Ergebnis der vom Steuerbeamten getroffenen Entscheidung. Weitere auf die Entscheidungsfindung des Steuerbeamten Einfluss nehmende Faktoren sind die Karriereaussichten, die die Arbeitsmoral prägen, die Besoldung und Organisationskultur. Auch der Prozess der Personalgewinnung hat wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsweise des Steuerbeamten. Vietnam steht vor allem vor dem Problem, ausreichend hochqualifizierte Mitarbeiter anzuwerben.373 Dies liegt teils an der vergleichsweise ungenügenden Ausbildung der Bewerber,374 teils an dem harten Wettbewerb mit dem privaten Sektor um junge Talente.375 Die Vorstellung des Gesetzgebers über den idealen Steuerbeamten hat der Staat in Art. 18 Abs. 2 des Steuerverwaltungsgesetzes mit ausfüllbedürftigen Schlagwörtern wie „ehrlich“, „aufrichtig“ und „diszipliniert“ umschrieben. In Art. 18 Abs. 2 Buchstabe c wird auch das Problem der mangelnden Qualifikation 371
Siehe Teil 1 IV. 1. Die Unprofessionalität und die schlechte Ausbildung kritisierend: Gliederungsnummer I im Regierungsbeschluss Nr. 21/NQ-CP vom 12. Mai 2009 über eine Nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Korruption bis zum Jahr 2020 (Nghi quyeˆ´t soˆ´ 21/NQ-CP – ˙ Ban hành Chie´ˆ n lu,o,c quo´ˆ c gia phòng, cho´ˆ ng tham nhu˜ng d¯e´ˆ n na˘ m 2020). ˙ 373 , , , ´ ˜ Wescott, Clay G./Nguyeˆn, Hu˜ u Hieˆu/Vu˜ Quy`nh, Hu o ng, Public Financial Management: How to delivery better value for money in Viet Nam’s Public administration System, UNDP 2009, Public Administration Reform and Anti-Corruption, A Series of Policy Discussion Papers, S. 23; Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/ Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank, 30. 11. 2011, S. 78. 374 Wescott, Clay G./Nguyeˆ˜n, Hu˜,u Hieˆ´u/Vu˜ Quy`nh, Hu,o,ng, Public Financial Management: How to delivery better value for money in Viet Nam’s Public administration System, UNDP 2009, Public Administration Reform and Anti-Corruption, A Series of Policy Discussion Papers, S. 24. 375 Ebenda, S. 27; siehe auch allgemein m.w.N.: Bruynooghe, Saskia P./Faingold, Isy/ Firmalo, Trina Q./Futrell, Ann E./Kent, Jonathon A./Mukherjee, Rohan, Implementation of Civil Service Legislation in Vietnam: Strengthening Elements of a Positioned-Based System, Princeton University 2009, S. 5. 372
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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indirekt angesprochen: Der Steuerbeamte soll fachlich und für die Praxis qualifiziert sein, um die Aufgaben der Steuerverwaltung adäquat wahrnehmen zu können. Die hohen Anforderungen der Verwaltung sollen durch ein zweistufiges Bewerbungsverfahren und durch die ausschließliche Berücksichtigung der universitären Ausbildung sichergestellt werden.376 Nach einem Bewerbungsgespräch müssen die Bewerber eine schriftliche Prüfung ablegen,377 die ihnen den Zugang zum öffentlichen Dienst eröffnen soll.378 Berufliche Erfahrungen spielen keine Rolle, was sich auch bei der Zuweisung des Aufgabenbereichs regelmäßig widerspiegelt.379 Die Fixierung auf die schriftliche Prüfung wird oft als nicht aussagekräftig für die geforderten Qualifikationen kritisiert.380 Dies liegt an der mangelnden universitären Ausbildung, die noch nicht Schritt halten kann mit den wirtschaftlichen und damit auch rechtlichen sowie politischen Umwälzungen.381 Gefragt sind Fertigkeiten, mit denen komplexe grenzüberschreitende, aber auch lediglich inländische steuerliche Sachverhalte erfasst werden können.382 Um diesem Missstand entgegenzuwirken, werden Postgraduierten-Programme, die diese Fertigkeiten vermitteln, mit Stipendien unterstützt, insbesondere sollen besonders qualifizierte Mitarbeiter an ausländische Universitäten geschickt werden.383 Oft wird auch die mangelhafte Ausführung von Arbeitsabläufen beanstandet. Dies ist nicht nur Folge mangelnder steuerlicher Kenntnisse, sondern auch unzureichenden Kenntnissen in der adäquaten Verwendung von IT-Equipment geschuldet.384 Schwer verständlich ist vor diesem Hintergrund die vergleichsweise extrem niedrige Besoldung. Als Grund wird von der 376
Bruynooghe, Saskia P et al., ebenda. Art. 37 des Gesetzes über Kader und öffentlich Angestellte, Nr. 22/2008/QH12 vom 28. November 2008 (Luaˆt cán boˆ, công chu´,, so´ˆ : 22/2008/QH12). ˙ ˙ 378 Bruynooghe, Saskia P./Faingold, Isy/Firmalo, Trina Q./Futrell, Ann E./Kent, Jonathon A./Mukherjee, Rohan, Implementation of Civil Service Legislation in Vietnam: Strengthening Elements of a Positioned-Based System, Princeton University, 2009. 379 Ebenda. 380 Ebenda. 381 Hoàng Thi, Thúy Ngoc, Steuerverwaltung und private Unternehmen im Rahmen der ˙ ˙ internationalen Wirtschaftsintegration, Diss., Hanoi 2010, (Qua ¨ n Ly´ Thue´ˆ Do´ˆ i Vo´,i Các Doanh Nghieˆp Thuoˆc Khu Vu,c Kinh Te´ˆ Tu, Nhân Vieˆt Nam Trong Bo´ˆ i Ca ¨ nh Hoˆi Nhaˆp Kinh Te´ˆ Quo´ˆ c ˙ ˙ ˙ ˙ ´ ˆ Te), S. 160; so auch im Regierungsbeschluss Nr. 21/NQ-CP vom 12.˙ Mai˙ 2009 über eine Nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Korruption bis zum Jahr 2020 unter I. (Nghi quyeˆ´t soˆ´ 21/NQ-CP – Ban hành Chieˆ´n lu,o,c quoˆ´c gia phòng, choˆ´ng tham nhu˜ng d¯eˆ´n na˘ m ˙ 2020). ˙ 382 Hoàng Thi, Thúy Ngoc, ebenda S. 161. ˙ ˙ 383 Wescott, Clay G./Nguyeˆ˜n, Hu˜,u Hieˆ´u/Vu˜ Quy`nh, Hu,o,ng, Public Financial Management: How to delivery better value for money in Viet Nam’s Public administration System, UNDP 2009, Public Administration Reform and Anti-Corruption, A Series of Policy Discussion Papers, S. 24. 384 Hoàng Thi, Thúy Ngoc, Steuerverwaltung und private Unternehmen im Rahmen der ˙ ˙ internationalen Wirtschaftsintegration, Diss., Hanoi 2010, (Qua ¨ n Ly´ Thue´ˆ Do´ˆ i Vo´,i Các Doanh Nghieˆp Thuoˆc Khu Vu,c Kinh Teˆ´ Tu, Nhân Vieˆt Nam Trong Boˆ´i Ca ¨ nh Hoˆi Nhaˆp Kinh Teˆ´ Quoˆ´c ˙ 162. ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ Te´ˆ ), S. 377
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Verwaltung auf die Grenzen des Staatshaushaltes verwiesen.385 Dennoch kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass Beamte viele andere Vorteile genießen wie Renten, stabiles Einkommen und Zuwendungen, etwa Unterbringung und Fortbildungen im Ausland.386 Die eigentlich maßgebliche Attraktivität, die von einer Beamtenlaufbahn ausstrahlt, speist sich zudem aus der Nähe zur politischen Macht und damit aus der Möglichkeit, Verwaltungsaufgaben entgeltlich im Rahmen eines Korruptionssystems zu privatisieren.387 Die eigentliche Einnahmequelle in der Beamtenlaufbahn liegt in den Zusatzentgelten, die der Steuerbeamte gegenüber dem Steuerpflichtigen für die Berücksichtigung bestimmter steuerlicher Sachverhalte, Beendigung von etwaigen Betriebsprüfungen oder schlicht die Beschleunigung bestimmter Verfahren erhebt. Zu denken ist hierbei etwa an die zahlreichen Steuervergünstigungen für ausländische Direktinvestitionen, unter anderem geregelt in den Art. 13 – 15 UntStG. So könnte die Prüfung der Investitionsprojekte auf ihre Eignung für eine steuerliche Vergünstigung hin sowohl zeitliche als auch finanzielle Ressourcen des Investors stark in Anspruch nehmen.388 Die Entscheidungen, die vom Steuerbeamten ergehen, werden in einem solchen unternehmerisch geprägten Umfeld vorrangig von der Maximierung eigener Interessen getragen. Selbst wenn hochqualifizierte Mitarbeiter gewonnen werden könnten, ist es wahrscheinlich, dass gerade diese Expertise es ermöglicht, bestimmte Sachverhalte beim Steuerpflichtigen aufzudecken, um mit ihm in Verhandlung über Privatgebühren zu treten. Die wirtschaftlichen Interessen an diesen Nebeneinkünften lassen sich nicht wie üblicherweise standardisiert als Problem geringen Solds formulieren. Es ist zwar zutreffend, dass das Einkommen eines Beamten nicht die Lebenshaltungskosten deckt und der Beamte hierdurch zur Erzielung weiterer Nebeneinkünften motiviert ist,389 insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass seit 2002 das Einkommen eines
385 Z.B. Nguyen, Quang Vinh, Country Report Vietnam part 2, Current Issues and Challenges of Tax Administrative Reform in Vietnam, Asia Development Bank Institute, 2004, S. 2. 386 Wescott, Clay G./Nguye˜ˆ n, Hu˜,u Hie´ˆ u/Vu˜ Quy`nh, Hu,o,ng, Public Financial Management: How to delivery better value for money in Viet Nam’s Public administration System, UNDP 2009, Public Administration Reform and Anti-Corruption, A Series of Policy Discussion Papers, S. 27. 387 Ähnlich: ebenda, S. 28; siehe auch Bruynooghe, Saskia P./ Faingold, Isy/Firmalo, Trina Q./Futrell, Ann E./Kent, Jonathon A./Mukherjee, Rohan, Implementation of Civil Service Legislation in Vietnam: Strengthening Elements of a Positioned-Based System, Princeton University 2009, S. 19. 388 Siehe hierzu auch Teil 1 IV. 1. 389 Wescott, Clay G./Nguye˜ˆ n, Hu˜,u Hie´ˆ u/Vu˜ Quy`nh, Hu,o,ng, Public Financial Management: How to delivery better value for money in Viet Nam’s Public administration System, UNDP 2009, Public Administration Reform and Anti-Corruption, A Series of Policy Discussion Papers, S. 28; aus vietnamesischer Sicht: Ly´, Phu,o,ng Duyên, Steuerverwaltung und Einkommen im Rahmen der internationalen Wirtschaftsintegration, 2010, (Qua ¨ n Ly´ Thueˆ´ Thu Nhaˆp Cá ˙ Nhân o, Vieˆt Nam Trong Ðie`ˆ u Kieˆn Hoˆi Nhaˆp Kinh Te´ˆ Quo´ˆ c Te´ˆ ), S. 128. ˙ ˙ ˙ ˙
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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Beamten 40 Prozent unter den Lebenshaltungskosten liegt.390 Doch dass eine solche Begründung nicht hinreichend ist, zeigt sich allein darin, dass, wenn der Sold erhöht werden würde, sich die Situation nur wenig änderte.391 Die Beständigkeit der Korruption in Vietnam liegt nämlich auch darin begründet, dass mit den aus „Privatgebühren“ erzielten Mehreinkünften regelmäßig ein Betrag erreicht wird, der einen weit über dem Durchschnitt liegenden Lebensstandard ermöglicht. Das geringe Gehalt und die fehlende Vergütung für die Deckung der Lebenshaltungskosten mag ein Auslöser sein.392 Doch durch die Attraktivität der „Privatgebühren“ und ihre stillschweigende Duldung sind auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption ohne effektive Wirkung. Die Ursache für die Abhängigkeit der Effektivität etwaiger Antikorruptionsmaßnahmen von dem Vermögensmehrungsinteresse liegt darin, dass von eigenen Interessen unabhängige Maßnahmen notwendigerweise demokratische Strukturen voraussetzen wie die der Gewaltenteilung. Erst solche erlauben eine unabhängige Durchführung von Antikorruptionsmaßnahmen. Das sozialistische Rechtsstaatsprinzip begünstigt dieses Dilemma zwischen Maßnahmen zur Beschränkung des Machtmissbrauchs und fehlender westlich-demokratischer Gewaltenteilung.393 Dies zeigt sich insbesondere darin, dass eigentlich gegenseitig zu beaufsichtigende Abteilungen ohne Weiteres durch Besetzung bestimmter Schaltstellen zu einer Einheit verschmelzen. Die in einer Gesellschaft fehlende Kultivierung machtbeschränkender Mechanismen nach westlichen-demokratischen Vorbild vereinfacht es, die Kontrolle über bestimmte Schaltstellen dadurch herzustellen, dass Schlüsselpersonen in die jeweiligen höheren Positionen befördert werden. Die Leistungsorientierung der Beamten wird hiervon entscheidend geprägt. Für die „Beamtenkarriere“ sind die familiäre Herkunft oder die in der Beamtenlaufbahn geknüpften nahezu familiären Kontakte entscheidend. Selten werden Stellen extern ausgeschrieben.394 Beförderungen sind meistens Gefälligkeitsdienste, die aber auch nach einer entsprechenden Entlohnung suchen.395 Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass die „Privatisierung“ behördlichen Handelns oftmals intern organisiert wird. Akquiriert ein Beamter besonders viele Aufträge und somit Nebeneinkünfte, so wird dies etwa ein Argument innerhalb seines Netzwerkes sein, ihn zu befördern oder ihn dabei zu unterstützen. Der Mangel an demokratischen Strukturen und somit die 390
Wescott, Clay G. et al., ebenda, S. 27, m.w.N. Zum Verhältnis zwischen Sold und Korruption siehe Shah, Anwar, Tailoring the Fight against Corruption to Country Circumstances, S. 229, in: Shah, Anwar Shah (Hrsg.), Performance Accountability and Combating Corruption, 2007. 392 Kritisieren ebenfalls das Lohnargument: Gainsborough, Martin/Ða˘ng Ngoc Dinh/Tra`ˆ n ˙ ˙ Challenges and Thanh Phu,o,ng, Corruption, Public Administration Reform and Development: Opportunities as Viet Nam moves towards Middle-Income, Public Administration Reform and Anti-Corruption, UNDP 2009, A Series of Policy Discussion Papers S. 9. 393 Siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (a). 394 Bruynooghe, Saskia P./Faingold, Isy/Firmalo, Trina Q./Futrell, Ann E./Kent, Jonathon A./Mukherjee, Rohan, Implementation of Civil Service Legislation in Vietnam: Strengthening Elements of a Positioned-Based System, Princeton University 2009, S. 5. 395 Ähnlich: ebenda, S. 11. 391
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Fehlbarkeit des kommunistischen Systems in Vietnam wird bei der Korruptionbekämpfung augenfällig. Es ist demnach verständlich, wenn sich der Staat nach außen hin vorzugsweise mit dem Niedrigsold-Argument rechtfertigt.396 Die Leistungsorientierung der Beamten ist in einer solchen Struktur somit nur auf die Maximierung eigener wirtschaftlicher Interessen gerichtet, sodass die Effektivität der Steuernerhebung nicht gewährt werden kann, weil die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung durch Korruption oder ungenügende fachliche Kenntnis außer Kraft gesetzt wird. Ferner fehlt es an einer gewissen Identifizierung des Steuerbeamten mit seinen Aufgaben und der Behörde,397 sodass ein Pflichtgefühl gegenüber der Behörde nicht entstehen kann. Loyales Verhalten wird nicht gefördert und belohnt.398
3. Herausforderung bei der Korruptionsbekämpfung In den vorigen Kapiteln zeigte sich, in welchem Maße die Korruption das Geschehen der Steuerverwaltung beherrscht. Die Steuerverwaltung gehört zu den korruptesten Behörden Vietnams.399 Auch die kommunistische Partei Vietnams hat seit längerem das Problem erkannt400 und versucht, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen,401 um der Korruption Einhalt zu gebieten. Motiviert wird dies neben der Furcht vor dem Integritätsverlust 396
Auch die Regierung sieht das Problem in den Gehältern: Gliederungsnummer III 2. d¯ im Regierungsbeschluss Nr. 21/NQ-CP vom 12. Mai 2009 über eine Nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Korruption bis zum Jahr 2020 (Nghi quye´ˆ t so´ˆ 21/NQ-CP – Ban ˙ hành Chieˆ´n lu,o,c quoˆ´c gia phòng, choˆ´ng tham nhu˜ng d¯eˆ´n na˘ m 2020). ˙ 397 Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank, 30. 11. 2011, S. 92 f. 398 Ebenda. 399 Ebenda. 400 Nochmals im Regierungsbeschluss Nr. 21/NQ-CP vom 12. Mai 2009 über eine Nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Korruption bis zum Jahr 2020 bekräftigt (Nghi quye´ˆ t so´ˆ 21/NQ-CP – Ban hành Chie´ˆ n lu,o,c quo´ˆ c gia phòng, cho´ˆ ng tham nhu˜ng d¯e´ˆ n na˘ m ˙ ˙ 2020). 401 Rechtlicher Rahmen für die Bekämpfung von Korruption in Vietnam ohne Anspruch auf Vollständigkeit: UN-Konvention gegen Korruption, unterzeichnet von Vietnam am 10. Dezember 2003 und am 2. Februar 2004 ratifiziert; Kapitel 6 des Strafgesetzbuches (Luaˆt hình su,), ˙ ˙ Nr. 15/1999/QH10 vom 21. 12. 1999; Antikorruptionsgesetz (Luaˆt Phong, Chông Tham ˙ Nhu˜ng), Nr. 55/2005/QH11, vom 29. 11. 2005, und ihre Änderungen durch das Änderungsgesetz (Luaˆt su,a d¯oˆ i, boˆ sung moˆt so´ˆ d¯ie`ˆ u cua Luaˆt Phòng, cho´ˆ ng tham nhu˜ng), Nr. 1/2007/ ˙ das Änderungsgesetz ˙ QH12, vom˙ 17. 08. 2007 und durch (Luaˆt phòng, choˆ´ng tham nhu˜ng su,a d¯oˆ i 2012), Nr. 27/2012/QH13, vom 23. 11. 2012; und die das˙ Gesetz zur Umsetzung begleitenden Erlasse und Rundschreiben: Offenlegungs-Erlass Nr. 37/2007/NÐ-CP, Erlass über die Verantwortung bestimmter Behörden und Institutionen 47/2007/ND-CP; Erlass über die Pflichten der Behörden bei Korruptionsfällen, Nr. 107/2006/ND-CP; Erlass über das Verhältnis der einzelnen Gesetze zur Korruptionsbekämpfung, Nr. 120/2006/ND-C; Gesetz zur Anzeigen von Pflichtverletztungen im Amt (Luaˆt to´ˆ cáo), Nr. 03/2011/QH13, vom 11. 11. 2011. ˙
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
105
der Partei unter anderem auch durch den Wunsch, den wirtschaftlichen Aufschwung weiter voranzutreiben und nicht zu gefährden.402 Korruption wird einerseits als Erodierung der Macht der Partei und andererseits als Investitionshemmnis wahrgenommen, weil der Markteintritt für Außenstehende ohne solche privaten Kontakte zu etwaigen Staatsbediensteten erheblich erschwert wird. Mit dem Antikorruptionsgesetz vom 29. 11. 2005403 hat die Kommunistische Partei Vietnams ernstzunehmende Maßnahmen gegen die Korruption eingeleitet. So sollen beispielsweise nach Art. 11 des Antikorruptionsgesetzes Beamte sowie ihre nahen Angehörigen verpflichtet werden, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen.404 Aber auch in anderen Gesetzen wird die Bekämpfung der Korruption ausdrücklich verfolgt. Art. 82 Abs. 4 des Gesetzes über Kader und Staatsbedienstete sieht vor, solche, die in Bestechungsfälle involviert waren, von einer möglichen Beförderung auszuschließen. Im Steuerverfahren steht dem Steuerpflichtigen gemäß Art. 6 Abs. 9 und Abs. 10 des Steuerverwaltungsgesetzes das Recht zu, gegen rechtswidriges Verwaltungshandeln vorzugehen und illegale Aktivitäten der Steuerbeamten zu melden. Problematisch ist allerdings, dass Fälle gemeldet sind, in denen den Hinweisgebern selbst Nachteile widerfuhren.405 Gemäß Art. 5 Abs. 1 c) des Antikorruptionsgesetzes sind Hinweisgeber zu schützen. Für die Anzeige von Korruptionsfällen werden die Rechte und Pflichten des Hinweisgebers und des Betroffenen sowie das Anzeigeverfahren im Gesetz über die Anzeige von Pflichtverletzungen im Amt geregelt. In Art. 10 Abs. 2 des Antikorruptionsgesetzes sind Einschüchterungen und Vergeltungsmaßnahmen verboten. In Art. 39 des Gesetzes über die Anzeige von Pflichtverletzungen im Amt ist der Hinweisgeber explizit vor solchen Handlungen zu schützen. Trotz der detaillierten Vorschriften zum Schutz des Hinweisgebers bleibt angesichts der gemeldeten Fälle das Risiko groß, dass nach einer Anzeige der Hinweisgeber um seine körperliche Unversehrtheit fürchten muss oder ihm andere Nachteile widerfahren.406 Die Verflechtung zwischen Staat, Wirtschaft und Partei sowie die Vernetzung bestimmter Beamter und Staatsbediensteter macht es unmöglich, unerkannt Korruptionsfälle zu melden, ohne dabei seine eigene Identität preiszugeben.407
402 Tz. II 2 b) Regierungsbeschluss Nr. 21/NQ-CP vom 12. Mai 2009 über eine Nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Korruption bis zum Jahr 2020 (Nghi quyeˆ´t soˆ´ 21/ ˙ NQ-CP – Ban hành Chie´ˆ n lu,o,c quo´ˆ c gia phòng, cho´ˆ ng tham nhu˜ng d¯e´ˆ n na˘ m 2020). ˙ 403 Antikorruptionsgesetz (Luaˆt Phong, Chông Tham Nhu˜ng), Gesetz Nr. 55/2005/QH11, ˙ vom 29. 11. 2005. 404 Gesetz über Kader und Staatsbedienstete (Luaˆt cán boˆ, công chu´,c), Nr. 22/2008/QH12, ˙ ˙ 13. 11. 2008. 405 Beispiele sind beim Global Integrity Report verzeichnet, Global Integrity Scorecard Vietnam 2011, 4.2, https://www.globalintegrity.org/research/reports/global-integrity-report/glo bal-integrity-report-2011/gir-scorecard-2011-vietnam/, aufgerufen am 01. 11. 2017. 406 Ebenda. 407 Ebenda.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
4. Einnahmeperformanz Die in den vorigen Kapiteln herausgearbeiteten Faktoren können sich in dem Verhältnis von tatsächlich eingenommenen und möglicherweise einnehmbaren Steuern widerspiegeln. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden hierfür keine eigenen empirischen Untersuchungen der Einnahmeperformanz408 durchgeführt. Stattdessen wurde sie auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Arbeiten des Internationalen Währungsfonds (IMF) und der Weltbank (World Bank) ermittelt. a) Rückgriff auf Erkenntnisse des IMF und der Weltbank Die Einnahmeperformanz stützt sich vorwiegend auf Werte, die der IMF 2016 für das Jahr 2013 ermittelt hat. Diese Werte stellen regelmäßig das Verhältnis von Steuereinnahmen und Bruttoinlandsprodukt dar. Sie spiegeln mit aller Wahrscheinlichkeit auch die oben dargestellten Charakteristika der vietnamesischen Steuerbehörden wider. Um dabei die Gefahr einer Scheinkorrelation zwischen diesen Werten und den ermittelten Charakteristika der vietnamesischen Steuerbehörden zu minimieren, wurden hier zusätzlich Indexwerte herangezogen, wie die zur Abbildung der Steuerkraft (tax capacity) und der Steueranspannung (tax effort). Ersteres beschreibt das vorausgeschätzte Verhältnis von Steuereinnahmen und BIP, letzteres das Verhältnis der tatsächlichen Einnahmen und der (vorausgeschätzten) Steuerkraft.409 Solche Indexwerte wurden in den vergangenen zehn Jahren zunehmend herangezogen, um die individuellen Eigenschaften des jeweiligen Landes mitzuberücksichtigen, die einen Einfluss auf die Steuerkraft und Steueranspannung haben. Zu dieser Thematik wird vor allem auf die für die Weltbank entstandenen Forschungsarbeiten von Le, Moreno-Dodson und Rojchaichaninthorn verwiesen.410 In den genannten Arbeiten werden unter anderem die Abhängigkeiten von Einkommens- und Steuererhebungsniveau sowie die Zusammenhänge von Bevölkerungsstruktur, produktiver Bevölkerung und Steueraufkommen berücksichtigt. Darüber hinaus befassen sich die Autoren mit dem Zusammenhang des internationalen Handels und dem Steueraufkommen im Hinblick auf Zölle und Wirtschaftswachstum. Die Parallelen dieser Indexwerte zu den von Soest entwickelten Kriterien erlauben, eine konkrete Korrelation zwischen den hier zur Steuerbehörde Vietnams gefundenen Ergebnissen und dem Verhältnis zwischen Steuereinnahmen und BIP herzustellen.
408 Von Soest, Christian, Measuring the Capability to Raise Revenue, GIGA Working Paper No. 35, 2006, S. 9 m.w.N. 409 Siehe hierzu: Le, Tuan Minh/Moreno-Dodson, Blanca/Rojchaichaninthorn, Jeep, Expanding Taxable Capacity and Reaching Revenue Potential: Cross-Country Analysis, Policy Research Working Paper, 2008, No. 4559, S. 5. 410 Ebenda.
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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b) Einnahmeperformanz der vietnamesischen Steuerbehörde Die im Folgenden herangezogenen Werte stützen sich auf den Zeitraum zwischen 2011 bis 2013. Aktuelle verifizierte Daten zur Steuerstruktur liegen nicht vor. Die Indexwerte hingegen beziehen sich auf einen Zeitraum von 1994 bis 2009. Die Abweichung dieser beiden Zeiträume könnte aufgrund der rapiden Entwicklung Vietnams die Ergebnisse nicht unwesentlich verzerren. Diese Gefahr ist konkret für die Darstellung langfristiger struktureller Eigenschaften gering. Das zeigt sich später in Tabelle 6. Die Steuereinnahmen in Vietnam im Jahr 2013 machen 87 Prozent der gesamten staatlichen Einnahmen aus und entsprechen 19,1 Prozent411 des Bruttoinlandsproduktes. Das Steueraufkommen hat sich von 2002412 bis 2013 von 69,16 Milliarden VND auf 683,514 Milliarden VND fast verzehnfacht.413 Das Verhältnis von Steueraufkommen und den gesamten staatlichen Einnahmen hat sich in diesem Zeitraum um die Hälfte erhöht. 2002 lag dieses Verhältnis nämlich bei 58 Prozent, während es 2013 bei 87 Prozent lag, sodass ein Anstieg um 29 Prozent zu verzeichnen ist. Daraus läst sich ableiten, dass Vietnam mit den Steuerreformen in der Lage war, parallel zum Wirtschaftswachstum auch das Steueraufkommen deutlich zu erhöhen. Genauer zeigt sich dies in dem Verhältnis von Steueraufkommen und Bruttoinlandsprodukt. Während das Verhältnis 2002 bei 13,3 Prozent414 lag, erreichte es 2013 rund 19,1 Prozent. Diese erste Einschätzung wird auch durch die Indexwerte der (potenziellen) Steuerkraft und Steueranspannung bestätigt, die in einem Zeitraum zwischen 1994 und 2009 ermittelt wurden. Im Vergleich zu anderen Staaten in Ostasien hat Vietnam, wie unten aus der Tabelle 6 zu ersehen, mit einem Indexwert von 1,31 den höchsten Tax-Effort-Index. Zugleich hat es auch mit einem Indexwert von 14,10 eine hohe Steuerkraft. In Anbetracht der gefundenen Ergebnisse erfährt das bisher statistisch gewonnene Bild jedoch eine Relativierung, die sich auch in den Indexwerten zur Qualität der Verwaltungsabläufe und zur Korruption widerspiegelt. Die Qualität der Verwaltungsabläufe wird als hoch angesehen, wenn diese auch bei politischen Reformen und vor allem bei einem etwaigen Machtwechsel gleichbleibend als verlässlich eingestuft wird.415 Im Vergleich zu Deutschland beträgt der Indexwert Vietnams mit -5,94 fast nur 60 Prozent von dem für Deutschland ermittelten Wert von 411
Siehe auch Teil 1 III. 1. b) aa) 3. (c) (aa). Siehe Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank, 30. 11. 2011, S. 274. 413 Siehe Teil III. 1. b) aa) (3) (c) (aa). 414 Siehe Pham, Duc Minh/Engelschalk, Michael, Tax Administration, in: Prasad Shuckla, Ganadha/Pham Duc Minh/Engelschalk, Michael/Le, Tuan Minh (Hrsg.), Tax Reform in Vietnam: Toward a More Efficient And Equitable System, World Bank, 30. 11. 2011, S. 274. 415 Le, Tuan Minh/Moreno-Dodson, Blanca/Bayraktar, Nihal, Tax Capacity and Tax Effort: Extended Cross-Country Analysis from 1994 to 2009, Policy Research Working Paper, 2012, No. 6252, S. 40. 412
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-10. Auch der Korruptionsindex bestätigt die gefundenen Ergebnisse. Hier ist der Korruptionsindex Vietnams mit -5,14 um 60 Prozent stärker als in Deutschland mit 8,8. Obwohl die Einnahmeperformanz als solche stark ist, ist die Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung insoweit geschwächt, dass steuerbedingte Wettbewerbsverzerrungen durch eine korruptionsbedingte uneinheitliche Besteuerung das Investitionsklima beeinträchtigen. Tab. 6 Indexwerte zu Tax Capability und Tax Effort für Vietnam und Deutschland für den Zeitraum 1994 – 2009 Indexwerte zur Tax Capability und Tax Effort im Vergleich für den Zeitraum 1994 – 2009416 Vietnam
Deutschland
Steueraufkommen in% des BIP417
18,46
28,33
Staatseinnahmen in% des BIP418
22,09
29,48
BIP/Kopf (USD)
457
23067
Altersabhängigkeit420
57,49
48,24
Bevölkerungswachstum421
2,56
-0,16
Internationaler Handel422
120,63
66,49
423
23,71
1,11
Qualität der Verwaltungsabläufe424
-5,94
-10,00
Korruptionsindex425
5,19
-8,81
Steuerkraft (Tax capacity)
14,10
32,50
Steueranspannung (Tax effort)
1,31
0,87
419
Agrarwirtschaft
416
Ebenda, S. 35 und S. 37. Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: 1,35 / Mittel: 21,53 / Maximum: 68,56. 418 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: 3,00 / Mittel: 25,50 / Maximum: 78,47. 419 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: 80,62 / Mittel: 7.185,32 / Maximum: 56.389,21. 420 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: 25,63 / Mittel: 63,23 / Maximum: 117,77. 421 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: –5,85 / Mittel: 1,80 / Maximum: 17,45. 422 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: 0,31 / Mittel: 88,67 / Maximum: 438,09. 423 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: 0,00 / Mittel: 14,98 / Maximum: 65,86. 424 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: –10,00 / Mittel: –6,68 / Maximum: –1,00. 425 Zu den statistischen Maßzahlen ebenda auf S. 39: Minimum: –10,00 / Mittel: –6,17 / Maximum: –1,00. 417
IV. Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung
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Obwohl die vietnamesische Steuerbehörde im Vergleich zu ähnlichen Volkswirtschaften gute Werte vorweisen kann, sind im Vergleich zu Deutschland eine Vielzahl von Strukturschwächen zu beachten, die ihre Ursache in der systembehafteten Korruption haben.
5. Schlussfolgerung für die Leistungsfähigkeit der Steuerbehörde Festzuhalten gilt es, dass die strukturellen Schwächen der Steuerbehörden vor allem durch ein tiefverwurzeltes Korruptionssytem bedingt sind, das die Leistungsfähigkeit der Behörden beeinträchtigt, Steuern zu erheben. Die Korruption wird durch die Mängel in der Arbeitsorganisation der Behörde, in der Auswahl und der vorgesehenen Laufbahn von Steuerbeamten begünstigt. Hinzu kommt auch die Art und Weise, wie diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die rechtswidrige behördliche Entscheidungen gefällt haben. Die Reformen zeigen, dass sich die Regierung ernsthaft mit diesem Problem auseinandersetzt, was sich nicht nur in den vielen Gesetzesinitiativen und der Installation hierfür eigens ausgestatteter Institutionen ausdrückt, sondern vor allem durch die Bereitschaft, mit der Weltbank gemeinsam die Modernisierung des vietnamesischen Verwaltungsapparates voranzutreiben. Zugleich zeigen die Reformen jedoch nicht die erwartete Wirkung und lassen Zweifel laut werden, ob die Problemstruktur der Korruption in Vietnam ausreichend durchdrungen wurde. Es liegt nahe, dass das „vietnamesische“ Korruptionssystem missverstanden wird. Das Korruptionsproblem wird oft in Wissenschaft und Politk als ein den vietnamesischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Systemen fremdes Element wahrgenommen.426 Doch die obigen Ausführungen zeigen deutlich, dass die Korruption vielmehr Teil des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehens ist. Die mit dem Begriff der Korruption einhergehende Konnotation moralischer Vewerflichkeit ist in einem vietnamesischen Kontext nicht präzise genug, um das eigentliche Problem zu erfassen. Der Begriff evoziert die Vorstellung, dass es sich um ein in Vietnam verachtetes Phänomen handelt, das sowohl die staatliche Autorität untergrabe und demokratische Werte unterwandere als auch das bestehende Gesellschaftssystem ins Wanken bringe. Tatsächlich handelt es sich jedoch, auch wenn dies offiziell anders kommuniziert wird, vielmehr, wie in IV. 3. erläutert, um ein systemimmanentes Problem, dass das alltägliche Geschehen prägt und so hingenommen wird.
426 Gainsborough, Martin/Ða˘ng Ngoc Dinh/Tra`ˆ n Thanh Phu,o,ng, Corruption, Public Ad˙ ˙ Challenges and Opportunities as Viet Nam moves ministration Reform and Development: towards Middle-Income, Public Administration Reform and Anti-Corruption, UNDP 2009, A Series of Policy Discussion Papers, S. 21.
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Teil 1: Die staatliche Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams
Präziser wäre es daher, diese Bestechungsgelder als Privatgebühr zu bezeichnen,427 da der Staatsbedienstete mit aller Wahrscheinlichkeit für die entgegengenommene Leistung eine Gegenleistung erbringen wird.428 Diese geradezu synallagmatische Planbarkeit ist nicht üblich bei Korruptionsfällen, bei denen oftmals Zahlungen ohne Gegenleistung erfolgen, wie beispielsweise in Russland.429 Mit dem Begriff der Privatgebühr kommt auch deutlicher zum Ausdruck, dass Bestechungsgelder in Vietnam als üblich für die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen oder die Abwendung von behördlichen Maßnahmen erachtet werden, jedoch nicht notwendigerweise gesellschaftlich und moralisch bedenkenlos akzeptiert werden, was auch die vietnamesische Presse belegt. Daraus ergibt sich, dass diese Privatgebühr ein systemisches Problem geworden ist und deshalb die Maßnahmen der Regierung nicht ihre gewünschte Wirkung zeigen können, weil diese nicht auf ein systemisches Problem gerichtet sind, sondern auf ein vermeintlich außerhalb des Systems stehendes Problem.430 Systemische Probleme sind dadurch gekennzeichnet, dass diese innerhalb des Systems weniger als problematisch empfunden werden und damit ihre Entfernung aus dem System faktisch eine untergeordnete Rolle spielt.431 Es zeigt sich auch in dem ununterbrochenen wirtschaftlichen Aufschwung Vietnams, dass Korruption nicht, wie allgemein im Ausland und auch von der vietnamesischen Regierung selbst angenommen, ein Investitionshemmnis darstellt.432 Aus Investorensicht ist die Korruption daher eher ein geringeres Übel.433 Es liegt aber nahe, dass neben den bürokratischen und operativen Hemmnissen deutsche Investitionen in Form von Allianzen und Partnerschaften auch deshalb zurückhaltend sind, da die Korruption als systemisches Element bestimmten Mechanismen folgt, die fremdartig sind. Zugleich könnten diese Privatgebühren die Bemühungen des Staates, vor dem Hintergrund der China+1-Strategie434 attraktiver Investitionsstandort zu sein, unterlaufen, wenn dadurch die Investitionskosten im Vergleich zu China und anderen Staaten wie Indonesien, den Philippinen und Thailand höher sind oder nur minimal darunter liegen. Gefährlicher werden die Privatgebühren jedoch aus dem Blickwinkel der Staatsfinanzierung. Die Privatisierung staatlicher Leistungen durch die sie ausführenden Staatsbediensteten stellt nicht nur den Machtanspruch der Partei gegenüber dem Volk infrage, sondern gefährdet den Staatsaufbau aufgrund der aus den Steuerausfällen resultierenden feh-
427 428 429 430 431 432 433 434
Ebenda, S. 17. Ebenda, S. 14. Ebenda, m.w.N. Ebenda, S. 24. Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 23. Entgegen der Ansicht der Economist Intelligence Unit (EIU) in Teil 1 II. 3. Siehe auch Teil 1 II. 2.
V. Ergebnis
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lenden öffentlichen Mittel.435 Dies betrifft vor allem den Ausbau der Infrastruktur und ein für die Schaffung von Humankapital geeignetes Bildungssystem. Damit werden mittelbar die flächendeckende Bereitstellung und Erhaltung von investitionsfördernden Faktoren wie qualifizierte Fachkräfte, Transportwege, Gesundheitssystem, Eigentumsschutz und rechtliche Vorhersehbarkeit beeinträchtigt. Die Systemimmanenz der Korruption und die Unmöglichkeit, durch Gegenmaßnahmen dieses Problem zu lösen, liegt vor allem in der in Vietnam fehlenden Gewaltenteilung. Begünstigt wird dieser Zustand durch das sozialistische Rechtsstaatsprinzip, das gerade die drei Gewalten als eine kooperierende Einheit zusammenfassen möchte und damit keine unabhängige Kontrollinstanzen erlauben kann.436
V. Ergebnis Die erheblichen Strukturdefizite, insbesondere in Form der Korruptionssysteme in Vietnam, bestätigen, dass die nachteiligen Auswirkungen eines einseitigen Steuerverzichts in einem Schwellenstaat wie Vietnam sich vervielfachen, wenn die dortige Behörde nur eine geminderte Leistungsfähigkeit aufweist, Steuern zu erheben. Die Strukturdefizite sowie der asymmetrische Steuerverzicht am Beispiel Vietnam lassen es naheliegend erscheinen, diese Umstände auch abkommensrechtlich zu berücksichtigen, und zwar in der Weise, dass sie die Entscheidung über die Aufteilung des Steuersubstrats zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Vietnam abkommensrechtlich zugunsten Vietnams beeinflussen. Auf eine abkommensrechtliche Berücksichtigung kommt es hingegen nicht an, wenn das aktuelle Abkommensrecht solche nachteiligen Auswirkungen eines einseitigen Steuerverzichts beheben kann. Das wird im nächsten Teil der Arbeit anhand eines praktischen Falls untersucht.
435
Näheres zu diesem Effekt: Bahl, Row W./Bird, Richard M., Tax Policy in Developing Countries: Looking Back and Forward, Rotman Working Paper Series IIB Paper Nr. 13, Mai 2008, S. 20 m.w.N. 436 Siehe Teil 2 III. 1. b) aa) (2) (a).
Teil 2
Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT („Song Bung 2 Hydro Power Project“) vom 16. 05. 2012 Das vietnamesische Finanzminsterium vertritt in seiner Entscheidung zum Dreieckssachverhalt „Song Bung 2 Hydro Power Project“ eine für Vietnam vorteilhafte Abkommensanwendung. Wie noch gezeigt wird, lässt sich jedoch diese Auffassung nicht anhand der aktuellen Parameter des Abkommensrechts nebst den daraus ableitbaren Anwendungsvarianten rational begründen, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass Abkommen vornehmlich wirtschaftspolitische Instrumente sind.
I. Einführung Ausgangspunkt der Problematik in der Abkommensanwendung bei Dreieckssachverhalten ist, dass eine steuerlich relevante Transaktion drei Staaten und mithin drei Steuerjurisdiktionen berührt. Zugleich steht die Anwendung dreier Doppelbesteuerungsabkommen im Raum, und zwar das zwischen Ansässigkeitsstaat und Quellenstaat sowie Ansässigkeitsstaat und Betriebsstättenstaat. Mangels grundsätzlicher Eigenschaft der Betriebsstätte als abkommensberechtigte Person ist wegen fehlender Steuersubjekteigenschaft1 der persönliche Anwendungsbereich des Abkommens zwischen Quellenstaat und Betriebsstättenstaat nicht ohne Weiteres eröffnet.2 Im Einzelnen bedeutet die mangelnde Abkommensrechtsfähigkeit der Betriebsstätte für die abkommensrechtliche Aufteilung des Steuersubstrats grundsätzlich Folgendes: Der Quellenstaat wird unter Anwendung seines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ansässigkeitsstaat von seinem der Höhe nach begrenzten Besteuerungsrecht Gebrauch machen (vgl. Art. 10, Art. 11 und Art. 12 des OECD-Musterabkommens). 1
Siehe nur Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 699 bzw. Rn. 16.182. 2 Siehe Heinsen, Oliver, Behandlung von Dreieckssachverhalten unter Doppelbesteuerungsabkommen, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung 3. Aufl., 2011, S. 1843, 1851; siehe auch Eilers, Stephan, Triangular Cases, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 110, Rn. 10 m.w.N.
I. Einführung
113
Der Betriebsstättenstaat hingegen wird gemäß Art. 7 des OECD-Musterabkommens sämtliche inländischen und ausländischen Gewinne, die der Betriebsstätte zugerechnet werden, als gewerbliche Einkünfte besteuern. Der Ansässigkeitsstaat wird sich im Verhältnis zum Quellenstaat sowie zum Betriebsstättenstaat in der Situation wiederfinden, etwaige Doppelbesteuerungen durch Anrechnung oder Freistellung zu vemeiden (vgl. Art. 23 A und Art. 23B OECD-Musterabkommen). Unabhängig davon, ob diese Vermeidung im Einzelnen möglich ist, ist auch die Mehrfachbelastung zwischen dem Quellenstaat und dem Drittstaat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, aufzulösen. Diese Mehrfachbelastung entsteht durch die Quellenbesteuerung im Quellenstaat und die gleichzeitige Betriebsstättenbesteuerung im Drittstaat.
Art. 11 DBA Ansässigkeits- und Quellenstaat, jedoch ohne anrechenbare Bemessungsgrundlage
Schuldner Stammhaus
Darlehensvertrag
Quellensteuer bleibt bestehen, ggf. beschränkt durch DBA mit mit Ansässigkeitsstaat
Betriebsstätte
Art. 7 Abs. 1 DBA Ansässigkeitsund Betriebsstättenstaat: Freistellung im Ansässigkeitsstaat lässt Betriebsstätteneinkünfte außen vor
Zinsen und Tilgung
Besteuerung Betriebsstätteneinkünfte bleibt bestehen
Abbildung 4: Abkommensproblematik bei Dreieckssachverhalten mit Betriebsstätten
114
Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
II. Sachverhalt und Hintergrund Der „Song Bung 2“-Fall wird gemäß den Parametern der vietnamesischen Regulatorien diskutiert und anschließend mit der deutschen und internationalen Handhabe des diskutierten Fallproblems kontrastiert. In dem vom Ministerium entschiedenen Fall geht es um die Darlehensaufnahme des vietnamesischen Energieunternehmens Vietnam Electricity (EVN) im Ausland zur Finanzierung des „Song Bung 2“-Wasserkraftwerks. Wirtschaftlicher Hintergrund dieses Projekts ist, dass sich Vietnam wegen der durch den wirtschaftlichen Fortschritt bedingten Energienachfrage einer rasch steigenden Verknappung in der Energieversorgung ausgesetzt sieht.3 Mit erneuerbaren Energien soll einerseits dieser Verknappung entgegengewirkt und andererseits der gleichzeitigen Gefahr eines erheblichen Anstiegs des CO2-Ausstoßes in Vietnam vorgebeugt werden. Dieses erstarkte Umweltbewusstsein Vietnams wird verständlich, wenn der Blick auf das Kyoto-Protokoll gerichtet wird, wonach Entwicklungsstaaten an der Verhinderung eines gefährlichen Klimawandels beteiligt werden sollen. Das geschieht durch Schaffung von wirtschaftlichen Anreizen auf Seiten der Industriestaaten und Entwicklungsstaaten. Industriestaaten können in Vietnam kostengünstig Emissionen abbauen, weil die Kosten sich nur auf den Auf- und Ausbau hierfür notwendiger rudimentärer Infrastrukturen beschränken, während in den Industriestaaten weitere Kosten für den Abbau der noch bestehenden Infrastruktur zu berücksichtigen sind. Der Entwicklungsstaat profitiert bei solchen Projekten von den damit einhergehenden Investitionen und dem Wissenstransfer. Diese Win-win-Situation wird erreicht, indem sich die Industriestaaten die mit solchen Projekten eingesparten Emissionen auf ihr eigenes Emissionsguthaben anrechnen lassen können. Beim „Song Bung 2“-Wasserkraftwerk soll die Elektrizität durch die Umwandlung kinetischer Energie in mechanische Energie erzeugt werden. Das Projekt mit einem geschätzten Volumen von 183 Millionen US-Dollar wird derzeit am Fluss Thu Bo`ˆ n-Vu Gia in der Provinz Qua ¨ ng Nam im südlichen Mittel-Vietnam fertiggestellt. Die Finanzierung hat das vietnamesische Energieunternehmen EVN durch Banken wie die Sumitomo Mitsui Bank, BNP Paribas und Société Générale S. A. sichergestellt. Hierzu wurden der vietnamesischen „Allgemeinen Abteilung für Steuern“4 Fragen zu den steuerlichen Konsequenzen der grenzüberschreitenden Kreditfinanzierung vorgelegt, insbesondere zur Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Vietnam als Quellenstaat und Japan als Betriebsstättenstaat sowie zwischen Vietnam und Frankreich als Ansässigkeitsstaaten. Bei der grenzüberschreitenden Kreditfinanzierung ging es jeweils um einen Darlehensvertrag der EVN mit der Sumitomo Mitsui Bank mit Sitz in Japan, mit der 3 4
Siehe hierzu auch Teil 1 II. 3. Siehe hierzu Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (c).
II. Sachverhalt und Hintergrund
115
japanischen Zweigstelle der BNP Paribas in Tokio sowie mit der Zweigstelle der Société Générale, ebenfalls in Tokio. In dem ersten Darlehensvertrag wurde vereinbart, dass die Sumitomo Mitsui Bank der EVN eine Darlehenssumme in japanischen Yen zahlte, während die japanischen Zweigstellen der BNP Paribas und Société Générale der EVN die Darlehenssumme in US-Dollar auszahlten. Entsprechend war die EVN verpflichtet, in den jeweiligen Währungen das Darlehen zu tilgen und den Zins zu entrichten.
Frankreich
Vietnam
EVN
BNP Paribas Darlehensvertrag
Japan
Zinsen und Tilgung
BNP-Zweigstelle
Abbildung 5: Vereinfachte Sachverhaltsdarstellung des „Song Bung 2 Hydro Power“-Falls
Steuerlich wurde dieser Sachverhalt wie folgt vom vietnamesischen Ministerium für Finanzen bewertet: Zinsen, die aus Vietnam stammen und nach Japan gezahlt
116
Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
werden, seien im Fall der Sumitomo Mitsui Bank gemäß Art. 11 Abs. 2 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Vietnam und Japan in Vietnam zu besteuern, und zwar höchstens mit 10 Prozent, während bei den Zinszahlungen an die japanischen Zweigstellen der BNP Paribas und der Société Générale Vietnam das alleinige unbeschränkte Besteuerungsrecht habe. Für die Zweigstellen fänden weder das Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich noch mit Japan Anwendung, da die jeweiligen Zahlungsempfänger als Betriebsstätte zu qualifizieren seien und aus Sicht des Finanzministeriums daher nicht in den jeweiligen persönlichen Anwendungsbereich der in Betracht kommenden Doppelbesteuerungsabkommen mit Vietnam fallen können. Die Zinszahlungen an die Zweigstellen werden in Vietnam nur nach innerstaatlichem Recht vollständig besteuert, sodass im Ergebnis die EVN die Steuerschuld der BNP Paribas und der Société Générale im Wege des Quellensteuerabzugs einbehält und an den vietnamesischen Fiskus abführt.
III. Konsequenz der VN-Entscheidung am Beispiel Deutschland Der internationalsteuerrechtliche Unterbau und die Konsequenzen der vorgestellten Entscheidung des vietnamesischen Ministeriums für Finanzen sollen nachfolgend in einer leichten Abwandlung erörtert werden. Anstelle Frankreichs ist Deutschland der Ansässigkeitsstaat. Die übrigen Konstellationen (Deutschland als Betriebsstättenstaat oder als Quellenstaat) werden nicht diskutiert. In der Fallkonstellation Deutschland als Ansässigkeitsstaat fungiert als Betriebsstättenstaat weiterhin Japan und als Quellenstaat Vietnam.
1. Besteuerung nach innerstaatlichem Recht Im Folgenden wird im Hinblick auf den abgewandelten „Song Bung 2“-Fall aus rein innerstaatlicher Sicht die steuerrechtliche Situation des Quellen-, Ansässigkeitsund Betriebsstättenstaates erörtert.5 a) Besteuerung aus Sicht Vietnams als Quellenstaat Aus rein innerstaatlicher Sicht Vietnams findet auf die Zinszahlung aus Vietnam an die Zweigstellen in Japan die Foreign Contractor Withholding Tax (FCWT) Anwendung. Die FCWT bezeichnet einen Quellensteuermechanismus, der auslän5 Zur Frage, ob zunächst das Abkommensrecht oder umgekehrt aus systematischen Gründen zunächst das innerstaatliche Recht zu prüfen ist, Lehner, Moris in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Grundlagen des Abkommensrechts, Rn. 87 m.w.N. Im Ergebnis sind beide Anwendungswege möglich.
III. Konsequenz der VN-Entscheidung
117
dische Unternehmen betrifft, und zwar mit inländischer Betriebsstätte oder ohne, jedoch in beiden Fällen ohne Investitionsgenehmigungen. Die FCWT ist gesondert im Rundschreiben 103/2014/TT-BTC vom 06. 08. 2014 (FCTW-Erlass) geregelt.6 Danach werden gemäß Art. 13 Abs. 2 a) Nr. 7. des FCWT-Erlasses steuerpflichtige Zinszahlungen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 d) Unternehmensteuergesetz (UntStG) mit 5 Prozent7 an der Quelle besteuert. In dem hier diskutierten Fall könnte es theoretisch zu thematisieren sein, ob es problematisch ist, dass aus dem FCWT-Erlass nicht eindeutig hervorgeht, ob eine ausländische Betriebsstätte anstatt ihres Stammhauses als sogenannter Foreign Contractor fungieren kann. Diese Problematik ergibt sich aus der in dem Verwaltungsbrief zum Ausdruck kommenden Auffassung der vietnamesischen Finanzverwaltung, das DBA mit dem Ansässigkeitsstaat sei nicht anzuwenden, weil die Betriebsstätte die Zinszahlungen erzielt habe.8 Daraus ergibt sich im Umkehrsschluss, dass Vietnam davon ausgehen muss, dass das Stammhaus nicht Abkommensberechtigter sei, weil es nicht die Zinszahlung erzielt habe, obwohl diese ihm steuerrechtlich zuzurechnen ist. Der FCWT-Erlass steht jedoch einer solchen Ansicht entgegen: In der Regel fallen unter den Begriff des Foreign Contractors ausländische Unternehmen, die nicht unter den Rahmenbedingungen des Investitionsgesetzes in Vietnam tätig sind. Sie führen vielmehr Projekte auf rein vertraglicher Basis durch.9 Das ergibt sich daraus, dass nach dem vietnamesischen Unternehmenssteuerrecht – und wie in anderen Steuerrechtssystem üblich – nur Unternehmen steuerpflichtig sein können, jedoch nicht ausländische Betriebsstätten.10 Es ist daher trotzdem auf das Stammhaus abzustellen, auch wenn die Zinszahlung an die Betriebsstätte erfolgt. Die Betriebsstätte ist nach vietnamesischer Definition eine Einrichtung, die der Ausübung der Tätigkeit des ausländischen Unternehmens dient.11 Demnach erzielt das deutsche Stammhaus über die japanische Zweigstelle Zinseinkünfte in Vietnam. Die Darle6 Rundschreiben über Richtlinien zur Erfüllung der Steuerpflichten ausländischer Unternehmungen in Vietnam vom 06. 08. 2014 (Thông tu, 103/2014/TT-BTC hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn ˙ nghı˜a vu thue´ˆ áp dung d¯o´ˆ i vo´,i toˆ chu´,c, cá nhân nu,o´,c ngoài kinh doanh tai Vieˆt Nam hoa˘c˙ có thu ˙ sinh tai ˙Vieˆt Nam). ˙ ˙ ˙ nhaˆp phát ˙7 ˙ ˙ Je nach Art der Gewinne findet ein bestimmter Steuersatz Anwendung. 8 Siehe Teil 2 II. 9 Art. 1 des Rundschreibens 103/2014/TT-BTC vom 06. 08. 2014 über Richtlinien zur Erfüllung der Steuerpflichten ausländischer Unternehmungen in Vietnam (Thông tu, 103/2014/ TT-BTC hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn n ghı˜a vu thue´ˆ áp dung d¯o´ˆ i vo´,i toˆ chu´,c, cá nhân nu,o´,c ngoài kinh ˙ ˘c có ˙ thu nhaˆp˙ phát sinh˙ tai Vieˆt Nam). Siehe auch Becker, Ralph, doanh tai Vieˆt Nam hoa ˙ ˙ ˙ Anhang:˙ Überblick über˙ das Steuerrecht Vietnam, ˙Rn. 118, in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: März 2012). 10 Siehe Art. 2 Unternehmensteuergesetz (Luaˆt Thueˆ´ thu nhaˆp doanh nghieˆp), Nr. 14/2008/ ˙ ˙ ˙ QH12, vom 3. Juni 2008. 11 Ebenda, Art. 2 Abs. 3.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
hensnehmerin EVN muss gemäß Rundschreiben 103/2014/TT-BTC daher 5 Prozent Quellensteuer einbehalten. b) Besteuerung aus Sicht Deutschlands als Ansässigkeitsstaat Die Besteuerung einer deutschen Bank, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz in Deutschland hat, richtet sich nach dem Welteinkommensprinzip, sodass ihr auch Betriebsstätteneinkünfte der Bank unterfallen. Bei einer in Form einer juristischen Person firmierenden Bank (§ 1 Abs. 1 KStG) erstreckt sich gemäß § 1 Abs. 2 KStG die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht auf die gesamten Einkünfte, das heißt sowohl inländische als auch ausländische.12 Demnach erzielt die Bank mit den japanischen Betriebsstättenzinseinkünften aus Vietnam gewerbliche Einkünfte gemäß § 7 I, II, § 8 I 1 KStG in Verbindung mit § 2 I Nr. 2, § 15 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 8 EStG13 und wird gemäß § 23 Abs. 1 KStG mit einem Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent besteuert. c) Besteuerung aus Sicht Japans als Betriebsstättenstaat Nach japanischen Recht werden die Gewinne einer Betriebsstätte (Koukyutekishisetsu)14 im Sinne des Art. 141 des japanischen Unternehmensteuerrechts (Houjinzeiho, nachfolgend J-UntStG) als Gewinne eines beschränkt Steuerpflichtigen der Besteuerung unterworfen. Nach Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 JUntStG sind ausländische Unternehmen mit inländischen Einkünften im Sinne des Art. 138 J-UntStG der Besteuerung zu unterwerfen.15 Nach Art. 138 Abs. 1 J-UntStG fallen unter inländische Einkünfte unter anderem Einkünfte, die einer Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens zugerechnet werden,16 durch die es 12 Siehe BFH, Urteil vom 27. 08. 1997 – I R 127/95, BFHE 184, 326; siehe auch Gesetzessystematik: § 7 I, II, § 8 I 1 KStG i.V.m. § 2 I bis IV EStG und Ableitung aus § 34c und § 34 d Nr. 2a EStG für die Betriebsstätteneinkünfte als ausländische Einkünfte. 13 Zinseinkünfte sind grundsätzlich Kapitaleinkünfte i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Diese gehören jedoch gem. § 20 Abs. 8 EStG zu den Einkünften aus einem Gewerbebetrieb, da bei unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften gem. § 8 Abs. 2 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind. 14 Siehe zu den japanischen Begrifflichkeiten: Okada, Yoshiyasu/Arai, Yumiko, in: Reimer/ Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, Japan, S. 1. 15 Siehe hierzu Okada, Yoshiyasu/Arai, Yumiko in: Reimer/Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, Japan, S. 5. 16 Die Zurechnung erfolgt nach den neuen Zurechnungsregeln für Betriebsstätteneinkünfte, siehe Art. 7 des OECD-Musterabkommens von 2014. Damit wendet sich Japan von seiner sog. „entire method“ ab, Näheres hierzu: Masui, Yoshihiro, Introduction of Authorised OECD Approach into Japanese Domestic Law, Bulletin of International Taxation, 2015, S. 510.
III. Konsequenz der VN-Entscheidung
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seine Geschäftstätigkeit ausübt. Zinseinkünfte aus Darlehensverträgen im Sinne des Art. 21 des japanischen Einkommensteuerrechts (Shotokuzeiho),17 die einer Betriebsstätte zugerechnet werden, sind gemäß Art. 176 Abs. 5 des japanischen Köperschaftsteuererlasses (Hojinzeiho Sikou Rei) inländische Einkünfte im Sinne des Art. 138 J-UntStG. Das ausländische Unternehmen unterliegt somit je nach Eigenkapital einem inländischen Steuertarif von 15,0 Prozent18 beziehungsweise 25,5 Prozent19.20 Zudem kommen noch gegebenenfalls eine Vielzahl von ortsabhängigen Steuern wie etwa Präfektur- und Gemeindesteuer hinzu.21 Zugleich gewährt Japan der Betriebsstätte unilateral eine Anrechnung der ausländischen Steuer.22 Bis 2016 wurden diese Einkünfte von der japanischen Steuer dagegen ausgenommen.23 Der vorliegende Fall geht von der alten Rechtslage Japans aus. Für die Darstellung der hier zu diskutierenden Problematik über die vietnamesische Handhabe wird auf die alte japanische Rechtslage zurückgegriffen. Folgen der neuen Rechtslage werden in der Fußnote erläutert.
2. Probleme der abkommensrechtlichen Vermeidung der Mehrfachbesteuerung Für die Beantwortung, ob die Auffassung des vietnamesischen Ministeriums rational begründet werden kann, muss die Problemstruktur des Dreieckssachverhalts aufgedeckt werden. Im Folgenden wird aus Sicht des jeweiligen Anwenderstaates die Abkommensanwendung mit und ohne Berücksichtigung der Auffassung des vietnamesischen Ministeriums beleuchtet. a) Unter Berücksichtigung der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung Da es sowohl, wie oben erläutert, in Deutschland und Japan als auch in Vietnam nach innerstaatlichem Recht zu einer Besteuerung kommt, ist nach Abkommensrecht zu prüfen, wie diese Mehrfachbesteuerung vermieden werden kann. Hierbei wird 17
Shaw, Rachel, Country Analysis – Japan, Corporate Taxation, IBFD, Asia-Pacific vom 01. 05. 2016. 18 Bei einem Eigenkapital von bis zu 100 Mio. Yen. 19 Bei einem Eigenkapital über 100 Mio. Yen. 20 Siehe hierzu Okada, Yoshiyasu/Arai, Yumiko, in: Reimer/Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, Japan, S. 7. 21 Ebenda, S. 8. 22 Mit Verweis auf die relevanten Ausführungsvorschriften in: Masui, Yoshihiro, Introduction of Authorised OECD Approach into Japanese Domestic Law, Bulletin of International Taxation, 2015, S. 510, 517. 23 Ebenda.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
zunächst die Auffassung der vietnamesischen Finanzverwaltung der Beurteilung zugrunde gelegt. aa) DBA Vietnam-Deutschland Aus vietnamesischer Sicht finden gemäß Art. 5 Abs. 1 des vietnamesischen DBAAnwendungserlasses24 die vom innerstaatlichen Steuerrecht abweichenden abkommensrechtlichen Regelungen vorrangig Anwendung. Im DBA-Anwendungserlass sind die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mit Beispielfällen ausführlich in Art. 48 – 50 geregelt. Vietnam hat gemäß Art. 11 Abs. 2 DBA Vietnam ein auf höchstens 10 Prozent beschränktes Besteuerungsrecht auf die Zinseinkünfte. Allerdings vertritt das vietnamesische Ministerium für Finanzen bei Dreieckssachverhalten mit Betriebsstätten die Auffassung, dass im Ergebnis die Vorschriften des Abkommens mit dem Ansässigkeitsstaat – hier Deutschland – keine Anwendung finden.25 Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass aus deutscher Sicht das Abkommen zwischen Vietnam und Deutschland Anwendung findet. Eine Anrechnung der vietnamesischen Quellensteuer auf die deutsche Steuer läuft im Ergebnis allerdings leer. Wegen der Einzelheiten wird nach unten auf b) cc) verwiesen. bb) DBA Deutschland-Japan Die vietnamesische Verwaltungsauffassung geht von der Anwendung des DBA Deutschland-Japan aus: Aus deutscher Sicht hat das ins innerstaatliche Recht umgesetzte Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Japan gemäß § 2 AO Vorrang gegenüber den Steuergesetzen. Die Doppelbesteuerungsabkommen regeln, in welchen Fällen die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuern auf die inländische Steuer (Anrechnungsmethode) und in welchen Fällen durch Herausnahme der ausländischen Einkünfte aus der Besteuerungsgrundlage (Freistellungsmethode) vermieden wird. Maßgeblich für die Methodenwahl zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist, welchem Vertragsstaat das Steuergut zugeordnet wird. Vorliegend müsste Deutschland aufgrund Art. 7 Abs. 2, Art. 11 Abs. 6, Art. 5 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 a) DBA Japan die japanischen Betriebs24 Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013 (Thông tu, Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài ˙ˆt Nam vo ˙ ´,i các ˙ nu,o´,c). ˙ ˙ sa ¨ n giu˜˙,a Vie ˙ 25 Vgl. Công va˘ n 1620/TCT-HTQT („Song Bung 2 Hydro Power Project“) vom 16. 05. 2012.
III. Konsequenz der VN-Entscheidung
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stätteneinkünfte der Bank „von der Besteuerung ausnehmen“,26 das heißt die ausländischen Einkünfte werden von der Bemessungsgrundlage wieder abgezogen27 beziehungsweise „aus der Besteuerungsgrundlage ausgeschieden“.28 Das Besteuerungsrecht wird Japan gemäß Art. 7 Abs. 2 DBA Japan zugewiesen. cc) DBA Vietnam-Japan Es besteht zwar ein Abkommen zwischen Vietnam und Japan. Dieses ist jedoch grundsätzlich nicht anwendbar, weil der Betriebsstätte trotz der Eigenschaft als Zahlungsempfängerin keine Abkommensberechtigung zukommt. Zu diesem Ergebnis kommt auch die vietnamesische Finanzverwaltungsauffassung. b) Ohne Berücksichtigung der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung Im Nachfolgenden wird die Dreieckssachverhaltsproblematik des „Song Bung 2“-Falles in einem OECD-konformen Rahmen dargestellt. Zugleich werden hierdurch die Unterschiede zu der in der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung zum Ausdruck kommenden Schwerpunktsetzung dieser Problematik verdeutlicht. Die in dem Dreieckssachverhalt von Seiten Vietnams vorgesehene Versagung der Anwendung des Abkommens zwischen Vietnam und dem Ansässigkeitsstaat steht nämlich im Widerspruch zu den allgemeinen Grundsätzen einer OECD-konformen Anwendung. aa) DBA Vietnam-Deutschland Gemäß den Grundsätzen des OECD-Kommentars müsste die Abkommensberechtigung im DBA Vietnam-Deutschland bejaht werden. Das Stammhaus und die Darlehensnehmerin EVN sind als juristische Personen in den Vertragsstaaten ansässig und haben damit auch die persönliche Abkommensberechtigung, vgl. Art. 1, Art. 4 Abs. 1 DBA Vietnam. Auch der sachliche Anwendungsbereich ist mit der deutschen Körperschaftsteuer beziehungsweise der damit vergleichbaren vietnamesischen Körperschaftsteuer eröffnet, vgl. Art. 2 Abs. 3 und 4 DBA Vietnam.
26
Siehe Wortlaut Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA. Siehe für den gewählten Ausdruck „bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen“ § 34 d Abs. 2 EStG. 28 Siehe für den gewählten Ausdruck „aus der Besteuerungsgrundlage ausgeschieden“ Ismer, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Art. 23 A OECD-MA, Rn. 42; siehe auch Becker, Ralph: Art. 23, Rn. 13 in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam,in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999). 27
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Die Zahlung an die Betriebsstätte wirft aus Sicht der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung hingegen die Frage auf, wer der Nutzungsberechtigte dieser Zahlung sei. Nach jüngerer strikt rechtlicher OECD-Lesart ist „Nutzungsberechtigter“,29 wer das Recht hat, in den Genuss der Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren zu gelangen beziehungsweise über ihre Verwendung zu entscheiden, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein, die empfangene Zahlung an eine andere Person weiterzureichen.30 Da Vietnam die Zahlung an die Betriebsstätte als genügend ansieht, um die Anwendung des Abkommens mit dem Ansässigkeitsstaat zu verneinen, deutet vieles, wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird,31 darauf hin, dass Vietnam die Betriebsstätte als Nutzungsberechtigten qualifiziert.32 Einer solchen Qualifizierung steht jedoch die OECD-Definition entgegen,33 weil die Betriebsstätte mangels Rechtspersönlichkeit kein Rechteinhaber sein und damit kein Verfügungsrecht ausüben kann. Diese Auffassung des vietnamesischen Ministeriums steht zudem in Widerspruch zum innerstaatlichen Recht Vietnams. Nach diesem werden Zinszahlungen an eine Betriebsstätte gerade deshalb der Quellenbesteuerung unterworfen, weil diese Zahlung an einen unselbständigen Unternehmensteil eine Zahlung an das dahinterstehende ausländische Unternehmen darstellt. Die Auffassung im Verwaltungsschreiben geht dagegen davon aus, dass Zinszahlungen an eine im Drittstaat belegene Betriebsstätte abkommensrechtlich nicht als Zinszahlungen an das deutsche Stammhaus beurteilt werden können. Daraus schließt die Verwaltung, dass das Abkommen mit dem Ansässigkeitsstaat keine Anwendung findet.34 Trotz dieser Widersprüche wird diese DBA-Nichtanwendung nicht nur in dem zu diesem Fall ergangenen unverbindlichen Verwaltungsbrief (công va˘ n 1620/TCTHTQT vom 16. 05. 2012) vertreten, sondern ist ausdrücklich auch in Art. 18 des 29
Ebenda, Rn. 17. Art. 11 Tz. 10.2 in OECD-Musterabkommen 2014; Übersetzung siehe Tischbirek, Wolfgang, in: Vogel/Lehner, Doppel-besteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Vor Artikel 10 – 12, Rn. 19. 31 Siehe unten Teil 2 IV. 32 Der Deutung, dass Vietnam in seiner Begründung möglicherweise von einem bloßen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Darlehen und Betriebsstätte gemäß Art. 12 Abs. 5 OECD-MA ausgegangen ist, widerspricht der von Vietnam daraus gezogenen Konsequenz, dass die Betriebsstätte abkommensberechtigt sein müsste, um das DBA Vietnam – Japan zur Anwendung kommen lassen zu können. Eine solche Überlegung setzt voraus, dass überhaupt die Betriebsstätte Nutzungsberechtigter ist. Siehe zum „wirtschaftlichen Zusammenhang“, Pöllath/Lohbeck, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Art. 11, Rn. 106. 33 Ähnl. Kemmeren, Eric, der im Hinblick auf ein rechtlich durchsetztes Begriffsverständnis des „economic ownership“ der Betriebsstätte eine vergleichbare Eigentümerstellung abspricht in: Reimer/Rust (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2015, Pre Arts. 10 – 12 (Vorbemerkung), Rn. 159. 34 Siehe auch Teil 2 III. 2. a) aa). 30
III. Konsequenz der VN-Entscheidung
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vietnamesischen DBA-Anwendungserlasses 2013 geregelt. Folge der vietnamesischen Auffassung ist, dass Vietnam in letzter Konsequenz dem Ansässigkeitsstaat beziehungsweise Betriebsstättenstaat die Problemlösung der mit einem Betriebsstätten-Dreieckssachverhalt einhergehenden Mehrfachbelastung beziehungsweise unter Umständen (teilweisen) Keinmalbesteuerung35 überlässt. Aus Sicht einer OECD-konformen Lösung wird mit der Bejahung der Abkommensberechtigung die Prüfung der grenzüberschreitenden Zinszahlungen anhand der Verteilungsnormen fortgesetzt. Die Verteilungsnormen knüpfen an die Art der Einkünfte an. Die Einkünftequalifikation richtet sich grundsätzlich nicht – wie die Zurechnung der Einkünfte36 – nach dem nationalen Recht. Für Zinszahlungen ist der Art. 11 DBA Vietnam einschlägig. Der Ausdruck „Zinsen“ bedeutet gemäß Art. 11 Abs. 4 DBA Vietnam Einkünfte aus Forderungen jeder Art, womit auch alle Einkünfte eingeschlossen sind, die nach dem Recht des Quellenstaates den Darlehenserträgen37 gleichgestellt sind.38 Unter Anwendung dieser Verteilungsnorm können die Zinszahlungen des vietnamesischen Unternehmens EVN gemäß Art. 11 Abs. 2 DBA Vietnam der Höhe nach mit bis zu 10 Prozent in Vietnam besteuert werden. Die Zinsen stammen gemäß Art. 11 Abs. 6 DBA Vietnam aus Vietnam. Zinsen gelten unter anderem dann als aus einem Vertragsstaat stammend, wenn der Schuldner eine in diesem Staat ansässige Person ist, was im Fall der EVN in Vietnam zu bejahen ist. bb) DBA Deutschland-Japan Hinsichtlich des Abkommens zwischen Deutschland und Japan wird auf die Ausführungen unter III. 2. a) bb) verwiesen. Nach der vietnamesischen Auffassung bleibt wohl das DBA Deutschland-Japan anwendbar, sodass Deutschland die Betriebsstätteneinkünfte aus der Bemessungsgrundlage des Stammhauses herausrechnet. 35 Im tatsächlichen „Song Bung 2“-Fall ist eine solche teilweise Keinmalbesteuerung zu finden. In diesem Fall besteuert Japan nach altem Recht nicht die Betriebsstätte. Frankreich weist zugleich das Steuersubstrat Japan zu. Hierdurch entsteht insoweit eine Keinmalbesteuerung. Nur die Quellenbesteuerung in Vietnam verbleibt. 36 Siehe Lehner, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Grundlagen des Abkommensrechts, Rn. 181b. 37 Siehe Art. 18 des Verwaltungsrundschreibens über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013, (Thông tu, Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ ˙˜,a Vie ˙ ˆt Nam vo ˙ ´,i ˙các nu,o´,c; siehe auch Gliederungspunkt˙V. der d¯ánh vào thu nhaˆp và tài sa ¨ n giu ˙ vorhergehenden˙Fassung des Verwaltungsrundschreibens, Nr. 133/2004/TT-BTC, vom 31. 12. 2004, das noch bis zum 06. 02. 2014 galt und in der Entscheidung 1620/TCT-HTQT („Song Bung 2 Hydro Power Project“) vom 16. 05. 2012 berücksichtigt worden sein müsste. 38 Becker, Ralph, Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999), Art. 11, Rn. 10.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
cc) DBA Deutschland-Vietnam Aus deutscher Sicht kommt – entgegen der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung – das DBA zwischen Sitzstaat und Quellenstaat, das heißt das DBA Vietnam zur Anwendung, sodass gemäß Art. 11, Art. 23 Abs. 2 a) und b) dd) DBA Vietnam in Verbindung mit § 34 Abs. 6 S. 2 EStG die Anrechnung der vietnamesischen Quellensteuer in Betracht kommt. Das deutsche Stammhaus ist abkommensberechtigt, weil es gemäß § 1 Abs. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Allerdings läuft die Anrechnung der vietnamesischen Quellensteuer in Deutschland ins Leere, da im Verhältnis Deutschland (Sitzstaat) und Japan (Betriebsstättenstaat) wegen der Freistellung (Art. 23 Abs. 2 a) und d)39 DBA Vietnam) die ausländischen Einkünfte „von der Besteuerung auszunehmen“40 sind,41 das heißt, dass die ausländischen Einkünfte wieder von der Bemessungsgrundlage abgezogen42 beziehungsweise „aus der Besteuerungsgrundlage ausgeschieden“ werden.43 Sind die ausländischen Einkünfte nicht mehr in der Bemessungsgrundlage enthalten, fehlt es an einer Besteuerung, bei der die ausländische Steuer angerechet werden könnte. dd) DBA Vietnam-Japan Es besteht zwar ein Abkommen zwischen Vietnam (Quellenstaat) und Japan (Betriebsstättenstaat), dieses ist jedoch auch ohne Berücksichtigung der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung grundsätzlich nicht anwendbar, weil der Betriebsstätte trotz Eigenschaft als Zahlungssempfängerin keine Abkommensberechtigung zukommt. c) Zwischenfazit Der „Song Bung 2“-Fall weist die für Dreieckssachverhalte charakteristische, in der Abkommensanwendung herrschende Problematik der Doppelbelastung beziehungsweise Keinmalbesteuerung auf, und zwar auch unabhängig von der Anwendung des vom vietnamesischen Ministerium vertretenen Lösungswegs.
39
Siehe Näheres zur Aktivitätsklausel: Becker, Ralph: ebenda, Art. 23, Rn. 21 – 26. Siehe den Wortlaut Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA. 41 Siehe auch III. 2. a) bb). 42 Siehe für den gewählten Ausdruck „bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen“, § 34 d Abs. 2 EStG. 43 Siehe für den gewählten Ausdruck „aus der Besteuerungsgrundlage ausgeschieden“, Ismer, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Art. 23 A OECD-MA, Rn. 42; siehe auch Becker, Ralph: Art. 23, Rn. 13 in: Abkommen, Text und Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam, in: Debatin/Wassermeyer, DBA (aktueller Stand: Juni 1999). 40
III. Konsequenz der VN-Entscheidung
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Der vorliegende Dreieckssachverhalt berührt drei verschiedene Steuerjurisdiktionen. Die Zinszahlung erfolgt vom Schuldner in Vietnam nach Japan an eine Betriebsstätte, durch die ihr deutsches Stammhaus seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Diese Transaktion überfordert die regelmäßig nur auf eine einzige bilaterale Sonderbeziehung angelegten abkommensrechtlichen Regelungen zur Steueraufteilung. Im Raum steht die Anwendung des Abkommens zwischen Deutschland (Ansässigkeitsstaat) und Vietnam (Quellenstaat) sowie zwischen Deutschland (Ansässigkeitsstaat) und Japan (Betriebsstättenstaat). Die abkommensrechtliche Regelung zwischen Deutschland und Japan führt zu Verwerfungen bei der Anwendung der Regelungen zwischen Deutschland und Vietnam. Deutschland weist das Steuersubstrat der japanischen Betriebsstätte zu, sodass Deutschland auch dieses Steuersubstrat aus der Bemessungsgrundlage ausschließt. Zwischen Deutschland und Vietnam jedoch soll Deutschland die in Vietnam auf dieses Steuersubstrat anfallende Quellensteuer auf die inländische Steuer anrechnen. Vietnam hingegen soll abkommensrechtlich die Quellensteuer auf 5 Prozent begrenzen. Die Auffassung Vietnams, dass das DBA mit Deutschland nicht anwendbar sei, ist deshalb im Ergebnis unerheblich. Die mit diesem Abkommen im Stammhaus vorgesehene Anrechnung läuft auch so leer,44 sodass die praktische Relevanz der Auffassung Vietnams insoweit zweifelhaft erscheint. Aus Sicht der abkommensrechtlichen Begrenzung der Quellensteuer auf 5 Prozent erscheint diese Auffassung vielmehr von deklaratorischer Natur, weil Vietnams innerstaatlicher Quellensteuersatz ohnehin 5 Prozent beträgt, sodass in der Verwaltungsauffassung lediglich zum Ausdruck kommt, dass Vietnam in solchen Dreieckssachverhalten nicht gewillt ist, auf seine Besteuerung ganz oder teilweise zu verzichten. Bei genauerem Hinsehen hingegen zeigt sich der Zweck des vietnamesischen Sonderwegs: Wenn fiktiv von einer höheren innerstaatlichen Quellensteuer ausgegangen wird, die durch die Abkommensanwendung begrenzt werden könnte, würde Vietnam – ohne die Finanzverwaltungsauffassung – doch noch zu einem Steuerverzicht gezwungen werden, sobald die Quellensteuersätze angehoben werden. Dieser mögliche, in der Zukunft liegende Steuerverzicht gibt zumindest zum Zwecke der Untersuchung hinreichenden Anlass zur Prüfung, ob sich die Auffassung Vietnams anhand der bisher möglichen und vertretbaren Argumentationsmuster gegenüber den OECD-Grundsätzen nebst den dazu abweichenden Meinungen dogmatisch behaupten kann. Da das vietnamesische Ministerium von einer näheren Erläuterung seiner Rechtsauffassung abgesehen hat, muss eine solche rekonstruiert werden. Hierdurch soll die Auffassung Vietnams für eine Diskussion zugänglich gemacht werden.
44
Siehe III. 2. a) bb).
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung Für die Rekonstruktion eines die vietnamesische Auffassung stützenden rechtstechnischen Unterbaus wird zunächst in die für die Rekonstruktion angewandten Prinzipien der Abkommensauslegung eingeführt. Auf dieser Grundlage werden die Prämissen herausgearbeitet, die für die Auffassung der vietnamesischen Finanzverwaltung konkludent tragend sind. Ausgangspunkt ist das innerstaatliche Rechtsverständnis. Die daran anschließende Untersuchung seiner Abweichungen von der allgemeinen OECD-Ansicht erlauben nicht nur die hinter den Prämissen stehenden Prinzipien und Rechtsgedanken zu identifizieren, sondern auch, diese dahingehend zu überprüfen, ob sie die wirtschaftspolitischen Interessen Vietnams am besten verwirklichen können. Dieser Unterbau ist dann der Prüfung mit anderen vertretenen Auffassungen zugänglich, sodass ermittelt werden kann, an welcher Stelle eine Begründungslücke durch gegenläufige wirtschaftspolitische Interessen vorliegt.
1. Angewandte Prinzipien der Abkommensauslegung Im Nachfolgenden wird der Rahmen umrissen, in dem sich die hier für die nachfolgende Untersuchung angewandte Abkommensauslegung bewegt. Auf etwaige Diskussionen zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen wird entsprechend auch nur insoweit eingegangen. Maßgeblich ist hier eine Auslegung, die im Lichte des Spannungsverhältnisses von Staatssouveränität, Entscheidungsharmonie und wirtschaftspolitsch organisch gewachsener Werteordnung erfolgt. a) Spannungsverhältnis von Staatssouveränität und „pacta sunt servanda“ Antworten auf internationale Doppelbesteuerungsfragen bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Vermeidung von steuerlichen Hemmnissen und Eingriff in die staatliche Souveränität eines Landes,45 sodass die rechtlichen Fragen insoweit noch viel weniger als im nationalen Steuerrecht von der Steuerpolitik des jeweiligen Staates getrennt werden können, ohne dass eine Erfassung internationalsteuerrechtlicher Probleme verzerrt werden würde.46
45 Siehe Pistone, Pasquale zur grundsätzlichen Problematik des internationalen Konsens in Form des OECD-MA: Tax Treaties with Developing Countries: A Plea for New Allocation Rules and a Combined Legal and Economic Approach, in: Lang, Michael et al. (Hrsg.), Tax Treaties: Building Bridges between Law and Economics, 2010, S. 437 f. 46 Ebenda.
IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung
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Das Spannungsverhältnis von Staatssouveränität und dem im Völkerrecht geltenden Prinzip „pacta sunt servanda“47 führt regelmäßig zu politisch getroffenen Auslegungsentscheidungen, obwohl das Prinzip der Entscheidungsharmonie gewährleisten soll, dass das Abkommen „im Lichte seines jeweils konkreten Gegenstands und Zwecks“ ausgelegt wird, „so dass diejenige Auslegung anzustreben sei, die am ehesten Aussicht hat, in beiden Vertragsstaaten akzeptiert zu werden“.48 Die Entscheidungsharmonie ist insoweit vielmehr ein politischer Kompromiss. Der Versuch einer rationalen Begründung der Entscheidungsharmonie unter Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des WÜRV oder auf den Art. 3 Abs. 2 OECD-MA geht fehl, weil auch ihre Anwendung davon abhängig ist, wie sie ausgelegt werden.49 Entweder richtet sich ihre Auslegung nach dem Recht des einen oder des anderen Staates.50 b) Auslegung nach wirtschaftspolitischen Interessen Ausgangspunkt der Interpretation bleibt im Ergebnis stets das innerstaatliche Abkommensverständnis. Das gilt unabhängig davon, mit welcher Begründung51 die Vorschrift oder der abkommensrechtliche Begriff in den einen oder anderen Kontext zwecks Auslegung gesetzt wird. Die Vorstellung einer vom nationalen Recht autonomen Abkommensauslegung führt zu der vertretenen Auffassung, dass die in sich geschlossenen Regelungskreise von DBA und innerstaatlichem Recht zusammenhangslos nebeneinanderstehen könnten.52 Die mit dem Prinzip der Entscheidungsharmonie entstandene artifizielle Unterscheidung zwischen autonomer Abkommensauslegung und innerstaatlicher Auslegung verkennt jedoch die tatsächliche Verzahnung dieser beider Regelungskreise.53 Die im Abkommen zum Ausdruck kommende innerstaatliche Absicht lässt sich nicht von dem innerstaatlichen Ver47
Siehe Art. 26 WÜRV. Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 115 m.w.N.; siehe auch die Entscheidung des bolivianischen Obersten Gerichtshofs (Tribunal Supremo de Justicia), in welchem das Gericht eine Treaty-Shopping-Konstellation eines US-Unternehmens (DBA Schweden-Bolivien) mit dem „pacta sunt servanda“-Argument als zulässig beurteilte, Entscheidung vom 10. September, 311/ 2014, besprochen von Aldazosa, Alvaro Villegas, Bolivia: Treaty Shopping and Pacta Sunt Servanda, in: Lang, Michael et al. (Hrsg.), Tax Treaty Case Law around the Globe, 2016, S. 287. 49 Siehe Pistone, Pasquale, General Report, The Impact of the OECD and UN Conventions on Bilateral Tax Treaties (Lang/Pistone/Schuch/Staringer), 1. Aufl. 2011, S. 5 m.w.N. 50 Siehe hierzu als Streitbeispiel FG Hamburg, Urteil vom 30. 05. 2000 VII 244/98, EFG 2000, 1048, in welchem darüber gestritten wird, ob für die Qualifizierung als Zinsen auf die steuerrechtliche Charakterisierung im Quellenstaat oder auf die Quelle selbst abzustellen sei. 51 Für eine Zusammenfassung der Auslegung von Art. 3 Abs. 2 MA m.w.N.: Lehner, Moris, Art. 3 Abs. 2 MA, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 97a ff. 52 Siehe hierzu im Zusammenhang der Frage über den Vorrang der autonomen Abkommensauslegung: Lehner, Moris, ebenda, Rn. 119. 53 Ebenda. 48
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
ständnis des Abkommens losgelöst ermitteln. Dieses innerstaatliche Verständnis ist zudem charakterisiert durch das jeweilige rechtskulturell geprägte innerstaatliche Rechtsverständnis. Typisches Beispiel ist Art. 16 OECD-MA, der die Vergütung von „Aufsichtsrat“ und „Verwaltungsrat“ (in der englischen Übersetzung „Directors’ fees and other similar payments“) zum Gegenstand hat.54 Die Unterschiede liegen nicht in der Sprache, sondern vielmehr in den Unterschieden zwischen Civil Law und Common Law.55 Während im Civil Law die dualistische Struktur der Gesellschaftsorgane herrscht, das heißt die Aufteilung zwischen Geschäftsführung (Vorstand) und Kontrolle (Aufsichtsrat), gilt im angelsächsischen Common Law das monistische System, wonach Geschäftsführung und Aufsicht einem einzigen Organ zukommen.56 Das hat zur Folge, dass aus deutscher Sicht Art. 16 nicht auf den Vorstand Anwendung findet, weil dem Vorstand keine Funktion zukommt, die einer Aufsichtsratstätigkeit ähnlich wäre.57 Aus Sicht des Common Law wird aufgrund der Doppelfunktion des Directors als Vorstandsmitglied und Aufsichtsratsmitglied eine Anwendung bejaht. Einheitliche Auslegungen bestimmter Abkommensklauseln können hingegen durch ausdrückliche und konkludente Absichtserklärungen in den dem Abkommen beigefügten Protokollen erreicht werden. Durch die Verwendung des OECD-Musterabkommens lässt sich unter Heranziehung weiterer Umstände grundsätzlich konkludent ableiten, dass auch Einigkeit über die im Musterabkommen vorgenommene Auslegung besteht. Bei Begriffen dagegen, die nicht im Abkommen einschließlich der Protokolle definiert sind und deren Bedeutungen sich auch nicht aus dem Abkommenszusammenhang ergeben, stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf den Art. 3 Abs. 2 OECD-MA zwischen den Vertragsstaaten Einigkeit besteht, wessen Abkommensverständnis dann entscheidend ist. Art. 3 Abs. 2 MA regelt, „dass, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordere, jeder im Abkommen nicht definierte Ausdruck bei der Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat die Bedeutung habe, die ihm im Anwendungszeitraum nach dem Recht dieses Staates über die Steuern zukomme, für die das Abkommen gelte, wobei die Bedeutung nach dem in diesem Staat anzuwendenden Steuerrecht den Vorrang vor einer Bedeutung habe, die der Ausdruck nach anderem Recht dieses Staates habe“.
Diese Vorschrift kann dahingehend ausgelegt werden, dass Anwenderstaat entweder der Wohnsitzstaat oder der Quellenstaat ist.58 Das Abkommensverständnis und die jeweiligen zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Strukturen richten sich 54 Zum Ganzen siehe Cordewener, Axel, in: Reimer, Ekkehart/Rust, Alexander (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Convention, 4. Aufl., 2014, Art. 16. 55 Ebenda, S. 1245. 56 Siehe hierzu Cools, Andy, Article 16 of the OECD Model: A Plea to Extend the Scope of the Ratione Personae, Bulletin For International Taxation, 2016, S. 566. 57 Prokisch, Rainer, Art. 16 MA, in: Vogel/Lehner Doppel-besteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 10; BFH, Urteil vom 05. 10. 1994, I R 67/93, BFHE 175, 424. 58 Ebenda, Rn. 100 ff.
IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung
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danach, wem die Auslegungshoheit zugesprochen wird.59 Eine eindeutige Antwort, wessen Abkommensverständnis einschlägig ist, gibt die Klausel dagegen nicht. Die dem auszulegenden Abkommensbegriff beigemessene Bedeutung richtet sich allein danach, worauf sich die Vertragsstaaten geeinigt haben. Diese Einigung ist letztlich ein politischer Akt. Daher kommt es hierbei auch nicht auf die immer wieder diskutierte Frage an, ob dem Begriffskern des auszulegenden Begriffs rechtliche Relevanz im innerstaatlichen Recht zukommen müsse60 oder ob es ausreiche, dass eine Auslegung nach dem Abkommenszusammenhang ein anderes Ergebnis als die Auslegung nach dem innerstaatlichen Recht ergibt.61 Divergenzen in der Auslegung sind politische Entscheidungen, weil der Ausgang einer politisch motivierten Auslegung durch die Anwendung von allgemein anerkannten Auslegungsmethoden vertretbar und konsensfähig gemacht werden kann. Ein für die Abkommensauslegung allumfassender übergeordneter Maßstab existiert nicht in rechtlich verbindlicher Form. Die Vertragsstaaten entscheiden letztlich selbst darüber, welchen übergeordneten Prinzipien gefolgt werden soll. Die Außenpolitik sowie das politische System eines Vertragsstaates und damit auch die Form der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im Hinblick auf die Gewaltenteilung, beeinflussen den Ausgang der politischen Auslegungsentscheidung. Einen hohen Anteil an dem Findungsprozess des Auslegungsergebnisses haben die nationalen Interessen im Spannungsverhältnis von Staatssouveränität und Völkerrecht. Letzteres ist Ergebnis der jeweiligen praktizierten Außenpolitik. Die Auslegungsfreiheit wird neben der Außenpolitik und dem politischen System vor allem auch durch den Grad der wirtschaftspolitischen und damit rechtlichen Bemühungen zur Planbarkeit des Steuerrechts bestimmt. Die gewünschte Entscheidungsharmonie wird vor diesem Hintergrund dagegen durch die Verhandlungsmacht oder durch die Auslegungsmacht bestimmt sein. Eine Auslegung des Abkommens unter Rückgriff auf ein Vorverständnis hingegen, das von dem im nationalen Recht regelmäßig zu findenden Hierarchiedenken der Rechtsquellen geprägt ist, übersieht aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen Staatssouveränität und Völkerrecht die organische Entwicklung des internationalen Steuerrechts auf nationaler und internationaler Ebene. Ein stringentes Abhängigkeitsverhältnis zwischen einzelnen rechtlichen Wertungsebenen lässt sich nur schwer herstellen. Die Gleichsetzung von innerstaatlichem Steuerrecht mit dem konsensbedürftigen internationalen Steuerrecht ist Hauptursache der intuitiven vereinheitlichenden Projizierung des eigenen rechtskulturell geprägten Rechtsempfindens auf eine Rechtsordnung, die von dem Projizierenden in aller Welt als bindend erachtet wird. Schaumburg hat zwar diese Problematik des internationalen Steuerrechts als „Rechtsstoff mit unterschiedlichen Grundwerten verschiedener Steuergesetze“ artikuliert und dem internationalen Steuerrecht die Eigenschaft ab59
Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 1 III. 1. b) bb) (5) (d), wonach der OECD-Musterkommentar aus vietnamesischer Sicht keine große Bedeutung haben dürfte. 60 Zum Meinungsstand siehe Lehner, Moris, Art. 3 Abs. 2 MA, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 134a m.w.N. 61 Ebenda, Rn. 116a ff.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
gesprochen, dass ihm ein bereits existierendes, von Raum und Zeit abstraktes „monistisches System“ zugrunde liege, aus dem sich „eine einheitliche Grundwertung und sich daraus ergebende Einzelwertungen ableiten“62 lassen. Zugleich jedoch, trotz der Erkenntnis dieser Vielfalt, widerstrebt Schaumburg die Vorstellung, das internationale Steuerrecht sei ein der „legislatorischen Beliebigkeit ausgesetztes Willkürrecht“,63 und er beruft sich auf die Bindungswirkung nationaler Steuerrechtsprinzipien für die internationale Steuerrechtsordnung.64 Dieses Unbehagen erklärt sich mit der allgemeinen Prägung unseres Rechtsdenkens, das Sein müsse logisch vom Sollen getrennt werden, in welchem das eigene Recht als Sollen und das andere Recht (hier: das internationale Steuerrecht) als Sein wahrgenommen wird.65 Eine solche Trennung setzt jedoch im Vorfeld die Möglichkeit einer absoluten Trennung dieser beiden Sphären voraus. Sie provoziert, eine Wesensverschiedenheit zwischen abstrakter Bindungswirkung von Normen und durch politischen Konsens geschaffener Regeln zu übersehen. Diese abstrakte Bindungswirkung von Regeln entstammt jedoch der Idee eines an die Wahrheit beziehungsweise an die als einzig wahr erachtete Gerechtigkeit angelehnten monistischen Systems. Das Wertungssystem des internationalen Steuerrechts ist allerdings nicht nur im Rahmen der Musterabkommen organisch gewachsen, sondern ist zudem für jeden einzelnen Vertragsstaat66 als organisch gewachsenes Wertesystem wahrzunehmen. Die unterschiedlichen, bei der Abkommensanwendung, stillschweigend angewendeten Prinzipien und Konzeptionen führen regelmäßig zu innersystemischen Reibungen, zu Lücken und zu möglicher Besteuerungswillkür. Als Beispiele sind hierfür vor allem die Qualifikations- und Zurechnungskonflikte zu nennen. Das Aufeinandertreffen von Qualifikations- und Zurechnungskonflikt zeigt sich vor allem bei dem im jeweiligen innerstaatlichen Steuerrecht unterschiedlich behandelten Personengesellschaften. Diese werden entweder selbst als Steuerpflichtige behandelt oder die dahinter stehenden Gesellschafter. Entsprechend kann es dazu kommen, dass bei Anwendung des Abkommensrechts der eine Staat der Personengesellschaft die Abkommensberechtigung zuspricht, der andere Staat den Gesellschaftern.67 Die Folgen unterschiedlicher Rechtskulturen wie Common Law und Civil Law konnte am Beispiel der „Director fees“68 des Art. 16 OECD-DBA dargestellt werden.
62
Schaumburg, Harald, Systemdefizite im internationalen Steuerrecht, StuW 2000, S. 369. Ebenda. 64 Ebenda. 65 Im Kontext der Rechtsvergleichung siehe hierzu kritisch: Coendet, Thomas, Rechtsvergleichende Argumentation, Diss., 2012, S. 26 – 29. 66 Als internationales Steuerrecht individualisiert auf einen Staat: Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 3, Rn. 1.5. 67 Siehe als Beispiel eine ungarische Personengesellschaft mit in Deutschland ansässigen Gesellschaftern: BFH, Urteil vom 25. 5. 2011 – I R 95/10, DStRE 2011, S. 932. 68 Siehe hierzu am Beispiel einer kanadischen Limited und in Deutschland anssässiger „Directors“: BFH, Urteil vom 05. 10. 1994 – I R 67/93, IStR 1995, 31. 63
IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung
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Die Abnahme oder Zunahme der Besteuerungswillkür ist abhängig davon, was als „Lösung“ dieser Friktionen national und gegebenenfalls bilateral/multilateral anerkannt wird.69 Solche Qualifikationskonflikte bergen die Gefahr der Doppelbesteuerung und doppelten Nichtbesteuerung in sich. Das geschieht beispielsweise, wenn beide Vertragsstaaten sich für berechtigt halten, das Steuersubstrat zu besteuern oder wenn sie jeweils dem anderen Staat das Steuersubstrat zuweisen. Trotz der bilateralen Natur dieser Entwicklung wird das internationale Steuerrecht aufgrund der übermächtigen Komplexität einzelner, aus bilateralen Verhandlungen gewobener DBA-Netze als Instrument rechtlicher Harmonisierungsbestrebungen mit entsprechender zugrunde liegender Werteordnung verstanden.70 c) Fazit Unabhängig davon, welche Methoden im Konkreten für die Abkommensauslegung angewendet werden, werden diese in der vorliegenden Arbeit davon bestimmt sein, wie von den Vertragsstaaten – in Abhängigkeit ihrer politischen Agenda und ihres Systems – als Mitglied der internationalen Gemeinschaft einerseits und als Vertreter ihrer eigenen staatlichen Interessen andererseits ihre verfolgten Ziele priorisiert werden. Grenzüberschreitend geltende Rechtsordnungen, die langfristig transnational effizient und effektiv wirken sollen, erfordern eine allgemeine internationale Anerkennung.71 Eine solche Anerkennung lässt sich in der durch Konsens über internationale Steuerrechtsprinzipien gereiften internationalen Steuerrechtsordnung nachzeichnen. Diese konsensuale Bindung beziehungsweise Selbstverpflichtung ist als eine Art internationale Steuerrechts-Governance zu lesen.72 Diese Prinzipien geben eine Konzeption vor, nach der sich die Vertragsstaaten bei der Umsetzung und Anwendung der internationalen Steuerprinzipien und -normen in ihrer Formulierung und Auslegung regelmäßig richten. Die Realität internationaler Selbstverpflichtung liegt in der Planbarkeit und Verlässlichkeit staatlichen Handelns. Bei der abkommensrechtlichen Auslegung wird die Planbarkeit dadurch erschwert, dass das internationale Steuerrecht letztlich seit Anbeginn seiner Entwicklung vor allem in bilaterale (und nicht multilaterale) politische Abkommens69 Ähnlich Hey, Johanna, Erosion nationaler Besteuerungsprinzipien im Binnenmarkt? StuW 2005, S. 317, 317. 70 Siehe hier nur: Vogel/Rust, in: Reimer, Ekkehart/Rust, Alexander (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2014, Einführung, S. 1. 71 Siehe Pistone, Pasquale, der den internationalen Konsens als Soft Law beschreibt und dessen Bindungswirkung, ähnlich wie Baistrocchi, in den Zusammenhang mit der innehabenden Verhandlungsmacht einzelner Staaten bzw. Staatsgruppen stellt: Tax Treaties with Developing Countries: A Plea for New Allocation Rules and a Combined Legal and Economic Approach, in: Lang, Michael et al. (Hrsg.), Tax Treaties: Building Bridges between Law and Economics, 2010, S. 437 f. 72 Siehe zur Entwicklung als Soft Law bzw. als Governance m.w.N.: ebenda, S. 437 f. und siehe auch Peters, Cees, On the Legitamicy of International Tax Law, 2014, S. 3.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
verhandlung und Konsensfindung eingebettet ist. Bestimmt ist die hierbei zum Tragen kommende Politik vor allem davon, die eigene Staatssouveränität vor Zugeständnissen zu schützen.
2. Herleitung der Ausgangsprämissen der vietnamesischen Finanzverwaltungsauffassung Nach Auffassung des vietnamesischen Ministeriums soll im „Song Bung 2“-Fall trotz der allgemeinen abkommensrechtlichen Regelungen eine Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ansässigkeitsstaat Deutschland nicht zulässig sein. Gemäß der công va˘ n 1620/TCT-HTQT vom 16. 05. 2012 soll ihre Anwendbarkeit davon abhängen, ob die Betriebsstätte Zahlungsempfängerin ist. Die Verneinung der Anwendbarkeit kann abkommenstechnisch auf zweierlei Weise verstanden werden: 1. Das Ministerium unterscheidet im Rahmen der Prüfung der Abkommensberechtigung gemäß Art. 1 DBA Vietnam nicht danach, ob eine Steuerpflicht vorliegt,73 sondern nur danach, wer der wirtschaftliche Nutzungsberechtigte ist. Indem es die Nutzungsberechtigung der Betriebsstätte zuspricht und nicht dem Stammhaus, spricht es letzterem die Abkommensberechtigung ab. Die Verneinung der Betriebsstätte als Abkommensberechtigten begründet das Minsterium mit der fehlenden Eigenschaft als Person oder Gesellschaft im Sinne des Art. 3 Abs. 1 d) und e) DBA Vietnam.74 2. Die vietnamesische Verwaltungsauffassung könnte auch abkommensrechtlich dahingehend verstanden werden, dass die Verwaltung stattdessen die Eröffnung des Anwendungsbereiches des Art. 11 DBA Vietnam wegen der fehlenden Eigenschaft des Stammhauses als Zahlungsempfänger, das heißt als Nutzungsberechtigter im Sinne des Art. 11 Abs. 2 DBA Vietnam, verneint. Der zum Zeitpunkt des Verwaltungsschreibens geltende vietnamesische DBAAnwendungserlass 2004 schweigt zu dieser Fallkonstellation.75 Der aktuelle Anwendungserlass von 2013 hat nicht nur die Fallkonstellation des „Song Bung 2“73 Abkommensberechtigt ist gem. Art. 1 OECD-MA eine Person, die in einem oder beiden Vertragsstaaten ansässig ist. Ansässig ist gem. Art. 4 wer eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. 74 Im Sinne dieses Abkommens, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, a) umfasst der Ausdruck „Person“ natürliche Personen, Gesellschaften und alle anderen Personenvereinigungen, Art. 3 Abs. 1 a) bzw. b) OECD-MA. 75 Vgl. Gliederungspunkt V. im Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten (Thông tu, Hu,o´,ng daˆ˜n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thueˆ´ hai laˆ`n d¯oˆ´i vo´,i các loai thueˆ´ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài sa ¨ n giu˜˙,a ˙ˆt Nam vo ˙´,i các ˙ nu,o´,c), Nr. 133/2004/TT-BTC, vom ˙31. 12. 2004. ˙ Vie ˙
IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung
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Sachverhalts übernommen, sondern bestätigt, dass das Ministerium die DBA-Anwendung ganz verneinen möchte, sodass mithin von der ersten Variante auszugehen ist.76 In dem in diesem Anwendungserlass aufgeführten Beispiel (Art. 20 DBAAnwendungserlass 2013) wird mangels Eigenschaft des Stammhauses als Zahlungsempfänger die Anwendung der DBA-Vorschriften verneint: Beispiel 35 nach DBA-Anwendungsschreiben 2013: Ein vietnamesisches Unternehmen zahlt Zinsen an eine in Staat N belegene Zweigstelle N der in Thailand ansässigen Bank C. In diesem Fall, in dem Zahlungsempfänger die Zweigstelle N ist, finden die Vorschriften des Abkommens zwischen Vietnam und Thailand keine Anwendung.77
Der Anwendungserlass spricht von der Nichtanwendung der DBA-Vorschriften, was für Variante 2 sprechen könnte, doch zeigt das Verwaltungsschreiben 1620/TCTHTQT deutlich, dass die Verwaltung die Nichtanwendung der DBA-Vorschriften als Nichtanwendung des Abkommens interpretiert. Die Nichtanwendung des DBA zwischen Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat wurde von der OECD in ihrem Bericht zu den Dreieckssachverhalten nicht diskutiert.78 Die OECD geht vielmehr vom Gegenteil aus und stellt fest, dass in der Praxis regelmäßig aus Sicht des Quellenstaates die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ansässigkeitsstaat zu beobachten sei.79 Von dieser Feststellung lässt sich ableiten, dass die Abkommensberechtigung auf der unbeschränkten Steuerpflicht gemäß Art. 1 in Verbindung mit Art. 4 DBA begründet ist und es für die Eröffnung des subjektiven Anwendungsbereiches gerade nicht auf die Nutzungsberechtigung ankommt.80 Trotz dieser allgemeinen Praxis der OECD-Mitgliedsstaaten kann die gegenteilige Auffassung des vietnamesischen Ministeriums nicht als
76 Siehe Art. 20 Abs. 4 Beispiel 35 im Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zwischen Vietnam und allen anderen Staaten (Thông tu, Hu,o´,ng da˜ˆ n thu,c hieˆn các Hieˆp d¯inh tránh d¯ánh thue´ˆ hai la`ˆ n d¯o´ˆ i vo´,i các loai thue´ˆ d¯ánh vào thu nhaˆp và tài ˙ˆt Nam vo ˙ ´,i các ˙ nu,o´,c), Nr. 205/2013/TT-BTC, vom ˙24. 12. 2013. ˙ sa ¨ n giu˜˙,a Vie ˙ 77 ` Originaltext: „Ví du 35: Moˆt công ty Vieˆt Nam tra ¨ lãi tieˆn vay cho Chi nhánh ngân hàng N ˙ cu a Thái Lan. Trong tru,o`,ng ho,p này, khoan lãi tai nu,o´,c N cu a ngân hàng˙ C là d¯oˆ´˙i tu,o,ng cu, trú ¨ ˙ hàng N không d¯u,o,c áp dung các quy d¯i˙nh cu a Hieˆp d¯inh ˙`ˆ n vay nhaˆn d¯u,o,c bo,i Chi nhánh ngân tie ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ , giu˜ a Vieˆt Nam và Thái Lan.“ (Die deutsche Übersetzung stammt vom Autor.) ˙ 78 Siehe Report on Triangular Cases von der OECD am 23. 07. 1992, übernommen und unter R (11) im OECD-Musterkommentar abgedruckt. Zitatstelle unter R (11)-8 Tz. 37. 79 Siehe Report on Triangular Cases, von der OECD am 23. 07. 1992, übernommen und unter R (11) im OECD-Musterkommentar abgedruckt. Zitatstelle unter R (11)-4 Tz. 13; siehe auch Heinsen, Oliver, Behandlung von Dreieckssachverhalten unter Doppelbesteuerungsabkommen, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., 2011, 1843, 1851. 80 In einem ähnlichen Zusammenhang Lang, Michael im Fall von Zurechnungs- bzw. Qualifikationskonfliktfällen von Personengesellschaften, Qualifikations– und Zurechnungskonflikte im DBA-Recht, IStR 2010, S. 114, 115.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
abwegig disqualifiziert werden.81 Vergleichbare Regelungen existieren nämlich in anderen nichtvietnamesischen Abkommen. So finden sich in den brasilianischen Doppelbesteuerungsabkommen Regelungen, in denen die beschränkte Besteuerung von Zinseinkünften nach Art. 11 Abs. 2 DBA in Fällen wie den hier diskutierten Dreieckssachverhalten ausgesetzt wird.82 Es bedarf jedoch eines erhöhten argumentativen Aufwandes, um die Nichtanwendung begründen zu können. Diese muss zudem für den Einzelfall erfolgen. Die Entscheidung, ob ein Abkommen nicht angewendet wird, liegt regelmäßig in der innerstaatlichen Rechtspraxis begründet.83 Die Intensität des interpretativen Vorgangs zwecks Rekonstruktion erhöht sich hierdurch erheblich. Die hier vorgenommene Rekonstruktion ist daher nur eine von vielen Möglichkeiten, wie das nationale und internationale vietnamesische Steuerrecht verstanden werden könnte. a) Innerstaatliches Verständnis der Abkommensberechtigung Unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Begriffs des Steuerpflichtigen erscheint es plausibel, wenn aus vietnamesischer Sicht die Abkommensberechtigung des ausländischen Stammhauses und mithin die Abkommensanwendung mit der Begründung verneint wird, es mangele an einer (wirtschaftlichen) Nutzungsberechtigung und mithin an abkommensrechtlich relevanten Einkünften. Im innerstaatlichen (vietnamesischen) Steuerrecht wird nämlich die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs ähnlich von dem Zufluss von Einkünften abhängig gemacht.84 Im vietnamesischen Unternehmensteuerrecht gründet sich die Steuerpflicht gemäß dem Wortlaut streng genommen auf zwei Elemente. Es muss sich um eine dort im Gesetz genannte Person handeln und diese Person muss steuerpflichtige Einnahmen generieren.85 Fehlt es an den steuerpflichtigen Einnahmen, fehlt es dem Wortlaut des Unternehmensteuerrechts nach im Umkehrschluss begrifflich auch an der Steuerpflicht. Daraus ist in rechtstechnischer Hinsicht die Schlussfolgerung 81 Die Frage der Nutzungsberechtigung als Voraussetzung für die Abkommensberechtigung wird auch von Fett, Emily aufgeworfen und verneint, in: Triangular Cases, Diss., 2013, S. 338 m.w.N. 82 Siehe Haslehner, Werner, in: Reimer/Rust (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2015, Art. 11, Rn. 112 m.w.N. zu dieser Klausel in brasilianischen Doppelbesteuerungsabkommen. 83 Siehe z. B. die Entscheidung des südkoreanischen obersten Gerichtshofs vom 26. Juni 2014 – Aktenzeichen 2012Du11836, in englischer Sprache übersetzt auf der Webseite desselben Gerichts: Das oberste Gericht entschied mangels Zurechenbarkeit der Einkünfte zum Unternehmen in Belgien nach innerstaatlichem koreanischem Recht, dass der Anwendungsbereich des Doppelbesteuerungsabkommens Korea mit Belgien nicht eröffnet sei. Für eine ausführliche Besprechung: Hyejung Byun, South Korea, The Application of Tax Treaties to Partnerships and Hybrid Entities, in: Lang, Michael et al. (Hrsg.) Tax Treaty Case Law around the Globe, 2015, S. 57. 84 Siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b) (aa). 85 Siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b) (bb) m.w.N.
IV. Kritische Rekonstruktion der VN-Auffassung
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zulässig, dass das Unternehmensteuergesetz mangels Steuerpflicht nicht anwendbar ist. Eine Ableitung, dass zwar das Unternehmensteuerrecht anwendbar sei, aber die Rechtsfolge mangels steuerpflichtiger Einnahmen stattdessen die Nichtbesteuerung sei, lässt sich dagegen nach dem Wortlaut nicht rechtfertigen. Im deutschen Recht ist die Anwendbarkeit des Steuerrechts hingegen abhängig von dem Vorliegen der Ansässigkeit. Die subjektive Steuerpflicht ist nicht wie in der vietnamesischen Konzeption von konkreten steuerbaren Einnahmen abhängig. Allein der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne des § 8 und 9 AO oder andere Ansässigkeitskriterien (§§ 10 und 11 AO) begründen die generelle subjektive Steuerpflicht und die Anwendung des Einzelsteuergesetzes. Diese Verengung des Begriffs des Steuerpflichtigen im vietnamesischen Steuerrecht führt dazu, dass seine Bürger beziehungsweise die in Vietnam ansässigen Unternehmen für einen rechtlichen Moment von der Steuerpflicht befreit sind. Diese Eigenheit des vietnamesischen Steuerrechts ist mit der Verfassung Vietnams von 2013 erneut betont worden. Nach Art. 47 der Verfassung „ist jeder verpflichtet, nach dem Gesetz Steuern zu zahlen“.86 Danach ist Steuerpflichtiger nur derjenige, der durch ein Gesetz eine entsprechende Handlungspflicht auferlegt bekommen hat. Diese Handlungspflicht besteht nur, wenn Einkünfte vorliegen. Nach alledem ist es naheliegend, wenn aus vietnamesischer Sicht die Abkommensberechtigung auch die Nutzungsberechtigung voraussetzt. Wenn nach vietnamesischem Verständnis für etwaige steuerliche Verpflichtungen die Generierung und damit die Zurechnung der Einnahmen maßgeblich ist, so dürfte entsprechend auch nur dann die Abkommensberechtigung gegeben sein, wenn die Person auch Nutzungsberechtigter der Zinseinkünfte ist. Der Vergleich der innerstaatlichen Steuerpflicht mit der Abkommensberechtigung scheitert auch nicht daran, dass das Abkommen selbst keine Steuerpflichten begründen kann. Dieser Umstand steht nicht im Zusammenhang mit der Berechtigung, Abkommensvergünstigungen geltend zu machen. Entscheidend ist, dass in beiden Fällen aus Sicht Vietnams die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs in erster Linie von der Zuordnung der Einkünfte abhängt. b) Abkommensberechtigung nach vietnamesischem DBA-Anwendungserlass 2013 Vor diesem Hintergrund wird trotz des Widerspruchs zu den allgemeingültigen OECD-Grundsätzen auch die im vietnamesischen DBA-Anwendungserlass getroffene Anwendungsentscheidung verständlich, dass die wirtschaftliche Nutzungsberechtigung für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des DBA 86 Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen des vietnamesischen Steuerrechts siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (e).
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
Voraussetzung ist und nicht allein die Ansässigkeit beziehungsweise die Steuerpflicht. Dass das Merkmal des wirtschaftlichen Nutzungsberechtigten entscheidendes Merkmal der Abkommensberechtigung ist, wird auch durch Art. 20 des vietnamesischen DBA-Anwendungserlasses 2013 bestätigt. Danach wird die wirtschaftliche Nutzungsberechtigung der Betriebsstätte zugewiesen anstatt dem Stammhaus. Wegen der fehlenden Nutzungsberechtigung des Stammhauses wird ihm dann die Abkommensberechtigung abgesprochen. Darin kommt deutlich zum Ausdruck, dass es aus Sicht des DBA-Anwendungserlasses für die Abkommensberechtigung nicht auf die steuerrechtliche Zurechnung der Betriebsstätteneinkünfte zum Steuersubjekt, das heißt zum Stammhaus, ankommt. Das hat zur Konsequenz, dass ausschließlich die Eigenschaft des Nutzungsberechtigten darüber entscheiden soll, wer als Abkommensberechtigter in Betracht kommt, unabhängig von der Steuersubjekteigenschaft. c) Zusammenfassung Das vietnamesische Konzept der Abkommensberechtigung ist strukturell der nach vietnamesischem Recht definierten subjektiven Steuerpflicht angenähert. Im vietnamesischen Recht wird nach dem Wortlaut erst bei tatsächlicher Einnahmengenerierung eine subjektive Steuerpflicht begründet. Entsprechend erscheint es aus vietnamesischer Sicht plausibel, bei fehlender Nutzungsberechtigung der Einnahmen eine Abkommensberechtigung zu verneinen.
V. Widerspruch der vietnamesischen Auffassung zur OECD-Dogmatik In der Anwendung der vietnamesischen Auffassung in Kapitel III. zeigte sich, dass diese von der gängigen OECD-Lösung abweicht. Diskutiert werden muss, ob diese Abweichungen sich noch im Rahmen der OECD-Dogmatik bewegen oder dieser widersprechen. Während es dem originären vietnamesischen Steuerrecht strukturell nicht fremd ist, die subjektive Abkommensberechtigung zusätzlich von dem tatsächlichen Zahlungszufluss abhängig zu machen, steht in Frage, ob die OECD-Dogmatik eine solche Begründung für zulässig erachten kann, insbesondere wenn die Betriebsstätte als Nutzungsberechtigter behandelt wird und dem Stammhaus diese Eigenschaft und mithin die der Abkommensberechtigung abgesprochen wird. Eine solche vom Abkommensrecht abweichende Beurteilung des grenzüberschreitenden Sachverhalts
V. Widerspruch der vietnamesischen Auffassung zur OECD-Dogmatik
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kann ein Vertragsbruch als Treaty Override sein.87 Im vietnamesischen Steuerrecht geht das Abkommensrecht stets dem nationalen Recht vor, auch wenn das Abkommensrecht vom nationalen Recht abweicht.88 Im Folgenden wird erörtert, inwieweit die Zuweisung der Eigenschaft des Nutzungsberechtigten an eine Betriebsstätte der Abkommensdogmatik entgegensteht. In einem weiteren Schritt wird geprüft, inwieweit trotz der Abweichungen von der OECD-Dogmatik eine analoge Anwendung des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten möglich wäre.
1. Betriebsstätte als Nutzungsberechtigter: Abweichung von der OECD-Auffassung Die Vorschrift im DBA-Anwendungserlass, wonach in bestimmten Fällen der Betriebsstätte die Eigenschaft als Nutzungsberechtigter zugesprochen wird, sieht sich mit dem Vorwurf des Treaty Overrides konfrontiert. Als Treaty Override wird begrifflich die bewusste innerstaatliche Änderung oder Aufhebung einzelner Vorschriften eines Abkommens durch zeitlich nachfolgende unilaterale Steuergesetze bezeichnet.89 Eine Änderung liegt auch vor, wenn nur die Bedeutung eines abkommensrechtlichen Begriffs entgegen dem Sinn und dem Geist des Abkommens geändert wird.90 Das Konzept der Nutzungsberechtigung setzt implizit die Rechtsfähigkeit voraus, die eine Betriebsstätte naturgemäß nicht haben kann.91 Die Anwendung des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten durch das vietnamesische Ministerium ist daher abkommensrechtlich nicht ohne weiteres gedeckt und bedarf für eine vertretbare Rekonstruktion ihres theoretischen Unterbaus einer näheren Erläuterung. Hinzu kommt, dass der Begriff des Nutzungsberechtigten oder „beneficial owner“ als abkommensrechtlicher Begriff prinzipiell autonom ausgelegt wird.92 Dies erschwert, einer nationalen Auslegung des Begriffs den Vorzug zu geben, und erhärtet den Verdacht eines Treaty Override. Nach jüngerer strikt rechtlicher OECD-Lesart ist 87 Siehe Lehner, Moris zum Treaty Override, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Grundlagen des Abkommensrechts, Rn. 194 – 196. 88 Siehe Art. 5 Abs. 1 in Verwaltungsrundschreiben über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern zwischen Vietnam und allen anderen Staaten, Nr. 205/2013/TT-BTC, vom 24. 12. 2013. 89 Siehe Schwenke, Michael, DBA als Völkerrecht und Treaty Override, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 23, Rn. 1. 90 Ebenda, Rn. 2. 91 Keine wesentliche Differenzierung: Reimer, Ekkehart, in: Reimer/Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, S. 88 bzw. Rn. 261. 92 Siehe auch Tischbirek, Wolfgang, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Vor Artikel 10 – 12, Rn. 15.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
„Nutzungsberechtigter“,93 wer das Recht hat, in den Genuss der Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren zu gelangen beziehungsweise über ihre Verwendung zu entscheiden, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein, die empfangene Zahlung an eine andere Person weiterzureichen.94 Nach dieser Definition kann die Betriebsstätte nicht Nutzungsberechtigter sein,95 da sie mangels Rechtspersönlichkeit kein Rechteinhaber ist. Aber nicht nur die fehlende Rechtspersönlichkeit der Betriebsstätte steht der Eigenschaft als Nutzungsberechtigter entgegen, sondern auch das in der Natur des Verhältnisses von Stammhaus und Betriebsstätte liegende Über- und Unterordnungsverhältnis, das sich in der Betriebsstättenvoraussetzung, „durch die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens […] ausgeübt wird“,96 widerspiegelt. Die Betriebsstätte ist stets vom Stammhaus abhängig und damit niemals in der Lage, über die Einkunftsverwendung zu entscheiden. Ferner ist Sinn und Zweck des Nutzungsberechtigtenkonzepts, den wirklichen Zahlungsempfänger zu ermitteln, um einen Abkommensmissbrauch in Form des sogenannten Treaty Shoppings zu verhindern.97 Das Treaty Shopping umschreibt das Einschleichen in die Abkommensberechtigung durch formale Erfüllung ihrer Voraussetzungen, um die Abkommensvergünstigungen trotz fehlender Nutzungsberechtigung zu erhalten, die ohne die formale Gestaltung nicht gewährt worden wären.98 Das geschieht etwa mit sogenannten „Basisgesellschaften“ (Conduit Companies), die als Briefkasten- oder Domizilgesellschaften sowie Durchlaufgesellschaften, aber auch als Koordinierungs- oder Steuerungsgesellschaften auftreten können. Im deutschen AStG werden diese Gesellschaften auch als Zwischengesellschaften bezeichnet.99 Mit einer Betriebsstätte lässt sich eine solche Gestaltung nicht umsetzen. Insoweit sprechen einige gewichtige Gründe dafür, die vietnamesische Handhabe als Treaty Override zu deuten. Dem könnte allenfalls entgegengesetzt werden, dass 93
Ebenda, Rn. 17. Art. 11 Tz. 10.2 in OECD-Musterabkommen 2014; Übersetzung siehe Tischbirek, Wolfgang, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Vor Artikel 10 – 12, Rn. 19. 95 Ähnl. Kemmeren, Eric, der im Hinblick auf ein rechtlich durchsetztes Begriffsverständnis des „economic ownership“ der Betriebsstätte eine vergleichbare Eigentümerstellung abspricht, in: Reimer/Rust (Hrsg.), Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2015, Pre Arts. 10 – 12 (Vorbemerkung), Rn. 159. 96 Zustimmend, jedoch kritisch: Reimer, Ekkehart, in: Reimer/Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, S. 61, Rn. 121 – 127. 97 Ebenda. 98 Zum Konzept des Nutzungsberechtigten als Anti-Treaty-Shopping-Klausel Prokisch, Rainer, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Anhang zu Art. 1: Internationale Steuerumgehung, Treaty Shopping, Einschränkung der Abkommensberechtigung, Rn. 120d. 99 Raber, Hans, Beneficial Ownership und das Problem der Basisgesellschaften, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 303, Rn. 1. 94
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der Bedeutungsinhalt des Konzepts des Nutzungsberechtigten nicht derart von der vietnamesischen Verwaltung abgewandelt wurde, dass er dem Sinn und dem Geist des Abkommens widersprechen würde. In Betracht kommt nämlich eine analoge Anwendung des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf die Betriebsstätte oder im Wege einer für Betriebsstätten zugeschnittenen Definition des Nutzungsberechtigten.
2. Nutzungsberechtigungsfähigkeit von Betriebsstätten Wie gezeigt, setzt die Nutzungsberechtigung die Eigenschaft voraus, steuerliches Zurechnungssubjekt zu sein. Die Überlegung einer analogen Anwendung des Konzepts auf Betriebsstätten-Dreieckssachverhalte erfordert, dass auch diese Fälle nach dem Sinn und Zweck des Konzepts mit systemwidrigen abkommensrechtlichen Gestaltungen wie den Dreickssachverhalten zwecks Treaty Shoppings100 vergleichbar sind, die das Konzept zu verhindern versucht. Bei Betriebsstätten-Dreieckssachverhalten könnte ein mit dem Treaty Shopping vergleichbarer Fall vorliegen. Dafür spricht, dass mit der steuergestaltenden Kombination von Betriebsstättenstaat als Niedrigsteuerland und der abkommensrechtlich reduzierten Quellensteuer im Quellenstaat sowie der regelmäßigen abkommensrechtlichen Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte im Ansässigkeitsstaat eine Reduzierung der steuerlichen Gesamtlast erzielt werden kann, indem die reziprozitäre Natur der im Dreieckssachverhalt in Betracht kommenden Abkommen ausgenutzt wird Ein klassischer Fall des „Erkaufens“ einer Abkommensberechtigung ist es aber nicht,101 weil mangels Rechtspersönlichkeit der Betriebsstätte und ausdrücklicher Regelung der persönliche DBA-Anwendungsbereich grundsätzlich nicht eröffnet ist. Doch die steuergestaltende Wirkung von Betriebsstätten-Dreieckssachverhalten gibt Anlass zu prüfen, ob diese steuerlichen Konsquenzen wertungsmäßig mit den TreatyShopping-Fällen vergleichbar sind. Mit einer steuergestaltenden Kombination von Betriebsstättenstaat als Niedrigsteuerland und der abkommensrechtlich reduzierten Quellensteuer im Quellenstaat sowie der regelmäßigen abkommensrechtlichen Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte im Ansässigkeitsstaat kann die steuerliche Belastung erheblich verringert werden.102 Diese Gestaltung umgeht das Reziprozitätsprinzip, indem eine im Drittstaat belegene Betriebsstätte die Abkommensbe100 Zum Begriff des Treaty Shoppings siehe Prokisch, Rainer, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Anhang zu Art. 1: Internationale Steuerumgehung, Treaty Shopping, Einschränkung der Abkommensberechtigung, Rn. 101. 101 Siehe zum Ganzen auch: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss. 2013, S. 198 – 207 m.w.N. 102 Heinsen, Oliver, Behandlung von Dreieckssachverhalten unter „Doppelbesteuerungsabkommen“, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung 3. Aufl., 2011, 1843, 1851.
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günstigungen wirtschaftlich erhält.103 Dies lässt sich an dem „Song Bung 2“-Sachverhalt verdeutlichen: Dem deutschen Stammhaus kommt die Eigenschaft als Nutzungsberechtigter zu, auch wenn an die Betriebsstätte in Japan die Zinsen gezahlt werden, weil die Betriebsstätte mangels Rechtspersönlichkeit als Teil des Unternehmens gesehen wird. Ungeachtet dessen, dass die japanische Betriebsstätte des deutschen Stammhauses die Zinszahlungen aus Vietnam erzielt, ist grundsätzlich zu prüfen, ob Quellensteuern in Vietnam auf die deutsche Besteuerung angerechnet werden könnten (gemäß Art. 23 Abs. 2 b) DBA Vietnam in Verbindung mit § 34 c Abs. 6 EstG), weil die Zinszahlungen an die Betriebsstätte dem Welteinkommen des Stammhauses zunächst zuzurechnen wären. Eine Anrechnung kann jedoch nicht vorgenommen werden, weil diese Zurechnung „rückgängig“ gemacht wird. Deutschland muss nämlich im Verhältnis zu Japan abkommensrechtlich die von der japanischen Betriebsstätte erzielten Gewinneinkünfte gemäß Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 DBA Japan freistellen gemäß Art. 23 Abs. 1 a) DBA Japan, sodass diese Einkünfte aus der deutschen Bemessungsgrundlage herausgerechnet werden und damit nicht der deutschen Besteuerung unterliegen. Eine Anrechnung der vietnamesischen Steuer ist mithin nicht möglich. Gleichzeitig wurden nach der damaligen zum Zeitpunkt dieses Falles geltenden japanischen Rechtslage Drittstaateneinkünfte nicht in die Bemessungsgrundlage von beschränkt Steuerpflichtigen einbezogen, was zu einer ausschließlichen Besteuerung in Vietnam geführt hätte. Aus Sicht Deutschlands liegt im bilateralen Verhältnis eine doppelte Nichtbesteuerung vor. In solchen Fällen greift der als Treaty Override wirkende § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG ein, wonach das Besteuerungsrecht wieder an Deutschland zurückfällt, wenn die Betriebsstättengewinne nach dem Recht des Betriebsstättenstaates nur im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht zu den steuerpflichtigen Einkünften gehören.104 Der mit der abkommensrechtlichen Beschränkung der vietnamesischen Quellenbesteuerung einhergehende Verzicht erfolgt nach wie vor gegenüber Deutschland. Wird hierbei vergegenwärtigt, dass Vietnam gemäß Art. 11 Abs. 2 DBA Vietnam dennoch den begrenzten Quellensteuersatz wegen des anwendbar bleibenden DBA mit dem Ansässigkeitsstaat (Deutschland) anwenden muss, kommt die Betriebsstätte aus abkommensrechtlicher Sicht wirtschaftlich in den Genuss des begrenzten Quellensteuersatzes (der in Japan jedoch nicht angerechnet werden kann105).106 Diese Quellenbesteuerungsbegrenzung 103
Siehe Fett, Emily, Triangular Cases, Diss. 2013, S. 154 – 156. BMF vom 16. 04. 2010 IV B 2 Schreiben betr. Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften, BStBl. I S. 354, Tz. 4.1.1.2.4. 105 Wurde im Rahmen der Reform jedoch vorgeschlagen. Siehe hierzu auch: Okada, Yoshiyasu/Arai, Yumiko, in: Reimer/Schmid/Orell (Hrsg.), Permanent Establishments – A Domestic Taxation, Bilateral Tax Treaty and OECD Perspective, 4. Aufl., 2015, Japan, S. 28. 106 Nach neuer japanischer Rechtslage ist das nicht mehr der Fall. Wegen des mit der Reform eingeführten separate entity approach in das innerstaatliche japanische Recht ist nun auch eine grundsätzliche Besteuerung der Drittstaateneinkünfte vorgesehen. Die ausländische Steuer wird jedoch auf die Betriebsstättensteuer angerechnet. Es bleibt bei der abkommensrechtlichen Freistellung von der deutschen Besteuerung nach Art. 7 Abs. 1 DBA Japan. 104
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unterwandert das Reziprozitätsprinzip des Abkommens zwischen Deutschland und Vietnam.107 Im Doppelbesteuerungsabkommen beruht der Steuerverzicht auf dem Prinzip dieser bilateralen Gegenseitigkeit. Indem die Begrenzung der Quellensteuer im Verhältnis Ansässigkeitsstaat und Quellenstaat aber Anwendung findet, werden faktisch Japan die wohlfahrtsmaximierenden Abkommensvergünstigungen gewährt, die nicht mit Japan in einem Abkommen für diesen Fall ausgehandelt wurden und mithin unter dem Gesichtspunkt des Reziprozitätsprinzips systemwidrig108 sind. Die Vergünstigung ist aus dem Blickwinkel der Doppelbesteuerungsvermeidung zu sehen. Die Begrenzung des Quellensteuersatzes mildert die Doppelbesteuerung im Verhältnis Japan und Vietnam. Die Unterwanderung des Prinzips kann grundsätzlich zu einer Hemmung der Verhandlungsbereitschaft für neue Abkommen oder neue Klauseln führen,109 weil diese sich wirtschaftlich auswirkenden Vergünstigungen nicht mehr durch ein Abkommen ausgehandelt werden müssten. 110 Allerdings hat diese Systemwidrigkeit für den konkreten Fall noch keine faktische steuerliche Konsequenz. Der innerstaatliche Quellensteuersatz in Vietnam liegt bei 5 Prozent und damit sogar unter der abkommensrechtlichen Quellensteuerbegrenzung.111 Aus dem Blickwinkel einer möglichen systemwidrigen Gestaltung sind zudem nur Fälle betroffen, in denen der Betriebsstättenstaat auch ein Niedrigsteuerland ist. 112 Niedrigsteuerländer sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass diese für Einkünfte aus Vermögensverwaltung und Finanzierungsgeschäften keine oder niedrige Besteuerung vorsehen.113 Nach altem japanischen Recht wäre das der Fall gewesen, da die Drittstaateneinkünfte von der Besteuerung außen vor gelassen wurden.114 Faktisch steuerliche Konsequenzen hat diese Systemwidrigkeit hingegen erst, wenn Vietnam mehr als den begrenzten Quellensteuersatz von 10 Prozent nach innerstaatlichem Recht hätte erheben können. Theoretisch ist es nämlich bei einem 107 Siehe allgemein zur Unterwanderung des Reziprozitätsinteresses Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 165 und 199 m.w.N. 108 Siehe Report on Triangular Cases von der OECD am 23. 07. 1992, übernommen und unter R (11) im OECD-Musterkommentar abgedruckt. Zitatstelle unter R (11)-8 Tz 44. Allerdings wird keine Verletzung des Reziprozitätsprinzips angenommen, wenn es an einem Abkommen mit dem Ansässigkeitsstaat fehlt. 109 Siehe Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 165 und 199 m.w.N. 110 Gleiches gilt im Fall der alten japanischen Rechtslage. Ohne die deutsche Rückfallklausel des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG würde der Steuerpflichtige neben der ohnehin bereits vorliegenden Nichtbesteuerung im Verhältnis von Deutschland und Japan auch durch eine begrenzte Quellenbesteuerung begünstigt. 111 Siehe hierzu III. 1. a). 112 Nach neuer Rechtslage ist das bei Japan nicht mehr der Fall. Siehe zu den Einzelheiten m.w.N. III. 1. c). 113 Prokisch, Rainer, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Anhang zu Art. 1: Internationale Steuerumgehung, Treaty Shopping, Einschränkung der Abkommensberechtigung, Rn. 120 t. 114 Siehe hierzu im Einzelnen III. 1. c).
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Niedrigsteuerland als Betriebsstättenstaat möglich, die Gesamtbelastung von Quellensteuer und Betriebsstättensteuer unter die Steuerbelastung abzuschmelzen,115 die bei einer direkten Darlehensvergabe vom Stammhaus und dem Unternehmen im Quellenstaat vorliegen würde. Das wird an den nachfolgenden Beispielen einer Darlehensdirektvergabe über das Stammhaus und einer Vergabe über die Betriebsstätte wie im „Song Bung 2“-Fall verdeutlicht: Wendet Vietnam einen innerstaatlichen Quellensteuersatz an, der höher ist als 10 Prozent, so läge bei einer direkten Darlehensvergabe über das deutsche Stammhaus rechnerisch die steuerliche Gesamtbelastung bei 15 Prozent. Die durch das DBA auf 10 Prozent begrenzte vietnamesische Quellensteuer wird in einem solchen Fall auf die deutsche Körperschaftsteuer von 15 Prozent angerechnet. Erfolgt dagegen die Darlehensvergabe wie im „Song Bung 2“-Fall über eine Betriebsstätte im Niedrigsteuerland, läge die steuerliche Belastung unter 15 Prozent, wenn die Betriebsstättenbesteuerung bei kleiner als 5 Prozent liegt. Denn die begrenzte Quellenbesteuerung würde aufgrund des DBA zwischen Ansässigkeitsstaat und Quellenstaat grundsätzlich zur Anwendung kommen, weil die Zahlung an die Betriebsstätte dem Stammhaus im Anssäsigkeitsstaat zugerechnet werden würde, sodass aus Sicht des Quellenstaates die Quellensteuer auf 10 Prozent begrenzt werden müsste und mithin die steuerliche Belastung sich auf kleiner als 15 Prozent abhängig von der Betriebsstättenbesteuerung reduziert. Vietnam würde in einem solchen Fall auf Steuern in Höhe der Differenz zwischen abkommensrechtlich begrenzter Quellensteuer und dem innerstaatlichen Quellensteuersatz zugunsten des Betriebsstättenstaates verzichten. Indem Vietnam mit seinem DBA-Anwendungserlass aber von vornherein bei Dreieckssachverhalten die Anwendung des DBA mit dem Ansässigkeitsstaat verneint, verhindert es, dass im Fall einer Erhöhung des innerstaatlichen Quellensteuersatzes seine abkommensrechtliche Vergüngstigung systemwidrig einem Drittstaat faktisch zugutekommt.116 Solche Erwägungen sind in der Abkommenspraxis nicht fremd. Missbrauchsvorschriften gegen ähnlich systemwidrige Steuergestaltungen mit Betriebsstätten im Dreieckssachverhalt lassen sich in einigen DBA mit den USA finden. Im DBA zwischen Deutschland und den USA etwa wird die soeben beschriebene Gestaltung mit Art. 28 Abs. 5 DBA USA ausgehebelt.117 Danach lebt abkommensrechtlich im Ergebnis das Quellenbesteuerungsrecht der USA wieder auf, wenn der Betriebsstättenstaat die Eigenschaft eines Niedrigsteuerlandes erfüllt.118 Ohne eine solche Klausel würden weder Deutschland aufgrund des Art. 7 115
Siehe hierzu auch Heinsen, Oliver, Behandlung von Dreieckssachverhalten unter Doppelbesteuerungsabkommen, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., 2011, S. 1843, 1851. 116 Ähnlich bezüglich der unberechtigten Vorteile für einen Drittstaat im Fall von Zwischengesellschaften: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 199 m.w.N. 117 Siehe allgemein zum USA-Fall Heinsen, Oliver, Behandlung von Dreieckssachverhalten unter Doppelbesteuerungsabkommen, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., 2011, S. 1843, 1851. 118 Für Beispiele: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 212 – 214 m.w.N.
V. Widerspruch der vietnamesischen Auffassung zur OECD-Dogmatik
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Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 a) DBA USA noch die USA wegen der Freistellung gemäß Art. 11 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 a) DBA USA die Zinseinkünfte besteuern. Dadurch würde nur die deutlich niedrigere Steuer im Betriebsstättenstaat anfallen. Weder die innerstaatliche Quellensteuer gemäß § 871 (a) (1) (A) des US-Internal Revenue Code von 30 Prozent noch die deutsche Körperschaftsteuer von 15 Prozent kämen (unter Berücksichtigung des § 20 Abs. 2 AStG119) zur Anwendung. Die Gestaltung über ein Niedrigsteuerland unter Nutzung der abkommensrechtlichen Begrenzung des Quellensteuerrechts verdeutlicht die Systemwidrigkeit der Gewährung von Abkommensvergünstigungen. Das Reziprozitätsprinzip wird durch diese Dreiecksgestaltungen ohne solche Missbrauchsvermeidungsvorschriften wie Art. 28 Abs. 5 DBA USA verletzt.
3. Zwischenergebnis und Auswertung Während das Konzept des Nutzungsberechtigten unter begriffssystematischen Gesichtspunkten nur unter erheblichen Bedenken auf Betriebsstätten angewendet werden kann, spricht hingegen die Funktion des Konzepts, Missbrauchs-Gestaltungen vorzubeugen, für seine Anwendung auf Betriebsstätten. Fraglich bleibt dabei, ob die Wesensverschiedenheit von Betriebsstätte und Stammhaus allein wegen einer missbräuchlichen Gestaltung aufgehoben werden kann. Zweifel an der Richtigkeit dieser abkommensdogmatischen Wesensverschiedenheit kommen auf, wenn das Abkommensrecht in einen wirtschaftspolitischen Kontext gesetzt wird. Bislang wurde nur untersucht, welche unmittelbaren Folgen die Anwendung des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten für das Abkommenssystem hat.120 In diesem Zusammenhang wurde der mit dem Konzept des Nutzungsberechtigten verfolgte Zweck, missbräuchliche abkommensrechtliche Gestaltungen zu verhindern, erörtert, um eine mögliche vergleichbare Interessenslage in Fällen der Betriebsstätte zu identifizieren.121 Eine solche wurde zwar identifiziert, doch die Schnittmenge ist durch die isolierte Betrachtung des Funktionszwecks des Nutzungsberechtigten geprägt gewesen. Wird das Abkommen auch als wirtschaftspolitisches Instrument wahrgenommen, lässt sich der Zweck des Konzepts des Nutzungsberechtigten in den Kontext der verfolgten übergeordneten Ziele im Sinne wirtschaftspolitischer Interessen setzen. Untersucht werden kann dann, ob das Instrument des Nutzungsberechtigten den von Vietnam verfolgten wirtschaftspolitischen Interessen konkret dient. 119
Siehe Heinsen, Oliver, Behandlung von Dreieckssachverhalten unter Doppelbesteuerungsabkommen, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., 2011, S. 1843, 1851. 120 Siehe V. 1. 121 Siehe V. 2.
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VI. Wirtschaftspolitische Interessen Vietnams als rationale Begründung Nachfolgend soll ermittelt werden, welche wirtschaftspolitischen Interessen Vietnam mit der Erforderlichkeit einer Nutzungsberechtigung für das Vorliegen der Abkommensberechtigung mit aller Wahrscheinlichkeit konkludent verfolgt. Das erfordert folgende Vorgehensweise: Die wirtschaftspolitische Interessenssituation muss zunächst im Zusammenhang mit den Folgen der DBA-Anwendungssituation bei Dreieckssachverhalten erörtert werden. Anschließend ist zu prüfen, ob die wirtschaftspolitischen Interessen Vietnams an der Anwendbarkeit des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten bereits mit Hilfe des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit verwirklicht werden können. Als Argumentationshilfe ist hierfür die aktuelle Diskussion über die Behandlung der Betriebsstätte als Adressat von Abkommensvergünstigungen hilfreich.122
1. Einleitung: Interessenslage bilateraler Zusammenarbeit Allgemeiner Zweck bilateraler Zusammenarbeit ist zunächst, sich mittels Verhandlungen auf diplomatischer Ebene einem bestimmten ausgewählten Partner anzunähern,123 um mit der Umsetzung von Abkommen gemeinsame wirtschaftliche Ziele erreichen zu können. Nahezu jede Nationalökonomie, die nicht gemäß einer sozialistischen Planwirtschaft eine Abschottungspolitik verfolgt, strebt zwecks Wohlfahrtssteigerung den Abbau von kostenmaximierenden und wettbewerbsverzerrenden Handelsbeschränkungen an, wie Transport- und Kommunikationskosten, Zölle, Importquoten, Exportbeschränkungen, Preis-Dumping, Produktmarktregelungen, staatliche Beschaffungspolitik und Doppelbesteuerungen, um nur einige zu nennen (sogenannte negative Integration). Belange, die Drittstaaten betreffen, dürften gemäß der Natur bilateraler Übereinkommen unberücksichtigt bleiben (Reziprozitätsprinzip),124 insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich jeder Staat nach Entwicklungsstand, Handelsstruktur und Interessen wesentlich von anderem unterscheidet und gesonderter Vereinbarungen bedarf. Entscheidend ist daher, dass die Zusammenarbeit nur mit dem strategisch ausgewählten Partner vollzogen wird.125 Hiervon hängt letztlich der Erfolg der ei-
122
Zur Gesamtproblematik: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013. Äußerst selten ist der Fall einer einseitigen Annäherung: Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 184 f. bzw. Rn. 1012. 124 Die Reziprozität ist nicht nur rechtlich zu verstehen, sondern vor allem auch auf diplomatischer Ebene. 125 Ähnlich: Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 164 bzw. Rn. 887. 123
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genen volkswirtschaftlichen Stabilisierung und der Wohlfahrtsmaximierung ab.126 Die internationale Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Art ermöglicht die Einflussnahmemöglichkeit. Sie stärkt in der Sprache des politischen Realismus die Machtposition der jeweiligen Nationalökonomie in der Staatengemeinschaft.127 Mit der größeren Einflussmöglichkeit gehen auch die Etablierung und Stärkung der eigenen Nationalökonomie einher. Mag es aus funktionaler Sicht vernünftig erscheinen, den Drittstaat für die Schaffung eines staatenübergreifenden Produktionsund Verteilungssystems in irgendeiner Weise in der bilateral ausgerichteten Zusammenarbeit zu berücksichtigen, so liegt es im grundsätzlichen politischen Interesse der Vertragsstaaten, dass nur sie beide Nutzen aus den Vorteilen ihrer Zusammenarbeit ziehen können. Gründe, weshalb ein Drittstaat profitieren sollte, ohne im Rahmen von Verhandlungen eigene Zugeständnisse machen zu müssen, bestehen im Grundsatz nicht und sind in der Regel nur auf den Fall beschränkt, in dem der Drittstaat verdeckt oder offen in politischer oder wirtschaftlicher Sicht dem Lager eines der beiden oder beider Vertragspartner zuzurechnen ist. Der Schutz dieser Gegenseitigkeit der Vorteilsgewährung wird durch das Reziprozitätsprinzip gewährleistet. Von dieser außenpolitischen Wirklichkeit geht auch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge in Art. 35 aus, wonach ausdrücklich eine Zustimmung des Staates für etwaige Verpflichtungen gegenüber einem anderen Staat erforderlich ist. Die bilaterale Verbindung wird durch die Qualität der internationalen bilateralen Beziehung bestimmt, die sich durch die über Jahre zur Konfliktlösung eingeschlagenen Wege nachzeichnen lässt.128
2. DBA und wirtschaftspolitische Reziprozität Nicht anders verhalten sich diese Grundsätze im Hinblick auf die Verhandlungen zu den Doppelbesteuerungsabkommen. Abkommensverhandlungen dienen nicht nur der Verhandlung über den Steuerverzicht, sondern verfolgen vielmehr den Zweck, eines von vielen Handelshemmnissen abzubauen.129 Die Abkommensverhandlungen stehen insgesamt im Lichte sonstiger bilateraler Übereinkommen und Zusammenarbeit, die insbesondere einerseits die volkswirtschaftliche Verflechtung intensivieren und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft sicher126 In Form einer internationalen Wohlstandsmaximierung siehe Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 68 bzw. Rn. 369 f. und als Erhaltung des Stabilisierungsprozesses zur Vermeidung grenzüberschreitender Wirtschaftskrisen; ders., S. 353, Rn. 1810. 127 Ähnlich: Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 166 bzw. Rn. 897. 128 Ebenda, S. 456 bzw. Rn. 2283. 129 Zur Abkommenspolitik als wirtschaftspolitisches Instrument: Kreienbaum, Martin, Die Abkommenspolitik als wirtschaftspolitisches Argument, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 49, Rn. 1.
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stellen sollen.130 Die Verletzung des Reziprozitätsprinzips bei der wirtschaftlichen Zuweisung von Abkommensvergünstigungen zu einem Drittstaat hemmt neue Abkommensverhandlungen und unterwandert die eigene außenpolitische Einflussnahmemöglichkeit sowie Machtposition.131 Ein Drittstaat benötigt unter Umständen keine neuen oder weiteren Abkommensverhandlungen, wenn seiner Volkswirtschaft bereits die Abkommensvergünstigungen mittelbar zugute kommen. Gleiches gilt für den Vertragspartner. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der bei ihm ansässigen Unternehmen wird durch die Abkommensvergünstigungen gestärkt. Hiervon profitiert der Vertragspartner mittelbar. Die mit den Abkommensvergünstigungen einhergehende Kostenminderung wirkt sich gegebenenfalls positiv auf die Struktur der Handelsströme aus. „Wirtschaftspolitische Stellschrauben“ der Verteilung der Abkommensvergünstigungen sollen daher hinreichend über die bilaterale Entscheidung erfolgen, wann wer auf sein Besteuerungsrecht verzichten soll und vor allem wie.132 Diese möglichen Folgen müssen von der politischen Vorsicht des jeweiligen Staates umfasst sein. Das heutige Bündnis könnte sich bereits morgen in eine Rivalität wandeln und bedingt diese Vorausschau, wenn kein Ordnungssystem wie die Europäische Union langfristige Stabilität für die Bündnisse schafft. a) Reziprozität und Drittstaaten Im Fall, dass doch Interessen von mehr als zwei Vertragspartnern gebündelt werden sollen, müssen entsprechende Rahmenbedingungen vereinbart werden, die den Wirkungskreis der Abkommensvergünstigungen auch auf Drittstaaten vergrößern. Streben beispielsweise beide Staaten einen integrierten Binnenmarkt für Güter und Produktionsfaktoren mit dem Drittstaat an, so liegt es nahe, wie bei der Europäischen Union neben einer negativen Integration soweit wie möglich auch die nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend zu harmonisieren (sogenannte positive Integration).133 Das Reziprozitätsprinzip verliert in solchen Fällen insoweit einen seiner herkömmlichen Zwecke, nämlich den, das politische Interesse sicherzustellen, dass etwaige Vorteile nur den jeweiligen beiden Vertragsstaaten zukommen sollen. Mit den Abkommensvergünstigungen werden die Hürden für den Kapital-, Waren- und Personenverkehr gesenkt.
130
Ebenda, S. 49, Rn. 2. Siehe auch allgemein zu bilateralen Verträgen: Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 296 bzw. Rn. 1591. 132 Siehe Kreienbaum, Martin, Die Abkommenspolitik als wirtschaftspolitisches Argument, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 50, Rn. 4. 133 Es spricht für sich selbst, dass der Vergleich in Abhängigkeit zur Harmonisierungs- und Integrationstiefe steht, da die steuerliche Souveränität gem. Art. 114 Abs. 2 AEUV von der Harmonisierung zwar ausgeschlossen ist, jedoch vom Diskrimierungs- und Beschränkungsverbot weiterhin berührt wird. 131
VI. Wirtschaftspolitische Interessen Vietnams
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b) Vietnams Reziprozitätsinteressen Vor dem Hintergrund dieser Parameter lässt sich hier im konkreten Fall kein mit einem EU-Mitgliedsstaat vergleichbares Interesse Vietnams an der Ausdehnung von Abkommensvergünstigungen auf Drittstaaten erkennen. Die Marktintegration unter anderem mittels rechtlich supranational verbindlicher Harmonisierung der Rahmenbedingungen (vor allem in Form der Grundfreiheiten) ist letztlich ein europäisches Projekt, das für sich allein steht und nicht etwa in der Gestalt des Verbands Südostasiatischer Staaten (Association of South-East Asian Nations, nachfolgend: ASEAN) eine Nachahmung gefunden hat.134 Die ASEAN folgt in ihrer ASEANCharta zwecks Integrationsförderung des regionalen Güter- und Faktorenmarkts zwar explizit den die EU bestimmenden Grundfreiheiten.135 Die ASEAN-Charta ist jedoch nicht rechtlich verbindlich. Der Verbund ist vielmehr eine unverbindliche Kooperation südostasiatischer Staaten. Sie hat den Zweck, dass diplomatische Fundament einer stabilen zwischenstaatlichen Beziehung zu legen. Auf diesem sollen zur regionalen Wohlfahrtssteigerung und zum Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen die internationalen wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen werden.136 Eine dem Europäischen Gerichtshof angenäherte Institution, die die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Zwecke einer ASEAN-Integration und -Harmonisierung supranational durchsetzen könnte, existiert nicht.137 Für einen Staat, der in einer der Marktharmonisierung fernen und vom starken Wettbewerb um ausländische Investitionen geprägten Region liegt, besteht stattdessen die Gefahr, dass eine faktische Erweiterung der Abkommensvergünstigungen zugunsten von Drittstaaten unter Ausnutzung der Abkommensmechanismen erzwungen wird, weil verdeckt oder aufgrund der wirtschaftlichen Macht offene Bündnisse zwischen Abkommensstaat und Drittstaat bestehen. Das Reziprozitätsprinzip wird so unterwandert. c) Vietnams Reziprozitätsinteressen und Dreieckssachverhalte Im Fall der Drittstaatenproblematik bei Betriebsstätten könnte eine solche aus Sicht des Quellenstaates unerwünschte Erweiterung der Abkommensvergünstigungen auf Drittstaaten, wie oben erläutert, durch die Anwendung des Abkommens zwischen Ansässigkeitsstaat und Quellenstaat eintreten, da dann der Quellenstaat nur ein begrenztes Quellensteuerrecht hätte, während der Betriebsstättenstaat die Ein-
134
102. 135 136 137
Siehe Phan, Dinh Viet Tuyen, ASEAN Tax Law: A Culture Clash, APTB, 2012, S. 101, Ebenda, 102 – 105. Ebenda, S. 102. Ebenda, S. 101.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
künfte vollständig besteuert.138 Dieser Unterwanderung des Reziprozitätssprinzips setzt Vietnam – als Quellenstaat – die Nichtanwendung sämtlicher Abkommen entgegen, die in diesem Rahmen in Betracht kommen. Diese Reaktion Vietnams lässt sich dahingehend übersetzen, dass es sich dann nicht mehr an das jeweilige Abkommen gebunden fühlt, wenn die Situation eintritt, in der der nicht in das Abkommen zwischen Vietnam und Ansässigkeitsstaat einbezogene Drittstaat von den abkommensrechtlichen Steuerverteilungsentscheidungen profitiert und dadurch seine Volkswirtschaft stärkt.139 Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Vietnam und dem Ansässigkeitsstaat soll gerade nur diesen beiden Staaten zwecks Stärkung ihrer Volkswirtschaften dienen und nicht dem Drittstaat. Der Steuerverzicht auf Seiten Vietnams erleichtert (im Zusammenspiel mit anderen investitionsfördernden Faktoren) Investitionen aus dem Ansässigkeitsstaat. Die Nationalökonomie des Ansässigkeitsstaates wird hingegen durch einen langfristigen Erfolg der Investitionen in Vietnam gestärkt. Eine entsprechende Stärkung des Drittstaates ohne ausgehandelte Vorteile für Vietnam steht den Interessen Vietnams daher entgegen. Die angespannte Wettbewerbssituation und die Aufstiegsbemühungen der Volkswirtschaft Vietnams zu einem gegenüber China alternativen Investitionsstandort140 erfordern nicht nur, jede Möglichkeit einer gemeinsamen überstaatlichen Zusammenarbeit zu nutzen; die mit dieser Vernetzung einhergehenden Interessenskollisionen verlangen vor allem auch, keine Nachteile auf sich zu bürden, wenn hierfür keine Gegenleistungen erbracht werden. Insbesondere in Fällen, in denen der Ansässigkeitsstaat mittelbar volkswirtschaftlich über die Investitionsgestaltung mit dem Drittstaat gestärkt werden könnte, sind ausdrückliche oder konkludente Zugeständnisse zu vermeiden. „Gegenleistungsfreie Zugeständnisse“ führen zur Untergrabung der Verhandlungsposition bei der Aushandlung der Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit.141 Aus taktischer Sicht kann daher die gemäß vietnamesischem Recht ausgelöste Nichtanwendung sämtlicher in diesem Rahmen in Betracht kommender Abkommen bei dem hier untersuchten Dreieckssachverhalt den Weg zu einer stärkeren Verhandlungsposition Vietnams ebnen. Sobald nach nationalem Recht die Quellensteuer auf mehr als 10 Prozent heraufgesetzt wird, ist die systemwidrige Betriebsstättengestaltung über ein Niedrigsteuerland attraktiv, jedoch aufgrund der im vietnamesischen DBA-Anwendungserlass vorgesehenen Nichtanwendung der Abkommen nicht mehr durchführbar. Die Quellensteuerbegrenzung aus dem DBA mit dem Ansässigkeitsstaat findet keine Anwendung, sodass die niedrige Besteuerung im Betriebsstättenstaat von Vietnam aufgesaugt wird. Vietnam könnte – je nach Differenziertheit der Gesamtschau anderer die Verhandlungspo138 Ausführlich zum Reziprozitätsprinzip bei Dreieckssachverhalten: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 154 – 156. 139 Zur Auflösung von Allianzen durch die Verletzung des Reziprozitätsprinzips siehe Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 191 bzw. Rn. 1048. 140 Siehe hierzu Teil 1 II. 2. 141 Allgemein bei internationalen Verhandlungen: Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 77 bzw. Rn. 416.
VI. Wirtschaftspolitische Interessen Vietnams
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sition begründender Faktoren – einerseits dem Ansässigkeitsstaat für die Anwendung des DBA in solchen Fällen weitere Zugeständnisse abverlangen, andererseits könnte Vietnam mit dem Betriebsstättenstaat beziehungsweise Niedrigsteuerland über das Thema „Abkommensvergünstigung für Betriebsstätten“ in Verhandlungen treten. Die Gefahr einer Kündigung des Abkommens durch den Ansässigkeitsstaat ist in solchen Fällen gering, da die Auswirkung der Nichtanwendung unter dem Gesichtspunkt des abkommensrechtlichen Reziprozitätsprinzips zu beurteilen ist. Es bestehen keine Gründe, in der Vorgehensweise Vietnams eine unangemessene Verteilung des Steueraufkommens zu erblicken. Auslöser dieser Maßnahmen waren vielmehr die vom Vertragsstaat gebilligte Steuergestaltung, in der durch Einsatz eines Betriebsstättenniedrigsteuerlandes die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft des Ansässigkeitsstaates gestärkt wird. Die Kombination von Betriebsstättenniedrigbesteuerung und abkommensrechtlich beschränkter Quellenbesteuerung unterwandert die bilaterale Zusammenarbeit. Selbst im Rahmen eines Verständigungsverfahrens im Sinne des Art. 25 OECD-MA, worin die Staaten sich über die Lösung des Falles einigen könnten, kann ein etwaiges Scheitern der Verständigung Vietnam nicht zum Vorwurf gemacht werden. Ein solcher Fall ist von dem brasilianischen Fall zu unterscheiden. In diesem wurde unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Verfahrenseffizienz des Verständigungsverfahrens das Abkommen zwischen Deutschland und Brasilien am 07. 04. 2005 von Deutschland aufgekündigt.142 Im vietnamesischen Fall wäre ein Scheitern der Verständigung der bisherigen Uneinigkeit über die Behandlung von Dreieckssachverhalten mit Betriebsstätten geschuldet und nicht einer Verweigerung Vietnams an einer Zusammenarbeit. Ferner noch dürfte – gemessen am innerstaatlichen Postulat Vietnams, flexibel auf die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Geschehnisse reagieren zu können – das Verständigungsverfahren für Vietnam ein adäquates Mittel sein, seine auf stetige Verhandlung ausgelegte Politik zu verwirklichen und fortzusetzen. Zugleich ist auch zu berücksichtigen, dass es aufgrund der unterschiedlichen rechtsstaatlichen Strukturelemente143 weiterhin in Vietnams Belieben steht, störende Einwirkungen von außen auf innere gesellschaftspolitische Vorgänge auszuschließen und die Freizügigkeit und den privaten Außenhandel selektiv zu verbieten.
142 Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Föderativen Republik Brasilien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, vom 27. Juni 1975 (BGBl. II 1975, S. 2246), am 7. April 2005 gekündigt (BGBl. II 2005, S. 599). 143 Siehe Teil 1 III. 1. a) bb) (2).
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VII. Auffassungen zur Abkommensberechtigung von Betriebsstätten Das soeben herausgearbeitete wirtschaftspolitische Interesse Vietnams lässt sich mit der analogen Anwendung des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten zwar teilweise verwirklichen. Zum Ausdruck kommt jedoch nicht, dass wirtschaftspolitisch die eigene Wohlfahrtsmaximierung an erster Stelle steht. Die mit dem Konzept des Nutzungsberechtigten verfolgte Verhinderung eines Abkommensmissbrauchs dient schwerpunktmäßig als ein Instrument, mit dem eine gerechte Verteilung des Steuersubstrats in Abhängigkeit von der gerechten Steuerbelastung des Einzelnen hergestellt werden soll. Die Frage, ob das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in Gestaltungsmissbrauchsfällen aufgehoben werden dürfe, ist mithin zwar zu verneinen. In einem wirtschaftspolitischen Kontext aber bestehen erhebliche Zweifel an der Aufrechterhaltung des Über- und Unterordnungsverhältnisses. Das wirtschaftspolitische Interesse muss ins Abkommensrecht operationalisierbar sein. Das könnte mit Hilfe der immer öfter vertrenenen Ansicht erfolgen, dass Betriebsstätten vergleichbar mit selbstständigen Unternehmen seien. Ist die Betriebsstätte wie ein selbstständiges Unternehmen zu behandeln, spricht vieles auch dafür, ihr die Nutzungsberechtigungsfähigkeit zuzusprechen. Als Argumente für diese Vergleichbarkeit werden regelmäßig der Quasiansässigkeitsbesteuerungscharakter144 der Betriebsstättenbesteuerung, das Diskriminierungsverbot von selbstständigen Unternehmen und Betriebsstätten in Art. 24 Abs. 3 OECD145 und die Gewinnabgrenzung nach dem Separate Entity Approach146 genannt. Weitere Argumente sind die in der Praxis und Academia bereits gefällten Streitentscheidungen über die Anwendbarkeit von Abkommensvergünstigungen auf Betriebsstätten sowie die in der EU-Richtlinie formulierte Definition der Nutzungsberechtigung in Bezug auf Betriebsstätten.147 Im Folgenden wird geprüft, ob die Vergleichbarkeit zwischen Betriebsstätte und Stammhaus abkommensrechtlich als zulässige Begründung für die Aufhebung des Über- und Unterordnungsverhältnisses herangezogen werden kann.
1. Vergleichbarkeit mit selbstständigen Unternehmen In der Abkommenspraxis ist es nicht gänzlich unbekannt, Betriebsstätten zumindest Abkommensbegünstigungen – wenn nicht auch schon die Abkommens144 145 146 147
Hierzu: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 178 und S. 336 m.w.N. Hierzu ausführlich: Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 178 m.w.N. Ebenda, S. 195 m.w.N. Ebenda, S. 339 f. m.w.N.
VII. Auffassungen zur Abkommensberechtigung von Betriebsstätten
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berechtigung – zuzusprechen. So werden der Betriebsstätte im Abkommen in Art. 25 Abs. 2 b) DBA Frankreich-Italien die Abkommensvergünstigungen bei den passiven Einkünften zugestanden.148 Eine vollumfängliche Abkommensberechtigung hat der High Court of Justice of England and Wales der Betriebsstätte im sogenannten Commerzbank-Fall gewährt, und zwar mit der Begründung, im streitgegenständlichen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien (1945) seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Betriebsstätte von der Abkommensbegünstigung ausschließen.149 Das streitgegenständliche Abkommen hatte keine wie sonst in anderen Abkommen üblichen Regelungen zum persönlichen Anwendungsbereich, sodass das Gericht keinen Ausschluss der Betriebsstätte aus dem persönlichen Anwendungsbereich erblicken konnte. Neben dieser Entscheidung spricht eine Vielzahl von weiteren Gründen für die Zuweisung von Abkommensvergünstigungen zur Betriebsstätte: Die Betriebsstätte dient als Gradmesser für die wirtschaftliche Zugehörigkeit einer bestimmten wirtschaftlichen Betätigung zu einer Volkswirtschaft und kann als ein die Grenzen überschreitender verlängerter unternehmerischer Arm des Stammhauses in die mit der dortigen fremden Volkswirtschaft verwobenen öffentlichen Güter betrachtet werden. Es liegt mithin nahe, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es gleichgültig sei, ob das Stammhaus sich mit einer Betriebsstätte oder mit einer Tochtergesellschaft im anderen Staat wirtschaftlich betätige; die Unterschiede in wirtschaftlicher Hinsicht erscheinen marginal.150 Auch in Bezug auf den Wettbewerb mit den dort ansässigen Unternehmen lässt sich formulieren, dass sich im Hinblick auf die Aktivitäten am Markt insoweit keine wesensverschiedenen Merkmale erkennen ließen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.151 Diese Auffassung würde zudem durch das Abkommen selbst gestützt werden. Nach Art. 24 Abs. 2 OECD-MA darf die Betriebsstätte nicht schlechter gestellt werden als ein in vergleichbarer Situation befindliches selbstständiges Unternehmen,152 sodass daraus abgeleitet werden könnte, das Abkommensrecht gehe von der Wesensgleichheit von Betriebsstätte und selbstständigen Unternehmen aus. Ein solches Ergebnis wurde auch durch ein kürzlich vor dem portugiesischen Steuertribunal beendetes Steuerstreitverfahren bestätigt. In diesem wurden einer portugiesischen Betriebsstätte mit inländischen Dividendeneinkünften unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbots die gleichen steuerlichen Vergünstigungen zugesprochen wie einer inländischen juristischen Person in vergleichbarer Situation. Die Betriebsstätte
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Siehe hierzu ausführlich Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, Ch. 7.2.3. Siehe Commerzbank-Fall ausführlich besprochen in Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, Ch. 7.2.9.1. m.w.N. 150 Siehe Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 178 f. 151 Ebenda. 152 Ebenda, S. 107 – 144. 149
152
Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
wurde der inländischen juristischen Person gleichgestellt. Hierbei berief sich das entscheidende Steuertribunal auf Art. 24 Abs. 2 DBA Portugal-Brasilien.153 Davon abgesehen spricht auch für die Vergleichbarkeit, dass mit der Abkommensberechtigung letztlich deshalb Abkommensvergünstigungen zugewiesen werden, um eine steuerliche Doppelbelastung zu vermeiden. Eine Mehrfachbelastung hinzunehmen,154 nur weil das Stammhaus nicht mittels einer Tochtergesellschaft, sondern einer Betriebsstätte im anderen Staat wirtschaftet, wirft in Anbetracht der wirtschaftlichen Ähnlichkeit zumindest Zweifel an der Erheblichkeit der Unterschiede zwischen Tochtergesellschaft und Betriebsstätte auf. Auch der EuGH geht in seiner „Saint Gobain“-Entscheidung wohl von diesen Überlegungen aus. Wie im „Song Bung 2“- Fall lag dieser Entscheidung ein Dreieckssachverhalt mit Betriebsstätten zugrunde, nur mit dem Unterschied, dass statt Zinseinnahmen Dividendeneinkünfte von der Betriebsstätte generiert wurden. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden,155 dass der streitgegenständlichen Betriebsstätte die Abkommensvergünstigungen für ihre aus dem Quellenstaat erzielten Dividendeneinkünfte zugesprochen werden müssen, weil sich das Stammhaus mit der Betriebsstätte in einer vergleichbaren Situation wie ein im Inland ansässiges Unternehmen befindet. Ein ansässiges Unternehmen würde wie die Betriebsstätte mit den ausländischen Dividendeneinkünften der Besteuerung unterliegen, jedoch – anders als die Betriebsstätte – aufgrund seiner abkommensberechtigungsfähigen Rechtsform Abkommensvergünstigungen erhalten. Die innerstaatlich vorgeschriebene Nichtgewährung dieser Abkommensvergünstigungen an die Betriebsstätte wertete der EuGH als Diskriminierung und nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar. Die Abkommensberechtigung im Binnenmarktkontext ist daher für Betriebsstätten bejaht worden. Eine relevante Vergleichbarkeit von Betriebsstätte und Tochtergesellschaft lässt sich aus der Entscheidung ableiten: „[…] Wenn danach die im Ausgangsverfahren streitigen Steuervergünstigungen den in Deutschland gelegenen Betriebsstätten ausländischer Gesellschaften versagt werden, sind für letztere Schachtelbeteiligungen über deutsche Betriebsstätten weniger attraktiv, da nach den deutschen Rechtsvorschriften und den Doppelbesteuerungsabkommen nur die deutschen Tochtergesellschaften, die als juristische Personen unbeschränkt steuerpflichtig sind, in den Genuß der betreffenden Steuererleichterungen kommen können, wodurch die freie Wahl der für die Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geeigneten Rechtsform, die Artikel 52 Absatz 1 Satz 2 EG-Vertrag den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich einräumt, eingeschränkt wird. […]“156
153 Zur Besprechung der Entscheidung des Steuertribunals vom 26. 11. 2013, Aktz.: 154/ 201 siehe Nogueira, João Félix Pinto, Portugal: PE and Non-Discrimination Regarding Domestic Relief for Double Economic Taxation, in: Kemmeren, Eric et al. (Hrsg.), Tax Treaty Case Law 2014, S. 293. 154 Siehe Fett, Emily, Triangular Cases, Diss., 2013, S. 181 m.w.N. 155 EuGH-Entscheidung vom 21. 09. 1999 in der Rechtssache C-307/97 „Saint Gobain“. 156 Ebenda, Rn. 43.
VII. Auffassungen zur Abkommensberechtigung von Betriebsstätten
153
Aus diesem Abschnitt der Entscheidungsgründe geht hervor, dass der EuGH stillschweigend davon ausgeht, dass die Ausübung einer Tätigkeit im anderen Mitgliedsstaat durch eine Betriebsstätte im Wesentlichen vergleichbar ist mit der durch eine juristischen Person.157 Der EuGH geht im Ergebnis davon aus, dass die steuerliche Natur der Betriebsstätte sich nicht wie üblich nach dem Territorialitätsprinzip richtet, sondern im Wesentlichen nach dem Ansässigkeitsprinzip. Maßgeblich ist nämlich nicht mehr, dass ein ausländisches Unternehmen mithilfe einer Betriebsstätte im Betriebsstättenstaat Einnahmen generiert, sondern dass das ausländische Unternehmen sich mit den Dividendeneinkünften aus dem Drittstaat in derselben steuerlichen Position befindet wie ein im Inland ansässiges Unternehmen. Das ausländische Unternehmen wird für die Abkommensvergünstigungen faktisch so behandelt, als sei es im Betriebsstättenstaat ansässig. Um diese Quasiansässigkeit der Betriebsstätte auch abkommensdogmatisch darstellbar zu machen,158 musste der EuGH bei seiner Argumentation die Unterscheidung zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen berücksichtigen und europarechtlich die Frage aufwerfen, ob die regelmäßige Ungleichbehandlung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen in dem vorliegenden Fall noch gerechtfertigt sei:159 […] „Inländische und ausländische Gesellschaften befinden sich vor allem deshalb in einer vergleichbaren Lage, weil die unterschiedliche Behandlung in Wirklichkeit erst auf der Stufe der streitigen Steuervergünstigungen auftritt. Diese Vergünstigungen erlauben es den inländischen Gesellschaften, die im Ausland entrichtete Steuer, mit der die Dividenden aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften belastet worden sind, von der Körperschaftsteuer abzuziehen oder diese Dividenden oder Beteiligungen von ihren in Deutschland steuerpflichtigen Einkünften und ihrem dort steuerpflichtigen Welteinkommen auszunehmen. Die Verweigerung dieser Vergünstigungen im Falle ausländischer Gesellschaften, die in Deutschland eine Betriebsstätte unterhalten, hat zur Folge, daß ihre theoretisch auf die „inländischen“ Einkünfte und das „inländische“ Vermögen beschränkte Steuerpflicht sich in Wirklichkeit auf die aus dem Ausland stammenden Dividenden und Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften erstreckt. Für die streitigen Fragen sind die sonstigen Unterschiede zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht ohne Bedeutung, weil das Welteinkommen und das Gesamtvermögen aufgrund der Gewährung der genannten Steuervergünstigungen, die den beschränkt Steuerpflichtigen gerade nicht zugutekommen, weder die von ausländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden noch die Beteiligungen an diesen Gesellschaften umfassen. […]“160 157
Eilers leitet aus der Entscheidung ab, dass in einem europäischen Kontext eine Betriebsstätte genauso zu behandeln sei wie Unternehmen im Betriebsstättenstaat: Eilers, Stephan, Triangular Cases, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 111, Rn. 9. 158 Siehe hierzu auch Schaumburg, Harald, der von einer faktischen partiellen Abkommensberechtigung spricht m.w.N., in: ders, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 700 bzw. Rn. 16.182. 159 EuGH-Entscheidung vom 21. 09. 1999 in der Rechtssache C-307/97 „Saint Gobain“, Rn. 48; siehe auch Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 627 bzw. Rn. 16.34 m.w.N. 160 Ebenda, Rn. 49.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
Die soeben diskutierten Argumente gehen zwar von der Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit aus, geben jedoch keine Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen es auf diese wirtschaftliche Ähnlichkeit ankomme. Aus dem, was zwischen Mitgliedsstaaten der europäischen Union gilt, lassen sich keine zwingenden Schlussfolgerungen für Nichtmitgliedsstaaten herleiten. Gleiches gilt für die behauptete wirtschaftliche Vergleichbarkeit. Aus dieser allein lässt sich kein argumentativer Geltungsanspruch des anzuwendenden Maßstabs ableiten.
2. Vergleichbarkeit im Lichte der Bilateralitätsbeziehungsweise Binnenmarktlogik Die Argumentation zur Vergleichbarkeit von Betriebsstätte und selbstständigen Unternehmen lässt sich also nicht ohne Weiteres auf den vietnamesischen Sonderweg anwenden. Die Differenzierung zwischen Mitgliedsstaaten und Nichtmitgliedsstaaten kann unter abkommensrechtlichen Aspekten auch als Unterscheidung zwischen Binnenmarktwirkung und Bilateralitätswirkung161 des Abkommens formuliert werden.162 Diese Formulierung erlaubt für die Frage der abkommensrechtlichen Relevanz der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit darauf abzustellen, ob das Abkommensrecht hauptsächlich als Instrument zur Schlichtung des Konflikts zweier Steuerhoheiten oder als Instrument zur Herstellung einer internationalen Lastenverteilungsgerechtigkeit verwendet wird. Ob tatsächlich eine solche Unterscheidung abkommensrechtsdogmatisch erforderlich ist, wird nachfolgend an einem typischen vereinfachten steuerplanerischen Betriebsstättenbeispiel erläutert: Steuerplanerisch dienen Betriebsstätten durch ihre hybride Eigenschaft163 zum einen der steuerlichen Abschirmung von der Inlandsbesteuerung im Ansässigkeitsstaat164 und zum anderen als steuerlich quasi-transparentes Vehikel,165 was abkommensrechtlich, aufgrund der Freistellung im Ansässigkeitsstaat, keine steuerliche Belastung auslöst. Die steuerliche Abschirmung gelingt abkommensrechtlich dadurch, dass die Betriebsstättengewinne nur im Betriebsstättenstaat besteuert werden. Die innerstaatliche Zurechnung der Betriebsstätteneinkünfte nach dem Welteinkommensprinzip zur Besteuerungsgrundlage des Stammhauses wird durch die abkommens161 Ähnlich Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 243 f. 162 Siehe hierzu auch VI. 2. 3. 163 Siehe Fett, Emily, Triangular Cases, Diss. 2013, S. 178 f. 164 Heinsen, Oliver, in: Löwenstein/Heinsen/Looks, Betriebsstättenbesteuerung, 2011, S. 29 bzw. Kapitel A, Rn. 57. 165 Ähnl. Mick/Dyckmans, am Beispiel von ausländischen Personengesellschaften, bei denen der Gesellschaftsanteil eines inländischen Gesellschafters eine Betriebsstätte vermittelt, in: Mössner (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 8.49 f.
VII. Auffassungen zur Abkommensberechtigung von Betriebsstätten
155
rechtliche Freistellung steuerlich überschrieben.166 Eine Repatriierung der Betriebsstätteneinkünfte an das Stammhaus bleibt aus Sicht des Ansässigkeitsstaates deshalb auch steuerlich folgenlos, da diese durch die steuerlich quasi-transparente Behandlung abkommensrechtlich schon von einer Berücksichtigung in der Bemessungsgrundlage des Stammhauses freigestellt wurde. Aus Sicht des Betriebsstättenstaates bleibt eine Repatriierung ebenfalls steuerlich unberücksichtigt.167 Die Besteuerung im Betriebsstättenstaat ist letztlich die Besteuerung des Stammhauses als beschränkt Steuerpflichtiger. Steuerplanerisch wird dieser Mechanismus regelmäßig unter Ausnutzung eines Steuergefälles zwischen Stammhaus- und Betriebsstättenstaat verwendet (Steuerarbitrage168).169 Im Gegensatz dazu ist die Gestaltung mit einem selbstständigen Unternehmen von einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung gekennzeichnet, wenn die Gewinne an das Unternehmen repatriiert werden. Eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung liegt beispielsweise vor, wenn sowohl die inländischen Unternehmensgewinne einer Körperschaft gemäß dem Welteinkommensprinzip besteuert werden als auch die anschließende Ausschüttung an die dahinterstehenden ausländischen Anteilseigner (wirtschaftliche Doppelbesteuerung).170 Das ist regelmäßig der Fall.171 Bei der Repatriierung wird zwar die Quellensteuer abkommensrechtlich beschränkt und auch im Ansässigkeitsstaat angerechnet, jedoch nur soweit sie nicht die inländische Steuer übersteigt. Der Überschuss unterliegt der inländischen Besteuerung. Zusammen mit der Quellensteuer liegt eine juristische Doppelbesteuerung vor. Diese Doppelbesteuerung ist in Verbindung mit der Besteuerung der Unternehmensgewinne im Ausland wirtschaftlich doppelt belastet.
a) Bilaterale Ungleichbehandlung von Betriebsstätte und selbstständigen Unternehmen Die am steuerplanerischen Beispiel herausgearbeitete Ungleichbehandlung zwischen Betriebsstätte und inländischer (Tochter-)Gesellschaft resultiert aus dem 166 Siehe Heinsen, Oliver, in: Löwenstein/Heinsen/Looks, Betriebsstättenbesteuerung, 2011, S. 29 bzw. Kapitel A, Rn. 57. 167 Ebenda, S. 33 bzw. Kapitel A, Rn. 70. 168 Zur Steuerarbitrage: Kofler, Georg/Kofler Herbert, Internationale Steuerarbitrage, in: Brähler/Lösel (Hrsg.), Deutsches und internationales Steuerrecht, Festschrift für Christiana Djanani, 2009, S. 382. 169 Siehe Heinsen, Oliver, in: Löwenstein/Heinsen/Looks, Betriebsstättenbesteuerung, 2011, S. 29 bzw. Kapitel A, Rn. 57. 170 Siehe hierzu die Teil 1 vorangestellte Einführung, S. 16. 171 Steuergestaltungen mit Hilfe von Holding-Gesellschaften kann ein mit der Betriebsstätte vergleichbarer steuerlicher Effekt erreicht werden. Das erfolgt in der Regel über Off-ShoreStaaten. Die Tochtergesellschaft muss im Ansässigkeitsstaat keine und nur eine geringe Steuerlast für die Gewinne tragen. Die Ausschüttung an die Holding unterliegt bei einer solchen Gestaltung keiner Quellenbesteuerung. Die Dividendeneinkünfte der Holding sind steuerbefreit bzw. werden nur einer geringen Steuerlast ausgesetzt.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
mit einem bilateralen Abkommen aufgelösten Konflikt zweier wegen ein und desselben Steuersubstrats miteinander konfligierender Steuerhoheiten. Die innerstaatliche Steuerhoheit begründet sich in der Regel durch Welteinkommensprinzip und Territorialitätsprinzip. Daraus leitet sich die grundsätzliche Legitimität einer juristischen oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ab. Die im Fall von Kapitalgesellschaften auftretende wirtschaftliche Doppelbesteuerung in Form dieser Kaskaden-Besteuerung wird abgesehen von unilateralen Maßnahmen vor allem über das Abkommensrecht korrigiert, soweit wesentliche Beteiligungsverhältnisse herrschen. Diese Korrektur erfolgt insoweit, als dass der Quellenstaat hierdurch veranlasst wird, auf sein Besteuerungsrecht mittels des sogenannten Schachtelprivilegs teilweise zu verzichten,172 während der Ansässigkeitsstaat spiegelbildlich im Wege der Anrechnung der ausländischen Steuer auf sein volles Besteuerungsrecht verzichtet. Diese abkommensrechtlich bilateral vereinbarte, zum innerstaatlichen Recht zu lesende Ausnahme erklärt, weshalb es gerade auf die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen ankommt. Mit dieser Differenzierung lässt sich nachzeichnen, welcher der Vertragsstaaten beim Konflikt der Steuerhoheiten auf was verzichtet und wann. Entweder verzichtet der Staat als Ansässigkeitsstaat oder als Quellenstaat. Er verzichtet entweder auf ausländische Einkünfte oder auf inländische. Die abkommensrechtlichen Normen werden daher auch regelmäßig als Verzichtsnormen bezeichnet.173 Diese Verzichtsvereinbarungen sind als Ausnahme174 vom jeweiligen gemäß dem Welteinkommens- und Territorialitätsprinzip innerstaatlich bedingten Besteuerungsrecht zu lesen.175 Dieses grundsätzliche Ausnahmeverhältnis von innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht und mithin die Differenzierung von unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht ist zentraler Ausgangspunkt des bilateralen internationalen Steuerrechts. Dieser Ausgangspunkt bestimmt die Reichweite des vereinbarten Steuerverzichts.
172
Siehe Art. 10 Abs. 2 OECD-MA, wonach bei einer Beteiligung von 25 % an der ausschüttende Gesellschaft die Besteuerung dieser Gesellschaft auf 5 % begrenzt wird (sog. Schachtelprivileg). 173 Siehe nur Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 627 bzw. Rn. 16.34 m.w.N. 174 Auch wenn rechtstechnisch das Abkommensrecht lex specialis ist und damit Anwendungsvorrang gegenüber dem innerstaatlichen Recht hat, lässt sich keine weitere Ableitung für das Ausnahmeverhältnis von grundsätzlicher Ausübung der Steuerhoheit auf das Welteinkommen und bilateraler Übereinkunft über den Verzicht auf das Besteuerungsrecht herleiten. Ähnliches klingt bei Lehner an: Lehner, Moris, Abkommensauslegungen zwischen Autonomie und Bindung an das innerstaatliche Recht, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgabe zum 75. Geburtstag, 2015, S. 15, Rn. 1. 175 Siehe nur Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 626 bzw. Rn. 16.33 m.w.N.
VII. Auffassungen zur Abkommensberechtigung von Betriebsstätten
157
b) Lastenverteilungsgerechte Gleichbehandlung von Betriebsstätte und Unternehmen Von dem Standpunkt einer internationalen Lastenverteilungsgerechtigkeit müsste das im vorigen Kapitel beschriebene Ausnahmeverhältnis von innerstaatlichem Besteuerungsrecht und abkommensrechtlichem Verzicht aufgehoben werden, sodass sich die Reichweite des Steuerverzichts nun nach einer weltweiten Lastenverteilungsgerechtigkeit richtet. Einem solchen Ideal folgt schließlich die Binnenmarktidee der Europäischen Union. Europäische Steuerrechtsfragen sind von den Grundfreiheiten bestimmt, die den Wirtschaftsverkehr und die effiziente Allokation von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren innerhalb der Mitgliedsstaaten in Form eines gemeinsamen Binnenmarktes sicherstellen sollen. Inländische Ressourcen dürfen daher nicht anders behandelt werden als ausländische (sogenanntes Diskriminierungsverbot).176 Doppelbesteuerungen sind aus Sicht der Binnenmarktidee Anomalien. Die Überschneidung von Steuerhoheiten widerspricht der Logik, die der Schaffung eines Binnenmarktes zugrunde liegt. Der Binnenmarkt geht von der Logik einer Kapitalimportneutralität aus, in der ausländische Einkünfte nicht im Inland besteuert werden sollen, sondern nur gemäß dem Territorialitätsprinzip der Besteuerung unterworfen werden sollen. Der Binnenmarktlogik entspräche vielmehr die Vorstellung, dass alle Mitgliedsstaaten dem Quellenprinzip folgen und sich Überschneidungen der Steueransprüche lediglich in Qualifikationskonflikten, das heißt unterschiedlicher Beurteilung des Steuersachverhalts durch die Vertragsstaaten erschöpfen.177 Der in der realen Welt auftretenden Kollision von Welteinkommensprinzip und Territorialitätsprinzip liegt im Lichte der Grundfreiheiten dagegen eine Ungleichbehandlung von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen zugrunde.178 Die unterschiedliche Wirtschafts- und Sozialstruktur der einzelnen Mitgliedsstaaten erlaubt nur eine teilweise Harmonisierung. Das Fortbestehen dieser Ungleichbehandlung zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen ist daher gerechtfertigt, jedoch nur insoweit, als deren steuerliche Situation nicht miteinander vergleichbar ist.179 Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Mitgliedsstaaten müssen sich diesen europäischen Vorgaben beugen. Durch die Transformation der Abkommen ins nationale Recht sind die Abkommen im Lichte der nationalen Verfassung anzuwenden. Die nationalen Verfassungen sehen in der Regel vor, dass völkerrechtliche Verträge Vorrang vor dem nationalen Recht haben. Das einfache Recht muss angesichts des Vertrags über die Europäische Union eu-
176 Zur Diskriminierungsfreiheit siehe Frotscher, Gerrit, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 28, Rn. 74. 177 Zur Folge ausschließlicher Anwendung des Quellensteuerprinzips siehe Frotscher, Gerrit, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 6, Rn. 14. 178 Siehe hierzu: VII. 1. 179 Zugleich ist diese Ungleichbehandlung auch Auslöser des Spannungsverhältnisses von Staatssouveränität und Harmonisierung.
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
roparechtskonform angewendet werden. Damit ist auch das ins einfache Recht transformierte Abkommensrecht europarechtskonform anzuwenden.180 Bei einer europarechtskonformen Anwendung des Abkommensrechts muss die Lastenverteilungsgerechtigkeit gewahrt werden. Im Rahmen des EU-Rechts darf von diesem in der Gestalt des Diskriminierungsverbots im Spannungsverhältnis zur Steuersouveränität nur aus gerechtfertigten Gründen abgewichen werden.181 Auch wenn die Gilly-Entscheidung des EuGH die Ausgestaltung des Abkommens selbst dem Kompetenzbereich der jeweiligen Mitgliedsstaaten zuordnet,182 bleibt die Abkommensanwendung den europäischen Grundfreiheiten unterworfen.183 Diese Eigenheit der Binnenmarktlogik zeigt sich in der Mutter-Tochter-Richtlinie184 noch deutlicher. Nach dieser sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die im EURaum grenzüberschreitenden Dividendenausschüttungen von der Quellenbesteuerung auszunehmen.185 Hierdurch wird zum einen verhindert, dass der Kapitalverkehr zwischen den EU-Mitgliedsstaaten gestört wird, und zum anderen, dass durch wirtschaftliche Doppelbesteuerungen die Leistungsfähigkeit des Gesamtunternehmens geschwächt wird. c) Schlussfolgerungen für Vietnam Die Notwendigkeit der Unterscheidung, ob das Abkommensrecht hauptsächlich als Instrument zur Schlichtung des Konflikts zweier Steuerhoheiten um das Steuersubstrat oder als Instrument zur Herstellung einer internationalen Lastenverteilungsgerechtigkeit verwendet wird, ergibt sich nach alledem daraus, dass das Abkommen entweder in einem bilateralen oder Binnenmarkt-Kontext angewendet wird. Vietnams Sonderweg ist, wie in VI. 2. c) erläutert, in einem bilateralen Kontext zu lesen. Während es gemäß dem Vereinheitlichungsgedanken der Binnenmarktlogik folgerichtig ist, die steuerliche Lösung von Dreieckssachverhalten über einen Besteuerungsverzicht des Betriebsstättenstaates zu suchen, ist für Vietnam eine solche 180 Siehe nur Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., 2011, S. 629 bzw. Rn. 16.41 m.w.N. 181 Ebenda, S. 630 bzw. Rn. 16.43. 182 EuGH-Entscheidung vom 12. 05. 1998 in der Rechtssache C-336/96 „Gilly“. Siehe in diesem Kontext: Lang, Michael, Tax Treaty Policy, in: Andersson, Krister et al., National Tax Policy in Europe, 2007, S. 191, 202. 183 Die bloße Beschränkung der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen durch die Grundfreiheiten verbietet gerade nicht die Ungleichbehandlung von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen. 184 Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, sog. Mutter-TochterRichtlinie, ABl. EG Nr. L 225, S. 6, Nr. L 266, S. 20, 1997 Nr. L 16, S. 98, neugefasst durch die Richtlinie 2011/96/EU vom 30. November 2011, ABl. EU Nr. L 345 S. 8 und geändert durch die Richtlinie 2013/13/EU vom 13. Mai 2013, Abl. EU Nr. L 141/30. 185 Z. B. ebenda, Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 5 der Richtlinie.
VIII. Ergebnis
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Lösung keine Option, da Vietnam aufgrund der bilateralen Struktur seines Abkommensnetzes vornehmlich nicht die gerechte Steuerbelastung gemäß einer global geltenden Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zum Ziel hat. Der Vereinheitlichungsgedanke wird nicht von Vietnams nationalen Interessen getragen. Für Vietnam ist es gerade nicht irrelevant, wo der steuerpflichtige Gewinn besteuert wird beziehungsweise wo der Verlustabzug erfolgt. Demnach ist auch der vietnamesische Sonderweg nicht mit der Vergleichbarkeit von Betriebsstätte und selbstständigen Unternehmen begründbar.
3. Fazit Die Aufhebung des Unter- und Überordnungsverhältnisses lässt sich nach alledem auch nicht mit der Vergleichbarkeit von selbstständigen Unternehmen und Betriebsstätte begründen. Nach dem originären bilateralen internationalen Steuerrecht ist die Anwendung des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten dogmatisch nicht zulässig. Genausowenig kann die Binnenmarktargumentation analog angewendet werden, weil Vietnam auch vor dem Hintergrund der ASEAN eigene Interessen verfolgt und die ASEAN keine supranationalen Vorschriften durchsetzen kann.186 Wenig erfolgsversprechend ist die Auslegung verfassungsrechtlich zu begründen.187 Unabhängig davon, ob die Abkommen gemäß der vietnamesischen Verfassung effektiv eine verfassungsrechtliche steuerliche Gleichbehandlung beachten müssen,188 geht es beim Dreieckssachverhalt wesentlich um die Unterscheidung zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen und ihre Ungleichbehandlung.
VIII. Ergebnis Nachweislich kann mit der aktuellen internationalen Steuerrechtsordnung keine überzeugende rationale Begründung der Anwendbarkeit des Konzepts des Nutzungsberechtigten auf Betriebsstätten entworfen werden. Es muss auf andere Maßstäbe zurückgegriffen werden, die die der Abkommensdogmatik zugrunde liegenden Prinzipien nicht anbieten können.
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Siehe hierzu unter anderem auch VI. 2. b). Allgemein zur verfassungsrechtlichen Argumentation mit der Berücksichtigung der ausländischen Besteuerung bei der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip siehe Frotscher, Gerrit, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 12, Rn. 36. 188 Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen des vietnamesischen Steuerrechts siehe Teil 1 III. 1. b) aa) (2). 187
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Teil 2: Fallanalyse Soˆ´ 1620/TCT-HTQT
Mithin wird zu erörtern sein, ob die abkommensrechtliche Berücksichtigung der Strukturdefizite der Finanzverwaltung sowie die Asymmetrie des Steuerverzichts zu einer Lösung beitragen können.
Teil 3
Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit In Teil 2 hat die Untersuchung des „Song Bung 2“-Falles ergeben, dass der Sonderweg Vietnams nicht mit der aktuellen Dogmatik des internationalen Steuerrechts in Form des Abkommensrechts rational begründet werden kann. Die wirtschaftspolitischen Interessen ließen sich angesichts der bestehenden Abkommensdogmatik nicht operationalisieren. Die Rechtfertigungsbegründung einer Aufhebung des Über- und Unterordnungsverhältnisses zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kann sich daher nur noch aus dem Kontext des asymmetrischen Zahlungsflusses ergeben, der bei Entwicklungsstaaten typisch ist. Bevor auf die abkommensrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit solcher Umstände eingegangen wird, soll im Folgenden in einem Gedankenexperiment erörtert werden, wie eine solche Rechtfertigung aussähe, wenn die wirtschaftspolitischen Interessen des Schwellenstaates abkommensrechtlich relevant wären und der steuerliche Lastenausgleich des Steuerpflichtigen dahinter zurückträte.
I. Abkommensrechtliche Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses Der Schwellenstaat will die wirtschaftspolitischen Nachteile vermeiden, die aus dem Dilemma des asymmetrischen Zahlungsflusses und Steuerverzichts herrühren. Dabei handelt es sich um das Dilemma zwischen Generierung von Steueraufkommen für die Finanzierung der für die Standortattraktivität erforderlichen Faktoren und dem Wettbewerb untereinander um ausländische Direktinvestitionen mittels Übernahme internationaler Standards und „steuerlicher Vergünstigungen“.1 Anknüpfungspunkt für die abkommensrechtliche Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Interessen Vietnams beim vorliegenden Dreieckssachverhalt sind also die (wirtschaftspolitischen) Nachteile, die aus dem asymmetrischen Zahlungsfluss zwischen Vietnam und dem Ansässigkeitsstaat ausgelöst werden. Zu prüfen ist somit, ob ein asymmetrischer Steuerverzicht im konkreten Fall vorliegt und ursächlich ist für einen wirtschaftspolitischen Nachteil. Um festzu1
Siehe hierzu auch im Teil: Thematische Einführung und Untersuchungsgang, S. 16 – 28.
162
Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
stellen, ob ein konkreter asymmetrischer Steuerverzicht vorliegt, muss die zum Ausgangsfall spiegelbildliche Situation Vietnams in der Rolle als Ansässigkeitsstaat beziehungsweise als Betriebsstättenstaat überprüft werden.2 Des Weiteren muss ermittelt werden, ob Vietnam von einem (beschränkten) Steuerverzicht des Quellenstaates und gegebenenfalls des Betriebsstättenstaates (symmetrisch) Vorteile erzielt. Die Feststellung des konkreten asymmetrischen Steuerverzichts ist auch dann erforderlich, wenn insgesamt bei Abkommen zwischen Industrie- und Entwicklungsbeziehungsweise Schwellenstaaten ein asymmetrischer Steuerverzicht generell zu beobachten ist. Die Korrektur erfordert festzustellen, ob die korrekturbedürftigen Abkommensmechanismen auch im Einzelnen für den konkreten Fall nachteilig für den Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenstaat sind. Die Ursächlichkeit des asymmetrischen Steuerverzichts für einen wirtschaftspolitischen Nachteil dürfte aus den oben genannten Gründen regelmäßig indiziert sein, da der Steuerverzicht des Entwicklungsstaates nicht von einem entsprechenden Steuerverzicht seitens des Industriestaates ausgeglichen wird. Im Umkehrschluss lässt sich diese Regelvermutung dann verneinen, wenn Vietnam im Gegenzug zu den hingenommenen steuerlichen Nachteilen wesentliche, in der Regel nichtsteuerliche oder wirtschaftspolitische Vorteile erhält. Für die Feststellung einer abkommensrechtlich relevanten Kausalität liegt es mithin nahe, nicht nur zu prüfen, ob der Nachteil durch die Asymmetrie lediglich in kausaler Hinsicht veranlasst wurde, sondern vor allem, ob auch in einer zurechenbaren Weise. Die Nachteile müssen also aus der in der Asymmetrie liegenden Problematik entspringen. Sie müssen demnach aus dem Konflikt herrühren zwischen der Generierung von Steueraufkommen für die Finanzierung der für die Standortattraktivität erforderlichen Faktoren einerseits und dem Wettbewerb der Staaten untereinander um ausländische Direktinvestitionen mittels Übernahme internationaler Standards und „steuerlicher Vergünstigungen“ andererseits. Lassen sich solche zurechenbaren Nachteile identifizieren, so ist im nächsten Schritt die Frage zu beantworten, wie eine Lösung vor diesem Hintergrund abkommensrechtlich formuliert werden könnte. Die Lösung müsste trotz ihrer Prägung durch die wirtschaftspolitischen Interessen mit dem lastenverteilungsausgleichenden Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit in Einklang gebracht werden.
1. Nachteilsidentifizierung: Vietnam als Ansässigkeitsstaat Zum Ausgangsfall wurde bisher festgestellt, dass bei einer OECD-typischen Lösung der Problematik Vietnam als Quellenstaat de facto dem Betriebsstättenstaat 2 Die Dreieckssachverhaltskonstellation hat zur Folge, dass die Nachteilsidentifizierung nicht nur in der spiegelbildlich verkehrten Rolle Vietnams als Ansässigkeitsstaat erfolgen muss, sondern auch in der Konstellation, in welcher es Betriebsstättenstaat ist.
I. Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses
163
Abkommensvergünstigungen gewähren müsste. Nach der OECD-Lösung blieb das DBA zwischen Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat nämlich bestehen, sodass Vietnams Quellenbesteuerungsrecht auf 10 Prozent beschränkt wurde. Dadurch wird die durch den Betriebsstättenstaat und Quellenstaat ausgelöste Doppelbesteuerung abgemildert.3 Dieser Fall ist nun spiegelbildlich dahingehend abzuwandeln, dass Vietnam als Ansässigkeitsstaat und Deutschland als Quellenstaat der Zinsen auftreten (und Japan4 weiterhin als Betriebsstättenstaat fungiert). Die steuerliche Situation stellt sich dann wie folgt dar: Die steuerliche Konsequenz dieser Abwandlung ist, dass Vietnam (als Ansässigkeitsstaat) abkommensrechtlich die Besteuerung der aus Deutschland von der japanischen Betriebsstätte bezogenen Zinsen nach Art. 7 Abs. 1 DBAVietnam-Japan freistellen muss. Im Verhältnis zu Deutschland kommt gemäß Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 bb) DBA Deutschland-Vietnam theoretisch die Anrechnung der deutschen Quellensteuer auf die vietnamesische Steuer zur Anwendung.5 Doch die Zinsen scheiden aufgrund der Freistellung im Verhältnis Vietnam – Japan aus der Bemessungsgrundlage aus, sodass mangels vietnamesischer Besteuerung auch keine Anrechnung der deutschen Quellensteuer vorgenommen werden kann.6 Japan hingegen wird nach neuer Rechtslage die Betriebsstätteneinkünfte der Besteuerung unterwerfen, während nach alter Rechtslage Japan diese von der Besteuerung freistellen würde. Die nach der alten japanischen Rechtslage entsprechend resultierende Nichtbesteuerung kann von Vietnam nicht verhindert werden, da in Vietnam keine unilaterale mit dem deutschen § 50d Abs. 9 EStG vergleichbare Regelung existiert.7 Nach dieser Vorschrift würde das Besteuerungsrecht an Deutschland in Form des Treaty Overrides zurückfallen (subject-to-tax clause). Aus Sicht Vietnams getätigte Auslandsinvestitionen in Japan wären somit nach alter (japanischer) Rechtslage lediglich mit 10 Prozent belastet, da abkommensrechtlich die Quellenbesteuerung auf 10 Prozent für Deutschland beschränkt ist und im Übrigen im Verhältnis Japan und Vietnam eine Keinmalbesteuerung auftritt. Unter Berücksichtigung der neuen japanischen Rechtslage wird hingegen die Quellenbesteuerung auf die Betriebsstättenbesteuerung angerechnet.8 Aus der soeben erfolgten spiegelbildlichen Darstellung ergibt sich, dass die Dreiecksgestaltung für Investitionen aus Vietnam nach Deutschland steuerlich günstig ist, weil die vietnamesische Investition in Japan durch die deutsche Anwendung der abkommensrechtlichen Quellensteuer-beschränkung steuerlich entlastet wird. Um jedoch tatsächlich in volkswirtschaftlich relevanter Weise von dem 3 4 5 6 7 8
Siehe hierzu auch Teil 2 III. b) aa) (2). Ausführlich: Teil 2 III. 1. c). Siehe hierzu Teil 2 III. 2. b) cc). Siehe hierzu Teil 2 III. b) aa) (2). Siehe hierzu auch Teil 2 III. c) cc) (2). Siehe zur neuen japanischen Rechtslage: Teil 2 unter III. 1.3.
164
Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
deutschen Steuerverzicht in Form der beschränkten Quellensteuer von der durch die Dreiecksgestaltung ausgelösten Niedrigbesteuerung oder Keinmalbesteuerung zu profitieren,9 müssten Vietnams Outbound-Investitionen im Bankensektor vergleichbar sein mit denen der Industriestaaten. Das ist jedoch nicht der Fall. Von allen vietnamesischen Banken verfügt nur die staatliche Vietin-Bank über zwei Zweigstellen in Deutschland, die kürzlich eröffnet wurden. Die Bank hat zwar angekündigt, in den nächsten Jahren auch in Polen, Großbritannien und anderen europäischen Staaten Zweigstellen zu eröffnen, doch reichen diese bei weitem nicht, um eine entsprechende Asymmetrie der Zahlungsbilanz in dieser Branche auszugleichen. Daraus ergibt sich, dass der Steuerverzicht auf Seiten Vietnams in Form der beschränkten Quellenbesteuerung bei Dreieckssachverhalten faktisch nicht durch einen spiegelbildlichen Steuerverzicht auf Seiten der Industriestaaten, hier Deutschland, mangels entsprechender Investitionen, ausgeglichen werden kann. Gleiches gilt, wenn eine gröbere branchenunabhängige Gesamtbetrachtung der Zahlungsflüsse angestellt wird. Eine Asymmetrie wird nicht ausgeglichen. Dies dürfte einen wirtschaftspolitischen Nachteil darstellen. Nimmt Vietnam die Quellensteuerbeschränkung ohne Gegenleistung hin, steht dies im Konflikt mit den wirtschaftspolitischen Bestrebungen, den weiteren Ausbau Vietnams als Investitionsstandort ausreichend zu finanzieren. Besteht Vietnam hingegen auf der vollen Quellenbesteuerung, gerät Vietnam in das wirtschaftspolitische Dilemma, seine Position im Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen zu verlieren. Allerdings lässt sich gegen das Vorliegen eines Nachteils einwenden, dass Vietnam in dem konkreten Fall unabhängig von einer Quellensteuerbeschränkung spiegelbildlich als Ansässigkeitsstaat stets die Besteuerung der Betriebsstätteneinkünfte vollumfänglich dem Betriebsstättenstaat überlassen muss. Eine Doppelbesteuerung durch eine Besteuerung im Quellenstaat und eine im Betriebsstättenstaat berührt nicht Vietnams Steuerhoheit. Argumentiert werden könnte nämlich, dass eine spiegelbildliche Quellensteuerbeschränkung auf Seiten Deutschlands nicht Vietnam zugutekommt, sondern wirtschaftlich dem in Vietnam ansässigen Unternehmen. Die Steuerlast würde sinken und das vietnamesische Unternehmen leistungsfähiger machen. Es könnte daher dahingestellt bleiben, ob dem vietnamesischen Unternehmen eine Quellenbesteuerungsbeschränkung mittelbar zugutekommt. Wird jedoch berücksichtigt, dass aus verhandlungsstrategischer Sicht die Verhandlungsposition Vietnams geschwächt wird, wenn Vietnam als Quellenstaat die Quellenbesteuerungsbeschränkung hinnehmen muss, dann bleibt die Frage weiterhin berechtigt, ob Vietnam spiegelbildlich einen Vorteil erzielt oder einen sonstigen Vorteil daraus ziehen kann. Daran fehlt es hier. In Teil 2 unter Kapitel VI. 2. c) wurde herausgearbeitet, dass die Quellenbesteuerungsbeschränkung in Vietnam langfristig die Nationalökonomie des Ansässigkeitsstaates und die Investitionen im Betriebsstättenstaat fördert. Die Quellensteuerbeschränkung wirkt faktisch zugunsten der Betriebsstätte und damit zugunsten der Stammhäuser im An9
Siehe zur Gestaltung: Teil 2 unter V. 2.
I. Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses
165
sässigkeitsstaat, was langfristig die jeweiligen Nationalökonomien stärken kann. Vietnams Unternehmen investieren hingegen nicht in einem solchen Umfang im Ausland, dass spiegelbildlich Vietnam als Ansässigkeitsstaat aus einer Quellensteuerbeschränkung des Quellenstaates Vorteile ziehen könnte. Stattdessen erzielt ein Drittstaat Vorteile, ohne diese mit Vietnam direkt ausgehandelt zu haben. Denn diese „gegenleistungsfreien Zugeständnisse“ an den Drittstaat, hier Japan, untergraben die Verhandlungsposition bei der etwaigen Aushandlung weiterer Rahmenbedingungen, wie die Auflösung der Doppelbesteuerung durch Quellenbesteuerung und Betriebsstättenbesteuerung.10 Vietnams stetigen Bemühungen entsprechend, in die engere Wahl als alternativer Investitionsstandort zu China zu kommen,11 forciert es strategische Allianzen mit anderen Staaten. Die angespannte Wettbewerbssituation lässt es als nachteilig erscheinen, wenn Vietnam Nachteile in Kauf nimmt, ohne hierfür im Gegenzug wirtschaftspolitische Vorteile zu erzielen. Vorliegend geschieht das aber, wenn Deutschland mittelbar volkswirtschaftlich über die Investitionsgestaltung mit Japan als Betriebsstättenstaat gestärkt werden könnte, weil Vietnam die abkommensrechtliche Quellensteuerbegrenzung zur Anwendung kommen lassen würde. Ein sich daraus ergebender wirtschaftspolitischer Vorteil für Vietnam kann hierin nicht erblickt werden. Der Einwand also, dass Vietnam spiegelbildlich ohnehin die Betriebsstätteneinkünfte nicht besteuern dürfe, ändert nichts daran, dass Vietnam spiegelbildlich keinen Vorteil für seinen Steuerverzicht erzielt. Ein weiterer möglicher Einwand gegen das Vorliegen eines Nachteils könnte daraus abgeleitet werden, dass durch das finanzierte Wasserkraftprojekt rudimentäre Infrastrukturen in der Energieversorgung ausgebaut werden und zugleich hierdurch ein entsprechender Wissenstransfer erfolgt.12 Eine über die Dreiecksgestaltung steuerlich günstige Finanzierung könnte möglicherweise dann als Investitionsförderung qualifiziert werden. Das kann allerdings nur für den Originalfall bejaht werden, in dem Frankreich Ansässigkeitsstaat ist. Frankreich als Ansässigkeitsstaat besteuerte abkommensrechtlich nicht die Betriebsstätte. Auch Japan besteuerte nach alter innerstaatlicher Rechtslage nicht die Betriebsstätteneinkünfte. Die Zinszahlungen wurden lediglich mit 5 Prozent vietnamesischer Quellensteuer belastet. Die doppelte Nichtbesteuerung löste nach französischem Steuerrecht auch keinen Rückfall des „Besteuerungsrechts“ an Frankreich aus. Diese steuerliche Vergünstigung fällt allerdings im abgewandelten Fall, in dem Deutschland Ansässigkeitsstaat ist, weg. Zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommt es in diesem Fall nämlich nicht. Deutschland würde bei einer Befreiung der Betriebsstätteneinkünfte von der japanischen Steuer wegen der Rückfallklauseln in § 50d Abs. 9 EStG wieder das Besteuerungsrecht erlangen. Von der Rückfallklausel abgesehen kommt es schon deshalb nicht zu einer doppelten Nichtbesteuerung, weil nach der neuen japanischen Rechtslage Betriebsstätteneinkünfte der Besteuerung unterliegen. Die einzige 10 Allgemein bei internationalen Verhandlungen: Plantey, Alain, International Negotiation in the 21st Century, 2007, S. 77 bzw. Rn. 416. 11 Siehe hierzu Teil 1 II. 2. 12 Siehe hierzu Teil 2 II.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
steuerliche Vergünstigung läge in der Quellensteuerbeschränkung, die die steuerliche Gesamtbelastung von Betriebsstättensteuer und Quellensteuer mildert. Jedoch fehlt es hier an einer faktischen Begrenzung der Quellensteuer. Die vietnamesische Quellensteuer liegt bei 5 Prozent, während die abkommensrechtliche Beschränkung 10 Prozent beträgt. Eine faktische Abschmelzung der Steuerlast findet hier nicht statt. Eine steuerliche Investitionsförderung liegt nicht vor. Der Wissenstransfer und der Aufbau der Infrastruktur würden ohne einen faktischen Verzicht auf Steuersubstrat erfolgen. Diese Vorteile können daher keinem Steuerverzicht zugeordnet werden. Der Einwand, dass Vietnam aus dem Energieprojekt im Gegenzug für einen Steuerverzicht Vorteile erzielt, greift mithin nicht. Deshalb ist festzustellen, dass dem Steuerverzicht Vietnams in Form der abkommensrechtlichen Quellenbesteuerungsbeschränkung kein entsprechender wirtschaftspolitischer Vorteil gegenübersteht. Der Steuerverzicht wird nicht ausgeglichen. Der Steuerverzicht ist nachteilig. Dieser Nachteil ist auch der Asymmetrie der Zahlungsbilanz zurechenbar. Zurechenbarkeit liegt nämlich vor,13 wenn der Nachteil aus dem durch die Asymmetrie ausgelösten Konflikt herrührt, und zwar dem Konflikt zwischen der Generierung von Steueraufkommen zur Schaffung der für die Standortattraktivität erforderlichen Faktoren und dem Wettbewerb untereinander um ausländische Direktinvestitionen mittels Übernahme internationaler Standards und „steuerlicher Vergünstigungen“.14 Die mit dem gegenleistungsfreien Steuerverzicht einhergehende Schwächung der Verhandlungsposition Vietnams müsste sich im Wesentlichen aus dem Dilemma zwischen der Generierung von Steuereinnahmen und der Steigerung der Standortattraktivität ergeben. Das ist hier zu bejahen, da mit einer schwachen Verhandlungsposition die konkrete Chance reduziert wird, abkommensrechtlich günstige Regelungen auszuhandeln. Die Wettbewerbsposition Vietnams um ausländische Investitionen wird hierdurch geschwächt. Das Potenzial, finanzielle Ressourcen zu generieren, die für die Steigerung der Standortattraktivität erforderlich sind, wird gemindert. Ausgelöst wird dies dadurch, dass Vietnam ungünstige OECD-Klauseln bei den Abkommensverhandlungen hinnehmen muss und einen einseitigen Steuerverzicht nicht verhindern oder abmildern kann. Das zeigt sich deutlich, sobald Vietnam seinen Quellensteuersatz auf mehr als 10 Prozent anhebt. Durch die abkommensrechtliche Quellensteuerbeschränkung wird dann der Steuerverzicht real. Der hier geprüfte Nachteil ist mithin der asymmetrischen Zahlungsbilanz zurechenbar.
13 14
Siehe hierzu Kapitel I. Siehe hierzu auch in der Thematischen Einführung, S. 22 und S. 24.
I. Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses
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2. Nachteilsidentifizierung: Vietnam als Betriebsstättenstaat Die Prüfung, ob Vietnam als Betriebsstättenstaat einen wirtschaftspolitischen Vorteil erzielt, unterliegt der Besonderheit, dass Vietnam abkommensrechtlich allein die Betriebsstättengewinne besteuern darf. Diese Besteuerung könnte als spiegelbildliche Vorteilsziehung aus dem Steuerverzicht Vietnams gesehen werden. Dagegen spricht allerdings, dass Vietnam ohnehin abkommensrechtlich als Betriebsstättenstaat dieses Besteuerungsrecht zukommt. Der Vorteil müsste vielmehr darin liegen, dass Vietnams Nationalökonomie dadurch gestärkt wird, dass der Quellenstaat auf seine Quellensteuer teilweise durch eine abkommensrechtliche Beschränkung verzichtet. Ein solcher Vorteil liegt grundsätzlich vor, wenn Deutschland als Quellenstaat abkommensrechtlich die Quellensteuer beschränkt. Dagegen könnte einzig eingewendet werden, dass die Betriebsstättenbesteuerung selbst wirtschaftspolitisch so nachteilig ist, dass der Vorteil aufgesaugt wird. Mit der Besteuerung werden in Vietnam zwar Steuereinnahmen erzielt, doch könnten hierdurch Auslandsinvestitionen in Vietnam weniger attraktiv werden, sodass sich Vietnam wieder in dem für Entwicklungsstaaten typischen Dilemma befindet. Im Hinblick auf den „Song Bung 2“-Fall müsste Vietnam ein erhöhtes wirtschaftspolitisches Interesse an Bankenbetriebsstätten in Vietnam haben. Das ist der Fall. Seit dem Beitritt Vietnams zur Welthandelsorganisation hat dieses Interesse parallel zur rapiden Entwicklung des Banken- und Finanzsektors merklich zugenommen. Ausländische Banken ermöglichen einen wertvollen Wissenstransfer unter anderem wegen der aus dem Ausland mitgebrachten branchenspezifischen Erfahrungen, Managementtechniken sowie Finanzprodukte als auch wegen des technischen Know-hows automatisierter Datenverarbeitung. Langfristig können gegebenenfalls die Effizienz der inländischen Banken gesteigert und ein eigenes Geschäftsfeld aufgebaut und erweitert werden. Ausländische Banken sind hingegen vor allem daran interessiert, die Investitionsvorhaben ihrer Geschäftskunden vor Ort zu begleiten. Die Errichtung von Betriebsstättenbanken in Vietnam könnte jedoch durch eine steuerliche Gleichbehandlung mit inländischen Banken gehemmt werden, sodass die Betriebsstättenbesteuerung als nachteilig erscheint. Dafür sprechen die steuerplanerischen Gesichtspunkte, die bei der Vergabe von Auslandskrediten eine wesentliche Rolle spielen. Steuerliche Ausgangslage bei der Dreieckssachverhaltsstruktur ist, dass Zinstilgungen aus Drittstaaten, die an die vietnamesische Bankenbetriebsstätte entrichtet werden, der abkommensrechtlichen Betriebsstättenbesteuerung gemäß Art. 2 Abs. 2 c VN-UntStG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 VN-UntStG unterworfen werden, und zwar seit Januar 2016 gemäß Art. 11 Abs. 1 S. 2 des Dekrets vom 26. 12. 2013 mit einem Steuersatz von 20 Prozent.15 Die mangelnde Attraktivität Vietnams als Betriebsstättenstandort für Banken verdeutlicht auch die der „Song Bung 2“-Finanzierung, die die Nichtbesteuerung japanischer Betriebs15 Dekret Nr. 218/2013/ND-CP vom 26. Dezember 2013, geändert durch Dekret 91/2014/ ND-CP vom 1. Oktober 2014 und Dekret Nr. 12/2015/ND-CP vom 12. Februar 2015.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
stätten ausnutzte. Dort stand steuergestalterisch die Finanzierung mittels ausländischer Zweigstellen im Vordergrund. So wurde das Wasserkraftwerkprojekt „Song Bung 2“ unter anderem über eine japanische Betriebsstätte der französischen Bank BNP Paribas fremdfinanziert. Dadurch konnte damals die in Japan vor 2016 noch herrschende Rechtslage zu den Zinseinkünften aus Drittstaaten ausgenutzt werden. Weder Frankreich noch Japan unterwarfen diese Zinseinkünfte der Besteuerung. Nach japanischem Recht waren Zinseinkünfte beschränkt Steuerpflichtiger von der Besteuerung ausgenommen, während nach dem Abkommen zwischen Frankreich und Japan die Betriebsstätteneinkünfte von der französischen Besteuerung freigestellt waren, gemäß Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 DBA FrankreichJapan. Es kam lediglich eine innerstaatliche vietnamesische Quellenbesteuerung von 5 Prozent zur Anwendung. Die fehlende steuerliche Attraktivität von Betriebsstättenbanken in Vietnam hat offenbar dennoch nicht das Engagement ausländischer Banken in Vietnam getrübt. Es scheint, dass sowohl ausländische Banken als auch Vietnam das Hauptinteresse verfolgen, die Entwicklung des vietnamesischen Bankensektors16 voranzutreiben, und zwar ungeachtet der steuerlichen Nachteile. Das erscheint deshalb bemerkenswert, weil bei Auslandskreditgeschäften typischerweise steuerlichen Implikationen eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Die steuerlichen Rahmenbedingungen der Auslandskreditgeschäfte sind nämlich regelmäßig wesentliche Entscheidungsparameter zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der angebotenen Darlehenskonditionen.17 So müssen etwa Banken auf die Regelungen zu den Wertberichtigungen ihrer Kreditforderungen Acht geben sowie bei langfristigen Krediten versuchen, sogenannte Grossing-Up-Klauseln in ihre Darlehensverträge zu integrieren, wonach der Darlehensnehmer bei Erhöhung der Quellensteuer den entsprechenden Betrag als Zinszahlung weiterreicht.18 Nicht zu vergessen ist die Prüfung der steuerlichen Behandlung von Währungsrisiken sowie des Dotationskapitals der Betriebsstätte.19 Die steuerlichen Nachteile für Betriebsstättenbanken versetzen Vietnam nicht in den Konflikt zwischen Steuergenerierung und Standortattraktivität. Als Betriebsstättenstaat erzielt Vietnam für seinen Steuerverzicht spiegelbildlich einen Vorteil. Ein Nachteil liegt im Fall Vietnams als Betriebsstättenstaat mithin nicht vor.
16 Einführend in den vietnamesischen Bankensektor: Nguyen, Thanh Pham Thien/Nghiem, Son Hong/Roca, Eduardo/Sharma, Parmendra, Bank reforms and efficiency in Vietnamese banks: evidence based on SFA and DEA, Applied Economics, 2016, S. 2822 – 2825. 17 Ammelung, Ulrich/Langhorst, Jörg, Besteuerungsprobleme bei internationaler Geschäftstätigkeit deutscher Banken, in: Grotherr, Siegfried (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung 3. Aufl., 2011, S. 1261, 1282. 18 Ebenda. 19 Ebenda.
I. Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses
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3. Technische Korrektur an den Anknüpfungspunkten Nachdem die Konsequenzen der vietnamesischen Regelungen zum Dreieckssachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Nachteilsabwendung geprüft worden sind, muss nun die Korrektur des Nachteils rechtstechnisch entwickelt werden. Ferner lassen die Argumentationsparameter der Abkommensdogmatik eine abkommensrechtliche Berücksichtigung des durch den asymmetrischen Zahlungsfluss zwischen Vietnam und dem Ansässigkeitsstaat ausgelösten (wirtschaftspolitischen) Nachteils bisher nicht zu. Eine solche Berücksichtigung steht dem mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit verschränkten Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit entgegen. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenstaates bedeutet nämlich, die staatliche Einnahmegenerierung gegenüber der durch die individuelle Leistungsfähigkeit geprägten lastenverteilungsausgleichenden Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu priorisieren. Daher muss die Korrektur direkt an den jeweiligen Stellen der dogmatischen Argumentationskette ansetzen, wo das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit ihnen das Gepräge gibt. Dort sollen Modifikationen oder Korrekturen in der Weise vorgenommen werden, dass der wirtschaftspolitischen Nachteilsabwendung primäre abkommensrechtliche Bedeutung zukommt und das Primat der Lastenverteilungsgerechtigkeit ausnahmsweise dahinter zurücktritt. Eine Korrektur der Regelungen erfordert, die fehlerhaften Wirkungsstellen genau zu lokalisieren. Hierfür soll zunächst diskutiert werden, inwieweit die im vietnamesischen Sonderweg gewählte Abkopplung der Nutzungsberechtigung von der Abkommensberechtigungsfähigkeit20 die Wirkungsweise des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit korrigiert. Mit den davon betroffenen Wirkungsstellen lassen sich ihre Erscheinungsformen konkret identifizieren und können gegebenenfalls korrigiert werden. Nach dem vietnamesischen DBA-Anwendungserlass 2013 ist das Konzept des Nutzungsberechtigten einerseits Voraussetzung für die Abkommensberechtigung und andererseits ein auf Betriebsstätten anwendbares Konzept.21 Das legt den Schluss nahe, dass die faktische Zahlungsbewegung zum Ausgangspunkt der Frage über die Anwendbarkeit abkommensrechtlicher Vorschriften gemacht wird. Dafür spricht auch, dass hierdurch verhindert wird, dass die normative Reziprozität, aber auch die damit verbundene diplomatisch-politische Reziprozität im Sinne gegenseitigen Respekts und gegenseitiger Selbstverpflichtung unterwandert werden.22 Mit der Überprüfung der faktischen Zahlungsbewegung gelingt die Überprüfung der Anwendbarkeit abkommensrechtlicher Vorschriften deshalb, weil so eine Störung der Verbindung von Abkommensberechtigung, Nutzungsberechtigung und wirt20
Die Abkommensberechtigung von der wirtschaftlichen Nutzungsberechtigung abhängig zu machen, setzt voraus, dass die Abkommenrechtsfähigkeit nicht von der Nutzungsberechtigung abhängig ist. 21 Siehe hierzu Teil 2 V. 22 Siehe hierzu Teil 2 VI. 2.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
schaftlicher Verfügungsbefugnis im Verhältnis zur erhaltenen Zahlung aufgedeckt werden kann. In der Regel ist der Abkommensberechtigte des Vertragsstaates zugleich auch Nutzungsberechtigter. Diese Verbindung wird jedoch gestört, wenn ein in einem anderen Staat (Drittstaat) belegenes, nicht abkommensrechtsfähiges Vermögensgebilde, wie das der Betriebsstätte, wirtschaftlich über den Zahlungseingang aus dem Quellenstaat verfügen kann. Diese Störung drückt sich darin aus, dass aufgrund eines vom Stammhaus abgespaltenen, unselbstständigen Annexes ein Drittstaat beziehungsweise eine fremde Nationalökonomie in den Wirkungsbereich des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Ansässigkeitsstaat und Quellenstaat, der nicht Betriebsstättenstaat ist, hineingezogen wird. Die Störung hat zur Folge, dass das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit plötzlich außerhalb des bilateralen Abkommens von Ansässigkeits- und Quellenstaat Geltung erlangt. In einer Dreieckssachverhaltskonstellation ist jedoch eine über das bilaterale Verhältnis hinausgehende Geltung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zweifelhaft, insbesondere wenn im Fall Vietnams, wie oben herausgearbeitet, Nachteile drohen. Die wirtschaftliche Zugehörigkeit hat vornehmlich den Zweck, das Steuersubstrat gemäß der volkswirtschaftlichen Verbundenheit in Abhängigkeit der individuellen Leistungsfähigkeit dem einen oder anderen Vertragsstaat zuzuordnen, aber auf jeden Fall nur im bilateralen Verhältnis. Doch auch die bilaterale Anwendung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit kann diese Störung nicht beseitigen. Die bilateralen Vereinbarungen müssten dem individuellen Leistungsfähigkeitsprinzip weichen. Werden Betriebsstätten, die außerhalb des bilateralen Verhältnisses stehen, außen vorgelassen, entsteht wiederum das Problem, dass eine nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechende Aufteilung des Steuersubstrats nicht mehr möglich ist, weil es ohne Betriebsstätte an einem bestimmten Intensitätsgrad der wirtschaftlichen Aktivitäten und mithin an einer Messgröße für die wirtschaftliche Zugehörigkeit fehlt.23 Die Korrektur muss daher mit der Abkopplung von Nutzungsberechtigung und Abkommensberechtigungsfähigkeit erfolgen. Hierdurch wird die Wirkung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit soweit zurückgedrängt, dass es nicht mehr auf die Leistungsfähigkeit ankommt. Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit setzt nämlich eine steuerrechtsfähige Person voraus. Durch die Abkopplung des Nutzungsberechtigten kommt es für die Abkommensberechtigungsfähigkeit und mithin für die Abkommensberechtigung nicht mehr auf eine steuerrechtsfähige Person an, weil dieses Erfordernis nur in Verbindung mit der Nutzungsberechtigung gekoppelt ist. Das eröffnet nun die Möglichkeit, Betriebsstätten, die außerhalb des bilateralen Verhältnisses stehen, auch dogmatisch auszublenden. Die Abkommensberechtigungsfähigkeit hängt nicht mehr von einer steuerrechtsfähigen Person ab, sodass eine Betriebsstätte ebenfalls abkommensrechtsfähig ist. Ist die Betriebsstätte abkommensrechtsfähig, bedarf es für die Abkommensberechtigung einer abkommensrechtlichen Regelung. Fehlt es an einer solchen Abkommensberechti23
Siehe unten Kapitel II. 2.
I. Berücksichtigung des asymmetrischen Zahlungsflusses
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gung, besteht kein Grund, die Betriebsstätte vor einer Doppelbesteuerung zu schützen. Das gilt auch unabhängig davon, dass nach nationalem Steuerrecht stets der Steuerpflichtige belastet ist und nicht die Betriebsstätte. Geschützt werden sollen die staatlichen Interessen. Durch die Abkopplung der Steuerrechtsfähigkeit und die daraus folgende grundsätzliche Abkommensrechtsfähigkeit von Betriebsstätten kommt es für die Zuordnung einer Transaktion nicht auf die Nutzungsberechtigung im Sinne einer rechtlichen Verfügungsbefugnis an, sondern ausreichend ist die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis. An diese Stelle fügt sich der im „Song Bung 2“Fall eingeschlagene vietnamesische Sonderweg nahtlos ein. Das vietnamesische Ministerium kann nun ohne Weiteres die ausschließliche Besteuerung nach dem innerstaatlichen Recht begründen. Die Zinszahlungen für abkommensrechtliche Zwecke können der Betriebsstätte in Japan als wirtschaftlich Berechtigte zugewiesen werden, sodass das Stammhaus in Deutschland als Abkommensberechtigter ausscheidet. Folglich ist auch das Abkommen zwischen Deutschland und Vietnam nicht anwendbar. Auch die Prüfung, ob die japanische Betriebsstätte als wirtschaftlich Berechtigter abkommensberechtigt ist, verläuft negativ, da im Abkommen zwischen Vietnam und Japan eine solche Abkommensberechtigung zwar dogmatisch möglich ist, aber nicht vereinbart wurde. In einer solchen mangelnden Vereinbarung kommt schließlich zum Ausdruck, dass die abkommensrechtlichen Vereinbarungen beziehungsweise Abkommensvergünstigungen letztlich nur bilateral wirken sollen. Sie sollen ferner nicht im Wege der Auslegung auch dritte Staaten einbeziehen können.
4. Fazit Wird zunächst von einer abkommensrechtlichen Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Interessen ohne nähere Begründung ausgegangen, so kann eine rechtstechnische Modifikation oder Korrektur gemäß einer Priorisierung der wirtschaftspolitischen Interessen der Schwellenstaaten den Sonderweg Vietnams im Ausgangsfall rational vertretbar begründet werden. Dadurch ist auch vor dem Hintergrund der Entscheidungsharmonie die Grundlage für eine aus Sicht des Ansässigkeitsstaates vorgenommene Auslegung geschaffen. Nach dem Prinzip der internationalen Entscheidungsharmonie ist das Abkommen „im Lichte seines jeweils konkreten Gegenstands und Zwecks auszulegen, so dass diejenige Auslegung anzustreben ist, die am ehesten Aussicht hat, in beiden Vertragsstaaten akzeptiert zu werden“.24 Wenn sich der Ansässigkeitsstaat an die in der Natur bilateraler Abkommen zwecks Vermeidung von Doppelbesteuerung liegende Reziprozität gebunden fühlt, so wird auch der Ansässigkeitsstaat die dem Dreieckssachverhalt
24 Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Rn. 115 m.w.N.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
grundsätzlich innewohnende Verwässerung des Reziprozitätsprinzips beseitigt wissen wollen. Darüber hinaus lassen sich aus dem Fall, in dem Vietnam Betriebsstättenstaat ist, ohne dass zugleich die Nutzungsberechtigung dem Stammhaus zugewiesen wird, weitergehende Problemthemen ableiten, die hier nur der Vollständigkeit halber angerissen werden, jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden können. Im Fall, in dem Vietnam Betriebsstättenstaat ist, fehlt es, wie oben festgestellt, gerade aus Sicht Vietnams an einem Verstoß gegen das Reziprozitätsprinzip, insbesondere wenn Vietnam das Besteuerungsrecht abkommensrechtlich ohnehin zugewiesen bekommen hat. Damit würde Vietnam allerdings vor der Frage stehen, wie die Doppelbesteuerung durch Quellensteuer und Betriebsstättensteuer aufgelöst werden kann. Folgerichtig wäre daher weiter zu prüfen, ob der Ansässigkeitsstaat für solche Fälle einen Mechanismus hätte verwenden müssen, wonach die ausländische Quellensteuer auf die auf das Stammhaus anfallende Steuer angerechnet wird, ohne dass der Betriebsstättenstaat auf seine Besteuerung verzichten müsste. Eine solche Anrechnung würde die wirtschaftliche Auslandsaktivität der Betriebsstätte in Vietnam fördern. Problematisch ist bei einem solchen Mechanismus jedoch auch hier, diesen dogmatisch-rational zu begründen. Ein solcher Korrekturmechanismus würde nämlich die Binnenmarktlogik und Bilateralitätslogik aufeinanderprallen lassen. Eine Anrechnung im Ansässigkeitsstaat würde zu einer Ungleichbehandlung von Betriebsstätte und Tochtergesellschaft führen. Der Ansässigkeitsstaat des Tochterunternehmens müsste dann eine Anrechnung vornehmen und nicht der Sitzstaat des Mutterunternehmens. Die Bilateralitätslogik, der die Ungleichbehandlung von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen inhärent ist, würde ein solches Vorgehen insoweit noch stützen, doch bereits daran scheitern, zu begründen, weshalb der Ansässigkeitsstaat die Anrechnung zugunsten des Betriebsstättenstaates vornehmen soll. Diese lässt sich wiederum nur mit einer Binnenmarkt-Argumentationsstruktur begründen, weil es nach dieser nicht darauf ankommt, wo die Besteuerung und der Steuerabzug vorgenommen werden, solange die den Binnenmarkt störende Doppelbesteuerung beseitigt wird. Eine Korrektur des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit kann überzeugend mittels einer abkommensrechtlichen Berücksichtigung der für Entwicklungsund Schwellenstaaten typischen asymmetrischen Zahlungsbilanz und dem sich daraus ergebenden Konflikt zwischen Generierung steuerlicher Einnahmen und Förderung ausländischer Investitionen erfolgen. Bisher wurde von der abkommensrechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit der für Entwicklungsstaaten typischerweise besonderen Umstände hilfsweise für dieses Gedankenexperiement ausgegangen. Zu klären bleibt daher, ob diese Berücksichtigungsfähigkeit abkommensrechtlich in die bestehende Abkommensdogmatik operationalisiert werden kann. Diese Frage ist Thema des nächten Kapitels.
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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II. Ableitung eines an der staatlichen Leistungsfähigkeit orientierten Prinzips Die Rechtfertigung der abkommensrechtlichen Berücksichtigung wird im Nachfolgenden als ein Prinzip formuliert, das wegen der Fokussierung auf die Interessen der Vertragsstaaten als Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit bezeichnet wird. In den vorherigen Kapiteln wurde verdeutlicht, dass das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit an seine Grenzen stößt, wenn es das Steueraufkommen zwischen Schwellenstaaten und Industriestaaten auf vertikaler Ebene fair verteilen soll. Denn die gerechte Aufteilung des Steuersubstrats hat das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit und demnach die Besteuerung des Einzelnen zum Ausgangspunkt.25 Die gerechte Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Staaten wird somit von der gerechten Besteuerung des Einzelnen abhängig gemacht.26 Die im Rahmen des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit gefundenen Lösungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen bedürfen im Hinblick auf grenzüberschreitende Transaktionen mit Schwellenstaaten einer Korrektur. In dem Beispielsfall zeigte sich, dass der Maßstab der Korrektur die Zielrichtung der wirtschaftspolitischen Nachteilsabwendung war. Es hat sich auch gezeigt, dass die regelmäßig durch den asymmetrischen Steuerverzicht ausgelösten wirtschaftspolitischen Nachteile von der Leistungsfähigkeit der Steuerbehörden, Steuern zu erheben, bestimmt sind. Schwellenstaaten, die im Begriff sind, für den wirtschaftlichen Aufschwung entsprechende fiskalische Instrumente zu implementieren, sind vor allem mit der Optimierung der Steuerverwaltung beschäftigt, da diese nicht nur bei inländischen, sondern insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten überfordert ist. Die Entwicklung der Volkswirtschaft hängt von den Einnahmen und ihrer Verwendung ab. Es wird daher spiegelbildlich zur individuellen Leistungsfähigkeit von der staatlichen Leistungsfähigkeit gesprochen. 25
Siehe Ault, H.J./Bradford, D.F., Taxing international income – An analysis of the US system and its economic premises; Razin, Assaf/Slemrod, Joel (Hrsg.), Taxation in the global economy, 1989, S. 11; Fleming/Peroni/Shay, Fairness in International Taxation: The Ability-toPay Case for Taxing Worldwide Income, Nr. 9, S. 301 f.; Fleming/Peroni/Shay, Some Perspectives from the United States on the Worldwide Taxation vs. Territorial Taxation Debate, Journal of the Australasian Tax Teachers Association, 2, 2008, S. 59 ff.; Graetz, M.J./O’Hear, M.M, The ,Original Intent‘ of U.S. International Taxation, Duke Law Journal, 1997, S. 1034; Green, R.A., The Future of Source-Based Taxation of the Income of Multinational Enterprises, Cornell Law Review, 1993, S. 29, 70 f.; McLure, Ch. E., Source-Based Taxation and Alternatives to the Concept of the Permanent Establishment, in: Canadian Tax Foundation (Hrsg.), World Tax Conference 2000, 2000, S. 6:1, 6:3; kritisch: Vogel, Klaus, Worldwide vs. Source Taxation of Income – A Review and Re-Evaluation of Arguments, Intertax, 1988, S. 216, 310 und 393, 217 f. 26 Siehe hierzu auch in der Einführung.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
Die Formulierung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit soll unter Berücksichtigung der am Beispielsfall Vietnam gefundenen Ergebnisse erfolgen. Dieses Prinzip muss dann die Hürde überwinden, sich erfolgreich in das aktuelle System des internationalen Steuerrechts zu integrieren. Wie sich bei der rationalen Begründung des vietnamesischen Sonderwegs gezeigt hat, muss die Modifikation direkt an den Stellen der durch das aktuelle Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit geprägten Argumentationskette ansetzen. Daraus folgt, dass das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit nicht die Prinzipien des aktuellen Ordnungssystems ersetzen darf, sondern lediglich ergänzen soll.
1. Die Herausbildung der Charakteristika eines Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit Die staatliche Leistungsfähigkeit erschöpft sich in der Generierung von Staatseinnahmen, sodass dieses Prinzip auch durch die Leistungsfähigkeit der Behörden, Steuern zu erheben, charakterisiert wird. Im Nachfolgenden wird daher allgemein auf die Herausforderungen der Steuerverwaltung in Entwicklungs- und Schwellenstaaten eingegangen. Es zeigte sich, dass die am Fall Vietnam dargestellten Herausforderungen typisch für Entwicklungs- und Schwellenstaaten sind und sich zwischen diesen Staatengruppen nur graduell unterscheiden. Diese Herausforderungen der Finanzbehörden lassen sich dann als Kriterien für die Bestimmung ihrer Leistungsfähigkeit konkretisieren und formulieren, die sich an die von Soest herausgearbeiteten Beobachtungen anlehnen.27 a) Die staatliche Leistungsfähigkeit in Form der Leistungsfähigkeit, Steuern zu erheben Ein Schwellenstaat steht in der Regel vor folgenden allgemeinen Herausforderungen bei der Modernisierung seines Steuersystems zwecks Hebung der Staatseinnahmen. Er muss einerseits Maßnahmen vornehmen, die ohne übermäßige Einsparungen in der Staatsverwaltung ermöglichen, dass seine Einnahmen die wesentlichen Staatsausgaben decken.28 Zugleich dürfen die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht gehemmt werden.29 Die Zahlungsfähigkeit eines Schwellenstaates wird vor diesem Hintergrund von den folgenden Faktoren maßgeblich bestimmt.
27 Anhand dieser von Soest entwickelten Kriterien wurde in Teil 1 IV die Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung ermittelt. 28 Tanzi, Vito/Zee, Howard H., Tax Policy for Emerging Markets: Developing Countries, International Monetary Fund (IMF) Working Paper WP/00/35 2000, Fiscal Affairs Department S. 3 f. 29 Tanzi/Zee, s. o.
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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aa) Herausforderung bei der Generierung von Staatseinnahmen Die wirtschaftliche Struktur der meisten Schwellenstaaten erschwert bereits die Generierung von angemessenen Staatseinnahmen. Das durchschnittlich schwache Einkommen ihrer Bürger und die kaum durchführbare Besteuerung der noch in den Schwellenstaaten dominierenden Agrarwirtschaft erfordern es, Staatseinnahmen vorwiegend durch die Ankurbelung ausländischer Investitionen zu generieren.30 Die an fehlendem Know-how und Ausstattung leidende Steuerverwaltung verschärft die Situation.31 Diese Staaten stehen somit nicht nur vor dem Problem, Mittel und Wege zu finden, ihre Staatskassen zu füllen, um ihre politischen Programme zu verwirklichen, sondern ringen auch um eine Sicherung der bisherigen Einnahmequellen.32 bb) Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparates Die Herausforderungen liegen somit insbesondere in der Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparates und in der Verwendung der Staatseinnahmen für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Die Durchführung der Besteuerung, aber auch anderer Aufgaben, wie zum Beispiel die Erhaltung und der Ausbau der Infrastruktur sowie die Bereitstellung eines für die Schaffung von Humankapital geeigneten Bildungssystems bedürfen einer im Aufbau und Personal angemessenen Verwaltung. Schwellenstaaten neigen dazu, ihre Behörden personell zu überfrachten und somit ineffizient einzusetzen.33 Eine niedrige Besoldung ist vorprogrammiert und führt zu einer weiteren unkoordinierten Personalaufstockung. Der kaum ausreichende Lohn fördert nach allgemeiner Meinung Korruption.34 Unabhängig von der Qualifikation ergehen behördliche Maßnahmen im eigenen Interesse anstatt in Erfüllung der den Behörden übertragenen staatlichen Aufgaben.35 Eine koordinierte und flächendeckende Bereitstellung und Erhaltung von investitionsfördernden Faktoren, wie qualifizierte Fachkräfte, Transportwege, Gesundheitssystem, Eigentumsschutz und rechtliche Vorhersehbarkeit, sind nicht möglich.36
30
Tanzi/Zee, s. o. Tanzi/Zee, s. o. 32 Tanzi/Zee, s. o. 33 Mackenzie, George A., Public Sector Employment, in: Chu, Ke-Yeung/Henning, Richard (Hrsg.), Public Expenditure Handbook – A guide to Public Policy Issues in Developing Countries, IMF1991 S. 46. 34 Von Soest, Christian, Measuring the Capability to Raise Revenue, GIGA Working Paper No. 35 2006, S. 8. Siehe jedoch auch als systemimmanentes Problem die Ausführungen oben in Teil 1 V. 5. 35 Ebenda. 36 Siehe Fiscal Affairs Department of the International Monetary Fund, Revenue Mobilization in Developing Countries, 2011, S. 22. 31
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
cc) Finanzielle Mittel Für die Restrukturierung des Verwaltungsapparates ist ein eiserner politischer Wille erforderlich.37 Stehen hierfür jedoch die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung, bleibt die Umsetzung der Reformbemühungen aus. Die Quellen öffentlicher Finanzmittel schöpfen sich aus steuerlichen und nichtsteuerlichen Einnahmen. Zu Letzteren gehören Einnahmen aus behördlichen Dienstleistungen, von staatlichen Unternehmen und aus sonstigen Gebühren. Vor allem tragen ausländische Entwicklungshilfen zur Staatsfinanzierung bei.38 Die Erhöhung von Einnahmen aus nicht-steuerlichen Quellen hat jedoch ihre Grenzen, da Schwellenstaaten im Zuge von Marktreformen und der damit einhergehenden Privatisierung von staatlichen Unternehmen sogar mit weniger Einnahmen rechnen müssen.39 Zudem sollen diese Staaten dazu angehalten werden, aus eigener Kraft kontrollierbare Einnahmen zu generieren, die mit der freien Marktwirtschaft vereinbar sind. Der Fokus liegt somit auf den steuerlichen Einnahmen. Die Fähigkeit, die Bürger zu bewegen, ihre Steuern zu entrichten, korreliert mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung in der Lage ist, die für die wirtschaftliche Öffnung des Landes erforderlichen Maßnahmen politisch durchzusetzen.40 Entwicklungshilfe sowie Kredite, die voraussichtlich ohnehin erlassen werden, fördern dagegen einen weniger verantwortungsbewussten Umgang mit den zur Verfügung gestellten Mitteln.41 Diese Gelder fließen beispielsweise in Investitionsprojekte, für die nach Fertigstellung kaum noch Interesse an ihrer fachgerechten Instandhaltung besteht.42 Als Investitionsstandort büßen diese Staaten an Attraktivität ein. Der Ausgleich wird regelmäßig in der Gewährung von Steuervergünstigungen gesucht, die nur bedingt Investitionen
37 IMF Fiscal Affairs Department, Revenue Mobilization in Developing Countries, IMF Policy Paper, S. 42. 38 Siehe nur Monterrey Consensus on Financing for Development – Final text of agreements and commitments adopted at the UN international conference on Financing and Development in Monterrey Mexico, 2003, S. 6. 39 Tongzon, Jose L./Khan, Habbullah, The Challenge of Economic Integration for Transitional Economies of Southeast Asia, in: Hew, Denis (Hrsg.), „Brick by Brick“. The Building of an ASEAN Economic Community, S. 39. 40 Überblick zum „Resource Curse“-Beweis, Rosser, Andrew, A Literature Survey: IDS Working Paper 268, 2006, S. 20. 41 Gupta, Sanjeev/Clements, Benedict J./Pivovarsky, Alexander/Tiongson, Erwin, Foreign aid and revenue response: does the composition of aid matter?, IMF Working Paper No. 03/176, 2003; Knack, Stephen, Sovereign Rents and the Quality of Tax Policy and Administration, World Bank Policy Research Working Paper 4773, S. 3 m.w.N. 42 Heller, Peter, „Operations and Maintainance“, in: Chu, Ke-Yeung/Henning, Richard (Hrsg.), Public Expenditure Handbook – A guide to Public Policy Issues in Developing Countries, IMF1991, S. 52 f.
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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anlocken.43 Im Zweifel erfolgen solche Investitionen nur kurzfristig aus steuerplanerischen Gründen.44 dd) Herausforderungen der Steuerverwaltung Die Stärkung der Steuerverwaltung ist der erste Schritt für ein lang anhaltendes wirtschaftliches Wachstum. Der verantwortungsbewusste Einsatz von finanziellen Mitteln führt in der Regel zu einer Straffung des Verwaltungsaufbaus. Im Konkreten können die personellen Mittel auf jene Steuerzahler konzentriert werden, die aufgrund ihres Einkommens einer hohen Abgabepflicht unterliegen.45 Die höheren Gehälter tragen zur Bekämpfung von Korruption bei, sodass sich unter anderem auch die Schattenwirtschaft der Besteuerung nicht mehr entziehen kann.46 Dies ist der Idealfall. Die Fähigkeit einer Steuerverwaltung, ihre Bürger zum Zahlen zu bewegen, hängt mit dem politischen Willen zusammen, für solche Veränderungen auch ein entsprechendes Budget zur Verfügung zu stellen. Dies ist nicht einfach, wenn die Steuereinnahmen bestenfalls 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen,47 was die Hälfte dessen ist, was in den OECD-Staaten eingenommen wird. Einnahmen aus Ausfuhr- und Einfuhrzöllen schwinden zudem mit der Liberalisierung des Handels, die mit der fortschreitenden Öffnung des Landes einhergeht.48 Ausländische Investitionen sollen daher im Gegenzug angezogen werden.49 Eine entsprechende Körperschaftsteuer schafft zwar eine neue staatliche Einnahmequelle, doch der Wettbewerb um ausländisches Kapital unterwandert diese durch die den Investoren zu diesen Zwecken gewährten Steuervergünstigungen.50 Die Einführung von Verkehrssteuern hingegen hat den Vorteil, dass sie sich nur einem geringen Widerstand bei den Adressaten ausgesetzt sieht. Doch auch die Verkehrssteuern verlieren dann ihre Wirkung, wenn bestimmte steuerbare Aktivitäten durch Aus43 Norregaard, John/S. Khan, Tehmina, Tax Policy: Recent Trends and Coming Challenges, IMF working paper 07/274, S. 18 m.w.N. 44 IMF Fiscal Affairs Department, Revenue Mobilization in Developing Countries, IMF Policy Paper, S. 71; IMF Fiscal Affairs Department, Spillovers in International Corporate Taxation vom 09. 05. 2014. 45 IMF Fiscal Affairs Department, Revenue Mobilization in Developing Countries, IMF Policy Paper, S. 20. 46 Gauthier, Bernard/Reinnika, Ritva: Shifting Tax Burdens through Exemptions and Evasion: An Empirical Investigation of Uganda: Journal of African Economies, 2006, S. 373 – 398. 47 44 von 168 untersuchten Staaten hatten in den 90ern eine Steuerquote von weniger als 15 %, 71 % der afrikanischen Staaten, die mehr als 10 % des BIP Entwicklungshilfe erhielten, hatten weniger steuerliche Einnahmen als erwartet: Stotsky, Janet, Tax Effort in Sub-Saharan Africa, IMF working paper WP/97/107, 1997. 48 Norregaard, John/S. Khan, Tehmina, Tax Policy: Recent Trends and Coming Challenges, IMF working paper 07/274, S. 44. 49 Keen, Michael/Mansour, Mario, Revenue Mobilization in Sub-Saharan Africa: Challenges from Globalization, IMF Working Paper WP/09/157, S. 10. 50 Ebenda, S. 14.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
nutzung von steuerlichen Regelungslücken in Steuerschlupflöcher verschoben und der Besteuerung entzogen werden.51 Entsprechend den soeben dargestellten Problemen müssen Kriterien, die den Begriff der staatlichen Leistungsfähigkeit charakterisieren sollen, vor allem dadurch gekennzeichnet sein, dass sie die Fähigkeit der Steuerverwaltung, Steuern zu erheben, zum Gegenstand haben. b) Merkmale der Leistungsfähigkeit der Steuererhebung nach von Soests Modell Für die Ermittlung der Leistungsfähigkeit, Steuern zu erheben, sollen die von Christian von Soest hierzu entwickelten Merkmale herangezogen werden. Diese Kriterien entsprechen weitestgehend auch der „best practice“ von regierungsberatenden Institutionen. Diese entstammen einer volkswirtschaftlich geprägten Untersuchung.52 Diese wurde auch in Teil 1 V für die Darstellung der Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerverwaltung zugrunde gelegt. Mit einigen Modifikationen können diese Kriterien für die Ausgestaltung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit verwendet werden. Die Art und Weise der methodischen Vorgehensweise bei der Messung der Leistungsfähigkeit der Staaten stehen regelmäßig zur Diskussion. Die Messmethoden haben sich von einer reinen Kennzahlenanalyse nun zu einer vermehrt ganzheitlichen Betrachtungsweise der Steuerverwaltung entwickelt, das heißt die Betrachtung wird nicht auf statistische Messmethoden reduziert, sondern wird um sämtliche relevante Kausalzusammenhänge erweitert, die zusammen mit den gefundenen statistischen Auswertungen abgeglichen werden.53 Von Soest ist mit seinen Kriterien Vorreiter dieser Entwicklung. Vor dem Hintergrund der in Teil 1 IV dargestellten Leistungsfähigkeit der vietnamesischen Steuerbehörden zeigt sich nachfolgend, dass die von von Soest entwickelten Kriterien54 zur Leistungsfähigkeit von Steuerbehörden in Entwicklungsstaaten geeignet sind, die Strukturdefizite der Finanzbehörden zu bestimmen. 51 Emran, M. Shahe/Stiglitz, Joseph E., On selective indirect tax reform in developing countries, Journal of Public Economics 2005, S. 599. 52 Von Soest, Christian, Measuring the Capability to Raise Revenue, GIGA Working Paper No: 35, 2006. 53 Siehe hierzu im Einzelnen: Le, Tuan Minh/Moreno-Dodson, Blanca/Rojchaichaninthorn, Jeep, Expanding Taxable Capacity and Reaching Revenue Potential: Cross-Country Analysis, Policy Research Working Paper 4559, 2008, World Bank; Le, Tuan Minh/MorenoDodson, Blanca/Bayraktar, Nihal, Tax Capacity and Tax Effort: Extended Cross-Country Analysis from 1994 to 2009, Policy Research Working Paper; No. 6252, 2012, World Bank; Vázquez-Caro, Jaime/Bird, Richard M., Benchmarking Tax Administrations in Developing Countries: A Systematic Approach, eJournal of Tax Research 2011, Vol. 9, Nr. 1 S. 5; Fenochietto, Ricardo/Pessino, Carola, Understanding Countries’ Tax Effort, IMF Working Paper No. 13/244, 2013. 54 Von Soest, Christian, Measuring the Capability to Raise Revenue, GIGA Working Paper No. 35 2006, S. 11.
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aa) Sammeln und verarbeiten von Informationen55 Die Angemessenheit und Richtigkeit von Entscheidungen richtet sich nach der Verlässlichkeit der zur Verfügung stehenden Informationen. Steuerpflichtige müssen identifiziert, die Steuerschuld muss bestimmt und die Besteuerung muss durchgeführt werden; diese Aufgaben der Finanzverwaltung erfordern demnach die Fähigkeit, die relevanten Daten zu ermitteln und angemessen auszuwerten. Der Grad der tatsächlich erfüllten Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen ist maßgeblich von der Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung falsch abgegebener beziehungsweise verheimlichter Angaben in der Steuererklärung bestimmt. bb) Leistungsorientierung der Mitarbeiter56 Inwieweit eine Entscheidung sachgerecht ist, wird also von der Genauigkeit der Sachverhaltsermittlung bestimmt. Sie ist aber vor allem von der jeweiligen entscheidungsbefugten Person und mithin unter anderem von ihrer Handlungsmotivation abhängig. Eine niedrige Besoldung sowie die Ungewissheit über eine Weiterbeschäftigung haben zur Folge, dass das Handeln der Beamten auf die Maximierung eigener Interessen gerichtet ist. Die Auswahl der Mitarbeiter, der angebotene Karriereweg, die Höhe der Besoldung und die Organisationskultur prägen die Arbeitsmoral der Steuerbeamten. cc) Verantwortlichkeit der Verwaltung57 Inwieweit die Steuerverwaltung ihrer Verantwortung nachkommt, den Steuerpflichtigen zu identifizieren, die Bemessungsgrundlage zu ermitteln sowie die Besteuerung durchzuführen, und all dies in rechtmäßiger Art und Weise, kann an der Bestechlichkeit, dem Grad der Aufklärung des Steuerpflichtigen über seine Rechte und Pflichten und an den ihm tatsächlich gewährten Rechten abgelesen werden. Im Fall einer Bestechlichkeit der Steuerbeamten kommen beispielsweise Zweifel beim Steuerpflichtigen an der gerechten Besteuerung auf. Die Bereitschaft, bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage mitzuwirken, lässt dann nach. Staatliche Einnahmen gehen in Form von Bestechungsgeldern an den Steuerbeamten verloren und andererseits durch die schwindende Mitwirkung des Steuerpflichtigen beim Besteuerungsverfahren. Letzteres ist nicht nur Folge der durch Korruption ausgelösten Willkür, sondern auch Konsequenz mangelnder Kooperation mit den Steuerpflichtigen durch fehlende Aufklärung über das Besteuerungsverfahren sowie durch die Verletzung seiner Rechte bei der Ermittlung des Sachverhaltes.
55 56 57
Ebenda, S. 7 m.w.N. Ebenda, S. 7 m.w.N. Ebenda, S. 8 m.w.N.
180
Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
dd) Einnahmeperformanz58 Die oben beschriebenen Faktoren drücken sich in dem Verhältnis von tatsächlich eingenommenen und einnehmbaren Steuern aus. Die Leistungsfähigkeit spiegelt sich teilweise auch im Verhältnis von Steuereinnahmen zum Bruttoinlandsprodukt sowie in der Höhe der eingenommenen direkten Steuern wider. c) Fazit Aus den in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellten Kriterien Christian von Soests lässt sich die staatliche Leistungsfähigkeit für die Operationalisierung in das Abkommensrecht wie folgt artikulieren und definieren: Staatliche Leistungsfähigkeit im steuerrechtlichen Sinne soll die Fähigkeit sein, die staatlichen Aufgaben aus dem Haushalt zu finanzieren, die durch die Leistungsfähigkeit, Steuern zu erheben, bestimmt ist. Der Begriff der Leistungsfähigkeit der Steuererhebung lässt sich mit der Qualität von Beschaffungsakt und Verwertung der Informationen, der Leistungsorientierung der Mitarbeiter sowie Einnahmeperformanz umschreiben. Diese können damit unterschiedlicher Ausprägung sein, müssen aber in ihrer Gesamtschau den Rückschluss zulassen, dass eine Korrektur der ursprünglichen steuerlichen Aufteilung angemessen ist.
2. Normative Verzahnung staatlicher Leistungsfähigkeit und wirtschaftlicher Zugehörigkeit Das im vorigen Kapitel formulierte Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit lässt noch offen, ob allein aus der mangelnden Leistungsfähigkeit der Steuerverwaltung eine Korrektur ausgelöst werden soll. Eine Korrektur könnte nämlich unangemessen sein, auch wenn die Leistungsfähigkeit gemindert ist. Die Wertung, die dieser Angemessenheit zugrunde zu legen ist, muss noch ermittelt werden. Anhaltspunkt hierfür ist das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit. Um zu prüfen, inwieweit die Wertung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit zugrunde gelegt werden kann, wird zunächst im Detail auf die Funktionsweise des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit eingegangen. Ferner werden seine begrifflichen Variationen erörtert. a) Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit In der vorliegenden Arbeit wurde das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit vor allem als ausgleichende Kombinationswirkung von Vorteils- und Leistungsfä58
Ebenda, S. 9 m.w.N.
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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higkeitsprinzip charakterisiert.59 Nach dem Vorteilsprinzip sollen die vom Staat zur Verfügung gestellten Vorteile eine wirtschaftliche Verpflichtung zur Beitragsleistung begründen. Diese soll aber der Höhe nach unabhängig von den in Anspruch genommenen Vorteilen sein. Entsprechend dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit soll sich die Höhe der Beitragsleistung – wie es bei innerstaatlichen Besteuerungsfällen der Fall ist – nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen richten.60 Die Leistungsfähigkeit spiegelt den Grad der tatsächlich entfalteten wirtschaftlichen Interessen wider. Dort wo die vom Staat gewährten wirtschaftlich relevanten Vorteile für die wirtschaftlichen Interessen des Einzelnen am größten sind, dort wird sich das wirtschaftliche Interesse auch am größten entfalten. Nicht jeder staatliche Vorteil ist somit von wirtschaftlichem Interesse und kann die Höhe der Besteuerung bestimmen. Von einer solchen Wirkungsweise durch die Kombination dieser beiden Prinzipien war auch die damalige Expertenkommission überzeugt. Sie machte daraus das tragende Prinzip ihrer Überlegungen zur Frage über die Vermeidung von Doppelbesteuerungen. Aus Sicht der Expertenkommission war das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit – laut ihrem Bericht von 192361 – dem damals vorherrschenden Vorteils-62 und Aufwandsprinzip63 weit überlegen. Die letztgenannten Prinzipien waren nicht geeignet, einen Maßstab zu bieten, um die von den jeweiligen Staaten beanspruchte Höhe der Besteuerung zu rechtfertigen.64 Je mehr also der Steuerpflichtige entsprechend seinem wirtschaftlichen Interesse mit der Einkalkulierung staatlicher Faktoren aus dem einen Staat Vorteile zieht, desto
59
Siehe hierzu in der thematischen Einführung, S. 17 f. Ebenda. 61 Report on Double Taxation Submitted to the Financial Committee by Professor Bruis, Einaudi, Seligman and Sir Josiah Stamp, Document E.F.S. 73 F.19, April 5 1923, auch abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4003. 62 Ebenda, S. 18 bzw. S. 4022; obwohl bei genauerer Betrachtung das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit das Vorteilsprinzip im heutigen internationalen Steuerrecht umfasst, geht, wie Nancy Kaufmann bereits festgestellt hat, die Literatur maßgeblich vom Vorteilsprinzip aus: Musgrave, R. A., The Theory of Public Finance, 1959, S. 61 f.; Schindel, A./ Atchabahian, A., Source and Residence: New Configuration and Principles: General Report, in: International Fiscal Association, Cahiers de Droit Fiscal International, Vol. 90a, 2005, S. 33; McLure, Ch. E., Source-Based Taxation and Alternatives to the Concept of the Permanent Establishment, in: Canadian Tax Foundation (Hrsg.), World Tax Conference 2000, 2000, S. 6; Shay, S. E./Fleming, J. C./Peroni, R. J., What’s Source Got to Do With It?: Source Rules and U.S. International Taxation, Tax Law Review, 2002, S. 90 f.; Vogel, Klaus, Worldwide vs. Source Taxation of Income – A Review and Re-Evaluation of Arguments, Intertax, 1988, 394 f.; Vogel, Klaus, Which Method should the European Community Adopt for the Avoidance of Double Taxation?, Bulletin for International Fiscal Documentation, 2002, S. 4, 8. 63 Report on Double Taxation 1923, S. 18, auch abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4022: cost theory. 64 Ebenda, S. 20 bzw. S. 4024; siehe in der Kurzzusammenfassung von Griziotti, Benvenuto, Internationale Steuerverteilung und Steuerklassifikation, Weltwirtschaftliches Archiv Bd. 32, 1930, S. 203, 208. 60
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
höher ist auch seine in diesem Staat relevante Leistungsfähigkeit.65 Ort und Quelle seines Vermögenszuwachses befinden sich in diesem Staat. Auch eine etwaige Vermögensverwendung ist Ausdruck seiner Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig kann die Vermögensverwendung nur reibungslos vollzogen werden, wenn staatliche Sicherung in Form von Gesetzmäßigkeit und Rechtsdurchsetzung vorhanden ist.66 Je mehr das wirtschaftliche Interesse unter anderem in Form der Vermögensvermehrung oder -verwendung in dem jeweiligen Staat zur Geltung kommt, desto höher ist die Leistungsfähigkeit. Bei physisch Ansässigen ist eine solche Verwurzelung regelmäßig gegeben, da sich der Ort des wirtschaftlichen Geschehens vorwiegend dann am Ansässigkeitsort befindet.67 Demnach richtet sich die Besteuerung dem Grunde nach und in der Höhe nach dem verwirklichten wirtschaftlichen Interesse. Die Schaffung von und die Verfügungsmacht über das Vermögen sind Kernelemente wirtschaftlichen Handelns. Neben dieser in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Charakterisierung soll das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit auch aus Sicht von Schanz, der Expertenkommission des Völkerbundes, von Lang, Tipke und Valta dargestellt werden,68 um die Idee und Funktionsweise dieses Prinzips weiter zu verdeutlichen und greifbarer zu machen. Das ermöglicht, Rückschlüsse auf die normative Wertung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit zu ziehen. aa) Georg von Schanz und das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit Georg von Schanz hat noch zeitlich vor der Expertenkommission das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entwickelt. Schanz hat das Prinzip wie folgt formuliert:
65
Ebenda, S. 21 – 23 bzw. S. 4025 – 4027. Tipke lässt diesen Zusammenhang außen vor: „Die Nutzung-Aufteilungs- oder Verteilungsgerechtigkeit – sie ist eine zwischenstaatliche Gerechtigkeit, soll durch Vermeidung von Doppelbelastung aber auch dem Steuerpflichtigen Gerechtigkeit widerfahren lassen – liegt der Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips auf das Inlands– und auf das Auslandeinkommen voraus.“, in: Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl.(2000), S. 522 f. 66 Report on Double Taxation 1923, S. 23 bzw. auch abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4027. 67 Ebenda, S. 25 bzw. S. 4029. 68 Siehe Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 47 f.; Schanz, Georg von, Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanzarchiv, 1923, S. 353, 356; Lang, Joachim, Steuergerechtigkeit und Globalisierung, in: Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, S. 47; Report on Double Taxation Submitted to the Financial Committee by Professor Bruis, Einaudi, Seligman and Sir Josiah Stamp, Document E. F. S. 73 F. 19, April 5 1923 S. 18, auch abgedruckt in: Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4022. Tipke trennt jedoch zwischen Leistungsfähigkeitsprinzip und der Verteilungsgerechtigkeit, sodass die in dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zum Ausdruck kommenden Synthese nicht mehr gezogen wird, siehe hier Fußnote 65.
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„[…] Diese wirtschaftliche Zugehörigkeit durchläuft verschiedene Intensitätsstufen; sie gleicht darin den mannigfaltigen Formen, die bei einer privatrechtlichen Vereinigung oder Gesellschaft mit ihren verschiedenen Haftungsgraden von der Haftung mit einem beschränkten Vermögensteil bis zur unbeschränkten möglich sind. Bei der wirtschaftlichen Zugehörigkeit ist für den mehr oder weniger intensiven Charakter entscheidend, ob es lediglich Konsumtionsakte, oder ob es lediglich Erwerbsakte, oder ob es beide zugleich sind, durch die eine Person zu einer Gemeinschaft in Beziehung tritt. Die wirtschaftliche Zugehörigkeit hat einen mehr passiven Charakter, wenn sie sich bloß in Konsumtionsakten äussert, ihr Umfang erschöpft sich in dem jeweils verzehrten Einkommen. Dagegen wird sie erheblich inniger, wenn sie sich in der Anteilnahme am Erwerbsleben äussert, und wird besonders intensiv, wenn Produktion und Konsumtion vereinigt auftreten. Der erstere Fall liegt überall da vor, wo jemand einen Besitz in einer Gemeinschaft hat, in der er nicht zugleich wohnt. […]69 Jeder, der wirtschaftlich an die Gemeinschaft gekettet ist, d. h. jeder, dem aus der Erfüllung der Aufgaben des Gemeinwesens Vorteile erwachsen, trägt zu den Lasten bei. Die Bewohner, welche es notwendig machen, für Sicherheit nach aussen und innen zu sorgen, Verkehrswege herzustellen, sanitäre, erzieherische, volkswirtschaftliche und sonstige kulturelle Aufgaben zu erfüllen, sind hierbei ebenso berücksichtigt, wie diejenigen, die ausserhalb der Gemeinschaft leben, aber auf den Schutz der letzteren für ihr Eigentum angewiesen sind und in Form von Wertsteigerungen, Gewinnen und sicheren Revenüen die Aufwendungen der Gemeinschaft mit konsumieren helfen. Erscheint es angesichts dieser Korrelation von Aufwand und Vorteil als das Natürlichste, wenn die Gemeinschaft ihre steuerliche Stütze in der wirtschaftlichen Zugehörigkeit sucht, so zeigt sich auch in anderer Hinsicht diese Abgrenzung als zweckmassig. Wir leiten die Steuerpflicht also aus der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ab.“
Die Expertenkommission ist für die Entwicklung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit von den gleichen Überlegungen ausgegangen, wie im Nachfolgenden gezeigt wird. bb) Völkerbund und das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit Die Expertenkommission hat für die inhaltliche Ausgestaltung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit folgende Kriterien entwickelt, an denen das wirtschaftliche Interesse gemessen werden kann:70 – Quelle der Vermögensmehrung (acquisition of wealth), – Ort des Vermögens (situs of wealth),
69
Von Schanz, Georg, Zur Frage der Steuerpflicht, Finanzarchiv, 1893, S. 365, 368 f. So auch Schanz selbst über diesen Bericht, Schanz, Georg von, Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanzarchiv 1923, S. 353, 356. Der Bericht selbst: Report on Double Taxation 1923, S. 22 – 27 bzw. auch abgedruckt in Legislative History of United States, Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4026 – 4031. 70
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
– Ort der rechtlich effektiven Durchsetzbarkeit der Verfügungsmacht über das Vermögen (enforcement of the rights to wealth) und – Ansässigkeit (residence or domicile). Der aus diesen Kriterien hergeleitete Grad wirtschaftlichen Interesses bestimmt das Maß wirtschaftlicher Verpflichtung gegenüber den jeweiligen in die Vermögensmehrung involvierten Staaten. Verwirklicht eines der Merkmale das wirtschaftliche Interesse in einem Staat in einem besonderen Maße, so kann dadurch die Verwirklichung eines anderen Merkmals in einem anderen Staat insgesamt zurückgedrängt werden. In dem Bericht der Expertenkommission von 1923 wurden als maßgebliche Elemente die Quelle der Vermögensmehrung und die rechtlich effektive Durchsetzung der Verfügungsmacht über das Vermögen genannt.71 So liegt bei Gesellschaftsanteilen beispielsweise die Quelle der Vermögensmehrung im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter, da diese in Form der Bestimmung der Geschäftsleitung wirtschaftlich aktiv werden.72 Wo sich schließlich die Gesellschaftsanteile befinden, ist irrelevant für die wirtschaftliche Zugehörigkeit. Entscheidend ist, wer die Gesellschaftsanteile wirtschaftlich nutzt, sodass es nur auf den Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters ankommt.73 Bei diesem Beispiel wird das Merkmal „Ort des Vermögens“ verdrängt.74 Folgende Methoden wurden von der Expertenkommission vorgeschlagen, die Georg von Schanz in seinem Aufsatz „Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund“ kritisch wiedergegeben hat:75 „1. Die Methode des Abzugs für das vom Ausland herrührende Einkommen. Die Bewohner eines Landes können danach von ihrer Steuer jede Steuer abziehen, die sie in einem anderen Lande, aus dem sie Einkommen erhalten, entrichtet haben. Es wird hier die ganze Last der in Schuldnerländern erhobenen Steuer auf das Gläubigerland abgewälzt. Nach dem Bericht lassen die Vereinigten Staaten von Amerika diese Methode bei ihren eigenen Angehörigen zu; er [der Bericht] bezweifelt aber, ob diese und andere Gläubigerländer, wie England und Holland, auf die Dauer geneigt sind, ihre Schatzkammer unbekannten willkürlichen Steuersteigerungen fremder Staaten auszusetzen. 2. Die Methode der Befreiung für das ins Ausland gehende Einkommen. Sie bedeutet das gerade Gegenteil der ersteren. Die Befreiung geht auf Kosten des Landes der Einkommensquelle, es zahlt die etwa erhobene Steuer dem Fremden zurück oder lässt das betreffende ins Ausland gehende Einkommen steuerfrei. Das soll wohl zugleich nichts anderes bedeuten, als dass auch hier das Domizilland das ganze in- und ausländische Einkommen seiner Einwohner besteuert. 71
Siehe auch Schanz, ebenda, S. 356. Report on Double Taxation 1923, S. 36 bzw. auch abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4040. 73 Ebenda, S. 36 und S. 4040. 74 Ebenda, S. 35 und S. 36 bzw. S. 4039 und S. 4040. 75 Schanz, Georg von, Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanzarchiv 1923, S. 353, 357 f. 72
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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3. Die Methode der Steuerteilung. Es könnten sich Länder dahingehend einigen, dass das Land der Einkommensquelle, ebenso der Domizilstaat z. B. nur die Hälfte ihres Normalsatzes erheben. Das wäre ein Versuch, dem Prinzip der Wirtschaftszugehörigkeit nach beiden Seiten gerecht zu werden und die Last auf beide Staaten zu verteilen. 4. Die Methode der Teilung nach Quellen (the method of classfication and assignment of sources). Durch Verträge einigt man sich dahingehend, dass das Land der Einkommensquelle sein Steuerrecht auf bestimmte Quellen beschränkt, wie auf die Grund- und Hausrenten und Hypotheken, aber frei lässt den Nichtbewohner für Einkommen, das aus Industriepapieren (business securities) herrührt.76 Der Domizilstaat würde gestatten, dass seine Bewohner die fremde Steuer von der heimischen Einkommensteuer abziehen können. Der Bericht hält es für wünschenswert, dem Land der Einkommensquelle Beschränkungen in der Richtung aufzuerlegen, dass es nicht die ihm belassenen Steuerquellen besonders hoch belaste und damit den Staatsschatz des Domizilstaats ausschöpfe.“
Von diesen dargestellten Methoden hat die Expertenkommission empfohlen, Methode 2 als Ausgangspunkt zu nehmen und diese mit Methode 3 und 4 zu kombinieren. Demnach bekennt sich die Expertenkommission zum Welteinkommensprinzip und zu einer sitzstaatsdominanten Besteuerung, und gleichzeitig geht sie davon aus, dass Methode 2 für wirtschaftlich symmetrische Staaten auch am geeignetsten sei, jedoch de facto Methode 3 und 4 die zweite Methode komplementieren. Die oftmals angeführte Kritik, dass Methode 2 – ahistorisch formuliert – nicht das Belegenheitsprinzip beachte,77 greift zu kurz, da die Gutachter der Expertenkommission selbst auf ein solches Prinzip hingewiesen haben.78 Schanz präferiert hingegen die vierte Methode. Diese sei Ausfluss des Quellenstaatsprinzips und offenbar auch eine nach dem Maßstab der wirtschaftlichen Zugehörigkeit konsequente Lösung der Doppelbesteuerung. So führt er aus: „[…] Wenn ein Auswärtiger Geld in einem Lande anlegt, so muss er wissen, dass er sein Schicksal mit diesem Land verkettet, dass er diesem wirtschaftszugehörig wird, dass er an seinen Steuern partizipieren muss. […].“79
76 Mit anderen Worten: Nach Methode 4 soll abkommensrechtlich dem Quellenstaat nur bei bestimmten Einkunftsarten das Steuersubstrat zukommen. Hierbei wird z. B. die Besteuerung der Quellen Grund- und Hausrenten und Hypotheken aufgezählt. Dividendeneinkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen sollen hingegen von der Besteuerung ausgenommen werden. 77 Bräuning, Christoph, Herbert Dorn (1887 – 1957), Diss., 2016, S. 157. 78 Report on Double Taxation Submitted to the Financial Committee by Professor Bruis, Einaudi, Seligman and Sir Josiah Stamp Document E.F.S. 73 F.19, April 5 1923, S. 39 auch abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4043. 79 Schanz, Georg, Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanzarchiv 1923, S. 353, 365.
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Teil 3: Staatliche Leistungsfähigkeit
Schanz verschiebt letztlich den Kontext der wirtschaftlichen Zugehörigkeit konsequent in den der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen im Sinne einer globalen Leistungsfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit wird im Abhängigkeitsverhältnis zur wirtschaftlichen Zugehörigkeit gesehen. Die Leistungsfähigkeit hängt von den die Wirtschaftlichkeit bestimmenden Faktoren ab, die die jeweilige Gemeinschaft in einer bestimmten Intensität anbieten kann. Die Bedeutung des Welteinkommensprinzips wird hierdurch zurückgedrängt. Die Leistungsfähigkeit lässt sich mithin ausschließlich an der wirtschaftlichen Zugehörigkeit theoretisch ablesen und damit aufteilen. Eine sitzstaatsdominierte Besteuerung wird mithin aufgelöst. Schanz tendiert im Gegensatz zum Völkerbund mit seiner Ansicht zum Quellenstaatsprinzip. cc) Begriffliche Variationen Das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit erscheint auch unter anderen Begriffen, etwa der „Gesamtleistungsfähigkeit“, als umschriebene Kombination von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Äquivalenzprinzip oder als globaläquivalente Rechtfertigung. Tipke verwendet den Begriff der Gesamtleistungsfähigkeit80 und umschreibt diesen Begriff im Wesentlichen als Kombination aus dem von Ökonomen entwickelten Äquivalenzprinzip81 und dem juristisch geprägten Leistungsfähigkeitsprinzip.82 Damit deckt sich das Prinzip der Gesamtleistungsfähigkeit inhaltlich mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit.83 Der Begriff der Gesamtleistungsfähigkeit, der die inländischen und ausländischen Einkünfte mittels der Besteuerung nach dem Welteinkommensprinzip berücksichtigt, darf nicht dazu verleiten, den verkürzten Schluss zu ziehen, es bestünde die Pflicht, die Doppelbesteuerungen – beispielsweise aus der Sicht Deutschlands – im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG zu beseitigen.84 Die Leistungsfähigkeit für steuerliche Zwecke ist grundsätzlich nationalstaatlich zu verstehen.85
80
Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., 2000, S. 522 f. Für weitere Nachweise für die Bedeutung territorial-äquivalenztheoretischer Ansätze im internationalen Steuerrecht: siehe Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 22 m.w.N. 82 Lang, Joachim, Steuergerechtigkeit und Globalisierung, in: Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, S. 45. 83 Für weitere Nachweise für die Bedeutung im Leistungsfähigkeit im internationalen Steuerrecht: siehe Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner Doppel-besteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 20 m.w.N. 84 Zur Diskussion: Frotscher, Gerrit, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, S. 12 – 14, Rn. 34 – 41. 85 Darstellung der herrschenden Meinung sowie mögliche Modifizierungen aufgrund der europäischen Grundfreiheiten: ebenda, S. 12, Rn. 34 f. 81
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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Lang verzichtet auf einen eigenständigen Begriff und spricht vielmehr von der Kombination von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Äquivalenzprinzip. Das Äquivalenzprinzip fußt auf dem Gedanken, dass die Besteuerung des Einzelnen deshalb gerechtfertigt sein soll, weil der Steuerzahler Vorteile aus einer steuerfinanzierten Gemeinschaft zieht.86 Der Begriff des Vorteilsprinzips deckt sich mit dem Äquivalenzprinzip. Lang hat den Begriff des Äquivalenzprinzips durch den Begriff „Vorteilsprinzip“ ersetzt, um der eigentlichen Bedeutung des Prinzips Geltung zu verschaffen.87 Valta hat in seiner Arbeit „Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und. Entwicklungshilfe“ die globaläquivalente Rechtfertigung als maßgebend für die Lösung der im DBA-Recht bestehenden Verteilungskonflikte zwischen Bürger und Staat sowie horizontal zwischen den Staaten erachtet.88 Die globaläquivalente Rechtfertigung ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit.89 Mit der Verwendung des Begriffs der globaläquivalenten Rechtfertigung kommt seine theoretische Legitimation zum Ausdruck, die von Valta mit Effizienz- und Gerechtigkeitskriterien begründet wurde, was bisher beim Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nicht geschehen ist. Anhand der als Steuerrechtfertigungen systematisierten internationalen Besteuerungsprinzipien90 sowie anhand der naturrechtsähnlichen91 Gerechtigkeitsphilosophie John Rawls’ hat Valta Steuergerechtigkeitsmaßstäbe entworfen, die für sich eine internationale Allgemeingültigkeit beanspruchen.92 Diese hat er mit legitimationstheoretischen Überlegungen sowie ökonomischen und entwicklungstheoretischen Erkenntnissen untermauert. Aus diesen Untersuchungen leitet er ab, dass die internationale Steuerrechtsordnung das Ergebnis der Operationalisierung einer Gerechtigkeitsaussage sei, die alle Menschen eint. Die globaläquivalente Rechtfertigung entspräche dem menschlich angeborenen Drang nach materieller Grundausstattung und eine die Menschheit in der Weise, dass unabhängig von den existierenden Varianten der Gerechtigkeitsgemeinschaften alle Menschen im Urzustand vernünftige und rationale Entscheidungen treffen wollen und daher von einer fairen
86 Lang, Joachim, Steuergerechtigkeit und Globalisierung, in: Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, S. 47; ähnlich Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl. 2000, S. 523; Vogel, Klaus, Worldwide vs. Source Taxation of income (Part III), Intertax 1988, S. 393, 395 m.w.N. 87 Ähnlich Lang, Joachim, Steuergerechtigkeit und Globalisierung, in: Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, S. 46. 88 Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 48. 89 Siehe hierzu auch im Einzelnen Teil 4 II. 90 Siehe zum Ganzen: Ebenda in § 2, S. 18 ff. 91 Ähnl. Coing, Helmut, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1993, 5. Aufl., S. 128. 92 Siehe zum Ganzen: Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, in: § 2 C., S. 54 ff.
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Verhaltenserwartung bestimmt seien.93 Die Belastungshöhe sei daher vernünftigerweise auch in Abhängigkeit der Staatsleistung zu setzen. Aus zwischenstaatlicher Sicht lasse sich ferner mit der Globaläquivalenz erklären, wann die Überlassung von Steuersubstrat Entwicklungshilfe darstellt. Das sei nämlich dann der Fall, wenn die Überlassung nicht von der globaläquivalenten Rechtfertigung gedeckt ist, das heißt, es hätte vernünftigerweise nicht von dem begünstigten Staat erwartet werden können, dass ihm das Steuersubstrat zugewiesen wird, weil dieser selbst keine äquivalente Staatsleistung hätte erbringen können.94 Dieser einheitliche Maßstab ermögliche, jede Operationalisierungsentscheidung der Gerechtigkeitsaussagen und jede Anwendung dieser Rechtssätze danach zu bemessen und zu beurteilen, inwieweit diese dem Leistungsfähigkeitsprinzip am nächsten kommen. Diese Annäherung an die in der globaläquivalenten Rechtfertigung zum Ausdruck kommende „faire“ Verhaltenserwartung erfolge unabhängig vom Rechtssystem und politischen System.95 Die globaläquivalente Rechtfertigung finde empirisch,96 historisch97 und philosophisch98 Bestätigung und erlange durch tatsächliche Anerkennung auch normative Geltung.99 Mit dem Maßstab der globaläquivalenten Rechtfertigung solle die „bessere“ beziehungsweise gerechtere Operationalisierung der Gerechtigkeitsaussage gefunden werden.100 Die Vielfalt der Gerechtigkeitsideen entspringe einem einzigen Gerechtigkeitsgedanken, sodass die globaläquivalente Rechtfertigung als übergeordnete Gerechtigkeitsaussage jeden Staat insoweit einbeziehe.101 Grund für die Verwendung unterschiedlicher Begriffe für ein und dasselbe Prinzip ist vermutlich die weitverbreitete Kritik, dass das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit lediglich ein „Blankettbegriff“ sei.102 Das zeige sich darin, dass der Begriff kritiklos und willkürlich entsprechend dem verfolgten Ergebnis verwendet worden sei. Das wäre schon zu Zeiten der Expertenkommission zu sehen gewesen. Dort hätte sich dies darin geäußert, dass zum Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zweifelhafte technische Empfehlungen zu den Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gemacht worden seien.103 Eine solche Kritik erscheint jedoch übereilt. Die unzutreffende Verwendung des Begriffs lässt keinen Rückschluss auf den Inhalt des Prinzips zu. Auch die Qualität der technischen Empfehlungen der Expertenkommission, wie die Zuweisung des 93
Ebenda, S. 6, S. 14, S. 16 und S. 126. Ebenda, S. 168. 95 Ebenda, S. 16, S. 73, S. 75 und S. 144. 96 Ebenda, S. 32. 97 Ebenda, S. 48. 98 Ebenda, S. 126. 99 Ebenda, S. 32. 100 Ebenda, S. 52. 101 Ebenda, S. 144. 102 Vogel, Klaus, Worldwide vs. Source Taxation (Part I), Intertax 1988 S. 216, 220. 103 Ebenda. 94
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Steuersubstrats gemäß dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit praktisch umgesetzt werden müsse, beinhaltet keine inhaltliche Aussage über das Prinzip selbst. Die daran anschließende Expertenkommission hat über die technische Umsetzung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit beraten und nicht das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit verworfen.104 Eine Ablehnung ist daher verfehlt.105 Der Begriff der wirtschaftlichen Zugehörigkeit hat nachweislich einen bestimmbaren Inhalt, der dem aktuellen internationalen Steuerrecht seine Gestalt gibt. dd) Schlussfolgerung für den Untersuchungsgegenstand Dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit liegen Kriterien zugrunde, die das Individuum als Ausgangspunkt haben.106 Die von Valta entwickelte Rechtfertigungslehre der Globaläquivalenz spiegelt das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit mit Tiefenschärfe wider und weist ihm normative Wirkung zu. Deutlich wird ferner, dass sich beim Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit beziehungsweise der Globaläquivalenz die Gerechtigkeitsfrage darin erschöpft, ob die Besteuerung gerecht für den Einzelnen ist. Die Frage der zwischenstaatlichen Gerechtigkeit wird damit aus der horizontalen Gerechtigkeit abgeleitet.107 Die Beantwortung der Frage, ob die internationale Steuerrechtsordnung auch zwischenstaatlich „gerecht“ sei, erfordert jedoch gerade, sich damit auseinanderzusetzen, weshalb sich die zwischenstaatliche Gerechtigkeit bisher nach der individuellen Leistungsfähigkeit in Form der Globaläquivalenz, wirtschaftlichen Zugehörigkeit bezie104 Siehe Double Taxation and Tax Evasion – Reports and Solutions Submitted by the Technical to the Financial Committee, Document F 212, 7. Februar 1925, S. 9 auch abgedruckt in Legislative History of United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4069. Siehe auch Document C 216 M. 85 1927 II S. 5 bzw. Legislative History, S. 4119. Aus Sicht des Mitglieds des ersten Finanzausschusses, Seligmann, Edwin R., Double Taxation and International Fiscal Cooperation – Eine Sammlung von Vorlesungen an der Académie de Droit International de La Hague, 1928, S. 114 – 165. Auch Lehner geht von einer fehlenden praktischen Wirksamkeit des Gutachtens „Report on Double Taxation Submitted to the Financial Committee“ aus, das am 5. April 1923 fertiggestellt wurde, und beruft sich u. a. auf die Abhandlung von Graetz, Michael J./O‘Hear, Michael M., The „Original Intent“ of U.S. International Taxation, Duke Law Journal 1997, S. 1021, 1079. Graetz und O‘Hear verkennen in ihrer Abhandlung, dass die Technical Experts nur die Umsetzungsweise kritisiert, jedoch nicht das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit abgelehnt haben oder gar die dominierende Sitzstaatsbesteuerung. Die die internationale Steuerrechtsordnung maßgeblich prägenden Ergebnisse stammen aus dem Bericht von 1923, während die daran anschließenden Arbeiten grundlegend für die technische Umsetzung des Prinzips gewesen sind; a.A. Bräuning, Christoph, Herbert Dorn (1887 – 1957), Diss., 2016, S. 155 – 158. 105 So aber Dorn, Herbert, Das Recht der internationalen Doppelbesteuerung, Viertelsjahresschrift für Steuer- und Finanzrecht 1927, S. 189; Vogel, Klaus Worldwide vs. Source Taxation (Part I), Intertax 1988 S. 216, 220. 106 Siehe hierzu auch im Einzelnen Teil 3 II. 2. a). 107 Siehe Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 74 f.
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hungsweise nach dem Gesamtleistungsfähigkeitsprinzip gerichtet hat. Ein Staat, der sich das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu eigen macht, bekennt sich auch zur demokratischen und humanistischen Idee der Individualität des Einzelnen. In der Regel sind nur entwickelte Demokratien in der Lage, der Individualität ausreichend Schutz zu bieten. Diesen liegt der Grundgedanke zugrunde, dass staatliche Interessen im Sinne eines öffentlichen Interesses nur ausnahmsweise die individuelle Freiheitsentfaltung des Einzelnen einschränken dürfen. Doppelbesteuerungsabkommen also, die stets dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit folgen, haben bei autoritären Staaten zwingend zur Folge, dass Abkommensregelungen im Widerspruch zu den eigenen autoritären Handlungsparametern stehen könnten. Ihre primären staatlichen Interessen stellen sie üblicherweise stets über die individuellen Interessen ihrer Bürger. Doppelbesteuerungsabkommen sind jedoch demokratische Werte immanent. Ein Steuerverzicht gemäß dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit erscheint auf Seiten wirtschaftlich schwächerer Staaten daher unlogisch. Die dem Doppelbesteuerungsabkommen immanenten westlich-demokratischen Werte einerseits und ihre wirtschaftliche Ungeeignetheit für Entwicklungs- und Schwellenstaaten andererseits könnten aus Sicht der betroffenen schwächeren Staaten daher den Eindruck erwecken, dass mit dem Doppelbesteuerungsabkommen eine politische Auffassung „aufgezwungen wird“, die wirtschaftlich im Hinblick auf das Steueraufkommen keine Vorteile bietet. Das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit ist darauf ausgerichtet, dass bei asymmetrischen Volkswirtschaften der Steuerverzicht für maßgeblich kapitalimportierende Staaten nachteilig ist. Die Überlegung, dass an dortiger Stelle Entwicklungshilfe beginnt, wo überobligatorisch Steuersubstrat dem Entwicklungsstaat überlassen wird,108 wirft die Frage auf, aus welchen Gründen die Abgrenzung zwischen Entwicklungshilfe und gerechtfertigter Besteuerung von einer bestimmten austauschbaren Gerechtigkeitstheorie abhängig sein soll. Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit könnte diese Problematik dadurch lösen, dass es im Einzelfall als Ausnahme zum Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit das Steuersubstrat dem Entwicklungsstaat zuweist, sodass die Zuweisung keine Entwicklungshilfe darstellt. Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis ermöglicht, zum Ausdruck zu bringen, dass nur ausnahmsweise der abkommensrechtliche Schutz des Steuerpflichtigen vor Doppelbesteuerungen zurücktritt, sodass eine pflichtenkorrigierende und nicht eine ersetzende selbstständig pflichtenbegründende Wirkung des neuen Prinzips zum Tragen kommt. Ein ersetzendes Prinzip beziehungsweise gleichrangiges Prinzip müsste die Pflicht zum Steuerverzicht neu begründen, während im Zusammenspiel mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit sich die Pflicht zum Steuerverzicht aus den westlich-demokratischen Werten ableitet, die dem Leistungsfähigkeitsprinzip zugrunde liegen.
108 Siehe Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 168.
II. An der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiertes Prinzip
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b) Konnexität zwischen staatlicher Leistungsfähigkeit und wirtschaftlicher Zugehörigkeit In dem vorangegangenen Kapitel wurde festgestellt, dass das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit weiterhin in der Rangordnung als Ausgangspunkt abkommensrechtlicher Beurteilungen beizubehalten ist. Auf diese Weise kommt in dem Korrekturprinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit zum Ausdruck, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip und damit der Schutz des Individuums grundsätzlichen Vorrang gegenüber dem staatlichen Interesse hat. Gleichzeitig wird hierdurch deutlich, dass nur ausnahmsweise vom wirtschaftlichen Zugehörigkeitsprinzip und damit vom Leistungsfähigkeitsprinzip abgewichen werden darf. Eine solche Ausnahme liegt dann vor, wenn die wirtschaftliche Bedürftigkeit des Staates so groß ist, dass ein Steuersubstratverzicht auf Seiten des Industriesstaates erforderlich wird. Die Kriterien, die die wirtschaftliche Bedürftigkeit feststellen und abkommensrechtlich einen Steuersubstratsverzicht auslösen sollen, werden in erster Linie von der Leistungsfähigkeit der Finanzbehörden, Steuern zu erheben, geprägt sein. Während sich die wirtschaftliche Bedürftigkeit weitestgehend wertneutral feststellen lässt, bleibt es eine Wertungsfrage, ob zwingend ein Steuersubstratsverzicht ausgelöst werden soll. Damit der Ausnahmemechanismus zur Geltung kommt, ist die Werteordnung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit diesen Kriterien zugrunde zu legen. Hierdurch kommt dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit ein Anwendungsvorrang zu. Nur wenn seine Anwendung nicht angemessen erscheint, soll der Ausnahmemechanismus subsidiär in Gang gesetzt werden. Liegt ein Subsidiaritätsverhältnis vor, so muss eine Zuweisung des Besteuerungsrechts entsprechend dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zusätzlich auch dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit Rechnung tragen. Das wird regelmäßig durch das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit auch erfüllt. Dieses folgt der sitzstaatsdominierenden Besteuerung. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass dort, wo die Finanzverwaltung am besten das Steuersubstrat ermitteln und einziehen kann, dem Staat auch das Besteuerungsrecht zugewiesen werden sollte. Ist die Steuerverwaltung defizitär, wird der Anwendungsvorrang des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit in Frage gestellt. An dieser Bruchstelle lässt sich die Korrekturerfordernis dieses Prinzips verdeutlichen. Dieses soll im Folgenden dargestellt werden. Im Anschluss wird dann die Korrektur des Anwendungsvorrangs anhand der im deutschen Steuerrecht in der Vergangenheit vorgenommenen Korrektur des Welteinkommensprinzips durch die Freistellungs- beziehungsweise Anrechnungsmethode erläutert. aa) Gleichmäßige Besteuerung versus defizitäre Steuerverwaltung Mit dem Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit im Sinne einer Gesamtleistungsfähigkeit kommt, wie schon bei dem Prinzip der wirtschaftlichen Zuge-
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hörigkeit dargestellt, der Gedanke zum Ausdruck, dass der einzelne als Nutznießer einer vom Staat finanzierten Gemeinschaft seinen Beitrag leisten muss, und zwar insoweit er dazu in der Lage ist, diesen zu entrichten, ohne dass die Einnahmen generierenden Tätigkeiten dadurch ihren wirtschaftlichen Gehalt verlieren.109 Ein System, das auf diesem Prinzip fußt, verfolgt schwerpunktmäßig den Zweck, den Steuerpflichtigen nicht nur der gleichmäßigen Besteuerung zu unterwerfen, sondern auch das staatliche Besteuerungsrecht zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu begrenzen.110 Dies setzt eine funktionierende Steuerverwaltung voraus. Die gleichmäßige Besteuerung jedes Steuerpflichtigen bedeutet, dass die Finanzbehörden dazu imstande sein müssten, ähnlich gelagerte Sachverhalte gleich zu beurteilen, was aber vor allem die Fähigkeit voraussetzt, diese Sachverhalte auch entsprechend ermitteln zu können.111 Dazu bedarf es vor allem Mechanismen, die etwaigen Verletzungen von Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen vorbeugen, und zwar in der Form eines ausgeprägten Dienstleistungsgedankens und eines Sanktionensystems.112 In den meisten Entwicklungs- und Schwellenstaaten fehlt es an solchen Mitteln. Eine gleichmäßige Besteuerung ist nicht möglich, was zugleich zu einer schwindenden „tax compliance“ führt.113 Ferner kommt es mangels ausreichender Überwachung behördlichen Handelns zu einer Privatisierung behördlicher Entscheidungen in Form von zusätzlichen „Gebühren“ für den Steuerpflichtigen.114 Der Umsetzungsgrad der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in solchen Staaten ist daher verhältnismäßig niedrig. Gleichzeitig ist die Finanzverwaltung deshalb nicht in der Lage, das potentielle Steueraufkommen angemessen abzuschöpfen.115 Folglich müsste in erster Linie das Ziel dieser Staaten sein, das Niveau der von potentiellen Steueraufkommen tatsächlich vereinnahmten Steuern zu erhöhen. Die Idee der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip wird vor diesem Hintergrund zu einem Mittel reduziert, mit dem der Besteuerungsumfang rationalisiert wird. Sein eigentlicher Zweck, eine gerechte Besteuerung des Einzelnen zu schaffen, wird somit ersetzt durch das Ziel, eine stabile staatliche Einnahmequelle herzustellen.
109
Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., 2000, S. 522 f. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., 2000, S. 488 ff. unter dem Stichwort rechtstaatliches Willkürverbot. 111 Siehe Teil 1 IV. 3. 112 Ebenda. 113 Ebenda. 114 Ebenda. 115 Ebenda. 110
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bb) Technische Umsetzung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit Die technische Umsetzung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit soll das zuvor besprochene Regel-Ausnahme-Verhältnis verwirklichen. Hierfür werden am Beispiel des Welteinkommensprinzips und seiner Begrenzung entsprechende Mechanismen entwickelt. (1) Beispiel einer bereits erfolgreichen Implementierung in ein Prinzipiengerüst Das Welteinkommensprinzip diente ursprünglich der Konkretisierung einer inländischen Leistungsfähigkeit ganz im Sinne des Totalitätsprinzips.116 Nicht berücksichtigt wurden deshalb die für die Leistungsfähigkeit relevanten wirtschaftlichen Faktoren, insbesondere in Form einer Doppelbesteuerung, die auf den Anteil der ausländischen Einkünfte entfiel. Globalisierung und die damit einhergehende Ausweitung der internationalen Handelsbeziehungen erforderten, Modifikationen vorzunehmen. In diesem Lichte verstößt das Welteinkommensprinzip für sich gesehen gegen die Idee einer gerechten Besteuerung.117 Für Fälle grenzüberschreitender Sachverhalte musste daher das deutsche Einkommensteuerrecht internationalisiert werden. Das Welteinkommensprinzip wurde nicht ersetzt durch ein anderes Prinzip, sondern wurde entsprechend dem Leitgedanken des Leistungsfähigkeitsprinzips im Sinne einer Gesamtleistungsfähigkeit modifiziert, indem Korrekturmechanismen in der Gestalt der Freistellungs- und Anrechnungsmethode implementiert wurden.118 So wurden die Auswirkungen des Welteinkommensprinzips durch das Gesamtleistungsfähigkeitsprinzip eingeschränkt. Diese Begrenzung wurde mittels der Anrechnungs- und Freistellungsmethode technisch erreicht. Nach diesem Vorbild muss sich auch die technische Umsetzung des staatlichen Leistungsfähigkeitsprinzips richten. (2) Technische Umsetzung anhand des ausgeführten Beispiels Entsprechend den soeben gemachten Ausführungen soll auf ähnliche Art und Weise das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit in die bestehende Struktur des internationalen Steuerrechts implementiert werden. Ausgangspunkt bleibt somit das dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entspringende System. Das Prinzip 116 Siehe hierzu Vogel, Klaus, Worldwide vs. Source Taxation of income (Part I), Intertax 1988, S. 216, 219. 117 Ähnl. Schaumburg, Harald, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im internationalem Steuerrecht, in FS Tipke, 1985, S. 125, 132. 118 Ähnl. Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im internationalen Steuerrecht, FS für Klaus Tipke 1995, S. 131; ähnl. Schulze-Brachmann, Arno, Totalitäts- oder Territorialitätsprinzip, StuW, 1964, S. 590, 593.
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der Leistungsfähigkeit der Steuererhebung hat damit die Funktion, ein mit dem wirtschaftlichen Zugehörigkeitsprinzip zunächst gefundenes Ergebnis unter Umständen zu korrigieren beziehungsweise seine Wirkung einzuschränken. Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit berücksichtigt das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen zwei DBA-Vertragsstaaten und den asymmetrischen Investitionsfluss. Stellt sich die auf dieser Grundlage ermittelte staatliche Leistungsfähigkeit des Schwellenstaates als schwach heraus, so wird die Zuweisung des Besteuerungsrechts zum Industriestaat korrigierend rückgängig gemacht und dem Schwellenstaat zugewiesen. Zugleich muss aber verhindert werden, dass das Korrekturprinzip bei jeder schwachen Leistungsfähigkeit ausgelöst wird. Maßgebend müssten daher Verantwortungssphären sein. Im Nachfolgenden sollen diese unter den Begriffen „Korrekturbedürftigkeit“ und „Korrekturwürdigkeit“ als Voraussetzungen für die grundsätzliche Anwendbarkeit des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit rechtlich operationalisiert werden. Werden diese Prämissen erfüllt, ist der subjektive Anwendungsbereich eröffnet. Damit dann auch eine Korrektur des konkreten DBAEinzelfalles erfolgen kann, müsste der konkrete Steuerverzicht in dem jeweiligen DBA-Fall aufgrund der asymmetrischen Zahlungsbilanz für den Entwicklungsstaat nachteilig sein. Das wird im Nachfolgenden unter dem Begriff des „objektiven Anwendungsbereiches“ erläutert. Schließlich ist die konkrete technische Umsetzung der Einzelfallkorrektur vorzunehmen. Hierbei sind insbesondere die Andockstellen der Korrektur herauszuarbeiten, was unter dem Gliederungspunkt „Rechtstechnische Korrekturprüfung“ erörtert wird. (a) Subjektiver Anwendungsbereich Die Verantwortung, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik zu betreiben, kann trotz des Kräfteungleichgewichts nicht auf die stärkeren Volkswirtschaften abgewälzt werden.119 Andererseits dürfen die in die Tat umgesetzten Reformen nicht durch Ausnutzung einer wirtschaftlichen und politischen Zwangslage, in der sich ein Entwicklungs- oder Schwellenstaat befindet, konterkariert werden. Eine Zuweisungskorrektur des Besteuerungsrechts ist als Ausgleich für das Dilemma zwischen der Generierung von Steueraufkommen für die Finanzierung des eigenen wirtschaftlichen Aufschwungs und dem Wettbewerb untereinander um ausländische Direktinvestitionen mittels „steuerlicher Vergünstigungen“ zu sehen. Finden sich somit beispielsweise die Gründe für die schwache Leistungsfähigkeit der Steuererhebung im mangelnden Willen zur Umsetzung entsprechender Reformen, so verliert der Staat die Bedürftigkeit für eine Korrekturvornahme. Diese Aspekte sollen
119 Ähnlich wird dies von Daurer problematisiert: Daurer, Veronika, Tax Treaties and Developing Countries, Diss., 2014, S. 26; siehe auch Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 168.
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hier in den dafür geschaffenen Merkmalen der Korrekturbedürftigkeit und Korrekturwürdigkeit zur Geltung kommen. (aa) Korrekturbedürftigkeit Unter der Korrekturbedürftigkeit wäre die Leistungsfähigkeit der Steuererhebung zu prüfen, die durch die in II. 1. herausgearbeiteten Indikatoren charakterisiert ist. Der Begriff der Steuererhebungsleistungsfähigkeit lässt sich also mit der Qualität von Beschaffungsakt und Verwertung der Informationen, der Leistungsorientierung der Mitarbeiter sowie Einnahmeperformanz umschreiben. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Ausprägung der einzelnen Indikatoren nur in ihrer Gesamtschau den Rückschluss zulassen muss, dass eine Förderung in der Form einer Korrektur angemessen ist. Auf fixierte Größen für die einzelnen Indikatoren kommt es nicht an. In der Regel korrelieren die gefundenen Ergebnisse mit einer auftretenden wesentlichen Diskrepanz zwischen erwarteten und erwartungsgemäßen Steuereinnahmen. Eine solche Diskrepanz ist allerdings für die Korrekturbedürftigkeit nicht wesentlich, wenn das Verhältnis von eingenommenen Steuern zum Bruttoinlandsprodukt nicht deutlich unter dem des anderen Vertragsstaates liegt. (bb) Korrekturwürdigkeit Die Korrekturwürdigkeit ist hingegen zukunftsgerichtet. Es muss gemäß den Befunden zur Korrekturbedürftigkeit ermittelt werden, ob konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Regierung des Schwellen- oder Entwicklungsstaates entsprechend ihren Möglichkeiten, das heißt innerhalb ihres politischen Systems beziehunsgweise der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur Maßnahmen ergriffen hat, um die identifizierten Mängel zu beheben. Staaten, die ohnehin den wirtschaftlichen Aufschwung verfolgen, können in der Regel aufgrund der vielen Reformen die Korrekturwürdigkeit nachweisen. Schwierig zu identifizieren sind möglicherweise die Maßnahmen, die letztlich auf lange Sicht wegen der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Eigenheiten des untersuchten Staates aus einer ex ante Sicht keinen Erfolg haben können. Hierfür werden die Befunde in einer Gesamtschau vor allem danach zu untersuchen sein, ob diese Anhaltspunkte für eine wesentliche Selbstverschuldung der Situation sprechen. So können beispielsweise strukturelle Mängel wie das politische System oder sonstige systemimmanente Mechanismen nicht ohne Weiteres dem Schwellenstaat oder Entwicklungsstaat als selbstverschuldete Ursache vorgeworfen werden. (b) Objektiver Anwendungsbereich Liegen Korrekturbedürftigkeit und Korrekturwürdigkeit vor und somit auch die Korrekturberechtigung für eine Korrektur des jeweiligen in Rede stehenden DBAFalls, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob der jeweilig gegenständliche DBA-Fall selbst überhaupt einer Korrektur gemäß dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit zugänglich ist. Das ist er, wenn die durch die abkommensrechtliche Ver-
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teilung des Steuersubstrats bedingten Nachteile aus dem asymmetrischen Zahlungsfluss stammen. Die in Teil 2 und in Teil 3 I. erfolgte Untersuchung des Dreieckssachverhalts orientierte sich an den Fragen, wann ein für den Entwicklungsstaat vermeintlich nachteiliger DBA-Fall sich für die korrigierende Wirkung des Korrekturprinzips qualifiziert beziehungsweise wann der (objektive) Anwendungsbereich des Korrekturprinzips eröffnet ist. Die Prüfung dieser Fragen anhand des konkreten Dreickssachverhalts „Song Bung 2“-Fall hat ergeben, dass der objektive Anwendungsbereich eröffnet ist, weil mit der aktuellen Abkommensdogmatik die für Vietnam günstigere Lösung nicht rational vertretbar gemacht werden konnte120 und weil die Abkommensdogmatik für Vietnam eine Lösung vorsieht, die wegen der asymmetrischen Zahlungsbilanz nachteilig ist.121 (c) Rechtstechnische Korrekturprüfung Die rechtstechnische Korrekturprüfung muss den relevanten Nachteilssachverhalt darauf hin überprüfen, welche der Parameter des ursprünglichen Abkommensrechtssystems unter Berücksichtigung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit modifiziert werden müssten, damit es mit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit kongruent ist. Herausforderung ist hierbei, die Verletzung der logischen Folgerichtigkeit zu vermeiden. Hierbei müssen gegebenenfalls die betroffenen Regelungen, Rechtskonzepte, Prinzipien und wirtschaftspolitischen Interessen in ihren Wechselbeziehungen beachtet werden. cc) Fazit In den vorangegangen Kapiteln wurden die Merkmale des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit sowie auch ihr Verhältnis zu den anderen Prinzipien und ihre technische Umsetzung zwecks rechtlicher Operationalisierung herausgearbeitet. Daran angelehnt lässt sich für die Anwendung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse im Beispielsfall Vietnam ein Prüfungsschema ableiten, das im Nachfolgenden dargestellt werden soll.
3. Herleitung des Prüfungsschemas zum subjektiven Anwendungsbereich Zunächst ist in Form der Korrekturberechtigung der subjektive Anwendungsbereich des Prinzips zu prüfen. Es ist also zu fragen, ob sich der Vertragsstaat überhaupt auf das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit berufen kann, wenn ein 120 121
Siehe hierzu Teil 2 V. Siehe hierzu Teil 3 I. 1.
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konkreter DBA-Fall korrigiert werden soll. Hierfür muss die Korrekturbedürftigkeit und Korrekturwürdigkeit des Vertragsstaates geprüft werden. Die Korrekturbedürftigkeit liegt vor, wenn die Leistungsfähigkeit der Steuerbehörde des untersuchten Entwicklungsstaates, Steuern zu erheben, im Verhältnis zu seinem Einnahmepotenzial schwach ist. Ob die Leistungsfähigkeit der Steuerbehörde verhältnismäßig unzureichend ist, lässt sich anhand einer Gesamtschau von vier Merkmalen ablesen, und zwar erstens aus der Qualität, wie die steuerrelevanten Informationen gesammelt und verarbeitet werden, zweitens wonach sich die Leistungsorientierung der Steuerbeamten richtet, drittens welche Verantwortung die Verwaltung bei rechtswidrigen Verwaltungshandeln übernimmt, und viertens ob die gefundenen Mängel mit der durch empirische Daten charakterisierten Einnahmeperformanz korrelieren. Ist die geschwächte Leistungsfähigkeit festgestellt, so ist die für die Korrekturberechtigung erforderliche Korrekturwürdigkeit zu prüfen. Mit der Korrekturwürdigkeit wird wertend ermittelt, inwieweit die Mängel in der Leistungsfähigkeit für die Regierung vermeidbar waren beziehungsweise sich auch noch beseitigen lassen. Sind die Mängel vermeidbar, so liegen keine Gründe für eine Korrekturwürdigkeit vor. In diesem Fall hat sich die in der Vermeidbarkeit erschöpfende Vorwerfbarkeit einen Grad erreicht, in dem ein zugunsten des Entwicklungsstaates erfolgter Steuerverzicht eine Über-kompensation zur asymmetrischen Leistungsbilanz darstellen würde. Als unvermeidbar sind Mängel hingegen zu erachten, die in der rechtlichen und politischen Struktur des Landes selbst angelegt sind. Angelegt sind diese in der Struktur dann, wenn die Mängel gerade Teil des Systems oder der Struktur sind.
4. Herleitung des Prüfungsschemas zum objektiven Anwendungsbereich Für die Eröffnung des objektiven Anwendungsbereichs ist entscheidend, ob das Grundprinzip selbst keine rational tragbaren Lösungswege anbieten kann, sodass ausnahmsweise auf die Argumentationslogik des Korrekturprinzips zurückgegriffen werden muss. Die Prüfung beginnt mit einer (0.) Vorprüfung, ob eine von der gängigen Praxis abweichende Behandlung des streitigen DBA-Falls vom Entwicklungsstaat vertreten wird. Liegt ein solcher vom Entwicklungsstaat vertretener, im Ergebnis von dem anderen Vertragsstaat abweichender Lösungsweg vor, so muss geprüft werden, (1.) ob dieser mit den Mitteln des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit rational begründet werden kann. (a1.) Hierfür muss die abweichende Lösung auf ihre Parameter untersucht werden. (a2.) Im Fall, dass diese nicht selbst vom Entwicklungsstaat formuliert wurden, müssen diese vor dem Hintergrund der nationalspezifischen Eigenheiten des innerstaatlichen Rechts abgeleitet werden. (b.) Anschließend muss dieser ausentwickelte Lösungsansatz daraufhin überprüft werden, an welchen Stellen dieser von der Lösungsmechanik des anderen Vertragsstaates beziehungsweise von der gängigen vorgeschlagenen Lösung abweicht. (c.) Diese
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Abweichungen sind dann im Lichte des Grundprinzips, das heißt des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit dahingehend zu begutachten, ob diese vertretbar sind. Hierzu müssen existierende Auffassungen aus Rechtsprechung und Literatur ausgewertet werden. (aa.) Sowohl bei der Auswertung der (internationalen) DBARechtsprechung als auch bei der (bb.) Auswertung (internationaler) Literatur ist zu prüfen, ob die dort vertretenen Auffassungen in eine Binnenmarkt- oder Bilateralitätsargumentationslogik eingebettet sind. Nach Einordnung der Auffassungen ist zu prüfen, (cc.) welcher Argumentationslogik hingegen die abweichende vom Entwicklungsstaat vertretene Auffassung folgt. (dd.) Anschließend sind die wirtschaftspolitischen Interessen des Entwicklungsstaates konkret im Hinblick auf den zu korrigierenden DBA-Fall über die Binnenmarkt- oder Bilateralitätsargumentationlogik hinaus dahingehend zu prüfen, ob diese durch das Grundprinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit und der davon bisher abgeleiteten internationalen Steuerrechtsordnung verwirklicht werden können. Sollte dies nicht der Fall sein, sodass weder die in Rechtsprechung noch die in der Literatur vertretenen Auffassungen die vom Entwicklungsstaat abweichende Auffassung (auch rechtsmechanisch) rational vertretbar machen, ist dann zu prüfen, ob überhaupt konkret ein Nachteilsfall vorliegt. (2.) Danach ist die im DBA-Fall getroffene „Steuerverzichtsverpflichtung“ dahingehend zu überprüfen, (a.) ob Nachteile für den Entwicklungsstaat hierdurch entstehen und (b.) ob diese der asymmetrischen Zahlungsbilanz zugerechnet werden können. Können diese beiden Prämissen bejaht werden, so ist der objektive Anwendungsbereich des Korrekturprinzips eröffnet.
5. Herleitung des Prüfungsschemas zur rechtstechnischen Korrekturprüfung Mit der Eröffnung des objektiven Anwendungsbereiches muss nun untersucht werden, (3.) an welchen Stellen die Anknüpfungspunkte für die korrigierende Argumentationslogik konkret im DBA-Fall verortet sind, um entsprechende Korrekturmechanismen maßzuschneidern und diese dann dort anzusetzen. Hierbei ist Ausgangspunkt der Prüfung, dass die Korrekturmechanismen den Sinn und Zweck haben, solche Nachteile (für den Entwicklungsstaat) abzuwenden, die aus dem asymmetrischen Zahlungsfluss zwischen Entwicklungsstaat und Industriestaat drohen. Sind also die für die Korrektur relevanten Nachteile herausgearbeitet, müssen nun (a.) exakt die rechtstechnischen Mechanismen nebst ihren prinzipienrechtlichen Unterbauten identifiziert werden, an welche die „Korrekturmechanismen“ später eingefügt werden sollen. Daran anschließend werden (b.) entsprechend den identifizierten „Problemmechanismen“ die regelungstechnischen korrigierenden Mechanismen eingefügt, um den nachteiligen regelungsmechanischen Vorgang zu modifizieren. Dies muss (c.) unter Berücksichtigung möglicher Konsequenzen
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solcher Korrekturen erfolgen, die gegebenenfalls verhindert werden müssen und eine Anpassung der Korrekturmechanismen erforderlich machen.
6. Abgrenzung zu Herbert Dorns Prinzip der staatswirtschaftlichen Zugehörigkeit Einen ähnlichen Ansatz, die Aufteilung des Steuersubstrats nach den staatlichen Interessen ergänzend zum Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu bemessen, verfolgt auch Herbert Dorn. Er nimmt in Fällen, in denen seiner Meinnung nach die Aufteilung des Steuersubstrats nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nicht eindeutig erfolgen kann, die faktische Fähigkeit zum Ausgangspunkt, das relevante Steuersubstrat zu identifizieren und den entsprechenden Steueranspruch durchzusetzen. Der wesentliche Unterschied zwischen dem von Dorn entwickelten Prinzip der staatswirtschaftlichen Zugehörigkeit zu dem hier vorliegenden der staatlichen Leistungsfähigkeit liegt darin, dass Dorns Prinzip letztlich direkt an die Durchsetzbarkeit des Prinzips der individuellen Leistungsfähigkeit anknüpft,122 während das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit korrigierend wirkt. Folgender Abschnitt aus Herbert Dorns Abhandlung, Das Recht der internationalen Doppelbesteuerung verdeutlicht dies:123 „Vom Standpunkt der Steuerwirtschaft eines Staates aus ist das Gut am wertvollsten und daher am schwersten verzichtbar, 1. bei dem die besten Möglichkeiten zur Feststellung des Gutes nach Art, Umfang und Wert vorliegen, bei dem 2. die besten Möglichkeiten gegeben sind, das Gut ständig zu kontrollieren, und bei dem 3. die Erzwingbarkeit des Steueranspruchs ebenso wie im Falle einer Gefährdung die Sicherung des Anspruchs am leichtesten durchführbar ist.“
Aus den Ausführungen Dorns hierzu lässt sich ableiten, dass die steuerliche Belastung nach der individuellen Leistungsfähigkeit von ihrer tatsächlichen Durchsetzbarkeit abhängt. Der Quellenstaat könne aus Sicht Dorns naturgemäß am besten die Durchsetzbarkeit gewährleisten. In Zweifelsfällen soll daher dem Quellenstaat das Steuersubstrat zukommen. Damit impliziert Dorn außerdem, dass eine Besteuerung immer noch gerechter sei als eine Nichtbesteuerung. In der gleichzeitigen Zuordnung des Durchsetzbarkeitskriteriums zum staatswirtschaftlichen Interessensspektrum kommt Dorns Interesse als Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium124 an der Sicherstellung der nationalen Besteuerung zum Ausdruck. 122 Siehe Weber-Fas, Rudolf, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 1982, S. 57 f. Siehe auch die Zitate Dorns, in: Bräuning, Christoph, Herbert Dorn (1887 – 1957), Diss., 2016, S. 324 m.w.N. 123 Dorn, Herbert, Das Recht der internationalen Doppelbesteuerung, Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht 1927, S. 189, 213. 124 Siehe hierzu Bräunig, Christoph, Herbert Dorn (1887 – 1957), Diss., 2016, S. 197.
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Dorn kommt es erkennbar auf die Überwindung der Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Besteuerung von grenzüberschreitenden Sachverhalten an. Diese technischen Schwierigkeiten sind jedoch nur insoweit Fragen der Gerechtigkeit, soweit es um die Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabes geht. Dorn hält daher eine vorgeschaltete Prüfung für statthaft, ob die grenzüberschreitenden Schwierigkeiten nicht durch die Rechtshilfe schon gelöst werden können. Kann dennoch keine Lösung herbeigeführt werden, so soll der Quellenstaat grundsätzlich die Besteuerung vornehmen. Das Prinzip der staatswirtschaftlichen Zugehörigkeit ist letztlich auf der Ebene der technischen Durchsetzbarkeit des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit angesiedelt125 und ist kein Bestandteil eines materiellen Gerechtigkeitssystems.
7. Abgrenzung zum Ansatz des UN-Musterabkommens Der Ansatz des UN-Musterabkommens unterscheidet sich in wesentlichem von dem des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit, obwohl die Vereinten Nationen Problemfelder des asymmetrischen Investitionsflusses und des damit einhergehenden asymmetrischen Steuerverzichts früh erkannt haben und entsprechend ein Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern erarbeitet haben. Dieses weist jedoch keinen abkommensimmanenten Mechanismus auf, der die Besonderheiten von Entwicklungsoder Schwellenstaaten abkommensrechtlich berücksichtigt. Das UN-Musterabkommen bietet vielmehr alternative Musterklauseln an, die bei einer stärkeren Verhandlungsposition des vorwiegend kapitalimportierenden Staates herangezogen werden könnten. Das UN-Musterabkommen ist schließlich überwiegend am OECDMusterabkommen angelehnt. Entsprechend seiner Zielrichtung weicht es von diesem inhaltlich insofern ab, als dass es vor allem die Quellenbesteuerung zugunsten der Entwicklungsländer als typische Kapitalimportländer begünstigt. Die Abweichungen im UN-Musterabkommen zeigen sich insbesondere in den im Vergleich zum OECD-Abkommen herabgesetzten Anforderungen an den Betriebsstättenbegriff und damit an der Zuweisung des Steuersubstrats zum Quellenstaat.126 So begründet eine Bau- und Montageausführung schon dann eine Betriebsstätte, wenn diese sechs Monate überschreitet anstatt der nach dem OECD-MA vorgesehenen zwölf Monate, sodass nach einer kürzeren Zeit der Ansässigkeitsstaat zugunsten des Betriebsstättenstaates auf sein Steuerrecht abkommensrechtlich verzichten muss.127 Eine weitere Senkung der Anforderungen ist, dass auch die bloße 125
Siehe auch: Bräuning, Christoph, Herbert Dorn (1887 – 1957), Diss., 2016, S. 145. Ausführlicher Vergleich: Lennard, Michael, The UN Model Tax Convention as compared with the OECD Model Tax Convention – Current Points of Difference and Recent Development, APTB 2009, S. 4. 127 Art. 5 Abs. 3 (a) UN-Musterabkommen 2011. 126
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Ausübung einer Dienstleistung im Quellenstaat eine Betriebsstätte begründet.128 Ferner kann auch die ausschließliche Benutzung von Einrichtungen sowie das Unterhalten von Beständen und Gütern zum Zwecke der Auslieferung der Güter zu einer Betriebsstätte führen,129 während im OECD-Musterabkommen diese Verwendung lediglich als Hilfstätigkeit qualifiziert wird.130 Weitere Abweichungen hinsichtlich des Vorhandenseins einer Betriebsstätte lassen sich auch in den Fällen unabhängiger Vertreter bei Veräußerungen von Waren und der Vermittlung von Versicherungen erkennen. In diesen Fällen ist anders als im OECD-Musterabkommen eine Betriebsstätte nicht von vornherein ausgeschlossen. Weitere Abweichungen zur Erleichterung der von der Verwaltungskapazität abhängigen Durchsetzung der Besteuerung zugunsten der Quellenstaaten sind, ohne auf die Details einzugehen, in der Anwendung einer begrenzten Attraktionskraft der Betriebsstätte131 und in der im Ergebnis vereinfachten Bestimmung des Betriebsstättengewinns zu sehen. Ferner können abweichend vom OECD-Musterabkommen Gewinne aus der Seeschifffahrt unter Umständen im Quellenstaat besteuert werden. Zudem sind im Gegensatz zum OECD-Musterabkommen die Quellensteuersätze für die passiven Einkünfte nicht begrenzt, sodass theoretisch eine quellenstaatsdominierte Besteuerung zugunsten der Entwicklungsstaaten durchgesetzt werden könnte. Im Übrigen werden im UN-Musterabkommen die Ruhegehälter im Quellenstaat besteuert. Des Weiteren greift auch dann die Quellenbesteuerung, wenn der Auffangtatbestand „andere Einkünfte“ zur Anwendung kommt. Darüber hinaus wurde das Verständigungsverfahren dahingehend geregelt, dass es auch die verwaltungstechnischen Besonderheiten bei Entwicklungsstaaten berücksichtigt. Zusammenfassend lässt sich anhand der Aufzählung der Abweichungen im UNMusterabkommen zeigen, dass das UN-Musterabkommen lediglich eine Variation des OECD-Musterabkommens ist. Letztlich werden die Kriterien der wirtschaftlichen Zugehörigkeit in der Lesart einer sitzstaatsdominierenden Besteuerung zum Quellenstaat niedriger als im OECD-Musterabkommen anzusetzen versucht. Des Weiteren ist für bestimmte Fälle zwecks Vereinfachung der Besteuerung eine abweichende Handhabung in der Kommentierung zum UN-Musterabkommen vorgesehen.132 Das UN-Musterabkommen versucht mithin nur, die grundsätzliche Dominanz der Sitzstaatsbesteuerung auf Ebene der Verhandlung abzufedern.
128
Art. 5 Abs. 3 (b) UN-Musterabkommen 2011. Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 4 (a) und (b) UN-Musterabkommen 2011. 130 Art. 5 Abs. 4 (a) und (b) OECD-Musterabkommen (2010). 131 Art. 7 Abs. 1 S. 2 UN-Musterabkommen 2011. Zur Attraktionskraft einer Betriebsstätte siehe die Ausführungen in Teil 1 III. 1. b) aa) (5) (b) (bb) und Teil 1 III. 2. f). 132 Bsp. Single Entity Approach bei Betriebsstätten findet keine Anwendung. 129
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III. Zusammenfassung In Teil 3 wurden das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit entwickelt und seine Kriterien herausgearbeitet. Die Kriterien sind an die von von Soest entwickelten Indikatoren einer leistungsfähigen Steuerverwaltung angelehnt. Diese Kriterien wurden in den Kontext des mit dem Prinzip verfolgten Korrekturzwecks gesetzt, sodass die Steuererhebungsleistungsfähigkeit begrifflich im Verhältnis einer Korrekturbedürftigkeit und Korrekturwürdigkeit der Folgen des reziproken Steuerverzichts im Fall asymmetrischer Zahlungsbilanz zu formulieren war. Die Einbettung des neuen Prinzips in die vom Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit getragene aktuelle internationale Steuerrechtsordnung erforderte, sich mit den typischen Argumentationsstrukturen auseinanderzusetzen, auf die bei der Frage der Angemessenheit der Verteilung des Steuersubstrats zwischen Industrie- und Entwicklungsstaaten regelmäßig zurückgegriffen wird. Daraus konnte ein Prüfungsschema abgeleitet werden, das sich in drei Stufen untergliedert. Auf der ersten Stufe wird der subjektve Anwendungsbereich des Prinzips geprüft. Dieser ist eröffnet, wenn der vorwiegend kapitalimportierende Staat eine schwache Steuererhebungsleistungsfähigkeit aufweist, die nicht von ihm selbst verschuldet ist. Die Prüfung des objektiven Anwendungsbereiches hat den Zweck zu ermitteln, ob die Steueraufteilung im konkreten DBA-Einzelfall zu korrigieren ist. Das ist zu bejahen, wenn diese wegen der Asymmetrie der Leistungsbilanz nachteilig und die Korrektur daher erforderlich ist. Auf der dritten Stufe werden zwecks Korrektur die entgegenstehenden Regelungsmechanismen identifiziert und die dafür erforderlichen Korrekturmaßnahmen ermittelt. Möglich ist auch auf dieser Stufe zu prüfen, ob die vom Entwicklungsstaat vertretene Auffassung sich als Korrektur darstellen lässt. Wie sich der „Song Bung 2“-Fall zusammenfassend unter Zugrundelegung dieses Prüfungsschemas darstellen lässt, erfolgt neben weiteren Schlussüberlegungen zur Einordnung des Prinzips im nächsten Teil der Untersuchung.
Teil 4
Schlussüberlegungen Abschließend sollen die in Teil 3 herausgearbeiteten Prüfungspunkte auf den „Song Bung 2“-Sachverhalt exemplarisch angewandt werden. Im Anschluss werden Überlegungen darüber angestellt, ob möglicherweise das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit deshalb von vornherein abzulehnen ist, weil es staatliche Interessen gegenüber denen des Einzelnen priorisiert. Ferner wird diskutiert, ob dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit die Eigenschaft eines Völkerrechtsprinzips zukommen soll und wie das Prinzip sich als abkommensrechtliche Rechtsfortbildung durchsetzen könnte.
I. Schlussfolgerungen für den „Song Bung 2“-Sachverhalt Die Lösung des Dreieckssachverhalts „Song Bung 2“ durch die vietnamesische Finanzbehörde lässt sich anhand des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit unter Bezugnahme auf die vorliegenden Untersuchungen und Feststellungen zusammenfassend wie folgt darstellen: Die Auffassung der vietnamesischen Behörde, dass der japanischen Betriebsstätte die Nutzungsberechtigung im Sinne einer wirtschaftlichen Verfügungsbefugnis über die Zinseinnahmen aus Vietnam zuzusprechen sei und nicht dem Stammhaus in Deutschland, verstößt im bilateralen Verhältnis zwar gegen das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit,1 kann jedoch mit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit ausnahmsweise sinnvoll begründet werden. Dieses Prinzip kommt hier zur Anwendung. Sein subjektiver und objektiver Anwendungsbereich ist eröffnet.
1. Eröffnung des subjektiven Anwendungsbereichs Der subjektive Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn dem vorwiegend kapitalimportierenden Staat grundsätzlich eine Korrekturberechtigung für die Folgen des Abkommensrechts zukommt. Das ist der Fall, wenn Vietnam eine Korrekturbe1
Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 V. 1. und 2.
204
Teil 4: Schlussüberlegungen
dürftigkeit aufweisen kann und korrekturwürdig ist. Das liegt vor, weil die mangelnde Gewaltenteilung die systematische Korruption bedingt und dadurch die Leistungsfähigkeit Vietnams, Steuern zu erheben, schwächt. a) Korrekturbedürftigkeit Korrekturbedürftigkeit2 liegt vor, wenn die Steuererhebungsleistungsfähigkeit Vietnams niedrig ist. Diese ist in einer Gesamtschau von Qualität des Beschaffungsaktes und Verwertung der Informationen, der Leistungsorientierung der Mitarbeiter sowie der Einnahmeperformanz zu ermitteln. Im Fall Vietnam ist die Leistungsfähigkeit der Steuerverwaltung insoweit geschwächt, dass steuerbedingte Wettbewerbsverzerrungen durch eine korruptionsbedingte uneinheitliche Besteuerung das Investitionsklima beeinträchtigen, obwohl die Einnahmeperformanz als solche als stark einzustufen ist. Die Korruptionsstrukturen zeigen sich in der Arbeitsorganisation der Behörde, in der Auswahl und der vorgesehenen Laufbahn von Steuerbeamten und in der Art und Weise, wie rechtswidrige behördliche Entscheidungen geahndet werden.3 Diese Strukturen relativieren den durch die hohen Indexwerte hinsichtlich Tax Capacitiy und Tax Effort geschaffenen ersten Eindruck einer starken Leistungsfähigkeit der Behörden.4 b) Korrekturwürdigkeit Vietnam ist auch korrekturwürdig. Die Korrekturwürdigkeit5 liegt vor, wenn gemäß den Befunden zur Korrekturbedürftigkeit konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Regierung des Schwellen- oder Entwicklungsstaates entsprechend ihren Möglichkeiten, das heißt innerhalb ihres politischen Systems beziehungsweise der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur Maßnahmen ergriffen hat, um die identifizierten Mängel zu beheben. Zweck der Prüfung der Korrekturwürdigkeit ist es nämlich, etwaige Fälle einer Scheinkorrekturbedürftigkeit aufzudecken. Sind Vietnam nämlich die Ursachen für die Korrekturbedürftigkeit in zurechenbarer Weise vorzuwerfen, so erscheint die Korrekturberechtigung als „erschlichen“. In einem solchen Fall wird gerade der Anwendungszweck des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit unterlaufen, die Nachteile auszugleichen, die bei einem reziproken Steuerverzicht bei gleichzeitiger asymmetrischer Zahlungsbilanz auftreten. Die Ursachen für die zu korrigierenden Nachteile liegen dann weder in der Abkommensstruktur noch in der Wirtschafts- und politischen Struktur des Landes, sondern sind in der Entscheidungspolitik selbstverantwortlich geschaffen worden. Eine solche missbräuchliche Scheinkorrekturbedürftigkeit liegt im hier untersuchten Fall 2 3 4 5
Siehe hierzu im Einzelnen Teil 3 II. 2. b) bb) (2) (a) (aa). Siehe hierzu im Einzelnen Teil 1 IV. Siehe hierzu im Einzelnen Teil 1 IV. 4. Siehe hierzu im Einzelnen Teil 3 II. 2. b) bb) (2) (a) (bb).
I. Schlussfolgerungen für den „Song Bung 2“-Sachverhalt
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nicht vor. In der relativen Wirkungslosigkeit der Antikorruptionsmaßnahmen ist kein Versäumnis der vietnamesischen Politik zu erblicken. Durch die von sozialistischer Rechtsstaatlichkeit geprägten Rahmenbedingungen stehen zur Bekämpfung der Korruption keine anderen geeigneteren und effektiveren Mittel zur Verfügung. Das sozialistische Rechtsstaatsprinzip6 lässt nämlich aufgrund seiner sich in der Arbeitsteilungsfunktion erschöpfenden Gewaltenteilung von vornherein keine unabhängigen machtbegrenzenden Kontrollinstanzen zu, sodass sich Vietnam in einem Handlungsdilemma befindet. Die Antikorruptionsmaßnahmen7 und das durch das sozialistisch-rechtsstaatliche Prinzip begünstigte Korruptionssystem weisen gerade nicht die typischerweise erwartete Wechselkraftwirkung etwaiger aufeinander gerichteter Kräfte auf. Deshalb wirken die Antikorruptionsmaßnahmen nicht als Gegenmaßnahme zur Korruption. Diese Kräfte sind vielmehr gleichgerichtet und haben dieselben Quellen. Es fehlt an einem Überordnungsverhältnis der Antikorruptionsmaßnahmen. Sie sind nämlich selbst korrumpiert oder können selbst Gegenstand einer „Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen“ sein. Genauso wenig kann Vietnam zum Vorwurf gemacht werden, dass es keine unabhängigen Kontrollinstanzen installiert habe. Das auf den ersten Blick paradox erscheinende Phänomen von ernst gemeinten Antikorruptionsmaßnahmen einerseits und fehlender unabhängiger Kontrollinstanz andererseits spricht zwar für eine Handlungspflicht, weil der aus der sozialistischen Gewaltenteilung resultierende Konflikt vorhersehbar ist und diese Vorhersehbarkeit auf eine Schein-Korrekturbedürftigkeit hindeutet, doch ließe sich die Installation unabhängiger Kontrollinstanzen nicht durchsetzen. Diese würden das sozialistische Rechtsstaatssystem überfordern. Die fehlende Gewaltenteilung nach westlich-demokratischem Vorbild ist in der politischen Struktur Vietnams verankert. Aus den gleichen Gründen kann der vietnamesischen Regierung nicht die mangels demokratischer Strukturen langfristig absehbare Hemmung des wirtschaftlichen und politischen Fortschritts zum Vorwurf gemacht werden.
2. Eröffnung des objektiven Anwendungsbereichs Der objektive Anwendungsbereich8 ist ebenfalls eröffnet. Die im konkreten DBAFall von der vietnamesischen Behörde vertretene Auffassung, dass der japanischen Betriebsstätte die Nutzungsberechtigung über die Zinseinnahmen aus Vietnam zuzurechnen sei, kann nicht mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit im bilateralen Verhältnis zu Deutschland rational begründet werden. Gleichzeitig ist die vietnamesische Lösung erforderlich, um die (wirtschaftspolitischen) Nachteile zu
6 7 8
Siehe hierzu im Einzelnen Teil 1 III. 1. b) aa) (2) (a). Siehe hierzu im Einzelnen Teil 1 IV. 3. Siehe hierzu im Einzelnen Teil 3 II. 4.
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Teil 4: Schlussüberlegungen
beseitigen, die aus dem asymmetrischen Zahlungsfluss zwischen Vietnam und dem Ansässigkeitsstaat ausgelöst werden. a) Verletzung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit Die Unbegründbarkeit der Auffassung der vietnamesischen Finanzbehörde drückt sich in ihrer Verletzung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit aus. Die Auffassung, dass die japanische Betriebsstätte anstelle ihres Stammhauses als steuerrechtliche Zahlungsempfängerin der Zinsen zu beurteilen ist und deshalb der Anwendungsbereich des Abkommens zwischen Deutschland und Vietnam nicht eröffnet sein kann, verkennt das im Sonderverhältnis zwischen Deutschland und Vietnam geltende Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit, das dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit innewohnt. aa) Intensität der wirtschaftlichen Verflechtung Unabhängig von einem bilateralen bzw. binnenmarktorientierten Verständnis des Abkommens müsste für eine dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entsprechende Aufteilung des Steuersubstrats vielmehr das Stammhaus als Subjekt der wirtschaftlichen Aktivitäten qualifiziert werden (und nicht die Betriebsstätte). An diesen Aktivitäten bemisst sich die für die Bildung der Leistungsfähigkeit jeweilige erforderliche wirtschaftliche Verwurzelung und mithin die wirtschaftliche Zugehörigkeit in den jeweiligen Staaten.9 Konkret wird in der Gesamtschau anhand des Ortes der Vermögensaufbewahrung, der Quelle der Vermögensmehrung, des Ortes der rechtlich effektiven Durchsetzung der Verfügungsmacht über das Vermögen und der Ansässigkeit ermittelt,10 inwieweit staatliche Leistungen vom Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden.11 Nach diesen Kriterien ist das Steuersubstrat zwischen Betriebsstättenstaat und Quellenstaat aufzuteilen, wobei die wirtschaftliche Verflechtung im Betriebsstättenstaat am stärksten ist. Im Verhältnis zu Japan als Betriebsstättenstaat und Deutschland als Ansässigkeitsstaat besteht in Vietnam als Quellenstaat eine relativ schwache wirtschaftliche Verwurzelung des Stammhauses. Das wirtschaftliche Interesse des deutschen Stammhauses ist auf die in Vietnam zur Verfügung stehende Zivilrechtspflege begrenzt, mit der seine Gläubigerrechte durchgesetzt werden könnten.12 Das Stammhaus stellt nämlich im Rahmen eines 9
Siehe hierzu im Einzelnen Teil 3 II. 2. a). Siehe auch Schanz, Georg von, Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanzarchiv 1923, S. 353, 356. 11 Siehe staatliche Gesamtleistung bei Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 73 f. 12 Siehe zu den Messgrößen der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, Schanz, Georg von, Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanzarchiv, 1923, S. 353, 356. Der Bericht selbst: Report on Double Taxation, 1923, S. 22 – 27 bzw. auch abgedruckt in Legislative History of 10
I. Schlussfolgerungen für den „Song Bung 2“-Sachverhalt
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Darlehensvertrages der EVN in Vietnam gegen entsprechende Zinszahlung (und Sicherheiten) Kapital mittels seiner japanischen Betriebsstätte zur Verfügung.13 Das wirtschaftliche Interesse des Stammhauses an Vietnam als Quelle der Vermögensmehrung hingegen ist eher nachrangig, weil es dort selbst nicht eigene Aktivitäten zur unternehmerischen Gewinngenerierung entfaltet. Vielmehr ist es Aufgabe der in Vietnam ansässigen Darlehensnehmerin, mit dem ihr gegebenen Kapital durch eigenen unternehmerischen Einsatz langfristig die Liquidität für die Zinszahlungen sicherzustellen.14 Das unternehmerische Risiko des Stammhauses begrenzt sich auf die Darlehensvergabe selbst. Es muss sicherstellen, dass die ausstehenden Zinsforderungen rechtlich durchgesetzt werden können, sodass es letztlich nur noch das Insolvenzrisiko trägt. 15 Wird nun das abkommensrechtliche Sonderverhältnis zwischen Deutschland und Vietnam berücksichtigt, so darf für Vietnam ausschließlich die wirtschaftliche Verwurzelung des Stammhauses von Bedeutung sein, sodass die Quellensteuerbegrenzung des Art. 11 Abs. 2 DBA Vietnam angewendet werden müsste. bb) Bilateral nicht sinnvoll erklärbare Abweichung Die vietnamesische Behörde betrachtet sich trotz der vorstehenden Ausführungen als alleinige Berechtigte für die Besteuerung der Zinszahlungen und verneint die Anwendung des Abkommens mit Deutschland. Diese Auffassung lässt sich mit der OECD-Dogmatik nicht sinnvoll erklären. Die Behörde geht nämlich von einer zweiseitigen Vereinbarung mit dem Ansässigkeitsstaat über die konkludente Anwendung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit aus, ohne jedoch zugleich die wirtschaftliche Verflechtung der Betriebsstätte im Drittstaat abkommensrechtlich auszublenden. Die vietnamesische Behörde hält es deshalb für maßgeblich, ob die Betriebsstätte als Abkommensberechtigte im Abkommen definiert wurde.16 Sie stellt für die Aufteilung des Steuersubstrats nicht auf den Grad der wirtschaftlichen Verflechtung des Stammhauses ab, sondern trennt Stammhaus und Betriebsstätte als selbstständige abkommensrechtsfähige Subjekte und stellt auf den faktischen Zahlungsempfänger ab, hier die Betriebsstätte, sodass sich für die vietnamesische Verwaltung die Anschlussfrage gestellt haben muss, ob eine abkommensrechtliche Aufteilung unter Berücksichtigung des Drittstaates, das heißt des Betriebsstättenstaates, geboten ist, weil sie der Betriebsstätte die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis zugesprochen hat. Das wäre der Fall gewesen, wenn die Betriebsstätte als United States Tax Conventions, a.a.O., Bd. 4, S. 4026 – 4031; siehe auch die Erläuterungen unter Teil 3 II. b) aa) (2); siehe auch Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 503. 13 Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 II. 14 Siehe hierzu auch Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 505. 15 Siehe hierzu auch ebenda, S. 504. 16 Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 III. 2. a).
208
Teil 4: Schlussüberlegungen
Abkommensberechtigte definiert worden wäre. Die fehlende Definition der Betriebsstätte als Abkommensberechtigte ist allerdings nicht als ausfüllungsbedürftige Regelungslücke zu verstehen. Vietnam geht gerade nicht von der mit einer Tochtergesellschaft abkommensberechtigungsähnlichen Situation der Betriebsstätte aus.17 Eine solche Vergleichbarkeit könnte mit einem bilateralen Verständnis des Abkommens auch nicht hergestellt werden. Diese gelingt auch nicht mit einem bilateralen Verständnis des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit.18 Nur mit einer binnenmarktorientierten Auffassung wäre dies möglich,19 mit der Konsequenz, dass die in Vietnam angefallene Quellensteuer im Betriebsstättenstaat anzurechnen wäre. Die wirtschaftliche Verflechtung der Betriebsstätte könnte dann wirtschaftlich mit einer Tochtergesellschaft verglichen werden.20 Für die Steueraufteilung käme es nicht mehr auf einen durch die bilaterale Sonderbeziehung zweier Staaten definierten Anwendungsbereich an, der die Wirkung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit einschränkt. b) Erforderlichkeit der Lösung zur Nachteilsabwendung Die mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nicht im Rahmen eines bilateralen Sonderverhältnisses sinnvoll begründbare vietnamesische Lösung ist jedoch erforderlich, um die (wirtschaftspolitischen) Nachteile zu beseitigen, die zurechenbar aus dem asymmetrischen Zahlungsfluss zwischen Vietnam und dem Ansässigkeitsstaat ausgelöst werden. Ohne die von der vietnamesischen Finanzbehörde vertretene Lösung widerfährt Vietnam vorliegend der wirtschaftspolitische Nachteil, dass die Position Vietnams im Wettbewerb um ausländische Investitionen geschwächt wird. Die Lösung der vietnamesischen Auffassung verhindert, dass das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit in der Dreieckssachverhaltskonstellation außerhalb des bilateralen Abkommens von Ansässigkeits- und Quellenstaat Geltung erlangt und Vietnam hierdurch gegenleistungsfreie Zugeständnisse an Staaten gewährt, die außerhalb dieser Sonderbeziehung stehen.21 Dieser wirtschaftliche Nachteil wird durch die asymmetrische Zahlungsbilanz ausgelöst. Regelmäßig drückt sich dieser Nachteil in den volkswirtschaftlichen Einbußen hinsichtlich des Steueraufkommens aus und wird deshalb durch die asymmetrische Zahlungsbilanz indiziert. Der Steuerverzicht des Entwicklungsstaates wird nämlich wegen der asymmetrischen Leistungsbilanz nicht von einem entsprechenden Steuerverzicht seitens des Industriestaates ausgeglichen (asymme-
17 18 19 20 21
Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 VIII. Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 IV. 4. a) dd).und VII. 2. c). Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 VII. b). Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 VII. 1. Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 VI. 2. c) und Teil 3 I. 1.
I. Schlussfolgerungen für den „Song Bung 2“-Sachverhalt
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trischer Steuerverzicht).22 Nur wenn diese Regelvermutung widerlegt werden kann, sind andere nichtsteuerliche wirtschaftspolitische Nachteile zu ermitteln, die durch die asymmetrische Leistungsbilanz ausgelöst werden. In Anwendung auf den Fall ist die Regelvermutung zu verneinen, weil sich bei einer spiegelbildlichen Betrachtung des Ausgangsfalles ergibt, dass die Dreiecksgestaltung für Investitionen aus Vietnam als Ansässigkeitsstaat nach Deutschland als Quellenstaat zwar steuerlich günstig, aber für das Steueraufkommen Vietnams ohne Belang ist.23 Vietnam muss spiegelbildlich auch als Ansässigkeitsstaat die Besteuerung der Betriebsstätteneinkünfte vollumfänglich dem Betriebsstättenstaat überlassen, selbst wenn Deutschland seine Quellenbesteuerung abkommensrechtlich beschränkt ausübt.24 Auf die asymmetrische Leistungsbilanz kommt es hier nicht mehr an. Mit seinem Steuerverzicht in Form der abkommensrechtlichen Quellenbesteuerungsbeschränkung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 DBA Vietnam werden jedoch andere wirtschaftspolitische Nachteile ausgelöst. Vietnam macht hierdurch „gegenleistungsfreie Zugeständnisse“ an den Drittstaat Japan. Die Nationalökonomie Japans als Betriebsstättenstandort wird auf diese Weise gestärkt, ohne dass diese Zugeständnisse abkommensrechtlich zwischen Vietnam und Japan für etwaige Dreieckssachverhalte ausgehandelt wurden. Der angespannte Wettbewerb, einen Platz in der engeren Wahl als alternativer Investitionsstandort zu China25 zu erhalten, erfordert, strategische Allianzen mit anderen Staaten einzugehen. Wenn Vietnam deshalb Nachteile in Kauf nimmt, ohne hierfür im Gegenzug wirtschaftspolitische Vorteile zu erzielen, schwächt es seine eigene Strategie, sich als wettbewerbsfähiger Investitionsstandort zu positionieren.26 Das geschieht jedoch, wenn Deutschland mittelbar volkswirtschaftlich über die Investitionsgestaltung mit Japan als Betriebsstättenstaat gestärkt werden könnte. Hierdurch besteht die Möglichkeit, dass Vietnam sowohl im Verhältnis zu Deutschland als auch im Verhältnis zu Japan Vorteile in seiner Verhandlungsposition verlieren könnte. Dieser wirtschaftspolitische Nachteil ist auch der Asymmetrie der Zahlungsbilanz zurechenbar. Zurechenbarkeit liegt nämlich vor,27 wenn der Nachteil aus dem durch die Asymmetrie ausgelösten Konflikt herrührt, und zwar aus dem Konflikt zwischen der Generierung von Steueraufkommen für die Schaffung der für die Standortattraktivität erforderlichen Faktoren und dem Wettbewerb untereinander um ausländische Direktinvestitionen mittels Übernahme internationaler Standards und „steuerlicher Vergünstigungen“.28 Die mit dem gegenleistungsfreien Steuerverzicht 22
Siehe hierzu im Einzelnen Teil 3 I. 1. Ebenda. 24 Ebenda. 25 Siehe hierzu Teil 1 II. 2. 26 Siehe hierzu Teil 2 VI. 27 Siehe hierzu Teil 3 I. 28 Siehe zur Betriebsstätte als Messgröße der wirtschaftlichen Aktivität und Verflechtung Teil 3 II. 2. a). 23
210
Teil 4: Schlussüberlegungen
einhergehende Schwächung der Verhandlungsposition Vietnams ergibt sich im Wesentlichen aus dem Dilemma zwischen der Generierung von Steuereinnahmen und der Steigerung der Standortattraktivität. Eine Verhandelbarkeit über eine abkommensrechtliche Regelung über die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Betriebsstätenstaat und Quellenstaat ist geeignet, Vietnams Verhandlungsmacht zu stärken. Die Möglichkeit, günstige Regelungen auszuhandeln, die das Potenzial haben, finanzielle Ressourcen zu generieren, mit denen die Steigerung der Standortattraktivität finanziert werden können, ist so größer.
3. Rechtstechnische Korrektur Die nun im Rahmen des eröffneten Anwendungsbereichs des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit vorzunehmende rechtstechnische Korrektur muss die Kopplung der Nutzungsberechtigung mit der Abkommensberechtigungsfähigkeit auflösen. Betriebsstätten, die außerhalb des bilateralen Verhältnisses stehen, können so dogmatisch berücksichtigt werden, auch wenn eine nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechende Aufteilung des Steuersubstrats deshalb nicht mehr möglich wäre, weil ohne Verknüpfung der Betriebsstätte mit dem Stammhaus die Ermittlung des Intensitätsgrads der wirtschaftlichen Aktivitäten des Steuerpflichtigen und mithin die Messgröße für die wirtschaftliche Zugehörigkeit in den jeweiligen Staaten unvollständig wäre.29 Die mit der Entkopplung ausgelöste Verdrängung der Wirkung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit wird durch das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit erreicht. Dieses Prinzip priorisiert die staatliche Einnahmegenerierung und mithin die Vermeidung wirtschaftspolitischer Nachteile gegenüber der durch die individuelle Leistungsfähigkeit geprägten lastenverteilungsausgleichenden Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Nach der Entkopplung entscheidet sich die abkommensrechtliche Berücksichtigung einer außerhalb des bilateralen Sonderverhältnisses stehenden Betriebsstätte nur noch danach, ob ihr die Abkommensberechtigung zukommt oder nicht.30 Die Abkommenberechtigungsfähigkeit hängt (entgegen dem Abkommenswortlaut) nicht mehr von der Steuerrechtsfähigkeit ab,31 sodass eine Betriebsstätte ebenfalls grundsätzlich abkommensrechtsfähig sein kann.32 Diese Abhängigkeit zwischen Abkommensberechtigungsfähigkeit und Steuerrechtsfähigkeit begründete sich zuvor darauf, dass die Nutzungsberechtigung mit der Eigenschaft als Steuerpflichtiger verknüpft ist.33 Die Abkommensberechtigung der Betriebsstätte hängt von der 29
Siehe in Teil 3 I. 3. Ebenda. 31 Für die Abkommensberechtigung kommt es auf die Ansässigkeit ab, welche auf die Steuerpflicht abstellt, Art. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA. 32 Siehe in Teil 3 I. 3. 33 Ebenda. Siehe auch Teil V. 30
II. Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit
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wirtschaftlichen Verfügungsbefugnis ab, nicht von der Nutzungsberechtigung, sodass begrifflich die Nutzungsberechtigung im Sinne der vietnamesischen Finanzbehörde die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis ausreichen lässt.34 Diese korrigierten Mechanismen in Anwendung auf den „Song Bung 2“-Fall ermöglichen, die Zinszahlungen für abkommensrechtliche Zwecke dogmatisch der Betriebsstätte in Japan als wirtschaftlich Verfügungsberechtigter zuzuweisen, sodass das Stammhaus in Deutschland als Abkommensberechtigter ausscheidet. Entsprechend ist auch das Abkommen zwischen Deutschland und Vietnam nicht anwendbar. Ebenso verläuft die Prüfung, ob die japanische Betriebsstätte als wirtschaftlich Verfügungsberechtigter abkommensberechtigt ist, negativ, da im Abkommen zwischen Vietnam und Japan eine solche Abkommensberechtigung zwar mit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit vereinbar ist, aber nicht vereinbart wurde.
4. Fazit Die Anwendung der herausgearbeiteten Prämissen der staatlichen Leistungsfähigkeit zeigt, dass diese dazu geeignet sind zu vermeiden, dass jeder Staat, der eine asymmetrische Zahlungsbilanz aufweist, einen Korrekturanspruch hinsichtlich der ursprünglichen Steueraufteilung hat. Ferner kann vermieden werden, dass die Korrektur in Fällen erfolgt, in denen kein wirtschaftspolitischer Nachteil für den Entwicklungsstaat ermittelt werden konnte. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit und dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit erleichtert die konkrete Korrektur. Es können die abkommensrechtlichen Mechanismen identifiziert werden, die aufgrund des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit die zu korrigierende Steueraufteilung ausgelöst haben. Die abkommensrechtlichen Wirkungen dieser Mechanismen lassen sich dann mit Korrekturmechanismen, die die ratio legis des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit in sich tragen, zurückdrängen.
II. Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit – ein Widerspruch zur Globaläquivalenz? Die Kurzdarstellung des „Song Bung 2“-Falls anhand der entwickelten Prämissen hat verdeutlicht, dass die Entkopplung von Nutzungsberechtigten und Abkommensberechtigungsfähigkeit nur mit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit sinnvoll begründet werden konnte. Alle anderen ermittelten Erklärungsversuche haben dagegen gezeigt, dass das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nicht mit dem vietnamesischen Sonderweg vereinbar ist. Trotzdem könnte die Anwendung des 34
Ebenda.
212
Teil 4: Schlussüberlegungen
Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit im aktuellen Gerüst des internationalen Steuerrechts möglicherweise wegen eines unüberwindbaren Wertungswiderspruchs abzulehnen sein. Wie in Teil 3 II. 2. a) cc), dargestellt, wird die Richtigkeit des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nämlich damit begründet, dass diese der „wahren“ Gerechtigkeit am nächsten komme. Die bei Valta positiv verlaufene Verprobung der globaläquivalenten Rechtfertigung mit der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie verneint implizit, dass Besteuerungsinteressen des Staates über die von der Besteuerung betroffenen Grundrechte des Einzelnen gestellt werden können, was jedoch in der Natur des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit liegt. Nach Valta ist die Globaläquivalenz die Rechtfertigung für einen durch die Besteuerung ausgelösten Massengrundrechtseingriff. Der Bürger soll nur für die ihm gebotene staatliche Gesamtleistung eine Globalgegenleistung in Form von Steuern entrichten,35 „soweit diese selbst nicht gesondert über Gebühren und Beiträge abgegolten ist (Einzeläquivalenz)“: 36 „[…] Die Gerechtigkeitsaufgabe des Internationalen Steuerrechts besteht folglich darin, die Verantwortungsgemeinschaft der beteiligten Staaten zu einer gerechten Besteuerung im vertikalen Verhältnis zu Steuerpflichtigen zu koordinieren und horizontal für die gerechte und die autonomiewahrende Verteilung der Besteuerungsanteile anhand des Beitrags der jeweiligen staatlichen Gesamtleistung an der wirtschaftlichen Wertschöpfung zu sorgen.“ 37 […] „Die beteiligten Staaten müssen ihre Besteuerung so aufeinander abstimmen, dass nur die Staaten besteuern dürfen, deren Gesamtstaatsleistung der Steuerpflichtige in Anspruch genommen hat, dass diese Besteuerung das Maß der Leistungsfähigkeit im am höchsten besteuernden Staat nicht überschreiten darf, dass die zu findende Regelung aber weitergehend auch die unterschiedlichen Besteuerungsniveaus der beteiligten Staaten in der Gesamtbelastung abbilden muss. […].“38
Der normative Richtigkeitsanspruch der globaläquivalenten Rechtfertigung zwingt, das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit als „unrichtig“ zu qualifizieren, insbesondere, wenn sich der Richtigkeitsanspruch aus der demokratischen und humanistischen Idee der Individualität des Einzelnen ableitet. Die Verprobung der globaläquivalenten Rechtfertigung mit der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie ist daher auch zu dem positiven humanistischen Ergebnis gekommen, dass die Globaläquivalenz dieser Theorie entspricht. Die nach Rawls allen Menschen angeborene vernünftige und rationale Entscheidungsfindung zur Sicherstellung der materiellen Grundausstattung erlaube grundsätzlich eine gegenseitige faire Verhaltenserwartung.39 In der Globaläquivalenz drückt sich diese darin aus, dass „angesichts d[er] 35 Siehe Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 73 f. 36 Ebenda, S. 73. 37 Ebenda, S. 74. 38 Ebenda, S. 75. 39 Ebenda, S. 6, S. 14, S. 16 und S. 126.
II. Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit
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Korrelation von Aufwand und Vorteil es das Natürlichste ist, dass die Gemeinschaft die Rechtfertigung der Besteuerung in der wirtschaftlichen Zugehörigkeit sucht“. Der Steuerpflichtige zieht aus den Globalleistungen eines Staates Vorteile und erhöht dadurch seine in diesem Staat relevante Leistungsfähigkeit. Durch die Ausgangsprämisse, dass allen Menschen eine gegenseitige faire Verhaltenserwartung innewohnt, erscheint die globaläquivalente Rechtfertigung wegen dieser dem Menschen von Natur aus gegebenen Eigenschaft der Wahrheit am nächsten zu sein. Dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit könnte demnach nur dann Raum zur Anwendung gegeben werden, wenn entweder Zweifel an dem universalen Wahrheitsanspruch der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie bestehen oder das Prinzip nicht diesen universalen Wahrheitsanspruch infrage stellt. Zweifel an dem universalen Wahrheitsanspruch könnten möglicherweise deshalb bestehen, weil die Ableitung des normativen Geltungsanspruchs der Globaläquivalenz in der Gedankenführung an eine Tradition anknüpft, die maßgebend für eine Disziplin ist, die durch die Suche nach dem „richtigen“ und damit dem „gerechtesten“ Recht charakterisiert ist: die Rechtsvergleichung. Die von Zweigert und Kötz geprägte herrschende Auffassung über die methodische Verfahrensweise in der Rechtsvergleichung wird von der Idee bestimmt, dass die einzige Aufgabe des Rechts sei, ein rechtliches Problem zu lösen.40 Die Problemlösung und damit auch das Problem selbst seien daher unabhängig von moralischen Vorstellungen und sonstigen politischen und wirtschaftlichen Einflüssen zu betrachten.41 Die Gerechtigkeit wird als abstrakte Antwort auf abstrakte Gerechtigkeitsfragen in Form von Rechtsproblemen und Rechtssätzen formuliert.42 Erst nach einer solchen Entkontextualisierung des Rechts könne nach der besten Lösung gesucht und der gerechteste Rechtssatz ermittelt werden.43 Dies erfordere zudem auch die Lossagung des Rechtsvergleichenden von seinem eigenen kulturellen Kontext.44 Die Entkontextualisierung von Objekt und Subjekt der Untersuchung sei Schlüssel, um das wahre Recht von dem Subjektiven, dem Individuellen, zu lösen und das Universale herauszudestillieren.45 Die kulturhistorischen, wirtschaftlichen und politischen Verwurzelungen des Rechts seien Elemente, die außerhalb des Rechts liegen.46 Hierdurch werde der Rechtstext von diesen kulturellen Eigenheiten gelöst.47 Die gefundenen Ergebnisse, wie welches Problem am besten gelöst werde,48 sind eine 40 Zweigert, Konrad/Kötz, Hein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 8 und 46. 41 Siehe Zweigert, Konrad/Kötz, Hein, ebenda, S. 39. 42 Ebenda. 43 Ebenda. 44 Ebenda. 45 Ebenda. 46 Ebenda. 47 Ebenda, S. 34. 48 Ebenda, S. 8.
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Teil 4: Schlussüberlegungen
weitere Annäherung an die Gerechtigkeit im Sinne einer naturrechtlichen Gerechtigkeit. Die Globaläquivalenz als Maßstab internationaler Steuergerechtigkeit ist eine solche nach dem Zweigert’schen Konzept gefundene universelle und objektive Gerechtigkeitswahrheit. Der Richtigkeitsanspruch der Globaläquivalenz wird nämlich mit der Rawls’schen Idee eines im Menschen verankerten reziproken Altruismus begründet, was die Globaläquivalenz zu einer natürlichen Seinserscheinung, das heißt zu einer Tatsache erhebt. Die Aufteilung des Steuersubstrats mithilfe der Globaläquivalenz erscheint auf diese Weise am „gerechtesten“, weil gerade diese sich aus der Natur des vernunftbegabten Menschen ableiten lässt. Eine solche Objektivierung ermöglicht, eine internationale Steuerrechtsordnung im Wege einer hierarchisch-systematischen Betrachtungsweise mit universellem Geltungsanspruch abzuleiten. Internationale Steuerrechtsprobleme können so entschlackt werden. Die Vielschichtigkeit, die aus der Verschränkung der verschiedenen wirtschafts- und steuerpolitischen Interessen der involvierten Staaten erwachsen ist, und die Historie international getroffener Konsensentscheidungen müssen bei der Identifizierung des Problems nicht mehr berücksichtigt werden. Die fehlende Berücksichtigung solcher individuellen Merkmale in der Rechtsvergleichung zwecks Gerechtigkeitsfindung wird jedoch vor allem mit dem formalen Argument kritisiert, dass wissenschaftlich der universelle Geltungsanspruch der westlich-demokratischen Gerechtigkeit nicht nachgewiesen werden könne.49 Die Nähe von Valtas Gedankenführung zu den Methoden der Rechtsvergleichung nach Zweigert und Kötz wirft die Frage auf, ob die globaläquivalente Rechtfertigung nicht letztlich auch auf nicht der Wissenschaft zugänglichen Gerechtigkeitsprämissen baue. Eine solche Frage verkennt, dass nicht nur die Nichtexistenz eine absoluten Wahrheit in Betracht zu ziehen ist, sondern auch ihre Existenz. Für letzteres spricht vielmehr noch, dass eines der menschlichen Errungenschaften es gewesen ist, mit Hilfe der Demokratie, den Schutz der Freiheitsrechte eines jeden Einzelnen zu gewährleisten, und dadurch Rahmenbedingung für den Fortschritt geschaffen zu haben. Infrage zu stellen, dass humanistische Ideale keinen Wahrheitswert zukommne könne, führt das Ziel der Wissenschaft, den menschlichen Fortschritt voranzutreiben, ad absurdum. Die Zweigert’sche Entkontextualisierung ist vielmehr als Sicherung dieser Errungenschaft zu verstehen, die Rawls’sche Gerechtigkeitstheorie als Ziel des Fortschritts. Die Negierung bestimmter individueller Merkmale in der Rechtsvergleichung kann vor diesem Hintergrund als Präventivmaßnahme gedeutet werden. Die unreflektierte Berücksichtigung individueller Faktoren birgt nämlich die Gefahr in sich, Zweifel an der universellen Richtigkeit und Wahrhaftigkeit der demokratischen und humanistischen Idee der Individualität des Einzelnen auszulösen. Die Gefahr in diesem Zweifel liegt in der irreführenden Relativierung, Demokratie und Autokratie seien in ihrer Wertigkeit gleichberechtigt. Allein am Beispiel Vietnam haben sich jedoch die schwerwiegenden Folgen fehlender demokratischer und humanistischer 49
Siehe Radbruch, Friedrich Gustav, Rechtsphilosophie, 1963, S. 336.
III. Staatliche Leistungsfähigkeit als Rechtsprinzip
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Strukturen für den Staat und seine Bürger gezeigt. Die Anwendbarkeit des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit als Lösungsansatz müsste bei einer solchen Betrachtungsweise auf den ersten Blick dann konsequenterweise verneint werden, weil das Prinzip gerade die individuelle Situation von Entwicklungs- und Quellenstaaten wie etwa Staatsform, wirtschaftliche Situation oder politische Interessenslage abkommensrechtlich berücksichtigen möchte. Etwas anderes ergibt sich, wenn seine Anwendung keine der oben genannten Gefahren der irreführenden Relativierung demokratischer und humanistischer Werte auslöst. Das ist hier zu bejahen. Indem das Prinzip mit den tragenden Gedanken der globaläquivalenten Rechtfertigung und des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit verzahnt ist, dürften solche Risiken nicht entstehen. Die Verzahnung verdeutlicht, dass trotz Vielfalt der Kulturen und Ideologien und der damit einhergehenden Relativierung die demokratischen Kulturen und Ideologien in der Regel fortschrittlicher sind als autokratische Regime. Im Fall Vietnam zeigte sich, dass die mangelnde Gewaltenteilung Hauptursache der bestehenden Korruption ist und die nachteiligen fiskalischen Folgen des asymmetrischen Steuerverzichts vervielfacht hat. Ein Rückgriff auf das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit dürfte von Fall zu Fall die Differenzierung zwischen solchen Staaten zur Folge haben, die ein hochentwickeltes demokratisches System aufweisen, und solchen, bei denen es daran mangelt. Im Fall Vietnams ist dieser Mangel gerade Anlass, ausnahmsweise abkommensrechtliche Fragen am Maßstab der staatlichen Leistungsfähigkeit zu beantworten. Der hierdurch zulässig gemachte Vorrang, steuerliche Einnahmen zu generieren, gegenüber der Herstellung einer gleichmäßigen Besteuerung wird also nicht durch das Prinzip gerechtfertigt; durch dieses Prinzip wird dieser Vorrang vielmehr als Konsequenz der defizitären Steuerverwaltung formuliert. In der Formulierung als Mangel kommt vor allem die Missbilligung autokratischer Strukturen zum Ausdruck, aber auch das Bekenntnis zum humanistischen Menschenbild als Ideal. Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit ist nicht prinzipiell von Anfang an abzulehnen und steht nicht im Wertungswiderspruch zur globaläquivalenten Rechtfertigung.
III. Die staatliche Leistungsfähigkeit als übergeordnetes Rechtsprinzip Die vorgangegangene Untersuchungen zeigen, dass das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit auch auf der Prinzipienebene rational mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit verzahnt werden darf und muss. Diese Zulässigkeit der Verzahnung wirft die weitergehende Frage auf, ob es sich beim Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit auch um ein völkerrechtliches Rechtsprinzip handelt, das für jeden Staat Rechte und Pflichten begründen kann. Das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit ist nämlich Ausgangspunkt jedes Abkommens. Das
216
Teil 4: Schlussüberlegungen
spricht für eine Verbindlichkeit des Prinzips und auch für die Verbindlichkeit der damit verzahnten Prinzipien wie das der staatlichen Leistungsfähigkeit. Problematisch ist bei der Begründung einer solchen rechtlichen Verbindlichkeit aber, dass allgemein eine Beschränkung der Besteuerung völkerrechtlich weder ausdrücklich geboten ist noch eine solche sich herleiten lässt,50 und mithin keine Aufteilungspflicht besteht. Sowohl das nationale Recht, das Doppelbesteuerungen weitestgehend hinnimmt, als auch die korrespondierende Notwendigkeit von Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen gehen davon aus, dass keine einheitliche Rechtsüberzeugung zur Doppelbesteuerungsvermeidung existiert, sodass ein völkerrechtliches Gewohnheitsrecht weder im Abkommensrecht zum Ausdruck gekommen ist noch durch Übung in Rechtsüberzeugung von der Mehrheit von Staaten begründet wurde.51 Das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit oder globaläquivalenten Rechtfertigung lässt sich demnach nicht als Ausprägung einer solchen Beschränkung formulieren. Völkerrechtlich verbindliche Maßstäbe zur Aufteilung des Steuersubstrats dürften dementsprechend nicht abgeleitet werden können. Etwas anderes könnte sich allenfalls aus einer naturrechtlichen Sichtweise ergeben, und zwar wenn das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit als Ausdruck der Gerechtigkeitstheorie Rawls gelesen wird.52 Hierdurch könnte dem Prinzip eine rechtliche Autorität verliehen werden, aus der sich letztlich auch die Pflicht zur Begrenzung der Besteuerung ableiten ließe.53 Unabhängig von einem solchen Ansatz tritt in der Praxis erst mit dem Abschluss des Abkommens die zwischenstaatliche Verbindlichkeit zur Vermeidung von Doppelbesteuerung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt bekennen sich beide Staaten zum Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit. Theoretisch kommt damit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit ebenfalls erst dann rechtliche Verbindlichkeit zu, wenn diese abkommensrechtlich vereinbart wurde. Diese abkommensrechtlichen Prinzipien können mithin keinen universellen Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Steueraufteilung begründen.54 50 Siehe Wassermeyer, Franz, Die beschränkte Steuerpflicht, in: Vogel, Klaus (Hrsg.), Grundfragen des internationalen Steuerrechts, DStJG Bd. 8, 1984, S. 52 – 54; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im internationalen Steuerrecht, in: Lang, Festschrift Tipke, S. 125, S. 143; siehe Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 11; zu beachten ist, dass zwar für die Besteuerung vom Bundesverfassungsgericht Anknüpfungspunkte gefordert werden (BVerfG, Beschluss vom 22. 03. 1983 – 2 BvR 475/78, NJW 1983, S. 2757, 2761), die sich mit den Voraussetzungen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht beschreiben lassen, doch lässt sich aus einem solchen Erfordernis kein Verbot der Doppelbesteuerung ableiten, siehe hierzu Lehner m.w.N., ebenda. 51 Siehe Wassermeyer, Franz, ebenda, S. 52, S. 53. 52 Siehe hierzu Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 54 – 75. 53 Siehe hierzu vorheriges Kapitel II. 54 A.A. Valta, Matthias, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Diss., 2014, S. 16, S. 52 und S. 75; siehe zur Gesamtproblematik von
IV. Staatliche Leistungsfähigkeit als Fortbildung des Abkommensrechts
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IV. Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit als Fortbildung des Abkommensrechts Der Ableitungsvorgang der einzelnen Kriterien für die Anwendung des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit am Beispiel Vietnams und des Dreieckssachverhaltsfalls „Song Bung 2“ verdeutlicht, dass die Verteilung des Steuersubstrats zwischen Industriestaaten und Entwicklungsstaaten sich nicht allein anhand einer Unterscheidung zwischen asymmetrischem und symmetrischem Steuerverzicht beziehungsweise zwischen schwacher und starker staatlicher Leistungsfähigkeit politisch entscheiden lässt. Vielmehr müssen im Rahmen der Fortbildung des Abkommensrechts Korrekturen im Einzelfall vorgenommenen werden, die sich (ausnahmsweise) nicht nur allein an der ratio legis der Abkommensvorschriften orientieren,55 sondern auch an dem neu hinzugefügten Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit. Für die Korrektur ist es erforderlich gewesen, herauszuarbeiten, an welchen problematischen Rechtsparametern und auf welche Weise die Korrektur im Einzelnen erfolgen sollte. Damit die Antworten hierauf im Einklang mit den miteinander verzahnten Prinzipien der staatlichen Leistungsfähigkeit und wirtschaftlichen Zugehörigkeit sind, müssen sie mit darauf hin nachprüfbaren abkommensrechtlichen Erwägungen begründbar sein. Die Besonderheit des Prinzips der staatlichen Leistungsfähigkeit ist, dass dieses „künstlich“, das heißt von außen anhand eines konkreten Problems der Verteilungsfrage entwickelt worden ist. Das Prinzip wurde nicht als Ausprägung einer abkommensrechtlichen Idee abgeleitet. Die Notwendigkeit der Entwicklung entsprang dem Bedürfnis, abkommensrechtlich die Frage über die angemessene Verteilung zwischen Industriestaat und Entwicklungsstaat neu zu klären. Das Prinzip selbst muss sich daher noch durch stete Praxis im allgemeinen internationalen Steuerrechtsbewusstsein durchsetzen. Erschwerend für seine Durchsetzung kommt hinzu, dass die hier in Form der dreistufigen Prüfungsreihenfolge erfolgte Konkretisierung des Prinzips zwar eine Stufe erreicht hat, auf der Tatbestand und seine Rechtsfolge gebildet werden konnten, jedoch erfolgte diese Konkretisierung induktiv anhand des Beispiels Vietnam und des „Song Bung 2“-Dreieckssachverhalts. Von fertigen, alle erdenklichen Fälle abdeckenden Regeln kann hier demnach noch nicht gesprochen werden. Hierzu bedarf es ihrer weiteren Konkretisierung, die schrittweise durch Anwendung dieser Regelansätze auf weitere Fallgruppen erreicht wird. Damit überhaupt solche Konkretisierungen erfolgen können, müsste das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit in der DBA-Praxis Eingang finden. Geeignet erscheinen hierfür die Musterkommentare. Diese dienen in den meisten Staaten als Rechtsprinzipien im Völkerrecht, Rauber, Jochen, Strukturwandel als Prinzipienwandel, Diss., 2018. 55 Entsprechend für den Fall der richterlichen Rechtsfortbildung im deutschen Recht: Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 413 f.
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Teil 4: Schlussüberlegungen
eine Art „Verständnishilfe“ für die jeweiligen Abkommen. Die Einführung des Prinzips als Argumentationstopos oder Auslegungshilfsmittel in den Musterkommentaren wird ermöglichen, dass auf diese Argumente zumindest zurückgegriffen werden kann, und erzwingt die stetige Auseinandersetzung mit diesen. Nicht nur können sie der Auslegung oder der abweichenden innerstaatlichen Anwendung dienen, sondern auch im Rahmen abkommensrechtlicher Neuverhandlungen. Unabhängig davon, in welcher Form der stetige Rückgriff erfolgt, führt der wiederholte Rückgriff zu einer strukturierten Prüfung der Argumente. Strukturell ähnelt diese Art der Implementierung dem Angleichungsprozess von unterschiedlichen Rechtssystemen im europäischen Integrations- und Harmonisierungsprozess. In jenem stehen sich die nationalen Interessen des souveränen Staates und das mit den anderen Mitgliedsstaaten geteilte Interesse an der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes gegenüber. Die nationalen Interessen rufen oft Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten in Form von Diskriminierungen oder Beschränkungen hervor. Nur ausnahmsweise werden diese – untechnisch gesprochen – gestattet, und zwar mit Rechtfertigungsgründen, in denen die Abwägungsentscheidung zugunsten der nationalen Interessen ausfällt. Die gerichtliche „Diskussion“ über die Europarechtskonformität staatlichen Handels kann als eine fortgesetzte Verhandlung über die für die Harmonisierung und Integration von den jeweiligen Mitgliedsstaaaten zu machenden Zugeständnisse gelesen werden. Dieser europäische Angleichungsprozess lässt sich dann als Auflösung gegenläufiger Interessen der Mitgliedsstaaten im Wege einer fortlaufenden strukturierten Auseinandersetzung mit den Rechtfertigungsgründen formulieren. Das sich dann schrittweise als Rechtsfortbildung im Abkommensrecht auf diese Weise verfestigte Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit erlaubt, seine Geltung auf das Sonderverhältnis zwischen den Vertragsstaaten zu beschränken. Diese Beschränkung entspricht der Natur des Prinzips. Sie möchte nur die Besonderheiten in diesem einen Sonderverhältnis berücksichtigt wissen. Als ein übergeordnetes völkerrechtliches Prinzip, das für alle Staaten verbindlich wäre, würde das Prinzip dagegen überfordern, weil es nicht dazu fähig wäre, eine „echte“ internationale Steuerrechtsordnung zu tragen, die für jeden Staat verbindlich wäre.
Fazit Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit ist trotz der Verzahnung mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit keine Ableitung aus dessen Telos. Das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit widerspricht sogar dem Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit, das dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zugrunde liegt. Das Bedürfnis jedoch, abkommensrechtlich die Frage über die angemessene Verteilung des Steueraufkommens zwischen Industriestaat und Entwicklungsstaat neu zu klären, hat eine Rechtsfortbildung im Abkommensrecht verlangt. Das konnte mit dem Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit erreicht werden. Es liegt in der Natur des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, regelmäßig den kapitalexportierenden Staaten das Steuersubstrat zuzuweisen.1 Vietnams oben abgeleitetes (und mithin unterstelltes) wirtschaftspolitisches Interesse, dem asymmetrischen Steuerverzicht entgegenzuwirken, indem es an seinem Besteuerungsrecht als Quellenstaat in Fällen von Betriebsstättendreieckssachverhalten festhält, und zwar ohne dass abkommensrechtlich eine Begrenzung des innerstaatlichen Quellensteuersatzes ausgelöst wird, stand diesem Prinzip entgegen. Grund dafür sind offenbar die diesem Prinzip zugrunde liegenden Gerechtigkeitserwägungen. Denn die Verknüpfung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit mit dem Prinzip der Leistungsfähigkeit hat zur allgemeinen Meinung geführt,2 dass eine sitzstaatsdominierte Besteuerung zweckmäßig sei, weil nur der Sitzstaat aus tatsächlichen Gründen mit der ihm zur Verfügung stehenden verwaltungstechnischen Ausstattung gewährleisten kann, international agierende Steuerpflichtige gleichmäßig – gemessen am Leistungsfähigkeitsprinzip – zu besteuern.3 1
So hat das Finanzkomitee der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in ihrem Bericht von 1965 festgestellt: „[…] the essential fact remains that tax conventions which capital-exporting countries have found to be of value to improve trade and investment among themselves […].“ Organisation for Economic Co-operation and Development, Fiscal Incentives for Private Investment in Developing Countries: Report of the OECD Fiscal Committee (Paris, 1965), para. 164; auch zitiert in der Einleitung zum UN Model Double Taxation Convention between Developed and Developing Countries 2001, S. vii. 2 Es wird von einem Dualismus der iustitia commutativa und iustitita distributiva gesprochen, in: Reimer, Ekkehart/Rust, Alexander, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl., 2014, Vorwort. 3 Siehe Schindel/Atchabahian, General report, in IFA (Hrsg.), Source and residence: new configuration of their principles, Cahiers de Droit Fiscal International, Vol. 90a, 2005, S. 21 – 99; siehe zum Prinzip der staatswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Dorn, Herbert, Das Recht der internationalen Doppelbesteuerung, Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht 1927, S. 189, S. 210; Näheres in Teil 3 II. 2. a).
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Fazit
Diese Betonung der Sitzstaatsbesteuerung spiegelt sich in den meisten Doppelbesteuerungsabkommen wider. Ihre Dominanz wird zudem auch durch die von Richard und Peggy Musgrave in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entwickelten, als Argumentationsmuster weltweit verbreiteten Effizienz- und Gerechtigkeitsgedanken bei internationalen Besteuerungen gestärkt.4 Danach diene die Sitzstaatsbesteuerung am besten der Steuerneutralität und damit der wirtschaftlichen Effizienz. „Ein wirtschaftlich effizientes Unternehmenssteuersystem ist ein solches, in welchem Investitions- und andere Unternehmensentscheidungen von abweichenden nationalen Steuersätzen oder von der steuerlichen Behandlung unbeeinflusst bleiben.“5 Der Grundgedanke der Steuerneutralität sei nämlich, dass die „[…] höchste Produktivität erst erreicht werden könne, wenn Einkommen generierende Faktoren durch Marktmechanismen ohne staatliche Eingriffe verteilt werden“.6 Von den Musgraves vertreten und auch insgesamt von der finanzwissenschaftlichen Literatur übernommen ist die Ansicht,7 dass die Steuerneutralität am besten durch eine Kapitalexportneutralität erreicht werden könne. Bei dieser sollen Steuerpflichtige unabhängig, ob sie im Inland oder im Ausland investieren, und damit auch unabhängig davon, wo sich die Einkunftsquellen befinden, auf die gleiche Weise besteuert werden. Dies werde durch die Sitzstaatsbesteuerung und durch das Anrechnungsverfahren erreicht. Gleichzeitig seien auch die von P. Musgrave eingeführten Kriterien der zwischenstaatlichen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit zwischen den Steuerpflichtigen durch die Sitzstaatsbesteuerung am besten erfüllt.8 Die wirtschaftliche Verflechtung sei vornehmlich im Sitzstaat am stärksten, sodass im Verhältnis zu den Quellenstaaten die dominierende Sitzstaatsbesteuerung dem Ideal einer zwischenstaatlich gerechten Aufteilung des Steuersubstrats am nächsten komme. Hinsichtlich der Gerechtigkeit der Steuerpflichtigen untereinander seien auch die Sitzstaaten durch die bessere Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer unbeschränkt Steuerpflichtigen besser in der Lage als die Quellenstaaten, die Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip vorzunehmen.9 4
Für weitere Nachweise für die Aufteilung der Besteuerung im Verhältnis der Staaten zueinander: siehe Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 23 m.w.N. 5 Brewer Richman, P. (später Musgrave), Taxation of Foreign Investment Income, 1963, S. 5. 6 Siehe Vogel, Klaus, Worldwide vs. source taxation of income – A review and re-evaluation of arguments (Part II), Intertax 1988, S. 310. 7 Siehe Pinto, Dale m.w.N., Exclusive Source or Residence-Based Taxation – Is a New and Simpler World Tax Order Possible?, Bulletin for International Tax 2007, S. 277, 286; siehe Vogel, Klaus, Worldwide vs. source taxation of income – A review and re-evaluation of arguments (Part II), Intertax 1988, S. 311; für weitere Nachweise zu finanzwissenschaftlichen Neutralitätskonzepten siehe Lehner, Moris, Grundlagen des Abkommensrechts, in: Vogel/ Lehner Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl., 2015, Rn. 24 m.w.N. 8 Siehe mit weiteren Nachweisen: Daurer, Veronika, Tax Treaties and Developing Countries, Diss., 2014, S. 21 f. 9 Ebenda.
Fazit
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Damit der Steuerpflichtige nicht nur einer gleichmäßigen Besteuerung unterworfen werden kann, sondern zu seinen Gunsten auch die jeweiligen staatlichen Besteuerungsrechte hierfür begrenzt werden können, ist eine funktionierende Steuerverwaltung Voraussetzung. Eine mangelnde Funktionsfähigkeit der Steuerverwaltung hingegen verdeutlicht wiederum die Fehlbarkeit dieses Prinzips bei Abkommen zwischen Industrie- und Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenstaaten. Letztere entsprechen, wie im Fall Vietnam erläutert, nur bedingt den verwaltungstechnischen Anforderungen einer gleichmäßigen Besteuerung. Vietnam hat es an Mitteln gefehlt, eine gleichmäßige Besteuerung herzustellen. Erschwerend kommt in vielen Staaten wie Vietnam hinzu, dass es mangels ausreichender Überwachung behördlichen Handelns zu einer Privatisierung behördlicher Entscheidungen in Form von zusätzlichen „Gebühren“ für den Steuerpflichtigen kommt.10 Die der individuellen Leistungsfähigkeit zugrunde liegenden Gerechtigkeitserwägungen erscheinen daher bei Staaten wie Vietnam nicht durchsetzbar. Der Umsetzungsgrad der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in solchen Staaten ist verhältnismäßig niedrig. Gleichzeitig ist die Finanzverwaltung deswegen nicht in der Lage, das potentielle Steueraufkommen angemessen abzuschöpfen.11 Das führt zu dem Problem, dass diese Staaten zum einen darum bemüht sein müssen, dass ihre Einnahmen die wesentlichen Ausgaben decken, ohne hierfür übermäßige Kürzungen in der Staatsverwaltung vornehmen zu müssen,12 und dass sie zum anderen darauf zu achten haben, dass die eingesetzten Mittel zur Erhöhung der Staatseinnahmen nicht zu einer Hemmung wirtschaftlicher Aktivitäten führen.13 Fehlt es an der Grundvoraussetzung einer funktionierenden Verwaltung zwecks Realisierung des Prinzips der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, so verstärkt sich das Dilemma zwischen Steuergenerierung und steuerlicher Investitionsförderung, wenn für Entwicklungsstaaten der einseitige Steuerverzicht aufgrund der Asymmetrie der Zahlungsbilanz vorprogrammiert ist. Als Konsequenz einer solchen defizitären Steuerverwaltung wurde hier das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit formuliert, das ausnahmsweise dem fiskalischen Interesse, steuerliche Einnahmen zu generieren, den Vorrang gegenüber der Herstellung einer gleichmäßigen Besteuerung einräumt. Hierdurch wird die durch die vom Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit und dem Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit geprägte Abkommensdogmatik nachvollziehbar aufgebrochen, sodass rechtstechnische Korrekturen zugunsten der Entwicklungsstaaten ermittelt werden konnten, ohne Gefahr zu laufen, als willkürlich eingeordnet zu werden. Insbesondere drückt sich in dem Regel-Ausnahme-Verhältnis einerseits 10
Ebenda. Siehe auch Teil 1 IV. 4. 12 Tanzi, Vito/H. Zee, Howard, Tax Policy for Emerging Markets: Developing Countries, International Monetary Fund (IMF) Working Paper WP/00/35, 2000, Fiscal Affairs Department, S. 3 f. 13 Ebenda. 11
222
Fazit
die Missbilligung autokratischer Strukturen und sogenannter Gemeinschafts- und Sonderinteressen aus, und andererseits tritt das Bekenntnis zum humanistischen Menschenbild als Ideal deutlich hervor. In Fällen des asymmetrischen Steuerverzichts ist das Prinzip der staatlichen Leistungsfähigkeit mit seiner dreistufigen Prüfungsreihenfolge geeignet, eine überzeugende Antwort auf die Frage anzubieten, wie das Steueraufkommen zwischen Industriestaat und Entwicklungsstaat abkommensrechtlich aufgeteilt werden soll. Die abkommensrechtliche Berücksichtigung von Besonderheiten eines Vertragsstaates hat letztlich nicht das Ziel, die Fragmentierung des internationalen Steuerrechts aufrechtzuerhalten. Vielmehr soll hierdurch an das Fragmentarische angeknüpft werden, um die Vereinheitlichung voranzutreiben.
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Sachverzeichnis Abkommensberechtigung 122, 124, 133 – 137, 139 f., 142, 145, 151 – 153, 170 Abkommenspolitik 146 f. Abkommenszusammenhang 129 Ad-Hoc Group 78 Agrarwirtschaft 23, 109 Annam 41 Anrechnungs- und Freistellungsmethode 194 Anrechnungsmethode 72, 121, 157 Ansässigkeit 136, 185 Ansässigkeitsstaat 16, 26, 92, 113, 115, 117, 119, 123, 126, 133 f., 140, 142 f., 148, 155, 163 f., 171, 185, 199 Antikorruptionsgesetz 105 f. Anwendungsvorrang 157 Association of South-East Asian Nations (ASEAN) 25, 33, 35, 148, 160, 177 Attraktionskraft 65, 89, 93 Aufteilung des Steuersubstrats 113, 200 ausländische Direktinvestition 22, 26, 87, 103, 162 f., 165, 167, 195, 210 Auslegungshoheit 52, 130 Australien 25, 35, 77 Banken 115, 165, 169 Besoldung 101 f., 176, 180 Bestechungsgelder 110 Betriebsstättenniedrigsteuerland 150 Betriebsstättenstaat 26, 113 – 115, 117, 124, 126, 140, 142 f., 148, 155, 164, 168, 171, 173 Binnenmarkt 132, 147, 155, 158, 160, 173 Brasilien 19, 150, 153 Briefkastenfirmen 97 British Virgin Islands 86, 92 f. BVI 87, 93 f., 97, 99 Checks und Balances 30 China 25, 31 – 34, 48, 99, 111, 149 China+1 111
chinesisch-konfuzianisch 30 Cochinchina 39 – 41, 46 Commerzbank-Fall 152 Contract Manufacturing 37, 90 DBA-Anwendungsbereich 140 DBA-Frankreich 152 DBA-Portugal 153 DBA-Vietnam 29, 74, 76, 90, 121 f., 124, 133 Dekrete 51, 64 Deutschland 31 – 33, 35, 44 f., 54, 59, 60 – 68, 70 – 73, 75, 77, 82, 90, 92, 108 f., 117 – 122, 124 f., 142 f., 150, 153 f. Ðoˆ i mo´,i 24, 30, 35, 40, 48, 53, 81 Direktinvestition 37 Diskriminierungsverbot 151, 158 Dividenden 26, 92, 154 Dreiecksproblematik 26 Dreieckssachverhalt 143, 149, 160 Dreieckssachverhalte 26, 135, 148 Drittstaateneinkünfte 141 f. Einkommensteuer 44, 46, 48 f., 54, 58, 59, 60 – 63, 100, 186 Einnahmeperformanz 107 – 109, 181, 205 Einspruch 54 Entscheidungsharmonie 76 – 78, 128, 172 Entscheidungsmacht 81 Entwicklungs- und Schwellenstaaten 193, 222 Entwicklungshilfe 32, 46, 177 f. Entwicklungsländer 22 Europäische Union 25, 147 Exit-Strategie 92 Foreign Contractor Tax 117 Frankreich 33, 77, 115, 117 französisch-kontinental-europäisch französische Besatzung 39 französische Kolonialpolitik 39
30
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Sachverzeichnis
Freistellungs- und Anrechnungsmethode 194 Freistellungsmethode 121, 125 Geldwäsche 93 f. Gerechtigkeitsfrage 190 Gesamtleistungsfähigkeitsprinzip 194 Gestaltung 36, 38, 90, 92 – 94, 97, 99, 139, 142, 149, 156, 165 f., 210 Gewaltenteilung 29, 71, 82, 104, 112, 130, 206 Gewerbesteuer 92 Gewinnabgrenzung 151 Gewinnsteuer 44, 46 Gilly 153 f., 159 Globaläquivalenz 174, 187, 190 Großbritannien 77, 152 Güter- und Faktorenmarkt 148 Handelshemmnisse 146 High Court of Justice of England and Wales 152 Hong Kong 86 f., 92 – 95 Indonesien 33, 111 Infrastruktur 22, 34, 41, 71, 111, 176 Inland Revenue Department 95 Integrated Tax Administration Information System 97 Investitionsentscheidung 23 Investitionsgesetz 37 Investitionsstandort 111, 149, 177 IT 97, 102 ITAIS 97 Italien 77 Japan 25, 115 – 117, 119 f., 125, 141, 164, 169 Kapitalimportneutralität 158 Kaskaden-Besteuerung 157 Kolonialzeit 45 kommunistische Partei 106 kommunistischer Norden 42 Kooperation südostasiatischer Staaten 148 Körperschaftsteuer 53 f., 58, 59, 122, 144, 154, 178 Korrekturbedürftigkeit 196, 203
Korrekturmechanismen 194 Korrekturwürdigkeit 195 f., 203 Korruption 34, 99 – 102, 104 – 106, 108, 110 – 112, 176, 178 Korruptionsindex 109 Leistungsfähigkeitsprinzip 24, 47, 160, 183, 187, 193 f. lex specialis 157 Limited 94 Lizenzgebühren 68, 75, 123, 139 Lizenzsteuer 54 Logik 155, 158 f. Luxussteuer 53 f. Marktwirtschaft 25, 35, 45, 60, 177 Mehrfachbesteuerung 120 Mexiko-Abkommen 78 Mitwirkungspflicht 98, 180 Mutter-Tochter-Richtlinie 159 Nationalversammlung 25, 35, 40, 44 f., 48, 50, 53, 56, 74, 79 Nichtbesteuerung 136, 200 Niedrigsteuerland 140, 142 f., 149 Nordvietnam 40, 42, 46 f. Nutzungsberechtigter 84, 123, 133, 136 – 138, 141, 171 OECD-Musterabkommen 20, 71, 74 – 78, 113, 119, 123, 129, 139 OECD-Staaten 178 Offshore 92 f. Organisation for European Economic CoOperation 78 Ort des Vermögens 184 f. Philippinen 33, 111 Planwirtschaft 25, 35, 40, 45, 60, 145 Premierminister 36, 51, 80 f. Prinzipiengerüst 194 Privatgebühr 110 f. Protektorat 39, 41 Provinzregierung 53 f. Qualität der Verwaltungsabläufe 108, 109 quasi-Ansässigkeits-Besteuerungscharakter 151
Sachverzeichnis quasi-transparentes Vehikel 155 Quelle der Vermögensmehrung 184 f., 207 Quellenbesteuerungsrecht 143, 164 Quellenstaat 16, 26, 113, 115, 117, 124, 126, 129, 134, 140, 142 f., 148, 157, 163 f., 171, 200 Quellenstaatsprinzip 186 f. Rechtfertigungslehre 190 Rechtssystem 34, 50, 55, 100 Reform 19, 36 f., 40, 44 f., 48, 58, 60, 62, 70, 96, 98 f., 101 – 105, 108, 110 Regelungstechniken 50 Registered Agent 94 Registrar of Corporate Affairs 93 Reziprozität 145 – 147, 170 rule of corruption 30 rule of man 30 Rundschreiben 51 f., 63 f., 66, 68 f., 76, 84, 89, 105, 118 Schachtelprivileg 92, 157 Scheinrechnungen 92 Schwellenstaaten 19, 23 f., 174, 176 f. seperate-entity-approach 151 Slowenien 77 sowjet-kommunistisch 30 Sowjet-Recht 30 Staatshaushaltsgesetz 54 Stammhaus 118, 122 f., 139, 141, 143, 152 f., 156, 171, 173 Steuer Tribunal 153 Steueranspannung 107 f. Steuerarbitrage 156 Steuergerechtigkeit 183, 187 f. Steuergesetzgebung 50 Steuerhinterziehung 93 f., 99 Steuerhoheit 157 Steuerkraft 107 f. Steuerplanung 113, 134, 140, 143 f., 169 Steuerpolitik 23, 44, 50 f., 62 Steuerrechtsprinzip 24 Steuerstreitigkeit 54 Steuerverwaltung 23, 36, 44, 52, 54, 66, 96 f., 100 – 102, 105, 109, 174, 176, 178 – 180, 193, 203, 205, 222 subject-to-tax-clause 164 Südvietnam 39 f., 42, 46
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System 30, 36, 42, 46 f., 49, 51 f., 58, 60 – 62, 66, 70, 81 f., 96, 99 – 103, 105, 108, 111, 130, 181, 194 TAMP 36, 97 Tax Administration Modernization Project 36 Tax capacity 109 Tax effort 109 Territorialitätsprinzip 48, 93, 157 f., 194 toll manufacturing 38, 86, 91, 94 f. Trusts 94 turnkey manufacturing 38 Umsatzsteuer 38, 42, 44, 53 f., 68 – 70, 91 UN-Musterabkommen 19, 76 – 78, 201 USA 19, 22, 25, 48, 85, 143, 152 Verdeckte Gewinnausschüttung 65 Verfügungsmacht über das Vermögen 185 Verkehrssteuer 44 Verrechnungspreise 67, 75 Verständigungsverfahren 150 Verwaltungsbriefe 52, 82 Vietnam 25 f., 31 – 42, 44 – 48, 50, 52 – 54, 56, 58, 59, 60 – 77, 79, 81 – 85, 87, 89 – 92, 96, 98 – 106, 108, 109, 110, 112, 115 – 122, 124 f., 133 f., 138, 141 f., 144 f., 149, 159 f., 163, 168, 171, 173 Völkerbund 77, 183 – 186, 207 Welteinkommensprinzip 16, 18, 26, 61, 64, 119, 155, 158, 186, 194 Welthandelsorganisation 34, 51, 168 Wertesystem 131 Wertungssystem 131 Wettbewerb 20, 22, 26, 101, 148, 152, 162 f., 165, 167, 178, 195, 210 Wiedervereinigung 25, 45, 48 f. Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge 76, 146 Wohlfahrtssteigerung 145, 148 WTO 25, 45 WÜRV 76 – 79, 128 Zentralregierung 53, 74, 84 Zinsen 26, 116, 123 f., 134, 139, 141, 164 Zwischengesellschaft 85