Herausforderung Kommunikation – Brücken und Wege: Leidfaden 2019 Heft 2 [1 ed.] 9783666406669, 9783525402863, 9783647402864, 9783525402481, 9783647402482, 9783525406663


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Herausforderung Kommunikation – Brücken und Wege: Leidfaden 2019 Heft 2 [1 ed.]
 9783666406669, 9783525402863, 9783647402864, 9783525402481, 9783647402482, 9783525406663

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8. Jahrgang  2 | 2019 | ISSN 2192-1202

faden Leid

FA C H M A G A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D , T R A U E R

Herausforderung Kommunikation Brücken und Wege Interview mit Friedemann Schulz von Thun zu Kommunikation und innerer Wahrheit  Dominik Probst Die Bedeutung von Loben und Danken für das Gelingen von Kommunikation  Matthias Schnegg Hört da wer? – Gebet als Kommunikation  Lukas Radbruch Der Dolmetscher – Freund oder Feind? 

EDITION LEIDFADEN – WORTE FINDEN

Heiderose Gärtner-Schultz

Isabella Hemmann

Der richtige Satz zur richtigen Zeit

Das Alphabet der Trauer

Kurzzeitberatung in der Trauerbegleitung Mit einem Vorwort von Monika Müller. 2017. 136 Seiten mit 3 Abb., Paperback € 15,00 D ISBN 978-3-525-40286-3 eBook: € 11,99 D ISBN 978-3-647-40286-4

„Ein Satz kann ein Leben verändern“ – das haben schon viele Menschen erfahren. Aber wie gelingt es, den richtigen Satz, den ein anderer gerade braucht, parat zu haben? Ernste und wichtige Anliegen werden im Hospiz, Krankenhaus oder Altenheim häufig „zwischen Tür und Angel“ mitgeteilt. Oft hat ein Mensch unter diesen Umständen nicht mehr so viel Lebenszeit, um seine Probleme zu bearbeiten. Hier setzt Heiderose Gärtner-Schultz mit ihrer Kompaktberatung an. Dieses Konzept für eine Kurzzeitberatung weckt Sensibilität und bietet Praxishilfen für ein im guten Sinne des Wortes leichtfüßiges Umgehen mit scheinbar schweren Problemkonstellationen.

Mit Texten zum tieferen Verständnis von Verlusten 2015. 107 Seiten, Paperback € 15,00 D ISBN 978-3-525-40248-1 eBook: € 11,99 D ISBN 978-3-647-40248-2

Lesen und Schreiben, Sprechen und Zuhören sind Mittel, Trauer und Verluste zu verstehen. Die besondere Zeit der Trauer bietet die Chance, die eigene Sensibilität neu auf das Lesen und Verstehen von Texten auszurichten. Die Bandbreite des Traueralphabets reicht von Wut, Liebe, Angst, Loslassen, Zeit, Materie und Körper bis zum letzten Atemzug. All diese Themen finden sich im Romanausschnitt, Reisebericht, Interview oder Brief, die in diesem Buch zusammengestellt sind. Der methodische Teil der Textarbeit liefert Trauerbegleitern ein reiches Spektrum für die kreative Anwendung: die Vervollständigung von Texten, das Finden eigener Worte, das Zuhören, die Diskussion, die Beantwortung von Fragen und vieles mehr.

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EDITORIAL

Herausforderung Kommunikation – Brücken und Wege

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Kommunikation verbindet – im besten Fall – und Kommunikation trennt – nicht selten. Kaum einem Wort wird so viel Schuld zugesprochen für das, was schiefgelaufen ist. Ein Unternehmen gerät in der Öffentlichkeit unter Beschuss, weil die Kommunikation nach außen nicht gelungen ist. Paare trennen sich, weil sie nicht mehr miteinander kommunizieren können. Teams haben Konflikte, weil die Kommunikation untereinander nicht klappt. Drucker funktionieren nicht, weil sie nicht mit dem Computer kommunizieren. Missverständnisse entstehen, weil es Kommunikationsschwierigkeiten gibt. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortführen. In gewisser Weise ist es verständlich, dass so vieles auf das Konto von Kommunikation geht. Hat Paul Watzlawick uns doch aufgezeigt, dass jede Kommunikation Verhalten ist, und weil man sich nicht nicht verhalten kann, kann man folglich auch nicht nicht kommunizieren. Und wenn alles Kommunikation ist, hängt auch alles, was nicht gut läuft, mit Kommunikation zusammen. Wenn Kommunikation Verhalten ist, kann man es wie andere Verhaltensweisen lernen. Kommunikationstrainings, Kommunikationsregeln oder Kommunikationstechniken zeugen von diesem Verständnis von Kommunikation. Der Begriff Kommunikation stammt vom Lateinischen communicare ab und bedeutet gemeinschaftlich tun, sich mitteilen und verweist mit Blick auf communis auf das, was allen gemeinsam ist: in Verbindung stehen und sich verständigen. Kommunikation ist so verstanden eine Sozialhandlung und setzt Beziehung voraus. Würden wir also an jeder Stelle, an der wir den Begriff Kommunikation verwenden, das Wort »Beziehung« setzen, würden uns Kommunikationsschwierig-

keiten anders in die Pflicht nehmen – wir würden viel selbstverständlicher verstehen, dass Kommunikationsprobleme oft in Beziehungsproblemen gründen. Diese Erkenntnis lenkt den Fokus vom Erlernen von Kommunikation hin zum Entwickeln der eigenen Person. Das vorliegende Leidfaden-Heft beleuchtet Kommunikation aus verschiedenen Perspektiven. Der Blick auf Paarkommunikation bei einer Krebserkrankung, die Schwierigkeit des Dolmetschens im Arzt-Patient-Gespräch, Kommunikation mit Hilfe von Therapie-Tieren, Kommunikation im Team und Debriefing, die Besonderheit von Kommunikation mit älteren Menschen – wie sprechen wir über den bevorstehenden Tod? – und anderes mehr zeigt, dass Kommunikation eine Herausforderung ist und auch das Ergebnis von Strukturen und Praktiken sein kann. In allem Suchen nach Brücken und Wegen, mit dieser Herausforderung umzugehen, bleibt der Begriff der Beziehung, wie in den Worten Niklas Luhmanns deutlich wird, vordergründig wichtig: »Immer wenn Kommunikation stattfindet, handelt es sich um soziale Systeme.« Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre und ein Staunen über das Wunder, dass wir Menschen doch so gut miteinander kommunizieren können.

Sylvia Brathuhn

Dorothee Bürgi

Inhalt Editorial 1

4 Friedemann Schulz von Thun im Gespräch mit Sylvia Brathuhn

Interview zu Kommunikation und innerer Wahrheit

9 Caroline Mohr

Gelungene Online-Kommunikation – Virtuelle

9 Caroline Mohr | Gelungene OnlineKommunikation – Virtuelle Selbsthilfe im Internetforum der ­Frauenselbsthilfe nach Krebs

Selbsthilfe im Internetforum der ­Frauenselbsthilfe nach Krebs

12 Wolfgang Lalouscheck

Gesunde Kommunikation in der Krise – Was ist nötig? Was ist möglich? Was braucht es keinesfalls?

16 Helmut Dörmann

Trauer und Dialog

22 Gernot Brauchle und Maria Brauchle

Zur hilfreichen Kommunikation nach traumatischen Krisen – Aufgaben, Setting und Zeitpunkte von unterstützenden Gesprächen

26 Mandy Falke

Paarkommunikation unter dem Aspekt (m)einer lebensbedrohlichen Erkrankung

26 Mandy Falke | Paarkommunikation unter dem Aspekt (m)einer lebensbedrohlichen Erkrankung

30 Dominik Probst

Die Bedeutung von Loben und Danken für das Gelingen von Kommunikation

33 Sabine Kirton

Eine Woche im September – Gesundheitswandern

36 Waltraud Reichle | Auf Intensivstation: Begleitung von sedierten und komatösen Patientinnen und Patienten

oder Lebenspilgern

36 Waltraud Reichle

Auf Intensivstation: Begleitung von sedierten und komatösen Patientinnen und Patienten

40 Matthias Schnegg

Hört da wer? – Gebet als Kommunikation

43 Vladimir Jankélévitch (Zitate) und Rainer Maria Rilke (Gedicht)

45 Doreen Herinek und Michael Ewers

Miteinander, nicht nebeneinander – Interprofessionelle Kommunikation

48  Patrik Honegger | Belastung und Entlastung – Nachbesprechungen auf der Notfallstation

48 Patrik Honegger



Belastung und Entlastung – Nachbesprechungen

79 Kathrin Spielvogel

Diagnose Krebs – Helfen Kunst und Kommu­

auf der Notfallstation

51 Lukas Radbruch

nikation in der Krise? – Gedankensplitter

Der Dolmetscher – Freund oder Feind?



53 ‫داستاني نه شعر‬

54 Heinz Lahrmann

81 Josef Beran

Kommunikation in der Kinderwunschpraxis – Eine Herausforderung für alle Beteiligten



84 Stefanie Becker

Wie Altersbilder unsere Sprache bestimmen – Kommunikation mit älteren Menschen

Herausforderung Kommunikation bei neurologischen Erkrankungen

58

Begleitung auf vier Pfoten – Wenn tierische Präsenz Vertrauen schafft …

88 Tony Styger

Nähe durch Distanz – Darüber reden hilft!

Bettina Falzeder

91 Christian Gutzelnig

Kommunikation im Krankenhaus – Hinderliche

61 Martin Franken

und förderliche Strukturen und Prozesse

Focusing in helfenden Gesprächen – Innere Achtsamkeit anregen und begleiten



64



Nutzen schwangerer Palliativmedizinerinnen

H. Christof Müller-Busch Kommunikation mit sterbenskranken und



sterbenden Menschen

69 Andrea Ott Wabel und Heiner Kuhn Kommunikation in der Führung



73 Isabelle Karzig-Roduner und Tanja Krones

Advance Care Planning (ACP) – Gesundheitliche Vorausplanung basierend auf dem individuellen Lebenssinn



94 Aus der Forschung: Über den therapeutischen

76 Kathrin Lubig

Tod(d) als Begleiter: Dem Thema Raum geben

95 Harald Tuckermann

Entschieden ist nicht erledigt – Die kommunikative Verfertigung von Entscheidungen in Spitälern

98 Fortbildung: Der Wahrnehmungszirkel 100

Rezensionen

104 Verbandsnachrichten

107

Cartoon | Vorschau

108

Impressum

4

Interview zu Kommunikation und innerer Wahrheit Friedemann Schulz von Thun im Gespräch mit Sylvia Brathuhn Sie sind einer der Pioniere auf dem Gebiet der bewussten Kommunikation. Was hat Sie bewogen, sich so intensiv mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen? Gibt es ein Initialgeschehen oder andere Gründe? F. Schulz von Thun: Das kam so: Ich konnte zwar gute deutsche Aufsätze schreiben, aber auf der Beziehungsebene war ich ein Spätentwickler. Ich hatte keine Sprache dafür, was in mir vorging, wie mir ums Herz war und was mich im Kontakt mit anderen Menschen irritierte oder unsicher machte. Deswegen spielte ich Schach und brachte es zu einem passablen Turnierspieler. In meiner Diplomarbeit wollte ich denkpsychologische Vorgänge beim Schachspielen erforschen. Mein Lehrer Reinhard Tausch jedoch fand es wichtiger, dass wir erforschen, wie Texte aller Art verständlicher geschrieben und gestaltet werden können. Also gut, darüber habe ich dann auch promoviert. Und es dauerte gar nicht lang, da wollten Lehrer und Führungskräfte darin geschult werden.

Wir boten also Trainingsveranstaltungen an. Aber dann stellte sich heraus: Noch viel wichtiger war das Bedürfnis, auch auf der Beziehungsebene miteinander besser klarzukommen. Das war die Zeit nach 1968, als die autoritären Verhaltensweisen in Verruf gerieten und das Lernziel Partnerschaft in den Vordergrund trat. Nun wurde ich also Dozent für menschliche Qualitäten, an denen es mir selbst ermangelte. Bald reifte in mir das Kommunikationsquadrat (mit den vier Schnäbeln und den vier Ohren), das ich vor allem selbst brauchte, um hier klarer zu sehen. Dass dieses Modell einen solchen Anklang finden würde, war eine Überraschung. Kein sehr eingängiges Narrativ, oder? Vielleicht kann man so sagen: Das Schicksal webt seinen Teppich aus den Fäden des Talents (deutsche Sprache), des Entwicklungswunsches (Beziehungskompetenz, Herzensbildung) und dem, was gesellschaftlich in der Luft liegt und gefragt ist (partnerschaftlich statt autoritär).

das Kommunikationsquadrat Sachinhalt

Sender mit vier Schnäbeln

Äußerung

Beziehungshinweis

Appell

Empfänger mit vier Ohren

Wenn ich als Mensch etwas von mir gebe, bin ich auf vierfache Weise wirksam. Jede meiner Äußerungen enthält, ob ich will oder nicht, vier Botschaften gleichzeitig.

© Friedemann Schulz von Thun

Selbstkundgabe

I n t e r v i e w z u K o m m u n i k a t i o n u n d i n n e r e r Wa h r h e i t    5

Gibt es eine Meinung oder einen Standpunkt hinsichtlich Ihrer Gedanken zum Thema Kommunikation, der sich für Sie persönlich radikal geändert hat im Verlauf Ihrer Karriere und wenn ja, warum? F. Schulz von Thun: Ja, es gab mehrere solcher Wendepunkte im Verlaufe der letzten fünfzig Jahre. Der erste und vielleicht wichtigste war in den siebziger Jahren der Einfluss von Ruth Cohn und der Humanistischen Psychologie. Bis dahin wollten wir den Lehrern und Führungskräften ein kommunikatives Idealverhalten beibringen: wertschätzend, aktiv zuhörend, korrekte Ich-Botschaften und so weiter. Das war gut gemeint und haben wir dann in Rollenspielen trainiert. Wir waren ausgerichtet auf ein uniformes Idealverhalten, auf einen »kommunikativen Sonntagsanzug«, wie ich das später (selbst-)ironisch genannt habe. Was dabei unbeachtet blieb, war die Authentizität und die innere Wahrheit. Dass das, was ich von mir gebe, in Übereinstimmung sein muss mit dem inneren Menschen, der in mir wohnt. Das setzte aber etwas voraus, was beim Verhaltenstraining unterbleibt: die Selbstklärung! Der Kompass für gelungene Kommunikation stellte sich jetzt neu: »Habe den Mut und erwirb die Fähigkeit, zu deiner inneren Wahrheit zu stehen!« Ich finde es spannend zu lesen, dass es jetzt eine andere Richtung nimmt. »Communicare« heißt ja »verbinden, gemeinsam machen, teilen« etc. Hier geht es jetzt jedoch erstmal in die Innenschau anstelle zum Gegenüber. Welche Hilfen bekommen Menschen von Ihnen, um sich dieser Innenschau zu widmen – Sie sprechen ja davon, dass der Mensch dazu Mut braucht? F. Schulz von Thun: Ja, dass der innere Mensch für das Gelingen des Zwischenmenschlichen eine so bedeutende Rolle spielt, darüber war ich zu Beginn meiner Karriere als Kommunikationstrainer noch ohne Ahnung. Bevor du zum Anderen ausschreitest, musst du bei dir selbst gewesen sein – so formuliert es Buber. Aber es kann geschehen, dass ich in mich gehe und dort niemanden antreffe. Oder, im Gegenteil, dass dort ein großes ba-

bylonisches Durcheinander herrscht, meist auch ein Gegeneinander. Davon handelt mein Band 3 von »Miteinander reden«. Die frohe Botschaft darin: Es ist menschenmöglich, aus den Nöten (der Schwerhörigkeit nach innen, dem inneren Durcheinander und Gegeneinander) eine Tugend zu machen und aus den vielen »Seelen in der Brust« ein inneres Team zu entwickeln. Dieses gruppendynamische Modell von Menschen ist inzwischen weit verbreitet und die dazugehörigen Methoden haben sich als erlernbar erwiesen. Nun hat jemand seine inneren »Sprecher und Protagonisten« identifiziert, kennengelernt und sie möglicherweise auch als Team aufgestellt. Nach welchen »Spielregeln« wird dieses Team denn nun betreut, wie und von wem im Innen wird es »trainiert«, damit das babylonische Durcheinander nicht regelmäßig wiederkehrt? F. Schulz von Thun: Ja, jetzt wird es spannend! Für die innere Führung braucht es eine Instanz, die dafür sorgt, dass das Ganze mehr wird als die Summe seiner Teile. Eine übergeordnete Instanz, die die Integration der inneren Pluralität zustande bringt. So wie ein Dirigent oder eine Dirigentin, die sich das gelingende Zusammenspiel der einzelnen Stimmen zur Aufgabe macht. Jemand, der die inneren Konflikte durch eine gute Mediation zur Lösung bringt und der die inneren Ratsversammlungen moderiert, wenn es um verzwickte Entscheidungen geht. Ich spreche vom »integralen Oberhaupt«. Im Idealfall hat es einen guten Draht zu seinen Mitarbeitern, ohne aber sich mit ihnen zu identifizieren. – Das ist jetzt ziemlich abstrakt, oder? Ja, tatsächlich klingt es für mich logisch und abstrakt zu gleich. Ich verstehe, dass das »integrale Oberhaupt« immer auch in Verbindung mit dem Thema Bewusstheit steht und die »inneren Mitarbeitenden« letztlich zunächst ein undomestiziertes Eigenleben führen. Bedeutet dies nicht in der Quintessenz, dass es uns Menschen ein hohes Maß an Bewusstheit und Achtsamkeit abfordert?

Herausforderung Kommunikation

6   Fr i e d e m a n n S c h u l z v o n T h u n i m G e s p r ä c h m i t S y l v i a B r a t h u h n

Spielt das Thema »Achtsamkeit« in Ihren Trainings auch eine Rolle? Und wenn ja, wie fördern Sie diese Fähigkeit? F. Schulz von Thun: Mein Leitstern für gelingende Kommunikation lautet »Stimmigkeit«: Deine Kommunikation ist gut, wenn sie stimmig ist, das heißt in Übereinstimmung mit dir selbst und mit der Wahrheit der Situation (wesensgemäß und situationsgerecht). Dafür ist tatsächlich eine dreifache Achtsamkeit erforderlich. Erstens die Achtsamkeit für das, was in mir vorgeht. Davon haben wir schon gesprochen, und das Modell vom Inneren Team ist hier eine entscheidende Hilfe, um Selbstempathie zu erlangen. Zweitens die Achtsamkeit für dein Gegenüber: Übungen zum aktiven Zuhören können die Empathie erhöhen und verfeinern. Drittens die Achtsamkeit für die Wahrheit der Situation: wozu sie mir Gelegenheit gibt und was sie mir abverlangt. Jede Situation enthält eine Forderung, auf die wir zu hören und der wir wenn möglich zu gehorchen haben. Dies aber auch mit dem dazugehörigen Rollenbewusstsein, denn Situationen sind in einen systemischen Kontext eingebettet und stimmiges Verhalten setzt ein entsprechendes Kontextbewusstsein voraus. Um das zu üben, benutzen wir ein Situationsmodell, das die Achtsamkeit auf vier Situationskomponenten lenkt. Also in der Tat: Diese dreifache Achtsamkeit ist für gelingende Kommunikation essenziell. Nun sprechen Sie ja schon das Situationsmodell an. Was sind die vier Komponenten, auf die es zu achten gilt, und können Sie dies vielleicht anhand eines praktischen Beispiels verdeutlichen? Vielleicht aus dem Feld »Krise, Leid, Trauer«? F. Schulz von Thun: Eine Situation, in der wir uns begegnen (zu zweit, zu mehreren), hat erstens eine Vorgeschichte: Es ist etwas vorgefallen, jemand hat einen Anlass gesehen, die Begegnung herbeizuführen, im Vorfeld sind Entscheidungen getroffen worden und so weiter – Gut, wenn alle Beteiligten diese Geschichte im Hinterkopf haben! Zweitens hat eine herbeigeführte Begegnung

ein Thema: Ist allen klar, worum es hier gehen soll – und auch, worum es nicht gehen soll? Wenn jemand äußert »Darum geht es doch gar nicht!«, ist das ein wichtiger Hinweis, dass kein gemeinsames Themenverständnis gegeben ist. Jetzt haben wir schon die historische und die thematische Dimension einer Situation vor Augen. Jetzt kommt die menschliche Dimension: Wer alles ist, mit welchem Rollenhut auf dem Kopf und an welchen Fäden hängend, an der Begegnung beteiligt? Passen diese Beteiligten zum Anlass und zum Thema der Situation? Ist Frau X hier als Betroffene oder als Sachverständige eingeladen oder als Beobachterin ihrer Chefin? Hat jeder der Beteiligten Klarheit über seine eigene Rolle und über die zwischenmenschliche Konstellation? Nicht selten haben Beteiligte mehrere Hüte gleichzeitig auf dem Kopf. Und viertens, was soll am Ende herauskommen? Was ist der Zweck des Treffens? Geht es um Fehleranalyse und um Ermittlung der Schuldfrage, oder geht es darum gar nicht, sondern darum, den ersten Schritt zur Lösung festzulegen? Ein Segen, wenn alle Beteiligten ein gemeinsames Situationsverständnis im Hinblick auf alle vier Dimensionen haben, dann ist stimmige Kommunikation erleichtert und wahrscheinlicher. Ein guter Moderator sorgt am Anfang und zwischendrin immer mal wieder für die Überprüfung dieses gemeinsamen Situationsverständnisses. Bei diesem Situationsmodell sind prägnante Beispiele immer schwierig, weil es in seinem Wesen liegt, das ganze »Drumherum« zu erfassen, und das ist in der Regel in seiner Komplexität »nicht ohne«! Vielleicht hier ein einfaches Minibeispiel: Eine Frau hat sehr darunter zu leiden, wie ihr Ex-Mann sich unfair und niederträchtig verhält. Immerhin ist sie froh, dass sie gegenüber ihrer sechzehnjährigen Tochter ihr Herz ausschütten kann, wie zu einer guten Freundin, wie sie sagt. Auch (und gerade) wenn sie authentisch über ihr Zumutesein spricht und auch (und gerade) wenn die Tochter empathisch und mitfühlend reagiert, würden wir diese Begegnung für problematisch und un-stimmig halten. Denn die Wahrheit der

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barkarola / Shutterstock.com

Situation ist nicht, dass sich zwei beste Freundinnen begegnen, sondern Mutter und Tochter, auch des Vaters. Je empathischer die Tochter sich verhält, umso mehr verschärft sich ihr Loyalitätskonflikt. Selbstverständlich gilt das genauso für Gespräche des geschiedenen Vaters mit seinem Kind. Jetzt würde ich gern einen Schwenk zu den ­Social Media machen. Was ist Ihre Meinung, was sind Ihre Gedanken zu der virtuellen Kommunikation? Wie sehen Sie die Gefahr des Verku(e)mmerns gesprochener Kommunikation im Zeitalter des Daddelns und der digitalen Medien? Welche Aspekte sind Ihrer Meinung nach wichtig, dass Kommunikation weiterhin verbindet?  F. Schulz von Thun: Oha, Frau Brathuhn, jetzt machen Sie aber noch mal ein ganz großes Fass auf! Ein uralter Traum der Menschheit wird Wirklichkeit: ein Leben im Schlaraffenland. Das digitale Schlaraffenland ermöglicht und verführt uns dazu, mit wenigen Mausklicks oder mit gesprochenen Befehlen zwar keine gebratenen Tauben, aber doch fast alles andere in erschlagender Fülle geliefert zu bekommen: umfassende Informationen über alles, herrliche Bilder, ganze Filme, wunderbare Musik nach Wunsch, schnelle Kontakte von Mensch zu Mensch über den ganzen Erdball, demnächst eine gehorsame künstlich-­ intelligente Umwelt. Alles frei Haus, alles frei Bildschirm. Das »normale Leben« kann mit dieser Faszination nicht konkurrieren, oder? Was

Mein Leitstern für gelingende Kommunikation lautet »Stimmigkeit«: Deine Kommunikation ist gut, wenn sie stimmig ist, das heißt in Übereinstimmung mit dir selbst und mit der Wahrheit der Situation.

»macht das mit uns«? Was wird aus dem Bildschirm-Schlaraffen, der vor lauter Macht und vor lauter Erwartung, beliefert zu werden, bald nicht mehr laufen kann, trotz seiner Schrittzähler? Meine Befürchtung ist, dass die »Festplatte« des Menschen überbevölkert wird mit all den leicht zugänglichen Fertigwaren und dass der innere Kern dabei unausgereift bleibt. Ich habe die Metapher von Nektar und Honig kreiert: Man sagt ja: »Da habe ich Honig gesaugt!« – zum Beispiel bei einem Vortrag, aus einer Zeitschrift oder einem YouTube-Video. Die Bienen saugen aber gar keinen Honig, sondern Nektar. Honig entsteht daraus erst, wenn die Biene den eingesaugten Nektar mit der Eigensubstanz aus ihrem Inneren verbindet. Ich befürchte, dass im digitalen Schlaraffenland viel Nektar fließt und wenig Honig daraus wird. In unseren altmodischen »analogen« Seminaren suchen wir immer wieder auch den inneren Menschen auf. Der gehört zu den wenigen Dingen, die man nicht schnell mal eben herunterladen kann. Die gebratenen Tauben hingegen werden wir irgendwann demnächst auch noch hinkriegen … Wenn Sie einmal ganz frei zu dem Thema »Herausforderung Kommunikation« assoziieren, welche Begriffe fallen Ihnen ein? Und wie würde ein Filmtitel oder ein Buchtitel lauten, den Sie daraus kreieren würden und der sozusagen wie eine Empfehlung für Ihre Leserschaft lauten könnte?

Herausforderung Kommunikation

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tel wäre, dass er männlich akzentuiert ist, denn für Frauen gilt das haargenau so. – Also gut, ich denke weiter darüber nach! Ich danke Ihnen von Herzen für dieses inspirierende Gespräch. Friedemann Schulz von Thun war Professor für Psychologie an der Universität Hamburg und leitet das Schulz von Thun Institut für Kommunikation. Website: www.schulz-von-thun.de Dr. Sylvia Brathuhn, Diplom-Pädagogin, ist in der psychoonkologischen Beratung und Betreuung für krebskranke Menschen und ihre Angehörigen tätig; Bundesvorsitzende des Bundesverbandes Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V., Landesvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs Rheinland-Pfalz/Saarland e. V., Mitglied der IWG (International Workgroup of Death, Dying and Be­reave­ ment); Trainerin in den Bereichen Sterben, Tod, Spiritualität und Kommunikation, Trauerbegleiterin; Fachbuchautorin. Literatur Schulz von Thun, F. (1998). Miteinander reden. Band 3: Das »innere Team« und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek.

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F. Schulz von Thun: Das ist eine ungewöhnliche Frage an einen Wissenschaftler, Frau Dr. Brathuhn! Ich nehme sie mal als Erlaubnis für ein etwas verrücktes Brainstorming. Wie wäre es mit dem Buchtitel »Auch du bist Parzival!«? Parzival war (wie ich) ein »tumber Tor«, was den Umgang mit Menschen anging, war (anders als ich) ein mutiger Draufgänger, aber er hatte keine Empathie und kein Gefühl für Stimmigkeit, nur ein paar Regeln und Rezepte, die man ihm eingeschärft hatte – und die dann prompt zum Scheitern führten. Dann jedoch suchte er in seinem Leben »Weiterbildung« – durch weise Menschen und durch das Leben selbst und am Ende war er sogar ausersehen und imstande, einen Gral zu hüten. Treiben wir die Analogie nicht zu weit, aber mein Gral wäre die Quintessenz der Kommunikationslehre, über die wir hier gesprochen haben. Und so, denke ich mir, kann jeder »tumbe Tor« der Kommunikation sich als ein Spätentwickler erkennen, kann durch Weiterbildung und durch die Lektionen seines eigenen Lebens einen geistigen Schatz entwickeln. Daher die Ermutigung: Auch du bist ein Parzival! Unschön an diesem Ti-

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Gelungene Online-Kommunikation Virtuelle Selbsthilfe im Internetforum der ­Frauenselbsthilfe nach Krebs

Caroline Mohr Kurt Tucholsky stellte einmal die Frage: »Wie sprechen Menschen mit Menschen?« Die Antwort lieferte er selbst gleich mit: »Meistens aneinander vorbei.« Es ist häufig nicht einfach zu kommunizieren und einander zu verstehen. Ganz besonders herausfordernd ist Kommunikation, wenn es um schwierige Themen geht oder sich Menschen in schwierigen Situationen befinden. Wie sprechen wir beispielsweise entspannt und unverkrampft mit jemandem, der uns mitteilt, dass er an einer potenziell tödlichen Erkrankung leidet? Vielen Menschen fällt es schwer, hier die richtigen Worte zu finden. Manch eine oder einer entscheidet dann, ein Zusammentreffen mit der erkrankten Freundin oder dem erkrankten Freund lieber zu vermeiden. Für die Betroffenen kann das Leben so einsam werden, denn auch ihnen fällt es schwer, unbefangen zu kommunizieren. Ein gutes Beispiel dafür erzählt eine Frau, die an Brustkrebs erkrankt ist: Da war dieses abendliche Treffen mit meinen engsten Freundinnen, wie es zuvor schon viele gegeben hatte. Es ging um den geplanten Urlaub, berufliche wie private Alltagssorgen, die Kinder. Alles war so wie immer. Und dennoch war ich auf unbestimmte Weise unzufrieden und traurig an diesem Abend, denn ich brachte nicht den Mut auf, mit meinen Freundinnen darüber zu sprechen, was mich wirklich beschäftigte: Wie anders ich das Leben seit meiner Krebserkrankung wahrnehme. Ich hatte Angst, mit meinen schweren Gedanken den anderen die Unbeschwertheit und Leich-

tigkeit zu nehmen, ihnen vielleicht sogar die Laune zu verderben. In solch einer Situation kann es hilfreich sein, sich mit Gleichbetroffenen auszutauschen, mit ihnen die eigenen Sorgen, Nöte, aber auch Wünsche und Träume unbefangen zu teilen. Selbsthilfegruppen bieten hierfür einen guten Rahmen. Doch nicht für jeden/jede ist diese Form des persönlichen Treffens gut geeignet. Und nicht überall finden sich passende Gruppen. Aus diesem Grund kann auch die virtuelle Kommunikation ein Mittel der Wahl sein, um sich auffangen zu lassen und ein Gefühl der Dazugehörigkeit im Kreis von Menschen zu finden, die Gleiches durchlebt und durchlitten haben oder gerade durchleben und durchleiden. Das Internetforum der Frauenselbsthilfe nach Krebs (FSH) bietet dafür ein gutes Beispiel. Was bedeutet virtuelle Selbsthilfe konkret? Was ist der besondere Wert der virtuellen Kommunikation für Menschen, die mit einer Krebsdiagnose leben? Er besteht zum Beispiel darin, aufgefangen zu werden genau zu dem Zeitpunkt, zu dem es gebraucht wird. Das ist für viele Betroffene ein Segen. Wenn zum Beispiel alle anderen schlafen, die eigenen Gedanken sich nur noch im Kreis drehen und keiner zum Reden da ist, dann bietet ein Forum eine Anlaufstelle, um sich Belastendes von der Seele zu schreiben. Auch wenn nicht zu jeder Nachtstunde eine Reaktion der anderen Forumsteilnehmerinnen und -teil-

nehmer zu erwarten ist, verlieren doch meist die eigenen Gedanken an Dramatik, wenn sie niedergeschrieben werden. Und häufig hilft es den nächtens Schreibenden auch zu wissen, dass spätestens am nächsten Morgen Antworten und Zuspruch kommen. Besonders hilfreich ist die Möglichkeit, sich im Forum auszutauschen, wenn Angehörige und Freunde gern zur Normalität zurückkehren wollen und bei den Betroffenen der Eindruck entsteht, diese nicht länger mit ihren Sorgen und Ängsten belasten zu können. In diesen Fällen bietet die Gemeinschaft im Forum die Möglichkeit, sich auch noch lange Zeit nach Abschluss der Therapien seelische Unterstützung zu holen. Dass dieses Miteinander im Forum eine sehr große Bedeutung hat, größer noch als der Austausch über Therapien und Nebenwirkungen, zeigt der unangefochtene Spitzenreiter unter allen

Themen im FSH-Forum: der »Daumen-DrückStrang«. Hier wird an Nutzerinnen und Nutzer gedacht, die in der laufenden Woche Untersuchungen, Operationen, Chemotherapien, Nachsorgekontrollen oder andere wichtige Termine haben. Die dort schriftlich fixierte gegenseitige Anteilnahme und die gedankliche Begleitung auf schweren Wegen tun den Betroffenen offensichtlich unendlich gut. Sie wissen, dass sie bei guten Ergebnissen ihre Freude im Forum teilen können und bei weniger guten Mitgefühl und Trost erhalten. Die Einträge in diesem und in vielen anderen Threads (Diskussionssträngen) sind sehr berührend zu lesen. Was man aus den Face-to-FaceGruppen kennt, zeigt sich auch hier: Nichts kann den Austausch unter Gleichbetroffenen ersetzen. Nur unter ihnen kann sich das Gefühl einstellen, wirklich verstanden zu werden mit all den Sor-

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G e l u n g e n e O n l i n e - K o m m u n i k a t i o n    1 1

gen und Ängsten, die eine Krebsdiagnose auslöst. Nichts kann so viel Mut und Zuversicht ermöglichen wie das Vermitteln persönlicher Erfahrungen. Natürlich haben einige der Teilnehmerinnen oder Teilnehmer auch mal schlechte Erfahrungen gemacht und teilen diese mit. Doch hier gilt: Die Vielzahl der Aussagen im Forum relativiert generell die Berichte von negativen Erlebnissen. Die Nutzerinnen und Nutzer möchten häufig eine Einschätzung von anderen Betroffenen hören. Deren Aussagen haben für sie eine hohe Glaubwürdigkeit. Im FSH-Forum zeigt sich, dass Antworten stets abgewogen und falsche Aussagen richtiggestellt werden oder auf gute weiterführende Informationen im Internet verwiesen wird. Exkurs: Virtuelle Kommunikation folgt ihren eigenen Regeln

Der Austausch in einem Forum folgt seinen eigenen Regeln. Wenn das direkte Gegenüber fehlt – eben nicht von Angesicht zu Angesicht miteinander kommuniziert wird, sondern aus Datenschutzgründen sogar in größtmöglicher Anonymität –, dann kann die Gesprächskultur auch schnell an Niveau verlieren. Diese bittere Erfahrung mussten bereits viele Betreiber von Online-Foren aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen machen. Wenn wir uns im Internet treffen, dann greifen die üblichen Konventionen nicht so wie in der realen Welt. Wer als Forenbetreiber möchte, dass sich alle an einem bestimmten Verhaltenskodex orientieren, der muss einen solchen erarbeiten, bekanntmachen und für die Befolgung desselben sorgen. Im FSH-Forum ist das der Fall. Neben fundierten Forumregeln gibt es eine Gruppe von ehrenamtlich arbeitenden Moderatorinnen, die für deren Einhaltung sorgt. Sie werden regelmäßig für ihre Arbeit geschult.

Skepsis im Verband – Bedeutet ein Forum Konkurrenz für die Face-to-Face-Gruppen? Bei den Mitgliedern der FSH war die Skepsis gegenüber dem Forum anfangs groß, weil die Angst bestand, es könnte an Krebs erkrankte Menschen bewegen, nicht mehr in die Gruppen vor Ort zu kommen. Diese Befürchtung hat sich jedoch nicht bestätigt. Die Online-Selbsthilfe ist häufig nur der Einstieg in die Selbsthilfe. Bereits nach kurzer Zeit kommt bei vielen der Wunsch nach persönlichen Treffen auf. Menschen, die niemals in eine Selbsthilfegruppe gehen würden, erfahren erst über das Forum, wie hilfreich und wohltuend Selbsthilfe in Form eines guten Betroffenenaustauschs sein kann. Wie viele Brücken und Wege in dieser Form der Kommunikation gefunden und begangen werden können. In den vergangenen Jahren wurden aus dem Forum heraus mehrere FSH-Selbsthilfe­ gruppen gegründet und zahlreiche Forumtreffen an verschiedenen Orten in Deutschland veranstaltet, die die Teilnehmer/-innen selbst organisiert haben. Als sich die 1.000ste Nutzerin im FSH-Forum anmeldete, war das für viele Teilnehmer/-innen ein Anlass, sich bei der FSH für dieses Online-Angebot zu bedanken. Eines dieser Dankesschreiben lautete: »Danke, dass es dieses Forum gibt, und danke an alle Foris und natürlich Moderatoren! Ohne Euch wäre es nicht das, was es ist (zumindest für mich): eine Art Zuhause, in dem ich mich verstanden, geborgen und willkommen fühle.« Caroline Mohr M. A. leitet die Presseund Öffentlichkeitsarbeit der Frauenselbsthilfe nach Krebs, eine der größten deutschen Krebs-Selbsthilfeorganisationen. Sie ist außerdem als freiberufliche Journalistin tätig. E-Mail: [email protected]

Herausforderung Kommunikation

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Gesunde Kommunikation in der Krise Was ist nötig? Was ist möglich? Was braucht es keinesfalls?

Wolfgang Lalouscheck Wo wollen wir hin? Bevor wir uns mit Schritten, Techniken und Methoden von Kommunikation beschäftigen, sollten wir uns die Frage stellen, was wir überhaupt wollen. Was heißt »gesund«, was heißt »Kommunikation«, was heißt »Krise«? Es liegt mir fern, letztgültige Definitionen für diese Begriffe zu geben, eher einige persönliche Gedanken. Als Definition von »communicare« findet man: »teilen, mitteilen, gemeinsam machen, vereinigen«. In dieser ursprünglichen Bedeutung ist eine Sozialhandlung gemeint, in die mehrere Menschen beziehungsweise Lebewesen einbezogen sind. In dieser Definition steht nichts von Sprechen. Gottseidank, möchte man sagen – weist uns dies doch gleich zu Beginn darauf hin, dass Kommunikation – wenngleich sie meist auch Sprechen beinhaltet – doch so viel mehr als das ist. Gerade in der Krise. Wenn wir noch dazu gewahr werden, dass die bewusste Kapazität, mit der Gesprochenes verarbeitet wird, 40 Bit pro Sekunde beträgt, die unbewusste Verarbeitung aller anderen Aspekte der Begegnung – Körpersprache, Mimik, Gestik, Blickkontakt, Resonanz, Geruch, Hautfarbe, Sprachmelodie, um nur einige zu nennen – 11 Millionen Bit pro Sekunde, dann verstehen wir umso besser, warum das, was wir sagen, vielleicht weniger Gewicht hat, als wir meinen. Warum dies entlastend ist, werden wir noch sehen. Was heißt nun »Krise«? Krise ist wohl meist ein Zustand, in dem es einem Menschen nicht gut geht – körperlich, psychisch, sozial und oft alles zusammen. Häufig können wir den verschiedenen Störungen der Befindlichkeit, denen wir

begegnen, eine »Diagnose« geben, einen Zahlencode, mit dem oft auch schon bestimmte therapeutische Vorgehensweisen definiert scheinen. Nichts könnte weiter weg sein von dem Menschen, der uns gegenübersitzt, und von dem, was wir – wiederum als Mensch – für unser Gegenüber tun können. Welchen Krisen begegne ich? Einerseits solchen, in denen Menschen etwas verloren haben und die mit dem Schmerz über diesen erlittenen Verlust einhergehen. Sei es, dass

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sie einen anderen lieben Menschen oder ihre Gesundheit oder bestimmte Fähigkeiten aufgrund einer Erkrankung verloren haben. Es entstehen auch Krisen, wenn Menschen vor etwas große Angst haben. Doch noch häufiger sehe ich Menschen, die vielleicht schon mit einer Diagnose zu mir kommen: depressive Störung, Angststörung, Anpassungsstörung, Burnout und so weiter – und die doch viel eher in einem Zustand sind, den ich als Entwicklungskrise bezeichnen würde: Etwas möchte sich entfalten, kann es aber nicht. Dies hat wichtige Implikationen für unser Handeln. Doch was heißt »gesund«? Als gesund würde ich Kommunikation dann bezeichnen, wenn es danach beiden Beteiligten besser geht. Denn gesund kann nicht sein, wenn wir zwar unserem Gegenüber geholfen haben, dies aber zum Preis unseres eigenen Wohlbefindens. Manchmal

geht es nicht anders und wir müssen über unsere Grenzen gehen – etwa in Notfällen oder anderen speziellen Situationen. Doch kann dies nicht der Normalzustand gesunder Kommunikation sein. Dies heißt nicht, dass gesunde Kommunikation nicht auch Kraft kosten kann, doch meine Bemühung ist dann mit einem zufriedenen Gefühl verbunden, etwas »Richtiges« (oft eher im ethischen als im technischen Sinn) zum Leben beigetragen zu haben. Meine Energie sinnvoll eingesetzt zu haben. Auch Sport ist übrigens anstrengend, wird jedoch gemeinhin als gesund betrachtet. Als gesunde Kommunikation in der Krise würde ich es daher bezeichnen, wenn wir durch die Begegnung jemand Anderen bei der Bewältigung der Krise und seiner oder ihrer Entwicklung unterstützen können und es danach beiden besser geht.

Als gesunde Kommunikation ist zu bezeichnen, wenn es danach beiden Beteiligten besser geht. Denn gesund kann nicht sein, wenn wir zwar unserem Gegenüber geholfen haben, dies aber zum Preis unseres eigenen Wohlbefindens. Herausforderung Kommunikation

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Was ist nötig? Das Wichtigste, was nötig ist, bringen wir schon mit: uns selbst. Dies ist erleichternd, doch auch verantwortungsvoll: Vom ersten Moment an stehe ich diesem Menschen, mit dem ich kommuniziere, voll zur Verfügung, er hat meine volle Aufmerksamkeit. Dies bedeutet Zuwendung, Freundlichkeit, ihm das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Blickkontakt aufzunehmen, mich körperlich zuzuwenden, die Hand zu geben, darauf zu achten, ob ich ihm oder ihr helfen kann (zum Beispiel bei einer Behinderung), etwas zu trinken anzubieten. Und in der heutigen Zeit vor allem: mein Handy lautlos und nicht sichtbar verstaut zu haben. Dafür zu sorgen – soweit wie möglich –, nicht gestört zu werden oder andernfalls mögliche Störungen anzukündigen. Und bei mir zu sein: Wenn mich andere Gedanken zu sehr beschäftigen, werde ich nicht ganz anwesend sein. Die 11 Millionen Bit meines Gegenübers spüren das – auch wenn er oder sie aus Höflichkeit oder Gewohnheit darüber hinweggeht. Es wird emotional wahrgenommen. Da jedoch gerade in der Krise emotionale Unterstützung unsere wichtigste Aufgabe ist, sind Verhaltensweisen, die all dem zuwiderlaufen, nicht nur schade, sondern unprofessionell. Mit meiner vollen Aufmerksamkeit kann ich auch versuchen wahrzunehmen, wie der andere Mensch sich fühlen mag. Doch ich gebe zu: Oft täusche ich mich. Darum ist es wichtig, nicht durch eigene Vorannahmen den Gesprächsverlauf geradezu vorwegzunehmen (selbsterfüllende Prophezeiung), sondern voll aufmerksam – auch für meine eigenen Gefühle in Resonanz zu dem Anderen – und gleichzeitig offen für Überraschungen zu bleiben. Daraus folgt, am Gesprächsbeginn offene Fragen zu stellen. Keine noch so technisierte Medizin ersetzt die Fragen: »Was führt Sie zu mir?«, »Wie geht es Ihnen?« und dann den Anderen sprechen zu lassen. Wenn viel heraussprudelt – keine Sorge: Durchschnittlich nach vier Minuten hören

die meisten Menschen von selbst auf weiterzusprechen und haben dann das Wichtigste gesagt. Doch Vorsicht: volle Aufmerksamkeit vom ersten Moment an! Gerade bei dem ersten Satz, den ersten Sätzen. Denn während der Patient, die Klientin glaubt, dies sei nur die »Einleitung«, und sich daher auf die ersten Sätze oft weniger konzentriert als auf den geglaubten »Hauptteil«, erzählt uns das Unterbewusste unseres Gegenübers oft das eigentlich Wichtige – sei es die wesentlichste Belastung, Sehnsucht oder das eigentliche Ziel. Auch auf die genaue Formulierung dieser Sätze und die Wortwahl zu achten – und dies vielleicht zu notieren – kann wichtige Hinweise geben. Wenn wir die Wortwahl unseres Gegenübers aufgreifen, geben wir ihm oder ihr das Gefühl, verstanden zu werden. Eine wichtige heilsame Intervention. Ich selbst muss – überspitzt gesagt – gar nicht wissen, was mein Gegenüber beispielsweise mit dem Begriff »Entlastung« meint – doch wenn ich stattdessen »Erleichterung« verwende, dann habe ich eine gute »Chance«, sogleich »neben der Spur« zu liegen. Dies weist uns darauf hin, dass gelingende Kommunikation oft weniger inhaltlichen, sondern prozessualen Charakter hat. Natürlich wird es immer wieder wichtig und hilfreich sein, jemand Anderem aus »Expertensicht« Empfehlungen, Hinweise, Hilfestellung oder auch Verordnungen und Verschreibungen zu geben. Doch gleichzeitig können wir uns sicher sein, dass wir über all die Details dieser Krise immer weit weniger wissen werden als der oder die Betroffene selbst. Daher bleiben wir besser bei vorwiegend offenen Fragen als bei raschen Ratschlägen. Denn – so sagt es eine alte Volksweisheit – jeder Ratschlag ist auch ein Schlag. (Natürlich muss man manchmal gezielte geschlossene Fragen stellen oder auch Empfehlungen geben – doch Vorsicht mit der Dosis.) Prozessuale Fragen geben gleichzeitig unserem Gegenüber Hilfestellung, sich zu ordnen: »Wie stark belastet auf einer Skala von 1 bis 10 fühlen Sie sich?«, »Wo würden Sie gern auf der Skala ste-

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hen?«, »Was wäre dann anders?« – dies sind nur Beispiele solcher prozesshafter Fragen. Wichtig ist es, selbst keine Angst vor bestimmten Fragen zu haben, etwa: »Was ist Ihre größte Belastung, Ihr größter Schmerz, Ihre größte Angst?« Diese Fragen öffnen oft das eigentlich Wichtige, das ganz Persönliche und das, was wir als Außenstehende oft gar nicht vermuten oder wissen konnten. Wann immer möglich – und es ist fast immer möglich –, können wir schon in der ersten Begegnung versuchen, das Ziel, die Sehnsucht, die Hoffnung, das wichtigste Bedürfnis herauszuarbeiten. Ich mache dies gern möglichst unmerklich, denn umso höher ist die Chance, dass mein Gegenüber ganz spontan und daher ohne zu viel rationale Kontrolle antwortet. »Ich kann nicht mehr mit diesem Menschen zusammensein!«, ruft die junge Frau mir gegenüber voller Tränen und ich frage nur leise nach: »… sondern? …« Und dann kommt plötzlich: »Ich will mich entfalten können!!« Und schon können wir – vielleicht noch vorsichtig – am Thema der Entfaltung arbeiten. Doch gibt es auch Krisen, die wortlos machen. Und solche, bei denen es kein Ziel gibt, sondern nur Schmerz und Verzweiflung. Hier gilt: keine »Technik«! Sondern da sein, auf die eigenen Empfindungen achten. Wenn ich den Impuls spüre, mich neben den anderen Menschen zu setzen, warum nicht diesem Ausdruck der wechselseitigen Resonanz und des menschlichen Gefühls nachgeben? Die Hand halten, einfach da sein. Ausdruck geben, dass wir verstehen können, wie weh es tut. Wir brauchen keineswegs immer Lösungen und vor allem keine Beschwichtigungen. Wir dürfen den oder die Andere ernst nehmen – ohne selbst der Verzweiflung anheimzufallen. »Gerade als klar wurde, dass man mich nicht mehr heilen kann, haben sich alle Ärzte von mir abgewendet«, schrieb eine Krebspatientin. »Und gerade da hätte ich sie am meisten gebraucht.« Einige spezifische Aspekte, die helfen können: Transparenz über den Ablauf des Gesprächs und über die zur Verfügung stehende Zeit. Und am Ende kurz gemeinsam zusammenfassen: Was

wurde gehört, was wurde verstanden, was wurde vereinbart, gibt es noch offene Fragen? Was ist möglich? Dies sei kurz gesagt: Alles! »Es gibt kein Problem, das nicht durch Entwicklung gelöst werden kann.« Diesen Satz eines erfahrenen Therapeuten habe ich mir gut gemerkt. Was braucht es keinesfalls? Vorschnelle Lösungen und Ratschläge. Unaufmerksamkeit und Unhöflichkeit. Zu starkes Mitgefühl, sodass der oder die Andere das Gefühl bekommt, sich um uns kümmern zu müssen. Das Gesagte gilt wohlgemerkt für Krisen – nicht unbedingt für Patienten oder Klienten, die zum Beispiel aufgrund einer Persönlichkeitsstörung Krisen immer wieder gewissermaßen inszenieren und uns zu krisenhaftem Verhalten verführen. Hier sind andere Überlegungen zur Gestaltung der Beziehung angebracht. Und bedenken wir: Es kommt ein Mensch zu uns – sagen wir Patientin, Klient, Kundin –, dem wir immer in zweierlei Rollen gegenübersitzen: als Ärztin/Arzt, Therapeut/-in, Coach/-in, Berater/-in – und als Mensch. Und in erster Linie immer als Mensch. Keineswegs bedeutet dies, unseren professionellen Verstand auszuschalten. Nicht unser menschliches Herz und unser professionelles Gehirn alternativ zu benutzen, sondern beide gleichzeitig – darin liegt die Kunst der gesunden Kommunikation in der Krise. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek, MSc, Facharzt für Neurologie, systemischer Coach, ist Medizinischer Leiter des interdisziplinären Gesundheitszentrums »the Tree« in Wien und Initiator des Projekts »Planet Yes: Nachhaltiges Leben in natürlicher Fülle«. E-Mail: [email protected] Website: www.thetree.at

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Trauer und Dialog Helmut Dörmann »Wir haben am Tag vor ihrem Suizid noch den 50. Geburtstag meiner Frau gefeiert. Dann, am anderen Morgen, lag sie tot im Bett. Sie hat alle Morphinpflaster genommen, die eigentlich für ihre Mutter bestimmt waren«, berichtet mir Martin, als er zu einem Kontaktgespräch zu mir kommt. »Ich bin fassungslos und merke, dass ich allein nicht mit diesem Schicksalsschlag zurechtkomme.« Er steht unter Schock und dennoch liegt in seinen Worten eine große Erkenntnis und Klarheit. Die Erkenntnis, allein nicht zurechtzukommen, ist ein erster Schritt aus seiner Verzweiflung heraus. »Am Abend vor ihrem Tod haben wir uns noch gestritten.« Martin gibt sich die Schuld an ihrem Tod. Bei seiner Suche nach Antworten hat ihn sein Weg in die Gruppe »Angehörige nach Suizid« geführt, ein Angebot unseres Hospizkreises in Minden. Zwei Jahre zuvor hatten sich in der Gruppe »Trauernde Eltern« zwei Elternpaare eingefunden, die ihre Kinder durch Suizid verloren hatten. Immer wieder standen für sie die Fragen im Raum: »Warum habe ich nicht bemerkt, dass mein Kind sich mit dem Gedanken an Suizid beschäftigt? Bin ich schuld daran?« Mir als Leiter wurde deutlich, dass es ein zusätzliches Angebot für Angehörige nach Suizid braucht. Ich fragte mich aber auch: Kann ich das leisten? Will ich mich der Verzweiflung dieser Menschen wirklich aussetzen? Was braucht es meinerseits? Ich hatte zunächst auch Angst, den Angehörigen nicht gerecht werden zu können, entschied mich dann aber doch dafür, eine Gruppe anzubieten. Das Leid dieser Menschen hatte mich im tiefsten Inneren erfasst. Ich sah auch, dass diese Menschen

an einem Punkt im Leben standen, der im besonderen Maße existenziell ist. Ein Punkt im Leben, an dem die größtmögliche Veränderung stattgefunden hat und gleichzeitig eine große Veränderung möglich ist. So begann auch für mich eine Zeit der Auseinandersetzung mit dem Thema »Suizid und Trauer«. In der Begegnung mit trauernden Menschen und ihrer Begleitung brauchen wir selbstverständlich ein theoretisches Wissen und eine fundierte Qualifizierung, die auf die Arbeit in der Praxis vorbereitet und diese stützt. In der Praxis selbst jedoch geht es immer um Begegnung mit einem trauernden Menschen. Betroffene möchten an der Stelle abgeholt werden, wo sie sich befinden. Dazu muss sich der Begleitende zunächst zu ihnen hinbewegen, muss rausfinden, wo sie stehen, dann erst kann er sie abholen. Deshalb ist eine Trauergruppe auch für mich keine Therapiegruppe, sondern eine Trauerprozessgruppe. Helfender Dialog Das Herzstück eines Gruppenabends ist der Dialog. Achtsam und mitfühlend soll er sein, damit er die Menschen auf ihrem Weg weiterbringt. Gutes Zuhören lässt eine Atmosphäre entstehen, die Vertrauen fördert. Man lässt sich gegenseitig ausreden, Ratschläge sind nicht erwünscht. Hier orientiere ich mich an dem Ansatz des achtsamen Gruppendialogs, der unter Mitwirkung von William Isaacs, Peter M. Senge, Freeman Dhority und anderen entwickelt wurde. Er steht in der Tradition von Martin Buber und David Bohm. dia-log: Der Begriff »Dialog« kommt von griechisch »dia« (durch) und »logos« (das Wort, der Sinn). Im Dialog erweitern wir unseren Blickwin-

Paul Gauguin, The Flight or Tahitian Idyll, 1902 / Narodni Galerie, Prague, Czech Republic / Bridgeman Images

kel und sehen Dinge, die uns bisher verschlossen waren. Dadurch kommen wir gemeinsam zu neuen Sichtweisen und Lösungen. Weil viele Pro­ bleme allein nicht lösbar sind, ist es sinnvoll, eine Gesprächskultur zu fördern, die schlummernde Möglichkeiten weckt und kreative Gedanken zulässt. In Anlehnung an David Bohm, Martin Buber und die Erkenntnisse der Transpersonalen Psychologie habe ich fünf Dialoghaltungen entwickelt, an denen wir uns als Gruppenleiter/-innen im Umgang mit Trauernden orientieren. Fünf Grundhaltungen des Dialogs Zuhören heißt, • vollständig zuzuhören: mit Ohren und Augen, mit wachem Verstand, mit offenem Herzen und mit seiner Intuition; • dem oder der Sprechenden seine volle Aufmerksamkeit zu schenken, sodass dieser oder diese sich dabei selbst entdeckt und tiefere Schichten in sich erreichen kann.

Sich mitteilen meint, • den Mut zu haben, das auszusprechen, was gesagt werden will, und es auch zu wagen, erst mal ins Unreine zu sprechen; • die eigene Meinung so vorzutragen, dass andere nachvollziehen können, wie sie zustande kam. Respektieren und wertschätzen bedeutet, • die Dialogpartner in ihrem Menschsein ohne Vorbehalte wertzuschätzen und zu akzeptieren; • unterschiedliche Fragen, Meinungen und Sichtweisen zu begrüßen und im Dialog zu erforschen. Sich begegnen meint, • ein lebendiges Gespräch zu entwickeln, das aufeinander aufbaut; ohne dabei zu intellektuell oder zu persönlich zu sein; • sich der Gemeinschaft und dem übergeordneten Ganzen, dem, was über uns hinausweist, zur Verfügung stellen.

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Gegenwärtig sein heißt, • aus dem gegenwärtigen Augenblick heraus Bilder, Gedanken, Gefühle und innere Bewegungen wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten oder daran anzuhaften; • sich immer wieder mit der Stille in sich selbst zu verbinden und auf die feine Stimme (seiner Seele) zu lauschen, die aus der Stille heraus wirkt. Dialog und David Bohm David Bohm war ein US-amerikanischer Quantenphysiker und Philosoph, der die Dialogmethode mitentwickelte. Um Ihnen als Leser/-in einen tieferen Einblick in die Arbeit von David Bohm zu geben, möchte ich zwei Grundhaltungen etwas genauer betrachten: zuhören und sich mitteilen. Zuhören Zuhören in diesem Sinne meint zunächst eine wahrnehmende Aufnahmebereitschaft. Es ist die Fähigkeit, Wahrgenommenes zu trennen von meinem inneren Kommentar dazu, von der Beurteilung/Bewertung des Wahrgenommenen: Kann ich bemerken, wie eng das oft verknüpft ist? Kann ich eine Wahrnehmung (ich schwitze, ich fühle mich ärgerlich) unterscheiden von einer Bewertung (und das finde ich blöd, das sollte nicht sein, das finden die andern sicher schrecklich) und diese beiden Dinge wieder auseinandernehmen? Kann ich die »Leiter der Schlussfolgerungen« wieder herabsteigen, wie es bei Bohm heißt? Unabdingbar ist also die Fähigkeit, meine Selbstbeobachtung zu schulen: Kann ich eigene Stereotypien, Vorurteile, Glaubenssysteme, Muster erkennen respektive mich darum bemühen, das zu tun? Kenne ich meine Eigenarten und meine bestimmte Art, die Welt zu sehen – und kann ich notfalls darauf verzichten? Im Dialogprozess ist jetzt zusätzlich zur Wahrnehmung noch eine aktive Leistung gefordert, nämlich das, was Bohm

Ein weiterer Aspekt eines Dialogs ist die Stille zwischen den gesprochenen Worten. Die Stille öffnet uns für unser bewusstes Da-Sein.

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»suspendieren« nennt. Das heißt, dass wir darauf verzichten, das, was wir beim uns selber Zuhören entdecken, anderen aufzunötigen; wir unterdrücken es aber auch nicht, halten es nicht zurück. Wir lassen es sich entfalten und halten es dann »in der Schwebe«, »hängen es vor uns auf«, damit wir mit Hilfe der anderen unsere Annahmen, unsere Glaubenssysteme, all das, von dem wir annehmen, dass es doch ohne Zweifel so »sei«, neu anschauen und erforschen können. So werden unsere Überzeugungen zugänglich für alle und können sozusagen auf dem Display betrachtet und besser verstanden werden. »Suspension« ist eine schwierige und beeindruckende Kunst. Sich mit Trauernden zu verbinden, das hat etwas mit der Kunst des Zuhörens zu tun: Ich höre ganz und gar zu und widme meinem Gegenüber meine volle Aufmerksamkeit. Ich nehme mich zurück, so gut ich kann, um ganz bei dem Anderen zu sein, um mich nicht nur durch seine Worte, sondern auch durch seine Gefühle berühren zu lassen. Meine Aufmerksamkeit fließt zwischen mir und dem Anderen hin und her. Ich schütze mich nicht vor seinen Schmerzen, seiner Freude, seiner Traurigkeit; ich spüre sie ebenso wie ich meine eigene Ungeduld, meine Furcht vor Fehlern, meinen Ärger spüre. Die Arbeit mit Trauernden zwingt zum achtsamen Zuhören. Wenn Menschen trauern, suchen sie jemanden, dem sie vertrauen können, jemanden, der sie versteht.

Ulrike Rastin

Sich mitteilen Generell gilt, dass es günstig ist, jede schnelle automatisierte Antwort zu suspendieren und in eine untersuchende Frage umzuwandeln. Diese besondere Art des Sprechens wird in der Bohm-Literatur »inquiry« genannt (von »inquaerere«: im Innern suchen), erkundendes Sprechen, Fragen, Herausfinden, aufrichtig Wissenwollen, Interessiertsein. Das Interesse richtet sich auf meine eigenen Annahmen, auf die der anderen und vor allem auf die kollektiven, die uns als »implicit knowing« verbinden.

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Gesprochen wird meist nicht zueinander oder aufeinander bezogen (das heißt zum Lieblingsgegner oder Lieblingsunterstützer hinüber!), sondern zur Mitte, in den Raum zwischen uns hinein, so dass alle Beteiligten freie Sicht haben auf all die »aufgehängten« Annahmen und sich neue kollektive Intelligenz entwickeln kann. Alle sprechen »von Herzen«, mit eigener, deutlicher, unverwechselbarer Stimme – und sind gleichzeitig Teil des Ganzen, eine Facette, eine Ausfaltung der Potenzialität, mehr nicht. Das macht die Einzelnen gleichzeitig wichtig und unwichtig, personales und interpersonales Dasein sind gleichzeitig notwendig. Bohm nennt das »Partizipation«, und manchmal ist diese grundlegende Interdependenz in einer Gruppe geradezu sinnlich wahrnehmbar. Die Frage nach Sinn Es gibt immer wieder Momente während der Gruppenabende, wo so viel geweint wird, dass einige der Teilnehmer (mich eingeschlossen) an eine Grenze kommen. Man ist versucht, Ratschläge zu geben. Lässt man die Verzweiflung jedoch zu, geschieht auf wundersame Weise Heilung. Der Sufi-Mystiker Rumi sagt: »Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht in dich eintritt.« Meine Aufgabe ist es, Möglichkeitsräume hierfür zu schaffen. Neulich begannen wir den Abend mit der Frage: »Warum ist das geschehen? Was habe ich damit zu tun?« Die Frage der Schuld stand im Raum. Nachdem wir uns auf das Thema eingelassen hatten, sagte – spontan aus dem Moment heraus – eine Teilnehmerin: »Ich stelle mir die Frage, was ist eigentlich der Sinn des Lebens?« Das war nicht im intellektuellen Sinn gemeint. Sondern es war eine Frage, die tief verbunden ist mit der Frage der eigenen Schuld oder dem eigenen Versäumnis, so paradox das auch klingt. Die Frage bewegte dann die Teilnehmer/-innen bis zum Ende des Abends. Eine Frau sagte: »Es ist die Fähigkeit zu lieben, bis es schmerzt.« Ein anderer Teilnehmer sprach davon, dass er sich auf eine sehr frem-

de und gleichzeitig vertraute Art bereichert fühlt durch den Schmerz und die Auseinandersetzung mit Trauer und Schuld. Man betrachtete das eigene Scheitern aus der Perspektive von Sinnhaftigkeit. Hätte ich darauf bestanden, dass wir doch bitte zu den Eingangsfragen zurückkehren, hätte sich das Gespräch so nicht entwickeln können. Im Gruppenprozess entwickelt sich mit der Zeit oft mehr Milde in den Betroffenen. Das gilt auch für Martin. Er kann mittlerweile das eigentlich Unaushaltbare aushalten. Daraus erwächst der Keim für einen gewissen Gleichmut, der nicht zu verwechseln ist mit Gleichgültigkeit. Aus dem Gleichmut kann sich, wenn auch zaghaft, Lebensfreude entwickeln. Nur kann man das nicht »machen«. Wir haben aber die Tendenz, es »machen zu wollen«. Einfach, weil wir so gestrickt sind. Um noch einmal auf Martin zu kommen: Seine tiefe Erkenntnis war: »Das schaffe ich nicht allein.« Das ist der Hauptgrund, warum Menschen in diese Gruppen kommen. Dialog und die Kraft der Gegenwart Ein weiterer Aspekt eines Dialogs ist die Stille zwischen den gesprochenen Worten. Die Stille öffnet uns für unser bewusstes Da-Sein und führt in das alles umfassende »Jetzt« (vgl. Tolle 2000). Dieser Teil des Dialogs bezieht sich auf die Unmittelbarkeit unserer individuellen Erfahrung im Hier und Jetzt und hilft uns, die Tiefe unserer Seele zu erfahren. Aus meiner Erfahrung entsteht aus den Momenten der Stille die eigentliche Qualität eines Dialogs. Wenn ich mich vorbehaltlos meiner Trauer hingebe, kann Heilung im tieferen Sinne entstehen. Ich lade deshalb die Gruppenteilnehmer/-innen ein, ihre Trauer und ihre Fragen unmittelbar zu spüren und zuzulassen. Hierbei sind Momente von Stille außerordentlich wichtig. Aus den Momenten des Spürens und der Stille entsteht der Dialog und – um im Hier und Jetzt zu sprechen – entsteht das nächste Wort, der nächste Satz. Und auf diese Äußerung kann sich mein

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Gegenüber dann beziehen, wenn er/sie das möchte. »Der Mensch wird am Du zum Ich.« Dieses Zitat von Martin Buber (1923) hat seine Gültigkeit in der seelischen Entwicklung unseres Menschseins. Es ist ein Weg, die eigenen momentanen Gefühle, Gedanken und Verhaltensmuster durch einen Prozess offenen Austausches kennenzulernen. Dialog und Alltag Ein Dialog ist meiner Meinung nach ein radikales, subversives Unternehmen. Er löst alte Sicherheiten auf und schafft nicht sofort neue. Er scheint mir für unterschiedliche Menschen auch unterschiedlich herausfordernd zu sein: Alle müssen an je anderen Stellen ihrer Identität ihre Vor­ annah­men überprüfen, ihre üblichen Verhaltensund Denkmuster in Frage stellen. Das kann eine große Herausforderung sein. Der Dialog beschwört die alte/neue Vision eines gemeinschaftlichen selbstverwalteten Lebens herauf, den sich auffaltenden Prozess von kreativer Partizipation zwischen Gleichgestellten. Für viele Dialog-Übende wird es dann fast nicht mehr vorstellbar, hinter diesen Ansatz zurückzugehen – eine echte Herausforderung, wenn wir in unseren Alltag zurückkehren! Leid macht durchlässiger Wenn ich Freunden von meiner Arbeit erzähle, kommt häufig der Kommentar: »Ich könnte das nicht.« Ich wiederum kann mir kaum eine sinnvollere Aufgabe vorstellen. Und ich bin dankbar dafür, dass die Menschen sich öffnen und ihr Leid mit mir teilen. Der verkrustete Teil in mir, der Teil, der sich schützen möchte, der sich abgrenzen möchte von Leid, wird durchlässiger. Das geht auch den Teilnehmern so. Man wird einfach ein wenig mitfühlender. Auch für sich selbst. Wenn ich am Ende des Abends die Frage stelle: »Was nimmst du mit? Was hat dich bewegt?«, kommen Antworten wie: »Meiner Umwelt zeige dich

das Gesicht, das sie sich wünscht. Ich lächle, obwohl mir zum Heulen zumute ist. Hier kann ich so sein, wie ich bin. Hier muss ich nicht so tun, als ob alles in Ordnung ist.« Angebote für Trauernde Seit vielen Jahren macht der Hospizkreis Minden e. V. verschiedene Gruppenangebote für Trauernde: eine Gruppe für trauernde Eltern, eine Gruppe für trauernde Angehörige und eine Gruppe für trauernde Angehörige nach Suizid. Die Gruppen werden, mit Unterstützung ehrenamtlicher Trauerbegleiter/-innen, von zwei Personen geleitet und finden monatlich statt. Helmut Dörmann, Gestalttherapeut, Supervisor, Ausbildung in Transpersonaler Psychologie, Koordinator für Hospizarbeit und Trauerbegleiter. In Minden leitet er seit vielen Jahren Trauergruppen sowie eine Meditations- und Dialoggruppe. E-Mail: d  [email protected] Literatur Bohm, D. (2014). Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. 7. Auflage. Stuttgart. Buber, M. (1923). Ich und Du. Leipzig. Buber, M. (1973). Das dialogische Prinzip. Heidelberg. Hartkemeyer, J.; Hartkemeyer, M.; Hartkemeyer, T. (2015). Dialogische Intelligenz – Aus dem Käfig des Gedachten in den Kosmos des gemeinsamen Denkens. Frankfurt a. M. Isaacs, W. (2002). Dialog als Kunst, gemeinsam zu denken. Die neue Kommunikationskultur in Organisationen. Bergisch Gladbach. Santorelli, S. (2000). Zerbrochen und doch ganz. Die heilende Kraft der Achtsamkeit. Freiamt im Schwarzwald. Senge, P. M. (2011). Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. 11., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart. Tolle, E. (2000). Jetzt! Die Kraft der Gegenwart. Bielefeld. Wilber, K. (2017). Integrale Meditation. Wachsen, erwachen und innerlich frei werden. München. Worden, W. (2018). Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch. 5. Auflage. Göttingen u. a.

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Zur hilfreichen Kommunikation nach traumatischen Krisen Aufgaben, Setting und Zeitpunkte von unterstützenden Gesprächen

Gernot Brauchle und Maria Brauchle Primärprävention – erste zeitnahe, empathische Gespräche Historisch geht Psychologische Erste Hilfe vor allem auf die Arbeiten von Lindemann (1944) und Caplan (1964) zurück. Lindemann untersuchte dabei die Reaktionen von Hinterbliebenen nach einem verheerenden Brand in einem Nachtclub in Boston, bei dem 492 Menschen ihr Leben verloren. Dabei stellte er fest, dass unterstützende Gespräche mit Hinterbliebenen in der ersten Zeit nach dem Ereignis diese vor psychischen Folgeschäden bewahren konnten. Auch Caplan verwies in seinen Arbeiten auf die enorme Bedeutung primärpräventiver kommunikativer Maßnahmen zur Verhinderung eines erstmaligen Auftretens von psychischen Störungen. Caplan unterteilte dabei Präventionsstrategien hinsichtlich des Interventionszeitpunkts in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention, wobei die wichtigste Prävention die Primärprävention darstellt. Beide Ansätze können aus heutiger Sicht als die grundlegenden Pfeiler der Krisenintervention betrachtet werden, die wesentlich dazu beitrugen, dass in den folgenden Jahren verschiedene weitere Konzepte einer frühzeitigen Unterstützung von Angehörigen und Hinterbliebenen entwickelt wurden, um psychische Spätfolgen zu verhindern oder zu verringern.

Veränderte Kommunikation – Stabilisierung und Stärkung der Ressourcen Salutogenese und posttraumatische persönliche Reifung Zu diesen weiteren Konzeptionen zählen die Arbeiten von Antonovsky (1979) sowie Tedeschi, Calhoun und Gullickson (1995). Antonovsky veränderte mit seinem Salutogeneseansatz die Betreuung von Personen fundamental, indem er vor allem die Bedeutung der noch vorhandenen Res-

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sourcen aufzeigte und den Schwerpunkt auf die Stabilisierung und Stärkung dieser Ressourcen legte. Salutogenese geht davon aus, dass Menschen – abhängig von ihren inneren und äußeren Ressourcen – mehr oder weniger gesund sind. Gesundheit kann somit auch nach traumatischen Krisen gefördert werden, wenn Menschen im Gespräch vor allem in drei Themenbereichen kompetent unterstützt werden:

time. / photocase.de

1. in der Wiedererlangung der Sichtweise der Welt und des eigenen Selbst als irgendwie strukturiert und verstehbar, erklärbar und in gewisser Weise vorhersehbar (Wiederherstellung des Gefühls, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen). 2. in der Überzeugung, dass Hilfe, die bei der Bewältigung der Probleme unterstützen kann, verfügbar ist (Herstellung einer Überzeugung, das eigene Leben wieder gestalten zu können). 3. in der Wiedererlangung einer Sichtweise, dass das verbliebene Leben, die eigenen Werte und persönlichen Ziele bedeutsam sind und trotz des Schrecklichen sinnhaft sind (Wiederherstellung des Glaubens an den Sinn des Lebens). Darüber hinaus konnten Tedeschi und Kollegen zeigen, dass auch nach extremen Ereignissen Betroffene in Gesprächen eine positive Veränderung in ihrem Leben erfahren können. Diese neue Sichtweise auf das eigene Leben wird als posttraumatische persönliche Reifung bezeichnet und beschreibt einerseits eine veränderte Sichtweise auf das zurückliegende traumatische Ereignis sowie andererseits eine Einschätzung des nun »neuen Lebens« als qualitativ besser – im Vergleich zum Leben vor dem Ereignis. Posttraumatische persönliche Reifung geschieht aber nicht unmittelbar nach dem Verlust. Erst nach einer bestimmten Zeit, manchmal auch nach einer sehr langen Spanne, beginnen Opfer oder Hinterbliebene ihr traumatisches Erlebnis in einer anderen Weise

zu sehen: als einen tiefen Bruch in ihrem Leben, der nach einer schmerzhaften Phase schlussendlich zu einer bedeutungsvollen Aufgabe, zu einer veränderten Einschätzung der Welt oder zu einer neuen Werthaltung gegenüber dem Selbst und dem Leben führt (Brauchle 2012). Dem Terror der Warum-Fragen trotzen Nach einem traumatischen Ereignis erleben Opfer und Hinterbliebene aber oft den »Terror der Warum-Fragen«: Warum ich? Warum ist mir das passiert? Diese Unfassbarkeit des Ereignisses und das aussichtlose Suchen nach einem Sinn im geschehenen Leid oder einer Bedeutung für das eigene Leben führen zu der Überzeugung, dass das Leben bedeutungslos, grausam, zufällig und unkontrollierbar ist. Posttraumatisches persönliches Wachstum verändert diese Suche nach Verstehbarkeit und Bedeutsamkeit. Zwar bleibt das traumatische Ereignis selbst auch im Rahmen des posttraumatischen persönlichen Wachstums oft unverstanden, aber die Aussichtlosigkeit, je Antworten auf diese Fragen zu finden, wird leichter akzeptiert. Dennoch muss beachtet werden (!), dass das traumatische Erlebnis bedrohlich und schmerzhaft präsent bleibt, nicht vollständig bewältigt oder vergessen wird, sondern auch immer wieder im Alltag durchbrechen kann und Leiden verursacht. Betroffene erzählen dies in Gesprächen und weinen dabei. Jedoch im Unterschied zu der anfänglichen, ausschließlich negativen Interpretation des traumatischen Ereignisses ist im posttraumatischen persönlichen Wachstum die neue positive Interpretationsweise psychologisch leichter zugänglich, wird häufiger angewendet und wird besser erinnert, sodass die gelebte Zeit des Alltags in der Erinnerung mehr positives Gewicht erhält. Die derart veränderte Wahrnehmung von Alltagserfahrungen verändert die Erwartungen an das zukünftige Leben sowie die Wahrnehmung und Bewertung zukünftiger Ereignisse. So werden mehr positive Erlebnisse berichtet, der Wert des Lebens wird wieder

Herausforderung Kommunikation

Ulrike Rastin

Die neue Sichtweise auf das eigene Leben wird als posttraumatische persönliche Reifung bezeichnet.

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geschätzt, die innere Verletzlichkeit akzeptiert, aber auch die innere Stärke erkannt. Personen erleben zudem eine intensivierte Verbundenheit mit Freunden und Familienmitgliedern. Reaktualisierung und Retraumatisierung – Aufgaben und Gefahren im Gespräch Dennoch sind Freunde, aber auch Familienangehörige und Partner oft besorgt, ob Gespräche über das traumatische Erlebnis – und damit ein belastendes gedankliches Wiedererleben – die Bewältigung nicht verzögern oder sogar verschlechtern können. Hierbei können zwei unterschiedliche Intensitätsformen unterschieden werden: Reaktualisierung kann durchaus zu einer kurzfristigen Verschlechterung führen, indem bestimmte negative Eindrücke und Empfindungen des traumatischen Ereignisses wieder lebendig im Gedächtnis auftauchen und nochmals »durchlebt« werden. Die Betroffenen sind jedoch imstande, diese belastenden Gefühle, aber auch die negativen Interpretationen des Vergangenen selbst zu bewältigen. Anders verhält es sich hingegen bei uneinfühlsamen Befragungen. Diese können eine Retraumatisierung verursachen und damit zu einer anhaltenden Verschlechterung der Traumatisierung führen – aufgrund von mangelnder Empathie, fehlender Sicherheit und ungenügender Stabilisierung (Maercker 2013). Retraumatisierung kann vermieden werden, wenn das Nacherzählen innerhalb eines stützenden Kontextes stattfindet, also ein Gefühl von Vertrauen, Sicherheit und Geborgenheit im Gespräch erzeugt wird. In einem stützenden Kontext ist durch das Nacherzählen eine Transformation des Traumagedächtnisses möglich, wenn darauf geachtet wird, dass Gefährdungsgefühle minimiert werden, übersteigerte Gefühle von Schuld, Ärger oder Wut auf die eigene Person oder andere verringert werden und eine Verringerung negativer Überzeugungen bezüglich der Umwelt, der eigenen Person, der Fähigkeit zu Beziehungen oder der Reaktionen anderer Personen ermöglicht wird.

Fazit Um sich trotz schwerer Schicksalsschläge wieder im Leben zurechtzufinden, ist es wesentlich, über das Erlebte sprechen zu können. Dies setzt aber einen stützenden Kontext voraus, der Sicherheit und Stabilität erzeugt und den Erzählenden die Gewissheit gibt, dass sie von einer empathischen und vertrauenswürdigen Person begleitet werden, die ihnen hilft, das Ereignis besser zu verstehen, extreme Gefühle zu kanalisieren und negative Überzeugungen zu verändern. Besonders hilfreich sind dabei Gespräche bereits in der ersten Zeit nach einem traumatischen Ereignis. Dennoch muss beachtet werden, dass traumatische Erfahrungen oft über viele Jahre immer wieder Leid und Trauer verursachen können und deshalb auch nach vielen Jahren Gespräche notwendig, bedeutsam und hilfreich sind. Gernot Brauchle ist Gastprofessor für Gesundheits- und Notfallpsychologie an der Privaten Universität UMIT in Hall in Tirol, Österreich. E-Mail: [email protected] Maria Brauchle ist Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und akademisch geprüfte Expertin in der Intensivpflege am LKH Feldkirch, Österreich. E-Mail: [email protected] Literatur Antonovsky, A. (1979). Health, stress, and coping. New perspectives on mental and physical well-being. San Francisco. Brauchle, G. (2012). Posttraumatische Reifung. In: Steinebach, C.; Jungo, D.; Zihlmann, R. (Hrsg.), Positive Psychologie in der Praxis. Anwendungen in Psychotherapie, Beratung und Coaching (S. 146–152) Weinheim. Caplan, G. (1964). Principles of preventive psychiatry. New York. Lindemann, E. (1944). Symptomatology and management of acute grief. In: American Journal of Psychiatry, 151 (6, Suppl), S. 155–160. Maercker, A. (2013). Posttraumatische Belastungsstörungen. 4., vollst. überarb. und aktualisierte Aufl Berlin u. Heidelberg. Tedeschi, R.; Calhoun, L.; Gullickson, T. (1995). Trauma and transformation: Growing in the aftermath of suffering. Newbury Park.

Herausforderung Kommunikation

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Paarkommunikation unter dem Aspekt (m)einer lebensbedrohlichen Erkrankung Mandy Falke Gedanken zum Thema …

Erfahrungen zum Thema …

»Sie haben Krebs!« An einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung zu leiden, ist emotional in höchstem Maße aufwühlend und schüttelt alles, was bisher als unerschütterlich anmutete, durcheinander. Die betroffene Person befindet sich in einer Situation, in der sie eigene, neu aufkommende Gefühle und Gedanken mit bisher bestehenden Werten und Normen in Einklang bringen muss. Viele Betroffene sehen sich mit einer in diesem Ausmaß vermutlich noch nie erfahrenen Gefühlspallette konfrontiert und haben Schwierigkeiten, selbst immer genau zu wissen, was sie gerade fühlen, denken oder brauchen. Verbale und nonverbale, ausgedrückte und unausgedrückte Emotionen überfluten die eigene Person und lassen das Gespräch mit anderen und so auch mit dem eigenen Partner zur Herausforderung – und manchmal auch zu Überforderung – werden. Immer wieder entstehen unvorhergesehene Missverständnisse. Gutgemeintes stellt sich hinterher nicht immer als förderlich heraus und der Versuch, auf sich selbst und auch auf den Partner Rücksicht zu nehmen, kann zu unerwarteten Fehlschlüssen führen. Gespräche brechen ab. Gefühle sind verletzt. Schweigen droht sich zu verfestigen. Solch schwierige Kommunikationssituationen wieder zu korrigieren und zu berichtigen, bedarf der gewissenhaften Reflexion und Achtsamkeit, was zutiefst kräftefordernd ist in einer Zeit, in der die eigenen Ressourcen bereits an vielen anderen Stellen ausgeschöpft wurden.

Im Alter von 32 Jahren erkrankte ich an einer als besonders aggressiv geltenden Form von Brustkrebs. Wir haben drei gemeinsame Kinder, die zu diesem Zeitpunkt acht Monate sowie drei und vier Jahre alt waren. Die Diagnose wurde meinem Mann und mir an dessen Geburtstag kurz vor Weihnachten mitgeteilt. Mein erster Gedanke galt meinen Kindern: Werde ich sie aufwachsen sehen dürfen? Dürfen sie mit mir als Mutter aufwachsen? Erst nach den ersten Angst-, Ohnmachts- und Überforderungsgefühlen war es mir möglich, mich dem Thema auf einer sachlicheren Ebene zu widmen: Welche Informationen brauche ich jetzt? Welche Behandlungsoptionen gibt es? Mittlerweile sind die Akutbehandlungen (Chemotherapie, Mastektomie und Bestrahlung) abgeschlossen und ich befinde mich wieder auf (m)einer Lebensspur, die so anders ist als vorher.

FocuXing / Veronika Goll

FocuXing / Veronika Goll

2 8   M a n d y Fa l k e

Die Krebsdiagnose führte bei mir zu einer Prioritätenverschiebung der emotional relevanten Themen. So war beispielsweise die Frage nach meinem eigenen Tod nie ein konkreter Bestandteil unseres Paar-Erlebens. Doch plötzlich wurde die Thematisierung meines Todes ein Gesprächsthema, was uns beide – nicht zuletzt auch in unserer Elternrolle – vor massive Herausforderungen stellte und weiterhin stellt. Hierbei spielten unsere gemeinsamen Kinder immer eine wesentliche Rolle, denn die nicht einfach beiseite schiebbare Wahrscheinlichkeit, meine Kinder nicht aufwachsen sehen zu dürfen, stürzte mich in psychische Abgründe, die nur schwer auszuhalten waren. Ich bin dankbar, dass sich mein Mann auch diesen Gefühlen und Befürchtungen meinerseits stellte, mit mir im Gespräch blieb, die Wucht der Emotionen nicht kleinredete oder mir ausredete – sondern sie mit mir gemeinsam aushielt. Eine weitere Herausforderung für unser Miteinander war meine Wut, die sich durchaus auch gegen meinen Partner richtete. Mein Mann war nicht der Grund für meine starken Gefühle, sondern er war eine Projektionsfläche für meine Ohnmachtsgefühle und für meine unglaubliche Angst hinsichtlich meiner gesundheitlichen Situation. Auf diese Weise ermöglichte ich mir – durchaus unbewusst – eine Kompensation der belastenden Gefühle, die anderswo gerade keinen Ausgleich finden konnten. Mein Mann hielt es, hielt mich, aus. Innerhalb unserer Beziehung kam oftmals das Gefühl auf, dass wir unsere partnerschaftlichen Konflikte, die durch meine Erkrankung auftraten, als Paar nicht mehr eigenständig lösen konnten. Wir hätten paartherapeutische Gespräche mit professionellen Beratern oder onkologische Erfahrung aufweisende Psychotherapiemöglichkeiten gebraucht. Leider haben wir solche Möglichkeiten, die sich in einem für uns finanziell tragbaren Rahmen bewegt hätten, vor Ort nicht finden können. Die äußeren Umstände waren durch Kindererziehung, durch eine eigene Erkrankung meines Mannes, durch meine Krebserkrankung und die

unzähligen Alltagsverpflichtungen so dominant, dass wir es als Paar akzeptieren mussten, dass eine Partnerschaft, so wie wir sie eigentlich beide anstreben, für uns gerade nicht realisierbar ist. Nichtsdestotrotz haben wir regelmäßig kleine Schritte unternommen, um Änderungsansätze zu schaffen, die zumindest die partnerschaftliche Nähe in ihren vielen Facetten im besten Fall wachsen, zumindest aber nicht abschwächen lassen sollten. Wir blieben im Gespräch. Derzeit befinde ich mich in einer onkologischen Rehabilitation. Heute Morgen beim Joggen am Strand hörte ich ein Lied, dessen folgende Textzeile mich berührte: »Weil wir uns immer noch lieben und reichen, aber wir sind nicht mehr die Gleichen.« (Interpret: Mikroboy) Dieses Zitat drückt für mich die in meinen Augen notwendige Bereitschaft zum gemeinsamen Wachstum und zur Anerkenntnis der veränderten Lebens- und Paarsituation aus. Jetzt, ein knappes Jahr nach Erhalt meiner Krebsdiagnose, kann ich sagen, dass ich enorme persönliche Änderungen durchlaufen habe: Ich bin nicht mehr die Gleiche. Ich habe andere Maßstäbe, andere Ziele, ein neues Gefühl für meinen Selbstwert und auch für die Zeitspanne, die ich in dieser wunderschönen Welt leben darf. Einige Menschen haben mich auf diesem Weg der Weiterentwicklung begleitet und die Herausforderungen auf zwischenmenschlicher Ebene mit mir zusammen gemeistert. Es gibt jedoch genauso Menschen, bei denen sich herauskristallisierte, dass der gemeinsame Lebensweg auf keinen gemeinsamen Nenner mehr zu bringen ist. Mein Mann und ich haben versucht, die Krankheit als Chance zum Wachstum zu sehen. Oft ist uns das geglückt und häufig fühlten wir uns umzingelt von Ängsten, Missverständnissen, Vorwürfen, Schuldzuweisungen oder Überforderungen. Wir haben versucht, in all diesen Situationen im Gespräch zu bleiben und über all das

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Lieber Alex,

zu sprechen, worüber wir nicht hätten schweigen können. Unserer Fähigkeit, selbst in schwierigen Zeiten und über komplexe Themen miteinander zu kommunizieren, ist es wohl zu verdanken, dass unsere Partnerschaft trotz der Herausforderungen des letzten Jahres an Stabilität und emotionaler Nähe dazugewonnen hat. Nicht immer war das persönliche Gespräch möglich. Manchmal haben die aufkommenden Emotionen es erschwert, das auf den Punkt zu bringen, was ich eigentlich mitteilen wollte, oder mein Partner war nicht zeitgleich bereit, mit mir über das, was mich gerade umtrieb, zu sprechen. In solchen Situationen war mir der Brief eine Möglichkeit, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse in Worte zu verpacken und auszudrücken. Das Schreiben eines Briefes war mir beim Reflektieren und Ausformulieren meiner Gefühle hilfreich und hat mir in manch herausfordernder Situationen als Kommunikationsbrücke gedient. Zudem bot mir das Schreiben die Möglichkeit, zeitliche Barrieren zu überwinden. Mein Mann bekam hierüber die Möglichkeit, den Zeitpunkt des Lesens so zu wählen, dass er offen für dessen Inhalt war und über ausreichend Ruhe verfügte, um sich mit dem Geschriebenen auseinanderzusetzen. Für mich war es wichtig, im Schreiben die Regeln der gewaltfreien Kommunikation anzuwenden und den Schwerpunkt auf meine eigenen Gefühle und Bedürfnisäußerungen zu legen, ohne ihn durch Vorwürfe oder Schuldzuweisungen in eine Rechtfertigungsposition zu drängen. Durch meine offenen und gewaltfrei kommunizierten Worte gelang es mir auch in schwierigen Situationen, wieder eine Grundlage für ein Gespräch auf Augenhöhe zu schaffen. Der nachfolgende Text bezieht sich auf eine Zeit, in der ich mich während der Chemotherapie befand: Mandy Falke fotografiert Menschen, die an Krebs erkrankt sind, mit dem Blick einer Frau, die selbst diese Krankheit durchlebt hat. E-Mail: [email protected] Website: w  ww.unddannamleben­ bleiben.de

ich war vorhin wieder ungerecht zu dir und habe dir Sachen vorgeworfen, die ich nicht so meinte. Der Ärger mit den Bewilligungen der Krankenkasse und mein körperlicher Zustand sind für mich gerade stark belastend. Ich würde gerne irgendjemandem die Schuld dafür geben und kann es nicht, weil niemand etwas dafür kann, dass ich an Krebs erkrankt bin. Ich sehe mich dann einer Ohnmacht gegenüberstehen, die für einen kurzen Moment abgeschwächt wird, wenn ich dir zumindest die Schuld für irgendetwas geben kann – ob es nun der nicht gemachte Abwasch oder der überquellende Mülleimer ist, spielt dabei kaum eine Rolle. Ich bin mir hinterher immer sehr bewusst, dass meine eigentliche Wut eigentlich an einen anderen, aber nicht verfügbaren, Empfänger gerichtet ist. Wenn ich mich dann mit dir unterhalten will, finde ich oft nicht die richtigen Worte, weil ich durch mein Gefühlschaos so blockiert bin. Ich möchte dir eigentlich einfach mitteilen, dass es mir unwahrscheinlich viel bedeutet, dass du selbst in solchen Situationen an meiner Seite bist und gemeinsam mit mir versuchst, das Unaushaltbare auszuhalten. Ich kann dir derzeit zwar sagen, dass ich dich liebe, aber es auch tatsächlich zu zeigen fällt mir momentan oft schwer. Ich möchte dich aber wissen lassen, dass ich mir niemanden vorstellen könnte, den ich in diesen schweren Zeiten lieber an meiner Seite hätte. Ich würde mich freuen, wenn wir uns am Wochenende bei einem Stück Pizza und einem Glas Wein noch mal in Ruhe unterhalten könnten. Eine entspannte Atmosphäre und eine Uhrzeit, in der die Kinder bereits schlafen, kann uns vielleicht helfen, das Thema noch mal gemeinsam aufzugreifen. In Liebe Mandy

Herausforderung Kommunikation

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Die Bedeutung von Loben und Danken für das Gelingen von Kommunikation Dominik Probst identifizieren und besser verstehen zu können, brauchen wir ein psychologisches Grundverständnis gewisser Denkmuster und Konzeptvorstellungen. Bevor wir die wahre Essenz erfolgreicher Kommunikation ausmachen werden, begeben wir uns also zuerst auf diesen kurzen, theoretischen »Umweg«. Die Rationalitätsillusion Ganz anderes als Computer, welche nur auf der Grundlage des binomischen Codes 0 und 1 Informationen prozessieren, verarbeiten und replizieren wir Menschen Informationen jenseits simpler Rationalität. Am meisten Verantwortung für diese ernüchternde Tatsache tragen zwei interne

Arkady Mazor / Shutterstock.com

Als Unternehmensberater und Führungskräftecoach werde ich oft mit der Frage konfrontiert, wie wir Menschen in sozialen Gefügen aller Art »richtig und gut« miteinander kommunizieren. Wie elementar die Beantwortung dieser Frage ist, wird meist an einem ganz bestimmten Punkt klar. Nämlich dann, wenn selbst die simpelsten, eindeutigsten Botschaften vom Gegenüber komplett anders aufgefasst werden, als es von uns beabsichtigt war. Plötzlich wird deutlich: Kommunikation ist nicht eine reine Übertragung von Informationen, sondern viel mehr ein komplexer Prozess jenseits der Rationalität. Doch was heißt das konkret? Um die grundlegenden Ideen und Konzepte erfolgreicher und missglückter Kommunikation

D i e B e d e u t u n g v o n L o b e n u n d D a n k e n f ü r d a s G e l i n g e n v o n K o m m u n i k a t i o n    3 1

Filterprozesse, welche definieren, welche Informationen wir bewusst wahrnehmen und wie wir diese interpretieren. Der erste Filterprozess ist ein wirkungsvoller Schutzmechanismus, um unser Bewusstsein vor der totalen Überhitzung zu bewahren. Pro Sekunde prasseln auf den Menschen ca. 11 Millionen Sinneseindrücke ein. Damit wir in dieser Datenflut nicht ertrinken, werden lediglich etwa 40 Sinneseindrücke vom Bewusstsein parallel verwaltet und abrufbereit gemacht. Der zweite Filterprozess sind Deutungs- und Interpretationsmuster, aufgrund welcher wir den zur Verarbeitung bereitstehenden Informationen eine gewisse Bedeutung zuschreiben. Das heißt, wir laufen weniger beschreibend durch die Welt, sondern viel mehr interpretierend. Die Wahrheits- oder auch Realitätsillusion Ähnlich wie bei dem vorher ­beschriebenen Konzept der Rationalität dürfen, ja m ­ üssen wir dem Konzept der allgemeingültigen Realität oder Wahrheit abschwören oder zumin­dest stark auf gewisse Lebensfelder beschrän­ken (zum Beispiel

Der Schlüssel für erfolg­ reiche Kommunikation lässt sich im Wesentlichen auf einen konzeptuellen Dreiklang reduzieren: Empathie, Echtheit und Wertschätzung.

Natur­gesetze). Eine einzige wahre Realität, welche beschreibt, »wie die Welt ist«, ist schlicht und ergreifend unmöglich zu fassen. Es gibt kaum eine einzige, universelle Realität oder Wahrheit, es gibt viel mehr etwa 7.66 Milliarden Realitäten, also so viele, wie es Menschen auf unserem Planeten gibt. Durch das sture Beharren auf etwas vermeintlich generell Gültigem behindern wir uns selbst. Statt die Welt zu beschreiben, wie wir sie wahrnehmen, sind wir sowohl in unserem Denken als auch im sprachlichen Ausdruck oftmals zu sehr selbstzentriert und verallgemeinernd. Es ist ein großer Unterschied, ob ich im Dialog das eigene Erleben betone (zum Beispiel: »Ich habe die Situation wie folgt erlebt …«) oder ob ich gedankliche wie auch sprachliche Fakten schaffe (»Die Situation hat sich wie folgt abgespielt …«). Spreche ich vorwiegend vom eigenen Erleben, lasse ich nicht nur mir selbst, sondern – und das ist in der Kommunikation mindestens ebenso wichtig! – auch meinem Gegenüber mentalen Spielraum. Das hat zur Folge, dass die Situation nüchterner und, falls gewünscht, konsensorientierter betrachtet werden kann. Kommunikation wird somit nicht zum sturen Faktenaustausch, sondern zum fruchtbaren Mitteilungsraum, in dem sich zwei oder mehrere Akteure aufeinander zubewegen können. Die wahre Essenz der erfolgreichen Kommunikation Mit den angeschnittenen Informationen über die vermeintliche Rationalität, dem Nichtexisitieren einer universellen Realität und darüber, wie diese Begriffe durch unsere Filterprozesse individuell gefärbt werden, können wir uns nun also der essenziellen Frage widmen: Wie wird denn eigentlich richtig gut kommuniziert? Die Antwort ist ebenso simpel wie komplex. Denn der Schlüssel für erfolgreiche Kommunikation lässt sich im Wesentlichen auf einen konzeptuellen Dreiklang reduzieren: Empathie, Echtheit und Wertschätzung.

Herausforderung Kommunikation

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Empathie Gelingt es uns, ein gegenseitiges Bewusstsein über die eigenen und fremden Filterprozesse zu schaffen und unsere Nachrichten entsprechend dem Gegenüber zu codieren respektive das empfangene Datenmaterial zu decodieren, sind die Voraussetzungen optimal, um Missverständnisse zu vermeiden. Hinzu kommt der meist unvermeidbar positive Effekt, dass sich bei gelebter Empathie mein Gegenüber verstanden fühlt, was einen zusätzlich bejahenden und offenen Gesprächsverlauf zur Folge hat. Echtheit Zeige ich mich in einem Gespräch echt, hat das gleich mehrere positive Auswirkungen. Zum einen vermittle ich das Gefühl, für mein Gegenüber greifbar zu sein, was die Vertrauensbasis und somit die Offenheit des Gesprächs beflügelt. Je mehr ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber sagt, was es denkt und fühlt, desto höher gewichte ich den Inhalt des Gesagten. Zum anderen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass durch gelebte Echtheit meine Filterprozesse für mein Gegenüber sichtbarer werden. Das erlaubt mir wiederum, meine Inhalte zielgruppengerechter zu adressieren. Wertschätzung Der Ausdruck von Wertschätzung, beispielsweise in Form von Lob und Dank, ist eins der am meisten vernachlässigten und unterschätzten Elemente gelungener Kommunikation. Wertschätzung zu zeigen, von Herzen »Danke« zu sagen oder echtes, reflektiertes Lob auszusprechen, werden allzu häufig als »nice to have« abgetan. Doch es geht hier um viel mehr als nur freundliche Gesten oder Floskeln. Leiste ich einen wertvollen Beitrag in meinem sozialen Gefüge? Wird mein Wert gesehen? Werde ich wertgeschätzt als Mensch? Das Gefühl, wertgeschätzt zu wer-

den, ist eines der fundamentalsten Bedürfnisse menschlichen Seins. Wer die Sicherheit spürt, als Individuum sein zu dürfen, wie er ist, und dabei wertgeschätzt wird, hat die idealen Bedingungen, um sich selbst entfalten zu können und das eigene Potenzial voll auszuschöpfen. Auf kommunikativer Ebene verhält es sich ähnlich. Habe ich das Gefühl, mein Gegenüber schätzt meinen Wert nicht, wird es sehr schwierig oder unmöglich, dass ein reibungsloser Kommunikationsfluss stattfinden kann. Plötzlich stocken Besprechungen gar beim Diskurs trockenster Sachinhalte, da einer Gesprächspartei die nötige Sicherheit, wertgeschätzt zu werden, abhandengekommen ist. Fazit Wer Kommunikation als komplexen Prozess jenseits von Rationalität begreift, der begibt sich nicht in willkürliche Gefilde, in denen mühsame Orientierungslosigkeit herrscht, sondern hat etwas Elementares verstanden: Wahrhaft fruchtbar und zielführend wird Kommunikation erst, wenn sie empathisch, echt und wertschätzend kultiviert wird. Wem es also gelingt, im Gespräch empathisch die Realität des Gegenübers zu ergründen, sich echt zu zeigen – mit allen Ecken und Kanten, aber ebenso mit allen glänzenden Qualitäten – und dabei eine wertschätzende Haltung zum Gegenüber einnimmt, hat das Potenzial zu wahrer Meisterschaft erfolgreicher Kommunikation. Dominik Probst, M.Sc. Psychologie mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Nordwestschweiz sowie an der Universität Zürich; Tätigkeit als Dozent für Changemanagement und Leadership, Unternehmensberater, Coach und Trainer. Erstausbildung als Krankenpfleger. Vortragstätigkeit im Bereich Leadership und Organisationsentwicklung; Principal der Manres AG in Zollikon/CH. E-Mail: [email protected]

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Eine Woche im September Gesundheitswandern oder Lebenspilgern

Sabine Kirton »Wir sind auf dieser Erde unterwegs auf dem Pilgerweg der Begegnung unseres Lebens.« (Heiko Kroy) Es ist früh am Morgen, der Nebel beginnt sich langsam aufzulösen, etwas Tau liegt noch auf den Wiesen und die Netze der Spinnen glänzen im aufkommenden Sonnenschein. Wie wild und abenteuerlich die Landschaft teilweise wirkt, voller umgestürzter Bäume und unerwarteter Wegbiegungen! Wie sich die Geräusche und das Licht verändern, wenn man den Wald hinter sich gelassen hat! Inzwischen habe ich meinen Rhythmus gefunden, jeder Schritt fällt leicht. Ich habe das Gefühl, endlos weiterlaufen zu können. Ich genieße die absolute Stille in der Natur und das Abschalten von allen Verpflichtungen … es ist eine wohltuende Ruhe in mir! Wandern bedeutet sich selbst kennenzulernen, Unabhängigkeit zu spüren und Entschleunigung auf langsamen Wegen zu erfahren. Wer wandert, sieht, hört, riecht und spürt eine ganze Menge. Alle Sinne sind auf Empfang! Mit mir wandern für eine gewisse Zeit dreißig krebsbetroffene Frauen und Männer schweigend entlang der Wege durch den Wald und über die Wiesen. Miteinander verbunden und doch jeder für sich. Vertieft in die eigene Gedankenwelt versucht jeder auf dieser Wanderung seine innere Ruhe zu finden. Versucht zu erkennen, dass jeder Schritt, der getan wird, »den besten Moment des Lebens – den gegenwärtigen Moment« (Heiko Kroy) in sich hervorbringen kann. Wir alle sind auf der Suche: Wo können wir einander erkennen? Wo können wir erfahren, was uns verbindet? Wie können wir uns selbst Lebensfreude schenken?

Aber auch: Wer bin ich? Wie geht es weiter? Was ist mein Sinn? Schweigen ist eine Art von großartiger Kommunikation sowohl im Miteinander als auch mit der Außenwelt. Doch Gesundheitswandern heißt nicht nur schweigen und sich bewegen. Es regt auch zur Kommunikation und Lustbarkeit an und macht Spaß in der Gruppe. Wer ins Gespräch kommen möchte, kann das tun. Wer lieber für sich allein geht, seinen Gedanken nachhängt oder die Landschaft genießt, kann das ebenfalls tun. Auch das Tempo wählt jeder für sich. Diese Freiheit ist wohltuend und führt auch dazu, dass man sich plötzlich Dinge traut, die einem sonst vielleicht unangenehm wären. Beispielsweise mit jemandem über seine Krankheit mit all ihren auftretenden persönlichen Problemen zu sprechen. Oder angebotene Hilfe einfach anzunehmen, ohne zu grübeln, ob daraus irgendeine Verpflichtung entsteht. Oder gemeinsam zu singen, zu meditieren, Wahrnehmungsübungen durchzuführen und kreative Impulse umzusetzen. Oder es werden Themen, die man sonst rein emotional betrachtet, auch rational beurteilt – oder umgekehrt. So vieles ist auf einmal möglich. Wir, die wir »auf dem Weg sind«, bilden eine Erlebnisgemeinschaft, in der sich Gesprächsbereitschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl und freundschaftliche Beziehungen entwickeln. Spürbar ist, dass das gemeinsame Tun mit Gleichgesinnten zu einem Schlüsselerlebnis werden und vor allem glücklich machen kann. Jeder und jede Einzelne versucht in dieser Gemeinschaft sowohl Gleichklang mit anderen als auch den eigenen Weg zu finden.

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Mal fließt wenig, in kleinen Rinnsalen, und wir merken kaum, dass wir uns verändern, manchmal arbeitet ES mit großer Kraft an uns.« So ist es nicht verwunderlich, dass aufgrund der ungewohnten physischen Anstrengung während der gemeinsamen Wanderung seelische Belastungen zum Ausbruch kommen. Natürlich ist das schwer, doch helfen sie uns, unsere Gefühle besser wahrzunehmen und vielleicht anders mit der Belastung umzugehen. Tränen dürfen fließen und im gemeinsamen Gespräch mit einer vertrauten Person aus der Gruppe können auch hier erste Brücken geschaffen werden, die den verstellten Blick wieder nach vorn öffnen.

Sabine Kirton

Die Geschichte einer unbekannten Verfasserin, die ich vor ein paar Jahren gelesen hatte, kommt mir immer beim Anblick eines schnell dahinfließenden Baches wieder in den Sinn. Der schnelle Fluss des Wassers stand für die Verfasserin »für große und kleine Verluste, die jeder von uns schon einmal erlebt hat, wie Menschen, die zu früh gegangen sind, Freundschaften, die nicht hielten, oder Krankheiten, die scheinbar keine Heilung kennen. Das Wasser schleift die Steine rund und geschmeidig … Und so wie das Wasser die Steine formt, formt das Leben unsere Seele, unseren Geist und sogar unseren Körper. Alle die großen und kleinen Geschichten, die unser Leben schreibt, sind wie das Wasser.

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E i n e Wo c h e i m S e p t e m b e r    3 5

Sabine Kirton

Jeder Tag ist wie der andere. Kein Tag gleicht dem anderen. Am Morgen eine kühlende Dusche, ein stärkendes Frühstück, ein Pilgerspruch. Schweigend wandern wir weiter. Folgen den eigenen oder den Gedanken der Mitgehenden, begleitet von dunklen Wolken, die der Wind wegweht, um kurz darauf wieder von der Sonne geküsst zu werden. Bunte Drachen am Himmel über dem Wasser, weiße Segel am Horizont, unberührte Idylle der kleinen Dörfer, die Weite der Landschaft, der Geruch der Wälder, die Geschichten der alten Gutshäuser, der Glockenklang der malerisch kleinen Dorfkirchen und das Ambiente der gemütlichen Cafés und Kneipen zum Ausruhen zwischendurch. Welch eine Vielfalt.

Diese Freiheit ist wohltuend und führt auch dazu, dass man sich plötzlich Dinge traut, die einem sonst vielleicht unangenehm wären. Beispiels­ weise mit jemandem über seine Krankheit mit all ihren auftretenden persönlichen Problemen zu sprechen.

Und dann: Hundert Kilometer in sechs Tagen. Das Ziel ist erreicht. Ich wäre gern noch mit der ganzen Gruppe ein paar Tage weitergegangen. Es war so ein zugeneigter Umgang miteinander, das hat alle Erlebnisse noch mehr intensiviert. Ich bin glücklich, dass ich so eine innige und sehr bewusste Zeit mit allen verbringen durfte. So lautet auch das alljährliche Fazit von 30 krebsbetroffenen Frauen und Männern aus 28 Selbsthilfegruppen des Landesverbandes Frauenselbsthilfe nach Krebs, Mecklenburg-Vorpommern/Schleswig-Holstein: »Ich könnte jetzt wieder Berge versetzen!« Müde Knochen? Blasen an den Füßen? Durchhänger? Ja klar, denn jeden Tag zwölf bis achtzehn Kilometer zu laufen, das sind wir nicht gewohnt, da schmerzt es an unterschiedlichsten und manchmal unbekannten Stellen. Und doch sind Wanderer für mich glücklichere Menschen. Und das ist sogar medizinisch erwiesen: Wandern wirkt präventiv gegen Kummer, Antriebslosigkeit und Depressionen (­Geyer 2018). Die Kraft und Energie aus dieser Erfahrung hat mich lange Zeit danach durch den Alltag getragen. Und so heißt es auch im nächsten Jahr für mich, wie in den vergangenen sieben Jahren, Wanderschuhe zuschnüren, Rucksack auf den Rücken, grünes Tuch um den Hals und los. Ich bin dann mal weg … in die Mecklenburger Schweiz. Unser Motto: NEUE WEGE GEHEN und in der Natur Kraft tanken! Sabine Kirton, ehemalige Lehrerin, Theaterpädagogin und Landesvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs Mecklenburg-Vorpommern/SchleswigHolstein. E-Mail: [email protected] Literatur Geyer, C. (2018). Warum wandern glücklich macht. Bergwelten-Magazin, 20.3.2018. Kroy, H. (2010). Geh-danken. 3. Auflage. Leppin.

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Auf Intensivstation: Begleitung von sedierten und komatösen Patientinnen und Patienten Waltraud Reichle Ein Schwerpunkt meiner Arbeit in der Klinikseelsorge ist die Begleitung von Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige auf der Intensivstation. Wir Seelsorgende sind in das Team eingebunden und arbeiten eng mit den Pflegekräften und den Ärzteteams zusammen. In der Regel sind wir täglich auf der Station und auch über den ökumenischen Rufdienst ist rund um die Uhr ein Seelsorger/eine Seelsorgerin erreichbar. Wenn ich auf die Station komme, ist ein erster Impuls, zu den Patienten zu gehen, die ansprechbar sind oder bei denen Angehörige am Bett sitzen, die Unterstützung brauchen und diese auch wünschen. Was aber ist mit denen, die sediert sind und beatmet werden oder im Koma sind? In der Anfangsphase meiner beruflichen Tätigkeit hörte ich immer wieder: »Zu denen brauchen Sie nicht zu gehen. Die bekommen doch nichts mit.« Diese Aussage ließ mir keine Ruhe und ich ging der Frage nach: Was erleben diese Menschen, wie kann ich mit ihnen kommunizieren und welche Möglichkeiten gibt es, sie zu begleiten? Was bekommen Patientinnen und Patienten in veränderten Bewusstseinszuständen mit? In welcher Welt sind sie unterwegs? »Freddy und Lolita sind schuldig, dass ich Seemann geworden bin.« So begleitete ich zum Beispiel einen Mann, der über Wochen im Koma lag und intensivmedizinisch behandelt wurde. Als er langsam aufwachte, hatte er ein starkes Bedürfnis, sich mitzuteilen. Da er noch tracheotomiert (Luftröhrenschnitt) war, schrieb er alles mit einem

Stift kritzelnd auf ein Blatt Papier, das wir auf ein Klemmbrett spannten. Er teilte mit, dass er unter König Phillip die Welt umsegelt hat und dabei auch unter den Piraten war. Immer wieder konnte er sich aus den Fesseln der Seeräuber befreien. Er schreibt: »Freddy und Lolita sind schuldig, dass ich Seemann geworden bin.« Er erzählt mir mit vielen Gesten, mit seiner Mimik und mit Worten, die er auf sein Blatt kritzelte, wie gefährlich und bedrohlich die Reise war. Es war ihm ganz wichtig, mir davon erzählen zu können. Wach und präsent hörte ich ihm zu. Durch meine Aufmerksamkeit unterstütze ich ihn beim Erzählen. Klar wurde mir dabei, dass der Mann in der Zeit der Krankheit vieles durchgemacht hatte. Er war unterwegs auf einer lebensgefährlichen Reise, auf der er sich durchkämpfte, eben »wie ein Pirat«. Was er mir erzählte, war kein Traum. Sein Erleben war für ihn Realität. In der weiteren Begleitung realisierte er, dass er jetzt wieder auf sicherem Boden ist. Schleierhaft blieb ihm nur, auf welchen Wasserwegen er mit seinem Piratenschiff »vom großen Weltmeer in den Hegau« zurücksegeln konnte. Die Forschung bezeichnet diese Formen von komatösem Bewusstsein als Oneiroid (komplexe Träume). Zurück zu meiner Eingangsfrage: Wie kann ich Patientinnen und Patienten in veränderten Bewusstseinszuständen unterstützen und begleiten? Wie gehe ich vor, wenn nicht einfach ein Gespräch geführt werden kann, das heißt, wenn

Waltraud Reichle

A u f I n t e n s i v s t a t i o n    3 7

gewohnte Wege der Kommunikation ausgeschlossen sind? Das ist bei ungefähr 50 Prozent der Patienten auf unserer Intensivstation der Fall. Vier Aspekte möchte ich benennen: Die körperliche Dimension Wenn ich einen Patienten aufsuche, der im Koma ist, dann richte ich meine Aufmerksamkeit zuerst auf die körperliche Dimension. Was nehme

ich wahr? Wie liegt er da? Was sehe ich? Welche Energie spüre ich in mir und welche kommt mir entgegen? Wie verbinden sich die Energien? Entsteht eine Schwingung? Zieht es mich näher hin oder bleibe ich auf Distanz? Bei diesem achtsamen Vorgehen spüre ich oft schon erste Impulse, manchmal auch eine Unruhe. Ist es meine eigene oder die Unruhe des Patienten? Meldet sich da meine eigene Angst oder die des Patienten? Behutsam versuche ich mich anzunähern und in

Herausforderung Kommunikation

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Kontakt zu kommen. Wenn ich eine Grenze spüre, ist es mir sehr wichtig, diese zu achten. Fokus »Person« Ein weiterer Fokus in der Begleitung ist die Person. Was nehme ich von diesem Menschen wahr? Vielleicht weiß ich auch etwas aus einem früheren Kontakt mit ihm oder über die Angehörigen. Wenn ich zu ihm komme, stelle mich vor, spreche ihn an und sage, was ich sehe. Wo dieser Mensch im Augenblick unterwegs ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, er ist nicht »bewusstlos«. Er ist in einem veränderten Bewusstseinszustand, vergleichbar einem Traumland. Viele Studien zeigen, dass einige Komapatienten Informationen aus der Umgebung verarbeiten und emotional ansprechbar sind und dabei auch die Atmosphäre, zum Beispiel eine verständnisvolle und empathische Umgebung, am Krankenbett wahrnehmen. Vielleicht ist es der Klang meiner Stimme, die ihn ahnen lässt: Ich bin nicht tot, ich lebe. Dadurch kann Rückhalt erfahren werden. Mit meinen Interventionen biete ich dem Patienten an, den Weg, auf dem er sich befindet, verstärkt wahrzunehmen. Ich achte darauf, ob ich Reaktionen wahrnehme, eine kleine Regung im Gesicht, um die Mundwinkel herum, an den Augen. Das kann möglicherweise bereits eine Antwort sein und ein Zeichen dafür, dass der Patient mit mir Kontakt aufnehmen möchte. Wenn ich kleinste vegetative oder mimische Regungen sehe, bringe ich sie ins Wort, würdige sie, verstärke sie und trete dabei in einen inneren Dialog mit dem Patienten. Im weiteren Verlauf vertraue ich auf meine Intuition, schaue, was »in Gang kommt«, und bleibe in Beziehung. Dem Patienten teile ich mit: »Wir unterstützen Sie hier auf der Station und auch ich unterstütze Sie!« Fokus »System und Beziehungen« Ein weiterer Fokus ist für mich das System, in das ein Mensch eingebunden ist. Ich bin davon über-

zeugt, dass Menschen in einer schweren und lebensbedrohlichen Situation spüren, ob andere da sind, denen sie wichtig sind, denen sie etwas bedeuten und denen daran liegt, dass sie im Leben bleiben. Natürlich kann ein Überleben niemals durch die Präsenz von Menschen »erzwungen« werden. Doch ich glaube, dass ein Mensch spüren kann, ob es einen Sinn gibt, für den es sich lohnt weiterzuleben. Wenn ich Familienbilder oder Karten von Freunden am Bett stehen sehe oder das selbstgemalte Bild der Enkelin mit den Worten »Oma, du schaffst das!«, spreche ich den Patienten darauf an.

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A u f I n t e n s i v s t a t i o n    3 9

Waltraud Reichle

Entscheidend: Die wache Präsenz im Hier und Jetzt

Die spirituelle Ebene Ein vierter Fokus kommt für mich als Seelsorgerin dazu: die spirituelle Ebene: Ich glaube, dass in unserem Leben Kräfte wirksam sind, die das übersteigen, was wir selbst machen können. Diese bezeichne ich als Spirit, als Geistkraft, heiliger, heilender Geist. Auch diese Dimension spreche ich in der Begleitung an und ermögliche die Wahrnehmung für diese Dimension von Wirklichkeit.

Das für mich Wichtigste in der Begleitung von Patientinnen und Patienten, die sediert und beatmet oder im Koma sind, ist die wache Präsenz im Hier und Jetzt. Ich bringe Erfahrung in Meditation und im Umgang mit Imagination mit. Ich spüre meinen Atem und bin wach für das, was sich – wie man sagt – im Dazwischen, also zwischen mir und Patienten ereignet. Ich traue mich, Impulse zu setzen, zum Beispiel in dieser Form: Nimm wahr, was wahrzunehmen ist! Bei manchen Patienten habe ich auch das Gefühl, sie sind weit weg, in Dimensionen, die mir nicht zugänglich sind und die für mich »im Geheimen« liegen. Bei anderen Besuchen wiederum habe ich das Gefühl, es gibt in unserem Leben eine Tiefendimension, in der wir Menschen miteinander verbunden sind. Wie mit Menschen kommunizieren, die in einem veränderten Bewusstseinszustand sind? Ihre Erlebniswelt erinnert mich an Träume, Mythen und an archaische Erzählungen. Wenn ich im Prozess mit dieser Erlebniswelt in Berührung komme, dann bin ich für den auf einem Weltmeer segelnden Seemann vielleicht »eine Seeräuberin«, die sein Schiff kapern will. Vielleicht aber bin ich für ihn eine Mitkämpferin auf einem gefährlichen Weltenmeer. »Meine Freunde sind die Sterne …«, so singt Freddy Quinn in seinem Lied »Seemann, lass das Träumen«. Vielleicht bin ich für den Patienten dann, neben vielen anderen, die ihn unterstützen, ein solcher Stern! Waltraud Reichle, Theologin, Klinikseelsorgerin im Hegau-Bodensee-Klinikum Singen, KSA-Kursleiterin (DGfP), Lehrsupervisorin (DGSv). E-Mail: [email protected] Literatur Frör, P.; Frör, W. (2018). Praxisort Intensivstation. Seelsorge und moderne Bewusstseinsforschung im Dialog. Stuttgart. Ziegler, A. (2015). Informationen für Angehörige von Menschen im Koma und Wachkoma. ZNS-­Hannelore-KohlStiftung.

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Hört da wer? Gebet als Kommunikation

Matthias Schnegg »Wenn ich schon anfange: ›Mein Gott …‹, dann stocken meine Worte. Weiß ich, wohin ich spreche, wenn ich sage ›Mein Gott!‹? Ich sehe keinen Gott, wie ich in Kindertagen die Gewissheit eines Gegenübers hatte: einen weisen Mann, gütig, gerecht und ein wenig doch unnahbar.« Für andere ist es klar: »Wenn ich bete, steht mir der unendliche Gott ganz persönlich gegenüber. Mit ihm kann ich sprechen – mehr noch als mit einer besten Freundin.« Gebet und Kommunikation Bei Kommunikation denken wir an einen gegenseitigen Austausch, eine wie auch immer geartete Form des Begegnens. Ist das Gebet eine Kommunikation? Mit wem? Und was, wenn die Stimme des Gegenübers nicht hörbar ist? Wenn wir uns auf unsere Eingebung verlassen, dass da eine Antwort ist, die von Gott kommt? Manchen ist es wie selbstverständlich gegeben, in ihrem Beten ein deutlich spürbares Gegenüber zu haben. Eine gar hörbare Antwort ist nicht erwartet, weil die innere Gewissheit wie eine zuverlässige Rückmeldung aus der Sphäre des Himmlischen ist. Manche sagen, dass ihre »innere Stimme« die Ausdrucksform der göttlichen Antwort sei. Anderen fehlt diese Gewissheit einer Reaktion. Sie stehen stumm und irgendwann verstummen sie auch, weil da nichts zu erwarten ist. Wie Trauernde an Gräbern stehen sie, mutentleert, immer wortkarger werdend, weil da einfach keine Antwort kommen will. Wohin sich wenden, wenn das Gegenstück gelingender Kommunikation nicht erkennbar ist?

Vorstellungen von Gottes Anteil in der Kommunikation Ohne eine Vorstellung von Gott – sei sie personal oder als göttliches Prinzip angenommen – kann keine Kommunikation des Gebets stattfinden, weil dann das Gegenüber fehlt. Zu kurz gegriffen wäre es allerdings, nur dann Gebet als angemessen darzustellen, wenn es irgendeine Art der Vorstellung von Gott gibt. Vielleicht ist der Begriff »Gott« schon so gebunden, dass das, was dahinter sein kann, nicht mehr zum Klingen gebracht wird. Dabei kann Gebet auch in diese Sphäre gehen, die sich der Festlegung auf einen personalen Gott oder das göttliche Prinzip entziehen will. Die Vorstellung von Gott übersteigt grundlegend unser Wissen. Gott ist schon in der mittelalterlichen Theologie immer gerade anders, als wir denken. Man spricht von der Analogie. Alles, was wir meinen, über Gott fest aussagen zu können, wird immer mit dem Gedanken zu verbinden sein, dass Gott so, wie eben beschrieben, gerade nicht ist. Gott ist das absolut Andere, das wir uns als Gegenüber denken – das absolut Andere und zugleich das absolut Vertraute. In diese Paradoxie hinein von Kommunikation zu sprechen, ist eine geistige und geistliche Herausforderung. Gebet als Verbindung in das Sinn-Ganze Das Gebet ist ein bevorzugtes Medium der Verbindung zwischen Gott und Menschen. Hier stellt der Betende sein Leben in den größeren, alles vollendenden Sinnzusammenhang, dem wir den Namen Gott gegeben haben. Das Gebet ist Rück-

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bindung in mein persönliches und in ein gemeinschaftliches Vertrauen, dass es einen Sinn, eine Vollendung, eine Liebe gibt, der sich mein Leben eingebunden weiß. Darum ist Gebet auch wie das spielerische Eintreten in ein Spannungsfeld von Heilserwartung und Heilsvollendung. So kann Gebet alles aufnehmen (im Sinne einer Leitung zur Weiterleitung an das übersteigend Andere), was Menschen bewegt: Gottesgewissheit ebenso wie Gottesbezweiflung lassen sich tragen auf den Kommunikationswellen des Gebets. Menschenschicksal aller Färbung gehört in diese betende Verbindung zwischen Menschsein und Göttlichkeit, zwischen Erwartung und Erfüllung.

Worte und Nichtworte Die betende Kommunikation lässt sich tragen durch Worte – solche, die wir selbst formulieren, wie die Herzenslage sie gerade eingibt. Es können Worte sein, mit denen wir uns in einen Gebetsschatz der Menschheit einbinden, darauf vertrauend, dass auch die Einbindung in Ausdrucksformen einer Glaubensgeschichte über Generationen hinweg das Miteinander von Mensch und Gott trägt. Und es sind unzählige Nichtworte, die in Kommunikation mit dem Göttlichen treten: Nichtworte des überwältigten, dankenden Staunens, Nichtworte der Unaussprechlichkeit von Glück

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oder Unglück, Nichtworte der Scham und der Schuld, Nichtworte der Auszehrung, Nichtworte des übersteigenden Schmerzes. Wer immer in solchen Nichtworten kommuniziert hat, weiß um die besondere Intensität dieser Anrührung der vagen Annäherung zwischen Gott und Mensch. Kommunikation der Für-Betenden »Ich denke an dich«, sagen Menschen, wenn sie das Schicksal eines Anderen mittragen möchten. Manche trauen sich auch zu sagen »Ich bete für dich« und tragen das Schicksal des Anderen mit in die Sphäre des Heilen. Dies Drandenken, dieses Beten, ist eine Art der stillen Verbindung zwischen dem Mitmenschen und dem Für-Betenden. Es ist eine Kommunikation, die Menschen untereinander und mit dem Heiligen bindet. Um was wir beten Manche können beten mit klaren Wünschen, was Gott bitte tun möge – wie die Bewahrung vor der Krebsdiagnose oder das Wunder einer Heilung. Ich selbst kann – vielleicht aus Furcht vor Enttäuschung der Nichterfüllung? – im Gebet Menschen mit ihren Namen vor Gott hinstellen – im Vertrauen, dass dieses anvertraute Leben im Sinnzusammenhang des Heiligen und Ewigen bewahrt sein möge. Paulus sagt im Römerbrief die so mitfühlenden wie ermutigenden Worte, als er über das Ringen um Hoffnung spricht: »So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können« (Röm 8,26).

gen, dem Heilen, dem Vollendeten geschieht nicht nur über eigene oder gemeinschaftliche Gebetsworte. Manchen sind Worte der Dichter Gebet, Verbindung mit dem Göttlichen. Manchen weitet sich der Sinn des Lebens im Staunen über Bilder oder Skulpturen, manchen im Hören bestimmter Musik. Da gestaltet sich Verbundenheit mit ergreifender Einbindung in das göttliche Wahre. Da bedarf es keiner Erklärung mehr, wenn etwa im Schlusschor der Bach’schen Johannespassion, nach all dem brutalen Leiden, erst mit Blick auf den eigenen Tod so zärtlich gesungen wird: »Ach Herr, lass dein lieb Engelein (…) in Abrahams Schoß tragen« und dann mit einer überwältigten Gewissheit alles Leiden seine Auslöschungsmacht abgestreift bekommt: »Alsdenn vom Tod erwecke mich, dass meine Augen sehen dich in aller Freud, o Gottes Sohn (…) Ich will dich preisen ewiglich.« Es muss nicht die geistliche Musik eines Johann Sebastian Bach sein. Es kann jede Musik sein, die Trägerleitung der Kommunikation mit dem ist, was uns im Innersten zusammenhalten mag. Windhauch Kommunikation des Betens ist keine Einbahnstraße. Aber auch keine geräuschvoll quirlige Großstadtstraße. Manchmal – wie in der Geschichte des Propheten Elija – ist sie Gewissheit im Säuseln des leichten Windhauchs. Gebet und Kommunikation? Bei Kommunikation denken wir an ein Gegenüber, ein möglichst erfassbares Gegenüber. Wie immer wir zu sprechen oder zu schweigen oder wahrzunehmen verstehen im Angesicht des letztlich ewig unaussprechbar Gegenwärtigen.

Formen der Kommunikation »Ich kann nicht beten«, sagt jemand und meint, dass es so schwerfällt, Worte zu formen und sich an jemanden/etwas zu binden, den/das wir nicht fassen können. Kommunikation mit dem Heili-

Matthias Schnegg, Pfarrer zweier Kölner Altstadtkirchen, Mitgründer des Hospiz in Frechen e. V., Dozent im Kontext Palliativ und Hospiz, Psychodramaleiter. E-Mail: [email protected]

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»Der letzte Augenblick ist den anderen Augenblicken ähnlich und unterscheidet sich doch von ihnen. Der letzte Herzschlag ist ein Herzschlag wie die anderen auch, und ist es doch nicht, da er der letzte ist! Der letzte Seufzer ist ein Seufzer wie die anderen auch, ein ganz gewöhnlicher Seufzer, und wiederum nicht, da er der letzte ist; und im übrigen wird man das letzte Röcheln, so charakteristisch es

auch sein mag, erst im nachhinein   als4 3 ein solches erkennen, wenn man nämlich feststellt, daß kein weiteres mehr folgt. Und entsprechend würde man nicht ehrfürchtig die letzten Worte des Sterbenden sammeln, gleichgültig, wie banal sie sind, wenn man nicht ahnte, daß dies seine letzten sind und diese Belanglosigkeiten unmittelbar der großen ewigen Stille vorausgehen; denn in einem Augenblick wird sich die Stille für immer auf die stummen Lippen des Sterbenden legen, und das Schlußwort selbst schwebt über dem Rand des Abgrunds des Schweigens.« (S. 391) Aus: Vladimir Jankélévitch: Der Tod. Aus dem Französischen von Brigitta Restorff. © Flammarion, Paris. © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2005

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»(Der) Todeskandidat (…) hat mit seinem Tod einen Pakt geschlossen: nicht über das zu sprechen, was alle Welt weiß; so zu tun, als ob nichts sei; er erstickt die Rhetorik im Keim. Ist das beredte Schweigen nicht eine Ehrbezeugung dem Unsäglichen gegenüber?« (S. 82)

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Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –: Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Rand dich denken und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank. Rainer Maria Rilke, Das Stundenbuch, 1899

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Miteinander, nicht nebeneinander Interprofessionelle Kommunikation

Doreen Herinek und Michael Ewers In Deutschland wird aktuell viel darüber diskutiert, wie eine qualitativ hochwertige, sichere und patientenzentrierte Gesundheitsversorgung gewährleistet werden kann – auch bei komplexen Gesundheitsproblemen, in kritischen Krankheitsphasen und am Lebensende. Die Expertise einer einzelnen Berufsgruppe reicht dafür in der Regel nicht aus, vielmehr müssen verschiedene Gesundheits- und Sozialprofessionen ihre Kompetenzen bündeln. Wie selten dieses Miteinander in der Praxis gelingt, ist vielfach nachgewiesen. Oft besteht Unkenntnis über die Aufgaben und Kompetenzen der jeweils anderen Berufsgruppen, beeinträchtigen Vorurteile übereinander die Zusammenarbeit und wird im Versorgungsalltag aneinander vorbeigeredet und nebeneinanderher gearbeitet – so auch in dem folgenden Beispiel: Ergotherapeut: »Entschuldigung, könnte mir jemand helfen, Herrn Maier wieder in sein Bett zurück zu begleiten?« Die Pflegerinnen sitzen gemeinsam im Aufenthaltsraum, beide arbeiten. Zunächst fühlt sich keine angesprochen, dann reagiert eine der beiden doch. Pflegerin: »Wie, wo ist Herr Maier denn?« Ergotherapeut: »Auf der Toilette. Während wir am Üben waren, musste er plötzlich dringend auf Toilette, deswegen haben wir die Strecke gleich in unsere Therapieeinheit mit eingebaut«. Pflegerin: »Dass das für den zu weit ist, hätte ich Ihnen auch gleich sagen können! Ich habe jetzt keine Zeit, das ist jetzt wirklich nicht mein Problem!« (Ewers und Reichel 2017, S. 60).

Diese kurze Gesprächssequenz lässt weder Offenheit für die Aufgaben und Kompetenzen der jeweils anderen Berufsgruppe noch einen wertschätzenden oder respektvollen Umgang miteinander erkennen. Ohne eine gelingende interprofessionelle Kommunikation fällt es den Berufsgruppen ganz offensichtlich schwer, sich abzustimmen und ineinandergreifend zu handeln. Im Endeffekt sind es dann meist die Patienten und ihre An- und Zugehörigen, die aufgrund von Missverständnissen, mangelnder Abstimmung oder auch Kompetenzstreitigkeiten nicht die Versorgung erhalten, die sie eigentlich benötigen. Um dem zu begegnen, wird dem interprofessionellen Lernen und Lehren in jüngster Zeit international vermehrt Aufmerksamkeit zuteil. Mehr voneinander erfahren, miteinander reden und sich besser verstehen, Rollen und Verantwortlichkeiten untereinander klären, Konflikte gemeinsam lösen – all dies sollen Lernende in den Gesundheits- und Sozialprofessionen möglichst frühzeitig lernen und einüben, um es später in der Praxis auch tatsächlich anwenden zu können (WHO 2010). Denn bisher werden die Berufsgruppen meist getrennt voneinander ausgebildet und sozialisiert, weshalb sie oft wenig übereinander wissen. Sie haben verschiedene Werte, Haltungen und Perspektiven entwickelt, nutzen vielfach eine andere Fachsprache und gehen ihre Aufgaben in der Praxis auf unterschiedliche Weise an. Die fehlenden Kenntnisse über die jeweils anderen Berufsgruppen und die unterschiedlichen Kommunikationsstile führen in der Praxis nicht selten zu Missverständnissen, Ärger oder zuweilen auch zu Risiken für die Patientensicherheit (WHO 2010).

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Zahlreiche Initiativen wollen daher auch in Deutschland ein »miteinander, voneinander und übereinander Lernen zwischen zwei oder mehr Gesundheitsprofessionen ermöglichen, um ihre Kooperation und die Qualität der Versorgung zu verbessern« (CAIPE 2002). Einige davon konzentrieren sich auf die interprofessionelle Kommunikation, die gemeinhin als besonders komplex und störanfällig gilt. Dies zeigt sich insbesondere bei Übergaben, Visiten oder anderen Formen des Informationsaustausches über Patienten und

ihre jeweiligen Problemlagen, an denen regelmäßig mehrere Berufsgruppen beteiligt sind. Inzwischen ist bekannt, dass der Einsatz von getesteten Instrumenten sowie ein strukturiertes und reflektiertes Vorgehen zu einer Verbesserung der interprofessionellen Kommunikation beitragen können. Ein Beispiel für solche Instrumente ist das sogenannte SBAR-Konzept. Die Abkürzung steht für Situation, Background (Hintergrundinformationen zum Patienten), Assessment (Bewertung/Befund) und Recommendation (Be-

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M i t e i n a n d e r, n i c h t n e b e n e i n a n d e r    4 7

handlungsempfehlung). Relevante Informationen werden dabei schnell schriftlich und unmissverständlich fixiert und können dann von einer anderen Person ebenso rasch und unmittelbar erfasst werden (von Dossow und Zwißler 2016). Das Instrument kann im Übergabeprozess flexibel eingesetzt werden: Jeder erhält dieselben Informationen und es gibt eine Diskussionsgrundlage für die gemeinsame Entscheidungsfindung (an der dann auch Patienten sowie An- und Zugehörige beteiligt werden können). Daneben benötigen interprofessionelle Teams – wie sie in der Versorgung in kritischen Lebensphasen und am Lebensende üblich sind – auch Raum für Selbstreflexion und Austausch untereinander. Jedes Teammitglied sollte die eigenen Kommunikationsmuster reflektieren und gegebenenfalls anpassen, Konfliktlösungsstrategien erlernen und einen offenen, gleichberechtigten Umgang miteinander einüben. Im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen können zudem interprofessionelle Szenarien und Kommunikationssituationen realitätsnah nachgespielt werden, wobei entweder mit Simulationen oder mit Fallbeispielen gearbeitet werden kann. Die Entwicklung und Einführung interprofessioneller Lehr- und Lernangebote stellt eine Möglichkeit dar, das Miteinander der Berufsgruppen zu verbessern. Oft stehen der kooperativen Praxis aber auch strukturelle Hürden entgegen, die zunächst aus dem Weg geräumt werden müssen.

Welche Herausforderungen sich beim interprofessionellen Lernen, Lehren und Arbeiten ergeben, ist Gegenstand einer Publikation von Ewers, Paradis und Herinek (2019). Darin werden vor dem Hintergrund internationaler Erfahrungen erstmals für die deutschsprachigen Länder Diskurse und Entwicklungen zu diesem Thema aufbereitet, um Impulse für ein besseres Miteinander der Gesundheits- und Sozialberufe zu setzen und anstehende Aufgaben in der klinischen Praxis, der Bildungsarbeit und der Forschung aufzuzeigen.

Doreen Herinek (M.Sc.), Physiothera­ peutin, Bachelor in Gesundheitswissen­ schaften, Master Health Professions Education, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft in Berlin mit Schwerpunkt Interprofessionelles Lehren und Lernen.

Prof. Dr. Michael Ewers ist Direktor des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft in Berlin und Universitätsprofessor für Gesundheits- und Pflegewissenschaft mit den Forschungsschwerpunkten Bewältigung schwerer chronischer Krankheit, ambulante Schwerstkrankenversorgung, Strategien der Fall- und Versorgungssteuerung, edukative Aufgaben der Gesundheitsprofessionen sowie deren Qualifikation und Professionalisierung. E-Mail: [email protected]

Herausforderung Kommunikation

m.schröer

E-Mail: [email protected]

Literatur CAIPE – Centre for the Advancement of ­Interprofessional Education (2002). Interprofessional education: Today, yesterday and tomorrow. Fareham, UK: CAIPE URL: https:// www.caipe.org/download/caipe-2002-interprofessionaleducation-today-yesterday-and-tomorrow-barr-h-pdf/ (letzter Zugriff am 01.02.2018). Dossow, V. von; Zwißler, B. (2016). Empfehlung der DGAI zur strukturierten Patientenübergabe in der peri-operativen Phase – Das SBAR-Konzept. In: AINS – Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie, 51 (02), S. 136–137. Ewers, M.; Paradis, E.; Herinek, D. (2019). Interprofessionelles Lehren, Lernen und Arbeiten. Gesundheits- und Sozialprofessionen auf dem Weg zu kooperativer Praxis. Weinheim. Ewers, M.; Reichel, K. (Hrsg.) (2017). Kooperativ Lehren, Lernen und Arbeiten in den Gesundheitsprofessionen: Das Projekt interTUT Working Paper No. 17–01 der Unit Gesundheitswissenschaften und ihre Didaktik. Berlin. WHO – World Health Organization (2010). Framework for action in interprofessional education & collaborative practice. http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/70185/1/WHO_ HRH_HPN_10.3_eng.pdf (letzter Zugriff am 21.11.2018).

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Belastung und Entlastung Nachbesprechungen auf der Notfallstation

Jaromir Chalabala / Shutterstock.com

Patrik Honegger

Eine Patientin fährt am späten Abend in Begleitung ihres Ehemannes und ihrer beiden Töchter mit einem Taxi bei der Notfallstation vor. Die triagierende Pflegende sieht sofort, dass hier eine akutmedizinische Patienten­ situation vorliegt. Rasch bringt sie die knapp vierzigjährige Patientin zusammen mit ihrer Familie in die Behandlungszone der Notfallstation. Auf dem Weg dorthin verschlechtert sich der Zustand der Patientin rapide, das anwe-

sende Behandlungsteam musste unverzüglich mit wiederbelebenden Maßnahmen beginnen. Während der knapp einstündigen, und wie sich zeigen sollte, leider erfolglosen Reanimation, warteten die Angehörigen im Wartebereich der Notfallstation. Nachdem der Ehemann sowie die beiden Töchter der chronisch kranken Patientin über deren Versterben informiert wurden, attackierte der Ehemann verbal das gesamte Behandlungsteam. Man habe nicht

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rasch genug gehandelt, die Ernsthaftigkeit der Situation sei verkannt worden und durch das inkompetente Tun habe er nun seine Ehefrau und die Mutter seiner Kinder schmerzlich und unvorbereitet verloren. Das Behandlungsteam stellte sich den Vorwürfen und versuchte in einem Gespräch, die Situation für alle Beteiligten zu beruhigen und einen bestmöglichen Abschluss zu finden. Achtsamkeit im Umgang mit belastenden Situationen Auf der Notfallstation stellen solche Situationen für die Mitglieder eines interprofessionellen Behandlungsteams emotional eine große Belastung dar. Sie wirken oft auch nach dem wohlverdienten Dienstende nach und belasten damit die Erholung und die dazugehörige wichtige Freizeit. Immer wieder kreisen Fragen im Kopf, ob man es hätte besser machen können, ob die Vorwürfe zu Teilen berechtigt sind, warum diese junge Ehefrau und Mutter sterben musste oder wie diese Familie fortan weiterleben wird. Das Erlebte kann sich bis hin zum Einschlafen auswirken, wenn das Gesehene bildlich vor dem inneren Auge nicht weicht und das Abschalten nicht gelingen will. Langfristig hat solch nachhaltige Betroffenheit einen negativen Einfluss auf die Arbeitsfreude und die Lebensqualität. In Einzelfällen kann es dazu führen, dass Betroffene das Arbeitsgebiet wechseln, weil die Belastung für sie einfach zu groß geworden ist. Um dem Kreislauf der persönlichen Belastungen nach einem intensiven Tag auf der Notfallstation dienlich und lösungsorientiert entgegenzuwirken, sind zeitnahe und niederschwellig einberufbare Nachbesprechungen, die jedes Teammitglied einfordern kann, wichtig. Die Nachbesprechungen sind für die Teammitglieder ein Rahmen und ein Gefäß, um über das Erlebte sprechen zu können, Gefühle von Schuld oder Angst gegenseitig aufzufangen und Nöte zu verbalisieren, sodass Mitarbeitende nach Möglichkeit kei-

ne oder zumindest wenig belastende Emotionen mit nach Hause nehmen. Ein weiteres Charakteristikum für die Arbeit auf einer Notfallstation ist die tagtägliche Dichte und Komplexität der diversen akuten und subakuten Notfallsituationen. Innerhalb kürzester Zeit kommt es immer wieder zu punktuellen Überbelastungen des gesamten Behandlungsteams. Zeitknappheit sowie der Druck, schnell zu reagieren und zu handeln, zwingen die Mitglieder eines Notfallteams, ihre eigenen Probleme, aber auch Beziehungskonflikte untereinander hintenanzustellen. Das stellt sowohl auf der kommunikativen Ebene wie auch auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen untereinander hohe Anforderungen an jeden Einzelnen. Auch hier spielen Nachbesprechungen eine wichtige Rolle. Durch die Nachbesprechungen erhält jedes Teammitglied, unabhängig von Profession und Hierarchiestufe, die Gelegenheit, Unstimmigkeiten, persönliche Fragen oder Konflikthaftes mit anderen involvierten Teammitgliedern in Ruhe und an der Situation orientiert auszutragen. Nachbesprechungen als Instrument zur Teamentwicklung Zum Kodex der Notfallversorgung gehört, dass das Behandlungsteam die Last der Verantwortung für das Leben anderer trägt. Auch wenn es auf einer Notfallstation nicht immer um »Leben und Tod geht«, hat dies einen unmittelbaren Einfluss auf das persönliche Erleben aller in der Behandlung und Pflege der ihnen anvertrauten Patienten und Angehörigen. Auch wenn keine lebensbedrohliche Situation vorliegt, muss eine qualitativ hochstehende medizinische und patientenzentrierte Erstversorgung und Behandlung gewährleistet sein. Dieses Faktum der Notfallmedizin respektive -pflege erfordert einen starken Zusammenhalt im Team und eine offene Gesprächskultur, um aktiv Lösungsvorschläge zu erarbeiten und sich proaktiv gegenseitig Hilfe anzubieten. Dies bedingt die Fähigkeit und

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die Kultur, sich untereinander auf das Gegenüber einzulassen und sich füreinander Zeit zu nehmen. Mit Nachbesprechungen ist dem Team die Möglichkeit gegeben, sich in einem geschützten Raum Rückmeldung zu geben und konstruktive Kritik einzubringen. Die Entscheidungen können rekapituliert, fachliche wie auch zwischenmenschliche Konflikte können offen angesprochen werden. Unbequemes und Schwieriges aus dem persönlich Erlebten wird direkt mit den Involvierten angesprochen und transparent gemacht. Jede einzelne Person in der Nachbesprechung engagiert sich unabhängig von Eigeninteressen bei den eingebrachten Themen. Dabei ist es unabdingbar, dass der Respekt jederzeit gewahrt und niemand in der Gruppe bloßgestellt wird. Die anwesenden Personen anerkennen die Leistungen der anderen und lernen durch gemeinsame Reflexionsschleifen aus möglichen Fehlern, was auch die Performanz des Behandlungsteams als Ganzes positiv beeinflusst und die Kommunikations- und Begegnungskultur des Notfallteams maßgeblich mitgeprägt. Nachbesprechungen und Organisationskultur Nachbesprechungen sind auch ein Führungsinstrument zur Gestaltung der Organisationskultur. Für das Personal und dessen Wohlbefinden ist es entscheidend, wie im interprofessionellen Alltag, insbesondere in belastenden Situationen, miteinander umgegangen wird. Wer von den Mitarbeitenden gute Kommunikation und Begegnung auf Augenhöhe verlangt, muss auch für ein wertschätzendes und menschenorientiertes Klima sorgen. Kommunikation ist dann gelungen, wenn sowohl Gutes als auch Kritisches direkt untereinander besprochen wird. Solch eine Sorge- und Feedbackkultur fördert nicht nur den Teamgeist, sondern auch die Selbstständigkeit, die Entfaltung und die Mitbestimmung der Mitarbeitenden. Denn hinter Unterschieden in Meinungen und Vorgangsweisen liegen spezifische Erfahrungen der Einzelnen, wodurch voneinander gelernt werden kann. Ver-

antwortung ist dabei nicht an ein Alter gebunden, sondern an die Kompetenz und das werteorientierte Engagement jedes Einzelnen: Mitarbeitende sollen als Mensch und als Fachperson gefragt und gefordert sein. Als Orientierung für das Handeln in einer kommunikations- und beziehungsorientierten Kultur stehen folgende Punkte aus dem Leitbild des Instituts für Notfallmedizin am UniversitätsSpital Zürich: • Wir nehmen uns Zeit für Nachbesprechungen, welche auch die Sorge um das Wohl aller im Behandlungsteam einbeziehen. • Wir thematisieren Konflikte mit den Beteiligten zeitnah und im persönlichen Gespräch. • Wir sprechen Respektlosigkeit sofort an. • Wir schaffen ein kollegiales und positives Leistungsklima, indem wir einander transparent und authentisch begegnen. • Schwieriges adressieren wir direkt, offen, konstruktiv und lösungsorientiert. • Auch unter Druck kommunizieren wir wertschätzend. Wir geben einander Feedback und loben Leistung. • Wir leben die professionsgegebenen Unterschiede und wirken integrativ, indem wir die jeweiligen Perspektiven beachten und schätzen. Das Behandlungsteam, das der jungen Frau das Leben nicht mehr retten konnte, ging nach dem Dienst gemeinsam auf einen Feierabenddrink. Auch das ist eine Form der Nachbesprechung. Patrik Honegger ist Leiter der Pflege und Mitglied der Institutsleitung im Institut für Notfallmedizin am UniversitätsSpital Zürich. Er führt über hundert Mitarbeitende des Pflegedienstes. In seiner Führungsfunktion ist er von folgender Aussage tief geprägt, die fester Bestandteil seines tagtäglichen Tuns ist: »Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen« (Max Frisch, Vorwort zu »Siamo italiani – Die Italiener. Gespräche mit italienischen Arbeitern in der Schweiz« von Alexander J. Seiler, Zürich, 1965). E-Mail: [email protected]

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Der Dolmetscher – Freund oder Feind? Lukas Radbruch Jeder Arzt kennt das. Der ausländische Patient ist vor kurzem auf der Krankenhausstation aufgenommen worden. Er spricht kein Deutsch, aber glücklicherweise ist der ältere Bruder dabei, der gut genug Deutsch spricht und übersetzen kann. Aber irgendwas stimmt nicht. Nachdem ich eine längere Erklärung abgegeben habe, nickt der Bruder mit dem Kopf, wendet sich dann zum Patienten und sagt einen einzigen kurzen Satz. An anderen Stellen ist es umgekehrt. Ich sage nur einen Satz, der Bruder übersetzt, der Patient stellt eine Frage, der Bruder antwortet, und es entsteht ein längeres Gespräch zwischen den beiden, ohne dass ich weiß, was es beinhaltet. Auf Nachfrage erklärte der dolmetschende Bruder, er habe nur kurz dargestellt, wie die stationäre Behandlung hier ablaufen würde. Trotz mehrfacher Mahnungen, nur möglichst wortgetreu zu übersetzen, lassen die Diskrepanzen in der Länge der Antworten doch starke Zweifel entstehen, was genau denn nun der Dolmetscher dem Patienten übersetzt beziehungsweise wie viel er hinzufügt oder weglässt. Empfohlen wird deshalb eigentlich, nicht Familienangehörige als Dolmetscher/-innen zu nutzen, sondern einen auf den medizinischen Bereich spezialisierten professionellen Dolmetscher zu verpflichten. Der Berufsverband der Dolmetscher und Übersetzer bietet auf seiner Webseite (http://suche.bdue.de/) eine Online-Suche, nach Sprachen und Postleitzahlen sortiert. Aber auch bei einem professionellen Dolmetscher ist nicht unbedingt darauf Verlass, dass er sich auf das wortgetreue Übersetzen beschränkt. In meinem Arbeitsfeld der Palliativmedizin geht es oft um die Vermittlung von schlechten Nachrichten, zum Beispiel dass eine Tumorerkrankung weiter fortschreitet und nicht mehr aufgehalten

werden kann oder dass die verbleibende Lebenszeit wahrscheinlich sehr kurz ist. Ich habe schon erlebt, dass eine Dolmetscherin mir ganz spontan sagte, dass sie das nicht übersetzen könnte, weil sie befürchte, dass die Familie des Patienten ihr gegenüber als Übermittlerin der schlechten Nachricht gewalttätig werden könnte. »Das kann man in unserem Kulturkreis so nicht sagen«, war ihre Antwort. In diesem Fall habe ich wenigstens erfahren, wo das Problem lag. Es ist ja nicht nur die Barriere der anderen Sprache, sondern in aller Regel damit verknüpft auch eine andere Kultur, mit anderen Werten und Haltungen. In vielen afrikanischen und asiatischen Kulturen hat die Selbstbestimmung des Patienten einen deutlich geringeren Wert als im westeuropäischen/nordamerikanischen Kulturkreis und die Familienältesten oder andere nahe Angehörige haben deutlich mehr Entscheidungsbefugnisse. Das informierte Einverständnis (informed consent), also die Pflicht zur Aufklärung und gemeinsamen Therapiezielfindung mit dem Patienten oder der Patientin, ist dementsprechend weniger wichtig. Patienten aus diesen Kulturkreisen teilen oft genug diese Einstellungen mit ihren Angehörigen. Sprache ist ja auch viel mehr als nur die Summe der Worte. Zur Sprache gehören auch Sprachbilder und Metaphern. Auch hier gibt es Unterschiede. Ein deutscher Arzt, der in England arbeitet und dann zu einer Hospitation nach Frankreich ging, beschrieb die unterschiedlichen Begriffe für das Sterben in den verschiedenen Sprachen (Taubert 2007) und fand kein sprachliches Äquivalent für »krepieren« in der englischen Sprache (französisch: crever). Im Englischen scheint eher die »stiff upper lip« durch, wenn die große Zahl von eher

Sprache ist viel mehr als nur die Summe der Worte. Zur Sprache gehören auch Sprachbilder und Metaphern.

humorvollen Begriffen wie »pushing up the daisies« oder »kick the bucket« berücksichtigt wird. Beim Übersetzen von emotional belastenden Botschaften kann es deshalb manchmal sinnvoll sein, nicht wortwörtlich, sondern möglichst nahe am Sinn der Nachricht zu übersetzen, mit eben den Sprachbildern, die dem Sinn der Nachricht angemessen sind. Frank Peusquens schreibt in einem Fallbericht aus dem klinischen Ethik­ komitee, dass die Angehörigen der Patientin nicht wollten, dass man von einer Tumorerkrankung des Pankreas spreche, sondern auf dem Begriff »bösartige Zyste« bestanden. Mit diesem anderen Sprachbild lassen sich Dringlichkeit der Behandlung und Prognose genauso vermitteln wie mit dem Begriff der Tumorerkrankung. Als Arzt in der Palliativversorgung brauche ich also einen guten Dolmetscher, der die Informationen korrekt übermittelt, ohne wegzulassen oder auszuschweifen, aber dabei kulturell angemessen übersetzt. Dann ist der Dolmetscher nicht nur der Übersetzungsgehilfe, sondern ein Partner in der Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen. Noch besser ist es, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter im Team die fremde Sprache spricht. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir im Palliativteam Mitarbeiter mit englischen, französischen, spanischen, portugiesischen, russischen, bulgarischen und türkischen Sprachkenntnissen haben, die oft nicht nur die Sprache, sondern auch wertvolle Einblicke in die dahinter liegende Kultur beisteuern können. Auch bei den Mitarbeitern gilt es jedoch kritisch und selbstkritisch zu reflektieren, wieweit sie die Anforderungen an eine gute Übersetzung erfüllen können. Ich sollte nicht automatisch erwarten, dass die arabische Reinigungskraft einen komplizierten medizinischen Sachverhalt richtig übersetzen kann oder eine schlechte Prognose richtig übersetzen will. Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten ist Kommunikation nahezu immer möglich. In Uganda habe ich erlebt, wie sogar ein Gespräch mit Mehrfachübersetzung bei einem neunjähri-

gen Jungen mit Lebertumor geht: Die Ärztin stellte eine Frage in Englisch, die Palliativpflegekraft übersetzte in Luganda, eine der Hauptsprachen im Land, der Bettnachbar übersetzte das dann in seine Sprache, die so viel Ähnlichkeit mit der Sprache des Vaters des Patienten hatte, dass er die Frage verstehen konnte. Die Antwort ging den umgekehrten Weg zurück. Bei mehr als dreißig Sprachen im Land ein durchaus übliches Vorgehen, das außer mir niemanden verwunderte. Mit etwas Zeit ließen sich alle Fragen beantworten und alle notwendigen Informationen vermitteln. Wie aber kann ich jetzt als Arzt mit dem Familienangehörigen umgehen, der anscheinend so gar nicht richtig übersetzt, wie im anfangs zitierten Beispiel? Meiner Erfahrung nach hilft da kein Druck, nun doch endlich korrekt und bitte wortwörtlich zu übersetzen. Auch die Drohung, dass ich sonst einen professionellen Dolmetscher beauftragen muss, der dann als Fremder dazukommt, ist nicht unbedingt hilfreich und stachelt nur den Widerstand der Angehörigen an. Sinnvoller ist es, mit den Angehörigen darüber ins Gespräch zu kommen, was aus ihrer Sicht wichtig ist in der Kommunikation mit dem Patienten, wovor sie in der Kommunikation Angst haben und warum. Dies kann der Ausgangspunkt zu einem gemeinsamen Vorgehen sein, bei dem es nachher weniger wichtig ist, welche und wie viele Worte benutzt werden, sondern dass wir ein gemeinsames Ziel in der Kommunikation mit dem Patienten haben. Dann wird aus dem Gegeneinander wieder ein Miteinander, mit dem Dolmetscher als freundlichem Partner im Team. Prof. Dr. Lukas Radbruch hat den Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Universität Bonn inne und ist Chefarzt des Zentrums für Palliativmedizin, Malteser Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). E-Mail: [email protected] Literatur Taubert, M. (2007). Je ne veux pas crever. In: European Journal of Palliative Care, 14, S. 78–79.

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Die Erzählung, die kein Gedicht ist Nackt und bloß Und Faxen und Fratzen So wurde er geschleudert in die Erzählung Welt, der Dichter. Welche Erzählung hat er, außer daß er keine erzählt Das nackte Spiel mit der Imagination Die nackte Imagination Dieses Spiel. Er kann geschleudert werden Vielmal Und noch im Schleudern geschleudert Bis die Erzählung Welt Von diesem unsinnigen Ringen sich verwandelt in ein Gedicht, Das der Dichter nicht im Sinn hatte. Teheran, 5. Ordibehesht 1384 Deutsche Fassung von Elke Erb entstanden im Rahmen des Übersetzungsworkshops Iran der Literaturwerkstatt Berlin im Dezember 2006

© Djavade Modjabi Audioproduktion: 2006, Literaturwerkstatt Berlin

‫داستاني نه شعر‬ ‫لخت و عور‬ ‫با عور و اطوار‬ ‫اين طور‬ ‫پرتاب شد‬ ‫وسط داستان دنيا‬ .‫شاعر‬ .‫شاعر چه داستاني دارد جز اين كه داستاني نگويد‬ ‫بازي برهنه با تخيل‬ ‫تخيل برهنه‬ .‫اين بازي‬ ‫ميتواند پرتاب شود‬ ‫بارها‬ ‫از پرتابي به پرتاب ديگر‬ ‫تا داستان دنيا‬ ‫از اين كشاكش ياوه‬ ‫شعري شود‬ .‫كه شاعر آن را در خيال خود نداشت‬ ‫ تهران‬۱۳۸۴ ‫ ارديبهشت‬۵

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Herausforderung Kommunikation bei neurologischen Erkrankungen Heinz Lahrmann »The inability to communicate is not a loss of life but a loss of access to life.« (Beukelman und Garrett 1988) Grundlegende Gedanken zu Kommunikation Zwischenmenschliche Kommunikation ist ein Grundbedürfnis des Menschen und eine der Vor­ aussetzungen für gelingende Beziehungen, für zwischenmenschliche Interaktion und Kooperation. Gerade in der Medizin ist Kommunikation zur Erhebung der Anamnese sowie zum Erkennen von Bedürfnissen und Wünschen kranker Menschen von zentraler Bedeutung. Deswegen bedürfen Menschen mit eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten unserer besonderen Aufmerksamkeit, Empathie und Zuwendung, um ihnen in entsprechender Weise helfen zu können sowie uns mit ihnen zu verbinden – im Kontakt zu sein. Das lateinische Wort »communicare« bedeutet ja »mitteilen, vereinigen«. Auch das Erörtern von therapeutischen Entscheidungen mit dem Patienten setzt eine funktionierende Kommunikation voraus. Die Informationen sollen in einer für Patienten und Angehörige verstehbaren Form und mit einem der Situation angepassten Inhalt vermittelt werden. Sind Anzeichen einer Störung der Kommunikation bemerkbar, so sind Ausmaß und Ursachen zu erfassen und soweit möglich zu beheben. Neben der momentanen Befindlichkeit und dem medizinischen Zustand spielen Umgebung, anwesende Personen und auch die Möglichkeiten und Ressourcen des Sprechers eine große Rolle. Diese Herangehensweise kann viel Zeit und Ge-

duld erfordern. Im Weiteren sind in Abhängigkeit von der Situation (akuter Notfall, länger bestehende Problematik, Familie, fremde Personen) alle möglichen Hilfsmittel zur Etablierung einer – zumindest für den aktuellen Zustand und Zweck – ausreichenden Kommunikation heranzuziehen. Dabei helfen entsprechende Kenntnisse und Erfahrungen, Einfühlungsvermögen und manchmal auch Phantasie in der Wahl der passenden Ausdrucksweise und Hilfsmittel. Die Mühen und der Zeitaufwand lohnen sich in jedem Fall, denn eine hochgradig eingeschränkte Kommunikation kann zur Fehlinterpretation oder zum Nichterkennen lebensnotwendiger Bedürfnisse führen, und ein Ausgeschlossensein sowie mangelnde Teilhabe am Leben zur Folge haben. Kommunikation – neurologische Grundlagen Grundlagen der Neurologie und Neuroanatomie können hier nur in aller Kürze skizziert werden, ausführliche Darstellungen finden sich in zahlreichen Lehrbüchern der Neurologie. Eine Darstellung neuropsychologischer Ursachen würde den Rahmen sprengen und kann hier nicht erfolgen. Für eine funktionierende Kommunikation sind Aufnahme (Sehen, Hören, Tasten), zentrale Verarbeitung und Ausgabe (Sprechen, Schreiben, Zeigen) notwendige Voraussetzungen. Kommunikation kann direkt zwischen Personen verbal oder nonverbal (zum Beispiel mit Körpersprache) und auch indirekt (zum Beispiel schriftlich per Brief, durch den Austausch von Bildern etc.) erfolgen. Für eine korrekte Übertragung der gewählten Informationen sind ein ge-

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meinsamer Code (gemeinsame Sprache, Symbole, Bedeutungsinhalte) und das Funktionieren von Sender und Empfänger notwendig (Spracherzeugung, Sprechen, Übermittlung, Aufnahme über Hören und Sehen, Sprachverarbeitung und Verständnis). Störungen können bei allen Stationen der Übertragung und auf allen Ebenen der Informationserzeugung, Kodierung und Verarbeitung auftreten. Sie umfassen verschiedene Bereiche der Medizin (Augen, HNO, Neurologie, Psychiatrie), können aber auch technischer Natur sein (zum Beispiel Telefonstörung, Hörgerät funktioniert nicht). Für die Neurologie sind vor allem die zentral­ nervöse Steuerung und die adäquate Ausgabe mittels peripherem Nervensystem und Muskulatur von Interesse. Die zentrale Verarbeitung umfasst die korrekte Dekodierung und Zuordnung des aufgenommenen Signals, den Vergleich mit vorhandenen Gedächtnisinhalten, die Deutung des Bedeutungsinhalts und dessen emotionale Bewertung. Erst die integrative Verarbeitung der eingegangenen Informationen ermöglicht in wei-

terer Folge eine adäquate Reaktion. Die Artikulation findet beim Sprechen im Bereich von Mund, Rachen und Glottis statt, kann aber auch als Gebärdensprache oder schriftlich erfolgen. Grundvoraussetzung für die lautsprachliche Artikulation ist eine ausreichende Atmung. Fazit: Kommunikation ist – auch wenn wir es ständig (vielfach unbewusst) tun – ein sehr komplexer Vorgang. Kommunikationsstörungen bei neurologischen Erkrankungen Neurologisch bedingte Störungen der Kommunikation können in allen Bereichen entlang des skizzierten Ablaufs auftreten (siehe Tabelle 1). Insbesondere Läsionen in der Sprachregion durch Schlaganfall, Hirntumore, Multiple Sklerose oder neurodegenerative Prozesse führen zu Sprachstörung (Aphasie, griechisch »Sprachlosigkeit«). Bei der sogenannten Wernicke-Aphasie ist das Sprachverständnis und bei der Broca-Aphasie die Sprachproduktion beeinträchtigt. Aufgrund

Tabelle 1: Kommunikationsstörungen bei neurologischen Erkrankungen (eine Auswahl) Erkrankung

Läsionsorte

Kommunikationsstörung

Mögliche Abhilfen

Morbus Parkinson

Substantia nigra, Hirnstamm

Dysarthrie, Demenz

Medikamentöse Einstellung, Logopädie

Alzheimer Demenz

Cortex

Aphasie, Gedächtnis

Bezugspersonen, ruhige und konstante Umgebung

Primär progrediente Aphasie

Sprachzentrum

Aphasie

Logopädie

Frontotemporale Demenz

frontotemporaler Cortex

Verlust der flüssigen Sprache und exekutiver Funktionen

kann mit ALS kombiniert auftreten, siehe dort

Schlaganfall

Sprachzentrum

Aphasie (Wernicke, Broca, gemischt)

Logopädie

Multiple Sklerose

Sprachzentrum, Hirnstamm

Aphasie, Dysarthrie

Logopädie

Amyotrophe Lateralsklerose

Hirnstamm, Motorkortex und Rückenmark

Dysarthrie, Schluck­störung, generalisierte Lähmungen

Logopädie, technische Hilfsmittel

Myasthenia gravis

Nerv-Muskel-Verbindung

Dysarthrie, periphere Lähmungen

Medikamentöse Therapie, Logopädie, Hilfsmittel

Herausforderung Kommunikation

5 6   H e i n z L a h r m a n n

der räumlichen Nähe und der engen neuronalen und funktionellen Verknüpfung treten meistens Mischformen auf. Bei den unterschiedlichen neurodegenerativen Erkrankungen kommen je nach geschädigten Arealen die unterschiedlichen Sprachstörungen vor (zum Beispiel frontotemporale Demenz). Eine andere Form der neurologischen Kommunikationsstörung ist die sogenannte Sprechstörung (Dysarthrie), bei der sowohl die Steuerung als auch die Ausführung der Sprechbewegungen eingeschränkt sind. Diese Störungen treten bei Schäden im Bereich des Hirnstamms (Multiple Sklerose, Schlaganfall, Tumor), Morbus Parkinson, Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Myasthenia gravis und anderen neurologischen Erkrankungen auf und sind durch eine verwaschene, schlecht bis gar nicht verständliche Sprache gekennzeichnet und oft von einer Schluckstörung (Dysphagie) begleitet. Auswirkungen auf Patienten und Angehörige Bei Betroffenen und ihren Angehörigen können Kommunikationsstörungen neben Informationsmangel auch Entfremdung und Vereinsamung hervorrufen, aber auch Ablehnung bis hin zur Aggression auslösen. Dies wird besonders zwischen Patienten und pflegenden Angehörigen wahrgenommen, jedoch auch gegenüber Pflegepersonal und Ärzten kann eine nicht behobene oder nicht behebbare Kommunikationsstörung massive Spannungen erzeugen. Dabei steht oft das vom Patienten als sehr negativ empfundene Gefühl »der andere will mich nicht verstehen, obwohl ich mich doch so bemühe« zwischen ihm und seinen Mitmenschen. Die Angehörigen

führen einen täglichen Kampf, um lebensnotwendige Informationen sicher zu erhalten und die Verbindung zum Patienten nicht zu verlieren (sozialer Rückzug). Und der Patient braucht viel Geduld, um mit dem zunehmenden Verzicht auf spontane Mitteilungen und komplexeren Ausführungen umgehen zu lernen. Hilfsmittel (siehe nächster Abschnitt) sind eben nur Hilfsmittel und können die Spontansprache nicht ersetzen. Eine ALS-Patientin hat dieses Gedicht verfasst und an ihre Zimmertür im Pflegeheim anbringen lassen:

Guten Morgen, liebe Leut’ Wie geht es heut’? Die Hände und die Füße, die haben nicht mehr viel zu tun, daher sie meistens ruh’n. Der Körper ist schwach, doch der Geist ist wach. Der Mund ist stumm, aber ich bin nicht dumm. Die Ohren hören gut, drum weiß ich, was sich alles tut.

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Abbildung 1: Ein ALS-Patient mit Kopfmaus zur Steuerung seines Computers

Abbildung 2: Ein ALS-Patient mit Brain-ComputerInterface (BCI)

Kommunikationshilfsmittel

tienten nicht oder nur für eine sehr begrenzte Zeit möglich. Geduld, Empathie und viel Zeit bleiben somit weiter die wichtigsten Faktoren, um auch bei fortgeschrittener neurologischer Erkrankung eine ausreichende Kommunikation mit dem Patienten – und seinen Angehörigen – zu etablieren.

Im Vordergrund steht das ärztliche Bemühen, die Grunderkrankung, die zur Kommunikationsstörung führt, zu heilen oder wenigstens zu lindern. Bei neurologischen Erkrankungen ist das oft nicht möglich, sodass Logopädie und Hilfsmittelversorgung einen wichtigen Stellenwert haben. Die einfachsten Hilfsmittel umfassen Alphabettafeln und Tafeln mit Symbolen. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an elektronischen Hilfsmitteln: Tablets mit eingeblendetem Alphabet, Wortvorhersageprogrammen und Sprachausgabe; Kopfmaus zur PC-Steuerung (Abbildung 1); Augensteuerung (zum Beispiel Tobii , eine Technologie für die Blickerfassung und Blicksteuerung); bis zum sogenannten Brain-Computer-Interface (Abbildung 2). Die Auswahl muss sich dabei nach den Bedürfnissen des Patienten, nach seinem Umfeld und nach seinen motorischen und intellektuellen Fähigkeiten richten. Insbesondere bei demenziellen Erkrankungen ist die Annahme und Verwendung neuer Techniken für den Pa-

DI Dr. Heinz Lahrmann, Facharzt für Neurologie, Diplom-Ingenieur für Physik der Technischen Universität Wien, Obmann des Vereins »Forum-ALS«, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft »Autonomes Nervensystem« der ÖGN, Beirat der Österreichischen Palliativ­ gesellschaft (OPG). E-Mail: [email protected]

®

Literatur Beukelman, D. R., Garrett, K. L. (1988). Augmentative and alternative communication for adults with acquired severe communication disorders. In: AAC: Augmentative and Alternative Communication, 4(2), S. 104–121. https://doi. org/10.1080/07434618812331274687 Lahrmann, H.; Grisold, W. (2004). Locked-in syndrome. In: Voltz, R.; Bernat, J. L.; Borasio, G. D.; Maddocks, I.; Oliver, D.; Portenoy, R. (Hrsg.), Palliative care in neurology (S. 135–141). Oxford.

Herausforderung Kommunikation

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Begleitung auf vier Pfoten Wenn tierische Präsenz Vertrauen schafft …

Bettina Falzeder

Das Mädchen, das nicht mehr sprechen wollte … Sarah (Name von der Redaktion geändert), zwölf Jahre, wurde vor einigen Wochen auf einer Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen, da sie beschlossen hatte, nicht mehr mit Menschen zu sprechen. Durch ihr

Schweigen war auch dem behandelnden Personal nicht klar, wie es ihr wohl gehe. Allein die Tatsache, dass sie nicht sprach, machte klar, dass Sarah sehr litt und sich immer mehr zurückzog. Jedes Unterstützungsangebot schlug sie aus, auch das Essen verweigerte sie immer öfter. Sarah wurde immer verschlossener und drohte regelrecht zu vereinsamen, obwohl sie von vielen Menschen umgeben war. Ein Versuch, den die behandelnden Ärzte noch unternahmen, war, dass Sarah regelmäßig Besuch eines Hundes bekommen sollte. So wurde also vereinbart, dass einmal wöchentlich Cheally, eine Border-Collie-Hündin, Sarah besuchen durfte. Für diese Besuche gab es keine konkrete Zielformulierung oder gar einen Behandlungsplan, lediglich der Kontakt zwischen dem

Bettina Falzeder

»Der Hund ist der sechste Sinn des Menschen«, meinte dereinst der in Wien lebende dänische Dichter und Lyriker Christian Friedrich Hebbel. Tatsächlich erscheint es uns manchmal so, als ob Tiere eine fast angeborene, ihnen innewohnende Begabung haben, die es ihnen ermöglicht, in uns Menschen einen Zustand der Geborgenheit und des Vertrauens zu erwecken.

B e g l e i t u n g a u f v i e r P f o t e n    5 9

denn sei und was sie gern fresse. Auch, ob sie denn Tricks könne, wollte das Mädchen wissen. Die nächsten Wochen standen also ganz im Zeichen, solche Kunststücke wie »gib Pfote«, »einparken« oder »verbeugen« zu üben. Da Sarah für die gemeinsame Beschäftigung auch Leckerlis für Cheally brauchen würde, war klar, dass sie auch mit dem Krankenhauspersonal Kontakt aufnehmen möchte, damit dieses ihr welches besorgt. Und ganz plötzlich begann ein verstummtes Mädchen wieder zu sprechen – bloß durch die Anwesenheit eines Tieres, das keine Absicht hatte, irgendetwas erreichen zu wollen oder zu müssen. Die Mensch-Tier-Kommunikation Die Kommunikation zwischen einem Menschen und jedweder Art von Tier hat einen, allerdings nur auf den ersten Blick, offensichtlichen Nachteil: Tiere haben keine Sprache mit einer derart komplexen logischen Syntax, wie diese Menschen möglich ist. Dementsprechend ist es auch schwierig, Hypothesen über tierische Kommunikation aufzustellen, weil die Rückkoppelung durch das Tier immer auf Basis einer Interpretation durch die Menschen passiert. Und trotzdem hat es Sinn, Erkenntnisse der Kommunikationstheorien aus der Humanwissenschaft im Zuge der Mensch-Tier-Interaktion genauer zu betrachten. Paul Watzlawick unterscheidet in seinen fünf Axiomen der Kommunikation unter anderem auch zwischen einer digitalen und einer analogen Sprache. Die digitale Sprache entspricht jener, die wir gewohnt sind zu sprechen, in der Begriffe (wie zum Beispiel »Tisch«, »Lampenschirm«, …) abstrakt semantisch erfasst und dem Gegenüber mitgeteilt werden können. Die analoge Sprache ist jene, die einem Austausch auf Bettina Falzeder

Tier und dem jungen Mädchen sollte ermöglicht werden. Anfangs noch zurückhaltend und skeptisch begann Sarah immer mehr, Kontakt mit ­Cheally aufzunehmen. Selbstverständlich sprach sie auch hier nicht, und dennoch passierte – nonverbale – Kommunikation. Sie streichelte ganz vorsichtig die Hündin am Rücken und näherte sich ihr äußerst zaghaft. Irgendwann rutschte sie – am Boden sitzend – ganz nah an Cheally heran und umarmte sie. Dabei legte sie ihren Kopf in den Nacken des Hundes und schloss ihre Augen. Ganze drei Minuten lang umarmten sich die beiden. Sarah sprach dabei die ganze Zeit über kein einziges Wort. Nach einigen Wochen begann Sarah dann, Cheally ins Ohr zu flüstern. Die Hündin wurde dadurch so etwas wie eine Vertraute, der Sarah ihre Sorgen und Wünsche anvertrauen konnte – ohne Gefahr laufen zu müssen, dass ihre neue Freundin etwas ausplaudern würde. Irgendwann kam dann der Moment, wo Sarah ihren ganzen Mut zusammen fasste und die zweibeinige Begleiterin von Cheally ansprach: Sie wollte wissen, wie alt die Hündin

Herausforderung Kommunikation

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emotionaler Ebene entspricht und dementsprechend in der weiten Welt der Mimik und Gestik zu Hause ist. Tiere haben (vermutlich – genau wissen wir das natürlich nie) keine digitale Sprache. Und dennoch passiert auch zwischen zwei Tieren ständig ein Austausch, weil es laut Watzlawicks erstem Axiom ja unmöglich ist, nicht zu kommunizieren. Das wiederum bedeutet, dass Tiere zwangsläufig viel geübter im »Sprechen der analogen Sprache« sein müssen, als wir Menschen es sind. Dementsprechend gelingt es Tieren leicht, sich emotional auf das menschliche Gegenüber »einzuschwingen«, weil es ihrer analogen Sprachkultur sehr gut entspricht. Dieser vermeintliche Nachteil, den Tiere haben, weil sie die digitale Sprache nicht beherrschen, ist allerdings im psychosozialen Setting ein unbedingter Vorteil, weil eben auch Klienten und Klientinnen ganz ohne Zwang dazu bewegt werden, eine eher emotionalere Sprache zu sprechen, wenn sie mit einem Tier Kontakt aufnehmen wollen. Die Mensch-Tier-Begegnung Eine ebenfalls ganz bedeutsame Rahmenbedingung einer förderlichen Beziehungserfahrung ist die Art und Weise, wie einander begegnet wird. Die humanistische Psychotherapie hat in den letzten gut sechzig Jahren sehr viele empirische Untersuchungen durchgeführt, die den Gründen für ebensolche als förderlich wahrgenommene Begegnungen zwischen medizinischem Personal und dem Klienten nachgehen. Wenig überraschend ist bei sehr vielen Studien die sogenannte »bedingungslose Wertschätzung« für die Gesundung der Patienten wichtig gewesen. Diese Begegnungsform beschreibt eine Haltung, die nicht bewertet und sich bemüht, dem Anderen in einer Offenheit gegenüber zu treten. Tiere bringen diese Eigenschaft ganz automatisch mit, weil sie weder an Status oder Macht noch an etwaigen diagnostischen Zuschreibungen interessiert sind. Durch diese Form des Kontakts auf Augenhöhe entsteht ein Gefühl der Vertrautheit und des

Angenommenwerdens als ganze Person, wie man ist – und nicht als Krankheit oder (vermeintlich) schlechte Eigenschaft. Sie reagieren nicht auf Äußerlichkeiten, haben keine Vorurteile, sondern sie gehen auf Körpersprache, auf Verhalten, auf Emotionalität des Gegenübers ein. Voraussetzungen für einen gelungenen Einsatz in der tiergestützten Intervention Um einen Einsatz so zu gestalten, dass alle teilnehmenden Lebewesen profitieren können, sind einige Voraussetzungen notwendig. So ist es für den Hund wichtig, dass er körperlich gesund ist und auf die Besuche optimal vorbereitet ist. Dazu ist eine entsprechende Ausbildung unbedingt zu empfehlen, in der das Mensch-Hund-Team Schritt für Schritt an die entsprechenden Themen, wie zum Beispiel den Umgang mit Gehbehelfen oder mit ungewöhnlichen Geräuschen und vieles mehr, theoretisch wie auch praktisch herangeführt wird. Vor allem aber muss der Mensch lernen, den Hund richtig zu lesen und dessen Bedürfnisse zu erkennen. So können Besuche so gestaltet werden, dass der Hund möglichst wenig belastet wird. Dabei sollte auch gut überlegt sein, dass der Hund nicht dauerhaft in den Einsatz genommen werden kann, so dass es die Möglichkeit geben muss, dass der Hund Rückzugsräume hat oder aber nach dem Einsatz nach Hause gebracht werden kann. Bettina Falzeder, Soziologin und Sozialarbeiterin, arbeitet seit 2005 im tiergestützten Setting hauptsächlich mit Hunden, Schildkröten und Schnecken, und bildet seit 2006 Mensch-Hund-Einsatzteams im Rahmen des Vereins »Humanis et Canis« aus. E-Mail: [email protected] Literatur Greiffenhagen, S.; Buck-Werner, O. N. (2007). Tiere als Therapie. Neue Wege in Erziehung und Heilung. Mürlenbach. Olbrich, E.; Otterstedt, C. (2003). Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart.

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Focusing in helfenden Gesprächen Innere Achtsamkeit anregen und begleiten

Martin Franken Jedes Thema und jedes Problem, das uns beschäftigt, alles, was Leiden erzeugt oder leidvoll ist, kann eine heilsame Veränderung dadurch erfahren, dass wir es bewusst und wohlwollend in unserem inneren Raum aufsuchen, es dort achtsam wahrnehmen, es fühlen und erkunden. Das ist die Grundidee von Focusing. Gendlin hat diese Grundidee zu einer Methode ausgearbeitet, die jeder allein für sich zur Lösung von Problemen benutzen kann, die aber ebenso im partnerschaftlichen Begleiten, in Beratung und Therapie Anwendung finden kann. Im Folgenden stelle ich im Aufriss ein Konzept vor, wie Focusing für helfende Gespräche und in Beratungssituationen Anwendung finden kann. Dabei werde ich nicht die einzelnen Schritte, die üblicherweise bei einem Focusing-Prozess durchlaufen werden, explizit zur Darstellung bringen, vielmehr beschränke ich mich auf die Beschreibung solcher Momente von innerer Achtsamkeit, die auch während eines Gesprächs angeregt werden und Raum bekommen können. 1. Implizites Ins-Innere-Gehen Noch sehr nah an der Alltagskommunikation sind einfache Fragen wie: »Was geht Ihnen gerade durch den Kopf?« Vor allem Fragen, die das Fühlen ansprechen, sind bedeutsam und führen ins Innere: »Was fühlen Sie gerade dabei?« »Wenn Sie das so erzählen, wie geht es Ihnen dabei?« »Wenn Sie daran denken, was für ein Gefühl gehört dazu?« Um zu bemerken, welches Gefühl gerade da ist, muss ich mich selbst wahrnehmen. Dabei geht der Andere also, ohne dass ich ihn ausdrücklich dazu anleite, gleichsam

nebenbei in sein Inneres. Wenn der Andere dann auf die Frage nach einem Gefühl schnell oder ausweichend antwortet, dann kann es sein, dass er keinen guten Zugang zu seinen Gefühlen hat oder sie nicht ausdrücken möchte. Das kann eine Schutzreaktion sein und ist sofort zu respektieren, indem der Gesprächsfaden wieder aufgegriffen wird. Man kann es dann später noch einmal versuchen. 2. Explizites Ins-Innere-Gehen Das Gleiche kann man auch bewusst und ausdrücklich tun, indem man genau anspricht, was angeregt werden soll: »Manchmal ist es gut, wenn man sich ein bisschen Zeit lässt und einfach mal den Blick nach innen richtet. Man kann dann in Ruhe nachsehen, was einen gerade beschäftigt und was man gerade fühlt. Vielleicht probieren Sie das mal aus!« Oder: »Vielleicht wäre es gut, wenn Sie sich einfach mal ein bisschen Zeit lassen und den Blick nach innen lenken, um nachzuschauen, was Sie gerade beschäftigt und was Sie gerade fühlen.« Oder: »Vielleicht haben Sie mal Lust, nach innen zu schauen, um in aller Ruhe nachzusehen, was gerade wichtig ist und wie es Ihnen gerade geht.« Die Sprache des Begleiters oder der Begleiterin sollte dabei möglichst nah am eigenen Sprechmodus sein und nicht künstlich oder gar technisch klingen. Dennoch wirkt dieses Sprechen immer ein bisschen fremd, was nur daran liegt, dass es nicht unserer Alltagskommunikation entspricht.

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3. Erkunden: Fragen stellen Was immer wir im Inneren vorfinden, Gedanken, Sorgen, Probleme, Wünsche, vor allem aber belastende Gefühle: Wir können dies weiter erkunden. Erkunden erzeugt mehr Bewusstheit und mehr Verstehen, und das führt zu mehr Freiheit und zu mehr Präsenz. Es können auch neue Einsichten dazukommen, Unklares kann sich klären. Wir können uns dem, was wir genauer kennen, besser gegenüberstellen und eine hilfreiche Haltung dazu finden. Und oft verliert sich dadurch auch dieses unheimliche und schwer fassbare Gefühl, dass etwas nicht stimmt, nicht in Ordnung ist, dass etwas wie eine dunkle Wolke unser ständiger Begleiter ist und wir dem nichts entgegenzusetzen haben. Der Begleiter kann das Erkunden durch seine Fragen anregen und unterstützen: »Was ist es eigentlich?« »Worum geht es dabei letztlich?« »Worum geht es vor allem?« »Was macht es so leidvoll?« »Ist da noch etwas, das dazugehört?« »Was ist das Schlimmste daran?« Die hier vorgestellten drei Weisen von innerer Achtsamkeit können in vielen helfenden Gesprächen auf eine unangestrengte und mühelose Weise angeregt werden. Ich stelle im Folgenden drei weitere Weisen der inneren Achtsamkeit vor, die vom Anderen ein wenig mehr verlangen im Hinblick auf die Fähigkeit, achtsam im eigenen Innenraum verweilen zu können.

wollen dabei auch einen Raum aufsuchen, in dem das geborgen ist, das noch scheu und verletzlich ist, vielleicht auch zu vage und unklar ist, als dass es schon Worte hat. Dieser Raum ohne Worte ist uns unvertraut und deshalb neigen wir dazu, diesen Raum schnell zu verlassen. Dabei würden wir aber gerade das übergehen, das uns näher zu uns selbst, näher zur Wahrheit unseres Seins bringen kann und das uns neue Türen öffnen kann. Wenn wir spüren, dass der Andere dazu bereit sein könnte, dann können wir mit ein paar Worten versuchen, ihn in diesen Raum zu führen: »Sie könnten auch einfach mal entspannt in Ihrem Inneren verweilen und nur warten, ob da etwas von selbst aufsteigt, etwas, das zu sehen oder zu hören ist, oder ein Gefühl, ein Gedanke, und es braucht gar keine Worte dafür. Wenn Worte von selbst kommen, dann ist das natürlich gut. Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit dafür! Und seien Sie freundlich mit sich selbst dabei!« Oder: »Vielleicht bleiben Sie mal für ein paar Augenblicke mit Ihrer Aufmerksamkeit in Ihrem Inneren, ohne etwas zu suchen, ohne Fragen zu stellen. Einfach nur da sein. Und warten Sie, ob etwas von selbst zu Ihnen kommt. Und wenn das nicht der Fall ist, dann ist es auch gut.« Man kann auch hinzufügen: »Das kann eine sehr entspannte Erfahrung sein, denn Sie brauchen nichts zu suchen, nichts zu finden. Sie leisten sich selbst einfach ein bisschen Gesellschaft.« 5. Fühlen: zur Ruhe kommen

4. Erkunden: Warten Wir können Einsichten auch dadurch gewinnen oder unser Erleben auch dadurch weiter öffnen, dass wir nicht nach etwas Bestimmtem suchen oder bestimmte Fragen stellen, sondern einfach mit dem Blick nach innen gerichtet warten, warten auf etwas, das sich von sich aus zeigen möchte, das von sich aus gefühlt werden möchte. Wir

Der Umgang mit leidvollen Gefühlen ist meist dadurch geprägt, dass wir mit ihnen im Widerstand sind, dass wir gegen sie kämpfen. Dieses verzweifelte und aussichtslose Bemühen verstrickt uns immer tiefer in das Leiden. Oder wir versuchen, unangenehme Gefühle zu verdrängen, sie beiseitezuschieben, uns abzulenken. Aber auch das hilft wenig, denn sie bleiben ja da, wenn auch

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Fo c u s i n g i n h e l f e n d e n G e s p r ä c h e n    6 3

weniger bewusst, und sie stören immer wieder den freien Fluss des Erlebens. Ein konstruktiver und natürlicher Umgang mit Gefühlen ist der, sie einfach zu fühlen, weil sie gefühlt werden wollen. Wenn ich die Gefühle zulasse, ihnen den Raum gebe, den sie von sich aus haben möchten, werden sie dadurch »ausgefühlt«. Die Gefühle beruhigen sich dann auf ganz natürliche Weise. Wir können zum ausdrücklichen Fühlen einladen: »Es wird dem Schmerz (der Angst, der Trauer …) sicher gut tun, wenn er einmal ganz da sein darf. Bleiben Sie einfach mal bei diesem Schmerz und fühlen Sie ihn so, wie Ihnen das jetzt möglich ist! Nicht mehr und nicht weniger. Und lassen sie alle Gefühle zu, die da jetzt von selbst kommen! Und wenn Sie wollen, dann bleiben Sie dabei, bis es wieder ruhiger in Ihnen wird!«

»Was nehmen Sie gerade wahr?« »Ist noch etwas dazugekommen?« »Ist etwas Neues aufgetaucht?« 7. Das Wichtigste: Ich bin da, wo du bist Wenn Gefühle zum Thema werden, dann sollte immer klar sein, dass viele Menschen ihre Gefühle nicht fühlen wollen, keinen Zugang zu ihnen haben, sie nicht gut spüren können oder nicht ausdrücken wollen. Das ist unter allen Umständen zu respektieren, weil sonst auch immer ein Teil von Beziehung verloren geht, und das macht alles schlechter und schwieriger. Das Wichtigste ist und bleibt die einfache und aufrichtige Begegnung von Mensch zu Mensch, die für sich schon heilsam und wohltuend ist. Deshalb lautet mein Grundsatz in der Begegnung mit leidenden Menschen: Ich bin da, wo du bist.

6. Fühlen: tiefer kommen Wenn wir bei einem Gefühl verweilen und es ruhiger geworden ist, dann kann es geschehen, dass etwas aufsteigt, das darunter liegt, das von diesem Gefühl verdeckt wurde oder nicht erlaubt war. Das kann ein anderes Gefühl, aber auch ein Gedanke oder ein Wunsch sein. Was auch immer unter diesem Gefühl liegt, es ist etwas, das von sich aus da sein möchte und zum Vorschein kommt, wenn Platz und Erlaubnis dafür da sind. So kann sich unter der Wut die Trauer zeigen oder umgekehrt unter der Trauer die Wut, weil sie verboten war. Unter dem Gefühl des Ungenügens kann sich Angst zeigen, unter der Angst zu versagen vielleicht eine ganz andere Angst, etwa die Angst vor dem Tod. Es kann auch endlich eine ungestillte Sehnsucht auftauchen und klarer werden oder der Wunsch, sich von etwas zu trennen. Nach diesen darunter liegenden Gefühlen, Gedanken und Wünschen brauchen wir eigentlich nicht zu fragen, denn sie steigen von selbst auf, wenn ein Raum dafür da ist. Dennoch können ganz offene Fragen gestellt werden, damit solche neu auftauchenden Phänomene nicht übergangen werden: »Was ist gerade da?« »Was bemerken Sie jetzt?«

Dr. Martin Franken ist Philosoph, Focusing-Therapeut (DAF), Lebensberater und ehrenamtlich als Sterbebegleiter in einer Hospizgemeinschaft tätig. E-Mail: [email protected] Literatur Franken, M. (2005). Sätze und Fragen für die Begleitung beim Partnerschaftlichen Focusing (I). In: FocusingJournal Nr. 15, S. 24–29. Franken, M. (2006). Sätze und Fragen für die Begleitung beim Partnerschaftlichen Focusing (II). In: FocusingJournal Nr. 16, S. 20–23. Franken, M. (2006). Sätze und Fragen für die Begleitung beim Partnerschaftlichen Focusing (III). In: FocusingJournal Nr. 17, S. 8–13. Franken, M. (2016). Hilflosigkeit zu einem guten Ort machen. In: FocusingJournal Nr. 36, S. 15–17. Franken, M. (2017). Geborgen wie ein Kind – gelassen wie ein Weiser. Wege zu einem friedvollen Sterben, Teil 1. In: FocusingJournal Nr. 38, S. 4–8. Franken, M. (2017). Geborgen wie ein Kind – gelassen wie ein Weiser. Wege zu einem friedvollen Sterben, Teil 2. In: FocusingJournal Nr. 39, S. 17–18 und S. 28–33. Gendlin, E. T. (1981/2008). Focusing. Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme. Reinbek. Gendlin, E. T.; Wiltschko, J. (1999). Focusing in der Praxis. Eine schulenübergreifende Methode für Psychotherapie und Alltag. Stuttgart. Meyer, C. (2016). Ein Kurs im wahren Loslassen. Durch das Tor des Fühlens zur inneren Freiheit. München. Renn, K. (2016). Magische Momente der Veränderung. Was Focusing bewirken kann. Eine Einführung. München.

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Kommunikation mit sterbenskranken und sterbenden Menschen H. Christof Müller-Busch Die Diagnose des fortgeschrittenen Brustkrebses hatte bei Frau K. zum Verstummen geführt. Seit Monaten hatte sie kein Wort mehr geredet und lächelte hilflos – mit allem einverstanden – auch die ihr besonders nahestehenden Menschen an. »Es« hatte ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen. Die sachlichen Informationen, die ich ihr gab, nahm sie mit der gleichen Stummheit und Gelassenheit entgegen, mit der sie auch an-

In diesem Märchen ist die wiederkehrende Todeskonfrontation, aber auch das Stummsein von großer Bedeutung: Nach der Ankündigung des Königs, dass seine zwölf Buben sterben sollen, wenn das dreizehnte Kind ein Mädchen wird, damit es sein Königreich allein erbt, versteckten sich diese im Wald. Erst nach zehn Jahren erfuhr das Mädchen von der Königin über die Existenz ihrer Brüder und dem Plan des Vaters, wenn das dreizehnte Kind eine Tochter sei. Die Königin zeigte dem Töchterchen zwölf Särge mit Hobelspänen und Totenkissen, die schon für ihre Brüder vorbereitet waren. Die Schwester fühlte sich am vermeintlichen Tod der Brüder zutiefst schuldig und ging in den großen Wald hinein. Dort fand sie ihren jüngsten Bruder Benjamin, der sie jedoch liebevoll warnte, dass die zwölf Brüder eigentlich verabredet hatten, jedes Mädchen, das ihnen begegnete, aus Rache zu töten. Doch Benjamin überzeugte seine elf Brüder, das erste Mädchen, das sie

dere Menschen in den letzten Wochen erlebt hatten. Schließlich fragte ich sie – verlegen und unsicher darüber, ob sie mich auch verstanden habe – ob sie »Die zwölf Brüder« der Brüder Grimm kenne, ein Märchen, in dem das »stumme Verstehen« für die Schwester die einzige Möglichkeit der Rettung der in Raben verzauberten Brüder geworden ist. »Ja, danke«, flüsterte sie ein wenig erstaunt und doch auch erleichtert.

treffen, nicht zu töten, und erzählte, wer ihm begegnet sei. Nun lebten die zwölf Brüder und ihre Schwester zufrieden und in großer Einigkeit zusammen im Wald, bis das Mädchen zwölf weiße Lilienblumen abbrach, um ihren Brüdern eine Freude zu machen. Angeblich wurden ihre Brüder in Raben verwandelt und flogen weg. So war das Mädchen allein im wilden Wald, voller Traurigkeit und Schuld­ gefühlen. Da stand eine alte Frau neben ihr und erklärte ihr die Geschichte mit den Blumen, die zu der Verwandlung in zwölf Raben geführt hatte. Nur wenn sie sieben Jahre stumm bleiben würde, nicht lacht und spricht, könne sie ihre Brüder befreien. Schon ein einziges Wort wäre das Todesurteil für ihre in Raben verwandelten Brüder. Als das stumme Mädchen auf einer Jagd von einem andern König entdeckt wurde, fragte dieser sie, ob sie seine Frau werden wolle. Die Schweigende nickte ohne ein Wort zu sprechen. Mit großer Pracht wurde die Hochzeit gefeiert, aber

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Anne Anderson, The Twelve Brothers / Private Collection / © Look and Learn / Bridgeman Images

die Braut sprach und lachte nicht. Schließlich wurde das Mädchen von der Mutter des Königs immer mehr verleumdet, bis der König sich überreden ließ, seine stumme Frau zum Tode zu verurteilen. Doch als die Flammen an ihren Kleidern mit roten Zungen emporloderten, kamen zwölf Raben herangeflogen, die sich in ihre zwölf Brüder verwandelten, die die Flammen löschten, da genau zu dieser Zeit die sieben Jahre vergangen waren. Nun erzählte das Mädchen dem König, warum es nie gesprochen und gelacht habe. Der König freute sich, als er hörte, dass sie unschuldig war, und sie lebten nun alle zusammen in Einigkeit bis zu ihrem Tod. Die böse Stiefmutter wurde verurteilt und starb eines bösen Todes.

Spezielle Herausforderungen für die Kommunikation in der letzten Lebensphase Auch wenn es für die Kommunikation mit sterbenskranken Menschen keine Sonderregeln der Gesprächsführung gibt, ergeben sich doch spezielle Herausforderungen, die die Kommunikation in der letzten Lebensphase beeinflussen und prägen. Um in der Begegnung mit Sterbenskranken und im Umgang mit Krankheits- und Sterbesituationen die richtigen Worte zu finden, ist es wichtig, zunächst die Beziehungsebene im Blick zu haben und weniger die Inhalte von Information. Die Erwartungen des sterbenden Patienten an den Arzt und umgekehrt die des Arztes an den sterbenden Patienten unterscheiden sich. Zunächst bestimmen problemorientierte Erwartungen die Beziehung. Dazu zählen die Informationen zu Prognose und Verlauf sowie eine optimale Behandlung eines Befundes beziehungsweise einer Wirklichkeit, die eine kommunikative und fachliche Herausforderung darstellt. Ärztliches Wissen bildet sich immer nur aus Erfahrung bei anderen Patienten und statistischer Wahrschein-

lichkeit und ist im Einzelfall immer mit einer prognostischen Unsicherheit verbunden. Einer der Pioniere der modernen medizinischen Anthropologie, der Hannoveraner Arzt Fritz Hartmann, wies zu Recht darauf hin, dass für eine gelingende Beziehung am Lebensende zunächst eine menschenkundliche Orientierung benötigt wird und der Arzt, durch Erfahrung und Wissen zwar ein »Totenkundiger« und »Sterbekundiger«, aber nie ein »Todeskundiger« sein kann (Hartmann 1984). Wissen und Können im Umgang mit dem Thema Sterben benötigt deswegen zunächst ein »Verstehen des Menschen, der im Sterben liegt«.

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Tom Levold

Kommunikation mit sterbenskranken Menschen bedarf einer guten Vorbereitung (Walling et al. 2008). Der Arzt, der durch seine Fach- und Sachkompetenz in der Regel ja einen erheblichen Wissens- und Erfahrungsvorsprung bei der Prognose und dem Verlauf einer Erkrankung hat, sollte sich vor einem »schwierigen« Gespräch ein Bild des von der Krankheit betroffenen Menschen machen und vor allem eine Ebene der Beziehung suchen, durch die Verstehen des Anderen und Vertrauen möglich werden. Die Sprachlosigkeit des Betroffenen ist nicht selten, sie ist häufig auch durch frühere Erfahrungen, Informationen und durch die affektive Auseinandersetzung mit der fortschreitenden Erkrankung geprägt. Entweder fehlen Ausdrucksmöglichkeiten, um Fragen zu stellen, so dass sachliche Informationen in ihrer emotionalen Bedeutung nicht ankommen, oder Emotionen und affektive Reaktionen verhindern die Aufnahme der eigentlich gewünschten Information beziehungsweise Beratung (Müller-Busch 2012).

Kommunikation mit Sterbenskranken ist mehr als Informationsvermittlung und Miteinanderreden Es ist ein besonderes therapeutisches Bündnis, in dem sich Menschen wie sonst nirgends im Vertrauen auf Ungewisses zusammenfinden. Was bedeutet eigentlich Sterben für die anderen, für die Gesellschaft, und umgekehrt, wie geht eine Gesellschaft mit ihren Sterbenden um? Häufig »krankt« die Kommunikation über Fragen zum Lebensende schon daran, dass die Beteiligten (oder eine Seite) dieses Thema nicht ansprechen können oder wollen. Das Thema »Lebensende« ist ein Raum der Sprachlosigkeit. Gespräche über Sterben und Tod als »verborgenes« Thema berühren immer auch die Frage nach den Werten in der eigenen Lebensperspektive. Da es hierzu keine sicheren Antworten gibt, fehlen uns oft die Worte. Die Fähigkeit oder Unfähigkeit, über Krankheit, Behandlung, Leben und Sterben zu kommunizie-

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ren, macht nicht selten den Unterschied aus zwischen einem Leben in Angst und Verzweiflung und einem Leben mit Hoffnung und Mut. Die Art, mit der todbringenden Erkrankung umzugehen, und die Auseinandersetzung mit Lebenssinn vollziehen sich sehr stark in der Beziehung zu wichtigen Bezugspersonen. So wissen wir, dass die Art der Verarbeitung von Informationen zu lebensbedrohlichen Erkrankungen die Lebensqualität und auch die Überlebenszeit wesentlich beeinflusst. Deswegen haben die Qualität der Kommunikation, die angemessene Information und die empathische Beziehung von Ärztinnen und Ärzten zu Betroffenen und Angehörigen nicht nur eine große Bedeutung für den Verlauf, sondern auch für die Art des Sterbens. Der kommunikative Dialog wird natürlich durch die Fähigkeiten und Haltungen, mit diesen Ebenen umzugehen, bestimmt. Im Idealbild der Kommunikation bedeutet dies, durch verbale Äußerungen und nonverbale Botschaften in einer Atmosphäre des Respekts mit den eigenen Intentionen, Wertvorstellungen, Haltungen dem Anderen mit seinen Intentionen, Wertvorstellungen, Haltungen und Fähigkeiten so zu begegnen, dass gegenseitiges Verstehen Vertrauen schafft, um Orientierung und Begleitung zu ermöglichen. Verstehen bedeutet immer nur Annäherung an die Wirklichkeit des Anderen und ist wie jedes Urteil auch mit der Möglichkeit des Irrtums verknüpft. Unsicherheit besteht häufig darüber, wie viel an Befunden, schlechter Prognose und begrenzten Therapiemöglichkeiten einem Patienten und seinen Angehörigen gesagt werden muss (Fallowfield und Jenkins 2004). Wichtiger als die umfassende Information ist die Art und Weise, wie sie vermittelt und verstanden wird. Nicht alles, was bekannt ist, muss gesagt werden, aber alles, was gesagt wird, muss wahr sein. Der Patient sollte allerdings nicht mit dem Gefühl zurückgelassen werden, dass ihm etwas vorenthalten wurde. Aufgabe des »Kümmerers« ist es, darauf zu achten, dass Betroffene mit schmerzlichen Informationen, mit ihrem Kummer, nicht allein dastehen,

sondern für den Weg in die Zukunft auch Begleitung und Unterstützung finden können. Reorientierung und Hoffnung fördern Kommunikation mit sterbenskranken Menschen und Sterbenden bedeutet nicht nur mit Sensibilität und einfühlsamem Verstehen existenzielle Fragen aufzunehmen und Informationen zu geben beziehungsweise gute Antworten zu wissen, sondern im subjektiven Miterleben sich dem Verstehen des Anderen so weit anzunähern, dass die Begleitung des Sterbens nicht nur als Aufgabe der Fürsorge für den Sterbenden, sondern auch als Möglichkeit der eigenen Sinnbestimmung angesehen wird. Von besonderer Bedeutung im Gespräch mit Sterbenskranken ist es, darauf zu achten, trotz »schlechter Nachrichten« Hoffnung zu fördern. Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich in einer therapeutischen Beziehung auf veränderte Perspektiven einzulassen, zur – trotz begrenzter Zeitperspektive – Reorientierung zu ermutigen und dem kranken Menschen das Gefühl von Identität, Wert und Sinnhaftigkeit zu geben. Hoffnung ist eine Grundvoraussetzung therapeutischen Handels und sollte in seinen unterschiedlichen Dimensionen in einer auf Partnerschaft, Vertrauen und gemeinsamer Verantwortung begründeten therapeutischen Beziehung berücksichtigt werden. Allerdings geht es nicht darum, angesichts einer »infausten Prognose« durch fundamentale oder transzendentale Hoffnung, eventuell auch Glaube, die Gewissheit einer irgendwie gearteten Zukunft tröstend zu vermitteln, sondern es geht darum, durch die Einbeziehung von Hoffnungsaspekten und Zielbestimmungen die Lebensqualität dieser letzten Phase einer begrenzten irdischen Zeit würdig und besser zu gestalten. Dem Sterben Raum geben Im Angesicht des Todes ist die Sprache oft eine andere als die der mitten im Leben Stehenden.

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Nach allem, was wir über Sterbesituationen wissen, scheint die akustische Aufnahmefähigkeit am längsten erhalten zu bleiben, während andere Sinneswahrnehmungen schon nicht mehr vorhanden sind. Auch wenn die verbalen Ausdrucksmöglichkeiten des Sterbenden eingeschränkt sind, kann ihm noch viel gesagt werden. Allerdings haben auch nonverbale Formen der Kommunikation am Lebensende eine große Bedeutung. Nicht alles, was noch gesagt werden will oder kann, muss mit Worten ausgesprochen werden. Das Wissen darüber kann für Angehörige in der Sterbebegleitung eine wichtige emotionale Unterstützung sein. Zuhören, verstehen und miteinander verbal und nonverbal Beziehung finden, sind elementare Bestandteile der Kommunikation mit Sterbenden. Sterbenskranke und Sterbende verstehen bedeutet eine im Vergleich zur eigenen beim anderen veränderte Zeitperspektive in ihrer spezifischen individuellen Wirklichkeit anzuerkennen. Sterbenskranke verstehen bedeutet, die Botschaften sprach- und wortloser Zeichen zu suchen und aufzunehmen. Es bedeutet aber auch, »dem Sterben Raum zu geben«, Symbole und Metaphern an der einzigartigen Grenze des Todes wahrzunehmen und sich in einer gemeinsamen Anstrengung dem existenziellen Sinn an der unausweichlichen Todesschwelle anzunähern, und nicht zuletzt bedeutet Verstehen auch, die Angst und Trauer des Abschieds, des Los- und Zurücklassens empathisch mitzutragen, aber auch Hoffnung und Zukünftiges für das Selbstverständnis des Lebens der Bleibenden in Bewegung zu bringen. Der Internist und Bioethiker Linus Geisler, ehemals Mitglied der Enquete-Kommission »Ethik und Recht der modernen Medizin«, hat mit Verweis auf seine langjährige klinische Erfahrung in der Begegnung mit Sterbenden zwölf prägnante Leitgedanken für die Kommunikation mit Sterbenden formuliert, die für alle, die mit Sterben und Tod konfrontiert werden, wichtige Hinweise geben (Geisler 2005).

Zwölf Leitgedanken 1. Worte können das Leben verkürzen. 2. Einfühlung hat im Sterben eine grundsätzliche Grenze. 3. Sprechen und Schweigen haben je ihre Zeit. 4. Tod ist der unwiderrufbarste Beziehungs­­ verlust. 5. Gespräche mit Sterbenden sind Gespräche gegen die Angst. 6. Fantasie ist schlimmer als die Wirklichkeit. 7. Verdrängung tritt regelhaft auf. 8. Wirklichkeiten changieren. 9. Ein Klagelied ist ein Lied zum zuhören, nicht zum kommentieren. 10. Helfen, Leid zu be-stehen, nicht nur zu ver-stehen. 11. Sterbende brauchen Begleiter zum Leben. 12. Mit leeren Händen kommen. Prof. Dr. H. Christof Müller-Busch war bis 2008 Leitender Arzt der Abteilung für Anästhesiologie, ­Palliativmedizin und Schmerztherapie am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin. Von 2006 bis 2010 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Er ist Mitglied des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer. E-Mail: [email protected] Literatur Fallowfield, L.; Jenkins, V. (2004). Communicating sad, bad, and difficult news in medicine. In: Lancet, 363, 9405, S. 147–151. Geisler, L. S. (2005). Kommunikation mit Sterbenden. Work­shop anlässlich der Tagung »Das Sterben in die Mitte holen«. Gemeinsame Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung NRW, IMEW Berlin, Deutscher Behindertenrat. Köln, 11.11.2005. Hartmann, F. (1984). Patient, Arzt und Medizin. Beiträge zur ärztlichen Anthropologie. Göttingen. Müller-Busch HC (2012). Tod und Sterben kommunizieren. In: Anderheiden, M. von; Eckart, W. U. (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde (S. 747–764). Berlin/ Boston. Walling, A.; Lorenz, K. A.; Dy, S. M.; Naeim, A.; Sanati, H.; Asch, S. M.; Wenger, N. S. (2008). Evidence-based recommendations for information and care planning in cancer care. In: Journal of Clinical Oncology, 26, S. 3896–3902.

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Kommunikation in der Führung Andrea Ott Wabel und Heiner Kuhn Wie kommuniziert man in der Führung Werte, Anliegen und Haltungen? Führungskräfte wissen, dass sie sich nicht einfach über Regeln, Weisungen oder Richtlinien weitergeben lassen, denn diese zielen im besten Fall auf ein gewünschtes Verhalten ab. Um einen Spirit zu transportieren, muss man die Herzen der Mitarbeitenden erreichen. Oder wie es Antoine de Saint-Exupéry in seinem Werk »Die Stadt in der Wüste« (1948) schreibt: »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« Vor dieser Herausforderung stehen viele Führungskräfte. Wie kommuniziert man, um Menschen um eine Aufgabe zu einen, sie für eine Vision zu begeistern und mit ihnen zusammen einen Spirit lebendig zu machen und zu halten? Beispielsweise ist die Autonomie der Bewohner im Hospiz ein sehr zentrales Thema. Wie Autonomie ermöglicht werden soll, wo jedoch auch die Grenzen zu eruieren sind, sind Haltungen, die sich nicht mit Normen oder Regeln transportieren lassen. Sie machen einen Spirit geradezu nötig und machen ein Hospiz zu dem, was es ein soll: Ein Ort voller Zuwendung und Menschlichkeit. Macht – Partizipation – Haltung Besondere Aufmerksamkeit kommt der Kommunikation zu, wenn Führungskräfte Entscheidungen kommunizieren müssen, im Wissen, dass diese bei den Mitarbeitenden vermutlich auf Unverständnis stoßen werden. Sparmaßnahmen sind dazu für viele Führungskräfte ein vertrautes Beispiel. Führungskräfte können sich dabei

auf ihre Macht oder die nächst höhere Hierarchiestufe berufen. Punktuell ist dieses Vorgehen richtig und auch vernünftig, denn klare Vorgaben schaffen Ordnung und Orientierung. Wer allerdings ausschließlich mit Vorgaben führt, macht Mitarbeitende (und sich selbst) zu Funktionsträgern und »Vollzugsgehilfen«. Selbst wenn Entscheidungen »von oben« vorgegeben sind, gibt es auf der Ebene der Haltung immer Spielräume, um Mitarbeitende zur Partizipation einzuladen. Man kann beispielsweise die Entscheidung mit den Mitarbeitenden diskutieren und ihnen die Hintergründe und den größeren Zusammenhang aufzeigen, im Wissen und mit der Deklaration, dass daran nichts verändert werden kann. »Wo liegen Möglichkeiten? – Was ist positiv? – Worin besteht die Herausforderung? – Wie können wir es gemeinsam umsetzen?« sind mögliche Zugänge, um mit Vorgaben partizipativ umzugehen. Das setzt jedoch voraus, dass Führungskräfte eine gute Beziehung zu ihren Mitarbeitenden haben, um mit ihren sozialen Kompetenzen Menschen

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auch für Unpopuläres gewinnen zu können. Um dabei als Führungskraft authentisch zu bleiben, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten entscheidend: »Kann ich die Entscheidung wirklich mittragen, kann ich dafür die Verantwortung übernehmen oder muss ich mich dafür verbiegen?« Wer auf dieser Ebene für sich einen klaren Standpunkt hat und gut in sich gegründet ist, hat unserer Erfahrung nach auch eine sichere Intuition dafür, welche Worte die richtigen sind, damit Kommunikation in solchen Situationen gelingt. Schriftliche oder mündliche Kommunikation? In der Führung wird heute viel schriftlich kommuniziert. Digitale Medien haben dazu eine Fülle von Hilfsmitteln entwickelt (Mail, Blogs, Chats, Plattformen usw.), die »Segen und Fluch« gleichermaßen sind. Zweifelsohne ist es oft sehr hilfreich, über Mails vielen Mitarbeitenden schnell und bei Bedarf auch gleichzeitig Informationen zukommen zu lassen. Mails entlasten Führungskräfte von aufwendigen Kommunikationswegen, denn Mails sind ein praktisches Kommunikationsinstrument. Aber sie ersetzen nie den persönlichen Austausch und die Begegnung, denn Haltungen kommunizieren ist auf die Begegnung von Person zu Person angewiesen. Ohne Begegnung kein Dialog – ohne Dialog keine Begegnung. Wie leicht bleiben bei der schriftlichen Kommunikation Nonverbales, Persönliches und das tiefere Anliegen der Botschaft verborgen? Texte können mitunter Fantasien und Interpretationen bedienen, die am Ende einen Mehraufwand darstellen, wenn Führungskräfte mündlich Fehlinterpretationen richtigstellen müssen. Oft erspart ein Telefongespräch viele Mails und ist zudem eine Gelegenheit für Beziehung und gelebte Haltungen. Mündliche Kommunikation ist außerdem ein guter Schutz für einen konstruktiven und wertschätzenden Teamspirit. Für viele Menschen

scheint es schwerer zu sein, eine Person (wenn auch unbeabsichtigt) zu brüskieren oder gar zu verletzen, wenn das Gegenüber vor ihnen steht. Der persönliche Kontakt ermöglicht Zuwendung und Respekt auf Augenhöhe, so dass Missverständnisse oder Beleidigungen wenig oder gar nicht aufkommen. Schriftliche Kommunikation ist oft Quelle von Eskalationen. Wie rasch entsteht aus einer persönlichen Betroffenheit, einem Missverständnis, einem interpretierten »Tonfall« im Text eine Antwortmail und in der Folge eine »Mailflut« (mit »cc« an die halbe Organisation), gleichsam eine griechische Tragödie, bei der jeder Versuch der Klärung zu noch mehr Verwirrung und Haltlosigkeit führt. In solchen Situationen ist es unserer Erfahrung nach sehr wichtig, »Haltung zu zeigen«, fachlich wie menschlich Nähe zu den Mitarbeitenden aufzunehmen, durch Haltung Halt zu vermitteln und zum Beispiel gemeinsam am runden Tisch nach Klärungs- und Lösungsansätzen zu suchen. Haltungen lassen sich nicht vorgeben, man kann sie nur vorleben. Im Hospiz findet beispielsweise wöchentlich eine Fallbesprechung statt, in der komplexe Situationen der Bewohner/-innen analysiert werden. Als Führungskraft Teil davon zu sein, eigene Erklärungen, Meinungen und Ideen für Lösungsansätze einzugeben, gibt eine gute Möglichkeit, die eigene Haltung transparent zu machen und sich einzubringen. Wir als Führungskräfte werden somit im Team »spürbar« und es kann eine unmittelbare, direkte Kommunikation und Begegnung stattfinden. Werte und Spirit in einer Organisation Um in einem Hospiz Menschen am Lebensende zu betreuen und ihnen einen optimalen Rahmen für diese Lebensphase zu schaffen, reichen gute Pflege und medizinische Versorgung nicht aus. Entscheidend für eine wertschätzende, tragfähige, warme und menschliche Umgebung für alle Beteiligten ist der Spirit in der Organisation. Diesen können Führungskräfte wesentlich prägen und

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Alexej Jawlensky, Abstrakter Kopf: Inneres Schauen – Rosiges Licht, 1926 / akg-images

Um einen Spirit zu gestalten, ihn weiterzugeben und lebendig zu halten, braucht es die Führungskräfte als Person. Ein Spirit kann nicht delegiert werden, sondern gründet zuerst in den Führungskräften selbst.

bestimmen, denn Träger eines Spirits ist nicht die Organisation, sondern sind die darin tätigen Menschen. Um einen Spirit zu gestalten, ihn weiterzugeben und lebendig zu halten, braucht es die Führungskräfte als Person. Ein Spirit kann nicht delegiert werden, sondern gründet zuerst in den

Führungskräften selbst. Deshalb ist es wichtig, dass sich Führungskräfte mit ihren Haltungen, Werten, Anliegen und auch Bedürfnissen, Interessen und Zielen auseinandersetzen. Für diese Reflexion können folgende Fragen hilfreich sein (Johner, Bürgi und Längle 2018):

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• Worauf stützt sich mein Vertrauen, schwierige Situationen zu meistern und mir und meinen Werten auch bei Widerstand treu zu bleiben? • Was liegt mir so am Herzen, dass ich dafür bereit bin, einen Teil meiner Lebenszeit herzugeben? • Wofür will ich Vorbild sein und kommt in dem, was ich vorlebe, auch mein Eigenes zum Ausdruck? • Worum soll es bei meiner Führungsaufgabe gehen – wofür will ich bei den Mitarbeitenden in Erinnerung bleiben? • Ist das, was ich aktuell tue, auch das, wofür ich gelebt haben will? Ein guter Spirit beginnt damit, dass die Führungskräfte in ständiger geistiger Verbindung mit ihren Werten stehen. Diese Zuwendung zum »Wertvollen« führt persönlich wie auch in der Organisation selbst zu einem positiven Lebensbezug und zu dem, wofür es sie im anspruchsvollen Umfeld der Palliative-Care-Aufgabe braucht. In unserem Hospiz zeigt sich das beispielweise durch eine wunderbare Kollegialität, die allen Beteiligten die Kraft, die Liebe und den Mut geben, auch den sehr herausfordernden Situationen, welche oftmals die Grenze des Ertragbaren überschreiten und das Vermögen jedes Einzelnen übersteigen, lebensbejahend zu begegnen.

sis, mitgetragen von allen und wirksam durch alle, können dann Prozesse initiiert werden, die die Entwicklung der gesamten Organisation möglich machen. In unserem Hospiz lassen und ließen sich dadurch Projekte umsetzen, die »vernünftig« betrachtet eigentlich gar nicht realisierbar waren und dennoch möglich wurden. Hierzu ein Beispiel: Innerhalb eines Jahres konnte trotz Pflegepersonalmangel auf dem Markt das Pflegeteam anzahlmäßig verdoppelt werden. Mit hohem Engagement von allen Beteiligten ist es gelungen, alle neuen Kolleginnen und Kollegen gut in die anspruchsvolle Aufgabe einzuarbeiten und gemeinsam mit ihnen zu einem Team zusammenzuwachsen. Dabei spielte die Kommunikation, das heißt das Vorleben von Haltungen und das gemeinsame Leben von Werten durch Begegnung eine entscheidende Rolle. Ist die Kommunikation in der Führung von reflektierten Haltungen und Werten getragen, so wird Führungskräften auch verziehen, wenn ein kommunikativer Prozess mal nicht ideal gelungen ist. Andrea Ott Wabel war Co-Leitung Pflege im Zürcher Lighthouse und davor in verschiedenen Positionen im Hospiz tätig. Sie hat sich auf Palliative Care spezialisiert, ist Berufsschullehrerin für den Fachbereich Pflege und ist derzeit Teamleitung des berufsbegleitenden Bildungsgangs »HF Pflege« am Careum Bildungszentrum in Zürich.

Den Spirit fruchtbar machen

E-Mail: [email protected]

Haben Führungskräfte den »roten Faden« in sich gefunden (Identität) und für sich erkannt, worum es ihnen bei der Führung geht (Werte), besteht der nächste Schritt darin, den Spirit bei den Mitarbeitenden als Tragende von Haltungen zu entwickeln und zu fördern. Mitarbeiterentwicklung beschränkt sich nicht nur auf die fachliche Entwicklung, sondern ebenso auch auf das Entdecken ihrer Potenziale und die Entwicklung ihrer Fähigkeiten, den Spirit eines Hauses persönlich mitzutragen und mitzugestalten. Auf dieser Ba-

Heiner Kuhn ist Leiter Pflegedienst im Zürcher Lighthouse und war davor in verschiedenen Gebieten der Pflege tätig, vor allem im Bereich Notfall- und Anästhesiepflege und im Rettungsdienst. E-Mail: [email protected] Literatur Johner, P.; Bürgi, D.; Längle, A. (2018). Existential Leadership zum Erfolg. Philosophie und Praxis der Transformation. Freiburg. Saint-Exupéry, A. de (1948/2002). Die Stadt in der Wüste. Düsseldorf.

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Advance Care Planning (ACP) Gesundheitliche Vorausplanung basierend auf dem individuellen Lebenssinn

Isabelle Karzig-Roduner und Tanja Krones »Ich wünsche, wir wüssten es« – Diese Worte hören medizinische Behandlungsteams sehr häufig auf der Intensivstation. Es sind die Angehörigen, die in sehr schwierigen Situationen gefragt werden, was sie glauben, welcher der möglichen Behandlungswege ihrem Liebsten am ehesten gerecht wird. Die Rolle der vertretungsberechtigten Angehörigen und die Bedeutung von Patientenverfügungen in der Behandlung von urteilsunfähigen Menschen ist mit Inkrafttreten des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts seit 2013 schweizweit gestärkt worden. Im Kern geht es darum, sicherzustellen, dass Patienten und Patientinnen auch in jedem möglichen Zustand der Urteilsunfähigkeit so behandelt werden, wie es ihrem Willen am ehesten entspricht. Herkömmliche Patientenverfügungen sind aber häufig unpräzise, nur auf die Sterbephase fokussiert, werden nicht aktualisiert oder sind den Angehörigen nicht bekannt. Zudem sind sehr viele Angehörige extrem belastet, wenn sie in die Situation kommen, für ihren erkrankten urteilsunfähigen Angehörigen entscheiden zu müssen. Engagierte Theologen/Theologinnen, Pflegefachpersonen, Ethiker/-innen und Ärztinnen/ Ärzte haben seit den 1990er Jahren die Erkenntnisse der personenzentrierten Gesprächsführung (Person-Centred Care), der therapiezielorientierten Behandlung und Betreuung (Goals of Care) und der gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision-Making) zusammengeführt, um Menschen eine qualifizierte, individuelle, medizinisch umsetzbare gesundheitliche Vorausplanung (Advance Care Planning, ACP) als

zentrale Dienstleistung im Gesundheitswesen anzubieten. Das ACP-Konzept wurde in verschiedenen Ländern weiterentwickelt und mittlerweile in zahlreichen Studien getestet. Nach dem derzeitigen Stand der Evaluation führt eine fachlich qualifizierte gesundheitliche Vorausplanung dazu, • dass die meisten Menschen eine brauchbare Patientenverfügung haben, • dass die Angehörigen und behandelnden Ärzte den Willen des Patienten oder der Patientin bezüglich der Behandlung auch auf einer Intensivstation eher kennen, • die Patienten häufiger dort sterben können, wo sie sich das gewünscht haben, • dass die Angehörigen nach dem Tod weniger traumatisiert sind. Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Gesundheit nun ein Rahmenkonzept für die Implementierung von ACP in der Schweiz erarbeitet. Was steckt dahinter? »Patientenverfügung plus« Die auf intensiven Gesprächen basierende »Patientenverfügung plus« enthält strukturierte Formulare, die durch eine Fachperson gemeinsam mit dem Patienten erstellt werden. Auch die Angehörigen werden in die Entscheidungsfindung nach Möglichkeit eingeschlossen. Die ACP-Gespräche werden nach einem kommunikativ anspruchsvollen Standard durch zertifizierte ACP-Beratende geführt (vgl. www.pallnetz.ch

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oder www.usz.ch/bildung). Die verfügenden Personen werden in ihrer Autonomiewahrnehmung unterstützt und befähigt durch medizinische Informationen zu den Therapiezielen und medizinischen Maßnahmen der Lebensverlängerung und der Palliation, was insgesamt das »plus« der ACP-Patientenverfügung erklärt.

Standortgespräch zur Therapiezielfindung Das ACP-Standortgespräch bezweckt die Bewusstwerdung des eigenen Lebenssinns und der aktuellen Lebenskraft, um eine Therapiezielklärung für mögliche zukünftige gesundheitliche Krisensituationen herbeizuführen. Die folgenden Fragen gehören zu den Formularen der Patientenverfügung »plus« und werden bei jeder ACP-Beratung besprochen: Wie gerne leben Sie? Diese Frage erlaubt es den verfügenden Personen, sich der eigenen Lebenskraft und Lebensfreude bewusst zu werden. Es geht darum, das Bild des eigenen Daseins bezüglich der erwähnten Lebenssinnbereiche zu zeichnen. Hier geht es nicht darum zu formulieren, dass man gern in den Bergen wandert, sondern um den tieferen Wert des eigenen Lebens, wenn das Wandern für längere Zeit oder bleibend nicht mehr möglich ist. Möchte der Patient, die Patientin dann lieber sterben? Wenn Sie ans Sterben denken – was kommt Ihnen dann in den Sinn? Bei dieser Frage geht es darum zu ergründen, welche Bilder und Erfahrungen, welche Vorstellungen und Befürchtungen einen Menschen prägen bezüglich des Sterbens allgemein, aber auch bezüglich seines eigenen Sterbens.

m.schröer

Darf eine medizinische Behandlung dazu beitragen, Ihr Leben in einer Krise zu verlängern? Dabei geht es darum, die eigenen Erfahrungen bezüglich Krisensituationen zu bedenken. »Wie haben Sie die medizinische Behandlung erlebt? Was hat Ihnen geholfen, eine Krise auszuhalten und zu überstehen?« Es wird also nach eigenen Vorstellungen und Erfahrungen gefragt und nach deren Bedeutung für mögliche zukünftige Krisen. »Darf die Medizin auch dann dazu beitragen, Ihr Leben zu verlängern, wenn Sie es selbst nicht mehr bestimmen können?«

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A d v a n c e C a r e P l a n n i n g ( A C P )    7 5

Gibt es Situationen, in denen Sie nicht mehr lebensverlängernd behandelt werden wollen? Häufig haben Menschen klare Vorstellungen davon, in welcher Situation sie niemals leben wollen, sei dies in ausgedehnter Abhängigkeit oder bei länger andauernder Urteilsunfähigkeit auf einer Intensivstation. Die Antworten dazu zu hören oder nachlesen zu können, sind für vertretungsberechtigte Personen und Angehörige, aber auch für das Gesundheitsfachpersonal hilfreich, wenn es darum geht, ­lebensverlängernde Therapien zu beenden oder nicht mehr zu beginnen, was heißen kann, dass ein Mensch sterben wird. Das Verständnis des Menschen bezüglich seines Lebenssinns, seines Glaubens oder seiner spirituellen Vorstellungen und Erfahrungen wird mit folgenden Fragen besprochen: Gibt es religiöse, spirituelle oder persönliche Überzeugungen oder kulturelle Hintergründe, die Ihnen in diesem Zusammenhang wichtig sind? Woraus schöpfen Sie in Ihrem Leben Kraft, wenn Sie schwierigen Situationen gegenüberstehen? Sind Ihnen konkrete Überzeugungen dabei hilfreich? Diese Fragen, in der Tiefe besprochen, sind die Grundlage für die Therapiezielklärung und Maßnahmen bei zukünftigen Notfällen, Behandlungen bei länger andauernder Urteilsunfähigkeit auf der Intensivpflegestation und für die dauerhafte Urteilsunfähigkeit. Die fachliche Kunst der Gesprächsbegleiter liegt darin, die im Standortgespräch sichtbar werdenden Therapieziele valide und sinnvoll in medizinische Maßnahmen zu übersetzen und die – bei oberflächlicher Beratung – häufiger auftretenden Inkonsistenzen und Unsicherheiten soweit zu klären, dass die Vorausplanung einerseits tatsächlich dem jeweiligen Menschen entspricht und andererseits auch umsetzbar ist.

Schlussfolgerung Auch wenn es bereits international viele Erfahrungen mit dem Konzept der gesundheitlichen Vorausplanung gibt, braucht es eine große interprofessionelle Anstrengung, um dieses weiter zu implementieren und für verschiedene Gesundheitsbereiche und Regionen in der Schweiz zu adaptieren. Hierbei gibt es verschiedene Herausforderungen zu bewältigen, wie die chronische Unterfinanzierung von Gesprächen, welche aber hohe kommunikative Fertigkeiten erfordern. Die Gespräche zur gesundheitlichen Vorausplanung sind sehr anspruchsvoll. Eine Version »ACP light«, in der medizinisch gut umsetzbare Festlegungen getroffen werden, ohne dass diese auf den tiefergehend eruierten Therapiezielen des Menschen beruhen, um den es individuell geht, wird dem Betroffenen ebenso wenig gerecht wie eine »Placebo-Patientenverfügung«, die nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt wird, jedoch medizinisch inkongruente Festlegungen betrifft. ACP löst weder eine Überversorgung noch eine Unterversorgung, noch lebenslang bestehende Angehörigenkonflikte, die Problematik der mangelnden Kompetenzen in palliativer Versorgung oder seelsorglichen Niemandslands in schlechten Pflegeeinrichtungen. Für diejenigen, die sich aktuell gemeinsam auf den Weg machen, die Behandlung stärker am wohlerwogenen Willen eines Menschen auszurichten, gibt es noch eine Menge zu tun. Isabelle Karzig-Roduner arbeitet seit 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und ACP-Expertin in der Klinischen Ethik am UniversitätsSpital Zürich. E-Mail: [email protected] PD Dr. Tanja Krones leitet die Klinische Ethik am UniversitätsSpital Zürich, Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte. Sie ist seit 2017 Präsidentin von ACP-i, der internationalen Fachgesellschaft Advance Care Planning. E-Mail: [email protected]

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Tod(d) als Begleiter: Dem Thema Raum geben Kathrin Lubig Jung und Krebs schließt sich in vielen Köpfen noch aus. Und wenn man als junger Mensch Krebs bekommt, so ist meine Erfahrung, folgen im Handgepäck so manche unnütze Aussagen und Floskeln. »Du bist ja noch so jung!« »Du hast doch noch dein Leben vor dir!« »Du schaffst das schon!« Es gibt aber auch Sätze, die einem verbieten, schwach zu sein, sterben zu dürfen, wenn es keine andere Aussicht gibt. »Mit 26 Jahren sollte man noch nicht sterben«, »Ich brauche dich doch!« oder »Sie wurde NUR 30 Jahre alt«. Es sind Beispiele, die ich so oder so ähnlich gehört habe und das Leben, das da war, in seiner Wertigkeit herabsetzt. Ich finde es auch total unverständlich, wie man eine Sterberangfolge festsetzt, nur weil es bei der Geburt sinnvoll ist, dass das Kind nicht die Mutter bekommt, sondern es andersherum ist. Der Tod hat keine zeitliche Vorgabe, er ist einfach das Gegenteil vom Leben, und Sterben ist der Prozess, der in den Tod führt. Auch falsche Hoffnungen auf ein Wunder bieten kei-

nen Halt, der doch in einer so schwierigen Situation gebraucht wird. Ich heiße Kathrin Lubig und habe seit 2017 metastasierten Brustkrebs. Seit der zweiten Folgediagnose im Sommer des Jahres musste ich mich zwangsläufig mit dem Tod beschäftigen. Und es ist ein Unterschied, ob ich das von mir aus mache oder ob die Situation mir keine Wahl lässt. So richtig bewusst mit Trauer und Tod habe ich mich dennoch erst beschäftigt, als ich bei einem Besuch mit der schlechten Verfassung meiner chronisch kranken Mutter konfrontiert wurde. Sie starb ein halbes Jahr später. Mit sich selbst reden Bevor wir überhaupt mit anderen Menschen über Tod und Trauer, über den Sinn des Lebens und über unsere Wünsche sprechen, ist es viel wichtiger, dies mit sich selbst tun zu können. Hierbei kommt es weniger auf das »Worüber« und »Wie viel«, sondern viel mehr auf das »Wie« an. Es können auch grundsätzliche Gedanken zum Thema Vergänglichkeit sein: Was bedeutet eigentlich ein Tod in der Pflanzenwelt? Was sehen wir, wenn wir in ein Sternenmeer schauen und es viele Sterne schon gar nicht mehr gibt? Was löst dies für ein Gefühl in mir aus? Natürlich ist es etwas anderes als der Verlust eines nahestehenden Menschen und doch haben wir es mit der Endlichkeit zu tun. Mit sich selbst über die Vergänglichkeit und die eigene Endlichkeit zu sprechen kann helfen, eine eigene Art und Weise mit der Erkrankung und dem Leben mit oder nach ihr zu finden. Es braucht auf gewisse Weise Mut, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Es gilt aber auch: Wege und Methoden zu finden, die schwe-

To d ( d ) a l s B e g l e i t e r : D e m T h e m a R a u m g e b e n    7 7

re Kost in bekömmliche Häppchen zu packen, so dass dies möglich wird.

Ja, wenn Lebenssituationen schwer werden, versuche ich sie mir leichter zu machen. Ich verbanne manche Wörter aus meinem Sprachgebrauch, weil sie Gewicht und Trübsal mitbringen. Dinge, die ich also nicht so gern hören mag, sind derzeit zum Beispiel »Das war sehr schlimm für dich« und Wörter wie »furchtbar« oder »schrecklich«. Was heißt »schlimm«, »furchtbar« und »schrecklich« eigentlich und wie stark ist das überhaupt? Es sind keine Gefühle, nur leere Worthülsen, die bunt ausgefüllt werden können. Auch stülpen sie dieses »etwas« auf die Gefühle der Anderen über und rauben den Betroffenen den Atem. Einen Menschen zu verlieren, der einem sehr nahe steht, ist zutiefst traurig, belastend und anstrengend. Keiner möchte seine Liebsten verlieren, da dieser (noch ausstehende) Verlust unbeschreiblich oder unfassbar ist. Für den Betroffenen selbst ist es ein Ohnmachtsgefühl.

beängstigende Sachen ins Ohr. Schritt für Schritt lerne ich dieses unbekannte Land kennen und gestalte es mir, wie ich es brauche. Und gleichzeitig rückt das Leben viel intensiver in mein Leben, weil ich einen freieren Blick dafür habe. Ich habe zwei Menschen, mit denen ich über diese Themen – die mich zutiefst betreffen – spreche. Eine gute Freundin und mein Partner. Vor allem mein Freund muss wissen, was ich mir so vorstelle und was ich für mich überhaupt nicht möchte. Wir reden aber auch über Bräuche und Riten und deren Sinnhaftigkeit sowie deren Wirkung auf uns. Manchmal beginnt sogar ein Gespräch nachts im Bett und ich spreche aus heiterem Himmel eine Frage beziehungsweise Thema an, das mich bewegt. Ich finde das in diesem »sicheren Hafen« durchaus amüsant. Meine gute Freundin, mit der ich über das Sterben und die Sichtweisen spreche, ist fast doppelt so alt wie ich und hat viele eigene Erfahrungen gesammelt. Ich weiß einfach, dass ich sie alles fragen kann, und ob wir in einem Café sitzen und über Gott und die Welt sprechen oder bei ihr zu Hause, spielt häufig gar keine Rolle. Es tut einfach gut.

Zeit und Raum

Fokus Leben und Denkstrukturen

Ich habe angefangen, mich in meinem Tempo und auf vielen Ebenen mit dem Tod zu beschäftigen. Dabei ist mir bewusst geworden, je offener wir auch darüber reden, also ohne Wertung, ohne vorgelegten Rahmen, wo und wie man sterben und beerdigt werden möchte oder was dem Zurückbleibenden für seinen Trauerweg gewünscht wird, umso eher ist es möglich, in ein Gespräch zu kommen. Und wenn sich ein Teil des Gesprächs noch dem Leben davor widmet, wird das Miteinander leichter. Gespräche über so ein tiefgreifendes Thema brauchen Zeit und Raum, um ausgesprochen zu werden. Ich nehme sehr bewusst wahr; je öfter ich mich mit dem Tod, dem Sterben und der damit einhergehenden Trauer auseinandersetze, umso leichter fällt es mir. Umso weniger hockt mir der Tod im Nacken und säuselt mir

Wenn wir uns die Frage stellen, wie wir sterben oder wie wir nicht sterben wollen, dann beantworten wir damit nicht die Frage, wie wir bis dahin leben und unsere Lebensqualität erhalten wollen. Keiner will sich gern direkt mit seinem Tod beschäftigen. Sowas kann man sich auch schlecht vorstellen. Meiner Meinung nach ist es immens wichtig, sich mit dem Leben bis dahin zu befassen und dieses freimütig zu durchdenken. Danach wird dann auch schneller bewusst, was man selbst braucht, wenn es ans Sterben geht, ohne dass sich die Antwort wie eine Pflichtangabe auf dem Papier anfühlt. Letztlich geht es darum: Was kann ich noch tun, wenn ich im Bett liege? Was kann ich noch machen, wenn ich nicht mehr gut sehe, aber so gern Bücher lese? Was kann ich aus meinem Le-

Du hast ja leicht reden

Herausforderung Kommunikation

tion. Ich wechsle die Perspektive. Ich nutze Podcasts, Blogs oder schaue sogenannte Animes. Die japanische Kultur hat eine andere Sichtweise zu Leben und Tod. Dann gibt es natürlich auch Musik, Filme oder Bücher, die neue Einsichten und Gedanken enthalten. Sinnhaftigkeit und Spuren hinterlassen

ben herausholen, wenn ich immer weniger vom Tag habe? Wie kann ich die kleinen Momente genießen? Wir Menschen tabuisieren den Tod – was ja in einer bestimmten Art und Weise durchaus legitim ist –, damit einhergehend nehmen wir uns jedoch die Chance, die wichtigen Lebensfragen zu stellen. Was kann ich selbst gegen meine Ängste tun? Wer kennt sich aus und kann mir helfen? Was erscheint mir wichtig und wertvoll und will von mir gelebt werden? Wir haben Angst, die Fragen in der Patientenverfügung zu beantworten, weil uns das Leben davor und die Situation nicht klar sind. Wir stellen uns plötzlich Worst-Case-Szenarien vor und möchten am liebsten die Zettel zerschreddern. Zumindest kommt es mir so vor. Kreativität Das Tagebuch ist eine Form meines Umgangs mit meiner Trauer. Am Anfang hatte ich das Gefühl, endlich meiner Mutter die Welt zeigen zu können, durch meine Augen. Heute schreibe ich ihr, wenn ich das Bedürfnis habe, mit ihr zu telefonieren. Seit etwa einem Jahr kommen meine Comics hinzu. Ich habe den Todd (Tod) ins Leben gerufen. Er ist mein Begleiter, manchmal Griesgram und Nörgler, jedoch immer hilfsbereit. Durch ihn und die Zeichnungen kann ich die Essenz meiner Gedanken visualisieren, es auf den Punkt bringen, ohne lange nach Worten suchen zu müssen. Es ist einfach eine andere Form von Kommunika-

Manchmal verfliegt die Angst vor dem Ende, wenn ich weiß, dass ich etwas hinterlassen kann. Dass ich auch noch mit meinem letzten Tun anderen Menschen eine Freude mache. Besonders in den letzten Wochen oder Tagen kann es besonders wertvoll sein, etwas für andere zu tun, damit dem eigenen Leben noch Wertigkeiten gegeben werden können. Aus diesem Grund ist es ein brennendes Anliegen von mir: Deklariert das Leben von Menschen, die jung sterben, nicht als defizitär oder minderwertig, nur weil es kurz ist. Aussagen wie: »Er wurde nur 26 Jahre alt und hätte noch so viele Jahre vor sich gehabt«, blenden komplett aus, wie erfüllt das junge Leben gewesen sein kann. Ein 60-jähriger Mensch kann Jahre lang sein Leben mit Arbeit verschwendet haben und stirbt viel zu jung, um wirklich gelebt zu haben. Das Alter macht also nicht den Verlust aus, sondern die Lebenserfahrung und die Wertigkeit, die wir während des Lebens gesammelt haben. Das Gespräch über den Tod, das Gespräch mit Menschen, die aufgrund einer unheilbaren Erkrankung sterben werden, bleibt schwierig. Wenn wir es jedoch wagen, werden wir Brücken und Wege finden, die uns tragen und führen. Kathrin Lubig ist 2015 mit 31 Jahren an Brustkrebs erkrankt, zwei Jahre später folgt die Diagnose Metastasen. Kreativität ist ihre Bewältigungsform. Als »Metahasenbändigerin« schreibt und zeichnet sie unter dem Namen onkobitch über das Leben mit ihrer Erkrankung. Ihre Devise: »Der Himmel ist blau, auch wenn ein Teil von mir verrückt spielt.« E-Mail: [email protected]

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Diagnose Krebs – Helfen Kunst und Kommunikation in der Krise? Gedankensplitter

Kathrin Spielvogel

Lebenskunst

Kunst ist unnötig. Kunst bei einer Krebsdiagnose ist etwas für die intellekdamit einhergehende und Leben ist Kunst tuelle Elite, hat nichts mit oftmals fesselnde Angst Kunst ist Leben dem realen Leben zu tun. kann durch eine schöpfeWenn du es schaffen musst, rische Idee verstehbar und Kunst(voll)leben arbeiten zu gehen, deine damit handhabbar und Kinder zu versorgen, Miekommunizierbar werden. Kommunikationskunst te zu zahlen und genug EsSo kann der Austausch mit sen im Kühlschrank zu Gleichgesinnten, zum Beihaben, hast du keine Zeit, dich mit dem schöp- spiel im Rahmen der Selbsthilfe, wertvolle Impulferischen Gestalten zu beschäftigen. Dann musst se geben und Verbindungen schaffen, die tragfädu einfach ran. hig sein können. Der Begriff »Selbsthilfe« wirkt »Mensch werden ist eine Kunst«, schrieb der in unserer heutigen Zeit fast antiquiert, dabei sind deutsche Philosoph und Schriftsteller Novalis Menschen, die sich aufgrund ihrer ähnlichen Erim 18. Jahrhundert in sein Tagebuch. Anfang des fahrungswelten gegenseitig auffangen können, 19. Jahrhunderts holten die Dadaisten die Kunst eine unendlich wertvolle Stütze für den Einzelin das Leben, denn genau dieses Leben war für nen und für das Gesundheitssystem. sie der Sinn der Kunst. Gelebte Kommunikationskunst habe ich auf Doch was ist, wenn dein Leben auf dem Spiel einem der größten Krebsselbsthilfekongresse ersteht? Wenn plötzlich eine tödliche Diagnose den fahren: Sechshundert Frauen – alle an Krebs erAlltag überrollt? Auf den ersten Blick scheint in krankt – versammelten sich in einem großen Saal, einer solchen Situation ein schöpferischer Akt um die Dreharbeiten zu dem Film »Emilys Reidas Letzte zu sein, womit sich Menschen dann se« mitzugestalten (zu sehen unter: www.frauen�beschäftigen wollen. Dennoch entstehen gerade selbsthilfe.de/videos.html). Zu erleben, wie die aus diesen lebensbedrohlichen Momenten her- Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den immer aus erstaunlich viele Werke. Menschen fangen an wieder auftretenden Drehpausen anfingen zu tanzu schreiben, zu malen, zu singen, zu komponie- zen, zu lachen, sich zu unterhalten, zu umarmen, ren. Sie finden neue Wege, um das, was unfassbar mitzuspielen und ihre Gesichter zu zeigen, ganz scheint, was unfassbar ist und fassungslos macht, im Jetzt zu sein, war für mich ein beglückendes in eine neue Form zu bringen. Das eigene Leben Erleben von Lebenskunst. Ich (er)lebte die Kunst wird plötzlich zur kreativen Triebfeder. der Akzeptanz, die Kunst der Verwandlung, die »Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaus- Kunst, Gemeinschaft zu zelebrieren, die Kunst sprechlichen« (Johann Wolfgang von Goethe). der Kommunikation und die Kunst, das Dasein Die mit dem Unaussprechlichen zum Beispiel in all seinen Facetten zu feiern.

Paul Klee, Rosenwind, 1922 / akg-images

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Ich durfte ein Teil dieser Gemeinschaft sein, erleben, wie die Idee für mein Drehbuch mit Leben gefüllt wird. Ich habe mit diesen Frauen gelacht, gearbeitet und sie für zwei Stunden in die Welt des Films entführt. Niemals hätte ich zum Zeitpunkt meiner eigenen Krebsdiagnose gedacht, einmal so berührende Momente mit so vielen Betroffenen erleben zu können. Die Diagnose Krebs ist eine bedrohliche Herausforderung, doch mit Hilfe der organisierten Krebsselbsthilfe können Brücken gebaut und Wege gefunden werden, die

den Umgang mit dieser Bedrohlichkeit möglich machen. Also doch: Leben ist Kunst. Kathrin Spielvogel ist Autorin, Filmemacherin, Bundesvorstandsmitglied der Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V. E-Mail: [email protected] Websites: w  ww.ichwilljaleben.de, www.hs-hh.de/kathrin_spielvogel, www.frauenselbsthilfe.de

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Kommunikation in der Kinderwunschpraxis Eine Herausforderung für alle Beteiligten

Josef Beran Üblicherweise stellt sich ein Patient einem Arzt in der Praxis oder im Krankenhaus vor, wenn ein Leiden beziehungsweise ein oder mehrere Symptome bei dem Patienten aufgetreten sind und er ein Krankheitsgefühl empfindet. (Ich schließe hier bewusst die anderen Arzt-Patienten-Kontakte wegen Vorsorgemaßnahmen oder anderen Gründen, aus denen ein Kontakt entsteht, aus.) Doch was passiert, wenn der Patient oder die Patientin zwar leidet, jedoch kein Krankheitsgefühl verspürt, wie dies bei Kinderwunschpatienten der Fall ist? Häufig haben sie seit längerer Zeit das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. In der Regel stellen sich die Paare gemeinsam in einer Kinderwunschklinik vor. Und obgleich keine Erkrankung vorliegt, haben beide Partner in der Regel schon einen Leidensweg hinter sich. Bei diesem Gespräch entsteht – so möchte ich es hier nennen – ein kommunikatives Dreieck, ein Wechselspiel von Sender und Empfänger zwischen dem Arzt und dem Paar sowie dem Arzt und den einzelnen Patienten, welches sich sehr unterschiedlich darstellen kann. Damit die Kommunikation erfolgreich verläuft, ist es wichtig, dass sie von »Bauch zu Bauch« oder von »Kopf zu Kopf« geführt wird. Emotionen sind ein wirksames Hilfsmittel. So stellt sich in der Kinderwunschsprechstunde die Kommunikation in Richtung »Bauch zu Bauch zu Bauch« oder »Kopf zu Kopf zu Kopf« so dar, dass das Einschwingen während des Gesprächs von Arzt und Patientenpaar zu einer Harmonie führen soll, in der sich alle Beteiligten verstanden fühlen und ein gangbarer Weg gefunden wird. Die Praxis zeigt allerdings, dass diese Art der Kommunikation mit Nuancen, großen Unter-

    

schieden und Stolpersteinen belegt ist, die zum einen erschwert wird durch die Interaktion von Arzt und Patientenpaar, aber auch zwischen den Partnern selbst, die sich im Zuge der Diagnostik neu suchen und finden müssen. Über Kommunikation und zwischenmenschliche Unausgesprochenheiten in einer Kinderwunschpraxis Seit über 25 Jahren arbeite ich als Reproduktionsmediziner mit Kinderwunschpatienten und -patientinnen. Der vorliegende Fall zeigt deutlich, wie schwierig sich mitunter die Kommunikation mit dem Patienten selbst und auch untereinander darstellt. Zum Erstgespräch stellte sich eine 30-jährige Patientin bei mir vor, welche seit fünf Jahren gemeinsam mit ihrem Partner einen Kinderwunsch hat. Die Patientin war bei bester Gesundheit und neben der medizinischen Diagnostik fand eine ausgesprochen freundliche und angenehme Kommunikation statt. Wir waren gut im Kontakt. Nachdem sich bei Frau Müller (Name geändert) keine organische Erklärung für den unerfüllten Kinderwunsch zeigte, wurde ihr mehrfach empfohlen, dass ihr Partner sich doch auch einmal untersuchen lassen sollte, um abzuklären, ob bei ihm mögliche Ursachen vorlagen, die eine Schwangerschaft verhinderten. Üblicherweise geschieht eine solche Diagnostik durch Untersuchung des Ejakulats. Frau Müller teilte mir mit, dass dies für ihren Mann sehr schwierig sei. Immer wieder

Tereks / Shutterstock.com

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darauf angesprochen berichtete sie schließlich, dass ihr Mann nur sehr ungern diese Untersuchung bei sich durchführen lassen möchte. Weitere Versuche, auf natürlichem Weg eine Schwangerschaft zu erreichen, gestalteten sich in der Praxis schwierig, wobei weiterhin eine sehr freundliche und zugewandte Kommunikation sowohl mit mir als auch mit dem Praxisteam stattfand. Schließlich kam es doch dazu, dass sich das Paar gemeinsam zu einem Gesprächstermin bei mir einfand. Herr Müller machte ebenfalls einen sehr freundlichen, aufgeschlossenen, eloquenten Eindruck und es war im gemeinsamen Gespräch zunächst gar nicht ersichtlich, warum dieser sich so ungern einer weiteren Abklärung unterziehen lassen wollte. Es ergab sich nun jedoch, dass vor der nächsten Ultraschalluntersuchung Herr Müller allein mit mir ins Gespräch kam. Er be-

richtete darüber, dass im jungen Alter von 18 Jahren seine damalige 16-jährige Jugendfreundin schwanger war. Dieses Ereignis aus der Jugend veranlasste ihn damals als 18-Jährigen dazu, ein Spermiogramm durchführen zu lassen. Ihm wurde damals vom Urologen mitgeteilt, dass er grenzwertig zeugungsfähig sei und es kaum vorstellbar sei, dass seine Freundin vom ihm schwanger geworden sei. Letzten Endes führte das damalige Ereignis doch nicht zu einer ausgetragenen Schwangerschaft der Freundin und die Vaterschaft blieb ungeklärt. Herr Müller hatte jedoch seiner Ehefrau nie davon berichtet, dass bei ihm eine extrem starke Einschränkung der Zeugungsfähigkeit vorliegt. Er empfand dies als riesigen Ver­trauens­bruch ihr gegenüber. Mit dieser unglücklichen Kommunikation war er schon seit längerem belastet. Er fragte mich nun, wie wir aus diesem Engpass herauskommen könnten,

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K o m m u n i k a t i o n i n d e r K i n d e r w u n s c h p r a x i s    8 3

fortlaufende Sorge belastete, dass er seiner Frau keine gemeinsamen Kinder ermöglichen könnte. Diese Annahme basierte auf der Unkenntnis heutiger medizinischer Möglichkeiten.

Das Einschwingen während des Gesprächs von Arzt und Patientenpaar soll zu einer Harmonie führen, in der sich alle Beteiligten verstanden fühlen und ein gangbarer Weg gefunden wird.

denn schließlich habe er durch seine Zurückhaltung bewirkt, dass sie seit über fünf Jahren unter dem unerfüllten Kinderwunsch litten und er keine Diagnostik und Therapie in Erwägung gezogen oder zugelassen habe. Aus kommunikativer Sicht bestand nun folgende Schwierigkeit: Die ärztliche Schweigepflicht gegenüber Herrn Müller gab mir nicht die Möglichkeit, das Problem offen mit der Patientin zu kommunizieren. Ebenso war es mir nun natürlich auch nicht möglich, die Paarbeziehung weiter zu entspannen oder zu belasten durch fortlaufende vergebliche Behandlungen. Hier zeigt sich deutlich das Spannungsfeld, das sowohl Paare untereinander als auch in der Übertragung auf den Arzt haben können, obwohl augenscheinlich, von außen betrachtet, unauffällige und harmonische Verhältnisse vorliegen. Erschwerend kommt hinzu, dass Herr Müller die

Herrn Müller habe ich schließlich in einem persönlichen Gespräch erklärt, dass es sehr realistische und erfolgversprechende Möglichkeiten gibt, eine Kinderwunschbehandlung durchzuführen, selbst wenn sich im aktuellen Spermiogramm die damalig diagnostizierte Einschränkung bestätigen würde. Diese Information brachte ihm eine erhebliche Erleichterung und er konnte sich nun vorstellen, seine Frau über seine persönliche Vorgeschichte zu informieren. Als sich das Paar nach ein einigen Wochen erneut bei mir vorstellte, konnten wir in einer gemeinsamen und offenen Diskussion die weiteren therapeutischen Schritte besprechen. Selbstverständlich war es für Herrn Müller weiterhin belastend, dass die notwendige Kinderwunschbehandlung in erster Linie eine medizinische Belastung für die Frau darstellte, und das nach so langer Zeit der Verschwiegenheit und des unerfüllten Kinderwunsches. Mit der damit einhergehenden Erfolgsaussicht war nun jedoch für das Patientenpaar eine gemeinsame Motivation gegeben und es herrschte ein sehr hohes Vertrauensverhältnis mit letztlich auch erfolgreichem Therapieausgang. Dr. med. Josef Marius Beran, Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie, ist Leiter des IVF-Zentrums Kinderwunschzentrum Mittelrhein. E-Mail: j[email protected] Website: www.kinderwunschmittelrhein.de

Herausforderung Kommunikation

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Wie Altersbilder unsere Sprache bestimmen Kommunikation mit älteren Menschen

Stefanie Becker Seit Beate K. (72 Jahre) die Anrede eines Kellners »Junge Frau, was darf es für Sie sein?« selbstbewusst und laut hörbar mit den Worten korrigierte: »Es ist verletzend, dass Sie mein Alter überhaupt erwähnen!«, wird sie zuvorkommend bedient. Auch Karl R. (79 Jahre) erinnert sich verärgert an die Anleitung, die er übertrieben langsam und laut von einer Arzthelferin erhielt: »So, jetzt ziehen wir den Pullover aus!« Das, was die beiden älteren Menschen erleben, wird mit »Alterssprache« bezeichnet. Sie beschreibt eine vereinfachte, kindliche Sprechweise (»baby talk«), wie sie mit einem Kind oder einer Person mit eingeschränktem Verständnisvermögen angewendet wird. Sie wird als diskriminierend empfunden und hat negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität Älterer. Aber woher kommt die Haltung, dass die Begegnung mit einem älteren Menschen dazu führt, die Stimme zu erheben, vereinfachte Satzstrukturen anzuwenden oder die Betonung zu ändern? Diese Frage soll hier mit Blick auf Alltagsbegegnungen mit älteren Menschen und mit dem Blick auf die besondere Bedeutung von Betreuungsund Versorgungssituationen beantwortet werden. Gegenseitiges Verstehen als Ziel von Kommunikation Kommunikation geschieht vor dem Hintergrund, dass unser Zusammenleben im Wesentlichen aus dem Austausch von Informationen und Erfahrungen besteht. Dies funktioniert jedoch nur

    

dann, wenn die Gesprächspartner sich gegenseitig verstehen. Kommunikation kann daher kein einseitiges Phänomen sein, sondern wird immer durch mindestens zwei Personen (communis – lat. »gemeinsam«) gestaltet. Der Erfolg eines Dialogs ist nicht allein auf der sachlich-informativen, sondern in besonderem Maße auch auf der Beziehungsebene zu suchen. Und Beziehung gestaltet sich dadurch, dass man sich auf sein Gegenüber einstellt: Mit meiner Freundin spreche ich anders als mit meinem Vorgesetzten, bei einem Kollegen wähle ich andere Worte, als wenn ich mit meiner Nachbarin spreche. Jedes Gespräch ist immer auch von unbewuss­ ten Gefühlen, Ängsten und Erwartungen beider Gesprächspartner geprägt, die den Gesprächsverlauf beeinflussen. Auch unser momentaner Gefühlszustand bestimmt, wie weit beziehungsweise wie gut wir uns auf ein Gegenüber einlassen können. Je besser dies gelingt, desto besser fühlt dieser sich verstanden und umso eher verläuft das Gespräch in einer angenehmen Atmosphäre. Jeder Dialog wird zusätzlich dadurch erschwert, dass sprachliche Aussagen nicht immer ausschließlich wörtlich gemeint sind, sondern auch (bewusst oder unbewusst) »zwischen den Zeilen« gelesen werden können. Solche »Interpretationen« können das Miteinander im Gespräch zu einer Aneinanderreihung von Missverständnissen und unausgesprochenen Erwartungen machen, die im Gefühl enden können, vom anderen nicht ernstgenommen oder nicht verstanden zu werden. Für das Verständnis solcher Hindernisse einer erfolgreichen Kommunikation kann das Modell der »kommunikativen Anpassung« (Coup­land, Coupland und Giles 1991; Fiehler

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2009) aus dem Bereich der Sprachwissenschaften zur Erklärung herangezogen werden. Kommunikationsfallen erkennen: eine Frage der Haltung Das Modell der kommunikativen Anpassung beschreibt, wie Dialogpartner ihr Gesprächsverhalten aneinander anpassen bzw. partnerorientiert modifizieren, um einerseits eine möglichst hohe Effizienz des Gesprächs, andererseits aber auch ein möglichst großes Maß an Verstehen und Verstandenwerden zu erreichen. Im Versuch, sich auf das Gegenüber gut einzustellen, werden dabei alle in der jeweiligen Situation verfügbaren Informationen über die Gesprächspartner herangezogen. Im einfachsten Fall sind es sichtbare, sofort erkennbare Merkmale sozialer Kategorien wie Alter (zum Beispiel graue Haare) oder

Berufszugehörigkeit (zum Beispiel weißer Kittel). Sie tragen zur (unbewussten) Steuerung der Kommunikation bei. Aus dem Modell der kommunikativen Anpassung hat sich das Modell der kommunikativen Präjudizierung des Alters entwickelt (Ryan und Kwong See 2003; Maier 2003; vgl. Abbildung 1). Es greift die besondere Form der Anpassung der Kommunikation auf, die auf der Grundlage vorurteilsbehafteter Annahmen hinsichtlich altersbezogener Defizite und Inkompetenzen älterer Menschen (zum Defizitmodell des Alters vgl. Lehr 2000) beruht. Der Zusammenhang ist einfach: Eine dem negativen Stereotyp des Alters entsprechende Erwartungshaltung, bezogen auf die Kompetenzen älterer Menschen, führt dazu, dass die Sprechenden (zum Beispiel der Arzt, die Pflegefachperson, die Familie) entsprechend kommunizieren.

blau: vorurteilsbehaftete Haltung des Gesprächspartners gelb: Reaktion des älteren Menschen Abbildung 1: Modell der kommunikativen Präjudizierung des Alters (Ryan und Kwong See 2003, S. 61)

Herausforderung Kommunikation

Pierre Bonnard, Self Portrait, 1945 / Private Collection / Bridgeman Images

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Eine typische Form dieses altersdiskriminierenden Sprechens ist die patronisierende Kommunikation wie in den eingangs angeführten Beispielen der »baby talk« (hohe Stimme, verniedlichende Ausdrücke etc.), bei der eventuell nicht einmal direkt mit dem Gesprächspartner (sondern mit einem Dritten) oder auch lauter gesprochen wird (weil automatisch davon ausgegangen wird, dass ältere Menschen schlecht hören). Sind die Reaktionen auf Seite der älteren Menschen dann entsprechend, entsteht ein Teufelskreis diskriminierender Kommunikation, der auch das Selbstbild der Älteren negativ beeinflusst (vgl. Abbildung 1). Vertrauensvolle Kommunikation mit älteren Klientinnen und Klienten: Die Grundhaltung entscheidet Die sachliche Feststellung, dass vorurteilsbehaftete Kommunikation mit Älteren eine häufige, wenn auch meist unbewusste Realität darstellt, bedeutet aber noch lange nicht, dass es nicht möglich wäre, diese mit entsprechender Aufmerksamkeit zu erkennen. Eine 77-jährige Frau wurde nach einem Aufenthalt im Akutspital in ein Pflegeheim verlegt. Sie war deprimiert und ihre emotionale Lage war zusätzlich von der Sorge um ihren im häuslichen Umfeld nun »hilflos« lebenden Ehemann getragen. Ihr Hausarzt erklärte ihr, dass er eine Entlassung nach Hause befürworte, sobald sich ihr körperlicher Zustand gebessert habe, sie sich selbstständig in ihrem Haushalt bewegen könne und den unterstützenden Gebrauch einer Gehhilfe erlernt habe (die sie bisher vehement ablehnte). Dies motivierte sie, die notwendige Physiotherapie aktiv mitzumachen, und so konnte sie bald wieder nach Hause. Diese Form der Gesprächshaltung gegenüber dem Älteren wird mit Empowerment bezeichnet. Empowerment bedeutet die Stärkung von Auto-

nomie, Selbstbestimmung und Förderung von Selbstbefähigung. Ziel ist es, einer resignativen Haltung älterer Menschen entgegenzuwirken, indem sie auf ihre – trotz vorhandener Einschränkung – verbliebenen Ressourcen und Handlungsfähigkeiten aufmerksam gemacht werden. Es ist sicherlich eine Herausforderung – insbesondere im Pflege- und Versorgungsbereich, in dem die Begegnung mit körperlich und geistig (sehr) stark eingeschränkten Menschen zum Alltag gehört – die eigene Haltung immer wieder zu hinterfragen und eine offene Gesprächshaltung einzunehmen. Eine partnerschaftliche, vorbehaltlose Kommunikation ist für den Betreuungs- und Pflegeerfolg oftmals in hohem Maße entscheidend. Leider wird sie noch immer als »soft skill« abgetan und auch zu wenig in der Ausbildung gefördert. Gute Kommunikation ist eine Investition, die sich sowohl für die älteren Menschen als auch für ihre Gesprächspartner lohnt. Supervision und Intervision zum Thema Kommunikation bieten hier Unterstützung. Dr. phil. Stefanie Becker, Psychologin und Gerontologin, war Leiterin des Instituts Alter der Berner Fachhochschule und ist aktuell Geschäftsleiterin von Alzheimer Schweiz sowie Redaktionsleiterin der zweisprachigen Fachzeitschrift »Angewandte Gerontologie«. E-Mail: [email protected] Literatur Coupland, N., Coupland, J.; Giles, H. (1991). Language, society and the elderly: Discourse, identity and ageing. Oxford/Cambridge, Mass. Fiehler, R. (2009). Die Generationen im Gespräch? Kommunikative Zugänglichkeit im Alter. In: Antos, G.; Beetz, M.; Dyck, J.; Neuber, W.; Oesterreich, P.; Uedin, G. (Hrsg.), Rhetorik und Verständlichkeit (S. 34–45). Berlin. Lehr, U. (2000). Psychologie des Alterns. 9. Auflage. Heidelberg. Maier, S. (2003). Der Einfluss von Altersstereotypen auf sprachliche Instruktionen. In: Fiehler, R.; Thimm, C. (Hrsg.), Sprache und Kommunikation im Alter (S. 195– 213). Radolfzell. Ryan, E.; Kwong See, S. T. (2003). Sprache, Kommunikation und Altern. In: Fiehler, R.; Thimm, C. (Hrsg.), Sprache und Kommunikation im Alter (S. 57–71). Radolfzell.

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Nähe durch Distanz – Darüber reden hilft! Tony Styger Ein freiwilliger Mitarbeiter der Dargebotenen Hand (Telefonseelsorge) hat seine langjährige Erfahrung auf den Punkt gebracht: »Mit uns völlig fremden und emotional belasteten Menschen in wenigen Minuten in einer vertrauten Gesprächsatmosphäre anzukommen, trauen wir uns in der Regel nicht zu. Und doch geschieht dieses Unmögliche immer wieder aufs Neue. Wenn innerhalb eines Gesprächs das Herz Anrufender zur Ruhe kommt, der Verstand sich wieder sammelt oder die Erschöpfung Trost erfährt, dann erlebe ich dies wie ein kleines Wunder. Solche Erfahrungen berühren mich. Und sie geben meiner Arbeit bei Tel 143 (Dargebotene Hand) Bedeutung und Sinn«. Jedes Wort zählt Das Wesentliche von Tel 143 wird mit diesen wenigen Sätzen hervorragend beschrieben. Die vertraute Gesprächsatmosphäre wird beim Telefon über die Stimme und bei der Online-Beratung allein über das geschriebene Wort getragen. Bei dieser »reduzierten Kommunikation« fehlt zwar die Ganzheitlichkeit eines Vieraugengesprächs, aber der Kontakt per Telefon erhöht die Chance, dass die Konzentration auf das gesprochene Wort zunimmt. Anderseits ist diese Kommunikationsform auch brüchig. Somit ist es äußerst wichtig, möglichst rasch eine tragfähige Beziehung herzustellen, die obendrein klar und deutlich verbalisiert werden muss. Damit sich beide Seiten am Telefon richtig verstehen, ist es notwendig, dass der Berater seine Kommunikationsanteile möglichst authentisch gestaltet. Echtheit ist gerade bei dieser Gesprächsform »von Ohr an Ohr« besonders gefragt!

Es passt schlecht in unsere Leistungsgesellschaft, Gefühle von Überforderung, Enttäuschung, Angst, Bedürftigkeit, Wut, Trauer oder Hilflosigkeit zu zeigen. Da gibt es wenig Platz, »anders« als die anderen zu sein, denn nur zu schnell wird Menschen die Etikette »verrückt« verpasst. Im Alltag getraut sich kaum jemand, seine Nöte oder Ohnmacht einzugestehen. Authentisches Mitgefühl Das Telefon ist ähnlich wie das Internet eine »Zaubermaschine«. Sie hält die Nähe fern und zieht die Ferne in die Nähe der Intimität. Beim Telefonieren, noch stärker beim Mailen und Chatten, entsteht die scheinbar paradoxe Situation einer Nähe durch Distanz. Sie bewirkt, Scham zu überwinden und tabuisierte Themen anzusprechen. Es gibt Gedanken, Gefühle und Probleme, die man keinem Mensch so direkt sagen, aber zugleich nicht für sich behalten möchte. Der Ratsuchende weiß, dass wegen der Anonymität kein Rückgriff auf seine Person gemacht werden kann. Das ist insbesondere für Menschen mit suizidalen Gedanken wichtig. Sie können sich aussprechen, ohne befürchten zu müssen, dass jemand gegen ihren Willen aktiv wird. Die Begegnung im Schutz der Anonymität von Tel 143 ist für viele Ratsuchende ein erster Schritt, sich mit Schwierigem und Belastendem im Leben auseinanderzusetzen, was Schamgefühle ausgelöst hat. Dabei wird meistens nicht die Scham als solche thematisiert, sondern die damit verbundenen Inhalte. Allein das Problem benennen zu können ist schon hilfreich, einen Ausweg aus der Falle zu finden, aus Scham schweigen zu müssen und doch allein nicht zurechtzukommen.

Die Gewissheit, »nicht dumm angeschaut zu werden«, ist ein wesentliches Motiv, hier Ansprechpartnerinnen zu suchen. Die Begegnung mit der Dargebotenen Hand bietet eine Chance, ganz sich selbst sein zu können und so dem Zwang der fassadenhaften Selbstdarstellung zu entfliehen. »Wo ein Mensch an sich selbst leidet, ist primär authentisches Mitgefühl nötig. Es gibt dem Patienten die Gewissheit, einen aufrichtigen Zeugen seines Lebens zu haben«, sagt der Psychiater Daniel Hell (2002, S. 75). Erwartungen der Menschen, die sich an Tel 143 wenden, sind enorm vielfältig. Sie wünschen sich einen neutralen Gesprächspartner für ihre Alltagssorgen, Unterstützung in einer Krise, Begleitung bei länger andauernden psychischen oder körperlichen Leiden, menschlichen Kontakt bei sozialer Isolation oder Vermittlung von Informationen und Fachstellen. Bei den Gesprächen geht es um Alltagsbewältigung, Entlastung oder Trost, Ermutigung oder Bestärkung, Feedback oder Umgang mit Konflikten. Manchmal hilft auch einfach das wohlwollende Dasein und engagierte Zuhören. Kurz: Ohnmacht aushalten, wenn das Leben zur Mühsal wird! Die Bandbreite der Ratsuchenden reicht dabei von Menschen mit Potenzial für Veränderungen oder die sich zu einem Problem schon selbst einiges überlegt haben, über Menschen, die emotionale erste Hilfe brauchen, bis hin zu Menschen, die großes Leid zu tragen haben und auf der Schattenseite des Lebens stehen. Freiwillig engagiert Die Dargebotene Hand hat in ihrem Leitbild verankert, dass sie ihre Dienstleistung aus Überzeu-

Susann Städter / photocase.de

Die Begegnung im Schutz der ­Anonymität ist für viele Rat-­ suchende ein erster Schritt, sich mit Schwierigem und ­Belastendem im Leben auseinanderzusetzen, was ­Schamgefühle ausgelöst hat.

gung auf Freiwilligenarbeit aufbaut. Sie eröffnet damit neue, bereichernde Perspektiven; sie erhöht die Lebensqualität sowohl für die Mitmenschen als auch für den freiwilligen Mitarbeiter selbst. Wer sich für diesen Dienst freiwillig entscheidet, bezieht zwar keinen materiellen Lohn, lernt jedoch einiges an sozialer Kompetenz für sich sowie im Umgang mit seinen Mitmenschen in Familie, Freizeit und im Beruf. Bei der Auswahl der zukünftigen freiwillig Mitarbeitenden wird großes Gewicht darauf gelegt, dass sie Folgendes mitbringen: Lebenserfahrung und Zeit sowie Offenheit, Toleranz, Bereitschaft fürs emphatische Dasein und ein engagiertes Interesse für die unterschiedlichsten Lebensgeschichten sowie Schicksale, mit denen sie am Telefon in Berührung kommen. Der einjährige Ausbildungskurs mit Schlussqualifikation (10 Kurstage, 38 Kursabende von je 2 Stunden, Praktika mit einer erfahrenen freiwilligen Mitarbeiterin) soll das Potenzial an Lebenserfahrungen und Kompetenzen der Kursteilnehmenden fruchtbar machen sowie für die spezielle

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Arbeit am Tel 143 verfeinern und ergänzen. Die Teilnehmenden lernen eine Beziehung am Telefon herzustellen; das Anliegen des Anrufenden einfühlsam zu erfassen; eine wertfreie Haltung einzunehmen, die auf Achtsamkeit beruht; die Gesprächsführung an die unterschiedlichen Bedürfnisse anzupassen; ein Gespräch zu strukturieren und zu beenden; ihr eigenes Verhalten am Telefon zu reflektieren und sich selbst wertzuschätzen. Die Gesprächsführung beinhaltet Elemente aus der personenzentrierten Gesprächspsychotherapie, der Gewaltfreien Kommunikation und dem systemisch-ressourcenorientierten Ansatz. Auseinandersetzung mit verschiedenen Lebensthemen, Einblick in die Psychopathologie und in das psychosoziale Netz im Kanton Zürich sind die weiteren Bestandteile des Kurses. Nach der Ausbildung werden die freiwillig Mitarbeitenden durch Supervision und Weiterbildung professionell begleitet. Somit sind die Freiwilligen am Tel 143 keine Laien, sondern qualifizierte Fachpersonen für Gesprächsführung und Krisenbegleitung. Mit dem Herzen hören Einige Jahre vor der Gründung der Dargebotenen Hand schrieb der amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers sein bahnbrechendes Buch »Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie«. Ein Kernstück daraus ist das »empathische Spiegeln«, welches in der Gesprächsführung von Tel 143 erfolgreich Einzug gehalten hat. Die Grundthese lautet: Ich als »Spiegel« muss möglichst klar und leer sein, wenn ich das Bild eines anderen Menschen unverfälscht in mich aufnehmen möchte. Dies setzt eine gewisse Klarheit mir selbst gegenüber voraus. Dadurch kann ich im Unbewussten die Neigung zur Verfälschung durch persönliche Ängste, Wünsche, Erwartungen oder Hoffnungen in Grenzen halten. Das Leben vieler Menschen, die sich an die Dargebotene Hand wenden, ist prekär. Die Aufgabe am Telefon oder im Internet besteht nicht

darin, Ratsuchenden auf einen neuen Weg zu bringen, sondern in ihrem Leben Ruhe einkehren zu lassen, bis sich Verwirrungen und »Verstellungen« von selbst legen. Nicht etwas zu tun oder zu bewirken, sondern ganz einfach in der gesammelten Ruhe des eigenen Daseins gegenwärtig zu bleiben, ist die ganze Bedingung einer wirklich wohltuenden Ausstrahlung auf einen anderen Menschen. Man kann diese unaufgeregte Stille des eigenen Herzens nicht »machen« und erzwingen! Sie sollte in sich selbst stimmen. Sternstunden sind, wenn es Mitarbeitenden von Tel 143 gelingt, die Hand auszustrecken, aus der rat- und hilfesuchende Menschen das nehmen können, was sie im Moment brauchen, um wieder festen Boden unter ihren Füßen zu bekommen.

Die Dargebotene Hand leistet seit über 60 Jahren mit der nationalen Kurznummer 143 emotionale erste Hilfe, indem sie ratsuchenden Menschen niederschwellig, rund um die Uhr und kostenlos eine begleitende oder ressourcenorientierte Begegnung von Mensch zu Mensch anbietet, mittlerweile ebenso im Internet unter www.143.ch, dies absolut vertraulich und anonym. Das 640-köpfige Freiwilligenteam in 12 Regionalstellen ist das Herz der Dargebotenen Hand. Schweizweit beginnt alle drei Minuten ein Gespräch.

Tony Styger war Stellenleiter der Dargebotenen Hand Zürich – Tel 143. Er ist katholischer Theologe, Notfallseelsorger und Projektleiter der Andreas Weber Stiftung Wetzikon im Bereich Spiritual Care. E-Mail: [email protected] Literatur Hell, D. (2002). Die Sprache der Seele verstehen. Die Wüstenväter als Therapeuten. 5. Auflage. Freiburg. Rogers, C. R. (1951/1975). Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie. München.

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Kommunikation im Krankenhaus Hinderliche und förderliche Strukturen und Prozesse

Christian Gutzelnig Krankenhäuser sind komplexe Expertenorganisationen, in denen traditionelle Steuerungsprozesse, aber auch die darin stattfindenden Kommunikationsprozesse vor neue Herausforderungen gestellt werden. Im Arbeitsalltag können eine Reihe von Widersprüchen identifiziert werden, die von den dort beschäftigten Personen laufend zu bearbeiten sind: Der Widerspruch zwischen Fach- und Professionensystem einerseits und der Organisationen Krankenhaus als Ganzes andererseits. Der Widerspruch zwischen der ausgeprägten Expertenkultur und der Notwendigkeit, die Behandlung von Patienten und Patientinnen in die Ausrichtung der Arbeit zu integrieren. Der Widerspruch zwischen der fortschreitenden Arbeitsteilung und Spezialisierung und dem Bedarf an interdisziplinärer Zusammenarbeit. Der Widerspruch zwischen der Autonomie der einzelnen Fachbereiche beziehungsweise Professionen und dem Bedarf an Integration der Gesamtorganisation. Der Widerspruch zwischen den hohen Anforderungen moderner IT-Systeme an deren Benutzer und der fachlichen Spezialisierung und dem Selbstverständnis der im Krankenhaus tätigen Professionen. Der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit persönlicher Kommunikation und der verstärkten Nutzung neuer technischer Kommunikationsmedien. Der Widerspruch zwischen den notwendigen Kompetenzen in der Nutzung und den Logiken moderner Informations- und Kommunikationstechnologie, den Ansprüchen der Digitalisierung im Krankenhaus und den sozialen und empathischen Fähigkeiten, die im Umgang mit Patienten und deren Angehörigen erforderlich sind.

    

Um diese Komplexität zu diskutieren, habe ich im Krankenhaus tätige Menschen zu einem Austausch entlang einiger Themen eingeladen.1 Spezifika und Formen der Kommunikation Im Unterschied zu anderen Organisationen hat ein Krankenhaus den Auftrag, Patienten zu behandeln. Es ist eine Dienstleistung 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr – ein Motor, der immer läuft. Der Anspruch an eine laufend aktualisierte Dokumentation geht mit dem Anspruch einher, dass die verschiedenen Berufsgruppen in der Patientenversorgung auch aktuell informiert sind. Die Informationen, die vom medizinischen Personal ausgetauscht werden, betreffen ganz überwiegend Menschen, Patientinnen und Patienten, zum Beispiel im Rahmen der Visiten und Dienstübergaben. Die Informationen sind in der Regel ganz wesentlich für das Wohlbefinden und die korrekte Behandlung, und gerade deswegen ist die Vermeidung jeglicher Fehler in der Kommunikation im wahrsten Sinne des Wortes »überlebenswichtig«. Die Fehler in der Kommunikation können in der letzten Konsequenz zum Patientenschaden führen, deren Leben und Gesundheit gefährden. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wiederum erwarten vom Management eine mit den Berufsgruppen abgestimmte Kommunikation und Entscheidungen, die nicht am »grünen Tisch« entstehen. Führungsrelevante Kommunikation hat empfängerorientiert zu erfolgen, damit sie nachvollziehbar wird und es letztlich auch gelingt, in die Klinik hinein zu steuern.

Wassily Kandinski, Die Brücke, 1931 / akg-images / Erich Lessing

Im Umgang mit Patienten und Angehörigen ist das persönliche Gespräch vorherrschend. Intern in den Stationen und Abteilungen dominiert Face-to-face-Kommunikation, bereichsübergreifend laufen Informationen oft über Mails. Eine Form interprofessioneller Kommunikation sind Dienstanweisungen und SOPs (Standard Operating Procedures). Diese geben vor, wie die Abläufe zu erfolgen haben. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Meetings in unterschiedlichen Formen, wo alle Berufsgruppen zusammenkommen und Raum zum Austausch vorfinden.

Für Kommunikation förderliche Strukturen und Prozesse: • Eine Kultur der Offenheit, die auch ein Zugeben von Schwächen zulässt. (Edgar Schein spricht in diesem Zusammenhang in seinem Buch »Helping« von »cultural islands« in Organisationen.) • Sicherheitsmechanismen, um Behandlungsfehler frühzeitig zu erkennen. • Transparenz über den Nutzen von Datenquellen und ein Verständnis von Systemzu-

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K o m m u n i k a t i o n i m K r a n k e n h a u s    9 3





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sammenhängen. Oft wird sehr in eigenen Silos gedacht und kommuniziert.  Ein gemeinsames Verständnis, ein gemeinsames Bild, wie die therapeutischen Prozesse (Arzt, Pflege, Therapien) neben dem eigenen Kerngeschäft gesteuert werden sollen. Verständigungsprozesse, die die Effizienz von Abläufen sicherstellen, Feedback- und Reflexionsschleifen. Strukturelle Standards, um Schnittstellenprobleme und Insellösungen zu vermeiden. Interaktionsstrategien und Prozesse, die eine umfassende Wissensbasis im Team erarbeiten, gemeinsames Lernen, zum Beispiel Fallbesprechungen. Verbindliche, strukturierte Kommunikationsprozesse festlegen. Konsequent das Interesse auf die Patienten/ Angehörigen und die Mitarbeiter ausrichten; mit dem Patienten sprechen statt über ihn.

Für Kommunikation hinderliche Strukturen und Prozesse: • Zu starkes oder falsches Bewusstsein für Hierarchien: Wenn eine Pflegefachfrau sieht, dass der Arzt etwas verkehrt macht, muss es ihr möglich sein, dies ohne »Gefahr« anzusprechen. • Wenn die Versorgungsqualität über die Kommunikation nicht verbessert wird und die Ar­­ beitsbelastung der Mitarbeitenden zunimmt. • Wenn die direkte Kommunikation im Ar­ beitsalltag immer mehr an Gewicht verliert. • Erfahrungen aus der Industrie, die eins zu eins auf das Gesundheitswesen übertragen werden. • Die Dominanz von Finanzierungsfragen und fehlendes Prozessmanagement. Blick in die digitale Zukunft

wird stärker als bisher in den Arbeitsalltag integriert werden, das heißt Behandlung von Patienten, ohne dass der Arzt oder die Ärztin vor Ort ist, aber auch der Austausch von Informationen mit Experten. Die Behandlung »zu Hause« wird mit Konzepten wie Tele Health, ­Remote Patient Management, Tele Monitoring, Tele Care und mobilen Health Apps unterstützt werden. Die Digitalisierung im Krankenhaus zwingt dazu, an Konzepten für die Nutzung digitaler Medien durch Patienten und Angehörige zu arbeiten. Dies auch unter den Bedingungen des Schutzes sensibler Patientendaten und der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung der EU). Mag. Christian Gutzelnig MSc., Unternehmensberater und Organisationsberater mit einem Schwerpunkt im Public Sector und Gesundheitswesen. Er lebt in Wien und arbeitet weltweit. Über die Betriebswirtschaft, Organisationsentwicklung und Gruppendynamik fand er den Weg zur Ausbildung zum Psychotherapeuten (Existenzanalyse und Logotherapie). E-Mail: [email protected] Literatur Grossmann, R.; Scala, K. (2002). Intelligentes Krankenhaus. Innovative Beispiele der Organisationsentwicklung in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Wien/New York. Lobnig, H.; Grossmann, R. (2013). Organisationsentwicklung im Krankenhaus. Berlin. Schein, E. (2009). Helping: How to offer, give, and receive help. San Francisco. Anmerkung 1 Ich danke meinen Gesprächspartnern: Marianne von Dach, MSc in Organization Development, langjährige Führungserfahrung, zuletzt neun Jahre Pflegedirektorin in einer psychiatrischen Klinik der Privatklinik Meiringen AG, seit Juli 2018 pensioniert und selbständig tätig. Andreas Greulich, MSc, Krankenhaus-Betriebswirt (VKD), CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung der Klinik Lengg AG in Zürich. Dr. med. Heda Kvakan, Internistin, Oberärztin an der Klinik für Innere Medizin und Intensivmedizin Elblandklinikum Radebeul. Josef Mayr, ehemaliger Krankenhausseelsorger, Religions­ lehrer und Psychotherapeut in Ausbildung.

Abschließend noch ein Blick auf die Krankenhauskommunikation der Zukunft: Telemedizin

Herausforderung Kommunikation

AUS DER FORSCHUNG

Über den therapeutischen Nutzen schwangerer Palliativmedizinerinnen Vorgestellt von Lukas Radbruch Indrany Datta-Barua, Katherine O’Brien, ­Julia Vermylen: The Therapeutic Utility of the Pregnant Palliative Care Physician: A Case Series. In: Journal of Palliative Medicine, December 2018. DOI: 10.1089/jpm.2018.0379 Während einige Studien über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kommunikation und sogar im Behandlungsergebnis zwischen männlichen und weiblichen Ärzten veröffentlich wurden (zum Beispiel geben männliche Patienten gegenüber Ärztinnen weniger Schmerzen an als gegenüber Ärzten), gibt es bisher keine Veröffentlichungen zum Einfluss einer Schwangerschaft bei der behandelnden Palliativärztin auf die Kommunikation mit den Patienten. Dabei ist die gute Arzt-Patient-Kommunikation eine der wichtigsten Fähigkeiten der Palliativmediziner/-innen, bei der alle möglichen Stimuli genutzt werden, warum also nicht auch die Schwangerschaft als unvermeidbare Selbstoffenbarung der Behandlerin? Drei Ärztinnen aus einem Krankenhaus in Chicago berichten im Journal of Palliative Medicine von ihren Erfahrungen in der Kommunikation mit Palliativpatienten während ihrer Schwangerschaft. In sieben Fallvignetten schildern sie so gegensätzliche Verhaltensweisen der Patienten oder ihrer Angehörigen wie Neugier oder Ignoranz, von Fürsorge bis zu Aggression. So fragt der 76-jährige Patient mit Leukämie die Ärztin über ihre Schwangerschaft aus, und sie fragt ihn dann nach Ratschlägen zur Kindererziehung. Er rät ihr dazu, sich dafür zu interessieren, wofür die Kinder sich interessieren, und die anwesenden fünf erwachsenen Kinder fangen an,

Geschichten zu teilen über die Rolle, die der Vater in ihrem Leben gespielt hat.  Die Autorinnen schildern nicht nur diese Beispiele, sondern analysieren auch, welche affektgeladenen Themen unter den Reaktionen der Patienten liegen und mit welchen Techniken die Ärztinnen darauf reagieren können. Im genannten Beispiel führt die Neugier des Patienten dazu, dass die Ärztin als Thema die Verschmelzung durch Identifikation mit dem 76-Jährigen zulässt, indem sie die Frage nach einem Erziehungsrat als Technik einsetzt.  Sicherlich sind die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf die Situation in Deutschland zu übertragen (schon deshalb nicht, weil in zwei Beispielen die Ärztinnen noch gearbeitet haben, obwohl die Wehen schon eingesetzt hatten). Die Autorinnen zeigen aber, dass für die Arzt-Patient-Kommunikation auch ungewöhnliche Wege möglich sind, und schildern das einzigartige Potenzial der Schwangerschaft der Ärztinnen. 

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Entschieden ist nicht erledigt Die kommunikative Verfertigung von Entscheidungen in Spitälern

Harald Tuckermann

Dieses Zitat eines Spitalleiters zeigt die zwei Seiten der Medaille, wenn es darum geht, in einer Organisation des Gesundheitswesens für tragfähige Festlegungen zu sorgen. Die eine Seite ist die analytisch-inhaltliche Qualität einer Entscheidung. Die andere Seite ist die kommunikative Verfertigung der Entscheidung. Beides ist gerade in Organisationen des Gesundheitswesens zentral, weil oft die jeweiligen Professionen und Disziplinen eine (partielle) Autonomie genießen, weshalb Führung von der Zustimmung der Geführten abhängt (Denis, Lamothe und Langley 2001). Zunehmender Entscheidungsbedarf in Spitälern Schon heute kommen Spitäler zunehmend unter Entscheidungsdruck. Die gefühlte Begrenztheit finanzieller oder personeller Ressourcen, die zunehmende Innovationsgeschwindigkeit und eine steigende Erwartungshaltung öffentlicher Anspruchsgruppen sind dabei externe Entwicklungen. Sie haben unter anderem zur Folge, dass die vielfältigen Ressourcen an Personal, Finanzen, Technologie, Information oder Infrastruktur für eine gelingende Behandlungsarbeit nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung stehen. Vielmehr muss ihre Verfügbarkeit und ihre Entwicklung untereinander abgestimmt werden. Das wiederum zieht Entscheidungsbedarf nach sich.

    

Zudem nimmt der Abstimmungs- und Koordinationsbedarf auch im Rahmen der Behandlungsprozesse zu, insbesondere wenn die Beteiligten eine an den Behandlungsprozessen ausgerichtete patientenzentrierte Wertschöpfung anstreben. Gerade bei poly-morbiden Patientinnen und Patienten erfordern die Behandlungsprozesse die Einbindung und Koordination von immer stärker ausdifferenzierten Disziplinen und Professionen. Das steigert den Bedarf an Entscheidungen in der Behandlungsarbeit. Zwei Kommunikationsverständnisse Wenn der Entscheidungsbedarf zunimmt, an deren Verfertigung unterschiedliche Professionen und Disziplinen beteiligt oder davon betroffen sind, wird die kommunikative Orchestrierung von Entscheidungen zentral. Grob lassen sich zwei grundlegende Verständnisse von Kommunikation unterscheiden, die unterschiedliche Sichtweisen auf das Management von Spitälern im Rahmen je anderer Organisationsverständnisse nahelegen. Das eine – und nach meiner Beobachtung verbreitete – Verständnis lehnt sich an das Modell von Shannon und Weaver (1967) an:

I Rauschen

Abbildung 1: Übertragungsmodell der Kommunikation

Eva Cornejo Coba / Shutterstock.com

»Es braucht nicht nur fortlaufend i­ nhaltlich gute Entscheidungen. Diese ­Entscheidungen brauchen auch Akzeptanz, sonst passiert einfach nicht viel.« (ehemaliger Leiter eines Schweizer Zentrumsspitals)

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Nach diesem Verständnis übermittelt ein Sender eine Information (I) an einen Empfänger, was mitunter durch Rauschen im Nachrichtenkanal untergraben werden kann. Dieses lineare Verständnis funktioniert vor allem dann, wenn möglichst eindeutige, interpretationsfreie Wahrheiten zu vermitteln sind. Entsprechend diesem Modell werden dann in der Organisation getroffene Entscheidungen kommuniziert, nicht selten über das hauseigene Intranet, E-Mails oder sonstige Kanäle von Einweg-Kommunikation. Das andere, weniger geläufige Verständnis von Kommunikation kann man als systemisches Verständnis bezeichnen und ist unter anderem von Watzlawick (Watzlawick, Beavin und Jack�son 1969), Gergen (2002), aber auch von der neu�eren Systemtheorie (Luhmann 2000) inspiriert:

als das geläufige Übertragungsmodell, vor allem wenn es um organisationale Fragestellungen geht. Ein systemisches Kommunikationsverständnis fokussiert darauf, wie anspruchsvoll und voraussetzungsreich gelingende Kommunikation ist. Nach Luhmann (1990) beispielsweise geht es da�rum, die Hürden der Erreichbarkeit, des Verstehens und des Erfolgs zu meistern. Kurz zusammengefasst bezeichnet Erreichbarkeit, dass andere Beteiligte überhaupt auf ein infrage kommendes Thema aufmerksam werden. Verstehen bezeichnet die Herausforderung, dass das Thema auch verstanden wird, obwohl andere Beteiligte ihre eigene Sichtweise einnehmen und partikulare Interessen verfolgen. Erfolg meint schließlich, dass die anderen Beteiligten den über das Thema mitgeteilten Vorschlägen auch zustimmen. Die kommunikative Verfertigung von Entscheidungen

Eva Cornejo Coba /  Shutterstock.com

B

Abbildung 2: Systemisches Kommunikationsverständnis

Danach interpretieren die Kommunikationspartner wechselseitig ihre Beiträge und entwickeln Bedeutung (B) im Zuge dieses Deutungsprozesses, was wiederum die Grundlage für gemeinsam getragene Entscheidungen liefert. Dieses Verständnis geht nicht von objektiv gegebenen, wahren Aussagen aus, sondern davon, dass wechselseitiges Verständnis und darauf aufbauende tragfähige Festlegungen gemeinsame Errungenschaften sind. Im Kontext von Gesundheitsorganisationen und ihrem zunehmenden Entscheidungsbedarf erscheint das systemische Kommunikationsverständnis der Komplexität angemessener

Die Handhabung dieser drei Herausforderungen für eine gelingende Kommunikation eröffnet eine andere Praxis des Kommunizierens und Entscheidens in Organisationen als die mit dem Übertragungsmodell implizierte Einweg-Mitteilung von Entscheidungen. So antworten Mitarbeitende mitunter auf die Frage, wie sie von anstehenden Veränderungen erfahren, dass sie diese per E-Mail, durch das Intranet oder durch eine Informationsveranstaltung erfahren haben. Eine derartige Kommunikationspraxis riskiert erstens die Erreichbarkeit – wer liest schon regelmäßig das Intranet und wer liebt nicht die »­delete«-Taste, um den täglichen Berg an E-Mails zu bewältigen? Zweitens gelingt zwar die Erreichbarkeit mit Informationsveranstaltungen, auch weil sie signalisieren, dass es um etwas Wichtiges geht. Aber wenn dann nach einer Präsentation von vorne die Zusammenkunft endet, bleibt offen, ob und wie das Mitgeteilte auch verstanden wurde. Die Nachfrage »Hat noch jemand Fragen?« hilft in diesem Zusammenhang kaum weiter, weil die Zuhörerinnen und Zuhörer für sich oder mit

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E n t s c h i e d e n i s t n i c h t e r l e d i g t    9 7

ihren Kolleginnen und Kollegen das Gehörte erst einmal verarbeiten müssen. Mit solchen – am Übertragungsmodell orientierten – Kommunikationsformen ist gelingende Kommunikation recht unwahrscheinlich, gerade in Gesundheitsorganisationen mit ihren unterschiedlichen Expertinnen und Experten. Stattdessen, und darin besteht nach einem systemischen Kommunikationsverständnis eine Hauptaufgabe von Führungskräften, ist eine achtsame Orchestrierung der Kommunikation zunehmend zentral. Solch eine Orchestrierung hat zwei Ebenen: Auf der Mikroebene einzelner Kontaktsituationen (Gespräche, Sitzungen, Workshops, Informationsveranstaltungen usw.) geht es nicht nur darum, Informationen weiterzugeben. Vielmehr braucht es hier auch den (Zeit-)Raum, damit die Beteiligten ihre Bedeutung generieren können. Man kann beispielswiese die Informationsveranstaltung mit einer Kaffeepause unterbrechen, an der sich die Mitarbeitenden informell austauschen können, um im Anschluss Fragen zu stellen oder die Beobachtungen und Einsichten aus ihrer kleinen Gruppe zurückzuspiegeln. Daraus wiederum können die Führungskräfte ableiten, wie ihre Informationen verstanden wurden, und weitere Erläuterungen anbieten, um so das Verständnis für ihr Vorhaben und damit auch die Wahrscheinlichkeit für die Akzeptanz ihrer Vorschläge zu steigern. Geht es um größere Vorhaben, wie die Einführung eines neuen IT-Systems, die Etablierung von Spitalkooperationen oder die Lancierung von Managementkonzepten wie »lean production« (Gutzan, Tuckermann und Rüegg-Stürm 2018), reicht eine Kontaktsituation nicht aus. Derartige Vorhaben müssen ganz unterschiedliche Expertinnen und Experten, Entscheidungsträger unterschiedlicher Bereiche und Betroffene über einen längeren Zeitraum einbinden. Dazu ist die Makrostrukturierung von Kommunikation wesentlich. Makrostrukturierung bezeichnet die systematische Vernetzung einzelner Kontakt­situ­ationen nach Maßgabe des jeweiligen Projekts und als

Antwort auf die Fragen, wer erarbeitet und wer entscheidet in diesem Projekt über was, zu welchen Zeitpunkten und nach welchen Verfahren. Gelingt die Makrostrukturierung von Kommunikation, können für ein Vorhaben die notwendige Fachexpertise, die Entscheidungsmacht und die Umsetzenden in die Entwicklung und Realisierung eingebunden werden. Während diese Ausführungen nur die Unterschiede illustrieren, lässt sich zusammenfassen, dass mit einem systemischen Kommunikationsverständnis und dem dezidierten Versuch, die drei Herausforderungen Erreichbarkeit, Verstehen, Erfolg zu meistern, genauer und nachhaltiger daran gearbeitet werden kann, nicht nur für inhaltlich gute Entscheidungen zu sorgen, sondern auch für deren Akzeptanz. Wie dies konkret geschieht, bleibt Führungskräften und ihrer Kenntnis des spezifischen Geschehens in ihrer Organisation überlassen. Prof. Dr. Harald Tuckermann ist Vize­ direktor am Institut für Systemisches Management und Public Governance an der Universität St. Gallen, Assistenzprofessor für das Management pluralistischer Organisationen und Leiter des Forschungsprogramms HealthCare Ex�cellence. E-Mail: [email protected] Literatur Denis, J.-L.; Lamothe, L.; Langley, A. (2001). The dynamics of collective leadership and strategic change in pluralistic organizations. In: Academy of Management Journal, 44(4), S. 800–837. Gergen, K. J. (2002). Konstruierte Wirklichkeiten. Eine Hinführung zum sozialen Konstruktionismus. Stuttgart. Gutzan, S.; Tuckermann, H.; Rüegg-Stürm, J. (2018). Lean Hospital als Orchestrierung reflexiver Gestaltungspraktiken. In: Schweizerische Ärztezeitung, 99 (18), S. 593–596. Luhmann, N. (1990). Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. Opladen. Luhmann, N. (2000). Organisation und Entscheidung. Wiesbaden/Opladen. Shannon, C. E.; Weaver, W. (1967). The mathematical theory of communication. 11. Auflage. Urbana, Ill. Watzlawick, P.; Beavin, J. H.; Jackson, D. D. (1969). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern/Stuttgart.

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FORTBILDUNG

Der Wahrnehmungszirkel Petra Rechenberg-Winter Wir begegnen einem Menschen, und schon entsteht in uns ein Bild von ihm. Dieser blitzschnelle Scan gibt uns eine erste Orientierung. In uns meldet sich ein Gefühl dafür, ob Gefahr besteht, Sympathie entsteht oder Desinteresse uns abwenden lässt. Persönliche Wahrnehmungsfilter übernehmen diese uns sichernde Aufgabe. All unsere Lebenserfahrungen, übernommene Botschaften unserer Herkunftsfamilie und kulturelle Vorstellungen zeichnen ein Bild, das eine individuelle Annahme ist und nichts Reales über das Gegenüber aussagt. Und wenn wir uns mit anderen über unseren ersten Eindruck von diesem Menschen austauschen, könnten wir darüber staunen, wie unterschiedlich unsere jeweiligen Bilder sind. Daraus entstehen Meinungen, aus denen wir unsere Handlungen ableiten, zu denen wir meinen, uns dazu berechtigt fühlen zu dürfen. Und wir vergessen leicht, dass es das eigene Bild von diesem Menschen ist und nicht dieser Mensch selbst. Wahrnehmung ist individuell, und so nehme ich eine Situation auf eben meine Weise und anders als andere wahr. Ich erfasse nur Ausschnitte der mich umgebenden Realität. Diese Realitätsanteile halte ich für wahr und konstruiere so meine Wahrheit. Interessant ist nun, wie andere eben diese Situation wahrnehmen, wie ihre Wahrheit aussieht. Die Übung Wahrnehmungszirkel lädt ein, der eigenen Wahrnehmung ein wenig auf die Spur zu kommen und das, was automatisch in uns abläuft, nebeneinander zu betrachten, um so die verschiedenen Wahrnehmungsebenen einzeln und in ihrem Zusammenspiel zu erfahren: die Informations- und Sachebene, die emotionalen Ebene und die Ebene der persönlichen Interpretation.

Ablauf Vier Stühle in Kreisform aufstellen, jeder repräsentiert jeweils eine der Ebenen und ist entsprechend gekennzeichnet:

• Aussage • Hören, Information – »Ich höre …« • Fühlen, Empfinden, Emotion – •

»Ich spüre …« Interpretation – »Ich vermute …«

Ein Durchgang sollte als Demonstration in der Gesamtgruppe durchgeführt werden, bevor die Teilnehmer/-innen in Kleingruppen weiter üben. Dabei wählen sich 4 Teilnehmer/-innen (A, B, C, D) einen Platz, auf den sie besonders neugierig sind. Der Zirkel beginnt, indem A berichtet und anschließend nacheinander B, C, D ihre persönlichen Wahrnehmungen zur Verfügung stellen:

• A auf Stuhl Aussage erzählt eine ganz • • •

kurze Begebenheit. B achtet ausschließlich auf den Inhalt und wiederholt das Gehörte: »Ich höre …« C nimmt die (vermeintlichen) Emotionen von A und die eigenen wahr und gibt sie wieder: »Ich spüre …« D: konzentriert sich auf die persönlichen Interpretationen und teilt diese mit: »Ich vermute, dass …«

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Nach diesem ersten Durchgang wechseln die Teilnehmer/-innen auf den rechts neben ihnen stehenden Stuhl, und die zweite Runde beginnt. Dann folgt eine dritte und vierte, bis alle sich auf jedem Stuhl und damit in jeder Wahrnehmungsebene erlebt haben. Auswertung in der Kleingruppe • Welche Position fiel mir leicht, welche schwer? • Wie viel Interpretationsanteile waren in den anderen Wahrnehmungsebenen versteckt? • Was möchte ich mit dieser Erfahrung tun?

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Ergebnissicherung in der Gesamtgruppe Abschließend werden die Erkenntnisperlen jeder Kleingruppe zusammengetragen und besprochen, dass Wahrnehmung persönlich konstruiert ist. Eine Diskussion könnte sich anschließen: Gibt es die eine Wahrheit oder nicht vielmehr nur individuelle Wahrheiten? Petra Rechenberg-Winter, Dipl.-Päd., M.A., Psychologin, Familientherapeutin, (Lehr-)Supervisorin, Mediatorin, Lehrtherapeutin, ist im Leitungsteam des Hamburgischen Instituts für systemische Weiterbildung (HISW) und in eigener Praxis tätig.

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REZENSIONEN

Reden über Schmerz

Elena Ibello, Anne Rüffer (Hrsg.) (2018): Reden über Schmerz. Zürich, rüffer & rub Sachbuchverlag GmbH, 137 Seiten mit Illustrationen

»Schmerz lass nach«, »ein Indianer kennt keinen Schmerz«, »der Schmerz als Lehrer des Menschen«: Redensarten und Aphorismen beschäftigen sich mit Schmerz. Dabei ist das Reden über Schmerz alles andere als einfach. In zarten Rosatönen, das an japanisches Papier erinnert, mit einer feinen, aber klaren pinkfarbenen Schrift kommt das kleine Bändchen wie seine Vorgänger1 freundlich und unaufdringlich daher. Das Erscheinungsbild lässt nicht erahnen, dass es Schweres ist, was es beinhaltet. Schreiende Töne vermisst man – wohltuend. Verschiedene Fachkräfte nähern sich dem Thema und dem Phänomen Schmerz je aus ihrer Fachperspektive an. Eine Psychologin, eine Psychotherapeutin, eine Internistin, Onkologin und Hämatologin, ein Theologe, eine Anästhesiologie- und Schmerzspezialistin, ein Hausarzt sowie Fachpersonen von palliative zh+sh sowie »Onko Plus« kommen zu Wort. Der Fotograf Andreas Fahrni präsentiert in der Mitte des Buches die Installation »pain, my pain« zweier Kunstschaffenden von art-dialog.

»Ausgedrücktem Schmerz kann begegnet werden« Schmerz hat unterschiedliche Ursachen und unterschiedlichste Erscheinungsformen und tritt in den verschiedenen Mänteln auf, welche ihnen die Sprache verleiht: Bedauern, Beschwerden, Beschwernis, Elend, Jammer, Kümmernis, Last, Not, Pein, Plage, Qual, Seelenschmerz, Strapaze, Tortur, Unglück, Verzweiflung, Verwundung, Weh … Gemeinsam ist all den Arten von Schmerz, dass das Reden über Schmerz der erste Schritt ist, ihn zu überwinden. Oder wie es die Psychotherapeutin Dorothea Elmenthaler Saurer in ihrem Beitrag feststellt: »Ausgedrücktem Schmerz kann begegnet werden.« Der Tenor aller Beiträge lässt an das Märchen von Rumpelstilzchen denken: Mit der Nennung des Bösewichts beim Namen verliert dieser seine böse Zauberkraft. So – so die einhellige Meinung, die sich durch die acht Beiträge von Fachpersonen zieht – verliert auch der Schmerz an böser Kraft, wenn er betrachtet, benannt und in die Schranken gewiesen wird.



Dorothe Kienast »Furchtbar sei es gewesen, das auszuhalten« In den einzelnen Kapiteln lassen die Autorinnen und Autoren Geschichten von Betroffenen aufleben – und machen so den Schmerz auch für die Lesenden spürbar. Dennoch gelingt es, dass die Lektüre nicht herunterreißt oder mitschreien lässt. Sie macht deutlich, dass jeder Mensch seinen eigenen Schmerz hat, jeder Mensch auch seine eigene Bewältigungsstrategie wählen muss. Die Erzählungen bewegen – und es mag erstaunen, dass es hin und wieder die Angehörigen, die Pflegenden oder die Fachkräfte sind, die ihre Ohnmacht gegenüber Schmerz ausdrücken. Wie die Palliativpflegende, die erzählt: »Furchtbar sei es gewesen, den unstillbaren Schmerz des Sterbenden auszuhalten«. Gemeinsam Sprache finden Dennoch. Das Buch macht Mut, Wörter, Sätze, Bilder und Visionen zum eigenen Schmerzempfinden zu suchen und zu entdecken. Es macht auch Mut, Menschen mit Schmerzen in der eigenen Umgebung anzusprechen, sich mit ihnen auf den Weg zu machen, eben diese Wörter, Sätze und Bilder zu finden. Der Journalist Felix Ghezzi nimmt die Leserinnen und Leser mit auf einen Besuch ins Zürcher Lighthouse. Er nimmt sie behutsam an die Hand, um einen Tag mitzuerleben. Es sind gerade diese direkten Begegnungen, die das Buch nicht nur für Fachpersonen, sondern für alle lesenswert machen. Anmerkung 1

Elena Ibello, Anne Rüffer (Hrsg.) (2018): Reden über Sterben. Zürich: Rüffer & Rub. – Elena Ibello, Anne Rüffer (Hrsg.) (2017): Reden über Demenz. Zürich: Rüffer & Rub.

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Aufbau und Leitung eines Trauercafés | Praxisbuch Trauercafé

Monika Müller-­ Herrmann (2017): Aufbau und Leitung eines Trauercafés. Ein Projektbericht. Hamburg: tredition, 104 Seiten

Mechthild Schroeter-­Rupieper (2018): Praxisbuch Trauercafé. Grundlagen und Methoden. Ostfildern: Patmos, 126 Seiten mit Illustrationen Neben Einzelbegleitung, geleiteten Trauergruppen und Beratungen etabliert sich mehr und mehr das Angebot des sogenannten Trauercafés. Das Trauercafé ist eine leicht zugängliche Einladung, die zunehmend viele Hospizdienste für Trauernde bereitstellen. Alle vier bis sechs Wochen wird des Nachmittags in einem besonderen Raum Kaffee und Kuchen hergerichtet; die Besucher können miteinander über ihren Verlust und Fragen der Lebensbewältigung sprechen, sie können aber auch einfach nur mit dabei sein, Ablenkung erleben und erfahren, dass sie nicht allein sind. Das Café wird meist von entsprechend vorbereiteten ehrenamtlich Mitarbeitenden unterhalten, die alles bereithalten, mit an den Tischen sitzen und im Bedarfsfall unterstützend in die Gespräche eingreifen können. Die Besucher und Besucherinnen erfahren davon über Einladung und/oder Anzeigen in den

Monika Müller

Zeitungen. In das Trauercafé kommen sowohl Trauererlebende, die nur dieses Angebot für sich als ausreichend empfinden, aber auch Menschen, die noch anderes Anerbieten des Hospizdienstes für sich in Anspruch nehmen. Obschon alle Anbieter den Namen »Trauer­ café« benutzen, verbirgt sich hinter den jeweiligen Angeboten höchst Unterschiedliches. Gemeinsam ist allen die Niederschwelligkeit. Es bietet in einem geschützten Rahmen und wertfreier Atmosphäre bei Kaffee und Kuchen (oder Keksen) Tischgespräche für trauernde Menschen. Dafür sind haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende besonders befähigt. In der Regel können Menschen ohne Anmeldung zu diesen Treffs kommen und teilnehmen, ohne im Vorfeld Hintergründe ihres Verlusts erklären zu müssen. Auf dem Büchermarkt befinden sich zwei neue Büchlein zu dem Thema, die genau diese Unterschiedlichkeit spiegeln. Beschreibt das eine (Monika Müller-Hermann, 2017) nüchtern die Zusammenkünfte unter zurückhaltend moderierender Gesprächsführung nach einer Eingangsrunde, überrascht das andere (Mechthild Schroeter-­Rupieper, 2018) durch eine Fülle lebendiger Übungen. Für beide Autorinnen sind Trauer­cafés Kontakt- und Genussorte, bei denen Trauernde unter sich sein können. Das Konzept von Schroeter-Rupieper ist deutlich durch Anregungen zur Gestaltung der Trauerprozesse geprägt, hat also aktivierenden Charakter und ist ebenso gut für geleitete Trauergesprächsgruppen zu nutzen, während sich die Zusammenkünfte nach Müller-Herrmann auf den jeweiligen Rede- und vielleicht sogar Schweigebedarf und die ­Gruppengespräche fokussieren. Beides sind ausgesprochen nützliche Bücher; die Leserin mag entscheiden, welche Art ihr am meisten zusagt und entspricht.

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Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen Susanne Hirsmüller Jalid ­Sehouli (2018): Von der Kunst, schlechte ­Nachrichten gut zu ­überbringen. München. Kösel, 187 Seiten Über Schweres zu sprechen ist nicht leicht! Das soll und kann es vielleicht auch nicht sein. Eine der beispielhaftesten Situationen für das Überbringen schlechter Nachrichten ist sicher das Aufklärungsgespräch zwischen Ärztin und Patient bei schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen, auch wenn es viele andere Situationen im Berufs- als auch im Privatleben gibt, wo die Nachricht für den Empfänger, die Empfängerin im wahrsten Sinne des Wortes niederschmetternd sein kann. Einem Mitarbeiter muss gekündigt werden, den Kindern die Trennung der Eltern mitgeteilt werden, einer nahen Angehörigen, dass ihr Kind straffällig wurde oder drogensüchtig ist und vieles andere mehr. Erst seit ca. fünfzehn Jahren gehört an einigen Universitäten Kommunikation zu den im Medizinstudium vermittelten Fertigkeiten. Daraus folgt aber auch, dass alle Ärztinnen und Ärzte, die ihr Studium vor dieser Zeit abgeschlossen haben, höchstwahrscheinlich niemals ein Kommunikationstraining besucht oder das Überbringen schlechter Nachrichten systematisch etwa mit Rollenspielen eingeübt haben. Dabei muss und kann »gute Kommunikation auch in schwierigen Krankheitssituationen (…) genauso erlernt werden wie bestimmte komplizierte Operationstechniken«, so Sehouli, und weiter: »Das Gespräch zwischen Patient und Arzt ist so wichtig, nur damit kann man Ängsten begegnen. Es ist wahrscheinlich das wichtigste Medikament des Arztes, das er zu geben hat.«

Mittlerweile gibt es entsprechende Kursangebote, Fachbücher und Kapitel zur Kommunikation in den meisten Lehrbüchern der einzelnen medizinischen Fachdisziplinen. Es ist daher besonders bemerkenswert, dass ein Lehrstuhlinhaber für Gynäkologie ein Buch geschrieben hat, das sich ausdrücklich nicht nur an Ärztinnen und Ärzte richtet. Auf 186 Seiten schildert er sehr persönlich und anhand zahlreicher Beispiele – nicht nur aus dem medizinischen Kontext –, was es für den Überbringer, aber auch für die Hörerin der schlechten Nachricht bedeutet und wie diese Situationen besser gestaltet werden können. Sehouli schreibt wissenschaftlich fundiert und mit einem kompakten Anhang nützlicher Hinweise (u. a. die SPIKES-Methode, Regeln für das Überbringen einer Todesnachricht, Checkliste für das Gespräch zur Übermittlung einer schlechten Nachricht für den Überbringer, den Empfänger und den Begleiter) und dennoch verständlich und gut lesbar. Dabei legt er sehr viel Wert auf das Wahrnehmen der Gefühle aller Beteiligten, auch der eigenen, beim Überbringen der Nachricht. Man merkt dem Text an, dass der Autor seit einem traumatischen Erlebnis das kreative Schreiben für sich selbst nutzt und bereits Prosaliteratur veröffentlicht hat. Ein eigenes Kapitel widmet er dem Perspektivwechsel, indem er die im wahrsten Sinne des Wortes Not-Wendigkeit von positiven Nachrichten erläutert. »Herr Doktor, Sie haben jetzt so lange mit mir über die 95 % schlechter Geschichten gesprochen. Jetzt würde ich gerne etwas über die guten 5 % erzählt bekommen.« Dieses Buch ist absolut lesenswert – für jede und jeden, unabhängig davon, ob und in welchem Zusammenhang wir beruflich mit Menschen arbeiten, sie medizinisch oder therapeutisch behandeln, ehrenamtlich begleiten.

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Claudia Landenberger

Am 14.9.2018 fand in Stuttgart der 1. Bürgertag zur Zukunft der Hospiz- und Palliativversorgung in Baden-Württemberg statt. Als erstes Bundesland wird die Teilnahme von Ehrenamtlichen an Weiterbildungskursen in Trauerbegleitung gefördert. In meinem Vortrag zur Trauerbegleitung wollte ich die trauernden Menschen in den Mittelpunkt stellen. Hier Auszüge aus meinem Vortrag: mit all dem Schlimmen, was passiert ist, weiterleben zu können. Trauer beginnt nicht erst dann, wenn ein Mensch verstorben ist. Eine lebensbegrenzende Diagnose verändert das ganze Leben. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Es geht schon jetzt um Abschied von Lebenswünschen, Vorstellungen und Träumen. Geprägt ist diese Zeit von hoffnungsvollem Tun, von Therapien, von Funktionieren und Weitermachen, von Angst vor ganz vielem. Es gibt unterschiedliche Trauertheorien und Modelle. Für den Vortrag habe ich mich dafür entschieden, am Menschen zu bleiben. Und zu schauen, was trauernden Menschen – also uns allen – guttun könnte. Ich möchte versuchen einen Einblick in das veränderte Leben trauernder Menschen zu geben. Anna Lorenz hat »Herzenswünsche Trauernder« geschrieben. An ihrem Text habe ich mich orientiert. Pixabay

Trauer geht uns alle an, jede und jeder kennt Abschiedssituationen, wir sind alle Betroffene. Trauerbegleitung unterstützt Menschen – uns alle – auf einem ganz individuellen Weg, in ganz eigenem Tempo und ohne das Wissen darüber, wie der Weg genau aussieht. Ziel ist es, den Verlust in die eigene Biografie zu integrieren, um

    

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»sei für mich da, sei mir nah, sei still mit mir« Dasein heißt für mich, einem anderen Menschen begegnen, auf ihn zugehen. Ohne Vorbehalte und auch dann, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll. Auf Augenhöhe und ohne ihn kleinzumachen, weil ich Mitleid habe und denke, wie arm er in seiner Situation doch ist. »Still sein« fällt uns oft nicht leicht. Und ich glaube, dass es Situationen gibt, in denen »still sein« das einzig Hilfreiche ist. »weine, lache oder sing mit mir« Weinen setzt Vertrauen voraus. Es braucht einen geschützten Raum. Und die eigene Bereitschaft, sich zu zeigen, sich mit seinen Gefühlen nicht verstecken zu müssen. Lachen bedeutet sich zu freuen. Auch das ist in schwierigen Zeiten möglich. Ohne dass die Trauer dadurch geschmälert wird. »iss gemeinsam mit mir oder bring mir einen Teller warme Suppe oder ein Stück Kuchen« Es geht um die ganz praktische Unterstützung im Alltag, ums Überleben. Gemeinsames Essen oder das Bringen von Suppe oder Kuchen gibt dem Tag eine gewisse Struktur. Es geht dabei auch darum, umsorgt zu werden. Zu spüren: Ich als Trauernder bin einem anderen Menschen wichtig. »schenk mir deine Zeit am liebsten in Form von Gutscheinen, damit ich mir aussuchen kann, wann ich darauf zurückgreife« Die »Zeitgutscheine«, die Kathrin Lorenz wünscht, drücken den Wunsch nach Handlungskompetenz aus, danach, selbst entscheiden zu können. Trauernde erlauben sich oft nicht, etwas abzulehnen, aus Angst, dass sich die anderen dann nicht mehr melden. Es ist wichtig, dass Trauernde üben, dieses eigene Bedürfnis wahrzunehmen.

Und dann auch entsprechend für sich zu sorgen. Entscheidungsfähigkeit zu fördern und zu stärken ist wichtig. »sei geduldig mit mir« Dieser Satz eines Trauernden könnte enden mit: »denn ich selbst habe keine Geduld mit mir«. So wie ich gerade bin, kenne ich mich nicht und so gefalle ich mir auch nicht. So möchte ich eigentlich nicht sein. Für mich gehört die Barmherzigkeit mit sich selbst zu der Geduld dazu. Wenn etwas nicht gelingt, nicht streng mit sich zu sein und sich dafür auch noch zu verurteilen. Sondern versuchen sich zu sagen, dass es heute nicht gelungen ist, und es trotzdem morgen wieder zu versuchen. »nimm mich wahr in meinem momentanen Sein« Das momentane Sein ist davon geprägt, dass es ständig wechselt. Wahrnehmen heißt ganz genau hinschauen, hinspüren. Nicht von mir selbst ausgehen, sondern versuchen ganz beim Anderen zu sein. Es geht darum, den Schmerz des Anderen zu sehen und auch auszuhalten. Ihn nicht kleinzureden und zu beschönigen. Trauernde stellen sich auch die Frage: »Wer bin ich überhaupt?« Für Trauernde ist es hilfreich, wenn sie spüren, dass sie keine Erwartungen erfüllen müssen. Und wir als Gesellschaft haben viele Erwartungen. Als Trauender wünsche ich mir, so sein zu dürfen, wie ich bin. Wahrnehmen heißt auch Betroffenen nicht aus dem Weg zu gehen. Trotzdem begegnen. »höre dir immer und immer wieder meine Lebenstrauer an« Trauer hört nie auf, sie verändert sich mit der Zeit. Mit dem Tod eines geliebten Menschen müssen auch eigene Wünsche, Träume, Vorstellungen vom Leben aufgegeben und verabschiedet wer-

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den. Trauer ist auch Trauer um mich und das, was nicht mehr lebbar ist. Erinnerungen sind wertvoll und schmerzhaft. Es kann guttun, Erinnerungen zu teilen. Immer und immer wieder vom Verstorbenen erzählen zu können. »gib mir keine Ratschläge« Für Trauer gibt es kein Rezept. Kein richtig und kein falsch. Wege in der Trauer sind ganz individuelle Wege. Diese gilt es wertzuschätzen, anzuerkennen und zu begleiten. Impulse für Veränderungen können eingebracht werden. Und die trauernden Menschen schauen, wie diese Veränderungen für sie passen könnten. Trauernde möchten ernst genommen werden. »tauche mit mir ein in meine ganz eigene Trauerwelt – hinterfrag sie« Eintauchen heißt, die Situation, so wie sie ist, mit auszuhalten. Trauer ist in unserer Gesellschaft häufig nicht gewünscht und wird verdrängt. Schon Kindern nehmen wir die Möglichkeit, in kleineren Abschiedssituationen zu üben und uns Erwachsene als Trauernde und damit als Vorbilder zu erleben. Hinterfragen bedeutet für mich, nach den Ressourcen zu schauen. Gemeinsam zu überlegen, was die Kraftquellen sind. Zu schauen, was in allem Schweren trotzdem gelingt. Das Gute im Schlechten zu finden. »schenk mir deine Liebe« Für uns Menschen ist es schwierig, liebevoll mit uns selbst umzugehen. Gut mit uns zu sein. Wir sind mit uns sehr kritisch und streng, für den liebevollen Umgang brauchen wir oft andere. »dies alles sind Dinge, die mein Herz wärmen und mir Halt geben« Das Herz ist schwer getroffen, verletzt, tut unendlich weh und ist schwer. Rituale können Halt

geben. Familie und Freunde sind mir eingefallen. Arbeit gibt manchmal Halt, dem Tag Struktur. Viele Menschen finden auch in ihrer Spiritualität Halt. »so kann ich mit der Zeit wieder zurück zum Leben finden, in mein neues Leben« Das alte Leben gibt es so nicht mehr und wird es auch nie mehr geben. Das ist sehr schmerzhaft. Es geht um »sowohl als auch«. Gute und auch herausfordernde Zeiten. »und bitte vergiss mich auch nicht, wenn ein paar Monate ins Land gezogen sind« Trauernde möchten nicht vergessen werden. An besonderen Tagen, wie Todestag, Geburtstag oder auch Hochzeitstag, ist es für Trauernde sehr tröstlich, wenn andere an sie denken. Auf die Frage, ob es ihr jetzt wieder gut gehe, antwortete eine trauernde Frau: »Nichts ist gut. Mein Mann ist immer noch tot.« Meinen Vortrag habe ich mit Worten von Astrid Lindgren (»Ronja Räubertochter«) beendet: »Lange saßen sie dort und hatten es schwer, aber sie hatten es gemeinsam schwer. Und das war ein Trost. Leicht war es trotzdem nicht«. Claudia Landenberger ist Palliative-­ Care-Fachkraft und Trauerbegleiterin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene (BVT). E-Mail: C  laudia.Landenberger@ lebe-wohl.net Website: www.lebe-wohl.net Literatur Lorenz, K. (2017). In Liebe verbunden. Herzimpulse für Trauernde. Presseck.

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Vorschau Heft 3 | 2019 Thema: Trauerpolitik Trauer an der Schnittstelle: persönliche Trauer, öffentliche Trauer, politische Trauer Trauer nach Mandats-, Macht- und Statusverlust in Politik und Wirtschaft Arbeitsrechtliche Reflexionen zum Thema Trauer Trauer in Ausbildung von Ärzten/ Ärztinnen, Lehrer/-innen, Pädagogen/ Pädagoginnen Politische Maßnahmen für Hospiz- und Palliativarbeit u. a. m.

Impressum Herausgeber/-innen: Monika Müller M. A., KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Zentrum für Palliativmedizin, Von-Hompesch-Str. 1, D-53123 Bonn E-Mail: [email protected] Dr. phil. Sylvia Brathuhn, Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V., Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland e. V./Bundesverband e. V. Bonn Schweidnitzer Str. 17, D-56566 Neuwied E-Mail: [email protected] Dr. Dorothee Bürgi (Zürich), Prof. Dr. Arnold Langenmayr (Ratingen), Dipl.-Sozialpäd. Heiner Melching (Berlin), Dr. Christian Metz (Wien), Dipl.-Päd. Petra Rechenberg-Winter M. A. (Hamburg), Dipl.-Psych. Margit Schröer (Düsseldorf), Prof. Dr. Reiner Sörries (Erlangen) Bitte senden Sie postalische Anfragen und Rezensionsexemplare an Monika Müller, KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Colin Murray Parkes (Großbritannien), Dr. Sandra L. Bertman (USA), Dr. Henk Schut (Niederlande), Dr. Margaret Stroebe (Niederlande), Prof. Robert A. Neimeyer (USA) Redaktion: Ulrike Rastin M. A. (V. i. S. d. P.), Verlag Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen, Tel.: 0551-5084-423, Fax: 0551-5084-454 E-Mail: [email protected] Bezugsbedingungen: Leidfaden erscheint viermal jährlich mit einem Gesamtumfang von ca. 360 Seiten. Bestellung durch jede Buchhandlung oder beim Verlag. Jahresbezugspreis € 70,00 D / € 72,00 A. Institutionenpreis € 132,00 D / € 135,80 A / SFr 162,00, Einzelheftpreis € 20 D / € 20,60 A (jeweils zzgl. Versandkosten), Online-Abo inklusive für Printabonnenten. Preisänderungen vorbehalten. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht eine Abbestellung bis zum 01.10. erfolgt. Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen; Tel.: 0551-5084-40, Fax: 0551-5084-454 www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2192-1202 ISBN 978-3-525-40666-3 ISBN 978-3-647-40666-9 (E-Book) Umschlagabbildung: Stanley Spencer, The Neighbours, 1936/ Stanley Spencer Gallery, Cookham, Berkshire, UK/Bridgeman Images Anzeigenverkauf: Anja Kütemeyer, E-Mail: [email protected] Bestellungen und Abonnementverwaltung: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Servicecenter Fachverlage, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen; Tel.: 07071-9353-16, Fax: 07071-9353-93, E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. © 2019 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Gestaltung, Satz und Lithografie: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany

TRAUER UND VERLUSTERLEBEN VON MENSCHEN MIT KOGNITIVEN EINSCHRÄNKUNGEN HILFREICH BEGLEITEN

Stephanie Witt-Loers

Trauernde Menschen mit geistiger Behinderung begleiten Orientierungshilfe für Bezugspersonen 2019. 224 Seiten, 1 Abbildung, kartoniert € 23,00 D ISBN 978-3-525-70267-3 eBook € 18,99 D | ISBN 978-3-647-70267-4

Stephanie Witt-Loers stellt dar, wie Menschen mit geistiger Behinderung trauern und wie sie in ihrem Trauerprozess unterstützt und gut begleitet werden können. Wie erleben Menschen mit geistiger Behinderung den Verlust eines nahestehenden Menschen? Menschen mit geistigen Behinderungen sind nicht alle gleich eingeschränkt. Sie verfügen über unterschiedliche kognitive und motorische Fähigkeiten und unterscheiden sich ebenfalls in ihrem sozial-emotionalen Verhalten. Unter Berücksichtigung dieser Unterschiede gibt Stephanie Witt-Loers Hinweise, wie geistig behinderte Menschen hilfreich begleitet werden können. Erfahrungsberichte machen deutlich, was der Verlust für Menschen mit geistiger Behinderung bedeutet und wie eine konkrete Unterstützung aussehen kann.

UMFASSENDES HANDBUCH MIT METHODEN UND TECHNIKEN FÜR DIE PRAXIS DER TRAUERBEGLEITUNG Monika Müller | Sylvia Brathuhn | Matthias Schnegg ÜbungsRaum Trauerbegleitung Methodenhandbuch für die Arbeit mit Trauernden 2018. 284 Seiten, mit 19 Abb., 2 Tab. sowie Kopiervorlagen als Download-Material, kartoniert € 30,00 D | € 32,00 A ISBN 978-3-525-40639-7

Das Buch kommt dem Wunsch von Begleitenden nach methodischem Handwerkszeug entgegen, in Trauersituationen mehr Angebote machen können, als einfühlsam zuzuhören. Das Methodenhandbuch stellt eine Fülle von Handhabungen und Fertigkeiten vor, die den Betroffenen einen anregenden Umgang mit ihrer Trauer ermöglichen. Der Kern des Buches besteht aus einer alphabetisch geordneten, anlassbezogenen Sammlung von 77 Schlüsselbegriffen mit jeweils einer kurzen Darstellung des Themas, Impulszitaten sowie der Übung selbst. Arbeitsblätter sind auch als Download abrufbar und ausdruckbar. Es werden zum Beispiel folgende Themen behandelt: Abschied, Aktionismus, Angst, Chaos, Dankbarkeit, Einsamkeit, Erinnerung, Geduld, Glück, Gott, Hoffnung, Identität, Jahrestage, Klagen, Kreativität, Mut, Mythen, Neid, Ohnmacht, Rationalisierung, Resonanz, Schuld, Trost.