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German Pages 532 [533] Year 1971
Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter
Band 6
Heinrich Held als Parlamentarier Eine Teilbiographie 1868 – 1924
Von
Richard Keßler
Duncker & Humblot · Berlin
RICHARD
KESSLER
Heinrich Held als Parlamentarier
Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns i m Industriezeitalter Band 6
Heinrich Held als Parlamentarier
Eine Teilbiographie
1868-1924
Von
Richard Keßler
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1971 bel Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 02434 6
Inhaltsverzeichnis Vorwort
11
I. Elternhaus und Jugend
15
I I . Erste politische Eindrücke H. Heids — Grundlagen seines politischen Weltbildes
19
I I I . H. Held als Journalist und Kommunalpolitiker in Regensburg . .
26
1. Josef Habbel als politischer Mentor
26
2. Die politische Entwicklung der Stadt Regensburg u n d ihre Presse
27
3. Heids K a m p f gegen den Regensburger Rathausliberalismus 1900—1908
32
4. Heids I n i t i a t i v e zur Änderung der Gemeindewahlordnung . .
37
5. Heids A k t i v i t ä t i n der christlichen Gewerkschaftsbewegung
42
6. Aufbau eines katholischen Vereinslebens i n Regensburg
50
I V . Heids politisches Weltbild vor Eintritt in die aktive Politik — Die politischen Gegner Liberalismus und Sozialdemokratie
56
1. Der
Liberalismus
2. Die Sozialdemokratie
57 62
3. Das Z e n t r u m u n d der Staat
65
a) Was ist das Zentrum?
65
b) Was ist der Staat i n seinem Verhältnis zur Kirche? P o l i t i k und Moral
70
4. Das deutsche Reich
75
5. Bayern bis zum Jahre 1907 — Klagen der K a t h o l i k e n
80
V. Das bayerische Zentrum
91
1. Heids Leistung beim A u f b a u einer modernen Parteiorganisation
91
2. Kandidaturen zum Reichs- u n d Landtag 1907
95
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten; ihre Entwicklung u n d S t r u k t u r 100
;6
Inhaltsverzeichnis a) Entwicklung des Bayerischen Zentrums; innerparteiliche Kämpfe 102 b) Die soziologische S t r u k t u r des Interessenausgleichs
der Partei;
Schwierigkeiten
V I . Parlamentarische Arbeit in der Kammer der Abgeordneten
112 118
1. Heids Arbeit i m Beamten- u n d Gehaltsausschuß — sein K a m p f gegen den Personalienliberalismus 118 2. Opposition gegen den Reichsrat
126
3. Opposition zu Regierung u n d eigener F r a k t i o n bei Behandl u n g der Bayerischen Kirchengemeindeordnung 131 V I I . Übergang zur konservativen bayerischen Staatspolitik — Opposition des Zentrums gegen das Ministerium Podewils 139 1. K u l t u r p o l i t i k
140
2. Verhältnis Reich — Bayern
146
3. Das Zwischenspiel der Steuerreform
147
4. Änderung der parlamentarischen Konstellation 1911/1912
148
5. Auseinandersetzung u m den Eisenbahnerrevers
153
6. Wahlkampf u n d Wahlen 1912
164
V I I I . Das Ministerium Hertling und das bayerische Zentrum
169
1. Die H a l t u n g Heids u n d des Zentrums i n der Regentschaftsfrage 176 2. Der K a m p f gegen den Rotblock — parlamentarische Auseinandersetzungen 1912/1914 182 3. Verschärfung der parteipolitischen Fronten i n Sozial-, K u l t u r - u n d Verfassungspolitik i n den Jahren 1913/1914 185 4. Heinrich H e l d als Fraktionsvorsitzender Zentrums
des
bayerischen
191
I X . Das politische Weltbild Heids am Vorabend des 1. Weltkrieges 194 1. Das Verhältnis Bayerns zum Reich i m Jahre 1914
194
2. Die innerbayerischen Verhältnisse
196
X . Der 1. Weltkrieg
203
1. Der Versuch eines innenpolitischen Burgfriedens
207
2. Die Gemeindewahlen i m Herbst 1914
210
3. Handhabung der Pressezensur
214
4. Landtagssession 1915/16
218
Inhaltsverzeichnis X I . Held und das bayerische Zentrum in der Kriegszielpolitik —
222
1. Auseinandersetzungen u m die deutschen Kriegsziele — Die Kanzlersturzbewegung i n Bayern 222 2. Elsaß-Lothringen
232
3. Das Verhältnis Bayern — Reich i m Kriege
240
4. Das werdende Europa — Die Donaufrage
245
5. Frühjahrstagung 1917 — Krisen i m bayerischen Kabinett . . 248 X I I . Neuorientierung des Reichstagszentrums — Die Reaktion Heids 258 1. Die Friedensresolution v o m J u l i 1917
258
2. Die Frankfurter Zentrums
269
Versammlung
des Reichsausschusses des
X I I I . Session des bayerischen Landtags 1917/18 — Verfassungsfragen 276 1. Die H a l t u n g des Zentrums zu den Verfassungsanträgen der Sozialdemokraten u n d Liberalen 277 2. Die politische Lage Bayerns i m Sommer 1918
285
X I V . Das Ende 1918
289
1. Die drohende Niederlage — I n i t i a t i v e n Heids i n Minute
letzter
289
2. Der angebliche Separatismus Heids u n d die Frage eines bayerischen Sonderfriedens 293 3. Die erzwungene Parlamentarisierung — Das Ende
297
4. Die Wirkungen des Weltkriegs bei Held: Nationalisierung seines politischen Denkens 310 5. Die internationale katholische Union 1917/18
311
X V . Die Resolution in Bayern — Gründung der B V P
314
1. Anpassung an die neuen Verhältnisse
314
2. Gründung der B V P
321
3. Das Programm der B V P
326
4. Die B V P als bayerischer Ordnungsblock u n d der Versuch einer kooperativen Organisation 330 5. Die Konfrontation der Regensburger alten Landtagszentrum X V I . Die B V P bis zu den Wahlen 1919 1. K r i t i k an Eisner
Gründung m i t
dem
333 341 341
8
Inhaltsverzeichnis 2. Verfassungsfragen i n Bayern u n d Reich
343
3. Der angebliche Separatismus der B V P
345
4. Die Wahlen i m Januar 1919
349
X V I I . Das Zustandekommen der Regierung Hoffmann und die Haltung der BVP zu ihr 353 1. Die B i l d u n g der Regierung Hoff mann
353
2. Innerparteiliche Auseinandersetzungen i n der B V P — Sozialisierungsgedanken 356 3. Die U m b i l d u n g der Regierung unter Beteiligung der B V P . . 361 X V I I I . Die Beratung der bayerischen Verfassung in Bamberg 1. E i n bayerischer Staatspräsident
366 370
2. Kulturpolitische Fragen; das Verhältnis Staat u n d Kirche . . 371 X I X . Die Regierung Hoffmann bis zu ihrem Sturz im Frühjahr 1920 . . 375 1. Das bayerische Lehrergesetz
375
2. Die Regierungskrise i m Herbst 1919
377
X X . Die Regierung Kahr
383
1. Die W a h l Kahrs zum Ministerpräsidenten
384
2. Die P o l i t i k Kahrs u n d der B V P — Die Wahlen 1920
388
X X I . Die Trennung der B V P vom Reichstagszentrum
394
1. Das Vorgehen Heims
396
2. Versuche der Vereinigung B V P — Bauernbund
400
3. Die konservative Verfestigung des BVP-Programms — Die Absage nach links 405 X X I I . Die foederalistische Initiative der BVP — Das Bamberger Programm vom September 1920 408 1. Der „ B e r l i n " - K o m p l e x der B V P
408
2. Das Bamberger Programm der B V P
410
3. Das endgültige foederalistische Programm der B V P
415
4. Das bayerische Staatsbewußtsein bei H e l d — Foederalistische Grundauffassung 418 X X I I I . Die B V P und die Konflikte Bayerns mit dem Reich 1. Die bayerische Einwohnerwehr
423 423
Inhaltsverzeichnis 2. Held i n der Republikschutzfrage 1921
427
3. Der Sturz Kahrs i m September 1921
431
4. Publizistische Kontroverse Held - K a h r i m Sommer 1922
438
X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld — Der Zug nach rechts 1. Der Z u g nach rechts
444 445
2. Demokratie u n d Republik
448
3. Held u n d die monarchische Frage bis 1924
453
4. V o l k u n d Nation
455
5. Der K a m p f gegen den Nationalsozialismus
459
6. Der Sturz Lerchenfelds
463
X X V . Der Kampf für den bayerischen Staatsgedanken
473
1. Der bayerische Staatspräsident
473
2. Das bayerische Konkordat
483
X X V I . Das Ministerium Knilling und das Generalstaatskommissariat Kahr 489 1. Der K a m p f gegen die Rechtsaktivisten — Schwierigkeiten der Unterscheidung 489 2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs
493
3. Die Einflußlosigkeit der B V P auf die P o l i t i k Kahrs
502
X X V I I . Die Liquidierung des Hitlerputsches — Wahlen im April 1924 .. 507 1. Die weitere H a l t u n g der B V P zu K a h r
509
2. Die Wahlen i m A p r i l 1924
512
3. Kombinationen u m eine K o a l i t i o n
513
X X V I I I . Held als Ministerpräsident
517
Quellen- und Literaturverzeichnis
524
Abkürzungsverzeichnis AHR
Archiv H e l d Regensburg
AStAM
Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Allgemeine Abteilung
BBd
Bayerischer Bauernbund
BK
Bayerischer K u r i e r
BKAM
Bayerisches Kriegsarchiv München
BLAM
Bayerisches Landtagsarchiv München
BStZ
Bayerische Staatszeitung
BVC
Bayerische Volksparteikorrespondenz
BVP
Bayerische Volkspartei
DDP
Deutsch-Demokratische Partei
DNVP
Deutschnationale Volkspartei
GStAM
Geheimes Staatsarchiv München
HPBL
Historisch-Politische Blätter
HZ
Historische Zeitschrift
MNN
Münchner Neueste Nachrichten
MSPD
Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
PZ
Politische Zeitfragen
RA
Regensburger Anzeiger
RM
Regensburger Morgenblatt
SMH
Süddeutsche Monatshefte
Sten. Ber.
Stenographische Berichte
USPD
Unabhängige sozialistische Partei Deutschlands
VJHZ
Viertel] ahreshef te f ü r Zeitgeschichte
ZBLG
Zeitschrift f ü r bayerische Landesgeschichte
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, einer Schlüsselfigur der bayerischen Politik i m ersten Drittel des 20. Jahrhunderts unter Heranziehung bisher unveröffentlichter Nachlaßdokumente Profil zu geben. Dieser biographische Versuch über Heinrich Held wurde eingeschränkt auf seine politische Tätigkeit bis zum Jahre 1924. Als Ministerpräsident hat er schon verschiedentlich Würdigung gefunden; seine parlamentarische Tätigkeit ist bisher weniger beachtet worden, obwohl er die politische Entwicklung Bayerns von 1907 bis 1924 entscheidend m i t bestimmt hat. Es ist Absicht dieser Arbeit, die Entwicklung und die Grundkomponenten der politischen Anschauungen Heids und ihre Umsetzung i n politisches Verhalten darzustellen. Diese Entwicklung ist bei Held nicht geradlinig verlaufen. Das erschwerte zwar die Darstellung, weil sich der Verfasser bemühen mußte, oft i n weitausholender Form diese Wandlungen zu analysieren und, soweit sie aus dem vorliegenden Material ersichtlich waren, zu begründen. Es blieben trotzdem oft nicht zu lösende Widersprüche bestehen, von denen der Verfasser meint, daß sie sich von ihren Beweggründen her nicht auflösen lassen, sondern oft nur berühren. Es liegt dies i m Wesen der i n der Geschichte handelnden und sich m i t deren Kräften auseinandersetzenden Persönlichkeit. Es wurde aber versucht, die Geschichte eines Mannes von den vorliegenden Quellen her zu zeigen und sie von den inzwischen in der historischen Publizistik angesammelten und immer wieder weitergetragenen Klischees und Mythen zu reinigen. Die gewählte Form der Biographie als Geschichtsschreibung i m vorliegenden Fall verlangt nach einer näheren Definition. Es ist nach Meinung des Verfassers von der Feststellung auszugehen, die Professor Bosl getroffen hat: „ Z u r Erklärung des inneren Geschichtsvorganges reicht der einseitige Begriff des geschichtsbildenden Individuums, wie ihn vor allem Humanismus, Nationalismus, Liberalismus geprägt haben, nicht mehr aus 1 ." Die politisch handelnde Persönlichkeit muß also i n einen Zusammenhang politisch-ideologischer und sozialer Kräftefelder hineingestellt werden, wobei dann zu zeigen ist, wie die einzelne Persönlichkeit sich i n diesen Wirklichkeiten orientierte, reagierte und den Gang der Entwicklung zu beeinflussen versucht hat. 1
Bosl, Frühformen, S. 467.
12
Vorwort
So wurde i n dieser Arbeit, um z.B. ein Problem herauszugreifen, sehr ausführlich eingegangen auf die Darstellung der politischen Umwelt und ihrer ideologischen Ausprägung, wie sie Held als politischer Katholik bis 1914 i n Deutschland und Bayern sah; ohne eine ausführliche Beschreibung seiner scharfen Frontstellung zu Liberalismus und Sozialdemokratie m i t all ihren ressentimentgeladenen Belastungen ist ζ. B. seine Haltung zu Fragen der Parlamentarisierung vor und am Ende des 1. Weltkriegs nicht zu verstehen. Das politische Kräftefeld, i n dem sich Held bewegte, verlangt auch eine ausführliche Beschreibung der Entwicklung und Struktur der Partei, i n der er tätig war, dem Zentrum und später der BVP, u m seine politische Stellung in dieser Gruppierung klar herausarbeiten zu können. U m den Strom seiner politischen Entwicklung i m Kontext der allgemeinen Entwicklungen nicht zu isolieren, mußte auch eingegangen werden auf historische Bewegungen, bei denen Held nur am Rande beteiligt war: wie ζ. B. die Vorgeschichte der innerparteilichen Auseinandersetzungen i m bayerischen Zentrum vor Heids Eintritt i n die bayerische Politik und die Gründung der B V P mit all ihren Folgeerscheinungen. Die Biographie als Gattung der Historiographie bringt natürliche methodische Schwierigkeiten i n Forschung und Darstellung mit sich, die sich vor allem aus der Frage nach der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte ergeben. Sie soll die Darstellung des äußeren Lebenslaufes und der inneren Entwicklung eines Menschen mit der Betrachtung seiner Leistungen verbinden; sie muß also die soziale und ideelle Umwelt als Grundbedingung für Entwicklung und Lebensleistung einer historischen Persönlichkeit zeigen, ein Panorama von Zusammenhängen geben. Historische Kräfte müssen übersichtlich zugeordnet, ihre verwirrende Mannigfaltigkeit und Verschlungenheit durch die Darstellung entscheidender Vorgänge entwirrt und illustriert werden. Der historische Wert einer Biographie hängt aber nicht davon ab, wie interessant und literarisch gelungen eine Person dargestellt wird, sondern primär von ihrem historischen Informationswert, und dieser bemißt sich wieder daran, wie bedeutsam die dargestellte Person für die Geschichte der Zeit geworden ist. Die wohl schwierigste Frage einer Biographie ist die Untersuchung des Innenlebens einer Person; sie ist hier nicht allzu oft versucht worden, schon deshalb nicht, w e i l der Verfasser der Uberzeugung ist, daß wohl nie alle Schichten des Bewußtseins einer Persönlichkeit geklärt werden können. Hier wäre die Frage zu stellen gewesen nach dem Charakter und den Motiven einer i n der Geschichte handelnden Person. Läßt sich jemand von sachlichen Gründen leiten oder von egoistischen Zielen? Apodiktische Urteile sind hier kaum möglich. Man w i r d den Charakter w o h l immer aus der Summe der Handlungen und
Vorwort
Bedingungen ihres Entstehens zu beurteilen versuchen müssen. Ebenso schwierig steht es u m die Klärung der Motive, die die einzelnen Handlungen tragen. Ist es eine Konzession an die Zeitmeinung und ein bequemes Nachgeben? Ist der Handelnde sich selbst immer über die Motive klar, die ihn tragen? Ist es oft nicht so, daß er sie erst später analysiert und rationalisiert? Auch der Faktor des Willens und der Fähigkeit zu Anpassung und Veränderung spielt i n dieser Arbeit eine große Rolle. Der Mensch antwortet auf radikale Änderungen seiner politischen Umwelt, die Held i n so starkem Maße i n seinem Leben erfuhr, entweder mit positiver Orientierungsfähigkeit oder m i t Opportunismus und sich verhärtender Reaktion. I n den drei entscheidenden Phasen seiner politischen Tätigkeit w i r d diese Frage i n der Arbeit zu beantworten sein. Es wurde versucht, das Wesen des politischen Elements der Biographie Heids bis 1924 in Zusammenhang von Konzeption und Handeln, i m Verhältnis von Zielen und Mitteln, i n den eigenen Motiven und den Motiven und Reaktionen der Gegner zu beschreiben. Die Arbeit beruht zum großen Teil auf der Durcharbeitung des persönlichen Nachlasses von Heinrich Held, der mir durch das freudliche Entgegenkommen der noch lebenden Familienmitglieder, Staatsminister Dr. Philipp Held, Frau Oberstudienrat Elisabeth Held und Frau Marga Feichtmayr, zugänglich gemacht wurde. Die allgemeinen Archivalien zur bayerischen Politik von 1907 bis 1924 habe ich i n den verschiedenen Abteilungen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs eingesehen. Für ihr freundliches Entgegenkommen bei meinen Arbeiten danke ich vor allem den Oberarchivräten Dr. Weis und Dr. Busley, sowie Frl. Bayer. Die vorliegende Arbeit ist durch Prof. Dr. K a r l Bosl angeregt und mit freundlichen Hinweisen immer wieder gefördert worden. I h m gilt mein besonderer Dank.
I . Elternhaus und Jugend Wie viele Persönlichkeiten, die führend i n die politische Entwicklung Bayerns eingriffen, war auch Heinrich Held nicht i n Bayern geboren. „Der neue Ministerpräsident, der das Regime K a h r - K n i l l i n g beiseite geschoben und sich selbst an die Spitze des Staates gestellt hat: Held ist auch von draußen, gleich Hertling, aus Hessen zugewandert." M i t dieser polemischen Bemerkung über das ständige Pochen der Bayern auf ihre urwüchsige Bodenständigkeit und stets betonte heimatliche Eigenart stellte die liberal-sozialistische Berliner Zeitschrift „Die Weltbühne" den neuen bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held der breiten deutschen Öffentlichkeit vor 1 . Heids Elternhaus stand in dem nassauischen Dorf Erbach i m Taunus, wo er am 6. Juni 1868 zur Welt kam. Die Verhältnisse, i n die er hineingeboren wurde, waren kleinbürgerlich, aber nicht ärmlich. Ernähren konnte sich die Familie aus einer kleinen Landwirtschaft, die vor allem die Mutter besorgte, während der Vater als Berufsmusiker ein Einkommen dazubrachte, das gegenüber dem Durchschnitt des Dorfes eine gewisse Wohlhabenheit bedeutete; dreien seiner Söhne konnte er so eine für damalige Zeit sicher nicht billige akademische Ausbildung zukommen lassen. Der Vater Johann Held 2 hatte bereits als 14jähriger am ChateletTheater i n Paris ein festes Engagement als Hornist gefunden. Fünf Jahre blieb er in Paris. Seine Brüder waren als Musiker ebenso i n der Fremde. Später bildeten sie gemeinsam m i t einigen Vettern die Kurkapelle Held, die lange Zeit während der Saison i m holländischen Bad Arnheim am Rhein und anschließend dann i m hessischen Bad Schlangenbad die Kurmusik bestritt. Die Kapelle Held w a r i n der weiteren Umgebung sehr bekannt und vielgesucht. Durch die weiten Reisen der Musiker kam eine Atmosphäre der Weitläufigkeit und politischen und geistigen Aufgeschlossenheit i n die Familie, die zum k u l turellen Mittelpunkt und zur Nachrichtenzentrale für das damals etwa 1300 Einwohner zählende Dorf wurde. Hier las man die ersten Zeitungen und führte die technischen Neuerungen ins Dorfleben ein. Der ι „Die Weltbühne", Nr. 51 v o m 16.12.1924, S. 899—902. 2 Geboren am 10.11.1825, gest. am 18.8.1892; „Chronik der Familie Heinrich Held", als Manuskript gedruckt u n d herausgegeben von Josef Held, Regensburg 1939.
16
I. Elternhaus u n d Jugend
Vater war, nicht unbeeinflußt von seinen Eindrücken i n Paris, 1848 Revolutionär gewesen und hatte i n seiner Heimat die Ausrufung der Republik proklamiert 3 . Bei aller Aufgeschlossenheit für das Moderne i n der Technik und den Fortschritt auch i n der Politik war der Geist der Familie von strenger katholischer Religiosität und starker sozial-caritativer Tätigkeit geprägt. Von seinem Vater berichtet Heinrich Held selbst, daß er immer bemüht gewesen sei, „seine Pflichten gegen Gott und Mitmenschen restlos zu erfüllen" 4 . Seine Mutter war nach seinem eigenen Zeugnis „fromm wie eine wahrhaft treue Mutter", und ihr Leben brachte er auf eine Formel: „ I h r Gebet war Arbeit und ihre Arbeit war Gebet 5 ." I m Hause seiner Eltern fanden regelmäßig Armenspeisungen statt. So bekam der junge Heinrich Held früh ein Empfinden für die soziale Not und die soziale Verpflichtung des Christen. Die Mutter „leitete uns mit dem Vater schon von früher Jugend auf an, mit den Armen, Unglücklichen und Kranken allezeit das Essen zu teilen, ihnen Liebe und Achtung entgegenzubringen und Ihnen m i t aller Hingabe i n der Not beizustehen" 6 . Noch als Mann in seinen letzten Lebensjahren berichtete Heinrich Held, daß sein Vater auf seinen Reisen viele hervorragende Männer, darunter auch viele Adelige, kennengelernt habe, die er seinen Kindern „immer wieder als Muster der Tüchtigkeit, der Reinheit des Charakters und der eifrigsten religiösen Betätigung vorstellte" 7 . Dies waren persönliche Ideale, an denen Held lebenslang festhielt. Von seinem Vater hatte Heinrich Held eine große musikalische Begabung geerbt. Bereits als 8jähriger saß er als Geiger i m Orchester und wirkte bei öffentlichen Konzerten mit. Er lernte Geige, Klavier, Waldhorn und Posaune. Mehr als seine Altersgenossen kam er so i n seiner engeren und weiteren Heimat herum. „Ich verdiente Geld und führte ein abwechslungsreiches Leben 8 ." Musik blieb i h m zeit seines Lebens eine „veredelnde und vergeistigende Macht", die ihn i n den „Bann eines außerirdischen Stimmungs- und Gefühlslebens zu zwingen" ver3 Vor seinen K i n d e r n versuchte er später diese Episode seines frühen politischen Engagements geheimzuhalten. Als der 12-jährige Heinrich Held es von seinem Onkel Heinrich erfuhr und die Melodie des von seinem Vater 1848 gespielten Revolutionsmarsches nachträllerte, bekam er von diesem „eine saftige Tracht Hiebe". Heinrich Held i n : „Familienchronik", S.31. 4 Heinrich Held: „Familienchronik", S. 16. 5 Heinrich Held i n : „Strohhütlein u n d Samtkappe" i n Regensburger Volkskalender f ü r das Jahr 1935, S.47. 6 Heinrich H e l d i n : „Familienchronik", S.47. 7 Heinrich Held i n : „Familienchronik", S. 28. 8 Heinrich Held i n : „Familienchronik", S. 67.
I. Elternhaus u n d Jugend
mochte 9 . Sie hatte für ihn oft erlösenden Charakter. I n Zeiten politischer Wirren und persönlicher Resignation nahm er Zuflucht zum Violinspiel. Auf Wahlkampfreisen hatte er nicht selten seine Violine dabei. Er besaß eine musisch-sensible Natur, die schon als K i n d leicht verletzbar war, die aber dann bei seinem ausgeprägten Sinn für Recht und Gerechtigkeit äußerst heftig reagieren konnte 1 0 . Nach dem Willen des Vaters hätte Heinrich Held Berufsmusiker werden sollen. Er besuchte alle neun Klassen der Volksschule Erbach, die er 1882 mit dem Zeugnis „vorzüglicher Kenntnisse und Fertigkeiten" 1 1 verließ. Anschließend studierte er drei Jahre lang am Konservatorium i n Wiesbaden. Geistliche entdeckten i n dem jungen Mann bald seine Begabung für höhere Studien. Er selbst drängte nun seinen Vater, ihn studieren zu lassen. Zwei seiner Brüder hatten bereits studiert, der älteste war schon Gymnasiallehrer i n Straßburg. Zunächst bekam Held einführenden Unterricht beim Dorf geistlichen. M i t 17 Jahren kam er zum Privatstudium zu seinem Bruder nach Straßburg. Nach zweieinhalbjähriger Vorbereitung trat er i n die 7. Klasse des katholischen „Humanistischen Gymnasiums" in Straßburg ein, das er 1890 mit dem Reifezeugnis verließ 1 2 . Vom 11. Mai 1892 bis zum 1. März 1895 war Held an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg immatrikuliert. Sein Studium war breit angelegt: Er belegte Rechtswissenschaft, Nationalökonomie und Geschichte., vor allem Römische Geschichte. Zum Wintersemester 1895/96 war er i n Marburg 1 3 . Die Frage, ob Held seine juristischen Studien m i t dem ersten juristischen Staatsexamen abschloß, läßt sich nicht eindeutig klären. I n Straßburg war ihm durch die Justizverwaltung der Reichslande nahegelegt worden, sein Examen i n Marburg zu machen, da er sich „aufgrund seiner politischen Tätigkeit in Straßburg bei den Behörden mißliebig gemacht habe und er daher nicht mit einer Anstellung i m Dienste der Reichslande Elsaß-Lothringen rechnen könne" 1 4 . 9 Heinrich Held i n : „ R M " , No. 115, 24./25. 5.1904. 10 „Vielleicht w a r es gerade ein ursprünglich künstlerischer Trieb, der die Wendung zur Politik suchte", so Hermann Proebst i n : Süddeutsche Zeitung, Nr. 136, v o m 6. 6.1968. 11 Entlassungszeugnis der Volksschule Erbach v o m 23. 3.1882. A H R . 12 E i n Abiturzeugnis konnte nicht gefunden werden. Es ist außerdem nicht zu klären, w o Heinrich Held sich von M i t t e 1890 bis M a i 1892 aufhielt, als er sich i n der Universität Straßburg immatrikulierte. Einen Militärdienst hat Held nicht abgeleistet. 13 Abgangszeugnis der Universität M a r b u r g v o m 29. 2.1896. A H R . 14 Josef Held: „Heinrich Held . . . " , S. 9. Dagegen ist die Meinung Josef Heids, Heinrich Held habe trotzdem seine Referendarprüfung Anfang 1895 gemacht, unrichtig. Eine entsprechende Anfrage beim Archiv u n d der j u r i stischen Fakultät der Universität Straßburg wurde verneint. Die entsprechenden A k t e n habe ich i n Straßburg i m Archiv De France, Departement D u 2 Keßler
18
I. Elternhaus u n d Jugend
W a h r s c h e i n l i c h w e g e n der schlechten Berufsaussichten i n der L a u f b a h n eines Richters, die er zunächst h a t t e einschlagen w o l l e n , g i n g H e l d i m J a h r e 1896 ganz z u m J o u r n a l i s m u s über, z u d e m er sich i n n e r l i c h hingezogen f ü h l t e u n d f ü r den er e i n starkes T a l e n t u n d eine b r e i t e V o r b i l d u n g v o n seinem S t u d i u m h e r m i t b r a c h t e . B e r e i t s i n seiner S t u d e n t e n z e i t h a t t e er schon f ü r das „ M ü h l h a u s e r V o l k s b l a t t " u n d die „ K ö l n i s c h e V o l k s z e i t u n g " gearbeitet. L ä n g e r e Z e i t w a r er b e i m „ P f ä l z e r B o t e n " , e i n e m Z e n t r u m s b l a t t , i n H e i d e l b e r g t ä t i g , bis i h n der Regensburger V e r l e g e r Josef H a b b e l z u m 1. M a i 1899 nach R e g e n s b u r g holte.
BAS -Rhine am 26.10. 67 selbst durchgesehen. Außerdem widerspricht dieser Annahme noch die Tatsache, daß H. H e l d i m darauffolgenden Wintersemester sich noch einmal an der juristischen Fakultät M a r b u r g immatrikulierte. A m 14. A p r i l 1896 hatte H. Held beim Oberlandesgericht Kassel ein Gesuch u m Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung eingereicht (AHR). Er erhielt das Gesuch zurückgeschickt m i t der Bemerkung, er müsse noch dasjenige Oberlandesgericht vermerken, bei dem er u m seine Zulassung zum Referendar nachzusuchen beabsichtige. Aus einem Schreiben des Oberlandesgerichts i n F r a n k f u r t v o m 22.4.1896 ging hervor, daß er sich dort u m eine solche Zulassung bewarb. Zugleich wurde von i h m ein Nachweis verlangt, daß i h m „die zum standesgemäßen Unterhalte erforderlichen M i t t e l gesichert" seien; diese beliefen sich auf 1500 M a r k jährlich. „Bei der zur Zeit vorhandenen Überfüllung i n der Richterlaufbahn . . . ist nicht zu erhoffen, daß der Kandidat vor Ablauf von 7 Jahren . . . m i t der V e r w a l t u n g einer Richterstelle beauftragt u n d vor A b l a u f von mindestens 9 Jahren als Richter angestellt werden k a n n (AHR)." Diese schlechten Berufsaussichten scheinen Heinrich Held bewogen zu haben, dieses Berufsziel aufzugeben. Er w a r n u n bereits 28 Jahre alt u n d hätte demnach bis zu seinem 37. Lebensjahr warten müssen, u m endgültig als Richter angestellt zu werden. So scheint Held ohne Examen direkt zum Journalismus übergegangen zu sein. Die Bemerkung Josef Heids, Heinrich Held habe anschließend noch i n Heidelberg studiert, ist unrichtig. A u f eine entsprechende Anfrage i n Heidelberg erteilte das Universitätsarchiv am 6. November 1967 die A n t w o r t , daß „ein Heinrich Held i n der Zeit zwischen 1880 u n d 1900 i n Heidelberg nicht studiert hat." Weitere Unterlagen zu dieser Frage sind auch i m Archiv Held i n Regensburg nicht v o r handen.
I I . Erste politische Eindrücke Heinrich Heids — Grundlagen seines politischen Weltbildes Aus seinem Elternhaus hatte Heinrich Held bereits eine feste Religiosität und einen geschärften Sinn für die soziale Verantwortung des Christen mitbekommen. Aus den politischen Verhältnissen seiner engeren Heimat in seiner früheren Jugend und den Erlebnissen als Student i n Straßburg erhielt Heinrich Held Eindrücke, die für seine geistige und politische Entwicklung von entscheidender Bedeutung wurden. Als Held gerade vier Jahre alt war, begann i n seiner Heimat der K u l t u r kampf, der, wie Held noch 1921 als Präsident des Katholikentages i n Frankfurt bekannte, „richtunggebend geworden ist für mein geistiges und religiöses Leben" 1 . Die Geistlichen der Pfarrei Camberg, die auch den Ort Erbach betreuten, waren zeitweise an der Ausübung ihrer Funktionen gehindert und konnten nur nachts heimlich i n Privathäusern die Messe lesen. „So wurden Basen und Vettern von m i r heimlich während der Nacht getauft; die Toten nach der heimlichen Aussegnung durch den Schreinermeister Wilhelm Becker feierlich beerdigt 2 ." I n den Jahren 1874/75 erreichte der Kulturkampf seinen Höhepunkt. „Ein gewaltiger Sturm erhob sich gegen die katholische Kirche 3 ." Die Verfolgung brachte die Güterkonfiskation, Verbannung und Einkerkerung von Geistlichen. Durch die Maigesetze von 1873, die eine Änderung der preußischen Verfassung bedeuteten, wurde die Kirche den Staatsgesetzen und der staatlichen Aufsicht unterworfen. Das „Brotkorbgesetz" vom Jahre 1875 sperrte die staatlichen Geldzuwendungen an die Kirche, als Mittel, die Unterwerfung des Klerus unter die Maigesetze zu erzwingen. Die katholische Bevölkerung unterstützte i m passiven Widerstand ihre Geistlichen. Von der Regierung eingesetzte „Staatspfarrer" wurden boykottiert 4 . I n der Abwehr gegen den Kulturkampf, der bis 1882 dauerte, organisierte sich das Zentrum als politische Kampfgemeinschaft der deutschen Katholiken. I n diesem Abwehrkampf bildete sich das erwachende politische Bewußtsein Heinrich Heids. Er wirkte als auslösendes Moment ι RA, 394, 29. 8.1921. Heinrich Held i n : „Familienchronik", S. 18. 3 Heinrich Brück, Geschichte der kath. Kirche, Bd. 1, S. 327. 4 Κ . E. Born: „Der K u l t u r k a m p f " , i m Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 3, 8. Auflage, Stuttgart 1960, S. 211 ff. 2
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für sein politisches Engagement und belastete zugleich sein Verhältnis zum Träger dieses Kampfes, dem preußischen Staat und seinem protestantisch nationalen Kaisertum. Bismarck selbst, „der den Kampf zur Ausrottung der katholischen Kirche im deutschen Reich eingeleitet und zu verantworten hatte, der sich über die Gebote der Moral und der Gerechtigkeit skrupellos hinwegsetzte" 5 , blieb für Held zeit seines Lebens diskreditiert. Das Wort Kulturkampf führte ihn immer wieder, wie er später öfters bekannte, die „trüben Vorgänge der Siebziger und Achtziger Jahre und eine Unsumme von Bedrückung, Vergewaltigung, Gewissensnot und Erbitterung" vor Augen 6 . Die politische Konsequenz, die Held aus diesen Erlebnissen zog, war sein lebenslanger Kampf für die Freiheit der Kirche von jeder staatskirchlichen Bevormundung. Diese Freiheit der Kirche wurde für ihn zu einem staatspolitischen Dogma. I n eine ähnliche Situation der konfessionellen Diskriminierung geriet Held an der Universität Straßburg, wo er den akademischen K u l t u r kampf erlebte. Hier waren die 90er Jahre ausgefüllt m i t heftigen Auseinandersetzungen zwischen katholischer und liberal-protestantischer Richtung. A n der Kaiser-Wilhelms-Universität der Reichslande, deren Bevölkerung zu etwa 80 °/o katholisch war, waren um die Jahrhundertwende von den 75 Professoren nur 8 katholisch 7 . Katholische Wissenschaft und katholische Professoren wurden diskreditiert i n angeblicher Wahrung deutscher K u l t u r und akademischer Freiheit. Demnach wurden auch katholische Studenten als Widersacher der nationalen K u l t u r und als ewiger Jungborn des Ultramontanismus verschrien. Held Schloß sich einer katholischen Korporation an 8 . Die Art, wie auf gemeinsamen Veranstaltungen der Studentenschaft in sogenannten Bismarckreden die Verehrung für den Reichskanzler zur Verletzung der religiösen Gefühle der katholischen Studenten mißbraucht wurde, führte schließlich dazu, daß die katholischen Korporationen 1894 aus der allgemeinen Vertreterversammlung der Studenten austraten 9 . Als der junge katholische Professor Martin Spahn i n Straßburg einen Lehrstuhl für Geschichte bekam, während gleichzeitig auch Friedrich Meinecke berufen wurde, setzte darüber eine heftige publizistische Auseinandersetzung um die „Voraussetzungslosigkeit" der Wissenschaft ein: Theodor Mommsen stritt in den „Münchner Neuesten Nachrichten" diese Voraussetzungslosigkeit als unbedingtes Erfordernis s Held i n RM, 137, 20. 6.1901. 6 RM, 15, 10. 1. 1901. 7 Bachem, Bd. 6, S. 236. 8 Mitglied der K V - V e r b i n d u n g Frankonia-Straßburg. 9 W. Spael, „Das katholische Deutschland", S. 58.
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wissenschaftlicher Forschung einem gläubigen Katholiken ab, da dieser durch seine Weltanschauung „innerlich gebunden" sei 10 . I m Bereich der Wissenschaft galt der Grundsatz: „Catholica non leguntur 1 1 ." Die liberale Presse gab den Katholiken den Makel einer allgemeinen „wissenschaftlichen Inferiorität". Die Berechtigung katholischer studentischer Korporationen auf den Universitäten wurde bestritten und ihre Mitglieder diskriminiert 1 2 . Die zweite Grundkomponente seiner politischen Entwicklung, die Held in seiner Heimat und seiner Familie aufnahm, war eine starke antipreußische Grundstimmung und damit eine praeföderalistische Überzeugung. Seine Heimat Nassau 13 war 1866 als Teil der Provinz HessenNassau mit Hauptstadt Kassel zu Preußen gekommen. Für Held war dies eine „widerrechtliche Annexion". Die Gefühle der „Bevölkerung des damals aufgrund der Macht und des Kriegs- und Eroberungsrechts annektierten Staates, die ihrem angestammten Fürsten die Treue bewahrt" 1 4 hatten, gehörten nicht Preußen; Held selbst wollte auch nicht als Hesse gelten. Er betonte wiederholt, daß er i m „ehemaligen Herzogtum Nassau" geboren worden sei, und Nassau selbst habe stets an der Seite von Österreich und i m 19. Jahrhundert an der Seite Bayerns gegen Preußen gestanden 15 . Die preußische Herrschaft hatte Nassau den Kulturkampf gebracht und bei der katholischen Bevölkerung das Ressentiment einer entrechteten und unterdrückten Minderheit geschaffen. Antipreußische Gefühle waren hier ebenso stark entwickelt wie in Bayern. Held hat später öfters auf diese Tatsache hingewiesen. Vor seinen Wählern bekannte er 1907: „Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, die dem eigentlichen Preußentum nicht freundlicher gesinnt war, als es die Bayern sind. I m jugendlichen Alter bin ich nach Elsaß gekommen . . . , habe also meine Jünglings jähre wieder unter Leuten verlebt, die gewiß bei keinem Menschen in Verdacht stehen, besonders preußenfreundlich zu sein 16 ." Was hat Held selbst aus seinem Studium an besonderen Ideen und Einflüssen aufgenommen? Die Quellen sind hier äußerst spärlich. Neben einer gründlichen humanistischen Ausbildung am Gymnasium 1 7 10 Zitiert bei Bachem, Bd. 6, S. 236. 11 H. Maier, „Katholizismus, nationale Bewegung und Demokratie i n Deutschland", i n Hochland, Jg. 57, 1964/5, S. 326. 12 Hermann Cardauns, Fünfzig Jahre K a r t e l l verband 1863—1913, Kempten und München 1913, S. 210 ff. is Held fühlte sich nicht als Hesse, sondern immer als Nassauer. 14 I n „ R M " , 15, 10.1.1901. is I n „ R M " , 49, 1. 3.1907. 16 I n „ R M " , 49, 1. 3.1907. 17 Seine Kenntnisse griechischer u n d römischer Klassiker sind sein ganzes Leben lang zitatenfest geblieben.
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und seinen juristischen Pflichtvorlesungen hörte er Vorlesungen über theoretische Nationalökonomie und die Wirtschafts- und Sozialpolitik des deutschen Reiches. Sein bedeutendster Lehrer war w o h l der führende Staatsrechtslehrer des Bismarckreiches, Paul Laband, Mitglied des elsässischen Staatsrates und später auch der ersten Kammer des Landtages. Bei i h m hatte Held „Deutsches Staatsrecht" belegt 18 . Dieses Staatsrecht, ein Standardwerk des Rechtspositivismus, entsprach in allen „seinen Zügen und Hintergründen dem i n Wissenschaft und Politik herrschenden Zeitgeist und der psychischen Situation der bürgerlichen Schichten. So errang das ,Staatsrecht 4 nahezu kanonische Geltung" 1 9 . Daß Laband einen bestimmenden Einfluß auf Heids politisches Denken ausübte, ist nicht festzustellen. Die erst später faßbaren politischen Vorstellungen Heids widersprechen allzu sehr dem herrschenden Staatsrecht des Bismarckreiches, zu dessen nationalen und katholikenfeindlichen Geist der junge Heinrich Held i n Opposition stand. Der juristische Reichspatriotismus war und ist ihm fremd geblieben. Was er sich an der Universität an juristischen Kenntnissen und intellektueller Ausbildung holte, war für ihn Werkzeug und M i t t e l zu seinem journalistischen und politischen Kampf um die gesellschaftliche und politische Emanzipation der deutschen Katholiken. Der Katholizismus selbst, i n dem Held i n seiner Heimat und i n Straßburg aufwuchs, war beweglicher und i n seiner politischen Grundlage auch demokratischer als der bayerische. I n Straßburg stieß Held bald zum „Volksverein für das katholische Deutschland", der sich besonders m i t der sozialen Frage beschäftigte und den organisatorischen Unterbau des Zentrums darstellte. Vor allem Dr. Lieber machte sich Anfang der 90er Jahre um den Aufbau des Volksvereins i n den Reichslanden verdient 2 0 . Die Bekanntschaft mit Dr. Ernst Lieber wurde von entscheidender Bedeutung für die politische Entwicklung Heinrich Heids. I m November 1892 hielten Lieber und Trimborn i n Straßburg eine Massenversammlung für den Volksverein ab. „Der Eindruck war ganz außerordentlich 21 ." Die Bildung der katholisch-sozialen Bewegung i m „Volksverein für das katholische Deutschland", der 1890 gegründet worden war, war die Reaktion des deutschen Katholizismus auf den durch die Industriealisierung eingetretenen sozialen Strukturwandel. Er war vor allem ein „Zentrum klärender Diskussion, der Verbreitung ihrer Ideale und Forderungen, der sozialpädagogischen Schu-
le „Abgangszeugnis der Universität Straßburg" v o m 1. 3.1895 — A H R . 19 Walter M a l l m a n n i n „Staatslexikon" Bd. 5, 1960, S. 205. 20 E m i l Ritter, Die katholisch-soziale Bewegung, S. 177. 21 E. Ritter, a.a.O., S. 178.
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lung und wirksamer praktischer Sozialarbeit" 22 . Held hat hier die sozialpolitischen Vorstellungen seiner früheren Zeit aufgenommen. I m Jahre 1893 trat er auch der Zentrumspartei bei 2 3 . Der elsässische Katholizismus und vor allem die Straßburger Theologen bildeten den Brückenkopf nach Deutschland für die theologische und politisch-soziale Diskussion des französischen Katholizismus und seiner Erneuerungsbewegung 24 . Von 1893—1896 war K a r l Muth, der spätere Gründer der Zeitschrift „Hochland", Redakteur der katholischen Tageszeitung „Der Elsässer" in Straßburg 25 . Bei seiner Mitarbeit an katholischen Blättern dürfte Heinrich Held diesen katholischen K r i t i k e r und Publizisten, der die deutschen Katholiken zu stärkerem K u l t u r willen aufgefordert hatte und mit seiner Schrift über „Die literarischen Aufgaben der deutschen Katholiken" den sogenannten „Literaturstreit" auslöste 26 , wohl gekannt haben. Den wohl stärksten Einfluß auf die frühe politische Entwicklung Heids hat der Zentrumspolitiker und Nachfolger Windthorsts, Ernst Lieber, ausgeübt. Held war i n unmittelbarer Nähe Ernst Liebers aufgewachsen. Sie gehörten beide derselben Pfarrei Camberg an. Es bestand ein enges persönliches Schüler-Meister-Verhältnis zwischen beiden. Nach Liebers Tod hat Held i h m i n einer großen Gedächtnisrede ein literarisches Denkmal gesetzt 27 . Er nannte ihn „Vorbild und Führer" 2 8 . Lieber bezeichnete sich selbst als Demokrat 2 9 , zählte den Kathedersozialisten L u j o Brentano zu seinen Freunden und galt als Vertreter und Führer des linken Flügels i m Zentrum 3 0 . Lieber sei nie „ein Demokrat i m landläufigen Sinne des Wortes" gewesen. „ E r war ein Volksmann, der in der Wahrung und Verteidi-
22 Clemens Bauer, Deutscher Katholizismus, S. 44. Themen solcher Kurse waren: Klerus und soziale Frage, neueste Entwicklung des Sozialismus, die Arbeiterfrage, Arbeiterkammern, Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Wohnungsfrage, Organisation des Handwerks, Bauernvereine, Frauenfrage, Volksbildung, kommunale Sozialpolitik und Caritasorganisation. Es sind dies genau jene Themen, über die Held i n seinen ersten Regensburger Jahren vor den christlichen Arbeitervereinen Vorträge hielt. Seine Bibliothek enthielt alle wesentlichen Schriften der Bildungszentrale des „Volksvereins" von Mönchen-Gladbach. 2 3 I n „ R M " , 49, 1. 3.1907. 24 E. Ritter, S. 35. 2 5 W. Spael, S. 58. 2 6 E. Ritter, S. 221. 2 ? Heinrich Held: „Gedächtnisrede auf Ernst Maria Lieber", als Broschüre gedruckt, Regensburg 1902. 28 Ebd., S. 4. 2 9 P. W. K l i n k e , S. 61. 30 E. Ritter, S. 125.
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gung der großen Volksrechte gegenüber den Aspirationen der Regierung und feudaler Kreise seine Hauptaufgabe als Abgeordneter erblickte 3 1 ." I n dieser Umschreibung liegt auch das demokratische Selbstverständnis Heids während seiner politischen Arbeit im konstitutionellen Staat. Neben den organisatorischen und agitatorischen Fähigkeiten Liebers hebt Held vor allem dessen „sozialreformerische Wirksamkeit" hervor. Lieber sei es gewesen, der das ganze sozialpolitische Programm Ketteier s i n sich aufgenommen, fortentwickelt und während seines parlamentarischen Lebens immer versucht hätte, es „bis i n die äußersten Konsequenzen von staats- und gesetzeswegen i n die Praxis umzusetzen" 32 . Die Erfahrungen in seiner zum Teil industriell hochentwickelten Heimat hätten ihn zum Kenner der Arbeiterfrage gemacht und ihn veranlaßt, die Regierung ständig an ihre Pflichten zu erinnern, m i t der Sozialreform im weitesten Sinne endlich ernstzumachen. Held rühmte eine weitere Eigenschaft an Lieber: Er sei „ein gewiegter Politiker, ein feiner Diplomat und Taktiker" gewesen. Das vom Druck des Kulturkampfes befreite Zentrum sei in den 90er Jahren i n Gefahr geraten, i n wirtschafts- und gesellschaftspolitische Interessengruppen zu zerfallen. „Da galt es, die Diagonale des Parallelogramms der Interessenkräfte, den Weg ausgleichender Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Interessen zu finden und auf diesem die verschiedenen Interessengruppen i m Zentrum zu einigen 33 ." Held porträtierte sich i n Lieber selbst: die politischen Grundsätze und Fähigkeiten, die der junge, gerade ins politische Leben eintretende Heinrich Held an seinem Vorbild so sehr rühmte, waren auch seine eigenen politischen Ideale um die Jahrhundertwende: ein sozialreformerischer Wille, getragen von christlichem Gerechtigkeitssinn, ein stark ausgebildetes demokratisches Selbstverständnis und ein Gefühl von der Notwendigkeit, auf dem Weg ausgleichender Gerechtigkeit und unter Anwendung diplomatisch-taktischer M i t t e l politische Entscheidungen zu organisieren und den eigenen Willen durchzusetzen, ein politisches Ideal, das Held in seiner ganzen parlamentarischen Arbeit zu meisterhafter Beherrschung entwickelte und dem er seinen politischen Aufstieg i n Bayern entscheidend mitverdankte. Faßt man das bisher Gesagte zusammen, so war das entscheidende Moment in der Entwicklung Heids sein entschiedenes Engagement für die katholische Sache, die Identifizierung mit dem Schicksal und dem Leidensweg des deutschen Katholizismus, ein Vorgang, der durch das 31 H. Held, Gedächtnisrede, S. 31. 32 Ebd., S. 28. 33 Ebd., S. 38.
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Erlebnis des Kulturkampfes noch in seiner Intensität verschärft wurde. Die gesicherte Welt des Glaubens erfuhr er in seiner Familie; Schule und Studium brachten ihn hier in keine Zweifel, vielleicht gerade deshalb, weil er immer i n der Position der Verteidigung stand. Es gibt keine feststellbare Entwicklungsgeschichte seiner religiösen Überzeugungen und Glaubenshaltung. Sie blieben dogmatisch fest. Problemund konfliktlos wuchs er in das politische und intellektuelle Milieu des Katholizismus hinein. I m Studium, i n ersten journalistischen Arbeiten und i n seiner frühen Schulung i m „Volksverein" kam er rasch zur Beherrschung des intellektuellen Argumentations- und Kampfapparates, den sich der politische Katholizismus erarbeitet hatte. I n der weltanschaulichen und politischen Auseinandersetzung, die dieser zu bestehen hatte, kämpfte er als Student und junger Journalist in der vordersten Front mit. Als Katholik war er antipreußisch, antiliberal, antibürgerlich, aber sozial aufgeschlossen und demokratisch gesinnt; denn nur auf dem Weg demokratischer Gleichberechtigung konnte sich der Katholizismus intellektuell und politisch emanzipieren. Der Raum, i n dem Heinrich Held den Kampf um die politische Gleichberechtigung der Katholiken aufnahm, war die Regensburger Stadtkommune um die Jahrhundertwende.
I I I . Heinrich Held als Journalist und Kommunalpolitiker i n Regensburg 1. Josef H a b b e l als politischer M e n t o r
Als der 31jährige Heinrich Held am 1. Mai 1899 die Chefredaktion des „Regensburger Morgenblattes" übernahm, trat er erneut in den Bannkreis einer Persönlichkeit, die noch einmal seine politischen Grundvorstellungen bestätigend beeinflußte: sein Verleger und späterer Schwiegervater Josef Habbel 1 . Dieser stammte ebenfalls nicht aus Bayern, sondern war 1868 von seiner Geburtsstadt Soest i n Westfalen als Buchhändler über Mainz nach Regensburg zum katholischen Verlagsunternehmen Pustet gekommen. I n Mainz hatte Habbel während seines dreijährigen Aufenthaltes den Prediger der sozialen Gerechtigkeit, Bischof Ketteier, kennengelernt und war i m engeren Kreis der führenden katholischen Männer von Mainz, das damals den Mittelpunkt der sozialen und politischen Aktivitäten des deutschen Katholizismus bildete, verkehrt. Der erst 23jährige Josef Habbel übernahm 1869 die Pustetsche Filiale i n Amberg m i t der dazugehörenden „Volkszeitung". Hier und in der mittleren Oberpfalz organisierte er das katholisch-politische Leben gegen den herrschenden Liberalismus und kam als erster Zentrumsmann i n das Gemeindekollegium. Wegen einer sogenannten Bismarckbeleidigung wurde Habbel i n den siebziger Jahren zu 100 Tagen Haft verurteilt. 1889 kaufte er von der Firma Pustet auch deren Regensburger Zeitungen „Regensburger Morgenblatt" und „Regensburger Anzeiger". Hier begann er sofort wieder den Kampf gegen den Rathausliberalismus, der die Stadt politisch beherrschte und die Katholiken von der Mitbestimmung ausschloß. Diese Mitbestimmung erreichte schließlich das Regensburger Zentrum unter der Führung Habbels mit Einsatz aller publizistischen und agitatorischen M i t tel, die ihm die beiden Zeitungen boten. 1899 wurde den Liberalen das Landtagsmandat abgenommen, 1908 zogen zum erstenmal sechs Zentrumsleute i n das Gemeindekollegium ein. Es war bezeichnend für die politische Hilflosigkeit und Unbeweglichkeit des Regensburger und Oberpfälzer Katholizismus, daß dieser Kampf i n der Spitze von Leuten
ι 1946—1,916; Held heiratete die Tochter des Verlegers, Marie Sechs K i n d e r entstammten dieser Ehe.
Habbel.
2. Die politische Entwicklung der Stadt Regensburg u n d ihrer Presse
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geführt werden mußte, die von außerhalb Bayerns zugewandert waren. Seine stärkste und publizistisch-agitatorisch beste K r a f t i n dieser Auseinandersetzung hatte Habbel 1899 in Heinrich Held gewonnen. Vor allem in drei wesentlichen Punkten wirkte Josef Habbel besonders prägend und bestätigend auf die politische Haltung Heinrich Heids: der großdeutsche Gedanke auf föderalistischer Grundlage, sein starkes demokratisches Grundempfinden und seine sozialreformerische Fürsorgetätigkeit 1 . I n Regensburg hatte Habbel den St. Wolfgangs-Arbeiter-Wohnungsbauverein gegründet und die katholischen Gesellenund Arbeitervereine materiell und ideell gefördert 2 , 3 . Bei Habbel trafen sich überragende organisatorische Fähigkeiten mit angeborenem politischen Instinkt. Unter seiner Leitung tat Held seine ersten Schritte auf kommunal- und landespolitischer Ebene. 2. Die politische Entwicklung der Stadt Regensburg und ihrer Presse Die politische Entwicklung der Stadt Regensburg i m 19. Jh. spiegelt sich vor allem in der Entwicklung ihrer Publizistik. Regensburg hatte nach den glanzvollen Höhepunkten seiner Geschichte i m Mittelalter als Residenz der Agilolfinger, als zeitweilige Hauptstadt unter den Karolingern und Residenz der bayerischen Herzöge einen Niedergang i m 15.—17. Jahrhundert erlebt; als Sitz des immerwährenden Reichstags von 1663 bis 1806 erlangte es als Mittelpunkt des Reiches einen zweiten Höhepunkt politischer Bedeutung. Es war eine „Zeit der politischen Repräsentanz und aristokratischen K u l t u r " 4 . Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt war i n dieser Zeit bereits verloren gegangen. Regensburg wurde „eine Stadt adeliger Fremder und des Klerus" 5 . Das Ende des „Immerwährenden Reichstages" 1806 wurde daher für die Stadt folgenschwer; sie sank von einem Platz m i t europäischer Bedeutung auf das Niveau einer Provinzstadt herab. Die zeitungsgeschichtliche Entwicklung Regensburgs erlebte während der Reichstagszeit einen ersten Höhepunkt 6 . Der Chronist Christian Friedrich Wedekind hat die Stadt Regensburg i n dieser Zeit wegen des immerwährenden Federkriegs die „Stadt der Schreiber" genannt, wo man „mehr 2 3 » 1875 hatte Habbel als Nebenblatt zur „Amberger Volkszeitung" die Beilage „Die soziale Frage i m Lichte des Christentums" gegründet. Sie existierte nur drei Jahre. (Mayer, Norbert, S. 103.) 4 Mayer, Norbert, S. 8. s Voggenreiter, Franz, S. 10. β Die kurze Darstellung orientiert sich vor allem an Norbert Mayer, „Die Entwicklung der Regensburger Presse". Mayer geht n u r am Rande auf die politische Entwicklung der Stadt ein. Eine Darstellung der partei- u n d kommunalpolitischen Entwicklung der Stadt i m 19. u n d 20. Jahrhundert gibt es leider nicht.
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I I I . Heinrich H e l d als Journalist und Kommunalpolitiker
Dintenschweiß vergießet, als in dem Regen Wasser fließet" 7. Hans Gstettner stellt für das beginnende 19. Jahrhundert i n Regensburg 22 Zeitungen und periodische Schriften fest 8 . Die Glanzzeit Regensburgs war mit dem Ende des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" dahin. 1802 wurde Regensburg ein Fürstentum, das Dalberg bis 1810 leitete, als Regensburg an Bayern überging und Hauptstadt des Regenkreises wurde. Es begann eine Periode des unpolitischen, stillen Regensburg. Erst die Julirevolution in Frankreich und der polnische Befreiungskampf brachten gewisse politische Bewegung nach Regensburg. Der sich langsam i n Regensburg ausbreitende Liberalismus brachte erste Spannungen m i t dem bayerischen König L u d w i g I. Daneben entfaltete aber die Stadt als „einer der Mittelpunkte der katholischen und romantischen Bewegung eine Regsamkeit, die über die Grenzen Bayerns hinaus von Bedeutung wurde" 9 . 1829 bekam Josef Michael Sailer den Bischofsstuhl von Regensburg, er legte die Grundlagen für das spätere „katholische Regensburg". Diese neue katholische A k t i v i t ä t rief aber eine liberale Gegenbewegung hervor. Der bald einsetzende politische und publizistische Kampf zwischen diesen beiden Fronten währte bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein und brachte die Politisierung der Bürgerschaft. Die liberale und zugleich nationale Bewegung wurde von der gewerblichen und vor allem der intellektuellen Oberschicht getragen 10 . Je stärker sich einerseits die liberale Bewegung auch in Deutschland durchsetzte, und andererseits der Regensburger Romantikerkreis an Wirksamkeit verlor, um so mehr gewannen die Regensburger Liberalen an Boden. Als publizistisches Forum gründeten sie 1838 das „Regensburger Tagblatt", das der Buchdrucker Josef Reitmayer redigierte. Das Blatt war i n seiner Tendenz stark antikirchlich, betrieb so aber die Formierung einer katholischen Gegenfront. Dieser aber fehlte noch eine eigene Zeitung zu entsprechender Gegenwehr. Als die Liberalen es aber mit ihren Angriffen zu heftig trieben, wandten sich die Katholiken 1846 in einem anonymen Brief an Innenminister Abel mit der Bitte, um eine Intervention und Zurechtweisung der Liberalen 1 1 . Der daraufhin vom Regierungspräsidenten der Oberpfalz angeforderte Bericht verteidigte jedoch die Liberalen und gab die Schuld an den konfessionellen Streitigkeiten der Unduldsamkeit der Katholiken. 7 Zit. bei Mayer, N., S. 11. 8 Hans Gstettner: Regensburger Reichstagskorrespondenzen . . . , S. 7. » Mayer, Norbert, S. 38. 10 Aufschluß über die Anfänge des Liberalismus i n Regensburg gibt der „Briefwechsel zwischen L u d w i g I. u n d Eduard von Schenk", herausgegeben von M. Spindler, München 1930. 11 Zit. bei Mayer, Norbert, S.47.
2. Die politische Entwicklung der Stadt Regensburg u n d ihrer Presse
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Er sprach von „bartholomäusnächtigen Gelüsten einer gewissen Parthey" 1 2 . Schließlich griff sogar König Ludwig I. ein und stellte schiedsrichterlich fest: „Die an mich gelangten Exemplare des „Regensburger Tagblattes" enthalten mehrfaches, die katholische Kirche Verletzendes 13 ." Die Katholiken brauchten aber noch einige Jahre, bis sie 1849 mit dem „Bayerischen Volksblatt" eine eigene Zeitung erhielten. M i t einem Hirtenbrief vom 24. 11. 1849 machte der Regensburger Bischof die Katholiken auf das neue Blatt aufmerksam und verdammte das „Regensburger Tagblatt" als ein „Erzeugnis der Hölle" 1 4 . Ein Jahr später ging das katholische Blatt bereits an den Verlag Pustet über. Das Jahr 1848 brachte auch die Gründung von ersten politischen Vereinen, die eng mit der Presse verbunden waren. Die Liberalen fanden sich unter Führung von Josef Reitmayer i m „Verein für deutsche Einheit und gesetzliche Freiheit" zusammen, die Katholiken bildeten i m „Verein für konstitutionelle Monarchie und religiöse Freiheit", später „Pius-Verein", unter Friedrich Pustet die entsprechende Gegenpartei. Damit waren die Fronten klar. Der Kampf dauerte bis i n den ersten Weltkrieg und endete mit dem Sieg des Katholizismus unter Führung Josef Habbels und Heinrich Heids. Die Katholiken blieben zunächst in diesem Kampf noch die Unterlegenen; i n der politischen Auseinandersetzung waren sie ungeschult und deshalb noch jahrzehntelang i n der Defensive. Die Presse der jeweiligen Seite betrieb auch die Organisation der politischen Partei. Die Redaktionsexpeditionen waren Parteizentralen, Redakteure die häufigsten Versammlungsredner. Die publizistischen Kämpfe gingen mit mehr oder minder starker Heftigkeit weiter. M i t Kulturkampfargumenten arbeiteten die Liberalen, während die Katholiken m i t gereizter Aggressivität den Weltanschauungsstreit führten. I n den sechziger und siebziger Jahren verlagerte sich dieser Kampf auch auf die politische Seite, indem der Dualismus zwischen großdeutscher und kleindeutscher Einstellung wieder die alten Fronten bewegte. Dem liberalen klein deutschen „Nationalverein" von 1859 trat der österreichfreundliche katholische „Reformverein" von 1862 entgegen. Die großdeutsche Agitation betrieb vor allem das „Regensburger Morgenblatt", wie sich das alte „Bayerische Volksblatt" seit 1861 nannte. Die parteipolitischen Fronten bildeten sich nach 1870 stärker heraus 15 . 12 Zit. bei Mayer, Norbert, S.47. 13 Ebd., S. 48. 1 4 Josef Russwurm, „Katholische Presse i n Regensburg" i n RA, 4./5.10.1958. 1 5 1869 konstituierte sich i n Regensburg nach dem Beispiel anderer Städte das katholische Kasino als Bildungsinstitution und Organisationskern der Patrioten-Partei. Die F ü h r u n g hatte wieder ein M i t g l i e d der Familie Pustet
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I I I . Heinrich H e l d als Journalist u n d Kommunalpolitiker
Daneben liefen aber die Kämpfe um die Schule; sie wurden heftiger, als die Frage der altkatholischen Bewegung aufkam und die Liberalen auch den Kulturkampf nach Bayern trugen. I n den achtziger und neunziger Jahren kamen für die Katholiken neue Gegner hinzu: Bauernbund, Sozialdemokratie, Evangelischer Bund und die alldeutsche Losvon-Rom-Bewegung. I n Regensburg und der Oberpfalz führte diesen Kampf das „Regensburger Morgenblatt", es verteidigte die Stellung des Katholizismus, machte ihn unter der Leitung von Josef Habbel zu einer politischen Kraft und erschütterte, gerade weil der Kampf ins Weltanschauliche gegangen war, die liberale Herrschaft. 1883 hatte Josef Habbel auch das „Regensburger Morgenblatt" m i t Anzeiger vom Verlag Pustet übernommen. Er betonte i n seiner Einführung, daß er das „ u m die katholische Sache hochverdiente Blatt i m katholischen Sinn fortführen" werde 1 6 . Vor allem verstand es Habbel, den zunächst als Beilage zum „Morgenblatt" erschienenen „Regensburger Anzeiger" zu einem billigen Massenblatt als Anzeigen- und Familienblatt von Regensburg zu machen, das aber auch geschickt politische Nachrichten lanzierte. 1910 ging das „Morgenblatt" i m „Regensburger Anzeiger" auf. M i t einer Auflage von 4200 hatte Habbel das Blatt übernommen, 1913 zählte es bereits 36 000, 1918 war die Auflage auf 45 000 gestiegen. Hatten Friedrich Pustet, Vater und Sohn, die weniger politisch begabt waren, die pressepolitische Entwicklung Regensburgs durch ihren „Verlegeridealismus" 17 zugunsten des katholischen Lagers entschieden, so hat Josef Habbel als moderner Verleger und Politiker die Zeitung zu einem politischen Kampfblatt gemacht, m i t dem er die katholische Sache zum Sieg führte. Eine neue Phase in der Entwicklung des Blattes begann, als Heinrich Held am 1. Mai 1899 die Chefredaktion übernahm. Unter seiner Leitung und vor allem durch seine spätere politische Tätigkeit wuchs die Zeitung aus dem Niveau eines Provinzblattes heraus zu einer führenden Tageszeitung Bayerns. I n einer Stadt von der Größe Regensburgs hatte jede Partei, Zentrum, Liberale und Sozialdemokraten, ihre eigene Zeitung. Sie war als Partei- und Agitationszentrale unentbehrlich, um die eigenen Anhänger bei der Fahne zu halten. Diese A r t von Parteipresse konnte nur übernommen. (Denk, Otto: „Friedrich Pustet, Vater u n d Sohn", Regensburg 1902) 1870 wurde der „Liberale Kreisverein f ü r Regensburg und Oberpfalz" gegründet. Beide Vereine übernahmen die organisatorische u n d propagandistische Vorbereitung der Reichs- u n d Landtagswahlen. 16 Zit. nach Josef Held: „Der Regensburger Tagesanzeiger 75 Jahre i m Verlagshaus Habbel/Held", i n Regensburger Tagesanzeiger 4./5.10.1958. 17 Mayer, Norbert, S. 91.
2. Die politische Entwicklung der Stadt Regensburg u n d ihrer Presse
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vom gegenseitigen Kampf leben und sich hier profilieren. Die Pressekämpfe spielten sich natürlich i n einem solchen engen Raum mit besonderer Heftigkeit ab und gingen oft i n den Bereich der persönlichen Verunglimpfung über, so daß sie nicht selten vor dem Gericht endeten. Held hatte i n den ersten zehn Jahren seiner Tätigkeit i n Regensburg nicht weniger als ein Dutzend solcher Prozesse durchzufechten. Als streitbare und kämpferische Natur zeigte er gerade in der Polemik seine beste journalistische Begabung. Das Verständnis von Aufgabe, Bedeutung und der Notwendigkeit des Abonnements einer katholischen Presse mußte den Lesern immer wieder aufs neue vorgestellt werden. Politik und Weltanschauung gingen dabei i n eins überein: „Das Regensburger Morgenblatt hat sich jederzeit als konsequenter Vertreter des Programms des Zentrums in politischer und als eifrigster Verfechter des Systems des Katholizismus i n religiöser Beziehung erwiesen", hieß es immer wieder i n den Werbeartikeln zum Quartalwechsel 18 . Die Presse war also nicht nur ein Informationsmedium, sie war „ M i t t e l und Werkzeug zur moralischen, politischen und wirtschaftlichen Hebung" 1 9 . Sie vermittelte also eine ständige Tugendlehre für das Verhalten des Katholiken i n der Öffentlichkeit. Der katholische Verleger und Journalist fühlte sich so als „Berater des Volkes" 2 0 , der das i n gewissem Sinn noch unmündige Volk vor schlechten Einflüssen und politischen Verführern zu bewahren suchte und Belehrung und Anleitung gab. Die katholische Presse hatte so eine Führungs- und Bewahrungsfunktion; gerade w e i l sie die religiösen Interessen des Volkes wahrte, war sie auch berechtigt und in der Lage, es politisch zu beraten und zu führen und „die wahre Freundin des arbeitenden Volkes" 2 1 zu sein. I n der so umrissenen Aufgabenstellung der Presse als politisches Mittel zeigten sich auch Inhalt und Ziel des journalistischen Engagements und der politischen Richtung des jungen Heinrich Held: Verteidigung des katholischen Glaubens, Vertretung der politischen und wirtschaftlichen Interessen der mittleren und unteren Schichten des Volkes als demokratische Verpflichtung. Das bedeutete automatisch einen scharfen Kampf gegen den Liberalismus, der i m Bereich des Staates den Kulturkampf betrieben und auf dem Gebiet der kommunalpolitik i n der Ausschließung der Katholiken das wahre Gesicht seiner Willkürherrschaft gezeigt hatte und immer noch bestätigte.
is So i n RM, No. 133, 16. 6.1909. is RM, 133, 14. 6.1899. 20 RA, 9, 6. 1.1917. 21 RM, 133, 14. 6.1899.
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Diese scharf geführte Auseinandersetzung m i t dem politischen L i beralismus begann für Held unter der Führung Josef Habbels, der die politischen Fähigkeiten des jungen Journalisten bald erkannt hatte, auf dem Schauplatz der Regensburger Kommunalpolitik. 3. Heids K a m p f gegen den Regensburger Rathausliberalismus 1900-1908
Obwohl das Regensburger Zentrum den Liberalen das Landtagsmandat i n der Wahl von 1899 entreißen konnte und 65 °/o der Wählerstimmen gewonnen hatte, war es von der Rathauspolitik völlig ausgeschlossen. Die wenigen „Rathaus-Katholiken", die in Magistrat und Gemeindekollegium saßen und „lediglich den dekorativen Schmuck der liberalen Tafelrunde" abgaben 22 , i m übrigen aber einem traditionell gewordenen Gesellschaftsliberalismus huldigten, waren nicht M i t glieder des Zentrums und wurden von den Katholiken auch nicht als ihre politischen Repräsentanten anerkannt 2 3 . Das traditionelle Übergewicht der Liberalen hatte vor allem historische und damit konfessionelle Gründe. I n der Reformation war der Rat der Stadt ausschließlich protestantisch geworden. Der Bischof verhinderte es jedoch, daß ganz Regensburg vom Katholizismus abfiel. Infolge Ratsbeschluß konnte in Zukunft kein Katholik mehr Bürger der freien Reichsstadt Regensburg werden. N u r zwei Katholiken sind während dieser Zeit Bürger geworden 24 . Die Situation änderte sich erst i m Jahre 1810, als Regensburg zu Bayern kam. Damit wurde diese rigorose Bestimmung hinfällig 2 5 . Der Protestantismus konnte seine Position bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts unbestritten behaupten, obwohl 80 Prozent der städtischen Bevölkerung katholisch waren 2 6 . Hinzu kam noch die so^ ziale Schichtung der Bevölkerung: die breite Masse der unteren Schich22 RM, 202, 6. 9. 1899. 23 Als das „Regensburger Tagblatt", 542, 28.10.1899, dem Z e n t r u m v o r rechnete, daß unter den 16 Magistratsräten 10 K a t h o l i k e n u n d unter den 36 Mitgliedern des Gemeindekollegiums 18 K a t h o l i k e n seien, wollte der „Regensburger Anzeiger", 543, 29.10. 1899, diese nicht als Zentrumskathol i k e n anerkennen. I m übrigen spreche aus dem liberalen A r t i k e l „der alte fanatische Geist des Kulturkampfes, der i n den siebziger Jahren die K a t h o liken geknechtet und entrechtet, ihre Priester verjagt und i n Gefängnisse geworfen, die Spendung der Sakramente an Sterbende vereitelt, die Priester u n d das katholische V o l k i n Wort und T a t maßlos beschimpft hat". Regensburg habe 36 000 K a t h o l i k e n und n u r 6 000 Protestanten. Nach der Parität müßten die Katholiken 29 Vertreter i m Gemeindekollegium u n d 10 i m Magistrat haben. — Dies ist ein typisches Beispiel, das zeigt, w i e i m Rückgriff auf den K u l t u r k a m p f Argumente entwertet wurden und welche agitatorische Übertreibung auch i m Zentrum gehandhabt wurde. 24 RM, 208, 14. 9. 1899. 25 „Allgemeine Rundschau", Nr. 20, 13. 8.1904, S. 266. 26 RM, 202, 6. 9.1899.
3. Heids K a m p f gegen den Regensburger Rathausliberalismus
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ten der Arbeiter, Handwerker und kleineren Gewerbetreibenden, die zudem ständig Zuzug von der katholischen Oberpfalz bekamen, war katholisch. Die dünne, aber politisch herrschende Schicht des Besitzbürgertums i n Industrie, Handel und Beamtentum war vornehmlich protestantischer oder jüdischer Konfession und somit liberal gesinnt 27 . Held stellte 1899 fest, daß die Katholiken die liberale Vorherrschaft und ihre eigene Einflußlosigkeit i m Stadtregiment fast als unabweisbare Notwendigkeit betrachteten: „Das katholische Regensburg krankt heute noch an den Folgen des Terrorismus, den der protestantische Magistrat der Stadt seit der sogenannten Reformation bis zum Jahre 1810 gegen sie ausgeübt hat 2 8 ." Das infolge dieser „fortgesetzten Vergewaltigung" 2 9 verlorengegangene Gefühl der Selbständigkeit, das Bewußtsein ihrer Macht und die Überzeugung von ihrem Recht wollte Held den Katholiken zurückerobern, der katholischen Stadt auch nach außen h i n den katholischen Charakter wiedergeben und die katholischen Interessen „gegenüber den protestantisch-jüdisch-liberalen A n sprüchen" 30 verteidigen. I n diesem Kampf zeigte sich Held als hervorragender Organisator und Propagandist, der zum Mittelpunkt eines sich neu organisierenden katholischen Partei- und Vereinslebens wurde. Die liberale Herrschaft war natürlich nur dann zu brechen, wenn man das kommunalpolitische Interesse der breiten Schichten des katholischen Wählerpotentials weckte, sie zur Wahl brachte, und dafür auch die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen schuf. Held versuchte i n ihnen das Bewußtsein zu wecken, daß sie „als rechtlose Masse" von einer Minorität von Liberalen bevormundet würden: „ W i r Katholiken sind mündig und besitzen das Recht und die Fähigkeit mindestens so gut als die Liberalen unsere gemeindlichen Interessen selbst zu vertreten . . . Charakterlose Waschlappen müßten w i r sein, wollten w i r länger dulden, daß eine Handvoll Liberaler uns 35 000 Katholiken unter ihrer Fuchtel hält, das Rathaus zur Geschäftsstelle der liberalen Partei macht und die Wahrung ausschließlicher liberaler Parteiinteressen zum obersten Grundsatz in unserer Stadtverwaltung erhebt 3 1 ."
27 Statistische Untersuchungen m i t genauer Aufschlüsselung nach K o n fession, sozialer Schichtung u n d Wahlverhalten der Regensburger Bevölkerung f ü r diese Zeit gibt es nicht. Die Darstellung stützt sich auf verschiedene i n Regensburger Zeitungen diesbezüglich gemachten Äußerungen; i m übrigen ist Regensburg hier kein Einzelfall, w e n n auch hier dieser Dualismus ganz besonders scharf zum Ausdruck kam. 28 RM, 208, 14. 9. 1899. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 RM, 202, 6. 9. 1899. 3 Keßler
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Zum statistischen Nachweis für den Angriff auf die Stadtverwaltung, sie besorge nur die Geschäfte der Besitzenden und vernachlässige das Interesse der kleinen Leute, vor allem in der so brennenden Wohnungsfrage, verschickte Held 600 Fragebogen i n der ganzen Stadt an Minderbemittelte. Aus diesen ergab sich „ein tief trauriges B i l d von den Zuständen i n den Arbeiterwohnungen" 3 2 . Die Stadträte hätten sich vielmehr „ m i t Händen und Füßen gewehrt gegen alle Einrichtungen, welche die Lage der Arbeiter zu heben und zu konsolidieren geeignet wären" 3 3 . Die Wahlagitation bestand in einer geschickten Mischung konfessioneller und antikapitalistischer Ressentiments. Der Begriff „liberal" wurde so gleichgesetzt mit „katholikenfeindlich" und unsozialen Kapitalismusmanieren. Demgegenüber müsse der Katholik schon zur Verteidigung von Religion und eigenen wirtschaftlichen und sozialen Interessen antiliberal stimmen 3 4 . Die Liberalen waren bald durch die forschen Angriffe des jungen Chefredakteurs vom „Morgenblatt" aufgeschreckt worden und ließen i m „Regensburger Tagblatt" erwidern. Als Beispiele für die polemische Schärfe und verwildernde Stilistik solcher Pressekämpfe seien aus einer einzigen Nummer des „Regensburger Tagblatts" einige Proben entnommen, die die Agitation Heids treffen sollten: „Der importierte Federheld des Annoncenpalastbesitzers in der Türkenstraße" 3 5 , „Ultramontane Tyrannei", „demagogische Kaplanokratie", „der finstere Teil klerikaler Alleinherrschaft", „Casinesenpartei", „herrschsüchtige und ehrgeizige Häuptlinge des Centrums" 3 6 . Voraussetzung für die Wahlberechtigung zu den Gemeindewahlen war jedoch der Erwerb des Bürgerrechts. Erwerben konnten es alle volljährigen Männer, die die bayerische Staatsangehörigkeit besaßen und direkte Steuern zahlten. Die Gebühren dafür beliefen sich je nach den bezahlten Steuern i n der Höhe von 85 bis 170 Mark 3 7 . Man mußte nun jene Katholiken, die materiell dazu in der Lage waren, zum Kauf des Bürgerrechts bewegen. Für minderbemittelte Bürger mußten die notwendigen Mittel organisiert werden. A u f die Initiative Habbels und Heids entstand der „Bürgerrechts ver ein", der den ärmeren Katholiken den Kauf des Bürgerrechts ermöglichen sollte. Aus diesen Verhältnissen heraus entwickelte sich ein Stamm von Zentrumswäh32 RA, 552, 4.11. 1899. 33 RA, 546, 31.10. 1899. 34 Die scharfe Agitation brachte Held eine Beleidigungsklage des Stadtmagistrats ein. A m 21. Febr. 1900 wurde das Verfahren jedoch eingestellt. (RA, 53, 31.1.1900). 35 Die Druckerei Habbels befand sich i n der Fröhlichen Türkenstraße. 36 „Regensburger Tagblatt" v o m 31.10.1899. 37 RA, 363, 23.7.1899; Held selbst hatte 160 M a r k zu bezahlen.
3. Heids K a m p f gegen den Regensburger Rathausliberalismus
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lern, der von Wahl zu Wahl wuchs. Liberale Blätter i n Bayern höhnten über diese „Massenzüchtung von solchen Fünf-Mark-Bürgern" 3 8 i n Regensburg. Und der „Regensburger Anzeiger" konnte nicht ohne gewisse Genugtuung feststellen: „Keine Stadt Bayerns wurde i n den letzten Monaten mit Rücksicht auf die bevorstehenden Gemeindewahlen i n der bayerischen, ja deutschen Presse, so oft genannt als Regensburg." Die „Münchner Neuesten Nachrichten", der freisinnige „Fränkische Kurier", die „Frankfurter Zeitung" — sie entrüsteten sich i n allen Tonarten über die Regensburger „Ultramontanen", die das Wagnis unternommen haben, gegenüber der liberalen Alleinherrschaft auf dem Rathaus auch einmal mit aller Energie ihre Rechte auf Teilnahme an der Stadtverwaltung geltend zu machen 39 ." Beide Seiten waren eifrig daran, „neue Bürger zu schaffen". Der Magistrat machte die i n seinem Dienst stehenden Angestellten und Arbeiter — manchmal nicht ohne bestimmten Druck — zu „liberalen" Bürgern 4 0 . Die Jagd auf den „Bürger" nahm Formen eines modernen Wahlkampfes an. Die Wählerschaft wurde organisiert und diszipliniert. Die Wahlen im November 1899 selbst brachten für die Zentrumspartei eine Niederlage. Es gelang i h r nicht, einen Vertreter ins Gemeindekollegium zu bringen. Es hatte i m Vergleich zur letzten Wahl zwar Stimmen hinzugewonnen, scheiterte aber am Mehrheitswahlrecht und nach eigener Meinung an der parteiischen Haltung der Rathausbeamten bei der Agitation. Der Kampf ging auch i n wahlfreien Jahren unvermindert weiter. Reichs- und Landtagswahlen waren kaum von solch heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Bei Gemeindewahlen wurde die Atmosphäre ungleich hitziger. Das hatte natürliche Gründe: das Kampfterrain war beschränkter, die Gegensätze prallten heftiger aufeinander und die auf dem Spiele stehenden Interessen wurden intensiver empfunden. Besonders heftig mußte aber in einer Situation wie in Regensburg der Kampf dann werden, wenn sich zwei fast gleichstarke Parteien gegenüberstanden, von denen die eine bisher von der Mitbestimmung i m Rathaus ausgeschlossen blieb, während die andere vom Rathaus aus ihre Wahlgeschäfte besorgen konnte. Der gängige liberale Spruch: „Das Zentrum hat auf dem Rathaus nichts zu suchen, aber auch rein 38 So M N N , 405, 3. 9.1899. 39 RA, 539, 27.10. 1899. 40 RA, 409, 18. 8.1899. Die Praxis des „Bürgermachens" von Seiten des Zentrums zeigt z.B. die Erklärung des Bürodieners Josef Robold: „Ich b i n bereit, das Bürgerrecht i n Regensburg zu erwerben und verpflichte mich, den Betrag von 20 M a r k nebst 4 M a r k Gebühren zu bezahlen. Allenfalsige Mehrkosten müßten von Seiten der Zentrumspartei, der ich angehöre, getragen werden." A H R . *
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gar nichts" 4 1 , vergiftete die Atmosphäre und mußte das Zentrum besonders provozieren, da er von Wahl zu Wahl wiederholt wurde. Sogar der Prinzregent Luitpold suchte die Gemüter zu beruhigen, als er i n deutlicher Anspielung auf die Regensburger Situation anläßlich eines Handschreibens an Bürgermeister von Stobäus am 8. 5. 1902 den Wunsch und die Hoffnung äußerte: „Möge dem teuren Gemeinwesen . . . innerer Friede beschieden sein 42 ." Der Kampf verlegte sich i n Zukunft zwar mehr auf sachpolitische Probleme der Stadtentwicklung, das Zentrum brauchte jedoch dabei nicht auf agitatorische Vorteile zu verzichten. Tatsächlich war Regensburg unter der jahrzehntelangen Herrschaft der Liberalen vor allem i n seiner wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben, während andere bayerische Städte i n ihrer Wirtschaftskraft einen glänzenden Aufschwung erlebt hatten. Einwohner mäßig war Regensburg vom 5. Platz der bayerischen Städte auf den 8. gesunken 43 Für die Stagnation auf allen Gebieten machte Held die politische „Unfruchtbarkeit der liberalen Bourgeoisie" verantwortlich 4 4 . Vor allem das wichtige Verkehrsprojekt des Ausbaus des Regensburger Hafens war lange Zeit vernachlässigt worden. Bei der Wahl am 6. November 1902 blieb das Zentrum erneut erfolglos; es bekam 1058 Stimmen, die Liberalen 149545. 1903 trat Bürgermeister von Stobäus nach 30jähriger Amtszeit zurück; für diesen Fall hatte das Zentrum bereits 1899 angekündigt: „Es ist unser unerschütterlicher Wille, daß ein katholischer Bürgermeister an die Spitze unserer Stadt gestellt wird. Seit undenkbarer Zeit hat sich das katholische Regensburg einen Protestanten als Bürgermeister gefallen lassen . . . Die Stadt Regensburg und ihre 35 000 Katholiken haben ein Recht auf ein katholisches O b e r h a u p t . . . Das liberale Patriziertum hat seine Rolle ausgespielt 46 ." Der Magistrat kümmerte sich wenig um diese Wünsche und wählte den Protestanten Herrmann Geib zum Bürgermeister. Trotzdem arbeitete das Zentrum m i t ihm zusammen, da er vor allem neue Anstrengungen zur industriellen Entwicklung der Stadt unternahm und den Ausbau des Regensburger Donauhafens betrieb. Geib war kein Parteiliberaler und fand Anerkennung beim Zentrum dafür, „daß er das Rathaus gesäubert hat von dem liberalen Parteigeist" 4 7 Nach einer kurzen Tätigkeit des Bürgermeisters Auer, 42 43 44 45 46 47
RM, Zit. RA, RA, RA, RM, RA,
255, 9.11.1906. i n RA, 499, 5. 10.1902. 538, 26. 10. 1902. 49, 28. 1.1914. 58, 7. 11. 1902. 202, 6. 9.1899. 49, 28. 1. 1914.
4. Heids Initiative zur Änderung der Gemeindeahlordnung
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wurde 1911 der protestantische Liberale Otto Geßler Bürgermeister, der noch während des Weltkrieges Oberbürgermeister von Nürnberg wurde und später lange Zeit als Reichswehrminister der Weimarer Republik diente. Für das Zentrum war die Amtszeit Geßlers ein langsames Zurückgleiten i n das System des Bürgermeisters Stobäus. Ein geschickter und neutraler Vermittler auf dem Bürgermeisterstuhl hätte einen gewissen Ausgleich und eine Milderung der parteipolitischen Gegensätze zwischen den Rathausparteien herbeiführen können. Geßler hatte dies nicht vermocht, dazu war er zu sehr Parteiliberaler. Der heftigen Auseinandersetzung i n Regensburg überdrüssig, bewarb er sich um das Nürnberger Bürgermeisteramt.
4. Heids I n i t i a t i v e zur Änderung der
Gemeindewahlordnung
Als die Zentrumspartei auch 1905 bei den Wahlen ohne Erfolg blieb 4 8 , war es Held klar, daß das Zentrum n u r sehr langsam und kaum i n den nächsten Jahren die liberale Vorherrschaft i m Rathaus brechen konnte. Die Liberalen hatten bei den drei letzten Wahlen ihren Vorsprung von jeweils fast 1000 Stimmen halten können. Die Bürgerrechtsaktionen des Zentrums hatten nicht den erhofften Erfolg gebracht. Die katholischen Wählermassen waren nur schwer zu bewegen, außerdem hatten die notwendigen finanziellen M i t t e l nicht aufgebracht werden können. Die Versuche des Zentrums scheiterten am bestehenden Mehrheitswahlrecht. Held zog daraus die Konsequenz, daß die bayerische Gemeindeordnung i n ihren entsprechenden Bestimmungen für die Wahlen geändert werden müßte. Anstelle des geltenden Mehrheitswahlrechts sollte das Proporzsystem treten, das auch so starken Minderheiten wie dem Zentrum eine Vertretung i m Rathaus garantieren könnte. Der Ruf nach einer Veränderung der Gemeindeordnung ging von Regensburg aus. Es blieb das Verdienst Heids, diesen Gedanken entsprechend propagiert und schließlich die bayerische Zentrumsfraktion zu einer entsprechenden Initiative i n der K a m mer der Abgeordneten bewegt zu haben. Bei dieser A k t i o n tat Held seine ersten Schritte i n den Bereich der bayerischen Landespolitik hinein, eine Bewegung, bei der er auch i n Konflikte und Kämpfe m i t den konservativen Exponenten des bayerischen Zentrums verwickelt wurde. Die Argumente, die Held zur K r i t i k an der Gemeindeordnung von 1869 vorbrachte, hingen m i t seiner K r i t i k am Kapitalismus aufs engste zusammen. Das Bürgerrecht beruhte einzig und allein auf dem mo48 A l l e drei Jahre wurde ein D r i t t e l der 36 Mitglieder des Gemeindekollegiums neu gewählt.
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bilen Kapital. Es errichtete i n den Gemeinden die „krasse Herrschaft des Geldsacks" und Schloß Minderbemittelte von jeder aktiven Teilnahme an der Gemeindeverwaltung aus 49 . Die hohen Bürgerrechtsgebühren brachten automatisch das Übergewicht der Kapitalisten. Dieser enge Kreis wurde so maßgebend i n der Gemeinde. Cliquenwesen und traditionelle Herrschaft weniger Familien waren die Folgen. Weite Schichten verloren so jedes Interesse an der kommunalen Politik „und das war mit das Verderblichste" 50 . A l l diese Wirkungen konnte man i n Regensburg beobachten 51 . Das Ziel Heids war nun den Kreis der Wahlberechtigten zu erweitern. Wie w a r das zu erreichen? Bei einer Herabsetzung der Bürgerrechtsgebühren hätten die Gemeinden einen starken Ausfall an Einnahmen erlitten, den sie durch Erhöhung der Gemeindeumlagen wieder hätten wettmachen müssen. Damit wäre aber den „kleinen Leuten" nicht gedient gewesen. Held machte nun den Vorschlag, „das Gemeindewahlrecht auf einen größeren Kreis der Gemeindeeinwohner auszudehnen und es unabhängig zu machen vom sogenannten Bürgerrecht" 5 2 . Wahlberechtigt sollten demnach alle männlichen Gemeindebewohner sein, die 25 Jahre alt, zu einer direkten Steuer veranlagt, unbescholten und seit wenigstens zwei Jahren in der Gemeinde ansässig waren. Das Wahlrecht als politisches Recht sollte grundsätzlich allen zugestanden werden — eine Forderung, die das starke, demokratische Empfinden Heids erneut unter Beweis stellte. Außerdem würde ein stärkeres Verantwortungs- und Gemeinschaftsbewußtsein geweckt werden. Jeder, der gemeindliche Steuern zu zahlen hatte, sollte auch ein demokratisches Recht zur Mitbestimmung genießen. Das fordere die Gerechtigkeit. Das Bürgerrecht wäre aber damit nicht automatisch erworben worden. Wer i n seinen Genuß kommen wollte mit all den sozialen Vorzügen und Sicherungen, ζ. B. des Armenrechts, hätte es sich nach wie vor m i t einer geringen Gebühr erwerben müssen. Die zweite wichtige Forderung war die Einführung des Proporzwahlsystems. Das war für die Regensburger Situation das Entscheidende. Der Einzug des Zentrums ins Rathaus wäre damit gesichert gewesen. „Dadurch, daß alle Parteien zur Gemeindeverwaltung herangezogen werden, w i r d der dumpfe Druck gelöst, der heute auf allen lastet, die nicht m i t t u n dürfen und k ö n n e n . . . und die bis heute
Held auf einer großen Versammlung des katholischen Kasinos i n Regensburg am 5.11. -906, abgedruckt i n RM, 255, 9.11.1960. so Ebd. 5! Auch i n den anderen Städten Bayerns w a r dies so. V o n den 94 923 Einwohnern Augsburgs waren n u r 4 741 Gemeindebürger, etwa 5 %, i n München lag der Prozentsatz bei 5,7; so Abgeordneter Schmid, München, am 24.10.1907 i n der K a m m e r der Abg.; Sten. Ber. Bd. I, 1907, S. 339. 52 RM, 255, 9. 11.1906.
4. Heids Initiative zur Änderung der Gemeindeahlordnung
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zu einem kommunalpolitischen Tod verurteilt waren 5 3 ." Das galt natürlich auch für die Sozialdemokraten, — und hier setzte auch dann der Widerspruch konservativer Zentrumspolitiker ein; denn m i t der Einführung der Proporzwahl wurde auch der Sozialdemokratie der Weg i n die Rathäuser geöffnet. A n seine K r i t i k e r i n den eigenen Reihen richtete Held den demokratischen Appell: „Es ist eine Ehrensache f ü r unsere Partei, daß w i r unseren Angehörigen und zugleich den Angehörigen aller Parteien, soweit sie ein Recht auf M i t v e r w a l t u n g i n der Gemeinde haben, dieses Recht auch praktisch durch die Gesetzesreform erkämpfen. Kurzsichtig ist, wer da meint, daß die glücklich Besitzenden sich i n ihren Vorrechten hinter der chinesischen Mauer der Gemeindeordnung dauernd halten können, ungerecht, wer irgendeine Partei i n bezug auf öffentliche Rechte verkürzen möchte 5 4 ." Held ging m i t scharfer Polemik gegen den prominenten Zentrumsabgeordneten Lerno vor, der seine Vorschläge als Begünstigung der Sozialdemokratie abgelehnt hatte 5 5 . Die Forderung einer Reform sei sehr populär. Die Reform werde kommen. „Wenn nicht durch uns, dann gegen uns! Es wäre eine politische Unklugheit von weittragenden Folgen, würde das Zentrum aus Zaghaftigkeit diese günstige Position aufgeben 5 6 ." Die Rede Heids führte zu einer lebhaften Diskussion i n der Presse. N u r zwei Zeitungen kritisierten die Anregungen Heids heftig: die „Amberger Volkszeitung" 5 7 , ein Zentrumsblatt, das vom Abgeordneten Lerno inspiriert war, und der liberale „Bayerische Volksbote" i n Regensburg. Die „Amberger Volkszeitung" hatte versucht, wie Held i n einer scharfen Replik feststellen mußte „den Sturm der Entrüstung v o m Lande gegen die Heldschen Reformvorschläge aufzurufen" 5 8 . I n einer Denkschrift an die Zentrumsfraktion des Landtags suchte Held für sein Konzept zu werben. Es konnte dort jedoch, wie er selbst bemerkte, „leider nicht fruktifiziert werden" 5 9 , das heißt, es wurde vom konservativen Teil der Fraktion abgelehnt. A u f dem Landesdelegiertentag der Partei i m März 1907 appellierte er i n einem Hauptreferat an die Delegierten, man dürfe diese Volksbewegung nicht vorübergehen lassen. „ W i r würden durch die Aufrechterhaltung des heutigen Zustandes n u r einen Konservativismus konservieren, der ein j a h r zehntelanges Unrecht darstellt. W i r müssen mehr Kommunalpolitik 53 54 55 56 57 58 59
RM, 255, 9.11.1906. Ebd. Ebd. RM, 255, 9.11.1960. I n Nr. 300 und 301 Jg. 1906. RA, 570, 14.11.1906. RA, 255, 6. 11.1906.
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treiben 6 0 ." Es war i h m klar, daß sich die Zukunft der Parteien i n den großen Ballungsräumen entscheide, denn „das politische Leben wird mehr und mehr durch die politischen und wirtschaftlichen Momente beeinflußt, die sich jeweils i n den großen Städten ergeben" 61 . Schließlich konnte Held vor allem m i t Unterstützung der katholisch-bürgerlichen Vereine durchsetzen, daß i n das Wahlprogramm des Zentrums die Forderung aufgenommen wurde: „Zeitgemäße Reform der Gemeindeordnung, speziell Einführung der Verhältniswahl für größere Gemeinden 6 2 ." A m 24. Oktober 1907 kam die Frage der Änderung der Gemeindeordnung in der Kammer der Abgeordneten zur Diskussion. Die Sozialdemokraten hatten ihren alten Antrag erneut eingereicht 63 . Sie konnten annehmen, daß er jetzt mit Unterstützung des Zentrums Erfolg haben werde. Ihre Forderung auf Verknüpfung von Heimat- und Bürgerrecht wurde jedoch auch vom Zentrum abgelehnt. Der sozialdemokratische Abgeordnete Schmid — München sprach in lobender Weise von der A k t i v i t ä t Heids, „der in Wort und Schrift energisch für den Proporz bei den Gemeindewahlen eingetreten" sei 64 . Der Abgeordnete Goldschmitt von der „Liberalen Vereinigung" konnte darauf verweisen, daß die Zentrumsfraktion selbst sich in dieser Frage gespalten zeige. Er sprach von einer „Partei Held" innerhalb der Fraktion, die gegen die eigenen Führer zu Felde geritten sei und stellte Held das Zeugnis aus, er sei ein „fortschrittlicher Mann" 6 5 . Held selbst bemerkte i m Plenum mit Rücksicht auf seine Gegner in der eigenen Fraktion, er spreche nur für seine Person, wisse aber, „daß ein Teil meiner Freunde i n der Grundanschauung m i t mir übereinstimmt" 6 6 . Man sollte die Sozialdemokraten an der Verwaltung der Gemeinden beteiligen. „Rechte vorenthalten, das w i r k t revolutionierend, aber Rechte einräumen, das wirke beruhigend 6 7 ." Einen Konservativismus, der tief verletzendes Unrecht konserviere und auch der eigenen Partei Handschellen anlege, lehne er entschieden ab. Die Kammer solle sich zu dieser Tat der ausgleichenden Gerechtigkeit durchringen. „Keine Furcht vor Reformen, keine Furcht vor Sozialdemokraten 68 !" Dieser Appell Heids war an 60 RM, 54, 7. 3.1907. 61 RA, 570, 13.11.1911. 62 Ebd. 63 Schon bald nach ihrem Einzug i n den Landtag 1893 hatten sie einen A n t r a g auf Änderung der Gemeindeordnung eingebracht u n d i h n i n den Jahren 1899, 1902 und 1904 wiederholt. Es w a r jedoch überhaupt nicht disk u t i e r t worden, — so der Abg. Schmid (München) am 24.10.1907 i n der K a m m e r der Abg., Sten. Ber. Bd. I, S. 339. 64 Sten. Ber. 1907 Bd. I, S. 347. es a.a.O., S. 357. 66 a.a.O., S. 360. 67 a.a.O., S. 365. es a.a.O., S. 367,
4. Heids Initiative zur Änderung der Gemeinde Wahlordnung
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seine eigene Fraktion gerichtet. Dort saßen die Gegner der Reform, vor allem in den Personen der Abgeordneten Lerno und Giehrl. Diesen konservativen Politikern war jede Verbreiterung des parteipolitischen Kampfes nach unten zuwider, der natürlich einen verstärkten Einsatz i n der politischen Agitation erforderte. Die bürgerliche Ruhe der Honoratiorendemokratie sollte gewahrt bleiben. I n Held kam nun ein junger Politiker, der die alten Honoratioren aus ihrem bürgerlichen Schlaf aufschreckte und ihnen deutlich zu machen versuchte, daß der moderne parteipolitische Kampf bereits auf der kommunalpolitischen Ebene beginnen müßte. Innenminister Brettreich hatte i n einer Stellungnahme der Regierung von den Vorschlägen Heids als den „vielleicht radikalsten" gesprochen 69 . Zur Durchberatung der entsprechenden Anträge wurde vom Plenum ein besonderer Ausschuß eingesetzt 70 . Inzwischen machte Held i n zahlreichen Zentrumsversammlungen Stimmung für seine Vorschläge. A u f einer Münchner Parteiversammlung löste „sein entschiedenes Eintreten für eine wahrhaft volksfreundliche Politik stürmischen Beifall aus" 7 1 . I m Ausschuß zur Beratung des sozialdemokratischen Antrags wurde die Verknüpfung von Heimat- und Bürgerrecht jedoch abgelehnt. Damit bestand Gefahr, daß aus der ganzen Vorlage Heids auch nichts würde. Held nahm seinen ursprünglichen Antrag wieder auf, aber so formuliert, daß i n erster Linie die Einführung des Proporzes als vordringlich erschien, die Frage der Verbreiterung des Kreises der Wahlberechtigten aber einem späteren Zeitpunkt überlassen sei. Held stellte den Antrag, i n allen Gemeinden von 4000 Einwohnern aufwärts den Proporz einzuführen. Die Regierung zeigte sich bereit, zuzustimmen. Die Kammer der Abgeordneten beschloß darauf am 27. II. 1908 die Einführung des Verhältniswahlrechts für die Gemeinden über 4000 Einwohner. Die Reichsratskammer verhielt sich zunächst ablehnend. Als die Regierung den Antrag der Abgeordnetenkammer in der Form des Antrags Held zu einer eigenen Gesetzesvorlage machte, nahm der Landtag am 28. J u l i 1908 das Gesetz an. Die liberalen Zeitungen nahmen m i t Recht an, daß für die nächsten Gemeinde wählen „die Aussichten des Zentrums steigen werden" 7 2 . Bei den Wahlen am 11. November 1908 konnten neben sechs Liberalen auch sechs Zentrumsanhänger in das Regensburger Rathaus einziehen. Die lang umkämpfte liberale Alleinherrschaft war endlich gebrochen worden. Auf einer Zentrumsversammlung am Wahlabend, 69 a.a.O., S. 374. 70 Sten. Ber. 1907 Bd. I, S. 412. 71 RM, 279, 7.12.1907. 72 So M N N , 74, 14. 2. 1908.
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„bei der eine sehr gehobene Stimmung herrschte, wurde die Tatsache zum Ausdruck gebracht, daß es den Bemühungen des Herrn Held zu verdanken sei, daß w i r einmal so weit gekommen seien, nun in der Verwaltung der Gemeinde mitraten und mittaten zu können" 7 3 . Neben Dr. Georg Heim war auch Held Mitglied des Gemeindekollegiums geworden. Der scharfe und anhaltende Kampf gegen das liberale System hatte die Wendung gebracht. Bei den Wahlen i m November 1911 konnte das Zentrum die Zahl seiner Sitze von sechs auf 14 erhöhen. Zum erstenmal zog auch ein Sozialdemokrat ins Rathaus ein. 1914 bekam das Zentrum mehr Stimmen als die Liberalen, 1919 erreichte die B V P die absolute Mehrheit, eine Tatsache, die, wie der „Regensburger Anzeiger" feststellen konnte, „für das Regensburger Rathaus, diese alte liberale Hochburg, etwas geradezu Unerhörtes bedeutete" 74 . 5. Heids A k t i v i t ä t i n der christlichen Gewerkschaftsbewegung
Bei seiner kommunalpolitischen Tätigkeit hatte Held sich als ein modern denkender junger Politiker gezeigt, der die propagandistischen und organisatorischen Methoden eines modernen Parteienkampfes beherrschte, die Regensburger Zentrumspartei organisatorisch disziplinierte und sie aus ihrer langen kommunalpolitischen Isolierung herausführte. Er war zum Mittelpunkt des katholischen Vereinslebens geworden. Dabei hatten sich seine sozialpolitische Aufgeschlossenheit und sein demokratisches Gerechtigkeitsempfinden gezeigt. So war es ganz verständlich, daß er gleich zu Beginn seiner Regensburger Tätigkeit auch i n der Christlichen Arbeiterbewegung aktiv wurde. Held hatte sich schon sehr früh der sozialen Frage und des Arbeiterproblems angenommen. Seine sozialen Vorstellungen, sein sozialpolitisches Wollen waren in seiner Familie, seiner einfachen Herkunft grundgelegt und durch die Schulung i m sozialen Gedankenkreis des „Volksvereins für das katholische Deutschland" weiterentwickelt worden. Der Volksverein hatte das Motto: „Soziale Arbeit für alle Berufsstände"; eine der Gründungsbestimmungen war, „die Bekämpfung der Irrtümer und Umsturzbewegungen auf sozialem Gebiet" 7 5 . Die soziale Frage sollte durch Reform und nicht durch Revolution gelöst werden. Die Gegnerschaft zur Sozialdemokratie m i t ihren revolutionären und klassenkämpferischen Zielen war damit zwar gegeben, der „Volksverein" wollte sich aber nicht als M i t t e l für die reaktionäre Be73 RM, 259, 13. 11.1908. 74 RA, 16. 6. 1919. 75 E. Ritter, Die katholisch soziale Bewegung, S. 280.
5. Heids A k t i v i t ä t i n der christlichen Gewerkschaftsbewegung
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kämpfung der Sozialdemokratie mißbrauchen lassen. A u f diesem Boden begann Held seine sozialpolitische Tätigkeit i n den Regensburger christlichen Arbeitervereinen. I n der Analyse der Situation der Arbeiter steckte bei Held eine nicht zu übersehene Komponente der sozialistischen und besonders der Marxschen Kapitalismuskritik: „Das soziale Leben der 2. Hälfte des eben vorübergegangenen Jahrhunderts ist charakterisiert durch den Kampf der Arbeiterklasse nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegenüber den anderen Ständen. Die Entwicklung unserer staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat diesen Kampf bedingt 7 6 ." Die Entstehung und Entwicklung der sozialen Frage sah Held i n den Kategorien der marxistischen Verelendungs- und A k k u mulationstheorie. Sie existierte „seit jenen Jahren, i n welchen durch die materialistische Weltauffassung und vor allem durch die großartige Entwicklung der Industrie die ganze materielle Existenz fast des gesamten Arbeiterstandes, also des weitaus größten Teiles der Menschen i n den modernen Staaten, die Existenz ihrer Familien, der Erwerb des täglichen Brotes allen Schwankungen des Markt- und Warenpreises unterworfen ist. Die Entwicklung der Industrie i m Zusammenhang mit der schrankenlosen Gewerbefreiheit und der maschinellen Erzeugung der Lebensbedürfnisse hat die ungesunde Kapitalansammlung i n wenigen Händen hervorgerufen. Die unbeschränkte Gewerbefreiheit hat die Waren i n übermäßiger Weise vermehrt und dadurch zugleich die Arbeitskraft zur bloßen Ware gemacht. So konnte es nicht ausbleiben, daß i n kurzer Zeit auf der einen Seite die Masse der abhängigen Lohnarbeiter ins Unermeßliche anschwoll, auf der anderen Seite das Kapital stets größer wurde 7 7 ." Schuld an dieser Entwicklung war der Liberalismus mit seiner Lehre von „der unbedingten Gewerbe- und Handelsfreiheit" 7 8 . Ziel der sozialen Reformarbeit, wie sie Held vorschwebte, war nicht eine nivellierte Gesellschaft, sondern — und das war das spezifische Moment katholischen Sozialdenkens — die organische Gliederung der Gesellschaft. Man mußte den Arbeitern das Bewußtsein geben, keine Proletarier zu sein, sondern ein notwendiger Bestandteil der Gesellschaft mit eigenen Rechten, die, wenn sie einem nicht aus Einsicht gewährt wurden, man sich m i t den M i t t e l n der Organisation und des Arbeitskampfes erzwingen mußte. Es war für ihn Sache der Gesellschaft und damit der Arbeiter, diese Frage zu lösen. Sozialer Fortschritt mußte erkämpft werden, wenn er nicht aus Einsicht gewährt 76 RA, 282, 9. 6. 1901. 77 R M , 149, 5. 7.1899. 78 Ebd.
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wurde. I m Gegensatz zur sozialdemokratischen Vertretung des Klassenideals war das Zentrum für Held die Partei des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit, die sich auf alle Stände erstreckte. Deshalb durfte es auch keine Majorisierung eines Standes durch den anderen geben, jeder war gleichberechtigt. Zunächst mußten aber die Arbeiter für ihre eigenen Interessen interessiert werden. I n seiner sozialpolitischen Vereinstätigkeit wollte er das katholische Volk „sozial unterrichten" 7 9 , wie den volkswirtschaftlichen Notständen durch Einfluß auf die Gesetzgebung sowie durch Selbsthilfe abgeholfen werden könne. Soziale Reformarbeit war für ihn eine besondere Verpflichtung der Katholiken; sie waren „berufen, durch ihre ausgleichende, versöhnende Tätigkeit, durch ihre korporative Fürsorge namentlich für Arme, Schwache und Notleidende der drohenden sozialen Revolution zu wehren und eine stetige Entwicklung unserer Gesellschaftsverhältnisse zum Bessern zu sichern" 80 . Der Mensch empfing aus der christlichen Lehre um seines ewigen Heiles willen auch die „stärksten Antriebe, die überhaupt denkbar sind, zu christlich sozialer Betätigung" 8 1 . Für Held war die christliche Sozialpolitik „ein Ausfluß christlicher religiöser Charitas, christlicher Liebestätigkeit" 8 2 . Die Forderung nach einer Sozialreform war i n den Augen Heids durch die Auswüchse des Kapitalismus legitimiert. Nicht „Schürung des Klassenhasses", sondern eine „zielbewußte Reformarbeit" 8 3 war das Ziel der katholischen Arbeiterbewegung. I n dieser Reformarbeit wollte Held Führer und Helfer der noch wenig artikulierfähigen A r beiter sein; i n dieser Stellung erwarb er sich bald den Ruf des „Regensburger Arbeiterführers". Wie sehr Held später i n der Zentrumsfraktion des bayerischen Landtags mit seinen sozialpolitischen Ideen wirkte, zeigt eine Notiz des „Fraktionstagebuchs" vom 5. Oktober 1911: „Held bespricht die A r beiterfrage i n sehr interessanter Weise, er scheint darin sehr beschlagen zu sein 84 ." Die Frage des Koalitionsrechts war für Held die notwendige Voraussetzung zur sozialen und politischen Emanzipation der Arbeiter: „ N u r die Organisation vermag für den Arbeiter einigermaßen das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder herstellen, das ihm durch seine 79 RA, 61, 4. 2. 1900. so Held i n „Allgemeine Rundschau", Nr. 21, 20. 8. 1904, S. 279. 81 RM, 197, 22. 9.1910. 82 Ebd. 83 RA, 381, 2. 8. 1899. 84 Fraktionstagebuch d. Zentrumsfraktion der bayerischen K a m m e r Abgeordneten, verfaßt von Theobald Fuchs, S. 786.
der
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Natur als Lohnarbeiter gegenüber dem kapitalkräftigen und besitzenden Unternehmer verlorengegangen war 8 5 ." Organisation w a r auch zur Disziplinierung der Arbeitermassen notwendig; denn „Organisationslosigkeit ist das gefährlichste für den sozialen Frieden" 8 6 . Es war aber „eine bekannte Tatsache, daß dieses Recht für den Arbeiter vielfach illusorisch" 8 7 war; wo es nicht aus Einsicht gewährt wurde, mußte es erkämpft werden, nötigenfalls m i t Streik. „Wenn die Beschwerden und Mißstände sich jahrelang so anhäufen, und wenn die Unternehmer jedes Entgegenkommen, ja jede Verhandlungen schroff ablehnen, so muß natürlich der Streik ausbrechen 88 ." Die sogenannte „Zuchthausvorläge" des Jahres 189989, die die Koalitionsfreiheit der Arbeiter einzuschränken drohte, nannte Held „ultrareaktionär" 9 0 ; sie gebe Zeugnis, „daß die maßgebenden Kreise . . . nicht die blasse Ahnung von unseren inneren sozialpolitischen Zuständen und dem sich mit elementarer Gewalt geltend machenden Bestreben der Vorwärtsentwicklung derselben haben" 9 1 . Das Koalitionsrecht müsse erweitert und gegen jede Verkümmerung gesichert werden. „Ein wirksames Koalitionsrecht kann der Erlaubnis des Streiks nicht entraten. Der Streik ist ein i n der Entwicklung der modernen A r beitsverhältnisse selbst begründeter und deshalb als berechtigt anzuerkennender Faktor i m Kampf zwischen Arbeit und Kapital 9 2 ." 1898 war i n Regensburg unter der Ägide von Josef Habbel der christliche Gewerkschaftsverein „Arbeiterschutz" gegründet worden. Solche „Arbeiterschutz ver eine" hatten sich als Zusammenfassung der bereits bestehenden Fachabteilungen der katholischen Arbeitervereine auch i n den bayerischen Städten Würzburg, Nürnberg und München konstituiert. Die berufliche Gliederung weckte auch das Interesse der Mitglieder an gewerkschaftlicher Betätigung. Held selbst betonte auf dem Delegiertentag der katholischen Arbeitervereine der Diözese Regensburg i m Jahre 1902 die „Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Organisation und die notwendige Ergänzung der katholischen Arbeitervereine durch die christlichen Gewerkschaften" 93 . Er forderte die FachGewerkschaften, i n denen die einzelnen Berufe ihre Interessen vertre85 RM, 34, 10./11. 2. 1902. 86 RM, 18, 23./24. 8.1905. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Abgedruckt bei Bachem, Bd. 5, S. 418. 90 RM, 127, 7. 6. 1899. 91 RM, 125, 4. 6.1899. 92 RM, 125, 4. 6.1899. 93 RA. 654, 31.12.1902.
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ten sollten; ungegliederte Arbeitervereine, die alle Berufe umfaßten, seien veraltet 9 4 . I m Aufbau der christlichen Gewerkschaftsbewegung in Regensburg hat Held Pionierarbeit geleistet gegen die Übermacht der sozialistischen Verbände und ihren Terror, oft auch gegen den Widerstand der katholischen Arbeitgeber und des hohen Klerus, die der Gewerkschaftsbewegung nicht selten ablehnend gegenüberstanden und diesen Kampf um die Arbeiterschaft m i t wenig Verständnis, aber viel Skepsis betrachteten 95 . Held trat m i t voller A k t i v i t ä t i n den Verein ein. I n seiner ersten öffentlichen Rede am 9.10.1899 trat er für die Schaffung eines Gewerbegerichts i n Regensburg ein. E i n solches Laiengericht sollte i m Interesse des Friedens zwischen Arbeitern und Unternehmern eine sachkundige und billige Spezialrechtsprechung darstellen. Dadurch würde die Lage der Arbeiter gebessert 96 . I n die Kommission, die die Angelegenheit des Gewerbegerichts betreiben sollte, waren auf Heids Vorschlag auch Sozialdemokraten gewählt worden. Als darauf das Zentrumsblatt „Augsburger Postzeitung" Held kritisierte, er leiste für die Sozialdemokraten Vorspanndienste, wies er diesen Standpunkt als „sozialpolitische Unreife und Engherzigkeit" zurück: „ W i r vermögen nicht einzusehen, inwiefern die Christlichen ihren Grundsätzen etwas vergeben, wenn sie da mit der Gesamtheit der Arbeiter Hand i n Hand gehen. Es war lediglich ein A k t der Gerechtigkeit, daß w i r „Christlichen" den Sozialisten Sitz und Stimme gewährten 9 7 ." Jahrelang, bis zum Beginn seiner parlamentarischen Tätigkeit, hielt Held i m Verein „Arbeiterschutz" sozial- und staatspolitische Kurse ab; 1900 wurde er zum Ehrenvorstand des Vereins gewählt 9 8 . Seine A k t i v i t ä t als Redner bei allen möglichen Gelegenheiten i n Regensburg und den umliegenden Orten war enorm. I n einer Streikbewegung der Regensburger Holzarbeiter i m A p r i l 1900 verhandelte Held als Vertreter der christlichen Gewerkschaften m i t den Arbeitgebern 9 9 . Ebenfalls 1900 trat er als Initiator bei der Gründung eines „Verbandes des Post- und Telegrafenpersonals" auf 1 0 0 . 1906 wurde Held i n „Anbetracht seiner hervorragenden Verdienste um die
»4 RA, 614, 8. 12.1904. 95 A u f den sog. „Gewerkschaftsstreit", der hauptsächlich u m die Sicherung der christlichen Grundsätze der gewerkschaftlichen Tätigkeit u n d ihren konfessionellen oder paritätischen Charakter geführt wurde, k a n n hier nicht weiter eingegangen werden. Z u dieser Frage vgl. W i l k e l m Spael, „Das katholische Deutschland," S. 44 ff. u n d Ernst Deuerlein, „Der Gewerkschaftsstreit . . . " i n „Stimmen der Zeit". 96 RA, 506, 10.10. 1899. 97 RA, 518, 16.10. 1899. 98 RA, 324, 3. 7.1900. 99 RA, 199, 23. 4.1900. 100 RA, 160, 31. 3.1900.
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Hebung der sozialen Lage des unteren Eisenbahnpersonals" vom bayerischen Eisenbahnerverband zum Ehrenmitglied ernannt 1 0 1 . Die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Organisation der katholischen Arbeiter, wie überhaupt die Dringlichkeit sozialer Fragen, waren in den agrarischen und klerikalen Kreisen des bayerischen Zentrums wenig aktuell. Auch die Regensburger Geistlichkeit stand dieser Bewegung noch ziemlich skeptisch gegenüber. Man sprach von den „braven katholischen Arbeitern", solange sie bei der Fronleichnamsprozession hinter der St.-Josefs-Fahne prozedierten, aber ihre politische Emanzipation wurde als Störung der gottgewollten Ordnung empfunden. „Leider aber finden die so wichtigen christlichen Gewerkschaften i m mer noch nicht die richtige Würdigung und finanzielle Unterstützung", mußte Held i m Hinblick auf seine Gewerkschaftsarbeit feststellen 102 . Sozialpolitik war dem hohen Klerus zu revolutionär und deshalb zuwider, und jeder, der sich aus sozialer Verantwortung bemühte, die soziale Frage voranzutreiben, war i n ihren Augen nicht selten ein Friedensstörer 103 . Religion galt als hauptsächliches soziales Heilmittel. Politisches Desinteresse und soziale Inaktivität der Katholiken mußten aber nach Meinung Heids gerade den Sozialdemokraten die Arbeiter i n die Hände treiben: „ M a n gibt sich i n der katholischen Bevölkerung, man gibt sich i n der Zentrumsbewegung einem gewissen Schlendrian hin und überläßt dem lieben Gott und den guten Leuten die Entscheidung 104 ." I m Jahre 1909 gestand er angesichts der Unbewegbarkeit der Verhältnisse: „Seit 10 Jahren stehen w i r hier auf dem selben Fleck. Es muß vorwärts gearbeitet werden und zwar nicht bloß von Arbeitern, sondern auch von den anderen ohne Rücksicht auf den Stand 1 0 5 ." I n einem Antrag zum Katholikentag i n Regensburg 1904 ersuchte Held zusammen mit drei weiteren Arbeitervertretern „alle, denen es möglich ist, diese Ausbreitung der katholischen Arbeitervereine nach Kräften zu fördern" 1 0 6 . I n einem weiteren Antrag suchte er die Zustimmung des Katholikentages zu der „auf dem i m Oktober 1903 i n Frankfurt abgehaltenen deutschen Arbeiterkongress eingeleiteten christlich-nationalen Arbeiterbewegung" zu gewinnen 1 0 7 . Die christ-
101 RA, 21, 1. 1. 1907. 102 RA, 381, 2. 8. 1899. i° 3 So beklagte sich z.B. der Schneidergehilfe Bayer auf einer Versammlung des „Arbeiterschutzes", „daß m a n i n manchen geistlichen Kreisen der christlichen Gewerkschaftsbewegung noch i m m e r ablehnend gegenüberstehe", RA, 502, 8.10.1903. 104 RA, 539, 28.10.1909. los Ebd. 106 „Verhandlungen der 51. Generalversammlung, Regensburg 1904, S. 104." io? Ebd., S. 105.
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lich-nationale Arbeiterbewegung sollte auch die evangelischen Arbeiter umfassen und ein Gegengewicht zu den sozialistischen, freien Gewerkschaften bilden. Beide Anträge wurden angenommen 108 . Held versuchte i n richtiger Erkenntnis der sozialen und politischen Entwicklung den Katholizismus i n den niederen Schichten zu einer Volks- und Massenbewegung zu entwickeln, um so durch eigene soziale Initiative den Einbruch der Sozialdemokraten in katholische Wählerschichten abzuwehren. Gerade in den Städten hatte sich diese Entwicklung für das Zentrum bereits als wirkliche Gefahr gezeigt. Eine auf dem Gewerkschaftsgedanken fußende christliche Arbeiterbewegung sollte das weitere Vordringen der Sozialdemokraten i n katholische Arbeiterschichten verhindern. Dazu waren die ständige Aufklärungsarbeit am Wähler und die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter notwendig. Held hatte sich dabei sogar zur Zusammenarbeit m i t den Sozialdemokraten bereitgezeigt. Unterstützung fand er in seiner sozialen Arbeit vor allem auch beim niederen Klerus. Wenn es i h m um der Sache sozialer Gerechtigkeit willen notwendig erschien, schreckte Held nicht vor öffentlicher K r i t i k am hohen Klerus zurück. Als i m Jahre 1905 Arbeiter der bischöflichen Brauerei „Bischofshof" wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Arbeiterorganisation entlassen wurden, und die Angelegenheit sogar i m Reichstag von den Sozialdemokraten aufgegriffen wurde, führte dies zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem bischöflichen Ordinariat und den Sozialdemokraten Regensburgs, wobei auch die christlichen Arbeitervereine die Sache der entlassenen Brauereiarbeiter vertraten. Die Auseinandersetzung endete mit einem gerichtlichen Nachspiel. Held hatte m i t Erfolg eine Beleidigungsklage gegen vier sozialistische Gewerkschafter angestrengt, die in einer Gewerkschaftsversammlung erklärt hatten, Held unterstütze das unsoziale Verhalten des bischöflichen Ordinariats. Vom Schöffengericht Regensburg wurde jedoch anhand der Zeugenaussagen aktenkundig festgestellt, „daß Held die Interessen der Arbeiter beim Bischof und der Verwaltung der ,Bischofshofer Brauerei' des öfteren auf das kräftigste vertrat und später auch erklärte, daß er das Verhalten der Brauereiverwaltung gegenüber den ausgestellten Arbeitern nicht billige" 1 0 9 . Das Gericht stellte i n demselben Urteil fest, daß Held „der Hauptführer der hiesigen christlichen Arbeiter" sei. Zur Entlastung der verurteilten Gewerkschafter führte es an, „daß Held selbst als ein ziemlich rücksichtsloser politischer Gegner gilt und die Ausfälle auf den politischen Gegner i n den von i h m geleiteten Zeitungen auch manchmal vor der Grenze des Erlaubt e Ebd., S. 411 u. S. 416. loa A H R , U r t e i l des Schöffengerichts Regensburg, A. v. Z. 2313/1906.
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ten nicht Halt machen" 1 1 0 . Held war ein aggressiver Geist, dem Polemik und Kampf als politische Waffen besonders lagen. Die christlichen Gewerkschaften mußten sich immer wieder gegenüber den sozialistischen scharf profilieren, u m die katholischen A r beiter vor der Abwanderung nach links zu bewahren und ihnen zu zeigen, wo sich die Geister schieden. Es war für Held Gewißheit: „Wer die Gewerkschaften hat, hat die Zukunft"; dann ging es eben darum, „ob die sozialistischen Ideen unsere ganze Arbeiterschaft beherrschen sollen oder nicht" 1 1 1 . Eine wesentliche Rolle bei der propagandistischen Differenzierung der Geister spielte natürlich das konfessionell-christliche Moment. Konnte ein Katholik auch Sozialdemokrat sein? Das schien unmöglich bei der „das Dasein eines persönlichen Gottes wie alles Ubernatürliche leugnenden Sozialdemokratie" 112 . Kein gläubiger Katholik könne auch nur einen Augenblick darüber zweifeln, „daß Christentum und Sozialdemokratie zwei Begriffe sind, die einander ebenso scharf ausschließen wie Feuer und Wasser" 113 . Der endgültige Entscheidungskampf der Parteien würde geschlagen zwischen den „positiv-christlichen Parteien und der atheistischen Sozialdemokratie" 1 1 4 . M i t dieser Vulgärpropaganda versuchte man, die katholischen Arbeiter i m Lager der christlichen Gewerkschaften zu halten. Daß Held über diesem Argumentationsniveau auf propagandistischer Ebene der Sozialdemokratie i n der Beurteilung ihrer historischen Entwicklung und ihrer sozialgeschichtlichen Bedingtheit durchaus Gerechtigkeit widerfahren ließ, hat sich bereits an seiner Argumentation für die Änderung des Gemeindewahlrechts zeigen lassen. Erst die Auswüchse des sozialistischen Gewerkschaftsterrors an den Arbeitsplätzen gegen christlich organisierte Arbeiter und die terroristische Verwilderung des Arbeitsklimas lassen bei Held eine langsame Umorientierung in der grundsätzlichen Beurteilung der Sozialdemokratie feststellen. Die Überzeugung, daß diese Erscheinungen Vorzeichen eines revolutionären Terrors seien, der auf die Ebene staatlichen Lebens gehoben würde, wenn die Sozialdemokratie die Macht i m Staate erringen sollte, ließ seine grundsätzliche Gegnerschaft allmählich wachsen. I m „Morgenblatt" und „ A n zeiger" wurden laufend Berichte veröffentlicht von Terrorakten sozialistisch organisierter Arbeiter gegen ihre Kollegen von der christlichen Gewerkschaft. I n einer Sitzung des Gemeindekollegiums vom no m 112 us 114
Ebd. RM, RM, RM, RM,
4 Keßler
202, 6. 9. 1899. 125, 5. 6.1901. 85, 17. 4.1901. 262, 19.11.1904.
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4.2.1911 berichtete Held von Erkundigungen, die er eingezogen habe; demnach würden sich Vorarbeiter einer Firma, die von der Stadt mit Kanalisationsarbeiten beauftragt sei, wegen der massiven Drohungen der sozialistisch organisierten Arbeiter „nicht getrauen, christlich organisierte Arbeiter einzustellen" 1 1 5 . I h m selbst sei bekannt, „daß ein Arbeiter mitten in der Woche aus der Arbeit gegangen sei, mit der Behauptung, er halte die Schikanen der sozialdemokratisch Organisierten nicht mehr aus" 1 1 6 . I n einem anderen Fall habe der „christlich organisierte Arbeitgeber Zenger bei der Firma X gearbeitet. Als die Sozis erfuhren, daß Zenger der christlichen Organisation angehöre, haben sie i h n i n der ,Silbernen Fischgasse' derart behandelt, daß er die Arbeit verlassen mußte" 1 1 7 . Dieser Interklassenkampf m i t Wirtshausraufereien, Sprengung von Versammlungen, Tätlichkeiten am Arbeitsplatz war eine Begleiterscheinung immer heftiger werdender Parteien- und Pressekämpfe bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Die sozialistischen Gewerkschaften wuchsen, die christlichen blieben zurück, schon deshalb, weil das Problem der Arbeiterbewegung und der Gedanke der gewerkschaftlichen Organisation i m bayerischen Zentrum m i t seinem agrarischen und feudalen Übergewicht nie heimisch werden konnten und immer einem gewissen Argwohn revolutionärer standespolitischer Zielsetzung erweckte. Die gewerkschaftliche A k t i v i tät Heids i m Raum Regensburg und seine sozialpolitische Aufgeschlossenheit waren i m bayerischen Zentrum eine Einzelerscheinung.
6. A u f b a u des katholischen Vereinslebens i n Regensburg
Die bisher geschilderte Tätigkeit Heids galt der kommunal- und sozialpolitischen Aktivierung des Regensburger Katholizismus. Darüber hinaus griff er als Publizist und Politiker auch bald in die politischen und konfessionellen Kämpfe ein, die sich als Spiegelbild der bayerischen und deutschen Politik in der Stadtgemeinde Regensburg zeigten. Sein kämpferischer Geist versuchte die zahlreichen katholischen Vereine, i n denen sich das gespannte konfessionelle K l i m a der Stadt zeigte, zu politisieren und sie als Unterorganisationen der Zentrumspartei zu disziplinieren 1 1 8 . Ein solches Vereinsreservoir war das natürliche paline RA, 63, 5. 2.1911. ne Ebd. η? Ebd. h 8 I n Regensburg gab es 1903 elf verschiedene katholische Vereine: „Das katholische Kasino", den „katholischen Studentenverein „ A l b e r t i a " , den „Windthorstbund", den „katholischen Gesellenverein Regensburg", den „Volksverein f ü r das katholische Deutschland", „ K a t h . Arbeiter-Unterstützungsverein", „Kaufmännischer Verein Hansa", „ K a t h . Verein Unitas", „Marianische Männerkongregation".
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tische Vorfeld des Zentrums, das man auch politisch aktivieren mußte. „Es muß mehr Leben und Tätigkeit, mehr politischer Geist i n sie kommen" 1 1 9 , das hieß: stärkeres Engagement für die politische Repräsentation der Katholiken, das Zentrum. „Noch mehr und eifrigere Vereinstätigkeit, vor allem mehr politisches Zielbewußtsein. Herein i n diese Vereine, herein namentlich in den ,Volksverein für das katholische Deutschland', herein i n diesen Zentralverein aller Vereine! I m katholischen Volksverein sollen w i r uns sammeln, sollen w i r arbeiten, denn w i r müssen eingedenk sein, daß auf uns Katholiken einmal die Zukunft Deutschlands beruhen w i r d 1 2 0 . " Hier zeigt sich das missionarische Bewußtsein Heids, das konfessionell orientiert war. Denn allein der Katholizismus als positiv-christliche Religion werde die i n soziale und ideologische Gruppen zerfallene deutsche Gesellschaft zusammenhalten können. Der Protestantismus schien i h m durch seine inneren theologischen Differenzen bereits zu Tode geschwächt. Der Volksverein sollte nach der Idee seiner Gründer eine soziale Bewegung i m katholischen Volk entfachen. I n Bayern konnte er nur schwer Fuß fassen. A u f dem Lande gab es bereits den christlichen Bauernverein, in den Städten machten ihm die bereits bestehenden katholischen Vereine Konkurrenz. Der Hauptgrund lag wohl am „Mangel an sozialem Verständnis" 1 2 1 . Der Volksverein war von Windthorst gegründet worden; ideelle und personelle Verflechtung m i t dem Zentrum und seinen führenden Persönlichkeiten führte dazu, daß der Volksverein lange Zeit der organisatorische Unterbau der Partei blieb. Was den Katholiken also nach der Meinung Heids fehlte, war politisches Bewußtsein, ein entwickeltes Bewußtsein eigener Kraft und der Glaube an die Zukunft — Erscheinungen eines eigenen Inferioritätsglaubens und einer Ghettomentalität. Diese Fehlbestände aufzuholen, war nach Heids Meinung die große Aufgabe der Vereine und seines eigenen publizistischen Engagements. Dabei war der politische Katholizismus, die notwendige Folge des religiösen Katholizismus, also das Handeln nach katholischer Weltanschauung i m öffentlichen Leben. Der Zusammenschluß der Katholiken, ihre Organisation zu gemeinsamem Handeln war dazu dringendes Gebot. Organisation war für Held das kennzeichnendste Moment moderner Sozialgeschichte. „ W i r stehen i n unseren Tagen unter dem Zeichen Assoziation der Vereine und Versammlungen 1 2 2 ." I n der Vereinigung, i n den „viribus unitis" lag schon eine natürliche Quelle der Stärke und des us RA, 539, 28. 10.1909. 120 Ebd. 121 Nach E. Ritter, Die katholisch soziale Bewegung, S. 175 f. 122 RM, 181, 13. 8.1904. 4·
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Erfolges. „Das Christentum ist eine einigende, sammelnde Kraft, es besteht und w i r k t i n der Form der Ecclesia, der Einigung und Vereinigung der Gläubigen, i n welcher wohnt und waltet jener göttliche Geist, der da ist das Prinzip der Sammlung, der Vereinigung und des einträchtigen Strebens 123 ." Dieser sammelnde Geist, diese einigende Kraft war auch wirksam i n der Hervorbringung und Gestaltung verschiedenster religiös-sozialer Vereinigungen, Verbände und Genossenschaften. Die Kirche verlange immer von „ihren Kindern nicht bloß die Einigkeit i m Glauben, sondern auch i n der Aktion, i n ihrem religiös sozialen Leben und Streben und charitativen W i r k e n " 1 2 4 . Politische Vereinigungen der Christen, i n diesem Fall das Zentrum, bekamen so eine theologische Fundierung und Sanktion. Die katholische Sache aber brauche Männer, die i m Privatleben und i n der Politik die katholische Sache aus innerer Überzeugung m i t dem Worte und dem Zeugnis der öffentlichen Tat bekräftigten. Es war für Held Pflicht eines katholischen Mannes, daß er zur Verteidigung von Kirche und Glauben „sich aus Überzeugung und Pflichtgefühl auch Mühen und Arbeiten unterziehen muß, die nicht eine Folge des eigentlichen Berufes sind" 1 2 5 . Vorbilder in diesem Streite, i n diesem Kampf hatte die Kirche i n jüngster Zeit genug gefunden, jene „herrlichen Männer und Laien, die, eine Zierde des deutschen Vaterlandes und ein Ruhm der deutschen Katholiken für immer, i n den Parlamenten, i n Volksversammlungen, in Wort, Schrift so mannhaft, so überzeugend, so hingebend und so uneigennützig gegen die Widersacher der Kirche, die Gegner der Katholiken gestritten haben. Welcher deutsche Katholik sollte sie nicht kennen, sie nicht verehren die Rufer i m Streit, einen Mallinckrodt, Windthorst, die Brüder Reichensperger, einen Schorlemer-Alst und einen Dr. Lieber" 1 2 6 . I n der Tradition dieser Vorkämpfer wollte Held streiten für die nationalpolitische Gleichberechtigung der Katholiken und die Freiheit der Kirche. Als Voraussetzung für diesen Kampf brauchte das katholische Volk mehr politischen Geist, mehr politisches Zielbewußtsein. Die notwendige Schulung und Bildung für diesen Auftrag konnte der Katholik in den Bildungsinstitutionen des Volksvereins und der Katholikentage holen. Schulung und Organisation waren also die Aufgaben der katholischen Führer. I m katholischen Kasino Regensburg, Forum und Zentrale der politischen A k t i v i tät der Regensburger Katholiken, hielt Held in seinen ersten Regensburger Jahren zweimonatlich Informationsvorträge über alle Fragen der Reichs- und Landespolitik; seine A k t i v i t ä t war so ungewöhnlich, 123 124 125 126
RM, 180, 12. 8.1904. Ebd. RA, 545, 31. 10.1900. I n „Gedächtnisrede f ü r Ernst Maria Lieber", S. 4.
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daß der liberale „Bayerische Volksbote" bereits nach einem Jahr meinte, solch starke politische Tätigkeit könne nur jemand entfalten, der möglichst schnell ein Mandat i m Landtag oder Reichstag erstrebe 127 . A u f diesem Forum des katholischen Kasinos entwickelte sich Held zu einem populären Volksredner, der zu seinen meist zwei- bis dreistündigen Vorträgen nicht selten 1000 Zuhörer und mehr anzog; 2000—3000 waren es oft, wenn das katholische Kasino zu sogenannten Protestveranstaltungen rief, die auf besonders politisch oder konfessionell provozierende Veranstaltungen der Liberalen antworten sollten. Zwei Veranstaltungen seien besonders genannt, weil sie Themat i k und Schärfe der politischen Auseinandersetzung zeigen, die immer einen konfessionellen Unterton mittrugen. A m 10. 4.1902 antwortete Held in einer Kasino-Versammlung auf die Rede des liberalen Abgeordneten Wilhelm Reichel, der sich i m liberalen Verein mit den „ A u f gaben und Zielen des Liberalismus in Bayern" befaßt hatte. Die A n t wort Heids wurde zu einer historischen Anklage des freisinnigen, k i r chenfeindlichen Liberalismus, dem er die Schuld an der Säkularisation und die Urheberschaft des die Freiheit der Kirche knebelnden bayerischen Staatskirchentums anlastete 128 . A m 20. September setzte sich Held i n einer großen Volksvereinsversammlung mit den sozialdemokratischen und liberalen Angriffen auf den Regensburger Bischof von Henle auseinander, der wegen einer i m Reichsrat am 12. J u l i 1910 gemachten Äußerung über die Sozialdemokratie von der „Münchner Post" hart kritisiert worden war. Held erhob „feierlichen Protest gegen die nichtswürdigen Verunglimpfungen unseres Oberhirten durch die ,Münchner Post 4 " 1 2 9 . Die Rede Heids wurde zur scharfen Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie. Die Logik aller dieser politischen und geistigen Auseinandersetzungen endete für Held immer wieder i n der Erkenntnis: „Positives Christentum und Katholizismus sind von einem Heer von Feinden umringt. Es besteht die größte Gefahr für Weiterbestand und W i r k u n g der christlichen Weltanschauung... hie AntiChristentum, hie Christentum. Das ist der Kampfruf unserer Tage. Da gilt es, alle positiven Kräfte zusammenzufassen und zu fördern, da gilt es die katholische Einheit und Einigkeit zu bewahren und zu stärken. Da gilt es, Farbe zu bekennen, einzutreten i n die Reihen derer, die den Kampf für Christus m i t der Drangabe des ganzen eigenen Ichs führen wollen 1 3 0 ."
127 z i t . i n RA, 545, 31.10.1900. 128 RM, 82, 12. 4.1902. 129 RM, 197, 22. 9.1910. 130 Ebd.
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Die Spaltung zwischen rechts und links, zwischen liberal und katholisch ging i n Regensburg bis i n die sozialen Fürsorgevereine hinein. Als i m paritätischen Jugendfürsorgeverein die Liberalen und Protestanten die Wahl eines katholischen Geistlichen zum Vorsitzenden verhinderten, stellte Held fest, „daß in dem allgemeinen Jugendfürsorgeverein auf die Dauer ein ersprießliches Zusammenwirken von rechts und links nicht möglich i s t " 1 3 1 . Die Versammlung habe gezeigt, daß der katholische Klerus womöglich ausgeschaltet und die überzeugten Katholiken, zumal wenn sie der Zentrumspartei angehören, zur Einflußlosigkeit verurteilt werden sollten. Er begrüßte es, daß eine reinliche Scheidung der Geister eingetreten sei. A u f Vorschlag Heids wurde dann ein katholischer Jugendfürsorgeverein gegründet. Begleitet w u r den diese innerstädtischen Auseinandersetzungen immer wieder von lokalen Pressekämpfen zwischen den Zentrumsblättern unter der Leitung Heids und den liberalen Blättern „Bayerischer Volksbote", „Regensburger Tagblatt" und „Regensburger Neueste Nachrichten". Die A r t und Weise, wie Held publizistisch gegen Liberale und Sozialdemokraten vorging, war natürlich auch nicht dazu geeignet, das K l i m a zu entspannen. Der Liberalismus war für ihn, wie für das bayerische Zentrum überhaupt, der Gegner Nummer eins, der aus der historischen Sicht für ihn wegen seiner Haltung i m Kulturkampf und zur sozialen Frage diskreditiert erschien und auch für die Zukunft noch wesentlich gefährlicher erschien als die Sozialdemokratie, m i t der das Zentrum in jenen Jahren noch Wahlbündnisse Schloß. Die Heftigkeit, „ m i t der Held den Liberalismus bis aufs Messer bekämpfte" 1 3 2 , mußte auch die Liberalen zu gereizter Gegenwehr veranlassen. Entscheidend war dabei, daß sich der Kampf auf der Ebene des Weltanschaulichen abspielte. I n einer Zeit, „ w o alles zu den äußersten Konsequenzen und zur radikalen Entscheidung drängt", konnte es für Held nur eine Entscheidung „für oder gegen das positive Christentum" 1 3 3 geben. Die positiven Christen mußten sich sammeln, organisieren und m i t der Macht der Organisation auch i m öffentlichen politischen Leben ihre Interessen zu wahren versuchen. Das größte und gewichtigste Forum solcher A k t i vität sollte und konnte der alljährliche Katholikentag sein; hier sollten sich die Katholiken „Belehrung, neue Aneiferung für unsere katholische Erkenntnis und unser Leben" 1 3 4 holen. Eine katholische öffentliche Meinung sollte hier alljährlich geschaffen werden. 131 RA, 146, 22. 3.1911. 132 So „Bayerischer Volksbote" zit. i n R A , 263, 27. 5.1905. 133 R A , 272, 29.11.1907. 134 R M , 192, 26. 8. 1907.
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Für den Katholikentag des Jahres 1904 i n Regensburg war Held zum Schriftführer gewählt worden. I h m oblag also die publizistische Vorbereitung des Treffens. Bereits 1849 hatte die dritte Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Regensburg stattgefunden. A m Anfang dieser Tradition jährlicher Beratungen standen für Held „das Streben nach Befreiung der Kirche aus unwürdigem Staatssklaventum, die Sehnsucht nach Gleichberechtigung und nach der aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben" 1 3 5 . Ohne diese Katholikentage hätten die Katholiken nicht „ i n so geschlossener Ordnung und mit diesem Erfolg" den Kulturkampf bestanden, ohne Katholikentage „wären w i r heute noch, was w i r vor 1848 waren, zersplittert, ohne einheitliche Führung, ohne Einfluß i m staatlichen und gemeinbürgerlichen Leben, preisgegeben der W i l l k ü r der Regierungen und abhängig vom guten Willen unserer Gegner" 1 3 6 . I n der offiziellen Einladung zum Katholikentag in Regensburg hatte Held die Erwartung und Stimmung beschrieben: „Katholiken Deutschlands! W i r gehen ernsten Zeiten entgegen. Von Tag zu Tag mehren sich die Erscheinungen, welche als Vorläufer eines allgemeinen wohlorganisierten Kampfes gegen unseren heiligen Glauben, gegen die Freiheit unserer heiligen Kirche, gegen die gesicherte religiöse Erziehung unserer Kinder, gegen unsere Rechtstellung i n Staat und Gesellschaft erkennbar sind. . . . Die Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands bieten die beste Gelegenheit, unsere Lage zu prüfen, uns im Glauben, i n der Liebe und Einigkeit zu stärken und die geeigneten M i t t e l zur Verteidigung unserer höchsten Güter zu finden 137." Die Katholiken hatten dadurch „das Bewußtsein allumfassenden katholischen Gemeingefühls" 1 3 8 erhalten. Die 51. Generalversammlung i n Regensburg konnte einen kirchenpolitischen Erfolg feiern. Was Zentrum und Katholikentag so oft gefordert hatten, — die Aufhebung des Jesuitengesetzes — war zum Teil erreicht worden. Der Bundesrat hatte am 8. 3. 1904 den A r t i k e l 2 des Ausnahmegesetzes vom 4. 7.1872 aufgehoben.
135 136 137 138
Held i n „Allgemeine Rundschau", Nr. 21, 20. 8.1904, S. 278. Ebd. Ebd. Ebd.
I V . Heids politisches Weltbild vor Eintritt i n die aktive Politik Die politischen Gegner Liberalismus und Sozialdemokratie Bevor Held 1907 als Abgeordneter der 2. Kammer des bayerischen Landtags i n die aktive Politik eintrat, soll sein politisches Weltbild kurz resümiert werden. Es geht dabei sowohl um sein Verständnis vom eigenen politischen Engagement als auch u m sein Verhältnis zur politischen Wirklichkeit i m Deutschen Reich und Bayern und schließlich zu den politischen Hauptgegnern, denen das Zentrum gegenüberstand: Liberalismus und Sozialdemokratie. Sein politisches Weltbild wurzelte i n den unerschütterlichen Grundlagen katholischen, sozialen und politischen Denkens. Seine Tätigkeit i m Zentrum war eine zwingende Folge seines katholisch-religiösen Bewußtseins. Dieses Bewußtsein war besonders scharf geprägt durch die Härte seiner Uberzeugung und Kompromißlosigkeit i m Denken. Daß er dabei die Zeichen der Zeit i m sozialen und politischen Bereich stärker und klarer erkannt hatte als die meisten Zentrumspolitiker in Bayern und dementsprechend auch die Zentrumspolitik diesen gesellschaftlichen Wandlungen anzupassen versuchte, hat sich bereits gezeigt. Seine politische Grundhaltung hatte einen missionarischen Zug: es war seine werktätige, schaffende Liebe und Hingabe an die Sache des Katholizismus und des armen, noch unmündigen katholischen Volkes, dem der katholische Politiker und Journalist zu dienen hatte. Demnach empfand Held seine politische Arbeit zugleich als Volksdienst und Gottesdienst. Gefahren drohten dem katholischen Volk vor allem vom Liberalismus und Sozialismus. Neben dem praktisch- politischen Kampf führte Held die ideologische Auseinandersetzung m i t Liberalismus und Sozialdemokratie. Man muß diese grundsätzliche Auseinandersetzung kennen, um sein späteres politisches Verhalten deuten zu können. Die Trennungslinie auch i m politischen Leben verlief für Held an der Grenze: hie positiv-christlich, dort antichristlich; d. h. die Scheidung der Geister vollzog sich zwischen Anhängern „liberaler" und „autoritärer" Prinzipien, wobei „sozialdemokratisch" lediglich Ausfluß und Radikalisierung des liberalen Prinzips war. Den Unterschied zwischen beiden grundsätzlichen Richtungen sah Held darin, daß die Liberalen und Sozialdemokraten den eigenen Willen, die nackten egoistischen Interessen zur Grundlage ihrer Politik machten und i m Staat selbst
1. Der Liberalismus
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die Quelle allen Rechts sahen und Religion aus den öffentlichen politischen Dingen ausgeschaltet wissen wollten; in diesem Sinn galt auch für ihn das bekannte Wort: der reiche Liberale nennt sich liberal, der arme Liberale nennt sich Sozialdemokrat. Gegen diese säkulare Front stand das Zentrum als „Autoritätspartei" i n dem Sinne, als es sich bei seiner Politik an die Quelle aller Autorität, den persönlichen Gott hielt, dessen Gesetze es zu respektieren galt. Ein gläubiger gottesfürchtiger Geist sollte das öffentliche Leben gestalten. Gefahren drohten hier vor allem von Liberalen und Sozialdemokraten. Das hier kurz umrissene politisch-ideologische Spektrum muß i m einzelnen genauer aufgezeigt werden, um die scharfe Frontstellung, i n die sich das Zentrum vor allem i n Bayern gegen Liberalismus und Sozialdemokratie bewegte, deutlicher zu machen. Zugleich kann es ein kleiner Beitrag zur Entwicklung katholisch-politischen Denkens sein.
1. D e r Liberalismus
Die Gegnerschaft des politischen Katholizismus zum Liberalismus gründete sich vor allem auf ideelle Differenzen. I n der ersten Ausgabe des Staatslexikons 1887/89 hatte der neuscholastische Philosoph Albert Stöckl den Liberalismus bereits bestimmt als eine „Weltanschauung, welche der christlichen i n allen Punkten diametral entgegengesetzt ist" 1 . Der Liberalismus proklamierte die Autonomie des Menschen, er beruhte auf dem Atheismus und war gleichbedeutend mit „Indifferentismus, mit Vernichtung des Autoritätsprinzips und dessen Ersatz durch das Prinzip der Volkssouveränität" 2 . Die Liberalen berücksichtigten für Held in der Politik nur die materiellen Interessen: „Sie fassen den Staat auf als die Quelle allen Rechts, welches i m Diesseits entspringt und sich i n den Lebensstrom des Diesseits wieder ergießt, sie sehen ab von dem Urquell allen Rechts, von der Gottheit des Jenseits und den idealen Interessen, welche i n den staatlichen Einrichtungen nicht ignoriert werden dürfen, weil der Mensch nicht allein für das Diesseits geschaffen ist, sondern i n dem Durchgangspunkt das Diesseits erst i n seiner wahren Bestimmung i m Jenseits entgegengeht 3 ." Dem Liberalismus war daher die „Pflege der Religion, die Entwicklung der staatlichen Verhältnisse auf religiöser Grundlage ein Greuel" 4 . Für ι Zitiert bei Clemens Bauer: „Das Staatslexikon der Görresgesellschaft" i n „Deutscher Katholizismus", F r a n k f u r t a. M. 1964, S. 62. Das Staatslexikon als literarische Quelle f ü r Heids politisches Denken ist nicht zu unterschätzen. Des öfteren zitiert er daraus. 2 Clemens Bauer, a.a.O., S. 62. 3 RM, 96, 29./30. 4.1907. 4. Ebd.
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I V . Heids politisches W e l t b i l d vor E i n t r i t t i n die aktive P o l i t i k
das Zentrum waren dagegen nicht allein die materiellen Interessen des Volkes ausschlaggebend, sondern auch seine ideellen Interessen. Den religiös-christlichen Grundsätzen durfte i m Staat nicht entgegengehandelt werden, denn ohne Religion und Sittlichkeit würde einem christlichen Staatswesen „der wahre Lebensinhalt abgehen" 5 . Der L i beralismus war dagegen sogar „gemeingefährlich, weil er die gläubigen Christen von der Unterwürfigkeit unter die kirchliche Autorität abzubringen sucht und so die Auflehnung gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit nährt und schürt" 6 . Die grundsätzlichen ideologischen Auseinandersetzungen mit dem Liberalismus wiederholten sich vor jeder Reichstags-, Landtags- und Kommunalwahl. Herausgefordert wurden solche Auseinandersetzungen durch die liberale Regensburger Zeitung „Bayerischer Volksbote" mit dem oft wiederholten Vorwurf, „daß die Kirche i m Namen ihres Stifters mehr Opfer gefordert hat, als die gewaltsamen Umwälzungen, die an einzelnen Punkten der Weltgeschichte die freie Bewegung der Persönlichkeit forderte" 7 . Demgegenüber betonte Held, „daß i m Leben der Menschheit wohl alles Übel von der freien schrankenlosen Bewegung der Persönlichkeiten abhängen kann, daß die Erschütterung der Staats- und Gesellschaftsordnung nicht nur i n Frankreich, sondern auch in Deutschland der ungezügelten, freien Bewegung der Persönlichkeiten zu danken war" 8 . Eine freie Bewegung, die die durch göttliches und menschliches Recht gezogenen Grenzen überschritt, „kann niemals eine menschenwürdige Ordnung herbeiführen", und auch nicht dazu angetan sein, den „gottgewollten menschlichen Lebenszweck zu verwirklichen" 9 . Auch auf wirtschaftlichem Gebiet hat das liberale Prinzip des freien Spiels der Kräfte verheerend gewirkt, „es hat den Bauern- und Handwerkerstand durch seine Freiheitsbetätigung zu Grunde gerichtet; es hat eine uneingeschränkte Gewerbefreiheit, die in Gewerbe Willkür ausartete, geschaffen; es hat dem Staat seine besten Stützen, den Bauern- und Handwerkerstand, entzogen und er hat das Fundament des Staates auf das ewig bewegliche und unveränderliche Kapital übertragen" 1 0 . So entstand auf der einen Seite eine besitzende Klasse, auf der anderen Seite ein Proletariat, das mehr und mehr verarmte; dazwischen existierte ein gewerblicher M i t telstand, der schwer um seine Existenz kämpfte, aber soweit er sich nicht auf Kapital stützen konnte, „dem Proletariat mit der Zeit zu5 Ebd. 6 RM, 97, 1. 5.1907. 7 Bayerischer Volksbote, 106, 3. 5.1905. 8 RM, 95, 28. 4. 1905. 9 RM, 95, 28. 4.1905. 10 Ebd.
1. Der Liberalismus
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fiel" 11. Der Liberalismus stärkte nur die Macht des Kapitalismus und so war er „der Vater der Sozialdemokratie" geworden 12 . Liberalismusk r i t i k und Kapitalismuskritik gingen so bei Held ineinander über. Indem der Liberalismus unabhängig von allen Autoritäten die menschliche Vernunft und die individuelle Freiheit als die einzige Richtschnur aller menschlichen Tätigkeit proklamiert hatte, erschütterte er das Fundament aller Sittlichkeit, die geoffenbarte christliche Religion; in dem Drang nach Freiheit schuf er die despotische Herrschaft des Kapitalismus und die Knechtschaft der großen Masse. Die „erschreckenden Wirkungen" 1 3 der Lehren des Liberalismus kamen i n der französischen Revolution zutage. Nach gewaltsamer Unterdrückung der Religion dominierte „haarsträubende Gottlosigkeit, spielten Mord und Guillotine die Hauptrolle" 1 4 . Nach Erschütterung der christlichen Lehre boten die „vorher geordneten Staaten das B i l d eines tierischen, räuberischen Kampfplatzes" 1 5 . Englische Freidenker, französische Enzyklopädisten und deutsche Rationalisten wiegelten das Volk gegen die bestehende Staatsordnung auf, predigten den Sinnengenuß und erklärten die Konfiskation des Eigentums als erlaubt. Held erkannte dagegen als die „sicherste Garantie der Staatserhaltung und als das untrüglichste Zeichen des Patriotismus eines Menschen die Pflege des positiven Christentums, das dem Kaiser gibt was des Kaisers und Gott, was Gottes ist" 1 6 . Der Liberalismus war daher der größte Feind des positiven Christentums. Menschen aber, die keine Religion besaßen, waren „zu allen Schandtaten und Schlechtigkeiten fähig" 1 7 . Diese konnten aber nur solange unterdrückt werden, als ein festes, auf christlicher Moral gegründetes Staatswesen noch existierte und die Furcht vor der Strafe als natürliches Abschreckungsmittel sich noch wirksam erweisen konnte. Der Liberalismus war i m besonderen katholikenfeindlich. Held erinnert immer wieder an den Kulturkampf, „dessen Urheber, Träger und Förderer der deutsche Liberalismus" 1 8 gewesen war. Damals hatte man die Katholiken nur ihrer religiösen Überzeugung wegen, also· aus Haß gegen Christentum und Kirche „entrechtet, geknebelt, brutal vergewaltigt" 1 9 ; und der „Liberalismus zur Zeit des Kulturkampfes un11 RM, 100, 4. 5.1907. 12 Ebd. 13 RM, 117, 24. 5.1905. w Ebd. is Ebd. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 RM, 197, 22. 9.1910. 19 Ebd.
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I V . Heids politisches W e l t b i l d vor E i n t r i t t i n die aktive P o l i t i k
terscheidet sich in nichts von dem Liberalismus unserer Zeit" 2 0 . „ M a n w i r d vielleicht nun zu begreifen anfangen, warum w i r den Liberalismus mit aller Entschiedenheit bekämpfen und man w i r d vielleicht auch nach und nach einsehen, daß das System des Liberalismus es unmöglich zuläßt, der vernünftigen Freiheitsbetätigung aller Staatsuntertanen i m Staatswesen Rechnung zu tragen 2 1 ." Man muß diese Äußerungen i m Gedächtnis behalten, u m Heids Kulturkampfreden in der Kammer der Abgeordneten in der ehrlichen, nicht nur propagandistischen Intension und Überschärfe zu verstehen. I n diesem Sinne lehnte Held aber auch die Prinzipien von 1789 als „verderbliche Lehren" 2 2 ab. Ein Staat, der von den religiös-sittlichen Grundlagen sich getrennt hatte und sich auf die der menschlichen W i l l kür ausgesetzten Begriffe Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit stützte, mußte notwendig i n die Anarchie stürzen, denn „nichts ist dem Wohle des Volkes gefährlicher, als eine glaubenslos gemachte Masse; denn m i t der Ausrottung des Glaubens an eine kirchliche, die Sittlichkeit und wahre Humanität der Menschen fördernde A u t o r i t ä t " 2 3 hört der Glaube an eine staatliche Autorität von selbst auf. Worauf sollte sich denn auch eine solche staatliche Autorität gründen? „ A u f die geschichtlich nachweisbare Wandelbarkeit des menschlichen Glücks" oder auf eine „unzuverlässige, bezahlte Wissenschaft, die je nach ihrem materiellen Vorteil, oder je nach den Strömungen der Zeit bald die Volkssouveränität, bald die absolute Fürstensouveränität verteidigt" 2 4 ? Die französische Revolution hatte gezeigt, daß die Volkssouveränität nicht imstande war, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Wie Oliver Cromwell i n England, so mußte in Frankreich Napoleon die Zügel der Regierung i n die Hand nehmen, „ u m bald auf den Trümmern des Königtums die Kaiserherrschaft zum Wohle der entsittlichten Nation aufzurichten und dem Staat durch zeitgemäße Reformen und durch Wiedereinführung des abgeschafften Christentums wieder von neuem Bestand und Festigkeit gewähren" 2 5 . Die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus wurde für Held zugleich eine Auseinandersetzung mit dem modernen Zeitgeist. Aus der Defensive heraus mußte er sich auseinandersetzen mit katholikenfeindlichen Schlagwörtern dieses Zeitgeistes: der Katholizismus sei kulturfeindlich, wissensfeindlich, staatsfeindlich und unnational; er 20 21 22 23 24 25
Ebd. RM, 117, 24. 5. 1905. RM, 119, 26. 5.1905. Ebd. Ebd. RM, 119, 26. 5. 1905.
1. Der Liberalismus
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halte sich den nationalen Bewegungen fern. Eingebettet waren diese Vorwürfe immer i n den V o r w u r f der Dogmengläubigkeit der Katholiken. Held kehrte die Vorwürfe um und versuchte nachzuweisen, „wie voraussetzungsvoll i m schlimmsten Sinn des Wortes" die modernen Systeme der Philosophie, „wie imaginär, unbewiesen und den Tatsachen widersprechend die Grundaxiome sind, auf denen sie aufbauen: das transzendentale akosmistische oder absolute ,Ich' eines Kant, Fichte und Schelling, der ,unbewußte Unwille' Schopenhauers und Hartmanns, der ,Übermensch'-Gedanke Nietzsches und anderes mehr" 2 6 . Wegen dieser subjektiven Voraussetzungen gerieten auch diese Systeme eines mit dem anderen i n Widerspruch, raubten der Philosophie allmählich den Kredit und bereiteten dem Skeptizismus, „der Zweifelssucht" 27 die Wege. „ A l t , sehr alt" erschienen i h m auch die Dogmen, i n denen der L i beralismus hinsichtlich des Katholizismus befangen war, und die immer wieder in liberalen Büchern und Reden, Zeitschriften und Tagesblättern auftauchten. So war es m i t dem V o r w u r f der Kulturfeindlichkeit. „Der Katholizismus perhorresziert nicht den materiellen Fortschritt, er genießt seine Früchte vielmehr dankbar. Er stellt jedoch nicht den materiellen über den geistigen und sittlichen Fortschritt, so wenig als den Leib über die Seele 28 ." Die Zivilisation der modernen Menschheit war ja eine Frucht der christlichen K u l t u r , diese aber ein Geschenk des Katholizismus, denn er hatte die abendländische Menschheit erzogen. Der Katholizismus war auch nicht unnational und staatsfeindlich. „Man w i l l nie verstehen, daß übernational nicht unnational ist, daß die Liebe zum himmlischen Vaterland diejenige zum irdischen nicht verdrängt, vielmehr veredelt, und daß das ganze Christentum aufgebaut ist auf der Anerkennung der Autorität, der weltlichen wie der geistigen, der staatlichen wie der kirchlichen 29 ." Ähnlich war es mit dem Vorwurf, der Katholizismus verwerfe den modernen Staatsgedanken. Wenn dieser genommen werden wollte nicht i m Sinne einer Staatsgewalt, die auf dem höchsten unveränderlichen Willen Gottes beruhte, sondern i m Sinne „einer Staatsallmacht, die sich, auf veränderliche Majoritätsbeschlüsse stützt, — dann allerdings j a " 3 0 . I n dieser Haltung erwies sich für Held der Katholizismus ebenso volks- und menschenfreundlich durch Bekämpfung des Parteiabsolutismus, wie er sich freiheitsschützend erwiesen hatte gegenüber dem Personalabsolu-
26 27 28 29 30
RM, 85, 14. 4.1904. Ebd. RM, 87, 16. 4.1905. RM, 88, 17./18. 4.1905. Ebd.
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tismus verflossener Jahrhunderte. Andererseits konnte er aber die Regierungsgewalt viel wirksamer schützen, „wenn er den höchsten unveränderlichen Willen Gottes als normgebend für Herrschende und Beherrschte annimmt, als den wandelbaren Willen der Menschen" 31 . Wo die unwandelbare Autorität Gottes nicht mehr als Grundlage aller menschlichen, sowohl staatlichen wie kirchlichen Autorität anerkannt wurde, „da gibt es Ungehorsam, Unordnung, Revolution und Empörung" 3 2 . Auch dem Nationalismus hatte sich der Katholik fernzuhalten; m i t seinen „brutalen Äußerungen roh-physischer K r a f t " 3 3 w i l l er nichts zu tun haben. Die Hauptpunkte, die katholisches politisches Denken vom Liberalismus trennten, und die bei Held klar festzustellen sind, lagen i n den liberalen Prinzipien der Lehre von der Volkssouveränität, von dem unbeschränkten, freien Spiel der Kräfte i m wirtschaftlichen und sozialen Leben, i m Nationalitätsprinzip, ferner i n der liberalen Forderung einer Trennung von Staat und Kirche und der Beseitigung der geistlichen Schulaufsicht. Der Liberalismus emanzipierte für Held die Menschheit von Gott und Gottes Ordnung und proklamierte die Autonomie des Menschen und der menschlichen Gesellschaft. Ein höheres, i n der göttlichen Weltordnung begründetes Gesetz für das politische Leben erkannte er nicht als normierend an, vielmehr war alles auf den autonomen Willen des Menschen gestellt; diese Autonomie erkannte Held nicht als „Freiheit" des Menschen an. A u f religiös-sittlichem Gebiet war der Liberalismus der prinzipielle Gegner des positiven Christentums und der katholischen Kirche. Das tragende Grundprinzip des Liberalismus, der Individualismus und die Autonomie des menschlichen Willens, waren m i t katholischem politischen Denken unvereinbar. Die Ablehnung des demokratischen Gleichheitsprinzips war damit eine natürliche Folge. Es taten sich hier, wie bereits öfters angedeutet, noch größere Gegensätze auf als zur Sozialdemokratie. Die geschichtlichen Ereignisse haben diese Gegensätze noch beträchtlich verstärkt. Bei Held blieben sie während seiner ganzen politischen Laufbahn entscheidend; nicht zuletzt die historischen Aversionen gegen den Liberalismus waren es, die ihn i n den Jahren 1917/18 zu einem Gegner der erweiterten Parlamentarisierung machten. 2. D i e Sozialdemokratie
Für Held war der Liberalismus mit seinen kapitalistischen Grundsätzen auch der Vater der Sozialdemokratie; er konnte die Sozial31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd.
1. Der Liberalismus
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demokratie „ i n ihrer feindlichen Stellung gegenüber dem Liberalismus begreifen" 3 4 : sie repräsentierte sich für i h n „als ein Protest der arbeitenden, werterzeugenden Klasse gegenüber dem Unternehmertum, das die Arbeitskräfte ausnützt, die Früchte der Arbeit einheimst, den erzielten Gewinn als ein ausschließliches Erträgnis des riskierten Kapitals auffaßt, der produktiven mit der Zeit sich verzehrenden Arbeitskraft aber nicht die nach Ansicht der Arbeiter nötige Würdigung zuteil werden läßt" 3 5 . Die materialistische Weltanschauung übernahm die Sozialdemokratie ebenfalls vom Liberalismus. Sie war ein System „wirtschaftspolitischen Inhalts, das auf den Grundlinien der materialistischen Weltanschauung aufgebaut ist" 3 6 . Von dieser materialistischen Weltanschauung ausgehend wurde die Durchführung des w i r t schaftspolitischen Systems des Sozialismus ausschließlich als reine Machtfrage behandelt, ohne Rücksicht auf christliche Ethik, auf geschichtlich Gewordenes, auf Forderungen des natürlichen und auf A n ordnungen des göttlichen Rechts. Von diesem Standpunkt aus erklärte sich für Held auch das terroristische Gebaren überzeugter Sozialdemokraten: „Vom Standpunkt des Materialismus aus proklamiert man Menschenrechte, losgelöst von einer höheren Gewalt, losgelöst von jeder Autorität, losgelöst von Gott 3 7 ." Auch der antireligiöse Grundzug verband Liberalismus und Sozialdemokratie, deshalb war sie ein Feind jeder Religion. Die Durchführung des sozialdemokratischen Systems würde eine Katastrophe, vor allem auf kulturellem Gebiet bedeuten, eine „Vernichtung von unzähligen K u l t u r w e r t e n " 3 8 . Staatspolitisch wäre der Sieg der Sozialdemokratie der „Umsturz jeder gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, die Untergrabung göttlicher und weltlicher Autorität, die schrankenlose Herrschaft menschlicher Leidenschaften" 39 . Auf religiösem Gebiet erstrebte sie den „Atheismus, auf politischem Gebiet die Republik, auf wirtschaftlichem Gebiet den Kommunismus" 4 0 — Ziele, die dem politischen Konzept Heids diametral entgegenstanden. Unbeschadet dieser grundsätzlichen Gegnerschaft lehnte Held i n seiner vorparlamentarischen Zeit die Anwendung polizeistaatlicher M i t t e l zur Bekämpfung der Sozialdemokratie ab, ganz i m Gegensatz zu seiner Haltung i n den Jahren 1911/12 i n der Auseinandersetzung
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RM, RM, RM, Ebd. Ebd. RM, RM,
142, 26./27.6.1905. 142, 26./27. 6.1905. 197, 22. 9. 1910.
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u m den Eisenbahnerrevers. Als 1905 eine neue Wahlkreiseinteilung vorgenommen wurde, die darauf abzielte, die Sozialdemokraten zugunsten der Liberalen totzuteilen, vertrat er die Meinung, wer etwas auf Gerechtigkeit halte, könne dieses Vorgehen gegen die Sozialdemokratie nicht billigen. „Die Sozialdemokratie ist da und läßt sich mit Gewalt, und möge sie auch noch so fein und künstlich angewendet werden, nicht tot machen 41 ." Unterdrücke man sie, so werde ihre agitatorische Energie und ihre Spannkraft nur vergrößert. Aus der preußischen Vergangenheit, die er selbst i n ihren Polizeimethoden gegen die Katholiken kennengelernt hatte, sollten auch die bayerischen M i nister lernen, daß sich Ideen durch Gewaltmaßregeln nicht unterdrükken ließen. Allein auf dem Boden der christlichen Weltanschauung und mit geistigen Waffen, aber „nimmer auf dem Boden der Gewalt, der Ausnahmegesetze oder der Militärmacht" 4 2 müsse der Kampf gegen die Sozialdemokratie geführt werden. Die Schuld am Wachstum der Sozialdemokratie gab Held der Kurzsichtigkeit und dem Unverstand der politischen „Scharfmacher und patentierten Staatsretter" 43 , die nach einem neuen Sozialistengesetz verlangten. Held wollte den politischen Kampf gegen die Sozialdemokratie nicht mit Ausnahmegesetzen, nicht mit Staatsanwalt und Polizei führen, sondern durch die geschlossene Gegenwehr der bürgerlichen Parteien und vor allem durch „planvolle Fortführung der Sozialreform" 44 . Bei seiner Kampagne zur Änderung des Gemeindewahlrechts hatte Held bereits demokratische Gerechtigkeit auch für die Sozialdemokratie gefordert. Konservative Zentrumspolitiker hatten gegen seine Vorschläge das Schreckgespenst der kommenden Sozialdemokraten zitiert. „Überall wo Bevorrechtigung und satte Bequemlichkeit sich bei Reformbestrebungen i n Gefahr sehen, da läßt man dieses Schreckgespenst aufmarschieren, um politische Kinder und Weiber das Fürchten zu lehren" 4 5 , hatte Held seinen K r i t i k e r n geantwortet, die so heidenmäßige Angst hätten vor der Sozialdemokratie, daß sie darüber i n der Politik Gerechtigkeit und Klugheit fast vollständig vergaßen. Der Sozialdemokratie könne durch Mitverantwortung i n den Rathäusern das Wasser ihrer Agitation abgegraben werden, sofern die anderen Parteien das nötige Maß von sozialpolitischem Verständnis zeigten. Durch aktive Mitarbeit könne eine erzieherische Wirkung auf ihre öffentliche Politik ausgeübt werden. „Keine Furcht vor Re-
41 42 43 44 45
RM, RM, RM, RM, RM,
131, 10. 6.1905. 29, 6. 2.1907. 217, 24. 9.1899. 8, 13.1.1904. 255, 9.11.1906.
3. Das Zentrum u n d der Staat
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formen, keine Furcht vor Sozialdemokraten" 46 . I n der Frage des Gemeindewahlrechts hatte Held zur Verteidigung seiner reformfreundlichen Haltung gegenüber konservativen K r i t i k e r n i n seiner Partei die Frage gestellt, ob sich dies m i t dem „konservativen Grundzug unserer Partei" 4 7 vertrage. Er definierte selbst sein Verständnis dieses Konservativismus. Er wolle „erhalten und fortbilden, was der Erhaltung und Fortbildung wert ist, aber auch der Entwicklung die Wege bahnen, damit sie sich vollzieht ohne Verletzung berechtigter Interessen und ohne schroffe Übergänge" 48 . Ein schlechter Konservativismus wäre jener, der tief verletzendes Unrecht konserviert. Reform war für ihn eine „soziale Tat, eine Tat der Gerechtigkeit, der justitia distributiva" 4 9 . 3. Das Zentrum und der Staat a) Was ist das Zentrum? Dem Liberalismus und der Sozialdemokratie stand in den Augen Heids allein das Zentrum als politische K r a f t entgegen; zwischen beiden Lagern würde die endgültige politische Auseinandersetzung geführt werden. Für Held beschränkte sich der Kampf gegen die katholische Kirche nicht nur auf ihre Lehre, es war auch ein Kampf gegen die staatsbürgerlichen Rechte der Katholiken, gegen ihre w i r t schaftliche und soziale Stellung. Die Katholiken sollten zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradiert, wirtschaftlich geschwächt, i m gesellschaftlichen Leben ihres Einflusses beraubt, kurz i m öffentlichen Leben niedergehalten werden. Das Zentrum war so „die parlamentarische, politische Vertretung der deutschen Katholiken" 5 0 . Es war für Held nicht, wie ihre Gegner behaupten, eine konfessionelle, sondern „eine das gesamte öffentliche Wohl fördernde politische Organisation i m eminentesten Sinn" 5 1 , also eine Partei, die wurzelnd i n der Reichs- und Staatsverfassung sich die Aufgabe gesetzt hatte, die „staatsbürgerlichen Rechte und Freiheiten des einzelnen zu schützen" 52 . Die Partei hatte also eine antiabsolutistische Schutzfunktion. I m wirtschaftlichen Bereich vertrat sie die wirtschaftlichen 46 47 48 49 so si 52
Sten. Ber. 1907, Bd. I, S. 367. Sten. Ber. 1907, Bd. I, S. 367. Ebd. Ebd. RM, 75, 4. 4.1903. Ebd. Ebd.
5 Keßler
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und sozialen Interessen aller Stände. I m politischen Bereich versuchte sie, — und das war ihre wichtigste Aufgabe —, „die Freiheit der Religion und die Gleichberechtigung der staatlich anerkannten Konfessionen in der Praxis durchzusetzen" 53 . Demnach war auch für Nichtkatholiken sehr wohl Platz i n dieser Organisation, sofern sie auf positiv christlichem Boden standen und ihre positiv christlichen Grundsätze maßgebend sein ließen für i h r Verhalten i m politischen Leben. I n diesem Sinn verstand Held das Zentrum als „eine christliche Volkspartei" 5 4 , wobei das Wort „christlich" entscheidend war, weil das Zentrum allein unter allen Parteien seine Tätigkeit auf den „Grundsätzen des Christentums, auf dem Boden des ewigen Rechts und der Gerechtigkeit" baute 55 . Es war sozial und demokratisch in seinem Gründungsansatz und seiner Tradition, weil es i n einer Zeit entstand, i n der „der übermächtige Einfluß des Kapitals i m Wirtschaftsleben und die Absichten der herrschenden Klassen auf Beschneidung der Rechte der wirtschaftlich Schwächeren" 56 zu einer akuten Bedrohung wurden. Das Zentrum verstand sich so als Oppositionspartei und hatte aus manchen Gründen das Recht, sich eine Volkspartei zu nennen. Man opponierte gegen die Regierung, das Kapital und alle großen Herren und sprach vom Prinzip der „ausgleichenden Gerechtigkeit" i n wirtschaftlichen Dingen 5 7 . Dadurch wurde der konservative Grundzug des Zentrums nicht so unmittelbar augenfällig. Eine Volkspartei war sie auch ihrer Zusammensetzung nach. A l l e Schichten des Volkes von Arbeitern, Bauern, bis hinauf zu Fabrikanten und Universitätsprofessoren waren i m Zentrum vertreten, „alle vereint durch ihre gemeinsame Weltanschauung" 58 . Als Organisation aller positiv christlichen Elemente spielte die Religion i n ihrem Programm auch die entscheidende Rolle. „Religion und Politik können, ja dürfen nicht voneinander getrennt werden" 5 9 . Jeder Mensch hat eine bestimmte Weltanschauung. Entweder ist seine Weltanschauung eine christliche, oder aber sie ist eine nichtchristliche und darum centrumsfeindliche nach dem Satz: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich 6 0 ." Die Scheidung der Geister i m politischen Bereich war für Held damit sehr klar gegeben. Das FreundFeind-Denken hatte religiöse Motive. Ein Unterschied zwischen Poli53 54 55 56 57 58 59 60
Ebd. RM, 49, 1. 3. 1907. Ebd. RM, 75, 4. 4.1903. RM, 49, 1. 3. 1907. Ebd. Ebd. Ebd.
3. Das Zentrum u n d der Staat
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tikern und Parteien bestand also darin, „daß die einen Politik gegen die Religion, die anderen Politik auf religiöser Grundlage und damit Politik auch für die Religion machen" 61 . Wenn also die Gegner m i t Mitteln der Politik gegen Religion und Katholizismus vorgingen, so war es auch das Recht der Katholiken, sich politisch i n einer Partei zu organisieren und Religion, Christentum und Kirche m i t denselben Mitteln zu schützen und dafür zu sorgen, daß der christliche Geist i m öffentlichen Leben bestimmend blieb. Darin lag aber auch die stärkende Gewißheit dieser Partei, daß „am letzten Ende nur eine mit ganzer Seele festgehaltene Weltanschauung die Macht und Stärke einer Partei sein müsse, die mehr sein w i l l als die Vertretung der nackten Standesinteressen" 62 . Wenn das Christentum aus dem Staat verschwand, dann gab es auch keinen Platz mehr für eine Politik nach dem Grundsatz von Recht und Gerechtigkeit, nach dem Satz von der ausgleichenden Gerechtigkeit. Das Verantwortungsgefühl ginge verloren, die Rücksichtslosigkeit, der Eigennutz würden triumphieren nach dem Satz: „Macht geht vor Recht." Das würde gerade den Ruin, die Knechtung und Ausbeutung der Masse des Volkes, der wirtschaftlich Schwächeren bedeuten. Die breiten Volksschichten mußten deshalb ein elementares Eigeninteresse daran besitzen, daß eine Politik ohne Religion nicht getrieben wurde. Eine christliche gestaltete Polit i k und damit das Zentrum waren für Held der Garant des politischen Rechts und der sozialen Gerechtigkeit —, die Kraft, die den Staat nicht nach egoistischen, d. h. liberalen und sozialdemokratischen Prinzipien, sondern nach religiösen Prinzipien zu einem wahrhaft menschenwürdigen Staat machte. Politik und Religion mußten deshalb Hand i n Hand gehen, das Zentrum selbst erschien so gerechtfertigt. Es war eine Lehre, die man aus der modernen Geschichte Deutschlands und Bayerns ziehen konnte, „daß eine wahrhaft k u l turfördernde, staatserhaltende und volksfreundliche Politik nur auf dem Boden einer christlichen Weltanschauung möglich ist. Eine christentumsfeindliche Politik ist auch eine volksfeindliche P o l i t i k " 6 3 . Die enge Verbindung von Religion und Politik brachte dem Zent r u m von gegnerischer Seite den Vorwurf, sie sei keine politische, sondern eine konfessionelle Partei und lasse „ihre Stellungnahme i n der praktischen Politik von unpolitischen Motiven leiten" 6 4 . Der konfessionelle Charakter und die Wahrung der kirchlichen Interessen bildeten das Band, mit dem das Zentrum als Volkspartei, i n der alle Schichten des Volkes vertreten waren, zusammengehalten wurde. Der ei Ebd. 62 Ebd. 63 RM, 49, 1. 3.1907. 64 So W. Ohr i n „Deutsches Parteiwesen", Heft 4, München 1911, S. 12. 5*
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politische Charakter kam natürlich i n seiner Gründungszeit in den 70er Jahren weniger zum Ausdruck als der konfessionelle; das ergab sich aus der katholischen Abwehr gegen den Kulturkampf. Religiöse und kirchenpolitische Fragen standen deshalb naturnotwendig i m Vordergrund. Der politische Zusammenhalt der Katholiken wurde durch die Not der Zeit erzwungen. Die Erhaltung der Einigkeit war nicht allzu schwer. Schwieriger wurde es, als der akute Kulturkampf zu Ende war. Die Kräfte der Katholiken wurden nicht mehr einzig von religiösen Interessen i n Anspruch genommen, andere Fragen drängten sich vor, vor allem wirtschafts- und sozialpolitische. Der innerparteiliche Kampf der Interessengruppen begann. Als bei den Reichstagswahlen 1890 das Kartell zwischen Liberalen und Konservativen gesprengt wurde, bekam das Zentrum eine Schlüsselposition. I n dieser Situation war es nach Meinung Heids der Zentrumsführer Lieber, der „ m i t aller Vorsicht zwar, aber auch mit aller Energie den Weg betreten hat, der ihn vielfach zu und mit der Regierung führte" 6 5 . Held rechtfertigte diese Schwenkung des Zentrums ausdrücklich: „Das Zentrum ist nie Oppositionspartei um jeden Preis gewesen . . . und es muß betont werden, daß diese veränderte Haltung nicht nur vernünftig, sondern auch notwendig gewesen ist 6 6 ." Neben der veränderten Situation i m politischen Bereich, wie sie das Zentrum ab 1890 vorfand, und die für die Partei innere Auseinandersetzungen brachte, lief auch die Auseinandersetzung um den Charakter des Zentrums. Held hatte die Entwicklung der Partei weg von einer reinen Oppositionspartei zu konstruktiver Mitarbeit ausdrücklich begrüßt; hier machte sich der starke Einfluß Liebers auf seine politische Entwicklung wieder geltend. Auch i m sogenannten „Zentrumsstreit" stand er auf Seiten der „Modernen". Dieser Streit war u m die Frage entbrannt, ob das Zentrum konfessionell gebunden, d. h. ausschließlich katholisch oder interkonfessionell offen bleiben sollte. Diese Diskussion war so alt wie das Zentrum selbst 67 . Windthorst und Ketteier wandten sich gegen einen eng konfessionellen Charakter 6 8 . Tatsächlich gehörten i n der ersten Wahlperiode des Reichstags auch Protestanten der Zentrumspartei an, trotzdem kam das Zentrum i n seiner Entwicklung über den begrenzten Raum des katholischen Volksteils nicht hinaus. Einen neuen Versuch, aus die-
65 Held i n „Gedächtnisrede auf Ε. M. Lieber", Regensburg 1902, S. 40. 66 Ebd. 67 Die beste Darstellung dieser Auseinandersetzung findet sich bei E. Deuerlein i n „Stimmen der Zeit", Bd. 156, Jg. 1954/55, S. 103—126. 68 Deuerlein, a.a.O., S. 103.
3. Das Z e n t r u m u n d der Staat
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sem Ghetto auszubrechen, machte Julius Bachem mit seinem i n den „Historisch-Politischen Blättern für das katholische Deutschland" 69 veröffentlichten Aufsatz „ W i r müssen aus dem Turm heraus". Die politische Plattform des Zentrums sollte durch die Werbung evangelischer Wähler erweitert werden. Evangelischen Bewerbern sollte i n sicheren Zentrumswahlkreisen ein Mandat verschafft werden. „Der Aufsatz Bachems war eine politisch-publizistische Sensation 70 ." Bachem wollte vor allem einen politischen Ausweg aus der sich deutlich zeigenden Isolierung durch die Blockpolitik Bülows. Der Widerspruch gegen Bachem wurde vor allem auf der sogenannten „Osterdienstagskonferenz" i n K ö l n am 13. A p r i l 1909 von den Zentrumsabgeordneten Hermann Roeren und Franz Bitter vorgetragen; sie verlangten i m Namen der Geschlossenheit und Ganzheit des katholichen Lebens eine Politik auf ausschließlich katholischer Grundlage. Diese Gruppe, die bereit war „die i n das allgemeine Leben des deutschen Volkes vorgeschobenen Stellungen des deutschen Katholizismus preiszugeben und sich i n das Ghetto integraler Innerlichkeit zurückzuziehen" 71 , konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Eine gemeinsame Sitzung der Vorstände der Fraktionen des Zentrums i m Reichstag und i m preußischen Abgeordnetenhaus am 28. November 1909 faßte die Erklärung, die Zentrumspartei sei „grundsätzlich eine politische, nicht eine konfessionelle Partei" 7 2 . Heids Standpunkt war immer i m Sinne dieser Entscheidung gelegen: „Eine konfessionelle Partei wäre ein Unglück für die deutschen Katholiken 7 3 ." Die Presseerörterungen waren dabei vielfach mit einer Heftigkeit geführt worden, „die unter Freunden nicht leicht zu erklären ist" 7 4 . Trotz dieser theoretischen Erklärung für den interkonfessionell-politischen Charakter des Zentrums blieb es in seiner Wählerstruktur fast ausschließlich katholisch. Die Heftigkeit, m i t der vor allem die interkonfessionelle Polemik geführt wurde — wobei sich Held immer in der Defensive fühlte —, ließ eine Verständigung im politischen Bereich kaum zu. Der „Evangelische Bund", der den „furor protestanticus" gegen die Katholiken wüten ließ, war hier nicht zum geringen Teil schuld. Held forderte trotzdem des öfteren, die Konfessionen sollten unbeschadet ihrer dogmatischen Eigentümlichkeiten „gemeinsam gegen den gemeinsamen Feind des Christentums auch i m öffentlichen Leben Stel-
6» 70 71 72 73 74
Bd. 137, S. 376 ff. Deuerlein, a.a.O., S. 113. Deuerlein, a.a.O., S. 115. Deuerlein, a.a.O., S. 122. RM, 203, 8. 9.1909. RM, 202, 6./7. 9.1909.
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lung nehmen" 7 5 . Voraussetzung sei die interkonfessionelle Duldsamkeit, das Näherkommen auf dem Gebiet des Einigenden. Doch davon war man nach Meinung Heids noch weit entfernt; er erwartete ζ. B. 1907 eine „Zunahme der Intensität des Kampfes gegen alles, was katholisch heißt" 7 6 . b) Was ist der Staat in seinem Verhältnis Politik und Moral
zur Kirche?
Der katholische Politiker konnte, wie Held feststellte, „aus seiner Religion Klarheit für seine Einstellung zum Staat und K r a f t für seine Vorbereitung zum Führer gewinnen" 7 7 . Die Politik konnte also aus dem kirchlichen Lehrgut nicht herausgenommen werden; das war nicht nur selbstverständlich, sondern eine notwendige Folgerung. Der Glaube an Gott war es, der dem Zentrumspolitiker seine Grundlage und seinen Halt, seine K r a f t und die Gewißheit des Sieges gab. Diesen Glauben an den persönlichen Gott wollte er als den „Grundpfeiler, als das Fundament des Staates betrachten und betrachtet wissen" 7 8 . Eine Politik ohne Gott, eine politische Partei ohne Glauben an Gott erbaute den Staat nicht, sie riß ihn vielmehr nieder. Politik war also für den Katholiken auf das Staatsleben angewandte Moral; sie ließ keine Abschwächung, keine opportunistische Interpretation zu, sie mußte stets und überall gelten. Deshalb konnte es auch keine von der privaten Moral abweichende „Staatsmoral" geben, die unsittliche M i t t e l hätte rechtfertigen können. Deshalb wurde ζ. B. auch der M i l i tarismus, „jener Hohn auf die frohe Botschaft" 79 , von Held verurteilt, weil er aus einer moralfreien Staatsräson lebte. Ohne sittliche Hemmungen starrten die Völker i m Zeichen des Militarismus i n Waffen, jeden Augenblick bereit, Bestien gleich übereinander herzufallen, zu rauben, plündern und zu morden" 8 0 . Das Hauptübel der Moderne war die Entchristlichung. Die Geschichte der neuesten Zeit war dadurch gezeichnet und geurteilt, daß aus der Politik die Grundsätze christlicher Moral und Gerechtigkeit immer mehr verdrängt wurden. So blieb den Staaten nichts anderes übrig, als nach den Grundsätzen der Nützlichkeit: „Was frommt uns, was schadet uns?", zu handeln. Unglaube und religiöse Gleichgültigkeit waren die Grundübel der Zeit, sie verschuldeten all das öffentliche und private Elend, all die W i r 75 RM, 49, 1. 3.1907. 76 77 78 79 so
RM, 238, 19.10.1906. Held i n : Akademische Monatsblätter, Nr. 10, 31.7.1924. RM, 25, 31. 3.1907. RM, 293, 24.12.1899. Ebd.
3. Das Zentrum u n d der Staat
71
rangen i n Staat und Familie. M i t der Geburt Christi wurden neue Grundlagen für Recht und Freiheit auch i m staatlichen Leben geschaffen und als Maßstab für die Bewertung des Menschen einzig seine sittliche Größe gesetzt. Dieses Ereignis schuf auch neue Grundlagen für Recht und Freiheit. „Von Recht kann man nur sprechen auf dem Boden der gottgläubigen Weltanschauung 81 ." Es gab also Rechte des Menschen, die vor dem Staate, in der Ordnung der Werte über i h m standen und in der metaphysischen Ordnung beruhten. Die Verbindlichkeit des Rechts konnte nur dann für den Bürger erklärt werden, wenn es Ausfluß eines absoluten Prinzips war. Ein solches Prinzip war die sittliche Weltordnung, von dem das Recht wiederum nur ein Bestandteil war. A n diesen ursprünglichen, individuellen Rechten fand auch der Staat die Grenze seiner Macht. Das mit der sittlichen Weltordnung kongruierende Recht hätte das Ziel und den sozialen Zweck, das Zusammenleben der Menschen i n Frieden und Freiheit zu garantieren, somit war das Recht „die Norm, welche den Freiheitsgebrauch des einzelnen einschränkt, weil und soweit dies durch die Erfüllung der allgemeinen Menschheitszwecke erforderlich ist" 8 2 . Von metaphysischen Voraussetzungen lebte auch das Naturrecht, es war unmittelbarer Ausfluß des höchsten Willens des göttlichen Gesetzgebers. Der Mensch konnte es durch den Gebrauch seiner Vernunft erkennen. Es war allgemeingültig und unveränderlich; es war deshalb ein natürliches Recht, weil es vor dem Staat vorhanden war, und dieser die Aufgabe und den Zweck hatte, es zu handhaben und zu wahren 8 3 . Der Mensch selbst war durch Vernunft und sittliche Freiheit ausgezeichnet, sie waren „das K r i t e r i u m der menschlichen Persönlichkeit" 84 . Seine Freiheit war aber keine absolute; „eine absolute Freiheit existiert nirgends auf der W e l t " 8 5 . Es war darum auch nicht richtig, daß der Mensch von Natur frei sei; der einzelne Mensch als ein sittlich — vernünftiges Wesen, als ein Träger von Interessen und Bedürfnissen war gehalten, „zur Erreichung seiner natürlichen, wie seines übernatürlichen Lebenszweckes Recht und Moral stets i m Auge zu behalten und innerhalb der gezogenen Grenzen sich seiner Auf81 RM, 31, 8. 2.1908. 82 Hertling, „Recht, Staat . . . " , S. 48. 83 Uber die Frage der Bedeutung des Naturrechts i m politischen Denken des Zentrums siehe: Heinrich Rommen, Der Staat i n der katholischen Gedankenwelt, Paderborn 1935, S. 69 ff.; A. Betz, Beiträge zur Ideengeschichte der Staats- und Finanz-Politik des Zentrums, Regensburg 1930, S. 21 ff.; M. H. Meyer, „Die Weltanschauung des Zentrums"; Phil. Diss. Leipzig 1919, S. 38 ff. 84 M. H. Meyer, S. 48. 85 Held i n RM, 122, 29./30. 5.1905.
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gäbe zu unterziehen" 8 6 . Recht und Moral waren Autoritäten, von denen sich der Mensch nicht ungestraft lösen konnte. Die menschliche Freiheit bestand nicht i n der uneingeschränkten Betätigung des W i l lens, sondern die durch Raum, Entwicklung und geistige Fähigkeiten begrenzte und bedingte Freiheit bestand für Held darin, daß „der Mensch durch eine gute, seiner menschlichen Bestimmung entsprechende Erziehung zur Herrschaft über seine menschlichen, angeborenen Leidenschaften zunächst befähigt und dann nach einer tüchtigen, beruflichen Ausbildung i n den Stand gesetzt wird, den an ihn gestellten Lebensbedingungen zu entsprechen, sein Fortkommen zu finden, ein brauchbares Glied der menschlichen Gesellschaft zu werden und in dem Streben nach Förderung der Gesamtinteressen der Menschheit die Selbstsucht, Genußsucht und Herrschsucht zu bekämpfen und dem Ziele der Menschheit, der Wahrheit entgegenzugehen" 8 7 . K e i n Mensch war also von Natur frei; eine solche „sogenannte natürliche Freiheit ist W i l d h e i t " 8 8 die der Zähmung und Bändigung bedurfte. Der Ruf nach ungehemmter Freiheit war „Neobarbarismus" 8 9 . Darum mußte der Mensch zunächst sittlich erzogen und einer Autorität unterworfen werden, welche zur „sittlichen Veredelung" 9 0 des Menschen berufen und befähigt war. „Diese Autorität ist die Kirche 9 1 ." Je nachdrücklicher die Kirche ihre Autorität geltend machen konnte, desto segensreicher war sie zu wirken imstande. Daraus ergab sich aber auch ein spezifisches Verhältnis von Staat und Kirche. Der Staat war die Organisation für das diesseitige Leben, die Kirche hatte aber höhere Zwecke, sie war die Organisation für das ewige Leben. Der Staat wurde als Zweck erkannt. Hertling definierte den Staat als „die dauernde Verbindung einer Vielheit von Menschen unter einer gemeinsamen Obrigkeit zur geordneten Erfüllung aller Zwecke des Gemeinschaftslebens" 92 , eine Definition, die den Staat nach den von ihm zu erfüllenden Zwecken bestimmte. Es war also keine unabhängig existierende absolute Größe m i t einem eigenen Selbstzweck, sondern „ein Unterfall des allgemeinen Weltzwecksystems, der i n der Teleologie der Religion einen bestimmten Rang einnimmt" 9 3 . Seinen Ursprung hatte der Staat i n der Familie; die Vertragstheorie 86 87 88 89 90 91 92 93
RM, 136, 17. 6.1905. RM, 122, 29./30. 5. 1905. Ebd. Held i n Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 118. Ebd. Ebd. Hertling, Recht, Staat . . . , S. 63. M. H. Meyer „Die Weltanschauung des Zentrums, S. 7.
3. Das Z e n t r u m u n d der Staat
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wurde abgelehnt, damit fiel aber auch die von Held niemals anerkannte Fiktion einer ursprünglichen Volkssouveränität. Dafür stand aber „der uns durch die natürliche Vernunft erkennbare Wille Gottes" 9 4 als Grundlage der Staatsgewalt. Als Institution war der Staat von Gott gewollt und i m Plan seiner Schöpfung vorgesehen. I m teleologischen Verständnis hatte der Staat nur bestimmte Zwecke zu erfüllen: er war Rechtsstaat und Wohlfahrtsstaat. Die Grenzen des Wohlfahrtsstaates lagen aber am Prinzip der Subsidiarität. Der Staat hatte nur dort das Recht und die Pflicht einzugreifen, wo die Gesellschaft, Kommunen oder konfessionelle Wohlfahrtsverbände nicht aus eigener Kraft die Probleme lösen konnten 9 5 . Den bloßen Machtstaatsbegriff lehnte Held immer ab, das war für ihn liberales Staatsdenken. Machtstaat konnte der Staat nur sein, wenn er Selbstzweck wäre, das Schloß aber seine wirkliche Bestimmung aus. Als Rechtsstaat war der Staat aber auch nicht die einzige Quelle des Rechts. Über ihm existierten ja die sittliche Idee und die Gerechtigkeitsidee, die der göttlichen Ordnung entstammten. Der Umfang der Staatsgewalt richtete sich nach den Zwecken, die der Staat zu erfüllen hatte. Macht war nur die Voraussetzung für die Verwirklichung der Staatszwecke, ζ. B. die Aufrechterhaltung des Rechts. Alle bloßen Machtansprüche des Staates waren als solche unberechtigt. Maßte sich der Staat ζ. B. Rechte und Aufgaben an, die der Kirche nach göttlichem Plan zugeteilt waren, so überschritt er seinen Zweck und damit seine Kompetenz. I m Kulturkampf hat er dies i n excessiver Weise getan. Die Klage Heids lief dabei immer darauf hinaus, daß der Staat staatsfremde Zwecke in die staatliche Machtsphäre unberechtigt einbezogen hatte. Als Zentrumsmann stand Held auf dem Standpunkt, daß Staat und Kirche in ihrem eigenen Interesse und mit Rücksicht auf die volle Erreichung ihrer Zwecke nicht getrennt werden durften. Staat und Kirche waren aber innerhalb ihrer Rechtssphären vollständig selbständig und für sich die höchsten Gewalten 9 6 . Vom Wesen der Kirche her ließ sich auch ihr Verhältnis zum Staat bestimmen. Die Kirche war nicht irgendein privater Verein, sondern „eine wahre, vollkommene, nach den Absichten ihres göttlichen Stifters durchaus freie Gesellschaft, bestimmt, befähigt, ja verpflichtet, die 94 RM, 124, 1. 6.1905. 95 Dieses Problem wurde ζ. B. i n der Beratung eines Armengesetzes aktuell: „ W i r meinen, unser ganzes öffentliches Armenwesen ist darauf aufgebaut, daß die Hilfe des Staates erst subsidiär da einzutreten hat, w o v o n Gesetzes wegen Unterhaltspflichtige nicht vorhanden sind oder w o freiwillige Organisationen, die die Armenpflege übernommen haben, nicht eintreten." Die Liberalen w o l l t e n dagegen „ p r i m ä r eine Pflicht des Staates statuieren". Sten. Ber. 1914, Bd. 12, S. 25. 96 RM, 49, 1. 3. 1907.
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ganze Welt m i t christlicher Wahrheit und Gnade zu erfüllen, alles mit ihrem Geiste zu durchdringen und dem Allerhöchsten dreieinigen Gotte und den Zwecken des übernatürlichen Heiles und Lebens harmonisch dienstbar zu machen" 97 . Die Kirche als objektiv gewordene christliche Religion mit ihren Dogmen und Sakramenten, ihrer Hierarchie und ihrer Rechtsordnung war eine vollkommene Gesellschaft. Sie hatte höhere Zwecke als der Staat, deshalb stand sie über ihm. Wenn der Staat sich schon nicht mehr dem mittelalterlichen Anspruch beugte, ihr zu dienen, so hatte er ihr in einer sich säkularisierenden Welt für ihre Aufgabe und ihre Tätigkeit volle Freiheit zu gewähren. Deshalb konnte sie auch nicht zugestehen, es sei Sache einer weltlichen Macht, des Staates, zu bestimmen, welches ihre Rechte seien und innerhalb welcher Rechtsbegrenzung sie diese ausüben dürfe; „nie und nimmer darf man ein solches Zugeständnis" 98 von der Kirche verlangen. Die Geschichte der Kirche war die Geschichte ihres Kampfes um diese Rechte. „Nie aber hat sie auf ihr göttliches Recht verzichtet; nie hat sie selbst die wahren Grenzen ihrer Befugnisse vergessen 99 ." Staat und Kirche konnten nur dann friedlich und zum gegenseitigen Wohl existieren, wenn beide ihre gegenseitigen Grenzen respektierten und ihre Zwecke vom anderen unbeeinträchtigt verfolgen konnten. Diese Fragen waren auch 30 Jahre nach dem Ende des Kulturkampfes für Held höchst aktuell. Wie damals mußte er auch jetzt „kämpfen und einstehen für die Freiheit der Kirche, jene Freiheit, die der Begriff der Kirche und ihr Zweck unbedingt erheischen, jene Freiheit, die heute noch vielerorts auch nicht allzuweit von uns aus Mißgunst oder völliger Verkennung des Wesens und Wirkens der Kirche durch lästige Schranken verkümmert w i r d " 1 0 0 . Diese Freiheit war auch die Vorbedingung und nähere Gewähr für die wahre Freiheit des Staates und der staatlichen Gesellschaft. Held hatte für diese Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat vom unmittelbaren Erlebnis des Kulturkampfes her, in dem der Staat die Freiheit der Kirche brutal mißachtet hatte, ein geschärftes Bewußtsein. Die Freiheit der Kirche von jeder staatskirchlichen Bevormundung bildete er zu einem staatspolitischen Dogma aus und wurde so zum aggressiven Kämpfer gegen das auch in Bayern von einer liberalen Bürokratie praktizierte Staatskirchentum. Diese Haltung kam vor allem in der parlamentarischen Auseinandersetzung um eine neue Kirchengemeindeordnung i n den Jahren 1909/12 zum Ausdruck, wo er mit der Mehrheit der Zentrumsfraktion nicht konform gehen konnte; sie war noch wirksam i n den Verhandlungen um den Abschluß eines Konkordates
97 RM, 263, 19.11.1907. 98 RM, 263, 19.11.1907. 99 Ebd. 100 Held auf dem Würzburger Katholikentag 1907; RM, 192, 26.8.1907.
4. Das Deutsche Reich
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i m Jahre 1924. Es blieb für Held Grundsatz: „Soll die Kirche ihre Aufgabe, die ihr vom göttlichen Stifter gesetzt ist, voll erfüllen können, so muß sie frei sein; frei in ihren Entschlüssen; frei in ihrem Regiment und i n ihrer Wirksamkeit. Jeder staatliche Zwang gegen die Kirche, jede eigenmächtige staatliche Einmischung i n rein kirchliche Angelegenheiten, sei es auf dem Weg der Gesetzgebung oder der Verwaltung, müssen christliche Politiker abweisen und bekämpfen 1 0 1 ." Das galt auch i n vermögensrechtlichen Beziehungen. Aus der Tradition katholisch-politischen Denkens in Fragen der Verbindung von Religion und Politik, i n der Grundkonzeption des Staates und seines Verhältnisses zur Kirche und aus den spezifischen historischen Erfahrungen der deutschen Katholiken ergaben sich auch gewisse Grundhaltungen zu Fragen deutscher und bayerischer Politik, die sich bei Held sehr klar feststellen und beschreiben lassen. Vor seinem Eintritt in die aktive Landespolitik sollen diese Grundhaltungen kurz dargestellt werden, u m manches Spezifische in dem Weltbild Heids auf dem Hintergrund des Allgemeinen abheben zu können. Die Lage der Katholiken selbst ist für Held gekennzeichnet von einer allgemeinen national-politischen Diskriminierung, durch die Vorenthaltung staatsbürgerlicher Rechte unter Mißachtung des Grundsatzes der Parität. Diese Gravanina der Katholiken, die Klagen über Zurücksetzung und Mißachtung eigener Rechte durchzogen das politische Engagement Heids i m konstitutionell monarchischen Staat. Das galt für das Reich sowohl wie für Bayern. 4. Das Deutsche Reich I n den Auseinandersetzungen m i t den politischen Systemen des Liberalismus und der Sozialdemokratie hatte sich auch Heids eigenes politisches Weltbild i n seinen theoretischen Grundlagen gezeigt. Die Gefahr der Sozialdemokratie hatte für ihn noch nicht dieses Ausmaß angeommen wie i n späteren Jahren. Der Liberalismus hatte sich als der Hauptgegner der Katholiken i n ihren Rechten und Ansprüchen erwiesen. Die Liberalismusfeindschaft belastete auch Heids Verhältnis zum Deutschen Reich, zu seinem Kaisertum und seiner nationaldeutschen Politik. Es belastete aber auch sein Verhältnis zum bayerischen Staat, dessen politische Führung sich noch allzusehr von liberalen Grundprinzipien leiten ließ und den eigenen bayerischen Staatswillen zu wenig pflegte. Die katholischen Ressentiments gegen das Deutsche Reich, wie es 1871 gegründet wurde, gingen weiter zurück. Die nationale Bewegung ιοί RM, 49, 1. 3.1907.
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i n ihrer „definitiven kleindeutschen Form" ist der eigentliche Gegenspieler der katholischen Politik und Staatslehre im 19. Jahrhundert geworden 102 . Als der Versuch einer Erneuerung der Reichseinheit einschließlich Österreichs 1849 gescheitert war, traten Katholizismus und nationale Bewegung endgültig auseinander. I m Kaiserreich von 1871, dessen Mehrheit protestantisch war, blieben die Katholiken eine Minderheit. „Das bedeutet, daß das katholische Denken nach 1866/70 hinsichtlich der grundlegenden Staats- und Verfassungsprobleme auf einer Linie resignierten Sichabfindens mit den Tatsachen stagniert und seine Kräfte i m wesentlichen auf den Schutz der kirchlichen Freiheitsrechte sammelt 1 0 3 ." Das katholische Ressentiment gegen die kleindeutsche Reichsgründung 1870/71 wurde auch von Held geteilt. Für ihn hatte dieses Reich „ m i t dem nichts gemein, welches um die Mitte des vorigen Jahrhunderts alle treuen deutschen Patrioten erstrebt hatten . . . , was w i r heute das deutsche Reich nennen, ist i m Grunde genommen doch nur ein Großpreußen" 104 . Der preußische Krieg gegen Österreich 1866 gehörte deshalb „zu den beklagenswertesten Ereignissen des Jahrhunderts" 1 0 5 . Das deutsch-preußische Kaisertum war protestantisch und hatte sich durch die Duldung des Kulturkampfes diskreditiert. Den deutschen Katholiken hatte man das Leben i m neuen Reich ziemlich schwer gemacht. Kaum war das neue Reich m i t Hilfe der katholischen Stämme und Fürsten errichtet, da ging man gegen ihren Glauben und ihre Kirche, „gegen Rom" los. „Es war ein bitterer Hohn, eine äußerst verletzende Rücksichtslosigkeit, eine herzlose Intoleranz, eine schwere Kränkung, eine starke Drohung und Provokation für die Katholiken" 1 0 6 , als man anfing und nimmer aufhörte, von einem „evangelischen Reiche" und „protestantischen Kaisertum" zu reden und wie es Preußens Beruf sei, das Werk der Reformation fortzusetzen und zu vollenden. Alles, was katholisch war, wurde als notwendig un- und antideutsch dargestellt. Der „Evangelische Bund" und die alldeutsche „Los-vonRom-Bewegung" führten auch jetzt noch den Kulturkampf m i t anderen Mitteln weiter. Die Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes 1904 hatte einen Sturm leidenschaftlicher Konfessionshetze ausgelöst. Der „Evangelische Bund" stand dem Frieden unter den Konfessionen i m Wege, mit seinem Kriegsgeschrei übertönte er die Mahnung friedfertiger Protestanten zu konfes102 Nach Hans Maier: „Katholische Sozial- und Staatslehre" i n „ A r c h i v des öffentlichen Rechts", 93. Bd., März 1968, S. 9. 103 H. Maier, a.a.O., S. 9. 104 RM, 82, 13. 4.1902. los RM, 297, 31.12. 1899. 106 RM, 63, 18. 3. 1905.
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sioneller Koexistenz. Held wollte diese friedliche Koexistenz. Katholiken und Protestanten sollten einander i n Geduld und Frieden vertragen: „Darum höret auf, diese Männer, die Ultramontanen und die Katholiken zu verfolgen, zu bekämpfen und laßt sie gehen 1 0 7 !" Volle Parität, gleiches Maß an L u f t und Licht und Freiheit, gleichen Schutz sollte man ihnen geben! Der konfessionellen Isolierung und Unterdrückung der Katholiken entsprachen auf der anderen Seite ihre Vorbehalte gegen den herrschenden politischen Geist des Kaiserreiches, den Nationalismus und Imperialismus. Den deutschen Chauvinismus, „die Verkörperung des ins Komische übertriebenen Patriotismus und Nationalismus" 1 0 8 lehnte Held als „unkatholisch" ab 1 0 9 . Jede Überspannung des Nationalitätenprinzips mußte für ihn „stets i n einen gefährlichen Nationalitätenschwindel ausarten" 1 1 0 . Die Kirche kenne keine Unterschiede des Blutes und keine Landesgrenzen. Der Nationalismus war für ihn mit der Gründung des Reiches i n die deutsche Politik gekommen, seitdem waren „Hochmut und Übermut i n erschreckendem Maße gewachsen" 111 . Und wo sollte es hinaus, „wenn bei uns der Chauvinismus i n dem Maße weiter um sich greifen sollte" 1 1 2 ? Das erschreckende Beispiel solchen Chauvinismus 4 waren für Held die nationalen Wüteriche, die preußischen Polenfresser. Daß ein überzeugunstreuer Katholik an irgendwelcher auf die Überspannung des Nationalitätsbegriffs und damit auf nationale Verhetzung gerichteten Bestrebungen sich nicht beteiligen konnte, ergab sich für ihn aus „der Natur der Sache, denn in demselben Augenblick, in dem er das tun würde, hörte er auf Katholik zu sein. Wie vor Gott kein Ansehen der Person gilt, so bevorzugt er auch keine Nation" 1 1 3 . Das unvernünftige, unchristliche und heidnische Nationalitätspinzip war unter der Pflege des Liberalismus zum Höhepunkt gekommen und zeigte sich nun in Erscheinungen und Exzessen, die für ihn einen Rückschritt der K u l t u r bezeichneten. Der Nationalhaß wurde künstlich m i t allen Mitteln der K u l t u r gepflegt. Gerade liberale Zeitungen redeten ihren Lesern immer wieder vor, daß „es auf Erden nichts Höheres gebe als die nationale Idee, daß die ganze Kultur, alle Kunst und Wissenschaft, ja sogar die Religion national sein müsse" 114 . Das Mittelalter kannte den Nationalhaß und seine Exzesse io? RM, 97, 30. 4.1905. 108 RM, 184, 14./15. 8.1899. 109 RM, 192, 26. 8.1907.
no Ebd. m RM, 184, 14./15. 8.1899.
us Ebd. us Ebd. 114 RM, 260, 17.11.1904.
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nicht. Was die Liberalen als die dunkelste Zeit verschrien, stand unter dem „schönen Licht der christlichen Völkerfamilien" 1 1 5 . Der Nationalismus war deshalb ein Rückschritt ins Heidentum. Der Ausspruch Wilhelms II., die Deutschen fürchteten nur Gott und sonst nichts auf der Welt, war für Held eine „gedankenlose Phrase" 1 1 6 . A m schlimmsten zeigte sich der preußisch-deutsche Nationalismus i n der Unterdrückung der polnischen Minderheit. Die „Polenfresser" betrieben eine Unterdrückungspolitik, die einer Verletzung des Naturrechts gleichkam. Denn „es ist ein Naturrecht des Menschen, i n seiner Muttersprache frei und unbehindert zu reden" 1 1 7 . Es war natürlich klar, daß die Ostmarkenpolitik katholikenfeindlichen Zwecken diente, die Germanisierung sollte zugleich auch die Protestantisierung bringen. Reserviert, je ablehnend zeigte sich Held gegenüber der deutschen Weltmachtpolitik. „Seit bei uns die Welt- und Weltmachtpolitik proklamiert ist, gibt es Leute, die da meinen, das Deutsche Reich müsse seine Hand jetzt in allen Welthändeln haben, wenn sie seinen Interessen auch noch so fern liegen 1 1 8 ." Schuld an diesem Imperialismus waren vor allem die alldeutschen Agitatoren, die i n Wirtschaftskreisen und Hochfinanz Unterstützung für ihre Kolonial- und Flottenpolitik fanden. Gegen „Flottenschwärmer" mit ihren „phantastischen uferlosen Flottenplänen" 1 1 9 wurde Front gemacht, weil sie ohne Rücksicht auf die deutschen Steuerzahler „ihre Forderungen des Militarismus zu Wasser wie zu Lande" durchsetzen wollten. Jeder Deutsche, dem das wirtschaftliche und moralische Wohlergehen seines Volkes am Herzen liege, konnte deshalb niemals seine Zustimmung dazu geben, daß dieses Wohlergehen gefährdet würde, um Liebhabereien einflußreicher Persönlichkeiten zu verwirklichen. Die „Hetzer i m Flottenverein" konzentierten ihre Tätigkeit darauf, phantastischen Plänen das Wort zu reden, und ihr Treiben war „gemeingefährlich" 120 . Ähnliche Vorbehalte hatte Held auch gegen die deutsche Kolonialpolitik: „Nicht einmal, sondern vielleicht hundertmal haben w i r vor der Kolonialpolitik des deutschen Reiches gewarnt, als vor einem Abenteuer, bei dem niemand weiß, was herauskommt 1 2 1 ." „Welthändel-Anstifterei" und „nackte Eroberungspolitik" waren es, für die die deutsche Kolonialgesellschaft agitierte, Deutschland sollte seine Hand auf Marokko legen, unbekümmert darum, was andere Länder dazu sagen würden. Das war für Held „die praktische us Ebd. ne RM, 117 RM, us RM, 119 RM, 120 RM, 121 RM,
89, 22. 4. 1909. 271, 28.11.1901. 149, 6. 7.1901. 279, 7.12.1899. 117, 24. 5. 1906. 185, 18. 8.1901.
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Seite des alldeutsch-chauvinistischen Grundsatzes, daß das Reich in alle Welthändel auf der ganzen Erde sich einmischen müsse" 122 . Diese Hurrah-Politiker forderten eine wesentliche und rasche Verstärkung der Flotte auf der einen Seite und eine Ausbreitungs- und Eroberungspolitik auf der anderen Seite und betrieben eine Politik, „die uns die halbe Welt zu Feinden machen muß und für das Reich die größte Gefahr darstellt" 1 2 3 . Schuld an allen diesen gefährlichen Entwicklungen war der Militarismus. „Seit die Staaten der Reihe nach immer mehr sich vom Geiste des Militarismus und des Imperialismus, der Großmannsucht anstecken lassen, sitzt ihnen das Schwert viel lockerer i n der Scheide, entschließen sie sich viel leichter, Krieg zu führen 1 2 4 ." Die Lasten müßte das Volk tragen. Angesichts der drohenden Steuererhöhungen, „besonders der Biersteuer", fragte man sich nach dem „Urgrund aller dieser neuen Belastungen; es ist der Militarismus" 1 2 5 . I n diesem Zusammenhang schreckte Held auch nicht vor einer scharfen K r i t i k an Kaiser Wilhelm I I zurück. I n der „Daily-Telegraph-Affäre warf er ihm „eine sprunghafte Ich-Welt" vor, „die mit dem Leben der Gesamtheit nicht i n Einklang steht, die der Grenzen sich nicht bewußt blieb, welche dem Einzelnen gezogen sind, den die Götter nicht dazu ausersehen haben, einen Markstein i m Weltengang zu bilden" 1 2 6 . So distanziert kritisch die Haltung Heids zu den beherrschenden Zügen deutscher Politik des Kaiserreiches war, so kritisch waren auch seine Bemerkungen über die führenden Repräsentanten dieses Staates. Sein Bismarck-Bild blieb bis in den ersten Weltkrieg hinein schwer belastet. Er blieb für ihn „der alte Widersacher des Zentrums und der Kathol i k e n " 1 2 7 . Held gestand ihm große Verdienste in der äußeren Politik zu: „ein gewaltiges Genie, hervorragend aus der Zeiten- und Staatengeschichte, aber ein Mann auch mit großen Fehlern und beklagenswerten Eigenschaften 128 ." Aber immer wieder brach bei ihm das Erlebnis des Kulturkampfes durch. Auf die leuchtenden Verdienste Bismarcks fielen die düsteren Schatten seiner Innenpolitik, „die von partikularistischen Anschauungen des protestantischen Preußentums getragen und beeinflußt w a r " 1 2 9 . Kulturkampf und Sozialistengesetze gehörten zu den unrühmlichen Taten Bismarckscher Politik. „Jagte er nicht Hunderte von deutschen Mitbürgern über die Grenze und i n die Gefängnisse, 122 123 124 125 126 127 128 129
RM, 122, 2. 6.1904. Ebd. RM, 91, 24. 4. 1901. Ebd. RM, 264, 19.11. 1908. Held i n „Gedächtnisrede" auf Ernst Maria Lieber", S. 37. RA, 523, 18.10.1908. RM, 237, 18. 10.1908.
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schickanierte diejenigen, die i n Wort und Schrift das Banner der Freiheit ihrer Anschauung vorantrugen, knebelte die freie Meinungsäußerung 130 ?" Das B i l d Bismarcks bei Held änderte sich erst unter dem Eindruck des Krieges, der deutschen Niederlage und der verlorengegangenen Staatlichkeit Bayerns i n der Weimarer Republik wesentlich, als das Bismarckreich wie ein verlorenes Traumland föderalistischen Staatsaufbaus angesehen wurde und die bayerischen Reformwünsche sich an seiner Verfassungswirklichkeit orientierten. Hinzu kam, daß das konfessionelle Moment nach 1914 sehr bald an Gewicht und Bedeutung verloren hatte. Unter Bismarcks Nachfolgern war Hohenlohe i n den Augen Heids der schwächste Kanzler, „ein alter Mann, der für neue Gedanken und Ideen schwer zugänglich w a r " 1 3 1 . Sein schwaches Regiment begünstigte die impulsive und selbsthei rische Natur des unverantwortlichen Lenkers; damit war der Kaiser gemeint. Ein verfassungswidriger und für die Entwicklung des Reiches ungesunder Zustand war damit geschaffen. „Der Konstitutionalismus war aufs schwerste gefährdet und i h m drohte die Vernichtung durch ein autokratisches Regiment 1 3 2 ." I n der Sozialpolitik blieb Hohenlohe reaktionär und auf kirchenpolitischem Gebiete hatte er den Katholiken nicht die notwendige Gerechtigkeit widerfahren lassen, den latenten Kulturkampf ließ er treiben. Bülow, sein Nachfolger bis 1909, hatte sich durch seine gegen das Zentrum gerichtete Blockpolitik und seine enge Zusammenarbeit m i t Nationalliberalen und Konservativen diskreditiert. M i t dem Auseinanderbrechen des Bülowblockes bei der Reichsfinanzreform war auch der Kanzler zu Recht gestürzt. Die Haltung und Stellungnahme Heids zu den einzelnen politischen Ereignissen und Vorgängen i m Reich bis 1914 brauchen hier nicht gesondert dargestellt zu werden; sie decken sich i m großen und ganzen mit der offiziellen Zentrumspolitik, die Held als Journalist zu interpretieren und zu verteidigen hatte. Seine Gegnerschaft zu dem liberalen, kapitalistischen und imperialistischen Geist des Kaiserreiches blieb bis zum 1. Weltkrieg intakt. Sein Hauptfeld politischer Arbeit und journalistischen Kampfes war schon bald nach seiner Übersiedlung nach Regensburg die bayerische Politik geworden. 5. Bayern bis zum Jahre 1907 — Klagen der Katholiken Der Prozeß der Assimilierung ins bayerische politische Milieu war durch die zwei Grundkomponenten seines politischen Weltbildes er130 RA, 523, 18.10. 1908.
131 RM, 240, 20.10.1900. 132 Ebd.
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leichtert und beschleunigt worden: seinen antipreußischen Affekt und seinen Kampf um die Freiheit der Kirche und die politischen Rechte der Katholiken. Beide standen i n engem Zusammenhang bayerischer Staatlichkeit, ihrer Souveränität und deren Vernachlässigung durch die Tradition liberaler bayerischer Ministerien. Zur Beurteilung seiner späteren Politik als Parlamentarier w i r d es notwendig sein, sein B i l d von der Entwicklung bayerischer Geschichte seit 1866 i n den genannten Punkten kurz zu skizzieren. I m Deutschen Reich, einem Bundesstaat mit föderalistischem Aufbau, der aber „ i m Grunde genommen doch nur ein Großpreußen" 1 3 3 war, mußte man auf Wahrung der eigenen Staatlichkeit ständig bedacht sein. Das hatte auch seine historische Berechtigung. Die Haltung der bayerischen Patrioten, die sich 1870 gegen Bayerns E i n t r i t t i n das Deutsche Reich gewehrt hatten, konnte er verstehen, wenn er sich vergegenwärtigte, „welche feindselige Haltung Preußen das ganze 19. Jahrhundert hindurch vom Basler Frieden angefangen bis zum brudermörderischen Krieg von 1866 gegen Bayern eingenommen h a t " 1 3 4 . I n den letzten 30 Jahren waren dann auch die Befürchtungen wahr geworden, denen damals jene verfassungstreuen Männer Ausdruck verliehen hatten. „Wo ist denn das souveräne Königtum i n Bayern 1 3 5 ?" Das Wort von den Vasallen des deutschen Kaisers existiere nicht von ungefähr. Wie respektiere man vom Norden aus die bayerischen Hoheits- und Sonderrechte, hieß es da nicht sic volo, sic jubeo? Die Militärgerichtsbarkeit sei verloren und i m Augenblick arbeite man mit allen Mitteln an der Aushöhlung des Postreservats. Wären aber die liberalen Herrschaften i n den Ministerien nicht gar „zu pflaumenweich und allzusehr i m Preußendusel befangen" 1 3 6 so würde von Preußen her nicht so viel gewagt wie es tatsächlich geschah. „ W i r wehren uns und werden uns immer wehren gegen Eingriffe in die bayerische Selbständigkeit 1 3 7 ." „Bahnbrecher des Liberalismus i n Bayern" 1 3 8 war Montgelas, ein Schüler und Anhänger Weishaupts, des Illuminaten. Montgelas führte die Säkularisation brutal durch. „Das Herz blutet einem, wenn man heute auf die Wirksamkeit der ,toleranten' und aufgeklärten' Regierung eines Montgelas zurückblickt, . . . das war ausgesprochener Vand a l i s m i 1 3 9 . " Den Versuch der Liberalen, das Ministerium Abel und 133 134 135 136 137 138 139
RM, 82, 13. 4.1902. Ebd. Ebd. RM, 82, 13. 4.1902. Ebd. R M , 82, 12. 4.1902. Ebd.
6 Keßler
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sein Polizeiregiment den Ultramontanen als ein Beispiel ihrer illiberalen Regierung zu unterschieben, wies Held zurück m i t einem für ihn typischen Argument: Abel „ w a r ein ausgesprochener Vertreter des Staatskirchentums, das der Freiheit der katholischen Kirche nicht weniger abhold und oft noch viel gefährlicher ist, als der Pseudoliberalismus" 1 4 0 . Eine unaustilgbare Schande aber war durch die Kulturkampfassistenz des Ministers Lutz dem bayerischen Staat zugefügt worden, der dem kranken König Ludwig II. den Wahn beibrachte, daß die „Ultramontanen" seine schlimmsten und gefährlichsten Feinde seien, und der mit einer Zirkulardepesche einen allgemeinen diplomatischen Kampf gegen das I. Vatikanische Konzil zu arrangieren versuchte und i n diesem Kampf der „ A d j u t a n t des Feldhauptmanns Bismarck" 1 4 1 wurde. „Der Vormarsch gegen die K u r i e hat i n Bayern begonnen 142 ." Bayern habe sich damals schwer an der katholischen Karche versündigt, und an ein Ministerium, das „preußisch-protestantisch-liberale Politik i n und gegen Bayern" 1 4 3 betrieb, könne man nur m i t Schaudern zurückdenken. Jenes liberale Regiment unter einem kranken König hatte aber auch staatsrechtliche Folgen; es schuf eine „Ministerrepublik" 1 4 4 . Die Mittel, m i t denen diese Ministerrepublik aufgebaut, und die Gesinnung, m i t der sie aufrechterhalten wurde, verdienten die schroffste Verurteilung. Die beherrschende Stellung der Liberalen i n Regierung und Bürokratie gehörten zu der „eigentümlichen Tatsache" 145 , daß zwar seit mehr als 30 Jahren die Vertretung des katholischen Volkes das numerische Übergewicht über die anderen Parteien, insbesondere über die Liberalen hatte, daß aber die liberale Partei dank der unentwegt liberalen Ministerien i n Bayern faktisch die herrschende geblieben war. „Ein solcher Zustand verträgt sich nicht mit dem Grundprinzip des Konstitutionalismus 1 4 6 ." Seit der Landtagswahl des Jahres 1899 hatte sich diese innenpolitische Situation noch merklich verschlimmert. Das Zentrum hatte eine absolute Mehrheit erlangt, die liberale Partei eine geradezu vernichtende Niederlage erlitten und damit auch das liberale Ministerium Crailsheim, das aus dem Verdikt des Volkes nicht die Konsequenzen zog. Sie blieben i n A m t und Würden, „die stillen Mandatare des Liberalismus" 1 4 7 . Was tat das Zentrum aber, um 140 Ebd. 141 RM, 142 Ebd. 143 RM, 144 RM, 145 RM, 146 RM,
147 Ebd.
71, 29. 3.1905. 26-2, 131, 183, 183,
19.11. 1904. 11. 6. 1906. 13. 8. 1902. 13. 8.1902.
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dem bei den Wahlen so klar ausgesprochenen Volkswillen auch über die Kammer hinaus Einfluß und Geltung zu verschaffen? Es unterließ es, das i n der Majorität der Kammer verkörperte Mißtrauensvotum gegen die bayerische Regierung zum Bewußtsein zu bringen. „Ich spreche es offen aus, daß ich der Überzeugung bin, es wäre entschieden besser gewesen, wenn das Zentrum weniger nachsichtig m i t dem M i n i sterium Crailsheim verfahren wäre, wenn es, so viel i n seinen Kräften lag, m i t allen zulässigen M i t t e l n schon damals dem Ministerium klar gemacht hätte, daß das Staatswohl seine Tätigkeit nicht länger vertrage, daß sich insbesondere die bayerischen Katholiken nicht länger von dem Ministerium Crailsheim politisch niederhalten ließen 1 4 8 ." Seit dem Abgang von Lutz hatte es Gelegenheit gehabt, die Gesinnung dieses Ministeriums kennenzulernen und den steigenden Einfluß Preußens i n Bayern gerade unter Crailsheim zu bemerken. Held machte dem bayerischen Zentrum den Vorwurf, daß es aus „überloyaler Gesinnung und allzu weitgehender Rücksicht" 1 4 9 damals den Kampf vermieden habe. Held hatte, kaum daß er nach Bayern gekommen war, i n den Regensburger Zeitungen den scharfen Kampf gegen das M i n i sterium Crailsheim aufgenommen, er war, wie er selbst sagte, „Vertreter einer schärferen T o n a r t " 1 5 0 gewesen. Jetzt sah er sich gerechtfertigt, denn die Zentrumsfraktion hatte endlich den Kampf gegen die „Crailsheimsche Wirtschaft" aufgenommen. Die fortwährende Nachgiebigkeit Bayerns gegen „das Reich, id est Preußen", die schlaffe Wahrnehmung bayerischer Interessen auf wirtschaftlichem Gebiet und die „Sünden des Ministeriums Crailsheim auf kirchen- und schulpolitischem Gebiet" hatte es zu einer stärkeren Opposition gebracht. Für Held war i n dieser Zeit „der liberal-protestantische Einfluß" i m politischen Leben ins Ungemessene gestiegen. Bayern, das zu mehr als zwei Dritteln katholische Land, Bayern, i n dessen Parlament die Katholiken die absolute Majorität besaßen, wurde von einem „ausschließlich liberalen Ministerium" regiert. Die meisten der Minister und zwar die einflußreichsten unter ihnen waren Protestanten. Die Tatsache des protestantisch-liberalen Ministeriums involvierte angesichts des Konfessionsverhältnisses i n Bayern unbedingt eine „Deklassifizierung der Katholiken" 1 5 1 . Sie wurde entscheidend auf kirchen- und schulpolitischem Gebiet, so daß ζ. B. der protestantisch-liberale Einfluß an den Universitäten zum „alleinmaßgebenden" werden konnte. Die Ministerrepublik wurde weiter ausgebaut, und die „berüchtigte chinesische 148 Ebd. 149 Ebd. 150 Ebd. 151 R M , 183, 13. 8.1902. β·
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Mauer u m den Regenten zu einer Höhe aufgetürmt" 1 5 2 , die den katholischen Einfluß aus der Sphäre des Monarchen so gut wie verbannte. Held artikulierte noch eine weitere Klage des Zentrums über die unklaren staatsrechtlichen Verhältnisse: die Existenz des Geheimkabinetts 1 5 3 . Vom staatsrechtlichen Standpunkt hatte das Civilkabinett als regierungspolitischer Faktor keine Existenzberechtigung; und es mußte dem Zentrum besonders unangenehm sein, weil es den Regenten von allen anderen Einflüssen abzuschirmen versuchte und ausschließlich „die Politik des Ministeriums, i n diesem Falle also die liberale Parteipolitik, bei dem Regenten befürwortete" 1 5 4 . Die fruchtbare Wechselbeziehung zwischen Monarch und Volk war damit gestört, der monarchische Gedanke selbst mußte Schaden nehmen: „Unser geliebter Prinzregent muß von der chinesischen Mauer befreit und seinem Volk wieder zurückerobert werden 1 5 5 ." Held respektierte zwar das Recht des Regenten, seine Minister nach Belieben zu wählen, konstatierte aber das Recht der Volksvertreter sich diese Minister und ihre Wirksamkeit näher anzusehen und ihnen evtl. ihr Mißtrauen i n fühlbarer Weise zu bekunden —, eine recht klare Aufforderung an die Zentrumsfraktion zu stärkerer Opposition. „Hie Kronrecht, hie Volksrecht! Wer die Respektierung des einen verlangt, der soll auch dem anderen die Anerkennung nicht versagen 156 ." Die starke Majorität des Zentrums in der Kammer der Abgeordneten 1 5 7 , dem ein i m großen und ganzen liberales Ministerium gegenüberstand, mußte natürlich die Frage nach dem Konstitutionalismus, nach der eventuellen Rücksicht aufwerfen, die der Monarch bei der Auswahl seiner Minister auf die Mehrheitsverhältnisse zu üben hatte. 152 Ebd.
153 Bereits 1848 w a r das Bestehen eines königlichen Kabinetts als nicht zu duldende Mittelmacht zwischen K ö n i g u n d M i n i s t e r i u m erkannt. Die Krone hatte damals die förmliche Erklärung gegeben, daß k ü n f t i g n u r P r i v a t sekretäre beim K ö n i g existieren sollten. Die Staatsgeschäfte sollten nie mehr durch gesetzlich nicht verantwortliche Hofbeamte vermittelt werden. I n Wirklichkeit wurde diese Zusage i n i h r Gegenteil verkehrt. Der persönliche Verkehr der Minister m i t dem Monarchen wurde auf ein äußerstes M i n i m u m reduziert. „So ist das Hofsekretariat auf dem kürzesten Wege allerdings zu dem Charakter einer absolutistischen Institution gekommen, wie i h n k a u m je ein früheres Kabinett i n Bayern gehabt hat. A l l e Staatsgeschäfte kamen fast ausschließlich n u r durch die Gläser des Sekretariats vor die allerhöchsten Augen." Diese Klage stammt aus den „Historisch-Politischen Blättern", Jahrgang 1865; zitiert bei E. Schosser: „Presse u n d Landtag i n Bayern von 1850—1918", phil. Diss. München 1951, S. 62. 154 RM, 183, 13. 8. 1902.
iss Ebd. 156 RM, 183, 13. 8.1902. 157 Bei den Wahlen 1905 w a r es nahezu eine Zweidrittel-Mehrheit.
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Mußte der Monarch ein Ministerium konform der parlamentarischen Majorität bilden? War das mit dem Geist einer monarchisch-konstitutionellen Verfassung zu vereinbaren? Held hatte den konservativmonarchischen Charakter des Zentrums immer betont. Für ihn war der echte Konstitutionalismus ein „Kompromiß zwischen Krone und V o l k " 1 5 8 , der dem letzteren i m Gegensatz zum Absolutismus eine M i t wirkung, eine reelle M i t w i r k u n g an der Regierung sicherte. Dieser Einfluß des Volkes auf die Gestaltung der innerpolitischen Verhältnisse sollte durch die Volksvertretung ausgeübt werden, der ganz bestimmte Rechte verfassungsmäßig verbrieft waren, die sie in der Bewilligung von Forderungen der Regierung, in der Genehmigung von Vorschlägen und in der Darlegung eigener Vorschläge ausübte. Daß die praktische Ausübung dieses Rechts einen Einfluß auf die Zusammensetzung der Regierung des Landes, i m engeren Sinn des Ministeriums ausübt und ausüben muß, lag für Held auf der Hand. Das Recht der Krone, die Personen zu wählen, die sie mit der Führung der Geschäfte betrauen wollte, also das Recht Minister zu ernennen, „ w i r d dadurch nicht i m mindesten angetastet" 159 , und es ist selbstverständlich, daß die Minister zu ihrer Amtsführung des Vertrauens der Krone bedürfen. Diesem Vertrauen mußte sich aber zu einer ersprießlichen Führung der Geschäfte das Vertrauen des Volkes, „das Vertrauen der Vertretung des Volkes hinzugesellen" 160 . Wenn diese Vertretung einen solch klaren zahlenmäßigen Ausdruck findet wie in der Zweidrittelmehrheit des Zentrums, so ist es gar nicht zu umgehen, „daß das Vertrauen einer Partei zum notwendigen Requisit für einen Minister w i r d " 1 6 1 . Damit interpretierte Held den Konstitutionalismus sehr exzessiv in Richtung auf den Parlamentarismus. Er wollte dies aber nicht gelten lassen, denn „vom Parlamentarismus ist das Wesen des echten Konstitutionalismus, wie w i r es verstehen, weit e n t f e r n t . . . Der monarchisch-konstitutionelle Charakter des Zentrums ist über jeden Zweifel erhaben. Er ist so fest und unerschütterlich, daß er jede Belastungsprobe aushalten kann, selbst eine solche, die i h m durch das Verbleiben des Grafen Feilitzsch im Ministerium Podewils auferlegt werden könnte" 1 6 2 . Held berief sich des öfteren auf die Tatsache, daß Bayern das älteste Land „ m i t verfassungsmäßiger M i t w i r k u n g des Volkes an den öffentlichen Aufgaben" 1 6 3 sei. Als der Reichstag 1907 wegen des Streites u m 158 RM, 165, 24./25. 7.1905.
159 Ebd. 160 R M , 165, 24./25. 7.1905.
161 Ebd. 162 Ebd. 163 RM, 288, 19.12.1906.
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das Budgetrecht aufgelöst wurde, sah Held eine dem „bayerischen Rechtsgefühl hohnsprechende Zumutung: „Heraus i n hellen Scharen zum Freiheitskampf gegen die Unterdrückung der Volksrechte 1 6 4 ." Es ist bezeichnend für die aggressive, scharfe politische Tonart Heids, m i t der er zum Kampf gegen das Ministerium Crailsheim rief, als handle es sich u m einen Kreuzzug: „ A l l e katholischen Männer in Bayern an Bord! A u f zum Kampf mit Gott für unsere heilige Kirche und unseren vielgeliebten Prinzregenten. A u f zum Kampf für unsere Rechte und unsere Freiheit 1 6 5 ." Als Crailsheim i m Februar 1903 schließlich gehen mußte, war „dem verderblichen Regime Crailsheim endlich ein Ende bereitet" 1 6 6 . Den tieferen Grund für den Sturz Crailsheims sah Held i n der Tatsache, daß man versucht hatte, i n einem konstitutionellen Staatswesen gegen den ausgesprochenen Willen der Majorität zu regieren. Ein Ministerium liberal-protestantischer Interessen bei einem politisch immer mehr erstarkenden Katholizismus war eine „Vergewaltigung des politischen Verstandes" 1 6 7 und mußte sich rächen. Der scharfe Kampf Heids gegen Crailsheim schien i m Zentrum selbst auf Ablehnung gestoßen zu sein. Angesichts des Erfolges konnte er zugeben, daß i h m die „Mildgesinnten" i n der Partei diesen Kampf „so oft verargt" hatten 1 6 8 . Als Podewils Nachfolger von Crailsheims i m Ministerpräsidium geworden war, übernahm Anton Wehner das Kultusministerium. Damit war, wie Held zugab, „ i n der Tat eine gewisse Verschiebung nach rechts" eingetreten 169 . Allerdings, als einen Zentrumsminister wollte er ihn noch nicht anerkennen. Das war noch unmöglich i n einem M i nisterium, „ i n welchem noch Feilitzsch und Riedel" saßen 170 . Aber auch dem Innenminister Feilitzsch mußte noch „Gelegenheit gegeben werden, den Weg einzuschlagen, den Crailsheim genommen" 1 7 1 hatte. Indem man das Ministerium Crailsheim bekämpfte, glaubte man zugleich den Kampf für den bayerischen Staat und die Krone zu führen, deren lebendige Verbindung m i t dem Volke man wieder herzustellen hatte. M i t dem Ministerium Podewils war das Zentrum nach einem Jahr Regierung schon zufriedener. Seine Politik schien keiner Partei zugeneigt. Es war „ein ausgeprägtes neutrales Beamtenministerium, das keiner Partei folgt, sondern zwischen den Parteien hindurch zu kommen ιβ4 Ebd. 165 RM, 183, 13. 8.1902. 166 167 168 169 170 ni
RM, Ebd. RM, RM, Ebd. RM,
42, 22. 2.1903. 42, 22. 2.1903. 43, 23./24. 2.1903. 42, 22. 2.1903.
5. B a y e r n bis z u m Jahre 1907 — K l a g e n der K a t h o l i k e n
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versucht" 1 7 2 . Trotzdem stand Held dem Ministerium „ k ü h l bis ins Herz h i n e i n " 1 7 3 gegenüber, erwartete aber von i h m eine energische Wahrung der bayerischen Interessen, vor allem aber seiner Reservatrechte Preußen gegenüber. M i t dieser K r i t i k an verfassungsrechtlichen Zuständen i n Bayern, die zugleich eine K r i t i k am herrschenden liberalen Ministerium war, hatte Held die bayerische Verfassungswirklichkeit i n der Ära des Prinzregenten Luitpold wohl richtig analysiert, wobei er sich durch seine polemische Schärfe oft in Widerspruch zur Führung der Kammerfraktion gebracht hatte. I n der bayerischen Verfassung bis 1918 war der Monarch der alleinige Repräsentant des Staates gewesen, er besaß die Staatsgewalt, und der Landtag war nur Organ „der konstitutionellen Regierung des verfassungsmäßig herrschenden Königs" 1 7 4 . Die Bürokratie war demnach Instrument der monarchischen Spitze. I n der Zeit Ludwigs II. und des Prinzregenten Luitpold verschoben sich die politischen Gewichte zugunsten der Regierungsbürokratie und nicht zugunsten einer stärkeren Parlamentarisierung, wie sie Held des öfteren gefordert hatte. Es ergab sich ein Widerspruch von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit. Held sah die konstitutionelle Monarchie als eine Mischung aus aristokratischen und demokratischen Elementen an, für ihn gründete sie sich auf die Harmonie zwischen Krone und Volk und der lebhaften Anteilnahme des Volkes an den politischen Geschäften des Landes „nach Maßgabe der Verfassung und unter Ausnützung aller konstitutionellen M i t t e l " 1 7 5 , wie sie dem freien Volk i m freien Staat gegeben waren. Es sollte die Politik einer Volkspartei, wie sie das Zentrum war, sein, i n ununterbrochener Verbindung m i t dem Volk und der unausgesetzten Erneuerung durch das Volk die Politik der Krone und des Staates zu befruchten. Held sah es als seine parlamentarische Aufgabe an, eine „Politik inniger Wechselwirkung zwischen der obersten Gewalt i m Staate und dem Volke" zu treiben 1 7 6 . Aber gerade diese innige Wechselwirkung zwischen Volk und Krone schien i h m i n Bayern durch die liberale Regierungsbürokratie und die Nebenregierung des Kabinettsekretariats gestört zu sein. Damit hatte Held die bayerische Verfassungswirklichkeit getroffen. L u d w i g II. und Luitpold hatten die ihnen i n der Verfassung gewährte starke Herrschergewalt nicht ausüben können bzw. nicht wollen 1 7 7 . So konnte die liberale Regierungsbürokratie, vom Monarchen 172 173 174 175 176 177
R M , 179, 11. 8.1904. Ebd. M a x v. Seidel/Robert Piloty, Bayerisches Staatsrecht, 1913, I, 215 f. R M , 46, 26. 2.1908. Ebd. Doeberl, Entwicklungsgeschichte, Bd. 3, S. 552 f.
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I V . Heids politisches W e l t b i l d vor E i n t r i t t i n die aktive P o l i t i k
kaum gestört und vom Landtag kaum angreifbar, eigene Politik gegen die i n der Kammer der Abgeordneten bestehende Zentrumsmehrheit treiben. Das Zentrum selbst war von der Verfassung her zu schwach, u m als Oppositionspartei gegen die Regierung anzukommen, solange diese vom Monarchen gedeckt wurde; es war auf der anderen Seite auch zu monarchisch gesinnt, u m radikale Opposition zu treiben. I n dieser Frage hatte sich das Zentrum ja selbst gespalten: der konservative Flügel wollte die Partei regierungs- und hoffähig machen und verzichtete so auf M i t t e l der parlamentarischen Obstruktion, während der mehr demokratische Flügel, zu dem auch Held zählte, und der ein schärferes Vorgehen gegen das Ministerium forderte, nicht durchdringen konnte. So entwickelte sich gerade beim demokratischen Flügel des Zentrums eine starke Oppositionshaltung, die sich später nicht gerade fördernd für das monarchische Prinzip auswirken sollte. Bis zum Ministerium Podewils i m Jahre 1903 war die bayerische Politik durch die Minister Lutz, Crailsheim, Riedel und Feilitzsch beherrscht, die protestantisch-nationalliberal gesinnt waren, reichstreue Politik betrieben und dem Zentrum i n seinen kulturpolitischen Forderungen nicht entgegenkamen. Das Zentrum wollte, wie es Held ausdrücklich immer wieder feststellte, keine Verfassungsänderung, sondern lediglich stärkeren Einfluß auf die Politik des Kabinetts vor allem i n der K u l t u r p o l i t i k und in einer stärkeren Wahrung der bayerischen Eigenstaatlichkeit gewinnen. Die im Kulturkampf eingetretene Entfremdung zwischen der liberalen Ministerherrschaft und dem katholischen Volksteil w i r k t e lange Zeit als starke Oppositionsbereitschaft nach. Denn gerade das kirchentreue bayerische Volk sah noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts unzumutbare, von der Kulturkampfzeit unter M i n i ster Lutz herrührende Einschränkungen der kirchlichen Freiheiten, die endlich fallen müßten. A m deutlichsten und schärfsten hat wohl Held diese Zustände angesprochen. Das entscheidende Moment für die freiheitliche Ordnung eines Staates war für Held immer die Frage nach der Freiheit der Kirche. Hatte nun i n Bayern die Kirche diese Freiheit der uneingeschränkten Tätigkeit? Keineswegs: „ I n keinem anderen deutschen Bundesstaat w i r d noch heute das Staatskirchentum eifriger gepflegt und die Staatskuratel ungenierter beansprucht und ausgeübt" 1 7 8 , schrieb Held i m Jahre 1904. Montgelas- und Lutzgelüste beherrschten seiner Meinung nach nicht nur immer noch die liberale Partei, sondern auch die bayerische Regierung. I n den führenden Schichten Bayerns sah er Ansichten und Tendenzen sich breitmachen, die i m Grunde auf den Sturz der christlichen 178 Held i n „Allgemeine Rundschau", Nr. 21, 20. 8.1904, S. 279.
5. Bayern bis zum Jahre 1907 — Klagen der K a t h o l i k e n
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Gesellschafts- und Rechtsordnung und der natürlichen Rechtsstellung der Kirche hinarbeiteten. Die Gegner der Konfessionsschule und dam i t die Gegner der christlich-religiösen Erziehung könnten unter den Augen der Regierung ihr staatsfeindliches Treiben ungehindert fortsetzen. Diese Regierung hatte sich um alles andere eher als u m katholische Interessen und Rechte je Sorge gemacht. Held führte „sprechende Beweise" 1 7 9 an: München, die Hauptstadt des noch immer zum größten Teile katholischen Landes, hatte sich zur Zentrale für die Beschimpfung und Verketzerung der katholischen Kirche entwickelt. Eine permanente Gesellschaft zur Hetze gegen die katholische Kirche hatte sich etabliert: Die Zeitschriften „Odin", „Kirchenlicht", „Simplizissimus", „Jugend" und „Wartburg". Der „Evangelische Bund" konnte wahre Orgien der Hetze gegen den Katholizismus feiern. Heids besondere Klage war die Zurücksetzung der Katholiken bei Besetzung von hohen Stellen i m Regierungsapparat. Durch lange Jahre hindurch waren i m Ministerium Crailsheim von 5 Zivilministern 3 Protestanten, darunter der Ministerpräsident 1 8 0 . I n die Chefstellen des Staates habe man vorzugsweise Protestanten oder abtrünnige Katholiken gelangen lassen, die hauptsächlichsten Hofämter seien m i t Protestanten besetzt. „Diese stille Protestantisierung hat die Katholiken so weit zurückgeworfen, daß es in Jahrzehnten nicht mehr gutgemacht werden kann 1 8 1 ." Gerade jene, die stets die schönen Worte: Toleranz, Humanität, Freiheit, etc. i m Munde führten, wollten „unter dem konfessionellen Gesichtswinkel die Katholiken i m öffentlichen Leben zurückdrängen" 1 8 2 . Die Beschäftigung mit der Lage der Kirche und der Katholiken i m öffentlichen politischen Leben gehörte, wie Held selbst sagte, „zu seiner ureigensten Domäne" 1 8 3 . Hier sah er aber große Gefahren. Es gehörte zu seinem bis zur psychologisch-konfessionellen Überreizung gehenden Mentalität, daß er noch 1901 in der Betrachtung des „Weltkampfes, der heute gegen die katholische Kirche geführt w i r d " 1 8 4 , Anzeichen sah, daß alle Feinde der katholischen Kirche „vom Atheisten bis zum orthodoxen Protestanten" 1 8 5 sich zu einem neuen Vernichtungsfeldzug rüsteten: „Ich glaube m i t gutem Gewissen sagen zu können, w i r stehen bereits mitten i n diesem neuen allgemeinen Kulturkampf 186." 179 RM, 183, 180 RM, 124, 181 Ebd. 182 RM, 138, 183 RM, 185, 184 RA, 398, 185 RM, 185, 186 Ebd.
13. 8.1902. 1. 6.1905. 22. 6.1904. 18. 8.1901. 11. 8.1902. 18. 8. 1901.
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I V . Heids politisches W e l t b i l d vor E i n t r i t t i n die aktive P o l i t i k
Faßt man die wesentlichen Züge des politischen Weltverständnisses zusammen, das den Katholiken Held i n der Vorkriegszeit prägt, so zeigt sich ein politisches Grundverhalten, das auch für die Entwicklung des deutschen Katholizismus von der Zeit der Reichsgründung bis zum 1. Weltkrieg bestimmend war: es ist allgemein empfundenes Mißtrauen gegenüber dem deutschen Nationalstaat, es ist schließlich die Neigung, „den Staat von der Grundrechtsseite zu minimalisieren, aber auch die frühe und positive Beziehung zu Verbandsbildung, sozialer Initiative, politischer Demokratie" 1 8 7 . Diese Haltung bildete sich i n einer Minderheits- und Defensivsituation, i n der dem Katholizismus kein christlicher, sondern ein liberaler Staat gegenüberstand. So galt sein Interesse stärker allgemeinen Schutzrechten und klar bestimmten Grenzen des Staates und weniger einem eigenen positiven politischen Programm, nach dem er in diesem Staat bestimmend hätte w i r ken wollen.
187 h . Maier, „ A r c h i v des öffentlichen Rechts", Bd. 93, März 1968, S. 9.
V. Das bayerische Zentrum Von Regensburg aus hatte Held bereits in verschiedenen Bereichen auf die Politik des bayerischen Zentrums eingewirkt. Durch seine beispielhafte kommunalpolitische Arbeit war er bekannt geworden. Daß er hier wie auch in anderen Bereichen mit neuen Ideen und Erkenntnissen i m bayerischen Zentrum initiativ wirken konnte, lag daran, daß er i n dem rheinisch-hessischen Zentrum Modelle des modernen Parteienkampfes bereits erlebt hatte und von dort her nach Bayern m i t brachte, das zu dieser Zeit und i n diesem Bereich noch weitgehend Brachland war. Das bayerische Zentrum war in seiner Struktur noch wesentlich stärker eine Honoratiorenpartei i m Stil des 19. Jahrhunderts, während das westdeutsche Zentrum auf Grund der sozialen Umschichtungen, die sich im Zuge der industriellen Revolution dort schon früher gezeigt hatten, eine wesentlich modernere Parteistruktur aufwies und auch auf dem Gebiet der modernen Parteiorganisation weiter fortgeschritten war. Die soziologische Struktur des Zentrums i n Bayern war dagegen noch stärker agrarisch-mittelständisch orientiert und wies kaum eine zuverlässige, klar durchgegliederte Organisation auf. 1. Heids Leistung beim Aufbau einer modernen Parteiorganisation Held hatte die Notwendigkeit moderner Parteiarbeit und den Strukturwandel des deutschen Parteiwesens klar erkannt. Das Zentrum mußte sich i m organisatorischen Aufbau und i n der agitatorischen Schlagkraft an die moderne Zeit anpassen. Vorbild und treibende K r a f t solcher Anpassung waren vor allem die Sozialdemokraten. „ N u r i m Zentrum regt sich noch recht wenig", mußte Held 1902 feststellen. U m die Jahrhundertwende änderten sich auch Struktur und Organisation des bayerischen Zentrums i m Kampf gegen Liberalismus, Sozialdemokratie und Bauernbund. I n diesem organisatorischen Umbildungsprozeß w i r k t e Held in Regensburg und i m Oberpfälzer Raum beispielgebend für ganz Bayern. Es hatte sich bereits als Strukturmangel des bayerischen Zentrums erwiesen, daß i h m eine durchgehende Organisation fehlte, u m die auseinanderstrebenden politischen Kräfte i n i h m stärker zu binden und u m eine stärkere einheitliche politische Bewußtseinsbildung vom Zen-
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V. Das bayerische Zentrum
trumswähler bis zum Abgeordneten zu ermöglichen. Held sah ein, daß die Politisierung der Massen auf der Basis sich auflösender alter Sozialstrukturen eine stärkere Bindung dieser Wählermassen mittels einer stärkeren Organisation und Betreuung durch die Partei erforderte. Er versuchte, die Partei von einem altkonservativen Wählerverband, der alle Stände umfaßte, zu einer modernen demokratischen Funktionspartei zu entwickeln. Er war so der Katalysator des demokratischen und des modernen Parteigedankens i m bayerischen Zentrum bis zum Jahre 1914. Bereits i n den Regensburger kommunalpolitischen Kämpfen hatte er sich als der Typus des modernen Parteipolitikers mit managerhaftem Organisationstalent und kämpferischer Initiative gezeigt i m Gegensatz zu den alten Honoratiorenpolitikern. „Heute heißt es organisieren und marschieren 1 ' 2 ." Die bestehende Organisation reichte nicht mehr aus. Bisher hatte sich das Zentrum vor allem auf die kirchlichen Organisationen und deren Vereinswesen stützen können. Die Autorität des Klerus trug ihren Teil dazu bei. Dieses kirchliche, vorpolitische Vereinswesen war vor allem i m Kulturkampf entstanden, der zur Politisierung der katholischen Massen beigetragen hatte. I m Jahre 1890 war dann als die eigentliche Massenorganisation der Zentrumswähler der „Volksverein für das katholische Deutschland" entstanden, der die katholischen Wähler beim Zentrum hielt und sie disziplinierte. Zugleich aber übernahm die jährliche Generalversammlung der deutschen Katholiken die Aufgaben des Parteitages für das Zentrum. „ I m Bewußtsein des katholischen Volksteils und seiner Führer fielen der öffentlich aktive Katholizismus und die Bindung an die Zentrumspartei zusammen 3 ." Das Zentrum hatte demnach keine eigentlichen Mitglieder, die Kandidaten für die Parlamente mußten sich zumeist in den kirchlichen Vereinen qualifizieren. Die Organisation baute auf dem Honoratiorensystem auf m i t meist von der Spitze aus zugezogenen Repräsentanten der Stände. Die zum Teil sehr dichte und schlagkräftige Organisation des Volksvereins wurde aber auch der Übergang von der traditionellen oligarchisch-ständischen Zentrumsorganisation, die der älteren agrarisch-mittelständischen Gesellschaftsstruktur der Zentrumswählerschaft angepaßt war, zu einer modernen Parteiorganisation, die der modernen industriellen Massengesellschaft entsprach. Hier leistete Held Pionierdienste. Bei dem industriellen Aufschwung i n den letzten Jahren habe die Parteileitung „durch Ausgestaltung der Organisation ins Detail und durch Zusammenschließung der Parteigenossen i n Ortsgruppen und Bezirks verbänden die Partei
i, 2 RM, 289, 19.12.1908. 3 Thomas Nipperdey: „Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918", Düsseldorf, 1961, S. 283.
1. Heids Leistung beim Aufbau einer modernen Parteiorganisation
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vor Überraschungen zu schützen" 4 . Bisher war die Organisation i n der Hauptsache nur auf dem Papier gestanden und hatte bei den Wahlen nur notdürftige improvisierte Dienste geleistet. Die Durchgliederung der Partei auf den einzelnen Organisationsstufen war nicht straff, die Funktionen oft unklar. Parteimitgliedschaften i m strengen Sinn gab es kaum. Bei der Nominierung der Kandidaten konnte eigentlich jeder mitwirken, der sich als Zentrumswähler bezeichnete. So kam es nicht selten zu recht unerfreulichen Kandidatenwirren. Bei dem Versuch Heids, sich 1907 als Reichstagskandidat durchzusetzen, hatten seine parteiinternen Gegner aus dem „Christlichen Bauernverein" alles getan, u m dies zu verhindern. Die betreffende Vertrauensmännerversammlung war von 1078 Personen besucht 5 . Sein Gegenkandidat, Baron Pfetten von Rampsau, „sandte sein ganzes Personal als Vertrauensmänner" 6 . Auch Mitglieder des Bundes der Landwirte und des Bauernbundes waren zahlreich vertreten; „ j a sogar Liberale und Sozialdemokraten nahmen an der Abstimmung teil" 7 . Seine Wahl i n die Kammer der Abgeordneten mußte Held gegen einen Bauernkandidaten aus der eigenen Partei durchkämpfen. Damit hatte sich für ihn die Notwendigkeit einer durchgreifenden Reform der Parteistruktur auf allen Ebenen gezeigt. Daneben mußte eine solche Neuorganisation „ein fortwährend pulsierendes, inneres Parteileben zu erreichen suchen —, ein lebendiger und lebensfähiger Organismus muß ihr Ziel sein" 8 . Held mußte selbst feststellen: „Die Kandidatenwirren gelegentlich der Landtagswahl waren für unsere Partei in der Oberpfalz geradezu blamabel. Die Hauptschuld an all diesen beklagenswerten Erscheinungen trägt vor allem der Mangel an einer durchgreifenden, lebendigen und erzieherisch wirkenden Organisation 9 ." Nicht nur der bisherige Bestand und die Wahlerfolge der Partei mußten für die Zukunft sichergestellt werden, sondern auch ihre weitere Ausbreitung, ihre innere Geschlossenheit und die Wucht ihrer Agitation mußte gefördert werden. Held machte entsprechende Vorschläge: ein organisatorischer Aufbau von unten nach oben, Bestellung und Gründung von Ortsgruppen, zeitgemäße Änderung des Wahlmännersystems; die Vertrauensmänner mußten von den jeweiligen Ortsgruppen der Zentrumspartei gewählt werden. Zur Führung der überregionalen Geschäfte der Partei sollte ein Kreissekretär bestellt 4 5 6 7 8 9
RM, 25, 31.1. 1907. RM, 13, 17.1.1907. Ebd. Ebd. RM, 145, 1./2. 7.1907. Ebd.
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V. Das bayerische Zentrum
werden 1 0 . I n der Delegiertenversammlung der aberpfälzischen Zentrumspartei am 4. 7.1907 i n Schwandorf wurde eine durchgreifende Neuorganisation der Zentrumspartei beschlossen. Held wurde zum Vorsitzenden der „Dreizehnerkommission zur Ausarbeitung eines Organisationsstatuts" gewählt. Die alte Zeit, wo Liberale und Freisinnige auch das politische Leben der Oberpfalz beherrschten, müsse endgültig vorbei sein, hinzu sei i n neuester Zeit die Gefahr der Sozialdemokraten gekommen. Jetzt müsse „die ganze Oberpfalz kohlrabenschwarz" 11 werden und bleiben. Hunderte und Tausende könnten noch für das Zentrum gewonnen werden, wenn die Organisation eine systematische und durchgreifende wäre. Durch das neue Statut wurden Agitation und Organisation i n den Vordergrund gerückt. Für die Verbreitung der richtigen politischen Lektüre mußte mehr getan werden. Ein Parteisekretär wurde bestellt, der i n der Hauptsache die politischen Geschäfte zu besorgen hatte, der als Berater und Organisator tätig wurde. Die Sozialdemokraten „drängen uns förmlich dazu" 1 2 . Nach dem Statut konnte bereits ein Achtzehnjähriger Mitglied des Zentrums werden. Auch Frauen wurden zugelassen. M i t seinem agitatorischen und organisatorischen Übereifer stieß Held beim konservativen Flügel auf Ablehnung. Die politische Hektik des modernen Parteienkampfes war ihnen zuwider, sie lehnten jede allzu bürokratische und nach Kompetenzen und Rechten genau begrenzte Organisation ab. Jeder Schein des Berufspolitischen und dam i t der Zwang nur agitatorischer Kleinarbeit war ihnen zuwider; sie setzten mehr auf die politische Improvisation und hofften i m übrigen auf die instinktmäßige Gefolgschaft ihrer Wähler. Das übrige an Wahlarbeit würde wohl der Klerus besorgen. Daß diese Zeiten endgültig vorbei waren, hatte Held schon längst begriffen. I m Streit um den Charakter des Zentrums hatte Held den Vorschlag gemacht, jedes Jahr einen Zentrumsparteitag auf Reichsebene abzuhalten 13 . A u f einem solchen Parteitag könnten innerparteiliche Differenzen, die ja bisher nur i n Pressepolemiken ausgetragen wurden, diskutiert werden. Ein Austausch der Meinungen über die großen Reichstagsfragen hatte bisher nur in der Fraktion stattgefunden. Es waren nicht unitarische Bestrebungen, die Heids Vorschlag entstehen ließen, sondern „Bemühungen um die Einheit und Geschlossenheit der Zentrumspartei, die sich über das ganze Reich erstreckten" 14 . Hier sollten Ansichten ausge-
io H 12 13 14
Ebd. RM, 289, 19. 12.1908. Ebd. RM, 239, 20.10.1907. Ebd.
2. Kandidaturen zum Reichs- u n d Landtag 1907
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sprochen und die „alte goldene Mittellinie" gefunden werden. Der Vorschlag Heids fand kein breites Echo. Die Zentrumspartei war noch eine zu sehr regional organisierte Honoratiorenpartei, die eine stärkere politische Meinungsbildung außerhalb der einzelnen Fraktionen kaum zuließ. Erst 1914 wurde ein Reichsausschuß der Zentrumspartei geschaffen. 2. Kandidaturen zum Reichs- und Landtag 1907 Durch seine journalistischen Arbeiten, seine kommunalpolitische Pionierarbeit, seine Mitarbeit i n der christlichen Gewerkschaftsbewegung und seine Leistungen i m Aufbau einer modernen Parteiorganisation war Held inzwischen über die Grenzen Regensburgs und der Oberpfalz hinaus bekannt geworden. I n allen größeren Städten Bayerns hatte er bereits vor 1907 auf Zentrumsversammlungen gesprochen. Er war kaum ein Jahr i n Regensburg, als schon der liberale „Bayerische Volksbote" die Behauptung aufstellte, er spekuliere auf die Nachfolgerschaft des Zentrumsabgeordneten von Lama; Held wies diese Behauptung als „freche Verleumdung" zurück 1 5 . Auch der Zentrumsabgeordnete von Lama, ein alter Honoratiorenpolitiker, hatte bei der A k t i v i t ä t Heids befürchtet, er werde wohl von seinem Mandat verdrängt werden. I n der bayerischen Kammer der Abgeordneten sprach er davon, daß ihm die Ablösung von einem Manne drohe „ . . . der die Tauglichkeit besitzen sollte künftig meinen Platz i n diesem hohen Hause einzunehmen" 16 . I n diesem Zusammenhang war auch das Wort vom „preußischen Provinzler" 1 7 Held gefallen 18 . 1903 hatte Held schon als Zählkandidat für die Reichstagswahlen i n Nürnberg kandidiert 1 9 . Für die nach der Änderung des Landtagswahlrechts von 1906 notwendige Neuwahl der Kammer der Abgeordneten war Held von einer Vertrauensmännerversammlung des oberpfälzischen Wahlkreises Burglengenfeld/Schwandorf/Parsberg ohne sein „geringstes Vorwissen und ohne jegliches Zutun", wie er selbst feststellte 20 , zum Kandidaten für den Landtag nominiert worden. Er erhielt erst Mitteilung, „als die 15 RA, 545, 31. 10. 1900. 16 Sten. Ber. 1903, Bd. 12, S. 47. 17 Ebd. is Lama selbst wurde 1904 v o m Regensburger Zentrum nicht mehr für den Landtag nominiert. I n einer Vertrauensmännerversammlung lehnte es Held jedoch „entschieden ab, die K a n d i d a t u r anzunehmen". (RM, 276, 5.12.1904) Daraufhin wurde der Fabrikant K a r l Mayer nominiert. ι 9 F ü r die Reichstagswahl 1907 w a r er erneut als Kandidat i n Nürnberg nominiert worden. RM, 651, 30.12.1906. 20 RM, 49, 1. 3.1907.
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V. Das bayerische Zentrum
Sache fix und fertig w a r " 2 1 . M i t dieser Überraschungsstrategie, die keine langen Vordebatten i n der Öffentlichkeit vertrug, wollten die lokalen Zentrumsgrößen den bisherigen Bauernabgeordneten Schaller ausschalten, einen jener typischen Zentrumsabgeordneten, von denen die Fraktion so viele besaß, die aber nicht zu wirklicher parlamentarischer Tätigkeit befähigt waren und während ihrer Zugehörigkeit zur Kammer nie oder höchst selten i m Plenum das Wort ergriffen. Held akzeptierte die Kandidatur, stieß aber i n dem vornehmlich bäuerlich strukturierten Wahlkreis auf Widerstand. Es entwickelte sich ein parteiinterner Partisanenkampf, der vor allem von Bauernvereinsseite gegen Held organisiert wurde, dem dieser moderne Parteiintellektuelle, der zudem aus „Preußen" zugewandert war, suspekt war. Blamable Kandidatenwirren spielten sich ab. A m 13. November war Held zum Kandidaten nominiert worden. Ausgegangen war die Wahlbewegung vor allem von der Geistlichkeit aus dem Verbreitungsgebiet der Regensburger Zentrumsblätter, die Held redigierte. Dem Klerus hatte sich Held durch seine scharfe, kämpferische, katholische Haltung empfohlen. Die Zentrumsfraktion in München konnte solche „Arbeitskräfte" wohl gebrauchen 22 . Das allgemeine politische Interesse an der Kandidatur ging weit über die Grenzen des Wahlkreises hinaus. Der liberale „Fränkische K u r i e r " brachte die Meldung aus München, „daß die Münchner Parteileitung des Zentrums die Aufoktroyierung Heids sich nicht gefallen" 2 3 lassen zu wollen scheine; die Stadtpfarrer von Burglengenfeld und Schwandorf hätten von Dalier eine vertrauliche Mitteilung bekommen, „nach der Held nicht aufgestellt werden soll". I n einem persönlichen Brief an Held stritt Daller die Meldung des „Fränkischen K u r i e r " als „eine glatte Unwahrheit" ab 2 4 . So unwahr war diese Meldung jedoch nicht, wie sich später herausstellen sollte. Der bisherige Abgeordnete Schaller kandidierte als inoffizieller Zentrumskandidat erneut, wobei er vor allem von liberal-bauernbündlerischer Seite Unterstützung erfuhr und mit „verletzenden persönlichen Bemerkungen, Vorwürfen und Angriffen" 2 5 gegen Held vorging. Heids Wahlkampfführung war aber auch nicht gerade m i l d gewesen. Die intellektuelle Überlegenheit des Studierten ließ er seinen Gegner wohl 21 Ebd. 22 Der Dechant Schuheder aus Porndorf schrieb am 8.1.1907 an das „Morgenblatt", er bevorzuge Held, da dieser i h m „wegen seiner Schneidigkeit sympathischer" sei. (AHR) 23 Zitiert i n RM, 285, 15.12.1906. 24 Brief Dallers an H e l d v o m 12. 12.1906, A H R . 25 RM, 44, 23. 2.1907.
2. Kandidaturen zum Reichs- u n d Landtag 1907
verspüren. Das machte selbst manchen fernerstehenden mann „verdrossen" 26 .
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Zentrums-
Er geriet dabei auch i n Gefahr, daß er sich durch den scharfen und kompromißlosen Kampf auch die ländlichen Kreise entfremdete. Doch das entschiedene Eintreten des Bauernführers Dr. Georg Heim brachte schließlich Held auch hier die Mehrheit 2 7 . Offene Unterstützung erhielt Held vor allem aus Kreisen der christlichen Arbeiterschaft. Er war „ i h r " Kandidat 2 8 . Verschärft wurden diese Kandidatenwirren, als Held auch noch von der Zentrumsorganisation der Stadt Regensburg für die i m gleichen Jahr stattfindenden Reichstagswahlen als Kandidat aufgestellt wurde 2 9 . Doppelmandate waren durchaus üblich. Der bisherige Reichstagsabgeordnete Baron von Pfetten i n Rampsau war i n der Wahlmännerversammlung unterlegen —, ein „Adelsparlamentarier" 3 0 , der i m Reichstag nicht besonders hervorgetreten war. Damit ging das Haberfeldtreiben gegen Held erst los; es kam vor allem aus bäuerlichen Kreisen, nicht zuletzt vom „Christlichen Bauernverein", den Heim i n dieser lokalen Auseinandersetzung selbst nicht mehr kontrollieren konnte. Das „Bayerische Vaterland" 3 1 schoß am schärfsten gegen Held. Die Hetze gegen ihn „als Preußen" war so heftig, daß das „Regensburger Morgenblatt" einen A r t i k e l über „Der Stammes- und Nationalitätenhaß" veröffentlichte: als eine der widerlichsten Erscheinungen stachle er die niedrigsten Instinkte auf. „Katholiken insbesondere..., vornehmlich Männer geistlichen Standes sollten sich doch hüten, dem Stammes- und Nationalitätenhaß Vorschub zu leisten. Müßten solche Leute nicht i n Konflikt kommen m i t ihrem Glauben und ihrer Kirche? . . . J a , wahre christliche Nächstenliebe, das lebendige Christentum, 26 Wie es der Verleger der „Amberger Volkszeitung", Boes, i n einem Brief vom 14. 3.1907 an Held schrieb. (AHR) Er machte Held Vorhaltungen, daß er diese Überlegenheit über seinen Kandidaten zu sehr ausnütze. „Sie, Herr Chefredakteur, stehen m i t t e n i m K a m p f für ihre eigene Person, das läßt ihnen alles als Gegnerschaft erscheinen, was nicht genau so temperamentvoll für Sie eintritt, als Sie das gewöhnt sind." D a m i t w a r das starke FreundFeind-Empfinden bei Held sehr k l a r angesprochen. 27 Es gab Dörfer, i n denen sich Held keine Versammlungen mehr zu halten getraute, vor allem i n solchen Dörfern, die sich bereits f ü r seinen Gegenkandidaten Schaller erklärt hatten. 28 Der Zentrumsabgeordnete Schirmer, ein Arbeitervertreter schrieb am 14.12.1906 an Held: „ H a l t e n Sie bitte an ihrer Kandidatur fest. Wenn nötig finden Sie durch die Arbeiterschaft des ganzen Landes Unterstützung." (AHR) Von einem Einzug Heids versprachen sich die Arbeiterkreise eine Verstärk u n g ihres Einflusses i n der sozialpolitisch wenig aufgeschlossenen Zentrumsfraktion. 29 RM, 295, 29.12.1906. 30 κ . Bosl, Gesellschaft u n d P o l i t i k i n Bayern, S. 12. 31 Nr. 1, Januar 1907. 7 Keßler
V. Das bayerische Zentrum
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kennt nicht die Grenzen der Nationen und Stämme 3 2 ." Dabei gehörte Held „weder von Geburt noch von A b s t a m m u n g . . . den den Bayern so verhaßten Preußen" 3 3 an. Die Kompetenz der Vertrauensmännerversammlung, die Held nominiert hatte, wurde von den Gegnern angezweifelt. Eine Bauern ver einsversammlung stellte erneut Baron Pfetten wieder zum Kandidaten auf. Die Parteileitung beharrte auf Held als dem legitimen Kandidaten, mußte jedoch nachgeben, als der Widerstand aus bäuerlichen Kreisen allzu stark wurde. Außerdem war zu befürchten, daß die für Pfetten engagierte Landbevölkerung zweifellos zum großen Teil Bauernbund wählen würde, dessen Feuer i n der Gegend um Regensburg damals zwar nur noch glimmte, aber auch leicht wieder angefacht werden konnte. Die katholischen Männervereine Regensburgs wandten sich an die Landesparteileitung in München mit der Bitte, „sie möge i n die schwierige Sachlage, die in Regensburg bezüglich der Kandidatenaufstellung besteht, vermittelnd eingreifen" 34 . Angesichts der Sachlage i n Regensburg, „die eventuell für die ganze Partei unerwünschte Folgen haben kann", fragte Giehrl bei Held an, ob er bereit sei, eine „Entscheidung des Ausschusses anzuerkennen" 35 . Schließlich einigten sich Baron Pfetten und Held auf eine neue Wahlmännerversammlung, bei der der offizielle Kandidat endgültig zu wählen sei. Zum Stil dieser innerparteilichen Auseinandersetzungen gehörte es, daß man den Gegenkandidaten vor allem in den auswärtigen Zeitungen angriff. Die „Augsburger Postzeitung" 36 , ein Zentrumsblatt, bekämpfte die Kandidatur Heids i n einer Weise, die jeder Sachlichkeit bar war und auch nicht vor Beschimpfungen zurückschreckte. I n der Gegnerschaft zur Kandidatur Heids zeigten sich auch parteiinterne Strukturen. Held war der Kandidat der Progressiven i n der Partei, der mit organisatorischem und agitatorischem Geschick und politischem Talent nach oben strebte, ein Mann der Zeit, der wußte, was diese von einer Partei an Organisation und politischen Aussagen verlangte. Pfetten fand seine Unterstützung i n der agrarischen Struktur der Zentrumswählerschaft, die i h m noch in feudalen Treueverhältnis folgten; er war ein Symbol des politischen Herrentums. Bei der am 14. Januar 1907 stattfindenden Vertrauensmännerversammlung unterlag Held nur knapp. Zu Stil und Atmosphäre solcher demokratischer Grundgremien: 1078 Personen waren unkontrolliert 32 33 34 35 36
RM, 2, 4.1907. RM, 2, 4.1907. Schreiben des Abgeordneten Giehrl v o m 6.1.1907, A H R . Ebd. „Augsburger Postzeitung" Nr. 8, 10. 1.1907 u n d Nr. 115, 25. 5.1907.
2. Kandidaturen zum Reichs- u n d Landtag 1907
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i n den Saal geströmt und hatten m i t abgestimmt. Pfetten brachte sein ganzes Schloßpersonal als „Vertrauensmänner" mit. Auch Mitglieder des Bauernbundes und des Bundes der Landwirte waren zahlreich vertreten. „Ja sogar Liberale und Sozialdemokraten nahmen, an der Abstimmung teil 3 7 ." Vertrauensmann war, wer kam. Es gab keine Legitimation, keine Kontrolle. Man hatte also gegen Held „organisiert". Die Wahlen zum Landtag konnte Held überlegen gewinnen, trotz „einer Hetze", die an Stärke und Skrupellosigkeit nicht übertroffen werden könnte" 3 8 . Solche negativen Seiten des politischen Lebens, das mit der steigenden Politisierung der Massen den Übergang von Honoratiorendemokratie zur Parteiendemokratie anzeigte, konnten Held i n seiner stark moralisch empfindenden Natur schwer treffen. Die Haltung zur Politik, zum politischen Kampf, w i r d nicht zum geringen Teil in den Erlebnissen des politischen Alltags, vor allem dann, wenn sie schmerzlich sind, gebildet. Der politische Dschungelkampf prägt auch den politisch Erfolgreichen. Gerade hier zeigte sich ein starker Wesenszug seiner politischen Persönlichkeit. I m Gefühl oft vermeintlich ungerechter Behandlung und Verleumdung steigerten sich Abwehr und Angriff bei i h m oft zu allzu scharfer Gegenwehr. Auch eine gewisse rechthaberische, aber leicht verletzbare A r t kam zum Vorschein. M i t seiner sicheren intellektuellen Überlegenheit, die er oft auch gegen Parteifreunde ausspielte, hat er sich nicht selten auch dort Abneigung zugezogen. M i t welcher Haltung trat Held 1907 i n den bayerischen Landtag ein, dem er bis 1933 angehören sollte? Seinen Wählern hatte er gesagt: „ A l s vollständig freier Mann bin ich unabhängig nach oben, nach unten, nach rechts, nach links 3 9 ." Als Abgeordneter konnte er i m Landtag nichts verdienen, nichts gewinnen. Er war nicht Beamter und brauchte so keine dienstmäßigen Repressalien zu befürchten. Als Redakteur hatte er weder die Aussicht, ökonomierat noch Kommerzienrat zu werden. Er konnte aber auch i m Landtag nichts verlieren, auch dann nicht, wenn er aus einem sachlichen Grund oder aus politischer Überzeugung einem Minister unangenehm werden müßte. Und gerade dieser U m stand war für ihn wichtig. Er wollte nicht danach streben, sich in der Sonne der Regierungskunst zu sonnen; er wollte sich aber auch nicht ducken, „falls der Sturm von oben gegen uns losbrechen sollte. Gerade und aufrecht werde ich meinen Weg gehen" 40 . Gerade gegen „oben" blieb seine oppositionsgestimmte Haltung intakt. Wie sein 37 38 39 40 7*
RM, RM, RM, RM,
13, 17.1.1907. Extrablatt v o m 1. J u n i 1907. 49, 1. 3. 1907. 49, 1. 3. 1907.
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V. Das bayerische Z e n t r u m
großes parlamentarisches Vorbild Ernst Lieber wollte er ein Volksmann sein, der in der Wahrung und Verteidigung der großen Volksrechte gegenüber der W i l l k ü r der Regierung und den Ansprüchen feudaler Kreise seine Hauptaufgabe als Abgeordneter sah. Die Frage danach, inwieweit er hier Demokrat i m modernen Sinn war und sich als solcher fühlte, läßt sich erst nach Betrachtung einer längeren Periode parlamentarischer Tätigkeit beantworten. Daß er gegen die Regierung, gegen den herrschenden Geist in Bürokratie und Gesellschaft in Opposition stand, ist bisher schon klar geworden: die Regierung stand gegen das Volk, regierte nach liberalen Prinzipien in Schul- und Kulturpolitik, gegen die katholische Mehrheit, war staatskirchlich gesinnt, pflegte und schützte allzuwenig die bayerische Staatlichkeit vor großpreußischen Ansprüchen und Expansionsgelüsten. Als Katholik konnte er sich i n einem Staate m i t einer katholischen Mehrheit, die von einem liberalen Klüngel in ihren staatsbürgerlichen und religiösen Interessen unterdrückt wurde, nicht wohlfühlen. Dazu k a m die konstitutionelle Anomalie, daß eine katholische Mehrheit i m Parlament nicht zum Tragen kam und jeder Einfluß auf den Monarchen an der „chinesischen Mauer" des Zivilkabinetts scheiterte. Für Held ergab sich daraus die Konsequenz: „Es muß anders werden in Bayern 4 1 ." Die ersten Jahre seiner parlamentarischen Tätigkeit standen i n oppositionsgeladener Stimmung. Das führte aber auch zunächst zu Schwierigkeiten m i t seiner eigenen Fraktion, in die er als 39jähriger Abgeordneter eintrat und in der er noch zu den „Jungen" zählte.
3. Die Zentrumsfraktion in der Kammer der Abgeordneten; ihre Entwicklung und Struktur Held hatte es als Neuling i n der Fraktion nicht leicht. Den Konservativen dort war er bereits des öfteren durch seine scharfen Attacken auf die Regierung und auf die allzu rücksichtsvolle, leise Opposition der Fraktion aufgefallen. Er hatte i m Kampf gegen das Ministerium Crailsheim zu den Vertretern einer „schärferen Tonart" innerhalb der Partei gezählt. Die Reserviertheit gegen diesen zornigen jungen Mann i n der Fraktionsspitze war erklärlich. Als Held 1924 Ministerpräsident geworden war, erinnerte ihn Heim an seinen Eintritt i n die Fraktion: „Ich weiß noch, wie Du i n die Politik gekommen bist und wie man Dich a b l e h n t e . . . es ist m i r unvergeßlich, wie Du das erstemal abends ins Hofbräuhaus Fraktionszimmer kamst, und wie Daller, . . . irregeführt durch Lerno, über Dich bei Deinem Eintreten eine abfällige Bemer-
41 RM, 183, 13. 8. 1902.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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kung machte 42 ." Junge Abgeordnete hatten es in dem Honoratiorenclub, der die Fraktion war, natürlich schwer; die alten Routiniers, Geistliche und höhere Beamte, hatten die Fraktion in der Hand. Heim berichtete weiter, wie er „sich einsetzen mußte" 4 3 , daß Held überhaupt ein Referat bekam und in einen Ausschuß delegiert wurde. Dies zeigt sehr deutlich, daß Held ein Mann der Gruppe um Heim war. Von Anlage und politischer Grundauffassung gehörten beide zusammen, vertraten die gleiche Richtung, die sogenannte „demokratische" in der Fraktion. Heim hatte bald die politischen Fähigkeiten Heids entdeckt und ihn auch zu fördern gesucht. Den Kontakt zu Heim fand Held über seinen Schwiegervater Habbel 4 4 . Ab 1901 schrieb Heim auch für das „Regensburger Morgenblatt" Originalberichte über Vorgänge i m Landtag und intimere Sachen aus den Ausschüssen. Zur Einführung Heids in die bayerische Psyche hatte Heim ihm manche Hinweise gegeben und oft auch seine Äußerungen kritisiert, die i n ländlichen Kreisen dem Journalisten Held angekreidet wurden. Als Held sich 1905 in Schwandorf dafür aussprach, es müßten „bessere Arbeitskräfte ins Parlament" 4 5 , wies ihn Heim darauf hin, „daß die Bauern sehr darüber verstimmt seien" 46 . Als Heim 1907 mit seiner landwirtschaftlichen Genossenschaft vollständig nach Regensburg übersiedelte, wurden die Beziehungen zwischen den beiden Männern noch enger, sogar sehr freundschaftlich 47 . Die Popularität Heims bei den Bauern hatte Held schon dazu verholfen, daß er das Burglengenfelder Mandat gegen seinen bäuerlichen Konkurrenten gewinnen konnte; in seinen ländlichen Wahlversammlungen hatte er sich mit dem Hinweis empfohlen, er sei ein „Anhänger der Politik Dr. Heims, die doch gewiß eine Politik für das Volk und 42 H e i m berichtete weiter: „ I c h stand zufällig daneben u n d sagte: „Du, Vater Daller, den Floh hat D i r Lerno ins Ohr gesetzt. Glaub einmal m i r u n d leg dieses V o r u r t e i l ab"; worauf Daller gemütlich bemerkte: „ N u n abwarten und Tee trinken." Brief Heims an Held v o m 27. 6.1924 — A H R . 43 Landsgerichtsdirektor Lerno vertrat den Oberpf älzer Wahlkreis Amberg, kannte also Held von daher; er gehörte zum konservativen Beamtenflügel der Partei u n d hatte bereits i n der Auseinandersetzung u m das Gemeindewahlrecht eine heftige Fehde m i t Held geführt. Außerdem mag w o h l noch der Eindruck der Regensburger Kandidatenwirren — allerdings zu Unrecht — stimmungsmäßig gegen Held sich ausgewirkt haben. 44 H e i m w a r zur Hochzeit Heids m i t einer Tochter Habbels eingeladen worden. I n einem Brief v o m 26. 4.1901 entschuldigte er sich bei Habbel, daß er zur Hochzeit nicht habe kommen können (AHR). 45 Diese Äußerung wurde als K r i t i k an den Bauernabgeordneten ausgelegt. 46 Brief Heims an Held v o m 26. 6.1905 (AHR). 47 i n einem Brief v o m 21.4.1907 bittet H e i m Held: „Sollte m i r einmal etwas zustoßen, dann bitte ich Sie, meinen Nachlaß politischer A r t w o h l i n den Händen meiner Frau zu lassen, aber durchzustudieren, daraus die W a h r heit zu holen, falls die Ehrenrettung f ü r mich über das Grab hinaus notwendig w ü r d e " (AHR).
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V. Das bayerische Zentrum
namentlich auch für die Bauern" sei 48 . M i t seinem eindeutigen Bekenntnis zur Politik Heims geriet Held aber auch in die starken Auseinandersetzungen hinein, die sich gerade i n den Jahren 1906—1908 in der Zentrumsfraktion zwischen dem konservativen, aristokratisch-klerikalen Flügel um den Passauer Domprobst Dr. Pichler und dem mehr bäuerlich-demokratischen Flügel u m Dr. Heim m i t seltener Heftigkeit abspielten. Die Ursachen dieser Auseinandersetzungen reichen weit zurück, können hier aber nur kurz wiedergegeben werden. a) Einwicklung des Bayerischen Zentrums; innerparteiliche Kämpfe Bereits 1876 hatte Edmund Jörg i n den „Historisch-Politischen Blättern" von der „Bayerischen Patriotenpartei" geschrieben, was auch noch i m gewissen Sinn für das Zentrum i m 20. Jahrhundert galt: die Patriotenpartei könne man nicht als Partei i m eigentlichen Sinne darstellen. Sie war nichts anderes als die Koalition derjenigen Elemente i m Staat, welche sich durch die „tyrannische Herrschaft des Liberalismus aufgeschreckt fühlten zum Widerstand und zum Kampf für die von den Gegnern öffentlich feilgebotene Selbständigkeit des Landes" 4 9 . Drei Aufgaben sah diese Gruppe zunächst: Sicherung der konservativen Gesellschaftsgrundlagen Bayerns, Wahrung der bayerischen Eigenstaatlichkeit, Verteidigung und Förderung der Belange der katholischen Kirche. I m Jahre 1869 gewannen die Patrioten die Majorität über die Liberalen. Der Katholizismus trat i n die Epoche seiner politischen Aktivierung. Seine politischen Führer und Repräsentanten hatte er ganz naturgemäß i m Klerus, dem katholischen Akademikert u m und i m Adel gefunden. Die breiten bäuerlichen und mittelständischen Schichten gaben einen starken Rückhalt an Wählern ab. 1887 Schloß sich die Patriotenpartei dem Zentrum auf Reichsebene an. Von diesem Bekenntnis zur Zentrumspartei, deren Reichstagsfraktion die bayerischen Mitglieder ja schon angehört hatten, versprachen sich die Führer der Fraktion „einen festeren Boden und einen klaren Charakter für die bayerische Kammermehrheit" 5 0 . Als 1891 der Freisinger Hochschulprofessor Dr. Daller die Führung der Fraktion in München übernahm, begann ein Prozeß der inneren Konsolidierung der Fraktion. Trotz ihrer Mehrheit i n der Kammer besaß aber das Zentrum nicht den dominierenden politischen Einfluß auf 48 R M , 94, 27. 4.1907. 49 „Historisch-Politische Blätter", Jahrg. 1870, Bd. 2; zitiert nach Schosser, Presse u n d Landtag, S. 84. so Bachem, Bd. 8, S. 22.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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die Regierung; dieser blieb den Liberalen vorbehalten. Die parlamentarische Mehrheit mußte sich mit der Oppositionsrolle abfinden. Dies schuf ein eigenartig gespanntes K l i m a im Land und hatte vor allem auch seine Rückwirkungen auf die Geschlossenheit der Partei. Hinzu kam, daß das einigende Band, das der Kulturkampf der Partei gegeben hatte, sich m i t dem Abbau der Kulturkampfgesetze immer stärker lockerte. Die sozialen Unterschiede zwischen den Adeligen, dem hohen Klerus und dem Beamtentum einerseits und dem Bauerntum, Mittelstand und später den Arbeitervertretern andererseits kamen vor allem in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen zum Ausdruck. Die letztere Gruppe drängte zu stärkerer parlamentarischer Opposition gegen das liberale Regierungssystem und verlangte oft auch die A n wendung der parlamentarischen Obstruktionsmittel, wie Verweigerung der Budgetgenehmigung. Ihren überragenden Führer fand diese Gruppe in Dr. Georg Heim, der 1897 in den bayerischen Landtag gewählt wurde 5 1 . Die ausgleichende Persönlichkeit Dallers konnte oft n u r mühsam die Gegensätze innerhalb der Fraktion überbrücken. 1893 war der neu entstandene radikale „Bayerische Bauernbund" i n die Kammer m i t 7 Abgeordneten eingezogen, ebenso der Sozialdemokrat Grillenberger aus Nürnberg 5 2 . Damit hatte das Zentrum gegen drei Seiten zu kämpfen: gegen den kulturkämpferischen Liberalismus, den agrarischen Radikalismus des Bauernbundes und die sozial-revolutionären Tendenzen der Sozialdemokratie. Durch die Existenz des Bauernbundes und seinen agrarischen Radikalismus kam nun auch i n das bayerische Zentrum ein etwas radikalerer Ton, der aus der Agitation gegen den Bauernbund erwuchs und der auf die spezifische Entwicklung des bayerischen Zentrums einen starken Einfluß ausübte. Diesen Kampf gegen den Bauernbund führten vor allem die „Bayerischen christlichen Bauernvereine", die zunächst nur regional organisiert waren 5 3 . Heim hatte sich Anfang der 90er Jahre ihnen angeschlossen. Erst 1898 wurde in Regensburg eine Gesamtvorstandschaft gewählt. Kristallisationskern der christlichen Bauernbewegung wurde bald die von Heim si Renner, Georg Heim, S. 75. 52 Bei Abschluß der Handelsverträge m i t Österreich, Italien u n d Belgien i m Dezember 1891 stimmte das Zentrum einer Herabsetzung der Getreidezölle zu, daraufhin setzte i n Bayern eine scharfe Hetze gegen das Zentrum ein. Der bäuerliche Mittelstand sah sich bedroht. Der radikal bäuerliche T e i l des Zentrums spaltete sich ab. Die Erbitterung über die gefallenen Getreidepreise führte zur Gründung des „Bayerischen Bauernbundes". Führer des Bundes waren zunächst Dr. Ratzinger, ein freiresignierter Pfarrer und der Redakteur des „Bayerischen Vaterlands": Dr. Sigi. 53 „Die Führer der politisch-religiösen Bauernbewegung . . . konzentrierten zunächst ihre Bestrebungen auf Einflußnahme i n die Politik, ihre H a u p t forderung w a r : Änderung der Zollpolitik des Reiches zugunsten der L a n d wirtschaft." — So Hermann Renner: Georg Heim, phil. Diss., S. 81.
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V. Das bayerische Zentrum
gegründete Zentralgenossenschaft, die neben landwirtschaftlicher Warenvermittlung und Geldverkehr vor allem ein Zentrum wirtschaftspolitischer A r t sein sollte. Seit dem 1. Januar 1910 war Georg Heim erster Präsident des „Bayerisch-christlichen Bauernvereins". A u f dem Hintergrund der Bauernvereine besaß Heim einen starken Einfluß i m Zentrum, und der bäuerliche Teil der Fraktion, den er immer fest i n der Hand hielt, war auch immer wieder der Boden für Ausbruchsversuche Heims aus der offiziellen Linie der von Adeligen und Geistlichen geführten Zentrumsfraktion. Der Bauernbund war ja entstanden aus der i n bäuerlichen Kreisen geschürten Propaganda, daß das Zentrum die wirtschaftlichen Interessen der Bauern zu wenig berücksichtige. Hinzu kam die auch i n bäuerlichen Zentrumskreisen als feudaler Rest empfundene Tatsache, daß die Bodenzinsen i n Bayern immer noch nicht abgelöst waren. Das schuf auch i m allgemeinen Bauernstand eine demokratische Grundstimmung gegen den Adel. Bei den Wahlen 1893 für den Reichstag und den Landtag wurde auch in Zentrumskreisen die vom Bauernbund ausgegebene Parole befolgt: „Keine Adeligen, keine Geistlichen, keine Beamten 5 4 ." Der Adel brachte keinen Kandidaten mehr durch. Der Präsident der Kammer der Abgeordneten, Freiherr von Owe, verlor seinen Parlamentssitz. Das gab dem bäuerlichdemokratischen Flügel in der Fraktion wieder starken Auftrieb. Die Agitation des Bauernbundes gegen das Zentrum, gepaart mit partikularistischen Tendenzen, führte auch hier öfters zu den Überlegungen, eine eigene bayerische Fraktion i m Reichstag als eine „Katholische Partei Bayerns" zu gründen 5 5 . Ein ernsthafter Versuch i n dieser Richtung wurde von Heim i m Jahre 1899 gemacht. Obwohl die bayerischen Zentrumsabgeordneten i m Reichstag m i t Ausnahme Hertlings gegen das Flottengesetz gestimmt hatten, begann der Bauernbund wieder mit der Hetze gegen das Zentrum. Daraufhin verlangte Heim offen den Austritt der bayerischen Abgeordneten aus dem deutschen Zentrum und die Bildung einer eigenen Fraktion. So schrieb das „Regensburger Morgenblatt": „Für uns Bayern ist eine katholische Volkspartei mit Söldner und Heim als Kristallisationskern notwendig; anders kann die ganze Bauernbundsbewegung nicht paralysiert werden 5 6 ." Vor allem die Gruppe um Heim verlangte scharf und entschieden die Trennung. Heim prägte bereits damals den Namen für die Partei, die er 19 Jahre später dann auch gründete: „ W i r müssen uns trennen und uns als Bayerische Volkspartei auf tun 5 7 ." Vor allem den Beamten und Geist54 Bachem, Bd. 8, S. 36. 55 Ebd., S. 34. 56 Zitiert bei Bachem, Bd. 5, S. 480. 57 Zitiert i n „Fraktionstagebuch der Zentrumsfraktion i n der bayer. K a m m e r der Abgeordneten", verfaßt v o n Th. Fuchs, Protokoll v o m 30. 3.1899.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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liehen i n der Fraktion, Daller, Schädler, Orterer, Pichler gelang es damals noch, eine Trennung zu verhindern. Mittelbar beeinflußte die Bauernbundbewegung das Zentrum auch dahin, daß es seinen partikularistisch-bayerischen Standpunkt noch verschärfte. Die Stimmung gegen den Adel, die auch i m Zentrum gewirkt hatte und die Heim nicht wenig zugute kam, war zur Wahl 1899 schon wieder abgeklungen, aber erst 1905 gelang es vier Mitgliedern des bayerischen Adels wieder i n die Kammer zu kommen: den Freiherrn von Malsen, von Riederer, von Franckenstein und von Freyberg. Damit war auch die starke Stellung Heims wieder erschüttert, die er bis 1905 innegehabt hatte. Die Politik, die Heim und sein Anhang trieben, bezeichnete er selbst als „demokratisch" 5 8 , in diesem Sinn hatte er auch die Wege geebnet für die Wahlbündnisse des Zentrums mit den Sozialdemokraten i n den Jahren 1899, 1905 und 1907. Auch beim Aufbau der katholischen A r beiterbewegung arbeitete er schon vor der Jahrhundertwende mit dem Arbeitervertreter Carl Schirmer 59 eng zusammen und stand i n dem Ruf, auch den in der Zentrumspartei vertretenen „fanatischen Gegnern der Arbeiterbewegung wirkungsvolle Abfuhren zu erteilen" 6 0 . I n der sozialen Besserstellung der unteren sozialen Volksschichten i n Bauernund Arbeitertum, sah Heim das Ziel seiner demokratischen Politik. Heim kämpfte vor allem gegen die konservativ-feudalen Kreise i n der Reichsratskammer und artikulierte so die sozialen und politisch-oppositionellen Strömungen der mittel- und kleinbäuerlichen Schichten, aber auch des Mittelstandes und der Arbeiterschaft gegen die eng umgrenzte klerikal-feudale und liberale staatstragende Schicht, die den Prinzregenten umgab und i n Regierung und Reichsratskammer die bayerische Politik bestimmte. Daß Heim dabei i m Umgang m i t M i n i stern der kgl. Regierung sehr scharfe Töne anschlug, ließ ihn in konservativen Kreisen als radikalen Demokraten erscheinen. „Meistenteils war Heims parlamentarische Tätigkeit den offiziellen Stellen . . . recht unangenehm 61 ." So griff er z.B. heftig die Jagdleidenschaften adeliger Herrn an: dort, „wo sich die Plutokratie durch Bauernlegen angesiedelt und sich große Jagdgebiete gesichert h a t " 6 2 , werde der Bauer zum Dienstboten. Solche Worte erregten in Kreisen des Adels und der Regierung Empörung. „Heims rücksichtsloses Auftreten i m 58 Renner, a.a.O., S. 76. 59 Carl Schirmer w a r 1899 als erster Arbeitervertreter i n die Zentrumsfraktion eingezogen. Schirmer stand i n dem Geruch, „ein Roter" zu sein, er gründete 1897 den bayerischen Textilarbeiterverband, 1900 den bayerischen Postverband. W. Spael, a.a.O., S. 40. 60 C. Schirmer, Msgr. Lorenz Huber u n d seine Zeit, 1931, S. 167. ei Renner, a.a.O., S. 78. 62 Renner, a.a.O., S. 79.
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V. Das bayerische Zentrum
Landtag, seine respektlosen Angriffe" 6 3 gegen Adel und hohes Militär stießen auch beim konservativen Flügel des Zentrums auf Ablehnung. Seinen konservativen Gegnern i n der eigenen Fraktion warf er „ B y zantinismus" vor 6 4 . Heim fühlte sich aber als „Volksvertreter" i m wahren Sinne des Wortes, der die berechtigten Nöte und Sorgen des Volkes i m Parlament zur Sprache brachte, ohne Rücksicht auf Minister und Kreise des Hofes. I n einer Duellaffäre trieb er es zum direkten Konflikt m i t dem Kriegsminister Freiherr von Asch, der daraufhin auch zurücktreten mußte 6 5 . Der Angriff auf Heim und seine Politik kam weniger von der Regierung als von seiner eigenen Fraktion; vom rechten Flügel des Zentrums setzte auch die Gegenbewegung gegen Heim ein. Vor allem die Adeligen und hohen Geistlichen wollten jede Spannung der Fraktion mit der Regierung vermeiden und das Zentrum endlich hof- und regierungsfähig machen; so dämmte der vor allem seit der Wahl von 1905 wieder erstarkte konservative Flügel der Partei um Dompropst Pichler und den Adeligen Franckenstein, Malsen, Hertling und Preysing den Einfluß Heims und seiner Anhänger zurück; sie betrieben eine mehr regierungsfreundliche Politik. „Sie wirkten i n der Fraktion auf die wohltätigste Weise ein zur Fernhaltung einer unbesonnenen extremen Politik, welche von anderen Mitgliedern nicht selten empfohlen w u r d e . . . Daß Geistliche und Beamte die ihnen zukommende Stellung i n der Partei bald wiedergewonnen, war selbstverständlich." M i t diesen Worten umschrieb Pichler selbst die Gegenbewegungen gegen den demokratischen Flügel der Partei um Heim 6 6 . Der heftigste und taktisch wohl auch klügste Gegenspieler Heims war bald Pichler geworden 67 . Als Held 1907 i n die Kammer der A b geordneten eintrat, brach die Fehde zwischen Heim und dem konservativen Flügel für die Öffentlichkeit sichtbar aus. Wie sehr die Meinungen zwischen beiden Flügeln über das Wesen des Zentrums und 63 Renner, a.a.O., S. 80. 64 Renner, a.a.O., S. 93 H e i m : „ I c h finde Loyalität nicht darin, daß man einem hohen H e r r n unbedingt immer Recht gibt, alle seine Pläne rundweg akzeptiert, sondern ich finde es viel loyaler, da w o er sich i m I r r t u m befindet, i h m einfach zu widersprechen, u n d Byzantinismus w a r von jeher die gefährlichste Stütze der Throne gewesen." 65 Renner, a.a.O., S. 89 f. 66 Bachem, Bd. 8, S. 37. Das K a p i t a l „Das Zentrum i n Bayern 1887—1914" w a r von Pichler geschrieben wonien. Daß dabei die angeführten Animositäten gegen H e i m nur allzu deutlich zum Ausdruck kamen, ist eine natürliche Schwäche dieses Kapitels über die Entwicklung des bayerischen Zentrums. 67 Dr. j u r . can Franz Seraph von Pichler, 1852—1927, w a r von 1893—1911 Mitglied des Reichtags u n d v o n 1893—1918 M i t g l i e d der bayerischen K a m m e r der Abgeordneten.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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dessen Politik auseinandergingen, hatte sich schon an einem Vorfall i m Jahre 1905 gezeigt. Freiherr von Hertling veröffentlichte am 1. A p r i l 1905 i m „Hochland" einen A r t i k e l : „Politische Parteibildung und soziale Schichtung" 68 , i n dem er i n allzu deutlicher Form vom bayerischen Zentrum als einer „Partei der Bauern und Handwerker und der kleinen Leute" 6 9 , sprach. Solche Leute gehörten wohl auch zu der Partei, sie könnten aber nicht den geistigen Kern der Partei bilden, vielmehr müsse man sie auf ein „höheres Niveau" bringen. I n der jetzigen Zusammensetzung und ihrer Politik vertrete die Partei zu sehr die Interessen der kleinen Leute zuungunsten der höheren Gesellschaftsschichten. Klagen der untergeordneten Beamten würden bei i h r stets ein williges Ohr finden, Gehaltsaufbesserungen für höhere dagegen als unerhörte Zumutung zurückgewiesen. Uber Wiesenmelioration und Waldnutzung könne die Prtei wochenlang diskutieren, während sie für Industrie und Handel dagegen wenig Verständnis zeige und größere Aufwendungen für Kunst und Wissenschaft als überflüssigen Luxus abweise. Hertling erkannte zwar die soziale Schichtung als natürlichen und ursprünglichen Faktor politischer Parteienbildung an, diese Schichtung müsse aber um der höheren religiösen Ziele willen überwunden werden und die Einseitigkeit einer Einzelschicht ferngehalten werden. Er verglich die Partei mit einem großen Hauswesen, das auch die verschiedensten Bestandteile und Funktionen umfasse; wenn es an seinem richtigen Platz stehe und sich dem Ganzen einfüge, sei das Einzelne durchaus gut: „Eine große Wirtschaft braucht auch einen Hausknecht; schlimm ist es nur, wenn der Hausknecht den Herrn spielt oder den Ton angibt 7 0 ." Damit war eindeutig Heim gemeint, i n dessen Händen sich die agitatorische Führung der Partei damals befand, und der die demokratische Richtung i m bayerischen Zentrum anführte; damit hatte Hertling aber auch die gesamte bayerische Zentrumsfraktion angegriffen 71 . Schon deshalb, w e i l das bayerische Zentrum vor einem Wahlkampf stand, war der A r t i k e l Hertlings eine parteischädigende Disziplinlosigkeit. Die zentrumsfeindliche Presse nützte den A r t i k e l auch entsprechend aus. Nicht nur Heim fühlte sich gekränkt, sondern auch Daller und Orterer stellten sich auf die Seite Heims 72 . Der angesehene pfälzische Zentrumsabgeordnete Dr. Eugen Jäger wies die A n es „Hochland", Jahrgang 1905, Heft 7, 1. 4.1905, S. 47—57. 69 a.a.O., S. 55. 70 a.a.O., S. 57. 71 I n der „Kölnischen Volkszeitung", 307, 14. 4.1905 gab H e r t l i n g indirekt zu, daß die erwähnten Bemerkungen gegen das bayerische Zentrum gerichtet waren. 72 Renner, a.a.O., S. 94.
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V. Das bayerische Zentrum
griffe Hertlings i n der „Allgemeinen Rundschau" 73 zurück, erhob „Einspruch" gegen die Darstellung Hertlings und verteidigte das bayerische Zentrum: „Das Bild, das i m ,Hochland' von der bayerischen Zentrumspartei entworfen wird, ist falsch" 7 4 : Der A r t i k e l Hertlings war aber vielmehr ein Zeichen dafür, daß der Gegenstoß gegen Heims Politik vom rechten konservativen Flügel der Partei nun verschärft einsetzte und der Machtkampf innerhalb der Fraktion begann. Pichler wurde nun als Vertreter des konservativklerikalen Flügels der schärfste Oppositionsführer gegen den demokratischen Zentrumsflügel um Heim. I n Heims Bündnissen mit der Sozialdemokratie, seinen Angriffen auf den Adel und die Regierung sah der konservative Teil der Fraktion ein Hindernis daran, die Partei „hoffähig" zu machen. Heim wollte dagegen eine demokratische Volkspolitik treiben. Der Kampf zwischen den beiden Flügeln i n der Partei hatte sich in den Jahren 1906/07 scharf zugespitzt. 1906 hatte Held i m Eindruck der „Gefahr, welche die Einigkeit unserer Zentrumsfraktion i m Landtag bedrohe" 7 5 einen A r t i k e l m i t dem Appell zur Einigkeit geschrieben. Schon der Gedanke an die bloße Möglichkeit einer Wiederkehr jenes jämmerlichen Schauspiels, das vor Jahrzehnten die Katholiken i n ihrem unseligen inneren Streit zwischen „Gemäßigten" und „Extremen" durch gegenseitige Befehdung i m eigenen Lager der Welt gaben, „regt uns auf und erfüllt uns mit banger Sorge" 76 . Die Zerstörung der Einigkeit i m eigenen katholischen Lager war für Held i n der Stunde der Gefahr, des Bedrängnisses, des Ansturms der vereinigten Gegner von allen Seiten nicht nur ein Fehler, eine Torheit, das konnte für ihn zum „Verbrechen werden wie ein Verrat, eine culpa inexpiabilis, eine unsühnbare Schuld" 7 7 . Kein Talent, kein Verdienst konnte eine solche Tat rechtfertigen. Was das Zentrum bei allem sonstigen Widerstreit der Meinungen und verschiedenartigen materiellen Interessen zusammenhalten sollte, das waren „die hohen Ideen, die erhabenen Ideale, die alle materiellen Interessen hoch überragenden Güter, die christliche Weltanschauung" 78 . Nach den Neuwahlen i m Jahre 1907 war Heim nicht mehr i n den Finanzausschuß gewählt worden. Die Mitgliedschaft in diesem wichtigsten Ausschuß der Kammer war ein Gradmesser für das Gewicht und die Bedeutung der einzelnen Abgeordneten in der Fraktion. Damit war dem konservativen und aristokratischen Flügel unter Pichlers 73 74 75 76 77 78
„Allgemeine Rundschau", Jahrgang 1905, Heft 18, 30. 4.1905, S. 208. Ebd. RM, 32, 10. 2. 1906. Ebd. Ebd. Ebd.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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Führung die Verdrängung Heims gelungen. Heim erklärte daraufhin auch seinen Austritt aus dem Vorstand der Zentrumsfraktion 7 9 . Die Auseinandersetzung verlagerte sich n u n i n die Öffentlichkeit. Als es i n der Budgetdebatte 1907 in der Kammer zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb des Zentrums gekommen war, konnte das ganze Land diesen „Bruderzwist i m Haus Zentrum" 8 0 beobachten, und die Liberalen schauten dem „Schau- und Lustspiele, das auf seiner Liebhaberbühne gegeben w i r d . . . , mit jenem Behagen zu, das so gute Akteure verdienen" 8 1 . Die Rivalität zwischen Heim und Pichler hatte auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. M i t der Übersiedlung von Ansbach nach Regensburg war die Heimsche „Zentralgenossenschaft" zu nahe i n das Terrain der von Pichler beherrschten „Niederbayerischen Ein- und Verkaufsgenossenschaft" gekommen; und Pichler war eifersüchtig darauf bedacht, daß Heim mit seiner Agitation nicht allzusehr ins niederbayerische Gebiet einbrach und dort seine Bauern rebellisch machte. Auf einer Vertrauensmännerversammlung des niederbayerischen Zentrums hatte Pichler i m Herbst 1906 mit der Drohung seines Rücktritts einen Antrag durchgesetzt, daß Heim i m Wahlkampf zu keiner Versammlung i n Niederbayern zugelassen werde 8 2 . I m niederbayerischen Ort Siegenburg rechnete Heim m i t seinen innerparteilichen Gegnern ab und zog die Grenzlinien zu ihrer Politik: „Was hat man alles schon probiert, um mich tot zu machen." Dabei hätten „selbstverständlich wieder Adelige ihre Hand d r i n " 8 3 . Er werde sich zu wehren wissen „gegen Pharisäer und Schriftgelehrte". Gemeint waren damit die politisierenden Prälaten. Er werde auch keine „Politik der Ministerfürchtigkeit mitmachen. W i r haben keinen Verlaß, als den Verlaß aufs Volk und w i r werden entweder eine Volkspartei sein oder unsere Partei w i r d den Weg gehen, den eine andere Partei vor uns gegangen ist" 8 4 . M i t dem Vorwurf der „Ministerfürchtigkeit" an die Adresse des konservativen Flügels, bezeichnete Heim selbst seine Position der immerwährenden Opposition gegen die liberale Herrschaft i n Regierung und Bürokratie. Er war nicht bereit, sich den politischen Frieden in der Kammer durch kleine Konzessionen von Seiten der Regierung abkaufen zu lassen. „Volkspartei" hieß für Heim Oppositions79 M N N , 469, 7.10.1907. so M N N , 495, 22. 10. 1907. 81 M N N , 495, 22. 10.1907. 82 Renner, a.a.O., S. 98. 83 M N N , 4, 3.1.1908. 84 M N N , 4, 3.1.1908. Die Nachrichten über die innerparteilichen Auseinandersetzungen i m Z e n t r u m stammen vornehmlich aus liberalen Zeitungen. Die Zentrumspresse verschwieg diese Vorgänge zumeist oder berichtete n u r sehr gemildert u n d zum T e i l parteiisch je nach der Richtung, der die einzelnen Blätter der Partei selbst angehörten.
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V. Das bayerische Zentrum
partei gegen eine Regierung, die die wirklichen wirtschaftlichen und materiellen Interessen des Volkes nicht berücksichtigte. Für L u d w i g Thoma war Heim „der altbayerische Volksmann" 8 5 , der Typ jenes demokratischen Volksvertreters, der es der Regierung „sagen und hinreiben" 8 6 , wollte, getragen von einem echten demokratischen Freiheitsdrang. Als Held i n den Landtag eintrat, zählte er zur Gruppe Heim. Er kam deshalb auch bald i n den Strudel der Auseinandersetzungen der Fraktion hinein. Das Zentrum durfte für ihn „keine Regierungspartei" werden, d.h. sich m i t den politischen Wirklichkeiten des Landes abfinden und die Politik des Ministeriums unterstützen, das Zentrum mußte vielmehr „eine christliche Volkspartei bleiben" 8 7 , wenn es die Wurzeln seiner Kraft i m Volke weiter haben und weitere Erfolge erzielen wollte. Als Volkspartei war das Zentrum i m Kampf gegen die liberalen Ministerien groß geworden, und nur so konnte es seine Mehrheit behaupten. So fühlte er sich als Abgeordneter nicht berufen, Diener der Minister zu sein, sondern als Volksvertreter suchte er seinen „ A n t e i l an der Regierung des Landes geltend zu machen" 88 . Ein freiwilliger Regierungskommissar wollte er nicht sein 89 . I n diesem Sinn hatte man bezüglich Held bei seinem Eintritt i n den Landtag von konservativer Seite allerhand Befürchtungen gehabt, „daß er sich schlimmer auswachse wie Dr. Heim" 9 0 . I n welch heftigen Formen sich die Gruppenkämpfe innerhalb der Fraktion abspielten, zeigt ζ. B. folgende Episode zur Wahl der Ersatzmänner zum Steuerausschuß, wie sie i m sogenannten Fraktionstagebuch geschildert wird: „Die Heimianer haben furchtbar gewühlt, damit ihr Anhänger gewählt wird, insbesondere war es Oberregierungsrat Frank-Weiden und Held und andere begeisterte A n hänger Heims, welche sich nicht genug tun konnten, ihre Wahlzettel, die sie mit der Schreibmaschine geschrieben schon mitgebracht haben, zu verteilen 9 1 ."
ss 86 87 88
Zitiert bei Renner, a.a.O., S. 108. Ebd. RM, 218, 26. 9.1907. Ebd.
89 Daß Held dabei den Wünschen u n d Empfindungen seiner Wähler entsprach, zeigt ein Bericht über eine Versammlung: „ H e r r Held ist eben ein M a n n des Volkes v o m Schlage eines Dr. Heims, der uns auch die Gewähr bietet, daß unser Zentrum eine wahre Volkspartei bleibt." — R M , 7, 10.1. 1907. so H e i m i n einer Rede i n Regenisburg — RA, 540, 27.10.1908. 91 Die Sitzungsberichte der Zentrumsfraktion, aufgezeichnet von dem A b geordneten Theobald Ritter von Fuchs sind die wichtigste Quelle f ü r die innere Geschichte der bayerischen Zentrumsfraktion. Sie schließen leider m i t dem Jahre 1911. F ü r den Zeitraum von 1907 bis 1911 konnte ich das
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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Bis in die Jahre 1911/12 ist Held unbedingter Gefolgsmann Heims, d. h. der Politik Dr. Heims, wenn man darunter eine starke Oppositionsbereitschaft gegen die Regierungsbürokratie und die Machtansprüche feudaler Kreise in der Reichsratskammer versteht, ohne daß er allerdings die wilden Streitereien i n der Fraktion mitgemacht hätte; dazu war Held taktisch zu klug. Er hatte wohl auch bald gemerkt, daß Heim sich mit seinen eruptiven Temperamentsausbrüchen, seinen oft persönlichen Angriffen auf seine Gegner und seinem starren politischen Sinn isolierte. Allzuoft hatte sich Heim m i t der konservativen Führung seiner Fraktion i n politischen Fragen überworfen und eine innerparteiliche Opposition betrieben, so daß der Vorsitzende Daller nur mit Mühe die Gegensätze ausgleichen konnte. Als Heim sich für die Wahlen i m Frühjahr 1912 nicht mehr aufstellen ließ, hatte der konservativ-reaktionäre Flügel der Partei gesiegt, der auf die Konsolidierung der herrschenden politischen und gesellschaftlichen Strukturen hinarbeitete. Heim war m i t seiner Oppositionspolitik unterlegen, die die Mehrheit des Zentrums nicht gewillt war mitzumachen 92 . Heim zog sich verärgert auf seine Genossenschaftsarbeit und die Sammlung einer starken politischen Hausmacht i n den christlichen Bauernvereinen zurück. Von hier aus griff er noch des öfteren mit Attacken gegen die Minister i n die bayerische Politik ein, besonders während des Krieges. Die sofortige Gründung der „Bayerischen Volkspartei" nach der Revolution i m November 1918 war eine späte Rache an den alten konservativen Gegnern seiner eigenen Partei. Vieles an der politischen Erfolglosigkeit erklärt sich auch aus der Natur Heims: seine Sprunghaftigkeit, sein schwer zu kontrollierendes Temperament, seine Unberechenbarkeit, die vor allem Held oft zu spüren bekam, ließen ihm keinen dauernden politischen und parlamentarischen Erfolg beschieden sein. Es fehlten ihm die Standhaftigkeit, die Fähigkeit zu ausdauernder politischer Kleinarbeit, die auch die politische Intrige i m rechten Augenblick nicht scheute. Darin hatte sich ihm sein politischer Gegenspieler Pichler überlegen gezeigt.
Material durch das freundliche Entgegenkommen von Dr. Lenk einsehen. Das Ergebnis der W a h l waren vier „Heimerianer", vier „Konservative" wie sich das Fraktionstagebuch selbst ausdrückt. — Protokoll v o m 10.8.1906, S. 681. 92 Held versuchte H e i m 1912 zu einer erneuten Kandidatur zu bewegen: „Ich halte Deine Wiederwahl zum Reichstag f ü r eine absolute Notwendigkeit. Die Bauern werden es D i r nie verzeihen, w e n n D u sie angesichts der Z o l l frage aus persönlicher Verärgerung i m Stich läßt, u n d die Gegner würden sich ins Fäustchen lachen, w e n n D u so töricht wärst, davonzulaufen." Zitiert bei Renner, a.a.O., S. 106.
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V. Das bayerische Z e n t r u m
b) Die soziologische Struktur der Partei Schwierigkeiten des Interessenausgleichs Das bayerische Zentrum war, wie es sich i n der Kammer der Abgeordneten repräsentierte, ein compositum mixtum, aus allen möglichen Kreisen zusammengesetzt, seine Kräfte und politischen Vorstellungen bewegten sich oft i n die verschiedensten Richtungen. Vom Hochadel bis zum Arbeiter war alles in ihm vertreten. Der moderne Begriff einer Volkspartei paßte durchaus auf ihre berufsmäßige Gliederung. Als Held 1907 i n die Fraktion eintrat, waren so ziemlich alle Berufsgruppen unter den 98 Abgeordneten vertreten. Eine berufsmäßige Aufgliederung der Fraktion durch den „Regensburger Anzeiger" 9 3 ergab: Adel 4, Klerus 9, Lehrfach 8, Justiz-Verwaltung 13, Zolldienst 3, Medizin 1, Baufach 2, Vermessungstechnik 1, Verkehrswesen 5, Landwirtschaft 22, Handel, Industrie, Gewerbe 24, Arbeiterschaft 3, Presse 3 Abgeordnete. Die Landwirtschaft war wohl als einzelne Berufsgruppe am stärksten i m Zentrum vertreten, der größte Teil der Zentrumsstimmen kam ja aus dem Bauerntum. Gegenüber ihrer Zahl war die politische Bedeutung dieser Gruppe gering, unter der Führung von Heim w a r aber ihr Einfluß in demokratischer und partikularistischer Richtung gewachsen. Als weitere Gruppe erscheinen besonders die Adeligen interessant. I n der wilden Bauerbundsagitation war ihre Bedeutung an Zahl und Einfluß auch i m Zentrum stark zurückgegangen. Ab 1907 nahmen sie wieder eine beherrschende Stellung i m bayerischen Zent r u m ein. Von 1907 bis 1918 gehörten 4 Adelige der Fraktion an: Franckenstein, Malsen, Freyberg, Pestalozzi. Freiherr von Malsen war w o h l der fähigste politische Kopf der Fraktion, er starb 1913. Der Adel wirkte oft den partikularistischen Tendenzen i n der Partei entgegen, sie waren „begeistert für Kaiser und Reich, . . . die . . . bei sich bietenden Gelegenheiten mit ihren patriotischen Anschauungen offen heraustreten" 94 . Denn wie sehr der deutsche Reichsgedanke i n den Reihen des Zentrums immer noch ein gewisses Unbehagen auslöste, konnte man beobachten, als i m Herbst 1909 von den Kaisermanövern i m Landtag die Rede w a r 9 5 . Die Beamten waren die zweitstärkste Gruppe in der Fraktion, mit den Geistlichen bildeten sie die geistige Führungsschicht i m Zentrum, wobei die Geistlichen oft eine Vermittlerrolle zwischen den auseinanderstrebenden Kräften der Fraktion spielten. Dalier, Schädler und Pichler
93 RA, 127, 8. 6.1907. 94 M N N , v o m 3.11.1909. 95 Ebd.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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waren die führendsten Vertreter 9 6 . Gerade über die Geistlichen in der Fraktion suchte der Episkopat des öfteren Einfluß auf die Politik der Partei zu gewinnen. Vor allem das Wahlbündnis m i t der Sozialdemokratie zu den Wahlen 1907 stieß i m hohen Klerus auf heftigen Widerstand. Gegen den Einspruch der Münchner und Bamberger Erzbischöfe hielt das Zentrum an seinem Bündnis fest. Für die Zentrumsführung waren bei einer Wahl zwischen Sozialdemokraten und Liberalen die ersteren i m Jahre 1907 noch „das kleinere Übel" 9 7 , wie es Prälat Dalier formulierte. Der Fraktionsvorsitzende Daller gab auch zu verstehen, daß die Erklärungen der beiden Erzbischöfe i m Zentrum „Verwirrung angerichtet" 98 hätten, er war aber der Meinung, „daß w i r auf politischem Gebiete frei sind und dieses Recht der politischen Freiheit uns von den Päpsten — Pius IX., Leo X I I I , Pius X — zugesprochen worden ist" 9 9 . Auf dem Parteitag des bayerischen Zentrums am 4. März 1907 wurde dann auch einstimmig i n einer Resolution die Auffassung ausgesprochen, „daß die Zentrumspartei als eine politische nicht konfessionelle Partei i n rein politischen Angelegenheiten unabhängig ist von der Beurteilung der kirchlichen Oberen" 1 0 0 . Das Zentrum stellte i n derselben Resolution fest, daß die Liberalen „als der zur Zeit gefährlichere Gegner zu erachten ist" 1 0 1 . Damit war der Kulturkampfgeist der Liberalen klar als das für das Zentrum entscheidendere Moment angesprochen. I n der Gruppe von Handel, Industrie und Gewerbe waren so ziemlich alle Sparten vertreten. Ihre politisch bedeutenderen Köpfe waren der Wachszieher Ruedorffer, der Malermeister I r l und der Bäckermeister Schefbeck. Prominenteste Arbeitervertreter waren der Münchner Carl Schirmer und später der Franke Heinrich Oswald. I m Verhältnis zur Zahl und Bedeutung der Arbeiter und Angestellten innerhalb der Zentrumspartei war diese Gruppe unterrepräsentiert. Sie hatten keinen Einfluß und nur wenige Mandate. Unter dem Schlagwort „Heimatkandidatur" wurden Arbeiterkandidaturen oft verhindert. Es fehlte i n der Partei das notwendige Verständnis. Dabei war es eminent wichtig für die Zukunft der Partei, wie sie auch i n ihrer politischen Tätigkeit und Repräsentation der gesellschaftlichen Veränderung Rechnung trug.
96 Die Zahl der Geistlichen i n der F r a k t i o n n a h m von 1905 an ständig ab. 1905 waren es noch 17, 1907 noch 14, 1912 n u r mehr 9. Siehe dazu die offiziellen Handbücher des Landtags f ü r die Wahlperioden 1905/07; 1907/1912; 1912/1919. 97 Fraktionstagebuch, 98 a.a.O., S. 582. 99 Ebd. 100 RA, 53, 6. 3.1907. ιοί Ebd. 8 Keßler
15.2.1907, S. 581.
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V. Das bayerische Zentrum
So kam es oft zu sogenannten Arbeiterkandidaturen gegen offizielle Zentrumskandidaten, wie z.B. i n Amberg i m Frühjahr 1914, wo der Eisenbahnsekretär Dauer gegen den offiziellen Kandidaten der Partei, den Fabrikanten Winkler, stand. Das bayerische Zentrum war demnach eine Volkspartei i n der ganzen Breite seiner Vertreter und Wähler. Das einigende Moment war das katholisch-konfessionelle Element; die gemeinsame Weltanschauung, die Erinnerung an den Kulturkampf und die Wahrung der Interessen der Kirche waren das Fundament und zugleich die Klammer, m i t der die oft einander widerstreitenden sozialen und wirtschaftlichen Interessen und Kräfte innerhalb der Fraktion zusammengehalten werden konnten. Der Zentrumsgedanke, wie er i n der Partei als spezifisches Moment gesehen wurde und der dem Zentrum als Volkspartei den Vorsprung vor Klassenparteien gab, war: die Vereinigung aller Stände zu einer großen politischen Partei auf dem Boden der christlichen Weltanschauung, auf dem dann die Verständigung i n wirtschaftlichen Fragen auf der mittleren Linie gesucht werden mußte. Fraktionsvorsitzender Daller hatte nie Schwierigkeiten, die Fraktion in rein politisch-prinzipiellen religiösen Fragen zu einigen. I n anderen Fragen war die Politik des Mittelweges unter dem Grundsatz „leben und leben lassen" die Leitlinie. Folge dieser integrierenden Wirkung war es ζ. B. auch, daß die Bauernbewegung außer i n ihrem radikalen Teil i n das Zentrum eingeschmolzen werden konnte. Einen Fraktionszwang gab es nicht, „keinen Zwang der Person, aber einen Zwang der Gründe" 1 0 2 . Held beklagte 1907, daß „ i n neuerer Zeit mehr und mehr das Bestreben der einzelnen Berufsstände auch innerhalb der Zentrumspartei hervortritt, ausschließlich auf die Vertretung der Berufsinteressen Gewicht zu legen" 1 0 3 . So war es der Fraktionsführung oft nicht möglich, die Fraktion in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen zu einen. „Ungeheure Schwierigkeiten . . . sind dabei zu überwinden 1 0 4 ." Z u manchen Gesetzesvorlagen war die Fraktions hoffnungslos zerstritten; so vor allem i n den Fragen der Gehaltsregulation, wo Beamte gegen Nichtbeamte, vor allem gegen die Bauern standen. Der Abgeordnete von Malsen sprach von „babylonischer Verw i r r u n g " 1 0 5 . Die Zentrumsabgeordneten bekämpften sich i n den Ausschüssen oft gegenseitig, wie es „leider schon öfters vorgekommen i s t " 1 0 6 . I m Ausschuß für Gehaltsordnung zeigte die Fraktionsführung,
102 103 104 los 106
Fraktionstagebuch v o m 9. 2.1904. RM, 3, 5.1.1907. Dr. Eugen Jäger i n „Allgemeine Rundschau", Nr. 18, 30. 4.1905, S. 208. Fraktionstagebuch, Sitzung 2. 7.1908, S. 670. Daller i n Fraktionstagebuch, Sitzung v o m 2. 7. 1908, S. 680.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
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wie es dann aber oft doch zu einer „einigenden" Haltung kam. I m genannten Ausschuß saßen 18 Zentrumsabgeordnete, davon beteiligten sich hauptsächlich der Referent Held und der Vorsitzende an den Debatten; sie hatten die Hauptlast der Arbeit zu tragen. Die anderen Zentrumsabgeordneten, meist bäuerlicher Herkunft, beherrschten die komplizierte Materie kaum und hüllten sich i n Schweigen. „Die Sachkunde zahlreicher Zentrumsvertreter i m Ausschusse hatte zur Folge, daß ,alles klappte' 1 0 7 ." Held sah bald ein, daß die Fraktionsarbeit gestrafft werden müßte und eine stärkere Arbeitsteilung eintreten sollte. A m 13.10.1911 legte er der Fraktion einen „Arbeits- und Organisationsplan" i n 7 Punkten vor, der die Fraktionsarbeit rationalisieren und koordinieren sollte 1 0 8 . Für alle wichtigeren Etats, Gesetzentwürfe und Anträge sollten von der Fraktion 2 Referenten bestellt werden. Die Fraktion brauchte eine nach Materien zu ordnende Registratur. Fraktionssitzungen müßten regelmäßig abgehalten werden. Ein Presseausschuß sollte zur besseren Information der Zentrumspresse und zur publizistischen Vertretung der jeweiligen Stellungnahme der Fraktion arbeiten. I n der Frage, was moderne Parteiarbeit sei und wie sie i n der Fraktion geleistet werden könnte, verwies Held auf die Sozialdemokraten. Pichler und Giehrl zeigten Bedenken: „Es werden sich vielleicht noch mehr Gegensätze ergeben, als leider jetzt schon bestehen 109 ." Lerno wandte ein, die Sozialdemokraten seien ja „Berufspolitiker, was w i r nicht sind" 1 1 0 . Die Vorschläge Heids wurden von der Mehrheit der Fraktion zwar gebilligt, i n der parlamentarischen Geschäftsführung änderte sich jedoch kaum etwas. I n dieser Frage hatte sich Held wieder als ein moderner Parteityp gezeigt, der dem Berufspolitiker nahekam und eingesehen hatte, daß die ständig schwieriger werdenden Materien eine Differenzierung der Fraktionsarbeit verlangten. Held versuchte, aus der alten Honoratiorenpartei i n der Kammer eine moderne, funktionsfähige und schlagkräftige Partei zu machen. Die Improvisation und die Verteilung auf wenige führende Köpfe waren Zeichen für die Struktur einer Honoratiorenpartei. Auf der anderen Seite war aber gerade dies eine Chance für Held, bei seinem enormen Fleiß, seiner Rednergabe und seinem taktischen Geschick bald i n den inneren Führungskreis der Partei vorzustoßen. Ein starkes Handicap für die Agitation der Zentrumspartei war — was Held schon längst erkannt hatte — das Fehlen einer Parteipresse,
107 los los no 8»
M N N , 290, 24. 6.1908. Fraktionstagebuch, Sitzung v o m 13.10.1911, S.787. a.a.O., S.787. a.a.O., S. 788.
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V. Das bayerische Z e n t r u m
die m i t den liberalen Hauptblättern wie den „Münchner Neuesten Nachrichten" und der „Augsburger Abendzeitung" hätte konkurrieren können. M i t diesen Blättern, die weit i n die Provinz hinein verbreitet waren, machte die liberale Presse die öffentliche Meinung in Bayern. Das Fehlen eines solchen Blattes lag an der lockeren Organisation der Zentrumspartei und nicht zuletzt an der amtlichen „Bevorzugung der liberalen Presse" 111 , die nicht selten aus ministeriellen Kreisen Nachrichten vermittelt bekam, die der Zentrumspresse nicht zugänglich waren. Held schilderte diese Situation 1910 treffend: Wenn eine Anfrage an das hohe Ministerium auch über die Dinge gerichtet worden sei, die i m Bundesrat vorgegangen seien, so habe man nicht die Aktenstücke aus dem Ministerium des Äußeren geholt, „sondern die ,Neuesten Nachrichten' packweise herbeigeschafft, i n denen offenbar die offiziösen und offiziellsten Dinge bekannt gegeben worden waren" 1 1 2 . Das Zentrum hatte demgegenüber eine größere Zahl von Provinzblättern zur Verfügung; auch die „Augsburger Postzeitung" und der „Bayerische Kurier" i n München reichten an Verbreitung und Inhalt nicht an die liberalen Blätter heran. Held hatte diese „Monopolisierung der öffentlichen Meinung" durch die liberalen Organe bereits 1906 beklagt 1 1 3 . U m dem entgegenzuwirken, hatte Held bereits am 6. Januar 1906 i n Regensburg einen „Verein der bayerischen Zentrumsredakteure und Tagesschriftleiter" gegründet 114 . Auch nach außen h i n wurde die bayerische Presse fast ausschließlich von den führenden Blättern des Liberalismus repräsentiert. Gegenüber der geplanten Gründung eines Landesverbandes der liberalen und sozialistischen Presse suchte der Herausgeber der zentrumsnahen „ A l l gemeinen Rundschau", Dr. Kausen, einen Landesverband der bayerischen Zentrumspresse zu organisieren. „Der geeignetste Mann zur Vertretung der Interessen der gesamten Zentrumspresse in Bayern scheint m i r zur Zeit Chefredakteur Heinrich Held i n Regensburg 115 ." Die journalistischen und verlegerischen Fähigkeiten Heids hatten schon ein Jahrzehnt vorher norddeutsche Zentrumskreise entdeckt. 1902 war Held die Berufung als Hauptschriftleiter der „Germania" angeboten worden 1 1 6 .
m RA, 286, 12. 6. 1909. us sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1011. 113 RM, 9, 13.1.1906. h 4 Protokoll der Gründungsversammlung, bei der 17 Zentrumsredakteure anwesend waren, i n A H R . us Dr. Klausen i n einem Rundschreiben an die Zentrumsredakteure, AHR. ne Josef Held, Familienchronik, S. 78.
3. Die Zentrumsfraktion i n der K a m m e r der Abgeordneten
117
Es war Heids Bestreben, „ein großes, modernes Blatt zu schaffen" 117 , um damit dem Katholizismus, dem Zentrum und dem Süden ein großes publizistisches Organ zu geben. 1914 waren diese Ideen schon so weit, daß man mit der Gründung des Blattes an die Öffentlichkeit treten wollte. Der ausbrechende Weltkrieg machte diese Bemühungen wieder zunichte.
Josef Eisele zitiert dieses Bemühen Heids i n einem Brief an i h n vom 20.11.1913, A H R .
V i . Parlamentarische Arbeit i n der Kammer der Abgeordneten Als Heinrich Held 1907 i n den Landtag kam, war er dort kein politisch unbeschriebenes Blatt mehr. Durch seine Tätigkeit als Chefredakteur und seine aktive Rednertätigkeit i n Bayern hatte er sich bereits einen Namen gemacht, und nicht selten war er als K r i t i k e r der Politik der Kammerfraktion aufgefallen. Auch i n den ersten Jahren seiner Zugehörigkeit zur Fraktion machte er teils i m Gefolge Heims, teils auch wenn es notwendig schien, seine eigene Politik, die „Politik der Partei Held". Held begann seine parlamentarische Tätigkeit i n der Fraktion und i n der Kammer der Abgeordneten als Rebell. Er war kein Revolutionär, sondern ein Rebell, einer auf Zeit, der keine Achtung vor Autoritäten hatte, die andere unbedingt anerkannten, und der Traditionen auch ändern wollte. Er begann i m Zorn; er kam aus der freieren ungebundeneren Atmosphäre des Journalisten. Dabei mußte Held an zwei Fronten kämpfen: i m katholischen Lager gegen die Konservativen und darüber hinaus gegen den Liberalismus i m Parlament und i n der Regierung. Sein taktisch kluges Verhalten hat dabei oft direkte Konflikte vermieden. I n drei Bereichen zeigte sich dies besonders: Beamtenpolitik, Fragen der Reichsratskammer und der Kirchengemeindeordnung. Schon in der Frage der Abänderung des Gemeindewahlrechts hatte Held eine Politik getrieben, die er in Abgrenzung zum weniger reformgeneigten Teil seiner Partei als „seine" Politik bezeichnet hatte; die Liberalen, die immer m i t Freude auf die innerparteilichen Differenzen i m Zentrum hinwiesen, sprachen von einer „Partei Held", die gegen die eigenen Führer zu Felde geritten sei 1 .
1. Heids Arbeit im Beamten- und Gehaltsausschuß — sein Kampf gegen den Personalienliberalismus I n eine ähnliche Rolle war Held hineingekommen, als er i m März 1908 als erste Probe seiner parlamentarischen Arbeitskraft und seines taktischen Geschicks auf Betreiben Heims das Referat i m „Ausschuß zur Beratung des Gehaltsregulativs und Beamtenrechts" übernahm. M i t den Beamten, vor allem den höheren, hatte das Zentrum schon immer seine Schwierigkeiten gehabt. Die oberen Ränge i m bayerischen ι Sten. Ber. 1907, Bd. 1, S. 357.
1. Heids A r b e i t i m Beamten- u n d Gehaltsausschuß
119
Beamtenapparat waren traditionell liberal gesinnt und hielten es für ein Zeichen höherer Intelligenz und eine Forderung ihrer gesellschaftlichen Stellung, liberal zu sein. Der „Personalienliberalismus", wie er von der Regierung gepflegt und von der Krone auch kaum gemildert wurde, war für Held eine Mißachtung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Katholiken und gehörte zu den „unerquicklichen und für uns auf die Dauer unerträglichen Verhältnissen" 2 i n diesem bayerischen Staat. Ein kleines Mittel, diese Dinge etwas zu korrigieren und der liberalen Beamtenallmacht die parlamentarische Macht des Zentrums spüren zu lassen, konnte die i m Ausschuß zu regelnde Neufestsetzung der Struktur- und Besoldungsverhältnisse der bayerischen Beamtenschaft abgeben. Die offiziellen Vorlagen der Regierung waren am 20. 2.1908 erschienen 3 . Die Aufnahme i n der Öffentlichkeit war wenig günstig. Die Gegenvorschläge Heids gingen dem Ausschuß am 13. Mai 1908 zu 4 . Heids K r i t i k setzte an der Zahl der Beamten i n Bayern an. Man habe i n Bayern „zu viele Beamte", und namentlich die Zahl der höheren Beamten i n bestimmten Staatszweigen sei eine „unverhältnismäßig große" 5 . Es sei zu beklagen, daß Bayern i m Vergleich zu anderen deutschen Bundesstaaten verhältnismäßig zu viel für die Staatsbeamten aufwende. Von den 470 Millionen Mark des Budgets würden etwa 160 bis 170 Millionen Mark für die Beamten ausgegeben6. Hier müsse i n Zukunft mehr gespart werden, und sparen wollte Held vor allem bei den obersten Beamten. Hier fand Held die offene Unterstützung der Sozialdemokraten. Vollmar erklärte, daß seine Partei „ m i t den Abstrichen, die Held bei obersten Beamten angeregt hat" 7 , einverstanden sei8. Bei den mittleren und unteren Beamten machte Held Vorschläge zur finanziellen Aufbesserung. I n der Frage der Mehrbelastung der oberen Beamten war Held hart mit der Regierimg zusammengeraten 9 . Der liberale Korreferent Glessen gab der Regierung i n allen 2 RM, 113, 20. 5.1909. 3 RM, 242, 15. 5. 1908. 4 Ebd. 5 RA, 242, 15. 5.1908. β Protokoll des X V I I . Ausschusses vom 25.5.1908, Nr. 1552 a, S. 10. Die Ausschußverhandlungen liegen n u r als handschriftliche Protokolle i m Archiv des bayerischen Landtags vor. 7 B L A M , X V I I . Ausschuß, Nr. 1552 a, S. 135. β M N N , 250, 28. 5.1908 kommentierte die schwarz-rote K o a l i t i a n gegen die höheren Beamten: „Besonders hilfreich assistiert Dr. von Vollmar." 9 Nach der Regierungsvorlage sollten die i n den Klassen 1—12 sich befindenden höheren Beamten (im ganzen gab es 30 Beamtenklassen) 6.174.630 M a r k mehr erhalten, die mittleren Beamtenklassen m i t 13.986 Personen 3.891.470 Mark, die unteren Klassen m i t 48.487 Personen 8.047.180 Mark. Nach den Vorschlägen Heids sollte die Aufbesserung für die Gruppe 1—12 der Beamten u m ca. 1 M i l l i o n gekürzt werden.
120
V I . Parlamentarische A r b e i t i n der K a m m e r der Abgeordneten
Forderungen nach, u m die hohe Beamtenschaft, die parteipolitisch liberal war, nicht zu vergrämen 10 . Bei den höheren Beamten hatte Held Abstriche i n Höhe von einer M i l l i o n beantragt. Die Regierung machte daraus einen „casus belli". Sie gab die bindende Erklärung, „daß sie, falls die höheren Beamten nicht entsprechend berücksichtigt würden, die ganze Vorlage zurückziehen müßte" 1 1 . Für die Vorschläge zur finanziellen Aufbesserung der unteren Beamtenklassen erhielt Held eine Unmasse von Dankesschreiben 12 . Er hatte bei seinen Vorschlägen darauf gesehen, „ausgleichende Gerechtigkeit zu schaffen" 13 . A m 15. Mai 1908 erstattete Held sein Referat i m Plenum, „unstreitig eine fleißige und gewissenhafte Arbeit", wie die liberalen „Münchner Neuesten Nachrichten" zugeben mußten 1 4 . Damit war die vorläufige Stellung des Zentrums zum Gehaltsregulativ geklärt. Für die unteren und mittleren Beamten rühmte Held sich, i n seinen Vorschlägen „möglichst viel herausgeschlagen zu haben. Ich glaube, daß es richtig ist, daß Bayern vorangeht vor den übrigen deutschen Staaten i n der Bezahlung seiner unteren Beamten. Was w i r getan haben, das hat den Aussgleich von Härten betroffen, die sich i m Gehaltsregulativ gezeigt haben" 1 5 . Die Regierung war damit allerdings nicht einverstanden. Sie wußte auch, daß die Zentrumsfraktion in ihrer Stellung zu Vorschlägen Heids nicht einig war. Held klagte in der Fraktion, „daß Herren hier sind, die Konzessionen machen wollen" 1 6 . Die Fraktion solle i n aller Schärfe dem Ministerpräsidenten gegenübertreten. Die Gehaltsvorlage und ihre Behandlung war ein Prüfstein für die Festigkeit und den Charakter des Zentrums. Held fürchtete für das politische Renomee der Partei, wenn sie nachgab, und war bereit, die ganze Vorlage abzulehnen — ein extrem konstitutionelles Mittel, das sicher die Auflösung der Kammer zur Folge gehabt hätte. M i t Hilfe der mehr regierungsfreundlichen Mitglieder i m Zentrum wurde schließlich doch ein Kompromiß gefunden. Die Beratungen des Gehaltsregulativs und des Beamtengesetzes fanden mit der Annahme der Beschlüsse des Ausschusses i m Plenum am 10 Die „Münchner Neuesten Nachrichten", das liberale Hauptblatt, hatte deshalb ganz richtig erkannt: „Die Mehrheit der v o m Zentrum delegierten Mitglieder, voran der Referent . . . ist zum mindesten höheren Beamten nicht grün gesinnt." M N N , 136, 21.3.1908. Beamtenfragen u n d besonders Besoldungsaufbesserungen waren natürlich beim Zentrum als einer vorwiegend agrarisch-mittelständischen Partei niemals populär. 11 M N N , 136, 21. 3.1908. 12 A H R 13 Protokoll Nr. 1552 f, S. 166. 14 M N N , 233, 18. 5.1908. is Ausschußprotokoll Nr. 1552 e, S. 169. 16 Fraktionstagebuch: Protokoll v o m 2. 6.1908, S. 661.
1. Heids A r b e i t i m Beamten- u n d Gehaltsausschuß
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16. und 17. J u l i 1908 ein vorläufiges Ende 17 . M i t der Mehrheit des Zentrums hatte die Kammer an der Regierungsvorlage i n den ersten 13 Klassen i m ganzen 873.200 Mark gestrichen, bei den letzten 17 Klassen hatte sie 1.761.730 Mark hinzugefügt. Die Kammer der Abgeordneten und die Regierung hatten noch keine volle Einigung erzielt. Ungelöster Streitpunkt war vor allem die Einstufung und das Problem der Vorrückungsquote der Klasse 17 der Beamten gewesen. Die Beschlüsse der Kammer gingen nun in die Kammer der Reichsräte. Das Zentrum hatte bereits zum Ausdruck gebracht, es werde das ganze Gesetz zu Fall bringen, wenn Reichsrat und Regierung nicht nachgäben. Der Reichsrat lehnte auch tatsächlich den Beschluß der Kammer der Abgeordneten ab 1 8 . Die Regierung hatte also Erfolg gehabt und sich gegen die Kammer der Abgeordneten durchgesetzt. Held war durch diese Wendung i n eine schwierige Lage gekommen. Noch i m Juni hatte er die kategorische Ablehnung der ganzen Vorlage verlangt, jetzt mußte er nachgeben. Er hatte den Verhandlungen der Reichsratskammer selbst beigewohnt und konnte es sich nicht verhehlen, in der 2. Lesung des Ausschusses für Gehaltsfragen, die durch das Verhalten der Reichsräte notwendig geworden war, festzustellen, daß auf ihn die antisoziale Haltung der Reichsratskammer „einen außerordentlich deprimierenden Eindruck gemacht hat" 1 9 . Das hatte bei i h m Gefühle angesprochen, die ihm i n bezug auf die Reichsratskammer bisher nicht fremd gewesen waren, „die aber außerordentlich verstärkt worden sind" 2 0 . Er hatte gewünscht, daß, wenn man so großes Wohlwollen für die höheren Beamten bekundet, auch ein Brocken Wohlwollen abgefallen wäre für die mittleren und unteren Beamten. Diese K r i t i k galt natürlich ebenso der Regierung. Die Zwangslage, i n die das Zentrum durch die Entschlüsse der Regierung und der Reichsratskammer versetzt worden war, war nicht leicht zu lösen. Es ging dabei auch um das öffentliche Ansehen der Partei und ihrer Standhaftigkeit gegenüber der Regierung. Sollte man das Beamtengesetz samt Gehaltsordnung scheitern lassen oder mußte man es annehmen? Angesichts der Machtverhältnisse: Reichsratskammer und Regierung auf der einen, Abgeordnetenkammer auf der anderen Seite, war der Kampf nicht zu gewinnen. „Wer von uns w i l l mit dem Feuer spielen 21 ?" Sollte man einer einzigen Kategorie wegen alle 17 Held erstattete den Bericht des Ausschusses: Sten. Ber. 1908, Bd. 6, S. 174 ff. is Die K a m m e r der Abgeordneten hatte beschlossen, bei Klasse 17 das Höchstgehalt statt auf 3.600, w i e die Regierung vorgeschlagen hatte, auf 3.900 M a r k festzusetzen. io Ausschußprotokoll Nr. 155 z, Bd. 27, S. 52. so Ebd., S. 55. 2i Ebd., S. 53.
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übrigen bar ausgehen lassen? Es ging schließlich nur um die 300 Mark Mehrforderung für die Klasse 17, die Reichsratskammer und Regierung nicht bewilligen wollten. Bei einem neuen Gesetzentwurf i m Falle der Ablehnung würden sich die Schwierigkeiten wahrscheinlich noch häufen. „ W i r sind i n eine Zwangslage versetzt und müssen uns in diesem Falle fügen" 2 2 , damit überhaupt etwas zustande kam, „wenn es m i r auch noch so widerstrebt" 2 3 . Held empfahl die Annahme des Antrags der Reichsratskammer, die dann auch die Verantwortung tragen sollte. Das Zentrum und insbesondere Held mußten sich den Vorwurf gefallen lassen, sie seien umgefallen und hätten der Staatsregierung nachgegeben 2 4 . Held verteidigte den Kompromiß damit, daß es wenigstens geglückt war, zu erreichen, was man bei den unteren Beamten hatte erreichen wollen. Außerdem müsse man in einem konstitutionell regierten Staat Kompromisse machen. Die Zentrumspartei könne nicht einfach diktieren: „Drei Köpfe sind beieinander: Der Landtag, auf der anderen Seite die Krone und die Reichsräte 25 ." M i t diesen Machtverhältnissen mußte man sich, wenn auch grollend und nicht ohne Verbitterung, abfinden. Der Sozialdemokrat Auer sprach dann auch aus, was bei dem ganzen Tauziehen um Gehaltsordnung und Beamtengesetz für den scharfen Beobachter der politischen Szene deutlich geworden war: „daß i n Bayern das Zentrum nicht regiert 2 6 ." Auf der einen Seite wurde dem Zentrum der Vorwurf des Umfallens und auf der anderen Seite der Vorwurf des Umsinkens gemacht 27 . I m politischen Verhalten Heids und seiner Taktik i n dieser Auseinandersetzung zeigte sich bereits hier, was sich später so oft wiederholen sollte: Seine oppositionelle, harte Haltung gegen Regierung und Reichsrat löste sich i m Eindruck der Verhältnisse i n der Fraktion — deren konservativer Teil es nie zum endgültigen Bruch mit der Regierung kommen lassen wollte 2 8 — und angesichts der realen Machtverhältnisse im konstitutionell regierten Bayern auf und wurde, wie er es immer meisterhaft verstand, zum taktisch klug interpretierten Kompromiß umfunktioniert 2 9 . 22 Ausschußprotokoll Nr. 1552 z, Bd. 27, S. 57. 23 Ebd., S. 57. 24 Ausschußprotokoll Nr. 1552 u, S. 59. 25 Ebd., S. 59. 26 Ebd., S. 63. 27 „ H a l b zog sie ihn, halb sank er hin. Das ungefähr ist die Signatur der Stellungnahme des Zentrums." Erhard Auer, Aus Schußprotokoll Nr. 1552 u, S. 63. 28 N u r einmal i n der Frage des Eisenbahnerrevers u n d das Verhalten des Verkehrsministers von Frauendorfer blieb es hart u n d geschlossen. 29 Das erste Nein Heids i n einer Sache w a r nicht immer auch gegen seine letzte konsequent durchgehaltene Stellung. Daß er taktisch flexibel reagieren
1. Heids A r b e i t i m Beamten- u n d Gehaltsausschuß
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A m 11.8.1908 riet Held in einem Abschlußbericht der Kammer der Abgeordneten den von der Kammer der Reichsräte vorgenommenen Änderungen an ihrem eigenen Entwurf zuzustimmen. Durch die Nachgiebigkeit des Zentrums konnten die Gehaltsordnung und das Beamtengesetz verabschiedet werden. Der ministerielle Dank an Held blieb nicht aus. Er hatte eine enorme Arbeit geleistet. Das Zustandekommen der Gehaltsordnung und des Beamtengesetzes, das i n seinen großen Zügen bis in die Zeit nach der Revolution von 1918 Bestand hatte, war, wie sich Finanzminister von Pf äff ausdrückte, „ i m weitestgehenden Maße auf Ihre verdienstvolle Mitarbeit zurückzuführen" 30 . Held hatte sich damit als einer der tüchtigsten und gewandtesten Parlamentäre i n einer Fraktion erwiesen, die m i t solchen Arbeitskräften nicht gerade gesegnet war. Zweierlei hatte sich bei der Neuregelung des Beamtengesetzes und der Gehaltsordnung gezeigt: die Struktur der politischen Kräfte i m konstitutionell regierten Staat Bayern und die Aversion Heids i m Verhältnis zum höheren Beamtenstand, die vor allem die Ministerialbürokratie betroffen hatte. Grund gab es für das Zentrum genug. Es war die Klage, daß Katholiken, d. h. den romtreuen, ultramontanen der Weg i n die oberen Beamtenstellen versagt blieb. Das hatte sich i m Gefolge des Kulturkampfes herausentwickelt. Ganz in diesem Sinn hatte die Münchner „Allgemeine Zeitung" 1902 geschrieben: „Ein ultramontaner Beamter ist stets eine latente Gefahr für den Staat; der Staat hat ein Interesse daran, den Ultramontanismus in seinen Beamten möglichst von der Leitung des Staatswesens fernzuhalten 31 ." Solche Worte mußten den Zentrumskatholiken, den Ultramontanen, wie sie von den Liberalen genannt zu werden pflegten, als staatspolitische Diskreditierung erscheinen und ihnen das Bewußtsein der politischen Entrechtung und Niederhaltung i n einem angeblich paritätisch aufgebauten Staat geben. Das war eine der verhängnisvollen Begleiterscheinungen der liberalen Ära i n Bayern. Der liberale Druck auf die Beamtenschaft bewirkte aber auch, daß katholische Beamte es nicht wagten, sich i n der Öffentlichkeit zum Zentrum zu bekennen oder gar für die Partei zu kandidieren. Das Zentrum führte seit seinem Bestehen den Kampf gegen das liberale Beamtentum. Wenn es àlso der Fraktion der „Bauern und Landpfarrer" 3 2 bis i n den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein nicht gelang, die Vorherrschaft des liberalen Beamtentums zu brechen, so lag das nicht zum geringen Teil daran, daß qualifizierte konnte, ohne grundsatzlos zu sein, hatte er oft bewiesen. „ E i n Politiker sagt auch niemals: Niemals!" RM, 255, 9.11.1906. 30 Schreiben v o m 31. 8.1908 an Held, A H R . 31 „Allgemeine Zeitung", Nr. 100, 1. 5.1902. 32 Bachem, Bd. 8, S. 21.
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Köpfe katholischer Konfession aus der Beamtenschaft nicht i n der Fraktion saßen. Die Zahl liberaler Katholiken i n den Ministerien war nicht gering 33 . Die nominelle konfessionelle Zugehörigkeit entsprach i m großen und ganzen der allgemeinen Konfessionsstatistik. Nur unter den Ministerien Lutz und Crailsheim war eine unverhältnismäßige Verschiebung zugunsten der Protestanten festzustellen. Unter Lutz und Crailsheim erlebte die liberale Beamtenschaft ihren Höhepunkt. Zugleich setzte aber der politische Katholizismus zu seinem Gegenstoß auf diese Bastionen an. I n der großen Linie ist die Entwicklung von Lutz über Crailsheim zu Podewils gekennzeichnet durch eine hinhaltend geführte Defensive des Beamten- und Verwaltungsregimes gegen die Machtansprüche der führenden Parlamentspartei. I n der Ära Podewils erlebte man die letzten Zuckungen des Beamtenliberalismus. Diesem Beamtenliberalismus, dem sog. „Personalienliberalismus", wie Held ihn nannte, hatte er seinen Kampf angesagt. Eine i n dieser Auseinandersetzung bezeichnenden Episode spielte sich 1909 ab. I n München war die Stelle des Eisenbahnpräsidenten neu zu besetzen. Die liberalen „Münchner Neuesten Nachrichten" hatten in dieser Sache bereits gefordert, „daß ein so verantwortungsvoller Posten . . . m i t einer neutralen Persönlichkeit besetzt wird, und daß bei der Besetzung dieses Postens nicht die Rücksicht auf die Wünsche einer bestimmten Partei . . . ausschlaggebend ist" 3 4 . Das hieß natürlich, es dürfe kein Ultramontaner und Zentrumsanhänger zum Zuge kommen. Held nannte i n einer öffentlichen Replik diese Forderung den „Jargon des . . . tief gesunkenen, aber trotzdem noch gleich hochmütigen, gleich anspruchsvollen und gleich intoleranten und brutalen After- und Personalienliberalismus" 35 . Ein Beamter, der parteipolitisch der Zentrumspartei vermutlich nahestehe, dürfe auf keine leitende Stelle i n der Staatsverwaltung berufen werden, ansonsten werde das Staatsinteresse gefährdet. „Dem Kenner der Verhältnisse steht zweifelsfrei fest, daß nach dem famosen Grundsatz des liberalen Organs noch bis 33
Die konfessionelle Statistik bayerischer Minister nach 1870 ergab, daß von 22 Ministern 17 katholisch ( = 77,3%) u n d 5 evangelisch ( = 22,7 °/o) waren. Siehe Schärl, Walter „Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft", S. 40. Die Konfessionsstatistik von 1871 betrug: 71,2 °/o Katholiken, 27,6 °/o Protestanten, 1,1 °/o Israeliten, Schärl, S. 40. Bei den 98 von Schärl erfaßten Regierungspräsidenten waren 83,2 % katholisch, 16,8 °/o protestantisch. Bei den höheren Beamten (ohne das Justizministerium) waren von den 472 erfaßten Personen 73,5 °/o katholisch, 26,5 °/o protestantisch. Schärl, S. 81. „Die Regierungen vor 1848 waren noch fast ausschließlich katholisch. Nach 1848 sind die Protestanten i n jedem Kabinett vertreten. V o n 1881 bis 1903 standen drei katholischen Ministern die gleiche Anzahl protestantischer gegenüber." Schärl, S. 81. 3
4 M N N , Nr. 227, Jg. 1909. 35 RM, 113, 20. 5. 1909.
1. Heids A r b e i t i m Beamten- u n d Gehaltsausschuß
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zur Stunde in allen Ressorts verfahren w i r d 3 6 . " Das zu Zweidrittel katholische Bayern mit einer Volksvertretung, i n der sich nahezu zwei Drittel der Abgeordneten zur Zentrumspartei bekannten, sah nach Meinung Heids auf fast allen hohen und höchsten Beamtenstellen „nur ausgesprochene Anhänger der liberalen Partei" 3 7 . Es war dabei unwichtig, ob sie katholisch oder protestantisch waren, denn auch hohe katholische Beamte huldigten einem zentrumsfeindlichen Gesellschaftsliberalismus. Held sah darin, abgesehen von der Frage nach Recht und Gerechtigkeit und Staatsklugheit „eine Vernachlässigung und ungerechte Zurücksetzung der zur Zentrumspartei sich bekennenden Beamten" 3 8 . Wozu aber die fruchtlosen Klagen? Die Schuld an diesen Zuständen fiel nicht zum geringen Teil auf „uns Zentrumsleute und besonders auf unsere parlamentarische Vertretung" 3 9 . Das Zentrum zeige eine Lammsgeduld und sehe es dann noch als eine Gnade der hohen und weisen Staatsregierung an, wenn alle Schaltjahr einmal ein Mann m i t Zentrumsangehörigkeit „als Konzessionsschulze und Besänftigungsmeier" auf einen höheren Posten berufen werde. Ultramontane Beamte stecke man i n mittlere und untere Beamtenstellen und lasse sie dort „verbauern und versauern" 40 . Diese unerquicklichen und auf die Dauer unerträglichen Zustände mußten so lange fortdauern, als das Zentrum seinen Anhängern nicht „ m i t allen zulässigen Mitteln ihre Rechte zu erkämpfen" 4 1 sich entschloß. Die Mittel besaß es, man mußte sie nur entschlossen gebrauchen. Das Zentrum durfte auch nicht „vor einem Konflikt mit Ministern" 4 2 zurückschrecken. Fazit für Held war: „Darum unser ceterum censeo: Zentrumsfraktion werde hart 4 3 ." Held war zu diesem Kampf entschlossen; er zeigte sich auch hier wieder als Vertreter einer modernen Auffassung von Partei als pressure group, die auch, um sich durchzusetzen, Ämterpatronage zu betreiben hatte nach dem ihr zustehenden Proporz. Der Widersinn der Situation, die personelle Anomalie i m Beamtenkörper, lag daran, daß eine Partei wie die Liberalen, die i n ihrer parlamentarischen Vertretung i m Laufe der Jahre so stark dezimiert worden war, i n der Personalpolitik des Königreiches so unverhältnismäßig, ja fast ausschließlich berücksichtigt wurde, während i m sog. katholischen Bayern 36 Ebd. 37 Ebd. „ I n liberalen Personalien w i r d j a heute noch geradesogut gearbeitet w i e zu den seligen Zeiten des Ministers Feilitzsch u n d anderer Leute." Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1011. 38 RM, 113, 20. 5.1909. 39 Ebd. 40 Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1010. 41 RM, 113, 20. 5.1909. 42 RM, 137, 20. 6.1909. 43 Ebd.
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Anhänger des Zentrums, ohne das die Staatsregierung keine gesetzgebende Maßnahme treffen konnte, von den höheren und höchsten Staatsstellen so gut wie ausgeschlossen waren. Als Partei war der Liberalismus fast ohnmächtig, aber dank seiner verfeinerten personalpolitischen Kulissenarbeit konnte er seine Personalien wahren. Der aggressive A r t i k e l Heids war, wie er sich rühmen konnte, „ i n fast allen Staatsministerien äußerst unangenehm empfunden worden" 4 4 . I m Jahre 1910 konnte Held i m Landtag feststellen, daß es i n der Beamtenpolitik zugunsten des Zentrums „da und dort etwas besser" werde 4 5 . M i t dem Ministerium Podewils wurde die reine liberale Herrschaft i n den Ministerien etwas gemildert, und unter der Ministerpräsidentschaft Hertlings eroberte auch die katholische, zentrumsfreundliche Beamtenschaft die höchsten Stellen i m Staat. Der Einfluß katholischer Korporationen machte sich allmählich sprübar. 2. Opposition gegen den Reichsrat Bereits i n den Auseinandersetzungen um die neue bayerische Gehaltsordnung und das Beamtengesetz hatte Held seine kritische Einstellung zur Politik der Kammer der Reichsräte sehr deutlich erkennen lassen. Die antisoziale Haltung der Kammer hatte auf ihn einen „außerordentlich deprimierenden Eindruck gemacht" 46 . Zu einer ähnlichen öffentlichen K r i t i k fühlte sich Held berechtigt, als die Reichsratskammer einen Antrag des Zentrums, i n den Staatsbetrieben eine Lohnerhöhung von 20 Pfennig pro Tag zu gewähren, abgelehnt hatte 4 7 . Eine solche Haltung war nicht geeignet, das Ansehen der oberen Kammer i m Volke zu fördern. Schon bei der Diskussion um das Gehaltsregulativ hatte man die Frage der Kompetenz der Reichsratskammer diskutiert, als die Reichsräte bedeuteten, daß die Kammer der Abgeordneten das Gehaltsregulativ annehmen solle, wie es die Regierung vorgelegt hatte und sie selbst es billigen wollten, sonst werde man es pauschal ablehnen. Auch wenn die Rechte der oberen Kammer i n der Verfassung „ad verbum" ständen, so sei daraus nicht der Schluß zu ziehen, „daß die geschichtliche Weiterentwicklung der Rechte des Parlaments 48 unberechtigt" sei, hatte Held gemeint 49 . Der Reichsrat versuche auch durch seine Politik i n die Rechte der unteren Kammer einzugreifen. „Es gibt nicht
44 45 46 47 48 49
RM, 137, 20. 6.1910. Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1011. Ausschußprotokoll Nr. 1552 ζ, Bd. 27, S. 52. RM, 67, 22. 3. 1908. Gemeint w a r die K a m m e r der Abgeordneten; d. Verf. RM, 67, 22. 3.1908.
2. Opposition gegen den Reichsrat
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allein eine Revolution von unten, sondern auch eine solche von oben" 5 0 und diese sei weit gefährlicher. Ein Stück einer solchen Revolution liege auch darin, wenn man die Rechte der unteren Kammer einschränken wolle. I n einer öffentlichen Rede i n Schwandorf stellte Held fest, der Reichsrat habe in der letzten Session eine Stellung gegen die untere Kammer und deren Beschlüsse eingenommen, die man i m Interesse der Förderung parlamentarischen Zusammenwirkens tief bedauern müsse. „Eine Reform der Reichsratskammer w i r d sich auf die Dauer nicht umgehen lassen . . . der Reichsrat muß eine Blutauf frischung erfahren 51 ." Held dachte daran, daß auch Vertreter der Erwerbsstände i h m angehören sollten. I n der Opposition zum Reichsrat zeigte sich Held erneut als zur Partei Heim gehörig. Dieser hatte bereits 1907 einen Antrag der Liberalen zur Reform der Reichsratskammer i m großen und ganzen unterstützt 5 2 . I m November 1909 hatte der liberale Abgeordnete Ernst Müller-Meiningen seinen Antrag auf Reform der Reichsratskammer erneut eingebracht. Danach sollten „gewählte Vertreter der einzelnen Haupterwerbsgruppen der freien Berufe, der Hochschulen und Städte Sitz und Stimme i n dieser Kammer erhalten" 5 3 . Es ging also um die Frage, ob die obere Kammer den ausschließlich feudal-agrarischen Charakter beibehalten solle oder ob, wie i n den anderen deutschen Bundesstaaten, die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte auch i n der Zusammensetzung der bayerischen ersten Kammer seinen Niederschlag finden sollte. Vom Zentrum lehnte der Abgeordnete Geiger den Antrag mit dem Hinweis „auf das konservative Prinzip" der Partei ab, wonach unter der Regentschaft die Verfassung nicht geändert werden könne 5 4 . Innenminister Brettreich konnte „ein „aktuelles Bedürfnis für eine Erweiterung der Reichsratskammer zur Zeit nicht anerkennen" 55 . Der Sozialdemokrat M ü l l e r 5 6 hatte i n der Debatte die Erwartung ausgesprochen, daß Held Dr. Heim „ersetzen" werde, denn Heim hätte bereits 1907 „sehr tüchtige Darlegungen" 5 7 zur Reform so Ebd. 51 RA, 521, 17.10.1908. 52 H e i m am 18.10.1907 i n der K a m m e r der Abgeordneten: „ I c h b i n i n dieser Hinsicht nicht w e i t weg von i h m (gemeint w a r Ernst M ü l l e r Meiningen; d. Verf.) . . . ich k a n n nicht begreifen, daß ein Graf von 25 Jahren berechtigt ist, über das W o h l des Landes mitzusprechen, u n d w i r dürfen dies erst m i t 30 Jahren t u n . . . Ich spreche ausdrücklich als Dr. Heim, als Partei Dr. Heim!", zit. nach M N N , 491, 19.10.1907. 53 Sten. Ber. 1909, Beil. Bd. 8, Beil. 682, S. 444. 54 Sten.Ber. 1909, Bd. 7, S. 902. 55 Sten. Ber. 1909, Bd. 7, S. 911. 56 Die Sozialdemokraten lehnten den liberalen A n t r a g ab, denn sie hielten am Prinzip des Einkammersystems fest. 57 V.d.K.A. 1909, Sten. Ber., Bd. 7, S. 904.
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gemacht. Held erfüllte zwar diese Erwartungen nicht ganz 58 , stand aber „bezüglich der verfassungsrechtlichen Bedenken nicht auf dem Standpunkt, den Kollege Geiger eingenommen hat" 5 9 . Er erkannte zwar an, daß durch den Antrag Kronrechte berührt würden, aber nur soweit sie i m § 4 der Verfassung 60 normiert seien. Held war jedoch der Meinung, daß in dem Augenblick, da dieser Umfang der Kronrechte auch für die Zukunft bei einer anderen Zusammensetzung der Kammer gewahrt blieb, man von einer Schmälerung der Kronrechte nicht sprechen könne. Deshalb konnte er sich so durchaus, ohne über verfassungsrechtliche Bedenken zu stolpern, „ i m Prinzip mit der Reform der Reichsratskammer einverstanden erklären" 6 1 , aber mit einer Reform i m Sinne der M i t w i r k u n g aller Berufsstände, auch der Arbeiterschaft, der Bauern und Gewerbetreibenden und nicht nur der Universitätsprofessoren und Vertreter der Großindustrie und des Großhandels, wie es die Liberalen gewollt hatten. „Wenn also neue Verhältnisse neue Institutionen verlangen, so glaube ich, kann man sich dem nicht widersetzen 62 ." Zumal dann nicht, wenn, wie nach Heids Vorschlag, zweifellos einer etwaigen Verletzung der Kronrechte auf der anderen Seite eine Reparatur sofort wieder folgen könnte. Zur praktischen Bedeutung des liberalen Antrags stellte sich Held auf den Standpunkt Heims vom Jahre 1907. Heim hatte damals den Liberalen zugebilligt, daß sie zweifellos etwas Demokratisches mit ihrem Antrag bezwecken wollten, lehnte ihn aber für den Augenblick ab, weil die größten Erwerbsstände, wie Bauern, Arbeiter und Handwerker zu kurz kämen, w e i l diese noch keine berufsständische Organisation hätten, die als Wahlkörper ihre Vertreter i n die Reichsratskammer senden könnten. Der liberale Antrag, der i n bezug auf Oberbürgermeister, Großhandel und Industrie durchführbar gewesen wäre, hätte der oberen Kammer noch einen schlimmeren plutokratischen und aristokratischen Charakter gegeben als sie schon hatte. Held lehnte den liberalen Antrag mehr aus praktischen Gründen ab und teilte nicht die verfassungsmäßigen Bedenken seines Fraktionskollegen Geiger. Aus diesen praktischen Erwägungen heraus trat er dafür ein, „für heute wenigstens diesen liberalen Antrag abzulehnen" 63 . 58 H e i m w a r nach der Darstellung Müller-Meiningens „auch das Kronrecht nebensächlich" gewesen. a.a.O., S. 899. 59 a.a.O., S. 912. so Hier w a r bestimmt, daß die Z a h l der von der K r o n e zu ernennenden lebenslänglichen Reichsräte den d r i t t e n T e i l der erblichen nicht übersteigen durfte. 61 Sten. Ber. 1909, Bd. 7, S. 913. 62 a.a.O., S. 913. 63 Sten. Ber. 1909, Bd. 7, S. 913.
2. Opposition gegen den Reichsrat
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Die Rede Heids hatte gezeigt, i n welche Verlegenheit er bei Ablehnung des liberalen Antrags gekommen war; sie hatte zugleich bewiesen, wie taktisch k l u g er sich aus dieser Schwierigkeit herausgewunden hatte. Innerlich war er sehr wohl überzeugt, daß die politische Gerechtigkeit eine Reform geradezu erzwang, daß er aber aus parteitaktischen Gründen, um vor allem die konservativen Kräfte seiner Partei nicht allzusehr vor den Kopf zu stoßen, den liberalen Antrag i m jetzigen Zeitpunkt ablehnen mußte. Held hatte sich hier als ausgezeichneter Taktiker gezeigt, der es verstanden hatte den Eindruck von Verfassungstreue und Reformwille zugleich zu erwecken. Damit konnte er sich gegen beide Seiten schützen: den Konservativen seiner eigenen Partei machte er klar, daß eine Reform der oberen Kammer die Kronrechte nicht unbedingt zu verletzen brauchte, bei einer etwaigen Verletzung aber auf der anderen Seite sofort wieder eine Reparatur folgen würde; den Liberalen konnte er bedeuten, daß er zwar i m Grunde m i t ihrem Antrag auf eine Erweiterung der oberen Kammer einverstanden war, daß dies aber i m Augenblick aus organisatorischen Gründen nicht möglich sei. Ein Dr. Heim w a r Held i m Jahre 1909 nicht, er sprach seine Meinung dabei nicht so offen und radikal und für viele seiner Parteifreunde schockierend aus; dafür war er zu vorsichtig, zu klug und auch i n seiner politischen Grundhaltung nicht so radikal demokratisch 64 . Für die Öffentlichkeit war aber die Differenzierung innerhalb der Fraktion wieder klar erkennbar geworden. Held wurde i n den „Münchner Neuesten Nachrichten" als Sprecher „des demokratischen Flügels" i m Zentrum apostrophiert 65 . Der demokratische, antifeudale Affekt Heids hatte sich auch schon bei anderen Gelegenheiten auf der öffentlichen Bühne des bayerischen Landtags gezeigt. Anfang 1908 r i t t er eine auch für die Fraktionsführung überraschende Attacke gegen feudal aristokratische Manieren hoher Offiziere in der Behandlung der Kammer der Abgeordneten. I n einer Rede zum Militäretat griff er einen Erlaß des bayerischen Kriegsministeriums vom Jahre 1898 auf, wonach es den Offizieren unbedingt verboten war, i n Hinsicht auf ihre persönlichen 64 Der Abgeordnete Müller-Meiningen konnte dem Zentrum vorhalten, was Dr. H e i m 1907 zur Reform der Reichsratskammer gesagt hatte: „ W i r kämpfen heute den K a m p f zwischen den Resten absolutistischer Anschauung und der vermehrten Anteilnahme des Volkes an der Regierung, an seinem eigenen Geschick. Deswegen w e i l es ein Kronrecht ist, besteht f ü r mich noch lange nicht die Notwendigkeit ,hands off', nicht davon reden; nein i m Gegenteil! U n d es k o m m t ja doch, die Entwicklung ist stärker, stärker auch wie jede Partei i n diesem Haus." (Sten. Ber. 1909, Bd. 7, S. 917). Diese Sätze sind ein Beispiel f ü r die radikal-demokratische Sprache Heims, sie erklären auch seine Schwierigkeiten m i t der eigenen Fraktion. Daß er m i t seiner Meinung Recht behielt, zeigte der weitere Verlauf der bayerischen Geschichte. 65 M N N , 17. 11.1909.
9 Keßler
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Interessen irgendwie m i t den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer i n Verbindung zu treten, außerdem war es als unter der „Standeswürde der Offiziere" liegend erklärt worden, mit Mitgliedern der Abgeordnetenkammer zu verkehren 6 6 . Held rief den Landtag auf, sich eine „derartige Mißachtung des Landtags allen Ernstes" 67 zu verbitten. 1906 habe zwar Kriegsminister Horn in dieser Sache einen neuen Erlaß ergehen lassen, dieser unterscheide sich aber i n nichts von dem alten. Held erntete m i t dieser Attacke auch ein „sehr richtig!" von sozialdemokratischer Seite 68 . Direkte Verbindungen von unteren Offizieren und eventuelle Beschwerden über ungerechte Behandlung seitens der m i l i tärischen Vorgesetzten würden mit Hinweisen auf Dienstgeheimnis und Einhaltung des Dienstweges unterdrückt. „Da muß auch dem Offizier der Weg zur Kammer der Abgeordneten offenbleiben 69 ." Gegen derartige Ministererlasse müsse die untere Kammer sich entschieden wehren, w e i l man ihr mit Mitteln des autoritären Beamtenstaates „Rechte abstreiten w i l l , die sie zweifellos besitzt" 7 0 . Held griff einige Fälle auf, anhand derer er scharf gegen das Kastenwesen der Offiziere polemisierte. Der Geburtsadel sei i m hohen Offizierskorps zu stark vertreten. Von 72 bayerischen Generalen stammten 35 vom Geburtsadel, also 48,6 °/o. Da sei „etwas ganz Sonderbares" 71 . Denn, „daß es hier m i t natürlichen Dingen nicht zugeht, daß nicht überall die volle Objektivität und die volle Gerechtigkeit walten kann, ist für jeden bei diesem Mißverhältnis von vornherein k l a r " 7 2 . Außerdem solle die hohe Kriegsverwaltung in Zukunft darauf achten, daß sowohl i n den Erlassen, die sie in Zukunft hinausgebe, als auch bei der Heranziehung der Offiziere der „Landtag i n etwas respekvollerer Weise behandelt wird, als es i n der Vergangenheit der Fall gewesen ist" 7 3 . Wie sehr die scharfen Worte Heids beim konservativen Flügel des Zentrums Mißfallen erregt hatten, zeigte sich, als der hochadelige Baron Franckenstein ans Rednerpult eilte und sich von den Angriffen Heids i m Namen der Fraktion distanzierte. Held habe nicht für die Fraktion gesprochen, „sondern bloß seiner persönlichen Meinung Ausdruck geben wollen" 7 4 . Dies war eine ungemein deutliche Erklärung, eine öffentliche Desavouierung. Der Versuch, einige Kampfstimmung nach A r t Heims i n das Zentrum zu 66 Referierende Wiedergabe i m Referat Heids v o m 25.1.1908, Sten. Ber. 1908, Bd. 2, S. 926. 67 Sten. Ber. 1908, Bd. 2, S. 926. 68 Ebd., S. 927. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Ebd. 72 Ebd., S. 929. 73 Ebd. 74 Sten. Ber., 1908, Bd. 2, S. 934.
3. Opposition zu Regierung u n d eigener F r a k t i o n
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bringen, wurde von den Konservativen scharf zurückgewiesen. Auch die Schützenhilfe und das Lob für seinen demokratischen Mut, die der Liberale Müller-Meiningen Held zukommen ließ 7 5 , mußten ihn bei seinen konservativen Freunden nicht gerade beliebter machen. 3. Opposition zu Regierung und eigener Fraktion bei Behandlung der Bayerischen Kirchengemeindeordnung Wesentlich grundsätzlicher und hartnäckiger zeigte sich Heids Opposition i n den ersten Jahren seiner Parlamentstätigkeit gegen das sogenannte bayerische Staatskirchentum. Vom Erlebnis des Kulturkampfes her hatte er ein geschärftes Bewußtsein i n diesen Fragen. I n der Diskussion um eine bayerische Kirchengemeindeordnung i n den Jahren 1905—1912 kam dies besonders zum Ausdruck. Hier geriet er sogar i n Opposition zum bayerischen Episkopat und machte Politik gegen seine eigene Fraktion 7 6 . Einen ersten Entwurf zu einer neuen bayerischen Kirchengemeindeordnung hatte das bayerische Kultusministerium i m März 1905 den kirchlichen Oberbehörden zugehen lassen. Die Freisinger Bischofskonferenz versuchte i n einer Eingabe vom 10.10.1905 den Entwurf i n einigen Punkten zu modifizieren 77 . I m allgemeinen stimmten die bayerischen Bischöfe dem Entwurf zu. Nur der Regensburger Bischof Ignatius von Senestrey lehnte den Entwurf i m ganzen ab, w e i l er die bischöfliche Autorität und die den Pfarrern zustehenden Rechte schädige. I n der daraufhin einsetzenden Pressediskussion, die sich vor allem gegen das Regensburger Ordinariat richtete, trat Held als Verteidiger der Ablehnung des Entwurfs der Kirchengemeindeordnung auf. Bei der Generaldebatte zum Kultusetat am 10. und 13. März 1906 war der Regensburger Standpunkt sogar vom Kultusminister kritisiert worden. Auch die Zentrumsabgeordneten aus der Diözese Regensburg hatten, wie Held rügte, kein „Wort der Verteidigung für das angegriffene Ordinariat gesprochen" 78 . Held kritisierte an dem Entwurf, daß er „ausschließlich nach den Grundsätzen des Religionsedikts gemacht ist" 7 9 . Damit sei der Kultusminister zum Schützer und Verteidiger des Staatskirchentums in Bayern geworden, um „krampfhaft ein fast hundert75 Ebd., S. 939. 76 Nachdem schon der Landtagsabschied v o m 18. 2.1871 die Notwendigkeit eines Kirchenvermögensgesetzes anerkannte u n d die Staatsregierung m i t der Ausarbeitung beauftragt hatte, ließ erst Kultusminister v. Wehner über 30 Jahre später einen E n t w u r f ausarbeiten. 77 G S T A M , M A 94901/3, Nr. 12 244. 78 RM, 75, 2./3. 4.1906. 79 R M , 76, 4. 4.1906. 9*
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jähriges Unrecht gegen die katholische Kirche zu konservieren" 80 . Held zog sich mit dieser scharfen Attacke gegen den Entwurf eine direkte Rüge des Münchner Erzbischofs zu, der den Entwurf i m Namen der Mehrheit des bayerischen Episkopats i m großen und ganzen ja gutgeheißen hatte 8 1 . I n einer längeren Artikelserie, „Kirchenpolitisches i n Bayern", behandelte Held die historische Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat i n Bayern 8 2 . Ausgehen mußte er dabei vom Verhältnis des Konkordates zum Religionsedikt. Das Konkordat bilde einen „wesentlichen und vollgültigen Bestandteil der bayerischen Verfassungsurkunde. Das Religionsedikt dagegen stellt sich dar als ein einseitiger Willensakt der bayerischen Staatsgewalt, der als solcher nach allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen den Bestimmungen des Konkordates nicht derogieren kann" 8 3 . Deshalb könnten Bestimmungen des Religionsedikts, sofern sie den Bestimmungen des Konkordats widersprechen, keinen Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit erheben, solange die Kurie denselben nicht ausdrücklich ihre Zustimmung erteilt hatte. Das letztere aber war nicht der Fall. Vielmehr hatten Kurie und Bischöfe immer wieder i n aller Form Verwahrung eingelegt gegen die dem Konkordat zuwiderlaufenden Bestimmungen des Religionsedikts und ihre A n wendung. Die neue Kirchengemeindeordnung würde aber gerade auf diesen Bestimmungen aufbauen. Schon i m Konkordat waren dem Staat in Bayern viele und „ungemein weit i n das innerkirchliche Leben eingreifende Vorrechte" 8 4 eingeräumt worden, die von diesem in der ausgiebigsten Weise bis ins 20. Jh. ausgeübt wurden. so Ebd. si I n einem Brief v o m 1.4.1906 hatte der Regensburger Generalvikar Dr. Leitner Held geschrieben, daß der Erzbischof von München wiederholt „ m i r gegenüber die Auffassung ausgesprochen hat, es sei eine Rektifikation des bekannten Artikels i m ,Regensburger Morgenblatt' über die Freisinger Konferenz bzw. über den Beschluß betreffend die neue Kirchengemeindeordnung notwendig". A H R . Held lehnte jedoch eine solche Rektifikation m i t Schreiben v o m 2. 4.1906 an Dr. Leitner ab. Er sei sich nicht bewußt, „die dem hochwürdigsten Episkopat geschuldete Ehrerbietigkeit außer Acht gelassen zu haben. Ich b i n daher auch nicht i n der Lage, ein Wort von dem, was jener A r t i k e l enthält, hinwegzunehmen oder zu widerrufen". Durchschlag des Schreibens an Dr. Leitner i n A H R . 82 RM, 75, 2./3.4.1906 — RM, 98, 2.5.1906. I m folgenden werden kurz referierend die ausführlichen Erörterungen Heids, die eine umfängliche Broschüre abgeben würden, zusammengefaßt. 83 RM, 76, 4.4. 1906. A m 5. J u n i 1817 w a r das Konkordat zwischen dem päpstlichen Stuhle u n d dem K ö n i g von Bayern abgeschlossen worden. A m 26. M a i 1818 erließ der K ö n i g von Bayern die Verfassung, der als Beilage I I das sog. Religionsedikt angefügt wurde. Held w a r n u n der Meinung, daß der K ö n i g „ v o n der lautersten Gesinnung beseelt und w e i t davon entfernt war, an den konkordatsmäßigen Abmachungen zu rütteln; w o h l aber ist offenkundig, daß bayerische Staatsdiener, die als königliche Räte m i t der A b fassung der Konstitution betraut waren, die Absicht hatten, den bereits
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Das Religionsedikt hatte die der Kirche i m Konkordat gewährleisteten Rechte einseitig beschnitten, während die Regierung zu gleicher Zeit nicht auf die Vorrechte verzichtete, die das Konkordat ihr gewährte. Lutz hatte ja den Kulturkampf in Bayern staatskirchenrechtlich geführt, während Bismarck ihn politisch führte. Lutz konnte sich auf rechtliche Faktoren berufen und seine Kirchenpolitik auf staatsrechtliche Grundsätze stützen: das Konkordat, das Religionsedikt und die Tegernseer Erklärung. Lutz legte diese drei Punkte und die damit verbundenen unklaren Verhältnisse je nach der Situation für sich und seinen staatskirchlichen Standpunkt aus 85 ; er dachte ganz i n der Tradition der Prinzipien der Aufklärung i m Verhältnis von Staat und Kirche, i n dem der Staat nun die Kirche als „eine wohltätige Stütze der sittlichen Ordnung und K u l t u r " 8 6 ansah und sie als eine Staatsanstalt i n seine staatskirchliche Obhut zu nehmen versuchte. Der bayerische Staat hat i n seinen kirchenpolitischen Maßnahmen bei und nach Abschluß des Konkordats eine Doppelstellung eingenommen. Während i h m m i t Rücksicht auf sein katholisches Herrscherhaus von der Kurie i m Konkordat Privilegien eingeräumt wurden, fand er es für angängig, das auf protestantisch kirchenrechtliche Anschauungen sich gründende jus circa sacra auch den Katholiken gegenüber i m Religionsedikt in Anspruch zu nehmen. Daraus erklärte sich für Held der Widerspruch zwischen dem zweiseitig feierlich geschlossenen Vertrag mit der Kurie i m Konkordat und dem einseitigen Staatsakt des Religionsedikts, „ein ungeheuerlicher Mißstand, der endlich aus der Welt geschafft werden sollte" 8 7 . Deshalb w a r die Annahme einer Kirchengemeindeordnung, die diese Verhältnisse gesetzlich festlegen und für die Katholiken als rechtsverbindlich statuieren wollte, die überdies der Würde, der Freiheit und dem selbständigen Recht der Kirche zuwiderliefen und die Kirche zu einer Staatsanstalt machen würde, unmöglich. Denn die Kirche war für Held eine „vollständig freie Sozietät, die als gleichberechtigter Faktor in und neben dem Staat besteht" 88 . I n Bayern hatte die Staatsgewalt durch das Religionsedikt eigenmächtig i n die Rechtssphäre der Kirche gegriffen; der bayerische Staat hatte damit nicht nur die naturgemäßen Grenzen seiner Macht willkürlich über den
vertragsmäßig festgelegten W i l l e n des Königs zuschanden zu machen und das Konkordat mittels des Religionsedikts zu zerreißen". (RM, 94, 27.4.1906) Auch die Tegernseer Erklärung Ludwigs I. behandelten die liberalen Regierungsmänner „alsbald wieder als L u f t u n d richteten ihre Praxis ausschließlich auf das Religionsedikt ein". (RM, 98, 2. 5.1906) 84 Ebd. 85 Vgl. dazu auch H. Brück: Bd. I V , T e i l 2, S. 218 ff. 86 Spindler: „Bayern i m 19. Jh.", S. 170. 87 RM, 76, 4. 4. 1906. 88 RM, 78, 6. 4.1906.
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Herrschaftsbereich der Kirche zu erweitern gesucht, er hatte dadurch auch die Souveränität der Kirche verletzt. Sieben Monate nach dem Konkordat erließ der König das Religionsedikt. „Daß bei dieser Sachlage die katholische Kirche . . . die einseitig vom Staat erlassenen Bestimmungen . . . des Religionsedikts, soweit sie sich m i t den Bestimmungen des Konkordats i n Widerspruch setzten, nicht anerkennen konnten und können, liegt auf der Hand 8 9 ." Das Konkordat galt nicht, wie die Liberalen meinten, als Anhang zum Religionsedikt, sondern das Konkordat hatte „bei widerstreitenden Bestimmungen den Vorrang vor dem Religionsedikt" 9 0 ." Auf die komplizierten staatsrechtlichen Auseinandersetzungen in dieser Frage kann nicht eingegangen werden 9 1 . Held verwies auf den § 64 b der II. Verfassungsbeilage, wonach der katholischen Kirche jedes Verfügungsrecht über ihr Eigentum entzogen ist. „Die katholische Kirche ist tatsächlich i n Bayern vermögensrechtlich durch Staatsgesetz gleichgestellt Unmündigen, notorischen Verschwendern und Geisteskranken" 92 . Ein Katholik, der seine Kirche achtete, mußte m i t allen zulässigen Mitteln einem solchen Zustand ein Ende bereiten; aber gerade die neue Kirchengemeindeordnung wollte diesen Zustand erhalten und gesetzlich sanktionieren. Held wollte ihr nur dann die Zustimmung geben, wenn sie sich von staatskirchlichen Anschauungen freihielt und auf die weitere Aufrechterhaltung der Bestimmungen der II. Verfassungsbeilage verzichtete. Der Staat mußte die Hoheit und die Würde der Kirche nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch i n ihrem vollen Umfang anerkennen. Was nun speziell das Vermögensrecht der katholischen Kirche betraf, um das es sich ja zum größten Teil bei der Kirchengemeindeordnung handelte, wollte Held sich damit abfinden, daß der § 64 der II. Verfassungsbeilage dahin geändert würde, daß die „Bestimmungen über liegende Güter der Kirche" als gemischte Gegenstände erklärt würden 9 3 . Ein Mitaufsichtsrecht des Staates über die Verwaltung des Kirchenvermögens wollte er hinnehmen. Das Verfahren, das Kultusminister Wehner bei der Behandlung der „Kirchengemeindeordnung" pflegte, fand bei Held heftige K r i t i k . Der Entwurf war zunächst nicht der Öffentlichkeit vorgelegt worden, sondern nur den kirchlichen Oberbehörden unter der Verpflichtung zum
89 RM, 90, 22. 4. 1906. 90 RM, 93, 28. 4.1906. 91 Z u diesen Problemen siehe: H. W. L. Doering: „Staat u n d Kirche Bayern." München 1928, B d . I , S. 145 ff. 92 RM, 78, 6. 4.1906. 93 RM, 78, 6. 4. 1906.
in
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Stillschweigen 94 . Der Minister habe sich seine Aufgabe der Volksvertretung und der Öffentlichkeit gegenüber leichter machen und sich auf „diesem, in Bayern nicht mehr unmöglichen Wege" 9 5 den Erfolg von vornherein sichern wollen. Diese Zweckgeheimniskrämerei, wie sie vorzugsweise i n kirchlichen Angelegenheiten Anwendung fand, war nichts weiter als ein „oft erprobtes und beliebtes Requisit des latenten kgl. bayerischen Kulturkampfes" 9 6 . Kultusminister Wehner sei „theoretisch und praktisch nichts anderes als der treue Bewahrer und Förderer des überkommenen staatskirchlichen Systems . . . der Schüler seiner Lehrer, der selbsterzogene Nachfolger seiner Vorgänger, kurz ein Mann, der i m staatskirchlichen System aufgewachsen und großgeworden ist" 9 7 . Solche unerhört scharfen Worte gegen einen bayerischen Minister mißfielen nicht nur dem Minister selbst, sondern auch prominenten Zentrumsabgeordneten, die die Argumente Heids als Angriff eines „Preußen" abqualifizierten 98 . Diese Auseinandersetzungen in der Presse, i n die auch die „Münchner Neuesten Nachrichten" und die „Münchner-Augsburger Abendzeitung" zur Schützenhilfe für den an sich „zentrumsfreundlichen" Kultusminister eingriffen, hatten sich noch vor Heids E i n t r i t t in die Kammer der Abgeordneten abgespielt 99 . Von 1905 bis 1907 war der Entwurf i m Ministerium und bei den bayerischen Ordinariaten geblieben, bis er zur Session 1907/08 der Kammer als Regierungsentwurf vorgelegt wurde 1 0 0 . Held wurde i n den „Besonderen (IX.) Ausschuß von der Zentrumsfraktion delegiert 1 0 1 . 94 Held i n RM, 79, 7.4.1906: „Vielleicht findet der Herr Kultusminister v. Wehner einmal die Muße, beispielsweise i n den Schriften Rottecks über die Forderung der Öffentlichkeit des Verfahrens nachzulesen . . . " 95 RM, 79, 7. 4.1906. 96 Ebd. 97 RM, 83, 12. 4.1906. 98 Zit. i n RM, 8. 4.1906. Held bezichtigte daraufhin die Zentrumsabgeordneten Reeb und Memminger „einer Krähwinkelauffassung" und stellte fest, daß viele K a t h o l i k e n i n Bayern „derart i n staatskirchlichen Anschauungen befangen sind, daß ihnen die Empfindung dafür abhanden gekommen scheint, wie u n w ü r d i g die Lage der katholischen Kirche i n Bayern vielfach ist". Sie würden i n den kirchlichen Oberbehörden n u r eine „besondere A r t untergeordneter Staatspolizeiinstitute" erblicken. RM, 81, 9./10.4.1910. 99 Sie erklären auch zum Teil die wenig freundliche Gesinnung i n M i n i sterien und eigener F r a k t i o n gegen ihn, als er 1907 als Abgeordneter von Burglengenfeld dort eintrat. 100 Der Gesetzentwurf bestand aus 12 A r t i k e l n u n d zerfiel i n 5 Abschnitte: I. Kirchengemeinden u n d Ortskirchenvermögen I I . Ortskirchenbedürfnisse und M i t t e l zu ihrer Befriedigung I I I . Ortskirchliche Vertretungskörper I V . Staatsaufsicht u n d Handhabung der Disziplin V. Schlußbestimmungen. Der E n t w u r f sollte also i n der Hauptsache die V e r w a l t u n g des Kirchen-
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So eigenwillig und oft gegen die Meinung der Fraktion gerichtet wie i n den vorhergegangenen Presseauseinandersetzungen war seine Stellung auch dort. Held hatte bereits in öffentlichen Versammlungen erklärt, „daß der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form unter keinen Umständen Zustimmung finden kann, denn er erklärt die Staatsomnipotenz über das Kirchen vermögen" 1 0 2 . Auch die Bischöfe Bayerns griff Held direkt an: „ W i r können es nicht glauben, daß unsere Oberhirten dem Entwurf der Kirchengemeindeordnung auch nur bedingungsweise zugestimmt haben. Trifft dies dennoch zu, so hegen w i r tiefstes Bedauern und erwarten Aufklärung i m Interesse von Freund und Feind 1 0 3 ." Diese Sprache war eindeutig, ja rebellisch gegen die kirchliche Autorität, der gegenüber Held ansonsten immer unbedingten Gehorsam gefordert hatte. Freilich, er hatte i n diesem Fall die unbedingte Unterstützung des Regensburger Bischofs, der den Gesetzentwurf nach wie vor ablehnte. Ein Anonymus hatte i n der „Münchner Allgemeinen Zeitung" schon die Situation angesprochen: „Es ist gut, m i t wachsamen Augen zu verfolgen, was von Regensburg aus nunmehr i n Szene gesetzt werden w i r d 1 0 4 . " Aber erst am 20.1.1910 begannen die Beratungen i m Ausschuß. Gleich zu Anfang ließ Held dort wissen: „ F ü r seine Person stehe er der Kirchengemeindeordnung überhaupt viel skeptischer gegenüber als ein großer Teil seiner Freunde 1 0 5 ." Nach der 1. Lesung stimmte Held m i t Nein. Die sonst als konservativ geltenden Mitglieder des Zentrums stimmten mit Ja 1 0 6 . I n der 2. Lesung 1 0 7 , wo es vor allem i m A r t i k e l 6 des Entwurfes um die Frage ging, ob die Kreisregierung, also der Staat, ein Einspruchsrecht gegen eine i n die Kirchenverwaltung gewählte Person, die „vom staatlichen Standpunkt" nicht genehm war, bekommen sollte, gestand Held: „Ich stehe hier m i t meinen Parteifreunden i m Gegensatz und komme zu derselben Auffassung wie Dr. Casselmann 108 ." I m Plenum der Kammer der Abgeordneten ververmögens einer Neuregelung unterordnen. Er hielt an der Säkularisierung der Kirchenvermögensverwaltung fest u n d schuf dafür als eigenes Organ „die Kirchengemeinde". ιοί Sten. Ber., 1907, Bd. 1, S. 453. ι 0 2 So i n einer Münchner Zentrumsversammlung am 4.12.1907, zit. i n RM, 279, 7.12.1907. A m 26.9.1907 i n Burglengenfeld : „Der Kirche seien schon heute i n Bayern viele Fesseln angelegt von unserem Staatskatholizismus, von unserem Staatskirchentum", zit. i n RA, 483, 26. 9.1907. 103 RM, 261, 16.11.1907. 104 M A Z , 531, 16. 11. 1907. los Sten. Ber., 1909/10, Beil. Bd. 10, Beil. 930, S. 19. 106 Ebd., S. 100. 107 Beil. Bd. 10, Beil. 967. los Ebd., S. 255, Casselmann w a r liberaler Abgeordneter.
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suchte Held seine isolierte Stellung, auch zur Rechtfertigung vor der eigenen Fraktion, näher zu umreißen: er sei nicht nur deshalb nicht m i t allem i m Gesetz einverstanden gewesen, „ w e i l das Gesetz nicht durchaus kirchlichen Anschauungen entspricht, sondern ich erklärte so und so oft i m Ausschusse: dem Rechtsempfinden, dem Wesen der Freiheit entspricht es nicht! Wer die historische Entwicklung kennt, wer die juristische Natur der Kirche und die des Staates kennt und sie gegeneinander abwägt, kann nicht zugeben, daß die Kirche unter die Staatsfuchtel gestellt w i r d " 1 0 9 . Diese echten Bedenken, die ehrliche Sorge, die aus historischer Erfahrung gewachsen und von einem grundsätzlichen Verständnis vom Verhältnis von Staat und Kirche getragen waren, gaben bei den Überlegungen Heids den Ausschlag gegenüber den tatsächlichen Vorteilen, die die neue Kirchengemeindeordnung gegenüber den alten Zuständen bringen konnte. Und gewisse Vorteile waren es wirklich, die die Mehrheit des Zentrums und auch die Bischöfe in den neuen Regelungen sehen konnten: sie schufen genau umgrenzte Rechtsverhältnisse i m Gegensatz zu früher, wo es für die finanzielle Selbständigkeit der Kirchengemeinden an der notwendigen rechtlichen Unterlage fehlte. Ferner erhielten die Ordinariate durch das Gesetz eine sehr ausgedehnte Oberaufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung. Es waren dies gerade vom kirchlichen Standpunkt aus Verbesserungen, die man sich nicht entgehen lassen wollte. Man verzichtete deshalb von dieser Seite aus gern auf Erörterungen prinzipieller Natur, wie sie Held angelegen waren. Deshalb fand er auch i m bayerischen Zentrum so wenig Widerhall und Unterstützung m i t seiner prinzipiellen Gegnerschaft gegen die dem Entwurf zugrundeliegende staatshoheitliche Auffassung. Held wollte noch mehr für die Kirche i m Sinne ihrer Freiheit haben „als deren Führer selbst w o l l t e n " 1 1 0 . Er war in Bayern der aggressivste Kämpfer gegen das Staatskirchentum, er war vielleicht aggressiver als es notwendig war, denn die bayerische katholische Kirche genoß trotz mancher staatskirchlicher Bevormundung materielle und ideelle Vorrechte. Von der Säkularisation hatte sie sich, auch was das Kirchenvermögen anging, gut erholt. Die endgültige Verabschiedung der Kirchengemeindeordnung scheiterte zunächst an der Kammerauflösung i m November 1911. Vom Ministerium Hertling wurde ein neuer Entwurf vorgelegt. A m 24. 8.1912 beriet der Ausschuß den neuen Entwurf durch, der sich i m großen und ganzen an die Kammerbeschlüsse von 1910 hielt 1 1 1 . Die i m alten Entwurf von Held so stark bekämpften A r t i k e l 6, 12, 37, 45 waren abgemildert 109 Sten. Ber., 1910, Bd. 11, S. 327. no Frankfurter Zeitung, 135, 18. 5.1910. m Sten. Ber. 1912, Beil. Bd. 2, Beil. 305, S. 453 ff.
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worden. Als am 11. September 1912 in der Kammer der Abgeordneten der Entwurf zur Entscheidung stand, stimmte Held mit Ja 1 1 2 . Der neue Geist, der vom Zentrum einem Zentrumsministerium entgegengebracht wurde, und wesentliche Verbesserungen i n der Sache selbst, lassen Heids Wendung erklären. Das Zentrum war nun Hertling gegenüber keine Oppositionspartei mehr, es konnte nun die Stellungen ausbauen, die es sich schon während der letzten Jahre der Ära Podewils allmählich als Mehrheitspartei Stück für Stück zu erobern begonnen hatte. I n den Zugeständnissen, die das Ministerium Podewils i n seinen Rückzuggefechten der Mehrheitspartei gerade i n kirchen- und kulturpolitischen Gesichtspunkten machte, sah Held schon „eine Gewähr für die Zukunft, daß manche Dinge, wie sie i n der Vergangenheit i n Bayern noch an der Tagesordnung sein konnten, i n der Zukunft sich nicht mehr einstellen werden" 1 1 3 . Die schlimmen Zeiten der Ministerien Lutz und Crailsheim schienen überwunden. Das Zentrum war sich, wie es Held immer gefordert hatte, stärker seiner parlamentarischen Macht bewußt geworden und war bereit, sie auch m i t allen konstitutionellen Mitteln auszunutzen. Als das Ministerium Podewils 1911 sich dieser Macht noch einmal zu erwehren versuchte, mußte es fallen.
Π2 sten. Ber. 1912, Bd. 5, S. 206. us sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1009.
V I I . Übergang zur konservativen bayerischen Staatspolitik — Die wachsende Opposition des Zentrums gegen das Ministerium Podewils I n den letzten Jahren der Ära Podewils traten bei Held vor allem Grundstörungen seines politischen Wollens stärker hervor, die schließlich eine sozialpolitische, konstitutionell wachsame Oppositionshaltung, die ihn oft auch i n Konflikt m i t der eigenen Fraktion gebracht hatte, überdeckten. Es ist der „Übergang zur konservativen bayerischen Staatspolitik". Den Ministerpräsident erinnerte Held i m Januar 1910 sehr eindringlich daran, „daß w i r verlangen, daß der Staat eine christlich-konservative Grundlage habe, daß die Direktion der Staatsleitung auch sich auf diese Grundsätze stellt und daß vor allem auch i n der Öffentlichkeit Schutz der christlichen Sitte und der christlichen Erziehung gefordert w i r d " 1 . I m Zeichen der Bemühungen um diese christlich konservative Grundlage des bayerischen Staates, begann nun verstärkt der weltanschauliche Kampf m i t den Liberalen in den sogenannten K u l t u r kampfdebatten, die bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges andauerten, begann aber auch i m Bereich des Staatlich-Sozialen die heftige politische Auseinandersetzung m i t der vordrängenden Sozialdemokratie: beides Gegner, die i n den Augen Heids i m Begriff waren, diese christlich-konservativen Grundlagen des bayerischen Staates i n Frage zu stellen. Die Regierung Podewils war noch ein reines Beamtenministerium gewesen, man hatte es i m Vergleich zum System Crailsheim als einen Fortschritt, eine Erleichterung empfunden, und zunächst gab es auch vom Zentrum aus keine besondere Opposition dagegen. Die Regierung hatte ja die vom Zentrum geforderte Wahlrechtsreform und außerdem die von Held propagierte Verhältniswahl in den Städten eingeführt. Allmählich aber begann die Opposition des Zentrums. Die Regierung geriet i n die Mühlsteine der erbitterten Auseinandersetzungen, die sich zwischen Zentrum/Konservativen auf der einen Seite und Liberalen/ Sozialdemokraten auf der anderen Seite abspielten. Ihr Standpunkt war äußerst schwierig: das Zentrum verlangte gebieterisch die Übernahme seiner Politik durch das Ministerium; die liberal-soziale Koalition, die sich langsam ankündigte, verlangte Schutz vor der Übermacht ι Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1010.
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der Gegenseite und hatte politisch konträre Forderungen. Das Ministerium Podewils wurde i n diesem Kampf schließlich zerrieben. 1. Kulturpolitik Für das Zentrum ging es nun darum, die noch stark wirkenden liberalen und antikatholischen Reste der Kulturkampfzeit unter dem Ministerium Lutz und des Systems Crailsheim zu eliminieren und endlich auch i n diesem Bereich seine Vorstellungen durchzusetzen. I n seiner Wahlrede 1907 hatte Held angedeutet, daß auf dem Gebiete der Schule i n den nächsten Jahren „der Hauptkampf zwischen den Anhängern und Gegnern des Christentums ausgetragen werden" sollte 2 . Schon seit Jahren hatten sich, wie er beobachten zu können glaubte, Liberale und Sozialdemokraten bemüht, aus der christlichen konfessionellen Schule über den Weg der Simultanschule zur konfessions- und religionslosen Staatsschule zu gelangen. Gegen derartige Bestrebungen mußte das Zentrum m i t aller Entschiedenheit Front machen, schon aus staatspolitischen Gründen, denn wenn die Jugend religiös gleichgültig oder sogar religionsfeindlich heranwuchs, würde die Gesellschaft „reif für den politischen und religiösen Radikalismus und Anarchismus" 3 . Simultanschulen förderten den religiösen Indifferentismus und damit „zur gleichen Zeit eine Schwächung der kirchlichen und staatlichen Autorität" 4 . Der Kampf für die Konfessionsschule war deshalb für Held eine wahrhaft vaterlandsfreundliche Tat. Auf das Gebiet der Schule konzentrierte sich auch immer mehr „der gewaltige Kampf zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Christentum und A n t i christentum 5 ." Held verwies auf Frankreich, „wo das Werk der Entchristlichung der Schule bereits vollständig gelungen ist" 6 . Was tat in dieser Situation der bayerische Kultusminister? Held gab i h m gerne zu, daß er auf dem Boden der Konfessionsschule stand, aber es kam für ihn auf die „regierungsseitige Ausführung" an 7 . Das Zentrum mußte deshalb mit unablässiger Aufmerksamkeit die Pfade der Schulexekutive bewachen. Die Schuldebatten im Landtag, i n denen die Konfessionsschulen gegen die Angriffe der Liberalen und Sozialisten zu verteidigen waren, bekamen so mehr den Charakter weltanschaulicher, dogmatisch geführter Auseinandersetzungen auf Kulturkampf2 3 4 s 6 7
RM, Ebd. RM, RM, Ebd. RM,
49, 1. 3. 1907. 262, 19.11.1904. 5, 9.1. 1908. RM, 5, 9. 1.1908. 13, 18. 1. 1908.
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niveau. Held verbreitete sich ζ. Β. am 11. 7.1910 auf 14 Seiten des amtlichen Protokolls i m Plenum über die dogmatisch-religiöse Fundierung der Konfessionsschule und ihrer staatspolitischen Bedeutung 8 . Er wurde bald neben Pichler der Hauptredner des Zentrums i n diesen Fragen. Dabei wiederholten bei jeder Beratung des Kulturetats beide Seiten i n Angriff und Verteidigung nur wenig variiert ihre Argumente. Für Held war konfessioneller Unterricht unumgänglich, so auch in Geschichte: Beispiele waren Reformation und Säkularisation, da „ t r i t t notwendigerweise die Scheidung ein je nach der Weltanschauung" 9 . Müller-Meiningen nannte dann darauf die Verquickung weltpolitischer Dinge und der religiösen den „Hauptkrebsschaden unseres ganzen bayerischen Lebens" 10 . Und sobald der Minister Wehner von der Notwendigkeit religiös sittlicher Erziehung sprach, kam von Zentrumsseite das stereotype „Bravo". Dabei war man dort mit Wehner noch nicht ganz zufrieden; der Hinweis Heids, die letzten Jahre hätten genügsam den Beweis erbracht, „daß auch i n der Unterrichtsverwaltung noch lange nicht alles so gestellt ist, wie wir, wenn w i r einmal von der Weltanschauung sprechen wollen, es verlangen müßten" 1 1 , mußte Wehner das Fürchten lehren. Vor allem mit dem kulturkämpferisch besonders aggressiven liberalen Abgeordneten Müller-Meiningen kam Held oft ins Gefecht 12 und mußte sich von ihm den Vorwurf gefallen lassen, daß „gerade sein Auftreten hier i m Hause wie außerhalb desselben wesentlich zur Verschärfung der Gegensätze beigetragen" habe 13 . Große Gefahren für die katholische Schule sah Held vor allem i n den Tendenzen des Bayerischen Lehrervereins, die durchaus „gegen die positive Religion gerichtet . . . und in erster Linie aber katholikenfeindlich" waren 1 4 . Der sog. Lehrerradikalismus machte dem Zentrum auch politisch zu schaffen 15 . I m Gehaltsordnungsausschuß hatte Held eine undiplomatische, unglückliche Äußerung über die Quantität der s Sten. Ber. 1910, Bd. 11, S. 260 ff. » Sten. Ber. 1910, Bd. 11, S. 263. 10 a.a.O., S. 270. 11 a.a.O., S. 270. ι 2 Müller-Meiningen: „Der Zukunftskampfruf lautet: Die Volksschule dem Staate u n d den deutschen Lehrern als den besten Beratern dieser Schule." Sten. Ber. 1910, Bd. 12, S. 293. Held: „ W i r sind der Meinung, daß die Kirche nach ihrer Natur u n d nach der Aufgabe, die sie gesetzt bekommen hat, selbstverständlich von sich aus ein Recht auf die Volksschule hat. Die Volksschule hat den Hauptzweck, eine religiös-sittliche Erziehung zu vermitteln. Deshalb sagen w i r , die geistliche Schulaufsicht muß i n vollem Umfang aufrechterhalten bleiben." Sten. Ber., Bd. 12, S. 295 f. 13 Sten. Ber. 1910, Bd. 11, S. 270. 1 4 Sten. Ber. 1910, Bd. 12, S. 301. is Die geistigen Führer des Bauernbundes waren zum großen T e i l liberale Lehrer neben Redakteuren.
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Arbeitsleistung der Lehrer gemacht 16 . Daraufhin setzte eine systematische Hetze gegen Held und das Zentrum ein. Der „Regensburger Anzeiger" schrieb einen A r t i k e l „Die Hetze der liberalen Presse gegen den Abgeordneten Held i n Permanenz" 17 , i n der sich vor allem die „Augsburger Abendzeitung" hervortat. Diese Hetze nahm Heim zur Gelegenheit, seinen Freund Held i n einer glänzenden Rede gegen den „bayerischen Lehrerradikalismus" i n Schutz zu nehmen 18 . Für Held zeigte sich i n dieser Kampagne, daß die bayerische Lehrerschaft auf dem Weg des Liberalismus i n verhältnismäßig kurzer Zeit zum vollen Radikalismus gekommen war, „der gegen die Autorität des Staates eine ebenso rebellische Sprache führt wie gegen die Kirche" 1 9 . Sie leiste m i t ihrer sog. modernen Pädagogik der Sozialdemokratie M i t - und Hilfsarbeit. Die Zerstörung der Grundlagen aller kirchlichen, staatlichen und sozialen Ordnung konnte nach Heids Meinung die Sozialdemokratie ruhig der modernen Schule überlassen. Die Geistlichen sollten aus der Schule hinausgedrängt werden, um damit den Einfluß der Kirche auf die Schulen zu brechen. Deshalb müßten Eltern, Staat und Kirche darüber wachen, nach welchen Grundsätzen die Kinder zu erziehen seien. Die geistliche Schulaufsicht wurde so für das Zentrum zur zentralen Forderung ihrer Kulturpolitik; 1919 mußte sie diese jedoch unter dem Druck der Revolution aufgeben 20 . Auch der Geist an den Universitäten und die Besetzung der Lehrstühle konnten dem Zentrum nicht gefallen. Die ursprünglich und stiftungsmäßig katholischen Universitäten München und Würzburg hatten i m Laufe der Zeit ihren katholischen Charakter eingebüßt und sich zu „vorzugsweise liberal-protestantischen Hochschulen" 21 entwickelt. A n ihnen übten voraussetzungslose, liberale Professorenringe „Was die Lehrer betrifft, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß ihre Leistungen nicht anzugleichen sind den Leistungen der anderen Beamten i n Klasse 17. Die Lehrer haben mehrere Monate i m Jahre frei, was bei den Beamten der Klasse 17 nicht der F a l l ist, die Lehrer haben täglich n u r 5 Stunden Unterricht, während die anderen Beamten der Klasse 17 den Tag über fast gar keine freie Zeit haben." B L A M X I I Ausschuß Nr. 1552 s, S. 2. 17 RA, 311, 24. 6.1908. 18 RA, 382. 2. 8.1908. 19 RA, 160, 18. 7.1908. 20 Bezeichnende Stellungnahme zum Thema des Verhältnisses von Zentrum zur Lehrerschaft finden sich i m Fraktionstagebuch. Der Abgeordnete Dr. Matzinger: „ I c h b i n k e i n Freund der Lehreraufbesserung . . . , jeder Lehrer hat n u r eine Stimme, die hat er schon bis jetzt gegen uns abgegeben." S. 674. Kammerpräsident Orterer: „ K e i n Stand beschmutzt sein Nest so w i e die Schullehrer." S. 676. Dr. Pichler: „Es ist die heiligste Pflicht f ü r uns, dahin zu arbeiten, daß diesem Geist Einhalt getan wird, sonst geht es uns wie i n Frankreich, w o die Lehrer das ganze V o l k zugrunde richten." S. 676. N u r der Abgeordnete H e i m riet zur Mäßigung: „ N u r keinen Polizeistock anrufen!" Ebd. 21 RM, 183, 13. 8.1902.
1. K u l t u r p o l i t i k
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den entscheidenden Einfluß aus, die jeden bekenntnistreuen Katholiken fernzuhalten suchten. Diese Entwicklung konnten die Universitäten i n dem überwiegend katholischen Lande Bayern nur nehmen dank der Liebe, welche das bayerische Regierungssystem seit nahezu einem halben Jahrhundert dem Liberalismus, dem Preußentum und dem Protestantismus gewidmet hatte. Jahrelang habe man „rein antikatholische Tendenzen bei der Berufung" 2 2 vorwalten lassen. „Das muß ein Ende haben, ein Ende in Würzburg und ein Ende i n München. W i r verlangen es, w i r bayerischen Katholiken, daß die bayerischen, die katholischen Gelehrten nicht schlechter behandelt werden als jeder andere, als jeder x-beliebige Hypothesenfabrikant, der an den Bayerischen Universitäten frei unterkommen kann 2 3 ." Alles, was sich an kulturpolitischer, konfessioneller Polemik zwischen Zentrum und sich abzeichnender liberal-sozialistischer Koalition während des Ministeriums Podewils und auch noch i n die Zeit des M i n i steriums Hertling hinein abspielte, ist i n seiner intensiven Schärfe und gegenseitigen Ubertreibung nur schwer zu verstehen. Es w a r für das Zentrum die nachträgliche Abrechnung mit den Söhnen über die Schulden der liberalen Väter. Bei Held lösten sich jetzt die gestauten Ressentiments, die sich durch Erlebnis und Erinnerung an religiöse Knechtung und politische Zurücksetzung der Katholiken durch die liberale Übermacht i n den ersten Jahrzehnten des Bismarckreiches bis i n den Anfang des neuen Jahrhunderts hinein gebildet hatten, sie drängten jetzt zur massiven Gegenwehr, zur nachträglichen Abrechnung und schössen dabei über das Ziel hinaus. Das Trauma des Kulturkampfes belastete Heids Verhältnis zu den Liberalen bis in die letzten Tage seines politischen Lebens, er w a r i n diesem Sinn ein Mann der Vergangenheit, fixiert an sein stärkstes politisches Erlebnis, den Kulturkampf. Diese Umstände machten die Kulturdebatten zu Kulturkämpfen i m bayerischen Landtag, gaben ihnen eine Schärfe und Intensität, die heute nur mehr schwer zu begreifen sind. A n Müller-Meiningen gewandt, den größten bayerischen K u l t u r kampfepigonen, sprach Held 1909 diese Stimmung und politisch-konfessionelle Sensibilität klar an: „Wenn heute die Katholiken vorsichtig geworden sind und wenn sie da und dort sogar nervös werden, wer w i l l ihnen das nach den Erfahrungen, die w i r durch Ihre Liebenswürdigkeit und Ihren negativen Gerechtigkeitssinn machen mußten, verargen. Wer ist es gewesen, der gerade i n Preußen den Kulturkampf gemacht hat? Die Herren Liberalen und vor allem die Freisinnigen 24 ." Die Erfahrun22 Sten., Ber. 1903, Bd. 8, S. 111. 23 Ebd. 24 Sten. Ber. 1909, Bd. 8, S. 778.
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gen daraus mußten i n die Praxis umgesetzt werden. Das konnte auch zu grotesken Übertreibungen führen. 1909 verlangte das Zentrum die Verwendung und den Einsatz auch katholischer Schwestern in Militärlazaretten. Es gab einen stundenlangen Streit darüber i n der Abgeordnetenkammer 25 . Vollmar sprach von einer „konfessionellen Besessenheit und Drehkrankheit" 2 6 und Müller-Meiningen beklagte sich, daß Held es wirklich nicht notwendig hätte „ i n einer so offensiven Weise gegen uns aufzutreten" 27 . Nach Heids Meinung war nicht das Zentrum konfessionell, sondern die Liberalen waren antikonfessionell 28 . Es hatte sich nichts geändert: „Es ist ein wirklicher Kulturkampf, den w i r für die christliche K u l t u r führen" 2 9 . Deshalb verlangte Held auch vom Kultusminister Knilling, bereits unter dem Ministerium Hertling, den konfessionslosen Moralunterricht zu verbieten, der auch die größte und unmittelbarste Gefahr für Staat und Gesellschaft bedeutete, denn dieser predige den reinsten Subjektivismus, die reine Anarchie des Denkens und damit auch die Anarchie des Lebens. Das hätte eine „reine Umwälzung, eine Revolution, wie sie noch nie da war" i m Gefolge 30 . Dem Staat müsse das Recht der Selbsterhaltung gegenüber solchen Tendenzen zugestanden werden. Die starke Perhorreszierung, die Steigerung von politischen Gegenvorstellungen vor allem i m kulturellen Bereich zur Vorstellung von Kampf und ständiger Bedrohung, war für Held typisch. Sie verrät sich schon an der Wahl der dramatischen Worte: „Das was Sie wollen, ist keine Freiheit, das ist Niederknüppelung von uns, der Zwang gegen uns, die Vertilgung dessen, was uns als höchstes Ideal gilt 3 1 ." Der liberale Vorwurf gegen das Zentrum, es verquicke Politik und Religion und mißbrauche sie zu politischen Zwecken, war oft nicht ganz von der Hand zu weisen. Bei der Agitation zur Reichsfinanzreform 1909/10, wo die Wähler auf dem Lande unruhig zu werden drohten, wurde die Einigkeit, die Disziplin nicht selten damit wieder erzwungen, daß man das 25 Sten. Ber. 1909, Bd. 8, Sitzung Nr. 237 v o m 22.12. 1909. 26 Ebd., S. 763. 27 Ebd., S. 780. 28 Held antwortete M ü l l e r - M e i n i n g e n am 17.1.1910: „Wer hat die Scheite gegen die Kirche zusammengetragen, w e r hat uns damals bis aufs B l u t verfolgt? I h r bester Parteifreund Falk ist es gewesen. Ich selbst b i n i n diesem K u l t u r k a m p f noch aufgewachsen. Ich habe gesehen, was es heißt, wie von Seiten der liberalen Partei damals gegen die K a t k o l i k e n gewütet worden ist. Priester w u r d e n v o m A l t a r vertrieben . . . Hätten Sie heute noch die Macht dazu . . . , Sie wären heute genauso bereit, einen neuen K u l t u r k a m p f zu führen. Wie geht es heute m i t I h r e m Bestreben u m die Schule? Ist das nicht d i r e k t kirchenfeindlich?" Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1012. 29 Sten. Ber. 1912, Bd. 3, S. 314 zur Frage der Konfessionsschule. 30 Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 116. 31 Sten. Ber. 1912, Bd. 2, S. 54.
1. K u l t u r p o l i t i k
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edle Roß des Kulturkampfes wieder r i t t und darauf hinwies, daß die katholische Religion i n Gefahr sei und deshalb alle Gläubigen sich wieder unter ein Panier sammeln müßten 3 2 . Ein gutes Beispiel für die Stimmung i n der Kammer am Ende der Ära Podewils bildete die Etatrede Heids vom 25.1.1910. Held sprach von der Notwendigkeit zu sparen, vorab an den höheren Beamtenstellen, und fand damit besonderen Beifall bei seinen ländlichen Fraktionsgenossen. Daraufhin ging er auf die Reichsfinanzreform ein, kritisierte die Zollverwaltung als schlechtes Beispiel für die bayerische Verwaltung, forderte mehr Einfluß Bayerns auf die Entscheidung beim Bundesrat und kam schließlich m i t aller Heftigkeit und Aufregung zur Behauptung, daß die Liberalen die Absicht hätten, sobald sie die Macht bekämen, wieder den Kulturkampf zu führen 3 3 . Faßt man die kulturpolitische K r i t i k Heids am Ministerium Podewils zusammen, so läßt sich sagen: Obwohl es gegenüber früheren Zuständen besser geworden war, w a r das Ministerium zu wenig energisch i n der Abwehr liberal-sozialistischer Angriffe auf die wesentlichen Punkte kirchlich-konfessioneller Schulpolitik : Konfessionsschule, geistliche Schulaufsicht und Zurückeroberung bayerischer Universitäten. Indem es sogar frei-religiöse Schulen zuließ, handelte es direkt gegen die christlich-konservativen Grundlagen des Staates, trug es bei zur Untergrabung der Säulen, auf denen es ruhte, Autorität und Gehorsam, die nur i n der Pflege des positiven Christentums gesichert waren. Liberale und Sozialdemokraten bekämpften dagegen jedoch den Kultusminister wegen seiner zunehmend konfessionell ausgerichteten Kulturpolitik. Vor allem mit einer Maßnahme fand Kultusminister Wehner den erbitterten Widerstand des Zentrums: am 4. August 1911 32 So H e l d zum Beispiel auf einer Versammlung i n Weiden, zit. i n RA, 485, 28.9.1911: Es werde zwar jetzt wieder mißgedeutet werden, w e n n er i n einer politischen Versammlung über Religion zu sprechen beginne. „ A b e r ich betone, daß die Wirren, die w i r zur Zeit i n Deutschland haben, die parteipolitische Zerrissenheit, i n erster Reihe zurückzuführen sind auf den Niedergang des religiösen Lebens i n Deutschland. Religiöses Leben i n Deutschland bedeutet heute f ü r die noch Treugesinnten einen K a m p f auf Leben und Tod m i t dem Unglauben, der sich auf allen Gebieten w i e niemals noch zur Geltung zu bringen sucht . . . Diese Feindschaft bedingt auch das politische Ziel der Sozialdemokratie u n d des Linksliberalismus. H e l d verteidigte i m folgenden die Steuerpolitik des Zentrums. 33 Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 999—1012. Die „Münchner Neuesten Nachrichten" kommentierten die Debatte weiter: „ E r fand damit natürlich die stürmische Heiterkeit des Hauses . . . Selbst der Ministerpräsident mußte den K o p f schütteln, als der Redner i n seinen merkwürdigen Übertreibungen i h m sagte, die bayerische Staatsregierung verdiene ob der Erklärung des Ministerpräsidenten über die Verdienste der Sozialdemokratie einen Ehrenplatz i n dem sozialdemokratischen Agitationskomitee." M N N , 26, 18.1.1910. Die parteiische Stellungnahme dieser Zeitung muß natürlich bei dieser Darstellung i n Rechnung gebracht werden.
10 Keßler
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hatte er einen Erlaß an den Regierungspräsidenten von Oberbayern ergehen lassen, der hinsichtlich der Wirksamkeit der Jesuiten die Beobachtung der strengeren, älteren, auf das Jahr 1872/73 zurückgehenden Verordnungen vorschrieb. Darauf erhob sich i n den Zentrumsblättern ein Sturm der Entrüstung gegen das Ministerium. I n der Kammer wurde der Konflikt nicht mehr ausgetragen, w e i l sie schon im November 1911 aufgelöst wurde. Dieser „ Jesuitenerlaß" hat nicht zuletzt zum Sturz des Ministeriums Podewils beigetragen 34 . 2. Verhältnis Reich — Bayern Neben den Klagen über die staatsrechtliche und konfessionelle Diskriminierung lastete Held der liberalen Regierung noch besonders ihre preußenfreundliche Haltung, bzw. ihre schwächliche und unentschiedene Gegenwehr gegen die schleichende Aushöhlung bayerischer Sonderrechte durch das Reich, d. h. Preußen an. Held war durch seine Jugenderlebnisse und aus der staatsrechtlichen Tradition des Zentrums heraus entschiedener „Vertreter des föderativen Charakters" des Reiches 35 . Die Abbröckelung der Einzelstaatsrechte schritt, wie er beobachten konnte, „langsam aber sicher fort" 3 6 . A m gefährlichsten und wirkungsvollsten schien i h m diese Gefahr von der wirtschaftlichen Seite her zu sein. Hier war die bayerische Regierung zu wenig wachsam und ohne Initiative. Denn: je mehr das wirtschaftliche Leben Bayerns, seine Industrie und sein Handel gefördert wurden, desto größer mußte auch sein politischer Einfluß i m deutschen Bundesstaat, desto größer seine Selbständigkeit Preußen gegenüber sein. Je mehr Bayern jedoch wirtschaftlich und finanziell zurückblieb, desto schlechter war es um seine Selbständigkeit und sein politisches Gewicht bestellt. Wer Bayern politisch stark haben wollte, der durfte nichts in der Förderung seines Verkehrs und seiner Wirtschaft versäumen. Die Vorteile, die z. B. in der rationellen Ausnützung des Schiffsverkehrs auf der Donau für Bayern lagen, hatte man von den maßgebenden Stellen „allzulang unberücksichtigt gelassen" 37 . I n dieser Frage drohte aber nach Meinung Heids Gefahr von Preußen, das darauf ausging, die Levantelinie zu begünstigen und zu stärken, um so schließlich den ganzen Güterverkehr aus Osteuropa über diese Linie zu führen und i n seinem Machtbereich zu zentralisieren. Nur durch entschieden zugreifende und praktische Donauverkehrspolitik konnte das Streben Preußens paralysiert werden
34 35 36 37
So H. Grauert i n : „Hochland", A p r i l 1913, S. 1 ff. RM, 133, 15. 6.1901. Ebd. RM, 27, 3./4. 2.1906.
3. Das Zwischenspiel der Steuerreform
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und für Bayern der Güterverkehr aus jenen Ländern gesichert werden. Das Verhalten des bayerischen Ministeriums des Innern kam aber i n diesen Fragen „ i n seinem Effekt den Plänen Preußens zugute" 3 8 . Die Opposition des Zentrums zum Ministerium Podewils wuchs auch in diesen Fragen stark an. Held stand „ v o l l und ganz auf dem Boden der deutschen Reichsverfassung, auch insoweit, als sie das Verhältnis der einzelnen Bundesstaaten untereinander und zum Reich regelt" 3 9 . A n den bundesstaatlichen Verhältnissen durfte nicht gerüttelt werden: die von der Reichsverfassung garantierte Selbständigkeit der Einzelstaaten mußte in vollem Umfang aufrechterhalten bleiben. Jene Bestrebungen, die vor allem aus dem Norden kamen und darauf abzielten, „aus dem Reiche nach und nach ein Großpreußen zu machen" 40 , lehnte er entschieden ab. Bayern mußte seine Reservatrechte, soweit sie noch vorhanden waren, unter allen Umständen verteidigen. „Allzuviel ist uns schon i n dieser Richtung von Preußen entwunden worden 4 1 ." Deshalb mußten alle Einrichtungen, die nach außen hin die Selbständigkeit Bayerns bekundeten, auch i n Zukunft bestehen bleiben: die Selbständigkeit des bayerischen Heeres in Friedenszeiten, das Verkehrswesen. Aber gerade i m letzteren machte Preußen seit Jahren „alle erdenklichen Anstrengungen, uns dieselben zu verleiden und dann zu nehmen 4 2 ." Auch der Einfluß Bayerns i m Bundesrat sei vom Ministerium Podewils nicht entsprechend wahrgenommen worden; das betraf schließlich auch die bayerischen Finanzen. Bei Marine-, Flotten- und Kolonialvorlagen machte Bayern immer noch „nach Crailsheimscher Max i m e " 4 3 mit. Gerade hier wäre Bayern aber berufen gewesen, „vom süddeutschen Standpunkt aus bremsend einzugreifen" 44 . 3. Das Zwischenspiel der Steuerreform I n der gereizten Kampfatmosphäre des Bayerischen Landtages brachte der Versuch einer Steuerreform im Jahre 1910 noch einmal eine kurzfristige Phase sachbezogener Zusammenarbeit zwischen Zentrum und Liberalen. Held hatte zwar zunächst als Korreferent die Regierungsvorlage für eine neue Umlagenfestsetzung abgelehnt, da es ihm u m 38 R M , 27, 3./4. 2.1906. 39 RM, 49, 1. 3.1907. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1003. 44 Ebd., S. 1003. io*
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eine stärkere „Entlastung und Schonung der kleineren, minderbemittelten und weniger leistungsfähigen Steuerzahler" 45 ging. Die Regierung zeigte sich jedoch weitgehend kompromißbereit. Auch m i t den Liberalen ließ sich noch einmal ein Kompromiß schließen. Er war vor allem deshalb zu begrüßen, weil, wie Held feststellte, „es einen Beweis dafür bietet, daß auch heute noch eine Politik unter den bürgerlichen Parteien möglich ist, ohne daß man ein Wettrennen nach den zugkräftigsten M i t t e l n der Hetze zu veranstalten braucht" 4 6 . Das Zentrum war den Liberalen vor allem beim Einkommenssteuergesetz und Gewerbesteuergesetz entgegengekommen. Trotzdem konnte es auch hier seinen wirtschaftspolitischen Grundsätzen entsprechend der Landwirtschaft die von den bäuerlichen Abgeordneten geforderte Entlastung bringen, während es auf der anderen Seite dem hohen Kapitalvermögen, dem großen Gewerbe und dem hohen Berufseinkommen „eine recht empfindliche" 47 Mehrbelastung zukommen ließ. 4. Änderung der parlamentarischen Konstellation 1911/12 Die Opposition des Zentrums gegen das Ministerium war i n den Jahren 1910/11 gewachsen. Held brachte es auf die Formel: „Zentrumsfraktion werde hart." Die Liberalen und Sozialdemokraten bekämpften den Kultusminister wegen seiner konfessionellen K u l t u r p o l i t i k ; dagegen machte i h m das Zentrum noch den Vorwurf, er tue hier zu wenig. Das Zentrum selbst geriet aber vor allem gegen den Verkehrsminister von Frauendorfer i n Opposition. Der Grund war seine angeblich zu weiche und unentschlossene Haltung gegen die Agitation der Sozialdemokraten unter dem Eisenbahnpersonal. A n diesen Punkten zeigte sich der Wandel des Verhältnisses des Zentrums zur Sozialdemokratie i m allgemeinen. Der gleiche Wandlungsprozeß ließ sich auch bei Held beobachten. I n seiner frühen politischen Tätigkeit hatte er die Sozialdemokratie in ihrer antikapitalistischen Haltung durchaus verstanden und sich gegen jede ungerechte Behandlung der Sozialdemokratie m i t Polizeimethoden nach A r t der Sozialistengesetze gewehrt. Auch das Zentrum hatte seine Gegnerschaft zur Sozialdemokratie nicht so dogmatisch betrieben, daß sie nicht Wahlbündnisse m i t i h r abgeschlossen hätte. Zum erstenmal hatten sich beide Parteien zur Kammerwahl i m Jahre 1899 verbündet, und zwar zum gegenseitigen Vor45 RM, 50, 3. 3.1909. 46 Sten. Ber. 1909, Bd. 8, S. 376. 47 M N N , 452, 28. 9.1909. Das Zentrum mußte i n diesem Zusammenhang sich von diesem liberalen B l a t t den V o r w u r f „klerikale Kammerzeloten" gefallen lassen.
4. Änderung der parlamentarischen Konstellation 1911/12
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teil. Das Zentrum gewann 10 Sitze, die Sozialdemokraten 6, dagegen verloren die Liberalen ein Drittel ihrer Sitze. U m eine Reform des Wahlsystems zu erreichen, der sich die Liberalen sperrten, wurde das Bündnis erneuert, um die nötige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Das Zentrum hatte diesmal sogar 18 Sitze gewonnen, die Liberalen nur einen Sitz. 1907 wurde der Wahlkampf m i t der Losung begonnen: „ M i t den Sozialdemokraten gegen die Liberalen." Das war auch das letzte gemeinsame Unternehmen. Die Dinge änderten sich. Liberalismus und Sozialdemokratie zeigten nun starke Adhäsionskräfte, vor allem i n K u l t u r - und Verfassungspolitik; korrespondierend dazu wurde auch die Gegnerschaft des Zentrums zur Sozialdemokratie grundsätzlicher und schärfer. A n einzelnen Äußerungen Heids läßt sich diese Umorientierung sehr klar feststellen. Er hatte die liberal-sozialistische A n näherung schon bald erkannt. Ausgegangen war sie seiner Meinung nach vor allem vom Linksliberalismus, der sich bei seiner Bedeutungslosigkeit der Sozialdemokratie direkt i n die Arme zu werfen gezwungen war. Auch von dem noch mehr rechts stehenden Liberalismus hielt er es schon 1906 durchaus für nicht ausgeschlossen, daß er „ein förmliches Bündnis mit der Sozialdemokratie eingeht" 4 8 , um gemeinsam gegen den verhaßten „Ultramontanismus" Sturm zu laufen. „Es w i r d sich bald zeigen, daß . . . eine liberal-freisinnige-demokratisch-sozialdemokratische Allianz zur Abwehr gegen den gemeinsamen Feind, das Zentrum, sich bilden w i r d 4 9 . " Schon bei den Landtagswahlen 1907 hatte sich gezeigt, daß der L i beralismus ohne Bündnisse nicht mehr bestehen konnte. Seiner Wahlabsprache m i t dem Bauernbund dürfte er wohl über ein Dutzend Mandate verdankt haben. Der bayerische Linksliberalismus, vor allem vertreten durch Müller-Meiningen, und die jungliberale Bewegung um die Abgeordneten K a r l Hübsch und K a r l Kohl setzte die Reise nach Links fort 5 0 . Held hielt dies für die beste Art, den Liberalismus „vollends umzubringen" 5 1 . I n den Städten verloren die Liberalen ihre Stimmen an die Sozialdemokraten, auf dem Lande an den Bauernbund 5 2 . Die andere Folge war die, daß die konservativen Elemente i m Liberalismus 48 RM, 121, 21./22. 5.1906. 49 Ebd. so „Die Bewegung i m bayerischen Liberalismus 1909/10 ist die Fortsetzung der u m 1905 begonnenen Erneuerung und Sammlung unter linksliberalem Vorzeichen, eine Gegenbewegung gegen die konservative Entwicklung des Zentrums." So J. Reimann: Ernst Müller-Meiningen — eine Biographie, ungedruckte Dissertation, München 1967. si RM, 126, 7. 6.1910. 52 Sicher nicht w i e Reimann, a.a.O., S. 123 meint, an das Zentrum. Die bäuerlichen Kreise des Liberalismus w u r d e n von den Konservativ-Bündlern aufgenommen.
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i n den Städten und auf dem Land frei wurden. Davon erwartete sich Held die „Gründung einer protestantisch-konservativen Partei in Bayern, die man nur begrüßen muß" 5 3 . Der Bewegung i m Liberalismus nach links entsprach i m Zentrum eine Bewegung nach rechts, die auf dieser Seite eine stärkere Kampfstellung zur Sozialdemokratie bedeutete. I n der parlamentarischen Session 1909/10 der Kammer konnte man diese Bewegung in einigen Details recht deutlich bemerken. Das Zentrum hatte, wie es die „Münchner Neuesten Nachrichten" ausdrückten, „seinen ehemaligen Verbündeten, den Sozis, die Freundschaft aufgekündigt" 5 4 . Die Sozialdemokraten lehnten ihrerseits das Finanzgesetz ab. Als der bayerische Ministerpräsident Podewils über die Sozialdemokraten die Bemerkung machte, sie hätten auf sozialpolitischem Gebiet wertvolle Mitarbeit geleistet und auch i n der deutschen politischen Öffentlichkeit das Verständnis für soziale Fragen geweckt, griff Held Podewils heftig an: „Ich sage, diese Bemerkungen waren so deplaciert wie irgend möglich!" Die angebliche Weckung des sozialen Verständnisses sei „eine immer weiter gehende Verhetzung aller Volksteile untereinander" 5 5 . Die Äußerung des Ministerpräsidenten habe den Beweis geliefert, daß i n dieser Beziehung i n der bayerischen Regierung eine „chronische Schwäche vorhanden ist, mehr vorhanden ist als auf die Dauer das Wohl des Landes verträgt" 5 6 . Das war eine scharfe Sprache i n einem konstitutionellen Staat, das war zugleich die Ankündigung schärfster Opposition gegen die Regierung, wenn sie nicht entschiedener gegen die Sozialdemokratie vorgehen sollte. Dem Linksliberalismus machte Held die Prophezeihung: „Sie werden untergehen i m roten Meer 5 7 ." A u f dem oberpfälzischen Zentrumsparteitag 1910 gab Held die Losung aus: „Unser Feind steht nach der neuzeitlichen Entwicklung auf der äußersten Linken, es sind die Sozialdemokraten, denen sich Freisinnige und Jungliberale anschließen werden 5 8 ." Demgegenüber mußte nach Meinung Heids die Rechte gestärkt werden. Das Zentrum müsse so viele Kräfte nach rechts herüberziehen als möglich: Konservative, Bauernbündler und Liberale, hier freilich die Nationalliberalen. Der Mittelpunkt auf dieser Rechten mußte natürlich das
53 RM, 126, 7.6.1910. Eine späte Realisierung dieser E r w a r t u n g w a r die vor allem i n fränkischen Gebieten vertretene „Reichspartei". 54 M N N , 374, 12. 8.1910. 55 Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1015. 56 Ebd. 57 Ebd., S. 1016. 58 RM, 5, 7. 1. 1910.
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Zentrum bleiben. Der Kampf stand also bevor: „Der Kampf zwischen rechts und links 5 9 ." Bereits i n der Session 1909/10 hatte man feststellen können, daß sich die Bauernbündler enger ans Zentrum anschlossen. Und auch die Werbung an die konservativen Protestanten wurde intensiver. „ W i r achten, anerkennen und ehren sie", bemerkte Held 6 0 . I n diesen Zeiten komme alles darauf an, daß die positiven Christen zusammenständen „auch gegen den politischen Umsturz, der seine Gründe i m religiösen Umsturz hat" 6 1 . Die Rolle, die größte Gefahr für Staat und Religion zu sein, hatten nun die Liberalen an die Sozialdemokraten abgegeben. Das war bei dem ständigen Rückgang der einen und dem immer stärker werdenden Zuwachs der Sozialdemokraten nicht verwunderlich 6 2 . A u f seinem Parteitag i m Januar 1911 vollzog das Zentrum für das ganze Land sichtbar den Anschluß nach rechts. Was die Sozialdemokratie verkündet hatte: Kampf gegen das Zentrum, hatte das Echo gefunden i m Beschluß des Parteitages: Kampf gegen die Sozialdemokratie. I n den Verhandlungen des Parteitages war zum Ausdruck gekommen, daß die parlamentarischen Verhandlungen der letzten Zeit, die Flugblattliteratur, die Äußerungen der sozialdemokratischen Presse auch sonst gemäßigt gesinnten Zentrumsmitgliedern die Augen geöffnet hatten und erkennen ließen, daß es im Interesse der Selbsterhaltung des Zentrums eine Notwendigkeit war, den Kampf aufzunehmen. Besondere Gefahren sah man in der Gleichschaltung der Sozialdemokraten m i t den Linksliberalen. Die Neuorientierung des Zentrums kam in den gefaßten Resolutionen zum Ausdruck: „1. Die Zentrumspartei w i r d nach Tunlichkeit den Erfolg konservativer, bauernbündlerischer und anderer rechtsgerichteter Kandidaturen gegenüber liberalen und so59 RM, 5, 7.1.1910. 60 Held i n Sten. Ber. 1912, Bd. 2, S. 848. ei Ebd. 62 Wie sehr das Zentrum eventuell m i t gewissem Unbehagen u n d Eifersucht das Bestreben der süddeutschen Sozialdemokraten, i n den Parlamenten positive Arbeit zu leisten u n d so die Arbeiterschaft, auch die bisher zögernde christliche, zu sich heranzuziehen, beobachteten, wäre einer Untersuchung wert. Wenn sich die Sozialdemokraten allmählich i n das moderne Staatsgebilde einfügten, hätten sie i m K a m p f aller „fortschrittlichen Geister" gegen die angebliche klerikale Reaktion wertvolle Dienste leisten können. Daß das Zentrum nervös wurde, w e n n Ministerpräsident Podewils auch gegenüber der Sozialdemokratie objektive Beurteilung zu üben versuchte, w a r verständlich. Sie mußte i n den Sozialdemokraten den Bürgerschreck erhalten, u m gegen die liberal-sozialistische K o a l i t i o n agieren zu können. Der liberale Abgeordnete Dr. Günther sprach sich z. B. sehr offen f ü r ein Zusammengehen m i t den Sozialdemokraten aus, u m gemeinsam gegen das Zentrum zu kämpfen, M N N , 33, 22. 1.1910, i n dem er die größere Gefahr für die Kulturideale erblickte. Diese A l l i a n z mußte natürlich das Zentrum zu verhindern versuchen.
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zialdemokratischen Kandidaturen zu fördern suchen. Bei nationalliberalen Kandidaten bleibt nach Lage der Dinge die Stellungnahme von Fall zu Fall vorbehalten. Sozialdemokratische und linksliberale Kandidaten sind aufs entschiedenste zurückzuweisen. 2. Der Parteitag des Zentrums betrachtet als eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart den Kampf gegen die Sozialdemokratie 63 ." Das Vorgehen der Zentrumsfraktion gegen den „Süddeutschen Eisenbahnerverband" wurde vom Parteitag ausdrücklich gebilligt. Der Parteitag bedeutete zugleich auch eine Kampfansage an das Minister i u m Podewils, von dem Held behauptete, es sei „nichts weniger als zentrumsfreundlich" 6 4 . Daß es auch die politische Situation nicht richtig einzuschätzen wußte, hatte es i n den Augen Heids i n einer Reihe von Maßnahmen i n der letzten Zeit bewiesen, vor allem in seiner Stellung zur Sozialdemokratie. Das Zentrum mußte deshalb allein und endgültig den Kampf mit dieser Partei aufnehmen. „Uns bangt es, wenn die Staatsregierung ihre Pflicht nicht erkennt um den Staat, die Monarchie und die öffentliche Ordnung 6 5 ." Es war also ein Kampf u m die Monarchie, u m die christlich-konservativen Grundlagen des Staates, den das Zentrum zu führen hatte, ohne Bundesgenossen i n anderen Parteien und gegen die Regierung, die ihre Pflichten nicht erkannte. Dieser Kampf wurde auch mit aller Härte und absoluter Hartnäckigkeit geführt und brachte das Ministerium Podewils schließlich zu Fall. Held sagte Podewils i m September 1911 diesen Sturz voraus, wenn das Gesamtministerium und insbesondere der Verkehrsminister nicht einen anderen Weg einschlagen sollten als den jetzigen; „dann bringen sie sich i n eine heillose Situation, aus der sie auch ein politischer Riese nicht mehr heraushaut. Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen" 66 . Diese „Verhältnisse" waren die Majorität des Zentrums i n der Kammer der Abgeordneten und die ihrer Verbündeten i n der Kammer der Reichsräte und nicht zuletzt die monarchische Spitze selbst, der das Zentrum i n seiner Propaganda klar zu machen verstanden hatte, daß es i m letzten u m ihre eigenen Interessen gehen würde. Wie leicht verletzbar, wie gereizt das Zentrum reagieren konnte, und wie schwer es die Regierung hatte, zwischen den scharfen Fronten i n der Kammer der Abgeordneten hindurch zu lavieren, zeigte die Debatte am 12. Januar 1910. Podewils verteidigte die Haltung des Zentrums i n der Frage der Reichsfinanzierungsreform und nahm zu den Problemen der inneren bayerischen Politik eine Stellung ein, m i t der 63 64 65 66
Zitiert i n „Allgemeine Rundschau", Nr. 2, 14.1.1911. RM, 485, 28. 9.1911. RA, 485, 28. 9.1911. RA, 485, 28. 9.1911.
5. Die Auseinandersetzung u m den Eisenbahnerrevers
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das Zentrum hätte zufrieden sein können. Dennoch hielt Pichler am 14.1.1910 gegen den Ministerpräsidenten eine scharfe Rede. Podewils hätte der Sozialdemokratie die „staatliche Approbation" erteilt. M i t dieser Attacke wollte das Zentrum zeigen, daß es eine konservative Partei sei, um sich i n Bayern die feudalen Sympathien zu sichern und hohen und höchsten Kreisen sich als die einzig wahre Stütze von Thron und A l t a r zu empfehlen. Held griff am 17.1.1910 die Polemik Pichlers gegen Podewils auf und verschärfte sie noch: der Ministerpräsident verdiene für seine bekannten Äußerungen über die Sozialdemokratie seitdem „einen Ehrensitz i m sozialdemokratischen Agitationskomitee" 6 7 . Darauf verließ Ministerpräsident Podewils seinen Platz und nahm „kopfschüttelnd" i m Hintergrund der Regierungssitze Platz 6 8 . 5. Die Auseinandersetzung um den Eisenbahnerrevers Das Zentrum forderte eine schärfere Bekämpfung des „Süddeutschen Eisenbahnerverbandes", der von Sozialdemokraten beherrscht war und immer mehr Anhänger unter dem bayerischen Verkehrspersonal anzog. Anlaß und Rechtfertigung für das Zentrum war die Tatsache, daß der Verband auch für Staatsbedienstete das Streikrecht vertrat. Wenn, wie Held meinte, die Gefahr bestand, daß die Beamtenschaft von sozialistischen Ideen durchsetzt würde, „wenn uns i n nächster Nähe schon das Schicksal bedroht, das Frankreich, England und Österreich mit dem Streik der Staatsbetriebe zuteil wurde, da w i r d man es der Zentrumspartei als einer monarchischen Partei nicht übelnehmen, hier einzugreifen und so zu sorgen, daß der bayerische Beamte i m rechten Geleise gehalten wird, wenn die Regierung ihre diesbezügliche Aufgabe verkennt" 6 9 . Die persönlichen Erfahrungen, die Held m i t Streikbewegungen und deren Terror erlebt hatte, sollte man bei seiner Haltung i n dieser Frage nicht unterschätzen. A u f die Ausschreitungen sozialistisch organisierter Arbeiter i n Regensburg ist bereits hingewiesen worden. Ein anderes Beispiel sozialistischen Terrors bei einer Streikbewegung hatte Held i n seinem eigenen Wahlkreis Burglengenfeld erlebt. I n der Maxhütte w a r 1907 ein Streik ausgebrochen, der über zwei Monate währte. Hier war es, wie er selbst beobachten konnte „zu groben Ausschreitungen" gekommen 70 . Er stellte fest, „daß ein furchtbarer Ter67 68 69 70
Sten. Ber. 1910, Bd. 8, S. 1015. M N N , 26, 18.1.1910. RA, 485, 28. 9.1911. Sten. Ber. 1907, Bd. 2, S. 419.
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rorismus von Seiten der sozialdemokratisch organisierten Arbeiter geübt wird, und unter diesem Terrorismus leidet die ganze Umgebung auf drei Stunden" 7 1 . Die sozialistischen Streikleiter hatten die Kontrolle über die Streikenden verloren. Für Held war dies ein klares Zeichen für die Wirkungen sozialdemokratischer Wühlarbeit: „Wenn man die Leute jahrelang bearbeitet hat, . . . wenn man jahrelang die Autorität des Rechts, die Autorität des Gesetzes, die Autorität der öffentlichen Ordnung, darf ich sagen, in einer Weise, wie es von sozialdemokratischer Seite geschehen ist, bekämpft hat, dann darf man sich nicht mehr darüber wundern, wenn auch die eigene Autorität flöten gegangen ist 7 2 ." Das waren Beispiele und Zeichen, die andeuteten, i n welches Chaos auch der Staat verfallen mußte, wenn er die sozialistische Agitation auch i n seinen Betrieben duldete. Aus vielen Äußerungen Heids i n den Jahren 1910/11 ist zu erkennen, daß er das angstähnliche Gefühl hatte, daß sich das ganze politische Leben zunehmend radikalisiere und der Endkampf zwischen Zerstörung und Erhaltung des Bestehenden beginne. Träger dieser Strömungen waren für ihn der Sozialismus und der Linksliberalismus. „Der Radikalismus und der Umsturz beginnen Trumpf zu werden 7 3 ." Was er auf seinem politischen Heimatboden Regensburg in dieser Beziehung erlebte, schien seine Überzeugung zu bestätigen. Für Jungliberale und Sozialdemokraten war er dort der bestgehaßte Mann. I m Jahre 1911 war in Regensburg die sozialdemokratische Zeitung „Neue Donaupost" gegründet worden, die mit unglaublichen Formulierungen von niederstem Haßniveau über ihn herfiel. Das jungliberale Blatt „Regensburger Neueste Nachrichten" stand ihr in der Vergiftung der politischen Atmosphäre i n keiner Weise nach 74 . Das Zentrum wurde als gemeine, herrschsüchtige, volksverräterische und unfähige Partei gebrandmarkt. Für Held war es vor allem erschütternd zu sehen, wie die Liberalen durch ihre Hetze gegen das Zentrum den Sozialdemokraten in die Hände arbeiteten. Die Schärfe des Angriffs bedingte auch die Schärfe der Abwehr beim Zentrum. Die Gegensätze prallten bei den Kammerdebatten i n der Zeit vom 25. 10.—6. 11. 1911 i n kaum zu überbietender Schärfe aufeinander. Anlaß der Debatte war eine sozialdemokratische Interpellation 71 Ebd., S. 420. 72 a.a.O., S. 420. 73 A u f einer Zentrumsversammlung i n Weiden: Zitiert i n RA, 485, 28. 9. 1911. 74 Einige Kostproben von Angriffen auf Held aus diesem B l a t t : „Schwarzer Volks Verräter", Nr. 188, 17.8.1911; „der freche christliche Lügenbeutel", „klerikales Preßgesindel", Nr. 194, 24.8.1911; „Obermeister christlicher Verdreherkunst", Nr. 197, 27. 8.1911.
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zum Erlaß des Verkehrsministers von Frauendorfer vom 15. 8. 1911. Die Regierung war bis dahin nicht zu einem Verbot des „Süddeutschen Eisenbahnerverbandes" zu bewegen gewesen, hatte aber offiziell immer betont, daß dem Verkehrspersonal kein Streikrecht eingeräumt werden könnte. Unter dem massiven Druck des Zentrums hatte nun der Verkehrsminister mit einem Erlaß eine schärfere Überwachung des Verbandes angeordnet, um jede Streikagitation unmöglich zu machen. Das Zentrum hätte diesen Erlaß als einen Erfolg buchen können. Der „Regensburger Anzeiger", das Blatt Heids, meinte jedoch, der Minister sei „amtsmüde", er habe sich durch seine verfehlte Stellungnahme zum „Süddeutschen Eisenbahnerverband" in eine unhaltbare Lage gebracht. Es gebe für ihn nur einen Ausweg: „das Verbot des gesamten Verbandes" 75 . Damit desavouiere er aber sich selber und seinen Erlaß; daraus ergebe sich, daß Frauendorfer gar nicht anders t u n könne, als noch vor dem Beginn des Landtags in Pension zu gehen. Der Startschuß zum scharfen Angriff auf Frauendorfer kam also aus Regensburg. Innerparteilich blieb diese Meinung nicht unwidersprochen. Die „Augsburger Postzeitung" nannte diese Meldung aus Regensburg einen ebenso „albernen wie böswilligen Skandalklatsch"" 7 6 . Die Sozialdemokraten sahen in dem Erlaß den Beginn einer Ausnahmegesetzgebung, während das Zentrum damit noch nicht zufrieden war. I n der Kammerdebatte rechtfertigte sich der Verkehrsminister m i t dem Hinweis auf die parteipolitische A k t i v i t ä t des Verbandes und der personellen Verflechtung zwischen Verband und Sozialdemokraten. Schließlich berief er sich auf den A r t i k e l 16 des bayerischen Beamtengesetzes, der den Beamten und Staatsarbeitern parteipolitische Betätigung i m A m t oder auf dem Arbeitsplatz verbot 7 7 . Die Frage des Verhältnisses Sozialdemok r a t i e — Staat war damit grundsätzlich aufgeworfen. Die Liberalen und Sozialdemokraten griffen das Verhalten der Zentrumspartei scharf an, während das Zentrum seinerseits die Regierung noch wegen ihrer schwächlichen Haltung in dieser Frage kritisierte. Pichler sprach am 26.10. 1911 noch ziemlich gemäßigt, während Held tags darauf eine seiner schärfsten Angriffsreden hielt. Die dabei sich abspielende Auseinandersetzung wuchs sich schließlich zu einem Kampf zwischen Zent r u m und Regierung aus. Der sozialdemokratische Abgeordnete Roßhaupter, der eine führende Stellung i m „Süddeutschen Eisenbahnerverband" einnahm, begründete die sozialdemokratische Interpellation 7 8 ; er sah als tieferen Grund
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RA, 422, 11. 9.1911. Zit. nach „Münchner Post", 211, 12. 9.1911. sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 412 ff. Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 401 ff.
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der ganzen Auseinandersetzung u m den interpellierten Erlaß die Tatsache, daß die Arbeiterpolitik des Zentrums „elend Schiffbruch erlitten hat" 7 9 . Es habe eine Mitgliederflucht aus dem dem Zentrum nahestehenden „Bayerischen Eisenbahnerverbande" in den „Süddeutschen Eisenbahnerverband" gegeben. „War das Zentrum von jeher so sehr von der Staatsgefährlichkeit der Sozialdemokraten überzeugt?" Wenn ja, dann wären alle früheren Kompromisse m i t der SPD „geradezu ein Verbrechen an dem monarchischen Volk gewesen" 80 . Roßhaupter konnte auf Heim verweisen, der erst am 6. 3.1908 i m Plenum gesagt hatte: „Ich b i n bis heute niemals Zeuge eines solchen (jetzt vom Zent r u m gefürchteten, d. Verf.) Umsturzes bei unseren bayerischen Sozialdemokraten gewesen 81 ." Er wies auf die alten Bündnisse der Sozialdemokraten mit den Zentrum hin 8 2 . Noch 1907 hatte das Zentrum den Wahlkampf mit der Losung geführt: „ m i t der SPD gegen die Liberalen" 8 3 . Roßhaupter warf dem Zentrum vor, es wolle die gefürchtete Verbindung Sozialdemokraten-Liberale verhindern und betreibe deshalb eine Ausnahmegesetzgebung gegen die Sozialdemokraten. Verkehrsminister von Frauendorfer versuchte eine enge Beziehung zwischen „Süddeutschem Eisenbahnerverband" und Sozialdemokratie nachzuweisen. „Die Staatsregierung ist demnach verpflichtet, den Beamten die Teilnahme an Vereinen, bei denen diese Voraussetzungen zutreffen, zu verbieten . . . Der Staat muß verlangen . . . daß vor allem der Staatsbeamte die Grundlagen respektiert, auf denen das Staatsgebäude beruht, die monarchische Verfassung und die allgemeine Ordnung 8 4 ." A m 26. Oktober sprach Pichler 8 5 . Er ließ das taktische Konzept des Zentrums, eine A r t Bürgerblock gegen die SPD zu mobilisieren, recht deutlich erkennen. Das Zentrum sei mit dem Erlaß vom 15. August nicht zufrieden gewesen —, „selbst die Liberalen nicht" 8 6 . Der Minister hätte Ausreden für den Verband gefunden. Das Zentrum müsse sich i n diesem Zusammenhang beklagen, „daß bisher eine etwas zu schwächliche Rücksichtnahme seitens der bayerischen Staatsregierung auf die 79 a.a.O., S. 401. so a.a.O., S. 407. ei Zit. von Roßhaupter, a.a.O., S. 409. 82 Es waren die bereits genannten Wahlabsprachen gegen die Liberalen von 1899, 1905 u n d 1907. 83 Bachem, Bd. 8, S. 40. Über die dabei m i t den rechtskonservativen Kreisen der K a t h o l i k e n u n d dem M ü n d i n e r Erzbischof i n dieser Frage geführten Auseinandersetzung an anderer Stelle. 84 Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 416. 85 a.a.O., S. 422 ff. 86 a.a.O., S. 424.
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Sozialdemokratie und ihre Organisation bestanden h a t " 8 7 . Podewils selbst erklärte das volle Einverständnis der gesamten Staatsregierung m i t der Stellungnahme Frauendorfers. Die von Pichler geäußerten Zweifel über das Verhältnis der Staatsregierung zur Sozialdemokratie könne er nicht verstehen. Die Fernhaltung sozialdemokratischer Elemente sei für „die staatliche Autorität ein Gebot der Selbsterhaltung" 88 . Vollmar wandte sich dann i n einer leidenschaftlichen Rede gegen eine Unvereinbarkeit von Sozialdemokratie und Monarchie. „Ich denke noch der Zeit, wo wir, Zentrum und Sozialdemokraten, zwischen A l t a r und Kaisergräber unsere Verhandlungen gepflogen haben 89 ." Das Zentrum bekämpfte die Sozialdemokraten zum Teil m i t demagogischen Mitteln, indem es der Sozialdemokratie Staatsfeindlichkeit vorwarf und so von der Regierung die Unterdrückung sozialdemokratischer Organisationen verlangte. Die Versuche des Zentrums, die Sozialdemokraten m i t Berufung auf die Monarchie zu bekämpfen, brachte außerdem die Gefahr mit sich, daß die Sozialdemokraten ihre neutrale Haltung aufgaben zugunsten einer aggressiven antimonarchischen Pol i t i k . Die Sozialdemokraten hatten des öfteren betont, daß die Frage der Staatsform für sie nicht von besonderer Bedeutung sei, entscheidend seien für sie „die i m Staat maßgebenden Grundsätze der Sozial-, Wirtschafts- und K u l t u r p o l i t i k " 9 0 . So kam es i n den Debatten der Kammer der Abgeordneten auch öfters vor, daß die Sozialdemokraten vom Zentrum den Nachweis verlangten, wo und wann sich die bayerische Sozialdemokratie gegen die Monarchie ausgesprochen habe. Das Zentrum wich dann immer dadurch aus, daß es außerbayerische Sozialdemokraten zitierte. Die Rolle des Staatsretters, die das Zentrum jetzt spielte, reizte seine Gegner direkt, i h m vorzuhalten, wie eng sie selbst lange Zeit hindurch mit dieser Umsturzpartei zusammengearbeitet hatte, deren Gefährlichkeit sie jetzt nicht stark genug betonen konnte. Held versuchte den Sozialdemokraten das Argument der früheren Allianz aus der Hand zu nehmen: „Sind die Herren je so naiv gewesen, zu glauben, daß w i r mit ihnen Kompromisse abgeschlossen haben i n Anerkennung ihrer sozialdemokratischen Grundsätze oder um der Sozialdemokratie auf die Strümpfe zu helfen? Ο nein, meine Herren, gewisse politische Ziele 87 a.a.O., S. 437. 88 a.a.O., S. 445. 89 Bd. 13, S. 450 ff. Diese Formulierung Vollmars bezieht sich auf eiine Unterredung Vollmars m i t Dr. Jäger (Zentrum) i n der K r y p t a des Speyerer Doms über ein Wahlbündnis i n der Pfalz. — Hinweis i n M N N , 512, 2.11.1911. Dieselbe Zeitung hält i n Nr. 505, 28.10.1911 dem Zentrum vor, es habe „sehr schnell seine Ansichten" über die Sozialdemokraten geändert. 90 Sten. Ber. 1912, Bd. 1, S. 569 f.
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haben w i r verfolgt, ganz bestimmte Zwecke haben w i r dabei erreichen wollen und w i r haben die Herren niemals darüber i n Zweifel gelassen, wie w i r grundsätzlich zur Sozialdemokratie stehen 91 ." Seine grundsätzliche Haltung zur Sozialdemokratie hatte Held bereits 1910 außerhalb des Parlaments auf einer Zentrumsversammlung i n München klar formuliert. Es sei eine eitle Hoffnung, daß man die Sozialdemokratie, indem man sie hofiere, zu einer „sozialen Reformpartei umgestalten könne" 9 2 . Die Geschichte der Sozialdemokratie liege vor aller Augen, und die Sozialdemokraten selbst seien ehrlich genug zu bekennen, daß sie nicht eine soziale Reformpartei werden wollten, sondern daß sie eine revolutionnäre Partei seien, „die den Staat umstürzen und eine gleichmacherische Gesellschaft an seine Stelle setzen" 93 wolle. Held erklärte nun „ganz frei und offen" 9 4 , wenn jemals an ihn die Frage des Kompromisses m i t den Sozialdemokraten gestellt würde, so würde er es jetzt „auch um des höchsten Preises w i l l e n " 9 5 für seine Person nicht tun. Das Bekenntnis Vollmars von Vereinbarkeit von Sozialdemokratie und Monarchie wollte er nicht gelten lassen 96 . Die Staatsregierung durchschaue Absichten und Ziele der Sozialdemokraten nicht völlig. Die Ausführungen Podewils seien bis jetzt Theorie geblieben. Er habe die Botschaft der Regierung wohl gehört, „aber mir fehlt der Glaube" 9 7 . Das sei nicht nur seine Meinung, sondern eine Meinung, die i n weiten Kreisen geteilt werde, „daß der Terrorismus der Sozialdemokraten auch eine Wirkung bei der königlichen Staatsregierung übe" 9 8 . Es sei Gefahr vorhanden, und die Staatsregierung habe unweigerlich die Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese Gefahr abgewendet werde. M i t einem Zitat von Bebel griff Held die Staatsregierung wohl allzu scharf an: Bebel gebe der Staatsregierung einen Fingerzeig für all das, was von den Sozialdemokraten in dieser Richtung gesprochen werde, gebe aber auch einen Fingerzeig dafür, wie der Staat vor der sozialdemokratischen Hochflut zu schützen sei: „Genossen! Ich habe oft gesagt, wären unsere Gegner bis hoch 91 Bd. 13, S. 458. 92 Zitiert i n „Augsburger Postzeitung" Nr. 337, 21.10.1910. 93 Ebd. Z u m Vergleich f ü r die veränderte H a l t u n g Heids siehe dessen Äußerungen zur Sozialdemokratie i m Zusammenhang m i t dem Gemeindewahlrecht. 94 Sten. Ber., Bd. 13, 1911, S. 458. 95 a.a.O., S. 458. 96 Held zitiert K a r l Kautsky, der i n der „Neue Zeit", Nr. 1, v o m 3.10.1903 bekannt hatte: „Einer der wichtigsten Grundsätze ist die Pflicht der W a h r haftigkeit dem Genossen gegenüber; den Feinden gegenüber hat m a n diese Pflicht nie anerkannt." 97 a.a.O., S. 458. 98 a.a.O., S. 469.
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hinauf nicht so furchtbar dumme Esel, sie könnten uns ganz anders in die Bude schneien lassen als es geschieht 99 ." M i t diesem Zitat waren eindeutig die Minister gemeint; Held hatte sie, wenn auch i n Form eines Zitats „Esel" genannt. Sie empfanden es auch so 100 . Podewils protestierte mit erhobener Stimme gegen die Äußerung Heids „aufs entschiedenste" und wies sie „ m i t Entrüstung" 1 0 1 zurück. M i t solchen Worten könne Held die Autorität der Regierung, die er stets predige, nicht stärken. „Machen Sie es einem anständigen Menschen nicht unmöglich, i n diesem Hause weiter tätig zu sein 1 0 2 ." Selbst i m Zentrum hatte man das Gefühl, daß Held mit seiner K r i t i k an der Regierung zu weit gegangen war. Kammerpräsident Orterer rief ihn deshalb i m Plenum zur Ordnung 1 0 3 . M i t einer etwas gemäßigteren Rede versuchte am 28. 10.1911 der adelige konservative Zentrumsabgeordnete von Malsen die hochgehenden Wogen wieder etwas zu glätten und das äußerst gespannte Verhältnis zur Regierung etwas abzugleichen. Er sprach für den „staatsmännischen Flügel der Partei" 1 0 4 . Die Liberalen verschlossen sich dem vom Zentrum angestrebten Bürgerblock. Die liberalen Redner Casselmann und Müller-Meiningen zeigten weitgehende Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten, besonders bei letzterem war schon die Rede vom Bündnis 1 0 5 . Held versuchte i n einer zweiten Rede die Liberalen umzustimmen, sah aber, daß er erfolglos bleiben würde und stellte fest, „daß der Liberalismus wieder einmal in einer großen vaterländischen Frage i m Augenblick der Gefahr vollständig versagt" habe 1 0 6 . „Die liberal-sozialdemokratische Annäherung wurde nunmehr offen demonstriert. Beide Parteien bekundeten dies auch in zwei fast gleichlautenden Anträgen zur Verbesserung der Lage der Staatsarbeiter 107 . Held enthielt sich i n seiner zweiten Rede zwar jeder Äußerung gegenüber der Staatsregierung, griff aber die Sozialdemokraten noch schärfer an und verwies auf ihre zwiespältige Haltung: in der Kammer wollten sie Antibebelianer sein; 99 Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 470. îoo M N N , 505, 28.10.1911, bemerkte zur Rede Heids: „Die nervöse, über das Maß des i m Bayernland und seiner K a m m e r Gewöhnten, temperamentvolle hessische A r t des Abgeordneten Heids" habe das dringliche Bedürfnis verraten, „einen T e i l dessen wegzuwischen, was i h m persönlich und dem Zentrum i n diesen Tagen angekreidet worden w a r " . ιοί 102 103 104 105 106 107
Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 489. Ebd. Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 489. „Münchner Post", 252, 29./30.10.1911. Nach J. Reimann, S. 162. Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 582. j . Reimann, S. 163.
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draußen seien sie Bebelianer 1 0 8 . A m 6. November bekräftigte der A b geordnete von Malsen erneut i n weniger scharfen Worten als Held die Stellung des Zentrums 1 0 9 . Der konservative und demokratische Flügel des Zentrums schien sich einig zu sein. A m 6. November 1911 war die Debatte vorläufig beendet. Das Zent r u m hatte i n der allgemeinen Öffentlichkeit nicht gerade günstig abgeschnitten. Das Staatsministerium hatte für seinen Teil angesichts der allzuweit gehenden Forderungen des Zentrums sein Gesicht wahren können. Durch die Haltung des Verkehrsministers kam sie jedoch i n eine äußerst schwierige Situation, die sich zum offenen Konflikt m i t dem Zentrum auswuchs. Frauendorfer hatte bereits i n der vorausgegangenen Debatte das Zentrum wissen lassen, daß er auf keinen Fall ihren weitgehenden Forderungen entgegenkommen werde. Bei der Beratung des Verkehrsetats am 7. November 1911 brüskierte er das Zentrum. Der Rede des sozialdemokratischen Abgeordneten Roßhaupter hatte er noch zugehört, als aber der Zentrumsabgeordnete Oswald seine Rede begann, verließ Frauendorfer den Saal. Oswald glaubte darin eine größere Beachtung der Sozialdemokraten finden zu müssen und gab seinem Unmut über den Minister dahin kräftigen Ausdruck, daß der Minister Interesselosigkeit bewiesen habe. Frauendorfer wies dies als Beleidigung zurück 1 1 0 . A m 8. November gab es noch einen Zusammenstoß m i t dem Vizepräsidenten der Kammer, von Fuchs, dessen Amtsführung der Minister „ m i t Unrecht zu kritisieren suchte" 1 1 1 . Daraufhin setzte das Zentrum die Beratung des Verkehrsetats i m Finanzausschuß ab. Es fühlte sich verhöhnt, i n seiner Ehre verletzt und wollte es auf eine Machtprobe ankommen lassen. Pichler sprach dies i n der Fraktion sehr deutlich an: „Es kann nicht so weitergehen, wie Frauendorfer es macht, die geringschätzige Behandlung uns gegenüber, andererseits das Einverständnis mit den Sozis, die sehr gut behandelt werden. Der völlige Zusammenhalt ist i n dieser Situation erforderlich, da das Verkehrsministerium für jeden von uns verschlossen ist 1 1 2 ." Orterer forderte, daß das Zen108 a.a.O., S. 581. H e l d zitiert hier auch den sozialdemokratischen Abgeordneten Müller, der i n Magdeburg gesagt habe: „Reden w i r nicht so lange theoretisch! W i r i n Süddeutschland machen praktische Revolution." 109 a.a.O., S. 596 ff. no Sten. Ber. 1911, Bd. 13, S. 654 ff. Selbst die sozialdemokratische „Münchner Post" gab zu, Frauendorfer habe bei der Erwiderung auf Oswald „einen Herrenstandpunkt hervorgekehrt, den das Parlament nicht dulden kann". („Münchner Post", 261, 10.11.1911). m RA, 564, 10.11.1911. us Fraktionstagebuch, Protokoll 9.11.1911, S. 796.
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t r u m unbedingt darauf bestehen müsse, daß Frauendorfer oder Podewils „diese verletzenden Äußerungen aus der Welt schafft" 1 1 3 . Held fand die Formel, auf die sich die Fraktion einigen konnte: „Entschieden muß Frauendorfer eine genügende Erklärung i m Plenum abgeben. Wenn w i r stark bleiben und die Ruhe behalten, werden w i r die Oberhand behalten 1 1 4 ." Bei den Verhandlungen zwischen Podewils, Justizminister Miltner auf der einen und einer Delegation des Zentrums auf der anderen Seite, die noch am Abend des 9. November stattfanden, wurde diese Linie befolgt 1 1 5 . Podewils verwies auf die „ungemein ernste Situation, die staatsrechtlich nicht haltbar" w a r 1 1 6 . Lerno verlangte von Frauendorfer eine Erklärung i m Plenum. Sollte diese Erklärung nicht abgegeben werden, „werden sich für die Kgl. Staatsregierung die Konsequenzen ergeben" 1 1 7 . Was i n den letzten Tagen vorgekommen sei, bilde nur „das Tipferl auf das i " 1 1 8 . A u f der einen Seite sah das Zentrum die öffentliche Hetze i m ganzen Land von Seiten der Liberalen und Sozialdemokraten, auf der anderen Seite das konveniente Verhalten des Verkehrsministers diesen Leuten gegenüber und die „geradezu spöttische A r t , i n der der Verkehrsminister unsere Arbeitervertreter behandelt h a t " 1 1 9 . Podewils drängte seinerseits auf einen Kompromiß, er versuchte das Verhalten Frauendorfers zu entschuldigen und die Zentrumsdelegation von der geforderten Entschuldigung Frauendorfers i m Plenum abzubringen. M i t einer zu veröffentlichenden Erklärung, daß die Sache auf Grund einer Aussprache erledigt sei, sollte die Auseinandersetzung beschlossen sein. Doch das Zentrum blieb hart; es rechtfertigte sich m i t dem Verhalten der Liberalen und deren Presse. „Die völlige unsachliche scharfmacherische Arbeit der liberalen Presse — bis hinauf zum Regenten —, die uns i n die tiefsten Abgründe der politischen Nutzlosigkeit hinunterstoßende A r t , von der man glaubt, daß sie der Regierung einen Nutzen schafft, hat die Situation der Regierung bedeutend verschlechtert und uns ermahnt, daß w i r ernste Politiker und Männer sind, die für das E b d , S. 796. 114 Ebd., S. 798. us Protokoll der Aussprache i n G S t A M : M A I 962, Nr. 1. Der Zentrumsdelegation gehörten die Abgeordneten Orterer, Lerno, Fuchs, Giehrl, Malsen, Schädler, Frank-Weiden u n d Pichler an. Es w a r also eine „konservative" Delegation. Held gehörte i h r nicht an. Als Scharfmacher, w i e i h n die Minister empfunden hatten, die er j a indirekt „Esel" genannt hatte, ließ i h n die F r a k t i o n i m Hintergrund, ne Ebd., S. 2. i n Ebd. us Pichler, a.a.O., S. 6. us Pichler, a.a.O., S. 6. 11 Keßler
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Wohl des Vaterlands w i r k e n 1 2 0 . " Das Zentrum sah sich also i n seiner staatserhaltenden Funktion — bis zum Regenten hinauf — verkannt 1 2 1 , und die Regierung selbst habe nichts getan, u m wenigstens beim Regenten die Dinge richtig darzustellen. „Wenn einer großen politischen Partei i n einer solchen Weise entgegengetreten wird, hat sie auch ein Recht einmal zu verlangen, daß man ihr sagt, wie die Regierung zu ihr steht. W i r haben keine Verteidigung vor der Öffentlichkeit gefunden, man hat uns hängengelassen und hat uns in allen Richtungen den größten Schwierigkeiten überlassen 122 ." Die Regierung müsse jetzt Farbe bekennen. „ E i n blaues Auge gibt es, der Herr Verkehrsminister hat zwei blaue Augen geschlagen 123 ." Man verlangte also, daß Frauendorfer „peccavi" sagen solle, er sollte zur Abbitte verurteilt werden. M i t einem von Podewils als weitere Konzession gemachten Vorschlag, das Zentrum solle sich an Stelle einer Erklärung vor dem Plenum mit einer A r t Klarstellung des Sachverhalts i n der Öffentlichkeit einverstanden erklären, war dieses nicht zufrieden. Das Zentrum führte fortwährend als konservative Partei den schweren Kampf gegen die Sozialdemokratie i m Interesse der Staatsautorität; daß sie aber „dabei nicht die genügende Unterstützung von Seiten der Staatsregierung" fand, war der Boden, „auf dem die Unzufriedenheit aufgeschossen i s t " 1 2 4 . Das Zentrum verlangte also Satisfaktion und wollte sich nicht mit einer Klarstellung abfinden lassen. „ W i r verlangen, daß der Staat sich selbst schützt 1 2 5 ." Als Podewils immer noch nicht nachgeben wollte, kündigte Pichler die Anwendung schärfster konstitutioneller M i t t e l gegen die Regierung an: „ W i r können es abwarten, daß die Haltung der Regierung für andere Etats abfärben w i r d und diese schärfer behandelt, als es sonst der Fall wäre, darüber brauchen w i r nicht zu reden 1 2 6 ." Daraufhin wurde die Unterredung als aussichtslos abgebrochen. Beide Seiten waren unnachgiebig geblieben. Die Regierung glaubte sich der Erpressungsversuche einer tyrannisch auftretenden Kammermajorität erwehren und die konstitutionelle Verfassung des Staates verteidigen zu müssen, die zwar ein Mitspracheund Beratungsrecht den Parteien einräumte, aber niemals ein ultimatives Einspruchsrecht einer Partei i n das Kronrecht der Ernennung 120 Orterer, a.a.O., S. 12. 121 Die Pichlersche E r k l ä r u n g vor dem Finanzausschuß über den Beschluß des Zentrums, die Beratung des Verkehrsetats auszusetzen, sei von der liberalen Presse gefälscht worden, u m beim Regenten Eindruck zu machen. 122 Orterer, a.a.O. 123 Ebd. 124 Lerno, a.a.O., S. 17. 125 Pichler, a.a.O., S. 20. 126 Pichler, a.a.O., S. 20.
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oder Beibehaltung eines Ministers dulden konnte. Das Zentrum dagegen handelte i m Glauben, dieses Kronrecht nicht zu verletzen, aber die Regierung zwingen zu müssen, die Interessen und Grundlagen des Staates nach konservativen Grundsätzen gegen revolutionäre Tendenzen zu schützen. Die Krise stellte sich dar als Kraftprobe zwischen einem liberalen Beamtenministerium, wie es i n Bayern die vergangenen 50 Jahre geherrscht hatte, und einer konservativen Kammermajorität, die den Zeitpunkt der Abrechnung für jahrzehntelang erduldetes Unrecht und rechtswidrige Zurücksetzung gekommen sah. Held hatte dabei von Zentrumsseite die Regierung am schärfsten angegriffen. Der Konflikt endete m i t der Niederlage des Ministeriums, das zwar beim Regenten am 13. November 1911 die Auflösung des Landtags durchsetzen konnte, damit aber auch die letzten Wochen seiner eigenen Regierungsherrlichkeit einleitete. Das Zentrum hatte nicht m i t einer plötzlichen Auflösung der Kammer gerechnet, die die Liberalen i m Gefühl verbesserter Wahlaussichten schon Tage zuvor gefordert hatten 1 2 7 . Der Fraktionsvorsitzende Lerno zeigte sich von der Auflösung tief betroffen, w e i l sie sich zunächst als Sieg der Zentrumsgegner und als Entscheidung des Regenten gegen das Zentrum darstellen mußte: „Das Unerhörte ist Ereignis geworden, w i r haben soeben gehört, daß w i r i m Namen des Königs heimgeschickt worden sind und warum? Weil w i r als konservative Partei eingetreten sind dafür, daß die Grundlage des monarchischen Staates aufrechterhalten w i r d gegenüber Umstürzlern, Sozi, die begünstigt waren von einem Minister. Es handelt sich darum, wer in Bayern herrschen soll, die Sozi oder der konservative, monarchisch-christliche Gedanke 1 2 8 ." Damit waren i m großen und ganzen die Argumente und Schlagworte umrissen, m i t denen das Zentrum i n die letzte Wahl vor dem 1. Weltkrieg ging. Es war ein erbitterter Wahlkampf, der nun begann und für Bayern eine auf mehrere Jahre hinaus dauernde parlamentarische Neukonstellation endgültig manifestierte, die sich schon seit einiger Zeit angekündigt hatte. Es war der „Rotblock", die Koalition aller liberalsozialistischen Kräfte gegen das Zentrum, das i n den Konservativen nur einen schwachen Bundesgenossen fand. Liberale, Sozialdemokraten und Bauernbund gingen ein Wahlbündnis mit einer koordinierten Wahlkampfführung ein 1 2 9 . 127 M N N , 533, 15.11.1911: „Endlich! E i n Aufatmen w i r d durch das ganze L a n d gehen . . . " 128 Fraktionstagebuch, Sitzung v o m 14.11.1911. 129 M N N , 601, 24.12.1911: Der liberale Führer Casselmann hatte schon i n M N N , 536, 17.11.191 die Parole ausgegeben: „Es muß sich alles verbinden, alle Kreise, die bekennen, daß sie nicht ultramontan sind" ; u n d a m 24.12. u*
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6. Wahlkampf und Wahlen 1912 Es begann nun ein Wahlkampf, „ w i e ihn Bayern noch nicht gesehen hat. Immer größer wurde die Spannung, immer stärker die Erregung" 1 5 0 . Ziel des Rotblocks war es, die Majorität des Zentrums i n der Kammer auf jeden Fall zu brechen. Zugleich rückte ein Thema und eine liberal-sozialistische Forderung i n den Vordergrund, das bis zur Revolution 1918 bleiben sollte: Wahlreform i m Sinne des Proporzes 131 . Die weitere Klerikalisierung des Beamtentums sollte verhindert und die Schule dem „ultramontanen Machtgelüst" entrissen werden 1 3 2 . Deshalb sollten auch Beamte ohne Gewissenskonflikt einen Sozialdemokraten wählen können. A u f einer Beamtenversammlung am 1. 2.1912 in München wurde es von einem Redner „als staatsbürgerliche Pflicht" erklärt, eventuell „den inneren Widerwillen zu überwinden und einen sozial-demokratischen Stimmzettel abzugeben" 133 . Der Rotblock artikulierte und sammelte alle Ressentiments, die in Bayern gegen das Zentrum vorhanden waren. Es soll resümierend kurz dargestellt werden, u m die Wahlkampfstimmung zu zeichnen: die Sozialisten sollten i m Bunde m i t dem freiheitlichen Bürgertum die Macht des Zentrums brechen. Die Verhältnisse zwangen angeblich dazu. Man sah sich nicht nur einer reaktionären, terroristischen, sondern auch einer zu Unrecht bestehenden Landtagsmehrheit ausgeliefert. Somit erschien der Rotblock als eine Notwehraktion der Minderheitenparteien gegen das Zentrum. Bayern schien von ultramontaner Gewalttätigkeit und Rückständigkeit fester umklammert als je zuvor; vier Zehntel der Wähler unter klerikaler Führung verfügten über die Geschicke des Landes und die übrigen sechs Zehntel, „die konfessionell friedsam und an Gewerbefleiß, Intelligenz, Bildung und Steuerkraft die Stärke des Landes darstellen" 1 3 4 , sollten auf die Dauer zur Ohnmacht verurteilt sein. Die Herrschaft der Bauern und Landpfarrer mußte gebrochen werden. Vor allem die Intelligenz wollte mit den politischen Verhältnissen in Bayern nicht zufrieden sein. Eine Partei herrschte, „deren Begriffe von geistigem Leben, Wissenschaft und Schule selbst die bescheidensten Forderungen der Zeit absichtlich negieren, um die Massen verdummen zu lassen" 135 . Diese von Pfarrern, 1911 schrieben die M N N , Nr. 601: „Es gibt keinen anderen Weg aus dem Sumpf, i n den das politische Leben i n Bayern durch die gewalttätige A l l e i n herrschaft des Zentrums i m Landtag geraten ist." 130 M N N , 62, 5. 2.1912. 131 M N N , 601, 24.12.1911. 132 So i n „Der Fortschritt", zit. i n M N N , 452, 10. 9.1911. 133 H. Grauert, i n „Hochland", 10. Jg., A p r i l 1913, S. 17. 134 M N N , 24, 17. 1.1910. 135 „Süddeutsche Monatshefte", Jg. 1911, Heft 3, März, S. 395.
6. W a h l k a m p f u n d Wahlen 1912
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„welche den Modernisteneid geleistet haben" 1 3 6 , roh geführte Partei war liberalen Bildungsbürgern zuwider. Aber darüber konnte man nicht hinweggehen, daß diese Partei nach dem Wahlgesetz zu Recht herrschte, das beide Kammern mit der Sanktion der Krone geschaffen hatte. Die Zustände mußten also hingenommen werden, so unbefriedigend sie waren, „bis das Volk aus sich heraus Wandel schafft" 1 3 7 . Die Wahl vom 5. Februar 1912 sollte diesen Wandel einleiten. Was die Liberalen schon beim Abgang Crailsheims auf Betreiben des Zentrums festgestellt hatten, ließ sich auch auf die Opposition dieser Partei gegen Podewils übertragen: es sei ein anomaler Zustand, daß i n einem Land, i n welchem sich seit Jahrhunderten Rohheit und Aberglauben den Platz streitig machen, ein „Aristokrat an Bildung und Charakter sich an maßgebender Stelle behaupten" 1 3 8 und dem Treiben jener „tonsurierten und nicht tonsurierten Volkstribunen" entgegentreten konnte 1 3 9 . Jeder Mann von Geist und Charakter, der nicht Herkunft und Anschauungen von Volk und Klerus teile, werde i n „agrikolen Form e n " 1 4 0 der politischen Kampfesweise des Zentrums angegriffen 141 . Demnach hatte das Ministerium die Auflösung der Kammer der Abgeordneten als ein äußerstes M i t t e l ministerieller Pädagogik i m liberalen Sinn angewandt, u m das Zentrum wieder zu einem etwas gemäßigteren Umgang m i t den Staatsministern zu mahnen. Daß es mit dieser Taktik wohl i m Sinne der liberalen Beamtenministerien handelte, hatte es wohl selbst geglaubt. Die einsetzende Gegenwehr des Zentrums mit dem Hinweis auf die Erhaltung grundsätzlicher staatskonservativer Momente und ihrer Bedrohung durch die unentschlossene Haltung des Ministeriums hat dann doch i n höchsten monarchischen Kreisen ihren Eindruck nicht verfehlt. So glaubte das Zentrum einen „ K a m p f für das Vaterland Bayern, . . . für die politische Befreiung des Landes" zu führen 1 4 2 . Diesen Kampf wollte man austragen mit den „Waffen der Loya-
l e Ebd. 137 Ebd. 138 „Freistatt", Heft 9 v o m 28. 2.1903. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Wie sehr hier antikatholische Ressentiments von liberaler Seite durchschlugen, zeigen weitere Zitate aus der „Freistatt": „Das bayerische Volk ist seitdem (d.h. der Gegenreformation; d.Verf.) i n den Seelenschlaf eines behäbigen Sonderlebens versunken, i n dem seit von jeher demagogisch veranlagter Klerus die einzige Abwechslung bringt. Von N a t u r aus unbehilflichen u n d plumpen Wesens, hängt es v o l l kindlichen Vertrauens an der i h m durch Manieren, H e r k u n f t u n d Stammesart verwandten Geistlichkeit." Auch die Krone habe darunter zu leiden: „ein bayerisches Scheinkönigtum unter klerikaler Vormundschaft". 142 B K , 31, 31.1. 1903.
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V I I . Übergang zur konservativen bayerischen Staatspolitik
lität, wie sie die Verfassung beut, unter strikter Wahrung der Hechte der Krone und mit ganzer Treue gegenüber der erhabenen Person des Regenten" 1 4 3 . Das Zentrum fühlte sich von drei Seiten umkämpft: den Liberalen, den Sozialdemokraten und Bauernbündlern; und das Schlimmste war für Held, daß „das Ministerium Schulter an Schulter mit dem liberalsozialdemokratischen Großblock" 1 4 4 kämpfte. „Die Blindheit" 1 4 5 , die sich dadurch zeigte, war „ohne Zweifel die Haupt- und Generalschwäche des derzeitigen Ministeriums" 1 4 6 . Die tief gehende und seit Jahren bestehende Meinungsverschiedenheit zwischen Ministerium und Mehrheitspartei über die Einschätzung der Gefahr der behördlicherseits der Sozialdemokratie gegenüber offensichtlich bekundeten wohlwollenden Nachsicht hätte zwar zu einer parlamentarischen Bekämpfung der Regierung durch die Zentrumspartei, aber nach Meinung Heids kaum unmittelbar zur Auflösung der Kammer, „wenigstens nicht zum jetzigen Augenblick" 1 4 7 , führen müssen. Den hingeworfenen Fehdehandschuh aufzunehmen, war das Zentrum seiner „Reputation als politischer Partei und seiner vom Regierungstische aus verhöhnten Mitgliedern schuld i g " 1 4 8 . Jetzt aber handelte es sich u m etwas anderes: Sollten in Bayern die gleichen konservativen, staatserhaltenden, den Bestand der monarchischen Staatsform schützenden Grundsätze gesichert werden oder sollte der Zentrumshaß verantwortlicher oder unverantwortlicher Mächtiger dazu führen, daß die politische Zukunft Bayerns „den Elementen der Gärung, der Zersetzung und des Zentrumshasses ausgeliefert werden" 1 4 9 . Dabei hätte das Zentrum schon längst andere Seiten aufziehen sollen; als Mehrheitspartei hätte sie von ihrer Mehrheit mehr Gebrauch machen sollen. Das Zentrum werde wiederkommen, aber „als Oppositionspartei. Die Koalition zwischen Liberalen und Sozialdemokraten ist fertig. Die Regierung steht mitten unter i h n e n . . . Man hat das Zentrum nach Hause geschickt. W i r wollen dafür sorgen, daß die beste Schutzwehr der Monarchie wiederkommt" 1 5 0 . Der Wahlkampf nahm auch dadurch noch an Heftigkeit zu, daß der Reichstag ebenfalls aufgelöst worden war. Held führte seinen schwersten A n g r i f f gegen die Sozialdemokraten, mit deren wirklichen Zielen er die Wählerschaft schreckte. Die Soziales 144 145 146 147 148 149 150
Ebd. RA, 575, 16.11.1911. Ebd. Ebd. RA, 575, 16.11.1911. Ebd. Ebd. H e l d i n einer Rede i n Regensburg, zit. i n RA, 601, 30. 11.1911.
6. Wahlkampf u n d Wahlen 1912
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demokraten wollten auf „staatlichem Gebiet die Republik, auf w i r t schaftlichem Gebiet den Kommunismus, auf religiösem Gebiet den Atheismus" 1 6 0 . Welche unabsehbaren Folgen die Verwirklichung dieser Gedanken mit sich brächten, „schilderte der Redner aufs deutlichste" 1 6 1 . Auch der Linksliberalismus war auf religiösem und wirtschaftlichem Gebiet genauso ein Feind des Zentrums wie die Sozialdemokratie. I m offiziellen Wahlaufruf des Zentrums fehlte auch nicht der Hinweis auf die Gefahren, die bei einem Sieg des Rotblocks Kirche und Katholiken bedrohten. Man sah die konfessionelle Schule in Gefahr. Allen gläubigen Katholiken drohe die Einschränkung ihrer religiösen Freiheit: „Ein neuer Kulturkampf ist uns angesagt 162 ." Die Wahlaussichten des Zentrums für den Landtag waren durch den Ausgang der Reichstagswahlen vom 12.1.1912 etwas getrübt worden. Das Zentrum erhielt auf Reichsebene 38,8 % der Stimmen, 1907 waren es 44,8 o/o gewesen 163 . So schlimm sollte es in Bayern nicht werden. Dam i t hatte auch das bayerische Ministerium nicht gerechnet. A m Tage der Wahl trat es zurück i n der Annahme, daß das Zentrum die absolute Majorität nicht verlieren und sie so erneut i n den bereits scharf angedrohten Konflikt mit dem Zentrum kommen würde. A m Wahltag war dem Rotblock die große Abrechnung mit dem Zent r u m nicht gelungen. Die Mehrheit des Zentrums in der Kammer der Abgeordneten war zwar um 11 Mandate auf 87 zurückgegangen, es behielt jedoch die Majorität 1 6 4 . Die Liberalen hatten 11 und die Sozialdemokraten 9 Mandate dazugewonnen. Die Liberalen empfanden den Wahlausgang als „eine Enttäuschung" 1 6 5 , ihr großes Ziel, die Brechung der Zentrumsmehrheit war nicht gelungen. Das Zentrum habe nun die Macht, die Drohungen zu verwirklichen, die Held nach der Land«o RA, 107, 29. 2.1911. lei Ebd. 162 RA, 18.1.1912. „Portugiesischer W i n d (d.h. Revolution; d. Verf.) soll über unser bayerisches Vaterland dahinbrausen, ein Wind, der Kirchen und Klöster hinwegfegt, Priester u n d Nonnen vertreibt, ein Wind, der schließlich T h r o n u n d A l t a r umstürzt! Freidenker, Monisten, Unsittlichkeits- und U n zuchtsapostel dürfen heute bereits frei i n Bayern schalten u n d Anhänger für ihre verderblichen Lehren werben. Die Sozialdemokraten . . . sind Revolutionäre und Umstürzler unserer ganzen Gesellschaftsordnung." 163 M N N , 25, 16.1.1912: „Das Ergebnis der Reichtagswahl schafft f ü r Bayern eine hocherfreuliche K l ä r u n g der Lage." (Ebd.) 164 Das Zentrum erhielt 394.126 von insgesamt 972.773 abgegebenen Stimmen; das waren 40,9% u n d bedeutete 87 Mandate; die Liberalen 21,4% ( = 30 Mandate), die Sozialdemokraten 19,5 % ( = 30 Mandate), Freie Vereinigung 6,4% ( = 7 Mandate), Bayerischer Bauernbund 3,0% ( = 3 Mandate): Sonderdruck aus der Zeitschrift des Kgl. Bayerischen Statistischen Landesamtes, Heft 2 u n d 3, Jg. 1912. 165 M N N , 65, 7.2.1912.
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V I I . Übergang zur konservativen bayerischen Staatspolitik
tagsauflösung ausgesprochen habe. Das Zentrum wäre nun entschlossen gewesen, seine i m wesentlichen behauptete Macht rücksichtslos als Oppositionspartei einzusetzen, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das die Liberalen als Ende der politischen K u l t u r empfanden und das Zentrum selbst nicht zu erhoffen gewagt hatte: nach der Entlassung des liberalen Beamtenministeriums Podewils berief der Prinzregent den Führer der Zentrumsfraktion i m Reichstag und Reichsrat der Krone Bayern, Freiherr von Hertling, an die Spitze eines neuen bayerischen Ministeriums. Was der eigentliche Grund für die Entlassung des Ministeriums Podewils war: die Konzentration der konservativen Kräfte gegen die Sozialdemokratie und die Bewahrung der feudalen alten Gesellschaftsstruktur, die bedroht erschien, deutete der gut informierte „Bayerische Kurier" klar an: „Nicht nur i n den Kreisen der Reichsratskammer und der Kammer der Abgeordneten, sondern auch in Bundesratskreisen und bei den Mitgliedern des Königshauses herrsche eine peinliche Stimmung wegen der tatlosen Haltung der bayerischen Regierung gegenüber der Sozialdemokratie 166 ." Auch die Mobilmachung der Beamten für das Wahlbündnis m i t der Sozialdemokratie wurde i n diesen Kreisen als eine hochernste Erscheinung angesehen.
iw B K , 25, 2. 2.1912.
V I I I . Das Ministerium Hertling und das bayerische Zentrum Die Berufung Hertlings erschreckte die Liberalen mehr als es das Zentrum erfreute. „Es ist unglaublich!" — hatten die liberalen „Münchner Neuesten Nachrichten" 1 die sich verdichtenden Nachrichten von der bevorstehenden Berufung Hertlings kommentiert — Bayern „ein ultramontanes Ministerium zu geben" 2 , und dies alles „trotz dem Überwiegen der Intelligenz und der Steuerkraft auf Seiten der Zentrumsgegner" 3 ! Die Liberalen sahen den Staat i n Gefahr, denn ein römisches M i n i sterium sei eine Gefahr für den Staat Bayern und das Königshaus: „Denn die Geschichte lehrt uns auf jeder Seite, daß die mit Rom gegen alle Staatsräson liierten Staaten dem Niedergang verfallen sind 4 ." Auch das bayerische Königshaus wurde eindringlich gewarnt: „Die notgedrungene Umwandlung von Monarchien i n Republiken hat fast immer mit Überspannungen des konfessionellen Bogens angefangen 5 ." Ein ultramontaner Regierungschef schien einfach unmöglich; denn wer die himmlischen Erwartungen nicht von den Angelegenheiten dieser Zeitlichkeit trennen könne, schien politisch suspekt und i n seiner Qualifikation zum Minister „geradezu unverwendbar" 6 . Die Nervosität der Liberalen, ihr publizistisches Gejammer war zugleich der Grabgesang auf eine entschwundene Ära Bayerns, i n der sich die Liberalen offizieller Regierungsgunst erfreuen durften; sie war aber auch eine nachträgliche Rechtfertigung für die Klagen des Zentrums über ein System, i n dem es als Mehrheitspartei praktisch ohne bestimmenden Einfluß auf die Regierung geblieben war. Die Ernennung Hertlings, der als erster katholischer Parteiführer i n Deutschland Regierungschef geworden war, zeigte das endgültige Ende der liberalen Ära i n Bayern an. Sie hätte aber auch ein erster wirklicher Schritt zur Parlamentarisierung i n Deutschland sein können, wenn Hertling selbst seine Berufung i n diesem Sinne aufgefaßt
ι 2 3 4 s 6
M N N , 71, 10. 2.1912. Ebd. Ebd. M N N , 73, 11. 2.1912. Ebd. M N N , 76, 13. 2.1912.
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V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
hätte. Er tat es nicht. Hertling hatte zum konservativen Flügel der Partei gehört, der auch i n Bayern 1912 mit der endgültigen Ausschaltung Heims gesiegt hatte, und der die herrschenden politischen und gesellschaftlichen Strukturen zu konsolidieren versuchte und das Zent r u m hof- und regierungsfähig machen wollte. Seine konsequent geführte konservative Politik hat auch die in Bayern vor dem Ersten Weltkrieg bestehende K l u f t zwischen gesellschaftlichem Wandlungsprozeß und politisch konservierter Machtverteilung vertieft. Als ersten Schritt zum Ubergang zu einem parlamentarischen System i n Bayern hatten die Liberalen sogar die Berufung Hertlings begrüßt. Müller-Meiningen begrüßte die „Schaffung einer klaren politischen Situation" 7 . Der Mehrheitspartei i m Landtag war damit ja auch die politische Verantwortung für „ihr Ministerium" nach außen auferlegt. Wie reagierte aber das Zentrum auf die Neuorientierung i n Bayern? Wie empfand es den Übergang von einem liberalen Ministerium, das es immer bekämpft hatte, zu einem konservativen Ministerium, das es immer gefordert hatte. Die Reaktion des Zentrums war nach den inneren Strömungen dieser Partei differenziert. Zunächst konnte man ja reichlich zufrieden sein, mit „der ganz unerhofften Genugtuung, die der Ministersturz vom 5. Februar es uns, den Verfassungsbrechern, gegeben hat" 8 . Durch die Wahlen und ihre Folgen hatte die Richtung u m Pichler und von Malsen innerhalb der Zentrumspartei an Einfluß gewonnen. Es war ja die Richtung innerhalb der Fraktion, die sich selbst als konservativ-aristokratisch gab und die m i t Hertling vollauf zufrieden sein konnte. Die „Donauzeitung", das Organ Pichlers sprach diese Empfindung ekstatisch aus: „Wie ein Traum ist das Ganze. Lutz — Crailsheim — Podewils — Hertling. Welch ein Abstand. Ein neues Blatt fügt sich i n der Geschichte Bayerns ein 9 ." Hertling schien die Gewähr dafür zu geben, was immer das eigene Ziel war: konservative Staatspolitik. Hertling und der konservative Flügel um Dr. Pichler hatten auch andere Vorstellungen vom Wesen des Zentrums als der linke Flügel um Heim, der das Problem der Massen und der kommenden Parlamentarisierung vorausgesehen hatte. Hertling sah wohl auch das Problem der sozialen Schichtung und ihrer Bedeutung für die Parteibildung, glaubte aber, daß u m des höheren religiösen Zieles w i l l e n die sozialen und politischen Gruppeninteressen von Einzelschichten aus der Politik ferngehalten werden müßten. 7 M N N , 76, 13. 2.1912. 8 FraktionsVorsitzender Lerno i n einem Brief am 22. 2.1912 an Held. M i t den „Verfassungsbrechern" griff Lerno die Formel, m i t der die Liberalen i m Wahlkampf gegen das Z e n t r u m agitiert hatten, auf (AHR). 9 „Donau Zeitung", 69, 11. 2. 1912.
V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
Man sah die „Augen der gesamten K u l t u r w e l t auf Bayern gerichtet" 1 0 , wo förmlich über Nacht ein bisher undenkbar gehaltener Systemwechsel eingetreten war. Damit war aber auch die eigene Verantwortung gestiegen. Neue Aufgaben waren entstanden und ein parlamentarisch-konstitutionelles Umdenken war notwendig. Die sogenannte demokratische Richtung i m Zentrum um Heim war durch die Wahlen geschwächt. Heim hatte sich auch nicht mehr für den Landtag aufstellen lassen; er zog sich aus der Politik zurück und wollte nur noch für seine Genossenschaften arbeiten 11 . Die Führung der Zentrumsfraktion war zunächst und vorwiegend in feudal klerikalen Händen, sie konnte aber manche Schwierigkeiten, die der demokratische, an Opposition gewöhnte Flügel des Zentrums dem Zentrumsministerium Hertling machte, nicht verhindern. Heids Verhältnis war anfänglich sehr distanziert k ü h l gewesen. Er stritt es ab, daß dieses Ministerium ein Zentrumsministerium sei. „Unsere Stellung gegenüber diesem M i nisterium w i r d ebenso reserviert sein wie jedem anderen Ministerium gegenüber in der Vergangenheit 12 ." Er werde das neue Ministerium genauso wie das verflossene so lange und insoweit unterstützen, als es seiner Überzeugung nach „gute und volksfreundliche, i m gesunden Sinn fortschrittliche, christliche Volkspolitik macht" 1 3 . I n seiner Stellungnahme zum Ministerium Hertling äußerte sich Held auch zu der vor allem von den Liberalen bei der Berufung Hertlings diskutierten Parlamentarisierung; er kam den Liberalen dabei ein weites Maß entgegen: er für seine Person und „auch ein nicht geringer Teil meiner politischen Freunde" 1 4 ständen auf dem Standpunkt, daß „die Majoritätspartei, die durch das Volk gewählt, auch einen derartigen Einfluß auf den Gang der Dinge hätte, daß sie Einfluß nehmen könnte auf die Bestellung der Minister, daß also der jeweiligen Majorität auch ein entsprechendes Ministerium an die Seite gesetzt würde. Wenn das auch ein Wunsch von uns ist, so wissen w i r doch zu gut, was i n Bayern der Erfüllung dieses Wunsches gegenübersteht und w i r achten und respektieren die Verfassung. W i r erkennen auch das neue Ministerium Hertling nicht als ein Parteiministerium oder gar als ein Zentrumsministerium an" 1 5 . Damit hatte Held die Meinung des demokratischen Flügels i m Zentrum angesprochen. Die Programmrede Hertlings vom 5. 3.1912 hatte dann auch klar gemacht, daß Hertling sich nicht vor den Wagen des Zentrums spannen 10 „Donau Zeitung", 69, 11.2.1912. 11 H. Renner, Georg Heim, S. 160 f. is Held i n einer Rede i n Schwandorf, RA, 108, 29. 2.1912. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 RA, 108, 29. 2.1912.
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V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
ließ, sondern daß das Zentrum umgekehrt an den Wagen der Regierung gespannt werden sollte: „ I n Bayern w i r d vorerst nicht parlamentarisch, sondern konstitutionell regiert, es kann nicht parlamentarisch regiert werden 1 6 ." Der „Bayerische Kurier", ein führendes Zentrumsblatt, kommentierte dann auch die Rede Hertlings etwas enttäuscht: „ I m Programm des Ministeriums Hertling nimmt die Zurückweisung des Parlamentarischen Systems die erste Stelle ein 1 7 ." Hertling fühlte sich nicht als Beauftragter einer parlamentarischen Mehrheit, sondern als verantwortlicher Beauftragter des Herrschers. Als die Liberalen regierten, gab es ja auch kein parlamentarisches System. Geändert zum Positiven h i n hatte sich für das Zentrum nur dies: das Monopol der liberalen Staatspolitik, wie es i n vorhergehenden Ministerien geherrscht hatte, war endgültig gebrochen worden. Das Zent r u m hatte damit aber nicht die Macht übernommen. Für Held und den demokratischen Flügel der Partei blieb das Verhältnis zum Minister i u m Hertling, dem auch i n Innenminister Soden und Verkehrsminister Seidlein zwei ausgesprochene Zentrumsanhänger angehörten, kühl. Das hatte seinen Grund wohl auch darin, daß Hertling, obwohl er i n Bayern lebte und als Reichsrat gewirkt hatte, m i t der Mehrheit des bayerischen Zentrums nie besonders gute Beziehungen gepflogen hatte. Er war Aristokrat, Wissenschaftler, hochgebildet und viel zu fein, um sich mit der i m bayerischen Zentrum herrschenden politischen Tonart und der manchmal etwas robusten, kräftigen A r t der Männer um Heim anfreunden zu können. I n einem Aufsehen erregenden A r t i k e l „Politische Parteibildung und soziale Schichtung" 18 hatte er 1905 schon i n allzu deutlicher Form vom bayerischen Zentrum als einer „Partei der Bauern und Handwerker und der kleinen Leute" gesprochen 19 . Ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten zwischen Ministerium und Zentrum war die Tatsache, daß das Zentrum jetzt nicht mehr so leicht von der Opposition und Agitation gegen die Regierung leben und nicht mehr die eigenen Anhänger mit dem Hinweis, man werde es den Ministern i n München wohl zeigen, wenn sie nicht machten, was das Zentrum wolle, zusammenhalten konnte. Man war Majorität und Opposition zugleich. Die Mehrheit hatte man schon früher gehabt, aber sie verpflichtete ja nicht. Das Ministerium Crailsheim war liberal und das Ministerium Podewils nur zur Hälfte schwarz, so konnte man beide dem Liberalismus anlasten. Die „starken Reden" gegen München, mit denen man sich als populäre und sturmerprobte Volkspartei und nicht als 16 π 18 ι»
„Augsburger Postzeitung", 53, 6. 3.1912. B K , 67, 7. 3.1912. „Hochland", Heft 7 v o m 1. 4.1905, S. 47—57. Ebd., S. 55.
V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
Regierungspartei beweisen wollte, waren nicht mehr i m gewohnten Maße möglich. Das wertvolle Agitationsmittel eines Streites m i t der Regierung stand nicht mehr i n diesem Ausmaß zur Verfügung. Dieser Umdenkungs- und Umorientierungsprozeß verlief nicht ohne Schwierigkeiten. I n einem Gespräch Orterers m i t Hertling kam dies 1913 sehr klar zum Ausdruck. Beide waren sich einig, daß das Zentrum der gegenwärtigen Regierung gegenüber eine andere Stellung einnehmen müsse als gegenüber den früheren. Orterer verhehlte sich aber nicht die Schwierigkeiten, die „demgegenüber die langjährige und liebgewordene Gewohnheit der Opposition bereite" 2 0 . Hertling und Orterer kamen überein, daß es sich empfehlen würde, vor Beginn der Verhandlungen des Landtags eine vertrauliche Besprechung zwischen M i t gliedern des Ministeriums und „den verschiedenen Richtungen der Part e i " 2 1 zu veranstalten. Orterer und Pichler, d. h. der konservative Flügel der Partei, hatten den besten Kontakt zu Hertling und versuchten die Partei auf Regierungslinie zu halten 2 2 . Es war wohl auch Absicht des Prinzregenten und seiner Umgebung gewesen, das Zentrum mit einem Ministerpräsidenten aus seinen Reihen zu „bändigen", es zu loyaler Mitarbeit zu zwingen, was den liberalen Vorgängern Hertlings nicht gelungen war. A u f der anderen Seite schien Hertling wegen seiner strengen konstitutionellen Auffassung als Beamtenminister und nicht Zentrumsminister, die Gewähr dafür zu bieten, daß das Ministerium nicht ganz i n die Abhängigkeit der Kammermehrheit geriet 2 3 . Hertling war darauf bedacht gewesen, ein Ministerium der Krone und nicht ein Zentrumsministerium zu bilden. „ E r selbst betrachtete sich seit der definitiven Übernahme des allerhöchsten Auftrags als ausgeschieden aus der Zentrumspartei 2 4 ." Die liebgewordene Gewohnheit der Opposition konnte das Zentrum nicht allzu leicht fallen lassen. Auch Held nicht, obwohl er hier sehr bald eine Wendung vollzog. Vor allem Heim schien sich dem neuen 20 Hertlings politische Notizen, G S t A M : M A I 962, Bericht v o m 29.1.1913. 21 Ebd. 22 H e r t l i n g berichtet des öfteren i n seinen politischen Notizen von Besprechungen m i t beiden. Über ein Gespräch m i t Held w i r d nicht berichtet. Erst i m Weltkrieg werden die Beziehungen H e r t l i n g - H e l d enger zur A b w e h r alldeutscher, annexionistischer Strömungen i m Zentrum. I n seinem Buch „Profile", S. 16, berichtet V i k t o r Naumann über die Schwierigkeiten, die H e r t l i n g m i t dem Z e n t r u m habe. H e r t l i n g habe Naumann einmal gesagt: „Es ist merkwürdig, w i e oft ich i m Bayerischen Landtag mich m i t den Liberalen besser stellen k a n n als m i t meinen eigenen Leuten. Ich, der Führer des Reichstagszentrums, komme m i t dem bayerischen recht oft nicht aus." A n gleicher Stelle schreibt Naumann über H e r t l i n g : „Dieser i m Parlament so sehr geschätzte Führer w a r dennoch k e i n Freund des Parlamentarismus." 23 Diese w o h l richtige Auffassung v e r t r i t t W. Albrecht: „Regierung u n d Landtag Bayerns i m ersten Weltkrieg", B e r l i n 1968. 24 H. Grauert, i n „Hochland", Heft M a i 1913, S. 203.
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V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
„konservativen Regiment" nicht kampflos unterordnen zu wollen. Das publizistische Organ Heims, das „Neue Münchner Tagblatt" hatte öfters Anlaß mit dem Ministerium Hertling unzufrieden zu sein. Es führte m i t dem „Bayerischen K u r i e r " eine öffentliche Fehde über die grundsätzliche Stellung des Zentrums zum Ministerium. Der „Bayerische K u r i e r " hatte 1912 geschrieben: „Die Stellung des Zentrums zum M i n i sterium Hertling ist eine klare, selbstverständliche. Es vertritt die konservative Staatspolitik und muß darum in allem, was es vor seinen Wählern verantworten kann, das konservative Konzentrationsminister i u m Hertling, das i n den konservativen Kreisen der Reichsratskammer wurzelt, unterstützen 2 5 ." Die A n t w o r t des „Neuen Münchner Tagblatt" stieß sich vor allem an dem Satz „das i n den konservativen Kreisen der Reichsratskammer wurzelt" und wandte sich energisch gegen die dari n implizierte Behauptung, daß das Schwergewicht der bayerischen Pol i t i k i n der Kammer der Reichsräte liege. Das Fühlen und Denken der mehr exklusiven Kreise der i m Reichsrat konzentrierten Geburts- und Geldaristokratie sei „manchmal volksfremd". Das Zentrum müsse eine Volkspartei sein und bleiben, wenn es sich i n seiner alten K r a f t und Stärke behaupten wolle 2 6 . Damit hatte Heim seinen alten Widersachern den V o r w u r f der Knechtseligkeit vor Hertling gemacht. Die „Donau Zeitung" Pichlers wies diesen V o r w u r f und Angriff auf das Ministerium dann auch als einen „Mißgriff ärgster A r t " zurück 27 . Vor „annähernd 10 000 Bauern" 2 8 griff Heim am 13. J u l i 1913 i n Mering das Ministerium Hertling wegen seiner Steuerpolitik heftig an. „ W i r sind keine Schildknappen der Regierung, irgendeiner Regierung. W i r haben noch niemals i n Bayern eine Regierung gehabt, welche so wenig nach uns gefragt hat wie jetzt 2 9 ." Berechtigt seien vor allem die Klagen der Forstrechtbauern i m Gebirge. „Weltfremd sitzt in Ruhpolding mitten i m Rechtlergebiet der Ministerpräsident und weiß von allen diesen Dingen nichts 30 ." Er werde sich der Regierung gegenüber immer ein freies Wort gestatten. „ M i r ist ein roter Baum mit schwarzen Früchten lieber als ein schwarzer Baum mit roten Früchten 3 1 ." Vom Rotblock wurde dieser Angriff Heims auf Hertling kräftig ausgenützt. Hertlingfreundliche Zentrumsblätter nahmen den Ministerpräsidenten vor solchen Angriffen i n Schutz. Die 25 B K , 244, 31. 8.1912. 26 Zitiert nach „Augsburger Abendzeitung", 244, 2. 9.1912. 27 „Donau Zeitung", 428, 1. 9.1912. 28 „Münchner Zeitung", 162, 15. 7.1913. 29 M N N , 356, 15. 7.1913. 30 M N N , 356, 15.7.1913. H e i m spielte damit auf das Landhaus Hertlings i n Ruhpolding an. 31 Ebd.
V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
„Augsburger Postzeitung" meinte, niemand i m Zentrum denke daran, mit „Paradedonner gegen das Ministerium Hertling zu arbeiten, oder, die Geschäfte des Rotblocks besorgend, i n die Fehler des Oppositionsfanatismus zu verfallen" 3 2 . Gerade i n einer Zeit, wo der Rotblock dem Ministerium Hertling den Kampf ansagte, mußte eine solche Attacke Heims besonders auffallen. Heim wollte damit aber auch die konservativ-klerikale Führung des Zentrums treffen, die ihn politisch kaltgestellt hatte. Unter diesen Spannungen l i t t schließlich auch das bisher gute Verhältnis Heids zu Heim. Weil Held den Zentrumsminister Soden i n der Öffentlichkeit gelobt hatte, kündigte i h m Heim die alte Freundschaft auf. Held sei außerdem „ i n der ,Donauzeitung' Pichlers rühmend erwähnt" worden 3 3 . Vor einiger Zeit sei es noch anders gewesen. Held rechtfertigte sein Lob Sodens m i t dem Hinweis, daß er damit die Einigkeit der Zentrumsfraktion gegen die Gegner i m Rotblock habe demonstrieren wollen 3 4 . Die Opposition aus dem Bauernvereinsflügel vor allem gegen Minister von Soden trübte oft das Verhältnis Zentrum — Ministerium. Anfangs 1914 zeigte sie sich bei den Beratungen des Etats des Innenministers i m Finanzausschuß. Es fiel auf, „daß das Zentrum . . . zum Teil brüsk gegen Frh. von Soden auftrat" 3 5 . Es verweigerte i h m zwei geforderte und sachlich begründete Regierungsratsstellen. Der Zentrumsabgeordnete Walter lenkte dann aber ein. Es war immer noch das Bestreben mancher Zentrumskreise, dem Minister den eigenen W i l l e n fühlen zu lassen. Die Oppositionskreise gegen das Ministerium Hertling i m Zent r u m gruppierten sich vor allem um die Abgeordneten Schlittenbauer und Osel, die beide aus der Genossenschaftsbewegung des Dr. Heim kamen. A n dieser persönlichen Affäre m i t Heim, die die Lösung des persönlich-freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Heim und Held zur Folge hatte, zeigten sich nun zwei Momente i n der politischen Karriere Heids: seine politische Elastizität, seine taktische Anpassungsfähigkeit 32 „Augsburger Postzeitung", 325, 17.7.1913. 33 H e i m i n einem Brief an Held v o m 22.11.1912, A H R . 34 H e i m kritisiert an Held vor allem, daß seine H a l t u n g zwiespältig sei; noch i n der letzten Session habe Held zu H e i m gesagt: „Soden sei der unfähigste der Minister", jetzt lobe er i h n aber. H e i m : „Das ist m i r zu viel Elastizität." Soden behandle die Heimschen Genossenschaften schlechter als Feilitzsch u n d Brettreich. H e i m drohte sogar m i t der Trennung der christlichen Bauernvereine v o m Zentrum. „ W i r dürfen das ganze Jahr die schwere Arbeit leisten, w i r halten überhaupt das politische Leben r e g e , . . . u n d dann wären w i r gerade recht, u m uns an die Wand drücken zu lassen... Die Konsequenzen ergeben sich f ü r uns beide v o n selbst, ich betrachte alle persönlichen Beziehungen zwischen uns als gelöst, auch für Dich eine E r leichterung!" (Ebd.). 35 M N N , 46, 12. 2. 1914.
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i m politischen Leben, die für einen Politiker nicht als Charakterlosigkeit ausgelegt zu werden braucht, und seine allmähliche Aufgabe der Opposition gegen den konservativ klerikalen Flügel des Zentrums, seine Hinwendung zu einem gemilderten Konservativismus, der i h n i n seiner eigenen Fraktion eine Mittelstellung einnehmen ließ zwischen den verschiedenen Richtungen der Partei. Aus dieser Stellung heraus konnte er 1914 Fraktionsvorsitzender werden. Diese allmählich festzustellende Wendung bedeutete aber nicht die Aufgabe seiner inneren reservierten Haltung zum Ministerium Hertling. Der Rotblock zwang das Zentrum zu einer nach außen einheitlicher agierenden Partei und ließ so viele innere Spannungen i n der Öffentlichkeit kaum sichtbar werden. Die Spannungen zur Regierung kamen oft aber nur allzu deutlich i n den Auszeichnungen und Ordensverleihungen zum Ausdruck. Zum Jahreswechsel 1912/13 kritisierte Held die „auffallend einseitige Gruppenauszeichnung meiner Herren Fraktionskollegen, und insbesondere die Nichtberücksichtigung des verdienten Herrn Kollegen Osel" habe bei dem „Großteil der Zentrumsfraktion außerordentlich befremdlich g e w i r k t " 3 6 . Dieses Vorgehen des Ministeriums trage auch nicht zur inneren Konsolidierung der Fraktion bei und sie „erleichtert auch nicht deren Stellung zum Staatsminister i u m " 3 7 . Bei den Ordensverleihungen des Jahres 1912/13 hatten sich auch die Spannungen Hertling — Zentrum ausgewirkt, die sich anläßlich des ersten Versuchs des Ministeriums, die Regentschaft zu beenden, gezeigt hatten. 1. Die Haltung Heids und des Zentrums in der Regentschaftsfrage Die Regentschafts- oder Königsfrage war das wichtigste staatsrechtliche Problem, das die Regierung Hertling zu lösen hatte. Noch bevor Prinzregent Luitpold am 12. Dezember 1912 starb, hatte es schon i n Ministerium und Staatsrat Überlegungen gegeben, bei der unheilbaren Geisteskrankheit von König Otto, für den Prinzregent Luitpold 26 Jahre lang als „Verweser des Königreiches Bayern" fungiert hatte, m i t dem Tode des Prinzregenten die Regentschaft zu beenden. Die wichtigste und zugleich unsicherste Komponente i n diesem Problem war die Frage gewesen, wie sich die bürgerlichen Parteien verhielten. Innenminister Soden hatte i m Ministerrat vom 19. Oktober 1912 bereits davon berichten können, daß der liberale Abgeordnete von Casselmann und schließlich auch der Zentrumsabgeordnete Präsident Orterer für 36 Held am 10.1.1913 an Hertling, GStAM, M A 99793 a. 37 Ebd.
1. Die H a l t u n g Heids i n der Hegentschaftsfrage
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seine Person sein Einverständnis m i t einem solchen Schritt erklärt hätten. Orterer halte es für wahrscheinlich, daß auch die Zentrumsfraktion diesem Plan zustimmen würde. Auch Prinz L u d w i g sei bereit, beim Tode seines Vaters sich zum König proklamieren zu lassen, falls er auf keinerlei Widerstand „von Seiten der bürgerlichen Parteien zu stoßen Gefahr laufe" 1 . Nachdem aber i m Ministerrat selbst keine Einigung über den Plan einer sofortigen Königsproklamation gefunden werden konnte, stimmte man dort einem Plane des Justizministers zu, gleich nach der Übernahme der Regentschaft durch Prinz L u d w i g die Beendigung der Regentschaft durch eine Verfassungsänderung durchzuführen. Als Luitpold am 12. Dezember 1912 starb, berief sein Nachfolger L u d w i g den Landtag für den 21. Dezember ein. Die Zustimmung aller bürgerlichen Parteien zum Plan des Justizministers war nicht zu erreichen. Die Liberalen schienen bereit zu sein, während sich das Zentrum i n der Mehrheit ablehnend verhielt. Nach längerer Diskussion am 20. Dezember 1912 hatte die Fraktion m i t 51 gegen 29 Stimmen den Plan des Ministeriums abgelehnt 2 . I m Zentrum bestand eine starke Opposition gegen jede Verfassungsänderung in bezug auf die dauernde Regentschaft. Es waren grundsätzliche Bedenken wegen der Aufrechterhaltung des Gottesgnadentums. Eine Beendigung der Regentschaft hätte zu sehr i n die Rechte des Monarchen eingegriffen. Der „Bayerische K u r i e r " deutete als einzige bayerische Zentrumszeitung klar an: „Das Zentrum trägt die Verantwortung allein, sie ist Anhängerin des Legitimitätsgedankens ohne Vorbehalt 3 ." M i t einer Rede i n Amberg versuchte Lerno auch die Haltung seiner Fraktion zu erklären: „ W i r Abgeordneten als Mitglieder einer legalen, konservativen Partei dürfen niemals die Anregung dazu geben. Wenn es sich so fügt, daß der Regent selbst sich die Krone aufsetzt, dann hätten w i r keine weiteren Schwierigkeiten gemacht. W i r konnten keinen Anstoß zur Königswürde geben. Einen König absetzen, geht nicht so leicht. Ein königstreuer konservativer Abgeordneter kann sich niemals ohne weiteres daran wagen 4 ." Lerno zählte die juristischen Hindernisse auf, die die Verfassung selbst stellte. Wenn man es m i t der Verfassung ernst nehme, müsse man zur Schlußfolgerung kommen: „Es geht nicht! Wenn man den geisteskranken König absetzen wollte, so wäre das die Revolution von oben, die gemacht würde, zum Wohlgefallen der Revolution von unten 5 ." Die Angst vor den ι G S t A M : M A 99511, Nr. 23 b. 2 Bericht des Fraktionsvorsitzenden Lerno an H e r t l i n g v o m 20.12.1912, G S t A M : M A I, 962, Nr. 1. 3 B K , 359, 24.12.1912. 4 B K , 9, 9.1.1912. s Ebd. 12 Keßler
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revolutionären Folgen eines solchen Schrittes und der Legitimitätsgedanke hatten das Zentrum veranlaßt, sich den Plänen des Ministeriums und den Wünschen Ludwigs zu versagen 6 . Das Zentrum gab sich in dieser Frage also „monarchischer als Regierung, Reichsratskammer und das Königshaus selbst" 7 . Die Rede Lernos mußte für die Öffentlichkeit als eine endgültige Absage des Zentrums an eine Lösung der Regentschaftsfrage auf verfassungsrechtlichem Wege erscheinen. Sie belastete auch das Verhältnis der Partei zum Ministerium Hertling. Lerno machte i n diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung, die auf die innerparteiliche Differenzierung gewisse Rückschlüsse i n dieser Frage erlaubte: i n der Fraktion habe sich eine wider Erwarten starke Majorität dafür ergeben, daß an dem gegenwärtigen Zustand festgehalten werden solle, „insbesondere haben sich auch die bäuerlichen Elemente dazu bestimmen lassen" 8 . Das „Bayerische Vaterland" vermutete, i n der Zentrumsfraktion hätten 51 Abgeordnete von 85 für „den König", d.h. Otto gestimmt und da seien sicher die 25 bäuerlichen Abgeordneten mitzuzählen. Pichler und Orterer aber seien für die Beendigung der Regentschaft gewesen. Diese beiden Abgeordneten waren es ja, die schon vorher m i t Hertling die Sache hinter den Kulissen ausgemacht hatten und dann auch sehr erbost waren, „als ihnen gerade die adeligen Herren das Konzept verdarben" 9 . Nach der ablehnenden Haltung des Zentrums ließ Hertling durch eine Erklärung des Königs die Diskussion um die Regentschaft beenden. A u f „bestimmten Wunsch" des Regenten sollte „zur Zeit von irgendwelchen Maßnahmen zur Beendigung der Regentschaft abgesehen" werden 1 0 . I n einer Notiz über eine Unterredung m i t Orterer am 9.1.1913 berichtete Hertling, daß Orterer ihm mitgeteilt habe, daß er nicht 6
Die „Münchner Post" schrieb dann auch, als die Lösung der Regentschaftsfrage i m Herbst 1913 i n dem von H e r t l i n g gewünschten S i n n kurz bevorstand: „Bayern vor dem Staatsstreich", „Münchner Post", 236, 10.10. 1913. 7 W. Albrecht, a.a.O., S. 52. 8 B K , 9, 9. 1.1913. 9 „Bayer. Vaterland", 9, 12.1.1913. Die „Augsburger Postzeitung" deutete i n Nr. 19, 14.1.1913, an, daß die i m „Bayerischen Vaterland gemachten Mitteilungen über die Vorgänge i n der Zentrumsfraktion zum T e i l zutreffen. Daß auch von der Regierung den Heimianern a m Scheitern ihres Planes die Schuld gegeben wurde, zeigte sich daran, daß alle für die Neujahrsauszeichnung vorgeschlagenen Anhänger des sog. demokratischen Flügels leer ausgingen. So schrieb der demokratische Abgeordnete Osel, ein unbedingter Anhänger Heims, anfangs 1913 — das Schreiben ist ohne D a t u m — an Held: „ I m Übrigen scheinst D u von der K g l . Bayerischen Regierung ebenso geprellt w i e ich; alles Pichler-Orden." (AHR) 10 GStAM, M A I 953, Nr. 4. Bericht Hertlings v o m 21.12.1912. Vgl. B K , 358, 23.12.1912.
1. Die H a l t u n g Heids i n der Regentschaftsfrage
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verhehlen könne, „daß das Ministerium durch die Unzuverlässigkeit des Senatspräsidenten irregeführt worden sei" 1 1 . Die Rede Lernos habe „teilweise auch bei seinen Parteifreunden Befremden erregt" 1 2 . Orterer berichtete Hertling gegenüber von einer Unterredung, die er m i t dem Regenten am 10. Januar 1913 hatte: „Der Regent gab zu erkennen, daß er von der Haltung des Zentrums unliebsam überrascht gewesen sei 13 ." Die Stellung Heids i n der Regentschaft war die der Mehrheit. Er hatte sich i n der Fraktion gegen die Beendigung der Regentschaft ausgesprochen. I m „Regensburger Anzeiger" vom Weihnachtstag 1912 verteidigte er klar die Entscheidimg der Fraktion und sprach sich gegen die Übertragung der Königswürde auf den Regenten aus. Darin liege die Absicht, den König „rechtlich tot zu machen" 14 , was i m Interesse der Monarchie nicht geschehen dürfe. Erst der neue König, der Nachfolger des toten, sei der wirkliche König von Gottes Gnaden, kraft eigenen Rechts und kraft der Verfassung. Dann aber könne der neue König gemeinsam m i t dem Landtag ein besseres Regentschaftsgesetz schaffen und jeden geschäftsunfähigen König von der Thronfolge ausschließen. „Das läuft i m wesentlichen auf den Standpunkt der Mehrheit des Zentrums hinaus, die gegen eine derzeitige Verfassungsänderung ist 1 5 ." Die Mehrheit des Zentrums hatte sich i n eine taktisch schwierige Lage gebracht. Es war gegen Regent, Regierung und Reichsratskammer gestanden. Wie es beim Zentrum i n der heftigen Auseinandersetzung mit dem Rotblock so oft geschah, machte man die Liberalen zum Sündenbock. Osel hatte am 23.12.1912 an Held geschrieben: „Laß doch über König — Regent einen kurzen sachlichen A r t i k e l los, der die Bedingungen der Liberalen nebst die Müller-Hof als Hauptmomente für das Fallenlassen des Planes für jeden königstreuen Bayern verantwortlich macht. A m besten und nötig ist, dem Regenten mehr M i t t e l zu gewähren durch Ergänzung der A r t i k e l 28, V I I I der Verfassung 16 ." „Es waren", so schrieb dann Held, „zunächst die liberalen ,Münchner Neuesten Nachrichten', die den Augenblick für gekommen erachteten, für die Annahme der Königswürde durch den Regenten Stimmung zu machen 17 ." Die Liberalen hätten bei dieser Gelegenheit „etwas auf Kosten des Herrscherrechts erreichen zu können" 1 8 geglaubt, was unter n Bericht Hertlings v o m 9. 1.1913. 12 Ebd. 13 GStAM, M A I, 953. Bericht Hertlings v o m 14.1.1913. 14 RA, 652, 24.12.1912. 15 Ebd. 16 A H R . Ganz i n diesem Sinne schrieb Held dann am 29. Dezember einen abschließenden A r t i k e l zur Königsfrage. 17 RA, 658, 29.12.1912. 18 Ebd. 12·
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anderen Verhältnissen nicht wohl möglich gewesen wäre. „Bei Annahme der Königswürde hoffte der Liberalismus i m parteipolitischen Interesse Zugeständnisse dem Souverän abzuringen, die jenem zur Erreichung der von i h m erstrebten Macht notwendig schienen 19 ." Darum habe man sich liberalerseits bedingungsweise i m zustimmenden Sinn für die Beendigung der Regentschaft erklärt. Was nun aber diese Bedingungen der Liberalen, die Zugeständnisse, die man dem Souverän i m parteipolitischen Sinn abzuringen trachtete, waren, blieb bei Heids A r t i k e l unklar. Diese Frage läßt sich vielleicht klären, wenn man den Beschluß der „Liberalen Vereinigung" vom 20. Dezember 1912 berücksichtigt, i n dem die Liberalen eine wohlwollende Prüfung des i n Aussicht stehenden Gesetzentwurfes versprachen, falls der Landtag „ein ausreichend gesichertes Mitbestimmungsrecht analog der Vorschriften über die Einsetzung der Regentschaft" erhalte 20 . Ein solches Mitbestimmungsrecht, das wie Held gemeint hatte, wieder auf Kosten „des Herrscher rechts" gegangen wäre, wollte das Zentrum als monarchische Partei also nicht zugestehen. Damit wäre man den Verfassungsreformbestrebungen der Liberalen zu weit entgegengekommen. Casselmann von den Liberalen hatte dann auch bei der endgültigen Erledigung des Regentschaftsgesetzes am 30. Oktober 1913 bemängelt, daß der Entwurf der Regierung die M i t w i r k u n g des Landtags bei der Regentschaftsbeendigung nicht klarer fixiert und durch die Betonung des Gottesgnadentums das Mitwirkungsrecht des Landtags zu wenig berücksichtigt habe 21 . Held bekräftigte erneut „den strengen Verfassungsstandpunkt" 22 , aus dem heraus sich die Mehrheit der Fraktion nicht zur Änderung des derzeit bestehenden Zustandes entschließen habe können. Das Zentrum habe den verantwortlichen Leitern des Staatswesens nahegelegt, „ i m Interesse des unantastbaren Herrscherrechts von einer Verfassungsänderung, wofür das berechtigte Rechtssubjekt zurzeit . . . behindert ist, abzusehen" 23 . Ein Jahr später jedoch war das Zentrum bereit, seinerseits das „unantastbare Herrscherrecht" zu übergehen. Es stimmte i m Herbst 1913 jener Lösung der Regentschaftsfrage zu, die es noch vor einem Jahr aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abgelehnt hatte. Wie läßt sich dieser Wandel erklären? Nach den bisher vorliegenden Quellen nicht eindeutig. Man kann nur Vermutungen äußern: Die Rede Lernos i n Amberg, die teilweise auch bei seinen Parteifreunden Befremden 19 20 21 22 23
Ebd. M N N , 651, 21.12.1912. Sten. Ber. 1913, Bd. 7, S. 518 f. RM, 658, 29.12.1912. Ebd.
1. Die H a l t u n g Heids i n der
egentschaftsfrage
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erweckte, blieb auch i n der Zentrumspartei nicht unbestritten. Die zentrumsnahe Wochenschrift „Allgemeine Rundschau" behauptete, die Mehrheit der Zentrumswähler sei mit der Entscheidung der Fraktion nicht einverstanden 24 . Die Diskussion i n dieser Frage dauerte an. I n den Monaten Mai bis J u l i 1913 tauchten i n Zeitungen Gerüchte auf, daß die Regentschaftsfrage i m Herbst wieder aufgerollt werden solle; das Zentrum sei jetzt geneigter, da der Prinzregent i h m die kalte Schulter zeige. Das führte w o h l zu einem Umdenkungsprozeß i m Zentrum. Freiherr von Malsen, von dem man angenommen hatte, daß er das Zentrum 1912 zum Nein bewegt hatte, war inzwischen gestorben, außerdem hatte das Ministerium Hertling inzwischen die führenden Zentrumsleute entsprechend bearbeitet. Pichler und Orterer trugen wohl ihren Beitrag zur Wendung i m Zentrum bei. M i t der Frage der Erhöhung der Zivilliste wurde zugleich die Frage der Königsproklamation i m Oktober 1913 diskutiert. A m 15. und 16. Oktober 1913 beriet die Zentrumsfraktion über die Königsfrage. Man kam nach langer Debatte endlich zu der Überzeugung, „daß der i n dem Rechtsgutachten des Justizministers vorgeschlagene Weg einer Verfassungsänderung ein gangbarer Weg sei" 2 5 . Die Entscheidung der Fraktion war „einstimmig gefallen" 26 . Der Gesetzentwurf über die Aufhebung der Regentschaft wurde am 30. Oktober 1913 i n der Kammer der Abgeordneten m i t allen bürgerlichen gegen die sozialdemokratischen Stimmen beschlossen27. Der Sozialdemokrat Adolf Müller wertete i n einer längeren Erklärung die Beendigung der Regentschaft für ein „revolutionäres Ereignis, das sich bewegt in der Richtung des parlamentarischen Systems" 28 . Die Regentschaftsbeendigung trug i n ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit sicher zur Erschütterung und zu einem Autoritätsverlust des monarchischen Gedankens i n Bayern bei. Die kurze zustimmende Erklärung Lernos „war nicht ohne pikanten Beigeschmack, sie war eine Erklärung des schlechten Gewissens" 29 . Was er noch vor einem Jahr als Verfassungsbruch gekennzeichnet hatte, mußte er jetzt billigen 3 0 . Das Prestige 24
„Allgemeine Rundschau", Heft 1, Januar 1913. 25 M N N , 531, 17.10.1913. 26 Ebd. I m vorberatenden I I I . Ausschuß stimmte Held m i t Ja. B L A M Protokoll des I I I . Ausschusses der K a m m e r der Abgeordneten B. a. Nr. 62, B l a t t 19. 27 Sten. Ber., Bd. 7, S. 514 f. 28 Sten. Ber. 1913, Bd. 7, S. 524 ff. 29 M N N , 557, 31. 10.1913. 30 M N N , 557, 31.10.1913 beschrieb die Atmosphäre i n der K a m m e r : „ A l s bei dem Namensaufruf der 163 Mitglieder des Hauses der Name des Zentrumsabgeordneten k a m u n d ein Ja! durch den horchenden Saal tönte, da unterbrach die Stille der A b s t i m m u n g auf der l i n k e n des Hauses ein herbes, vernichtendes Lachen."
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V I I I . Das M i n i s t e r i u m H e r t l i n g u n d das bayerische Z e n t r u m
Lernos hatte unter diesem schwarzen Tag sowohl i n der Öffentlichkeit als auch i m Zentrum sehr stark gelitten. Als i m Februar 1914 eine Neuwahl zum Fraktionsvorsitz notwendig geworden war, trat Held an seine Stelle. 2. Der Kampf gegen den Rotblock — parlamentarische Auseinandersetzungen 1912/14 „Das war ein hartes Ringen, besonders i n Regensburg", schrieb der „Regensburger Anzeiger" zum Wahlkampf 3 1 . Auch nach einem halben Jahrhundert muß der Betrachter der Ereignisse zugeben: was hier auf liberal-sozialdemokratischer Seite an persönlicher Verunglimpfung Heids geleistet wurde, ging weit über das auch bei Wahlkämpfen erlaubte Maß hinaus. Held hatte schon viele Wahlkämpfe mitgemacht, aber „so gemein und so roh wie die Rotblockbrüder sich benommen haben" 3 2 , das hatte er noch nicht erlebt. I n einer Rede i n Schwandorf faßte er seine Eindrücke und Erfahrungen zusammen: „ M i t Spießen und m i t Stangen ist der Rotblock ausgezogen, um die Zentrumsleute niederzuschlagen 33 ." Das alte Ministerium Podewils war vereint mit den Liberalen, Bauernbündlern und Sozialdemokraten gegen das Zent r u m aufgetreten, gegen den einzigen Hort, der i n den Augen Heids noch für den Staat, die Monarchie und die Gesellschaftsordnung auf christlicher Grundlage bestand 34 . Vor allem i n Regensburg selbst wurde von Sozialdemokraten und Jungliberalen ein wüster Kampf gegen Held inszeniert, der von persönlichen Beschimpfungen bis zum Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott reichte 35 . I n einem jungliberalen Flugblatt zur Landtagswahl hatte es geheißen: „ F ü r jeden Wahlberechtigten von Regensburg, der auf politischen und persönlichen Charakter noch etwas hält und nicht zum gemeinen Volksverräter werden w i l l und es endlich satt hat, von der Zentrumspartei länger belogen und betrogen zu werden, muß der Wahlaufruf lauten: keine Stimme einem schwarzen Volksverräter! Fort m i t den Volksauspländern der Zentrumspartei! Nieder m i t den schwarzen Koalitionsräubern 3 6 ." Held fühlte sich persönlich sehr verletzt, und wie immer i n solchen Situationen reagierte er aggressiver, als es vielleicht k l u g war: „Ich 31 RA, 68, 7.2.1912. Das Zentrum hatte i n Regensburg n u r m i t einem Vorsprung v o n 20 Stimmen v o r den Liberalen das Mandat gewinnen können. 32 Ebd. 33 RA, 108, 29. 2.1912. 34 Die „Regensburger Neueste Nachrichten", 38, 9.2.1912: „ L i b e r a l u n d Sozialist hat linkswärts gleiche Richtung." 35 „Regensburger Neueste Nachrichten", 62, 4.3.1912. 36 Zitiert i n R A , 180, 11. 4.1912.
2. Der K a m p f gegen den Rotblock
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frage mich, wie Leute, die auf politischen Charakter und Überzeugung noch etwas geben, i n diesen Tagen überhaupt noch liberal sein können . . . Der Liberalismus ist i n Deutschland unter der Führung von Casselmann und Bassermann derart diskreditiert worden, daß ein Mann, der auf seine Ehre noch etwas hält, nicht mehr zu der Partei gehören kann 3 7 ." Diese Rede Heids in Schwandorf löste auf bayerischer Ebene einen heftigen publizistischen Wirbel gegen ihn aus, der schließlich i n der Kammer der Abgeordneten zum parlamentarischen und politischen Boykott Heids durch die Liberalen führte. Man erklärte Held für politisch tot und sprach von i h m nur noch als „dem Herrn Abgeordneten von Burglengenfeld". I n der Aussprache zur Regierungserklärung Hertlings i m März 1912 entluden sich die angestauten Spannungen zwischen den beiden Fronten mit voller Schärfe. Die Gegensätze zeigten sich schon bei der Wahl zum Kammerpräsidium. Das Zentrum war entschlossen, den Rotblock „ m i t der ganzen Strenge der Geschäftsordnung zu behandeln" 38 . Das Zentrum verweigerte bei der Konstituierung der Kammer am 28. Februar 1912 den Liberalen, der zweitstärksten Fraktion den 1. Vizepräsidenten. Den 2. Vizepräsidenten, den das Zentrum ihnen jedoch anbot, lehnten sie ab 39 . Die Sozialdemokraten sollten aus dem Kammerpräsidium ganz ausgeschaltet bleiben, aus „monarchischen Gründen", wie sich Lerno ausdrückte 40 . Das Präsidium wurde i n einer Kampfabstimmung gewählt: alle Mitglieder, außer dem 2. Schriftführer Pflaumer von den Konservativen, waren Zentrumsabgeordnete. Dieser „Gewaltakt des Zentrums" 4 1 signalisierte die neue parlamentarische Konstellation, wie sie bis zum 1. Weltkrieg bestand: Zentrum und Konservative standen dem Rotblock aus Sozialdemokraten, Liberalen und Bauernbund gegenüber. Der kompromißlose Gebrauch der Macht durch das Zentrum verärgerte die Liberalen und trieb die Sozialdemokraten zu einer kompromißlosen Opposition.
37 RA, 108, 29. 2.1012. Sehr viel schärfer w a r dieser A n g r i f f auch nicht als das oben zitierte liberale Flugblatt gegen Held. 38 So Lerno am 22.2.1912 an Held — A H R . Lerno schrieb d a r i n weiter: „Die Liberalen haben sich i m Wahlkampf, namentlich auch i n der Oberpfalz so bodenlos gemein benommen, daß w i r alle Ursache haben, sie i m Landtag m i t der ganzen Strenge der Geschäftsordnung zu behandeln. Ich b i n m i t aller Entschiedenheit dagegen, daß w i r ihnen wiederum die 2. Vizepräsidentenstelle geben, auf die Hammerschmidt reflektiert. W i r werden j a Dr. Orterer und Fuchs wiederwählen, aber den 2. Vizepräsidenten geben w i r den K o n servativen, die doch i m ganzen L a n d zu uns gehalten haben u n d dafür so furchtbar dezimiert worden sind." — So geschah es dann auch. 39 M N N , 107, 29. 2.1912. 40 Sten. Ber. 1912, Bd. 1, S. 5. 41 M N N , 107, 29. 2.1912.
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I n der Aussprache zur Regierungserklärung Hertlings, in der dieser die Erhaltung der staatlichen Autorität und den Schutz der christlichen Religion i n den Vordergrund gestellt und die bürgerlichen Parteien zu gemeinsamer Arbeit aufgefordert hatte 4 2 , zeigte sich der tiefe Riß unter den Parteien. Pichler sprach am 23.3.1912 für das Zentrum seine Genugtuung über das Programm des Ministerpräsidenten aus 43 . Wesentlich schärfer als Pichler griff Held am 28. März 1912 die Liberalen wegen ihres Wahlpaktes m i t den Sozialdemokraten an. I n einer dreistündigen Rede gab er ein Panorama seiner Ansichten zur bayerischen Politik und rechtfertigte seine Schwandorfer Erklärung mit einer Blütenlese liberaler Angriffe gegen seine Person 44 . Trotzdem Schloß Held m i t einem Appell an die Liberalen zur Zusammenarbeit gegen die Sozialisten. A m 29. März 1912 gab dann aber der liberale Abgeordnete Dr. Günther eine Erklärung für seine Fraktion zu Heids Schwandorfer Rede ab: „Die Liberalen erklären dazu, daß Herr Held für sie parlamentarisch und gesellschaftlich nicht mehr existiert 4 5 ." Eine solche Boykotterklärung hatte es i m bayerischen Landtag noch nie gegeben 46 . Lerno versuchte, Held zu verteidigen. Namens der Zentrumsfraktion erhob er dagegen schärfsten Protest. I n diesen Tagen kam es i n der Kammer der Abgeordneten zu einer Reihe „von so stürmischen Auftritten, wie sie seit Dezennien . . . nicht mehr erlebt worden waren" 4 7 . Das Zentrum beharrte vor allem i n k u l t u r - und verfassungspolitischen Fragen auf seinem Standpunkt; es war nicht bereit, wenigstens den Liberalen gegenüber gewisse Konzessionen zu machen, die das Zentrum vor einer Scharfmacherpolitik und Ausnahmegesetzgebung gegenüber den Sozialdemokraten warnten. Der Sozialdemokrat Adolf Müller beklagte sich wegen des ungesetzlichen Vorgehens gegen sozialdemokratisch organisierte Staatsarbeiter und sprach dem Ministerium Hertling sein „parteipolitisches Mißtrauen" aus 48 . Hertling betonte erneut am 28. 3.1912 die Unzulässigkeit sozialdemokratischer Beamter und Staatsarbeiter i n einem monarchischen Staat 49 . Der Kampf Heids gegen den Rotblock ging weiter. Er sah in ihm nicht nur einen Wahlkompromiß, sondern ein förmliches staatsgefährdendes Bündnis. „Die Vertreter des Großkapitals . . . sind verbunden auf Leben und Tod m i t der sogenannten Arbeiterpartei. Die Liberalen 42 43 44 45 46 47 48 49
Sten. Ber. 1912, Bd. 1, S. 32 ff. Sten. Ber. 1912, Bd. 1, S. 404—418. Sten. Ber. 1912, Bd. 1, S. 523 ff. Zitiert M N N , 163, 30. 3.1912. Präsident Orterer: „Das w a r noch nie da!" — zit. i n M N N , 163, 30. 3.1912. M N N , 165, 31. 3. 1912. Sten. Ber. 1912, S. 467 f. Sten. Ber., Bd. 1, S. 506 f.
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sind dabei zur Dienerrolle degradiert. Die Liberalen sind die Knechte der internationalen, revolutionären Sozialdemokratie 50 ." Und als tieftraurig empfand er es, „daß die Sozialdemokratie ihre Führer auch bis tief hinein ins Beamtentum hat. Hohe Beamte sehen w i r A r m in A r m mit der Sozialdemokratie auf Wahlversammlungen" 5 1 . 3. Verschärfung der parteipolitischen Fronten in SozialKultur- und Verfassungspolitik in den Jahren 1913/14 Die parteipolitische Konstellation i n Bayern w a r i n der Aussprache zur Regierungserklärung Hertlings zum Ausdruck gekommen, wie sie sich bis zum 1. Weltkrieg hielt. Die Positionen verschoben sich kaum, nur der Kampf wurde härter. Das Zentrum hatte durch das Ministerium Hertling seine Grundsätze ausgesprochen gefunden. Seine Hauptziele waren Erhaltung der konfessionellen Schule, Abbau der Reste der Kulturkampfgesetzgebung aus der Zeit liberaler Herrschaft, auf verfassungspolitischem Gebiet Festhalten am Wahlgesetz von 1906 und Schutz der Monarchie. Das Programm, in dem sich Zentrum und Regierung vereinigten, lautete jetzt: Schutz der staatlichen Autorität und der Monarchie, Kampf dem Umsturz. Was verstand man unter konservativer Staatspolitik i m Zentrum? Konservativ sein hieß für das Zentrum: die staatliche Ordnung und die Autorität der verfassungsmäßig geschützten Monarchie hochhalten; es hieß die christliche Religion schützen und erhalten; m i t seinen ewig gültigen Wahrheiten und Werten sollte das Christentum die Grundlage des gesamten Erziehungswesens bleiben. Das hatte auch verfassungspolitische Konsequenzen: „Das Streben nach der republikanischen Staatsform ist i n Bayern nicht zulässig 52 ." Das Zentrum versuchte zunächst eine Politik der Sammlung der bürgerlichen Parteien für eine konservative Staatspolitik m i t scharfer Frontstellung gegen die Sozialdemokratie zu treiben 5 3 ; denn als Partei, die die Republik forderte, stand die Sozialdemokratie i n den Augen des Zentrums außerhalb des Bodens der Verfassung. Man ließ keinen Zweifel aufkommen, daß die „Schonzeit der Sozialdemokratie . . . endgültig aufgehört hat" 5 4 , wie sie i n den letzten Jahren des Ministeriums Podewils gehandhabt worden war. I n den Reden des Liberalen Müller-Meiningen und des Sozialdemokraten Adolf Müller w a r aber klar zum Ausdruck gekommen, daß der so RA, 588, 10.11.1912. 51 Ebd. 52 B K , 67, 7. 3.1912. 53 i n der Aussprache von Hertlings Programmrede w a r das bei den Zentrumsrednern Pichler u n d Held sehr deutlich angesprochen worden. 54 B K , 67, 7. 3. 1912.
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Regierung und dem Zentrum eine gestärkte Linke aus Sozialdemokraten und Linksliberalen gegenüberstand 55 . Das Zentrum drängte die Regierung zu schärferem Vorgehen gegen die Sozialdemokraten. A m 1. Juni 1913 erließ Verkehrsminister von Seidlein eine Anordnung, daß alle Arbeiter, die i n die Eisenbahnverwaltung eintraten, einen Revers zu unterschreiben hätten, wonach sie sich keinem Verband anschließen würden, der das Streikrecht auch für Staatsarbeiter proklamiere. I n dem Erlaß war ausdrücklich der „Süddeutsche Eisenbahnerverband" genannt. I n der allgemeinen Etatdebatte Ende November/Dezember 1913 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen in der Kammer der Abgeordneten über den „Eisenbahnerrevers". Pichler begrüßte für das Zentrum ausdrücklich den Erlaß 5 6 . Zugleich griff er aber die Regierung an, daß sie noch immer nicht den konfessionslosen Moralunterricht verboten habe, der die Autorität des Staates gefährde, w e i l er die Grundlagen dieser Autorität, das Christentum ablehne. Sozialdemokraten und Linksliberale waren sich einig i n der Verurteilung des Revers. Der Sozialdemokrat Segitz sah darin die „Aufhebung der Koalitionsfreiheit" 5 7 , Müller-Meiningen charakterisierte ihn als „Rechtsbruch" 58 . I n seinem Beitrag zur Etatdebatte rechtfertigte auch Held den „Eisenbahnerrevers", verschob aber i n seiner moralisierenden Rede mehr die Akzente auf die K u l t u r politik 5 9 . Auch i n den Kulturdebatten trat die klare Front Zentrum gegen Rotblock zutage. Hier wurde das Zentrum auch zum K r i t i k e r des Ministeriums, wenn es die Zentrumsforderungen nicht entschieden und hart genug durchsetzte. Ganz deutlich zeigte sich dies bei der Budgetdebatte 1913/1914. Das Ministerium hatte keinen allzu leichten Stand. Es mußte den Beweis erbringen, daß „aus der unnatürlichen Paarung Hertlingscher Rechts- und Staatsgrundsätze mit dem hundertjährigen verzopften, seit Montgelas' Zeiten sich selbst genügenden Regierungsliberalismus und Staatsbureaukratismus für das Land gute Früchte entsprießen können" 6 0 . Für die Gegenseite, den Rotblock, hatte aber das Ministerium bereits den Beweis geliefert, „daß das Experiment, die Geschäfte des modernen paritätischen Staates Bayern durch Männer, die auf Zentrumsboden standen, mißlungen ist" 6 1 . Machte das Ministe55 Sten. Ber. 1912, Bd. 1, S. 467 ff. se Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 11 ff. 57 Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 36. 58 Ebd., S. 41 f. 59 Ebd., S. 110. 60 B K , zit. i n M N N , 494, 29. 9.1913. «ι M N N , 496, 28.8.1913. W o m i t f ü r den Liberalismus bewiesen zu sein schien, „daß ein moderner Kulturstaat nach den Rezepten der Zentrumspartei nicht regiert werden kann". (MNN, 433, 26, 8.1912)
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rium i n den Augen des Zentrums konservative und christliche Volkspolitik, so hatte es seine Unterstützung. Man wollte aber zur gleichen Zeit eine, wie es Held formulierte, durch „etwaige Gunst von oben völlig unbeeinflußte, unabhängige Volkspartei" 6 2 bleiben. Die Debatten i m Landtag litten unter der Verschärfung der innerpolitischen Fronten, wobei das konfessionelle Moment den stärksten Einfluß ausübte: der Streit um den Einfluß auf die Schule, ein gegenseitiges Vorrechnen der Hochschullehrstühle, die Frage des Verbots der Leichenverbrennung, konfessionsloser Moralunterricht etc. I n seiner Rede vom 2. Dezember 1913 gab Held der Regierung deutlich zu verstehen, daß das Zentrum mit der Schulpolitik des Kultusministers noch nicht ganz zufrieden sei 63 . I n der Frage des konfessionslosen Moralunterrichts drängte Held die Regierung zu schärferem Vorgehen. Damit waren vor allem die Schulen des Pädagogen Hornesser gemeint. Der „konfessionslose Moralunterricht" als konfessionell nicht gebundener Sittenunterricht wurde an einzelnen Schulen i n den größeren bayerischen Städten erteilt und hatte oft antikatholische Tendenzen. Gleich zu Beginn der nächsten Sitzung der Kammer verteidigte sich K n i l l i n g gegen den Druck der Heldschen Rede m i t dem Hinweis, er befinde sich mit seinen Darlegungen i n voller Ubereinstimmung mit dem Ministerpräsidenten, gab aber die Zusage, daß er die Frage des konfessionslosen Unterrichts überprüfen werde 6 4 . M i t der K u l t u r p o l i t i k des Ministeriums Hertling hätte das Zentrum w o h l zufrieden sein können. Der Kultusminister hatte einen Jesuitenerlaß herausgegeben, der die Tätigkeit des Jesuitenordens wieder erleichterte. I m September 1912 war die neue Kirchengemeindeordnung verabschiedet worden. Die Debatte vom 2. Dezember 1913 artete wieder zu einer Kulturkampfdebatte aus. Der jungliberale Abgeordnete D i r r hielt eine Rede über Ultramontanismus und Katholizismus; denn K u l t u r p o l i t i k war für die Liberalen zugleich ein Kampf gegen die Ansprüche des Ultramontanismus. Pichler erwiderte auf die Ausführungen Dirrs, Held sekundierte Pichler mit starken Angriffen auf die Liberalen. „ N u n gab es Zwischenrufe unzarter Art, Lärm, Ordnungsrufe — wie schon so oft, wenn eben Abgeordneter Held sprach 65 ." Der parlamentarische Boykott Heids durch den Rotblock dauerte bis i n den Februar 1914 hinein, als Held am 6. 2.1914 seine Schwandorfer Erklärung vom 25.2.1912 mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknahm 66 .
62 63 64 65 66
Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 121. Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 98 ff. M N N , 618, 4.12. 1913. M N N , 647, 19.12.1913. RA, 69, 8. 2.1914.
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Wahrscheinlich m i t Rücksicht auf die bevorstehende Wahl zum Fraktionsvorsitz gab Held seine Erklärung ab. Als Fraktionsvorsitzender hätte er unmöglich aus der Position des boykottierten Parlamentariers heraus mit den anderen Fraktionen verhandeln können. Diese persönlich-parlamentarische Affäre Heids stellte einen bezeichnenden Teil für die inneren Auseinandersetzungen dar, die sich i m politischen Leben Bayerns vor dem 1. Weltkrieg abspielten. Held fühlte sich i n diesem Kampf als Märtyrer seines Wirkens für Volk, Kirche und Vaterland. Der Kampf gegen Held war ein Teil des Kampfes, den man von liberal-sozialistischer Seite gegen das Ministerium Hertling als ultramontanes Ministerium führte, es war „der Haß gegen die christliche Weltanschauung" 67 , die als Triebfeder des Kampfes galt. Schließlich würden aber doch die christlichen Grundsätze den Sieg davontragen über die modernen, antichristlichen Bestrebungen. Die vielen Vertrauenskundgebungen, die er aus Parteikreisen in dieser Angelegenheit bekam, mußten in ihm diesen Eindruck verstärken. Der „Regensburger Anzeiger" versuchte i n einem A r t i k e l nachzuweisen, „ m i t welcher empörenden Gemeinheit man die Zentrumspartei und deren Anhänger liberalerseits behandelte" 68 . Verfassungspolitisch zielte der Rotblock auf Einführung des Verhältniswahlrechts und der Reform der Reichsratskammer ab. A m 9.12. 1913 hatte Hertling i n der Kammer der Abgeordneten durchblicken lassen, daß eine Änderung der Zusammensetzung der Kammer der Reichsräte möglich sei 69 . Daraufhin drängten Sozialdemokraten und Liberale durch Anträge auf eine zeitgemäße Reform der Kammer der Reichsräte. Vor allem sollte sie durch Vertreter der großen Erwerbsgruppen erweitert werden. A m 2. A p r i l 1914 begründete MüllerMeiningen einen liberalen Antrag in der Kammer der Abgeordneten 70 . Die Haltung des Zentrums war hinhaltend und taktisch verzögernd. Held lehnte den liberalen Antrag ab, da das Zentrum erst zu dieser Frage Stellung nehmen könne, wenn die konkreten Vorschläge der Regierung zur Reform vorlägen 71 . Von der kompromißbereiten Haltung, die Held noch 1909 bei der Beratung eines entsprechenden liberalen Antrags gezeigt hatte, war 1914 nur mehr wenig zu spüren 72 . 67 RA, 653, 26. 12.1913. 68 RA, 22, 14. 1.1914. Eie Zentrumsversammlung i n Weiden erhob „einm ü t i g Widerspruch gegen die persönlichen Beschimpfungen u n d Beleidigungen, die dem Abgeordneten Held seitens politischer Gegner i m Landtag zuteil geworden ist. Sie b r i n g t dem ungemein fleißigen, mutigen u n d verdienten Volksvertreter nach w i e vor vollstes Vertrauen entgegen" (zit. i n RA, 38, 22.1.1914). 69 Sten. Ber., Bd. 8, S. 237 f. 70 Sten. Ber., Bd. 10, S. 443 ff. 71 Ebd., S. 449. 72 i m Jahre 1909 hatte Held i n seiner demokratischen Phase bei der Be-
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Ähnlich abweisend verhielt sich das Zentrum i n der Frage der Einführung des Verhältniswahlrechts. Liberale und Sozialdemokraten empfanden das bestehende Wahlrecht als ungerecht, weil es einseitig das Zentrum begünstigte. Der Sozialdemokrat Segitz wies vor allem darauf hin, daß das Zentrum i n der Kammer die absolute Mehrheit besitze, obwohl es nur 40,9 °/o der Stimmen erobert hatte und der Rotblock über 50 °/o der Stimmen erhalten hatte 7 3 . Der liberale Abgeordnete Günther führte die ungerechte Mandatsverteilung und das damit verbundene Unrecht als Begründung für die Existenz des Rotblocks an; solange kein besseres Wahlrecht geschaffen werde, sei der Rotblock notwendig 7 4 . Die Regierung ließ durch Innenminister Soden die liberalen und sozialdemokratischen Anträge ablehnen 75 . Ebenso geschlossen waren Zentrum und Konservative für die Ablehnung der liberalen und sozialdemokratischen Anträge. Auf die näheren Begründungen und Motive der einen und anderen Seite braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. I n den Kriegsjahren 1916/18 wiederholten sich diese Debatten i m Landtag mit den fast gleichlautenden Argumenten, nur war ihre Dringlichkeit dann wesentlich verschärft worden. Für das Jahr 1914 ist festzuhalten, daß sich unter dem parlamentarischen Antagonismus auch die verfassungspolitischen Gegensätze in der Kammer der Abgeordneten versteift hatten. I n der Beratung des Kulturetats zeigte sich noch einmal das ganze Dilemma, i n dem sich die Regierung gegenüber den drängenden Forderungen des Zentrums sah. Das Ministerium hatte sich selbst konservativ genannt, aber das Zentrum wollte sich nicht damit begnügen, daß es nur ein solches dem Namen nach war, „es muß auch ein solches der Tat nach sein" 7 6 . Schon am 28. Januar 1914 hatte Prälat Wohlmuth die Politik Knillings kritisiert; die ganze Richtung der Politik, m i t der das Ministerium Hertling zwischen den radikalen Fronten i n der Kammer durchzukommen versuchte, paßte ihm nicht. Schlittenbauer gab sich tags darauf gemäßigter, am 9. Mai 1914 aber setzte er die Regierung stärker unter Druck, indem er i h r vorwarf, sie zeige i n der Frage des konfessionslosen Moralunterrichts zu wenig Energie, sie gehe auch, obwohl sie sich als konservatives Ministerium bezeichne, gegen verschiedene andere „destruktive Erscheinungen" i m bayerischen K u l t u r leben zu wenig energisch vor 7 7 . Held hatte am 30. 12. 1913 auf dem ratung des liberalen Antrags zur Reichsratsreform noch gesagt: „Wenn also neue Verhältnisse neue Institutionen verlangen, so glaube ich, k a n n man dem sich nicht widersetzen." (Sten. Ber. 1909, Bd. 7, S. 913.) 73 Sten. Ber. 1914, Bd. 10, S. 457 ff. 74 Sten. Ber. 1914, Bd. 10, S. 901 f. 75 Ebd., S. 915. 76 Held i n München am 30.12.1913, zit. i n RA, 3, 3.1.1914. 77 Sten. Ber. 1914, Bd. 10, S. 859 f.
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Parteitag des Zentrums verlangt, „daß diese Form des Unterrichts aus dem öffentlichen Volksschulunterricht verschwindet" 7 8 . Dieser Unterricht sei „eine Versündigung am Staat. Wo bleibt dann da der Schutz des Staates. W i l l man so lange warten, bis alles unterminiert ist? Der Kampf gilt nicht nur den Altären, sondern auch den Thronen" 7 9 . Dagegen warnten die Liberalen und Sozialdemokraten die Regierung vor einem Eingriff i n die Gewissensfreiheit von konfessionell nicht gebundenen Eltern 8 0 . Unter dem Druck des Zentrums gab die Regierung nach. I n einem Erlaß des Kultusministers vom 17. J u l i 1914 wurden die Kreisregierungen angewiesen, die bestehenden Schulen zur Erteilung eines konfessionslosen Moralunterrichts zu verbieten 8 1 . Das Zentrum nutzte die Gunst der Zeit aus und drängte das Ministerium, soweit es irgendwie ging. Noch i n den letzten Vorkriegsdebatten wuchs die oppositionelle Stimmung i m Landtag. I n den letzten Julitagen, mitten i n den Kriegsvorbereitungen, kam es zu erbitterten parlamentarischen Kämpfen um den Eisenbahnerrevers. Das Zentrum und die Konservativen in der „Freien Vereinigung" sprachen sich für die Beibehaltung des Reverses aus 82 . Die unkluge Bemerkung des Verkehrsministers von Seidlein, daß die „Angriffe der Sozialdemokraten nicht seine Fußsohlen berühren" könnten 8 3 , führte zu einer verständlichen Verbitterung der Sozialdemokraten. Die Verschärfung der sozialen Spannungen i n Bayern i n den Vorkriegstagen zeigte sich besonders kraß in der Frage der staatlichen Unterstützung der Arbeitslosenversicherungen, die von den Städten in Zusammenarbeit m i t den Gewerkschaften eingerichtet worden waren. Die Staatsregierung hatte mit mehrheitlicher Billigung der Kammer der Abgeordneten i m Etat eine Summe von 75 000 Mark zur Unterstützung der Gemeinden i n dieser Sache bereitgestellt. Die Kammer der Reichsräte lehnte diesen Betrag mit der Begründung ab, die dafür vorgesehenen M i t t e l kämen nur den sozialistischen Gewerkschaften zugute. I n der Kammer der Abgeordneten bedauerte der Abgeordnete Giehrl für das Zentrum den Beschluß der Reichsratskammer 84 . I n der Sozialpolitik war das Zentrum in der Mehrheit also keineswegs reaktionär. Hier verliefen die Fronten i n der Kammer der Abgeordneten 78 RA, 3, 3.1. 1914. 79 Ebd. so Dr. Günther i n Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 95. si Sten. Ber. 1914, Bd. 10, S. 859 f. BStZ, 167, 18.7.1914. 82 F ü r das Zentrum sprach der Abgeordnete Stang. Sten. Ber. 1914, Bd. 12, S. 259. 83 Sten. Ber. 1914, Bd. 12, S. 279. 84 Sten. Ber. 1914, Bd. 11, S. 250 ff.
4. Heinrich Held als FraktionsVorsitzender des bayerischen Zentrums 191
wesentlich anders als bei Fragen der Verfassungs- und Kulturpolitik. „ I n der Sozialpolitik vertrat die Mehrheit des Zentrums keinen reaktionären Standpunkt, sondern befürwortete mit den Liberalen einen gemäßigten Ausbau der staatlichen Sozialpolitik 8 5 ." Was aber Zentrum und Regierung i n verfassungs- und kulturpolitischen Fragen i m Landtag an reaktionärer und enttäuschender Haltung einnahmen, bezeichnete der liberale Abgeordnete Müller-Meiningen als „Brüskierungsp o l i t i k " 8 6 , die die Liberalen und Sozialdemokraten zwangsweise i n eine gemeinsame Opposition führte, und so auch das Ansehen der Regierung und wohl auch der Monarchie schädigte. 4. Heinrich Held als Fraktionsvorsitzender des bayerischen Zentrums Heinrich Held war erst 45 Jahre alt und 7 Jahre i n der Zentrumsfraktion tätig, als diese i h n am 12. Februar 1914 zu ihrem 1. Vorsitzenden wählte. Für das bayerische Zentrum war es schon ungewöhnlich, daß ein solch junger Mann an seine Spitze trat, der zudem kein gebürtiger Bayer war. Daß es trotzdem geschah, lag einmal an den Gegebenheiten i n der Fraktion selbst, ihrer Struktur und inneren Flügelbildungen und den persönlichen Qualifikationen Heinrich Heids selbst. Die Struktur des Zentrums als Honoratiorenpartei w a r eine Chance für Held, bei seinem enormen Fleiß, seiner Rednergabe und seinem taktischen Geschick bald i n den inneren Führungskreis des Zentrums vorzustoßen. Er hatte sich i n den Jahren 1908/12 zu einem Hauptredner seiner Fraktion i n allen wichtigen Fragen von der K u l t u r p o l i t i k bis zur Wirtschafts- und Steuerpolitik entwickelt. Nach den Wahlen 1912 war er bereits in den Fraktionsvorstand der Partei und i n den Finanzausschuß der Kammer der Abgeordneten gewählt worden, damit war er einer „von den 15 Auserlesenen; i n weiter Entfernung davon standen die übrigen sterblichen Volksvertreter", wie sich Heim ironisch, aber i n durchaus richtiger Einschätzung der politischen Rangstufe i m Zentrum ausdrückte 87 . Das Zentrum hatte nicht allzu viele führende arbeits- und einsatzfähige Köpfe: Pichler, v. Malsen, v. Freyberg, Osel, Lerno, Steininger, Walterbach, Matzinger, Frank-Weiden; Heim war i n dieser Zeit bereits ausgeschaltet, damit ließen die Flügelkämpfe i n der Fraktion etwas nach. Außerdem vollzog sich i n den Jahren 1911/13 ein merklicher Generationswechsel i n der Fraktion: Nach den ehemaligen Zentrumsgrößen Walter, Geiger, Daller, Schädler war 1913
es w . Albrecht, a.a.O., S. 68. 86 M N N , 204, 22. 4.1914. 87 Renner, a.a.O., S. 77.
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auch der vielversprechende Freiherr von Malsen gestorben, den viele als den kommenden Mann der Fraktion bezeichneten. Als Lerno 1914 vom Fraktionsvorsitz zurücktrat, da er zum Generalstaatsanwalt befördert worden war und so aus der Kammer ausschied, mußte ein neuer Vorsitzender gewählt werden. Zunächst wären noch andere Personen dafür i n Frage gekommen als Held, so der 2. Vizepräsident der Kammer Frank und Baron von Freyberg. Ersterer ließ sich nicht zur Annahme bewegen, gegen letzteren waren die bürgerlich-bäuerlichen Widerstände nicht zu überwinden 8 8 . Held bot sich i m Jahre 1914 als Kompromißkandidat an. Seit 1912 war er immer stärker von der Heimschen Politik abgerückt, so daß i h m Heim sogar die persönliche Freundschaft aufgekündigt hatte. I m Brief vom 28.11.1912 sprach Pichler Held bereits m i t „Lieber Freund!" an 8 9 . A b 1912 stand Held oft zwischen Heim und Pichler in der Rolle des Vermittlers. Held war i n seiner Haltung zur Regierung, die ja nun zumindest kein liberales Parteiministerium mehr war, etwas konzilianter geworden. Er hatte vielleicht eingesehen, daß m i t allzu starker Opposition i m bayerischen Staat m i t seinen politischen Strukturen bis 1914 auch innerhalb des Zentrums nicht weiterzukommen war; das politische Schicksal Heims hatte es ja bewiesen. Außerdem war er zusehends auf die Linie der Tradition konservativ-bayerischer Staatspolitik eingeschwenkt, wie sie der konservativ-klerikale Flügel der Partei immer verfolgt hatte. Der Druck, den der Rotblock ausübte, mag diesen Prozeß beschleunigt haben. Gerade i m erbitterten Kampf gegen die vereinigten liberal-sozialistischen Gegner und ihre Ziele ist er zum konservativen Staatspolitiker geworden, der die Grundlagen des Staates, Monarchie und Christentum, zu verteidigen hatte. Wenn die liberalen „Münchner Neuesten Nachrichten" seine Wahl mit der Bemerkung kommentierten, i m Zentrum habe der lärmende Radikalismus an Stärke gewonnen —, „Abgeordneter Held ist der markanteste Vertreter dieser Richt u n g " 9 0 —, so meinten sie damit Heids scharfen Kampf gegen den Rotblock. I n seiner eigenen Fraktion, m i t der er bereits manchen Konflikt hinter sich hatte, bewegte er sich jetzt i n der Mitte der gegensätzlichen Strömungen, er hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu Pichler, einem ehemaligen Gegner, und mußte sich deshalb von seinen ehemaligen Freunden allzuviel „Elastizität" vorwerfen lassen 91 ; er
88 M N N , 81, 14. 2.1914. 89 A H R . 90 M N N , 81, 14. 2.1914. 91 Daß er dabei nicht ganz auf den Pichler-Flügel einschwenkte, zeigen mehrere Episoden aus den Jahren des Weltkrieges. Ende März 1915 hatte Held i n einem A r t i k e l i m „Regensburger Anzeiger" nach einer verlorenen Nachwahl Pichler den V o r w u r f gemacht, daß i n Niederbayern auf dem Gebiet
4. Heinrich Held als FraktionsVorsitzender des bayerischen Zentrums 193
war zum feinen Taktiker geworden, der versuchte, wie er es an Dr. Lieber gerühmt hatte, „die Diagonale des Parallelogramms der Interessenkräfte, den Weg ausgleichender Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Interessen zu finden und auf diesem die verschiedenen Interessengruppen i m Zentrum zu einigen und zu Erfolgen zu führen" 9 2 . M i t dieser Haltung und dem bei i h m vorhandenen Geschick ist Held unbestrittener Führer zunächst des Zentrums und dann der B V P bis 1933 geblieben. Held fühlte sich unabhängig nach unten und nach oben i m „tosenden politischen Kampf stehend" 93 und scheute sich nicht als Interpret der Empfindungen seiner Gesinnungsgenossen nach zwei Seiten auf zutreten: gegen den Rotblock und, wenn es sein mußte, wie es sich auch i n den ersten Kriegsjahren zeigen wird, auch gegen die Regierung. Das machte i h n für den größten Teil seiner Fraktionskollegen, auch i n beiden Flügeln der Partei, als Vorsitzenden wählbar. Die Meinung, die Josef Held 9 4 vertritt, Heinrich Held sei als „Gegenkandidat . . . von Pichler gewählt worden", ist nicht nachprüfbar. Es finden sich i n sonstigen Quellen keine Hinweise auf diese Tatsache. Bemerkenswert ist nur, daß Held von der „Donauzeitung" einen etwas kühlen Glückwunsch zur Wahl ausgesprochen bekam; es wurde aber auch da von „seiner anerkannten parlamentarischen Tüchtigkeit" gesprochen, man wünschte ihm dagegen die „Milde und Versöhnlichkeit eines Vater Dalier . . . und die k ü h l abwägende Ruhe eines Lerno" 9 5 .
der A g i t a t i o n „so gut w i e nichts geschehen" (RA, Nr. 161, Jg. 1915) sei. Von dieser Attacke Heids n a h m Pichler „ m i t Entrüstung Kenntnis" (Brief des niederbayerischen Kreissekretärs Dr. Sittler am 1.4.1915 an Held — AHR). A m 11. A p r i l 1917 machte Pichler Held i n einem Brief darauf aufmerksam, „ m i t welcher Geringschätzung Dr. H e i m Dich u n d die ganze Fraktion behandelt. Dein Bestreben, i h m nachzugeben, schädigt Dein Ansehen aufs allertief ste" (AHR). Außerdem wünschte Pichler, daß k ü n f t i g bei Vertretung landwirtschaftlicher Fragen Dr. Matzinger mehr herangezogen werde, „nicht immer bloß Dr. Schlittenbauer" (ebd.). I n seiner A n t w o r t v o m 12.4.1917 antwortete Held (Durchschlag des Schreibens i n AHR), daß er sich von niemand, auch nicht von H e i m ein U r t e i l aufoktroyieren lasse. Z u r Bemerk u n g über Schlittenbauer schrieb Held, er habe bisher „über deren Beauftragung u n d Beschäftigung nie aus eigenem entschieden, j a mich ängstlich vor Anregungen gehütet, ich habe vielmehr stets u n d ausschließlich die Fraktion entscheiden lassen" (ebd.). 92 Gedächtnisrede auf Dr. Ernst M. Lieber, S. 38. 93 Ebd. 94 Held, a.a.O., S. 20. 95 Donauzeitung v o m 15.2.1914. 13
Keßler
I X . Das politische Weltbild Heids am Vorabend des 1. Weltkrieges Bevor eine zusammenfassende Darstellung des politischen Weltbildes i n verfassungs-, k u l t u r - und sozialpolitischer Hinsicht versucht werden soll, wie es sich für Held i m Bayern des Jahres 1914 darstellte, muß zuvor noch kurz auf das Verhältnis Bayerns zum Reich aus der Sicht Heids eingegangen werden. Gerade dieses Thema wurde ja für i h n während und nach dem 1. Weltkrieg zum beherrschenden politischen Problem seiner ganzen weiteren politischen Lebensarbeit. Held hatte sich i n den 14 Jahren, die er nun bereits i n Bayern verbracht hatte, zu einem der entschiedensten föderalistischen Vorkämpfer für die Wahrung der bayerischen Eigenstaatlichkeit entwickelt. 1. Das Verhältnis Bayerns zum Reich im Jahre 1914 Held war nicht nur Monarchist aus religiös-ideellen Gründen, sondern auch „aus praktischen" 1 . Für ihn war das bayerische Königtum die stärkste Festung gegen preußische Expansionsgelüste und für die Wahrung bayerischer Eigenstaatlichkeit. Nicht zuletzt spielte diese Frage auch bei der schließlichen Beendigung der Regentschaft für Held eine Rolle: „Denn der Regent repräsentiert nicht nur die Vollgewalt der Macht und ist nicht i n der Lage, den übrigen Trägern der Krone und dem Einfluß gegenüberzutreten wie ein König 2 ." Ein starkes bayerisches Königtum bedeutete auch ein starkes Bayern gegenüber den anderen Bundesstaaten und half den „politischen Einfluß zu wahren, den Bayern i m Gesamtgefüge des Deutschen Reiches für sich verlangen kann" 3 . Aber gerade hier sah Held schon vor dem 1. Weltkrieg Gefahren für Bayern. Durch die liberalen Ministerien und ihren „Preußendusel" hatte Bayern zugunsten Preußens an Einfluß i m Reich verloren. „Bayern gebührt als zweitgrößter Bundesstaat ein größerer Einfluß auf den Gang der Dinge i m Reich als es heute hat 4 ." Die bayerische Selbständigkeit i m Reiche sollte besser gewahrt werden, die Reservate ι 2 3 *
RA, 235, 13. 5.1903. RA, 163, 31. 3.1914. Sten. Ber. 1913, Bd. 7, S. 791. H e l d i n einer Rede i n Augsburg, zit. i n RA, 128, 12. 3.1914.
1. Das Verhältnis Bayerns zum Reich i m Jahre 1914
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strenger gehütet werden. „ W i r wollen nicht die Reichseinheit, w i r wollen die Erhaltung der Eigenart, eines gesunden Partikularismus, von dem w i r wissen, daß er nicht i m Gegensatz zum Reichsgedanken steht, sondern die Stütze des Reichsgedankens ist 5 ." Held polemisierte gegen den preußischen Unitarismus. Er warnte i m Zuge der auch i n Bayern sich stärker geltend machenden Reichsfreudigkeit vor einer „Verpowerung Bayerns" 6 . Durch den Wehrbeitrag, für die Marine, für die deutsche Kolonialpolitik werde aus Bayern Geld hinausgetragen, dessen Hauptvorteil „ i n allererster Linie Preußen hat" 7 . Durch die „Matrikularbeiträge" an das Reich war Bayern i n seiner „Leistungsfähigkeit . . . dem Reich gegenüber beeinträchtigt" 8 worden, und wenn diese Dinge so weitergingen, werde es nach und nach zu einer „systematischen Auspowerung des Südens, insbesondere Bayerns" 9 gegenüber dem Reiche kommen. Man sollte i n Zukunft bei der Festsetzung der Matrikularbeiträge nicht von der Kopfzahl, sondern von dem vorhandenen Vermögen eines Landes ausgehen. Außerdem werde Bayern an den Lieferungen und Arbeiten, die das Reich zu vergeben hatte, viel weniger beteiligt als andere Bundesstaaten, „insbesondere der Norden des Reiches" 10 . Held trat vor und besonders während des 1. Weltkrieges für die strikte Wahrung bayerischer Reservatrechte ein. Monarchische Gesinnung und der Kampf für die bayerische Staatlichkeit mischten sich hier: „Ein König von Bayern ohne bayerische Staatseisenbahnen ist nur noch ein Schattenkönig und ein bayerischer selbständiger Staat ist nur noch ein Schatten von einem Staat, der keine eigene Eisenbahn und Post mehr hat 1 1 ." Der Kampf u m die Eigenstaatlichkeit Bayerns begann bei Held schon lange bevor die Weimarer Verfassung diese Staatlichkeit zerschlug; i n seinen Anfängen schon vor dem Krieg deckte er sich m i t seinen föderalistischen Grundauffassungen und antipreußischen Ressentiments und war bald in die Tradition des bayerischen Staatsgedankens eingemündet, der i m Zentrum von der Patriotenpartei her immer stark gepflegt worden war. Die Nationalisierung Bayerns und einer vor allem von den Liberalen stärker betriebenen Reichsfreudigkeit stand er innerlich auch in der politischen Agitation feindlich gegenüber. Der deutsche Nationalstaat m i t seinen imperialistischen und s Ebd. 6 Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 104. 7 Ebd. 8 Sten. Ber. 1914, Bd. 11, S. 866. 9 Ebd. 10 Ebd. ι 1 Sten. Ber. 196, Bd. 14, S. 221. 13·
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militaristischen Tendenzen unter preußischer Führung blieb ihm bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges suspekt. Er stand hier sehr stark i n der großdeutschen, föderalistischen Tradition des deutschen politischen Katholizismus. 2. Die innerbayerischen Verhältnisse Wie sah Held die Lage Bayerns selbst am Vorabend des 1. Weltkrieges? Das Zentrum stand mitten i m „scharfen Kampf gegen den organisierten Umsturz i m religiös-sittlichen Leben i n Staat und Gesellschaft", wie Held auf dem Zentrumsparteitag i n München am 20. Dezember 1913 erklärte 1 2 . I n erster Linie galt dieser Kampf der Sozialdemokratie als Hauptträgerin der Umsturzbewegung, schließlich aber auch dem Jung- und Linksliberalismus „als Speerhalter und Schildknappen der Sozialdemokratie" 13 . M i t der Berufung des Ministeriums Hertling war eine „größere Portion von Staatskonservativismus" 14 ins bayerische politische Leben eingezogen. Das war bis dahin etwas Unerhörtes i n Bayern, i m Land des klassischen Beamtenliberalismus; „selbst einige Zentrumsleute sitzen i m Kabinett" 1 5 . Man konnte also von Zentrumsseite zufrieden sein mit diesen Zuständen 16 . Zufriedenheit führt zu Konservativismus. „ W i r huldigen einer gesunden konservativen Entwicklung und befinden uns hier i m Gegensatz zu den Liberalen und den Sozialdemokraten 17 ." Ausdruck des verfassungspolitischen Konservativismus war das Festhalten an der Monarchie, an ihren unantastbaren Rechten und Privilegien. Held wollte deshalb, daß der König „ein wirklicher König und kein Scheinkönig sei, daß er ein König nicht von Volkesgnaden, sondern von Gottesgnaden sei" 1 8 . Und gerade dieser König garantierte die konservativen Grundforderungen: „die Hochhaltung christlicher Ideen" 1 9 . 12 RA, 2, 2.1. 1914. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 RA, 2, 2. 1. 1914. 16 Der Parteitag v o m 30.12.1913 wurde zu einem Vertrauensbeweis für Held gegen die Rotblockhetze. Der Abgeordnete Giehrl begrüßte Held, der Hauptredner zu landespolitischen Themen war, „der von den Gegnern gebrauchte Name »Abgeordneter von Burglengenfeld' ist zum Ehrentitel geworden. Die Parteifreunde stehen i n dankbarer Anhänglichkeit hinter »unserem Held' ".(Zit. i n RA, 2, 2. 1.1914) Der „Regensburger Anzeiger" erklärte i n seinem Kommentar zum Parteitag: „ M a n begreift, w a r u m sie i h n hassen, den »Abgeordneten von Burglengenfeld'. Er sitzt ihnen beständig auf dem Nacken. Aber sie mußten durch Giehrl erfahren, daß auch die ganze Partei hinter i h m steht." (RA, 2, 2.1.1914) 17 RA, 3, 3.1. 1914. is Ebd. 19 Ebd.
2. Die innerbayerischen Verhältnisse
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Furcht vor Revolution, das Gefühl, die Grundlagen des Staates würden untergraben, das waren die Gefühle und Gedanken, die Held kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges beherrschten; und dann brach immer wieder das alte ideologische Freund-Feind-Schema durch, eine Beobachtung, die auch für Held i n Bayern immer klarer, immer mehr i n Erscheinung trat: Es gab für i h n „die zwei großen Heerlager, wo i n dem einen das Christentum, in dem andern der Atheismus seine Fahne aufgepflanzt hat" 2 0 . Das starke und entschiedene Bekenntnis zur Monarchie, zum Gottesgnadentum hatte bei Held religiöse Wurzeln. Das Königtum stand i n „Gottes Diensten" und glänzte in „Gottes Ehren", ein Königtum, „dessen letzte und tiefste Idee das Königtum Christi ist, dem alle Gewalt gegeben ist i m Himmel und auf Erden" 2 1 . Prinz L u d w i g hatte sich i n der Öffentlichkeit als treuer Katholik bekannt und stand politisch auf christlich-konservativem Standpunkt. Denn i m Glauben an das Königt u m von Gottes Gnaden lag „der stärkste Grundstein für die Autorität der Herrscher wie für den Gehorsam des Untertanen" 2 2 . Christlicher Glaube, religiöses Bekenntnis sind promonarchische Gesinnungen und gingen i n eins über; sie wurde aber auch zur Scheidelinie der Geister i m politischen Bereich: „Was i m Volk noch fest i m christlichen Glauben ist, das bildet die konservative, in monarchischen Staaten die königstreue Partei, was schwach und morsch im Glauben geworden, läuft der schillernden Fahne des haltlosen Liberalismus nach; alle, welche völlig mit Gott und Glauben gebrochen und i m Kampf gegen das Kreuz ihre Lebensaufgabe erblicken, gehören der Revolution an, die unbedingt von einem Königtum nichts mehr wissen w i l l 2 3 . " Die monarchistischen Bekenntnisse wurden häufiger, je stärker sich Held zum Konservativen entwickelte. Das Zentrum galt für ihn als stärkster Hort des monarchischen Gedankens, und auch das bayerische Volk war i n seinem größten Teil so gestimmt; es hatte i n den Augen Heids keine „Sehnsucht nach einer demokratisch-republikanischen Verfassungs- und Regierungsform" 2 4 . Held wurde zum „Erzmonarchisten" 25 vor allem im Krieg, auch noch i n Tagen kurz vor der Revolution, als andere Führer des Zentrums schon eingesehen hatten, daß die Monarchie nicht mehr zu halten war. I n der Abwehr der Sozialrevolutionären Tendenzen der Sozialdemokratie und der aggressiv-kulturkämpferischen Absichten der Liberalen, 20 RA, 3, 3.1.1914. 21 RM, 207, 14. 9.1910. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 RA, 559, 4.11.1913. 25 Münchner Post, 10.11.1915.
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wie Held sie verstand, war er zum aggressivsten parlamentarischen Kämpfer des Zentrums geworden. Unter diesen Spannungen entwikkelte sich i m Landtag ein politisches Kampfklima mit parlamentarischen Exzessen, das alles andere als eine friedliche glückliche Epoche darstellte; es kündeten sich politische Spannungen an auf dem Hintergrund sozialer Umschichtung und Wandlungen. Der Übergang von der Agrar- und Handwerkerkultur zur Industriekultur zeigte sich auch i n Bayern, aber das Zentrum blieb bei einem konservativen Gesellschaftsbild, i n dem die Landwirtschaft, das Handwerk und mittlere Gewerbe ihren dominierenden Platz hatten. Die „ungesunde Forcierung" der Industrie lehnte Held ab 2 6 , sie wäre ein großer Schaden für „die stetige Entwicklung des Wirtschafts- und Kulturlebens i n konservativem Sinn" 2 7 . Bayern sei weder seiner geographischen Lage nach, noch seinen sonstigen gegebenen Vorbedingungen nach für eine übermächtige Entwicklung der Industrie geschaffen. „Der Staat ist am besten i n jeder Beziehung daran, der die meisten freien Existenzen, auch wenn es die kleinsten Existenzen sind, auf freier Scholle hat 2 8 ." Der Abwanderung vom flachen Land und der Massenkonzentration i n den Städten müsse Einhalt geboten werden. „Wer eine gesunde Mittelschicht erhalten w i l l und wer weiß, daß dies von der allergrößten politischen Bedeutung ist, der muß gerade die Landwirtschaft und das Gewerbe zu schützen und zu fördern suchen 29 ." Die Massenkonzentration i n den Städten vollzog sich gegen den Willen des Zentrums; das hatte auch politische Folgen in einer politischen Umschichtung der Wählerschaften i n Richtung auf die Politisierung der Massen; daß das sich bildende Arbeiterproletariat der Sozialdemokratie zuwandte, konnte das Zentrum nicht verhindern, auch nicht m i t einer Ausnahmegesetzgebung gegen diese Partei. Ungewollt und unkontrollierbar für das Zentrum vollzog sich der wirtschaftliche und soziale Wandel, der auch neue politische Wertvorstellungen und Gruppierungen zur Folge hatte, die man nicht wahrhaben wollte und die das Zentrum auch nicht zum politischen Umdenken zu zwingen vermochten. Der allgemeine W i r t schaftsaufschwung weckte mächtige soziale Kräfte, die nach Mitbestimmung und Teilhabe bei der politischen Gestaltung ihres eigenen Schicksals verlangten. Man ging am Werden einer neuen Wirtschaftsund Sozialordnung vorbei und zog sich auf alte konservative politische Leitbilder zurück. Der Konflikt, der sich daraus entwickelte, t r u g nicht zum geringen Teil bei zur Vorbereitung der Revolution des Jahres 1918. Gerade München, der „Münchner Sumpf", wie man i m Zentrum 26 27 28 29
Sten. Ber. 1913, Bd. 8, S. 105. Ebd. Ebd., S. 106. Ebd., S. 106.
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gern sagte, w a r ein besonders geeigneter Boden für eine solche Explosion, „die aus einer ungelösten Harmonisierung der Gegensätze i n Wirtschaft, Gesellschaft, Staat erwuchsen" 30 . Der politische Aufstand der Massen, der die unvermeidbare Demokratisierung des modernen Lebens mit sich brachte, wurde nicht gesehen. Die bayerische Verfassung blieb hinter der Realität zurück. Die Innenpolitik, die das Zent r u m zusammen mit der Regierung trieb, war im wesentlichen geprägt vom „feudal gebliebenen Staat" 3 1 . Aus der Überzeugung heraus, die Monarchie und die bestehende Gesellschaftsordnung allein verteidigen zu müssen, trieb das Zentrum seine konservative Politik gegen Sozialdemokratie und Liberalismus, zu der sie auch die Regierung entsprechend deren eigenen konservativen Grundsätzen m i t mehr oder weniger Druck bewegen konnte. Dadurch trieb sie die Liberalen und Sozialdemokraten zu einem Oppositionsbündnis. Es ist zu fragen, wie sich die veränderte Haltung Heids, die politische Kurve, sein Wandel von einem dem sozialen Fortschritt offenen und gewisse demokratische Entwicklung bejahenden Standpunkt seiner frühen Jahre zu einer fast dogmatisch verhärteten Ablehnung von Sozialdemokratie und liberaler Demokratie erklären läßt. I n seiner frühen politischen Tätigkeit i n Regensburg hatte er noch jede staatliche Suppression und Bekämpfung der Sozialdemokratie durch Polizeimethoden abgelehnt. Die Gründe für diesen Wandel liegen wohl i n zwei Problemkreisen: einmal i n der Furcht vor einem neuen politischen K u l t u r k a m p f und zum anderen i n der Angst vor einer evolutionären Aushöhlung der Monarchie durch eine liberal-sozialdemokratische Verfassungspolitik. Den ersten Punkt sprach er 1912 sehr klar an, als er meinte, man sollte sich darüber i m klaren sein, daß dieser Rotblock nichts anderes sei als ein neuer politischer K u l t u r k a m p f gegen die Katholiken. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Held i n den Jahren 1911/13 allmählich auf die staatspolitische Tradition des bayerischen Zentrums eingeschwenkt war, die der Abgeordnete Eisenmann i n populärer Prägnanz formuliert hat: „Gott lieben, den König ehren und das Volk schützen 32 ." Das hieß i n der Praxis: Schutz der Religion i n allen Bereichen, Verteidigung des monarchischen Prinzips als Gottesgnadentum, das nicht angetastet werden durfte, und Schutz des Volkes
30 Β osi, Gesellschaft u n d P o l i t i k i n Bayern, a.a.O., S. 2. 31 Ebd., S. 9. 32 Eisenmann i n einem Brief an Held v o m 12. 8.1917, A H R .
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i m politisch-wirtschaftlichen und religiösen Bereich vor Gefahren von oben und unten. Die Frage, inwieweit Held i n diesen ganzen Fragen Gefangener seiner Partei war, und ob er nicht in diesen oder jenen Dingen anderer Meinung war, und sie durchzusetzen versuchte, ist nur schwer zu beantworten. Die Tatsache, daß die Partei i h n zum Vorsitzenden gewählt hatte und i m großen und ganzen seiner Führung folgte, läßt die Frage eher verneinen. Konservative Staatspolitik, die häufig genannte Leitidee des Zentrums, gründete sich auf die Harmonie zwischen Krone und Volk und der lebhaften Anteilnahme des Volkes an den politischen Geschäften des Landes nach Maßgabe der Verfassung und unter Ausnützung aller konstitutionellen Mittel, wie sie dem freien Volk i m Staat gegeben sein sollten. Es sollte Aufgabe einer Volkspartei sein, wie sich Held das Zentrum vorstellte, in ununterbrochenem Kontakt mit dem Volk und in unausgesetzter Erneuerung durch das Volk die Politik der Krone und des Staates zu befruchten. Die Bündnisse des Zentrums mit den Sozialdemokraten 1899, 1905 und 1907 hatten vor allem verfassungs- und wahlpolitische Veränderungen zum Ziel. Unter diesem Aspekt waren sie auch geschlossen worden. 1914 hatte das Zentrum alle diese Ziele erreicht. Das Zentrum war eine bürgerliche Verfassungspartei geworden, die i m staatlichpolitischen Bereich keine demokratischen Tendenzen mehr verfolgte. Das Zentrum unterschied sich durch primären konfessionellen Charakter von anderen Parteien schon dadurch, daß Fragen der politischen Staatsverfassung zweitrangig waren, sofern die Idee des christlichen Staates und der kirchlichen Freiheit nicht gefährdet wurden. Das Zent r u m hätte die Liberalen wohl nur dann aus dem Bündnis mit den Sozialdemokraten herauslösen können, wenn es sich auf k u l t u r - und verfassungspolitischem Gebiet zu einigen Konzessionen an die Liberalen hätte bewegen lassen. Aber manche Umstände, so ζ. B. die k u l t u r kämpferischen Neigungen auf liberaler Seite und das Bekenntnis des Zentrums zu einer starken Monarchie i m Sinne des katholisch-konservativen Staatsdenkens des 19. Jahrhunderts hatten immer wieder eine Zusammenarbeit zu einer stärkeren parlamentarischen Ausgestaltung des bayerischen Verfassungslebens verhindert. Held war 1914 in dem Sinne Demokrat, als er die statische Wahrung der verfassungspolitischen Zustände, die klar abgegrenzt waren, verteidigte, aber nicht Demokrat i m Sinne einer progressiven Ausgestaltung der Volksrechte. Dabei ist festzuhalten, daß i m Verständnis der Demokratie bei Held sich i n seiner Entwicklung ein Prozeß vollzogen hatte, der auch i m katholischen Staatsdenken bis 1914 und darüber hinaus gewirkt hat. Der Begriff der Demokratie löste sich von seinem ursprünglichen politi-
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sehen Gehalt und übertrug sich auf den Bereich des Sozialen 33 . Die christliche Demokratie, wie sie sich seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts i n Westeuropa herausbildete, war nicht eine politische Bewegung, die eine Veränderung der Staatsform wie den Übergang von Monarchie zur Demokratie oder eine stärkere Beteiligung des Volkes an der Regierung zum Ziel hatte. Sie war i m Grunde eher eine soziale Bewegung, die ihren Hauptzweck darin sah, die materielle Lage der unteren sozialen Schichten zu verbessern. Man wollte keine Änderung der Staatsform. I n dieser historischen Entwicklung stand auch Held; obwohl er in seiner frühen Zeit sehr stark sozialreformerisch gesinnt war, war er immer Monarchist geblieben. 1914 w a r dieser sozialreformerische Wille, der auch den politischen Ausgleich und die Heranziehung der unteren sozialen Schichten zu politischer Mitverantwortung gefordert hatte, schwächer geworden. Andere Interessen, vor allem religiös-konfessionelle, waren i n den Vordergrund getreten. Ein weiterer Gesichtspunkt ist festzuhalten: Held hatte sich auch innerhalb der Partei anfänglich als neuer Typus des Politikers aus dem Kleinbürgertum gegenüber den bürgerlichen und adeligen Honorationen durchsetzen können. Der 1914 erreichte Erfolg und soziale Status verlangte nach Verfestigung und Konsolidierung. A m Vorabend des Weltkrieges war Held in Bayern einer von dem halben Dutzend prominenter Politiker des Landtags, die großen parlamentarischen Einfluß i n einem politischen System besaßen, i n dem zwar das Parlament de jure keine allzu entscheidende Position einnahm, i n dem aber die Regierung de facto sehr wohl auf seine Zustimmung achten mußte. Entscheidend an der politischen Struktur Bayerns war die Tatsache, daß durch die Möglichkeit des gesellschaftlichen und politischen A u f stiegs führender Zentrumsabgeordneter wie Held i n die politische dünne Führungsschicht Bayerns, die aus Kreisen des Reichsrats, Großbürgert u m und hohem Klerus bestand, die ihre Interessen ausglichen, stabilisierten und die politische Gewalt besaßen, die Sehnsucht nach stärkerer Demokratisierung der politischen Struktur auch i n führenden Zentrumskreisen gar nicht bestand. Dabei verlagerten sich politische Auseinandersetzungen i m Zentrum, die um die Struktur des bayerischen Herrschaftsgefüges gingen, vielmehr auf die Ebene innerparteilicher Auseinandersetzungen wie die zwischen Pichler und Heim, wobei die konservative Richtung siegte, die die Partei immer hof- und regierungsfähig machen wollte. Das Zentrum war dann i n der Zeit von 1912 bis 1914 „Regierungspartei" geworden. Dadurch wurde diese dünne politische Führungsschicht schließlich ja entscheidend gefestigt. 33 Gustav Gundlach hat diesen Prozeß i m katholischen Staatsdenken zu beschreiben versucht, i n : „Stimmen der Zeit", Bd. 153, 1953/54.
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Wie erstrebenswert der Vorstoß i n diese gesellschaftliche und politische Oberschicht auch i n Zentrumskreisen war, zeigte sich ζ. B. auch an der Jagd nach Orden des königlichen Hauses; sie galten als Gradmesser gesellschaftlicher und politischer Adaption von höchsten Kreisen 3 4 . Die Angriffe sozialdemokratischer und linksliberaler politischer Kräfte auf diese Struktur konnten so bei dem starken Übergewicht des „Establishment" noch relativ gefahrlos abgewiesen werden. Dabei wurde vom Zentrum nicht erkannt, daß in den sozialen Unter- und Mittelschichten ein Demokratisierungsprozeß i m Gange war, der i n der langen Friedensperiode die politische und gesellschaftliche Struktur und die m i t so viel Vehemenz verteidigte Verfassungsstruktur schon überholt hatte. Das gewichtigste Moment für die Haltung des Zentrums war wohl dies: Das Ziel der eigenen Politik war i m Jahre 1914 i n Bayern erreicht; die ideale Stellung und Freiheit der Kirche und der konstitutionell monarchisch gesinnten Bevölkerung war garantiert. Von einer stärkeren Parlamentarisierung hätte man sich ohnehin nur eine Verstärkung des liberalen und sozialistischen Geistes in der bayerischen Polit i k erwarten können. Diejenigen aber, die eine stärkere Parlamentarisierung forderten, wollten auch keinen christlichen Staat. Man fühlte sich i n diesem bayerischen Staat wohl und sah seine eigentlichen Interessen gewahrt. Das machte konservativ. Die bestehende politische Ordnung bot die bestmöglichste Situation für den Katholizismus. Man sah nicht die heraufziehenden innenpolitischen Konflikte und dachte nicht über das Bestehende hinaus. Von all diesen Problemen befreite der ausbrechende 1. Weltkrieg, der die schwelenden Konflikte aber nur für ein paar Jahre zudecken konnte.
34 Bezeichnend dafür w a r ζ. B. der Brief des „demokratischen" Zentrumsabgeordneten Osel an H e l d u n d dessen Brief zu den Ordensverleihungen an der Jahreswende 1912/1913, vgl. oben.
X. Der erste Weltkrieg Der bayerische Landtag war das einzige deutsche Parlament, das während der kritischen Julitage des Jahres 1914 und bei Kriegsausbruch noch tagte 1 . Schon unter dem Eindruck des drohenden Ausbruchs des Weltkrieges wurden nun die noch ausstehenden einzelnen Punkte des Etats rasch erledigt. I m Namen aller Parteien, auch der Sozialdemokraten, gab Held i n der Kammer der Abgeordneten am 2. August eine Erklärung zum Kriegsausbruch ab. Sie war getragen von der nationalen Solidarität und Hochstimmung, die Deutschland i n den ersten Wochen des Krieges erlebte 2 . Für Held war es klar: „Der Feind w i l l den Krieg. N u n gilt es, den Besitzstand, das Ansehen und die Ehre des Vaterlandes, nun gilt es, deutsches Haus und deutschen Hof mit Waffengewalt zu verteidigen und feindliche Angreifer abzuweisen. Ein gewaltiges Völkerringen um die Existenz der Nation, u m die Existenz der germanischen K u l t u r hat begonnen 3 ." Da gab es keine Unterschiede mehr unter den deutschen Stämmen, keine Eifersüchteleien, keine Rivalitäten mehr; alle standen „einmütig m i t gleicher Liebe zum Vaterlande, mit gleicher Treue und Begeisterung, mit gleichem Opfersinn zusammen, den Sieg zu bringen und das Vaterland zu befreien" 4 . Diese Worte gaben getreu die Stimmung wieder, die das bayerische Volk beim Ausbruch des Krieges beseelte und die Held selbst voll und ganz teilte. Die Tage der deutschen Mobilmachung, die dabei zum Ausdruck gekommene nationale Einheit 1 Der G r u n d lag i n den langsamen, schleppenden Verhandlungen des bayerischen Parlaments, das seit dem 8.1.1914 getagt hatte. Die F l u t von Anträgen der einzelnen Fraktionen zu den verschiedenen Etats w a r groß, die Debatten waren „breit u n d flach". M N N , 4.4.1914. Der Etat des Inneren schleppte sich i m Finanzausschuß über 7 Wochen hin. A m 22. J u n i 1914 debattierte die K a m m e r über eine eventuelle Nachsession. M N N , 372, 23.7. 1914. Held erhob zunächst scharfen Protest gegen die „überhebende" K r i t i k , die Graf Crailsheim i n der Reichsratskammer an der Tätigkeit der Abgeordnetenkammer geübt hatte. Hammerschmidt (liberal) u n d Segitz (sozialdemokratisch) schlossen sich Held i n der K r i t i k an der Reichsratskammer an. 2 K . A . v . M ü l l e r i n „Mars und Venus", S. 12: „Unvergeßliche erste Wochen des Krieges! Die größten Tage i m politischen Leben der meisten unserer Generation, die sie m i t reifem Bewußtsein durchschritten: der innere Höhep u n k t des bismarckschen Reiches, j a der gesamten deutschen Nationalbewegung." 3 Sten. Ber. 1914, Bd. 12, S. 493. 4 Ebd.
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und Geschlossenheit gehörten für Held zu „den größten, zu den stolzesten und zu den erhebendsten Erlebnissen des deutschen Volkes" 5 . Der Ausbruch des Krieges war für ihn dabei völlig überraschend gekommen: „Das Unglaubliche ist Ereignis geworden 6 ." Deutschland war überfallen worden. England, Frankreich, Rußland, das Komplott der Dreimächte hatten seit Jahren von Deutschland unbemerkt diesen Krieg vorbereitet. Deutschlands politische Machtstellung, sein wirtschaftlicher Aufschwung und seine finanzielle Erstarkung hatten seit „langem den gelben Neid der Dreimächte gegen Deutschland erregt" 7 . Ziel dieses Dreierbundes war die „Vernichtung der deutschen Nation und deutschen Kultur"8. Der Krieg brachte für Held einen inneren nationalen Aufschwung, eine Nationalisierung seines politischen Denkens, das sich bisher jeder nationalpolitischen Euphorie enthalten hatte. Das gemeinsame Volksempfinden, das begeisterte M i t t u n aller, die bisher diesem Deutschen Reich distanziert gegenüber gestanden waren, das Erlebnis der inneren Einigkeit und Opferbereitschaft i n den Tagen der Mobilmachung, w i r k t e als etwas Unerwartetes, da man sich noch bis i n die letzten Friedenstage als erbitterte Gegner i n der Innenpolitik gegenübergestanden war. Dabei war man ehrlich überzeugt, daß man sich i n einem aufgezwungenen Verteidigungskrieg befand, der sittlich gerechtfertigt erschien. Die Einigkeit der ersten Kriegstage schien alle religiöse und politische Zerrissenheit der Vergangenheit zu überdecken. Vor allem der unerwartete national-solidarische Aufschwung der Arbeiterschaft mußte große Erwartungen für den inneren Frieden Deutschlands i n der Zukunft wecken. Auch für die Katholiken erhoffte Held innenpolitische Positionsgewinne. „Schweigen muß jeder parteipolitische Hader, schweigen der Glaubens- und Weltanschauungsstreit 9 ." Der Krieg sollte auch das religiöse Bewußtsein heben, die Moral kräftigen, den Gemeinsinn festigen und „allen alles zu sein" lehren 1 0 . s Sten. Ber. 1915, Bd. 13, Sitzung v o m 25.11.1915. Siehe Anm. 2. 6 RA, 392, 6. 8. 1914. 7 Ebd. β Ebd.; „Russische B r u t a l i t ä t u n d Verschlagenheit, französischer Ehrgeiz u n d Rachegeist, unehrlicher, gemeiner u n d krämerhafter Gewinnsinn Englands haben i n einem wohlvorbereiteten Zusammenspiel den K r i e g gegen die deutsche Nation heraufbeschworen... Sein oder Nichtsein, das ist die Frage, u m die es sich f ü r die deutsche Nation bei dem Kesseltreiben ihrer Feinde dreht. Das Allslaventum hat es seit Jahren auf Österreich u n d Deutschland abgesehen; seine Expansionsgelüste sind ins Ungemessene gewachsen... Wie ein blutiger H o h n auf die Vernunft w i r k t es, w e n n sich n u n Frankreich und England m i t diesem Rußland i m K r i e g gegen uns verbünden." RA, 396, 8. 8. 1914. 9 RA, 399, 9. 8. 1914. 10 Ebd.
X . Der erste Weltkrieg
Es ist das für den Konservativen typische Lob des Krieges, der als Prüfung für ein Volk „ein kräftigendes, heilwirkendes Stahlbad" sein konnte 1 1 . Es waren „erhebende Tage für uns Deutsche" 12 . Die Not des Krieges hatte über Nacht ein einiges deutsches Volk von Brüdern geschaffen. „Da erlebten w i r ein wunderbares Schauspiel! . . . M i t Einmütigkeit, erhoben w i r Deutsche uns nun alle, ohne Unterschied der Partei, der religiösen Anschauung und des Standes 13 ." Sittlicher Ernst und religiöses Bewußtsein, Gottesfurcht und Gottesvertrauen waren i n neuer Pracht emporgetaucht und hatten sich wie neuer Sonnenschein über die Seele der deutschen Nation gebreitet, diese Erscheinungen mußten vor allem einen so tief religiös empfindenden Menschen wie Held begeistern: „Die giftigen Dünste und Nebelschwaden, die aus den Sümpfen und Niederungen des deutschen Volkslebens i n letzter Zeit aufstiegen, Gottesglaube und religiöses Leben zu vernichten drohten, sind von den Strahlen der m i t elementarer Gewalt über Deutschland aufgestiegenen Sonne der Gottesliebe und des Gottvertrauens wesenlos in alle Winde zerstoben 14 ." Unter diesen Entwicklungen und Erwartungen religiöser Erneuerung und konfessioneller Gleichstellung übernahm der deutsche Katholizismus auch die machtstaatliche Ideologie und den sich bald ergebenden Übergang von der Proklamation des Verteidigungskrieges zur Proklamation der imperialistischen A n nexionsabsichten. Das Wort des Kaisers „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche" hatte Held noch dahin erweitert „Ich kenne keine Konfessionen mehr; der Katholik soll i m gesamten reichsund staatsbürgerlichen Leben völlig gleichberechtigt neben den Angehörigen anderer Konfessionen stehen und i n Zukunft innerhalb der deutschen Rechtsgrenzen nicht mehr schlechter behandelt werden als der Protestant" 1 5 . Das bei Kriegsausbruch alle Deutsche packende Gemeinschaftsgefühl und die gemeinsame Kriegsnot hatten auch die Hoffnung aufkommen lassen, Katholiken und Protestanten würden i n allen Bereichen des Lebens eine innigere Verbindung und den „Katholiken die verdiente Wertschätzung, das unbedingte Vertrauen und eine gleichmäßige gerechte Behandlung m i t allen anderen Staatsbürgern einbringen" 1 6 . Den Kulturkampfgeist hielt man durch den Krieg für überwunden, für restlos ausgetilgt. Doch darin zeigten sich auch für Held bald enttäuschende Erscheinungen der Kriegspropaganda. Inzwischen habe man von diesen Hoff11 12 13 14 is 16
Ebd. RA, 404, 12. 8.1914. Ebd. Ebd. RA, 289, 12. 6.1915. Ebd.
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nungen eine nach der anderen fahren lassen müssen. Die liberale Presse würde immer wieder Berichte über das angeblich feindselige Verhalten „römischer" Priester i m Feindesland und die antideutsche Kriegshetze des Vatikans bringen. Man habe auch Bemerkungen öffentlich aussprechen hören, daß durch Annexionen allzuviele Ultramontane ins Reich kommen könnten und daß das deutsche Kaisertum evangelisch bleiben müsse: „Das Reich ist deutsch und sonst nichts, es gehört uns so gut wie den Protestanten 17 ." Nach dem Kriege solle es i m innerpolitischen Leben Deutschlands heißen: „ E i n Reich, ein Volk, ein Recht 18 ." M i t dem Blutopfer, das die Katholiken dem Reich brachten, wollten sie auch die nationalpolitische Gleichberechtigung erwerben 1 9 . Held trat 1915 auch einem Ausschuß führender deutscher, i m öffentlichen Leben stehender Katholiken bei, der als ein Gegenstück des „Katholischen Ausschusses französischer Propaganda i m Ausland" gebildet wurde. Von französischer Seite war 1915 das Buch „Der deutsche Krieg und der Katholizismus" erschienen, das den deutschen Barbarismus anklagen sollte 20 . M i t Beginn des Krieges hatte Held wieder die Chefredaktion des „Regensburger Anzeiger" übernommen und schrieb täglich Lageberichte und Kommentare über den Krieg, die über den üblichen Verbreitungsraum der Zeitung hinaus viel gelesen wurden. Seine A r t i k e l waren v o l l von patriotischer Hochstimmung und unterschieden sich i n nichts, abgesehen von dem oft konfessionellen Unterton, von der i n der ganzen deutschen Presse i m ersten Kriegshalb jähr gepflegten Propaganda, die dem deutschen Volke Kampfgeist, Opfermut und Siegeszuversicht zu vermitteln suchte. „ V o n Anfang an haben w i r immer wieder betont, daß der Krieg um Sein oder Nichtsein der deutschen Nation geht. Darum haben w i r darauf hingewiesen, es müsse m i t A n spannung aller Kräfte bis zum Ende durchgehalten werden 2 1 ." Denn es könne nichts Verhängnisvolleres geben als einen Frieden ohne endgültige Entscheidung auf dem Kriegsschauplatz. Der Krieg habe eine Reihe von Staats- und Nationalitätsproblemen i n Europa aufgeworfen, die jetzt m i t dem Schwerte gelöst werden müßten, da sie die Diplomatie nicht mehr lösen könne. „Der Ausgleich der Kräfte i m Staatsleben Europas kann nur herbeigeführt werden durch eine ent-
17 Ebd. 18 RA, 289, 12. 6.1915. 19 I m August 1914 klagte Held schon, daß bei militärischen H i l f s k o m m i t tees der katholische T e i l zurückgesetzt werde. Ebenso rügte er, daß man die katholischen Krankenschwestern nicht zur Pflege heranziehe. — RA, 437, 30. 8.1914. 20 RA, 300, 18. 6. 1915. 21 R A , 502, 4.10.1914.
1. Der Versuch eines innenpolitischen Burgfriedens
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scheidende Niederzwingung des machtgierigen Rußland und des gewalttätigen britischen Intriganten 2 2 ." Auch die deutsche Weltmachtstellung, ein Produkt des deutschen Imperialismus, den Held bis 1914 immer abgelehnt hatte, müsse jetzt „ m i t Pulver und Blei für eine lange Zukunft gesichert werden" 2 3 . Die Zitate, die i m Panorama deutscher Kriegsstimmung der Anfangsmonate noch gemäßigt klingen i m Vergleich mit nationalliberalen Ergüssen, zeigen die Nationalisierung des politischen Denkens bei Held. Die Überzeugung, daß es sich u m einen aufgezwungenen und damit sittlich gerechtfertigten Krieg handle, schlug in eine verbissene Kriegsbereitschaft um. Anfangs 1915 schon wurden die enthusiastischen A r t i k e l über die Kriegsereignisse wieder spärlicher; Held wandte sich nun wieder mehr den Problemen der Heimat zu. 1. Der Versuch eines innenpolitischen Burgfriedens Die beim Ausbruch des Krieges i n Deutschland von allen Seiten gezeigte patriotische Solidarität überdeckte zunächst die parteipolitischen Risse und Kämpfe der Vorkriegszeit. Auch die Sozialdemokratie hatte sich mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten i n den nationalen Abwehrkampf eingereiht. Man Schloß einen parteipolitischen Burgfrieden, der die politische Geschlossenheit der Heimatfront garantieren sollte. Auch i n Bayern hatte sich dieser Burgfriede durch die einmütige Haltung der Kammer der Abgeordneten, die i n der Rede Heids zum Ausdruck gekommen war, zunächst gezeigt. Die Haltung des Bürgertums, auch die des Zentrums zur Sozialdemokratie ist zunächst von einer gewissen Überraschung über ihre Kriegsbereitschaft getragen, ihre nationale Haltung wurde durchaus positiv bewertet. Für die bayerische Regierung tauchte damit die Frage auf, ob man die unerwartete positiv nationale Haltung der Sozialdemokratie durch ein Entgegenkommen dahin honorieren sollte, daß man der Sozialdemokratie als Anerkennung ein Fallenlassen der ausnahmegesetzlichen Bestimmungen gegen sie i n Aussicht stellen konnte. Innenminister von Soden hatte über Baron von Freyberg bei Held anfragen lassen, ob das Zentrum mit einer solchen Politik gegenüber der Sozialdemokratie einverstanden sei. Die Absicht des Innenministers lief praktisch auf eine staatliche Approbation der Sozialdemokraten hinaus, die man noch vor zwei Monaten mit Ausnahmegesetzgebung bekämpft hatte. Die Entscheidung war für Held nicht leicht geworden. I n einem Brief an Innenminister von Soden vom 1. 9.1914 24 nahm Held „einen 22 RA, 601, 27.11.1914. 23 Ebd. 24 Durchschlag des Briefes i n A H R .
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ablehnenden Standpunkt" i n der aufgeworfenen Frage ein. Es sei wohl richtig, daß die Sozialdemokraten keine Schwierigkeiten bei der deutschen Mobilmachung gemacht hätten, auch die Haltung der sozialdemokratischen Presse sei i m großen und ganzen einwandfrei. „Diese erfreulichen Erscheinungen sind jedoch nicht auf eine grundsätzliche Änderung der sozialdemokratischen Haltung gegen die Monarchie und den Gegenwartsstaat zurückzuführen, sie entspringen vielmehr rein realpolitischen, opportunistischen Gedankengängen. Die Sozialdemokratie mußte fürchten, daß ihr bei einem Widerstand gegen Mobilmachung und Feldzug die Masse der Nachläufer den Rücken kehren werde. Darum schwamm sie lieber m i t dem Strom als gegen ihn 2 5 ." M i t dieser Feststellung hatte Held zum Teil Recht. Selbst A r t h u r Rosenberg, der sozialistische Historiagraph der Weimarer Zeit, stelle zur Haltung der sozialistische Historiograph der Weimarer Zeit, stelle zur Haltung sie „ i n erster Linie durch die Stimmung der sozialdemokratischen Arbeitermassen beeinflußt" war, „die nicht dulden wollten, daß die Truppen des Zaren über Deutschland herfielen" 2 6 . Held sah noch einen weiteren Grund für die Haltung der Sozialdemokraten: sie wollten i n folgerichtiger Auswirkung ihrer Realpolitik engste Fühlung m i t ihren Anhängern i m mobilen Heer, i n den Kasernen und Lazaretten unter allen Umständen aufrechterhalten. Den letzten Zweck hatten sie ja bereits erreicht, als der bayerische Kriegsminister am 25. 8.1914 die Verbreitung und den Versand sozialdemokratischer Zeitungen an die Front zuließ 27 . Das Zentrum griff daraufhin i n einem Schreiben vom 2. 11. 1914 an Hertling auch Innenminister von Soden an. Der Erlaß sei eine Maßnahme, die „ i n schreiendem Gegensatz zu der bisherigen grundsätzlichen Haltung der gegenwärtigen Regierung" stehe 28 . Ihre oppositionelle Haltung zu Staat und Gesellschaft hatte die Sozialdemokratie, wie es sich bald in den letzten Kriegsjahren zeigen sollte, nicht aufgegeben. Es bestand also für Held die Gefahr, daß sie diese augenblickliche opportunistische Haltung, „schon jetzt und nach dem Krieg noch viel mehr gegenüber der Regierung und dem Volk auf allen Wegen fruktifizieren wird. Sie w i r d bei erster Gelegenheit ,ihre Verdienste um das Vaterland' diskontieren" 2 9 . 25 Ebd. 26 A. Rosenberg: „Entstehung u n d Geschichte der Weimarer Republik", S. 74. 27 A m 28. 8.1914 konnte die „Münchner Post" die Verfügung des bayerischen Kriegsministeriums veröffentlichen: „Angesichts der H a l t u n g der sozialdemokratischen Partei i n dem gegenwärtigen K r i e g darf der Lektüre u n d Verbreitung ihrer Presse unter den Heeresangehörigen k e i n Hindernis i n den Weg gelegt werden." — „Münchner Post", 198, 28. 8.1914. 28 A S t A M : M I n n 5401. 29 Brief an Soden.
1. Der Versuch eines innenpolitischen Burgfriedens
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I h r gegenwärtiges Notverhalten bedeute keine grundsätzliche Änderung der Sozialdemokratie. Komme man ihr i n diesem Augenblick seitens der Regierung auf irgendeinem Gebiet entgegen, so erwecke dies den Anschein, als ob sie für besondere über die allgemeinen Bürgerpflichten hinausgehende Verdienste honoriert werden sollte, oder als ob der Staat aus Furcht vor der Sozialdemokratie sich ihrer Diktatur gebeugt habe. „Es ist gar nicht auszudenken, zu welchen Konsequenzen ein derartiges Verhalten des Staates führen muß 3 0 ." Sie bekäme damit M i t t e l i n die Hand, nach dem Krieg den Staat zum Kronzeugen für ihre Unübertrefflichkeit ins Feld zu führen und die Volksmassen gegen Monarchie und Staatsgesellschaft erst recht zu verführen. Nach dem Kriege werde sie alle Minen ihrer volksverführerischen Revolutionspropaganda springen lassen. Ihr heute schon dazu von Staats wegen die Munition zu liefern, hielt Held für einen Fehler. Das Übel der Einlullung über die sozialdemokratischen Ziele wirke ja heute schon verheerend. Bis i n die Offizierskreise hinein könne man Urteile über diese Partei hören, die das Schlimmste befürchten ließen. „Umso notwendiger ist es, daß die Staatsregierung nüchtern und realpolitisch die Dinge betrachtet und i n keine Sentimentalität verfällt, die ihr teuer zu stehen kommen würde. M i t dem Kopf, aber nicht mit dem Herzen muß die Politik der Sozialdemokratie gegenüber gemacht werden 3 1 ." Diese Diskussion über eine eventuelle Lockerung der staatlichen Ausnahmegesetzgebung gegen die Sozialdemokratie zeigte, wie tief, wie essentiell die Gegnerschaft Heids zu den Sozialisten war und mit welcher konservativen Treue und Entschiedenheit er jede mögliche Gefahr für die Monarchie und die bestehende Gesellschaftsordnung gebannt wissen wollte. Die Entwicklung gab Held insoweit recht, als es die extremen Sozialisten, nicht die Sozialdemokraten waren, die diese Monarchie stürzten; seinen eigenen Beitrag zum Sturz dieser Monarchie hat aber das Zentrum durch seine reformfeindliche Politik bis 1918 geleistet. Die Revolutionsfrage in der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie blieb beim bayerischen Zentrum bestimmend 32 . Man war nicht bereit, durch eine reformfreundliche Politik, den Versuch zu machen, die Sozialisten mit dem bestehenden Staat zu versöhnen. Dem standen allzu viele ideologische Differenzen entgegen. Daß hier die Staatsregierung oft wesentlich einsichtiger handelte als das Zentrum 30 Ebd. 31 Ebd. 32 „Die Einsicht i n die Notwendigkeit, Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Arbeiterschaft i n den Staat zu integrieren, ist fast allgemein" — diese Feststellung K . L. Ays i n seiner Dissertation, S. 81, gilt zumindest nicht f ü r das Zentrum. 14
Keßler
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zeigte sich ζ. B. in der Beratung des Gemeindebeamtengesetzes. I m ursprünglichen Entwurf der Staatsregierung vom 2.10.1913 war in den A r t i k e l n 12 und 16 ausgeführt, daß der berufsmäßige Gemeindebeamte ebenso wie der Staatsbeamte sich durch eine Bestätigung als Sozialdemokrat der Achtung unwürdig machen würde, die sein Beruf erfordere, und daß er deshalb disziplinär zu ahnden sei. Der Weltkrieg tat auch hier seine Wirkung. Die Staatsregierung nahm ähnlich wie i n der Reversfrage ihre ursprüngliche Auffassung zurück 33 . Der Burgfrieden innerhalb der bayerischen Parteien blieb i m ersten Kriegs jähr zumindest nach außen h i n gewahrt. Dafür sorgte nicht zuletzt die Zensurpolitik des Kriegsministeriums, die jede zwischenparteiliche Polemik zu unterbinden suchte. Die parlamentarischen Verhandlungen i n der Kammer begannen ja erst wieder Ende September 1915, wo dieser Burgfriede bald wieder Risse zeigen sollte. Zunächst aber spielte sich zwischen Zentrum und der Regierung eine bezeichnende Auseinandersetzung ab, die vor allem von Held gegen das Ministerium geführt worden ist. Sie ist bezeichnend insofern, als sie zeigte, wie gespannt das Verhältnis Heids zum „Zentrumsministerium" Hertling immer noch war, und wie scharf man sich bei ergebenden Konflikten begegnete. 2. Die Gemeindewahlen im Herbst 1914 I n Frage der militärischen Zensur, der Ernährungsprobleme und der unterschiedlichen Auffassung der Behandlung der Sozialdemokratie hatte es schon i n den ersten Monaten des Krieges einigen Konfliktstoff zwischen Zentrum und Regierung gegeben. Das gespannte Verhältnis entlud sich nun in der Frage, ob die für Ende 1914 fälligen Gemeindewahlen abzuhalten seien oder ob sie mit Rücksicht auf die Kriegsereignisse nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden sollten. A m 18. 8. 1914 ließ der Innenminister bei den Kreisregierungen anfragen, ob die Gemeindewahlen trotz Krieg abgehalten oder verschoben werden sollten 3 4 . Der bayerische Städteverband sprach sich für die Verschiebung der Wahlen aus 35 , die sozialdemokratische Fraktion ebenso3*. Fast alle Kreisregierungen berichteten von den Wünschen der überwiegenden Zahl der Städte nach Verschiebung der Wahlen. Soden bereitete bereits anfangs Oktober einen entsprechenden Erlaß zur Verschiebung der Wahlen vor. A m 10. Oktober 1914 sprach sich Held i n einem Artikel, den er Soden übermittelte, für die Abhaltung der Wah33 34 35 36
Hinweis auf den Sachverhalt i n M N N , 641, 16.12.1915. A S t A M , M Inn, 54 233, Nr. 3067 g 2. a.a.O. 3067 g 3. a.a.O. 3067 g 4.
2. Die Gemeindewahlen i m Herbst 1914
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len aus. I n einem Begleitbrief bemerkte er, daß er immer mehr zu der Überzeugung komme, „daß es ein Fehler wäre, eine Verschiebung der Wahlen bis nach dem Krieg vorzunehmen. Die parteipolitische Ruhe, die nun mühsam hergestellt ist, w i r d durch eine Wahl unmittelbar nach dem Kriege wieder grausam g e s t ö r t . . . Fällt die Wahl i n die Kriegszeit, werden Kompromisse herbeigeführt werden, durch die jeder Kampf ausgeschlossen werden kann" 3 7 . Außerdem könne die Regierung ohne Notgesetz, das die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der bayerischen Gemeindeordnung über die Gemeindewahlen außer K r a f t setze, eine Verschiebung der Wahlen nicht anordnen. Die preußische Regierung habe sich auf den gleichen Standpunkt gestellt. „Aus praktischen und rechtlichen Erwägungen halte ich es für richtig, wenn die bayerische Staatsregierung den Dingen ihren Lauf läßt 3 8 ." Soden bemerkte zwar i n einer Unterlage für die Besprechung i m Ministerrat vom 14.10.1914, daß bis vor kurzem auch i n der Kammer der A b geordneten die Meinung vorherrschte, daß die Gemeindewahlen verschoben werden sollten. I n jüngster Zeit sei hier ein Wandel eingetreten. Er bezog sich damit auf den Brief Heids vom 10.10.1914. Der Wandel sei anscheinend beeinflußt durch den günstigen Fortgang des Krieges und die Tatsache, daß i n Preußen die Wahlen trotz des Krieges stattfänden. Damit sei eine Verschiebung schlecht zu rechtfertigen 3 9 . Angesichts der Stellungnahme Heids, die er für eine Entscheidung der Fraktion hielt, plädierte Soden i m Ministerrat für A b haltung der Wahlen. Der Ministerrat Schloß sich dieser Meinung am 14.10.1914 an 40 . A m selben Tag hatte noch Casselmann „ i m Namen der liberalen Fraktion u m Ausfall der Wahl" gebeten 41 . A m 15. Oktober wurde an die Parteiführer der Ministerratsbeschluß weitergeleitet. I n einem Brief an Casselmann vom 19. Oktober wies Soden neben den rechtlichen Bedenken und dem Hinweis auf Preußen darauf hin, daß sich durch „den bestimmten Widerspruch gegen die Verschiebung der Wahlen, der i n der jüngsten Zeit aus führenden Kreisen der Zentrumspartei laut geworden ist, die Sachlage wesentlich geändert" habe 42 . Liberale und Sozialdemokraten griffen daraufhin das Zentrum an, daß es aus parteiegoistischem Denken die Wahlen abhalten lassen wolle. Es kam zu einer heftigen Pressefehde. Held wurde der Vorw u r f „einer unfairen Beeinflussimg der Staatsregierung" gemacht 43 . 37 A S t A M , M I n n 54233. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 A S t A M , M A 99511, Nr. 70. 41 A S t A M , M Inn, 54233. 42 Ebd. 43 zitiert i n RA, 559, 4.11.1914. 14*
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Dagegen behauptete Held, daß die Zentrumspartei „keinerlei Einfluß auf die Entschlüsse der Staatsregierung genommen hat" 4 4 . I n einem Brief an Soden vom 4.11.1914 beschwerte sich Held, daß der Zensor einen Artikel, den er zur Verteidigung der Staatsregierung und seiner Partei habe schreiben wollen, durch seinen Zensurstift „ i n unglaublicher Weise verunstaltet" habe; „während ,Münchner Post', Münchner Neueste Nachrichten', ,Augsburger Abendzeitung', ,Fränkischer Kurier' und andere Presseorgane der Linken die Staatsregierung fortwährend aufs heftigste verdächtigen dürfen, . . . , w i r d es der Zentrumspresse unmöglich gemacht, für die Staatsregierung entsprechend einzutreten . .. Eine solche politische Zensur ist nicht zu ertragen und gereicht der Staatsregierung selbst zum großen Schaden" 45 . I m übrigen sei sein Brief vom 10. 10. 1914 seine „Privatmeinung gewesen, die nach keiner Richtung den Charakter einer parteioffiziellen oder offiziösen Einflußnahme hatte" 4 6 . Es kam i m Gefolge dieses Briefes zu einer harten Auseinandersetzung zwischen Held und Soden. I n einem Brief vom 5. 11. 1914 antwortete Soden, er habe Heids Brief vom 10.10. „unmöglich anders als die Meinung des Vorsitzenden der Zentrumsfraktion entgegennehmen" können 4 7 . Zugleich ließ Soden in der „Bayerischen Staatszeitung" eine Erklärung der Regierung veröffentlichen, i n der festgestellt wurde, daß auf Grund von Verhandlungen m i t führenden Mitgliedern der Abgeordnetenkammer, „darunter auch Abgeordneter Held", die Staatsregierung zu der Überzeugung kommen mußte, „daß eine einmütige Stellungnahme der Parteien, die eine notwendige Voraussetzung für die Verschiebung der Gemeindewahlen durch eine einfache Verwaltungsverfügung gewesen wäre, nicht zu erzielen sei. Dabei habe es sich von selbst verstanden, daß die Meinungsäußerungen des Abgeordneten Held nicht als Auffassung eines Privatmannes, sondern als die des Abgeordneten und Vorsitzenden der Zentrumsfraktion i n Betracht zu kommen hatten" 4 8 . Damit war Held die Schuld zugeschoben worden. Als Held versuchte, eine Berichtigung der ministeriellen Darstellung in der „Bayerischen Staatszeitung" zu bringen, warnte i h n Ministerpräsident Hertling in einem Telegramm vom 9.11. 1914, er solle seine Berichtigung zurückziehen, „da sonst weitere peinliche Schritte nicht zu vermeiden" 4 9 seien. Trotzdem versuchte Held, i m „Regensburger A n -
44 45 46 47 48 49
RA, 559, 4. 11. 1914. M Inn, 54233, 3067 g 46. Ebd. M Inn, 54233, 3067 g 47. BStz, 262, 7.11. 1914. AHR.
2. Die Gemeindewahlen i m Herbst 1914
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zeiger" nachzuweisen, daß die Staatsregierung m i t i h m i n der umstrittenen Frage nicht verhandelt habe. Er habe nur zweimal m i t Soden gesprochen und i h m dabei gesagt, daß er eine „Verschiebung der Wahlen nur auf Grund eines durch den Landtag zu erstellenden Notgesetzes für möglich" halte 5 0 . I n einer Notiz zu der Auseinandersetzung mit Held gab Soden dann auch zu, daß die Darstellung der Gespräche Soden-Held i m „Regensburger Anzeiger" Nr. 566 „ i m allgemeinen richtig" sei. Er, Soden, habe nur über die Frage der Zulässigkeit der Verschiebung der Wahlen mittels Verwaltungsakts eine andere Auffassung gehabt. Heids Auffassung sei „mehr akademisch" gewesen 51 . Damit war ein charakteristischer Zug für Heids politisches Denken angesprochen worden: sein starkes Rechtsempfinden und sein unbedingtes Festhalten an bestehenden Gesetzen, auch wenn es nur um ein Gesetz zur Abhaltung der Gemeindewahl ging, über das sich Soden m i t einer Verwaltungsverfügung hatte hinwegsetzen wollen, während Held diese Kompetenz nur dem verfassungsmäßigen Organ des Landtags mittels eines Notgesetzes zubilligen wollte. Die Affäre machte aber noch eine andere Seite der politischen Struktur Bayerns deutlich: die ängstliche Zentrumshörigkeit des Ministeriums. Obwohl Held nur seine „persönliche Meinung", wie er glaubhaft nachweisen konnte, kundgetan hatte, war das Ministerium bereitwillig darauf eingegangen, obwohl alle anderen Fraktionen in der Kammer und die politische Öffentlichkeit für Verschiebung der Wahlen plädiert hatten 5 2 . Bei der nun einsetzenden Debatte in der Öffentlichkeit, wer denn nun eigentlich die Verschiebung verhindert hätte, versuchte das Ministerium i m Interesse der eigenen Autorität die Schuld auf Held abzuschieben. Die Auseinandersetzungen ließen das Verhältnis Zentrum — Regierung merklich abkühlen. I n einem Brief an Hertling beschwerte sich Held über das Vorgehen Sodens gegen ihn. Sie stelle eine „Brüskierung derjenigen Fraktion und ihres Vorsitzenden dar, die bisher allein i m schweren Kampf mit den Gegnern die Stütze der Staatsregierung und die praktische Voraussetzung der Wirkungsmöglichkeit dieses Staatsministeriums gewesen i s t . . . Es ist die alte Geschichte: man glaubt, das Zentrum und seine Mitglieder zur schweigsamen Erduldung aller und jeder Rücksichtslosigkeit u m der höheren Gemeinsamkeitsinteressen willen verpflichtet und baut auf die stets bewährte, bis zur Selbstvernichtung 50 RA, 566, 8.11. 1914. si M Inn, 54233. 52 W i l l y Albrecht macht i n seiner Dissertation auf die sich hier zeigende beliebte T a k t i k des Zentrums aufmerksam: M a n machte der Regierung durch „private" Briefe führender Männer seinen Standpunkt deutlich. Die privaten Meinungsäußerungen hatten den Vorteil, daß sie auf die Regierung fast denselben Druck ausübten, aber doch wieder die Möglichkeit boten, davon abzurücken.
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gehende Treue und Opferfreude der Zentrumsleute" 5 3 . Held fühlte sich in der Rolle des verkannten und schlecht behandelten Regierungsgehilfen, den man auch je nach Notwendigkeit einmal ungerecht behandeln konnte und der deshalb keine Schwierigkeiten machte, weil er ja zur Loyalität gegenüber einem Zentrumsministerium verpflichtet war. Auch noch i n anderen Punkten hatte das Zentrum über ungerechte Behandlung der eigenen Partei und der Bevorzugung der Gegner durch das Ministerium zu klagen. Es war die militärische und politische Pressezensur. 3. Handhabung der Pressezensur Die Zensurpolitik des Kriegsministeriums war schon i m Herbst 1914 für das Zentrum Anlaß zur Klage. I n den Auseinandersetzungen um die Abhaltung der Gemeindewahlen hatte sich Held schon am 4. 11. 1914 beim Innenminister gegen die einseitige Handhabung der Pressezensur gegen die Zentrumsblätter, insbesondere auch sein eigenes Blatt beschwert 54 : „Die Linkspresse ist ungestört von der Zensur und hat freien Paß." Held bat dringend, „daß die Zensur gleichmäßig geübt wird"55. Bayern hatte auch i m Kriege seine Militärhoheit i m eigenen Lande behalten und konnte demnach auch die Pressezensur selbst ausüben. Man war i m Pressereferat des bayerischen Kriegsministeriums, das der Oberstleutnant Alfons Falkner von Sonnenburg leitete, bestrebt, alle Pressepolemiken, die den innerpolitischen Burgfrieden stören konnten, zu verhindern 5 6 . Die liberalen und sozialdemokratischen Zeitungen i n München bekamen meistens mündliche Hinweise, i n denen freizügiger verfahren wurde, während die Zentrumspresse, die ihre Hauptorgane zum größten Teil i n der Provinz hatte „von dem der Kreisregierung zugeteilten Zensor beaufsichtigt wurde, der streng nach den dienstlich-militärischen Anweisungen vorging und meist auch selbst wenig politisches Fingerspitzengefühl zeigte. Außerdem war eine Flut von Erlassen zu einzelnen Fragen an die Presse gegangen, die man nicht mehr übersehen konnte. I m Finanzausschuß berichtete Held im Herbst 1915, er habe bereits i m ersten Kriegsjahr „an die 2000 Verordnungen bekommen" 5 7 . Die Zensoren selbst zeigten nicht immer die 53 Brief Heids an H e r t l i n g v o m 11.11.1914; Abschrift i n A H R . 54 A S t A M , M I n n 54233, Nr. 3067 g 46. 55 Ebd. 56 Siehe Erlaß des Generalstabs des Feldheeres an das Bayerische Kriegsministerium über die „ H a l t u n g der Presse". B K A M : M K r 13587, Nr. 27087. 57 I I . Ausschuß I I B. Nr. 1968 a Beil. 22.
3. Handhabung der Pressezensur
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volle Objektivität. I h m selbst seien dutzende Male Stellen aus A r t i keln „ i n der einfältigsten Weise herausgestrichen worden, die wirklich dem deutschen Vaterland gar nichts geschadet hätten" 5 8 . Ein konfessionspolitischer A r t i k e l Heids, i n dem er gegen einen freireligiösen „Bund für Suchende" als einer „neuen Kampfansage gegen das positive Christentum" 5 9 polemisiert hatte, wurde von der zuständigen Stelle i n Berlin i n der weiteren Verbreitung unterbunden 6 0 . Z u einem vom Regensburger Zensor gestrichenen A r t i k e l i m „Regensburger Morgenblatt", über den sich Held beim Innenminister beschwerte, bemerkte der zuständige Referent i m Pressereferat, Generalmajor Köberle selbst: „Es ist meines Erachtens i n der Tat nicht einzusehen, warum die fraglichen Stellen gestrichen wurden 6 1 ." Vor allem Dr. Heim kam sehr oft i n Konflikt mit der Zensur durch seine Angriffe auf die Ernährungspolitik des Innenministeriums 6 2 . Eine gewisse Einseitigkeit i n der Handhabung der Pressezensur lag eindeutig vor. Während die „Münchner Post" 6 3 leidenschaftlich gegen die Kriegsziele des Bauernbundes, der Industriellenverbände anläßlich ihrer Eingabe an den Reichskanzler unzensiert polemisieren und für einen annexionslosen Verständigungsfrieden eintreten konnte, wurde eine Nummer der „Münchner Zeitung" beschlagnahmt, die offen die „Besitzergreifung Belgiens" gefordert hatte 6 4 . Die offizielle Kriegspolitik Bethmann-Hollwegs wurde durch die offizielle Zensur geschützt. Dieser Tatsache fiel auch eine stark annexionistische Rede des bayerischen Königs zum Opfer, der auf dem Kanaltag am 6. Juni 1915 i n F ü r t h als deutsches Kriegsziel bezeichnet hatte, „einen direkten Ausgang vom Rhein zum Meer" zu bekommen 65 . Bemerkenswert war, daß bis zum Mai 1915 nur zwei Zeitungen je einmal auf 3 Tage verboten wurden; es waren ausgerechnet zwei Zentrumsblätter: die „Augsburger Postzeitung" und die „Donau Zeitung" 58 Ebd. 59 R A v o m 21. 9.1914. co Die Entscheidung i n B e r l i n w i r d a m 6.10.1914 zur Kenntnisnahme an das bayerische Kriegsministerium übersandt. M K r . 13857, Nr. 39391. ei M K r . 13858, Nr. 50102. 62 M i t Verfügung v o m 15.2.1915 des stellvertretenden Generalkommandos I I I wurde die Broschüre Dr. Heims „Landwirtschaft u n d Volksernährung" verboten. M K r . 13860, Nr. 15415. 63 Nr. 60, 12. 3.1915. 64 Der alldeutsch gesinnte Graf Bothmer, Schriftleiter der „Münchner Zeitung" führte darüber Klage bei Hertling: M K r . 13862, Nr. 29040/15. 65 Der richtige Wortlaut der Rede w a r i n M N N , 285, 7. 6.1915 abgedruckt. I n der „Bayerischen Staatszeitung", 130, 8. 6.1915 erschien die von der Zensur redigierte Fassung des Passus, der den K ö n i g n u r mehr von „günstigeren Verbindungen zum Meer" für Süd- u n d Westdeutschland hatte reden lassen. I n einem Erlaß v o m 7. 6.1915 macht die offizielle Zensur den Zeitungen zur Auflage, daß n u r die Version der „Bayerischen Staatszeitung" verbreitet werden dürfe. M K r . 13863, Nr. 53326.
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Pichlers 66 . Das Kriegsministerlum unterwarf jede Erörterung der Friedensfragen seiner Zensur, um den Burgfrieden zu wahren und um den Eindruck zu verhindern, „daß der entschlossene Volkswille zum Siege schwankend geworden sei" 6 7 . I n einem Erfahrungsbericht vom 30.6.1915 stellte das Kriegsministerium fest, daß die sozialdemokratische Presse seit Kriegsbeginn eine „höchst anerkennenswerte Loyalität bewiesen" habe. Auch die Zentrumsblätter hätten sich durchaus g u t w i l l i g erwiesen. Nur sei auf dieser Seite „stets eine gewisse Empfindlichkeit zu bemerken gegenüber Eingriffen der Zensur, welche bei Verletzung des konfessionellen Burgfriedens notwendig waren" 6 8 . Ende Juni 1915 kam es i m bayerischen Kabinett zu Auseinandersetzungen über die Handhabung der bayerischen Pressezensur. Innenminister Soden kritisierte Kriegsminister Kress wegen allzu großer Nachsicht bei der Zensur von sozialdemokratischen Zeitungen 6 9 . Ende 1915 wurde die K r i t i k an der Pressezensur von Zentrumsseite aus heftiger. A m 13. 9.1915 beschwerte sich Schlittenbauer „über die unterschiedliche Behandlung, welche die oberste Zensurbehörde gegenüber dem Bauernverein und den sogenannten Aufklärungsversammlungen der Sozialdemokratie über die Teuerung beliebte" 7 0 . I n den sogenannten Teuerungsversammlungen der Sozialdemokraten werde einseitig gegen die Bauern gehetzt. Die immer stärker auftretende K l u f t zwischen Produzenten — und Konsumenteninteressen wurde hier bereits klar angesprochen. Das Zent r u m vertrat vor allem i n seinem bäuerlichen Teil die Interessen der Produzenten. Klarer w i r d sich das noch i n den Teuerungsdebatten der Kammer der Abgeordneten zeigen. Besonders die „Münchner Post" könnte ungehindert von der Zensur ihre Angriffe gegen die Landwirtschaft betreiben 71 . Ein schwerer Konflikt zwischen Zentrum, insbesondere Held und der Zensurbehörde entwickelte sich in der Frage der zukünftigen Stellung 66 M K r . 13863, Nr. 38897. 67 M K r . 13863, Nr. 59577 v o m 26. 6.1915. 68 M K r . 13864, Nr. 52380. 69 Kriegsminister Kress verteidigte sich am 10.7.1916 m i t einem Rundschreiben an die Kabinettskollegen (GStAM, M A 94814, Fase. 3 Nr. I 12869) m i t dem Hinweis, daß sich die sämtlichen Parteien i n der K a m m e r i n dem Wunsch nach einer M i l d e r u n g der Zensur einig seien. V o n seinen Kabinettskollegen sei vor allem ein strengeres Vorgehen der Zensur gegen die „Münchner Post" verlangt worden. E i n etwaiges Verbot wäre aber f ü r die sozialdemokratische Zeitung „als Reklame für Parteizwecke n u r erwünscht". Dadurch würde aber die radikale L i n k e innerhalb der Sozialdemokratie n u r gestärkt u n d die national gerichtete sozialdemokratische Mehrheitspartei immer mehr an Boden verlieren. Damit erwies sich Kress als wesentlich einsichtigerer Politiker als seine v o m Z e n t r u m scharf gemachten Kabinettskollegen. 70 M K r , 13867, Nr. 87607. 71 So i n Nr. 168, 22. 7. 1915; Nr. 178, 3. 8.1915; Nr. 183, 8. 8.1915.
3. Handhabung der Pressezensur
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der Reichslande Elsaß-Lothringen. Der Konflikt war höchst politisch, weil i n dieser Sache eine bayerische Kriegszielforderung lag 7 2 . I n der „Frankfurter Zeitung" 7 3 erschien i m November 1915 ein Artikel, der ein staatliches Aufgehen der Reichslande i n Preußen befürwortete. Damit war ein wesentliches Problem der bayerischen Politik und vor allem eine Frage öffentlich angesprochen, m i t der Held sich bereits i m Auftrag der bayerischen Regierung und des Königs befaßt hatte. Ein von Held der „Zentrums Parlaments Korrespondenz" übergebener A r tikel, der auf die „Frankfurter Zeitung" hätte antworten sollen, wurde von der bayerischen Zensurbehörde als nicht „opportun" 7 4 abgelehnt und die Druckgenehmigung versagt. Daraufhin beschwerte sich Held direkt beim Kriegsminister von Kreß am 18. 11. 191575. Held fürchtete, daß „die bedauerlichen Darlegungen des Frankfurter Blattes und seine ungeheuren Verdächtigungen Bayerns unwidersprochen bleiben. Das kann unmöglich i m Interesse Bayerns liegen und würde auch kaum in den Intentionen der bayerischen Staatsregierung liegen". Seine Parteifreunde seien der Meinung, daß es „uns nicht verwehrt werden darf, vom bayerischen Standpunkt aus der „Frankfurter Zeitung" entgegenzutreten. W i r sind daher über das Vorgehen der bayerischen Zensur gegen meinen A r t i k e l höchst indigniert und müssen es uns vorbehalten, eventuell bei Beratung des Etats des Kgl. Staatsministeriums des Äußeren die Gelegenheit wahrzunehmen, vor aller Öffentlichkeit die entsprechende A n t w o r t auf die Angriffe der „Frankfurter Zeitung" zu geben." I h m müsse das gleiche Recht eingeräumt werden, zumindest das Recht der Verteidigung. Der Kriegsminister gab die Entscheidung an Hertling weiter. Der Ministerpräsident hielt das Erscheinen des Heldschen Artikels ebenfalls „für politisch inopportun" 7 6 . Das Zentrum war darüber sehr erbost. Trotzdem erschien der A r t i k e l Heids i n der „Pfälzer Zeitung" 7 7 , ohne daß ihn die Zensur hatte verhindern können. Nachdem aber sein A r t i k e l offiziell abgelehnt worden war, gab Held eine seinem wesentlichen Inhalt entsprechende Erklärung am 25. 11. 1915 i n der Kammer der Abgeordneten ab 7 8 . I n dem von der Zensur unterbundenen A r t i k e l hatte Held schon den Linksliberalismus, wie er von der „Frankfurter Zeitung" vertreten 72 ü b e r den sachlichen I n h a l t der Kontroverse siehe das K a p i t e l „Bayerische Kriegszielpolitik". 73 Nr. 312, 10.11.1915. 74 M K r , 13870, Nr. 109922. 75 M K r , 13870, Nr. 110023. 76 M K r , 13870, Nr. 110233. 77 Nr. 270/271, v o m 19./20.11. 1915. 78 Sten. Ber. 1915, Bd. 13, S. 78.
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X . Der erste Weltkrieg
worden war, heftig angegriffen. Die Polemik wurde i m „Regensburger Anzeiger" verbunden m i t Angriffen auf die Sozialdemokratie fortgesetzt, so daß die Zensur einschritt 79 . Diese Tatsache beweist, wie brüchig inzwischen der Burgfrieden geworden war. I m August 1916 wurde die strenge Zensur innerpolitischer und volkswirtschaftlicher Fragen von Berlin aus wesentlich gelockert. Das Bayerische Kriegsministerium übernahm die Verfügung mit der Bemerkung: „Von ganz besonderer Bedeutung ist diese Richtlinie der obersten Heeresleitung m i t Rücksicht auf die wiederholten Versuche des Kgl. Staatsministerium des Innern, die obersten Militärbefehlshaber dafür zu gewinnen, die Presse i n ihren Äußerungen über innerpolitische Fragen einzuschränken 80 ." Die genannten Versuche des Kriegsministers hatten vor allem das Ziel, die i m Sommer 1916 entbrannte heftige alldeutsche Agitation der Kanzlersturzbewegung und des U-Bootkrieges zu unterbinden. Das Verbot der territorialen Kriegszielerörterungen wurde auch trotz häufig vorkommender Durchbrechungen weiter aufrechterhalten 81 . Schlittenbauer war für eine Rede i n Tuntenhausen von der Zensurbehörde die Auflage gemacht worden: „Keine Angriffe auf den Reichskanzler und die Ernährungsverordnung 8 2 ." I m Dezember 1916 wurde auch i n Bayern die sachliche Erörterung der Kriegsziele freigegeben 83 . M i t der Frage der Zensur war auch das Problem des Verhältnisses Bayern — Reich verbunden. Die Versuche Berlins mittels Zensurbestimmungen i n den politischen Bereich Bayerns einzugreifen, wurde vom Zentrum mit größtem Mißtrauen verfolgt, so daß eine Zentrumdelegation unter Leitung Heids am 19. September 1916 bei Hertling vorstellig wurde und ihn bat, die Staatsregierung möge die bayerischen Staatshoheitsrechte auch während des Krieges, „insbesondere soweit die Handhabung der Zensur i n Frage kommt" nachdrücklichst vertreten 8 4 . 4. Landtagssession 1915/16 Bereits i m Frühjahr 1915 war von der Regierung von liberaler und sozialdemokratischer Seite die Einberufung des Landtags gefordert worden. Hertling konnte aber den Beginn der neuen Session bis zum Herbst 1915 hinauszögern 85 . A m 29. Sept. 1915 trat die Kammer der 79 M K r , 13871, Nr. 119137. so M K r , 13880, Nr. 78226. 81 Ebd. 82 M K r , 13882, Nr. 101072/16. 83 M K r , 13885, Nr. 138267. 84 GStAM, M A I 978. 85 Die Schuld an der verspäteten Eröffnung der Session wurde dem Zent r u m angelastet: „Münchner Post", 68, 23.3.1915, zieht den Schluß, daß das
4. Landtagssession 1915/16
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Abgeordneten zusammen und tagte bis zum 12. J u l i 191686. Die Tagung selbst stand noch i m Zeichen des interparteilichen Burgfriedens, doch schien er zeitweise durch die Auseinandersetzungen u m den Eisenbahnerrevers durch die Haltung des Zentrums gefährdet. Die Eröffnungsrede Hertlings fand den Beifall des ganzen Hauses; er hatte besonders das patriotische Verhalten der Arbeiterverbände hervorgehoben und erklärt, daß es „bei der bayerischen Regierung unvergessen bleiben w i r d " 8 7 . Damit war die Bereitschaft der Regierung angedeutet worden, in der Frage des Reverses nachzugeben. Die Sozialdemokraten hatten i n dieser Frage bereits eine Interpellation eingebracht, deren Beantwortung Hertling auf Anfang November verschob. Die Aussprache über die Erklärung Hertlings begann am 6. Okt. 1915 i m Finanzausschuß, der auf 28 Mitglieder erweitert worden war und i n dem nun das Hauptgewicht der Verhandlungen lag. Als erster Redner beklagte Giehrl vor allem die Handhabung der Zensur und zeigte i n der Reversfrage eine zweideutige Haltung; er und seine Freunde ständen auf dem grundsätzlichen Standpunkt, „daß beim Verkehrspersonal ein Streik unter allen Umständen ausgeschlossen sein müsse" 88 . Die Sozialdemokraten und Liberalen verlangten die endgültige Aufhebung des Reverses. Held sprach i n seiner Rede die Erwartung aus, daß der Krieg die politischen und konfessionellen Gegensätze möglichst mildern werde. Von den Sozialdemokraten verlangte er, daß sie „von der Revolution zur Reform übergingen, daß sie den Wert der Monarchie anerkennen würden, deren Wert für ein geordnetes Völker- und Staatsleben gerade dieser Krieg klar erkennen lasse" 89 . Das Wort von Klassenkampf dürfe nicht mehr fallen. Die Klassen sollten miteinander in einer sozialen Reform versöhnt werden. Vom Sozialdemokraten Segitz mußte sich Held aber sagen lassen: „er bewundere die Kühnheit des Abgeordneten Held, von der Sozialdemokratie nach dem Kriege die Aufgabe ihrer Grundsätze zu verlangen . . . der Klassenkampf könne nicht mit einer einfachen Handbewegung hinweggewischt werden, er sei in den sozialen Zentrum „gegen eine Kriegstagung sein Gewicht i n die Waagschale gelegt hat". „Fränkische Tagespost" v o m 23.3.1915: „Regensburg w i l l nicht, M ü n chen muß sich fügen." Die Frage, ob das Z e n t r u m tatsächlich eine Frühjahrstagung verhindert hat, läßt sich nicht entscheiden. 86 Während der landtagslosen Zeit traf sich die Vorstandschaft der Zentrumsfraktion fünfmal. I n der Sitzung v o m 30. J u n i 1915 w u r d e n ζ. B. folgende Themen behandelt: Die Lebensmittelversorgung, Lebensmittelpreise, die Frage der Erhöhung des Braukontingents u n d der Einteilung der v o r handenen Bierquanten; nach RA, 335, 8.7.1915. 87 Sten. Ber. 1915, Bd. 13, S. 14. 88 B L A M , I I . Ausschuß, I I Β , Nr. 1968 a, S. 4. 89 B L A M , I I , Ausschuß, I I Β , Nr. 1968 a, Beil. 22.
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X . Der erste Weltkrieg
Verhältnissen verankert 9 0 ." Auch Held begrüßte die Haltung der A r beiterschaft zu Beginn des Krieges. Zur Reversfrage meinte er, das Zentrum „verzichte gern auf denselben, es müsse aber irgendwelche Garantie gegen die Gefahr eines Eisenbahnstreiks geschaffen werden" 9 1 . Wenn diese Garantie gegeben sei, werde von Seiten des Zentrums der Staatsregierung keine Schwierigkeit gemacht, wenn sie den Augenblick für gekommen erachte, den Revers fallen zu lassen 92 . I n der Frage des Reverses war das Zentrum also bereit, nachzugeben; die skeptische Haltung Heids und seine grundsätzliche Gegnerschaft zur Sozialdemokratie, von der er nach wie vor annehmen mußte, daß sie nicht von der Revolution zur Reform übergehen werde, zeigte sich i m Gemeindebeamtengesetzausschuß. Hier vertrat er erneut, wie schon vor dem Kriege die Meinung, daß es einem Gemeindebeamten nicht erlaubt sein könne, einer Partei anzugehören, die die Monarchie angreife oder dem Klassenkampf huldige 9 3 . I n dieser Frage geriet Held in Gegensatz zu seiner eigenen Partei, als der Zentrumsabgeordnete Frank die Meinung vertrat, das Zentrum plädiere nicht dafür, daß den Gemeindebeamten die Mitgliedschaft i n sozialistischen Vereinen verboten werden solle 94 . A m 24. November 1915 zog Hertling i n der Kammer der Abgeordneten den Eisenbahnrevers zurück; er war durch eine Bestimmung der Dienstordnung bezüglich des Streikverbotes für Eisenbahner ersetzt worden. Damit war der Stein des Anstoßes einer Ausnahmegesetzgebung gegen die Sozialdemokratie beseitigt worden. Die Entspannung des politischen Klimas zwischen Sozialdemokratie und Zentrum währte nicht lange. Bald verschärften sich die Gegensätze wieder in der Frage der Kriegs- und Ernährungswirtschaft und der schon i m Frühjahr 1916 eingesetzten Kriegszieldiskussionen und der Friedenspropaganda. I n der Kriegswirtschafts- und Ernährungsdebatte trat Held weniger hervor, hier führte vor allem Schlittenbauer das Wort für das Zentrum und verteidigte die Interessen der landwirtschaftlichen Produzenten gegen die Angriffe der Sozialdemokraten, die die Interessen der städtischen Konsumenten zu vertreten suchten. Auch im Krieg konnte der alte Streit zwischen Zentrum und Rotblock über die K u l t u r p o l i t i k nicht ruhen. Bei der Beratung des Volksschuletats i m Frühjahr 1916 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Der Zentrumsabgeordnete Wohlmuth drängte die Regierung, ihre Bemühungen um die Verchristlichung der Schulen zu verstärken. 90 91 92 93 94
B L A M , I I . Ausschuß, 1968 a, Beil. 31. Ebd. Ebd. Sten. Ber. 1915, Beil. Bd. 11, Beil. 1211, S. 736 ff. a.a.O., S. 741.
4. Landtagssession 1915/16
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Bereits Ende des Jahres 1915 sprach Held i m Landtag ein Thema an, das i n den folgenden Kriegsjahren zu einem für ihn entscheidenden Thema werden sollte: die foederativen Grundlagen des Deutschen Reiches mußten unversehrt erhalten bleiben. Die Erhaltung der bayerischen Reservate war für ihn die Grundbedingung für den Bestand der politischen Selbständigkeit Bayerns und seines Einflusses i m Reich 95 . Gefahren drohten hier vor allem von den Berliner Kriegsgesellschaften und der Zensur. I m Juni 1916 wandte sich Held scharf ablehnend gegen jede A r t einer Reichseisenbahngemeinschaft i m Sinne des A u f gebens der Selbständigkeit der bayerischen Staatsbahnen 96 . Die Liberalen hatten für eine enge Verschmelzung aller deutschen Bahnen zu gemeinsamer Verwaltung plädiert. Zu den bereits bestehenden konfessions- und kulturpolitischen Differenzen zwischen Held und den L i beralen kam jetzt auch noch i n den Augen Heids die Bereitschaft der Liberalen, zugunsten einer stärkeren Reichsgewalt und Reichseinheitlichkeit, den Ausverkauf und die Unterhöhlung bayerischer Staatlichkeit und ihrer Reservate zu unterstützen oder zumindest nicht genügend Gegenwehr zu leisten. A m 12. J u l i 1916 Schloß der Landtag seine Beratungen. Der sogenannte Burgfriede der Parteien war zwar nach außen h i n erhalten worden, aber er hatte schon Risse gezeigt, so daß der sozialdemokratische Abgeordnete Profit nicht ganz unrecht hatte, als er feststellte: „Was w i r jetzt als Burgfriede bezeichnen, ist meines Erachtens auch kein Burgfrieden, es ist ein Stellungskrieg 9 7 ." Denn schon i m Sommer 1916 wurde der Burgfrieden durch die einsetzende Kriegszieldiskussion auf alldeutscher-annexionistischer Seite und der Friedenspropaganda auf sozialdemokratischer Seite endgültig zerstört.
95 sten. Ber 1915, Bd. 13, S. 79. 96 Sten. Ber. 1916, Bd. 14, S. 212 ff. 97 Sten. Ber. 1916, Bd. 13, S. 639.
X I . Held und das bayerische Zentrum i n der Kriegszielpolitik 1. Auseinandersetzungen um die deutschen Kriegsziele — Die Kanzlersturzbewegung in Bayern Der Kriegsausbruch, der aufrichtige Glaube, man befinde sich i n einem aufgezwungenen Verteidigungskrieg, brachte auch für Held wie für den deutschen Katholizismus überhaupt eine endgültige Akzeptierung des deutschen Nationalstaates und die Anpassung an seine imperialistische Ideologie. Nationalistische und machtpolitische Forderungen und Argumente wurden übernommen. Z u m Jahreswechsel 1914/15 vollzog sich auch bei Held ein Wandel von der Proklamation des Verteidigungskrieges zur Proklamation von Annexionen. M i t dem Vormarsch der deutschen Truppen i n Osten und Westen änderte sich die Situation, man begann von der Verteidigung auf Annexionen umzudenken. Schon Ende 1914 wurde bei den bürgerlichen Parteien der Wunsch nach Gebietserweiterungen laut. Man wollte Entschädigung für die Opfer, die der Krieg kostete. Held artikulierte die einzelnen Stufen dieser Entwicklung genau: „Der Feind hat uns schmählich überfallen und i n einen Krieg hineingezwungen, der uns unermeßliche Opfer kostet. Diese Opfer und die Sicherheit unserer Zukunft machen es uns zur unabweisbaren Pflicht, die Reichsgrenzen so zu erweitern und auszubauen, daß w i r wirtschaftlich unabhängig und militärisch vor jedem Überfall sicher uns nach dem Kriege einer großen, ungestörten Friedensarbeit i m geistige und materielle Werte schaffenden Wettbewerbe der Volksgenossen und der Völker widmen können 1 ." Deutschland müsse i n Zukunft gesichert sein gegenüber der Bosheit und den Überfällen anderer Länder. Das Kriegsende müsse deshalb dazu benützt werden, diese Gefahr möglichst weit hinauszuschieben. Von Frankreich fürchte er i n Zukunft nicht viel, auch nicht von England, aber die russische Gefahr schien i h m nie stark genug hervorgehoben zu werden. „Werde der Augenblick nicht dazu benutzt, um der russischen Gefahr für Jahrzehnte, vielleicht für Jahrhunderte einen Riegel vorzuschieben, so sei die geeignete Gelegenheit dafür verpaßt 2 ." M i t diesen Formulierungen waren keine konkreten territorialen Ziele genannt. Was Held hier wiedergab, war die Meinimg des größten ι RA, 288, 9. 6.1915. 2 B L A M , I I . Ausschuß, I I B, Nr. 1968 a, Beil. 22.
1. Auseinandersetzungen u m die deutschen Kriegsziele
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Teils des deutschen Zentrums, das i n den ersten drei Jahren grundsätzlich für Gebietserweiterungen eintrat. Man war sich einig darin, daß es nach diesem Krieg „einen status quo ante nicht mehr geben könne" 3 . Belgien stand aber bald i m Mittelpunkt aller Kriegszielerörterungen. Man sah es als Faustpfand und Garantie für Deutschland an. Held hatte an der Formulierung des Beschlusses des Reichsausschusses der Zentrumspartei zum Kriegsziel am 30. Oktober 1915 i n Frankfurt mitgewirkt, i n dem nach „einem verstärkten Schutz unseres Landes i m Osten und Westen" verlangt wurde ohne konkrete Nennung irgendwelcher Ziele. Die Zensur war hier scheinbar tätig gewesen, da Held zur Frage der Kriegsziele des Zentrums auf die Kundgebung des Reichsausschusses verwies, „die nicht durch unsere Schuld leider nur unvollständig hat veröffentlicht werden können" 4 . Auf dem bayerischen Zentrumsparteitag i m März 1916 formulierte er zwar kurz: „Grundsätzlich treten w i r für Annexionen ein, soweit sie notwendig und nützlich sind" 5 , erst i m Februar 1917 wurde Held in seinen territorialen Forderungen deutlicher. I m Finanzausschuß des Landtages erklärte er nach einer Rede Hertlings, die i n der Kriegszieldiskussion sehr mäßigend wirken sollte: „Die Grenzen dürfen nicht bleiben, wie bisher, militärisch, strategisch müssen alle Sicherheiten für uns, Österreich-Ungarn und die Türkei gegeben sein. Annexionen werden sich aus diesem Grund nicht umgehen lassen. Über Belgien müssen w i r i n wirtschaftlicher, verkehrlicher und militärischer Hinsicht eine energische Kontrolle ausüben; w i r müssen auf den Betrieb des Hafens von Antwerpen Einfluß haben und uns Stützpunkte an der flandrischen Küste sichern. Das einzige Mittel, uns vor den Revanchegelüsten Frankreichs in der Zukunft zu schützen, ist unsere Einflußnahme auf Belgien 6 ." M i t diesen Erklärungen befand sich Held i n Ubereinstimmung mit den Rednern der bürgerlichen Parteien i n der Kammer der Abgeordneten. Hammerschmidt von den Liberalen ging noch weiter m i t seinen Forderungen, ebenso Gebhardt von der „Freien Vereinigung". Müller-Meiningen wandte sich zwar gegen eine Annexion Belgiens, meinte aber, „der status quo darf nicht wiederkehren" 7 . I n der Kriegszieldiskussion zerfiel das deutsche Volk aber bald in zwei Lager, wobei auch die Fragen innerpolitischer Reformen eine Rolle spielten. Konservative, Nationalliberale und bis etwa 1917 auch das Zentrum wünschten weitreichende Annexionen, die Sozialdemo3 F. Wacker, Die H a l t u n g der dt. Zentrumspartei, S. 6. 4 Sten. Ber. 1915, Bd. 13, S. 79. δ RA, 153, 25. 3.1916. 6 Aufzeichnungen f ü r das M i n i s t e r i u m des Äußeren über die ausschußsitzung v o m 1.2.1917, G S t A M : M A 97990. b.
Finanz-
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X I . Held u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
kraten andererseits verlangten einen Frieden ohne Annexionen, aber m i t innenpolitischen Reformen. Der Reichskanzler Bethmann-Hollweg selbst war i n bezug auf die Kriegsziele sehr zurückhaltend und versuchte mittels der Zensur die Diskussion zu bremsen. Held war i n der ganzen Kriegszieldiskussion kein wilder Annexionist i m Sinne alldeutscher Propaganda. Bis Ende 1917 blieb er zwar annexionsfreundlich, als sich aber die deutsche militärische Position i m letzten Kriegs jähr verschlechterte, w a r er klug genug, diese genannten Ziele fallenzulassen. I n der leidenschaftlichen Diskussion des Sommers 1916, i n der München zur Zentrale alldeutscher Annexionsagitation geworden war, die sich i n der sogenannten Kanzlersturzbewegung gegen die Kriegspolitik Bethmann-Hollwegs richtete, hielt er sich zurück. I m August 1916 machte Held zusammen mit den Abgeordneten Casselmann und Neußdorffer auf Einladung des bayerischen Kriegsministeriums eine Frontreise durch Nordwestfrankreich und Belgien. Bei dieser Gelegenheit wurden sie auch von Kronprinz Rupprecht empfangen. „Gar tröstlich war für uns sein Urteil über die Kriegslage i n West und Ost, die unerschütterliche Siegeszuversicht, die ihn beherrscht 8 ." Daraufhin besichtigte die Reisegruppe auch die kämpfende Front: „Der Anblick erschütterte uns tief, nun hatten w i r eine Probe von dem, was der Krieg uns bringt, wo er tobt. Bei uns allen wurde der Wunsch rege, hierher möchten Flaumacher, K r i t i k e r und jene törichten Schwätzer geführt werden, die Pläne vertreten, die auch uns den Krieg und Feind ins eigene Land brächten 9 ." I n München hatten sich schon 1914/15 unter dem Druck der Kriegszensur die ersten politischen Zirkel gebildet. Es gab „erste Blasen, die aus dem trügerischen Burgfrieden aufstiegen und die allmähliche Erhitzung der politischen Temperatur i m eingeschlossenen Kessel der deutschen Meinung" 1 0 anzeigten. I m Frühjahr 1916 kam zu der Agitation um die Kriegszielfragen noch die Agitation für den unbeschränkten U-Bootkrieg; gezielt war die Agitation gegen den Reichskanzler, der angeblich den unbeschränkten U-Bootkrieg m i t Rücksicht auf England zu verhindern suchte. Hertling sah diese agitatorischen Umtriebe in München gar nicht gerne; i n einem Brief an den Reichskanzler zeigte er sich besorgt über die „ i n Bayern besonders stark einsetzenden Umtriebe alldeutscher und ihnen nahestehender Kreise" 1 1 . I m sogenannten „Volksausschuß für die rasche Niederkämpfung Englands" sammelten sich diese Kreise. Vom 8 RA, 448, 7. 9.1916. 9 RA, 459, 13. 9. 1916. ίο Κ . A. v. Müller, Mars u n d Venus, S. 66. h G S t A M : M A I 961, Bl. 38.
1. Auseinandersetzungen u m die deutschen Kriegsziele
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Zentrum waren dabei die Abgeordneten Schlittenbauer und Dr. Einhauser führend tätig. Das Zensurreferat des bayerischen Kriegsministeriums stellte i n einem Bericht vom 5. 8.1916 fest, es gebe eine weitverbreitete und mächtige Bewegung, die „darauf abzielt, den Sturz des Reichskanzlers von Bethmann-Hollweg und seine Ersetzung durch einen Mann der starken Hand herbeizuführen" 12 . Die bayerischen Kreise bliesen gerade i m August 1916 zum großen Angriff auf den Kanzler. Heim wandte sich am 6.7.1916 auf einer Versammlung der christlichen Bauernvereine i n München „ i n unerhörter Schärfe gegen die angeblich zu schwächliche Haltung des Reichskanzlers i n der Frage des U-Bootkrieges" 1 3 . Hertling ließ i n scharfer Form i n der „Bayerischen Staatszeitung" die Umtriebe gegen den Kanzler zurückweisen. Hertling hielt es geboten, jene Persönlichkeiten zu „Vertrauen" 1 4 zur Reichsleitung zu mahnen, die sich durch „vermeintliches Besserwissen und eingebildetes Besserkönnen berufen fühlen, . . . gegen unsere führenden Männer Mißtrauen auszustreuen und damit Unruhe und Unfrieden i m Innern des Reiches zu stiften" 1 5 . Hertling verbat sich „eine Agitation, die auf falsche oder ungenügende und oft i n recht bedenklicher Weise erworbene Informationen gestützt bei ihrer K r i t i k Verleumdung und Verdächtigungen niedrigster A r t gegen unsere an leitende Stellen berufenen Staatsmänner geflissentlich verbreitet" 1 6 . Die Haltung Hertlings i n der Zurückweisung der Kanzlersturzagitation hatten neben außenpolitischen und militärischen Gründen noch besondere bayerische Interessen bestimmt, einem Sturz des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg entgegenzuarbeiten, von dem man wußte, daß er auf dem Boden des foederativen Prinzips der Reichsverfassung stand und die vor allem in Norddeutschland starken Bestrebungen zu einer stärkeren Zentralisierung des Reiches und letzten Endes zu einer Umwandlung des foederativen Deutschland i n ein Großpreußen ablehnte. Außerdem mußte Hertling die endgültige Zerstörung des Burgfriedens befürchten, da die Sozialdemokraten schon jetzt dem Ruf nach Annexionen und U-Bootkrieg den Ruf nach einem annexionslosen Frieden entgegensetzten 17 . A m 11. 8.1916 rief der Vorstand der sozial12 M K R 13880, No. 78226. 13 Ebd. 14 RStZ, 174, 29. 7.1916. is Ebd. 16 Ebd. ι 7 A u f einer sozialdemokratischen Versammlung i m September 1916 w u r d e folgende Resolution angenommen: „Unsere Truppen kämpfen u m die Bereitschaft der Gegner zum Frieden. Die Erreichung dieses Zieles w i r d erschwert und hinausgeschoben durch die Treibereien u n d Forderungen der Leute i n der Heimat, die dem Kriege durch A n n e x i o n volksfremder Gebiete den 15
Keßler
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X I . H e l d u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
demokratischen Partei Deutschlands als Antwort auf das Treiben der Annexionisten die Parteigenossen zur Arbeit für die sozialdemokratischen Friedensziele auf: „ N u r für die Sicherheit des deutschen Landes, für dessen politische Selbständigkeit und wirtschaftliche Lebensmöglichkeit kämpft und leidet das deutsche Volk, nicht aber zur Verwirklichung irgendwelcher Eroberungspläne 18 ." Die Haltung des Zentrums i m Reiche und i n Bayern war gespalten. Die der „Kölnischen Volkszeitung" nahestehenden Kreise, vor allem die Konservativen, zeigten starke Sympathien für die Alldeutschen; auch die Unzufriedenheit i n Zentrumskreisen gegen den Kanzler wegen dessen gutem Einvernehmen m i t der Sozialdemokratie spielte eine große Rolle. Ein anderer Teil des Zentrums unterstützte mehr die Haltung des Kanzlers, w e i l sie jede annexionistische Kriegszielpropaganda für schädlich hielt. I h r Organ war das Berliner Zentrumsblatt „Germania" 1 9 . Ein großer Teil des bayerischen Zentrums und vor allem seine bäuerlichen Kreise Schloß sich der radikalen Richtung an. Hier spielte auch dessen innenpolitische Gegnerschaft zur Sozialdemokratie eine große Rolle 2 0 . Schlittenbauer und Heim waren in der bayerischen Kanzlersturzbewegung führend. I n einer Bauernversammlung i n München trat Schlittenbauer „für eine starke rücksichtslose Kriegsführung ein" 2 1 . England sei der deutsche Hauptgegner, bei einer deutschen Niederlage würden die Deutschen „Knechte, Sklaven der Engländer werden" 2 2 . Die Friedensagitation sei „geradezu schädlich, schädlich nach außen, indem sie den Glauben bei den Feinden erzeuge, bei uns sei Matthäi am letzten, schädlich nach innen, w e i l sie schwachen Stimmungen und schwachen Gefühlen Vorschub leisten" 2 3 . Der europäische Friede werde nur durch das deutsche Schwert erzwungen, nur „Hindenburg w i r d uns den ehrenvollen, sicheren Frieden bringen, sonst niemand" 2 4 . I n der gleichen Versammlung hatte auch Heim den Kanzler wieder indirekt wegen seiner schwachen, unentschlossenen Kriegsführung angegriffen. Gefährlich wurde diese Agitation Heims und
Charakter eines Eroberungskrieges f ü r Deutschland geben wollen. Die heutige Versammlung verurteilt aufs schärfste diese Politik, w e i l durch sie der Widerstand der gegen uns K r i e g führenden Mächte gestärkt, die Bestrebungen der Kriegstreiber i m Ausland gefördert werden und so zur Verlängerung des blutigen Gemetzels beitragen w i r d . " — Zit. i n „Münchner Post", 207, 6.9.1916. 18 Zit. i n „Münchner Post", 187, 12. 8.1916. is F. Wacker, a.a.O., S. 14 ff. 20 Vgl. „Münchner Post", 16./17. 7.1916. 21 „Münchner-Augsburger Abendzeitung", 157, 20. 9.1916. 2 2 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd.
1. Auseinandersetzungen u m die deutschen Kriegsziele
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Schlittenbauers vor allem auch deshalb, w e i l sie die K r i t i k an der verfehlten Ernährungspolitik m i t den Angriffen auf die Kriegsführung verbanden. Bereits am 6. J u l i 1916 hatte Heim i n München i n einer Versammlung der Christlichen Bauernverreine über Ernährungsprobleme den Reichskanzler wegen der Verhinderung des unbeschränkten U-Bootkrieges scharf angegriffen, indem er damit die großen Verluste an der Westfront verband: „130.000 Mann hat der Mann auf dem Gewissen" 25 . V i k t o r Naumann berichtet i n seinem Buch „Profile", er sei i m Sommer 1916 von Hertling und Dandl ersucht worden, zu Kardinal Bettinger zu gehen, und zwar aus folgendem Grund: das bayerische Zentrum sei zum Teil völlig i n den Bann des U-Bootkrieges hineingekommen, und eine starke Agitation setze ein, speziell auf dem Lande. Sie würde zum großen Teil vom niederen Klerus unterstützt. Naumann hätte sich, wie er selbst sagt, nicht i n diese bayerischen Angelegenheiten eingemischt, wenn nicht die Agitation eine solche gewesen wäre, daß sie nicht nur den schleunigen Kanzlerwechsel forderte und den Reichskanzler beschuldigte, eine halbe M i l l i o n Deutsche nutzlos geopfert zu haben, sondern daß auch die Monarchen i n den Bauernversammlungen scharf angegriffen wurden und so das monarchische Gefühl i m Volk großen Schaden leiden konnte. „Hertling sah das m i t großem Bedauern 26 ." Naumann konnte mit seiner Mission beim Kardinal wenig erreichen, denn Bettinger sprach sich selbst für den unbeschränkten U-Bootkrieg aus 27 . I m August 1916 stellte Schlittenbauer Held das Protokoll einer Unterredung zu, die Schlittenbauer am 26. August 1916 mit Hertling hatte. Es ist ein Dokument der Meinungen, wie sie vor allem vom rechten Flügel des bayerischen Zentrums artikuliert wurden 2 8 . Schlittenbauer sagte Hertling, Deutschland müsse „den scharfen, planmäßigen U-Bootund Luftkrieg aufnehmen" 29 . Bethmann sei zur Lösung der Krise bei „seinem deliberativen Charakter, bei seinem Mangel an Weitblick und Entscheidungsfähigkeit nicht der geeignete Mann. I m Innern treibe der 25 Brief Hertlings an Lerchenfeld v o m 13.7.1916, G S t A M : M A I 958. 26 V. Naumann, „Profile", S. 342. 27 Ebd. 28 Das Protokoll trägt das D a t u m v o m 26.8.1916 — A H R . Bereits am 24. 8.1916 hatte Schlittenbauer, w i e er es i n dem Protokoll selbst vermerkt, i n einem Schreiben an H e r t l i n g seine „persönlichen Bedenken u n d Befürchtungen wegen unserer politischen u n d militärischen Leitung ausgesprochen" und die Handhabung der Zensur als Unterdrückung der Wahrheit durch die bayerische Regierung nachdrücklich getadelt. Schlittenbauer hatte erwartet, daß H e r t l i n g wegen der Schärfe des Briefes überhaupt nicht reagiere. „Gleichwohl ließ mich H e r r von H e r t l i n g . . . b i t t e n anderen Tages zu i h m zu kommen." 29 Ebd. 15*
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X I . H e l d u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
Kanzler eine unglückliche Politik: die freie Meinungsäußerung werde rücksichtlos durch die Zensur unterdrückt, die augenblicklich nichts anderes mehr sei als „ein Schutzschirm für die Politik des Kanzlers". Die sozialdemokratische Presse würde geschont, die besorgten Patrioten aber unterdrückt. Der Kanzler pflegte eine enge Liaison m i t jüdischen und linksstehenden Elementen, er müsse sich wieder mehr nach rechts anlehnen 30 . Wer sein Vaterland liebe, könne kein Vertrauen zur Leitung des Reiches haben. Er bedauerte die Degradierung Hindenburgs. „ Z u m Schluß bemerkte ich, daß meines Erachtens die Quelle aller Inkonsequenz in der Vergangenheit bei dem wandelbaren Charakter des Kaisers liege 3 1 ." Schlittenbauer unterzog auch das Verhalten der Staatsregierung einer scharfen K r i t i k . Der A r t i k e l der „Bayerischen Staatszeitung" vom 29. J u l i 1916, in dem die Kanzlerstürzler kritisiert worden waren, habe zu einer wüsten Hetze gegen die Gegner der Kanzlerpolitik geführt und die „Freunde einer starken Politik" kritisiert. Hertling entließ Schlittenbauer mit der Bitte „Vertrauen zu haben" und i n seinen Kreisen „dahin zu wirken, daß die Leute Vertrauen faßten" 3 2 . Hertling war nicht nur wegen der persönlichen Form des Kampfes gegen den Kanzler über die Alldeutschen empört, sondern auch deshalb, w e i l sie München zur Zentrale ihrer Agitation machten und weil auch Teile des Zentrums gegen die Regierung, die sie für schwächlich hielten, „eine Fronde i m eigenen Lande vorbereiteten" 3 3 . „Hertling wollte auf jeden Fall die Friedenspolitik des Kanzlers unterstützen 34 ." Der Zentrumsabgeordnete Frank berichtete am 21. J u l i 1916 an Held von einem vornehmlich aus Zentrumsleuten sich bildenden annexionistischen Konventikel, der sich bei Graf Preysing zusammengefunden habe 35 . Führend seien vor allem Fürst Löwenstein und Dr. Einhauser. Es handle sich um eine Fronde gegen „die Waschlappigkeit i n Bezug auf die Anwendung der U-Boot-Zeppelinwaffe". Der Hauptfeind sei England. „Wie Du siehst, ganz die Gedankengänge von Dr. Schlittenbauer!" Die Gruppe plane einen Vorstoß beim König; Fürst Fugger sei i n dieser Sache bereits beim König gewesen. Außerdem solle eine größere öffentlich Agitation entfacht werden. Der Zentrumsabgeordnete Einhauser selbst verlangte in einem Brief vom 8.9.1916 von Held ein stärkeres Vorgehen gegen die Politik 30 Bethmann-Hollweg hatte „ i m besonderen i m Hinblick auf die Sozialdemokratie" eine „Neuorientierung Deutschlands nach dem Kriege" versprochen (A. Rosenberg, S. 86). si Ebd. 32 Ebd. 33 V. Naumann, D o k u m e n t e . . . , S. 80. 34 Ebd., S. 172. 35 Bericht v o m 21. 7.1916 — A H R .
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des Kanzlers und forderte, die Fraktion „umgehendst einzuberufen" 36 . Held hielt sich jedoch offiziell von der scharfen U-Bootagitation und Kanzlersturzbewegung zurück, war aber m i t der „Hertling-Bethmannschen Verbrüderung nicht einverstanden" 37 und vermied aber alles, was ihn i n dieser Richtung zu sehr hätte exponieren können; von alldeutschen Versammlungen, wie der des Grafen Reventlow i m J u l i 1916 i n München, die den Höhepunkt der öffentlichen Agitation gegen den Reichskanzler darstellte, hielt er sich fern, obwohl man ihn dort „bestimmt" 3 8 erwartet hatte. I n der U-Bootfrage hatte er dem „Bayerischen Kurier" die Weisung gegeben, sich nicht allzusehr zu exponieren 3 9 . Die Zurückhaltung Heids in der Kanzlersturzbewegung und U-Bootagitation war wohl mehr i n parteitaktischen Überlegungen begründet. Wohl hatte die Richtung Heim/Schlittenbauer die Mehrheit, vor allem die bäuerlichen Kreise des Zentrums hinter sich, aber es gab auch starke Kräfte innerhalb des bayerischen Zentrums, die gegen diese Richtung opponierten; es waren vor allem die Kreise um Pichler und die Arbeitervertreter i m Zentrum selbst. I n Penzberg griff der Zentrumsabgeordnete Schirmer, ein prominenter Arbeitervertreter, die Politik Heims und Schlittenbauers scharf an. Der Kanzler werde nicht allein wegen seiner Kriegsziele bekämpft, sondern man kämpfe gegen ihn, weil er geneigt sei, den innerpolitischen Reformforderungen der Arbeiterschaft entgegenzukommen 40 . Die „Münchner Post" glaubte beobachten zu können, daß man i n den Reihen der Zentrumspartei die nationalistische Agitation Schlittenbauers „recht frostig" aufnehme 41 . Das bayerische Zentrum war i n seinen Ansichten über Kriegs- und Friedensziele gespalten. Während Schlittenbauer sich für den starken alldeutschen Frieden einsetzte, lehnte die „Augsburger Postzeitung" Annexionen i m Westen ab. Eine Eroberungspolitik, die Deutschland nur neue Feinde schaffen und den Krieg verlangen würde, sei „unmoralisch" 4 2 . 36 Brief v o m 8. 9. 1916 an Held — A H R . 37 Schreiben des Chefredakteurs des „Bayer. K u r i e r " , Osterhuber v o m 31.7.1916 an Held — A H R : „Was d ü n k t Ihnen von Bethmann, U-Bootkrieg, England? M a n sagt mir, Sie seien m i t der Hertling-Bethmannschen Verbindung nicht einverstanden, man hat Sie sogar bestimmt zu der ReventlowVersammlung e r w a r t e t . . . Ich verstehe ja wohl, daß Sie manches zu größerer Zurückhaltung veranlassen kann, wiege mich aber doch i n der Hoffnung, daß Sie die Liebenswürdigkeit haben, m i r nach der einen oder anderen Richtung einen ,Deuter' zu geben." 38 Ebd. 39 Chefredakteur Osterhuber am 10.8. 1916 an Held: „Den herzlichsten Dank für Ihre freundliche A u f k l ä r u n g über die H a l t u n g zu der U-Bootfrage. W i r werden uns bemühen, uns nicht allzu sehr zu exponieren." 40 „Münchner Post", 168, 21. 7.1916. 41 „Münchner Post", 174, 28. 7.1916. 42 „Augsburger Postzeitung", 423, 16. 9.1916.
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Die scharf annexionistische „Kriegspolitik Regensburgs", wie man das Treiben Heims und Schlittenbauers nannte und wie sie vor allem i n der BVP als Ressentiment gegen beide Politiker nachklang, wurde auch von Pichler und seinem konservativen Kreis abgelehnt, obwohl die „Verfechter des verschärften U-Bootkrieges gerade i m bayerischen Klerus besonders stark vertreten waren" 4 3 . Pichlers Haltung war vor allem durch seinen engen Kontakt zu Hertling bestimmt. A m 30. 9.1916 berichtete Pichler an Hertling über eine Tagung des Reichsausschusses des Zentrums, bei der das Auftreten Schlittenbauers „einen für Bayern nicht besonders günstigen Eindruck hinterlassen" habe 44 . „Unsere übereifrigen Freunde endeten i n scharfer Weise über die allgemeine große Unzufriedenheit, die in Bayern herrsche . . . . Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die ewigen Stänkereien eben diese schlimmen Früchte tragen 4 5 ." Schon am 11. August 1916 hatte sich Pichler i n einem Brief an Hertling bereit erklärt, auf den alldeutsch gesinnten Zentrumsreichstagsabgeordneten Dr. Pfleger mäßigend einzuwirken 4 6 . I n einer Fraktionssitzung am 13. September 1916 gelang es Held, die Fraktion trotz der gegensätzlichen Strömungen auf eine Kriegspolitik des mittleren Maßes zu bringen. Die Ergebnisse der Beratungen der Fraktion fanden Ausdruck i n zwei Dokumenten: einmal in einem Brief an die Leitung der Reichstagsfraktion des Zentrums und i n einer am 19. September 1916 Hertling überreichten Denkschrift. Beide Dokumente decken sich inhaltlich. I n dem Brief an den Vorsitzenden der Reichstagsfraktion wurde vor allem die Besorgnis ausgesprochen, daß der foederalistische Charakter des Reiches gerade während des Krieges durch unitaristische Bestrebungen und zentralistische Einrichtungen auf das Bedenklichste gefährdet werde. Die Zensur sei „nahezu nichts anderes mehr als ein Schutzschirm für die Kriegspolitik nach innen und außen" 47 . Die von einer Zentrumsdelegation unter Leitung von Held an Hertling überreichte Denkschrift enthielt folgende Punkte, die auch i n den nächsten Jahren wesentlicher Inhalt der Politik des bayerischen Zentrums blieben. Sie seien deshalb ausführlicher zitiert: 1. „Die Kgl. Bay. Staatsregierung möge die bayerischen Staatshoheitsrechte auch während des Krieges, insbesondere soweit die Handhabung der Zensur i n Frage kommt, nachdrücklichst wahren." 43 44 45 46 47
M a x Buchner, i n : Festschrift f ü r Κ . A . v. Müller, S.47. GStAM, M A 959, Nr. 60. Ebd. GStAM, M A I, 975, Nr. 98. Abschrift des Schreibens an Spahn, i n : A H R .
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2. „Die Kgl. Bay. Staatsregierung möge allen unitaristischen Bestrebungen auf entschiedenste entgegentreten und den Einfluß Bayerns i m Bundesrate energisch zur Geltung bringen." 3. „Die Kgl. Bay. Staatsregierung möge der verderblichen Friedenspropaganda der Sozialdemokratie ihr Augenmerk zuwenden und den Reichskanzler . . . ersuchen, derselben Einhalt zu gebieten." 4. „Der Bundesratsausschuß für auswärtige Angelegenheiten möge öfter als bisher zusammentreten und seinen Einfluß geltend machen." 5. Das Zentrum protestiert „gegen eine Industriezentralisierung i m Norden und die Benachteiligung des Südens durch die Kriegswirtschaftsstellen". 6. „Die Kgl. Bay. Staatsregierung möge bei Behandlung der elsaßlothringischen Frage nicht versäumen, was geeignet erscheint, die Lösung dieses Problems i n einem für Bayern günstigen Sinne herbeizuführen . . . " 7. „Die Kgl. Bay. Staatsregierung möge i n allen Fragen der Kriegswirtschaftspolitik energisch die besonderen Interessen Bayerns wahren, . . . , kurz, sie möge den schlechten Folgen einer übertriebenen Zentralisierung i n der Kriegswirtschaftspolitik entgegentreten . . . 4 8 . " Aus beiden Dokumenten sprach die Sorge um die gefährdete Stellung Bayerns und die schleichende Unterhöhlung bayerischer Staatlichkeit durch zentralistische Kriegsmaßnahmen Berlins. Zugleich wurde sehr deutlich die K r i t i k an der inneren und äußeren Politik BethmannHollwegs und an der mangelnden Eigeninitiative Hertlings i m Bundesrat i n diesen Fragen artikuliert. Die radikalen und agitatorischen Töne der Richtung Heim/Schlittenbauer fehlten jedoch. Ganz i m Sinne der Kanzlerfronde und gegen den Willen Hertlings war eine Resolution des bayerischen Zentrums anläßlich der Ubertragung der obersten Heeresleitung an Hindenburg am 13. September 1916 gehalten: „Die Zentrumsfraktion des bayerischen Landtags begrüßte es mit großer Freude, daß Feldmarschall von Hindenburg an die Spitze der gesamten Kriegsführung gestellt wurde. Sie setzt in ihn das vollste Vertrauen, daß nunmehr alle uns zur Verfügung stehenden M i t t e l gegen alle unsere Gegner ohne jede andere Rücksicht als die der baldigen siegreichen Beendigung des Krieges angewendet werden 4 9 ." Damit war ohne Zweifel die Forderung nach dem uneingeschränkten 48 Denkschrift der Zentrumsfraktion v o m 17. 9.1916: GStAM, M A I, 978. Der Delegation gehörten an die Abgeordneten Orterer, Pichler, Giehrl, Osel, Schlittenbauer, Walterbach und Held. 4 , 2 , 1 . 9.1916.
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U-Bootkrieg ausgesprochen worden. Diese harte Resolution hatten Heim und Schlittenbauer gegen den Willen Hertlings durchgesetzt. I n den Ergebnissen der Sitzung der Zentrumsfraktion vom 13. September 1916 waren zwei Punkte bayerischer Kriegspolitik genannt worden, m i t denen sich Held bereits seit einiger Zeit intensiv befaßt hatte: die Frage der bayerischen Interessen an den Reichslanden ElsaßLothringen und der Widerstand gegen die zentralistische Berliner Kriegspolitik, die Bayerns Eigenstaatlichkeit zunehmend bedrohte. 2. Elsaß-Lothringen Bereits i n den ersten Monaten des Krieges hatte der bayerische König das Elsaß als bayerisches Kriegsziel genannt, und zwar als Teil der bayerischen Kompensationsansprüche für den Fall eines deutschen Annexionsfriedens 50 . M i t dem Elsaß hätte sich das bayerische Territor i u m u m mehr als zehn Prozent, die Bevölkerung um mehr als eine M i l l i o n vermehrt. Außerdem waren wirtschaftliche Gewinne zu erwarten. Der elsässischen Frage nahm sich Held m i t besonderer Vehemenz an. Von seinem Studium i n Straßburg hatte er noch gute persönliche Verbindungen dorthin, die er i m Auftrag der bayerischen Regierung und m i t besonderer Unterstützung des Königs i m bayerischen Sinne auszunützen trachtete. Er versuchte auch das Zentrum auf Reichsebene für die bayerischen Pläne zu gewinnen. A m 8. A p r i l 1915 tagte der Reichsparteiausschuß i n München. Bachem berichtete dazu: „Die Sitzung war veranlaßt durch die Bayern. Es ergab sich, daß die elsaßlothringische Frage ihnen die Hauptsache w a r 5 1 . " Das deutsche Zentrum, besonders Erzberger, trat immer wieder für die bayerischen Wünsche in dieser Frage ein 5 2 . A u f zwei Reisen i m August und November 1915 versuchte Held seine guten Verbindungen zu elsässischen Politikern und Akademikern so Κ . H. Janßen, Macht u n d Verblendung . . . , S. 21 berichtet, K ö n i g L u d w i g habe bereits am 14. 8.1914 dem preußischen Geschäftsträger von Schoen als bayerische Kriegszielforderungen genannt: a) eine A u f t e i l u n g der Reichslande Elsaß-Lothringen, b) daß Belgien verschwinden u n d die Rheinniederung deutsch werden müsse. H e r t l i n g habe die schroffen königlichen Worte jedoch m i t der diplomatischen Formulierung, „daß eine einseitige Vergrößerung Preußens notwendigerweise eine Verschiebung i m Verhältnis der Bundesstaaten herbeiführe, die das bundesstaatliche Gefüge des Reiches beeinträchtigen müßte, w e n n nicht auch andere Staaten, darunter w i r , gleichfalls etwas zugeteilt bekämen". 51 Zit. bei Morsey: Zentrumspartei, S. 56, A n m . 17. 52 A m 8. u n d 9. März 1916 t r a t die „ K ö l n . Volkszeitung" i n Nr. 199 u n d 200 auf I n i t i a t i v e Erzbergers u n d i m Einverständnis m i t H e r t l i n g f ü r die A n gliederung des Elsaß an Bayern ein. (Morsey, a.a.O., S. 56.)
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i n Straßburg zur Sondierung der Lage auszunützen. Offizielle Schritte und Missionen der bayerischen Regierung wären sofort auf das Mißtrauen der von preußischem M i l i t ä r und Beamten beherrschten Stellen der Reichslande gestoßen, so reiste Held — angeblich zum Besuch seines ältesten Bruders — „bei Nacht und Nebel nach Straßburg" 5 3 , um dort für den Anschluß an Bayern zu werben. A m 7. 9.1915 schickte Held an den Kabinettschef des Königs, von Dandl, einen streng vertraulichen Bericht über seinen Aufenthalt in Straßburg vom 15. bis 18. August 5 4 . Er habe i n Straßburg Gelegenheit gefunden, „ m i t den ersten politischen Führern des katholischen Volksteils" sich eingehend über die Verhältnisse i n Elsaß-Lothringen und die Gestaltung derselben nach dem Kriege zu unterhalten. I n den Reichslanden herrsche eine starke Verbitterung über die Entwicklung seit Kriegsbeginn. Schuld daran seien die Maßnahmen der M i l i t ä r - und Zivilverwaltung, die das Elsaß als Feindesland schikanös behandelten. Die Zivilverwaltung kehre so stark wie noch nie ihre protestantisch-preußische Tendenz hervor. Das Walten der Zensur sei gerade unglaublich. Alles was zur Stimmungsmache für Bayern und über Bayern geschrieben werde, werde von liberal-protestantischen Zensoren unterdrückt. Ein Weiterbestehen von Elsaß-Lothringen nach dem Kriege in der heutigen staatsrechtlichen Form sei unmöglich. Es gebe einen tiefen Riß zwischen Elsässern und Altdeutschen. Die Meinung der führenden Zentrumspolitiker sei: Elsaß wolle und könne nur mit Bayern vereinigt werden, und zwar i m territorialen Anschluß an die Pfalz. Das sei die Meinung aller katholischen Elsässer. Die elsässische Zentrumsfraktion habe eine Resolution einstimmig gefaßt des Inhalts, daß, wenn Elsaß-Lothringen nicht selbständiger Bundesstaat des deutschen Reiches werden könne, Elsaß m i t Bayern vereinigt werden möge. Bayern selbst und namentlich der König solle nun die Angliederung des Elsaß an Bayern verlangen. I n Straßburg selbst werde eine heftige Agitation unter den altdeutschen Beamten gegen den Anschluß an Bayern getrieben. Der offizielle Parteiliberalismus jeder Schattierung agitiere gegen Bayern. A m 13. September kam Reichskanzler Bethmann-Hollweg nach München. Als Ergebnis der Besprechungen stellte Hertling fest, „daß Reichsleitung und preußische Regierung zur Aufteilung fest entschlossen waren" 5 5 . Auch eine spätere Unterredung am 14. November 1915 führte noch zu keinem befriedigenden und klaren Ergebnis für Bayern. Vom 8. bis 10. November 1915 war Held erneut in Straßburg 56 . Zweck der Reise war es jetzt gewesen, zu sondieren, „ob nicht eine Massenpetition 53 4 ss 56 5
Josef Held, a.a.O., S. 28. GStAM, M A 97 988. Zit. bei Janßen, a.a.O., S. 74. Bericht an Dandl v o m 14.11.1915, GStAM, M A 97 988.
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der Altelsässer ohne Unterschied von Partei und Konfession für den Anschluß an Bayern zu erzielen" sei, er habe vor allem die Zentrumsabgeordneten veranlassen wollen, die vorbereitenden Schritte für eine solche Petition zu unternehmen. Diese Abgeordneten würden aber geradezu polizeilich überwacht und müßten täglich mit einer Hausdurchsuchung rechnen. Held ließ bei seinem zweiten Besuch i n Straßburg i m Geheimen Flugblätter drucken, u m der Bevölkerung einen von der Front her kommenden Überraschungsbesuch des bayerischen Königs anzukündigen und sie aufzufordern, dem bayerischen König einen herzlichen Empfang zu bereiten. Ludwig I I I . wurde dann auch von der Bevölkerung i n Straßburg jubelnd begrüßt 5 7 . Held stellte in seinem Bericht weiter fest, daß eine Kundgebung aller Parteien des elsässischen Parlaments i m Sinne des Anschlusses von ganz Elsaß an Bayern durch den Einspruch des Staatssekretärs verhindert worden sei. Eine Spaltung der Meinung der elsässischen Parteien sei erst eingetreten nach der bekannten Pfingstkonferenz der freisinnigen Volkspartei in München, zu der auch die elsässischen Parteigenossen geladen waren. Seit dieser Zeit sei die Agitation gegen einen Anschluß des Elsaß an Bayern immer schärfer, und „zwar vorzugsweise aus Bayern in das Elsaß getragen worden" 5 8 . Seit dieser Zeit würden die parteipolitischen und konfessionellen Gegensätze immer stärker aufgepeitscht, um bei den Liberalen, Sozialdemokraten und Altelsässern und Protestanten die Abneigung gegen Bayern wachzurufen. M i t der Angliederung an Bayern solle i n Bayern die „schwarze Mehrheit" verewigt werden. Die Fäden der Agitation von Bayern her würden eifrig weitergesponnen. Vor allem die liberalen Abgeordneten Müller-Meiningen und Dr. Günther seien Inspiratoren der bayernfeindlichen Agitation. MüllerMeiningen lehnte, wie er selbst i n seinem Tagebuch schrieb, die A n nexionsabsichten Bayerns i n Elsaß-Lothringen ausnahmlos ab 5 9 . Er verfaßte sogar eine Denkschrift, für die er „sich der Zustimmung Bethmann-Hollwegs versicherte" 60 . Als Gründe für seine ablehnende Haltung führte er die Rücksicht auf die anderen süddeutschen Staaten und die kulturelle Erwägung an, daß ein u m Elsaß erweitertes Bayern noch „schwärzer" wäre 6 1 . Damit waren i n den Augen Heids die Liberalen den fundamentalen Interessen Bayerns direkt in den Rücken gefallen. Auch schon bei den 57 58 59 60 ei
Josef Held, a.a.O., S. 28. GStAM, M A 97.988. Vgl. S. Reimann, a.a.O., S. 210. Ebd., S. 211. Ebd., S. 211.
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Beratungen des Etats des Äußeren i m Finanzausschuß w a r i h m „ihre tiefgehende Abneigung gegen den Plan einer Eingliederung des Elsaß i n Bayern" aufgefallen, wie er i n dem Bericht an Dandl feststellte 62 . Uberhaupt waren für i h n i n dieser Kriegstagung des bayerischen Landtags „die unitaristischen Gelüste des Liberalismus aller Schattierungen so heftig und unverblümt" 6 3 zutage getreten, daß er vom einzelstaatlichen Standpunkt aus Veranlassung sah, rechtzeitig Vorkehrung zu treffen gegen „einen Generalüberfall auf die eigene Selbständigkeit und die für diese wesentlichen Reservate" 64 . Die Feindschaft Heids zum Liberalismus bekam also noch neben den alten konfessionellen Ressentiments eine weitere Komponente. Held bezeichnete auch Bethmann-Hollweg als einen Feind der Angliederung an Bayern 6 5 . Auf ihn gingen jene Aufteilungspläne zurück, die darauf hinausliefen, i m besten Falle Bayern nur solche Teile des Elsaß zu überweisen, die als eine Stärkung des Protestantismus, Liberalismus und Sozialismus i n der bayerischen Politik der Zukunft in Betracht kämen. Held übermittelte den Wunsch elsässischer Abgeordneter an Dandl, vom bayerischen König empfangen zu werden 6 6 . Bereits bei seiner Besprechung am 13. 9.1915 hatte der Reichskanzler angedeutet, daß es bei der Aufteilung der Reichslande gelte, eine Verstimmung unter den Bundesstaaten zu meiden; es müsse ein Kompromiß gesucht, eine „Kompensation für Baden und Württemberg gefunden werden: eventuell durch Zuteilung kleiner Partien i m UnterElsaß" 67 . Tatsächlich wehrte sich auch Württemberg sehr bald gegen die inzwischen bekannt gewordenen bayerischen Pläne 68 . Auch von anderer Seite wurde den bayerischen Plänen wahrscheinlich nicht ohne Duldung und Wissen von Berlin widersprochen. I n der liberalen „Frankfurter Zeitung" 6 9 erschien am 10. November 1915 ein sensationell wirkender Artikel, der die Einverleibung der Reichslande in Preußen verlangte. Ein Anschluß an Bayern werde die innere Abschließung des Elsaß vom Deutschtum nur wenig mildern. Der A r t i k e l richtete sich gegen das bayerische Machstreben. Bayern würde auf Kosten aller anderen Bundesländer wachsen, „deren Bedeutung i n demselben Maß sinken müßte wie die eines zweiten Großstaates sich erhöhte". Der Reichsgedanke habe sich längst durchgesetzt. Immer 62 63 64 65 66 67 68 69
GStAM, M A 97 988. GStAM, M A 97 988. Ebd. Ebd. Ebd. Protokoll Hertlings: GStAM, M A 97 988. Janßen, a.a.O., S. 82. Nr. 312, 10.11.1915.
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mehr werde die relative Bedeutung der Einzelstaaten hinter der des Reiches zurücktreten 70 . Solche Bemerkungen mußten Held i n seinen innersten politischen Grundhaltungen aufs heftigste treffen und zu scharfer Gegenreaktion reizen. Seine Antwort auf den Frankfurter A r t i k e l wurde zwar von der bayerischen Zensur unterdrückt 7 1 , erschien aber doch i n der „Pfälzischen Zeitung" 7 2 . Held verwies polemisch darauf, daß der preußische Einfluß, die preußische Macht i n Elsaß-Lothringen während der letzten 44 Jahre nicht das Bewußtsein des Reichsdeutschtums habe schaffen können. Die Reichslande könnten i n der heutigen staatsrechtlichen Form nicht bestehen bleiben. Eine Trennung beider Länder wäre das Beste. Die „Frankfurter Zeitung" gebe zu, daß keine große Neigung für Preußen bestehe, die Haupttriebkraft elsässischer Kreise für einen Anschluß an Bayern sehe sie i n dem „politisch-konfessionellen K a l k ü l " und in nicht „unbedenklichen Unterströmungen, die dem Protestlertum ähnlich sehen und beim kräftigen bayerischen Partikularismus Unterschlupf und Schutz gegen jede Germanisierung suchen" wollten. Held sah darin eine „starke Beleidigung für Bayern". Man unterstellte Bayern, daß die notwendige Germanisierung bei einer Angliederung an Bayern nicht gewährleistet sei. „Der Gedanke . . . , daß nur durch Preußen der Reichsgedanke ausreichend gehütet . . . werden könne, ist eine für alle übrigen Parteien schwer beleidigende Insinuation 7 3 ." Die wirklichen Sorgen und Bedenken lagen aber bei Held auf einem anderen Gebiet: Das Aufgehen von Lothringen und Elsaß in Preußen bedeute die „Stabilisierung eines solchen politischen Ubergewichts des Einzelstaates Preußen über alle anderen, daß deren Selbständigkeit fast nur noch theoretische Bedeutung haben würde" 7 4 . Sie wären alle so gut wie mediatisiert. I m Interesse der kleineren Staaten, insbesondere der süddeutschen aber wäre es gelegen, wenn Bayern durch das Elsaß eine Machtvergrößerung erführe, durch die das heutige Gleichgewicht gegen Preußen annähernd gewahrt bleiben könnte und die es den 70
Referierende Wiedergabe nach Janßen, a.a.O., S. 82. Janßen, S. 83, meint, gerade w e i l sich die unitarischen Bestrebungen i n der deutschen Öffentlichkeit seit dem August 1914 so sehr verstärkt hätten, sei es f ü r die bayerische Kabinettspolitik peinlich gewesen, „daß ihre geheimen Pläne plötzlich i n dieser Form ans Licht gezerrt wurden". Außerdem habe die Gefahr bestanden, daß es einer von preußischem M i l i t ä r gehandhabten Zensur nicht schwer hätte fallen können, „die öffentliche Meinung i n weiten Teilen des Reiches gegen Bayern zu mobilisieren". Aus diesen E r w ä gungen heraus mag w o h l H e r t l i n g selbst die Zulassung des Heldschen A r tikels, der n u r eine weitere publizistische Auseinandersetzung zur Folge gehabt hätte, durch die Zensur als „inopportun" abgelehnt haben (vgl. oben). 7 2 Der Abzug des Artikels befindet sich i n M K r . 13870, Nr. 110023. ™ M K r . 13870, Nr. 110023. 7 4 Ebd. 71
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übrigen Bundesstaaten ermöglichte, i n einer Anlehnung an Bayern jederzeit ihre politische Selbständigkeit und ihre Hoheitsrechte zu schützen. Die foederative Grundlage des Reiches würde zur Fiktion, „wenn Preußen allein infolge des Krieges eine Stärkung seiner Machtstellung erfährt". Das Prinzip der Foederation i m Deutschen Reich könne nur durch das Gleichgewicht der Kräfte i n Deutschland, insbesondere das zwischen Süd und Nord aufrecht erhalten bleiben. Bei Angliederung Elsaß-Lothringens an Preußen werde „die foederative Grundlage des Reiches zerstört", — es wäre ein weiterer Schritt zum großpreußischen Einheitsstaat. Daß man sich gegen solche Pläne um der eigenen bayerischen Existenz willen Stämmen mußte, lag für Held auf der Hand. Die Aktion der „Frankfurter Zeitung" sei ein „linksliberaler Vorstoß". Er erwarte von der bayerischen Regierung, daß sie „furchtlos, kraftvoll und unnachgiebig den Tendenzen entgegentritt". I n der Kammer der Abgeordneten erneuerte er seinen durch die Pressezensur unterdrückten Angriff auf die Frankfurter Zeitung 7 5 . Das Blatt habe Bayern den Vorwurf der Reichsunzuverlässigkeit gemacht. Dies sei eine „Geschmacklosigkeit und Dreistigkeit" sondergleichen 76 . Der Frankfurter A r t i k e l hatte i n Bayern „insbesondere auch Allerhöchsten Ortes lebhaften Anstoß erregt" 7 7 . Von November 1915 bis März 1916 ruhte die elsässische Frage. Auf die Kombinationen Elsaß-Belgien, die von Bayern aus angestrebt war, kann hier nicht näher eingegangen werden. Sie hing in ihrem weiteren Kontext von der Niederlage Englands ab. I n diese Frage hinein spielten die ganzen Auseinandersetzungen u m die Kriegsführung, insbesondere die Frage des uneingeschränkten U-Bootkrieges gegen England. Inwieweit aber gerade mit Blick auf Belgien von Bayern aus die Agitation für den U-Bootkrieg getrieben wurde, läßt sich in seiner Verflechtung nicht durchschauen. Auf jeden Fall hielt sich die offizielle Politik Bayerns, besondes Hertling i n dieser Frage zurück, man war zu sehr auf die Politik Bethmann-Hollwegs festgelegt. A m 29. M a i 1916 erschien Bethmann-Hollweg i n München; es war ihm bereits von bayerischer Seite aus mitgeteilt worden, was der bayerische König von den Verhandlungen erwarte, vor allem endliche Klarheit 75 Sten. Ber. 1915, Bd. 16, S. 78. 76 Wenn Janßen, S. 83, über die beiden A r t i k e l schreibt: „ Z w e i grundverschiedene Auffassungen über das Wesen des Reiches prallten hier aufeinander: eine fortschrittliche und eine konservative", so ist eigentlich nicht einzusehen, w a r u m der Versuch Heids, die S t r u k t u r des deutschen Reiches proportional zu wahren u n d einen weiteren Ausbau des Übergewichts von Preußen zu verhindern, als „konservativ" zu bezeichnen ist. Sehr richtig! 77 GStAM, M A 97 988 — Schreiben des Staatsrats von Lösse an den bayerischen Gesandten i n Berlin.
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über die Kriegsziele. Das Elsaß samt Straßburg werde von Bayern beansprucht 78 . Auch für die Zukunft erwarte der König „strenge Wahrung des foederalistischen Reichscharakters" 79 . Der Reichskanzler wollte mit dem Hinweis auf Baden und Württemberg Bayern nur den nördlichen Unter-Elsaß einschließlich Straßburgs i n Aussicht stellen. Diese Aussichten waren für Bayern sehr enttäuschend, „daß sowohl Hertling als Rupprecht sich überlegten, ob sie nicht lieber eine Autonomie Elsaß-Lothringen vorziehen sollten" 8 0 . Auch L u d w i g I I I . mußte vom Reichskanzler erfahren, daß eine totale Annexion Belgiens nicht mehr zu erwarten sei. Unterstützung fanden die bayerischen Pläne trotzdem noch vom Reichstagszentrum. Erzberger mahnte den Reichskanzler am 17. September 1916, „doch endlich die bayerischen Wünsche zu befriedigen" 81 . Die Fraktion des bayerischen Zentrums und Held i m besonderen selbst wurden noch einmal am 19. September 1916 bei Hertling vorstellig und versuchten ihn zu entschiedenerem Handeln i n dieser Frage zu drängen: ermöge „nicht versäumen, was geeignet erscheint, die Lösung dieses Problems i n einem für Bayern günstigen Sinn herbeizuführen .. ." 8 2 . A m 1. November 1916 drängte Hertling den Reichskanzler zu einer baldigen Entscheidung, dieser aber sprach jetzt schon von einer eventuellen Autonomie bei einem ungünstigen Ausgang des Krieges 83 . I n Bayern wollte man jedoch eine endgültige präzise Zusage. Diese glaubte Hertling zusammen m i t dem König bei einem Besuch i m großen Hauptquartier erhalten zu haben. I m Januar 1917 deutete Hertling i m Finanzausschuß der Abgeordnetenkammer an, daß die Aufteilung des Elsaß und die Angliederung von Teilen an Bayern i m Prinzip beschlossen sei, jedoch stünden noch keinerlei Einzelheiten fest 84 . Die bayerischen Pläne stießen jedoch auf wachsende Beunruhigung in Baden und Württemberg, deren Parlamente ihre Regierungen ebenfalls zu Ansprüchen bei einer Aufteilung drängten. I m Juni 1917 wurde der bayerische Ministerrat, gedeckt und gedrängt vom bayerischen Zentrum, massiver i m Vorgehen; er verband sich m i t dem großen Hauptquartier, wohin der bayerische Kriegsminister fuhr, um m i t Ludendorff über die Form der Zweiteilung zu verhandeln 85 . 78 Janßen, a.a.O., S. 95. 79 Ebd., S. 95. 80 Janßen, a.a.O., S. 97. 81 Ebd., S. 116. 82 GStAM, M A I, 978. 83 Janßen, S. 119. 84 Ebd., S. 119. Diese M i t t e i l u n g Hertlings erschien nicht i m Protokoll der Finanzausschußsitzung. 85 Janßen, a.a.O., S. 134.
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2. Elsaß-Lothringen
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Noch nie i m ganzen Krieg w a r Bayern seinem Ziele so nahe wie i m J u l i 19 1 7 8 6 , als durch die Friedensresolution i m Reichstag und die sich daraufhin bildende neue Reichstagsmehrheit aus Sozialdemokraten, Zentrum und Fortschritt alle bayerischen Pläne in dieser Richtung zerschlugen. Die neue Reichstagsmehrheit einigte sich auf eine Autonomie der Reichslande, um die Verständigung mit Frankreich zu erreichen 87 . I n einem Brief an Hertling vom 21.7.1917 wies der bayerische Reichstagsabgeordnete Pfleger, ein entschiedener Gegner Erzbergers und der Neuorientierung, darauf hin, „daß die geplante Neugruppierung der Parteien auch die elsaß-lothringische Frage betreffen werde" 8 8 . Erzberger habe i n einer Besprechung darauf hingewiesen, daß die Aufteilung nicht durchzuführen sei. Elsaß-Lothringen müsse ein autonomer, gleichberechtigter Bundesstaat werden. Obwohl der Zentrumsabgeordnete Mayer-Kaufbeuren protestiert und darauf hingewiesen habe, daß sämtliche bayerischen Abgeordneten für die Teilung seien, war doch der Wechsel Erzbergers i n der Frage ElsaßLothringens „überraschend und unglaublich" 8 9 für das bayerische Zentrum. Pfleger fügte hinzu: „Ich fürchte, der Weg nach links w i r d uns i n Bayern noch manche unliebsame Überraschungen bringen 9 0 ." Die scharfe Opposition, die daraufhin insbesondere von Held gegen Erzberger geführt wurde, hatte neben anderen Gründen nicht zuletzt in der bayerischen Enttäuschung über die verlorenen Hoffnungen i n Richtung Elsaß ihren Ursprung. Held sprach daraufhin sofort i m Ministerium des Äußeren vor m i t der Mitteilung, die elsaß-lothringische Frage sei i n ein sehr bedenkliches Stadium geraten, „hauptsächlich infolge des Auftretens des Abgeordneten Erzberger" 91 . Es nützte auch nichts, daß Held i n der Reichsausschußsitzung der Zentrumspartei am 23. J u l i 1917 i n Frankfurt durchsetzen konnte, daß der „Standpunkt Erzbergers mißbilligt und abgelehnt worden w a r " 9 2 . Nachdem sich alle Hoffnungen zunächst auf einen direkten Anschluß zerschlagen hatten, versuchten Zentrumskreise i n Straßburg über Held einen anderen Plan zu realisieren: ein bayerischer Prinz sollte Großherzog eines autonomen Bundesstaates Elsaß-Lothringen werden. Der elsässische Zentrumsabgeordnete Didio t r u g Held diesen Plan vor und führte folgende Gründe an: König L u d w i g genieße i m Elsaß se Held rechnete am 7. J u l i 1917 m i t baldiger „Überführung elsässischen Verkehrs i n den unseren", w i e er sich i n einem Schreiben an Pichler ausdrückte. A H R . 87 Janßen, S. 144. 88 GStAM, M A 959, No. 103. 89 Ebd. 90 Ebd. 91 GStAM, M A 97 990. Aktennotiz des Baron v o n Stengel v o m 26. J u l i 1917. 92 Ebd.
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X I . H e l d u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
große Sympathien; ein bayerischer Prinz hätte die Unterstützung Bayerns gegen die liberal-protestantische Partei i m Reich; durch die Dynastie käme eine intensive Annäherung zwischen Bayern und ElsaßLothringen zustande. „ W i r wünschen den Prinzen Franz als Großherzog 93 ." Held wurde um Unterstützung dieses Planes beim König gebeten, von dem man sich in Straßburg erzähle, er habe von sich aus abgelehnt. Interessant ist, daß auch Erzberger in einem Brief an Reichskanzler Michaelis „die sofortige Errichtung eines selbständigen Großherzogtums Elsaß-Lothringen" empfahl 94 , noch einen Monat vorher hatte er die bayerische Regierung zur Aufteilung gedrängt. Auch Erzberger dachte an einen bayerischen Prinzen 9 5 . König L u d w i g hielt jedoch weiterhin am Teilungsplan fest, er war nicht bereit, die Autonomie zu diskutieren, auch nicht für den Fall einer bayerischen Kandidatur. Einen Monat später war der König jedoch der Meinung, daß ein Mitglied des Hauses Wittelsbach die Dynastie i m neuen Bundesstaat begründen sollte. Der König hatte eingesehen, daß mit einer Teilung der Reichslande nicht mehr zu rechnen w a r 9 6 . I m Frühjahr 1918 waren die bayerischen Träume i n bezug auf Elsaß durch die Veränderung der militärischen Lage endgültig ausgeträumt. Man hatte von Bayern aus versucht, nach den Methoden des Wiener Kongresses bereits auf Gebiete die Hand zu legen, deren endgültiges Schicksal durch den Krieg noch nicht entschieden war. I n der Verkennung und Täuschung der wirklichen Kriegslage hatte Bayern dynastische Annexionspolitik betreiben wollen, wie sie schon 1870 gescheitert war. Man drängte von Bayern aus, und hier machte auch das bayerische Parlament mit, die „deutsche Politik zur Annexion außerdeutscher Gebiete . . . , um daraus Kompensationsansprüche . . . befriedigen zu können" 9 7 . 3. Das Verhältnis Bayern — Reich im Kriege Schon vor Ausbruch des Krieges hatte Held Veranlassung gesehen, auf die Gefahren hinzuweisen, die der Eigenstaatlichkeit Bayerns durch das Reich und insbesondere Preußen drohten. Auch in der Frage der Reichslande hatte er dann i m Krieg eine unzulässige Machterweiterung Preußens gefürchtet, die zuungunsten Bayerns hätte gehen können. Viel naheliegender und täglich erfahrbar waren für i h n die 93 94 95 96 97
Brief des Abg. Didio am 25. 9.1917 an Held. A H R . Zit. nach Janßen, a.a.O., S. 147. Ebd. Janßen, a.a.O., S. 157. G. Ritter i m Umschlagtext des Buches von Κ . H. Janßen.
3. Das Verhältnis Bayern — Reich i m Kriege
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Gefahren, die von der zentralistisch vorgehenden Berliner Kriegswirtschaft für die bayerische Eigenstaatlichkeit ausgingen. Sicher, die Erfordernisse des Krieges drängten auf zentrale Instanzen hin, auf die Zusammenfassung der Kompetenzen; so kamen von Berlin aus Entscheidungen, ohne daß die Einzelstaaten vorher befragt wurden oder ihre Meinung äußern konnten. „Die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen griffen in Verwaltungsbereiche der Gliedstaaten über, die bisher dem Reich entzogen gewesen waren 9 8 ." Das mußte besonders i n Bayern verärgern, wo man i n diesen Dingen besonders empfindlich war. Als Viktor Naumann Ende 1915 wieder nach München kam, fiel i h m zum erstenmal auf, daß eine gewisse Verstimmung gegen Preußen und die Reichsregierung sich bemerkbar machte. Sowohl Hertling wie auch Dandl hätten sich darüber beklagt, daß man i n Berlin Bayern nur allzu gerne i m Dunkel ließe und daß man „den Krieg zur Zentralisierung des Reiches ausnutzen wolle" 9 9 , und daß man bei der Vergebung von Arbeiten die Industrie Süddeutschlands augenscheinlich vernachlässige. I m Kriegs jähr 1916 machte sich der Gegensatz von Nord und Süd immer bemerkbarer. Die sogenannte alte Mainlinie trat wieder i n Wirksamkeit. Das war zunächst keine Reichsmüdigkeit, aber die alten bayerischen Ressentiments gegen das „preußische Deutschland" wurden immer stärker artikuliert. Es waren nicht nur Unstimmigkeiten wegen der Kriegsführung, die i n der Bewegung gegen den Reichskanzler zum Ausdruck kamen, viel schwerer wurden die wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Bayern empfunden, die von einer zentralistisch gesinnten Kriegswirtschaftsleitung ausgingen. „Der Partikularismus ist stärker als vor 1866 und nimmt mitunter kräftige Formen an 1 0 0 ." Die antipreußische Stimmung w a r i m Sommer 1916 das beherrschende Moment. Κ . A. v. Müller schildert eine Bauernversammlung i m September 1916 i m Löwenbräukeller, i n der Georg Heim den antipreußischen Vers prägte: „Alles egal, Nichts sozial, Alles kommt von Berlin U n d w i r werden hin." „Der weite Saal, dicht gefüllt von Bauern . . . m i t zahlreichen Geistlichen untermischt tobte vor Begeisterung. Es war das erste Ventil, das den unterdrückten Stimmungen gegen die wirtschaftliche Zentralisierung wie gegen den einseitigen Zensurdruck geöffnet wurde; die
98 Deuerlein, Hitlerputsch, a.a.O., S. 14. 99 V. Naumann, Dokumente, S. 71. 100 γ . Naumann, Dokumente, S. 119. 16
Keßler
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X I . H e l d und das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
erste Bresche, die tatsächlich von rechts her i n diese geschlagen wurde 1 0 1 ." Der Krieg wurde immer stärker zur treibenden K r a f t der politischen und wirtschaftlichen Zentralisation. Die wenigen Restreservate, die Bayern noch bis 1914 eine gewisse politische Selbständigkeit garantiert hatten, schien der Krieg nun vollends zu nehmen. Schon am 7. Juni 1916 hatte Held in der Kammer der Abgeordneten entschieden gegen den Plan einer Reichseisenbahngemeinschaft Stellung genommen, die die Liberalen befürwortet hatten. I n diesem Zusammenhang wandte er sich auch gegen die Einführung des reichseinheitlichen Postwertzeichens 102 . A n den Sonderrechten Bayerns durfte also nicht gerüttelt werden 1 0 3 . Daß die bayerische Abwehrfront nicht geschlossen war, mußte ihn besonders enttäuschen. Bei den Beratungen des Etats des Äußeren i m Finanzausschuß der Kammer der Abgeordneten waren nach seiner Beobachtung „die unitaristischen Gelüste des Liberalismus aller Schattierungen so heftig und unverblümt" zutage getreten, daß er glaubte rechtzeitig eine Vorkehrung treffen zu müssen gegen „einen Generalüberfall auf die Selbständigkeit und die für diese wesentlichen Reservate" 104 . Auch die bayerische Staatsregierung schien hier nicht entschieden genug i n der Abwehr gegen Berliner Bestrebungen vorzugehen. A m 17. September 1916 hatte Held i m Auftrag der Fraktion an Hertling die dringende Bitte gerichtet: „Die Kgl. Bay. Staatsregierung möge die bayer. Staatshoheitsrechte auch während des Krieges, insbesondere soweit die Handhabung der Zensur i n Frage steht, wahren, sie möge allen unitaristischen Bestrebungen aufs energischste entgegentreten, . . . sie möge i n allen Fragen der Kriegswirtschaftspolitik energisch die besonderen Interessen Bayerns wahren und sich die Freiheit der selbständigen Entschließung und Anordnung sichern 105 ." Gerade auf wirtschaftlichem Gebiet wurde in den Augen Heids von Berlin aus eine Auspowerung Bayerns betrieben. Die Aufwendungen für den Krieg mußte Bayern i n vollem Maße mittragen, die Ausgaben des Reiches aber für Kriegszwecke, insbesondere für Kriegslieferungen, für kriegsindustrielle Unternehmen flössen zum weitaus größten Teil i n die industriell entwickelten Gebiete Norddeutschlands, ιοί Κ . A. v. Müller, Mars u n d Venus, S. 140. 102 Sten. Ber. 1916, Bd. 14, S. 220. ι 0 3 Auch von einem staatspolitischen Standpunkt aus wollte Held an der bayerischen Eisenbahnhoheit festhalten: „ E i n K ö n i g von Bayern ohne bayerische Staatseisenbahnen ist n u r noch ein Schattenkönig u n d ein bayerischer selbständiger Staat ist n u r noch ein Schatten von einem Staat, der keine eigene Eisenbahn u n d Post mehr hat." Sten. Ber. 1916, Bd. 14, S. 221. 104 Vgl. oben, GStAM, M A 97 988. los GStAM, M A I, 978.
3. Das Verhältnis Bayern — Reich i m Kriege
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Sachsens und Württembergs. Dadurch ergab sich eine kolossale Verschiebung der Finanzkraft zwischen Nord und Süd zum Schaden Bayerns, wie sich aber auf der anderen Seite eine Konzentration des Kapitals an dem Zufluß aus hunderttausend Einzelquellen i n wenigen Händen geltend machte 106 . Es war also nicht nur eine Machtverschiebung, sondern auch eine Vermögensverschiebung von Süd nach Nord. Bayern sei durch den Krieg bisher schon viel ärmer geworden. Die Zentralisierung aller Gesellschaften i n Berlin, die Verteilung der Kriegslieferungen von Berlin aus, die meistens innerhalb der preußischen Grenzen stecken geblieben waren, die Investierung von Reichsgeldern vornehmlich i n Norddeutschland, das System der Matrikular- und Ausgleichsbeiträge nach dem Kopf der Bevölkerung, hatte i n seinen Augen die Verschiebung herbeigeführt. I n der Kriegswirtschaft war ein Milliardenregen niedergegangen, von dem Bayern verhältnismäßig am wenigsten gespürt hatte. Infolgedessen fürchtete er für Bayerns politische Macht und Selbständigkeit i m Reiche für die Zukunft „auf das allerschärfste". Wenn man einmal eine solche Zentralisation habe, dann gebe er für die sogenannte politische Selbständigkeit der Einzelstaaten „keinen Pfifferling" 1 0 7 . Voraussetzung der Aufrechterhaltung einer politischen Selbständigkeit seien eben diese Dinge 1 0 8 . I m Finanzausschuß erklärte Held am 10. Oktober 1917, er werde die Empfindung nicht los, daß auch i n politischen Dingen i n Preußen und Berlin die Auffassung bestehe, „daß ähnlich wie Elsaß-Lothringen i n der Südwestecke, Bayern i n der Südostecke eine A r t Reichsland sei" 1 0 9 . Man habe gerade während des Krieges nicht nur i n der Kriegswirtschaft, sondern auch politisch so viele Erfahrungen gemacht, daß man es verstehen könne, wenn i n Bayern eine große Mißstimmung gegen Preußen bestehe. Wirtschaftliche Fragen und Kräfteverhältnisse waren auch politische Fragen. Von der wirtschaftlichen Macht und Entwicklung der Zukunft hing auch Bayerns politische Zukunft als Einzelstaat i m Deutschen Reich ab. Das hatte Held jetzt klar erkannt. Vor dem Kriege hatte er sich noch gegen eine übertriebene Industrialisierung gewandt. Der Krieg und seine Auswirkungen hatten auch hier seine Auffassungen korrigiert. U m die wirtschaftliche und politische Selbständigkeit aufrechtzuerhalten, mußte der bayerische Staat seine Aufgaben erkennen und seine Bemühungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Struktur verbessern. Die finanzielle Entwicklung war schon vor dem Kriege sehr ungünstig gewesen, sie wurde aber während des Krieges „ i m
106 107 108 109 1
Brief Heids an H e r t l i n g v o m 20.1.1917, Abschrift i n A H R . B L A M I I I . Ausschuß Nr. 109 a, Beilage, 4. Sizung v o m 1. 2.1917. Ebd. sten. Ber. 1917, Bd. 16, S. 1 ff.
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X I . Held u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
höchsten Grad beängstigend" 110 . Sollte Bayern finanziell gestärkt werden, dann konnte es i n Zukunft nicht ein ausgesprochenes Agrarland bleiben, sondern mußte sich bemühen, günstige Vorbedingungen für Industrieansiedlungen i n weitem Maße zu schaffen und zu einem größeren Durchgangsverkehr zu gelangen 111 . Held fühlte genau, daß sich m i t den Wirtschaftsfragen und ihrer regionalen Schwerpunktbildung i m Norden eine neue Zeit vorbereitete, die über Sein oder Nichtsein des wirtschaftlichen Bayern entschied. Die wirklichen politischen Folgen, die sich daraus für die Zeit nach dem Kriege ergeben würden, beunruhigten ihn tief. Diese Gedanken und die Ursache der Mißstimmung i n Bayern gegen Berlin wurden auch sehr klar i n einer Denkschrift des bayerischen Kriegsministers vom J u l i 1918 ausgesprochen 112 . Sie bestätigten und bekräftigten Heids Meinung i m einzelnen. Daß diese Besorgnisse um die politische Selbständigkeit Bayerns, die m i t den Zentralisierungstendenzen Berlins zusammenhingen, auch i n der Regierung geteilt wurden, dafür gibt es Dokumente genug. Die bayerische Regierung beklagte sich des öfteren über die Praktiken der preußischen Oberzensurstelle, die sich oft direkt an bayerische Blätter wandten und so die bayerische Zensurhoheit umgingen. Die Spannungen und Mißstimmungen zwischen den Regierungen i n München und Berlin waren sehr stark. Innenminister Brettreich schrieb am 15. 5.1917 an Hertling: „Mag das deutsche Reich als solches seine Zentrale i n Berlin ersehen, so sind w i r doch absolut selbständige Bayern, haben unsern König, unser Ministerium, haben unsere Post und vor allem unsere unbeugsame, aber schon ganz unbeugsame Eigenart, und an dieser zu rütteln ist sehr schlimm 1 1 3 ." Historische Rivalitäten mischten sich mit augenblicklichen politischen Verstimmungen. Man mußte ja auch befürchten, daß die Zentralisierungstendenzen auch i n der Zukunft nach dem Krieg weitergingen. I n der Öffentlichkeit wurden Regierung und König beschuldigt, nicht genug gegen Preußens Absichten zu tun. Sie seien ja selbst schon verpreußt. „Diese Verquickung der bayerischen Krone und der bayerischen Regierung mit dem Haß auf Preußen" 1 1 4 wurde für den bayerischen Staat gefährlich und war sicher einer der Gründe für den Ausbruch der Revolution.
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Brief Heids an H e r t l i n g v o m 30. 1.1917, Abschrift i n A H R . Ebd. GStAM, M A I, 975, Nr. 77. A S t A M , M I n n 66 328. K . L. A y , Die Entstehung einer Revolution, B e r l i n 1968, S. 159.
4. Das werdende Europa — die Donaufrage
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4. Das werdende Europa — die Donaufrage Zur Kriegspolitik Heids gehörte vor allem eine Osteuropapolitik, i n der er große Chancen für die wirtschaftliche und politische Entwicklung Bayerns sah. Sein Eintreten für den Ausbau der Donau zu einer Großschiffahrtsstraße und die damit verstärkte Verkehrs- und Handelspolitik mit Osteuropa gehören i n diesen Zusammenhang. Bayern mußte stärker i n einen größeren Durchgangsverkehr zwischen Nordwestdeutschland und Osteuropa gelangen; das waren auch die Vorbedingungen für gewünschte Industrieansiedlungen. Die einzigen Möglichkeiten, die Held dafür sah, lagen in den Intensivierungen der Beziehungen zu Österreich-Ungarn und zu Südosteuropa. Der Gedanke eines werdenden Mitteleuropa als zunächst wirtschaftliche, später vielleicht auch politische Einheit gewann durch die Kriegsereignisse an K r a f t und Werbewirksamkeit. Die deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft war für Held nicht nur ein Kampf um die Erhaltung „der mitteleuropäischen christlich-germanischen K u l t u r " ; dem Bündnis lag vielmehr „der alte großdeutsche Gedanke zugrunde" 1 1 5 , der dem Bewußtsein der deutschen Kulturgemeinschaft, jener Grundfeste und Säule der ganzen mitteleuropäischen K u l t u r entsprungen war. Der großdeutsche Gedanke war ein immanenter Bestandteil der katholisch-politischen Tradition geblieben. Der Krieg gab jetzt Gelegenheit, wieder die alte Kulturgemeinschaft aufzurichten. „Österreichs Hoffnungen sind Deutschlands Hoffnungen 1 1 6 ." Politische, nationale und ethische Interessen verbanden beide. Wirtschaftspolitisch könnte sich eine Einheit herstellen lassen: „eine Zollunion wäre für beide ein Segen 117 ." Diese Gedanken propagierte Held schon i m August 1914. Für die Nachkriegszeit forderte er eine „Wirtschaftsgemeinschaft i m Sinne eines zollfreien Wirtschaftsgebietes, das Deutschland und ÖsterreichUngarn umfassen müßte" 1 1 8 . Da der Westen durch den Krieg und die Zeit danach für die deutsche und bayerische Wirtschaft verschlossen bleiben würde, müßten sich die deutsche Wirtschaft und der Verkehr mehr nach Osten orientieren: „Ein neuer großer Güteraustausch w i r d nach dem Osten stattfinden müssen; der Osten ist uns erschlossen 119 ." Dadurch bekam das Verhältnis zu Österreich-Ungarn eine neue Bedeutung. I n ihm lag wirtschaftspolitisch eine ganze Reihe neuer Ansatzpunkte für eine bessere Industrialisierung auch in Bayern.
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RA, 435, 29. 8.1914. RA, 436, 30. 8.1914. Ebd. RA, 249, 19. 5. 1915.
na Sten. Ber. 1915, Bd. 13, S. 80.
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Voraussetzung war dazu die Schaffung eines Großschiffahrtsweges über die Donau, der zu gleicher Zeit den Rhein und Main i n sich begriff und vom Rhein bis zum Schwarzen Meer eine große Verkehrsstraße für den deutschen Handel i n den Nahosten schaffen sollte. Bayerns Vorteil lag i n dieser Frage noch auf einem anderen Gebiet. „ I n Österreich, Bulgarien und i n der Türkei sei die Sympathie für Preußen bedeutend gesunken, während Bayern namentlich i n Österreich-Ungarn noch das volle Vertrauen und die volle Sympathie genieße 120 . U m so mehr müsse Bayern und die bayerische Regierung versuchen, i n der Einwirkung auf die Gestaltung der deutschen Politik die Vorteile für Deutschland zu wahren, die i m Verhältnis zu ÖsterreichUngarn und den übrigen Staaten gewahrt werden müßten. Jetzt könne der Einfluß Bayerns i m Reich i m Interesse des Reiches sehr stark werden, und diese Möglichkeit müsse ausgenützt werden. Dieser sogenannten Donaufrage nahm sich Held während und nach dem Kriege ganz besonders an. Z u ihrer Propagierung gründete er die Zeitschrift „Die freie Donau", die am 1.1.1916 zum erstenmal erschien. Die Bedeutung der Donau als Verkehrsstraße in der deutschen Wirtschafts- und Handelspolitik sollte dadurch stärker in die öffentliche Diskussion kommen; für den „Kreis von Männern, die sich für das Donauproblem und seine Lösung interessieren" 121 , sollte ein Sprachrohr geschaffen werden, ihre Meinungen i n der Öffentlichkeit geltend zu machen. „Es ist vorbereitende Arbeit zu leisten für einen intensiven Großverkehr über die Donau, für die Ansiedlung von Gewerbebetrieben und Industrieunternehmungen an der Donau 1 2 2 ." Nahziel war zunächst die Schaffung einer Großschiffahrtsstraße vom Rhein über den Main, den Kanal und die Donau zum Schwarzen Meer, also eine leistungsfähige Wasserstraßenverbindung von Nordwest bis Südost Europas. Als Kommunalpolitiker i n Regensburg hatte er schon früher den Ausbau der Regensburger Hafenanlagen gefordert. Auf großen Werbeversammlungen i n den Großstädten suchte Held i n bayerischen und rheinischen Wirtschaftskreisen das Interesse an einem baldigen Ausbau einer modernen Großschiffahrtsstraße zu organisieren. I m September 1916 versuchte man bei einer Donaukonferenz in Budapest m i t den Interessentenkreisen Österreich-Ungarns und den Balkanstaaten i n Verbindung zu kommen. Zwischenstaatliche Fragen des Donaurechts und technisch-nautische Probleme wurden erörtert; Held war die treibende K r a f t bei der Organisation, über 700 Teilnehmer besuchten die Konferenz 123 . Er sah bei seinen internationalen Bemühungen um den 120 B L A M , I I . Ausschuß I I B, No. 2053, Beilage 4. 121 Held i n „Die Donau", Nr. 1 v o m 1. 1.1916. 122 Held i n „Die Donau", Nr. 1 v o m 1.1.1916. 123 Dies geht aus dem i m A H R liegenden Material hervor; vgl. auch Josef Held, a.a.O., S. 23 ff.
4. Das werdende Europa — die Donaufrage
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Ausbau des Großschiffahrtsweges die größte Chance bayerischer Kriegszielpolitik. I n dem Anschluß Bayerns lag die große wirtschaftspolitische Zukunftschance, die Bayern den endgültigen Durchbruch zum Handelsund Industriestaat ermöglichen sollte und ihm eine Schlüsselstellung auf dem Balkan verschaffen konnte, auf den sich Bayern wirtschaftspolitisch konzentrieren konnte 1 2 4 . Von der Donau aus konnte „über den Hellespont eine Weltwirtschaftsbrücke ersten Ranges bis zum persischen Golf geschlagen werden" 1 2 5 . Die Donauwasserstraße hatte ja schon i n den ersten Jahren eine große kriegswirtschaftliche Rolle gespielt. Infolge der Blockade durch England war die Donau durch den Sieg des Generalfeldmarschalls von Mackensen über Serbien wieder frei und der W i r t schaftsverkehr mit der Türkei und Bulgarien wieder möglich geworden. Das steigerte die wirtschaftspolitische und militärstrategische Bedeutung der Donau i m öffentlichen Bewußtsein. Militärtransporte, Munitionsbeschaffung, Rohstofflieferung wurden durch die Donau vermittelt. Die freie Donau konnte auch nach dem Kriege i n neue Absatzgebiete leiten. Der bayerische Landtag, insbesondere König L u d w i g I I I . und der Deutsche Reichstag zeigten Interesse an dem Projekt. A m 22. Februar 1917 begann die Kammer mit den Beratungen einer Regierungsvorlage zur Rhein-Main-Donauwasserstraße. M i t einem Resümee seiner Bemühungen und Vorstellungen begann Held die Debatte. Eine solche Wasserstraße sei das Rückgrat der ganzen deutschen Wasserstraßenpolitik, der Beginn dessen, was i m Begriff der „freien Donau" eingeschlossen sei. Es könnte dadurch ein Weg Europas nach dem Osten geschaffen werden, der jeder Einwirkung der feindlichen Mächte Englands und Frankreichs entzogen sei und damit auch die wichtigste militärische Bedeutung habe 1 2 6 . Die Vorlage der Regierung wurde von allen Parteien einstimmig angenommen. Held berichtete am 25. 5.1916 an seinen Bruder Philipp: „Gestern abend hat mich der König bei Hertling i n ein längeres Gespräch über die Donau und dann über Elsaß-Lothringen gezogen 127 ." I m Mai 1916 wurde Held auch zum bulgarischen Konsul ernannt. Nach längeren Vorbereitungen wurde auf die Initiative Heids h i n am 22. Dezember 1917 i n Nürnberg der „Main-Donau-Stromverband" gegründet. Als gemischtwirtschaftliches Unternehmen, das den Ausbau der Großschiffahrtsstraße zur Donau betreiben sollte, kam unter führender Beteiligung Heids i m Dezember 1921 die „Rhein-Main-Donau
124 Auch der liberale Abgeordnete Müller-Meiningen sprach von der „großen Zukunftshoffnung Bayerns", so Reimann, S. 214. 125 Held bei einem Vortrag am 13. 3.1916 i n Salzburg, Manuskript i n A H R . 126 Sten. Ber. 1917, Bd. 15, S. 155. 127 A H R .
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A G " zustande 128 . I m März 1917 wurde Held in Anerkennung seiner Verdienste i n der Donaufrage zum „Kgl. Geheimen Hofrat" ernannt 1 2 9 . 5. Frühjahrstagung 1917 — Krisen im bayerischen Kabinett Für den 30. Januar 1917 war der Landtag zu einer außerordentlichen Session einberufen. Unmittelbar vorausgegangen waren zwei wichtige Ereignisse: innenpolitisch ein Wechsel i m bayerischen Kabinett und außenpolitisch die Ablehnung des deutschen Friedensangebotes vom Dezember 1916. A m 7. Dezember 1916 traten Innenminister von Soden und Kriegsminister von Kreß von ihren Ämtern zurück. Für Soden übernahm der ehemalige Minister von Brettreich das Innenressort, während Freiherr von Kreß durch Hellingrath ersetzt wurde. I n Ernährungs- und Zensurfragen war es zu einem Konflikt zwischen beiden Ministern i m Kabinett gekommen, den der König durch die Verabschiedung beider Minister löste 1 3 0 . I n Ernährungsfragen hatte sich Soden allzusehr als Vertreter der Produzenten exponiert, er w a r selbst Gutsbesitzer und hatte angeblich „ n u r landwirtschaftliche Fragen vertreten" 1 3 1 , und sich so nicht durchsetzen können. Minister Kreß war von Soden selbst und besonders vom Zentrum wegen der Handhabung der Pressezensur, bei der er zu sehr die sozialdemokratische Seite geschont hatte, kritisiert worden. Als Kriegsminister war Kreß ansonsten ohne K r i t i k geblieben. Sein Ausscheiden aus dem Kabinett dürfte m i t Rücksicht auf das Zentrum erfolgt sein, da ja Soden allgemein als Zentrumsminister gegolten hatte. Wie sehr das Zentrum durch die Entlassung Sodens indigniert war, zeigt ein Brief Pichlers an Hertling, i n dem er bedauerte, daß damit für das wichtige Ressort des Innern an die Stelle „eines hochkonservativen Mannes wieder ein liberaler Beamter getreten i s t " 1 8 2 . Damit habe sich das Stimmenverhältnis i m Gesamtministerium nach links verschoben; „es stehen drei konservativen Herren drei liberale gegenüber, abgesehen vom Kriegsminister, dessen Anschauungen noch nicht bekannt sind" 1 3 3 . Das Zentrum mußte es vor allem
I n der Sitzung des Finanzausschusses des bayerischen Landtages vom 22. 2.1920 gab Held einen Rückblick auf seine Bemühungen i n der K a n a l frage. Sten. Ber. 1920, Beil. Bd. 3. Vgl. dazu auch die Debatte i m selben Ausschuß v o m 26./27. 2.1923. iss Josef Held, a.a.O., S. 23. 130 Z u r Vorgeschichte u n d zu den Gründen des Konflikts siehe W. Albrecht, a.a.O., S. 186 ff. 131 M N N , 624, 7.12.1916. 182 GStAM, M A I, 963, Nr. 16. 133 Ebd. Als konservativ galten Hertling, Seidlein u n d K n i l l i n g .
5. Frühjahrstagung 1917 — Krisen i m bayerischen K a b i n e t t
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deshalb bedauern, weil durch den Wechsel die Chance für den Nachwuchs von konservativen Leuten i n leitende Stellungen der Verwaltung wieder unterbunden zu sein schien. Die einzelnen Minister hatten ja für ihr Ressort die weitestgehende Selbständigkeit, was die gleichmäßige Durchsetzung der vom Zentrum gewünschten konservativen Grundsätze erschwerte. Die Berufung Brettreichs mußte i m Zentrum um so mehr überraschen, als er ja mit an erster Stelle für die mit schroffster Richtung gegen das Zentrum verfügte Landtagsauflösung 1911 verantwortlich erschien. Diese Episode zeigte, daß von einer allgemeinen Parlamentarisierung m i t der Berufung Hertlings nicht die Rede sein konnte. Die Berufung des neuen Innenministers war offensichtlich gegen den Willen des Zentrums geschehen, das nur i n jenen Ministerien wirklich Einfluß hatte, die unter Leitung eines Zentrumsmannes standen. Die alten Zeiten der liberalen Beamtenministerien waren also noch nicht vorbei. Als i m Juli 1917 Verkehrsminister von Seidlein wegen Streitigkeiten m i t dem Finanzminister zurücktreten wollte, bangte das Zentrum u m einen weiteren Ministersessel, der ihm aus der Einflußsphäre entgleiten könnte. Held schrieb am 7. J u l i 1917 an Pichler, daß Verkehrsminister Seidlein wegen der Schwierigkeiten bei der Finanzabrechnung mit dem Finanzministerium und weil er m i t seinem Plan der Kinder- und Hinterbliebenenversicherung i m Ministerrat durchgefallen sei, an seinen Rückt r i t t denke. Held bat Pichler, der den besten Draht zu Hertling hatte, „doch Deinen ganzen Einfluß aufzubieten sowohl bei Herrn von Seidlein als bei dem Grafen H e r t l i n g " 1 3 4 , damit nicht eine neue Ministerkrise ausbreche. Pichler schrieb sofort an Hertling m i t der Bitte, „jetzt eine Krise zu vermeiden" 1 3 5 . Zur Vorbereitung der Session traf sich die Zentrumsfraktion am 11.12.1916 in München zu Beratungen. Man hatte die Absicht, den Rücktritt des Innenministers zu einer gründlichen innenpolitischen Aussprache zu nützen. Zur nachträglichen Verurteilung des ausgeschiedenen Kriegsministers und zur Verteidigung Sodens verabschiedete die Fraktion eine scharfe Resolution gegen die Handhabung der Zensur. Die militärische Zensur werde „immer noch i n einseitiger Weise gehandhabt . . . , indem die sozialdemokratische und radikale Presse die schärfsten Angriffe auch gegen die Staatsautorität richten darf, während Blätter anderer Richtungen wegen kleinerer Vorgänge beanstandet werden" 1 3 6 . Außerdem hatte das Zentrum vor, die Beziehungen der bayerischen Regierung zu den Reichsstellen zu erörtern; den Ton
134 Brief Heids an Pichler v o m 6.7.1917, Abschrift i n A H R . 135 GStAM, M A I, 963, Nr. 21. 136 Zit. M N N , 635, 13.12.1916.
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i n dieser Richtung hatte Held i n Schwandorf bereits angegeben, als er von der notwendig gewordenen „Rettung der bayerischen Selbständigkeit" 1 3 7 sprach. I n einer Resolution forderte die Fraktion eine wesentlich höhere Zuweisung von Kriegsaufträgen an Bayerns Industrie und Handwerk. Daß die Verhandlungen der Kammer im Sinne des Burgfriedens, der ja schon seit Frühjahr 1916 zerbrochen war, erfolgen werde, konnte man kaum erwarten. I n der Frage der Ernährungswirtschaft, der Spannung zwischen Stadt und Land und der immer heftiger zutage tretenden Mißstimmung über die Maßnahmen der Berliner zentralistischen Kriegswirtschaftsämter hatte sich schon das Volk und die Parteien i n zwei Lager gespalten. Der Konflikt zeigte sich schon bei der durch den Tod des Kammerpräsidenten von Orterer fällig gewordenen Wahl des Kammerpräsidenten. Das Zentrum war nicht bereit, den Sozialdemokraten i m Sinne eines erwarteten gerechten Ausgleichs die Stelle des 2. Vizepräsidenten zuzugestehen. Es verschanzte sich hinter formalen Bedenken. Held schrieb am 1. Februar 1917 an die sozialdemokratische Fraktion: „Da zur Zeit nur eine Stelle i m Präsidium der Kammer zu besetzen ist, sieht sich meine Fraktion nicht i n der Lage, der verehrlichen sozialdemokratischen Fraktion einen Posten i m Direktorium einzuräumen 1 3 8 ." Anstelle des zum 1. Präsidenten aufgerückten bisherigen Vizepräsidenten von Fuchs trat der rechtsliberale Abgeordnete Casselmann. Die Sozialdemokraten selbst beteiligten sich nicht an der Wahl 1 3 9 . Die Situation hätte eine Erfüllung der sozialdemokratischen Forderung im Interesse des Burgfriedens erfordert. Für das Zentrum als Mehrheitspartei wäre das bei gutem Willen auch möglich gewesen. Man trug m i t dieser Brüskierung nur zur Verbitterung der Sozialdemokraten bei, die man i m Sinne einer weisen Selbstbeschränkung hätte durchaus vermeiden können. I n der harten Haltung des Zentrums zeigte sich die Verschärfung der Front zur Sozialdemokratie. Daß die zutage getretenen Gegensätzlichkeiten vorerst nicht zum endgültigen Bruch des Burgfriedens führten, lag an dem Eindruck, den die schroffe Ablehnung des Friedensangebotes der Mittelmächte durch die Entente i m Dezember 1916 gemacht hatte 1 4 0 . Das führte noch einmal zu einer gewissen nationalen Solidarität und einem gesteigerten Verteidigungswillen, der auch die Sozialdemokraten erfaßte und der die innenpolitischen Gegensätze noch einmal für kurze Zeit zu überdecken vermochte. 137 M N N , 635, 13.12.1916. 138 A H R . 139 Sten. Ber. 1917, Bd. 15, S. 1 ff. 140 Dazu siehe Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. IV, S. 40. Deutschland schlug seinen Gegnern „Verhandlungen über die Beendigung des Friedens" einzuleiten vor. Der Reichskanzler hielt nach der Eroberung von Bukarest den Zeitpunkt dafür günstig, da die Entente diesen Schritt
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Die Aussprache i n der Kammer wurde durch eine „nationale Rede" 1 4 1 Hertlings eröffnet. Er konnte auf die nationale Einheit und Geschlossenheit des ganzen deutschen Volkes angesichts der Haltung der Entente hinweisen. Die Stellung der Parteien kam in der anschließenden Debatte i m Finanzausschuß zum Ausdruck. Die Debatte wurde von Held eröffnet. Hertling hatte schon seine Rede m i t der Bemerkung beendet: „Es bleibt nichts übrig, als den Frieden zu erkämpfen 1 4 2 ." Der deutsche Friedensschritt schien aus sittlichen Erwägungen heraus i m Namen der Menschheit und Menschlichkeit geschehen. Die deutsche Friedensabsicht bestehe auch weiter. Der entschlossene Wille zum Weiterkämpfen kam auch in der Debatte des Finanzausschusses zum Ausdruck. Held lobte zwar die nationale Rede Hertlings, kritisierte aber zugleich, daß sie neben einer rückschauenden Darlegung der Ursachen, des Verlaufs und des Ergebnisses der Friedensbestrebungen und einer scharfen Charakteristik der Feinde „eigentlich nichts Neues" habe bieten können 1 4 3 . Das Zentrum habe sich bei den Mitteilungen i m Plenum beschieden, erwarte aber, „daß i m Ausschuß weitere Mitteilungen gemacht w ü r d e n " 1 4 4 . Dazu sei Hertling als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten auch i n der Lage. Held wünschte zu erfahren, „wie sich jetzt das Verhältnis der Reichszivilpolitiker . . . zur Kriegsleitung gestaltet" habe 1 4 5 . Die Fragen Heids beweisen nur, wie wenig man in München, i m Kreis führender Abgeordneter, über die wirklichen Vorgänge i n Berlin zwischen Z i v i l - und Militärverwaltung informiert war. Diese Informationslosigkeit und Orientierungslosigkeit hatte nicht zuletzt dazu beigetragen, daß man in München allzu schnell in Verkennung der wirklichen militärischen Lage i n Annexionsabsichten und falschen Kriegshoffnungen sich wiegen konnte. Durch die Haltung der Entente seien die deutschen Illusionen über Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht i n Frankreich und Rußland dann w o h l nicht als deutsche Schwäche auslegen könnte. „ A b e r eben dies geschah", die Entente lehnte am 30. 2.1916 das deutsche Angebot ab, w e i l ein i n diesem Augenblick geschlossener Friede n u r den Mittelmächten zum Vorteil diene, „die geglaubt hatten, i h r Ziel i n zwei Monaten erreichen zu können, u n d n u n nach zwei Jahren merken, daß sie es niemals erreichen werden". Es w a r sicher ein Fehler des deutschen Angebotes, daß es n u r i n allgemeinen Worten von „Frieden u n d Aussöhnung" gesprodien hatte. Die Entente verlangte jetzt „Sühne, Wiedergutmachung und Bürgschaft". Aber keine der beiden Parteien w a r zu einem status quo-Frieden bereit. 141 M N N , 54, 31.1.1917. 142 Sten. Ber. 1917, Bd. 15, S. 15. 143 B L A M , I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4. 144 Ebd. 145 Ebd.
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X I . H e l d u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
i n „ein Nichts zerflossen" 146 . Der Einfluß der sogenannten Westpolitiker sei in Deutschland zu groß und deshalb verhängnisvoll gewesen, die Kreise der Hochfinanz hätten sich unter allen Umständen ihr Absatzgebiet i m Westen erhalten wollen, deshalb die Rücksicht auf England. Heute sei man von diesem I r r t u m gründlich geheilt. Die A n t w o r t der Entente auf das deutsche Friedensangebot habe blitzartig die Wirklichkeit vor aller Welt erhellt. Heute wisse man, daß kein Friede möglich sei, „der sich mit der Würde und Ehre und auch der Erweiterungsmöglichkeit Deutschlands vertrage, außer er werde durch Waffengewalt errungen, so daß Deutschland i n der Lage sei, ihn zu diktieren" 1 4 7 . Die Überzeugung, diesen Krieg unbedingt gewinnen zu müssen, w a r für Held die Schlußfolgerung des mißglückten deutschen Friedensangebots. Damit war den Deutschen ihr Schicksal in der Zukunft klar vor Augen gestellt. Es handle sich nicht nur um den Verlust von Elsaß-Lothringen und von Gebieten i m Osten, sondern darum, Deutschland wieder in die alte Ohnmacht zurückzuwerfen, in der es Jahrhunderte geschmachtet habe. Österreich-Ungarn werde aufgeteilt werden, damit es i n Zukunft als Machtfaktor ausscheide und die Entente den ganzen Balkan beherrschen könne. „Das seien die Ziele, die in ihrer Wirkung nichts anderes bedeuteten als die Knechtung des Deutschen Reiches und die Überführung der Deutschen i n die Schuldknechtschaft besonders der Engländer und i n ein politisches und wirtschaftliches Helotentum 1 4 8 ." Diese Formulierungen und Empfindungen, die Held 1917 aussprach, waren dann auch den Realitäten und ihrer Interpretation ähnlich, wie sie Held nach der deutschen Niederlage immer wieder formulierte. Von Januar 1917 an begann erst die wirkliche harte Linie i n der Kriegs- und Kriegszielpolitik Heids. Angesichts dieser Lage gab es für ihn und „für alle i n Deutschland ohne Unterschied der Partei nur eine Parole entweder siegen oder sterben" 1 4 9 . Der Friede sei nur durch den Sieg möglich. Dieser war aber nur möglich, wenn alle militärische K r a f t zu Wasser, zu Land und i n der L u f t zusammengenommen würden und der Kampf rücksichtslos bis zum Ende durchgeführt werde. Die Friedensbemühungen Wilsons hielt Held nicht für ehrliche Absichten. Hier gehe es in erster Linie u m wirtschaftliche und finanzielle Erwägungen. Er habe bereits erklärt und dürfe dies „auch namens seiner Freunde sagen, daß Deutschlands Schicksal durch den Krieg und die Kriegsziele entschieden werde. M i t Freude dürfe er konstatieren, daß nach den neuesten Verlautbarungen endlich auch die politische Reichsleitung, wie es scheine, England als den Hauptfeind ansehe und es 146 147 148 149
Ebd. B L A M , I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4. Ebd. Ebd.
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entsprechend auch behandeln werde" 1 5 0 . Durch die Erklärung des unbeschränkten U-Bootkrieges 1 5 1 könnte das Ende des Krieges am schnellsten herbeigeführt werden. Die U-Boote seien das einzige Mittel, England als den Hauptfeind zu besiegen. Auch i n der Kriegszielpolitik wurde die Haltung Heids nun schärfer. Deutschland mußte sich für die Zukunft vor allem militärisch sichern. „Er sei kein Annexionist, aber soweit die Entwicklung auf Annexion gestellt sei, werde er kein Wort dagegen sagen, sondern müsse sie vom Interesse Deutschlands aus befürworten 1 5 2 ." Vor allem Belgien müsse man wirtschaftlich und namentlich auch verkehrlich und militärisch fest i n der Hand haben. Auf die Form komme es dabei gar nicht an. Für England sei Belgien stets der Korridor zum Einfall i n Deutschland gewesen. Deutschland könne einen solchen Zustand i n der Zukunft nicht mehr dulden. Notwendig sei auch, „ i n irgend einer Form Einfluß auf den Hafen i n Antwerpen und auf den ganzen Seeverkehr zu gewinnen. A n der flandrischen Küste seien Deutschland unbedingt militärisch-strategische Stützpunkte zuzugestehen" 153 . Gedanken i n dieser Richtung hatte Held ja schon früher geäußert. Sie entsprachen durchaus den Kriegszielforderungen der bayerischen bürgerlichen Parteien und insbesondere des Königs. I n der Innenpolitik lehnte Held den Scheidemannfrieden ab. Solche Kriegsziele seien „geradezu ein schreckliches Verhängnis für Deutschland" 1 5 4 . Scheidemann hatte einen annexionslosen Frieden auf der Basis vorgeschlagen, daß jeder kriegführende Staat seine Kriegskosten selbst trage. Ein solcher Friede wäre politisch und wirtschaftlich „der Friede des Todes für ganz Deutschland" und eine ausgesprochene Niederlage. Seine Partei lehne einen solchen Frieden rundweg ab. Held fragte Hertling nach dem Verhältnis zwischen Reichsleitung und Kriegsleitung, „was vorgehe" i m Verhältnis Hindenburg-Ludendorff zum Reichskanzler. Was die Kriegsleitung anbelange, dürfe nur die Oberste Heeresleitung entscheiden. Anläßlich seines letzten Berliner Aufenthaltes habe er „ i n dieser Richtung trostlose Dinge zu hören und zu spüren" bekommen 1 5 5 . Z u dem Verhältnis Bayern—Reich sprach Held bereits seine bekannten Besorgnisse aus. Die weitere Diskussion i m Finanzausschuß zeigte die Differenzen unter den Parteien. Pichler meinte, Held habe einige „sehr weit150 B L A M , 151 Die am 152 B L A M , 153 Ebd. 154 Ebd. iss B L A M ,
I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4. 1. 2.1917 von der Reichsleitung geschah. I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4.
I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4.
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X I . H e l d u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
tragende Fragen gestellt" an Hertling 1 5 6 . Der liberale Abgeordnete Hammerschmidt war wesentlich zurückhaltender i n den Ausführungen, sprach nicht von Kriegszielen und nicht so gereizt und scharf gegen Berlin und die Regierung wie Held. Der Sozialdemokrat Adolf Müller konnte sich mit der „außerordentlich bemerkenswerten Rede Hertlings" 1 5 7 , m i t deren Ton und deren politischer Zurückhaltung i m wesentlichen einverstanden erklären. Er ersuchte Hertling ebenfalls um eingehende Darstellung der militärischen Lage. Erst wenn man die realen Faktoren kenne, könne man über Kriegsziele reden. Die von Held aufgestellten, sehr weitgehenden Forderungen machten sich ja recht hübsch für eine Volksversammlung, seien aber etwas voreilig für eine Vereinigung von politisch denkenden und m i t realen Verhältnissen rechnen müssenden Politikern. Müller-Meiningen verteidigte die Vorstellung Scheidemanns über einen möglichen Frieden. I m Interesse eines Zusammenlebens der Völker nach dem Kriege sollte man auch vom christlichen Standpunkt aus und insbesondere auch von dem Standpunkt aus, den der Papst i n seinen verschiedenen Kundgebungen betont habe, davon absehen, „durch Reden, wie sie Held gehalten habe, die Verständigung der europäischen Völker zu erschweren" 158 . Wenn das erzielt werden solle, was Held wünsche, so sei eine ausgiebige Ernährung, eine wundervolle Stimmung des Volkes und eine mindestens zehnjährige Kriegslust Voraussetzung. Der Abgeordnete Speck vom Zentrum sprach i m selben Ton von den Kriegszielen wie Held 1 5 9 . Hertling und Kriegsminister von Hellingrath machten vertrauliche Mitteilungen über die Kriegslage, die beruhigend wirkten. Die erste Runde i n der politischen Aussprache des Finanzausschusses hatte gezeigt, wie weit die Ansichten der Parteien i n der Beurteilung der Lage auseinandergingen. Held hatte eine sehr kritische Rede über Hertling gehalten und war i n seinen Kriegszielforderungen sehr weitgegangen. Die Liberalen hielten sich zurück und konnten sich mit der Ausführungen Hertlings einverstanden erklären, die auch das ausdrückliche Lob der Sozialdemokraten gefunden hatten. Die „Münchner Post" 1 6 0 griff Held wegen seiner annexionsgestimmten Rede an, die i n ihrer Tendenz „ganz auf den Ton der Alldeutschen abgestimmt" gewesen sei. I n einer Erklärung am Beginn der nächsten Sitzung wehrte sich Held gegen die K r i t i k des sozialdemokratischen Blattes. Gerade das Gegenteil sei wahr, er habe ausdrücklich gesagt, daß er nicht zu den Annexionisten gehöre, aber dringend wünsche, daß Belgien wirtschaftlich und politisch gelse ist iss 159 160
Ebd. Ebd. B L A M , I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4. Ebd. Nr. 27, 2. 2.1917.
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sichert sei. Sonst wäre auch seine nachher aufgestellte Forderung, die Hand „auf Antwerpen zu legen unlogisch gewesen" 161 . Für das Zentrum ging Schlittenbauer i n seiner K r i t i k an der Haltung Hertlings noch weiter. Er habe aus dessen Ausführungen entnehmen können, daß man schließlich bereit sei, „Wilson als Friedensvermittler anzunehmen. Wenn es dazu käme, würde er das außerordentlich bedauern" 1 6 2 , w e i l auf diese Weise zu der wirtschaftlichen Suprematie, die sich Amerika i n diesem Kriege errungen habe, auch die politische käme, was gleichbedeutend wäre m i t einer „Weltherrschaft des Angelsachsentums". Daraus sprachen Haltung und Geist des alldeutschen „Ausschusses zur raschen Niederkämpfung Englands", dem Schlittenbauer angehörte und der zu den schärfsten K r i t i k e r n Bethmann-Hollwegs i n der Kanzlersturzbewegung wurde. Schlittenbauer warf Hertling, der i n seiner Rede am 31.1.1917 auch seinen eigenen Beitrag zum deutschen Friedensangebot des 12.12.1916 angedeutet hatte und dafür von der „Münchner Post" 1 6 3 auch gelobt worden war, vor, dies sei ein Zeichen, daß „die Drahtverbindung zwischen dem Ministerium des Äußern und dem Altheimereck (dem Sitz der Redaktion der „Münchner Post" — d. Verf.) ganz gut funktioniere" 1 6 4 . Das war ein ungeheurer Vorwurf und Angriff auf Hertling. Die Anglophobie bei Schlittenbauer ging so weit, daß er feststellte, ein Friede aus Menschlichkeit sei bei einem Gegner wie England nicht möglich. Die englische Regierung sei ein Werkzeug der englischen Plutokratie. Wenn sich England noch m i t Amerika verbünde, dann wisse man, welches Stigma das nächste Jahrhundert die Weltgeschichte tragen werde. Gegen diesen Verein könne auch die sogenannte mongolische Gefahr nicht aufkommen. Der Sozialdemokrat Segitz verteidigte daraufhin sogar die Reichsregierung und damit indirekt Hertling gegen die Vorwürfe Schlittenbauers 165 . A m 6. Februar 1917 formulierte Held für die bürgerlichen Parteien eine Erklärung an den Kaiser, die für dessen Kundgebung vom 12. Januar 1917 nach Ablehnung des Friedensangebots danken sollte: „ W i r Vorstände der bürgerlichen Parteien des bayerischen Landtags wissen uns i n voller Ubereinstimmung m i t dem bayerischen Volk, wenn w i r Ew. Kaiserlichen Majestät für das offene ehrliche Zeichen deutscher Friedensbereitschaft, aber auch zorniger Entrüstung über die uns in der frivolen Ablehnung des Friedensangebotes angetane Schmach tiefstgefühlten Dank aussprechen 166 ." Der König habe bereits die Versiche161 B L A M , I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 6, Sitzung v o m 3. 2.1917. 162 a.a.O., S. 13 f. 163 Nr. 18, 23.1.1917. 164 Ebd. 165 a.a.O., S. 35 ff. 166 B L A M , I I I . Ausschuß 109 a, Beil. 8.
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X I . H e l d u n d das bayerische Z e n t r u m i n der Kriegszielpolitik
rung gegeben, „daß w i r Bayern i n unerschütterlicher Bundestreue den uns aufgezwungenen Kampf fortzusetzen den Willen haben, u m uns m i t den Waffen einen ruhmreichen Frieden zu erzwingen. Diesem Willen würde auch das Entstehen eines neuen Feindes nicht den geringsten Abbruch tun . . . Für Kaiser und Reich, für König und Volk ist uns kein Opfer zu groß" 1 6 7 . Ein Jahr später, i m Oktober 1918, w i r d Held nicht mehr bereit sein, einer von den Liberalen angeregten Resolution zur Reichstreue Bayerns zuzustimmen. Auer erklärte für die Sozialdemokraten, daß sie auf Grund der Vorkommnisse bei der Präsidentenw a h l nicht bereit seien, sich dieser Resolution anzuschließen 168 . Bei den weiteren Verhandlungen des Finanzausschusses ging es vor allem u m Ernährungsfragen und die Mängel der Lebensmittelversorgung. Drei volle Tage debattierte auch das Plenum über die gleichen Probleme. Die Meinungen gingen weit auseinander, je nach den Interessen der beiden großen Gruppen i n der Kammer: der Erzeuger und Verbraucher, Stadt und Land, Nord und Süd. Der Gegensatz zwischen Zentrum und Sozialdemokratie war i n diesen Fragen noch tiefer geworden. Die Liberalen näherten sich i n diesen Fragen mehr dem Zentrum. Als Sprecher des Zentrums i n kriegswirtschaftlichen Fragen trat Schlittenbauer auf; am 28.2.1917 verlangte er eine radikale Änderung der Preispolitik, kritisierte heftig die Kriegsgesellschaften, bei denen er als einziges M i t t e l der Abhilfe die Dezentralisation forderte. Erst durch die „Neuberliner Richtung" habe sich der Gegensatz zwischen Nord und Süd herausgebildet 169 . Die Eröffnung des unbeschränkten U-Bootkrieges von deutscher Seite hatte zu falschen Hoffnungen über die militärischen Erfolge dieser Waffe geführt. Uber die wirkliche militärische Lage war man in der bayerischen Hauptstadt nur wenig informiert. So konnte Held am 20. Februar 1917 i n der Kammer der Abgeordneten eine Erklärung abgeben, die an den Realitäten vorbeiging: „Die Zentrumsfraktion . . . hat mit hoher Befriedigung Kenntnis genommen von dem günstigen Stand der Kriegslage für Deutschland . . . Sie begrüßt es lebhaft, daß sich die Oberste Heeresleitung und die Reichsregierung nach der frivolen Ablehnung des ehrlichen deutschen Friedensangebotes durch unsere Feinde entschlossen hat, mittels des verschärften U-Bootkrieges gegen den Hauptfeind energisch vorzugehen . . . Sie erblickt in der rücksichtslosen Anwendung unserer U-Boote gegen England das beste Mittel, dessen Macht und Angriffslust zu brechen . . . Für Kaiser und Reich, für König und Vaterland weihen w i r alles, was w i r sind und 167 Ebd. 168 Ebd. 169 Sten. Ber. 1917, Bd. 15, S. 219 f. M N N , 108, 1.3.1917: Schlittenbauer habe in der Debatte „mit aller Kraft die Interessen der Erzeuger vertreten".
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haben 1 7 0 ." Die Liberalen gaben eine ähnlich gehaltene Erklärung ab, die Sozialdemokraten hielten sich stärker zurück. A m 28. März 1917 vertagte sich der Landtag auf den Herbst. Dort sollten vor allem dann die verfassungspolitischen Gegensätze stärker i n den Vordergrund treten. Dazwischen lagen aber Ereignisse, die die innen- und außenpolitische Situation des deutschen Volkes stark veränderten und auch nach Bayern hin starke Wirkungen zeigten: die Osterbotschaft des deutschen Kaisers, die Bildung einer neuen Reichstagsmehrheit aus Zentrum, Sozialdemokraten und Fortschrittlichen, die Friedensresolution des Reichstags vom J u l i 1917 und der Sturz des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg.
no sten. Ber 1917, Bd. 15, S. 31. 17
Keßler
X I I . Neuorientierung des Reichstagszentrums—Die Reaktion Heids Entscheidend für die weitere Entwicklung der Politik Heids wurde nun die Tatsache, daß sich die Reichstagsfraktion des Zentrums unter dem Einfluß Erzbergers neu orientierte. Die Reichstagskrise vom J u l i 1917, die den Sturz Bethmann-Hollwegs herbeiführte, ist als ein großer Wendepunkt i n der inneren Entwicklung Deutschlands während des Krieges anzusehen, „ein Anzeichen für das nahende Ende des bürokratisch-autoritären Systems und für das Vordringen des liberal-parlamentarischen Regierungssystems" 1 . Den Hintergrund stellte die innenund außenpolitisch-militärische Situation in Deutschland i n der Mitte des Jahres 1917 dar. Die führende und zugleich umstrittene Persönlichkeit i n diesem Prozeß der Umorientierung war der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger. Klaus Epstein hat i n der Biographie Erzbergers die Gründe genau analysiert und dargestellt, die Erzbergers Wandlung vom starken Annexionisten zum Promotor der Friedensresolution erklären lassen2.
1. Die Friedensresolution vom Juli 1917 Vom scharfen Annexionisten i n den beiden ersten Kriegs jähren war Erzberger unter dem Eindruck der Krisen des Jahres 1917 zum Vorkämpfer einer neuen Innen- und Außenpolitik geworden. Er hatte dabei das Reichstagszentrum zu einer Wendung von rechts nach links und zur Koalition m i t Sozialdemokraten und Fortschritt geführt. Diese Wendung hatte ihre Vorgeschichte und begann in der Auseinandersetzung um die Führung des uneingeschränkten U-Bootkrieges, von dem man den entscheidenden deutschen Sieg über England erwartete. Bethmann-Hollweg war aus Rücksicht gegen Amerika dagegen gewesen. Die Kanzlersturzbewegung, die auch von großen Teilen des bayerischen Zentrums mitgetragen wurde, versuchte den Reichskanzler durch eine öffentliche Kampagne dazu zu zwingen. Erzberger stand auf Seiten des Reichskanzlers. Er hatte „die entscheidende Wirtschaftsmacht Amerikas, die unüberwindlich sei, wenn seine Energien einmal für den Krieg mobilisiert wären", erkannt 3 . Der Kaiser entschied sich ι K . Epstein, Matthias Erzberger, S. 204 ff. 2 Ebd., S. 116. 3 Epstein, S. 75.
1. Die Friedensresulution v o m J u l i 1917
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zunächst gegen den U-Bootkrieg; Admiral Tirpitz wurde i m März 1916 entlassen. M i t der Berufung Hindenburgs und Ludendorffs zur Obersten Heeresleitung i m September 1916 drang jedoch ein starker Annexionismus i n die deutsche Politik ein. Das bayerische Zentrum hatte die Berufung Hindenburgs ausdrücklich gegen den Willen Hertlings begrüßt; ebenso die Erklärung des unbeschränkten U-Bootkrieges, die unweigerlich Amerika i n den Krieg hineinziehen mußte. Erzberger hatte davor gewarnt. Seine realistische Einschätzung der Kriegslage war durch „seine Nachrichtendienste ermöglicht" 4 . I m Sommer 1917 war für ihn klar geworden, daß der U-Bootkrieg seinen angestrebten Zweck nicht erreicht hatte. England verfolgte mit der Unterstützung Amerikas das Ziel der unbedingten Niederlage Deutschlands, das von allen Seiten von Feinden umringt war und gegen das auch die Zeit arbeitete. Die innere Lage Deutschlands wurde immer schwieriger, die Lasten des Krieges immer drückender. Die Einheit der Sozialdemokratie zerbrach unter der innenpolitischen Spannung i n USPD und MSPD. Inzwischen hatte der Kaiser i n seiner Osterbotschaft von 1917 auch eine Reform des preußischen Wahlrechts versprochen, ihre Durchführung wurde aber auf lange Zeit bis zum Kriegsende verzögert. Die radikalen Sozialisten i n der USPD machten der Regierung den Vorwurf, daß sie mit Rücksicht auf die Annexionsabsichten der herrschenden Kreise und ihrer reaktionären Ziele i m Innern den Krieg unnötig verlängerte. Deutschland könne sofort einen Verständigungsfrieden erhalten, wenn es seine Annexionswünsche fallen lasse. Die Mehrheitssozialisten unter Führung Eberts waren unter dem Druck der Unabhängigen Sozialisten unter Führung Haases der Meinung, i m J u l i 1917 keine neuen Kriegskredite mehr bewilligen zu können, solange man dem Volk nicht sagen konnte, Deutschland führe einen reinen Defensivkrieg. „ U m den politischen Bedürfnissen der Sozialdemokratie entgegenzukommen, teils auch u m Ebert gegenüber Haase zu stärken, faßte Erzberger den Plan zu einer Friedensresolution 5 ." A m 6. Juli 1917 hielt Erzberger i m Hauptausschuß des Reichstages eine Rede über die Situation Deutschlands. Sie löste „wegen ihrer pessimistischen und detaillierten Schilderung der sehr ungünstigen militärischen Aussichten eine allgemeine Panik aus" 6 . Erzberger forderte den Reichstag auf, als Einleitung zu einem Verständigungsfrieden, in dem er Deutschlands einzige Hoffnung sah, eine Resolution gegen Annexionen anzunehmen. Ein interfraktioneller Ausschuß aus Abgeordneten der Nationalliberalen Partei, des Zentrums, der Fortschrittspartei und der Mehrheitssozialisten beriet den Entwurf einer Resolution nach Erzbergers Vorschlag. A m gleichen Tage hatte 4 Ebd., S. 182. 5 Epstein, S. 205. 6 Ebd., S. 206. 17*
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X I I . Neuorientierung des Reichstagszentrums
Erzberger auch eine Rede vor der Zentrumsfraktion gehalten, die sich zunächst ablehnend verhielt, dann aber doch zu fast einstimmiger Annahme der Friedensresolution bereit war 7 . I n der Julikrise des Jahres 1917 stürzte auch Reichskanzler BethmannHollweg, dessen Rücktritt neben Oberster Heeresleitung, Konservativen, Nationalliberalen nun auch das Zentrum gefordert hatte. A m 13. J u l i 1917 trat er zurück. Michaelis wurde vom Kaiser zum Nachfolger ernannt. A m 19. J u l i 1917 nahm der Reichstag die Friedensresolution m i t 212 gegen 126 Stimmen an. Hier zeigte sich die neue Reichstagsmehrheit: Zentrum, Fortschrittspartei und MSPD stimmten dafür, Konservative und Nationalliberale dagegen. Die Resolution hatte den Wortlaut: „Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. M i t einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar 8 ." Damit waren alle A n nexionsabsichten ausdrücklich abgelehnt und eine innenpolitische Neuorientierung i n Richtung auf eine stärkere Parlamentarisierung gefordert worden. Die Resolution war der Beginn einer heftigen innenpolitischen Auseinandersetzung i n Deutschland, die auch zur Spaltung der Zentrumspartei selbst führte. Der rechte konservative Flügel der Partei bekämpfte heftig die neue Richtung Erzbergers. Held selbst wurde zum schärfsten K r i t i k e r Erzbergers innerhalb des Zentrums. Die Differenzen zwischen beiden Politikern hatten ihren Grund i n der verschiedenen Auffassung der militärisch-politischen Lage Deutschlands des Jahres 1917 und in den Auswirkungen der bei der Friedensresolution zustandegekommenen parteipolitischen Neukonstellation auf die innenpolitische Entwicklung des Deutschen Reiches. Beide Differenzpunkte lassen sich anhand der Quellen klar aufzeigen. Erzberger hatte die Erklärung des uneingeschränkten U-Bootkrieges zu verhindern versucht; i n der Voraussage seiner Wirkungslosigkeit und der bloßen Verschärfung des Krieges durch den Eintritt Amerikas hatte er Recht behalten. Erzberger besaß außerdem Kenntnis von der schlechten Lage Österreichs und dessen Friedensbereitschaft, so daß Deutschland vom Jahre 1917 an nicht mehr m i t der vollen Kraft Österreichs rechnen konnte, und daß der Wiener Hof „seitdem entschlossen war, bei der ersten Gelegenheit von Deutschland abzufallen" 9 . Österreichs Außenminister Czernin hatte i h m schon am 12.4.1917 erklärt, „daß Österreich vor Jahresende aus dem Krieg ausscheiden müsse" 10 . Das Wissen von einem bevor7 Ebd., S. 218. β Zit. bei Epstein, S. 225. 9 A. Rosenberg, S. 152. 10 Epstein, S. 209.
1. Die Friedensresulution v o m J u l i 1917
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stehenden päpstlichen Friedensschritt hatte die Aktion Erzbergers ebenfalls beeinflußt; die päpstliche Diplomatie kannte das militärische Übergewicht der Entente, wünschte aber bei aller Neutralität eine Niederlage der Mittelmächte zu vermeiden; Deutschland sollte sich „zu gemäßigten Kriegszielen bekennen" 11 . Erzberger wollte die Regierung dazu bewegen; da niemand mehr hoffen könne, den Krieg zu gewinnen, müsse Deutschland sich nun um einen Verständigungsfrieden bemühen. Schon i n der Beurteilung der militärischen Lage besaß Held andere Anschauungen bzw. weniger Informationen als Erzberger. Die Berufung Hindenburgs und die Erklärung des uneingeschränkten U-Bootkrieges hatte er begrüßt und die größten militärischen Hoffnungen daran gebunden. Ende Februar 1917 hat er noch von einer ausgezeichneten militärischen Lage gesprochen. Daran zeigt sich erneut, wie wenig man i n Bayern über die wirkliche Kriegslage informiert war und wie sehr dadurch das Wachsen annexionistischer Wünsche und illusionistischer Kriegszielforderungen begünstigt wurde. I m Finanzausschuß hatte Held am 1. 2.1917 bezeichnenderweise um Auskunft darüber gebeten, „was vorgehe" 1 2 i m militärisch-politischen Bereich. Einen „Scheidemannfrieden" hatte Held schon bei dieser Gelegenheit entschieden abgelehnt, aber einen solchen Frieden forderte gerade die Resolution des Reichstags. A m 7. 5.1917 hatte der „Regensburger A n zeiger" i m Zusammenhang m i t der sozialdemokratischen Kriegszielinterpellation vom Reichskanzler eine allgemeine Erklärung verlangt, „ i n welcher das sozialdemokratische Kriegsziel keinen Platz mehr hat" 1 3 . Das sicher und klar zu erkennen, sei eine notwendige politische Folgerung aus der gegenwärtigen Lage. Die 4. englische Durchbruchsniederlage lasse das englische Friedensbedürfnis erwarten nach fruchtlosen Kämpfen. „Die Engländer werden, . . . durch die deutschen U-Boote i n die Feuerschlunde der deutschen Geschütze getrieben . . . I n der Tat, der U-Bootkrieg w i r k t verheerend auf England, das die Seeherrschaft einzubüßen i m Begriffe ist und das nun i m Landkampf abzuwehren sucht, was ihm zur See droht 1 4 ." Die Verlängerung der englischen Legislaturperiode bis zum 1. November zeige, daß die Engländer glaubten, bis dahin wieder Frieden zu haben. „ I n dieser werdenden Situation ist die Abweisung der sozialdemokratischen Kriegszielforderung eine elementare Notwendigkeit 1 5 ." I m Hinblick auf die übersteigerten Hoffnungen und Wünsche bayerisch-politischer Kreise hatte Hertling i m „Bayerischen Staatsanzeiger" vor allzu wilder n 12 13 14 is
A. Rosenberg, S. 152. B L A M , I I I . Ausschuß, Nr. 109 a, Beil. 4. RA, 226, 7. 5.1917. Ebd. Ebd.
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annexionistischer Agitation warnen lassen. Deutschland solle den Gedanken an eine Kriegsentschädigung beim Friedensschluß aufgeben. M i t dem Hinweis auf „Maßhalten" und die „goldene Mittelstraße" wurde einem völligen Verzicht das Wort geredet 16 . Das Zentrumsblatt „Neues Münchner Tagblatt", ein Organ Heims, nannte die in der „Bayer. Staatszeitung" geäußerten Gedanken „geradezu naiv anmutende Ausführungen". Es stellte an die bayerische Regierung die Frage, ob sie mit diesem „Elaborat timider Schwächlichkeit" einverstanden sei. Es seien Kräfte am Werk, um das „deutsche Volk u m die Früchte seiner Großtaten i m Felde und i n der Heimat zu bringen" 1 7 . Nachdem Zeitungen verschiedenster Richtungen sich mit den Kriegszielfragen befaßt hatten, schrieb Held am 4. J u l i 1917, zwei Tage vor der Rede Erzbergers i m Hauptausschuß des Reichstages einen grundsätzlichen A r t i k e l über „Katholizismus und Kriegsziele" 18 . Wie sollten sich die deutschen Katholiken zu Krieg und Frieden stellen? I n dieser Frage seien die Katholiken keineswegs einer Meinung. Held distanzierte sich von der scharfen Kriegszielforderung der „Kölnischen Volkszeitung". Er verwahrte sich dagegen, wie dieses Blatt seine Meinung vertrete. Als Grundlage seiner Anschauung hielt Held fest: „Als Deutsche führen w i r diesen Krieg zur Verteidigung unseres Vaterlandes und zur Sicherung seiner Zukunft. W i r werden die Waffen nicht eher niederlegen, als bis die Feinde gewillt sind, mit uns i n Friedensverhandlungen einzutreten, die Aussicht bieten, daß der Bestand des deutschen Reiches gesichert ist und die Opfer des deutschen Volkes nicht umsonst gebracht wurden 1 9 ." Worin diese Sicherungen bestünden, darüber könnten die Meinungen der Katholiken geteilt sein. „Als Katholiken wünschen und beten wir, daß ein Friede, der unseren vaterländischen Bedürfnissen gerecht wird, ohne die Wiederaussöhnung der Völker zu vereiteln, recht bald dem furchtbaren Kriegselend ein Ende mache 20 ." Das war eine sehr diplomatische Formulierung, die allen alles versprechen konnte. Held betonte seine Friedensbereitschaft und Friedenssehnsucht, verlagerte sie aber i n den moralisch-religiösen Bereich. Die Kirche brauche den Weltfrieden, „ u m ihre göttliche Weltmission wieder aufzunehmen" 21 . Neben der Weiterführung des Werkes der Glaubensverkündigung gehe es vor allem u m die „Wiedergewinnung der Menschenseele". M i t Wehmut und Bedauern müsse man auf die
16 BStZ, 104, 5. 5.1917. 17 „Neues Münchner Tagblatt", 126, 6. 5.1917. 18 RA, 327, 4. 7.1917. i» RA, 328, 5. 7.1917. 20 Ebd. 21 RA, 328, 5. 7. 1917.
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„Verwüstung der Seele" blicken, die der Krieg angerichtet habe. „Wahrlich, es ist höchste Zeit, daß wieder Friede werde auf Erden 2 2 ." Solange aber führende Katholiken und Priester der Entente „ihre haßerfüllten Predigten gegen uns schleudern dürfen, solange ist wenig Hoffnung auf einen neuerlichen Zusammenschluß der Katholiken in allen Ländern zur Anbahnung des Friedens" 23 . Die deutschen Katholiken hätten also die Pflicht, „bis zur Erreichung der Friedensbereitschaft bei unseren Feinden durchzuhalten" 24 . Die Friedensresolution war aber für Held ein Zeichen der Schwäche, der vorzeitigen Kapitulation. Die erste Reaktion i n Bayern auf die Rede Erzbergers und die Kanzlerkrise war Rat- und Orientierungslosigkeit. Die Aktion Erzbergers war völlig überraschend gekommen 25 . Es fehlte auch Held an wirklicher Information über die Vorgänge in Berlin. „Man wußte tatsächlich nicht mehr, woran man war und an wen man sich halten sollte. . . . Es war in der Tat zum Nervöswerden 26 ." Vorschnell hatte der „Bayerische Kurier" die A k t i o n Erzbergers eine „große Tat zur rechten Z e i t " 2 7 genannt und auch der „Regensburger Anzeiger" sah darin eine Krise des alten Regierungssystems, die die Reichsregierung ergriffen habe. Bisher hätten Reichskanzler und Staatssekretäre i n erdentrückter Höhe ihre Tage dahingelebt, von einem geheimnisvollen Dunkel umhüllt und den Anschein erweckt, als dirigierten sie ein mystisches weltpolitisches Uhrwerk 2 8 . Jetzt sei auf Grund der Mißerfolge i n der inneren und äußeren Politik auch dem Uneingeweihten klar geworden, daß der Zaubermantel, den man um die Regierung gelegt habe, „bloß 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 A m 10. J u l i 1917 berichtete der Zentrumsabgeordnete Mayer-Kaufbeuren an Held über die Vorgänge u m die Rede Erzbergers: „Die Stimmung ging wie ein S t u r m w i n d durch die Fraktion, deren übergroße Mehrheit sehr pessimistisch über den Kriegsausgang denkt. Auch die bayerischen Freunde sind zum Teil warme Befürworter der Aktion, i m übrigen bis auf 2 nicht dagegen." (AHR) Der Regensburger Reichstagsabgeordnete schrieb am 12. J u l i 1917 an Held: „ W i r Bayern, ausgenommen Dr. Pfleger u n d Frh. v. Frankenstein, sind alle einig u n d stimmen geschlossen i n der Kanzlerfrage, i n der Frage des parlamentarischen Regimes u n d i n der Friedenskundgabe" (AHR). Reichstagsabgeordneter Lederer am 7.7.1917 an Held: „Es gehen große Dinge vor! Ich b i n für Regierungswechsel u n d i m Anschluß damit auch für Verständigungsfriedensangebot" (AHR). Held stand also bald gegen den Großteil des bayerischen Teils der Zentrumsfraktion, die unter dem E i n druck der deprimierenden Situation i m Januar 1917, die angesichts der sozialdemokratischen Drohung, die Kriegskredite zu verweigern u n d der österreichischen Kriegsmüdigkeit Erzberger folgten. 26 RA, 340, 11. 7.1917. 27 Ebd. 28 B K , 192, 11. 7.1917.
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Zauber war und vielfach sogar fauler Zauber" 2 9 . Diese Worte wirken wie der Versuch einer Entmystifizierung des alten bürokratisch-feudalen Regierungssystems und als demokratisches Urerlebnis: das Alte, bisher Geheiligte, hatte versagt, man mußte sich selbst i n demokratischer Verantwortung der Dinge annehmen. Der Reichskanzler hätte mit einem energischen Ruck das bürokratisch unzulängliche Regierungssystem i n die Rumpelkammer werfen und der Vertretung des Volkes, dem Reichstag „vollen Anteil an der Gestaltung der Politik gewährleisten müssen" 30 . Er hätte mit Vorschlägen an den Reichstag herantreten und die Volksvertreter darüber entscheiden lassen müssen, i n welchen Bahnen die Kriegspolitik des Deutschen Reiches zu führen sei. Damit hätte das Volk die Verantwortung für Erfolg und Mißerfolg auf sich genommen, und sein politisches Interesse wäre ebenso rege geblieben wie die Arbeitsfreudigkeit seiner Abgeordneten. Der Reichskanzler verzichtete aber auf die Beiziehung des Volkes, die zugleich eine Erziehung zu politischer Reife gewesen wäre; er machte lieber eine ganz unmögliche Politik gegen rechts und links „und beließ uns in dem unangenehmen und aufreizenden Gefühl, daß w i r stets nur die Geführten seien und obendrein m i t unsern Führern i m Dunkeln tappen" 3 1 . I n diesem Dunkel waren dann alle möglichen Gerüchte entstanden, und jene Gase konnten sich bilden, die am 6. Juli 1917 i m Hauptausschuß des Reichstages mit so lautem K n a l l explodierten 32 . Held erklärte damit der Regierung, daß das Volk kein Vertrauen mehr zu ihr haben könne und daß es seine Geschicke nun selbst i n die Hand nehmen wollte. Das hätte als revolutionäre Tat wirken müssen und den Grundstock zu einer deutschen parlamentarischen Republik legen können, wenn diese Parlamentarier nun völlig die Leitung des Reiches übernommen hätten. Dazu waren sie nicht bereit und nicht willens. Der Schock des J u l i 1917 hatte bei Held zunächst zu einer demokratischen Besinnung, zu einer Entzauberimg des alten Regimes geführt, deren Grundströmungen in Richtung auf ein parlamentarisches Regime führten. Bald aber traten wieder Abwehrmechanismen in Funktion, 2
9 Ebd. so Ebd. 31 RA, 340, 11.7.1917. 32 Bachem, Bd. 9, S. 433 ff. schildert die Wirkungen der A k t i o n Erzbergers von außerbayerischer Seite: Bisher hatte die Zentrumsfraktion an der Hoffnung eines siegreichen Ausgangs des Krieges festgehalten u n d die Oberste Heeresleitung b e r e i t w i l l i g unterstützt i n i h r e m Bestreben, i m Volke den W i l l e n zum Durchhalten zu stärken. Die Presse sei durch offizielle Kriegsnachrichten v ö l l i g uninformiert geblieben über die wirkliche Kriegslage und tappte i m Dunkeln; „auch sie fiel aus allen Himmeln, als durch das Vorgehen Erzbergers der Schleier plötzlich zerriß . . . Die Aufregung w a r ungeheuer. Die Wählerschaft u n d die Presse des Zentrums befanden sich i n der größten V e r w i r r u n g und verstanden nicht, was vorgegangen w a r " (a.a.O., S. 437).
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die von psychologisch begründbaren Ressentiments getragen waren und nach Überwindung des Schocks wieder i n den Vordergrund traten. Derselbe Vorgang w i r d sich übrigens auch i n dem unmittelbaren Erlebnis der Revolution 1918 feststellen lassen. Angesichts der Neuorientierung der i n Fluß geratenen Politik legte Held zunächst ein echt demokratisches Bekenntnis ab: „Manches stimmt nicht mit unserer Meinung überein, vieles davon haben w i r schon längst vertreten, i n anderem werden w i r vielleicht noch umlernen müssen. Denn die Politik ist ebenso wie die Weltgeschichte keine vertrocknete Mumie, an der man mit dem Seziermesser nach altgewohnten Praktiken herumhantieren kann, sondern ein lebendfrisches Ding, das wächst und täglich anders wird. . . . Dem fließenden Strom der Zeit müssen w i r folgen, nicht willenlos von seinen Wellen getragen, sondern mit festem zielsicheren Steuer unser Schiff lenken 3 3 ." Es gibt oft Momente i n der politischen Geschichte Heids, i n der seine wirklich grunddemokratischen Gedanken und seine Grundhaltung offen zum Durchbruch kamen. Die Frage ist zu stellen, inwieweit dies nicht seine wirklichen Ansichten waren, während er in seinen konservativen Ausbrüchen Gefangener seiner Partei war. Drei näher beschreibbare Gründe lassen sich feststellen, aus denen heraus Held allmählich zur Gegenaktion gegen Erzberger vorging: 1. die bereits dogmatisch gewordene Feindschaft gegen Sozialdemokratie und Linksliberalismus, 2. die Furcht vor einer Aushöhlung des foederalistischen Aufbaues des deutschen Reiches durch die zwangsläufige Stärkung einer Zentralgewalt durch die Parlamentarisierung und 3. das Festhalten an der Monarchie aus religiös fundierten staatsrechtlichen und foederalistischen Grundüberzeugungen. Was Erzberger jetzt forderte, war i n den Augen Heids nichts als die augenscheinlich m i t der Stockholmer Konferenz gescheiterte Kriegspolitik der Sozialdemokraten, die es jetzt m i t der annexions- und entschädigungslosen Friedensformel versuchten. Daneben hatten sie ja schon längst auf die Einführung des Parlamentarismus hingearbeitet. Gefolgschaft bekamen die Sozialdemokraten nun in der Fortschrittlichen Volkspartei: „Ganz überraschend" 34 tauchte nun das Zentrum neben den Linksparteien auf. Erzberger übernahm sogar die Führung gegen das alte Regime und brachte es fertig, daß die gesamte Zentrumspartei bis auf wenige Ausnahmen sich plötzlich zu einem Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen, zu einer A r t parlamentarischen Regierungs33 RA, 342, 12. 7.1917. 34 RA, 340, 11. 7.1917.
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systems und zur sofortigen Reform des Wahlrechts bekannte. Die Sozialdemokraten, so sah es Held, hätten die Gärung i m Volk ausnützen wollen, um mit einem energischen Zugriff die Zügel der Regierung an sich zu reißen, „ u m dem Sozialismus zum Triumph zu verhelfen" 3 5 . Die annexionslose Friedensformel bildete dabei nur die volkstümliche Grundlage des politischen Neubaus; die Umfassungsmauern aber sollten durch Einführung des Parlamentarismus erstellt werden, „während die Wahlrechtsfrage bloß zur Inneneinrichtung gehörte" 3 6 . Warum aber hatte Erzberger so gehandelt? „Wenn w i r nicht vor Gott und der Welt betrogen und belogen sind und wenn w i r noch unseren eigenen Augen und unserem gesunden Menschenverstand trauen dürfen, dann können w i r doch unmöglich sagen, daß die Kriegslage zu Wasser und zu Land für uns so bedenklich stünde, daß w i r auf einen sofortigen Frieden ohne Schadensersatz dringen müßten 3 7 ." Erzbergers Enthüllungen hatten etwas von „Bluff" an sich gehabt. Die Heeres- und Marineführung habe aber nach wie vor die Kriegslage fest in der Hand und verdiene die volle Zuversicht. Warum aber Erzberger auf einmal mit den Linksparteien für Verständigungsfrieden, Parlamentarismus und sofortige Neuorientierung so scharf eintrat, blieb für Held zunächst „ziemlich ungeklärt" 3 8 . Wichtiger war für Held die Frage: was soll mit dem Parlamentarismus erreicht werden? „Daß er kommen wird, steht außer Zweifel 3 9 ." 1916 hatte er den Parlamentarismus noch „rundweg" abgelehnt 40 . Er bedeute am preußisch-monarchischen Staatsgedanken gemessen „eine revolutionäre Umstürzung der ganzen jahrhundertelangen Tradition" 4 1 . Ob er jedoch ein Segen für Volk und Reich ist, wenn er ohne jeden Übergang und ohne jedes Maßhalten von heute auf morgen durchgeführt würde, erfüllte Held m i t „aufrichtiger Sorge" 42 . Außerdem hatte der Parlamentarismus unerfreuliche Begleiterscheinungen, die man in bereits parlamentarisch regierten Ländern beobachten konnte: erbitterte Wahlkämpfe, Käuflichkeit und einseitigste Machtpolitik der parteipolitisch gebundenen Minister, ein ständiges Kommen und Gehen in den obersten Regierungsstellen, ein allgemeines Sinken der politischen Moral.
35 36 37 38
RA, 340, 11. 7.1917. Ebd. Ebd. Ebd.
39 Ebd. 40 RA, 596, 26. 11. 1916. 41 RA, 340, 11.7.1917. 42 Ebd.
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Rechtzeitig hatte Held erkannt, „daß der Parlamentarismus das Grab der deutschen Bundesstaaten ist" 4 3 . Parlamentarismus und foederativer Charakter des deutschen Reiches waren für Held zunächst unvereinbar. Das Zentrum hatte i n seinem Programm sich ausdrücklich auf den Boden der Verfassung i n den Einzelstaaten und i m Reiche gestellt und damit den Standpunkt der konstitutionellen Staatsverfassung und der foederativen Grundlage des Reiches als feste Parteigrundsätze proklamiert. Wesentlich schärfer sprach diesen Gesichtspunkt der „Bayerische Kurier" aus. „ V o m Standpunkt der Grundsätze der Zentrumspartei muß jeder Versuch, das . . . dringend reformbedürftige, preußische Wahlrecht auf dem Umweg über den Reichstag verbessern oder umgestalten zu wollen, auf das entschiedenste zurückgewiesen werden, weil er eben m i t dem foederativen Charakter des Reiches unvereinbar ist 4 4 ." Was heute Preußen passiere, werde später m i t demselben Unrecht an Bayern versucht werden; es gehe um die strenge Aufrechterhaltung der foederativen Grundlagen der Reichsverfassung. Die Berufung von Reichstagsabgeordneten in die Regierung, ohne daß diese i h r Mandat aufgäben, bedeute eine völlige Verschiebung des politischen Machtverhältnisses im Reich, „eine Verrückung der Grenzsteine i m politischen Kräftegebiet zwischen Bundesrat und Reichstag auf Kosten des Bundesrats" 4 5 . Das sei eine Gefahr für die Bundesstaaten und die Herrscherhäuser. „Das bayerische Zentrum kann und w i r d eine Verletzung der hier behandelten Parteigrundsätze niemals hinnehmen 4 6 ." Nachdem die Orientierungslosigkeit der ersten Tage überwunden war, formierte sich die bayerische Front gegen Erzberger 47 . Das ganze Durcheinander hätte Erzberger dem deutschen Volke „ersparen können" 4 8 , meinte Held; es sei ein Fehler gewesen, die innere Neuordnung auf bestimmte Ansichten über die Kriegslage und die äußere Politik aufzubauen. Die Vorstandschaft der bayerischen Zentrumsfraktion steckte m i t einer einstimmig angenommenen Erklärung vom 18. Juni 1917 die Fronten ab: „ . . . Festhaltend an den altbewährten und bisher unerschütterlich hochgehaltenen Grundsätzen der Zentrumspartei er-
43 RA, 340, 11. 7.1917. 44 B K , 14. 7.1917. 45 Ebd. 46 B K , 14. 7.1917. 47 Schon am 8. J u l i hatte Dr. Pfleger Held aufgefordert, schnell gegen Erzberger zu handeln (AHR). Held antwortete darauf am 17. J u l i an Pfleger m i t der Bitte, „alles auf zuwenden, daß die unselige Kriegszielerklärung u n d die Kooperation m i t Linksliberalen u n d Sozialdemokraten nicht zustande k o m m t u n d daß das Zentrum absieht von dem programmwidrigen Seitensprung nach der Parlamentarisierung, der uns unfehlbar ins Verderben reißt" (AHR). 48 RA, 334, 13. 7.1917.
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wartet die Vorstandschaft der bayerischen Landtagsfraktion, daß in der innenpolitischen Entwicklung des Deutschen Reiches die verfassungsmäßigen Rechte der deutschen Bundesstaaten und insbesondere auch die garantierten Reservatrechte Bayerns ungeschmälert erhalten bleiben. Die Einführung der sogenannten parlamentarischen Regierungsform lehnen w i r grundsätzlich unter allen Umständen ab 4 9 ." Zugleich setzte i m „Regensburger Anzeiger" eine Artikelserie „Der Kampf u m den Staat" ein, die die „Segnungen" des Parlamentarismus kennzeichnen sollte. Die Frage um Demokratisierung und Parlamentarisierung war zu einer nationalen Frage geworden. „Wer soll i m Staat regieren?" M i t der klaren Stellungnahme hatte das bayerische Zentrum wieder T r i t t gefaßt, es war eine uneingeschränkte Verurteilung der Erzbergerschen Aktion. Held gab selbst zu, daß ihn die Aktion Erzbergers zunächst „irritiert habe", als er wieder zur Klarsicht gekommen sei, habe er ablehnen müssen. Bei der Erzbergerschen Aktion habe es sich u m eine „Überrumpelung der Fraktion gehandelt" 50 . Die maßlose Friedensagitation, verbunden m i t einer absichtlichen Verschleierung der wahren Kriegslage besorge „ausschließlich die Geschäfte der Linksparteien" 5 1 . Die Presseäußerungen der Sozialdemokraten schienen diesem Gedanken Recht zu geben. So schrieb die „Münchner Post" zur Friedensresolution: „Der sozialdemokratische Gedanke des Verständigungsfriedens siegte über das bürgerliche Annexionsprogramm 52 ." Scheidemann bezeichnete Erzberger als den ersten Bürgerlichen, der sich offen auf den Standpunkt der SPD stelle 53 . Auf einer Kundgebung in München über den Verständigungsfrieden bezeichnete Scheidemann die Friedensresolution als einen Erfolg der Sozialdemokratie 54 .
« RA, 355, 19. 7.1917. Die Mitglieder der Vorstandschaft waren vielmehr einig i n der Überzeugung, „daß das wichtigste Moment i n der vielbesprochenen »Neuorientierung' i n der A b k e h r von der materialistischen Gesinnung, die i m Kriegswucher i n die schlimmste Erscheinung getreten ist u n d i n der Rückkehr zur einfachen deutschen Sitte u n d zur praktischen christlichen Lebensauffassung i m w i r t schaftlichen u n d gesellschaftlichen Leben, ganz besonders i m Familienleben besteht". R A 355, 19. 7.1917. so RA, 356, 20. 7.1917. 51 Ebd. 52 „Münchner Post", 162, 16. 7.1917. 53 Ph. Scheidemann, „Der Zusammenbruch", B e r l i n 1921, S. 85. 54 „Münchner Post", 176, 31. 7.1917.
2. Die Frankfurter Versammlung des Reichsausschusses des Zentrums
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2. Die Frankfurter Versammlung des Reichsausschusses des Zentrums Die direkte Konfrontation der bayerischen Zentrumsführer, besonders Heids mit Erzberger vollzog sich am 23. J u l i 1917 auf einer Sondersitzung des Reichsausschusses der Zentrumspartei in Frankfurt, bei der Erzberger sich rechtfertigen sollte. Die Sitzung war auf Verlangen Heids anberaumt worden 5 5 , es sollte Klarheit geschaffen werden über Haltung der Gesamtpartei zur Haltung Erzbergers. Held wurde durch die Aktion der bayerischen Zentrumskreise i n die Opposition zu Erzberger hineingedrängt. Die Erregung i m bayerischen Mittelstand, der Landwirtschaft und der Industrie hatte sich i n einer Flut von entrüsteten Briefen an Held geäußert 56 . Der Bayerische Bauernverein unter Führung Heims und Schlittenbauers ließ Held offiziell wissen, daß er eine Aktion zur Gründung einer bayerischen Volkspartei unabhängig vom Zentrum einleiten werde 5 7 . I n der Frankfurter Sitzung griff Held Erzberger scharf an. Fehrenbach hatte noch zuvor die Haltung Erzbergers verteidigt 5 8 . Die stichpunktartige Redeskizze Heids ist i m Archiv Held i n Regensburg erhalten. Sie enthält eine Summe von Argumenten, vor allem aus bayerischer Sicht, m i t denen die Gegner der Friedensresolution gegen Erzberger vorgingen. Sie soll ausführlicher zitiert werden, weil sich hier die Differenzen i n den politischen Grundanschauungen zwischen beiden Männern klar zeigen. Held äußerte zunächst seine K r i t i k am formalen Vorgehen Erzbergers.
55 Brief Heids an Geheimrat Porsch v o m 19. 7.1917, Abschrift i n A H R . 56 Held teilte Pfleger am 17.7.1917 einige Stellen aus Briefen von „führenden Männern der Zentrumspolitik Bayerns u n d Süddeutschlands" m i t : „Dieser Erzschwätzer und Wichtelhuber", „Erzberger ist das Opfer der L i n k e n " , „der abgehauste Parlamentarismus darf nicht i n den Sattel gehoben werden", „ W i r wollen keine Linksorientierung". Unter den BriefSchreibern waren so führende Namen w i e Speck, Eisenmann, Steininger und mehrere Professoren. A H R . 57 Held i n einem Brief an Spahn v o m 13. 7.1917. Abschrift i n A H R . Held fügte i n dem Brief hinzu, i n Bayern sei man i n weitesten Kreisen über das Vorgehen Erzbergers geradezu bestürzt. M a n sei konsterniert über die Dinge, die so ganz überraschend durch Erzberger inszeniert worden sind. „Ich persönlich k a n n nicht verhehlen, daß mich das Vorgehen Erzbergers u n d der Gang der Entwicklung der Dinge inzwischen tief erschreckt und deprimiert haben . . . Was die innerpolitische Neuorientierung betreffe, so fürchte ich, daß das Z e n t r u m die Geschäfte der Sozialdemokratie besorgt." 58 Epstein, S. 229; u n d Bachem, Bd. 9, S. 439. E i n Protokoll der Sitzung gibt es, soweit die Quellen überschaubar sind, nicht. Eine Schilderung der Sitzung findet sich auch bei Hugo Bauer, „ M e i n politischer Lebenslauf", i n : „Deutsche Bodenseezeitung" v o m 2. 3.1929.
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Die Vertretung der Gesamtpartei, d . h . der Reichsausschuß hätte vorher gehört werden müssen. Der erste Eindruck der Erzbergerschen A k t i o n sei gewesen: a) „Erzberger als Kulissenschieber des Kanzlers b) Erzberger unter Einfluß Bülows c) Erzberger als Agent der Neutralen, besonders H o l l a n d — von Material! d) Erzberger als Vertreter gewisser Handels- u n d Kapitalistenkreise."
dort
Z u r A k t i o n selbst: „Anregung der Friedensresolution! Anregung der Parlamentarisierung der Reichsregierung. Eingriff des Reichstages i n Rechte der Bundesstaaten! Auflösung." Welche Veranlassung habe die Friedensresolution gehabt? Die Stimmung sei zwar schlecht — zu Hause u n d an der Front. Der Grund sei „Nicht der K r i e g an sich". Vielmehr die „Regierungsschwachheit, Versagen des Parlaments, Korruption, Wucher, Mißstände bei Heeresverwaltung, Hunger u n d Preise". E i n „baldiger Friede dringend wünschenswert" ! Eine Resolution sei erwünscht gewesen — „aber diese"? Sie hätte durch Regierung u n d Reichstag erfolgen sollen. „Warum? Reichstag setzt sich an Stelle von Regierung!!" Die Resolution selbst verleugne „die ganze Vergangenheit des Zentrums". Sie sei „Schrittmacherin der Sozialdemokratie, i m ganzen der Internationale . . . Größter Dienst f ü r Sozi! Erzberger plötzlich i n deren Gunst". Die Resolution fordere einen „Verzicht auf erzwungene Gebietserweiterungen . . . V e r zicht auf Geldentschädigungen! Friede u m jeden Preis. Verzichtfriede"! Das alles habe m a n „seit Jahren durch Sozi gehört, abgelehnt, bekämpft — jetzt w i r selbst". Z u r Kriegslage: „ A b e r selbst w e n n Kriegslage nicht so gut, diese m i t l e i d heischende Geste" sei nicht notwendig gewesen. Deutschland könne einen solchen Frieden volkswirtschaftlich nicht ertragen. „Was sagen Hindenburg u n d Ludendorff. Ihre Rundschreiben u n d Erklärungen! Jetzt vor vollendete Tatsachen. Retten, was zu retten." „ W a r u m sollten w i r uns selbst preisgeben." Verwirrung, Entsetzen sei i n der Heimat u n d an der Front die Folge der Resolution. Sie fördere die Kriegsmüdigkeit. „Resümiere: Resolution Dokument der Schwäche, Bekenntnis des Bankerotts, Instrument f ü r den internationalen Sozialismus. Eine Verleugnung unserer ganzen bisherigen H a l t u n g . . . Zentrum, Freisinn, Sozialdemokraten i n einem Joch. Getrennt von den Rechtsparteien. Z u k u n f t — Kulturfragen, kirchliche Fragen." Was sei von der Parlamentarisierung zu halten? „Grundsätzlich: K o n s t i t u tionale Monarchie. Foederalismus i m Reich, Selbständigkeit der Bundesstaaten — dabei müssen w i r bleiben. Verträgt sich der Parlamentarismus damit? Nein!" „Nichts gegen Berufung von Parlamentariern. Aber das Parlament darf darauf keinen Einfluß üben, nicht entscheiden. Minderung der kaiserlichen Rechte, der Kronrechte der Bundesfürsten. Kaiser u n d Könige i n der B r a n dung der parteipolitischen Einflüsse! Folgen! Parlamentarisierung der Reichsregierung. Tod der einzelstaatlichen Selbständigkeit, Einflüsse u n d Souveränität. Reichstag: Organ der Einheit! Unitarisierung der Bundesstaaten", „Legislative u n d Exekutive i n einer Hand."
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„ U n d die Z u k u n f t des Zentrums u n d unserer Ideale! Christlicher Staat — Schule! Sozialdemokratische-linksliberale Majorität u n d Regierung. Was f ü r uns dabei? Konzessionsschulzen f ü r die Verantwortung!" Einmischung des Reichstags i n preußisches Wahlrecht. „Lehnen w i r grundsätzlich ab." Zentrum Steigbügelhalter des liberal-sozialdemokratischen Zukunftsstaates. „Starker König, starker Kaiser, tüchtige höchste Beamte m i t Tradition, . . . Volksparlament m i t starkem Wollen, Kontrolle, Geltendmachung seiner verfassungsmäßigen Stellung. Vorgehen der M a j o r i t ä t enormen Schaden angerichtet — enorme Gefahren heraufbeschworen — grundsätzlich v o m Programm abgewichen! K e i n Opportunismus! Grundsätzlichkeit unser Heil."
Damit war die Position Heids klar umrissen: Erzberger war vom Zentrumsprogramm abgewichen, wurde zum Steigbügelhalter eines sozialdemokratisch-linksliberalen Zukunftsstaates mit all den Gefahren, die für die Kirche in Fragen der öffentlichen Moral und Schule drohten. Außerdem war er dabei, die bundesstaatliche Ordnung des Reiches zu zerschlagen und das monarchisch-royalistische Prinzip zu zerstören. Held stellte Antrag auf Mißbilligung Erzbergers. Er wies darauf hin, daß sein Vorgehen von der bayerischen Zentrumsfraktion gedeckt werde. Erzberger antwortete i n einer zweistündigen Rede. Er legte erneut dar, was er schon i m Reichsausschuß gesagt hatte. Darüber hinaus las Erzberger die Denkschrift des österreichischen Außenminister Czernin, die Kaiser K a r l ihm i m A p r i l 1917 übergeben hatte, vor, um seine innerparteilichen Gegner von der verzweifelten Lage der Mittelmächte zu überzeugen. „Der Eindruck für seine Zuhörer war niederschmetternd 5 9 ." Erzberger scheint Erfolg gehabt zu haben. „Seine Schocktaktik führte zu einem sofortigen Erfolg, denn die Versammlung stimmte der Friedensresolution ausnahmslos zu 6 0 ." A m folgenden Tag stimmte die Versammlung, „soweit ersichtlich einstimmig, jedenfalls ohne erkennbaren Widerspruch, der Haltung Erzbergers und der Fraktion zu" 6 1 . Jene, die trotzdem nicht überzeugt waren und nicht „so rasch in die neue Lage sich finden konnten . . . schwiegen" 62 . Held bestritt diese Darlegung, wonach sich der Reichsausschuß „vollkommen auf den Standpunkt der Fraktion gestellt" habe 63 . Erzberger hatte die altkonservative Führergruppe und die bayerischen Gegner überrannt. Er beherrschte nun die Reichstagsfraktion des Zentrums bei nur wenigen 59 Epstein, S. 229. 60 Ebd. 61 Bachem, a.a.O., S. 438. 62 Ebd. 63 Brief des Rechtsanwalts Nuß am 20. 8.1917 an Held. Nuß f ü h r t aus, daß diese Darlegung Heids i h m „übrigens i n langer mündlicher Besprechung m i t einem hessischen Abgeordneten, der i n F r a n k f u r t war, bestätigt" worden sei (AHR).
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Gegnern. „Das Zentrum ging zusammen m i t den Sozialdemokraten i n Opposition gegen die i n Deutschland herrschenden Schichten, . . . formal mußte sich der Stoß Erzbergers gegen die Reichsregierung richten . . . i n Wirklichkeit griff er den Machthaber Deutschlands an, den General Ludendorff und überhaupt die Oberste Heeresleitung 64 ." Was Held zunächst versucht und erreicht hatte, war die Absicht, die Politik Erzbergers auf den Reichstag beschränkt zu halten, damit sie nicht die ganze Zentrumspartei m i t sich riß; vor allem war es i h m gelungen, den Einfluß Erzbergers aus Bayern i n großem Maße fernzuhalten. Er versuchte vor allem m i t den süddeutschen Zentrumsparteien eine Front gegen die Erzbergersche Politik zu organisieren. Vor allem i n Hessen fand er Unterstützung 6 5 . I n einem Brief an den hessischen Zentrumsführer Nuss sprach Held i m September 1917 die Hoffnung aus, „daß eine weitere Sitzung des Reichsausschusses der Hintertreppenpolitik Erzbergers ein für allemal einen Riegel vorschiebt. Bleiben w i r den alten Grundsätzen der Partei treu, und w i r werden am besten fahren" 6 6 . Held blieb der schärfste Gegner Erzbergers. Noch 1921 verwies er darauf i m bayerischen Landtag, um sich gegen den Verdacht einer Infizierung durch die Linkspolitik des Reichskanzlers Dr. W i r t h zur Wehr zu setzen 67 . Vor allem die „politischen Methoden Erzbergers", die Frage, wer denn eigentlich die Politik der Reichstagsfraktion des Zentrums mache, wurden von Held angeklagt. I n einer Reichsausschußsitzung der Zentrumspartei vom 30. 6.1918 griff Schlittenbauer Erzberger noch einmal heftig an. Erzberger habe geflissentlich alle Vorbehalte, die ihm Held bezüglich seiner politischen Methoden gemacht habe, „ m i t Stillschweigen übergangen" 68 . Auch zur allgemeinen Politik hatten Held und Schlittenbauer noch i m Juni 1918 eine andere Meinung: „ W i r wollen, daß die Politik der Fraktion darauf gerichtet ist, den Durchhaltewillen des deutschen Volkes i n schweren Stunden der Gefahr . . . zu erhalten 6 9 ." Erzberger fördere mit seinen stimmungszerrüttenden Enthüllungen eine defaitistische Gesinnung. „Der Erfolg der Juliresolution war aber negativ und bleibt negativ 7 0 ." Zumindesten war ihr kein greifbarer Erfolg beschieden. I m Ausland 64 A. Rosenberg, S. 153. 65 Der hessische Zentrumsabgeordnete von Brentano fragte Held, ob er nicht eine Besprechung unter süddeutschen Parlamentariern veranlassen wolle. „Unter der glorreichen Führung von H e r r n Spahn ist der größte T e i l des Zentrums eine verpreußte reine Regierungspartei geworden." Brief v o m 19.4.1917. A H R . 66 Abschrift des Briefes v o m 13. 9.1917. A H R . 67 Sten. Ber. 1921/22, Bd. 5, S. 462. es Redeprotokoll Schlittenbauers, i n A H R . 69 Ebd. 70 Ebd.
2. Die Frankfurter Versammlung des Reichsausschusses des Zentrums
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hatte die Stimme des Reichstags kein Gewicht, auf die Außenpolitik hatte er nach wie vor keinen Einfluß. I m Innern bedeutete sie eine starke Umwälzung; die Sozialdemokratie war zu einer verantwortungsbewußten Zusammenarbeit mit den anderen Parteien gezwungen. „Das Zentrum, bisher der linke Flügel einer Rechtskoalition, wurde durch Erzberger zum rechten Flügel einer Linkskoalition 7 1 ." Der Grund zur Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems war zwar gelegt worden, die neue Reichstagsmehrheit konnte es jedoch nicht endgültig durchsetzen. Der neue Reichskanzler Michaelis regierte gegen die Mehrheit des Reichstags, indem er die Friedensresolution annahm m i t dem Zusatz „wie ich sie auffasse". Eine endgültige Klarheit über die deutschen Kriegsziele war noch nicht geschaffen worden. Die Friedensresolution formulierte die allgemeine Friedenssehnsucht der Massen und war parteipolitisch ein Schlag gegen die Anhänger des Siegfriedens und die Alldeutschen. Die Spannung zwischen Gegnern und Befürwortern der Friedensresolution wuchs und schuf innenpolitische Verwirrung. Der rechte Flügel des Zentrums versuchte, die Zusammenarbeit m i t den Sozialdemokraten wieder zu lösen und diese erneut i n die alte Opposition gegen die bürgerlichen Parteien zu drängen. Erzberger widersetzte sich dem mit hellsichtigen Argumenten. Eine solche Lösung wäre der Ruin des Reiches, der Krieg wäre restlos verloren, „wenn die Sozialdemokratie und mit ihr die Arbeiterschaft i n die passive Resistenz übergingen" 7 2 . Wenn die Sozialdemokratie sich jetzt i n den Staat eingliedere, müßten die bürgerlichen Parteien alles tun, um dieses große politische Werk zu fördern. A m 27. 2.1918 sprach er i m Reichstag diesen Punkt noch deutlicher an, der auch für Bayern von entscheidender Bedeutung werden sollte: „Wer eine Politik verfolgt, welche den Zweck oder das Resultat hätte, die Sozialdemokratie und die ihr angehörenden Arbeitermassen abzustoßen, der treibt die radikalste, anarchistischste Politik, die überhaupt denkbar ist 7 3 ." I n Bayern war man dabei, eine solche zu treiben. Schon allein die bayerischen Ereignisse i m November 1918 gaben Erzberger Recht. 71 Epstein, S.233. 72 Ebd., S. 250. 73 z i t . nach Epstein, S. 263. — Erzbergers Friedensresolution w a r ein entscheidender Abschnitt i n Deutschlands innerpolitischer Entwicklung. „Es k a m zunächst weniger darauf an, was die Reichstagsmehrheit erreichte, als daß sie überhaupt da war. Der Block, den i m J u l i 1917 die Sozialdemokraten, das Zentrum u n d die Fortschrittler geschlossen haben, blieb bestehen. Das w a r die stabile K o a l i t i o n der Arbeiter u n d breiter Mittelschichten gegen den preußischen Adel u n d gegen die Großindustrie. „Die Friedensresolution mochte sachlich noch so gleichgültig sein, sie w a r die Fahne, u m die sich jene Massenkoalition gruppierte. Der Aufmarsch der inneren Feinde gegen das Hohenzollern-Kaisertum, w i e i h n Bismarck f ü r eine schwere Kriegslage befürchtet hatte, w a r zur . . . Tatsache geworden." A. Rosenberg, S. 161. 18
Keßler
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X I I . Neuorientierung des Reichstagszentrums
Zunächst hatte die A k t i o n Erzbergers auch die Geschlossenheit des bayerischen Zentrums stark erschüttert. Vor allem i n der Presse ergaben sich Differenzierungen. Die „Augsburger Postzeitung" schwenkte auf die Linie Erzbergers ein. I n den christlichen Arbeiterorganisationen bestand eine starke Abneigung gegen die konservativen Tendenzen des bayerischen Zentrums, gegen die sogenannte „Regensburger Richtung". Der Zentrumsabgeordnete Oswald, ein Arbeitervertreter, erklärte am 11. Oktober 1917 i m Finanzausschuß der Kammer der Abgeordneten, daß die christlich-nationale Arbeiterschaft „ i m allgemeinen auf dem Standpunkt der Reichstagsresolution stehe". Sie verwerfe entschieden die von anderer Seite vertretenen Annexionsgelüste 74 . Die Kriegszielerörterungen i n der Zentrumspresse und die Erwägungen für und gegen Erzberger dauerten auch i n den ersten Monaten des Jahres 1918 an 7 5 . I m Februar 1917 führten der „Regensburger Anzeiger" und die „Augsburger Postzeitung" eine heftige Fehde um die Kriegszieldiskussion. Die „Augsburger Postzeitung" warf dem „Regensburger Anzeiger" vor, er betreibe ständig Angriffe und schleudere Beschuldigungen auf die Reichstagsfraktion. „Der ganze Inhalt ist nichts anderes als eine Anklage gegen die Politik des 19. J u l i " 7 6 , der die Schuld an den gegenwärtigen Streiks gegeben werde. Die Politik des 19. J u l i habe die Mittelparteien und mit ihr die Sozialdemokratie zusammengehalten und über einen kritischen Abschnitt hinweggeholfen. Die „Augsburger Post" kritisierte die fast „täglichen Abkanzelungen der Reichstagsfraktion" des Zentrums i m „Regensburger Anzeiger" 7 7 . Die Frage Erzberger hatte auch für die bayerische Zentrumspartei und ihre geschlossene Haltung eine außerordentliche Bedeutung erlangt. A u f einem Parteitag des oberbayerischen Zentrums am 20.9.1917 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über den Verständigungsfrieden. Giehrl versuchte den Parteitag dazu zu bewegen, sich auf den Boden der Entschließung des Reichsparteiausschusses von Frankfurt zu stellen, d. h. die Friedensresolution zu billigen 7 8 . Der Abgeordnete I r l griff den anwesenden Abgeordneten Schlittenbauer scharf an, w e i l dieser i n einer Bauernversammlung Erzberger m i t Scheidemann auf eine Linie gestellt habe. Schlittenbauer dagegen forderte zum mutigen Durchhalten auf: „ W i r brauchen in dem Augenblick nicht zu verzagen,
74 B L A M , I I . Ausschuß I I B, Nr. 1053, Beil. 6. 75 Dazu siehe i n „Regensburger Anzeiger", Nr. 252, 253, Jg. 1918; „Bayerischer K u r i e r " , Nr. 131, 145, Jg. 1918; „Augsburger Postzeitung", Nr. 217, 230, 233, 239, 243, 245, Jg. 1918. 76 „Augsburger Postzeitung", 57, 3. 2.1918. 77 „Augsburger Postzeitung", 63, 8. 2.1918. 78 B K , 265, 22. 9.1917.
2. Die Frankfurter Versammlung des Reichsausschusses des Zentrums
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wo unsere Chancen günstiger stehen wie jemals zuvor"; er erntete damit brausenden Beifall 7 9 . Die Abgeordneten Emminger und Scharnagl begrüßten die Resolution. Mehrere Redner warben dagegen wieder für die inzwischen entstandene Vaterlandspartei. Die Gegensätze innerhalb der Partei waren m i t „nicht zu verkennender Schärfe" 80 ausgetragen worden. Held selbst hatte an dem Parteitag nicht teilgenommen. Als Parteivorsitzender hatte er einen ungemein schwierigen Standpunkt. Die Haltung Erzbergers hatte er i n der Öffentlichkeit deutlich genug abgelehnt, innerparteilich mußte er zwischen den verschiedenen Richtungen zu vermitteln versuchen. Sein Standpunkt bis zum Ende des Krieges blieb: Durchhalten u m jeden Preis, dabei mußten die Deutschen jede Aktion i m Innern vermeiden, der den militärischen Feinden gegenüber als Schwächezeichen hätte erscheinen können. Die wilde Agitation der Alldeutschen lehnte er ab, die sich nun als Gegner der Friedensresolution unter Führung von Tirpitz und Kapp i n der „Vaterlandspartei" zusammengefunden hatten. Unter den Parolen „Siegfrieden" einerseits und „Verständigungsfrieden" andererseits sammelten sich nun die sich i n der deutschen Politik bekämpfenden Gruppen. Dabei verliefen die Fronten auch i n der Frage der innenpolitischen Reformen ähnlich; die Anhänger des alten Regimes lehnten eine Parlamentarisierung ab; jene, die für einen Verständigungsfrieden eintraten, wollten auch innenpolitische Reformen. M i t welcher Bitterkeit sich die Gegensätze abspielten, sollte sich i n der i m Herbst 1917 beginnenden neuen Session des bayerischen Landtags zeigen.
79 Ebd. so „Münchner-Augsburger Abendzeitung", 501, 22. 9.1917. 18*
X I I I . Session des bayerischen Landtags 1917/18 — Verfassungsfragen A m 29. September 1917 begann eine neue Session des Landtags; sie sollte vor allem i m Zeichen der Diskussion um eine Verfassungsreform stehen, die die Sozialdemokraten und Liberalen mit einem umfangreichen Antrag in Gang zu bringen suchten. Der bayerische Landtag hatte sich versammelt, um, wie die „Münchner Neuesten Nachrichten" bemerkten, „einige Kleinarbeit verrichten, die sich — Gott sei's geklagt — wieder über viele Monate erstreckt wird, den Staatshaushalt der beiden nächsten Jahre ins Reine zu bringen, und daneben vielleicht, wenn's den Hohen Herrn der Ersten Kammer und Dr. v. Pichler gefällt, auch für Bayern die eine oder die andere Neuordnung auf verfassungspolitischem Gebiet ins Werk zu setzen" 1 . Aus den Bemerkungen sprach eine nicht zu überhörende Verachtung über den Geschäftsgang der Kammer, die auch von den führenden Mitgliedern des Parlaments durchaus erkannt und geteilt wurde. A m 31. August 1917 schrieb Schlittenbauer an Held: „ A m 29. 9. soll also die Quatschbude in der Prannerstraße sich wieder auftun. Ich muß sagen, daß der Gedanke hierzu mich schon mit Ekel erfüllt, wenn ich an den Verlauf der letzten ordentlichen Session . . . denke, wenn ich mir in Erinnerung zurückrufe, wie langstielig und kleinlich die Verhandlungen waren, so ganz unbeeinflußt von der Größe der Weltereignisse, wenn ich denke an das blödsinnige Antragswettrennen aller Parteien, an das kunterbunte Durcheinander der gestellten Anträge, an das gegenseitige Hemmen und Paralysieren 2 ." Schlittenbauer forderte Held auf, hier durch Vorverhandlungen mit den anderen Parteien Abhilfe zu schaffen. Die Parteien sollten sich auf ein Minimalprogramm einigen, „durchweht vom bayerischen Geiste" 3 , das alle Parteien gemeinsam vertreten. Held wandte sich darauf an die Vorsitzenden der verschiedenen Fraktionen m i t dem Vorschlag, man solle sich darüber verständigen, wie die Erledigung der Landtagsgeschäfte mehr als bisher zur fördern sei und damit „der üble Eindruck, den die langen und zum Teil fruchtlosen Erörterungen i n der Bayer. Abgeordnetenkammer auf die Öffentlichkeit gemacht
ι M N N , 494, 30. 9.1917. 2 Brief i n A H R . 3 Ebd.
1. Die H a l t u n g des Zentrums zu Verfassungsanträgen
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haben, tunlichst vermieden werde" 4 . Er war der Meinung, daß alles versucht werden müsse, „das Ansehen des Bayer. Landtages möglichst zu heben" 5 . I n einer Zeit, i n der die unitaristischen Bestrebungen i m Norden den foederalistischen Charakter des Reiches bedrohten, sollte das bayerische Parlament noch eine Stütze des Foederalismus bilden. Zunächst begann der Finanzausschuß nach einem Bericht des Kriegsministers Hellingrath über die militärische Lage mit der Beratung des Etats des Äußeren. Held hielt nach den Erklärungen des Kriegsministers die Kriegslage immer noch für „günstig" 6 . Die Friedenssehnsucht sei bei allen Gutgesinnten selbstverständlich. Hüten müsse man sich, die trügerischen Hoffnungen der Feinde, Deutschland doch noch niederzuschlagen, durch zu vieles Reden vom Frieden zu stärken. Einen reinen Verzichtfrieden lehnte Held ab. Dieser würde weder den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands, „noch die Erhaltung des K u l t u r standes und ebensowenig einen ruhigen, steten Kurs der inneren Politik ermöglichen" 7 . So sehr der baldige Friede ersehnt werde, der Friede müsse ehrenvoll sein und die politische Freiheit, die militärische Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands sichern. A n einer vernünftigen Entwicklung der inneren Politik sei er bereit m i t zuarbeiten. Eine Reform der Reichsratskammer begrüße er, weil eine Reihe von Ständen dort noch ihre Vertretung bekommen müsse. Diese Reform dürfe aber nicht die Schmälerung der Kronrechte i n sich schließen 8 . Damit war die harte Position des Zentrums in den kommenden Verfassungsberatungen abgesteckt. Man war wohl bereit, i n der überfällig gewordenen Reichsratsreform nachzugeben, darüber hinaus sollten die Kronrechte aber nicht angetastet werden.
1. Die Haltung des Zentrums zu den Verfassungsanträgen der Sozialdemokraten und Liberalen A m 18. Oktober 1917 begann der Finanzausschuß mit der Beratung der sozialdemokratischen Anträge zur Verfassungsreform, die i n elf Punkten die Umwandlung des konstitutionellen Staates in eine parlamentarische Demokratie m i t monarchischer Spitze forderten. Die drei wesentlichsten Forderungen waren: Abschaffung der Reichsratskammer, Einführung des Verhältniswahlrechts, Ernennung der Minister nach
4 s 6 7 8
Brief Heids v o m 5. 9. 1917, Abschrift i n A H R . Ebd. B L A M , I I . Ausschuß I I B, Nr. 2053, Beil. 4, S. 3 ff. Ebd. Ebd.
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X I I I . Session des bayerischen Landtags 1917/18
Vorschlag des Landtags 9 . Ein liberaler Antrag auf Einsetzung eines Verfassungsausschusses zur Beratung der sozialdemokratischen und l i beralen Anträge war vom Zentrum schon am 12. Oktober abgelehnt worden 1 0 . Der sozialdemokratische Abgeordnete Süßheim begründete die Anträge seiner Partei 1 1 . Den emporstrebenden Volksmassen müßten höhere politische Freiheiten zuteil werden. Auch die verfassungstreuesten Männer sollten sich die Frage vorlegen, ob sie nicht der monarchischen Idee einen schlechten Dienst erwiesen, wenn sie notwendige politische Fortschritte durch den fortgesetzten Hinweis auf den Monarchen und die monarchische Idee unmöglich machten. Er bedauere, daß gerade das bayerische Zentrum, das früher i n politischen Fragen auf einem demokratischen Standpunkt gestanden sei, sich i m Gegensatz zum Reichstagszentrum so außerordentlich konservativ entwickelt habe. Damit hatte Süßheim zweifellos recht; er war in seiner Rede noch außerordentlich maßvoll gewesen. Hertling erklärte für die Staatsregierung „ihre grundsätzlich ablehnende Haltung" 1 2 , da die Anträge auf eine vollständige Umgestaltung der geschichtlich gewordenen bewährten Grundlagen des bayerischen Staates abziele. Der linke Flügel der Liberalen wünschte eine Parlamentarisierung nach dem Muster der Sozialdemokratie, der rechte Flügel, vertreten durch Hammerschmidt, forderte als Mittellinie die Umgestaltung der Reichsratskammer und die Änderung des Landtagswahlrechts. Der Zentrumsabgeordnete Speck lehnte die sozialdemokratischen Anträge mit dem Hinweis ab, daß dadurch „die Umwandlung der Monarchie i n eine Republik vollzogen" wäre 1 2 . Das Zentrum lege Wert darauf, daß das Zweikammersystem erhalten bleibe. Die Zentrumspartei sei aber bereit, mäßige und berechtigte Forderungen, auch auf dem Gebiete des Wahlrechts zu unterstützen. Speck gestand auch zu, daß i m Volk weitgehende Unzufriedenheit und Mißtrauen gegenüber der Regierung vorhanden sei. Auch i n der Zentrumsfraktion sei man nervöser geworden. Süßheim hob ausdrücklich diese „wohlwollende Haltung" Specks hervor 1 3 , der sich nicht prinzipiell als Befürworter des Adels und der Standesherren aufgetan habe. Entgegen dem Abgeordneten Held sei Speck der Ansicht, daß, wenn eine Fortentwicklung nötig sei, man davor nicht zurückstehen dürfe. Die sozialdemokratischen Anträge wurden am 19. Oktober 1917 i m Ausschuß m i t Mehrheit abgelehnt 14 . 9 Sten. Ber. 1917, Bd. 17, Beü. 1906. 10 B L A M , I I I . Ausschuß Ba, Nr. 68, Beil. 6. h a.a.O., Beil. 7, S. 45. 12 a.a.O., S. 53 ff. 13 a.a.O., Beil. 8, Sitzung 19.10.1917. 14 a.a.O., Beü. 11.
1. Die H a l t u n g des Zentrums zu Verfassungsanträgen
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A m 23. Oktober nahm Held i m Plenum Stellung zu den sozialdemokratischen Anträgen 1 5 . Hertling hatte schon vorher i m Sinne des Zentrums gesprochen, so daß i h m von liberaler Seite der V o r w u r f gemacht wurde, er habe „ i m unbegreiflichen Zögern und Tasten und Zurückdrängen versagt" 1 6 . Held sprach i m Sinne des Glücklich-Besitzenden und lehnte verfassungsmäßige Änderungen ab. „ I n der heutigen konstitutionellen Monarchie sehen w i r die stete staatliche Entwicklung, Volkswohl und Volksfreiheit besser gewährleistet" 1 7 als i n einem parlamentarischen Regierungssystem i m Sinne der Weststaaten, da wo die Parteimajoritäten die Regierung an sich rissen. „Eine solche Demokratie, wo nur noch ein Scheinmonarchentum besteht, wäre der erste Schritt zur Abschaffung der Monarchie und zum Republikanismus 18 ." Eine solche Verparlamentarisierung bedeute auch den Tod des foederativen Charakters des deutschen Reiches. Die konstitutionelle Monarchie dürfe nicht angetastet werden. Das Zentrum hatte zu einer Reform also Nein gesagt, „so w i r d eben das Recht erstritten werden m ü s s e n . . . , das Volk ist mündig und gesund genug dazu" 1 9 . Noch starrer als Held sprach Pichler am 25. Oktober gegen die Anträge 2 0 . Der Liberale Müller-Meiningen kritisierte heftig das bayerische Zentrum und verwies dagegen auf das Reichstagszentrum. A m 19. Dezember 1917 wurden die Anträge Auers zur Änderung der Verfassung i m Plenum beraten. Süßheim begründete die Anträge: „ A n Stelle des Obrigkeitsstaates soll der Volksstaat treten. Die schweren Opfer des Volkes an Gut und Blut sind ein Wechsel, dessen Nichteinlösung bedeuten würde: Nicht Dankbarkeit und Gnadengeschenke, sondern Rechte wollen die Massen 21 ." Die Demokratisierung sei heute eine Lebensnotwendigkeit für das ganze deutsche Volk. „Nach unserer Auffassung ist der König kein Instrument des Himmels, sondern ein Organ des Staates 22 ." Die bayerische Verfassung stehe i m Banne des Feudalismus und der Adelswirtschaft. Der neue Ministerpräsident Dandl berief sich auf die Stellungnahme Hertlings i m Finanzausschuß. Er lehnte alle Forderungen, die die Stellung der Krone und die Grundlagen der Staatsverfassung schwächen wollten, ab. Held wiederholte
is Sten. Ber. 1917, Bd. 16, 16 M N N , 538, 24.10.1917. 17 Sten. Ber. 1917, Bd. 16, 18 Sten. Ber. 1917, Bd. 16, 19 M N N , 538, 24. 10. 1917. so Sten. Ber. 1917, Bd. 16, 21 Sten. Ber. 1917, Bd. 17, 22 a.a.O., S. 151.
S. 207 ff. S. 212. S. 212. S. 252. S. 142.
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X I I I . Session des bayerischen Landtags 1917/18
seine bekannten Argumente und wies darauf hin, daß der Antrag „ein System gesetzgeberischer Maßnahmen zur Überleitung in den sozialdemokratischen Zukunftsstaat" verlange 23 , und zugleich die Beseitigung „wohlerworbener oder verfassungsmäßiger Rechte einzelner Staatsbürger und ganzer Stände" fordere. Er wolle die Trennung von Kirche und Staat und den Einfluß jeder positiven Religion und vor allem des Christentums auf das öffentliche Leben und i m Staate vernichten. Außerdem gebe es i m Kriege wichtigere Angelegenheiten als die Beratung von Verfassungsänderungen. Der Krieg habe den Beweis geliefert, daß Recht und Volksfreiheit, öffentliche Moral und Ordnung, „diese Voraussetzungen wahrer K u l t u r und der allgemeinen Wohlfahrt unter der Monarchie einen unvergleichlich stärkeren Schutz genießen als unter der Republik" 2 4 . Das Zentrum war konservativ-starr allen berechtigten Reformwünschen gegenüber geblieben. Die christlich-konservativen Grundsätze waren bei Held bestimmend. Konservative Staatspolitik war nach seiner Meinung jetzt mit einer Parlamentarisierung unvereinbar. Sein staatspolitisches Konzept war ein Kompositum aus drei Kräften: eine starke Monarchie, daneben ein pflichtbewußtes, mutiges Parlament und ein intaktes Beamtentum 2 5 . „Starke Monarchie, mutige Volksvertretung, intakter Beamtenkörper — das ist das Ideal eines Staates 26 ." Aber Parlamentarisierung bedeutete Parteiherrschaft und Vermengung von Gesetzgebung und Verwaltung. Und wenn die großen Kulturaufgaben i n Schule und Volkserziehung i m Sinne der alten Zentrumstradition gelöst werden sollten, so durfte sich das Zentrum i n seiner Politik nicht i m Anschluß nach links, insbesondere an die Sozialdemokratie orientieren. Dem sozialdemokratischen Staat mußte der Staat mit christlich-konservativem Aufbau entgegengestellt werden. I m letzteren konnten die Rechte und Pflichten aller auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie wirksam werden. Die konstitutionelle Monarchie gab, konservativ i n den Grundsätzen und konstitutionell in der Methode, dem Volke seinen gerechten Anteil und seinen berechtigten Einfluß auf die Leitung seiner Geschicke. Uferlosen Bestrebungen für Demokratie und Parlamentarisierung mußte deshalb entgegengewirkt werden, w e i l sie letzten Endes auf die sozialistische Republik hinausliefen. Was war der Staat i m konservativen Staatsdenken ? Er konnte nicht der omnipotente Staat sein wie ihn Sozialisten und Linksliberale verlangten, der seinen Zweck i n sich selbst hatte und 23 24 25 26
a.a.O., S. 156. Sten. Ber. 1917, Bd. 17, S. 156. Held i n einer Rede i n Freising, abgedr. i n RA, 585, 21.11.1917. Held am 7.11.1917 i n Regensburg, abgedr. i n RA, 569, 8.11.1917.
1. Die H a l t u n g des Zentrums zu Verfassungsanträgen
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nur seiner selbst willen bestand, der keine anderen Normen kannte als den eisernen Willen und die Nützlichkeit, wie sie eine Parteimajorität auffaßte, der die Quelle allen Rechts und aller materiellen und sittlichen Verhältnisse der Menschen sein wollte. I m Kulturkampf hatte Held ja den Staatsabsolutismus der materialistischen liberalen Staatsidee erlebt, und so mußte er nach seiner Meinung auch im sozialistischen Zukunftsstaat sich auswirken. Held sah durchaus ein, daß in einer Gesellschaft, i n der die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen alle einzelnen Staatsbürger so intensiv beschäftigen, das Volk auf die Verwaltung seiner Interessen Einfluß ausüben wollte 2 7 ; — dies alles aber war im konstitutionell-monarchischen Staat am besten gesichert, der sich dem göttlichen Gesetz unterordnete. Hinzu kamen noch die Interessen der Religion, die i n der Monarchie am besten geschützt waren, die aber i n der parlamentarischen Demokratie ohne staatlichen Schutz und Vorzugsstellung bleiben mußten. I m Gegensatz zum liberalen und sozialistischen Prinzip sah Held i m konservativen Prinzip die Aufgabe und Verpflichtung, daß sich der Politiker bei seiner öffentlichen Wirksamkeit an die Quelle aller Autorität, den persönlichen Gott hielt, daß er dessen Gesetze anerkannte und respektierte und in diesem Rahmen für die Wohlfahrt des Volkes arbeitete. Sein persönliches Ideal war ein gottesfürchtiges Land, in dem der Glaube an Gott auch das politische Leben trug. Das war, kurz gefaßt, das politische Idealbild Heids bis zur Revolution 1918. Und bis dahin versuchte er die Grundlagen des monarchischen Staates m i t allen dem Zentrum als Mehrheitspartei zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Nachdem der radikale Reformversuch der Sozialdemokraten gescheitert war, versuchte die Regierung, bedrängt von Sozialdemokraten und Liberalen eine Reform der Reichsratskammer durchzubringen. Sie selbst war i n dieser Angelegenheit reformfreudiger. Held hatte schon am 23. Oktober i n der Kammer erklärt, daß das Zentrum zwar eine Reform für notwendig erachte, eine Beschränkung des königlichen Ernennungsrechtes wollte er nicht hinnehmen 2 8 . Die Liberalen wollten die Einführung des Wahlrechts für die neu in die Kammer der Reichsräte eintretenden Körperschaften und damit das Präsentationsrecht.
27 A m 16. März 1918 sagte er i n Nürnberg: „Der K r i e g hat eine neue Zeit geboren m i t neuen Aufgaben. Eine U m w e r t u n g aller rechtlichen und sozialen Begriffe hat sich vollzogen. Der Anteilnahme des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten ist eine stärkere geworden. Das Zusammenleben, die Rechte und Pflichten der Staatsbürger gestalten sich neu. A l t e Standesvorurteile sind durch den K r i e g hinweggeräumt. Das sind Wirkungen des Volkskrieges" (zit. i n RA, 143, 19. 3.1918). 28 Sten. Ber 1917, Bd. 16, S. 200.
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Held sprach sich dagegen i m Namen der Fraktion am 26. September 1917 i n einem Gespräch m i t Brettreich für eine Erweiterung des Ernennungsrechts der Krone aus. Damit sollte das monarchische Grundrecht besser gewahrt bleiben 2 9 . Das Zentrum wollte nur eine gesetzliche Festlegung jener Kreise von Personen, aus denen der König dann auswählen konnte. Auch die Kammer der Reichsräte sprach sich für eine Erweiterung des Ernennungsrechts ohne Präsentationsrecht der betreffenden Körperschaften aus. Als Innenminister Brettreich am 21. Februar 1918 wieder m i t Held verhandelte und dieser ihm zu verstehen gab, daß seine ganze Fraktion geschlossen am Prinzip des freien Ernennungsrechts der Krone festhalte 30 , faßte die Regierung den Beschluß, den Gesetzentwurf über die Reform der Reichsratskammer erst i m Herbst wieder dem Landtag vorzulegen 31 . A n der starren Haltung des Zentrums und der Reichsratskammer selbst scheiterte so der Versuch der Regierung, den Reformbestrebungen etwas entgegenzukommen und die wegen der Politik und Zusammensetzung der 1. Kammer entstandene Unzufriedenheit etwas zu mildern. Die notwendige Folge war die weitere Verschärfung der innerpolitischen Situation und die Aufbereitung des Bodens, auf dem die Revolution schließlich entstand. Ähnlich konservativ, aber etwas kompromißbereiter zum eigenen Vorteil war das Zentrum i m Kampf um das Verhältniswahlrecht für die Landtagswahlen. A m 18. A p r i l 1918 lehnte Held i m Finanzausschuß zwar den sozialdemokratischen Antrag Auers ab, der die Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts zum Landtag zum Ziele hatte 3 2 , brachte aber am 19. A p r i l 1918 einen Zentrumsantrag ein, der das Landtagswahlrecht von 1906 dahin abändern wollte, daß in den Großstädten München, Nürnberg-Fürth, Augsburg und Ludwigshafen die Verhältniswahl eingeführt werden sollte 33 . Der Effekt wäre dabei natürlich gewesen, daß das Zentrum zu seiner Mehrheit auf dem Lande noch ein paar Mandate i n den Großstädten holen konnte. Held begründete die Ablehnung des sozialdemokratischen Antrags mit dem Hinweis, es werde hier „lediglich nach der toten Ziffer gefragt" 3 4 , wäh29 Aktennotiz Brettreichs i n A S t A M , M i n 47 176. 30 A S t A M , M I n n 47 176. — Held teilte Brettreich mit, „daß vor kurzem über die Frage m i t dem 1. Präsidenten der K a m m e r der Reichsräte er gesprochen habe. Sie seien daher einig gewesen, daß man an dem freien E r nennungsrecht der Krone festhalten solle. A u f diesem Standpunkt stehe n u n auch die ganze Zentrumsfraktion." (AStAM, M I n n 47 176.) 31 A S t A M , M I n n 66 269. 32 Sten. Ber. 1918, Beil. Bd. 18, Beil. 2322. 33 Sten. Ber. 1918, Beil. Bd. 18, Beil. 2328. 34 R L A M , I I I , Ba, Nr. 68, Beil. 26.
1. Die H a l t u n g des Zentrums zu Verfassungsanträgen
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rend die lebendigen Kräfte des Volkes dabei nicht zum Zuge kämen. Es sei verkehrt nach den Wahlziffern die Mandate zu verteilen. Neben den Ziffern käme „das Interesse der Fläche außerordentlich stark in Betracht" 3 5 . Ginge man nur nach Ziffern, so würden dort, wo man die fortschreitende Großstadtbildung habe, alle übrigen Kräfte des Landes, wenn sie noch so wertvoll für das Staatsganze und für die gesamte Volkswirtschaft seien, vollständig majorisiert und unterdrückt. Man würde sofort zu einer argen Benachteiligung namentlich des ganzen flachen Landes kommen und in allererster Linie hätten das mittelständische Gewerbe und die Landwirtschaft die Kosten zu tragen. Die volkswirtschaftlich und politisch wertvollsten Gruppen würden dadurch nahezu ausgeschaltet von der Teilnahme am öffentlichen Leben. Außerdem würde durch die Einführung des Proporzes der Zusammenhang zwischen Abgeordneten und Wählern zerrissen; denn kein Abgeordneter sei mehr an seinen Wahlkreis gebunden. Man bekäme einen „Berufsparlamentarismus", und er könne sich nichts Schlimmeres denken. Sein eigener Vorschlag, die Einführung des Proporzes i n den Großstädten hätte den Vorteil, daß für bestimmte geschlossene Interessensbezirke mit dem Proporz ein Versuch gemacht werden könnte. Da, wo die Proporzwahl leicht durchzuführen sei, wo es sich um geschlossene Wirtschaftsgebiete mit gleichgerichteten Interessen handle, könnten triftige innere Gründe für deren Durchfühnmg gebracht werden. I m Reichstag war ja auch der Vorschlag gemacht worden, die großen Städte herauszunehmen und für sie bei Reichstagswahlen den Proporz einzuführen. Auer lehnte den Antrag Heids ab mit der Begründung, daß es eine weitere Verkürzung der Rechte der städtischen Wähler bedeuten würde. Er ermahnte die Regierung, den breiten Arbeitermassen die Gleichberechtigung zu gewähren, um die i m Krieg geweckten Kräfte für die Gemeinschaft fruchtbar zu machen. Das bestehende Wahlrecht beinhalte unzweifelhaft eine Bevorzugung des Zentrums, das genau wisse, daß bei Einführung des Proporzes ihre Mehrheit in der Kammer endgültig gebrochen wäre. Hier spielte natürlich auch die Frage der Wahlkreiseinteilung eine Rolle. 1912 hatte das Zentrum 87 Sitze erhalten, während es nach der Stimmenzahl nur 66 hätten sein dürfen. 1907 war ζ. B. auf 3670 Stimmen ein Zentrumsmandat gefallen, die Konservativen hatten 4000 aufbringen müssen, die Sozialdemokraten 7000, die Liberalen 8000, der Bauernbund sogar 16 000. I n der Oberpfalz war auf 3200 Zentrumsstimmen ein Mandat gefallen, die Gegner des Zentrums hatten 12 000 Stimmen erreicht, aber kein Mandat
35 Ebd.; es ist dies ein ausgesprochen konservatives Argument.
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bekommen 36 . 1905 hatte sich das Zentrum mit den Sozialdemokraten gegen die Liberalen verbündet, um ein gerechteres Wahlrecht zu erreichen. I n den Jahren 1908/09 hatte Held ja selbst für die Einführung des Proporz Wahlsystems bei den Gemeindewahlen gekämpft. 1918 war das Zentrum nicht bereit, i m Interesse eines billigen Ausgleichs Zugeständnisse zu machen. A n beiden Beispielen zeigt sich, daß politische Kämpfe zugleich Verfassungskämpfe sind. Die Staatsregierung lehnte die Einführung des Proporzwahlsystems ab, solange nicht eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern zustande käme 3 7 . I m Plenum vertrat Held am 11. Juni 1918 erneut seinen Standpunkt 3 8 . A m 14. Juni 1918 wurden die liberalen und sozialdemokratischen Anträge zur Wahlrechtsreform m i t der Mehrheit des Zentrums abgelehnt; der Antrag Heids jedoch angenommen 39 . Zentrum und Regierung hatten vom Standpunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit und politischen Klugheit i n dieser Frage versagt. Die immer stärker werdende Forderung nach einem verbesserten Wahlrecht hätte beide zu stärkerem Nachgeben bewegen müssen. Was man i m Juni noch versagte, mußte man i m Oktober 1918 unter dem Druck der Ereignisse dann gezwungenermaßen zugestehen. Die Regierung selbst zeigte sich zu schwach, ließ die Zügel schleifen und geriet damit i n den Augen der fordernden Schichten in ein Abhängigkeitsverhältnis zur herrschenden Partei, m i t deren reaktionärem Standpunkt sie selbst belastet wurde. Die Wahlrechtsfrage blieb das beherrschende Problem der bayerischen Politik bis zu seiner gewaltsamen Lösung. Die Spaltung des Volkes i n Verfassungsfragen war besonders verhängnisvoll. Zentrum und Sozialdemokratie und Linksliberalismus standen sich hier gegenüber; es war nicht einmal gelungen, die bayerische Verfassung auch nur ein kleines Stück den Strukturwandlungen anzupassen, die innerhalb der Gesellschaft durch den Weltkrieg geschaffen worden waren. Während sich die Verhältnisse i m Reich unter M i t w i r k u n g des Zentrums allmählich auf eine parlamentarische Regierung zubewegten, verhinderte das bayerische Zentrum zusammen mit den konservativen Kräften i n der Reichsratskammer jeden Fortschritt i n dieser Richtung. Zur Differenzierung zum Reichstagszentrum ist noch wichtig zu bemerken, daß die alte konservative Führungsgruppe der hohen Beamten und Geistlichen durch den Erzberger-Flügel i m Frühjahr 1917 verdrängt worden war, während i n Bayern die alten Kräfte ihren Einfluß weiter halten konnten. 36 37 38 39
Angaben Hammerschmidts, a.a.O., Beil. 27. a.a.O., Beil. 27. Sten. Ber. 1918, Bd. 19, S. 202 f. Sten. Ber. 1918, Bd. 19, S. 271.
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2. Die politische Lage Bayerns im Sommer 1918 I m Finanzausschuß kam es am 19. J u l i 1918 zu einer Besprechung der militärischen und politischen Lage 4 0 . Kriegsminister Hellingrath gab einen vertraulichen Bericht über die militärische Lage, der i m Protokoll nicht erschien. Inzwischen war die deutsche Frühjahrsoffensive gescheitert, von der man sich eine endgültige Wendung des Krieges zugunsten Deutschlands erhofft hatte. Held nannte die Ausführungen Hellingraths einen „grauenvollen Überblick" über die Vorgänge auf dem Kriegsgebiet, empfand dies entworfene B i l d aber „vom deutschen Standpunkt aus" immer noch „trostvoll" 4 1 . Diese Äußerung zeigte erneut, wie wenig man i n Bayern vom wirklichen Ernst der Lage unterrichtet war. I n der inneren Lage stellte Held eine „hochgradige Kriegsnervosität" fest. Jeder sah in dem anderen eigentlich den absichtlichen Kriegsverlängerer oder den Friedensfreund um jeden Preis. So lägen die Dinge aber in Wirklichkeit nicht. „Vielleicht 97 oder 98 °/o des ganzen deutschen Volkes wollten den Krieg unter allen Umständen in einem günstigen Sinne beendigen 42 ." Eine gewisse Ernüchterung über die Kriegslage und Kriegsziele trat jetzt auch bei Held ein. Er rückte klar vom annexionistisch-alldeutschen Standpunkt der Vaterlandspartei ab, die er schon 1917 abgelehnt und „seine Freunde aufmerksam gemacht hatte, daß für sie in der Vaterlandspartei kein Platz sei" 4 3 . Man hätte dem deutschen Volk schon von vorneherein sagen sollen, daß man Kriegsziele i m eigentlichen Sinne nicht aufstelle, sondern nur dafür sorgen wolle, daß Deutschland unversehrt bleibe. Letzten Endes könnten die Kriegsziele nur nach den realen Tatsachen bemessen werden, die realen Tatsachen würden aber auf dem Kriegsgebiete geschaffen. Alles andere trage nur zur Verwirrung bei, führe dazu, Volksgenossen abzustoßen und bei den Kämpfenden die Befürchtung zu wekken, für Ziele mißbraucht zu werden, die nicht dem Vaterland und seiner Unversehrtheit und Zukunft nützten. Damit schwenkte Held zumindest kriegspolitisch auf die Friedensresolution ein. Von A n nexionen, die er noch vor einem Jahr vertreten hatte, war jetzt nicht mehr die Rede. Er möchte der Reichsleitung oder der Heeresleitung i n dieser Richtung keine Vorwürfe machen. Das feindliche Ausland sei heute weniger friedensgeneigt als 1916. Trotzdem sah Held keine 40 B L A M , I I I . Ausschuß, V. Faszikel A 6. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 a.a.O., S. 18. Bereits i m Herbst 1917 hatte er i n der K a m m e r der Abgeordnete die Vaterlandspartei „ f ü r vollständig überflüssig" erklärt (Sten. Ber. 1917, Bd. 16, S. 215).
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andere Möglichkeit, wenn man Deutschland nicht preisgeben wolle, als den Kampf bis zum äußersten durchzuhalten. Für Held war das Ziel des Krieges nicht mehr Annexion, sondern Erhaltung des deutschen Vaterlandes und des deutschen Volkes. I m Innern Bayerns war die Volksstimmung i m Frühjahr und Sommer 1918 auf einen Tiefpunkt gesunken. Die Vorkommnisse auf kriegswirtschaftlichem Gebiet, die Bereicherung der Kriegsgesellschaften, die Erschwerung der Versorgung mit dem Allernotwendigsten, die Ernährungsschwierigkeiten, die ständigen Preissteigerungen und die ungleichmäßige Verteilung der knappen Lebensmittel trugen zu einer gefährlichen Stimmung bei, die i m Januar/Februar-Streik 1918 explosionsartig zum Ausdruck kam. Dazu kamen die innenpolitischen W i r ren und die Spaltung der Parteien hinsichtlich der Kriegsziele. I n breiten Massen glaubte man, daß ein möglicher Verständigungsfrieden an der Haltung der Alldeutschen, der Vaterlandspartei und der Kriegsgewinnler und ihres Einflusses auf die Reichsregierung scheiterte. Diese Dinge förderten auch eine antimonarchische Stimmimg. Nach dem Scheitern der deutschen Frühjahrsoffensive, bei der „noch einmal . . . der Endsieg zu w i n k e n " 4 4 schien, sank die Stimmung i n Deutschland „ungestüm i n die Tiefe. Immer neue grausame Menschenverluste, i m mer neue Entbehrungen und Lasten: und kein Ende abzusehen" 45 . Die antipreußische Stimmung erlebte einen Höhepunkt. Der Krieg war Preußens Werk, und Bayern wollte Frieden. Berlin war an allem schuld. I n diesen antipreußischen Strudel wurde auch die Monarchie mit hineingezogen. „ K ö n i g L u d w i g wurde beschuldigt, bayerische Lebensinteressen an Preußen verraten zu haben 4 6 ." Auch die bayerische Regierung schien verpreußt zu sein. Es kam zu Ernährungs- und Soldatenkrawallen. Die Regierung schien gegen die Schwarzhändler, Hamsterei und Preistreiberei der Kriegsgewinnler machtlos zu sein. Das war das Ende der Staatsautorität. I m A p r i l 1918 wurde die „Unabhängige Sozialistische Partei" in München gegründet, deren Zweck, wie es Eisner formulierte, es war „unbedingt und rückhaltlos die Monarchie zu stürzen. Dazu gebe es nur ein Mittel, die heiß ersehnte, unausbleibliche und bald
44 Κ . A. v. Müller, Mars u n d Venus, a.a.O., S. 239. 45 a.a.O., S. 239. M ü l l e r schildert eine Reictegründungsversammlung v o m Januar 1918, i n der die geteilte Volksmeinung sehr k l a r zum Ausdruck k a m ; während auf den Galerien, die von „sehr unbürgerlich aussehenden Gestalten besetzt waren, darunter nicht wenigen Soldaten i n Uniform", die M a r seillaise gesungen wurde, stimmte m a n i m von Bürgerlichen besetzten Parkett das Deutschlandlied an. Bei der Rede des Alldeutschen M a x v. Gruber platzte die Versammlung, es k a m zu Handgreiflichkeiten, die anwesende Polizei weigerte sich einzugreifen (a.a.O., S. 21). 46 K . L . A y , a.a.O., S. 153.
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zu erwartende Revolution" 4 7 . Die Radikalisierung griff auch auf die Bauern über, die unter dem Ablieferungszwang litten und die der Meinung waren, „alles ginge nach Preußen, an das der König Bayern verkaufe" 4 8 . Man wollte den Frieden um jeden Preis. Auch in der bayerischen Regierung wurden diese gefährlichen Tendenzen erkannt, die Bayern von Preußen drohten. So schrieb Kriegsminister Hellingrath schon am 23. 2.1917 an Hertling: „Seit einer Reihe von Jahren und allmählich verstärkt i m Laufe des Krieges sind gewisse preußische Kreise am Werk, um die foederative Verfassung des deutschen Reiches zu lokkern und Deutschland i n ein unter überwiegender preußischer Zentralgewalt stehendes Reich mit erheblich gekürzten politischen Rechten der süddeutschen Völker und Dynastien umzuwandeln 4 9 ." Wie sehr sich die politische Radikalisierung auf dem Lande gegen das Zentrum auswirkte und auch das Zentrum selbst i n bäuerlichen Kreisen ergriff, mußte für die Parteileitung alarmierend wirken. Der niederbayerische Zentrumsabgeordnete Matzeder hatte ζ. B., wie der dortige Kreissekretär Dr. Sittler an Held am 1. 4. 1915 schrieb 50 , auf einer Versammlung „ i m gleichen Hetzton gesprochen wie die Bauernbündler". Sittler führte als bezeichnendes Stimmungsmoment den Ausspruch eines niederbayerischen Bauern an: „Lieber Herrn Jesum beleidigen, als Zentrum wählen 5 1 ." Die radikale Antikriegsstimmung auf dem Lande gegen die Regierung und ihre Ernährungsmaßnahmen, gegen die Städte und besonders gegen Berlin und schließlich auch gegen den Monarchen nützte vor allem der Bauernbund agitatorisch gegen das Zentrum aus, vor allem die Bauernbündler Gandorfer und Eisenberger. Die Bauernbündler stellten auch i m Landtag radikale und zugleich für die Bauern populäre Anträge zu ernährungswirtschaftlichen Fragen aus rein agrarischer Sicht. Das Zentrum konnte hier oft nicht mittun, weil es auch auf seine anderen nichtbäuerlichen Wählerschichten Rücksicht nehmen mußte. Zugleich war aber klar, daß m i t dem A b fall der Bauern die Mehrheit des Zentrums für immer gebrochen sein würde. Was der Bauer zur eigenen Wirtschaft, wie ζ. B. an Futtermitteln erwerben mußte, unterlag dem Wuchertum. Man verübelte es dem Zentrum in Bauernkreisen, daß es nicht fertigbrachte, hier von der Regierung ein Einschreiten gegen die wilde Preistreiberei für diese Produkte zu erreichen. Die Vorkommnisse auf kriegswirtschaftlichem 47 Z i t i e r t nach K . L. A y , S. 209. Wie vor allem der Mittelstand unter der Last des Krieges zerbrach u n d sich so politisch radikalisierte und zur „absoluten Staats Verneinung" kam, weist K . L . A y k l a r nach (a.a.O., S. 100 ff.). 48 Ebd., S. 104 f. 49 Zit. nach K . L. A y , a.a.O., S. 144. so A H R . si Ebd.
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Gebiet, die Bereicherung von Kriegsgesellschaften, die Erschwerung der Versorgung mit Allernotwendigstem trugen zur bösen Stimmung bei. Die wichtigste Stütze des Zentrums auf dem Lande waren gerade die „christlichen Bauernvereine", aber deren Vertreter hatten wiederum i n der Fraktion wenig Gewicht; man war zum Teil i m Zentrum i n Agrarfragen nicht immer einer Meinung. Dr. Schlittenbauer, der Hauptexponent der Bauernvereine und eigentlicher Nachfolger Heims, saß ζ. B. bis Ende Oktober 1917, wie er sich i n einem Brief an Held vom 20. Oktober 1917 beklagte 52 , nicht i m Finanzausschuß und w a r damit ausgeschaltet von der Beratung und Vorentscheidung der wichtigsten politischen Fragen; er war auch nicht i m Vorstand der Fraktion vertreten. Dies war eine Folge des konservativ-klerikalen Übergewichts i n der Fraktion, wie sie seit 1912 bestand. Schlittenbauer war auch nicht einverstanden mit der, wie er sich ausdrückte, „kurzsichtigen Pichler-Politik" 5 3 i n Verfassungsfragen. Der oberbayerische Kreissekretär des Christlichen Bauernvereins, Melchner, sprach i n einem Brief an Held vom 12. November 1917 davon, „daß man es nun bei Schlittenbauer ähnlich machen w i l l wie bei Dr. Heim und diesen . . . Vertreter des Bauernstandes von den wichtigsten Ausschüssen fernhält oder durch Verärgerung hinausekelt" 5 4 . Schlittenbauer sprach damit die Tradition des alten demokratischen Flügels um Dr. Heim an. Bereits zu diesem Zeitpunkt sprach er von einer zu erwartenden „Linksmehrheit" 5 5 nach den nächsten Wahlen i n Bayern. Das Zentrum müsse deshalb jetzt schon ihre Politik i n Verfassungs- und Kulturfragen auf die neue Entwicklung umakzentuieren.
52 A H R . 53 Ebd. 54 Ebd. Melchner sprach hier bereits von Verhandlungen Heims über ein Zusammengehen von Zentrum u n d Bauernbund für die nächsten Wahlen, u m so die w i l d e Agitation des Bauernbundes zu beschränken und lahmzulegen. „Die Mißstimmung i n unseren Bauernkreisen ist groß u n d es herrscht eine Stimmung, die zur Explosion n u r einen geschickten äußeren Anlaß bräuchte." 55 Ebd.
XIV. Das Ende 1918 1. Die drohende Niederlage — Initiativen Heids in letzter Minute Nach der innenpolitischen Stimmungskrise i m Sommer 1918 war auch für Held klar, daß der Krieg i n sein entscheidendes Stadium getreten war, daß, wenn nicht alles versucht werde, das Chaos kommen würde. Aber er versuchte noch einmal für Bayern und die alte Ordnung zu retten, was zu retten war. M i t dem Aufbieten letzter Kräfte sollte das deutsche Volk noch einmal i n letzter Stunde alle Energien zusammennehmen, um sich der drohenden Niederlage zu erwehren. I n einer großen Volksversammlung am 25. September 1918 i n Regensburg mußte er zugeben, daß i n „den letzten Wochen, Gott sei es geklagt, die Stimmung . . . vielfach einer Mißstimmung, einer scharfen Erbitterung, ja einer tiefgreifenden Verzagtheit gewichen" sei 1 . Das Vertrauen auf sich selbst schien für ihn beim deutschen Volk i m Schwinden zu sein. Und darin sah er „die große Gefahr der Stunde für das ganze deutsche V o l k " 2 . Der innenpolitische Hexenkessel, der alles verwüstende Kampf der Parteien u m die politische Macht verschlang die Einigkeit des Volkes in einem Augenblick, „wo der Ansturm der Feinde mit höchster Gewalt einsetzt" 3 . Kein Vaterlandsfreund könne ohne tiefe Sorge diese Entwicklung beobachten, die unfehlbar zum Abgrund führte. Noch fünf Tage bevor die bayerische Regierung am 30. September 1918 offiziell von dem bevorstehenden deutschen Waffenstillstandsangebot erfuhr 4 , bestand für ihn „militärisch kein Grund zur Verzagtheit. W i r werden es auch jetzt schaffen, wenn das deutsche Volk es w i l l , wenn es nicht nachläßt im Willen zum Opfern und zur Tat" 5 . Held rief mit dem Hinweis auf Friedrich den Großen und die Befreiungskriege zum Durchhalten auf. Größere Besorgnis als Kriegslage und Ernährungsstand flößte ihm die innenpolitische Lage ein. „Auflösende Kräfte sind von außen und innen tätig am Reich und gegen das Reich, am Staat und gegen das ι 2 3 4 » 19
RA, 488, 29. 9.1918. Ebd. Ebd. W. Albrecht, a.a.O., S. 363. RA, 488, 29. 9.1918.
Keßler
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V o l k " 6 , gegen die immer stärker werdende antimonarchische Stimmung versuchte er noch einmal die Monarchie zu verteidigen: „Ist Deutschland nicht groß, ist es nicht reich und stark geworden unter der Monarchie, hat Deutschland nicht Ordnung gefunden unter i h r . . . Ist die Monarchie nicht ein stärkerer Schutz der Freiheit als die Demokratie 7 ." Das parlamentarische System würde Deutschland zum Unheil gereichen, wenn es eingeführt werden sollte. Eine vom Parlament gestellte Reichsregierung wäre das Ende. Dann fällt jede Kontrolle des Reichstags und der Reichsregierung weg. „Wehe dann auch dem deutschen Foederativstaat, unserer bayerischen Selbständigkeit, denn eine solche Regierung duldet keine Selbständigkeit. Dann ist es aus mit Bayern, dann haben w i r neben der wirtschaftlichen Zentralisierung, die uns heute schon bis auf die Knochen aufgefressen hat, auch noch die politische 8 ." Scharf ging er gegen das Reichstagszentrum und auch gegen die bayerischen Abgeordneten dort vor: „Ich w i l l hoffen, daß kein bayerischer Reichstagsabgeordneter des Zentrums es über sich gewinnt, diesen Verrat am bayerischen Volk zu üben. W i r werden dafür sorgen, daß keiner von ihnen mehr nach Berlin kommt 9 ." Das war eine scharfe und nicht zu überhörende Drohung der Regensburger Kriegspolitik. Er halte nichts von Friedensangeboten. „Die eiserne Faust gezeigt, und auf die Zähne gebissen, das imponiert unseren Feinden 1 0 ." — Ein Durchhaltewillen bis zum letzten Moment. Parlamentarier könnten Minister werden, aber nur durch Berufung durch den Monarchen; sie müßten aus dem Parlament ausscheiden. Held verteidigte den König gegen die antimonarchische Propaganda. Man müsse mit dem König gesprochen haben, u m zu wissen, „wie groß seine Sorge um das Wohl seines Volkes war seit Beginn des Krieges. Und wenn man das weiß, dann muß einen heiliger Zorn erfassen darüber, daß es in Bayern Leute geben kann, die ihrem besten König, ihrem besten Führer an der Spitze, so verunglimpfen können oder verunglimpfen lassen können" 1 1 . Held wurde zum harten verbissenen Verteidiger der schon i n allen Grundmauern wankenden Ordnung. Noch am 8. Oktober 1918 schrieb Held an Ministerpräsident von Dandl, um ihn zu einer A k t i o n gegen die antimonarchische Stimmung zu bewegen 12 . Bis in die Reihen hoher Herrschaften kehre sich ein nicht 6 RA, 449, 29. 9.1918. 7 Ebd. s Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 RA, 449, 29.9.1918. 12 GStAM, M A I 974, Nr. 8.
1. Die drohende Niederlage — I n i t i a t i v e n Heids
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zu begründender Zorn gegen den Kaiser, sein Haus und die, welche nicht zu den zahlreichen Grundstürzern der Hohenzollerndynastie gehören, haben sich zu einem großen Teil „innerlich mit dem Gedanken abgefunden, daß der Kaiser und sein Sohn des Thrones entsagen oder verlustig erklärt werden müssen. So schmerzlich diese Erscheinung für jeden Vaterlandsfreund ist, viel betrüblicher für uns in Bayern ist die Wahrnehmung, daß ein großer Teil des bayerischen Volkes sich auch von seinem König abwendet und ihm ein gleiches Schicksal wie dem Kaiser zugedacht haben möchte. Selbst in Beamten- und Offizierskreisen spricht man offen davon, daß unser König abdanken und seinem Sohn den Thron überlassen müsse, da anders ein Heil Bayerns und seine Befreiung von der Bevormundung Preußens nicht zu erwarten sei" 1 3 . Held hatte in den Tagen vom 1. bis 8. Oktober vier Versammlungen gehalten und „überall mit Schaudern bemerkt, wie tief und weit das Gift der Verhetzung gegen Kaiser und Reich, aber auch gegen unsern König bereits ins Volk gedrungen ist" 1 4 . Die antipreußische Stimmung Heids war aber keine Reichsfeindlichkeit. Das sprach er klar aus mit dem Satz: „Gedanken und Absichten der Felonie gegen das Reich sind i n Bayern z. Zt. gang und gäbe. Dieser verhängnisvollen Entwicklung der Volksmeinung und des Volkswillens muß m i t Nachdruck Einhalt getan und dem Volksgedanken eine ablenkende andere Richtung gegeben werden, wenn nicht Bayern, die Wittelsbacher Dynastie und die Monarchie schwersten Gefahren bei uns ausgesetzt werden sollen 15 ." Die antipreußische Stimmung i m bayerischen Volk konnte aber ausgenützt werden, um die bayerische Monarchie zu retten; denn die antipreußische Stimmung war ja zugleich antimonarchische Stimmung in Bayern gewesen. Das war aber nur möglich, wenn die Regierung gegen Berlin einen entschiedeneren Standpunkt einnahm, wenn sie bayerische Interessen wieder rücksichtslos wahrnahm, ja wenn sie die augenblickliche Schwäche Berlins ausnützte, u m Bayern das zurückzuerobern, was man i n der Meinung des Volkes durch eine allzu schlaffe Haltung von bayerischer Seite an Berlin während des Krieges verloren hatte. M i t einem Schlag gegen Preußen sollte die bayerische Monarchie gerettet und zugleich ihre Handlungsfähigkeit und i h r Wille zur Rettung bayerische Staatlichkeit bewiesen werden. Damit hätte sich die bayerische Monarchie wieder Sympathien im Volk erwerben können. Das war Heids Gedanke anfangs Oktober 1918. Der Volksstimmung gegen Preußen, soweit sie berechtigt war, sollte schleunigst durch eine A k t i o n Rechnung getragen werden. Man mußte aber schnell handeln, um dem „Volk von oben herab eine Parole für seine politische Gedankenarbeit 13 Ebd. 14 Ebd. is GStAM, M A I 974, Nr. 8. 19*
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und für die politische Diskussion" 1 6 zu geben. Die Parole sollte heißen: Zurückeroberung bayerischer Rechte, die i m Krieg verlorengegangen waren. „Ew. Exzellenz", so schrieb er an Ministerpräsident v. Dandl, „kennen meine Reichsanhänglichkeit und ich laufe daher nicht Gefahr mißverstanden zu werden, wenn ich der Auffassung Ausdruck gebe, es sei der Augenblick gekommen, daß die bayerische Staatsregierung öffentlich zu erkennen gebe, daß das Wesentliche ihres Zukunftsprogramms darin bestehe, von Preußen bzw. dem Reich wieder ihre völlige Unabhängigkeit i n inneren Angelegenheiten zurückzuerkämpfen und die Selbständigkeit Bayerns m i t seinen Reservaten i m Umfang der Versailler Verträge wieder zu erlangen. W i r müssen es uns ja bekennen, daß w i r nach und nach auf allen Gebieten des staatlichen Lebens unter eine unerträgliche Vormundschaft Preußens geraten und zum Annex Berlins herabgesunken sind. Zu der verwaltlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Zentralisierung droht nun angesichts der neuartigen Reichsregierung auch noch die staatspolitische zu kommen. Das wäre das Ende eines selbständigen Bayerns überhaupt und S. Majestät der König, dem man ja heute unbegreiflicherweise die Schuld an Bayerns Verpreußung zuschiebt, würde allen Boden i n seinem Volk verlieren 1 7 ." Zurück zu den staatsrechtlichen Verhältnissen des Deutschen Reiches von 1870/71! Das war die Meinung Heids; mit einer solchen von der bayerischen Regierung durchgeführten A k t i o n sollte das bayerische Königtum gerettet werden. Damit hatte sich Held zumindest als feiner Kenner der Kriegspsychologie des bayerischen Volkes erwiesen. Zumindest gab der Erfolg Eisners, der die antipreußische Königsstimmung des bayerischen Volkes i n seiner A k t i o n gegen das bayerische Königtum geschickt ausnützte, Heids Meinung recht. Die Massen spürten förmlich die Ohnmacht des bayerischen Königtums gegen Berlin. Nach Meinung Heids hätte nun die bayerische Regierung durch entschiedenes Vorgehen gegen Berlin den Eindruck der Ohnmacht verwischen und so die Dynastie retten können. Held stand voll und ganz auf dem Boden der Bismarckschen Reichsverfassung. Das Reich sollte und mußte unangetastet bleiben, aber Bayern müßte nicht nur dem Namen nach, sondern auch in der politischen Wirklichkeit ein selbständiger und vor allem i n seiner Wirtschaft, seiner Verwaltung und seinen Finanzen unabhängiger Bundesstaat sein oder wieder werden. Held hatte nur die antipreußische Stimmung des Volkes i m Auge, auf den wichtigen Kampf i n Verfassungsfragen war er i n seinem Schreiben an Dandl nicht eingegangen. i6 Ebd. π GStAM, M A I 974, Nr. 8.
2. Der angebliche Separatismus Heids
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Die Sorge Heids um die Existenz Bayerns, seines Königshauses und der Monarchie war ohne Zweifel echt. Deshalb mußte rasch und entschieden gehandelt werden. Die Zeit zum Handeln war aber bereits verstrichen; i n dem letzten Monat vor der Revolution ging es um die äußere Sicherheit des Reiches. Der Rückzug der deutschen Heere hatte bereits begonnen. I m Strudel und der Panik der Auflösung des alten Reiches, und schließlich i n der Revolution ging auch Bayerns alte Stellung, die Held noch in letzter Minute zu retten versucht hatte, unter. Außerdem war die alte Beamtenregierung in Bayern zu unbeweglich, um noch diese Kraftanstrengung durchzustehen. Wie sehr die bayerische Regierung i n ihrem Handeln auf die Ereignisse i n Berlin fixiert war, zeigt folgende Episode, die V. Naumann berichtet. Mitte Oktober 1918 stellte Naumann an Kriegsminister v. Hellingrath die Frage, ob das Heer, wenn die Bedingungen der Gegner die allerschlimmsten Befürchtungen noch überträfen, noch weiterkämpfen könne, oder ob man alles annehmen müsse. Hellingrath entgegnete: „Darüber haben die militärischen Stellen in Berlin zu entscheiden. Als Soldat bin ich aber der Anschauung: Nein w i r können n i c h t . . . Aber die Entscheidung liegt i n Berlin!" Naumann erklärte darauf, in diesem Fall müßte Bayern auf sofortige Beendigung des Krieges drängen 18 . Naumann berichtete über die Stimmung i n München weiter, es werde i n Deutschland nicht zum Frieden kommen können, ehe nicht der Berliner Geist gebrochen sei. „Der Kampf gegen diesen Geist w i r d von Süddeutschland, speziell von Bayern aus als sehr bedeutsam betrachtet 19 ." Held hatte also die Stimmung richtig begriffen. Seine vorgeschlagene bayerische Initiative hatte jedoch nichts m i t dem zu tun, was von links und rechts nun alles an Gerüchten über einen bayerischen Sonderfrieden oder gar Separatismus der führenden Zentrumspolitiker verbreitet wurde. 2. Der angebliche Separatismus Heids und die Frage eines bayerischen Sonderfriedens A m 30. September 1918 wurde der bayerischen Regierung das bevorstehende Waffenstillstandsangebot der deutschen Reichsleitung bekannt. A m 1. Oktober 1918 wurden dann die Parteiführer unterrichtet, die ebenfalls sehr erschüttert über dieses Eingeständnis der deutschen Niederlage waren und vor allem für die innere Ordnung das Schlimmste befürchteten 20 . Als die Liberale Vereinigung zu Beginn der Landtagstagung einen Antrag einbrachte, wonach sich der Landtag angesichts is V. Naumann, Dokumente, a.a.O., S. 397. is Ebd., S. 400. 20 Vgl. Aussage Auers i m Dolchstoßprozeß 1925, i n : „Der Dolchstoßprozeß i n München", München 1925, S. 156 ff.
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X I V . Das Ende 1918
d e r schweren Z e i t z u r Reichseinheit b e k e n n e n s o l l t e 2 1 , geschah dies angeblich, u m d e n r e i c h s f e i n d l i c h e n S t r ö m u n g e n i m b a y e r i s c h e n Z e n t r u m e n t g e g e n z u w i r k e n 2 2 . H e l d habe n u n a m 29.10.1918 diesen A n t r a g m i t d e r B e g r ü n d u n g a b g e l e h n t , „ m a n k ö n n e sich n i c h t a n das Reich b i n d e n i n e i n e m A u g e n b l i c k , w o m a n m i t d e r M ö g l i c h k e i t rechnen müsse, daß das Reich a u s e i n a n d e r f a l l e " 2 3 . I n späterer Z e i t h a t H e l d diese D a r s t e l l u n g i m m e r w i e d e r b e s t r i t t e n . D i e A b l e h n u n g des l i b e r a l e n A n t r a g s sei n u r aus d e m G r u n d e r f o l g t , u m i m A u s l a n d n i c h t den E i n d r u c k z u erwecken, „ a l s o b es i m Reiche L e u t e gäbe, die a u f eine Z e r s t ö r u n g des Reiches h i n a r b e i t e t e n " 2 4 . M i t d e r B e m e r k u n g , diese spätere A u s l e g u n g H e i d s sei d e r a r t fadenscheinig, daß i h r e U n w a h r h e i t ohne M ü h e z u e r k e n n e n i s t 2 5 , m a c h t es sich H i l p e r t z u leicht, z u m a l er d a f ü r auch k e i n e gesicherten B e w e i s e e r b r i n g t 2 6 . D e r V o r w u r f des H o c h v e r r a t s w u r d e gegen H e l d später des ö f t e r e n noch m i t d e m H i n w e i s a u f seine A b l e h n u n g des l i b e r a l e n A n t r a g s begründet27.
si Sten. Ber. 1918, Beil. Bd. 23, Beil. 2646. 22 So Fr. Hilpert, a.a.O., S. 30. 23 Ebd., S. 30. 24 RA, 30, 30. 1.1920. 25 Hilpert, a.a.O., S. 30. 26 „Nach vorliegenden Aussagen (die aber nicht angeführt werden; Anm. d. Verf.) muß der gegen Held erhobene V o r w u r f der Begünstigung des Feindes durch Verrat an der deutschen Einheit als zu Recht bestehend anerkannt werden, zumal nicht bekannt ist, daß er gegen die Unterstellung des Hochverrats jemals eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt hat" (Hilpert, a.a.O., S. 30). Daß H i l p e r t den A r t i k e l des Zentrumsabgeordneten X.Gäßler i m „Landauer Boten", i n dem ein offener bayerischer Separatismus m i t dem Ruf „Los von Preußen" propagiert wurde, m i t der angeblichen Bemerkung Heids i n Verbindung bringt, ist methodisch unzulässig, w e i l sich keine direkte Verbindung nachweisen läßt. Zumal diese Lösung auch i n Kreisen außerhalb des Zentrums propagiert wurde. Außerdem lehnte der „Regensburger A n zeiger", 563, 8.11.1918, den A r t i k e l Gäßlers ab und bedauerte ihn, w e i l er der feindlichen Propaganda n u r Vorschub leiste. 27 So von dem liberalen bayerischen Landagsabgeordneten Dr. Hohmann i n M N N , Nr. 4, 3./4.1. u n d Nr. 6 v. 7.1.1920. — I m November 1922 wurde die Angelegenheit erneut i m bayerischen Landtag zur Sprache gebracht. A m 19. J u l i 1923 w a r f der sozialdemokratische Abgeordnete Ackermann Held erneut „vollendeten Hochverrat" vor. I n der „Vossischen Zeitung" Nr. 110, 8. 5.1926 wies der ehemalige Abgeordnete Quidde darauf hin. Quidde zitierte das Protokoll der liberalen Landtagsfraktion über die E r k l ä r u n g Heids. Danach habe Held erklärt: „Die liberale Landtagsfraktion müsse ihren A n trag zurückziehen. M a n könne sich nicht an das Reich binden i n einem Augenblick, w o man m i t der Möglichkeit rechnen müsse, daß das Reich auseinanderfalle... W i r w ü r d e n vor die Frage gestellt werden, ob Bayern einen Sonderfrieden schließen solle, w i r würden dann fraglos bessere Bedingungen e r h a l t e n . . . Bayern dürfe sein Schicksal nicht an Preußen knüpfen." Zit. nach Hilpert, a.a.O., Anhang 122.
2. Der angebliche Separatismus Heids
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Die Arbeit Hilperts ist eine tendenziöse nationalistische Geschichtsschreibung. Daß solche Gedanken i n einem Augenblick, wo Österreich bereit war, einen Sonderfrieden m i t der Entente abzuschließen und wo die Gefahr bestand, daß Bayern vom Süden und Südosten her zum Kriegsschauplatz zu werden drohte, i n bayerischen Kreisen, auch i m Zentrum diskutiert und propagiert wurden, ist sicher erwiesen und läßt sich auch bei dem gegen Preußen aufgestauten Haß durchaus erklären. Diese Gedanken und Parolen m i t dem Ziel „Los von Preußen" wurden ja auch noch nach der Revolution verbreitet, besonders von den Abgeordneten Heim und Osel. Held hat jedoch den Gedanken eines bayerischen Sonderfriedens oder einer Trennung vom Reich immer als irreal abgelehnt. Dies beweist schon seine Reaktion, als seine angebliche Äußerung auch i m Kabinett des Prinzen Max von Baden zur Sprache kam. Erzberger wies i m Reichskabinett am 1.11.1918 darauf hin, daß ein Abgeordneter der bayerischen Kammer der Abgeordneten „die Eventualität eines bayerischen Sonderfriedens" angesagt habe und daß daran Mitglieder des Kgl. Hauses eine Freude hätten 2 8 . Darauf antwortete der „Präsident": „Es war Abgeordneter Held." Haußmann meinte: „Panikstimmung schlägt über in staatliche Wünsche, demagogischer Partikularismus. Annexionist Held trägt zuerst separatistische Wünsche vor. Schmerzlich, bisher nur Polen und andere fremde Nationalitäten. Württemberg immun 2 9 ." Der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld telefonierte noch am gleichen Tag nach Rücksprache mit Staatssekretär Wahnschaffe nach München: „Der Reichskanzler hat den dringenden Wunsch, mit Herrn v. Dandl sobald als möglich zu sprechen 30 ." Man nahm die Sache in Berlin also sehr ernst und wurde nervös. Held schrieb darauf am 2. November 1918 an Dandl, daß ihn die Mitteilungen über die Angaben, die dem Reichskanzler bezüglich seiner Ausführungen i n einer vertraulichen Sitzung der Zentrumsfraktion des bayerischen Landtags gemacht worden seien, „überrascht" hätten 3 1 . „Sie stellen ungefähr das Gegenteil von dem dar, was ich . . . ausgeführt habe 3 2 ." Er habe seiner Fraktion Vortrag erstattet über die augenblickliche militärische und politische Lage des deutschen Reiches und über die möglichen Gefahren, die nun i n erster Linie Bayern von Osten und Süden her 28 Zit. nach Matthias/Morsey, „Die Regierung des Prinzen M a x von Baden", S. 466. 29 Ebd., S. 467. Beide sind sich nicht klar, w e r der „Präsident" war, entweder Friedberg oder Payer. 30 G S t A M , M A I, 972, Nr. 43. 31 GStAM, M A I, 972, Nr. 44. 32 Ebd.
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bedrohten. Den Gedanken an einen bayerischerseits abzuschließenden Sonderfrieden habe er sofort „ m i t aller Entschiedenheit abgelehnt" 33 . Kein Zentrumsmann dürfe fähig sein, „Felonie am Reich zu begehen. Bayerns Trennung vom Reich würde das größte Unheil sein, das uns treffen könnte" 3 4 . Staatspolitisch, wirtschaftlich und finanziell würde Bayern zur völligen Bedeutungslosigkeit herabsinken. „Ich muß entschieden ablehnen, m i r eine zweideutige Politik imputieren zu lassen 35 ." Held bat Dandl, dies dem Reichskanzler mitzuteilen. Zur Bekräftigung der Wahrheit seiner Ausführungen unterschrieb auch noch Heids Stellvertreter Giehrl den Brief. I n der Sitzung des Reichskriegskabinetts vom 3. 11.1918 kam i n Anwesenheit von Dandl die angebliche Äußerung erneut zur Sprache. Vizekanzler Payer meinte, durch Heids Äußerungen seien „große Beunruhigungen hervorgerufen worden" 3 6 . Dandl verteidigte Held gegen die Unterstellungen: „Es müsse eine Mystifikation vorliegen 3 7 ." Held habe stets gegenteilige Reden gehalten. Über die Äußerungen Heids zu liberalen Abgeordneten könne er aus persönlicher Kenntnis nichts sagen. Er, Dandl, habe den liberalen Antrag selbst für taktisch nicht richtig gehalten, sondern die Abgabe von Erklärungen besser gehalten. I n einer gemeinsamen Besprechung hätten alle Parteiführer von rechts bis links gesagt, Bayern müsse unbedingt beim Reich bleiben. Allerdings werde in der Bevölkerung viel von einem Sonderfrieden gesprochen, dies habe aber seinen Grund in der unmittelbaren Gefährdung der bayerischen Grenze. Vizekanzler Payer dankte daraufhin Dandl für seine beruhigenden Ausführungen 38 . Dandl verteidigte Held gegen den Vorwurf des Separatismus zu Recht. Denn schon am 29. 10. 1918 hatte sich Held i n einem A r t i k e l „Wenn w i r von Preußen loskämen" 3 9 gegen eine Trennung Bayerns vom Reich ausgesprochen: „Das Deutsche Reich ist ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet; jedes Glied des Reiches, das aus dieser Gemeinschaft ausschiede, würde sich sein Todesurteil sprechen 40 ." Die bayerische Industrie wäre bei einer Isolierung Bayerns so gut wie erledigt. Die Affaire zeigte, wie nervös Berlin auf jedes separatistische A n zeichen aus Bayern reagierte. Daß in Bayern separatistische Bestrebungen vorhanden waren, ist eine geschichtliche Tatsache. Sie waren Ausdruck einer anomalen, nervös-gereizten Stimmung in Bayern, der 33 34 35 36 37 38 39 40
Ebd. Ebd. Ebd. Matthias/Morsey, a.a.O., S. 477. Ebd., S. 478. Matthias/Morsey, a.a.O., S. 479. RA, 545, 29.10.1918. Ebd.
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sich auch die verantwortlichen politischen Führer nur schwer enthalten konnten. Held war jedoch Realist genug, solchen politischen Spekulationen entgegenzutreten 41 . Der Vorschlag Heids an Dandl vom 8. Oktober 1918 durch eine bayerische entschlossene A k t i o n die alte bayerische Selbständigkeit i m Rahmen der Verfassung von 1871 wieder zurückzugewinnen, war sicher kein Separatismus, er lief vielmehr darauf hinaus, die bayerische Staatlichkeit zu stärken. Ähnliche Gedanken hatte Held bereits i m Finanzausschuß i m Oktober 1917 i n anderer Richtung propagiert. Nachdem in Österreich-Ungarn und Bulgarien die Sympathien für Preußen gesunken waren, während Bayern dort die volle Sympathie noch besaß, sollte diese Stimmung i n einem für Bayern günstigen Sinn ausgenützt werden. „Jetzt könne der Einfluß Bayerns i m Reich i m Interesse des Reiches sehr stark werden und diese Möglichkeit müsse ausgenützt werden 4 2 ." Je stärker Preußen an Einfluß verlor, um so mehr konnte der bayerische Einfluß geltend gemacht werden. I n diesem Sinne machte Held am 16.10.1917 i m Finanzausschuß den Vorschlag, daß Bayern in Vertretung seiner wirtschaftlichen Interessen „nach dem Osten hin durch Gesandtschaften" 43 sich festsetzen sollte. Es wäre eine verpaßte Gelegenheit, wenn Bayern versäumte, die wirtschaftliche Neuorientierung, die über Bayern nach dem Balkan gehe, gegenüber Österreich und Ungarn auszunützen. „Es sei direkt notwendig, auf dem Balkan eine Gesandtschaft zu schaffen, vielleicht i n Bulgarien, vielleicht später i n Rumänien 4 4 ." 3. Die erzwungene Parlamentarisierung — Das Ende Die Friedensresolution von 1917 und die dabei zustandegekommene neue Reichstagsmehrheit hatten einen ersten Schritt zur Parlamenta41 Wie sehr sich jedoch die Meinung v o m Separatismus Heids hielt, zeigen auch Bücher aus neuester Zeit: W. Marer, „Frühgeschichte . . . " , S. 12; W. G. Zimmermann, „Der bayerische Foederalismus", S. 127. Über die Konferenzen der Regierung m i t den Parteiführern Ende Oktober/ Anfang November, i n denen nach den Beobachtungen von Müller-Meiningen die P o l i t i k einer zweiten Rheinbundakte von Dandl u n d dem Zentrum erwogen worden sein soll, berichtet er i n seinem Tagebuch am 30.10.1918: „ . . . Dazu n i m m t die »Preußenmüdigkeit' offen die Formen der Liebäugelei m i t Sonderfrieden u n d ,Los von Preußen' a n . . . Tagtäglich lange Sitzungen beim Ministerpräsidenten. A m 30. besonders interessant über »Sonderfriedensidee 4 , veranlaßt von einem höchst merkwürdigen Ausspruch Heids nach der Kammersitzung. A l l e beteuern ihre Reichstreue. Aber die Nachsätze: „ M a n weiß nicht, was i n 8 Tagen noch w a h r ist . . . seitens Dandl und der Mehrheitspartei sind doch sehr m e r k w ü r d i g " (zitiert nach J. Reimann, S. 251). 4 2 B L A M , I I . Ausschuß I I B, Nr. 2053, Beil. 4. 43 Ebd. 44 B L A M , I I . Ausschuß, Nr. 2053, Beil. 5.
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risierung i m Reich bedeutet. I n der Reichsregierung und der preußischen Regierung ging dieser Prozeß 1918 schneller und reibungsloser als i n Bayern vor sich, wo das Zentrum sich bis i n den Oktober 1918 jeder größeren Änderung des bestehenden Systems widersetzte. A m 30. Juni 1918 hatte der Reichsausschuß der Zentrumspartei eine auch von Held unterschriebene Resolution zur innenpolitischen Reformentwicklung verabschiedet, in der die Veränderungen der neuen Zeit durchaus anerkannt wurden: „Eine neue Zeit ist angebrochen. Der Krieg h a t . . . das ganze Volk i n seinem tiefsten Innern aufgerüttelt und zu lebendiger Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten des Vaterlandes angeeifert 45 ." Als Richtlinien für die kommenden Reformen steckte die Resolution die Grenzen ab: „Volle Wahrung des bundesstaatlichen Charakters des Reiches, vor allem Aufrechterhaltung der Sonderrechte der Einzelstaaten. Erhaltung einer starken Monarchie und einer kraftvollen Volksvertretung, erhöhte Anteilnahme der Volksvertretung an der Außenpolitik 4 6 ." Dies war ein Programm, das Held i m Sommer 1918 voll vertreten konnte und das seinen eigenen Anschauungen voll und ganz entsprach: I m Rahmen der konstitutionellen Monarchie sollte der Einfluß des Parlaments gestärkt werden, vor allem i n der Außenpolitik, in der das alte Regime m i t seiner Geheimdiplomatie vor und während des Weltkrieges so offensichtlich versagt hatte. Von einer vollen Parlamentarisierung der Regierung war nicht die Rede gewesen. Außerdem hatte die Resolution eine für Held wesentliche Forderung enthalten: Wahrung des bundesstaatlichen Charakters des Reiches, Erhaltung der Sonderrechte der Einzelstaaten. Die innenpolitische Entwicklung hatte bereits nach zwei Monaten die Resolution von Frankfurt weit überholt. Ende September 1918 unterzeichnete der Kaiser unter dem Druck der militärischen Ereignisse die Erlasse über die Parlamentarisierung der Reichsregierung. Schon der Wechsel von Reichskanzler Michaelis zu Hertling war ein Schritt auf dem Wege zur Parlamentarisierung gewesen. Unter dem Eindruck der katastrophalen militärischen Lage im September/Oktober 1918 mußte man auf die 14 Punkte Wilsons zum Frieden eingehen. Für das Reich bedeutete das als Voraussetzung für ein Friedensangebot an Wilson die Einführung der parlamentarischen Regierungsform. Als Nachfolger Hertlings wurde Prinz Max von Baden am 3. Oktober 1918 Reichskanzler. Vertreter der Mehrheitsparteien kamen i n die Regierung; vom Zentrum waren es die Staatssekretäre Trimborn, Erzberger und Groeber. Das Deutsche Reich entwickelte sich zu einem Volksstaat. I n dieser Entwicklung konnte Bayern nicht zurückbleiben. Die 45 RA, 334, 6. 7. 1918. 46 Ebd.
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umwälzenden Ereignisse i m Reich hatten jetzt auch i n Bayern ganz andere Notwendigkeiten und stimmungsmäßige Verhältnisse geschaffen, wie sie bei der letzten Tagung des Landtags i m Sommer 1918 noch nicht bestanden. „Auch bei uns ruft das Volk nach stärkerer Beteiligung seiner Vertretung an den Geschäften der Regierung; es muß seine Sache künftig selber führen 4 7 ." Aber i n Bayern sollte sich der Wechsel noch nicht so rasch vollziehen. Ende September 1918 lehnte Held die bedingungslose Angleichung der bayerischen Verfassung an die Verhältnisse des Reiches als nicht begründet und unberechtigt ab 4 8 . Der „Bayerische Kurier" wies i n einer parteiamtlichen Erklärung auf die Gefahren hin, die Bayern von der Verfassungsänderung i m Reich drohten, Gefahren, die m i t der Weimarer Verfassung auch Wirklichkeit wurden. Die bayerischen Bedenken kreisten vor allem um den A r t i k e l 9 der Reichsverfassung von 1871, der durch die Veränderungen bedroht schien. Der Bundesrat als Organ der deutschen Einzelstaaten würde seine bisherigen Befugnisse verlieren und damit wäre das Reich zum alleinigen Träger der Staatsgewalt in Deutschland geworden. „Daß der Bundesrat praktisch durch den Reichstag ausgeschaltet wird, daß die Parteien und nicht mehr die Bundesstaatsregierungen i m Bundesrat das entscheidende Wort sprechen, kann unmöglich der Weg sein, der zum Heil führt. Man verhehle sich nicht, daß jeder Schritt zum Einheitsstaat, der letzten Endes auf ein Großpreußen hinausläuft, jetzt mehr wie je von verhängnisvollen Folgen für die Einigkeit und Geschlossenheit des deutschen Volkes begleitet sein müßte 4 9 ." Die Zustimmung zu den Verfassungsänderungen i m Reich war für Held ein „Verrat am bayerischen Vaterland", eine „Strangulierung Bayerns", die aus Bayern „das Irland des deutschen Vaterlandes machen würde" 5 0 . Held wollte dafür sorgen, daß kein bayerischen Abgeordneter, der an diesem Verrat mitmache, „mehr nach Berlin k o m m t " 5 1 . Daß es starke Differenzen zwischen dem bayerischen Teil der Berliner Fraktion des Zentrums und der Führung in München gab, war offensichtlich. Held sprach diesen P u n k t in einem Brief an den Regensburger Bischof von Henle am 12. August 1918 klar an: Der bayerische Reichstagsabgeordnete Pfarrer Lederer behaupte, von „Ew. Bischöfl. Excellenz einen Brief erhalten zu haben, der ihm Anerkennung und Dank für seine politische Haltung ausspreche und ihn ermuntere, i n seinem Kampf gegen die Gewaltpolitiker Dr. Heim
47 48 49 so si
M N N , 521, 15.10. 1918. RA, 449, 29. 9.1918. B K , 276, 4.10.1918. RA, 449, 29. 9.1918. RA, 449, 29. 9.1918.
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und Held i n Regensburg nicht nachzulassen. Herr Lederer geht mit diesem Brief hausieren und sucht ihn politisch für sich und gegen uns auszunützen. W i r sind nicht willens, diesem Treiben des Herrn Reichstagsabgeordneten ruhig zuzusehen" 52 . Aber auch die Lage i n Bayern drängte auf eine Entscheidung hin. Das Zentrum verzögerte zusammen m i t den Konservativen aus grundsätzlichen Erwägungen eine rasche Entscheidung. Nach der Parlamentarisierung i m Reich mußte auch in Bayern gehandelt werden. A m 16. Oktober 1918 trat der bayerische Landtag zusammen, um über die Reformfragen zu beraten. Schon vorher hatte Innenminister Brettreich m i t den Parteien und der Reichsratskammer über eine Reform der 1. Kammer verhandelt. Das Zentrum erklärte sich nun auch m i t dem Vorschlagsrecht der zuständigen Körperschaften bei der Ernennung neuer Mitglieder zur Reichsratskammer einverstanden und beharrte nicht mehr wie i m Frühjahr auf dem freien Ernennungsrecht des Königs 5 3 . Bei der Eröffnung des Landtags hatte Ministerpräsident v. Dandl erklärt, daß die Staatsregierung und der König einer fortschrittlichen Lösung der Verfassung kein Hindernis i n den Weg legten 54 . Die Regierung selbst hatte die Notwendigkeit der Reformen erkannt. Was Dandl aber über die Reformen sagte, war nichts Befreiendes, es war keine Führung zu spüren. Es war vielleicht die Zubereitung des Bodens für einen Kompromiß, zu dem das Zentrum vielleicht seine Neigung hatte erkennen lassen. Man mußte den Eindruck haben, daß das Ministerium Dandl auf die Führung verzichtete und hoffte, die ganze Sache den Kompromißversuchen der Parteien überlassen zu können. Die Regierung erkannte wohl den Ernst der Lage, es fehlte ihr aber an Energie zu eigenverantwortlicher Initiative. Die Verhandlungen mit den Parteien wurden fortgesetzt. „Die Verhandlungen waren äußerst schwierig, da insbesondere anfangs fast unüberbrückbare Gegensätze zwischen den Konservativen einerseits und den Sozialdemokraten und den Liberalen andererseits bezüglich der Fragen der Verhältniswahl zur Kammer der Abgeordneten und der Parlamentarisierung bestanden 55 ." Das Zentrum wollte zunächst nur eine Umbildung des Staatsrates, insbesondere eine Anzahl parlamentarischer Staatsräte und Verhältnis-
52 Abschrift des Briefes i n A H R . 53 Als einzige Quelle dieser Verhandlungen stehen die privaten A u f zeichnungen des Innenministers v o n Brettreich zur Verfügung — A S t A M , M I n n 66 269 —, da, w i e Brettreich selbst (S. 7) betont, keine Protokolle angefertigt wurden. 54 Sten. Ber. 1918, Bd. 20, S. 5 ff. 55 Brettreich, S. 5.
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wählen nach dem Vorbild Württembergs zugestehen, wo nur eine begrenzte Anzahl von Abgeordneten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt wurde. Zunächst hatten sich Zentrum und Liberale dahin geeinigt, daß die Verhältniswahl nach Regierungsbezirken einzuführen sei, wobei aber die Großstädte eigene Wahlkreise bilden sollten. I n der Frage der Parlamentarisierung fanden sich alle Parteien außer den Sozialdemokraten zusammen auf dem Boden der Umbildung des Staatsrates i n einen politisch verantwortlichen Körper, i n dem 9 Abgeordnete und 3 Reichsräte sitzen sollten 56 . A l l e i n die Sozialdemokraten verlangten eine wirkliche parlamentarische Regierung; auch die Liberalen schwenkten auf die Forderung der vollen Parlamentarisierung ein. Die Verhandlungen zogen sich bis zum 2. November hin Die Fronten zwischen Zentrum und Sozialdemokraten blieben starr. Die militärisch-politischen Verhältnisse Deutschlands wurden immer schlechter. A m 26. Oktober wurde Ludendorff entlassen, am 28. Oktober suchte Österreich um einen Sonderfrieden bei der Entente nach. Die militärische Front brach endgültig zusammen und innenpolitisch befand man sich auf einem Vulkan. I n Bayern stritten sich die Parteien noch heftig über das, was ohnehin kommen mußte. A m 13. Oktober 1918 hielt die Sozialdemokratie auf einem Parteitag Abrechnung mit dem alten Regime. Unter Billigung des Parteitages wurde grundsätzlich der Aufstand der Volksmassen als Machtmittel der Sozialdemokraten bejaht 5 7 . Erhard Auer versuchte die radikalen Forderungen zu bremsen: „Bayerns politische Entwicklung w i r d von der lediglich auf Vorteilpolitik eingestellten Herrschaft des Zentrums gehemmt 5 8 ." Auf dem Parteitag des Zentrums am 21. Oktober 1918 versuchte Held noch einmal das alte Regime zu verteidigen. Es zeigten sich aber auch schon i m Zentrum starke Differenzierungen. Heim und Schlittenbauer zeigten eine fortschrittliche Haltung, sie waren Vertreter der alten demokratischen Richtung im Zentrum. Die Führung der Landtagsfraktion Held und Pichler verhielten sich konservativer. Schlittenbauer hatte inzwischen bemerkt, daß an eine Aufrechterhaltung der bisherigen Verfassung nicht mehr zu denken sei. Wollte aber das Zentrum die Neugestaltung nicht völlig anderen Kräften überlassen, so mußte es jetzt selbst die Initiative zur Installierung des bisher so heftig abgelehnten demokratisch-parlamentarischen Systems ergreifen. Man sollte sich an die Spitze der neuen Entwicklung stellen, um vielleicht so noch seine eigenen Interessen am besten wahren zu können. Schlittenbauer 56 Ebd., S. 6. 57 Münchner-Augsburger Abendzeitung, 521, 14.10.1918. 58 Ebd.
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hielt den Krieg für verloren und erklärte: „Unsere Hauptsorge muß jetzt der Zukunft gewidmet sein. M i t der Demokratisierung und Parlamentarisierung müssen w i r als gegebener Tatsache rechnen und innerhalb derselben unsere K r a f t geltend zu machen suchen 59 ." Held dagegen verwies auf die Grundlagen des alten Zentrumsprogramms, das völlig unverändert geblieben sei, „denn sie beruht auf unserer unveränderlichen christlichen Weltanschauung", und für eine Hauptforderung dieses Programms hielt er nachwievor „die Erhaltung und Stärkung des monarchischen Gedankens" 60 . Deshalb mußte es gegenüber den destruktiven Tendenzen heißen: „Festhalten an der konstitutionellen M o n a r c h i e . . . , der Einfluß der Kirche auf die Schule muß ungeschmälert bleiben. Auch die Freiheit der Kirche i n ihrer ganzen Betätigung darf nicht angetastet werden 6 1 ." Das alles schien bei einer Parlamentarisierung gefährdet. Held forderte eine starke Volksvertretung mit dem nötigen Einfluß auf die Regierung; „ w i r wollen aber kein Scheinkönigtum, sondern ein sich v o l l auswirkendes Königtum, das für das Volkswohl und die Gerechtigkeit i m öffentlichen Leben die beste Garantie bietet" 6 2 . Held sah viel mehr die Gefahren, die der Stellung Bayerns vom Reich drohten; er hielt diese Probleme für wesentlicher als die innerbayerischen Verfassungsfragen; aber gerade für die Stellung Bayerns i m Reich und dessen foederativen Charakter schien i h m die Erhaltung einer starken Monarchie die erste Forderung zu sein. „ W i r sind nach wie vor reichstreu bis auf die Knochen. Aber das Reich ist nicht Preußen und Preußen nicht das Reich 63 ." M i t Entschlossenheit sprach sich Held noch einmal gegen ein Losreißen Bayerns vom Reich aus. Der Parteitag des Zentrums zeigte erneut, wie stark die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei über die Friedensresolution, die Parlamentarisierung und die Vaterlandspartei waren 6 4 . Die Führung der Landtagsfraktion hatte sich als konservativ gezeigt. Der Parteitag sandte ein Huldigungs- und Treuetelegramm an König Ludwig, auf das Held „besonderen Wert" gelegt hatte 6 5 .
59 Neues Münchner Tagblatt, 294, 22.10.1918. Brettreich bemerkte, daß Führer des Zentrums „insbesondere Dr. v. Pichler . . . sogar recht unangenehm berührt waren", daß v. Dandl i m Finanzausschuß i m Oktober 1918 namens der Staatsregierung, die davon überzeugt war, daß rasch etwas geschehen müsse, auf den Ernst der Lage hinwies und zum Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Sozialdemokraten riet. (GStAM, M I n n 66 269, S . l l . ) 60 B K , 295, 23. 10.1918. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Neues Münchner Tagblatt, 294, 22. 10.1918. «s Bayerischer Kurier, 294, 22.10.1918.
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Die Parteitage des Zentrums und der Sozialdemokratie hatten der Öffentlichkeit gezeigt, wie stark die Gegensätze zwischen beiden Parteien immer noch i n den Fragen einer inneren Reform waren. A n diesen Gegensätzen scheiterten zunächst auch die interfraktionellen Verhandlungen unter Vorsitz des Innenministers Brettreich. Das Zentrum weigerte sich, seine gesicherte Machtstellung durch Verhältniswahlen gefährden zu lassen und hielt anfangs auch eine stärkere Stellung der Krone noch für möglich. A m 25. Oktober erklärten die Sozialdemokraten die Verhandlungen zunächst für gescheitert, da das Zentrum zu keinen Kompromissen bereit sei. A u f Dandls Wunsch übernahm Viktor Naumann als Privatdiplomat der bayerischen Regierung die Mission, mit Pichler und Auer die Sache zu besprechen: „Pichler erklärte mir, auch er sei von Anfang an ein Gegner der Ohne-Portefeuille-Minister gewesen, die keine guten Figuren machen würden. Doch ich kenne ja den Ehrgeiz, der i n der Brust mancher Parlamentarier lebt", er hoffe aber, wenigstens in seiner Partei die Geister auf die richtige Linie zu bringen. Pichler meinte weiter, es könne sogar die Proporzwahl beim Zentrum durchgehen, allerdings ständen noch schwere Bedenken ihrer Einführung entgegen, weil man von ihr eine Revolutionierung des Landvolks befürchte 66 ." Die Regierung versuchte i n den Hauptfragen der Verfassungsdiskussion: Reichsrat, Verhältniswahl, Parlamentarisierung möglichst schnell einen Kompromiß unter den Parteien zu erzielen. Noch am Tag seiner Unterredung m i t Pichler suchte Naumann v. Dandl auf, der ihm mitteilte, seine und Naumanns „Unterredungen m i t den Parteiführern hätten gefruchtet" 6 7 . Nachdem die Parteien sich untereinander über die Reformen nicht einigen hatten können und die Sozialdemokraten sich von den Verhandlungen zurückgezogen hatten, beschlossen Liberale und Zentrum, daß nunmehr die Regierung von sich aus die Reformvorschläge auf der Grundlage des Kompromisses zwischen beiden Parteien über die Verhältniswahl nach Regierungsbezirken dem Landtag vorlegen sollte 68 . Das Zentrum hielt immer noch eine Parlamentarisierung „unter den i n Bayern obwaltenden Verhältnissen für nicht möglich" 6 9 . Die Regierung erzwang schließlich i n langen Aussprachen die Lösung: Ein neues Kabinett unter Beteiligung von Parlamentariern, allgemeine Verhältniswahlen, Reform der Reichsratskammer. Innenminister Brettreich bemerkt selbst, daß „ein rascheres
66 V. Naumann, „Dokumente", S. 406. Diese Stelle zeigt, wie stark Einfluß Pichlers i n der F r a k t i o n noch war. 67 Naumann, a.a.O., S. 406. 68 G S t A M , M A 974, Nr. 13.
69 Münchner-Augsburger Abendzeitimg, 547, 28. 5.1918.
der
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Vorgehen . . . bei den schwierigen Verhältnissen unter den politischen Parteien nicht möglich" 7 0 gewesen sei. Erst am 30. Oktober 1918 wurden die interfraktionellen Beratungen m i t Einschluß der Sozialdemokraten wieder aufgenommen 71 . Die innere Lage Bayerns und Deutschlands hatte sich zunehmend verschlechtert. Das Zentrum war jetzt auch mit einer gleichmäßigen Verhältniswahl und einer Parlamentarisierung der Staatsregierung einverstanden 72 . Ein formelles Abkommen von Vertretern von Regierung und Parteien wurde am 2. November 1918 unterschrieben und sofort veröffentlicht. Held und Giehrl unterschrieben für das Zentrum 7 3 . A m 4. November 1918 fand unter Vorsitz des Königs eine Sitzung des Staatsrats statt, der den Gesetzentwurf annahm. A m 6. November 1918 nahm ihn auch die Kammer der Abgeordneten einstimmig an 7 4 . Die sozialdemokratische „Münchner Post" begrüßte das Abkommen als Beginn einer Umwandlung Bayerns „ i n den demokratischsten und freiesten Staat des Deutschen Reiches" 75 . Die Sozialdemokraten hatten ja alle ihre wesentlichen Forderungen durchgesetzt. A m 8. November sollte der Reichsrat dem Gesetz zustimmen, dann sollte es der König noch sanktionieren. Die wesentlichen Punkte der Neuorientierung sollten sein : 1. Einführung von Verhältniswahl auf Grund von Listen. 2. Die Zahl der Mitglieder der Reichsratskammer hat eine entsprechende Vermehrung durch Vertreter der Gemeinden, der Hochschule und der wichtigsten Berufs- und Erwerbsstände zu erfahren. 3. Als Staatsminister können nur Personen berufen werden, die das Vertrauen der Kammern des Landtags besitzen. Dabei sollten neben den mit der Führung eines Ministeriums betrauten Staatsministern auch solche ohne abgegrenzten Wirkungsbereich vor allem zur Beratung und Beschlußfassung i m Gesamtministerium, also Minister ohne Portefeuille dem Kabinett angehören 76 . A m 4. November 1918 brachten die „Münchner Neuesten Nachrichten" bereits die Meldung, daß Held als Minister ohne Portefeuille als 70 GStAM, M I n n , 66 269, S. 11. 71 „Das Feilschen u m Ministerposten ist fürchterlich" vermerkte M ü l l e r Meiningen i n seinem Tagebuch v o m 31.10.1918; zit. nach Reimann, a.a.O., S. 254. 72 AStAM,, M I n n 47 176. 73 GStAM, M A I 974. 74 Sten. Ber. 1918, Bd. 20, S. 95 f. 75 Münchner Post, 257, 4.11.1918. 76 Nach RA, 556, 4.11.1918. Der Regensburger Anzeiger kommentierte die neue W i r k l i c h k e i t m i t dem lapidaren Satz: „ A u c h i n Bayern hat sich ähnlich wie i m Reich die Krone entschlossen, die Volksvertretung zur unmittelbaren Beteiligung an den Regierungsgeschäften heranzuziehen."
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parlamentarischer Vertreter des Ministerpräsidenten ins Kabinett eintreten werde 7 7 . Dandl sollte weiter den Vorsitz i m Kabinett behalten. Die vorzeitige Nennung der neuen Zentrumsminister i n dem „Neuen Münchner Tagblatt" 7 8 schien Held als inopportun empfunden zu haben. A m nächsten Tag brachte das gleiche Blatt die Meldung: „ W i r werden u m die Feststellung gebeten, daß die von den Blättern gebrachte Liste der neuen Minister i n Bayern lediglich auf Vermutungen beruht 7 9 ." Noch am 6. November 1918 traf sich das scheidende Kabinett mit dem Reformkabinett unter Vorsitz von Dandl. Held nahm bereits daran teil. Es wurden die Gefahren einer eventuell drohenden Revolution besprochen. Held machte Innenminister v. Brettreich Vorhaltungen, daß er nicht genügend Vorsichtsmaßregeln gegen eine von Eisner drohende Revolution treffe. Brettreich tat dies m i t den Worten ab: „Glauben Sie doch nicht, Herr Geheimrat, daß eine Revolution kommt; es werden höchstens ein paar Fensterscheiben eingeschlagen werden 8 0 ." Josef Held berichtet, daß Geheimrat Heinrich Held i m Herbst 1918 zu König L u d w i g I I I . gerufen worden sei, der ihm die Bildung eines neuen bayerischen Kabinetts antrug. „Held, der damals kein Staatsamt übernehmen wollte" 8 1 , erklärte sich aber bereit, „ i n die neue halbparlamentarische Regierung einzutreten" 8 2 . Noch bevor das neue Kabinett offiziell vom König ernannt werden konnte, brach am 7./8. November 1918 i n München die Revolution aus. Die Frage, warum und wie die Revolution gerade in München als erster deutscher Stadt ausbrechen konnte, kann hier nicht erörtert werden. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang vielmehr nach den Gründen des konservativen, starren Verhaltens des Zentrums i n den Fragen einer rechtzeitigen, dringenden Verfassungsreform, die so lange hinausgezögert worden war und nicht zuletzt ein Grund für den Ausbruch der Revolution darstellte. Noch vor einem dreiviertel Jahr hatte das Zentrum alles abgewiesen, was es anfangs November zugestehen mußte. Die lange, erbitterte Abwehr von politischen Reformen entsprang hauptsächlich der konservativen Grundhaltung der Partei: man wollte eine starke Monarchie, ein intaktes Beamtentum und eine starke Volksvertretung erhalten. Alles andere war zunächst von Übel. 77 M N N , 558, 4. 11.1918. 78 Nr. 307, 4.11.1918. 79 Nr. 308, 5.11.1918. 80 Josef Held, a.a.O., S. 30. 81 a.a.O., S. 29. 82 Diese Bemerkung Josef Heids ist durch keine anderen Hinweise u n d Quellen zu belegen. Auch ist k e i n Protokoll vorhanden über die Ministerratssitzung v o m 6. November. E i n Hinweis darauf befindet sich bei M ü l l e r Meiningen: „Aus Bayerns schwersten Tagen." S. 30 ff. 20
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Nicht die Parlamentarisierung konnte den Staat retten, sondern die Wiederverchristlichung der Regierungen und der Völker: „Es ist ein Fundamentalirrtum unserer nur Diesseitsfragen kennenden Parteien, daß sie von ,Parlamentarisierung' reden, wo die Christianisierung der Staaten allein die Katastrophe zu verhüten vermag." I m bestehenden Staat waren christliche Sitte und Moral, war der kirchliche Einfluß auf die Schule und das öffentliche Leben besser gewahrt. Von einer Parlamentarisierung konnte man nur noch eine Stärkung des liberalen und sozialistischen Geistes i n der Politik erwarten. Ein weiteres politisches Moment für das Zentrum kam hinzu: ein Beamtenministerium war angenehmer, vor allem weil man es von seiner eigenen Parlamentsmajorität her bequem dirigieren konnte, und das, wenn es allzusehr gegen die Prinzipien der Mehrheit regierte, leicht zu Fall zu bringen war. A n einer Parlamentarisierung war man nicht so stark interessiert, weil man ja ohnehin einen sehr starken Einfluß im Landtag und durch den Landtag besaß. Man konnte Oppositions- und Regierungspartei sein, wie es notwendig erschien. Es war auf jeden Fall bequemer als i n einer solch schwierigen Zeit als Minister selbst die Regierung zu übernehmen und die Verantwortung zu tragen. Erst eigentlich mit der Ministerpräsidentschaft Heids i m Jahre 1924 kam das Zentrum, jetzt die BVP aus dieser Tradition heraus. Man kann auch i n dem fehlenden Willen des bayerischen Bürgertums, parlamentarische Macht zu gewinnen, die Ursache für das lange Zögern des Zentrums i n der Frage der Parlamentarisierung sehen. Was die Person des bayerischen Königs anbelangte, hätte man sie sicher schon früher erreichen können 8 3 . Eine Parlamentarisierung hätte für das Zentrum eine notwendige Koalition mit seinen alten, bisher erbittert bekämpften Gegnern, Sozialdemokraten und Liberalen bedeutet. Denn dann mußte man ja Zugeständnisse machen, vor allem i n der Schulpolitik und i n der Verteidigung des Katholizismus als Staatsreligion. Gerade von der so heftig bekämpften Sozialdemokratie und dem Liberalismus gingen ja die demokratischen Bestrebungen aus. Von diesen Gruppen mußte aber das Zentrum kulturkämpferische Absichten erwarten, wenn sie die politische Mehrheit hatten. Das Zentrum verband sich so in Bayern m i t den Konservativen, weil es m i t diesen i n Kulturfragen zusammengehen und so ein Gegengewicht gegen die Linke bilden konnte. Außerdem glaubte die konservative Führung des Zentrums, daß i n diesem Augenblick größere Gefahren zu beachten waren, nämlich die drohende Mediatisierung des bayerischen Staates durch eine parlamentarische Reichsregierung. I n diesem Augenblick mußte man erst recht an der
83 „Die Parlamentarisierung Deutschlands ist nicht v o m Reichstag erkannt, sondern von Ludendorff angeordnet worden." A. Rosenberg, a.a.O., S. 218.
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Monarchie festhalten. Es war ein alter Grundsatz konservativen bayerischen Staatsdenkens, daß eine volkstümliche Dynastie „das beste Bollwerk gegen großpreußische Aufsaugungsgelüste" darstellte, wie es Held schon 1901 formuliert hatte 8 4 . Die Teilschuld des Zentrums für das Entstehen der Revolution liegt wohl darin, daß es sich i n den parlamentarischen Kämpfen um eine neue staatliche Struktur, die sich ja den i m Kriege veränderten Gesellschaftsstrukturen anzupassen hatte, i n der Ablehnung einer notwendigen Verfassungsänderung um die Erhaltung einer alten, antiquierten Position bemühte und damit für eine soziale Schicht kämpfte, „die i n der bestehenden Form nicht viel mehr als den Schein des Rechts für sich beanspruchen konnte" 8 5 . Damit trug es seinen Teil zu dieser enormen Spannung zwischen den sozialen Gruppen bei, die sich dann in der Revolution entlud. Man sah die gesellschaftspolitischen Wirkungen nicht, die der Volkskrieg m i t sich gebracht hatte und die i n der Politisierung der Massen zum Ausdruck kamen. Man versuchte nicht, sich den Strukturwandlungen innerhalb der Gesellschaft anzupassen, die ja durch den Weltkrieg noch beschleunigt worden waren. Dieses politische Vakuum gab der revolutionären Bewegung ihren Auftrieb. Hinzu kam noch, daß durch die Differenzen der Parteien des Landtags i n den Fragen der Kriegszielpolitik, der Verfassungsreform und der Ernährungsfragen kein einheitlicher politischer Wille i m Landtag vorhanden war und sich diese Differenzen auch auf das Volk übertrugen. Das Zentrum drängte durch seine kompromißlose Haltung i n Verfassungsfragen die Sozialdemokratie i n eine starke Opposition zu Monarchie und Staat, die fast diskussionslose Ablehnung des sozialdemokratischen Reformprogramms i m Herbst 1917 durch das Zentrum mußte die Sozialdemokratie verbittern. Ein anderes, wesentlich schwierigeres Problem ist die Frage, wie sich die politische Entwicklung Heids von einer offenen demokratischen Haltung seiner frühen politischen Tätigkeit, die politische Entwicklungen sah und begrüßte, zu einem wenig beweglichen Konservativismus erklären läßt. Es wäre hier im wesentlichen das zu wiederholen, was bereits über Heids politische Grundhaltung am Vorabend des Weltkrieges gesagt worden ist. Es muß aber manches wiederholt werden, u m seine Position 1918 noch schärfer hervortreten zu lassen. Noch elf Jahre vorher, i m Herbst 1907, hatte er m i t Zielrichtung auf seine eigenen konservativen Fraktionsgenossen i m Landtag i n der Frage des Gemeindewahlgesetzes für die Sozialdemokraten gesprochen: „Rechte vorenthalten, das w i r k t revolutionierend, aber Rechte
84 RM, 1, 2./3. 1.1901. 83 Gr. Schmitt: Z B L G , Bd. 22, 1957, S. 512. 20*
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einräumen, das w i r k t beruhigend . . . " 8 6 . . . keine Angst vor Sozialdemokraten, keine Angst vor Reformen 87 ." 1918 war er nicht mehr bereit, diese Grundsätze gelten zu lassen. Warum diese Wandlung? Bis etwa i n die Jahre 1910/11 hatte seine demokratische Grundhaltung dominiert. Das zeigte sich i n der Anhängerschaft zur Politik Heims, i n seiner Haltung zur Reichsratskammer, dem feudalbürokratischen Regime, den Kampf u m den Proporz i m Gemeindewahlrecht und anderen Fragen. Die Wendung begann allmählich mit dem Ausscheiden Heims aus der Kammer der Abgeordneten 1912 und dem endgültigen Sieg des konservativen klerikalen Flügels i n der Fraktion. Held hatte eingesehen, daß man m i t demokratischer Opposition i n einer überwiegend konservativen Partei in einem Staat wie Bayern, der bis 1914 von konservativen Gruppen beherrscht war, nicht weiterkommen konnte. Er gab seine Opposition auf, rückte politisch zur Mitte, wurde so Fraktionsführer des bayerischen Zentrums und übernahm damit auch die Tradition konservativer Staatspolitik, die diese Partei i n ihrer überwiegenden Mehrheit seit ihrem Bestehen trotz Opposition gegen eine liberal bürokratische Regierung immer getrieben hatte. Held wurde Gefangener des bayerischen, katholischen, politischen Milieus und seiner Tradition und bald dessen bester Interpret und Verteidiger. Er war gefangen in den Zwirnfäden der Legalität, wurde hineingezogen ins Vakuum der inneren Politik und war ohne revolutionären Willen i m Sinne der Anpassung überholter politischer Strukturen an die neuen gesellschaftlichen Wirklichkeiten. Seine demokratische Grundhaltung brach noch manchmal durch, so ζ. B. i n politisch verworrenen, in ihrer Entwicklung kaum überschaubaren Schrecksituationen, wie i n der Reaktion auf die A k t i o n Erzbergers i m J u l i 1917. Ein weiteres Moment kam hinzu: man war mit den großen politischen Verhältnissen, wie sie spätestens seit 1912 mit der Übernahme des Ministeriums durch Hertling i n Bayern bestanden, vollauf zufrieden, man sah seine wesentlichen Interessen, vor allem die religiösen gesichert, und war der dynastischen Schutzmacht der Wittelsbacher aus innerer Loyalität verbunden. Das ergab sich schon daraus, daß das Zentrum seinem Charakter und seiner politischen Tradition entsprechend sich als Verfassungspartei weniger um die politische Staatsform kümmerte, sondern vielmehr darum, daß in dem jeweiligen Staat die Freiheit der Kirche und die Idee des christlichen Staates gesichert waren. Die Entwicklung von der sozialen zur politischen Demokratie wurde gehemmt. Als sie sich doch unter dem Druck des Krieges i n der Juliresolution zu vollziehen begann, stemmte man sich dieser Entwicklung von Bayern aus entgegen. Dieses psychologische Faktum des Zufriedenseins mit dem 86 Sten. Ber. 1907, Bd. 1, S. 365. 87 a.a.O., S. 367.
3. Die erzwungene Parlamentarisierung — das Ende
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Bestehenden führte automatisch zum Konservativismus. Man besaß Einfluß, ohne Verantwortung tragen zu müssen. Bei einer Parlamentarisierung standen mühsam erkämpfte Errungenschaften und die kirchlichen Freiheiten auf dem Spiel. Ein wesentliches Moment läßt sich bei Held i m foederalistischen Gedanken sehen, der auf die Formel zu bringen ist: ohne Monarchie würde auch die foederalistische Struktur der deutschen Reichsverfassung von 1870/71 zerschlagen werden. Jede Veränderung des Bestehenden konnte nur auf Kosten des eigenen Besitzstandes gehen. Man wollte 1918 die volle Parlamentarisierung nicht, sie hätte die Übernahme der vollen Verantwortung bedeutet und außerdem hatte man 1918 kein eigenes staatspolitisches Konzept. Die politische Umwandlung kam zu schnell, man war nicht vorbereitet. Es rächte sich, daß man über das Bestehende nicht hinausgedacht hatte und die Veränderungen, die sich i n der Gesellschaft vollzogen, nicht wahrnehmen wollte. Es ist bereits gezeigt worden, daß es auch i n dieser Frage Differenzierungen i m Zentrum gab. Der demokratische Flügel der Partei um Heim und Schlittenbauer hatte die Veränderungen i m politischen Gefüge Bayerns bereits erkannt. Daß diese Gruppierung nicht zum Tragen kam, lag daran, daß i m bayerischen Zentrum bis zur Revolution die konservativ-klerikal-feudale Richtung die Oberherrschaft besaß. Der demokratische Flügel konnte — und tat es auch — sich dann sehr schnell auf den durch die Revolution geschaffenen Boden der neuen Tatsachen m i t der Gründung der BVP stellen. Ein reizvoller Vergleich drängt sich noch auf: die Parallelität Heids zu Erzberger. Beide Politiker stammten aus kleinen Verhältnissen, waren i n der demokratischen Atmosphäre des „Volksverein" aufgewachsen und gehörten zum demokratischen Flügel des Zentrums in ihrer frühen politischen A k t i v i t ä t . I h r politischer Werdegang wäre wahrscheinlich auch parallel verlaufen, wäre nicht Held schließlich i n der bayerischen Politik groß geworden. Von dieser Position aus wurde er schließlich zum erbittertsten Gegner der durch Erzberger symbolisierten Neuorientierung i m Reich. M i t dem Wandel Erzbergers zum Zentrallsten wurde diese Gegnerschaft noch verschärft. Es sei die Behauptung gewagt: wäre Held nicht i n Bayern politisch groß geworden, so hätte er ein zweiter Erzberger werden können. Nach der Revolution, nach der Ausschaltung des alten konservativen Flügels der Partei begann wieder eine demokratische Periode i m politischen Leben Heinrich Heids. Die Revolution brachte zunächst eine Ernüchterung, eine Desillusionierung über das alte System, die zu einem demokratischen Neuansatz i m politischen Denken Heids führte. Die Frage w i r d nun sein, wie Held sich zu den neuen Tatsachen stellte, die der ungewollte Wandel m i t sich brachte, die Frage, wie das Erlebnis des
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X I V . Das Ende 1918
Chaos 1918/19, des Widersprechenden, des Zerreißenden wirkte. Es w i r d das Problem sein, ob er die kommende Welt verstünde, welche die so lange festgehaltene Vergangenheit zerstört hatte. 4. Die Wirkungen des Weltkriegs bei Held: Nationalisierung seines politischen Denkens Zu den Wirkungen des Krieges auf das politische Weltbild Heids gehörte vor allem die Nationalisierung des politischen Denkens, wie sie überhaupt auch i m allgemeinen bei der Zentrumspartei festzustellen ist 8 8 . Der Eindruck des gemeinsamen Aufbruchs, der Einigkeit des Volkes über Partei- und Konfessionsgrenzen hinweg und zugleich der Eindruck und die Wirkung der gemeinsamen Bedrohung durch die Ubermacht des Feindes, führten zur nationalen Bekehrung des Gesamtzentrums 89 . Vor dem Krieg waren bei Held noch sehr starke Ressentiments, die er aus der bayerisch politischen Tradition und aus seinen eigenen Jugenderlebnissen i n Nassau und in Straßburg gegen das Wilhelminische Reich gewonnen hatte, gegen das Reich, das ja nur „ein Großpreußen" war, wirksam. Er stand hier i m Strom katholisch politischen Denkens des deutschen Katholizismus, der seine reservierte Distanz gegen das vom protestantischen Geist geprägte Bismarckreich immer noch nicht aufgegeben hatte. Die Katholiken hatten noch vor allem konfessionell akzentuierte Forderungen zur Herstellung der vollen nationalpolitischen Parität: Aufhebung des Jesuitengesetzes, und volle paritätische Berücksichtigung des katholischen Volksteils in Verwaltung und Hochschulbereich. I m Krieg traten diese Vorbehalte alle zurück hinter der nationalen Erhebung von 1914. Zudem hatte der Krieg den Katholiken auch die nationalpolitische Gleichstellung gebracht. Das Jesuitengesetz fiel 1917; zum erstenmal wurde in Hertling ein Katholik Reichskanzler. Die Zentrumsanhänger waren keine Reichsfeinde mehr, das Schlagwort vom Ultramontanismus war gefallen. „Daß die Katholiken zu den tragfähigsten Pfeilern des Reiches gehörten, erwies sich i m Laufe des Krieges 9 0 ." Zu Anfang des Krieges war ein starkes Anwachsen der Reichsfreudigkeit und des endgültigen Friedensschlusses mit dem Reich auch von bayerischer Seite festzustellen gewesen. I n einer Rede „Aufgaben der bayerischen Politik in und nach dem K r i e g " 9 1 versuchte 88 Vgl. R. Morsey: Die Zentrumspartei, S. 53 f. 89 Siehe z. B. Heids A r t i k e l zu Anfang des Krieges. 90 Morsey, a.a.O., S. 53. 91 Undatierte Redeskizze i m A H R . Die einzelnen Probleme sind n u r stichpunktartig angegeben.
5. Die internationale katholische U n i o n 1917/18
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Held bayerische und deutsche Politik zu synchronisieren. Bayerische und deutsche Politik seien nicht zu trennen, weil das Deutsche Reich ein Wirtschaftsgebiet sei, und nur das Deutsche Reich konnte Weltwirtschaftspolitik treiben. „Die Entfaltung der Eigenart der Stämme und gleiche Zielstrebigkeit aller deutschen Stämme nach außen unter einer einheitlichen Führung hat diese Tatsache geschaffen . . . w i r waren reich geworden i m Innern, mächtig nach außen 92 ." Zu der i n Bayern anfangs des Krieges gemachten Behauptung, die Reichsgründung, der Bund mit Preußen habe diesen Krieg gebracht, meinte Held, sie sei falsch i n dem Sinne, indem sie mit einer gewissen Tendenz gegen Preußen erhoben werde 9 3 . Richtig sei sie insofern, als sie die Erringung der großen staatlichen und wirtschaftlichen Machtstellung begründet habe 94 . Denn die erste Ursache des Krieges sei der Neid der Feinde, vor allem Englands gegen die wirtschaftliche Machtstellung Deutschlands. Gerade dieser Krieg brachte den Beweis: „ N u r das Reich, die einheitliche Zusammenfassung aller Kräfte und ihre einheitliche Führung garantiert uns eine freie und günstige nationale und weltpolitische, weltwirtschaftliche Entwicklung. Daher Freude am Reich: Arbeit und Opfer für das Reich 95 ." Der Krieg brachte also bei Held die Einebnung aller Ressentiments gegen das Reich, die früher abgelehnte kleindeutsche Lösung. Erst i m Kriege ist er reichstreu geworden. Deshalb war er auch i n den Jahren 1918/19 kaum Separatist; was ihn damals bewegte, war nur die Wiederherstellung der i m Kriege zuungunsten Bayerns verschobenen Gewichtsverhältnisse und die Korrektur der Lage nach den ursprünglichen Maßstäben der Reichsverfassung. I m Krieg erlebte Held erst die Kraft und die Bedeutung des Wortes Nation als Schicksalsgemeinschaft, m i t der er sich nun endgültig identifizierte. Die Erfahrung der bedrängten Schicksalsgemeinschaft nach dem Versailler Friedensdiktat und seinen schlimmen Folgen für die wirtschaftliche und politische Existenz Deutschlands verdichtete und potenzierte dieses Erlebnis der Nation i m Krieg zu einem gemäßigten Nationalismus, der ihn i n dieser Hinsicht wieder eine Mittelstellung zwischen den extremen Flügeln der B V P einnehmen ließ. 5. Die internationale katholische Union 1917/18 Das Erlebnis des gefährdeten Deutschtums durch den Krieg hatte auch i m deutschen Katholizismus Kräfte zur Sammlung des katholi92 93 94 95
Undatierte Redeskizze i m A H R . a.a.O., S. 5. Ebd. Ebd.
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X I V . Das Ende 1918
sehen Auslandsdeutschtums als Instrument einer deutschen Friedensund Kriegspropaganda geweckt. I m Februar 1917 wurde in Zürich unter maßgeblicher Beteiligung Erzbergers „Die internationale katholische Union" gegründet 96 . Der Organisation gehörten Katholiken vor allem aus dem Lager der Mittelmächte und neutralen Staaten an. „ I h r Hauptzweck war, die Weltöffentlichkeit zu einer für den Papst befriedigenden Lösung der römischen Fragen anzuregen 97 ." So ausschließlich auf die römische Frage war die „Katholische Union" jedoch nicht angelegt. Erzberger lud Held am 13. Januar 1917 zu einem „katholischkonservativ-politischen Kongreß auf den 12. Februar 1917" nach Zürich ein 9 8 , der „eine unverbindliche Aussprache unter Vertretern verschiedener Nationen herbeiführen" sollte. Teilnehmer sollten von deutscher Seite auch Spahn, Gröber, Porsch und Erzberger sein. Held fuhr nach Zürich, wo bei den Verhandlungen auch die belgische Frage eine Rolle spielte 99 . A m 30. und 31. Januar 1918 fand eine zweite Konferenz der „Internationalen katholischen Union" in Zürich statt, die sich bereits als ein Teil der Friedensbewegung der Katholiken Europas verstand. Held war von Porsch bereits am 30. Dezember 1917 gebeten worden, nach Zürich zu gehen und ihn dort zu vertreten, „damit Erzberger nicht allein bleibt" 1 0 0 . Mitglieder der Parlamente und Parteien aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen und der Schweiz waren erschienen. Die Tagung vom 30. und 31. Januar 1918 verabschiedete mehrere Resolutionen. Der Friedensschritt des Papstes vom Sommer 1917 wurde als „Friedensstern" begrüßt, der „zu Häupten der gequälten Menschheit in allem Dunkel der Zeiten leuchtet" 1 0 1 . Die Konferenz rief die Katholiken aller Staaten und Nationen auf, in den Parlamenten, in der Presse und ihren Organisationen einhellig und mit aller Kraft für „die Beendigung des Krieges und die Sicherung des Friedens unter den Völkern . . . einzustehen und zu w i r k e n " 1 0 2 . Eine ständige Geschäftsstelle der „ I n ternationalen katholischen Union" am Sitz der allgemeinen Friedensverhandlungen sollte die Aufgabe unternehmen, den katholischen Interessen der verschiedenen Länder wesentliche Dienste zu leisten. Die Konferenz forderte einen Wiederaufbau des Völkerrechts. Weitere Resolutionen forderten den Ausbau der internationalen Sozialreform und die Weiterentwicklung der christlichen Sozialordnung. Man propagierte 96 Epstein, a.a.O., S. 165. 97 Ebd. 98 Brief Erzbergers i n A H R . 99 Dies geht aus einem Brief hervor, A H R . 100 Brief v o m 30.12.1917 an ιοί Zit. nach „Neue Züricher 102 Zit. nach „Neue Züricher
von Prof. K . Beyerle v o m 17. 2.1917 an Held Held, A H R . Zeitung", 38, 8. 2. 1918. Zeitung", 38, 8. 2.1918.
5. Die internationale katholische Union 1917/18
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einen Weltfrieden auf christlicher Grundlage. Held hatte sich in einem Referat m i t den Forderungen des internationalen Mittelstandes nach dem Kriege befaßt 1 0 3 . Aufgrund eines Referats von Erzberger war eine Demarche bei den Regierungen beschlossen worden, damit den Friedensdelegationen auch ein Sachverständiger für katholische Fragen beigegeben werde. „ I n Anbetracht des Interesses, das der Hl. Stuhl dieser Vereinigung entgegenbringt, verdienen deren Bestrebungen eine gewisse Beobachtung", schrieb der bayerische Gesandte 104 . Die „Internationale katholische Union" wollte nach ihren Statuten eine neutrale Vereinigung der politischen und sozialen Führungen aller Länder sein 1 0 5 . Sie verfolgte eine Fühlungnahme der Katholiken während des Krieges und „ w o immer möglich, eine Einflußnahme auf Friedensverhandlungen i m Sinne der allgemeinen christlichen und katholischen Interessen" 1 0 6 ; Präsident der Vereinigung war ein Schweizer. Der Verein versuchte auch, „Beziehungen zu Ententeländern anzuknüpfen" 1 0 7 . Held sprach sich auf der Konferenz dafür aus, daß die katholischen Organisationen i n ihren Ländern Friedenskundgebungen veranstalten sollten 1 0 8 . Über die beiden Konferenzen i n Zürich hinaus ist die „Internationale katholische Union" nicht wirksam geworden. Es ist auch nicht bekannt, daß Held in dem von i h m empfohlenen Sinn besondere Aktionen unternahm. Zusammen mit dem Münchner Generalvikar Michael Buchberger versuchte Held im J u l i 1918 einen „Verein der Deutschen Katholiken" zu gründen. I m Namen des vorbereitenden Kommitees verschickte Held einen Aufruf an führende Katholiken zum Beitritt. „Eine wertvolle Frucht des gegenwärtigen Weltkriegs ist die gewaltige Belebung des Zusammengehörigkeitsgefühls aller Deutschen... Unbeschadet der gebührenden Achtung vor der persönlichen Überzeugung aber w i r d dieses Einheits- und Volksgefühl durch die Glaubensgemeinschaft noch vertieft und gefestigt 109 ." Sämtliche bayerische katholische Zivilstaatsminister traten bei. A n Heids Aufruf läßt sich deutlich die bereits angedeutete Wirkung des Weltkrieges erkennen: das Einheits- und Volksgefühl wurde gestärkt, von der Religion her sogar noch vertieft; es trug so zur Nationalisierung des deutschen Katholizismus in der Weimarer Republik wesentlich bei. 103 Bericht des bayerischen Gesandten beim Hl. Stuhl am 9.2.1918 aus Lugano an Ministerpräsident v o n Dandl: G S t A M : M A 97 662, Nr. 3166. 104 Ebd. los Statuten des Vereins: GStAM, M A 93 973, Nr. 27 868. 106 Ebd. i° 7 Bericht des Generalsekretärs Bamberger, Chefredakteur der „Neuen Züricher Zeitung", A H R . los Ebd. 109 A H R .
X V . Die Revolution i n Bayern — Gründung der B V P 1. Anpassung an die neuen Verhältnisse Die Revolution traf Held völlig unerwartet. Sein staatskonservatives Idealbild, die Monarchie, die er bis zum letztmöglichen Widerstand verteidigt hatte, war über Nacht verschwunden. Eine Welt war zusammengebrochen. Er hatte es sich nicht vorstellen können, daß das Band zwischen König und Volk, das seinem Herrscherhaus wegen seiner Volkstümlichkeit „Treue, Loyalität und Vertrauen" 1 schuldete, so schnell zerrissen würde. Außerdem hatte er von seinem religiös fundierten politischen Weltbild her die Revolution unter keiner Bedingung als sittlich erlaubt gehalten. Denn Ordnung und Autorität waren von Gott gewollt, sie gingen in letzter Instanz von i h m aus. „ W i r erkennen i n jeder gewaltsamen Umwälzung durch das Volk ein Staatsverbrechen, eingedenk der Worte des Apostels: ,Jede Obrigkeit ist von Gott, und die welche besteht, ist von Gott verordnet worden' 2 ." Deshalb müßten die Katholiken entschieden ablehnen, sich für ein Recht auf eine gewaltsame Umwälzung auch dann einzusetzen, wenn die Regierung ihren Interessen zuwiderhandeln sollte, wohl aber werden sie von dem Recht als Staatsbürger i n diesem Fall jederzeit Gebrauch machen, durch Einwirkung auf die Gestaltung der öffentlichen Verhältnisse, einen leidigen modus vivendi herbeizuführen 3 ." I m katholischen Staatsdenken war gewaltsame Revolution Sünde. I n einer großen Volksversammlung 1910 hatte Held i n scharfer Abgrenzung zum Revolutionsdenken der Sozialdemokraten seine Haltung klar umrissen; sie blieb bis 1918 dieselbe: „Das Christentum verdammt auch jeden Versuch zu gewaltsamen, äußeren Eingriffen i n den Bestand der staatlichen und bürgerlichen Gesellschaft als Verbrechen wider Anordnungen und Zulassungen Gottes 4 ." Die Umgestaltung gegebener Mißstände konnte nur durch die Beachtung der Gebote Gottes und der Wirkung ihrer Wahrheiten auf den Menschen kommen. „Also Entwicklung und Umwandlung der Gesellschaft, Heilung der Schäden und Mißstände von innen heraus durch die Erkenntnis und Beherzigung der religiösen 1
RM, 1, 2./3.1906 zur Centenarfeier. 2 RM, 248, 31.10. /1.11.1910. 3 Ebd. 4 RM, 197, 22. 9. 1910.
1. Anpassung an die neuen Verhältnisse
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Wahrheiten, durch die Liebe zu Gott und durch diese auch zu den Nebenmenschen 5 ." Durch ein streng den Geboten Gottes angepaßtes Leben müßte der Christ ein Beispiel geben, „das von sich aus lehrt, Mißstände beseitigen hilft, ungerechte Verhältnisse verschwinden läßt. Also nicht Trotz, Empörung, Gewalt und Revolution, sondern die auf christliche Glaubensüberzeugung beruhende Pflichterfüllung und Liebestätigkeit, sollen das Antlitz der Welt, sollen die Gesellschaft erneuern" 6 . Daraus ergab sich, daß der Christ nicht auf den Wegen der Revolution und der Gewalt die Heilung sozialer Mißstände verfolgen kann, „sondern daß durch die Reform des Menschen und Menschengeschlechtes aus christlicher Glaubensüberzeugung heraus die Heilung zu erwarten ist" 7 . Held war nicht der Meinung, daß das Christentum es verbiete, „menschlich, sinnlich frei zu werden und unabhängig von anderen Menschen und daß es gleichsam für zeitlebens ein Verdammnisurteil zur Abhängigkeit spreche" 8 . Der heilige Paulus hatte ja gesagt : „doch wenn Du auch frei werden kannst, bediene Dich dessen lieber 9 ." Damit war für Held nicht eine sinnliche Freiheit, die durch Zwang und Empörung erkämpft wird, gemeint, „sondern die Freiheit, die auf freiwilligem Entschlüsse des Herrn unter der Einwirkung der christlichen Liebe gegeben w i r d " 1 0 . Gewaltsame Revolution war also für Held von seiner religiösen Überzeugung und seinem Legitimitätsgedanken her unerlaubt und sogar Sünde. I n der politischen Arbeit i m bayerischen Landtag hatte er schon öfters das direkte Arbeiten und zielbewußte Vorgehen der Revolutionäre entdecken zu können geglaubt. Als 1911 die Kammer der Abgeordneten aufgelöst wurde, bedeutete das für ihn nichts anderes, als die Aufforderung der Regierung zum Kampf gegen die Zentrumspartei als den Hort der monarchischen Interessen, und das i n einem Augenblick, „wo die Revolution gierig darauf lauert, wo sie losschlagen, den Staat in seinen Grundfesten erschüttern kann, um die neue soziale Ordnung der Unordnung herbeizuführen" 11 . Die Revolution, der militärische Zusammenbruch, der Untergang der Monarchie, trafen Held unerwartet und lösten einen Schock aus. Man hatte i m Zentrum ja geglaubt, durch die verfassungspolitische Neuordnung vom 2. November 1918 der drohenden Revolution den Boden 5 RM, 197, 22. 9. 1910. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd. H RA, 588, 20.11.1912.
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X V . Die Revolution i n Bayern — Gründung der B V P
entzogen zu haben. Dabei hatte man sich bei den Verhandlungen nicht besonders beeilt. Schon die eigenen Zugeständnisse, die man hier gemacht hatte, empfand man als revolutionäres Ereignis. Gerade beim Wahlrecht hatte nach Meinung Heids das Zentrum „die schwersten Opfer gebracht" 12 . I n Bayern waren die Parteien ja daran gewesen, eine wahre Volksregierung einzurichten, und zwar mit Einverständnis des Königs. A l l e Beteiligten waren bei der Unterschrift des Protokolls davon überzeugt, daß Bayern „vor dem Umsturz bewahrt bleibe" 1 3 . Er war also von dem Ausbruch der Revolution überrascht worden; er war wie betäubt, und dieses Revolutionserlebnis bestimmte seine Pol i t i k bis i n das Jahr 1924 hinein. Der Katholizismus war zutiefst einem System verbunden gewesen, dessen Struktur mit dem Schlagwort „Thron und A l t a r " bezeichnet werden kann; man hatte keine republikanische Tradition und konnte sich nicht vorstellen, was nach der Monarchie kommen sollte. Das bayerische Zentrum war weder handelnd noch widerstrebend an dem Umsturz beteiligt; es war zunächst betäubt und ratlos. Der Schock der politischen Umwälzung brachte zunächst eine Periode der Ratlosigkeit, der Orientierungslosigkeit. Das Bürgertum war überrascht worden. Held soll noch am 8. November, nachdem bereits der Landtag durch die revolutionären Truppen Eisners besetzt worden war, versucht haben, Innenminister von Brettreich und Kriegsminister von Hellingrath zu erreichen, um eventuell eine militärische Gegenaktion zu veranlassen, allerdings vergeblich. Die Minister hatten bereits resigniert 1 4 . Held zog sich nach Regensburg zurück und resignierte ebenfalls. Man nahm die Neuordnung hin, ohne daß das Bürgertum sich zu einer Gegenaktion hätte aufraffen können. Die einzelnen Stadien der bürgerlichen Resignation und Neuorientierung auf dem Boden der vollendeten Tatsachen lassen sich an Heids Zeitung, dem „Regensburger Anzeiger" genau nachzeichnen. A m 9. November 1918 bezeichnete die Zeitung die innerpolitische Umwälzung in Bayern bereits als „eine vollzogene Tatsache" 15 . Ein Arbeiter- und Soldatenrat habe in München die Macht an sich gerissen. „ U m ein B l u t vergießen zu vermeiden, haben die Behörden keinerlei Widerstand angeordnet. Der Arbeiter- und Soldatenrat befindet sich demnach i m gegenwärtigen Zeitpunkt i m Besitz der Regierungsgewalt Bayerns. Diese Tatsache müssen auch w i r anerkennen, unbeachtet unserer politischen Grundsätze und unserer Überzeugung. Es hat keinen vernünftigen Sinn, sich der Entwicklung, nachdem sie einmal so weit gediehen is 13 14 is
RA, 598, 27. 11.1918. Ebd. Josef Held, a.a.O., S. 30. RA, 565, 9. 11. 1918.
1. Anpassung an die neuen Verhältnisse
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ist, i n den Weg stellen zu wollen. Wenn es Regierung und Behörden nach Lage der Dinge für angebracht halten, auf Widerstand zu verzichten, so besteht auch für die Bürgerschaft nach Pflicht, Gesetz und Gewissen kein Anlaß zu gegenteiliger Haltung 1 6 ." Klarer konnte das bürgerliche Verhalten i n seiner Ratlosigkeit und Verwirrung nicht formuliert werden. Man berief sich auf Behörden und Regierung, und so war auch das Bürgertum nach Pflicht, Gesetz und Gewissen von jeder politischen Verantwortung freigesprochen. Der Mangel an politischer Erziehung, ihre Staatsgläubigkeit und die jahrzehntelange Erziehung zu politischer Abstinenz m i t dem Glauben, Regierung und Verwaltung seien ja verantwortlich und würden die Dinge schon recht machen, rächten sich so auch i m Bürgertum. Der Obrigkeitsstaat hatte sich so selbst in seinen Grundfesten unterminiert. Das starke Königtum, das integre Beamtentum und die starke Volksvertretung, wie man es gewünscht hatte, waren von einem Tag auf den anderen machtlos und unfähig zu handeln. Die meisten Abgeordneten hatten am Freitag früh, 8. November 1918, noch nicht erfahren, was sich i n der Nacht vorher vollzogen hatte und waren ganz erstaunt, als sie das Landtagsgebäude militärisch besetzt fanden. Die meisten Abgeordneten haben i m Laufe des Tages München verlassen 17 . Es war zweifellos ein gutes Stück Überraschungsstrategie, mit der Eisner das alte Bayern aus den Angeln gehoben hatte. A m 8. November konnte er i m Landtag vor den Arbeiter- und Soldatenräten feststellen: „Niemand hat vor zwei Tagen noch dergleichen für möglich gehalten. Und niemand hält es heute für möglich, daß Einrichtungen jenes uns als traurigste Vergangenheit erscheinenden Gestern wieder auferstehen könne 1 8 ." M i t der Übernahme der Macht durch Unabhängige und Mehrheitssozialisten traten die bürgerlichen Parteien zunächst völlig i n den Hintergrund. Man hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen und fürchtete sich, „durch eine siegreiche Revolution zur Verantwortung für die Vergangenheit gezogen zu werden. Sie hofften, diesem Schicksal entgehen zu können, wenn sie sich totstellten" 1 9 . Man war ja auch moralisch diskreditiert und durch die eigene Kriegspolitik suspekt geworden. Hatte man doch bis in die letzten Tage des Krieges hinein das Durchhalten und den alles aufopfernden Widerstand der Heimatfront vor der drohenden Niederlage gepredigt. Jetzt setzte ein „wahres moralisches Spießrutenlaufen" 20 gegen die Durchhaltepolitik ein. 16 π 18 is 20
RA, 565, 9.11.1918. RA, 566, 9.11.1918. RA, 568, 10.11.1918. E. Nickisch, Gewagtes Leben, S. 89. Müller-Meiningen, „ A u s Bayerns schwersten Tagen", S. 49.
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X V . Die Revolution i n Bayern — Gründung der B V P
Ein zweites, mehr psychologisches Moment für die Zerfahrenheit und mangelnde Aktionsfähigkeit der bürgerlichen Front kam hinzu: durch die militärische Niederlage und den Zusammenbruch i m Innern setzte hier eine alle A k t i v i t ä t lähmende Desillusionierung über das alte Regime ein. Heinrich Held hat diese Stimmung am 21.11.1918 sehr klar artikuliert: „ W i r sind außen- und innenpolitisch i n namenlosem Elend. Jetzt fällt es einem wie Schuppen von den Augen, daß alles so kommen mußte. Durch 4 Jahre haben w i r uns i n Selbsttäuschung und Selbstbetrug bewegt oder sind zu ihnen verführt worden. Wie sich die Ereignisse i n Bayern vollzogen haben, habt I h r ja aus der Presse erfahren. Es waren für mich schreckliche Stunden und Tage. Und ich fürchte, es steht uns allen noch Schlimmeres bevor. Die Lebensmittelknappheit w i r d beängstigend und löst schließlich alle Bande des Rechts und der Ordnung. . . . Ich bin ganz krank, meine Nerven fangen an zu versagen. . . . N u n fängt die ganze Arbeit von vorne an. A m 8. November sollte ich zum Minister ernannt werden, am 7. nahm ich bereits an einer Sitzung des Ministerrats teil. Sic transit gloria mundi 2 1 ." Dieser Schock, diese desillusionierende Einsicht, daß man sich vier Jahre habe täuschen lassen und daß nun die Schwäche, Verlogenheit und brüchige Fassade des alten Regimes sich blitzartig in einem Inferno der Schwäche und politischen Desorganisation gezeigt hatte, führte bei Held zunächst zu einem demokratischen republikanischen Neuansatz und der Erkenntnis, daß das alte Regime endgültig erledigt sei und daß nun das Volk i n demokratischer Selbstverantwortung die Geschicke des Staates in die Hand zu nehmen hätte. Doch diese demokratische Periode Heids, die noch sehr klar i n den Bamberger Verfassungsberatungen zum Ausdruck kommen wird, dauerte etwa ein Jahr. Dann setzte wieder ein stärkeres restauratives Denken ein, das aber bis 1933 niemals reaktionär war i m Sinne: zurück i n die Verhältnisse der Zeit vor 1918. Dazu war Held zu sehr Realist i m Gegensatz zu einer nicht geringen Gruppe seiner eigenen Partei, der sich jetzt konstituierenden „Bayerischen Volkspartei". Die Revolution hatte zwar sein starkes konservatives Staatsbewußtsein zunächst i n den Grundfesten erschüttert und zu einem gelockerten demokratischen Neuansatz geführt; daß dieser Neubeginn nicht von bleibender Dauer war, lag nicht zuletzt an den radikalen Auswüchsen der Revolution und der Räterepublik selbst, die bei Held eine Revolutionsfurcht erzeugte, die bis i n die Tage seiner Regierung anhielt. I m Herbst 1923 sprach Held diesen Punkt i m Landtag klar an: „Vielleicht haben w i r die scheußlichste Revolution durchgemacht, deren Krönung die Räterepublik war . . . Ein Gutes hat diese Entwicklung gehabt, der ganze Prozeß ist 2i Held am 21.11.1918 an seine Schwägerin. A H R .
1. Anpassung an die neuen Verhältnisse
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beschleunigt worden und w i r sind viel früher zu konsolidierten Verhältnissen und zu einer viel tiefer begründeten Staatlichkeit gekommen, zu einem Staatsbewußtsein, das uns i n der Revolution vollständig genommen werden sollte 2 2 ." Je mehr man sich jedoch auch i n der BVP von den Schrecken der revolutionären Umwälzungen erholte, desto stärker wurde die Revolution als „Unglück", als verhängnisvolle und verwerfliche Tat gebrandmarkt 2 3 . Ein anderes, nicht zu unterschätzendes Phänomen hatte sich bei Held als Folge des Revolutionsschocks gezeigt: politisch radikale Umwälzungen konnten i h n bei seiner moralisch stark empfindenden Natur bis zur physischen Krankheit erschüttern und leicht zur Resignation verleiten: „ A m liebsten wüßte ich von all dem nichts 2 4 !" Das Bürgertum war zunächst durch die Revolution überrollt worden, hielt sich aus Angst vor revolutionärer Radikalisierung zurück und wartete ab. Man hatte Eisner nicht verhindern können und mußte deshalb abwarten, wie sich die politische Entwicklung anließ. Zunächst weinte man dem alten Regime, das „feige die Segel gestrichen" 25 hatte, keine allzu heißen Tränen nach, man war auch bereit, wenn die neuen Machthaber „ i n Gemäßheit ihres Programms unsere politische und staatsbürgerliche Freiheit lassen, dann werden w i r unsererseits ihrer Regierungstätigkeit keine unnötigen Hindernisse in den Weg legen. Fürs erste weht über Deutschland und Bayern die rote Fahne. Das mußte wohl so kommen und so Gott w i l l , w i r d es unserem engeren und weiteren Vaterland am Ende doch zum Guten gereichen" 26 . Man fügte sich in die gegebenen Verhältnisse und forderte die Parteifreunde auf, die Ruhe zu bewahren und die Entwicklung abzuwarten. Die sozialistische Propaganda einer möglichen bürgerlichen Gegenrevolution wies man entrüstet ab. „Wem sollte es unter den heutigen Verhältnissen einfallen, eine Gegenrevolution zu versuchen? Eine solche müßte notwendigerweise mit Blutvergießen verbunden sein. Blut ist aber nun so viel geflossen... Daher bleibt uns nur der eine Ausweg, am Wiederaufbau der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung Bayerns nach Maßgabe unserer unveränderlichen sittlichen
22 RA, 247, 26.10.1923. 23 Ganz i n diesem Sinn stellte der gemäßigte Β VP-Abgeordnete S tang 1919 fest: „Die Frucht der revolutionären Umwälzung ist diese Zerstörung der beiden Grundpfeiler unseres Staatswesens: a) die Brachialgewalt der polizeilichen und militärischen Gewalt, b) die Idealgewalt, die auf der A u t o r i t ä t beruht." (Sten. Ber. 1919, Bd. I, S. 141. 24 Held am 21.11.1918 an seine Schwägerin. A H R . 25 RA, 569, 11.11. 1918. 26 Ebd.
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Grundsätze mitzuarbeiten, ja darauf zu dringen, daß uns diese M i t arbeit nicht verwehrt w i r d 2 7 . " Es zeigte sich auch, wie sehr das Zentrum jetzt von der maßvollen, die revolutionäre A k t i o n der USPD bremsenden Rolle der Mehrheitssozialisten i n der Regierung gewann. Die mehrheitssozialistischen M i t glieder der neuen Regierung, vor allem Auer, lehnten den vollen Rätegedanken, also die antibürgerliche Revolution ab 2 8 . Auch sie wollten die Nationalversammlung als konstitutionierendes Element des neuen Staates. Das war auch die Chance für das Bürgertum. Der Ruf nach der Nationalversammlung wuchs mit der K r i t i k am Regime Eisners. Über diesen Weg glaubte man ihn loszuwerden: „Sofortige Einberufung eines aus Vertretern aller Erwerbstände gerecht zusammengesetzen Vorparlaments zur Erledigung der dringlichsten Staatsaufgaben; dann die alsbaldige Ersetzung des Vorparlaments durch die ohne jeden Terror gewählte Nationalversammlung 29 . Über allgemeine Wahlen sollte die Herrschaft der Sozialisten unterminiert werden. A n eine Gegenrevolution zur Niederkämpfung der sozialistischen Revolution war nicht gedacht. Man klagte nur über die Behinderung der Redeund Pressefreiheit durch die Maßnahmen der sozialistischen Arbeiterund Soldatenräte. A n eine wiederum gewaltsame Umkehr der politischen Verhältnisse wurde also vom Bürgertum, dessen politische Front völlig zerfahren war und das die K r a f t zu einer einheitlichen Aktion nicht mehr besaß, nicht mehr gedacht. Man hatte die gewaltsame Umwälzung zwar verurteilt, stellte sich aber bald auf den Boden der Neuordnung der staatlichen Verhältnisse. Zum Problem des Revolutionserlebnisses bei Held läßt sich zusammenfassend folgendes feststellen: Trotz eines republikanischen Denkansatzes nach dem Schockerlebnis der Revolution wurde dieser nicht zum Anlaß einer umfassenden Revidierung seines politischen Weltbildes. Daran hinderten ihn immer noch seine alte Anhänglichkeit und Loyalität an die alte dynastische Schutzmacht des Katholizismus. Doch akzeptierte er zunächst den durch Weltkrieg und Revolution bedingten Wandel der Staatsform und zeigte darüber hinaus seine Mitarbeit an der Verfassung i m Sinne seiner weltanschaulichen Interessen. Dabei w i r d später sein Verlangen nach einer Rückkehr nicht zum alten Regime, sondern zu dessen bundesstaatlicher Form dominant. Sein Denken radikalisierte sich auch später nicht zu einem aktiven A n t i parlamentarismus, wie dies bei den nationalistischen und konservativen gegenrevolutionären Bewegungen der Fall war. Trotz seiner 27 RA, 575, 14. 11. 1918. 28 Nickisch, a.a.O., S. 89. 29 RA, 575, 14. 11. 1918.
2. Gründung der B V P
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prinzipiellen Ablehnung jeglicher Revolution anerkannte er die staatsrechtlichen Ergebnisse der Revolution und versuchte sie dann später gegenüber den Gegnern der Weimarer Republik zu verteidigen. Eine Änderung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse, wie sie der Umsturz geschaffen hatte, durch eine neue Revolution von rechts lehnte er bis 1933 entschieden ab. Vielmehr versuchte er, eine Modifizierung des demokratischen Systems auf verfassungsmäßigem Weg i n den Jahren 1922/23 zu erreichen. Nicht so sehr die Revolution war Angelpunkt seiner Auseinandersetzung m i t der Revolutionszeit, sondern die Verfassung. Der durch die Revolution und die Räterepublik entstandene Wunsch nach Ruhe und Ordnung artete bei ihm nicht i n den Ruf nach autoritären Herrschaftsformen aus, sondern Ruhe und Ordnung sollten auf demokratischer Grundlage hergestellt werden. Das kam klar zum Ausdruck i n seiner ablehnenden Haltung zu den nationalistischen gegenrevolutionären Bewegungen, wie dem Nationalsozialismus. Allerdings w i r d später festzustellen sein, daß i n der öffentlichen Propaganda der BVP immer stärker der Revolution die Schuld am Zusammenbruch des alten Systems und an den ungeheuren wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten der Weimarer Republik gegeben wurde. Die sich verschlechternde Position Eisners, der Ruf nach Ordnung rief auch die alten bürgerlichen Kräfte wieder stärker auf den Plan. Die Neuorientierung des Zentrums erfolgte je nach alter Parteirichtung verschieden. Während die alten konservativen Führungskräfte der Landtagsfraktion stillhielten oder die neuen Tatsachen in ihrer Tragweite noch nicht begriffen hatten und sich nur schwer orientieren konnten, tat sich hier der alte demokratische Flügel auch des bayerischen Zentrums leichter. I n einer schnellen A k t i o n versuchte er sich auf dem Boden der Tatsachen zurechtzufinden, sich die Orientierungslosigkeit der alten Zentrumsführung zunutze zu machen und die bereits seit längerer Zeit bestehenden Pläne der Gründung der „Bayerischen Volkspartei" durchzusetzen.
2. Gründung der BVP Die verschiedene Haltung i m bayerischen Zentrum hatte sich schon auf dem letzten Parteitag am 21. Oktober 1918 gezeigt. Während Held noch als Hauptforderung des Zentrumsprogrammes die Erhaltung und Stärkung des monarchischen Gedankens bezeichnet hatte, „hatte sich der Kreis um Heim und Schlittenbauer schon vor der Revolution auf den Boden der neuen Tatsachen gestellt. Schlittenbauer hatte auf demselben Parteitag bereits gesagt: Nachdem der Obrigkeitsstaat . . . ver21
Keßler
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sagt hat, bleibt nichts anderes übrig, als den Volksstaat aufzurichten. Innerhalb dieses Volksstaates müssen w i r jetzt unsere Grundsätze nach Kräften zur Geltung bringen." Es gelte, „ohne Revolution und Bürgerkrieg i n den Frieden überzugehen" 30 . Als die Revolution doch gekommen war, stellten sich Heim und Schlittenbauer den Arbeiter- und Soldatenräten als Ernährungsfachleute sofort zur Verfügung. I n Bauernversammlungen forderten beide zur Abgabe von Milch und Getreide auf. „Die größte Gefahr läuft der Bauer, wenn die Ernährung stockt. Diese Idee trieb mich zur Fühlungnahme mit der neuen Regierung am ersten Tag der Revolution", rechtfertigte sich Schlittenbauer 31 . Heim hatte am Morgen des 8. November 1918 ein Telefongespräch m i t Auer und Eisner, i n dem er sich, u m die Ernährungsorganisation aufrechtzuerhalten, zur Zusammenarbeit mit der neuen Regierung bereit erklärte. Die Zusammenarbeit Heims m i t Eisner beschränkte sich lediglich auf die Lebensmittelversorgung 32 . Eine unmittelbare Beteiligung des Christlichen Bauernvereins beim neugebildeten Bauernrat lehnte Heim entschieden ab 33 . Schlittenbauer und Heim lehnten auch die Mitarbeit i m Provisorischen Nationalrat ab; Auer hatte sie in der ersten Sitzung bereits vorgeschlagen 34 . Heim verlangte dagegen für den Bauernverein dreizehnmal mehr Sitze als der Bauernbund hatte. Eine zweite Chance, die die Revolution gezeigt hatte, war die Ausnützung des Versagens der alten Kräfte der Monarchie und der alten Zentrumsführung zur Gründung der BVP. Bereits drei Tage nach dem revolutionären Umsturz i n München wurde in Regensburg die „Bayerische Volkspartei" als Nachfolgeorganisation des alten bayerischen Zentrums von Heim und Schlittenbauer gegründet. Diese schnelle Reaktion der Regensburger Gründungsinitiatoren auf die „Neuordnung" in Bayern weist allein schon darauf hin, daß die Vorbereitungen zur Gründung der B V P bereits einige Zeit vor der Revolution liefen. Die Motive und Bewegungen zur Trennung vom Reichszentrum gingen weit zurück, zum Teil bis in die Reichsgründungszeit; sie verdichteten sich i m Weltkrieg zu einer scharfen Opposition gegen die offizielle Politik des Reichstagszentrums seit der Juliresolution von 1917 und kamen schließlich in der Gründung der B V P offen zum Ausdruck.
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RA, 534, 23.10. 1918. RA, 581, 17.11.1918. Renner, a.a.O., S. 163. Ebd., S. 165. Ebd.
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Erst i m Jahre 1887 hatte sich die Bayerische Patriotenpartei dem Zentrum auf Reichsebene angeschlossen. Dieser bayerische Teil ließ sich jedoch nie vollständig i n die Zentrumsfraktion auf Reichsebene integrieren. Das lag einmal an seiner mittelständisch und agrarischkonservativ organisierten Wähler- und Führungsstruktur und zum anderen in seinem ständigen Kampf u m die eifersüchtige Wahrung der politischen Reservatrechte Bayerns. Verschiedene Male gingen die partikularistischen Tendenzen soweit, daß man von Bayern aus, nicht selten unter dem Druck der Agitation des Bauernbundes, versuchte, sich wieder vom Zentrum zu lösen. Bereits 1898 hatte Heim i n der bayerischen Kammerfraktion gefordert: „ W i r müssen uns als b a y e r i sche Volkspartei' auf tun, w i r müssen uns trennen 3 5 ." Orterer, Pichler und Geiger gelang es damals noch, eine Trennung zu verhindern 3 6 . Die Gründe für die Trennungsbestrebungen lagen aber tiefer. Nachdem das Reichstagszentrum aus den Kampf jähren der Opposition herausgekommen war und sich zu einer A r t Regierungspartei entwickelt hatte, ergab sich für es der Zwang, auch die militärstaatliche Politik des Reiches i n Heeres- und Marinefragen zu stützen, das hatte wiederum finanzpolitische Maßnahmen zur Folge, die durch ihr Schwergewicht zum Einheitsstaat drängten. Außerdem waren die militärpolitischen Ambitionen des Deutschen Reiches i n Bayern nie populär gewesen, weil sie eine Finanzpolitik zur Folge hatten, die die bayerischen Agrar- und Mittelstandsschichten schwer traf. I m ersten Weltkrieg bereitete sich die Spaltung unmittelbar vor. Neben der Unzufriedenheit m i t der zentralistischen Berliner Kriegspolit i k war es vor allem das Vorgehen Erzbergers i m J u l i 1917, das den endgültigen Bruch m i t der Zentrumspartei brachte. Der Widerstand gegen die von Erzberger eingeleitete neue Politik der Reichstagsmehrheit formierte sich, wie bereits gezeigt wurde, i m bayerischen Zentrum um Held, Heim und Schlittenbauer. Man opponierte vor allem gegen Erzbergers Zusammenarbeit mit Linksliberalen und Sozialdemokraten und fürchtete u m die konservativen kulturpolitischen Ziele. Von einem parlamentarischen System i m Reich erwartete man die völlige Unitarisierung; Erzberger hatte damit gegen die alten Zentrumsgrundsätze verstoßen. „Wer diese Grundsätze nicht hochhält, kann und darf nicht Mitglied der Zentrumspartei bleiben", schrieb der „Bayerische K u r i e r " 3 7 . A m 13. J u l i 1917 teilte Held dem Zentrumsführer Spahn mit, 35 Fraktionstagebuch von Th. Fuchs, v o m 30. 3.1898. 36 Orterer bezeichnete eine Trennung als „großes Unglück. Es gibt keinen traurigeren Tag, als daß Sie beschließen die P o l i t i k der freien Hände, welche dazu führt, daß i m Wahlkampf Bruder gegen Bruder steht". a.a.O., Sitzung vom 1. 4.1898. 37 B K , 195, 14. 7.1917. 21·
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daß ihn der „Bayerische Bauernverein" habe wissen lassen, „wenn die Dinge so weitergehen, er eine A k t i o n zur Gründung einer bayerischen Volkspartei unabhängig vom Zentrum einleiten w i r d " 3 8 . Schlittenbauer arbeitete seit Ende 1917 gezielt auf die Lostrennung vom Reichszentrum und auf die Neugründung einer bayerischen Volkspartei hin. I n einem Brief an Held, vom Oktober 1917 nannte Schlittenbauer ganz deutlich einen Punkt, der ihn zu seiner A k t i o n drängte. Als Generalsekretär des bayerischen christlichen Bauernvereins mit 160 000 Mitgliedern, die den „Kernstock der Zentrumswählerschaft auf dem Lande" bildeten, habe er nicht nur für die Bauern und ihr materielles Wohl zu sorgen, sondern auch dafür, daß die Grundsätze des christlichen Lebens „ . . . auch i m Staatsganzen gebührend zur Geltung kommen. Nach dieser Richtung hin stehen bei der gegenwärtigen Verquickung der Zentrumspartei i m Reiche m i t der Linken für die Zukunft die schwersten Gefahren bevor" 3 9 . Ein nicht zu unterschätzendes Moment bei dem Vorgehen Schlittenbauers war dessen Opposition gegen den Führungskreis der bayerischen Zentrumspartei i n den Jahren 1917/18. Pichler blieb neben Held bis zuletzt der eigentliche Führer des bayerischen Zentrums. Er war Repräsentant des alten konservativ aristokratischen Flügels der Partei, der nach dem Ausscheiden Dr. Heims aus dem parlamentarischen Leben 1912 die Politik des Zentrums beherrschte. Schlittenbauer, von Dr. Heim 1912 ins Parlament geschickt, übernahm zusammen mit Osel die Führung des mehr demokratischen Flügels der Partei, der sich vor allem aus mittelständischen und bäuerlichen Abgeordneten zusammensetzte. Schlittenbauer blieb bis Ende 1917 ohne besonderen Einfluß auf die bayerische Zentrumspolitik. Er saß nicht i m Finanzausschuß, war nicht Mitglied des Vorstands der Zentrumsfraktion und des Reichsausschusses. Hinzu kam noch, daß Schlittenbauer von seiner demokratischen Grundeinstellung her schon Ende 1917 für einen stärkeren demokratischen Ausbau der verfassungsmäßigen Verhältnisse i n Bayern eintrat. „Ich fürchte, daß die bisherige kurzsichtige PichlerPolitik sich in der Zukunft an unseren Grundsätzen schwer rächen w i r d " , schrieb er an Held 4 0 . A u f dem Parteitag des bayerischen Zentrums sprach er die inzwischen vollzogenen gesellschaftlichen Änderungen sehr klar an und versuchte für die Partei die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. „Was die Gegenwart angehe, so solle man die Demokratisierung als einen gege-
38 Abschrift des Briefes i n A H R . 39 Schlittenbauer am 20.10.1917 an Held. A H R . 40 Ebd.
2. Gründung der B V P
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benen Faktor annehmen 41 ." Heim und Schlittenbauer hatten inzwischen erkannt, daß an eine Aufrechterhaltung der bisherigen Verfassung oder an eine Umbildung des Staates von seiner bisherigen Grundlage aus mit Hilfe der bürgerlichen Parteien bei der offensichtlichen Schwäche und Ratlosigkeit der Inhaber der Staatsgewalt nicht mehr zu denken sei. Wenn man nicht die Führung bei der Neugestaltung der bayerischen Verfassung von vorneherein den Sozialdemokraten und den Liberalen von Anfang an überlassen wollte, dann müßte man selbst die Initiative zur staatlichen Neuordnung, zur Einführung des bisher so scharf bekämpften demokratischen-parlamentarischen Systems ergreifen. M i t der Selbstsicherheit eines Mannes, der die Dinge ja vorausgesehen hatte, beschrieb Schlittenbauer selbst seine nun einsetzende Aktion zur Gründung der BVP. „ M i t dem alten Staat haben die Parteien abgehaust, die mit ihren Programmen, mit ihrer Taktik, und es sei offen gesagt, auch mit ihren Personen, mit dem alten System aufs engste verbunden und verfilzt waren. Diese Parteien i n ihrer alten Gestalt müssen darum i m Interesse der Gesundung des Volkes von der Bildfläche verschwinden. Diese Überzeugung hatte ich schon lange vor den stürmischen Novembertagen. Noch i n der letzten Woche des alten Landtags habe ich daher i n der Fraktion des bayerischen Zentrums den Antrag gestellt, das alte Zentrum aufzulösen und eine bayerische Volkspartei zu gründen. Mein Versuch, innerhalb der alten Zentrumsfraktion neue politische Richtlinien zu schaffen, ist durch die Unterschrift von 28 Mitgliedern der Fraktion unterstützt worden 4 2 ." Damit war Schlittenbauer zunächst m i t seiner A k t i o n durchgefallen, vor allem weil Pichler i h n schwer bekämpft habe 43 . Der revolutionäre Umsturz in München kam für die konservativen Führer völlig überraschend. Das Zentrum war führerlos. Man wußte nicht, wohin die Entwicklung lief. Die Widerstandskraft des alten Systems hatte i m Augenblick des ersten Ansturms kläglich versagt. „Diese Beobachtung zeitigte bei m i r und Dr. Heim den Entschluß raschen Handelns. Nach einer längeren Besprechung zwischen mir, Dr. Heim und dem Kreissekretär Klier des oberpfälzischen Bauernvereins über die politische Lage am 10. November entstand der Entschluß, ein neues weitherziges Parteiprogramm zu entwerfen. I n der Versammlung der Vertrauensleute des bayerischen, christlichen Bauernvereins, die bereits am 9. November auf den 12. November einbe-
41 RA, 534, 23. 10.1918. 42 „Neues Münchner Tagblatt", 325, 22.11.1918. 43 Schlittenbauer berichtet darüber selbst i n der „Süddeutschen kratischen Korrespondenz", Nr. 255, 6.11.1922.
Demo-
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rufen war, wurde die neue Partei gegründet 44 ." Die Gründung der BVP erweist sich so als eine seit langem vorbereitete, in Opposition gegen die Politik des Reichszentrums und die politische Führung des bayerischen Zentrums durchgeführte A k t i o n der beiden Bauernführer Heim und Schlittenbauer. Der christliche Bauernverein, den Heim in jahrelanger Arbeit zu einer jederzeit für ihn einsatzbereiten politischen Macht herausgebildet hatte, bildete die Kerngruppe der neuen Parteigründung. Die A r t und Weise, wie Heim und Schlittenbauer vorgingen, erwies sich als ein geschickter Schachzug und als gelungene Überrumpelung der alten Zentrumsführung. A u f einem ordnungsgemäß einberufenen Parteitag wäre ohnehin die Überführung des Zentrums in eine christliche Landespartei nicht ohne weiteres so schnell gelungen. Außerdem hätte auf der anderen Seite ein Widerstand gegen das Vorgehen Heims zu einer Spaltung der Partei geführt. Heim hatte bereits die Bauern hinter sich und ohne die christlichen Bauernvereine hätte die neue Partei kein ernst zu nehmender Faktor im politischen Leben bleiben können. Das überraschte Landtagszentrum gab nach. A u f der Gründungsversammlung am 12. November 1918 legte Heim i m Bibliothekssaal der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft in Regensburg dem alten Zentrum „die Rechnung" 45 vor, die aus seinen Erfahrungen mit dem Zentrum i m Landtag und Reichstag vor und während des Krieges bestanden. Die Partei habe versagt, auch von der bayerischen Seite her. Man müsse einen neuen Anfang machen 46 . 3. Das P r o g r a m m der B V P
Die von Heim und Schlittenbauer einberufene und von ihnen beherrschte Gründungsversammlung vom 12. November 1918 i n Regensburg verabschiedete einen Programmentwurf, dessen Hauptpunkte die Grundlage für ein neues Bayern legen sollten. Die Parteigründung wurde gerechtfertigt aus der Überzeugung, „daß die Umwälzung der bisher bestandenen Verhältnisse ohne weiteres den alten Parteien ihre Existenzberechtigung geraubt, zum Teil i h r inneres Gefüge bis zur Ohnmacht erschüttert h a t " 4 7 . Das Bewußtsein, daß das alte Regime in 44 Schlittenbauer i n „Süddeutsche Demokratische Korrespondenz", Nr. 255, 6.11. 1922. 45 Renner, a.a.O., S. 166. 46 Renner, a.a.O., S. 166 macht die Bemerkung, daß Held zu den 120 Personen gezählt habe, die bei der Gründungsversammlung der B V P anwesend waren; dies scheint jedoch unwahrscheinlich, wie sich aus dem später Gesagten ergibt. 47 „Regensburger Anzeiger", 574, 14.11.1918.
3. Das Programm der B V P
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Regierung und Parlament versagt habe, erleichterte auch die Orientierung an den neuen Verhältnissen. Man war zwar mit der A r t , die der neue Zustand herbeigeführt, „grundsätzlich nicht einverstanden", betrachtete aber den staatspolitischen Zustand Bayerns, wie er durch die Ereignisse i n der Nacht vom 7. zum 8.11. i n München geschaffen wurde, „als eine gegebene geschichtliche Tatsache" 48 . Die Tatsache der Neuordnimg wurde mit keinem Worte grundsätzlich verurteilt, es fand sich kein Wort zur Verteidigung des alten Regimes. Wenn überhaupt an eine Änderung des neuen Zustandes gedacht wurde, so wollte man das auf Grund der „religiösen Überzeugung und staatspolitischen Grundsätze nur auf dem Weg von Recht und Gesetz erstreben" 49 . Der Grundgedanke bei der Gründung der B V P lag i n der Meinung, daß man durch ein schnelles Bekenntnis zur geschichtlichen Tatsache der Revolution die staatliche Neuordnung Bayerns nach den Grundsätzen der B V P am stärksten beeinflussen und so die elementaren Interessen des christlichen bayerischen Volkes i m neuen Staat am besten sichern könnte. Diese elementaren Interessen sah das Regensburger Gründungsprogramm vor allem i n der K u l t u r - und Verfassungspolitik und mit besonderer Akzentuierung in der Frage der Gestaltung der politischen Verhältnisse Bayerns zum Reich. Das Programm der BVP, so wie es nach der Regensburger Versammlung vom 12. November 1918 der Öffentlichkeit übergeben wurde, kann hier schon kurz dargestellt werden, weil es auch i n der Sitzung vom 15. November i n München, wo auch die alte Zentrumsführung anwesend war, kaum verändert wurde. Die k u l t u r - und kirchenpolitischen Ziele der neuen Partei wurden ohne Änderung vom alten Zentrumsprogramm übernommen. Die Gesetze der christlichen Sittenlehre wurden zur Grundlage jeder politischen Tätigkeit erklärt. Nach dem sozialistisch-revolutionären Umsturz i n Bayern mußte vor allem die Kirche um ihre traditionellen Rechte und Privilegien bangen. Die BVP war entschlossen, nur dann in dem neuen Staat konstruktiv mitzuarbeiten, wenn diese Grundforderungen anerkannt wurden. Sie verlangte „die volle Freiheit der religiösen Betätigung, die Erhaltung des Eigentums der Kirche und ausreichende Sicherheiten für die Erziehung der heranwachsenden Jugend in konfessionellen Schulen" 50 . Die Sicherung religiöser und kirchlicher Interessen blieb auch bei der B V P die starke Klammer, die die vor allem in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen oft uneinheitliche Partei zu48 Ebd. 49 Ebd. so RA, 574, 14. 11.1918.
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sammenhielt. Sie gab ihr auch das Bewußtsein ihrer politischen Aufgabe und Sendung in der Welt. Dr. Heim formulierte diese Stellung der B V P stark antithetisch: „ A u f der einen Seite die Parteiordnung, die den christlichen Geist i m Staat erhalten w i l l , auf der anderen Seite die Partei des Materialismus, der religionslosen K u l t u r 5 1 . " M i t der Gründung der BVP machte Heim den Versuch, eine Plattform zu errichten, auf der die Christen beider Konfessionen zusammenarbeiten sollten: „Die konfessionelle Spaltung muß aufhören. Katholiken und Protestanten gehen den gleichen Weg nach Golgatha. W i r müssen alles daran setzen, den Trennungsgraben zu überbrücken 52 ." Diese Idee einer interkonfessionellen Sammelpartei besaß in den Gründungstagen eine gewisse Anziehungskraft i m evangelischen Bereich. Freiherr von Pechmann kam 1919 als prominentester Vertreter des politischen Protestantismus über die BVP-Listen in den Landtag. Er legte allerdings Anfang 1920 sein Mandat wieder nieder, weniger aus konfessionell-protestantischen Gründen als vielmehr aus Unzufriedenheit über die schwache Haltung der BVP gegenüber dem Ministerpräsidenten Hoffmann. Die B V P entwickelte sich bald wieder zu einer rein katholischen Partei. M i t den verfassungspolitischen Zielen stellte sich die BVP auf den Boden der Republik. Die alte bayerische Zentrumspartei hatte sich bis in die Novembertage hinein unter dem Einfluß Pichlers gewehrt, die parlamentarische Demokratie in Bayern einzuführen. Der Regensburger Programmentwurf fordert dagegen „die Durchsetzung der Selbstregierung des Volkes bis zu den äußersten Konsequenzen" 53 . Diese Forderung lag ganz i n der Tradition des demokratischen Zentrumsflügels um Heim. A u f das konstitutionell-monarchische Moment brauchte man nun keine Rücksicht mehr zu nehmen. Einen starken Einfluß auf die verfassungspolitischen Ziele der BVP übte das demokratische Modell der Schweiz aus. Man sprach allgemein von einer „Verschweizerung" der bayerischen Verfassungsverhältnisse, indem man vor allem den Gedanken der direkten Volksabstimmung über wichtige politische Fragen propagierte: „Daher verlangen w i r : Abstimmung über wichtige Verfassungsfragen, Steuergesetze und soziale Gesetze durch die wahlberechtigten Volksgenossen nach dem Muster der Schweiz. Nur so kann vermieden werden, daß an die Stelle wahrer Demokratie die Tyrannenherrschaft eines einseitigen Parlamentarismus t r i t t 5 4 . " si 52 53 si
H e i m i n „Regensburger Anzeiger", 581, 17.11.1918. H e i m i n RA, 581. 17.11.1918. RA, 581, 17. 11.1918. Ebd.
3. Das Programm der B V P
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Die BVP konnte bei den Bamberger Verfassungsberatungen 1919 mit diesen Vorstellungen zwar nicht durchdringen, sie versuchte jedoch in einer stark einsetzenden Verfassungsdiskussion in den Jahren 1921/23 das plebiszitäre Referendum auf dem Wege eines Volksentscheides in die bayerische Verfassung einzuführen — allerdings erfolglos. Die endgültige Formulierung des Parteiprogrammes zu diesen Fragen lautete in Modifizierung des Regensburger Entwurfes in Punkt 2 und 3: „2. Die Bayerische Volkspartei ist eine Verfassungspartei. Sie verlangt von der provisorischen Regierung, daß sie entsprechend den demokratischen Grundsätzen ohne jeden Verzug eine konstituierende Nationalversammlung e i n b e r u f t . . . " „3. Die Bayerische Volkspartei erwartet von der konstituierenden Nationalversammlung die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems und für besonders wichtige, i n der Verfassung festzulegende Fragen die Einführung der direkten Volksabstimmung 5 5 ." Der wohl entscheidendste und wichtigste Punkt des neuen Programms betraf das zukünftige Verhältnis Bayerns zum Reich. Dieser Teil des Gründungsprogrammes der B V P ist in seinen spezifischen Forderungen nicht ohne einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung des Verhältnisses Bayerns zum Reich zu verstehen. Die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen des Reiches hatten zu einer starken Aushöhlung bundesstaatlicher Kompetenzen und ihrer Übertragung an die Verfügungsgewalt Berliner Zentralstellen geführt. Von Berlin aus ergingen i n zunehmendem Maße Verwaltungsentscheide, ohne daß die Gliedstaaten gefragt wurden oder ihre Ansicht abgeben konnten. Unzufriedenheit und Verärgerung über Berlin waren die Folgen. Die Sorge um die Erhaltung der bayerischen Reservate mehrten das Mißtrauen gegen Berlin. Zu den historischen und verfassungsrechtlichen Realitäten kamen w i r t schaftliche neu hinzu. Bayerns Revolution von 1918 richtet sich wenigstens so sehr gegen Preußen wie unter anderem gegen die Fortführung des Krieges. K u r t Eisner nützte diese antipreußische Stimmung geschickt für seine Revolution aus. Die in den letzten Kriegsmonaten auftauchende Idee eines bayerischen Sonderfriedens und einer Lostrennung Bayerns vom Reiche wurde i m alten Zentrum lebhaft diskutiert. Vor allem Heim und Osel wurden später nicht ohne Grund des aktiven Separatismus bezichtigt. Auf diesem Boden erhob schließlich die BVP die programmatische Forderung: „Bayern den Bayern. W i r Bayern haben gelitten und geblutet durch ss w . Mommsen, „Deutsche Parteiprogramme", S. 502.
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X V . Die Revolution i n Bayern — Gründung der B V P
die unfähige, dabei hartnäckige und brutale Berliner Regierungskunst. W i r haben es satt, für die Z u k u n f t von der gleichen Stelle aus bis ins kleinste regiert zu werden. Berlin darf nicht Deutschland werden und Deutschland nicht B e r l i n . . . Die bisherige weitgehende staats-, w i r t schafts- und steuerpolitische Abhängigkeit Bayerns von dem übermächtigen Norden muß unter allen Umständen aufhören. W i r lehnen auf allen diesen Gebieten eine einseitige rücksichtslose preußische Hegemonie ab, w e i l uns diese i n der Vergangenheit ins Verderben geführt hat 5 6 ." I m überarbeiteten Gründungsaufruf der Partei vom 15. 11. 1918 gab die B V P hinsichtlich der Stellung zu den übrigen deutschen Staaten die Parole aus: „Zusammenschluß der deutschen Staaten auf foederativer Grundlage ohne Herrschaft irgendeines Einzelstaates 57 ." Damit war das Grundprinzip, das die B V P der Neuordnung Deutschlands zugrunde legen wollte, knapp umrissen: Nicht ein völkerrechtlich unabhängiges Bayern, sondern ein selbständiger bayerischer Staat innerhalb einer deutschen Staatengemeinschaft entsprach den A b sichten der BVP. A u f freiwilliger Grundlage sollte der Zusammenschluß der gleichberechtigten deutschen Staaten zu einem neuen Bunde erfolgen. Das Maß der Einigung sollte aber i n dem neuen Reich nicht i n der A u s w i r k u n g der Vorherrschaft eines einzelnen dieser Staaten, sondern durch die Gemeinsamkeit der Bedürfnisse seiner Glieder gegeben sein. Die Form des deutschen Reiches hätte demnach w e i t mehr einem Staatenbund m i t starker Selbständigkeit der Einzelstaaten als einem Bundesstaat nach dem Vorbild der Bismarckschen Verfassung geglichen. Diese Vorstellung der B V P wurde durch die zentralistische Verfassung von Weimar gründlich zerstört. Aus der Enttäuschung darüber wurde die B V P dann auch eine treibende und hartnäckige Verfechterin der Umgestaltung der Reichsverfassung i n stärker foederalistischem Sinn. 4. Die BVP als bayerischer Ordnungsblock und der Versuch einer kooperativen Organisation A u f dem Boden dieser Programmpunkte versuchte die B V P alle „jene wertvollen Kräfte, die außerhalb der Parteien stehen, die den Umsturz herbeigeführt haben, i n einer neuen Partei zu einheitlicher politischer A r b e i t zu sammeln" 5 8 . Damit wurde die B V P die „Partei 56 w . Mommsen, a.a.O., S. 502. 57 Ebd. 58 RA, 582, 18. 11. 1918.
4. Die B V P als bayerischer Ordnungsblock
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der bürgerlichen Sammlung und Gegenwehr" 59 . Wie dieser Gedanke bald nach der Gründung der B V P auf das Bürgertum w i r k t e und welche Hoffnungen man damit verband, zeigt eine Tagebucheintragung Josef Hofmillers schon vom 14.11.1918: „Das neue Regime sitzt höchst unsicher. I n der Stille reifen die Gegner. Das Zentrum scheint zu arbeiten und w i r d früher oder später der Sache ein Ende machen. Und zwar ist die Zentrale des Widerstandes und der Organisation gegen den Umsturz nicht in München, sondern in Regensburg: Heim, Held, Schlittenbauer . . . Das Bürgertum fängt an, sich zu erheben und sich auf sich selbst zu besinnen, nachdem es die ersten Tage wie vor den Kopf geschlagen war 6 0 ." Gegen die sozialistische Revolution Eisners, durch die sich das wieder „mehr auf sich selbst besinnende wirkliche Bayern . . . aufs tiefste verletzt und in allem, was i h m für seine Zukunft wichtig erschien, bedroht" 6 1 fühlte, wollte man alles, was man früher als „bürgerliche Parteien" zusammengefaßt hatte, auf eine Linie bringen unter dem Motto: Hie Bürgertum — hie Sozialismus. A u f der einen Seite die Partei der Ordnung, die den christlichen Geist i m Staat erhalten will, auf der anderen die Partei des Materialismus, der religionslosen K u l t u r , Zusammenschluß aller staatserhaltenden und staatsschaffenden Elemente gegen die Krankheitserscheinungen des Bolschewismus. Heim bezeichnete es als eine alte Erkenntnis: „ W i r brauchen eine christlich-demokratische Partei, die alle christlichen Konfessionen und alle Stände in eine nach rechts und links erweiterte Schlachtlinie einreiht 6 2 ." Deshalb handelte es sich für ihn nicht etwa um eine bloße Firmenänderung, sondern um ein neues Gebilde, i n das die bisherige Zentrumspartei hineingestellt werden sollte, damit sich i h r rechts und links neue Massen von Volksgenossen anschließen. „ A l l e müssen sich uns anschließen, die für die christliche K u l t u r eintreten 6 3 ." Die neue Satzung sollte dies im weitestmöglichen Sinn garantieren. Ihr kooperativer Aufbau sollte jedem Stand, jeder Sondergruppe eine gerechte Vertretung nach ihrer zahlenmäßigen Bedeutung ermöglichen. Sie sollten selbst ihre Kandidaten vorschlagen. Der alte Mandatenbettel der Stände im Zentrum sollte ein Ende haben. „Dadurch ist auch jedes Mißtrauen für unsere protestantischen Mitglieder aus dem Wege geräumt. Je stärker sie sich der Organisation anschließen, desto stärker kommen sie zur Geltung 6 4 ." M i t dem neuen kooperativen Aufbau sollte die interkonfessionelle Öffnung der Partei erleichtert werden. 39 60 ei 62 63 64
Schwend, Bayern, S. 58. Hofmiller, Tagebuch, S. 56. Schwend, a.a.O., S. 38. B K , 337, 4. 12.1918. Ebd. Ebd.
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X V . Die Revolution i n Bayern — Gründung der B V P
Das Christentum erschien als „das wirksamste und einzige Bollwerk gegen die sozialistische F l u t " 6 5 . Jetzt, wo die Dynastie gefallen war, konnte das Christentum der einzige Vertreter der Autorität sein. Die Idee bei der Gründung der BVP war also die: die alte Zentrumspartei zu einer allgemein christlichen Partei umzuwandeln. Diese sollte die überzeugten Anhänger beider Konfessionen umfassen. Gemeinsam wollte man den Kampf gegen den alle wirklichen Kulturwerte zerstörenden Materialismus aufnehmen und so durch die Überbrückung der konfessionellen Gegensätze i n der Politik „die Zukunft einer deutsch-christlichen K u l t u r sichern" 66 . Es waren also alte Traditionen und zeitgemäße Erkenntnisse, die zur Gründung führten. Nach der Revolution herrschte i m parteipolitischen Leben das größte Chaos. Alle Parteien bestanden zwar noch dem Namen nach, während ihre Wähler durch die Veränderungen im Weltkrieg längst i n andere Lager abgewandert waren. I n diese Partei- und Meinungszersplitterung wollte die B V P mit ihrem Sammlungsgedanken eingreifen. Tatsächlich besaß diese Idee der bürgerlichen Sammlungsbewegung unmittelbar nach dem Umsturz eine gewisse Anziehungskraft auf politische Kreise in Bayern, die vor der Revolution i m konservativen und nationalliberalen Lager standen. Der Vorsitzende der ehemaligen „Bayerischen Reichspartei", Freiherr von Pechmann, war zwar Mitbegründer der „Bayerischen Mittelpartei", in der sich ehemalige konservative und nationalliberale Kräfte unter einem deutschnationalen Programm sammelten, empfahl aber dort, wo die Mittelpartei nicht lebensfähig war, den Anschluß an die BVP 6 7 . Der Widerstand gegen eine bürgerliche Einheitsbewegung i n Bayern kam vor allem aus der „Deutschen Volkspartei", der späteren „Deutschen Demokratischen Partei". Hier gab es zu viele kulturpolitische Ressentiments gegen die BVP. Die BVP sei nichts anderes als das alte Zentrum. Die D V P wolle unbedingt am Reiche festhalten, während Heim einen Rheinbund anstrebe und die BVP wieder eine neue Mainlinie errichten wolle 6 8 . Daß der bürgerliche Sammlungsgedanke der B V P i m eigentlichen mißglückt war, wurde i n späteren Jahren auch eingesehen. Heinrich Held gab dies 1922 nicht ohne Bedauern zu: „Als die BVP in die Welt trat, damals als die Revolution alles zertrümmert hatte, da sind sie nur so hereingeströmt, da haben sie sich alle unter den großen Regenschirm der B V P geflüchtet. Heute, wo die Gefahr etwas zurückgedrängt ist, wo man nicht 65 Zit. nach „ E i n politisches A B C für die Freunde der Bayerischen Volkspartei", als vertrauliches Manuskript gedruckt, München 1920, S, 17. 66 B K , 316, 11. 11. 1919. 67 M N N , 598, 26.11. 1918. 68 M N N , 617, 6. 5.1918.
5. Die Konfrontation m i t dem alten Landtagszentrum
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glaubt, daß sie akut und unmittelbar sei, heute geht der eine rechts, der andere links wieder hinaus 6 9 ." Die neue Partei sollte nach dem Willen Dr. Schlittenbauers i m Gegensatz zu den alten Parteien eine neue Struktur i n ihrer Mitgliedschaft und ihren Entscheidungsgremien bekommen. „Die neue Partei muß auf die Standesorganisationen aufgebaut werden 7 0 ." Vor allem auf die Organisation jener „Stände, i n denen schon Jahrzehnte vor dem Zusammenbruch der alten Ordnung neue ungeahnte Kräfte ans Licht strebten. Daher werden i m neuen Parteileben die Bauernvereine, die Arbeitervereine, die sonstigen Organisationen der Arbeiter, die Verbände der Beamten und Lehrer eine ganz andere Rolle spielen, wie sie es gegenüber der alten Zentrumspartei getan haben. Sie werden die Träger der P a r t e i . . . , es hört der Zustand auf, daß zwei oder drei Männer die Politik und damit das Schicksal der Partei bestimmen" 7 1 . M i t diesem Hinweis kritisierte Schlittenbauer die alte bayerische Zentrumsführung um Pichler und Held. Von Held, der mit der Ausarbeitung der neuen Satzung beauftragt worden war, kam dann auch der erste Widerspruch gegen die Idee Schlittenbauers. Er wollte zwar auch die ständische Gliederung der neuen Partei berücksichtigen, aber nicht in dem ausgeprägten Sinn wie Schlittenbauer. A u f Grund seiner Erfahrungen in der alten Zentrumspartei erblickte er i n der allzu starken Betonung des erwerbständischen Aufbaus der Partei „Gefahren für die Geschlossenheit und ideelle Einigkeit der Partei" 7 2 . Das Prinzip des kooperativen Anschlusses von Ständeorganisationen an die Partei wurde zwar in die Satzung aufgenommen, die schlechten Erfahrungen damit veranlaßten aber bereits die Landesversammlung der B V P am 17. September 1920 i n Bamberg, mit Wirkung vom 1. Januar 1921 an die Aufhebung des kooperativen Anschlusses zu beschließen 73 . Damit änderte sich die organisatorische Grundlage der Partei und auch das System des Aufbaues der oberen Instanzen i n einem wesentlichen Punkt. 5. Die Konfrontation der Regensburger Gründung m i t dem alten Landtagszentrum Die bisher beschriebenen Initiativen zu Programm und organisatorischem Aufbau der BVP gingen alle von Regensburg aus. Die Taktik Heims und Schlittenbauers war es gewesen, die alten Zentrumskreise 69 RA, 487, 21.10.1922. 70 RA, 589, 22. 11.1918. 71 „Neues Münchner Tagblatt", 325, 22.11. 1918. 72 RA, 598, 27.11. 1918. 73 RA, 423, 18. 9. 1920.
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durch die Gründung der neuen Partei vor vollendete Tatsachen zu stellen und sie zugleich mit einem fertigen Programm zu konfrontieren. Ein Widerstand gegen die Neugründung der Partei kam zwar, aber zu spät, um sie zu verhindern. Die Auseinandersetzung m i t der alten Partei erfolgte am 15. November i m Leohaus in München auf einer Tagung des Neuner-Ausschusses der alten Zentrumspartei, der sich durch geladene Vertreter der organisierten Stände verstärkt hatte. I m ganzen waren 31 Personen versammelt, darunter 4 Frauen als Vertreterinnen der katholischen Frauen- und Mädchenvereine. Neben Domprobst Pichler waren alle führenden Vertreter des alten Zentrums anwesend 74 . Als Vorsitzender der alten Zentrumsfraktion eröffnete Heinrich Held die Sitzung und stellte fest, er habe an der Regensburger Gründung der BVP „nur einen verschwindend geringen Anteil gehabt, da die Gründung sich i m wesentlichen ohne sein Zutun abgespielt habe". Widerspruch gegen das Vorgehen Heims und Schlittenbauers wurde vor allem von den Arbeitervertretern laut. M d L Walterbach-München „gab in scharfen Worten seinem Bedauern über das eigenmächtige Vorgehen Regensburgs i n der Frage Ausdruck, wo man es nicht für notwendig erachtete, auch die Vertreter der Arbeiterorganisationen irgendwie zu Rate zu ziehen. Das sei aber Ausfluß der alten Auffassung gegenüber der Arbeiterbewegung, und diese sei nicht gewillt, sich dies auf die Dauer gefallen zu lassen. . . . Die Arbeiterschaft sei bereit, mit den Bauern und ihren Organisationen zusammenzugehen, sie müsse es aber ablehnen als Schwanzstück betrachtet zu werden". Kratofiel-München und Irl-Erding kritisierten „das eigenmächtige Vorgehen der Regensburger Bauernvereinszentrale". Kratofiel vertrat die Forderung, daß die bisher verachteten und zurückgesetzten Stände zu ihrem Recht kommen müßten. „Die Arbeiterschaft und die Angestellten wären bisher die Parias i n der Partei gewesen." SchirmerPasing brachte einige Beispiele aus seiner eigenen Erfahrung, die das Mißtrauen der Arbeiterschaft gegen Regensburg wohl begreiflich erscheinen lassen und verwies auf die Kriegspolitik, wie sie von dort aus betrieben wurde, sowie auf Übergriffe in die Reichspolitik unter Hinweis auf die Behandlung der Reichstagsabgeordneten. Walterbach stellte die Forderung nach neuerlicher Beratung des Programms und des Namens der Partei. Die Arbeiterschaft müßte i n der Führung der Partei gleichberechtigt vertreten sein. Alle politischen Fragen sollten nicht lediglich vom agrarischen Standpunkt, sondern von dem des all74 Der Verfasser konnte das Protokoll der Sitzung v o m 15.11. i m A H R einsehen. Protokollführer w a r Redakteur M. Gasteiger. Das Protokoll selbst ist sehr mangelhaft geführt.
5. Die Konfrontation m i t dem alten Landtagszentrum
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gemeinen Interesses auch der Großstädte berücksichtigt werden. Die Mandate in den Parlamenten sollten den einzelnen Organisationen nach ihren jeweiligen Mitgliederziffern zugeteilt werden. Nur unter diesen Bedingungen, die schriftlich festzulegen seien, sei die Arbeiterschaft bereit, i n die Beratungen über die Gründung einer neuen Partei einzutreten. Held versuchte einen vermittelnden Standpunkt zwischen „Regensburg" und den Arbeiterorganisationen einzunehmen, warnte vor einer Entwicklung der Partei zu einer reinen Ständeorganisation und drängte auf Einigkeit. Nach der zum Teil heftigen Aussprache über das Vorgehen Regensburgs wurde der Programmentwurf von Regensburg zur Debatte gestellt. Als einziger Redner kritisierte der Reichstagsabgeordnete Dr. MayerKaufbeuren das schnelle Bekenntnis zur republikanischen Staatsform. I n der Frage der Monarchie ergab sich zunächst keine Einigung. Held hielt es nicht für möglich, jetzt programmatisch die Monarchie verlangen zu können; der Vertreter der Verkehrsbeamten, K a r l Rothmeier, der i n der B V P später eine starke Rolle spielen sollte, ging über die Meinung Heids noch hinaus, m i t der Forderung, „man würde am besten für die Republik eintreten". Wohlmuth und Walterbach, beide Geistliche, plädierten dafür, i n der Frage der Anerkennung der Republik zunächst etwas zurückzuhalten. Die Debatte ging der klärenden Auseinandersetzung in der Frage der Republik oder Monarchie aus dem Wege, schon deshalb, weil man sich ohnehin nicht hätte einigen können. So ging es schließlich nur darum, was man i n der Agitation sagen solle, das Volk wolle hierauf eine Antwort. Natürlich hätte eine promonarchische Agitation in dieser Zeit dem Ziel, die Monarchie wieder herzustellen, nur schaden können, darüber waren sich auch die Monarchisten i m klaren. Man einigte sich schließlich darauf, daß man zu dieser Frage i m Programm keine ausgeprägte Stellung nehme und darüber nur eine Volksabstimmung entscheiden könne, damit war auch den Anforderungen der Agitation wohl Genüge geleistet. Bei der Abstimmung waren Wohlmuth und Rothmeier beide aus entgegengesetzten Gründen dagegen, daß man i m Programm der Partei keine ausgeprägte Stellung zur Frage der Monarchie beziehe. Die BVP, das ging aus der Diskussion klar hervor, wollte i n dieser Frage sich nicht festlegen, da, wie Rothmeier formulierte, es sich bei „dem Programm doch darum handeln müsse, Volksmassen zu gewinnen". Man berücksichtigte also die antimonarchische Stimmung i m Volke. Auch bei der Beratung des Verhältnisses Bayerns zum Reich gingen die Meinungen weit auseinander. Mayer-Kaufbeuren sprach als Reichstagsabgeordneter gegen die allzu berlinfeindliche Fassung dieses Ab-
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schnittes i m Regensburger Gründungsprogramm. Bayern werde ruiniert werden, wenn es allein gehen wollte. Dazu komme, daß diese Frage auch für die Gesamtheit der deutschen Katholiken von größter Bedeutung sei. Demgegenüber betonten vor allem Held und Schlittenbauer, daß Bayern durch die Kriegswirtschaft vollständig von Berlin abhängig geworden sei, und es so nicht weitergehen könne. Man dürfe sich nicht restlos dem Berliner Asphalt ausliefern. Trotzdem gab Schlittenbauer zu, daß Bayern allein auf allen Gebieten ein armseliger Torso bleibe. Ganz abgesehen davon, daß Bayern ein lebhaftes Interesse habe, an der sozialpolitischen Einheitsgesetzgebung wie bisher beteiligt zu sein, und was die Vergebung von Kapitalien aus solchen Geldbeständen betreffe, noch besser berücksichtigt zu werden. Held, Mayer und Speck wurden beauftragt, während der Mittagspause eine Kompromißfassung dieses Abschnittes zu formulieren. Diese wurde dann schließlich mit einigen Änderungen angenommen. Einig war sich die Versammlung i n dem Punkt, daß die alte Verfassung des Deutschen Reiches nicht mehr existiere, daß aber die Einzelstaaten sehr wohl ihre staatliche Existenz unbeschadet der Revolution bewahrt hätten. Die einzuberufende Nationalversammlung könne also nicht ohne Zustimmung der Einzelstaaten vorgehen. Die Presse der Partei solle diesen Standpunkt offensiv in der zu erwartenden Verfassungsdiskussion vertreten. Die heftigste Auseinandersetzung entzündete sich am Titel der neuen Partei. Schlittenbauer erklärte den in Regensburg gewählten Titel für eine „conditio sine qua non". Als Hauptredner sprachen Speck, Giehrl und Held für den Titel „Bayerische Volkspartei". Schlittenbauer, Held und Giehrl waren vielleicht auch aus jenem Grund für eine Namensänderung, weil man ja infolge der verkehrten und inzwischen so diskreditierten Kriegspolitik in Bayern den Namen Zentrumspartei in Mißkredit gebracht hatte. Von der Sache und dem neuen Programm her wäre eine Namensänderung nicht unbedingt erforderlich gewesen, weil man ja kein neues Programm annahm, sondern i m wesentlichen an die Richtlinien des Reichsausschusses der Zentrumspartei vom 30. Juni 1918 anknüpfte, auch i n der Frage der Beziehungen Reich — Bundesstaaten, in der der Reichsausschuß „die Aufrechterhaltung der Sonderrechte der Einzelstaaten" gefordert hatte 7 5 . Gegner dieses Namens waren vor allem die Reichstagsabgeordneten um Mayer-Kaufbeuren und die Vertreter der Arbeiterschaft um Schirmer-Pasing, jene Kreise, die die Kriegszielpolitik Heids, Schlittenbauers und Heims abgelehnt hatten und stärker an der inneren Tradi75 w . Mommsen, a.a.O., S. 250.
5. Die Konfrontation m i t dem alten Landtagszentrum
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tion des Zentrums festhalten wollten. Sie fürchteten Schwierigkeiten i m Verhältnis zum Reich und zum Reichstag. Das Partikulare i m Namen wirke wie ein separationsförderndes Schlagwort und verhindere die spätere Zusammenarbeit mit dem Zentrum auf Reichsebene. Wohlmuth befürwortete den Namen Zentrum, da keine wesentlichen inneren Gründe dagegensprächen. Als schließlich Schlittenbauer drohte, i m Falle der Ablehnung des neuen Titels müßten sich eben die bayerischen Bauern allein um die BVP scharen, fand sich eine Mehrheit von 12 gegen 5 Stimmen und 2 Enthaltungen für den Namen „Bayerische Volkspartei". Die Wahl eines neuen Titels und damit die Trennung vom Zentrum war für Heim und Schlittenbauer schon deshalb wichtig, um von einer autochtonen bayerischen Stellung her freie Hand für ihre Politik zu bekommen, außerdem glaubten beide, daß man nur so der Kristallisationspunkt der bürgerlichen Parteien Bayerns werden könnte. Für die einleitenden Sätze und den Schlußsatz des Programms wurde ein Entwurf Schlittenbauers angenommen. I n der Frage des organisatorischen Aufbaus der Partei, der sich nach dem Regensburger Entwurf vor allem auf die Ständeorganisationen als Hauptträger aufbauen sollte, sprach Held gegen diesen ständischen Aufbau, da man so nicht alle Wählerkreise erfassen könne, außerdem bestünden unter dem künftigen Verhältniswahlrecht ganz neue Verhältnisse gegenüber früher. Ein gemischtes Organisationssystem, das neben dem Grundstock der kooperativen auch die Einzelmitgliedschaft kannte, wurde schließlich akzeptiert. Held erklärte sich bereit, innerhalb von 10 Tagen ein Organisationsstatut für die neue Partei auszuarbeiten. I n diesem hieß es dann: „Die Aufnahme geschlossener Organisationen und Verbände erfolgt durch die Landesvorstandschaft. Die Aufnahme von Einzelmitgliedern, die nicht einer geschlossenen Organisation angehören, erfolgt durch die Ortsvorstandschaft 76 ." I n der Sitzung des Neuner-Ausschusses wurde dem Reichstagsabgeordneten Dr. Mayer-Kaufbeuren der Vorsitz der neuen Partei angetragen; er lehnte nicht prinzipiell ab, sondern wollte erst noch mit den übrigen Mitgliedern der Reichstagsfraktion i n Verbindung treten, damit diese durch die Neugründung nicht überrascht würde. Die Frage der Leitung der neuen Partei wurde jedoch zurückgestellt. Es ist auch unwahrscheinlich, daß die Regensburger Gründungsinitiatoren Mayer als Vorsitzenden akzeptiert hätten. Für sie war er noch zu sehr dem alten Zentrum verhaftet und zu berlinfreundlich eingestellt. A m 27. November 1918 wurde K a r l Speck, der für beide Parteiflügel wegen seiner ausgleichenden Natur akzeptabel war, zum Vorsitzenden 76 Satzungen der Bayerischen Volkspartei, Regensburg 1919, §3 Abs. 2. 22
Keßler
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der B V P gewählt. Stellvertreter wurden als Vertreter der Arbeitervereine Schirmer und der Bauernvereine Schlittenbauer 77 . Die später diskutierte Frage, ob das Regensburger Gründungsprogramm auf der Sitzung des Neuner-Ausschusses am 15.11.1918 i n München abgeändert wurde, verneinte Schlittenbauer: „sachlich wurde von dem Regensburger Programm des 12. November nichts geopfert 78 ." Das Regensburger Programm ist nur dem Wortlaut nach etwas umgestellt und i n den einzelnen Forderungen weiter ausgebaut worden. Heim erklärte dagegen später, daß von dem ersten Programm i n München einige wesentliche Teile geopfert wurden. So sei die wichtigste Forderung, die zukünftige Staatsform einer Volksabstimmung zu überlassen, dort abgelehnt worden 7 9 . Diese Meinung Heims ist jedoch nicht begründet, weil auch der Regensburger Entwurf diese Volksabstimmung nicht ausdrücklich gefordert hatte. Es war lediglich die Rede davon gewesen, daß die BVP eine Änderung des durch die Revolution geschaffenen Zustandes „auf Grund ihrer religiösen Überzeugung und staatspolitischen Grundsätze nur auf dem Weg von Recht und Gesetz" erstrebe 80 . Dagegen hatte man auf der Sitzung vom 15. November in München beschlossen, daß man i n dieser Frage in der wahlpolitischen Agitation eine allgemeine Volksabstimmung fordern solle. Jedoch wurde diese Forderung nicht ausdrücklich in das allgemeine Parteiprogramm vom 18. November 1918 aufgenommen 81 . Die personelle Seite der Neugründung der BVP soll nur kurz angedeutet werden. Das starke Übergewicht der Heimschen Gruppe war eine natürliche Begleiterscheinung der Umwandlung der Partei. Sie war i n dem Sinne natürlich, als diese Gruppe bereits vor der Revolution die Neugründung betrieben hatte und ihr auch schließlich die politische Richtung in der ersten Zeit gab. Die konservative Gruppe der alten Partei um Pichler war durch die Ereignisse völlig unvorbereitet getroffen worden und blieb zunächst ratlos. Diesen Vorsprung hatte Dr. Heim ausgenützt. Pichler war zwar bei der Sitzung am 15. November anwesend, äußerte sich aber nur einmal und dies in steuerpolitischen Fragen. Ein ernsthafter Widerstand gegen die Neugründung wurde von i h m nicht geleistet. Sein Denken
77 RA, 603, 29. 11.1918. 78 „Neues Münchner Tagblatt", 325, 22.11.1918. 79 B K , 3.12. 1918. 80 RA, 574, 14. 11.1918. 81 Wortlaut bei A. Pfeiffer: „Gedankenwelt und Tätigkeit der bayerischen Volkspartei", München 1922, S. 617.
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wurzelte allzusehr in früheren Zeiten der konstitutionellen Monarchie. Er suchte nicht mehr den Anschluß an die neuen Verhältnisse, sondern zog sich völlig aus dem politischen Leben zurück. Die weitere personelle Entwicklung der B V P ging jedoch zuungunsten der Heimschen Gruppe. Das lag wohl zu einem Teil daran, daß es ihm nicht gelang, größere Massen Konservativer und Nationalliberaler in die neue Sammelpartei hereinzuziehen. Damit hätte er wohl das Übergewicht über die bisherigen Führer des Zentrums behaupten können. Die i m Fränkischen sitzenden geschlossenen Massen konservativer Bauern und Mittelständler gaben ihre parteipolitische Selbständigkeit nicht auf. Sie gruppierten sich um die „Bayerische Mittelpartei". Trotzdem konnte die B V P i n außerfränkischen Gebieten viele Mitglieder aus dem früheren nationalliberalen Lager zu sich herüberziehen. Zu einem anderen Teil lag es i n der Person Heims, der zwar die neue Partei in einer schnellen A k t i o n gegründet hatte, sich aber dann um ihren weiteren Ausbau nicht mehr kümmerte. Die ausdauernde, zähe organisatorische Arbeit lag ihm nicht. So bekamen die Führer des alten Zentrums wie Held, Speck, Wohlmuth die neue Partei bald wieder i n ihre Hand 8 2 . Einen zweiten Anlauf unternahm Heim Ende 1919/Anfang 1920, als er versuchte, durch einen Anschluß des „Bayerischen Bauernbundes" an die B V P den bäuerlichen Einfluß i n der Partei zu stärken. Dieser Versuch Heims scheiterte jedoch. Er setzte es auch noch unter der Drohung der Spaltung der Partei durch, daß die BVP am 9. 1. 1920 die Fraktionsgemeinschaft m i t dem Reichszentrum kündigte 8 3 . Der letzte unmittelbare Einfluß auf eine wichtige Entscheidung, die Heim in der BVP durchsetzte, war die Bestellung Kahrs zum bayerischen Ministerpräsidenten i m März 192084.
82 Vgl. M. Spahn, i n : „Die Grenzboten", Nr. 4, 1920, S. 116—118. 83 BStZ, Nr. 8, 11.1. 1920. 84 Eine Zusammenfassung der Gründungsidee des B V P u n d des persönlichen politischen Engagements i n der Zeit 1918/19 gab H e i m drei Jahre später. Seit 1912 w a r er aus der aktiven P o l i t i k ausgeschieden gewesen: „ M i c h hat erst die Revolution wieder auf den D a m m gerufen . . . Die bürgerlichen Parteien hatte dortmals eine förmliche L ä h m u n g erfaßt. Sie mußten sich erst wieder auf sich selbst besinnen. Sie waren i n den ersten Wochen wie verschwunden . . . Ich glaube nicht, daß dortmals eine Partei aktiver gewesen ist, w i e die B V P und ich k a n n das von meiner Person behaupten . . . Ich w o l l t e das Mindestziel erreichen, daß sich bei uns i n Bayern die Gesundung durchsetzt, u m sich dann als Zelle zur Wiedergesundung f ü r das ganze Deutschland i m gegebenen Augenblick als äußerst w e r t v o l l zu zeigen. Die vielen Hunderte, die mich i n vertraulichen Programmberatungen bei G r ü n dung der B V P reden hörten, wissen, daß dies immer das L e i t m o t i v f ü r meine Einstellung w a r . . . Ich glaubte immer an eine Mission Bayerns. Die Arbeit meiner Partei und meine A r b e i t hat sich einzig u n d allein i n den Dienst dieser Mission gestellt." (BStZ, 85, 13. 4.1923.) 22*
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X V . Die Revolution i n Bayern — Gründung der B V P
Zum unangefochtenen Führer der B V P i n den Jahren 1920 bis 1933 wurde schließlich Heinrich Held, der von 1924 ab auch die Leitung der bayerischen Regierung übernahm. Es wuchsen bald innerhalb der BVP neue politische Kräfte heran, die dem alten Zentrum nicht mehr angehörten: Fritz Schäffer, K a r l Rothmeier und Alfons Probst.
X V I . Die B V P bis zu den Wahlen 1919 Die Revolution wurde zur Zäsur für alle Politiker. Es war aber auch eine Frage des Überlebens, des Anschlusses an die neue Zeit und die Orientierung an den von ihr geschaffenen Tatsachen. Held hat nach anfänglichem Zögern diesen Anschluß an die neue Zeit vollzogen und sich schon in der Frage der BVP auf den von anderen geschaffenen Boden der Tatsachen gestellt. Wollte er nicht isoliert und von den Vorgängen überrollt werden, so mußte er diese Wendung der Dinge mitvollziehen. Als pragmatischer Taktiker stellte er hier erneut seine Beweglichkeit und taktische Anpassungsfähigkeit unter Beweis. Der Schock der Revolution und die Desillusionierung über das alte System haben ihm diesen Schritt erleichtert. Die Politik der B V P und Heids vom November 1918 bis zur Landtagswahl i m Januar 1919 läßt sich i n drei Bereichen kurz skizzieren: 1. die wachsende K r i t i k an Eisners Politik, 2. die Diskussion um Verfassungsfragen in Bayern und Reich, 3. der Versuch gewisser Gruppen i n der BVP, die bayerische und deutsche Frage i m Fluß der Ereignisse neu zu gestalten. Damit ist auch das Problem des aktiven oder stillen Separatismus in der BVP angesprochen. 1. Die Kritik an Eisner Die bürgerlichen Parteien brachten zunächst ihren Widerstand gegen die Umwälzung i n einer offenen Protesterklärung am 25. November 1918 zum Ausdruck, i n der gegen die Verfassungswidrigkeit des Eisnerregimes und gegen die Verhinderung der Weiterberatung des Landtags protestiert wurde 1 . Held unterzeichnete für das Zentrum. Die Erklärung blieb natürlich wirkungslos. Außerdem hatten die Fraktionsvorsitzenden der alten Parteien erklärt, daß sie „unter Zurückstellung aller parteipolitischen, konfessionellen, sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze" 2 die neue provisorische Regierung durch ihre Mitarbeit fördern wollten, wenn „die provisorische Regierung ihr ι M N N , 597, 26.11.1918. 2 Ebd.
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X V I . Die B V P bis zu den Wahlen 1919
Programm der lebendig tätigen Demokratie durchführe" 3 . Die Regierung möge also ihr Wort von der vollen Freiheit zur schleunigen Vorbereitung der Nationalwahlen einlösen und „den Platz räumen, sobald das Volk durch die Nationalversammlung selbst seine Geschicke i n die Hand" 4 genommen habe. Die Stellung der BVP zu Eisner war zunächst ganz davon abhängig, wieweit dieser seinem Versprechen, allgemeine Wahlen durchzuführen, treu blieb, und die Aufrechterhaltung der Regierungsgewalt zu garantieren schien. Es konnte ja nur etwas Schlechteres und damit das allgemeine Chaos nachkommen. Als es aber schien, daß Eisner sein Versprechen nicht einhalten wolle und er angeblich auf die Rätediktatur zusteuerte, entzog ihm die BVP ihre anfängliche Unterstützimg. Ende November wurde die K r i t i k am Regime Eisner immer heftiger: „ K a u m drei Wochen am Ruder und bereits abgehaust 5 !" Bayern werde durch den blutigen Dilettantismus seiner Regierenden zu einem Narrenhaus gemacht. „Was Eisner uns in den letzten Tagen angetan hat, ist unerhört 6 ." Von der Vorbereitung einer Nationalversammlung höre man nichts. A m 8. Februar 1919 konnte der „Regensburger Anzeiger" ungeniert schreiben: „Keiner Regierung des früheren Systems ist die Hölle derart heißgemacht worden wie der gegenwärtigen provisorischen Regierung Bayerns 7 ." Ganz toll sei Eisners Betätigung in der Außenpolitik. „Hier zeigt er sich nicht bloß als ein jämmerlicher Stümper, sondern auch als ein gemeingefährlicher Mensch 8 ." Vor allem die kulturpolitischen Maßnahmen der Eisnerregierung und ihres Kultusministers Hoffmann mußten die BVP zu scharfer Gegenwehr reizen. Hoffmann hatte am 25. Januar 1919 den Religionsunterricht als Pflichtfach abgeschafft. Gerade an den religionsfeindlichen Maßnahmen der Regierung richtete sich das Selbstbewußtsein der BVP wieder auf. So konnte sie ihre Anhänger wieder sammeln mit den Kampfrufen: „Der Atheismus an der Spitze des bayerischen Kulturministeriums . . . gegen den Religionshasser Hoff mann 9 ." I n einer Entschließung der Landesvorstandschaft der B V P wurde „auf schärfste Verwahrung" 1 0 dagegen eingelegt, daß die provisorische Regierung es wagte, durch diktatorische Erlasse über den religiösen Unterricht in den Schulen einen „großen Teil des bayerischen Volkes i m Gewissen zu vergewaltigen" 1 1 . 3 M N N , 597, 26.11.1918. 4 Ebd. 5 RA, 605, 30.11.1918. 6 Ebd. 7 RA, 68, 8. 2.1919. 8 RA, 605, 30.11.1918. 9 RA, 50, 27.1.1919. 10 RA, 56, 1. 2.1919. 11 Ebd.
2. Verfassungsfragen i n Bayern u n d Reich
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2. Verfassungsfragen in Bayern und Reich I n der bayerischen Verfassungsfrage wollte man zunächst alles der geforderten Nationalversammlung überlassen. So viel forderte man aber jetzt schon, daß für „alle Fragen, die von entscheidender Bedeutung sind . . . die Abstimmung des Volkes" 1 2 notwendig sei. Auch eine Wiederherstellung der Monarchie i n der alten Form und Machtvollkommenheit erklärte Held für „ausgeschlossen" 13 . I n Bayern habe der König vorerst auf die Ausübung seiner Herrschaft verzichtet. Er werde selber nicht mehr auf den Thron zurückkehren wollen, außer wenn er durch den Mehrheitswillen des bayerischen Volkes gerufen werde. „Damit ist die Frage der Monarchie für die BVP vorerst zurückgestellt. Hier entscheidet nicht die Partei, hier entscheidet die Mehrheit des Volkes 14 ." Damit ließ Held die Frage, ob Bayern Monarchie oder Republik sein werde, offen. M i t einer promonarchischen Stimmungsmache wäre die B V P nur in den Verdacht gegenrevolutionärer Umtriebe gekommen, was schließlich nur den radikal-sozialistischen Kräften genützt hätte. I n einer öffentlichen Volksversammlung am 25. November 1918 stellte sich Held auf „den Boden der geschichtlich gewordenen Tatsachen, die nicht umgestoßen werden können, ohne neue Ströme kostbaren Blutes zu vergießen" 15 . Man stellte nun die allgemein christliche Verpflichtung i n den Vordergrund, zur Rettung des Vaterlandes und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung mitzuarbeiten. I n der Ablehnung des marxistischen Atheismus war man sich einig. Das Konzept der B V P und Heids war es nun, die alten kulturpolitischen Forderungen auf dem Boden der neuen Tatsachen wieder zur Geltung zu bringen und beim Neuaufbau mit ganzer K r a f t mitzuarbeiten, um die Neuordnung der Verhältnisse nicht allein sozialistischen und liberalen Elementen zu überlassen. Damit führte die B V P den Wahlkampf. Die kulturpolitischen Forderungen waren ja die alten des Zentrums geblieben. Hier kam erneut die Schwäche der staatspolitischen Tradition des Katholizismus zum Ausdruck, der kein allgemeines verfassungs- und staatspolitisches Konzept besaß. „Uns Katholiken interessieren i n erster Linie unsere religiösen und kirchlichen Verhältnisse 16 ."
12 RA, 605, 30. 11.1918. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 RA, 598, 27.11.1918. 16 B K , 322, 19.11.1922.
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X V I . Die B V P bis zu den Wahlen 1919
Da hatte man zuerst Forderungen zu erheben. „Also, Ihr Männer der Novembermächte, beseht Euch unsere Forderungen und beherzigt sie: 1. Vollständige religiöse Freiheit. 2. Die Schulen müssen konfessionell bleiben. 3. Das Eigentum der Kirche, wie es ist, darf in keiner Weise angegriffen werden 1 7 ." Auch von der Tradition und der Geschichte der Kirche her konnte man sich unter diesen Bedingungen auch mit der Neuordnung i m Reich ohne weiteres aussöhnen. „Die Kirche lebt i n den verschiedensten Staatsgebieten und unter den verschiedensten Verfassungen und steht allen ganz gleich gegenüber, wenn nur die betreffenden Staaten die Kirche nicht angreifen 18 ." Erst in den Jahren 1920/24 spielte sich auch im Katholizismus ein grundsätzlich geführter Verfassungsstreit ab. Was Held in diesen Tagen der verfassungspolitischen Neuordnung besonders beschäftigen mußte, war die Frage des zukünftigen Verhältnisses Bayerns in und zum Reich. Hier schienen ihm für Bayerns Staatlichkeit tödliche Gefahren zu drohen. A m 6. Januar 1919 schrieb er im „Regensburger Anzeiger" einen A r t i k e l m i t dem Titel „Finis Bavariae" 1 9 . I n dem bereits bekannten Entwurf der neuen Reichsverfassung sah er Tendenzen, die auf „die Schaffung einer deutschen Einheitsrepublik und auf die völlige Zerstörung des bundesstaatlichen oder staatenbündlichen Charakters des Reiches" 20 hinausliefen. Bayern gerate, wenn der Entwurf Gesetz würde, in die Stellung einer Provinz zum Reich und würde i n der Erfüllung seiner Lebensnotwendigkeit glatt abhängig von der Berliner Zentralregierung. Die bayerische Regierung und der bayerische Landtag würden nach Annahme des Entwurfes „lächerliche Einrichtungen, dekorative Schaustücke" 21 . Die BVP führte zum Teil auch mit dem Schreckgespenst der drohenden Reichsverfassung den Wahlkampf. „Darum: Bayerisches Volk wache auf, verteidige und rette Deine höchsten staatlichen Gemeinschaftsgüter 2 2 ." Eisner verkaufe Bayern an Berlin. I n einer Resolution vom 31. Januar 1919 lehnte die Landesvorstandschaft der BVP Eisner „als Vertreter bei Berliner Verhandlungen um die deutsche Reichsverfassung" ab 2 3 . i7 is ι» 20 21 22 23
Ebd. Ebd. RA, 5, 6. 1. 1919. Ebd. Ebd. Ebd. RA, 56, 1. 2.1919.
3. Der angebliche Separatismus der B V P
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3. Der angebliche Separatismus der BVP Die Gründung der BVP und ihre Politik bis in das Frühjahr 1919 hinein wurden i n der Folgezeit vor allem von den Gegnern in Zusammenhang mit einem offen-aktiven oder konspirativen Separatismus gebracht. Für die Kreise um Heim und Osel treffen diese Behauptungen i n differenzierter Weise zu; was allerdings i n späterer Zeit von nationalistischer Seite noch während der Weimarer Republik daraus an Hochverratspropaganda gemacht wurde, gehört in den Bereich publizistischer Polemik mit nationalistischem Hintergrund. Ein typisches Beispiel eines solchen Versuchs ist die Arbeit von Friedrich Hilpert 2 4 . Daß Heim den Gedanken einer Lostrennung Bayerns vom Reich und die Gründung eines Donaustaates in einer Zeit, wo in Bayern Sonderfriedenspläne und die Parole „Los von Preußen" auf dem Hintergrund bayerischer Erfahrungen mit der Berliner Kriegspolitik diskutiert wurde, publizistisch propagiert hat, ist sicher richtig. Es war eine Erscheinung der nervös-gereizten politischen Atmosphäre in Bayern, die im Chaos des staatlichen Zusammenbruchs und der Desorganisation möglich wurde. „Militärisch-politische Katastrophen . . . rufen selbst i n alten Nationalstaaten Auflösungserscheinungen hervor . . . Es war nicht erfreulich, aber begreiflich, daß 1918 bis 1923 i n einzelnen Fällen sich separatistische, stärker partikularistische A k t i v i t ä t entfaltete 25 ." Heinrich Held selbst hatte m i t diesen politischen Bemühungen nichts zu tun; mit separatistischen Gedanken hat er nie wirklich gespielt. Er war zu sehr dem Idealbild des Bismarckschen Reichsfoederalismus verbunden. Während Held jede Lösung der sog. bayerischen Frage mit Blick auf außerdeutsche Lösungen immer ablehnte und statt dessen später die innerdeutsche Verfassungsumgestaltung i m foederativen Sinn und mit legalen Mitteln versuchte, dachten Heim und Osel an eine Abtrennung Bayerns vom Reich und an die Schaffung eines süddeutsch-bayerischen Blockes mit Anschluß des größten Teils Österreichs. Hier trennten sich die politischen Wege von Heim und Held. I m bayerischen Landtag erklärte Held am 2. Februar 1924 gegenüber der nationalistischen Hetze, die das „Märchen immer und immer weder" 2 6 kolportierte, es gäbe i n Bayern Leute, die eine katholische 24 Friedrich Hilpert, „Die Grundlagen der bayerischen Zentrumspolitik 1918—1921, phil. Diss. München 1941. 25 H. Gollwitzer i n V J H f. Zeitgeschichte, Bd. 1955, S. 376. Gollwitzer fährt fort: „Überprüft man das Material, vor allem Hilpert, so bleibt nichts Gravierendes übrig, allenfalls Dr. Heims politische Robustheit u n d seine A u f fassung von Realpolitik u n d eine gewisse allgemeine Direktionslosigkeit, die i n Bayern w i e anderswo zutage trat." 26 Sten. Ber. 1923/24, Bd. 9, S. 129.
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Donaumonarchie gründen wollten unter Zerreißung Deutschlands, daß er, Held, ja oft damit i n Zusammenhang gebracht worden sei. „Jeder, der derartige Behauptungen wage, sei ein schamloser Lügner 2 7 ." Er habe niemals „ein Wort gesprochen oder geschrieben oder m i t irgendwem ein Wort verhandelt über die Bildung einer Donaumonarchie" 28 . Die Katholiken seien „reichstreu bis auf die Knochen" 2 9 . Berühmt geworden i n diesem Zusammenhang ist Heims A r t i k e l „Eisners Irrgänge und Bayerns Zukunft" i m „Bayerischen Kurier" vom 30.11 und 1.12.1918. Heims Versuche in dieser Richtung, die bayerischen Probleme zu lösen, sie in internationalen Kontakt zu bringen, „also so etwas wie eine bayerische Außenpolitik zu treiben", hatten, wie K a r l Schwend richtig bemerkt, „einen durchaus persönlichen und keinen Parteicharakter" 30 . Vielmehr ist in diesen ganzen Gedankengängen und i n dem manchmal sehr scharf vertretenen selbständigen bayerischen Standpunkt die Forderung Heims zu sehen, Bayern solle sich als Ordnungsmacht i m Deutschen Reich „als Zelle der Wiedergesundung für das ganze Deutschland" gegenüber dem Norden aufrichten, zu sehen. Worin Heim „eine Mission Bayerns" gesehen hatte, ist ja später von Kahr als die Idee einer bayerischen „Ordnungszelle" aufgegriffen worden. Auf die Spekulationen Heims i n bezug auf eine eventuelle Zusammenarbeit m i t Frankreich und einem erweiterten Rheinbund ist hier nicht weiter einzugehen, weil Held damit niemals i n Verbindung stand und weil die Versuche von Heim selbst bald als illusionär angesichts der Haltung Frankreichs und der Entente aufgegeben wurden 3 1 und nur eine kurze Episode i m Übergang von militärischem Zusammenbruch zur Verabschiedung der Weimarer Verfassung darstellten. Als der sozialdemokratische Abgeordnete Saenger im Februar 1924 den berühmten A r t i k e l Heims i m „Bayerischen Kurier" vom 1. Dezember 1918 wieder vorhielt, distanzierte sich Held von diesem A r t i k e l öffentlich: „Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich von meinem Standpunkt immer eine derartige Betrachtung und Konstruktion staatspolitischer und staatsrechtlicher Verhältnisse abgelehnt habe 32 ." Der A r t i k e l Heims sei nur aus der Zeit heraus zu erklären, in der er geschrieben worden sei. Der stimmungsmäßige Hintergrund und die völlige Orientierungslosigkeit i n dem politischen Niemandsland zwischen Revolution und Verfassungsgebung dürften in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt 27 28 29 so 31 32
Ebd. Ebd. Ebd., S. 138. Schwend, Bayern, a.a.O., S. 63. Vgl. dazu Schwend, a.a.O., S. 63 ff. Sten. Ber. 1923/24, Bd. 9, S. 777.
3. Der angebliche Separatismus der B V P
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bleiben. „Es war das reinste Tohuwabohu der Meinungen über die staatsrechtliche Gestaltung der Verhältnisse beim Zusammenbruch i m Oktober 1918", erinnerte sich Held 1924. Es seien damals aus nahezu allen Parteikreisen Konstruktionen aufgestellt worden, die m i t dem alten deutschen Reich nichts zu t u n hatten. Auch die besten deutschen Patrioten hätten damals die Gefahr der Bolschewisierung Deuschlands befürchtet. U m wenigstens einen Teil Deutschlands zu retten und von da aus eine Basis zu gewinnen für das neue Deutschland — diese Überlegung habe wohl den A r t i k e l Heims bestimmt. Held konnte darauf hinweisen, daß es den Sozialdemokraten nicht gelungen sei, sonst irgendein Dokument der BVP zu produzieren, das den Vorwurf des Hochverrats rechtfertige 33 . Er für seine Person habe Heim gegenüber niemals „blind in verba magistri geschworen" 34 , er vertrete den Standpunkt: „Haben w i r im alten Deutschen Reich in glücklichen Zeiten zusammengehalten, so ist es erst recht unsere Pflicht, i m neuen unglücklichen Reich zusammenzuhalten 35 ." Was Fr. Hilpert 3 6 aus diesen Dingen an bayerischen Sonderbündnissen und Hochverratsbestrebungen machte, gehört in den Bereich von Phantasie und Unterstellung. Viel entscheidender w a r die nun einsetzende Diskussion um die Frage des zukünftigen Verhältnisses Reich — Länder in der kommenden Reichsverfassung von Weimar. Die BVP hatte sich in ihrem Programm auf den Standpunkt gestellt, daß die alte Form des Reiches nicht mehr existierte, wohl aber die Einzelstaaten als konstituierende Elemente einer neuen Reichsverfassung. Aber auch hier gingen die Meinungen in der BVP auseinander. Die Möglichkeiten, nach dem Zusammenbruch Deutschlands und seiner Monarchien die zukünftige Ordnung der staatlichen Verhältnisse zu gestalten, wurden auch i n der BVP mehr oder weniger realistisch eingeschätzt. I m politischen Niemandsland der Revolutionswochen trieb dies auch i n Bayern seine Blüten. Schlittenbauer wollte die staatsrechtliche Neuregelung des Verhältnisses Bayerns zum übrigen Deutschland aus der Erkenntnis vollzogen sehen: „Das auf den Versailler Verträgen von 1871 aufgebaute Deutsche Reich ist nicht mehr." Speck forderte am 23.11.1918, nachdem die alte Form des Reiches zerschlagen daliege, solle etwas „vollständig Neues an seiner Stelle geschaffen werden" 3 7 . Vermieden werden müßte vor allem eine erneute Vormachtstellung Preußens. Dahinein kam die von vielen Stimmen geforderte Parole „Los von Preußen". I n der Anfangs33 34 35 36 37
Ebd. Ebd. Ebd. a.a.O., S. 38. „Allgemeine Rundschau" v o m 23.11.1918.
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zeit hat die offizielle BVP-Politik damit sympathisiert. „Schließt Euch darum alle zusammen i n den Reihen der Partei, die am nachdrücklichsten die Interessen Bayerns in dieser Zeit des Elends wahrt, die bolschewistische Pestbeule Berlin losschneiden w i l l vom Leibe des bayerischen Staatskörpers 38 ." Von den herrschenden sozialistischen Kräften in Berlin konnte man nicht die Schaffung eines Staats erwarten, der den eigenen Vorstellungen entsprach. Es sah auch nicht so aus, als würde bald eine verfassunggebende Nationalversammlung, hervorgegangen aus allgemeiner, gleicher und direkter Wahl ein neues Reich aufrichten. So lag in manchen Kreisen der BVP der Gedanke nahe, sich zunächst vom verseuchten Berlin zu trennen und in Bayern einen neuen Kern der Ordnung zu bilden, an den sich „die übrigen deutschen Staaten ankristallisieren konnten zur Schaffung eines neuen und besseren Reiches" 39 . Heims Intimus Heinrich Osel stellte die radikalste Forderung: „Warum ziehen w i r nicht endlich die Konsequenzen? Warum, Herr Eisner, lassen Sie das alte, von Preußen beherrschte Reich nicht verschwinden? Sagt Euch doch endlich los von einem ,Deutschland', i n dem Preußen — Berlin, das herrschsüchtige immer noch den Ton angeben w i l l . . . Bayern w i l l einen Sonderfrieden . . . Los von Preußen, schaffen Sie den verfassungsmäßigen Volksstaat Bayern 4 0 ." M i t solchen Äußerungen und Stimmungen hatte Held nichts zu tun. Er ließ sich nicht verwirren. Schon in den Auseinandersetzungen um seine Äußerungen über einen angeblichen bayerischen Sonderfrieden hatte er erkannt: Bayern könnte wirtschaftlich ohne das Reich nicht bestehen. Außerdem hatte die BVP nicht die staatlichen Machtmittel, um solche Pläne durchzusetzen. Heids verfassungspolitisches Ziel zur Neugestaltung des Deutschen Reiches blieb: zurück zu den Verhältnissen von 1871. Aus dem i m Weltkrieg zu einem zentralistischen Einheitsstaat gewordenen Reich sollte wieder ein Foederativstaat werden ohne Vorherrschaft eines bestimmten Staates 41 . Außerdem machten die Friedensbedingungen der Entente auch die Bayern wieder zu Schicksalsgefährten der deutschen Nation. A n eine bayerische Separation dachte i m Frühjahr 1919 die B V P sicher nicht mehr. A m 15. Mai 1919 ermahnte die B V P i n einem Aufruf zu nationaler Geschlossenheit angesichts der Friedensverhandlungen 42 .
38 RA, 604, 30.11.1918. 39 R. Ringelmann, „Die Bayerische Volkspartei", S. 38. 40 Zit. i n M N N , 603, 29.11. 1918. 41 RA, 628, 13. 12.1918. 42 RA, 277, 17. 5. 1919.
4. Die Wahlen i m Januar 1919
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Als die „Münchner Post" 4 3 Ende 1919 erneut der BVP das Bestreben zuschrieb, mit Hilfe der Franzosen separatistische Absichten durchzusetzen, antwortete der „Regensburger Anzeiger" sehr scharf und klar: „ I m Landesausschuß der BVP, der am 20./21.12.1919 i n München tagte, . . . , kam m i t überwältigender Einmütigkeit das Bekenntnis aller Parteikreise zum Reichsgedanken zum Ausdruck. I n der sehr eingehenden Aussprache erhob sich auch nicht eine Stimme, welche an die Reichstreue getastet hätte 4 4 ." Die A k t i v i t ä t der Partei richtete sich vielmehr i n Zukunft auf den foederalistischen als auf den separatistischen Gedanken. Als es aber i n entscheidenden Verfassungsverhandlungen i n Weimar um diesen foederalistischen Gedanken ging, war Bayern durch die Räteherrschaft geschwächt. 4. Die Wahlen im Januar 1919 I m Wahlkampf empfahl sich die BVP als der sicherste Hort der Ordnung und des Rechts, als die Garantie gegen einen neuen Umsturz und als Schutzmacht der christlich-katholischen Interessen des Volkes. Auf dem Lande hatte sie besonders zu kämpfen, wo unter der Agitation des Bauernbundes „ganze Dörfer umschwenkten" 45 . Die Taktik Heims bei der Gründung der B V P war es ja auch gewesen, den Stimmungsverlust, den das alte Zentrum auf dem Lande während des Krieges zu verzeichnen hatte, durch eine nach außen völlig neu erscheinende Partei und ein auf die Stimmung i n diesen Kreisen eingehendes Programm die bäuerlichen Wählermassen wieder zurückzugewinnen. Man konzentrierte sich in der BVP daneben besonders auf die Städte und hoffte auf die Wirkung des Frauenstimmrechts 46 . Held selbst war i n seinem alten Wahlkreis Burglengenfeld/Schwandorf/Parsberg nicht mehr aufgestellt worden. Schlittenbauer berichtete an Held am 18. Dezember 1918, daß bei der dortigen Kandidatenaufstellung die Ansicht zum Ausdruck gekommen sei, daß Held „ i m Wahlkreis Burglengenfeld unter gar keinen Umständen" 4 7 mehr durch43 Nr. 301, 29.12. 1919. 44 RA, 1, 2. 1.1920. 45 M N N , 8, 7.1.1919. 46 Einen interessanten Einblick i n die W i r k i m g des Frauenstimmrechts zugunsten der B V P hatte die Regensburger Gemeindewahl gegeben: die B V P erhielt 3000 Stimmen von Männern u n d 7100 von Frauen, die MSPD erhielt 2200 Männerstimmen u n d 1450 Frauenstimmen (zit. nach M N N , 275, 15.7. 1919). I n den Städten arbeitete die B V P als Oppositionspartei, die „der Bevölkerung einen heillosen Schrecken vor dem Kommenden einjagt und sich dabei . . . als die sicherste Garantie gegen den Umsturz empfiehlt" (MNN, 8, 7.1.1919). 47 Brief v o m 18.12.1918. A H R .
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gehe. Er, Schlittenbauer, habe dabei den Antrag gestellt, daß Held i m Wahlkreis Kemnath aufgestellt werde; er habe den Antrag begründet mit „Deiner großen parlamentarischen Erfahrung, mit Deinen Verdiensten als Leiter der alten Partei, mit Deiner Gewandtheit in politischen Geschäften und Situationen und mit den großen Opfern, die Du persönlich für die Partei gebracht hast" 4 8 . Schlittenbauer selbst konnte es sich nicht erklären, warum gegen Held „ i n weiten Kreisen ein so großer Widerwille herrscht" 4 9 . Die Kriegspolitik Heids könne es nicht gewesen sein, denn er selbst sei ja auch auf dem Standpunkt dieser Politik gestanden und die ganze Landtagsfraktion. „Ich vermute, daß die Ministermacherei und die vorzeitige Indiskretion des ,Münchner Tagblatts' (die vorzeitig Held als Minister genannt hatte; das Blatt brachte dann auch einen Widerruf offensichtlich auf Intervention Heids, dem die vorzeitige Nennung peinlich gewesen war) am meisten dazu beigetragen hat, den Widerwillen hervorzurufen; desgleichen der schroffe Wechsel, den D u in der Frage der Parlamentarisierung in Deinem eigenen Wahlkreis draußen . . . vorgenommen hast. Wenigstens ist das gestern sehr deutlich zum Ausdruck gekommen." 50 Die konservativen Wähler hatten also Heids allzu rasche Neuorientierung nicht billigen wollen. Trotzdem wurde Held m i t der höchsten Stimmenzahl der Abgeordneten der BVP i n den Landtag gewählt. Er vertrat nun den Wahlkreis Kemnath/Vohenstrauß/Oberviechtach. Held selbst berichtete über den Wahlkampf und die Umstände der Kandidatur: „ A m liebsten hätte ich nicht kandidiert, ich tat es nur auf Drängen der Parteifreunde und u m nicht feige zu erscheinen . . . Die Wahlarbeit war sehr erschwert; die offizielle Hetze der sogenannten Regierung und ihrer Mitträger war überaus heftig 5 1 ." Die BVP schnitt aber bei der Wahl am 12. Januar 1919 trotzdem gut ab und blieb stärkste Partei i m neuen Landtag m i t 36,7 °/o der Stimmen. Zweitstärkste Partei wurden die Mehrheitssozialdemokraten m i t 33,9 %>. Auch der Bauernbund hatte mit 10,9 °/o stark zugenommen. Die USPD als Partei des Ministerpräsidenten kam nur auf 2,6 %. Die Liberalen verloren am stärksten. Die „Deutsche Volkspartei" erhielt 10,9 °/o und die nationalliberale Mittelpartei 3,7 °/o52. Das Wahlergebnis zeigte eine eindeutige Verschiebung der Stimmenverhältnisse zugunsten der Sozialdemokratie und des Bauernbundes. Beide hatten auf Kosten der B V P und der DVP Stimmen gewonnen.
48 Ebd. 49 Ebd. so Ebd. si Held am 14.1.1919 an seinen Bruder Philipp. A H R . 52 Angaben nach R. Ringelmann, Handbuch, S. 8.
4. Die Wahlen i m Januar 1919
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Die Zusammensetzung der BVP-Fraktion gegenüber der alten Zentrumsfraktion hatte sich stark verändert. Nur 20 Abgeordnete von 66 insgesamt hatten bereits der alten Zentrumsfraktion angehört 53 . Zwei Protestanten gehörten der neuen Fraktion an 5 4 . I n der Wahlperiode 1920/24 bestand die BVP-Fraktion nur mehr aus Katholiken. Die führenden Köpfe der alten Zentrumsfraktion waren außer Pichler und Kammerpräsident v. Fuchs i n der BVP-Fraktion wieder vertreten. Heim legte sein Landtagsmandat kurz nach der Wahl nieder, um sich ganz der Arbeit der Nationalversammlung i n Weimar widmen zu können. Die Fraktionsführung übernahm nun nicht wieder Held, sondern zunächst der Vertrauensmann Heims und Schlittenbauers, Heinrich Osel. Heids Stellung i n der Fraktion w a r durch das Ubergewicht der Gefolgsleute Heims zunächst geschwächt. Die bürgerlichen Parteien drängten nun auf die baldige Eröffnung des Landtags, sie betonten die Autonomie des Landtags gegenüber den Räten und waren sich zunächst darin einig, daß eine verfassungsmäßige Regierung gebildet werden müßte. Es fanden Koalitionsbesprechungen statt, aus denen sich eine mögliche Regierung aus Mehrheitssozialdemokraten, Liberalen und Bauernbund abzeichnete. Die BVP hielt sich zurück, sie wollte den Mehrheitssozialisten die Führung überlassen, die w o h l besser mit den Räten auskommen konnte als die BVP, die als eine auf Gegenrevolution sinnende Partei von den Räten bezeichnet wurde. Es fanden auch Koalitionsgespräche zwischen B V P und den anderen Parteien statt 5 5 . Noch am 20. Februar 1919 lehnte die BVP in einer öffentlichen Erklärimg „jede gegenrevolutionäre Bewegung ab" 5 6 . Als nach langem Tauziehen zwischen Räten und Landtag Ministerpräsident Eisner den Landtag am 21. Februar 1919 eröffnen wollte, wurde er auf dem Wege dazu vom Grafen Arco-Valley ermordet. Eine Stunde später kam es zu einem Attentat i m Landtag, dem der BVP-Abgeordnete Osel zum Opfer fiel. Der Landtag stob in der Panik fluchtartig auseinander, man mußte um sein Leben fürchten, „so daß eine Anzahl Abgeordneter teilweise ohne Hüte und Uberröcke durch das Hintertürchen das Haus" 5 7 verließen. Held selbst verließ fluchtartig München, so daß ihm der Landtagsdiener K a r l Kienast am 24.2.1919 schrieb: „Ich habe Ihren Hut und Mantel zu m i r in die Wohnung genommen und behalte sie, bis Sie weiteres veranlassen 58 ." 53 Amtliches Handbuch des Bayerischen Landtags, München 1920; verglichen m i t dem „Handbuch der K a m m e r der Abgeordneten des Bayerischen L a n d tags", München 1912. 54 Die L a n d w i r t e Jakob Ackermann und Johann Bär, ebd. 55 J. Reimann, a.a.O., S. 270. 56 RA, 93, 21. 2.1919. 57 Müller-Meiningen, „ A u s Bayerns schwersten Tagen", S. 127. 58 Brief v o m 24. 2.1919. A H R .
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X V I . Die B V P bis zu den Wahlen 1919
Schon am 14.1.1919 hatte er i m Hinblick auf den Zusammentritt des Landtags und bei den unsicheren Verhältnissen in München seinem Bruder geschrieben: „Recht wenig gemütlich w i r d es wohl auch im kommenden Landtag werden, da darf man sein Testament machen 59 ." Die Ereignisse in München und die Unsicherheit der Zukunft hatten Held so sehr getroffen, daß er einen Nervenzusammenbruch erlitt. Resignierend zog er sich für drei Monate nach Bald Nauheim und anschließend i n seine nassauische Heimat zurück. Die BVP-Führung wußte zunächst nicht, wo er sich aufhielt, man befürchtete, daß er als Geisel von den Räten verschleppt worden sei 60 .
59 Brief v o m 14.1. 1919. A H R . 60 Brief Eisenmanns am 14. 3.1919 an Held. A H R . Eisenmann hatte bereits am 30.1.1919 an Held geschrieben: „ U n d das Gesindel i n München! D u tust m i r leid, dort sein zu müssen." A H R .
X V I I . Das Zustandekommen der Regierung Hoffmann und die Haltung der B V P zu ihr 1. Die Bildung der Regierung Hoffmanns A n ein erneutes Zusammentreten des Landtages i n München war wegen der dortigen unsicheren Verhältnisse und der Drohungen der Räte nicht zu denken. A m 28. Februar 1919 hatte der Rätekongreß beschlossen, daß der Landtag vorerst vertagt bleibe. A m 1. März 1919 fand dann auf Anregung der bayerischen Vertreter i n der Weimarer Nationalversammlung eine interfraktionelle Besprechung der Landtagsparteien in Bamberg statt 1 . Man besprach die Bildung einer Koalitionsregierung, die, um dem Druck der Tyrannei der Räte i n München zu entgehen, außerhalb Münchens arbeiten sollte. Dorthin sollte dann auch der Landtag zusammengerufen werden. Die Verhandlungen der Führer der einzelnen Parteien wurden i n der Zeit vom 1. bis 5. März abwechselnd in Nürnberg und Bamberg geführt. Müller-Meiningen schildert die Verhandlungen und den Kampf zwischen Räten und Landtag, der vor allem durch das Paktieren bürgerlicher Kreise mit den Räten erschwert wurde. „Die Anschauungen Schlittenbauers über das Rätesystem erregten schon damals ziemliches Aufsehen, als er uns ein eingehendes Exposé darüber vorlas 2 ." Die Räte verlangten die Bildung eines rein sozialistischen Ministeriums. A m 4. März 1919 fand die entscheidende Sitzung über die Bildung eines Ministeriums und die Beratung eines Regierungsprogramms in der Redaktion der sozialdemokratischen „Tagespost" in Nürnberg statt. A m schwierigsten sollte sich die Wahl des Ministerpräsidenten herausstellen. „ W i r sahen den bisherigen Kultusminister Johannes Hoffmann als den einzig ernstlich in Betracht kommenden an. Er machte große Schwierigkeiten. Es war eine Situation, die des pikanten Beigeschmacks nicht entbehrte, daß ausgerechnet dieser von der BVP als reiner Gottseibeiuns verfluchte gottlose Mann, der die Klerikalen durch seine Schulpolitik bis aufs Blut gereizt hatte, von den Vertretern der Partei inständigst gebeten wurde, doch die Kandidatur als ,einzig Geeigneter' anzunehmen. Er hatte Vorbehalte genug, aber sein größter empfahl ihn am meisten. Er dürfe, so sagte er, unter keinen Umständen gezwungen werden, dem 1 Ringelmann, a.a.O., S. 21. 2 Müller-Meiningen, a.a.O., S. 147. 23
Keßler
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X V I I . Das Zustandekommen der Regierung Hoffmann
,Rätesystem' Konzessionen zu machen, die er als Demokrat nicht zu machen in der Lage sei. Dies war für uns, die sämtlichen bürgerlichen Parteien, bei der Wahl Hoffmanns ausschlaggebend3." Die BVP mußte, ob sie wollte oder nicht, Hoffmann unterstützen. Man befürchtete täglich den Ausbruch des Bürgerkrieges und der bereits angedrohten Räterepublik. U m dies zu vermeiden, mußte man die Mehrheitsdemokraten unterstützen, wo es nur ging und „wie ihr christliches Gewissen mit Rücksicht auf das Volksganze es nur zuließ" 4 . U m einen Bürgerkrieg zu vermeiden und w e i l ihr selbst jeder tatsächliche Einfluß trotz ihrer Stärke i m Landtag fehlte, erklärte die B V P ihr Einverständnis m i t der Bildung eines rein sozialistischen Ministeriums 5 . A m 17. März 1919 konnte der Landtag m i t Einverständnis des Rätekongresses wieder in München zusammentreten. Auf Vorschlag von Müller-Meiningen wurde Hoffmann zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Regierung bekam durch ein vom Landtag verabschiedetes Ermächtigungsgesetz außerordentliche Vollmachten. Durch „ein bis zur Selbstverleugnung gehendes Entgegenkommen" 6 der BVP hatte man Hoffmann i n dem Ermächtigungsgesetz außer der vollziehenden Gewalt auch noch die Legislative i n weitestgehendem Maße übertragen. Die BVP verzichtete auch darauf, für das A m t des 1. Landtagspräsidenten einen Abgeordneten aus ihrer Mitte vorzuschlagen. „Damit hat sie den letzten ihr möglichen Schritt getan, das Ihrige zur Entspannung und Erleichterung der schwer belasteten, hochernsten politischen Lage beizutragen . . . Ein Landtagspräsident aus unseren Reihen gegenüber einer Regierung, welche aus revolutionärer Umwälzung hervorgegangen ist, wäre ein Unding 7 ." Die BVP stimmte ferner, um alles, was sie irgendwie in den Geruch von Reaktionären bringen konnte, zu vermeiden, für das vorläufige Staatsgrundgesetz, für die Aufhebung des Adels und der Familienfideikommisse. Sie beteiligte sich an einem Ausschuß, der die Möglichkeiten einer Sozialisierung prüfen sollte. Dieser besondere Ausschuß nahm i n wenigen Sitzungen einen Kompromißantrag SchlittenbauerNeurath an, der bereits eine praktische Grundlage für die Durchführung der Sozialisierung schuf. Der Landtag vertagte sich zunächst, nicht ohne vorher gegen die unitaristischen Bestrebungen der Weimarer Verfassungskommission zu protestieren. A m 18. März 1919 billigte die Landesvorstandschaft der BVP das Verhalten der Fraktion 8 . Als der Landtag für den 8. A p r i l erneut 3
Müller-Meiningen, a.a.O., S. 147. Erklärung der B V P zum Ausbruch der Räterepublik. Abgedr. bei Franz W i l l i n g „Hitlerbewegung", S. 31. s Ringelmann, a.a.O., S. 22 und B K , 72, 13. 3.1919. β Ringelmann, a.a.O., S. 22. 7 B K , 77, 18. 3.1919. 8 B K , 78, 19. 3. 1919. 4
1. Die Bildung der Regierung Hoffmanns
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zu einer Sitzung nach München einberufen war, wurde i n München i n der Nacht vom 6. auf 7. A p r i l vom revolutionären Zentralrat der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte die Räterepublik ausgerufen. Das Ministerium Hoffmann wich nach Bamberg aus. Der Landtag folgte ihm bald nach. Für das Verhalten der BVP in der Zeit von der Wahl i m Januar bis zur Ausrufung der Räterepublik, das von vielen Seiten kritisiert wurde, lassen sich mehrere Gründe anführen. Zunächst aber war niemals die K r i t i k „derer, die nicht unter dem furchtbaren unmittelbaren Druck der Zustände i n München standen, leichter als damals" 9 . Auch die B V P war zunächst froh, daß man überhaupt eine rechtmäßige Regierung den Räten entgegenstellen konnte. So war man schon zu vielen Kompromissen bereit. Man hatte das Attentat auf Eisner scharf verurteilt und sich gegen den Vorwurf einer geplanten Konterrevolution gewehrt, indem man am 6. 4.1919 erklärte: „Die Landtagsfraktion stellt sich auf den Boden der republikanischen Staatsform und fordert die Parteivorstandschaft auf, alsbald i n einer Landesversammlung einen Beschluß der Gesamtpartei i m gleichen Sinne herbeizuführen 10 ." Die BVP wollte dadurch zu erkennen geben, daß ihr alles daran lag, weitere revolutionäre Erschütterungen zu vermeiden und eine Einheitsfront der Vernunft und Ordnung zu unterstützen, die Bayern aus dem Zustand der Anarchie zu erlösen und wieder Ruhe und Ordnung herstellen könnte. Der Landtag mußte sich die Existenzberechtigung gegen den Rätekongreß erst erkämpfen. Das Gespenst des Bürgerkrieges, des finanziellen Zusammenbruchs des Staates, die drohenden harten Friedensbedingungen mußte die B V P kompromißbereit machen. Außerdem war i m Reich selbst alles noch i m Fluß. I m nervös und überhastend arbeitenden Landtag wollte sich die B V P mit revolutionären Gesten wie dem Adelsgesetz u. a. auf den Boden der neuen Verhältnisse stellen und dem Ministerpräsidenten zur Zurückdämmung radikaler revolutionärer Kreise Konzessionen machen 11 . Man wollte sich auch auf den Boden der Volkssouveränität stellen. Außerdem war der B V P jegliche politische Bewegungsfreiheit genommen, weil man einerseits dem Ministerium Hoffmann, andererseits der von den Räten drohenden Gefahr wehr- und vielleicht auch willenlos gegenüberstand. Die resignierende Rede, die der Abgeordnete Speck am 16. 3.1919 i m Landtag hielt, zeigt dieses Dilemma sehr klar 1 2 . Der BVP-Abgeordnete Scharnagl 9
Müller-Meiningen, a.a.O., S. 158. 10 RA, 115, 6. 3.1919. 11 Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S . 2 4 f . 12 Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S. 7. Speck erhob gegen eine Reihe von Einzelbestimmungen des Entwurfs zum Staatsgrundgesetz schwere Bedenken. Wenn die B V P trotzdem zustimme, so 23*
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X V I I . Das Zustandekommen der Regierung Hoffmann
wies i n einer Versammlung i n München daraufhin, wie die B V P in der Hoffnung, den Wiederaufbau des staatlichen Lebens zu ermöglichen, sich zu Opfern und Zugeständnissen bereit gefunden habe, die in der parlamentarischen Geschichte ohne Vorbild seien 13 . Die realpolitische Erwägung des Zustandes, i n dem Bayern sich befand, die Erkenntnis, daß nur auf diesem Wege „zunächst einmal wieder der i n Sumpf geratene Karren des Staates flottgemacht und der Bürgerkrieg vermieden werden könne, und der Gedanke vor allem, daß es gelte, die uns teuren Kulturgüter vor noch größeren Gefahren zu bewahren" 1 4 , hatten die BVP veranlaßt, der Bildung eines rein sozialistischen Ministeriums am 17. März 1919 zuzustimmen. Bis Anfang Juni 1919 konnte die Sozialdemokratie so, obwohl sie nur ein Drittel der Mandate besaß, die Regierung allein führen, der souveräne Landtag blieb i n der Hauptsache ausgeschaltet. 2. Innerparteiliche Auseinandersetzungen i n der BVP — Sozialisierungsgedanken Die Haltung der B V P zu Hoffmann und den Fragen der Sozialisierung war auch durch innere Auseinandersetzungen bestimmt. Die BVP erlebte eine antikapitalistische Phase. Vor allem Schlittenbauer propagierte den Gedanken einer Sozialisierung innerhalb der Partei sehr stark und sympathisierte offen mit dem Rätegedanken. Die Wurzeln dieser Gedanken lagen bei ihm i n der Verdammimg des Kapitalismus, wie er i n seinen krassen Auswüchsen in der Berliner Kriegswirtschaftspolitik zum Ausdruck gekommen war. „Die Hauptursachen unseres Unglücks waren der Kapitalismus und die auf den Militarismus gestützte Machtpolitik Preußens 15 ." Der Kapitalismus, die freie und uneingeschränkte Herrschaft des Geldes, habe in die Politik des Deutschen Reiches jenen Imperialismus hineingetragen, der die ganze Welt habe wirtschaftlich beherrschen wollen. „Darin liegt der eigentliche und tiefste Grund des Weltkrieges 16 ." Die Kriegswirtschaft sei zentralisiert und kapitalisiert worden. Der Kapitalismus sei mit dem alten System zusammengebrochen. A m 26. März 1919 schrieb Schlittenbauer i m „Regensburger Anzeiger" einen A r t i k e l über die notwendige geschehe dies „unter dem Druck der überaus schwierigen politischen Lage, die es unbedingt erfordert, m i t möglichster Beschleunigung durch einen gesetzgeberischen A k t des Landtags eine Grundlage zu schaffen, die es ermöglicht, wieder zu geordneten Zuständen i n Bayern zu gelangen und Gesetz und Recht wieder zur Geltung zu bringen". — ebd. 13 B K , 80, 21. 3.1919. 14 B V P Abgeordneter Strug i n Sten. Ber. 1919, Bd. I, S. 141. is RA, 628, 13. 12.1918. Ebd.
2. Innerparteiliche Auseinandersetzungen i n der B V P
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„Sozialisierung". Es gehe ein „heißes Sehnen" durch die Massen, „gegenüber der Rücksichtslosigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wiederum die Interessen der Gesamtheit zur Geltung zu bringen . . . Der Zweck des Staates ist die möglichste Forderung der leiblichen und geistigen Wohlfahrt aller Staatsbürger. Aus diesem Zweck heraus leiten die Staatsregierungen ihre Berechtigung ab, die Volkswirtschaft zu sozialisieren, d. h. die Interessen der Gesamtheit gegen den schrankenlosen Individualismus wahrzunehmen" 1 7 . Schlittenbauers direkte Kontakte zum Sozialisierungskommissar der bayerischen Regierung, Dr. Otto Neurath, waren sehr eng. Beide waren zusammen i n einer Volksversammlung i n Regensburg für eine Sozialisierung eingetreten 18 . I n einem A r t i k e l „ B V P und Sozialismus" berichteten die „Münchner Neuesten Nachrichten" über eine Besprechung i m Handelsministerium, die sich mit der Sozialisierung der Presse beschäftigte: „Von erheblichem politischen Interesse war der Hinweis Dr. Neuraths, daß er m i t der Richtung Heim-Schlittenbauer zu einem gewissen Einverständnis gekommen sei, das er so formulierte: auf dem Lande das Genossenschaftswesen, i n den Städten der Sozialismus 19 ." I n einer Zuschrift an die „ M N N " bestritt Schlittenbauer die Existenz eines Sonderabkommens Neurath-Heim-Schlittenbauer. Heim habe sich mit der Sozialisierungsfrage i n Bayern bisher nicht beschäftigen können, da er bis vor kurzem in Weimar gewesen sei. „Ich weiß nicht einmal, ob er meine Auffassung in dieser Frage billigt 2 0 ." Schlittenbauers Auffassungen seien von der Fraktion gebilligt worden. „Sie laufen darauf hinaus, durch geeignete organisatorische Maßnahmen die ungeheuren Auswüchse des privaten Kapitalismus . . . dauernd unmöglich zu machen 21 ." I n einer Erklärung i m Sozialisierungsausschuß des Landtags wurde Schlittenbauer am 2. A p r i l 1919 etwas deutlicher: „ W i r erkennen dem Staate . . . das Recht zu, gewisse Gebiete der Volkswirtschaft, die sich für öffentlichen Betrieb eignen, selbst zu verwalten und auszunutzen 22 ." I n derselben Sitzung wurde der A n trag Schlittenbauers angenommen, i n dem vom Ministerium eine Ausarbeitung eines Planes über Bewirtschaftung bayerischer Kohle- und Wasserkräfte verlangt wurde 2 3 . I n diesen Sozialisierungsplänen Schlittenbauers sollte auch das Rätesystem eine gewisse Rolle spielen. Der BVP-Abgeordnete Wagner verlangte auch die Eingliederung des Mittel17 18 ι» 20 21 22 23
RA, 78, 19. 3.1919. M N N , 150, 1. 4.1919. M N N , 150, 1. 4.1919. M N N , 152, 2. 4.1919. Ebd. M N N , 153, 3. 4.1919. Ebd.
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standes, des Handwerks und Gewerbes i n das Rätesystem 24 . Die Haltung Schlittenbauers und seines Anhangs in der Partei in bezug auf die Sozialisierung und die Räte komplizierte die Stellung der B V P zum sozialistischen Ministerium und war in dem Kampf zwischen Rätekongreß und Landtag „verhängnisvoll für die weitere Entwicklung der Dinge" 2 5 . Vor allem deshalb, weil Dr. Neurath an die Stellung Schlittenbauers zu seinem Projekt „Hoffnungen hinsichtlich des Zentrums (BVP) und der ihm angeschlossenen Bauernschaft" knüpfte, wie er i m Ministerrat vom 27. 3.1919 betonte 26 . I n einer später veröffentlichten Broschüre „Bayerische Sozialisierungserfahrungen" vermerkte Neurath, daß sein Programm auch i n der BVP „ i n vielfacher Hinsicht Zustimmung" 2 7 fand. Schlittenbauer selbst nannte seinen alten Intimfreund Heim einen „Großkapitalisten" 2 8 . I m März 1919 wurde i m „Bayerischen Kurier" eine stark sozialisierungsfreundliche Artikelserie veröffentlicht 2 9 , und sogar der „Regensburger Anzeiger" selbst sprach von einem „wahren Sozialismus" 30 , den es zu verwirklichen gelte. „Bis zur Revolution war die sozialistische Idee so sehr m i t Parteipolitik vermengt . . . ; dieser Grenzpfahl ist jetzt gefallen und heute ist der Sozialismus eine Frage aller." M i t einer Erklärung vom 3. A p r i l 1919 umriß die BVPFraktion ihre Stellung zur Frage der Sozialisierung: 1.) Die BVP hält fest an der Unverletzlichkeit des Eigentums. 2.) Privates Vermögen darf nur durch Gesetz enteignet werden. 3.) Eine staatliche, bürokratische Zwangsvolkswirtschaft lehnen w i r grundsätzlich ab. 4.) W i r verurteilen jedoch auf das schärfste die rücksichtslose Ausnützung des Privatkapitals und der privaten Produktionsmittel i m rein egoistischen Sinn, die schrankenlose Ausbeutung des Volkes durch Wucher und Spekulanten. 5.) W i r erkennen dem Staate aus diesem Grunde das Recht zu: a) gewisse Gebiete der Volkswirtschaft, die sich für den staatlichen Betrieb eignen, selbst zu verwalten, wie Ausnützung der natürlichen Schätze des Bodens, Energiequellen, Verkehrswesen, b) die Tätigkeit der Volkswirtschaft auf den Gebieten wie . . . Nahrung, Wohnung, Kleidung planmäßig zu beeinflussen und zu kontrollieren 3 1 ." Diese „Sozialismusphase" der BVP währte nicht lange, sie ist aus dem Eindruck der unbeschränkten Vorherrschaft der sozialistischen Kräfte i n der bayerischen Politik von der Revolution bis zur Bildung des 24 25 26 27 28 29 so 31
Ebd. Müller-Meiningen, a.a.O., S. 155. GStAM, M A 99 513, S. 40. Zit. nach Müller-Meiningen, a.a.O., S. 162. Brief Marie Heids v o m 8. 4. 1919 an Heinrich Heild, A H R . B K , 73, 74, 75, v o m 14./15./16. 3.1919. RA, 166, 2. 4.1919. Zit. nach RA, 169, 4. 4. 1919.
2. Innerparteiliche Auseinandersetzungen i n der B V P
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bayerischen Koalitionsministeriums i m Juni 1919 zu erklären und war ein Teil der Konzessionspolitik der B V P aus Angst vor neuen drohenden revolutionären Wirren. Von liberaler Seite wurde der B V P wegen ihres Interesses für das Problem des Sozialismus der Vorwurf schwächlicher Kapitulation vor den bestehenden politischen Gewalten gemacht. Der „Fränkische Kurier", das Organ der „Deutschen Demokratischen Partei" sprach von einem „Verrat der B V P am Bürgertum" 3 2 . Die Stellung Heids zum Sozialismus ist nicht festzustellen, er war während dieser Zeit ja außerhalb Bayerns. Jedoch lastete er bereits am 23. Mai 1919 i n einem A r t i k e l „Der Frieden und die Sozialdemokratie" im „Regensburger Anzeiger" den Sozialdemokraten die Schuld am w i r t schaftlichen und militärischen Zusammenbruch an. Auch die Räterevolution, „der große Kladderadatsch" 33 liege i n „gerader Linie" des sozialdemokratischen Programms. Held rief zur Zusammenarbeit aller bürgerlichen Parteien auf. Er gab damit den Startschuß zur K r i t i k am sozialistischen Ministerium Hoffmann, die vor allem in der BVP-Presse geführt wurde, während die Fraktion selbst sich zurückhalten mußte. Die Pressekritik war schon i m Hinblick auf die Wähler notwendig. Die B V P fuhr in ihrer Haltung zu Hoffmann bis zu dessen Sturz also auf zwei Geleisen. Die K r i t i k an der Haltung der BVP zum Ministerium Hoffmann wurde aus der Wählerschaft immer stärker. „Unserer Wählerschaft erscheint es unbegreiflich, daß die große BVP sich derart i n den Hintergrund drängen läßt. Die Wählerschaft wünscht lebhaft ein schneidigeres Vorgehen, eine großzügigere Führung seitens der Parteileitung 3 4 ." Man war vor allem über den Sozialismus in der B V P verstimmt. Wofür hatte man denn die BVP, die sich den Wählern als antisozialistischer Ordnungsblock empfohlen hatte, gewählt, wenn diese jetzt nun selbst den Sozialismus so anpries. Dann hätte man ja gleich sozialdemokratisch wählen können. Die B V P hatte für die Öffentlichkeit nicht die richtigen Worte gefunden, u m ihr Verhalten zu erklären. Sie hatte all die radikalen Gesetze ohne entschiedene Erklärungen angenommen. Speck hatte nur schwache und matte Worte gefunden. Obwohl man in einer Zwangslage war, handelte man so, als sei man i n keiner Zwangslage 35 . A m 26. März 1919 schrieb Speck an Held, er solle bald wiederkommen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der BVP, Pechmann, der 32 Zit. nach RA, 166, 2. 4.1919. 33 RA, 246, 23. 5.1919. 34 Schreiben der Delegiertenversammlung Krumbach v o m 31.3.1919, A H R . 35 Der ehemalige Verkehrsminister Seidlein schrieb am 26. 3. 1919 an Held: „Die letzten Gründe für die P o l i t i k der B V P übersehe ich zur Zeit nicht und k a n n daher nicht beurteilen, ob m a n nicht der Sozialdemokratie zu weit entgegengekommen ist." A H R .
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als Protestant und ehemaliger Nationalliberaler zur Partei gestoßen war, trage sich mit Rücktrittsgedanken. Er sei mit „der ganzen Richtung" der BVP nicht mehr einverstanden. „Alle die Opfer, die ja auch uns nicht leicht geworden sind, widerstreben zu sehr seinem konservativen Empfinden 3 6 ." Held selbst, der die Politik der Fraktion nicht unmittelbar beeinflußt hatte und sie nur von Bad Nauheim beobachtete, billigte jedoch das Vorgehen der Fraktion. „Gefreut hat mich auch, daß w i r bei D i r volles Verständnis gefunden haben für unser Vorgehen. Angesichts der zahllosen Angriffe und der scharfen K r i t i k , die w i r von allen Seiten erfahren, tat solches Verständnis wohl", schrieb Speck an Held 3 7 . „ W i r bedauern alle sehr, daß w i r Dich voraussichtlich noch längere Zeit vermissen müssen. Die politischen Verhältnisse sind sehr wenig erfreulich . . . namentlich i n Nürnberg, sie legen uns aber eine Reserve auf, die jede energische Aktion unmöglich macht", schrieb Speck einen Monat später an Held 3 8 . Der Mangel an wirklichen Führungskräften in der neuen BVPFraktion war groß. Speck, Stang und Wohlmuth, die im wesentlichen die Fraktion zu leiten versuchten, konnten nicht überzeugen. Heim hielt sich i n dieser Zeit der Gefahr von der Partei, die er gegründet hatte, fern. Man verübelte ihm dies sehr. Es gingen Gerüchte, er sei i n der Schweiz oder nahe der Grenze 39 . „Eine Reihe von Kollegen sind m i t unserer derzeitigen Führung nicht einverstanden . . . W i r halten die Führung für lahm und schwach, keine Energie, kein Auftreten, gegen den Fanatiker Hoffmann. Unsere Führerpolitik ist diktiert von der Vorstellung: Wenn w i r nicht nachgeben, geht Hoff mann. Ein rein bürgerliches Ministerium können w i r nicht bilden", schrieb der junge Abgeordnete Probst am 28. 5.1919 an Held 4 0 . „Ich bin sehr unglücklich über diese Fraktionspolitik. W i r d es die Gesundheit erlauben, daß Herr Geheimrat baldigst kommen und den 1. Vorsitz und damit die Führung wieder übernehmen 41 ?" Erst Anfang Juni 1919 kam Held nach Bamberg 42 .
36 Speck am 26. 3.1919 an Held. A H R . 37 Ebd. 38 Brief Specks v o m 28. 4.1919, A H R . 39 H i e r l am 3. 5.1919 an Held, A H R . « AHR. 41 Ebd. 42 Giehrl am 14. 6.1919 an Held: „Freue mich herzlichst Dich i n Bamberg wieder begrüßen zu können. D u w i r s t i n allen Ausschüssen offene Sitze finden; w i r haben damals schon daran gedacht und für Dich einstweilen Leute genannt." A H R .
3. Die U m b i l d u n g der Regierung unter Beteiligung der B V P
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3. Die Umbildung der Regierung unter Beteiligung der BVP Die entscheidenden Verhandlungen über eine Erweiterung des rein sozialistischen Ministeriums durch Hereinnahme von bürgerlichen M i n i stern waren ohne Heids Beteiligung erfolgt. Von der BVP waren Speck als Finanzminister und Baron von Freyberg als Landwirtschaftsminister in das Kabinett eingetreten —, nur zwei Minister bei 66 Mandaten 43 . Auch darüber war man i n BVP-Wählerkreisen unzufrieden. Die BVP habe sich „über's Ohr hauen lassen. Wie man sich nur so wegwerfen kann, i n ein Ministerium einzutreten, in dem Schneppenhorst sitzt" 4 4 ! M i t der Niederschlagung der Räteherrschaft hatte sich aber auch eine Gewichtsverlagerung der politischen Kräfte in Bayern zugunsten der bürgerlichen Parteien ergeben. Hoffmann hatte eingesehen, daß die Sozialisten nicht mehr allein regieren konnten, so verhandelte er bereits seit Mitte Mai 1919 m i t den Fraktionsführern Speck von der BVP und Müller-Meiningen von der DVP über eine Umbildung des Kabinetts. Hoffmann wußte aber, daß die politische Situation noch kein reines bürgerliches Ministerium vertrug. So handelten Hoffmann, Speck und Müller-Meiningen das sogenannte „Bamberger Abkommen" aus, das die Grundlage für die Arbeit des neuen Ministeriums ergeben sollte 45 . Es war ein ungenügender Kompromiß für die BVP; in der Wirtschaftsund Sozialpolitik war von Gemeinwirtschaft und planmäßiger Kontrolle der Nahrungs-, Wohnungs- und Bekleidungswirtschaft die Rede. I n der Kulturpolitik konnte die B V P eine kleine Konzession den Liberalen und Sozialdemokraten abringen, nach der Konfessionsschulen oder Simultanschulen nach örtlichen Vereinbarungen möglich waren. I n der Verfassungspolitik legte man sich auf die Grundsätze der Republik fest 46 . Die Spannungen in der Koalition wurden später vor allem zwischen BVP und MSPD ausgetragen. Infolge der radikal antikatholischen Schulpolitik Hoffmanns kam es i m Herbst 1919 zu einer ernsthaften Regierungskrise. Auf einem Parteitag am 3. und 4. Juni in Nürnberg setzte sich die BVP m i t der neuen Situation auseinander. Vor allem Dr. Heim machte Bedenken geltend gegen den Eintritt der B V P in die Regierung i m gegenwärtigen Augenblick. Die schwierigsten Ministerien, denen unlösbare Aufgaben gestellt wären, seien von der B V P übernommen wor« BStZ, 138, 1. 6.1919. 44 H i e r l a m 7.6.1919 an Held. A H R . 45 Uber die Verhandlungen siehe Müller-Meiningen, a.a.O., S. 208 ff. 46 K . Schwend, Das Bamberger A b k o m m e n i n „Politische Zeitfragen", 2. Jg., Heft 1 u n d 2, v o m 1. u n d 15. Januar 1920. T e x t des Abkommens auch i n BStZ, 138, 1.6.1919.
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den 47 . Heim selbst hatte es i n den Koalitionsverhandlungen abgelehnt, in die Regierung einzutreten 48 . Schlittenbauer veteidigte gegen die K r i t i k Heims den Beschluß der Frakion, sich auf den Boden der Republik zu stellen mit den Hinweis, daß der gegen die BVP gehegte Verdacht einer gegenrevolutionären Bewegung jede vernünftige Zusammenarbeit mit den übrigen politischen Parteien unmöglich gemacht habe. „Die Idee einer Gegenrevolution müsse von jedem vernünftigen Politiker für vollständig absurd gehalten werden 4 9 ." Schlittenbauer verteidigte auch die Zustimmung der B V P zur Abschaffung des Adelstitels. Aus der Entschließung des Parteitags war eine K r i t i k am Verhalten der Fraktion herauszulesen: „Die Landesversammlung der B V P wünscht, daß die neue Koalitionsregierung baldmöglichst nach den Grundsätzen des Parlamentarismus umgestellt werde. Sie hätte es für besser gehalten, wenn vor dem Entschluß an der Regierung teilzunehmen, der Parteitag gehört worden wäre 5 0 ." Held selbst trat auf dem Parteitag nicht hervor. Ob er dort anwesend war, läßt sich nicht feststellen. Auf jeden Fall verteidigte er eine Woche später auf einer BVPVersammlung in Regensburg das Verhalten der Fraktion und die Teilnahme der BVP an der Regierung „trotz der offenkundigen unversöhnlichen Religionsgegnerschaft Hoffmanns" 5 1 . Selbst bei richtiger Einschätzung aller der schwerwiegenden Bedenken, die gegen den Eintritt der B V P i n die jetzige Koalitionsregierung sprachen, habe man sich der Überzeugung nicht verschließen können, daß dem Land Ruhe und Ordnung nur dann erhalten bleiben werde, wenn man die Einladung der sozialdemokratischen Regierung, ins Ministerium einzutreten, nicht in den Wind schlüge. Das neuerliche Vorgehen Hoffmanns bezeichnete Held als eine „unerhörte Herausforderung der bayerischen Katholiken" 5 2 . Hier gebe es für ihn keinen Kompromiß, denn hier handle es sich um eine grundsätzliche Frage. Die Koalitionsregierung sei ein erster Versuch zu einer neuen Entwicklung; mißlinge er, so sei das nicht die Schuld der BVP, die ihren guten Willen „bis zur Selbstverleugnung bewiesen" 53 habe.
47 B K , 157, 5. 6. 1919. 48 Müller-Meiningen, a.a.O., S. 209: „Eine Andeung Specks, auf den Posten des Landwirtschaftsministers Dr. H e i m zu präsentieren, stieß auf schwere Bedenken Hoffmanns." H e i m aber habe selbst solche unannehmbare Bedingungen gestellt, daß „auch die B V P Abstand nahm". 49 B K , 157, 5. 6.1919. so Ebd. 51 RA, 218, 14. 6. 1919. 52 Ebd. 53 Ebd.
3. Die U m b i l d u n g der Regierung unter Beteiligung der B V P
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Allerdings war es weniger der gute Wille der B V P für ihre Kompromißhaltung, sondern die ihr wirklich fehlende Macht, um den Lauf der Dinge zu ändern. Eine immer noch vorhandene panische Revolutionsfurcht hemmte ihre politische Bewegungsfreiheit. Auf der einen Seite, vor allem auf der Arbeiterseite, war es die Furcht vor einem Rückfall in die Reaktion, auf der anderen Seite, i m Bürgertum, war es die Angst vor neuen revolutionären Wirren, die das öffentliche politische K l i m a kennzeichneten. Die Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum waren auch nach der Niederschlagung der Räterepublik kaum gemildert worden. Ein kaum überwindbares Mißtrauen gegeneinander beherrschte beide Fronten. Durch die immer wiederholte Revolutionsdrohung war es Hoffmann gelungen, die BVP i n wichtigen Punkten an sein Programm zu ketten — und was für die B V P viel entscheidender war —, die übrige politische Rechte i n Opposition zu ihr zu bringen. Aus dieser Situation mußte die BVP bei dem ersten möglichen Anlaß wieder herauskommen. Es sollte ihr erst i m Frühjahr 1920 gelingen. Der Eindruck des „Bamberger Abkommens" bei der BVP-Wählerschaft, vor allem beim Klerus war ein katastrophales Versagen der BVP. Es waren Bestrebungen i m Gange, in Bayern eine neue „Katholische Partei" zu gründen 5 4 . Der Passauer Hochschulprofessor, der BVP-Abgeordnete Eggersdorfer, berichtete am 16. Juni 1919 an Held, daß Kardinal Faulhaber über das Verhalten der BVP sehr ungehalten sei und wörtlich geäußert habe: „Die Partei habe mit diesem Schritt das Vertrauen des Episkopates, des Klerus und der gläubigen Kreise verloren. Wenn sie sich, wie aus dem Wortlaut zu erkennen sei, für die Verfassung festgelegt habe, so habe sie als Vertreterin religiöser Interessen einfach aufgehört zu existieren . . . Lieber eine neue Revolution, einen neuen Bürgerkrieg als die Preisgabe von Grundsätzen 55 ." Die Beschwerden aus konservativ katholischen Kreisen richteten sich vor allem gegen das Nachgeben der Fraktion i n prinzipiellen Punkten, m i t denen sich die Fraktion an Hoffmann „verkauft habe" 5 6 . Unmut erregte auch die schwache Haltung und sozusagen das Ausschweigen der Fraktion gegenüber dem geradezu verheerenden Verordnungssystem Hoffmanns in kulturpolitischen Fragen. A m 1. August 1919 hatte Hof mann den Simultanschulerlaß herausgegeben, ohne daß sich die BVP dagegen in der Öffentlichkeit besonders gewehrt hätte. Daß sich die B V P derartige Schulverordnungen gefallen ließ, mußte ihr nicht nur bei den Geistlichen, sondern auch beim 54 Protokoll der BVP-Fraktionssitzung v o m 3.7.1919 i n Bamberg; angefertigt von Aloysia Eberle. A H R . 55 A H R . 56 Schreiben einer Geistlichen Konferenz i n 5 Dekanaten der Oberpfalz i n Neumarkt am 17.11.1919 an Held. A H R .
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gläubigen Bauernvolk allen Kredit verlieren lassen. Man verstand es nicht mehr, daß man Hoffmann auch als Kultusminister ohne jegliche Gegenkontrolle schalten und walten ließ. Trotzdem ist wohl der Standpunkt der Fraktion zu rechtfertigen. Pichler erkannte den entscheidenden Punkt, der w o h l auch Held bewegt haben mag. „Meines Erachtens darf sich die BVP jetzt nicht ausschließen, es handelt sich u m die grundlegende Arbeit für die Zukunft 5 7 ." Auch in den kulturpolitischen Zugeständnissen war die B V P von dem Gedanken ausgegangen, „daß w i r aus der schweren und tiefen Not von Volk und Vaterland die Folgerungen ziehen und die Notwendigkeit einer Mitarbeit erkennen müssen und diese Mitarbeit in der neuen Regierung nicht verweigern dürfen" 5 8 . Trotz der Zugeständnisse der BVP bis zur äußersten Grenze dessen, was die BVP noch mit ihrem kulturpolitischen Gewissen vereinbaren zu können geglaubt hatte, konnte der Fraktionssprecher Stang noch feststellen: „Immerhin freuen w i r uns auch der Erfolge, die w i r in einem nicht leichten Ringen mit den Bestrebungen von links noch errungen haben 59 ." Um noch Schlimmeres zu verhüten, mußte man sich an der Regierung beteiligen. Neben dem Eintreten für die kulturellen Güter, mußte die B V P auch die Aufgabe sehen, die Revolutionswirren i m Lande zu beendigen. Eine „Alles- oder Nichtspolitik" hätte auch auf dem Gebiet der religiösen Freiheit und der christlichen Schulpolitik die Katastrophe bringen müssen. Zudem hatte der Vertreter der Mehrheitssozialdemokraten, Saenger, i n der Aussprache zur Regierungsbildung am 2. Juni 1919 einen scharfen Trennungsstrich gegen die äußerste Linke gezogen. Die BVP konnte es auf einen Bruch der Koalition nicht ankommen lassen. Das hätte sicher neue revolutionäre Wirren zur Folge gehabt. Wie diese Angst noch i m September 1919 bei Held vorhanden war, zeigte sein Vorschlag, „den Landtag aus Gründen der Sicherheit nicht nach München, sondern nach Bamberg einzuberufen" 60 . Ein Bruch der Koalition hätte unvermeidbar auch Neuwahlen zur Folge gehabt, von denen die BVP eine schwere Niederlage zu dieser Zeit zu befürchten hatte. Der Landtag mußte erst noch ein neues Wahlgesetz schaffen 61 . 57 Pichler am 23. 9.1919 an Held. A H R . H e l d w a r i m Herbst 1919 erneut erkrankt. Pichler gab i h m i m selben Brief den Rat: „ D u mußt weniger rauchen u n d statt des Tarocks 2 Stunden täglich Spazierengehen." 58 Stang i n Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S. 147. 59 Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S. 147. 60 Speck bringt diesen Vorschlag Heids am 20. 9.1919 i m Ministerrat zur Diskussion. G S t A M : M A 99 514, Sitzung v o m 20.9.1919, Nr. 65. Speck begründete dies: „ I c h darf bemerken, daß der Herr Kollege Held durch die V o r gänge i m Februar i n den Nerven vollkommen zusammengebrochen ist." 61 Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S. 149 ff.
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Außerdem war die wichtigste Aufgabe des bestehenden Landtages noch nicht erfüllt: die Schaffung einer neuen bayerischen Verfassung, die das vorläufige Staatsgrundgesetz vom 17. März 1919 ablösen sollte. Held war gerade rechtzeitig aus seinem dreimonatigen Krankheitsurlaub nach Bamberg zurückgekommen, um die Fraktionsführung zu übernehmen und i m Verfassungsausschuß die B V P als Referent zu vertreten.
X V I I L Die Beratung der bayerischen Verfassung i n Bamberg A m 16. Juni 1919 begann der Verfassungsausschuß i n Bamberg die Beratung einer neuen bayerischen Verfassung. Die äußeren Umstände der Beratungen waren wenig erfreulich. Held beklagte sich gleich zu Anfang über die Raumverhältnisse. Die Ausschußmitglieder müßten i n dem engen Raum „wie die Häringe" 1 aufeinandersitzen. A m 28. Mai 1919 hatte die Regierung dem Landtag einen Verfassungsentwurf unterbreitet, der vor allem von Ministerialrat Dr. von Graßmann und dem Würzburger Staatsrechtler Prof. von Piloty ausgearbeitet worden war. Zwischen diesen beiden und Held wurde die Diskussion i m Verfassungsausschuß i m wesentlichen geführt. Vorsitzender des Ausschusses war der Sozialdemokrat Süßheim. Bayern hatte seine Verfassungberatungen erst sehr spät begonnen i m Verhältnis zu den anderen deutschen Staaten. Der Grund lag in den revolutionären Wirren, die sich den Attentaten vom 21. Februar 1919 anschlossen, und vor allem in dem Ausbruch der Räterepublik, die die notwendigen Beratungen des Landtags zunächst verhindert hatten. Inzwischen waren aber auch die Verfassungsberatungen der deutschen Nationalversammlung i n Weimar so weit fortgeschritten, daß auch für Bayern erkennbar wurde, inwieweit und auf welchen Gebieten Bayern noch unabhängig vom Reich seine Verfassung gestalten konnte. I n Weimar hatten sich inzwischen schon starke Tendenzen zum Zentralismus und Reichsunitarismus als Grundlinien herausgestellt. Man war dabei, die Gesetzgebungskompetenz des Reiches ganz außerordentlich zu erweitern auf Gebiete, deren rechtliche Ordnung bisher den Einzelstaaten vorbehalten war. Bayerns Reservatrechte schienen restlos verlorengegangen und seine Hoheitsrechte auf ein Minimum eingeschränkt zu werden. Die Normativbestimmungen des Artikels 17 der Reichsverfassung hatten dem bayerischen Verfassungsausschuß bereits alle wesentlichen Bestimmungen über den politischen Aufbau Bayerns vorweggenommen. Die Republik war als Staatsform festgelegt, ebenso das parlamentarische Regierungssystem. So konnte sich der bayerische Verfassungsausschuß nur in dem Rahmen bewegen, den die Reichsverfassung ihm noch für die Regelung der eigenen Angelegenheiten ließ. Eine entsprechende rechtzeitige Gegenwehr Bayerns war durch die Revolutionswirren unmöglich geworden und hatte durch die ι Sten. Ber. 1919, Beil. Bd. 2, Beil. 324, S. 87.
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schwache Haltung Hoffmanns in diesen Fragen auch kaum stattgefunden. Erst später, nachdem die Tatsachen i n Weimar bereits geschaffen waren, hat auch die B V P gemerkt, was i n den entscheidenden Monaten des Frühjahrs und Sommers 1919 i n diesem Bereich von Bayern aus versäumt worden war. Ihre Gegenwehr kam zu spät und wurde schließlich zu unaufhebbaren Ressentiments gegen die neue deutsche Verfassung, die Bayern völlig mediatisierte. Doch zunächst suchte man sich i n Bayern selbst verfassungsrechtlich i m Rahmen der bereits abzusehenden verbleibenden Kompetenzen einzurichten. Die einleitende K r i t i k Heids an dem Verfassungsentwurf konzentrierte sich vor allem auf kirchen- und schulpolitische Fragen. Der Entwurf enthielt für ihn die Gefahr, daß i n Bayern ein „rein staatliches Kulturmonopol geschaffen werden" 2 sollte, geplant von begeisterten Anhängern der Staatskultur. Held stand nach altem konservativem Konzept nicht auf dem Standpunkt, daß die Förderung der K u l t u r einzig Sache des Staates sei, und daß alle anderen K u l t u r faktoren, besonders die Kirche, ausgeschlossen werden sollten. Nach dem vorliegenden Entwurf würde ein reines „Zwangsstaatsschulmonopol" 3 geschaffen. „Ich kann das aber nicht mit dem Prinzip der Demokratie und der Freiheit vereinbaren, das wäre Staatszwang, Staatstyrannei, die im Freistaat unerträglich wäre 4 ." Das war für ihn eine Sünde wider den Geist der Demokratie. „ W i r wollen nicht und lehnen es ab, durch die Verfassung eine Staatsomnipotenz bis i n die Herzen und Gemüter zu schaffen 5 ." I m positiven Sinn regte Held die Schaffung eines Staatspräsidenten und die Einrichtung eines ständigen Landtagsausschusses an. Gerade für die Repräsentation des Bereiches der Selbständigkeit, der Bayern noch vom Reich belassen werden sollte, war es für ihn von allergrößter Bedeutung, „wenn w i r einen Staatspräsidenten hätten" 6 . Dabei war es zunächst von untergeordneter Bedeutung, ob man ihn in der Form eines selbständigen Staatspräsidenten oder bloß i n der Form des qualifizierten Ministerpräsidenten schuf. Damit waren von Held die Positionen abgesteckt, in denen sich die weitere Diskussion i m Verfassungsausschuß vollzog: Abwehr eines kulturellen Staatsmonopols und die Schaffung einer bayerischen Staatsspitze, die den Rest bayerischer Souveränität symbolisieren sollte. Die BVP hatte jedoch nicht die Mehrheit; sie mußte auch i n diesen Fragen zu Kompromissen bereit sein. Die Mehrheit i m Ausschuß war liberal-sozialistisch; so mußte die BVP vor 2 3 4 s β
Sten. Ber. 1919, Beü. Bd. 2, Beü. 324, S. 87. Ebd. Ebd. a.a.O., S. 89. a.a.O., S. 88.
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allem auf dem Weg des Kompromisses das Optimale ihrer eigenen Wünsche durchzubringen versuchen. Die historischen Rechte der Kirche sollten so weit als möglich erhalten werden. Es hatte sich jedoch sofort gezeigt, daß i n der Frage des zukünftigen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche prinzipielle Gegensätze zwischen B V P und der liberal-sozialistischen Mehrheit i m Ausschuß vorhanden waren, so daß ihre endgültige Erörterung zunächst auf die zweite Lesung verschoben wurde. U m so mehr versuchte Held in der 1. Lesung der Stellung des Landtages innerhalb der Verfassung und die Schaffung eines Staatspräsidenten nach den Vorstellungen der BVP durchzubringen. Die Feststellung des liberalen Abgeordneten Piloty: „Die Monarchie erscheint für uns alle als eine erledigte Staatsform. Einigkeit scheint i m bayerischen Volke jetzt darüber zu bestehen, daß Bayern eine Republik sei" 7 , fand auch von der BVP keinen Widerspruch. Die Stellung des Landtags gegenüber Regierung und schwankender Volksmeinung wollte Held so stark wie nur möglich machen. Er ging von der richtigen Annahme aus, daß i n Bayern keine Partei i n absehbarer Zeit eine absolute Mehrheit bekommen werde und daß sich deshalb „die ganze Politik . . . auf die Kompromisse zwischen den Parteien" 8 würden aufbauen müssen. Die Stellung des Landtags i n der Verfassung sollte deshalb so fest ausgebaut werden, daß er „unabhängig ist von Strömungen und Gärungen" 9 . Die Möglichkeit der Auflösung des Landtags durch Volksentscheid mußte deshalb besonders erschwert werden. Der Ausschuß hat das Recht der Volksentscheidungen schärfer umgrenzt und mit größeren Garantien für die selbständige Entscheidung des Landtags umgeben, als es i n der Regierungsvorlage der Fall war. So nahm der Ausschuß an den Vorschlägen der Regierung die Änderung vor, daß die Auflösung des Landtags durch Volksabstimmung erschwert wurde (§ 30 Abs. IV). Das in der Regierungsvorlage vorgesehene Recht des Landtags, selbst eine Volksabstimmung über die von ihm beschlossenen Gesetze durchzuführen, wurde beseitigt. Held ahnte nicht, daß es vier Jahre später genau die BVP war, die versuchte, mittels eines Volksentscheids die starke Stellung des Landtags zu brechen und seine Auflösung zu erleichtern. I m Jahre 1919 war Held v o l l Skepsis gegen eine übergroße Demokratisierung als alter Parlamentsroutinier mußte er „ i n erster Linie an die praktische Führung der Politik denken" 1 0 . Das Volk werde nicht in der Lage sein,
7 a.a.O., S. 92. « a.a.O., S. 137. 9 a.a.O., S. 137. 10 a.a.O., S. 138.
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seinen Willen als Mehrheitswillen i n Erscheinung zu bringen. Held wollte einen starken Landtag, der aus seiner Mitte die Regierung stellte und die ständige Kontrolle über sie behielt. Er trat deshalb für die Schaffung eines „Ständigen Ausschusses" des Landtags ein, der während der langtagslosen Zeit ständig die Regierung kontrollieren und beaufsichtigen konnte. „ W i r wollen ständig auch als Landtag an der Regierung teilnehmen, das ist doch die Idee des parlamentarischen Systems 11 ." Die bayerische Verfassung gab schließlich dem Landtag eine unverhältnismäßig starke Stellung gegenüber der Regierung. Das Ministerium war dem Landtag nicht gleichgeordnet, sondern untergeordnet. Der Landtag besaß nicht nur die gesetzliche, sondern auch die ausübende Gewalt, und ihm stand überhaupt „die Ausübung der Staatsgewalt fast ungeschmälert" zu, wie Held selbst die Verfassung kommentierte 1 2 . Das Ministerium hatte kein Recht des Einspruches gegen Landtagsbeschlüsse, auch kein Recht, den Landtag zu einer Berichtigung des beschlossenen Gesetzestextes zu veranlassen. Die Exekutive wurde dadurch fast bis zur Bewegungsunfähigkeit von der Legislative abhängig, sie konnte keinen Schritt tun, ohne sich vorher die volle Zustimmung der Koalitionsparteien gesichert zu haben. Das hat sich in der bayerischen Politik zumindest bis zur Regierung Held 1924 als ziemlich verhängnisvoll erwiesen. Die Regierung kam so oft in sehr schwierige Situationen. Alle möglichen Kreise versuchten „hineinzuregieren"; es bildeten sich Nebenregierungen. Und schließlich war es wieder die BVP, die 1923 diese „Diktatur des Parlaments" mittels eines erleichterten Volksentscheides abschaffen wollte. Was man zunächst wollte, war der Ausbau der Rechte des Landtags gegenüber der Regierung; und insofern war man durchaus noch dem parlamentarischen Denken aus der konstitutionell-monarchischen Zeit verhaftet, i n der der Landtag noch einem politisch möglichst neutralen Beamtenministerium gegenüberstand, das sich aber auf den Willen der monarchischen Spitze stützen konnte und so sich oft noch des Drucks der Volksvertretung hatte erwehren können. Durch die Revolution war aber dieses verfassungsrechtliche Regulativ entfallen. Die BVP war 1919 noch der Vorstellung verhaftet, daß auch i n Zukunft der Landtag einer Regierung gegenüberstehen werde, die möglichst als Beamtenministerium das Vollzugsorgan des politischen Willens des Parlaments sein sollte. Die Praxis und das Verhalten der BVP in den Regierungsbildungen bis 1924 bestätigen diese Ansicht. Das echte demokratische Denken und die Vorstellung einer notwendigen balance of power zwischen Exekutive und Legislative waren 1919 bei Held und der B V P noch nicht vorhanden. Man wollte vom n a.a.O., S. 203. ι 2 H. Held, „Die Verfassung des Freistaates Bayern." 2
eler
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Parlament aus mittels der Regierung herrschen. Daß sich aber bei dem ständigen Zwang zu Koalitionskompromissen auch der Landtag nicht als regierungsfähig erweisen würde, hatte man 1919 zu wenig bedacht. 1. Ein bayerischer Staatspräsident Eine Stärkung der Exekutive hätte nach den eigentlichen Verfassungsplänen Heids auch die angestrebte Institution des Staatspräsidenten nicht bedeuten sollen, die Held so hartnäckig i n den Diskussionen des Ausschusses forderte. Vielmehr sollte der Staatspräsident eine verfassungsrechtliche Komponente gegenüber dem Reich sein. Trotz der Reichsverfassung oder wenigstens i m Rahmen derselben, sollte damit nach außen zum Ausdruck kommen, daß Bayern immer noch an seiner Selbständigkeit festhielt. „Der Rest von Selbständigkeit oder Souveränität, der Bayern nach der Reichsverfassung noch verbleibt, sollte uns veranlassen, einen Präsidenten zu stellen, schon deshalb, weil er gerade diese Selbständigkeit repräsentieren würde 1 3 ." Das bayerische Souveränitätsdenken und -bemühen, das durch die Weimarer Verfassung fast jede Grundlage verloren hatte, kam bei Held immer wieder klar zum Ausdruck. Was die Reichsverfassung noch an M i n i m u m gelassen hatte, sollte auf jeden Fall festgehalten, stabilisiert und nach außenhin dokumentiert werden. „ W i r betrachten uns noch innerhalb des uns gelassenen Rahmens als souveränen Staat und treten als solcher auf 1 4 ." Aus dieser dogmatisch festgehaltenen Meinung, die der eigentlichen Grundlage jedoch entbehrt, und der sich daraus ergebenden Trotzhaltung entwickelten sich dann auch die schweren Konflikte zwischen Bayern und Reich in den folgenden Jahren. Die enttäuschende Entwicklung der Reichsverfassung war für Held gerade die entscheidende Veranlassung, noch den letzten Rest der Selbständigkeit, die Bayern geblieben war, so zusammenzuhalten, daß er trotzdem noch auf die Dauer für Bayern praktische Bedeutung haben konnte. Auf diesem Boden und von diesem Gedankenkreis aus setzten dann später die Bemühungen Heids zur Rückeroberung bayerischer Souveränitätsrechte i n der 1923 einsetzenden und von Bayern aus betriebenen Diskussion u m die Reform der Reichsverfassung ein. Held dachte sich jetzt 1919 den Staatspräsidenten als „Repräsentanten des Staates, als Vertreter des Staates gegenüber den Einzelstaaten und dem Reiche . . . mit der Befugnis, Gesetze zu unterschreiben und zu publizieren, Staatsverträge abzuschließen, Begnadigungen zu treffen . . . als Organ, das den Landtag einzuberufen hat und das namentlich dann, wenn Lücken entstehen zwischen Landtag und Ministerium, hier seine Befugnisse 13 a.a.O., S. 173. i l a.a.O., S. 173.
2. Kulturpolitische Fragen; das Verhältnis Staat u n d Kirche
371
zu erhalten hat" 1 5 . Württemberg und Baden hatten bereits einen solchen Staatspräsidenten, der zugleich Ministerpräsident der Funktion nach war. Held wollte jedoch einen eigenen Staatspräsidenten neben das Gesamtministerium gestellt wissen. Dafür waren aber die bayerischen Liberalen und Sozialisten 1919 nicht zu gewinnen. Piloty lehnte diesen Plan Heids ab, weil er zu sehr „nach Monarchie rieche" 16 . Der Sozialdemokrat Saenger sprach ebenfalls dagegen; ein Staatspräsident könne nur ein „Störenfried oder eine Puppe" 1 7 sein. Der „Staatspräsident" konnte also nicht geschaffen werden, die A n regung Heids wurde i n der 2. Lesung nicht weiter verfolgt, obwohl die Reichsverfassung dem Staatspräsidenten nicht im Wege gestanden wäre. 2. Kulturpolitische Fragen; das Verhältnis Staat und Kirche I n der 2. Lesung des Verfassungsentwurfs ging es vor allem um das Verhältnis von Kirche und Staat. Held betonte den Schutz des Konkordates als Verfassungsgrundsatz, der die Revolution überlebt habe 18 . Ein Staatsvertrag, also ein zweiseitiger Willensakt, könne nicht einseitig gebrochen werden. Außerdem müsse die Kirche prinzipiell die Staatsaufsicht verwerfen. Dieser Auffassung widersprach der Sozialdemokrat Ackermann: „ W i r regeln die Verhältnisse der Kirche innerhalb der Verfassung als souveränes Volk und auf dem Grunde der Rechte, die uns die Revolution gebracht hat 1 9 ." Dem stellte Held seine alte grundsätzliche Meinung gegenüber, „daß die Kirche als societas perfecta unter keinen Umständen zugeben kann, daß der Staat von sich aus ihr gegenüber bezüglich ihrer inneren Organisation und Verwaltung Rechte i n Anspruch n i m m t " 2 0 . I n einer Reihe von Abänderungsanträgen zur Regierungsvorlage suchte Held die Position der Kirche zu verbessern 21 und in der religiösen Tendenz zu erweitern. Zu dem endgültigen Text der Verfassung i n A r t i k e l 17, Abs. I, wie er schon in der Regierungsvorlage konzipiert war und dann auch von der Mehrheit des Ausschusses angenommen wurde: „Jedermann ist volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet", hatte Held den erweiternden Antrag gestellt: is 16 π is 19 so 2i 2
a.a.O., S. 177. a.a.O., S. 176. a.a.O., S. 178 f. a.a.O., S. 303 f. a.a.O., S. 339. a.a.O., S. 352. Die Anträge Heids befinden sich i n G S t A M : M A 102 010.
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„Die Religionsdiener werden in der Ausübung ihres Amtes geschützt. Gottesdienstliche Gebäude und Einrichtungen genießen auch fernerhin den Schutz des Staates. Der Sonntag und die anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung gesetzlich geschützt... Den Angehörigen des Heeres, den Insassen der Krankenhäuser, Strafanstalten und anderen öffentlichen Anstalten ist die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu geben 22 ." Der Ausschuß lehnte diese Anträge Heids ab. Heftig umstritten und vor allem vom Klerus als schwerer Schlag empfunden wurde die Bestimmung des § 17, Abs. I I I der Verfassung: „Der Austritt aus einer Religionsgesellschaft kann mündlich oder schriftlich bei dem Standesamte des Wohnsitzes oder ständigen Aufenthaltsortes erklärt werden." Dagegen hatte die B V P verlangt, daß der Austritt aus der Kirche „durch mündliche oder schriftliche Erklärung beim zuständigen Religionsdiener" 2 3 zu erfolgen habe. Die entsprechenden Anträge Heids auf Zulässigkeit der Errichtung von Privatschulen aller Stufen und das Recht der Erziehungsberechtigten auf entsprechenden Einfluß auf die Berufung und Abberufung der Lehrer wurden abgelehnt. Außerdem w u r den die Forderungen Heids, wonach Volks- und Fortbildungsschulen i n der Regel Konfessionsschulen sein sollten und der Religionsunterricht Pflichtfach an allen Schulen werden sollte, in den Verfassungstext nicht aufgenommen. Schon die präjudizierenden Bestimmungen der Reichsverfassung hatten sie unmöglich gemacht. Die Erbitterung über die Ablehnung der verfassungsrechtlichen Verankerung solch substantieller Forderungen der Katholiken war verständlich. Die „Revolutionsverfassung" blieb ihnen suspekt. A m 5. August 1919 beendete der Verfassungsausschuß seine Arbeit, am 12. August nahm Held i m Plenum zum Entwurf des Ausschusses Stellung 2 4 . M i t der Verabschiedung der neuen Verfassung sollten neue staatsrechtliche Verhältnisse geschaffen werden. „Wenn das geschehen soll, müssen w i r auf den Boden der gegebenen Tatsachen treten, der Tatsachen, die durch die Revolution geschaffen worden sind. W i r treten auf diesen Boden, ohne uns damit i n eine Beurteilung dieser Tatsachen selbst einzulassen. Es kann also aus unserer Stellungnahme kein Schluß auf unsere Beurteilung dieser Tatsachen abgeleitet werden 2 5 ." Ziel der Verfassung sei es, „ i n Bayern wieder Rechtssicherheit zu schaffen und die öffentliche Ordnung wieder herzustellen". Die weiteren Ausführungen Heids wurden zu einer Klage über die nahezu vollständige Unitarisierung der ganzen staatsrechtlichen Verhältnisse i m Reich. „Es ist beklagens22 23 24 25
Ebd. Ebd. Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S. 351 ff. Ebd.
2. Kulturpolitische Fragen; das Verhältnis Staat u n d Kirche
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wert, daß Bayern seine Hoheitsrechte darangeben mußte, beklagenswert. daß es seine alten wohlbegründeten Reservatrechte aufgeben mußte 2 6 ." Nun dirigiere und reglementiere ein Zentralpunkt alles. Für das Eigenleben der Stämme bleibe kein Platz mehr. „ W i r sind machtlos den Gewaltverhältnissen gegenüber, die über uns gekommen sind 2 7 ." Seit dem Erlaß der Verfassung des Deutschen Reiches hatte Bayern für Held aufgehört, ein selbständiger Staat i m alten Sinne innerhalb des Reiches zu sein. Es war i m wesentlichen auf eine Stellung eines in bestimmten Grenzen autonomen Landes herabgedrückt worden. Auch in den Grundrechten war die Reichskompetenz erweitert worden. I m Verhältnis zwischen Staat und Kirchen hätte Bayern keine Möglichkeit gehabt, nach eigenem Ermessen und eigenem Bedürfnis darüber Anordnung zu treffen. „Unsere Anschauung über das Verhältnis von Staat und Kirche, von Staat und Schule ist eine grundsätzlich andere, als es in der Reichsverfassung zum Ausdruck gekommen ist 2 8 ." Durch die Reichsgesetzgebung waren dem bayerischen Gesetzgeber Schranken gezogen. Er mußte sich damit begnügen, Ergänzungen, die mehr die Natur von Ausführungsbestimmungen der Reichsverfassung hatten, vorzunehmen. I m übrigen waren ihm die Hände gebunden. Die schwache Haltung der Regierung Hoffmann war nicht unschuldig. Der ehemalige kgl. Verkehrsminister Seidlein sprach hier Heids Meinung aus: „Sie haben recht, es herrscht ein blutiger Dilletantismus . . . soweit hat die Reichsleitung Grund zum Zugriff: Bayern ist . . . überhaupt zu eigener Geschäftsführung unfähig 2 9 ." Die bayerische Verfassung war auch für Held ein „Kompromiß" 3 0 . Sie konnte ihn nicht voll befriedigen. Man mußte das Werk mit der Sozialdemokratie gemeinsam schaffen. BVP und Sozialisten waren in ihren Grundanschauungen über das Wesen des Staates weit auseinander gegangen. Es war aber trotzdem gelungen, einen Kompromiß zustande zu bringen. Die neue Verfassung setzte eine gewisse politische Reife des Volkes voraus. Held war sich klar darüber: „Es w i r d auch bei uns zunächst mehr oder weniger ein Experiment sein, was hier eingeführt werden soll 3 1 ." Er selbst stellte sich auf den Boden der neuen Verfassung und hat sich bis 1933 gegen jeden gewaltsamen, unrechtmäßigen Umsturz von rechts oder links gewehrt. Das Schloß nicht aus, daß die B V P 1923/24 26 27 28 29 30 31
a.a.O., S. 353. Ebd. a.a.O., S. 353. Seidlein am 24. 9.1919 an Held, A H R . Ebd. a.a.O., S. 354.
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X V I I I . Die Beratung der bayerischen Verfassung i n Bamberg
versuchte, diese Verfassung auf den von ihr vorgeschriebenen Weg zu korrigieren. Held selbst hat die bayerische Verfassung m i t einer kommentierenden Einleitung versehen 1919 als Broschüre herausgegeben 32 .
32
H. Held: „Die Verfassung des Freistaates Bayern", München 1919.
X I X . Die Regierung Hoffmann bis zu ihrem Sturz i m Frühjahr 1920 I n den Verfassungsberatungen war ein Kompromiß m i t den Sozialdemokraten zu Ungunsten der B V P erzielt worden. Die BVP geriet deshalb in die K r i t i k vor allem des Klerus, weil sie fast restlos das Hoffmannsche Schulprogramm angenommen hatte bzw. unter dem Druck der Verhältnisse annehmen mußte. I n der Frage des Lehrergesetzes schien es die BVP zunächst auf einen Bruch der Koalition ankommen lassen zu wollen. Was sie in der Verfassung selbst nicht hatte erreichen können, glaubte sie jetzt m i t aller Kraft durchsetzen zu müssen. 1. Das bayerische Lehrergesetz Seit Verabschiedung des Bayerischen Beamtengesetzes vom 16. 8.1908 war die Schaffung eines Lehrergesetzes eine unaufschiebbare Forderung. Noch am 2. August 1918 hatte die alte Regierung den Entwurf eines Volksschullehrer- und Schulbedarfsgesetzes vorgelegt. A m 1. Juni 1919 legte Hoffmann einen neuen Entwurf vor. I m Lehrergesetzausschuß wurde „ein scharfer Kampf zwischen Weltanschauungen ausgefochten" 1 . Den kulturellen Forderungen der B V P blieb i n den Ausschußsitzungen jeglicher Erfolg einer liberal sozialistischen Mehrheit gegenüber versagt. Die BVP hatte i m wesentlichen folgende Forderungen erhoben: Einfluß der Erziehungsberechtigten auf Abberufung des Lehrers bei Verletzung von Glaube und Sitte. Das Recht, das früher der geistlichen Schulaufsicht oblag, sollte nach diesem Antrag den Erziehungsberechtigten übertragen werden. Der Antrag wurde abgelehnt. Der Antrag auf Sicherung der Konfessionsschule für konfessionelle Minderheiten wurde m i t Hilfe des Bauernbundes abgelehnt. Außerdem waren die Lehrer nicht mehr durch Verfassungsgesetz verpflichtet, den Religionsunterricht an öffentlichen Volksschulen zu erteilen. Es mußte also eine Sicherung geschaffen werden, u m i m Falle der Verwaisung des Religionsunterrichts M i t t e l für die Anstellung hauptamtlicher Religionslehrer in größeren Städten zu haben. Die B V P stellte einen da-
1 B V P - M d L Hofmann über das Zustandekommen des Lehrergesetzes B K , 252, 8. 9.1919.
in
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X I X . Die Regierung Hoffmann bis zu ihrem Sturz
hingehenden Antrag und verband mit dieser Forderung zugleich die Kabinettsfrage. Es war eine kritische Situation am 13. August. Die Mehrheitssozialdemokraten erklärten ebenfalls, aus der Koalition austreten zu wollen. Die notwendige Folgerung wäre die Selbstauflösung des Landtags und der Appell an das Volk gewesen. Regierung und Lehrergesetz standen vor dem Fall, „Bayern vor einem Chaos" 2 . Man sah die Räteherrschaft wieder in greifbare Nähe gerückt. Ein Bruch der Koalition hätte i n unabsehbare politische Wirren ausarten müssen. Vor allem für die größeren Städte fürchtete man das Schlimmste. Schließlich siegte doch die Vernunft. Der Antrag der BVP, die damit die Kabinettsfrage verbunden hatte, wurde „nach sehr geschickten Unterhandlungen ihres Führers Held" 3 einstimmig vom Landtag angenommen. Hier hatten die Mehrheitssozialdemokraten nachgeben müssen. Wie schwach jedoch die Position der BVP immer noch war, zeigte sich bei der endgültigen Verabschiedung des Lehrergesetzes am 14. August 1919. Bei der Frage des Einflusses der Erziehungsberechtigten zur Abberufung von Lehrern, auf der die BVP bestand, war von der BVP eine Erklärung des Ministerpräsidenten erwartet worden. Hoffmann jedoch drohte sofort wieder mit seinem Rücktritt: er sei m i t den Stimmen der B V P gewählt worden. Bestehe der geringste Zweifel in seine politische Ehrlichkeit, so werde er zurücktreten 4 . Held mußte gegen seine eigene Überzeugung und gegen die Stimmung der großen Mehrheit der BVP-Wähler dem Ministerpräsidenten versichern, von einem Mißtrauen und Zweifel gegen ihn könne keine Rede sein 5 . A m 14. August wurde das Lehrergesetz angenommen, bei dem die Koalitionsregierung fast am Widerstand der B V P zerbrochen wäre. A m 16. August 1919 beschloß der Landtag seine Tagung i n Bamberg, die als „Revolutionstagung" 6 wie ein Trauma auf die Politik und das politische Gewissen der BVP gewirkt hatte. I n den wichtigsten kulturund verfassungspolitischen Fragen hatte die B V P Kompromisse schließen müssen. Das Lehrergesetz trug einen stark sozialistischen Einschlag. Die B V P befand sich i n einem schwierigen Zwiespalt. I n der Öffentlichkeit hatte ihre Politik starke Bedenken erregt. Man hatte den offenen Kampf für die Ideale der BVP vermißt. Die Partei hatte bis an die Grenze des Möglichen gekämpft. Aber zu einem Bruch der Koalition konnte sie es nicht kommen lassen. Das lag einmal begründet
2 3 4 s 6
Ebd. Ebd. Sten. Ber. 1919, Bd. 1, S. 235. Sten. Ber. 19Ï9, Bd. 1, S. 237. Fr. X . Eggersdorfer i n B K , 234, 21.8.1919.
2. Die Regierungskrise i m Herbst 1919
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in der unsicheren politischen Lage Bayerns und in der Furcht der BVP vor einer neuen Revolution. Zur absoluten Opposition war die BVP zu groß und zu klein. Ebenso auch die Mehrheitssozialdemokraten. Hoffmann konnte nicht gegen die BVP regieren, aber auch die BVP nicht gegen die Sozialisten. Wesentlich war auch noch, daß durch die Reichsverfassung die wesentlichen Normen für die bayerische Verfassung i n Schul- und Kirchenfragen außer dem Lehrergesetz bereits festgelegt waren, so blieben der Partei tiefergreifende kulturpolitische Kämpfe erspart. Eine radikale Opposition gegen den sogenannten Hoffmann-Erlaß war schon deshalb für die BVP kaum möglich, weil seine wesentlichen Bestimmungen mittlerweile in die Reichsverfassung übergegangen waren. 2. Die Regierungskrise im Herbst 1919 Die Gegnerschaft zur Regierung Hoffmann war durch „den kleinen K u l t u r k a m p f " 7 i n der Schulfrage erbitterter geworden. Die B V P war wegen ihrer Haltung i m Parlament von außen her heftig kritisiert worden, während ihr innerhalb der Regierung die Hände gebunden waren. So betrieb sie eine zweigleisige Politik: i n der Presse betrieb sie eine heftige Opposition gegen die Regierung Hoffmann, während sie in der Regierung selbst immer am Rande des Koalitionsbruches lavieren mußte. I n der Regierungserklärung Ende September/Anfang Oktober kam diese Haltung der B V P klar zum Ausdruck. Die Mehrheitssozialdemokratie war nicht mehr bereit, diese gespaltene Haltung der BVP zum eigenen Schaden hinzunehmen. Die Haltung und politische Meinung Heids zum Ministerium Hoffmann läßt sich kurz so zusammenfassen: Die BVP mußte sich bei Wegfall der Monarchie auf republikanischen Boden stellen; es hatte für sie keinen Sinn, einmal gegebenen Verhältnissen nicht Rechnung tragen zu wollen. Auch eine vorübergehende Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie war nach Lage der Dinge nicht zu vermeiden. I m übrigen blieb die künftige Entwicklung ohnehin offen. Man mußte abwarten, bis sich die Lage für die B V P günstiger gestaltete. Schwieriger war es nur, seinen Wählern den eigenen Standpunkt klar zu machen. Held unterschied sich auch hier von Heim, der m i t einer schroffen Sonderstellung gegen die Regierung Hoffmann und das Verhalten der BVP in Weimar glaubte, in Bayern Eindruck machen zu können. I n der Herbstkrise 1919 konnte sich aber Held i n der Partei durchsetzen. A m 15. Juni 1919 hatten in Bayern Gemeindewahlen stattgefunden. Wider Erwarten hatte die BVP einen starken Stimmenzuwachs zu ver7 Seidlein am 24. 9.1919 an Held, A H R .
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X I X . Die Regierung Hoffmann bis zu ihrem Sturz
zeichnen, auf der anderen Seite war die USPD überraschend stark geworden, i n München wurde sie die stärkste politische Gruppe. Dagegen hatten die Mehrheitssozialdemokraten des Ministerpräsidenten Hoffmann empfindliche Verluste hinnehmen müssen, nicht zuletzt deshalb, weil ihnen von links die brutale Niederschlagung der Räterepublik angelastet wurde. Die B V P war erneut dem Bürgertum als Damm gegen die sozialistische Überflutung erschienen 8. I m Sommer und i m Herbst hatte auch die K r i t i k der BVP-Presse an der Regierung Hoffmann zugenommen. M i t der Konsolidierung der inneren Lage war auch das bürgerliche Selbstbewußtsein wieder erstarkt, umsomehr mußte es jetzt das sozialistische Ministerium als nicht den realen Verhältnissen i m Landtag entsprechend empfinden. Der sozialistische Grundcharakter des Kabinetts war trotz Erweiterung der Koalition i m Juni 1919 auf BVP und DVP geblieben. Allmählich hielt man es aber für angebracht, daß die Stärkeverhältnisse i m Landtag auch i n der Regierung ihren Niederschlag finden sollten. Das Eigenartige war nun, daß die Mehrheitssozialdemokraten von sich aus den Anstoß geben wollten zu einer Umbildung der Regierung und der B V P ohne weiteres auch als stärkster Partei den Vorsitz i m Kabinett zukommen lassen wollten. Müller-Meiningen beobachtete, daß Hoffmann bereit war, zurückzutreten, falls die B V P die Regierung übernehmen würde 9 . Die B V P wollte jedoch diese Verantwortung nicht übernehmen. A m 27./28. September 1919 forderte die Landeskonferenz der MSPD in Nürnberg „eine gründliche Umbildung des Ministeriums" 1 0 . Man war sich auf allen Seiten einig, daß die Regierung ein Koalitionsministerium sein und bleiben sollte. Auch die Liberalen waren der Meinung, daß die BVP entsprechend ihrer Stärke den Vorsitz übernehmen sollte 11 . Die heftigen Angriffe der BVP-Presse hatten zur Koalitionskrise geführt, besonders Hoffmann war als Kultusminister scharf kritisiert worden. Es geschah mit der Duldung der BVP-Führung, die damit wieder den Eindruck ihrer schwächlichen Haltung gegenüber Hoffmann i n der Öffentlichkeit wettmachen wollte. Als aber die MSPD den A n griffen auf Hoffmann dadurch begegnete, daß sie eine Umbildung der Regierung verlangte, kam die B V P in Verlegenheit. Das A m t des Ministerpräsidenten war nicht begehrenswert. Man erwartete für den Winter den finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch des bayerischen Staates. Für eine solche schwere Zeit wollte die B V P nicht die Verantwortung tragen. Die beiden BVP-Minister Speck und Baron von 8 M N N , 232, 16. 6.1919. 9 M N N , 232, 16. 6.1919. 10 M N N , 392, 29. 9.1919. h Ebd.
2. Die Regierungskrise i m Herbst 1919
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Freyberg hatten i n ihrer bisherigen Regierungszeit kaum etwas Besonderes leisten können 1 2 . Mehr Anteil an der Regierung und damit Verantwortung wollte die BVP in diesem Augenblick auch nicht übernehmen. Zudem sollte die MSPD die Verantwortung für den vollzogenen Umschwung auch i n Zukunft weiter tragen. A m 9. Oktober 1919 tagte der Landesvorstand der BVP. Vorher hatte schon Held i n Deggendorf zur Regierungskrise Stellung genommen. Die Sozialdemokratie habe sich bei der Revolution die Macht angeeignet. Erst als das Erbe der Räterepublik übernommen werden mußte m i t allen finanziellen Folgen, sei der Sozialdemokratie der Gedanke gekommen, daß sie allein die Verantwortung nicht mehr tragen könne. Das Verhalten der Sozialdemokratie lege den Schluß nahe: „Die Herren sind am Ende ihres Lateins. I n solcher Lage zu erklären, daß andere die Verantwortung übernehmen sollen, finde ich unbillig 1 3 ." Ein Ministerium der BVP könne nicht die Verantwortung zur Durchführung dessen übernehmen, was durch das Ministerium Hoffmann angerichtet worden sei. Die Übernahme des Ministerpräsidiums durch die BVP lehnte Held ab: „ W i r wollen i n der Koalition bleiben und mitarbeiten, aber w i r verlangen, daß Hoffmann eine mittlere Regierungslinie findet, auf welcher es möglich ist, die christliche Überzeugung der Mehrheit des bayerischen Volkes nicht zu beleidigen und alles zu unterlassen, was verletzt 1 4 ." Die BVP wollte jetzt noch nicht die Ablösung Hoffmanns, sondern lediglich die Zügelung und Korrektur seiner antikirchlichen Pol i t i k erreichen. Man wollte die MSPD nicht aus der Regierung verdrängen und damit aus der Verantwortung entlassen. „ N u r das Zusammenstehen der bürgerlichen Parteien und jener Elemente der Sozialdemokratie, welche seit der Revolution gelernt haben, kann uns Rettung bringen 1 5 ." Held verfolgte einen doppelten Zweck: er bezeichnete die K r i t i k der Parteipresse als außerhalb der Parteiverantwortung liegend, schwächte sie aber doch nicht ganz ab. Die Zeit für eine Änderung der Koalition schien i h m nicht geeignet. Damit war angedeutet, daß die B V P die Dinge lassen wollte, wie sie waren. Der außerordentliche Parteitag der B V P am 9. Oktober 1919 verfolgte dann auch diese Linie. Nach einem Bericht Heids verabschiedete er folgende Resolution: „Der Parteitag kann keine Veranlassung zu einem Regierungswechsel anerkennen 16 ." Gleichzeitig forderte man aber eine Verbreiterung der parlamentarischen Basis des Kabinetts is 13 14 is 16
Brief Seidleins v o m 24.9.1919 an Held, A H R . M N N , 406, 8.10. 1919. Ebd. Ebd. BStZ, 248, 10.10.1919.
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durch Hereinnahme der Mittelpartei und des Bauernbundes. Gleichzeitig sprach der Parteitag der Presse der BVP für „ihre entschiedene Haltung in der sachlichen Vertretung der Interessen, Rechte und Grundsätze der Partei die vollste Anerkennung aus" 1 7 . Damit betrieb die BVP erneut das Doppelspiel: vor dem Lande gab man sich aus agitatorischen Gründen als Opposition, während man i m Kabinett m i t den anderen Parteien die Verantwortung teilte. Die BVP wartete auf eine günstigere Gelegenheit, um die sozialistischen Kräfte in Bayern auszuschalten. Die Demokratische Partei erklärte sich ebenfalls für die Weiterführung der Koalition 1 8 . Die sozialdemokratische Landeskonferenz vom 12. Oktober 1919 beschloß die Weiterführung des Kabinetts unter Hoffmanns Leitung; sie wollte die Verantwortung nicht dafür übernehmen, „daß durch Austritt der Vertreter ihrer Partei aus der Regierung das Land aufs neue den schwersten Erschütterungen ausgesetzt wird, und die politischen, kulturellen und sozialen Errungenschaften der Revolution gefährdet werden" 1 9 . Damit hatte die Regierungskrise ein Ende gefunden. Die interfraktionellen Verhandlungen über die Beteiligung des Bauernbundes scheiterten 20 . M i t einem neuen Koalitionsprogramm wollte die alte Koalition die Regierung weiterführen. Die sich i m Landtag anschließende Debatte am 24. 10. 1919 ließ jedoch erneut die Gegensätzlichkeiten und die Spannung innerhalb der Koalition erkennen. Hoffmann sprach das auf einer Versammlung i n München selbst am klarsten aus: er glaube nicht an das, was abgeschlossen worden sei, es sei „nicht einmal ein fauler Friede, es sei nur ein Waffenstillstand zwischen denen, die i m Landtag und i n der Regierung sitzen" 2 1 . Die Vorgänge i m Landtag i n der Folgezeit bewiesen dann auch, „daß mit der formellen Beilegung des Konfliktes die Spannungen zwischen MSPD und BVP nicht nachgelassen hatten, sondern daß man sich bereits auf beiden Seiten auf den kommenden Wahlkampf vorbereitete, und daß die Reibungen i m Kabinett eine Reflexbewegung der Vorgänge innerhalb dieser Parteien waren. Vor allem i n den Fragen ,Staat und Kirche 4 , ,Kirche und Schule', ,Klassenkampf und Sozialpolitik' zeigten sich die Punkte, an denen sich die Geister schieden. I m Verfassungsausschuß kam es am 18.12.1919 zu einer heftigen Diskussion zwischen Hoffmann und Held über Staat und Kirche in Bayern" 2 2 . π is 19 20 21 22
Ebd. MNN, BStZ, BStZ, BStZ, MNN,
412, 250, 260, 267, 518,
11.10. 1919. 14.10.1919. 25. 10.1919. 4.11.1919. 19. 12. 1919.
2. Die Regierungskrise i m Herbst 1919
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Die letzten Sitzungen des Jahres 1919 waren von den Fragen der sogenannten „Verreichlichung" bayerischer Sonderrechte beherrscht. A m 25. November übte Held scharfe K r i t i k an der Reichsfinanzpolitik Erzbergers. Sie bedeute die „Totteilung der Einzelstaaten und die Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer Aufgaben" 2 3 . Der Plan des Reiches sei der Zusammenbruch der ganzen bayerischen Finanz- und Staatspolitik. Auf Vorschlag Heids warnte der Finanzausschuß in einer Resolution die Reichsregierung davor, „ i m Interesse des gesamten Reiches den betretenen Weg, welcher die Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden zerstört, weiterzugehen" 24 . Nur noch für ein Vierteljahr konnte der bayerische Landtag über die eigenen Einnahmen frei verfügen, denn nach dem 1. A p r i l 1920 hatten sich seine finanziellen Beschlüsse innerhalb der vom Reich an den Bundesrat überwiesenen Quote zu bewegen. Die Verreichlichung und ihre Folgen führten auch zum Rückt r i t t Specks als Finanzminister am 19. Januar 1920. Damit wurde auch das Ende der Regierung Hoffmann angekündigt 2 5 . Die Gründe dafür lagen wohl i n zwei Richtungen. Speck und die BVP glaubten die Vernichtung der bayerischen Finanzhoheit nicht unter einem BVP-Minister geschehen lassen zu können. Zugleich war Speck Vorstand des Landesfinanzamtes München. A m 23. 12. 1919 hatte schon der spätere Finanzminister Krausneck an Held geschrieben: „Ich weiß bestimmt, daß Berliner Einflüsse den Herrn Minister bestimmt haben, jetzt schon sein A m t zur Verfügung zu stellen 2 6 . " Der Nachfolger Specks sollte wieder ein Beamter sein, kein Parteiminister der BVP; es wurde der Ministerialrat Kofier, „ein Katholik, ein tiefreligiöser Mann", wie ihn Krausneck an Held empfohlen hatte 2 7 . Der neue Finanzminister sollte sich i n schärfere Opposition zu Erzberger setzen. Der Rückzug Specks hatte für die B V P auch wahltaktische Gründe. Ein Finanzminister Speck hätte i m kommenden Wahlkampf kaum den Ausverkauf bayerischer Finanzhoheit verteidigen können. A m 20. Januar 1920 gab Held eine Erklärung zur bevorstehenden Vereinigung der bayerischen Verkehrsanstalten mit dem Reich ab. A l l e Parteien außer der USPD schlossen sich dieser Erklärung an: „Der Bayerische Landtag fordert, daß die bevorstehende Vereinigung der bayerischen Verkehrsbetriebe mit dem Reich auf der Grundlage einer weitgehenden Dezentralisation durchgeführt w i r d . . . Der Bayerische Landtag erhebt Anspruch darauf, daß am Sitze der bayerischen Landesregierung für Eisenbahn- und Post-
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BStZ, 287, 27.11.1919. Ebd. GStAM, M A 99 514, Protokoll des Ministerrats v o m 19. 1.1920. AHR. Ebd.
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X I X . Die Regierung Hoffmann bis zu ihrem Sturz
wesen je ein Landesamt als Vertretung des Reichspost- und Reichsverkehrsministeriums mit bayerischen Beamten an der Spitze errichtet und mit weitestgehenden Befugnissen ausgestattet w i r d 2 8 . "
28 BStZ, 24, 31. 1. 1920.
XX. Die Regierung Kahr Der direkte Anstoß zum Regierungswechsel i n Bayern ging vom Kapp-Putsch aus; er brachte zwar die Veränderung über Nacht, doch wäre i n Bayern der Regierungswechsel wahrscheinlich i m Laufe des ersten Halbjahres 1920 ohnehin erfolgt. Die B V P selbst schien der Meinung zu sein, daß nach Überwindung des schwierigen Winters 1919/20 sich die Verhältnisse i n Bayern stabilisiert hätten, daß sie als stärkste Partei jetzt den Anspruch auf die Führung der bayerischen Politik anmelden könne. Bisher war die B V P dem Angebot Hoffmanns zum Rücktritt immer ausgewichen. „Der Frühling 1920 erschien, wie aus den Reden führender Abgeordneter der B V P hervorging, der richtige Zeitpunkt, die Geschäfte selbst zu übernehmen... Man rechnete allgemein mit einer neuen Krise i m April, dann, so nahm man an, würde die BVP wohl wagen, selbst die Führung zu übernehmen 1 ." M i t dieser Feststellung hatte Müller-Meiningen wohl recht; spätere Äußerungen von prominenten BVP-Politikern bestätigten diese Anschauung. Die BVP hatte aber nicht die Absicht, die Sozialdemokraten ganz aus der Regierung zu verdrängen. Die Sozialdemokraten lavierten sich schließlich selbst hinaus. Hoffmann hatte sofort nach Bekanntwerden des Putsches i n Berlin eine gemeinsame Abwehrfront der Regierung und Parteien herbeizuführen gesucht. Dies gelang ihm zunächst 2 . Auch der bayerische Reichswehrführer General von Möhl lehnte den Putsch ab. Die Erklärung gegen Berlin war aber kein unbedingter Vertrauensbeweis für die bayerische Regierung Hoffmann. Die rechtsaktivistischen Kreise der Einwohnerwehren und der Militärs zeigten die Neigung, die Unsicherheit des Augenblicks zu nützen und durch einen Druck von militärischer Seite her die längst spruchreife Änderung der Regierungsverhältnisse „ins Rollen zu bringen" 3 . Man drängte General von Möhl, sich die vollziehende Gewalt übertragen zu lassen. Die treibenden Kräfte waren die Gruppen um Escherich, Kanzler, Kahr, Pöhner und Seisser. Vom versammelten Ministerrat verlangte General von Möhl die Übertragung der vollziehenden ι Müller-Meiningen, a.a.O., S. 229 f. 2 a.a.O., S. 250. 3 Speckner, a.a.O., S. 119 ff.
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X X . Die Regierung K a h r
Gewalt. Der Ministerrat beschloß gegen die Stimmen Hoffmanns die Übertragung 3 . Der Ministerpräsident zog daraus die Konsequenz und trat zurück; die übrigen sozialdemokratischen Minister folgten ihm. Auch die Partei billigte schließlich den Schritt Hoffmanns 4 . Bei dem durch die Vertreter der Koalitionsparteien erweiterten Ministerrat am 14. März 1920 billigte Speck für die BVP die Übertragung der vollziehenden Gewalt auf das Militär. Die Konsequenzen, die die Sozialdemokraten aus dieser Übertragung ziehen wollten, hielt er „nicht für angebracht" 5 . Wenn die sozialdemokratische Partei „jetzt die Koalition sprengt, so ist das Fahnenflucht" 6 . Speck sprach für die BVPFraktion; Held selbst war nicht i m Ministerrat. Sein Einfluß in der Regierungskrise ist i n keiner Richtung zu spüren. I m Ministerrat vom 15. März hielt Speck die Beteiligung der Sozialdemokraten immer noch „für sehr wünschenswert" 7 . Aber die Sozialdemokraten hielten die Übertragung der vollziehenden Gewalt an General von Möhl für eine Militärdiktatur und zogen sich aus der Regierung zurück. Die BVP hatte den Sturz Hoffmanns keinesfalls direkt beeinflußt. I m Gegenteil, die BVP-Fraktion wollte die Sozialdemokraten in der Regierung behalten 8 . I n Wirklichkeit waren Parlament und Parteien i n dieser Frage von anderen Kräften übergangen worden. Einen beträchtlichen Anteil am Sturz des Ministeriums Hoffmanns hatten die bayerischen Einwohnerwehren, die damit die Bühne der offiziellen bayerischen Politik betraten. Die B V P arbeitete aber sofort mit den neuen Kräften zusammen. vor allem Heim war es, der i m Zusammenspiel m i t der Einwohnerwehr und den Zeitfreiwilligen den neuen Ministerpräsidenten kürte. 1. Die Wahl Gustav Kahrs zum Ministerpräsidenten Heim selbst schilderte acht Jahre später seine A k t i v i t ä t in dieser Frage 9 . Vor allem die Rechtsaktivisten hatten zunächst ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt. Dietrich Eckart war am 13. März, früh 5 Uhr nach 4 A u f die innerparteilichen Auseinandersetzungen, die der Rücktritt Hoffmanns i n der MSPD auslöste, braucht hier nicht eingegangen zu werden. 5 G S t A M : M A 99 514, No. 25/1920. 6 Ebd. 7 G S t A M : M A 99 514, No. 27/1920. s Die Feststellung, die Maser i n diesem Zusammenhang t r i f f t , ist pauschal vergröbernd u n d t r i f f t zumindest f ü r Held nicht zu: „ V o n München aus richteten die Feinde der Reichsregierung und der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann i n Bayern, das waren u. a. v. Epp, Röhm, Hörauf, Heim, v. Kahr, v. Möhl, Mayer, Pöhner, Held, Kanzler, Escherich und Kriebel, ihre Blicke erwartungsvoll u n d hoffnungsvoll auf K a p p und L ü t t w i t z i n Berlin." Maser, Die Frühgeschichte, S. 213. 9 M N N , 307 u. 308, 10. 11. und 11. 11. 1928.
1. Die W a h l Gustav Kahrs zum Ministerpräsidenten
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Regensburg gekommen, u m ihn abzuholen, „ u m die Regierung i n München zu übernehmen" 1 0 . Heim verwies jedoch zunächst auf die Bildung der neuen Regierung durch den Landtag. A m Samstag, den 14. März hatte Heim Rücksprache mit seinen Parteifreunden gehalten. A u f Wunsch seiner Parteifreunde erklärte er sich zunächst bereit, die Regierung zu übernehmen. „Als ich am Montag früh nach München fuhr, war ich entschlossen, die Zügel i n die Hand zu nehmen 1 1 ." Dieser feste Entschluß sollte, wie für Heim schon des öfteren galt, nicht von langer Dauer sein. I m Landtag traf Heim den Einwohnerwehrführer Escherich. Heim war sich nun auf einmal darüber i m klaren, daß er die Dinge nur i m Einvernehmen mit der gemäßigten Gruppe der Einwohnerwehr übernehmen könnte; ich mußte einen Mann zu gewinnen suchen, der in diesem Lager nicht suspekt war, der dort volles Vertrauen genoß und politisch möglichst wenig vorbelastet" 1 2 war. A n sich selbst als Ministerpräsident dachte er schon nicht mehr. Heim kam auf Kahr und fragte Escherich, „ob Kahr als Ministerpräsident genehm sei. Escherich hielt diesen Gedanken für vorzüglich" 1 3 . Escherich begab sich sofort zu Kahr, der nach einigem Zögern einwilligte. Heim bekam davon sofort Nachricht, somit war der neue Ministerpräsident unter der Hand zwischen Heim und Escherich ohne Anhörung der BVPFraktion bereits gekürt. Heim überfuhr damit auch die Fraktion und Held. Als Heim i n die Fraktion kam, berichtete, wie Heim etwas geringschätzig feststellte, Held i n der Fraktion über die Möglichkeiten der Regierungsbildung „ i n der Weise, in der man solche Dinge zu besprechen pflegt, alle möglichen Kombinationen erwägend und die Grundsätze für die Verhandlungen bestimmend" 1 4 . Heim trat für ein rascheres Handeln ein; man sollte auch m i t den Sozialdemokraten verhandeln. Heim selbst wurde in der Fraktion als kommender Ministerpräsident angesprochen. Von der Entscheidung für Kahr wußte man dort inzwischen noch nichts. Es hatte jedoch überrascht, als Heim die Gründe nur teilweise bekanntgab, die eine andere Wahl als empfehlenswert erscheinen ließen. Er schilderte die Eigenschaften, die der kommende Ministerpräsident haben müßte, vor allem das Vertrauen der Einwohnerwehr und der um sie gruppierten Wehrverbände. Er erklärte es als wünschenswert, daß der neue Ministerpräsident kein Abgeordnetenminister, sondern ein Beamtenminister sein müsse, w e i l der Ruf
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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. M N N , 307 u. 308, 10.11. u n d 11.11.1928. Keßler
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X X . Die Regierung K a h r
nach Beamtenministern bei den erwähnten Gruppen als ein Programmpunkt aufgestellt worden sei. Heims Darlegungen fanden fast „uneingeschränkte Zustimmung" 1 5 , obwohl er nicht alle Einzelheiten bekanntgab, „auf die sich mein Endurteil über die Lage aufbaute, und durch die meine Handlungsweise bestimmt wurde" 1 6 . Heim ging mit der Fraktion sehr eigenwillig um; es war ein Katz- und Mausspiel. Den Namen seines Kandidaten Kahr hatte er bis dahin noch nicht genannt. „Nach mehrfachen Zurufen, ihn zu nennen, und nachdem auf andere Namen unrichtig geraten worden war, nannte ich Kahr 1 7 ." Heim erhielt den Auftrag, sofort m i t Kahr zu verhandeln. Über diese Verhandlungen berichtete er der Fraktion, worauf Kahr i n der BVP-Fraktion „einstimmig" gewählt wurde. Kahr kam in die Fraktion und entwickelte sein Programm, das m i t „allgemeinem Beifall quittiert wurde" 1 8 . Damit hatte Heim die BVP-Fraktion überfahren. Obwohl er nicht der Fraktion angehörte, hatte er hier wieder seinen dominierenden Einfluß bewiesen, dem Held nichts entgegensetzen konnte. Warum aber nahm Heim nicht selbst die Ministerpräsidentschaft an, zu der er sich ja bereits entschlossen hatte? Er hatte wohl bei seiner A n k u n f t i n München gemerkt, wie stark bereits die in verschiedenen Gruppen aufgespaltenen aktivistischen Rechtskreise in der bayerischen Politik geworden waren, in deren Abhängigkeit er sich als Ministerpräsident hätte begeben müssen. Wie sehr das bei dem noch viel schwächeren von Kahr der Fall wurde, sollte sich bald zeigen. Die BVP selbst glaubte bei einem schwachen Beamtenminister zugleich das Kabinett und die durch den Kapp-Putsch aufgeweckten Rechtskreise durch einen gemäßigten Mann aus ihren Reihen kontrollieren zu können. Allein, wie das Kabinett zustande kam, zeigte schon die Richtung, i n der die B V P i n Zukunft Ministerpräsidenten und Minister machen sollte. A m 16. März wurde Kahr auf Vorschlag Specks zum Ministerpräsidenten gewählt. Die führenden Köpfe der BVP, Demokraten und Bauernbund handelten inzwischen die Ministerliste aus, die Kahr erst in die Hand bekam, als er auf dem Weg in den Landtag war, um sein Kabinett vorzustellen. Auch hier wurde er gleich enttäuscht, da nicht Dr. Heim, was Kahr ausdrücklich zur Bedingung gemacht hatte, sondern der Bauernbündler Wutzlhofer Landwirtschaftsminister wurde 1 9 . Die führenden Köpfe der Fraktion hatten sich vom Kabinett ferngehalten. Man schuf ein Beamtenkabinett, das vollständig von den Κό-
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Ebd. Ebd. Ebd. M N N , 307 u. 308, 10.11. und 11.11.1928. Speckner, a.a.O., S. 128.
1. Die W a h l Gustav Kahrs zum Ministerpräsidenten
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alitionsparteien abhängig war. I n diesem System stieg Held bald zum einflußreichsten Parlamentarier Bayerns auf. Die Sozialdemokraten waren nicht bereit, i n eine Regierung Kahr einzutreten. Sein Zusammenspiel mit General von Möhl beim Sturz Hoffmanns machte ihn für sie nicht akzeptabel. Es roch zu sehr nach Militärdiktatur. Man verargte es der BVP, daß sie von Kahr zum Ministerpräsidenten gemacht hatte, „den hinter dem Rücken seines Ministers mit Möhl zusammenarbeitenden Regierungspräsidenten von Oberbayern" 2 0 . Führer eines Ministeriums gegen machthabende M i litärs konnte dieser K a h r nicht sein. Man gestand aber der BVP zu, daß sie als stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellte: „gegen einen Speck, Held, Giehrl usw. hätte kein Sozialdemokrat etwas eingewendet . . . diesen Kahr durfte man nicht präsentieren, wenn man auf die Mitarbeit der Sozialdemokraten i m Kabinett ernstlich rechnen wollte" 2 1 . M i t dem Ministerium Kahr hatte die BVP die Führung der bayerischen Politik übernommen. Sie machte einen Mann zum Ministerpräsidenten, der bisher keinerlei Beziehung zu ihr hatte, der lediglich als tüchtiger Verwaltungsbeamter bekannt war. Nach anfänglichem Bedenken gegen Kahr glaubte man auch i n der BVP, man habe den richtigen Mann gewählt, der bei den Einwohnerwehren großes Vertrauen genoß, nach außen als starker Mann galt, aber doch nicht zu stark war, daß er Politik auf eigene Faust hätte machen können. Daß die B V P nun nicht den ihr zugefallenen Führungsanspruch durch einen Mann aus ihren eigenen Reihen wahrnahm, „ w a r mehr als ein Armutszeugnis" 2 2 . Es entwickelte sich zunächst daraus eine A r t von Führung der bayerischen Politik, die verheerend wirken sollte. Die Parteien hatten aus sich heraus nicht vermocht, klare, verfassungsmäßige Regierungsverhältnisse zu schaffen. Kahr war im wesentlichen den Parteien von parlamentsfremden Machtgruppen aufgedrängt worden. So war er nicht nur von den parlamentarischen Parteien abhängig, sondern auch von außerparlamentarischen Kräften, die oft bewußt konträre Politik zu den Parlamentsparteien trieben. Landtag und außerparlamentarische Kräfte kämpften oft gegeneinander um den entscheidenden Einfluß auf die Regierung. I n diesem Kampf sollte Kahr 1921 wieder fallen. Von der BVP aus wären nur zwei Männer als Ministerpräsident in Frage gekommen: Heim und Held. Wenn Heim gewollt hätte, wäre er Ministerpräsident geworden, er entzog sich der Verantwortung, indem er Kahr präsentierte. Das war die alte Schwäche Heims: als stärkster so Nachrichtenblatt des Gewerkschaftsvereins München, Nr. 1, 19. 3.1920. 21 Ebd. 22 Schwend, Bayern, S. 153. 25·
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X X . Die Regierung K a h r
Parlamentarier, den die B V P hatte, fuhr er immer der Fraktionsführung i n schnellen Aktionen dazwischen, zwang ihr Entscheidungen auf und zog sich dann zurück, um eventuell aus dem Rückhalt Opposition zu machen. Die volle Verantwortung wollte er nie übernehmen. Eine gute Charakteristik Heims in diesem Zusammenhang stammt von Josef Hof milier: „Gescheit ist er freilich . . . gescheiter als alle anderen, aber es ist kein Verlaß auf ihn. Wissen Sie einen Tarockspieler, der die Trümpfe gleich auf den Tisch haut, und wenn es dann nicht so geht, wie er gedacht hat, das ganze Spiel hinschmeißt 23 ." Ähnlich charakterisierte ihn der ehemalige Zentrumsabgeordnete Eisemann i n einem Brief an Held vom 20. A p r i l 1920, also unmittelbar nach der Berufung Kahrs: „Dr. Heim läuft immer davon, wenn es gilt 2 4 ." Heim rührte sich auch nicht, als i n der Kahrkrisis i m Herbst 1921 die B V P vor einer schweren inneren Zerreißprobe stand. Hier mußte Held die Verantwortung i n der Fraktion übernehmen. I m Frühjahr 1920 hätte Held ebenfalls Ministerpräsident werden können. Aber auch er wollte die Verantwortung nicht tragen. So fiel damals die Entscheidung nicht „für politisches Führertum, sondern für politisches Figurantentum" 2 5 . Die Lösung Kahr, in dem ein überparteilicher Beamter gesehen wurde, entsprach dem alten parlamentarischen Denken, i n das man sich bis 1918 eingeübt hatte. Man lebte noch in der Vorstellungswelt des konstitutionellen Parlaments, das seinen Mitgliedern keine letzten Verantwortlichkeiten für die Regierung auferlegte. „Es waren die Überreste eines konstitutionellen Denkens, dessen Grundelemente verloren gegangen waren 2 6 ." Die BVP betraute einen Mann m i t der Führung der Regierungsgeschäfte, der sich, wie er bei Vorstellung i m Landtag äußerte, „bisher dem politischen Leben vollständig ferngehalten" 2 7 hatte, und der sich nur als „Treuhänder des souveränen Volkes, als Treuhänder des Volkes für die kurze Übergangszeit zur Neuwahl des Landtags" 2 8 betrachtete. 2. Die Politik Kahrs und der BVP — Die Wahlen im Juni 1920 A m 29. März 1920 entwickelte Kahr vor dem Landtag sein politisches Programm, das den vorausgegangenen Vereinbarungen der Koalitionsparteien BVP, DDP und Bauernbund entsprach 29 . Die Aus23 24 25 26 27 28 29
Zit. bei Κ . A. v. Müller, Mars u n d Venus, S. 141. AHR. Schwend, a.a.O., S. 153. Ebd. Sten. Ber. 1920, Bd. 2, S. 797. Sten. Ber. 1920, Bd. 2, S. 797. Sten. Ber. 1920, Bd. 2, S. 797—801.
2. Die Politik Kahrs u n d der B V P
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spräche zum Regierungsprogramm war der Versuch der BVP, die Vorgänge um den Regierungswechsel nachträglich zu legitimieren und zu rechtfertigen. Speck sprach davon, daß eine Umbildung des Ministeriums „gewissermaßen i n der L u f t lag" 3 0 . Eine Neubildung der Regierung wäre auch ohne die letzten Geschehnisse veranlaßt gewesen. „Der Zustand, daß eine Partei die Führung i n der Regierung hatte und die politisch wichtigsten Ämter besetzte, ohne über die entsprechende Macht i m Volke zu verfügen, l i t t an innerer Unwahrheit und war auf längere Dauer nicht mehr aufrecht zu erhalten. Was i n Bamberg noch unter den damaligen Umständen als erträglich und wünschenswert erscheinen konnte, mußte unter den jetzigen Umständen abgebaut werden 3 1 ." Damit bestätigt sich der Hinweis auf die Absicht der BVP, im Frühjahr 1920 ohnehin eine Umbildung der Regierung vorzunehmen, ohne allerdings die Sozialdemokraten ganz aus der Regierung zu drängen, deren Ausscheiden Speck erneut ausdrücklich bedauerte. Etwas wesentlich Entscheidenderes sprach Speck m i t der Feststellung an, daß das Bamberger Programm „jetzt keine Geltung mehr haben" könne 3 2 . Damit war die neue Richtung der BVP angezeigt: weg von dem unter äußeren Zwang zustandegekommenen und vom sozialistischen Geist beherrschten Schandprogramm, das die B V P als Vergewaltigung der Grunddisziplin ihrer Politik empfand, und allmähliche Hinwendung zu einer in ihren Grundlagen konservativ bestimmten Staatspolitik. Die Sozialdemokraten nützten die Gelegenheit, ihren Austritt aus der Regierung zu rechtfertigen. Zum erstenmal seit der Revolution hatte damit eine klärende Aussprache i m Landtag stattgefunden. Es zeigten sich dabei auch gleich die Fronten, zwischen denen sich die bayerische Politik i n Zukunft bewegen sollte: A u f der einen Seite BVP, Mittelpartei als rechtskonservativer Bürgerblock und auf der anderen Seite die MSPD mit USPD als linkes Gegengewicht, während die Demokraten langsam i n der Mitte zerrieben wurden; der Bauernbund schwankte zwischen beiden Fronten. Die vordringliche Aufgabe der Regierung Kahr war zunächst die Schaffung eines Landtagwahlgesetzes für die auf den 6. Juni 1920 angesetzten Neuwahlen. Zugleich rüsteten sich die Parteien für den Wahlkampf. Bei der B V P ließ sich auf ihrem am 1. und 2. Mai 1920 i n München stattfindenden Landesparteitag ein starker Zug nach rechts feststellen: Zusammenschluß aller nicht i m linken Lager stehenden Kräfte der Ordnung und Sammlung der bürgerlichen Kräfte zum Wiederaufbau des Staates und seiner Autorität auf christlicher und nationaler so a.a.O., S. 801. 31 Ebd. 32 Ebd.
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X X . Die Regierung K a h r
Grundlage. Es setzte die Reaktion ein auf die Erlebnisse der revolutionären Erschütterung als Sammlung der antirevolutionären konservativ-bayerischen Kräfte, die das Ziel der von Kahr ausgegebenen Losung der „Ordnungszelle Bayern" verfolgten 3 3 . A u f dem Parteitag wurde die Linie scharf nach links gezogen. „Rechts heißt die Richtung der Partei, nicht i m Sinne einer reaktionären, verkalkten konservativen Politik, sondern i m Sinne einer ganz entschiedenen Ablehnung und Bekämpfung der sozialistischen Weltanschauung und der gesetzmäßigen Rechtsentwicklung 34 ." Der Wahlaufruf der BVP vom 12. Mai 1920 sprach die Neuorientierung nach rechts klar an: „ A m 6. Juni gilt es einen unüberschreitbaren Damm gegen die Flut ewiger Revolutionen aufzurichten . . . Die B V P hat sich . . . als stärkstes Bollwerk der Staatsordnung und des Wirtschaftsfriedens erwiesen . . . Bayern braucht einen Landtag und eine Regierung, die in diesen Zeiten der Unruhe und Gärung und der staatlichen Zersetzung mit aller Kraft die Aufrechterhaltung der Staatsautorität und Herrschaft des Rechtes und Gesetzes erzwingen muß. Wählt darum die BVP, deren Bemühungen es im Monat März gelungen ist, eine kraftvolle Regierung der Ordnung aufzurichten 35 ." Die Neuwahlen zum Landtag am 6. Juni 1920 bestätigten diese Polit i k der Orientierung nach rechts. Während i m alten Landtag noch 180 Mitglieder saßen, war jetzt die Zahl auf 155 festgesetzt. Davon bekam die B V P 65 Mandate, die Bayerische Mittelpartei 19, MSPD 25, USPD 20, K P D 2, die Demokraten 12. Charakteristisch war das Anwachsen der BVP und der Mittelpartei, die jetzt mit 84 Sitzen die Mehrheit besaßen. Sozialdemokraten und Demokraten hatten über die Hälfte ihrer Mandate verloren. Die BVP war von 35 auf 39 °/o der Wählerstimmen gestiegen 56 . Die BVP war wieder stärkste Partei geworden, sie konnte aber nur i n einer Koalition mit anderen Parteien regieren. Nachdem die Deutschdemokratische Partei so stark dezimiert worden war, konnte eine bürgerliche Mehrheit nur m i t der deutschnationalen Mittelpartei gebildet werden. A m 14. Juni 1920 versuchte die BVP sich auf einer Landesversammlung über eine mögliche Koalition klarzuwerden. Held sprach über die Richtlinien der künftigen bayerischen Politik. Das Programm der Partei werde ein Programm der Ordnung und der Versöhnung der Gegensätze i m Volk sein. Die Hauptziele seien Ruhe und Ordnung und die Aufrechterhaltung der ihnen dienenden Einrichtungen der Einwohner33 34 35 36
BStZ, 110, 12. 5.1920. RA, 198, 5. 5. 1920. Zit. nach Ringelmann, a.a.O., S. 264 ff. Schulthen: Europäischer Geschichtskalender, 1920, Bd. 1, S. 147.
2. Die Politik Kahrs und der B V P
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wehr, Reichswehr und Polizeiwehr, Säuberung Bayerns von allen unsauberen fremdländischen Elementen, Revision der bayerischen Verfassung, Revision der Reichsverfassung i m foederalistischen Sinn, Festigung Bayerns als Staat durch die Institution eines Staatspräsidenten, Entpolitisierung des Wirtschaftslebens und die Einführung einer zweiten Kammer. Alle Parteien, auch die Sozialdemokraten, seien zur M i t arbeit an einer Koalition willkommen. M i t einem Programm, „wie es die Deutschnationalen aufgestellt hatten, sei aber nichts anzufangen" 37 . Zwar bemerkte Held, daß alle Parteien zur M i t w i r k u n g an der Koalition eingeladen seien, wenn sie diese Richtlinien akzeptieren. Das konnten die Sozialdemokraten aber kaum. So fügte Heim noch die Korrektur hinzu, die Richtlinien könnten auch so gehalten sein, daß er der MSPD nicht unmöglich sei, mitzuwirken 3 8 . Doch hätte sich wahrscheinlich auch Heim kaum ein Kabinett vorstellen können, in dem die deutschnationale Mittelpartei und die Sozialdemokraten saßen. Held legte den einzelnen Fraktionen einen E n t w u r f für ein Regierungsprogramm vor; er verhandelte zugleich mit Mittelpartei, Demokraten und Bauernbund. Die Sozialdemokraten ließen jedoch Held wissen, daß „eine fruchtbringende Mitarbeit in einer Koalitionsregierung nach den von Held entworfenen Richtlinien nicht möglich" 3 9 sei. Die B V P erstrebe eine Änderung der Reichs- und Landesverfassung, die zu „überlebten staatsrechtlichen Zuständen führen würden" 4 0 . Die von der BVP erstrebte foederative Gestaltung des Reiches bedeute eine völlige Zerschlagung seiner Verfassung, sie müßte zum Bürgerkrieg führen. I n einem Brief an die sozialdemokratische Fraktion vom 10. J u l i bedauerte Held die Ablehnung der Sozialdemokraten 41 . I n Wirklichkeit hatte aber die B V P mit ihren weitgesteckten verfassungspolitischen Reformplänen eine Mitarbeit unmöglich gemacht. Das Koalitionsangebot schien nur einen taktischen Hintergrund zu haben. Die anfängliche Abneigung Heids gegen das deutschnationale Programm hinderte die B V P nicht daran, die „Bayerische Mittelpartei" i n die Koalition hereinzunehmen und ihr in der Person des Dr. Roth das für das politische Leben Bayerns in Zukunft so wichtige Justizministerium zu übertragen. Eine Regierungskoalition ohne die „Mittelpartei" wäre jedoch nach Absage der MSPD nicht tragfähig genug gewesen. Die Koalition bestand nun aus BVP, Bayerischer Mittelpartei, DDP und Bauernbund. I m Vergleich zum 1. Kabinett K a h r bedeutete dies einen Rechtsruck. 37 BStZ, 38 BStZ, 39 BStZ, 40 Ebd. 41 BStZ,
135, 13. 6. 1920. 136, 15.6.1920. 159, 11. 7.1919. 160, 13. 7.1920.
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X X . Die Regierung K a h r
A m 16. Juni 1920 wurde Kahr erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Seine Programmrede enthielt die von Held aufgestellten Forderungen, sie waren aber durch den Einfluß der Deutschen Demokratischen Fraktion abgeschwächt worden. M i t besonderem Nachdruck wurde Bayerns treues Festhalten am Reich betont. Das A m t des Staatspräsidenten sollte nun ohne wesentliche Änderung der Verfassung mit dem A m t des Ministerpräsidenten verbunden werden 4 2 . Held wurde bald zum besten parlamentarischen Verteidiger der Regierung Kahr und ihrer Politik. I n der Regierungsaussprache vom 12. November 1920 verband er scharfe Angriffe auf die sozialistische Mißwirtschaft unter Eisner und Hoffmann mit dem Lob auf die Regierung Kahr, unter der die Ordnung weiter Platz gegriffen habe und daß „sie sich besser konsolidiert hat und die Sicherheit in höherem Maße verbürgt ist als vorher" 4 3 . Held verteidigte Kahr gegen den V o r w u r f der Reaktion. „ N u n gehen die Maßnahmen der Regierung Kahr sowohl nach der äußeren wie der innerlichen Seite der Volkserneuerung, und der Sicherheit, und ich meine, jeder, der es ernst meint, sollte sich an die Seite des Ministeriums stellen 4 4 ." M i t der Rechtfertigung und der Verteidigung der Regierung Kahr verteidigte sich Held selbst; denn er war der einflußreichste Parlamentarier i n der Regierung Kahr; das lag schon i n den verfassungsrechtlichen Verhältnissen begründet, die dem Vorsitzenden der stärksten Partei auch in einer Koalitionsregierung maßgeblichen Einfluß sicherte. Held war als Vorsitzender der BVP-Fraktion auch Vorsitzender des Ausschusses der Koalitionsparteien. Dazu kam noch, daß Held einen starken persönlichen Einfluß auf Kahr ausüben konnte. Beide Männer trafen sich i n manchen politischen Grundanschauungen. Kahr unternahm i n wichtigen politischen Dingen keinen Schritt, ohne vorher Heids Meinung eingeholt und sich seiner Zustimmung vergewissert zu haben. Das läßt sich an einem Beispiel sehr klar zeigen. Als der M i nisterrat am 5. Januar 1921 über die Nachfolge von Verkehrsminister Frauendorfer und die künftige Leitung der Zweigstelle Bayern des Reichsverkehrsministeriums beriet, äußerte Kahr: „Herr Geheimrat Held habe i h m geschrieben, er wolle sich wegen der Nachfolgefrage erst m i t seinen Parteifreunden ins Benehmen setzen; darauf habe er i h m erwidert, dem Ministerrat sei es darum zu tun, seine persönliche Meinung zu hören. Nach kurzer Aussprache erklärt schließlich der M i nisterpräsident unter Zustimmung des Ministerrats: Zunächst sei die 42 Die „Süddeutsche Demokratische Korrespondenz" weist auf die wesentliche Änderung des ursprünglichen Programmentwurfs Heids durch die DDP hin. Zit. n. BStZ, 168, 22. 7.1920. 43 Sten. Ber. 1920/21, Bd. 1, S. 703. 44 a.a.O., S. 704.
2. Die Politik Kahrs und der B V P
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Äußerung des Herrn Geheimrat Held abzuwarten und die Angelegenheit dann eventuell noch einmal i m Minister rat zur Sprache zu bringen; sollte Geheimrat Held sich dahin erklären, er halte Herrn Ministerialdirektor Dr. v. Graßmann für den Geeigneten, sei sich der Ministerrat ja einig 4 5 ." Der Einfluß Heids auf Kahr war auch in den politischen Kreisen Bayerns bekannt und wurde als sehr hoch eingeschätzt. „Ein hervorragender bayerischer Politiker" prägte dem Korrespondenten der „Vossischen Zeitung" gegenüber seine Meinung über das Verhältnis zwischen Held und Kahr sehr anschaulich i n dem Satz: „Geheimrat Held führt die bayerische Regierung, die Dr. v. Kahr leitet 4 6 ." Held war aber als Politiker wendig genug, sich dann, wenn sich K a h r in politischen Fragen wie der Einwohnerwehr und der Republikschutzgesetzgebung zu starr zeigte, und so Bayern i n den direkten Konflikt mit dem Reich zu bringen drohte, vom Ministerpräsidenten zu lösen, vor allem dann, wenn er merkte, daß Kahr sich allzusehr den rechtsaktivistischen Einflüssen zugänglich zeigte. Bevor diese Konflikte zur Sprache kommen, muß noch die innere Entwicklung der BVP seit Ende 1919 und ihr Verhältnis zum Reich und zum Reichstagszentrum beleuchtet werden, da sich aus dieser Entwicklung erst das weitere Verhalten der B V P i n den innerbayerischen Fragen und i h r Verhältnis zum Reich i n den nun bald einsetzenden Konflikten um Einwohnerwehr und Republikschutzgesetzgebung erklären lassen.
45 G S t A M : M A 99 516 No. 2/1921. 46 „Vossische Zeitung", Abendausgabe v o m 25.11.1920.
X X L Die Trennung der B V P vom Reichstagszentrum Noch i n seiner Einleitung zur bayerischen Verfassung hatte Held 1919 geschrieben: „Freilich sind die Bestimmungen der Verfassung des deutschen Reiches sehr dehnbar und unklar und öffnen dem Zweifel über ihren rechtlichen Charakter und Inhalt und damit ihrer Wirkung auf das Landesrecht Tür und Tor. Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, daß bezüglich einer ganzen Reihe von Bestimmungen der Verfassung des Deutschen Reiches nicht klar erkennbar ist, ob und inwieweit sie tatsächlich allgemeingültiges Recht schaffen, und ob und inwieweit sie lediglich Anweisungen und Richtlinien für die Gesetzgebung und Verwaltung der einzelnen Länder darstellen 1 ." Damit brachte Held noch den leisen Optimismus zum Ausdruck, daß auch die neue Reichsverfassung den Ländern noch einen kleinen Spielraum von Eigenstaatlichkeit belassen hätte. Es kam also auf die Handhabung dieser Verfassung von Berlin aus an. Überzeugte Foederalisten hätten aus dieser Verfassung eine länderfreundlichere Politik betreiben können, als es die Berliner Zentralisten tatsächlich taten. I m Bismarckschen Reich war Bayern noch finanziell auf eigenen Füßen gestanden. Durch das System der Matrikularbeiträge war das Reich zum Empfänger der Finanzen von den Ländern geworden. Mit der neuen Weimarer Verfassung wurde dieses Verhältnis vollständig umgekehrt. Das Reich hatte auf Grund des Art. 8 der Verfassung die Möglichkeit, die Länder finanziell zu entrechten und alle Einnahmen für seine Zwecke i n Anspruch zu nehmen. Der A r t . 8 der Weimarer Verfassung wurde zum stetig benutzten Werkzeug der finanziellen Aushöhlungspolitik 2 ; damit konnte jede Landessteuergesetzgebung unmöglich gemacht werden. Wohl hatte eine Sicherungsbestimmung vorgesehen, daß das Recht der Gesetzgebung über Einnahmen und Ausgaben nur in dem Maße vom Reich beansprucht werden sollte, als sie unbedingt für Reichszwecke gebraucht wurden. Gerade auf dem Gebiet der Finanzzuständigkeit von Reich und Ländern hatte sich nämlich der Wortlaut der Verfassung noch am meisten an der Verfassung von 1871 orientiert; die Länder sollten auf dem Gebiet der Finanzhoheit, der Steuergesetzgebung und Verwaltung möglichst geschont werden.
ι Held, Die Verfassung des Freistaates Bayern, München 1919, S. 4. 2 Schwend, Bayern, S. 113.
X X I . Die Trennung der B V P vom Reichstagszentrum
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Diese Möglichkeit zur teilweisen Erhaltung der finanziellen Lebensfähigkeit der Länder wurde aber durch die Praxis illusorisch. Die BVP konzentrierte nun ihre Kräfte auf die Abwehr der zentralistischen Aushöhlungspolitik der Länder durch die Finanzgesetzgebung des Reiches. Die Finanzgesetze Erzbergers zerschlugen aber jede bayerische Hoffnung. „Als wenn demonstriert hätte werden sollen, welch w i l l fähriges und zuverlässiges Instrument für unitaristische Operationen die Reichsverfassung sei, wurde i n wenigen Monaten die finanzielle Selbständigkeit der Länder zerstört und in kürzester Zeit in Gesetzgebung und Verwaltung ein mächtiger Reichsbau nach vollendetem zentralistischem Geschmack aufgerichtet 3 ." Daß sich gerade der Reichsfinanzminister Erzberger vom Zentrum zum Motor der Zentralisierung machte, mußte auf das Verhältnis B V P — Zentrum eine zerstörende Wirkung ausüben. Die bayerische Finanzverwaltung ging durch Gesetz am 1.10.1919 auf das Reich über. Der Geschäftsbereich des bayerischen Finanzministeriums war auf die Verwaltung des bayerischen Staatsvermögens und das noch verbliebene Recht auf Erhebung der Grund-, Haus- und Gewerbesteuer beschränkt. Die Reichsbehörden trieben nun auch noch die bayerischen Landessteuern und Landesabgaben ein. Die bayerischen Rentämter wurden aufgehoben und zu Finanzämtern des Reiches gemacht. Ein rigoroses Steuerprogramm Erzbergers folgte der Verwaltungszentralisation nach. Erzberger begründete diese Maßnahmen mit der gewaltigen Finanznot des Reiches durch die Reparationsforderungen der Entente. Um dieser Probleme Herr zu werden, schien ihm die straffste Organisation des Reiches notwendig. Entscheidend für das Verhalten Heids und der B V P war es aber, daß alle diese Maßnahmen auf die Einführung des zentralistisch regierten Einheitsstaates hinausliefen. Die Reaktion der B V P mußte aus ihrem ganzen staatspolitischen Programm heraus jetzt einsetzen. Heim hatte schon am 11. 8. 1919 i m „Bayerischen K u r i e r " geschrieben: „Man protestiert und es w i r d gemacht. Die Einzelstaaten haben keine Widerstandskraft gegen die Berliner Zentralgewalt. Die Reichsverfassung hat den Ländern das Rückgrat abgeschlagen 4 ." Noch am 27. November 1919 nahm die Nationalversammlung die Reichsabgabenordnung an. Das Maß des für bayerisches Empfinden Erträglichen wurde aber mit dem Antrag der preußischen Landesversammlung vom 17. Dezember 1919 auf baldige Schaffung des Einheitsstaates überschritten 5 . Der bayerische Landtag lehnte diesen Antrag mit den Stimmen der BVP, MP, BBd und 3 Schwend, a.a.O., S. 114. 4 B K , v o m 11. 8.1919. s Schultheis, 1919, Bd. 1, S. 505.
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DDP entschieden ab 6 . Held gab am 19. Dezember 1919 i m Bayerischen Landtag außerhalb der Tagesordnung eine Erklärung ab, in der er i m Namen der B V P alle auf die Unitarisierung des Reichs abzielenden Bestrebungen ablehnte. Sie sei entschlossen, dem Verlangen nach Errichtung eines förmlichen und völligen Einheitsstaates den schärfsten Widerstand entgegenzusetzen7. Der Sozialdemokrat Profit stand dagegen „der organischen Herbeiführung eines deutschen Einheitsstaates sympathisch gegenüber" 8 . 1. Das Vorgehen Heims Der Einheitsantrag der preußischen Landesversammlung brachte die A k t i o n Dr. Heims ins Rollen. Bereits am 23. Juni 1919 war er aus der Arbeitsgemeinschaft BVP/Zentrum i m Reichstag ausgeschieden. Jetzt schien für ihn die Möglichkeit gekommen, die bisher noch zurückhaltende BVP-Fraktion auf diesem Weg der Separation vom Zent r u m mitzureißen. Es wäre ihm wahrscheinlich nicht gelungen, wenn er sich nicht auf die Kräfte der BVP-Landtagsfraktion i n Bayern hätte stützen können. A u f dem Parteitag der B V P am 9. Januar 1919 stellte er den Antrag auf Lösung der Arbeitsgemeinschaft mit dem Zentrum i m Reichstag. Vorausgegangen war eine Sitzung des Landesausschusses der BVP am 20. Dezember 1919 i n München, der sich mit dem innerparteilichen Streit und der Zustimmung zur Reichsverfassung beschäftigte. Hier hatte Held die Zustimmung der BVP-Reichstagsfraktion nicht gebilligt und stellte sich so auf den Standpunkt Heims, der als einziger BVP-Abgeordneter gegen die Reichsverfassung gestimmt hatte. Held begründete seine Haltung mit dem Hinweis, daß man damit zu weitgehende kulturpolitische Zugeständnisse gemacht habe 9 . Heim selbst erblickte in der Zustimmung zur Verfassung einen Bruch des Programms der „Bayerischen Volkspartei" und warf seinen eigenen Parteifreunden Landesverrat vor 1 0 . Das Vorgehen Heims stieß i n der eigenen Partei, vor allem in den Kreisen um die „Augsburger Postzeitung", i n Schwaben und Franken und der christlichen Arbeiterbewegung u m den BVP-Abgeordneten Schirmer auf heftige Gegenwehr. A u f der schwäbischen Kreisversammlung der BVP wies Domkapitular Hebel den gegen die Abgeordneten der BVP, die für die Reichsverfassung gestimmt hatten, erhobenen β Sten. Ber. 1919, Bd. 2, S. 143 ff. 7 Sten. Ber. 1919, S. 143. β Ebd. 9 M N N , 521, 22. 12. 1919. 10 Ebd.
1. Das Vorgehen Heims
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V o r w u r f des Landesverrates zurück und sprach sich entschieden gegen eine Trennung der BVP vom Zentrum aus. Der Gedanke einer Lostrennung Bayerns vom Reich fand die „schärfste Ablehnung" in der Diskussion" 11 . Der Parteitag der B V P am 9. Januar 1920 war aber von anderen Kräften beherrscht. Prälat Leicht ließ keinen Zweifel darüber, daß das weitere Verbleiben der B V P i m Zentrum von dessen Stellungnahme zur Frage des Einheitsstaates abhängig sei. Der Vorwurf, daß die BVP durch Zustimmung zur Reichsverfassung Landesverrat getrieben habe, müsse m i t Entrüstung zurückgewiesen werden. Das Scheitern der Verfassung wäre der Beginn einer neuen Revolution gewesen. Der Anschluß an die Zentrumspartei sei erfolgt wegen der Notwendigkeit einer starken Partei zur Erhaltung der kulturellen Güter. Wenn sich allerdings Reichstagszentrum und Zentrumsparteitag auf den Standpunkt der Preußischen Landesversammlung stellten, müsse die BVP aus dem Zentrum ausscheiden. Bis zu einer klaren Entscheidung solle die Stellungnahme noch verschoben werden 1 2 . Heim selbst ging mit seinen Angriffen auf das Zentrum sehr viel weiter. Zum Antrag der Preußischen Landesverfassung biete die Reichsverfassung die Handhabe. Die Reichsverfassung habe dem Foederalismus den Strick gedreht; die BVP hätte also nicht dafür stimmen dürfen. Ohne Arbeitsgemeinschaft m i t dem Zentrum wäre wohl von der B V P in der Nationalversammlung der begangene Fehler nicht gemacht worden. Er selbst könne nicht mehr bei der Zentrumspolitik mitmachen 13 . Schirmer erklärte sich gegen die Trennung. Prof. Beyerle beschrieb die schlimmen Folgen der Trennung. Gerstenberg erklärte sich dagegen. Den Ausschlag gab wohl Held m i t einer scharfen Rede gegen Erzberger. Den V o r w u r f des Landesverrats wies Held zurück. „Ich habe m i t allen Fasern meines Herzens am deutschen Zentrum gehangen. Umso schmerzlicher ist es für mich, heute einen abweichenden Standpunkt einnehmen zu müssen 14 ." Es sei zwar kein Zweifel, daß das Ausscheiden der B V P aus dem Zentrum eine bedenkliche Schwächung des Zentrums bedeute, aber die Rede Erzbergers i n Stuttgart habe dem Faß den Boden ausgeschlagen; es übersteige alles Maß, wie er dort die früheren Fürsten behandelt, die Revolution verherrlicht und von ihren guten Wirkungen gesprochen habe. „Wenn die Zentrumspartei Wert auf die Verbindung m i t der BVP lege, dann solle sie Erzberger zu den Sozialdemokraten abschieben 15 ." — Stürmischer Bei-
11 12 13 14 is
M N N , 5, 5./6.1.1920. BStZ, 8, 11.1.1920. M N N , 5, 5./6.1.1920. RA, 18, 13.1. 1920. BStZ, 8, 11.1.1920.
X X I . Die Trennung der B V P v o m Reichstagszentrum
fall — Das sei die Stimme des Volkes. Werde heute nicht ein klares Verhältnis zur Reichstagsfraktion geschaffen, so drohe der BVP der Zusammenbruch. Ein Austritt aus der Arbeitsgemeinschaft bedeute noch lange nicht Feindschaft gegen das Zentrum. Für Held handelte es sich in erster Linie „ u m die Dinge in B a y e r n . . . Ich habe die Auffassung, daß man nicht an der Erwägung vorbeigehen kann, ob es nicht notwendig ist, aus Gründen der inneren bayerischen Politik diesen Schritt zu tun 1 6 ." Damit hatte Held schon angedeutet, daß die BVP auch schon bald aus der noch bestehenden bayerischen Regierung Hoffmann ausscheiden würde. Schließlich wurde der Antrag Dr. Heims, daß die BVP i n der Nationalversammlung sofort aus der Arbeitsgemeinschaft mit der Zentrumsfraktion ausscheide, mit großer Mehrheit angenommen 17 . Der Landesparteitag nahm außerdem einstimmig eine Resolution an, in der der Einheitsstaat abgelehnt wurde. Außerdem wurde mit großer Mehrheit beschlossen, den Zentrumsparteitag nicht zu beschicken. Die B V P berief in Konsequenz ihres Parteitagsbeschlusses Reichsschatzminister Dr. Maier-Kaufbeuren aus dem Reichskabinett ab. Mitte Januar 1919 trat auch Speck als bayerischer Finanzminister zurück. Den Rücktritt Specks hatte Heim m i t der Begründung gerechtfertigt, Speck bleibe „nicht länger der Hanswurst Erzbergers" 18 . Offiziell trat Speck aus „gesundheitlichen Rücksichten" zurück 19 . Damit hatten sich Heim und Held zwar durchgesetzt, die Entscheidung des Parteitags blieb aber nicht ohne Widerspruch. Domkapitular Hebel aus Augsburg legte sein Reichstagsmandat nieder. Der Widerstand gegen Heims Vorgehen regte sich vor allem im Fränkischen. Vor dem „Komitee der Arbeiter- und Angestelltenwähler der B V P " kritisierte der BVP-Reichstagsabgeordnete Konrad das Vorgehen Heims: „Die Überspannung des Foederalismus bedeute die Zerstörung des Reiches 20 ." Der Rede folgte eine Diskussion, die auf den Grundton abgestimmt war: „Gegen Dr. Heim und den überspannten Foederalismus 2 1 ." Das übertriebene foederalistische Prinzip müsse zurückgedrängt werden. Die auf dem Parteitag unterlegene Richtung begann sich zu rühren. Die Mehrheit der BVP-Reichstagsabgeordneten opponierte weiter gegen die Heimsche Politik, vor allem die Arbeitervertreter. 16 RA, 18, 13. 1. 1920. 17 BStZ, 8, 11.1.1920; H e i m erklärte, der Ausdruck „Landesverräter", der i m christlichen Bauernblatt gestanden sei, wäre zu bedauern, er selbst habe den Ausdruck nie gebraucht. 18 M N N , 16./17. 1.1920. 19 RA, 20, 14.1.1920. 20 Bayerische Volkszeitung, 239, 15.12.1920. 21 Ebd.
1. Das Vorgehen Heims
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Der Abgeordnete Schwarzer griff Heim i n Neumarkt/Opf. scharf an: „Die christliche Arbeiterschaft lehnt jede Diktatur ab, selbst dann, wenn sie aus Regensburg k o m m t 2 2 ! " Der Abgeordnete Leicht bekannte später auf dem Parteitag der B V P i m Mai 1920, nur die Hoffnung auf die Wiedervereinigung mit dem Zentrum habe ihn nach dem Beschluß der Landesversammlung abgehalten, sein Mandat niederzulegen 23 . Der Abgeordnete Linus Funke forderte i n der „Augsburger Postzeitung", den Trennungsbeschluß rückgängig zu machen 24 . I n den Reden der Abgeordneten Walterbach, Konrad, Funke und Schirmer wurde die Politik Heims scharf abgelehnt. Walterbach sah als ihren tiefsten Grund nicht die foederalistische Frage an, sondern das Bestreben, „rücksichtslose Agrarpolitik treiben zu können" 2 5 . Die Stimmung gegen Heim und seine Politik dauerte in Nordbayern mehrere Jahre an. I n einer Versammlung der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine i m Februar 1922 kam es zu einer für die Stimmung der fränkischen Wahlkreise der B V P bemerkenswerten Kundgebung. Schon die Mitteilung des Reichstagsabgeordneten Andre, daß er die besten Grüße des Reichskanzlers W i r t h überbringen solle, wurde mit „brausendem Beifall" 2 6 quittiert. Der Versammlungsleiter Meixner bedauerte die Haltung der B V P gegenüber Dr. W i r t h „aufs tiefste" 2 7 . Auch Pichler ergriff gegen Heims Versuche, die Geltung der Reichsverfassung durch eine nachträgliche Volksabstimmung i n Bayern wieder anzufechten, in der „Augsburger Postzeitung" das Wort zu einer scharfen Abwehr: „Dr. Heim hat . . . eine Bahn betreten, auf welcher die B V P als christliche Partei ihm nicht folgen kann 2 8 ." Die Tatsache, daß Heim gegen die Verfassung gestimmt habe, könne ihn nicht von der Verpflichtung entbinden, ihre Rechtsgültigkeit anzuerkennen. M i t der Sonderaktion Dr. Heims sei die Gefahr gegeben, daß die von ihm eingeleitete Bayerische Bewegung auf ein totes Gleis kommt. Damit war der Hintergrund angesprochen, auf dem die Auseinandersetzungen innerhalb der B V P sich vollzogen: die Rückbesinnung auf die bayerischen Kräfte und Sammlung aller bürgerlichen Kräfte zu einer verschärften A b - und Gegenwehr des Berliner Zentralismus, dem auch das Zentrum verfallen war. Die Rückwirkung der unitaristischen Reichspolitik auf Bayern hat diese politische Bewegung in
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M N N , 458, 12.11.1919. M N N , 189, 10. 5. 1920. Zit. i n BStZ, 27, 3. 2.1920. M N N , 81, 24. 2.1920. „Germania", 129, 26. 2.1922. Ebd. Augsburger Postzeitung, 47, 30.1. 1920.
X X I . Die Trennung der B V P v o m Reichstagszentrum
Bayern ausgelöst. Die Annahme der Reichsverfassung m i t der Einschnürung der einzelstaatlichen Autonomie, das fortgesetzt scharfe Nachdrängen zur weiteren Ausgestaltung des Einheitsstaats, wie es i n den Maßnahmen und Reden Erzbergers zutage trat, schließlich der unglückselige Beschluß der preußischen Landesversammlung gaben einen starken Antrieb dazu, die Kräfte i n Bayern zu sammeln, um eine starke politische und wirtschaftliche Macht der weiteren Verkümmerung der Rechte und wirtschaftlichen Interessen Bayerns entgegenzusetzen. Wahlagitatorisch bedeutete die Trennung den Versuch, die Verantwortung für die Politik des Zentrums im Reiche, die i m wesentlichen durch die Koalition der drei Mehrheitsparteien i n der Nationalversammlung geprägt war, vor den Wählern abzuschütteln. Die führenden Männer der BVP i n Bayern hatten täglich deutlicher erkannt, daß besonders i n den Reihen ihrer bäuerlichen und kleinstädtischen Anhänger die Abneigung gegen den von Erzberger gesteuerten Kurs des Zentrums i m Reiche i m Wachsen begriffen war; dieser populären, von ihrer eigenen Presse geschürten Stimmung, brachten sie das Opfer der Trennung von der Partei Erzbergers u m so lieber, als sie dafür eine zugkräftige Parole für die Wahlen i m J u n i 1920 einzutauschen hofften. „ A u f Erzberger schelten ist populär", stellten die „Münchner Neuesten Nachrichten" 29 fest 30 . 2. Versuche einer Vereinigung BVP — Bauernbund Heims Pläne zielten darauf ab, die BVP i n ihrer Struktur zu verbreitern. Ende 1919 hatten bereits Verhandlungen Heims mit dem Bauernbund stattgefunden 31 . A m 12. Dezember 1919 kam es zu einer Vereinbarung über einen „Waffenstillstand" zwischen B V P und Bauernbund, die gegenseitige Bekämpfung sollte aufhören 32 . A m 29. Dezember 1919 sprach Heim i n Regensburg vor 1200 Bauern über Bayerns Schicksalstunde. I n einer so schweren Zeit, in der sich die Zentrali29 M N N , 24, 13. 1.1920. 30 i n einem Brief an Held v o m 20.4.1920 beschrieb dessen geistlicher Freund Eisenmann sehr drastisch die Stimmung gegen die B V P i m Land: „Alles, was noch katholisch u n d christlich denkt u n d fühlt, ist tief enttäuscht über das Waschlappige der Zentrumspolitik und von den Folgen davon hat auch die B V P zu tragen . . . , w e i l auch die B V P nicht den Eindruck der Grundsatzfestigkeit u n d K r a f t auf die Wähler hinterläßt. Die christliche Schule ist verloren. 20 Wochenstunden Atheismus u n d 3—4 Stunden Religion — noch geduldet — bedeutet den Tod des Christentums. Verzweiflung bei den Führern u n d bei dem V o l k ! Ich habe große Angst vor den Wahlen. Alles frägt, w e n man wählen soll? N u r aus Mangel eines Besseren w ä h l t man noch Volkspartei!" A H R . 31 M N N , 486, 29. 11.1919. 32 Speckner, a.a.O., S. 90 ff. und Hundhammer, S. 171 ff.
2. Versuche einer Vereinigung B V P — Bauernbund
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sten als „die wirklichen Reichszertrümmer e r " 3 3 entpuppten, muß ten die Bestrebungen zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates, die nichts anderes darstellten, als „die preußische Blase w i r d so weit aufgeblasen, bis sie Deutschland heißt" 3 4 mit der Betonung der Einigenden und der Ausklammerung des Trennenden i n Bayern, m i t dem Zusammenschluß von Bauern und Mittelstand beantwortet werden. Eine Woche später trat Heim zusammen mit dem Bauernbundführer Eisenberger i n Rosenheim auf einer überfüllten Bauernversammlung auf. A m 7. Januar 1920 wurde auf einer gemeinsamen Sitzung von Vertretern des Bauernbundes und der christlichen Bauernvereine unter Vorsitz Heims in München ein Einigungsprogramm festgelegt. I n der Präambel hieß es: „Bauernverein und Bauernbund erstreben gemeinschaftlich die Erhaltung eines bodenständigen, wirtschaftlich kräftigen, christlich gesinnten, vaterländischen Bauernstandes i m Freistaate Bayern 3 5 ." I n der Schlußresolution wurde festgestellt, daß Bayern i n Weimar der Eigenschaften eines souveränen Staates vollständig verlustig gegangen und eine bloße Provinz des Reiches geworden sei 36 . Die Pläne Heims zu einer Einigung mit dem Bauernbund scheiterten. Schon Speck hatte auf dem Januarparteitag der B V P erklärt, daß, wenn sich die Gegner der B V P von der Einigung der Bauernschaft eine Sprengung der B V P erwarteten, sie bald enttäuscht würden 3 7 . Speck hatte damit die Hoffnung der Bauernbündler angesprochen, die sich von der Einigung der beiden bäuerlichen Organisationen die Sprengung der BVP erwarteten. Nachdem aber der Parteitag i n der Mehrheit dem Verlangen Heims gefolgt war, und so gleichzeitig der Einfluß der Bauernschaft in der BVP garantiert war, war der Grund für die von Heim angedrohte Sezession der Bauernvereine von der B V P weggefallen. Damit gewannen aber auch die Gegner einer Einigung i m Bauernbund wieder die Oberhand. A m 10. Februar 1920 faßte der Vorstand des Bauernbundes eine Resolution, die eine engere politische Gemeinschaft zwischen Bauernbund und Bauernvereinen solange für unmöglich erklärte, als die Bauernvereine das innige Verhältnis mit der B V P aufrecht erhielten 38 . Held hatte die Alternativen auf dem Parteitag der BVP i m Januar 1920 klar angesprochen, als er auf die Gefahr des Zusammenbruchs 33 34 35 36 37 38
M N N , 530, 31.12. 1919. Ebd. Zit. bei Speckner, a.a.O., S. 93. Ebd. BStZ, 8, 11. 1.1920. Speckner, a.a.O., S. 98.
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Keßler
X X I . Die Trennung der B V P v o m Reichstagszentrum
der BVP hinwies für den Fall, daß die B V P nicht die Gemeinschaft mit dem Zentrum aufkündige: entweder Trennung vom Zentrum oder Zusammenbruch der B V P durch Austritt des Bauernflügels aus der Partei. I n dieser Situation und unter dem Eindruck der allgemeinen Erregung i n Bayern über das zentralistische Vorgehen Erzbergers war es ihm gelungen, eine gemeinsame Plattform m i t Heim i n der scharfen Betonung der foederalistischen Position der B V P zu finden. Heim aber war es gelungen, die Partei unter Drohung der Sezession auf seinen Kurs zu bringen, sie zu einer scharf betonten bayerischen Politik zu zwingen. A u f dem BVP-Parteitag am 1./2. Mai 1920 i n München konnte Heim feststellen, der Bauernbund habe den Austritt des Bauernvereins aus der B V P gefordert. Es sei selbstverständlich, daß der Bauernverein der Volkspartei nicht den Rücken kehre, „solange sie seine Grundsätze vertrete" 3 9 . Der zweite Versuch Heims war aber fehlgeschlagen, den bäuerlichen Einfluß i n der B V P durch die Einigung mit dem Bauernbund noch zu verstärken. Das hatte Held durch die Voranstellung der foederalistischen Frage und des Nachgebens i m Fall des Heimschen Antrags auf Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit dem Zentrum verbinden können. Schon bei der Gründung der B V P hatte er diese Taktik gegenüber dem Vorstoß Heims angewandt. Indem er einschränkte und mitmarschierte hatte er oft die radikalen Bewegungen und Vorstöße Heims i n ihrer Wirkung abstumpfen können. Man gab die Gemeinschaft m i t dem Zentrum des Reiches auf, um die Gefolgschaft Heims nicht zu verlieren. Heids Verhalten war aber nicht nur eine taktische Maßnahme, sondern zeigte auch eine grundsätzliche Neuorientierung seiner Politik an. Gegen die Vorwürfe und Angriffe aus den Reihen seiner eigenen Partei, er sei seinen früheren Grundsätzen untreu geworden, setzte er sich mit einer grundsätzlichen Erörterung i m „Regensburger Anzeiger" zur Wehr, die zugleich seine Neuorientierung und sein bisheriges taktisches Verhalten klar umriß 4 0 . Er habe sich nach „einem langen inneren Kampf und einem genauen vorsichtigen Abwägen der Gründe für und wider den Antrag Dr. Heims" 4 1 auf Lösung der Arbeitsgemeinschaft für diesen Antrag erklärt. Seit 25 Jahren stehe er im öffentlichen Leben und sei von jeher aus innerster Überzeugung ein treuer Anhänger der deutschen Zentrumspartei gewesen. „Die Gründung der B V P ist ohne mein Vor wissen geschehen. Aber nachdem sie vollzogen war, bin ich der B V P beigetreten und habe mich ohne jeden Vorbehalt 39 M N N , 185, 7. 5.1920. 40 RA, 30, 20.1.1920. 41 Ebd.
2. Versuche einer Vereinigung B V P — Bauernbund
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auf ihr Programm verpflichtet 42 ." Erleichtert habe ihm den Übergang zur BVP die aus der Erfahrung der letzten Jahre geschöpfte Überzeugung, daß die deutsche Zentrumspartei den ersten staatspolitischen Programmpunkt der Partei: die Erhaltung und Förderung des bundesstaatlichen Charakters des Reiches, d. h. den Foederalismus m i t vollem Bewußtsein und i n systematischer Tätigkeit verleugnet habe und noch verleugne. Er habe von jeher i n der Vertretung dieses Grundsatzes eine Voraussetzung für die Förderung des Reichszusammenhalts und des Reichswohls, i n seiner Verleugnung die größte Gefahr für die Reichsentwicklung und den Reichsbestand erblickt. Als „absoluter A n hänger der Reichsidee und als Verfechter des Reichsbestandes sowie als Feind jeder Reichssprengungsabsicht" 43 habe er mit wachsender Sorge die Entwicklung des Unitarismus in der deutschen Zentrumspartei verfolgt. Das Programm der B V P habe sich m i t Nachdruck zum Foederalismus bekannt; das Bestreben des Zentrums laufe aber auf das Gegenteil des Foederalismus, d. h. des Reichseinheitsstaates hinaus. Er sei von vornherein gegen die enge Verbindung der B V P m i t der Zentrumspartei i n einer Arbeitsgemeinschaft gewesen. Was am 9. Januar der Münchner Parteitag beschlossen habe, sei nichts anderes als die folgerichtige Auswirkung der Gründung der B V P und der Feststellung ihres Programms. Außerdem hätte die Aufrechterhaltung der Arbeitsgemeinschaft mit der Zentrumspartei über kurz oder lang zur Sprengung der BVP geführt. „Es war meine Pflicht als Vorsitzender der Fraktion der BVP, den Weg einzuhalten, auf welchem die innere Einigkeit und Geschlossenheit der BVP in Bayern menschlichem Ermessen nach am besten gesichert ist 4 4 ." Die Frage stellt sich, ob Held i n diesem Prozeß Führer oder Geschobener war, der sich den neuen Verhältnissen anpassen mußte. A u f jeden Fall hatte Heim diese Verhältnisse mit bewegender K r a f t geschaffen. Das Verhalten des Zentrums hatte die Neuorientierung Heids erleichtern helfen. Den Verhältnissen hätte sich Held kaum widersetzen können. Die Haltung der BVP und ihren Umschwung hatte Held mit Hilfe seiner eigenen Zeitung, des „Regensburger Anzeigers" und des „Bayerischen Kuriers" vorbereiten und schließlich gegen seine eigenen K r i t i k e r verteidigen lassen. Der „Bayerische Kurier" nahm die „parteipolitische Initiative wieder kräftig i n die Hand" 4 5 . Die Polemik gegen Erzberger wurde äußerst scharf geführt, so daß die „Augsburger Postzeitung" 46 fragte, „ w a r u m duldet Held, daß in seinem Blatt solche A r t i k e l geschrieben werden?". 42 43 44 45 46 26*
Ebd. Ebd. RA, 30, 20.1. 1920. RA, 24, 16. 1.1920. No. 25, 17.1.1920.
X X I . Die Trennung der B V P v o m Reichstagszentrum
Der Hauptstoß der publizistischen Verteidigung richtete sich dabei gegen die linksgerichtete Politik des Zentrums. Der „Regensburger Anzeiger" rechtfertigte den Trennungsbeschluß der B V P damit, daß i n maßgebenden Kreisen der B V P mit überzeugender Gewalt die Erkenntnis zum Durchbruch gekommen sei, „daß ein weiteres Verbundenbleiben mit dem Reichszentrum angesichts dessen völlig links gerichteter Politik nicht bloß der BVP, sondern auch der katholischen Bewegung i n Bayern überhaupt zum schwersten Schaden ausschlagen werde" 4 7 . Erzberger wurde dabei als „geistiges Oberhaupt der Sozialdemokratie bezeichnet" 48 . I n logischer Folge mußte sich aus der Erkenntnis, daß man vom Zentrum abrücken müsse um des Schicksals Bayerns willen, der Entschluß ergeben, „sich rückhaltlos mit den Bestrebungen Heims einverstanden erklären" 4 9 . Die B V P war als selbständige Partei m i t eigenem Programmgehalt zur Wahrung der bayerischen Interessen gegründet worden. Die politische Entwicklung drohte diese Selbständigkeit zu vernichten. Der extreme Parlamentarismus des Reichstagszentrums, sein sachliches Verhältnis zur Sozialdemokratie und sein immer schroffer zu Tage tretender Zentralismus, kurz jene Eigenschaften des Reichstagszentrums, deren Hauptträger Erzberger war, rissen die K l u f t i m politischen Bewußtsein immer tiefer. Die Gegensätzlichkeit i n der Beurteilung jener Grundlage hatte zu einer Parteikrisis der B V P geführt, die aber bald überwunden wurde. Für die Entscheidung der B V P waren i n Bayern die Grundlagen i n der politischen Stimmung des Landes durchaus vorhanden. Vor allem i m Bauerntum gärte es; man erkannte, daß die Revolution ein Deutschland geschaffen hatte, in das man mit seinen „Anschauungen, seiner A r t und seinem wirtschaftlichen Bedürfnis nicht mehr recht hineinpaßte" 5 0 . Zugleich regten sich auch wieder gewisse ideelle Überlegungen i m Denken des Bauerntums. Sein Heimatgedanke, seine Anhänglichkeit an die Kirche, ihre Tradition und die christliche Schule, seine Abneigung vor der sittlichen Verkommenheit der Zeit hatten es langsam in die Opposition gegen die herrschende staatliche Ordnung gedrängt, die sich ihm allmählich als Unordnung zeigte.
47 48 49 so
RA, 18, 13. 1. 1920. Ebd. Ebd. M. Spahn, a.a.O., S. 117.
3. Die konservative Verfestigung des BVP-Programms
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3. Die konservative Verfestigung des BVP-Programms — Die Absage nach links Der Trennung vom Reichstagszentrum entsprach auch eine ideologische Neuorientierung der BVP. Held umschrieb dies mit dem Fernziel „Wiedergesundung" 51 . Das hieß Abrücken vom Sozialismus jeder Schattierung und Rückbesinnung auf die christlichen Grundlagen des Staates. Vor allem die Rede Heids am 9. Januar hatte klargemacht, daß das auslösende Moment der Trennung i m wesentlichen i n der Stellung des Zentrums zu den Sozialdemokraten i n staats- und kulturpolitischer Beziehung und i n der Frage der Revolution lag, i n der das Zent r u m über das Maß dessen hinausgegangen war, was in den Augen Heids die Not der Zeit und die daraus geborene Notwendigkeit des taktischen Zusammengehens sachlich gerechtfertigt hatte. „Die Apologie der Revolution, die Herr Erzberger zur Zeit für sachlich angemessen erachtet, findet in weiten Kreisen der BVP keinen Anklang 5 2 ." Deshalb mußte das Zentrum, wenn es Wert auf gute Beziehungen zur B V P legte, „zuvor das Tischtuch zwischen sich und Erzberger zerschneiden. Wer eine andere Auffassung vertritt, der mißkennt die Stimmung i m katholischen bayerischen Volke völlig" 5 3 . Die Lösung vom Zentrum erschien als „der Anfang einer ganz neuen Orientierung in wirtschaftlicher, sozialer und staatspolitischer Hinsicht" 5 4 . Die Abkehr vom Sozialismus galt vor allem für die kulturellen Fragen, die „ i m Reichszentrum eine immer zweifelhaftere Vertretung gefunden haben" 5 5 . Die B V P beherrschte der „unbedingte Wille, dem Erzberger'schen Kultursozialismus die Wiederinkraftsetzung der christlichen K u l t u r in Staat, Schule und Volksleben als Parole" 5 6 entgegenzusetzen. Das galt aber auch für die gesamte Wirtschafts- und Staatspolitik in Bayern und im Reich. Diese Neuorientierung bestand zunächst darin, daß in Bayern für alle Bevölkerungsschichten, die „des sozialistischrevolutionären Schwindels und der aus dem schrankenlosen Parlamentarismus herausgeborenen entsetzlichen Korruption des ganzen öffentlichen Lebens überdrüssig sind, ein Sammelpunkt geschaffen worden ist, an dem der Begriff ,Grundsatz 4 noch nicht zur inhaltlosen Phrase geworden ist" 5 7 , und diese Grundsatzfestigkeit sollte „ i n
si 52 53 54 55 56
RA, 18, B K , 12, RA, 20, RA, 18, Ebd. RA, 24,
13.1. 1920. 12.1.1920. 14.1.1920. 13.1.1920. 16. 1. 1920.
57 RA, 18, 13.1.1920.
X X I . Die Trennung der B V P v o m Reichstagszentrum
allernächster Zukunft bereits i n Erscheinung treten" 5 8 . Hier wurde erneut das Ende der Hoffmann-Regierung angekündigt. Der ideologische Unterbau für die spätere „Ordnungszelle Bayerns" wurde gelegt. Ihre nahe bevorstehende Realisierung wurde angedeutet. Der „Regensburger Anzeiger" deutete an, daß man „am Beginn einer zunächst innenpolitischen Umwälzung von allergrößter Bedeutung" stehe 59 , einer Umwälzung, wie er sofort hinzufügte, die „selbstverständlich m i t Reaktion nichts zu tun hat" 6 0 . Die B V P versuchte zum Sammelpunkt der Revolutionsgeschädigten, zur Grundsatzgemeinschaft vorrevolutionärer Überzeugung zu werden. „ N u n muß es Schluß sein mit der Propaganda für den sozialistischen Einheitsstaat, Schluß mit der wirtschaftlichen Anarchie und der Berliner Zentralwirtschaft, diesem organisierten Blutsaugersystem... Nur keine Ängstlichkeit! Der erste Hieb sitzt und der innerlich faul gewordene Baum w i r d und muß zu Fall gebracht werden . . . es genügt, daß der Stein ins Rollen gebracht wurde 6 1 ." Auf dem BVP-Parteitag am 1./2. Mai 1920 betonte Heim, die BVP lasse erst wieder von sich hören, wenn das Zentrum eine christlichnationale Partei geworden sei 62 . Auf dem gleichen Parteitag konnten Heim und Held auch die Resolution durchbringen, die die BVP-Fraktion im Reichstag, deren Mehrheit den Trennungsbeschluß ja ablehnte, vor jeder Wiederannäherung an das Zentrum bewahren sollte: „Für einen engeren Zusammenschluß mit anderen Fraktionen des Reichstags oder des Landtags bedürfen die Fraktionen der BVP der Genehmigung des Landesausschusses, für eine dauernde Verschmelzung m i t Fraktionen anderer Parteien, der Genehmigung der Landesversammlung 6 3 ." I n beiden Gremien besaßen Heim und Held die Mehrheit der Anhänger. Als es 1924 wieder zu einer ersten Kontaktauf nähme zwischen BVP und Zentrum in Bamberg kam, warnte Heim in einem Brief an Held vom 27. Juni 1924 vor einer Wiederversöhnung mit dem Zentrum: „Eine Entwicklung nach dieser Richtung würde mich nochmals auf den Damm bringen 6 4 ." M i t dem Trennungsbeschluß kehrte die alte Idee wieder, die auch schon bei der Gründung der B V P beherrschend gew i r k t hatte: „Zusammenschluß aller positiv christlichen und staats58 59 60 61 62 63 64
Ebd. RA, 18, 13. 1.1920. RA, 18, 13.1.1920. Ebd. M N N , 185, 7. 5. 1920. Ebd. AHR.
3. Die konservative Verfestigung des BVP-Programms
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erhaltenden Kräfte 6 5 ." I n den ersten Wochen ihres Daseins hatte sie den Versuch unternommen, sich als neue Partei m i t eigenen Zielen zu beweisen. Nach den Wahlen zur Nationalversammlung war aber der Schein der Selbständigkeit wieder verschwunden, als die BVP-Abgeordneten Mitglieder der Zentrumsfraktion wurden. Es war ein neuer Versuch der Orientierung, der erneuten Sammlung all jener Kräfte, die die B V P durch ihre revolutionsgeschwächte Politik der Konzessionen an Hoffmann i m Jahre 1919 wieder verloren hatte. Die Stimmung dafür war günstig. Die Landtagswahlen vom Juni 1920 bewiesen es. Denn ohne diesen deutlichen Schlußstrich unter die Vergangenheit und die scharfe Grenzziehung nach links hätte die B V P kaum jenen Stimmenzuwachs verzeichnen können. Die Taktik hatte sich bewährt, und wer die Volksstimmung wie Held zu kennen glaubte, mußte sie für richtig halten. Von dieser neugewonnenen festen Position und Plattform aus betrieben Held und die BVP ihre Revisionspolitik; das hieß für Bayern: Umgestaltung der Verfassung i n Richtung auf den Staatspräsidenten, die Errichtung einer zweiten Kammer, die A b schaffung der Diktatur des Parlaments und Kampf gegen die sozialistischen Kräfte; das hieß für das Reich: Revision der Verfassung, Rückgewinnung der verlorengegangenen Teile bayerischer Staatlichkeit. Das Verhalten der B V P i m Januar 1920 ist eine späte Rache an der deutschen Reichsverfassung, deren Schöpfer hätten wissen müssen, daß ein zentralisiertes Reich, ein von Berlin aus verwaltetes Reich nach den Erfahrungen der Kriegswirtschaft auf entschiedene Abwehr in Bayern stoßen mußte, sobald dieses Bayern sich wieder von der Schwäche der Revolution erholt hatte. Aus diesem gestärkten Selbstbewußtsein heraus ging man nun an die Abwehr weiterer zentralistischer Eingriffe in die innere Politik Bayerns und i n Kampfstellung gegen das „Berliner System", das man i n Bayern immer noch als revolutionsverseucht hielt.
6
5 RA, 18, 13. 1.1920.
X X I I . Die foederalistische Initiative der BYP — Das Bamberger Programm vom September 1920 Die Gegenwehr Bayerns gegen Berlin setzte unter der Regierung Kahr ein; die BVP übernahm hier die Führung, sie drängte nach der Ablösung Hoffmanns, der sich „zu sehr als Beauftragter der Berliner Regierung betrachtete" 1 , die Regierung Kahr in eine harte Abwehrstellung zu Berlin. Bereits nach einer zweimonatigen Regierungstätigkeit Kahrs konnte der „Regensburger Anzeiger" eine „Wendung zum Besseren" feststellen 2 . Das Verdienst Kahrs war es bereits, den Berliner Reichsstellen wieder zum Bewußtsein gebracht zu haben, „daß i n Bayern der eigenstaatliche Wille nicht untergegangen ist" 3 . Die BVP hatte sich vom Reichszentrum getrennt, um freie Hand zu bekommen und stärker zu werden für den Wiederaufbau Bayerns auf seiner alten historischen Grundlage i m Rahmen eines wieder neu zu ordnenden deutschen Reiches. Die B V P stand, wie es der Landesausschuß am 21. Dezember 1919 ausdrückte, „fest zum Reichsgedanken, der aber nur eine allseitige innere Zustimmung erfahren kann, wenn seine Verwirklichung das historisch Gewordene verständnisvoll achtet und pflegt und den einzelnen deutschen Ländern und Stämmen die Möglichkeit bietet zur vollen Entfaltung ihrer reichen kulturellen und wirtschaftlichen Werte" 4 . Aber gerade die kulturellen Werte schienen von Berlin aus bedroht. Es ist deshalb notwendig, den Berlinkomplex der BVP kurz zu umreißen, weil er als stimmungsmäßiger Hintergrund den Rahmen abgab für die nun einsetzende foederalistische Initiative der B V P im „Bamberger Programm" und die Konflikte Bayerns mit dem Reich. 1. Der „Berlin"-Komplex der BVP Auf dem Parteitag am 9. Januar hatte Speck ausgerufen: „ W i r wollen nicht, daß das süddeutsche Wesen untergeht i n dem modernen Berlinertum 5 ." Berlin war verrufen als internationale Schieberzentrale, ι 2 3 4 5
RA, 220, 19. 5.1920. Ebd. Ebd. RA, 1, 2. 1. 1920. RA, 1, 2. 1. 1920.
1. Der „ B e r l i n " - k o m p l e x der B V P
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als „cloaca maxima der Sittenverderbnis, als Sitz einer kulturfeindlichen Schulpolitik" 6 und eines zentralistischen Ungeheuers. Der Berliner Unitarismus wurde als Zwangsjacke empfunden, die die Lebensmöglichkeiten für die Glieder und Stämme des deutschen Volkes einengte und beschränkte und nicht mehr auf Volkstum, Land und Geschichte Rücksicht nahm. Reichstreue sollte aber nicht identisch sein mit der bedingungslosen Unterordnung unter das, was in Berlin für richtig empfunden wurde. I m Berliner System erschien der moderne Sozialismus verkörpert. Zentralismus, Unitarismus, Uniformismus waren Wesensbestandteile des sozialistischen Staatsgedankens. Die Sozialdemokratie hatte i n der Verfassung des Deutschen Reiches den Sieg davongetragen. Die BVP wollte nicht die Auflösung des Deutschen Reiches, wohl aber ein andersgeartetes Deutsches Reich, frei vom sozialistischen Zentralismus, der mittels einer mechanistischen Demokratie K u l t u r und Volkswirtschaft uniformierte und jede selbständige Lebensäußerung der Länder tötete. „Gegen den unsittlichen Barbarismus der Zentralwirtschaft wehren w i r uns i n Bayern", schrieb M d L Pfarrer Vielberth 7 . Weil Bayern staatsbildende und staatserhaltende Ideen und Qualitäten in der großen Masse seiner Bevölkerung besaß, mußte es Staat bleiben. Sobald es Provinz war, verlor es die Macht, aufbauend zu wirken. I m Foederalismus lagen solche aufbauenden Kräfte. Deshalb wollte die BVP Vorkämpferin des foederalistischen Gedankens sein, von dem sie allein einen Wiederaufbau des deutschen Volkes erwarten konnte. Der Gegensatz Unitarismus und Foederalismus war i n seinem tiefsten Kern „eine Weltanschauungsfrage" 8 . Bayern war so in Deutschland und weit über dessen Grenzen hinaus „der Gradmesser für die sittlichen Eigenschaften des deutschen Volkes geworden und zum Sinnbild für den Willen zum menschlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau" 9 . Auch der Souveränitätsgedanke Bayerns tauchte i n diesem Zusammenhang wieder auf. Die Souveränität der deutschen Einzelstaaten leite sich aus ihrer geschichtlichen Eigenständigkeit her. „Sie sind nicht bloß Stämme, deren Einheit auf gemeinsamer Abstammung beruht, sondern sie sind, wenigstens in ihren Hauptteilen, selbst Nationen 1 0 ." Das „Handbuch für die Wählerschaft" vom Jahre 1920 machte diesen Gedanken noch deutlicher: die BVP teile nicht „die irrige Meinung, e MdR Prof. Strathmann am 19.1.1921 i m Reichstag; zit. bei Speckner, a.a.O., S. 166. 7 „Allgemeine Rundschau", No. 31, 31. 7.1920, S. 406. 8 RA, 423, 18. 9.1920. 9 Speck am 17. 9.1920 i n Bamberg; zit. i n RA, 423, 18. 9.1920. 10 B K , 7./8. 8. 1920.
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X X I I . Die foederative Initiative der B V P
daß Deutschland ein einziges souveränes Volk habe; denn diese Anschauung wurde widerlegt durch die geschichtliche Tatsache, daß das Reich sich aus Einzelvölkern mit jahrhundertelanger selbständiger Entwicklung zusammensetzt, aus Völkern, die ihre selbständigen Vertretungen hatten und die sich durch parlamentarische Kämpfe und schließlich die bundesstaatlichen Revolutionen die Souveränität errungen hatten" 1 1 . 2. Das Bamberger Programm der BVP Diese Gedanken bayerischer Souveränität und ihrer Rückeroberung beherrschten auch das „Bamberger Programm" der BVP vom September 1920, an dem Held federführend mitgearbeitet hatte. I n ihm sollte die Haltung der B V P zu Reich und Reichsverfassung geklärt werden. Man verfolgte damit zwei Ziele: Bremsung der unitaristischen Entwicklung und die Umgestaltung der Reichsverfassung nach foederalistischen Gesichtspunkten. Maßgebliche Vorarbeit war bereits i n der Denkschrift der „Mittwoch-Vereinigung der Geistesarbeiter der B V P " vom Juni 1920 geleistet worden. Von einer Kommission des Landesausschusses der BVP wurde dann dem Parteitag der BVP ein zwölf Punkte umfassendes Programm vorgelegt. Der Kommission gehörten an: Staatsminister a. D. v. Seidlein, Staatsrat K a r l Mayer, Oberamtmann Decker, Oberregierungsrat Stützel, Prof. Hermann v. Grauert, Dr. Heim, Prof. K. Beyerle, Domkapitular Leicht, Geheimrat Held, Oberregierungsrat Schmelzle, Freiherr von Hirsch 12 . Als „Richtlinien über den foederalistischen Ausbau des Reiches" wurden die zwölf Punkte vom Parteitag verabschiedet. Damit sollte dem Unitarismus ein positiv gestaltetes Programm entgegengesetzt werden. „ W i r müssen einen Willen und ein Ziel haben. Sich nur als Foederalist bekennen, ohne zu wissen, was man w i l l , ohne ein Programm zu haben, ist eines Politikers unwürdig", hatte Held das neue Programm begründet 13 . Damit begann die entschlossene Reformpolitik der BVP. I n einer schwachen Stunde hatte man Bayern des letzten Restes seines Eigenlebens beraubt, jetzt sollte es wieder zurückgewonnen werden. Held war überzeugt, daß das Reich, so wie es bestand, nicht weiterexistieren konnte, deshalb mußte es auf einen neuen verfassungsrechtlichen Boden gestellt werden, auf dem es lebensfähig bleiben konnte. Ministerpräsident v. Kahr hatte das auf die Formel gebracht: „Das Reich kann
11 Ringelmann, a.a.O., S. 39. 12 Brief des BVP-Generalsekretärs A . Pfeifer v o m 20. 8.1920 an Held, A H R . 13 RA, 424, 19. 9. 1920.
2. Das Bamberger Programm der B V P
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nur foederalistisch sein oder es ist überhaupt nicht 1 4 ." Daraus ergaben sich die wesentlichen Forderungen des Bamberger Programms der BVP15: 1. „Die bundesstaatliche Form des Reiches und die Wiedereinführung eines dem früheren Bundesrate gleichwertigen Organes der Staaten. 2. Das Recht der einzelnen Staaten, ihre Staatsform und Staatsverfassung selbst zu bestimmen. Die beschleunigte Ermöglichung der Bildung von Einzelstaaten auf verfassungsmäßigem Wege. 3. Keine weitere Beeinträchtigung der Selbständigkeit der Staaten durch neue Gesetze und Verordnungen... 6. Das Recht der einzelnen Staaten, i n Angelegenheiten ihrer eigenen durch die Reichsverfassung gegebenen Zuständigkeit, mit auswärtigen Staaten Verträge abzuschließen und Vertreter bei auswärtigen Staaten zu bestellen. 7. Die Sicherstellung der Steuerhoheit der Staaten durch Erhebung eigener Steuern und Ermöglichung von Zuschlägen zu den Reichssteuern. Erhebung und Verwaltung sämtlicher Steuern . . . durch den Staat. 10. Die Gliederung der Reichswehr zu Lande in bundesstaatliche Kontingente. Das selbständige Recht der Staaten, für Zwecke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den Ausnahmezustand für das Staatsgebiet zu erklären und für diese Zwecke über ihre Kontingente zu verfügen. 11. Regelung des Schulwesens durch die Staaten als eines der Hauptgebiete der einzelstaatlichen Kulturpolitik." Das „Bamberger Programm" löste eine Welle von K r i t i k innerhalb und außerhalb Bayerns aus. Die Sozialdemokraten sprachen von Separatismus. Die i n der bayerischen Regierungskoalition vertretenen Parteien meldeten Widerspruch an und verlangten Aufklärung. Die „Deutsche Demokratische Fraktion" erblickte in einigen Hauptpunkten einen „unzeitgemäßen Vorstoß gegen das Reich" 1 6 . A m 1. Oktober fand eine interfraktionelle Besprechung der Regierungsparteien statt; sie erbrachte keine Klärung. Die deutschnationale „Mittelpartei" erhob vor allem gegen die Punkte 2 und 6 Bedenken. Die Differenzen der Koalition schwächten natürlich die Wirkung des Programms auf Berlin ab, wo man darauf verweisen konnte, daß man sich i n Bayern selbst nicht einig sei über das, was man wolle. Held schrieb daraufhin einen A r t i k e l im „Regensburger Anzeiger", der die 14 RA, 423, 18. 9.1920. is Wiedergabe i n gekürzter F o r m nach RA, 425, 20. 9.1920. ι« M N N , 407, 1.10.1920.
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X X I I . Die foederative Initiative der B V P
Koalition beruhigen sollte und zugleich die strittigsten Punkte interpretierte und verharmloste 17 . Unbeschadet der Erhaltung der Grundlage der Reichsverfassung könne man sehr wohl den Einzelstaaten in einer langen Reihe von Spezialgebieten des öffentlichen Lebens die volle Freiheit der staatsrechtlichen Gestaltung geben. Es widerspreche der Staatspersönlichkeit des einzelnen Staates, i h m bis in die Einzelheiten seiner Staatsreform und Staatsverfassung bindende Vorschriften zu machen. Die B V P dachte vor allem an die Möglichkeit zur B i l dung eines Zweikammersystems und die Schaffung eines Staatspräsidenten. Die Weimarer Reichsverfassung führe zur völligen Vernichtung jeder Staatspersönlichkeit der Einzelstaaten und uniformiere das gesamte Verfassungsleben derselben i n unerträglicher Weise, zerreiße alle geschichtlichen Zusammenhänge und mache die Berücksichtigung von Forderungen der eigenen Bedürfnisse und der Eigenart der Staaten unmöglich. I n der Mannigfaltigkeit des öffentlichen Lebens der Einzelstaaten im einzelnen und auf der Einheit im ganzen beruhe die Kraft des Deutschen Reiches. Wer diese Einheit i m großen und diese Mannigfaltigkeit in den Einzelheiten des staatlichen Lebens ermögliche, „ist kein Reichszerstörer, sondern ein Reichsförderer" 18 . Es sollte nicht ohne jede Rücksicht auf die Reichsverfassung die eigene Staatsform willkürlich gebildet werden, man wolle nur eine größere Freiheit der staatsrechtlichen Gestaltung erreichen, die an den Grundlagen der Reichsverfassung nicht rüttele. Zum geforderten Recht der Einzelstaaten, mit auswärtigen Staaten Verträge abzuschließen, bemerkte Held, daß Bayern seit 1871 das Recht zur selbständigen diplomatischen Vertretung bei Außenstaaten gehabt habe, i n der Zukunft werde das Hauptgewicht der Auslandsvertretung i n der Pflege der wirtschaftlichen Interessen und Beziehungen zu suchen sein 19 .
π RA, 452, 5. 10. 1920. 18 Ebd. 19 Schlittenbauer wies i n einer Verteidigung des Punktes 6 darauf hin, daß der wichtige Zusatz „ i n Angelegenheiten ihrer eigenen Zuständigkeit" von den K r i t i k e r n übersehen worden sei. I m Interesse der Erstarkung der bayerischen Volkswirtschaft müsse verlangt werden, daß dieser Kompetenzbereich auf wirtschaftlichem Gebiet so w e i t gezogen werde, als es ohne Gefahr f ü r das Deutsche Reich geschehen könne. Die bayerische Regierung sei gegenwärtig nicht i n der Lage, ζ. B. m i t der ungarischen Regierung einen Staatsvertrag abzuschließen über den A n k a u f von Braugerste, w o h l aber könne dies der Vorstand der E i n - u n d Ausfuhrgesellschaft i n Berlin, ein gewisser Herr Meyer. Das sei doch f ü r einen Bundesstaat von der Größe und wirtschaftlichen Bedeutung Bayerns ein unerträglicher Zustand. K e i n Mensch könne darin eine Gefahr f ü r das Deutsche Reich erblicken, „höchstens eine Gefahr für die Berliner Monopolgesellschaften". Was man solchen Monopolgesellschaften an Hoheitsrechten gewähren könne, das werde doch w o h l ohne Gefahr auch bundesstaatlichen Regierungen gewährt werden können (MNN, 439, 21. 10.1920).
2. Das Bamberger Programm der B V P
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M i t diesen Argumenten hatte Held die Koalitionspartner noch nicht überzeugen können. Dr. Hilpert von der Mittelpartei und Dr. Dirr von den Deutschen Demokraten gaben darauf Erklärungen ab, worin sie die Interpretation Heids für ungenügend erklärten. Vor allem habe er nicht eindeutig erklärt, daß die Bamberger Leitsätze auf die Arbeit i m Landtag und auf die Führung der Regierungsgeschäfte nicht anwendbar seien 20 . Daraufhin ließ die BVP offiziös erklären, „daß die Fraktion der B V P für ihre Politik i m Bayerischen Landtag nur das vereinbarte gemeinsame Koalitionsprogramm k e n n t " 2 1 und daß die beiden Programme sich in keiner Weise berührten; i m Regierungsprogramm handle es sich um praktische Gegenwartspolitik, i n den Bamberger Leitsätzen habe die BVP aber die Gedanken niedergelegt, „wie sie sich die als notwendig erkannte Revision der Weimarer Verfassung und den Neuaufbau des Reiches i n ihrer zukünftigen Entwicklung vorstellt" 2 2 . Das bayerische Regierungsprogramm werde durch das Bamberger Programm in keiner Weise berührt 2 3 . Die Demokraten verlangten daraufhin eine eindeutige Erklärung von Ministerpräsident Kahr. I m November 1920 zeigte sich bei der Aussprache zum Etat des Äußern i m Landtag die Spaltung der bayerischen Parteien i n ihrer Auffassung über die Lösung des bayerischen Problems. Man war sich wohl einig i n dem Widerstand gegen den aus Berlin drohenden Zentralismus, konnte sich aber nicht über den Schatten der eigenen historisch überkommenen Vorstellungen zum Reichsaufbau hinwegsetzen. So kam es zu keiner geschlossenen Willensbildung i m Landtag. Der progressive Foederalismus wurde zu einer ausgesprochenen Parteisache der BVP degradiert. Kahr erklärte i m Landtag, daß das Bamberger Programm „weder die Koalition noch die gegenwärtige Staatsregierung" 24 berühre; für sie gelte nach wie vor das sogenannte Koalitionsprogramm, darüber hinaus könne aber jede Partei noch andere und weitergehende Forderungen aufstellen. Für die BVP betonte Speck noch einmal die Reichstreue seiner Partei 2 5 und verwahrte sich gegen den Vorwurf des Separatismus. Man habe übersehen, daß zwischen Foederalismus und Separatismus „ein gewaltiger Unterschied besteht" 2 6 . 20 21 22 23 24 25 26
BStZ, 235, 8. 10.1920. Ebd. Ebd. Ebd. sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 614. Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 628. Ebd.
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X X I I . Die foederative Initiative der B V P
Schon i n der Einleitung zum Bamberger Programm hatte die BVP erklärt: „Die BVP hält am Deutschen Reich unverbrüchlich fest 27 ." Sie wollte an der überkommenen Form des deutschen Nationalstaates, wie er sich selbst seit 1871 herausgebildet hatte, nicht rütteln. Der Foederalismus der BVP bewegte sich „vollkommen in den Formen des überkommenen nationalstaatlichen Denkens und hatte i m Grunde genommen kein anderes Ziel, als die Stellung zurückzugewinnen, die Bayern i n der Bismarckschen Verfassung eingenommen hatte" 2 8 . Diesen Gedanken sprach Held 1922 i m Landtag klar aus, als er feststellte: „Das Bamberger Programm ist das foederalistische Programm der deutschen Entwicklung von 1870 bis 1914 und nichts anderes 29 ." Der Foederalismus der BVP „marschiert i m Reiche, mag man ihn auch noch sehr verunglimpfen und bekämpfen", meinte Speck 30 . Der Sozialdemokrat Auer habe das Gespenst der Monarchie von Frankreichs Gnaden auf dem Hintergrund des BVP-Programms erscheinen lassen; „jetzt die Monarchie bei uns ausrufen wollen, das hieße, dem monarchischen Gedanken selbst den allerschlechtesten Dienst erweisen" 31 . Held selbst bekannte sich i n einer Rede als Urheber des Bamberger Programms 32 . Wenn er so zurückblicke, was dieses Programm alles angerichtet habe, so „möchte ich fast stolz darauf sein, daß es die BVP war, die dieses Programm der Welt vorgesetzt hat" 3 3 . Held versicherte erneut, daß die B V P trotz Bamberger Programm am Koalitionsprogramm festhalte, solange diese Koalition bestehe. Was die B V P jetzt fordere, habe sie schon i n ihrem Gründungsprogramm verlangt. Es gebe i m bayerischen Landtag viele, die sich als Foederalisten bekannten, er wünsche aber, daß sie nicht nur einem Wortfoederalismus huldigten, sondern vor allem dem „Tatfoederalismus" 34 . Wer sich auf den Boden der Reichsverfassung stelle, „hört meines Erachtens auf, Foederalist zu sein" 3 5 . Held verteidigte i n einer oft von Tumulten unterbrochenen Rede das Bamberger Programm und ging dabei weit über die von Speck eingeschlagene Beschwichtigungslinie hinaus und zum Angriff über. Er verteidigte die Punkte 2 und 6 des Programms, „denn in ihnen ist die Möglichkeit der Staatspersönlich-
27 28 29 30 31 32 33 34 35
RA, 425, 20. 9. 1920. Schwend, a.a.O., S. 138. Sten. Ber. 1922, Bd. 7, S. 73. Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 628. Ebd. Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 694 ff. Ebd. Ebd. Ebd.
2. Das Bamberger Programm der B V P
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keit begründet, aber ohne Staatspersönlichkeit kein Foederalismus" 36 . Man sollte aus der Geschichte des Reiches lernen; 40 Jahre habe man ein blühendes Reich gehabt auf foederalistischer Grundlage, wo alle diese Selbständigkeiten den einzelnen Staaten gegeben waren. Damals habe es ja auch nicht die Gefahr der Reichszerstörer gegeben. Er sei der Meinung, daß selbstverständlich die einzelnen Staaten in den Grundrichtlinien auch i n der äußeren Verfassung konform gehen müßten mit dem Reich, daß aber andererseits eine ganze Reihe von wichtigen kleineren Dingen, die zu den Lebensnotwendigkeiten der einzelnen Staaten gehörten, den Staaten selbst überlassen bleiben müßten. „ W i r bleiben beim Bamberger Programm und halten fest daran in allen seinen Teilen 3 7 ." I n der Aussprache des Landtages hatten sich die Fronten des bayerischen politischen Lebens gezeigt. Die Sozialdemokraten hatten eine Position bezogen, die sie in den Augen der B V P zu Gegnern einer von ihr betriebenen bayerischen Staatspolitik und zum Helfershelfer der unitaristischen Reichspolitik gemacht hatte. Für die Haltung der Sozialdemokraten war außerdem maßgebend ihre grundsätzliche Opposition gegen die Regierung Kahr, die sie von jedem Einfluß auf die bayerische Politik verdrängt hatte, und deren „Ordnungszellenpolitik" sie als politische Reaktion bekämpfte. Daß sie dabei den Beifall und die Unterstützung der gesamten sozialistischen und demokratischen Linken i m Reiche fanden, machte sie für die B V P nur noch suspekter. Für Held blieb diese Haltung der MSPD ausschlaggebend für sein Verhältnis zu dieser Partei bis 1933. 3. Das endgültige foederalistische Programm der BVP Das Bamberger Programm vom September 1920 hatte nur vorläufigen Charakter. Es war der Auftakt zur entschlossenen Reformpolitik der BVP, bei der Held initiativ gewirkt hatte. Die Regierung Kahr selbst trug viel zur Wiederbelebung des bayerischen Staatsgedankens bei. I n der politischen Auseinandersetzung, die der Ermordung Erzbergers und der Ausnahmeverordnung des Reichspräsidenten vom 29. und 30. 8.1921 folgte, prallten die Gegensätze zwischen Berlin und München heftig aufeinander. Das Reich mußte zwar nachgeben, aber Kahr stürzte, weil i h m die B V P paradoxerweise i n seiner harten Politik, die ihn i n den direkten Konflikt m i t dem Reich zu bringen drohte, die Gefolgschaft verweigerte. Aus diesen Erfahrungen versuchte die BVP ihr foederalistisches Programm neu zu überdenken 36 Ebd. 37 a.a.O., S. 698.
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und die seit Bamberg in der öffentlichen Diskussion erhaltenen Anregungen zu einem überarbeiteten Programm zusammenzufassen. Die BVP-Landesversammlung vom Oktober 1921 setzte eine neue Kommission unter Leitung von Seidlein und Baron Hirsch ein. Gleichzeitig versuchte die BVP, m i t den foederalistischen Bewegungen außerhalb Bayerns ein foederalistisches Aktionsprogramm für die Tätigkeit des Reichstages aufzustellen und sie zu gemeinsamer Politik zu sammeln 3 8 . I n der Hoffnung auf die Schaffung einer foederalistischen Gesamtpartei i m Reichstag verabschiedete der Parteitag der BVP am 28. Oktober 1921 die Entschließung: „ I m Sinne einer aktiven foederalistischen Politik sind alle gleichgerichteten Kräfte und Bewegungen i m Reich zu sammeln zur gemeinsamen A r b e i t " 3 9 . Die foederalistischen Wünsche der Partei wurden i m Frühjahr 1922 i n ein Grundsatzprogramm zur foederalistischen Umgestaltung der Reichsverfassung und in ein Aktionsprogramm aufgeteilt. Held war wieder maßgeblich beteiligt. Die Kontakte mit den Foederalisten aus Hessen, Hannover, Schleswig-Holstein und dem Rheinland hatten jedoch keine konkreten Erfolge gezeitigt. So wurde das endgültige foederalistische Programm der B V P wiederum kein über die bayerischen Bedürfnisse hinausragendes foederalistisches Reichsprogramm, „sondern blieb, wenn es auch keine bayerischen Sonderrechte in Anspruch nahm und für alle Länder sprach, ein begrenztes bayerisches Programm" 4 0 . Die Landesversammlung der B V P i m Oktober 1922 nahm es endgültig an. Jener Teil des Programms, der eine Änderung der Reichsverfassung voraussetzte, stützte sich i m wesentlichen auf das Bamberger Programm. „Die BVP w i r d eine Änderung der Reichsverfassung i m Sinne dieser Forderungen mit den verfassungsmäßigen Mitteln nachdrücklichst betreiben 4 1 ." I n einem zweiten Teil wurde ein Aktionsprogramm aufgestellt, das ohne Änderung der geltenden Verfassung ein weiteres Vordringen der Reichsgewalt verhindern sollte 42 . Erneut wurden der BVP separatistische Forderungen unterstellt; doch dieses Programm war ganz auf dem Boden des Rechts- und Verfassungsgedankens entstanden, an dem die BVP als Verfassungspartei festhielt und auf dem sie ihre Bestrebungen zur Revision dieser Verfassung aufbaute. 38 Schwend, a.a.O., S. 139. 39 Zit. nach K . Beyerle: Foederalistische Reichspolitik, S. 61. 40 Schwend, a.a.O., S. 140. 41 Zit. bei Schwend, a.a.O., S. 141. 42 Das 15 Punkte umfassende Programm ist abgedruckt bei Schwend, a.a.O., S. 141 ff.
3. Das endgültige foederalistische Programm der B V P
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Die wirklichen politischen Leistungen Heids in der Zeit bis 1924 lagen in der beherrschenden Rolle, die er i n der BVP zur Entfachung einer bayerischen Initiative zur foederalistischen Umgestaltung der Weimarer Verfassung und in der Bestimmung ihrer Richtung spielte. Damit hatte er auch den Grund gelegt für seine Reformpolitik, die er als Ministerpräsident von 1924 bis 1933 betrieb. Schon die offizielle bayerische Denkschrift vom Dezember 1923, zu der er die Regierung K n i l l i n g immer wieder drängte, stimmte i n ihren Hauptpunkten mit dem offiziellen Programm der BVP vom Oktober 1922 überein. Es ist bekannt, daß Held und die BVP mit ihrer revisionistischen Verfassungspolitik bis 1933 keinen Erfolg erringen konnten. Das lag nicht zuletzt an der Kluft, die zwischen den erhobenen Forderungen und den Möglichkeiten ihrer Realisierung lag. Diese K l u f t war deshalb nicht zu überwinden, weil die BVP und besonders Held den Weg der legalen Verfassungsänderungen eingeschlagen hatten, und vor allem Held daran später unbeirrt festhielt. Bei den bestehenden parlamentarischen Machtverhältnissen war an eine Verfassungsänderung durch parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse nicht zu denken. Hier hatte die BVP die Kräfteverhältnisse bedeutend unterschätzt. Daß sie aber trotzdem so verbissen an ihrem Reformprogramm festhielt, lag nicht zuletzt am Willen der Mehrheit ihrer Wähler und an den treibenden Kräften eines immer noch vorhandenen bayerischen Staatsbewußtseins. Aber gerade die Tatsache, daß eine Änderung der Reichsverfassung zugunsten der Länderrechte erfolglos blieb und bleiben mußte, führte zur Verhärtung und Verkrampfung des bayerischen eigenstaatlichen Bewußtseins und des Selbstbehauptungswillens und zu zähem Festhalten an dem einmal eingeschlagenen Weg. Es verleitete Held aber auch zur Fehleinschätzung der vorhandenen Kräfte. Denn es hatte eigentlich wenig Sinn, ein Programm zu verkünden, dessen Durchführung nicht möglich war. Ministerpräsident Lerchenfeld sprach diese Problematik nach seinem Rücktritt i n einem Gespräch mit dem württembergischen und preußischen Gesandten am 7. November 1922 an: „Es sei aber auch dabei wieder das Unglück, daß der politische Horizont hier ein so entsetzlich enger sei, man könne sich hier gar nicht recht vorstellen, daß anderswo die Verhältnisse anders gelagert s e i e n . . . Auch in den Parteien bedenke man hier nie genügend die anderen Teile des Reiches, wo andere Gesinnungen herrschen. So habe er der Aufstellung des foederalistischen Programms der BVP, das so ganz extreme Forderungen enthalte, über die man zur Zeit nur lachen könne, dringend widerraten, aber vergeblich... Er müsse n u r immer überall beschwichtigen und sagen, daß es mit dem Programm nicht so ernst gemeint sei 43 ." 4
3 Zit. bei Deuerlein: Hitlerputsch, S. 48.
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Keßler
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X X I I . Die foederative Initiative der B V P
4. Das bayerische Staatsbewußtsein bei Held — Foederalistische Grundauffassung Die Überschätzung der politischen Kräfteverhältnisse zwischen Bayern und Reich, die Realitätslücke zwischen foederalistischen Grundanliegen und zentralistischen Tatsachen lag zum großen Teil daran, daß man i n BVP-Kreisen immer noch an die reale Existenz einer bayerischen Eigenstaatlichkeit glaubte, während schon nach drei Jahren Weimarer Verfassung das bayerische Staatswesen, insoweit es sich als Freistaat empfand und gab, in etwa „einem ausgeblasenen E i " 4 4 glich. Seit der Reichsverfassung von 1919 gab es kein Bayern mehr, das noch so viel foederalistisches Eigengewicht gegenüber dem Reich besessen hätte, daß man es i m wahren Sinn als Staat hätte ansprechen können. Betrachtet man die Verhandlungen des bayerischen Landtags, so kann man feststellen, daß mehr als 90 °/o aller Behandlungsgegenstände wegen Unzuständigkeit des „souveränen" bayerischen Landtags zur Verbescheidung an den Reichstag oder an Reichsbehörden weitergegeben werden mußten. So war i n großen Teilen jede bayerische Regierung gegenüber dem Berliner Zentralismus zur Ohnmacht verurteilt. Held war der Meinung, daß die bayerischen Landtagsabgeordneten „eine recht traurige Rolle spielen, seitdem die Weimarer Verfassung gemacht worden ist. Was ist noch Übriggeblieben von dem, was man Eigenleben nennt? Herzlich wenig, nahezu gar nichts" 4 5 ! Die Folge war, daß sich neben den rein verfassungsrechtlichen Abgrenzungen und ihrer republikanischen Theorie ein eigentliches bayerisches Staatsbewußtsein hielt und aufrechterhalten wurde, das auch die Revolution und die neue Reichsverfassung nicht hatten zerstören können, sein Sonderdasein weiterlebte und i m Bewußtsein der großen Mehrheit des bayerischen Volkes lebendig blieb. Es war das Bewußtsein, daß man innerhalb des Reichsganzen noch etwas Besonderes darstellte; das war bayerische Staatstradition mit dynastischem Hintergrund, die auch nach 1919 noch nach Selbstbestimmungsrechten verlangte. Die ersten bayerischen Reaktionen nach Bekanntwerden und den ersten Beratungen des Verfassungsentwurfs von Weimar waren dann auch entsprechend enttäuscht und scharf artikuliert 4 6 .
44 Franz Wetzel i n „Großdeutscher Reichsherold", 13, 28. 3.1925. 45 Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 691 ff. 46 Der „Bayerische K u r i e r " schrieb: „ M i t brutalster Gewalt ist man über die unveräußerlichen Rechte eines Staatswesens hinweggeschritten. I n u n begreiflicher Verkennung aller staatsrechtlichen Begriffe, i n völliger M i ß achtung der völkischen Eigenart u n d der daraus entspringenden reichen
4. Das bayerische Staatsbewußtsein bei Held
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Von diesem Bewußtsein aus formierte sich immer der Widerstand gegen die unitaristische deutsche Republik. Dieser Widerstand wurde nicht nur von der verfassungsmäßigen bayerischen Republik getragen, sondern stützte sich vor allem auch auf außerparlamentarische Kräfte und Bewegungen in der Spannweite des „monarchistischen" Bayerns bis zu den aktiven gegenrevolutionären Bewegungen der „Vaterländischen Verbände". Darin lag das eigentliche bayerische Problem. Die Verfassungsreformbestrebungen der B V P suchten diese Lücken zwischen dem fortlebenden bayerischen Staatsbewußtsein und dem es beschneidenden Weimarer Staatsaufbau durch eine foederalistische Revisionspolitik zu korrigieren. Das war für Held die Aufgabe eines nachrevolutionären bayerischen Foederalismus, der sich an vorrevolutionären Realitäten orientierte. So entwickelte sich dieser spezifische Foederalismus bei ihm, der glaubenssatzartigen Charakter hatte, inhaltlich nur wenig variabel war und auf die Rückgewinnung des staatlichen Eigenlebens Bayerns abzielte. Reiner Stammesfoederalismus mischte sich theoretisch zwar mit echtem Foederalismus nach der Grundkonzeption von Constantin Frantz, dem aber i n der Praxis wieder die preußische Frage i m Wege stand und der so nicht das Grundmuster des genossenschaftlichen Foederalismus: Gleichheit, Gleichberechtigung, Gleichgewicht bei Held zum Prinzip werden lassen konnte, sondern sein Ansatz lag mehr i m Prinzip des Stammesfoederalismus. Erst später neigte er wieder stärker dem Gleichgewichtsfoederalismus zu, als die preußische Frage und die Pläne einer Zerschlagung Preußens auch i n der B V P diskutiert wurden. Zunächst mußten aber Held und die BVP für einen negativen Foederalismus kämpfen, der i n der Propaganda oft als Separatismus ausgelegt wurde, weil sein Ziel nicht so sehr in einer erhöhten Mitbestimmung des bundesstaatlichen Willens lag, sondern i n der Sicherung einer bundesfreien Sphäre m i t optimalen staatlichen Rechten für Bayern. Held hat das Reich immer bejaht, er ging nie separatistische Wege; um was es i h m ging, war die staatliche Stärkung der Glieder des Reiches, wobei er für mehr staatliche Freiheit Bayerns vom Reich kämpfte. K u l t u r w e r t e , w ü l m a n die Staaten der Grundlagen ihres Seins berauben. Freie Volksstaaten sollen zu Reichsprovinzen herabgewürdigt werden . . . Bayern . . . w i r d sich eine Entmündigung nicht gefallen lassen . . . Auch eine Reichsexekution kann uns Bayern nicht schrecken" (BK, 84, 25. 3.1919). H e i m formulierte noch drastischer: „ W i e w i r d unser V o l k die Augen aufreißen, w e n n es einmal zu der Erkenntnis kommt, daß die bayerische Selbständigkeit vollständig erledigt ist u n d Bayern k ü n f t i g v o n B e r l i n aus regiert w i r d . . . Bayern verschwindet vollständig i m Berliner Schnappsack u n d f ü h r t n u r noch eine Scheinexistenz . . . Das Ende v o m L i e d ist, daß w i r k ü n f t i g ein Deutsches Reich haben, das m a n ebensogut Preußen heißen könnte" (BK, 88/89, 29./30. 3. 1919). 27·
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X X I I . Die foederative Initiative der B V P
Für Held war Foederalismus „eigentlich das Naturgemäße" 47 nach der ganzen geschichtlichen Entwicklung i n Deutschland. A u f die allgemeine „Foederalismus"-Diskussion kann hier nicht eingegangen werden, schon deshalb nicht, weil dieser Begriff in der verfassungsrechtlichen und historischen Literatur noch nicht eine unumstrittene Definition gefunden hat 4 8 . Foederalismus war für Held „Einheit, aufgebaut auf der Vielheit; Foederalismus ist organischer natürlicher Aufbau und Zusammenfassung der Kräfte, Foederalismus ist pulsierendes Eigenleben der Glieder am ganzen Körper, er ist sittlicher, geistiger und wirtschaftlicher Wettbewerb und schließlich ist Foederalismus höchste Kraftentfaltung und höchster Kulturfortschritt deshalb, weil aus dem Foederalismus sich ganz von selbst ergibt das innere Zusammenstreben zum Ganzen" 4 9 . Der Foederalismus erschien i h m als Garant der menschlichen und politischen Freiheit. Dagegen war für ihn Unitarismus „die widernatürliche, die künstliche Konstruktion eines Staates" 50 , er war Zwang und Ertötung der Freiheit. Der Staat sollte nach Meinung Heids von unten herauf gegliedert sein, auf Zellen m i t jeweiligen Eigenleben beruhen, wobei die einzelnen Glieder nach dem Subsidiaritätsprinzip staatswesentliche Aufgaben in ihren Bereichen ausfüllten. Ausgehend von den Grundsätzen des Rechts sollte der Foederalismus dann der „Zusammenschluß Gleichberechtigter zu gemeinsamer Wohlfahrt" 5 1 sein: „Es ist das System des organischen Aufbaues der staatlichen Ordnung i n freier Selbstverwaltung, ausgehend vom Individuum über die Familie — und endlich der Zusammenschluß der Länder 5 2 ." Echter Foederalismus setzte also den freiwilligen, nicht aufgezwungenen Zusammenschluß gleichberechtigter Staaten zu einem Bund voraus. I n diesem Sinn konnte er für Held reichsfördernd wirken: „Foederalismus heißt Leben für das Reich und heißt Aufbau für das Reich 53 ." 47 Sten. Ber. 1922, Bd. 7, S. 72. 48 „Die Diskussion über den Foederalismus ist über einzelne Ansätze und Bemühungen nicht hinausgekommen. So ist auch der Begriff „Foederalismus" nicht n u r i n seinen Grenzen, sondern auch i n seinen Inhalten verschwommen u n d umstritten" (E. Deuerlein i n : Das Parlament, No. 28, 1968, S. 421 ff.). 49 Sten. Ber. 1922, Bd. 7, S. 72. so Ebd. si Zit. bei Β . Habel, a.a.O., S. 2. 52 Ebd. ss Sten. Ber. 1922, Bd. 7, S. 73. Konrad Beyerle hat i m entsprechenden Sinn dies so formuliert: „Der Foederalismus erstrebt, durch ungehemmte Entfaltung aller natürlichen K r ä f t e der einzelnen Glieder den Organismus des Ganzen zu stärken u n d zur Blüte staatlicher K u l t u r zu bringen. Foederalismus i m Gegensatz zu Partikularismus ist ein dem Ganzen zugewandter Kranz hingebungsfreudiger Teile, ist nicht i n sich gekehrte Eigensucht und Eigenbrötelei. Foederalismus w i l l nicht die bewußte Niederhaltung der Zen-
4. Das bayerische Staatsbewußtsein bei Held
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Wie sehr diese Frage sogar ins Weltanschauliche hineinging und von dort her bestimmt war, zeigt eine Denkschrift, die Held 1931 verfaßte und die sich mit den „Auswirkungen einer verfassungspolitischen Vereinheitlichung des Reiches auf die kulturellen Interessen des gläubigen Christentums" auseinandersetzte. Als katholischer Politiker sah er auch hier jene „höheren Gesichtspunkte, . . . , von denen sich die christliche Weltauffassung in allen Fragen des Gemeinschaftslebens leiten lassen muß" 5 4 . Das hatte für Bayern reale Hintergründe: durch die unitaristische Reichsverfassung war es auch der BVP, obwohl sie in Bayern es hätte parlamentarisch erreichen können, nicht möglich, jene christlichkatholische K u l t u r p o l i t i k zu betreiben, wie sie es gern getan hätte. I n der Regierungsdenkschrift von 1924 hieß es: „Das bayerische Volk w i l l Herr seiner eigenen Seele und Herr der Seele seines Staates bleiben" 5 5 . Für Held war es ζ. B. unmöglich, „das Reich i n ein einziges Reichsschulgesetz hineinzubringen" 5 6 . Die ganze Summe seiner foederalistischen Überzeugung faßte Held i n dem Satz zusammen: „ W i r sind Foederalisten aus historischen Gründen, aus Wirtschaftsgründen, aus Zweckmäßigkeitsgründen, aus Ersparnisgründen und aus kulturellen Gründen 5 7 ." Aus historischen Gründen war dieser Foederalismus der Selbstbehauptungswille gegen das Reich; natürlich war dieser Foederalismus von seiner dynastischen Vergangenheit her besonders begründet und konnte vor allem von Held aus bayerischer Sicht mit historischer Legitimation umgeben werden; daß die bayerische Staatlichkeit theoretisch auch durch die Revolution und die neue Reichsverfassung nicht gebrochen worden war, hat er wiederholt betont. Besonders als Ministerpräsident hat er immer wieder auf den Staatscharakter Bayerns hingewiesen. Er war der Meinung, daß nach seinem foederalistischen Konzept den Gliedstaaten ihre Staatswürde aus eigenem Recht vindiziert war. Wenn auch Heids Verhältnis zur Weimarer Verfassung aus bayerischstammesfoederalistischen und zum Teil auch aus religiös-weltanschaulichen Gründen belastet war, so lehnte er „als ein Fanatiker der Legalität" 5 8 jede Änderung dieser Reichsverfassung auf revolutionärem Wege ab, sondern wollte immer nur den der legalen Revision gehen, tralgewalt, sondern erstrebt i m Gegenteil durch besonnenes Ausmaß eine solche Zuteilung der Staatsausgaben auf Gesamtstaat u n d Gliedstaaten, welche innere Notwendigkeit, verbunden m i t größtmöglicher Freiheit zur Richtschnur n i m m t " (Foederalistische Reichspolitik, S. 13). 54 Brief Heids an W o h l m u t v o m 25. 3.1931, zit. nach E. Schnitzer, a.a.O., S. 21. 55 z i t . nach Zimmermann, a.a.O., S. 74. 56 Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 691. 57 B K , v o m 24. 3.1928. 58 Schwend, a.a.O., S. 274.
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X X I I . Die foederative Initiative der B V P
u m „ i m Rahmen des Möglichen auf legalem Wege eine Änderung herbeizuführen" 5 9 . Auch als Ministerpräsident und republikanisch-demokratischer Amtsträger hielt er an diesem Grundsatz fest: „Den gegebenen Rechtszustand gegen Angriffe des Umsturzes und der Gewalt, des Putsches zu verteidigen und das Beste aus ihm für Volk und Vaterland herauszuholen 60 ." Die Weimarer Verfassung trug nach seiner Meinung i n sich selbst ja schon so viele Mängel und entsprach i m allgemeinen so wenig der geschichtlichen Entwicklung und dem politischen Geist des deutschen Volkes, daß sie sich auf die Dauer schon selbst nicht würde halten können. M i t seiner Revisionspolitik wollte er Bayern wieder eine Stellung „erkämpfen, die seiner historischen und seiner lebendigen Bedeutung entspricht" 6 1 , das hieß realiter zumindest Wiederherstellung der Bismarckschen Verfassung. Die Politik, die Held als Ministerpräsident trieb und die i n der Denkschrift von 1926 und i n seiner Haltung auf den Länderkonferenzen zum Ausdruck kam, lief i m letzten auf dieses Ziel hinaus; das hätte auch „seine verfassungsrevisionistischen foederalistischen Wünsche vollauf befriedigt" 6 2 . Als aber unter Kahr der bayerische Foederalismus sich als zu starr, zu reichsfeindlich erwies und an die Grenze des direkten Konflikts geriet, machte Held nicht mehr mit.
59 Sten. Ber. 1925, Bd. 4, Sitzung v o m 15. 2.1925. e» Ebd. 61 BStZ, 129, 6.6.1928. 62 Schwend, a.a.O., S. 273 — Die w o h l beste und den Ideen Heids am adäquateste Fundierung des bayerischen Foederalismus, jenes sogenannten „aufgeklärten" Foederalismus, stammt von K . Beyerle, Foederalistische Reichspolitik.
X X I I I . Die B V P und die Konflikte Bayerns m i t dem Reich 1. Die bayerische Einwohnerwehr Der Gedanke des Selbstschutzes der Bürger gegen Anarchie und politischen Terror war von der sozialistischen Regierung Hoffmann zur Abwehr und Niederschlagung der Rätediktatur propagiert worden. Zweck der Einwohnerwehr war es daher, die öffentliche Sicherheit im eigenen Wohnbezirk zu garantieren und die Polizei i m Kampf gegen Aufruhr und Plünderungen zu unterstützen. Zunächst waren dies rein örtliche, unpolitische und nichtmilitärische Verbände, die sich aus allen Kreisen der regierungstreuen Bevölkerung von links bis rechts zusammensetzten. „Bei der engen Verbindung zwischen Heimatgedanken und Staatsgedanken i n Bayern lag es nahe, daß die Heimatschutzorganisation in den Bereich einer auf die heimatlichen Kräfte gegründeten Staatspolitik trat 1 ." Bald entwickelte sich die Einwohnerwehr aber zu einem politisierenden Wehrverband. Ihre Führer Escherich, Kanzler und Kriebel hatten während des Kapp-Putsches bereits eine entscheidende Rolle als Nebenregierung gespielt, die sich i m folgenden immer stärker ausbaute. Zudem spielten in diesen Kreisen die Gedanken der Pflege des Wehrwillens i n milizähnlichen Gebilden eine entscheidende Bedeutung, womit man die Entwaffnungs- und Entmilitarisierungspolitik der Entente umgehen wollte. Bereits Ende März 1920 verlange die Interalliierte Militärmission von der Reichsregierung die Auflösung der Selbstschutzorganisationen Damit begann der Kampf u m die Einwohnerwehr, der mehr als ein Jahr dauern sollte und die politische Kraft des Ministeriums Kahr beanspruchte und es schließlich in einen aufreibenden Konflikt mit der Reichsregierung brachte. Die Einwohnerwehr um jeden Preis zu erhalten, war ein „ A x i o m der Kahrschen Staatspolitik. I n ihr sah der parlamentsfremde Ministerpräsident die eigentliche Basis seiner Regierung und das wesentliche Instrument für die Erfüllung der bürgerlichen Ordnungsaufgabe, die er sich gestellt hatte" 2 . Die B V P unterstützte zunächst Kahr i n dem Kampf u m ihre Erhaltung; die Motive waren die Furcht vor einer neuen roten Revolution. ι Schwend, a.a.O., S. 159. Schwend, a.a.O., S. 160.
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X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
Bei Entwaffnung der Einwohnerwehr hätten die Bolschewisten nach Meinung der BVP erreicht, was sie wollten: ein bewaffnetes Proletariat gegenüber dem waffen- und schutzlosen Bürgertum. „ A u f diesen Augenblick wartet die entstehende Armee Deutschlands", schrieb der „Regensburger Anzeiger" 3 . A m 9. J u l i 1920 hatte die deutsche Kommission in Spa die vorgelegten Bedingungen der Entwaffnung der Sicherheits- und Einwohnerwehren unterzeichnet 4 . Kahr ließ daraufhin offiziös erklären, „daß auf die Einwohnerwehr und Sicherheitswehr in Bayern unter keinen Umständen verzichtet werden könne" 5 . Die bayerische Regierung werde von diesem Standpunkt aus ihre Bemühungen fortsetzen, „ i m Lande Schutz und Ruhe zu erhalten, dessen Staat und Volk zu ihrer Sicherheit unbedingt bedürfen" 6 . Kahr verlegte sich auf die Linie der passiven Resistenz. I m Abkommen von Spa wurde die Reichsregierung zur Vorlage eines Entwaffnungsgesetzes verpflichtet, das der Reichstag am 3. August 1920 annahm 7 . Die partei-offiziöse BVP-Korrespondenz schrieb, die Annahme des Entwaffnungsgesetzes im Reichstag habe im bayerischen Volk, „soweit sein Sinn nicht auf neue Revolution und Bolschewismus gerichtet ist" 8 , die größte Beunruhigung hervorgerufen. „Es ist auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand, daß der Staat sich ständig i n Gefahr befindet, von bewaffneten revolutionären Organisationen über den Haufen gerannt zu werden 9 ." Held verteidigte am 12. November 1920 i m Landtag die Politik Kahrs. Er ging davon aus, daß die Konsolidierung der bayerischen Verhältnisse der Einwohnerwehr zu verdanken sei. Die Revolutionsfurcht von links wirkte immer noch nach: „Die Einwohnerwehr ist nichts anderes als die Wehr der Leute, die ihre Erfahrung gemacht haben i n Bayern, und zwar mit dem Bolschewismus, und die nicht wollten, daß dieser Zustand ein zweitesmal über Bayern kommt 1 0 ." Die Einwohnerwehr sei eine Selbstschutzorganisation und habe nichts zu tun mit der Politik. Held lehnte dagegen die „Organisation Escherich", die „Orgesch" ab. Entgegen der harten und kompromißlosen Haltung Kahrs deutete Held die Bereitschaft an, die Abmachungen von Spa zu erfüllen: „Selbstverständlich unterwerfen w i r uns den Abmachungen von Spa, wenn sie uns noch so schwer ankommen. Sie sind getroffen und als loyale Reichs- und Staatsbürger sind w i r dafür, 3 RA, 305, 12. 7.1920. 4 Schultheis, Europäischer Geschichtskai., Bd. 1920, S. 190. s Ebd. 6 Ebd. 7 Schulthess, a.a.O., S. 231. 8 RA, 361, 13. 8.1920. 9 Ebd. 10 Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 704.
1. Die bayerische Einwohnerwehr
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daß das Ziel dieser Abmachungen auch erreicht werden muß 1 1 ." Aber im Augenblick könne Bayern die Einwohnerwehr noch nicht auflösen, solange diejenigen Leute, die „die Zerstörung auf ihre Fahnen geschrieben haben, noch Macht und Waffen i n der Hand haben" 1 2 . Aber die Einwohnerwehr sei keine Dauereinrichtung. Sie solle auch nach ihrer Natur keine sein. I n dem Augenblick, wo normale Verhältnisse eingetretene und einigermaßen Garantien gegeben wären, daß ohne Einwohnerwehr Ruhe, Sicherheit und Ordnung gewährleistet seien, „ i n dem Augenblick bin ich auch der Meinung, muß die bayerische Einwohnerwehr verschwinden" 13 . I m Dezember forderte die Entente erneut die sofortige Auflösung und Entwaffnung. Damit hatten sich bereits die Differenzen i n der Beurteilung der Frage zwischen Held und Kahr angezeigt. Das sogenannte Pariser Diktat vom 29. Januar 1921 forderte die Auflösung bis spätestens 30. Juni 1921. Vor dem Landesausschuß der BVP mußte Kahr am 10. Februar 1921 seine unnachgiebige Politik gegen Angriffe aus seiner eigenen Partei verteidigen 14 . Die Sozialdemokraten forderten ebenfalls die Auflösung und Entwaffnung; für sie war der Verdacht maßgebend, die Einwohnerwehr sei ein Instrument reaktionärer Restaurationsbestrebungen. Unter dem Zwang der außenpolitischen Lage nahm der Reichsrat gegen die sieben Stimmen Bayerns das von der Reichsregierung eingebrachte Gesetz über das „Verbot der Selbstschutzorganisationen" an. Kahr erklärte noch am 15. März 1921 i m Landtag, daß er nicht an der Auflösung der Einwohnerwehr mitwirken könne" 1 5 . Das war offene Opposition gegen die Außenpolitik der Reichsregierung. Noch am 14. A p r i l 1921 fand Kahr eine vorläufige Unterstützung Heids i m Finanzausschuß: „ W i r sind der Auffassung, daß die Einwohnerwehr heute noch nicht entbehrt werden k a n n . . . W i r stützen uns dabei auf die Tatsachen, namentlich auf die Gefahren der Rätezeit, von den Vorgängen i n Mitteldeutschland ganz zu schweigen 16 ." A m 24. März war in Mitteldeutschland ein kommunistischer Aufstand ausgebrochen, zu dessen Niederwerfung Polizei und Reichswehr mehrere Wochen benötigten. K a h r rühmte sich Ende März, daß das Bestehen der Einwohnerwehr ein Übergreifen des Aufstandes auf Bayern verhindert habe 17 . Doch i m Mai sah auch Held ein, daß die
11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Schwend, is Sten. Ber. 16 BStZ, 85, 17 Speckner,
a.a.O., S. 167. 1920, Bd. 2, S. 593. 14. 4.1921. a.a.O., S. 195.
4 2 6 X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
Einwohnerwehr nicht mehr zu halten sei. A m 6. M a i erfolgte das Londoner Ultimatum. Kahr war zu dieser Zeit i n Berlin und versuchte Reichskanzler Fehrenbach zu einem Nein zu bewegen 18 . I n dieser Situation trat die BVP für die Auflösung ein. Angesichts der drohenden Besetzung des Ruhrgebietes und der Loslösung Oberschlesiens stand die BVP vor der Frage, ob Bayern durch sein unentwegtes Festhalten an seiner bisherigen Politik die Ursache werden sollte für die Zerreißung der nationalen Zusammengehörigkeit. Innere Unruhen wären die Folge gewesen. Auch Kahr hatte inzwischen gemerkt, daß seine Polit i k unhaltbar geworden war. I n einer Besprechung m i t den Führern der Koalitionsparteien am 25. Mai 1921 ergab sich „völlige Übereinstimmung über den einzunehmenden Standpunkt" 1 9 . Held war in der schwierigen Endphase des Kampfes u m die Einwohnerwehr krankheitshalber nicht in München gewesen. Erst zu der erneuten Besprechung der Koalitionsparteien am 30. M a i 1921 kam er nach München. „Daß es sich um Entscheidungen von großer Tragweite für unsere ganze innerpolitische Lage handelte, geht daraus hervor, daß auch Abgeordneter Held, obwohl er sich in Rekonvaleszenz befindet, zu den Beratungen hier eingetroffen ist" 2 0 , schrieb die „Bayerische Staatszeitung". Offensichtlich hatte sich Kahr erneut von den aktivistischen Kräften der Einwohnerwehr um den Stabsleiter Kriebel beeinflussen lassen. Das Gespräch mit Held brachte die endgültige Entscheidung für die Auflösung. A m 31. Mai 1921 gab Kahr i m Finanzausschuß die Erklärung ab, daß die Regierung entschlossen sei, in Erfüllung des Ultimatums in der Entwaffnung der Einwohnerwehr das möglichste zu t u n und dabei die Termine möglichst einzuhalten. Die Koalitionsparteien sprachen bei dieser Gelegenheit Kahr das Vertrauen aus 21 , d. h. sie deckten die Niederlage Kahrs in der Öffentlichkeit ab. „Die Politik ist die Kunst des Erreichbaren, und wenn sie über diese naturgemäße Grenze hinüberstrebt, w i r d sie zur Katastrophe. Ein Einhalten dieser Grenze ist nicht Schwäche, sondern die selbstverständliche Berücksichtigung der eigenen K r a f t 2 2 . " M i t dieser Argumentation rechtfertigte Stang, ein Mann der Richtung Heids, das Verhalten der BVP. Von dem Einwohnerwehrführer Rudolf Kanzler mußte sich Held später den Vorwurf gefallen lassen, daß die Richtung Held i n der BVP im M a i 1921 bereits gegenüber K a h r und
is Schwend, a.a.O., S. 169. 19 BStZ, 120, 28. 5.1920. 20 BStZ, 122, 31. 5.1921. 21 BStZ, 123, 1. 6.1921. 22 RA, 252, 4./5. 6.1921.
2. Held i n der Republikschutzfrage 1921
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Escherich ihren „entwaffnungs- und auflösungsfreundlichen Einfluß" 2 3 ausgeübt habe. Ein A r t i k e l des „Regensburger Anzeigers" hatte die Haltung Heids bereits sehr deutlich ausgesprochen: „Da die bayerische Regierung anscheinend auf dem Standpunkt steht, man kann i h r den Vollzug der Auflösung nicht zumuten, so muß die Reichsregierung ein Machtwort sprechen und die Einwohnerwehr i n kürzester Frist auflösen und die Einwohnerwehr muß, wenn sie nicht die Reichszertrümmerung oder den Einmarsch der Entente verantworten w i l l , die unbedingten Konsequenzen ziehen 24 ." Die richtige Einsicht i n die Konsequenzen einer weiteren Weigerung der bayerischen Regierung und der Wille, es nicht zum direkten Konflikt mit dem Reich kommen zu lassen, hatten die Entscheidung Heids beeinflußt. Obwohl die bayerische Regierung sich nach wie vor widersetzte und den passiven Widerstand begünstigte, machte die BVP nicht mehr mit. Kahr spricht in seinen „Lebenserinnerungen" von einer „Miesmacherei innerhalb der BVP gegen die Einwohnerwehr" 2 5 . Das Ergebnis dieser Krise, i n der die B V P K a h r so weit wie nur möglich gefolgt war, w a r eine Schwächung des Vertrauens der BVP i n die Regierung Kahr und seine politischen Fähigkeiten 2 6 » 2 7 . Als Kahr i m September 1921 Bayern in der Auseinandersetzung um das Republikschutzgesetz erneut an den Rand des direkten Konflikts mit der Reichsregierung brachte, entzog i h m die BVP endgültig ihre Unterstützung. 2. Held in der Republikschutzfrage 1921 Die Ermordung Erzbergers am 26. August 1921 brachte eine Ausnahmeverordnung der Reichsregierung und des Reichspräsidenten, die als „Gesetz zum Schutz der Republik" firmierte und sich ganz eindeutig gegen die nationale Rechte richtete. Diese Reichsausnahmever-
23 R. Kanzler, „Bayerns K a m p f gegen den Bolschewismus", S. 116. 24 Zit. bei Kanzler, a.a.O., S. 116. 25 Zit. bei Klinger, a.a.O., S. 39. 26,27 Sehr deutlich interpretierte Trossmann die H a l t u n g der B V P : „ D e m vereinigten A n s t u r m der Gegner der Einwohnerwehr hat zwar die EW erliegen müssen. Es muß aber auch gesagt werden, daß den Gegnern i m Inland, den Sozialdemokraten, u n d Ausland der Sieg erleichtert w u r d e durch unkluges Verhalten mancher Kreise i n der EW. M a n hätte dort unsere Lage verstehen u n d kennen müssen . . . u n d deshalb w a r es unklug, durch große Paraden, Aufzüge . . . u n d manchmal recht geschwollene militärische Reden uns die Gegnerschaft gewissermaßen an den Hals zu hetzen. Kurzsichtiger Nationalismus . . . hat auch hier Unheil gestiftet." — Trossmann, Die Tätigkeit der B V P i m Bayerischen Landtag 1920—21, S. 11.
4 2 8 X X I I I . Die B V P und die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
Ordnung stellte ohne Zweifel einen erheblichen Eingriff i n die Polizeihoheit der Länder dar; ihre Durchführung lag in den Händen des Reichsinnenministers. Daran entzündete sich der bayerische Widerstand; außerdem war i n Bayern noch der Ausnahmezustand i n Kraft, den die Regierung Hoffmann am 4. November 1919 erlassen hatte. Unter dem Ministerium Kahr w a r der bayerische Ausnahmezustand vor allem gegen links gehandhabt worden; die bayerischen Linksparteien hatten deshalb schon öfters seine Aufhebung gefordert. I n Bayern empfand man die Reichsausnahmeverordnung als einen unerträglichen Eingriff i n die eigenen innenpolitischen Verhältnisse und i n den Rechtszustand Bayerns; schon vom foederalistischen Standpunkt aus mußte so die Gegenwehr einsetzen. Eine gemeinsame Erklärung der bayerischen Koalitionsparteien vom 1. September 1921 sprach von einem „tiefgreifenden Einbruch i n die Polizeigewalt Bayerns" 2 8 . Die Reichsregierung gab ihre Verhandlungsbereitschaft zu erkennen. Kahr jedoch wollte, schon um den Eindruck der Niederlage in der Einwohnerwehrfrage wieder zu korrigieren, diesmal gegenüber Berlin hart bleiben. I n den Koalitionsparteien bestand jedoch die Bereitschaft zu Verhandlungen. Kahr konnte sich m i t seiner harten Haltung bei den Verhandlungen nicht durchsetzen, und so entglitt ihm die Führung der bayerischen Politik. Staatssekretär Schweyer fuhr, begleitet vom demokratischen Abgeordneten Dirr, noch am 1. September 1921 zu Verhandlungen nach Berlin. Als Schweyer am 5. September i m Ministerrat Bericht erstattete, konnte er ein für Bayern wenig befriedigendes Verhandlungsergebnis mitteilen; Kahr bekam m i t seiner starren Haltung wieder Oberwasser und gab dem Fall „das Gewicht einer politischen Kardinalfrage des bayerischen Staates" 29 . Die Koalitionsparteien zeigten eine wesentlich stärkere Verhandlungsbereitschaft. Man sah hier keinen anderen Weg als den der Verhandlungen mit Berlin. Inzwischen w a r auch Held vom Frankfurter Katholikentag i n München eingetroffen. Die Landtags- und Reichstagsfraktionen der BVP hatten sich bereits entgegen der starren Haltung Kahrs am 2. September in einer Resolution auf eine mittlere Linie festgelegt. „Unter Ablehnung extremer Bestrebungen halten sie eine Politik der mittleren Linie, des Ausgleichs und der Versöhnung für die einzig richtige und mögliche 30 ." I n einer Sitzung der Koalitionsparteien am 5. September, bei der auch Kahr anwesend war, wurde Übereinstimmung erzielt, daß m i t Berlin wegen der Fragen der Verordnung des Reichspräsidenten und des bayerischen Ausnahmezustandes 28 M N N , 369, 2. 9.1921. 29 Schwend, a.a.O., S. 173. 30 RA, 403, 3. 9. 1921.
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2. Held i n der Republikschutzfrage 1921
weiter verhandelt werden sollte. Kahr berichtete i m Ministerrat vom 7. September 1921 über diese Sitzung mit den Koalitionsparteien 31 . Er selbst habe die Meinung vertreten, daß der Ausnahmezustand unentbehrlich sei. Letzten Endes habe sich aber die Koalition dahin geeinigt, daß die weitere Aussprache m i t der Reichsregierung nicht durch den bayerischen Gesandten i n Berlin gepflogen werden solle, sondern durch eine Abordnung, bestehend aus Vertretern der Regierung und Koalitionsparteien. „ A u f Vorschlag aus der Mitte der Versammlung hat sich der Vorsitzende der Koalitionsparteien, Held, selbst bereit erklärt, an der Abordnung teilzunehmen 32 ." K a h r erklärte, er habe davon abgesehen, gegen diesen Beschluß der Koalition sofort Widerspruch zu erheben und geltend zu machen, es sei nicht Sache der Parteien, Bayern gegenüber dem Reich zu vertreten. Er bedauere die Entsendung der neuerlichen Kommission. Held selbst widersprach später dieser Version. Kahr i h m verlangt, daß er mit Schweyer die Verhandlungen müsse. „Erst seinem Wunsch habe ich nachgegeben nach Berlin gereist. Das ist die Wahrheit, alles andere
habe direkt von i n Berlin führen und bin damals ist Schwindel 3 3 !"
Schweyer, Held, D i r r und Hilpert fuhren erneut nach Berlin. Man machte sich Hoffnungen auf einen Kompromiß, um so mehr, als bei den Koalitionsparteien, „vor allem auch bei der BVP, die Meinung bestand, daß es unter keinen Umständen zu einem Bruch m i t dem Reiche kommen darf" 3 4 . Verschiedene Zeitungen hatten bereits davon gesprochen, daß zwischen Held und Kahr tiefgehende Meinungsverschiedenheiten über die schwebenden politischen Fragen bestanden hatten und daß es des ganzen persönlichen Einflusses von Held bedurft hatte, u m einen Ausgleich zu finden, der die kritische Hochspannung zwischen Koalition und Kabinett zunächst beseitigte 35 . Der „Regensburger Anzeiger" w i dersprach zwar dieser Darstellung und betonte die Einigkeit zwischen Kahr und Held. Der spätere Verlauf der Krise bestätigte aber die bereits bestehenden Meinungsverschiedenheiten. Die Verhandlungen in Berlin am 8. September führten zu „festformulierten Vorschlägen" 36 , m i t denen die bayerische Delegation nach München zurückkehrte. Reichskanzler W i r t h hatte der bayerischen Delegation Vorschläge gemacht, die eine nicht unwesentliche Abände31 G S t A M : M A 99 516, No. 59/1921. 32 Ebd. 33 Held a m 15.5.1922 an Kreissekretär des Christlichen Melchner; Abschrift i n A H R . 34 BStZ, 7. 9. 1921. 35 Wiedergegeben i n RA, 413, 9. 9.1921. 36 RA, 415, 10. 9. 1921.
Bauernvereins,
4 3 0 X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
rung der Notverordnung zugunsten des bayerischen Standpunktes darstellten. Die Reichsregierung war bereit, die Verordnung vom 29. A u gust durch eine neue Verordnung zu ersetzen. „ A l l e i n schon das war ein politischer Erfolg Bayerns 3 7 ." A m 9. September informierte Held Ministerpräsident Kahr über die Ergebnisse der Berliner Verhandlungen. Über das Ergebnis der vertraulichen Aussprache wurde Stillschweigen bewahrt. Held selbst war über das Ergebnis der Verhandlungen i n Berlin zwar nicht befriedigt; man hatte aber immerhin Zugeständnisse erreicht, die kaum abzulehnen waren. Berlin hatte verlangt, daß Bayern als Gegengabe für die nach seinen Wünschen abgeänderte Notverordnung den Ausnahmezustand aufhebe 38 . Staatssekretär Schweyer berichtete dem Ministerrat, daß Held zwar über das Ergebnis der Besprechungen m i t der Reichsregierung nicht befriedigt gewesen sei, „er habe indessen zugesagt, er wollte versuchen, ob auf dieser Basis eine Verständigung erzielt werden könne" 3 9 . Aber gerade darüber hatte Kahr überhaupt nicht verhandeln wollen. So geriet Kahr selbst i n die Enge, er hatte sich erneut i n eine Sackgasse manövriert. Er hatte sich bereits zu stark i n einer Richtung festgelegt, um diesen Kompromiß noch akzeptieren zu können. Gab er nach, so war wieder einmal Kahr i n einer Sache umgefallen, i n der er sich bereits so eindeutig festgelegt hatte. Zudem war er von den ihm nahestehenden Vaterländischen Verbänden zu einer kompromißlosen Haltung gedrängt worden. Während die rechtsradikalen Kreise Kahr außerparlamentarischen Feuerschutz gewährten, drohte die bayerische L i n k e mit dem Generalstreik und verlangte Aufhebung des Ausnahmezustandes 40 . Kahr blieb bei seiner Meinung, den in Berlin durch die bayerische Verhandlungsdelegation nach München mitgebrachten möglichen Kompromiß ablehnen zu müssen 41 . K a h r setzte dabei auf die Hilfe jener rechtsradikalen außerparlamentarischen Kreise, auf die er sich schon bisher mehr als auf das Parlament i n seiner Politik gestützt hatte. Akzeptierte er den Kompromiß, dem das Parlament zuneigte, so hatte er den Abfall seiner eigenen Gefolgschaft zu befürchten. Die weitere Entwicklung spitzte sich zu einem Konflikt zwischen K a h r und seinen außerparlamentari37 Schwend, a.a.O., S. 175. 38 Speckner, a.a.O., S. 216. 39 G S t A M : M A 99 516, No. 60/1921. 40 Speckner, a.a.O., S. 217 : „ A m 5. 9. beschlossen die Funktionäre Nürnbergs u n d Fürths eine Resolution, i n aufforderten ,alle M i t t e l aufs ernsteste i n Erwägung zu es selbst die Trennung von Bayern oder ein unbefristeter Ausnahmezustand ein Ende bereiten'." 41 G S t A M : M A 99 516, No. 60/1921.
sozialdemokratischen der sie ihre Partei ziehen, die, und sei Generalstreik, dem
3. Der Sturz Kahrs i m September 1921
431
sehen Hilfstruppen einerseits und dem Parlament andererseits zu. I n dieser Auseinandersetzung fiel schließlich Kahr.
3. Der Sturz Kahrs im September 1921 Nachdem bereits der Ministerrat am 10. September 1921 auf Vorschlag Kahrs in seiner Mehrheit gegen die Annahme des Berliner Kompromisses gestimmt hatte und Kahr so auf einen Bruch mit der Reichsregierung hinsteuerte, herrschte i m Ständigen Landtagsausschuß am 10. September eine andere Meinung vor. Held berichtete zunächst dort von den Eindrücken, die er bei den Verhandlungen i n Berlin gewonnen hatte 4 2 . Dort bestehe wenig Verständnis für die bayerische Situation. Man lege i n Berlin „nun einfach Berliner oder preußische oder engere Reichsverhältnisse für die Betrachtungsweise, unter die man Bayern stellt, zugrunde" und wolle dann „von dieser Betrachtung ausgehend schablonenhaft gewisse Maßnahmen einfach auch für Bayern als notwendig erklären und oktroyieren" 4 3 . Die Verordnung des Reichspräsidenten habe Bayern vor allem deshalb so schwer getroffen, w e i l sie „ein gewaltiges Stück bayerischer Selbständigkeit nicht nur berührt, sondern direkt in Frage gestellt hat. Das ist das Gebiet der Selbständigkeit unserer Landeszentralpolizeibehörde und ihrer Organe" 4 4 . I m Gegensatz zu Kahr war aber Held durchaus der Meinung, daß, wenn eine nach den bayerischen Wünschen abgeänderte neue Verordnung zustandekomme, „auch der bayerischen Staatsregierung die Möglichkeit in dem Augenblick erwächst, nun von ihrer Seite den Ausnahmezustand zu beseitigen" 45 . Die Reichsregierimg habe i n einzelnen Punkten Zugeständnisse gemacht. Damit w a r die Erklärung der „Bayerischen Staatszeitung", von einer „tiefgehenden Meinungsverschiedenheit zwischen Kahr und Held könne nicht die Rede sein" 4 6 , widerlegt. Held beklagte besonders den Druck von außerparlamentarischen Verbänden und Gruppen auf das Parlament. Wenn Organisationen, „die parlamentarisch-verfassungsmäßig dazu nicht berufen sind, die Dinge mitzumachen, mit gesetzlichen oder ungesetzlichen Mitteln die Dinge i n die Wege leiten wollen, erzielen sie, daß es gerade den Leuten, die dafür sind, daß eine Verständigung herbeigeführt w i r d und derartige Dinge eingerenkt werden, i n einer ganz unerhörten Weise
42 Sten. Ber. 1921, Beil., Bd. V I , Beil. 1799, S. 35 ff. 43 a.a.O., S. 36. 44 a.a.O., S. 37. 45 Ebd. 46 BStZ, 211, 10.9. 1921.
4 3 2 X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
unmöglich gemacht w i r d " 4 7 . Das Drängen der Rechtskreise um Kahr hatte auch Held und die BVP aufgeschreckt; Held bedauerte das Treiben der Aktivisten gerade deshalb, weil es ihm darauf ankam, „ein Verhältnis zu finden, bei dem das Reich und bei dem der bayerische Staat bestehen kann, bei dem die Autorität des Reiches und des bayerischen Staates i n gleicher Weise gefördert w i r d " 4 8 . Damit hatte sich Held auf den Boden des in Berlin errungenen Kompromisses gestellt und wenig Neigung gezeigt, den von Kahr beschrittenen Weg eines direkten Konfliktes mit dem Reich mitzugehen; noch dazu hatte die B V P das Gefühl, daß Kahr sich weniger aus sachlich-polizeilichen Gründen auf den Ausnahmezustand versteifte, sondern daß es den ihn bedrängenden Rechtskreisen darum zu t u n war, „eine bayerische Revolte gegen das linksgerichtete Berliner Regime i n Szene zu setzen, u m das nachzuholen, was beim Einwohnerwehrkonflikt wegen seiner außenpolitischen Verflechtung nicht geglückt w a r " 4 9 . Dabei wollte die BVP keinesfalls mitmachen. Held betonte erneut seine Reichstreue: „Für mich steht fest, daß unter allen Umständen die Einigkeit des Reiches aufrecht zu erhalten ist 5 0 ." I n einer Nachtsitzung des Ständigen Landtagsausschusses vom 10. auf 11. September fiel die Entscheidung zuungunsten Kahrs. Um 18.48 Uhr hatte der Ausschuß seine Beratungen unterbrochen, um die Entscheidung des ebenfalls i m Landtag tagenden Ministerrats abzuwarten. Als aber dort keine Entscheidung über einen bayerischen Gegenvorschlag an die Reichsregierung gefunden werden konnte, trat nach 23 Uhr der Landtagsausschuß erneut zu Beratungen zusammen. Held machte den Vorschlag, der Ausschuß solle sich jetzt auf einen Vorschlag an die Regierung einigen 51 . Held selbst brachte die Kompromißformel über den strittigen Punkt der Einigung m i t Berlin ein: Vorausgesetzt, daß die Reichsregierung dem Wunsche der bayerischen Regierung entspreche und die Polizeihoheit der Länder wiederherstelle, „erklärt sich diese bereit, der Aufhebung des Ausnahmezustandes i n Bayern näherzutreten" 5 2 . Held bemerkte, „daß in dieser Schlußbemerkung alles enthalten ist, was billigerweise erwartet werden darf" 5 3 . Damit hatte Held Kahr eine Brücke bauen wollen. Der Vorschlag Heids wurde vom Ausschuß angenommen. Ministerpräsident Kahr war, obwohl Held ihn dazu drängte, nicht i m Ausschuß erschienen. Der Ausschuß selbst vertagte sich auf Sonntag, den 11. September, 11 Uhr. 47 48 49 so 51 52 53
a.a.O., S. 42. Ebd. Schwend, a.a.O., S. 176. Sten. Ber. 1921, Beil. Bd. 6, Beil. 1800, S. 44. a.a.O., S. 51. a.a.O., S. 55. a.a.O., S. 57.
3. Der Sturz Kahrs i m September 1921
433
Noch vor Beginn der Sitzung am Sonntag hatte Kahr Held brieflich mitgeteilt, daß er nach ruhiger Überlegung zu dem Ergebnis gekommen sei, „daß ich meine Bedenken gegen die Stellungnahme Bayerns, so wie sie beabsichtigt ist, aufrechterhalten muß". Er wünsche, „daß der letzte Satz der Erklärung der Koalition den von m i r bereits gestern als notwendig bezeichneten Zusatz erhält, ,sobald die Verhältnisse es gestatten'. Dieser Zusatz ist für mich unerläßlich mit Rücksicht auf den Eindruck, den das Ganze auf die Bevölkerung machen wird. Ich füge bei, daß dies mein letztes Wort ist, und daß ich bitte, von allen weiteren Verhandlungen mit m i r wegen dieses Zusatzes Umgang nehmen zu wollen; ich kann auf i h n unter keinen Umständen verzichten. Sollte er als unmöglich erscheinen, so ergibt sich für mich die Folge meines Ausscheidens. Für diesen Fall verspreche ich Dir, lieber Freund, daß ich alles, was i n meinen Kräften steht, t u n werde, um Komplikationen, die sich daraus ergeben könnten, zu vermeiden. Es sollen dadurch keine neuen Schwierigkeiten geschaffen werden" 5 4 . Held teilte dies dem wieder zusammengetretenen Landtagsausschuß mit und fügte hinzu, daß er persönlich geneigt wäre, den von Kahr gewünschten Zusatz „sobald die Verhältnisse es gestatten" anzunehmen und zu versuchen, ob nicht die Reichsregierung auf Grund dieses Vorschlages zu einem Einvernehmen mit Bayern kommen könne, w e i l er unter allen Umständen wünsche, „daß die Verhältnisse bei uns einen glatten Lauf nehmen" 5 5 . Die Rücktrittsabsicht Kahrs hatte Held dem Ausschuß nicht mitgeteilt; um das Ausscheiden Kahrs zu vermeiden, war er auch zu diesem geforderten Kompromiß bereit. Der Ausschuß versagte sich jedoch i n seiner Mehrheit dem Verlangen Kahrs; nur der Deutschnationale Hilpert stellte sich hinter den Entschluß Kahrs. Der Abgeordnete D i r r von den Demokraten sprach dagegen; denn durch die Annahme des Zusatzes der Staatsregierung mußte der Eindruck entstehen, als ob man von der bisherigen Linie des Verständigungswillens abgehen wolle. „ W i r wollen zu einer Verständigung mit dem Reiche kommen 5 6 ." Der Sozialdemokrat Saenger verwies darauf, daß die Erklärung i n unlöslichem Widerspruch zu dem stehe, was Held selbst gesagt habe. „Es ist unsere Überzeugung, . . . daß i n Bayern der Belagerungszustand nur gegen links angewandt w i r d und darum w i l l die bayerische Regierung, daß er weiter besteht 57 ." Die Entscheidung i m Ausschuß fiel durch die Rede des BVP-Abgeordneten Speck, der einen Konflikt m i t dem Reiche unbedingt vermieden 54
Abschrift des Briefes i n : Ministerkorrespondenz aus dem Nachlaß von Staatsrat Schmelzte. G S t A M : M A 102 379. ss Sten. Ber. 1921, Beil. Bd. 6, Beil. 1800, S. 61. se a.a.O., S. 62. 57 a.a.O., S. 63. 28
Keßler
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X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
wissen wollte. Er hielt es für „außerordentlich gefährlich, die Sache auf die Spitze zu treiben . . . , w e i l das Reich alle Trümphe i n der Hand hat, w i r aber lauter Nieten, wenn es zu einem ernstlichen Konflikt kommen sollte" 5 8 . Speck nannte auch die eventuellen Gefahren, wenn die Sache vor den Reichstag käme, wo Bayern wenig Unterstützung finden würde. Dann würde Bayern nicht nur die Vorteile, die i n den Berliner Abmachungen errungen worden seien, verlieren, sondern es bestände auch die große Gefahr, daß der Reichstag bei der gegenwärtigen politischen Konstellation einfach tabula rasa mache mit allen Bestimmungen auf dem Gebiete des Ausnahmerechtes. Wenn er die Dinge abwäge, dann müsse er sich unter allen Umständen auf den Boden des Abkommens stellen, w e i l er sich keinen anderen Ausweg denken könne, auf dem eine einigermaßen genügende Wahrung des bayerischen Rechtes erzielt werden könne. Speck hatte Recht mit der Überlegung, daß man die Auseinandersetzung mit dem Reiche nicht auf die Ebene des Prestiges verschieben dürfe. Wohlmuth versuchte noch, durch einen Vertagungsantrag der Regierung die zu erwartende Abstimmungsniederlage zu ersparen. Der Ständige Landtagsausschuß lehnte schließlich den Zusatzantrag der Staatsregierung bei 5 Gegenstimmen mit Mehrheit ab. Der BVPAbgeordnete Horlacher und die vier Abgeordneten der Mittelpartei unterstützten den Regierungsantrag. Kahr hatte damit eine parlamentarische Niederlage erlebt. Er selbst und der deutschnationale Justizminister Roth traten zurück. Damit hatte sich der Weg Kahrs von der BVP getrennt. Aus Sorge um den Zusammenhalt des Reiches und aus Furcht vor dem Majorisiertwerden i m Reichstag hatte sich die B V P für den Kompromiß entschieden. M i t dem Vorschlag der Staatsregierung hätte die Aussicht auf einen für den bayerischen Standpunkt erträglichen Ausgleich mit der Reichsregierung gefährdet werden können. Damit hatte sich die B V P allen Lockungen von rechts gegenüber fest gezeigt und sich nicht von der Befolgung einer Politik abdrängen lassen, die bei aller eifersüchtigen Wahrung der bayerischen Sonderinteressen doch stets vor Augen hatte, daß der Reichsgedanke nicht gefährdet werden durfte. Die foederalistische Idee wäre völlig kompromittiert worden. Keines der deutschen Länder hätte Bayern unterstützt, wenn es den Kampf m i t dem Reich auf die Spitze getrieben hätte. Die Niederlage wäre sicher gewesen, Bayern wohl dauernd i m Reich isoliert worden. Die Tatsache, daß die BVP den aus ihren Reihen hervorgegangenen Ministerpräsidenten schließlich fallen lassen mußte, zeigte, wie schroff die Gegensätze geworden waren und daß es einen anderen Ausweg nicht mehr gab, 58 a.a.O., S. 66.
3. Der Sturz Kahrs i m September 1921
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wollte die Partei nicht selber i n eine Sackgasse geraten, i n die Kahr sich von seinen deutschnationalen Freunden hatte manövrieren lassen. Es handelte sich letzten Endes um eine Kraftprobe, in der dem Parlament ein gewisser Wille von unverantwortlichen, außerparlamentarischen Kräften von rechts aufgedrängt werden sollte. „Man braucht nur", so schrieb der „Regensburger Anzeiger", „die ,Münchner-Augsburger Abendzeitung' gelesen zu haben während der kritischen Tage, u m die A r t der außerparlamentarischen Einflußnahme kennenzulernen; diese hatte i n Roth einen energischen Vertreter ihrer Sache i m Kabinett gehabt 59 ." Die BVP lehnte eine Katastrophenpolitik jener „Alles- oder Nichtspolitiker" ab, die unter allen Umständen auf eine Kraftprobe m i t dem Reiche hinsteuern wollten. I n der entscheidenden Sitzung vom 10. auf den 11. September hatten sich die Deutschnationalen Oberst Xylander, Prof. Dr. Otto und ein weiteres Dutzend von Herren dieser Richtung i m Zimmer des Finanzausschusses aufgehalten. Kahr war ständig von Deutschnationalen umlagert 6 0 . Die mit dem Rücktritt Kahrs eingetretene Lage war für die B V P sehr schwierig. Es fiel der Verdacht auf sie, Kahr in einer entscheidenden bayerischen Frage i m Stich gelassen und an Berlin zu weitgehende Konzessionen gemacht zu haben. U m diesem Eindruck zumindest teilweise entgegenzutreten, versuchte die BVP, Kahr in das A m t zurückzuholen. Der „Regensburger Anzeiger" sprach diese Linie an: „Die beste Lösung . . wäre die, daß es Kahr ermöglicht wird, einem an ihn herantretenden Ruf erneut Folge zu leisten 61 ." Die B V P legte Kahr durch ihre Presse nahe, auf seinem Posten zu bleiben und sprach i h m das Vertrauen aus. A m 15. September 1921 besuchte Held Kahr i n Berchtesgaden, u m ihn für ein Verbleiben i n seinem Amte zu gewinnen. Held mußte dort erleben, wie eine mehrtausendköpfige Menge Kahr ihre Huldigung darbrachte mit den Rufen: „ K a h r bleiben! Wiederkommen 6 2 !" Kahr lehnte jedoch eine neue Regierungsbildung ab. Die Verhandlungen der BVP m i t i h m scheiterten, w e i l Kahr sich nach rechts gebunden hatte und sich von Justizminister Roth nicht trennen wollte; die BVP forderte jedoch, daß Kahr sein Kabinett gegen rechts hin abgrenzen müßte. Außerdem hätte er sich dann auch auf den Standpunkt des Landtagsbeschlusses stellen müssen. Die Taktik der B V P entsprach wohl mehr einem propagandistischen Nachgeben zur Volksmeinung hin, in der Kahr immer als ein bayerischer Heros dastand. Kahr selbst hatte wohl gemerkt, daß sein Prestige in den maßgebenden politischen Parteien der Mitte außer bei der Mittelpartei 59 RA, 423, 15. 9.1921. 60 RA, 424, 16. 9.1921. 61 RA, 419, 13. 9.1921. 62 Speckner, a.a.O., S.221. 28·
X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
durch seine Starrköpfigkeit und mangelnde Elastizität schwer gesunken war. Jetzt war ihm noch ein ehrenvoller Abgang möglich 63 . Auf den Vorschlag Kahrs, den Landtag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreischreiben, konnte die BVP bei der augenblicklichen Volksstimmung i m eigenen Interesse nicht eingehen. Die Flugblatthetze, die nun gegen Held und die B V P einsetzte, zeigte die Entartungs- und Verwilderungserscheinungen des politischen Kampfes i n Bayern. Alles, was sich i n der von Kahr betriebenen Ordnungspolitik an dunklen Kräften der Vergiftung des öffentlichen Lebens hatte entwickeln können, wurde an die politische Oberfläche gespült. Die deutschvölkische Hetzpropaganda wurde von dem Münchner Polizeipräsidenten Pöhner geduldet. Der „Miesbacher Anzeiger" 6 4 tat sich besonders hervor. Bereits am 13. September schrieb er unter dem Titel „Verrat an Bayern", die BVP sei „umgefallen", die B V P sei K a h r „ i n den Rücken gefallen". Wie sei es dazu gekommen? „War nicht vorher der Abgeordnete Held schon beim Frankfurter Katholikentag, wo ihm die Berliner-Juden-Zentrümlinge verschiedene Strohhalme durch den redegewandten Mund gezogen haben 65 ?" Die Volksparteiler Held, Speck und Giehrl „haben uns verkauft und unsere Rechte vielleicht nur deshalb, u m bald wieder Excellenzen zu sein . . . Kampf und wieder Kampf gegen die Verräter". A m 21. September wurde folgendes Flugblatt vom Münchner Frauenturm geworfen: Die BVP verhandle jetzt mit der „Berliner Saujudenregierung", die darangehe, „Bayern u m seine letzten spärlichen Rechte als Staat und selbständiges Land zu bringen . . . Und wer verrät uns jetzt? Die Partei, auf die w i r unsere ganzen Hoffnungen setzten — die BVP . . . Wenn die Herren Parlamentarier, die Herren und Halbgenossen Schweyer, Held und Konsorten die Dinge ohne Grund auf die Spitze treiben, lediglich ihres persönlichen Vorteils wegen, wenn man es wirklich darauf abgesehen hat, den einzigen anständigen Menschen, zu dem man noch Vertrauen haben kann, wenn man Kahr jetzt wegekelt, dann, Bayern, i n Massen auf die Straße und heraus gegen ein Parlament, das dem bayerischen Volk auf der Nase herumtanzt und lediglich das gefügige Werkzeug der Berliner Börsenjuden ist" 6 6 . Die rechtsradikalen Umtriebe waren so stark, daß Landtagspräsident Königbauer einen Rechtsputsch gegen den Landtag fürchtete. Er bat K a h r als zuständigen Innenminister i n einem Tele63 Speckner, a.a.O., S.221. 64 „Miesbacher Anzeiger", No. 7, 13. 9.1921. 65 Held verteidigte sich später gegen diesen V o r w u r f m i t der Feststellung, er sei m i t Reichskanzler W i r t h überhaupt nicht ins Gespräch gekommen. Er hätte lediglich einer Versammlung des Augustinusvereins beigewohnt, bei der W i r t h gesprochen habe. „ I c h habe einer Wendung i n seiner Rede sofort widersprochen u n d b i n nach dieser Wendung weggegangen." — Sten. Ber. 1921, Bd. 5, S. 462. 66 A S t A M , Sonderabgabe I , No. 1444, B l a t t 31.
3. Der Sturz Kahrs i m September 1921
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gramm, etwas dagegen zu unternehmen. Der Gegensatz der rechtsradikalen Kreise zur B V P hatte sich verschärft. Sogar der Sozialdemokrat T i m m nahm Held i m Ständigen Landtagsausschuß gegen die Angriffe i n Schutz 67 . A m 19. September tagte i n München der Landesausschuß der BVP. Speck dankte Held für alles, was er i n den letzten Tagen für die Partei geleistet habe. Er stellte fest, daß es unverständlich sei, daß „angesichts der tatsächlichen Vorgänge Held in einem Teil der Presse i n einer Weise heruntergezogen w i r d wie es unter anständigen Menschen nicht üblich sei" 6 8 . Man meine, man könne „ K a h r feiern, wenn man Held schmähe" 69 . Kahr selbst tat nichts, u m dem Kesseltreiben gegen Held entgegenzutreten. Die BVP-Fraktion stand geschlossen hinter Held. Die wohl richtige Interpretation des Verhaltens der B V P gab der Abgeordnete Baumer am 23. September 1921 i n Regensburg. Roth sei der eigentliche Urheber des Sturzes von Kahr. Der deutschnationale Oberst Xylander setzte dem Landtagsausschuß m i t stärksten Drohungen zu. Die Hetze gegen das Parlament erreichte den Höhepunkt. Man drohte m i t der Gewalt der Straße. Es fiel das Wort: W i r haben die Maschinengewehre. „Es zeigte sich so recht i n diesen Tagen, daß der Feind der Ruhe und Ordnung nicht nur links steht. Aus dem Munde des Führers der Mittelpartei fiel das Wort: W i r stehen i n der Revolution! Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig." Angesichts dieser Tatsachen kam die B V P zu dem Schluß: Unter keinen Umständen mehr zurück zu Kahr. Der Bruch m i t Berlin hätte den Bürgerkrieg bedeutet 70 . Die wüste politische Hetze, die Held i m Gefolge des Rücktritts von Kahr erlebte, war für ihn „die größte Enttäuschung, die ich als Mensch i m politischen Leben erfahren habe" 7 1 , weil er noch nie die Macht der Unwahrhaftigkeit i m politischen Leben so erlebt habe wie i n dieser Zeit. Es gebe keine größere Lüge i n der bayerischen Geschichte der Neuzeit als die von dem Sturz des Herrn von Kahr. „ K a h r ist nicht gestürzt worden 7 2 ." Noch i m Jahre 1924 kam der „Sturz Kahrs" i m Landtag zur Sprache. Held sah den Hauptschuldigen i n dem damaligen Justizminister Roth: „Wer hat i m September 1921 verhindert, daß die Verhältnisse m i t dem Reich vernünftig geregelt werden? Das war niemand anders als Dr. Roth . . . Das war Dr. Roth, der wilde Mann des Ausnahmezustandes, der die ganzen bayerischen Verhältnisse auf
67 RA, 424, 15. 9.1921. 68 RA, 433, 21. 9. 1921. 69 RA, 434, 22. 9.1921. 70 RA, 440, 24./25. 9.1921. 71 Sten. Ber. 1921, Bd. 4, S. 343. 72 Ebd.
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X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
den Kopf gestellt hat, der Herrn von Kahr aus der Regierung herausdrängte 7 3 ." Das wohl wichtigste innenpolitische Ergebnis der Kahrkrise i m September 1921 war die parteipolitische Differenzierung und Abgrenzung der BVP nach rechts. Rechts von der BVP hatten sich die Nationalisten entwickelt; in der Regierungskrise hatten sie mit Vehemenz und dem Druck der Straße Politik zu machen versucht, das hatte die BVP aufgeschreckt, sie hatte gerade noch den rechtsradikalen Druck abwenden können. Als dann Held erkannte, daß Kahr nur als das Instrument dieser rechten Aktivisten erschien, da gab es kein Zurück mehr zu Kahr. Das führte auch bei Held zu einer Ernüchterung gegenüber dem Charakter der „Vaterländischen Verbände" und der bereits heftig agierenden Nationalsozialistischen Partei. Für die BVP begann nun auch der Kampf nach rechts. I n Tuntenhausen bezeichnete es Heim als notwendig, eine „Politik der Mitte" zu führen, er sagte den „Hitler Knüppelgarden, Xylander und diesen Kraftherren . . . Kampf bis aufs Messer an" 7 4 . Als zweites Ergebnis der Regierungskrise ist eine stärkere Reichsfreudigkeit der BVP festzustellen. Die BVP führte den bereits mit dem Landtagsbeschluß vom 11. September 1921 eingeschlagenen Weg zur Behebung der Differenzen mit dem Reich weiter. A m 21. September erreichte Kahrs Nachfolger, Graf Lerchenfeld, eine Regelung mit der Reichsregierung, die vom Verfassungssausschuß des Landtages mit Mehrheit angenommen wurde. Eine neue Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. September 1921 ging auf die bayerischen Wünsche ein und führte zur Aufhebung des bayerischen Ausnahmezustandes am 15. Oktober 192175. Die Politik Lerchenfelds zielte auf die Sammlung der Kräfte für die Erhaltung und Sicherung der Länder und eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit m i t der Reichsregierung ab. Die diplomatische A r t Lerchenfelds konnte Bayern auf die Dauer mehr nutzen als das dauernde Verharren i n schroffer Kampfstellung, wie es Kahr praktiziert hatte. Damit hatte sich auch die Haltung der BVP gerechtfertigt. „Die Lösung der Krisis gab den Anhängern der Verhandlungsmethode recht 76 ." 4. Publizistische Kontroverse Held — Kahr im Sommer 1922 Die Kahrkrisis vom Herbst 1921 hatte auch Rückwirkungen auf die innere Geschlossenheit der BVP; auch in den BVP-Wählerkreisen 73 74 75 76
BStZ, 15, 18.1.1924. BStZ, 393, 19. 9.1924. Zimmermann, a.a.O., S. 108. Schwend, a.a.O., S. 180.
4. Publizistische Kontroverse H e l d — K a h r
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wurden Zweifel an der Richtigkeit der von der BVP-Führung eingeschlagenen Politik laut. Die Kahr-Begeisterung fand i n spontanen Kundgebungen, organisiert vom Bayerischen Ordnungsblock, seinen Ausdruck. Kahr sollte unbedingt wieder auf seinen Posten zurückgeholt werden. Die rechtsradikale Hetze gegen die BVP, besonders gegen Held, ist bereits erwähnt worden. Man hatte auch von Kahr ein Wort der Verteidigung für die BVP erwartet. Als dieses ausblieb und auch die innerparteiliche Opposition gegen Held anhielt, entschloß sich Held als kluger Taktiker zu einem Angriff auf Kahr; damit wollte Held sich zumindest vor seinen K r i t i k e r n i n der eigenen Partei rechtfertigen. Gerade i n Rosenheim, mitten i m oberbayerischen Bergland, wo die Kahr-Begeisterung immer noch sehr stark gegen die B V P wirkte, führte Held seine Attacken gegen Kahrs Verhalten. Damit wollte er Kahr als einen entschlußlosen, von Rechtsaktivisten hin- und hergeschobenen Politiker charakterisieren. Diese nachträgliche Pressefehde zwischen Held und Kahr ist insofern interessant, als sie ein bezeichnendes Licht auf die Person Kahrs und seiner politischen Hintermänner w i r f t und andererseits die Rolle Heids und des Landtags i n den k r i t i schen Tagen beleuchtete. Endgültig aufklären lassen sich der genaue Ablauf der Dinge und der Wahrheitsgehalt nicht, weil in der schließlichen Auseinandersetzung Aussage gegen Aussage stand. Zumindest in der Öffentlichkeit blieb Held Sieger. A m 17. Mai 1922 sprach Held i n Rosenheim über die Kahrkrisis. Kahr sei ein durchaus unbestechlicher Mann vom alten Schrot und Korn, über ihn „als Politiker ein Urteil zu fällen, müsse der Geschichte überlassen bleiben" 7 7 . Das war deutlich genug. Held behauptete, Kahr sei zunächst mit der von ihm gefundenen Kompromißformel „nähertreten" einverstanden gewesen. Kahr selbst habe gesagt, das sei ein Ausdruck, der Bayern die Möglichkeit gebe, den Ball zwischen Berlin und München h i n und her zu werfen; an der Tür habe er noch gesagt, „daß die Geschichte so erledigt sei" 7 8 . Held sei dann in den Ministerrat gegangen, wo alle Minister sich mit diesem Schritt einverstanden erklärt hätten, nur Roth habe gesagt, auf den letzten Punkt gehe er nicht ein. Der Ministerrat habe sich aber nicht endgültig einigen können. Parallel dazu habe der Ständige Landtagsausschuß am Abend des 10. September getagt; um dem Ministerrat Zeit zu einer endgültigen Beschlußfassung zu geben, habe man die Sitzung des Ausschusses kurz vor 19 Uhr unterbrochen und auf 21 Uhr vertagt. Nun auf einmal habe sich das Schauspiel gewandt. Kahr habe nun erklärt, er habe Bedenken, die i n ihm hervorgerufen worden seien von Leuten, die nicht näher 77 BStZ, 116, 19. 5.1922. 78 Heids Rede i n Rosenheim ist am ausführlichsten i n der Zeitung" wiedergegeben. — No. 137, 19. 5.1922.
„Münchner
4 4 0 X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
bekannt seien, von angeblich „guten Freunden". Der Landtagsausschuß habe nun bis 23 Uhr gewartet und habe nicht verhandeln können, da das Ministerium zu keiner Einigung gekommen sei. „Als ich u m 23 Uhr Kahr bat, mit i n den Landtag zu gehen, sagte er: ,Ich kann heute abend nicht mehr, sei so freundlich, geh D u hinein ünd gib eine zustimmende Regierungserklärung ab, ich bin physisch nicht mehr i n der Lage.' ,Ich gehe mit Dir', erklärte ich, ,aber D u mußt dabei sein.' Kahr hängte sich m i r i n den Arm, am Lesezimmer trat i h m Roth entgegen." Darauf habe sich Kahr wieder von Held gelöst und sei i n sein Zimmer zurückgegangen 79 . Der Landtag mußte warten, besprach die Sache unter sich durch und kam zu einer Enigung, und alle seien v o l l der Hoffnung gewesen, daß sich die Sache nunmehr glatt abwickeln könne. Als dann K a h r am anderen Morgen erklärt habe, er sei nicht i n der Lage, bei der Abmachung vom Samstagabend zu bleiben, sei er, Held, „zu Tode erschrocken". „Ich soll jetzt i n den Landtag gegen und i h m wieder das Gegenteil mitteilen 8 0 ." Held habe nun Kahr vor dem Landtag verteidigt, dafür sei aber i n den nächsten Tagen eine wüste Hetze gegen ihn losgegangen. Als Kahr dann zurückgetreten war, habe sofort eine Fraktionssitzung der B V P stattgefunden; hier wurde beschlossen: die B V P wähle Kahr einstimmig wieder. „Ich habe die Koalitionsparteien zusammenberufen und ihnen unseren Beschluß mitgeteilt; die Demokraten und Bündler erklärten, w i r wählen Kahr wieder, wenn ihr ihn vorschlagt, aber w i r geben diese Erklärung nicht ab 8 1 ." Die Mittelparteiler behielten sich freie Hand. „Ich begab mich offiziell zu Kahr und sagte ihm, es war eine große Dummheit, die D u gestern da gemacht hast, und ich teilte i h m unseren Beschluß mit. K a h r sagte: D u willst doch nicht, daß ich sofort eine A n t w o r t gebe, ich kann weder ja noch nein sagen. Kahr reiste wieder nach Berchtesgaden, wo ich ihn alsbald aufsuchte. Kahr sagte, ich werde wieder annehmen, wenn der Landtag aufgelöst w i r d und Neuwahlen ausgeschrieben werden, worauf ich i h m erwiderte, das w i r d nicht möglich sein, ich teile aber meiner Fraktion dies mit. A u f diese Forderung ging und konnte der Landtag nicht eingehen 82 ." M i t dieser Darstellung der Vorgänge hatte Held Kahr beinahe die politische Ernsthaftigkeit abgesprochen. Daraufhin wehrte sich K a h r i n einer Zuschrift an die „Münchner Zeitung" 8 3 . Kahr versuchte vor allem Roth zu entlasten. Es sei nicht richtig, daß Kahr 79 so 81 82 83
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. „Münchner Zeitung", No. 141, 23. 5. 1922.
4. Publizistische Kontroverse H e l d — K a h r
441
Held gebeten hätte, „an meiner Stelle den Koalitionsbeschluß zu vertreten". Held habe versucht, „mich mit sanfter Gewalt gegen mein Widerstreben i n den Sitzungssaal zu bringen" 8 4 . Kahr bestätigte Held, daß er versucht habe, „mein Verbleiben i m A m t zu erreichen" 85 . Er, Kahr, habe aber Auflösung des Landtags verlangt. Bei seinem Besuch i n Berchtesgaden habe Held diesem Ausweg zugestimmt. Man habe sich verabredet i n „Meinung, daß nun die Sache laufe" 8 6 . Die BVP-Fraktion habe aber keine Neuwahlen gewollt. Eine erneut i n Berchtesgaden erschienene BVP-Deputation habe Kahr erneut gefragt, ober er sich wieder wählen lasse, er müsse aber den Landtagsbeschluß ausführen. Kahr habe erwidert, „unter dieser Belastung könne er die Ministerpräsidentschaft nicht annehmen" 87 . Kahr deutete an, er habe die Sprengung der Koalition vorausgesehen. Es ist außerdem wahrscheinlich, daß er durch seinen direkten Angriff auf Held die B V P hätte spalten können. Zweifellos hätte er dann neben dem rechtsstehenden Bürgertum auch den rechten Flügel der BVP hinter sich bringen können, obwohl die Landtagsfraktion i n den entscheidenden Tagen nach außenhin geschlossen hinter Held stand. I n einer abschließenden Darstellung der Ereignisse i m „Regensburger Anzeiger" 8 8 versicherte Held, er empfinde bis zum heutigen Tag aufrichtige Gefühle der Freundschaft und Hochachtung für Kahr. Held bekannte sich erneut zur Verhandlungstaktik der BVP, die schließlich ja Erfolg gehabt habe. Als er von den Verhandlungen von Berlin zurückgekehrt sei, habe ihn Kahr m i t den Worten empfangen: „ I h r habt ja viel mehr erreicht, als ich jemals zu hoffen gewagt hätte 8 9 ." I n der Sitzung der Koalitionsparteien am 10. September, bei der auch Kahr anwesend gewesen sei, habe er, Held, die Formel für einen Kompromiß m i t dem Worte „nähertreten" gefunden. „Nach längerem H i n und Her erklärte der Herr Ministerpräsident, daß er m i t meinem Vorschlag auskommen könne 9 0 ." Er müsse aber das Ergebnis der Beratung dem Ministerrat vorlegen. Bis nach 23 Uhr habe der Ministerrat getagt und sei zu keinem Ergebnis gekommen. Held korrigierte jetzt seine Rosenheimer Darstellung dahin, daß er zwar nicht an der Sitzung teilgenommen hatte, als er aber nach 23 Uhr zum 4. Male in das Beratungszimmer gekommen sei, u m zu fragen, was los sei, habe er Kahr gebeten, doch nun i n den Ausschuß zu kommen, „ u m
84 85 86 87 88
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. RA, 242, 26. 5.1922.
89 Ebd. 90 Ebd.
4 4 2 X X I I I . Die B V P u n d die Konflikte Bayerns m i t dem Reich
dem grausamen Spiel ein Ende zu machen" 91 . Kahr erklärte sich außerstande, auch physisch außerstande, jetzt eine Erklärung abzugeben. Held solle i m Ausschuß die Erklärung abgeben, daß die Staatsregierung m i t der Formulierung „nähertreten", wie sie i n der Koalitionsbesprechung am Morgen zustandegekommen sei, einverstanden sei. Held lehnte es ab, eine derartige Erklärung abzugeben und bat Kahr mitzugehen und diese Erklärung selbst abzugeben. „Darauf machte er Miene, mit mir zu gehen. Ob ich dabei meinen A r m in den seinen schob, oder er den seinen in den meinen, darauf könnte ich heute wahrlich keinen Eid ablegen. Aber das weiß ich, daß ich keinerlei Pression versucht habe. Das hätte m i r Takt, Anstand und Freundschaft verboten . . . Auch das weiß ich gewiß, daß Kahr und ich A r m i n A r m bis nahe des Lesezimmers gegangen sind, u m den Finanzausschuß zu erreichen. Daß dann aber, und zwar in dem Augenblick, als der Minister Roth entweder aus dem Ministerzimmer trat oder den anschließenden Gang heraufkam, Herr von Kahr sich plötzlich von m i r losmachte und erklärte, er könne nicht mit m i r gehen 92 ." Dieser Darstellung Heids konnte auch Kahr nicht mehr widersprechen. Sie beweist, wie stark Kahr von Roth abhängig war. Die Minister selbst hätten die Entschlußlosigkeit Kahrs auch gegenüber anderen Abgeordneten festgestellt. Der weitere Verlauf der Krisis spielte sich nach der von Held bereits in Rosenheim gegebenen Darstellung ab. I n einer kurzen Koalitionsberatung nach dem Umfall Kahrs am anderen Morgen wurde dann von allen Seiten die Meinung vertreten, daß die Situation so verfahren sei, daß man schon um der Würde des Landtagswillens bei den Beschlüssen vom Tage vorher bleiben müsse. Held gab nun zu, daß er bei seinem Besuch in Berchtesgaden am 15. September sich auch mit einer Neuwahl einverstanden erklärt hatte. „Die BVP-Fraktion in München lehnte jedoch eine Neuwahl ab 9 3 ." Damit hatte Held nachweisen können, daß er alles versucht hatte, um Kahr zu halten, und zweimal sich sogar gegen die Mehrheit seiner eigenen Partei gestellt hatte. Trotzdem sei in den folgenden Tagen gegen ihn eine Hetze entfacht worden, i n der „ich geradezu als vogelfrei erklärt wurde" 9 4 . Er habe Kahr öfters erfolglos gebeten, dieser Lüge entgegenzutreten 95 . A m 28. Mai 1922 antwortete Kahr erneut i n der „Münchner Zeitimg" recht versöhnlich auf Heids Darstellung. Auf jeden Fall war es Held ge91 RA, 243, 27. 5.1922. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Z u den Flugblättern aus jenen Tagen vgl. Bayerische Staatsbibliothek 4° Bavar. 3112 und M a x Buchner: „ A u f dem Wege nach Weimar u n d von Weimar nach Potsdam" i n „Gelbe Hefte", No. 9, 1432/33, S. 472 f.
4. Publizistische Kontroverse H e l d — K a h r
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lungen, den Vorwurf der Hauptschuld am Sturz Kahrs zu entkräften und Kahr selbst die Schuld daran zuzuschieben. Heids Taktik war klar. Er konnte mit Recht eine Unterlassungssünde Kahrs konstruieren und seinen Angriff auf ihn als eine infolge dieser Unterlassungssünde notwendige Abwehr darstellen. Damit hatte er sich zugleich vor einer innerparteilichen Opposition rechtfertigen können. Kahr war nach den geschilderten Vorgängen i n der entscheidenden Nacht für die BVP als Führer erledigt. Von Roth und dessen deutschnationalen Hintermänner hatte er sich i n eine Sackgasse hineinmanövrieren lassen, wohin ihm die BVP nicht mehr folgen konnte. Der einzige Weg, Kahr wieder ins A m t zurückzuholen, wäre die Ausschreibung von Neuwahlen gewesen. Diesen Ausweg konnte die BVP aus zwei Gründen nicht akzeptieren. Einmal hätte sie bei der bestehenden Volksstimmung nur Wähler an die Deutschnationalen abgeben müssen und zum anderen wollte sie die Konsequenz, die Kahr vorschwebte, durch einen Wahlkampf die Konfliktstimmung i n Bayern anzuheizen und so einen Kampflandtag wählen zu lassen, nicht akzeptieren. I n Wirklichkeit war bei den maßgebenden Männern der BVP eine erhebliche „Kahr-Müdigkeit" eingetreten. Eine tiefgehende Skepsis bezüglich der staatsmännischen Eigenschaften Kahrs hatte sich eingestellt. Der Mangel an jeglicher politischer Elastizität wurde nicht mehr, wie am Anfang, als Charakterstärke, sondern als politische Hilflosigkeit empfunden und bewertet. „Gerade in der abgelaufenen Krise war er mehr als geschobene, i m Entschluß stark gelähmte denn als handelnde Persönlichkeit i n Erscheinung getreten. Auf diese Weise war Kahr immer mehr in den Bannkreis der deutschnationalen Rechten geraten, die wiederum stark unter dem Einfluß der sich bildenden außerparlamentarischen nationalen Rechtsopposition stand. Das war eine der B V P fremde Gedankenwelt 96 ."
96 Schwend, a.a.O., S. 183.
X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld — Der Zug nach rechts Nachdem Kahr am 18. September 1921 dem Landesausschuß der BVP endgültig brieflich mitgeteilt hatte, daß er nicht mehr i n sein A m t zurückkehre, mußte die BVP einen neuen Ministerpräsidenten suchen. Die Wahl fiel, wie es bereits Tradition geworden war, auf einen Außenseiter, den Grafen Lerchenfeld, der als diplomatischer Vertreter des Reiches i n Darmstadt wirkte. Die Methode der BVP, ihre Ministerpräsidenten zu küren, zeigte sich am F a l l Lerchenfeld besonders klar. Der Generalsekretär der BVP, Anton Pfeiffer, hatte auf Lerchenfeld aufmerksam gemacht 1 . Lerchenfeld befand sich i n dem Augenblick, als die B V P ihn küren wollte, auf Reisen und war zunächst nicht auffindbar. Die entscheidende Besprechung m i t i h m soll auf der Fahrt von Augsburg nach München i m Auto, mit dem er abgeholt wurde, stattgefunden haben 2 . Kahr wurde nicht von einem starken Politiker abgelöst, obwohl Bayern wirklich eine entschlußkräftige Persönlichkeit gebraucht hätte. Der „Regensburger Anzeiger" bemerkte selbst, daß man Lerchenfeld „über Nacht nach München geholt und zum Ministerpräsidenten gemacht" 3 habe 4 . Politisch war Graf Lerchenfeld so gut wie gar nicht bekannt. Sein politisches Glaubensbekenntnis, das er nach einer ersten Besprechung m i t der B V P ablegte, faßte er i n dem Satz, der i n Bayern schon zum täglichen Vokabular gehörte: „ A u f der Grundlage der Treue zum Reich die Wahrung der Rechte Bayerns und die Forderung und Hochachtung christlicher und nationaler Gesinnung 5 ." A m 21. September 1921 wurde er zum Ministerpräsidenten gewählt. Die B V P glaubte i n Lerchenfeld einen Diplomaten gefunden zu haben, dem der Ausgleich m i t Berlin gelingen könnte. Anfangs hatte er auch Erfolg. „Aber auch Lerchenfeld glaubte, durch eine immer nachdrücklicher betonte Frontstellung gegenüber Berlin die bayerischen Kräfte zusammenhalten zu können 6 ." Lerchenfelds Regierungszeit fiel in eine Periode, i n der das politisierende Treiben der vaterländischen Ver1 Schwend, a.a.O., S. 183. 2 Historisch-politische Blätter, Bd. 170, 1922, S. 601. 3 RA, 521, 11.11.1922.. 4 Auch eine Ministerpräsidentschaft Heims wurde erneut diskutiert; Κ . A. v. M ü l l e r i n Bd. I I I , S. 158: „ E i n angesehener Geistlicher nannte H e i m — aber der ist leider hysterisch, so oft es ernst w i r d , versagt er." 5 BStZ, 221, 22. 9.1921. β Deuerlein, Hitlerputsch, S. 41.
1. Der Z u g nach rechts
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bände und das Aufkommen der Nationalsozialisten stärker wurde. Die politische Gefolgschaft Kahrs, dessen Erbe an politischer Radikalisierung Lerchenfeld zu übernehmen hatte, wurde zu dessen gefährlichsten Gegnern, deren Treiben er auch schließlich erliegen sollte. Das oberbayerische Regierungspräsidium, das Kahr wieder leitete, wurde zu einer „ A r t Nebenregierung zum Gesamtstaatsministerium" 7 . Die Haltung der B V P war zunächst die einer Vermittlerstellung. Auch sie machte nach kurzer Zeit der Ernüchterung i n den Tagen der Kahrkrise den Zug nach rechts mit. Die Beteiligung der Mehrheitssozialdemokraten an der Regierung Lerchenfeld war nur kurze Zeit diskutiert worden, da die Mittelpartei aus der Koalition ausgeschieden war. Die B V P wäre auch bereit gewesen, Roth wieder zu akzeptieren, wie Schäffer berichtete, allein die Demokraten und der Bauernbund waren nicht dazu bereit. Eine Koalition m i t den Sozialdemokraten hatte Schäffer auf dem oberpfälzischen BVP-Parteitag am 30. Oktober für „nicht möglich" 8 gehalten; die Sozialdemokraten verhielten sich für die Selbständigkeit des Landes schädlich. I n der Kahrkrisis, war, wie Stang berichtete, die „ m i t Beifall aufgenommene Losung i n Fraktionskreisen vorgeschlagen worden: Unter keinen Umständen eine Koalition mit der Mehrheitssozialdemokratie" 9 . Auch ohne Kahr sollte eine Politik i m Kahrschen Geiste eingeschlagen werden; d. h. eine Politik des Aufbaus auf den starken Fundamenten des bayerischen staatlichen Eigenlebens. Weit entfernt von der Sozialdemokratie ging die bayerische Politik auf Rechtskurs. Nachdem Reichskanzler Marx einen scharfen innenpolitischen Linkskurs steuerte, wurde der Zwang zum Rechtskurs i n Bayern als stärker denn je empfunden.
1. D e r Z u g nach rechts
M i t der Regierung Kahr war die Rechtsentwicklung in Bayern i m Gegensatz zum Reich eingeleitet und so stark geworden, daß sie durch die Berufung Lerchenfelds nur zeitweise und kurzfristig wieder temperiert werden konnte. Lerchenfeld glaubte „an die Möglichkeit und die Notwendigkeit der deutschen Demokratie . . . Was auf der Rechten als Geist nationaler Opposition heranwuchs, war nicht nach dem Geschmack des Grafen" 1 0 . Die deutschnationalen Mittelparteiler waren auch nach dem Sturz Kahrs aus der Koalition ausgeschieden. Als sie i m Sommer 1922 nach dem Ausscheiden der Demokraten 7 Deuerlein, 8 BStZ, 233, » BStZ, 240, io Schwend,
a.a.O., S. 46. 6. 10.1921. 14.10.1921. a.a.O., S. 184.
446
X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld
wieder i n die Koalition eintraten, ging auch die Regierung Lerchenfeld unter dem Druck der Rechten ihrem Ende zu. Die Trennung von Kahr war für die B V P auch eine solch starke innere Belastung geworden, daß sie die Kontinuität und Weiterführung der von Kahr eingeleiteten Politik zumindest nach außen h i n ständig betonen mußte und sich so auch dem Zug nach rechts kaum widersetzen konnte. A m 18. November 1921, zwei Monate nach dem Sturz Kahrs, erklärte Held i m Landtag während der Budgetdebatte: „Es ist kein Zweifel und ich spreche ganz offen aus, daß i m ganzen deutschen Volk, vorab i m bayerischen Volke ein starker Zug nach rechts sich geltend macht. Wer das nicht einsehen und bekennen wollte, würde eine Vogelstraußpolitik treiben . . . , dieser Zug nach rechts ist vorhanden und ist begründet nicht i n monarchistischen Gelüsten, sondern begründet i n der Sehnsucht, endlich einmal wieder Ruhe, Ordnung und Sicherheit und die Möglichkeit ein ungestörtes Wirtschaftsleben zu erlangen 11 ." Es sei auch unsinnig, wenn von irgend jemand die Behauptung aufgestellt würde, daß ein vernünftiger bayerischer Politiker angesichts der Stimmung des bayerischen Volkes dazu kommen könnte, nun sich zu koalieren m i t der äußersten Linken oder m i t den Mehrheitssozialdemokraten. Doch zur unerbittlichen Feindschaft mit der Sozialdemokratie sollte es nach Meinung Heids nicht kommen. Die MSPD stehe zwar „ i n naturgemäßer Opposition" 1 2 zur BVP, man werde aber i n gegenseitiger Achtung zusammenarbeiten. Aber auch zur radikalen Rechten zog Held einen scharfen Strich. Der Kampf müsse mit den legalen Mitteln geführt werden, m i t den geistigen Waffen. „Wer etwas anderes tut, sei es von der linken oder von der rechten Seite, der ist ein Verbrecher i n der Politik 1 3 ." Es dürfe nicht dazu kommen, daß, wenn eine politische Meinung bei der Mehrheit sich nicht durchsetzen könne, sie sich durchsetzen wolle mit Gewalt, Terror oder gar unter Anwendung des Mordes. Auf der Frühjahrstagung der B V P in Würzburg am 29. A p r i l 1922 berichtete Held von seinen Bemühungen, die Mittelpartei wieder i n die Koalition zu bringen. Er werde sich nach wie vor bemühen, w e i l er es vom demokratischen Standpunkt für notwendig halte, „die Erweiterung der Koalition nach rechts zustande zu bringen" 1 4 . Das Volk sei das Revolutionieren satt. Der Zug nach rechts sei aber nicht „ i m Sinne gewisser deutschnationaler Auffassungen" 15 zu deuten. Trotz der Vorbehalte gegen gewisse Auffassungen der Deutschnationalen versuchte 11 12 13 14 is
Sten. Ber. 1921, Bd. 4, S. 342. Ebd. a.a.O., S. 341. RA, 200, 1. 5.1922. Ebd.
1. Der Zug nach rechts
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die BVP mehrere Monate lang, die Mittelpartei wieder i n die Koalition hineinzubringen; bis zum Sommer 1922 scheiterte dies am Widerstand der Demokraten. Der Grund für die Bemühungen der B V P lag darin, daß sie sich bei der bestehenden Koalition i n völliger Abhängigkeit von den schwachen Koalitionspartnern, Deutsch-Demokraten und Bauernbund empfand. Wenn einer von beiden sich sträubte, i n einer politischen Frage mitzuziehen, so war keine parlamentarische Mehrheit vorhanden, und die B V P mußte entweder sich dann zurückhalten oder sie mit der außerhalb der Koalition stehenden Mittelpartei zu lösen versuchen, ζ. B. i n Fragen der Kulturpolitik. Wegen der größeren Ubereinstimmung und Gleichwertigkeit der Grundsätze war an sich die BVP daran interessiert, die Mittelpartei gegen die Demokraten einzutauschen; doch sprach dagegen der sachliche Grund, daß der Umtausch von Parteien keine Erweiterung derselben gewesen wäre und daß sogar eine Verengung statt Erweiterung der Regierungskoalition eingetreten wäre, da eventuell der Bauernbund m i t den Demokraten gegangen wäre. I n den Fragen des Umgangs m i t den Deutschnationalen und dem Verhältnis zu ihrer Politik zeigten sich gewisse Differenzierungen in der BVP. Held hatte bereits gegen gewisse Auffassungen der Deutschnationalen schon früher Bedenken erhoben. Als er am 6. A p r i l 1922 i n einer Aussprache i m Landtag i n eine starke Polemik gegen die Mittelpartei und ihren Führer Dr. Hilpert geriet 16 , teilte Fritz Schäffer Held mit, daß Heids Rede bei i h m und „einigen Gesinnungsfreunden Bedenken hervorgerufen" 1 7 hätte. Schäffer hatte sich gewünscht, daß Held auch dem Demokraten Dr. D i r r gerechterweise „manchen H i e b " 1 8 hätte zukommen lassen sollen. D i r r habe dann auch eine Rede gehalten, die sehr stark nach einer Linksschwenkung ausgesehen habe. Schäffer hatte den Eindruck, daß sich die Demokraten grundsätzlich bemühten, dieselbe Konstellation wie i m Reich herbeizuführen, die Tür nach links offenzuhalten und die nach rechts zuzuschlagen. Es bestehe die Gefahr, daß die Demokraten i n der Rede Heids einen „Erfolg auf den ersten Schritt ihrer Politik, nämlich bei dem negativen Ziele, die Erweiterung der Koalition nach rechts zu verhindern, sehen" 19 . Held hatte auch bei seiner Rede erklärt, daß die Sozialdemokraten jederzeit, „wenn sie sich m i t uns finden zu einer positiven Arbeit auf einem Programm, das w i r anerkennen" 19 , in einer Koalition willkommen seien. Held wolle die „große Koalition gegen den Radikalismus . . . ob auf der äußersten Linken oder auf der äußersten Rechten" 20 . 16 Sten. Ber. 1922, Bd. 5, S. 452 ff. 17 Schäffer am 8. 4. 1922 an Held, A H R . is Ebd. 19 Ebd. 20 Ebd.
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X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld
Heids Position in allen staats- und nationalpolitischen Fragen, mit der sich die BVP auseinanderzusetzen hatte, w a r die Position der Mitte. Der rechte Flügel der BVP gruppierte sich u m die Abgeordneten Schäffer und Loibl, der linke u m die Arbeitervertreter Schirmer, Walterbach und Königbauer. Bevor auf Heids Stellung zu den Verfassungsreformbestrebungen der B V P eingegangen wird, soll kurz seine grundsätzliche Haltung zu den Problemkreisen Republik, Demokratie, Monarchie, Volk und Nation dargestellt werden. Sie läßt sich nach drei Jahren Tätigkeit als Abgeordneter in einem republikanischen Parlament auf Grund des nun vorliegenden Materials differenzierter darstellen. Sie bewegt sich dabei i m Rahmen der Neuorientierung des deutschen Katholizismus i n der Weimarer Republik.
2. Demokratie und Republik Held war bis i n die Tage der Revolution überzeugter Monarchist gewesen. Wohl war er i n seiner frühen politischen Zeit demokratisch gesinnt gewesen, aber niemals republikanisch. I m deutschen Katholizismus hat es bis 1918 keine republikanische Tradition gegeben. Man hatte die demokratische Bewegung i n ihm mehr als eine soziale Bewegung gesehen; in diesem Sinn war auch Held Demokrat gewesen 21 . So traf die Revolution den Katholizismus ohne staatspolitisches Konzept. Das Provisorium der Republik war dann auch ohne ihn von den Sozialisten gegründet worden. Zunächst stand man der Entwicklung völlig passiv gegenüber 22 . Erst an den kulturpolitischen Fragen richtete sich das Selbstbewußtsein der Katholiken langsam wieder auf. U m die Regelung dieser Probleme nicht völlig und ohne Kontrolle den Sozialisten zu überlassen, erklärte man seine Bereitschaft zur Mitarbeit i m neuen Staate und stellte sich, w e i l eine Wiederkehr des alten Systems kaum möglich erschien und selten erwünscht war, auf den Boden der neuen geschaffenen Tatsachen. Unter dem Druck der revolutionären Wirren stellte sich die Landtagsfraktion der BVP am 4. März 1919 i n einer Erklärung auf den Boden der republikanischen Staatsform 23 . Nachträglich entschuldigte man gegenüber konservativen Kreisen der Partei diesen Beschluß mit dem Hinweis auf die Revolutionswirren.
21 Diese Tradition setzte sich auch nach der Revolution fort. HistorischPolitische Blätter, Bd. 170, 1922, S. 102: „Jedenfalls aber ist christliche Demokratie" nicht das, was manche Leute aus i h r machen möchten. Sie ist i m Grunde keine politische, sondern eine rein soziale Bewegung. 22 Z u dieser Problematik vgl. H. L u t z : Demokratie i m Zwielicht, S. 67 ff., und R. Morsey: „Die deutsche Zentrumspartei zwischen Novemberrevolution und Nationalversammlung, i n : Festschrift f ü r Gg. Schreiber, München 1963. MNN, , . 19.
2. Demokratie u n d Republik
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Nach Niederwerfung der Räterepublik setzte man sich weniger entschieden für die Republik ein, die man zwar bei der Annahme der Bamberger Verfassung vertrat, zog sich dann aber wieder stärker auf die Betonung des Grundsatzes der Legitimität zurück, nannte sich Verfassungspartei, die unter Verzicht auf Anwendung von Gewalt sich auf das M i t t e l des Volksreferendums zur Verfassungsänderung, eventuell auch i m Sinne der Monarchie festlegte 24 . Die Bejahimg der Verfassung bedeutete für Held nicht den eigentlichen Schritt i n die Republik. U m die Rechte der Kirchen und ihre kulturpolitischen Interessen nicht weiter zu gefährden, und aus Angst vor neuen revolutionären Wirren, stellte sich die BVP in ihrer Mehrheit auf den Boden der formalrepublikanischen Gegebenheiten 25 . Nach Uberwindung des revolutionären Treibens hoffte sie ohnedies auf eine Neuordnung und Rückbildung der Verfassungsgrundlagen. Das Prinzip der Volkssouveränität, zu dem sich das neue Regime bekannte, konnte ja auch zum eigenen Vorteil gebraucht werden. Man wählte, besonders nach dem Erlebnis der Räterevolution, das kleinere Übel und erhoffte dadurch noch seine eigenen Interessen am besten zu wahren. Je größer auch der zeitliche Abstand zur Revolution wurde und je sicherer man sich wieder fühlen konnte, begann man die Revolution als einen Gewaltakt anzusehen und als Ursache des bestehenden Elends zu bezeichnen. Dieser Prozeß ist auch bei Held festzustellen. A m 9. Juni 1922 erklärte Held auf dem BVP-Tag in Deggendorf, der deutsche Zusammenbruch sei dadurch verschuldet worden, w e i l „ i m entscheidenden Augenblick unserem Volk die innere Geschlossenheit und seelische Widerstandskraft verloren gegangen sei. Statt i n der Stunde der höchsten Not alle sittlichen und nationalen Kräfte zusammenzufassen, sei Deutschland der Revolution verfallen, die i n diesem Zeitpunkt das größte Verbrechen am deutschen Volk gewesen sei" 2 6 . Held gab aber zu, daß der Boden für die Revolution zum guten Teil „durch schwere Fehler der Regierungen während des Krieges" 2 7 vorbereitet worden war. Diese Ressentiments gegen das revolutionäre Zustandekommen der Verfassung hielten Held jedoch nicht davon ab, aus dem bei ihm besonders stark ausgeprägten christlichen Legitimitätsgrundsatz heraus von jedem Staatsbürger zu fordern, daß er, wenn er auch aufgehört habe Staatsuntertan zu sein, „aus seinem Staatsbürgerrecht heraus unbedingt die Gehorsamspflicht anzuerkennen habe gegenüber diesen Trägern der Staatsautorität" 2 8 .
24
25 26 27 28 29
A. Pfeiffer, Gedankenwelt, a.a.O., S. 65. Vgl. oben. RA, 273, 16. 6.1922. Ebd. Sten. Ber. 1919/20, Bd. 1, S. 354. Keßler
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Als alter Parlamentarier und aus historischer Erfahrung verteidigte Held auch den Parlamentarismus gegen seine Kritiker, gegen die Opposition der Rechten: „ W i r sehen i n der letzten Zeit einen Kampf, ich möchte sagen einen systematisch geführten Kampf gegen den sogenannten Parlamentarismus entbrennen. Ich bedauere außerordentlich, daß dieser Kampf geführt w i r d 2 9 . " Er bedauere es auch, wenn Abgeordnete selbst i n der Öffentlichkeit den Parlamentarismus kritisierten, so daß i m Volke der Parlamentarismus diskreditiert werde. Es gäbe keinen modernen Staat, der ohne Parlament als Vertretung des Volkes auskomme. Es werde als Allheilmittel gegen alles Elend das System der Diktatur empfohlen: „Ich wundere mich darüber, daß ernste politische Leute davon reden können . . . I m Übrigen bedeutet Diktatur doch W i l l k ü r und nichts anderes 30 ." Zur Rechtfertigung und Verteidigung der bestehenden Verfassung und der demokratischen Ordnung verwies Held auf den alten Obrigkeitsstaat, gegen den auch er seine Ressentiments hatte: „Wenn ich als Katholik, als Mitglied der BVP und als früherer Zentrumsmann auch ein Wort dazu sprechen darf, so ist es die Frage: Sind w i r nicht unter anderen Regierungssystemen jahrzehntelang an die Wand gedrückt und nicht so behandelt worden, wie es sich für gleichberechtigte Staatsbürger geziemt hätte? Das sind doch auch Tatsachen, die zum Denken und zu einiger Überlegung anregen. Wenn heute der Parlamentarismus — meines Erachtens zu Unrecht — geschmäht wird, so kommt doch ein Teil der Dinge, die am Parlamentarismus zu beklagen sind, i n Deutschland ganz offensichtlich daher, daß sich der Parlamentarismus nicht so eingespielt und eingelebt hat wie i n anderen Staaten 31 ." Gegenüber dem alten Regime mit seiner Unterdrückung der Katholiken hatte Held das parlamentarische System als eine zwar m i t Mängeln behaftete Staatsform, aber doch als einen Fortschritt hingestellt. Wenn der deutsche Parlamentarismus Mängel zeige, so müßten diese durch den Ausbau der Verfassung behoben werden. Hier ist der echte demokratische Grundsatz zu Heids innerbayerischen Verfassungsreformplänen zu sehen. Die obigen Ausführungen sind auch als Appell an die eigenen konservativen Fraktionsgenossen zu verstehen. Den „reinen Parlamentarismus" lehnte Held ab, deshalb sollte in Bayern die Institution des Staatspräsidenten und eine 2. Kammer geschaffen werden. Das politische Denken hatte bei Held aber immer noch einen konstitutionelle Komponente. Die Einebnung staatlicher Strukturen auf den reinen Parlamentarismus wollte er nicht akzeptieren, auch die politische Praxis schien i h m weiter Recht zu geben: die Anerkennung der 29 Sten. Ber. 1922, Beil. Bd. 11, Beil. 3122, S. 299. 30 Ebd. 31 a.a.O., S. 300.
2. Demokratie u n d Republik
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autoritären Stellung der Staatsgewalt war noch nicht voll erreicht worden. Das lag auch daran, daß Bayern einen eigentlichen Vertreter des Staates, „der so die ganze Machtfülle der Staatsgewalt repräsentiert und in der Hand hat" 3 2 , nicht besaß und das, was man als Träger der Gewalt i n Bayern sah, war nicht so ausgeprägt, daß eine klare Scheidung gegeben wäre und „daß für das Volk eine klare Führung mit dem ganzen Glänze der Autorität und mit der Fülle der Autorität da wäre" 3 3 . Daß, auf ein solches System gebaut, keine Stetigkeit der Politik gegeben sein könnte, keine gerade Linie, keine feste Hand, „die das Volk braucht", das lag für ihn „klar auf der Hand" 3 4 . Dieses Denken orientierte sich noch stark am konstitutionell monarchischen Staat, i n dem für das Volk eine m i t dem ganzen Glanz der Autorität und mit der Fülle der Autorität ausgestattete Staatsspitze vorhanden war; was Held nun vorschwebte, w a r nicht die Restauration der Monarchie, sondern die Schaffung eines demokratischen Adäquats i n der Person eines Staatspräsidenten, der die staatspolitische Funktion symbolhaft und die Kontinuität des Staates auf demokratischer Basis bewahren helfen sollte. Diese staatspolitische Funktion und Aufgabe schien ihm deshalb so wichtig, w e i l der reine Parlamentarismus den Staatsgedanken niemals in dem Maße repräsentieren konnte, wie das durch eine einzelne, kraftvolle Persönlichkeit an der Spitze des Staates der Fall sein konnte 3 5 . Und gerade der bayerische Staat schien diese Autorität i m besonderen Maße zu benötigen, um die auseinanderstrebenden politischen Kräfte zu sammeln. Held konnte darauf verweisen, daß das Volk den reinen Parlamentarismus nicht wollte. „Wer Politik macht und wer für die Zukunft eine Politik einrichten w i l l , der w i r d auf diese Imponderabilien der Volksstimmung und Volksentwicklung immer gebührend Rücksicht nehmen müssen. Das sage ich, obwohl ich nicht Demokrat bin 3 6 ." Demokratie bedeute für ihn, „die Herrschaft des Volkes . . . , wenigstens die M i t w i r k u n g an der Herrschaft" 3 7 . Demokratie hieß also für ihn, „daß das Volk als Ganzes beteiligt werden soll an den Staatsgeschäften . . . Nein, nicht übers Volk herrschen heißt Demokratie, die Selbstbeherrschung des Volkes i m Staate, das heißt Demokratie. Auch der Kollege Wohlmuth befindet sich da in einem großen I r r t u m " 3 8 . Obwohl Held von sich selbst sagte, er sei kein Demokrat, war er doch Demokrat i n 32 Sten. Ber. 1923, Bd. 7, S. 955. 33 a.a.O., S. 956. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Sten. Ber. 1923, Bd. 7, S. 957. 37 Ebd. 38 Ebd. 29
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dem Sinne, daß er die M i t w i r k u n g des Volkes an der Herrschaft bejahte. Auch i n dem Sinne war er Demokrat, als er versuchte, als Gesetzgeber „ m i t dem Rechtsempfinden des Volkes und mit seinem Rechtswillen möglichst i n Einklang zu kommen" 3 9 . Dadurch würden auch für die Staatsautorität und die Einhaltung der Gesetze selbst die größten Garantien geschaffen. Dies lag auch ganz i m Sinne der Haltung der BVP i n der Staatsformfrage. Die Entscheidung darüber sollte dem Volk überlassen bleiben, das auf dem Wege einer Volksabstimmung eine Änderung der Staatsform herbeiführen könne. Die B V P wies aber immer darauf hin, daß die innerhalb der Partei diskutierte Frage: Monarchie oder Republik nichts mit der Wiederherstellung der konstitutionellen Monarchie zu t u n habe. Vielmehr erörterte man lediglich die Frage, ob die Repräsentation des Staates nach außen durch den König i n Form der repräsentativen Monarchie oder durch einen Staatspräsidenten erfolgen sollte. I n einer ihrer ersten Kundgebungen hatte die B V P erklärt: „Grundsätzliche Bedenken gegen die Form der Republik an sich gibt es weder vom staatspolitischen, noch vom kirchlichen Standpunkt. Entscheidend ist nicht die Form, sondern die von der Regierung praktisch betriebene Politik 4 0 ." A u f den i m katholischen Lager einsetzenden Verfassungsstreit zwischen Anhängern der Designationstheorie 41 und der Ubertragungstheorie 42 kann hier nicht näher eingegangen werden. Vertreter der ersten Theorie war vor allem der Theologe Tischleder, der zweiten vor allem der frühere Regensburger Domkapitular Kiefl. Held hatte sich i n diesem Streit nie akzentuiert geäußert. Nach der Übertragungstheorie waren alle Staatsformen zulässig, die Monarchie habe vor der Demokratie keinen Vorzug. Was für die Partei selbst galt, traf auch für Held zu: Er war grundsätzlich demokratisch, aber nicht republikanisch. I n der nachrevolutionären Epoche verteidigte er i n demokratischer Gesinnung das Parlament, forderte aber zugleich den Ausbau der Verfassung i n Richtung auf eine stärkere, personell gebundene, die Staatsautorität stärker betonende Repräsentation dieses Staates i n Form eines Staatspräsidenten. Dabei konnte er auch die stärker werdende monarchische Stimmung als taktisches Moment einbeziehen, indem er die Staatsformfrage zwar auf die lange Bank schob, aber mit der Betonung der demokratischen gegenüber der republikanischen Gesinnungsweise den Ausweg einer repräsentativen Monarchie offen ließ. Heids Stellung zu diesem Fragenkomplex ist vielleicht am
39 Ebd. 40 Ringelmann, a.a.O., S. 29. 41 Nach dieser Theorie w a r die Macht i m Staate v o n Gott auf den M o n a r chen übertragen, sie w a r an i h n gebunden. 42 Demnach w a r die Gewalt i m Staate v o m V o l k auf die Herrschenden übertragen.
3. Held u n d die monarchische Frage bis 1924
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kürzesten so zu umreißen: foederalistische Revisionsforderungen wohl i n bezug auf die Reichsverfassung, Festhalten an den demokratischen Verfassungsgrundlagen des bayerischen Staatswesens, aber hier Korrektur parlamentarischer Auswüchse. Von einer Wiederkehr alter, absolutistischer oder rein konstitutioneller Zustände wollte er nichts mehr wissen. Das hat ihn wohl auch i n seiner Haltung bei der i n Bayern immer wieder akuten Frage der Monarchie bestimmt.
3. Held und die monarchische Frage bis 1924 I n Bayern hatte, wie nirgend sonst i n Deutschland, der monarchische Gedanke eine starke Verbreitung. Dem entsprachen auch die monarchistische Propaganda und Organisation. Die B V P hielt sich davon zunächst nach außen zurück. I n ihrem Gründungsaufruf und i n der bereits geschilderten Programmdiskussion am 15. Nov. 1919 hatte sich die Partei i n der monarchischen Frage nicht festgelegt. Als Verfassungspartei verwies man auf den Weg der Volksabstimmung; zudem hatte man sich innerhalb der Partei i n dieser Frage nicht einig werden können. Held selbst hielt ein promonarchistisches Bekenntnis für inopportun. M i t der gefundenen, an sich nichtssagenden Kompromißformel hatte man lediglich der Agitation genügen wollen. Es sollte jedem Parteianhänger freistehen, wie er sich zur monarchischen Frage stellte. Daß Held während seines ganzen Lebens dem Gedanken der bayerischen Monarchie aus Loyalitäts- und Legitimitätsgründen innerlich verbunden blieb, ist sicher. Er war jedoch seit 1918 ein Vernunftmonarchist, wenn man diesen Begriff gebrauchen darf, aber kein Tatmonarchist. Sein langjähriger Freund Pfarrer Eisenmann schrieb Held am 30. Januar 1919: „Ich bin und bleibe grundsätzlich Monarchist wie Du 4 5 ." Solange aber die ungeheuren wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten in Bayern beständen, diene „die Monarchie nicht dem Volkswohl. Und da sie nicht dem Volkswohl dient, darf sie zur Zeit und für länger hinaus nicht angestrebt werden" 4 6 . Zum eigenen Vorteil der Monarchie sollte sie vorerst nicht angestrebt werden; das wäre ein Danaergeschenk gewesen. So war es taktisch richtig, die Staatsformfrage möglichst lange offenzulassen. So erklärte z.B. Held i m Januar 1920 i n Regensburg: „ A u f die Staatsform kommt es i n erster Linie gar nicht an, sondern auf den Geist, in welchem regiert w i r d 4 7 . " Zum Drängen der bayerischen Königspartei, die BVP solle sich i n der
45 Brief Eisenmannis i n A H R . 46 Ebd. 47 RA, 30, 20.1.1920.
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Frage der Monarchie endgültig entscheiden, schrieb der „Regensburger Anzeiger" i m J u l i 1920, daß man die Zeit nicht für geeignet halte, „die Frage des bayerischen Königtums aufzurollen. W i r haben jetzt ganz andere Sorgen, als ohne jeden zwingenden Anlaß die Frage der künftigen Staatsform ins Volk zu werfen und damit neue Erregung und Unruhe hervorzurufen" 4 8 . I n diesem Zusammenhang lehnte Held auch die Gründung und A k t i v i t ä t der bayerischen Königspartei ab. I n Vohenstrauß lehnte er „scharf . . . jede Verbindung m i t der gegründeten Königspartei" 4 9 ab. Damit wollte man jeden Vorwurf revolutionärer und restaurativer Aspirationen von sich weisen 50 . Natürlich wurde der monarchische Gedanke in der BVP immer unterschwellig geduldet und gepflegt; es „war mehr ein Zierat als ein konsequent und m i t vollem politischen Bewußtsein gewollter I n h a l t " 5 1 . Die bayerische Politik der B V P mußte den K u l t der Monarchie kontrollierbar unterhalten, aber sie mußte auch darüber wachen, daß die monarchische Idee von politischen Verirrungen beschützt wurde. Aber ein wirkliches unmißverständliches Bekenntnis von Held für die Monarchie gibt es nicht. Zehn Jahre nach dem Tode Ludwigs I I I . schrieb Held i n der Zeitschrift „Das Bayernland" einen A r t i k e l „Erinnerungen an König L u d w i g I I I . von Bayern" 5 2 . Der A r t i k e l soll ausführlicher zitiert werden, um Heids Stellung zur Frage der Monarchie in den Jahren 1919/1924 klarer zu zeigen. I m Kriege und nach dem Kriege habe er mehrfach Gelegenheit gehabt, „unter vier Augen m i t ihm Probleme der Tagespolitik und Zukunft zu besprechen" 53 . Einige Wochen vor Ludwigs I I I . Tod 1921 habe er noch einmal die Ehre gehabt, „fast einen ganzen Tag mit ihm nach seinem Wunsche zu verbringen . . . Ich mußte ihm damals nach bestem Wissen und Gewissen Illusionen zerstören, die er bezüglich einer nahen Zukunft selbst hatte, und die von gedanken- oder gewissenlosen Leuten i n ihm geweckt und geflissentlich genährt worden waren. Es w a r eine harte Pflichterfüllung für mich, die mich selbst bis ins Innerste ergriff, aber es war ein Dienst der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, die ich einem König seiner A r t schuldig war. Er machte m i r kein Hehl aus der tiefen Betrübnis, i n die ihn meine Auffassung versetzt hatte, aber er war m i r aufrichtig dankbar für den Freimut, den ich ihm gegenüber bekundete. Als er sich von m i r verabschiedete, drückte er m i r die 48 RA, 30 H, 10./11. 7.1920. 49 Bk, 318, 13. 11.1914. 50 Über die bayerische Königspartei u n d i h r Verhältnis zur B V P siehe: L. F. Gengier, Die deutschen Monarchisten 1919 bis 1925, phil. Dissertation, Erlangen 1932. si Zimmermann, a.a.O., S. 165. 52 Das Bayernland, 42. Jg. 1931, Heft 19, S. 587 f. 53 Ebd.
4. V o l k u n d Nation
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Hand und bemerkte dabei: ,Der heutige Tag bedeutet für mich ein schmerzliches Erwachen. M i t solch rücksichtsloser Offenheit und Wärme für mein Schicksal und das Schicksal meines Hauses hat seit den Tagen der Revolution noch keiner zu m i r gesprochen, aber ich habe empfunden, daß die Liebe zu einem schwer geprüften König und Volk aus Ihnen sprach'" 54 . Damit war ausgesprochen, daß Held dem Monarchen jede Illusion einer möglichen Rückkehr auf den Thron ausredete und sie realpolitisch i n dieser Zeit nicht mehr für möglich hielt. Recht deutlich sprach dies Schlittenbauer am 3. September 1919 gegenüber dem monarchistischen Aktivisten Graf Bothmer aus: „Ich w i l l Ihnen auch verraten, daß der größte Teil der BVP-Fraktion nicht mehr für monarchistische Bestrebungen zu haben ist 5 5 ." So konnte und wollte auch Held nie die Initiative zur Restauration der Monarchie ergreifen. Es wurde ihm deshalb der Vorwurf gemacht, er heuchle nur seine monarchistische Gesinnung 56 . Als i m Verfassungsausschuß des bayerischen Landtags anläßlich der Konkordatsberatungen die Frage der Monarchie aufgeworfen wurde, antwortete Held ausweichend, fast abweisend: „Das weiß kein Mensch, wann und ob i n Bayern die Monarchie wiederkommt, auch wenn es soundso viel Monarchisten i n Bayern gibt . . . 5 7 ."
4. Volk und Nation I m Mittelpunkt des politischen Denkens stand i n der Nachkriegszeit bei Held die Idee des Volkes und der Nation. Der Weltkrieg hatte Held das deutsche Volk, die Nation als Schicksalsgemeinschaft erfahren lassen. Von hier aus war auch die Nationalisierung seines politischen Denkens ausgegangen. I n der Idee des Volkes wurde bei aller Verschiedenheit landschaftlicher und stammesmäßiger Unterschiede die nationale Einheit garantiert gesehen — die Gemeinschaft der durch die Gewaltpolitik der Entente geeinten Deutschen. „Die überraschende Wucht, m i t welcher i m katholischen Bereich der Volksbegriff in einer sowohl religiös-ethischen wie staatlichen und kulturellen Bezogenheit sich geltend machte, war ein schlechthin revolutionäres Novum 5 8 ." Das lag nicht zuletzt daran, daß 1918 die katholischen Ressentiments gegen das protestantische Bismarckreich gefallen waren. I m innen- und gesellschaftspolitischen Bereich gab es für die Katholiken keine Schranken mehr. 1921 konnte Held als Präsident des deutschen Katholikentags i n Frankfurt „zum ersten M a l seit dem Bestehen des Deutschen 54 55 56 57 58
Das Bayernland, 42. Jg. 1931, Heft 19, S. 578 f. G S t A M : M A 108 343. Sten. Ber. 1924, Sitzung v o m 20.11.1924. Sten. Ber. 1924, Beil. Bd. 1, Beil. 674 v o m 11.12.1924. H. Lutz, a.a.O., S. 102.
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Reichs . . . den deutschen Reichskanzler begrüßen" 59 . Das war für Held eine „Tatsache von geschichtlicher Bedeutung. W i r freuen uns derselben von Herzen" 6 0 . Der i m Volksgedanken zum Ausdruck kommende Gedanke der Einheit wurde deshalb besonders wünschenswert empfunden, w e i l das Volk trotz der schweren äußeren Not i m Innern in Parteien und Gruppen zerrissen war. Dadurch bekam auch das Wort der Gemeinschaft einen besonders geprägten Sinn und bedeutete die Sehnsucht nach Einheit, Stärke und innerer Geschlossenheit, „alles Dinge, an denen es der Weimarer Republik gebrach" 61 . So gewannen die Ideen, wie Gemeinschaft, nationale Verbundenheit, Volkstum und Einheit auch bei Held zentrale Bedeutung. Das Verhalten der Siegermächte vom Waffenstillstand über die Friedenskonferenz bis zu den Reparationshandlungen hat das politische Gewissen der deutschen Katholiken i m besonderen Maße beeinflußt. „Das durchdringende Bewußtsein, Opfer eines riesigen und unerträglichen Unrechts geworden zu sein, deckte auf lange Zeit die eigene Gewissenserforschung hinsichtlich der Politik vor 1919 zu 6 2 ." Darüber hinaus setzte aber bei Held ein ehrliches, gewissenhaftes Ringen ein u m die Probleme der deutschen Politik, u m die Fragen nach Schuld und Sühne und vor allem der Kampf u m die sittliche Wiedergeburt des deutschen Volkes. Daß dabei i m Zeichen des moralischen Protests gegen Kriegsfolgen und Friedensvertrag von i h m manchmal nationalistische Töne zu hören waren, lag i n der Erregung der Zeit und bedeutete nichts besonderes. Er gehörte auch hier nicht zu den Radikalen. Alle diese Gedanken gingen bei Held von der Gewaltpolitik der Siegermächte aus. „Der Friede von Versailles ist kein Friede, sondern die Kriegsfortsetzung und zwar i n schlimmerer Form als vorher der Krieg geführt worden ist 6 3 ." Held war von jedem Chauvinismus frei, „aber ein stärkeres Nationalbewußtsein würde die Basis für ein stärkeres Zusammenhalten aller Kreise i m Deutschen Reiche und die Voraussetzung für den Wideraufbau mit dem Widerstand gegen alle feindlichen Mächte geben können" 6 4 . Der nationale Sinn, das nationale Bewußtsein gab erst einem Volk das Gepräge der Volkspersönlichkeit: „ E r w i r d i n der Seele der Nation ein neues K r a f t - und Lebenszentrum 65 ." Aus s» Protokoll der 61. Generalversammlung der K a t h o l i k e n Deutschlands, zu Frankfurt v o m 27. bis 30. August 1921, Würzburg 1921, S. 29. 60 Ebd. 61 Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 316. 62 H. Lutz, a.a.O., S. 76. 63 Sten. Ber. 1920, Bd. 1, S. 700. 64 Ebd. 65 RA, 3, 3.1.1929.
4. V o l k u n d Nation
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diesem K r a f t - und Lebenszentrum erwuchs dann ein nationales Seelenleben „ m i t nationalen Tugenden" 6 6 und neuen Kräften zur Beherrschung des äußeren Lebens i n Staat, Wirtschaft und Kultur. „Sie entspringen der staatsbildenden Kraft, dem Staatsgedanken und dem Staatswillen, die erst die Nation schufen 67 ." Es war die Sehnsucht nach überindividueller Formkraft, nach Gemeinschaft. Der äußere Aufschwung Deutschlands nach der Reichsgründung war nur durch den erwachten nationalen Geist möglich gewesen; der Wiederaufbau nach Niederlage und Revolution stockte bisher, w e i l dieser nationale Geist zusammengebrochen war. Es ist ein interessantes Phänomen für das politische Denken des deutschen Katholizismus überhaupt, daß der vor dem Krieg m i t so viel Skepsis und Reserviertheit behandelte nationale Geist des Bismarckreiches jetzt als allein fähige K r a f t zum Wiederaufbau angesehen wurde. „ W i r Deutsche haben uns für einen neuen Volksstaat entschieden, der durch einen revolutionären Bruch von dem alten Staate getrennt ist. Daß w i r bisher keinen die Geister und Herzen bezwingenden kraftvollen Staatsgedanken aufbrachten, ist der Grund unseres nationalen Elends 68 ." Das deutsche Volk war parteipolitisch zerklüftet und konnte so nicht mehr die genügende Widerstandskraft aufbringen, darin lag die Quelle aller Fehler und Mängel. „Nicht nationalistisch, aber national, gut deutsch soll jeder denken und empfinden und aus dieser Empfindung heraus allein w i r d eine Masse der Widerstandskraft erwachsen 69 ." I m nationalen Gedanken, i n einer großen geschlossenen Gemeinschaft des nationalen Gedankens sollte sich das zerklüftete deutsche V o l k wieder einigen. Der Wiederaufbau konnte nicht nur ein wirtschaftlicher sein, sondern mußte auch ein moralischer Aufbau sein. Hier verbanden sich nationales Wollen m i t dem Christentum. Aus der tiefen geistlich-sittlichen Not sollte das deutsche Volk wieder zurückkehren zu den Wahrheiten des Christentums und den Verpflichtungen der christlichen Moral. Das Christentum mußte wieder Grundlage der Volkserziehung, der Volksgemeinschaft werden. Das Christentum konnte die Einzelseele erfassen und durchdringen: „Gerade i n dieser Durchdringung liegt die sicherste Gewähr dafür, daß eine Volksgemeinschaft hergestellt w i r d ; denn gleichgestimmte Seelen, gleichdurchdrungene Seelen streben von selbst zum Solidarismus, streben von selbst zur gegenseitigen Opferbereitschaft 70 ." Der politische Kampf der Meinungen, der nach Heids Auffassung nicht aus der Welt zu schaffen w a r — „denn wo kein Kampf, 66 67 68 69 70
Ebd. Ebd. Ebd. Sten. Ber. 1922, Bd. 5, S. 452. a.a.O., S. 470.
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da kein Leben da kein Vorwärts" 7 1 — sollte sich aber i n den Grenzen der christlichen Liebe, der Gerechtigkeit und Wahrheit bewegen. Geschah das, so war Held der festen Uberzeugung, „daß es dazu kommt, daß w i r i m deutschen Volk auch wieder einmal eine große Einheitsfront bekommen, die unter den leuchtenden Sternen der Nächstenliebe steht: die Liebe überwindet alles, sie überwindet auch das Elend und die Not unserer Zeit" 7 2 . Das Christentum wurde so bei Held nicht nur zur regulierenden und humanisierenden Kraft des politischen Kampfes, sondern auch zum Ferment des politischen Wiederaufbaus. I n Held artikulierte sich sehr klar die christlich-nationale Idee im Katholizismus, die zudem antimarxistisch auftrat und zumindest die BVP nach rechts festgelegt hat, während sich im Reichszentrum auch die republikanische Linie durchsetzte, die die Verbindung m i t der Linken suchte. I n diesem Zusammenhang des nationalen Wiederaufbaus fiel auch die Frage der Kriegsschuld, der Beurteilung der Revolution und des Friedensdiktats. Hier bewegte sich Held ziemlich weit rechts, ohne allerdings in die chauvinistische Hetze radikaler Nationalisten zu verfallen. Ein 67-Millionenvolk habe „betört und falsch geführt" 7 3 einen Waffenstillstand abgeschlossen, der es i h m unmöglich machte, sich i m geringsten gegen fremden Willen zu regen. „Der Feindbund hat sein Ziel erreicht, Deutschland so zu schwächen, daß es sich alles gefallen lassen muß, wie eine Nation von Sklaven. Er hat das aber nur erreicht, weil die Deutschen in einem Augenblick, in dem sie die Zähne hatten zusammenbeißen sollen, törichter- und verbrecherischerweise Revolution gemacht haben 74 ." Irregeführt durch den Marxismus und geblendet durch die vermeintlichen Erfolge der Revolution und der Hoffnung auf die Macht in der Reichsleitung hat man uns die Revolution gebracht und sie hat fertiggebracht, was der Krieg noch nicht vollendet hatte. Nur durch die Revolution ist ein solcher Waffenstillstand möglich geworden . . . Der internationale Marxismus i n Deutschland ist schuld an diesem Waffenstillstand und all seinen schrecklichen Folgen, weil er uns die Revolution gebracht hat" 7 5 . Dies ist ein Beispiel, wie i m Zeichen des moralischen Protests gegen Kriegsfolgen und Friedensvertrag die historischen Realitäten verschoben wurden. So mußte auch „aufgeräumt werden mit der Schuldlüge über Deutschland" 76 . M i t der starken Betonung des Nationalen und der Volksgemeinschaft begab man sich auch in der BVP i n einen Bereich, i n dem die Grenze 71 72 73 74 75 76
Ebd. Ebd. RA, 487, 21. 10.1922. Ebd. Held auf dem oberpfälzischen Parteitag, zit. i n RA, 247, 26.10.1923. Ebd.
5. Der K a m p f gegen den Nationalsozialismus
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zum radikalen Nationalismus oft nur schwer festzustellen war. Die K r a f t seines christlichen Gewissens und seine realpolitischen Eigenschaften haben Held vor dem Abgleiten nach rechts bewahrt und ihn zur Abwehr des nationalsozialistischen Angriffs auf den Staat schon i n den 20er Jahren veranlaßt. 5. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus Held glaubte an die Möglichkeit einer pragmatischen und ausgeglichenen Politik. Seine politischen Anschauungen hatten sich in den festen Verhältnissen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg herausgebildet. 1919 hatte er sich zur Mitarbeit an der Republik auf dem Boden der gegebenen Tatsachen entschlossen. Neue politische Normen hat er für sich nicht mehr akzeptiert, wenn man das Bekenntnis zum Nationalen als selbstverständliches Erfordernis der Zeit ansieht. Zur Differenzierung der radikal-nationalistischen Kräfte von dem Strom der nationalen Bewegung, wie sie in den vaterländischen Verbänden sich organisiert hatte, brauchte die B V P ziemlich lange. Bis zum Sturz Kahrs hatte man viele gemeinsame Punkte: die antisozialistische Haltung, die Liquidierung der Revolution, den Aufbau eines starken Ordnungsstaates. Die Gegensätze wurden erst dann deutlicher, als das kulturkämpferische Element in der nationalsozialistischen Bewegung stärker hervortrat und die „Landfremden" die Führung der Rechtsbewegung immer stärker an sich rissen. Der sozialdemokratische Abgeordnete Endres stellte am 5.12.1922 i m Landtag fest: „Solange sich die Nationalsozialisten nur gegen den sogenannten Marxismus gewandt haben, da fanden sie die Zustimmung auch der B V P 7 7 . " Jetzt, da Dietrich Eckart i n Antikatholizismus mache, da finde auch die BVP, daß diese Bewegung eine große Gefahr darstelle. Die nationalsozialistische Bewegung ging anfänglich i m allgemeinen die Wege der Vaterländischen Verbände, sie trat nur geräuschvoller und stürmischer auf. Die Regierung und die B V P befanden sich, als man sich doch zum Kampf genötigt sah, i n einer schwierigen Lage, da die Bewegung i n den Augen des rechtsgerichteten Bürgertums immer noch als eine rein vaterländische Bewegung galt. A m 14. Dezember 1922 setzte sich der „Regensburger Anzeiger" 7 8 zum ersten M a l m i t der nationalsozialistischen Bewegung auseinander. Die B V P habe als Verfassungspartei die Pflicht, die Bevölkerung über die Gefahren dieser Bewegung aufzuklären. Das gelte vor allem von
77 Sten. Ber. 1922, Bd. 7, S. 180. RA, 552, 14.12.1922.
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„der Verständnislosigkeit, mit der man i n diesem Kreise dem katholischen Fühlen und Denken gegenüber steht" 7 9 . Ihre agitatorische Phraseologie müsse jeden vernünftigen Menschen auf den Plan rufen. Zunächst sah man i n der nationalsozialistischen Bewegung eine Kraft, die als „zwangsläufige Gegenwirkung auf die Revolution und den Sozialismus w o h l begreiflich und i n mancher Beziehung begrüßensw e r t " 8 0 war, dann bemerkte man aber bald Erscheinungen, die trotz der guten Absichten, denen sie entsprangen, „dem ernsten und verantwortungsbewußten Politiker Sorge für die Zukunft Bayerns machen müssen" 81 . Nach Ausbruch des Ruhrkampfes lehnte Held am 26. Februar 1923 „jede Politik des Putsches und des gewaltsamen Umsturzes" 8 2 ab. „Umsturz wie ihn sich die Rechtsradikalen und Linksradikalen vorstellen, würde nur Zerstörung der wenigen Werte, die w i r noch besitzen, bedeuten 83 ." Held erkannte den „guten nationalen K e r n " 8 4 der Bewegung an. Der völkische Gedanke werde i n der Bewegung viel zu einseitig erfaßt. Rasse und Volkstum an sich würde noch keine Charaktere ausmachen, wenn nicht die Weltanschauung dazu träte. Eine rein auf den Rassegedanken eingestellte Politik müsse zum geistlosen Chauvinismus führen. Es sei auch nicht möglich, etwa aus der Rasse eine „gewisse festumgrenzte Einstellung zum Staat und zur Politik zu gewinnen" 8 5 . Die Rasse „als Quelle der Weltanschauung" lehnte Held als „Irrlehre" ab 8 6 . Das Wort völkisch sei nur der Deckname für eine kulturkämpferische Gesinnung. „Die Bewegung, die sich völkisch in diesem Sinne nennt, ist nicht nur antikatholisch, sondern i n ihrem Grunde antichristlich. Sie geht auf heidnische Vorstellungen zurück, auch bezüglich des Menschen, des Verhältnisses vom Menschen zu Gott . . . Auch i n der ganzen Götterwelt, die man konstruiert, ist man rein heidnisch, germanisch, antichristlich eingestellt 87 ." I m staatlichen Bereich mahnte Held schon i m Februar 1922 auf der H u t zu sein, „daß aus der Ordnungszelle Bayern keine Zelle der Unordnung gemacht werde" 8 8 . Dr. Heim wandte sich i n der „Bayerischen
79 so 81 82 83 84 85 86 87 88
RA, 552, 14.12.1922. RA, 1, 2.1. 1923. Ebd. RA, 48, 27. 2.1923. Ebd. Ebd. Sten. Ber. 1923/24, Bd. 90, S. 136. Ebd. Sten. Ber. 1923/24, Bd. 90, S. 136. RA, 48, 27. 2.1923.
5. Der K a m p f gegen den Nationalsozialismus
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Staatszeitung" 89 gegen die von nationalsozialistischer Seite getriebene „Politik der Tat" i n Bayern. Würde Hitler i n München die Diktatur errichten und die Regierung verjagen, so gebe es einen Bürgerkrieg. Die Offensive Hitlers Ende Januar 1923 gegen die Regierung und die offene Feindschaft gegen die B V P zwangen auch Held zu einer scharfen Kampfansage gegen den Nationalsozialismus und die politische Betätigung der Wehrverbände. „Politische Führer können nur die sein, die vom Volk verfassungsmäßig dazu berufen sind und die auch bereit sind, die Verantwortung zu tragen. W i r wollen keine Abenteurer. W i r wollen sammeln für ein Ziel; deshalb verwerfen wir, was sich nicht m i t eingliedert i n den großen Rahmen nationaler Betätigung 9 0 ." Held griff die „falsche Politik Ludendorffs" 9 1 scharf an. Parteibestrebungen, die Gewalt wollten, müsse er abweisen. „Deshalb lehnen w i r auch den Nationalsozialismus ab 9 2 ." National sei die B V P schon immer gewesen, bei der NSDAP sei das Neue „nur die Gewalttat; aber w i r können Menschen nie innerlich umändern durch Gewalttat, sondern nur durch vernünftige Erziehung und Behandlung" 9 3 . Held hatte erkannt, daß die Politik der revolutionären Rechtsultras i n Bayern die Führung einer den bayerischen Verhältnissen entsprechenden vernünftigen Rechtspolitik stark erschwerte. Das Schlimme seien die Methoden Hitlers; aus dieser Befürchtung leitete er für die B V P die Pflicht ab, „alles zu tun, um dem Lande einen zweiten Kladderadatsch zu ersparen" 94 . I n diesem Kampf gegen rechts lehnte Held jedoch eine Zusammenarbeit m i t der Sozialdemokratie ab. A n der Frontstellung der BVP nach links dürfe sich nichts ändern 95 . Eine Anlehnung an die Sozialdemokratie hätte das endgültige Abrücken der „Vaterländischen Verbände" von der BVP bedeutet. Nur so konnte nach Meinung Heids die Abwehrstellung nach rechts so stark ausgebaut werden, „daß sich alle jene, die das Wesen und den Kern der bayerischen Rechtspolitik erkannt haben, i n ihr sammeln können" 9 6 . Die politischen Ziele der B V P ließen sich nur verfolgen und erreichen, wenn die Führung der bayerischen Politik frei von sozialistischen Einflüssen gehalten würde. 89 BStZ, 12. 4.1923. 90 Held am 25. 3.1923 i n Amberg, zit. i n RA, 73, 29. 3.1923. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 RA, 93, 24. 4.1923. 95 D a m i t widersprach H e l d ausdrücklich den Gerüchten, daß eine innere Einmütigkeit zwischen Regierung, B V P u n d Sozialdemokratie i n der Bekämpfung der rechten w i e der l i n k e n Gewaltpolitiker unverkennbar sei — so i n : Neue Züricher Zeitung, 495, 13. 4.1923. 96 RA, 93, 24. 4.1923.
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„So gibt es zwischen dem staatspolitischen Ideal der B V P und der Sozialdemokratie keine Verbindungsbrücke. Jene w i l l zum Bundesstaat zurück, diese zum Einheitsstaat hin 9 7 ." Schon ohne die M i t w i r k u n g der Sozialisten an der bayerischen Regierungspolitik falle es außerordentlich schwer, eine bayerische foederalistische Politik aus dem Zustand der Defensive und „der Abdämmungsbemühungen herauszubringen" 98 . Das gleiche galt auch für die Weiterführung einer bayerischen Verfassungspolitik, die daraufhin zielte, dem bayerischen Staatsgedanken bessere verfassungsmäßige Fundamente zu geben. Anfang 1923 merkte man in der BVP immer deutlicher, daß sich die NSDAP zu einer radikalen politischen Partei entwickelt hatte, die auf einen neuen revolutionären Umsturz hinarbeitete. Man hatte ja zunächst gehofft, die nationalsozialistischen Bestrebungen i n die nationale Bewegung eingliedern zu können. „Daß sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat, ist die Schuld der Nationalsozialisten, die vor allem darin besteht, daß sie die reellen Möglichkeiten einer nationalen Wiedergeburt nicht erkannt haben 99 ." Der B V P als einer Partei, die die gleichen patriotischen Ziele verfolgte wie die vaterländische Bewegung, die ausgesprochen antisozialistisch und ein Gegner der Novemberrevolution von 1918 war, fiel es nicht so leicht, wie die Β VC schrieb, „die Grenzlinien zu finden, die gegenüber Bewegungen, die sich als einen Teil der nationalen Bewegungen ausgeben . . . zu ziehen ist. Die Schwierigkeit muß in Rechnung gezogen werden, wenn man die Haltung der B V P in der vergangenen Zeit gerecht beurteilen w i l l " 1 0 0 . Je klarer sich nun der revolutionäre Charakter der Nazis herausschälte, je offener sie m i t dem Gedanken spielten, Bayern i n das Unglück eines nationalsozialistischen Putsches zu stürzen, je mehr sich der Nazismus als Rechtsbolschewismus enthüllte, desto klarer und einfacher wurde einem solchen Gebahren gegenüber die Stellungnahme für eine Partei, die i n der Ausführung solcher Pläne „das schwerste Verbrechen am bayerischen V o l k e " 1 0 1 sah. Auf einer Rede in Waldmünchen empfahl Held den Beitritt zum „Bund Bayern und Reich". Zugleich lehnte er „die Bildung von Organisationen und Parteien, die sich in ihren Methoden nicht auf dem Boden der von der Verfassung gewährleisteten Bewegungsfreiheit halten" 1 0 2 , ab. M i t dem Vorgehen der Staatsregierung gegen die Nationalsozialisten am 1. M a i 1923 war die B V P einverstanden.
97 Ebd. 98 Ebd. 99 RA, 95, 26. 4.1923. 100 RA, 95, 26. 4.1923. ιοί Ebd. 102 RA, 100, 2. 5.1923.
6. Der Sturz Lerchenfelds
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Je mehr man an sich auch zeitlich dem Hitlerputsch vom November 1923 näherte, um so schärfer wurde die publizistische Auseinandersetzung Heids mit dem Nationalsozialismus, i n dem er nur ein „nationales Pharisäertum" 1 0 3 sah. Die Folge dieses Mißbrauchs der nationalen Parole war, „daß w i r nunmehr so weit gekommen sind, daß Nationale gegen Nationale stehen" 1 0 4 . Auch die Äußerungen Hitlers gegen die Wittelsbacher Dynastie mußten ihn suspekt machen: wer i n Bayern so geringe Achtung vor dem starken nationalen Inhalt des Königsgedankens besitzt, „der hat kein Recht auf die Volksführerschaft i n unserem Lande. Man sieht auch hier, wie fremd eigentlich Hitler i n unserem Lande ist, wie wenig er sich i n die Sache des bayerischen Volkes einzudenken vermag. Aus dieser Unkenntnis, die i n erster Linie mangelndem politischem Instinkt für gegebene Realitäten entspringt, läßt sich am besten die Verworrenheit der Ziele und Absichten erklären, welche die bayerische Politik Hitlers auszeichnen. So kommt er dazu, Mißbrauch m i t Bayern zu treiben" 1 0 5 . Doch bevor es zum endgültigen Zusammenstoß zwischen Regierung und Nationalsozialisten am 7. November 1923 kam, gab es noch eine Reihe von Zusammenstößen zwischen der Regierung und außerparlamentarischen Kräften, denen auch die Regierung Lerchenfeld zum Opfer fiel. 6. Der Sturz Lerchenfelds Lerchenfeld hatte versucht, mit neuen Methoden des persönlichen Kontakts und der diplomatischen Verhandlungen den Verkehr mit dem Reiche zu normalisieren und die bisherige Konfliktspolitik m i t dem Reiche zu vermeiden. I m Zeichen der Versöhnung mit Berlin war er ins A m t getreten. Und doch geriet er i m August 1922 in einen schweren Konflikt mit der Reichsregierung. Anlaß war die Ermordung Rathenaus. Die Reichsregierung reagierte m i t einer Verschärfung der Republikschutzgesetzgebung und kam damit erneut i n Konflikt mit der bayerischen Regierung. A m 24. Juni wurde eine Verordnung des Reichspräsidenten verkündet, die sich gegen die politische A k t i v i t ä t der Rechten richtete. Die für Bayern und seine Hoheitsrechte besonders schwerwiegende Bestimmung war die Einrichtung eines besonderen Gerichtshofes zum Schutze der Republik, dessen Richter i n der Mehrzahl nach politischen Gesichtspunkten vom Reichspräsidenten berufen werden sollten. Darin sah man in Bayern ein parteipolitisches Tribunal. Die BVP reagierte mit einer Interpellation i m Landtag, die die Verordnung als einen noch stärkeren und empfindlicheren Eingriff i n die los RA, 226, 2.10. 1923. 104 Ebd. los RA, 253, 3.11.1923.
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Hoheitsrechte der einzelnen Länder als die vom 29. August 1921 bezeichnete. Die bayerischen Rechtsradikalen fühlten sich besonders betroffen: Reichskanzler W i r t h hatte i m Reichstag unter Hinweis auf die Kreise, die für den Mord an Rathenau verantwortlich waren, das berühmte Wort gesprochen: „Dieser Feind steht rechts 106 ." A m 29. Juni war Lerchenfeld i n Berlin zur Beratung des „Gesetzes zum Schutz der Republik", i n dem Bayern eine Konzession an die Linken sah. Bayern unterlag zunächst m i t seinen Abänderungswünschen. A m 3. J u l i 1922 tagte i n München der Landesausschuß der BVP. I n einer Entschließung bekannte er sich „zum Standpunkt der Staatsregierung, daß der Gesetzentwurf . . . nicht nur infolge der Politisierung des Staatsgerichtshofes die Hoheitsrechte der Länder aufs schwerste gefährdet, sondern auch einen unerträglichen Eingriff i n die Justiz- und Polizeihoheit der Länder darstellt. Aus diesen Gründen erklärt der Landesausschuß . . . den vorliegenden Entwurf für unannehmbar" 1 0 7 . Der „Regensburger Anzeiger" sprach die Bedenken der B V P klar an: Man habe i n Bayern wohl Verständnis, daß man i n der durch den Mord geschaffenen Situation nicht tatenlos bleiben könne. „Aber man hat i n Bayern kein Verständnis dafür, daß diese durch die Schuld von politischen Verbrechern . . . heraufbeschworene Situation dazu ausgenützt und gerade mißbraucht wird, u m einen ganz einseitigen linkspolitischen Kurs, der nicht auf die Festigung der Republik allein hinsteuert, sondern für jeden Sehenden auf die sozialistische Einheitsrepublik hineinzielt 1 0 8 ." Wo stand nun wirklich der Feind? Die B V P erklärte, „daß sich der Gesetzentwurf ausschließlich und i n unerhörter Weise nach rechts richtete. Der Reichskanzler, wieder einmal ganz eingenebelt i n demagogische Leidenschaften, gab i m Reichstag die Parole aus, daß der Feind rechts stehe. Die wirkliche Gefahr heißt heute immer noch ,links'. Ganz genauso wie i n den letzten Jahren, wo die Demokratie nur m i t Hilfe von Leuten und Organisationen gerettet werden konnte, die heute durch ein Reichsgesetz für vogelfrei erklärt werden sollen. Von links her ist der Bestand des Staates ernster wie von irgendeiner Seite her bedroht" 1 0 9 . Die Konflikte zwischen Bayern und Reich hatten also ihren wirklichen Grund i n der verschiedenen Beurteilung der der Republik drohenden Gefahr. Es erschwerte die Verständigung, daß i n Berlin und München zwei divergierende Parteirichtungen herrschten, die sich jeweils auf das entgegengesetzte Lager stützten. Diese Stimmung gab auch Lerchenfeld i m Ministerrat wieder, als er am 5. J u l i erklärte: „Die gegenwärtigen Ereignisse sind nur ein Symptom für eine ganze 106 io? 108 109
Schwend, a.a.O., S. 188 f. RA, 301, 4. 7.1922. RA, 299, 3. 7.1922. RA, 302, 4. 7.1922.
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Entwicklung, die für uns unannehmbar ist und einer Arbeiterdiktatur zusteuert 110 ." Von Bayern aus sah man also eine Reichsregierung, die ganz i m linken Fahrwasser schwamm. Als der bayerische Gesandte von Preger i n Berlin Reichskanzler W i r t h besuchte, hielt ihm dieser den bereits zitierten A r t i k e l des „Regensburger Anzeigers" vor mit der Bemerkung: „Sehen Sie, so w i r d gegen Berlin gearbeitet 111 ." Preger erwiderte, das sei eben die Volksstimmung i n Bayern, dies sei keine künstliche Mache. Lerchenfeld kennzeichnete i m Ministerrat vom 13. 7. 1922 die gegenwärtigen Gesetzgebungsverhandlungen i m Reiche als „scharfen Kampf des Linksradikalismus um die Eroberung der politischen Macht" 1 1 2 . Die Gewerkschaften verlangten die Aufnahme der USPD i n die Reichsregierung. Auf Verlangen der BVP machte Lerchenfeld am 14. 7.1922 i n einem Telegramm an Ebert und W i r t h „nochmals ernstlich darauf aufmerksam, daß das Schutzgesetz für Bayern unannehmbar" sei 1 1 3 . A m 18. J u l i 1922 nahm der Reichstag das Gesetz zum Schutz der Republik i n 3. Lesung i m wesentlichen unverändert gegen die Stimmen der B V P und DNVP an. I n Bayern vermerkte man vor allem, daß „noch niemals seit Bestehen des Deutschen Reiches so gehetzt worden sei wie unter der Regierung W i r t h gegen Bayern" 1 1 4 . Und W i r t h w a r ein Zentrumskanzler. I n Bayern hielt man die Staatsautorität voll und ganz gesichert und sah nicht ein, warum die Verfassung nun m i t einem Ausnahmegesetz geschützt werden sollte. I n Berlin hatte man von der geplanten Ausrufung der Monarchie i n Bayern geredet. Der Β VP-Abgeordnete Emminger hatte dann am 12. Juli auch noch recht ungeschickt von dem Republikschutzgesetz als einem „Antimonarchistengesetz" 115 gesprochen. Der „Regensburger Anzeiger" schob die monarchische Frage zwar auf die lange Bank, betonte aber: „ W i r verraten kein Geheimnis, wenn w i r sagen, Bayern ist in seiner überwiegenden Volksmehrheit monarchisch. Das weiß man i n Berlin so gut wie i n München. Aber kein vernünftiger Politiker wünscht und w i l l heute und i n dieser Stunde in Bayern die Monarchie, w e i l jeder so viel christliches Empfinden hat, daß nur m i t Hilfe eines entsetzlichen Bürgerkriegs i n Bayern die Restauration des Königstums kommen könne. Das geplante Revolutionstribunal, der Staatsgerichtshof, w i r d i n Bayern keine Republikaner züchten . . . Einmal hat der Volksstaat Bayern einen Wittelsbacher heimatlos und landflüchtig umherirren und i n fremden «o m 112 113 114 us 30
GStAM, M A 103 160, Protokoll v o m 3. 7.1922. Telefonischer Bericht des Gesandten von Preger i n : G S t A M : M A 103 160. G S t A M : M A 103 160. G S t A M : M A 103 160. RA, 308, 7. 7.1922. Schwend, a.a.O., S. 191.
Keßler
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X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld
Lande sterben lassen. Das bayerische Volk ist sich der Unmöglichkeit der Restauration der Wittelsbacher auf absehbare Zeit bewußt, aber seine monarchische Gesinnung läßt es sich auf reichsgesetzlichem Weg nicht untersagen und unterbinden. Bayern ruft der Republik zu: Bis hierher und nicht weiter 1 1 6 ." Reichskanzler W i r t h zitierte am 10. Juli 1922 i m Reichstag diesen A r t i k e l des „Regensburger Anzeigers" mit der Bemerkung: „Wer hat denn jemals daran gedacht, durch dieses Gesetz zum Schutz der Republik das Herrscherhaus aus Bayern zu vertreiben 1 1 7 ?" Nach der Annahme des Gesetzes schrieb der „Regensburger Anzeiger" : „Der Sozialismus hat gesiegt, das ist der erste und letzte Eindruck, den man i n Bayern hat nach der Annahme des Republikschutzgesetzes 118 ." Zugleich wurde für das weitere Vorgehen der Staatsregierung die Losung ausgegeben: „Es muß die Aufgabe der bayerischen Staatsregierung sein, auch das zu verhüten, daß sich sozialistische Diktaturgelüste i n Form von Reichsgesetzen auswirken können 1 1 9 ." Damit stand Bayern wieder vor dem Konflikt mit dem Reich, nachdem es das Gesetz als unannehmbar bezeichnet hatte. Man konnte sich entweder abfinden oder Gegenmaßnahmen ergreifen, die einen neuen Konflikt bedeuteten. „Graf Lerchenfeld zögerte, wäre es nach ihm gegangen, so hätte er sich wohl auf eine resignierende Haltung zurückgezogen 120 ." Die BVP trieb den Ministerpräsidenten aber in den Konflikt hinein, wobei sie schließlich auch siegreich blieb. A m 21. J u l i 1921 forderte der Landesausschuß der BVP die Regierung auf, „ m i t allen gesetzlichen und parlamentarischen Mitteln den Standpunkt Bayerns aufs Entschiedenste zu wahren" 1 2 1 . Die BVP-Minister Matt, Krausneck und Oswald unterstützten den Vorschlag Innenminister Schweyers gegen die Bedenken Lerchenfelds, eine eigene bayerische Notverordnung zum Schutz der Verfassung der Republik zu erlassen und darin die meisten materiellen Normen des Republikschutzgesetzes zu übernehmen. Die Zuständigkeiten sollten aber auf die bayerischen Behörden übertragen werden. A m 24. J u l i veröffentlichte die bayerische Regierung diesen Erlaß. Der demokratische Handelsminister Hamm trat daraufhin aus dem Kabinett aus. A m 4. August übernahm dafür Dr. Gürtner von der deutschnationalen Mittelpartei das Justizministerium.
ne RA, 308, 7. 7.1922. i n Zit. i n RA, 314, 12. 7.1922. us RA, 328, 19. 7.1922. na Ebd. 120 Schwend, a.a.O., S. 191. 121 RA, 332, 22. 7. 1922.
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Held billigte i m Landtag den Erlaß des Ministeriums vom 24. J u l i 1 2 2 : „Es handelt sich . . . für den bayerischen Staat . . . um die Erhaltung des letzten Restes seiner Eigenstaatlichkeit, seiner Hoheitsrechte . . . W i r haben unsere Finanzverwaltung und die Hauptquellen unserer Finanzen, w i r haben unser Zollwesen an das Reich abgegeben und nun greift man auch hinüber auf die bayerische Justizhoheit und die Polizeihoheit. Werden diese beiden Hoheiten uns genommen, dann ist es aus mit der Eigenstaatlichkeit Bayerns, dann bleibt auch nicht mehr der kümmerlichste Rest für ein Land übrig, w i r sind zu einer Provinz des Reiches geworden 1 2 3 ." Das Verhalten der B V P habe nicht das geringste zu t u n mit Bestrebungen, „die auf eine Änderung der verfassungsmäßigen Zustände hinarbeiten. W i r weisen den Gedanken weit von uns, daß i n diesem Augenblick irgendeiner von uns daran dächte, etwa irgendwelche Bestrebungen monarchistischer A r t zu unterstützen" 1 2 4 . Der Sozialdemokrat T i m m bezeichnete das Verhalten der bayerischen Regierung als „Treuebruch gegen das Reich" 1 2 5 . I n dieser Frage wollte die B V P aber auf keinen Fall nachgeben. I m September 1921 hatte Bayern unter einer schweren inneren Krisis den Ausnahmezustand aufgegeben. Das hatte man schließlich noch t u n können, ohne seinen staatlichen Hoheitsrechten weiter etwas zu vergeben. Hätte die B V P jetzt nachgegeben, so hätte sie den letzten Rest moralischer Achtung verloren. Man sah sich auf dem Wege zum Ende der staatlichen Hoheit Bayerns. M i t ihren Gegenmaßnahmen hatte die bayerische Regierung eine Plattform zu Verhandlungen geschaffen, auf die die Reichsregierung schließlich auf Vermittlung Eberts einging. A m 9. und 10. August verhandelte Lerchenfeld m i t der Reichsregierung. Ein Kompromiß wurde dahin erzielt, daß ein süddeutscher Senat des Staatsgerichtshofes gebildet werden sollte für Fälle, die Bayern betrafen. I n Fragen der Polizeihoheit wurde den bayerischen Wünschen entsprochen. Die bayerische Regierung erklärte sich bereit, ihre Verordnung vom 24. Juli aufzuheben. I n München stieß Lerchenfeld auf Widerstand. I n einem etwas resignierenden Brief vom 12. August 1922 drängte Lerchenfeld Held, seinen Einfluß zur Annahme des Kompromisses i n der BVP geltend zu machen. Man könne mit dem Erreichten zufrieden sein, „zumal da die bayerische Position i m ganzen Reich infolge des Nachgebens der Reichsregierung und unseres gleichzeitigen Maßhaltens ungemein stark i s t " 1 2 6 . Lerchenfeld deutete bereits Rücktrittsabsichten an: „ F ü r mich 122 123 124 125 126 30
sten. Ber. 1922, Bd. 6, S. 5 ff. Sten. Ber. 1922, Bd. 6, S. 5 ff. a.a.O., S. 6. Ebd. Brief Lerchenfelds i n A H R .
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X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld
kommt nun Ende der Woche auch Ruhe, d. h. entweder Rücktritt oder Urlaub. Die Ruhe ist die Hauptsache. Der Teufel hole inzwischen alle Quertreiber und K r i t i k e r 1 2 7 . " Das persönliche Verhältnis Lerchenfelds zu Held und damit auch der Einfluß i n umgekehrter Richtung war sehr eng und stark 1 2 8 . I n einer Landesausschußsitzung vom 16. August 1922 lehnte die B V P das Ergebnis der Verhandlungen zunächst i n Abwesenheit Heids ab. Die Minister Schweyer und Gürtner nahmen erneut Verhandlungen i n Berlin auf. Zuvor hatte i n München der Ausschuß der Koalitionsparteien getagt. Held, der die Sitzung hätte leiten sollen, war erkrankt; so führte vor allem Heim für die B V P die Verhandlungen; er trat für einen Kompromiß m i t Berlin ein 1 2 9 . Bei einem Scheitern des angestrebten Kompromisses müsse man damit rechnen, daß Berlin ultimativ vorgehe. I n Bayern selbst hätte die Verschärfung des Konflikts den Rücktritt Lerchenfelds zur Folge. „Wen haben w i r dann i n Bayern, der noch eine Regierung bildet 1 3 0 ?" Heim wandte sich vor allem gegen die scharfe Linie des Deutschnationalen Dr. Hilpert. Man werde m i t einer kompromißlosen Haltung von Bayern aus dieselbe Erfahrung machen wie i n der Einwohnerwehrfrage. Schweyer und Gürtner konnten noch einige ergänzende Konzessionen von Reichskanzler W i r t h erreichen. I n einem Brief vom 20. August 1922 gab W i r t h noch einige ergänzende Interpretationen zum Berliner Protokoll vom 11. August 1922. I n der Besprechung der Koalitionsführer m i t dem Kabinett am 22.8.1922 gab sich Hilpert mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Held kam darauf Lerchenfeld zu Hilfe m i t der Erklärung, daß sachlich mehr erreicht worden sei, als man formell verlangt habe. Es bestehe gute Stimmung für Bayern i m Reich. „Diese gute Stimmung müssen w i r dadurch erhalten, daß sie rasch zu einem Entschluß i m Sinne einer gütlichen Einigung m i t dem Reiche kommen; ein solcher sei insbesondere auch m i t Rücksicht auf die außenpolitische Lage des Reiches unbedingt vonnöten 1 3 1 ." Held gab namens der Koalition die Erklärung ab, die zwar m i t Rücksicht auf die Mittelpartei keine offene Zustimmung aussprach, aber feststellte, daß die Koalitionsparteien nicht i n der Lage seien, „dem Beschluß des Ministerrats zu widersprechen" 132 . A m 24. August wurde die bayerische Verordnung zum Schutz der Verfassung der Republik
127 Ebd. 128 Die BVP-Abgeordnete Maria v o n Gebsattel schrieb am 8.9.1922 an Held: „ V o n allen, m i t denen Lerchenfeld zu t u n hat, haben Sie den größten Einfluß auf ihn." A H R . 129 Protokoll der Sitzung v o m 17. 8.1922 i n G S t A M : M A 103 163. 130 Ebd. 131 G S t A M : M A 99 517, No. 45/1922. 132 Ebd.
6. Der Sturz Lerchenfelds
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aufgehoben 133 . Der „Regensburger Anzeiger" schrieb zum Ende der Auseinandersetzungen: „Damit ist tatsächlich der Streitfall BerlinMünchen zu einem für Bayern befriedigendem Ende geführt 1 3 4 . Held selbst zeigte sich sehr befriedigt: „Das Vorgehen Bayerns sei später zum Gegenstand des Neides anderer Staaten geworden 1 3 5 ." Das Reich hatte nachgeben müssen, für die BVP selbst war es ein Erfolg gewesen. „Es zeigte sich, daß ein ehrlich ausgetragener Konflikt noch lange keinen Bruch bedeutete 136 ." Der bei den Verhandlungen i n Berlin erzielte Erfolg war mehr ein Erfolg der BVP als des Ministerpräsidenten Lerchenfeld. Er hatte, von der B V P gedrängt, lediglich deren Wünsche ausgeführt. Die BVP selbst hatte einen starken Willen und auch eigene Initiativen bei ihm vermißt. Nun machte die B V P erneut den Fehler, dem Drängen der Deutschnationalen nachzugeben, die seit ihrem Eintritt i m August 1922 die Stellung des Ministerpräsidenten immer schwieriger machten, w e i l dieser der politischen Gefolgschaft der Mittelpartei, die noch immer den Sturz Kahrs nicht überwunden hatte, ein Dorn i m Auge war. I n dem Abwehrkampf gegen rechts hatte die B V P Lerchenfeld zu schwach unterstützt; die Hitlerbewegung wurde immer stärker, es begann die Zeit der ständigen Putschgefahr. Führende Männer der BVP, Heim, Schlittenbauer und Königbauer warnten i n einem von ihnen unterzeichneten Plakat vor einem Putsch: „Der Kampf um Bayerns Rechte, u m Bayerns Staatlichkeit, muß auf dem Wege des Gesetzes und Rechtes ausgefochten werden 1 3 7 ." Die Rechtsaktivisten bekämpften den auf Ausgleich und Versöhnung bedachten Ministerpräsidenten immer mehr, sie griffen ihn auch persönlich an und kolportierten Ehescheidungsgeschichten. Von diesem Treiben angewidert, legte Lerchenfeld sein A m t am 2. November 1922 nieder. Die B V P machte keinen Versuch, ihn zu halten, obwohl er ein nach ihren Wünschen geradezu idealer Ministerpräsident war: er hatte immer getreu all das vollzogen, was die Partei von i h m wünschte. Held gab i m Landtag die Erklärung ab, Lerchenfeld sei gegangen, w e i l er nicht das Maß von Vertrauen i m Volk zu besitzen geglaubt hatte, das er für die Führung der Regierung i n einer so schweren Zeit für notwendig gehalten habe 1 3 8 . Diese nicht ganz durchschaubare Erklärung Heids läßt darauf schließen, daß auch die BVP wieder einen Ministerpräsidenten suchte, der das Vertrauen der Rechtsradikalen i n stärkerem Maße 133 134 135 136 137 138
BStZ, 195, 24. 8.1922. RA, 387, 24. 8.1922. BStZ, 252, 30.10.1922. Schwend, a.a.O., S. 193. Zit. nach Münchner Post, 204, 2./3. 9.1922. Sten. Ber. 1922, Bd. 6, S. 153.
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X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld
besitzen sollte. Bereits am 28. September 1922 hatte Finanzminister Krausneck an Held geschrieben, „daß in München und speziell in den Ministerien der Rücktritt Lerchenfelds als feste Tatsache gilt, da weder er selbst noch die Partei ausweichen kann. Gleichzeitig wurden m i r die Kandidaten für die Nachfolge genannt: Escherich, Staatsrat Mayer, Frankenstein. Ich habe über alle diese Namen lächeln müssen. Von Interesse sind m i r diese Kombinationen doch; sie beweisen, daß volksparteiliche Kreise mit unverantwortlichen Persönlichkeiten gegen die offizielle Partei marschieren 139 ." I n der Presse war seit Mitte Oktober 1922 bereits der Rücktritt des Ministerpräsidenten diskutiert worden. Es gab Vermutungen über Spannungen zwischen Lerchenfeld und der B V P wegen seiner Regierungsdenkschrift über Wirtschaftsfragen an die Reichsregierung 140 . Held selbst hatte i n Regensburg die bayerische Denkschrift kritisiert und als staatssozialistisch abgelehnt 141 . A m 27. Oktober hatte Held noch mit Lerchenfeld über die Gesamtauffassung gesprochen, die sich bei den Besprechungen in der Fraktion am 26. Oktober über das Vertrauensverhältnis der Partei zum Ministerpräsidenten ergeben hatte. Daraufhin betrachtete Lerchenfeld die Basis für sein ferneres Verbleiben i m A m t als zu schmal 142 . Lerchenfeld begründete seinen Rücktritt mit der Erklärung, für seine Wirtschaftspolitik nicht mehr die Zustimmung der BVP gefunden zu haben 1 4 3 . I n Wirklichkeit konnte er sich gegenüber der rechtsradikalen Agitation nicht mehr halten. „Drohend verlangten die Vaterländischen Verbände den Rücktritt des Grafen Lerchenfeld 144 ." Der rechte Flügel der BVP gab jetzt den Anlaß zur Trennung von Lerchenfeld; diesem Flügel war die Haltung Lerchenfelds gegen Berlin zu weich, sie hatten vielmehr starke öffentliche Gesten verlangt. Dagegen hatte Lerchenfeld versucht, „planmäßig durch die Pflege persönlicher Besprechungen und i n Konsequenz dessen durch die Verlegung des Ringens der politischen Meinungen i n die vertrauliche Aussprache und i n den Salon die Beziehungen zwischen Landes- und Reichsregierung reibungsloser . . . zu gestalten" 1 4 5 Außerdem war Lerchenfeld dem foederalistischen Programm der BVP, das gerade auf dem Parteitag der BVP am 30. Oktober 1922 endgültig angenommen wurde, sehr skeptisch gegenüber gestan-
139
Schreiben Krausnecks i m A H R . 140 M N N , 437, 25.10. 1922. 141 Ebd. 142 M N N , 440, 28.10.1922. 143 Deutscher Geschichtskalender, 1922, Bd. 2, S. 235. 144 Aenderl, „Bayern", S. 24. Lerchenfeld erzählte Aenderl später, daß „er ermordet worden wäre, w e n n er nicht zurückgetreten wäre". Zit. bei W. G. Zimmermann, a.a.O., S. 134. 145 M N N , 441, 29.10. 1922.
6. Der Sturz Lerchenfelds
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den 1 4 6 . Die BVP fühlte sich nicht stark genug, gegenüber gewissen Strömungen den Mann zu halten, „der die klugen politischen Methoden des Bismarcks zu verlebendigen suchte" 147 . Als Nachfolger Lerchenfelds war zunächst Staatsrat Meyer vom Justizministerium von der B V P ausersehen. Die B V P wollte wieder einen Beamten. Held verhandelte schon wegen seiner Ernennung mit den anderen Parteien. Meyer sagte jedoch wider Erwarten ab. Das war für die BVP-Führung peinlich. Man hatte bereits über einen Kandidaten verfügt, ohne ihn vorher über sein Einverständnis gefragt zu haben. Die Wahl fiel schließlich auf K n i l l i n g als Mann des rechten Flügels der BVP. Auf dem Parteitag der BVP am 30. Oktober 1922 gab Held ein Resümee der Ära Lerchenfeld und der Stellung der BVP. Bei seinem Regierungsantritt habe Lerchenfeld eine schwierige Lage angetroffen; die bürgerlichen Parteien seien nicht mehr einig gewesen wie früher, und i m Lande draußen sei auch die Stimmung gegen die Fraktion nicht sehr freundlich gewesen. Von der BVP sei Aktivismus verlangt worden; ihre Politik habe aber nicht nur positiv sein können, sie habe auch viele Kräfte i n der Abwehr verbrauchen müssen. Held stellte Lerchenfeld das Zeugnis aus, daß er im Verhältnis zu den übrigen deutschen Staaten i m Sinne der Politik der Partei viel erreicht habe. Auch das Vertrauen zur bayerischen Regierung und zum Parlament sei überall i m Wachsen gewesen. I n diese Entwicklung habe aber dann die Bombe des Rathenau-Mordes eingeschlagen. Die Quelle der innenpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre sei immer das Verhältnis zum Reich gewesen, bzw. das Verhalten der maßgebenden Kreise i m Reich gegenüber Bayern 1 4 8 . Die Differenzen zwischen B V P und Lerchenfeld lagen aber tiefer: i n den Vorstellungen der BVP von der Ordnungszelle Bayern nahmen die vaterländischen Verbände eine entscheidende Rolle ein; sie sollten, von der Regierung beherrscht, zu einem Garanten staatlicher Ordnung diszipliniert werden. Das war die Idee Kahrs gewesen, und die B V P hatte diese bürgerliche Einheitsfront gegen die Sozialdemokratie gewünscht und gefördert. Unter Lerchenfeld schien die bürgerliche Einheitsfront unter Einbeziehung der Vaterländischen Organisationen wieder zu zerfallen. Er hatte nicht mehr das Vertrauen des Bürgertums, vor allem des rechtsstehenden, die Vaterländischen Organisationen hatte er nie für sich gewinnen können. Er mußte die Abneigung, Verärgerung und den Haß, die jeden Nachfolger Kahrs treffen mußten, tragen. Zur bürgerlichen Einheitsfront schienen aber gerade der B V P 146 v g l . seine Äußerungen zum württembergischen u n d preußischen Gesandten nach seinem Rücktritt. 147 M N N , 441, 29.10.1922. 148 BStZ, 252, 30.10. 1922.
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X X I V . Das Kabinett Lerchenfeld
die Vaterländischen Organisationen notwendig. Außerdem hatte Lerchenfeld versucht, was die B V P 1922 schon lange nicht mehr für möglich und wünschenswert hielt, Beziehungen zur Sozialdemokratie anzuknüpfen. Den Demokraten wollte er einen zweiten Kabinettsitz, die Justiz übertragen wissen, was von der B V P abgelehnt wurde. I n der Republikschutzgesetzgebung hatte er sich i n der B V P isoliert. Er war gegen die bayerische Notverordnung gewesen, mußte dann aber, nachdem er i m Landesausschuß der B V P allein geblieben war m i t seiner Auffassung, die Aufgabe übernehmen, in Berlin über sie zu verhandeln. Schon damals hätte er wohl zurücktreten müssen. Er wurde von der B V P zu allen größeren Aktionen gedrängt. „Als ein fein gebildeter, außerordentlich versierter Ästhet, . . . konnte er i n der rauhen Wirklichkeit einer kämpferisch geschwängerten Zeit auf politischem Gebiet nicht heimisch werden und nicht zum starken Mann erstarken 1 4 9 ." Lerchenfeld füllte lediglich ein Interregnum aus. I n solchen Konfliktsituationen m i t dem Reich waren auch die rechtsradikalen Kräfte immer wieder aktiv geworden. I m September 1921 hatte sich die B V P noch einmal ihrer durch den Wechsel des Ministerpräsidenten erwehrt, i m Oktober 1922 gab die BVP, i m Innern selbst von starken rechten Kräften getrieben, nach. M i t der Berufung Knillings glaubte die B V P diese Kräfte zu beruhigen und sie wieder an die Regierung zu binden. Damit sollte sie aber auch schon nach einem Jahr Schiffbruch erleiden. Zunächst hatte die B V P durch die Erfolge i n der Republikschutzgesetzgebung ein stärkeres bayerisches Selbstbewußtsein wiedergewonnen. Es war ihr gelungen, die schwersten Angriffe auf die Länderhoheit abzuwehren. Von diesem starken Selbstvertrauen aus versuchte sie auch den bayerischen Staatsgedanken wieder stärker zu profilieren. I n zwei Bereichen sollte dies geschehen: i n der Änderung der bayerischen Verfassung i n Richtung auf Schaffung eines bayerischen Staatspräsidenten als Repräsentant dieses bayerischen Staatsgedankens und zweitens i n dem Abschluß eines Konkordates, der den Rest bayerischer Souveränität dokumentieren sollte.
149 H P B L , Bd. 170, S. 728.
X X V . Der Kampf für den bayerischen Staatsgedanken 1. Der bayerische Staatspräsident A u f dem BVP-Parteitag Ende Oktober 1922 hatte Held die Einsetzung des Amtes eines Staatspräsidenten i n die bayerische Verfassung als nächste Aufgabe bayerischer Politik genannt 1 . Heim gab auf demselben Parteitag den ideenmäßigen Rahmen an, i n dem diese Frage gestellt werden sollte. Von Berlin erwartete sich Heim „überhaupt kein Heil mehr" 2 . Reichstag und Reichsregierung könnten an den Dingen nichts mehr ändern; um so viel wichtiger würden die bayerischen Dinge. Bayern müsse gewappnet sein, wenn die große Krise käme. Deshalb sei es auch notwendig, daß die von Held angeschnittenen Verfassungsfragen womöglich noch i n diesem Jahr parlamentarisch behandelt würden. „ W i r müssen danach trachten, wenigstens bei uns in Bayern die Dinge zu meistern; dann könne es einmal heißen: Deutschland, dein Lager ist i n Bayern 3 ." Was man von Berlin erwartete, war der Bolschewismus. Schon in der Frage eines Kompromisses i n der Republikschutzgesetzgebung hatte Heim am 17. August in der Besprechung der Koalitionsparteien diesen Punkt angesprochen: „Bei der ganzen Geschichte schwebt uns immer die Frage vor Augen: Wie sollen w i r für die Zeit eines deutschen Bolschewismus, der kommen wird, i n Bayern noch auf dem Qui vive sein 4 ?" I n diesem Abwehrkampf bemühte man sich um die Festigung der eigenen Staatsautorität und Staatshoheit. I n Bayern hatten sich die Dinge seit Kahr anders als i m Reich entwickelt. A u f dem Boden der bürgerlichen Parteien hatten sich nach Ausschaltung der Sozialdemokratie die politischen Verhältnisse herausgebildet. I n diesem Sinne sah man Bayern, wie K a h r es formuliert hatte, als Genesungszelle für Deutschland. Damit sah man beispielgebend für das Reich die Entwicklung i n Bayern: ein geordnetes und sicheres bayerisches Staatswesen, geführt vom Bürgertum unter Ausschaltung sozialistischer Einflüsse, ι 2 3 4
BStZ, 252, 30.10.1922. BStZ, 252, 30.10.1922. Ebd. G S t A M : M A 103 163 Koalitionsprotokoll v o m 17.8.1922.
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X X V . Der K a m p f für den bayerischen Staatsgedanken
das i n Deutschland eine befreiende und nachahmende W i r k u n g ausüben sollte. Der Weg war von Kahr vorgezeichnet, er hatte eine bürgerliche Einheitsfront gegen die Sozialdemokratie aufgestellt, und damit „eine geschichtliche Mission" 5 erfüllt. Bayern hatte sich, so sah es die BVP, in den Formen der politischen Evolution wieder auf die „ i n seinem Volkstum schlummernden Kräfte" besonnen und so i n verhältnismäßig kurzer Zeit sich wiedergefunden. Diese Kräfte gaben der bayerischen Politik seit den Tagen des Ministeriums Kahrs Richtung, Ziel und Untergrund. Die Verbindung zwischen Regierungspolitik, Parteipolitik und Volkstum hat die „Konsolidierung des bayerischen Staatswesens um einen großen Schritt nach vorwärts gebracht" 6 . Ende 1922 trat die BVP, geführt von Held, i n ein Stadium intensiver Bemühungen u m die Stärkung und den Neuaufbau der bayerischen Staatlichkeit ein. Von dieser Warte aus mußte nach Held die Frage entschieden werden, ob Bayern in Zukunft die Repräsentation seiner Staatlichkeit i n die Hände eines Staatspräsidenten legen solle oder nicht: „ M a n mag einem solchen Präsidenten diese oder jene Befugnisse übertragen, seinen Wirkungskreis groß oder klein ziehen, immer w i r d das seine wichtigste und wesentlichste Aufgabe sein, nach innen und nach außen zum Ausdruck zu bringen, daß Bayern keine von Berlin aus regierte Provinz, sondern ein Staat i m Deutschen Reiche ist 7 ." Für Held war diese Frage auch ein K r i t e r i u m für die bayerischen politischen Parteien. Je nach der Stellungnahme dazu unterschied er i n Zukunft zwischen Parteien, die ein bayerisches Staatswesen haben wollten und deshalb entschlossen waren, an seiner Wiederaufrichtung mitzuarbeiten und solchen, die ein eigenes bayerisches Staatswesen allmählich aufgeben wollten. K l a r war es für ihn, daß die Sozialdemokraten zu den letzteren gehörten, „zu deren Hauptprogrammpunkt es gehört, den bayerischen Staatsgedanken mit allen Mitteln zu sabotieren" 8 . A u f der Frühjahrstagung der B V P in Würzburg am 29.4.1922 stellte Held zur Frage des Staatspräsidenten fest, daß sich bei den Koalitionsverhandlungen sämtliche bürgerlichen Parteien für den Staatspräsidenten erklärt hätten. Uneinigkeit herrsche allerdings über die Form. Demokraten und Bauernbündler seien für einen Staatspräsidenten in Personalunion m i t dem Ministerpräsidenten, er selbst habe s 6 7 8
Historisch-Politische Blätter, Bd. 170, Jg. 1922, S. 725. BVP, zit. i n RA, 72, 28. 3.1923. Held i n RA, 142, 20. 6.1923. Ebd.
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sich für einen eigenen Staatspräsidenten m i t selbständigen Rechten ausgesprochen 9. Fritz Schäffer hatte i m Namen der BVP den entsprechenden Antrag i m Landtag eingebracht. Der Ministerrat selbst war jedoch schon am 7. Nov. 1921 zu dem übereinstimmenden Ergebnis gekommen, daß sich der Antrag Schäffer derzeit nicht zur Weiterverfolgung eigne, „ w e i l er zu Reibungen und zu einer Schwächung der Regierung führen könnte" 1 0 . Lerchenfeld wollte daraufhin sich mit Held ins Benehmen setzen, um die Absetzung des Antrags zu erreichen. Die B V P war dazu aber nicht bereit. I m Dezember 1922 kam der Antrag Schäffer zur Schaffung eines Staatspräsidenten i m Landtag schließlich zur Diskussion. Held war schon Berichterstatter i m Verfassungsausschuß gewesen 11 . Er wiederholte i m großen und ganzen seine Argumente, die er bereits bei der Beratung der Bamberger Verfassung gebracht hatte: Es solle „eine nach außen wirkende Verkörperung der bayerischen Staatspersönlichkeit erreicht" werden 1 2 . Es komme dazu, daß auch das Volk etwas haben müsse, was als Repräsentation seines Willens und Empfindens zu betrachten sei. Man müsse, „aus der Volksidee heraus auch den Staat aufbauen und organisieren" 13 . Außerdem werde ein Staatspräsident eine größere „Stetigkeit in der Führung unserer bayerischen Politik nach außen und innen erreichen" 14 . Manche Staatsgeschäfte könnten dadurch über das Niveau parteipolitischer Betrachtungen und Entscheidungen hinausgehoben werden. Der Gedanke des Ersatzkönigs spielte mit. Held wollte eine Persönlichkeit neben dem Parlament haben, „die als Kristallisationspunkt staatlicher Ideen und Gedanken des ganzen Volkes i n die Erscheinung treten kann" 1 5 . Ein Staatspräsident, auf den sich „das Vertrauen des Volkes konzentriert" und i n dem „sich die Autorität des Staates widerspiegelt" 1 6 , erschien ihm auch um der ruhigen Entwicklung i m Staate notwendig. Der Demokrat Müller-Meiningen lehnte ebenso wie der Sozialdemokrat Endres den „selbständigen Staatspräsidenten neben dem Ministerpräsidenten rundweg ab" 1 7 .
9 RA, 200, 1. 5.1922. 10 G S t A M : M A 102 019. h Sten. Ber. 1922, Beri. Bd. 11, Beri. 3122, S. 297 ff. 12 a.a.O., S. 298. 13 Ebd. 14 Ebd. is a.a.O., S. 299. 16 Ebd. 17 a.a.O., S. 306.
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I m Plenum des Landtages wiederholte Held am 28. 2.1923 seine Argumente 1 8 und erweiterte seine K r i t i k an der bayerischen Verfassung. Er verwies darauf, daß er wenigstens 20 wichtige Punkte anführen könne, i n welchen i h m die „weitere Ausgestaltung und Verbesserung der bisherigen Bestimmungen absolut dringend erschien" 19 . M i t dem Ausbau der Verfassung wolle man diejenigen eines Besseren belehren, „die da meinen, daß aller Nutzen für Land und Leute heute bloß von einem Diktator kommen kann" 2 0 . Wenn man das erkenne, müsse man alles tun, was neue Kräfte lähme, die, sei es von der äußersten Linken oder einer radikalen Rechten danach trachten, den Staat m i t Gewalt zu stürzen. Der bayerische Staat solle wieder eine ruhende Spitze bekommen mit einer Reihe von Kompetenzen in einem Staatspräsidenten. Was er so sehr am reinen Parlamentarismus beklage, das sei „die Unstetigkeit der Politik, diese fortwährende Unruhe, diese Systemlosigkeit, diese Ziellosigkeit, diese Linienlosigkeit der Politik, die ist nur möglich auf dem Untergrund des reinen Parlamentarismus" 2 1 . Die Verfassungsreformvorschläge der BVP zielten schließlich darauf ab, der i n der ersten Zeit nach der Revolution unter Druck der damals herrschenden Sozialdemokratie geschaffenen bayerischen Verfassung den extrem parlamentarischen Charakter zu nehmen. Der selbstgewählte Präsident, dessen Rechte nicht vom Parlament abgeleitet würden, sollte eine Schranke sein gegen die Parlamentsallmacht und zugleich ein Symbol für die Staatspersönlichkeit. Das war auch der wesentliche Inhalt der Broschüre Fritz Schäffers „ E i n Bayerischer Staatspräsident" 22 , die die K r i t i k an der bayerischen „Revolutionsverfassung" summierte. Schäffer verlangte für den Staatspräsidenten neben seinen repräsentativen Aufgaben das Recht der Auflösung des Parlaments. Der Staatspräsident sollte nach Schäffer „lediglich der Garant der Volksrechte gegenüber der Gefahr einer parlamentarischen Diktatur" sein 23 . Die Gegner des Staatspräsidenten sahen aber darin gerade einen Übergang zur Monarchie. Die starke Stellung des Landtags i n der Verfassung, demgegenüber die Regierung keine eigenen Rechte hatte, und lediglich — von der natürlichen Initiative abgesehen — Vollzugsorgan des Parlaments war, hatte sicher große Schattenseiten. Die Minister getrauten sich fast keinen Schritt zu unternehmen, ohne vorher an den is 10 20 21 22 23
Sten. Ber. 1923, Bd. 7, S. 953. a.a.O., S. 958. Ebd. a.a.O., S. 955. Politische Zeitfragen, München 1922. Schäffer, a.a.O., S. 19.
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Türen der maßgebenden Fraktionsführer anzuklopfen. Das politische Gleichgewicht zwischen Exekutive und Regulative war einseitig zugunsten der Legislative verschoben. Der Antrag der BVP auf Schaffung eines Staatspräsidenten konnte in Wirklichkeit nur formelle Bedeutung haben, denn zu einer Verfassungsänderung war eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Auch die Wahl eines Staatspräsidenten wäre parteipolitisch gewesen. So wenig wie der Ministerpräsident in der Lage war, die Dinge zu ändern, so wenig hätte es ein Staatspräsident sein können oder ein Monarch 24 . Der Antrag der BVP wurde am 28. 2.1923 m i t den 74 Stimmen der B V P und Mittelpartei zwar angenommen, blieb aber ohne die notwendige Zweidrittelmehrheit 2 5 . Daneben konzentrierte sich das Verfassungsreformbestreben der BVP auf die Bestimmungen der Bayerischen Verfassung über Volksbegehren und Volksentscheid, die erleichtert werden sollten. A m 6. J u l i 1923 wurde vom Kabinett ein Gesetzentwurf über das Volksreferendum eingebracht 26 . Bereits am 26. J u l i hatte der Verfassungsausschuß die Vorlage durchberaten und angenommen 27 . Held war erneut Berichterstatter i m Plenum 2 8 . Die neue Vorlage bedeutete ein „Übergang von der repräsentativen Demokratie zur unmittelbaren Volksherrschaft" 29 . Statt der bisher geforderten 20 Prozent bei Volksbegehren sollten i n Zukunft nur mehr die Unterschriften von 200 000 stimmberechtigten Staatsbürgern notwendig sein. Der Widerstand der Demokratischen Partei hatte sich schon i m Ausschuß gezeigt. Vier Stunden war dort schon über einen Vertagungsantrag des Abgeordneten Müller-Meiningen debattiert worden; schließlich hatte man beschlossen, die Vorlage doch zu beraten. I n der Plenumsdebatte kam es vor allem zur Konfrontation zwischen Held und Müller-Meiningen; als letzterer zu reden begann und zu langen Erörterungen ausholte, unterbrach ihn Held mit dem Zwischenruf: „Reden Sie nicht zu lange, sonst halte ich Ihnen eine Rede von 3 Stunden 3 0 ." Solche Episoden trugen nicht gerade zur Hebung des Ansehens des bayerischen Parlaments bei. Held mußte sich dann auch von Müller-Meiningen vorhalten lassen, daß es gerade er gewesen war, 24
Zur Frage der Diskussion eines Staatspräsidenten siehe Leo Hoch: „ E i n Staatspräsident i n Bayern". Jur. Diss. Würzburg 1931. 2 * Sten. Ber. Bd. 7, S. 32. 2 * Sten. Ber. 1923, Beil. 3655. 27 sten. Ber. 1923, Beil. 3740. 2 8 Sten. Ber. 1923, Bd. 8, S. 834 ff. 29 a.a.O., S. 836. so Sten. Ber. 1923, Bd. 8, S. 840.
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d e r 1919 i n B a m b e r g „das ganze V o l k s b e g e h r e n u n d d e n V o l k s e n t scheid z u r A u f l ö s u n g des L a n d t a g s g r u n d s ä t z l i c h v e r w o r f e n " h a b e 3 1 . H e l d h ä t t e d a m a l s eine e t w a i g e B e u n r u h i g u n g des ganzen p o l i t i s c h e n Lebens d u r c h E i n f l u ß n a h m e der Straße a u f d i e E x i s t e n z des L a n d tags b e f ü r c h t e t . J e t z t v e r t r e t e er nach d e n E r f a h r u n g e n , d i e er gem a c h t habe, „ e i n e n ganz a n d e r e n S t a n d p u n k t " 3 2 . W e l c h e n E i n f l u ß H e l d a u f d i e R e g i e r u n g i n dieser F r a g e u n d n i c h t n u r h i e r h a t t e , g l a u b t e M ü l l e r - M e i n i n g e n besonders b e t o n e n z u müssen: „ J e n a c h d e m H e r r H e l d seine M e i n u n g gewechselt h a t , h a t sie ohne w e i t e r e s i h r e M e i n u n g auch g e w e c h s e l t . . . H e r r H e l d h a t vorgeschlagen, d a n n h a b e n die H e r r e n ohne w e i t e r e s nachgeschlagen 3 3 ." Sicher w a r es m i t B l i c k nach rechts falsch, d u r c h E r l e i c h t e r u n g des V o l k s b e g e h r e n s diese S i c h e r u n g e n der V e r f a s s u n g herauszulösen. D u r c h solche Konzessionen a n die Straße u n d d i e Massen k o n n t e die P o s i t i o n des L a n d t a g s u n d d e r R e g i e r u n g n u r e r s c h w e r t w e r d e n . I n W i r k l i c h k e i t s t a n d aber b e i d e n Ü b e r l e g u n g e n der B V P i n der F r a g e des V o l k s b e g e h r e n s d e r G e d a n k e des S t a a t s p r ä s i d e n t e n i m H i n t e r g r u n d 3 4 . I m L a n d t a g h a t t e d i e B V P n i c h t e r w a r t e n k ö n n e n , daß eine M e h r h e i t i n dieser F r a g e zustande k ä m e . N u n w o l l t e sie a u f d e m U m w e g ü b e r V o l k s b e g e h r e n u n d V o l k s entscheid eine V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g i n R i c h t u n g auf die S c h a f f u n g
31 Ebd. 32 a.a.O., S. 843. 33 a.a.O., S. 843. 34 Wie sehr die „Vaterländischen Verbände" selbst einen Staatspräsidenten wünschten, zeigen verschiedene Briefe Schäffers, der gute Verbindungen zu den Verbänden hatte, an Held aus dem Jahre 1923. A H R . A m 5.4.1923 berichtete Schäffer an Held von einem Gespräch m i t dem Vorsitzenden des Landesbürgerrats Bayern, Dr. Mayer: „Die Rücksprache gab n u r den Beweis dafür, daß i n vielen bayerischen Köpfen, die glauben, Politik machen zu können, ein unheimliches Durcheinander herrscht. Staatsgedanke und Staats autorität sind nach Ansicht von Dr. Mayer Dinge, die i n einer ruhigen Zeit ihre Berechtigung haben, nicht aber jetzt, wo w i r noch angeblich m i t t e n i n der Revolution stehen. Z w e i Beweggründe w ü r d e n diese Geister so stark beunruhigen. 1. Die Gefahr einer Bolschewisierung von Sachsen und T h ü ringen und 2. der Wunsch, neben dem Parlament noch eine unabhängige Regierungsgewalt zu haben. Meine A n t w o r t w a r die, daß w i r i n Bayern uns einer Bolschewisierung von Mitteldeutschland gegenüber am besten sichern können, w e n n w i r uns eine konsolidierte, feste Staatsgewalt schaffen, und daß daher die vaterländischen Vereinigungen den größten Fehler begehen, wenn sie eine Macht neben oder gegen die Regierung darstellen wollen. Zur zweiten Frage habe ich i h m gesagt, daß ihre staatspolitischen Ziele ja bereits Ausdruck gefunden hätten, i n den Verfassungsanträgen der BVP. Er entgegnete, daß sie so wenig Vertrauen hätten, daß es der B V P w i r k l i c h Ernst wäre." A m 6. 4.1923 schrieb Schäffer an Held einen Bericht über ein Gespräch m i t Dr. Pittinger, der i h m erzählt habe, daß Held sich Pittinger gegenüber bereit erklärt habe, die Frage des Staatspräsidenten „sobald als möglich u n d m i t allen gesetzlichen M i t t e l n , sei es m i t Volksreferendum, Landtagsauflösung, zu verfolgen". Auch H e i m ließ Held am 18.4.1923 über Schlittenbauer wissen, daß die B V P m i t allem Nachdruck an der Schaffung eines Staatspräsidenten arbeiten sollte.
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des Staatspräsidenten herbeiführen. Dieser Staatspräsident hätte dann eigentlich wieder die Wirkung des erleichterten Volksbegehrens durch die ihm zugedachten Vollmachten, wie Auflösung des Landtags, paralysieren können. Held selbst gab zu, daß durch eine Erleichterung des Volksbegehrens dem Volk die Möglichkeit gegeben werden sollte, zu entscheiden, „ob . . . vor allem auch Verfassungsgesetze und verfassungsgesetzliche Bestimmungen bestehen bleiben sollen oder nicht" 3 5 . Obwohl Held selbst der Meinung war, daß die Regelung über das Volksbegehren in der Verfassung so gestaltet sei, daß es kaum möglich wäre, es durchzuführen, und weil so große Massen dazu gehören, „daß man sie niemals, wenn man nicht jahrelang daraufhin arbeitet, zusammenbringen w i r d " 3 6 , leitete die BVP, nachdem ihre Bestrebungen i m Landtag nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit gefunden hatten, das Verfahren eines Volksbegehrens ein. Zugleich setzte in Bayern eine starke von der BVP betriebene Verfassungsreformdiskussion ein. Sie gab die Parole aus, es gehe um eine „den bayerischen Zuständen angepaßte Reform der Revolutionsverfassung" 37 , die in allzu enger Anlehnung an die Weimarer Verfassung entstanden sei. Die BVP habe den Parlamentarismus, „wie ihn die Revolution dem deutschen Volke aufgebürdet hat" 3 8 , nicht geschaffen, sie habe deshalb auch „keinen Beruf, diesen Parlamentarismus zu verteidigen" 3 9 . Ihrem staatspolitischen Programm entsprechend müsse die B V P vielmehr ihre ganze Kraft dahingehend einsetzen, eine Um- und Neubildung der Verfassungen herbeizuführen, wie sie den zeitgemäßen Bedürfnissen und der historischen Vergangenheit des deutschen und bayerischen Volkes entspreche. „ F ü r die Erreichung dieses Zieles kennt sie aber nur den legalen Weg. Den Staatsstreich lehnt die Partei als prinzipiell antirevolutionäre Partei ab 4 0 ." Das war eine klare Absage an die rechtsaktivistischen Kreise, die sich von dem Vorgehen der BVP größere Chancen für ihre eigenen Putschabsichten ausrechneten. Die BVP stellte vor allem den Staatsgedanken besonders stark heraus: „Gesunde Völker, die einen starken, an Wohlfahrt fruchtbaren Staat fertigbrachten, hatten eine tiefe Ehrfurcht vor demselben, sie sahen i m Staat die Verkörperung ihrer Volksfamilie. Diese war ihnen ebenso heilig wie die häusliche Familie. Die Gottheit hatte beide zum
35 36 37 38
Sten. Ber. 1923, Bd. 8, S. 847. a.a.O., S. 849. R A , 175, 2. 8.1923. RA, 193, 24. 8.1923.
39 Ebd. 40 Ebd.
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Wohle der Menschheit gestiftet, ihnen ihre unverbrüchlichen Gesetze gegeben. So standen Staat und Gemeinwohl ebenso wie die häusliche Familie und deren Wohl als etwas Unpersönliches über allem einzelnen. A u f diesem Dienste lag ein Segen; denn die Lebensgemeinschaft bringt allen Gliedern Lebenserhöhung. Das ist ein Lebensgeheimnis, welches jeder erfährt, der sich m i t Herz und Sinn daran hingibt 4 1 " Held stritt aber trotz dieser ehrfürchtigen, patriarchalischen Staatsauffassung die Existenzberechtigung von Parteien nicht ab. Sie sollten vielmehr „Diener am Staate und am Gemeinwohl der Volksfamilie sein, nie aber sich selbstsüchtig als Selbstzweck ansehen" 42 . Verschiedene Parteien würden immer bestehen, „ w e i l jeder Mensch von Natur nach Anlagen und Einsicht beschränkt ist, die politischen Temperamente der Bürger und ihre Grundauffassung von den politischen Möglichkeiten und dem Zweckmäßigen sind deshalb verschieden. Sie sollen sich ergänzen" 43 . Nicht gegeneinander, sondern nebeneinander und oft miteinander sollten die verschiedenen Parteien arbeiten. Nur so konnten sie fähig werden, staatspolitisch, staatsmännisch, national zu denken und zu handeln. Jetzt aber drohe das Parteiwesen zu entarten, weil die meisten Deutschen die Ehrfurcht vor dem Staate und vor der Volksgemeinschaft verloren hätten. „Was unseren Vorfahren i n den Zeiten des gesunden Staatslebens die vom Schöpfer stammende Lebensgemeinschaft war, ist heute den vielzuvielen nur eine politische Interessengemeinschaft . . . der Staat w i r d langsam ausgeplündert 44 ." Die alten politischen, staatlichen und nationalen, selbst christlichen Ideale, die die bei der Reichsgründung sich bildenden Parteien aufgerichtet hatten, fanden nach Held immer weniger Achtung und Schätzung, gingen „zu oft i m Streit und L ä r m der Interessen- und Geschäftspolitik unter" 4 5 . I n der antiparlamentarischen Bewegung sah Held nicht eine konservative Opposition allein, sondern eine Reaktion des politischen Deutschland gegen politische Formen, „die nicht als das Ergebnis eines organischen Wachstums sich eines Tages durchgesetzt haben, sondern dem deutschen Volke aufoktroyiert worden sind" 4 6 . Held warnte jedoch davor, „das K i n d mit dem Bade auszuschütten. Berauscht durch das politische Modeschlagwort von Diktatur, erhitzt vom Feldgeschrei gegen den Parlamentarismus haben die Menschen ganz vergessen, daß Volksvertretung und Parlamentarismus nicht dasselbe 41 RA, 79, 7. 4.1923. 42 RA, 79, 7. 4.1923. 43 Ebd. 44 RA, 81, 10. 4.1923. 45 RA, 81, 10. 4. 1923. 46 RA, 4.10.1923.
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sind, und daß man sehr wohl Gegner der parlamentarischen Regierungsform sein kann, ohne damit den Gedanken der Volksvertretung preiszugeben" 47 . Kein Staat könne ohne Volksvertretung auskommen. Auch das Volk würde Rechte, die es sich i m Laufe der Entwicklung erworben und erkämpft habe, nicht aufgeben, vor allem nach der steuerlichen und finanziellen Seite hin 4 8 . Das Bewilligungsrecht sei die Grundlage des Volksvertretungsgedankens. Heids Denken orientierte sich wieder an den vorrevolutionären Verhältnissen, auf der Stufe, die sich durch den Verfassungskompromiß vom 2. November 1918 herausgebildet hatte. Er gab ausdrücklich jenen Politikern recht, die wie Hertling vor 1918 erklärt hätten, „daß eine rein parlamentarische Regierungsform nach westlichen Vorbildern die untauglichste Staatsform für Deutschland sei" 4 9 . Aus solchen ressentimentgeladenen Klagen sprach die Sehnsucht nach überparteilichen Kräften, nach einer starken Idee von Volk und Staat. Der von der B V P angestrebte Staatspräsident sollte eine solche sammelnde, überparteilich kraftvolle Wirkung besitzen; getragen vom Vertrauen des Volkes hätte er die Aufgabe gehabt, die nur allzu deutlichen Auswüchse des reinen Parteienstaates zu korrigieren. Verstärkt und aktualisiert wurden die Bemühungen der BVP u m die Verfassungsänderung durch den inzwischen gescheiterten Hitlerputsch. A m 13. Dezember hatte sich das Kabinett noch auf einen Entwurf über ein Ermächtigungsgesetz geeinigt, in dem die Staatsregierung zur Sanierung des Staatshaushaltes ermächtigt werden sollte, bei der notwendigen Gesetzgebung von den Vorschriften der normalen Gesetzgebung abzuweichen. Das Ermächtigungsgesetz sollte auf die Zeit bis zum 1. A p r i l 1924 beschränkt bleiben 50 . Nach § 92 der bayerischen Verfassung war dazu jedoch die Zweidrittelmehrheit der Legislative notwendig. Der Landtag verweigerte jedoch eine solche Mehrheit; der Bauernbund war auf die Seite der Sozialdemokraten und Demokraten gesprungen. Held gab daraufhin die Erklärung ab: „Nach der Ablehnung des Gesetzes durch den Bayerischen Bauernbund gilt für uns diese Fraktion als ausgeschieden aus der Koalition 5 1 ." Zugleich kündigte Held einen Antrag der B V P auf Auflösung des Landtags durch Appell an die Wähler an. A m 20. Dezember 1923 begründete Held diesen Antrag: „Der ausgesprochene Wunsch von uns ist, daß der Landtag sofort aufgelöst und das Volk um seine Meinung befragt werden soll 5 2 ." 47 Ebd. 48 Ebd. 49 RA, 4.10.1923. so RA, 287, 14.12.1923. 51 Sten. Ber. 1923, Bd. 9, S. 30. 52 Sten. Ber. 1923, Bd. 9, S. 56. 31
Keßler
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Der Antrag wurde i m Landtag abgelehnt. Die B V P brachte am 19. Januar 1924 ihre Anträge auf das Volksbegehren i m Innenministerium ein. Danach sollte der Landtag sofort aufgelöst werden, der neue Landtag hätte dann ein Gesetz zur Umgestaltung der bayerischen Verfassung m i t einfacher Mehrheit seiner Mitglieder beschließen können 5 3 . Die BVP begründete i h r Vorgehen mit dem Hinweis, daß der bayerische Landtag i m Gegensatz zum Reichstag und anderen deutschen Parlamenten i n der lebenswichtigsten Frage der Staatsführung kläglich versagt habe. So sei der Landtag i n solch schroffen Widerspruch zum Willen der Volksmehrheit getreten, daß seine Auflösung notwendig sei 54 . Daran war vieles richtig; die SPD hatte das notwendige Gesetz mit der Begründung abgelehnt, daß die Regierung K n i l l i n g einseitige Parteipolitik gegen die Sozialdemokratie betreibe 55 . Den Antrag auf Änderung der Verfassung begründete die BVP mit dem Hinweis, daß die Verfassung vom 14. August 1919 nicht mehr dem Verfassungswillen der Volksmehrheit und den Bedürfnissen des Staates entspreche. „Zudem bedeutete die Lösung der neuen Verfassungsfragen i m Jahre 1919 für das bayerische Volk, dem die Verfassungsprobleme einer Republik fremd waren, einen Sprung ins Dunkel 5 6 ." Alle Versuche zur Verbesserung der Verfassung, wie Schaffung eines Staatspräsidenten, Erleichterung der Volksabstimmung und Errichtung einer 2. Kammer seien bisher an § 92 der Verfassung gescheitert. „Das Volk muß deshalb die notwendigen Reformen selbst i n die Wege leiten, indem es durch ein Volksbegehren nach unserem Antrag einen verfassungsgebenden Landtag fordert, der unbehindert von formellen Beengungen eine neue Verfassung gibt, wie sie den Lebensnotwendigkeiten des Staates und dem wahren Volkswillen entspricht 57 ." Der „Regensburger Anzeiger" sprach von einer bayerischen „Verfassungsnot" 5 8 . Die BVP hatte sich „von diesem bankerott gewordenen" Landtag vor allem Volk losgesagt 59 . Der Antrag der BVP zielte i n erster Linie auf eine Verteilung der Staatsgewalt unter drei Instanzen hin: einer persönlichen Staatsspitze, einer Volkskammer und einer zweiten Kammer, die einen mehr aristokratischen Charakter tragen sollte, wobei „unter Aristokratie nicht eine Aristokratie der Geburt, sondern Aristokratie des Geistes, des 53 54 55 56 57 58 59
RA, 17, 21. 1. 1924. RA, 17, 21. 1. 1924. Sten. Ber. 1923, Bd. 9, S. 24. RA, 17, 21. 1. 1924. Ebd. RA, 17, 21.1. 1924. RA, 293, 21. 12. 1923.
2. Das bayerische Konkordat
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Könnens und der Führerstellung i m öffentlichen und kulturellen Leben des Volkes" 6 0 gemeint war. Die BVP ging i n ihren Verfassungsreform wünschen aber zu weit; sie forderte praktisch eine Blankovollmacht zur vollständigen Umgestaltung der bayerischen Verfassung, wobei i m neuen Landtag eine Verbindung der BVP mit den deutschnationalen, monarchistisch gesinnten Mittelparteilern jederzeit ausgereicht hätte, jede beliebige Verfassungsänderung durchzusetzen, selbst die Wiedereinsetzung der Monarchie. Der Text des Volksbegehrens sprach die Reformpläne der BVP nicht klar an. Daß die anderen Parteien sich diesem Verlangen sperrten, ist verständlich. Die wirklichen Mängel des bayerischen Verfassungslebens lagen vielmehr i n der Handhabung der Verfassung durch die verantwortlichen Parteiführer, auch der BVP. Das Verfahren, wie es die BVP eingeführt hatte, war kein demokratisches Ideal. Nach der Verfassung hätten die Parteiführer selbst die Regierungsverantwortung übernehmen sollen. Stattdessen schob die BVP immer Bürokraten vor, die i h r die Verantwortung abnehmen sollten. Es war das alte, liebgewonnene Doppelspiel aus der konstitutionellen Zeit: zu gleicher Zeit Regierungspartei und in gewissem Sinn, wenn es notwendig schien, auch Oppositionspartei zu sein. Als das Volksbegehren der BVP Mitte März 1924 erfolgreich verlief, löste sich der Landtag am 21. März 1924 m i t Wirkung vom 5. A p r i l selbst auf. Für den 6. A p r i l waren Neuwahlen und zugleich der Volksentscheid über die verfassungsändernden Reformpläne der B V P festgesetzt. I m Volksentscheid erreichte die B V P nur die Minderheit von 48 Prozent Stimmen 6 1 . Damit waren ihre Pläne zur Verfassungsreform gescheitert. Nach der Übernahme der Ministerpräsidentschaft durch Held verschwand die Diskussion u m den Staatspräsidenten schon deshalb, weil er selbst ein starker Ministerpräsident war. 2. Das bayerische Konkordat Für Held war die Frage der Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat von jeher ein Grundanliegen seiner politischen Tätigkeit gewesen. Sein Kampf gegen das bayerische Staatskirchentum i m alten Regime ist bereits geschildert worden. Auch in den Verfassungsberatungen in Bamberg hatte er versucht, das Optimale für die katholische Kirche unter den damaligen Verhältnissen zu erreichen. Auch die kirch60 RA, 1, 2.1.1924. 61 Statistisches Jahrbuch f ü r Bayern, Jg. 1924, S. 476; zu dieser Frage siehe auch: Rheinheimer, Walter: Volksbegehren u n d Volksentscheid i n Bayern. Jur. Diss. Würzburg 1929. 31·
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liehe Hierarchie hatte erkannt, daß sie i n ihm ihren besten parlamentarischen Vorkämpfer besaß. So schrieb Kardinal Faulhaber am 23. 2.1921 an Held: „Ich brauche Ihnen nicht neuerdings zu versichern, m i t welcher Hochschätzung ich Ihre überaus kluge und für die Kirche überaus segensreiche Tätigkeit i m politischen Leben verehre, und ich weiß mich mit dieser Hochschätzung eins mit allen kirchlichen Kreisen i n München und Bayern 6 2 ." Nach der Revolution von 1918 schien der Augenblick gekommen, i n dem für die katholische Kirche die Freiheit von allem Staatskirchentum zurückgewonnen werden konnte. Durch die neue Reichsverfassung waren gewisse Sicherungen für die religiöse Freiheit gegeben. Durch die bayerische Verfassung war auch das Religionsedikt beseitigt worden, das i m alten Regime die der Kirche i m Konkordat von 1818 gewährten Freiheiten wieder einseitig eingeschränkt hatte. Dagegen hielt Held das Konkordat nicht für erloschen; durch die staatsrechtlichen Veränderungen i n Bayern schienen aber neue Verhandlungen zwischen Kirche und Staat geboten. Bisher war das Konkordat Bestandteil der bayerischen Staatsverfassung gewesen; nach der neuen Verfassung war es das nicht mehr. Der besondere Schutz der Kirche war beseitigt, ebenso der Schutz, der bisher aus dem Wohlwollen des Königs gegenüber der Kirche wirkte. Als die wichtigsten Punkte, die i n einem neuen Konkordat gesichert werden sollten, galten die Besetzung der kirchlichen Ämter und der Professuren an theologischen Fakultäten und die Verwaltung des Kirchenvermögens. A m 18. Dezember 1919 richtete Held i m Verfassungsausschuß fünf Anfragen an die Regierung Hoffmann zum künftigen Verhältnis von Staat und Kirche. Hoffmann erklärte in seiner A n t w o r t die Bereitschaft der Bayerischen Regierung zur Einleitung von Verhandlungen m i t dem Vatikan 6 3 . A m 7. Januar 1920 trafen sich i m Münchner erzbischöflichen Ordinariat führende bayerische Theologen und Politiker, darunter auch Held zu einer Beratung über die künftige Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse in Bayern 6 4 . Obwohl nach der Reichsverfassung die Beziehungen der Länder zu auswärtigen Staaten eine Reichsangelegenheit waren, trat Held für denAbschluß eines Staatsvertrages m i t dem Vatikan 62 Brief Faulhabers i n A H R . 63 A H R . Z u m weiteren Verlauf der Verhandlungen siehe: Deuerlein, Das Reichskonkordat; S. 40—52. Franz-Willing, Die Bayerische Vatikan-Gesandtschaft 1903—1924. 64 Protokoll der Sitzung i n A H R . Anwesend waren: M. Buchberger, Prof. K . Beyerle, N. d. N. Prälat Eggendorfer — Passau, Ministerialrat Goldenberger, Domdekan Kiefel — Regensburg, Prof. Scharnagl Freising u n d Prälat Wohlmuth.
2. Das bayerische Konkordat
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ein; schon hier zeigte sich sein Ziel i n der Frage des Konkordats; er wollte den Restbestand bayerischer Souveränität zum Ausdruck kommen lassen. So legte er auch großes Gewicht auf die Aufrechterhaltung der bayerischen Gesandtschaft beim Hl. Stuhl. Berlin versuche, die bayerische Gesandtschaft zu verdrängen. „ W i r werden alles tun, u m die bayerische Gesandtschaft zu erhalten und werden schließlich nur der Gewalt weichen 65 ." Held drängte auf beschleunigte Regelung der staatsrechtlichen Seite: „Es würde auf das Volksempfinden unheilvoll einwirken, wenn ein sozialistischer Minister längere Zeit die Rechte ausüben könnte, die die Kirche unter ganz anderen Voraussetzungen dem Landesherrn eingeräumt hat 6 6 ." Durch den Regierungswechsel Hoffmann/Kahr und die Landtagswahlen wurden die bereits aufgenommenen Verhandlungen zwischen Vatikan und Bayern unterbrochen. Anläßlich der Kardinalsernennung von Faulhaber weilte Held vom 2. bis 19. März 1921 i n Rom. Er wurde dort auch vom Kardinalstaatssekretär zu einem Gespräch über die Konkordatsverhandlungen empfangen 67 . A m 13. März 1921 berichtete er aus Rom an Kultusminister Matt, daß man i m Vatikan mit der bisherigen Haltung wenig zufrieden sei 68 . Die Gefahren für Bayern seien groß und mannigfach durch die Haltung des Reiches und Preußens, „die weitgehendes Entgegenkommen i n Aussicht stellen und zugleich auf Bayerns unsicheres Zögern hinweisen" 6 9 . Das Reich wolle Bayern „den Rang ablaufen, und es w i r d i h m gelingen, wenn w i r nicht mehr Initiativen entwickeln und die Konkordatsverhandlungen beschleunigen" 70 . Der Hl. Vater selbst sei sehr ungehalten darüber, daß nichts zustande komme. A m 14. März hatte Held eine Privataudienz beim Papst. „Ich fürchte, daß er mich morgen bei der Privataudienz auch stark über das Konkordat examinieren w i r d " 7 1 , hatte er an den Kultusminister geschrieben. Held wies auf die Gefahr hin, daß Rom mit dem Reiche ohne weitere Rücksichten auf Bayern ein Konkordat schließe und damit Bayern jeder Prärogative auf diesem Gebiet entkleide. Reich und Preußen würden daraufhin arbeiten, Bayern die noch einzige Gelegenheit, „sich als selbständige Staatspersönlichkeit zu gerieren" 7 2 , zu nehmen. Bayern gerate dann es Protokoll der Sitzung v o m 10.1.1920. A H R . 66 Ebd. 67 M i t t e i l u n g der Einladung zum Gespräch durch den bayerischen Gesandten Otto Joh. Ritter zu Gruenstein v o m 4. 3.1921 an Held. A H R . 68 Abschrift des Briefes i n A H R . 69 Ebd. vo Ebd. 71 Ebd. 72 Ebd.
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X X V . Der K a m p f für den bayerischen Staatsgedanken
auch hier i n reichs-preußische Vormundschaft. „ K e i n selbständiges Konkordat mehr bedeutet für Bayern den Verlust des Nuntius und des Gesandten beim Hl. Stuhl. Beides reichspreußische, ausgesprochene Absichten, denen die bayerische Staatsregierung mit ihrer Cunctatorenpolitik vorarbeitet 7 3 ." I m November 1921 verhandelte Bayern ernsthaft mit dem Vatikan, um Berlin zuvorzukommen. Es bestand die Gefahr, daß Berlin versuchen könnte, das bayerische mit dem Reichskonkordat zu koppeln; darin sah man aber eine Gefahr für die bayerische Selbständigkeit. Durch den bayerischen Vatikangesandten Ritter zu Gruenstein war Held über die Vorgänge i n Rom und über die Absichten des Reiches gut informiert. Er trieb die bayerische Regierung zur Eile an, als i m Herbst 1921 die Reichsregierung ihre Bemühungen um den Abschluß des Konkordates verstärkte. Bereits i m Februar 1920 hatte Nuntius Pacelli „die Wünsche des Hl. Stuhles an die bayerische Regierung übermittelt 7 4 . Bis März 1922 brauchte das bayerische Kultusministerium, um die Punktationen des Nuntius zu beantworten 7 5 . A m 27. 9. 1922 überreichte Pacelli dem bayerischen Ministerium den Entwurf eines bayerischen Konkordates. Das Kultusministerium erarbeitete daraufhin einen Gegenentwurf, in dem es vor allem um verfassungs- und vermögensrechtliche Einwände ging. A n dem Gegenentwurf hatte auch Held bei Besprechungen i m Dezember 1922 i m Kultusministerium mitgearbeitet 7 6 . I m Frühjahr 1923 wurde der bayerische Entwurf i m Vatikan beraten. A m 30. Dezember 1923 schrieb Pacelli an Held: „Ich vertraue in den bevorstehenden Schlußverhandlungen noch sehr auf Ihre gewandte, für die Interessen der Kirche treu besorgte Mitarbeit 7 7 ." Zur weiteren Prüfung wurde der bayerische Entwurf daraufhin dem Reichskanzler vorgelegt, der seinerseits keine Einwände erhob. A m 29. 3. 1924 konnte der Vertrag i n München unterzeichnet werden 7 8 . Das Konkordat mußte aber noch vom Landtag ratifiziert werden. Inzwischen war Held Ministerpräsident geworden. I n seiner Programmrede betonte er die Absicht, so schnell als möglich das Konkordat abzuschließen. Kardinalstaatssekretär Gasparri äußerte seine Freude „über die Wahl des Herrn Ministerpräsidenten" 7 9 . A m 9. Dezember 1924 73 74 75 76 77 78 7»
Ebd. Franz-Willing, a.a.O., S. 181. a.a.O., S. 193. Deuerlein, a.a.O., S. 45. AHR. G S t A M : M A 104 496. Zit. bei Franz-Willing, a.a.O., S. 200.
2. Das bayerische Konkordat
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begannen die Beratungen im Verfassungsausschuß. Die Vorlage des Konkordats i m Landtag hatte sich noch dadurch verzögert, daß Held versucht hatte, zur Gewinnung der für die Annahme des Konkordats notwendigen Stimmen der Mittelpartei noch das Verhältnis zwischen dem bayerischen Staat und den Evangelischen Landeskirchen rechts und links des Rheins i n besonderen Vereinbarungen zu regeln. Die drei Verträge brachte die Regierung in einem Mantelgesetz zusammengefaßt i m Landtag ein. Das löste, wie der bayerische Gesandte in Rom am 10. November 1924 nach München berichtete, in vatikanischen Kreisen „eine gewisse Empfindlichkeit" aus 80 . Dem Vatikan gefiel es nicht, daß das Konkordat als völkerrechtlicher Vertrag auf die gleiche Stufe mit dem Ubereinkommen des bayerischen Staates mit den Evangelischen Landeskirchen gestellt worden war. Held berichtete daraufhin nach Rom, daß seitens der Evangelischen Landeskirchen die Zusammenfassung i n einem Mantelgesetz sozusagen zu einer conditio sine qua non gemacht 81 worden sei. Held habe einsehen müssen, daß bei den Stärkeverhältnissen im Landtag auf eine Genehmigung des Konkordats dort nur gerechnet werden konnte, wenn die Koalitionsparteien geschlossen dafür stimmten; bei der Mittelpartei als konservativ evangelischer Partei war das davon abhängig, daß den Forderungen der evangelischen Landeskirchen Rechnung getragen wurde. A m 8. Januar 1925 wurde im Verfassungsausschuß das Mantelgesetz mit Mehrheit angenommen, nachdem Held dort einige Interpretationen zum umstrittenen Fragen abgegeben hatte, die aber die materielle Seite des Konkordats nicht mehr berührten und lediglich der reibungsloseren Annahme dienten 8 2 . Die Erklärungen Heids erregten jedoch bei der Kurie Bedenken. Nuntius Pacelli reiste eigens nach Rom, um den Papst mit dem Hinweis zu beruhigen, die Erklärungen Heids hätten nur den taktischen Zweck, dem Landtag die umstrittenen Bestimmungen mundgerecht zu machen 83 . Held hatte den Deutschnationalen eine Erklärung abgegeben, die das i m Konkordat festgelegte Gesetzgebungsrecht der Kirche ausdrücklich i n den Rahmen des A r t . 137 der Reichsverfassung spannte, ferner eine eingeschränkte Zusicherung für die Gewissens- und Vereinigungsfreiheit der Lehrer an den Bekenntnisschulen enthielt und die prinzipielle Aufrechterhaltung der staatlichen Schulaufsicht betonte 84 . so G S t A M : M A 104 496, No. 113. 81 G S t A M : M A 104 496, No. 111. 82 sten. Ber. 1924/25, Beil. Bd. 1, Beil. 674. 83 Franz- Willing, a.a.O., S. 202. 84 Diese Erklärungen w u r d e n dem Mantelgesetz als Anlage G S t A M : M A 104 496, No. 178.
beigefügt:
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X X V . Der K a m p f für den bayerischen Staatsgedanken
Das Plenum nahm das Mantelgesetz am 15. Januar 1925 nach zweitägiger Diskussion mit den Stimmen der BVP, der Mittelpartei und des Bauernbundes an. Prälat Wohlmuth sprach als Fraktionsvorsitzender der B V P aus, was auch Held empfunden hatte. Er bezeichnete das Konkordat als Friedenswerk. Für die Außen- und Weltpolitik sei das Konkordat ein A k t und eine Bekundung der Souveränität des bayerischen Staates, insofern Bayern von der höchsten moralischen Macht der Welt als gleichberechtigt m i t anderen Staaten anerkannt worden sei. Die Regierung Held hatte damit, wie die sonst nicht besonders bayernfreundliche „Frankfurter Zeitung" bemerkte, „einen parlamentarischen und kulturpolitischen Erfolg errungen wie keiner seiner Vorgänger" 8 5 . A m 12. Februar 1930 betonte Held i n einem Glückwunschschreiben an Pacelli zu dessen Ernennung zum Kardinalstaatssekretär noch einen besonderen Gedanken: I h m persönlich sei es ein „beglückender und beruhigender Gedanke, auf diesem hervorragenden und ganz besonders wichtigen Posten einen Mann zu wissen, dessen Name durch den Abschluß des Konkordats mit der Geschichte Bayerns für alle Zeiten verbunden ist. Daß die Erhaltung dieser Selbständigkeit Bayerns als der katholischen Vormacht in Deutschland i m Hinblick auf vielleicht in der Zukunft noch drohende Ereignisse auch für unsere Kirche von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, bleibt eine Tatsache, die ich wiederholt die Ehre hatte, mit E. Eminenz zu besprechen" 86 .
85 No. 41, 16.1.1925. 86 Zit. bei Franz-Willing, a.a.O., S. 142.
X X V I . Das Ministerium K n i l l i n g und das Generalstaatskommissariat Kahr Eugen K n i l l i n g war von 1912—1918 kgl. bayerischer Kultusminister gewesen. 1920 war er für die BVP i n den Landtag eingezogen. A u f die Fraktionsführung selbst hatte, obwohl er sich allmählich zum Hauptredner der B V P entwickelte, keinen besonderen Einfluß genommen, dieser lag ziemlich unangefochten i n den Händen des Abgeordneten Held. K n i l l i n g gehörte dem rechten Flügel der BVP an, m i t i h m wollte die B V P die „Vaterländischen Verbände" wieder stärker an die Regierung binden. Ernst Röhm berichtet, K n i l l i n g habe „sich vorher des Einverständnisses der nationalen Kreise versichert" 1 . Bayern hatte wieder eine „nationale" Regierung, Gürtner war Justizminister geblieben. Das Interregnum Lerchenfelds, der die rechtsradikalen Bestrebungen stärker bekämpft hatte, war vorbei. Die B V P knüpfte wieder an der Epoche Kahr an. Dabei war es wieder Heids Konzept, die nationalen Verbände so besser kontrollieren zu können. Dennoch hat schließlich vor allem die NSDAP vom Regierungswechsel profitiert. Man hatte wieder eine „nationale" Regierung. Der „Regensburger A n zeiger" sah in der Programmrede des neuen Ministerpräsidenten „die Fortentwicklung und logische Weiterbildung vor allem des Programms der B V P " 2 . Seine bekundete Absicht zur baldigen Inangriffnahme einer Reform der bayerischen Verfassung sei ein „schönes Zeugnis von der engen geistigen Verbindung des neuen Ministerpräsidenten mit den strebenden Kräften i n seiner Partei" 3 . 1. Der Kampf gegen die Rechtsaktivisten — Schwierigkeiten der Unterscheidung K n i l l i n g übernahm sein A m t i n einer schweren wirtschaftlichen und sozialen Krisensituation; der Währungszerfall strebte seinem Höhepunkt zu; dies hatte wieder die politische Radikalisierung auf der Rechten zur Folge; so wurde Behandlung und Abwehr der erstarkten nationalsozialistischen Gefahr von rechts zur schwierigsten Aufgabe ι Röhm, a.a.O., S. 138. 2 RA, 521, 11.11.1922. 3 Ebd.
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X X V I . Das Ministerium K n i l l i n g
der bayerischen Politik. Zunächst stand K n i l l i n g Hitler abwartend gegenüber. „Da die Regierung selber vielfach den nationalen Schlagworten der Tage huldigte, konnte sie sich nicht zu einer Politik des harten Zugreif ens entschließen 4 ." Sie versuchte vielmehr, einen Teil der keineswegs einheitlichen nationalen Verbände hinter sich zu bringen und sie als staatserhaltende Kräfte für die Regierung zu gewinnen. Gegenüber der NSDAP mußte das fehlschlagen. Zum ersten Zusammenstoß kam es schon Ende Januar 1923. Die Regierung sah sich veranlaßt, ihre Autorität gegenüber Hitler unter Beweis zu stellen. Als die Nationalsozialisten für den 28. Januar 1923 eine große Demonstration auf dem Münchner Marsfeld anläßlich ihres Parteitages angekündigt hatten, verhängte die bayerische Regierung den Ausnahmezustand 5 . Held selbst war bei der entscheidenden Kabinettsitzung am 26.1.1923 anwesend 6 . Schon allein die Frage, gegen wen denn Hitler vorgehen wolle, mußte zur scharfen Abwehrreaktion der Regierung führen. I n Bayern herrschte eine bürgerliche Regierung, i m Reich das erste bürgerliche Kabinett Cuno, um das man i n Bayern sehr froh war, weil i n i h m keine Sozialisten mehr vertreten waren. Held bemerkte, daß alles, was i n Bayern i n den letzten Jahren geschaffen worden sei, „auf dem Spiele" 7 stehe. Er fürchtete, daß in dem Augenblick, wo ein Rechtsputsch einsetze, „sofort die ganze Arbeiterschaft Norddeutschlands darauf antworte und damit das Ruhrgebiet verloren gehe. Damit würde den Franzosen der größte Dienst erwiesen" 8 . Held regte an, noch einmal mit Hitler zu verhandeln; er hatte allerdings wenig Hoffnung, „daß Hitler und seine Leute zu bekehren sein w ü r den" 9 ; aber trotzdem wäre er dafür, mit Hitler eine ganz offene Aussprache zu führen. Wenn sie ergebnislos verlaufe, dann wären alle Mittel anzuwenden, die dem Staat zur Verfügung stehen. Innenminister Schweyer lehnte jedoch den Vorschlag ab, nochmals mit Hitler zu verhandeln. A u f diesen Standpunkt stellte sich schließlich auch das Kabinett und beschloß die Verhängung des Ausnahmezustandes. I m Finanzausschuß verteidigte Held am 1. Februar 1923 diese Maßnahme mit dem Hinweis, daß es darauf ankomme, „die Staatsautorität i n dem Augenblick zu wahren und zu festigen, wo sie von irgendeiner Seite bedroht erscheint" 10 . Zugleich deutete Held einen für seine Hal4 Schwend, a.a.O., S. 204. 5 BStZ, 22, 27.1.1923. β G S t A M : M A 9 9518, No. 7/1923. 7 Ebd. β Ebd. » Ebd. io Sten. Ber. 1923, Beil. Bd. 11, Beil. 3281, S. 458.
1. Der K a m p f gegen die Rechtsaktivisten
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tung zum Nationalsozialismus bemerkenswerten Wandel an. Er habe bisher immer geglaubt, „die nationalsozialistische Bewegung sei keine Partei, sondern nur eine nationale Bewegung" 1 1 . Die BVP wolle eine machtvolle Entfaltung aller nationalen Kräfte, „ w i r wollen eine neue Freiheitsbewegung" 12 , die sich gegen den Erbfeind Deutschlands wenden müsse. Wer in solcher Situation i m Innern des Landes neue Störungen hervorrufe und die Staatsautorität zu zerstören suche, werde zum „Verbrecher am deutschen V o l k " 1 3 . Auch Held und die B V P waren von der Welle nationaler Aufwallung ergriffen worden, die die Ruhrbesetzung am 11. Januar 1923 durch Frankreich i n ganz Deutschland hervorgerufen hatte. Das Vorgehen Hitlers in einem solchen Augenblick gegen die bayerische Regierung brachte endlich auch in den nationalen Kreisen der BVP die Erkenntnis, daß die nationale Bewegung durch die Nationalsozialisten „auf ein falsches Geleise geschoben w i r d " 1 4 . Die deutsche Notgemeinschaft konnte keinen inneren Störenfried dulden, man mußte den „Blick auf den äußeren Feind richten" 1 5 . Zu einem zweiten schweren Zusammenstoß zwischen Regierung und Nationalsozialisten kam es am 1. Mai 1923, als letztere verlangten, die Regierung solle die genehmigte sozialistische Maifeier wieder verbieten und den Ausnahmezustand erklären, wobei die Regierung die Vaterländischen Verbände als Notpolizei aufbieten solle. Beide Forderungen lehnte Innenminister Schweyer ab 1 6 . Durch die Einsetzung von Reichswehr und Landespolizei wurden die Kampfverbände, die den Maiaufmarsch m i t Waffengewalt hatten verhindern wollen und sich bereits versammelt hatten, wieder entwaffnet. Für die Regierung bestand i n diesem Falle, wie sich K n i l l i n g i n der Ministerratssitzung vom 8. 5. 1923 ausdrückte, die Notwendigkeit, „zu beweisen, daß sie Herr i m Staate sei" 1 7 . Der Mann, der die nationalsozialistische Gefahr am klarsten erkannte und am entscheidensten bekämpft hatte, war Innenminister Schweyer. Deshalb wurde er auch am wütendsten von dieser Seite bekämpft. Die unterschiedliche Beurteilung der Vaterländischen Organisationen und ihres radikalen Teiles wirkte sich auch im Kabinett aus. „ K n i l l i n g und Gürtner vertraten die sogenannte Politik der Wiedergewinnung der guten Kräfte, der Polizeiminister die Politik des stärkeren Zugreifens, 11 12 is 14 15 16 π
a.a.O., S. 459. Ebd. Ebd. RA, 30, 6. 2.1923. Ebd. Schweyer, Politische Geheimverbände, S. 113. G S t A M : M A 99 518, No. 18/1923.
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X X V I . Das M i n i s t e r i u m K n i l l i n g
der restlosen Anwendung der staatlichen Machtmittel gegen Übergriffe gleichviel, woher sie kamen"; so charakterisierte Schweyer selbst die Unterschiede i m Kabinett 1 8 . Diese Differenzierungen i m Kabinett fanden auch ihre Entsprechung i n der BVP. Von dieser Partei ging keine entsprechend starke Bewegung aus zur Niederkämpfung der Nationalrevolutionäre. Das lag schließlich daran, daß man hier die nationalsozialistische Bewegung immer noch als den radikalen Teil der „Vaterländischen Verbände" hielt, und ihren parteirevolutionären Charakter noch nicht erkannt hatte. I n den Vaterländischen Vereinen, an deren Spitze immer noch Kahr stand, sah man eine Vereinigung von Männern aller bürgerlichen, rechtsgerichteten Parteien, die das Volk sammeln wollten für eine ausgesprochen nationale und konservative Rechtspolitik, für eine bürgerliche Einheitsfront. Sie sollten die nationale Aufrichtung Deutschlands erreichen. Bayern besaß ein Heer von rechtsradikalen Organisationen und Verbänden. Die Vaterländischen Verbände hatten sich aus den anfänglich politisch bunten Einwohnerwehren herausgebildet, unter der Führung von Prof. Bauer, Prof. Walter Otto und Dr. Pittinger. Sie befleißigten sich eines wenigstens äußerlich gesetzmäßigen Vorgehens und versuchten i h r Ziel mit Hilfe und durch Beeinflussung der bayerischen Regierung zu erreichen. Die erste Berufung Kahrs und der Vorstoß gegen Lerchenfeld waren Etappen auf diesem Wege „legaler", gewissermaßen trockener Putsche. Neben diesen Hauptgruppen gab es noch kleinere Sondergruppen, teils ausgesprochen monarchistischer Richtung, wie der „Heimat und Königsbund", teils foederalistisch monarchischer Prägung, wie „Bayern und Reich", dem beizutreten auch Held empfohlen hatte. Es gab Dutzende von Vaterländischen Bünden. Jede dieser Gruppen hatte Führer, die gegeneinander intrigierten. „Es wimmelt bei uns von Strategen, w i r haben Dutzende von Napoleons 19 ." Die Hitlerbewegung, anfänglich auch eine dieser Gruppen, bekam allmählich das Übergewicht über die i n ihrem Zielwillen und durch unzählige, mit dem Führerehrgeiz behafteten Persönlichkeiten geschwächte „Vaterländische Bewegung." Seine Stellung zu den Vaterländischen Verbänden umriß Held so: „Ich stehe auf Seiten jener Verbände, die sich als freiwilliger Regierungsschutz selbst darstellten. Alles, was die Staatsautorität nicht anerkennt, lehne ich ab: denn das ist revolutionär 2 0 ." Die Zerklüftung in den Zielen der nationalen Verbände w i r k t e auch i n die B V P hinein, die, i n ihre Parteiflügel und Richtungen aufgespal18 Zit. bei Schwend, a.a.O., S. 206. 19 RA, 211, 14. 9.1923. 20 RA, 138, 13. 7. 1923.
2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs
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ten, nicht einheitlich und geschlossen der Hitlerbewegung, die nach dem Führungsprinzip organisiert und m i t den Mitteln der Putschdemagogie und der Straße agierte, entgegentreten konnte. Entscheidend für das Verhalten der B V P war auch die Tatsache, daß man sich zu sehr auf den deutschnationalen Koalitionspartner, die Mittelpartei, festgelegt hatte, die i n ihrem Kabinettsmitglied Gürtner allzuviel Wohlwollen gegenüber der Hitlerbewegung zeigte. K n i l l i n g selbst geriet in das deutschnationale Fahrwasser Gürtners. Die B V P bremste hier zu wenig. M i t Kahr als Generalsstaatskommissar hat die BVP dann Bayern endgültig den Deutschnationalen ausgeliefert und sich selbst von jedem entscheidendem Einfluß auf den weiteren Gang der Ereignisse ausgeschaltet. Führende Politiker der BVP sprachen von einer „Diktatur Hilperts" 2 1 ; Hilpert w a r Vorsitzender der deutschnationalen Mittelpartei. 2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs I m Frühjahr 1923 hatte Röhm den Zusammenschluß der NSDAP, des „Bundes Oberland" und der „Reichsflagge" zur „Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände" organisiert 22 . A m 1. September 1923 wurde anläßlich des „Deutschen Tages" i n Nürnberg der „Deutsche Kampfbund" gegründet, i n dem Hitler die politische Führung besaß. Hier kam auch das Bündnis Ludendorffs m i t Hitler klar zum Ausdruck. Deutschland war durch den Ruhrkampf wirtschaftlich geschwächt und trieb i n der Inflation einem wirtschaftlichen Chaos entgegen, das wiederum zur politischen Radikalisierung führte. Als Reichskanzler Cuno mit seinem Rücktritt am 13. August 1923 eingestand, daß der passive Ruhrkampf aufgegeben werden mußte, weil er i n die Inflation geführt hatte, trat die nationalistische Bewegung i n ein neues Stadium ein, das eine bedrohliche politische Radikalisierung zeigte. Diktatur- und Putschgerüchte gingen wieder um 2 3 . Die Regierung K n i l l i n g und die BVP hatten keinen steuernden Einfluß auf die politischen Bewegungen mehr. Die sich schnell entwickelnde wirtschaftliche und finanzielle Krisis nutzte die nationalistische Opposition zu gefährlicher Agitation gegen die verfassungsmäßigen Gewalten und forderte die nationale Diktatur. Auch die monarchische Frage rückte erneut in den Vordergrund der Überlegungen; davon war auch die B V P nicht unberührt geblieben, die bisher wenig monarchistischen Aktivismus gezeigt hatte. 21 Münchner Post, 151, 2. 7.1924. 22 Maser, Frühgeschichte, S. 377. 23 F ü r die breitere Betrachtung dieser Zusammenhänge sei auf die Darstellung E. Deuerleins, „Der Hitlerputsch", S. 49 ff., verwiesen.
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X X V I . Das Ministerium K n i l l i n g
Über die Stimmung in einer Fraktionssitzung der B V P am 6. September 1923 berichtete ein Referent des Ministeriums des Äußeren an K n i l l i n g : „Die Mitteilungen der einzelnen Herren über die Verhältnisse im Lande wären übereinstimmend besorgniserregend. Man war der Meinung, daß die Regierung ungesäumt die notwendigen Vorbereitungen für die Eventualitäten treffen müsse, die eintreten können, wenn das Ruhrunternehmen zusammenbrechen sollte 2 4 ." Held wurde beauftragt, zusammen mit fünf weiteren Fraktionsmitgliedern i n dieser Sache so bald wie möglich mit den Ministern der B V P in Verhandlung zu treten. Die Krisenstimmung hatte auch die BVP erfaßt; man sah selbst ein, daß die Regierung den sich aufdrängenden Aufgaben nicht mehr gewachsen war. Die B V P selbst besaß kein Konzept zur Lösung der Probleme, man schwankte zwischen Hoffnung auf die Kraft der legalen Macht und der Neigung zu extremen außerparlamentarischen Mitteln. Einen Mittelweg wollte Held gehen. M i t der Berufung Kahrs zum Generalstaatskommissar, der mit autoritären Vollmachten ausgestattet wurde, versuchte man einerseits die legale Staatsgewalt aufrechtzuerhalten und andererseits zugleich wieder durch den entsprechenden Einfluß der BVP auf ihn die Entwicklung mitzubestimmen. Kahr sollte ein kontrollierbarer Kontrolleur der rechtsaktivistischen Kreise werden. Es spielten aber noch andere Ideen herein. Die Regierung Stresemann, die Cuno abgelöst hatte, wurde auch vom „Regensburger Anzeiger" als „der letzte Versuch einer normalen verfassungsmäßigen Regierung bezeichnet" 25 . Die allgemeine Stimmung i n Deutschland war infolge der aussichtslosen außenpolitischen Lage und der trostlosen wirtschaftlichen Verhältnisse schlecht. Die Rechtsaktivisten versuchten, die bayerische Politik i n ein deutsches Abenteuer hineinzudrängen. Man sprach vom Krieg, der von einer zu errichtenden nationalen Diktatur zur Befreiung Deutschlands geführt werden sollte. Hier zog Held einen klaren Strich zu den Rechtsaktivisten. Was konnte Bayern zur Wiederaufrüstung Deutschlands tun? Man konnte keine deutsche Politik von Bayern aus treiben, ohne dazu vorher die notwendigen politischen Voraussetzungen i n Bayern selbst geschaffen zu haben. Deutschland hatte nicht die Kraft, „einen Befreiungskampf zu führen, deshalb sind alle politischen Lösungen, die den Krieg von morgen zur Voraussetzung haben, schädliche I l l u sionen und Hirngespinste" 26 . Es war Held „schade um Bayern, wenn es sich i n den Strudel einer Abenteurerpolitik hineinziehen ließe" 2 7 ; er sah eine solche Gefahr. Dies war eine sehr deutliche Mahnung an den 24 25 26 27
Privatkorrespondenz K n i l l i n g i n G S t A M : M A 102 389. RA, 214, 18. 9.1923. Ebd. Ebd.
2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs
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anwachsenden nationalistischen Aktivismus, der Bayern lediglich als Basis für eine ins Reich vorstoßende diktatorisch-revolutionäre Aktion sah. Heids Feststellungen sollten, wie er sich ausdrückte, eine „Mahnung zur klugen Bescheidenheit, zur richtigen Abschätzung der eigenen K r ä f t e " 2 8 sein: „Es gibt Leute, die sich in dieser Beziehung verhängnisvollen Täuschungen hingeben und dadurch dazu beitragen, daß Bayern außerhalb seiner Grenzen lächerlich gemacht wird. W i r haben zunächst i m eigenen Hause so viel zu tun, daß w i r gut tun, das Gerede von bayerischen Feldzügen i m Reich zu lassen 29 ." Was hieß für Held bayerische Politik i m deutschen Sinne? Es war eine Politik, die ihre Kräfte aus dem Boden des Landes schöpfte und die i m Einklang stand mit allen jenen Kräften, die Bayern zu einem nationalen Reservoir für Deutschland machen wollten. „Dazu gehört auch der „Königsgedanke i n Bayern" 3 0 : Die royalistische Stimmung beruhte dabei nicht auf dem Glanz Wittelsbachs, „sondern der Königsgedanke ist dem bayerischen Volk so viel wert, als es sich von seiner ideellen und praktischen Einschaltung in die Politik eine Erleichterung der Lösung der schwierigen Aufgabe, die unserm Land und ganz Deutschland in diesen Zeiten gestellt sind, verspricht" 3 1 . Deshalb konnte es i n den Augen Heids für Hitler „kein größeres Armutszeugnis" 3 2 geben, als sein Versuch, „ m i t antiwittelsbachischen und antikonfessionellen Parolen in unserem Lande zu arbeiten. Wer das tut, der weiß überhaupt nicht, was Bayern ist" 3 3 . M i t der Berufung Kahrs, der i n allen nationalen Kreisen als ausgesprochener Monarchist galt, zum Generalstaatskommissar versuchte die BVP die ideelle und praktische Bedeutung der monarchischen Stimmung als Damm gegen den nationalistischen Aktivismus zu errichten. Dabei war es interessant, daß von der BVP-Presse der Kampf vor allem gegen Ludendorff geführt wurde; man hielt ihn für gefährlicher als Hitler. Schon i m März 1923 hatte der „Regensburger Anzeiger" geschrieben: „Nur das beklemmende Gefühl, daß die in politischen Dingen so unglückliche Hand des politisch völlig unbegabten Generals immer verhängnisvoller in die Entwicklung der politischen Verhältnisse einzugreifen sich erkühnt, zwingt dazu, warnend die Stimme vor dem politischen Eifer Ludendorffs zu erheben 34 ." Man warf ihm seine 28 29 30 31 32 33 34
Ebd. RA, 214, 18. 9. 1923. RA, 214, 18. 9. 1923. Ebd. Ebd. RA, 214, 18. 9.1923. RA, 67, 22. 3.1923.
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X X V I . Das M i n i s t e r i u m K n i l l i n g
enge Verbindung mit politischen Gruppen vor, „die nach einer A k t i o n dursten" 3 5 . Heim wandte sich gegen Treibereien gewisser Kreise, die den Anschein erweckten, „als ob Bayern für manche Leute der Probeexerzierplatz für Dummheiten sein soll" 3 6 . Dabei bemühte sich der „Regensburger Anzeiger", immer wieder zu betonen, daß sich seine K r i t i k an einigen rechtsradikalen Erscheinungen i n den Vaterländischen Verbänden nicht gegen die Vaterländische Bewegung überhaupt richte. Gegen den drängenden Aktivismus der Rechtsaktivisten mahnte der „Regensburger Anzeiger": Die national gesinnten Bewegungen sollten nicht irre werden, „wenn ihre Regierungen zeitweise Gewaltmaßnahmen des Feindes sich beugen müssen" 37 . Das gelte vor allem für diejenigen, deren erstes und zweites Wort immer die Phrase vom Sturz der Regierung und der Aufrichtung der nationalen Diktatur sei. Damit waren eindeutig Hitler und Ludendorff gemeint. I m September 1923 griff der „Regensburger Anzeiger" i n einem A r tikel „Bayerische oder Ludendorff-Politik" 3 8 General Ludendorff scharf an. Er sei i n Bayern ein Störenfried, „dessen Politik keine bayerische, sondern eine hohenzollern-preußische ist" 3 9 . Diese Auffassung werde in allen Kreisen, die i m Sinne der traditionellen bayerischen Landespolitik tätig seien, geteilt. „ M i t bayerischen Interessen ist die Politik Ludendorffs nicht vereinbar 4 0 ." Darüber sollte man auch i n den Vaterländischen Verbänden, wenigstens soweit sie sich zu den Farben weiß und blau bekannten, endlich zur Klarheit kommen. Die wirtschaftliche und politische Entwicklung der ersten Wochen i m September 1923 führte zu einer politischen Hochspannung. Die Besorgnis um die Haltung der Vaterländischen Verbände, ihr ständiger Kampf gegen das Parlament als Uberregierung und i h r Auftreten als sei die Regierung Diener ihrer eigenen Wünsche, ließen die B V P auf Kahr zurückgreifen, von dem man als einzigem erwartete, daß er die Vaterländischen Verbände kontrollieren und die nationalen Kräfte „für eine den sich zuspitzenden deutschen Problemen gewachsene bayerische P o l i t i k " 4 1 einigen könnte. Dazu sollte Kahr m i t einer die ganze vollziehende Gewalt umfassenden Vollmacht ausgestattet werden. Held selbst hat die entscheidenden Verhandlungen zur Berufung Kahrs geführt. Er tat dies, obwohl er mit Kahr selbst schon die 35 Ebd. 36 RA, 67, 22. 3.1923. 37 RA, 82, 11. 4.1923. 38 RA, 211. 14. 9.1923. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Schwend, a.a.O., S.215.
2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs
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schlechtesten persönlichen Erfahrungen gemacht hatte. Die entscheidende Erwägung bei Held war wohl die, daß Kahr in den nationalen Kreisen noch eine stärkere Autorität als Hitler besaß; außerdem konnte er wohl auch die monarchistischen Kreise ansprechen. Kahr hatte sich seit seinem Rücktritt i m September 1921 politisch zurückgehalten, aber seine führende Rolle i n den „Vaterländischen Verbänden" bewahrt. Er galt nicht als Parteimann, er hatte sich eigentlich auch von der BVP entfremdet, seine fehlenden staatsmännischen Eigenschaften, die sich i n der Herbstkrise 1921 gezeigt hatten, hätten wohl auch die BVP skeptischer sein lassen sollen. Wohlmuth riet deshalb i n der Fraktion von der Berufung Kahrs ab 4 2 . Wenn Held sich trotzdem für Kahr entschied, so tat er es aus der Überzeugung, daß die Partei nur so aus der schwierigen Lage herauskommen könnte, die sich inzwischen zu einer akuten Staatskrise entwickelt hatte. Κ . A. v. Müller vermutet, daß es nur dem Druck des Kronprinzen Rupprecht gelungen sei, das Widerstreben Wohlmuths und Knillings gegen die Person Kahrs zu überwinden 4 3 . Das scheint ohne Zweifel einen gewissen Ausschlag gegeben zu haben. Noch vor der eigentlichen Berufung Kahrs führte Held anfangs September ein mehrstündiges Gespräch mit Kronprinz Rupprecht auf Schloß Hohenburg bei Lenggries 44 . Man besprach vor allem den Zweck der Mission Kahrs, der besonders dem gefährlichen Einfluß Ludendorffs und Hitlers auf die bayerischen politischen Verhältnisse entgegenwirken sollte. Schwend bemerkt, das Thema der Monarchie sei „nicht unmittelbar angeschnitten" worden, die ganze Atmosphäre, i n der das Gespräch geführt wurde, sei aber „tiefgehend davon e r f ü l l t " 4 5 gewesen; das mußte es schon deshalb gewesen sein, weil gerade die monarchistischen Kreise den Plan der Berufung Kahrs besonders begrüßten, Kronprinz Rupprecht ganz besonders. Nach der Ernennung Kahrs schrieb der Kabinettschef des Kronprinzen, Graf Soden, am 2. Oktober 1923 an Held: „Die am letzten Mittwoch erfolgte Ernennung des Herrn Staatsrats von Kahr zum Generalstaatskommissar hat Seine Majestät i n hohem Maße befriedigt. Seine Majestät fühlt das Bedürfnis, auch Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, dessen Verdienst i n erster Linie der bedeutsame staatspolitische A k t vom 26. September ist, Allerhöchst seinen aufrichtigen Dank zum Ausdruck zu bringen. Der Hohe Herr ist der Überzeugung, daß Euer Hochwohlgeboren durch I h r staats-
42 Schwend, a.a.O., S. 215. 43 Κ . A. v. Müller, I m Wandel einer Welt, S. 155. 44 Einziger Hinweis auf dieses Gespräch bei Schwend, a.a.O., S. 216. I m Archiv Regensburg waren keine Dokumente von diesem Gespräch zu finden. 45 Schwend, a.a.O., S. 216. 32
Keßler
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kluges Verhalten einen Wendepunkt in der bayerischen und deutschen Geschichte inauguriert haben 4 6 ." Daß Held i n diesem Augenblick wie andere Kreise, auch der Kronprinz vielleicht selbst, die Mission Kahrs als Überleitung zur Monarchie angesehen hätte, ist sicher nicht anzunehmen. Held hatte die ungeheuren Schwierigkeiten erkannt, die einer gesicherten Wiederkehr der Wittelsbacher entgegenstanden. Eine Monarchie auf der Grundlage von Reparationen und einer die Wirtschaft zerstörenden Inflation erschien i h m unmöglich und wäre für die Wittelsbacher selbst ein Danaergeschenk gewesen. Was Held bewogen hatte, war, in dieser schweren Verfassungskrise mit dem Ausnahmezustand und der Person Kahrs der drohenden nationalistischen Explosion einen Riegel vorzuschieben. Er glaubte, wie er es Ende Oktober auf dem oberpfälzischen Parteitag der B V P formulierte, die „politischen Maßnahmen getroffen" zu haben, „ u m Ruhe und Ordnung unter allen Umständen aufrecht zu erhalten und die Gesetzmäßigkeit wieder absolut zur Norm für das öffentliche Leben zu machen" 47 . Die Ernennung Kahrs sollte ein Schlag gegen Hitler und Ludendorff sein, deren Agitation gegen das Haus Wittelsbach schon allein Kronprinz Rupprecht m i t einem Gegenschlag zu beantworten ein Interesse hatte, ohne daß mit der Person Kahrs unmittelbare positive monarchische Ziele verfolgt wurden. Die B V P drückte sich sehr deutlich aus: Die Beendigung des Ruhrkampfes habe eine Atmosphäre geschaffen, die von den radikalen politischen Elementen bewußt und geschickt ausgenützt würde, ihre revolutionären Pläne zu verwirklichen. „Die Kreise um Ludendorff und Hitler haben von Tag zu Tag mehr die Maske fallen lassen." Sie gingen jetzt daran, „ihre Desperado-Politik in die Tat umzusetzen". Die Berufung Kahrs sei ein Symbol, daß das nationale Bayern fest entschlossen sei, „die Zukunft des Landes durch den irregeleiteten Teil der nationalen Bewegung nicht gefährden zu lassen" 48 . Kahr sollte den legalen politischen Gewalten wieder das Gesetz und die Autorität des Handelns zurückgewinnen, die man zum großen Teil schon an die Kampfverbände verloren hatte. Nach der Gründung des „Nürnberger Kampfbundes" wurde von Hitler die Entlassung Innenminister Schweyers gefordert. Der „Regensburger Anzeiger" kommentierte dieses Verlangen mit dem Hinweis, „daß die Ludendorffianer i n Bayern auf eine Machtprobe hinsteuern. Diese Gefahr erkennen,
46 A H R . 47 RA, 247, 26.10. 1923. 48 RA, 222, 27. 9.1923.
2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs
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heißt sie auch zu bannen" 4 9 . Damit war die Mission Kahrs klar angedeutet. Zunächst schien das auch Kahr zu glücken. Nachdem er am 26. September 1923 vom Ministerrat zum Generalstaatskommissar unter Übertragung der vollziehenden Gewalt ernannt worden w a r 5 0 , verbot Kahr die allein für München angesetzten 14 Versammlungen der Nationalsozialisten. Kahr schien gegen Hitler entschieden durchgreifen zu wollen. Kahr war an dem Tag ernannt worden, an dem die Reichsregierung den Abbruch des Ruhrkampfes bekanntgab. Hitler hatte versucht, die Niederlage der Reichsregierung zur Aufpeitschung der Massen als Vorbereitung eines Putsches auszunützen. Die Ruhrverräter sollten angeprangert werden. Die BVC schrieb warnend, Ludendorff beabsichtige eine Revolution i n Bayern 5 1 . Auch die bayerische öffentliche Meinung stand „dem Entschluß der Reichsregierung, die Ruhraktion abzubrechen, ablehnend, ja feindlich gegenüber" 52 . M i t dem entschiedenen Durchgreifen Kahrs war die politische Hochspannung mit einem Schlag gelöst und Hitler in seinen Plänen gestört. Die Staatsautorität schien wieder gefestigt zu sein, die überhitzte politische Atmosphäre kühlte sich ab. Unter diesem Eindruck stellte sich auch die i n gewissen Teilen skeptische BVP-Fraktion i n einer Resolution „einmütig mit ihrem vollen Vertrauen hinter die Staatsregierung und K a h r " 5 3 . Die Sogwirkung, die man von Kahr auf die „Vaterländischen Verbände" erwartete, erfaßte zumindest nicht die Bewegung um Hitler, der seine Kampfstellung gegenüber der Regierung nicht aufgab. Zunächst schien Hitler durch die Ernennung Kahrs schachmatt gesetzt zu sein. Kahr hatte die Mehrheit hinter sich, vor allem die Mehrheit der konservativ christlichen Bayern. Das war auch die Überlegung der BVP gewesen. Aber i n der Frage der nationalen Erneuerung im Reich und i m Kampf gegen das sozialistische Berlin ergaben sich bald Berührungspunkte. Es kam zur Tuchfühlung zwischen Kahr und den Kampfverbänden. Kahr sah bald seine Hauptaufgabe mehr in Deutschland als i n Bayern. Durch die Außerkraftsetzung der Republikschutzgesetzgebung gab Kahr den Nazis wieder größere Bewegungsfreiheit. M i t der Ernennung Kahrs zum Generalstaatskommissar war i h m auch die vollziehende Gewalt übertragen worden. Die bayerische Re-
49 RA, 247, 26. 10.1923. so Ministerprotokoll v o m 26.9.1923, G S t A M : M A 995 18, No. 35, 1923. 51 Zit. i n BStZ, 225, 28. 9. 1923. 52 Deuerlein, Hitlerputsch, S. 69. 53 M N N , 269, 4.10.1923. 32
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gierung unter K n i l l i n g und besonders die BVP hatten damit sich eines großen Teils ihres Einflusses auf die Entwicklung der Dinge in Bayern begeben. Kahr steuerte erneut denselben Kurs wie während seiner Ministerpräsidentschaft: scharfe Frontstellung nach links und Konfliktspolitik m i t dem Reich, wo die Regierung unter starkem sozialdemokratischen Einfluß stand. Die BVP folgte zunächst Kahr i n dieser Richtung, verlor dann aber den Einfluß auf die Entwicklung, die wieder zum offenen Konflikt mit dem Reich und schließlich zum Hitlerputsch am 8./9. September 1923 führte. A m gleichen Tag, als K a h r zum Generalstaatskommissar ernannt worden war, antwortete der Reichspräsident mit einer Ausnahmeverordnung „betreffend die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet nötigen Maßnahmen" 5 4 . Reichswehrminister Geßler wurde zum Inhaber der vollziehenden Gewalt ernannt. Kahr seinerseits stellte den Vollzug des Reichsgesetzes zum Schutz der Republik ein und verbot nur die sozialistischen Sicherheitsabteilungen. Reichskanzler Stresemann hielt sich mit Aktionen gegen Bayern zurück, um den Nationalisten keinen Vorwand zum Vorgehen gegen Berlin zu liefern. Der direkte Konflikt ergab sich jedoch durch die Weigerung des bayerischen Reichswehrkommandanten von Lossow, ein Verbot des „Völkischen Beobachters", das Geßler anordnete, durchzuführen. Kahr selbst hatte bereits dem „Völkischen Beobachter" eine Warnung wegen eines am 27. September erschienenen Artikels, der starke Angriffe gegen Stresemann und General von Seeckt enthielt, zukommen lassen 55 . Das geforderte Verbot des „Völkischen Beobachters" durchkreuzte die Intentionen Kahrs, der außerdem in dem Vorgehen Berlins einen Eingriff in die Sphäre der bayerischen Polizeigewalt sah. Lossow wurde vom Reichswehrminister am 20. Oktober 1923 aufgefordert, seinen A b schied zu nehmen. Von der bayerischen Regierung moralisch unterstützt, lehnte Lossow ab. Der bayerische Ministerpräsident, von Kahr in diesen Konflikt hineingezogen, stellte sich hinter Lossow; einen Konflikt mit K a h r wollte K n i l l i n g vermeiden. So wurde der Fall Lossow zu einer Prestigefrage für Bayern. A m 20. Oktober 1923 beschloß das bayerische Kabinett die Übernahme der bayerischen Reichswehrteile in bayerische Dienste. Knilling, der zunächst gezögert hatte, teilte mit, daß sich die Führer der Koalitionsparteien, also auch Held dafür ausgesprochen hätten, diesen Weg zu gehen 56 . M i t einer Erklärung vom 21. Oktober gab die bayerische Regierung ihren Entschluß bekannt, 54 Zimmermann, a.a.O., S. 135. ss Schwend, a.a.O., S. 223. 5β Deuerlein, a.a.O., S. 73.
2. Das Generalstaatskommissariat Kahrs
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„ i m Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung i n Bayern . . . den bayerischen Teil der Reichswehr erneut als Treuhänderin des deutschen Volkes i n Pflicht zu nehmen, den General Lossow als bayerischen Landeskommandanten einzusetzen und mit der Weiterführung der bayerischen Divison zu beauftragen" 5 7 . Held verteidigte diesen Beschluß auf dem oberpfälzischen Parteitag der BVP am 24. Oktober 1923 m i t der Bemerkung, bei dem Konflikt um Lossow handle es sich „lediglich nur u m die pflichtgemäße Verteidigung der von den Reichsstellen aus schwer angegriffenen bayerischen Selbständigkeit auf dem polizeilichen Gebiet und u m die Erhaltung des Restes von staatlicher Hoheit, der uns nach der Weimarer Verfassung noch verblieben ist" 5 8 . Bayern befinde sich als der angegriffene Teil i n einer i h m aufgezwungenen Abwehrstellung. Die Quelle dieses Konfliktes liege i n der „historisch falschen und naturwidrigen Konstruktion der Weimarer Verfassung und zweifellos i n der Tatsache, daß i n Bayern nach dem Willen der großen Mehrheit des Volkes ohne die Sozialisten und gegen sozialistische Tendenzen regiert werden müsse. Während i m Reich die Sozialdemokraten auf die Regierung noch ihren vollen Einfluß auszuüben i n der Lage seien" 59 . Damit bewegte sich Held auch auf der ideologischen Linie von Kahr, der erklärte, in dem Konfliktsfall handle es sich nicht nur um die Reichswehr, „sondern letzten Endes u m den Kampf der marxistisch-international-deutschen Einstellung gegen die nationale und christliche Weltanschauung, und Bayern sei der Streiter für den großen deutschen Gedanken" 60 . I n der durch die Politik Kahrs heraufbeschworenen Situation war die Haltung der BVP gespalten. Man mußte sich überlegen, ob es klug und verantwortungsbewußt war, daß Kahr i n diesem Augenblick des Aufmarsches der Kampfverbände u m Hitler durch die einseitige Aufhebung des seit dem Konflikt um die Republikschutzgesetzgebung i m Sommer 1922 mühsam aufrechterhaltenen modus vivendi i n den radikalen nationalistischen Kreisen Hoffnungen erweckte und deren Putsch- und Umsturzplänen psychologisch entgegenkam. Konrad Beyerle berichtete, daß er den Schritt Kahrs mißbilligte und daß das Vorgehen Kahrs „auch i n weiten Kreisen meiner Partei Unbehagen und Ablehnung gefunden h a t " 6 1 . Er nannte es „eine
57 Zit. nach Schwend, a.a.O., S. 226. 58 RA, 246, 25.10.1923. 59 Ebd. A u f dem Parteitag der B V P a m 27.10.1923 bezeichnete Held es „als unmöglich, daß die Staatsregierung, die den Weg des bedrängten Rechts gegangen sei, den General fallen läßt" (RA, 250, 29.10.1923). 60 Schwend, a.a.O., S. 226. ei Beyerle, Foederalistische Reichispolitik, S. 66.
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diktatorische Handlung" 6 2 , die nicht m i t dem legalen Abwehrkampf der bayerischen Regierung und der BVP i m Sommer 1922 i n Zusammenhang zu bringen gewesen sei. 3. Die Einflußlosigkeit der BVP auf die Politik Kahrs Die Haltung Kahrs gab den auch von Norddeutschland nach Bayern hineingetragenen Direktoriumsplänen und den Putschabsichten Hitlers Auftrieb. Lossow sprach offen vom Marsch auf Berlin und der Ausrufung der nationalen Diktatur 6 3 . Die BVP hatte die Kontrolle über die weitere Entwicklung verloren; nicht zuletzt durch ein zunächst allzu starkes Nachgeben an Kahr, der allmählich i m Gegensatz zur Staatsregierung eigene Wege ging. Die BVP hatte auch kaum Verbindung zu Kahr. „Jeder kleine sich wichtignehmende und auftrumpfende vaterländische Verband hatte mehr Geltung und Gewicht als die politischen Parteien, die i n den Augen Kahrs samt und sonders m i t dem Odium der parlamentarischen Insuffizienz behaftet waren 6 4 ." A m 17. Oktober teilte K n i l l i n g i m Ministerrat mit, daß schon wieder i n weiten Kreisen Enttäuschung über den Generalstaatskommissar und seine Maßnahmen herrsche, daß aber die dadurch hervorgerufene Mißstimmung „gegen die bayerische Regierung und die BVP gelenkt werde, indem man sage, Kahr sei der Gefangene der bayerischen Regierung und der Bayerischen Volkspartei" 6 5 . Es waren vor allem die Vaterländischen Verbände, die von Kahr kräftigere Aktionen gegen Berlin verlangten. Der BVP-Finanzminister Krausneck meinte, es müsse Kahr gesagt werden, daß die Vaterländischen Verbände ihre Angriffe auf die Regierung unterlassen müßten. „Wenn Kahr dazu nicht in der Lage sei, werde die Regierung überlegen müssen, ob sie es nicht K a h r überlassen müsse, die Verantwortung selbst zu übernehmen 66 ." K n i l l i n g machte die Zusage, daß er sich mit Kahr „offen aussprechen" werde 6 7 . Die Spannung zwischen der Regierung K n i l l i n g und Kahr nahm zu, während die Tuchfühlung zwischen den Kampfverbänden und K a h r immer enger wurde. Damit hatte sich klar gezeigt, daß der von der Mission Kahrs erwartete Effekt, die Zügelung der rechtsaktivistischen Umtriebe zu er62 63 64 65 66 67
Ebd. Deuerlein, a.a.O., S. 85. Schwend, a.a.O., S. 230. G S t A M : M A 91518, No. 38/1923. Ebd. Ebd.
3. Die Einflußlosigkeit der B V P auf die P o l i t i k Kahrs
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reichen, ausblieb. Kahr regierte, ohne die bestehende Regierung zu informieren. Es war ein untragbarer Zustand, daß die Regierung zwar für alles die Verantwortung zu übernehmen hatte, aber alle staatlichen Machtmittel i n den Händen Kahrs vereinigt waren. Vor allem konnten Regierung und B V P nicht die Verbindungen kontrollieren, die zwischen Kahr und den norddeutschen deutschnationalen Kreisen bestanden. Dort hatte man den Plan eines nationalen Direktoriums schon lange diskutiert; Kahr hatte sich mit diesem Gedanken befreundet. Von Held ist aus diesen hektischen Tagen der allermöglichsten politischen Kombination, die in dem Gedanken eines Marsches nach Berlin gipfelten, nichts Konkretes zu berichten. Inwieweit Held von den „deutschen Plänen" und dem Gedanken der „nationalen Diktatur" Kahrs informiert war, läßt sich nicht feststellen. Ministerialrat Sommer berichtete in seinen Tagebuchaufzeichnungen 68 , er habe K n i l l i n g die Mitteilung gemacht über Verhandlungen, die Kahr i n Berlin über die Idee des „Drei-Männer-Direktoriums" zur nationalen Erneuerung des Reiches führen lasse. K n i l l i n g sei „sehr unzufrieden mit solchen Plänen" gewesen. Kahr solle sich auf seine Aufgabe beschränken, „die nationalsozialistische revolutionäre Gefahr niederzuschlagen" 69 . Er war vor allem auch unzufrieden mit den Versuchen Kahrs, sich die nationalistische Bewegung unterzuordnen; statt sie niederzuhalten, verhandelte er mit ihnen in der „deutschen Frage", i n der Ablehnung des „Weimarer Systems" und des herrschenden Marxismus 7 0 . Natürlich hatte Held das politische Abenteurertum verurteilt, aber die bayerische Pol i t i k wurde i n diesen Tagen von anderen als den legalen parlamentarischen Kräften gemacht. Sicher ist es, daß er i n diesen Tagen die Gelegenheit zu einer bayerischen legalen Offensive zur Umgestaltung der Weimarer Verfassung für besonders günstig hielt, schon deshalb, weil man i n Berlin sich zu gewissen Konzessionen in dieser Frage bereit es Sommer w a r von K n i l l i n g beauftragt, als Verbindungsmann des Ministerpräsidenten an den täglichen Sachbearbeiterbesprechungen teilzunehmen u n d dem Ministerpräsidenten über die Tätigkeit i m Generalstaatskommissariat zu berichten. Die Tagebuchaufzeichnungen Sommers w u r d e n dem Verfasser von Staatsminister Dr. Held zur Einsichtnahme überlassen. Die Mitteilungen Sommers gehen nicht über den Kreis des bereits Bekannten hinaus. 69 Ebd. 70 Sommer berichtet, daß er Ende Oktober i m A u f t r a g K n i l l i n g s ein Exposé ausgearbeitet habe, das sich gegen das Verhandeln Kahrs m i t den K a m p f verbänden und Hitlers F ü h r u n g wandte. H i t l e r sei der Überzeugung auf Grund des Verhaltens der Staatsregierung i m Januar und M a i 1923, er sei stärker als die Staatsgewalt und daß er deshalb losschlagen werde. K a h r habe daraufhin Sommer zu sich kommen lassen u n d i h m gesagt, „ i h m sei klar, daß eines Tages Pöhner m i t vorgehaltenem Revolver bei i h m erscheinen werde. Er fürchte sich nicht. A l l e Vorhersorge sei f ü r derartige Fälle getroffen. Ich könne beruhigt sein und diese Beruhigung auch K n i l l i n g empfehlen".
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zeigte. Reichswehrminister, Reichskanzler und Reichsfinanzminister hatten erkennen lassen, daß man in Fragen der Zurückerlangung der bayerischen Militärhoheit und der Finanzhoheit der Länder durchaus zu Verhandlungen bereit war 7 1 . Mitten i n der Lossow-Krise erklärte Held die grundsätzliche Änderung der Weimarer Verfassung als das „dringlichste Gebot der Stunde" 7 2 . Bayern müßte vor allem verlangen, daß die „Finanzhoheit der Länder wieder restlos hergestellt werde und daß jenen Ländern, die eigene Verkehrsnetze unterhalten haben, auch wie der Post und Eisenbahn, eigene Verwaltungen gegeben werden. Schließlich müßte auch die Militärhoheit der einzelnen Länder, soweit sie vor dem Krieg bestanden, wieder hergestellt werden" 7 3 . A m 27. Oktober hatte bereits K n i l l i n g i m Ministerrat ein Schreiben Kahrs verlesen, das von der bayerischen Regierung eine Initiative i n derselben Richtung verlangte; K n i l l i n g führte das Schreiben Kahrs auf Anregungen zurück, „die aus Landtagskreisen an ihn und den Generalstaatskommissar herangebracht worden seien" 74 . Mitten i n der gefährlichsten Krise hielt die BVP eine solche Initiative für notwendig; vielleicht aus der Überlegung, daß man dadurch den rechtsaktivistischen Kreisen den Willen der B V P zur A k t i o n gegen Berlin auf legalem Wege beweisen wollte. Der Fall Lossow wurde von der bayerischen Regierung dilatorisch behandelt, weil auch Berlin wegen der 2. Regierungskrise des Kabinetts Stresemann handlungsunfähig war. I n den Vaterländischen Verbänden setzte dagegen eine hektische Agitation i m Fall Lossow ein, sie verlangte von K n i l l i n g eine scharfe Haltung gegen Berlin. Hitler wollte den direkten Konflikt m i t Berlin 7 5 . Ludendorff und Hitler rechneten damit, daß Lossow als „meuternder" General mitmachen werde beim Marsch nach Berlin zur Aufrichtung einer Reichsdiktatur. Die Stellung Kahrs in diesem Zusammenhang ist bis heute ungeklärt. „Tatsächlich waren die Grenzen zwischen dem, was die Kreise um Kahr und Lossow mehr abwartend erhofften, und dem, worauf Hitler, Ludendorff und die Kampfbünde mit Ungestüm zusteuerten, unklar und verschwommen wie die ganze Politik des Generalstaatskommissars 76 ." Aus dieser Atmosphäre heraus entstand der Putschversuch Hitlers am 9. November 1923. Für die unmittelbaren Tage vor dem Schwend, a.a.O., S. 229. 72 RA, 246, 25.10.1923. 73 Ebd. 74 G S t A M : M A 99 518, No. 38/1923. 75 Bei den Kampfverbänden verdichtete sich die Vorstellung, „daß gehandelt werden müsse, daß die Zeit zum Losschlagen da sei". — Deuerlein, a.a.O., S. 93. 76 Schwend, a.a.O.. S. 234.
3. Die Einflußlosigkeit der B V P auf die P o l i t i k Kahrs
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Putsch ist bezeichnend, was Deuerlein feststellt: „Das Gesamtministerium verschwand für den Zuschauer von der politischen Bühne des Landes, als sich die Schürzung des dramatischen Knotens anbahnte. Die Akteure dieses Auftritts waren nicht die Träger der verfassungsmäßigen Gewalt. Bayern wurde nicht von seinem Ministerpräsidenten und dessen Kabinett, sondern von Kahr, Lossow und Seisser repräsentiert" 7 7 . Auch die Parteien des Landtags, vor allem die B V P hatten keine Kontrolle mehr über die Entwicklung der Dinge. Held selbst saß am Nachmittag des 8. November 1923, an jenem Tag, an dem Hitler zwischen 20 und 21 Uhr den Coup i m Bürgerbräukeller startete, i m Cafe Luitpold und äußerte gegenüber einem Bekannten die Meinung, daß etwas i n der L u f t liege 78 . Die Annahme, daß er von der bevorstehenden A k t i o n etwas wußte, ist sicher falsch. Es war i n diesen Tagen viel von Putsch gesprochen worden; solches Gerede wurde mehr oder weniger ernstgenommen; man hätte während der letzten Jahre öfters glauben müssen, vor ähnlichen Aktionen zu stehen. Hitler wurde nicht ernstgenommen. Arglos waren ja auch Ministerpräsident K n i l l i n g und Innenminister Schweyer i n den Bürgerbräukeller gegangen, um die Rede Kahrs mitanzuhören. Held selbst war nicht i m Bürgerbräukeller gewesen. Er bekam die Putschnachricht von dem Mitarbeiter i m BVPGeneralsekretariat, Dr. Kahn, der Held in dessen Wohnung in der Heßstraße aufsuchte. I m Büro des „Katholischen Frauenbundes" i n der Schraudolfstraße traf Held m i t den Minister Matt, Krausneck und Meinel zusammen 79 . Hier erließ Matt einen Aufruf, den Staatsrat Schmelzle entworfen hatte und in dem der Weiterbestand der verfassungsmäßigen Regierung proklamiert wurde 8 0 . Daraufhin fuhren Held und die Minister m i t verschiedenen Autos nach Regensburg. Hier fand sich auch General von Kressenstein ein. A m 9. November 1923, nachmittags 15 Uhr, traf i n Regensburg die Nachricht ein, daß der Putsch niedergeschlagen sei. Daraufhin fuhren die Minister wieder nach München zurück. Held sollte am 9. November i n Regensburg von dem dortigen Führer der Nationalsozialisten, Harald Löser, verhaftet werden. Noch bevor es dazu kommen konnte, ließ Oberst Etzel Löser und seine Mannschaft festnehmen 81 . 77 Deuerlein, a.a.O., S. 98. 78 Mündliche M i t t e i l u n g des Regierungsdirektors a.D., Dr. Denk, eines Neffen v o n Heinrich Held an den Verfasser. 79 M i t t e i l u n g Dr. Denk. so Dazu siehe Schwend, a.a.O., S. 247 u n d Sitzung des Ministerrats v o m 10.11.1923, G S t A M : M A 99 518. 8i W. Hoegner, Außenseiter, S. 33.
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Noch i m Februar 1924 mußte sich Held i m Landtag gegen die unsinnigsten Gerüchte über sein Verhalten in der Nacht vom 8./9. November 1923 zur Wehr setzen. Es tauchte die Vermutung auf, daß Kahr i n dieser Nacht i m Flugzeug nach Regensburg gereist sei, und daß Held ihn dort umgestimmt habe. Held widersprach diesem Gerücht i m Landtag: „Erstens ist Kahr nicht nach Regensburg geflogen, und zweitens wäre Held gar nicht i n Regensburg zu dieser Zeit gewesen, weil er i n dieser Nacht in München war. Ich habe i n der ganzen Zeit Kahr nicht gesehen und nicht gesprochen 82 ." Richtig ist, daß Held am frühen Morgen des 9. November in Regensburg war. Angeblich soll er auch noch, bevor er dorthin fuhr, von Kardinal Faulhaber einen Brief bekommen haben. Was darin stand, und i n welchem Sinn Faulhaber auf Held einzuwirken versucht hatte, ist nicht festzustellen 83 .
82 Sten. Ber. 1923/24, Bd. 9, S. 129. 83 Die M i t t e i l u n g über diesen angeblichen Brief bekam der Verfasser von Regierungsdirektor Dr. Denk. Der B r i e f selbst ist i m A H R nicht mehr erhalten.
X X V I I . Die Liquidierung des Hitlerputsches — Wahlen i m A p r i l 1924 Die erste Stellungnahme des „Regensburger Anzeigers" bezeichnete den Putsch Hitlers als „Verbrechen am bayerischen und deutschen V o l k " 1 . Noch i n der Nacht des Putsches waren alle erreichbaren M i t glieder der Land- und Reichstagsfraktion der BVP in München zusammengetreten. A u f einer Sitzung der Landtagsfraktion am Nachmittag des 9. November war „die Freude einhellig darüber, daß die gesetzliche Entwicklung und der gute Name Bayerns bewahrt werden konnten" 2 . Die weiteren Kommentare des „Regensburger Anzeigers" unter dem unmittelbaren Eindruck des niedergeschlagenen Putsches lagen i n zwei Richtungen: die eigentliche Schuld trage Ludendorff; Kahr sei zu vertrauensselig gewesen: „Hitler wäre nie zum Revolutionär geworden, wenn er nicht seit Jahr und Tag von General Ludendorff gehegt und gepflegt worden wäre, dann hätte Hitler niemals die bewaffnete Macht hinter sich gehabt, über die er tatsächlich verfügte. Hitler ist eine pathologische Figur 3 ." Das Ludendorff Hitler für seine Zwecke eingespannt und daß er es zugelassen habe, die äußere Führung der nationalen Bewegung einem Manne zu überantworten, „dessen Überspanntheit doch klar zutage lag, daß er sich offen hinter diesen Mann stellte, das ist das politische Vergehen Ludendorffs" 4 . Kahr wurde vor allem der Vertrauensseligkeit geziehen, daß er sich „ m i t einem Ehrenwort Hitlers gegen Hitler sicherte. Darin liegt auch die Schuld derer, die i m Bürgerbräukeller von den Geschehnissen überrascht, in die so kritische Situation gekommen sind. Etwas weniger Vertrauensseligkeit i n die Noblesse derer, die ihre Gegnerschaft doch so laut und deutlich genug bewiesen hatten, hätten dem Herrn von K a h r und dem General von Lossow die peinlichste Stunde ihres Lebens erspart" 5 . Diese Vertrauensseligkeit in die Vaterländische Bewegung hatte Held nie gehabt. Er hatte sich immer von solchen Veranstaltungen ferngehalten. Die A r t der Bekämpfung der Nazis sei „eine falsche" ge1 2 3 4 5
RA, 259, 9.11.1923. Ebd. RA, 261, 13.11.1923. Ebd. Ebd.
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wesen 6 . Das war eine sehr deutliche K r i t i k an Kahr; er hatte seine, i h m von der B V P übertragene Aufgabe der Bändigung und Kontrolle der rechtsaktivistischen Verbände nicht erfüllen können. Man versuchte aber in BVP-Kreisen immer noch zwischen der guten nationalen Bewegung und ihren nationalsozialistischen Auswüchsen zu trennen. Daraus zog man aber für die Zukunft den Schluß: „Daß die nationale Bewegung in Bayern an den Ereignissen der letzten Tage nicht sterbe, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Staatspolitik von heute und morgen 7 ." Für die Weiterführung der bayerischen Politik ergaben sich für Held aus dem gescheiterten Putsch mehrere Aufgaben: Hätte sich der Putsch über seine Anfänge hinaus entwickeln können, dann wäre Bayern „als gestaltender Faktor" 8 in der deutschen Politik auf lange Zeit, vielleicht für immer ausgeschaltet worden. Die i n diesem Fall unvermeidbare Reichsexekution hätte sich sicherlich zu einer „Exekution der sieghaften Reichszentralgewalt gegen die Existenz der bayerischen Staatlichkeit überhaupt ausgewachsen" 9 . Held war sicher, daß man sich i n Berlin diese Gelegenheit hätte „nicht entgehen lassen" 10 . Zunächst aber hatte Kahr durch seine immer noch umstrittene Haltung in der Nacht vom 8. November 1923 das Unheil von Bayern noch einmal abgewendet. Die Erschütterung, die die nazistische Revolte hervorgerufen hatte, der Stoß, den das Ansehen Bayerns dadurch erlitten hatte, empfand Held so stark, daß er es am 15. November 1923 für verfrüht hielt, zu sagen, „Bayern wäre gerettet" 1 1 . Es war zunächst nur aus dem Wasser gezogen. Daß es gerettet werde, und daß die bayerische Politik wieder festen Boden gewänne, auf dem fußend sie ihre bayerische und deutsche Aufgabe erfüllen könnte, war die Aufgabe, die es für ihn nun i n Bayern zu lösen galt. Was Held immer befürchtet hatte, hatte sich am 8. November bewahrheitet, daß nämlich das gesamte Organisationsgefüge der Vaterländischen Bewegung i n Bayern dem Staate „keine w i r k l i c h zuverlässige Stütze bietet" 1 2 . Daraus ergab sich für Held die Konsequenz, daß das Verhältnis von Staatsgewalt und Staatsautorität zu der Organisation der Vaterländischen Bewegung grundsätzlich ein anderes werden mußte. I n seiner Ministerpräsidentschaft hat er dies auch durchgeführt. Es konnte nur einer Herr i m Staate sein und das war ab J u l i 1924 i n Bayern von staatlicher Seite aus allein Held. Was sich am 8. November vor allem gezeigt hatte, das war die K l u f t zwi6 RA, 261, 13. 11.1923. 7 Ebd. 8 RA, 263, 15.11.1923. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 RA, 263, 15.11.1923.
1. Die weitere H a l t u n g der B V P zu K a h r
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sehen geschriebenen Verfassungsrechten und verfassungspolitischer Wirklichkeit. Diese Dissonanz wollte Held durch „einen Schritt nach vorwärts" 1 3 beseitigen. Damit verwies er auf den legalen Weg einer Verfassungsänderung, wie ihn die B V P i n der Staatspräsidentenfrage und i n dem erleichterten Volksbegehren Ende 1923/Anfang 1924 auch beschritt: „das unbedingte Bestehen auf Legalität i n der Fortbildung unseres Verfassungslebens 14 ." Ebenso, wie es der „wahrhaft demokratischen Grundstimmung der B V P " 1 5 entsprang, daß sie unter keinen Umständen den Volksvertretungsgedanken preisgeben wollte, mußte der Partei das von ihr hochgehaltene legitime Prinzip verbieten, die Hand zu einer revolutionären Lösung der Verfassungsfrage zu bieten. I n der Führung einer „Ordnungszellenpolitik" von Bayern aus war die Regierung weit zurückgeworfen worden. 1. Die weitere Haltung der BVP zu Kahr I n der Kabinettssitzung vom 10. November 1923 hielten es die M i nister der B V P für unmöglich, daß Kahr weiter i n seinem A m t bleibe 16 . Der Hitlerputsch führte auch i n der B V P zu einem Reinigungs- und Scheidungsprozeß nach rechts hin. Man hatte plötzlich i n eine Tiefe geschaut, i n die Bayern an diesem Tage fast gestürzt wäre. Damit war die Politik Kahrs, die er seit März 1920 als Ministerpräsident und dann ab September 1923 als Generalstaatskommissar geführt hatte, endgültig gescheitert. Durch die Haltung der B V P blieb das inzwischen auch angeschlagene Kabinett K n i l l i n g i m Amt. Das Kabinett verlangte aber mit Ausnahme Justizministers Gürtner den Rücktritt Kahrs. Zu der Kabinettsitzung am 12. November 1923 war auch Held hinzugezogen worden. K n i l l i n g verlangte seinerseits den Rücktritt der Minister Schweyer und Wutzlhofer. Der Rücktritt Schweyers sei für ihn eine „Kardinalfrage" 1 7 . Das Verlangen Knillings scheiterte jedoch an der Haltung Heids. Er bat, die ganze Angelegenheit „doch rein nüchtern zu behandeln und alle persönlichen Empfindungen zurückzustellen. Gewiß seien die Dinge am Donnerstag sehr übler A r t gewesen, auch das Verhalten des Herrn Generalstaatskommissars" 18 . Für Held hieß die Frage jetzt: „Wie werden w i r des Hitlerputsches endgültig Herr werden, wie für die Zukunft solche Dinge vermeiden 19 ?" Es gebe i m 13 14 is 16 π is 19
Ebd. Ebd. Ebd. Deuerlein, Hitlerputsch, S. 100. G S t A M : M A 99 518, Nr. 45, 1923. a.a.O., S. 11. a.a.O., S. 12.
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X X V I I . Die Liquidierung des Hitlerputsches
Augenblick nur eines, nach außen wenigstens den Eindruck zu erhalten, daß der Generalstaatskommissar als Beauftragter der Regierung handle und daß Regierung und Generalstaatskommissar unter sich einig seien. Aber auch der innere Zusammenhang des Ministeriums müsse gewahrt werden. Ein Ausscheiden Schweyers wäre eine Konzession an jene Leute, die die Hitlerbewegung groß gemacht haben. Held verteidigte die Haltung Schweyers gegenüber Hitler. Heute sei der Beweis erbracht, daß diese Haltung richtig gewesen sei. Würde Schweyer geopfert, „so würde das für seine Partei eine vollständige Abkehr von der bisherigen Linie bedeuten" 20 . Damit widersprach Held ausdrücklich dem Verlangen Knillings und setzte sich i h m gegenüber auch schließlich durch. Noch i n einem Schreiben vom 22. November 1923 verlangte K n i l l i n g den Rücktritt von Innenminister Schweyer 21 . I n Kreisen, auf „deren Gefolgschaft jede bayerische Regierung angewiesen ist" 2 2 , bestehe eine weitgehende Voreingenommenheit gegen Schweyer. K n i l l i n g drohte gegenüber Held mit dem Rücktritt, falls Schweyer i m A m t bliebe. Schweyer verschanzte sich hinter der BVP und wurde von Held gehalten. Dies zeigte erneut den starken Einfluß Heids 23 . Man beschloß, eine Delegation von Abgeordneten — von der BVP Schäffer und der Mittelpartei Hilpert — zu Kahr zu senden, um ihn zu stärkerer Zusammenarbeit mit der Regierung K n i l l i n g zu mahnen. Held wollte selbst nicht zu Kahr gehen, weil er glaubte, daß Kahr noch heute der Meinung sei, er habe i h n 1921 gestürzt 24 . Schweyer forderte die Delegation auf, von Kahr eine Erklärung darüber zu verlangen, was seine letzten Ziele seien. Man habe von Kahr auch immer wieder eine scharfe Stellungnahme gegen Hitler erwartet, statt dessen sei stets eine solche gegen links erfolgt. Man verlange von Kahr eine Loyalitätserklärung zur Verfassung und zur Mitarbeit mit den Ministern. Die Absicht des Ministeriums war klar; man wollte Kahr loswerden. Kahrs Zeit war vorbei; er trat immer mehr i n den Hintergrund. Auch Held hatte sich von K a h r losgesagt 25 . Das Ministerium K n i l l i n g wurde so Ebd. 21 G S t A M : M A 99 518, Nr. 45, 1923. 22 Ebd. 23 Wie sehr Held als führender M a n n der bayerischen P o l i t i k anerkannt wurde, zeigt eine Stelle aus einem Brief von M d L . Boehm v o m 3.2.1923 an Held: „ I c h w o l l t e Ihnen als führenden M a n n i n unserem bayerischen politischen und Wirtschaftsleben dies unverzüglich anvertrauen." A H R . Josef Eisele am 22. 2.1921 an Held: „ D u weißt gar nicht, w i e schwer D u hier zu entbehren bist. D u bist einfach unentbehrlich." AHR. 24 G S t A M : M A 99 518, Nr. 45/1923. 25 A m 20.1.1924 schrieb i h m ein Kollege — Name unleserlich — „Wie ich aus Deiner letzten Rede ziemlich deutlich entnommen habe, scheinst D u auf dem Standpunkt zu stehen, daß es auch ohne K a h r geht. Was ich v o n v o r n -
1. Die weitere H a l t u n g der B V P zu K a h r
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wieder stärker handlungsfähig, es versuchte eine stärkere Richtungsänderung der bayerischen politischen Verhältnisse durchzusetzen und das Verhältnis zum Reich wieder neu zu regeln, das immer noch durch den Fall Lossow belastet war. A m 16. Februar führte Kultusminister Matt Verhandlungen in Berlin zur Beilegung der Krise. Einen Tag darauf erklärten Kahr und Lossow ihren Rücktritt 2 6 . Damit begann der Übergang vom „Kahr-Bayern" zum „Held-Bayern". Es war nun die Aufgabe Heids, all die schlimmen Folgen des Hitlerputsches für Bayern zu liquidieren. „ W i r verlangen, daß der Hitlerputsch m i t all seinen Konsequenzen voll liquidiert und dem gerichtlichen Verfahren freier Lauf gelassen w i r d " , forderte Held am 6. Dezember 1923 i m Finanzausschuß des Bayerischen Landtags 27 , und am 17. Januar 1924 stellte er i m Verfassungsausschuß, nach einem scharfen Angriff gegen den Deutschnationalen Dr. Roth, der die Aufhebung der Schutzhaft über die Putschisten verlangt hatte, fest, daß es nicht geleugnet werden könne, „daß aus der Ordnungszelle Bayern eine Unordnungszelle ersten Ranges geworden sei" 2 8 . Die Schuld trügen jene, die Neben- und Gegenregierung spielen wollten. U m was es jetzt gehe, sei eine Läuterung, um die psychologischen Voraussetzungen für eine wirkliche, von keinen inneren parteipolitischen Kämpfen verzerrte bayerische Politik zu schaffen. Der „Regensburger Anzeiger" kommentierte die Rede Heids als „einen Auftakt zur Abrechnung mit den Kräften, die eine zeitlang die wahren und echten politischen Kräfte in Bayern verschütteten und lähmten". Heids Zeitung sprach am 29. Dezember 1923 das aus, was er selbst dann als Hauptaufgabe seiner Politik als Ministerpräsident sah: „die Konzentrierung aller politischen Energien in Bayern" und den „rücksichtslosen Willen zur Abkehr von bisher gemachten Fehlern . . . eine totale Reinigung der Atmosphäre i n Bayern muß vorgenommen werden" 2 9 . Vor dem Landesausschuß der B V P am 1. März 1924 lenkte Held auch die Partei auf seinen Kurs ein: Dilettanten in der Politik hätten Bayern an den Rand des Verderbens gebracht. „ W i r könnten heute i n Bayern i n der Konsolidierung der politischen Verhältnisse i m guten konservativen Sinne viel weiter sein, wenn diese unverantwortlichen Elemente, die den Mund für Bayern so voll genommen haben, den bayerischen Kredit in Deutschland und der Welt nicht so unendlich geschädigt herein befürchtete, ist eingetreten. Der M a n n hat glänzend versagt u n d w i r d f ü r uns allmählich zu einer Belastung, die w i r nicht mehr tragen können. AHR. 26 Deuerlein, a.a.O., S. 110 f. 27 BStZ, 6.12.1923. 28 M N N , 17, 18.1. 1924. 29 RA, 299, 29.12.1923.
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hätten 3 0 ." Als Ministerpräsident ist es ihm durch seine kluge Politik gelungen, diesen Kredit Bayerns i n Deutschland wiederherzustellen. Er hatte nach dem Hitlerputsch ein Erbe Bayerns anzutreten, das einer starken und zielbewußten Hand bedurfte. 2. Die Wahlen im April 1924 Die Wahlen zum bayerischen Landtag am 6. A p r i l 1924 waren m i t der Abstimmung über den Volksentscheid zu den Verfassungsreformplänen der B V P verbunden. Die BVP führte ihren Wahlkampf m i t Parolen zur Rückgewinnung der bundesstaatlichen Rechte Bayerns und zum Kampf gegen den Reaktionismus und landfremde Elemente, die „den wahnsinnigen, verderblichen, revolutionären Putsch i n Münchens Bürgerbräukeller durchgeführt haben" 3 1 . Dadurch war Bayern i m In- und Ausland der Lächerlichkeit verfallen. Deshalb erhob die B V P erneut den Ruf: „Bayern den Bayern 3 2 !" Die heimattreuen Bayern sollten sich endlich aufraffen gegen die ewige Führung von außen, sollten durch „eine kraftvolle, einheitliche Politik der goldenen Mitte und der gesunden Vernunft die überspannten, landfremden links- und rechtsradikalen Elemente abschütteln" 33 . Die Neuwahlen müßten eine starke, einheitliche bayerische Regierungsgewalt bringen. Der Wahlkampf zeigte starke politische Verwilderungserscheinungen. Völkische Kreise störten eine Versammlung Heids in Regensburg, sie hatten „brutale Beleidigungen und Beschimpfungen" 34 gegen ihn vorgebracht, die Versammlung gesprengt und mit Parolen gegen die katholische Kirche gehetzt, „aus denen ein wirklicher infernalischer Haß gegen Kirche und Priester leuchtete" 35 . Held war besondere Zielscheibe der völkischen Wahlpropaganda. I n der Wahl erhielt die BVP i m rechtsrheinischen Bayern 919 857 Stimmen, das bedeutete 46 Sitze i n dem von 158 auf 126 verminderten Landtag. Der völkische Block war mit 491 826 Stimmen und 23 Sitzen i n den Landtag eingezogen 36 . Der „Regensburger Anzeiger" war mit der Wahl „durchaus zufrieden" 3 7 . Das Wahlergebnis erschien ihm aber 30 31 32 33 34 35 36 37
RA, 53, 3. 3.1924. RA, 64, 15. 3.1923. Ebd. Ebd. RA, 81, 5. 4.1924. Ebd. Schultheß, Bd. 65, 1924, S. 28. RA, 84, 9. 4.1924.
3. Kombinationen u m eine K o a l i t i o n
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insofern außerordentlich bedenklich, als jene Parteien eine Mehrheit bekommen hatten, die sich schon bisher als Unitaristen, also Gegner eines eigenstaatlichen Lebens Bayerns erwiesen hatten: die Sozialdemokraten, die Kommunisten und jetzt die Völkischen, die vor allem in München durch den Hitlerprozeß, der sich als reines Agitationsforum für sie gestaltet hatte, Zulauf bekommen hatten. Die B V P mußte nun nach zwei Seiten kämpfen: bisher war die Situation im Landtag ausschließlich vom Gegensatz zwischen B V P und Sozialdemokratie bestimmt; nun fand die BVP i m Völkischen Block, der ein Fünftel der Wählerstimmen errungen hatte, einen Gegner auf der Rechten vor, mit dem sie zwar die Abneigung gegen den Sozialismus teilte, der aber für die von der BVP angestrebte konservative bayerische Politik nicht brauchbar war. Der bayerische Liberalismus hatte ebenso wie die Sozialdemokratie beträchtliche Einbußen an Wählerstimmen hinnehmen müssen. Von der B V P als der stärksten Partei i m Landtag erwartete man die Initiative zur Regierungsbildung. Doch sie zierte sich: „Die Front, die i m Wahlkampf zusammenstand und sich in der Verurteilung der Staatspolitik der B V P zusammenfand, soll nun beweisen können, daß nicht bloß K r i t i k , sondern auch schaffende Arbeit sie eint 3 8 ." Bei der Zusammensetzung des Landtags konnte die BVP, wenn sie die Regierung übernahm, nur schwer eine bayerische Politik treiben. Eine Politik zur Rückgewinnung der bayerischen Finanz- und Verkehrshoheit von Berlin konnte mit den unitaristischen Völkischen kaum mit Erfolg getrieben werden. Außerdem war der Volksentscheid, den die B V P angestrebt hatte, nicht zuletzt am Widerstand der Parteivölkischen gescheitert. I n allen ihren positiven Zielen sah sich die Partei von starken gegnerischen Kräften umgeben 39 . Wer wollte hier schon Ministerpräsident werden?
3. Kombinationen u m eine Koalition
Die BVP ließ sich Zeit. I n der bayerischen Presse wurden alle möglichen Überlegungen über die neue Koalitionsregierung angestellt. Daß von der BVP die Initiative dazu ausgehen sollte, erwartete man allgemein. Der „Regensburger Anzeiger" spielte am 26. A p r i l 1924 mehrere Möglichkeiten einer Koalition durch. Theoretisch denkbar sei eine Mehrheitsbildung der BVP mit dem Bauernbund und den Sozialisten. Der Gedanke einer Koalition mit den Sozialisten wurde sofort verwor-
38 RA, 91, 17. 4.1924. 39 „Die arbeitsunfähigen K r i t i k e r haben n u n die Mehrheit i m Landtag" (RA, 94, 23. 4. 1924). 33
Keßler
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X X V I I . Die Liquidierung des Hitlerputsches
fen, sie war „politisch ein Ding der Unmöglichkeit" 4 0 . Die B V P hätte damit ihre ganze bisherige Politik und ihre bayerisch-staatspolitische Tradition verlassen. Auch eine Mehrheitsbildung der BVP, der Deutschnationalen und des „Völkischen Blocks" war „nur rein theoretisch" 41 . Die B V P hatte Grundsätze, auf die sie nicht verzichten konnte: sie stand auf dem Boden der christlichen Weltanschauung, die Völkischen betrieben aber den Kampf gegen den Katholizismus. Von ihnen mußte man auch Widerstand gegen das bald zu verabschiedende Konkordat erwarten. Kulturpolitisch war also an eine Koalition mit den Völkischen nicht zu denken. Auch für die foederalistische deutsche Staatsidee, wie sie die BVP pflegte, waren die Völkischen als Bundesgenossen nicht denkbar. Die Möglichkeit einer Koalition der BVP sowohl mit den Sozialisten wie den Völkischen war also ausgeschlossen42. Held deutete i m „Regensburger Anzeiger" an, daß nach so zersplitterter Willensmeinung des Volkes, wie es sich i n den bayerischen Landtags wählen darstellte, jede Partei, die den Versuch einer Regierungsbildung übernehmen wollte, zu Kompromissen i n ihrem Programm bereit sein müßte. „Aber einen Punkt gibt es, wo für eine Partei, die mit dem Sein eines bayerischen Staates steht und fällt, kein Kompromiß möglich ist, nämlich dann, wenn es sich um die Gefährdung der Existenz dieses Staatswesens handelt 4 3 ." Held konnte sich nur dann eine Koalition unter Beteiligung der B V P vorstellen, wenn sämtliche Mitglieder einer solchen Koalition auf ein klares eindeutiges bayerisches Staatsprogramm verpflichtet wurden, „das die Wiederherstellung eines geachteten bayerischen Staatswesens und die Zurückgewinnung jener Machtmittel, die ein Staat zu seiner Existenz braucht, als praktisches Ziel i m Auge hat" 4 4 . Auch die Verlegenheitslösung einer „Beamtenregierung" war nach Ablehnung des Volksentscheids kaum möglich. Schon am 26. A p r i l 1924 hatte der „Regensburger Anzeiger" eine solche Lösung abgelehnt 45 . Das war schon für die künftige Entwicklung der bayerischen Politik 40 RA, 97, 26. 4. 1924. 41 RA, 98, 28. 4.1924. 42 „Denn d a r i n ist die Sozialdemokratie der Hitlerpartei gleichzusetzen, daß beide Zerstörer der Grundlagen f ü r eine bayerische Staatspolitik m i t dem Ziele der Wiederaufrichtung eines achtungsgebietenden bayerischen Bundesstaates i n einem v o n dem zentralistischen Geiste der Weimarer Verfassung befreiten Deutschen Reiches ist" (RA, 103, 3.5.1924). „Die Sozialdemokraten wollen doch schließlich m i t ihrer P o l i t i k nichts anderes als letzten Endes die L i q u i d i e r u n g des bayerischen Staatswesens überhaupt anzubahnen" (RA, 121, 24. 5.1924). 43 RA, 117, 20. 5. 1924. 44 Ebd. 5 R A , 7, 26. 194.
3. Kombinationen u m eine K o a l i t i o n
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eine sehr positive Entscheidung der BVP. A n den Beamtenregierungen von Kahr bis K n i l l i n g lag manche Schuld am Lauf der Dinge i n Bayern. So „bleibt nur eine Möglichkeit", schrieb der „Regensburger Anzeiger", „daß doch wiederum trotz aller parteipolitischen Bedenken die BVP den Versuch für sich allein unternimmt, das bayerische Staatsschiff aus dem Chaos, das sonst kommen müßte, hinauszusteuern" 46 . Damit hatte die B V P endlich drei Wochen nach der Wahl ihre Bereitschaft angezeigt, eine Regierungsbildung zu versuchen. Bis diese endlich zustandekam, sollten noch über 2 Monate vergehen. „Es w i r d eine starke rücksichtslose und mutige Hand dazu gehören, die Liquidationspolitik des Novemberputsches und des Hitlerprozesses zu einem gedeihlichen Ziele, d. h. zur Wiederherstellung der Handlungsfreiheit der bayerischen Politik durchzuführen 47 ." Diese starke Person mußte erst noch gefunden werden. A m 5. Mai 1924 trat das Kabinett K n i l l i n g offiziell zurück. A m 17. Mai tagte die Landesvorstandschaft der BVP i n München. K n i l l i n g mußte, wie der „Regensburger Anzeiger" schrieb, „seine Politik gegenüber einer Reihe von Angriffen" 4 8 aus den Reihen seiner eigenen Partei verteidigen. Die Diskussion wurde durch „eingehende Darlegungen Heids abgeschlossen"49. Die Person Knillings war also für die BVP nicht mehr tragbar, sie war zu sehr mit der m i t seinem Namen behafteten Vergangenheit belastet, die die BVP jetzt liquidieren wollte. Ein bald folgender A r tikel des „Regensburger Anzeigers" m i t dem Titel „Was uns not tut!" war eine glatte Abfuhr für K n i l l i n g 5 0 . I n Bayern hatte es bisher an einem wirklich führenden bayerischen Staatsmann gefehlt, der die K r a f t und die Intuition besessen hätte, das besondere Schicksal, dem Bayern seit dem Zusammenbruch von 1918 ausgesetzt war, zu meistern. Das war die Feststellung einer gewissen Tragik: man hätte bisher immer Männer bestellt, die notgedrungen und ohne sich vorzudrängen, die Regierung führen mußten, „ w e i l man es ihnen zur Pflicht machte" 5 1 . Diese Männer übernahmen ein A m t m i t der „sicheren Voraussicht, eines Tages enttäuschen zu müssen" 52 , so daß ein Wechsel der Person notwendig wurde, um die notwendige Vertrauensgrundlage für eine
46 47 48 49 so si 52
33
R A , 98, 28. 4. 1924. RA, 103, 3. 5.1924. RA, 116, 14. 5.1924. Ebd. RA, 117, 20. 5.1924. Ebd. Ebd.
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X X V I I . Die Liquidierung des Hitlerputsches
Regierung überhaupt neu zu schaffen. Das war die wirkliche bayerische Verfassungsnot, an der die B V P nicht ganz unschuldig war. Die Regierungsbildung war Ende Mai, also zwei Monate nach den Wahlen noch völlig offen. A m 31. Mai 1924 tagte i n München der Landesausschuß der Partei. Held entwickelte die Grundlinien für eine zukünftige bayerische Politik. Hier stellte er schon fest, daß sich die BVP dem Auftrag der Regierungsbildung nicht mehr entziehen könne. Bayern müsse unbedingt zu einer Konsolidierung der politischen Verhältnisse kommen. Die Errichtung eines Staates i m Staate müsse verhindert werden. Daraus ergäben sich Folgerungen: „ I n Bayern muß unter allen Umständen ein Rechtskurs eingehalten werden, ein Rechtskurs bayerischer, konservativer, nationaler Politik, der entfernt ist von jedem revolutionären Radikalismus 5 3 ." Das bedeutete i m eigentlichen keinen besonderen Richtungswechsel der bayerischen Politik. Man sollte nach Meinung Heids nur auf ihre alte Grundrichtung einer Politik der M i t t e zurückkehren, die durch alle möglichen unkontrollierbaren Einflüsse verzerrt worden war. Held betonte erneut den unvereinbaren Widerspruch zwischen B V P und MSPD. Zum „Völkischen Block" hin erteilte er eine klare Absage. Damit lief die Regierungsbildung praktisch auf die alte Koalition mit den Deutschnationalen hinaus.
53 RA, 127, 2./3. 6. 1924.
XXVIII. Held als Ministerpräsident A m 3. Juni 1924 konstituierte sich der Landtag. A m gleichen Tag begannen die Fraktionsverhandlungen mit den Deutschnationalen und dem Bauernbund. Von den Deutschnationalen war eine Einladung an den „Völkischen Block" zu den Verhandlungen ergangen. Die BVP lehnte es ab, „eine diesbezügliche Einladung an den ,Völkischen Block' ergehen zu lassen" 1 . A m 4. Juni schrieb Held einen Brief an den Deutschnationalen Dr. Hilpert, in dem er es „nach reiflicher Überlegung" 2 für unmöglich erklärte, „daß die Fraktion der B V P an die Fraktion des ,Völkischen Blocks' die Einladung zu einer Aussprache über die Frage der Koalitions- und Regierungsbildung erläßt" 3 . Der deutschnationale Vermittlungsversuch war also gescheitert. Die „Augsburger Postzeitung" war den Verhandlungen über die M i t w i r k u n g der Völkischen an der Regierung scharf entgegengetreten: „Soll in Bayern noch einmal der Versuch einer Politik des laissez faire den rechtsrevolutionären Elementen gegenüber gemacht werden 4 ?" Es kam zwar noch zu einer Besprechung mit den Völkischen am 6. Juni, die aber ergebnislos verlief. A m 26. Juni 1924 erzielte man eine vorläufige Einigung über die Richtlinien für eine Koalitionsregierung zwischen BVP, Deutschnationalen und Bauernbund; doch war noch immer nicht der Mann gefunden, der die Regierung leiten sollte. Man hatte von der B V P aus trotz bereits erfolgter Absage an eine Beamtenregierung noch einmal versucht, außerhalb des Parlaments stehende Persönlichkeiten für diesen Posten zu gewinnen 5 . Nachdem diese Versuche gescheitert waren, erklärte sich Held am 24. Juni 1924 nach langem Zögern bereit, die Regierungsbildung zu versuchen. Die BVP-Fraktion hatte Held i n einem einstimmigen Beschluß gebeten, sich dazu bereitzuerklären. Damit hatte die BVP alle Mittel ausgeschöpft, den auf die Dauer unerträglichen Interimszustand i n Bayern zu beenden6. ι RA, 131, 6. 6.1924. 2 RA, 135, 12. 6.1924. 3 Ebd. 4 Zit. nach BStZ, 134, 10. 6.1924. s Graf Oberndorf u n d der Regierungspräsident der Oberpfalz, von W i n t e r stein waren i m Gespräch gewesen (BStZ, 144, 24. 6.1924). 6 RA, 144, 24. 6.1924.
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X V I I I . Held als Ministerpräsident
Held war der Entschluß zur Kandidatur nicht leicht gefallen. I n seiner Regierungserklärung vom 2. J u l i 1924 brachte er das zum Ausdruck: „Wäre es nach meinem eigenen Wunsch gegangen, so würde ein anderer an meiner Stelle heute das neue Kabinett vorzustellen und das Regierungsprogramm darzulegen haben. Es war der schwerste, es war der härteste Entschluß meines Lebens, als ich, u m der schon über Gebühr lang andauernden Regierungskrise ein Ende zu bereiten, dem Drängen meiner Freunde nachgab und mich als Kandidaten für den Ministerpräsidentenposten i n Bayern präsentieren l i e ß . . . Wenn ich trotz alledem mich entschlossen habe, die Wahl zum Ministerpräsidenten anzunehmen, so tat ich es infolge eines Grundsatzes, der immer mein Leitstern in meinem ganzen öffentlichen und privaten Leben gewesen und geblieben ist: Da wo die Pflicht ruft, darf kein Opfer zu groß sein 7 ." Die Kandidatur Heids wurde von der überwiegenden Mehrheit der bayerischen Presse begrüßt. Man sah die Vorzüge Heids i n mehreren Richtungen. Die „Münchner-Augsburger Abendzeitung", eine Zeitung der deutschnationalen Mittelpartei, sah i n Held eine „Persönlichkeit von großem diplomatischen Instinkt, einem feinen Gefühl für das politische Wetter und einem meist i n recht verbindlichen Formen sich äußernden, sehr bestimmten politischen Willen" 8 . Die „Münchner Zeitung" nannte die Nominierung Heids „eine große Überraschung, die keinen unangenehmen Charakter" 9 habe und bemerkte, „daß Herr Held sich sogar auf einen sehr freundlichen Empfang i n weiten Kreisen Bayerns gefaßt machen kann" 1 0 . Das bauernbündlerische Organ „Neue Freie Volkszeitung" stellte fest, Held sei „ w i e kein anderer geeignet, die Dinge zu meistern" 1 1 . Die „Augsburger Postzeitung" bezeichnete die Kandidatur Heids als „überraschende, aber glückliche Lösung der Regierungskrise" 12 . Held sei einer der treuesten Anhänger des deutschen Reichsgedankens, er habe sich immer zu dem Grundsatz bekannt: ein starkes Bayern i m starken Reich; „was w i r aber am meisten schätzen, das ist seine Charakterstärke und Grundsatztreue" 13 . Nur der Pressedienst des „Völkischen Blocks" sah i n Held „die reorganisierte Reaktion als Regierungsprinzip" 1 4 und fügte hinzu: „Die völkische Bewegung w i r d gut tun, sich auf einen harten Kampf gefaßt zu machen. 7 Sten. Ber. 1924/25, Bd. l f S. 16. s Zit. nach BStZ, 145, 25. 6.1924. 9 Ebd. 10 Ebd. h V o m 23. 6.1924. 12 „Augsburger Post" v. 25. 6.1924. 13 Ebd. 14 Zit. nach RA, 147, 27. 6.1924.
X V I I I . H e l d als Ministerpräsident
Wenn schon der beste Mann, über den unsere Gegner verfügen, selbst i n eigener Person an die Front t r i t t , so ist das ein untrügliches Zeichen, daß der gewaltige politische Kampf, i n dem w i r stehen, i n sein entscheidendes Stadium t r i t t 1 5 . " Der entscheidende Fortschritt bei der Kandidatur Heids für die innerbayerische Politik lag aber noch i n einer anderen Richtung: Endlich hatte die parlamentarisch stärkste K r a f t auch die Regierungsverantwortung übernommen. So konnte zwischen Regierung und Fraktion eine Grundsatzgemeinschaft Zustandekommen. Der Entschluß Heids bedeutete die Verwirklichung des ersten Grundsatzes des parlamentaristischen Systems, daß die stärkste Partei auch die Regierungsverantwortung zu tragen hat 1 6 . Held, auf dessen Geheiß so manche Person den gefährlichen Gang über den schmalen Grat angetreten hatte, sollte nun selber seine Sicherheit beweisen. Es konnten dadurch Gefahrenkomplexe ausgeschaltet werden, von denen bisher jede bayerische Regierung seit Kahr nicht zum Nutzen der gesamten Staatsleitung bedroht gewesen war. Held war der anerkannte Führer seiner Partei; er hatte die Macht, seine Parteifreunde zu geschlossenem Vorgehen zu zwingen und damit dem Regierungskurs die Ruhe und Stetigkeit, die Geschlossenheit zu geben, deren die seitherigen von der B V P gestellten Ministerpräsidenten ermangelten. Jetzt mußte auch die Partei die Politik des Ministerpräsidenten decken und konnte nicht, wie es bisher so oft geschehen war, nur den Minister auswechseln, die eigene Politik aber fortsetzen. Kahr, Lerchenfeld und K n i l l i n g waren nach außenhin Kräfte an einem Wagen, sozusagen Vorspann eines unsichtbaren Gefährts, dessen Zügel i m Verborgenen von den führenden Parlamentariern i n der Hand gehalten wurden. Die bereits zur Tradition gewordene Methode, Beamte zum Ministerpräsidenten zu machen, ihnen nach außen die Verantwortung tragen und sie zur Zielscheibe der K r i t i k is Ebd. 16 Wie sehr das System des Beamtenanwärters i n den Auffassungen der B V P v o m Parlamentarismus verankert war, zeigt eine Kontroverse zwischen „Regensburger Anzeiger" u n d „Münchner Neueste Nachrichten" anläßlich des Regierungswechsels Lerchenfeld/Knüling. Die M N N , 444, 2.11.1922, hatte kritisiert, daß die B V P ihre maßgeblichen Führer nicht i n die Regierung schicke, während der jeweilige Beamtenministerpräsident die Rolle eines Prügelknaben ihrer P o l i t i k übernehmen müsse. Darauf antwortete der „Regensburger Anzeiger", 517, 9.11.1922, sehr bezeichnend: „Das parlamentarische System i n seiner R e i n k u l t u r setzt, w e n n es reibungslos zur A u s w i r k u n g kommen soll, Regierungsparteien voraus, die den ausgesprochenen Machtw i l l e n zur reinen Parteiherrschaft haben. Dies ist bei der regierenden Partei i n Bayern, der BVP, nicht der Fall. I h r e r ganzen H e r k u n f t nach lehnt sie innerlich den Parlamentarismus a b . . . Die B V P hat immer danach getrachtet, an der Spitze der Staatsverwaltung einen M a n n aus der Verwaltungspraxis zu stellen... Hängt doch d a m i t auch die strenge I n t a k t h a l t u n g unseres ganzen Staatsbeamtenapparates zusammen."
520
X V I I I . Held als Ministerpräsident
werden zu lassen, um sie schließlich, wenn es der Partei nützlich erschien, als Sündenbock i n die Wüste zu schicken, wurde durch die M i nisterpräsidentschaft Heids zum Besseren verändert. Das sollte sich als Beruhigung der unsicheren politischen Verhältnisse i n Bayern in der Folgezeit auswirken. Das Strohmännersystem war beseitigt. Held hatte sich nicht nach dem A m t gedrängt, es ist i h m von seiner Partei aufgenötigt worden. Bereits 1921 verwies er zur Abwehr der rechtsaktionistischen Hetze nach dem Sturz Kahrs darauf, daß er in Bayern schon öfters seit der Revolution hätte Minister werden können: „Ich habe es aber immer a b g e l e h n t . . . , ich hätte es werden können zuletzt unter der königlichen Zeit, ich habe mich damals nur . . . unter dem äußersten Zwange bereitfinden lassen, nicht nein zu sagen, . . . , seit dieser Zeit habe ich jede Aufforderung, die an mich gekommen ist in der Richtung a limine, und zwar grundsätzlich abgelehnt 17 ." Die Erstellung eines Koalitionsprogramms und die Bildung eines Kabinetts bereiteten noch einige Schwierigkeiten, bis Held am 2. J u l i 1924 zum Ministerpräsidenten gewählt werden konnte. Die wichtigste Personenfrage im neuen Kabinett waren die Besetzung des Innenministeriums und des Justizministeriums. Beide Probleme korrespondierten. Die Deutschnationalen verlangten die Ablösung Schweyers, während starke Kräfte der B V P Gürtner nicht mehr i m Justizministerium sehen wollten. U m sein Koalitionsprogramm zu retten, gab Held den Forderungen der Deutschnationalen nach. A m 25. Juni 1924 brachte der „Regensburger Anzeiger" die Meldung, daß Schweyer „ w o h l nicht mehr in sein A m t zurückkehren dürfte" 1 8 . Schweyer erfuhr dies erst aus der Zeitung und beschwerte sich darüber bei Held 1 9 : Diese Behandlung könne an Rücksichtslosigkeit nicht überboten werden. Der „Bayerische K u r i e r " sprach dagegen seine Bedenken darüber aus, daß die B V P anscheinend sich damit abfinde, daß Justizminister Gürtner, der schwer belastet sei, auch i m neuen Kabinett sein Ressort behalten solle, während Minister Schweyer, dessen „sittliche und geistige Eigenschaften und dessen Grundsatztreue über allem Zweifel stehen, gerade wegen seiner Stellung zu den Völkischen preisgegeben w i r d " 2 0 . Das sei ein Zurückweichen vor den Deutschnationalen. Noch am 26. Juni 1924 gab der „Regensburger Anzeiger" den Deutschnationalen den Rat, für den Posten des Justizministers eine unumstrittene Persönlichkeit vorzuschlagen 21 . Die Deutschnationalen erklärten daraufhin, daß sie, so17 18 19 20 21
Sten. Ber 1921, Beil. Bd. 6, Beil. 1800, S. 86. RA, 145, 25. 6.1924. Brief v o m 25. 6.1924. A H R . B K , 174, 26. 4.1924. RA, 146, 26. 6.1924.
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lange die Quertreibereien aus dem Lager der B V P gegen Gürtner nicht beseitigt würden, nicht in der Lage seien, „sich an der geplanten Koalition zu beteiligen" 2 2 . Held mußte nachgeben, die parteioffiziöse BVC stellte den A r t i k e l des „Bayerischen Kuriers" als „reine Redaktionsarbeit" des Kuriers" hin 2 3 . Die Krise wurde endgültig beigelegt durch eine Erklärung der BVP an die Deutschnationalen, daß sie dem beanstandeten A r t i k e l „vollständig fern" stehe 24 . Damit hatte zwar Held nachgegeben, seine Wahl auf der Grundlage des inzwischen ausgehandelten Koalitionsprogramms war aber gesichert. Nach seiner ganzen Veranlagung, „die zu halben Kompromissen neigte", wie sein Vorgänger K n i l l i n g feststellte 25 , vermied Held eine Kraftprobe mit den Deutschnationalen. Ein anderer Koalitionspartner kam für die neue Regierung Held aus den bereits genannten Gründen nicht in Frage. Die „Münchner Post" sprach von einer „Kapitulation der B V P " 2 6 vor den Deutschnationalen. Der Konstruktionsmangel der ersten Regierung Heids lag an der Rolle der Deutschnationalen, die zwar zahlenmäßig sehr unbedeutend waren, die aber für die Bildung einer Koalitionsmehrheit das Zünglein an der Waage darstellten. A m 28. Juni 1924 wurde Held mit den 68 Stimmen der BVP, der D N V P und des Bauernbundes zum Ministerpräsidenten gewählt. Der „Völkische Block" hatte sich an der Abstimmung nicht beteiligt 2 7 . Die parlamentarische Basis der neuen Regierung war äußerst schmal; die verfassungsmäßige Mindestzahl betrug 65 Stimmen. A m 2. J u l i hielt Held seine Programmrede 28 , die i m wesentlichen auf den Koalitionsvereinbarungen beruhte, wie sie am 8. J u l i 1924 i m „Regensburger Anzeiger" veröffentlicht wurden 2 9 . Sie enthielten starke Konzessionen an die Deutschnationalen. Die erste Aufgabe sah man i n der Überwindung der Revolution von 1918 und ihrer Auswirkungen „durch eine entschiedene nationale Führung der Regierungsgeschäfte" 30 . Die versuchte Revolution von 1923 wurde nicht erwähnt; dagegen sollten illegale Einflüsse auf die Regierungsgeschäfte nicht geduldet werden. 22 Zit. i n RA, 147, 27. 6.1924. 23 Zit. i n RA, 147. 27. 6.1924. 24 RA, 148, 28. 6.1924. 25 Brief K n i l l i n g s a m 3. J u l i 1924 an den bayerischen Vatikangesandten Ritter von Gruenstein. Z i t . bei Franz W i l l i n g , Die bayerische V a t i k a n gesandtschaft, S. 201. 26 „Münchner Post", 148, 28. 6.1924. 27 Sten. Ber. 1924/25, Bd. 1, S. 14. 28 Ebd., S. 16 ff. 29 RA, 156, 8. 7.1924. 30 Ebd.
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Die Abgrenzung zu den sogenannten „vaterländischen Verbänden" fiel besonders schwer; bewaffnete Organisationen wurden zwar für unzulässig erklärt, doch zur Sammlung aller vaterländisch gesinnten Bürger sollte jede „auf die Staatserhaltung und Staatskräftigung abzielende, vaterländische Bewegung" 3 1 gehegt und gepflegt werden. Der neue Rechtsradikalismus, wie er sich i n der NSDAP parteipolitisch organisierte, hatte aber m i t dem Gedanken der vaterländischen Bewegung der ersten Kahr-Regierung nichts mehr zu tun. Er war i m Koalitionsprogramm nur m i t sehr allgemeinen Formulierungen angedeutet und zurückgewiesen worden; von der vor allem i n BVP-Kreisen noch i m Frühjahr 1924 so stark geforderten Liquidationspolitik des Hitlerputsches war kaum mehr die Rede. I m Zusammenhang m i t dem Problem des neu zu regelnden Finanzausgleichs sollte auch „eine endgültige Regelung des Verhältnisses des bayerischen Staates zum Deutschen Reich" 3 2 angestrebt werden. Dabei stellte sich die neue Regierung auf den Boden der Denkschrift der bayerischen Regierung vom Januar 1924 über die Revision der Weimarer Verfassung, i n die fast „alle wesentlichen Gesichtspunkte der foederalistischen Gedankenwelt der BVP Eingang gefunden haben", wie der „Regensburger Anzeiger" damals feststellen konnte 3 3 . Damit war indirekt auch das endgültige foederalistische Programm der B V P vom Jahre 1922 zum offiziellen Regierungsprogramm geworden. Bisher hatte sich jede bayerische Regierung auf den Standpunkt gestellt, daß sie als Koalitionsregierung m i t dem foederalistischen Programm der BVP nichts zu tun habe. Von der Basis des neuen Koalitionsprogramms betrieb Held nun seine verfassungspolitische Revisionspolitik, wie sie i n einer weiteren Regierungsdenkschrift vom Jahre 1926 erneut bekräftigt wurde. Für die Haltung Heids i n diesen Fragen nach der Schwächung der bayerischen Position durch den Hitlerputsch hatte der „Regensburger Anzeiger" schon anfangs Mai 1924 den Ton angestimmt: „Mehr denn je w i r d es notwendig sein, die bayerische Politik nicht auf ein Fortissimo i m Tone, sondern auf ein kluges und vor allem kontinuierliches Arbeiten und Einfiußgewinnen i n der Stille abzustimmen 34 ." Die auf dem Koalitionsprogramm aufgebaute Einführungsrede Heids vom 2. J u l i 1924 fand wegen ihres Niveaus eine günstige Aufnahme i n der bayerischen Öffentlichkeit. Er hatte alles unterlassen, was bei den Koalitionsparteien hätte Anstoß erregen können. Die „MünchnerAugsburger Abendzeitung" rühmte „ i h r staatsmännisches Format, ih31 RA, 156, 8. 7.1924. 32 Ebd. 33 RA, 6, 8.1.1924. 34 RA, 103, 3. 5.1924.
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ren tief ethischen Gehalt" 3 5 . Der „Regensburger Anzeiger" interpretierte das Wort Heids „der Regierungskurs muß naturnotwendig ein nationaler sein" dahingehend, daß es aus der „ganzen historischen und staatspolitischen Einstellung" 3 6 Heids resultiere. Die Rede Heids sei ein „Appell gewesen an das bayerische Volk zum Staatsgedanken. . . . „Die Staatsphilosophie Heids ist fundiert i n seiner Weltanschauung. Er ist Katholik und als solcher anti-individualistisch" 3 7 . Das hieß Gemeinschaftsgeist, Überwindung des Ichgeistes, Unterordnung, Disziplin aus sittlichem Wollen. Der Staatsgedanke bei Held war das Bekenntnis zum bestehenden Staat, war die Ablehnung seiner revolutionären Veränderung. Die BVC stellte vor allem Heids „besonders warmes Treuebekenntnis zum Reich" heraus 38 . Für sein neues A m t brachte Held gute Voraussetzungen mit, die sich schon bisher gezeigt hatten: taktische Klugheit, rednerische Kraft, parlamentarische Erfahrung. Es war keine leichte Aufgabe, die er übernommen hatte; i n der Führung der bayerischen Politik bis 1933 wurde er zumindest von seiner eigenen Partei niemals ernsthaft gefährdet. 1928 schrieb die „Augsburger Postzeitung": „Man erinnert sich noch der Jahre, da nach den Wirren des Jahres 1923 der Name Held wie eine Erlösung w i r k t e 3 9 . " Damit begann für Bayern die Ä r a Held: „Die sich nunmehr einstellende Stabilität war . . . nicht zuletzt der Persönlichkeit des neuen Ministerpräsidenten zu verdanken. Gerade, daß er geistig außerordentlich beweglich, ein Mann ohne Ecken und gar keine Konfliktnatur war, trug viel dazu bei, seine lange Regierung i m allgemeinen krisenfrei zu halten 4 0 ."
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Zit. i n R A , 152, 2. 7.1924. Ebd. Ebd. Zit. i n RA, 152, 3. 7.1924. „Augsburger Postzeitung" v. 5./6. 6.1928. Schwend, a.a.O., S. 271.
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