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German Pages 382 [381] Year 2002
HE GEL - S TU DI E N In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
Band 35
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 2002.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2517-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2955-7 ISSN 0073-1578
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I N H A LT TEXTE UND DOKUMENTE Hegel und Johannes Schulze Eine Mitteilung von Andreas Roser und Holger Schulten (Passau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ABHANDLUNGEN Karin de Boer (Amsterdam) Begriff und Zeit. Die SelbstentaÈuûerung des Begriffs und ihre Wiederholung in Hegels spekulativem System . . . . . . . . . . . . .
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Christian Iber (Berlin) In Zirkeln ums Selbstbewuûtsein. Bemerkungen zu Hegels Theorie der SubjektivitaÈt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Paolo Giuspoli (Verona) È ber die allgemeine OrganisaObjektive und Subjektive Logik. U tion der Hegelschen Logik in den ersten NuÈrnberger Jahren . .
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Otto Pöggeler (Bochum) Hegel und die Sammlung BoissereÂe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 L I T E R AT U R B E R I C H T E U N D K R I T I K FeÂlix Duque: Historia de la FilosofõÂa Moderna. La era de la critica (Volker Rühle, Hildesheim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Katharina Comoth: Vom Grunde der Idee. Konstellationen mit Platon (Helmut Schneider, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Kenneth R. Westphal: Hegel, Hume und die IdentitaÈt wahrnehmbarer Dinge. Historisch-kritische Analyse zum Kapitel ¹Wahrnehmungª in der PhaÈnomenologie von 1807 (Dietmar H. Heidemann, KoÈln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Rossella Bonito Oliva/Giuseppe Cantillo (Hrsg.): Fede e sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel] (Pierluigi Valenza, Roma) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Marco de Angelis: Die Rolle des Einflusses von J. J. Rousseau auf die Herausbildung von Hegels Jugendideal. Ein Versuch, die ¹dunklen Jahreª (1789 ± 1792) der Jugendentwicklung Hegels zu erhellen (Joji Yorikawa, Nagoya/Japan) . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Theodoros Penolidis: Der Heros. G. W. F. Hegels Begriff der absoluten Bestimmtheit oder die logische Gegenwart des Seins (Christian Iber, Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Dieter Wandschneider: GrundzuÈge einer Theorie der Dialektik. Rekonstruktion und Revision dialektischer Kategorienentwicklung in Hegels ¹Wissenschaft der Logikª (Orrin F. Summerell, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. Von Klaus Vieweg (Wolfgang Bonsiepen, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 G. W. F. Hegel: Principes de la philosophie du droit. Texte inteÂgral, accompagne d'extraits des cours de Hegel. PreÂsenteÂ, reviseÂ, traduit et annote par Jean-FrancËois KerveÂgan (Myriam Bienenstock, Tours) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Bernadette Collenberg-Plotnikov: Klassizismus und Karikatur. Eine Konstellation der Kunst am Beginn der Moderne (Otto Pöggeler, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Marek J. Siemek: Vernunft und IntersubjektivitaÈt. Zur philosophisch-theologischen IdentitaÈt der europaÈische Moderne (Otto Pöggeler, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Denken des Denkens in der Zeit. Neuerscheinungen zum HegelNietzsche-Problem. 1. Stephan KoÈnig. PerspektivitaÈt und Unbestimmtheit in Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht. Eine vergleichende Studie zu Hegel, Nietzsche und Luhmann. 2. Paul S. Miklowitz: Metaphysics to Metafictions. Hegel, Nietzsche, and the End of Philosophy. 3. Yirmiyahu Yovel: Dark Riddle. Hegel, Nietzsche, and the Jews (Werner Stegmaier, Greifswald) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Solange Mercier-Josa: Entre Hegel et Marx. Points cruciaux de la philosophie heÂgeÂlienne du droit (Dieter Behrens, Frankfurt a. M.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Iring Fetscher: Marx (Otto Pöggeler, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. von Peter Koslowski (Andreas Arndt, Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Jean Grondin: Hans-Georg Gadamer. Eine Biographie (Otto Pöggeler, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Kurzanzeigen und Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1997 und 1998. Mit NachtraÈgen aus dem Jahr 1996. Zusammenstellung und Redaktion: Nikolaj Plotnikov (Hagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
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HEGEL UND JOHANNES SCHULZE Eine Mitteilung von Andreas Roser und Holger Schulten (Passau) Ein bisher nicht bekanntes Treffen Hegels mit dem ihm befreundeten Geheimrat Johann Karl Hartwig Schulze, am Abend des 5. 8. 1830, wird mit dem hier vorgelegten kleinen SchriftstuÈck Hegels wahrscheinlich.
WaÈren Sie, verehrtester Herr Geheimrath um 6 Uhr zu Hause, so wollte ich auf einen Augenblick bey Ihnen einsprechen, um mir einen Rath auszubitten 5/8 30 Ihr ergebenster Hegel Das Autograph, das hier erstmals gedruckt wird, befindet sich in der HandÈ sterreichischen Nationalbibliothek, schriften- und Inkunabel-Sammlung der O Wien.1 Es ist mit schwarzer Tinte geschrieben, auf einem Papier in Chamois-Ton, ohne Stege und Wasserzeichen; Papiermaûe: 175 6 111 mm.2 È ber den Gegenstand des geplanten GespraÈchs, von dem Hegel sich einen U speziellen Rat erhoffte, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht stand es in Zusammenhang mit den Ereignissen Anfang August 1830. Die Juli-Revolution in Frankreich, bei der der Bourbonen-KoÈnig Karl X. nach England vertrieben und durch seinen Verwandten Louis Philippe von Orléans ersetzt wurde, fand in Berlin und insbesondere an der dortigen UniversitaÈt rege Aufmerksamkeit. Wie einem Brief von Karl Gutzkow zu entnehmen ist, fand am 3. August die uÈbliche akademische Feier mit Preisverleihungen in den verschiedenen FakultaÈten statt, deren Sieger von Hegel, dem damaligen Rektor der UniversitaÈt, benannt wurden. Dabei war jedoch die Aufmerksamkeit der Studentenschaft vor allem den Revolutionsberichten und den Nachrichten 1 Signatur 1/76-2. Das Stu È ck stammt nach einer Mitteilung der Bibliothek aus einem Bestand, der mit ¹PoÈlchauª angegeben wird ± wobei diese Herkuftsangabe nicht eruiert werden konnte. È sterreichische Nationalbibliothek, 2 Briefliche Mitteilung von Frau Dr. Eva Irblich, O Handschriften- und Inkunabel-Sammlung.
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Andreas Roser und Holger Schulten
uÈber den Sturz des KoÈnigs gewidmet.3 Der Briefschreiber selbst, Gutzkow, der den Preis der philosophischen FakultaÈt gewonnen hatte, nahm die Laudatio an seine Person nach eigener Aussage nur ¹mit einem Ohrª wahr. Auch Hegel beschaÈftigten die Ereignisse in Paris. Sein SchuÈler und Freund Eduard Gans war direkt am Ort des Geschehens. Er schrieb Hegel am 5. 8., also genau am Tag des hier veroÈffentlichten Autographs ¹die hoÈchst wichtige Nachrichtª, daû die ¹Ruhe . . . in Paris hergestelltª und ¹eine provisorische Regierung ernanntª worden sei.4 Es liegt nahe, daû Hegel mit dem Geheimrat uÈber diesen Themenkomplex reden wollte. Daû es sich im uÈbrigen bei dem EmpfaÈnger des Briefchens tatsaÈchlich um Johannes Schulze gehandelt habe, machen nicht zuletzt der vertrauliche Ton und die von Hegel fuÈr das Treffen vorgeschlagene Uhrzeit wahrscheinlich ± war Schulze doch der einzige Geheimrat in Berlin, mit dem Hegel zu dieser Zeit freundschaftlichen Umgang hatte.5 Sowohl persoÈnlich als auch in seiner Funktion als Rektor der Berliner UniversitaÈt war Hegel von den Ereignissen der Revolution betroffen, so daû der Wunsch einer Absprache mit Schulze verstaÈndlich erscheint, auch wenn unklar bleibt, ob diese am Abend des 5. 8. stattgefunden hat.
3 Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. von Gu È nther Nicolin. Hamburg 1970. 416 (Brief 639). 4 Briefe von und an Hegel. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Band 3: 1823±1831. Hamburg 1954. 310/311 (Brief 644). 5 Wie einem Brief der Frau Hegels an seine Schwester Christiane zu entnehmen ist, stand Schulze als einziger der Berliner Bekannten und Freunde Hegels an dessen Totenbett (vgl. K. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844. 422 ff), was seine Vertrauensstellung in der Familie eindrucksvoll belegt.
KARIN DE BOER (AMSTERDAM)
BEGRIFF UND ZEIT Die SelbstentaÈuûerung des Begriffs und ihre Wiederholung in Hegels spekulativem System1 ± und wie der Punkt des Menschen ist ± ist die Welt ± und wie sie ist, ist er ± Ein Schlag erschafft sie beyde ±2
1. Einleitung Es ist bekannt, daû Hegel in der Wissenschaft der Logik versucht, unser VerstaÈndnis der notwendigen Entwicklung seines Systems zu erleichtern, indem er die rein logische Selbstentfaltung des Begriffs mit Gottes Selbsterkenntnis vor der SchoÈpfung der Welt vergleicht.3 Dadurch, daû er eine rein begriffliche Unterscheidung durch AusdruÈcke religioÈser Vorstellung erhellt, scheint Hegel sich aber von der Aufgabe zu befreien, die Beziehung zwischen Begriff und konkreter Wirklichkeit rein philosophisch herauszuarbeiten. Um Zugang dazu zu bekommen, wie Hegel diese Beziehung versteht, werde ich versuchen zu zeigen, daû er die Zeit als letzte Bedingung der MoÈglichkeit der SelbstentaÈuûerung und Selbstverwirklichung des reinen Begriffs betrachtet. Begriff und Zeit bilden die Formen der NegativitaÈt, die es Hegel ermoÈglichen, die wesentlichen Momente der Natur und der Geschichte des Geistes als Gestalten der Bewegung zu verstehen, in der der reine
Diese Publikation ist mit UnterstuÈtzung der NiederlaÈndischen Organisation fuÈr Wissenschaftliche Forschung (NWO) entstanden. 2 G. W. F. Hegel: Jenaer Systementwu È rfe III. 287. Die Werke Hegels werden zitiert nach G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke (Akademieausgabe), Hamburg 1968 ff. Hegels Vorlesungen und die ZusaÈtze der EnzyklopaÈdie zitieren wir nach G. W. F. Hegel: Werke. Red. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 6. 11. 1970. Ich verwende folgende AbkuÈrzungen: D = Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems; PhaÈn. = PhaÈnomenologie des Geistes; WL = Wissenschaft der Logik. 3 ¹Man kann sich deûwegen ausdru È cken, daû dieser Inhalt [der Logik] die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes istª (WL I/1. 34). 1
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Begriff, als absolute NegativitaÈt, sich in immer groÈûerem Maûe vom Negativen im Sinnlichen zu befreien vermag. Das VerhaÈltnis zwischen diesen beiden Formen der NegativitaÈt ist fuÈr Hegels spekulatives System entscheidend; Fragen hinsichtlich der Bedeutung dieses Systems fuÈr unser heutiges SelbstverstaÈndnis muÈûten nach meiner Meinung dann auch an diesem Punkt ansetzen. Hegel behandelt Zeit und Raum nur rein systematisch im Kontext der Philosophie der Natur, die in ihren verschiedenen EntwuÈrfen den zweiten Teil seines spekulativen Systems ausmacht. Bezugnehmend auf eine moÈgliche ¹Metaphysik der Zeitª, erwaÈhnt er aber in seinen Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie, daû Zeit eine der Formen konstituiert, durch die der Geist sich als sich selbst aÈuûerlich setzt, und daû diese Form erfordert, sowohl in der Philosophie der Natur als auch in der Philosophie des endlichen Geistes weiter erforscht zu werden.4 Nach Hegel basieren realphilosophische Begriffsbestimmungen immer auf der Logik. Da diese aber lediglich das Ganze der reinen Begriffe zum Inhalt hat, bietet die Logik keinen Raum fuÈr einen Begriff der Zeit, der als Grundlage fuÈr die weitere Ausarbeitung in der Realphilosophie dienen koÈnnte.5 Um dennoch Einsicht in die grundlegende metaphysische Bedeutung der Zeit, der innerhalb Hegels System kein Platz zugewiesen werden zu koÈnnen scheint, zu gewinnen, werde ich zwei Wege einschlagen. Zum einen werde ich auf die Passagen in der PhaÈnomenologie und der Logik eingehen, in denen Hegel das spekulative System als die Rekonstruktion der Bewegung des absoluten Begriffs versteht, die in der Natur und der Geschichte des Geistes stattgefunden haben muû (§§ 4 und 5). Zum anderen werde ich zeigen, wie Hegel in seiner Ra-
Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie I. 51. ¹Diese Mannichfaltigkeit hat als die sich aÈusserliche ObjectivitaÈt, ein gleichguÈltiges Bestehen, das im Raume und in der Zeit, wenn diese hier schon erwaÈhnt werden koÈnnten, ein ganz verschiedenes und selbststaÈndiges Aussereinander istª (WL II. 181, meine Hervorhebung). In L'avenir de Hegel. PlasticiteÂ, temporalite, dialectique. Paris 1996, 33, bemerkt C. Malabou, daû Hegels System keinen Raum fuÈr eine ¹analytique qui expose le concept du temps en sa plasticiteª laÈût, weil die Zeit als Bedingung der MoÈglichkeit nicht innerhalb des Systems selbst artikuliert werden kann. Mit ihrer Charakterisierung des Hegelschen Systems als ¹systematiquement non-transcendentaleª (33) bin ich aber nicht einverstanden; das System artikuliert das Ganze der Bedingungen der MoÈglichkeit der Erkenntnis, obwohl Hegel dieses Ganze nicht, wie Kant, im endlichen Subjekt begruÈndet. V. HoÈsle nennt Hegels Logik eine absolute, d. h. nichtendliche, Transzendentalphilosophie. V. HoÈsle: Hegels System. Der Idealismus der SubjektivitaÈt und das Problem der IntersubjektivitaÈt. Bd 1. Hamburg 1987. 124. 4 5
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dikalisierung der Transzendentalphilosophie Kants auch dessen Begriff des VerhaÈltnisses zwischen den Formen der Anschauung und den reinen Begriffen radikalisiert (§ 6). Um diese beiden Wege verfolgen zu koÈnnen, werde ich jedoch zunaÈchst umreiûen, wie Hegel in der Differenz-Schrift seinen Begriff des spekulativen Systems zu entwickeln beginnt (§ 2) und daraufhin kurz auf die Bewegung des Begriffs, die in der Wissenschaft der Logik rekonstruiert wird, eingehen (§ 3). Jede Interpretation, und sicherlich eine im Umfang begrenzte, ist notwendigerweise mit einer gewissen Einseitigkeit behaftet. Ich werde mich hier auf eine rein systematische Interpretation beschraÈnken und lediglich auf fruÈhe Texte eingehen, insofern diese die Bedeutung von Hegels spaÈterem System erhellen. Wenn ich Hegel in Hinblick auf Kant lesen werde, geschieht das nicht, um Hegels Werk auf die Transzendentalphilosophie zu reduzieren, sondern ausschlieûlich mit der Absicht, seine spekulative Bedeutung aus dem ontotheologischen Rahmen zu loÈsen, aus dem Hegels Philosophie hervorgeht und gegen den sie sich wendet. 2. Hegel und Schelling Der Teil der Differenz-Schrift, der Schelling gewidmet ist, kann als Hegels griffigste Zusammenfassung der Entwicklung betrachtet werden, die die deutsche Philosophie seit Kant in seinen Augen durchgemacht hat. Diese Zusammenfassung macht gleichzeitig sichtbar, was die Philosophie Hegel zufolge noch zu vollbringen hat: Die mit Schelling prinzipiell erreichte Einsicht in die absolute IdentitaÈt von Natur und Bewuûtsein erfordert eine systematische Rekonstruktion der absoluten Bewegung, in der diese urspruÈngliche IdentitaÈt die TotalitaÈt ihrer Unterscheidungen entfaltet, um zu sich selbst als absoluter IdentitaÈt zuruÈckzukehren. Hegel stimmt Schelling in dessen Kritik an den einseitigen Positionen Kants und Fichtes zu. Der Text expliziert allerdings nicht, in welcher Hinsicht sein eigener Begriff von der Philosophie als System von Schellings VerstaÈndnis der Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen der Philosophie abweicht. Um die Entwicklung von Hegels spaÈterem System zu situieren, werde ich hier, von Hegels Differenz-Schrift ausgehend, doch bereits spaÈtere Texte im Auge habend, erstens das formale Prinzip der Position Hegels andeuten, zweitens auf Schellings Art, den einseitigen Standpunkt der Transzendentalphilosophie zu uÈberwinden, eingehen und drittens angeben, wie Hegel, von Schellings Begriff der Beziehung zwischen
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Natur- und Transzendentalphilosophie her, einen Weg zu seinem eigenen dreigliedrigen System zu finden beginnt. Philosophie, so schreibt Hegel, findet ihre hoÈchste Befriedigung in der Vernichtung aller fixierten Entgegensetzung.6 Man koÈnnte sagen, daû die Geschichte der Philosophie von dem Verlangen getrieben wird, das Ganze dessen, was ist, aus einem einzigen Prinzip heraus zu verstehen. TatsaÈchlich sehen wir aber, wie dieselbe Geschichte dieses Verlangen nach dem ¹Einen in Allemª lediglich teilweise befriedigen konnte. WaÈhrend ein wirklicher Begriff von dem Ganzen nur aufgrund eines Begriffs der wesentlichen Unterscheidungen moÈglich ist, die schon in der zugrundeliegenden Einheit selbst liegen, haben sich GegensaÈtze wie Geist und Natur, Subjekt und Objekt, Begriff und Sein, Unendlichkeit und Endlichkeit, Allgemeinheit und Einzelheit in der Geschichte der Philosophie hinsichtlich ihrer zugrundeliegenden Einheit derart verselbstaÈndigt, daû diese gaÈnzlich aus dem Blick geriet.7 Hegel haÈlt es fuÈr an der Zeit, diese Fixierung aufzuheben. Die Philosophie sollte derartige GegensaÈtze allerdings nicht ins Nichts aufloÈsen, sondern sie als relative GegensaÈtze begreifen. Das geht nach Hegel nur, wenn reine Begriffe wie Unendlichkeit und Endlichkeit auf einen Begriff bezogen werden, der das Andere seiner selbst nicht sich gegenuÈber hat, sondern aus sich selbst hervorbringt; nur dann koÈnnen sie als Resultat einer Bewegung begriffen werden, in der ihre zugrundeliegende Einheit ± wahre Unendlichkeit ± sich von sich selbst unterscheidet und ihre Unterscheidungen ± Unendlichkeit und Endlichkeit ± sich und einander entgegensetzt. Diese Teilung kann als erster Moment der Bewegung aufgefaût werden, in der der absolute Begriff sich ± mittels der Philosophie ± bestimmt und Inhalt gibt, das heiût aus sich selbst sein Gegenteil als PraÈdikat hervorbringt und sich als Urteil vollzieht, um sich wahrhaftig mit sich selbst identifizieren zu koÈnnen.8 D 30, vgl. PhaÈn. 28. WL I/1. 29. ¹In der Bildung hat sich das, was Erscheinung des Absoluten ist, vom Absoluten isolirt, und sich als ein SelbststaÈndiges fixirtª (D 12). 8 ¹Das Urtheil ist die Diremtion des Begriffs durch sich selbst. . . . Es ist insofern die urspruÈngliche Theilung des urspruÈnglich Einen.ª Von der Vorstellung aus werden allerdings ¹Subject und PraÈdicat, jedes als ausser dem andern fuÈr sich fertig, betrachtetª (WL II. 55, vgl. 31, 53). ¹Diese IdentitaÈt des Begriffs wieder herzustellen oder vielmehr zu setzen, ist das Ziel der Bewegung des Urtheilsª (59). Was Hegel hier uÈber den ,gewoÈhnlichen` Begriff sagt, gilt sicher auch fuÈr den absoluten Begriff, das heiût fuÈr das Absolute, insofern es in der Geschichte der Philosophie artikuliert wird (vgl. WL I/1. 44±45). Dieser Gedanke laÈût sich auf HoÈlderlins kurzen Text ,Seyn, Urtheil` von 1795 zuruÈckfuÈhren: ¹Urtheil. Ist im hoÈchsten und strengsten Sinne die urspruÈngliche Trennung des in der 6 7
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Hegel versteht die Geschichte der Philosophie als eine Geschichte, in der sich diese ausdruÈckliche Selbstidentifizierung des absoluten Begriffs auf immer konkretere Weise vollzieht, wenn sich auch die Philosophie, sich immer wieder an neuen Gestalten des Gegensatzes zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen festklammernd, dieser Bewegung nicht bewuût werden konnte. Es ist wichtig, daran zu erinnern, daû Hegel Kant als denjenigen betrachtet, der als erster die MoÈglichkeit eroÈffnete, die RelativitaÈt dieser GegensaÈtze zu durchschauen. WaÈhrend das empirische Bewuûtsein stets eine Andersheit sich selbst gegenuÈber antrifft, die es nicht begreifen kann, versteht die transzendentale Analyse, daû die Bedingungen der MoÈglichkeit der Erfahrung uÈberhaupt zugleich Bedingungen der MoÈglichkeit der GegenstaÈnde der Erfahrung sind.9 Aufgrund der transzendentalen Anschauung koÈnnen die reinen Begriffe, die es uns ermoÈglichen, objektive Erkenntnis zu erlangen, als die verschiedenen Formen verstanden werden, in denen das Denken Einheit in der sinnlich gegebenen Mannigfaltigkeit herstellt. Als Bedingungen der MoÈglichkeit jeder Erkenntnis gehen die Begriffe dem Unterschied zwischen erkennendem Subjekt und dem, was als Objekt der Erkenntnis erscheint, voran. Hegel sieht, wie es an diesem Punkt der Transzendentalphilosophie moÈglich wird, die absolute Einheit von Subjekt und Objekt zu begreifen. Kant selbst aber nutzt diese MoÈglichkeit nicht, indem er allein der empirischen Erkenntnis, die sich notwendig auf dasjenige bezieht, was die Formen Zeit und Raum zugaÈnglich machen, objektive GuÈltigkeit zuerkennt. Auf dieser Ebene bleibt Erkenntnis notwendig auf eine Andersheit bezogen, die sich zwar auf aÈuûerliche Weise bestimmen, aber nicht aufheben laÈût.10 Kant faût die Vernunft ausschlieûlich als das subjektive VermoÈgen, das sowohl die Begriffe als auch die Ideen aus sich selbst erzeugt, sich aber intellectualen Anschauung innigst vereinigten Objects und Subjects, diejenige Trennung, wodurch erst Object und Subject moÈglich wird, die Ur-Theilung.ª J. Ch. F. HoÈlderlin: Theoretische Schriften. Hamburg 1998. 7. Vgl. hierzu D. Henrich: Eine philosophische Konzeption entsteht. HoÈlderlins Denken in Jena. HoÈlderlin-Jahrbuch. 28, 1992/93. 1-28. 9 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 197. 10 ¹[I]n jener Deduktion der Verstandes-Formen ist das Princip der Spekulation, die IdentitaÈt des Subjekts und Objekts aufs bestimmteste ausgesprochen; diese Theorie des Verstandes ist von der Vernunft uÈber die Tauffe gehalten worden. ± Hingegen wenn nun Kant diese IdentitaÈt selbst, als Vernunft, zum Gegenstand der philosophischen Reflexion macht, verschwindet die IdentitaÈt bei sich selbst; . . . Hier wird es deutlich, auf welcher untergeordneten Stuffe die IdentitaÈt des Subjekts und Objekts aufgefaût worden warª (D 6).
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um der MoÈglichkeit objektiver Erkenntnis willen durch die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit begrenzt. Diese Grenze hat zur Folge, daû die Vernunft sich nicht mit den Ideen zusammenschlieûen kann, die sie von sich unterschieden und sich gegenuÈbergesetzt hat. WaÈhrend Kant es der Vernunft nicht beimiût, die Ideen, die ihr hoÈchstes Produkt darstellen, mittels der Begriffe zu bestimmen, behauptet Hegel, daû spekulative Erkenntnis gerade in der Bewegung bestehe, in der die Vernunft sich von ihren subjektiven Begrenzungen loÈst und zum absoluten Selbstbegriff gelangt, das heiût sich selbst mittels ihrer selbst bestimmt und zum Inhalt wird. Kant zufolge muû das Erkennen sich damit abfinden, von einer Andersheit, die es nicht aus sich selbst hervorgebracht hat und auch nicht vernichten kann, abhaÈngig zu sein. Auch bei Fichte bleibt ¹die objektive Welt in ihrer unendlichen Bestimmtheit durch die Intelligenz, . . . zugleich immer ein Etwas fuÈr sie, das fuÈr sie zugleich unbestimmt istª (D 42). Fichte setzt das Ich als absolut und fuÈhrt die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt auf den Akt zuruÈck, in dem das reine Ich sich zum empirischen Bewuûtsein einschraÈnkt. Das Objekt, das daraufhin durch dieses empirische Bewuûtsein gesetzt wird, kann so aber noch immer nicht als ein Sich-selbst-Bestimmendes (D 44, 64-65) aufgefaût werden. Die Spekulation, so Hegel, muû ¹von ihrem subjektiven Princip diese Form [des Subjekts] entfernen, um es zur wahren IdentitaÈt des Subjekts und Objekts zu erhebenª (D 46). Wir werden sehen, daû Hegel diese IdentitaÈt zu erreichen versucht, indem er den Ursprung der reinen Begriffe nicht laÈnger in der Vernunft als subjektivem VermoÈgen sucht, sondern in dem reinen Begriff, der als absolutes Prinzip der Selbstbestimmung und Selbstidentifikation allen moÈglichen Formen des Begriffs zugrunde liegt.11 Diese Radikalisierung der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes wird zur Wissenschaft der Logik fuÈhren. In der Differenz-Schrift naÈhert sich Hegel dem absoluten Subjekt-Objekt allerdings zunaÈchst auf einem anderen Weg an.
11 ¹Die kritische Philosophie machte zwar bereits die Metaphysik zur Logik, aber sie wie der spaÈtere Idealismus gab . . . aus Angst vor dem Object den logischen Bestimmungen eine wesentliche subjective Bedeutung; dadurch bleiben sie zugleich mit dem Objecte, das sie flohen, behaftet, und ein Ding-an-sich, ein unendlicher Anstoû, blieb als ein Jenseits an ihnen uÈbrig. Aber die Befreyung von dem Gegensatze des Bewuûtseyns [das Resultat der PhaÈnomenologie des Geistes] . . . fordert die Betrachtung derselben [Denkbestimmungen], wie sie an und fuÈr sich, ohne eine solche BeschraÈnkung und RuÈksicht, das Logische, das Rein-vernuÈnftige sindª (WL I/1. 35).
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Schelling erkannte, daû die absolute IdentitaÈt von Subjekt und Objekt nur dann verstanden werden kann, wenn nicht allein das Subjekt, sondern auch das Objekt als Resultat der Bewegung, in der es sich selbst bestimmt, das heiût als Subjekt-Objekt, gefaût wird. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Natur nicht laÈnger nur als das Ganze der durch das Subjekt bestimmten Objekte, sondern auch als Ausdruck der absoluten Bewegung zunehmender Selbstbestimmung und Selbstorganisation. WaÈhrend Kant den Begriff der Zielgerichtetheit der Natur auf eine subjektiv notwendige Voraussetzung einschraÈnkt (D 69), versteht Schelling die Natur als eine TotalitaÈt, die sich von innen heraus konstituiert, das heiût als ein ¹bewuûtloses Producirenª(D 75) von Einheit in der raumzeitlichen Mannigfaltigkeit. Die Gestalten der Natur koÈnnen auf diese Weise als endliche, unvollkommene Resultate der absoluten TaÈtigkeit aufgefaût werden, die sich in immer groÈûerem È uûerlichkeit verwirklicht und sich durch diese Maûe im Element der A Gestalten hin als objektive TotalitaÈt konstituiert. Das hoÈchste Resultat dieser selbstorganisierenden Bewegung ist die Kontraktion, in der diese Bewegung zum Bewuûtsein gelangt und sich, im Menschen, als Intelligenz konstruiert.12 An dem Punkt, an dem die Naturphilosophie ihre Grenze erreicht, eroÈffnet sich dem Bewuûtsein eine Welt und wird es diesem Bewuûtsein moÈglich, Erkenntnis uÈber die Welt zu erlangen, die es nun als sich selbst entgegengesetzt erfaÈhrt. Aufgrund der reinen Formen Raum und Zeit vollzieht dieselbe Bewegung von Expansion (sinnliche Anschauung) und Kontraktion (Denken) sich jetzt im Subjekt. Diese Bewegung bildet den Inhalt der Transzendentalphilosophie. Schelling entwickelt seine Naturphilosophie also als die notwendige ErgaÈnzung der Transzendentalphilosophie: Wie die Naturphilosophie die Bewegung rekonstruiert, in der das objektive SubjektObjekt zum Subjekt wird, rekonstruiert die Transzendentalphilosophie die Bewegung, in der das subjektive Subjekt-Objekt die Natur als objektive TotalitaÈt erzeugt und letztendlich sich selbst zum Objekt wird (D 66). Da Schellings Naturphilosophie von einem absoluten Prinzip ausgeht, das der Natur nicht aÈuûerlich ist, sondern ihre Gestalten von innen heraus konstruiert, wird hier Hegel zufolge zum ersten Mal eine wissenschaftliche Rekonstruktion der Natur moÈglich (D 70): Die Naturphilosophie, die von der absoluten selbstbestimmenden Bewegung È uûerlichkeit ausgeht, kann diese Bewegung auf syim Element der A D 74±75, vgl. F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. In: Schellings' Werke. Bd II., Hrsg. von M. SchroÈter. MuÈnchen 1927. 341. 12
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stematische Weise wiederholen und zusehen, wie sie sich in dieser È uûerlichkeit ± aus ihrer nicht unterschiedenen Einheit heraus ± in A stets groÈûerem Maûe als sich selbst zu verwirklichen vermag. Die ¹Selbstkonstruktion der IdentitaÈt zur TotalitaÈtª (D 74) vollzieht sich sowohl auf seiten des subjektiven als auch auf seiten des objektiven Subjekt-Objekt. Die Einheit beider Seiten kann als die ¹Selbstkonstruktion des Absolutenª gefaût werden, das heiût als die Bewegung, in der die urspruÈngliche IdentitaÈt sich in eine objektive und eine subjektive Seite unterscheidet, die beide Seiten sich von ihrer aÈrmsten und einfachsten Gestalt aus zur TotalitaÈt entfalten laÈût und letztendlich in der ¹Anschauung des sich selbst in vollendeter TotalitaÈt objektiv werdenden Absolutenª (D 75) vereinigt. Die wesentlichen Momente dieser absoluten Bewegung werden in den verschiedenen Wissenschaften rekonstruiert, die gemeinsam die spekulative Wissenschaft bilden. Wie die Bewegung des objektiven Subjekt-Objekt das Bewuûtsein als hoÈchstes Resultat hat, so resultiert die Bewegung des subjektiven Subjekt-Objekt in der spekulativen Wissenschaft; diese begreift die verschiedenen Seiten jener Bewegung in ihrer absoluten Einheit und sich selbst als die hoÈchste Verwirklichung dieser Einheit. Wenn die Transzendentalphilosophie die MoÈglichkeit dieser Wissenschaft rekonstruiert hat, hat sie die Grenze erreicht, die sie zwingt, ihre subjektive Einseitigkeit aufzugeben und sowohl das Ich als auch die Natur als ¹hoÈchste Erscheinungen der absoluten sich selbst anschauenden Vernunftª zu erkennen (D 115). An diesem Punkt angekommen, ist es noÈtig, auf einen Unterschied zwischen Schelling und Hegel einzugehen, der in der Differenz-Schrift nicht hervortritt. In seinem System des transzendentalen Idealismus von 1800 behauptet Schelling, daû das System der Philosophie aus zwei Grundwissenschaften bestehen muÈsse, naÈmlich aus Natur- und Transzendentalphilosophie. Die Naturphilosophie rekonstruiert die Bewegung, in die die Natur sich gezwungen sieht, um ihre Einseitigkeit ± das Objektive ± aufzugeben und in ihr Gegenteil uÈberzugehen. Die Transzendentalphilosophie schlaÈgt den umgekehrten Weg ein und rekonstruiert die Bewegung, in der das Subjekt aus sich selbst die Natur als objektive TotalitaÈt hervorbringt. Diese entgegengesetzten Wege von Natur- und Transzendentalphilosophie sind sich wechselseitig notwendig.13 Daû F. W. J. Schelling: Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, (1799). In: Schelling: Werke. Bd II. 272±73, vgl. System des transzendentalen Idealismus. Schellings Werke. Bd II. 340±42. 13
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diese beiden Wissenschaften das ganze philosophische System ausmachen, muû sich aus ihrer eigenen Darstellung erweisen; es ist bei Schelling keine Rede von einer Wissenschaft, die von einem uÈbergreifenden Standpunkt aus die Einheit beider Wissenschaften, das heiût die RelativitaÈt ihres Gegensatzes, begreift und fundiert. Weil Hegels Wissenschaft der Logik genau dieser Standpunkt ist, ist es nicht verwunderlich, daû der spaÈtere Schelling sich sehr kritisch uÈber die Dreigliederung von Hegels spekulativem System aÈuûert. In seinen Vorlesungen uÈber Hegel von 1827 sagt Schelling uÈber seine eigene fruÈhe Philosophie: ¹FuÈr Begriffe, die das Reale noch auûer sich haben, hatte sie allerdings keine Stelle, denn sie war . . . mit ihren ersten Schritten in der Natur; aber sie ging eben in der Natur fort bis zu dem Punkt, wo das durch die ganze Natur hindurchgegangene, nun zu sich gekommene, sich selbst besitzende Subjekt (das Ich) zwar nicht mehr die fruÈheren in der Natur zuruÈckgelassenen Momente selbst, wohl aber die Begriffe derselben und zwar als Begriffe findet.ª14 Darum, so faÈhrt Schelling fort, kann eine Philosophie, die wirklich von vorn anfaÈngt, die Begriffe als solche nur thematisieren, wo diese Begriffe selbst als Begriffe in die Wirklichkeit eintreten, das heiût ins Bewuûtsein. Was Hegel in der Logik abhandeln zu koÈnnen glaubt, muÈûte also einen Platz zwischen dem Ende der Naturphilosophie und dem Anfang der Philosophie des Geistes zugewiesen bekommen: ¹Die Begriffe als solche existiren in der That nirgends als im Bewuûtseyn, sie sind also objektiv genommen nach der Natur, nicht vor derselben.ª15 Hegel wuÈrde sagen, daû Schelling hier an der subjektiven Seite des absoluten Begriffs festhaÈlt. Schelling sieht, wie die Begriffe, die sich im Bewuûtsein konstituieren, erstens ± als Bedingungen der MoÈglichkeit der Erfahrung ± eine subjektive und eine objektive Seite besitzen und wie diese Begriffe zweitens mit den in der Natur selbst zuruÈckgelassenen Momenten uÈbereinstimmen. Er ist Hegel zufolge allerdings nicht in der Lage, die Begriffe rein an und fuÈr sich zu betrachten, das heiût, sie von der Art loszuloÈsen, auf die sie sich einerseits als Momente der Natur selbst vollziehen und auf die das Bewuûtsein andererseits ¹zugleich die ganze Selbstkonstruktion der Natur auf der andern Seite, mit sich 14 F. W. J. Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Mu È nchner Vorlesungen (1827). In: Schelling: Werke. Bd V. 209±10. Vgl. W. Schulze: Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der SpaÈtphilosophie Schellings. Stuttgart 1954. 104±112; X. Tilliette: Schelling critique de Hegel. In: Hegel-Studien. Beiheft 4. Bonn 1969, 193±203. 15 F. W. J. Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. In: Schelling: Werke. Bd V. 209± 10.
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heruÈbernimmt und das vorhergehende oder ihr zur Seite stehende [die Natur] in sich hatª(D 75). Das Bewuûtsein wiederholt die ganze Selbstkonstruktion der Natur, insoweit es aus sich selbst die Begriffe hervorbringt, aufgrund derer die Natur sich fuÈr das Bewuûtsein als objektive TotalitaÈt konstituiert. Es ist fuÈr Schelling entscheidend, der Seite, die dieser Konstitution vorangeht, eine gewisse SelbstaÈndigkeit zu lassen. Damit relativiert er die Allmacht des Begriffs und des Bewuûtseins, in dem der Begriff sich als Begriff konstituiert. Hegel sieht hierin aber ein UnvermoÈgen, den Gegensatz zwischen Natur und Geist wirklich aufzuloÈsen. Die Philosophie erreicht seiner Ansicht nach ihren wahren Indifferenzpunkt nur, indem sie die TotalitaÈt der Begriffe auch rekonstruiert, wie sie ihren einseitigen Verwirklichungen in der Natur und im Geist vorangeht (vgl. D 75). Wenn die wesentlichen Momente der Natur als Ausdruck È uûerlichkeit verstanden werdes absoluten Begriffs im Element der A den und wenn die notwendige Bewegung desselben Begriffs sich im Bewuûtsein, das die Natur als objektive TotalitaÈt konstituiert, wiederholt, dann ist, von Hegels Standpunkt aus, der Unterschied zwischen beiden Bewegungen nur ein Unterschied in Form oder Element.16 Die Einheit beider Wissenschaften kann ihm zufolge nur durch eine Wissenschaft fundiert werden, die die Bewegung des Absoluten sich nicht nur in den Elementen Sein und Erkennen vollziehen laÈût, sondern auch im Element des reinen Begriffs selbst. Diese Wissenschaft, die Wissenschaft der Logik, muû als die Rekonstruktion des Begriffs in seinem reinsten Element den anderen Wissenschaften vorausgehen. Das scheint fuÈr Hegel zu bedeuten, daû auch der Inhalt dieser Wissenschaft als etwas vorgestellt werden muû, ± und ich waÈhle dieses Wort abÈ usichtlich ± das der Art, auf die das Absolute sich im Element der A ûerlichkeit vollzieht, vorangeht. Eine Transzendentalphilosophie, die ihre subjektive Form abgestreift hat und darum vielleicht auch keine Transzendentalphilosophie mehr genannt werden kann, wird die Natur ± und zwar nicht nur die Natur, wie sie vor dem Bewuûtsein als objektive TotalitaÈt erscheint ± unwiderruflich auf einen sekundaÈren Inhalt reduzieren. Anders gesagt: Die Philosophie, die sich wahrhaft zum ¹absoluten Indifferenzpunktª (D 75, 76) beider Wissenschaften erhebt, sieht von dem Schellingschen Unterschied zwischen der Natur, wie sie an sich ist und wie sie dem Bewuûtsein erscheint, ab und begreift ¹In der einen [Wissenschaft] ist das Absolute ein subjektives in der Form des Erkennens, in der andern ein objektives in der Form des Seynsª (D 74). 16
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die Natur, wie sie an und fuÈr sich ist, das heiût als Ausdruck des abÈ uûerlichkeit.17 soluten Begriffs im Element der A Am Ende des Schelling gewidmeten Teils der Differenz-Schrift scheint Hegel die Struktur seines eigenen, noch zu entwickelnden spekulativen Systems wie folgt zu verstehen: Die TotalitaÈt des Wissens faÈllt in gewissem Sinne in die SphaÈre der Transzendentalphilosophie. Diese umfaût erstens die ¹gesamte Naturphilosophie als ein Wissenª und zweitens diejenige ¹Wissenschaft des Wissensª, die die Form oder das Element des Bewuûtseins isoliert, um ¹die Erscheinung fuÈr sich zu konstruierenª (D 76). Ich nehme an, daû Hegel hier die Erscheinung des Wissens meint, wie sie zum Inhalt der PhaÈnomenologie des Geistes und der Philosophie des Geistes wird. Die Wissenschaft des Wissens, die Naturphilosophie und Philosophie des Geistes umfaût, bildet selbst allerdings nur einen Teil der Transzendentalphilosophie. Hegel suggeriert, daû die Logik dem Wissen eine andere Form gibt als diese beiden Wissenschaften und als solche den anderen Teil der Transzendentalphilosophie ausmacht. Wie bereits gesagt, wird allein vom Standpunkt dieser letzten Wissenschaft her erkannt, daû Ich und Natur zwei Erscheinungen ¹der absoluten sich selbst anschauenden Vernunftª (D 115) sind. Wo also nach Schelling nur die Naturphilosophie einen Inhalt besitzt, die dem Unterschied zwischen Subjekt und Objekt vorangeht, reduziert Hegel diese Naturphilosophie auf die objektive Seite von Schellings Transzendentalphilosophie und laÈût die Wissenschaft der Logik den Platz der Naturphilosophie einnehmen. Hegel zufolge kann die Philosophie nur dann wirklich von vorne anfangen, wenn man das spekulative System an einem Punkt beginnen laÈût, der jeder subjektiven und objektiven Einseitigkeit vorangeht und als entfaltete TotalitaÈt beider Seiten zu sich zuruÈckzukehren vermag. Dies ist dann auch der Punkt, als dessen Verwirklichung die spekulative Wissenschaft sich selbst verstehen kann und den sie also braucht, um ihre eigene MoÈglichkeit und Notwendigkeit zu begruÈnden. Die beiden Wissenschaften, die Schelling unterscheidet, streben ¹nach dem Indifferenzpunkt; als IdentitaÈt und als relative TotalitaÈt liegt er uÈberall in ihnen selbst, als absolute TotalitaÈt ausser ihnenª (D 74). In Schellings Begriff der Beziehung zwischen Natur- und Transzendentalphilo¹[I]n der transcendentalen Anschauung ist alle Entgegensetzung aufgehoben, aller Unterschied der Konstruktion des Universums durch und fuÈr die Intelligenz, und seiner als ein objektives angeschauten, unabhaÈngig erscheinenden Organisation vernichtetª (D 28). 17
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sophie geht es um zwei Seiten, die sich selbst nicht genug sind und einander im Gleichgewicht halten. Der Wendepunkt (D 75), der die beiden Seiten zusammen- und auseinanderhaÈlt, ist ein Indifferenzpunkt, der sich nicht in sich selbst zur TotalitaÈt entwickelt und sich deshalb auch nicht mit sich als absolutes Wissen, das heiût als der vollendete Selbstbegriff des absoluten Subjekt-Objekt, zusammenschlieûen kann.18 Da Schellings eigenes System ¹mit dem ersten Schritt in der Naturª È bergang vom Logiist, braucht er nicht nach einer ErklaÈrung fuÈr den U 19 schen ins Reale zu suchen. Indem er das Logische nicht an und fuÈr sich betrachtet, sondern nur insofern es sich im Bewuûtsein vollzieht, fuÈgt sich sein System leichter der LinearitaÈt des geschriebenen Textes als das Hegelsche. In seinen Vorlesungen uÈber Hegel hat Schelling deshalb seine Schwierigkeiten mit der Art, auf die Hegel am Ende der Logik das VerhaÈltnis zwischen Idee und Natur andeutet: ¹Dieser Ausdruck ,entlassen` ± die Idee entlaÈût die Natur ± gehoÈrt zu den seltsamsten, zweideutigsten und darum auch zaghaftesten AusdruÈcken, hinter die sich diese Philosophie bei schwierigen Punkten zuruÈckzieht. . . . So viel ist klar: dieser ErklaÈrung der Natur geschieht noch die groÈûte Ehre, wenn man sie theosophisch nennt.ª Weil ein bloûer Begriff sich uÈberhaupt nicht entschlieûen kann, ist es ¹ein boÈser Punktª, bei welchem die Hegelsche Philosophie hier angelangt ist.20 Bei naÈherer UnWenn Schelling behauptet, daû die beiden Wege der Philosophie ihrem Indifferenzpunkt zustreben, dann bedeutet dies, daû die Natur danach strebt, zum Bewuûtsein zu kommen, und daû das Bewuûtsein danach strebt, zur ausdruÈcklichen Einheit von bewuûter und bewuûtloser TaÈtigkeit zuruÈckzukehren. Diese Einheit wird Schelling zufolge nur in der Kunst erreicht. So gesehen bildet die Philosophie dann auch lediglich eine einseitige Verwirklichung, naÈmlich die hoÈchste Verwirklichung des Selbstbewuûtseins. Vgl. F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. In: Schelling: Werke. Bd II. 612±14. 19 F. W. J. Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. In: Schelling: Werke. Bd V. 216. 20 Ebd. 223±24. Seit Schelling hat diese Passage (und Hegels Begriff des Verha È ltnisses von Idee und Natur im allgemeinen) zu vielen Diskussionen Anlaû gegeben. Vgl. u. a. K.H. Volkmann-Schluck: Die EntaÈuûerung der Idee zur Natur. In: Hegel-Studien. Beiheft 1, Bonn 1964. 37±44; B. Bourgeois: Dialectique et structure dans la Philosophie de Hegel. In: Revue internationale de philosophie. 139/40 (1982), 163±182; D. Wandschneider und V. HoÈsle: Die EntaÈuûerung der Idee zur Natur und ihre zeitliche Entfaltung als Geist bei Hegel. In: Hegel-Studien, 18 (1983) 173±199; P. J. LabarieÁrre: L'esprit absolu n'est pas l'absolu de l'esprit. In: Hegeliana. Hrsg. von P. J. Labarierre und G. Jarczyk. Paris 1986. 298 f. Jean Hyppolite (Logique et existence, 3. Aufl., Paris 1991) betont, daû es fuÈr Hegel nicht ¹une penseÂe divine, puis une nature et un esprit fini creÂeª gibt, sondern daû die Logik das Absolute selbst ist, insofern dieses sich von seiner SelbstentaÈuûerung geloÈst hat und den Grund alles Erscheinens bildet (78±79). Im folgenden werde ich zu zeigen versuchen, daû die Passage uÈber die sich entlassende Idee am Ende der Logik ausschlieûlich auf die Art verweist, auf die das 18
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tersuchung wird sich allerdings erweisen, daû die Sache komplizierter ist, als Schelling behauptet. Denn was entschlieût sich da eigentlich? Und wozu? Und was ist die genaue Beziehung zwischen dem sozusagen reellen Indifferenzpunkt, der Schelling zufolge den ¹Punkt des È bergangs von der sich als Natur konstruirenden IdentitaÈt, zu ihrer U Konstruktion als Intelligenzª darstellte,21 und dem absoluten Indifferenzpunkt, der Hegel zufolge dem Unterschied zwischen Natur und Geist vorangeht, um sich im Element des Begriffs selbst zur TotalitaÈt aller reinen Begriffe zu entfalten? 3. Das objektivierende Tun In den Jahren nach 1801 beginnt Hegel einerseits, sein dreigliedriges System auszuarbeiten, und fuÈhrt andererseits die Wissenschaft des Wissens in der Form des Bewuûtseins aus. Dies tut er, um die Philosophie seiner Zeit uÈber die einseitige Subjektphilosophie hinaus zu erheben: Wie Hegel das Bewuûtsein sich von seiner Einseitigkeit befreien laÈût, so muû auch die Philosophie, die jenes Selbstbewuûtsein zum Ausgangspunkt nahm, sich der Bewegung bewuût werden, die sich hinter dem RuÈcken dieses Bewuûtseins vollzieht und dessen Grund sie bildet (WL I/1. 48). Die Philosophie, die sich nach Fichte und Schelling auf den Standpunkt des absoluten Begriffs erhoben hat, kann sich jedoch nicht auf eine Rekonstruktion der Bewegung, in der das Bewuûtsein sich zum absoluten Wissen entwickelt, beschraÈnken. Hegel wird seine Einsicht in die absolute IdentitaÈt von Subjekt und Objekt auch von dieser IdentitaÈt selbst her entfalten muÈssen. Die Bewegung, in der diese IdentitaÈt ± der absolute Begriff ± sich bestimmt, findet seinen
absolute Wissen sich zum System entfaltet, und daû diese und vergleichbare Stellen deshalb von Passagen in der EnzyklopaÈdie unterschieden werden muÈssen, in denen es um die Natur als Idee ¹in der Form der EntaÈuûerungª geht (Enz. § 18, Anm., vgl. § 247). In diesem Kontext spricht Hegel nie uÈber ein Sich-Entschlieûen oder ein Sich-frei-Entlassen der Idee; auch § 244 der EnzyklopaÈdie nimmt, in stark verkuÈrzter Darstellung, Bezug auf die Idee, die sich zum absoluten Wissen entwickelt hat. Meiner Ansicht nach hat keiner der genannten Autoren auf diesen Unterschied geachtet (vgl. u. a. D. Wandschneider und È bergang V. HoÈsle. (Anm. 20. 178 f.). Obwohl B. Bourgeois ± der zu Recht betont, daû der U der Idee zur Natur nicht teleologisch verstanden werden darf (Anm. 20, 176) ± das Wort ¹passageª in AnfuÈhrungszeichen setzt (177±79), bleibt seine Interpretation doch abhaÈngig von der Bedeutung dieses Begriffs. 21 F. W. J. Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie. In: Schelling: Werke. Bd III. 101.
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reinsten Ausdruck in der Wissenschaft der Logik und seine hoÈchste Form des Selbstbegriffs am Ende derselben. Da Hegel im System der spekulativen Wissenschaft, das aus der Logik hervorgeht, von der subjektiven Seite des Erkennens abstrahiert, sind die Passagen, in denen das System sich auf sich selbst bezieht, schwer zu durchschauen. Es kann in diesen Passagen nicht um die Art und Weise gehen, auf die Hegel sein System zur Entfaltung bringt, sondern allein um die Bewegung des Begriffs, der durch Hegels Philosophie zum absoluten Begriff seiner selbst gekommen ist.22 Hegel scheint hier fast nicht anders zu koÈnnen, als die christliche Vorstellung von Gott, der aus dem Nichts die Welt erschafft, in Anspruch zu nehmen. Ich denke allerdings, daû die Mehrschichtigkeit der Reflexion Hegels auf sein System nur sichtbar werden kann, indem diese Vorstellung zunaÈchst auûer Betracht gelassen wird. Darum werde ich dasjenige, was Hegel die absolute Idee nennt, hier ausschlieûlich als das hoÈchste Resultat der Bewegung auffassen, in der der Begriff sich selbst begreift, das heiût als die Form von Wissen, die den reinen Begriff in allen Gestalten der empirisch gegeben Wirklichkeit wiedererkennt und darum ihrem Inhalt nach nicht laÈnger von dieser Wirklichkeit abhaÈngig ist. Bevor ich jedoch auf die Passagen in der PhaÈnomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik eingehe, in denen der Selbstbegriff der spekulativen Wissenschaft seine Artikulation findet, werde ich kurz die Bewegung, die in der Wissenschaft der Logik rekonstruiert wird, andeuten. Indem Hegel nicht laÈnger von der Vernunft als dem hoÈchsten einheitstiftenden VermoÈgen ausgeht, sondern von dem absoluten Begriff, hebt er den subjektiven Charakter der Kantischen Deduktion der Kategorien auf. Hiermit schafft Hegel sich einen Punkt, von dem aus die Deduktion der TotalitaÈt der reinen Begriffe auch erst wirklich ausgefuÈhrt werden kann. Vom Standpunkt der Wissenschaft der Logik aus kann die Vernunft selbst dann als eine einseitige Gestalt des absoluten Begriffs, naÈmlich als die hoÈchste Form des Begriffs, insofern die subjektive Seite davon isoliert wird, verstanden werden.23 Die Bewegung, È bergang vom Sein zum Wesen in der Logik: Vgl. Hegels Bemerkung uÈber den U ¹Diese Bewegung als Weg des Wissens vorgestellt, so erscheint dieser Anfang vom Seyn und der Fortgang, der es aufhebt . . . eine ThaÈtigkeit des Erkennens zu seyn, die dem Seyn aÈusserlich sey und dessen eigene Natur nichts angehe. Aber dieser Gang ist die Bewegung des Seyns selbstª (WL I. 241). 23 ¹[D]as Selbstbewuûtsein [ist] eben der daseyende, also empirisch wahrnehmbare, reine Begriff, die absolute Beziehung auf sich selbst, welche als trennendes Urtheil sich zum Gegenstande macht und allein diû ist, sich dadurch zum Cirkel zu machenª (WL II. 194, 22
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in der etwas sich von sich unterscheidet, um sich mit sich selbst zusammenzuschlieûen, vollzieht sich im Selbstbewuûtsein, das das empirische Bewuûtsein von sich unterscheidet, um dieses Bewuûtsein als sich selbst erkennen zu koÈnnen. Dieselbe Bewegung vollzieht sich auch in einem Begriff, der die PraÈdikate, die er als Bestimmungen in sich traÈgt, von sich unterscheidet und sich im Urteil mit diesen PraÈdikaten identifiziert. Und fuÈr den, der genau hinsieht, vollzieht sich dieselbe Bewegung auch in den Pflanzen und Tieren, die sich nicht gaÈnzlich durch ihre Umgebung bestimmen lassen, sondern sich von innen heraus Form zu geben verstehen und als lebende Wesen ihr beseelendes È uûerlichkeit zusammenschlieûen. Prinzip mit ihrer A All diese Formen von Selbstbestimmung versteht Hegel seit der Zeit der Jenaer SystementwuÈrfe als Formen des reinen Begriffs; der Terminus Begriff verweist ausschlieûlich auf die Bewegung, in der das Allgemeine oder die Form sich von sich unterscheidet, um sich Inhalt zu geben. In der Natur vermag dieses Prinzip der Selbstbestimmung sich noch nicht als sich selbst zu vollziehen. Erst wenn das menschliche Bewuûtsein sich von seiner Umgebung unterscheidet und sich auf das Allgemeine im empirisch Wahrnehmbaren bezieht, faÈngt der Begriff an, fuÈr sich zu werden. Dieses FuÈrsichsein vollendet sich, wenn das Wissen, als Begriff, alle Formen des Seins und Erkennens als Gestalten des Begriffs begreift, das heiût als Momente der Bewegung, in welcher der Begriff sich in immer groÈûerem Maûe zu verwirklichen versteht (vgl. WL I/1, 45). In dieser Gestalt des Begriffs ± dem absoluten Wissen ± ist der Begriff fuÈr seine Verwirklichung gar nicht mehr von etwas auûerhalb seiner selbst abhaÈngig: Da er seinen eigenen Inhalt gaÈnzlich aus sich hervorbringt, kann er sich eine Wirklichkeit schaffen ± den Begriff in der TotalitaÈt seiner Momente ±, die von derselben Art ist wie das Wissen selbst. Die Gestalt des Begriffs, in der der Begriff diese absolute Einheit von Subjekt und Objekt tatsaÈchlich erreicht hat, nennt Hegel die absolute Idee.24 Das absolute Wissen setzt die Idee Gottes nicht laÈnger
vgl. 17). Um ¹die Erkenntnis der unendlichen Form, d. i. des Begriffs, . . . zu erreichen, muûte jene endliche Bestimmtheit, in der die Form als Ich, Bewuûtseyn, ist, noch abgestreift werden. Die Form so in ihre Reinheit herausgedacht, enthaÈlt es dann in sich selbst, sich zu bestimmen, d. i. sich Inhalt zu geben, und zwar denselben in seiner Nothwendigkeit, ± als System der Denkbestimmungenª (WL I/1. 48). 24 ¹Dieser Begriff der Philosophie ist die sich denkende Idee, . . . das Logische mit der Bedeutung, daû es die im concreten Inhalte als in seiner Wirklichkeit bewaÈhrte Allgemeinheit istª (Enz. § 574, vgl. Enz. § 213). Vgl. uÈber die Idee als reines Wissen: WL I/1. 55, vgl. WL II. 178, 236; als Subjekt-Objekt: WL II. 176.
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als das absolut Unbestimmbare auûerhalb seiner selbst, sondern versteht diese Idee als die vollendetste Selbstbestimmung des reinen Begriffs und erkennt in ihr sich selbst (vgl. PhaÈn. 427). In der Wissenschaft der Logik abstrahiert Hegel von der Frage, ob eine Kategorie gebraucht wird, um ein endliches oder ein unendliches Substrat zu bestimmen.25 Die reinen Begriffe bilden die Bedingungen der MoÈglichkeit jeglicher Form von Erkenntnis, das heiût fuÈr die Erkenntnis der Natur, fuÈr die Selbsterkenntnis des Geistes und fuÈr die Selbsterkenntnis der absoluten Idee. Bei seiner Rekonstruktion der Bewegung, in der der absolute Begriff sich als das Ganze dieser Denkbestimmungen entfaltet, kann Hegel unter anderem an die Begriffe anschlieûen, ¹welche durch die Reflexion herausgehoben und von ihr als subjective, an dem Stoff und Gehalt aÈussere Formen fixirt sindª (WL I/1. 18). Nicht allein bei Kant, sondern in der gesamten Geschichte der Philosophie sind die Formen, die es uns ermoÈglichen, Erkenntnis uÈber die Natur und uÈber uns selbst zu erlangen, als solche sprachlich artikuliert worden.26 Hegel gruÈndet seine Rekonstruktion allerdings nicht allein auf die Resultate der philosophischen Reflexion, sondern auch und in erster Linie auf ¹die Denkbestimmungen, die uÈberhaupt unseren Geist instinctartig und bewuûtlos durchziehen, und selbst indem sie in die Sprache hereintreten, ungegenstaÈndlich, unbeachtet bleibenª (WL I/1. 17±18). Scheinbar ist lediglich ein Teil der Denkbestimmungen, die es dem Bewuûtsein ermoÈglichen, sich zu seiner Umgebung zu verhalten, in der bisherigen Geschichte der Philosophie thematisiert worden. Wichtiger ist allerdings die Frage, was von den reinen Begriffen uÈbrigbleibt, wenn wir von ihrer Bestimmung als subjektive Erkenntnisformen absehen. DaruÈber sagt Hegel folgendes: ¹[E]in solches Abstractum, wie Ding-an-sich, [ist] selbst nur ein Product des . . . abstrahirenden Denkens. Wenn andere Kantianer sich uÈber das Bestimmen des Gegenstands durch Ich so ausgedruÈckt haben, daû das Die objektive Logik tritt an die Stelle der vormaligen Ontologie und begreift ¹auch die uÈbrige Metaphysik insofern in sich, als diese mit den reinen Denkformen die besonderen, zunaÈchst aus der Vorstellung genommenen Substrate, die Seele, Welt, Gott, zu fassen suchte . . . Aber die Logik betrachtet diese Formen frey von jenen Substraten, den Subjecten der Vorstellung, und ihre Natur und Werth an und fuÈr sich selbstª (WL I/1. 48± 49). So bildet die Logik ¹die wahrhafte Kritikª der vormaligen Metaphysik (49). 26 Vorlesungen u È ber die Geschichte der Philosophie I. 49; vgl. Enz. § 14. Die Bestimmungen des Absoluten, die in der Geschichte der Philosophie artikuliert wurden, bilden Hegel zufolge zugleich Momente in der Bewegung, in der der absolute Begriff sich selbst bestimmt. 25
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Objectiviren des Ich, als ein urspruÈngliches und nothwendiges Thun des Bewuûtseyns anzusehen sey, . . . so ist dieses von dem Gegensatze des Bewuûtseins befreyte objectivirende Thun naÈher dasjenige, was fuÈr Denken als solches uÈberhaupt genommen werden kann. Dieses Thun sollte aber nicht mehr Bewuûtseyn genannt werden; Bewuûtseyn schlieût den Gegensatz des Ich und seines Gegenstandes in sich, der in jenem urspruÈnglichen Thun nicht vorhanden istª (WL I/1. 47-48, meine Hervorhebung). Sobald jemand etwas von etwas anderem unterscheidet und beispielsweise sieht, daû das eine groÈûer ist als das andere oder das andere verursacht, wird nicht nur angeschaut, sondern auch gedacht. Dieses Denken wird nach Hegel durch Kategorien ermoÈglicht, die das Resultat der Bewegung sind, in der der absolute Begriff sich selbst bestimmt. Diese Bewegung beginnt sich tatsaÈchlich zu vollziehen, wenn der Begriff im Menschen zum Bewuûtsein kommt und sich als menschliches Bewuûtsein von seiner Umgebung zu unterscheiden beginnt. Man koÈnnte sagen, daû der Begriff, der sich im Element des Denkens zu bestimmen beginnt, dem menschlichen Bewuûtsein eine Welt eroÈffnet, zu der es ein freies VerhaÈltnis erlangen kann. Es braucht sein Denken nicht laÈnger ausschlieûlich durch das bestimmen zu lassen, was von auûen kommt, sondern kann dasjenige, was es auûerhalb seiner selbst vorfindet, dadurch, daû es sich auf das Allgemeine im Empirischen bezieht, begreifen. Indem das Bewuûtsein, wie Adam, den Dingen ihren Namen gibt, bringt es die Wirklichkeit als Wirklichkeit zum Erscheinen.27 Das Bewuûtsein selbst ist Hegel zufolge nicht der Ursprung dieses Erscheinens. Das objektivierende Tun, das in allen Vorstellungen des Bewuûtseins ¹bewuûtlos geschaÈftigª ist (WL I/1. 15), erzeugt selbst erst den Unterschied zwischen Bewuûtsein und Welt: Der reine Begriff, das heiût das Allgemeine, das sich in sich selbst unterscheidet und bestimmt, ist ¹die Seele fuÈr sich, . . . der das Innerste der GegenstaÈnde, ihr einfacher Lebenspuls, wie selbst des subjectiven Denkens derselben istª (ebd). Die durch das objektivierende Tun erzeugten Denkbestimmungen sind also nichts anderes als die wesentlichen, allgemeinen Momente der Natur und des Geistes selbst, das heiût der Wirklichkeit, insofern diese zum Gegenstand der Erkenntnis werden kann.28 Aufgrund dieser Allgemeinheit, derer das empirische Bewuûtsein sich nicht bewuût ist, koÈnnen die Dinge dem Bewuûtsein Vgl. Jenaer SystementwuÈrfe III. 189±190. [D]ie Denk- und Begriffsbestimmungen sind es, in denen [der Gegenstand] ist was er ist. ¹In der That kommt es daher allein auf sie an; sie sind der wahrhafte Gegenstand 27 28
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erst auf eine bestimmte Weise erscheinen. So ermoÈglicht der reine Begriff, der sich als ,Sein` bestimmt, es erst, daû das Ganze des Seienden sich dem Bewuûtsein als das sinnlich Anschaubare auftut. Der Begriff ,Sein` ist eine der drei Grundkategorien, die die Struktur der Logik ausmachen. Sein, Wesen und Begriff muÈssen nicht so sehr als Kategorien im Kantischen Sinn aufgefaût werden, sondern als (Selbst-) Bestimmungen des absoluten Begriffs, die dem Bewuûtsein auf verschiedene Art Zugang zur Wirklichkeit im Ganzen geben.29 Man koÈnnte diese drei Begriffe darum auch als die drei ontologischen Perspektiven auffassen, die gemeinsam die Geschichte des Geistes bestimmen. So kann die Grundkategorie ,Sein` als die ontologische Perspektive verstanden werden, die das Absolute als Sein bestimmt und es damit dem Bewuûtsein ermoÈglicht, Erkenntnis uÈber die Wirklichkeit zu erlangen, insofern diese in der sinnlichen Anschauung erscheint. Aufgrund dieser Perspektive koÈnnen die Dinge hinsichtlich ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmungen und ihre Beziehungen zu anderen Dingen verstanden werden.30 Sobald sich das Bewuûtsein aber auf das Allgemeine im sinnlich Angeschauten bezieht, vollzieht es implizit schon einen Unterschied zwischen dem Wesen von etwas und dessen sinnlicher Erscheinung. Die ontologische Perspektive, die es dem Bewuûtsein ermoÈglicht, die Wirklichkeit im Ganzen aus dem Unterschied zwischen dem Wesentlichen und dem Wahrnehmbaren heraus zu begreifen, deutet Hegel mit der Kategorie Wesen an. Diese Perspektive gibt der Philosophie die MoÈglichkeit, das Absolute mit Hilfe ontologischer GegensaÈtze wie Unendlichkeit und Endlichkeit, È uûeres zu bestimmen. Wie die Grund und BegruÈndetes, Inneres und A Perspektive, die sich einseitig auf die sinnlich anschaubare Wirklichkeit bezieht, muû die ontologische Perspektive, die an derartigen GegensaÈtzen festhaÈlt, an ihrer Einseitigkeit zugrunde gehen. Die ontologische Perspektive, die die Einseitigkeit beider Perspektiven aufhebt, ist die Perspektive des Begriffs selbst (WL II. 48). Die Philosophie, die sich auf den Standpunkt des absoluten Begriffs stellt, wird die Wirklichkeit im und Inhalt der Vernunft, und ein solches, als man sonst unter Gegenstand und Inhalt im Unterschiede von ihnen versteht, gilt nur durch sie und in ihnenª (WL II. 244). 29 Vgl.: ¹Wenn also das Absolute zuerst als Seyn bestimmt war, so ist es itzt als Wesen bestimmtª (WL II. 241). 30 ¹Das unmittelbare, sinnliche Bewuûtsein ist, insofern sich dasselbe zugleich denkend verhaÈlt, vornehmlich auf die abstrakten Bestimmungen der QualitaÈt und der QuantitaÈt beschraÈnktª (Enz. I. § 86 Zus.). ¹Diese Gewiûheit . . . sagt von dem, was sie weiû, nur diû aus: es ist; und ihre Wahrheit enthaÈlt allein das Seyn der Sacheª (PhaÈn. 63).
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Ganzen begreifen koÈnnen, so wie diese an und fuÈr sich ist, das heiût als Ausdruck der Bewegung, in der das Allgemeine oder Wesentliche sich ein immer angemesseneres FuÈrsichsein zu verschaffen sucht. Da diese Bewegung notwendig zum absoluten Wissen selbst als hoÈchster Form von Selbstbegriff fuÈhrt, bildet die Logik auch die Grundlegung der spekulativen Wissenschaft. Wie bereits gesagt, besteht die Wissenschaft der Logik in der Rekonstruktion des objektivierenden Tuns, das sich im und durch das Bewuûtsein hin vollzieht, dem Bewuûtsein die Wirklichkeit auf verschiedene Weisen zugaÈnglich macht und in der Geschichte der Philosophie selbst auf unvollkommene Weise artikuliert wird: ¹Diese Kategorien, die nur instinctmaÈûig als Triebe wirksam sind . . . zu reinigen und [das Bewuûtsein] damit in ihnen zur Freyheit und Wahrheit zu erheben, diû ist also das hoÈhere logische GeschaÈft.ª31 Ich werde nun darauf eingehen, wie Hegel in der PhaÈnomenologie und in der Logik dieses GeschaÈft versteht. 4. Die Konstruktion des Systems Das absolute Wissen, das die letzten Einseitigkeiten der vorangehenden philosophischen Systeme aufgehoben hat, erkennt, wie die eine Bewegung des Begriffs sich als beseelende Kraft in aller Erkenntnis und in allem, was zum Objekt der Erkenntnis werden kann, vollzieht. Es kann sich jedoch nicht mit dieser Einsicht begnuÈgen, sondern muû sich als ein System bewaÈhren, das die TotalitaÈt des Wissens als Einheit begreift.32 In diesem System, so werde ich zeigen, rekonstruiert das absolute Wissen die verschiedenen Seiten der Bewegung des Begriffs, die es als die verschiedenen Seiten seiner eigenen Geschichte erkennt. So bildet die PhaÈnomenologie des Geistes die Rekonstruktion der subjektiven Seite der Geschichte des absoluten Wissens. Diese Rekonstruktion
WL I/1. 16; vgl. Enz. § 246 Zus., 20. Vgl. hieruÈber auch Schelling schon im Jahre 1800: ¹Philosophie uÈberhaupt ist also nichts anderes als freie Nachahmung, freie Wiederholung der urspruÈnglichen Reihe von Handlungen, in welcher der eine Akt des Selbstbewuûtseyns sich evolvirt . . . Das philosophische Talent besteht . . . hauptsaÈchlich darin, sich in dieser freien Wiederholung wieder der urspruÈnglichen Nothwendigkeit jener Handlungen bewuût zu werden.ª F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. In: Schelling: Werke. Bd II. 397±98. 32 ¹Auf diesem sich selbst construirenden Wege allein . . . ist die Philosophie fa È hig, objective, demonstrirte Wissenschaft zu seinª (WL I/1. 8). 31
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muÈndet in einem Wissen, das seine subjektive Einseitigkeit aufgehoben hat und als reiner Begriff diesen selben reinen Begriff in allem, worauf es sich bezieht, erkennt. Dieser Begriff bildet das Element in dem die Logik und die anderen Teile des Systems sich daraufhin entfalten koÈnnen.33 Der Anfang der Logik kann also als das Resultat der Bewegung, in der das Bewuûtsein sich zum absoluten Wissen entwickelt, aufgefaût werden (WL I/1. 54±55). Dieser Anfang muû Hegel zufolge jedoch gleichermaûen als unmittelbarer Anfang betrachtet werden. Aus dem ¹Entschluû, den man auch fuÈr eine WillkuÈhr ansehen kann, nemlich daû man das Denken als solches betrachten wolleª (WL I/1. 56), folgt, daû die Betrachtung bei dem rein Unmittelbaren beginnen muû, das heiût beim Sein als leerster Gestalt des reinen Begriffs (ebd.). In Wahrheit aber ist die Auffassung, daû die Wissenschaft beim Unmittelbarsten beginnen muû, ebenso einseitig wie die Auffassung, daû der Anfang der Wissenschaft immer eine andere Bewegung ± die des Bewuûtseins ± voraussetzt: ¹Das Wesentliche fuÈr die Wissenschaft ist nicht sosehr, daû ein rein Unmittelbares der Anfang sey, sondern daû das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst istª (WL I/1. 57). Die ¹Linie der wissenschaftlichen Fortbewegungª (WL I/1. 58) kann sich nur als Kreis vollziehen, wenn der unmittelbare Anfang im Laufe der Entwicklung selbst als Resultat erscheint ± allerdings nicht als Resultat von etwas anderem, sondern von sich selbst. Die Bewegung des Erkennens bildet darum einen ¹in sich zuruÈckgehenden Kreis, der seinen Anfang voraussetzt und ihn nur am Ende erreichtª (PhaÈn. 429). Dies bedeutet, daû das absolute Wissen, das sich zum System entfalten will, seinen eigenen Anfang von sich selbst unterscheiden muû, um diesen ersten Keim sich selbst zu uÈberlassen und zwar dergestalt, daû dieser Anfang innerhalb des Elements des reinen Begriffs veranlaût wird, die Entwicklung, die dem absoluten Wissen vorangegangen sein muû, zu wiederholen.34 Indem es auf diese Weise die Gestalt, die sich noch gar Vgl.: ¹[S]o ist dieses Selbsterzeugen, der reine Begriff, [dem Geist] . . . das gegenstaÈndliche Element, worin er sein Daseyn hat. . . . Der Geist, der sich so als Geist weiû, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente erbautª (PhaÈn. 22). Die ganze Wissenschaft vollzieht sich also im Element des È therª der Wissenschaft bildet (22). In diesem Element wird die EntBegriffs, das den ¹A wicklung des Inhalts ausschlieûlich durch den reinen Begriff als Prinzip der Selbstbestimmung bestimmt; der reine Begriff bildet als Bewegungsprinzip auch ¹das eigene Selbst des Gegenstandesª (42, vgl. WL I/1. 8). 34 Dieses gilt im engeren Sinne nur fu È r das spekulative System: Da jeder Moment in der PhaÈnomenologie noch in das Erkennen und das Objekt dieses Erkennens ausein33
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nicht von sich selbst unterschieden hat, voraussetzt, gewinnt das Wissen einen Anfang, der aus sich selbst die Bewegung, die das absolute Wissen selbst zum hoÈchsten Resultat haben muû, vollziehen wird.35 Das absolute Wissen braucht nach dieser ,Zutat` lediglich noch zuzuschauen, wie die absolute Bewegung des Begriffs die einseitigen Gestalten dieses Begriffs immer wieder dazu zwingt, ihre Einseitigkeit aufzugeben.36 Der Keim kann nicht anders, als die Momente, die er in sich traÈgt, zu entfalten. Dadurch, daû das absolute Wissen innerhalb der SphaÈre des Begriffs den groÈûtmoÈglichen Abstand zwischen sich selbst und seiner aÈrmsten Gestalt schafft, kann es sich dessen sicher sein, daû diese Gestalt schrittweise zum absoluten Wissen zuruÈckkehrt, das den wahren Anfangs- und Endpunkt des Systems ausmacht.37 Aber was ist nun die aÈrmste Gestalt des absoluten Wissens? Wenn dieses Wissen seine eigene Geschichte bloû ihrer subjektiven Seite nach rekonstruiert, wird es beim sinnlichen Bewuûtsein anfangen muÈssen. Wenn das absolute Wissen beschlieût, das Denken als solches zu betrachten, dann bildet das ,Sein` die aÈrmste und unbestimmteste Gestalt
anderfallt, hat dieses Werk noch nicht das wahre Subjekt-Objekt zum Element, sondern lediglich dessen subjektive Form (vgl. PhaÈn. 432). 35 ¹Hierin ist auch das Na È here enthalten, daû das, womit der Anfang zu machen ist, nicht ein Concretes, nicht ein solches seyn kann, das eine Beziehung innerhalb seiner selbst enthaÈltª (WL I/1. 62). Darum ist auch Fichtes Anfang mit dem Ich unzureichend (62). 36 Vgl. Pha È n. 59, 61; Hegel nennt das Wissen auch eine ¹scheinbare UntaÈtigkeitª (PhaÈn. 431); vgl.: ¹Insofern das reine Seyn als Inhalt des reinen Wissens genommen wird, so hat dieses von seinem Inhalte zuruÈckzutreten, ihn fuÈr sich selbst gewaÈhren zu lassen und nicht weiter zu bestimmenª (WL I/1. 59). 37 Die Idee einer solchen wissenschaftlichen Rekonstruktion hat Hegel von Schelling entlehnt. In einer allgemeinen Reflexion uÈber die Transzendentalphilosophie bemerkt dieser: ¹Solange das Ich in der urspruÈnglichen Evolution der absoluten Synthesis begriffen ist, ist nur eine Reihe von Handlungen, die der urspruÈnglichen und nothwendigen; sobald ich diese Evolution unterbreche, und mich freiwillig in den Anfangspunkt der Evolution zuruÈckversetze, entsteht mir eine neue Reihe, in welcher frei ist, was in der ersten nothwendig war.ª F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. In: Schelling: Werke. Bd II. 397 (meine Hervorhebung). Bald danach: ¹Die Philosophie kann also nur diejenigen Handlungen, die in der Geschichte des Selbstbewuûtseyns gleichsam Epoche machen, aufzaÈhlen, und in ihrem Zusammenhang miteinander aufstellenª (398). Mit Bezug auf die Naturphilosophie heiût es: ¹Das Objektive in seinem ersten Entstehen zu sehen, ist nur moÈglich dadurch, daû man das Objekt alles Philosophirens, das in der hoÈchsten Potenz = Ich ist, depotenzirt, und mit diesem auf die erste Potenz reducirten È ber den wahren Begriff der NaturObjekt von vorne an construirt.ª F. W. J. Schelling: U philosophie. In: Schelling: Werke. Bd II. 719. Schelling mag es wohl unterlassen haben, eine Logik zu schreiben, er hat aber trotzdem einige sehr gute Ideen gehabt. Der spaÈtere Schelling wirft Hegel vor, die von ihm entwickelte Methode zu Unrecht in die Logik uÈbertragen zu haben (Zur Geschichte der neueren Philosophie. In: Schelling: Werke. Bd V. 207±9).
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des reinen Begriffs.38 Und wenn das Wissen sich um der groÈûtmoÈglichen Kreisbewegung des Systems willen auf die Art bezieht, auf die der reine Begriff sich in der Natur selbst gestaltet hat, dann wird es sich ± ohne darum das Element des Begriffs zu verlassen ± in die Idee, so wie sie durch die aÈuûeren Formen Raum und Zeit bestimmt wird, entlassen muÈssen. Ich werde nun naÈher auf Passagen aus der Logik und der PhaÈnomenologie eingehen, in denen Hegel umreiût, wie das absolute Wissen sich zum System entfaltet. Am Anfang von Die Lehre vom Sein weist Hegel darauf hin, daû das, was fuÈr die Bewegung gilt, in der das absolute Wissen sich als sinnliches Bewuûtsein voraussetzt, um im Element des Begriffs zu sich zuruÈckzukehren, auch fuÈr den reinen Begriff gilt, der die Grundlage dieser Entwicklung bildet: ¹So wird noch mehr der absolute Geist, der als die concrete und letzte hoÈchste Wahrheit alles Seyns sich ergibt, erkannt, als am Ende der Entwickelung sich mit Freyheit entaÈussernd und sich zur Gestalt eines unmittelbaren Seyns entlassend, ± zur SchoÈpfung einer Welt sich entschlieûend, welche alles das enthaÈlt, was in die Entwicklung, die jenem Resultate vorangegangen, fielª (WL I/1. 57). Das Wissen, das sich als das hoÈchste Resultat der Bewegung des absoluten Begriffs versteht, wird seine eigene Entwicklung auch rekonstruieren muÈssen, indem es von dem Begriff ausgeht, der dem Unterschied zwischen dem Bewuûtsein und der Welt, wie diese dem Bewuûtsein erscheint, zugrunde liegt. Obwohl diese Passage auf Gott verweist, der aus dem Nichts die Welt erschafft, darf man nicht aus dem Blick verlieren, daû Hegel gerade behauptet hat, daû die Logik mit dem reinen, unmittelbaren Sein beginnen muû (WL I/1. 56). Ich denke darum, daû die obengenannte Passage in erster Linie auf das absolute Wissen Bezug nimmt, das sich am Ende der Entwicklung des Geistes in Freiheit zu einer rekonstruierenden Wiederholung der Bewegung des reinen Begriffs, die dem Bewuûtsein eine Welt eroÈffnet, entschlieût. Dadurch, daû der Begriff sich im Element des Denkens zur Grundkategorie ,Sein` bestimmt, vermag das Bewuûtsein die Dinge in seiner Umgebung als seiend zu erfahren und mittels der anderen Bestimmungen des reinen Begriffs die Welt als objektive TotalitaÈt zu erzeugen. Indem das absolute Wissen diese erschaffende Bewegung des Begriffs wiederholt, konstituiert es die Welt, die den Inhalt der Natur¹[E]rst das reine Wissen, der Geist, der sich von seiner Erscheinung als Bewuûtseyn befreyt hat, hat auch das freye, reine Seyn zu seinem Anfangª (WL I. (1812/13). 34). Diese Passage fehlt in der zweiten Version der Logik. 38
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und Geisteswissenschaften bildet, zum ersten Mal als TotalitaÈt. Diese Interpretation wird vollstaÈndig unterstuÈtzt durch eine Passage aus dem È ltesten Systemprogramm: ¹Mit dem freien, selbstbewuûten Wesen tritt A zugleich eine ganze Welt ± aus dem Nichts hervor ± die einzig wahre und gedenkbare SchoÈpfung aus dem Nichtsª.39 Die Bewegung, in der der Begriff sich in der Natur selbst vollzieht und das Bewuûtsein zum Resultat hat, ist lediglich denkbar, insofern sie ihren Niederschlag im Ganzen der Naturwissenschaften gefunden hat. Die Begriffe, die es dem Bewuûtsein ermoÈglichen, Erkenntnis uÈber die Natur und uÈber sich selbst zu erlangen, gruÈnden auf dem Begriff, der sich als objektivierendes Tun in und durch das Bewuûtsein hindurch vollzieht. Die Wissenschaft der Logik bildet die Wiederholung dieses objektivierenden Tuns im Element des reinen Begriffs selbst. Der soeben zitierten Passage aus der Logik zufolge wird die Welt, die das absolute Wissen im Element des Begriffs als objektive TotalitaÈt konstituiert, ¹durch diese umgekehrte Stellung mit seinem Anfang in ein von dem Resultate als dem Principe abhaÈngiges verwandeltª.40 Vom Standpunkt des absoluten Wissens aus wird sichtbar, wie die empirisch gegebene Natur und der endliche Geist, die tatsaÈchlich der hoÈchsten Gestalt des absoluten Begriffs vorangehen, selbst ermoÈglicht werden durch den reinen Begriff ± das Prinzip ±, der im menschlichen Bewuûtsein das È lteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus. In: Dokumente zu G. W. F. Hegel: Das A Hegels Entwicklung. Hrsg. von J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 219. Vgl.: ¹Insofern Leben, Ich, endlicher Geist wohl auch nur bestimmte Begriffe sind, so ist ihre absolute AufloÈsung in demjenigen Allgemeinen, welches als wahrhaft absoluter Begriff, als Idee des unendlichen Geistes zu fassen ist, dessen Gesetztseyn [das innerhalb der Wissenschaften stattfindet, Karin de Boer] die unendliche, durchsichtige RealitaÈt ist, worin er seine SchoÈpfung und in ihr sich selbst anschautª (WL II. 36, vgl. 25, 35; Enz. § 384). ¹Der Begriff ist vielmehr das wahrhaft Erste, und die Dinge sind das, was sie sind, durch die TaÈtigkeit des ihnen innewohnenden und in ihnen sich offenbarenden Begriffs. In unserem religioÈsen Bewuûtsein kommt dies so vor, daû wir sagen, Gott habe die Welt aus Nichts erschaffenª (Enz. § 163 Zus.). B. Bourgeois weist darauf hin, daû der Hegelsche Begriff der SchoÈpfung sich ausschlieûlich auf die TaÈtigkeit des Begriffs bezieht. B. Bourgeois (Anm. 20), 173±74, 178±79. 40 WL I/1. 57. In Zur Geschichte der neueren Philosophie. In: Schelling: Werke. Bd V. 226±27, weist Schelling darauf hin, daû die besprochene Passage in der zweiten Ausgabe der Logik von der Ausgabe von 1812 abweicht. Der ersten Ausgabe zufolge entlaÈût sich das reine Wissen nicht zur ¹Gestalt eines unmittelbaren Seynsª, sondern ¹in die Gestalt eines unmittelbaren Bewuûtseyns, als Bewuûtseyn eines Seyns, das ihm als ein Anderes gegenuÈberstehtª (WL I. (1812/13). 35). In dieser Passage scheinen die beiden Arten, auf die das absolute Wissen sich entlaÈût ± in das unmittelbare Bewuûtsein und in das Sein, das als reiner Begriff dem VerhaÈltnis des Bewuûtseins zum Anderen seiner selbst zugrunde liegt ±, zusammengenommen zu sein. Ein zweiter Unterschied ist, daû die erste Ausgabe diese Bewegung nicht mit Gottes SchoÈpfung der Welt aus dem Nichts vergleicht. 39
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Ganze der Bedingungen der MoÈglichkeit entfaltet, aufgrund derer die Natur sich erst als Natur dem Bewuûtsein offenbaren kann. Wie auch Schelling faût Hegel diese bewuûtlose Konstitution der TotalitaÈt der reinen Begriffe ihrerseits wiederum als eine Wiederholung der ± gleichermaûen unbewuûten ± Selbstkonstruktion der Natur auf, die dem Bewuûtsein vorangeht.41 WaÈhrend Schelling diese beiden Bewegungen zum Inhalt zweier unterschiedlicher Wissenschaften macht, sieht Hegel in der Wissenschaft der Logik zunaÈchst von demjenigen ab, was den Unterschied zwischen den beiden Bewegungen ausmacht, naÈmlich der Form ihres Elements. Die Logik muû also die Bewegung des reinen Begriffs nicht insofern darstellen, als diese sich im Element der Natur oder des Bewuûtseins vollzieht, sondern so, wie sie an und fuÈr sich ist. Auf diese Weise wird ¹aller Unterschied der Konstruktion des Universums durch und fuÈr die Intelligenz und seiner als ein objektives angeschauten, unabhaÈngig erscheinenden Organisation vernichtetª (D 28). Dies fuÈhrt uns zu der Frage, wie das absolute Wissen, das seine ,logische` Geschichte rekonstruiert hat, sich daraufhin zur Realphilosophie entfaltet. Um diese Frage zu beantworten, wende ich mich dem Ende der PhaÈnomenologie und der Logik zu. Am Ende der PhaÈnomenologie des Geistes behauptet Hegel, daû diese selbst ein Resultat der Wissenschaft sei. Im Gegensatz zur PhaÈnomenologie ist jeder Moment innerhalb dieser Wissenschaft durch die Form des Begriffs gekennzeichnet (PhaÈn. 432). Obwohl Hegel seine Wissenschaft der Logik noch nicht geschrieben hatte, meine ich, daû Hegel hier auf die Logik als ersten Teil des Systems verweist.42 Die Wissenschaft, die in der ¹organischen, in sich selbst gegruÈndeten Bewegungª der bestimmten Begriffe besteht, gibt sich dadurch RealitaÈt, daû sie die MoDiesbezuÈglich unterscheidet die EnzyklopaÈdie drei Arten von Offenbarung: (1) das Werden der Natur als das ¹Umschlagen der Idee in die Unmittelbarkeit aÈuûerlichen und vereinzelten Daseinsª (Enz III. § 384 und Zus., 30); (2) der Akt, in dem der Geist, der frei ist, die Welt als seine Welt setzt, aber so, daû diese Welt dennoch ein von ihm UnabhaÈngiges bleibt (31); (3) das Offenbaren im Begriffe ± d. h. in der Philosophie (§ 384 Anm.) ± als ¹Erschaffen derselben [Welt] als seines Seynsª. Nur in diesem Erschaffen gibt der Geist sich ¹die Affirmation und Wahrheit seiner Freiheitª (§ 384, erste Hervorhebung von mir; vgl. Enz. III. § 381 Zus., 25). 42 Vgl.: ¹[A]ber die Fortbewegung dieses Gegenstandes [das Bewuûtsein] beruht allein . . . auf der Natur der reinen Wesenheiten, die den Inhalt der Logik ausmachenª (WL I/1. 8). Der Jenaer Systementwurf II (1804/1805) enthaÈlt eine Logik und eine Metaphysik, die zusammen eine der Vorformen der Wissenschaft der Logik bilden. Die Frage, ob der Entwurf der Logik von 1805/06 oder von 1804/05 der PhaÈnomenologie zugrunde liegt, ist fuÈr meine Absicht unwichtig. Vgl. hierzu V. HoÈsle (Anm. 20), 121. 41
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mente des reinen Begriffs in den Gestalten des Bewuûtseins wiedererkennt. Es ist darum fuÈr die Wissenschaft notwendig, ¹der Form des reinen Begriffs sich zu entaÈussernª (ebd.) und die aÈrmste Gestalt ihrer selbst als sinnliches Bewuûtsein vorauszusetzen. Das absolute Wissen braucht bei dieser Rekonstruktion seiner subjektiven Seite den reinen Begriff keinen Moment aus dem Blick zu verlieren: ¹[D]ieses Entlassen seiner aus der Form seines Selbst [der Begriff] ist die hoÈchste Freyheit und Sicherheit seines Wissens von sichª (ebd.). Das Bewuûtsein, dessen notwendige Bewegung in der PhaÈnomenologie rekonstruiert wird, hat sich niemals in Freiheit dafuÈr entschieden, sich zu entwickeln. Das absolute Wissen, das sich die Form eines Systems gibt, hat demgegenuÈber die Freiheit, von seiner erreichten FuÈlle zu abstrahieren und auf diese Weise die notwendige Bewegung des Bewuûtseins zu rekonstruieren. Die EntaÈuûerung, in der das absolute Wissen sich mit dem sinnlichen Bewuûtsein identifiziert, ist aber noch unvollkommen. Es muû ± und damit weist die PhaÈnomenologie uÈber die Grenzen ihres eigenen Bereichs hinaus ± eine noch groÈûere Kreisbewegung vollziehen und seine Entwicklung auch ¹in der Form des freyen zufaÈlligen Geschehensª (PhaÈn. 433) darstellen. Hier bezieht sich das absolute Wissen also nicht auf seinen Anfang als Bewuûtsein oder als reiner Begriff (Sein), sondern auf den Begriff, der sich in den Gestalten der Natur und des endlichen Geistes vollzieht. Die Natur wird dem Bewuûtsein aufgrund der reinen Anschauungen Raum und Zeit zugaÈnglich. Diese Bedingungen der MoÈglichkeit jeder Erfahrung der Natur und jeder erfahrbaren Natur sind nichts Begriffliches. Dennoch sagt Hegel, daû das absolute Wissen die Zeit auûer ihm als sein reines Selbst anschaut und ebenso sein Sein als Raum (ebd.). Offensichtlich kann das absolute Wissen auch in den Formen Zeit und Raum, die die Bedingungen der MoÈglichkeit jeglicher È uûerlichkeit bilden, die Struktur des reinen Begriffs erkennen. Nur A wenn dem so ist, kann sich das absolute Wissen als hoÈchste Form des Begriffs mit Raum und Zeit als den aÈrmsten Gestalten des Begriffs identifizieren, diese aus sich entlassen, und die Entwicklung des Begriffs rekonstruieren, insofern diese in der Natur vor sich gegangen sein muû. Wie bereits gesagt, muû Hegel sich hierbei tatsaÈchlich auf die Resultate der bestehenden Wissenschaften stuÈtzen und diese im Lichte der Bewegung des reinen Begriffs interpretieren. Hegels Naturphilosophie bildet auf diese Weise die Rekonstruktion der Bewegung È uûerlichkeit. Wie auch fuÈr des Begriffs im Element der raumzeitlichen A Kant ist fuÈr Hegel die Natur ,selbst` nichts, was uÈber unsere Erkenntnis der Natur hinausgeht. Da Hegel im Gegensatz zu Kant aber die MoÈg-
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lichkeit spekulativer Erkenntnis zulaÈût, stellt seine Rekonstruktion die Natur nicht nur als das Ganze der GegenstaÈnde, die durch aÈuûerliche GesetzmaÈûigkeiten bestimmt werden, dar, sondern auch als ein Ganzes, das vom Begriff als absolutes Prinzip der Selbstorganisation zeugt. Diese Rekonstruktion muû bei den letzten Bedingungen der MoÈglichÈ uûerlichkeit anfangen; nur so schafft die Rekeit jeder zufaÈlligen A konstruktion den Abstand zwischen dem Anfang (die Natur insofern sie ganz durch Raum und Zeit bestimmt ist) und dem Ende (die Aufhebung dieser Bestimmtheit), innerhalb dessen der Begriff den Abstand zwischen sich selbst und sich selbst dann zum ersten Mal auf systematische Art uÈberbruÈcken kann. Auf diese Weise kehrt er uÈber die Rekonstruktion der Natur und der Geschichte des Geistes zum absoluten Wissen zuruÈck (ebd.). Das Ende der PhaÈnomenologie des Geistes und das der Wissenschaft der Logik unterscheiden sich insofern, als Hegel in der Logik nicht mehr uÈber das absolute Wissen, sondern uÈber die absolute Idee spricht.43 Das hat seinen Grund darin, daû die Logik die absolute Einheit von Wissen und demjenigen, was gewuût wird, zum Inhalt hat. Deutlicher als in der PhaÈnomenologie gibt Hegel in der Logik an, wie die spekulative Wissenschaft sich zu einem System entfalten muû, das sich als ein Kreis von Kreisen mit seinem Anfang zusammenschlieût (WL II. 252). Die Wissenschaft der Logik umfaût das Ganze aller reinen Begriffe, aber die absolute Idee ist hier als ¹Wissenschaft nur des goÈttlichen Begriffsª noch innerhalb derselben SphaÈre gehalten. Das absolute Wissen, das der Trieb ist, diese Einseitigkeit aufzuheben (WL II. 253, vgl. 25), kann sich nur als TotalitaÈt entfalten, indem jede Wissenschaft in ihrem hoÈchsten Resultat zugleich den Anfang der folgenden Wissenschaft bildet. Und das ist nur dann moÈglich, wenn jede Wissenschaft im Element des Begriffs, und zwar in einer bestimmten Seite dieses Elements, die Bewegung wiederholt, in der der Begriff seine abstrakt-unmittelbare Gestalt voraussetzt, um zu sich als Resultat zuruÈckzukehren. Jenes Resultat bildet den Anfangspunkt der folgenden Wissenschaft, indem das absolute Wissen den Begriff, der als Resultat einer bestimmten SphaÈre erscheint, sich in einer anderen Seite des Elements des Begriffs wiederholen laÈût.
Die absolute Idee, d. h. ¹die Idee des absoluten Erkennensª (WL II. 252), ist der reine Begriff, der sich zum Gegenstand hat und in der Logik die TotalitaÈt seiner Bestimmungen durchlaÈuft. 43
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Nachdem sich das absolute Wissen am Ende der Logik mit der unmittelbarsten Gestalt des reinen Begriffs im Element des reinen Begriffs selbst, naÈmlich dem Sein, zusammengeschlossen hat, muû dieses Sein zum ¹Anfang einer anderen SphaÈre und Wissenschaftª werden (WL II. 253). Der reine Begriff, der sich zunaÈchst nur innerhalb seiner selbst unterschieden hat, muû sich nun in einer zweiten Kreisbewegung in der Wirklichkeit wiederfinden, insofern diese durch die raumzeitliche È uûerlichkeit bestimmt ist.44 Um dieser Rekonstruktion willen beA stimmt sich die absolute Idee als das einfache Sein, das dem Bewuûtsein ¹als blosse ObjectivitaÈt und aÈusserliches Lebenª erscheint, das heiût als Natur. Der ¹Entschluû der reinen Idee, sich als aÈusserliche Idee zu bestimmenª, bedeutet, daû das absolute Wissen in Freiheit beschlieût, die aÈrmste Gestalt seiner selbst ± das Sein ± sich nun in der anderen Form des Elements des Begriffs vollziehen zu lassen.45 Die Idee besitzt als ¹Form ihrer Bestimmtheitª nun also nicht mehr den reinen È usserlichkeit des Raums und der Zeitª (WL II. Begriff, sondern die ¹A 253). Mit diesem Entschluû erschafft das absolute Wissen innerhalb der È uûerSphaÈre des freien Begriffs die Bedingungen der MoÈglichkeit jeder A lichkeit.46 Um der Rekonstruktion der Bewegung willen, in der die Idee 44 ¹Das Interesse der u È brigen Wissenschaften ist dann nur, die logischen Formen in den Gestalten der Natur zu erkennen, Gestalten, die nur eine besondere Ausdrucksweise der Formen des reinen Denkens sindª (Enz. § 22 Zus., 84). Der Unterschied zwischen diesen beiden Kreisbewegungen geht aus Hegels allgemeiner Arbeitsweise hervor: Um eine Sache bezuÈglich der TotalitaÈt ihrer Unterscheidungen ans Licht zu bringen, laÈût Hegel diese Sache sich erst in sich selbst unterscheiden und daraufhin in sich selbst und der Wirklichkeit, die es sich selbst gegenuÈber antrifft. Dieses gilt sowohl fuÈr das Tier (Enz. III. § 381 Zus. 20) als auch fuÈr das Bewuûtsein: ¹Dies Beisichsein des Ich in seiner Unterscheidung ist die Unendlichkeit oder IdealitaÈt desselben. Diese IdealitaÈt bewaÈhrt sich aber erst in der Beziehung des Ich auf den ihm gegenuÈberstehenden unendlich mannigfaltigen Stoffª (21, meine Hervorhebung). Und das gilt nicht minder fuÈr das Wesen, das sich erstens in sich unterscheidet in Wesen und Schein (Reflexion in sich) und zweitens in Wesen und Erscheinung oder Existenz (WL I. 244, 323). 45 Vgl. hier nochmals Schelling: ¹[S]obald ich diese Evolution unterbreche, und mich freiwillig in den Anfangspunkt der Evolution zuruÈckversetze, entsteht mir eine neue Reihe, in welcher frei ist, was in der ersten nothwendig war.ª F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. In: Schelling: Werke. Bd II. 397. 46 Hegel faût Raum und Zeit als die Form der Bestimmtheit der Idee, die ebenso frei ist wie diese Idee selbst (WL II. 253). Das koÈnnte vielleicht bedeuten, daû Raum und Zeit ebenso unerschuÈtterlich sind, wie es die selbstbestimmende Bewegung des reinen Begriffs ist. Als Bedingungen der MoÈglichkeit jeder Unfreiheit und VergaÈnglichkeit werden sie selbst nicht durch diese Bedingungen bestimmt. Vgl.: ¹Der Natur weil sie das Aussersichseyn des Begriffes ist, ist es freigegeben, in dieser Verschiedenheit sich zu ergehen, wie der Geist, ob er gleich den Begriff in der Gestalt des Begriffes hat, auch aufs Vorstellen sich einlaÈût und in einer unendlichen Mannigfaltigkeit desselben sich herumtreibtª (WL II. 39, meine Hervorhebung).
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sich in der Natur und in der Geschichte des Geistes entwickelt haben muû, laÈût das absolute Wissen die aÈrmste Gestalt des Begriffs sich also im Element des Begriffs entfalten, insofern dieses durch die reinen Formen Raum und Zeit bestimmt ist. Wenn diese Rekonstruktion die Wiederholung der Bewegung bildet, in der der Begriff das Bewuûtsein fuÈr seine Welt oÈffnet und zum Ziel hat, diese Bewegung zu begreifen, dann scheinen Zeit und Raum auch die fundamentalsten Bedingungen der MoÈglichkeit dieser ersten Bewegung des Begriffs bilden zu muÈssen. ¹Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist, und als leere Anschauung sich dem Bewuûtseyn vorstelltª, schreibt Hegel am Ende der PhaÈnomenologie (PhaÈn. 429). Bedeutet das, daû die Zeit selbst als die aÈuûerste Voraussetzung des reinen Begriffs gefaût werden soll? Bevor ich auf die Beziehung zwischen Zeit und Begriff eingehe, werde ich das bisher Gesagte noch einmal zusammenfassen, und zwar in Hinblick auf die Beziehung zwischen dem System und der Bewegung, die es zu begreifen sucht. 5. Der logische Anfang der Welt Das absolute Wissen ist absolut, insofern es die Ganzheit der Denkbestimmungen, die die Wirklichkeit als erkennbare Wirklichkeit konstituieren, zu rekonstruieren vermag. Dieses Wissen hat ausschlieûlich das wahre Allgemeine, Wesentliche oder Begriffliche zum Gegenstand und weiû, daû dieser Inhalt das Resultat der selbstbestimmenden Bewegung des reinen Begriffs ist. Das absolute Wissen ist also im Gegensatz zum theoretischen Erkennen bezuÈglich seines Inhalts nicht vom sinnlich Wahrnehmbaren abhaÈngig. Und im Gegensatz zu den vorangehenden philosophischen Systemen wird es nicht durch eine Position charakterisiert, die noch eine andere Position sich gegenuÈber haben koÈnnte. Das absolute Wissen bezieht sich auf die gesamte Wirklichkeit, insofern diese vom logos zeugt, das heiût von der Bewegung, in der das Allgemeine oder das Wesentliche sich von sich selbst unterscheidet, um sich in den einzelnen Seienden mit sich selbst zusammenzuschlieûen. Dieses Allgemeine bestimmt sich ± sobald Bewuûtsein da ist ± zum Ganzen der Bedingungen der MoÈglichkeit, die dem Sich-Offenbaren der Wirklichkeit fuÈr das Bewuûtsein zugrunde liegen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daû Hegels Perspektive ± die des absoluten Begriffs ± es ihm ermoÈglicht, allein dasjenige von der tatsaÈchlichen Natur und dem Geist zu rekonstruieren, was ,logisch` ist.
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WaÈhrend Natur und Geist immer auch durch ZufaÈlligkeit und GleichguÈltigkeit charakterisiert werden,47 geht die spekulative Wissenschaft allein der Bewegung nach, in der der Begriff ± als logische Idee ± die È uûerlichkeit in immer groÈûerem Maûe aufhebt. Nur diese Macht der A Bewegung bildet aus der Sicht der spekulativen Wissenschaft das Wesentliche, Allgemeine und Wirkliche der Wirklichkeit; diese Wissenschaft umfaût also die TotalitaÈt der Momente, die lediglich aus der Sicht des absoluten Wissens als wesentliche Momente verstanden werden koÈnnen. Dieser Standpunkt macht es Hegel moÈglich, sein System als Kreislauf zu konstituieren. Wir haben gesehen, wie Hegels System in zwei Kreisbewegungen die Bewegung rekonstruiert, in der der absolute Begriff sich zur TotalitaÈt der Bedingungen der MoÈglichkeit der Natur- und Geisteswissenschaften bestimmt. In der ersten Kreisbewegung entfaltet die Logik die Bewegung, in der der Begriff sich im Element des reinen Begriffs bestimmt. Dies bedeutet, daû die Logik die Bestimmungen des Absoluten rekonstruiert, wie diese ± zum Teil ± in der Geschichte der Philosophie artikuliert sind (vgl. Enz. § 85). In der zweiten Kreisbewegung, von der die erste Kreisbewegung nun den ersten Teil ausmacht, entfaltet die Realphilosophie dieselbe Bewegung im Element des Begriffs, der, so koÈnnte man sagen, sich selbst innerhalb der SphaÈre des Begriffs die Form von Raum und Zeit gibt. So kann die Realphilosophie das Ganze der Begriffe rekonstruieren, die sich auf die wesentlichen Momente von Natur und Geist beziehen und als solche den Natur- und Geisteswissenschaften zugrunde liegen. Die Bewegung des Begriffs ist nach Hegel in jedem Teil der Wissenschaft dieselbe: Die abstrakte Unmittelbarkeit (Sein), die vorausgesetzt wird, hebt in einer Folge von Vermittlungen (Wesen, Reflexion) ihre Einseitigkeit auf, um sich als die TotalitaÈt ihrer Momente mit ihrer Unmittelbarkeit zusammenzuschlieûen (Begriff). Das einzige, was den inhaltlichen Unterschied ausmacht, ist Hegel zufolge die spezifische Bestimmtheit des Elements. So erscheinen die logischen Formen Sein, Wesen und Begriff innerhalb der Natur als Raum und Zeit, unorganische und organische Natur (WL II. 20). Im Bewuûtsein wiederholen sich die Momente der Natur
47 Enz. § 248 Anm. In Hegels Theorie u È ber den Zufall. In: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1967, betont D. Henrich, daû ¹[I]n der Natur und den natuÈrlichen Formen des Geistes . . . ein Bereich des absoluten Zufalls durch die Idee selbst aufgeschlossenª ist (166). Dieser È uBereich, so koÈnnte man hinzufuÈgen, wird durch Raum und Zeit ± die Formen der A ûerlichkeit ± geoÈffnet.
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als die Bedingungen der MoÈglichkeit des Erkennens der Natur. Auûerdem kann der Geist selbst auch aus seinen beiden unmittelbaren Formen ± sinnliche Gewiûheit und absoluter Geist ± und aus der Bewegung, in der der Abstand zwischen beiden in verschiedenen Kreisbewegungen uÈberbruÈckt wird, heraus verstanden werden. Der Begriff, der den Inhalt der Logik ausmacht, ist von dieser ungeistigen und geistigen Gestalt des Begriffs unabhaÈngig (ebd.). Hegels Rekonstruktion der Bewegung, in der der Begriff aus sich selbst heraus die TotalitaÈt seiner Bestimmungen entfaltet, bildet die freie, bewuûte Wiederholung des objektivierenden Tuns, das sich unbewuût im Bewuûtsein vollzogen haben muû. Wie auch Schelling betrachtet Hegel das objektivierende Tun selbst wieder als eine Wiederholung des Begriffs, wie dieses sich in der Natur vollzogen haben muû. Da der Unterschied dieser beiden Bewegungen Hegel zufolge nur durch den Unterschied ihrer Elemente veranlaût wird, kann seine Naturphilosophie die Bewegung des Begriffs in der Natur selbst mit der objektiven Seite der Bewegung identifizieren, in der der Begriff sich zum Ganzen der Bedingungen der MoÈglichkeit des Erkennens der Natur bestimmt. Wir wissen lediglich von dieser ersten Bewegung des Begriffs durch die Wiederholung der Bewegung im Element des Bewuûtseins. Und wir wissen eigentlich nur von dieser zweiten Bewegung aus der bewuûten Wiederholung derselben in Hegels spekulativem System. Die Bewegung, die Hegel als eine Rekonstruktion der Bewegung des Begriffs darstellt, ist darum eher eine Konstruktion derselben Bewegung; angesichts ihres Resultats ± das absolute Wissen selbst ± muÈssen wir allerdings voraussetzen, daû die ¹Selbstkonstruktion des Absolutenª (D 74) sich auch in der Natur und der Geschichte selbst ergeben hat. Das absolute Wissen vermag sich zum System zu schlieûen, indem es die Gestalten, die es von sich voraussetzt, in sich zuruÈcknimmt. Hierdurch wird jedoch der Eindruck erweckt, daû sich auch die Bewegung, als deren Rekonstruktion sich das System praÈsentiert, als Kreis konstituiert. Es scheint so, als ginge die vollstaÈndige Bewegung des Begriffs, die den Inhalt der Logik bildet, der Natur, deren wesentliche Momente in der Naturphilosophie rekonstruiert werden, voran. Anders gesagt: Es scheint so, als ginge ein Gott der SchoÈpfung voraus, wohingegen Hegel doch wiederholt sagt, daû das religioÈse Bewuûtsein sich die Bewegung des absoluten Begriffs nur auf diese Weise vorstellen kann. Ich denke, daû wir hier mit folgendem Problem zu tun haben: Einerseits versteht Hegel sein System als eine radikalisierte Transzendentalphilosophie,
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die das Ganze der Bedingungen der MoÈglichkeit der Erkenntnis rekonstruiert. Andererseits liegt ihm alles daran, dieser Philosophie ihren subjektiven Charakter abzustreifen (vgl. WL II. 11). Dieses tut er, indem er den reinen Begriff als absoluten Indifferenzpunkt nimmt und das ganze System der Wissenschaft daraus entwickelt. Innerhalb dieses Systems ist es gerechtfertigt, die Logik der Realphilosophie vorausgehen zu lassen und gleichzeitig als letzte Wissenschaft zu verstehen (WL II. 198). Das System macht allerdings ungenuÈgend deutlich, daû der Kreis, den es innerhalb seines eigenen Elements konstruiert, keine Entsprechung in der vom logos durchzogenen Wirklichkeit, dessen Rekonstruktion es sein will, besitzt. Wenn man sich beispielsweise mit Schellings Augen der Natur zuwendet, kann man hoÈchstens sagen, daû sich die Natur nur als lebendiges Ganzes begreifen laÈût, indem man die Gestalten der Natur als unvollendete AusdruÈcke des absoluten Prinzips der Selbstbestimmung faût, das man den Begriff oder das Logische nennen koÈnnte. Um die wesentlichen Momente der Natur rekonstruieren zu koÈnnen, muû die spekulative Wissenschaft schon ein È uûerlichkeit vorangeht und sich in Prinzip voraussetzen, das jeder A È uûerlichkeit in immer groÈûerem Maûe zu verwirklichen vermag. der A Dieses Logische kann jedoch ausschlieûlich innerhalb des Elements dieser Wissenschaft selbst als das Resultat einer sich entaÈuûernden absoluten Idee gefaût werden; die raumzeitliche Wirklichkeit selbst, die das spekulative System zu begreifen versucht, kann im Gegensatz zu jenem System ihre LinearitaÈt nicht in einen Kreis verwandeln. Das absolute Wissen kann sich als die hoÈchste Verwirklichung des Logischen begreifen, aber es kann die aÈrmste Gestalt dieses Logischen ± Raum und È uûerlichkeit ± nicht Zeit als die Bedingungen der MoÈglichkeit jeder A als das erste Resultat der Bewegung auffassen, in der Gott seine FuÈlle È uûerlichkeit zu entlassen. opfert, um sich in die A Hiermit sind wir bei dem doppeldeutigen Status der absoluten Idee angelangt. Bisher habe ich diesen Begriff in seiner minimalsten Bedeutung angenommen, naÈmlich als Andeutung fuÈr Hegels eigene spekulative Wissenschaft. Dadurch wurde es moÈglich, das Ende der PhaÈnomenologie und der Logik als Selbstreflexionen dieser Wissenschaft zu interpretieren. In dieser und in anderen Passagen wird sichtbar, wie Hegel sich dem fast nicht erwehren kann, den Punkt, der der groÈûten SelbstveraÈuûerlichung des Begriffs vorangeht und als solcher durch das absolute Wissen als Anfangspunkt vorausgesetzt werden muû, mit der Vorstellung von Gott, bevor dieser sich zur SchoÈpfung der Welt entschloû, zu identifizieren. Indem er innerhalb des Systems die ab-
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solute Idee immer auch auf die vollkommenste Wirklichkeit, die in der Religion Gott genannt wird, verweisen laÈût, macht Hegel unzureichend deutlich, daû die totale Entfaltung des reinen Begriffs in sich selbst nicht der Natur als solcher, sondern nur der Wiederholung der Natur, die im System stattfindet, vorangehen kann. Die Idee von Gott macht es dem Bewuûtsein moÈglich, die Wirklichkeit als zusammenhaÈngendes Ganzes zu verstehen und ihren Anfang mit sich zusammenschlieûen zu lassen. Hegel ist allerdings gar nicht an der Frage interessiert, ob die tatsaÈchliche Welt einen Anfang hat oder nicht.48 Die Wissenschaft bezieht sich ausschlieûlich auf den logischen Anfang der Welt, das heiût auf den Anfang, der es moÈglich macht, die Welt als die TotalitaÈt ihrer wesentlichen Momente zu begreifen.49 Wegen Hegels doppeldeutigem Gebrauch des Begriff ,absolute Idee` ist es allerdings oft schwierig, zwischen Hegels Reflexion auf die Konstitution des Systems einerseits (worin die ganze Wissenschaft der Logik der Realphilosophie vorangeht) und dem Inhalt der Wissenschaft andererseits (wo die logische Idee nur als Prinzip der Selbstbestimmung Natur und Geist vorangeht) zu unterscheiden. Es ist nicht umsonst so, daû Schelling in seinen Vorlesungen konstatiert, nicht zu verstehen, was die Idee, die sich zum hoÈchsten Subjekt erhoben hat, bewegt, sich wieder ¹zum bloûen Seyn È uûerlichkeit des Raumes herabzusetzen, und sich in die schlechte A und der Zeit zerfallen zu lassenª.50 Wie bereits gesagt, hat Hegels Ambivalenz seinen Grund darin, daû er sein System nicht als Transzendentalphilosophie vorlegen will. Ich denke allerdings, daû dieses System ± wie sehr es manchmal auch den gegenteiligen Schein erweckt ± ausschlieûlich darauf abzielt, die Bewegung zu verstehen, die dem Bewuûtsein eine Welt eroÈffnet. Dies ist die Bewegung, in der der Begriff sich ± mit einem Schlag ± zum Ganzen der wesentlichen Momente der Wirklichkeit und zum Ganzen der Bedingungen der MoÈglichkeit der Erkenntnis der Wirklichkeit bestimmt. Diese Momente und Bedingungen der MoÈglichkeit bilden die objektive Nach Hegel kann die Antinomie der zeitlichen Begrenztheit oder Unbegrenztheit der Welt nur aufgeloÈst werden, indem gezeigt wird, wie entgegengesetzte Bestimmungen, wie Endlichkeit und Unendlichkeit, ¹ihre Wahrheit nur in ihrem Aufgehobenseinª haben (WL I/1. 118, vgl. 232). Die Frage nach einem faktischen Anfang der Welt ist philosophisch aber uÈberhaupt nicht relevant. Wird die Welt ¹als Allgemeines, als TotalitaÈt gefaût, so faÈllt die Frage vom Anfang sogleich wegª (Enz. II. § 247 Zus. 27). 49 ¹So soll das Princip auch Anfang und das, was das Prius fu È r das Denken ist, auch das Erste im Gange des Denkens seyn. Es ist hier nur zu betrachten, wie der logische Anfang erscheintª (WL I/1. 54). 50 F. W. J. Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. In: Schelling: Werke. Bd V. 224. 48
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und die subjektive Seite derselben Medaille, das heiût desselben objektivierenden Tuns. Um diese Bewegung zu verstehen, ohne sie im Subjekt zu begruÈnden, kann Hegel nicht anders, als auf die Idee von Gott zu verweisen. So wie Gott die Welt aus dem Nichts erschafft, so erschafft der reine Begriff das Ganze der wesentlichen Momente, die an sich ,nichts` sind, aber es dem Bewuûtsein ermoÈglichen, Erkenntnis uÈber die Welt und uÈber sich selbst zu erlangen. Das System bildet die freie Wiederholung dieser Offenbarung. Innerhalb des Systems kann die Entwicklung des reinen Begriffs an und fuÈr sich artikuliert werden, das heiût abgesehen von der Art, auf die das Logische sich in der Sprache niederschlaÈgt und sich im faktischen Denken vollzieht. Der einzige Punkt, an dem der Begriff sich als Begriff zu vollziehen beginnt, ist aber der Indifferenzpunkt, der den È bergang von der Natur zum Bewuûtsein bildet. Diesen Punkt, an dem U die Welt als Geist die Augen aufschlaÈgt, versucht Hegels Philosophie letztendlich aufgrund des VerhaÈltnisses zwischen Begriff und Zeit zu verstehen. Um auf dieses VerhaÈltnis eingehen zu koÈnnen, war es noÈtig, dieser Philosophie die Vorstellung eines SchoÈpfergottes abzustreifen. 6. Hegels Metaphysik der Zeit Wie ich in der Einleitung angegeben habe, bietet Hegels System eigentlich keinen Raum fuÈr eine fundamentale Reflexion uÈber das VerhaÈltnis zwischen Begriff und Zeit. Die PhaÈnomenologie des Geistes belegt aber, daû Hegel die Geschichte des Geistes als eine Geschichte versteht, in der die Macht der Zeit immer mehr getilgt wird.51 Das bedeutet, daû die selbstbestimmende Kraft des Begriffs, die allen Formen des Lebens innewohnt, sich zunehmend in der Geschichte des Geistes verwirklicht, so daû der Geist sich in immer geringerem Maûe von einer ihm aÈuûerlichen NegativitaÈt bestimmen zu lassen braucht. Da diese Geschichte Hegel zufolge im Grunde durch den Begriff bewegt wird, ist die zunehmende Tilgung der Macht der Zeit nur moÈglich, wenn die 51 ¹Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist, und als leere Anschauung sich dem Bewuûtseyn vorstellt; deûwegen erscheint der Geist nothwendig in der Zeit, und er erscheint solange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfaût, das heiût, nicht die Zeit tilgt. Sie ist . . . der nur angeschaute Begriff; indem dieser sich selbst erfaût, hebt er seine Zeitform auf, begreift das Anschauen, und ist begriffnes und begreiffendes Anschauen. ± Die Zeit erscheint daher als das Schicksal und die Nothwendigkeit des Geistes, der nicht in sich vollendet istª (PhaÈn. 429, vgl. 34; Jenaer SystementwuÈrfe III, 287).
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Zeit selbst eine Gestalt des absoluten Begriffs ist: Der Hegelschen Logik zufolge vermag nur das, was ein bestimmtes Anderes von sich abtrennt, die scheinbare SelbstaÈndigkeit dieses Anderen auch wieder aufzuheben. Wir haben gesehen, wie Hegel am Ende der PhaÈnomenologie und der Logik darauf hinweist, daû das absolute Wissen in der zweiten Kreisbewegung seiner Rekonstruktion des objektivierenden Tuns Raum und Zeit als die Formen des Begriffs voraussetzt, aufgrund derer der Begriff seine Entwicklung von der aÈuûerlichen zur absoluten Idee im Element des Begriffs wiederholen kann. Wenn Hegel die Bewegung des Systems als eine Wiederholung der Bewegung, in der der reine Begriff dem Bewuûtsein eine Welt eroÈffnet, versteht, dann muû er, so deutete ich an, auch mit Bezug auf das objektivierende Tun selbst die Zeit als die aÈuûerste Voraussetzung des reinen Begriffes verstanden haben. Dies werde ich nun versuchen zu verdeutlichen, indem ich nicht laÈnger Hegels Rekonstruktion als Ausgangspunkt nehme, sondern indem ich, uÈber einen umgekehrten Weg, von neuem von Hegels Radikalisierung Kants ausgehe. In Glauben und Wissen zeigt Hegel, wie die Kantische Analyse der transzendentalen SubjektivitaÈt auf der Idee einer reinen Vernunft gruÈndet, die sich einerseits in den reinen Formen von Zeit und Raum und andererseits in den Verstandeskategorien bestimmt.52 WaÈhrend Kant sich auf eine Analyse der verschiedenen VermoÈgen, die der empirischen Erkenntnis zugrunde liegen, beschraÈnkt, versteht Hegel diese VermoÈgen also als verschiedene Momente der Bewegung, in der die reine Vernunft sich bestimmt, um dem Bewuûtsein die Wirklichkeit zugaÈnglich zu machen, insoweit diese erkennbar ist. Dies ist jedoch nicht der einzige Unterschied zwischen Kant und Hegel. In der EnzyklopaÈdie bemerkt Hegel, daû Zeit und Raum die reinen Formen der Sinnlichkeit sind. Er fuÈgt aber umgehend hinzu, daû den Raum wie die Zeit ¹der Unterschied der ObjectivitaÈt und eines gegen dieselbe subjektiven Bewuûtseynsª nichts angeht (Enz. § 258 Anm.). Wie auch die Logik abstrahiert die Realphilosophie also vom Unterschied zwischen den wesentlichen Bestimmungen der Natur selbst und den Bedingungen der MoÈglichkeit des Erkennens der Natur. Aus dieser Bemerkung in der EnzyklopaÈdie koÈnnen wir jetzt schlieûen, ¹Eine und ebendieselbe synthetische Einheit . . . ist das Princip des Anschauens und des Verstandes; der Verstand ist allein die hoÈhere Potenz, in welcher die IdentitaÈt, die im Anschauen ganz und gar in der Mannichfaltigkeit versenkt ist, . . . sich als Allgemeinheit . . . constituirt.ª Glauben und Wissen. In: Jenaer kritische Schriften. 327, vgl. 329. 52
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daû Hegel auch mit Bezug auf Raum und Zeit Kants Analyse uÈbernimmt, waÈhrend er zugleich das Subjekt durch den reinen Begriff, der dem Unterschied zwischen SubjektivitaÈt und ObjektivitaÈt vorangeht, ersetzt.53 Wenn man die Analogie zwischen Kant und Hegel nun noch um einen Schritt weiterfuÈhrt, wird es moÈglich, die absolute Bewegung des reinen Begriffs folgendermaûen zu begreifen: So wie die unmittelbarste Gestalt des Bewuûtseins noch vollstaÈndig bestimmt ist durch die reinen Formen der Anschauung, die es dem Denken gestatten, Dinge als neben- und nacheinander zu erkennen, und nur nach und nach zu reiner Selbstreflexion kommt, so ist der reine Begriff zunaÈchst vollstaÈndig in È uûerlichkeit versunken und gewinnt nur allmaÈhlich die Kraft, der A sich als Begriff zu bestimmen. So wie, nach Hegel, die Formen der Anschauung als Momente der Bewegung gefaût werden muÈssen, in der die Vernunft sich beschraÈnkt, um diese BeschraÈnkung letztendlich auch wieder aufzuheben, so muÈssen Raum und Zeit in ihrem AnundÈ uûerlichkeit gefaût werden, die es dem fuÈrsichsein als die Formen der A reinen Begriff ermoÈglichen, sich in einer ersten Bewegung als aÈuûerliche Idee zu bestimmen. Raum und Zeit koÈnnen sich allerdings erst im objektivierenden Tun, das als Wiederholung dieser ersten Bewegung dem Bewuûtsein die Welt zugaÈnglich macht, als reine Formen vollziehen. In dieser Wiederholung unterscheidet sich der reine Begriff einerseits in die reinen Formen der Anschauung und andererseits in die aÈrmste Grundkategorie Sein. Hegel laÈût auf diese Weise der Kantischen Unterscheidung zwischen den reinen Begriffen und der reinen Anschauung einen Begriff vorangehen, der von sich aus diesen Unterschied erzeugt und folglich den Raum oÈffnet, innerhalb dessen der Begriff sich als Sein und dann als die TotalitaÈt der reinen Kategorien bestimmen kann. Der reine Begriff, der als Prinzip der Selbstbestimmung der Natur und der Geschichte des Geistes vorangeht, kann sich also nur als Natur und Geist vollziehen, indem er sich in sich selbst unterscheidet und das Andere seiner selbst als Raum und Zeit aus sich ent53 R. Pippin (Hegel's Idealism: The Satisfactions of Self-Consciousness. Cambridge 1989) meint, daû Hegel sich ausschlieûlich auf Kants Begriff der transzendentalen Apperzeption beruft (die Pippin uÈbrigens zu Unrecht mit dem Selbstbewuûtsein identifiziert) und die reinen Formen der Anschauung nie wirklich beachtet (25). Weil Pippin sich von vornherein auf die PhaÈnomenoloie und die Logik beschraÈnkt (13±15) und uÈberdies die Hegelsche Bewegung vom Selbstbewuûtsein zum reinen Begriff in umgekehrter Richtung vollzieht, nimmt er Hegels VerstaÈndnis des VerhaÈltnisses von Begriff und Zeit uÈberhaupt nicht ernst.
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laÈût. Damit setzt der Begriff sich auch selbst, und zwar in seiner aÈrmsten Gestalt als Sein, diesen Formen gegenuÈber. Durch diese SelbstbeschraÈnkung erschafft der Begriff sich ein Element, innerhalb dessen er sich als aÈuûerliche Idee vollziehen und im menschlichen Geist ein immer vollkommeneres FuÈrsichsein erlangen kann. Da diese Selbstunterscheidung des Begriffs dem Unterschied zwischen Logik und Realphilosophie noch zugrunde liegt, kann diese Bewegung innerhalb des Systems kaum thematisiert werden; die SelbstentaÈuûerung des Begriffs in Raum und Zeit einerseits und Begriff andererseits geht der Konstitution des Begriffs noch voran, der als absoluter Indifferenzpunkt den Anfangs- und Endpunkt des Systems bildet. WaÈhrend der Raum als groÈûte SelbstentaÈuûerung des Begriffs die È uûerlichkeit konBedingung der MoÈglichkeit jeder (Erfahrung von) A È uûerlichkeit stituiert, ist die Zeit diejenige Form des Begriffs, die diese A nicht nur moÈglich macht, sondern auch das Mittel bildet, das es dem Begriff ermoÈglicht, sich als Idee zu vollziehen und seine AbhaÈngigkeit È uûerlichkeit in immer groÈûerem Maûe aufzuheben. Als ¹der von der A daseiendeª Begriff und ¹das Sichselbstbewegendeª (PhaÈn. 34) bildet die Zeit also auch die Bedingung der MoÈglichkeit der Bewegung, in der der Begriff sich als Begriff vollzieht, das heiût der Geschichte des Geistes.54 Sich immer mehr in dem erkennend, was er erfaÈhrt, wird der Begriff, der sich als Philosophie verwirklicht, letztlich imstande sein, Zeit und Raum als Momente der SelbstentaÈuûerung des absoluten Begriffs zu erkennen und sogar in diesen Formen sich selbst anzuschauen. Diese Einsicht ist es, die schlieûlich die Macht der Zeit tilgt, das heiût die SelbstbeschraÈnkung der Vernunft aufhebt. Im Gegensatz zu Kant behauptet Hegel also, daû die urspruÈnglichste SelbstbeschraÈnkung des Begriffs es dem Begriff ermoÈglicht, in der spekulativen Wissenschaft das letzte Ziel seiner Geschichte zu erreichen. Da Raum und Zeit die ersten und groÈûten EntaÈuûerungen des Begriffs darstellen, ist auf den ersten Blick nicht offenkundig, daû der reine Begriff diesen Formen schon zugrunde liegt. Deswegen versucht Hegel in der EnzyklopaÈdie, die Bewegtheit des Begriffs und die Bewegtheit der Zeit als zwei Gestalten derselben negierenden Kraft zu verstehen. Die Zeit ist Hegel zufolge das Negative im Sinnlichen, das heiût die Bewegung, die die Unterschiede, insofern sie angeschaut werden ¹Die Weltgeschichte . . . ist also uÈberhaupt die Auslegung des Geistes in der Zeit, wie die Idee als Natur sich im RaÈume auslegt.ª (Vorlesungen uÈber die Philosophie der Geschichte. 96±97.) 54
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koÈnnen, erzeugt.55 Nur weil die Zeit sich in sich selbst in ein ,vorher` und ,nachher` unterscheidet, ist es moÈglich, die NegativitaÈt anzuschauen und Bewegung zu erfahren. Alle endlich Seienden sind dieser Bewegtheit unterworfen; sie sind gezwungen, sich in einen Strom einzufuÈgen, den sie selbst nicht erzeugt haben und der sie zwingt, sich immer wieder zu aÈndern. Im Gegensatz zu der Zeit ist der Begriff die Bedingung der MoÈglichkeit dafuÈr, daû etwas sich derart in sich unterscheidet, daû es sich nicht in seine Unterschiede verliert, sondern sich in diesen mit sich zusammenschlieût. Der Begriff selbst erzeugt seine eigene Einheit und laÈût seine Bewegung nicht durch die aÈuûerliche NegativitaÈt der Zeit bestimmen: ¹Der Begriff aber, in seiner frei fuÈr sich existirenden IdentitaÈt mit sich, . . . ist an und fuÈr sich die absolute NegativitaÈt und Freiheit, die Zeit daher nicht seine Macht, noch ist er in der Zeit und ein Zeitliches, sondern er ist vielmehr die Macht der Zeit, als welche nur diese NegatiÈ uûerlichkeit istª.56 Hegel versteht die Zeit also als die BedinvitaÈt als A È uûerlichkeit und ZufaÈlligkeit. Er faût diese gung der MoÈglichkeit jeder A Bedingung der MoÈglichkeit aber selbst als das Resultat der SelbstentaÈuûerung des Begriffs, die es dem Begriff ermoÈglicht, sich mittels der Zeit als Geschichte des Geistes zu verwirklichen. Mit diesen beiden Formen von NegativitaÈt ± Begriff und Zeit ± als Ausgangspunkt hat Hegel genug in der Hand, um in seinem System die Bewegung zu rekonstruieren, in der der Begriff aufgrund seiner groÈûten EntaÈuûerung in der Natur die Macht der Zeit in zunehmendem Maûe zu tilgen weiû. Dies fuÈhrt uns ± zum Schluû ± zu der Frage, inwiefern der endliche Geist aus dieser Perspektive verstanden werden kann. Hegel zufolge ist die Bewegtheit des endlichen Geistes einerseits nicht laÈnger durch das Werden, das sich in der Natur unendlich fortsetzt, charakterisiert, andererseits aber noch der Zeit unterworfen. Die Weltgeschichte wird der Macht der Zeit verpflichtet bleiben und auf bestimmte Weise dabei versagen muÈssen, die ewige Wiederkehr des
55 ¹Die Zeit ist dasselbe Princip, als das Ich=Ich des reinen Selbstbewuûtseyns; aber È uûerlichkeit und Abstraction, ± dasselbe oder der einfache Begriff noch in seiner ganzen A als das angeschaute bloûe Werdenª (Enz. § 258 Anm.). ¹Die Zeit ist das Negative im Sinnlichen; der Gedanke ist dieselbe NegativitaÈt, aber die innerste, die unendliche Form selbst, in welcher daher alles Seiende uÈberhaupt aufgeloÈst wird.ª (Vorlesungen uÈber die Philosophie der Geschichte, 103). 56 Enz. § 258 Anm., vgl. u. a. WL I. 287, WL II. 36, 246±47.
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Gleichen, die natuÈrlichen Prozessen eigen ist, zu uÈberwinden.57 Ich habe schon fruÈher darauf hingewiesen, daû das System nur die Bewegung rekonstruieren kann, in der es dem Begriff gelingt, seine AbÈ uûerlichkeit in immer groÈûerem Maûe aufhaÈngigkeit von der A zuheben. Das Ausmaû, in dem eine Verwirklichung des Geistes sich von der Zeit befreit hat, das heiût faÈhig ist, sich von innen heraus zu bestimmen, bildet das Maû, nach dem Hegel den wesentlichen Bestimmungen des Geistes ihren systematischen Ort zuweisen kann. Es ist jedoch die Frage, ob die Bewegung des endlichen Geistes aus dieser Perspektive hinreichend verstanden werden kann. Bildet der Begriff als Prinzip der Selbstbestimmung das letztendliche Prinzip des menschlichen Lebens, oder wird dieses Leben durch eine Bewegtheit gekennzeichnet, die sich nicht mit Hegels Begriff vom VerhaÈltnis zwischen schlechter und wahrer NegativitaÈt fassen laÈût? Die Antwort auf diese Frage koÈnnte von neuem zu einem Punkt fuÈhren, der sich dem geschlossenen Kreis des Systems entzieht. Es koÈnnte sein, daû die spekulative Wissenschaft die Geschichte der wesentlichen Bestimmungen des Geistes nur erschlieûen kann, insofern sie eine differenzierende Kraft, die nicht eine sekundaÈre Folge des Begriffs ist, sondern sogar der urspruÈnglichsten Selbstdifferenzierung des absoluten Begriffs noch vorangeht, auûer acht laÈût oder von sich ausschlieût. Es waÈre moÈglich, daû die spekulative Wissenschaft diese Kraft zu Unrecht auf die untergeordnete SphaÈre der endlichen Seienden beschraÈnkt und ihr ,Leben` dieser BeschraÈnkung verdankt. Vielleicht koÈnnte man sogar sagen, daû die SphaÈre des Unendlichen und die SphaÈre des Endlichen sich nur insofern unterscheiden lassen, als diese differenzierende Kraft vom Bereich des Denkens ausgeschlossen worden ist. Nur ein Denken, das sich dazu entschlieûen wuÈrde, eine solche differenzierende Kraft als ihre grundlegende ,Kategorie` anzunehmen, waÈre vielleicht in der Lage zu verstehen, wie das menschliche Leben und die menschliche Geschichte zwischen den entgegengesetzten BeVgl. WL II. 39, Enz I. § 145 Zus., 286. Wenn man also einerseits zwischen der Geschichte, die in Hegels spekulativem System ihre Vollendung erreicht (naÈmlich die Geschichte des absoluten Begriffs), und der faktischen Weltgeschichte andererseits, unterscheidet, verliert die Frage nach einem moÈglichen Ende der Geschichte und der Zeit viel von ihrem Sinn. Wandschneider und HoÈsle verteidigen dagegen die wenigstens teilweise Unvereinbarkeit ¹der fortschreitenden Entfaltung der Idee auf einen Abschluû hin mit der faktischen Unabgeschlossenheit der Geistesgeschichteª (Die EntaÈuûerung der Idee . . . (Anm. 20) 94±96). Wenn nach Hegel die Zeit sich ,tilgen` laÈût (194), dann bedeutet dies È unur, daû die spekulative Wissenschaft sich nicht laÈnger von der Zeit als Form der A ûerlichkeit bestimmen laÈût (vgl. PhaÈn. 429). 57
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wegungen der Zeit und des Begriffs auf solche Art zerrissen sind, daû dieser Widerspruch sich nicht aufheben laÈût, sondern eher dazu auffordert, ertragen zu werden. Aber das waÈre eine andere Geschichte. È bersetzung aus dem NiederlaÈndischen von Katharina Borchardt U
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CHRISTIAN IBER (BERLIN)
IN ZIRKELN UMS SELBSTBEWUSSTSEIN Bemerkungen zu Hegels Theorie der SubjektivitaÈt
Hegels Theorie des Selbstbewuûtseins wird im Reigen der idealistischen Theorien der SubjektivitaÈt eher stiefmuÈtterlich behandelt. Es hat allen Anschein, als ob seine LoÈsungsansaÈtze nicht wirklich ernst genommen werden. Henrich, der gewichtigste Vertreter einer auf den Idealismus Bezug nehmenden Theorie der SubjektivitaÈt heute hat nie wirklich einen Ankerhaken bei Hegel geworfen. Allerdings bin ich der Meinung, daû Hegel einen gewichtigen Sachbeitrag zur Aufhellung der Strukturverfassung und Genese von SubjektivitaÈt zu liefern imstande ist. Und es ist m. E. ein Desiderat der Forschung, diesen Sachbeitrag zutage zu foÈrdern. Ich moÈchte an dieser Stelle versuchen zu zeigen, welchen moÈglichen Sachbeitrag Hegel zur Theorie der SubjektivitaÈt liefern kann, und dabei kritisch die Position von Henrich beleuchten. Ich gehe in vier Schritten vor: ZunaÈchst werde ich die idealistischen VorgaÈngertheorien vergegenwaÈrtigen, bevor ich in einem zweiten Schritt Hegels Stellung zu ihnen charakterisiere. In einem dritten Schritt werde ich Hegels Theorie der SubjektivitaÈt anhand seiner Wissenschaft der Logik vertiefen. Schlieûlich werde ich einen kurzen Ausblick auf Hegels SubjektivitaÈtstheorie in der PhaÈnomenologie des Geistes geben. I. Das philosophische Interesse am Problem der SubjektivitaÈt ist nicht nur durch die immense Bedeutung der SubjektivitaÈt in der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes motiviert, wobei immer mehr der Mensch im Unterschied zu Gott ins Zentrum der Philosophie tritt, sondern vor allem dadurch, daû bis heute die Verfassung der SubjektivitaÈt nicht vollstaÈndig aufgeklaÈrt ist. Was sich einem wirklichen VerstaÈndnis von SubjektivitaÈt immer wieder in den Weg stellt, ist der bestaÈndig auftretende Zirkel in der Interpretation von Selbstbewuûtsein. Gerade
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deshalb ist SubjektivitaÈt nach wie vor ein reizvoller Gegenstand fuÈr die Philosophie. Welche Stellung hat Hegel zum Zirkelproblem des Selbstbewuûtseins? Um diese Frage beantworten zu koÈnnen, muÈssen wir kurz auf Kant, Reinhold und Fichte zuruÈckblicken. Kant hatte SubjektivitaÈt noch nicht eigentlich zum Thema gemacht und noch keine eigenstaÈndige Theorie des Selbstbewuûtseins ausgebildet. Struktur und Verfassung des Selbstbewuûtseins bleiben fuÈr Kant jenseits einer Wissensgrenze. Gleichwohl ist fuÈr Kant das ,Ich denke`, die transzendentale Apperzeption des Selbstbewuûtseins, der hoÈchste Punkt der Transzendentalphilosophie, weil sie notwendige Voraussetzung und ErmoÈglichungsgrund der Erfahrungserkenntnis, also von Gegenstandsbewuûtsein ist. Da Selbstbewuûtsein nach Kant nur im Gegenstandsbewuûtsein in Erscheinung tritt, also im Haben von kategorial strukturierten Gedanken im Hinblick auf raum-zeitliche Anschauungen von GegenstaÈnden, ist das dem Gegenstandsbewuûtsein vorgaÈngige Ich des Selbstbewuûtseins vom Bewuûtsein nicht ohne fehlerhaften Zirkel zu erfassen. Das dem Gegenstandsbewuûtsein vorgaÈngige Ich oder Selbstbewuûtsein, so Kant in der Einleitung zum Paralogismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft, erfassen wir ¹nur durch die Gedanken, die seine PraÈdikate sind . . .ª, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben koÈnnen.1 Wir koÈnnen also Selbstbewuûtsein nur als besonderen Fall von Gegenstandsbewuûtsein ausweisen. Gleichwohl nehmen wir dabei immer ein dem Gegenstandsbewuûtsein vorgaÈngiges Ich oder Selbstbewuûtsein in Anspruch. Wir bewegen uns daher, sagt Kant, um das Ich oder Selbstbewuûtsein in einem ¹bestaÈndigen Zirkelª herum, ¹indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen muÈssen, um irgend etwas von ihm zu urteilenª.2 Diesen sich unvermeidlich einstellenden Zirkel in der Erfassung des Selbstbewuûtseins unter der Perspektive des Bewuûtseins nennt Kant eine Unbequemlichkeit, die fuÈr ihn eine Wissensgrenze bezuÈglich der internen Verfassung des Selbstbewuûtseins anzeigt. Kant uÈbte deshalb in bezug auf das Selbstbewuûtsein philosophische Kant: Kritik der reinen Vernunft. A 346, B 404. Ebd. Kant ist sich daruÈber im klaren, daû die andere Seite des fehlerhaften Zirkels der infinite Regreû erkennender Ichpositionen ist. Wird das Wissen des Ich als gegenstaÈndliche Erkenntnis gefaût, verwandelt sich das Ich in der erkennenden Bezugnahme auf sich unter der Hand in ein erkanntes Objekt, dem sich gegenuÈber unmittelbar ein vorauszusetzendes erkennendes Ich auftut, welches wiederum im Versuch, sich zu erfassen, zu einem erkannten Objekt eines erkennenden Subjekts wird etc. (vgl. ebd. A 402). 1 2
In Zirkeln ums Selbstbewuûtsein
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EpocheÂ. Selbstbewuûtsein ist nach Kant theoriebeduÈrftig, aber nicht theoriefaÈhig.3 Auch Reinhold definiert das Selbstbewuûtsein im Gefolge Kants unter den Bedingungen des Gegenstandsbewuûtseins. ¹Unter dem Ich wird das vorstellende Subjekt, inwieferne es Objekt des Bewuûtseyns ist, verstandenª.4 Indem sich das vorstellende Subjekt aber in der Position des Objekts als vorstellendes vorstellt, ist es gerade nicht bei sich selbst, sondern von sich selbst getrennt, obgleich es als selbstbezuÈgliches Ich in Anspruch genommen wird. Auch in Reinholds Theorie des Selbstbewuûtseins bleibt sich das Ich aufgrund des sich einstellenden Zirkels prinzipiell im dunkeln. Fichte hat die Schwierigkeiten der Selbstbewuûtseinstheorie unter der Perspektive des Gegenstandsbewuûtseins als Aporien der sog. Reflexionstheorie des Selbstbewuûtseins namhaft und damit die Aporien der Theorie der SubjektivitaÈt von Descartes bis Kant und Reinhold auf den Begriff gebracht und im Gegenzug zu ihnen seine eigene SubjektivitaÈtstheorie entwickelt.5 Seine These ist, daû sich der reflexionstheoretische Ansatz, der vom Subjekt-Objekt-Differenz-Modell des Gegenstandsbewuûtseins ausgeht, bei der ErklaÈrung von Selbstbewuûtsein notwendig in einen fehlerhaften Zirkel verfaÈngt. Wird naÈmlich Selbstbewuûtsein als durch Reflexion eines Ich auf sich selbst konstituiert gedacht, so ist im Begriff des Ich Selbstbezug immer schon vorausgesetzt. Andernfalls koÈnnte ich naÈmlich gar nicht wissen, daû ich es selbst bin, worauf die Reflexion des Bewuûtseins sich richtet. Die reflexive RuÈckwendung des Ich auf sich selbst und die damit erfolgende Selbstidentifikation setzt die SelbstbezuÈglichkeit des Ich im-
3 Hingewiesen sei darauf, daû es nicht nur fu È r Kants Kritik an der rationalistischen Metaphysik, sondern auch fuÈr seine eigene Theorie vom Ich, wonach das Ich nur funktional als ¹Ich denkeª, ¹das alle meine Vorstellungenª muÈsse ¹begleiten koÈnnenª (KdrV. B 131), gedacht werden kann, maûgebend ist, daû es von ihm keine gegenstaÈndliche Erkenntnis geben kann. Vielfach wird gesagt, daû Kant das Selbstbewuûtsein des Ich aus dem Vollzug seiner Denkfunktionen erklaÈrt (vgl. D. Sturma: Kant uÈber Selbstbewuûtsein. Hildesheim, ZuÈrich 1985. 71). Doch damit sich das Ich seine Denkfunktionen als seine zuschreiben kann, muû es sich immer schon zuvor als seiner selbst bewuût sein. Die SelbstreferentialitaÈt, die hier erklaÈrt werden soll, ist bei diesem ErklaÈrungsversuch also bereits vorausgesetzt. Wie aber diese SelbstbezuÈglichkeit ihrerseits faûbar ist, hat Kant nur angedeutet, aber nicht entwickelt (vgl. KdrV., B 155, 158, 420, 429, 430). 4 K. L. Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermo È gens. Prag, Jena 1789, Nachdruck Darmstadt 1963. 336. 5 Vgl. J. G. Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797), in: Fichte: Werke. Hrsg. von I. H. Fichte. Berlin 1971. Bd 1. 519±534.
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mer schon voraus. Also kann das Ich nicht durch Reflexion des Gegenstandsbewuûtseins zustandekommen. An die Stelle der Reflexionstheorie tritt bei Fichte die Annahme eines praÈreflexiven Bewuûtseins des selbstbezuÈglichen Ich, das Fichte intellektuelle Anschauung nennt. Und es ist leicht einzusehen, daû deshalb bei Fichte das Ich prinzipiierenden Charakter hinsichtlich allen Gegenstandsbewuûtseins annimmt. WaÈhrend bei Kant das Gegenstandsbewuûtsein PrioritaÈt vor dem Selbstbewuûtsein hat, verschiebt sich bei Fichte diese PrioritaÈt zugunsten des Selbstbewuûtseins. Damit wird bei Fichte die Theorie der SubjektivitaÈt zur Prinzipientheorie des Deutschen Idealismus. Fichte ging davon aus, daû man die wissende Selbstbeziehung des Ich nur aus der Binnenperspektive des Ich heraus begreifbar machen kann. Er war sich auch intuitiv im klaren daruÈber, daû es sich beim Selbstbewuûtsein nicht nur um ein unmittelbar selbstbezuÈgliches Wissen handelt, sondern auch, da einer immer auch etwas von sich weiû, um ein reflektiertes Ich-Objekt. Das Selbstbewuûtsein weist also eine doppelte Struktur auf. Es ist Einheit von unmittelbar selbstbezuÈglichem Ich-Subjekt und reflektiertem Ich-Objekt. Mit immer neuen Formeln hat Fichte diese Einheit zu beschreiben versucht. So etwa mit der Formel ,Das Ich ist ein ¹sich Setzen als setzendª`6 oder etwa in der etwas seltsamen Rede davon, daû das Selbstbewuûtsein darin besteht, daû der TaÈtigkeit des Ich ein Auge eingesetzt sei.7 Dieter Henrich hat gezeigt, daû es Fichte nicht gegluÈckt ist, das Selbstbewuûtsein in seiner doppelten Struktur, als Einheit von unmittelbar selbstbezuÈglichem Ich-Subjekt und reflektiertem Ich-Objekt, ohne fehlerhaften Zirkel zu beschreiben.8 Statt dem Zirkel in der Erfassung von Selbstbewuûtsein zu entrinnen, geraÈt Fichtes Konzeption selbst in einen Zirkel. Denn der reflektierende bzw. objektivierende Akt, der das explizite Wissen des selbstbezuÈglichen Ich von sich selbst verbuÈrgen soll, zerstoÈrt dieses in seiner SelbstbezuÈglichkeit, das er andererseits notwendig voraussetzt. Indem das Ich sich selbst Objekt wird, spaltet es sich in das Ich-Objekt und das objektivierende Ich-
Fichte: Werke. Bd 1. 528. J. G. Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801. In: Fichte: Werke. Bd 2. 19, 37. 8 D. Henrich: Fichtes urspru È ngliche Einsicht. In: SubjektivitaÈt und Metaphysik. Hrsg. von D. Henrich und H. Wagner. Frankfurt a. M. 1966. 188±232. 6 7
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Subjekt. Andererseits weiû das Ich in der Unmittelbarkeit seines Selbstbezugs nichts Definitives von sich selbst. Die wissende Selbstbeziehung des Ich setzt also einen Abstand von sich voraus. Unmittelbarer Selbstbezug und Abstand von sich oder Fremdbezug kommen also im Selbstbewuûtsein des Ich in einen fehlerhaften Zirkel und es ist nicht abzusehen, wie aus diesem herauszukommen ist. Allgemein gilt also: Die Erfassung des Selbstbezugs des Ich fuÈhrt notwendig in einen Zirkel. Dieser kann als wechselseitige Voraussetzung von Selbst- und Fremdbezug beschrieben werden. Der Selbstbezug des Ich setzt den Abstand von sich, die Distanz zu sich, der als ein Fremdbezug verstanden werden kann, voraus, in dem man sich als das Objekt des Wissens weiû. Das reflektierte Wissen von sich selbst setzt aber umgekehrt die unmittelbare wissende Selbstbeziehung des Ich voraus. Ich fasse zusammen: FuÈr Kant bleibt die Verfassung des Ich eine Grenze des Wissens, weil er den unbequemen Zirkel bemerkt, daû die Erfassung des Ich durch das Gegenstandsbewuûtsein immer nur unter Inanspruchnahme des Ich moÈglich ist. Er folgert daraus, daû die Erfassung eines jedem Gegenstandsbewuûtsein vorausliegenden Ich nicht ausweisbar ist. Deshalb war Selbstbewuûtsein fuÈr Kant kein Thema seiner Philosophie. Im Gegensatz zu Kant sieht Fichte, daû das Gegenstandsbewuûtsein in der wissenden Selbstbeziehung des Ich fundiert ist, von der also der Ausgang fuÈr die Explikation aller Wissensformen zu nehmen sei. Doch die Explikation der wissenden Selbstbeziehung des Ich aus sich selbst heraus fuÈhrt bei Fichte ebenfalls in einen Zirkel, so daû das Zirkelproblem bestehenbleibt. Schon fruÈh haben Schelling und die FruÈhromantiker, vor allem Hölderlin und Novalis, eine Alternative zu Fichtes Selbstbewuûtseinstheorie entwickelt. Da sie klar sahen, daû die Erfassung des selbstbezuÈglichen Ich aus sich selbst heraus nicht ohne Zirkel zu haben ist, haben sie den Schluû gezogen, daû die wissende Selbstbeziehung von SubjektivitaÈt gar nicht aus sich selbst heraus verstaÈndlich gemacht werden kann und also keine selbstgenuÈgsame Grundtatsache ist. So kamen sie zu der Annahme, daû der Grund oder Kern des Ich eine sich dem Bewuûtsein entziehende, anonyme Dimension sei, die sie Sein bzw. absolutes Sein nannten.9 Damit haben sie aber das Problem der Selbstbeziehung und die Zirkelproblematik aus dem Blick verloren. Vgl. HoÈlderlin im Fragment Urtheil und Seyn. In: F. HoÈlderlin: SaÈmtliche Werke. Hrsg. von F. Beiûner u. a. Stuttgart 1943±1985. Bd 4. 216 f.; sowie Novalis in seinen Fichte-Studien, in: Novalis: Schriften. Hrsg. von R. Samuel. Stuttgart [usw.] 1981. Bd 2. 106. 9
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Diesen alternativen, neuplatonische Motive aufnehmenden Weg, die selbstbezuÈgliche SubjektivitaÈt auf ihren unvordenklichen Grund hin freizulegen, hat auch Henrich in seiner Selbstbewuûtseinstheorie beschritten. Henrich kehrt damit auf hoÈherer Stufe zu Kants Position der Wissensgrenze zuruÈck. Nach 30 Jahren seiner BeschaÈftigung mit dem Selbstbewuûtsein kommt er zu dem Resultat, daû Selbstbewuûtsein ein nicht naÈher aufklaÈrbares PhaÈnomen sei, weil Philosophie hier an eine Wissensgrenze stoûe. An Henrichs LoÈsungsvorschlag, daû der Grund des Selbstbewuûtseins eine anonyme Selbsthabe bzw. ein ¹(implizites) selbstloses Bewuûtsein vom Selbstª10 sei, waÈren zwei Fragen zu stellen: 1. Ist diese Bestimmung nicht eine contradictio in adjecto? Wie kann ein Bewuûtsein vom Ich ein ichloses sein? 2. Ist die Frage, daû und warum selbstbezuÈgliche SubjektivitaÈt uÈberhaupt eintritt, nicht eher eine genetische Frage und keine, die die logische Struktur der internen Verfassung von SubjektivitaÈt betrifft?11 Bevor ich nun zu Hegel komme, moÈchte ich einen Blick auf die nachidealistische Philosophie werfen. Ein vehementer Vorstoû zur È berwindung der mit den Selbstbewuûtseinstheorien gegebenen U Aporien ist von Heidegger unternommen worden. Heidegger setzt an die Stelle des Reflexionsmodells des Selbstbewuûtseins das propositionale Modell des Selbstbewuûtseins: Daû ich mich zu mir verhalte, bedeutet, daû ich mich zu dem Sachverhalt verhalte, daû und wie ich existiere.12 Doch lieûe sich zeigen, daû sich das menschliche Dasein D. Henrich: Selbstbewuûtsein. Kritische Einleitung in eine Theorie. In: Hermeneutik und Dialektik. Hrsg. von R. Bubner, K. Cramer und R. Wiehl. TuÈbingen 1970. 280. In AnknuÈpfung an Henrich und Sartre sieht M. Frank in der unmittelbaren, uneinholbaren Vertrautheit mit sich des praÈreflexiven Bewuûtseins, in der reflektierte Formen von SubjektivitaÈt keine BeruÈcksichtigung finden, die LoÈsung des Selbstbewuûtseinsproblems È berblick uÈber eine Problemlage. In: (vgl. M. Frank: SubjektivitaÈt und IndividualitaÈt. U Selbstbewuûtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der SubjektivitaÈt. Stuttgart 1991. 9±49). Doch ist praÈreflexive Vertrautheit mit sich zwar eine notwendige, aber keine zureichende Charakterisierung von Selbstbewuûtsein. 11 Henrich vertritt im Rekurs auf Ho Èlderlin eine Art formale Ursprungsmetaphysik des Bewuûtseins. Daû und warum die unmittelbar wissende Selbstbeziehung des Bewuûtseins uÈberhaupt eintritt, verdankt sich einem immanent im Bewuûtsein selbst vorangehenden unvordenklichen Grund (vgl. D. Henrich: Der Grund im Bewuûtsein. Untersuchungen zu HoÈlderlins Denken (1794±1795). Stuttgart 1992. Bes. 622 ff.). Die grundsaÈtzliche Frage an diese Konzeption ist, ob bei Vorliegen von Bewuûtsein nicht stets eine einfache, unmittelbare, unthematische und wie auch immer noch rudimentaÈr bleibende Selbstbeziehung des Ich unterstellt ist, die nicht voÈllig selbstverloren bleibt, sondern auch unreflektiert erfahren wird. 12 ¹Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhaÈlt, nennen wir Existenzª (M. Heidegger: Sein und Zeit. (15. Aufl.) TuÈbingen 10
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nicht propositional zu seinen Existenzweisen verhalten koÈnnte, wenn nicht die Vertrautheit des Selbst mit sich im Verhalten zu seiner Existenz vorausgesetzt waÈre. Tugendhat ist Heideggers propositionalem Modell gefolgt und hat das propositionale Verhalten der Person zu ihrer Existenz sprachanalytisch konkretisiert, indem er Selbstbewuûtsein durch die Verwendungsweisen des Personalpronomens ,ich` zu erklaÈren versucht. Das Spezifische des Ausdrucks ,ich` sei, daû mit ihm der jeweilige Sprecher sich selbst bezeichnet, ohne sich zu identifizieren, und daû der, der sich mit ,ich` bezeichnet, aus der Er-Perpektive als raum-zeitliche Person identifiziert werde koÈnne.13 So plausibel dies alles ist, so muû ich doch erstens diese beiden Gebrauchsweisen des Ausdrucks ,ich`, in denen ich als Ich-Subjekt und als Ich-Objekt auftrete, in mein Wissen aufgenommen haben und zweitens setzt dieses mein Wissen von den beiden Gebrauchsweisen des Ausdrucks ,ich` zuvor die Kenntnis meiner selbst voraus. Jedes Subjekt ist selbstbezuÈgliches Subjekt und identifizierbare Person. Jeder Ich-Gebrauch setzt dieses gedoppelte Wissen voraus. Dann muû aber gesagt werden, daû dieses gedoppelte Wissen sich nur innerhalb der wissenden Selbstbeziehung des Ich selbst auslegen laÈût. Offenbar muû daher ein urspruÈnglicher wissender Selbstbezug gesichert sein, soll von meiner Existenz in der gedoppelten Weise des Ich-Subjekts und Ich-Objekts die Rede sein. Da Tugendhats Theorie, die das Selbstbewuûtsein aus intersubjektiven-sprachlichen ZusammenhaÈngen der Bedeutungsvermittlung des Ausdrucks ,ich` verstaÈndlich machen will, den wissenden Selbstbezug des Subjekts, den sie leugnet, durchgaÈngig voraussetzt, geraÈt sie eben in denjenigen Zirkel, welchen die Theorien aufweisen, die eine Auslegung der wissenden Selbstbeziehung in Orientierung am natuÈrlichen Gegenstandsbewuûtsein versuchen.14
1979. 12). Die scheinbar primaÈr reflexive SubjektivitaÈt wird von Heidegger auf den urspruÈnglichen Sinn eines Seins hin freigelegt, von dem her sich in seinen Existenzweisen verstehen zu koÈnnen das menschliche Dasein allererst zu sich selbst braÈchte. 13 Vgl. E. Tugendhat: Selbstbewuûtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen. Frankfurt a. M. 1979. 73, 84, 87. 14 Vgl. D. Henrich: Noch einmal in Zirkeln. Eine Kritik von Ernst Tugendhats semantischer ErklaÈrung von Selbstbewuûtsein. In: Mensch und Moderne. Hrsg. v. C. Bellut u. U. MuÈller-SchoÈll. WuÈrzburg 1989. 93±132. Henrich weist in Tugendhats Selbstbewuûtseinstheorie, die von sich behauptet, im Unterschied zu den idealistischen Selbstbewuûtseinstheorien zirkelfrei zu sein, drei Zirkel auf.
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II. Was ist nun Hegels Stellung zum Problem der Selbstbeziehung der SubjektivitaÈt bzw. zum Zirkelproblem des Selbstbewuûtseins? Anhand eines einschlaÈgigen Zitats aus Hegels Begriffslogik laÈût sich diese Stellung Hegels verdeutlichen: ¹Aber laÈcherlich ist es wohl, diese Natur des Selbstbewuûtseins ± daû Ich sich selbst denkt, daû Ich nicht gedacht werden kann, ohne daû es Ich ist, welches denkt ± eine Unbequemlichkeit und als etwas Fehlerhaftes einen Zirkel zu nennen, ± ein VerhaÈltnis, wodurch sich im unmittelbaren, empirischen Selbstbewuûtsein die absolute, ewige Natur desselben und des Begriffs offenbart, deswegen offenbart, weil das Selbstbewuûtsein eben der daseiende, also empirisch wahrnehmbare, reine Begriff, die absolute Beziehung auf sich selbst ist, welche als trennendes Urteil sich zum Gegenstande macht und allein das ist, sich zum Zirkel zu machenª.15 Dieses Zitat enthaÈlt Hegels ganze Selbstbewuûtseinstheorie. Aus dem Zitat geht hervor, daû Hegel dem Zirkel in der Erfassung der selbstbezuÈglichen Struktur des Ich nicht aus dem Weg gehen moÈchte. Denn ± sagt Hegel ± es ist notwendig und unvermeidlich, daû sich das Ich in seiner absoluten Selbstbeziehung ¹als trennendes Urteil . . . zum Gegenstandeª und damit zum Zirkel macht. Was er Kant vorwirft, ist, daû er den Zirkel als eine Unbequemlichkeit oder einen Fehler ausgibt, der es verhindert, die Struktur und Verfassung des Selbstbewuûtseins aufzuklaÈren. Im Gegensatz zu Kant haÈlt Hegel diesen Zirkel fuÈr keinen Fehler, sondern fuÈr einen unhintergehbaren Sachverhalt, indem er den Reflexionszirkel zugleich radikal umdeutet. Kants Auffassung von der fehlerhaften Zirkelhaftigkeit der selbstobjektivierenden Erfassung des Ich verweist nach Hegel darauf, daû die selbstbezuÈgliche Verfassung des Ich nicht angemessen bestimmt ist. Und diese hat in den Augen Hegels auch Fichte nicht angemessen erfaût. Hegels LoÈsungsansatz der Zirkelproblematik des Selbstbewuûtseins impliziert daher auch eine radikale Kritik an der Kernstruktur des Ich als einem bloûen, unmittelbaren Selbstbezug der intellektuellen Anschauung bei Fichte. Das Wesen von SubjektivitaÈt ist nach Hegel keine bloûe, reine Selbstbeziehung. Das selbstbezuÈgliche Ich kann sich naÈmlich nur erfassen, wenn es sich zum Gegenstand macht. G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik II. In: Hegel: Werke in 20 BaÈnden. Hrsg. v. E. Moldenhauer u. K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1969 ff. Bd 6. 490. Diese Ausgabe wird im folgenden als HW mit Bandnummer und Seitenangabe zitiert. 15
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Hegels LoÈsungsvorschlag ist also die Annahme einer absoluten Selbstbeziehung. Dieser Begriff birgt natuÈrlich immense Schwierigkeiten in sich. Im Begriff der absoluten Beziehung auf sich ist aber offensichtlich die Distanz zu sich, die Beziehung auf sich als Anderes, als konstitutives Moment der Beziehung auf sich enthalten. Die SelbstbezuÈglichkeit der SubjektivitaÈt ist fuÈr Hegel Einheit von Selbst- und Fremdbeziehung. Aber auch Hegel scheint den Zirkel in der Beschreibung dieser Verfassung des Selbstbewuûtseins ± genauso wie Fichte ± nicht vermeiden zu koÈnnen. ZirkulaÈr ist naÈmlich der Sachverhalt, daû der Fremdbezug den Selbstbezug und dieser wieder jenen voraussetzt. Doch ist es wichtig zu sehen, daû die zirkulaÈre Struktur der Verfassung des Selbstbewuûtseins von einem fehlerhaften Zirkel, einer petitio principii, die ja Indiz fuÈr Inkonsistenz ist, unterschieden ist. Fehlerhaft zirkulaÈr wird die Beschreibung der Selbstobjektivierung des Ich ja nur dadurch, daû in ihr die urspruÈngliche SelbstbezuÈglichkeit des Ich nicht festgehalten wird, die gleichwohl in Anspruch genommen werden muû. Von einem fehlerhaften Zirkel unterscheidet sich die zirkulaÈre Verfassung der SubjektivitaÈt bei Hegel offensichtlich dadurch, daû sie der Zirkel einer unhintergehbaren SelbstbegruÈndungsstruktur ist, als die sich die absolute Beziehung des Begriffs erweist.16 Der Terminus der absoluten Beziehung auf sich muû also erklaÈren koÈnnen, warum das selbstbezuÈgliche Ich sowohl den Aspekt des unmittelbaren Selbstbezugs als auch den Aspekt des Fremdbezugs aufweist, ohne sich in einen fehlerhaften Zirkel zu verstricken. Hegel geht davon aus, daû das 16 K. Cramer hat auf Hegels konstruktive Umdeutung des fehlerhaften Zirkels in der Theorie des Selbstbewuûtseins hingewiesen, doch nicht zwischen fehlerhaftem und notwendigem, unhintergehbarem Zirkel in der SelbstbegruÈndungsstruktur des Begriffs unterschieden. Vgl. K. Cramer: ¹Erlebnisª. Thesen zu Hegels Theorie des Selbstbewuûtseins mit RuÈcksicht auf die Aporien eines Grundbegriffs nachhegelscher Philosophie. In: Stuttgarter Hegel-Tage 1970. Hrsg. von Hans-Georg Gadamer. Bonn 1974. (Hegel-Studien. Beiheft 11.) 537±603. Zur Bedeutung dieser Differenz vgl. V. HoÈsle: BegruÈndungsfragen des objektiven Idealismus, in: Philosophie und BegruÈndung. Hrsg. v. W. R. KoÈhler, W. Kuhlmann u. P. Rohs, Frankfurt a. M. 1987, 212±267, bes. 245 ff.; Chr. Iber: Die BegruÈndung des Idealismus bei Fichte, Schelling und Hegel, in: prima philosophia 3/2 (1990), 171±193, bes. 184; K. DuÈsing: Selbstbewuûtseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische EntwuÈrfe zur konkreten SubjektivitaÈt. MuÈnchen 1997. 97 ff. DuÈsing nimmt die produktiven Potentiale von Hegels Theorie der SubjektivitaÈt fuÈr den Versuch einer den vitioÈsen Zirkel vermeidenden systematischen Theorie konkreter SubjektivitaÈt auf. Er entwirft eine Stufenfolge von Selbstbewuûtseinsmodellen, in der es im Ausgang von einer einfachen Grundstruktur von Selbstbeziehung und unter BeruÈcksichtigung intersubjektiver Aspekte zur Ausbildung verschiedener, immer komplexer werdender Selbstbeziehungsweisen emotionaler, kognitiver und voluntativer Art von SubjektivitaÈt kommt (vgl. ebd. 123 ff).
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selbstbezuÈgliche Ich immer schon bei sich ist und als solches nur aus sich selbst heraus zur gegenstaÈndlichen bewuûten SelbstverstaÈndigung uÈber sich kommen kann. Nicht das selbstbewuûte Ich bewegt sich in einem fehlerhaften Zirkel um sich selbst, sondern nur die defizitaÈre Theorie des Selbstbewuûtseins. Gegen den fehlerhaften Zirkel der traditionellen Theorie des Selbstbewuûtseins macht Hegel die nichtvitioÈse Zirkelstruktur des Selbstbewuûtseins selbst geltend. Wie gesagt: Hegel sieht in der zirkulaÈren Einheit von Selbst- und Fremdbeziehung eine der SubjektivitaÈt unhintergehbar zukommende Struktur. Unhintergehbar ist der Zirkel der sich selbst zum Gegenstand machenden selbstbezuÈglichen SubjektivitaÈt darin, daû er allem Wissen von sich immer schon zugrunde liegt, also nicht ohne Widerspruch in dessen ErklaÈrung negiert werden kann. Ein Ich-Objekt ohne selbstbezuÈgliches Ich ist ebensowenig denkbar wie ein selbstbezuÈgliches Ich ohne reflektiertes Ich-Objekt. Hegel muÈûte also einsichtig machen koÈnnen, daû die absolute SelbstbezuÈglichkeit des Ich darin besteht, daû das selbstbewuûte Ich Einheit von Selbst- und Fremdbezug ist, ohne daû darin SelbstbezuÈglichkeit verloren geht. Nennen wir das selbstbezuÈgliche Ich das Ich und das reflektierte Ich-Objekt das Selbst, so ist das selbstbewuûte Ich immer schon bestehende Einheit von Ich und Selbst. Das Geheimnis menschlicher SubjektivitaÈt ist eben die IdentitaÈt von selbstbezuÈglichem Ich-Subjekt und reflektiertem Ich-Objekt, die IdentitaÈt von Ich und Selbst. Und dieses IdentitaÈtsproblem moÈchte Hegel durch den Begriff der ¹absoluten Beziehung auf sichª loÈsen. Wie Hegel dieses Problem loÈst, ist allerdings alles andere als klar. Bedeutsam ist diese IdentitaÈt von selbstbezuÈglichem Ich-Subjekt und reflektiertem Ich-Objekt auch aus folgendem Grund. Das Ich als IchObjekt oder Person wird immer als EntitaÈt identifiziert, die eine Innenperspektive hat. GehoÈrt Selbstbewuûtsein zu dieser Innenperspektive, so wird Personen auch Selbstbewuûtsein aus der Auûenperspektive zugesprochen werden muÈssen. Jede Theorie von Selbstbewuûtsein muû eine solche Fremdzuschreibung von Selbstbewuûtsein aus der internen Struktur von SubjektivitaÈt verstaÈndlich machen koÈnnen. Dies ist einer der entscheidenden GruÈnde, warum SubjektivitaÈt nicht uÈber IntersubjektivitaÈt einholbar ist. Es ist nun leicht zu sehen, daû uns Hegels spezifische, umdeutende Interpretation des Zirkels in der Theorie des Selbstbewuûtseins mit seinem Begriff der Dialektik konfrontiert. Der Dialektik bedarf es sowohl was die diskursive Erfassung der Struktur der SubjektivitaÈt betrifft als auch was die Herleitung dieser Struktur angeht. Hegels Dia-
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lektik kann als Beweis, und zwar als indirekter Beweis fuÈr die Unhintergehbarkeit bzw. Absolutheit der Struktur der SubjektivitaÈt verstanden werden, der uÈber den Aufweis der WiderspruÈchlichkeit aller konkurrierenden Kategorien laÈuft. Hegels Unternehmen einer dialektischen BegruÈndung der logischen Struktur und Verfassung der SubjektivitaÈt laÈût sich als AnknuÈpfung an und als Gegenentwurf zur Cartesianischen Tradition verstehen. Seine dialektische Selbstbewuûtseinstheorie ist nicht einfach Konsequenz und Vollendung der neuzeitlichen Subjektphilosophie. Hegel wirft Kant, aber auch vor allem Fichte vor, die selbstbezuÈgliche Struktur des Ich als absolutes, aber unzureichend analysiertes Prinzip nur vorauszusetzen, ohne es in das Wissen von seiner Bestimmtheit aufzuloÈsen. Statt das Ich als transzendentales Prinzip vorauszusetzen, muû es in seiner Unhintergehbarkeit und internen Struktur allererst entwickelt werden. Ich fasse zusammen: Interessant wird Hegels Theorie der SubjektivitaÈt, wenn man sieht, daû seine SubjektivitaÈtskonzeption eine Antwort auf die Schwierigkeiten und Dunkelheiten der SubjektivitaÈtstheorien Kants und Fichtes und auch eine Alternative zu den fruÈhromantischen Subjektkonzeptionen sein will. Jedenfalls sollte man sich, bevor man in Positionen des sich entziehenden Grundes von SubjektivitaÈt Zuflucht sucht, der Theorie Hegels nicht verschlieûen, die das PhaÈnomen der SelbstbezuÈglichkeit von SubjektivitaÈt vertieft, sondern versuchen, eben diese Hegelsche Theorie in ihrem produktiven Potential auszuschoÈpfen.17 III. Eine nicht zu unterschaÈtzende Schwierigkeit von Hegels Theorie der SubjektivitaÈt ist, daû er diese einerseits in der Wissenschaft der Logik als Theorie der SubjektivitaÈt des Begriffs, andererseits als realphiloso-
In seinem neusten Beitrag zur Theorie der SubjektivitaÈt nimmt Henrich eine veraÈnderte Position zur Selbstbewuûtseinstheorie ein und scheint auf die von Hegel freigelegte Doppelstruktur des Selbstbewuûtseins Bezug zu nehmen: Im Selbstbewuûtsein ist vorausgesetzt, ¹daû einer von sich selbst weiû, und zwar so, daû er zugleich auch weiû, daû dies Wissen ein Wissen von ihm selbst istª. (D. Henrich: Bewuûtes Leben. Stuttgart 1999. 14, vgl. auch 57 ff). Zugleich modifiziert Henrich seine ursprungsmetaphysische These vom Selbstbewuûtsein: ¹Ein Grund des Wissens von mir, wie immer er zu fassen ist, laÈût sich uÈberhaupt nur als Hypothese denken, die aber in keiner Verifikation zur erwiesenen Erkenntnis zu wandeln istª (ebd. 65). 17
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phische Theorie in der PhaÈnomenologie des Geistes und in der EnzyklopaÈdie entwickelt. Allerdings kann Hegels Behandlungsweise des Begriffs der SubjektivitaÈt gerechtfertigt werden: Der systematische Ort von Hegels Theorie der SubjektivitaÈt ist nicht die Realphilosophie. Die PhaÈnomenologie des Geistes ist eine Theorie der Genese der inhaltlichen Bestimmungen des Selbstbewuûtseins im Rahmen einer Theorie der Erfahrung des Bewuûtseins. Die Realphilosophie liefert keine KlaÈrung der logischen Struktur und Verfassung der SubjektivitaÈt. Der systematische Ort von Hegels Theorie der SubjektivitaÈt ist seine Logik, weil hier die kategorialen Implikate der Struktur von SubjektivitaÈt entwickelt werden. Obgleich der Begriff des Begriffs nicht deckungsgleich mit dem der SubjektivitaÈt ist, ist die Begriffsstruktur das logisch kategoriale Fundament fuÈr Hegels SubjektivitaÈtsbegriff. Hegel fuÈhrt den Begriff des Begriffs als Wahrheit der Spinozistischen Substanz ein, in der die Wesenslogik terminiert. Im dritten Abschnitt der Wesenslogik geht es mithin darum, in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Substanzdenken dieses in das Denken der SubjektivitaÈt des Begriffs zu uÈberfuÈhren. Nicht laÈnger soll der traditionellen Kategorie der Substanz, sondern dem Subjekt soll Absolutheit zugesprochen werden. Das bedeutet nun nicht, daû Hegel statt der Substanz das Subjekt als das Absolute faût. Absolutheit hat allein die logische Struktur des Begriffs. Die SubjektivitaÈt als TraÈger der Begriffsstruktur hat lediglich an der Absolutheit des Begriffs teil. È bergangs von der WeDie Schwierigkeit bei der Interpretation des U sens- in die Begriffslogik (vgl. TW 6. 217 ff.) ist, daû der entscheidende Grundgedanke nicht leicht auszumachen ist. Der entscheidende Gedanke scheint mir folgender zu sein: Im Fortgang von der Wesens- in die Begriffslogik wird schrittweise die selbstbezuÈgliche Relation als solche explizit. Im SubstanzialitaÈtsverhaÈltnis der Substanz zu ihren Akzidenzen haben wir es mit einer unmittelbaren, asymmetrischen Relation zu tun. Diese wird explizit in der KausalitaÈt. In der KausalitaÈt ist eine asymmetrische Relation erreicht, die in den infiniten Regreû fuÈhrt. Dieser wird in der Wechselwirkung durch die Symmetrie der Relation aufgehoben. Allerdings hat die Wechselwirkung noch einen È bergang zum Begriff motiviert. In der WechselwirMangel, der den U kung haben wir es quasi mit einer RuÈckkopplungskausalitaÈt zweier formal noch unterschiedener Substanzen zu tun, obgleich eine dasselbe ist wie die andere. Solche RuÈckkopplungskausalitaÈt von EntitaÈten finden wir in der organischen Natur, aber auch in Regelkreisen von Com-
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putern. Indem die IdentitaÈt beider aufeinander wirkender Substanzen erkannt wird, fallen sie in eine zusammen, so daû die RelationalitaÈt nun in eine einheitliche Struktur integriert ist. Mit dem Begriff ist damit eine selbstbezuÈgliche RelationalitaÈt erreicht und explizit gemacht, die spezifisch das Denken charakterisiert. Hegel liefert hier im uÈbrigen einen Beitrag zur Diskussion, ob Computer denken koÈnnen.18 Computer sind automatische, universelle Rechenmaschinen, die Gedanken, Zahlen, zum Zweck haben, bei deren artistischer Kombination allerdings die Gegenwart menschlichen Denkens eher stoÈrend als befoÈrdend wirkt, weswegen wir diese Denkfunktionen ja so gerne an einen Mechanismus delegieren. Computer funktionieren durch RuÈckkopplungskausalitaÈt von Regelkreisen, waÈhrend Denken durch SelbstbezuÈglichkeit charakterisiert ist. Darin unterscheidet sich die Intelligenz von Computern von menschlichem Denken. Der Hegelsche Begriff ist die sich selbst konstituierende SelbstbegruÈndungsstruktur des Denkens, von der nicht abstrahiert werden kann, ohne sie bereits vorauszusetzen, waÈhrend die Intelligenz von Computern nur Bedeutung fuÈr das menschliche Denken hat. Der Computer ist ein einziger Verweis auf das Denken auûerhalb seiner. Das menschliche Denken unterscheidet sich von Computerintelligenz erstens dadurch, daû es bei und fuÈr sich ist, und zweitens dadurch, daû es aufgrund seiner NegativitaÈt produktiv ist. Es ist deshalb nur konsequent, daû Hegel die Begriffsstruktur am Ich des Selbstbewuûtseins konkretisiert (vgl. HW 6. 253). Eine wesentliche Aufgabe der Interpretation der Begriffsstruktur von Hegels SubjektivitaÈtsbegriff sehe ich darin, die Differenz in der logischen Verfassung der objektiven Logik von der der subjektiven Logik des Begriffs namhaft zu machen. Hervorzuheben ist, daû fuÈr Hegel die Begriffsstruktur und nicht, wie Henrich meint, die Reflexionsstruktur des Wesens das Charakteristische von SubjektivitaÈt ausmacht, und zwar deswegen, weil in der absoluten SelbstbezuÈglichkeit des Begriffs die positive Selbstbeziehung den Vorrang vor der negativen Selbstbeziehung hat.19 Um die Struktur der SubjektivitaÈt des Begriffs als Ein18 Die Annahme, daû Maschinen intelligent sein ko È nnen, wird vielfach ergaÈnzt um den Glauben, daû intelligente Wesen Maschinen seien. D. C. Demmet z. B. setzt den menschlichen Geist mit dem Gehirn gleich und bestimmt dieses als hochkomplexen Computer (vgl. D. C. Demme: Philosophie des menschlichen Bewuûtseins, uÈbers. von F. M. Wuketits. Hamburg 1994, 53, 276±298, 332±370, 552±560). 19 P. Braitling hat die These Cramers von Hegels Umdeutung des Reflexionszirkels aufgenommen und zur Ausarbeitung gebracht und zugleich gegen Henrich gezeigt, daû
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heit von Allgemeinheit und Einzelheit, von Selbst- und Fremdbezug adaÈquat interpretieren zu koÈnnen, waÈre es notwendig, Hegels Theorie der NegativitaÈt naÈher zu betrachten. Insbesondere muÈûte die Differenz zwischen Hegels seins-, wesens- und begriffslogischer Theorie der NegativitaÈt herausgestellt werden. Dies wurde in keiner Weise zureichend von Henrich bearbeitet. Das entscheidende Defizit von Henrich besteht darin, daû er den genuinen Ort von SelbstbezuÈglichkeit in der Negation erblickt und damit beide in einer ¹autonomen Negationª zusammenfallen laÈût,20 ohne zu sehen, daû Negation nur selbstbezuÈglich sein kann, weil SelbstbezuÈglichkeit immer schon vorausgesetzt ist. Daher kommt Henrich nicht uÈber Hegels wesenslogische Grundoperation der sich auf sich beziehenden Negation in ihrer negativen Selbstbeziehung hinaus. Henrich verbleibt bei der PrioritaÈt von NegativitaÈt und negativem Selbstbezug und verkennt, daû es Hegel letztlich auf einen Vorrang von affirmativem Selbstbezug vor NegativitaÈt und negativer Selbstbeziehung ankommt. Das aber bedeutet, daû man uÈber Henrichs Interpretationsansatz hinausgehen muû, will man die logische Begriffsstruktur von SubjektivitaÈt klaÈren. Die SubjektivitaÈt des Begriffs soll nach Hegel aus der Widerspruchsstruktur der NegativitaÈt des Wesens herausfuÈhren. Nicht ReflexivitaÈt und SelbstbezuÈglichkeit als solche ist der Grund fuÈr WiderspruÈche ± wie moderne Hegelkritiker meinen ±, sondern nur negativer Selbstbezug. Nun ist die ganze Sache aber noch komplizierter: Hegel meint nicht nur, daû SelbstbezuÈglichkeit als solche der Negation und deren SelbstbezuÈglichkeit vorausgesetzt ist, sondern auch umgekehrt, daû SelbstbezuÈglichkeit als solche nur manifest werden kann als Negation und deren SelbstbezuÈglichkeit. Daû SelbstbezuÈglichkeit als solche der Negation und deren SelbstbezuÈglichkeit vorausgesetzt ist, umgekehrt aber ohne letztere nicht erfaût werden kann, zeigt sich in einem bekannten PhaÈnomen. Am deutlichsten wird die SelbstbezuÈglichkeit von Selbstbewuûtsein, wenn sich dieses negativ auf sich bezieht, z. B. im Selbst-
die logische Struktur der SubjektivitaÈt die des Begriffs und nicht die logische Struktur des Wesens ist (vgl. P. Braitling: Hegels SubjektivitaÈtsbegriff. Eine Analyse mit BeruÈcksichtigung intersubjektiver Aspekte. WuÈrzburg 1991. 108 ff.). Ihrer Arbeit verdanke ich wesentliche Anregungen. 20 Vgl. D. Henrich: Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die Wissenschaft der Logik. In: Der Idealismus und seine Gegenwart. Hrsg. v. U. Guzzoni, B. Rang u. L. Siep. Hamburg 1976. 208±230.
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haû. Haû ist eine negative Beziehung der Entgegensetzung. Und doch sind im Selbsthaû der Hassende und der Gehaûte identisch, was auch erklaÈrt, warum dieser Haû oft so unversoÈhnlich ist. Diese negative Beziehung auf sich im Selbsthaû waÈre aber gar nicht moÈglich, waÈre das Selbstbewuûtsein nicht bereits urspruÈnglich selbstbezuÈglich verfaût. Doch gilt auch umgekehrt: Die SelbstbezuÈglichkeit als solche wird erst faûbar bzw. tritt deutlich nur im negativen Selbstbezug hervor. Besonders evident wird der beschriebene Sachverhalt in Kierkegaards Verzweiflungsanalyse. Kierkegaard hat in der Krankheit zum Tode gezeigt, daû die Verzweiflungsanalyse auf einer fundamentalen anthropologischen Voraussetzung beruht. Verzweiflung ist nur moÈglich, wenn das Selbst fuÈr sich bereits nichts als ein Sich-zu-sich-Verhalten ist.21 Das aber bedeutet, daû der reine Selbstbezug als solcher leer, ein sinnloses Gebilde ist ohne Bestimmtheit und Negation und deren Selbstbezug. Reiner Selbstbezug setzt also negativen Selbstbezug voraus, und umgekehrt dieser jenen. Anders gesagt: Hegel geht von einer spekulativen Struktur von SubjektivitaÈt aus, wonach reiner Selbstbezug nur unter der Voraussetzung des negativen Selbstbezugs und dieser nur unter Voraussetzung des reinen Selbstbezugs moÈglich ist. Nicht fehlerhaft zirkulaÈr ist dieses VoraussetzungsverhaÈltnis von SelbstbezuÈglichkeit und NegativitaÈt, weil hier die SelbstbezuÈglichkeit das vorgaÈngige und durchgaÈngige Prinzip ist. Diese spekulative Einheit von SelbstbezuÈglichkeit und NegativitaÈt ist jedenfalls nicht zu verwechseln mit dem wesenslogischen Grundgedanken der sich auf sich beziehenden NegativitaÈt als solcher. Das Defizit des wesenslogischen Reflexions- und NegativitaÈtsbegriffs besteht darin, daû auf der Ebene des Wesens zwar Negation und deren Selbstbeziehung thematisch sind, der Selbstbezug als solcher, dem sich das SelbstverhaÈltnis der Negation verdankt, aber noch als unausgeÈ bergang von der Wesens- in die Bewiesenes Implikat fungiert. Im U griffslogik wird dieses Implikat nun ausgewiesen, indem die SelbstbezuÈglichkeit als solche als Beschaffenheit des Begriffs explizit zum Thema wird. In der Begriffslogik wird die selbstbezuÈgliche Struktur des Begriffs und damit die des Ich in allen Einzelheiten dialektisch als Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit entfaltet (vgl. HW. 251±253). Mit seiner ¹Das Selbst ist ein VerhaÈltnis, das sich zu sich selbst verhaÈltª (S. Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode. Hrsg. von L. Richter. Hamburg 1962. 13). 21
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Auseinandersetzung um den Begriff des Ich mischt sich Hegel in die Debatte um das Problem der Zirkelhaftigkeit in der ErklaÈrung von Selbstbewuûtsein ein. Hegel erkennt, daû das Selbstbewuûtsein des Ich in seiner selbstbezuÈglichen Verfassung nicht zirkelfrei erfaût werden kann, eben wegen der Wechselimplikation von SelbstbezuÈglichkeit und Bestimmtheit (bzw. Beziehung auf anderes). WaÈhrend Kants Selbstbewuûtseinstheorie daran scheitert, daû er die SelbstbezuÈglichkeit des Ich als Fall von Bestimmtheit bzw. Beziehung auf anderes denkt, wobei der Gegenstandsbezug nur unter je schon erfolgter Inanspruchnahme des Selbstbezugs des Ich moÈglich ist, laboriert Fichtes Theorie des Selbstbewuûtseins daran, daû sie den Selbstbezug des Ich als frei von jeglichem Bezogensein auf anderes bzw. von Bestimmtheit konzipiert, was sich ebenfalls als ein sinnloses Unterfangen erweist. Die Selbstbeziehung des Ich laÈût sich naÈmlich grundsaÈtzlich nicht aus sich selbst heraus begreifbar machen. Der Begriff der Selbstbeziehung verweist von sich aus auf Bestimmtheit bzw. den Bezug auf anderes, andernfalls gaÈbe es nichts, was bezogen werden koÈnnte. So ist auch Fichtes Selbstbewuûtseinstheorie nicht haltbar. Letztlich loÈst Hegel das Problem der IdentitaÈt von selbstbezuÈglichem Ich-Subjekt und reflektiertem Ich-Objekt durch den Gedanken, daû das Selbstbewuûtsein des Ich Differenzeinheit von Allgemeinheit und Einzelheit und damit Differenzeinheit von selbstbezuÈglichem Ich und identifizierbarer Person ist. Der Aspekt der Einzelheit ist konstitutiv, doch nicht als physisches Einzelding. Die Erfahrung der Einzelheit der Person ist nicht auf die Erfahrung einer raum-zeitlichen EntitaÈt zu reduzieren, wie es etwa Tugendhat tut. Person ist Subjekt von Meinungen und IdentifikationstraÈger einer Geschichte. Das Ich in der Einzelheit der Person laÈût sich nur zureichend aus der Binnenperspektive des selbstbezuÈglichen Ich in seiner Allgemeinheit verstehen. Hegel wahrt den Vorrang der Binnenperspektive des selbstbezuÈglichen Ich auf das Ich als identifizierbare Einzelperson vor der Identifikation von auûen durch den Gedanken, daû sich das selbstbezuÈgliche Ich im IchObjekt in einem objektivierten und als objektivierten zugleich reflektierten Selbstbezug befindet. Da das reflektierende Ich-Subjekt im reflektierten Ich-Objekt auf sich selbst bezogen ist, weiû es dieses trotz seiner Differenz als dasselbe mit ihm. Damit ist auch in bezug auf das reflektierte Ich-Objekt oder das Ich als Einzelperson die SelbstbezuÈglichkeit des Ich gewaÈhrleistet. Und nur dadurch ist die WuÈrde des Menschen als konkreter Einzelperson gewahrt und vor der empiristischen Reduktion des Selbstbewuûtseins auf eine raum-zeitliche EntitaÈt
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mit Polizeiakten-IdentitaÈt gesichert.22 ± Um die faszinierende Doppelstruktur des Selbstbewuûtseins zu erhellen und damit die moderne SubjektivitaÈtstheorie zu sich selbst zu bringen, mobilisiert Hegel mit seinem LoÈsungsvorschlag gegen die neuzeitliche SubjektivitaÈtstheorie das produktive Potential zweier Grundgedanken der Antike, naÈmlich das Aristotelische Prinzip der noesis noeseos und das Platonische Theorem der Einheit von episteme heautes episteme tinos.23 Ich fasse zusammen: FuÈr Hegel ist das Ich Einheit von Selbstbeziehung und Beziehung auf anderes bzw. Bestimmtheit, Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit. Die Leistung von Hegels SubjektivitaÈtstheorie besteht darin, einen plausiblen Vorschlag gemacht zu haben, wie die Aporien der Kantischen und Fichteschen SubjektivitaÈtstheorie zu vermeiden sind. Bei Kant ist das Gegenstandsbewuûtsein Bedingung von Selbstbewuûtsein. DemgegenuÈber ist fuÈr Fichte das selbstbezuÈgliche Ich Voraussetzung fuÈr Gegenstandsbewuûtsein. In beiden AnsaÈtzen der ErklaÈrung des Ich ist ein vitioÈser Zirkel verborgen. Kant bemerkt, daû das Gegenstandsbewuûtsein nur moÈglich ist, wenn es eine vorgaÈngige selbstbezuÈgliche Instanz gibt. Das bedeutet, das selbstbezuÈgliche Ich, das uÈber das Gegenstandsbewuûtsein erfaût werden soll, muû bereits vorausgesetzt werden. Auch Fichtes Ausgang vom selbstbezuÈglichen Ich ist fehlerhaft zirkulaÈr, denn es zeigt sich, daû das selbstbezuÈgliche Ich ohne Gegenstandsbewuûtsein nicht denkbar ist. Der Schwierigkeit entgeht Hegel, indem er SubjektivitaÈt als Einheit von Selbst- und Gegenstandsbewuûtsein entwickelt. Der fehlerhaft zirkulaÈre Verweis des einen auf das andere wird uÈberwunden durch den bereits in der Antike bekannten Topos der Einheit von Selbst- und Fremdbezug.24 IV. Eine Interpretation von Hegels Theorie der SubjektivitaÈt muÈûte sich zweitens mit seiner Theorie realer menschlicher SubjektivitaÈt anhand der PhaÈnomenologie des Geistes auseinandersetzen. Die PhaÈnomenologie
22 Hegel moniert ausdru È cklich an Kant, daû der auf raumzeitliche NaturgegenstaÈnde bezogene Erfahrungsbegriff zu eng ist, um die gegenstaÈndliche Selbsterfahrung des Ich als Selbstbewuûtsein angemessen in Begriffen fassen zu koÈnnen (vgl. HW 6. 491). 23 Vgl. K. Gloy: Platons Theorie der episteme heautes im Charmides als Vorla È ufer der modernen Selbstbewuûtseinstheorie. In: Kant-Studien. 77 (1986), 137±164, bes. 150 ff. 24 Vgl. P. Braitling: Hegels Subjektivita È tsbegriff (s. Anm. 19). 40±51, 163.
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des Geistes liefert eine genetische ErklaÈrung dafuÈr, auf welcher Stufe seiner Selbsterfahrung das Bewuûtsein zum Selbstbewuûtsein kommt. Wichtig ist dreierlei: Erstens: WaÈhrend die Begriffsstruktur der SubjektivitaÈt Absolutheit und Unhintergehbarkeit aufweist, hat die realphilosophische Kategorie der SubjektivitaÈt, insofern sie durch die Natur bzw. durch die Gesellschaft vermittelt ist, endlichen Charakter bzw. zeichnet sich durch die Spannung zwischen Absolutheit und Endlichkeit aus. Man muû zweitens zwischen dem logischen Problem, wie Ich und Selbstbewuûtsein strukturell gedacht werden muÈssen, und dem~genetischen Problem, wie Ich und Selbstbewuûtsein entstehen, unterscheiden. Drittens ist wichtig zu sehen, daû fuÈr Hegel bereits das Bewuûtsein als solches nur als Bewuûtsein eines selbstbezuÈglichen Ich, also ohne Ich nicht gedacht werden kann, sonst koÈnnte ja das Bewuûtsein nicht einen Gegenstand von sich unterscheiden, auf den es sich zugleich bezieht. Deshalb eroÈffnet Hegel die PhaÈnomenologie des Geistes in der EnzyklopaÈdie mit dem Begriff des Ich (vgl. Enz. III. § 413). Doch das Ich des Bewuûtseins ist noch kein Selbstbewuûtsein. WaÈhrend nach Hegel nun eine genetische ErklaÈrung von Selbstbewuûtsein gegeben werden kann, haÈlt er eine genetische ErklaÈrung von Ich fuÈr unmoÈglich. Die Entstehung des selbstbezuÈglichen Ich in der natuÈrlichen Seele eines organischen Wesens vergleicht er deswegen mit dem Einschlagen eines Blitzes (vgl. Enz. III. § 412 Zus.). Nicht das Selbstbewuûtsein in seiner Doppelstruktur von Ich und Selbst ist eine genetisch unerklaÈrbare Voraussetzung, wohl aber das Stattfinden von Bewuûtsein oder das Eintreten von Ich. Daû und warum es uÈberhaupt phylogenetisch zu einem selbstbezuÈglichen Ich und damit zu Bewuûtsein gekommen ist und immer wieder ontogenetisch kommt, entzieht sich der philosophischen ErklaÈrung. Das Bewuûtsein gliedert sich bekanntlich in die drei Gestalten sinnliches Bewuûtsein, Wahrnehmung und Verstand. Erst mit dem VerÈ bergang zum Selbstbewuûtsein. stand macht das Bewuûtsein den U Erst das verstaÈndige Bewuûtsein von der Welt schlieût ein Bewuûtsein des Ich von sich selbst, also Selbstbewuûtsein ein. Erst wer sich verstandesmaÈûig distanziert zur Welt verhaÈlt, kann auch ein eigentliches Selbstbewuûtsein ausbilden. Zugleich schiebt Hegel zwischen das verstaÈndige Weltbewuûtsein und das Selbstbewuûtsein das Bewuûtsein des Lebens ein und stellt einen tiefsinnigen, vielfaÈltig auslegbaren Zusammenhang zwischen SexualitaÈt bzw. Leben, Tod und Genese des menschlichen Selbstbewuûtseins her.
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Obwohl das Selbstbewuûtsein Resultat der Entwicklung des Bewuûtseins ist, ist es fuÈr Hegel die Wahrheit und der Grund des Bewuûtseins (vgl. Enz. III. § 424). Damit stellt sich Hegel auf den Standpunkt der Position Fichtes, der These, daû ohne Selbstbewuûtsein BeÈ bergang vom wuûtsein nicht moÈglich ist. Das Entscheidende am U Bewuûtsein zum Selbstbewuûtsein liegt indes nicht darin, daû Hegel der Auffassung waÈre, die Selbstbeziehung des Ich komme hier zustande, sondern darin, daû hier die dem Bewuûtsein als solchem eignende SelbstbezuÈglichkeit des Ich thematisch und explizit wird. Was Hegel an Fichte kritisiert ist, daû die in der Formel Ich=Ich zum Ausdruck kommende reine SelbstbezuÈglichkeit unzureichend ist, um der Struktur des Selbstbewuûtseins vollstaÈndigen Ausdruck zu verleihen. Das Selbstbewuûtsein des Ich ist bei Fichte abstrakt und leer. Es muÈssen deshalb GegenstaÈnde und VerhaÈltnisse namhaft gemacht werden, an denen das Selbstbewuûtsein Bestimmtheit gewinnt. Paradigmatisch fuÈr solche GegenstaÈnde, an denen das Selbstbewuûtsein Bestand gewinnt, sind das Leben und andere Wesen mit Selbstbewuûtsein. Mit dem Selbstbewuûtsein als der Wahrheit des theoretischen Bewuûtseins folgt daher eine Wendung zum praktischen Verhalten zu sich und zu anderem bzw. anderen.25 Entscheidend ist, daû Hegel in der PhaÈnomenologie des Geistes eine intersubjektive Erweiterung von SubjektivitaÈt vornimmt, ein Sachverhalt, der in der Wissenschaft der Logik keine BeruÈcksichtigung erfahren hat. Doch geht das Selbstbewuûtsein des Ich in seiner formalen Struktur nicht aus der IntersubjektivitaÈt genetisch hervor, sondern bewaÈhrt sich nur in der IntersubjektivaÈt und kommt in ihr zur Ausbildung. Hegel scheint fuÈr diese Auffassung ein Argument auf seiner Seite zu haben. Wer Selbstbewuûtsein aus intersubjektiven bzw. gesellschaftlichen Prozessen erklaÈrt, muû naÈmlich auf Subjekte rekurrieren, die sich im intersubjektiven Austausch mit anderen Subjekten bereits als Subjekte wissen. Der altbekannte Zirkel in der ErklaÈrung von SubjektivitaÈt tauchte erneut auf, wollte man SubjektivitaÈt aus IntersubjektivitaÈt erklaÈren. So sehr es ein Fehler ist, das Wesen von Selbstbewuûtsein auf seine intersubjektive Genese einzuebnen, so fatal waÈre es, die Struktur
25 Bei der Explikation von Selbstbewuûtsein ist zwar die reine Selbstbeziehung des Ich notwendig zu denken, wird jedoch dabei stehengeblieben, so wird dieser Gedanke zu einem ¹Paradigma eines Ungedankensª (K. Cramer: Bewuûtsein und Selbstbewuûtsein. In: Hegels philosophische Psychologie. Hrsg. von D. Henrich. Bonn 1979. (Hegel-Studien. Beiheft 19.) 223).
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von Selbstbewuûtsein von ihrer Genese abzutrennen. Vor allem in der PhaÈnomenologie des Geistes wird deutlich, daû die inhaltliche Bestimmtheit der Struktur des Selbstbewuûtseins nur aus der genetischen Entwicklung dieser Struktur, d. h. aus intersubjektiven VerhaÈltnissen verstaÈndlich wird. È bergang vom Leben, das sich in der Negation seiner selbst vollDer U zieht und erhaÈlt, weil ihm der Tod wesentlich ist, zum Selbstbewuûtsein È bergang im Leben selbst, ist keine metabanis eis aÂllo geÂnos, sondern ein U weil das Selbstbewuûtsein nichts anderes als das seiner selbst bewuûte Leben, also eine hoÈhere Form des Lebens ist, das das Leben der Natur zur Voraussetzung hat. Das Selbstbewuûtsein in seiner ersten, abstrakten Gestalt ist die Begierde, die sich negativ zum Leben verhaÈlt und sich darin gerade mit der Begierdestruktur des bloûen Lebens gemein macht. Hegel arbeitet die widerspruÈchliche Struktur der triebhaften Begierde, die auf die Verzehrung ihres Gegenstandes aus ist, fuÈr die Erfahrung des Ich als Selbstbewuûtsein heraus. Wenn das Ich, um sich als Selbstbewuûtsein zu erfahren, auf die Konfrontation mit einem Gegenstand triebhafter Begierde angewiesen ist, die Befriedigung der Begierde aber in der Vertilgung des Gegenstandes besteht, dann beraubt sich das Ich in seiner Begierde auch der MoÈglichkeitsbedingung seines Selbstbewuûtseins. Es macht die Erfahrung, daû das Leben eine nicht zu negierende notwendige Bedingung seiner selbst ist. Das selbstbewuûte Ich macht die Erfahrung, daû ein ihm fremder Gegenstand der Begierde nicht genuÈgt, um sein Selbstbewuûtsein zu stabilisieren. Offensichtlich gibt es nichts, was dem Ich eher entspricht als ein anderes Ich, das wie es selbst vom Negativen der bloûen Begierde Abstand zu nehmen vermag und dadurch mehr ist als Trieb und Begierde.26 Mit der Synthese von Selbstbewuûtsein und Leben ist die intersubjektive Dimension des Geistes etabliert. Damit kommt die Anerkennungsproblematik in die Genese des Selbstbewuûtseins herein. Das Ich verdankt sein Selbstbewuûtsein dem Anerkanntsein durch ein anderes Selbstbewuûtsein. Das Spannende an diesem Thema ist folgendes: WaÈhrend sich die traditionelle Bewuûtseinstheorie vornehmlich auf die Kategorien von Ich und Selbst kon-
26 Scheler nennt den Menschen den ¹Neinsagenko È nnerª, den ¹Asket des Lebensª (M. Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. (11. Aufl.) Bonn 1988. 55) und Plessner hat diese FaÈhigkeit des Menschen, die ¹Negation seiner selbst an sich vollziehenª (HW 3, 144) zu koÈnnen, die exzentrische Position des Menschen genannt (vgl. H. Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin, New York 1975. 342).
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zentrierte und das Selbstbewuûtsein praÈsozial faûte, ist es das Verdienst Hegels, den sozialen bzw. intersubjektiven Aspekt der IchidentitaÈt systematisch in Anschlag gebracht zu haben. Die intersubjektive Anerkennung bezeichnet das dritte IdentitaÈtsmoment des Selbstbewuûtseins neben Ich und Selbst. Das durch das Ich aktiv zu formende Selbst ist durch die anderen wesentlich mitbestimmt. George Mead hat dafuÈr den Ausdruck ¹Meª im Unterschied zum ¹Iª gepraÈgt.27 Zwar wollen die Subjekte durch einander wechselseitig anerkannt werden, aber dieses Ziel ist noch lange nicht erreicht. ZunaÈchst erfahren sich die Subjekte als Fremde. Hegel entwickelt die These, daû sich die Subjekte zunaÈchst in der wechselseitigen Abgrenzung, die bis zur Vernichtung gehen kann, als Selbstbewuûtsein erfahren. Daraus entsteht der Kampf auf Leben und Tod, in dem um die Anerkennung gerungen wird. Hegels These ist, die Subjekte muÈssen, um sich wechselseitig als gleiche und freie anerkennen zu koÈnnen, die anderen in ihrem bloûen Dasein zu vernichten suchen und zugleich bereit sein, ihr eigenes Leben preiszugeben, und zwar nicht um des Lebens, sondern um eines uÈber das Leben hinausgehenden ideellen Werts willen, der das Leben erst lebenswert macht. Nur dadurch bewaÈhren sie sich als unhintergehbare, freie Subjekte. Den Kampf um Anerkennung, den Hegel im vorklassischen heroischen Zeitalter ansiedelt, finden wir in weniger martialischen Situationen in der Adoleszenz. Abgrenzung und Kampf fuÈhren zur Ausbildung des Selbst des Ich, indem sie zugleich die Entzweiung von Ich und Selbst mit sich bringt. Es ist eine der tiefsten Einsichten Hegels, daû IdentitaÈtskrisen unvermeidlich in der intersubjektiven Herausbildung des Selbstbewuûtseins sind. Die Untrennbarkeit von Leben und Tod reflektiert sich auf der Ebene des Selbstbewuûtseins als Zusammenhang von Todesbewuûtsein und Selbstbewuûtsein, welcher Hegel ebenso wie spaÈter Heidegger faszinierte. Einerseits bleibt dem endlichen Selbstbewuûtsein das Schicksal alles Lebendigen nicht erspart. Der Tod gehoÈrt konstitutiv zum lebendigen Selbstbewuûtsein. Andererseits macht allein das Todes27 Vgl. G. H. Mead: Geist, Identita È t und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Hrsg. v. Ch. Morris. Aus dem Amerikanischen von U. Pacher. Frankfurt a. M. 1973. 216 ff., 253 ff. u. oÈ. Mead, der das Zusammenspiel zwischen Selbst und IntersubjektivitaÈt analysiert, beschreibt das menschliche Verhalten primaÈr von der Auûenperspektive und verfehlt damit das, was das Ich des Selbstbewuûtseins von der sozialen Dimension der IntersubjektivitaÈt unterscheidet. Zwar gehoÈrt es zum Wesen des Ich, sein Selbst zu objektivieren, uÈber das andere in 3. Person sprechen, doch bleibt ein uÈberschieûender Rest des spontanen Ich uÈber all diesen Objektivierungen.
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bewuûtsein eines selbstbewuûten Wesens den Tod nicht nur zu etwas Entsetzlichem, sondern zu einer metaphysischen KraÈnkung. Der Tod eines selbstbewuûten Ich ist etwas unvergleichlich Schrecklicheres als das Sterben eines Tiers, weil das selbstbewuûte Ich quasi ein Abbild des Absoluten ist, jedenfalls Hegel zufolge neben seiner Endlichkeit eine unhintergehbare Absolutheit aufweist. Daher ruÈhrt die unermeûliche Furcht vor dem Tod, dem ¹absoluten Herrnª (HW 3. 153), ebenso wie der Versuch, ihn herauszufordern. Das Entscheidende ist nun, daû das Ziel der Anerkennung des Selbstbewuûtseins durch das Resultat des Kampfes, den Tod eines der Kombattanten, eher verhindert als erreicht wird. Das siegreiche und mit dem Leben davongekommene Ich beraubt sich ja in der Vernichtung des Anderen der Bedingung fuÈr die Anerkennung seines Selbstbewuûtseins. Um die Notwendigkeit der symmetrischen Struktur der wechselseitigen Anerkennung plausibel zu machen, baut Hegel das asymmetrische VerhaÈltnis von Herr und Knecht ein. Um die SelbstaÈndigkeit und Freiheit des Ich zu retten, kann dessen Leben nicht preisgegeben werden. Der naÈchstliegende Schritt ist, daû einer der Kontrahenten, um sein Leben zu retten, nachgibt, sich dem anderen unterwirft und ihn anerkennt, ohne aber selbst von ihm anerkannt zu werden: das VerhaÈltnis von Herr und Knecht. Dieses asymmetrische AnerkennungsverhaÈltnis ist natuÈrlich defizitaÈr. Hegels These ist, daû die Emanzipation des Knechtes, der sich in seiner Arbeit fuÈr den Herrn zur Freiheit des Selbstbewuûtseins befreit, in Wahrheit zugleich den Herrn befreit. Die Position des Herrn krankt ja an dem Widerspruch, daû er gar nicht von einem ihm gleichberechtigten Wesen anerkannt wird, ihm also nicht zuteil wird, wofuÈr er in den Kampf um Anerkennung ausgezogen war. Wer von einem untergeordneten Subjekt anerkannt wird, das er selbst nicht anerkennt, ist selbst ein minderwertiges Wesen, denn er will von einem Individuum anerkannt werden, das er selbst veraÈchtlich findet. Die allgemeine Anerkennungsstruktur der Subjekte ist dagegen eine symmetrische und reflexive. HoÈchstes Ziel ist nicht, daû sich die Subjekte wechselseitig anerkennen, sie muÈssen sich auch als anerkennend anerkennen. HoÈchstes Ziel ist also die Anerkennung des Anerkennungsprozesses. In der allgemeinen Anerkennung gehen mithin IntersubjektivitaÈt und ReflexivitaÈt zusammen.28 Und erst beides vereint traÈgt zur Ausbildung von stabilem Selbstbewuûtsein bei. Allgemeine Vgl. V. HoÈsle: Hegels-System. Der Idealismus der SubjektivitaÈt und das Problem der IntersubjektivitaÈt. Bd 2. Hamburg 1988. 379. 28
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rechtliche und soziale Anerkennung und ihre privaten Ausformungen in Familie und Freundschaft sind nach Hegel die verschiedenen Weisen, das IdentitaÈtsproblem des Selbstbewuûtseins intersubjektiv zu loÈsen. Das Ich lernt sich mit seinem Selbst zu identifizieren, indem es sich von den anderen als anerkannt erfaÈhrt. Und umgekehrt erfaÈhrt das Ich eine Erweiterung seines Selbstbewuûtseins, indem es Verantwortung fuÈr die von ihm anerkannten Personen uÈbernimmt. Mit dem Begriff der reflexiven wechselseitigen Anerkennung von ¹Ichª und ¹Wirª ist bereits der Begriff des Geistes erreicht, der unverkennbar eine normative intersubjektive Dimension aufweist. WaÈhrend Hegel in der enzyklopaÈdischen PhaÈnomenologie sogleich den Anerkennungsprozeû zu seinem affirmativen Ende fuÈhrt, bricht er ihn im SelbstbewuûtseinsKapitel der Jenaer PhaÈnomenologie unvollendet ab und nimmt ihn erst im Geist-Kapitel wieder auf.29 Die Jenaer PhaÈnomenologie des Geistes ist viel negativistischer als die EnzyklopaÈdie. Es geht Hegel hier um die kritische Darstellung defizitaÈrer Gestalten von IntersubjektivitaÈt, deren Widerspruch darin besteht, daû sie die reziprok-symmetrische Anerkennung verweigern, die sie implizit voraussetzen.30 Die grundsaÈtzliche Frage ist, warum in Hegels Theorie der SubjektivitaÈt die VerschraÈnkung von SubjektivitaÈt und IntersubjektivitaÈt in einer modernen politischen Sittlichkeit, die zur Stabilisierung von Selbstbewuûtsein erforderlich ist, nicht das hoÈchste Ziel, sondern nur Durchgangsstufe auf dem Weg zur Herausbildung einer monologisch verfaûten Vernunft, d.h. zur denkenden ReflexivitaÈt theoretischer SubjektivitaÈt ist. Hier macht sich sowohl ein Vorrang der Theorie vor der Praxis als auch ein Primat des letztlich absoluten Geistes vor dem objektiven geltend, wie Hösle richtig herausgearbeitet hat.31 Beides ist m. E. kritisch Hegels Theorie der SubjektivitaÈt anzukreiden.
Vgl. L. Siep: Die Bewegung der Anerkennung in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. Berlin 1998. 110. 30 So z. B. im Kapitel ¹Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbstª (HW 3. 294 ff.). Der Betrug gegen sich selbst und die anderen besteht darin, daû es den buÈrgerlichen Individuen in ihrem geschaÈftigen Tun und Treiben gar nicht um die praÈtendierte Allgemeinheit geht, sondern um die Anerkennung ihrer egoistischen Sonderinteressen, die nur ideologisch als allgemeine Sache selbst ausgegeben werden. Und es wird auch deutlich, was Hegels Meinung ist: Die Sache selbst, die die Sache aller ist, muû eine intersubjektive Realisierung der Vernunft sein, soll sie nicht zur puren Ideologie verkommen. D. h. die Sache selbst muû eine Neubestimmung erfahren und dies tut sie, indem das geistige Tierreich der buÈrgerlichen Gesellschaft in die politische SphaÈre der Sittlichkeit uÈbergeht (vgl. HW 3. 309 ff.). 31 Vgl. V. Ho È sle (s. Anm. 16). 380, 444 ff. 29
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Das Charakteristische des Anerkennungsbegriffs in der Jenaer PhaÈnomenologie des Geistes ist, daû ihm in kritischer Absicht eine Stufenfolge defizitaÈrer AnerkennungsverhaÈltnisse vorausgeschickt wird, in deren Verlauf er eine inhaltliche Ausdifferenzierung erhaÈlt, daû er jedoch in seinem normativen Gehalt historisch keine gesellschaftlichpolitische Realisierung erfaÈhrt. In seiner Lehre von der politischen Sittlichkeit, in der die widerspruÈchlichen Formen der IntersubjektivitaÈt in der buÈrgerlichen Gesellschaft uÈberwunden sein sollen, verankert Hegel die intersubjektive Anerkennungsbeziehung der Subjekte aufeinander in ihrer Beziehung auf die sittliche Substanz, der gegenuÈber die Subjekte nur als Akzidenzen erscheinen koÈnnen. Im substanztheoretischen Ansatz seiner Sittlichkeitstheorie ist die grundsaÈtzliche Asymmetrie zugunsten der geistigen Substanz eines Gemeinwesens gegenuÈber den Individuen begruÈndet, die nicht nur fuÈr die antike, sondern auch fuÈr die moderne, reflektierte politische Sittlichkeit bei Hegel charakteristisch ist, deren Projekt er jedoch mit den destruktiven Folgen der FranzoÈsischen Revolution zunaÈchst als gescheitert ansieht. Die weitere Entwicklung des Geistes kann nur in der deutschen Innerlichkeit der MoralitaÈt stattfinden, die die DestruktivitaÈt der abstrakten politischen Freiheit, die Hegel als Folge der VerstandesaufklaÈrung versteht, kompensieren soll. Was Hegel im MoralitaÈts-Kapitel leistet, ist, daû er das SubjektivitaÈtsprinzip der MoralitaÈt uÈber die dialektische Bewegung von Schuldbekenntnis und Verzeihung intersubjektiv in einer Moralkonzeption versoÈhnender IntersubjektivitaÈt verfluÈssigt, deren soziale und politische Formen jedoch nicht entwickelt werden. Die VersoÈhnungsstruktur des moralischen Geistes wird schlieûlich in der offenbaren Religion des Christentums religioÈs fundiert. Obgleich das absolute Wissen aus einer Synthese der Bewuûtseinsgestalten von versoÈhnender moralischer IntersubjektivitaÈt und Religion hervorgeht, werden diese in einem zweiten Schritt zu bloûen Reflexionsstufen eines ins Monologische gewendeten, sich wissenden absoluten Geistes herabgesetzt. Formuliertes Ziel der PhaÈnomenologie ist die erinnerte und damit begriffene Geschichte der Bewuûtseinsgestalten, ohne die der Philosoph der leblose Einsame waÈre. Doch das heiût nicht, daû der Philosoph die widerspruÈchliche Bewegungsform der Geschichte erkennt und die Aufhebung entfremdeter Formen gesellschaftlicher Wirklichkeit fordert, sondern daû sich der philosophische Begriff vollstaÈndig in der geschichtlichen Wirklichkeit wiederfindet. Der selbstbewuûte Geist wird als souveraÈnes Subjekt vorgestellt, welches in der vermeintlichen Gewiûheit, Herr der Wirklichkeit
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zu sein, diese frei entlaÈût, um der unvermeidlichen Realisierung der Vernunft in der Geschichte bewuût beiwohnen zu koÈnnen. Die VersoÈhnung im Begriff, die mit dem absoluten Wissen erreicht ist, impliziert die AussoÈhnung mit der faktischen Zerrissenheit des objektiven Geistes. Das philosophische absolute Wissen, das so tut, als waÈre es recht betrachtet der eigentliche Herr der geschichtlichen Wirklichkeit, beruht in Wahrheit darauf, daû es sein Selbstbewuûtsein an die Wirklichkeit akkommodiert, indem es aus diesem alles entfernt, was die Konfrontation mit der Wirklichkeit kritisch gestalten koÈnnte. Die PhaÈnomenologie terminiert in einem spekulativen Theoretizismus, dem der Stachel der Kritik abhanden gekommen ist.
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PA O L O G I U S P O L I ( V E R O N A )
OBJEKTIVE UND SUBJEKTIVE LOGIK È ber die allgemeine Organisation U der Hegelschen Logik in den ersten NuÈrnberger Jahren* Die dichten Durchstreichungen und sichtbaren Umarbeitungen in den Hegelschen Manuskripten der ersten Unterrichtsjahre in NuÈrnberg stellen die Gymnasialkurse als eine echte Baustelle dar, in der Hegel jedes Jahr aufs Neue das GeruÈst seiner Logik radikal umstrukturiert. Auch wenn seit Beginn der ersten Gymnasialkurse von 1808±09 die spekulative Absicht sowie der Anfang (das reine Sein) und das Ende (die absolute Idee) der Logik unveraÈndert bleiben, so finden hingegen È nderungen statt. in der inneren Gliederung wichtige A È nderungen, die von Hegel in diesen Jahren Die systematischen A vorgenommen werden, lassen sich auf Anhieb beim Vergleich der Inhaltsverzeichnisse der Kurse auf Grund von Einschiebungen neuer Begriffe oder Abschnitte erkennen (wie die EinfuÈhrung des Abschnittes ¹Maûª am Ende der Seinslehre, der ¹Erscheinungª in die Wesenslehre, der ¹ObjektivitaÈtª in die Begriffslehre). Jede Modifikation bezieht sich jedoch nicht nur auf die aÈuûere Unterteilung der Begriffe und der Abschnitte, so als ob die Bestimmung des Inhalts von der formalen Bewegung getrennt waÈre. Jede VeraÈnderung des Inhalts ist hingegen das bestimmte und offensichtliche Zeichen eines weitaus komplexeren Umwandlungsprozesses, durch welchen Hegel bei der Bestimmung der dialektischen Prozesse, welche den systematischen Ablauf der Hauptteile lenken, sowie bei der Bestimmung der metakategorischen Strukturen, die die gesamte Ausdehnung der Logik durchlaufen, fortschreitet (wie bei der Verwandlung der systematischen Funktionen der ¹Unendlichkeitª, der ¹Reflexionª und des ¹Zwecksª).
* Ich bedanke mich bei Frau Eva Ziesche, Bibl. AmtsraÈtin der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin, die mir freundlicherweise erlaubt hat, aus bis jetzt unveroÈffentlichten Nachschriften von Hegel zu zitieren. Der vorliegende Aufsatz ist im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt ¹Die klassische deutsche Philosophie, ihre Entwicklungen und ihre Kritikerª (M.U.R.S.T. ± UniversitaÈt Padua, betreut von Prof. F. Chiereghin) konzipiert worden.
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Auch der auffaÈlligsten Systemmodifikation dieser Jahre, die im È bergang von einer dreigeteilten Struktur (Logik des Objektiven, des U Subjektiven und der Idee) zu einer zweigeteilten Struktur der Logik (objektive und subjektive Logik) besteht, liegt eine komplexe VerknuÈpfung von theoretischen und systematischen Motivationen zu Grunde, die von Hegel nicht erlaÈutert werden, die aber in den Schriften seiner ersten Gymnasialkurse zu finden sind. Die ersten Darstellungen der spekulativen Logik Die Gymnasialkurse von 1808±09 stellen die ersten uns bekannten Versionen einer spekulativen Abhandlung der Logik dar.1 Im Kurs fuÈr die Es ist bekannt, daû Hegel in den ersten Jahren seines Aufenthalts in Jena auf Grund von didaktischer Angemessenheit die traditionale Unterrichtsform der Logik und Metaphysik anwendet, wobei er diesen jedoch eine andere Bedeutung gegenuÈber der der Vergangenheit zuspricht. Er faût die Logik als eine kritische Darstellung der endlichen Formen der Erkenntnis auf, die gleichzeitig in die authentische, metaphysische Spekulation einleiten muû (uÈber Hegels erste Unterrichtsstunden uÈber ¹Logik und Metaphysikª vgl. G. W. F. Hegel: Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten (1801±02). In: Gesammelte Werke. Bd 5: Schriften und EntwuÈrfe 1799±1808. Hrsg. von M. Baum und K. R. Meist, unter Mitarbeit von T. Ebert. Hamburg 1998. 255±275, 269±275 und Hauptideen von Hegels Vorlesung uÈber Logik und Metaphysik (1801±02). Nachgeschrieben von I. P. V. Troxler. In K. DuÈsing (Hrsg): Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801±02). KoÈln 1988, 63± 77). In der Ausarbeitung von diesem ersten Teil des Systems trifft Hegel auf gravierende Schwierigkeiten, die ihn nicht nur von der Absicht der Herausgabe abhalten (vgl. Fragment einer Reinschrift (1804±05). In: Gesammelte Werke. Bd 7. Hrsg. von R.-P. Horstmann und J. H. Trede. Hamburg 1971. 3±178), sondern die ihn sogar uÈberzeugen, das Projekt dieses Systems aufzugeben. Im Vorwort zu dem ¹System der Wissenschaftenª hatte Hegel die neue Systematische Rolle der Logik als ¹spekulative Philosophieª unterstrichen. (G. W. F. Hegel: Die PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. von W. Bonsiepen und R. Heede, Gesammelte Werke. Bd 9 Hamburg 1980 = PdG, 30, 35, 47; vgl. auch 447). In der Zwischenzeit hatte Hegel bereits angefangen, Vorlesungen uÈber die spekulative Logik zu halten. Im MaÈrz 1806 hat er zum ersten Mal einen Kurs angekuÈndigt, der der Philosophia speculativa sine logica gewidmet war; in diesem Kurs von 1806, sehr wahrscheinlich der letzte, den Hegel in der UniversitaÈt Jena durchgefuÈhrt hat, verknuÈpfte er ¹die PhaÈnomenologie in der Weise mit der Logik ± schreibt Rosenkranz ±, daû er jene als Einleitung zu dieser nahm und aus dem Begriff des absoluten Wissens unmittelbar zu dem des Seins uÈbergingª (K. Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. UnveraÈnd. reprograph. Nachdr. d. Ausg. Berlin 1844 unter HinzufuÈgung e. Nachbemerkung von O. PoÈggeler. Darmstadt 1977. 214). In den Schluûseiten der Realphilosophie von 1806 gibt Hegel ein Schema bezuÈglich der allgemeinen Struktur der neuen Logik an (G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 8: Jenaer SystementwuÈrfe III. Unter Mitarb. von J. H. Trede hrsg. von R.P. Horstmann. Hamburg 1976. 286). Vgl. dazu O. PoÈggeler: Hegels Idee einer ¹PhaÈnomenologie des Geistesª. Freiburg 1993 (1. Aufl.: 1973). 266-271.Von nun an wird die traditionale Unterscheidung zwischen Logik und Metaphysik lediglich in den Unterrichtstiteln als aÈuûeres Tribut einer konsolidierten, akademischen Tradition verwendet; wie hingegen 1
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Oberklasse, welcher der ¹Philosophischen EnzyklopaÈdieª2 gewidmet ist, wird der allgemeine Ansatz der Logik auf folgende Art erklaÈrt: ¹Die Logik umfaût sowo[h]l das System der Begriffe des seyenden Verstandes uÈberhaupt, als der Begriffe des selbstbewuûten Verstandes. In so fern jeder ihrer Begriffe diese beiden Bestimmungen unmittelbar in sich vereinigt, ist sie zugleich reine speculative Philosophie, denn die speculative Betrachtungsart der Dinge ist nichts Anderes, als die Betrachtung des Wesens der Dinge, welches eben so sehr reiner, der Vernunft eigenthuÈmlicher Begriff, als die Natur und das Gesetz der Dinge istª.3 Hegel betont, wie gegenuÈber der phaÈnomenologischen Perspektive hier die SphaÈre der rein spekulativen Betrachtung des Seienden erreicht sei. Die phaÈnomenologische Aufhebung der Entgegensetzungen, die zwischen dem erkennenden Subjekt und der Erkenntnis der ObjektivitaÈt bestehen, gewinnt erneut den spekulativen Standpunkt fuÈr die Philosophie oder die MoÈglichkeit der ¹Betrachtung des Wesens der Dingeª. Der spekulative Standpunkt stimmt mit dem Standpunkt der ¹Vernunftª uÈberein, dessen reines Wissen ¹die Natur und das Gesetz der Dingeª ausdruÈckt. tatsaÈchlich bereits die ersten NuÈrnberger Kurse von 1808±09 bezeugen, arbeitet Hegel die Logik immer wieder und lediglich als spekulative Philosophie aus. 2 Philosophische Encyklopa È die fuÈr die Oberklasse 1808±09, Staatsbibliothek zu BerlinPreuûischer Kulturbesitz, Nachlaû Hegel, Band 16/III, §§ 1±118 (= Enc. Nachs. 1808±09). Es handelt sich um das Notizheft in Reinschrift, das von einem GymnasialschuÈler abgefaût und in der Staatsbibliothek von Berlin aufbewahrt wurde. Dieses gibt die von Hegel im Oberklassenkurs von 1808±09 diktierten Paragraphen wieder (fuÈr die philologische Beschreibung dieser und der anderen noch unveroÈffentlichten NuÈrnberger Nachschriften im nachhinein betrachtet vgl. E. Ziesche: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und NuÈrnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaû. In: Zeitschrift fuÈr philosophische Forschung. 29 (1975), 430±444 und nun Der handschriftliche Nachlaû Georg Wilhelm Hegels und die HegelBestaÈnde der Staatsbibliothek zu Berlin Preuûischer Kulturbesitz. Beschrieben von E. Ziesche. Wiesbaden 1995, bes. II, 212±222). Auch dieser Kurs ist nicht beendet worden, was auf der auûerordentlichen KuÈrze des Schuljahrs beruht, das mit groûer VerspaÈtung begann. Das Heft enthaÈlt die Abhandlung uÈber die ¹Logikª (§§ 1±98) und uÈber die ¹Naturwissenschaftª §§ 99±118 bis zur Physik des Unorganischen). Die von Rosenkranz herausgegebene Logik-Fassung innerhalb der Philosophische EncyklopaÈdie (G. W. F. Hegels Werke. VollstaÈndige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Bd 18: Philosophische PropaÈdeutik. Hrsg. von K. Rosenkranz. Berlin 1840 = Ros., 146±205) stimmt fast buchstaÈblich mit dem Text dieses Hefts uÈberein, mit Ausnahme der einfuÈhrenden Paragraphen und dem Abschnitt, der der ¹Idee der Erkenntnisª gewidmet ist. FuÈr einen allgemeinen Blick auf die Gymnasialkurse, die der ¹Philosophischen EnzyklopaÈdieª gewidmet sind, vgl. U. Rameil (Hrsg.): ,Philosophische EnzyklopaÈdie` in NuÈrnberg. Mit einer Nachschrift von 1812±13. In: Hegel-Studien. 30 (1995), 9±38, im besonderen 9±26. 3 Ebd. § 6. In der Ausgabe von Rosenkranz (vgl. § 15) ist der erste Teil des Paragraphen vollkommen verschieden und stimmt fast buchstaÈblich mit dem § 9 der ¹Philosophischen EnzyklopaÈdieª 1812±13 (Nachschrift Meinel) uÈberein.
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Im Kurs fuÈr die Mittelklasse von 1808±094 entwickelt sich die Logik vom Begriff der Vernunft aus, welcher Resultat der ¹Bewuûtseinslehreª ist. Die Vernunft stellt die Stufe des Bewuûtseins dar, in welcher das Subjekt seiner selbst als objektives Wissen gewiû ist, und wo ¹die Bestimmungen der Vernunft aber ebensosehr eigene Gedanken sind, als Bestimmungen des Wesens der Dingeª.5 Innerhalb der ¹Bewuûtseinslehreª wird dieses Wissen nicht verwirklicht: das Moment ¹Vernunftª ist inhaltslos; er stellt sich demnach lediglich als Aufhebung jeglicher Form von Dualismus oder angenommener Fremdheit zwischen erkennendem Subjekt und ObjektivitaÈt dar.6 Damit ist noch nicht dessen 4 Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie fu È r die Mittelklasse 1808±09. Staatsbibliothek zu Berlin/Preuûischer Kulturbesitz. Nachlaû Hegel, Fasz. 16/II, §§ 1±103 (= Geisteslehre Nachs. 1808±09). Es handelt sich um ein Heft, das von einem GymnasialschuÈler verfaût wurde. Dieses gibt die Paragraphen wieder, die von Hegel waÈhrend des Kurses diktiert wurden. Rameil hat den ersten Teil dieses Hefts bezuÈglich der ¹Bewuûtseinslehreª (§§ 1± 29) zusammen mit den neuen Ausarbeitungen Hegels von 1809±10 publiziert (vgl. U. Rameil: Texte zu Hegels NuÈrnberger PhaÈnomenologie. In: Hegel-Studien. 29 (1994), 9±61). Der noch unveroÈffentlichte Teil der Schrift bezuÈglich der ¹Logikª (§§ 30±103) wird an der Stelle der Abhandlung uÈber die ¹Quantitative Urteile oder Urteile der Reflexionª unterbrochen. Dieses Diktat haÈlt sehr an dem urspruÈnglichen, handgeschriebenen Text von Hegel fest, so wie dieser von Hoffmeister herausgebracht wurde (Bewuûtseinslehre und Logik fuÈr die Mittelklasse 1808±09 = Geisteslehre Ms. 1808±09, in G. W. F. Hegel: SaÈmtliche Werke. Band XXI: NuÈrnberger Schriften. Texte, Reden, Berichte und Gutachten zum NuÈrnberger Gymnasialunterricht 1808±1816. Hrsg. von J. Hoffmeister. Leipzig 1938 = Hoff., 12±50). Die spaÈteren Ausarbeitungen von Hegel, die die Logik betrachten (am Rand der Paragraphen §§ 84±91) sind noch unveroÈffentlicht. Sie beziehen sich alle auf die Subjektive Logik, insofern sie von Hegel als Basis fuÈr den Unterricht von 1809±10 in der Oberklasse benutzt È ber die besondere Struktur dieses Gymnasialkurses, in der Hegel direkt worden sind. U von der Abhandlung der Bewuûtseinslehre zur Logik uÈbergeht, vgl. bes. O. PoÈggeler: Zur Deutung der PhaÈnomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 255±294, insbes. 274± 277; Ders.: Fragment aus einer Hegelschen Logik. In: Hegel-Studien. 2 (1962), 11±70, insbes. 55 ff, und U. Rameil: Die PhaÈnomenologie des Geistes in Hegels NuÈrnberger PropaÈdeutik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ¹EnzyklopaÈdie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisseª, Hrsg. v. L. Eley. Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. 89-96. 5 Geisteslehre Ms. 1808±09, § [33]. 6 Im allgemeinen Projekt der Reduzierung der Pha È nomenologie des Geistes auf einen Gymnasialkurs uÈber die ¹Bewuûtseinslehreª zeigt der Moment ¹Vernunftª keine innere Gliederung, sondern besteht lediglich in dieser Behauptung (die zusammenfassend in bloû einem Paragraphen ausgedruÈckt wird) der authentischen, rationalen Erkenntnis als Resultat der phaÈnomenologischen Abhandlung. Im Unterschied zur PhaÈnomenologie des Geistes bestaÈtigt Hegel nun mit dem Moment ¹Vernunftª die definitive Aufhebung der phaÈnomenologischen Spaltung zwischen Gewiûheit und Wahrheit. In der Ausgabe von 1807 ist die Hauptfigur von dem Moment ¹Vernunftª das Bewuûtsein, welches ¹seiner selbst als der RealitaÈt gewiûª ist, oder sicher ist, ¹daû alle Wirklichkeit nichts anderes als es selbstª (PdG, 132) und muû dieses auch zeigen. Hegel demonstriert, daû auch wenn sich hier zum ersten Mal diese hoÈchste Intuition zeigt, daû das Ich real ist und daû die RealitaÈt dem Ich entsprechend ist, so muû doch noch ein weiter Weg zuruÈckgelegt werden, um zur vollen, rationalen Erkenntnis dieser IdentitaÈt zu gelangen. Dies geht mit
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urspruÈngliche IdentitaÈt mit dem Objekt auf positive Weise gezeigt worden: das ist die Aufgabe, die Hegel der spekulativen Wissenschaft und vor allem der Logik anvertraut. Die Funktion und die grundlegende Struktur der Logik des Mittelklassenkurses von 1808±09 wird von Hegel in Bezug auf folgendes Problem dargestellt: die Demonstration der urspruÈnglichen IdentitaÈt zwischen erkennendem Subjekt und objektivem Erkenntnisinhalt. Er betont, daû die Logik zwei Hauptarten von Bestimmungen aufweist, die sich darin unterscheiden: daû sie in einem Falle dem Seienden und im anderen Falle dem subjektiven Denken zugeteilt werden. Die Vernunft fuÈhrt diesen Ggensatz, der auf der abstrakten Darstellung des Objekts und des Subjekts als urspruÈngliche und unabhaÈngige Quellen der Formen und der Inhalte der Erkenntnis gegruÈndet ist, auf die urspruÈngliche IdentitaÈt der Bestimmungen des Denkens zuruÈck.7 Hinsichtlich des negativen Weges der Bewuûtseinslehre, der es gelingt, die grundlegende Nicht-Fremdheit des erkennenden Subjekts gegenuÈber dem Objekt zu zeigen, wird die Logik als positive Demonstration der effektiven IdentitaÈt der subjektiven Bestimmungen der Erkenntnis und den Bestimmungen des Seienden verstanden. Diese wesentliche Aufgabe der Logik spiegelt sich in ihrer inneren Struktur wieder. So fuÈhrt Hegel aus: ¹Die Logik theilt sich somit in zwey Theile[:] in der objectiven und subjectiven Logikª.8 Aus dem Brief an Niethammer vom 14. Dezember 1808 geht hervor, daû dies auch das Deutlichkeit bereits aus den Figuren der ¹beobachtenden Vernunftª hervor, die uÈberhaupt die Parodie der vernuÈnftigen Erkenntnis der Naturwelt, der logischen und psychologischen Gesetze und der Beziehung zwischen Psyche und Natur darstellen, und in der Analyse der Physiognomik und der SchaÈdellehre ihren HoÈhepunkt erreichen. In der Lehre vom Bewuûtsein beschreibt Hegel das Moment ¹Vernunftª jedoch nicht als phaÈÈ berpruÈfung einer subjektiven, nur verkuÈndeten Gewiûheit. Er gibt nomenologische U hingegen an, daû hier die Entgegensetzung des Bewuûtseins zwischen Gewiûheit und Wahrheit definitiv als aufgehoben gilt: ¹Das Wissen der Vernunft ist daher nicht bloûe È bereinsubjective Gewissheit, sondern auch Wahrheit, weil die Wahrheit in der U stimmung der Gewissheit und des Seyns oder der GegenstaÈndlichkeit bestehtª (GeistesÈ berarb. Hegels von 1809±10, § [48]). Auf diese Weise schlieût sich lehre Nachs. 1808±09, U die PhaÈnomenologie mit einem Resultat, das ein Neuanfang ist, insofern die positive Demonstration dieser Behauptung der Realisierung des Systems der vernuÈnftigen Erkenntnis anvertraut wird. 7 So schreibt Hegel: ¹Die logischen Bestimmungen sind die allgemeinen Bestimmungen[,] Gesetze und Bewegungen dieses Denkens, und sind von gedoppelter Art, das einemal insofern sie dem Seyenden, das andremal insofern sie dem Denken als solchem zugeschrieben werden, wobey jedoch die Vernunft das Bewuûtseyn hat, daû diese Bestimmungen jeder dieser beyden Seiten zukommenª (Geisteslehre Ms. 1808-09, § [34]). 8 Ebd., § [35], erste Fassung.
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Unterrichtsprogramm der Logik des EnzyklopaÈdiekurses fuÈr die Oberklasse kurz vor dem Beginn der Kurse war.9 Hegel korrigiert sich jedoch, und im Manuskript fuÈr die Mittelklasse streicht er ¹somitª und demzufolge den direkten Bezug der Einteilung der Logik zur Aufhebung des phaÈnomenologischen Gegensatzes Objekt ± Subjekt und entscheidet sich zu einer Dreiteilung: ¹Die Logik theilt sich in Logik des objectiven[,] des subjectiven und der Ideeª.10 In diesen Monaten zeigt sich Hegel von daher noch unsicher, was die Art und Weise der Strukturierung der Logik anbelangt. Sehr wahrscheinlich denkt er anfangs, die subjektive Logik als eine logische SphaÈre darzustellen, die die Ideenlehre in sich beinhaltet. Hegel entscheidet sich jedoch fuÈr eine separate Abhandlung der Idee, und zwar sehr wahrscheinlich deswegen, da er in dieser den Ausdruck einer hoÈheren Form des Logischen gegenuÈber den formellen Operationen, die in der subjektiven Logik dargestellt werden, erkennt. Auf jeden Fall wird dieses zweite Modell, das die Unterteilung in Objekt ± Subjekt ± Idee aufweist, auch von Hegel im parallel laufenden Kurs fuÈr die Oberklasse verwendet. Im EnzyklopaÈdiekurs von 1808±09 besteht der erste Teil in der Tat in der Ontologischen Logik, die von Hegel auch als ¹System der reinen Begriffe des Seyendenª (von der Kategorie des Seins zur Wechselwirkung) definiert wird. Es folgt die Subjektive Logik, die als ¹System der reinen Begriffe des Allgemeinenª (Begriff, Urteil und Schluû) definiert ist. Der dritte und letzte Teil besteht in der Ideenlehre, und diese ¹enthaÈlt den Begriff der Wissenschaftª (Idee des Lebens, des Erkennens und des Wissens).11 Die symmetrische Konstruktion der objektiven Logik und der subjektiven Logik im Kurs fuÈr die Mittelklasse 1808±09 Wenn wir nun die Art und Weise betrachten, auf welche Hegel die ersten beiden Teile der Logik innerhalb des Mittelklassenkurses unterteilt hat, so erscheint uns offensichtlich, daû sein Vorgehen auf folgendes 9 So schreibt Hegel: ¹mit der philosophischen Enzyklopa È die in der Oberklasse verbinde ich, wie ich dies nach meinem Plane der EnzyklopaÈdie sehr leicht kann, noch transzendentale und subjektive Logik . . .ª (Briefe von und an Hegel. Bd 1. Hrsg. von J. Hoffmeister. Hamburg 1952. 272). 10 Geisteslehre Ms. 1808±09, § [35], korrigierte Fassung. 11 Vgl. Enc. Nachs. 1808±09, §§ 7±10 (Ros., § 15).
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hinzielt: die systematische Darstellung der einheitlichen Grundlage von zwei verschiedenen Folgen der Bestimmungen (die dem Seienden zugeteilten und die dem Denken zugeteilten). Diese Hypothese wird von der Symmetrie, mit welcher Hegel die Momente der objektiven Logik und der subjektiven Logik im Mittelklassenkurs aufbaut, bestaÈtigt: Geisteslehre Ms./Nachs. 1808±09 OBJEKTIVE LOGIK
SUBJEKTIVE LOGIK
A. Verstand
A. Verstand oder Begriff12
a. Sein; b. Wesen; c. SelbststaÈndiges VerhaÈltnis
B. Urteilskraft
B. Urteil
C. Vernunft
[C. Schluû oder Vernunft]13
Dialektik der Kategorien a. des Seins; b. des Wesens; c. des selbststaÈndigen VerhaÈltnisses
Es ist zu bemerken, wie die allgemeine Struktur der objektiven Logik nach der Anordnung der formalen oder subjektiven Logik gestaltet wird; die Entscheidung zu dieser Gliederung wird von Hegel im Verlauf des Kurses gerechtfertigt. Aus dem einfuÈhrenden Paragraphen zur objektiven Logik geht klar hervor, wie Hegel beabsichtigt, daû die gewoÈhnlich dem Seienden zugeteilten Bestimmungen, die sogenannten ¹Kategorienª, sich auf unterschiedenen Ebenen der VerstaÈndlichkeit zeigen: ¹als festgesetzte Bestimmungen gehoÈren sie dem Verstand an, in Beziehung gesetzt der Urtheilskraft, nach ihrer dialektischen Seite der Vernunftª.14
¹Verstand oder Begriffª ist der im Unterricht diktierte und in der Nachschrift dieses Kurses wiederaufgefuÈhrte Titel; das Hegelsche Manuskript fuÈhrt jedoch nur ¹1. Begriffª an. 13 Dieser Titel stammt aus dem Kurs fu È r die Oberklasse von 1809±10, der die subjektive Logik uÈberarbeitet und vervollstaÈndigt, die in diesem Kurs von 1808±09 enthalten ist. 14 Geisteslehre Nachs. 1808±09, § 32. Dieser Paragraph stellt die korrekte und von Hegel selbst vervollstaÈndigte Version des entsprechenden, luÈckenhaften Anfangsparaphen der objektiven Logik, der im Originalmanuskript enthalten ist, dar (vgl. Geisteslehre Ms. 1808± 09, [§ 36]). 12
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Im Verlauf des Kurses charakterisiert Hegel, vermutlich aus didaktischen GruÈnden,15 Verstand, Urteilskraft und Vernunft unter der BeruÈcksichtigung der Kantischen Definition und Kants systematischer Darstellung dieser grundlegenden ErkenntnisvermoÈgen. Gleichzeitig zeigt Hegel jedoch, wie diese nicht nur unterschiedene, subjektive ErkenntnisvermoÈgen darstellen, sondern vor allem als unterschiedene Betrachtungsweisen ein und desselben Logikinhaltes angesehen werden muÈssen: ¹Der Verstand im engeren Sinne ist das Denken, welches an der festgesetzten Bestimmung[,] der Kategorie, haÈltª,16 die Urteilskraft druÈckt ¹die Beziehungen des Seynsª oder die ¹ontolog[ischen] SaÈtzeª, die sich mit der Zuweisung einer Verstandesbestimmung zu dem Seienden befassen,17 aus; die Vernunft ¹erscheint in Beziehung auf die Verstandes- und Urtheilsbestimmungen als die dialektische Bewegung derselbenª, insofern sie deren immanente Natur ¹aufzeigtª, oder besser gesagt ausmacht.18 Und die dialektische Natur jeder Bestimmung der Logik besteht darin ¹an sich . . . in ihr entgegengesetztes uÈberzugehenª19 und somit das Andere ihrer selbst zu sein. An den entscheidenden Stellen der Darstellung der Logik kommt Hegel darauf zuruÈck, den ontologischen Wert dieser Bestimmungen anzuzeigen. Ganz besonders in der Einleitung des dritten Abschnittes betont Hegel, daû der Ausdruck ¹Antinomien der Vernunftª ¹nicht so zu verstehen ist, als ob die Vern[unft] unfaÈhig waÈre, das Wesen des Seyenden zu erkennen, und darin nur [in] Widerspruch gerieteª; dieser Widerspruch faÈllt, genauer gesagt, ¹in die Bestimmungen, wie der Verstand sie festhaÈltª.20
15 Die besondere Struktur, die Hegel der objektiven Logik in diesem Kurs gegenu È ber dem parallel laufenden EnzyklopaÈdiekurs fuÈr die Oberklasse gegeben hat, haÈngt wahrscheinlich auch damit zusammen, daû er sich verpflichtet fuÈhlt, das Normativ fuÈr den Philosophieunterricht der Mittelklasse, wenn auch auf seine Art, zu beruÈcksichtigen (vgl. Allgemeines Normativ der Einrichtung der oÈffentlichen Unterrichtsanstalten in dem KoÈnigreiche, in F. J. Niethammer: Philanthropinismus ± Humanismus. Texte zur Schulreform. Hrsg. von W. Hillebrecht. Weinheim, Berlin, Basel 1968. 46±67). Nach Hegels freier Interpretation ist in diesem ¹die Kantische Darstellung der antinomischen Kosmologie und der ebenso dialektischen natuÈrlichen Theologie angegeben. In der Tat ist dadurch nicht sowohl die Metaphysik selbst als die Dialektik derselben vorgeschrieben, womit diese Partie wieder in die Logik, naÈmlich als Dialektik, zuruÈckkommtª [Hoff., 438]. 16 Geisteslehre Ms. 1808±09, [37]. 17 Vgl. ebd., [52] und [60]. 18 Ebd., § [58]. 19 Ebd., § [59]. 20 Ebd., § [62].
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Wenn nun Hegel auf der einen Seite in diesem Kurs das Kantische Modell zu verfolgen scheint, indem er zwischen einer analytischen und einer dialektischen Abhandlung der Begriffe unterscheidet, so untergraÈbt er die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen eines solchen Modells. Dies geschieht, indem er aufzeigt, wie die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft als eine Unterscheidung verschiedener Ebenen der VerstaÈndlichkeit und Konstitution der ObjektivitaÈt aufzufassen ist und nicht als eine Unterscheidung verschiedener ErkenntnisvermoÈgen. Die systematische Entwicklung dieser Bestimmungen wird von Hegel so aufgebaut, daû sie in sich einen praÈzisen Prozeû der Logik zeigen, der die Stufen der subjektiven AktivitaÈt der Erkenntnis widerspiegelt. Dieser Prozeû entwickelt sich vom intellektuellen Moment bis zu dem des rationalen, und von der abstraktesten und unmittelbaren Seite des Erkennens bis zu der komplexesten und innerlich vermittelten. Die beiden Darstellungen der objektiven Logik von 1808±09 fuÈr das Gymnasium zeigen unter anderem die MoÈglichkeit der Verwirklichung einer spekulativen Logik von zwei verschiedenen methodologischen Perspektiven aus. WaÈhrend in der Logik der EnzyklopaÈdie jede Bestimmung ¹unmittelbarª die objektive Seite und die subjektive Seite des Wissens in sich vereint,21 macht Hegel im Mittelklassenkurs deutlich, wie die objektiven Bestimmungen in sich dieselbe Gliederung der Logik zeigen, die den subjektiven Formen des Erkennens (oder dem Verstand, der Urteilskraft und der Vernunft) zu Grunde liegen. Auf diese Art laÈût er die theoretischen Voraussetzungen und die methodologischen Grundlagen der neuen, spekulativen Richtlinie der Logik, die auf der Unterscheidung der verstandesmaÈûigen Seite, der vernuÈnftigdialektischen Seite und der vernuÈnftig-spekulativen Seite gegruÈndet ist, hervorgehen. Substanz und Subjekt: È bergang von der objektiven der U zur subjektiven Logik Die Wechselwirkung, die der SubstantialitaÈt und der KausalitaÈt als hoÈchster Form des ¹unbedingten VerhaÈltnissesª folgt, macht nicht nur die Schluûfolgerung aus, sondern auch das spekulative Resultat der gesamten objektiven Logik. Wenn nun tatsaÈchlich die Auffassung des 21
Vgl. Enc. Nachs. 1808±09, § 6.
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Absoluten als ¹substantieller Einheitª eine wesentliche spekulative Bestimmung ist, insofern sie die Notwendigkeit zeigt, die Erscheinung der Wirklichkeit als eines Aggregates von Dingen zu verneinen, die wie getrennte und sich gleichguÈltige Substanzen existieren, so zeigt sie sich auf der anderen Seite als eine unvollstaÈndige Bestimmung des Absoluten selbst, insofern dieses nur auf negative Art dargestellt wird, und zwar durch die ¹ZuruÈckkehrª jeder Bestimmung in die absolute Einheit der Substanz. Diese UnvollstaÈndigkeit wird von dem VerhaÈltnis der KausalitaÈt aufgedeckt. Die Ursache bringt naÈmlich den eigenen Inhalt in der Form einer Wirkung hervor, welche im Gegensatz zur Ursache ein eigenes Dasein erlangt.22 Es zeigt sich somit, daû jede der Bestimmungen des Ganzen sich wie ein positiver Inhalt darstellt und nicht bloû wie eine zufaÈllige Erscheinung, die in der grundlegenden UnveraÈnderlichkeit der Ganzheit der absoluten Substanz annulliert wird. Mit der Wechselwirkung ist also der Begriff ¹eines und desselben . . ., das die ganze Form an ihm selbst hat und sie in sich verlauffen laÈût oder sich in den ent[gegengesetzten] Bestimmungen setzt und darin sich gl[eich] bleibtª,23 aufgestellt. Diese Bestimmung des Ganzen als aktiver Einheit, die sich auf positive Weise manifestiert und sich in den GegensaÈtzen ihrer inneren Bestimmungen erhaÈlt, verkuÈndet eine Bestimmung des Absoluten, die den Begriff der Substanz sowie den gesamten Bereich der ontologischen Bestimmungen, die in der objektiven Logik enthalten sind, uÈbersteigt. Das Ganze ist hier in der Tat von einer inneren AktivitaÈt der Selbstbestimmung gekennzeichnet, die den grundlegenden Charakter der SubjektivitaÈt ausmacht. Im Manuskript, das fuÈr die Mittelklasse vorbereitet wurde, betont Hegel: ¹[1] In der einen Substanz ist alle Besonderheit und Einzelheit uÈberhaupt nur etwas accidentelles und in ihr aufgehobenes. [2] Sie ist das niedrigerstehende VerhaÈltniss, das noch nicht zum Begriffe der SubjectivitaÈt gediehen istª.24 Als Hegel diesen Paragraphen seinen GymnasialschuÈlern diktiert, fuÈgt er kleine aber bedeutende VeraÈnderungen gegenuÈber dem Originaltext hinzu. Es ist vor allem zu be-
Vgl. ebd., § 46 (Ros., § 51). Geisteslehre Ms. 1808±09, § [88]. 24 Ebd., § [84]. Am Textrand notiert Hegel: ¹an der Subst. verschw.ª. Dies scheint das Charakteristische der logisch-spekulativen Bestimmung des Begriffs der Substanz zu sein: das AufloÈsen jeder positiven Bestimmung in der absoluten Einheit der Substanz. 22 23
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merken, daû die Behauptung [1] mit der Behauptung [2] durch die adversative Konjunktion aber verbunden wird. Diese ErgaÈnzung gibt dem gesamten Abschnitt einen anderen Klang: das VerhaÈltnis der SubstantialitaÈt stellt ¹das niedrigerstehende VerhaÈltnisª dar, und zwar nicht weil, sondern obwohl Einzelheit und Besonderheit nur etwas Akzidentelles, in der Einheit der Substanz Aufgehobenes sind.25 Das, was den grundlegenden Mangel des VerhaÈltnisses der SubstantialitaÈt ausmacht, ist also nicht das Verschwinden der Bestimmungen in ihr, auch nicht die Behauptung der Einheit als etwas Notwendiges und Permanentes; sondern gerade diese ist eine grundlegende Bestimmung, insofern sie erlaubt, die wesentliche Einheit des Ganzen zu behaupten. Der grundlegende Mangel des VerhaÈltnisses der SubstantialitaÈt, insofern sie fuÈr sich genommen und nicht zur Bestimmung der Wechselwirkung fortgeschritten ist, besteht vielmehr ± wie aus den abschlieûenden Betrachtungen dieses Paragraphen hervorgeht ± in der Behauptung der Einheit der Substanz nur als ¹das Beharrende, Positive Seinª, das nicht von der Negation beruÈhrt werden darf.26 Sie ist ¹negative Einheitª, die jedoch nicht sich selbst verneint: die Bewegung ihrer Selbstbestimmung erscheint nicht und wird auch nicht thematisiert; es wird lediglich die Bewegung der RuÈckkehr des Besonderen in ihr gedacht. In dieser Form des VerhaÈltnisses wird die KreisfoÈrmigkeit der Bewegung zwischen dem Ganzen und seinen Bestimmungen unterbrochen: dies hindert jede ihrer Bestimmungen daran, eine positive Manifestation È bergang zur des Ganzen zu sein. Es ist gerade dieser Mangel, der den U ¹hoÈheren Bestimmungª der KausalitaÈt anzeigt. Das VerhaÈltnis der SubstantialitaÈt, die am staÈrksten die vernichtende Potenz des Ganzen gegenuÈber jedem Besonderen auszudruÈcken scheint, bildet in Wirklichkeit deren EntkraÈftung: das Ganze aÈuûert seine Absolutheit nicht in der gewalttaÈtigen Aktion einer fremden Macht, die sich durch die Vernichtung jeglicher Form von besonderer Existenz durchsetzt. Im Gegenteil: das Ganze aÈuûert seine Absolutheit lediglich als Vernunft, die, indem sie die vernichtende Kraft der Abstraktion entschaÈrft, sich zum anderen wie zu sich selbst verhaÈlt und im Anderen bei sich ist. Im Diktat fuÈgt Hegel eine letzte Bemerkung hinzu, die seine allgemeine Bewertung des Begriffs der Substanz verstaÈrkt und die gleichzeitig den ontologischen Wert dieser Bestimmungen der Logik 25 26
Geisteslehre Nachs. 1808±09, § 79. Ibid.
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unterstreicht. Zu der Aussage, daû das VerhaÈltnis der SubstantialitaÈt ¹das niedrigerstehende VerhaÈltnis, das noch nicht zum Begriffe der SubjektivitaÈt gediehen istª, fuÈgt er hinzu: doch dieses ¹druÈckt somit die Natur des absoluten Wesens nicht wahrhaft ausª.27 Die kritische Betrachtung des VerhaÈltnisses der SubstantialitaÈt fuÈhrt zum ersten Mal, wenn auch nur im Gegenlicht, den Begriff der SubjektivitaÈt in die Entwicklung der Logik ein. Die SubjektivitaÈt besteht in einer Einheit oder in einem Ganzen, das nicht nur eine halbierte logische Bewegung (der Selbstbehauptung durch die Negation des Bestimmten) ausdruÈckt, sondern das eine kontinuierliche, kreisfoÈrmige Bewegung zeigt, durch welche sie sich als eine aktive Einheit darstellt, die nur ist, insofern sie sich vereinzelt und sich gleichzeitig in und von ihren besonderen Bestimmungen her wiederherstellt. Die logischen Formen, die auf die objektive Logik folgen, zeigen sich als notwendige und immer konkreter werdende Artikulierungen dieser Einheit. Im Mittelklassenkurs betont Hegel mehrmals innerhalb der subjektiven Logik, daû der Begriff als die einheitliche Grundlage des Bestimmens aufzufassen ist. So schreibt er: ¹Weil im Begriffe die Momente als in einer Einheit befaût sind, so ist in ihm [im Urteil] zwar Bestimmung, aber nicht als Werden oder Entgegensetzung . . . und die niedrigere Bestimmung erhebt sich unmittelbar zu der von ihrer verschiedenen Allgemeineren oder ist vielmehr dazu schon erhobenª.28 Mit der subjektiven Logik faÈngt eine neue SphaÈre der Abhandlung an, worin jede Bestimmung ein Selbstbestimmen des Begriffs in seinen Momenten ausdruÈckt. È bergang zur subjektiven Logik kann als U È berzug zu einer Der U neuen Gestaltung des Dialektischen verstanden werden. Die Bestimmungen der objektiven Logik zeigen sich zunaÈchst vom Standpunkt des Verstandes her als abstrakte Begriffe, deren Bewegung ein AndersWerden ist (Sein, Nichts, Einheit, Vielheit . . .) oder aber als nur entgegengesetzte Begriffe (IdentitaÈt und Verschiedenheit, Grund und BeÈ uûerung, gruÈndetes, Materie und Form, Ganzes und Teile, Kraft und A aber auch Substanz und Accidens, Ursache und Wirkung). Vom 27 Ebd. Dies scheint der Ort des Systems zu sein, der die Aufgabe hat, die spekulativen Grundlagen von dem, was Hegel zwei Jahre zuvor in der Vorrede zu dem gesamten ¹System der Wissenschaftª nur als seine persoÈnliche ¹Einsichtª ausgedruÈckt hat, aufzuzeigen, die sich ¹durch die Darstellung des Systemsª rechtfertigen muû: ¹Es kommt alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt aufzufassen und auszudruÈckenª (PdG, 18). 28 Geisteslehre Ms. 1808±09, § [95]. Vgl. dazu auch ebd., § [94] und § [97].
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Standpunkt der Vernunft werden diese Begriffe als unterschiedene Bestimmungen derselben hoÈheren Einheit angesehen, die deren allgemeine Basis darstellt. Das, was in der Darstellung der ontologischen Bestimmungen als das Resultat der Dialektik der abstrakten Bestimmungen erscheint, zeigt sich in der subjektiven Logik hingegen als die beharrliche Grundlage oder die konkrete Basis dieser Bestimmungen. Der Standpunkt des Begriffs zeigt sich nun unmittelbar und erhaÈlt sich als ¹einfache Einheitª seiner Bestimmungen.29 In den Formen der subjektiven Logik ist also jedes VerhaÈltnis immanent, da es voraussetzt, daû jede Bestimmung sich als Selbstbestimmung des Begriffs in sich selbst darstellt. Jede BeÈ uûeres und ZufaÈlliges stimmung und Unterscheidung ist also nichts A gegenuÈber der Einheit, jedoch befindet sie sich immer innerhalb derselben. Die subjektive Logik als spekulative Darstellung der ¹formalen Logikª Wie wir gesehen haben, wird der zweite Teil der Logik in den Kursen von 1808±09 den Formen des Begriffs, des Urteils und des Schlusses gewidmet.30 Diese Anordnung stellt natuÈrlich keine Neuheit dar. Seit dem ersten Jenaer Systementwurf von 1801±02 wurde die Darstellung der ¹subjektiven Formen der Endlichkeitª oder der ¹Gesetze des Verstandes und der Vernunftª als zweiter Teil der Logik der Abhandlung uÈber die ontologischen Bestimmungen nachgestellt.31
Vgl. Enc. Nachs. 1808±09, § 49, § 60 u. § 72 (Ros., § 54, § 65 u. § 77). FuÈr eine geschichtlich-genetische AufklaÈrung uÈber die allgemeine Entwicklung der subjektiven Logik vgl. K. DuÈsing: Das Problem der SubjektivitaÈt in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik. (Hegel-Studien, Beiheft 15). Bonn 1984 (1. Aufl.: 1976) und F. Hogemann: Einleitung. In: G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik. Zweiter Band: Die subjektive Logik (1816). Nach dem Text der kritischen Edition neu hrsg. von H.-J. Gawoll. Hamburg 1994. IX-XXXIII, bes. XXVII. 31 G. W. F. Hegel: Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten (s. o. Anm. 1). 273. Vgl. jetzt auch die von Hegel in der AnkuÈndigung der Logik- und Metaphysikvorlesung gegebenen Indikationen, die in der Allgemeinen Literatur-Zeitung veroÈffentlicht ist. Hier definiert er den ersten Teil der Logik als ¹das System der Formen der Endlichkeit, oder eine Theorie des objektiven Verstandesª, und den zweiten Teil als ¹die gewoÈhnlich sogenannte Logik, oder die Konstruktion der subjektiven Reflexionª (G. W. F. Hegel: VorlesungsankuÈndigung Wintersemester 1801±02, UniversitaÈtsarchiv der Friedrich-Schiller-UniversitaÈt zu Jena, jetzt veroÈffentlicht in K. R. Meist: Editorischer Bericht. In G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 5 (s. o. Anm. 1), 654). 29 30
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Anders als bei den vor-phaÈnomenologischen SystementwuÈrfen ist es der Erkenntniswert dieser Formen, der, zumindest vom programmatischen Standpunkt her, sich radikal veraÈndert. In den Jenaer Schriften zeigten sich diese Formen, so wie auch die anderen der Logik angehoÈrigen Bestimmungen, als endliche Formen der Erkenntnis, und lediglich in ihrer Aufhebung muûte sich negativ oder im Gegenlicht die TaÈtigkeit der Vernunft zeigen.32 In diesen ersten NuÈrnberger Kursen steht Hegel hingegen vor der Aufgabe, diese subjektiven Formen innerhalb einer spekulativen Logik darzustellen, die die Aufgabe hat, die konkrete IdentitaÈt der subjektiv-formalen Seite und der objektiven Seite des Wissens aufzuzeigen. Wenn man nun die beiden ersten gymnasialen Ausarbeitungen der subjektiven Logik von 1808±09 betrachtet (die vollstaÈndige des EnzyklopaÈdiekurses und die unvollstaÈndige des Mittelklassenkurses), kann man beobachten, daû Hegel in beiden FaÈllen weder eine Einleitung noch irgendeine geschichtliche oder methodologische ErlaÈuterung diesem zweiten Teil der Logik vorausschickt. Dennoch geht bereits bei einer ersten Betrachtung der Paragraphen, die sich mit der Abhandlung der Sektion ¹I. Begriffª befassen, mit welcher die subjektive Logik beginnt, eindeutig die OriginalitaÈt des Standpunktes hervor, von dem aus Hegel die grundlegenden Elemente der formalen Logik analysieren moÈchte. Hegel gibt hier keine Klassifizierung der Begriffe an; er nennt noch nicht einmal die Unterteilung von Leibniz und Wolff, die zwischen klaren und dunklen, deutlichen und undeutlichen, vollstaÈndigen und unvollstaÈndigen, ausfuÈhrlichen und unausfuÈhrlichen, allgemeinen und besonderen, moÈglichen und unmoÈglichen Begriffen unterscheidet. Er stellt sich auch nicht das Problem, uÈber die LegitimitaÈt des Gebrauchs der Begriffe auf der Basis ihrer a priorischen Bestimmung zu diskutieren: fuÈr Hegel ist ihr Wert ihnen immanent, und ihre In dem Systemprogramm von 1801±02 vertraute Hegel dem dritten Teil der Logik (der der Darstellung der Kategorien oder der ¹allgemeinen Formenª oder auch den ¹Gesetzen der Endlichkeitª, und der der ¹subjektiven Formen der Endlichkeitª folgte) die Aufgabe an, die ¹Aufhebungª der ¹im vorhergehenden vorgetragenenª zu praÈsentieren, die ¹spekulative Bedeutung der SchluÈsseª aufzuzeigen und die ¹Fundamente eines wissenschaftlichen Erkennensª anzugeben (ebd., 273±274). Die Logik bewaÈltigte ihre Aufgabe der authentischen ¹Einleitung in die Philosophieª in der Darstellung von dem ¹Bild des Absolutenª wie ¹in einem Widerscheinª, im Verlauf der Kritik der endlichen Formen des Erkennens (ebd. 272±273). Diese Programmangaben bleiben in der Basis der Logik von 1804±05 (vgl. F. Chiereghin: La relazione del pensare. In: Logica e Metafisica di Jena (1804±05). È bers., Einf. und Kommentar von F. Biasutti, L. Bignami u. a. Ediert von F. Chiereghin, U Trento 1982. 340±383; hier 346±347). 32
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GuÈltigkeit ist unabhaÈngig von dem Bereich ihrer Anwendung (auf ein gegebenes, empirisches Material oder auf uÈbersinnliche GegenstaÈnde). Solche Unterscheidungen setzen eine Auffassung des Begriffs als subjektive Darstellung aÈuûerer GegenstaÈnde voraus. Die spekulative Betrachtung der logischen Bestimmungen setzt hingegen die Aufhebung der formalen Betrachtungsweise des Begriffs gegenuÈber dem Gegenstand voraus. Die Abhandlung der ¹subjektiven Formenª befindet sich innerhalb einer logisch-spekulativen Abhandlung, die sich im Inneren des nun erreichten Standpunktes der Vernunft haÈlt. Im Gymnasialunterricht der Logik betont Hegel dennoch staÈndig, wie die Begriffsbestimmungen, die Figuren des Urteils und die Figuren des Schlusses sich lediglich als formelle oder subjektive Bestimmungen erweisen. Auch in der Auswahl der Titel betont er, wie die Abhandlung der Figuren des Schlusses die logisch-spekulative Struktur des ¹formellen Schlussesª33 ausdruÈckt, und daû die gesamte Behandlung des Begriffs, des Urteils und des Schlusses als Darstellung des ¹formalen Begriffsª oder als neue ¹formale Logikª34 verstanden werden muû.
33 Vgl. Subjektive Logik fu È r die Oberklasse 1809±10, §§ 1±114 (= Sub. Logik Nachs. 1809±10); hier § 41. Es handelt sich um ein Heft, das ebenfalls in der Staatsbibliothek von Berlin aufbewahrt wird. Dieses enthaÈlt die Diktate von Hegel aus dem Kurs der ¹Subjektiven Logikª von 1809±10 und seine spaÈteren Aufarbeitungen; die Notizen von Hegel sollen nach Rameil auf die folgenden Kurse fuÈr die Oberklasse zuruÈckgehen (1811±12 und 1812± 13). Die von Rosenkranz edierte Ausgabe dieser Schrift (Ros., 123±145), die auch in den folgenden Ausgaben der NuÈrnberger Schriften wiederaufgenommen wird (Hoffmeister und Michel-Moldenhauer), ist bis jetzt der grundlegende Bezugspunkt fuÈr die Forscher gewesen. Diese Edition weist einen auffaÈllig stark gekuÈrzten Text auf (von 114 auf 87 §§), der von Rosenkranz hinsichtlich der Darstellung einer linearen und folgerichtigen Version dieses Kurses verfaût wurde. Es ist demnach notwendig, direkt den Originaltext zu È berarbeitung von diesem Teil der analysieren, um die folgenden Stufen der Hegelschen U Logik zu verfolgen, die unter anderem die Entstehung des der ¹ObjektivitaÈtª geÈ bergang zur Ideenwidmeten Kapitels dokumentieren (vgl. U. Rameil: Der teleologische U lehre und die Entstehung des Kapitels ¹ObjektivitaÈtª in Hegels PropaÈdeutischer Logik. In: HegelÈ berarbeitung von Hegel vgl. ebd., Studien. 28 (1993), 165±191; uÈber die Datierung der U 183). 34 Vgl. Logik fu È r die Mittelklasse 1810±11, §§ 1±135 (= Logik Nachs. 1810±11), hier §§ 94± 95. In der Staatsbibliothek Berlin befindet sich ein noch unveroÈffentlichtes Heft, das Hegels Diktate bezuÈglich des Logikkurses fuÈr die Mittelklasse von 1810±11 und seine weitere È berarbeitung enthaÈlt. Die Datierung von Hegels Notizen ist problematisch. Da der LoU gikkurs fuÈr die Mittelklasse in den Jahren 1812±13 und 1814±15 wiederholt worden ist, sind diese Umarbeitungen rein provisorisch auf diese Schuljahre bezogen worden (vgl. E. Ziesche: Unbekannte Manuskripte (s. o. Anm. 2). 442). Der erste Teil dieser Schrift, der die EinfuÈhrung und die ersten beiden Kapitel der Lehre vom Sein (§§ 1±28) enthaÈlt, fuÈllt die anfaÈngliche LuÈcke des urspruÈnglichen Manuskripts von Hegel von diesem Gymnasialkurs (= Logik Ms. 1810±11), hrsg. von J. Hoffmeister (Hoff., 63±101). Dieses Heft ist von
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Damit will Hegel sicher nicht behaupten, daû es sich dabei um bloûe a priorische Formen der Erkenntnis handelt, die an sich inhaltslos sind. Eine solche Betrachtung der Elemente der Logik als bloûe Werkzeuge der Erkenntnis war bereits in der PhaÈnomenologie des Geistes kritisiert und uÈberholt worden. Hegel will auch nicht behaupten, daû es sich lediglich um Produkte des ¹endlichen Geistesª handelt, da in der Logik, gegenuÈber der folgenden Behandlung des Begriffs, des Urteils und des Schlusses innerhalb der Psychologie, diese Formen in ihrer rein logisch spekulativen Struktur betrachtet werden. In welchem Sinne werden diese logischen Strukturen also als formell definiert? Was das Urteil betrifft, schreibt Hegel in einer Randnotiz des Kurses von 1810±11: ¹Urtheil etwas Subjectives; Sub[ject] und PraÈd[ikat] erscheinen als gleichguÈltig auseinander, aÈuûerl[ich], und werden erst von uns, aÈuûerl[ich], zusammengebracht; ist. Wir haben hier ein S[ubjec]t und hier ein PraÈd[ikat], das wir jenem beilegenª.35 Vom Standpunkt des Verstandes her druÈckt das Urteil eine aÈuûerliche oder formelle Verbindung von bereits gegebenen Elementen aus: ein Gegenstand (das Subjekt des Urteils) und eine Bestimmung des Begriffs (das PraÈdikat). Die logisch-spekulative Behandlung des Urteils muû hingegen aus der Analyse ihrer besonderen Figuren folgendes hervorgehen lassen: die rein logische Struktur der Beziehung zwischen dem Gegenstand und dem Begriff im Gegensatz zu der Herausbildung des Subjekts und des PraÈdikates als fuÈr sich bestehende Elemente. Das Gleiche laÈût sich von dem Schluû behaupten: das schluûfolgernde Vorgehen durch eine Folge von fuÈr sich stehenden Urteilen ist eine formelle, abstrakte Struktur; in ihr zeigt sich die Mitte als eine Bestimmung gegenuÈber den Extremen, deren urspruÈngliche Einheit sie eigentlich darstellen sollte.36 Um eine komplexe Bewegung auszudruÈcken, wie jene, durch welche sich das Subjekt in seiner Einzelheit wie ein allgemeines bestimmt, muû also die aÈuûerlich-formelle Seite der Struktur des Schlusses uÈberwunden werden. Das ist es, was Hegel seit den ersten Kursen von 1808±09 in zunehmend umfangreicherer Weise versucht; er ist auf der Suche nach dem Beweis der Notwendigkeit, die SchluÈsse und ihre inneren Momente in ihrer gegenseitigen Voraussetzung aufzufassen: nur wenn die Mitte als ein Subjekt aufgeK. Rosenkranz zur Verfassung des Logikkurses verwendet worden, der von ihm in der Philosophischen PropaÈdeutik publiziert wurde. 35 Logik Ms. 1810±11, § [102], Randnotiz. 36 Vgl. Sub. Logik Nachs. 1809±10, § 41.
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faût wird, das sich als entwickelte Einheit seiner Bestimmungen darstellt, ist es moÈglich, den konstitutiven Formalismus der verschiedenen Figuren des Schlusses zu uÈberwinden. È ber den systematischen Aufbau der Urteilslehre U Die Thematisierung der Bestimmungen des Begriffs (Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit), die im ersten Teil der subjektiven Logik ¹als einfache Abstractionen, die in einer Einheit enthalten sindª,37 dargestellt werden, wird in der Analyse, die Hegel von der Struktur und den besonderen Arten und Figuren des Urteils macht, fortgefuÈhrt. Das Urteil wird in der Tat als ¹die Darstellung eines Gegenstandes in den unterschiedenen Momenten des Begriffsª38 definiert. Diese Aussage ist nicht so zu verstehen, als ob die Bestimmungen der Einzelheit, der Besonderheit und der Allgemeinheit leere Formen waÈren, die zur Beschreibung eines aÈuûeren Gegenstandes verwendet wuÈrden oder aber zur Behauptung oder Verneinung einer besonderen Eigenschaft oder einer allgemeinen Bestimmung eines gegebenen Gegenstandes. Auûerdem widerspricht Hegel einer weitverbreiteten Auffassung uÈber das Urteil, indem er hier betont (was er auch in den folgenden Kursen, in der Wissenschaft der Logik und in der EnzyklopaÈdie macht), daû das Urteil nicht als bloûer ¹Satzª angesehen werden darf. Ein Satz als solcher ist nicht in der Lage, den Charakter der Allgemeinheit und Notwendigkeit der Beziehung von Begriffsbestimmungen auszudruÈkken; er druÈckt hingegen eine Verbindung aus, die den Gliedern des Satzes aÈuûerlich und zufaÈllig sein kann. Das Urteil hingegen ist Gegenstand der Logik als ein Unterscheiden und Beziehen, das in der spekulativen Einheit des Begriffs als Unterscheidung und Beziehung von Momenten, die wie ¹in einer Einheit befaût sindª, verwurzelt ist.39 Das Urteil vollzieht also eine Spaltung zwischen immanenten Bestimmungen, die in der Einheit des Begriffs bleiben. Aber auf welche Art verzweigt das Urteil den Begriff in seine verschiedenen Momente? Nach Hegel spalten Subjekt und PraÈdikat die abstrakte Einheit des Begriffs und beziehen sich als verschiedene Bestimmungen: als ein37 38 39
Geisteslehre Ms. 1808±09, § [90]. Ebd., § [94]. Ebd. § [95].
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zelne gegenuÈber dem Besonderen, aber auch als einzelne oder besondere gegenuÈber dem Allgemeinen.40 Urteilen bedeutet eigentlich, die Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Besonderen zu denken, sowie die Beziehung zwischen dem Einzelnen oder dem Besonderen und dem Allgemeinen: von der abstraktesten Form der Beziehung (der der InhaÈrenz oder Subsumierung) bis zu deren wechselseitiger und immanenter Beziehung.41 Bereits in der Logik von 1804±05 hatte Hegel gezeigt, wie in der traditionellen Gliederung der Figuren des Urteils ein Prozeû von fortschreitender Verwirklichung der verschiedenen Bestimmungen des ¹bestimmten Begriffsª erkannt werden kann. Auf der einen Seite steht die Verwirklichung des besonderen Subjekts, das dem PraÈdikat wie einer allgemeinen, fuÈr sich seienden Bestimmung entgegengesetzt und gezwungen ist, sich in sich selbst zu reflektieren (in seine GroÈûenunterschiede, die von den Urteilen der ¹QuantitaÈtª ausgedruÈckt werden) und die MoÈglichkeit eines notwendigen VerhaÈltnisses zu dem allgemeinen PraÈdikat (im hypothetischen Urteil) zu zeigen. Auf der anderen Seite steht die Verwirklichung des allgemeinen PraÈdikats, das dem Subjekt wie einer besonderen, fuÈr sich seienden Bestimmung entgegengesetzt und gezwungen ist, sich diesem gemaÈû den Beziehungen der aÈuûeren InhaÈrenz (die von den QualitaÈtsurteilen ausgedruÈckt werden) anzupassen und in sich die totale Summe der besonderen Bestimmungen des Subjekts (im disjunktiven Urteil) zu zeigen.42 Im EnzyklopaÈdiekurs von 1808±09 arbeitet Hegel erneut an dem systematischen Modell der Jenaer Abhandlung, deren Anordnung der Verwirklichungsprozesse er umkehrt: im ersten Abschnitt fuÈhrt er den Prozeû der qualitativen Bestimmung des PraÈdikats an und im zweiten den Prozeû der quantitativen Bestimmung des Subjekts. Im dritten Abschnitt praÈsentiert Hegel die Urteile der ¹Relationª (kategorisches, hypothetisches, disjunktives Urteil), die die ¹Bestimmung der Beziehungª zwischen Subjekt und PraÈdikat gemaÈû der drei verschiedenen
Vgl. ebd., § [94] und Enc. Ns. 1808±09, § 53 (Ros., 58). Im Kurs von 1810±11 praÈsentiert Hegel das Kriterium fuÈr die systematische Organisation der Urteile auf folgende Weise: ¹Die Arten des Urtheils bezeichnen die verschiedenen Stufen, in welchen das PraÈdicat sich zur wesentlichen Allgemeinheit erhebt, oder die aeuûerliche Beziehung des Subjekts und PraÈdicats zur innern Beziehung des Begriffs wirdª (Logik Ns. 1810±11, § 107). 42 Vgl. Logik-Metaphysik 1804±05, 80±93 und den bezu È glichen Kommentar K. DuÈsing: Das Problem der SubjektivitaÈt (s. o. Anm. 30). 160±176 und F. Chiereghin in La relazione del pensare (s. o. Anm. 32). 357±371. 40 41
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ModalitaÈten (assertorisch, problematisch und apodiktisch nach den drei grundlegenden Figuren der ¹Urteile der ModalitaÈtª) ausdruÈcken. Auf diese Weise folgt die Form der Beziehung, die von den Urteilen ausgedruÈckt wird, nun der Anordnung der Kategorienbestimmungen, die von der Unmittelbarkeit der ¹QualitaÈtª zur komplexesten Bestimmung der ¹QuantitaÈtª reichen, bis zu den Kategorien der ¹Relationª, mit welchen sich die Kategorien der ModalitaÈt wie in der objektiven Logik verflechten. Aus dem Ablauf der ersten beiden Abschnitte geht folgendes hervor: auf der einen Seite hat das Subjekt gezeigt, daû es alle Begriffsbestimmungen in sich enthaÈlt und seine Einzelheit zum Allgemeinen auszudehnen vermag, auf der anderen Seite hat das allgemeine PraÈdikat in seiner inneren Reflexion gezeigt, daû es in sich auch die Bewegung seiner Vereinzelung enthaÈlt. Nachdem die Unterscheidung zwischen Subjekt und PraÈdikat als fuÈr sich seiende Momente aufgehoben ist, druÈckt das Urteil im dritten Abschnitt nun eine Beziehung zwischen Bestimmungen aus, die sich gegenseitig, als Beziehung zwischen der einfachen Einheit des Begriffs und der Seite seines Daseins, implizieren. Zu Beginn des letzten Abschnitts unterstreicht Hegel die rein spekulative Bedeutung der gesamten Abhandlung: in den ersten beiden Abschnitten ¹ist sowo[h]l Subjekt, als PraÈdikat in allen Bestimmungen des Begriffs gesetzt worden, hierdurch der Begriff an sich vorhanden, und das Urtheil enthaÈlt jetzt eine Beziehung des Daseyenden auf den Begriffª.43 Diese Beziehung der Implikation zwischen Begriff und Dasein wird auf folgende Art ausgedruÈckt: 1. vom kategorischen Urteil als ¹ein innerlicher Zusammenhangª, der nicht veraÈuûert wird und in einer bloûen Assertion oder Versicherung besteht;44 2. vom hypothetischen Urteil (wenn a ist, dann ist b) als eine unumgehbare aber problematische Verbindung zwischen zwei Bestimmungen, insofern sie nichts uÈber deren Existenz aussagt,45 3. vom disjunktiven Urteil (a ist entweder b oder c oder d), in dem der Begriff die TotalitaÈt der moÈglichen, besonderen Bestimmungen des Daseins aufweist und ¹apodiktischª ist.46 Im Mittelklassenkurs von 1808±09 notiert Hegel am Rand des Manuskripts zu Beginn der Abhandlung: ¹Das Urtheil muû so werden, 43 44 45 46
Enc. Ns. 1808±09, § 57 (Ros., § 62). Vgl. ebd. Vgl. ebd., § 58 (§ 63). Vgl. ebd., § 59 (§ 64).
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daû es die Beziehung des GegenstaÈndlichkeit [au]f den Begriff ausdruÈcktª.47 Der Ausdruck ¹muû so werden, daû . . .ª zeigt die grundlegende Absicht, die Hegel beim Aufbau dieser Urteilslehre verfolgt, es geht um die systematische Anordnung der Figuren des Urteils, damit sie als notwendige Momente der progressiven Bestimmung der Beziehung zwischen Begriff und ObjektivitaÈt betrachtet werden koÈnnen. Auf diese Weise zeigen sich die verschiedenen Ebenen, durch welche das Denken auf immer artikuliertere und komplexere Weise die Logikstruktur des Seienden (Sein, Wesen, Wirklichkeit) darstellt, ab Beginn der Kurse von 1808±09 und noch offensichtlicher in den folgenden Jahren, als verschiedene Ebenen der Bestimmung der Beziehung zwischen Subjekt und PraÈdikat im Urteil: sie reichen von der unmittelÈ bereinbarsten Ebene bis hin zu jener, welche die vorhandene U È bereinstimmung des Gegenstandes mit seinem stimmung oder Nicht-U Begriff ausdruÈckt.48 Die Schluûlehre als Herstellung der Form der Vernunfteinheit Die einzige systematische Behandlung des Schlusses, die den Gymnasialkursen vorausgeht, ist in dem Abschnitt ¹VerhaÈltnis des Denkensª in der Logik von 1804±05 enthalten. In diesem Teil hat der Schluû, der als die ¹Beziehung des Einzelnen zum Allgemeinen mittels des Besonderenª definiert wird, die Aufgabe, diese vollendete Bewegung der Vermittlung zwischen Einzelnem und Allgemeinem zu zeigen, die in der Struktur des Urteils unausgedruÈckt blieb. Die Vielseitigkeit der moÈglichen Figuren des Schlusses macht die verschiedenen Formen deutlich, die die doppelte Bewegung der Vereinigung der Extreme annehmen kann: naÈmlich die der Verallgemeinerung des einzelnen Diesen (im Abschnitt ¹a. Die Verwirklichung des Subjekts als Einzelnesª) und die der Vereinzelung des Allgemeinen (im Abschnitt ¹b. Die Verwirklichung des Allgemeinenª). In beiden Bewegungen ist die 47 Geisteslehre Ms. 1808±09, § [95], Randbemerkung. In einer ersten Fassung, die dann gestrichen wurde, hatte Hegel geschrieben: ¹Das Urtheil muû so werden, daû es der Ausdruck des Begriffs istª. 48 Vgl. Geisteslehre Nachs. 1808±09, Notizen Hegels von 1809±10, am Rand des § 91. Hier kommt Hegel darauf zuruÈck zu unterstreichen, wie das Kriterium der Bewertung einer Systemposition eines Urteils davon abhaÈngt, ¹inwiefern das PraÈdikat die ganze Natur des S[ubjek]ts ausdruÈktª oder hingegen nicht ¹bloû eine einzelne Bestimmung desselbenª.
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Mitte unfaÈhig, die Einheit der Prozesse der Trennung und der VereiniÈ bergung der Extreme zu enthalten. Sie erweist sich lediglich als ein U gangspunkt und neutraler Ort, der die aÈuûerliche Bewegung des Aufstiegs vom Einzelnen zum Allgemeinen und die des Abstiegs vom Allgemeinen zum Einzelnen beherbergt. Die verschiedenen Figuren des Schlusses sind also unfaÈhig zu zeigen, daû das Subjekt in sich ein Allgemeines ist und daû das Allgemeine urspruÈnglich der Prozeû der eigenen Vereinzelung ist.49 In der ¹Relation des Denkensª betrachtet Hegel also den Schluû (sowie die vorausgehenden Formen des Begriffs und des Urteils) hauptsaÈchlich als ein abstraktes Produkt des Verstandes oder als eine endliche Erkenntnisform, deren dialektische AufloÈsung gezeigt werden muû.50 Im EnzyklopaÈdiekurs von 1808±09 beruÈcksichtigt Hegel zum ersten Mal den Schluû innerhalb einer logisch-spekulativen Abhandlung; gemaÈû dem Systemaufbau von 1808±09 wird der Schluû hier als hoÈchstes Moment der subjektiven Logik dargestellt. In den vorangehenden Abschnitten wurden die Begriffsbestimmungen zuerst als ¹einfache Abstraktionenª praÈsentiert und dann im Urteil wie entgegengesetzte Elemente paarweise kombiniert. Hegel definiert den Schluû folgendermaûen: ¹Der Schluû ist die Darstellung des Begriffs in seinen Momenten. Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit sind darinnen sowo[h]l als Momente unterschieden, als auch die Extreme durch die Mitte, die ihre Einheit ist, zusammengeschlossenª.51 Im Schluû finden also die Begriffsbestimmungen ihre entsprechende Vermittlungsform: der Schluû hebt in seinem eigenen Inneren sowohl die Unmittelbarkeit des bestimmten Begriffs als auch die Trennung der Momente des Urteils, die nie ganz zur Einheit gebracht werden, auf.
Diese doppelte Aufgabe wird in dieser Jenaer Logik dem folgenden Abschnitt anvertraut, der der ¹Proportionª und besonders der Definition und der Division gewidmet ist. Aber nur in der Metaphysik manifestiert sich der Schluû als spekulative Form, wo er in der Lage ist, eine urspruÈngliche Einheit darzustellen, die sich durch eine AktivitaÈt des inneren Unterscheidens realisiert. Wie gezeigt wurde, ist dieser Gebrauch der Form des Schlusses fuÈr die Entfaltung der logisch-spekulativen Struktur der Selbstbestimmung des Ganzen hingegen in den Schriften von 1805±06 uÈber die Natur- und Geistesphilosophie auffindbar (vgl. S. Fuselli: La dottrina hegeliana del sillogismo. Genesi, sviluppo e significato È berblick auf die Entwicklung der speculativo. Diss. Perugia 1994±95. 187 ff). FuÈr einen U Theorie des Schlusses bei Hegel und fuÈr eine adaÈquate Bibliographie zum Thema vgl. jetzt Ders.: Forme della ragione. Modelli di razionalitaÁ nella dottrina hegeliana del sillogismo. Trento 2000. 50 Vgl. F. Chiereghin: La relazione del pensare (s. o. Anm. 32). 371±373. 51 Enc. Ns. 1808±09, § 60 (Ros., § 65). 49
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Die systematische Darstellung der Figuren des Schlusses ist in diesem EnzyklopaÈdiekurs auf das Wesentliche reduziert. Hegel fuÈhrt lediglich drei Figuren des Schlusses an, die sich hauptsaÈchlich wegen der Stellung der Mitte unterscheiden. Die Mitte ist demzufolge: 1. zuerst das Besondere, wie in der unmittelbarsten und bekanntesten Form des Schlusses (E-B-A);52 2. dann das Einzelne wie in dem Schluû der Induktion; 3. und letztendlich das Allgemeine wie in dem Schluû der Analogie. Hegel betont, daû, fuÈr sich betrachtet, jede dieser drei Figuren des Schlusses ihren zu leistenden Funktionen unangemessen ist, da sie die Bewegung der gegenseitigen Verbindung der Begriffsbestimmungen in der einseitigen und aÈuûerlichen Vermittlung von bloû einem ihrer Glieder herauskristallisiert. Insofern jede dieser Figuren die anderen beiden zu ihrer eigenen VervollstaÈndigung voraussetzt, stellen sie den Inhalt des Begriffs in einer angemessenen Form nur in ihrer Gemeinsamkeit dar. In dem Fragment Zur Lehre von den SchluÈssen, deren Abfassung laut der Herausgeber auf das Jahr 1809 zuruÈckgehen soll, organisiert Hegel die Darstellung der Figuren des Schlusses nach einem Ablauf des progressiven Reifens der begrifflichen VermittlungstaÈtigkeit, die von der Unmittelbarkeit des ¹Schlusses des Seinsª, in dem sich die Mitte ¹als ein drittesª, aÈuûeres Element gegenuÈber den Extremen zeigt, bis zur ¹absoluten Einheit des Inhalts und der Form und der Bewegungª reicht, die sich in den ¹SchluÈssen der Abstraktionª vollzieht.53 Auf die gleiche Weise, mit der Hegel die Kantische Urteilskraft zu einer spekulativen Progression in der Bestimmung der Subjekt-PraÈdikat-Beziehung ausarbeitet, arbeitet er in den Gymnasialkursen und besonders ab Beginn des Oberklassenkurses von 1809±10 die Abhandlung der Figuren des Schlusses als progressive Bestimmung der Beziehung zwischen der Mitte und den Extremen aus, wobei diese Beziehung als Prozeû der inneren Vermittlung der unterschiedenen Momente des Begriffs angesehen wird.54 Im Kurs fuÈr die Oberklasse von 1809±10 wird dies systeAuf diese erste und unmittelbarste Form des Schlusses fuÈhrt Hegel in diesem Kurs auch den mathematischen Schluû zuruÈck. Vgl. ebd., § 63 (Ros., § 68). 53 G. W. F. Hegel: Zur Lehre von den Schlu È ssen. In: Gesammelte Werke. Bd. 12. Hrsg. von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1981. 299±309 (= Von den SchluÈssen), hier 307±308. FuÈr die Probleme bezuÈglich der Datierung dieses Fragments vgl. F. Hogemann/W. Jaeschke: Editorischer Bericht. Ebd. 332±333. In diesem Fragment ist die dritte und letzte Art der SchluÈsse die der ¹AbstractionsSchluÈsseª (Schluû E-B-A, Schluû der Induktion, Schluû der Analogie). 54 Fu È r eine bestimmtere Darstellung der Entwicklung der Begriffs-, Urteils- und Schluûlehre in den NuÈrnberger Kursen verweise ich auf meinen Beitrag Verso la ,Scienza della logica`. Le lezioni di Hegel a Norimberga. Trento 2000. Abschn. V, Sekt. 5±7. 52
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matische Modell innerhalb einer Gliederung, die auf dem Modell der Unterteilung der Urteile beruht, erneut angefuÈhrt: SchluÈsse der QualitaÈt (EBA, AEB, BAE), SchluÈsse der QuantitaÈt (mathematischer, Schluû durch Induktion, Schluû durch Analogie), SchluÈsse der Relation (kategorischer, hypothetischer, disjunktiver).55 In dem Fragment Zur Lehre von den SchluÈssen ist das grundlegende Resultat der Abhandlung uÈber den Schluû in der ¹Herstellung der Vernunfteinheitª angezeigt.56 Die Abhandlung uÈber den Schluû fuÈhrt also zu einem fundamentalen Gewinn: Die Bewegung der Logik zeigt sich als Entwicklung57 der Form, die bei deren bestimmtem Inhalt einsetzt. Die Entwicklung der Abhandlung wird als eine progressive DeÈ uûerlichkeit der Form der Logikbewegung monstration der Nicht-A gegenuÈber ihrem Inhalt aufgefaût; das wird durch die Aufhebung des Formalismus ermoÈglicht, der die verstaÈndige Analyse der einzelnen Figuren des Begriffs, des Urteils und des Schlusses charakterisiert. Das, was hervortritt, ist die Manifestation des Fortschreitens des Elements der Logik als immanente Entwicklung und spontane Bewegung der inneren Spezifikation. Diese Bewegung befindet sich dort, wo kein bloûes È bergehen ins andere oder eine Entgegensetzung zwischen dem an sich U und dessen bestimmten Manifestationen stattfindet, sondern dort, wo jede Bestimmung eine innere Spezifikation des Ganzen darstellt. Jeder Moment druÈckt demnach in sich einheitlich die doppelte Bewegung der reinen VernuÈnftigkeit des Begriffs aus: das Sich-Spezifizieren des Allgemeinen im Einzelnen und das Sich-Zusammenfassen jeder bestimmten Einzelheit im Leben des Ganzen. Gerade deswegen bringt
55 Die Abhandlung u È ber die SchluÈsse zeigt eine sichtbare Asymmetrie gegenuÈber der Abhandlung uÈber die Urteile. Wahrend die Urteile in vier grundlegende Klassen unterteilt werden (QualitaÈt, QuantitaÈt, Relation und ModalitaÈt), die der Kantschen Tafel, wenn auch nicht der Reihe nach, entsprechen, fehlt den SchluÈssen die letzte Klasse. Im EnzyklopaÈdiekurs von 1808±09 hatte Hegel die Abhandlung der Urteile in drei Klassen unterteilt, wobei er die Darstellung der Urteile der Relation mit denen der ModalitaÈt verÈ berflochten hat. In diesem Kurs von 1809±10 bestaÈtigt Hegel in einer Reihe von U arbeitungen innerhalb und am Rand der diktierten Paragraphen, daû die Beziehungen der ¹MoÈglichkeit, RealitaÈt und Notwendigkeitª bereits innerhalb der SchluÈsse der Relation enthalten sind und also keine separate Abhandlung benoÈtigen. In Bezug auf die Abhandlung des hypothetischen und disjunktiven Schlusses schreibt Hegel am Textrand: ¹diese SchluÈsse an ihn[en] selbst die Beziehung des Begriffs und der Wirklichkeit sindª È berarb.). (Sub. Logik Nachs. 1809±10, § 60, Randnotiz, I. U 56 Von den Schlu È ssen, 307. Hegels Verpflichtung gegenuÈber den Kantischen Untersuchungen uÈber die syllogistische Natur der Vernunft ist umfassend dokumentiert. Vgl. im bes. L. Scaravelli: Giudizio e sillogismo in Kant e in Hegel. Hrsg. von M. Corsi. Roma 1976. 57 Ebd., 306.
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die Behandlung des Schlusses die Form der Bewegung der Vernunft hervor. ¹Schluû ist Vernunftª, schreibt Hegel und erklaÈrt: ¹Die Bewegung des Schlusses hat zum Resultate: die Herstellung der Vernunfteinheit, d. h. die reine Begriffsbestimmung, die ebensosehr subjectiv als objektiv istª.58 Die objektive Bestimmung des Schlusses: der ¹Teleologische Schluûª Die Thematisierung des Begriffs ¹Zweckª, der aus der Abhandlung des Schlusses in der EnzyklopaÈdie von 1808±09 als ¹der reale, und sich selbst realisirende Begriffª59 hervorgeht, stellt die erste Form der AusÈ bergangs von der Abhandlung der ¹subjektiven Forarbeitung des U men der Erkenntnisª (Begriff, Urteil und Schluû) zur Ideenlehre dar. Hegel betont, daû die einem Zweck gemaÈûe TaÈtigkeit sich nach drei grundlegenden Momenten vollzieht: der subjektive Zweck, die TaÈtigkeit der Realisierung und der realisierte Zweck.60 GewoÈhnlich werden diese drei Momente als sich untereinander aÈuûerlich bleibend, wie drei verschiedene Elemente dargestellt, die in ihrer Gemeinsamkeit das Ganze jeder zweckgerichteten Operation wiedergeben. In seinem Ganzen spekulativ betrachtet, spiegelt der Zweck in sich aber eine aÈhnliche logische Struktur wie die der Abhandlung des Schlusses wieder; so wie die drei grundlegenden Figuren des Schlusses einen ¹Kreis der gegenseitigen Voraussetzungª61 ausmachen, so stellen das subjektive Ersinnen eines Zwecks, seine objektive Realisierung und der realisierte Zweck (der produzierte Gegenstand) SchluÈsse dar, die den Begriff ¹als Ganzes, wie in seinen Theilenª in ihrer gegenseitigen Implikation zeigen.62
Ebd., 307. Enc. Ns. 1808±09, § 73 (Ros., § 78). 60 Vgl. ebd., §§ 73±75 (Ros., § 78±80). 61 Vgl. ebd., § 71 (Ros., § 76). Wie wir bereits unterstrichen haben, organisiert Hegel innerhalb des Kurses uÈber die Philosophische EnzyklopaÈdie von 1808±09 die Abhandlung uÈber den Schluû, um zu zeigen, wie jede der drei fundamentalen Figuren (EBA, AEB, EAB) nur durch die Vermittlung der anderen beiden aufgestellt ist. Jeder Moment manifestiert so in sich den ganzen Begriff, insofern er von Mal zu Mal die Funktion der Mitte oder die eines der Extreme des Schlusses ausuÈbt. Zusammengenommen zeigen diese Figuren vollkommen, wenn auch vom subjektiven Standpunkt, eine Bewegung der vollstaÈndigen und wechselseitigen Vermittlung der Begriffsmomente. 62 Vgl. ebd., § 73 (Ros., § 78). U. Rameil hat unterstrichen, wie diese Struktur des Schlusses an der Basis der Abhandlung uÈber die ¹Teleologieª in der Wissenschaft der Logik 58 59
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Der Zweck realisiert also die Struktur des Begriffs als kreisfoÈrmige Bewegung der ¹gegenseitigen Voraussetzungª seiner Momente. Insbesondere zeigt der Zweck das Ganze des Begriffs in seiner objektiven Realisierung, insofern der subjektive Zweck ¹zum auûer sich Gehen, zum Daseyn treibtª;63 in dieser Bewegung der VeraÈuûerlichung verliert sich der subjektive Zweck nicht, sondern erfindet sich selbst ¹in seinem Andersseynª, d. h. im Gegenstand.64 Gerade deswegen zeigt der Zweck den Begriff nicht mehr als eine Bestimmung, die auf abstrakte Weise der ObjektivitaÈt entgegengesetzt ist, sondern als den ¹reale[n], und sich selbst realisirende[n] Begriffª.65 Vom Standpunkt der Evolution der Hegelschen Logik hat die EinfuÈhrung des Zweckbegriffs in den EnzyklopaÈdiekurs von 1808±09 eine katalysierende Wirkung auf die Entwicklung der Logik: auch wenn seine eigene Darstellung keine radikalen VeraÈnderungen erfaÈhrt, so wird doch eine Kettenreaktion im letzten Teil der Logik provoziert. Der Zweck, den Hegel als Begriff der Verbindung zwischen der formellen Logik (Begriff, Urteil und Schluû) und der Ideenlehre gewaÈhlt hat, fuÈhrt in den logisch-spekulativen Weg eine wesentliche Bestimmung ein: er stellt eine subjektive Bestimmung dar, die in sich ein rein logisches Streben ausdruÈckt, welches sich aÈuûern, die Dimension des subjektiven Ersinnens uÈbersteigen und sich selbst in der ObjektivitaÈt realisieren will. Dieser Begriff bringt ein komplexes System der Bestimmungen zum Vorschein, die sowohl den Grad der Immanenz der VermittlungstaÈtigkeit gegenuÈber den hier bedeutenden Elementen (subjektiver Zweck, Mittel und Endprodukt) als auch den Grad der SelbststaÈndigkeit der TaÈtigkeit als solcher (ihre UnabhaÈngigkeit aufgrund von aÈuûeren und zufaÈlligen Faktoren ihrer Verwirklichung) betrachten. In dem Moment, in dem Hegel eine spezifische Abhandlung uÈber den Begriff des Zwecks in die Logik einfuÈhrt, wird er sich bewuût, daû dieses komplexe System der Bestimmungen notwendigerweise bis ins Detail ausgefuÈhrt und erlaÈutert werden muû, und zwar ruÈckwaÈrts, in Bezug auf die formelle Bestimmung des Schlusses, als auch vorwaÈrts, gegenuÈber der Struktur der inneren ZeckmaÈûigkeit, die erst von der ¹Idee des Lebensª ausgedruÈckt wird. È bergang (s. o. Anm. 33). und in der EnzyklopaÈdie bleibt. Vgl. U. Rameil: Der teleologische U 174±175. 63 Enc. Nachs. 1808±09, § 73 (Ros., § 78). 64 Ebd., § 75 (Ros., § 80). 65 Ebd., § 73 (Ros., § 78).
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Ab Beginn des Oberklassenkurses von 1809±10: die neue Auffassung von der ¹subjektiven Logikª Unter den VeraÈnderungen, die das ¹System der Logikª in diesen Jahren erfaÈhrt, bezieht sich die auffaÈlligste sicherlich auf das Ende: die Abhandlung uÈber die subjektive Logik, die in den ersten NuÈrnberger Kursen den Figuren des Begriffs, des Urteils und des Schlusses gewidmet ist, enthaÈlt von 1809±10 an auch die Ideenlehre. Auf der anderen Seite ist bereits im Gymnasialunterricht von 1808±09 und in dem Fragment Zur Lehre von den SchluÈssen (1809) klar hervorgegangen, wie die Abhandlung uÈber den Begriff, das Urteil und den Schluû gegenuÈber der objektiven Logik spekulative Errungenschaften in die subjektive Logik einfuÈhrt, die auch fuÈr die Ideenlehre von Bedeutung sind. Vor allem hat Hegel in den ersten Gymnasialkursen deutlich gemacht, daû die Bestimmungen der subjektiven Logik die rationale Einheit des Begriffs zu Grunde liegen haben: sie stellen sich nicht mehr als verschiedene Bestimmungen dar, deren Einheit nur durch die BeweÈ bergangs oder aus ihrem Hervorbringen oder Wirken hergung ihres U vorgeht,66 sondern sie sind immanente Unterscheidungen oder Momente, die in ihrem Bestimmtsein unmittelbar in ihrer Einheit zusammengefaût sind Im Mittelklassenkurs hat Hegel auûerdem verdeutlicht, daû, sobald die Struktur des Urteils die Bewegung der inneren Dialektik der Begriffsbestimmungen initiiert, das Fortschreiten im ¹Gebiet der È bereinstimmung des Wahrheitª oder der Verwirklichung der inneren U 67 Begriffs mit seinem Dasein beginnt. In dem Fragment Zur Lehre von den SchluÈssen (1809) hat Hegel letztendlich unterstrichen, wie durch die Abhandlung uÈber die SchluÈsse die Form der rationalen Einheit zu reifen beginnt und die Bewegung der Logikbestimmungen sich als eine Entwicklung darstellt. Die subjektive Logik stellt sich also als die SphaÈre der rationalen Einheit des Begriffs in einem dreifachen Sinne dar: insofern sie die ¹einfache Einheitª des Begriffs in seinen unterschiedlichen Bestimmungen zu Grunde liegen hat; insofern sie die Einheit des Begriffs und seines DaVgl. Enc. Nachs. 1808±09, § 72 (Ros. § 77). È ber[ein]st[immung] des Begr[iffs] mit seiner Gegen¹. . . die Wahrheit ist U staÈndlichkeit, und im Urtheil faÈngt diese Darstellung des Begriffs in seiner GegenstaÈndlichkeit, somit das Gebiet der Wahrheit anª (Geisteslehre Ms. 1808±09, § [97]). Vgl. dazu K. DuÈsing: Ein Entwurf Hegels zur Urteilslogik. In: Hegel-Studien. 13 (1978), 9±15, hier 14. 66 67
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seins darstellt und insofern sie sich in der Einheit der Form und des Inhalts der Logik entwickelt. Diese grundlegenden, spekulativen Bestimmungen, die jeweils aus dem Begriff, dem Urteil und dem Schluû hervorgehen, sind auf der anderen Seite nur von der Ideenlehre vollkommen realisiert. Bereits im EnzyklopaÈdiekurs von 1808±09 wird die Idee als die vollkommene Manifestation der rationalen Einheit des Begriffs dargestellt: ¹Die Idee ist der adaÈquate Begriff, in welchem die ObjektivitaÈt der SubjektivitaÈt gleich ist, oder das Daseyn dem Begriffe, als solchem, entsprichtª.68 Obwohl es die allgemeine Unterteilung der Logik (in die Logik des objektiven, des subjektiven und der Idee) vermuten laÈût, ist die Idee nicht als eine Art von drittem Element zu verstehen, das unabhaÈngig und aÈuûerlich gegenuÈber der Entgegensetzung Subjekt-ObÈ bereinjekt ist und von welchem die mehr oder weniger bestehende U stimmung des Erkenntnisinhaltes gegenuÈber dem erkannten Gegenstand beurteilt werden kann. Die Idee druÈckt vielmehr die rationale, einheitliche Grundlage der Entgegensetzung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Objekt sowie die der Entgegensetzung zwischen dem Begriff und seinem Dasein aus. Ferner druÈckt die Idee die authentische Struktur der SubjektivitaÈt aus. Bereits in ihrer unmittelbarsten Form der Manifestation, als Idee des Lebens, zeigt die Idee die logisch-spekulative Struktur eines Systems von Momenten, das sich durch seine spontane AktivitaÈt auszeichnet, die in sich reflektiert ist und sich selbst zum Zweck hat. Dieser Struktur gibt Hegel den Namen ¹einfache Formª oder ¹das Subjektiveª.69 Der Ausdruck ¹Subjektª ist hier nicht mit der Mangelhaftigkeit behaftet, die das formelle und aÈuûerliche Vorgehen des Begriffs, des Urteils und des formellen und teleologischen Schlusses auszeichnete. Die lebendige Vereinigung des Subjekts und des Objekts ist nicht nur das Ergebnis der Vermittlung einer gegebenen Vielheit aus unabhaÈngigen Elementen und auch nicht die objektive Verwirklichung eines subjektiven Zwecks in ein Produkt, das etwas Anderes ist. Das Leben druÈckt vielmehr eine TaÈtigkeit der immanenten Anpassung der SubjektivitaÈt und der ObjektivitaÈt aus. Die subjektive Form des Lebendigen existiert bereits als ein Dasein, das dem eigenen Begriff entspricht und von sich aus die eigene Beziehung mit der ObjektivitaÈt an sich und fuÈr sich herstellt. 68 69
Enc. Nachs. 1808±09, § 79 (Ros. § 84). Ebd., §§ 85±86 (Ros., §§ 90±91).
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Als Hegel im Oberklassenkurs von 1809±10 erneut die subjektive Logik unterrichten muû, benutzt er dazu nicht den EnzyklopaÈdiekurs des Vorjahrs, den er in der letzten Klasse abhandelte und der immerhin eine vollstaÈndige Abhandlung uÈber den letzten Teil der Logik darstellte. Er bevorzugt hingegen, von der unvollstaÈndigen Abfassung der subjektiven Logik auszugehen, welche bereits im Jahr zuvor denselben SchuÈlern (jedoch in der Mittelklasse) innerhalb des Kurses uÈber die Geisteslehre vorgestellt wurde. Er gebraucht deswegen aufs Neue ein Heft mit den Diktaten dieses Kurses und nimmt sofort eine erste wichtige VeraÈnderung des Systems vor. Nach dem allgemeinen Titel ¹Subjektive Logikª fuÈhrt Hegel den Titel eines neuen Kapitels ein: ¹I. Begriffslehreª, welche die Abschnitte umfaût, die dem Begriff, dem Urteil und dem Schluû (die vorher die gesamte subjektive Logik darstellten) gewidmet sind. Diesem folgt das Kapitel ¹II. Ideenlehreª. Es È bergang: von jetzt an wird handelt sich dabei um einen wesentlichen U der subjektive Teil der Logik nicht nur die Inhalte der formellen Logik, sondern auch die Abhandlung uÈber die Idee enthalten. Zu Beginn dieser neu konzipierten subjektiven Logik schreibt Hegel: ¹Die objektive Logik ist die Wissenschaft des Begrifs an sich oder der Kategorien. Die subjektive Logik, welche hier abgehandelt wird, ist die Wissenschaft des Begrifs als Begrifs oder des Begrifs von Etwas. Die subjektive Logik theilt sich in 2. Theile: Begrifs- und Ideenlehreª.70 Hegel zeigt, wie das Problem der Unterteilung der Logik sich wesentlich auf die Struktur des ¹Begriffsª bezieht. Die Unterscheidung zwischen objektiver Logik und subjektiver Logik bezieht sich also nicht auf die Unterscheidung verschiedener Arten von Bestimmungen der Logik. Hegel legt hingegen der Organisation des Logiksystems eine dem Begriff selbst innere Unterscheidung zu Grunde: die objektive Logik ist Wissenschaft der unmittelbarsten Bestimmungen des Begriffs oder des Sub. Logik Ns. 1809±10, § 1. GegenuÈber diesem Diktat stellen die Originalnotizen von Hegel einen Unterschied dar. So schrieb Hegel: ¹(§ 1) Die objective Logik ist die Wissenschaft der Begriff an sich oder der Kategorien; die subjective Logik die Wissenschaft der Begriffe als Begriffe oder der Begriffe von Etwasª (Geisteslehre Nachs. 1808±09, Notizen Hegels von 1809±10, am Rand des Anfangs der subjektiven Logik). Beim Diktieren des Anfangsparagraphen der Logik korrigiert er also seine Notizen, und definiert die objektive Logik als Wissenschaft des ¹Begriffs an sichª. Es ist tatsaÈchlich unangemessen, von mehreren ¹Begriffenª zu sprechen, insofern der Begriff die TaÈtigkeit der Manifestation des Denkens in seiner rein vernuÈnftigen Form ist. Der Begriff ist fuÈr Hegel nicht nur ein bestimmtes Ganzes, sondern das Ganze in seiner vollendeten Bestimmung. Etwas aÈhnliches betrifft Hegels Schwankungen bei der Betitelung der Ideenlehre in den NuÈrnberger Kursen. 70
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Begriffs, so wie er ¹an sichª ist, durch die spekulative Abhandlung uÈber die sogenannten ¹Kategorienª; die subjektive Logik hingegen stellt den Begriff ¹als Begriffª dar. Wenn in der objektiven Logik der Begriff sich lediglich als Grundlage zeigt, die sich erst durch das Anderswerden und È uûerung, Wirkung erkennen laÈût, so zeigt sich in der die Erscheinung, A subjektiven Logik hingegen jede Bestimmung unmittelbar als innere Unterscheidung des Begriffs. Jede Bestimmung des Begriffs realisiert sich also nicht, indem sie auf etwas anderes oder auf eine entgegengesetzte Bestimmung verweist: jede Bestimmung druÈckt sich jetzt unmittelbar wie eine Bewegung der Vereinzelung des Begriffs aus, welcher in seinen Bestimmungen als deren einfache Einheit bleibt. Die subjektive Logik zeigt uÈberdies den Begriff nicht als bloûe ¹Kategorieª, sondern als ¹Begriff von etwasª. Dazu bemerkt Hegel: ¹[Der] Begriff wird unterschieden von der Sache; durch diesen Unterschied ist er Begriff als Begriffª.71 Das Denken identifiziert sich hier nicht mehr unmittelbar mit einer Kategorie oder mit mehreren entgegengesetzten Kategorien, gegenuÈber denen die dynamische Einheit des Begriffs etwas Inneres und Unentwickeltes bleibt. In der subjektiven Logik realisiert sich die authentische, dem Denken innere Dialektik zwischen dem objektiven Inhalt (der Sache) und seiner formellen Bestimmung (dem Begriff). Die ¹Sacheª ist nichts auûerhalb des Begriffs, und der Begriff stellt deren vollendete Manifestation dar: dieser ist ¹die Bestimmtheit, welche die verschiedenen Bestimmungen einer Sache als [deren] Einheit in sich befasstª.72 Jede Bestimmung der subjektiven Logik stellt sich also als ein immanenter Moment der kreisfoÈrmigen Bewegung des Denkens dar, die in nichts anderes uÈbergeht und sich auch nicht in einer aÈuûeren Entgegensetzung festsetzt; es ist eine Bewegung, die Hegel als ein Flieûen definiert: ¹Aus dem Begr[iff] [eine]r Sache muÈssen alle Bestimmungen derselben flieûenª.73 Der Begriff ist also eine dynamische Einheit, eine Struktur der Logik, die sich als perfektes Flieûen und als FaÈhigkeit, den Entwicklungsprozeû der Sache in der Auswahl ihrer Bestimmungen zu verfolgen, manifestiert. Gleichzeitig gilt folgendes: ¹Diese Vermittlung des Begriffs mit sich selbst . . . ist nicht nur ein Gang des subjektiven Erkennens, sondern eben so sehr die eigene Bewegung der Sache Geisteslehre Nachs. 1808±09, Notiz Hegels von 1809±10, am Rand des § 84 der Nachschrift. 72 Ebd., Anmerkung zum § 84. 73 Ebd. 71
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selbstª.74 Von Beginn des Oberklassenkurses von 1809±10 wird also der allgemeine Charakter der subjektiven Logik, der die Bewegung der Selbstmanifestation des Begriffs als eine immanente Entwicklung zeigt, als Schluûstein der gesamten logisch-spekulativen Bewegung, die sich von der Abhandlung uÈber den Begriff, das Urteil und den Schluû bis zur absoluten Idee vollzieht, ans Licht gebracht. Gleichzeitig wird die Gesamtheit der Logik als Wissenschaft von dem Begriff aufgefaût: der Begriff ist also der einzige Inhalt und gleichzeitig das einzige Subjekt der spekulativen Logik. Die Logik wird als ein ununterbrochener Weg dargestellt, durch welchen der Begriff von seiner unmittelbaren Bestimmung zu seiner vollen Manifestation als absolutes ¹Wissenª oder ¹philosophische Wahrheitª gelangt.75 Innerhalb von diesem logischÈ bergang spekulativen Prozeû zeigt sich ein Moment des Bruches beim U von der objektiven Logik zur subjektiven Logik; aber auch dieser È bergang erweist sich als innere Unterscheidung desselben scheinbare U È bergang von dem ¹Begriff an sichª zu dem Begriffs, insofern er sich als U ¹Begriff als solchenª und damit als ein zu sich ZuruÈckkehren des Begriffs darstellt. È bersetzung aus dem Italienischen von Vicki MuÈller-LuÈneschloû U
74 75
È berarbeit.). Sub. Logik Ns. 1809±10, § 113 (I. U Vgl. ebd., § 109
È GGELER (BOCHUM) OTTO PO
HEGEL U N D D I E S A M M L U N G B O I S S E R EÂ E Sulpiz und Melchior Boisserée, die nachgeborenen KoÈlner KaufmannssoÈhne, hatten in Johann Baptist Bertram einen privatisierenden Intellektuellen gefunden, der ihnen die zugespitzten und gewagten neuen Theorien des AthenaÈums nahebrachte. Paris, wo Napoleon seinen Kunstraub zeigte, war dann statt des niedergehenden Jena das Ziel einer groûen Bildungsreise; hier bekamen die drei den Schlegelianismus durch Friedrich Schlegel persoÈnlich in einer neuen Wendung auseinandergelegt. Als die BruÈder in ihre Heimatstadt zuruÈckgekehrt waren, wagten sie ihrerseits etwas Neues: sie sammelten die niederrheinisch-flaÈmischen Bilder, die in der SaÈkularisierung der Kirchen und KloÈster heimatlos wurden. So bauten sie, nicht ohne kaufmaÈnnische TuÈchtigkeit, als Private ein Kunstimperium auf, das die neu entstehenden Institutionen von Museum und kunsthistorischer Forschung praÈgen sollte. Das zweite groûe Unternehmen war die Rettung und Fertigstellung des KoÈlner Domes; doch 1810 verlieûen die drei KoÈln, um in der aufbluÈhenden UniversitaÈtsstadt Heidelberg ihr GluÈck zu suchen. Dort hatten Brentano und von Arnim ihre Volksliedsammlung herausgebracht; Görres und Creuzer fuÈhrten in die Geschichte der Mythologie ein, und der Jurist Thibaut muÈhte sich um die alte Musik. In dem einstigen Palais Sickingen konnte das ¹Kleeblattª schlieûlich auch seine Bilder zeigen und dabei die Gunst der Stunde nutzen. Lieûen sich diese Zeugnisse der christlichen Geschichte Europas nicht verbinden mit dem Patriotismus der Freiheitskriege, der die Deutschen in eine neue Zukunft fuÈhren sollte? Das Hauptquartier der Alliierten war zeitweise in Heidelberg, und so waren der Kaiser È sterreich, der Zar von Ruûland und der KoÈnig von Preuûen unter von O den vielen Besuchern. Durch geschicktes Taktieren vermochte Sulpiz es sogar, Goethe nach Heidelberg zu locken, und so konnte er denn triumphierend melden, daû auch der ¹alte HeidenkoÈnig dem deutschen Christkindª
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habe huldigen muÈssen.1 Muûte es nicht uÈberraschen, daû Goethe bald recht schroff Stellung nahm gegen jeden ¹neudeutschenª Versuch, die Kunst der Gegenwart an den alten Bildern zu orientieren? Man darf aber nicht verkennen, daû die Bilder in Heidelberg mit voÈllig neuen Augen gesehen werden konnten. In KoÈln hatten die Menschen vor den alten Altartafeln noch knien muÈssen, und so hatten die BruÈder dort È ber Heidelberg war einst keine Chancen mit ihrer TroÈdelware gehabt. U der Bildersturm hinweggegangen, als das Land sich der reformierten Konfession anschloû; die alten Bilder wurden neu entdeckt als etwas Unbekanntes und Fremdes. Dabei wurden die Bilder aus ihrer einstigen kultisch-kirchlichen Verwurzelung geloÈst und in einer abgehobenen Weise ¹aÈsthetischª als ¹Kunstª gesehen; indem sie im Zusammenhang ihrer Geschichte historisch erforscht wurden, konnten sie den Bildungshorizont der Menschen umformen. Wieweit sie unmittelbar in das Leben der Menschen noch eingreifen konnten, blieb eine offene Frage. NatuÈrlich war unter den Besuchern auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der ja fuÈr die zwei Jahre vom Herbst 1816 bis Herbst 1818 als Philosoph nach Heidelberg geholt worden war. Sulpiz Boisserée hatte am Zustandekommen des Rufes sogar groûen Anteil, und er gehoÈrte zu È bergang in die Jahre jenen, die dem Napoleonverehrer Hegel den U nach den Befreiungskriegen erleichterten und ihm uÈberhaupt eine andere Welt altdeutscher, auch katholisch gepraÈgter Tradition nahebrachten. Es ist kein Zweifel, daû Hegel durch die Bildersammlung ganz persoÈnlich angesprochen worden ist. So hat er am 3. Oktober 1822 aus KoÈln seiner Frau gemeldet, er habe bei Wallraf das Pendant zu jenem Bild ¹Tod der Mariaª gesehen, das Boisserée gehoÈre und das seine Frau ¹gleichfalls immer so sehr geliebtª habe.2 Gegen die Nachfolger Winckelmanns konnte Hegel deshalb auch in seinen Vorlesungen uÈber die Philosophie der Kunst geltend machen, daû die Malerei unmittelbarer zu unseren Herzen spricht als die Plastik, die uns eher kalt lasse. Auf den Reisen, die Hegel von Berlin aus in die Nie-
Vgl. Sulpiz BoissereÂe: Briefwechsel/TagebuÈcher. Stuttgart 1862, Neudruck GoÈttingen 1970. Bd 1. 229. ± Vgl. dazu: Kunst als Kulturgut. Die Bildersammlung der BruÈder BoissereÂe ± ein Schritt in der BegruÈndung des Museums. Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert und Otto PoÈggeler. Bonn 1995. 2 Hegels Briefe werden zitiert mit Datumsangaben nach: Briefe von und an Hegel. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1952 ff.; Band 4,1 und 4,2 hrsg. von Friedhelm NiÈ ber Hegels Reisen vgl. den Ausstellungskatalog: Hegel colin. Hamburg 1977 und 1981. ± U È sthetik. Hrsg. von Otto PoÈggeler in Berlin. Preuûische Kulturpolitik und idealistische A u. a. Berlin 1981. 1
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derlande und nach Paris unternahm, war das, was Hegel bei den Boisserées schon gesehen hatte, ein wichtiger Wegweiser. Hegels einstiger Jenaer SchuÈler van Ghert konnte sich in BruÈssel nur wundern, wie Hegel nun auf die ¹Hemmlingeª (also die Bilder Memlings) erpicht war.3 Muûte die Aufgabe und die Geschichte der Malerei nicht ganz neu gesehen werden? Als Hegel nach den zwei Heidelberger Jahren nach Berlin ging, nahm er ± nach einer Familientradition ± als Abschiedsgeschenk ein Heidelberg-Bild des Malers Johann Christian Koester mit, der bei den Boisserées als Restaurator arbeitete. Sulpiz Boisserée trug am 9. MaÈrz 1818 in sein Tagebuch ein: ¹Köster huÈbsche Landschaft vom Schloûª. Diese Notiz kann auch auf andere Heidelberg-Bilder Koesters zielen; wahrscheinlich jedoch ist unser Bild gemeint. Die Vermutung ist nicht abwegig, daû Boisserée das Geschenk an Hegel veranlaût hat. Man wird wohl auch annehmen duÈrfen, daû das Bild einen bevorzugten Platz in Hegels Berliner Wohnung gehabt hat. (Es kam dann 1967 uÈber den Kunsthandel aus dem Besitz von Nachkommen Hegels in das KurpfaÈlzische Museum Heidelberg.) Vielleicht kann Koesters Bild uns etwas uÈber den groÈûeren geschichtlichen Rahmen sagen, in dem Hegel die Sammlung Boisserée sah. In einem zweiten Schritt wird dann darauf verwiesen, daû Sulpiz Boisserée Hegel nicht nur mit seinen Sammlerinteressen entgegentrat. Der dritte Teil des Beitrags soll von der Bedeutsamkeit sprechen, die die Boisseréesche Sammlung fuÈr Hegels Philosophie der Kunst gewann. I. Koesters Heidelberg-Bild Heidelberg war die Stadt einer groûen Vergangenheit, einst Sitz des vornehmsten deutschen FuÈrstengeschlechts! Der KurfuÈrst von der Pfalz, legendaÈr bis ins Volkslied, war der Erztruchseû des Reiches, bei Abwesenheit des Kaisers dessen Stellvertreter. So gab Sebastian Münster in seiner Weltbeschreibung 1544 allein der Ansicht dieser Stadt ein uÈbergroûes Format. Auch Matthäus Merian folgte noch der Blickweise MuÈnsters, wenn er uÈber der Stadt das maÈchtig thronende Schloû aufragen lieû. Inzwischen repraÈsentierte Heidelberg und sein Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. von GuÈnther Nicolin. Hamburg 1970. 509. ± Zu BoissereÂes TagebuÈchern vgl. jetzt Sulpiz BoissereÂe: TagebuÈcher 1808±1854. Hrsg. von Hans-J. Weitz. Darmstadt 1978±1995. 3
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KurfuÈrstentum (etwa mit dem ¹Heidelberger Katechismusª) den deutschen Protestantismus, doch im Erscheinungsjahr dieses Kupferstichs (1620) verlor KurfuÈrst Friedrich V. nach dem Griff zur boÈhmischen KoÈnigskrone nicht nur die angemaûte neue Herrschaft; der DreiûigjaÈhrige Krieg brachte auch der Pfalz die ZerstoÈrung, die dann durch die Erbfolgekriege Ludwig XIV. vollendet wurde. Maler wie der Schotte Wallis konnten auch um 1800 noch der alten Perspektive folgen. Die heroische Landschaft, wie Joseph Anton Koch sie von Rom aus entwickelte, lieû sich mit Heidelberg verbinden.4 Heidelberg war und blieb ein Urbild der alteuropaÈischen Stadt: der wegeilende Fluû ermoÈglicht mit der Furt und spaÈter mit der BruÈcke die Stadt als einen Ort des Verweilens; die Stadt mit Kirchen und Schulen wird uÈberragt vom Schloû. Hegel kannte diesen Dreiklang von TuÈbingen, dann von NuÈrnberg her; er sollte ihm spaÈter zum Beispiel im vielgestaltigen Prag neu begegnen. Doch die Herrschaft, die einst festgemacht worden war an Burg und Schloû, gehoÈrte in allen FaÈllen der Vergangenheit an; so zerfielen die Burgen und SchloÈsser auf den Bergen. Hegel hat zwar teilgenommen an der Neuentdeckung der gotischen Kathedrale durch den jungen Goethe und die Romantik; den Burgen und SchloÈssern hat er ein gleiches architektonisches Interesse nicht entgegengebracht. NuÈrnbergs Burg zum Beispiel blieb fuÈr ihn ein unfoÈrmliches Gebilde. Hölderlins Heidelberg-Gedicht aber zeigt, daû die Jugend gerade in einer kritischen Lebenssituation dem alten UrphaÈnomen, das Fluû, Stadt und Schloû verbindet, neue Lebendigkeit abzugewinnen vermochte: Der Fluû eilt in die Ferne, die Wasser zuruÈckbringend zum Meer, die Sehnsucht der Jugend, die die moÈgliche FuÈlle und die schmerzliche Begrenzung des Lebens erfaÈhrt, haÈlt sich fest am ruhigen Verweilen der Stadt und laÈût sich mahnen durch das zerstoÈrte Riesenbild des Schlosses am Berg.5 Friedrich Rottmann, dazu vor allem sein Sohn Carl und seine SchuÈler Carl Phillipp Fohr und Ernst Fries haben in den Jahren nach 1800 Heidelberg in neuer Weise von Osten her entdeckt und diese Perspektive als die maûgebliche durchgesetzt. Sie folgten dabei dem 4 Vgl. Jens Christian Jensen: Heidelberg in der Bildkunst um 1800. In: Heidelberg im sa È kularen Umbruch. Hrsg. von Friedrich Strack. Stuttgart 1987. 360 ff. 5 Ho Èlderlins Begegnung mit Heidelberg blieb Hegel fremd; das zerstoÈrte Schloû war fuÈr ihn auch kein Aufruf zum Widerstand gegen Frankreich. Heidelberg war fuÈr Hegel die badische UniversitaÈtsstadt mit bedeutenden Gelehrten. Vgl. Otto PoÈggeler: Hegel und Heidelberg. In: Hegel-Studien. 6 (1971), 65±133; ferner Friedhelm Nicolin: Hegel als Professor in Heidelberg. In: Hegel-Studien 2 (1963), 71±98.
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Bildschema, in dem ein Vordergrund den Blick auf eine ¹ideale Landschaftª mit antiken Ruinen, mit Fluû und Berg und mit dem einfachen Wohnen der Menschen freigibt. Die Umwandlung des Bildschemas konnte Impulse aus dem neuen Heidelberger UniversitaÈtsleben aufnehmen. Der alte Blick von Osten auf das Schloû war verschwunden: es gab nicht mehr das Weltwunder des Hortus palatinus; Schloûberg und Gaisberg hatten sich bewaldet, und in diesem Wald, der uÈberdauernden Natur, versanken die Ruinen des Schlosses und mit ihm eine Vergangenheit, die noch einmal im Bild beschworen wurde. In Heidelberg konnte man sich mit dem Grafen Graimberg denkmalpflegerisch den Ruinen des Schlosses zuwenden; doch eine groûe Konzeption zum Wiederaufbau gab es hier nicht (allenfalls AnsaÈtze dazu in einem Streit des spaÈten 19. Jahrhunderts). In KoÈln suchte man mit dem Weiterbau des Domes die KontinuitaÈt christlich-europaÈischer Geschichte zuruÈckzugewinnen; das Heidelberger Schloû gehoÈrte nicht zu der damals ausgezeichneten Gotik, fuÈgte sich aber auch nicht den antiken Ruinen der idealen Landschaften aus Italien ein. In Worten konnte die Ruine auch als Rachedrohung gegen das eroberungssuÈchtige Frankreich beschworen werden; fuÈr den historisch und aÈsthetisch gebildeten Blick zeigte es die Vielfalt des alten roÈmischen Reiches deutscher Nation und gewann im Verfall eher noch an beeindrukkender SchoÈnheit. Zum Schloû, das im Wald versank, kam der Fluû, der mit einem geschwungenen Bogen in die Ferne eilte, dazu die BruÈcke und schlieûlich die Stadt selbst, in deren alte HaÈuser die UniversitaÈt und auch das burschenschaftliche Treiben neues Leben gebracht hatten. Die Reform der UniversitaÈt geschah aber im badischen Groûherzogtum, und so war auch auf diese Weise klargestellt, daû die KontinuitaÈt mit dem Alten, die pfaÈlzische Geschichte, endguÈltig abgebrochen war. Nur uÈber einen solchen Bruch hinweg konnten Clemens Brentano und Achim von Arnim sich den halb schon vergessenen Volksliedern zuwenden, die BruÈder Broisserée ihren Bildersaal aufbauen. Der Jurist Thibaut konnte seinen Singverein bilden. Gelehrte wie Görres und Creuzer konnten Mythen und VolksbuÈcher neu verlebendigen. Alle diese Impulse schwangen in den neuen Bildern mit und brachten neue Akzente in das alte Heidelberg-Bild, das als die am meisten gemalte deutsche Vedute nur hinter den Bildern von Rom und Venedig zuruÈckstehen muû. Wenige Jahrzehnte spaÈter war diese Stunde des Einklangs von Leben und Kunst vorbei; die Ansichtskartenwelt toÈtete die kuÈnstlerischen Motive, doch die touristische AttraktivitaÈt bewahrte Heidel-
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berg im letzten Kriege vor jeder ZerstoÈrung als den ausgewaÈhlten Standort eines amerikanischen Hauptquartiers. Christian Philipp Koester (1784±1851) war zehn bis fuÈnfzehn Jahre aÈlter als Carl Rottmann, Fohr und Fries.6 Nach dem Studium auf der Kunstakademie in MuÈnchen konnte er in Heidelberg bei dem UniversitaÈtsdozenten Kaiser selbst eine Vorlesung uÈber den Oedipus des Sophokles hoÈren. In Rom war er Musiklehrer der ToÈchter der Familie Humboldt. Als er zuruÈck war in Heidelberg, konnte er die Freundschaft der BruÈder Boisserée gewinnen. Er restaurierte und kopierte die alten Bilder, doch fuÈr das colorierte Kupfer der Veronika muûte man 1816 Christian Xeller von Frankfurt am Main kommen lassen. Sulpiz Boisserée konnte eine Tasche mit Divan-Motiven, von Koester beschrieben, an Goethe senden; an diesen ¹Versuchen einer goldenen Schreibkunst und Symbolikª sei Koester als KuÈnstler, er selbst als Mystiker beteiligt. Koester und seine Schwester waren seit 1814 Mitglieder von Thibauts Singverein; ja, Koester dirigierte den Chor mit einer Papprolle, waÈhrend Thibaut am Klavier begleitete. Koester konnte sich 1823 von der dunklen SchoÈnheit der Peregrina Mörikes betroffen machen lassen, als diese zeitweise in Heidelberg auftauchte. Er folgte 1824 Schlesinger, der dann Koesters Schwester heiratete, als Restaurator nach Berlin und gewann auch Keller fuÈr diese Arbeit. Doch blieb Berlin fuÈr Koester ein Intermezzo. Als Schlesinger seinen Freund und Schwager 1827 malte, zeigte er ihn auf dem Altan des Heidelberger Schlosses (aber so, daû das schwere Schicksal Koesters ± eine verwachsene Gestalt zu haben ± verdeckt blieb). Koester kehrte 1830 nach Heidelberg zuruÈck; so konnte er in den beiden folgenden Jahrzehnten noch Gedanken uÈber Kunst veroÈffentlichen, der SaÈngerin Jenny Lind begegnen, Gottfried Kellers ¹Beichteª hoÈren und dessen SkizzenbuÈcher einsehen. È ber Koesters Studium in MuÈnchen hat ein Neffe die Notiz gegeU ben: ¹Koester beschaÈftigt sich vornehmlich mit den Werken von Hakkert und Claude Lorrain (GeleÂe)ª.7 Es kann kein Zweifel sein, daû Poussin und Claude Lorrain der heroischen Landschaftsmalerei entscheidende Vorgaben gemacht haben; doch es sind keine antiken Bauten oder Ruinen, die das Heidelberg-Bild nach 1800 bestimmen. Es muû dahingestellt bleiben, ob Claude Lorrain wirklich Koester beVgl. hierzu und zum folgenden: Koesterinana. FuÈr Georg Poensgen. Hrsg. von Klaus Mugdan. Heidelberg 1968. 7 Vgl. Koesteriana. 44; zum folgenden vgl. Mugdans kritische Ero È rterung ebenda 6 f. 6
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einfluût hat oder die Nachricht von einem solchen Einfluû nicht schon nachtraÈgliche historische Konstruktion ist. Koester behandelt jedenfalls auch das Licht anders als Claude Lorrain: das Licht verklaÈrt nicht eine ideale Welt, es dringt vor dem abendlichen Dunkel von ferne in die Landschaft ein und stimmt alles einzelne auf seine Tonart. Philipp Hackert aber hat vor allem die suÈdliche Landschaft dargestellt, doch folgt er auch naturalistischen Tendenzen. So mag sein Einfluû mit dem Einfluû der Kobells zusammengegangen sein. (NatuÈrlich wirkte È lteres; Heidelberg ist ja auch von der hollaÈndischen LandschaftsA malerei her aufgefaût und dargestellt worden, vor der ZerstoÈrung von Schloû und Stadt etwa von Berckheyde). Wenn Koesters Bild Ausblick vom StuÈckgarten des Heidelberger Schlosses den Neckar zeigt, der an den Haardtbergen vorbei nach Norden in die Rheinebene zieht, dann gibt links ein Baum mit dem darunter sitzenden Maler und rechts der dicke Turm des Schlosses mit den FuÈrstengestalten den Durchblick frei. Auf diesem Bild ist gegenuÈber einer fruÈheren Skizze noch eine Inschrifttafel des Kurfürsten Karl hinzugefuÈgt worden, die davon spricht, daû zwei Kugeln bei einer SchieûuÈbung aufeinandertrafen. Das Ruinenhafte ist hier schon antiquarisch und lokalhistorisch mit vergangenen MerkwuÈrdigkeiten verknuÈpft, das spezifisch Heidelbergische klar abgesetzt vom ¹Klassischenª der idealen, suÈdlichen oder gar heroischen Landschaft. So traÈgt auch der Maler jenen Hut, den die BruÈder Olivier und deren Malerfreunde bei einer Salzburgfahrt von den dortigen Bauern mitgebracht hatten.8 Koester konnte das dominierende Motiv des Hintergrunds, den Bogen des Flusses, auch dort finden, wo er bevorzugt arbeitete: in der Bilder-Sammlung Boisserée. So zeigt die Anbetung der drei KoÈnige von Dieric Bouts (damals Hans Memling oder ¹Hemmlingª zugeschrieben) auf dem rechten FluÈgel Christopherus mit dem Christuskind in einem Fluû, der durch eine Felsspalte bricht und im Gegenlicht mit einem Bogen in die Ferne zieht. Selbst auf dem Bild des malenden heiligen Lucas (damals noch Jan van Eyck zugeschrieben) zeigt Rogier van der Weyden auûerhalb des Gemachs drauûen den Fluû, der in die Ferne zieht. Bis heute ist es nicht moÈglich, eine Geschichte der Entfaltung der Kunst Koesters zu geben. Die musikalischen, aber auch die kunsttechnischen und kunstkritischen Interessen spielten bei ihm wohl eine eigenstaÈndige Rolle (bisher kann man kein einziges eigenes Bild mit Alle besprochenen Bilder Koesters sind wiedergegeben in: Koesteriana. ± Zum folgenden vgl. die Bildwiedergaben in: Kunst als Kulturgut (s. Anm. 1). Nr. 49 und 43. 8
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Sicherheit in die Berliner Restauratorenzeit setzen). Klaus Mugdan kann jedoch festhalten: ¹Soweit es die bisherige Kenntnis von Koesters Schaffen festzustellen erlaubt, hat er seine Eigenart, sowohl fuÈr die Landschaftsdarstellung wie fuÈr das Portrait, im Umgang mit den altdeutschen und altniederlaÈndischen GemaÈlden der Sammlung Boisserée seit 1810 gefunden. Von dorther gewinnt er jene flaÈchige Vereinfachung und KlaÈrung der Form, die die Voraussetzung fuÈr die musikalische Stimmung der Bilder und das stille ,TaÈtigsein` des Lichtes in ihnen darstellt. Auf die ersten Jahre einer entschiedenen Abstraktion folgt, vermutlich seit etwa 1817, eine Bereicherung des Gestaltungsraumes und der Darstellungsmittel.ª9 Die erste Weise, sich von den altdeutschen Bildern beeinflussen zu lassen, spricht aus dem GemaÈlde einer Frau mit zwei Kindern vor Kloster Lobenfeld. (Es ist nicht ganz sicher, ob Frau Wilhelmine Dupré gemeint und das Bild etwa auf 1816 zu datieren ist.) Nach dem altdeutschen Schema hat die Dreiergruppe ihren Platz in einem Innenraum; der Ausblick geht auf die alte Klosterkirche, die von einem einfachen und frommen Leben spricht. Hinter der Kirche stapeln sich die HaÈnge und Berge bis hin zum KoÈnigsstuhl uÈber Heidelberg. Der Innenraum ist aber nur das offene GemaÈuer einer zerfallenen Ruine (einer Ruine, die es in Wirklichkeit an dieser Stelle nie gegeben hat). Die Pflanzen mit ihrem kraÈftigen GruÈn wachsen von drauûen fast in die Ruine hinein. Das eine Kind lehnt sich an den Schoû der Mutter, das andere, juÈngere sitzt in hellem Kleid auf ihrem Schoû. Dieses Kind hat nur einen Halm in der Hand, doch der etwas unkindliche Blick erinnert an das Vorbild: an die Bilder von Maria mit dem Jesusknaben und Johannes. Alles Heilige der Geschichte aber ist in das Menschliche und GegenwaÈrtige uÈbertragen; es ist gerade bei der Mutter ins Portraithafte uÈberfuÈhrt. Von den alten Bildern bleiben das Grundschema und die einfachen Formen, dazu die groÈûeren, einheitlichen FarbflaÈchen der Kleider, aber auch der HaÈuser, der HaÈnge und Berge. Das Bild Sonnenuntergang ist wohl jenes, das 1823 vom Schornschen Kunstblatt als neu erwaÈhnt wurde. Es wurde 1825 in Karlsruhe ausgestellt (wobei es vom Schornschen Kunstblatt irrtuÈmlich als ¹Sonnenaufgangª betitelt wurde). Das Bild fuÈhrt weit uÈber die Stadt Heidelberg und das Schloû hinaus auf den KoÈnigsstuhl. Der Maler hat dort zwei einfache, alte HuÈtten zu einem Baum gestellt; der Blick geht uÈber den Gaisberg hinweg auf den Bogen des Flusses und in die Ferne, wo
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Vgl. Koesteriana. 7.
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hinter dem Haardtgebirge die Sonne hell im dunklen Abendrot untergeht. Auf dem KoÈnigsstuhl kniet eine Frau mit einem Kind; sie ist mit ihrer andaÈchtigen Haltung in den Sonnenuntergang vertieft. Sie ist vom RuÈcken her gesehen, doch wird sie vom Seitenlicht getroffen, und so leuchten die groûen FlaÈchen der Kleidung mit starken Farben auf (mit dem Rot des Rockes, dem Blau der Bluse, der hellen SchuÈrze und dem bebaÈnderten Strohhut, wozu das gelbgruÈne Kleid des Kindes kommt). Man darf daran erinnern, daû sich Koester spaÈter ± wenn auch zuruÈckhaltend ± uÈber Caspar David Friedrichs ¹sentimentale Behandlung der Landschaftª geaÈuûert hat.10 Auch Koester zeigt die Hauptfigur vom RuÈcken her; sie wendet sich fromm und mit einer Andachtsgeste dem untergehenden Sonnenlicht zu, aber sie verliert sich nicht an eine uÈberwaÈltigende Naturmacht. Die Gestalt bleibt farbig gegenwaÈrtig und wird nicht schattenhaft reduziert im Gegenlicht. Die LaÈndlichkeit dieser Gestalt und die starke Farbigkeit der Kleidung finden wir zum Beispiel auch auf Carl Philipp Fohrs schoÈnster roÈmischer Landschaft, der Gebirgslandschaft mit Hirten von 1818, bei der Mutter mit den Kindern im Vordergrund. Das Heidelberg-Bild Koesters, das Hegel erhielt, folgt jenem neuen Blick von Osten her auf Schloû, Stadt und Fluû, wie er sich nach 1800 durchsetzte. Rechts im Vordergrund bildet ein Baum die Abgrenzung uÈber der Ostterrasse des Schloûgartens, der nun von wildwachsendem GruÈn uÈberwuchert ist; links im Mittelgrund lagert immer noch schwer auf dem kleinen BerghuÈgel die Ruine des Schlosses. Unten in Tal liegt die Stadt am Fluû, der von den Bogen jener SteinbruÈcke uÈberspannt wird, die damals nach vielen BruÈckenzerstoÈrungen in Flut und Eisgang die neue war und heute als die unvergleichlich schoÈne alte bekannt ist. Das abendliche Licht holt die WaÈrme aus dem roten Stein heraus, stellt zum Rot aber auch die DaÈcher, die ins Violette hinuÈberspielen oder aber mit dem kuÈhlen Blau schon zum Silberblau des Flusses heruÈberweisen. Die Heiliggeistkirche erscheint als Mittelpunkt, doch treten zu ihr neben bescheidenen und stillen BuÈrgerhaÈusern groûe GebaÈude. Durch die Reform der UniversitaÈt erhielt die Stadt neues Leben; merkwuÈrdigerweise gibt das Bild aber die Stadt wieder, wie sie vor der Reform seit 1803 war: noch steht zum Beispiel das Franziskanerkloster, das dann zugunsten des Karlsplatzes abgerissen wurde. Man nimmt an, daû Vgl. Koesteriana. 18. ± Das im folgenden genannte Bild Fohrs findet sich als Abbildung 135 in Herbert von Einem: Deutsche Malerei des Klassizismus und der Romantik 1760± 1840. MuÈnchen 1978. 10
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Koester eine Skizze aus seiner Jugendzeit benutzt hat, in der er mit dem Freunde Strüdt zeichnend die Heidelberger Landschaft durchstreifte. (Eine solche Skizze ist auch erhalten.) Nicht das maÈchtige Schloû, sondern die Stadt als bescheidener Ort des Wohnens liegt in der Mitte des Bildes. Doch wird der Blick in die Ferne gefuÈhrt, wo der Fluû mit seinem Bogen nach Nordwesten verschwindet. Es ist hier wie auf so vielen Bildern der Romantiker die Stunde des Abends, die die Stimmung des Ganzen durchdringt und alles Komponierte musikalisch wie ein Grundton traÈgt. Das letzte Licht aus der fernen Ebene hinter den Bergen und HuÈgeln im Westen vermischt sich mit dem Dunst des fruÈhen Abends und dringt so gegen das silbern und blau aufschimmernde Band des Flusses vor. Die Stadt liegt im Gegenlicht, doch werden Haus- und DachflaÈchen gelegentlich noch vom Licht getroffen. In den dachlosen Mauern des Schlosses hat das Licht ± wie im Nachglanz eines Brandes ± sich eingehaust, um nach drauûen zu scheinen. Wenn Sulpiz Boisserée durch das Rheintal fuhr, dann setzte er gelegentlich das ewige Licht drunten in den Kirchen den dunklen Ruinen der Burgen auf den Bergen entgegen, und mit seinen Bildern wollte er auf seine Weise auf das ewige Licht verweisen. Bei Koester hat die Ruine auf dem Berge groÈûeres Gewicht; doch bleibt nur ein letztes HeruÈbergruÈûen aus der Vergangenheit. Die Stadt ist nuÈchtern gesehen, trotz aller IdealitaÈt gleichsam ¹sachlichª aufgenommen. Alles aber ist in die Stunde des Abends und eines schmerzlosen Abschieds getaucht. FuÈr Hegel stellte sich die Frage, ob er die Bilder der Boisserées nicht mit dem Koesterschen Bild aus der eigenen Zeit zusammensehen muûte. Es ist unwahrscheinlich, daû er neben Koester auch die juÈngeren Maler der Heidelberger Romantik kennengelernt hat. Was diese Jugend bewegte ± das Altdeutsche bis hin zu den Nibelungen ± betrachtete Hegel mit groûer Distanz, mochte es ihm zusammen mit der burschenschaftlichen Bewegung auch durch seinen SchuÈler und Repetitor Carové nahegebracht werden. Jens Christian Jensen hat in seinem Aufsatz Heidelberg in der Bildkunst um 1800 die Frage gestellt, ob die Heidelberger Romantik in der Malerei, von der Karl Lohmeyer gesprochen hatte, uÈberhaupt etwas EigenstaÈndiges und SchoÈpferisches gewesen sei. Bildete man nicht nur die Tradition Claude Lorrains um? Aber so, daû man von der Stadt, die mit dem Schloû, dem gelehrten Treiben der UniversitaÈt und dem Kunstbetrieb durch und durch historisch gepraÈgt war, so schnell wie moÈglich zu den lebendigen Kunstzentren MuÈnchen und Rom eilte? Blieben die schoÈpferischen
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Impulse, wie Friedrich und Runge sie zum Durchbruch brachten, nicht fern, und brachte nicht erst Turner die europaÈische Moderne in das Heidelberg-Bild?11 Wenn jedoch Koester zu den Heidelberger Malern gehoÈrt, dann zeigt sich, daû der Bezug des neuen HeidelbergBildes auf die ¹ideale Landschaftª nicht alles sagt; Turner trug eine Sicht, die fuÈr Venedig oder das Meer am Platze war, an Heidelberg heran, ohne die Impulse der Menschen aufzunehmen, die im damaligen Heidelberg lebten. Doch muû man festhalten, daû die epigonal historisierende und reflektierende Haltung Koesters von Hegel zu einem Charakteristikum der zeitgenoÈssischen Malerei uÈberhaupt gemacht wurde. Der neue Aufbruch etwa der DuÈsseldorfer Schule um Schadow verfiel der schroffen Hegelschen Kritik,12 Nicht von ungefaÈhr waren jene Maler Hegels Freunde, die zu Restauratoren in Heidelberg und in Berlin wurden. Zu Koester kam hier Schlesinger, der das beruÈhmte Hegelportrait malte, aber auch Christian Xeller, dessen eigene Wege durch die Restauratorenarbeit blockiert wurden. Die Frage, die Hegel von Heidelberg nach Berlin begleitete, war jedenfalls, ob ein geschichtlicher Weg der Malerei nicht nur von den van Eycks zu Holbein und Dürer fuÈhre, sondern auch ein Weg von den Flamen zu den HollaÈndern, dann aber von diesen nordeuropaÈischen und von den italienischen Malern bis zur melancholischen AbenddaÈmmerung auf Koesters Bildern. II. Die Welt der BoissereÂes In dem ¹freundlichen, bruÈderlichen Kleeblattª, wie Hegel in einem Brief an Boisserée vom 17. 7. 1820 die Betreuer der altdeutschen Bilder ansprach, hatte Bertram die intellektuellen AnstoÈûe eingebracht; er fuÈhrte auch die Besucher durch die Sammlung. Melchior Boisserée uÈbernahm die kaufmaÈnnische Seite; Sulpiz setzte die Perspektiven, stellte die Kontakte zu den Groûen der Zeit her, arbeitete auch kunst-
Vgl. Jensen (s. Anm. 4). 375. Jensen versteht in seinem Buch: Malerei der Romantik in Deutschland (KoÈln 1985) die Romantik von einer ¹Entgrenzungª her, welche den Rationalismus wie den Idealismus uÈberwinde. 12 Vgl. Annemarie Gethmann-Siefert: Die Kritik an der Du È sseldorfer Malerschule bei Hegel und den Hegelianern. In: DuÈsseldorf in der deutschen Geistesgeschichte (1750±1850). Hrsg. von Gerhard Kurz. DuÈsseldorf 1984. 263±288. ± Zum folgenden vgl. Otto PoÈggeler: Der Philosoph und der Maler. Hegel und Christian Xeller. In: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg. von Otto PoÈggeler und Annemarie Gethmann-Siefert. Bonn 1983. 351±379. 11
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historisch. Noch war die Leidenschaft des Sammelns und Kennens nicht von der kunsthistorischen Forschung abgetrennt, der Aufbau einer Sammlung nicht ein Management, das man durch Experten besorgen laÈût. Sulpiz Boisserée verfolgte vielfaÈltige geistige Interessen. Er brachte Hegel eine fremde Welt entgegen, die der Philosoph seinem Bildungshorizont erst integrieren muûte: der angestammte rheinische Katholizismus war durch Friedrich Schlegel auf neue Bahnen verwiesen worden, doch war dem Freunde Goethes der Eifer des Konvertiten fremd. Sulpiz Boisserée war noch nicht der beruÈhmte Kunstsammler, als er Hegel erstmals begegnete. Dorothea Schlegel hatte ihn im August 1808 darauf aufmerksam gemacht, daû Hegel in Bamberg die Zeitung schreibe und ¹alle Abend bei Paulusª sei. Sie selbst habe schlieûlich dort mit Hegel und Paulus diskutieren muÈssen, wobei auf deren Seite GrundsaÈtze zum Vorschein gekommen seien, von denen man gar keinen Begriff habe. ¹Nicht allein eine total verkehrte Ansicht, sondern ganz und gar nicht die geringste Kenntnis von dem Stand der Dinge! Kurz uÈber alle Begriffe verkehrt! ± Es darf nicht besser gehen in der Welt, so lange dergleichen regiertª.13 Im November dieses Jahres, am Martinsfest, uÈberbrachte Boisserée Hegel einen Brief von Paulus, der nun als bayerischer Schulrat aus NuÈrnberg schrieb. Der rationalistische Theologe befoÈrderte den KoÈlner in dem Briefe freundlicherweise zum Doktor und sagte, er sei ¹ein mit der ganzen neuern Literatur und Kunst wohl vertrauter Mousophilosª. Boisserée war damals nur ein Wochenende in Bamberg und vorher auch nur kurz in NuÈrnberg. Was er sich gewuÈnscht hatte (einmal im Mai in NuÈrnberg zu sein) bekam er acht Jahre spaÈter gewaÈhrt (326). Am Montag, dem 29. April 1816, kam Boisserée in NuÈrnberg an; am folgenden Donnerstag meldete Hegel seine Ankunft an Paulus, sagte aber, daû er selbst Boisserée noch nicht gesehen habe. Doch eben an diesem Tag, dem 2. Mai, trug Boisserée den Namen ¹Hegelª in sein Tagebuch ein. Es bleibt unsicher, ob schon eine Begegnung stattfand, doch in den folgenden Wochen trafen der reisende Kunstsammler und der NuÈrnberger Gymnasialrektor sich des oÈfteren. Ein Abstecher Boisserées galt wieder Bamberg, wo er die KunstmerkwuÈrdigkeiten be-
Vgl. Sulpiz BoissereÂe: Briefwechsel/TagebuÈcher (s. Anm. 1). Bd 1. 58. ± Im folgenden beziehen sich die Seitenzahlen im Text auf Sulpiz BoissereÂe: TagebuÈcher 1808±1854 (s. Anm. 3). Bd 1. 13
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sichtigte, natuÈrlich nicht die mittelalterlichen Domplastiken erwaÈhnte, aber die Manuskripte aus der Bibliothek mit byzantinisch-deutschen È ber Pommersfelden kehrte Boisserée nach NuÈrnMalereien (341). U berg zuruÈck, das er am 22. Juni verlieû, nachdem er tags zuvor ¹die Bilder gepacktª hatte. Als Niethammer im arrondierten KoÈnigreich Bayern, das dann zum Rheinbund kam, seine Bildungsreform durchfuÈhrte und auch Hegel ins Land zog, schrieb dieser ihm am 23. Dezember 1807 von Bamberg aus uÈber die Kritik, die ein junger Bayer (Rottmanner) gegen, den fremden, den ¹norddeutschenª AkademiepraÈsidenten Jacobi gerichtet hatte. Hegel wies darauf hin, daû das Gerede vom Unterschied der Norddeutschen und der SuÈddeutschen, ja auch die ¹Vortrefflichkeit des katholischen Mittelaltersª nirgends als in Norddeutschland erfunden worden seien. Ob Hegel damit Tieck und Wackenroder meinte, die das alte NuÈrnberg von Berlin aus entdeckten, oder Novalis oder alle drei, ist nicht sicher. Er sah, daû der norddeutsche Protestantismus im SuÈden (am leichtesten im alten, aber protestantischen NuÈrnberg) eine Kompensation fuÈr seine NuÈchternheit suchte. DemgegenuÈber unterstuÈtzte Hegel als NuÈrnberger Gymnasialrektor den Versuch, mit der idealistischen Philosophie die aufklaÈrerischen Reformen auf einen neuen Boden zu stellen. Napoleons Schutz erschien ihm dabei sicherer als die Wiederherstellung des Alten durch den Wiener Kongreû. So wuÈnschte er sich in seinem Brief vom 23. Dezember 1813 aus NuÈrnberg an Niethammer weit weg, ¹wenn die hiesige Pastete zur alten Herrlichkeit zuruÈckerbluÈhen sollteª. Sulpiz Boisserée besuchte Hegel 1808 in einer Krise seines eigenen Lebens, als er seine PlaÈne zum Weiterbau des KoÈlner Doms als seinen Nachlaû an die Welt ansah und als sein Freund und FoÈrderer Schlegel in KoÈln konvertiert war. Acht Jahre spaÈter war Boisserée schon der beruÈhmte Sammler, der in den Freiheitskriegen nichts sehnlicher erhofft hatte als die Wiederherstellung auch der alten ReichsstaÈdte. So trafen zwei verschiedene Welten aufeinander, als Boisserée Hegel in der NuÈrnberger Gesellschaft begegnete, ihn abends zu Hause besuchte, mit ihm SpaziergaÈnge und Kirchenbesuche machte oder nach einer Musik in St. Sebald mit ihm sprach. Boisserée notierte alle Begegnungen in seinem Tagebuch. Die Stichworte uÈber einen Abend bei Hegel am 16. Mai umreiûen scharf Hegels Situation in NuÈrnberg. Der Graf Thürheim wird genannt, der 1808 bayerischer Generalkommissar fuÈr NuÈrnberg geworden war, spaÈter Staatsminister. Frau Hegel, die BuÈrgermeisterstochter, klagt um die
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Leiden der NuÈrnberger. ¹Der Mann dagegen schilt immer uÈber die Dummheit, Derbheit der NuÈrnberger. Bierschenke auf dem RochusKirchhof bei dem Stein-Schreiber ± Kirchweih auf St. Johanns-KirchHof. BekraÈnzte GraÈber, darauf werden WuÈrste gebraten und getrunken!ª (333) Der Gegensatz zwischen Hegel und seiner Frau bricht neu auf bei der Frage, ob die BuÈrger Almosen geben und Armenstiftungen machen sollen. Hegel war ja der Auffassung, daû die Kommunen und Korporationen besser mit den Arbeitslosen fertig werden koÈnnen, naÈmlich diese sobald wie moÈglich wieder in den Arbeitsprozeû eingliedern sollen. ¹Hegels Schelten uÈber das Bettlen zieht das GespraÈch herbei. Klagen der Frau. ± Des Mannes sarcastische Verteidigung seines Satzes. Einziehung und Centralisierung der Stiftungen. Die Groû-Mutter Tucher sammelt Heller fuÈr den Freitag den Armen zu geben.ª (335) Auch mit Boisserée selbst geraÈt Hegel aneinander, als er die Bourbonen anfeindet, aber Carnot verteidigt (den Organisator der leveÂe en masse, den Hegel noch 1822 im Exil in Magdeburg besucht): ¹Wir kommen in das Tiefste von Moral und Politik. Bei ihm reduziert sich am Ende alles auf Geist ohne Unterschied von BoÈse und Gut. ± In der Heftigkeit dann auch Rechthaberei von seiner Seite.ª (344) Boisserée sprach von ¹barbarischer Wirtschaftª, wenn er in eine Kirche kam, in die Montgelas AufklaÈrung gebracht hatte (326). Hegel wollte dort weiterbauen, wo Montgelas angesetzt hatte. Konnte Boisserée, als er sich so eifrig in den Kirchen NuÈrnbergs umsah, Hegel nicht die Augen oÈffnen fuÈr etwas, das dieser bisher uÈbersehen hatte, obwohl es in seine naÈchste NaÈhe gehoÈrte? Gleich am 6. Mai trug Boisserée in sein Tagebuch ein: ¹Abends bei Hegel. Seine Frau eine Tucher ± aÈhnlich etwas mit dem Bild in St. Sebald. Seebeck meint, auch mit dem Johannes von Dürer, dem groûen zu den vier Temperamenten gehoÈrig.ª (330) Hegel sollte bald auch unter die Sammler gehen; ¹zum Jahre 1818ª schenkte er seiner Frau Dürers Kupferstich Die Madonna von einem Engel gekroÈnt.14 Es ging aber nicht nur um das Alte; nicht von ungefaÈhr kommentiert Boisserée den Hinweis des Physikers Seebeck auf den Dürerschen Johannes dadurch, daû er die vier MuÈnchener Apostel Dürers auf die vier Temperamente bezog. Auch Goethe hatte diese Apostel-Bilder bei seiner Reise nach Italien groûartig gefunden, Tieck den Sternbald mit ihnen begonnen; die Temperamentenlehre war ein bevorzugtes Thema der ¹Romantikerª. Vgl. den Ausstellungskatalog: Hegel 1770±1970. Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. von Friedhelm Nicolin. Stuttgart 1970. 187. 14
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Im Vordergrund stand jedoch Goethes Farbenlehre: Seebeck und Hegel fuÈhrten Experimente Goethes weiter. Sie waren nicht unkritisch Goethe gegenuÈber, aber es war diese Farbenlehre, die fuÈr Hegel einen neuen Bezug zu Goethe eroÈffnete. In Jena hatte Hegel seinem Weimarer Kultusminister durchaus distanziert gegenuÈbergestanden; damit È bereinstimmung war Boisserées Notiz: ¹Hegel uÈber Goethe sarin U castisch. Wie er in Jena 1¤4 Jahr Gesellschaften gehalten, um dadurch den Untergang der UniversitaÈt zu hemmen, Vereinigungs-Punkte zu bilden usw.ª (334) Im Reichtum aller dieser Beziehungen stand fuÈr Hegel ein Thema im Vordergrund: sein Wunsch, an die Heidelberger UniversitaÈt zu kommen. In dieser Sache hatte Hegel ¹laÈngst Kontakt mit Paulus, der in Heidelberg Professor geworden war. Ihm schrieb Hegel sofort, als er am 2. Mai 1816 davon hoÈrte, daû Fries von Heidelberg nach Jena geheª (er habe, so sagte Hegel, diese Nachricht aus Weimar). Das ist der Tag, an dem Boisserée erstmals den Namen ¹Hegelª in sein Tagebuch eintraÈgt. Er wurde dann auch sofort in Hegels WuÈnsche eingeweiht und handelte ihnen entsprechend. Am 11. Juni schrieb er an Melchior, er habe Hegel von dem wahrscheinlichen Abgang von Fries erzaÈhlt, und so habe dieser ihn gleich am anderen Tage um Hilfe gebeten: ¹Er sei hier Rektor des Gymnasiums und Schulrat, stehe sich ganz gut, lehre seine Gymnasiasten auch Philosophie, fuÈhle sich aber durch die kleinlichen VerhaÈltnisse beengt, durch den Mangel einer groÈûeren literarischen Mitteilung so gedruÈckt und ungluÈcklich, daû, wenn er keine Frau haÈtte, er ohne alle RuÈcksicht als Dozent oder Doctor legens bei irgend einer belebteren UniversitaÈt auftreten wuÈrde.ª Boisserée war durch ¹diese Lage, dies GefuÈhl von einem bedeutenden, verdienstvollen Manneª geruÈhrt, ja ¹erschuÈttertª. Er bat Melchior, sich bei dem Prorektor Daub und dem Professor Thibaut zu verwenden, vor allem bei Thibaut das Vorurteil auszuraÈumen, das dieser noch von Jena her geÈ berhaupt hoÈre ich hier nur Gugen Hegels schlechten Vortrag habe. ¹U tes von ihm, und daû er ein ausgezeichnet denkender und gruÈndlicher Kopf ist, ergibt sich aus den GespraÈchen. SchwaÈbische, eckige Eigenschaften hat er freilich; aber ohne diese wuÈrden auch wieder seine individuellen VorzuÈge nicht bestehen.ª Paulus bildete mit Voss die eine, aufklaÈrerische Partei in Heidelberg; indem die BruÈder Boisserée nun auch Professoren wie Daub und Thibaut gewannen, ermoÈglichten sie fuÈr Hegel den Ruf nach Heidelberg. Sulpiz selbst bemuÈhte sich gleich am ersten Tag nach seiner RuÈckkehr nach Heidelberg bei Daub fuÈr Hegel. So konnte Hegel ihm am 20. Juli
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von seiner Hoffnung schreiben, nach Heidelberg zu kommen. Da gerade 100 Codices aus Papier und Membran in NuÈrnberg versteigert worden waren, wuÈnschte auch er sich aus der Stadt heraus. Der Brief È bersiedlung. In vom 18. August diskutierte schon Einzelheiten der U ihm konnte Hegel melden, daû Niebuhr ihn aufgesucht und ihm Hoffnungen fuÈr Berlin gemacht habe. Von Niebuhr wuûte Hegel um Schinkels Verhandlungen, die Bildersammlung fuÈr Berlin zu kaufen. So schrieb Hegel: ¹Es ist mir bange, daû ich Sie und Ihre Sammlung nicht mehr in Heidelberg treffe.ª Hegel meinte aber, Berlin sei ¹wohl der einzige Punktª, der die Sammlung aufnehmen zu wollen und zu koÈnnen scheine. Berlin sollte bald ein solcher Punkt auch fuÈr Hegel werden. Als Hegel ein gutes Jahr in Heidelberg gewesen war, notierte Boisserée am 9. Januar 1818, daû Hegel nach Berlin gehen solle und wolle. Boisserée verzeichnete gleich nach Hegels Ankunft in Heidelberg eine Begegnung mit diesem, dann uÈber zwei Jahre immer neue Treffen bei Kutschfahrten und SchiffsausfluÈgen, SpaziergaÈngen zum Schloû und zu anderen Orten, GespraÈchen zu zweit und unter mehreren. Noch am 21. Juli 1818 vermerkte Boisserée, daû er Hegel und seine Frau bei einer Fahrt nach Worms und Mainz in Oppenheim traf. Goethe konnte ihm am 26. September melden, daû Hegel auf der Reise nach Berlin ihm die neuesten Nachrichten von Boisserée gebracht habe. Besucher wie Görres gingen in Heidelberg offenbar an Hegel vorbei; aber an dem Treiben um die Ehrenpromotion Jean Pauls hatte Hegel maûgeblichen Anteil. Sicherlich wird er auch Genaueres uÈber Goethes Dichten am Divan erfahren haben, das ja nur kurze Zeit zuruÈcklag. Boisserée schickte Passagen aus Hegels EnzyklopaÈdie uÈber Goethes naturwissenliche BemuÈhungen nach Weimar, und so ergab sich auf diesem Felde ein engeres VerhaÈltnis, das durch Hegel von Berlin aus zu einem Arbeitskontakt ausgestaltet wurde. Als der Divan erschien, zeigten die Noten dazu ebenso wie die Italienische Reise Goethes aÈsthetische und historische Interessen. So wurde Goethe fuÈr Hegel zu einem Dichter, der seine breit gefaÈcherten Kunstinteressen wissenschaftlich abstuÈtzte, aber auch durch Reflektion uÈberstieg. Dichtung und Wahrheit konnte fuÈr Hegel zum Beleg dafuÈr werden, daû Goethe die groûen Krisen der Zeit (die wir heute mit den Titeln ¹Sturm und Drangª und ¹Romantikª bezeichnen) auf seinem Wege uÈberwunden habe. So konnte Hegels Schule von Berlin aus das BuÈndnis mit Goethe in Weimar suchen. GespraÈche mit Hegel und Hegels Publikationen gaben in Heidelberg Gelegenheit, Grundfragen der Spekulation zu eroÈrtern. An der Jacobi-
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Rezension sah Boisserée, daû Hegel die eine Substanz des Spinozismus aufnahm, sie aber als Geist zu fassen suchte. Deshalb muûte er der Dialektik des spaÈtplatonischen Dialog Parmemides folgen, in der er mit den Neuplatonikern die ¹hoÈchste Philosophieª, naÈmlich die Theologie, fand (377, 380). Ein Abend bei Hegel fuÈhrte zu einer Kontroverse mit Jean Paul: Hegel lehnte einen ¹modernen Begriffª wie ¹entzuÈckendª fuÈr das Gute ab, da das Substantielle auf die subjektive Aneignung zuruÈckgefuÈhrt werde. ¹Als Regulus sich aufgeopfert, habe der RoÈmische Senat nur das GefuÈhl gehabt, daû er recht getan, da sei kein Kotzebue im RoÈmischen Senat gewesen.ª (414) Bei einem Gang nach Schwetzingen hielt Hegel gegen Jean Paul fest, daû die Menschen durch den SuÈndenfall wie Gott geworden seien, da sie ja vom Baum der Erkenntnis aûen. Hegel gruÈndete die Zeit in der Ewigkeit ± in einer ¹Art von Pantheismusª, wie Boisserée meinte (416). Boisserée notierte auch Hegels EinverstaÈndnis mit dem Besucher Cousin. NatuÈrlich war Creuzers Mythologiedeutung Thema der Diskussionen. Hegel erlaÈuterte aber auch, wie Christus in die Greuel der roÈmischen Kaiser und in den Schmerz der Zeit die VersoÈhnung brachte: dieser bestimmte Mensch als Mensch (nicht der besondere, vergoÈtterte Mensch der griechischen Statuen) wurde als Christus und damit als das Licht der Welt erkannt. Dieses Licht, ¹welches historisch in der Zeit auch in der Person Christi erschienen istª, erleuchte jeden, der in die Welt komme, so daû jeder Christus sein muÈsse (473). Von einer ¹groûen Wasser-Fahrt nach Hirschhornª mit Jean Paul trug Boisserée ein: ¹Hegels Absolutismus, Einerleiheits-Philosophie. Es ist die Ja doch-, Ja nein-Philosophie.ª Ein ¹revolutionaÈres respektloses Packª, vor allem Welcker, lieû sich zur ¹Flegeleiª hinreiûen, als Hegel die Gesundheit des Prinzen Gustav von Schweden ausbrachte (der bei Hegel eine Privatvorlesung hoÈrte). Die ¹deutsche Freiheitª, die ¹StaÈndeª sollten statt dessen leben! Sulpiz wurde durch Bertram und Melchior wegen seines Zorns gescholten. ¹Ich hatte gesagt, ich koÈnnte bei solcher Gelegenheit bis zum Schieûen kommen.ª (413 f) Boisserée war gegen die Stuttgarter StaÈnde, die fuÈr das alte Recht kaÈmpften, aber den deutschen Patriotismus vermissen lieûen. Hegel konnte die Stuttgarter Verwicklungen erklaÈren, als er dann aber in einen unuÈberbruÈckbaren Streit mit Paulus geriet und dessen Besprechung der Stuttgarter StaÈndeverhandlungen seine eigene entgegensetzte, notierte Boisserée: ¹Hegel uÈber die wuÈrttembergischen LandstaÈnde zu schroff, streng und gemuÈtlos. Das ist recht schade bei so viel Geist, Verstand und Kraft!ª (403, 465, 474). In jedem Fall bekam Boisserée unmittelbar
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mit, wie Hegels Rechtsphilosophie aus dem Kampf um den suÈdwestdeutschen Konstitutionalismus entstand.15 Da Boisserée Kaiser und KoÈnige in seiner Bildersammlung empfing, kam der Name des Heidelberger Philosophieprofessors in diesem Zusammenhang nicht vor. Wohl wurde notiert, daû auch Hegel sofort die Zeichnungen vom KoÈlner Dom vorgelegt bekam (370). Am Sonntag, dem 2. Februar 1817, ging Boisserée mit Creuzer am Neckar spazieren; nachmittags gab es lange GespraÈche bei Hegel. Dabei wurde auch beruÈhrt, daû die Geschichte ein ¹trostloses Wesenª sei, naÈmlich ein steter Kampf. Die Geschichte der Kunst zeige dagegen Erfreuliches (380). Als Boisserée den Schluû von Hegels EnzyklopaÈdie las, notierte er lakonisch: ¹Religion der Kunst! Geoffenbarte Religion. Philosophie das HoÈchste. Hocuspocus.ª (410) Am 17. April 1818 hieû es nach einer Bemerkung uÈber Koester: ¹Abgeschmacktes Klatsch-Wesen von Hegel. O si tacuisses, Philosophus!ª (486) Kurz darauf trug Boisserée ein: ¹Am 21. dachte ich uÈber einen Brief an Goethe nach und wollte ihm schreiben, daû Hegel von hier weggehe. Es sei, meinte ich anfangs, ein Verlust fuÈr Heidelberg, aber wenn ich es recht bedaÈchte, so verhalte es sich doch mit der heutigen speculativen Philosophie wie mit hohen Bergen, auf denen wenig waÈchst.ª Am Ende wuÈrden diese hohen Berge gar zum Blocksberg mit einer Gespenster- und Hexengesellschaft und des Teufels Dreck, Dunst und Gestank. Er, Boisserée liebe (wie Goethe!) den Widerschein der Sonne auf den Gletschern und im Menschlichen (488). Von den EnttaÈuschungen, die die Freunde einander bereiten konnten, wurde allenfalls andeutend gesprochen; im wirklich geschriebenen Brief an Goethe schwieg Boisserée von Hegel und vom eigenen Widerspruch gegen dessen Philosophie. So muûte Goethe von sich aus zur Sache kommen und in seinem Brief vom 1. Mai 1818 dem Geschehenen das Positive abgewinnen: ¹Hegel, vernehme ich, geht nach Berlin . . . Minister Altenstein scheint sich eine wissenschaftliche Leibgarde anschaffen zu wollen. Wir muÈssen sehen, was er gegen die bepfruÈndete, starre Akademie ausrichten kann, das unbesoldete, bewegliche Publikum nimmt gewiû auch daran nur tagtaÈglichen Anteil.ª
15 Vgl. dazu die Artikel von Christoph Jamme und Hans-Christian Lucas in: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europaÈischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. von HansChristian Lucas und Otto PoÈggeler. Stuttgart±Bad Cannstatt 1986. 149 ff. Vgl. ferner Otto PoÈggeler: Die Heidelberger JahrbuÈcher im Wissenschaftlichen StreitgespraÈch. In: Heidelberg im saÈkularen Umbruch (s. Anm. 4). 154 ff.
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Historisch distanziert oder auch in leidenschaftlichem Patriotismus das zerstoÈrte Heidelberger Schloû als Geste der Drohung gegen Frankreich zu nehmen, das war in keiner Weise Hegels Sache. Die alte Welt war ihm so versunken wie die Schloûruinen in der neuen Bewaldung, uÈbrig blieb jene liebliche ¹romantischeª Landschaft, die Hegel auch sonst ± etwa im Elbtal bei Dresden ± bewunderte. Auf das burschenschaftliche Treiben, diese neuen Impulse der Jugend, lieû Hegel sich soweit wie moÈglich ein: er promovierte den RheinlaÈnder Carové, der am RuÈckgang zum Altdeutschen teilnahm, unter Nachlaû der fehlenden Lateinkenntnisse mit einer Burschenschaftssatzung! Carovés Auseinandersetzung mit dem uÈbertriebenen Ehrbegriff des Duells und dem uÈblichen Ausschluû der Juden aus der Burschenschaft schien diesen ungewoÈhnlichen Schritt zu rechtfertigen. Die Heidelberger Professoren erkannten ihrerseits Hegels Gelehrsamkeit an. So schlug der Historiker Wilken 1816 Hegel als seinen Nachfolger in der Leitung der Bibliothek vor. Wilken hatte gerade in guÈnstiger Stunde wenigstens einen Teil jener BuÈcherschaÈtze der alten Palatina aus Paris und auch aus Rom zuruÈckbekommen, die einst nach Tillys Sieg aus Heidelberg entfernt worden waren. Auch diese Reliquien schienen bei Hegel in guten HaÈnden (doch folgte Hegel dann Wilken nach Berlin). Mit dem Theologen Daub teilte Hegel die Ausrichtung auf die Spekulation. Thibauts Forderung nach Kodifizierung des Rechts konnte er in Berlin gegen Savigny ausspielen. Im uÈbrigen stand Hegel nicht nur zu den Boisserées in einem Spannungsgeflecht, das jederzeit auch haÈtte zerbrechen koÈnnen. Er konnte zwar kaum Görres, aber doch Creuzers Mythendeutung anerkennen; doch betonte er staÈrker als dieser die instinktartige Arbeit der Geschichte, die schlieûlich den Begriff herausstelle. Durch den Juristen Thibaut lernte Hegel auch die ¹alte Musikª kennen, die Thibaut mit seinem Singkreis auffuÈhrte. In vielen Eintragungen (auch aus der Zeit der beiden Heidelberg-Jahre Hegels) hat Sulpiz Boisserée festgehalten, wie Thibaut StuÈcke von Palästrina, Leo, Durante probte. Johann Sebastian Bach fand BoissereÂe ¹frisch, groû, einfach, kraÈftigª, doch gelegentlich auch mit ¹kuÈnstlichem È sthetikSchnoÈrkel-Werkª (481). Auch Hegel fand in seinen Berliner A Vorlesungen Bach ein biûchen ¹gelehrtª. Man lernte Händel mit dem Messias und dem Judas MakkabaÈus kennen; Bernhard Klein aus KoÈln, den Hegel in Berlin wiedertraf, unterstuÈtzte auch mit Eigenem diese BemuÈhungen. Ohne alles Konzertante, nur zum Studium und zur Erbauung wurden bei Thibaut die StuÈcke gesungen. Dabei wurden dann
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auch die einzelnen Texte der Messe ganz aus ihrem Rahmen geloÈst und voÈllig ohne den alten kultischen Zusammenhang privat dargeboten. Dieses Praxis hatte durchaus Parallelen zu der Weise, in der die BruÈder Boisserée in ihrem alten Palais unter dem Schloû isolierte einzelne AltarfluÈgel dem Besucher zur Meditation darboten. Hegel lieû den Thibautschen Kreis auch in seinem eigenen Haus singen. Dabei konnte er den anderen HoÈrern durchaus auf die Nerven fallen. So berichtet Ferdinand Walter: ¹Dieser kalte, scharfe, aber fuÈr alles Wahre und Groûe empfaÈngliche Geist, horchte erst genau zu und legte sich dann die Sache fuÈr seine Zwecke zurecht . . . Es war interessant zu hoÈren, wie er, und oft recht scharf und geistreich, seine Terminologien auch nach dieser Seite hin zu strecken wuûte, wobei ihm Carové bestens sekundierte. Mir aber kam dabei unwillkuÈrlich der Vers von Goethe: Fortzupflanzen die Welt sind alle vernuÈnft'ge Discurse/UnvermoÈgend, durch sie kommt auch kein Kunstwerk hervor.ª16 Sulpiz Boisserée hatte sich nicht nur gegen Hegel zu wehren, schon in Dezember 1812 hatte er erfahren, wie wenig er mit Thibauts Hinwendung zur Kunst uÈbereinstimmte. Er sprach von der ¹tiefsinnigen, gefuÈhlvollen, aber irrigen Denkart des vortrefflichen Mannesª. Thibaut gestand ihm: ¹Ich habe keinen Glauben, ich wollte, ich koÈnnte dazu gelangen!ª An die Stelle des Glaubens traten Hoffnung und Sehnsucht, die sich an den alten MusikstuÈcken naÈhrten. Der konkrete Glaubensvollzug, wie er sich im alten Kult aussprach, war weggewischt. Selbst die Worte, die zu der alten Musik gehoÈren, stoÈrten noch. ¹Die Musik solle ohne Wort sein, die hoÈchste Musik wie das hoÈchste GefuÈhl sei und muÈsse sein ohne Worte und unbestimmt ± so sei auch das GefuÈhl des Unendlichen.ª Die Ungewiûheit in letzten Fragen lieû dem groûen Juristen und Musikliebhaber nur die ¹stoische Tugendª; nicht nur das Konzertwesen wurde abgelehnt, sondern das Moderne und deshalb in sich GefaÈhrdete uÈberhaupt. Nach Boisserée gruÈndete sich Thibauts Urteil uÈber Mozart aber nur auf ¹einzelne Klaviersachenª, wenn er sagte: ¹Mozart hat zu viel Schwermut, zu schwaÈrmerische Phantasieª. (90 ff) Der Heidelberger Freundeskreis der Boisserée, Thibaut, Daub, Creuzer und Hegel konnte nur zusammenhalten, wenn man das Ge-
Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen (s. Anm. 3). 156 ff. Durch Thibauts Heidelberger Singkreis war Hegel also auf die Begegnung mit Bachs MatthaÈuspassion in Berlin vorbereitet. 16
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gensaÈtzliche ertrug oder gar verschwieg. Boisserée und Hegel suchten sich auch gegenseitig zu foÈrdern und zu stuÈtzen, als Hegel nach Berlin gegangen war. Als die Bildersammlung nach Stuttgart verlegt worden war, berichtete Creuzer Hegel am 30. Mai 1820 anschaulich von einem Besuch der Heidelberger Freunde dort: ¹Die Boisserées sind aufs AnstaÈndigste eingerichtet, und alles um sie her sieht recht koÈniglich aus, die LivreÂebedienten, die ihnen Untertan sind, mitgerechnet; und die Bilder sind in splendider Suite durch den Palast verteilt.ª Kurz darauf, am 17. Juli, gab Hegel Bekannten seinen Gruû an das ¹Kleeblattª mit. Er hatte die ¹Provinzª von Heidelberg mit dem Zentrum eines neuen Groûstaates vertauscht, und so berichtete er nun, daû der ¹Gesichtskreis einer groûen Stadtª auch die SchreckschuÈsse der neuen Politik nicht als allzugroû erscheinen lasse. FuÈr seine eigene Arbeit fand er in seinem neuen Wirkungskreis ¹staÈrkere Aufregungenª, d. h. Anregungen. Er lobte die preuûische Kulturpolitik: ¹Die naÈchste Zugabe fuÈr unsereinen ist dabei, daû fuÈr wissenschaftliche Zwecke, Sammlungen, Kunst wohl nirgend so viel aufgewendet wird als hier; die Finanzen in feste Ordnung bringen und Sparen, Sparen ist freilich itzt als Basis festgestellt, aber im genannten Kreise ist kein Abbruch zu spuÈren.ª Boisserée konnte auch die Besuche von Hegels SchuÈlern notieren (so berichteten Hotho und Gans ihm uÈber die GruÈndung der JahrbuÈcher fuÈr wissenschaftliche Kritik). Als Boisserée 1827 Lithographien, die Strixner von seinen Bildern gemacht hatte, an Hegel sandte, lobte Hegel, daû er sogar ¹unter dem VorzuÈglichen das Ausgezeichneteª gewaÈhlt habe ± naÈmlich den Tod der Maria. (Die Lithographie der Heiligen auf dem rechten SeitenfluÈgel hat sich in Privatbesitz aus dem Erbe Hegels erhalten.) Hegel fuÈhlte sich an die Originale erinnert ¹und an das Kleeblatt der lieben Freunde, das die zweite Seele dieser edeln Gebilde geworden warª. Zum Verkauf der Sammlung nach MuÈnchen schrieb er: ¹Schmerzliches muû freilich die Trennung von solcher Inwohnung enthalten, doch ohnehin ist sie ihrer Natur nach nicht eine vollstaÈndigeª. Vergangenes kann der Gegenwart nicht genuÈge tun, und so muû es problematisch bleiben, alter Kunst eine È sthetik ¹zweite Seeleª sein zu wollen. Auch in den Vorlesungen uÈber A sagt Hegel deshalb von der Sammlung Boisserée, daû einzelne Bilder È berdies ¹das Befriedigendeª nicht haben, ¹das sie gewaÈhren sollenª. U kuÈndigte Hegel 1827 den Boisserées eine zweite Reise in die Niederlande an, wo er dann ± von Paris kommend ± BruÈssel, Gent und BruÈgge besuchte und damit jene Kunst, die nun auch von Berlin aus genauer
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erforscht wurde, innerhalb der Landschaft sah, aus der sie hervorgegangen war.17 Als die Bildersammlung nach MuÈnchen gegangen war, lernte Sulpiz Boisserée dort auch eine Philosophie kennen, die sich schroff von den AnsaÈtzen Friedrich Schlegels wie auch vom Hegelschen System absetzte und dabei der Religion und dem religioÈsen Zug der Kunst eher zu genuÈgen schien. Der Frankfurter Johann Gerhard Christian Thomas bestaÈtigte Boisserée auf dessen MuÈnchener Brief hin am 8. MaÈrz 1827 aus Berlin: ¹Es wird in MuÈnchen ein neuer Stern fuÈr Wissenschaft und Kunst aufgehen, belebt von religioÈsem Sinne. Der Wetteifer mit Berlin wird gegenseitig foÈrdern, und da laÈût sich das Beste erwarten.ª In einem groûen Bericht an Goethe uÈber MuÈnchen kam Boisserée am 16. Januar 1828 auch auf Schellings Polemik gegen Hegel zusprechen. Das ¹abstruse, finstre Wesen der Hegelschen Ineinsbildung von Logik und Metaphysikª gebe den Schellingschen Angriffen das beste Spiel. Thomas bestaÈtigte denn auch am 17. Mai 1828 aus Frankfurt: ¹Schelling, so groû in der Polemik, wird gewiû nicht unterlassen, den Nihilismus einer nur formalen, sogenannten Philosophie in seiner ganzen BloÈûe und Nacktheit hinzustellen, fuÈr die kein Feigenblatt uÈbrig sein wird, um sie zu decken.ª Boisserée hatte den Minister von Altenstein 1824 in Schlangenbad wiedergesehen: ¹Ein Mann, der die Hegelsche Philosophie fromm nimmt und sie durch das sittlich-religioÈse Medium aufs Leben anzuwenden sucht.ª Boisserée besuchte dann 1832 selbst Berlin. Er hatte groûe Vorbehalte gegen die Stadt und sah in der Sammlung Solly einen feindlichen Konkurrenten. Doch das Museum, das die Malerei in ihren historischen ZusammenhaÈngen darstellte, muûte er nun anerkennen. Hegel war schon tot. Auch Frau Hegel, so schrieb Boisserée, ¹erinnert sich mit lebhafter Freundlichkeit der vergangenen Zeit. Der traurige Grund-Ton, der in diesem Jahr durch den Verlust so vieler Freunde entstanden, klingt dann freilich auch bei ihr durch!ª (II, 651) MerkwuÈrdigerweise schwieg Boisserée sich uÈber die Publikation der HegeÈ sthetik aus, obwohl diese doch sein Werk belschen Vorlesungen uÈber A trafen. Mit Bezug auf Schnaases Kunstgeschichte konnte Boisserée 1851 notieren: ¹Unsinn uÈber Unsinn!!!ª Er griff uÈberhaupt das ¹unVgl. Hegels Brief vom 9. 8. 1827. Vgl. ferner Georg Wilhelm Friedrich Hegel: VorÈ sthetik. Hrsg. von Heinrich Gustav Hotho. 2. Aufl. Berlin 1842. Bd 3. 39. lesungen uÈber die A ± Zum folgenden vgl. Sulpiz BoissereÂe: Briefwechsel/TagebuÈcher (s. Anm. 1). Bd 1. 494; Bd 2. 500; Bd 1. 521 und 441. 17
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sinnige Berliner KunstgeschwaÈtzª an (IV, 727). Als GoÈrres auf das Fenster im KoÈlner Dom kam, hoÈrte Boisserée die Auffassung, ¹christliche Bilder duÈrften nicht gut gezeichnet seinª. Walter unterstuÈtzte diese È sthetik: ¹Wo die Religion aufhoÈre, fange die Behauptung mit Hegels A Kunst anª. Boisserée notierte ironisch: ¹Die guten Zions-WaÈchter koÈnnen also auch Hegel zu ihrem Kirchen-Vater brauchen! Das ist doch recht erbaulich.ª (IV, 1018) Die persoÈnlichen Kontakte rissen aber nicht ab: immer wieder traf Boisserée die SoÈhne Hegels, sei es einen einzelnen, sei es beide zusammen. Wenn er sich an Heidelberg erinnerte, tauchte Hegel einmal unter den Gestalten auf, einmal auch nicht; 1853 uÈberdachte er sein VerhaÈltnis zu Hegel 1808 und 1816 (IV, 397, 751, 1026). III. Hegels Weg nach Heidelberg Die Bilder, die im Heidelberger Palais einzeln auf die Staffelei gestellt wurden, bildeten nach ihrem Zusammenhang eine SchoÈpfung vor allem von Sulpiz Boisserée. So muûte es schmerzen, daû die Bilder noch nach Klassen von MuÈnchen gekauft und dann in die Sammlungen des Landes Bayern integriert wurden. Hegel bekam im Heidelberger Bildersaal einen entscheidenden Anstoû, seine Sicht der Geschichte der Kunst neu zu fassen. Ganz unvorbereitet war auch er nicht auf die Begegnung mit der Sammlung BoissereÂe. Im Fragment einer Selbstbiographie erzaÈhlt Sulpiz, daû er als junger Mann bei einer Reise zu seinem Bruder Melchior an die Schelde Georg Forsters Ansichten vom Niederrhein . . . als KunstfuÈhrer benutzt habe.18 Eben diese Ansichten hatte auch der Hofmeister Hegel studiert; so konnte er den gotischen Dom als eine ganze andere Architektur neben die griechischen Bauten stellen. Daû Forsters klassizistischer Geschmack mit den fruÈhesten flaÈmisch-brabantischen Bildern wenig anfangen konnte, hat Hegel gewiû nicht gestoÈrt. Als TuÈbinger Student hatte er die aÈlteren Bilder als ¹grinsende Karikaturenª verworfen. Der Pinsel dieser Maler sei in Nacht getaucht, waÈhrend nach Winckel-
18 Vgl. Sulpiz BoissereÂe: Briefwechsel/Tagebu È cher (s. Anm. 1). 20. ± Zum folgenden vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Gesammelte Werke (Akademieausgabe). Hamburg 1968 ff. Bd 3. 217 f.; Bd 1. 81 f. ± Winckelmann gebraucht die angefuÈhrte Formulierung in seinen Gedanken uÈber die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst.
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mann doch der Pinsel der Maler in Verstand getunkt sein, also der Maler wie Raffael einer ¹Ideeª folgen soll. Am Ende seiner Frankfurter Hofmeisterjahre verband Hegel im sogenannten Systemfragment von 1800 aus der NaÈhe zu Hölderlin heraus Religion und Kunst: die Architektur grenzt den heiligen Bezirk aus, am Fest nahen sich die Menschen in Prozessionen den GoÈtterstatuen und singen die Hymnen zu ihnen herauf, so daû die Gottheiten in ihre Herzen einkehren.19 Lieû sich von diesem Bild aus, das sich an der groûen Zeit der Griechen orientierte, die Kunst der Umbruchszeit um 1800 oder auch nur die Kunst der neueren europaÈischen VoÈlker verstehen? Als Jenaer Dozent begann Hegel, sich die erste groûe Phase der europaÈischen Literatur von Ariost, Tasso und Cervantes her zu erschlieûen, um in Dante die uÈberragende aÈltere Gestalt zu finden. Davon spricht ein Fragment, das nun den Jenaer SystementwuÈrfen I von 1803/04 beigegeben ist, weil es in eine Darstellung des absoluten Geistes gehoÈrt haben koÈnnte.20 Die aÈlteren Zeiten, so fuÈhrt Hegel aus, waren bewegt von Liebe, Abenteuer und Religion oder dem sehnsuÈchtigen È sthetik-Vorlesungen wird Hegel Bezug zum Ewigen. (In den spaÈteren A vom weltlichen und religioÈsen Kreis der romantischen Kunst sprechen). Die Liebe, das heiût die hohe Minne, blieb innerlich und ohne ¹Werkª. (Immerhin wird nicht mehr herausgehoben, daû ein Grieche, der fuÈr das ¹Unedle in der Leidenschaft der Liebeª gescholten wird, aber fuÈr sein Vaterland gelebt hat, diese hohe Minne und diese WillkuÈr der Abenteuer im Dienst der fernen Geliebten uÈberhaupt nicht verstanden haÈtte).21 Zu dieser Liebe und dem ritterlichen Abenteuer trat die Religion, in der das einzelne Bewuûtsein sich in den Stiftern der Religion als absolutes Bewuûtsein anschaute. Die Stifter waren in die Geschichte eingebunden, keine ¹absolut freien Gestaltenª, aber Helden, ¹welche den absoluten Schmerz im Leiden und Martern auf das Grellste dargestellt und statt eine schoÈne, in sich befriedigte eine aufs hoÈchste unbefriedigte haÈûliche Erscheinung habenª. Die typologische Geschichtsauffassung, die das Einzelne auf ein geschichtliches Vorbild bezieht, wird so umgewandelt, daû dieses Vorbild dem erfuÈllten Augenblick zugesprochen wird und dann als eine ¹kraftlose VergangenÈ bergang Vgl. die Edition und Interpretation des Fragments bei Shen Zhang: Hegels U zum System. Bonn 1991. Vgl. vor allem 11 ff. 20 Vgl. Hegel: Gesammelte Werke (s. Anm. 18). Bd 6. 330 f. 21 Vgl. Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844. 523 f. 19
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heitª das Ewige darstellt. Dante koÈnne nur in TraÈnen zerflieûen vor Paolo und Francesca, die ewig an den Augenblick ihrer suÈndigen Liebe gebunden blieben. Dieser Bezug des Geschichtlichen zum Ewigen komme nur zur goÈttlichen KomoÈdie, in der das Subjektive sich selber vor dem Absoluten ¹unmittelbar zernichtetª, nicht aber zur TragoÈdie, in der die Mythologie als Werk eines Volkes sich lebendig fortsetzt. Hegel, der die typologische Geschichtsanschauung spaÈter als eine ¹LuÈgeª abtun wird, fordert demgegenuÈber, daû der Mensch die ¹RealitaÈt seiner Existenzª ganz in sich und seiner geschichtlichen Wirklichkeit finde (in jenem existenziellen Realismus, den Erich Auerbach mit Hegel von der Typologie und von Dante als dem Dichter der ¹Irdischen Weltª hergeleitet hat).22 Offen bleibt die Frage, was Hegel in Jena schon von der alten Malerei kannte, die ja die Religionsstifter vor Augen stellte. Hatte Hegel schon Friedrich Schlegels Berichte uÈber die alten Bilder aus Napoleons Kunstraub gelesen? In jenen Jahren kam Carl Ludwig Fernow mit dem Nachlaû des Malers Carstens von Rom nach Jena. Er steuerte zu Goethes Winckelmann-Buch ¹Bemerkungenª bei, die gegen die Hoffnung auf eine Erneuerung der Kunst in der Nachfolge Winckelmanns sprachen: nach den Statuen der Griechen und den Bildern Raffaels kann es nur noch ScheinbluÈten als Nachklang geben. Fernow veroÈffentlichte 1803 im Neuen Teutschen Merkur seine Abhandlung uÈber die Landschaftsmalerei und widmete sie Reinhardt, der mit Koch die heroische Landschaftsmalerei schuf. Ein Gesamteindruck, wozu die Landschaft selbst den ¹Grundtonª angibt, soll das GefuÈhl in Anspruch nehmen. Das Erzeugnis einer dichterisch gestimmten Einbildungskraft soll zur FuÈlle der Empfindung, zu einer ¹aÈsthetischen Stimmungª fuÈhren und den ¹Charakterª der Landschaft ebenso wie das Situative (etwa die Tages- und Jahreszeiten) herausheben. Das NiederlaÈndische wird auf die unterste Stufe dieser Landschaftsmalerei gestellt, da es keine IdealitaÈt kenne, sondern der Plattheit jener Gegenden verhaftet bleibe. ± Schiller hat Fernow mit Hegel zusammenzubringen versucht; Goethe hat 1803 mit ihnen gemeinsame GespraÈche gefuÈhrt.23 Kann man aus diesem Kontext verstehen, was Hegel 1805/06 in den Jenaer SystementwuÈrfen III uÈber Kunst und dabei auch uÈber Malerei Vgl. Erich Auerbachs zusammenfassendes Werk: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendlaÈndischen Literatur. 2. erw. Aufl. Bern 1959. 23 Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen (s. Anm. 3). 54, 53. ± Zu Fernow vgl. Herbert von Einem (s. Anm. 10). 60 ff. 22
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sagt? Hegel verwendet Goethesche Worte, wenn er in der SchoÈnheit mehr den ¹Schleierª findet, der die Wahrheit verdeckt, als die Darstellung der Wahrheit selbst. Er kann mit und gegen Hölderlin die Kunst den ¹indischen Bacchusª nennen, ¹der nicht der klare sich wissende Geist ist, sondern der begeisterte Geist ± der sich in Empfindung und Bild einhuÈllende, worunter das Furchtbare verborgen istª.24 In anderen Jenaer Manuskripten hatte Hegel festgehalten, daû die gegenwaÈrtige Zeit nicht mehr das Kunstwerk in sich bilde; so muÈsse der KuÈnstler seine Einbildung in die vergangene Welt versetzen: ¹Er muû sich eine Welt traÈumen, aber es ist seinem Werke auch der Charakter der TraÈumerei oder des Nichtlebendigseins, der Vergangenheit schlechthin aufgedruÈcktª. Diese Worte moÈgen im Hinblick auf Novalis und Hölderlin gesprochen worden sein; doch auf Goethe, naÈmlich auf die in Rom geschriebene Faustszene Wald und HoÈhle, zielt die Bemerkung, die ¹poetischeª Naturanschauung, die in Busch, Luft und Wasser eine ¹Reihe Lebendigerª sehe, bleibe ein ¹empfindsamer Schmerzª. Die SystementwuÈrfe III sehen das Problem der ¹absoluten Kunstª darin, daû durch die Einbildung jeder Stoff (eben nicht nur die ¹BruÈderª in Busch, Luft und Wasser) in die kuÈnstlerische Anschauung erhoben werden solle. Man suche dann die ¹Poesie aller Dingeª, doch die Belebung der Natur, vor allem das ¹Landschaftlicheª, widerspreche der wirklich gegebenen Gestalt. Die Gestalt gehe verloren, wenn nur leise an die Bedeutung angeschlagen werde, aber auch, wenn die Bedeutung selbst hervortreten solle und dabei zur Allegorie ausgedehnt werde. Die rein intellektuelle SchoÈnheit, diese ¹Musik der Dingeª habe das ¹homerisch Plastischeª zu seinem Gegensatz. Der Formalismus gebe jenen Inhalt preis, den die Menschen sich doch nicht nehmen lassen wollten, und so sei eine Kunst dieser Art nur noch fuÈr ¹Kennerª. In Bamberg wohnte Hegel nicht weit unterhalb des Domes. In seiner Bamberger Zeitung gab er Kriegsnachrichten weiter. Ebenso notierte er eine Parade sowie ein ¹solennes Hochamtª mit dem ambrosianischen Lobgesang zur Feier des glorreichen Sieges bei Friedland und weiterhin eine Parade und ein Hochamt in der Domkirche am Geburtstag des bayerischen KoÈnigs.25 FuÈr die Plastiken dort, etwa fuÈr den Bamberger Reiter, hatte Hegel noch keine Augen. Da er in NuÈrnberg eine Tochter der Familie von Tucher heiratete, war es fuÈr ihn unverzichtbar, auch Vgl. Hegel: Gesammelte Werke (s. Anm. 18). Bd 8. 278 ff. ± Zum folgenden vgl. Bd 5. 377, 372. 25 Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 5. 442, 445 f. 24
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von der Kunst Kenntnis zu nehmen, die mit den Patrizierfamilien verbunden war. Daû Sulpiz Boisserée sich um diese Kunst bemuÈhte, blieb È berraschung. Noch in NuÈrnberg wurde Hegel auch auf die eine groûe U Begegnung mit der Bildersammlung der Boisserées vorbereitet. Als Niebuhr ihn im Sommer 1816 besuchte, hoÈrte er, daû Schinkel nach Heidelberg entsandt worden war, um die Bildersammlung fuÈr Berlin zu kaufen. So schrieb Hegel am 8. 8. 1816 an Sulpiz Boisserée: ¹Es ist mir bange, daû ich Sie und Ihre Sammlung nicht mehr in Heidelberg treffe.ª Inzwischen hatte Hegel zugesagt, den Ruf nach Heidelberg anzunehmen. IV. Heidelberg und die GemaÈldeausstellung Hegels Ziel in Heidelberg war ein Wirken an der UniversitaÈt. GespraÈche mit Creuzer uÈber Mythologie und mit Daub uÈber spekulative Theologie standen im Zusammenhang gemeinsamer BemuÈhungen um Kunst, Religion und Philosophie. Dazu traten Thibauts AuffuÈhrungen alter Musik und die GemaÈlde der Boisserées. Im einstigen Adelspalais des ¹Sickinger Hofesª standen drei RaÈume und ein Vorgemach fuÈr die Bilder zur VerfuÈgung. Das hieû, daû die meisten der 250 Tafeln an den WaÈnden gestapelt waren und einzeln zur Betrachtung hervorgeholt wurden. Das gab Anlaû zu ErlaÈuterungen. Leider ist nicht uÈberliefert, wie Hegel den Bildern begegnete. Wir koÈnnen nur seine Urteile uÈber È sthtetik-Vorlesungen und Reiseeinzelne Bilder aus den Berliner A briefen rekonstruieren. Damit ist die GemaÈldesammlung immer schon in einen groÈûeren Kontext gestellt. Wenn Boisserée vom 2. Februar 1817 ein ausfuÈhrliches GespraÈch mit Hegel uÈber Kunst notierte, dann ist sein GespraÈchsanteil oft schwer vom Anteil Hegels abzugrenzen (380 f). Boisserée bestaÈtigt die These, daû die Geschichte ein Kampf sei, die Geschichte der Kunst dagegen ein ¹Erfreulichesª. Nach seiner Auffassung muÈûte ¹notwendig das Reich Gottes angehenª, wenn die Kunst allgemein werden koÈnnte und ihr Bestreben verwirklicht wuÈrde, ¹den hoÈchsten Ideen einen Leib zu gebenª. Es ist dann Boisserée, der die KuÈnste neben die Kunst des Arztes, des Staatsmanns und des Priesters stellt. Die Auffassung, daû die ¹eigentliche Kunstª vom GoÈttlichen ausgehen muÈsse und nicht ohne Religion bestehen koÈnne, fuÈhrt zur Auseinandersetzung um die ¹absolute Kunstª. An dieser Stelle bringt Hegel offenbar ein, was er schon in Jena sagte. Seine dialektisch vermittelnde Betrachtung wird aber durch Boisserée vereinfacht und religioÈs verschaÈrft: diese ab-
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solute Kunst ist ein Wahn, der SuÈnde ist, ein Hochmut der Teufel. In jedem Fall steht diese Kunst immer auf der Kippe: sie faÈllt der bloûen Natur in die Arme, und dort muû der Diabolos dann taÈtig sein, die Kunst ganz in das Gemeine versinken lassen. Anschlieûend bekommt Hegel dann noch einmal mit dem Preis der Plastik Homers und der Polemik gegen das ¹leere nebelhafte Wesen der Nibelungenª genauer das Wort. Als im Sommer 1817 Hegels EnzyklopaÈdie erschien, empoÈrten die duÈrren Paragraphen uÈber die Kunstreligion und das VerhaÈltnis von Religion und Philosophie Boisserée. Wenn Hegel in seinen Vorlesungsnotizen zu einem dieser Paragraphen einen Hinweis auf seine PhaÈnomenologie des Geistes gab, dann forderte er damit zugleich, auch die ¹romantischeª Kunst (die der christlichen VoÈlker) im einzelnen darzustellen.26 Der Blick auf den Verfassungsstreit in Stuttgart gab ihm die Gelegenheit, im Winter 1817/18 seiner Rechtsphilosophie die endguÈltige Form zu geben: er folgte den Prinzipien, die er am Ende seiner Jenaer Zeit gefunden hatte, entfaltete nun aber auch eine Lehre von den gesellschaftlich-politischen Institutionen und ging so uÈber die Heidelberger EnzyklopaÈdie hinaus.27 In paralleler Weise wird Hegel versucht haben, auch seine Philosophie der Kunst konkret auszugestalten. Freilich lieû er die Vorlesung, die er fuÈr den Sommer 1817 angekuÈndigt hatte, ausfallen; als er dann im Sommer 1818 Philosophie der Kunst las, war er schon auf dem Sprunge nach Berlin. So ist das verlorene Heft, das Hegel sich fuÈr diese Vorlesung anlegte, nach dem Zeugnis Hothos offenbar recht skizzenhaft geblieben.28 Sicherlich zog nicht nur Tiecks Sternbald, sondern auch noch der junge Heidelberger Maler Fohr nach Rom. Doch die Bildersammlung der Boisserées machte auf lange Sicht deutlich, daû Nordeuropa seine eigene malerische Tradition gehabt hatte. Schlegel hatte die alten Bilder (so Teile des Genter Altars, deren Zusammenhang unbekannt blieb) schon in Paris gesehen, ehe die Boisserées zu ihm stieûen. Die Linien,
26
23.
Vgl. die Edition durch Helmut Schneider in: Hegel-Studien. 9 (1974), 9 ff, vor allem
27 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen u È ber Naturrecht und Staatswissenschaft. Hrsg. von C. Becker u. a. mit einer Einleitung von O. PoÈggeler. Hamburg 1983. È sthetik-Ausgabe (s. Anm. 17). Zu den kontro28 Vgl. Hothos Einleitung zu seiner A È sthetik vgl. Georg Wilhelm versen Deutungen der ¹Splitterª aus der Entstehung der A Friedrich Hegel: Vorlesungen uÈber die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert. Hamburg 1998. LXV f.
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die er von Johann van Eyck zu Dürer und Holbein zog, sollten eine Konstruktion der niederlaÈndisch-deutschen Geschichte der Malerei ermoÈglichen. Als Schlegel seine alten Bildbeschreibungen neu herausgeben wollte, sollte Sulpiz Boisserée Details uÈber die neuen Funde beisteuern. Diesem Wunsch konnte Sulpiz nicht entsprechen, doch hob er in seinem groûen Brief an Schlegel vom 13. 2. 1811 noch einmal das GrundsaÈtzliche hervor, das er durch seine SammlertaÈtigkeit neu gefunden zu haben glaubte. Danach gab es eine gemeineuropaÈische neugriechisch-byzantinische Malerei, zu der auch die aÈlteren KoÈlner Bilder (zum Teil noch auf Goldgrund) gerechnet werden. Boisserée wollte strikt bei seiner Auffassung bleiben, daû Johann van Eyck der Erste war, der einen Wandel brachte und so die nationaldeutsche oder niederlaÈndisch-deutsche Kunstgeschichte begruÈndete. In KoÈln habe ein Maler Wilhelm das Neue durchgesetzt; er soll sowohl das Dombild wie den Heisterbacher Altar geschaffen haben. Das Neue all dieser Werke brachte Boisserée auf die Begriffe der Natur und der IndividualitaÈt: ¹Es waÈre uÈberfluÈssig, Ihnen zu schildern, wie bei diesen Werken im Gegensatz gegen die neugriechischen, alles, KoÈpfe, Gestalten, GewaÈnder, Faltenwurf, sogar die Farben, durchaus kraÈftiger, haÈrter, individueller, ganz nach dem Leben und der Natur gebildet istª.29 Die italienische Malerei zeige denselben Weg, nur abgewandelt vom italienischen Nationalcharakter her und bestimmt durch die unmittelbare NaÈhe zu den antiken Werken. Hegel hat (auch in Berlin) diese Auffassung weiter ausgebaut, daû Johann van Eyck wie durch ein Wunder einen neuen Anfang setzte; wie sehr Hegel sich diese neue Sicht der Geschichte auch in ihrer Konkretion aneignen wollte, zeigt sich daran, daû er am 25. Juli 1817 seinem einstigen Jenaer SchuÈler van Ghert nach BruÈssel schrieb, er werde noch in diesem Jahr (oder wohl eher das naÈchste Jahr) nach KoÈln reisen. Wenn Hegel seine ¹Hemmlingeª suchte, dann waren das in Wirklichkeit nicht alles Bilder von Memling. Wenn Sulpiz Boisserée, Goethe oder Hegel ¹van Eyckª sagten, handelte es sich des oÈfteren um Bilder anderer Maler. Noch war nicht klar geworden, daû die Kunst unterschiedliche Wege gegangen war, als die Burgunder-HerzoÈge mit ihrem Ehrgeiz und ihrer fuÈrstlichen Pracht im BuÈrgertum der niederlaÈndischen StaÈdte neue geschichtliche MoÈglichkeiten weckten. Als Hauptbild van Eycks und der Sammlung uÈberhaupt galt der Drei-
29
Vgl. BoissereÂe: Briefwechsel/TagebuÈcher (s. Anm. 1). 96 ff, vor allem 102.
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koÈnigsaltar aus St. Columba, der fuÈr uns heute mit seiner starken hoÈfischen PraÈgung als SpaÈtwerk Rogiers gilt und mit dem stillen Antlitz der Madonna auf Memling vorausweist. Hegel sagte in der Vorlesung von 1826, der Altar werde van Eyck zugeschrieben; Hotho machte daraus Mitte der 30er Jahre in seiner Edition: in den Anbetungen ¹der van eyckischen Schuleª seien ¹die Anbetenden haÈufig bekannte Personen, FuÈrsten, wie man z. B. auf der beruÈhmten Anbetung bei den GebruÈdern Boisserée, welche fuÈr ein Werk van Eycks ausgegeben wird, in zweien der KoÈnige Philipp von Burgund und Karl den Kühnen hat erkennen wollen.ª30 Hegel hielt auch weitere Einzelheiten fest: ¹Bei der Anbetung der heiligen drei KoÈnige z. B. sieht man Christus haÈufig unter einem baufaÈlligen Dache in der Krippe liegen, umher altes verfallendes GemaÈuer eines antiken GebaÈudes, im Hintergrund einen angefangenen Dom. Dies zerbroÈckelnde Gestein und der aufsteigende Dom haben einen Bezug auf den Untergang des Heidentums durch die christliche Kirche.ª Als Sulpiz 1841 Passavants und Waagens Behauptungen hoÈrte, seine Eycks seien alle von Rogier, aÈrgerte ihn immer noch die NaseWeisheit dieses Umtaufens.31 In jedem Fall sahen die fruÈhen Besucher der Sammlung in Heidelberg auf diesem Drei-KoÈnigs-Bild eine Vergangenheit, die sich in die eigene Gegenwart erstreckte. Boisserée noÈ sterreich, daû der tierte am 12. Juni 1815 beim Besuch des Kaisers von O Habsburger in den KoÈnigen seine Stamm-Eltern erkannte. Schon am 11. Februar hatte er an Goethe geschrieben, Bertram habe in einem gestochenen Bild Philipps des Guten von Burgund den knienden KoÈnig des Drei-KoÈnigs-Bildes erkannt; dann habe man ¹eine noch viel È hnlichkeit des stolzen, schwarzen KoÈnigs mit Karl dem auffallendere A Kühnenª gefunden. Am 25. Juni meldete Sulpiz dann an Goethe, daû Kaiser Franz diese IdentitaÈten (und mehrere andere) gleich erkannt habe. (Inzwischen kamen Zweifel an diesen Identifikationen auf.) Als Hegel im Winter 1817/18 erstmals seine Rechtsphilosophie den Studenten diktierte, schloû er mit einem Ausblick auf die Weltgeschichte. Er beschwor noch einmal die Melancholie um die Ruinen von Palmyra, Persepolis und Ägypten. Zugleich uÈbernahm er, was sich beim Sturz der vorderasiatischen Reiche ausgebildet und von Daniel formuliert worden war: die Lehre von der Abfolge der Reiche und È sthetik (s. Anm. 17) Bd 3. 48; zum folgenden ebd. 91. Vgl. Hegel: Vorlesungen uÈber die A Vgl. BoissereÂe: TagebuÈcher 1808±1854 (s. Anm. 3). Bd 3. 687 ff; zum folgenden vgl. Bd 1. 187. Vgl. ferner die Briefe an Goethe in BoissereÂe: Briefwechsel/TagebuÈcher. Bd 2. 55, 64. 30 31
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und dem Erscheinen des Menschensohnes, in dem Gott die Geschichte unter sein Gericht stellt.32 So konnte Hegel durchaus der Auffassung sein, daû dieser Wirbel der Geschichte ein Ergebnis gebracht hatte: auf politischem Feld jene konstitutionelle Monarchie, die den Bund der FuÈrsten und der BuÈrger fortsetzte, wie er sich am groûartigsten einmal in den flaÈmischen StaÈdten entfaltet hatte; auf religioÈsem Gebiet eine vernuÈnftige Interpretation der christlichen Religion als der Zusammenfassung der Religionsgeschichte. In der alten Malerei muûte er eine Widerspiegelung der AnfaÈnge der Gegenwart sehen. Zwar wissen wir nicht, was er seinen Studenten im Sommer 1818 in Heidelberg diktierte; È sthetik-Vorlesung vom Winter 1820/21 doch gleich die erste Berliner A fuÈhrt aus, daû die Menschen sich in der ¹romantischenª, also der christlichen Kunst als Geist und Geschichte erfahren. Diese Kunst uÈbt jene ¹absolute NegativitaÈtª ein, in der das Menschliche und uÈberhaupt das Irdische als das Nichtige und SuÈndige erfahren, aber diese Nichtigkeit wiederum als nichtig gesetzt wird. Dieser bestimmte sterbliche Mensch Jesus mit seinem Weg zum Kreuz ist als Christus nunmehr die Weise, wie Gott sich den Menschen zeigt. Der Tod kann nicht mehr wie bei den Griechen in schoÈner VerklaÈrung beiseite geschoben werden; selbst die Kunst lehrt, seiner Furchtbarkeit ins Auge zu sehen. Nur so kann die Wirklichkeit als Prozeû und als Geschichte erfahren werden. Dieser Prozeû, der das einzelne herausstellt und zuruÈcknimmt, ist als Tod alles einzelnen zugleich die Liebe, in der das einzelne angenommen und bewahrt ist. Die Malerei kann (wie in anderer Weise die Musik) zur Erfahrung dieses Prozesses von Tod und Liebe fuÈhren, weil sie auf der FlaÈche der Leinwand alles einzelne als fertige Wirklichkeit ausbreitet, dann aber von der ¹Empfindungª des Ganzen als eines Zusammenhangs der Liebe her aufnimmt. Die Malerei bleibt nicht ¹blicklosª; sie laÈût die Innerlichkeit des Menschen im Auge hervortreten, aber bringt uns zugleich die FuÈlle der Welt. Eine Malerei, die die heilige Mitte des Altars zu bilden vermag, gibt es nur im Christlichen. An die Stelle des ¹alten Idealenª tritt ¹das Ideale des Modernenª. Mit einem Anklang an Winckelmann formuliert Hegel (schon 1820/21) noch einmal den Unterschied zwischen den Alten und den Modernen: Die GoÈtter der Griechen und die vergoÈttlichten Vgl. Hegel: Vorlesungen uÈber Naturrecht und Staatswissenschaft (s. Anm. 27). 256 ff. ± Vgl. ferner Otto PoÈggeler: Der Geschichtsschreiber Johannes von MuÈller im Blickfeld Hegels. In: Johannes von MuÈller ± Geschichtsschreiber der Goethezeit. Hrsg. von Christoph Jamme und Otto PoÈggeler. Schaffhausen 1986. 277 ff, vor allem 300 ff. 32
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Heroen zeigen eine stille GroÈûe, doch hat ihre Heiterkeit einen Zug von Trauer. Im Idealen der Malerei finden wir nicht die Seligkeit, sondern die Empfindung der Seligkeit, aber zuruÈckgestellt in die Liebe, und so die Heiterkeit als den Frieden. Die italienischen Meister haben diese Liebe am reinsten zu gestalten vermocht. Hegel hebt wieder die Parallele zu Dante heraus, dazu jetzt auch zu Petrarca, den er gerade in Dresden durch Karl Förster naÈher kennengelernt hatte, ja zur SaÈngerin Catalani, die er in Berlin hatte hoÈren koÈnnen; ¹Es ist dies reine Klingen, ohne Nebenklang, die Stimme eines Vogels; aber als Menschenstimme hoÈrt man es ihr an, daû sie sich selbst hoÈrt. In den deutschen Stimmen klingt noch etwas bei, und dies Beiklingende ist das Moment der SubjectivitaÈt.ª Auch der nordeuropaÈischen Malerei geht an SchoÈnheit etwas ab, doch uÈbertrifft sie die Italiener durch jene ModernitaÈt, die uÈber das Element der SchoÈnheit hinausfuÈhrt.33 Hegel weiû, daû nicht nur Gottvater schwer darzustellen ist, sondern auch die Christusgestalt leicht entweder im GoÈttlichen oder im rein Menschlichen verschwindet. (Diese Problematik macht Hegel auch gegenuÈber dem Christuskopf nach van Eyck aus der Sammlung Boisserée geltend.) So fordert er, Christus in den verschiedenen Situationen seines Lebens darzustellen, damit auch in seinem Leiden das Ungeheuerliche, das Leiden Gottes selbst, zu zeigen. Die Liebe, die die Bereitschaft zum Tod in sich aufgenommen hat, laÈût sich am unmittelbarsten mitempfinden in der Darstellung der Mutterliebe, die von Natur aus selbstlos ist und nichts begehrt. So hat die christliche Malerei gerade die Madonna in den verschiedensten Situationen vor Augen È sthetik-Vorlesung vergleicht die gefuÈhrt. Gleich die erste Berliner A Mater dolorosa mit Niobe ± also mit jener plastischen Gruppe, die von der Kunstpolitik der MedizaÈer herausgestellt wurde und auch fuÈr die Goethezeit so etwas wie ein Urbild war (waÈhrend die ArchaÈologie unserer Zeit von dieser HochschaÈtzung eher peinlich beruÈhrt wird). Niobe verbleibt auch dann, wenn sie ihre Kinder verliert, in ihrer ¹idealen Hoheitª; sie behaÈlt ¹ihre volle SchoÈnheitª. Das Substantielle (ihr Muttersein) wird zerstoÈrt, aber ihre ¹subjektive IndividualitaÈtª ist nicht gebrochen. Der Schmerz kann sie nur ¹versteinernª, denn sie hat noch kein Herz, das gebrochen werden koÈnnte. ¹Maria fuÈhlt aber den È sthetik Berlin 1820/21. Hrsg. von Helmut SchneiVgl. G. W. F. Hegel: Vorlesung uÈber A der. Frankfurt a. M. 1995. 254 f; zum folgenden 257 f. ± Zum folgenden vgl. zur Deutung der Niobe-Gruppe Otto PoÈggeler: Die Frage nach der Kunst. Freiburg, MuÈnchen 1984. 170 ff, vor allem 199 ff. 33
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Dolch, der ihr Herz durchbohrt; uÈber ihrem Herzen hat sie aber ihre Liebe. Diese ist nicht die IndividualitaÈt der Alten, sondern ein Freies, ein Concretes, welches noch das Verlorene behaÈlt; sie verliert das Geliebte, behaÈlt aber die Liebe. Diese Liebe ist es, was durch das Seelenleiden durchscheint, und durchscheinen muû, ein HoÈheres, als das bei Niobe UngetruÈbte.ª34 An diese Unterscheidung des Alten und des Modernen schlieût Hegel Gedanken daruÈber an, wie Maria unter den Aposteln stirbt und im Ausblick auf die weitergehende Geschichte der Kirche doch selig ist. ¹Hier kann ich eines GemaÈldes der sterbenden Maria erwaÈhnen, das Herr Boisserée besitzt. Eine schwere Aufgabe. Sie liegt sterbend auf einem Bette, ihre Freunde ringsum mit den bei SterbefaÈllen noÈtigen heiligen GebraÈuchen und GeraÈtschaften. Die verschiedenen Personen und das Beiwesen ist von hoÈchster SchoÈnheit. Diejenigen, die Somnambulen, schoÈne weibliche, seelenvolle Gestalten gesehen haben, wo die Seele noch in sich taÈtig ist und den KoÈrper starr verlassen hat, sind bei der Besichtigung der sterbenden Maria an diesen Anblick erinnert worden. Es ist in ihr nicht das Ermatten, Zusammenfallen im Tode, sondern man sieht noch das Freiwerden, ZuruÈckkehren der Seele in sich.ª Sulpiz Boisserée hat immer wieder notiert, wie die Besucher das Bild der sterbenden Maria auszeichneten. Kaiser Franz bewunderte ¹den Ausdruck und die Kompositionª; Frau von Wangenheim und die KoÈnigin von WuÈrttemberg wandten sich gerade diesem Bild zu. Als Varnhagen kam, wollte Boisserée Verse des Angelus Silesius unter dies Bild schreiben. Diese Verse nennen jene Seele schoÈner als die MorgenroÈte, die in des Leibes HoÈhle von Gottes Strahl durchleuchtet ist. Friedrich Schlegel fuÈhlte sich im April 1816 genoÈtigt, von seiner Liebe zu Frau von Stransky und der noÈtigen Entsagung zu erzaÈhlen. ¹Er muû in die Stadt, gegen Abend ein Gewitter nahend, Ahndung treibt ihn nach Haus. Da findet er die Stransky im Nerven-Fieber. Sie phantasiert auf das Herrlichste. ± ± ± fromm! ,Wenn ich ihn nur habe` usw. tragisch, ruÈhrend, endlich heiter und lustig . . . Groûer Eindruck der Sterbenden Maria auf ihn wegen dieser Erinnerung!ª Sulpiz Boisserée bemerkt zu diesen EnthuÈllungen, die Hegel offenbar nicht unbekannt geblieben sind: ¹Ich habe einen stillen heimlichen Ekel.ª35 Hegel È sthetik Berlin 1820/21 Vgl. hierzu und zum folgenden Hegel: Vorlesung uÈber die A (s. Anm. 33). 261. 35 Vgl. BoissereÂe: Tagebu Ècher 1808±1854 (s. Anm. 3). Bd 1. 190, 430, 516, 313. ± Zum folgenden vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 2. 353 ff. 34
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hatte das Bild so klar vor Augen, daû er die Unterschiede des Pendants in KoÈln 1822 sofort erkannte. Diese Bilder der sterbenden Maria wurden damals dem Jan van Scorel zugeschrieben. Heute werden sie Joos van Cleve zugesprochen, also einem Maler, der in seinen spaÈten Bildern noch Leonardo aufnahm. So zeigt sich, daû Hegel eher dem Geschmack des 16. als des 15. Jahrhunderts folgt. Die ¹byzantinischenª Bilder, die noch nach einem Typus gemalt sind, grenzt er sowieso aus. ¹Erst nachher ist ein schoÈner, andaÈchtiger Sinn hineingekommen, er druÈckt sich aber anfangs nur abstract aus; nur Umrisse, Andeutungen, wo aber die beginnende innere Lebendigkeit noch nicht zum vollkommenen Ausdruck gekommen ist. Daher muû man nicht, wie die Herren von Schlegel und die AltdeutschtuÈmler es tun, ein Bild um so hoÈher schaÈtzen, je aÈlter und je schlechter es gemalt ist. Erst die SpaÈtern, die Italiener und NiederlaÈnder, haben die Bilder zu der Wahrheit hingefuÈhrt, die dem Portrait so nahe steht . . .ª Raffael habe zu seiner Madonna ein schoÈnes MaÈdchen sitzen lassen; Dürer in Deutschland und Tizian in Italien seien dann die beruÈhmtesten Portraitmaler gewesen.36 Trotzdem kann Hegel beobachten, wie die Malerei sich von Anfang an am Kostbaren, dem Gold und den Edelsteinen, festhaÈlt. Dann lernt sie, etwa den Glanz des Samts wiederzugeben, aber auch in der VerkuÈndigung an Maria die Lilie auf die JungfraÈulichkeit hinweisen zu lassen.37 Gleich die erste Berliner Vorlesung sucht (nach dem Besuch Dresdens) zu begruÈnden, warum die Venezianer und die NiederlaÈnder ¹Meister in den Farbenª geworden seien: ¹Beide VoÈlker sind nahe am Meere, ihr Land ist von KanaÈlen durchschnitten. Nun kann man annehmen, daû diese stets den einfoÈrmigen, unklaren Hintergrund haben. Damit haÈngt nun sehr nahe zusammen, daû den Maler, der von Hause aus einen truÈben, matten Hintergrund hat, das Farbige mehr anspricht, und daû es sich besser auf diesem matten Grunde ausnimmt . . . Gegen diese Venezianer und NiederlaÈnder erscheint die uÈbrige italienische Malerei trocken, sie hat nicht das Saftige, Hervortretende, wie jene.ª Hegel fragt nach den Gesetzen des Farbenkreises und macht zum Beispiel darauf aufmerksam, daû die christlichen Maler, besonders die 36
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È sthetik Berlin 1820/21 (s. Anm. 33). 265; zum folgenden Vgl. Hegel: Vorlesung uÈber die A
Die Lilien seien ohne Anteren, weil diese das GeschlechtsverhaÈltnis ausdruÈckten. Vgl. Hegel: Vorlesungen uÈber die Philosophie der Kunst Berlin 1823 (s. Anm. 28). 258. Vgl. die vielen Bilder von der VerkuÈndigung an Mariam Kunst als Kulturgut (s. Anm. 1). Nr. 7, 60, 70, 71, 101. 37
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NiederlaÈnder, ¹der Maria das tiefe, empfindungsreiche Blau zum Gewandeª geben, ¹dem Joseph das Rot, sowie auch Christusª. So klingt der harmonische Gegensatz der einfachen Farben auf. Nur wer auch den Figuren Entschiedenheit und Gehalt gibt, kann das Verblasene, Liebliche, SuÈûe niederdruÈcken. Die franzoÈsische Malerei, aber auch die ideale Malerei im Gefolge von Mengs muûte dagegen zu den unbestimmten, gemischten Farben greifen.38 Hegel beobachtet auch, wie die Maler die Menschen gruppieren, ohne sie der Zerstreuung zu uÈberlassen. Allerdings kann Teniers darstellen, wie ¹fuÈnfhundert Personenª uÈber einen Jahrmarkt zerstreut sind. Ein GemaÈlde von ¹Hemmlingª in der Boisseréeschen Sammlung zeigt die Juden, die in der WuÈste Mannah auflesen. Hegel nennt das GemaÈlde sehr schoÈn, obwohl der Gegenstand nicht fuÈr die Malerei È gyppasse. ¹Man sieht die Juden in koÈstlichen Kleidern, die sie den A tern gestohlen haben, alle etwas abgetragen; sie lesen Mannah mit der groÈûten Emsigkeit, wie ein Juwelier Perlen liest.ª39 In Aachen fand Hegel 1822 in der Sammlung Bettendorf einen der Juden, ¹der Mannah aufklaubtª, wieder in der Gestalt dessen, der das Osterlamm vorschneidet. In einer anderen Zeit hat Sefan George in den Tagen und Taten die ¹Schmucktrachten des Dierick Boutsª, also das Kostbare auf diesen Bildern, gepriesen. Es gehoÈrt zu den wenigen guten Folgen des Versailler Vertrages, daû diese Bilder heute wieder als FluÈgel des LoÈwener Abendmahls-Altars in der dortigen Peterskirche vereint sind. So wird deutlich, daû Hegel nur ausnahmsweise den groÈûeren Zusammenhang sehen konnte, in dem die einzelnen Bilder der Sammlungen als Altartafel standen. V. Ein Ende der Kunst? In seiner Philosophie der Weltgeschichte fuÈhrt Hegel drei Tatsachen an, die aus der mittelalterlichen Welt in eine neue Zeit fuÈhrten: die BluÈte der schoÈnen KuÈnste, die in Italien begann; die Restauration der Wissenschaften mittels des Studiums des Altertums; die Entdeckung des Seeweges nach Amerika und Indien. Die Religion habe sich fruÈher schon der Kunst bedient, doch dann sei die Kunst herausgetreten aus È sthetik 1820/21 (s. Anm. 33). 272 f, 276. Vgl. Hegel: Vorlesung uÈber die A È Vgl. Hegel: Vorlesung uÈber die Asthetik 1820/21. 272. Zum folgenden vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 2. 355. 38 39
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dem Prinzip der Kirche und der bloûen Anbetung, indem sie durch die Phantasie schoÈnere und freiere Gebilde erzeugte, als die Wirklichkeit sie bot.40 Von dieser Sicht aus muû Hegel es begruÈûen, wenn die Kunst das Heilige in das Menschliche hineinholt. So betont er, daû die Bilder der KoÈnige Portraits seien (gerade auch auf dem beruÈhmten Drei-KoÈÈ sthetik-Vornigs-Altar der Sammlung Boisserée). Die erste Berliner A lesung haÈlt fest, man sehe es den KoÈnigen an, ¹daû sie noch etwas Anderes als Anbetende sindª. Die Donatoren oder Schenker (auch auf den Bildern der Sammlung Solly) zeigten nicht nur Andacht, sondern seien Ritter oder Frauen, die dem Hause vorstuÈnden. ¹Diese Andacht muû so gefaût werden, daû darin schon die Gewiûheit der ErhoÈrung, die GewaÈhrung, ist; es ist nicht das Anrufen in einer Seelenangst, wie im Psalm Davids.ª Die antiken Statuen von Zeus oder Athene geben ¹hohe plastische Idealeª, keine Charaktere; nur wenn man die Treue zur IndividualitaÈt Charakter nenne, koÈnne man auch hier von Charakter sprechen. Bei Agamemnon und Odysseus herrsche schon staÈrker das Besondere vor. ¹Die moderne Kunstª laÈût aber den Charakter in seiner ¹ganzen Mannigfaltigkeit zu. Hier ist also die SchoÈnheit nicht Hauptgesetz, sie ist das Zweite gegen diesen seelenvollen Charakter.ª Die SubjektivitaÈt hat sich in die IntellektualitaÈt zuruÈckgezogen und kann sich auch im HaÈûlichen zeigen. Was Hegel in der Sammlung Boisserée sah, muûte er integrieren in die Malerei uÈberhaupt, die ihm bekannt wurde. Er hatte schon im Herbst 1815 die KunstschaÈtze in MuÈnchen gesehen; von Berlin aus besuchte er 1820 und 1821 Dresden. Der Dresdner Gastgeber, der Italianist Karl Förster, notierte sich uÈber Hegel: ¹Er ist der altdeutschen Kunst nicht hold und freute sich, als ich ihm sagte, daû dies im Geiste unserer Ausstellung sei.ª41 Auch Hotho haÈlt fest, daû sein Lehrer Hegel sich zu keiner Zeit mit dem Mittelalter, solange es sich nicht dem Altertum nachbildete, befreunden konnte (die Architektur ausgenommen). Die Neigung zum HaÈûlichen sei ihm ein dauernder Stein des Anstoûes geblieben. ¹Wenn aber ein reicher Gehalt wesentlicher LebensmaÈchte sich auftat, oder Liebliches und Zartes naiv hervorlaÈchelte, fuÈhlte er sich auch diesem Kreise verwandt, denn die Tiefe des
Vgl. in den Ausgaben der Vorlesungen uÈber die Philosophie der Geschichte durch Gans und Karl Hegel den Schluû des zweiten Abschnittes des vierten Teils. ± Zum folÈ sthetik 1820/21. 262 ff. genden vgl. Hegel: Vorlesung uÈber die A 41 Vgl. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen (s. Anm. 3). 215 f; zum folgenden 252 f. 40
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dargestellten Inhalts war uÈberall seine naÈchste Forderung, und von dem Reiz innerer oder aÈuûerer Anmut wendete er sich niemals ab.ª Wie die Akzente sich verschoben, zeigt gleich die erste Berliner Vorlesung; sie wendet die Begriffe der Natur und der IndividualitaÈt auch auf die Portraits van Dycks an, die so lebendig seien, daû sie ¹gleichsam aus dem Rahmen zu schreiten scheinenª. Hegel nimmt die AufÈ bergang zur Prosa bei den HollaÈndern zu rechtfertigen. gabe auf, den U So sagt er von der niederlaÈndischen Malerei: ¹Sie hat den ganzen Kreislauf der Kunst und der Behandlungsart derselben durchlaufen. Sie hat angefangen von den bloû traditionellen, bloû handwerksmaÈûigen Kirchenbildern. Dann ist sie uÈbergegangen zu dem ganz einfachen eines Seelenvollen; dann zu hoÈhern, edlern Werken der Malerei, und es ist vorzuÈglich van Dyck, der diese aufgebracht hat, der die freien Figuren, die natuÈrliche IndividualitaÈt hineingebracht hat. Dabei hat er den Schmuck der Kleider, die Architektur, Zeichnung der Landschaften etc. nicht vernachlaÈssigt. Von da ist die Kunst fortgegangen zu Portraiten, auch zur Darstellung haÈuslicher Szenen, dann zu den mannigfaltigsten GegenstaÈnden, Produkten der Phantasie, oder den gewoÈhnlichsten im Leben vorkommenden Momenten, und endlich zu dem Stilleben, zur Zusammenstellung von mancherlei GeraÈtschaften, È bergang zur Prosa der Welt Werkzeugen, Tieren, FruÈchten usw.ª Den U rechtfertigt Hegel einmal aus dem Protestantismus der HollaÈnder, dann aus ihrer BuÈrgerlichkeit, die der spanischen Tyrannei widerstand und sich ihre staÈdtische Welt selbst geschaffen hat. (Der hohe Adel, der das Volk druÈcke, fehle in Holland ebenso wie die Ackerbauern der Schweiz.)42 Diese WuÈrdigung Hollands muûte sich verstaÈrken, als Hegel im Herbst 1822 Braunschweig, Kassel, KoÈln und Aachen, dann aber BruÈssel, Antwerpen und Amsterdam besuchte. Hatte schon die erste BerliÈ sthetik-Vorlesung die italienische Malerei wegen ihres Zugs zur ner A IdealitaÈt geruÈhmt, so wurde die Darstellung der Malerei in der letzten Vorlesung noch einmal umgestaltet nach dem Studium der Italienischen Forschungen Rumohrs.43 Es waren Berliner Forschungen (von Waagen und Hotho), die den Blick auf den Genter Altar richteten; so besuchte Hegel 1827 auf der RuÈckreise von Paris Gent und BruÈgge. Er konnte das È sthetik 1820/21. 246 ff. Vgl. Hegel: Vorlesung uÈber die A È sthetik (s. Anm. 17). Bd 1. 137 ff. ± Zum folgenden Vgl. Hegel: Vorlesungen uÈber die A vgl. Otto PoÈggeler: Kennerschaft versus Philosophie ± Waagen und die Hegelianer. In: Jahrbuch der Berliner Museen. 37 (1995), 33 ff. 42 43
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Allerheiligen-Bild von van Eyck, das Gott in seinem Bezug zur Geschichte der Menschen zeigte, dem Zeus-Altar von Olympia entgegenstellen. Offenbar ist ihm auch nicht entgangen, daû diese monumentale Malerei in den Details (wenn man diese fuÈr sich nimmt) schon die spaÈtere Portraitmalerei, Landschaftsmalerei, aber mit der Waschecke auch das Stilleben vorwegnimmt. Wenn in Hegels Geschichtssicht auch so extreme Maler wie Bosch noch fehlen, so vermochte er doch eine durchgehende Linie von dem anfaÈnglichen Wunder van Eycks bis zu Rubens und zum groûen 17. Jahrhundert Hollands zu ziehen. Sulpiz Biosserée besuchte im September 1841 Gent und BruÈgge schon mit der Eisenbahn. Er hatte nur drei Stunden fuÈr den Genter Altar und das FruÈhstuÈck in einem Hotel am Genter Markt; erregender war fuÈr ihn der Gang durch BruÈgge und der Besuch im Sint Jans-Hospitaal: ¹Kupferstecher vor dem kleinen Hemling der Anbetung sitzend ruÈhmt, daû die Deutschen zuerst auf das Verdienst der alten Meister aufmerksam gemacht. ± Ja freilich! 1812 und 1813 sah sich auûer uns nicht leicht jemand nach den alten Malereien um ± ± ± Und nun ist hierher ins Spital eine taÈglich betretene Bahn von morgens 9 bis 12 und nachmittags 2 bis 5.ª Boisserée hielt fest: ¹Groûer Genuû an den Bildern von Hemling. Behaglicher Eindruck der ganzen Stadt.ª44 Hans Memling war aus dem Rhein-Main-Gebiet nach BruÈgge gekommen. Gaben seine Bilder nicht das in aller Vollkommenheit, was die deutschen Kunstpilger nach 1800 in der altniederlaÈndischen Malerei suchten und im stillen BruÈgge am schoÈnsten fanden? Memling sah weg von den Greueln seiner Zeit; die heiligen Gestalten auf seinen Bildern tragen uns still die Innigkeit ihres Lebens entgegen. Memling tat auch den Schritt vom Hieratischen, Monumentalischen und HoÈfischen zum buÈrgerlichen Leben: er wurde der PortraÈtist der buÈrgerlichen Gesellschaft, die gerade in BruÈgge international war. Viele seiner Bilder waren einzelne Tafeln; die LosloÈsung aus dem kultischen Zusammenhang und die EinfuÈgung in den Zusammenhang einer Sammlung schien leicht zu sein. Auch widersprach Memling am wenigsten dem, was man von Raffael her als vollendete SchoÈnheit kannte. ¹Den folgenden Generationenª, so sagt Max Friedländer, ¹erschienen seine SchoÈpfungen blaû und matt, bis daû die Romantiker im 19. Jahrhundert diese dornenlose Blume auffanden.ª
Vgl. BoissereÂe: TagebuÈcher 1808±1854 (s. Anm. 3). Bd 3. 775. ± Zum folgenden vgl. Max FriedlaÈnders vielbaÈndiges Werk Die altniederlaÈndische Malerei. 44
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Sulpiz Boisserée war viel zu stark verwurzelt in der Tradition, als daû die Vergangenheit ihn haÈtte in jenes morbide und makabre Schicksal hineinziehen koÈnnen, welches von Georges Rodenbach im letzten Teil des Jahrhunderts in Bruges-la-morte geschildert wurde. Doch auch die Kunsthistoriker, die nach Schnaase und Hotho die niederlaÈndische Kunstgeschichte aufarbeiteten, konnten Boisserée bald nicht mehr folgen. Jakob Burckhardt sah auch schon Kaltes und Starres in den Eyckschen Gesichtern. Johan Huizinga machte dann die Gegenrechnung auf: Was die bildungsbeflissenen BuÈrger entdeckten, war in Wahrheit der Herbst des Mittelalters, gehoÈrte zum Beispiel mit jenen Exzessen zusammen, daû eine Stadt sich von auswaÈrts einen Verbrecher kaufte, um ihn kunstgerecht in einem Volksfest hinrichten zu koÈnnen.45 Doch kann man Boisserée und Hegel nicht voÈllig unrecht geben: ohne Zweifel zeigen Adam und Eva auf dem Genter Altar ¹Natur und IndividualitaÈtª. So ist ein neuer Anfang gesetzt; uÈber die Wirren der Reformationszeit und des Freiheitskampfes (wie sie zuerst auch zu den suÈdlichen StaÈdten gehoÈrten) fuÈhrte in Holland der Weg zu einer neuen und anderen Zeit. Auch bei Hegel konnten die alten Bilder aus Gent und BruÈgge ein so starkes Echo nur deshalb finden, weil Impulse der eigenen Zeit in ihnen beruÈhrt wurden. Mit weniger Kennerschaft als Boisserée, aber mit einem bruÈskeren Linienziehen ordnete Hegel das Gesehene historisch ein. FuÈr uns bleibt da manches zu korrigieren. Wenn ein angebliches Bild van Eycks in Wahrheit Rogier, ein angeblicher Memling Bouts gehoÈrt, dann zeigt sich, daû dieser Neuanfang der Malerei differenzierter war, als das menschliche Sehnen nach dem einen groûen geschichtlichen Wunder annahm. Aus der Vorgeschichte nennt Hegel die Mosaiken, die Glasmalerei, die typisierenden byzantinischen Bilder. Daû Wand- und Buchmalerei laÈngst spezifische Ausdrucksformen der nordeuropaÈischen VoÈlker entwickelt hatten, blieb ebenso unbemerkt wie die Wirkung der Plastik auf die Malerei oder gar der Einfluû der italienischen Entdeckung des perspektivischen Raums auf die BemuÈhungen im Norden. So kommt das Wechselspiel zwischen Nord und SuÈd noch nicht heraus: Frankreich dominierte mit der neuen Architektur und Bildhauerei im 13. Jahrhundert, doch im 14. Jahrhundert kehrte der Einfluûstrom sich um ± Italien konnte seine Entdeckungen auf malerischem Feld exportieren. Verdeckt bleibt auch, daû die italieÈ sZum einzelnen vgl. Otto PoÈggeler: Preuûische Kulturpolitik im Spiegel von Hegels A thetik. Opladen 1987. 36 f. 45
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nische Malerei dann nicht nur in den Bann der Antike geriet und nebenher auch mythologische Themen aufnahm, daû vielmehr mit Botticellis Geburt der Venus und Primavera etwas Neues und Anderes sich durchsetzte. Mag Hegel in den Einzelheiten von Boisserée abhaÈngig sein, so besteht doch ein entscheidender Unterschied darin, daû Hegel seiner historischen Betrachtung eine grundsaÈtzliche Distanzierung abgewinnt: Die Bilder gehoÈren in eine Tradition, die durch die buÈrgerliche und private Kunstandacht nicht mehr lebendig zu erhalten ist! So hat Hegel denn auch seine geschichtlichen Linien konsequent ausgezogen bis hin zu den Bildern des gemeinsamen Freundes Koester. Dort fand er nur noch den Nachglanz einer untergegangenen Sonne. So koÈnnen Hegels Vorlesungen festhalten, daû sich in der Musik seiner Zeit das Wunder einer zwiefachen Erneuerung (in Komposition und Exekution) gezeigt habe, nicht aber in den anderen, den bildenden KuÈnsten.46 Hegel hatte die Neuentdeckung der gotischen Kirche akzeptiert, die damals trotz der aÈlteren englischen Vorbilder durchaus eigenstaÈndig von Goethe in Straûburg, dann von Schlegel und Boisserée geleistet wurde. Aber er sah auch, daû so nichts Neues gefunden worden war, daû man nunmehr vielmehr historistisch sowohl klassisch wie gotisch bauen konnte. In der Skulptur schien das Maû, das von den Griechen gefunden worden war, nirgends wirklich uÈberschritten. Die Malerei verweltlichte das religioÈse Erbe, hielt die alten Motive in neuer Beseelung fest; doch das Wunder lebendiger, allgemein verbindlicher Kunst sprach weder aus Koesters Bildern noch aus Schlesingers Hegelportrait noch gar aus den Klagen des ungluÈcklichen Xeller. Von den Malern her, die in die Restaurationsarbeit abgedraÈngt waren, sah Hegel auch die Ausstellungen der DuÈsseldorfer Schule in Berlin, selbstverstaÈndlich durchaus kritisch. Er vergaû nicht, daû David in Frankreich eine politiknahe Kunst hatte entfalten koÈnnen, doch so auch ins WeitlaÈufige und die Zeremonie abgedraÈngt worden war: ¹Napoleon hat durch David groûe GegenstaÈnde aus seinem Leben etc. darstellen lassen . . .ª47 Als Hegel 1827 in Paris weilte, hat er auch die Geschichte der Revolution studiert. Doch kuÈmmerte er sich nicht darum, wie David nun zur Geltung kam, wie Géricault und Delacroix ihren Widerspruch gegen ihn ausgestalteten. Der junge Hegel hatte die Londoner Shakespeare-Galerie nach dem Bericht Forsters als ein natio46 47
È sthetik (s. Anm. 17). Bd 3. 190. Vgl. Hegel: Vorlesungen uÈber die A È Vgl. Hegel: Vorlesung uÈber Asthetik Berlin 1820/21 (s. Anm. 33). 269.
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nales Unternehmen genommen.48 Constable und Turner blieben ihm unbekannt. Das galt selbstverstaÈndlich auch fuÈr Goya, selbst fuÈr Velasquez. Hegel scheint nicht einmal Runge zur Kenntnis genommen zu haben; Caspar David Friedrich wurde von ihm in ein Abseits gedraÈngt. Dieses VerdraÈngen ist aber auch ein Zeichen dafuÈr, È bergang zu Neuem und Anderen in seiner Zeit nicht daû Hegel den U wahrhaben wollte.49 Mit einem Hegelschen Begriff hat Werner Hofmann die Kunst zwischen 1750 und 1830 unter den Titel Das entzweite Jahrhundert gestellt. Er verweist darauf, daû fuÈr Hegel ¹ausgesungeneª Weisen sind, was von Homer bis Dante und Shakespeare so ¹groû besungenª und ¹frei ausgesprochenª wurde.50 Hegel verlange GegenwaÈrtigkeit, und so soll auch die Kunst zur Kenntnis nehmen, daû sie nicht mehr einem geschichtlich notwendigen Stoff die entsprechende Form gibt. Die Reflexion habe alle Formen in die VerfuÈgung des KuÈnstlers gestellt; aus dieser Freiheit koÈnne er auch nicht mehr in eine neue Einsamkeit fliehen. Geht Hofmann aber nicht zu weit, wenn er Géricaults Absage an David, seine Beziehung der Zeit auf einen Schiffbruch, mit Hegelschen Begriffen als Entzweiung deutet, so als notwendige Negation È bergangs zu Neuem? Hegel wollte die Kunst der eizugunsten eines U genen Zeit auf den bloûen Nachklang einer einst geschichtsmaÈchtigen Kunst festlegen. Seine Lehre vom ¹Ende der Kunstª hat ihr begrenztes Recht aber darin, daû Kunst fuÈr uns immer auch neben der Politik und Sittlichkeit steht (oder gar gegen diese). So bleibt sie etwas Partielles, an dem viele einfach vorbeigehen koÈnnen.
Vgl. Hegel: Gesammelte Werke (s. Anm. 18). Bd 1. 361. È sthetik Berlin 1820/21 (s. Anm. 33). 192. ± Sulpiz BoissereÂe Vgl. Hegel: Vorlesung uÈber A notierte am 5. November 1826: ¹Koester erzaÈhlt mir viel von Berlin ± AbgoÈtterei mit Hegel. ± Dieser macht gewissermaûen den Welt-Mann, laÈût sich unverschaÈmt alle die abgeschmackten Huldigungen gefallen.ª Vgl. TagebuÈcher 1808±1854 (s. Anm. 3). Bd 2. 111 f. È ber Restauration alter Der Kontakt zu Hegel blieb lebendig; von Koester besaû Hegel: U OelgemaÈlde. 3 Hefte. 1830, broschiert. 50 Vgl. Werner Hofmann: Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830. MuÈnchen 1995. 586, 675. 48 49
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L I T E R AT U R B E R I C H T E U N D K R I T I K
FeÂlix Duque: Historia de la FilosofõÂa Moderna. La era de la critica. Madrid: Akal 1998. 977 S. Hegel beginnt sein erstes Buch mit einer Reflexion uÈber die geschichtliche Ansicht philosophischer Systeme. Jeder philosophische Text, schreibt er, ¹uÈberliefertª sich seiner LektuÈre als einer ¹Machtª, die ihn ¹in eine tote Meinung und von Anbeginn an in eine Vergangenheit verwandeln kann.ª Aber eine solche Reduktion vergangener Erfahrungen auf verfuÈgbare ¹Kenntnisseª ist, wie jede MachtausuÈbung, im Grunde nur ein Ausdruck der Ohnmacht eines Denkens, das auf die WahrheitsanspruÈche dieser Erfahrungen keine eigene Antwort mehr hat. Zwischen der MachtausuÈbung einer LektuÈre, welche die Vergangenheit ihren eigenen VerstaÈndnishorizonten unterwirft, und der Ohnmacht eines Denkens, das der Vergangenheit nichts Eigenes entgegenzusetzen vermag, ist der Durchlaû eng. Ihn zu finden, so Hegel, verlangt, den ¹lebendigen Geistª, das heiût jene Bewegung und VeraÈnderung zu entdecken, welche die Wahrheit einer vergangenen Denkerfahrung in einer Gegenwart anwesend sein und hier eine neue, veraÈnderte Gestalt annehmen laÈût. Félix Duque, mit dessen monumentaler Darstellung der Philosophiegeschichte zwischen Christian Wolff und dem spaÈten Schelling wir uns auseinanderzusetzen haben, ist sich dieser Problematik der Interpretation sehr wohl bewuût. Er kennt sie aus seiner Vertrautheit mit den spezialisierten Forschungskontexten ebenso wie aus der Leidenschaft eines Denkers, der sich gerade in diese Epoche der deutschen Philosophie verstricken lieû, um wie nur wenige hier heimisch zu werden. Vor allem aber verbindet sich mit dieser intimen Kenntnis die Perspektive des Fremden, der uÈber die eigenen Grenzen blickt und aus diesem Blick ein Bewuûtsein dafuÈr bezieht, daû uns diese Texte auffordern, sie in unsere veraÈnderten Lebenswelten zu uÈbersetzen. Gerade die È bersetzens ist geeignet, fuÈr die zeitliche Dimension des SpanErfahrung des U nungsfeldes philosophischer Interpretation zwischen Distanz und NaÈhe zu sensibilisieren. Denn wenn wir es, wie Hegel schreibt, in der Philosophie nicht nur mit hinter uns liegenden Kenntnissen zu tun haben, sondern mit lebendigen ErfahrungsanspruÈchen, so wird jede Begegnung mit ihnen zu einer È berForm der Erinnerung: In diese Erkenntnis ist Hölderlin mit seinen U
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setzungen aus dem Griechischen wohl am weitesten vorgedrungen. Ihre Miûachtung loÈst jene Spannung auf in ein nur scheinbar unproblematisches Nebeneinander zwischen zeitlicher Distanz und sprachlicher NaÈhe: ¹Wo VerstaÈndigung ist, da wird nicht uÈbersetzt, sondern gesprochen [. . .]. Das hermeneutische Problem ist also kein Problem der richtigen Sprachbeherrschung, sondern der richtigen VerstaÈndigung uÈber eine Sache, die im Medium der Sprache geschieht [. . .]. Jedes GespraÈch macht die selbstverstaÈndliche Voraussetzung, daû die Redner die gleiche Sprache sprechen. Das hier von Gadamer zum Ausdruck gebrachte naive Vertrauen in die durch das ¹Mediumª È berder Sprache immer schon gesicherte KontinuitaÈt von Tradition und U lieferung laÈût gerade deutsche Philosophen im Blick auf ihre Tradition allzu È berlieferungª als leicht den von Hegel angesprochenen Doppelsinn von ¹U Anspruch und Auslieferung uÈbersehen. Sprache, das ist auch unaufhoÈrliche Transformation. Und wenn wir ihre zeitliche VeraÈnderung nicht von vornherein auf den Sinn eines kontinuierlich fortschreitenden Werdens festlegen, dann ist die Annahme, daû wir ± auch und gerade in Deutschland ± im Kontext einer ungebrochenen Tradition noch die selbe Sprache sprechen wie Hamann, Hegel, Schelling oder Hölderlin alles andere als selbstverstaÈndlich. È bersetzers berichtet Félix Duque Aus der Erfahrung des philosophischen U zu Beginn seines Werkes, wie sich ihm der systematische Zusammenhang des ¹kritischen Zeitaltersª, wie er diese Epoche nennt, beim Schreiben immer mehr in selbstaÈndige Bestandteile aufloÈste, von denen sich jeder als ein eigenes Labyrinth systematischer Verzweigungen und Verweise praÈsentierte. Beim VerÈ berblicks aufzuzwingen, such, dem historischen Material die Ordnung eines U uÈber den ein Gelehrter vom Range Duques wie selbstverstaÈndlich verfuÈgt, leisten die Texte Widerstand: Widerstand, auf den sich ein Denker vom Range Duques ebenso selbstverstaÈndlich einlaÈût, um aus der Dialektik von Ferne und NaÈhe einen Text hervorzubringen, der mehr ist als ein ¹Handbuchª, wie er selbst sein Werk bezeichnet. So erschlieût sich ihm das scheinbar gegenstaÈndlich vorliegende Material als eine Welt, die gegen die Intentionen des Lesers ihre eigenen Gesetze geltend macht und von ihm ein schoÈpferisches Vorgehen verlangt. Er hat sich auf eine Beziehung mit dem Material einzulassen, die keineswegs gegeben ist, sondern von der Antwort mit gestaltet wird, mit der er dem Anspruch des historischen Stoffes begegnet: eine Beziehung, von der keine noch so groûe Gelehrsamkeit vorhersagen kann, wohin sie fuÈhrt und welche Gestalt sie annehmen wird. Die Gestalt, die sie dann bei Duque schlieûlich angenommen hat, stellt ihre Leser vor aÈhnliche Herausforderungen, wie er selbst sie vor den Labyrinthen des ¹kritischen Zeitaltersª vorfand ± zumal, wenn man als Leser seinerseits vor der Aufgabe steht, eine Textlandschaft von 1 000 Seiten und 2 300 zum Teil seitenlangen Fuûnoten im Rahmen von wenigen Seiten zu wuÈrdigen.
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Aber sein Werk wird beim NaÈhertreten sehr viel einladender, als es auf den ersten Blick Lesern erscheinen mag, die nur ihr InformationsbeduÈrfnis stillen moÈchten. Duque hat die Schwierigkeiten des Interpreten mit dem Eigenleben der Texte nicht nur reflektiert, er teilt sie auch mit, ohne sie aufloÈsen zu wollen. Und so ist das, was zunaÈchst eine muÈhevolle LektuÈreuÈbung zu verlangen scheint, in Wirklichkeit ein Angebot, sich durch eine Vielfalt geoÈffneter EingaÈnge auf gut beschilderten Wegen auf eigene Faust in der Landschaft des ¹kritischen Zeitaltersª umzusehen. Kurz, man sollte sich nach der LektuÈre von Vorwort und Einleitung anhand des ausfuÈhrlich gegliederten Inhaltsverzeichnisses eigene ReiseplaÈne zusammenstellen, wobei man sich jederzeit der sachkundigen FuÈhrung des Autors gewiû sein kann. Die Gliederung des Werkes folgt, wie er schreibt, einer lediglich ¹narrativen Ordnungª, die sich am Leitfaden der Verbindung von Logik und Metaphysik entwickelt. Diese eher lokkere Ordnung dient gleichsam als Rahmen und Leinwand, auf der die FruÈchte einer passionierten denkenden Auseinandersetzung mit dem Material Gestalt annehmen. Es ist vor allem die zwanglose Verbindung einer beindruckenden Gelehrsamkeit und einer schier unersaÈttlichen Neugier nach Details mit einer denkenden Durchdringung und Anverwandlung des Stoffes, die dessen vor uns ausgebreiteter FuÈlle zugleich die Konturen einer individuellen Position gibt: einer Position, die das historische Material nicht mit der AutoritaÈt eines uÈberlegenen Wissens festlegt, sondern es mitteilt und zur Auseinandersetzung herausfordert. Eine solche Auseinandersetzung koÈnnte etwa damit beginnen, den Titel des Werkes und die Perspektive zu befragen, die er ausdruÈckt. Kritik, so erklaÈrt Duque die Wahl dieses Titels, ist nicht nur eng mit der Kantischen Auffassung von Philosophie verbunden, sondern als Unterscheiden und Urteilen eine Grundoperation philosophischen Denkens uÈberhaupt (16). Aber zugleich legt dieses an Kant orientierte VerstaÈndnis philosophischer Kritik und kritischer Philosophie das Denken auf eine operationale Leistung fest, welche in der Gewiûheit eines ¹unbekanntenª aber denknotwendigen ¹Grundesª (17) unbefangen vom rechten Vernunftgebrauch ausgehen kann. Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs muÈûig, bei allem Reichtum von Duques Darstellung das von ihm selbst eingestandene Fehlen der Romantik, oder spinozistisch inspirierter Denker wie Lessing, Goethe oder Hölderlin zu bedauern. Denn gerade sie sind wichtige RepraÈsentanten einer anderen, ¹hoÈheren AufklaÈrungª, wie Hölderlin sie nannte, sowie eines anderen VerstaÈndnisses von Kritik und des Umgangs mit der Vernunft. Kritik ist fuÈr die Romantik keine operationale Leistung, die auf ein transzendentales Cogito als Urteilsinstanz verweist, sondern gleichsam der fremde Blick einer Reflexion, dem sich das Denken ausgesetzt sieht, um hier seiner Zeitlichkeit und seines Fragmentcharakters gewahr zu werden. Und auch Vernunft ist auf der anderen Seite der AufklaÈrung nicht nur ein menschliches VermoÈgen, sondern eine Erfahrung, welche die menschliche Vernunftdarstellung an ihren Status als zeit-
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lichen Modus von Vernunft erinnert und die UniversalitaÈtsanspruÈche des transzendentalen Ich durchkreuzt: ¹Hat der Mensch Vernunft oder hat Vernunft den Menschenª, in diese beruÈhmt gewordene Frage faûte Jacobi seine Abkehr vom instrumentellen Vernunftbegriff des Cartesianismus zusammen. Vor diesem Hintergrund unterstellt das Fehlen wichtiger spinozistisch inspirierter Denkformen die Polyphonie des modernen Vernunftbegriffes dem allzu dominierenden basso continuo des Cartesianischen Wissenschaftsideals und seinem operationalen VerstaÈndnis von Denken. Aus diesem Gesichtspunkt bestimmt Duque die Positionen Hamanns und Herders ± bei allem Wohlwollen, das er ihnen entgegenbringt ± als ¹AntiaufklaÈrungª (161), so daû sie in den Schatten des Kantischen VerstaÈndnisses von AufklaÈrung geraten. Miûtraut Hamann dem ¹diskursiven und rationalen Denkenª ± oder erweitert er nicht vielmehr die Idee von RationalitaÈt uÈber den des diskursiven Denkens hinaus? Kritisiert er ¹dieª Vernunft ¹von auûenª ± oder vertritt er nicht vielmehr im Sinn des Spinozismus eine erweiterte Vernunftidee, die zwischen ,Auûen` und ,Innen` nicht mehr unterscheidet (162)? Auch wenn das Denken von Duque keineswegs auf den Cartesianismus festgelegt ist, ja unverhohlene Vorlieben fuÈr die andere Seite der AufklaÈrung und insbesondere fuÈr das spekulative Denken Hegels verraÈt: fuÈr die Darstellung dieser Vorlieben erweist sich das von ihm geweitete Kleid des Kantischen, an Urteil und Unterscheidung orientierten Kritikbegriffes als zu eng bemessen. Das hinterlaÈût seine Spuren bis in seine souveraÈne Darstellung der Philosophie Hegels hinein. Sie glaÈnzt durch eine PraÈgnanz und OriginalitaÈt, die gerade auch dort, wo sie komplexe GedankengaÈnge zusammenfaût, eine selbstaÈndige Durchdringung und intensive Vertrautheit verraÈt. Mit leichter Hand raÈumt Duque gaÈngige Vorurteile gegen den ¹deutschen Idealismusª beiseite und legt ein erstaunlich aktuelles Denken frei ± ein Denken, dessen Bewegungsfreiheit jedoch zugleich durch das Gewand jenes operationalen Vernunftbegriffes gehemmt wird. So interpretiert er Hegels ZusammenfuÈhren von subjektivem Denken und objektiver RealitaÈt zu einer autonomen Denkbewegung, die sich von den Intentionen eines vorausgesetzten Ich befreit hat, nicht als Transformation der Unterscheidung von SubjektivitaÈt und ObjektivitaÈt, sondern ± auf dem Boden dieser Unterscheidung ± als deren synthetische Aufhebung in eine uÈbergeordnete Denkbewegung. Die Bewegung des spekulativen Begriffs erscheint so als ein ¹Bildungsromanª (514) in linear fortschreitender Entwicklung. Aber hatte nicht Hegel bereits in der Differenzschrift die subjektive Formation der ¹Bildungª als dasjenige Verfahren namhaft gemacht, das Unterscheidungen progressiv durch immer neue Synthesen aufhebt, anstatt das urteilende und unterscheidende Denken selbst zu transformieren. Was auf der Grundlage des È berwindung Cartesianischen VernunftverstaÈndnisses wie eine progressive U der dualistischen Position Kants ± gleichsam wie ein ,Fortschritt` ± aussieht,
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zeigt sich im Licht einer VeraÈnderung der Problemstellung als eine tiefgreifende Transformation dieses VernunftverstaÈndnisses, die einen Bruch mit dessen grundlegenden Voraussetzungen beinhaltet. Wir ± jenes beruÈhmte ¹Wirª in Hegels PhaÈnomenologie ± sind, bei diesem Licht betrachtet, nicht nur in der Position von Beobachtern angesprochen, die als Komplizen des Autors dem dargestellten Bildungsprozeû gleichsam wie Zeugen beiwohnen: wir sind vielmehr selbst aufgefordert, uns auf die Transformation einer Denkhaltung einzulassen, die unsere Rolle als subjektive Betrachter gegenstaÈndlich vor uns ausgebreiteter Bildungsprozesse ebenso in Frage stellt, wie die Rolle Hegels als souveraÈnem Autor hinter ihm liegender Erfahrungen. Nichts geringeres als diese ¹Umkehrung des Bewuûtseinsª fordert Hegel in der Einleitung zur PhaÈnomenologie als ¹unsere Zutatª, die uns in die entfaltete Erfahrung einbindet: ¹Diese Betrachtung der Sache [die Umkehrung des Bewuûtseins, V. R.] ist unsere Zutat, wodurch sich die Reihe der Erfahrungen des Bewuûtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt.ª Statt als Beobachter eines vor unseren Augen ablaufenden und insofern reversiblen Erfahrungsprozesses angesprochen zu sein, sind wir vielmehr ± nicht anders als ihr Autor ± als Teilnehmer in eine nunmehr irreversible Erfahrung einbezogen, deren Ausgang auch mit dem letzten Kapitel fuÈr uns wie fuÈr Hegel durchaus noch offen ist. So, das heiût im Licht der spinozistisch inspirierten Vernunft- und Darstellungsproblematik gelesen, wuÈrde eine wichtige Einsicht Félix Duques noch mehr Bewegungsfreiheit gewinnen: daû die SelbstreferentialitaÈt der spekulativen Logik keineswegs wie bei Fichtes Wissenschaftslehre in ihrer Formulierung und Festlegung schon gegeben sei, sondern ¹im guÈnstigsten Fall und immer nur punktuell im gelebten VerstaÈndnis des Lesers oder Interpreten besteht.ª (569). Wir muÈssen uns an dieser Stelle versagen, Duques Einladung zur Auseinandersetzung weiter zu folgen. Dieses Einladende an seinem Buch ist zugleich auch das, was es uÈber eine von Hegel kritisierte ¹geschichtliche Ansichtª hinaushebt: Wir sind eingeladen, uns auf die Erfahrungen eines Denkers einzulassen, der uÈber eine gewaltige Belesenheit verfuÈgt und zugleich imstande ist, ihr eine Form zu geben, die unsere Erfahrung anspricht. Volker RuÈhle (Hildesheim)
Katharina Comoth: Vom Grunde der Idee. Konstellationen mit Platon. Heidelberg: C. Winter 2000. 48 S. (BeitraÈge zur Philosophie. Neue Folge.) Obwohl es sich hier vorzugsweise um eine Schrift uÈber Platon handelt, kann derjenige, der Hegel vor Augen hat, sehr leicht Platon durchsichtig machen und im Blick auf Hegel lesen. Das scheint auch durchaus den Intentionen der
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Verf. zu entsprechen, denn sie fuÈhrt die Synthese von Christentum und Platonismus selbst weiter uÈber Origenes bis zu Meister Eckhart und Cusanus und im Anschluû an Meister Eckhart bis zu Hegel. Platons Themen und Probleme leben bei Hegel weiter, auch wenn sie unter dem Vorzeichen der modernen SubjektivitaÈt stehen. Damit soll nicht bestritten werden, daû es bereits auch eine antike Entdeckung der SubjektivitaÈt gegeben hat. Hegel schrieb in seiner Jugendzeit in einem Brief an Schelling (30. August 1795): ¹Ich war einmal im Begriff, es mir in einem Aufsatz deutlich zu machen, was es heiûen koÈnne, sich Gott zu naÈhern . . .ª Das ist ein platonisches Thema, die homoõÂosis theoÄ, die von der Verf. hier bei Platon und Origines dargestellt wird. Die AnnaÈherung an Gott durch VeraÈhnlichung des Menschen mit Gott beruht auf der Analogie, dem zentralen Strukturprinzip des Platonischen und Hegelschen Systems. Die Seele als die sich selbst bewegende Bewegung ist das goÈttliche Reflexionsmodell, zugleich der Anfang der Bewegung. Hier liegt bei Platon die Antwort auf Hegels Frage, wie man sich Gott naÈhern koÈnne. Wir werden Gott aÈhnlich, wenn wir uns dem Logos der Seele zuwenden. Meister Eckhart denkt die Einheit von Gott und Mensch weitgehend im Element der Vorstellung, in Metaphern und Bildern. Hegel dagegen, der genau zwischen Vorstellung und Begriff unterscheidet, hat Meister Eckhart begrifflich interpretiert. Das Denken ist die Idee selbst, die Erfassung der Vorstellungen im Begriff. Ein Beispiel dieser begrifflichen Interpretation veranschaulicht den Unterschied: ¹Daû Gott seinen Sohn gezeugt ± ein aus der natuÈrlichen Lebendigkeit genommenes VerhaÈltnis ± so werden wir uns in der Philosophie nicht ausdruÈcken.ª (Hegel: Einleitung in die Geschichte der Philosophie.) Ein weiteres Kapitel uÈber die Deutung einer bildlichen Darstellung des Kosmos aus der Schule des Pythagoras schlieût sich gut an die fruÈheren Forschungen der Verf. uÈber Dreiheit und Vierheit bzw. Dreieck und Viereck bei Hegel an. Der Hegelforscher wird diese Ausweitung des geistesgeschichtlichen Hintergrunds mit Interesse aufnehmen. (Helmut Schneider, Bochum)
Kenneth R. Westphal: Hegel, Hume und die IdentitaÈt wahrnehmbarer Dinge. Historisch-kritische Analyse zum Kapitel ¹Wahrnehmungª in der PhaÈnomenologie von 1807. Frankfurt a. M.: Klostermann 1998. 166 S. (Philosophische Abhandlungen. Bd 72.) Zu den in der Hegel-Forschung vergleichsweise wenig bearbeiteten Themen zaÈhlt Hegels VerhaÈltnis zum ± oder sogar Auseinandersetzung mit dem ± britischen Empirismus. Eine solche historisch wie systematisch orientierte Untersuchung legt der Verf. vor, indem er einen unmittelbaren Einfluû Humes auf Hegels Konzeption des ¹Wahrnehmungsª-Kapitels der PhaÈnomenologie des Geistes nachzuweisen sucht. These ist, daû das von Hegel in der PhaÈnomenologie
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entfaltete Problem der ¹Sichselbstgleichheitª wahrnehmbarer GegenstaÈnde nicht nur sachlich Humes EroÈrterung der ¹Ding-IdentitaÈtª im Traktat (¹Vom Skeptizismus in bezug auf die Sinneª, I, iv, § 2) nahe kommt, sondern auch eine direkte Auseinandersetzung mit Humes LoÈsung dieses Problems darstellt; starkes Indiz hierfuÈr sei vor allem Hegels terminologische Verwendung des auf Hume zuruÈckgehenden Begriffs ¹TaÈuschungª. ± Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptkapitel: ZunaÈchst wird in Kap. I der historische Hintergrund und hier insbesondere die Bedeutung Humes fuÈr die deutsche Philosophie im 18./19. Jahrhundert im allgemeinen sowie fuÈr Hegel im besonderen dargelegt. In Kap. II fuÈhrt der Verf. eine eingehende Interpretation des ¹Wahrnehmungsª-Kapitels der PhaÈnomenologie durch. Die Ergebnisse dieser Interpretation werden in Kap. III ausgewertet und abschlieûend, auch anhand einer GegenuÈberstellung Hume ± Hegel, beurteilt. Jeder Erkenntnistheorie oder Wahrnehmungslehre stellt sich folgendes Problem: Wie konzipiert das erkennende Subjekt oder wahrnehmende Bewuûtsein ein Ding, dem viele Eigenschaften oder QualitaÈten zukommen, als einen, in sich einheitlichen Gegenstand? Um das Beispiel Hegels aus der PhaÈmomenologie (GW 9. 72) zu verwenden: Wie faût das wahrnehmende Bewuûtsein das vielfaÈltig bestimmte ¹Salzª, das ¹weiûª, ¹scharfª, ¹kubischª, schwer usw. ist, als ¹einfaches Hierª, also als einen, einheitlichen Gegenstand auf? Nach Ansicht von Westphal ist es Humes und ± in Auseinandersetzung mit diesem ± Hegels Verdienst, anders als ihre VorgaÈnger und Zeitgenossen diese Frage uÈberhaupt gestellt und philosophisch fruchtbar gemacht zu haben. Hierbei gehe Hegel von den Analysen Humes im Traktat aus, fuÈhre sie weiter und bringe sie anhand einer Hume-Kritik zu einem eigenstaÈndigen Ergebnis, das sogar aktuelle Bedeutung habe, naÈmlich fuÈr die ¹Neurophysiologie der Wahrnehmungª und die MoÈglichkeit der ¹ErklaÈrung von bewuûter Erfahrungª (2). Im Gegensatz zu Kant, der explizit angibt, durch Hume aus dem ¹dogmatischen Schlummerª geweckt worden zu sein, haÈlt sich Hegel, so der Verf., mit aÈhnlichen Hinweisen zuruÈck. Trotz dieser Verschwiegenheit legt sich nach Meinung von Westphal aber nahe, daû Hegel sich schon relativ fruÈh (Ende der 1780er Jahre) mit Humeschen Schriften beschaÈftigt hat. DafuÈr spreche vor allem ein Hinweis von Rosenkranz, wonach Hegel bereits 1789 in einem Kurs von Flatt auf Hume getroffen sei; obwohl Hegel von den Humeschen Schriften zuerst mit der Untersuchung uÈber den menschlichen Verstand Bekanntschaft gemacht habe, sei es wahrscheinlich, daû er sich schon bald mit dem Traktat, der 1790 von L. H. Jakob vollstaÈndig uÈbersetzt wurde, beschaÈftigt habe; denn diese È bersetzung wurde auch in solchen Zeitschriften rezensiert, die Hegel zu lesen U pflegte. Des weiteren erwaÈhne Hegel im Skeptizismus-Aufsatz (1802) C. F. Stäudlins philosophiegeschichtliches Werk Geschichte und Geist des Skeptizismus (1794), das der Darstellung der Humeschen Philosophie breiten Platz einraÈume. Aus der Jenaer Logik zitiert der Verf. dann eine Stelle, in der sich Hegel auf Humes Konzeption der unabhaÈngigen Existenz aÈuûerer GegenstaÈnde
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bezieht. Da Hume diese Konzeption nur im Traktat (I, iv, § 2) darlegt, sei dies ein ¹eindeutiger Belegª (14) dafuÈr, daû Hegel den Traktat schon um 1804 gelesen hat, auch wenn nicht bekannt ist, woher er ihn bezog. ± Zwar sind diese historischen Rekonstruktionen des Verf. durchaus nicht unplausibel, als einen Nachweis fuÈr eine BeschaÈftigung Hegels mit Humes Traktat wird man sie aber ± wie auch zugegeben wird ± nicht ansehen koÈnnen, da Hegel seine HumeKenntnisse auch aus sekundaÈren Quellen bezogen haben mag. Nach diesen eher allgemeinen ErwaÈgungen uÈber Hegels Hume-Kenntnisse weist Westphal darauf hin, daû es im Untertitel des ¹Wahrnehmungsª-Kapitels der PhaÈnomenologie heiût: ¹oder das Ding, und die TaÈuschungª (GW 9. 71). Mit der Verwendung des Begriffs ¹TaÈuschungª spiele Hegel auf das Problem der Wahrnehmungsillusion an, wie es Hume im Traktat aufzeigt und zur Frage nach der ¹Ding-IdentitaÈtª umformuliert: demgemaÈû rufe die zeitliche Konstanz von sinnlichen ¹EindruÈckenª in uns die Vorstellung ¹identischerª, unabhaÈngig von unserer Wahrnehmung existierender GegenstaÈnde hervor, die IdentitaÈt und unabhaÈngige Existenz der GegenstaÈnde koÈnne im Wechsel der ¹EindruÈckeª aber letztlich nicht bewiesen werden, ¹Ding-IdentitaÈtª sei daher nichts als ¹Fiktionª, die Existenz der Auûenwelt bloûer ¹Glaubeª (¹beliefª). Bevor sich der Verf. dieser Lehre Humes im einzelnen zuwendet, weist er in aufschluûreicher Weise insbesondere anhand von Reinholds Hume-Kritik, Schulzes Kritik an Reinhold sowie Maimons und Jacobis BeschaÈftigung mit Hume den historischen Diskussionskontext der Frage nach der Ding-IdentitaÈt auf. So untersuchten Kant und seine Zeitgenossen zwar das Problem der ¹Wahrnehmungssynthesisª, auf die Frage nach der IdentitaÈt der GegenstaÈnde der Wahrnehmung sei im Anschluû an Hume aber erst Hegel gestoûen. Diese Deutung Westphals trifft auf Kant sicherlich nicht zu. Wie vor allem die erste und dritte ¹Analogie der Erfahrungª der Kritik der reinen Vernunft (B 224 ff) zeigen, ist fuÈr Kant Erfahrung nur moÈglich unter Voraussetzung der ¹Beharrlichkeit der Substanzª in Wechselwirkung mit anderen ± phaÈnomenalen ± Substanzen. In der Widerlegung des Idealismus (B 274 ff) sowie vor allem in den spaÈteren Reflexionen zum Idealismus (Akademie-Ausgabe. Bd 18. 607 ff, vgl. auch Kants Reflexion ¹Vom inneren Sinneª (Loses Blatt Leningrad 1), in: Kant-Forschungen. Bd 1. Hrsg. v. R. Brandt und W. Stark. Hamburg 1987. 1±30) entwickelt Kant zudem explizit Argumente gegen den Auûenweltskeptizismus, die, auch wenn er den Terminus ¹DingidentitaÈtª selbst nicht verwendet, die ¹IdentitaÈtª der GegenstaÈnde der aÈuûeren Wahrnehmung zugrunde legen. Daû nun gerade Humes Frage nach der Ding-IdentitaÈt fuÈr Hegel ein Thema wurde, ist, so vermutet der Verf., zuruÈckzufuÈhren zum einen auf Reinholds und Schulzes sowie zum anderen auf Maimons Auseinandersetzung mit Hume; diese Auseinandersetzungen waren Hegel bekannt. Ob Hegel zum Problem der Ding-IdentitaÈt nun tatsaÈchlich durch die genannten Autoren gekommen ist, laÈût sich hier, wie an fruÈherer Stelle, wohl nicht mit Sicherheit sa-
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gen. Unbestritten hat Hegel sich in der Jenaer Logik (1804/5) aber im weitesten Sinne mit diesem Problem beschaÈftigt ± sei es nun durch Veranlassung Humes oder nicht. Leider laÈût der Verf. den Leser mit der Interpretation der zitierten Passage der Jenaer Logik, in der Hegel die Diskussion von Ding-IdentitaÈt in der PhaÈnomenologie vorbereite, allein. Hier waÈre naÈher zu zeigen gewesen, wie Hegel sich auf Hume bezieht und wie er ¹das numerische Einsª als DingIdentitaÈt (37) versteht. Nebenbei bemerkt ist Westphals in diesem Kontext geaÈuûerte Auffassung, Kant sehe wie Hume empirische Anschauungen und sinnliche Vorstellungen als ¹voÈllig unabhaÈngig voneinanderª an, kaum haltbar; dies duÈrfte nicht zuletzt eine Analyse des zweiten Beweisschrittes der Kategorien-Deduktion und der Funktion von ¹formaler Anschauungª (B 160) erweisen. Ohnehin bereitet Westphals Kant-VerstaÈndnis manche Schwierigkeit wie etwa die Ansicht, Kant sei Vertreter eines ¹Sensualismusª (58), eine wenig differenzierte Charakterisierung, die auch auf Hegel zutreffen soll (60). Bevor sich der Verf. im weiteren der Interpretation des ¹WahrnehmungsªKapitels der PhaÈnomenologie zuwendet, geht er vorbereitend auf den Humeschen ¹Skeptizismus in bezug auf die Sinneª ein. Von Wichtigkeit ist die vorangehende EroÈrterung dieses Abschnittes des Traktats (L, iv, § 2), weil Humes Darlegungen zur Ding-IdentitaÈt ¹fuÈr Hegels Wahrnehmungsuntersuchungen absolut grundlegendª (44) seien. Nach Hume koÈnnen wir von der Existenz der Auûenwelt keinen Begriff haben, weil unsere Vorstellungen ¹EindruÈckeª sind, die als Perzeptionen von den GegenstaÈnden der Wahrnehmung verschieden sind. Das Dasein aÈuûerer GegenstaÈnde ist daher vorauszusetzen und kann nur geglaubt werden. In seiner Zusammenfassung dieser Lehre hebt der Verf. nun hervor, daû nach Hume die ± unterbrochene ± Wahrnehmung vieler ¹EindruÈckeª, durch die Einbildungskraft veranlaût, die ¹Fiktionª oder Illusion der Vorstellung unveraÈnderlicher GegenstaÈnde hervorruft, indem zeitlich aufeinander folgende ¹EindruÈckeª von GegenstaÈnden als Vorstellung ein und desselben Gegenstandes gedeutet werden. Dies erlaÈutert Hume im Traktat (Bd 1. È bers. von Th. Lipps. Hrsg. v. R. Brandt) unter anderem anhand des Beispiels U der Wahrnehmung raÈumlicher GegenstaÈnde: Wenn ich die visuelle Wahrnehmung von Dingen im Raum durch das Schlieûen der Augen unterbreche und nach einiger Zeit fortsetze, kann ich nicht sicher sein, daû es sich nach dieser Unterbrechung um die Wahrnehmung derselben GegenstaÈnde handelt; È hnlichkeitª der Wahrder ¹Geistª assoziiert lediglich aufgrund der ¹A nehmungstaÈtigkeit, daû es sich um identische GegenstaÈnde handeln muû. In solcher ¹Assoziationª sei die Vorstellung identischer, dauerhafter GegenstaÈnde ¹fingiertª, sie sei ¹Fiktionª oder ¹TaÈuschungª (Traktat Bd 1. 266, 272 ff). Da die Vorstellung der IdentitaÈt der GegenstaÈnde der Wahrnehmung ¹Fiktionª ist, wobei IdentitaÈt gemaÈû Hume zu verstehen sei als ein ¹Mitteldingª der Vorstellungen von ¹Einheitª und ¹Vielheitª eines Gegenstandes im zeitlichen Wechsel, faût nach Deutung des Verf. Hume den Begriff der IdentitaÈt ¹implizitª
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als Begriff a priori auf; denn der Begriff der IdentitaÈt sei von den ¹sinnlichenª Begriffen der Einheit und Vielheit von GegenstaÈnden nicht ableitbar oder auf diese reduzierbar (42). Diese Deutung von Ding-IdentitaÈt als Begriff a priori laÈût sich ohne zusaÈtzliche ErlaÈuterungen mit dem Humeschen Empirismus wohl nur schwer vereinbaren, da bekanntlich nach Hume die Begriffe unserer Erkenntnis, wie etwa auch der grundlegende Begriff der KausalitaÈt, durch erfahrungsmaÈûige Gewohnheit erworben werden. Westphal kennzeichnet den Begriff der Ding-IdentitaÈt bei Hume nun des naÈheren als ¹diachronischª, d. h. als IdentitaÈt eines Gegenstandes im Wechsel von Zeitphasen. Dabei erweise sich der Gegenstand als ¹bloû einfaches Einsª und seine IdentitaÈt werde deutlich ¹nur im VerhaÈltnis zu anderen sich veraÈndernden Dingenª; dies sei der ¹Grundsteinª der Humeschen Lehre von der Ding-IdentitaÈt (44). ± Eine sich vor diesem Hintergrund anschlieûende sehr knappe Skizze der neuzeitlichen Substanz-Begriffe bei Descartes, Berkeley, Kant, Fichte, Leibniz, Spinoza und Baumgarten benennt lediglich Stichworte. NaÈher zu diskutieren waÈre in § 6 uÈber die ¹Bedeutsamkeit von Humes Skeptizismus fuÈr Hegelª (51) Westphals bereits an anderer Stelle vertretene These, daû es Hegels ¹einzigartige Absichtª sei, ¹eine aktivisch aufgefaûte ErkenntnistaÈtigkeit mit einer realistischen Position vertraÈglich zu machenª (54). Diese These ist problematisch, da nicht leicht zu sehen ist, wie sich eine realistische Position in der PhaÈnomenologie mit Hegels idealistischer Grundauffassung vereinbaren laÈût. Im zweiten Hauptkapitel seiner Abhandlung fuÈhrt der Verf. eine erhellende Interpretation der ¹Wahrnehmungª in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes durch. Neben einem einfuÈhrenden und zusammenfassenden Teil werden drei ¹Hauptphasenª des Wahrnehmungs-Kapitels unterschieden, in denen Hegel zum einen im Ausgang von einem ¹Alltagsrealismusª nachweise, ¹daû menschliche Erkenntnis aktiv ist, und zwar durch die unentbehrliche Erschaffung und Verwendung von Begriffen a priori, z. B. dem der Ding-IdentitaÈtª (81); zum anderen zeige Hegel, daû Humes Versuch, den Begriff des Gegenstandes der Wahrnehmung als ¹logisch-quantitativen Begriff der Einheit und Vielheitª zu fassen, nicht gelingt (108). Aus der an Einzelheiten reichen Interpretation sei Westphals Phasen-Unterscheidung des wahrnehmenden Bewuûtseins, in denen Hegels Hume-Kritik zutage trete, hervorgehoben. Unter der von Hegel als ¹Kriterium der Wahrheitª bezeichneten ¹Sichselbstgleichheitª (GW 9. 74) versteht der Verf. zunaÈchst generell die IdentitaÈt des Gegenstandes der Wahrnehmung. Nun treten in der ersten Phase der Wahrnehmung WiderspruÈche auf, naÈmlich insbesondere zwischen der Sichselbstgleichheit und der qualitativen KomplexitaÈt eines Gegenstandes. Das wahrnehmende Bewuûtsein koÈnne bei der IdentitaÈt des wahrgenommenen Dinges nicht bleiben, weil das Ding durch viele Eigenschaften bestimmt sei. Hierbei erfahre das Wahrnehmungsbewuûtsein, daû es bei der Isolierung der Eigenschaften des Dinges taÈtig ist, ihm selbst also nicht bloû PassivitaÈt zukommt, und daû so die
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¹Unwahrheitª des Gegenstandes in es faÈllt. Diese Unwahrheit korrigiert das wahrnehmende Bewuûtsein und haÈlt dabei in der zweiten Phase an der ¹Sichselbstgleichheitª seines Gegenstandes fest. Das Bewuûtsein schreibt die Vielheit und UnabhaÈngigkeit der Eigenschaften des Gegenstandes seiner Reflexion zu und wird zum ¹allgemeinen Mediumª, in dem diese QualitaÈten vorkommen; das Ding ist aber das ¹Auchª der QualitaÈten. So komme es bei Hegel erneut zum Widerspruch zwischen dem Ding als Eins und der Mannigfaltigkeit seiner QualitaÈten ± ein Widerspruch, den Hume anders als Hegel durch die Vereinigung von ¹Einheit und Anzahlª in der Ding-IdentitaÈt zu vermeiden sucht. In der dritten Phase sucht das wahrnehmende Bewuûtsein Ding-IdentitaÈt zu erkennen durch die Beziehung eines Dinges zu anderen Dingen; das Ding, das als sich selbst gleich aufgefaût wird, hat die vielen QualitaÈten auûer sich, und zwar insofern es im VerhaÈltnis zu anderen Dingen steht. Hierin bewahre Hegel die Konzeption Humes und uÈbertrage dessen ¹diachronische Lehreª auf die ¹synchronische IdentitaÈt des Dinges innerhalb der Vielheit seiner DingQualitaÈtenª (98). Der Widerspruch zwischen dem Einssein des Dinges und seiner vielfaÈltigen qualitativen Bestimmtheit falle in der dritten Phase in das VerhaÈltnis des Dinges zu anderen Dingen. Die Dinge sind nicht von sich selbst, sondern voneinander (absolut) verschieden. Westphal kritisiert diese Strategie Hegels ± wohl zurecht ± als unzulaÈssig, da sich ein Ding von anderen Dingen gerade durch seine QualitaÈten unterscheide, die gemaÈû Hegel dem Ding aber unwesentlich sind. Diese Kritik ist jedoch zu relativieren, denn das Einssein der Dinge erweist sich nach Hegel auch als unwesentlich, weil alle Dinge Eins sind; in der ¹Wahrnehmungª geht das Ding so durch seine wesentliche Eigenschaft des Einsseins zugrunde, wobei es als Ding nur wahrnehmbar ist aufgrund seines ¹Andersseinsª, das heiût die vielen Ding-QualitaÈten werden dem Ding wesentlich: der Gegenstand ist damit ¹in einer und derselben RuÈcksicht das Gegenteil seiner selbstª. Diese Rekonstruktionen des Verf. sind insgesamt sehr instruktiv. Schwierig duÈrfte aber sein VerstaÈndnis von Ding-IdentitaÈt bei Hegel als Begriff ¹relativ a prioriª (115) sein, insbesondere weil Hegel in diesem Kontext nicht von Begriffen a priori spricht und zudem nicht ausreichend geklaÈrt wird ± auch nicht durch den Hinweis auf ¹gegenstandsbezogenene Reflexionª ±, was ein relativer Begriff a priori im Unterschied zu einem nicht-relativen Begriff a priori ist. Deutlich ist aber Westphals Interpretationsergebnis, wonach Hegel beweise, daû Hume den Begriff der Ding-IdentitaÈt nicht unabhaÈngig vom VerhaÈltnis eines Dinges zu anderen Dingen konzipieren kann. Denn Humes Konzeption der diachronen IdentitaÈt setze Hegels Konzeption der synchronen IdentitaÈt voraus ± allerdings uÈberzeugt diese Deutung nur in sachlicher Hinsicht, da eine tatsaÈchliche Auseinandersetzung Hegels mit Hume letztlich nicht erwiesen wird. Im dritten Kapitel schlieûlich wertet der Verf. die Ergebnisse seiner Untersuchungen aus und kommt zu dem Schluû, daû nach Hegel ein Gegenstand
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nur wahrgenommen werden kann unter Voraussetzung von ¹Sichselbstgleichheitª als ¹numerischer IdentitaÈtª; dies sei der ¹integrierte Gegenstandsbegriffª (135), uÈber den Hume nicht verfuÈge. Daû Hegel dabei eine bloû begriffliche und keine phaÈnomenologische Untersuchung durchfuÈhre, ist nach Meinung von Westphal akzeptabel. Denn schlieûlich erweise sich der scheinbar ¹logischeª Widerspruch im Begriff der Ding-IdentitaÈt als ¹dialektischª ± eine Unterscheidung, die in der Abhandlung nicht naÈher erlaÈutert wird, die aber andeutet, daû es sich beim Begriff der Ding-IdentitaÈt im ¹Wahrnehmungsª-Kapitel der PhaÈnomenologie des Geistes nicht um einen echten logischen Widerspruch handelt (143 f). Auch wenn Westphals Darlegungen zum Teil problematisch sind, wie z. B. auch die Rede von einer ¹Erkenntnistheorieª (146), die Hegel konzipiere, und die These der Auseinandersetzung Hegels mit Hume um den Begriff der DingIdentitaÈt letztlich historisch wohl nicht erwiesen wird, traÈgt der Verf. mit seinen Untersuchungen insgesamt zu einer Erhellung des Problems der Wahrnehmung in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes bei. Der Hume-Hintergrund in der PhaÈnomenologie leuchtet der Sache nach ein und duÈrfte weitere Forschungen anregen. Dietmar H. Heidemann (KoÈln)
Rossella Bonito Oliva/Giuseppe Cantillo (Hg.): Fede e sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel. [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. Milano: Edizioni Guerini e Associati 1998. 591 S. (Hegeliana. Bd 27.) Dieser Sammelband betrachtet aus verschiedenen Perspektiven die fuÈr die Entwicklung des Hegelschen Denkens entscheidende Phase der akademischen TaÈtigkeit in Jena. Der Titel Fede e sapere erlaubt jedenfalls, den Blick uÈber das Thema hinaus auch auf andere Perioden der Hegelschen Philosophie zu richten und deren Auffassungen auf diejenige der Jenaer Zeit zu beziehen. Das È berblick uÈber die Lage der dem Ergebnis ist ein inhaltsreicher Band, der einen U Jenaer Hegel gewidmeten Forschung bildet. In dieser Besprechung moÈchte ich eine kurze Zusammenfassung des Inhalts der fuÈnf Teile, in die das Buch gegliedert ist, geben und einige Hauptthemen darstellen. Der erste Teil uÈber die geschichtliche und spekulative Dimension in Glauben und Wissen schlieût eigentlich auch Abhandlungen ein, die das Wortpaar ¹Geschichte ± Spekulationª auch beim VerhaÈltnis Hegels zur Geschichte der Philosophie diskutieren. Glauben und Wissen ist die Abhandlung von Valerio Verra gewidmet, der die Reflexion als Kern der Auseinandersetzung Hegels mit der zeitgenoÈssischen Philosophie faût und die Hegelsche Aufnahme der NihiÈ berwindung der starren Trennungen der Relismusdiskussion als Weg zur U flexion durch die bestimmte Negation interpretiert. Auch Virginia López-Do-
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mínguez betrachtet Glauben und Wissen, diesmal aus der Perspektive der Geschichtlichkeit der Vernunft, welche die Geschichtlichkeit der Philosophie impliziert. Das VerhaÈltnis zur Geschichte der Philosophie wird durch Vergleiche mit verschiedenen Philosophen verwirklicht: Descartes (Giuseppe Varnier), Fichte (Luca Fonnesu, Gaetano Rametta), Schleiermacher (Giovanni Bonacina), Solger (Valeria Pinto), Herder (Myriam Bienenstock). Noch philosophisch-geschichtlich, nicht aber in dem Sinne einer Rekonstruktion der VerhaÈltnisse Hegels zur philosophischen Tradition, ist die Abhandlung von Francesco Saverio Trincia, die Hegel, Heidegger und die Interpretation des italienischen Philosophen Enrico De Negri betrachtet. Norbert Waszek disÈ bersetzung von Steuart auf kutiert den vermiûten Kommentar Hegels zur U der Basis der Zusammenfassung von Rosenkranz. Unter dem Titel ¹Hegel a Jenaª betrachtet der zweite Teil hauptsaÈchlich die letzte Phase der Jenaer Zeit Hegels. Das Interesse der darin eingeschlossenen Abhandlungen konzentriert sich auf die Philosophie des Geistes, und zwar auf È sthetik Hegels und deren Entwicklung (Giuseppe Cantillo, Giovanna die A Pinna) sowie auf die Verbindungen zwischen Religion und Philosophie einerÈ berseits und Sittlichkeit andererseits (Franco Biasutti, der auch die U windung der Kunst behandelt, und Marcella D’Abbiero). Livia Bignami betrachtet die NaÈhe der Geistesphilosophie von 1805±06 zu der PhaÈnomenologie und Vanna Gessa-Kurotschka die Rezeption des Jenaer Denkens Hegels. Laut dem Titel des dritten Teils, ¹La riflessione hegeliana sulla soggettivitaÁª, ist die SubjektivitaÈt der Brennpunkt des Interesses der AufsaÈtze dieses Teils, naÈmlich die Entwicklung dieses Begriffes innerhalb der Jenaer Philosophie (Walter Jaeschke) und die Auseinandersetzung mit der Reflexionsphilosophie durch den Skeptizismus und die Nihilismusdiskussion (Rossella Bonito-Oliva); dieser Auseinandersetzung folgt Gabriella Baptist mit einer Analyse der Auffassung der Zeit. Die SubjektivitaÈt wird weiterhin im Zusammenhang der Auffassungen anderer Philosophen betrachtet: bei Fichte (Marco Ivaldo), Schleiermacher (Pierluigi Valenza), Kant und Heidegger, in bezug auf das Thema der intellektuellen Anschauung (Fabio Ciaramelli). Der vierte Teil betrifft die schoÈne Religion. Gilbert Gerard betrachtet die Entwicklung der Hegelschen Auffassung der Religion, die durch die Ablehnung der schoÈnen Religion in der Mitte der Jenaer Zeit charakterisiert ist. Weitere Abhandlungen befassen sich mit dem VerhaÈltnis Hegels zu besonderen Religionen und Kulturen, d. h. zum Judentum (Emilia D‘Antuono) und zum Orient (Antonello Giugliano). Die unterschiedliche Deutung der Rolle des Christentums in der ModernitaÈt von den Jugenschriften bis zur spaÈten Jenaer Philosophie diskutiert der Aufsatz von Sergio Dellavalle. Ebenso werden in diesem Teil Vergleiche und Betrachtungen uÈber andere Philosophen vorgestellt: Hegel und Kant (Carla De Pascale), Hegel und Dilthey uÈber die Religion (Giuseppe Cacciatore), Jean Wahl (Maria Giungati).
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Der fuÈnfte Teil ist ¹La distruzione del divinoª betitelt. Die meisten Abhandlungen betreffen die tragische Gottesauffassung der modernen Zeit: die TragoÈdie im Naturrechtsaufsatz (Felix Duque), die TragoÈdie in dem Fragment uÈber Wallenstein in bezug auf die Theodizee (José Villacañas), den Tod Gottes È sthetik (Pietro Kobau) und mit der Sittlichin seinen Verbindungen mit der A keit (Angelica Nuzzo). Francesca Menegoni naÈhert das Fragment Glauben und Sein der Theologie des Aristoteles an, Faustino Oncina Coves stellt die Hegelsche Aufnahme der Offenbarungsschrift Fichtes dar, Antonio Carrano diskutiert Hegels Auffassung Gottes von Glauben und Wissen an im Vergleich zu derjenigen Kants. Als Fazit dieser Zusammenfassung ergibt sich, daû sich die Hauptthemen der Entwicklung Hegelschen Denkens in Jena und Hegelscher Philosophie uÈberhaupt kreuzen und verbinden. Ich moÈchte in dem letzten Teil dieser Besprechung die wichtigsten Deutungsperspektiven, die im Band wiederkehren, kurz analysieren. Eine erste bedeutende Linie ist im oben genannten Wortpaar ¹GeschichteSpekulationª, also im VerhaÈltnis Hegels zur Tradition bis zur zeitgenoÈssischen Philosophie zu finden. Zu diesem Thema ist es interessant, die Diskussion von Giuseppe Varnier uÈber den vermuteten Cartesianismus Hegels zu analysieren. Nach Ansicht des Verf.s handelt es sich um einen unausgesprochenen Cartesianismus. Diese Hypothese bestimmt auch die Deutung des VerhaÈltnisses Hegels zur Kantischen Philosophie: Jenseits der KontinuitaÈt und der Vertiefung der transzendentalen Perspektive koÈnnte man eine RuÈckkehr zu Descartes konstatieren, die nach den AusfuÈhrungen des Verf.s auch die epistemologische Relevanz der nachkantischen Philosophie bedingt. NatuÈrlich ist die epistemologische Ebene nicht die einzige, anhand derer das VerhaÈltnis zur Tradition zu messen ist. Carla De Pascale begrenzt sich in ihrer Abhandlung darauf, die trotz der scheinbaren NaÈhe radikal divergierenden Perspektiven Kants und Hegels auf die transzendentale Apperzeption und produktive Einbildungskraft zu betonen. Die Verf. nimmt dazu am Ende Stellung, wo sie hinsichtlich der Individuation eine LuÈcke der Kantischen Philosophie erkennt, die darin bestehe, daû Kant den Raum der konstitutiven Ideen in der Praxis vernachlaÈssigt habe. Aber die Betrachtung von Fabio Ciaramelli der Hegelschen und Heideggerschen Interpretation der Kantischen Philosophie zeigt, daû die Frage der Entwicklung der Kantischen Themen weitaus komplizierter ist. Das VerhaÈltnis Hegels zu Kant ist in verschiedener Hinsicht mit demjenigen zu Fichte verbunden. Luca Fonnesu sieht Fichte und Hegel insofern auf derselben Linie, als beide sich darum bemuÈhen, die Kantische Trennung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft zu versoÈhnen; der Kernpunkt fuÈr beide Philosophen ist der Trieb. In der Entwicklung seiner Philosophie bis zur Sittenlehre wendet sich aber Fichte im Gegensatz zu Hegel gegen das Empirische. Die LoÈsung Hegels wird allerdings vom Verf. nicht parallel verfolgt, und sein Ver-
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haÈltnis zu dieser Entwicklung Fichtes wird nicht betrachtet. In bezug auf Fichtes Bestimmung des Menschen wird Hegels Position eingehender von Marco Ivaldo analysiert. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung steht aber im Gefolge der uÈbrigen Fichte-Forschung: Hegels Rezeption zeige augenscheinliche Defizite bei der EinschaÈtzung der Fichteschen Auffassung des VerhaÈltnisses des Endlichen zum Unendlichen, was m. E. gerade nach einer Analyse der Auseinandersetzung mit Fichte in der ersten Jenaer Phase nicht ganz zu unterschreiben ist. Ein zweites sehr breit diskutiertes Thema ist die Entwicklung der Hegelschen Philosophie in Jena. Diese Entwicklung wird hauptsaÈchlich unter der Perspektive der praktischen Philosophie und der Geistesphilosophie verfolgt. Die Hypothese von Walter Jaeschke uÈber die Bedeutung der SubjektivitaÈtsphilosophie Hegels wendet sich in diese Richtung: Jaeschke lehnt die Deutung ab, nach der die SubjektivitaÈtsphilosophie Hegels monologisch und daher selbst jener Kritik zu unterziehen sei, die Hegel am Anfang der Jenaer Zeit gegen die Reflexionsphilosophie erhebt. In der Entwicklung des HeÈ bergelschen Denkens bedeutet ¹SubjektivitaÈtª ganz im Gegenteil die U steigung des solipsistischen Subjekts und die Erreichung der IntersubjektivitaÈt, und dies ist der Charakter des Denkens selbst: ¹Senza il momento dell`intersoggettivitaÁ il pensiero correrebbe in realtaÁ il rischio di essere privao e di mancare l`universalitaÁ che pretendeª. (260) Diese These miût sich mit der Debatte uÈber die Rolle der Anerkennung in der Philosophie Hegels und die FaÈhigkeit Hegels, auf verschiedenen Ebenen der praktischen Philosophie die IntersubjektivitaÈt uÈberzeugend darzustellen. È berwindung des Subjekts arguAuf derselben Linie einer uÈberzeugenden U mentiert m. E. Angelica Nuzzo in ihrer Diskussion der TragoÈdie im Sittlichen im Naturrechtsaufsatz. Dem ¹Monismusª der Vernunft, d. h. der Suche nach einer Erkenntnisidee, welche die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft uÈberwindet, entspricht nach der Verf. im praktischen Bereich die Konstruktion der absoluten Sittlichkeit als Organisation der Individuen, die È bergang dazu ist das Opfer des einen neuen Begriff der Freiheit oÈffnet. Der U Individuums, welches das Thema der TragoÈdie im Sittlichen ausdruÈckt. Einige Zweifel uÈber die Frage, ob und inwieweit Hegel ein Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des Individuums und denjenigen der Gemeinschaft erreicht, erheben die Abhandlungen von Marcella D’ Abbiero und Sergio Dellavalle. Die erst die Jenaer SpaÈtphilosophie Hegels betrachtende Abhandlung analysiert Hegels Bewuûtsein fuÈr die latenten Konflikte zwischen Individuen und Staat. Dieses Bewuûtsein druÈckt sich in der Begrenzung der Macht des Staates vor dem individuellen Gewissen aus, d. h. in der BeschraÈnkung des Staates auf den Rahmen der LegalitaÈt. Religion und Philosophie haben gerade die Funktion, gegen eine potentiell repressive Sittlichkeit die Freiheit des Bewuûtseins zu schuÈtzen. DafuÈr aber, bemerkt die Verf., ist eine autonome philosophische LoÈsung, die das an-sich-seiende Wesen der Religion
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hinter sich laÈût, letzten Endes zu schwach. Ebenso schreibt Dellavalle der Philosophie und der Religion dieselbe Funktion hinsichtlich der politischen Organisation zu, aber diese interessante kritische Funktion der Geistesphilosophie bleibt in der ganzen Entwicklung Hegelschen Denkens punktuell. Abschlieûend moÈchte ich auf eine weitere Linie hinweisen, welche schoÈne Kunst und schoÈne Religion umgreift. Die Abhandlungen von Giovanna Pinna und Pietro Kobau stimmen darin uÈberein, um die Mitte der Jenaer Zeit eine È sthetik Hegels zu finden. Nach Giovanna Pinna ist das Jahr Wende in der A 1803 entscheidend fuÈr die Trennung von der Naturphilosophie Schellings, was nicht ohne Folgen fuÈr die Stellung der Mythologie und der Kunst in Hegels Denken bleibt. Ich stimme ganz mit der Verf. darin uÈberein, daû eine entscheidende Rolle dem Fragment Das Wesen des Geistes in der Rekonstruktion È sthetik zuzuschreiben ist. dieser Phase der Entwicklung der Hegelschen A Ebenfalls hat Pietro Kobau recht, beim Thema des Todes Gottes in den ersten Jenaer Schriften bereits eine klare Spur der Abschaffung der aÈsthetischen Utopie zu erkennen. Dadurch fuÈgt Hegel eine endguÈltige ZaÈsur zwischen Antike È berleben der schoÈnen und Moderne und eine ZaÈsur auch fuÈr das wirkliche U Kunst in der Moderne ein. Die Abhandlung von Gilbert Gerard faût richtig die praktische Rolle zusammen, die Kunst und Religion in der ersten systematischen Auffassung Hegels spielen. Was man zur Rekonstruktion von Gerard einwenden kann, ist, daû gerade das Thema der TragoÈdie moÈglicherweise dazu zwingt, das Verlassen der schoÈnen Religion fruÈher anzusetzen, als er dies tut. Dieses Verlassen impliziert jedoch keine Abschaffung der Rolle der Kunst: È sthetik Am Schluû seiner Abhandlung uÈber die Entwicklung der Hegelschen A behauptet Giuseppe Cantillo, daû auch in bezug auf die reife Auffassung Hegels nur eine Form der Kunst zu Ende ist, und zwar die schoÈne Kunst, daû aber die Kunst eine offene Suche nach neuen Ausdrucksarten ist: ¹l`arte si fa ricerca di nuove forme di espressione e comunicazioneª (182), und in diesem È sthetik Hegels den Erfahrungen der kuÈnstlerischen Sinne kann man die A Avantgarde annaÈhern. Pierluigi Valenza (Roma)
Marco de Angelis: Die Rolle des Einflusses von J. J. Rousseau auf die Herausbildung von Hegels Jugendideal. Ein Versuch, die ¹dunklen Jahreª (17891792) der Jugendentwicklung Hegels zu erhellen. Frankfurt a. M. [usw.]: Lang 1995. XX, 333 S. (Hegeliana. Bd. 4.) Das Thema dieses Buches ist der Einfluû von Rousseau auf die Philosophie des jungen Hegel. Dem Bericht Leutweins uÈber ihre gemeinsamen TuÈbinger Jahre zufolge steht Rousseau am Anfang der philosophischen Entwicklung Hegels: ¹Allein waÈhrend der vier Jahre unserer FamiliaritaÈt war Metaphysik Hegels Sache nicht sonderlich. Sein Held war Jean Jacques Rousseau, in dessen Emil,
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contrat social, confessionsª. Diesem zeitgenoÈssischen Bericht zufolge ist Rousseaus Einfluû in der fuÈr Hegels philosophische Entwicklung entscheidenden TuÈbinger Zeit dominierend. Um den Einfluû von Rousseau auf den jungen Hegel darzustellen, ist es erforderlich, zuerst die Gedankenentwicklung Hegels in den Jahren 1789-1792 zu rekonstruieren. Hegel hat in diesen Jahren seine Gedanken in Form von Fragmenten niedergeschrieben, diese Schriften sind aber verlorengegangen. De Angelis nimmt an, daû Hegels Denken in den Jahren 1789-1792 im Rahmen einer kontinuierlichen Entwicklung steht, wenngleich Belege fuÈr diese Annahme fehlen. Aus diesem Grund verfolgt die Studie zwei Ziele: 1) Hegels geistige Entwicklung in den Jahren 1789-1792 entwicklungsgeschichtlich zu rekonstruieren; 2) die LuÈcke bezuÈglich des VerstaÈndnisses von Rousseaus Einfluû auf Hegel zu schlieûen. Die Untersuchung ist entsprechend in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil wird versucht, die geistige Entwicklung Hegels in den Jahren 1785-88 und 1792/93-94 entwicklungsgeschichtlich zu rekonstruieren und von diesem Rahmen aus seine philosophische Entwicklung in den ¹dunklen Jahrenª 1789-1792 durch eine ¹logische Rekonstruktionª zu erschlieûen. Den zweiten Teil leitet die Frage, welchen Einfluû die Philosophie von Rousseau auf Hegel ausuÈbt. Auf dieser methodischen Grundlage kommt de Angelis zu dem Ergebnis, daû Hegel in den ersten vier Jahren seines TuÈbinger Studiums Rousseaus natuÈrliche Welt- und Menschenauffassung uÈbernimmt. Dabei uÈbertraÈgt Hegel die Idealisierung der NatuÈrlichkeit in Rousseaus EÂmile von den Wissenschaften und KuÈnsten auf das Gebiet der Menschenkenntnis und der Moral. Dadurch konzipiert der junge Hegel in der Zeit von 1789 bis 1792 die natuÈrliche Auffassung der Welt und des Menschen und vor allem seine MoralitaÈt in Orientierung an Rousseau. In seiner weiteren Entwicklung macht Hegel diese Auffassung zur Grundlage seines Systems. Damit vollzieht Hegel einen weiteren entscheidenden Schritt. Auch die Dokumente aus den ¹dunklen Jahrenª gewinnen dadurch eine neue Bedeutung fuÈr die philosophische Entwicklung Hegels. De Angelis kommt zu dem Schluû, daû die doppelte Methode der ¹genetischen Rekonstruktionª der Entwicklung von Hegels Denken und der ¹logischen Deduktionª durch die ¹Schichtuntersuchungª der Texte die Annahme stuÈtzt, daû Rousseau die Hauptquelle der natuÈrlichen Welt- und Menschenauffassung in Hegels Jugendjahren sei. Die Erforschung der Dokumente aus den Jahren 1789-1792 mit Hilfe der beiden kombinierten Methoden zeigt, daû EinfluÈsse von Rousseau in Hegels Jugendentwicklung bei der Formulierung seiner philosophischen Ideen bis 1794 von grundlegender Bedeutung sind. Leutweins Hinweis auf Rousseau als Hegels ¹Heldª in den ersten TuÈbinger Jahren wird bestaÈtigt. ZusaÈtzlich zu diesem ¹Hauptergebnisª erbringt die Studie noch folgende ¹Nebenergebnisseª. Hegels Entwicklung in den Jahren 1785-1788 wurde bisher
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von der Hegel-Forschung als ein ¹Blockª, als eine Einheit ohne Differenzierung betrachtet. Die innere Entwicklung waÈhrend dieser Phase wurde nicht untersucht. Die philosophische Entwicklung Hegels ist aufgeklaÈrt nur von der Stuttgarter bis zur TuÈbinger Zeit, aber nicht waÈhrend der Stuttgarter Zeit. Hegels OriginalitaÈt ist bisher erst bei den Fragmenten der Jahre 1792/93-94 festgestellt worden, die Stuttgarter Zeit wurde im Gegensatz hierzu als Phase passiven Rezipierens aufgefaût. De Angelis sucht dagegen zu beweisen, daû schon in der Stuttgarter Zeit die Fragestellung entsteht, die der spaÈteren Philosophie Hegels bis ins System zugrundeliegt. Diese fruÈhe Formung des philosophischen Ausgangspunktes in der Stuttgarter Zeit stellt eine wichtige ¹BruÈckeª zwischen der Stuttgarter Zeit und dem Ausbau der philosophischen Grundlagen Hegels in der TuÈbinger Zeit her, die fuÈr das VerstaÈndnis seiner philosophischen Entwicklung 1789-1792 und des Einflusses von Rousseau unentbehrlich ist. Danach trennt sich Hegels Weg von Rousseau. Die Feststellung der Unterschiede zwischen Hegel und Rousseau in bezug auf die Auffassung des VerhaÈltnisses von Religion und Moral eroÈffnet einen neuen Weg zum VerstaÈndnis des Wandels in der weiteren Entwicklung Hegels, die zur Abwendung von einem ¹orthodoxen Rousseauismusª, demzufolge die Moral unabhaÈngig von der Religion ist, und zur Hinwendung zu Kant und Fichte fuÈhrt, nach deren Auffassung die Moral der FoÈrderung durch die Religion bedarf. Hierdurch gelingt es Hegel, den ¹orthodoxen Rousseauismusª zu uÈberwinden. Die EinfluÈsse von Rousseau auf die Philosophie des jungen Hegel sind zwar seit langem bekannt, ihre Details sind aber bisher nicht gruÈndlich untersucht worden. Die Rekonstruktion der ¹dunklen Jahreª 1789-1792 der Jugendentwicklung Hegels ist angesichts der Quellenlage ein schwieriges Vorhaben. Auch de Angelis raÈumt ein, daû es nur wenige Dokumente und keine Neuentdeckungen gibt. Dennoch ist es ihm durch die Auswertung der wenigen Quellen immerhin gelungen, auf eine LuÈcke in der Hegel-Forschung hinzuweisen und die Aufmerksamkeit auf einen Bezugspunkt Hegels in seiner fruÈhen philosophischen Bildungsphase zu lenken. Joji Yorikawa (Nagoya/Japan)
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Theodoros Penolidis: Der Horos. G. W. F. Hegels Begriff der absoluten Bestimmtheit oder die logische Gegenwart des Seins. WuÈrzburg: KoÈnigshausen & Neumann 1997. 178 S. Diese in Bonn 1995 als Dissertation vorgelegte, unter der Betreuung von Josef Simon entstandene Arbeit ist eine uÈberaus eigenwillige, aber durchaus innovative Deutung des ersten Abschnitts von Hegels Seinslogik (Sein, Dasein, FuÈrsichsein), die ± wenn auch unausgesprochen ± durch Heideggers Antikenrezeption inspiriert ist. Gegen den doppelten Vorwurf einer Logifizierung des Seins bzw. einer AufloÈsung des Seins ins Gedachtsein und einer Ontologisierung des Denkens bzw. eines unvordenklich dem Denken Vorausliegen des Seins macht Penolidis das genuin Hegelsche Konzept des Seins als Begriff geltend. Im Gegensatz zu Interpretationen, die die SphaÈre des Seins als zu uÈberschreitenden Boden der Seinslogik fassen, moÈchte der Autor deutlich machen, daû es Hegel in der Seinslogik um die begriffliche bzw. logische PraÈsenz des Seins in seiner unverwechselbaren IndividualitaÈt geht (ousõÂa). Die logische Gegenwart des Seins im Begriff wird als homologõÂa von Erkenntnis und Sein gefaût, die aus der ¹inneren IntelligiblitaÈt des Seinsª (10) erwaÈchst. Das Konzept der homologõÂa, das Penolidis Hegels Idee der Erkenntnis als Proportion in der Jenaer Logik und Metaphysik (1804/5) entnimmt, wird so verstanden, daû dem Sein erst in der begrifflichen IdealitaÈt eine Anerkennung als materielle IndividualitaÈt widerfaÈhrt. Die Selbsterkenntnis des Seins als Sein ist aber nur moÈglich, wenn das anfaÈngliche Sein an sich bereits Erkenntnis ist. Im Zentrum der Arbeit steht keineswegs Hegels Begriff der qualitativen Bestimmtheit, der speziell der Daseinslogik angehoÈrt, vielmehr das Konzept der absoluten Bestimmtheit, die Penolidis als Horos auslegt und die das methodische Prinzip der Selbstexplikation des (absoluten) Seins qua Begriff abgibt. Die Erkenntnis des Seins als Sein kann nur durch das Sein selbst vollzogen werden, ist Penolidis' GrunduÈberzeugung. Das Sein selbst kann aber nur an ihm selbst begriffen werden, wenn es in seiner absoluten Bestimmtheit erfaût wird. Bereits Parmenides habe die PraÈsenz des Seins als totale Grenze ausgesprochen. Durch die absolute Bestimmtheit gewinnt das Sein seine logische Form, in der es zugleich in seiner materiellen IndividualitaÈt praÈsent ist. Zu unterscheiden ist an der absoluten Bestimmtheit also ein materialer und ein idealistisch-formaler Aspekt. Es ist allerdings sehr zu bezweifeln, daû das, was der Autor absolute Bestimmtheit oder den Horos nennt, die absolute Kategorie der QualitaÈt im Sinne der daseinslogischen Kategorie des FuÈrsichseins meint. Das 1. Kapitel exponiert das Konzept der absoluten Bestimmtheit, das Penolidis zwar in der Logik von Sein/Nichts/Werden verortet, aber in recht weiter hermeneutischer Ferne zu diesem Text entwickelt. Zu unterscheiden sei ein negativer, dissoziierender Aspekt, der wiederum in reelle Differenz qua negativer Beziehung auf anderes und IdealitaÈt, d. h. Aufheben der Differenz qua negativer Beziehung auf sich selbst, differenziert wird, und eine affirma-
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tive, totalisierende Funktion der spekulativen Bestimmtheit, aus welcher die Bestimmtheit als sich selbst vermittelnde TotalitaÈt hervorgeht. Darunter wird die IndividualitaÈt und inkommensurable Selbstheit der Bestimmtheit des Seins verstanden, was Penolidis den loÂgos, die Proportion oder den Horos nennt. Damit wird deutlich, daû fuÈr den Autor Unendlichkeit und nicht Endlichkeit konstitutiv fuÈr die logische PraÈsenz des Seins in seiner IndividualitaÈt ist. Vor dem Hintergrund des Konzepts der absoluten Bestimmtheit des Seins werden die QualitaÈtskategorien des Daseins als Funktionen der Selbstbestimmung des Seins nach Art einer absoluten, spekulativen Seinsmetaphysik abgeleitet. Dabei wird in keiner Weise der Sonderstatus der Logik von Sein, Nichts und Werden beruÈcksichtigt und damit der Bruch, den diese Logik zur È berhaupt hat man den Eindruck, daû Penolidis Logik des Daseins aufweist. U entscheidende sachliche Probleme des kategorialen Aufbaus der Seinslogik mit seinem Bestimmtheitskonzept nicht in den Blick bringt. Daû Hegels Ableitung des Daseins aus den leeren Denkabstraktionen Sein, Nichts und Werden etwa einen seinsmetaphysischen Fehlstart oder Irrationalismus darstellen koÈnnte, der aus dem systemphilosophischen Anliegen herruÈhrt, auch noch die sachlichen Voraussetzungen der Erkenntnis aus dem Denken abzuleiten, scheint den Autor nicht zu kuÈmmern. Seine Intention geht vielmehr dahin, mit seiner Bestimmtheitskonzeption die Logik von Sein, Nichts und Werden und die Daseinslogik zu einem einheitlichen seinsmetaphysischen Konzept zu verschmelzen. Im 2. Kapitel, das der Interpretation der Endlichkeit gewidmet ist, steht der Begriff der Grenze als Inbegriff der Differenz von Etwas und Anderem im Mittelpunkt der EroÈrterung, aus dem die einzelnen Kategorien der Endlichkeit hergeleitet werden. Diesen Teil der Arbeit halte ich fuÈr den gelungensten, auch deshalb, weil er sich wenigstens in mittlerer NaÈhe zum Text aufhaÈlt. Zwar wird im groûen und ganzen deutlich, daû Hegel Schranke und Sollen als Verlaufsformen des Widerspruchs des begrenzten Etwas in seiner negativen Beziehung auf sich ableitet. Gleichwohl scheint mir das Hegelsche Proprium einer daseinslogischen, substratbestimmten Dialektik von Grenze, Schranke und Sollen dadurch verfehlt, daû diese zu stark in die NaÈhe einer reflexionslogischen Gegensatzdialektik geruÈckt wird (vgl. 74). Aus der Dialektik von Schranke und Sollen versucht Penolidis die eigentuÈmliche ReflexivitaÈt des Vergehens des Endlichen in seiner gesetzten NegativitaÈt herauszudestillieren, die das ¹Zerbrechenª (83) der Endlichkeit an der totalisierten Grenze zur Folge habe, was als AufloÈsung des Seins (in Nichts) gedeutet wird. Jedenfalls kommt das Endliche aufgrund des Widerspruchs seiner TotalitaÈt nicht zur homologõÂa seiner selbst als Begriff. Das im Dasein noch praÈsente Sein verschwindet in der ¹ideellen Negationª (92), der sich auf sich beziehenden Negation der Endlichkeit. Schon der Ausdruck ¹Zerbrechenª der Endlichkeit macht deutlich, daû Penolidis den emanzipationsphilosophischen Ansatz der daseinslogischen Endlichkeitstheorie voÈllig ausblendet. Die ReflexivitaÈt der End-
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lichkeit bzw. deren Nichtigkeit wird dementsprechend im RuÈckgriff auf den Jenaer Hegel als Reflex des Absoluten bzw. Selbstvermittlungsform des Absoluten gedeutet. Das 3. und umfangreichste Kapitel uÈber die Unendlichkeit ist das zentralste, aber auch das problematischste und fragwuÈrdigste. Hier versucht der Autor, seine Grundintentionen und Grundthesen interpretativ einzuholen. Je mehr er darum bemuÈht ist, umso mehr entfernt er sich vom Text. Ja stellenweise weiû man gar nicht mehr, ob er uÈberhaupt noch Hegel im Auge hat. Penolidis deutet das Unendlichwerden des Endlichen als radikale ZerstoÈrung der Differenz und damit der Grundlage der Endlichkeit (Sollen/Schranke) durch die absolute NegativitaÈt des Seins, als die die affirmative Unendlichkeit selbst ausgelegt wird. GegenuÈber dem endlichen Streben nach Selbstbestimmung sei die Unendlichkeit unendliche Selbstbestimmung qua absoluter NegativitaÈt, die als TotalitaÈt der Grenze, als absolute Grenze, sich selbst schaffendes Negatives etc. interpretiert wird, kraft dessen sich das Sein in seinem ¹Sich-Nichts-Seinª (114) als urspruÈngliches Selbstsein logisch offenbart. Das 4. Kapitel kommt auf den Anfang der Logik mit dem unmittelbaren Sein unter der Frageperspektive zuruÈck, inwiefern nicht die absolute Unmittelbarkeit des Seins, sondern die Begriffsform des Seins der wahre Anfang ist, die in der Unendlichkeit freigelegt wurde. Die Schwierigkeit des zentralen 3. Kapitels besteht darin, daû Penolidis Hegels Theorie der Unendlichkeit hoffnungslos uÈberlastet bzw. uÈberfrachtet. ZunaÈchst gilt es, die Strukturverfassung der absoluten NegativitaÈt/Grenze und damit das, was Horos genannt wird, zu bestimmen. Damit wird die Theorie der Unendlichkeit schon durch die Begrifflichkeit unverkennbar in die NaÈhe der Wesenslogik geruÈckt. Die absolute NegativitaÈt bzw. Vermittlung der absoluten Grenze mit sich selbst wird als urspruÈngliches, sich selbst produzierendes und sich selbst verzehrendes Werden verstanden, das sich in seinem Produkt, dem Sein, materialisiert und in ihm gegenwaÈrtig bleibt. Die logische Gegenwart des Seins ruht auf dem Grunde eines heraklitischen Werdens. Sein ist nicht mehr unmittelbar wie am Logikanfang, sondern ¹absolut durchsichtige Materie, Sein als reiner Logos (Kategorie)ª (136). ¹Der Horos, der Begriff, ist die TotalitaÈt des Sich-Zeigens als die das Sein schlechthin individualisierende Machtª (141). Zweitens wird versucht, den Nachweis zu fuÈhren, daû in der Strukturverfassung der NegativitaÈt die innere IntelligibilitaÈt des Seins verwurzelt ist. Im Lichte der absoluten NegativitaÈt sei die Negation und Bestimmtheit der Endlichkeit eine immer schon ausgelegte und begriffene. In diesem Sinne eroÈffne die absolute NegativitaÈt/Grenze den Verstehenshorizont allen bestimmten Seins. Drittens wird versucht zu zeigen, inwiefern die Unendlichkeit als ¹Urkategorie des Seinsª (46) aufzufassen ist, aus der als arche alle Seinskategorien ableitbar sind. Damit wird deutlich, daû Penolidis die Seinslogik als radikale Ursprungsphilosophie des absoluten Seins auslegt, wobei das Vergehen der
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endlichen Bestimmtheiten in Anlehnung an Anaximander als ihre Rechtfertigung durch die absolute NegativitaÈt des Seins ausgelegt wird, aus der sie als dem Horos ewig entstehen. Viertens wird anhand des VerhaÈltnisses von Unendlichkeit und FuÈrsichsein die Struktur der homologõÂa von Sein und Erkenntnis aufzuweisen versucht. Jedenfalls versteht der Autor das FuÈrsichsein als ¹eigentliche SphaÈre des Selbsterkennens und der Selbstbestimmung des Seinsª (136) in seiner unverwechselbaren IndividualitaÈt und SubjektivitaÈt, in seinem choristoÂn-Charakter. Horos ist Penolidis zufolge ¹sich erkennende Selbstbestimmungª, ¹IdentitaÈt von gnorismoÂs und horismoÂs (136). Doch die argumentative Explikation dieser Grundthese versinkt selbst in einem heraklitischen Dunkel, weil es Penolidis nicht gelingt, seine AusfuÈhrungen am Hegelschen Text verstaÈndlich zu machen. Einer der GruÈnde fuÈr die Undurchsichtigkeit seiner AusfuÈhrungen duÈrften darin liegen, daû er in der Theorie der affirmativen Unendlichkeit das VerhaÈltnis von Unendlichkeit und Endlichkeit mit dem VerhaÈltnis von Unendlichkeit zum FuÈrsichsein systematisch verschleift. Penolidis verliert sich in eine Vielzahl von maÈanderierenden AusfuÈhrungen und immer wiederkehrenden paradoxen Formulierungen, ohne die Sache auf den Punkt zu bringen. Damit ist aber das entscheidende Beweisziel der Arbeit, daû die Seinslogik von einer homologõÂa von Sein und Begriff im Sinne einer Selbsterkenntnis des Seins, in der dem Sein als Sein seine Anerkennung widerfaÈhrt, regiert wird, nicht in seiner Triftigkeit aufgezeigt. Als idealistische Affirmation von Ontologie im hoÈherstufigen Sinne, naÈmlich als Anerkennung des Seins als Begriff bzw. als ein ¹intelligibles Ereignisª (161), versteht Penolidis dementsprechend auch noch die Reflexion des Wesens, wie der Exkurs II ¹Vorblick auf die Bestimmtheit des Wesensª (160 ff) deutlich macht. Der Hauptmangel der Arbeit scheint mir in der hermeneutischen UnschaÈrfe zu liegen, daû Penolidis sich selbst und dem Leser gegenuÈber keine Rechenschaft daruÈber gibt, was er als Hegels Auffassung ansieht und wo er uÈber sie hinausgeht. Die Einebnung dieser fuÈr eine hermeneutisch kontrollierte Interpretation entscheidenden Differenz wird durch die metaphorische Sprachgestaltung, die durchaus pointierende Innovationen bereithaÈlt, die aber nicht in ihren Bedeutungen erhellt werden, noch verstaÈrkt. Penolidis tut so, als lieûe sich Hegels Begrifflichkeit ohne Abstriche in seine uÈberaus erlaÈuterungsbeduÈrftigen Interpretamente, die er einer nicht weiter ausgewiesenen Rezeption antiker Texte entnimmt, uÈbersetzen. Irritierend ist im uÈbrigen, daû auf den Platonbezug der Daseinslogik mit keinem Wort eingegangen wird. Aber sie wird vor allem durch die wachsende Entfernung vom Hegelschen Text befoÈrdert, so daû der Leser die gemachten Behauptungen nur kontrollieren kann, wenn er bereits mit Hegels Seinslogik bestens vertraut ist. Insofern kann man das Buch nicht fuÈr einen Einstieg in Hegels Seinslogik empfehlen. Die nicht zu uÈbersehende StaÈrke des Buches liegt darin, daû es eine eigene, innovative These in Anschlag bringt und den Versuch macht, diese auch systematisch zu begruÈnden. An keiner Stelle begnuÈgt sich der Autor mit einer bloûen Para-
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phrase des Textes. Zugleich hat Penolidis eine TuÈr zu einem Desiderat der Forschung aufgestoûen und dieses auch ein StuÈck in Angriff genommen, naÈmlich Hegels Seinslogik auf ihre verborgenen, in die Vorsokratik zuruÈckreichenden Motive hin freizulegen. Christian Iber (Berlin)
Dieter Wandschneider: GrundzuÈge einer Theorie der Dialektik. Rekonstruktion und Revision dialektischer Kategorienentwicklung in Hegels ¹Wissenschaft der Logikª. Stuttgart: Klett-Cotta 1995. 231 S. Wer ein ¹selbstaÈndiges GebaÈude philosophischer Wissenschaft in modernen Zeiten neu aufzufuÈhren arbeitetª, konstatiert G. W. F. Hegel gegen Ende der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik von 1832, koÈnne ¹an die ErzaÈhlung erinnert werden, daû Plato seine BuÈcher uÈber den Staat siebenmahl umgearbeit habeª (GW 21. 20). Warum zum Abschluû der Vorrede È berlegungen uÈber den Entwurf eines zeitund im Kontext der eigenen U gemaÈûen und eigenstaÈndigen Systems dieser Verweis auf die apokryphe È berarbeitung des wirkungsreichen Dialogs, der nicht zuletzt wegen der VielU falt der darin behandelten Themen ± darunter die Epistemologie, die Ethik, die Ontologie, die PaÈdagogik, die Psychologie, leitend aber auch fuÈr die ihm namengebende Staatsphilosophie: die Intellekttheorie ± zurecht als das Hauptwerk Platons gilt? Hegel selbst erlaÈutert die Bedeutung des antiken Vorbilds: ¹Die Erinnerung hieran, eine Vergleichung, insofern sie eine solche in sich zu schlieûen schiene, duÈrfte nur umsomehr bis zu dem Wunsche treiben, daû fuÈr ein Werk, das, als der modernen Welt angehoÈrig, ein tieferes Princip, einen schwerern Gegenstand und ein Material von reicherem Umfang zur Verarbeitung vor sich hat, die freye Muûe, es sieben und siebzig mal durchzuarbeiten, gewaÈhrt gewesen waÈre. So aber muûte der Verfasser, indem er es im Angesicht der GroÈûe der Aufgabe betrachtet, sich mit dem begnuÈgen, was es hat werden moÈgen, unter den UmstaÈnden einer aÈusserlichen Nothwendigkeit, der unabwendbaren Zerstreuung durch die GroÈsse und Vielseitigkeit der Zeitinteressen, sogar unter dem Zweifel, ob der laute Lerm des Tages und die betaÈubende GeschwaÈtzigkeit der Einbildung, die auf denselben sich zu beschraÈnken eitel ist, noch Raum fuÈr die Theilnahme an der leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntniû offen lasseª (ebd.). Das Werk, dessen ModernitaÈt durch die in ihr thematisierte SubjektivitaÈt gewaÈhrleistet wird, macht sich zum Prinzip: das reine Denken; zum Gegenstand: dasselbe; zum Material: die Kategorien, Reflexionsbestimmungen und Begriffe, welche die logischen Denkformen bilden. Die ¹nur denkende Erkenntnisª, deren angemessene WuÈrdigung die Muûe der theoretischen Lebensweise erfordert ± das ist also die logische Wissenschaft, die ¹nurª selbstbezuÈglich denkt und in
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¹der leidenschaftslosen Stilleª erkennt, weil sie der Anschauung und des Affiziert-Werdens nicht mehr bedarf, weil sie ihre eigene Theorie ist, deren konsequente Ausarbeitung eine Potenzierung der Platonischen Denkweise bedeutet, insofern sie die Selbstbestimmung der sich selbst denkenden Vernunft systematisch durchfuÈhrt. Seitdem sich Hegel den UmstaÈnden der aÈuûerlichen Notwendigkeit gebeugt hat, die Wissenschaft der Logik also nicht die erwuÈnschte ¹sieben und siebzig malª, aber auch nicht die apokryphe ¹sieben mahlª Platons hat durcharbeiten koÈnnen, haben andere ± darunter bereits im 19. Jahrhundert etwa Karl Rosenkranz und Kuno Fischer, im 20. Jahrhundert z. B. Gotthard Günther und Vittorio Hösle ± die Aufgabe der Umarbeitung und d. h. nicht nur der Interpretation des Werkes uÈbernommen, freilich im Bewuûtsein, das Resultat muÈûte eine eigene OriginalitaÈt erlangen, wenn der Herausforderung Hegels, eine zeitgemaÈûe und eigenstaÈndige Struktur der philosophischen Wissenschaft zu errichten, gefolgt werden soll. Die vorliegende Untersuchung Dieter Wandschneiders zur Theorie der Dialektik verspricht nun ¹einschneidende Revisionenª (27) zu Hegels Wissenschaft der Logik. Sie besteht aus sechs Teilen: 1. einer Einleitung in den hier vertretenen, sogenannten ,objektiv-idealistischen` Denkansatz, die nicht nur den Anspruch der dialektischen Logik auf SelbstbegruÈndung gegenuÈber dem Empirismus, dem Materialismus und dem Transzendentalismus herausstellt, sondern auch fuÈr die fundamentale ontologische Relevanz dieses Ansatzes plaÈdiert; 2. einer Analyse antinomischer Strukturen, die eine negative SelbstEntsprechungsbestimmung als dialektisch grundlegend ausweist: Demnach unterscheidet sich der antinomische Widerspruch von der bloûen Kontradiktion durch die Untrennbarkeit entgegengesetzter Bestimmungen; 3. einer Rekonstruktion und Revision Hegelscher Kategorienentwicklung, die sich im wesentlichen auf die QualitaÈtslogik der Wissenschaft der Logik beschraÈnkt; 4. È berlegungen zur Dialektik, die den allgemeinen systematisch-methodischen U Groûteil der Arbeit als einer Theorie dialektischer Kategorienentwicklung bilden; 5. Anmerkungen zu globalen, also gesamtsystematischen Perspektiven der hier entworfenen Logik; 6. einer Metareflexion des gesamten Unternehmens, die auf Fragen der Stringenz dialektischer Begriffsentwicklung sowie das Problem einer Selbstrekonstruktion der Logik eingeht. Bereits diese Eingliederung laÈût erkennen, daû die im Untertitel der Arbeit angekuÈndigte Bezugnahme auf Hegels Wissenschaft der Logik in doppelter Hinsicht unpraÈzise ist. Erstens steht die Hegelsche Logik nur im Hintergrund der hier angestellten Untersuchung, zweitens wird lediglich ein Bruchteil der Hegelschen Logik ± die QualitaÈtslogik ± rekonstruiert und revidiert, und zwar aus reinem systematischem Interesse ohne jegliche entwicklungsgeschichtliche Perspektive ± bis zur Ausklammerung der PhaÈnomenologie des Geistes und der EnzyklopaÈdie der philosophischen Wissenschaften. In der Tat erscheint dem Autor die ¹Hegelsche Textvorlage . . . so nicht mehr nachvollziehbarª (122) ± ein Ein-
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druck, den er auch weiter zu vermitteln versucht. Allein im Hinblick darauf sind jedoch der Ansatz und die DurchfuÈhrung der Arbeit keineswegs zu kritisieren, denn ein bloûer Untertitel kann nicht als Maûstab genommen werden: Es soll vielmehr uÈber deren wahres ehrgeiziges Anliegen informiert werden. Dieses besteht in der BegruÈndung des ,objektiven Idealismus`, woruÈber der Autor mit Hösle in mancherlei einig zu sein scheint ± besonders uÈber den Bedarf, das Hegelsche System durch einen vierten Teil: eine Logik der IntersubjektivitaÈt zu ergaÈnzen. Es handelt sich hier also nicht wirklich um eine Umarbeitung ± eine Rekonstruktion und Revision ± der Wissenschaft der Logik und schon gar nicht um eine Interpretation. Statt dessen soll die Grundlage einer neuen Theorie der Dialektik im Ausgang von gewissen Aspekten der Hegelschen Logik geschaffen werden. Dazu an dieser Stelle nur dies: Als die GrundpraÈdikation einer sich selbst begruÈndenden Logik gilt dem Autor folgendes: ,ist einem Begriff entsprechend`. Darin enthalten entdeckt er vier PraÈdikationshinsichten, welchen vier Dihairesen korrespondieren und die allesamt im Zusammenspiel mit den zugeordneten Gegensatzbestimmungen dialektisches Argumentieren ermoÈglichen. Der durch die GrundpraÈdikation bestimmte Zusammenhang der Dihairesen wird praÈgnant geschildert: Im Fall der 1. Dihairese, so Wandschneider, repraÈsentieren das ¹PraÈdikationselement ,ist` und dessen Negation ,ist nicht` selber eine Seinshinsicht und eine Nichtseinshinsicht. . . FuÈr die 2. Dihairese gilt, daû durch die vollstaÈndige GrundpraÈdikation ,ist einem Begriff entsprechend` ein Fall von ,Sosein` und durch deren Negation ,ist einem Begriff nicht entsprechend` ein Fall von ,Anderssein` repraÈsentiert ist. Hinsichtlich der 3. Dihairese ist durch ,Entsprechendsein` ein Fall von Beziehungsein gegeben: ein FuÈranderessein bei Entsprechung von thetischer und antithetischer Gegensatzbestimmung und ein Ansichsein bei Selbstentsprechung der thetischen Gegensatzbestimmung. In der 4. Dihairese schlieûlich wird die in der GrundpraÈdikation enthaltene Begriffshinsicht wesentlich: ,ist einem Begriff entsprechend` und die Negation davon begruÈnden hier einen Fall von Geltung und, je nachdem, auch von Geltungsentsprechungª (153-154). Die eine GrundpraÈdikation sowie die vier PraÈdikationshinsichten stellen folglich den Inbegriff der hier konzipierten SelbstbegruÈndung der Logik dar. Es ergibt sich eine straffe Begriffsentwicklung, die im Vergleich zu der Hegels mit erheblich weniger logischem Material auskommt: Aus der 1. Dihairese ,Sein/Nicht-Sein` resultiert die 1. Synthese ,Dasein` bzw. ,Bestimmtsein`, aus der 2. Dihairese ,So-Sein/Anders-Sein` die 2. Synthese ,Unterschied` bzw. ,Beziehung`, aus der 3. Dihairese ,FuÈr-anderes-Sein/An-sich-Sein` die 3. Synthese ,Bestimmung` bzw. ,Norm`, aus der 4. Dihairese ,Geltung/Geltungsentsprechung` die 4. Synthese ,Wechselbestimmung` bzw. ,FuÈr-sich-Sein`. Die Rekonstruktion und Revision der Wissenschaft der Logik im strengen Sinn, obwohl kurz gehalten, provoziert zum Nachdenken ± wie es sich gehoÈrt, zur Bejahung und Verneinung. Zum Beginn der Logik mit ,Sein` und ,Nichts` bzw.
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,Nicht-Sein` laÈût sich, dem Autor zufolge, ein ¹genuin dialektischer Tatbestandª feststellen, weil ¹mit der Bestimmungslosigkeit des Anfangs notwendig auch schon Bestimmtheit praÈsupponiert istª (50). Hier wird die SelbstbezuÈglichkeit logischen Denkens kraftvoll herausgestellt. Vorausgesetzt sei am Anfang nur die ¹Bedingung der MoÈglichkeit von Bestimmen, und das ist die Form der PraÈdikation im Sinn von ,der Fall sein`ª (52). Mit dieser praÈdikativen Deutung des Sinns vom logischen Sein gibt Wandschneider eine wichtige Stellungnahme bezuÈglich der hier theoretisierten Dialektik ab. Denn das logisch verstandene Sein sei praÈdikativ zu fassen, ebenso aber auch das Nicht-Sein. Es zeigt sich dann: Die Einseitigkeit der strikten Entgegengesetzung von ,Sein` und ,Nicht-Sein`, die sich auf der ¹Eigenschaft . . ., die ihr entgegengesetzte Kategorie nicht zu seinª, gruÈndet, sei ¹in der Weise zu korrigieren, daû sie auch als bedeutungsaÈquivalent zu fassen sindª (60, 65). Zwischen Eigenschaftsebene (,Eigenschaft` verstanden allerdings als ,Wesensbestimmung`) und Bedeutungsebene verlaÈuft die darauf folgende Kategorienentwicklung. Sodann erscheint aber eine gravierende Modifikation gegenuÈber Hegel bereits bei der Synthese von ,Sein` und ,Nicht-Sein`: Der Autor begreift diese nicht als ,Werden`, sondern als ,Dasein`, was ihm als ein ¹groûer Gewinnª im Hinblick auf die ¹eher dubiose . . . Argumentationª Hegels gilt (69). Denn insofern È quivalenz und Gegensatz beiderª sich die Synthese ¹als die Verbindung von A ergeben habe, haÈtten ,Sein` und ,Nicht-Sein` ihre Unterschiedenheit nicht verlieren koÈnnen (69-70). Ob die dynamische Eigenart der ersten Ungetrenntheit È bergehen ineinander: das ,Entstehen` des ,Seins` und ,Nicht-Seins`, ob deren U und ,Vergehen`, einfach als ,Dasein` zu begreifen ist, bleibt jedoch strittig. Das ,Werden`, das ,Verschwinden des Verschwindens selbst` fallenzulassen ± verliert die dialektische Logik damit nicht ihren ersten Pulsschlag, wenn nicht ihr Herz? Wandschneider insistiert dagegen: Die paradoxe Verfaûtheit des ,Seins, das gleichermaûen Nichtsein ist`, stellt sich unmittelbar als ,Dasein` vor, resultiert also nicht aus einer sich selbst aufhebenden Vermittlung, die sich als ,Werden` begreifen laÈût. BeweiskraÈftig ist diese Argumentation nicht. Auch die Behauptung, daû Hegel im Anschluû an seine Darlegung des VerhaÈltnisses ,Etwas ± Anderes` die Kategorie ,Grenze` ¹offenbar nurª brauche, ¹um auszudruÈcken, daû ein Beschaffensein gleichsam ein ,Ende` einschlieût, d. h. ,endlich` ist, um so von der Kategorie ,Beschaffenheit` zur Kategorie ,Endlichkeit` zu kommen und die ,Daseinslogik` dann mit der Kategorie ,Unendlichkeit` abschlieûen zu koÈnnenª (91), waÈhrend bereits an dieser Stelle Wandschneider selbst die Kategorie der ,Wechselbestimmung` als Ergebnis der Dialektik von ,Geltung` und ,Geltungsentsprechung` einfuÈhren moÈchte, spielt den Charakter der Grenze als Vermittlung von bestimmtem Sein und bestimmtem Nicht-Sein, also des Begrenzten als dessen, was uÈber sich hinausgewiesen und getrieben wird, zu leicht herunter. FuÈr die Kategorie der ,Unendlichkeit` selbst hat der Autor allerdings keinen Bedarf: Ihm scheint damit gerade das gemeint zu sein, was er durch ,Wechselbstimmung` ausdruÈcken
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will, naÈmlich den ¹Zusammenhang einer umfassenden, sich selbst konstituierenden, fuÈrsichseienden Einheitª (93), die zur QualitaÈtslogik uÈberleiten wuÈrde. Was Hegel also noch differenzieren moÈchte, faût Wandschneider uÈbersichtig zusammen. Ansonsten zeichnet sich die Bezugnahme auf Hegel in der Arbeit eher durch ihren beilaÈufigen Charakter aus, der aber dadurch nicht an provokativem Tiefsinn verliert. Im neu definierten dialektischen Zusammenhang gelingt es dem Autor, verschiedene Aspekte der Wissenschaft der Logik einpraÈgsam zu erlaÈutern. Es war etwa Hegel, und nicht Fichte oder Schelling, der ¹das Logische als ontologisch fundamental betrachtete, d. h. als Grundprinzip allen Seinsª, dessen ¹Absolutheit wirklich begreiflich und ausweisbar sein sollª (14). Der Hegelschen Terminologie wird vereinzelt zu luzider Definition verholfen ± etwa dem Spekulativen: Dies bedeute die ¹schlechthinnige Untrennbarkeit von gleichsam spiegelbildlich zusammengehoÈrenden antithetischen Gliedern (speculum = Spiegel), die einzeln fuÈr sich genommen mangelhaft, da einseitig waÈren, eben weil keines ohne das andere sein kannª (58-59); oder der Beschaffenheit als Gegenbegriff zur Bestimmung: ¹Im Rahmen der hier durchgefuÈhrten Rekonstruktion entspricht dem in gewissem Sinn der Gegensatz von ,Geltung` und ,Geltungsentsprechung`, wenn man daran denkt, daû eine faktische Beschaffenheit niemals Geltungscharakter hat, sondern dadurch charakterisiert ist, daû sie einer geltenden Norm ,entsprechend` oder auch ,nicht entsprechend` istª (9091); oder der bestimmten Negation: Durch diese werde ¹die Besonderung des Allgemeinen maximal bestimmt, indem sich dieses in das durch das Allgemeine selbst vorgegebene Positive und dessen negatives Komplement ausdifferenziertª (140); oder der GroÈûe: FuÈr diese sei ¹wesentlich, daû sie veraÈndert werden kann, ohne dadurch qualitativ etwas anderes zu werdenª (159). Auch das VerhaÈltnis der Hegelschen Seins-, Wesens- und Begriffslogik gewinnt skizzenhaft an Kontur: Die ¹Seinshinsichtª des ¹unhintergehbaren Unbedingtenª werde auf ¹,Zugrundeliegendes` und damit noch Verborgenes, Verschlossenesª zuruÈckgefuÈhrt, das seinerseits ¹erst durch den Begriff explizit wird: In diesem Sinn haÈtte der Begriff in der Tat negativen Charakter, naÈmlich als Negation der ,Verschlossenheit` des Wesensª (177-178). Sogar Trendelenburgs Kritik der dialektischen Methode Hegels kann erneut entkraÈftet werden: Trendelenburg hat ¹den Charakter der Dialektik als Rekonstruktion des Prinzipiierungszusammenhangs von Begriffen nicht erkanntª (192). Solche ErlaÈuterungen bereichern nicht nur die programmatische Argumentation der Arbeit, sondern auch das VerstaÈndnis des gelegentlich herangezogenen Hegelschen Textes. Als ResuÈmee ist festzuhalten: Selbst wenn die vorliegende Arbeit die logischen Gedanken Hegels nicht immer nachvollziehen kann oder will, weil sie Anderes beabsichtigt, vollzieht sie dennoch ein Weiterdenken der Hegelschen Logik und nimmt insofern an derselben ¹leidenschaftslosen Stille der nur
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denkenden Erkenntnisª teil, nicht zuletzt weil sie aufgrund der eigenen Leistungen bei der Bestimmung des dialektischen Sachverhalts, obwohl diese von denjenigen Hegels stark abweichen, auch die Errungenschaften des kritisch betrachteten Vorbilds ans Licht ± sei dies auch das nur der Fragestellung ± zu bringen vermag. Orrin F. Summerell (Bochum)
Hegels Jenaer Naturphilosophie. Herausgegeben von Klaus Vieweg. MuÈnchen: Fink 1998. 407 S. (Jena-Sophia. Abteilung 2: Studien. Bd 1.) Die BeitraÈge des vorliegenden Sammelbandes wurden uÈberwiegend waÈhrend der internationalen Tagung: Hegels Jenaer Naturphilosophie, die im Dezember 1994 am Institut fuÈr Philosophie der UniversitaÈt Jena stattfand, vorgetragen. Grundlage war ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstuÈtztes Projekt, das sich der bisher kaum beachteten Rolle der Naturphilosophie innerhalb der Systementwicklung der Jenaer Zeit Hegels (1801-1806) widmete. Das Thema erfordert die BeruÈcksichtigung des VerhaÈltnisses zwischen Schelling und Hegel, der besonderen Situation der Philosophie an der UniversitaÈt Jena nach 1800 sowie des Forschungsstandes der zeitgenoÈssischen Naturwissenschaften. Die BeitraÈge sind unter folgende Rubriken zusammengefaût: 1. Edition 2. Hegels Jenaer Denkweg und der Naturbegriff 3. Schelling und Hegel 4. Naturphilosophie und die zeitgenoÈssischen Wissenschaften 5. PhaÈnomenologie des Geistes. Daû es sich hierbei nicht nur um eine historische Aufarbeitung handelt, betont der Herausgeber einleitend. Es gehe um die Verdeutlichung der Hegelschen DenkanstoÈûe fuÈr die aktuelle Diskussion um den Naturbegriff. Die Anfang der siebziger Jahre einsetzende Neubewertung der Hegelschen Naturphilosophie habe gezeigt, ¹daû es sich bei Hegels naturphilosophischen Ideen nicht um bizarre StuÈcke aus dem philosophischen KuriositaÈtenkabinett handelt, sondern um einen wichtigen Beitrag fuÈr die aktuelle Debatte um den Naturbegriff.ª (7) M. J. Schleidens Kritik, in der die induktorische Methode der Naturwissenschaften der spekulativen Methode der Hegelschen Naturphilosophie entgegengesetzt wird, sei gaÈnzlich verfehlt. Diese EinschaÈtzung des Herausgebers duÈrfte sicherlich auf Einspruch stoûen, da er offenbar nur uÈber einen nebuloÈsen Begriff der Schleidenschen Induktionsmethode verfuÈgt. Ebensowenig duÈrften seine Andeutungen einer geltungstheoretisch konzipierten Rekonstruktion der Hegelschen Naturphilosophie, die er unter den gegenwaÈrtigen Interpretationen vermiût, allgemein geteilt werden. Eine solche Rekonstruktion habe zwei Gesichtspunkte zu beruÈcksichtigen: 1. Hegels spekulative Naturphilosophie will Ideen ± als Einheit von kategorialer Bestimmung und empirischer Erscheinung ± generieren. Solche Ideen werden in einer Selbstbeobachtung des die Ideen generierenden selbstgewissen Ich
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gewonnen. 2. Diese Generierung ist ohne den Begriff des Absoluten bzw. des absoluten Wissens unverstaÈndlich. Unklar ist hier, was unter Selbstbeobachtung zu verstehen ist. Hegel hat sich wiederholt gegen ein psychologisches Verfahren zur BegruÈndung philosophischer Standpunkte gewandt. Exemplarisch dafuÈr ist seine scharfe Kritik an J. F. Fries' anthropologischer Logik. Zum zweiten Punkt ist zu sagen, daû Hegels Naturphilosophie sicherlich nicht ohne Rekurs auf die Erkenntnisform des absoluten Wissens verstaÈndlich werden kann, daû aber doch gerade dieser Standpunkt Hegels zu einer Kritik noÈtigen muû. Dies haÈtte ebenso betont werden muÈssen. Unter der Rubrik ,Edition` hat Klaus Vieweg Briefe eines ungarischen Studenten (Janos Samuel Dianovsky) an einen deutsch-ungarischen Schriftsteller (Karl Georg Rumy) aus den Jahren 1801-03 wiedergegeben, die bereits in Ungarisch einmal erschienen sind (1942). Sie ¹zeichnen ein aufschluûreiches Bild vom Alltag eines Studenten sowie vom gesamten kreativen akademischen Treiben in einer fuÈr die Philosophie aÈuûerst bedeutsamen Periode. Auch liefern sie interessante Einblicke in die brisante naturphilosophische Debattenlage.ª (15) In den Briefen gibt sich der Student als AnhaÈnger der Philosophie Schellings zu erkennen. È berschrift ,Hegels Jenaer Denkweg und der Naturbegriff` sind 12 Unter der U AufsaÈtze zusammengefaût. Nach Christoph Jamme (Hegels Naturauffassung in Frankfurt) wird fuÈr Hegel erstmals in seiner Frankfurter Zeit die Natur wichtig. Vorher betrachtet er Natur vorwiegend zwiespaÈltig, einerseits als lebendige Einheit, anderseits als bloû objektive Natur im Sinne Kants (28). Die PositivitaÈt der Religion erscheint als Ergebnis einer Entzweiung mit der Natur; Aufgabe ist es, die verlorene Einheit wiederzufinden. Das Judentum gilt als Religion des UngluÈcks, der Entzweiung mit der Natur, das Griechentum als Religion des GluÈcks, der Einheit mit der Natur. Aus dieser GegenuÈberstellung erwaÈchst eine umfassende geschichtsphilosophische Konzeption. Denn wenn Hegel uÈber das UngluÈck der Juden spricht, hat er das UngluÈck Deutschlands, den SuÈndenfall der AufklaÈrung und Kants formalistische Ethik im Blick. Die Trennung von der Natur ist die Geburtsstunde der Moderne. Christus soll als ErloÈser diese Trennung uÈberwinden, doch auch fuÈr die Christen gibt es keine erfuÈllte Existenz in der Welt. (36 f) Klaus Vieweg (Die Jenenser Confusion: Philosophische Konstellationen waÈhrend Hegels ersten Jenaer Jahren) skizziert die damalige philosophische GespraÈchssituation und behandelt die nach seiner Meinung bisher kaum beachtete naturphilosophische Dimension von Hegels Skeptizismus-Aufsatz, der in dem von Schelling und Hegel herausgegebenen Kritischen Journal der Philosophie im Jahre 1802 erschien. Hegel richtet sich hier gegen den modernen Skeptizismus G. E. Schulzes (Aenesidemus-Schulze) und ergreift Partei fuÈr den antiken Skeptizismus eines Sextus Empiricus. J. F. E. Kirsten, ein AnhaÈnger Schulzes, publiziert kurz nach Erscheinen von Hegels Skeptizismus-Aufsatz seine GrundzuÈge des neuesten Skeptizismus (1802), in denen er auch auf Hegels Aufsatz eingeht. Gegen Hegel erklaÈrt er sich wie Schulze fuÈr
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den neuesten Skeptizismus, der nicht wie der antike die sinnliche und mathematische Erkenntnis bezweifelt. K. Vieweg votiert dagegen im Sinne Hegels fuÈr den antiken Skeptizismus, da er im modernen Skeptizismus den idealen KoalitionaÈr fuÈr eine empiristische Naturauffassung sieht, wie sie von Schleiden vertreten wird. Den Skeptizismus-Aufsatz deutet er als PlaÈdoyer fuÈr eine spekulative Naturphilosophie. (52 f). Vieweg mag zugestanden werden, daû Hegel es so sieht, obwohl er hier noch keine eigentliche Naturphilosophie entwickelt. Wenig uÈberzeugt aber seine erneute Polemik gegen Schleiden bzw. die moderne empiristische Naturauffassung. Entsprechend waÈre im Unterschied zu Vieweg mit K. R. Meist (51 f) Reserve gegenuÈber Hegels Parteinahme fuÈr den antiken Skeptizismus angebracht. Von den folgenden BeitraÈgen sind besonders zu nennen die AufsaÈtze von È thers und seine philosophischen ImChristian Schall: Hegels Begriff des A È ther. Rezeption und plikationen und Stefan Büttner: Von der ,Chora` zum A Transformation des platonischen Chorakonzepts in Hegels Jenaer Naturphilosophie. Eine Besonderheit der Jenaer Naturphilosophie besteht darin, daû sie eine È thers entwickelt. Weder vorher noch nachher findet sich eine Theorie des A solche Theorie in Hegels Schriften. Wie Ch. Schall ausfuÈhrt, begegnet erstÈ ther` in der lateinischen Habilitationsschrift (1801). Die mals der Terminus ,A systematische Funktion dieses Terminus wird erstmals im Naturrechtsaufsatz (1802/03) deutlich. Seinen eigentlichen Ort findet der Terminus aber erst in den Jenaer SystementwuÈrfen (1803-06). FuÈr die PhaÈnomenologie des Geistes (1807) ist È ther nur noch ganz allgemein das Element des reinen Denkens. In den der A È ther nur vereinzelt erwaÈhnt, in den Jenaer Jenaer SystementwuÈrfen I wird der A SystementwuÈrfen II zentral am Anfang der Naturphilosophie, in den Jenaer SystementwuÈrfen III findet sich eine Zusammenfassung der bisherigen BeÈ thers. (129) Die systematische Explikation des Begriffs im stimmungen des A Naturrechtsaufsatz ergibt sich aus der Gliederung des Ganzen der Philosophie. Hegel konzipiert hier das Absolute als Einheit der Einheit und Vielheit. Er muû die MoÈglichkeit reiner Vielheit, reiner QuantitaÈt nicht nur als logisch, sondern È ther. In den Jenaer Systementauch als real gegeben unterstellen ± dies ist der A È ther erstmals als absolute Materie. Sie bildet den Grund wuÈrfen I erscheint der A der realen Existenz des irdischen Systems der Naturphilosophie und liegt selbst der Differenz von Grund und Existenz zugrunde. In den Jenaer SystemÈ ther zunaÈchst wie im Naturrechtsaufsatz als reine QuanentwuÈrfen II wird der A titaÈt verstanden. Als solche vermag er sich zum einzelnen Quantum zu bestimmen wie umgekehrt die QuantitaÈt als reine bzw. absolute die einzelnen Bestimmtheiten als aufgehobene in sich enthaÈlt. Daneben findet sich aber noch È ther als Grund der Realisierung eine andere Charakterisierung. Damit der A des Begriffs des absoluten Geistes fungieren kann, muû er die Anlage zur Form der Selbstbeziehung in sich tragen. Deshalb wird er hier als ¹der einfache absolute sich auf sich selbst beziehende Geist . . . der sich in seinem Anders selbst È bergefunden hatª, bezeichnet. Diese Charakterisierung entspringt aus der U
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legung, daû die Natur ihre RealitaÈt nur in der Bewegung des Geistes zu sich besitzt. In den Jenaer SystementwuÈrfen III verliert das himmlische System der È ther ist der Naturphilosophie seine ausgezeichnete Stellung; der daseiende A Raum, mit dem von nun an die Naturphilosophie beginnt. Zusammenfassend laÈût sich also festhalten, daû die Systemskizze des Naturrechtsaufsatzes (VerÈ ther als Vermittlungsinstanz haÈltnis von Einheit und Vielheit) geradezu den A È ther als absolute Maherausfordert. In den Jenaer SystementwuÈrfen I wird der A terie des himmlischen Systems zur Vermittlung zwischen diesem und dem irÈ ther als dischen System eingefuÈhrt. In den Jenaer SystementwuÈrfen II wird der A Moment der Sichselbstgleichheit des absoluten Geistes gedacht, wodurch eine subjektivitaÈtstheoretische Konzeption des Absoluten eroÈffnet wird, die dann in den Jenaer SystementwuÈrfen III erkennbar ist und zu einem Bedeutungsverlust È ther fuÈhrt: ¹Als absolute SubjektivitaÈt bedarf das Absolute zu des Begriffs A seiner RealitaÈt keiner vermittelnden Instanz mehr; diese liegt bereits in ihrem (adaÈquaten) Begriffe: der absoluten Idee.ª (150) In der SekundaÈrliteratur sind bisher die BezuÈge zwischen der Jenaer Naturphilosophie und dem Platonischen Timaios nicht gewuÈrdigt worden. S. BüttÈ thers dem Platonischen Begriff der ner zeigt auf, daû Hegels Begriff des A Chora entspricht. Platon fuÈhrt diesen Begriff erst im Timaios ein und versteht darunter ein umfassendes Prinzip der Bestimmbarkeit, ohne es allerdings È ther zu nennen. Die Chora verschafft den Ideen einen Rahmen, sie stellt den A Zusammenhang der sich wandelnden KoÈrper dar und ist Ursache fuÈr die ungeordnete Bewegung der Elemente vor Eingriff des Demiurgen, der den Kosmos gestaltet. Die Chora kann nicht wahrgenommen, aber auch nicht wie die Ideen gedacht werden. (117 f) Im einzelnen lassen sich Entsprechungen zwiÈ thers und denen der Chora aufschen den Eigenschaften des Hegelschen A finden; besonders augenfaÈllig sind folgende beiden Parallelen. Nach Platon wird der Kosmos durch Einpflanzung der Weltseele durch den Demiurgen zu È ther als seligen Geist. Zweieinem gluÈckseligen Gott. Hegel bezeichnet den A tens ist sowohl bei Platon als auch bei Hegel die Rede von der ,Spur`. Nach Platon besitzen die Elemente im praÈkosmischen Zustand gewisse Spuren von sich selbst: ¹Es sind im ordnungslosen Zustand in der Chora Bestimmtheiten vorhanden, ohne daû wir sie ± auf Grund der mangelnden Ordnung ± schon als Elemente, so wie wir sie aus unserer Anschauung kennen, ansprechen koÈnnten.ª (119) Hegel denkt in den Jenaer SystementwuÈrfen II den Raum als ErscheiÈ thers. Im Raum sind die Unterschiede aufgehoben und exinungsform des A stieren nur ¹als reine Spurª. Diese Verwendung von Spur duÈrfte das staÈrkste Indiz fuÈr eine Timaios-Rezeption Hegels sein. Gleichwohl erwaÈgt S. Büttner die MoÈglichkeit anderer EinfluÈsse. Schelling bezeichnet in seiner Schrift Von È ther, allerdings auch mit Platonischen Termini. der Weltseele die Weltseele als A Nach G. Bruno ± den Hegel durch den Auszug in F. H. Jacobis Spinoza-Buch kennenlernen konnte ± wird die Materie durch die Formen geschwaÈngert. HeÈ ther als schwangerer Materie. gel spricht in den Jenaer SystementwuÈrfen III vom A
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Wie auch immer man die moÈglichen EinfluÈsse bewertet, die nicht zu uÈbersehende Inanspruchnahme platonischer Termini durch Hegel bedeutet jedenfalls È bernahme der Platonischen Begriffsform. Platon bleibt nicht die einfache U Dualist, Idee und Chora bleiben getrennt, die Chora bringt Ideen zur Erscheinung, nicht sich selbst. Nach Hegel ist dagegen die Natur das Andere des Geistes, das aufnehmende Prinzip Platons wird zu einer Form des Andersseins È ther vorgestellt wird. Wenn Hegel in der spaÈteren, endes Absoluten, das als A È ther redet, bedeutet dies zyklopaÈdischen Naturphilosophie nicht mehr vom A nach S. Büttner keine systematische Neuorientierung. Anders als Ch. Schall sieht er eine KontinuitaÈt zwischen dem fruÈhen und spaÈten Ansatz der NaturÈ thers in philosophie: ¹Hegel transformiert die operativen Bestimmungen des A È uûerlichkeit`, so daû er nicht nur als uÈberfluÈssige Zwiden Naturoperator ,A schenstufe bewertet werden kann.ª (126) Das Absolute bleibt in der Natur verborgen, der Ausdruck dieser Geist-Latenz in der Natur wird in der Jenaer È ther bezeichnet, in der spaÈteren NaturNaturphilosophie durch den Begriff A È philosophie durch den Begriff der Auûerlichkeit der Natur. Die uÈbrigen unter der Rubrik ,Hegels Jenaer Denkweg und der Naturbegriff` zusammengefaûten AufsaÈtze heben einzelne Aspekte der Jenaer Naturphilosophie heraus. Giuseppe Varnier (Naturphilosophie, IdentitaÈtsphilosophie, vernichtende Logik. Natur und Geist beim Jenaer Hegel) betont, daû nicht Schelling, sondern Hegel sich dem erkenntnistheoretischen Problem einer Rechtfertigung der ErkenntnismoÈglichkeit des Absoluten stellt. Nach Hegel kann die Natur erkenntnistheoretisch nicht mehr unabhaÈngig von der Struktur des Geistes gedacht werden. (69 f) DemgegenuÈber weist Angelica Nuzzo (Natur und Freiheit in Hegels Philosophie der Jenaer Zeit (bis 1803)) darauf hin, daû Hegel anders als Kant die dem Geist eigentuÈmliche Freiheit von der Natur her entwikkelt. Der Geist ist zwar hoÈher als die Natur, aber doch durch diese bedingt. (91 f) Wie Burkhard Tuschling (Natur und Geist im Jenaer Systementwurf I) aufzuweisen versucht, ist die Systematik der Jenaer SystementwuÈrfe I prinzipiell identisch mit der der dritten Auflage der EnzyklopaÈdie, wenn auch im einzelnen Unterschiede existieren: ¹Meine Thematisierung von Natur und Geist im Systementwurf I zielt also darauf ab: diesen Begriff der Natur und diesen Begriff des Geistes aus der in Systementwurf I sich abzeichnenden enzyklopaÈdischen Systematik dieses Entwurfs zu entwickeln und dadurch begreiflich zu machen.ª (73 f) Heinz Kimmerle (Natur und Geschichte beim fruÈhen Jenaer Hegel) beurteilt Hegels Geschichtsphilosophie kritisch. Der Geist ist geschichtlicher, als Hegel es wahrhaben will. Im Unterschied zur spaÈten Geschichtsphilosophie, in der Hegel seine eigene Gegenwart als absolute Gegenwart des Geistes versteht, wird aber zu Anfang der Jenaer Zeit (1801/02) Geschichte als offener, vieldimensionaler Prozeû gedacht. Diese Geschichtskonzeption wird am Modell der Natur, die wahrhaft eins und unwandelbar sowie als solche Ausdruck der Harmonie des Universums ist, abgelesen. (98 f) Lu de Vos (Eine Systemskizze der ,Differenzschrift`?) macht auf die These in der Differenz-Schrift aufmerksam, daû
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es Aufgabe der Philosophie sei, das Endliche ins Unendliche als Leben zu setzen. Das Leben ist die wahre, rekonstruierte Unendlichkeit, die sich sowohl in der Natur- als auch in der Geistesphilosophie aufzeigen laÈût. (160) Nach Martin Bondeli (Hegels IdentitaÈtsphilosophie in Auseinandersetzung mit Reinholds Rationalem Realismus) darf Hegels Polemik in der Differenz-Schrift gegen den rationalen Realismus K. L. Reinholds und Ch. G. Bardilis nicht daruÈber hinwegtaÈuschen, daû die Ausgestaltung seines Systems in vielem dem rationalen Realismus aÈhnelt. Reinhold und Bardili kennen auch eine Naturphilosophie. (166) Félix Duque (,Die Rinde wird durchsichtig`. Hegels Jenaer Naturphilosophie und die FruÈhromantik) sieht in den Schriften zu Beginn der Jenaer Zeit eine Absage Hegels an fruÈhromantische Ideale, die aber erst vollstaÈndig in der SubjektivitaÈtstheorie der Jenaer SystementwuÈrfe II vollzogen wird. (183) Timothy C. Huson (Arbeit, Werkzeug und Technologie als Momente des Naturbegriffs in Hegels Jenaer Philosophie des Geistes) geht auf Hegels wechselseitige VerschraÈnkung von Natur und Geist ein. Die durch Arbeit, Werkzeug und Technologie mit dem Geist vermittelte Natur erreicht eine UnabhaÈngigkeit, die zugleich vom Geist abhaÈngt. In dieser gleichzeitigen AbhaÈngigkeit und UnabhaÈngigkeit liegt ein Widerspruch, der aber ± entgegen Hegels andersartiger Formulierung ± nicht gegen Aristoteles' Nichtwiderspruchsprinzip verstoÈût, da beide Momente unterschiedliche Aspekte des VerhaÈltnisses zwischen Natur und Geist betreffen. (189) Es ist die Frage, ob eine solche Ehrenrettung Hegels gelingt. In diesem Zusammenhang haÈtte die Logik der Jenaer SystementwuÈrfe II herangezogen werden muÈssen, in deren Schluûlogik die Vermittlung von Extremen thematisiert wird. Hegels Naturphilosophie ist sicherlich nicht ohne die Schellings denkbar. Die 3 BeitraÈge unter der Rubrik ,Schelling und Hegel` tragen dem Rechnung. Manfred Frank (Schellings spekulative Umdeutung des Kantischen OrganismusÈ ber den wahren Konzepts) macht deutlich, auf welchem Weg Schelling 1801 (U Begriff der Naturphilosophie) zur Naturphilosophie kommt. Gegen Fichtes SubjektivitaÈtsphilosophie gewendet fordert er, daû vom Ich durch eine freie Abstraktion abgesehen werden muû, um nur das rein Objektive zuruÈckÈ ber diesen Standpunkt des rein theoretischen Philosophierens, zubehalten. U der von allem Subjektiven abstrahiert, gelangt man zur Naturphilosophie. Diese hat den Weg von der Natur zum Geist nachzukonstruieren. Dabei ist die spezifische Evolutionskonzeption Schellings zu beachten: Die naturalistische Vorgeschichte des reflexiven Bewuûtseins ist zwar bewuûtlos, aber nicht geistlos. (201 f) M. Frank geht dann ausfuÈhrlich auf Schellings Organismus-Begriff ein. Alle Kantischen Formeln zur Kennzeichnung des Organismus finden sich bei Schelling wieder, selbst die des Opus postumum, die Schelling nicht kennen konnte. Im Organismus inkarniert sich das Absolute und hat objektive Wirklichkeit. Kants Vorbehalte in der Kritik der Urteilskraft, die eine nur regulative Idee des Organismus zugestehen, werden fuÈr Schelling hinfaÈllig. Nach M. Frank koÈnnen wir aus der LektuÈre Schellings die abschlieûende Lektion
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ziehen, daû die Natur nicht den Menschen zu ihrem Zweck hat, sondern daû sie Selbstzweck ist. Als solche dient sie als Richtmaû fuÈr einen herrschaftsfreien Sozialstaat. (218) Andererseits ist zuzugestehen, daû viele Details von Schellings Naturphilosophie im schlechten Sinn spekulativ sind. Zu den Glanzlichtern abendlaÈndischen Denkens gehoÈren aber seine Reflexionen uÈber IdentitaÈt und Differenz, die also nicht erst Hegel angestellt hat. (212 f) Gegen diese bewuût pathetische Parteinahme fuÈr Schellings Idee einer Resurrektion der Natur waÈren Kants Vorbehalte in der Kritik der Urteilskraft wieder in Kraft zu setzen. Eine Naturphilosophie, die im Organismus die Inkarnation des Absoluten zu erkennen glaubt, duÈrfte sich wohl kaum noch mit der modernen Naturwissenschaft in Einklang bringen lassen. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Die fruÈhen Abweichungen Hegels von der Naturphilosophie Schellings und ihre Folgen fuÈr das absolute System) sieht jedoch in diesem Punkt, in dem Hegel mit Schelling uÈbereinkommt, keinen Mangel. Beide Philosophen grenzen ihre Naturphilosophie von der Verstandesreflexion der Naturwissenschaft ab: ¹Wer also die Naturphilosophie von Schelling und Hegel . . . in unmittelbaren Bezug zu den Naturwissenschaften in unserem VerstaÈndnis ruÈckt, um zu beweisen, wie gut oder schlecht sie entweder die Naturforschungen ihrer Zeit naturwissenschaftlich auszulegen oder gar naturwissenschaftliche Theorien unserer Zeit zu antizipieren vermochten, der miûversteht voÈllig den Status der Schellingschen und Hegelschen Naturphilosophie.ª (231) Diese Verteidigung verbluÈfft, denn man fragt sich, welchen Status eine Naturphilosophie haben soll, die uÈber jede Kritik seitens der Naturwissenschaft erhaben ist. Im uÈbrigen sieht W. Schmied-Kowarzik auch grundlegende Differenzen zwischen Schelling und Hegel, die bei letzterem dazu fuÈhren, die Errungenschaften der Schellingschen Naturphilosophie preiszugeben. FuÈr Schelling ist Philosophie Begreifen der Wirklichkeit, Natur wird als ein Wirklichkeitszusammenhang gedacht; demgegenuÈber versteht Hegel die Philosophie als Begreifen der Wirklichkeit. Dies ergibt sich daraus, daû Hegel der Naturphilosophie eine Logik und Metaphysik vorordnet und von der intellektuellen Anschauung zum Denken uÈbergeht. Die SubjektivitaÈt des Begreifensprozesses liegt dann nicht in der Natur, sondern in der Naturphilosophie: ¹Konsequent wird daher der Hervorgang des Geistes aus der Natur nicht als ein Werden der Natur zum Geist, sondern als Befreiung des Geistes aus seinem Auûersichsein in der Natur gefaût.ª (237) Schelling beharrt demgegenuÈber seit 1800 darauf, daû die Philosophie mit der Naturphilosophie zu beginnen habe. Das Begreifen ist nachtraÈglich, auszugehen ist vom taÈtigen Sein, vom Existieren. Die Naturphilosophie besteht im Nachvollzug der real produzierenden Natur. Hegels begriffliche Behandlung der Naturphilosophie verkennt dies und hat den Nachteil, zu einer allzu sorglosen Einstellung gegenuÈber dem technischen Umgang mit der Natur zu fuÈhren. In den Jenaer SyÈ bergang von der Natur zum Geist als negative BestementwuÈrfen I wird der U ziehung auf die Natur gedacht, naÈmlich als praktische Auseinandersetzung
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mit der Natur ± in der Arbeit, im Gebrauch des Werkzeugs, mit dem die Natur uÈberlistet wird. Wie seine Kritik an Fichtes NaturverstaÈndnis zeigt, bekaÈmpft Schelling ein solches technisches VerstaÈndnis der Natur entschieden. Kritisch ist zu dieser GegenuÈberstellung von Schellingscher und Hegelscher Naturphilosophie zu bemerken, daû die fuÈr Schelling in Anspruch genommene Dominanz des Wirklichen kaum in der angesprochenen Weise vorliegt. Es ist ja nicht so, daû bei Schelling das reale Werden der Natur zum Geist im Sinne der modernen, nachdarwinistischen Evolutionstheorie gedacht wird. Vielmehr handelt es sich um ein ideales, nur im Nachvollzug des Naturphilosophen existierendes Werden. Die Differenz zwischen Schelling und Hegel reduziert sich dann darauf, daû sich bei jenem der Nachvollzug in der intellektuellen Anschauung vollzieht, bei diesem im begreifenden Denken. Der spaÈte Schelling scheint die insinuierte Differenz selber zu relativieren. Darauf macht Gian Franco Frigo (Von der Natur als sichtbarem Geist zur Natur als Anderssein des Geistes. Der Ort der Natur in den Jenaer SystementwuÈrfen Schellings und Hegels) aufmerksam. Schelling tritt dem MiûverstaÈndnis entgegen, als ob der in der Naturphilosophie dargestellte Werdensprozeû der Natur zum Geist als realer Prozeû verstanden werde anstatt als ¹ein Fortschreiten im einfachen Denkenª. (229) WaÈhrend in den bisherigen BeitraÈgen auf Hegels Naturphilosophie im allgemeinen eingegangen wurde, widmen sich die folgenden 9 unter der Rubrik ,Naturphilosophie und zeitgenoÈssische Wissenschaften` zusammengefaûten AufsaÈtze speziellen Fragen. Michael John Petry (Der Jenaer Hegel und die Mathematik) wuÈrdigt Hegels mathematische Auffassungen. Er attestiert Hegel gute Kenntnisse der Mathematik seiner Zeit, aber kein besonderes Talent, das ihn zum Mathematiker vom Fach haÈtte machen koÈnnen. Er vertritt die These, daû Hegels spaÈtere Auffassung der Mathematik eine treue Widerspiegelung der mathematischen Kultur seiner Jugend in SuÈddeutschland sei. Als Zentrum dieser Kultur ist die TuÈbinger Tradition in der Mathematik (G. B. Bilfinger, G. W. Krafft, J. Kies, G. Ploucquet) zu nennen, an die Hegels Mathematik- und Physiklehrer im TuÈbinger Stift Christoph Friedrich von Pfleiderer anknuÈpft. Die TuÈbinger Tradition suchte ein vernuÈnftiges Gleichgewicht zwischen reiner und angewandter Mathematik zu gewinnen: ¹Aus diesem Grund waren die Spannungen zwischen Metaphysik und den empirischen Wissenschaften, die wir in den Schriften von Spinoza und seinen Kritikern Locke, Berkeley und Hume finden, dem intellektuellen Klima, in dem Hegel aufgewachsen ist, ganz fremd.ª (261) Weiter vertritt M. J. Petry die These, daû alle Hauptmerkmale von Hegels endguÈltiger Auffassung der Mathematik schon in seinen Jenaer Schriften enthalten sei. Leider geht er auf die AusfuÈhrungen zur Infinitesimalmathematik in der Logik der Jenaer SystementwuÈrfe II nicht naÈher ein. Paul Ziche (Das VerhaÈltnis von Arithmetik und Geometrie. Historische und systematische Bemerkungen zu Hegels Auseinandersetzung mit der Mathematik) macht auf den paradoxen Umstand aufmerksam, daû Hegel einerseits ma-
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È berlegungen in seine Philosophie einbezieht ± solche zum Begriff thematische U des Unendlichen ± und andererseits die Mathematik scharf kritisiert. Hegel bietet aber keine Philosophie der Mathematik. Diese wird an unterschiedlichen Orten des Systems behandelt: in der QuantitaÈts- und Begriffslogik sowie am Anfang der Naturphilosophie. Genaueren Aufschluû uÈber Hegels Beurteilung der Mathematik erhofft sich Ziche von einer Untersuchung, wie Hegel mit der elementaren Einteilung der Mathematik in die Disziplinen Geometrie und Arithmetik umgeht. Dies wurde in der Hegelforschung zugunsten der BeschaÈftigung Hegels mit der Infinitesimalrechung vernachlaÈssigt. ZunaÈchst ist auf Hegels jeweilige Beurteilung arithmetischer und geometrischer Fragen einzugehen. Schon die Grundrechenarten bieten fuÈr Hegel begriffliche Schwierigkeiten, insofern naÈmlich nach Hegel in der Potenzrechnung der È bergang von einer rein quantitativen Bestimmung zu einer Maûbestimmung U stattfindet. In der Geometrie ist es vor allem der Beweis des pythagoreischen Lehrsatzes, mit dem sich Hegel auseinandersetzt. Er kritisiert das Arbeiten mit Hilfslinien; Winkel und Linien duÈrfen stattdessen nur als Momente genommen werden, aus denen sich der Beweis zusammensetzt. Das viel diskutierte VerhaÈltnis von Punkt zur Linie interpretiert Hegel so, daû er den Punkt als Punkt mit KontinuitaÈt und Gerichtetheit deutet. FuÈr alle diese Stellungnahmen Hegels gilt, daû der Beurteilungsmaûstab nicht aus der Mathematik, sondern aus der eigenen philosophischen Dialektik genommen wird. Dies trifft auch fuÈr die Interpretation der beiden Disziplinen Geometrie und Arithmetik zu, die die Beziehung zwischen KontinuitaÈt und Diskretheit ± den beiden Momenten der logischen Kategorie der QuantitaÈt ± darstellen sollen. Indem Arithmetik und Geometrie im VerhaÈltnis von Diskretheit und KontinuitaÈt positiv in Beziehung zueinander gesetzt werden, wird zu einer logischen Betrachtung uÈbergegangen, in der Quantifizierung als innere Bestimmtheit, d. h. als Selbstbestimmung verstanden wird. InkommensurabilitaÈt tritt durch Reduktion dieses VerhaÈltnisses von Geometrie und Arithmetik auf ein AbhaÈngigkeitsverhaÈltnis auf. Welche Bedeutung kann nun eine solche, auf dem Begriff der Selbstbestimmung aufbauende philosophische Mathematik haben? Dies macht È bergang uÈber die QuantitaÈt P. Ziche kaum klar, wenn er erklaÈrt, ¹daû im U hinaus nicht auf die QualitaÈt zuruÈckgegriffen werden muû, sondern daû sich die neue, uÈber die QuantitaÈt hinausgehende Bestimmung restlos aus der Selbstbestimmung der QuantitaÈt ergibt.ª (280) Von den folgenden BeitraÈgen ist besonders die ausfuÈhrliche Studie von EvaMaria Tschurenev (Hegels Abwehr der Totalisierung des Galvanismus bei Ritter) zu nennen. J. W. Ritter schloû sich zunaÈchst Voltas Theorie der KontaktelektrizitaÈt an, erkannte dann aber, daû die galvanische Aktion bei einer bestimmten Kombination von Substanzen auch ohne Metalle vor sich geht. Der Galvanismus ist auch dem Organismus eigen. Hier greifen die galvanischen Ketten unendlich ineinander, ohne daû eine besondere tierische ElektrizitaÈt angenommen werden muû. Elektrische, chemische und galvanische Prozesse
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beschreibt Ritter in Schellingscher Terminologie. Sie unterscheiden sich je nach dem VerhaÈltnis von Differenz und Indifferenz: Im elektrischen Prozeû bleibt die Differenz erhalten, im chemischen ist sie aufgehoben, im galvanischen werden Differenzen neu erzeugt. Der Galvanismus ist ein bestaÈndig wirkendes Prinzip sowohl im Anorganischen als auch im Organischen; er verliert sich nicht, nur sein Erregungsniveau ist jeweils verschieden. Ritters enormer wissenschaftlicher Anspruch fuÈhrte ihn dann von der Erforschung des Galvanismus zur BeschaÈftigung mit dem Siderismus, die seinen Ruf ruinierte. Hegel geht auf den Galvanismus in den Jenaer SystementwuÈrfen II und Jenaer SystementwuÈrfen III ein, in den Jenaer SystementwuÈrfen I erwaÈhnt er ihn nur. Er unterscheidet sich von Ritter in der Beurteilung des galvanischen Prozesses, insofern dieser ± wie spaÈter in der EnzyklopaÈdie ± zum charakteristischen PhaÈnomen der Metalle erklaÈrt wird, ohne daû jedoch Hegel Voltas KontaktelektrizitaÈt vertritt. Ferner existiert ein Prozeû im eigentlichen Sinn fuÈr Hegel erst im Organischen. Der galvanische Prozeû stellt nur ein Bild des Lebens dar: ¹Zwar verwendet Ritter einen aÈhnlichen Ausdruck, er sprach vom ,Bild des Lebens`. Doch waÈhrend er den galvanischen Prozeû als Modellfall fuÈr den totalen dynamischen Prozeû, das Leben, auffaût und von daher das Bild des Lebens nicht vom Leben selbst unterscheidet, lehnt Hegel eine derartige Gleichsetzung ab.ª (337) Abschlieûend stellt E.-M. Tschurenev beachtensÈ berlegungen zu Hegels Naturphilosophie an. Diese erwerte grundsaÈtzliche U oÈffnet ihrer Meinung nach einen Weg der Auslegung des Subjekts, wie andererseits die Perspektive des Subjekts in der Naturphilosophie nicht verlassen È bergangs der wird. Jede VeraÈnderung in der Natur stellt nur eine Weise des U Natur in den Geist dar. Hegel gelingt es jedoch nicht, dies auch im einzelnen nachzuweisen: ¹Doch stellt es sich trotz der ausgekluÈgelten Methode, Differenzen und Selbstunterscheidungen selbst in allerersten AnsaÈtzen ausfindig zu machen, fuÈr Hegel als unmoÈglich heraus, Geist in der Natur durchgaÈngig auszuweisen.ª (344) Henricus A. M. Snelders (Hegel und der romantische Physiker J. W. Ritter) fuÈhrt die Stellungnahmen zu Ritters Arbeiten in Hegels Jenaer Naturphilosophie und Berliner Naturphilosophie-Vorlesungen auf und zieht folgendes ResuÈmee: ¹Ritters Untersuchungen nehmen jedoch in Hegels Naturphilosophie nur einen untergeordneten Platz ein. Er benutzte und verarbeitete Ritters neue Erkenntnisse in seinem System, war aber nicht einverstanden mit Ritters romantischer Identifizierung der elektrischen und chemischen PhaÈnomene.ª (357) Wolfgang Neuser (System der Sonne. Hegels Jenaer Naturphilosophie von 1804/ 05) geht noch einmal auf das VerhaÈltnis Hegels zu Schelling ein. Die Naturphilosophie der Jenaer SystementwuÈrfe II greift nach seiner Auffassung Schellings Konzept der Naturphilosophie von 1798 (Natur als Formen von BeweÈ nderungen zu einem neuen Systemgung) auf und gelangt durch minimale A entwurf. WaÈhrend Hegel in den Jenaer SystementwuÈrfen II Bewegung noch als reale im Sinne Schellings interpretiert, wird sie zu einer ideellen Bewegung in
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den Jenaer SystementwuÈrfen III. Zur Problematik der Unterscheidung zwischen ,real` und ,ideell` sind die obigen kritischen Bemerkungen zum Aufsatz von W. Schmied-Kowarzik zu vergleichen. Hartmut Kern (¹Es ist die Materie nur als reine Kraft, oder das ZeugungsvermoÈgenª) untersucht den Kraftbegriff in der Jenaer Naturphilosophie, insbesondere in den Jenaer SystementwuÈrfen III. Mit Recht bezieht er sich auch auf den in der Logik der Jenaer SystementwuÈrfe II explizierten Kraftbegriff, der allerdings ausfuÈhrlicher haÈtte behandelt werden È berwindung des formellen KausalkoÈnnen, da Hegel den Kraftbegriff als U verhaÈltnisses einfuÈhrt. Hier ± wie schon bei T. C. Husons Beitrag ± zeigt sich, daû die Jenaer Naturphilosophie nicht ohne die Jenaer Logik interpretierbar ist. Renate Wahsner (Hegels spekulativer Geozentrismus) konstatiert einen Geozentrismus in allen drei Jenaer SystementwuÈrfen. Der Erde kommt eine besondere Stellung aufgrund ihrer Bewegung, nicht ihrer materialen Beschaffenheit zu. Insofern die Art ihrer Bewegung spekulativ-logisch bestimmt ist, kann man von einem spekulativen Geozentrismus sprechen. (299) Hegel versucht nun, heliozentrisches und geozentrisches Weltbild zu vereinigen, ohne dabei die Leistung der neuzeitlichen Naturwissenschaft (Newtons) zu erfassen. Er denkt das neuartige VerhaÈltnis von Mathematik und Physik, Spekulation und Erfahrung nicht nach, obwohl dies eigentlich sein Anliegen ist. Ihn irritiert die mathematische Verfaûtheit der physikalischen GegenstaÈnde; er hofft, mathematische VerhaÈltnisse in der Natur rein spekulativ auffinden zu koÈnnen. Die Theorie liegt fuÈr Hegel in der Logik. WaÈhrend die Naturwissenschaft die Welt unter der Form des Objekts erfaût, denkt Hegel sie als das Andere des Geistes. Nach Olaf Breidbach (Das Organische in Hegels Jenaer Naturphilosophie) gelangt Hegel in Jena zu seinem Begriff des Organischen, den er dann nur noch in seiner logischen Bestimmtheit weiterentwickelt. Die Untersuchung des Organismus-Begriffs hat nach Breidbach systemerschlieûende Bedeutung: ¹Stimmt die These, daû sich das Leben des Begriffs in seiner Organik fundiert, und laÈût sich zeigen, daû die Bestimmung dessen, was organisch heiût, sich nur mehr aus Hegels Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften seiner Zeit letztguÈltig verstehen laÈût, so gewinnt die Jenenser Naturphilosophie auch fuÈr die Rekonstruktion der Systematik des Hegelschen Denkens groûe Bedeutung.ª (310) Im Verlauf seiner Darlegungen sieht sich Breidbach jedoch genoÈtigt zuzugestehen, daû von den Naturwissenschaften gerade kein diesbezuÈglicher Aufschluû zu gewinnen ist, da sie fuÈr die Bestimmung des organischen Lebens nach einem Interpretationsrahmen suchten, den sie in der spekulativen Naturphilosophie fanden. Die aus den Wissenschaften gefundenen Details haben also nicht mehr eine begruÈndende, sondern eine illustrative Funktion bezuÈglich Hegels Organismus-Begriff. Da somit immer schon die spekulative Logik vorausgesetzt wird, kann aus Hegels Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften seiner Zeit nicht letztguÈltig verstaÈndlich gemacht werden, was organisch heiût und wie der Hegelsche Systembegriff zu gewinnen ist. Diese ZirkularitaÈt seiner Argumentation waÈre gegen Breidbachs Aus-
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fuÈhrungen geltend zu machen. Frank Rühling (Anorganische Natur als Subjekt. Zum Problem des geologischen Organismus in Hegels Jenaer Naturphilosophie) geht auf Hegels Konstruktion der Erde in den Jenaer SystementwuÈrfen I ein. Hegel beginnt seine EroÈrterungen zum irdischen Prozeû, indem er zeigt, wie der Bewegungsprozeû des Sonnensystems sich realisiert und eine Erde gebildet wird. Er will die Idee einer Erde konstruieren. Dies erfordert den Durchgang durch die gesamte Mechanik, an deren Ende die Erde aus dem meteorologischen Prozeû geboren wird. In den Jenaer SystementwuÈrfen III wird sie als der ¹mineralogische Organismusª bezeichnet, in der EnzyklopaÈdie ist die Rede von ¹geoÈ berlogischer Naturª. Das allgemeine Individuum der Erde ermoÈglicht den U gang zum Leben, ohne schon selber Leben zu sein: ¹Die Erde ist dem Leben unmittelbar (paradox gesagt durch ein Nicht-Setzen) als sein Grund und Boden vorausgesetzt.ª (365) Der meteorologische Prozeû ist nicht primaÈr ein Prozeû chemischer, sondern physischer Elemente (Feuer, Wasser, Luft und Erde). Daû Hegel hier in problematischer Weise auf die antike Elementenlehre zuruÈckgreift, wird von Rühling leider nicht diskutiert. Auch haÈtte man auf die andere Systematik der EnzyklopaÈdie hinweisen koÈnnen, in der meteorologischer Prozeû und geologische Natur nicht unmittelbar hintereinander abgehandelt werden. Zwei stark systematisch orientierte AufsaÈtze unter der Rubrik ,PhaÈnomenologie des Geistes` schlieûen den Sammelband ab. Dieter Wandschneider (Die phaÈnomenologische AufloÈsung des Induktionsproblems im szientistischen Idealismus der ,beobachtenden Vernunft`) entwickelt die These, daû das Induktionsproblem in der phaÈnomenologischen Argumentation verschwindet und sich als ein wissenschaftstheoretisches MiûverstaÈndnis erweist. Es spiele im faktischen Forschungsprozeû uÈberhaupt keine Rolle. FuÈr diese These sprechen Hegels AusfuÈhrungen zur beobachtenden Vernunft der PhaÈnomenologie des Geistes. Im È bergang vom Selbstbewuûtseins- zum Vernunft-Kapitel gewinnt das BeU wuûtsein die Gewiûheit, daû es alle RealitaÈt sei. Es weiû um die RationalitaÈt der Wirklichkeit, es selbst gibt die Gesetze. Damit ist bereits eine Globalwiderlegung des Empirismus gegeben, denn alle dem Bewuûtsein begegnende RealitaÈt ist seine RealitaÈt und damit ein Allgemeines, Ideelles. Empirische Fakten werden von vornherein in den durch die Vernunft gegebenen rationalen Rahmen gestellt und erhalten dadurch einen systematischen Zusammenhang. Damit erledigt sich das Induktionsproblem. Diese wissenschaftstheoretische Einstellung teilt auch K. Popper. Auch fuÈr ihn gilt, daû bei der Identifizierung von einzelnem Seienden die GesetzmaÈûigkeit des Seienden vorausgesetzt werden muû. Da es nicht mehr um die Zahl der anzustellender Beobachtungen geht, ist das Induktionsproblem unterlaufen. Popper spricht von Interpretationen der Tatsachen im Lichte von Theorien. Hegel geht jedoch einen Schritt weiter, wenn er sich auf den Vernunftinstinkt beruft, der das Natursein als Allgemeines nimmt: ¹Das ist sehr viel prinzipieller gedacht als Poppers Idee, daû Tatsachen ,im Lichte von Theorien zu deuten` seien; denn darin ist ein subjektiv-vo-
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luntatives Moment enthalten, das die ,Tatsache` als ein eher willkuÈrliches Produkt subjektiver Deutung erscheinen laÈût. Popper verbleibt damit auf einer subjektiv-epistemologischen Ebene.ª (377) Hegel laÈût das Epistemologische hinter sich und zieht ontologische Konsequenzen: Das Natursein wird als ein GesetzmaÈûig-Allgemeines bestimmt. Die Allgemeinheit der Gesetzesaussage stammt aus der Allgemeinheit des Begriffs der jeweiligen Materie. Was ist damit gesagt? Nach D. Wandschneider findet sich die hier angesprochene Naturontologie erst in der EnzyklopaÈdie: ¹Das ihr zugrundeliegende Programm einer von der Logik her zu begruÈndenden, genauer muÈûte man sogar sagen: ,letztzubegruÈndenden` Naturontologie, muû als ein Desiderat verstanden werden, das die in der PhaÈnomenologie gipfelnde Jenenser Philosophie Hegels uÈberhaupt erst sichtbar gemacht hat und das im uÈbrigen immer mehr zu einem zentralen Gegenstand heutiger Hegel-Forschung geworden ist.ª (381 f) Dem ist darin zuzustimmen, daû hier ein Desiderat der Hegel-Forschung besteht, nicht aber darin, daû diese von der Logik her zu begruÈndende Naturontologie erst in der Naturphilosophie der EnzyklopaÈdie aufzufinden ist. Die eine solche Naturontologie begruÈndende Logik hat Hegel bereits in Jena weitgehend ausgearbeitet, naÈmlich in den Jenaer SystementwuÈrfen II. Hier waÈren zu vergleichen die Schluûlehre sowie die AusfuÈhrungen uÈber Definition, Einteilung und Beweis. Die Jenaer Naturphilosophie enthaÈlt dann selber jene idealistische Naturontologie. Dies muÈûte eigentlich aus den BeitraÈgen des vorliegenden Bandes zu entnehmen sein. Peter Reisinger (Hegels ¹PhaÈnomenologie des Geistesª als Theorie der Systemtheorie) rekonstruirt die PhaÈnomenologie des Geistes und die Wissenschaft der Logik systemtheoretisch. Als die zwei elementaren Operatoren der PhaÈnomenologie werden Bewuûtsein-Selbstbewuûtsein bzw. ObjektSubjekt bzw. Wahrheit-Gewiûheit bzw. Substanz-Subjekt genannt. Schon diese Zusammenstellung verschiedener Begrifflichkeiten macht die Problematik seines Rekonstruktionsversuches deutlich, der auf einer sehr formalen Ebene verlaufen muû, um Heterogenes zusammenfassen zu koÈnnen. Die Rede ist von systemtheoretischer Matrix zum formalen VerstaÈndnis jener Grundoperatoren. Der Philosoph in der PhaÈnomenologie gilt als Zuschauer, ¹nicht aber in seiner Transformation zweiter Ordnung der black box des Phasenanschlusses in die È bergang der gewhite boxª. (394) Das absolute Wissen wird als Re-entry-U nerativen Theorie moÈglicher System-Umwelt-VerhaÈltnisse zu ihrer sichreferentiellen Theorie zweiter Ordnung in der Logik verstanden. Zwischendurch wird auf die ,unio mystica` von Meister Eckhart als re-entry verwiesen. In Hegels Begriff des Begriffs sieht der Autor ¹die evolutive Sichherstellung jeder denkfaÈhigen SachmoÈglichkeit erreicht: . . . Diese letztmoÈgliche Operationsform, das autogenerative re-entry des Dargestellten des Seins und des Wesens in sich als entsubstantialisierte, sichtransparent-sichevolutive Darstellung ist die Autogeneration als die des sich-sachbegreifenden Sinnes.ª (402) Der Aufsatz will nur Hinweise auf einem schwierigen, noch
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wenig begangenen Terrain geben. Es ist die Frage, ob das Terrain in dieser Weise weiter begangen werden sollte. Zusammenfassend laÈût sich festhalten, daû der umfangreiche Sammelband eine Vielzahl interessanter Aspekte der Jenaer Naturphilosophie vorstellt und erstmals diesen Teil der Hegelschen Philosophie aufarbeitet. Allerdings werden die ZusammenhaÈnge nicht ausreichend deutlich. Es genuÈgt eben nicht, die AufsaÈtze unter verschiedenen Rubriken zusammenzufassen und in einer Vorbemerkung zum Band ± statt inhaltlich zusammenzufassen ± vage Andeutungen einer geltungstheoretisch konzipierten Rekonstruktion der Hegelschen Naturphilosophie zu geben. Die AufsaÈtze von W. Schmied-Kowarzik (Begreifen der Wirklichkeit), R. Wahsner (VerhaÈltnis von Mathematik und Physik), E.-M. Tschurenev (abschlieûend uÈber die Auslegung des Subjekts in der Naturphilosophie) und D. Wandschneider (Induktionsproblem) haÈtten die MoÈglichkeit geboten, unter einem systematischen Aspekt die BeitraÈge durchzugehen. Der Aufsatz Schmied-Kowarziks wirft uÈberdies die Aktualisierungs-Frage auf. Zu uÈberlegen waÈre, ob nicht eine neben Schellings und Hegels Naturphilosophie dritte Variante der damaligen Naturphilosophie fuÈr die aktuelle Diskussion uÈber den Naturbegriff wichtig werden koÈnnte, die uÈber ein anderes VerstaÈndnis von Wirklichkeit als Schelling und ein anderes VerstaÈndnis von Begriff als Hegel verfuÈgt. Als sachlicher Mangel des Bandes erweist sich die nicht ausreichende BeruÈcksichtigung der Jenaer Logik in den Jenaer SystementwuÈrfen II. Wenn Hegel hier das KausalverhaÈltnis scharf kritisiert, hat dies unmittelbare Konsequenzen fuÈr seine Naturphilosophie. Die AufsaÈtze von T. C. Huson, H. Kern und D. Wandschneider zeigen, daû ohne Einbeziehung der Jenaer Logik eine KlaÈrung in naturphilosophischen Fragen nicht moÈglich ist. ± Der Band enthaÈlt ein Personenregister, leider kein Literaturverzeichnis. Wolfgang Bonsiepen (Bochum)
G. W. F. Hegel: Principes de la philosophie du droit. Texte inteÂgral, accompagne d'extraits des cours de Hegel. PreÂsenteÂ, reviseÂ, traduit et annote par Jean-FrancËois KerveÂgan. Paris: PUF 1998. 479 S. (Collection ¹Fondements de la politiqueª.) Die Grundlinien der Philosophie des Rechts wurden erst 1940 ins FranzoÈsische uÈbersetzt (von André Kaan. Paris: Gallimard), mit einer VerspaÈtung von ungefaÈhr einem Jahrhundert im Vergleich zu Italien. Den GruÈnden dieser VerspaÈtung ist Bernard Bourgeois vor einigen Jahren in einer gruÈndlichen Analyse nachgegangen (in seinem Aufsatz: ¹Hegel en Franceª. ± In ders.: Etudes È berheÂgeÂliennes. Paris: PUF 1992, 371-400 ± eine auszugsweise deutsche U setzung wird in Band 6 (2000) des Jahrbuchs fuÈr Hegelforschung erscheinen). Dieser RuÈckstand ist jetzt aufgeholt, denn der franzoÈsische Leser verfuÈgt heute,
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È berneben der erwaÈhnten, uÈberholten Ausgabe von Kaan, uÈber drei U setzungen, von denen zwei fast gleichzeitig erschienen sind: diejenige von J.-F. Kervégan (1998), die hier besprochen wird, und diejenige von Jean-Louis Vieillard-Baron (Paris: Flammarion 1999), die Gegenstand einer weiteren Rezension sein wird. Konkurrenz duÈrften sich die beiden Ausgaben, dies sei gleich eingangs angemerkt, kaum machen, denn sie richten sich an verschiedene Zielgruppen. Die von Vieillard-Baron vorbereitete Ausgabe ist als Taschenbuch konzipiert. Zweifellos wird sie die aÈltere Ausgabe Kaans erfolgÈ bersetzungsfehler reich ersetzen, denn diese hatte durch ihre zahlreichen U dem franzoÈsischen Leser das VerstaÈndnis von Hegels politischer Philosophie erschwert. Die Ausgabe Kervégans wendet sich demgegenuÈber an die Spezialisten. FuÈr diese lassen die Einleitung, die zahlreichen, detaillierten Anmerkungen, die Personen- und Sachregister und das deutsch-franzoÈsische Glossarium die Ausgabe zu einem wirklichen Arbeitsinstrument werden. Kervégan bietet seinen Lesern neben dem Text der Grundlinien des Jahres 1820 (das Buch erschien bekanntlich schon damals, auch wenn seine Titelseite die Jahreszahl 1821 traÈgt) auch erstmals uÈbersetzte ErgaÈnzungen: (a) AuszuÈge aus Hegels Vorlesungen vor 1820; (b) die letzte rechtsphilosophische Vorlesung, die Hegel wenige Tage vor seinem Tode hielt; (c) einige ± leider nicht alle ± der handschriftlichen Randbemerkungen Hegels aus seinem Handexemplar der Grundlinien. Trotz dieser Erweiterung der textlichen Grundlage durch Kervégan, behauptet die aÈltere, seinerzeit von Robert Derathé und Jean-Paul È bersetzung der Grundlinien (Paris: Vrin 1975) noch immer Frick vorbereitete U ihren Platz, denn sie ist bislang die einzige Ausgabe, welche auch die ¹ZusaÈtzeª enthaÈlt, die seinerzeit Eduard Gans auf der Grundlage verschiedener Nachschriften fuÈr die zweite Ausgabe der Rechtsphilosophie (1833) redigiert hatte. Da Kervégan selbst seine Leser auf diese ¹ZusaÈtzeª besonders hinweist und er die editorische Arbeit von Eduard Gans ± ¹dieses bemerkenswertesten SchuÈlers von Hegelª ± als ¹im Ganzen unangreifbarª bezeichnet (65), erscheint sein Verzicht auf die ¹ZusaÈtzeª nicht ganz folgerichtig. Bis es auf Deutsch eine bessere Synthese der Nachschriften als diejenige von Gans gibt, was vielleicht noch lange dauern wird, waÈre es wuÈnschenswert gewesen, daû Kervégan die ¹ZusaÈtzeª von Gans ebenfalls uÈbersetzt haÈtte ± dies sei als Anregung fuÈr die naÈchste Auflage seiner Ausgabe angemerkt. In seiner Einleitung und in den Anmerkungen entwickelt Kervégan uÈbrigens eine Hegel-Interpretation, die derjenigen von Gans (zu dessen Position vgl. die diversen Arbeiten von Norbert Waszek und Johann Braun, z. B. N. Waszek: Eduard Gans (1797-1839): Hegelianer ± Jude ± EuropaÈer. Texte und Dokumente. Frankfurt 1991; Eduard Gans: RuÈckblicke auf Personen und ZustaÈnde. Berlin 1836. Neudruck mit einer Einleitung, Anmerkungen und Bibliographie von N. Waszek. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995. Johann Braun: Judentum, Jurisprudenz und Philosophie: Bilder aus dem Leben des Juristen Eduard Gans. Baden-Baden 1997) recht nahesteht, insbesondere im Hinblick auf die Frankophilie und die
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konstitutionellen oder gar fortschrittlichen Optionen, welche Hegel zugeschrieben werden. An den praÈzisen politischen Kontext erinnernd, in welchem Hegel seine Rechtsphilosophie ausarbeitete und vortrug, und sich auf die neueren Forschungen stuÈtzend, die er weitgehend beherrscht, zeichnet Kervégan in seiner Einleitung die Entwicklung von Hegels Projekt nach und schildert die Entstehungsgeschichte des Werkes. Kervégan kommt zu der Schluûfolgerung, daû Hegel seine Auffassungen in den entscheidenden Fragen nur wenig modifiziert hat; fuÈr ihn geht die z. B. von Rudolf Haym vorgeschlagene Deutung, die in Hegel den Verteidiger des reaktionaÈren preuûischen Staates sehen wollte, ebenso in die Irre wie die z. B. mit Karl-Heinz Ilting verbundene Interpretation, die in Hegels Lehre eine esoterische und eine exoterische Ebene unterscheiden wollte: nach dieser Deutungslinie haÈtte Hegel, der geistige FuÈhrer einer fortschrittlichen Jugend, seine beinahe radikalen politischen Auffassungen bewuût und gekonnt getarnt, um sie auch in dem gegenlaÈufigen politischen Klima, das sich immer staÈrker durchsetzte, ungestoÈrt verbreiten zu koÈnnen. Abgesehen von den Problemen der Methode Iltings, dessen Analyse nur unzureichend zwischen einer rein politischen Schrift und einem Text der politischen Philosophie unterscheidet, sind laut Kervégan (1821) die politisch motivierten Unterschiede zwischen den von Hegel veroÈffentlichen Grundlinien und den einschlaÈgigen Vorlesungen nicht so groû, wie Ilting glaubte. Trotz des ¹konservativenª Sprachgebrauchs, den die Grundlinien von 1820 enthalten, vertritt Hegel auch dort, also noch nach den Karlsbader BeschluÈssen, die Option des ¹liberalen Konstitutionalismusª, die er bereits in der WuÈrttemberg-Schrift des Jahres 1817 und in der rechtsphilosophischen Vorlesung des Jahres 1817/18 (Nachschrift Wannenmann), mit ihrem Loblied auf die franzoÈsische Charte, zu verbreiten suchte (s. Kervégans Anm. zu den Seiten 332 und 347). Auf die Frage, fuÈr welchen Typus von Staat Hegel sich einsetzt, antwortet Kervégan mit Dieter Henrich (Hegel: Die Vorlesung von 1819/20. Frankfurt. 1983. 30 f), es handle sich naÈmlich um einen ¹starken Institutionalismusª. Kervégan betont, daû Hegel ¹die entscheidende Rolle des Individuums keineswegs unterschaÈtzt habeª (360, Anm.) und daû es in seiner Rechtsphilosophie keine einseitige Unterordnung des gesellschaftlichen unter das politische Moment gaÈbe. Um Hegels Lehre zu verdeutlichen, ruÈckt Kervégan sie gelegentlich in die NaÈhe der Theorie einer funktionalen oder dynamischen Integration, die Rudolf Smend im 20. Jahrhundert entwickelt hat (329, 366). Daû Hegel in seiner Konzeption der Regierungsgewalt bereits die volle Bedeutung erfaût haÈtte, welche die Verwaltung, also die Beamten, fuÈr das Funktionieren des Staates im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts erlangen sollten, gehoÈrt fuÈr ihn zu den innovativsten Aspekten der Hegelschen Staatslehre (367, Anm.). Diese funktionale Sichtweise trennt Hegel endguÈltig vom Typus des ,Obrigkeitsstaates`. Dennoch wird Hegel kein unkritischer AnhaÈnger des preuûischen ,Beamtenstaates`, wie ihn die Reformer um Stein und Hardenberg anstrebten. Kervégan zeigt subtil, was Hegel einerseits mit die-
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ser Reformkonzeption verbindet, was ihn andererseits jedoch von dieser absetzt. Als Unterscheidungsmerkmal betont er besonders den Platz und die Rolle, die Hegel der ¹buÈrgerlichen Gesellschaftª zuschreibt, die er nicht mehr, wie die Reformer, direkt politisch versteht. Der kritische Apparat, den Kervégan bietet, ist ausgesprochen reichhaltig, insbesondere im Hinblick auf den sonst von den Kommentaren eher vernachlaÈssigten ersten Teil der Rechtsphilosophie. Er zieht hierzu nicht nur die Arbeiten von Hegels Zeitgenossen heran, sondern auch die ErtraÈge der deutschen und franzoÈsischen rechtshistorischen Forschungen des 20. Jahrhunderts (z. B.: Max Kaser: Das roÈmische Privatrecht. 2 Bde. MuÈnchen 1955-1959). Er rekonstruiert die Position, die Hegel gegenuÈber Kant und Fichte, aber auch im Hinblick auf Juristen wie Savigny und Hugo einnimmt, von denen AuszuÈge in franzoÈÈ bersetzung geboten werden. Er dokumentiert, welche Termini und sischer U Klassifikationen Hegel aus den rechtswissenschaftlichen Abhandlungen seiner Zeit uÈbernimmt, etwa diejenigen von Heineccius, ebenso wie diejenigen der ¹aufgeklaÈrtenª Juristen wie E. F. Klein, Beccaria oder auch P. J. A. Feuerbach. Angesichts dieser genauen Dokumentation wird es noch schwieriger werden, die seinerzeit von Michel Villey (Das roÈmische Recht in Hegels Rechtsphilosophie. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Hrsg. von Manfred Riedel. Bd 2. Frankfurt 1975, 131-151) vorgetragene These zu verteidigen, nach welcher Hegel nur uÈber sehr oberflaÈchliche Kenntnisse dieser Autoren und ihrer Vorgehensweise verfuÈgt haÈtte (45 f). Zweifellos ist es vor allem die ¹maximale Ausdehnungª, die Hegel seiner Rechtstheorie gegeben hat, welche das UnverstaÈndnis und die Irritation der Juristen, zu seiner Zeit wie zur unsrigen, hervorgerufen hat. Dies bedeutet keinesfalls, daû es Hegels Rechtslehre, wenn sie im Rahmen seiner eigenen Zwecke und nicht als Abhandlung zur Geschichte des roÈmischen Rechts verstanden wird, an Interesse ermangelte. Wenn es um Hegels Behandlung des roÈmischen Rechts als Privatrecht geht, ist zunaÈchst zu betonen, daû Hegel, wenn er es als ¹abstraktª bezeichnet, oder wenn er die juristische PersoÈnlichkeit auf ein als ¹abstraktª bezeichnetes Recht bezieht, diesem Terminus keine rein pejorative Bedeutung beimiût, wie dies Villey durchgaÈngig unterstellt. Ganz im Gegenteil ist ¹die Abstraktion des Privatrechts . . . der Garant der universellen GuÈltigkeit ihrer Prinzipienª (47). Weil das Recht die universelle Form der Freiheit bestimmt, ist es ¹unverzichtbarª (44-47; vgl. 125, Anm.). Kervégan betont auch den politischen, haÈufig polemischen Gebrauch, den Hegel von diesem oder jenem Prinzip des roÈmischen Rechts macht (z. B. die Anm. zu den Seiten 134, 147, 167), eine Praxis, die Hegel mit den zeitgenoÈssischen Juristen eher teilt, als daû sie ihn von ihnen trennt. Auch wenn Kervégans Arbeit in dieser Hinsicht noch nicht ganz abgeschlossen ist, geht sie hier doch, dies sei hervorgehoben, erheblich weiter als fruÈhere, vergleichbare Studien. Schlieûlich sind die zahlreichen Querverweise auf Hegels andere Werke, insbesondere auf seine Wissenschaft der Logik (z. B. 89, Anm. 2; 344, Anm. 2;
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352 f, Anm. 2; 355, Anm. 4; 381, Anm. 2) zu erwaÈhnen, die Kervégan bietet. Zweifellos ist es diese gediegene Kenntnis des Hegelschen Systems und seiner Terminologie ebenso wie diejenige der juristischen Begrifflichkeit unserer Zeit, È bersetzung Kervégans beitraÈgt. Die U È berzeugungswelche zur QualitaÈt der U kraft seiner uÈbersetzerischen Entscheidungen sei hier nur an einigen Beispielen belegt. So uÈbersetzt er ¹das innere Staatsrechtª mit ¹le droit eÂtatique moderneª, ¹das aÈuûere Staatsrechtª mit ¹le droit eÂtatique externeª und nicht etwa anachronistisch, wie es der modernen Terminologie entspraÈche, mit ¹le droit public interneª bzw. ¹externeª (324, Anm. 1, 405, Anm. 1). Auch die Formulierung ¹deÂni du droitª fuÈr ¹Das Unrechtª erscheint sehr gelungen. FragwuÈrdiger erÈ bernahme des nicht sehr schoÈnen Neologismus ¹eÂthischeint hingegen die U È bersetzung des Begriffs ¹Sittlichkeitª eingeciteª, den P. J. Labarrière als U È bersetzung ¹vie eÂthiqueª, die 1975 von Derathé/Frick gefuÈhrt hat. Die U waÈhlt und heute von Bernard Bourgeois vertreten wird, ist vielleicht doch vorzuziehen. Um den Unterschied zwischen ¹Sittlichkeitª und dem von Hegel nur selten gebrauchten Ausdruck ¹sittliches Lebenª zu bewahren, haÈtte es geÈ bersetzung ¹vie eÂthiqueª dort in Klammern die deutsche BezeichnuÈgt, der U nung hinzuzusetzen, wo Hegel ¹sittliches Lebenª verwendet. Kervégan folgt der von Bernard Bourgeois in seiner franzoÈsischen Ausgabe von Hegels EnzyklopaÈdie entwickelten Terminologie mit feinem GespuÈr und bevorzugt gelegentlich auch die von zwei anderen HegeluÈbersetzern, Pierre-Jean Labarrière und Jean-Pierre Lefebvre, entwickelten Begrifflichkeit. Indem er so an die Leistungen der franzoÈsischen ± aber auch der deutschen ± Hegelforschung anknuÈpft, duÈrfte Kervégans Ausgabe zu einem erstklassigen Instrument der zukuÈnftigen BeschaÈftigung mit Hegels Rechtsphilosophie werden. Myriam Bienenstock (Tours)
Bernadette Collenberg-Plotnikov: Klassizismus und Karikatur. Eine Konstellation der Kunst am Beginn der Moderne. Berlin: Mann. 1998. 360 S. Die Einleitung dieses Buchs macht anmerkungsweise darauf aufmerksam, È sthetik die Satire der AufloÈsungsphase der klassischen, dass Hegel in seiner A also der antiken Kunstperiode zuordnet. Verschiedene Zeugnisse werden dafuÈr angefuÈhrt, daû die Karikatur um 1800 eine aÈhnliche Rolle spielte; doch sei das Ende des Alten auch ein Beginn des Neuen gewesen. Im Verlauf der Darstellung kann Hegel dafuÈr zitiert werden, dass er als erster ¹das Verlassen und Verzerren der Naturgebildeª als Absicht einer bestimmten Kunst erkennt (7 ff, È sthetik des HaÈsslichen, die von 218). Das erste Kapitel des Buchs beginnt mit der A Karl Rosenkranz 1853 publiziert wurde. Auch groûe Kunst kann zum SchoÈnen das HaÈûliche stellen und es mit Humor aufnehmen. Nach Rosenkranz kann die Kunst auf zwei Weisen unfreiwillig zur Karikatur werden: in einem
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blutleeren Pseudoidealismus und in einem Realismus, der anstandslos alles Reale wiedergibt. Die Verfasserin folgt nicht nur hegelianischen Tendenzen, sondern auch der Geistesgeschichte Wilhelm Diltheys. Sie kann so darauf verweisen, daû Werner Hofmann die Rede Kandinskys von der ¹groûen Abstraktionª und der ¹groûen Realistikª aufgenommen hat. Statt die Extreme im ¹Stilª zu harmonisieren, koÈnne es zu Vermischungen kommen, die mit Goethe der SphaÈre der ¹Manierª zugewiesen werden (17 f). In diesem Feld begegnet die Karikatur, die gegenuÈber ihrem Auftreten um 1600 um 1800 neue MoÈglichkeiten gewinnt. Wie das geschieht, will das vorliegende Buch zeigen. Es wurde abgefaût als Berliner Dissertation bei Werner Busch. Besonders zu loben ist, daû es in einer vorzuÈglichen Ausstattung gedruckt werden konnte und mit 200 Abbildungen den Nachvollzug des Dargelegten erleichtert. Wenn nach Klassizismus und Karikatur gefragt wird, dann scheint GegensaÈtzliches verbunden zu werden: der Klassizismus strebt nach Idealisierung, È berzeitlichem; die Karikatur richtet sich mit ihren UnebenMaÈûigung und U heiten und ihrer Komik auf das Momentane. Doch finden sich gerade bei Klassizisten ± wie David oder Carstens ± Karikaturen. Steht der Klassizismus nicht uÈberhaupt zwischen Klassik und Moderne? Auch die klassizistischen KuÈnstler betaÈtigen sich als Karikaturisten. Was nun Karikatur genannt wird, bleibt nicht nur eine begrenzte Gattung; es kann auch fuÈr die Hochkunst geltend gemacht werden. Dann ist die Abweichung vom rechten Maû angesprochen. Es faÈllt auf, daû die Karikatur in bezug auf den Klassizismus wenig erforscht ist. Man neigt dazu, sie dem FreizeitvergnuÈgen der KuÈnstler, einer individuellen Veranlagung zur Komik, einem bestimmten Milieu oder auch einem unbewaÈltigten ¹Sturm und Drangª zuzuschreiben. Inzwischen nimmt die Klassizismus-Forschung aber Interesse an dem, was im Klassizismus vom klassischen Maû abweicht. So kann versucht werden, den Klassizismus von der Karikaturproblematik her zu charakterisieren und ihn so auf dem Weg zur Moderne zu sehen (8 ff). Die Karikatur (unterschieden z. B. von der mittelalterlichen Groteske) ist um È u1600 im Kreis der Carracci entstanden. Doch ist sie noch eine ¹privateª A ûerung der KuÈnstler, ein Spiel in einem engeren Kreis. (Die satirische Kritik wird von der populaÈren Graphik uÈbernommen.) Wie Raffael die Idee in der Erscheinung als das SchoÈnste suchte, so strebt die Karikatur zum HaÈûlichsten hin. Sie wird in die ¹niederenª Kunstgattungen verwiesen (in Genre und Capriccio). Um 1800 wird die Karikatur dagegen zum Prinzip der Moderne. Wenigstens ironisch kann Winckelmann die Karikatur ernstnehmen. Hogarth unterscheidet seine Charaktere von Karikaturen; doch setzt er der schoÈnen Kunst eine Alternative entgegen! Er kann sich so an die BuÈrger als Rezipienten der Kunst wenden (und damit faktisch uÈber seine Analyse des SchoÈnen hinausgehen). Das Ideal schlieût nun das SchoÈne und das Charakteristische ein. Die Moderne unterscheidet sich damit von der Antike. Gerade weil das Wort
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¹Karikaturª vieldeutig wird, kann es um 1800 dazu tendieren, ein aÈsthetisches Prinzip zu bezeichnen. Die oft recht erregten Debatten werden von den deutschen Autoren der Goethezeit her entfaltet. Nach dieser Abgrenzung des Karikaturbegriffs um 1800 handelt ein zweites Kapitel uÈber die KuÈnstlerkarikatur um 1800 als Medium der Selbstreflexion der KuÈnstler. Nach Karl Rosenkranz besteht eine dritte Gruppe der unfreiwilligen Karikatur darin, daû der KuÈnstler sich selbst als verkanntes Genie zum Gegenstand macht (wie Goethe im Tasso). Kunst verbindet sich mit Kunsttheorie; die KuÈnstler betreiben Selbstreflexion. So kommt es nicht nur vermehrt zu KuÈnstlerportraÈts; auch die Karikatur gewinnt ein neues Leben (vor allem fuÈr den Bekanntenkreis und zur Selbstabgrenzung der KuÈnstler). Der Klassizist wahrt seinen individuellen Stil gegenuÈber Barock wie Nazarenertum. Diese Selbstausgrenzung wird vor allem gezeigt an Kochs Aufstand gegen die Stuttgarter Akademie (104 ff). Der Streit zwischen Goethe und dem Realisten Schadow wird verbunden mit der Kritik von Burys idealisierter Darstellung Goethes als VorfuÈhrung eines GoÈtzen (115). Wie die KuÈnstler nach dem Verlust von Hof und Kirche als Auftraggeber mithilfe eines MaÈzens publizieren, wird in Karikaturen behandelt. GirordetTrioson kann eine Schauspielerin in einer Karikatur oder Spottversion einer È ffentlichkeit vorfuÈhren, als sein PortraÈt wegen Mangel an ¹A È hnlichbreiten O keitª, naÈmlich Idealisierung, zuruÈckgewiesen worden war (124 ff). Das dritte Kapitel wendet sich parallelen Darstellungsverfahren in der Karikatur und der klassizistischen Hochkunst zu. Um 1800 werden in Religion und Politik die uÈberlieferten MaûstaÈbe problematisiert; auch der Klassizismus kommt durch die Spannung zur RealitaÈt zu antithetischen AnsaÈtzen, damit zur Karikatur und zum Karikaturistischen. Man kann dann (wie Friedrich Schlegel im 116. AthenaÈumsfragment) die Mischung der Gattungen zum Grundzug ¹romantischerª Kunst erklaÈren (135). Die klassischen Themen koÈnnen tragisch und komisch dargestellt werden. Wenn etwa Carstens das KoÈnigliche verhoÈhnt, dann geraÈt er in eine ParallelitaÈt zur FranzoÈsischen Revolution (152). Die Karikatur hat durchaus zeitgeschichtliche Bedeutung. Das BuÈrgertum verlangt eine neue ¹Reinheitª. Die fruÈhen Themen werden nicht nur karikaturistisch in Frage gestellt; es wird auch das Charakteristische dem SchoÈnen entgegengestellt. Dabei stuÈtzt das Karikaturistische das CharakÈ bermaû. Physiognomie, niedere Gattungen wie Genre teristische als dessen U und PortraÈt profitieren davon. Man versucht uÈberhaupt, das Charakteristische zu inkorporieren. Mittel bis hin zum Falschzeichnen lassen sich dann einsetzen. Vergangene Kunstformen werden reflektiert eingesetzt, so daû zugleich die Abstandnahme deutlich wird. Auch der klassizistischen Kunst ist es nicht fremd, Heterogenes zusammenzustellen. Was im Manierismus schon seinen Ort hatte, hatte dann in der Romantik Hochkonjunktur. Die Parallele zur Karikatur ist deutlich. Hegel war Student in TuÈbingen, als Koch gegen die Stuttgarter Akademie rebellierte. Als Jenaer Dozent wurde er durch Goethe mit Fernow zu GespraÈ-
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chen zusammengebracht. Fernows Bemerkungen eines Freundes in Johann Heinrich Meyers Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts zeigen eine uÈberraschende NaÈhe zu Gedanken Hegels: die Kunst habe nach der HoÈhe des 16. Jahrhunderts nur einige ¹schoÈne BluÈtenª als Nachklang gebracht; eine ¹Treibhauspflegeª habe die gaÈnzliche Erstarrung verhuÈten muÈssen. Wenn Hegel damals in Preuûen nur DuÈrre fand, mag er auch an Goethes Auseinandersetzung mit Schadow gedacht haben (vgl. vom Verf. Hegel-Studien 14 (1979), 153 ff, zum folgenden 176 ff). Gegen Meyers Kritik an Hirt hat Hegel sich mit dem Hinweis gewandt, das Charakteristische sei nicht notwendig Karikatur. Vielmehr sei das KarikaturÈ bertreibung des Charakteristischen (54). Sicherlich hat Hegel den maÈûige eine U romantischen Subjektivismus gegeiûelt; er unterscheidet sich von den Romantikern wie auch von den spaÈteren Hegelianern. ¹Denn auch Hegel konstatiert diese Entwicklung von der einen Kunst als zentralem geistigem und sittlichem Orientierungspunkt der Gesellschaft zu einer Vielzahl unterschiedlicher WeltentwuÈrfe und deren Erscheinungsformen in der Kunst sowie zu einer Marginalisierung der Bedeutung des KuÈnstlerischen in der Gesellschaft. Er erkennt aber von der ihm eigenen Frage nach der Rolle der Kunst innerhalb des SelbstverstaÈndnisses einer Gesellschaft her die Notwendigkeit und UnumgaÈnglichkeit dieser Entwicklung zu einer Relativierung der Bedeutung der Kunst in der Moderne und verknuÈpft mit dieser Diagnose seine These vom Vergangenheitscharakter der Kunst ihrer hoÈchsten Bedeutung nach.ª (58 f, vgl. auch 100, 183). Schon in seiner Jenaer Zeit ist Hegel mit Böttiger aneinandergeraten. Dieser wurde von Koch als Gotthold Fettig karikiert: ¹Obgleich er schon bei Jahren dick, fett und wohlbeleibt ist. . .ª (136) Beim spaÈteren Besuch Dresdens lieû Hegel sich die Antiken von Böttiger so zeigen, wie Goethe sie in Rom gesehen hatte: abends beim Fackelschein. Doch brachte er È sthetik eine sarkastische Kritik an der Weise in seine Vorlesungen uÈber die A ein, Plastik mit Herder und Böttiger nicht nur visuell, sondern vom Tastsinn her aufzunehmen. Noch von einer klassizistischen Position aus kritisiert Hegel ¹die heterogenen Zusammenstellungen und Absonderlichkeiten Jean Paulsª (219). Doch ist dieses Verfahren auch dem Klassizismus nicht fremd. Werner Hofmanns Weise, die Karikatur fuÈr die neuzeitliche Kunstgeschichte ins Zentrum zu ruÈcken, wird an maûgeblichen Stellen genannt (10, 18, 60). FuÈr Hofmann spielte in der Tat der Entfremdungsbegriff, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg von Schiller, Hegel und dem jungen Marx her in den Vordergrund ruÈckte, einen wichtigen Ausgangspunkt. So kommt er in dieser Arbeit immer neu direkt und indirekt ins Spiel. Otto PoÈggeler (Bochum)
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Marek J. Siemek: Vernunft und IntersubjektivitaÈt. Zur philosophisch-theologischen IdentitaÈt der europaÈischen Moderne. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2000. 259 S. (Schriften des Zentrums fuÈr EuropaÈische Integrationsforschung der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversitaÈt Bonn. Hrsg. von Ludger KuÈhnhardt. Band 13.) Es ist bekannt, daû Hegel in Berlin viele polnische SchuÈler hatte. Der polnische Aufstand von 1830/31 vermochte bei Hegel ± anders als bei einigen SchuÈlern ± È konom keine Aufmerksamkeit fuÈr die polnischen Anliegen zu wecken. Der O und Philosoph August Cieszkowski konnte 1838 mit seinen Prolegomena zur Historiosophie auch nichtpolnischen Lesern zeigen, daû der Deutsche Idealismus sich fuÈr die Zukunft oÈffnen und von der Theorie zur Tat wenden muÈsse. Die polnischen Intellektuellen orientierten sich bis zum Scheitern des Aufstandes von 1863/64 am Deutschen Idealismus, um ihn fuÈr den Weg zur nationalen SelbstaÈndigkeit einzusetzen. Der Band Hegel bei den Slaven, 1934 und 1961 von Dmitrij Tschizewskij herausgegeben, begann mit dem Beitrag Die Polen und die Philosophie Hegels von Walter Kühne; Cieszkowski bildete einen Schwerpunkt, war aber eingeordnet in ein breites Spektrum von Polen, die sich mit Hegel auseinandergesetzt hatten. Im Jahr 1981 konnte Jan Garéwicz die Prolegomena zur Historiosophie mit Nachwort und Anmerkungen als Band 327 der Philosophischen Bibliothek im Verlag Meiner herausgeben. Als Ende dieses Jahres in Berlin und DuÈsseldorf mit der Ausstellung Hegel in Berlin des 150. Todestages des Philosophen gedacht wurde, schrieb Jan Garéwicz im Ausstellungskatalog den Artikel Ein Weg zur Freiheit: Polen. Gedacht wurde der Wirkung, die von Hegel zwischen den beiden AufstaÈnden in Polen ausgeuÈbt worden war. Polnische Vertreter konnten zur AusstellungseroÈffnung nicht kommen, da inzwischen wieder einmal die Schranken zwischen Ost und West oder zwischen Mitteleuropa und Westeuropa heruntergegangen waren. Umso erfreulicher ist es heute, daû Polen zu den LaÈndern gehoÈrt, die vorrangig in die EuropaÈische Union integriert werden sollen. Da stellt sich dann nicht nur die Frage, wie man von westeuropaÈischer Seite sich fuÈr die Erweiterung Europas bereit macht; auch umgekehrt muû gefragt werden, wie Polen sich auf diese Integration vorbereitet. Die vorliegende Sammlung von AufsaÈtzen und VortraÈgen kommt immer wieder auf diese Frage zuruÈck. Diese Arbeiten von Marek J. Siemek stammen durchweg aus dem letzten Jahrzehnt. Der Aufsatz Marxismus und hermeneutische Tradition stammt bezeichnender Weise aus dem Jahre 1977, der Aufsatz LukaÂcs: Marxismus als Philosophie aus dem Jahre 1986. Das Geburtsjahr des Autors (1942) zeigt an, daû ihm MoÈglichkeiten des Studierens und Forschens zu Gebote standen, von deÈ ltere nur hatten traÈumen koÈnnen. Der zuerst abgedruckte Beitrag Demonen A kratie und Philosophie. Die Antike und das Politische Ethos des europaÈischen Denkens, 1999 in Bonn zur Diskussion vorgelegt, zeigt klar, daû es nicht nur um tages-
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politische Fragen geht. Der Mensch ist fuÈr die Griechen das politische Wesen, das den Logos hat; der Mythos bleibt zuruÈck, wenn es um die politisch verfasste und gesetzte Gemeinschaft geht. ¹Als eigentliche Architekten und Gestalter dieses neuartigen Raums koÈnnen darum keinesfalls jene halbwegs noch mythischen Protophilosophen von Ionien gelten, die man ,Vorsokratiker` zu nennen pflegt; bei ihnen bleibt ja der kaum erwachende logos des begrifflichen Denkens noch fast gaÈnzlich in der auûermenschlich-kosmischen Welt der physis als ,Natur` versenkt. Es sind vielmehr erst die geschichtlichen Vertreter und TraÈger der gesellschaftlich-dialogischen Vernunft als Rede, als gesprochenes und gehoÈrtes, mitgeteiltes und weitergegebenes Wort des lebendigen GespraÈchs und der argumentativen Debatte, die als wahre Stifter des philosophischen Geistes anerkannt werden muÈssen.ª (13) Sokrates verlaÈût (im Phaidros) die schoÈne Natur auûerhalb der Stadt; der Staat ist an die staÈdtische È ffentlichkeit geknuÈpft. Deren Praxis verdraÈngt die Poiesis, die im Handwerk O wie in der Kunst Werke herstellt, aber die Arbeit nur als Mittel der Fristung des Lebens sieht. Sklaven, die solche Arbeit tun, koÈnnen ebensowenig BuÈrger der Polis sein wie die Frauen, die im GebaÈren das Leben weitergeben. Diese gehoÈren zum Oikos, zum ¹Hausª. Das Haus wird getragen von der Groûfamilie mit Gesinde und Sklaven. Siemek verweist auf Hannah Arendts Analyse des Politischen einerseits, der SphaÈre von Arbeit und Lebensreproduktion andererseits (22). Der zweite Beitrag haÈlt exemplarisch fest, daû die Kunst mit dem Pathos des Tragischen und die Religion mit ihrem Heilsversprechen geschichtlich vor dem È ffentlichkeit liegen (32). Mit der DiffeLogos als Dialektik in der politischen O renz-Schrift Hegels wird dargelegt, daû das BeduÈrfnis der Philosophie erwacht, wenn die Macht der Vereinigung (die entscheidend ist bei Kunst und Religion) aus dem Leben der Menschen schwindet. Sokrates, von dem die Sophisten nicht abgetrennt werden duÈrfen, zeigt, wie der philosophische Logos aus dem dialektischen Prozeû entsteht. Platon haÈlt das Dialektische mehr als literarische Form fest; er entzieht sich der Dialektik, wenn er die Bewegung des GespraÈchs ontologisiert zum Erfassen der Idee (46). Der FuÈlle der Themen, die behandelt werden, kann hier nicht nachgegangen werden. Sie reicht vom Briefwechsel Schiller-Goethe, von Kants praktischer Philosophie und Schellings Freiheitsschrift bis zu Husserls neuem Transzendentalismus, aber auch zum Gegensatz zwischen Szientismus und Lebensphilosophie. Heidegger denke von Kant und Nietzsche her, Lukács von Hegel und Marx her. Immer wieder lenkt Siemek hin auf die IntersubjektivitaÈt, wie sie phaÈnomenologisch mit und gegen Husserl entfaltet wurde. Daû diese IntersubjektivitaÈt im Deutschen Idealismus in zwei Modellen auftaucht, zeigt der Beitrag Sozialphilosophische Perspektiven der europaÈischen Gegenwart. ¹SozialÈ sthetik. philosophieª ist hier kein Teilbereich der Philosophie, etwa neben der A WaÈre es doch so, dann waÈre die Grunddisziplin die Metaphysik oder die Erkenntnistheorie oder die Anthropologie. Doch heute wolle die Rede von So-
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zialphilosophie das Philosophische mit dem Sozialen enger verbinden, naÈmlich das eine vom anderen her bestimmen. Der ¹linguistic turnª der fuÈnfziger und sechziger Jahre habe auf die unhintergehbare Gesellschaftlichkeit und damit zur sozialphilosophischen Wende gefuÈhrt (206). Die Sozialphilosophie bringe der Philosophie so eine Wiederbelebung dessen, was der Deutsche Idealismus als VermaÈchtnis hinterlassen habe. Fichte habe schon im Naturrecht von 1796 gezeigt, daû das Ich seine SelbstidentitaÈt als Person nicht setzen koÈnne, ohne andere freie Wesen anzunehmen. Hegel habe dieses kommunikative Modell in der Analyse der Anerkennung als eines geschichtlichen Prozesses konkretisiert. Der Blick auf die Geschichte sei Fichte aber nicht fremd gewesen. Der Beitrag dieses Bandes, der sich auf Hegel spezialisiert, handelt uÈber Hegel und die TragikomoÈdie der Moderne. Hegel habe gesehen, daû Vergesellschaftung Individualisierung sei, Individualisierung sich der Vergesellschaftung verdanke. Dieser Prozeû sei eine Modernisierung und damit Geschichte, vielleicht aber auf eine ¹universelle und globale Formª (89). Hegels Jenaer Naturrechts-Aufsatz fasse die Entzweiung des Sittlichen in den Citoyen und den Bourgeois als TragoÈdie im Sittlichen. Doch stelle er zu dieser TragoÈdie die KomoÈdie ± die aÈltere KomoÈdie, die das Sittliche in Gestalten wie Homer, Pindar, aber auch Sokrates zu zufaÈlligen Unterschieden gestaltet, und die moderne KomoÈdie, die die Ausrichtung auf Eigentum im Geizigen kritisiere. Gesehen werden muû aber nach Hegel, daû es zu Institutionen des Eigentums kommt, die dann durch Kriege vernichtet werden koÈnnen. In der PhaÈnomenologie des Geistes bricht Hegel endguÈltig ¹mit der Schellingschen Rhetorik seiner fruÈheren Jenaer Schriftenª (95). So koÈnne der moderne Mensch dann fuÈr Hegel zugleich Citoyen und Bourgeois sein. Schon Hegels Jenaer Realphilosophie sehe im Werkzeug, das der Mensch zwischen sich und den Gegenstand einschiebe, und in der Nutzung der NaturkraÈfte durch die WindmuÈhle die ¹Listª. Die List gehoÈre aber nicht nur in das VerhaÈltnis des Menschen zur Natur, sondern auch zur Gesellschaft. Die Vernunft schiebe in ihrer List die welthistorischen Individuen vor, um sich selbst zu verwirklichen. ¹FuÈr Hegel bedeutet diese Einsicht ins intersubjektive Wesen der modernen Sittlichkeit, das sich mit der Alternative von ,Tragik` und ,Komik` nicht mehr ausmessen laÈsst, auch den endguÈltigen Abschied von der ,aÈsthetisierenden` Menschen- und Geschichtsauffassung.ª (103 f) Gegen die Gesamtsicht Hegels, wie sie hier vorausgesetzt wird, mag man verschiedene EinwaÈnde formulieren. So kann man nachlesen, daû die Sicht der Geschichte, wie Kojève sie aus Hegels PhaÈnomenologie herauslas, nicht Hegels damaligen Jenaer Texten entspricht. Die PhaÈnomenologie verwendet ihre Exempel zur EinfuÈhrung in den Gebrauch logischer Grundbegriffe und nach deren Ordnung. Die Aufarbeitung der Geschichte der Hegelschen Logik und der Geschichte seiner Geistesphilosophie hat gezeigt, daû Hegel erst am Ende der Jenaer Zeit die endguÈltige Form seiner Dialektik erreichte, aber auch die
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Grundlagen seiner spaÈteren Rechtsphilosophie. Diese Rechtsphilosophie wurde seit ihrer ersten Darbietung in einer Heidelberger Vorlesung bezogen auf die Probleme der Zeit; Hegels Forderung nach Korporationen neuer Art wurde aber noch vor seinem Tode durch die neue Gewerbefreiheit Vergangenheit. Statt solcher Streitfragen soll hier mit den abschlieûenden BeitraÈgen des besprochenen Bandes die Weise eroÈrtert werden, wie Polen seinen Weg nach Europa laÈngst beschreitet. Polen hat sich seit 1956 durch die katholische Kirche, aber auch durch die UniversitaÈten eine gewisse Freiheit vom offiziell verordneten Marxismus erkaÈmpft. Das gilt fuÈr die Lemberger und Warschauer Schule mit ihrer Ausrichtung auf Logistik und analytische Philosophie. Zur katholischen Orthodoxie in Lublin trat Krakau, wo Schelers Philosophie den jetzigen Papst praÈgte, wo der Personalismus Mouniers und die phaÈnomenologische Philosophie (z. B. durch Tischner) zur Wirkung kamen. Roman Ingarden mit seinen SchuÈlern bildete eine breite Formation phaÈnomenologischen Philosophierens (auch im Streit mit Husserls ¹Idealismusª). In diesem Kontext blieb der orthodoxe Marxismus den FunktionaÈren uÈberlassen; dagegen kamen revisionistische Tendenzen zum Zuge. Gerade dieser Revisionismus wurde 1968 gewaltsam zerschlagen. So zeigt sich, daû der Marxismus durch seine gegensaÈtzlichen Tendenzen sich selbst zerstoÈrte (222). Jenes Philosophieren, das blieb, zog sich aus der gesellschaftlichen RealitaÈt zuruÈck; kann es heute helfen, den gesellschaftlichen Raum der RationalitaÈt wiederherzustellen? ¹Was gefragt wird, ist ein neues theoretisch-normatives SelbstverstaÈndnis der auszubauenden freiheitlich-demokratischen Sozialordnung, das weder auf die technisch-instrumentelle Machbarkeit, noch auf die innere Gewiûheit irgendwelcher ,MoralitaÈt` zuruÈckgefuÈhrt werden kann. Seinen richtigen Bezugspunkt muû vielmehr dasjenige bilden, was bereits von Hegel unter dem Namen der ,Sittlichkeit` als Wesen der modernen Vergesellschaftung erkannt und erforscht wurde.ª (223 f). Es erschreckt etwas, wie negativ der Verfasser den ¹Osten in unsª charakterisiert. Dieser Osten unterscheide sich vom Westen durch das Fehlen der freien Marktwirtschaft: In der Adelskultur wie im Kommunismus sei die Wirtschaft mit der politischen Herrschaft verknuÈpft worden. In diesen Zusammenhang gehoÈre aber auch, daû die Parteien des heutigen Polen nicht der Gliederung des Volkes entspraÈchen, sondern Machtgruppen darstellten. Das fuÈhre zur Ideologisierung des oÈffentlichen Lebens. Das ¹symbolischeª Interesse der Menschen neige dazu, die beanspruchten Werte monologisch als fundamental anzusetzen. DemgegenuÈber haÈlt Siemek fest: ¹Nicht der immer ,heilige` und ,heldenhafte` (gleichviel im Namen welcher ,hoÈheren Werte` gefuÈhrte) Eroberungskrieg, sondern der profane und nuÈchterne Handelsverkehr bildet ja auch geschichtlich das allererste Paradigma der dialogischen VerstaÈndigung zwischen den Menschen, den VoÈlkern.ª Man nenne die Verhandlung ja auch Negoziation, vom lateinischen Wort ¹negotioª fuÈr ¹Handelª her (233).
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Ein Beitrag EuropaÈische Tradition und die UniversitaÈten haÈlt als Schluû des Buches fest, daû die UniversitaÈten in Europa ± anders als in Nordamerika! ± durchweg staatlich sind. FuÈr LaÈnder wie Polen konnte bei fehlender Staatlichkeit die UniversitaÈt eine staatsbildende Funktion haben (aÈhnlich wirkte die HebraÈische UniversitaÈt fuÈr Israel, 239). Inzwischen vermarkte die moderne Gesellschaft ihr Wissen und KoÈnnen. Die okzidentale RationalitaÈt fordere Fachkompetenz, die UniversitaÈten muÈûten diese entwickeln und ausbilden. Die mittel- und osteuropaÈischen UniversitaÈten muÈûten diesem westlichen Weg angeglichen werden. Kann Polen sich vorbehaltslos uÈber eine Verwestlichung einbringen in die heutige ¹Globalisierungª? Hier im Westen erinnert man sich z. B. daran, daû in Westfalen die alten Bauern in den sechziger Jahren an gebrochenem Herzen starben: Ihre einst so eigenstaÈndigen HoÈfe waren nicht mehr lebensfaÈhig, als der amerikanische Weizen vordrang. Es waÈre eine Illusion zu glauben, daû die polnischen Bauern ganz anders reagieren werden. Die Frage bei neuen Wegen ist immer auch: Was muû man aufgeben? Auch die industrielle Produktion kann unter den heutigen VerhaÈltnissen weitgehend in BilliglohnlaÈnder ausgelagert werden. Wer streitet fuÈr die Rechte der dort Arbeitenden? Hier bei uns ergibt sich auf laÈngere Sicht eine Umstrukturierung der gewachsenen LebensverhaÈltnisse und Landschaften. So wird die soziale Frage in einem voÈllig neuen Sinn Problem. Hier aber ist dann die ¹Nationª gefragt, denn die Arbeitslosenversicherung und die Rentenversicherung sind national organisiert. Auch die Parteien muÈssen in einer gemeinsamen Sprache diskutieren koÈnnen; so sind sie im vielsprachigen Europa national organisiert. Eine einzige Partei fuÈr Frankreich und Deutschland gibt es nicht, nur einen lockeren Zusammenschluû im europaÈischen Parlament. In jedem Fall zeigt sich, daû die Nation unverzichtbar ist. So konnte Polen dadurch faszinieren, daû man sich selbstverstaÈndlich als Nation oder Volk betrachtete und unbefangen einen Begriff gebrauchte, der bei uns im Westen diskreditiert war. Welche Probleme sich ergeben, wenn lange unterdruÈckte ¹VoÈlkerª nach SelbstaÈndigkeit streben oder sich voneinander abgrenzen, zeigt sich im ehemaligen Jugoslawien wie im Kaukasus ± wie einst im Kampf um das franzoÈsische oder algerische Algerien. Doch der ¹Osten in unsª darf ± etwa mit der Ausrichtung auf die ¹Nationª und das ¹Volkª ± nicht einfach negativ gesehen werden. È sterreich besetzten, marschierten sie nach der Als deutsche Truppen 1938 O Meinung von Karl Popper im Namen Hegels. Wie wenig eine solche Sicht der wirklichen Geschichte gerecht wird, zeigt die RuÈckbesinnung auf den polnischen Hegelianismus. Freilich darf man auch nicht verkennen, daû das KoÈnigsberg von Kant und Karl Rosenkranz heute ausgeloÈscht ist und niemals wiederkehren kann. Wie anders ist Polen mit Danzig und Breslau verfahren! Zu Recht hat Karol Bal unter dem Titel AktualitaÈt der Vergangenheit (Wroclaw 1977) darauf aufmerksam gemacht, daû die AufklaÈrung in Polen ± anders als in Frankreich und wieder anders als in Deutschland ± die Zentralmacht staÈrkte
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und auch vom Klerus aufgenommen wurde. Unwiderlegbar bleibt, daû der Deutsche Idealismus in Polen in verschiedenen Epochen zur StaÈrkung der nationalen Selbstbesinnung beigetragen hat. So erinnert sich eine Stadt wie BresÈ sterreichische, Preuûilau daran, wie stark das Slawische und Deutsche, das O sche und Polnische zu ihrer Geschichte gehoÈren. Die GespraÈche zwischen den polnischen und den deutschen Philosophen sind zweifellos mehr als eine akademische Angelegenheit. Sie gehoÈren in die Vorbereitung einer groÈûeren europaÈischen Integration. Umso wichtiger ist, daû die BemuÈhungen, wie sie im angezeigten Band dokumentiert werden, auch das noÈtige GehoÈr finden. Otto PoÈggeler (Bochum)
Denken des Denkens in der Zeit. Neuerscheinungen zum Hegel-Nietzsche-Problem 1. Stephan KoÈrnig: PerspektivitaÈt und Unbestimmtheit in Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht. Eine vergleichende Studie zu Hegel, Nietzsche und Luhmann. TuÈbingen, Basel: Francke 1999. 345 S. (Basler Studien zur Philosophie. Hrsg. v. Henning Ottmann und Annemarie Pieper. Bd. 9). 2. Paul S. Miklowitz: Metaphysics to Metafictions. Hegel, Nietzsche, and the End of Philosophy. Albany: State University of New York Press 1998. 221 S. 3. Yirmiyahu Yovel: Dark Riddle. Hegel, Nietzsche, and the Jews. Tel Aviv: Polity Press 1998. 235 S. Systematische Probleme der Philosophie lassen sich nach Hegel auch historisch, nach Nietzsche nur noch historisch angehen. Hegel schien zu seiner Zeit die europaÈische Philosophie zu einer Vollendung gekommen zu sein, die zulieû, sie von ihren AnfaÈngen an als ganze zu begreifen, fuÈr Nietzsche war sie, nicht einmal ein Jahrhundert spaÈter, in ihre schwerste Krise geraten, die sie nur uÈberwinden konnte, wenn sie neue Grundentscheidungen traf. Beide sahen sich als SoÈhne ihrer Zeit und deshalb auf die Geschichte verwiesen, Hegel, um sie in das System der Philosophie einzuholen und dadurch ihre Zeit zu tilgen, Nietzsche, um durch Genealogien offenzulegen, daû aller Sinn im Fluû der Zeit bleibt. So dachten beide, indem sie ihre Zeit zu denken versuchten, das Denken selbst in der Zeit. Worin sich ihr Denken des Denkens dabei unterschied, ist der Kern des Hegel-Nietzsche-Problems. Mit ihm ist die Frage nach dem Fortgang der Philosophie zum 20. Jahrhundert verbunden, der sich nicht mehr als Fortschritt begreifen lieû, jedenfalls von Nietzsche und danach nicht mehr als Fortschritt begriffen wurde. Das philosophische Denken hat sich seit Hegel sichtlich von Grund auf veraÈndert,
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und die Zeit wird nun (seit Heidegger) als Horizont verstanden, in dem sich alles im Denken aÈndern kann. Versucht man zu sagen, worin sich das Denken des Denkens veraÈndert hat, sieht man sich rasch wieder auf Hegelsche Begriffe und Zugriffe verwiesen, die nach Nietzsche doch nicht mehr greifen sollten. So rekurriert die systematische Reflexion zum Denken des Denkens in der Zeit immer wieder auf die historische Opposition Hegel und Nietzsche, um sich an ihr zu korrigieren. Weder Hegel noch Nietzsche lassen jedoch Standpunkte auûerhalb ihrer Philosophien zu. Beide reflektieren den eigenen Standpunkt ihres Denkens und damit auch andere moÈgliche Standpunkte mit; Luhmann hat hier von ¹Supertheorienª gesprochen. Damit stellt sich das Problem der Methode: Wie koÈnnen solche Supertheorien aufeinander bezogen und miteinander verglichen werden? Karl Löwith ging so vor, daû er die Strecke ¹von Hegel zu Nietzscheª auf einer Reihe von Haupt- und Nebenwegen verfolgte; so aber wurde der ¹revolutionaÈre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhundertsª kaum mehr sichtbar.1 Martin Heidegger schrieb noch einmal Fortschrittsgeschichte, nun als Geschichte des Fortschritts im Verfall an die Metaphysik.2 Nietzsche sollte danach die sich bei Hegel in sich verschlieûende europaÈische Metaphysik durch den Gedanken eines seine ewige Wiederkehr wollenden Willens zur Macht zur ¹Vollendungª gebracht haben; die Nietzsche-Forschung erwies seine Deutung jedoch, schon aus philologischen GruÈnden, als unhaltbar.3 Dann wurde Nietzsche alternativ ein Hegelianismus oder AntiHegelianismus zugeschrieben,4 beides sicher ebenfalls zu einfach. Aber jetzt konnte man Hegel auch in der Perspektive Nietzsches lesen und sein Denken als vorweggenommenen Perspektivismus deuten.5 Man ging nun davon aus, daû Ansatzpunkte zur Beziehung der beiden Philosophien aufeinander in jeweils einer von ihnen gefunden werden muûten; so wurde ein differentielles Verfahren moÈglich, wechselnde Blicke von der einen aus auf die andere.6 Da-
1 Karl Lo È with: Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionaÈre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts (1941), 2., uÈberarb. Aufl. 1950, Neudruck Frankfurt a. M. 1969 u. oÈ. 2 Martin Heidegger: Nietzsche. 2 Bde. Pfullingen 1961. 3 Vgl. v. a. Wolfgang Mu Èller-Lauter: Nietzsche. Seine Philosophie der GegensaÈtze und die GegensaÈtze seiner Philosophie. Berlin, New York 1971. 4 Vgl. Walter Kaufmann: Nietzsche. Philosoph ± Psychologe ± Antichrist (1950), aus dem Amer. uÈbers. v. J. Salaquarda, Darmstadt 1982, und Gilles Deleuze: Nietzsche und die Philosophie (1962), aus dem Frz. uÈbers. v. B. Schwibs. Frankfurt a. M. 1985. 5 Vgl. Friedrich Kaulbach: Philosophie des Perspektivismus. 1. Teil: Wahrheit und Perspektive bei Kant, Hegel und Nietzsche. TuÈbingen 1990. (Der 2., systematisch angelegte Teil ist nach dem Tod des Autors nicht mehr erschienen.) 6 So die Mehrzahl der Autoren in: Mihailo Djuri'c und Josef Simon (Hrsg.): Nietzsche und Hegel. WuÈrzburg 1992. Vgl. auch Verf.: Leib und Leben. Zum Hegel-Nietzsche-Problem. In: Hegel-Studien 20 (1985), 173-198 (s. dort weitere Literatur), Josef Simon. Verstehen ohne Interpretation? Zeichen und Verstehen bei Hegel und Nietzsche. In: ders. (Hrsg.): Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II, Frankfurt a. M. 1995. 72-104, und Tilman Bor-
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neben versuchte man es auch immer wieder mit scheinbar von Hegels und Nietzsches Denken unabhaÈngigen Standpunkten, was aber regelmaÈûig zur VerkuÈrzung beider fuÈhrte.7 In den juÈngsten Neuerscheinungen zum Hegel-Nietzsche-Problem (s. die Buchtitel S. 49) sind Fortschrittslinien, Frontstellungen und aÈuûere Vergleiche bewuût aufgegeben, das differentielle Verfahren ist zum Standard geworden. Die historische GegenuÈberstellung soll zur systematischen Orientierung verhelfen. Stephan Körnig, ein junger deutscher Autor, bezieht in einer ambitionierten Dissertation die Luhmannsche Systemtheorie und daruÈber hinaus eine ¹mathematisch inspirierte KomplexitaÈtstheorieª (274) in die Orientierung ein. Anders als sein Titel erwarten laÈût, will er die ¹AufloÈsung des Selbstª in der Gegenwart untermauern. Paul S. Miklowitz, Professor fuÈr Philosophie an der California Polytechnic State University, hat seit den 80er Jahren Abhandlungen zu kuÈnstlerisch-musischen Aspekten von Hegels und Nietzsches Philosophie vorgelegt und entfaltet anhand ihrer GegenuÈberstellung nun eine These zum ¹Schicksalª der Metaphysik: Aus ¹metaphysicsª seien bewuûte, in ihrer Unvermeidlichkeit erkannte ¹metafictionsª geworden. Yirmivahu Yovel, Professor fuÈr Philosophie an der Hebrew University in Jerusalem und zugleich an mehreren UniversitaÈten im Ausland taÈtig, hat sich durch Abhandlungen zu Hegels Religionsphilosophie und groûe Monographien zu Kants Geschichtsphilosophie und zu Spinoza als ¹Marrane der Vernunftª einen internationalen Ruf erworben. Er behandelt scheinbar ein Randproblem, das sich jedoch als philosophisch auûerordentlich aufschluûreich erweist, das Problem ¹der Judenª bei Hegel und Nietzsche: Hegels Philosophie, mit ihrem Anspruch systematischer Geschlossenheit, wird uÈber dem Problem der Juden inkohaÈrent, Nietzsches Philosophie, die als notorisch ambivalent und widerspruÈchlich gilt, dagegen kohaÈrent. Alle drei Studien sind nicht nur fuÈr ein philosophisches Fach-Publikum geschrieben, sie fuÈhren (in bescheidenem Maû) jeweils auch in die behandelten Philosophien im ganzen ein. Das konkrete Vorgehen ist erstaunlich aÈhnlich: Alle beginnen mit einer immanenten Hegel-Interpretation und setzen eine vergleichende Nietzsche-Interpretation dagegen. Bei Hegel konzentrieren sich alle wiederum auf das Kapitel zu Herrschaft und Knechtschaft der PhaÈnomenologie des Geistes. Das ist naheliegend, da die PhaÈnomenologie des Geistes die besten AnschluûmoÈglichkeiten zu Nietzsches Genealogie der Moral und das Kapitel zu Herrschaft und Knechtschaft im besonderen zu Nietzsches Konzept antagonistischer Willen zur Macht bietet. Bei Yovel ist es ein SchluÈsseltext
sche: Leben des Begriffs nach Hegel und Nietzsches Begriff des Lebens. In: J. Simon (Hrsg.): Orientierung in Zeichen. Zeichen und Interpretation III, Frankfurt a. M. 1997. 267-291. 7 So zuletzt Stephen Houlgate: Hegel, Nietzsche and the Criticism of Metaphysics. Cambridge 1986.
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auch fuÈr Hegels VerstaÈndnis des Judentums, obwohl ± und wie sich dann zeigt, gerade weil ± dies dort nicht erwaÈhnt wird. Von allen Autoren wird im Fortgang von Hegel zu Nietzsche eine Befreiung von unerkannten oder unberuÈcksichtigten Voraussetzungen gesehen. Dies waÈre freilich ein ¹Fortschritt im Bewuûtsein der Freiheitª im Sinn Hegels. Ob È berlegenheit Hegels liegen darin nicht zuletzt wieder eine philosophische U È berkoÈnnte, wird von den Autoren, die alle ohne weitere methodische U legungen gleich zur Sache gehen, nicht mehr eroÈrtert. 1. Körnigs Dissertation, die von Annemarie Pieper in Basel betreut wurde, ist eine der ersten Arbeiten, in denen die ¹Supertheorienª Hegels, Nietzsches und Luhmanns aufeinander bezogen werden.8 Sie kommt dennoch schon zu spaÈt; die Literatur, selbst das Werk Luhmanns wird nur bis 1994 und auch hier nur luÈckenhaft wahrgenommen. Der Autor schlieût eng an die Arbeiten Gerhard Gamms zur AufloÈsung des Selbst in der Moderne an9 und will nun in ¹Nietzsches Willenslehreª aktuelle Unterscheidungen zunaÈchst der Systemtheorie und dann auch ¹kybernetischerª Theorien der Selbstorganisation eintragen. Körnig schoÈpft in seiner Nietzsche-Interpretation dabei trotz seines Anspruchs, ¹die Genauigkeit von Nietzsches gedanklicher Arbeit [. . .] wahrzunehmenª (2), weitgehend aus zweiter Hand. Auf Hegel greift er zuruÈck, weil schon bei Hegel das Subjekt nichts Fixes mehr, sondern etwas FluÈssiges, SichEntwickelndes, nur differenz-theoretisch zu Erfassendes ist. Er uÈbergeht jedoch ± wie auch die beiden anderen Autoren ± Nietzsches eigene, sehr aufschluûreiche Auseinandersetzung mit Hegel.10 Systematisch orientiert sich Körnig an Nietzsches Konzept einer ¹souveraÈnen IndividualitaÈtª, das die ¹konsequente Infragestellung einheitsstiftender (metaphysischer) Prinzipienª einschlieûe (63). Nietzsches souveraÈnes Individuum ist souveraÈn im ¹Aus- und EinhaÈngenª von Perspektiven; es kommt ohne feste ¹IdentitaÈtª aus.11 Die ¹gleichen Erfahrungsresultateª findet Körnig aber auch schon im Denken Hegels: ¹Die IndividualitaÈtsform der Moderne konstituiert sich als das ,Selbst` von in sich widerspruÈchlichen IdentitaÈtsVgl. Verf.: Hegel, Nietzsche und Heraklit. Zur Methodenreflexion des Hegel-NietzscheProblems. In: M. Djuri'c u. J. Simon (Hrsg.): Nietzsche und Hegel 110-129 (Hegels und Nietzsches Blick auf Heraklit wird mit Hilfe Luhmannscher Unterscheidungen unterschieden), und ders., ¹Denkenª. Interpretationen des Denkens in der Philosophie der Moderne, in: Emil Angehrn und Bernard Baertschi (Hrsg.), Studia Philosophica 57 (1998). S. 209-228. 9 Vgl. Gerhard Gamm: Wahrheit als Differenz. Studien zu einer anderen Theorie der Moderne, Frankfurt a. M. 1986, und ders., Flucht aus der Kategorie. Die Positivierung des Unbestimmten als Ausgang der Moderne, Frankfurt am Main 1994, und zuletzt ders.: Nicht nichts. Studien zu einer Semantik des Unbestimmten, Frankfurt a. M. 2000. 10 Vgl. Verf.: Nietzsches Hegel-Bild, in: Hegel-Studien 25 (1990). S. 99-110 (s. dort weitere Literatur). 11 Vgl. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Vorrede 1886, Nr. 6, und Zur Genealogie der Moral III 12. 8
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zuschreibungen und die Form von Selbstentfaltung, in der es sich in seiner letzten Konsequenz verwirklicht, ist die SelbstausloÈschung.ª (85) Beide, Hegel und Nietzsche, vollziehen nach Körnig diese Selbstentfaltung jedoch nicht konsequent, und Nietzsche kommt auch mit seiner entschlossenen AufloÈsung des Systems darin sachlich nicht uÈber Hegel hinaus. Denn auch er, so Körnig, ¹mag nicht glauben, daû die Erfahrungsgehalte reiner SelbstmaÈchtigkeit aus der Geschichte entschwunden sind.ª (114) Statt dem ¹Subjektª lasse er nun den ¹Leibª als ¹Ort des pluralen Sinnesª (114) philosophieren. Hinzu kommt, daû ¹Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als eine Theorie des Untergangs moderner SubjektivitaÈtª aus inneren GruÈnden nicht zur ¹Theorieª werden konnte (125). (Sie sollte das allerdings auch nicht: Nietzsche wollte mit seinem Konzept von Willen zur Macht dem ¹theoretischenª, am Geschehen scheinbar unbeteiligten Standpunkt gerade den BoÈ bergang zu Luhmann, der (von den entziehen.) Das ermoÈglicht Körnig den U George Spencer Brown) einen ¹Formbegriffª gewonnen habe, ¹der angemessen auf die von [Nietzsche] aufgedeckte Unbestimmtheitsrelation zwischen dem Geschehen selbst und der zugleich notwendigen Selbstspezifikation des Geschehens (im Willen zur Macht) reagiertª (197). Mit Luhmanns Differenz von System und Umwelt oder Selbstreferenz und Fremdreferenz lasse sich Nietzsches Perspektivismus konsistent theoretisieren. (Auch Luhmann haÈtte hier wohl gestaunt: Keinen Philosophen hat er so gemieden wie Nietzsche.12) Die Berechtigung dazu findet Körnig ± und laÈût dabei alle ¹PerspektivitaÈts-ª und ¹Unbestimmtheits-ªBedenken fahren ± in einer Nietzsche und Luhmann ¹gemeinsamen naturphilosophischen Fragestellungª: Denn sofern beide Einheit als etwas Komplexes verstanden haÈtten, haÈtten sie ¹einiges von der ,Natur` des Wirklichen erfaûtª (132). (Hier haÈtten wohl Nietzsche und Luhmann gestaunt.) Luhmanns ¹Supertheorieª, die aus Nietzsches Anti-Theorie eine Theorie machen soll, konkurriert in ihrem Anspruch, sich mit Hilfe ihres neuen Formbegriffs auch selbst zum Gegenstand machen zu koÈnnen, mit Hegel: Auch er handelte schon von der ¹Befreiung von der Einseitigkeit der Formen und Erhebung derselben in die absolute Form, die sich selbst zum Inhalte bestimmt und identisch mit ihm bleibtª.13 Doch Hegel hat Körnig an dieser Stelle bereits zuruÈckgelassen. Luhmanns Theorie wiederum scheint ihm darin unvollkommen, daû sie bei der Generierung von Zeit (ebenfalls nach George Spencer Brown) ¹so etwas wie eine Zeitform der Sequenzª und darin ein ¹,Realfundament` Zeitª unterstelle (206, 237). (Auch dies ist an Luhmanns Texten schwerlich haltbar.14) Um auch die Zeit als zeitliche denken zu koÈnnen,
Vgl. Verf.: Niklas Luhmanns Systemtheorie und die Ethik. In: ETHICA. 6 (1998). 57-86. Hegel: Enz. 1830. § 573. 14 Ko È rnig haÈlt Luhmann zudem vor, bei ihm fehle zum SelbstaufloÈsungstheorem eine È konomie des Untergangsª in der Art Batailles, die wiederum bei Nietzsche zu finden ¹O 12 13
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wird es fuÈr Körnig so notwendig, uÈber Luhmann hinaus (auch hier wieder auf einer sehr schmalen Literaturbasis) ¹zu einer Theorie ,dissipativer Strukturen`ª (246) weiterzugehen, die zugleich in die NaÈhe Nietzsches zuruÈckfuÈhrt ± wenn man wie Körnig die (philosophisch konzipierten) Willen zur Macht mit (dem physikalischen Begriff) der Entropie zusammenbringt. Körnigs Anhaltspunkt dafuÈr ist, daû dem ¹kybernetischen Begriff von der ,fraktalen Struktur` in den ZustandsaÈnderungen von Systemen, die selbstreferentiell operieren,ª und Nietzsches Begriff der Willen zur Macht die ¹unendliche Verschachtelungstiefeª gemeinsam sei (277), und statt eines ¹,Realfundaments' Zeitª gebe es bei Nietzsche die theoretisch angemessenere ¹Vorstellung eines Einbruchs der Zeitª (309). So ergibt sich am Ende, daû Nietzsche einerseits den Sinn radikaler verfluÈssigt hat als Luhmann, der mit seiner Systemtheorie ¹eine Statik ,zweiter Ordnung`ª geschaffen habe (299) (was a fortiori auch von Hegel gelten muÈûte), andererseits aber sich auf ¹eine bloûe Analogiebildungª, die Rede von Willen zur Macht, beschraÈnkt hat (300). Aber eben sie scheint Körnigs methodisches Modell zu sein, das Modell einer bewuût ,undisziplinierten` Perspektivierung einer Supertheorie durch die andere: Sie fuÈhrt zu einer unendlichen Spiegelung unter ungleichen Spiegeln, so daû, durchaus im Sinne Körnigs, potenzierte UnschaÈrfen entstehen. Sofern, wie Körnig annimmt, auch Nietzsche dies wollte, sei seine Lehre von Willen zur Macht eine ¹,instinktiv`ª gute Theorie, die er, Körnig, nun auch zu einer distinkt guten Theorie machen will (312). Gut ist sie fuÈr Körnig dann, wenn sie eine Theorie der Destruktion sein kann, der Destruktion zuletzt auch ihrer selbst. (Aber das muû man nicht wollen.) 2. Auch Miklowitz nimmt als gegeben an, was Körnig theoretisieren will: ¹ours is a time of fragmentation and dissolution in which probability has supplanted certainty, in which naive totalities have been toppled by revelations of their incompleteness.ª (1) Durch die GegenuÈberstellung von Hegels und Nietzsches Denken ± nun insbesondere der Gedanken des absoluten Wissens in der PhaÈnomenologie des Geistes und der ewigen Wiederkehr des Gleichen in Also sprach Zarathustra ± will er ¹the status of ,metaphysical` thinking for our own timeª (3) klaÈren. Seine klare und praÈgnant herausgearbeitete These ist: Aus ,physics` sind ,fictions` geworden ± das ,meta` ist geblieben. Es ist durch Nietzsche zum ,meta` der Lyotard'schen ,metanarratives` geworden, deren Typus nach Hayden White, dem Erfinder der ,metahistory`, Hegel geschaffen hat, indem er nicht plots, sondern plot structures entwarf, in denen wiederum plots erzaÈhlt werden koÈnnen.15 Sachlich besteht kein Unterschied von ¹meta-
sei (243). Doch die Selbstkonstruktion (Autopoiesis) der sozialen Systeme ist als zeitliche È konomie des Untergangs bedarf immer auch eine Selbstdestruktion. Einer besonderen O es dazu nicht. 15 Hayden White, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore 1973.
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physicsª und ¹metafictionsª; er liegt nach Miklowitz lediglich in der ¹ironyª, mit der Nietzsche die letzteren erzaÈhlt. ¹Metanarrativesª werden der Welt hinzugefuÈgt, um sie zu verstaÈndlich machen, ¹metaphysicsª im Glauben, man erfasse sie in ihren letzten GruÈnden, ¹metafictionsª im Wissen, daû man sie sich nach seinen eigenen BeduÈrfnissen zurechtlegt. Auf dem Weg von Hegel zu Nietzsche geht so zuletzt (mit Schopenhauer) der Optimismus verloren: Ist Hegels ¹bold project of speculative metaphysics [. . .] the most grandiose testament to intellectual optimismª (2), so geht es bei Nietzsche nur noch um lebensnotwendige Fiktionen, die aus der Not des Nihilismus geboren sind. Im Umschlag von Hegels ¹apotheosisª zu Nietzsches ¹apocalypse of metaphysicsª zeigt sich, so Miklowitz, wie nirgends sonst, ¹the fate of idealism in philosophyª, ¹the decline in the prestige and authority of ideas as surrogates for a moribund religious faithª (xiii). Der Gipfel des Konzepts der metafiction, das, so Miklowitz, die Kantianer F. A. Lange (Standpunkt des Ideals) und H. Vaihinger (Philosophie des Als ob) auf den Weg brachten, ist Nietzsches Gedanke der ewigen Wiederkunft. Hegel habe dazu einen ¹,linguistic turn`ª beigetragen: Weil er, wie Miklowitz am einleitenden Abschnitt der PhaÈnomenologie des Geistes zur ¹sinnlichen Gewiûheitª zeigt, auf der Denk- und Artikulierbarkeit der Erfahrung bestanden habe, sei er zu einem ¹methodolocigal constructivismª gekommen (6). Das absolute Wissen am Ende habe ¹epilogical structureª (61), mit ihm sei verstanden, daû das Denken des Denkens sich selbst erst vom Ende her verstaÈndlich werde, dann aber in ¹an aesthetic phenomenonª umschlage (62), ein unmittelbares Wissen, das dann zu einer ¹myriad of metafictionsª faÈhig werde (90). Aber: Hegel habe mit seinem Versuch, dem Christentum die Form der Philosophie zu geben, zugleich ein ¹re-mythologizing of reasonª vollzogen (102). Damit sei er gescheitert (¹failedª, 105); denn in der Philosophie muÈsse es, so Miklowitz mit J. M. E. McTaggart,16 etwas ¹Wahreres als Theologieª geben. Heute glaube denn auch niemand mehr an Hegel, sein System werde geradezu instinktiv abgelehnt. Es sei selbst zu einer ¹metafictionª geworden: ¹The sublime irony of Hegel's metaphysical accomplishment is thus a call for the abolition of philosophy with all its teleological hubris, and its resurrection in the very form of repetition itself, the content of which is history.ª (102) Angel- und Drehpunkt ist wiederum die Zeit: Es bleibt nach Miklowitz ein RaÈtsel, wie nach Hegel der Begriff die Zeit tilgen und in seiner Bewegung eine eigene Zeit schaffen solle. Das ¹seeming paradox of time and eternityª (100) aber greife Nietzsche mit seinem Gedanken der ewigen Wiederkunft auf. Miklowitz versteht ihn (m. E. zu Recht17) als ¹couterdoctrineª (7), als ErloÈsung (redempStudies in Hegelian Cosmology. 2d ed. Cambridge 1918. 195 f. Vgl. Verf.: Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. In: Ders.: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Von Kant bis Nietzsche, unter Mitwirkung von Hartwig 16 17
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tion) vom Ende in Gestalt einer Wiederholung (repetition) des Endes. Der ¹Eternal Returnª ist ein ¹Re-Telling the Endª (105). Nietzsche weise alle ¹final solutionsª zuruÈck (108), indem er eine ohne weiteres als Fiktion, ja als ¹jokeª erkennbare Lehre vortrage, die jene ad absurdum fuÈhre. Freilich haÈtten den Scherz nur wenige verstanden und kaum einer uÈber ihn zu lachen gewagt. Das werde erst jetzt, in einer Zeit der ¹aesthetic attitudeª (108), der bewuûten RuÈckkehr zu ¹Vorstellungª, Metapher, Zeichen, Maske, moÈglich (111 f). Das Hegel-Nietzsche-Problem ist damit sicher nicht erschoÈpft. TatsaÈchlich aber fuÈhrt Also sprach Zarathustra, was sonst wenig beachtet wird, im IV. Teil auf das ¹Zeichenª des ¹lachenden LoÈwenª hin. Miklowitz zeigt in einer Interpretation der einschlaÈgigen Stellen (m. E. uÈberzeugend), daû Nietzsches Gedanke der ewigen Wiederkunft keine Lehre ¹fuÈr alleª und alle Zeit sein kann, sondern ein Glaube, der von Zeit zu Zeit helfen kann, das Leben jenseits der europaÈischen Metaphysik und Moral zu bejahen, ein, wie Kant das nannte, ¹pragmatischer Glaubeª oder auch ¹a metafictionª. 3. Macht Stephan Körnig das RaÈtsel des Selbst und Paul Miklowitz das RaÈtsel der Zeit zum Angelpunkt der Hegel-Nietzsche-Beziehung, so Yirmiyahu Yovel das RaÈtsel der Juden. Er geht von dem paradoxen Tatbestand aus, daû die europaÈische AufklaÈrung anti-juÈdischen Vorurteilen verhaftet blieb ± mehr noch als fuÈr Kant und Hegel gilt das fuÈr Voltaire und Fichte ±, Nietzsche dagegen, der ihre PraÈmissen in Frage stellte, sich von ihnen freimachte. Hegel und Nietzsche waren beide tief vom Christentum gepraÈgt, der eine Student der Theologie im TuÈbinger Stift, der andere Pastorensohn und von froÈmmelnden Frauen erzogen. Beider VerhaÈltnis zum Judentum war spannungsvoll, Hegel hatte mit dem traditionellen christlichen Anti-Judaismus, Nietzsche mit dem rassistisch gewordenen Anti-Semitismus seiner Zeit zu tun. Wie sie mit dem Judentum zurechtkamen, laÈût verborgene Direktiven ihres Denkens sichtbar werden. Yovel, seinerseits ein Jude mit Sinn fuÈr die Schwierigkeiten, die Nicht-Juden (und Juden) mit dem Judentum haben, tritt, in seinem in Darstellung und Urteil souveraÈnen Werk, als ¹sympathetic criticª Hegels und Nietzsches auf (100).18 Hegel (und spaÈter auch Nietzsche) hatte nur geringe Kenntnis vom Judentum; sie ging uÈber das Alte Testament und die JuÈdischen AltertuÈmer des Flavius Josephus, Philon von Alexandrien und Spinoza kaum hinaus.
Frank. Stuttgart 1997, 402-443, wiederabgedruckt u. d. T.: Anti-Lehren. Szene und Lehre in Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra. In: Volker Gerhardt (Hrsg.): Klassiker auslegen: Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Berlin 2000. 18 Der Titel seiner Schrift, ¹Dark Riddleª, geht auf Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844 (Nachdruck: Darmstadt 1977) 49 (¹finsteres RaÈthselª), zuruÈck. Rosenkranz gibt dort einen kurzen Abriû zu Hegels bewegter Deutung des Judentums, den Yovel zunaÈchst entfaltet. ± Zum Problemkreis Nietzsche und die Juden vgl. Werner Stegmaier und Daniel Krochmalnik (Hrsg.): JuÈdischer Nietzscheanismus. Berlin/New 1997 (Monographie und Texte zur Nietzsche-Forschung, Bd 36), mit umfassender Bibliographie.
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Mendelssohn schaÈtzte er hoch, wie schon Kant.19 Aber wie schon Kant in seiner moralischen Perspektive auf die Religion konnte auch Hegel im Judentum keinen moralischen Kern, sondern nur eine politisch-gesetzliche Verfassung erkennen, die, so schon Spinoza, mit der Zerstreuung der Juden nach der ZerstoÈrung des Zweiten Tempels ihren Sinn verloren hatte. Juden konnten wohl als Individuen moralisch sein, wie eben Mendelssohn, den Lessing zum Vorbild seines Nathan genommen hatte, sie waren es dann aber nicht als Juden, ihr Judentum war dann Nebensache. Das Judentum war dann jedoch nicht mehr Nebensache, wenn die Religionen, wie bei Hegel (und spaÈter bei Nietzsche), in das Werden des europaÈischen Geistes einbezogen wurden und darin eine maûgebliche Rolle spielen sollten. ZunaÈchst schloû Hegel das Judentum aus diesem Werden entschieden aus. Seine theologischen Jugendschriften Die PositivitaÈt der christlichen Religion und Der Geist des Christentums und sein Schicksal haben einen scharf anti-juÈdischen Ton. Kern der europaÈischen Kultur sollte das Christentum sein, und alles Unzureichende an ihm war ihm vom Judentum verblieben: seine ¹PositivitaÈtª in Mythen, Ritualen, Wundern, Kirchen, Priestern und das moralisch Unhaltbare im Begriff Gottes, die Rede von seiner Parteilichkeit, seinem Zorn, ja Haû auf andere VoÈlker, von sklavischer Unterwerfung des eigenen Volkes. Von all dem haÈtte die anti-positive Botschaft des Evangeliums laÈngst befreien sollen. Daû ¹die Judenª sich dieser verschlossen und gegen die Liebe und die Anmut des Christentums auf der bloûen Einhaltung aÈuûerlicher Gesetze bestanden, machte sie zu einem bloûen Relikt der Geschichte. Daû sie darunter schwer zu leiden hatten, muûten sie sich selbst zuschreiben ± Hegel verglich sie mit Shakespeares Macbeth: ¹Das Schicksal des juÈdischen Volkes ist das Schicksal Makbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing, und so in ihrem Dienst alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden, von seinen GoÈttern (denn es waren Objekte, er war Knecht) endlich verlassen, und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden muûte.ª20 Dazu, daû Hegel so reden konnte, mag, so Yovel, beigetragen haben, daû die Juden zu seiner Zeit in der Mehrzahl als verelendet und degeneriert galten. Gleichwohl standen Hegels ¹deep personal aversion to the Jewsª auch ¹rare but distinct moments of admirationª gegenuÈber (45). Hegel, so Yovel, wurde unschluÈssig, wurde in seinem Denken nicht fertig mit ¹den Judenª. Einen Ausweg bot zunaÈchst Lessings Nathan der Weise. Yovel vergleicht den jungen Hegel mit der Figur des Tempelherrn, den ¹der Menschª Nathan zunehmend fesselt, ± der doch Jude ist. 19 Vgl. dazu die Beitra È ge von Yirmiyahu Yovel, Daniel Krochmalnik und Josef Simon in: Werner Stegmaier (Hrsg.): Die philosophische AktualitaÈt der juÈdischen Tradition. Frankfurt am Main 2000. 20 Hegel: Der Geist des Christentums und sein Schicksal. In: Herman Nohl (Hrsg.): Hegels theologische Jugendschriften. TuÈbingen 1907. 260, zitiert bereits von Rosenkranz, a. a. O., 49, È bersetzung 41. von Yovel in engl. U
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In der PhaÈnomenologie des Geistes folgt dem ein ¹beredtes Schweigenª. Im Kapitel zu Herrschaft und Knechtschaft wird den Juden, die nach Hegel den Sklavengeist nicht losgeworden sind, nicht wie andern die MoÈglichkeit zugestanden, durch Arbeit ihren Herren uÈberlegen zu werden, und als Religion wird das Judentum ganz uÈbergangen, das Christentum geht unmittelbar aus dem griechisch-roÈmischen Polytheismus hervor. Nur am Rande laÈût Hegel es als ¹the portal of salvationª gelten (55), als Geburtswehe des Christentums, die an seinem Segen keinen Anteil hat. Das Schweigen erklaÈrt sich nach Yovel so, daû Hegel in einer ¹new appreciation of Judaismª (54) wohl einen systematischen Ort fuÈr es suchte, ihn aber noch nicht fand: ¹this conflict paralyzed his penª (54). In seinen Berliner Vorlesungen weist der reife Hegel dem Judentum dann einen solchen systematischen Ort zu, an dem es tolerierbar wird, und die negative Charakterisierung und der feindselige Ton verschwinden allmaÈhlich. Das Judentum erhaÈlt nun eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des europaÈischen Geistes: den radikalen Bruch mit der Natur vollbracht, den Geist uÈber die Natur erhoben zu haben. Doch auch wenn sie die ¹Religion der Erhabenheitª geschaffen hatten, die Juden selbst wurden nicht erhaben. Denn mit der Erhabenheit Gottes verbanden sie, daran haÈlt Hegel weiter fest, die Selbsterniedrigung des Menschen im Sklavengehorsam vor einem unverstandenen Gesetz. So setzt er auch jetzt noch das Judentum ± und daneben die Religionen Asiens ± zu unterlegenen Vorstufen des Christentums herab; sein ¹christocentrismª, in dem er aus der Philosophie eine Form des Gottesdienstes macht, ¹entails a surprisingly closed horizon.ª (100) Sein Denken wird daruÈber inkohaÈrent. Denn nun bleibt etwas in Hegels Denken sehr MerkwuÈrdiges, eine ¹non-historical existenceª (81). Die Wirklichkeit ist hier nicht vernuÈnftig: Die Juden fuÈgen sich nicht in die Geschichte ein, wie Hegel sie zu begreifen versucht. Nachdem sie das Christentum hervorgebracht haben, ohne sich ihm anzuschlieûen, haben sie ihre Zeit uÈberlebt, haben sie keinen Sinn mehr in der Geschichte. Das bedeutet fuÈr Hegel jedoch nicht, daû sie kein Recht zu leben haÈtten, nur, daû sie endlich zu BuÈrgern werden sollten wie andere auch, ohne Ansehen ihrer Religion. ¹Hegel reflects on the Jews not for their own sake, but from the standpoint of European history, in which the Jews' role has long been consummated and submerged.ª (95) Die These von der ¹nicht-historischen Existenzª der Juden, ihres Ausschlusses aus der (philosophisch begriffenen) Geschichte, wurde spaÈter von Franz Rosenzweig und Walter Benjamin aufgenommen ± und zum Grund ihrer Existenz gemacht.21 Die Juden sollten eben darin ¹historischeª Bedeutung fuÈr Europa haben, daû sie sein Denken fuÈr eine andere Geschichte offenhielten. Dies aber war auch schon der Gesichtspunkt Nietzsches, der, angesichts des ¹europaÈischen Nihilismusª, den er diagnostiziert Vgl. SteÂphane Moses: Der Engel der Geschichte. Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem. Frankfurt am Main 1994. 21
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hatte, auf der Suche nach einem anderen Europa war. In ihm konnten gerade die, die bisher in ihm fremd geblieben waren, die Rolle einer Avantgarde uÈbernehmen. Nietzsches Haltung gegenuÈber ¹den Judenª wurde ebenso von Anti-Semiten wie von Zionisten in Anspruch genommen.22 Yovel zeigt, wie es niemand sonst bisher gelungen ist, daû die Ambivalenz nicht bei Nietzsche, sondern beim Publikum liegt. Man muÈsse nur genau lesen und unterscheiden, was Nietzsche unterscheidet. Nietzsche handelt von ¹den Judenª einerseits unter einem historisch-genealogischen, andererseits unter einem politisch-aktuellen Gesichtspunkt. Unter dem historisch-genealogischen greift er sie an, unter dem politisch-aktuellen schaÈtzt er sie hoch. Beides ist, so Yovel, konsistent und kohaÈrent: im Theorem des Ressentiment. Yovel bekraÈftigt zunaÈchst unter dem politisch-aktuellen Gesichtspunkt Nietzsches entschiedenen Anti-Anti-Semitismus, der bis in seine letzten Briefe und Zettel gegenwaÈrtig ist. Nietzsche war, so Yovels (uÈberzeugende) These, nicht deshalb Anti-Anti-Semit, weil er Philo-Semit gewesen waÈre, sondern weil der Anti-Semitismus das zu seiner Zeit massivste Ressentiment war. Der traditionelle christliche Anti-Judaismus war nun mit dem neuen Nationalismus in Europa, der sich in Deutschland zur Reichs-Seligkeit gesteigert hatte, zu einem Rassismus zusammengewachsen, der ¹die Judenª als SuÈndenboÈcke fuÈr die eigenen Modernisierungsdefizite nutzte: das augenscheinlichste Beispiel einer ¹Herdenmoralª zu Nietzsches Zeit, ein neuer ¹Sklavenaufstand in der Moralª. Den alten ¹Sklavenaufstand in der Moralª schrieb Nietzsche in seinen ¹Streitschriftenª Zur Genealogie der Moral und Der Antichrist ¹den Judenª zu. Die Juden, die unter der Fremdherrschaft zu einem ¹priesterlichen Volkª geworden seien, hatten, so Nietzsches genealogische Vermutung, das Christentum hervorgebracht, das Europa seither gepraÈgt, von allen natuÈrlichen Werten abgedraÈngt und so ¹krankª gemacht habe. Es sei ihnen, den seit Jahrhunderten UnterdruÈckten, gelungen, aus ihrem Ressentiment gegen ihre UnterdruÈcker eine Moral fuÈr alle ¹Schlechtweggekommenenª ihrer Zeit zu machen, so daû es als neue Religion geheiligt und unangreifbar wurde. Nietzsche griff die Juden hier nur an, um das Christentum zu treffen. Das alte biblische Judentum pries er, im Anschluû an Julius Wellhausen, zugleich hoch. Und es ging ihm auch nicht um das urspruÈngliche Christentum ± den ¹Typus des ErloÈsersª ruÈckte er, ebenfalls in Der Antichrist, nahe an seinen eigenen ¹Begriff des Dionysosª heran ±, sondern allein um das selbstgerecht gewordene Christentum seiner Zeit. Und eben dieses selbstgerecht gewordene Christentum seiner Zeit nahm nun (beginnend bei engsten Freunden Nietzsches, darunter Richard Wagner, Vgl. Steven E. Aschheim: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults. Aus dem Engl. uÈbers. v. K. Laermann. Stuttgart, Weimar 1996. 22
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und der eigenen Schwester bis hin zu UniversitaÈtsprofessoren und Hofpredigern) am Anti-Semitismus teil. Im Anti-Semitismus der Staats-, Nation-, und Rasse-GlaÈubigen gegen die anders denkenden und erfolgreich wirtschaftenden Juden kehrte das Ressentiment der ¹priesterlichenª Juden gegen die herrschenden RoÈmer wieder, die Anti-Semiten zu Nietzsches Zeit waren die Erben derer, die sie haûten. Nietzsche griff also beide aus demselben Grund an, dem Grund, der sein ganzes Philosophieren bestimmte, dem Kampf gegen das Ressentiment. Er dachte, so Yovel, nicht ambivalent, sondern ¹logically compatibleª ± und dennoch ¹psychologically competitive and hard to maintain for the ordinary personª (179). Sein cross-over war fuÈr die meisten so irritierend, daû es zu MiûverstaÈndnis und Miûbrauch kommen muûte. Daû Nietzsche so unterscheiden konnte, wie er unterschied, ist, so Yovel, Zeichen einer seltenen UnabhaÈngigkeit des Denkens. Sein ¹Pathos der Distanzª lieû zugleich aber nicht zu, sich gegen die Anti-Semiten auf eine allgemeine Moral zu berufen, und er hielt dies auch nicht fuÈr wirksam. So trieb er ein hier gefaÈhrlich provokatives Spiel. Er nahm, wie Yovel im einzelnen praÈgnant nachweist, die Stereotype des Anti-Semitismus auf, um sie auf das Christentum anzuwenden: 1. Die Juden galten als Volk des Hasses. Nietzsche erkannte in diesem Haû die Psychologie des Ressentiments und warf ihn den Anti-Semiten vor. 2. Die Juden wurden von den Anti-Semiten fuÈr jedes UngluÈck Europas verantwortlich gemacht. Nietzsche nannte das Christentum das groÈûte UngluÈck Europas. 3. Die Juden, so das Stereotyp, hatten Jesus getoÈtet. Nietzsche: Sie hatten Jesus hervorgebracht. 4. Die Juden seiner Zeit, so das Stereotyp, waren veraÈchtlich und abstoûend. Nietzsche: VeraÈchtlich und abstoûend sind die Christen seiner Zeit in ihrer Selbstgerechtigkeit. Nietzsche wollte neue ¹guteª EuropaÈer, die in einem ¹freien Geistª die Grenzen der ¹christlichen Moral-Hypotheseª sehen und sich anderen Moralen oÈffnen konnten.23 Dazu muûten sie von der europaÈischen Metaphysik loskommen, die ihnen absolute, zeitlose Werte zusicherte. Die Juden der Diaspora, die unter der Herrschaft der christlichen Moral am schwersten zu leiden hatten, hielt er dazu am ehesten fuÈr faÈhig. Er vermutete bei ihnen ein anderes VerhaÈltnis zur Zeit. Er sah im Judentum etwas, das sich ± auch nach dem SelbstverstaÈndnis vieler Juden ± nicht auf ein uÈberzeitliches ¹Wesenª festlegen laÈût, es sei denn darauf, daû es faÈhig war, sich in der Zeit immer wieder zu aÈndern, um in ihr zu uÈberleben. Dies aber, daû alles seine Zeit hat, auch Grundentscheidungen des Denkens, muûte dem auf das Bleibende und Ewige fixierten europaÈischen Denken am meisten fremd sein, und dies war es darum, dem es sich jetzt oÈffnen muûte. Die Juden wurden fuÈr Nietzsche, so Yovel (181), darum erneut zum auserwaÈhlten Volk ± nun im saÈkularen Sinn der Schaffung eines ¹freien Geistesª in einem ¹guten Europaª. Vgl. Verf.: Nietzsche, die Juden und Europa. In: W. Stegmaier (Hrsg.): Europa-Philosophie. Berlin, New York 2000. 67 ff (s. dort weitere Literatur). 23
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Sie sollten, heiût das, mit ihrem anderen Denken der Zeit eine Funktion auf Zeit erfuÈllen. Nach der Shoa kann man so nicht mehr denken. Ein Denken der Zeit in der Zeit muû heute noch einmal und offenbar anders als bei Hegel und Nietzsche gedacht werden. Werner Stegmaier (Greifswald)
Solange Mercier-Josa: Entre Hegel et Marx. Points cruciaux de la philosophie heÂgeÂlienne du droit. Avec une preÂface par Jacques D'Hondt. Paris: L'Harmattan, 1999. 299 S. Im Gegensatz zu jenen Positionen, die behaupten, daû es keine Marxsche Reflexion auf die Politik gebe, moÈchten wir an den Anfang des Weges von Marx erinnern. Es ist die Schrift, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, in der Marx auf minutioÈse Weise die Abschnitte der Rechtsphilosophie von Hegel, die die ¹politische Konstitutionª betreffen, einer kritischen Analyse unterzieht. Weit entfernt, diese Arbeit bloû als ein Jugendwerk Marxens zu betrachten, das als unwichtig zu uÈbergehen sei und dessen wachsende revolutionaÈre KuÈhnheit gegenuÈber der Hegelschen rechtsphilosophischen Analyse der theoretischen SchwaÈche geschuldet sei, die einzig aus dem Angriff auf die Hegelsche Philosophie herruÈhre, verweist die Autorin auf die erhebliche Bedeutung und Wichtigkeit dieser Schrift. Sie zeigt, daû der junge Marx dort mit auûergewoÈhnlicher Intelligenz ein theoretisches Panorama zeichnet, das sich mit der Argumentation der Hegelschen Rechtsphilosophie auseinandersetzt, insofern diese bestimmte Begriffe ins Auge faût, um sie in ihrer Reichweite einzuschraÈnken, aufzuloÈsen und aufzuheben und indem sie diesen Gang der Darstellung vollzieht, schlieûlich das verdeutlicht, was das natuÈrliche Bewuûtsein nicht weiû oder nicht wissen will, um so dessen ¹unvermeidlichen oder aporetischen Charakterª deutlich zu machen. Die Autorin folgt dem jungen Marx insofern, als sie die Hegelsche Rechtsphilosophie, insoweit diese auch Staatsphilosophie ist, fuÈr problematisch erachtet. Zwei Gefahren, betont sie, bedrohen die MajestaÈt des politischen Staates. Die eine Gefahr bestehe darin, daû die buÈrgerliche Gesellschaft (la socieÂte civile-bourgeoise), weit davon entfernt, auf ihrem Platz zu bleiben, dazu tendiert, sich den Staat zu unterwerfen; die andere bestehe in dem historischen Faktum, daû eine immer groÈûer werdende Masse von Individuen sich von ihren buÈrgerlich-politischen Rechten (citoyenniteÂ) und dem Eigentum getrennt wiederfinde, vom moralischen Leben (vie eÂthique) ausgeschlossen und staÈndig in Gefahr, der ¹VerruÈcktheitª zu verfallen. Es sei die Entstehung der ¹question socialeª im England und Frankreich am Anfang des 19. Jahrhunderts, es sei die Entdeckung und die LektuÈre der sozialistischen und kommunistischen Reformer, die Marx veranlaûten, den Hegelschen Rahmen in seinem Denken zu ersetzen und die ihn in den Stand
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setzten, zu enthuÈllen, wie das Objekt der Geschichte nun als soziale Frage und nicht mehr als Wesen der Politik erscheine. Die hier vorgestellte Studie nimmt ihren Ausgangspunkt von dem Unterschied, vielmehr dem Gegensatz, ja dem Konflikt zwischen der buÈrgerlichen Gesellschaft und dem politischen Staat in der Marxschen Kritik; sie diskutiert das Problem, das mit der ¹Existenz der Plebsª gegeben ist, mit dem Eigentum und dem Umstand des in die ¹VerruÈcktheitª Fallens der Menschen, um zu einer kritischen EroÈrterung der Hegelschen Teleologie und des Marxschen Begriffs der Entfremdung in den FruÈhschriften zu kommen. Arbeit ± Eigentum ± Staat ± politische Kommune sind die Stationen der Darstellung. Bei der Diskussion des Staates wird vor allem das VerhaÈltnis zwischen Privatrecht und Staatsrecht (Droit politique) bei Kant, Hegel und Marx diskutiert. MercierJosa zeigt, daû die Frage nach dem Staate fuÈr Marx zentral bleibt; sie zeigt auch, wie er Staat und politische Konstitution kritisch gegeneinander diskutiert und wie das Politische und der Staat in ihrem Widerstreit vorgefuÈhrt werden. So wird deutlich ± gegen Althusser ±, daû auf dieser Ebene der EroÈrterung und erst recht im Kapital der Entfremdungsbegriff nicht aufgehoben ist. Von daher kann die Studie auch zurecht als adaÈquate Antwort auf David MacÈ bersetzung abgedruckt ist, verGregors Aufsatz, der im Anhang in einer U standen werden, da dieser den Begriff der Entfremdung ausblendet. Diethard Behrens (Frankfurt a. M.)
Iring Fetscher: Marx. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1999. 159 S. (Spektrum Meisterdenker. Band 4728.) Sicherlich miûbrauchen Philosophen fuÈr ihre Zwecke heute eher Max Weber als Karl Marx. Doch ist unser Jahrhundert ohne die Wirkungsgeschichte der Lehren von Karl Marx und des Marxismus nicht zu verstehen. Iring Fetscher hat einst Herausragendes geleistet bei der Aufarbeitung des Marxismus. Er legt nun eine Marx-Darstellung vor in einer Reihe, die den Titel ¹Meisterdenkerª gebraucht und von Sokrates und Aristoteles bis zu Einstein, Wittgenstein und Freud fuÈhrt. Der Schwerpunkt der Darstellung soll auf dem fruÈhen Marx, auf seinen philosophischen und oÈkonomischen Arbeiten (damit auch auf dem Bezug zum Hegelianismus) liegen. Symptomatisch fuÈr die heutige Situation ist, daû Fetscher am Ende seines Vorworts formulieren muû: ¹Da die Werke von Marx heute kaum noch gelesen werden, war es mir ein Anliegen, ihn moÈglichst oft selbst zu Wort kommen zu lassen.ª (9) Fetscher beginnt mit einer Schilderung des Trierer Milieus, das durchaus aufklaÈrerische Tendenzen einschloû. Nach den Bonner Semestern brachten die Berliner Jahre enge Verbindungen zu den Junghegelianern; mit Bruno Bauer konnte Marx ironisch die Posaune des JuÈngsten Gerichts uÈber Hegel den
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Atheisten und Antichristen blasen. Der Hegelianismus war nicht vergessen, als Marx (auch als Redakteur der Rheinischen Zeitung) uÈber Pressefreiheit und ein Holzdiebstahlgesetz schrieb. Engels gab wichtige oÈkonomische Hinweise. In den Deutsch-franzoÈsische JahrbuÈchern setzte Marx zu einer Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie an. Fetscher macht darauf aufmerksam, daû Marx nicht (wie ein atheistischer AufklaÈrer des 18. Jahrhunderts) von der Religion als ¹Opium fuÈr das Volkª sprach, sondern von ihr als ¹Opium des Volksª (39). Von den Pariser Manuskripten kann Fetscher sagen: ¹Autoren, die Marx und seine kritische Dialektik von Hegel her interpretieren, koÈnnen diesen Text nicht entbehren ± das gilt fuÈr Herbert Marcuse wie fuÈr die meisten ,westlichen Marxisten`. Andere, die Marx als ,Wissenschaftler` im Sinne der positiven Wissenschaft fuÈr sich reklamieren ± wie vor allem Louis Althusser und auf niedrigerem Niveau die meisten Sowjetmarxisten ±, lehnen ihn als unreifes FruÈhwerk schlichtweg ab.ª (48) Gezeigt wird, wie Marx sich von Hegel absetzte, dessen Gedanken aber auch verfehlte. GegenuÈber diesem Text muû die Heilige Familie eher zuruÈcktreten. Die Deutsche Ideologie stellt dagegen schon die materialistische Geschichtsanschauung dar. È konomie und das Wie Hegel (uÈber die Logik) die Kritik der Politischen O Kapital praÈgt, wird nur gestreift (99 f). Der Unterschied zu Hegel wird angegeben: ¹WaÈhrend Hegel die welthistorische Entwicklung im RuÈckblick auf die sich ± wie er annahm ± in seiner Gegenwart vollendende Geschichte als sinnvoll glaubte deuten zu koÈnnen, geht Marx von einer voraussehbaren Zukunft aus, die dem Gang der sozialoÈkonomischen Entwicklung ihren humanen Sinn verleiht.ª (114). Die Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise kommt nach einigen Formulierungen von Marx zum Stillstand, weil das die Realisierung des Profits gebietet. ¹Diese ± einseitige ± Auffassung der Marxschen È konomie als ausschlieûlich auf Wachstum orientiert hat Kritik der politischen O in der Folge bei den meisten Marxisten zu einem Technik-Fetischismus gefuÈhrt und unter anderem verheerende UmweltzerstoÈrungen sowohl in der Sowjetunion als auch im China Mao Tse-tungs zur Folge gehabt.ª (122) Dagegen zeigt Fetscher, daû Marx nicht einmal alle Gesellschaften zusammen zum ¹EigentuÈmerª der Erde mache. Vielmehr haben die Menschen ¹als boni patres familias den nachfolgenden Generationenª die Erde ¹verbessert zu hinterlassenª (126). Im Sinne der Hegelschen Geschichtsphilosophie und mit Divan-Versen, die auch von Hegel ausgezeichnet wurden, kann Marx ¹mit erschrecken lassender NuÈchternheit die fortschrittliche Bedeutung gewaltsamer, brutaler ZerstoÈrungenª akzeptieren, da sie ja ¹veraltete VerhaÈltnisseª uÈberwinden. GegenuÈber Bakunin betont Marx die oÈkonomischen Bedingungen der Revolution (142). Diese Darstellung von Marx fuÈhrt so immer wieder zu den geschichtlichen Entwicklungen selbst. SchlaÈgt man ein heutiges Standardwerk wie Daniel Yergin / Joseph Stanislaw: Staat oder Markt. Die SchluÈsselfrage unseres Jahrhunderts (Frankfurt, New York 1999) nach, dann liest man nicht nur vom Zusammen-
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bruch der marxistischen Hoffnungen; es heiût auch: ¹Es war ein uÈberzeugter RevolutionaÈr, Deng Xiaoping, der das groÈûte Land der Erde entschlossen zur Abkehr vom Kommunismus zwang und seine Integration in die Weltwirtschaft betrieb, waÈhrend er verbal weiterhin Karl Marx seine Reverenz erwies.ª (17) Otto PoÈggeler (Bochum)
Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. von Peter Koslowski. MuÈnchen 1998. 407 S. (Philosophie an der Jahrtausendwende. 1.) Der vorliegende Band vereinigt die BeitraÈge einer gleichnamigen Tagung, die im Dezember 1996 vom Forschungsinstitut fuÈr Philosophie (Hannover) in Zusammenarbeit mit der Russischen Akademie im Rahmen des Projekts ¹Ost / West / Philosophieª durchgefuÈhrt wurde. Neben westeuropaÈischen ± vor allem deutschen ± und russischen Referentinnen und Referenten waren, dem angestrebten Ost-West-BruÈckenschlag entsprechend, auch solche aus China vertreten, ging es doch ± nach den Worten des Herausgebers ± um eine ¹PruÈfung der Philosophie Hegels und seiner Nachfolger, die zum einen aus der Lage der vom Hegelianismus und Marxismus betroffenen LaÈnder ihren Anstoû gewinnt, zum anderen jedoch uÈber die unmittelbare Situation der Krise des Hegelianismus und Marxismus hinausgehend systematisch die Bedeutung Hegels fuÈr die Gegenwart untersuchtª (1). Letzteres, so verheiût der Klappentext, fuÈhre dazu, daû in dem Bd ¹zugleich eine umfassende Darstellung der Philosophie Hegelsª gegeben werde. Dieses Programm wirft grundlegende Fragen auf. Zum einen: sind Hegel und der Hegelianismus (wobei dieser politisch zumeist mit dem Marxismus bzw. Marxismus-Leninismus identifiziert wird) wirklich so kurzzuschlieûen, wie es hier versucht wird? Zum anderen: was heiût eigentlich ¹Moderneª, und was soll der ¹Abschiedª von dieser Moderne bedeuten? FuÈr Koslowski scheint es in bezug auf beide Fragen keinerlei Probleme zu geben. Hegel, so dekretiert er, stehe ¹am Anfang der Moderne, und auf ihn fuÈhren alle ihre IrrtuÈmer zuruÈckª (378). Seine Philosophie sei ¹das Grundmuster der Mobilisierungstheorien der Moderne und die geistige Mutter der Revolutionenª (9). FuÈr Koslowski zeigt demnach die Hegelsche Philosophie in dem totalitaÈren Denken und den totalitaÈren Bewegungen des 20. Jahrhunderts ihr wahres Gesicht: sollte sie hier entstellt sein, so nur bis zur Kenntlichkeit ihrer IrrtuÈmer. Wie sehr Koslowski geneigt ist, Hegel mit dem (linken) Hegelianismus und dessen politischen Nachfolgeveranstaltungen zu identifizieren, zeigt auch seine Behauptung, ¹die Philosophie Hegelsª sei, ¹auûer in China in der spezifischen Form des chinesischen Marxismus, nirgendwo mehr die verbindliche Interpretation der Wirklichkeitª (9). Auch wenn man solche plaka-
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tiven, kalkuliert-provozierenden SaÈtze nicht auf die Goldwaage legen sollte, so ist doch anzumerken, daû Hegel und mit ihm die ganze ¹deutsche klassische Philosophieª zwar spaÈtestens durch Friedrich Engels als ¹Erbeª der marxistisch orientierten Arbeiterbewegung reklamiert,1 sein Denken jedoch in diesem Rahmen nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt zum verbindlichen Maûstab der Interpretation der Wirklichkeit gemacht wurde. Vielmehr zeigt gerade die Geschichte des Marxismus von Anbeginn, schon in der Entwicklungsgeschichte Marx' selbst,2 ein schwieriges VerhaÈltnis zum angeblichen Meisterdenker der Moderne, naÈmlich ein Denken zugleich mit und gegen Hegel, dessen KomplexitaÈt und Dynamik in der Konzeption des vorliegenden Bandes kaum angemessen beruÈcksichtigt wurden. Erinnert sei hier nur an die Auseinandersetzungen in der Sowjetunion der 20er und fruÈhen dreiûiger Jahre um die von den Stalinisten als hegelianisch verurteilte Philosophie Adam Deborins (der in dem vorliegenden Band uÈberhaupt nicht erwaÈhnt wird),3 die ebensowenig in das grobe Raster der Koslowskischen These paût wie z. B. der Austromarxismus als ¹Marxismus ohne Hegelª4 und der ¹westlicheª Hegelmarxismus (nicht nur der ¹Frankfurter Schuleª), der dem parteiamtlichen Marxismus-Leninismus vielfach opponierte.5 Die wechselvolle Geschichte des Marxschen und marxistischen VerhaÈltnisses zu Hegel zusammenfassend darzustellen und auf den Punkt zu bringen waÈre eine groûe und lohnende Forschungsaufgabe, die aber noch nicht einmal als Aufgabe erkannt werden kann, wenn Hegel, Marx und deren Adepten gemaÈû der Formel: Denken der TotalitaÈt = totalitaÈres Denken6 (wie sie z. B. Peter Engelmann in seinem Beitrag ¹Ist der TotalitaÈtsanspruch der Dialektik der Ursprung des Totalitarismus?ª (45-53) gebraucht) umstandslos ineins gesetzt werden. Solche truÈben, um die historische und systematische KomplexitaÈt unbekuÈmmerten Urteile sind ± mit Hegel zu sprechen ± nicht das Grau in Grau, mit dem sich eine alt gewordene Gestalt des Lebens erkennen laÈût, sondern eher die Nacht, worin alle KuÈhe schwarz sind. Vor dem geschilderten Hintergrund wird auch deutlich, was Koslowski unter ¹Moderneª verstehen will, naÈmlich ein durchaus negativ bewertetes Ganzes, das er als ¹das Zeitalter der Mobilisierung der Wirklichkeitª (7) be-
Vgl. Friedrich Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie (1886). In: MEW 21. 307. 2 Vgl. hierzu Andreas Arndt: Karl Marx. Versuch u È ber den Zusammenhang seiner Theorie. Bochum 1985. 228-238. 3 Vgl. Adam Deborin/Nikolai Bucharin: Kontroversen u È ber dialektischen und mechanischen Materialismus. Einleitung v. Oskar Negt. Frankfurt/M 1969. 4 Vgl. Wilhelm Raimund Beyer: Austromarxismus als Marxismus ohne Hegel. In: Ders.: Freibeuter in hegelschen Gefilden. Frankfurt/M 1983. 73-86. È ber den westlichen Marxismus. Frankfurt/M 1978. 5 Vgl. z. B. Perry Anderson: U 6 Vgl. hierzu Renate Wahsner: Totalita È t und Totalitarismus. Verschiedene Begriffe des Allgemeinen. In: Hegel-Jahrbuch 1995. Berlin 1996. 236-242. 1
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zeichnet. Hiermit ist das praktische Interesse der Vernunft an einer vernunftgemaÈûen Wirklichkeit gemeint, denn es sei Ziel der Moderne, ¹alle nicht von der Vernunft vermittelten Gegebenheiten, FaktizitaÈten und Traditionen durch die Vernunft in vernuÈnftige VerhaÈltnisse zu verwandelnª (2). Die Alternative zu solchem Rationalismus sei aber nicht einfach ein Irrationalismus, sondern ein Drittes, das in ¹Theosophie, Gnostizismus und Mythologieª aufscheine (vgl. 382), naÈmlich das bei Hegel ¹ausgefalleneª Bewuûtsein des ¹im strikten È bernatuÈrlichenª (396). So wird denn die bekannte Gretchenfrage zum Sinn U Kriterium der Beurteilung der Hegelschen Philosophie und der Moderne insgesamt. Im ¹Abschied von der Moderneª sind zwar, Koslowski zufolge, die Konturen des Neuen noch nicht zu erkennen, weshalb der jetzige Zustand mit Recht auch als ¹postmodernª bezeichnet werden koÈnne (9), jedoch wird deutlich, daû hierbei vor allem die AnspruÈche der Vernunft durch eine religioÈs motivierte GegenaufklaÈrung zuruÈckgewiesen werden sollen. Dieses Anliegen scheint durch den Tenor mehrerer BeitraÈge russischer Autoren gestuÈtzt zu werden. So erneuert Pjama P. Gajdenko den Vorwurf des Pantheismus = Atheismus, der zugleich ± Hegels vorgeblicher WertschaÈtzung der Freiheit zum Trotz ± einen ¹Impersonalismusª mit sich fuÈhre (29-43; hier bes. 36). Andreij W. Kritschewskijs Abhandlung uÈber Atheismus und religioÈses Bewuûtsein in Hegels Philosophie (147-161) kommt dagegen zu der These, Hegel hebe Atheismus und Religion gleichermaûen auf (154 f), jedoch fehle es ihm an einer ¹wirkliche[n] geistige[n] Erfahrungª, die theoretisch nicht zu gewinnen sei (161), um den in seinem System implicite enthaltenen ¹spekulativen Symbolismusª (159) positiv zu gestalten. Noch weiter geht Wladimir K. Selinsky (Hegel und der Staat des absoluten Subjekts, 319-341), der die Linie von Hegel uÈber Lenin und Stalin bis zu deren Nachfolgern auszieht, um darin schlieûlich eine ¹geheimnisvolle ,Macht der Auflehnung`ª gegen Gott zu erkennen, die aber letztlich nur die Freiheit Gottes und Gegenwart Christi in der Geschichte bezeuge (341). Hiermit ist in der Tat eine extrem gegensaÈtzliche Position zu Hegels Auffassung bezogen, die Philosophie muÈsse sich huÈten, erbaulich sein zu wollen.7 Den spezifisch russischen Hintergrund religioÈser Philosophie im Blick auf Hegel thematisiert Wiatscheslaw W. Serbinenko in seinem Beitrag uÈber Hegel und die russische religioÈse Metaphysik (163-172), deren Eigenart ± so seine These ± ¹wesentlich durch ihr VerhaÈltnis zur Hegelschen Philosophie mitbestimmtª werde (172). Dieser Beitrag ist deshalb besonders hervorzuheben, weil hier in È ra Traditionen russischen den Blick kommt, daû in der postkommunistischen A Denkens wieder aufleben, deren Stellung gegen den ¹Westenª und die westeuropaÈisch gepraÈgte Moderne vielleicht auch den parteiamtlichen MarxismusLeninismus staÈrker beeinfluût hat, als gewoÈhnlich wahrgenommen wurde und G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. (Akademieausgabe.) Bd 9: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. von W. Bonsiepen und R. Heede. Hamburg 1980. 14. 7
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wird.8 All dies gehoÈrt freilich nicht zu den Folgen des Hegelianismus, auch wenn es Folgen fuÈr den Umgang mit Hegel hat. Daû in der religioÈs bzw. religionsphilosophisch motivierten Kritik an Hegel, wie sie in mehreren BeitraÈgen des vorliegenden Bandes vorgefuÈhrt wird, sich Konstellationen des Streits um seine Religionsphilosophie in dem Jahrzehnt nach Hegels Tod erneuern, macht der Beitrag von Walter Jaeschke deutlich (,Selbstbewuûtsein des Geistes`. Hegels Religionsphilosophie im geschichtlichen Kontext; 117-135). Auch dieser Streit war kein ¹schulinternerª, sondern ¹primaÈr ein Streit der AnhaÈnger einer ,christlichen Philosophie` mit der Hegelschen Religionsphilosophieª (132), wobei weniger Hegels Begriff der Religion selbst als eines Sichwissens des Geistes zur Debatte stand, als vielmehr dessen tatsaÈchliche oder vermeinte Folgen fuÈr traditionelle Vorstellungen, aus denen sich das religioÈse SelbstverstaÈndnis der Hegel-Kritiker speiste. Zahlreiche BeitraÈge des vorliegenden Bandes belehren daruÈber, daû ± trotz der Forschungsarbeiten gerade Walter Jaeschkes zur Religionsphilosophie ± dieser unzureichende Diskussionsstand noch immer nicht uÈberwunden ist, weil ± wie auch im Blick auf Marx und den Marxismus ± der Begriff (und sei es nur im Sinne des historischen Begreifens) gegen hartnaÈckige, erkenntnisresistente Vorurteile offenbar nichts auszurichten vermag. Dies spricht freilich kaum fuÈr die Empfehlung, sich nun von der AufklaÈrung zu verabschieden. Neben dem religionsphilosophischen kann noch ein zweiter, immer wieder im Zusammenhang mit Hegel verhandelter Problemkomplex auf eine lange Tradition zuruÈckblicken, naÈmlich die Frage nach dem Allgemeinen in sozialen und politischen Kontexten. Den ¹gewundene[n] Weg der Kategorie Allgemeinheitª zeichnet Domenico Losurdo in seinem Beitrag ausgehend von einer instruktiven Skizze der nachhegelschen Debatten nach (Logik, Politik und soziale Frage: Hegelsche ,Rechte` und Hegelsche ,Linke` 265-285; hier bes. 280 ff). Jenseits der Kritik an jedem Pathos der Allgemeinheit, so seine These, bilde die Kategorie der Allgemeinheit die notwendige Voraussetzung, um ¹das Individuum als Titular der Menschenrechteª uÈberhaupt denken zu koÈnnen (285); ihre systematische VernachlaÈssigung im neoliberalen Denken fuÈhre konsequent dazu, die Individuen auf dem Altar des (Welt-)Marktes und der Globalisierung zu opfern (vgl. ebd.). Systematisch beruÈhrt diese Problematik vor allem das vieldiskutierte VerhaÈltnis von MoralitaÈt und Sittlichkeit und damit historisch die Kritik Hegels an der praktischen Philosophie Kants. Erich J. Solowjow (Der Begriff des Rechts bei Hegel und Kant aus der Sicht der Tradition und Gegenwart der russischen Philosophie; 287-302) warnt in diesem Zusammenhang zwar davor, daû die Auseinandersetzung zu einer ¹antihegelianischen Hetzereiª ausarten koÈnne (302), Vgl. hierzu z. B. Milan Prucha: Versuch zur philosophischen Bestimmung des Umbruchs im Osten. In: Der Umbruch in Osteuropa als Herausforderung fuÈr die Philosophie. Hrsg. von Brigitte Heuer und Milan Prucha, Frankfurt/M, Bern [usw.] 1995. 277-314. 8
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behauptet jedoch zugleich ± unter Berufung auf Sir Karl Popper als GewaÈhrsmann, der hier explizit als Gegen-AutoritaÈt zu Lenin u. a. eingefuÈhrt wird (vgl. 291 f, Anm. 10) ±, daû bei Hegel ¹die Menschen- und BuÈrgerrechte vor dem totalen Recht des Staates auf den BuÈrgerª zuruÈcktraten (294). DemgemaÈû sei Hegel in seiner Geschichtsphilosophie ¹Erschaffer einer neuheidnischen Idolatrieª (292, Anm. 13), die er jedoch durch ¹spekulative Tricksª (294) und Demagogie (vgl. 295) verschleiere. Gemildert wird dieses Urteil nur durch den Hinweis auf ¹Kantianische Improvisationen bei Hegelª (295 ff), aufgrund deren er irrtuÈmlicherweise zu den ¹Aposteln der Menschenrechte und des Rechtsstaatesª gezaÈhlt worden sei (296), wobei jedoch letztendlich Kant unter den deutschen Rechtsphilosophen ¹der Status der obersten AutoritaÈt eingeraÈumtª werden muÈsse (301). In wohltuendem Kontrast hierzu stehen die sorgfaÈltig abwaÈgenden Bemerkungen von Ludwig Heyde (Sittlichkeit und Ironie. Hegels Kritik der modernen SubjektivitaÈt in den Grundlinien der Philosophie des Rechts, 303-318). Am Beginn seines Beitrags findet sich ± zum erstenmal uÈberhaupt in diesem Bande, nachdem man sich durch 300 Seiten hindurchgekaÈmpft hat ± Hegels Auffassung zitiert, das ¹Recht der subjektiven Freiheitª sei das unterscheidende Merkmal der Moderne im VerhaÈltnis zur Antike.9 Heyde folgt Hegels Kritik der abstrakten SubjektivitaÈt darin, daû diese SubjektivitaÈt auf eine Verabsolutierung der Endlichkeit hinauslaufen koÈnne (vgl. 318), aber auch darin, daû sie in der Sittlichkeit nicht getilgt sei, zumal diese Sittlichkeit heute nur als eine in sich vielfach gebrochene und ohnmaÈchtige gedacht werden koÈnne. Im Blick auf diese Situation versucht Heyde das VerhaÈltnis von subjektiver MoralitaÈt und Sittlichkeit neu auszubalancieren, ohne hinter das bei Hegel erreichte Problembewuûtsein zuruÈckzufallen. Marina N. Bykowa (Ist Hegel der Philosoph der Moderne?; 87-104) ruÈckt ebenfalls Hegels Konzeption von SubjektivitaÈt in den Mittelpunkt, wobei sie nachdruÈcklich auf deren ontologische Dimension und das schwierige VerhaÈltnis von endlicher und absoluter SubjektivitaÈt aufmerksam macht. Ihr Beitrag macht deutlich, daû das Problem der SubjektivitaÈt auch als ein kategoriales im VerhaÈltnis des Einzelnen und Allgemeinen, Endlichen und Unendlichen aufgefaût und bearbeitet werden muû. Mit dem Begriff der Ironie kommt bei Heyde auch die romantische Reflexionsform der modernen SubjektivitaÈt ins Spiel, der gegenuÈber Hegel sich vehement abgrenzte. Daran, daû die Grenzlinie, die Hegels Polemik hier zieht, innerhalb einer zusammengehoÈrigen geistigen Bewegung verlaÈuft, erinnert der Beitrag von Otto Pöggeler (Hegel und die deutsche Romantik heute) zurecht. Die Feststellung und Bewertung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Hegel und den Romantikern beduÈrfte denn aber doch eines differenzierteren Eingehens auf die Denkmittel und Positionen speziell der FruÈh9
G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 124, Anm.
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romantik, als es hier zum Zuge kommt. Dies gilt zumal im Blick auf die Geschichtsphilosophie Friedrich Schlegels, die sich nicht auf dessen Wiener Vorlesungen von 1828 reduzieren laÈût und ± in ihrer fruÈhen Gestalt ± auch andere Alternativen zu Hegel bietet, als nur in der Verteilung der Gewichte zwischen Volk, Staat und Geschichte (356).10 Besonders aufmerksam zu machen ist auf die BeitraÈge chinesischer Philosophinnen und Philosophen in dem vorliegenden Band, die ± weit entfernt davon, der Moderne den Abschied geben zu wollen ± um die Frage der Modernisierung Chinas kreisen, womit vor allem die Gratwanderung zwischen Marx und Markt gemeint ist (Yunquan Chen: Zur Dialektik der Negation. Modernisierung und Dialektik, 105-114; Yihong Mao: Die Stellung von Hegel und Marx im heutigen China. Historische Betrachtung und Bewertung in der Modernisierung, 247-262). Shen Zhang dagegen erinnert in ihrem Beitrag (Die Hegelsche Dialektik und die chinesische Tradition dialektischen Denkens, 357-370) an das ¹HumanitaÈtskonzeptª (vgl. bes. 368) der traditionellen chinesischen Philosophie, das nicht nur eine VerstaÈndigung mit dem europaÈischen Denken ermoÈgliche, sondern auch zum Begreifen der Gesellschaft beitragen koÈnne (369). Deutlich wird, daû diese Dialektik der Harmonie und des Maûes unmittelbar eine praktisch-politische und sozialethische Dimension hat; ihre begrifflichen Erkenntnispotentiale, die allererst eine starke AffinitaÈt zur Hegelschen Dialektik begruÈnden koÈnnten, gewinnen jedoch kaum Kontur. Einen besonderen Schwerpunkt im vorliegenden Band bildet naturgemaÈû das VerhaÈltnis von Hegel und Marx, dem ein eigener Teil (IV) gewidmet ist, das aber auch in nicht hierunter rubrizierten BeitraÈgen vielfach angesprochen wird. Die traditionelle Sicht des Weges von Hegel uÈber Feuerbach zu Marx, wie sie in zahlreichen LehrbuÈchern verbreitet war, faût Boris N. Bessonow noch einmal zusammen (Die Aufhebung der Philosophie: Hegel, Feuerbach, Marx, 175-191), ohne sich mit ihr kritisch auseinanderzusetzen. So finden sich hier Urteile wie das, der Hegelsche Begriff sei ¹in letzter Instanz nichts anderes als die idealistisch betrachtete objektive Naturª (176). Neue Akzente setzt Bessenow dagegen in der Bewertung Marx': er sei aktuell nicht als Theoretiker des Klassenkampfes, sondern vor allem als Theoretiker einer ¹Gesellschaft des reÈ berleben der menschlichen alen Humanismusª (191) zu verstehen, die das U Gattung zu sichern habe (190). Milij N. Gretzki dagegen knuÈpft in seinem Beitrag (Ist der Marxismus ein legitimer Erbe des Hegelianismus?; 223-238) an kritische Fragestellungen von Althusser und Gramsci zur Marx-Rezeption an, um das VerhaÈltnis Marx' zu Hegel neu zu betrachten. Dabei konzentriert er sich auf das Problem der ¹Logikª der Geschichte bei Marx, die unter dem Verdacht einer von Hegel erVgl. Andreas Arndt: Naturgesetze der menschlichen Bildung. Zum geschichtsphilosophischen Programm der FruÈhromantik bei Friedrich Schlegel. In: Deutsche Zeitschrift fuÈr Philosophie. 48 (2000), 97-105. 10
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borgten, universellen Teleologie stehe. Dem begegnet er unter Hinweis auf das komplexe (in diesem Aufsatz aber nur angedeutete) VerhaÈltnis des Logischen und Historischen bei Marx, ein Problem, das bereits seit Friedrich Engels' Rezensionen des ersten Bandes des Kapital z. T. kontrovers diskutiert wird. Hier gaÈbe es Potentiale, die Marx als einen zwar illegitimen, aber im Umgang mit ihm produktiven Erben Hegels auswiesen. Zu einem ganz anderen Urteil kommt Burkhard Tuschling (Objektiver Geist: Kapital. Dialektik bei Hegel, Dialektik bei Marx; 193-221), der den hochinteressanten Versuch unternimmt, Hegels Auffassung von ¹Dialektikª im Blick auf seine Konzeption des objektiven Geistes und namentlich seine Theorie der Gesellschaft zu bestimmen und mit der ¹Logikª des Kapital bei Marx zu konfrontieren. FuÈr Tuschling erweist sich dabei Hegel letztlich ebensosehr als Marxist avant la lettre wie der Marx des Kapital ± entgegen seinen Selbstaussagen ± als uneingeschraÈnkter Hegelianer, der sich sogar ¹Hegels Begriff des Begriffs und des Absoluten als Idee, uneingeschraÈnkt zueigen machtª (211). Tuschling weiû um das Provokative dieser These (vgl. 213), die er jedoch woÈrtlich verstanden und nicht eingeschraÈnkt wissen will. Das bei Marx schwer durchschaubare Zugleich von Identifikation und Distanznahme in bezug auf Hegel (z. B. Hegels Dialektik sei ¹Grundform aller Dialektikª, jedoch ¹nur nach Abstreifung ihrer mystischen Formª11), wird von Tuschling zugunsten einer starken IdentitaÈt bereinigt, die Marx' Distanzierungen als bloûe SelbstmiûverstaÈndnisse erscheinen laÈût. Mir scheint dies ± auch im Bewuûtsein aller Schwierigkeiten, Marx' Auffassung von Dialektik zu rekonstruieren ± eher ein Befreiungsschlag als eine LoÈsung des Problems zu sein. Tuschling stuÈtzt seine Interpretation vor allem auf Marx' Darlegungen zur Zirkulation des Geldes als Kapital im 4. Kapitel des Kapital, wo von dem Wert als einem ¹automatischenª, ¹uÈbergreifendenª, ¹in sich prozessierendenª Subjekt die Rede ist.12 Zweifellos haben diese AusfuÈhrungen ein besonderes Gewicht, weil sie ± wie Tuschling betont (211) ± zur logischen Deduktion des Mehrwerts gehoÈren. Allerdings handelt es sich hierbei nur um den ersten Schritt, denn nach Marx lauert hinter den ¹Versuchen, die Warenzirkulation als Quelle von Mehrwert darzustellen, [. . .] meist ein Quidproquo, eine Verwechslung von Gebrauchswert in Tauschwert.ª13 Der Darstellung der ¹allgemeinen Formel des Kapitalsª, auf die Tuschling sich ausschlieûlich bezieht, folgt daher bei Marx als zweiter Schritt der logischen Deduktion des Mehrwerts die Darlegung der ¹WiderspruÈche der allgemeinen Formelª, die in der Feststellung kulminiert, das Kapital koÈnne ¹nicht aus der Zirkulation entspringen und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muû zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.ª Diese Antinomie wird dann in einem dritten Schritt so aufgeloÈst, daû
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An Kugelmann, 6. 3. 1868, (MEW 32. 538). Vgl. v. a. MEW 23. 169. Ebd., 173.
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der Geldbesitzer als Kapitalist in spe innerhalb der Zirkulation, naÈmlich auf dem Arbeitsmarkt, eine Ware vorfindet, deren Gebrauchswert ± die Arbeitskraft ± selbst Quelle von Wert ist, die mithin Mehrwert erzeugen kann. Hierbei handelt es sich m. E. jedoch nicht mehr um eine logische Deduktion des Mehrwerts, die hier vielmehr auf Grenzen stoÈût, denn das Vorfindlichsein dieser spezifischen Ware ist, wie Marx betont, Produkt spezifischer historischer UmstaÈnde, entspringt aber nicht aus der Natur der Zirkulation selbst.14 Kategorial ausgedruÈckt: der Wert ist zu seiner Verwertung auf etwas angewiesen, was er nicht selbst gesetzt hat, sondern historisch-emprisch vorfindet, und er realisiert seine Selbstbeziehung als Kapital uÈberhaupt nur durch die Beziehung auf ein Anderes, das nicht das Andere seiner selbst ist, naÈmlich den Gebrauchswert. Hier gilt praÈzise das, was Marx in der Erstauflage des Kapital gegen Hegel einwendet: ¹Bloss der Hegel'sche ,Begriff` bringt es fertig, sich ohne aÈussern Stoff zu objektiviren.ª15 Von dorther sind die von Tuschling herangezogenen starken Formulierungen aus der Darlegung der allgemeinen Formel des Kapitals m. E. eher als ironisch-kritische Beschreibungen des Scheins der einfachen Zirkulation zu lesen, was dort offenkundig ist, wo es in diesem Zusammenhang heiût, der Wert unterscheide sich ¹als urspruÈnglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Personª.16 HieruÈber lohnte es sich, ausfuÈhrlicher zu streiten, denn Tuschling fuÈhrt die Auseinandersetzung auf einem argumentativen Niveau, das ansonsten gerade in bezug auf Marx kaum mehr eingehalten wird. In der Streitfrage selbst wuÈrde ich eher Hans Friedrich Fuldas These folgen, daû auf die EinzelÈ konomie ± weniger wissenschaften ± also auch auf die Kritik der politischen O die Hegelsche Wissenschaft der Logik als Methodenlehre anregend gewirkt habe, als vielmehr ¹der Reichtum an begrifflichen Gehaltenª, mit denen Hegel GegenstaÈnde der Geistes- und Sozialwissenschaften behandelt habe, wobei besonders ¹einige fundamentalbegriffliche ZusammenhaÈnge der Hegelschen ,Logik`ª aufgegriffen worden seien (15). Hieraus lieûe sich ± gerade auch bei Marx ± der vielfach experimentelle Charakter der Bezugnahmen auf Hegel erklaÈren. Dennoch muÈûte freilich weiterhin gefragt werden, ob sich in diesen
Ebd., 180. Vgl. ebd., 181 ff. 16 Karl Marx: Das Kapital. Urausgabe. Hrsg. von Fred E. Schrader. Hildesheim 1980. 18. MEW 23. 169. ± Ich nehme kaum an, daû Tuschling behaupten moÈchte, Marx mache sich hier die christliche Dogmatik ¹uneingeschraÈnkt zueigenª. Gleiches gilt aber m. E. auch fuÈr die ganz parallelen Anleihen beim Hegelschen Begriff des Begriffs und des Absoluten als Idee. Vielleicht lag die Marx-Diskussion vor zwanzig, dreiûig Jahren, von der Tuschling sich nun selbstkritisch loÈsen moÈchte (vgl. 213) doch nicht so ganz falsch, wenn sie an eine ¹Identifikation von Marx mit Hegels Begriff des Absoluten und der Bewegung dieses Begriffsª (ebd.) nicht dachte. 14 15
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Experimenten eine eigenstaÈndige Konzeption abzeichnet, in welche sich die VersatzstuÈcke der Hegelschen Philosophie integrieren lieûen. Auf Fuldas Abhandlung (Beansprucht die Hegelsche Logik, die Universalmethode aller Wissenschaften zu sein?, 13-27) ist auch deshalb besonders hinzuweisen, weil sie eine pointierte Gegenthese zu den VorwuÈrfen Koslowskis und anderer formuliert und begruÈndet, Hegels Systemanspruch sei totalitaÈr. Fulda macht deutlich, daû Hegel sowohl seinem in der Wissenschaft der Logik entwickelten MethodenverstaÈndnis nach als auch in der DurchfuÈhrung seines Systems als System in der EncyclopaÈdie der philosophischen Wissenschaften die Philosophie in ein komplexes VerhaÈltnis zu den Einzelwissenschaften setzt, das sich weder als AbhaÈngigkeit der Einzelwissenschaften von der Philosophie noch umgekehrt beschreiben laÈût. Wenn es zutrifft, daû Hegel die Philosophie entschieden darauf verwiesen habe, ¹sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kuÈmmernª (20), so ist die entscheidende Frage in der Tat die bereits von Kant aufgeworfene, was eine (Selbst-)Erkenntnis der Vernunft aus Begriffen bedeuten koÈnne und ob sie moÈglich sei (vgl. 25). Solange wir keinen Anlaû haben, dieses Problem als geloÈst zu betrachten, besteht ± auch darin ist Fulda zuzustimmen ± auch kein Grund, von Hegel oder der Moderne Abschied zu nehmen. Auch Peter Reisinger (Spekulation und Empirie bei Hegel ± eine Mesalliance?; 67-83) plaÈdiert im Blick auf das VerhaÈltnis von Philosophie und (empirischen) Einzelwissenschaften fuÈr einen differenzierteren Umgang mit Hegel und konstatiert zurecht einen ¹Verlust an DenkfaÈhigkeit, [. . .] sich mit Hegel erkenntnisphilosophisch auseinandersetzen zu koÈnnen und damit groûe Chancen fuÈr ein lebendiges Zusammenarbeiten von Wissenschaft und Philosophie aus der Hand gegeben zu haben.ª (83) So gesehen waÈre der eilfertig proklamierte Abschied von der Moderne eher als deren Selbstvergessenheit zu bewerten ± mit allen Folgen fuÈr die BewaÈltigung des ¹Jetztª (modo) als eines Gewordenen, dessen Probleme dann im scheinbar unmittelbaren Neubeginnen nur verdeckt und zumeist im blinden RuÈckgriff auf vormoderne Konzeptionen angegangen werden. Dieser Zustand, der sich auch in mehreren BeitraÈgen des vorliegenden Bandes abspiegelt, spricht dafuÈr, daû wir es nicht mit einem Zuviel, sondern mit einem Mangel an RationalitaÈt und AufklaÈrung zu tun haben ± und gerade deshalb, so scheint mir, ist Hegels Philosophie mit ihrem Vernunft-Anspruch von ungebrochener AktualitaÈt. Andreas Arndt (Berlin)
Jean Grondin: Hans-Georg Gadamer. Eine Biographie. TuÈbingen: Mohr Siebeck 1999. 437 S. SchlaÈgt man das Namenregister dieser umfangreichen Philosophen-Biographie auf, dann hat dort der Name Heidegger die groÈûte Zahl von Stellen. Auf ihn folgt Hegel, vor Nietzsche und Jaspers. Freilich wird er uÈbertroffen von Ga-
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damers Freunden Gerhard Krüger und Karl Löwith. Eine Photographie mit den Teilnehmern der Hegel-Tagung von 1964 in Royaumont erinnert daran, daû Hans-Georg Gadamer mit den Heidelberger Hegel-Tagen von 1962 die Internationale Vereinigung zur FoÈrderung des Studiums der Hegelschen Philosophie gruÈndete ± zuerst noch als staÈrker akademische GegengruÈndung gegen die politisierende Hegel-Gesellschaft (341, 339). Wie kam Gadamer zu Hegel? In Breslau hatte er in Hönigswald, in Marburg in Natorp einen Neukantianer als Lehrer. Doch wiesen die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in andere Horizonte. Selbst der spaÈte Natorp folgte mystischen Tendenzen. Theodor Lessing z. B. verwies mit seinem Buch Europa und Asien auf die Weisheit des Ostens. Muûte man nicht endlich Schluû machen mit der RationalitaÈt, die zu den Materialschlachten gefuÈhrt hatte? ¹Kierkegaards Berufung auf die religioÈse Dimension und den irrationalen Charakter der existenziellen Lebensentscheidung, Thomas Manns RuÈckzug ins Apolitische (den er bekanntlich spaÈter widerrief), Lessings HeraufbeschwoÈrung des Morgenlandes, aber auch die Dichtung Georges wiesen in dieselbe Richtung. Selbst streng philosophische Bewegungen wie die PhaÈnomenologie von Husserl wurden zunaÈchst als zeitkritische Heilsbotschaften aufgenommen.ª (66) Es ist nicht verwunderlich, daû der Gymnasiast Gadamer bei der LektuÈre von Gedichten Stefan Georges ¹wie von einem Schlag geruÈhrtª wurde. Das Auûerordentliche dieser dichterischen Gestalt wurde dadurch gesteigert, daû George die Aufnahme der Gedichte in die Anthologie untersagt hatte. Der Herausgeber zitierte die Gedichte dann in seinem Vorwort (54 ff). Nach der È bersiedlung von Breslau nach Marburg (1919) wurde Gadamer durch WolU ters und Kommerell auch mit der Problematik des George-Kreises bekannt. Die Platon-BuÈcher von dort muûten seine eigene Zuwendung zu Platon È hnlich wie bei den Gedichten Georges erging es ihm, als er von staÈrken. A Natorp Heideggers Bericht uÈber seine Aristoteles-Studien vom Herbst 1922 zu lesen bekam (110). War da nicht wiederum die voÈllige Abwendung vom Gewohnten und der Aufbruch eines kleinen Kreises zu neuen Ufern? Gadamer wurde SchuÈler Heideggers, mochte dieser sich auch zuerst abwehrend uÈber das ProfessorensoÈhnchen aÈuûern. Hegel stand damals bei Heidegger fuÈr eine Tradition, die mit ihren Synthesen die zu wiederholenden urspruÈnglichen Entscheidungen der abendlaÈndischen Geschichte nicht kennt. Als Gadamer 1928 seine Habilitationsschrift uÈber Platon einreichte, attestierte Heidegger in seinem Gutachten ihm auch eine gute Kenntnis des Aristoteles und sagte dann: ¹Die Einsicht in die zentrale Auswirkung der aristotelischen Metaphysik in der abendlaÈndischen Philosophie zwang zu einer gruÈndlichen BeschaÈftigung mit der mittelalterlichen Scholastik, Kant und Hegel.ª (160) Die Probevorlesung vom 16. Februar 1929 handelte uÈber Hegelsche und antike Dialektik (376). Zehn Jahre spaÈter, am 30. 9. 1938 konnte Gadamer Löwith von einem Buchplan berichten: ¹Meine Hegel-Studien habe ich in diesem Sommer tuÈchtig fortgesetzt und hab viel gelernt dabei. Aber leider ist
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das Buch uÈber Hegel und die Antike Dialektik noch immer nicht fertig.ª (217) Diese Hegel-Arbeit und Untersuchungen zur Physik des Aristoteles spielten bei der Berufung nach Leipzig eine wichtige Rolle (224). Gadamers Aufsatz Hegel und die antike Dialektik erschien dann erstmals 1961 im ersten Band der Hegel-Studien. Gadamer eroÈffnete mit ihm 1971 den Band ¹FuÈnf hermeneutische Studienª Hegels Dialektik. Das Vorwort des kleinen BuÈchleins brachte eine ausfuÈhrliche Rechtfertigung: Auch wer durch den ¹logischen Taumel des Platonischen Parmenides hindurchgegangenª sei, werde bei Hegels Dialektik durch ein ¹Gemisch von logischer EntruÈstung und spekulativer Begeisterungª befallen. ¹So stellte sich mir fruÈh die Aufgabe, antike und Hegelsche Dialektik aufeinander zu beziehen und aneinander aufzuklaÈren.ª Gadamer hat in den zwanziger Jahren (auch zur Vorbereitung einer beruflichen Stellung am Gymnasium) Klassische Philologie studiert. So galt er an der UniversitaÈt zuerst einmal als zustaÈndig fuÈr Griechische Philosophie. Bei der Berufung nach Leipzig 1938 hatte er Theodor Litt zu ersetzen und so die Philosophie im ganzen zu vertreten. Gadamer sah Hegel durchaus in einem politischen Kontext. Er sah damals in Hitler jenen genialen Politiker, der mit Drohungen pokerte und so die Restriktionen und DemuÈtigungen des Versailler Vertrages aufheben konnte. Als Gadamer im September 1938 nach Italien reiste, konnte er Löwith davon berichten, daû das MuÈnchener Abkommen ihn von der Kriegsangst befreite. Er begriff die weltpolitische Lage von Hegel aus: ¹Der Stilunterschied im politischen GeschaÈft zwischen Chamberlain, Daladier einerseits, Duce und Hitler andererseits, der beinahe zur Entfesselung der DaÈmonen gefuÈhrt haÈtte, beruht, wie mir scheint, wesentlich auf dem Unterschied zwischen Reich und Arm. Die totalitaÈren Staaten sind arm. Sie haben daher keine modernen Waffen zur Durchsetzung ihrer Ziele als die Drohung mit den Waffen. Von jeher (vgl. Hegels Herr-und-Knecht-Kapitel) ist der Einsatz des Lebens das Durchschlagende im Kampf um die Herrschaft.ª (229) Die Leipziger Antrittsvorlesung vom 8. 7. 1939 hatte das Thema Hegel und der geschichtliche Geist. Sie suchte die ¹Verwurzelung und ErfuÈllungª des geschichtlichen Geistes ¹in der sittlichen Substanz des Volkesª zu erblicken (232, 380). Die Frage, ob Hegel auch die eigene Geschichtlichkeit kenne, fuÈhrte zuruÈck vom Hegelschen System zum jungen Hegel (236). Als Gadamer dann nach den Ferien am Bodensee auf dem Heimweg Heidegger in Todtnauberg besuchte, hoÈrte man am 23. August im Rundfunk vom Nichtangriffspakt zwischen Stalin und Hitler. ¹Heidegger soll begeistert gewesen sein. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und feierte das Zusammenkommen des Geistes von Goethe und Dostojewskij.ª (237) Umso bedruÈckender war dann der Kriegsausbruch. WaÈhrend Schadewaldt mit Gadamer wettete, daû der Krieg bis Weihnachten beendet sei, war Gadamer verzweifelt. Er reiste zu Jaspers; er sah einen dreiûigjaÈhrigen Krieg auf Europa zukommen. ¹So koÈnnte sehr wohl Hitler mit den Kornkammern der
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È lfeldern des Kaukasus, mit allen HintergruÈnden des eurasiUkraine, den O schen Kontinents, dem amerikanischen Kontinent dreiûig Jahre lang Widerstand leisten.ª Jaspers verwies es ihm, Geschichte voraussagen zu wollen (237 f). Bald stieû Hitler zum Balkan vor; die Konfrontation mit Ruûland und damit auch die Katastrophe bahnten sich an. Im April 1940 hatte Gadamer vor hollaÈndischen und deutschen Hegelforschern seinen Vortrag Hegel und die antike Dialektik gehalten. Doch hatte dieser Bezug auf Hegel seinen Kontext in einer intensiven Zuwendung zu Hölderlin mit VortraÈgen im In- und Ausland. Dazu kam am 29. Mai 1941 der Pariser Vortrag Volk und Geschichte im Denken Herders. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte Gadamer in Leipzig universitaÈtspolitisch (auch als Rektor). Er konnte das, weil der Bezug auf Hegel den geforderten Bezug auf Marx ersetzte. Als Gadamer nach Frankfurt und dann nach Heidelberg gegangen war, kam in den Vorlesungen Hegel zusammen mit Nietzsche und dem Ende der Metaphysik ins Spiel. Doch schon 1954 hieû eine Vorlesung Von Hegel zu Heidegger (396 f). Da Cramer-SchuÈler zu Gadamer stieûen, verstaÈrkte sich die ¹Hegeleiª. GegenuÈber Heidegger suchte Gadamer sich am 21. 2. 1966 zu rechtfertigen: ¹Ob Sie im Sommer dann einmal kommen moÈgen? Vielleicht kann ich zur Wiederaufnahme des Hegel-GespraÈchs die redigierte Nachschrift meiner Hegel-Heidegger-Vorlesung, die inzwischen juÈngere Leute vorbereitet haben, beisteuern. Es ist mir immer sehr nachdenklich und muû seinen Grund in irgendwelchen unaufgeloÈsten Knoten bei mir haben, daû so viele meiner jungen Leute sich kopfuÈber in den Hegel stuÈrzen. NatuÈrlich verstaÈrkt sich das noch durch Henrichs Einfluû. Aber meine Vorlesung hatte genau den umgekehrten Sinn: das zu korrigieren durch ausdruÈckliche EinfuÈhrung in die erst bei ihnen sich oÈffnende Dimension. Indes, es scheint, daû die dialektische Spekulation sich leichter lernen laÈût, als die phaÈnomenologische Arbeitsweise, in der ich selber erzogen bin. Dabei halte ich die Versuche, Ihre Aussagen, insbesondere die ,Verbergung` und ,Entbergung` dialektisch zu interpretieren, fuÈr ganz verfehlt.ª (328; die Abwehr im letzten Satz muûte den damaligen Ansatz von Walter Schulz einschlieûen) Habermas brachte inzwischen mit Hilfe von Gadamer neomarxistische Positionen ein ± als ein ¹roter Guardiniª, wie Gadamer spaÈter festhielt (343). Bekanntlich sah Gadamer die Hermeneutik in den Auseinandersetzungen der Reformationszeit um die christliche Botschaft entstehen. Sie sei dann durch Schleiermacher universalisiert, durch Dilthey zu sehr methodologisiert worden. So stellte Wahrheit und Methode 1960 Hegel gegen Schleiermacher. Mit Betti und mit Palmer muûte Gadamer eine Auseinandersetzung um die ObjektivitaÈt der Hermeneutik fuÈhren. Doch Hegels ¹totalisierende Dialektikª wurde durch den Bezug auf Platons Dialogik begrenzt (326). Da Gadamer seine Poetik aus dem Bezug zu den Dichtern entfaltete, konnte er immer noch Schleiermachers Satz fuÈr sich beanspruchen: ¹Ich hasse alle Theorie, die nicht aus der Praxis erwaÈchst.ª (365) Unter dem Titel VerspaÈtete Jugend be-
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handelte Grondin Gadamers Wirken in Amerika und Italien, aber auch die Auseinandersetzung mit Derrida . Versucht man eine kritische Bewertung des Buches, dann stellt sich sofort die Frage, ob Grondin bei der AnfuÈhrung des Geburtsjahres 1900 so schweres GeschuÈtz auffahren darf: Es sei das Jahr, in dem Nietzsche starb, in dem zugleich maûgebliche Arbeiten von Dilthey, Husserl und Freud erschienen (11 ff). Blieb nicht nur Freud, sondern in abgemilderter Form auch Nietzsche fuÈr Gadamer immer in Distanz? Nicht nur die schwere Kindheit, sondern auch der Kampf mit dem naturwissenschaftlich ausgerichteten Vater wird breit ausgemalt. In der Tat war man betroffen, wenn Gadamer triumphierend sagte, daû in einem maûgeblichen allgemeinen Lexikon nicht mehr sein Vater, sondern er angefuÈhrt werde. Die Rechtfertigung der Geisteswissenschaften gegenuÈber dem Verdikt gegen sie als GeschwaÈtzwissenschaften war ja bald dadurch uÈberholt, daû die Anwendung der Naturwissenschaften in der Technik È berlegungen wurde. zum leitenden Epochenproblem fuÈr geschichtliche U Sicherlich hat Gadamer zuerst bei Neukantianern studiert ± bei Hönigswald in Breslau und bei Natorp in Marburg. Die erweckende Erfahrung brachten George und Heidegger. Gadamers autobiographische Aufzeichnungen koÈnnen den Titel Philosophische Lehrjahre tragen, weil philosophisch fuÈr ihn die Marburger Zeit im Kreis der SchuÈler von Heidegger entscheidend wurde. Wenn in dieser Autobiographie das weitere Schicksal der GefaÈhrten und die SpaÈtphilosophie Heideggers in den Blick kommen, dann ist das eine Fortsetzung der Marburger AnfaÈnge. MitschuÈler bei Heidegger war neben Gerhard Krüger Karl Löwith, der aÈlteste der drei. Vielleicht haÈtte Walter Bröcker nicht so sehr in den Hintergrund treten duÈrfen. Dessen Arbeiten uÈber die Vorsokratiker und uÈber Hölderlin bedeuteten Gadamer viel. Als Walter Bröcker und Heinrich Buhr unter dem Titel Zur Theologie des Geistes (Pfullingen 1960) versuchten, die christliche Theologie von Hölderlin her neu zu fassen, sah ich das noÈtige Niveau nicht gewahrt. Heidegger meinte, dieser Versuch sei eben noch nicht an der Zeit; Gadamer verwies auf die interpretativen Leistungen der anderen Arbeiten Bröckers. Wenn das GespraÈch auf das Buch Meister Eckhart von Käte Oltmanns-Bröcker kam, konnte Gadamer berichten, statt Sein und Zeit haÈtte man von Heidegger in der zweiten HaÈlfte der zwanziger Jahre ein Buch uÈber Meister Eckhart erwartet. Die beruÈhmten Marburger VortraÈge der zwanziger Jahre wurden von Seiten Heideggers durch Gerhard Krüger, von Seiten Bultmanns durch Heinrich Schlier betreut. Nicht erwaÈhnt wird bei Grondin, daû beide in der finsteren Zeit den Weg zuruÈck zur Tradition und zum Katholizismus gingen (was Bultmann noch bei Krüger, aber nicht mehr bei Schlier verstehen konnte). Löwith stellte nach der RuÈckkehr aus der Emigration in Italien, Japan und Amerika die angeblich bleibende Natur der Geschichte entgegen; doch wurde er von den Theologen zuerst als Partner in der Betonung der heilsgeschichtlichen Sicht genommen. Heideggers Denken wurde von Löwith fruÈh schon als SaÈ-
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kularisierung christlicher Erfahrungen gedeutet; die Orientierungslosigkeit sollte dann zu dem politischen Irrweg gefuÈhrt haben. Heideggers Urteil uÈber Löwith, den lange bevorzugten SchuÈler, war eindeutig: ¹Er ist ein begabter Schriftsteller, aber er weiû nicht, was Denken heiût!ª Auch Gadamer fuÈhrte die Differenz zu seinem alten Marburger Freund, den er trotz Heidegger nach Heidelberg geholt hatte, gelegentlich darauf zuruÈck, daû Löwith uÈber Philosophie spreche, er selbst philosophiere. WaÈhrend Krüger und Löwith Heidegger angriffen, organisierte Gadamer 1949/50 anonym eine Festschrift. Im Sommer 1954 hielt er neben Seminaren mit Löwith und Henrich erstmals die Vorlesung Von Hegel zu Heidegger. Sie war nur ein letztes WegstuÈck der Philosophiegeschichte. Diese begann mit dem Weg von Platon zu jenem Plotin, den Heidegger trotz anderer VorsaÈtze nie genauer studierte. Dann aber fuÈhrte der Weg weiter von Plotin zu Augustin und von Augustin zu Hegel. Heidegger sagte damals: Diesen Weg von Platon zu Plotin als Vertiefung des griechischen Denkens ins Selbsthafte, von Platin zu Auqustin und Hegel als Gewinn der Geschichtserfahrung, vor allem von Hegel zu Heidegger gibt es so nicht. Nur kurz erwaÈhnt wird, daû Gadamer im April 1940 bei dem Treffen hollaÈndischer und deutscher Hegelforscher in Weimar seinen Vortrag Hegel und die antike Dialektik hielt (216, 380). In seinen Erinnerungen Philosophische Lehrjahre datiert Gadamer das Treffen im ¹Elefantenª etwas spaÈter und berichtet von der unsachlichen Kritik, die er erhielt (115 f). MuÈndlich erzaÈhlte er, daû der Vorsitzende Hermann Glockner ihn dafuÈr lobte, daû er sich auch schon in Hegel einarbeite. Diese Verletzung hat Gadamer nie verziehen. Als es darum ging, eine neue Hegel-Ausgabe durchzusetzen, wurde von Seiten der DFG-Gutachter (wohl von Löwith) vorgeschlagen, nur die Hegel-JubilaÈumsausgabe mit SupplementbaÈnden zu versehen. VorschlaÈge dieser Art habe ich dadurch zunichte gemacht, daû ich 1960 in der Philosophischen Rundschau eine Kritik Das Hegelwerk Hermann Glockners veroÈffentlichte. (Glockner mit seiner Vermittlung des Rationalen und Irrationalen im Gefolge Rickerts wurde damals im Kreis um Erich Heintel propagiert.) Gadamer strich alle anerkennenden Stellen, weil sie mir doch nicht gemeint seien. Doch mit seinem intakten Stilempfinden konnte er meinem Votum nicht widersprechen, daû Glockners Erinnerungen Heidelberger Bilderbuch (Bonn 1969) wirklich literarischen Rang erreichten (der Unterschied zu Gadamers Zusammenstellung Philosophische Lehrjahre schwang unausgesprochen mit). Gadamer meinte: ¹Sie haben Recht; Glockner ist ein solcher Esel, daû er einfach noch erzaÈhlen kann.ª Von den ¹uÈbrigen VortraÈgenª, die in Weimar gehalten wurden, sagt Gadamer in den Lehrjahren (116), daû sie in trauriger SterilitaÈt nicht einmal propagandistisch waren, sondern lediglich sich selbst propagierten. ¹Ich erholte mich von dieser seelischen Strapaze durch einen Besuch bei den GraÈbern unserer groûen Dichter auf dem Weimarer Friedhof und einen Besuch bei Rilkes Tochter und ihrem Gatten Karl Sieber, dessen Nachklang mich noch lange
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begleitete und mich in meinen weiter fortgesetzten Rilkestudien nicht verlieû.ª Von Rilke zaÈhlten nun die spaÈten Dichtungen; in ihnen hoÈrten wenige eine leise Stimme als Widerstand gegen eine laute Zeit. Grondin weist nach, daû Gadamer seit 1930 einen ausfuÈhrlichen Rilkekommentar plante und im akademischen Unterricht wiederholt vortrug (173). Was eine Gegenstimme war, konnte nach 1945 oÈffentlich wirksam werden. Romano Guardim, griff in seinen Interpretationen auf eine gesicherte Theologie als Maûstab zuruÈck. Indem Gadamer ihm widersprach, betonte er mit der zehnten Duineser Elegie die Endlichkeit und Sterblichkeit des Menschen. Doch schien ihm die Annahme dieser Endlichkeit dichterisch und denkerisch moÈglich, ohne RuÈckgriff darauf, daû die Geschichte selbst sie faktisch gelehrt und theologisch vorgegeben habe (wie Rudolf Bultmann es fuÈr die christliche Theologie voraussetzte). Auch diese Marburger Diskussionen haÈtten eine genauere AufschluÈsselung verdient. Zu Recht kann man betonen, daû Gadamer vor 1945 und nachher dasselbe lehrte: ¹die Vorsokratiker, Aristoteles, Hegel, Platon, Kant, Heidegger, Rilkeª (254). Auch bei Heidegger war das ¹Wendejahrª ja nicht 1945, sondern 1938. Nach dem Motto zu Wahrheit und Methode will Gadamer mit Rilke nicht Selbstgeworfenes fangen, sondern FaÈnger eines zugeworfenen Balles werden. In dieser Grundgeste findet Grondin den Tennisund Schachspieler Gadamer wieder (352 f). Am 29. 5. 1941 hielt Gadamer im Deutschen Institut in Paris seinen Vortrag Volk und Geschichte im Denken Herders (380). Dabei machte er auch die spaÈter stillschweigend gestrichene Feststellung uÈber Herder: ¹So gewinnt durch ihn das Wort ,Volk` in Deutschland ± ganz fern ab von jeder politischen Parole, durch eine Welt geschieden von den politischen Schlagworten der ,Demokratie` ± eine neue Tiefe und eine neue Gewalt.ª (241) Was auch gewisse franzoÈsische Kreise damals vom Deutschen Institut erwarteten, hielt Johannes Hoffmeister in bezug auf seine Arbeit dort einmal muÈndlich fest: Man hatte Hölderlins spaÈte Klage von den im Wind klirrenden Fahnen der KirchtuÈrme so uÈbersetzen wollen, daû die RuÈckuÈbersetzung haÈtte lauten muÈssen: ¹Im Sturme knattern die Standarten.ª Wer aber kann es einem deutschen Professor verdenken, wenn er sich 1941 den kurzen Ausbruch aus seiner Isolierung in einer Reise nach Paris durch einen Vortrag uÈber Herder erkaufte? Doch steht dieser einzelne Vorgang sicherlich in einem breiteren Kontext. Ich erinnere mich, daû unser damaliger Gymnasialdirektor bei den obligatorischen Feiern den vorgeschriebenen Parolen dadurch entging, daû er zwar nicht seiner Neigung zu Wilhelm von Humboldt folgte, aber Herder als Alibi zitierte (wie Gadamer natuÈrlich auch den HumanitaÈtsgedanken anfuÈhrte). So konnte ich (mit vielen anderen) in den Nachkriegsjahren zwar richtig feststellen, welche uÈberragende Bedeutung Herder fuÈr den jungen Hegel gehabt hat, auch von Theodor Litt hoÈren, daû nur von Kant und von Herder der Weg zu Hegel fuÈhre. Aber ein Bekenntnis zu Herder war unmoÈglich, weil er einmal in die politische Zweideutigkeit gebracht worden war. So konnte eine Herder-Gesellschaft nach
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dem Zweiten Weltkrieg nicht in Deutschland, sondern nur in den USA gegruÈndet werden. Erst 1992 hielt diese International Herder Society ihre erste Konferenz an einem deutschen Ort, in Bochum. Nach der Emeritierung blieb Gadamer nicht bei der weiteren asketischen Arbeit (jetzt an dem versprochenen Buch uÈber Platon). Er begann seine groûen Reisen ± zuerst mit dem Schiff, dann mit dem Flugzeug in die USA, spaÈter mit naÈchtlichen Zugfahrten nach Neapel. FuÈr diese Zeit gebraucht Grondin den Titel ¹VerspaÈtete Jugendª! In seinem letzten Brief an Heidegger vom 25. 2. 1976 blickte Gadamer schon auf seine Amerikaerfahrungen zuruÈck: ¹Im Ganzen sehe ich jetzt klar, dass es vorwiegend das katholische (irische) Element des Landes ist, das man ansprechen kann.ª (362) Schon 1969 sagte Gadamer mir vor meinem ersten Flug nach Amerika: ¹Wer sie begruÈût, heiût entweder Thomas oder Josef.ª Das sollte sagen: Wer sich fuÈr kontinentaleuropaÈische Philosophie interessiert, geht von dem paÈdagogisch starken katholischen Einfluû aus und kommt oft von Irland (oder von LoÈwen). Damals muûten die USA (infolge der StaÈdteprobleme und als Weltmacht) sich nicht mehr nur als Gesellschaft, sondern als Staat verstehen. Sie muûten ihre politische Macht auch kulturell unterbauen. FuÈr diese Aufgabe schien die kontinentaleuropaÈische Philosophie mit Hegel und Heidegger bessere Hilfen zu bieten als die analytische Philosophie. So vollzog sich die ¹Germanisierungª der USA, deren BekaÈmpfung sich die Schule von Leo Strauss zur Aufgabe setzte. Umgekehrt arbeitete man von der deutschen Philosophie aus amerikanische Traditionen auf, die von Gadamer nicht beachtet wurden. Grondin betont Gadamers ZuruÈckhaltung gegenuÈber Apel (344). Doch war es Apel, der die analytischen und sprachanalytischen Traditionen Amerikas aufarbeitete und mit dem urspruÈnglichen Pragmatismus eines Peirce verknuÈpfte. NatuÈrlich kommt der Name Peirce in Grondins Darstellung nicht vor. Im Register des Buches fehlen aber zu Unrecht die Namen von Collingwood und von Findlay. Durch Collingwoods freien, archaÈologisch inspirierten Hegelianismus lieû Gadamer sich in der Dialektik von Frage und Antwort bestaÈrken. Wie Findlay orientierte er sich an Platon und Hegel, doch in gegensaÈtzlicher Weise. FuÈr Findlay systematisierten Platon und Hegel die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit. So blieb es ihm unverstaÈndlich, daû man sich gerade fuÈr die Dialogik bei Platon und fuÈr Hegels PhaÈnomenologie interessieren konnte. Von den dort liegenden Tendenzen ging Gadamer aber aus. Grondin kann nicht umhin, die Einleitung zu seinem Buch mit einem Motto von Hannah Arendt zu beginnen und deren Beziehung zu Heidegger im Marburg der zwanziger Jahre anzufuÈhren. Als vor zwanzig Jahren diese Dinge in Amerika langsam bekannt wurden, sagte mir ein amerikanischer Gast: ¹Jetzt wird Heidegger fuÈr uns Amerikaner auch interessant.ª Bei Grondin jedoch ging dem biographischen Interesse die Zuwendung zur hermeneutischen Philosophie und zu den sachlichen Leistungen Gadamers voraus. FuÈr die deutsche Philosophie war es eine Sache der Redlichkeit, Heideggers politische
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Optionen, vor allem auch sein Engagement von 1933, aufzuarbeiten. Leider drang dabei auch eine Tendenz zur Politisierung in den Vordergrund, die andere nur diskreditieren will. So ging es dann darum, ¹Dokumenteª aus versteckten Winkeln hervorzuholen. Auch Grondins Darstellung ist wider Willen davon angesteckt. So kommt zu wenig heraus, daû Politik immer unterschiedliche Positionen ermoÈglicht und das angebliche Maû einer political correctness nur zu oft dogmatisch ist. Daû Gadamer nur eine Stimme im amerikanisch-deutschen GespraÈch sein konnte, zeigt sich auch am Urteil von Hannah Arendt uÈber ihn. Sie konnte am 18. Juli 1952 Heidelberg als einen ¹bloÈdsinnigen Hexenkesselª schildern (312). Zweifellos hat sie die EigenstaÈndigkeit des Politischen gegen deren Vermischung mit der Philosophie von Platon bis Heidegger herausgestellt. Doch in ihrer Sucht nach ¹GroÈûeª glaubte sie sich neben den groûen Heidegger stellen zu muÈssen und keine Konkurrenten zulassen zu koÈnnen. Die Rehabilitierung der Praktischen Philosophie war fuÈr sie nicht die Antwort der Heidegger-SchuÈler auf die politische Verirrung ihres Lehrers, sondern ein Unding. Manfred Riedels zweibaÈndiges Sammelwerk Rehabilitierung der praktischen Philosophie (Freiburg 1972 und 1974) taucht denn auch bei Grondin nicht auf. So weiû Grondin nichts davon, daû Gadamer und Joachim Ritter uÈber viele Jahre hin zwei Pole in der deutschen UniversitaÈtsphilosophie waren; kein RitterschuÈler wird erwaÈhnt. Wenn Gadamer in seinen letzten Platon-Arbeiten zeigt, daû Platon aus seinem Ansatz heraus die Idee auch als das mathematisch deutbare Gebilde zu fassen sucht, dann ist das auch ein Ergebnis seines lebenslangen Bezug zu Oskar Becker, der als MitschuÈler Heideggers bei Husserl begann. Auch mit der TuÈbinger Platondeutung von der ¹ungeschriebenenª Lehre her hat Gadamer sich auseinandersetzen muÈssen. Diese BezuÈge der Arbeit Gadamers fehlen ebenso wie etwa der Einspruch von Klaus Düsing: nicht erst Hegel, sondern schon Marsilius Ficinus hat den Widerspruch als Weg zur Wahrheit gefaût È bersetzung die Sophistes-Stelle in ihr Gegenteil und in seiner lateinischen U verkehrt. Da die TuÈbinger Stiftler Lateinisch noch besser lasen als Griechisch, konnten sie sich in der zweisprachigen Bipontiner Ausgabe an der lateinischen PlatonuÈbersetzung orientieren. FuÈr Klaus Düsing blieb Hegel dem spaÈten Schelling uÈberlegen, weil er mit seiner Logik eine Kategorienlehre entfaltete, waÈhrend Schelling (angeblich?) den Gegensatz von Was und Dass nur voraussetzte. Als Düsing diese Gedanken vortrug (1975 auf dem Stuttgarter Hegel-Kongreû) schaltete Gadamers Gesicht voll auf Ablehnung. Gadamer wollte den Erfahrungen folgen. È ber den Maler Werner Scholz hat Gadamer ein ganzes Buch veroÈffentU licht (1968); mit Gehlens Buch uÈber die moderne Malerei hat er sich intensiv auseinandergesetzt. So haÈtte ein Kapitel uÈber Gadamers VerhaÈltnis zur bildenden Kunst nicht fehlen duÈrfen. Celans Rede beim Empfang des BüchnerPreises veranlaûte Gadamer zu der Bemerkung, daû er drei groûe Redner ge-
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hoÈrt habe: Heidegger, Scheler, Celan. Grondin notiert einen Brief Gadamers an Celan von 1961 (408), nicht den wenig gegluÈckten Besuch bei Celan in Paris. Gadamer sprach dann 1969 uÈber Celan in New York im Goethehaus; da er seine Interpretation vorher mitteilte, konnte ich Celan daruÈber noch im FruÈhjahr 1969 berichten. Celan war unerbittlich: in diesen interpretierten Gedichten (dem Zyklus Atemkristall) hatte er sich mit dem ¹Holocaustª auseinandergesetzt, wovon bei Gadamer nicht die Rede war. So verwundert es nicht, daû Heidegger aus Gadamers BuÈchern das Celan-BuÈchlein von 1973 ¹am meisten schaÈtzteª (330). Es wird immer wieder betont, daû Gadamer so alt sei wie das Jahrhundert. Kann sein Leben fuÈr dieses Jahrhundert exemplarisch sein? Man wird im Gegenteil sagen muÈssen: es war das Leben eines Gelehrten, das infolge kluger Entscheidungen trotz der widrigen Zeit gluÈckte. Gadamer hat immer wieder betont, daû Hitler seit 1937/38, als er den Krieg vorbereitete, die noÈtigen È berpruÈfung freistellte ± eine Bedingung Wissenschaftler von der politischen U fuÈr Gadamers Karriere. Vor der laÈngeren und durchdringenderen Diktatur Stalins konnte Gadamer rechtzeitig in den freien Westen ausweichen. Er lernte bei anderen und auch bei sich selbst das GefaÈngnis der Diktaturen kennen. Doch blieb er ein durch und durch ziviler Mensch. Gadamer meinte dem Fronterlebnis Löwiths nahezukommen, als er in einem nationalsozialistischen Dozentenlager etwa beim FruÈhsport ¹Kameradschaftª erfuhr (207). Dieser Vergleich zeigt aber nur, daû ihm der volle Ernst des Krieges fernblieb. Zweifellos sieht die vorliegende Biographie ein deutsches Gelehrtenleben aus der Perspektive eines amerikanischen Gastes. Doch ist mit ihr eine bedeutende Dokumentation gelungen. Freilich moÈchte man wuÈnschen, daû die Diskussion von Heideggers politischer Verstrickung nicht weiterhin die Tendenz solcher Untersuchungen bestimmt, also vor allem nach Dokumenten und Gegendokumenten suchen laÈût. Wer wuÈrde etwas uÈber lebendiges Philosophieren aus den Protokollen der Sitzungen in philosophischen Seminaren erfahren wollen? Diese sind oft besonders geistwidrig: Gott hat den Menschen nur ein biûchen Vernunft gegeben; da die Philosophen dieses Biûchen fuÈr ihre berufliche Arbeit brauchen, bleibt fuÈr das offizielle Miteinander oft zu wenig uÈbrig. So moÈchte man sich gegenuÈber der Aufarbeitung von Dokumenten oft den wirklichen Gadamer zuruÈckerbitten ± jenen, mit dem man ein Bild in einer Ausstellung betrachtete und besprach, mit dem man sich an einer Landschaft freute, mit dem man auch nach langen Sitzungen noch ein Gedicht interpretierte. Otto PoÈggeler (Bochum)
Kurzanzeigen und Hinweise Antipin, Nikolaj A.: Hegels Dialektik in der Interpretation von J. McTaggart. [Russisch.] Sankt Petersburg 1998. 127 S. Untersucht wird die H.-Deutung im englischen Neuhegelianismus, insbes. bei John McTaggart (1866±1925).
Antipin, Nikolaj A.: K. Poppers Kritik an Hegels Dialektik. [Russisch.] Sankt Petersburg 1998. 26 S. Es werden die GrundzuÈge der Popperschen Kritik an der Dialektik und der Sozialphilosophie H.s dargestellt und analysiert.
Biscuso, Massimiliano: Tra esperienza e ragione. Hegel e il problema dell'inizio della storia della filosofia [Zwischen Erfahrung und Vernunft. Hegel und das Problem des Anfangs der Geschichte der Philosophie]. Milano 1997. 436 S. In den vier Kapiteln dieses Buches analysiert Verf. vier H.sche Themen, die besonders in den Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie vorgestellt werden: 1. Die theoretischen Voraussetzungen der Geschichte der Philosophie und das Problem eines Anfangs der Geschichte der Philosophie; 2. die geschichtliche Entstehung der Philosophie; 3. die GruÈnde fuÈr den Ausschluû des Orients am Anfang der Geschichte der Philosophie sowie die Diskussion in Deutschland um 1790± 1830 uÈber die UrspruÈnge der Geschichte der Philosophie; 4. den Anfang der Geschichte der Philosophie in Griechenland. Der Band enthaÈlt ferner eine Bibliographie zu den Themen.
Bonacina, Giovanni (a cura di): La scuola hegeliana e gli ¹Annali per la critica scientificaª. Testi, commento, indici [Die Hegelsche Schule und die ¹JahrbuÈcher fuÈr wissenschaftliche Kritikª. Texte, Kommentar und Inhalte]. Milano 1997. 763 S. Es handelt sich um eine Auswahl von Texten aus der Zeitschrift ¹JahrbuÈcher fuÈr wissenschaftliche Kritikª (1827±1832), die ins Italienische uÈbersetzt, kommentiert und eingeleitet wurden. Vor die Wiedergabe der Texte stellt Verf. eine Einleitung, in welcher das intellektuelle Klima in Berlin in den drei verschiedenen Perioden der Zeitschrift rekonstruiert wird. Am Ende des Bandes werden nuÈtzliche biographische und bibliographische Angaben zu den Rezensenten der Zeitschrift gegeben sowie ein Verzeichnis der Mitglieder der H.-Gesellschaft und eine spezielle Bibliographie der SekundaÈrliteratur uÈber die H.sche Schule.
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Bykova, Marina F.: Das Mysterium der Logik und das Geheimnis der È ber die Absicht der PhaÈnomenologie und Logik bei SubjektivitaÈt. U Hegel. [Russisch.] Moskva 1996. 236 S. Untersucht werden die impliziten Grundlagen der logisch-phaÈnomenologischen Konzeption H.s, die sich nicht in den Rahmen einer logischen RationalitaÈt fuÈgen lassen.
de Schutter, Dirk: Opgave van het proza. Over Hegel, Heidegger en È ber H., Heidegger de ethiek van het lezen [Die Aufgabe der Prosa. U und die Ethik des Lesens]. Leuven 1998. È sthetik wird Kap 1: H.s LoÈsung: das prosaische Ende der Kunst. H.s (von Hotho redigierte) A vom Gedanken des Endes der Kunst fortgetrieben, denn jede Kunstform findet ihr Ende in einer Prosaform. H. wuÈnscht Kunst, die zwar als sinnliches Scheinen zitiert, aber als ,Erscheinen' der Idee uÈbersetzt wird (51, 76), nur zu begreifen, denn er moÈchte ja nicht lesen, weshalb er die MaterialitaÈt des Textes zu verfluÈchtigen beabsichtigt, die ja als leere Selbstdarstellung gegen das Abgebildete hin zu lesen ist. Kap 2: H.s Gewiûheit: die Prosa des Denkens. Hierin gibt Verf. Assoziationen zum ,spekulativen Wort', zu den von H. ,vergessenen Worten' AufloÈsen und Aufgeben, zum ,spekulativen Satz' und zur ,Falte in der Wahrheit'; insgesamt zeigt sich H. als Philosoph ¹der IdentitaÈt, in der letztendlich alle Seienden in der restlosen Einheit die totale VersoÈhnung erreichenª(95).
Georgiev, Konstantin: Philosophie und Theognosie. Erkenntnis, Struktur und Methode in der Religionsphilosophie Hegels. [Bulgarisch.] Sofia 1998. 151 S. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Analyse der MoÈglichkeit sowie der kategorialen Struktur der philosophischen Gotteserkenntnis.
Gorsˇkov, A. A.: Das Problem des Menschen in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. [Russisch.] Autoref. Phil. Diss. Ekaterinburg 1996. 21 S. Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse der H.schen Anthropologie.
Jaeschke, Walter: Hegel. La conciencia de la modalidad. [Hegel. Das È bers. von Antonio GoÂmez Ramos. Bewuûtsein der Moderne]. Span. U Madrid 1998. 69 S. Diese BroschuÈre macht einen Teil (Bd 33) der Historia del pensamiento y de la cultura [Geschichte des Denkens und der Kultur], hrsg. von FeÂlix Duque aus. Als solches ist sie eine nach dem gegenwaÈrtigen Stand der philosophischen Philologie bzw. Hermeneutik aufgefaûte Gesamtdarstellung des Denkens H.s. Die zwei ersten Kapitel zeigen den Weg, der zum reifen Denken des Philosophen fuÈhrten. Die naÈchsten drei bieten eine praÈgnante EinfuÈhrung in sein spaÈtes System dar. Das 6. Kapitel stellt die wichtigsten Auseinandersetzungen dar, die seine Philosophie hervorgerufen hat. Eine Chronologie und eine Bibliographie vollbringen den didaktischen Vorsatz des Werkes.
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Lasarev, Valentin V.: Ethisches Denken in Deutschland und Ruûland: Kant ± Hegel ± Vladimir Solovjev. [Russisch.] Moskva 1996. 301 S. Die moralphilosophischen Konzeptionen der genannten Denker werden vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Wirkung und Rezeption sowie ihrer PraÈgung durch ethische Traditionen der beiden Nationen untersucht und verglichen.
Malinova, Irina P.: Klassische Rechtsphilosophie. Eine Vorlesung. [Russisch.] Ekaterinburg 1997. 66 S. Vorgestellt werden die rechtsphilosophischen Konzeptionen Kants, Fichtes und H.s
Nersesjanc, Vladik S.: Hegels Rechtsphilosophie. [Russisch.] Moskva 1998. 350 S. In the monograph the basic problems of H.'s philosophy of law, its connection with the previous philosophical and legal doctrines about the right and state are dealt with, as well as their interpretations in XIX-XX centuries. The specificity of H.'s philosophy of law is discussed. The importance of H.'s ideals in a spiritual and historical context is analysed.
Vlasov, Andrej D.: Lexikon der Philosophie Hegels (Die PhaÈnomenologie des Geistes). [Russisch.] Moskva 1997. 539 S. Die wichtigsten Kategorien der PhaÈnomenologie werden anhand von Textfragmenten praÈsentiert und erlaÈutert.
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BIBLIOGRAPHIE ABHANDLUNGEN ZUR HEGEL-FORSCHUNG 1997 UND 1998
Zusammenstellung und Redaktion: Nikolaj Plotnikov (Hagen)
In dieser laufend fortgesetzten Berichterstattung wird versucht, das nicht selbstaÈndig erschienene Schrifttum uÈber Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, SammelbaÈnden usw. moÈglichst breit zu erfassen und im einzelnen durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Der uÈbliche Berichtszeitraum umfaût, entsprechend der Erscheinungsweise der Hegel-Studien, ein Kalenderjahr. Davon sind wir hier abgewichen. Da die Aufsatzbibliographie in Band 34 der Hegel-Studien fehlt, fassen wir im vorliegenden Bericht die VeroÈffentlichungen zweier Jahre ± 1997 und 1998 ± zusammen. Es folgen NachtraÈge aus dem Jahre 1996. Die Anordnung geschieht alphabetisch nach dem Namen der Autoren. Der Einfachheit halber werden bei Namen, in denen Partikel wie De, De la o. aÈ. vorangestellt sind, diese der EinfuÈgung in die alphabetische Ordnung zugrundegelegt. (Man suche also nicht: ¹Vos, Lu Deª, sondern: ¹De Vos, Luª.) Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis Redaktionsschluû fertiggestellt werden. Sie werden im naÈchsten Band nachgeholt. FuÈr diesen Band haben Berichte verfaût oder bearbeitet: Edgardo Albizu (Lima), Gabriel Amengual (Palma de Mallorca), Georgia Apostolopoulou (Ioannina), Edmundo Balsemao Pires (Coimbra), Gabriella Baptist (Roma), Christoph Bauer (Bochum), Andris Breitling (Berlin), Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hagen), Olivier Depre (Leuven), Diogo Ferrer (Lissabon), EyuÈp Ali KilicËaslan (Ankara), Yoichi Kubo (Tokyo), Jeong-Im Kwon (Seoul), Luis Mariano De La Maza (Santiago de Chile), Claudia Melica (Roma), Friedhelm Nicolin (Bonn), Angelica Nuzzo (Florenz), Nikolaj Plotnikov (Hagen), Pierluigi Valenza (Roma), Frank VoÈlkel (LuÈneburg), Lu de Vos (Leuven), Elisabeth Weisser-Lohmann (Hagen), Joji Yorikawa (Nagoya). Die Zusammenfassungen in englischer Sprache sind, falls nicht anders vermerkt, aus den Abstracts der jeweiligen Publikationen uÈbernommen. Die uÈber H. arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. Allen, die solche Hilfe bisher schon geleistet haben, sei besonders gedankt.
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Bibliographie
Adelman, Howard: Of Human Bondage: Labour, Bondage, and Freedom in the Phenomenology. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 155 ± 171. Adolphi, Rainer: Kultur? Zur Rehabilitierung des Hegelschen Theorieprogramms des ¹Geistesª. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 170± 179. H.s Philosophie des Geistes bietet in einer modernen Reformulierung ein integrierendes Theorieprogramm zum Begreifen der menschlichen ,Kultur`. Die nachhegelschen Versuche, ein solches Programm entweder im historistischen Verfahren der Typologie von Weltbildern, oder in einem Konzept der Geisteswissenschaften, oder schlieûlich in einer Theorie der RationalitaÈt aufzufinden, weisen zahlreiche Aporien und Defizite auf, so daû sie nicht die Rolle einer integrativen philosophischen Theorie erfuÈllen koÈnnen. Die Theorie der Kultur soll darum das H.sche Konzept des ,Geistes` erkenntnislogisch reformulieren.
Adolphi, Rainer: Vernunft am Ende? Zur Rekonstruktion eines Hegelschen Topos. GeschichtsverhaÈltnis und Geschichtsinteresse als VerhaÈltnis des Geistes und die Theorien vom ,Ende der Geschichte`. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 308± 326. Verf. entwickelt eine ¹Metakritikª der Kritik an H.s Geschichtsphilosophie, um deren vergessene Problemstellungen und Argumentationen fuÈr ein heutiges Geschichtsdenken fruchtbar zu machen. ZunaÈchst stellt er heraus, daû der H.sche Gedanke der ¹Vernunft in der Geschichteª auf einer ¹reflexiven Geschichtshermeneutikª basiert, die uÈber die geschichtlich-objektiven Vernunftprozesse hinaus das ¹Geschichtsinteresseª untersucht, welches die vernuÈnftige Geschichtsbetrachtung leitet. Er zeigt dann an H.s Darstellung des weltgeschichtlichen Verlaufs, daû dieses Interesse auf prinzipielle MoÈglichkeiten der geistigen Gestaltung menschlicher LebensverhaÈltnisse und auf die in der Gegenwart wirksamen geistig-kulturellen Erbschaften gerichtet ist. Das Theoriefundament fuÈr diesen Ansatz findet er in H.s geschichtshermeneutischer Konzeption der ¹bestimmten Religionª, die gegenuÈber den empirisch-historischen Ereignissen eine eigenstaÈndige Ebene geistig-geschichtlicher ZusammenhaÈnge und Unumkehrbarkeiten darstellt. Schlieûlich wendet Verf. H.sche Argumentationen gegen neuere È berAuffassungen vom ¹Ende der Geschichteª, um an diesem Beispiel die konzeptionelle U legenheit und das Potential des Geschichtsdenkens H.s zu demonstrieren.
Albizu, Edgardo: ,IdeologõÂa` como modo histoÂrico de la interioridad [,Ideologie` als geschichtlicher Modus der Innerlichkeit]. ± In: Escritos de FilosofõÂa. Buenos Aires. 16 (1997), N. 32, 35 ± 59. This article aims to provide an account of the sense in which ideology is the systematic a priori of the significance constitutive of present-day consciousness. The different meanings which the term ,ideology` takes on are explored, and special emphasis is given to the relationship holding between terror and death-that-is-without-meaning. This nexus was disclosed by H. in the core of Modern spirit, and is the necessary path to the appreciation of the interconnection between power and knowledge along with its manifold hybridization as the eidetic
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core of ideology. With reference to this core, some relevant historical aspects (a posteriori) are outlined with the aim of rendering possible the analysis of what may be called ¹alienogenic vortexes and ideological paradigmsª.
Albizu, Edgardo: De la demarcacioÂn externa a la transformacioÂn interna de la ciencia [Von der aÈuûeren Abgrenzung bis zur inneren Verwandlung der Wissenschaft]. Buenos Aires: Academia Nacional de Ciencias 1998. 3± 42. In diesem Aufsatz geht Verf. vom Problem der Abgrenzung Wissenschaft/Philosophie aus. Seiner Meinung nach ist es nur der Ausgangspunkt eines Prozesses, in dem die Wissenschaft ihre aus der Philosophie sich ergebende Grenze in sich einverleibt. Auf solche Weise ist die anfaÈngliche Abgrenzungsproblematik aufgehoben und geht in die gegenwaÈrtige epistemologische Lage uÈber ± naÈmlich in die innere Verwandlung der Wissenschaft. Nun ist dieser È bergang nur aus der H.schen Wissenschaft der Logik zu begreifen. Es handelt sich um einen U È Ubergang von der Grenze zur Schranke. Die hier knapp dargestellte Dialektik entwickelt sich in der Lehre vom Sein von 1832.
Albizu, Edgardo: Die Erfahrung der Indianer. Vergangenheit und Zukunft des Weltgeistes. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 180 ±186. Die Geschichte Amerikas wird von H. aus der europaÈischen Perspektive betrachtet, d. h. genauer unter dem Gesichtspunkt der Eroberung und Kolonisierung. Eine umgekehrte Perspektive zeigt die Erfahrung der Indianer, die dennoch strukturelle Verwandtschaft mit der H.schen begrifflichen Erfassung der Geschichte Amerikas aufweist. Es ist das Thema der Entfremdung des Menschen von der Natur, das hier und dort im Mittelpunkt steht.
Albizu, Edgardo: Hegel: La loÂgica de la razoÂn divina [Hegel: die Logik der goÈttlichen Vernunft]. ± In: Cuatro filoÂsofos y la existencia de Dios. San Anselmo ± Descartes ± Kant ± Hegel [Vier Philosophen und das Dasein Gottes . . .]. Rev. por H. Puyau. Buenos Aires 1998. 89 ±118. Verf. untersucht einige Stellen der Wissenschaft der Logik, der EnzyklopaÈdie von 1830 und der Vorlesungen von 1831, die eine Auslegung der hegelschen Wiederherstellung des ontologischen Beweises begruÈnden. Ergebnisse davon sind folgende: 1. Der begriffliche Inhalt der theologia naturalis wird wesentlich um den spekulativen Trieb der negativen Theologie bereichert. 2. Zwei neue spekulative Begriffe werden ausgearbeitet, naÈmlich der der positiv-wirklichen Unendlichkeit und der der die NegativitaÈt einschlieûenden Existenz, die wohl von dem des rohen Daseins zu unterscheiden ist. Deswegen bedeutet die Idee einer dem Wesen nach konstituierten Existenz die ZusammengehoÈrigkeit von Dasein und Nichts, bzw. von Dasein und Nichtdasein. So ist vom Inneren der Metaphysik aus der Weg zu den Themen ¹Tod Gottesª und ¹letzter Gottª eroÈffnet.
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Bibliographie
Allen, Amy: Foucault`s Debt to Hegel. ± In: Philosophy Today. Chicago, Ill. 42 (1998), 71 ± 78. Verf.in analysiert das Problem der Sprache und den Tod des Subjekts bei H. und bei Michel Foucault. Sie vergleicht insbesondere Teile von H.s PhaÈnomenologie des Geistes mit Foucaults The Discourse of Language. Am Ende kommt sie zu dem Ergebnis, daû Foucault vieles aus der È hnlichkeiten zwischen H. H.schen Philosophie entnommen habe und es deswegen zahlreiche A und Foucault gebe.
Alves Vieira, Leonardo: A herancËa kantiana da concepcËao hegeliana do Direito e da Moral [Kants Erbe in Hegels Theorie des Rechts und der MoralitaÈt]. ± In: SõÂntese. Nova Fase. Belo Horizonte. 24 (1997), N. 77, 163± 179. This article deals with Kant`s heritage in H.`s theory of Right and Morality. First, it concerns the common base on which they develop their own theories. Secondly, it shows H.`s criticism of the way Kant connects both spheres, the legal one and the moral one. This criticism is based on the dynamics or movement of the will, which was, according to H., neglected by Kant. Finally, H.`s theoretical alternative is discussed.
Amengual, Gabriel: Die Ungleichzeitigkeit der Philosophie. Die Philosophiegeschichte in ihrem gesamthistorischen Kontext. ± In: HegelJahrbuch 1997. Berlin 1998. 104±107. H.s Konzeption der Philosophiegeschichte erlaubt es, sowohl den allgemeinen geschichtlichen Kontext bei der Betrachtung der Geschichte der Philosophie zu rekonstruieren als auch die zukunftsweisende Rolle der Philosophie zu bestimmen.
Anderson, Jami L.: Understanding Punishment as an Annulment. ± In: Technology Morality and Social Policy. Ed. by Y. Hudson. Lewinston, Mellen 1998. 215±226. Verf. analysiert den Gedanken von ¹annulling a crimeª im abstrakten Recht der Rechtsphilosophie H.s. H. argumentiert, daû das Aufheben des Verbrechens in der Strafe eine ¹Wiedervergeltungª ist. Die Strafe ist zugleich die Aufhebung des Willens des Verbrechers und die Wiedervergeltung des Rechts.
Anderson, Kevin: On Marx, Hegel, And Critical Theory in Postwar Germany: A controversation with Iring Fetscher. ± In: Studies in East European Thought. Dordrecht [usw.] 50 (1998), 1± 18. This paper consists of an introduction to the life and work of Iring Fetscher by the interviewer, followed by a conversation with Fetscher, and notes. In the interview, Fetscher discusses his relationship to Marxism, Hegelianism, LucaÂcs, and the Frankfurt school, as well as his critique of Althusser. The contribution of Fetscher, an extremely well-known German specialist on Soviet and Marxist thought, is here discussed in greater detail than anywhere else to date in the English-language scholarly literature.
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Armstrong kelly, George: Notes on Hegel`s ¹Lordship and Bondageª. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 172± 191. Armstrong, Susan: A Feminist Reading of Hegel and Kierkegaard. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 227±241. Arndt, Andreas: Fortschritt im Begriff. Hegels Aufhebung der Hermeneutik in der Geschichte der Philosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 108± 115. Verf. untersucht den Gegensatz zwischen der H.schen philosophischen Position und der der hermeneutischen Philosophie. Der. H.sche Begriff des Fortschritts in der Geschichte der Philosophie ist dem hermeneutischen VerstaÈndnis von Geschichte als Geschichtlichkeit entgegengesetzt, weil bei H. das Verstehen in ein Begreifen als die Selbstexplikation des Begriffs uÈberfuÈhrt und damit ein endguÈltiger Maûstab zur Beurteilung der philosophischen Argumente gewonnen wird. Demnach kann bei H. das hermeneutische Verfahren nicht in den Rang einer philosophischen Disziplin erhoben werden.
Asmuth, Christoph: ComecËo e Forma da Filosofia. ReflexoÄes sobre È berFichte, Schelling e Hegel [Anfang und Form der Philosophie. U legungen zu Fichte, Schelling und Hegel]. ± In: Revista FilosoÂfica de Coimbra. Coimbra. 13 (1998), 55± 70. Das Problem des Anfangs der systematischen Philosophie in Fichtes Wissenschaftslehre (18042), Schellings Darstellung meines Systems (1801) und Philosophie und Religion (1804), sowie H.s Wissenschaft der Logik (Das Sein, 1812) wird eingehend eroÈrtert. Verf. bemerkt kritisch, daû die idealistische ¹Festsetzungª des Anfangs des Denkens nicht uÈber ihre ¹tiefe Unsicherheit hinwegtaÈuschenª kann.
Asmuth, Christoph: Hegel und der Anfang der Wissenschaft. ± In: Die Grenzen der Sprache. Hrsg. v. Ch. Asmuth, Fr. Glauner, B. Moisisch. Amsterdam, Philadelphia 1998. 175 ±202. Der Aufsatz diskutiert das fuÈr H.s systematische Philosophie wesentliche Problem des Anfangs der Wissenschaft, das im einleitenden Abschnitt der Wissenschaft der Logik: ¹Womit muû der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?ª am vollstaÈndigsten praÈsentiert wurde. Verf. faÈngt an mit einer Darstellung Kants Begriff des Anfangs und wendet sich dann H.s Begriff des ¹reinen Wissensª zu. H. diskutiert drei moÈgliche Begriffe des Anfangs: der Anfang als Resultat, der Anfang als Anfang und der Anfang als das Bekannteste. Der Aufsatz schlieût mit einer Auseinandersetzung mit der zeitgenoÈssischen Sprachphilosophie sowie mit Fichtes und Schellings Bemerkungen zum Thema.
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Bibliographie
Badaloni, Nicola: Logica della contraddizione e logica speculativa [Logik des Widerspruchs und spekulative Logik]. ± In: Filosofia e storia della cultura. Studi in onore di Fulvio Tessitore. A cura di G. Cacciatore, M. Martirano, E. Massimilla. Napoli 1997. 7 ± 22. Nietzsche erfaûte als erster, daû H.s auf das Werden zentrierte Logik vielfaÈltige Logiken vorbereitete, die des Darwinismus eingeschlossen. Verf. geht von diesem Urteil Nietzsches aus, um die verschiedenen Ebenen der Unbestimmtheit innerhalb der Logik des Seins und des Wesens zu betrachten. Der Kern der Dialektik wird im Werden einer lebenden Kraft, die die Rolle der Substanz spielt, gefaût. In diesem Sinne ist das Unbestimmte als Ausgangspunkt der logischen Prozesse durch das Dasein nicht, so wie einige nunmehr klassische Kritiken an der H.schen Logik moÈchten, ersetzbar. Kritisierbar ist dagegen die H.sche Verabsolutierung empirischer Tatsachen, was schon Marx richtig betont hatte.
Badie, M.-F.: La notion de ¹pheÂnomeÂnalite infinieª dans les LecËons sur la philosophie de la religion de Hegel. ± In: Les EÂtudes philosophiques. Paris. 53 (1998), 479± 502. Verf. interpretiert H.s Logik grundsaÈtzlich als eine radikale Kritik aller Form von Ontologie. Nun stellt sich angesichts dieser methodologischen Bedingung die Frage, wie der Ausdruck ¹unendliche Erscheinungª zu verstehen ist, der ohne Zweifel in sich widerspruÈchlich ist, da die Erscheinung ihrer Natur nach ein Besonderes und darum Endliches ist. Der Ausdruck kommt in den H.schen Texten selten vor und erscheint vor allem in den Vorlesungen uÈber die Religionsphilosophie.
Balsemao Pires, Edmundo: Do ,Mais Antigo Sistema-Programa do È ltesten SystemIdealismo Alemao` ao ,Sistema da Eticidade` [Vom A programm des deutschen Idealismus zum System der Sittlichkeit].- In: ComunicacËoÄes. Coimbra. 1997, N. 3 (MarcËo), 21 ±53. Verf. weist eine enge Beziehung zwischen der Jenaer Kritik H.s an den Fundamenten des modernen Naturrechts (insbesondere in Bezug auf Hobbes, Kant und Fichte) von 1802 nach und der Bildung des Konzepts des philosophischen Systems, das H. im November 1800 in einem Brief an Schelling angekuÈndigt hatte. Die H.sche Kritik des modernen Naturrechts im Naturrechtsaufsatz veraÈndert schlieûlich auch die Voraussetzungen der Kritik des Staates als È ltesten Systemprogramm des Deutschen Idealismus enthalten ist. Verf. versucht Maschine, die im A den Sinn dieser Kritik zu klaÈren, insbesondere durch den Bezug auf die Schriften von 1802/ 1803 sowie ihre Motivationen und theoretischen Erweiterungen.
Baptist, Gabriella: Ancora un confronto tra poetare e pensare? Derrida e Celan tra Hegel, HoÈlderlin e Heidegger [Noch eine Zwiesprache zwischen Dichten und Denken? Derrida und Celan zwischen Hegel, HoÈlderlin und Heidegger]. ± In: Paradigmi. Rivista di critica filosofica. Bari. 15 (1997), N. 43, 111± 133. Derrida entwickelt das Thema des Risses in seiner theoretisch bestimmten Auseinandersetzung mit der Literatur und hauptsaÈchlich in der Zwiesprache mit der Tradition der philo-
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È sthetik. GegenuÈber der Annahme einer kuÈnstlerischen ,Nachahmung` kuÈndigt sophischen A Derrida eine neu begriffene ,mimesis` als Riû an, in welchem die Beziehungen zwischen Kunstwerk und Kunsttheorie, aber auch die Unbestimmbarkeit dieser Grenze zum Ausdruck kommt. Glas und Schibboleth pour Paul Celan werden naÈher in diesem Kontext untersucht. Dabei wird gezeigt, wie der direkte oder indirekte Bezug auf H., HoÈlderlin und Heidegger Derridas Position in vielerlei Hinsichten beeinfluût.
Baptist, Gabriella: Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 243± 259. Baptist, Gabriella: Tempo e temporalitaÁ nella prospettiva di Fede e Sapere [Zeit und Zeitlichkeit in der Perspektive von Glauben und Wissen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 283± 288. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
È bers. Baruzzi, Arno: Was ist Rechtsphilosophie heute? [Koreanisch. U von Kim, Joon-Soo] ± In: Hegel-YoÆn`gu. [Hegel-Studien.] Seoul. 7 (1997), 345± 363. In der ersten HaÈlfte des 19. Jhs. herrschte in der Rechtsphilosophie die Lehre vom Naturgesetz. Verf. sieht insbesondere bei H. einen Zeitabschnitt fuÈr die Konzeption, daû sich das Gesetz vom Naturgesetz zum Rechtsgesetz, das als das Gesetzte bzw. das vom Menschen Stammende gilt, entwickelt. Obwohl H.s Unterscheidung zwischen Natur- und Rechtsgesetz im Bereich der Rechtswissenschaft nicht zum Fachterminus genommen wurde, findet es Verf. È berlegung zu der Frage nach dem VerhaÈltnis bzw. U È bergang des Commonsinnvoll, fuÈr die U gesetzes zu dem Naturgesetz Hegels Bestimmung des Rechtsgesetzes zu beruÈcksichtigen.
Baur, Michael: Sublating Kant and the Old Metaphysics: A Reading of the Transition from Being to Essence in Hegel`s Logic. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 29 (1997/1998), N. 2, 139 ±164. Verf. will zeigen, daû es der Fehler der alten Metaphysiker, aber auch noch der Fehler Kants war, zum einen die IdentitaÈt im Unterschied von Schein und Wesen nicht verstanden zu haben, zum anderen auch die Unmittelbarkeit und die negative Selbstvermittlung (oder SubjektivitaÈt) nicht begriffen zu haben. HierfuÈr werden Teile der H.schen Wissenschaft der Logik untersucht.
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Bibliographie
Baur, Michael: Winckelmann and Hegel on the Imitation of the Greeks. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 93± 111. Winckelmann deutet das griechische Volk als eine situierte Freiheit, die in der Kunst hervorbricht. Nur die unreflektierte Fassung dieser Freiheit, als ob mit ihr schon jede MuÈhe vorweggenommen sei und als ob sie schon die hoÈchste sei, wird von H. kritisiert.
Bedeschi, Giuseppe: Il pensiero politico e giuridico [Politisches und juristisches Denken]. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 157±200. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Beierwaltes, Werner: Ferne und Gegenwart des Platonismus. ± In: Dodone. Ioannina. 26 (1997), N. 3, 291 ±301. Verf. hebt (S. 293± 296) die produktive Verbindung von GegenwaÈrtigem und Vergangenem hervor, die sich aus H.s Auffassung von der Aufhebung ergibt, er distanziert sich aber von H.s È berzeugung, die Entwicklung der Geschichte der Philosophie folge mit Notwendigkeit den U logischen Bestimmungen der Idee.
Bensch, Hans-Georg: Historische Implikationen des § 76 der Hegelschen Rechtsphilosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 255 ± 258. H. haÈlt das abstrakte Recht von den materialen Bedingungen der Reproduktion frei und faût das Eigentum konsequent als ein VerhaÈltnis zweier Willen auf, was u. a. darin zum Ausdruck kommt, daû er den Tausch als gegenseitiges Schenken bestimmt. DafuÈr uÈbertraÈgt er dem Staat die Funktion, die materialen Bedingungen der Reproduktion zu sichern und zu organisieren.
Bernstein, Jay M.: Comment. Being Hegelian: Reply to Simon Jarvis. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 73± 77. Bernstein, Jay M.: Conscience and Transgression: The Exemplarity of Tragic Action. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 79 ±97.
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Berraondo, Juan: Le savoir absolu, la moralite et l`histoire. ± In: HegelJahrbuch 1997. Berlin 1998. 259 ±262. H. stellt im Begreifen des Lebens ein Dilemma von Skeptizismus und absolutem Wissen auf. Die Vermittlung des Lebens und des Denkens, die in der Philosophie des objektiven Geistes geleistet werden soll, kommt jedoch nicht zustande. Die RationalitaÈt des Realen kann erst jenseits des Lebens im absoluten Geist erreicht werden.
Berthold-Bond, Daniel: Hegel and Marx on the Nature and Ecology. ± In: Journal of Philosophical Research. Bowling Green, Ohio. 22 (1997), 145± 179. While neither H. nor Marx can be called ¹ecologistsª in any strict sense of the term, they both present views of the human-nature relationship, which offer important insights for contemporary debates in philosophical ecology. Further, while Marx and Engels began a tradition of sharply distinguishing their own views of nature from those of H., careful examination reveals a substantial communality of sentiment. The essay compares H. and Marx in terms of their basic conceptions of nature, their critiques of Romantic nature-worship, their notions of how a meaningful unity with nature requires the act of socially transforming nature, their respective calls for a new science of nature, and their attitudes towards technology. I argue that we can uncover a largely shared humanistic orientation toward nature, and I situate this view within contemporary debates about the anthropocentric or non-anthropocentric foundation of ecological thinking.
Berthold-Bond, Daniel: Lunar musings? An investigation of Hegel`s and Kierkegaard`s Portraits of Dispair. ± In: Religious Studies. Cambridge. 34 (1998), 33± 59. Despite his persistent polemics against the H.ian speculative philosophy, Kierkegaard recognized his own ,enigmatic respect for H.`, and one of his pseudonyms (Johannes Climacus) even acknowledged that his own energies are for the most part consecrated to the service of speculation. Nowhere are Kierkegaard`s energies more productively devoted to this service than in the work of his last pseudonym, anti-climacus, the sickness unto death. In this essay, I argue that not only are there structurell parallels between the anatomy of despair in the Sickness unto death and the analysis of the unhappy consciousness` in H.`s Phenomenology, but that there are striking parallels in terms of the actual content of the respective accounts. I develop these parallels in order, finally, to reconsider the terrain of difference between Kierkegaards and H.`s phenomenological therapeutics.
Bessonow, Boris N.: Die Aufhebung der Philosophie: Hegel, Feuerbach, Marx. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 175±191. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 222.
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Bibliographie
Biasutti, Franco: La religione. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 237± 280. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Biasutti, Franco: Lo sviluppo sistematico dall`arte alla religione nella Filosofia dello spirito jenese del 1805± 1806 [Die systematische Entwicklung von der Kunst zur Religion in der Jenaer Philosophie des Geistes von 1805±1806]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 196± 205. Verf. verfolgt die Entwicklung des Begriffs der Kunst in ihrem VerhaÈltnis zur Religion beim jungen und beim spaÈteren H. Dabei wird die Wichtigkeit des Begriffs der Gemeinde gezeigt. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Bicknell, Jeanette: The Individuality in the Deed: Hegel on Forgiveness and Reconciliation. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 37 ±38 (1998), 73± 84. In diesem Aufsatz unternimmt Verf., deren Absicht ist, die Bedeutung der PhaÈnomenologie fuÈr das H.sche SpaÈtwerk hervorzuheben, den Versuch, die H.sche Behandlung der Verzeihung und der VersoÈhnung in den Vorlesungen uÈber Religionsphilosophie aufgrund der Behandlung derselben in der PhaÈnomenologie zu erhellen. Zum Schluû legt Verf. die Grenzen der H.schen Analyse dieses Themas (im Gegensatz zwischen menschlicher und goÈttlicher Verzeihung und H.s VerstaÈndnis des BoÈsen) frei.
Bien, Joseph J.: The Dilemma in Modern Language Philosophy. An Hegelian Suggestion. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 275±278. Das moderne philosophische Denken kann die Sprache als Grund des Denkens nur entweder in skeptischer oder in mystischer Weise betrachten. Der Mensch erscheint einerseits als bloûer Sprachbenutzer, andererseits erscheint die Welt als jenseits der Sprache und daher als unerkennbar. In H.s PhaÈnomenologie und ihrer Dialektik erkennt Verf. einen vielversprechenden Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen, indem hier eine KontinuitaÈt zwischen Subjekt und Objekt in der Sprache gesehen werde.
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Bienenstock, Myriam: La filosofia di Herder: una ¹modificazione minoreª della riflessione praticata da Jacobi? [Die Philosophie Herders: eine ¹kleine Modifikationª der praktischen Reflexion Jacobis?]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 127± 140. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Bigniami, Livia: Aspetti fenomenologici nel concetto di filosofia nella Filosofia dello spirito jenese del 1805± 1806 [PhaÈnomenologische Aspekte des Begriffs der Philosophie in der Jenaer Philosophie des Geistes von 1805±1806]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 206± 216. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Binoche, Bertrand: De Hegel aÁ Montesquieu. Philosophie de l`histoire ou philosophie des histoires? ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 116 ± 120. È uûerungen uÈber Montesquieu in der Rechts- und GeVerf. untersucht H.s A schichtsphilosophie. H.s Beurteilung bleibt darin ambivalent: Einerseits wird Montesquieu als derjenige charakterisiert, der erkannt hat, daû jede geschichtliche Leistung nur in bezug auf die TotalitaÈt des Volksgeistes begreifbar ist, andererseits, hat Montesquieu die Natur dieser TotalitaÈt als einer organischen ModalitaÈt des Weltgeistes verkannt.
Biscuso Massimiliano: Scaravelli interprete di Hegel [Scaravelli als Interpret von Hegel]. ± In: Il pensiero di Luigi Scaravelli. La storia come problema e come metodo. A cura di M. Corsi. Soveria Mannelli (1998), 115 ±126. Verf. befaût sich mit Scaravellis Interpretation von H., die sowohl fuÈr die Logik des Widerspruchs als auch fuÈr die Auffassung von Urteil und Syllogismus H. mit Kant eng verbindet. Diese Interpretation entwickelt sich von Critica del capire zu den spaÈteren Handschriften: H.s Philosophie ist kein Ausdruck des romantischen Strebens, das nicht-Identische, d. h. das Leben È berwindung des kantidarzustellen, sondern die einigermaûen notwendige metaphysische U schen auf die Synthese gegruÈndeten Kritizismus. Die KlaÈrung dieser Perspektive bereitet dem Denken Scaravellis Schwierigkeiten.
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Bibliographie
Biscuso, Massimiliano: ¹Posizioniª e ¹prospettiveª filosofiche in Hegel storico della filosofia [¹Stellungenª und philosophische ¹Perspektivenª bei Hegel als Historiker der Philosophie]. ± In: Il Cannocchiale. Napoli. 1997, N. 1, 33 ±65. Die Formen der Philosophie und ihre zeitliche Entwicklung sind das Thema dieses Aufsatzes. Verf. analysiert die Strukturen der Philosophiegeschichte, die von der Zeitlichkeit unberuÈhrt bleiben, um zu erklaÈren, inwiefern die Philosophiegeschichte der logischen Entwicklung entspricht, wie H. sie in der EnzyklopaÈdie erlaÈutert. Durch den Vergleich einiger Stellen der EnzyklopaÈdie mit den Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie findet Verf. eine Analogie zwischen den ¹Drei Stellungen des Gedankens zur ObjektivitaÈtª, dem ¹Vorbegriffª der Logik in der EnzyklopaÈdie und den Formen der Philosophie in der Geschichte der Philosophie selbst. Auf diese Weise wird die Philosophiegeschichte zu einem nicht mehr aufhebbaren Element des Systems.
Biscuso, Massimiliano: Tre modi di pensare la relazione fra passato e presente nella storia della filosofia: Aristotele, Descartes, Hegel [Drei Wege, das VerhaÈltnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart in der Geschichte der Philosophie zu denken: Aristoteles, Descartes, Hegel]. ± In: Bollettino della SocietaÁ Filosofica Italiana. Roma. 1997, N. 162, 17 ± 23. Verf. stellt drei Modelle dar, das VerhaÈltnis zwischen Gegenwart und Vergangenheit in der Philosophie zu denken. Aristoteles begreift zwei gegensaÈtzliche Modelle und zwar die AktualitaÈt der Vergangenheit aus der Perspektive der episteme und ihre inaktuelle Natur aus der Perspektive des singulaÈren Wahrheitsanspruchs. Descartes verkoÈrpert die zweite Perspektive, H. die erste. Bei H. ist die Trennungslinie nicht mehr diejenige zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sondern die ganze Geschichte der Philosophie entlang diejenige zwischen Prinzip und Entfaltung einer Philosophie.
Bisticas-Cocoves, Marcos: The Path of Reason in Hegel`s Phenomenology of Spirit. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 163± 182. Böhling, Ronald: Zur Materie der Logik. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 230± 233. Nach dem H.schen Anspruch sind die Bestimmungen der logischen Idee rein immanent entfaltet und werden von der endlichen Gestalt, in der sie in der Geschichte der Philosophie auftreten, bereinigt. Entgegen der H.schen Intention ist jedoch festzustellen, daû die Zitate aus der Geschichte der Philosophie sowie die philosophiegeschichtlichen Reflexionen fuÈr den Argumentationsgang in der Logik konstitutiv sind. Dies wird am Beispiel der Bestimmungen des ,absoluten Grundes` gezeigt.
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Bonacina, Giovanni: La posizione di Schleiermacher in Fede e Sapere [Die Stellung von Schleiermacher in Glauben und Wissen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 83± 90. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Bondeli, Martin: Hegel und die kommunitaristische Kritik an John Rawls` Liberalismus. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. St. Augustin. 3 (1997), 29± 46. Verf. fragt nach den philosophischen Wurzeln der kommunitaristischen Kritik an John Rawls Liberalismus-Konzept. Mit Charles Taylor ist hier vor allem auf H. zu verweisen. Verf. rekonÈ bernahme jenes spezifischen Zusamstruiert die NaÈhe des Kommunitarismus zu H. als die U menspiels liberaler und kommunitaristischer Elemente, wie sie fuÈr die H.sche Staatskonzeption bestimmend ist. Verf. veranschaulicht die VorzuÈge des H.schen Ansatzes, die sein Modell fuÈr eine ErgaÈnzung des Rawlschen Vorgehens geeignet erscheinen lassen.
Bondeli, Martin: Hegels IdentitaÈtsphilosophie in Auseinandersetzung mit Reinholds Rationalem Realismus. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 163 ±174. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 181.
Bondeli, Martin: Hegels philosophische Entwicklung in der Berner Periode. ± In: Hegel in der Schweiz (1793± 1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 59± 109. Bondeli, Martin: Kritische Bemerkungen zum Abschied von der Idee der Vernunftgeschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 328± 336. Verf. untersucht unter Bezug auf die geschichtsphilosophischen AnsaÈtze Kants, H.s und Marx` die Kritik an der Universalgeschichte. Bei dieser handele es sich um eine verklaÈrende Geschichtsdarstellung, auf deren Grundlage Geschichtsprophetie betrieben werde. Kant stellt laut Verf. einen ¹Leitfaden a prioriª fuÈr die Erforschung und Darstellung der Weltgeschichte bereit und weist einen an den Naturwissenschaften orientierten ObjektivitaÈtsanspruch fuÈr den Bereich der Geschichte zuruÈck. H. wendet sich explizit gegen die MoÈglichkeit, Geschichtsprophetie zu betreiben und leistet daruÈber hinaus nicht nur die Reflexion auf den gegebenen Stoff, sondern auch auf die Konstruktionsform. Allerdings geht er insofern uÈber Kant hinaus als er die Konstruktion a priori substantialisiert, indem er ihr den hypothetischen Charakter nimmt. Marx uÈbernimmt die geschichtsmethodologischen Einsichten H.s, bemuÈht sich jedoch, den kritizistischen Ansatz Kants beizubehalten. Statt einer ¹verklaÈrenden Geschichtsdarstellungª zeichnen sich alle drei AnsaÈtze dadurch aus, daû sie als gegenstandsorientiert zu
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Bibliographie
verstehen sind und aufgrund dieser Gegenstandsorientiertheit lediglich eine signifikante VeraÈnderung ihres Gegenstandsbereiches nachkonstruieren.
Bondeli, Martin: Zur friedensstiftenden Funktion der Vernunft bei Kant und Hegel. ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 153± 175. Bonito Oliva, Rossella: La questione del nichilismo e la questione del soggettivo [Die Frage nach dem Nihilismus und die Frage nach der SubjektivitaÈt]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 263 ±282. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Borges, Maria de Lourdes: EspõÂrito de um povo e EspõÂrito do Mundo em Hegel: a Liberdade purificada temporalmente [Volksgeist und Weltgeist bei Hegel: die zeitliche gereinigte Freiheit]. ± In: Kriterion. Revista de Filosofia. Belo Horizonte. 38 (96) 1997, 33± 54. Verf. versucht zu zeigen, wie sich der Volksgeist und der Weltgeist innerhalb der historischen und systematischen Struktur der Philosophie der Weltgeschichte und der Philosophie der Religion zueinander verhalten. Auf der einen Seite zeigt Verf. die tiefe AffinitaÈt zwischen der HistorizitaÈt des Volksgeists und der Selbst-Offenbarung der Freiheit in den verschiedenen Etappen der Geschichte. Auf der andern Seite versucht Verf. insbesondere die Verbindung zwischen der Entwicklung der Geschichte der Religionen, des Bewuûtseins von Gott bei den verschiedenen VoÈlkern und des absoluten Begriffs der Wissenschaft der Logik, als logische Konstruktion einer Wissenschaft von Gott zu verstehen. Schlieûlich, im letzten Teil des Artikels, zeigt Verf. auf, wie, nach H., sich die Harmonie zwischen Religion und Staat nur in den protestantischen Nationen verwirklicht.
Boubia, Fawzi: Hegel`s Internationalism: World History and Exclusion. ± In: Metaphilosophy. Oxford. 28 (1997), 417± 432. Philosophies sometimes claim international authority by claiming to be the expression of rationality that is universal in character or validity. This paper attacks H.`s internationalism of universal spirit and word history for unjustly excluding the philosophical value of non-European cultures and races: Africans, Asians, Arabs, Jews, and Native Americans. H.`s Eurocentric internationalism also displays a particularly strong nationalist pride in German philosophical superiority. One cannot simply excuse the prejudices of H.`s historical context for his exclusionary attitudes. For H.`s contemporary Goethe displayed a more truly international spirit in his inclusionary concept of world literature.
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Bourgeois, Bernard: ,Natur` und ,PositivitaÈt` in den Berner Schriften Hegels. ± In: Hegel in der Schweiz (1793± 1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 111± 131. Bourgeois, Bernard: Der Begriff des Staates (§§ 257± 271). ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 217 ±242. Bourgeois, Bernard: SpeÂculation heÂgeÂlienne et droit positif. ± In: Revue de MeÂtaphysique et de Morale. Paris. 102 (1997), 525± 540. Die H.sche Philosophie des eigentlichen Rechts hat die rechtliche Arbeit, teils in deren theoretischer Seite als gesetzgeberischer Bestimmung, teils in praktischer Seite als richterliche Entscheidung, von allem dogmatischen Rationalismus befreit. H. hat der mannigfaltigen positiven Arbeit der Juristen ihre Grenzen gesetzt, indem er dieselbe in ihrer eigensten Dialektik aufgefaût und dargestellt hat.
Bouton, Christophe: Eternite et preÂsent selon Hegel. ± In: Revue philosophique de la France et de l`EÂtranger. 123 (1998), tome 188, 49± 70. H.`s conception of eternity should be differentiated from never-ending progress, from the punctual ¹nowª or even more from an abstract timelessness. Hence what could be the positive meaning of such a notion? Eternity should rather be understood in terms of an absolute present, i. e. a total present superseding the destructive negativity of natural time and spreading out into two fields: the eternity of logics is the co-existence of different stages in the realm of Idea, and the eternity of the absolute spirit encompasses the dimension of historicity, as may be illustrated in the history of religion and the history of philosophy. Through such a twofold interpretation ± i .e. both logical and historical ± of eternity, H. succeeds in solving the paradox of the historicity of the absolute spirit and in grasping an understanding of its temporal manifestations.
Branka, Brujicˇ: Geschichtliches Welten der Welt. Heidegger ± Hegel: Die Kreuzung von zwei Denkwegen. ± In: Synthesis philosophica. Zagreb. 24 (1997), 541± 557. Zuerst wird H.s und dann Heideggers Begriff der Welt als geschichtlicher Welt dargelegt. Bei beiden Denkern charakterisiert eine innerliche Einheit die jeweilige geschichtliche Welt. Die entscheidenden Unterschiede zeigen sich aber hinsichtlich der Konstitution dieser Einheit. WaÈhrend bei Heidegger das ¹Wieª des Seienden im Ganzen, das dem Menschen fuÈr sein Verstehen und Verhalten enthuÈllt ist, die Einheit einer Welt ausmacht, bildet die Einheit bei H. der Geist der VoÈlker, die ihr Selbstbewuûtsein der Freiheit, das in der Religion, Sittlichkeit, Kunst und Philosophie zum Ausdruck kommt, durch den Staat in ihren Welten verwirklichen. Aus der H.schen Ontologie geht hervor, daû das anwesende Seiende immer gleich ist. Die geschichtlichen Unterschiede bestimmt nur die Entwicklung des Begreifens des Gedankens in seiner TotalitaÈt: die RealitaÈt als eine und sich als die RealitaÈt zu wissen. So ist fuÈr H. die Geschichte der Philosophie eben die Entwicklung dieser Idee. In seinen Interpretationen mancher
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Bibliographie
Philosopheme zeigt Heidegger das die ganze Metaphysik charakterisierende Denken der Seiendheit des Seienden, aber zugleich auch den Unterschied, mit dem das Seiende in geschichtlichen Epochen anwesend ist. Die Entgegensetzung des Heideggerschen Denkens gegen die Philosophie H.s folgt aus der voÈllig unterschiedlich erfahrenen Vollendung der Metaphysik und den aÈuûersten MoÈglichkeiten der Geschichte des Abendlands, die Weltgeschichte geworden ist. Die Auseinandersetzung Heideggers mit der Philosophie H.s ist keine Widerlegung. Die H.sche Ontologie selbst weist auf, wie das Seiende durch ¹die Arbeit des Begriffsª in der gegenwaÈrtigen Welt ist (als ¹Endstandª). Der Charakter dieser Auseinandersetzung ist eher ¹die Kreuzung von zwei Denkwegenª. (Zusammenfassung durch den Verf.)
Brauer, Daniel: Die HistorizitaÈt der Philosophie und die Logik ihrer Geschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 60± 65. Verf. nimmt eine kritische Analyse der Prinzipien von H.s Theorie der Philosophiegeschichte vor sowie der Bedingungen ihrer GuÈltigkeit unter anderen philosophischen Voraussetzungen. Er unterscheidet vier Modelle der Interpretation der Philosophiegeschichte: ein aÈsthetisches È bergangs der Kategorien; der Mechanismus Paradigma, das dialektisch-logische Modell des U des Fortschritts durch Widerlegung vorheriger Standpunkte; die Auffassung der Philosophie als der Theorie ihres Zeitalters.
Breidbach, Olaf: Das Organische in Hegels Jenaer Naturphilosophie. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 309±318. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 186± 187.
Bremer, Dieter: Zum Text des sogenannten aÈltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus. ± In: HoÈlderlin-Jahrbuch. Stuttgart, Weimar. 30 (1996± 1997), 432± 438. Anhand des Nachweises einer syntaktischen StoÈrung in einem Satz des Systemprogramms wird behauptet, daû sie auf einen HoÈrfehler zuruÈckzufuÈhren und somit der Text als ein nach Diktat mitgeschriebenes Manuskript zu sehen ist. Dementsprechend erscheint es als unwahrscheinlich, daû H. der Autor des Systemprogramms gewesen ist.
Brinkmann, Klaus: The Natural and the Supernatural in Human Nature: Hegel on the Soul. ± In: Philosophies of Nature: The Human Dimensions. In Celebration of Erazim Kohak. Ed. by R. S. Cohen and A. I. Tauber. Dordrecht [usw.] 1998. 3± 18. Verf. legt dar, daû H.s Darstellung der Seele weder den physikalistischen Reduktionismus der Seele zur Materie noch die metaphysische ¹Hypostasierungª einer uÈbernatuÈrlichen immaterialen EntitaÈt bedeutet.
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Browning, Gary K.: Recognising the Politics of Recognition. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 143± 147. Bruce Ware, Robert: History and Reciprocity in Hegel`s Theory of the State. ± In: British Journal for the History of Philosophy. Bristol. 6 (1998), 421± 445. H.s Logik bietet, so Verf., eine wichtige Basis fuÈr die Interpretation seiner Geschichtsphilosophie. Die Auffassung der Einheit von Inhalt und Form ermoÈglicht einen Ausweg uÈber die traditionelle Dichotomie zwischen Deskription und PraÈskription, indem der Staat als historischer Prozeû verstanden wird, der sich uÈber den Gegensatz der normativen Forderungen seiner Mitglieder und der sozio-politischen Begebenheiten jeder besonderen Phase der Geschichte entwickelt.
Brzyski-Long, Anna: Retracing modernist Origins: Conceptual Parallels in the Aesthetic Thought of Charles Baudelaire and G. W. F. Hegel. ± In: Art Criticism. Stony Brook, New York. 12 (1997), N. 1, 95± 113. Zwar ist ein direkter Einfluû von H.s Kunstphilosophie auf Baudelaires kunstkritische Schriften historisch nicht belegbar. Nichtsdestoweniger weist Verf. Parallelen u. a. im Begriff der SchoÈnheit, der Charakterisierung der TaÈtigkeit des modernen KuÈnstlers und der KonzepÈ sthetik der tion der Kunstgeschichte bei beiden Autoren auf, die auch H.s Bedeutung fuÈr eine A Moderne in ein neues Licht ruÈcken.
Bubner, Rüdiger: Hegel`s Concept of Phenomenology. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 31± 51. Buchwalter, Andrew: Structure or Sentiment? Habermas, Hegel, and the Conditions of Solidarity. ± In: Philosophy Today. Chicago, Ill. 41 (1998) (Suppl.), 49 ± 54. This paper accepts, with qualification, Habermas`s thesis that Hegel`s legal-political theory is rooted in the subject-philosophy Habermas rejects in his discourse-theoretic account of law. However, it questions whether the paradigm shift to dialogue holds all its claimed advantages. Against Habermas`s endeavour to anchor solidarity to anonymous, ¹subjectlessª structures governing public deliberation, Hegel is shown to focus rightly on forms of political sentiment and other subjective phenomena that institutional structures presuppose for their meaning and validity. The paper, thereby, affirms the continuing value for legal-political thought of the principle not only of subjectivity but dialectic. (Aus: The Philosopher`s Index)
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Bibliographie
Buksin´ski, Tadeusz: Die Kategorie der Sittlichkeit und die Wirklichkeit der postkommunistischen Staaten. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 169±173. Kategorien aus H.s Rechtsphilosophie wie die der Sittlichkeit (Familie, buÈrgerliche Gesellschaft, Staat) geben ¹einen guten Ausgangspunkt fuÈr die Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit der postkommunistischen LaÈnderª. Die Bildung einer buÈrgerlichen Gesellschaft, die im Kommunismus abgeschafft worden war, sei Ziel neuer Regierungen gewesen, aber mit negativen Folgen, die es abzuaÈndern gilt.
Buksin´ski, Tadeusz: Die VernuÈnftigkeit der Philosophie und der Geschichte der Philosophie bei Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 40 ± 45. Ausgehend vom H.schen VerstaÈndnis der Philosophie als der Reflexion einer geschichtlichen Epoche, untersucht Verf. die MoÈglichkeit von Kritik und Aufhebung philosophischer Positionen. Sie koÈnnen in der Philosophie selbst argumentativ aufgehoben oder in der philosophischen Geschichte der Philosophie als beschraÈnkt aufgezeigt werden. Im Unterschied zu den spaÈteren Bestimmungen des VerhaÈltnisses von Vernunft und Geschichte, die entweder durch eine ¹Rationalisierung der Geschichteª oder eine ¹Vergeschichtlichung der Vernunftª (SchnaÈdelbach) gepraÈgt sind, haÈlt H. an einem metatheoretischen Vernunftbegriff fest, der ihm erlaubt, die AnspruÈche einzelner Positionen in ihren Geschichtsdeutungen aufzuzeigen und einzuschraÈnken.
Burbidge, John W.: ¹Unhappy Consciousnessª in Hegel: An Analysis of Medieval Catholicism? ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 192 ± 209. Burbidge, John W.: Hegel`s Absolute. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 29 (1997/1998), N. 1, 23 ±37. Verf. analysiert den Begriff des ¹Absolutenª und unterscheidet in H.s Werken drei moÈgliche Bedeutungen. Erstens spricht H. vom ¹Absolutenª in der Differenzschrift und in der PhaÈnomenologie, aber nur mit Beziehung auf Schelling. Zweitens nennt H. das ¹Absoluteª im Hinblick auf die Religion und insbesondere in § 85 der EnzyklopaÈdie (1830). Hier sei es der begriffliche Inhalt des Glaubens und nicht Gott als Person, den H. mit dem ¹Absolutenª meine. Drittens wird das ¹Absoluteª in der Diskussion H.s mit Spinoza genannt, im dritten Buch der Wissenschaft der Logik. Alle diese drei FaÈlle zeigten, daû H.s Rede vom ¹Absolutenª nicht Bestandteil seiner eigenen Philosophie sei, sondern nur im Referat anderer Philosophien auftauche.
Burbidge, John W.: Hegel`s open Future. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 176± 189. Verf. untersucht die Bedeutung der logischen Strukturen von H.s ¹geoffenbarter Religionª in den letzten acht Paragraphen der EnzyklopaÈdie. Das Resultat lautet, daû das H.sche System nicht
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geschlossen ist, sondern offen in Richtung der Zukunft. Die Problematik werde durch H.s Begriff vom Tod des Gott-Menschen als einem geschichtlichen Faktum und von der Philosophie in der Perspektive der Zukunft zusammengehalten. Die drei SchluÈsse der Religion zeigten die drei Wege zur Vermittlung, in welchen das Christentum einen geschichtlichen Primat mit dem Begriff der Menschwerdung hat und zugleich auf die Zukunft hin geoÈffnet bleibt.
Burbidge, John W.: On Rupture, Closure and Dialectic. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 165± 168. Burbidge, John W.: Absolute Acting. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 30 (1998/1999), N. 1, 103± 118. Verf. unterstreicht, daû das absolute Wissen vom absoluten Handeln nicht zu trennen ist, da der Geist nach H. handelt und zwar seine ruhende Substanz verlaÈût, um durch seine eigene TaÈtigkeit zum Subjekt zu werden. Im Hinblick darauf untersucht Verf., wie der Gedanke des absoluten Handelns die Interpretationen des absoluten Wissens (die in The Owl of Minerva 30 [1998] veroÈffentlicht worden sind) zu einer gemeinsamen Perspektive vereinigen kann.
Burger, Hotimir: Hegels Geschichtlichkeitsthese und sein Satz: ¹. . . Was aber wir sind, sind wir zugleich geschichtlich . . .ª. ± In: HegelJahrbuch 1996. Berlin 1997. 95 ±101. Verf. geht es um eine Interpretation des im Titel zitierten Gedankens, des VerhaÈltnisses von Philosophie und Geschichte und des Problems von Geschichtlichkeit, Wirklichkeit und AktualitaÈt, besonders anhand der Frage nach dem ¹wirª. Der ¹groÈûte Teil [. . .] des Satzesª sei ¹fragwuÈrdig gewordenª.
È ther. Rezeption und TransBüttner, Stefan: Von der ,Chora` zum A formation des platonischen Chorakonzepts in Hegels Jenaer Naturphilosophie. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 107±127. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 178± 180.
Bykova, Marina F.: Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. Haupttendenzen der Interpretation in der internationalen Hegel-Forschung. [Russisch.] ± In: Istoriko-filosofskij EzÏegodnik ,96 [Philosophiehistorisches Jahrbuch '96.] Moskva 1997. 197± 214. È bersicht der gegenwaÈrtigen Deutungen der PhaÈnomenologie. Eine typologisierende U
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Bibliographie
Bykowa, Marina N.: Ist Hegel der Philosoph der Moderne? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 87± 104. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 221.
Caboret, Dominique: EÂconomie marchande et classes sociales chez J. Steuart et G. W. F. Hegel. ± In: EÂconomies et socieÂteÂs. Paris. 27 (1998), N. 11 ±12, 79 ±95. Gegen die traditionelle Auslegung, die Smith und Ricardo als wesentliche GespraÈchspartner H.s in seiner Sozialphilosophie herausstellt, weist Verf. auf eine enge Verwandtschaft zwischen È konomie bei H. wurde ja positiv und durchaus von Steuart und H.: Die Thematisierung der O È dem schottischen Okonomiker bestimmt.
Cacciatore, giuseppe: Hegel e la religione nell`interpretazione di Dilthey [Hegel und die Religion in der Interpretation Diltheys]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 402 ± 417. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Camps, Victoria: El segundo Rawls, maÂs cerca de Hegel [Der zweite Rawls, am naÈhesten zu Hegel]. ± In: Daimon. Revista de FilosofõÂa. Murcia. 1997, N. 15, 63± 69. This article deals with John Rawls last book, Political Liberalism, in order to point out some of the corrections the author makes to his previous book. A Theory of Justice. In his new book Rawls seems to be closer to H. without abandoning Kant. In this way he answers to his communitarian critics as well as to the challenge of multiculturalism. Two ideas are specially representative of Rawl`s turn: the idea of an overlapping consensus and the idea of a public reason.
Cantillo, Giuseppe: Concetto dell`arte e suddivisione delle arti in Hegel [Der Begriff der Kunst und die Unterteilung der KuÈnste bei Hegel]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 159± 183. Verf. untersucht H.s Begriff der Kunst in der Philosophie des Geistes von 1805±1806 sowie allgemein in den Jenaer Schriften und vergleicht diesen mit der spaÈteren Entwicklung des Kunstbegriffs in den Vorlesungen uÈber die Philosophie der Kunst. Besondere Aufmerksamkeit widmet Verf. der Beziehung zwischen Religion und Kunst, vor allem der romantischen Kunst, in der die Malerei eine wichtige Rolle spielt. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 164.
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Caputo, John D.: Firing the Steel of Hermeneutics: Hegelianized versus Radical Hermeneutics. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 59± 70. Caro, Jason S.: Looking over your Shoulder: The Onlookers of Hegel`s Phenomenology. ± In: Political Studies. Oxford. 45 (1997), 914± 927. The vexed issue of the end of history has again emerged with Fukuyama`s celebrated text. But Fukuyama is only the latest in a line of such H.ian thinkers. How have such philosopherhistorians come to know that history has ended? In returning to their source, H.`s Phenomenology. These theorists are found to ruthlessly fashion the very history that they relate. Using techniques akin to Foucaultian disciplines, the historical onlookers impersonate, misinform and reconfigure unwilling individuals to advance in history. This guidance becomes especially problematic when it is shown that the H.ian onlookers are ignorant of their profound impact on history. When such influence is combined with ignorance the thinkers of the end of history appear quite harmful.
Carrano, Antonio: G. W. F. Hegel: ¹Dio eÁ comunicativoª [G. W. F. Hegel: ¹Gott ist mitteilbarª]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 575± 591. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162.
Cavalcoli, Giovanni: La dialettica nella Cristologia di Hegel [Die Dialektik in der Christologie Hegels]. ± In: Sacra doctrina. Studio generale domenicano di Bologna. Bologna. 42 (1997), 87 ±140. Verf. untersucht die theologische Bedeutung der H.schen Dialektik nach drei verschiedenen Entwicklungen. Erstens gibt es bei H. eine phaÈnomenologische Dialektik in der PhaÈnomenologie, zweitens eine ontologische Dialektik in der Wissenschaft der Logik sowie in der EnzyklopaÈdie. Diese letzte enthaÈlt wiederum eine andere Dialektik, die sich in zwei Momenten unterscheidet: a) die Dialektik des Subjektiven, in der die Negation die SubjektivitaÈt begruÈndet, b) die Dialektik des Objektiven, d. h. die BegruÈndung der ObjektivitaÈt als Natur. Nach der These des Verf.s koÈnnen diese zwei Formen der H.schen Dialektik nochmals unterteilt werden, die erste in 1. Sein (Vater), 2. Bewuûtsein (Sohn) und 3. Geist (Subjekt), die zweite in 1. Logik (Gott). 2. Natur (Welt) und 3. Geist (Mensch-Gott, Menschwerdung). Auch die Inkarnation im VerhaÈltnis zu ErloÈsung und Auferstehung kann dialektisch begriffen werden: 1. Gott, 2. Entfremdung (SchoÈpfung, Inkarnation und ErloÈsung) und 3. VersoÈhnung (Auferstehung und Erhebung in den Himmel, GruÈndung der Kirche, Zeit des Geistes).
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Bibliographie
Cerník, Václav: Hegel`s Practical Idea and the Action Judgement. [Slovakisch.] ± In: Filozofia. Bratislava. 53 (1998), 483± 500. The paper offers a reconstruction of H.`s conception of practical judgement and of human action. It begins with the analysis of H.`s conception of humans. Further, it discusses his conception of actions and proceeds with his idea of Goodness via enlightening the difference between the practical and the theoretical ideas. In conclusion it focuses on H.`s view of ¹action judgementª and on his humanistic interpretation.
Cesa, Claudio: La storia. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 281±313. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Charles, Syliane: ReÂconciliation et deÂpassement de l`art par la philosophie chez Hegel: une analyse critique. ± In: Philosophiques. MontreÂal. 25 (1998), N. 1, 49 ± 61. Verf. versteht H.s Deutung des VerhaÈltnisses von Kunst, Religion und Philosophie sowie auch der KuÈnste und Kunstformen als das einer wertenden Hierarchisierung. Vor diesem Hintergrund vertritt sie die These, Kunst sei gegenuÈber der Philosophie keine mindere, sondern vielmehr eine andere Weise der ReflexivitaÈt und auch die Hierarchien innerhalb der Kunst beruhten auf WiderspruÈchen innerhalb der Hegelschen Argumentation.
Chen, Yunquan: Zur Dialektik der Negation. Modernisierung und Dialektik. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 105±114. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 222.
Chiereghin, Franco: Gli anni di Jena e la Fenomenologia [Die Jenaer Zeit und die PhaÈnomenologie]. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 3 ± 37. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Chiereghin, Franco: Wozu Hegel in einem Zeitalter der Endlichkeit? ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 191± 207.
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Choi, Jin-Duck: Philosophische Reflexion uÈber die neukonfuzianische Theorie von ¹Einem Prinzip und Teilung in Mannigfaltigkeitª. Ein Vergleich der Hegelschen Philosophie mit dem Neukonfuzianismus. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÆn`gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 43 ± 107. In den neueren komparativen Forschungen zum VerhaÈltnis von H.s philosophischen Gedanken und den AnsaÈtzen der ostasiatischen Philosophie richten sich die meisten darauf, die IdentitaÈt bzw. die gemeinsamen Punkte von beiden herauszuarbeiten. Im Unterschied dazu handelt es sich in diesem Aufsatz darum, den grundlegenden Unterschied zwischen beiden, insbesondere zwischen H.s theologisch augerichteter Geschichtsphilosophie und der neukonfuzianistischen Lehre von ¹Einem Prinzip und Teilung in Mannigfaltigkeitª zu zeigen.
Choi, Shin-Hann: Ist die VersoÈhnung von Natur und Geist moÈglich? Idee der All-Einheit und das Natursein bei Hegel. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÆn`gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 13 ± 42. Verf. geht in dieser Untersuchung zunaÈchst von der Analyse des gegenwaÈrtigen Weltzustands aus, wo die Lebendigkeit der Natur verlorengeht. Er fordert die Wiederherstellung der Natur als ¹Gesamtheit des Lebensª und sieht die MoÈglichkeit dafuÈr in der VersoÈhnung von Natur und Geist. Die Verwirklichung dieser MoÈglichkeit eroÈrtert er mit Hilfe der H.schen Bestimmung des Geistes. Obwohl der Geist allein in der Lage ist, die Unendlichkeit der Natur È berwindung begrifflich vermitteln und enthuÈllen zu koÈnnen, findet Verf. die Grundlage der U der Entgegensetzung von Natur und Geist eher in der Natur, indem er die Idee der Natur als ¹Idee des Lebensª, damit als ¹die Idee der All-Einheitª versteht.
Ciaramelli, fabio: Intuizione intellettuale e nostalgia dell`unitaÁ originaria: una nota su alcune pagine kantiane di Hegel e Heidegger [Intellektuelle Anschauung und Sehnsucht nach der urspruÈnglichen Einheit: eine Bemerkung uÈber einige Kantianische Seiten von Hegel und Heidegger]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 330± 352. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161± 162.
È ber die EntCibulka, Josef: Das Werden und die Dekonstruktion. U wicklung der Momente der TemporalitaÈt und der Reflexion bei Hegel, Ï asopis. Praha. Heidegger und Derrida. [Tschechisch.] ± In: Filosoficky' C 45 (1997), 205±211. Bei H. zieht der Prozeû der Negation die GegenstaÈnde in sich ein und uÈberwindet auf diese Weise ihre urspruÈngliche PositivitaÈt. Das H.sche Motiv des dialektischen Aufhebens inspiriert die Gadamersche Auffassung der Erfahrung als einer Detypisierung. Die Heideggersche Ontologie der Zeit eroÈffnet unsere philosophische SensibilitaÈt den Spuren eines radikalen Risses im Sein und provoziert uns, eine vordem gesicherte Trajektorie des Sehens zu verlassen, die uns
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apriori an dasjenige Gesicht des Seins fixiert, das sich schon vorhinein zu uns zuwendete. J. Derrida uÈberwindet durch seine philosophische Interpretation die vorkantischen und ahistorischen Tendenzen in der Semiologie. Indem er die Generierung der Sinnhaftigkeit in die temporalisierende Tiefendimension des Prozesses der Bezeichnung situiert, praÈgt er der Version von Merleau-Ponty uÈber den Sinn im statu nascendi eine konkrete Gestalt auf. (Zusammenfassung durch den Verf.)
Cirne-Lima, Carlos R. V.: Brief uÈber die Dialektik. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 77 ± 89. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 174± 175.
Cobben, Paul: Hegel en de Multicuturele Samenleving. ± In: Algemeen Nederlands Tijdschrift voor Wijsbegeerte. Assen. 90 (1998), 165± 179. The problem of the multicultural society can be formulated as the problem of freedom and equality between many cultures. The article puts forward the thesis that an adapted H.ian model for the unity between freedom and equality presents a better perspective for understanding the freedom and equality between many cultures than Rawls` and Habermas` version.
Cobben, Paul: MoralitaÈt und die Zeit. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 154±158. Heideggers Kritik an H.s SubjektivitaÈtsbegriff trifft nicht zu. Insbesondere kann seine Kritik am ,metaphysischen` Begriff des Gewissens nicht auf die Dialektik des Gewissens in der PhaÈnomenologie des Geistes bezogen werden. Es besteht dennoch eine tiefe Verwandtschaft zwischen der Bestimmung des Gewissens bei H. und Heidegger.
È ber die strukturelle Verwandtschaft zwischen Sein und Cobben, Paul: U Zeit und der PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 183± 217. Heidegger`s criticism of H. is based on a misunderstanding. He does not realize the methodological difference between die Logik and die PhaÈnomenologie des Geistes. Nor does he account for the differences between Descartes and H. in respect to their conception of ¹substanceª. The article points out Heidegger`s and H.`s affinity. In fact, the subject of both thinkers concerns the relationship between finity and infinity. Heidegger is wrong when he one-sidedly assigns to H. the viewpoint of infiniteness opposing his own viewpoint of finiteness. (Aus: The Philosopher`s Index)
Cohen-Levinas, Danielle: Modelo y FenomenologõÂa: Nietzsche contra Hegel. El Renacimiento de la Tragedia en el Renaciminento de la  pera. ± In: Ideas y Valores. BogotaÂ, Columbia. 1997, N. 103, 69± 78. O Nietzsche and H. ± Nietzsche against H.: these two major figures envisage music as the representation of a philosophical ideal. Nietzsche resorts to the Greek tragedy, where he sees the
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expression of the vital and deep sensibility of artistic creation. H., on the other hand, conceives music as the sensible incarnation of the Idea. These two opposite conceptions allow to discuss an interpretation of the opera.
Colón-León, Virgilio: Der Begriff der Arbeit in Hegels Darstellung der SubjektivitaÈt. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 77± 102. In dieser Abhandlung diskutiert Verf. die Rolle der Arbeit in H.s Theorie der SubjektivitaÈt mit besonderer BeruÈcksichtigung der PhaÈnomenologie. H. begreift das Denken als Selbstbewegung zum Absoluten, und dabei gewinnt die Arbeit ihren philosophischen Status beim Fortschritt zur Wirklichkeit der Vermittlung. Die spekulative Darstellung der Arbeit laÈût die spekulative Struktur der SubjektivitaÈt entdecken, d. h. die SubjektivitaÈt als Vermittlung mit der ObjektivitaÈt.
Cooper, Harry: Mondrian, Hegel, Boogie. ± In: October. Cambridge, Mass. 85 (1998), 119 ± 143. È uûerungen uÈber sein KunstVerf. hebt als Gemeinsamkeit von Mondrians theoretischen A verstaÈndnis und von H.s Denken die Betonung der Rolle der Zeit hervor, die sich in VerhaÈltnissen des Gegensatzes, des Fortschritts und der Dauer manifestiert. Diese macht Verf. entgegen der verbreiteten Ansicht von der Visualisierung der adynamischen Kategorie des Seins bei Mondrian auch fuÈr das VerstaÈndnis von dessen Kunstpraxis geltend.
Corngold, Stanley: Notes toward a Romantic Phenomenology of Poetic Mind: Rousseau, Wordsworth, HoÈlderlin, and Hegel. ± In: Colloquium helveticum. Cahiers suisses de litterature geÂneÂrale et compareÂ. Schweizer Hefte fuÈr allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft. Bern. 1997, Nr 25. 25± 40. Diese Studie versucht, eine romantische PhaÈnomenologie des poetischen Geistes zu skizzieren, insbesondere in seinen Beziehungen zum Akt der Komposition, und stuÈtzt sich dabei auf die Reflexionen von Rousseau bei der Redaktion seiner Confessions in seinen Ebauches des Confessions, von Wordsworth in der ¹Vorredeª zu den Lyrical Ballades, von HoÈlderlin im Grund zum Empedokles sowie auf die Bemerkungen H.s uÈber die Erfahrung in seiner PhaÈnomenologie.
Cortella, Lucio: La logica hegeliana come ontologia della temporalitaÁ [Hegels Logik als Ontologie der TemporalitaÈt]. ± In: Il tempo in questione. Paradigmi della temporalitaÁ nel pensiero occidentale. A cura di L. Ruggiu. Milano 1997. 222±234. Der Aufsatz beschaÈftigt sich mit der H.schen Auffassung der Zeit: H. trennt in der EnzyklopaÈdie radikal die natuÈrliche Ebene der Zeit und die logische Ebene der Idee. Das Negative aber ist das beide Ebenen vereinigende Element, wenn es auch von ihrem verschiedenen VerhaÈltnis zum Negativen herkommt, daû der logische Begriff als Grund der TemporalitaÈt zu verstehen ist. H.s Logik bildet eine echte Ontologie der TemporalitaÈt und faÈngt an, die traditio-
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Bibliographie
nelle, auf die Vorhandenheit gegruÈndete Metaphysik zu zerstoÈren. H.s Auffassung der TemporalitaÈt ist fern von dem vulgaÈren Begriff der Zeit, den Heidegger bei H. finden will.
Cramer, Konrad: Spekulatives Denken und synthetisches Urteil a priori. ± In: Zeitschrift fuÈr philosophische Forschung. Frankfurt a. M. 51 (1997), 501± 536. Was die Beurteilung des RationalitaÈtsgehaltes der H.schen Dialektik und ihres Anspruchs anlangt, das Unternehmen der Kantischen Vernunftkritik allererst in ein wirklich begriffenes VerhaÈltnis zu dem zu setzen, was Vernunft ist, so sind die uÈber die letzten vierzig Jahre unternommenen BemuÈhungen der philosophiehistorischen Forschung und auch die in der genannten systematischen Absicht veranstalteten Untersuchungen noch nicht sehr weit gekommen. Diese Untersuchung geht von zwei Fragen aus: Was haÈtte Kant selber von charakteristischen È uûerungen H.s uÈber sein Unternehmen einer Kritik der reinen Vernunft ± noch ± verstehen A È uûerungen haÈtte Kant selber ± noch ± zustimmen koÈnnen? Es koÈnnen? Und welchen dieser A wird sich zeigen, daû die Auffassung, es sei dies leicht auszumachen und auch schon laÈngst ausgemacht, auf einem Vorurteil beruht.
Crooks, James: Dialectic as Counterpoint: on Philosophical SelfMeasure in Plato and Hegel. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 264± 285. Verf. unterscheidet zwischen der alten Dialektik von Platon und der spekulativen Dialektik H.s. Untersucht werden die drei platonischen Dialoge Charmides, Phaidros und Parmenides in ihrer Beziehung unter dem Gesichtspunkt der dialektischen Strukturen des Kontrapunktes. Anschlieûend entwickelt Verf. H.s Begriff der spekulativen Dialektik, insbesondere in der Wissenschaft der Logik. Seine These ist, daû diese Dialektik das Resultat eines Kontrapunktes nach der modernen Bedeutung sei. Deshalb sei ihr Ort das uÈbertheoretische Reden und sie habe das Ziel, den Logos oder Geist zu erleuchten.
Csikós, Ella: Welches Selbstbewuûtsein schreibt Philosophiegeschichte? ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 77± 82. Der H.schen Philosophiegeschichtsschreibung als einer Selbstreflexion der Philosophie liegt die allgemeine Struktur des Selbstbewuûtseins zugrunde. Im Zusammenhang der Analyse in der PhaÈnomenologie des Geistes laÈût sich der Typus der Selbstbewuûtseinsstruktur in der Philosophiegeschichte als einer des ¹ungluÈcklichen Bewuûtseinsª spezifizieren, in dem eine VersoÈhnung der allgemeinen Vernunft und des einzelnen Bewuûtseins angestrebt wird.
d‘Abbiero, marcella: LibertaÁ di pensiero e religione [Die Freiheit des Denkens und der Religion]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 217± 226. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 163.
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d‘Antuono, Emilia: L`eidos del negativo. Hegel e l`¹oscuro enigmaª ebraico [Das Eidos des Negativen: Hegel und das juÈdische ¹dunkle RaÈtselª]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 374± 379. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
d‘Hondt, Jacques: ¹Hegel und die AufklaÈrungª. ± In: Grundlinien der Vernunftkritik. Hrsg. v. Christoph Jamme. Frankfurt a. M. 1997. 107± 125. Behandelt wird H.s Betrachtung der deutschen AufklaÈrung (Kant, Lessing, Mendelssohn), die er unterschied von den franzoÈsischen LumieÁres (Diderot, d`Holbach). In der Hamann-Rezension H.s werden diese zwei StraÈnge verschieden bewertet: ,kahl` und ,trocken` sei die eine, ,frisch` und ,geistreich` die andere Richtung. SpaÈter, so Verf., hat H. nach dem Scheitern der AufklaÈrung an einer neuen dialektischen Vernunft gearbeitet, die vorhandene Auffassungen erneuert. H.s Kritik an der AufklaÈrung ergibt sich ¹groûenteils aus der objektiven kulturellen Situationª und aus ihrem Vernunftbegriff.
Dahlstrom, Daniel O.: Die Anerkennungskrise und der amerikanische Traum. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 213± 219. Das Anerkennungsprinzip, das F. Fukuyama im Anschluû an A. KojeÁves H.-Deutung entwickelt, enthaÈlt eine Antinomie in bezug auf die Interpretation der sozialen Gleichheit. Eine ,idealistisch-technische` Sicht der universalen Anerkennung, die jedem Menschen normativ zugeschrieben wird, tritt in Widerspruch zu dem ,naturalistischen` VerstaÈndnis von faktischen Differenzen der Menschen. Eine Gleichbehandlung dieser Differenzen wuÈrde zur Entstehung von Ungleichheiten unter den Menschen fuÈhren. Diese Antinomie zwischen universaler È berlegener anerkannt zu werden`, hat gleichwertiger Anerkennung und dem Streben, ,als U ihren Ursprung in dem MenschenverstaÈndnis, das der Konzeption Fukuyamas zugrundeliegt. Es werden lediglich zwei Aspekte des menschlichen Strebens beruÈcksichtigt: die Begierde und der Wille. Die Vernunft (Weisheit) bleibt in dieser Konzeption ausgeklammert.
Dahlstrom, Daniel O.: Hegel`s Appropriation of Kant`s Account of Teleology in Nature. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 167 ±188. Dalton, Thomas C.: Dewey`s Hegelianism reconsidered: Reclaiming the lost Soul of Psychology. ± In: New Ideas in Psychology. Oxford. 15 (1997), 1± 15. The consensus among Dewey`s scholars is that the philosopher G. W. F. H. had a formative but transient influence on John Dewey`s intellectual development. They contend that by the turn of the century Dewey discarded further pursuit of dialectical metaphysics and instead developed a non-idealist, materialist and even relativist conception of human experience.
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Bibliographie
However, discovery of Dewey`s manuscripts on H., and his collaboration with infant experimentalist Myrle McGraw in the 1930s suggest that Dewey persisted in his efforts to find non-reductionist psychological equivalents for mind, soul, and consciousness. Dewey believed that the consciousness of difference, uncertainty of direction, and contingency of order, made inhibition and judgement indispensable to the development of mind and soul, by enabling the dialectical growth and transformation of human experience.
Danto, Arthur C.: The end of art: A Philosophical Defence. ± In: History and Theory. Studies in the Philosophy of History. Middletown, Conn. 37 (1998), 127± 143. This essay constructs philosophical defences against criticisms of my theory of the end of art. These have to do with the definition of art; the concept of artistic quality; the role of aesthetics; the relationship between philosophy and art; how to answer the question ¹But is it art?ª; the difference between the end of art and the death of painting; historical imagination and the future; the method of using indiscernible counterparts, like Warhol`s Brillo Box and the Brillo cartons it resembles; the logic of imitation ± and the differences between H.`s views on the end of art and mine. These defences amplify and fortify the thesis of the end of art as set forth in my After the end of art: Contemporary art and the end of history.
de Andrade Filho, Francisco Antônio: RelacaÄo eÂtico-polõÂtica na ,Filosofia do direito` de Hegel [Das ethisch-politische VerhaÈltnis in Hegels Rechtsphilosophie]. ± In: SõÂntese. Nova Fase. Belo Horizonte. 24 (1997), N. 77, 181± 197. This article examines H.`s (1770±1831) philosophy of rights under the point of view of the ambivalence of the H.ian project of a modern ethical life as institutional accomplishment of subjective freedom being the theoretical principle of the modern society.
de Aquino, Marcelo F.: EÂtica e liberade em Hegel [Ethik und Freiheit bei Hegel]. ± In: SõÂntese. Nova Fase. Belo Horizonte. 24 (1997), N. 79, 481± 496. This study takes up some fundamental aspects of traditional Ethics and analyzes the attempt of presenting the theory of ethics in its basic form of historical reasons, as proposed by H. The philosophical task of applying the theory of ethics to language is hinted at in the conclusion giving value to its ontological basis.
de Laurentiis, Allegra: Logic and History of Consciousness in the Introduction to Hegel`s ¹Encyclopediaª. ± In: Southwest Philosophical Review. Conway. 14 (1998), 17± 28. Verf. untersucht H.s These von der chronologischen Dimension der logischen Entfaltung des Bewuûtseins. Der Erfahrungsprozeû des Bewuûtseins sei die Rekonstruierung von Form und Inhalt der Vorstellung und muÈnde in das spekulative Denken, das die aÈuûere Vorstellung der fremden Welt uÈberwinde, insofern das Bewuûtsein sich allmaÈhlich diese Welt aneigne und im Begriff als seine eigene Wirklichkeit repraÈsentiere, d. h. auf neue Weise praÈsent halte. Die Ar-
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gumentation wird mit Bezug auf H.s Auffassungen von der Geschichte der Philosophie erlaÈutert.
de Nys, Martin J.: Mediation and Negativity in Hegel`s Phenomenology of Christian Consciousness. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 401±423. de Pascale, Carla: La concezione della sintesi fra criticismo e filosofia speculativa [Die Auffassung der Synthese zwischen Kritizismus und spekulativer Philosophie]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 418± 433. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161± 162.
de Vincentis, Mauro Nasti: Hegel`s Worm in Newton`s Apple. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 227± 256. de Vos, Lu: Eine Systemskizze der ,Differenzschrift`? ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 151± 162. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 180± 181.
de Vos, Lu: Tussen Kant en Hegel. Rond het Duits idealisme [Zwischen Kant und Hegel. Im Umkreis des Deutschen Idealismus]. ± In: Tijdschrift voor Filosofie 60 (1998), 696± 722. Der Beitrag versucht den Weg von Kant zu H. so umzuschreiben, wie er nach Knotenpunkten verlaÈuft. Er betont die Differenzen der postkantianischen Transzendentalphilosophie, der idealistischen Philosophien um 1800 und die Erneuerung der spekulativen Theologie. Wie H. als Spezifikum kein Ende und keine Vollendung bedeutet, wird am Schluû erlaÈutert.
de Vos, Lu: Zur Logik der MoralitaÈt. Einige Fragen an A. Requate. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 191± 201. Die Deutung des bloûen MoralitaÈtskapitels zeigt sich als eine unzureichende Textbasis zum Aufrollen des Problems des VerhaÈltnisses von Logik und Rechtsphilosophie.
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Bibliographie
del Carmen Paredes, Maria: History of Philosophy and Forms of Thought. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 129± 133. Verf. beschaÈftigt sich mit der Bedeutung der Geschichte der Philosophie unter dem Gesichtspunkt des Anfangs des H.schen Systems.
Delaere, Mark: Classifications of Art as primary source for musical Esthetics: Kant, Hegel, Kierkegaard, and Schopenhauer. ± In: Sonus. Cambridge, Mass. 18 (1998), N. 2, 19 ±32. Verf. skizziert in aufeinanderfolgenden Schritten die Stellung, die Kant, H., Kierkegaard und È berlegungen beimessen. In ihrer Schopenhauer der Musik in ihren kunstphilosophischen U Klassifizierung und Hierarchisierung der KuÈnste erkennt er die Vorgeschichte einer selbstaÈndigen MusikaÈsthetik.
de la Maza, Luis Mariano: Die Metapher des Knotens als Leitfaden zur Interpretation der PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 227± 241. de la Maza, Luis Mariano: El concepto de la modernidad en Hegel [Der Begriff der Moderne bei Hegel]. ± In: TeologõÂa y Vida. Santiago de Chile. 38 (1997), 21 ±38. Verf. zeigt, daû H.s Begriff der Moderne mindestens fuÈnf verschiedene Aspekte beinhaltet ± den Sinn von VersoÈhnung, die Rolle des Christentums, das Prinzip der SubjektivitaÈt, die Dialektik der AufklaÈrung, das Ende der Geschichte und der Kunst ±, welche in drei Teilen dargestellt werden. Der erste Teil analysiert die Entwicklung des Bewuûtseins der Moderne beim jungen H. zwischen 1794 und 1806. Im zweiten Teil wird die Auffassung der Moderne in H.s PhaÈnomenologie zusammengefaût. Der letzte Teil behandelt die verschiedenen Varianten der Moderne im reifen System H.s.
de la Maza, Luis Mariano: Hegel. Los primeros esbozos sistemaÂticos sobre eticidad. ± In: Revista de FilosofõÂa. Madrid. 51± 22 (1998), 87± 110. Erster Teil einer Untersuchung uÈber das H.sche VerstaÈndnis von IntersubjektivitaÈt in Jena. In den wichtigsten Texten uÈber Naturrecht und Sittlichkeit zwischen 1802±06 werden die Begriffe von absoluter und relativer Sittlichkeit, die religioÈse Dimension des Ethischen, die organische und die unorganische Natur des Ethischen, die Funktion von Sprache, Arbeit und Familie, und der Sinn von Annerkennung eroÈrtert. Der zweite Teil wird sich mit der Analyse der H.schen Konzeption von Freiheit und Staat in derselben Periode beschaÈftigen.
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Dellavalle, sergio: La distruzione del bosco sacro e il principio del Nord [Die ZerstoÈrung des heiligen Haines und das Prinzip des Nordens]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 450± 474. Verf. analysiert zwei H.sche Metaphern, die in Glauben und Wissen erscheinen. Es wird gezeigt, daû die erste, ¹die Verwandlung des heiligen Haines in HoÈlzerª, eine BruÈcke zwischen Glauben und Wissen und H.s Berner Jahren bauen kann. FuÈr den Berner H. besagt diese erste Metapher, daû die christliche Religion fuÈr die ZerstoÈrung des sittlichen Gewichts des Klassizismus aufkommt. Deshalb koÈnne die MoralitaÈt Kants hier eine LoÈsung sein. In der ersten Jenaer Periode hingegen repraÈsentiert Kant fuÈr H. selbst jene ModernitaÈt, welche die Entzweiung produziert hat, so daû nur im Christentum eine LoÈsung im Zeichen der Einheit zu finden ist. Die zweite Metapher, ¹das Prinzip des Nordensª, d. h. der Protestantismus, laÈût sich ebenfalls nicht nur in Glauben und Wissen finden, sondern mit einer anderen philosophischen Bedeutung auch im letzen Jenaer Kolleg der Vorlesungen uÈber die Philosophie des Geistes. Hierbei analysiert Verf. auch die Beziehung zwischen religioÈsem Glauben und sittlicher VersoÈhnung. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 163±164.
Depré, Olivier: The Ontological Foundations of Hegel`s Dissertation of 1801. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 257±281. Derrida, Jaques: Le Temps des Adieux. Heidegger (lu par) Hegel (lu par) Malabou. ± In: Revue philosophique de la France et de l`EÂtranger. 123 (1998), tome 188, 3 ±47. The paper is a critical reading of Catherine Malabou`s book on the future of H. (Vrin, 1996) according to which the H.ian notion of time goes much further beyond the meaning that has been suggested by Heidegger. There are in fact several times within the speculative thought and such a wealth of time may be termed plasticity (PlastizitaÈt): the surge of an event, the explosion of the unexpected, the future, or the idea of what is bound to come. Whilst at the same acknowledging the relevance and the newness of such an interpretation, Derrida questions whether one is ever able to perceive what is bound to come. Isn`t the true future an undialectizable and non plastic farewell to any kind of conception, anticipation and mourning process? Doesn`t such a farewell remain what is left unthought in H.ian Philosophy?
Desmond, William: Rethinking the Origin: Nietzsche and Hegel. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 71 ±94.
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Bibliographie
Dessì, Sarah: Humboldt, Hegel e il linguaggio: individuazione di un tracciato storiografico [Humboldt, Hegel und die Sprache: Individuation eines historiographischen Wegs]. ± In: Bollettino della SocietaÁ Filosofica Italiana. Roma. 1997, N. 160, 11 ± 25. Der Aufsatz stellt eine synthetische bibliographische Rundschau uÈber die SekundaÈrliteratur, welche die Sprache bei H. und Humboldt betrachtet hat, dar. Am Schluû wird auch kurz das VerhaÈltnis zwischen beiden Philosophen diskutiert. Obwohl es wenige Dokumente einer ausdruÈcklichen Diskussion zwischen H. und Humboldt gibt, kann man eine gemeinsame Perspektive uÈber die Sprache fassen: H. und Humboldt richten sich gegen eine konventionelle Auffassung der Sprache. Sie unterscheiden sich stark hinsichtlich der Rolle der IndividualitaÈt.
Devos, Pob: How Absolute is Hegel`s Absolute Knowing? ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 30 (1998/1999), N. 1, 33 ±50. Mit Bezug auf H.s PhaÈnomenologie wendet sich Verf. gegen den Antihegelianismus der Gegenwart, der behauptet, H.s Auffassung vom absoluten Wissen schlieûe sowohl die menschliche Freiheit als auch die Kontingenz aus. Er zeigt zuerst, daû die Freiheit, die der Hebel zur Aufhebung der Religion in das absolute Wissen und zur Verwirklichung des Geistes ist, die Freiheit des Menschen voraussetzt und foÈrdert. Danach weist er nach, daû der Geist sich zur È uûerlichkeit begibt, um zu sich selbst als Freiheit zu werden; einerseits ist die kontingenten A Kontingenz, die Kraft des Begriffes, das Werden zur Freiheit anzutreten, und andererseits ist der Begriff, der die Kraft hat, den Sinn dieses Werdens zu erfassen und ihn zugleich mit der Kontingenz der Geschichte in eine Einheit in der Differenz zu versoÈhnen.
Dierken, Jörg: Hegels ,protestantisches Prinzip`. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. WeisserLohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 123± 146. DiGiovanni, George, ¹Wie aus der Pistoleª. Fries and Hegel on Faith and Knowledge. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 212± 241. Verf. analysiert H.s und Fries` verschiedene Deutungen des VerhaÈltnisses zwischen Glauben und Wissen, der Unmittelbarkeit des einen im Gegensatz zum Vermitteltsein des anderen. Der Aufsatz enthaÈlt eine sorgfaÈltige, detaillierte Diskussion der Friesischen Positionen, die aus der Perspektive der H.schen impliziten Polemik in der Vorrede zur PhaÈnomenologie ausgefuÈhrt wird.
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Dobrochotow, Alexander L.: Antignostische Momente in Hegels Spekulation. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 137±146. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Donougho, Martin: Hegel as Philosopher of the Temporal [irdischen] World: On the Dialectics of Narrative. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 111 ±139. Auf den Spuren von Auerbachs Deutung Dantes als Dichter der irdischen Welt ± deren H.schen ZuÈge in mehrfacher Weise hervorgehoben werden ±, untersucht Verf. H.s Dialektik in ihrer narrativen Struktur und mit besonderer BeruÈcksichtigung der Wissenschaft der Logik und der PhaÈnomenologie. Eine Thematisierung der Allegorie spielt eine wichtige Rolle hauptsaÈchlich È sthetik, wo mehrmals und in verschiedenen Kontexten auf Dante in den Vorlesungen zur A verwiesen wird. Diese letzteren werden mit den zeitgenoÈssischen Dante-Deutungen verglichen (z. B. bei J. Freccero), in denen vielmehr der ironische und aporetische Aspekt von Dantes Dichtung (wohl auch mit Bezug auf H.s Dialektik) herausgestellt, aber auch mit zeitgenoÈssischen Theorien der Allegorie konfrontiert wird (z. B. bei W. Benjamin und P. de Man, auch in ihrer Auseinandersetzung mit H. betrachtet).
Dörwald, Uwe: Zwischen Warnung und Hoffnung. Einige Bemerkungen zur geschichtsphilosophischen Diagnose der Gegenwart. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 152± 156. Verf. befaût sich im Ausgang von H.s Philosophie der Weltgeschichte mit geschichtsphilosophischen Diagnosen der gegenwaÈrtigen Zeit (z. B. bei Odo Marquard, KojeÁve und Fukuyama) und stellt sich die Frage, ob das ¹Ende der Geschichteª erreicht sei.
Dostal, Robert J.: The End of Metaphysics and the Possibility of NonHegelian Speculative Thought. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 33 ±42. Dove, Kenley R.: Hegel`s Phenomenological Method. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 52± 75. Doz, André: Hegels Logik als erneuerte Ontologie. ± In: Wiener Jahrbuch fuÈr Philosophie. Wien. 29 (1997), 93± 103. In diesem Aufsatz entwickelt Verf. eine Deutung der Beziehungen zwischen der H.schen Logik und der traditionellen Ontologie. Er analysiert die Bedeutung von ,Ontologie` und un-
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Bibliographie
terscheidet die Ontologie von der ,Metaphysik`. Der Aufsatz konzentriert sich ferner auf die Frage nach der Struktur der ¹Allgemeinheitª in der ontologischen Tradition und in H.s Logik.
Drilo, Kazimir: Gottesbeweise bei Hegel. Beschreibungen und Analysen der ¹Erhebung des Menschengeistes zu Gottª. ± In: Synthesis philosophica. Zagreb. 13 (1998), 285 ±296. H. bestimmt die Gottesweise als ¹Erhebung des Menschengeistes zu Gottª. Dabei unterscheidet er zwei Weisen der Erhebung: die mangelhafte, metaphysische in ihren verschiedenen traditionellen Formen (als ontologischer, kosmologischer, teleologischer u. a. Gottesbeweis) und die wahre, spekulative. Der Unterschied dieser beiden Arten der Erhebung, d. i. der Erkenntnis, laÈût sich, so die These, der vorliegenden Studie, nur dann angemessen verstehen, wenn man die spekulative Erkenntnis wieder in ihren christlichen Kontext stellt. Das bedeutet, daû ihre Herkunft aus der christlichen Gemeinde und ihre Verwandtschaft mit dem religioÈsen Kultus staÈrker, als es die meisten H.-Interpreten tun, beruÈcksichtigt werden muÈssen. Tut man das, so wird die spezifische FaÈhigkeit der Spekulation deutlich: sie ermoÈglicht die Wiederherstellung und Verwandlung der von der SelbstzerstoÈrung bedrohten Freiheit des Menschen. Die È berGottesbeweise sind Beschreibungen und Analysen dieser SelbstzerstoÈrung und ihrer U windung durch die spekulativ-kultische Wiederherstellung der Freiheit.
Dudley, Will: A Case of bad Judgement: The Logical Failure of the Moral Will. ± In: The Review of Metaphysics. Washington, DC. 51 (1997), 379± 404. Verf. versucht zu zeigen, daû H.s Ziel den moralischen Willen als endlichen, als unvollstaÈndige Form der Freiheit, auszuweisen, letztlich Konsequenz dessen ist, daû der moralische Wille vom logischen Urteilsbegriff her entwickelt wird. Verf. stellt zunaÈchst das ¹Urteilª als logisches Konzept vor, um zu zeigen, daû ¹judgement and moral will are alike in both form and processª. (390) Nachdem der dritte Abschnitt die Grenzen des moralischen Willens analysiert, zeigt Verf., wie alle Versuche des moralischen Willens, diese Grenzen zu uÈberwinden, letztlich aus GruÈnden, die auf die logische Struktur verweisen, scheitern. Soll der Wille frei sein, so muû er eine andere logische Struktur aufweisen als die, die H. ihm zuschreibt.
Dulckeit, Katharina: Can Hegel Refer to Particulars? ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 105±121. Duque, Félix: ¹Die Rinde wird durchsichtigª. Hegels Jenaer Naturphilosophie und die FruÈhromantik. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 175± 185. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 181.
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Duque, Félix: ¹Distruzione del divinoª. La tragedia dell`assoluto nello Hegel di Jena [¹ZerstoÈrung des GoÈttlichenª. Die TragoÈdie des Absoluten beim Jenaer Hegel]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 477± 497. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162.
Duque, Félix: Le temps du logos ± ConsideÂrations sur la place systeÂmatique de l`histoire de la philosophie chez Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 83 ±89. Die Philosophiegeschichtsschreibung enthaÈlt seit ihren AnfaÈngen immer zwei gegensaÈtzliche Tendenzen: das Streben, ein philosophisches System zu konstruieren, das die verschiedenen philosophischen Konzeptionen unter ein ,wissenschaftliches` Gesetz bringt, und der Versuch, die irreduziblen Differenzen zwischen den philosophischen Texten zu beruÈcksichtigen. Dabei bekommt entweder die Philosophie uÈber die Geschichte den Vorrang oder umgekehrt. Der Verf. untersucht die H.sche Konzeption der Philosophiegeschichte, um die MoÈglichkeit eines mittleren, nichtreduktionistischen Weges zu pruÈfen.
Duquette, David: The Political Significance of Hegel`s Concept of Recognition. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 119 ±141. Düsing, Klaus: Der Begriff der Vernunft in Hegels PhaÈnomenologie. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 143±162. Düsing, Klaus: Dialektikmodelle. Platons ¹Sophistesª sowie Hegels und Heideggers Umdeutungen. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 4± 18. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 174.
Ehrhardt, Walter E.: Das Organismusmodell in der Philosophiegeschichtsschreibung. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 121± 124. Das schwierigste Problem jeder Philosophiegeschichtsschreibung ist die Vermeidung eines geschichtlichen Skeptizismus angesichts der Darstellung der Vielfalt der Philosophien. H.s Sicht der Philosophiegeschichte, an deren moÈglicherweise uÈberholbarem Ende sein eigenes System steht, loÈst das Problem nicht. Es wird das Organismusmodell Schellings als MoÈglichkeit in ErwaÈgung gezogen, zwischen den Extremen einer geschichtlichen Relativierung aller
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Standpunkte und der prinzipiellen Geschichtsfremdheit einen Weg der Philosophiegeschichtsschreibung zu finden.
Ehrhardt, Walter E.: Der Sinn der Philosophiegeschichte bei Schelling und Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 106± 111. Verf. bespricht kritisch Lorenz B. Puntels Aufsatz Zur Situation der deutschen Philosophie der Gegenwart von 1994, der auf den Sinn der Philosophiegeschichte bei H. Bezug nimmt. Das Ziel des Verf. ist es deshalb, die unterschiedliche Art und Weise zu vergleichen, wie H. und Schelling die Philosophiegeschichte konzipieren. Bei Schelling gehoÈrt die Darstellung der Geschichte der Philosophie bloû zum propaÈdeutischen Teil seiner Vorlesungen; bei H. dagegen traÈgt die Geschichte der Philosophie die ganze Entfaltung des logischen Systems.
Eisfeld, Rainer: From Hegelianism to Neo-pluralism: Uneasy Relationship Between Private and Public Interest in Germany. ± In: International Review of Sociology/Revue Internationale de Sociologie. Rome Then Abindgton. 8 (1998), N. 3, 389±396. Verf. diskutiert die Konfrontation von Staat und buÈrgerlicher Gesellschaft, von allgemeinem Gut und privaten Interessen in H.s Theorie, wobei er einige Beziehungen zwischen diesem Begriff und Deutschlands ¹peculiar courseª im 19en Jahrhundert eingeht. Er argumentiert in der H.schen Tradition und kritisiert den Mangel an ¹Staatlichkeitª in der BRD.
Engelmann, Peter: Ist der TotalitaÈtsanspruch der Dialektik der Ursprung des Totalitarismus? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 45 ± 53. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 218.
Erp, Herman van: Hegel`s Philosophy and the End of History. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 165± 169. Verf. betrachtet die Einsicht, daû das Ende der Geschichte als die RealitaÈt der Gegenwart verstanden werden kann, als Thema von H.s Philosophie der Weltgeschichte bzw. seines Projekts, den absoluten Geist in seiner historischen Existenz zu erfassen.
Espina, Yolanda: Kunst als Grenze: Die Musik bei Hegel. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 103 ±133. Die Musik druÈckt besser als die anderen Kunstformen die SubjektivitaÈt des Absoluten aus, die ihre Form als reine Zeitlichkeit fuÈr den subjektiven Geist vorfuÈhrt.
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Ezquerra Gómez, Jesús: La posicioÂn como exposicioÂn. Una aproximacioÂn a la Darstellung hegeliana. ± In: Pensamiento. Madrid. 54 (1998), N. 208. Verf. vertritt die Auffassung, daû der Begriff der Reflexion als die eigentliche Zentralstelle der H.schen Logik anzusehen ist, und zwar nicht weil sie inmitten der Behandlung liegt, sondern weil sie die Mitte des Schlusses der Logik bildet. Zur Rechtfertigung dieser Behauptung zieht Verf. einen Vergleich zwischen der Kantischen und der H.schen Konzeption von Darstellung und deren philosophische Folgen heran.
Falkenburg, Brigitte: How to Save the Phenomena: Meaning and Reference in Hegel`s Philosophy of Nature. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 97± 135. Faraklas, Georgios: Die Erkenntnistheorie bei Hegel. [Griechisch.] ± In: Neusis. Athen. H. 7. Winter 1998, 159± 171. Verf. untersucht H.s ¹wahre Kritik der Kategorienª, die sich gegen Kants Kritik der Metaphysik wendet und die Voraussetzung des H.schen Erkenntnisprogramms ist. Nach Verf.s Meinung geht H. von der Unterscheidung zwischen unendlichen und endlichen Objekten aus und betrachtet als das ontologische Fundament der Erkenntnis die Existenz eines unendlichen, d. h. selbstreferentiellen Objekts, das zu seinem Inhalt nur die Manifestation der aufgenommenen Inhalte hat; dieses Objekt ist zugleich das Subjekt der Erkenntnis.
Fausto, Ruy: Contribution aÁ une theÂorie dialectique du jugement. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 234± 238. È konomie wird verIm Zusammenhang der KlaÈrung der Marxschen Kritik der politischen O sucht, eine Art Urteilstafel der dialektischen Logik aufzustellen. Die Grundeigenschaft der Urteile der dialektischen Logik, wie sie in H.s Wissenschaft der Logik entwickelt wird, besteht darin, daû die Verbindung vom Subjekt und PraÈdikat im Urteil als Reflexion aufgefaût wird. Dies bedeutet, daû sich das Subjekt im PraÈdikat setzt und ihm zugleich vorausgesetzt ist. Die UnterÈ bergangsoperator von der scheidung der Setzung und der Voraussetzung bildet somit den U traditionellen zur dialektischen Logik. Als Hauptformen des Urteils in der dialektischen Logik werden unterschieden: Das Urteil der Reflexion, das Urteil des Subjekts, das Urteil des Werdens und das Urteil des Wesens.
Ferrarin, Alfredo: Aristotelian and Newtonian Models in Hegel`s Philosophy of Nature. ± In: Philosophies of Nature: The Human Dimensions. In Celebration of Erazim Kohak. Ed. by R. S. Cohen and A. I. Tauber. Dordrecht [usw.] 1998. 71± 89. È bersetzung der H.schen Naturphilosophie kann man nicht mehr die 25 Jahre nach Petrys U zweite Abteilung der EnzyklopaÈdie vernachlaÈssigen. Mit der Absicht, H.s Vorhaben in seiner philosophischen Konzeption der Natur zu verstehen, unternimmt Verf., H.s Naturphilosophie auf Grund von zwei verschiedenen Modellen zu interpretieren: die moderne Naturauffassung
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Newtons und die aristotelische Lehre uÈber die physis. So zeigt Verf. auf, wie H. die Newtonsche mechanische Weltauffassung kritisiert und wie er sich Aristoteles aneignet, um die Natur als eine lebendige Allheit zu begreifen. Schlieûlich aber weist er auf grundsaÈtzliche Unterschiede zwischen der H.schen und der Aristotelischen Naturauffassungen hin.
Ferrarin, Alfredo: Riproduzione di forme e esibizione di concetti: Immaginazione e pensiero dalla ¹phantasiaª aristotelica alla ¹Einbildungskraftª in Kant e Hegel [Die Reproduktion der Formen und das Aufzeigen der Begriffe: Einbildungskraft und Denken. Von der aristotelischen ¹Phantasieª bis zur Einbildungskraft bei Kant und Hegel]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 253± 293. Ferrini, Cinzia: Die Bibliothek in Tschugg: Hegels Vorbereitung fuÈr seine fruÈhe Naturphilosophie. ± In: Hegel in der Schweiz (1793± 1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 237± 259. Ferrini, Cinzia: Framing Hypotheses: Numbers in Nature and the Logic of Measure in the Development of Hegel`s System. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 283± 310. Ferrini, Cinzia: Il giovane Hegel critico di Newton [Der junge Hegel als Kritiker von Newton]. ± In: Intersezioni. Rivista di storia delle idee. Bologna. 17 (1997), N. 3, 395± 417. Aufgrund einer textlichen Analyse einiger Stellen von De orbis planetorum lehnt Verf. die Hypothese ab, daû Kepler nach H.s Deutung ein reiner Mathematiker gewesen sei, der seinen Gesetzen keine physikalische Formulierung gegeben habe. Ganz im Gegenteil stellt Kepler das Muster eines nicht abstrakten Beweises der Naturgesetze dar. Daû Newtons Beweis von Keplers Gesetzen in den Principia in Frage gestellt werden kann, wurde in neueren Forschungen gezeigt, was Hegels Argumentationen uÈberzeugender werden laÈût. Auf die Histoire des MatheÂmatiques von J.-E. Montucla (1758) und die darin enthaltenen BezuÈge auf den Traite von L.-B. Castel wird als moÈgliche bedeutende Quellen von H.s Kritiken gegen Newton hingewiesen.
Ferrini, Cinzia: Tra etica e filosofia della natura: il significato della Metafisica aristotelica per il problema delle grandezze del sistema solare nel primo Hegel [Zwischen Ethik und Naturphilosophie: die Bedeutung der aristotelischen Metaphysik fuÈr das Problem der GroÈûenverhaÈltnisse des Sonnensystems beim fruÈhen Hegel]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 135± 201.
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Février, Nicolas: La contingence dans la meÂcanique heÂgeÂlienne. ± In: Revue Philosophique de Louvain. Louvain-la-Neuve. 95 (1997), 76 ± 102. This text deals with the way H. thinks the existence of contingent phenomena. It centers particularly on the mechanics of the Encyclopaedia of philosophical sciences. H. articulates contingency (which characterizes nature) with blind (or mechanical) necessity and freedom (or conÈ uûerlichkeit). The hypothesis of D. ceptual necessity) around the category of exteriority (A Wandschneider and V. HoÈsle agrees with this articulation. It also makes it possible to develop a parallel between the categories of the logic of being and the first forms of nature, leading to an interpretation of contingency as mutual exteriority of the moments of the Idea.
Finlayson, Gordon: Does Hegel`s Critique of Kant`s Moral Theory Apply to Discourse Ethics? ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 37 ±38 (1998), 17± 34. Gegen Habermas, der der Ansicht ist, H.sche Kritik an Kants Morallehre sei nicht zutreffend, behauptet Verf., daû sich einige EinwaÈnde von H. sowohl auf jene als auch auf die Diskursethik anwenden lassen. Gegen Kant und Habermas weist H.s Philosophie des objektiven Geistes, die ihren hoÈchsten Punkt in der Sittlichkeit findet, auf die KontinuitaÈt zwischen dem sittlichen Inhalt und der sittlichen Form hin.
Finlyson, J. G.: Beyond the Antigone Complex: A Reply to Jay Bernstein. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 99 ±104. Flay, Joseph C.: Absolute Knowing and the Absolute Other. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 30 (1998/1999), N. 1, 69 ±82. Mit Bezug auf H.s PhaÈnomenologie und Logik zeigt Verf., daû H.s Metaphysik im strukturierten aktuellen VerhaÈltnis des Wissens zum Anderen (Gegenstand), d. h. in der Relation samt ihren Relaten liegt. Dieses VerhaÈltnis sei durch eine radikale strukturelle AmbiguitaÈt gekennzeichnet, insofern das Andere vom Wissen unterschieden sei und doch mit ihm vereinigt bleibe; waÈre die AmbiguitaÈt durch die Aufhebung zum Stillstand gebracht, wuÈrde die Philosophie H.s ihr eigentliches Motiv verlieren. Somit erklaÈrt Verf., warum er Houlgates Auffassung, das absolute Wissen sei Denken des Denkens, nicht teilen kann.
Flay, Joseph C.: Hegel`s ¹Inverted Worldª. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 89± 105. Flay, Joseph C.: Hegel`s ¹Inverted Worldª. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 138± 152
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Flay, Joseph C.: Rupture, Closure, and Dialectic. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 149± 164. Folkers, Horst: Spinozarezeption bei Jacobi und ihre Nachfolge beim fruÈhen Schelling und beim Jenenser Hegel. ± In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, MuÈnchen. 105 (1998), 381 ±398. Verf. untersucht Distanz und NaÈhe zwischen Spinozas Philosophie und ihrer Jacobischen Rezeption einerseits und Schellings Philosophie in der Zeit seiner ersten Publikationen (Vom Ich und Briefe uÈber Dogmatismus und Kritizismus) andererseits. Gleichwohl geht es zweitens um dieselben Beziehungen beim jungen H., bei wem die Evolution der VerhaÈltnisse zwischen Religion und Philosophie von der Ende der Frankfurter Zeit bis zum Anfang der Jenaer Zeit unter dem Aspekt der Intuitionen Jacobis bemerkenswert ist.
È ber Hegels Begriff Fonnesu, Luca: Sul concetto di ¹felicitaÁª in Hegel [U der GluÈckseligkeit]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 55 ± 75. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161± 163.
Formaggio, dino: L`esplosione della filosofia nello Hegel di Bataille [Die Explosion der Philosophie in Batailles Hegel]. ± In: Belfagor. Rassegna di varia umanitaÁ. Firenze, Messina. 52 (1997), 171 ±179. Verf. analysiert George Batailles H.-Interpretation seit den Jahren 1931±34, in denen er H. nach A. Kojeves Interpretation der PhaÈnomenologie des Geistes studierte. Von Kojeve entnimmt Bataille die Dialektik des Verlangens und die These vom Menschen als Nichts. Bataille beginnt seine Interpretation H.s mit dem Aufsatz H., la mort et le sacrifice (1955) und schreibt spaÈter den Artikel H., l`homme et l`histoire (1956). Opfer, Kampf, Tod und Handlung des Menschen sind die Themen Batailles, doch sie werden in einem tragischen und dynamischen Materialismus entfaltet, der sehr weit von H.s Denken entfernt ist.
Franco, Paul: Hegel and Liberalism. ± In: The Review of Politics. Notre Dame. 59 (1997), 831± 860. In this article, the venerable but still not entirely resolved issue of H.`s relationship to liberalism is discussed. In contradistinction to recent communitarian accounts, the Kantian and Enlightenment idea of rational freedom in H.`s political philosophy is shown to be the basis for H.`s critique of traditional liberalism. While the H.ian state incorporates most of the rights and freedoms ordinarily associated with liberalism, H.`s rationale for these rights and freedoms is never the traditional liberal one. In conclusion, the relevance of H.`s ideal of the rational state to our understanding of contemporary liberalism and its discontents is assessed.
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Frank, Manfred: Schellings spekulative Umdeutung des Kantischen Organismus-Konzepts. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 201± 218. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 181± 182.
Fraser, Ian: Two of a Kind: Hegel, Marx, Dialectic and Form. ± In: Capital and Class. Bulletin of the Conference of Socialist Economists. London. 1997, Nr 61, 81± 106. In this article the author argues that the dialectic of H. and the dialectic of Marx are the same. The mysticism that Marx and many Marxists have imputed to H.`s dialectic is shown to be mistaken. The article illustrates how both H. and Marx share an emphasis on analysing forms in society. This is accomplished through general and determinate abstractions for Marx which find a direct correspondence in H.`s universal and particular concept.
Frigo, Gian Franco: Von der Natur als sichtbarem Geist zur Natur als Anderssein des Geistes. Der Ort der Natur in den Jenaer SystementwuÈrfen Schellings und Hegels. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 219±229. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 183.
Fulda, Hans Friedrich: Beansprucht die Hegelsche Logik, die Universalmethode aller Wissenschaften zu sein? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 13 ± 27. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 224± 225.
Fulda, Hans Friedrich: Das aÈlteste systematisch-philosophische Manuskript, das uns von Hegel erhalten ist. ± In: Hegel in der Schweiz (1793±1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 133± 144. Fulda, Hans Friedrich: Die Hegelforschung am Ende unseres Jahrhunderts. RuÈckblick und Fazit. ± In: Information Philosophie. LoÈrrach. 1998, Nr 2, 7 ±18. Verf. teilt seinen Aufsatz in drei Abschnitte. Zuerst beschreibt er, wie Hegel 1970 gesehen wurde, als sich die Revitalisierung der marxistischen Diskussion ihrem HoÈhepunkt naÈherte. Danach zeigt er, was sich nach 1970 in der H.-Rezeption veraÈndert hat. Und schlieûlich stellt er sich die Frage nach den Chancen einer produktiven BeschaÈftigung mit H. heute, und zwar einer Forderung RuÈdiger Bubners folgend: Das Innovative an H.s Gedanken aufzuspuÈren und es in
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Bibliographie
È berzeugungskraft hin zu pruÈfen. Vor allem solle der H.sche erster Linie als solches auf seine U Anspruch philosophischer Erkenntnis aufgeklaÈrt und beurteilt werden.
Fulda, Hans Friedrich: Spekulatives Denken dialektischer Bewegung von Gedankenbestimmungen. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 19± 31. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 178.
Gajdenko, Piama P.: Die VerfuÈhrung durch Dialektik. Pantheistische und gnostische Motive bei Hegel und Vl. Solovjev. [Russisch.] ± In: Voprosy filosofii. [Fragen der Philosophie] Moskva. 1998, N. 4, 75± 93. Durch die EinfuÈhrung des Moments des Widerspruchs und der NegativitaÈt in die Bestimmung des Absoluten vollzieht H. eine totale Umdeutung des Seinsbegriffs im Rahmen seines Systems des dialektischen Monismus. Dies hat Konsequenzen fuÈr sein GottesverstaÈndnis, aus dem durch die These vom ,werdenden Gott` die Transzendenz eliminiert wird. Dabei hat diese pantheistische Position Hegels deutliche impersonalistische Konnotationen. Obwohl Vl. Solovjev eine radikale Kritik am H.schen Pantheismus uÈbt, bleibt er dennoch unter dem Einfluû der H.schen Dialektik mit ihren impersonalistischen Konsequenzen.
Gajdenko, Pjama P.: Ist der Hegelsche Monismus eine der Quellen des Pantheismus und Impersonalismus? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 29± 43. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Gallagher, Shaun: Hegel, Foucault, and Critical Hermeneutics. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 145± 166. Gawoll, Hans-Jürgen: Von der Unmittelbarkeit des Seins zur Vermittlung der Substanz. Hegels ambivalentes VerhaÈltnis zu Jacobi. ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 133± 151. Gedney, Mark D.: Reasonable Faith and Faithful Reason: The central role of freedom in Hegel`s Philosophy of religion. ± In: Philosophy & Theology. Milwaukee, Wis. 10 (1998), 33 ±63. In this paper I have attempted to develop H.`s philosophy of religion in light of his critical appropriation of both Kant and Schleiermacher. My purposes for doing so are two-fold. On the one hand, I think that many of the difficulties in interpreting H.`s philosophy of religion stem
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from a failure to see this position as a response to both of these key figures. On the other hand, I wished to give emphasis to the fact that H.`s philosophy of religion can only be understood as a continuation of Kant`s and Schleiermacher`s attempts to reinterpret religion in the light of the strong notion of subjective freedom arising out of the enlightenment. In short, my position is that H.`s conception of religion presents a clearer and more coherent account of God`s aseity or transcendence and of his relation to the world in general and humanity within the limits imposed by the enlightenment understanding of human subjectivity and freedom.
Gérard, Gilbert: Filosofia e religione nel pensiero del giovane Hegel [Philosophie und Religion im Denken des jungen Hegel]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. Hrsg. R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 355±373. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 164.
Geraets, Theodore: CompreÂhension et articulation de sens. ± In: Carrefour. Ottawa. 20 (1998), 37± 53. Our knowledge of Hans-Georg Gadamer`s thought allows us to see more clearly in H.`s own thinking contents and movements of meaning that still remain too often unrecognized. Our reading of H. ¹afterª Gadamer is part of the ¹Wirkungsgeschichteª of the works of Gadamer and H. A real convergency of meaning between these two thoughts exists with regard to the four aspects treated here: the ¹spurious infinite,ª ¹absolute knowing,ª the concept (or comprehension), and the essential complementarity between the dialogical and monological sides of all thinking. Freeing ourselves from a reductive and very persistent interpretation of H., we are able, once again, to nourish our thinking at the source of one of the richest philosophies of all time. (Aus: The Philosopher`s Index)
Gerhard, Myriam: Geschichtlichkeit und Zeit. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 149±153. Im Begriff der Zeit beansprucht Heidegger, nicht nur den SchluÈssel zum VerstaÈndnis von Geschichte, sondern den ¹Quellengrundª der Philosophie uÈberhaupt gefunden zu haben. Mit H. laÈût sich zeigen, daû Heideggers Fundamentalontologie nur auf der Stufe der ,Reflexionsphilosophie` bleibt, weil sie den Standpunkt der Endlichkeit nicht zu uÈberwinden vermag.
Gessa-Kurotschka, Vanna: Riconoscimento e tragedia. Sulla receÈ ber zione filosofica dello Hegel jenese [Anerkennung und TragoÈdie. U die philosophische Rezeption des Jenaer Hegels]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 227±245. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
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Bibliographie
Gestering, Johann Joachim: Hegel und Indien. Zur EurozentrizitaÈt von Weltgeschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 134± 138. H. war laut Verf. uÈber Indien ¹teilweise recht gut und gleichzeitig voÈllig falsch informiertª. Das klassisch indische Weltbild kennt keinen Begriff von Geschichte oder Weltgeschichte, wird aber von H., der sich kritisch gegen die zeitgenoÈssische Indienverherrlichung wendet, in seine eurozentrische Weltgeschichte einbezogen und zum Vorwand, ¹um das Innere seines eigenen DenkgebaÈudes mit Beweisen auszustattenª. Der indische Idealismus, den H. durchaus konstatiert, existiert fuÈr ihn, wie Verf. feststellt, aber nur in ¹begriffsloser, vernunftloser Form, nur von Phantasie gelenkt, als bloûes TraÈumen, ohne jegliche Freiheitª. Damit uÈbersieht H. laut Verf. jedoch ¹das groûe Thema sowohl psychologischer als auch metaphysischer Freiheit in der indischen Philosophieª, der es um ein ¹Begreifen und Beherrschen der Einbildungskraft im Sinne von illusionaÈrer Vorstellungª und zwar als ¹logische Voraussetzung fuÈr die Ansteuerung eines voÈllig illusionsfreien Bewuûtseinsª geht.
Gestrich, Christof: Die Sprache der VersoÈhnung. Theologie und Sprachphilosophie in Begegnung. ErwaÈgungen zu G. W. F. Hegel und W. von Humboldt uÈber die Frage der Verhinderung destruktiver Gewalt. ± In: Zeitschrift fuÈr Theologie und Kirche. TuÈbingen. 94 (1997), 488± 510. Reconciliation comprises the whole of salvation and is a central concept in dealing with violence. The church`s mission of speaking the language of reconciliation is endangered by the loss of signs. Thus one of theology`s main responsibilities is to re-examine the use of language which is open to philosophical insights.
Gil, Thomas: Hans Freyers Rekonstruktion der Weltgeschichte Europas. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 251±267. Giugliano, Antonello: Hegel e il problema dell`Oriente [Hegel und das Problem des Orients]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 380± 401. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
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Giungati, Maria: La coscienza infelice nella filosofia di Hegel. Rileggendo Jean Wahl [Das ungluÈckliche Bewuûtsein in der Philosophie Hegels. Jean Wahl wiederlesen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 434±449. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Gloy, Karen: Hegel und das Ende der Geschichte und kein Ende. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 21± 32. Verf. analysiert den Begriff der Vernunft in der Geschichte sowie die Interpretationen zum Ende der Geschichte, auch in der postmodernen Kritik (Habermas und Luhmann). GemaÈû H.s Unterscheidung dreier Arten von Geschichte (urspruÈngliche, reflektierte und philosophische) untersucht sie insbesondere die dritte Geschichtsart nach ihrer teleologisch-eschatologischen Bedeutung. Das Ende der Geschichte duÈrfe nicht als definitives Ende, d. h. als Vollendung oder Untergang interpretiert werden, sondern nur als relatives Ende, das einen Neubeginn eroÈffnet.
Gloy, Karen: Hegels Vernunftbegriff und das Andere der Vernunft. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 34± 39. Vor dem Hintergrund postmoderner Vernunftkritik stellt die Verf. die Frage nach der Rolle des Anderen in H.s Philosophie. Die systematische Stellung des Anderen im H.schen Vernunftkonzept laÈût sich in drei Aspekten bestimmen: innerhalb des Gesamtsystems als GegenÈ bergang von der Logik zur Realphilosophie als die Idee in Form ihres Andersseins (Nasatz, im U tur) und schlieûlich am Ende des Systems als das Andere der Vernunft. Allerdings reicht H.s Argumentation nicht aus, die Verbindung des geschlossenen Systems zu einem unbegreiflichen Anderen herzustellen und seine EigenstaÈndigkeit anzuerkennen.
Gloy, Karen: Naturphilosophie versus Naturwissenschaft: Die AktualitaÈt einer Hegelschen Intention, demonstriert am Beispiel von Hegels Newton-Kritik. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 11 ± 28. The main subject of this paper is the controversy between natural science, of which Newton is representative, and philosophy of nature, of which H. is representative. H. criticizes Newton in the Encyclopaedia (1818, 1827, 1837), in the Science of Logic in respect of his theory and experiments of the spectral colours. He puts out three points: (1) the inadequacy of Newton`s theory, (2) of his experiments, and (3) of his conclusions. In opposition to it H. intends an all embracing theoretical concept. Does it better fit with the reality: with empirical research and natural science? (Aus: The Philosopher`s Index)
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Bibliographie
Gnatenko, Eugen A.: Returning to Hegel: Ludwig Heyde`s ¹The Realization of Freedomª in the Context of the Russian Hegelian Tradition. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 245± 250. At the beginning of 1996, a Russian translation of Ludwig Heyde`s book ¹The Realisation of Freedom: An Introduction to H.`s Philosophy of Rightª (edited by A. L. Dobrokhotov) appeared in print. This book is interesting for Russian students and scholars as a truly fresh and politically neutral work on H.`s philosophy. Secondly, we can regard this book as a revival of the Chicherian, and thus Russian school of right. The author of the article describes Russian H.ian tradition since the third decade of XIX century up to the moment and shows contemporary H.ian investigation trends in Russia. (Aus: The Philosopher`s Index)
Goedert, Georges: Die Universalgeschichte bei Karl Jaspers. Einheit der Weltgeschichte und politische Welteinheit. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 238±244. Verf. stellt das Geschichtsdenken von Karl Jaspers vor, das er in die NaÈhe spekulativ-idealistischer Geschichtsphilosophie H.s ruÈckt. Dabei thematisiert er das VerhaÈltnis von Geschichte und Gegenwart, die These von der ¹Achsenzeitª und den Gedanken einer ¹empirisch zugaÈnglichenª, ¹faktischen Universalgeschichteª, um zu zeigen, wie Jaspers die (offene) Einheit der Geschichte durch den Begriff der ¹Geschichtlichkeitª bzw. durch eine Reflexion auf politische Freiheit, Glaube und ¹existentielle Kommunikationª begruÈndet.
Görtz, Hans-Jürgen: ¹Gott in der Religionª, nicht ¹Gott in der Geschichteª. Rosenzweigs Auseinandersetzung mit Hegel. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 225± 250. Graeser, Andreas: Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewiûheit. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 33± 51. Gram, Moltke S.: Moral and Literary Ideals in Hegel`s Critique of ¹The Moral World-Viewª. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 307 ±333. Greif, Gary F.: The Role of Chance in Hegel`s Philosophy of History. ± In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 27 (1997), N. 3, 269± 281. Verf. sucht zu erklaÈren, wie H. den Gang der Weltgeschichte als einen notwendigen begreifen kann, ohne doch den Zufall ganz aus der Geschichte auszuschlieûen. Indem Verf. zeigt, in welcher Weise der Geist nach H. Natur in sich aufnimmt, macht er deutlich, daû nur die von der
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Vernunft gesetzten bzw. vorausgesetzten Bedingungen ihrer Entwicklung als zufaÈllig zu gelten haben, nicht aber diese Entwicklung selbst.
Greif, Gary F.: The Role of Chance in Hegel`s Philosophy of History. ± In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 27 (1998), N. 3, 269± 281. Wie kann H. einen gewissen Platz dem Zufall in einer Geschichtsphilosophie reservieren, die den rationalen Prozeû der Geschichte betont? AnlaÈûlich einer Analyse der Rolle des Begriffes sowohl in der Natur als auch in der Geschichte zeigt Verf., daû die Entwicklung des Geistes, auch wenn jener vom Zufall begrenzt wird, als Wirkung der Geschichte selbst vom Zufall nicht begrenzt wird. Die Entwicklung der Vernunft wird eben durch die Begrenzungen ermoÈglicht, die sie sich selbst setzt und staÈndig uÈberwindet.
Gretzki, Milij N.: Ist der Marxismus ein legitimer Erbe des Hegelianismus? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 223±238. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 222± 223.
Grier, Philip T.: The Speculative Concrete: I. A. Il`in`s Interpretation of Hegel. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 169±193. Grossmann, Andreas: Hegel oder ¹Hegelª? Zum Problem des philosophischen und editorischen Umgangs mit Hegels geschichtsphilosophischen Vorlesungen. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 51± 70. Guibal, Francis: Le signe heÂgeÂlien. EÂconomie sacrificielle et releÁve dialectique. ± In: Archives de Philosophie. Paris. 60 (1997), 265± 297. From the singular to the universal, from the sensible to the intelligible, the movement, of which the H.ian sign is at once operator and wittness, is always that of sacrificial economy ending in a spiritual synthesis. In this work it is pursued, re-drawn and questioned from the point of view of its development in the Phenomenology of the Spirit.
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Bibliographie
Gunkel, David: Scary Monsters: Hegel and the Nature of the Monstrous. ± In: International Studies in Philosophy. Atlanta, Ga. 29 (1997), N. 2, 23 ±46. Verf. untersucht die Bedeutung der MonstruositaÈt in H.s Naturphilosophie und deren doppelte Struktur: Einerseits ist das Monster in einer gegebenen Form eingeschlossen, andererseits geht es uÈber die Bestimmungen einer gewissen Form als deren Deformation hinaus. Bei der Deutung von verschiedenen Deviationen und Aberrationen von der RationalitaÈt des Begriffes, welche eine radikale ZufaÈlligkeit beweisen, wird wiederholt auch auf eine LektuÈre von Marquis de Sade rekurriert. Besonders H.s Behandlung des Assimilationsprozesses und von dessen AbfaÈllen und Exkrementen sowie H.s Thematisierung des Gattungsprozesses, des GeschlechtsverhaÈltnisses, der Genitalorgane, des Todes, des Feuers und der Aschen werden naÈher untersucht.
Gutiérrez, Edgardo: Arte, lenguaje y metafõÂsica en las esteÂticas de Hegel y Adorno. [Kunst, Sprache und Metaphysik in den aÈsthetischen Theorien Hegels und Adornos]. ± In: DiaÂlogos. Revista del Departamento de FilosofõÂa. Santurce. 32 (1997) Nr 70, 199±207. Verf. behauptet, daû die H.sche Theorie der Kunst in der Bedeutung bzw. dem Begriff ihren Schwerpunkt hat. So setzt sie einen einschraÈnkenden Begriff der Kunst voraus, den einige Denker aufzuheben versucht haben. Von diesen ist Th. W. Adorno besonders wichtig, weil er eine nicht begriffliche Sprache sucht ± eine Sprache naÈmlich, die ¹die Stille der Naturª aufzutauchen ermoÈglicht.
Haas, Andrew: The Bacchanalien Revel: Hegel and Deconstruction. ± In: Man and World. Dordrecht [usw.] 30 (1997), 217± 226. This text argues that H.`s concept, insofar as it has already deconstructed all opposed and fixed standpoints, supersedes deconstruction. Reducing the Logic and Phenomenology to the same kind of schematic formalism for which criticized his predecessors (Fichte and Schelling), Derrida misses the ways in which the Absolute Spirit shows itself as the ¹bacchanalian revel wherein no member is not drunkª. Thus, this article defends H. against Derrida on Derrida`s terms.
Hagner, Joachim: Die Wahrnehmung, oder das Ding, und die TaÈuschung. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 53 ±88. Halfwassen, Jens: Die Bedeutung des spaÈtantiken Platonismus fuÈr Hegels Denkentwicklung in Frankfurt und Jena. ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 85 ±131.
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Halper, Edward: The Logic of Hegel`s Philosophy of Nature: Nature, Space and Time. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 29 ± 49. Hance, Allen: The Art of Nature: Hegel and the Critique of Judgment. ± In: International Journal of Philosophical Studies. London. 6 (1998), 37 ±65. This essay examines the reasons for H.`s frequently professed claim that Kant`s Critique of Judgment simultaneously reveals the internal limits of critical philosophy and opens the door to his own system of speculative idealism. It evaluates H.`s contention that the conceptions of aesthetic experience, organic purposiveness, and the intuitive intellect developed in the third Critique together conspire to undermine the epistemological and metaphysical foundations of the theories of nature and freedom advanced in the first and second Critiques. Finally it explains how Hegel understands his logic and real philosophy as a realist and quasi-naturalistic alternative to Kant`s subjective idealism, one that purports to generate a system of categories adequate not only to dead matter but also to organic life and free self-conscious spirit.
Hansen, Frank-Peter: Philosophie und Religion bei G. W. F. Hegel. ± In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, MuÈnchen. 105 (1998), 109± 124. Thematisiert wird die geistige Entwicklung des fruÈhen H.: l) In den Manuskripten der Berner und Frankfurter Zeit und ihrer Kritik der Orthodoxie und deren Konzeption einer durch Tugendlehrer gestifteten Volksreligion, 2) dem sog. ¹Systemfragment von 1800ª, 3) Glauben und Wissen bis 4) zur PhaÈnomenologie des Geistes, worin eine Vorrangstellung der Philosophie gegenuÈber der ± vormals favorisierten ± Religion vollzogen wird. Die PhaÈnomenologie erreiche ¹die Position des ,reifen` H.ª. Sodann geht Verf. auf Beispiele ¹gegenwaÈrtig gefuÈhrter Diskussionenª um RationalitaÈt und Mythologie ein (erwaÈhnt werden nur BeitraÈge von 1983 aus dem Band Mythos und Moderne, hg. K. H. Bohrer). Dortige Auffassung sei es, daû Wissen Vernichtung und Opferung ist, wogegen eine ¹RuÈckkehr zum Mythosª gefordert werde. Dieser Auffassung versucht Verf. entgegenzutreten.
Harris, Errol E.: How Final Is Hegel`s Rejection of Evolution? ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 189± 208. Harris, Errol E.: Some Difficulties with Hegel`s Aesthetics. ± In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 28 (1998), N. 3, 137± 145. È sthetik Verdienste als PhaÈnomenologe bzw. Verf. hebt hervor, H. habe sich in seiner A Kunstkritiker, -kenner und -historiker erworben. DemgegenuÈber vermiût er dort eine strenge logische (dialektische) Strukturierung des Problemfeldes. Aus diesem Grunde bleiben seiner È sthetik die zentralen philosophischen Fragen an das Wesen der Kunst Auffassung nach in H.s A unbeantwortet.
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Bibliographie
Harris, Henry S.: Hegel`s Correspondence Theory of Truth. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 11 ±22. Harris, Henry S.: The Hegelian Organon of Interpretation. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 19± 31. Hatta, Takashi: Christologie in Hegels Religionsphilosophie. [Japanisch.] ± In: The Bulletin of Arts and Science. Tokyo. N. 300 (1997), 167± 168. In diesem Aufsatz erschlieûen sich die folgenden Punkte: l. Warum manifestiert Gott sich in ¹Diesemª, nicht in mehreren Personen? 2. Was bedeutet der Tod Gottes? 3. Wie ist die Geschichte Christi strukturiert? Die Beantwortung dieser Fragen foÈrdert H.s Auffassung von Christologie zu Tage.
Hatta, Takashi: Die NatuÈrlichkeit des Menschen in Hegels Religionsphilosophie. ± In: The Journal of Humanities. Tokyo. 4 (1997), 79± 88. In dieser Arbeit wird das Problem der menschlichen Bestimmung unter dem Aspekt der menschlichen Leiblichkeit behandelt. Dabei orientiert sich der LoÈsungsweg an der eingehenden PruÈfung der Beziehung zwischen dem menschlichen BoÈsen und der Erkenntnis des Menschen. Dazu kommt die Abtrennung des Menschen von der Welt als Hintergrund jener Beziehung in Betracht.
Hatta, Takashi: Gemeinde des Geistes und Manifestation Gottes in Hegels Religionsphilosophie. [Japanisch.] ± In: The Bulletin of Arts and Science. Tokyo. N. 310 (1998), 1 ±16. Diese Arbeit hat H.s Auffassung der christlichen Gemeinde als der unwirklichen IntersubjektivitaÈt zum Thema. Darin zeigt sich die Unwirklichkeit der Vorstellung von Christus in der Gemeinde. ErwaÈhnenswert ist, daû sich diese Unwirklichkeit aus der von der leiblichen Wirklichkeit abgetrennten Erinnerung an Christus ergibt. Des weiteren fuÈhrt die eingehende Betrachtung daruÈber zur Auffassung H.s vom VerhaÈltnis des Geistes zur Natur.
Haucke, Kai: Hegels Theorie des spekulativen Satzes in der Vorrede zur PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: Prima Philosophia. Cuxhaven. 10 (1997), H. 1, 43 ± 75. Nachgezeichnet wird der kurze Abschnitt uÈber den spekulativen Satz aus der PhaÈnomenologie, worin das Absolute als Prozeû begriffen wird. Die inhaltliche Funktion des Abschnittes besteht darin, die wahre Form und den wahren Inhalt zu zeigen. Die PhaÈnomenologie erweise sich nicht als ¹bloûes Vorspiel zur Logik oder Realphilosophieª, sondern als ¹Durchdringung des Logischen und Historischenª. Ausgangs- und Endpunkt der PhaÈnomenologie ist die Einheit von Denken und Sache und auch die Vorrede entspricht der Struktur eines Kreises. Verf. the-
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matisiert u. a. sprachtheoretisch, wie sich H. den spekulativen Satz mittels Soll-SaÈtze naÈhert, und er skizziert, gegen welche zeitgenoÈssischen Positionen (v. a. Kant) sich H. ± teilweise polemisch ± wendet.
Haug, Wolfgang Fritz: Eule der Minerva. ± In: Das Argument. Zeitschrift fuÈr Philosophie und Sozialwissenschaften 39 (1997), Nr 218± 223, H. 4, 559±565. Der beruÈhmte Schluû der Vorrede zur Rechtsphilosophie, der besagt, daû die Philosophie gegenuÈber der Wirklichkeit gedanklich immer zu spaÈt komme, verwendet ein vieldeutiges Bildmaterial (DaÈmmerung, Eule). Einige philosophische Deutungen aus dem 20. Jh greifen diese gedankliche Bildlichkeit auf, die Verf. im Blick auf einige (v.a. linksintellektuelle, aber nicht nur) Autoren streift.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: ¹Chi pensa astratto?ª traduzione e commento di Franca Mastromatteo e Leonardo Paganelli [¹Wer denkt È bersetzung und Kommentar von Franca Mastromatteo abstrakt?ª U und Leonardo Paganelli]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 403±416 Hernández Sánchez, Domingo: Die Tilgung der Zeit. ± In: HegelJahrbuch 1997. Berlin 1998. 145±148. In der Bestimmung des Zeit-Geist-VerhaÈltnisses in der H.schen PhaÈnomenologie spielt die Ambivalenz eine konstitutive Rolle, daû einerseits die IdentitaÈt von Zeit und Begriff behauptet wird, daû andererseits die Zeit im reinen Begriff getilgt wird. Diese Ambivalenz zeigt, daû der Geist nur in der Einheit von Ruhe und Bewegung verstanden werden kann.
Hernández Sánchez, Domingo: La ambiguedad del simbolo. Sobre la forma de arte simbolica en la estetica de Hegel [Die AmbiguitaÈt des È ber die symbolische Kunstform in Hegels A È sthetik]. ± In: Symbols. U Daimon. Revista de FilosofõÂa. Murcia. 1997, N. 14, 59± 68. The article attempts to demonstrate the role of the concept of symbol in H.`s lessons about aesthetics. The thesis to be defended comes from the ambiguous nature of symbol as an overcoming of its own sense and constitutes it as a consequence of an inaccessible origin. In this manner an excess in the set of meanings is produced which makes the symbol something which surpasses the theory of art and approaches to typical characteristics of H.ian philosophy as a whole.
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Bibliographie
Hespe, Franz: Geist und Geschichte. Zur Entwicklung zweier Begriffe in Hegels Vorlesungen. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 71 ± 93. Heyde, Ludwig: Geschichtlichkeit und Absolutheit der Philosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 90± 95. In der EroÈrterung des VerhaÈltnisses von Wahrheit und Geschichte in der H.schen Philosophie analysiert Verf. das ZeitverstaÈndnis H.s in der Dimension der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, dann erlaÈutert dieses VerstaÈndnis anhand von H.s Konzeption des modernen Staates und schlieûlich formuliert das diskutierte VerhaÈltnis als eine Suche nach den ¹Spuren der NormativitaÈtª, die sich in der Erfahrungsgeschichte der Menschheit abzeichnen.
Heyde, Ludwig: Sittlichkeit und Ironie. Hegels Kritik der modernen SubjektivitaÈt in den Grundlinien der Philosophie des Rechts. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 303± 318. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 221.
Hilmer, Brigitte: Being Hegelian after Danto. ± In: History and Theory. Studies in the Philosophy of History. Middletown, Conn. 37 (1998), 71± 86. In this article I will discuss some systematic issues of Arthur Danto`s philosophy of art and art history from a H.ian perspective. Belonging to ¹Absolute spiritª, art can be called a ¹spiritual kind.ª Since spiritual kinds are reflective and self-determining, they are not susceptible to philosophical definition. Nevertheless, elements of essentialism can be maintained when describing art`s historicity and conceptual structure. To this end, ¹artª can be interpreted as a twotier concept: In inherently reflecting its concept, it projects its own conditions into the past, coopting ¹prehistoricalª artworks as predecessors and classical examples. H.`s view of art as conceptually structured in itself can have disenfranchising or reenfranchising consequences: either reducing art to minor philosophy, or acknowledging its privileged access to its own essence. After Danto`s detachment of the philosophy of art from aesthetics, H. would himself be deprived of the possibility to ¹defineª art by intuition (Anschauung). Even if the spirit consists of essential kinds, philosophy is not in a privileged position to establish the essence of art and thus the difference between art and philosophy. Rather, philosophy must acknowledge art as a neighbour (Heidegger) and as partner in a dialogue.
Hoffheimer, Michael H.: Baptism and Law in the Young Hegel. ± In: Clio. Fort Wayne, Ind. 27 (1998), 533± 550. Die Absicht des Verf.s ist es, zu zeigen, daû sich H. von Anfang an ± also schon seit seiner Jugendzeit ± fuÈr die rechtlichen und politischen, und nicht ausschlieûlich fuÈr die religioÈsen
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Themen interessiert hat. Verf. befaût sich mit der H.schen philosophischen Interpretation der Taufe, um auf die wichtigen Beziehungen zwischen H.s Interesse fuÈr die Religion und fuÈr das Recht aufmerksam zu machen.
Hoffmann, Susan-Judith: Der Unterschied zwischen ,Differenz` und ,Unterschied`: A Re-evaluation of Hegel`s Differenzschrift. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 245± 263. Das Wort ¹Differenzª in der Differenzschrift bezeichnet nach Verf. die Absicht H.s in seiner ersten Abhandlung, nicht die Abweichungen des Schellingschen Systems von dem Fichtes darzustellen, sondern die Nachfolge des Schellingschen Systems als Schritt auf einer teleologischen Entwicklungslinie von Fichte zu zeigen. Die H.sche Auffassung der Geschichte der Philosophie als auf die allgemeine Geschichte bezogenes System bildet den originellen Beitrag der Differenzschrift zur philosophischen Debatte; darin liegt ebenso der Kern des Lebenswerks H.s.
Hoover, Jeffrey L.: Appropriating Selfhood: Schleiermacher and Hegel on Subjectivity as Mediated Activity. ± In: Figuring the Self. Subject, Absolute, and Others in Classical German Philosophy. Ed. by David E. Klemm and GuÈnter ZoÈller. Albany. 1997. 206± 226. Verf. versucht zu zeigen, daû die These von der in der IntersubjektivitaÈt begruÈndeten individuellen SubjektivitaÈt Schleiermacher und H. sowohl vereint als auch trennt.
Horstmann, Rolf-Peter: Hegels Theorie der buÈrgerlichen Gesellschaft (§§ 158±256). ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 193± 216. Horstmann, Rolf-Peter: Selbsterkenntnis der Vernunft. Zu Hegels VerstaÈndnis von Philosophiegeschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 46 ±54. Verf. untersucht den H.schen Topos von der Philosophie als der Selbsterkenntnis der Vernunft im Vergleich mit der neukantischen Theorie der Dialektik (J. Cohn). Der letzteren gelingt es, wegen ihrer primaÈr erkenntnistheoretischen Ausrichtung, nicht, die Philosophiegeschichte in eine philosophische (dialektische) Theorie zu integrieren. Bei H. dagegen wird die Geschichte als ein essentielles Element des dialektischen Erkenntnisprozesses begriffen. Wenn H.s Vernunftkonzeption von einigen unplausibel gewordenen Annahmen (wie z. B. uÈber den ontologischen Status der Vernunft als PrimaÈrstruktur des Seins) bereinigt wird, dann kann der genannte H.sche Topos als eine Aufgabe verstanden werden, durch die Philosophiegeschichte eine AufklaÈrung uÈber die Genesis, den Geltungshorizont und den Preis, der mit verschiedenen RationalitaÈts- bzw. Vernunftkonzeptionen verbunden ist, zu leisten.
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Bibliographie
Hösle, Vittorio: Hegel und Spinoza. ± In: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 59 (1997), N. 1, 69 ±88. H. und Spinoza ist eine systematische und rationalistische Auffassung der Philosophie gemein, obwohl in ihrem Rationalismus viele Differenzen stattfinden. In seiner Fortsetzung des Rationalismus wird H. methodisch stark von Kant beeinfluût. Aus einer Kantischen Perspektive stellen die Philosophien H.s und Spinozas die Erforderung dar, NormativitaÈt und DeskriptivitaÈt im ethischen Bereich zu vermitteln: Spinoza leugnet jede ontologische Differenz zwischen den beiden Dimensionen, H. dagegen vereint eine normative Institutionslehre und eine deskriptive Soziologie. Von solcher Vermittlung hat die Kantische Metaphysik, die richtigerweise jene ontologische Differenz ernst nimmt, jedenfalls zu lernen.
Houlgate, Stephen: Absolute Knowing Revisited. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 30 (1998/1999), N. 1, 51 ±67. Mit Bezug auf H.s Logik und PhaÈnomenologie versucht Verf., Lumsdens These, das absolute Wissen sei die VersoÈhnung von Selbstbewuûtsein und Bewuûtsein, zu widerlegen und seine eigene These, das absolute Wissen sei das Denken des Denkens, gegenuÈber der Kritik, die von Lumsden formuliert wurde, zu verteidigen. Verf. plaÈdiert fuÈr die metaphysische Interpretation des absoluten Wissens und zeigt deren Differenz sowohl vom Modell der Einheit in der Differenz, dessen Beispiel die Liebe ist, als auch von Lumsdens erkenntnistheoretischer Interpretation.
Houlgate, Stephen: Hegel and the ¹Endª of Art. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 29 (1997/1998), N. 1, 1 ± 21. Verf. beschaÈftigt sich mit der Frage, warum nach H. die Kunst einerseits aufgehoÈrt hat, ¹das hoÈchste BeduÈrfnis des Geistes zu seinª, der Moderne aber andererseits nach wie vor ein BeduÈrfnis nach Kunst und SchoÈnheit hat. Seine These ist hier, daû H. gegen die subjektivistischen Verfallserscheinung der modernen Kunst das PlaÈdoyer fuÈr eine neue Kunst der SchoÈnheit setze, die Verf. als einzigen adaÈquaten Ausdruck menschlicher Freiheit versteht. Auf dieser Basis werden dann moderne KuÈnstler von G. Grosz uÈber P. Picasso bis zu F. Bacon im Namen H.s abgeurteilt.
Houlgate, Stephen: Hegel`s Critique of the Triumph of ¹Verstandª in Modernity. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 35 (1997), Spring-Summer, 54 ±70. In this essay I examine H.`s account of the monarchy and the legislature in his Philosophy of Right. I consider why he believes upholding monarchy and granting legislative rights to corporations and the landed nobility are essential to a rational, modern state, and why he thinks that ¹enlightenmentª understanding or ¹Verstandª inevitably ¹misªunderstands this fact. The essay concludes with an analysis of Marx`s critique of H.`s account of the political constitution, in which I argue that, from H.`s perspective, Marx`s wish to exclude determination by nature from the modern state represents the position of the understanding, rather than reason. (Aus: The Philosopher`s Index)
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Hund, John: Hegel`s Break with Kant: The Leap from individual psychology to sociology. ± In: Philosophy of the social Sciences. Thousand Oaks, Calif. 28 (1998), 226 ±243. The author calls attention to and discusses certain basic but neglected and/or obscured features of H.`s idealism. He treats these features as paradigmatically sociological and uses them as a baseline with which to chart H.`s critique of, and against which to measure, Kant`s Critique of Pure Reason. Section 1 introduces H.`s criticism of Kant`s idealism; in contrast to his own objective idealism, transcendental idealism is individualistic. This criticism is elaborated in section 2, issuing in the quasi-Wittgensteinian indictment that Kant cannot account for the possibility of language and human thought. Section 3 argues that H.`s criticism that mind is social and that objectivity cannot be understood in isolation from social interaction amounts to a sociological critique of Kant.
Hund, John: Is the Critique of pure reason asociological? ± In: South African Journal of Philosophy. Pretoria. 17 (1998), 8 ±21. I call attention to and discuss certain basic but neglected and/or obscured features of H.`s idealism. I treat these features as paradigmatically sociological, and use them as a baseline with which to chart H.`s critique of and against with no measure, Kant`s critique of pure reason. Section 1 introduces H.`s criticism of Kant`s idealism. This criticism is elaborated in section 2. Section 3 argues that H.`s criticism that mind is social and that objectivity cannot be understood in isolation from social interaction amounts to a sociological critique of Kant.
Huson, Timothy C.: Arbeit, Werkzeug und Technologie als Momente des Naturbegriffs in Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 187± 197. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 181.
Huson, Timothy C.: Der Satz des Widerspruchs bei Aristoteles und Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 239± 245. GegenuÈber den Kritikern H.s, die ihm die Konfusion zwischen dem kontradiktorischen und realen Gegensatz vorwerfen, sowie den Verteidigern, die bei H. eine strenge Unterscheidung von formallogischen und dialektischen WiderspruÈchen nachweisen, behauptet Verf., daû bei H. in der Tat eine Konfusion zwischen Widerspruch und Widerstreit vorausgesetzt wird, daû aber zugleich diese Konfusion keinen Fehler darstellt, sondern durch die Struktur der RealitaÈt gerechtfertigt ist. Darin zeigt H.s Position eine NaÈhe zur Aristotelischen Metaphysik, in der einerseits der Satz des Widerspruchs aufgestellt wird, andererseits das VerhaÈltnis von dynamis und energeia als ein realer Widerspruch aufgefaût wird.
Huson, Timothy C.: Hegel and the Concept of ¹Tragic Ironyª. ± In: Southwest Philosophy Review. Conway. 14 (1997), 123± 130. Entgegen der verbreiteten und von H. selbst nachdruÈcklich gestuÈtzten Annahme einer radikalen HeterogenitaÈt von romantischem Denken und H.s eigener spaÈteren Philosophie weist Verf. anhand der Verwendung des Begriffs der Ironie partielle AffinitaÈten H.s zu verschiedenen
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Bibliographie
romantischen Konzeptionen auf. Er analysiert zunaÈchst H.s Auseinandersetzung mit dem Ironie-Motiv der Sokrates-Figur, dann mit dem Begriff bei Fichte, F. Schlegel und Solger. Verf. weist dabei auf, wie insbesondere H.s Deutung des Staates in diesem Zusammenhang Profil gewinnt.
Huson, Timothy C.: Historical Christianity as a Means to Freedom in Hegel`s ¹Neufassung des Anfangsª. ± In: Clio. Fort Wayne, Ind. 27 (1998), 515± 531. GegenuÈber der Erstfassung der Schrift uÈber die PositivitaÈt der christlichen Religion zeichnet sich die Neufassung des Anfangs durch die Aufwertung der AutoritaÈt in der Religion aus, die sowohl die geschichtliche als auch die begriffliche Bedingung des Freiheitsgedankens ausmacht. Bei seiner Interpretation, und gegen Harris` Auslegung, meint Verf. in der Neufassung eine Weise zu finden, das Historische mit dem Ewigen in Beziehung zu bringen.
Iber, Christian: Moderne SubjektivitaÈt und Recht bei Fichte und Hegel. Kritische Betrachtung zur BegruÈndung des Rechts aus dem Begriff der praktischen SubjektivitaÈt. ± In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, MuÈnchen. 105 (1998), 398± 411. Verf. gibt eine kritische Darstellung der ¹Deduktion des Rechtsbegriffsª bei Fichte und H. Die Kritik gilt dem Anspruch, ¹den Begriff des Rechts als notwendig aus dem reinen Begriff der praktischen Vernunftª herzuleiten. Die detaillierte Analyse der Grundlage des Naturrechts zeigt die ZirkularitaÈt der BegruÈndung. ¹Die Freiheit der SubjektivitaÈt, die aus der IntersubjektivitaÈt erklaÈrt werden soll, wird in Gestalt der andern freien Subjekte in Anspruch genommen.ª (402) Die Deduktion des Rechts muû daruÈber hinaus, um die Notwendigkeit des Rechts begruÈnden zu koÈnnen, einen Gegensatz in den Willensinhalten der Individuen annehmen. Damit setzt die Deduktion ¹negative empirische UmstaÈnde vorausª (404) Recht mag, so Verf., ¹die rationalste Form der Regelung der GegensaÈtze seinª. Aber diese Vernunftform ruht ¹auf einem nicht-vernuÈnftigen dunklen Grund, dem Ungrund naturwuÈchsiger, gesellschaftlicher VerhaÈltnisseª (405). H.s Rechtsbegriff wird auf der Basis der Willensanalyse (§§ 4 ±28 der Grundlinien) rekonstruiert. Die drei dort gegebenen Willensbestimmungen sind defizitaÈr und fuÈhren zur VerÈ bergang vom freien nachlaÈssigung der IntentionalitaÈt des Willens. DaruÈber hinaus ist der U Willen zur RationalitaÈt des Rechts eine ¹GewaÈhrleistung des Daseins des freien Willensª auf dem ¹Grunde nicht-vernuÈnftiger NegativitaÈtª naturwuÈchsiger gesellschaftlicher VerhaÈltnisse. (410)
Ijsseling, Hester: Het eigenlijke en het oneigenlijke [Das Eigentliche È ber Vorreden]. ± und das Uneigentliche]. ± In: Over Voorwoorden [U Hegel, Kierkegaard, Nietzsche. Amsterdam 1997. 15 ±58. In diesem ersten Kapitel zeigt die Verf., wie H. in der Vorrede zur PhaÈnomenologie die Romantik und die AufklaÈrung gleicherweise kritisiert; sie erlaÈutert die klassischen SaÈtze, die das Wahre als wissenschaftliches System, als Subjekt und als das Ganze bestimmen. Sie beschreibt die weitere Vorrede und bestimmt ihre Funktion ± mit Derrida ± als unaufhebbare Schale des Haupttextes, der selbst ja immer nur ein Abbreviatur der Wirklichkeit ist.
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Ioannidou, Anastasia: The Politics of the Division of Labour: Smith and Hegel on Civil Society. ± In: Democratization. Ilford, Essex. 4 (1997), 49± 62. The essay focuses on the centrality of the modern division of labor (in the workplace and in society) in both Adam Smith`s conception of ,commercial society` and H.`s conception of civil society. It highlights the very close relationship between their respective accounts. It argues that together they should be seen as releasing the concept of civil society from the restrictions of traditional natural law and contractarian approaches and more positively as providing the ground for social explanations of civil society rooted in the organization of labor in society. Smith`s analysis of the inconveniences of civil society was advanced by H. into a profound critique and reconstruction of the contradictions between the formal universality and the particularity of interests which constitute modern civil society.
Ivaldo, Marco: Destinazione dell`uomo e Fede e Sapere. Aspetti di un confronto tra Fichte e Hegel [Die Bestimmung des Menschen und Glauben und Wissen. Aspekte eines Vergleichs zwischen Fichte und Hegel]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 289± 312. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 163.
Jackson, Ronald L.: Black ¹Manhoodª as Xenophobe. An Ontological Exploration of the Hegelian Dialectic. ± In: Journal of Black Studies. Thousand Oaks, Ca. 27 (1997), N. 6, 731 ±750. Verf. untersucht die Dialektik zwischen europaÈisch- (weiû-) und afrikanisch- (schwarz-) amerikanischer IdentitaÈt und stellt sie in Verbindung mit H.s Dialektik des Selbstbewuûtseins. Dabei werden besonders die kommunikativen und begrifflichen Dimensionen einer schwarzen MaÈnnlichkeit und deren Thematisierung (als ¹Black masculine theoryª) herausgearbeitet, deren xenophobische ZuÈge (auch gegenuÈber der schwarzen Menschheit als solche) problematisiert werden.
Jaeschke, Walter: ¹Selbstbewuûtsein des Geistesª. Hegels Religionsphilosophie im geschichtlichen Kontext. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 117± 135. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 220.
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Jaeschke, Walter: Soggetto e soggettivitaÁ [Subjekt und SubjektivitaÈt]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 249± 262. Verf. analysiert H.s Kritik am Begriff des absoluten Subjekts in Glauben und Wissen. Ferner untersucht er das Absolute als Subjekt in der PhaÈnomenologie und schlieûlich die besondere RuÈckkehr der Vorlesungen uÈber die Philosophie der Religion zum Begriff Gottes und der absoluten SubjektivitaÈt oder des Geistes. Bei H. gebe es eine Entwicklung von der Kritik am Subjekt in Glauben und Wissen hin zur Affirmation der SubjektivitaÈt in der Berliner Zeit. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 163.
Jagentowicz Mills, Patricia: Hegel`s Antigone. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 243± 271. James, Christine: Hegel, Harding, and Objectivity. ± In: Southwest Philosophy Review. Conway. 14 (1997), 111± 122. Gegen neuere amerikanische Interpretationen H.s von feministischer Seite (besonders gegen Londa Schiebinger) untersucht Verf. H.s Begriff der ObjektivitaÈt und der Erkenntnistheorie, um ein MiûverstaÈndnis der Philosophie H.s aufzuzeigen. In diesem Kontext werden die Rolle der È bersetzung analysiert. Verf. Vernunft und der Begriff der Aufhebung in seiner englischen U skizziert danach eine Parallele zwischen H.s Beschreibung der Entwicklung des Bewuûtseins in Richtung auf das Absolute Wissen einerseits und der Theorie der ¹strengen ObjektivitaÈtª in Sandra Hardings feministischer Epistemologie sowie in Allan Megills ¹dialektischer ObjektivitaÈtª andererseits. Dabei betont sie, daû ein Dialog zwischen H. und feministischen Theorien im Bereich der Epistemologie durchaus moÈglich ist.
Jamme, Christoph: Hegels Naturauffassung in Frankfurt. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 27± 37. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 177.
Jamros, Daniel P. S. J.: ¹The Appearing Godª in Hegel`s Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 334± 347. Jarvis, Simon: Idle Tears. A Response to Gillian Rose. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 113± 117.
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Jarvis, Simon: The ¹Unhappy Consciousnessª and Conscious Unhappiness: On Adorno`s Critique of Hegel and the Idea of an Hegelian Critique of Adorno. ± In: Hegel`s Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 57 ±72. Jonkers, P.: Can Philosophy Understand Religion? Tensions in Hegel`s Attitude Towards Religion in 1800. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 210±216. WaÈhrend H. in seiner Jenaer Zeit noch die Religion der Philosophie uÈberordnet, kehrt er dieses VerhaÈltnis bereits wenig spaÈter in Jena um. Anders als die gelaÈufige Deutung dieses Umschlags als Zeugnis einer Aufwertung der spekulativen Macht der Vernunft betrachtet Verf. ihn primaÈr als Dokument eines veraÈnderten VerstaÈndnisses der Rolle der Religion.
Jordan, Stefan: Der Weltgeist als BetruÈger oder das kleinliche Interesse des Historikers. Elemente geschichtstheoretischen Denkens bei Hegel und Ranke. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 219± 243. Obgleich immer wieder auf die gegenseitige Kritik hingewiesen wurde, faÈllt es schwer, beide geschichtstheoretischen AnsaÈtze zu vergleichen, da H. sich nicht als Geschichtsschreiber verstand und von Ranke keine Geschichtstheorie vorliegt. Verf. versucht die unterschiedlichen Positionen anhand der Kategorien Fortschritt, IndividualitaÈt, Staat und Weltgeschichte darzulegen. Demnach unterscheidet sich Rankes Ansatz von demjenigen H.s dahingehend, daû er 1. zwar auch von einem Fortschrittsmodell ausgeht, jedoch kein Ziel der Geschichte kennt, 2. unterscheidet sich Rankes Begriff des Individuums dadurch von demjenigen H.s, daû ¹die Rankesche IndividualitaÈt in einem ImmediatverhaÈltnis zur Transzendenzª steht 3. sind fuÈr Ranke die Staaten als historische ¹IndividualitaÈtenª zu denken und nicht wie bei H. die Volksgeister; die Staaten sind als ¹Gedanken Gottesª Gegenstand historischer Forschung, waÈhrend 4. bei H. das ¹Apriorische deutlich vor das Empirischeª gestellt werde, gehe es Ranke um die Erforschung des Einzelnen, da das ¹Leben auf Erdenª nicht ¹rein geistiger Naturª sei und die Menschen laut Ranke an ¹die Bedingungen des Daseins gefesseltª sind.
Jowtun, Dimitrij T.: Hegels Logik im Kontext der westeuropaÈischen Zivilisation. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 55 ±65. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Kain, Philip J.: Hegel, Reason, and Idealism. ± In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 27 (1997), N. 1 ± 2, 97 ± 112. Verf. untersucht die Rolle, welche die wissenschaftliche Vernunft und ihr Bezug zur Natur bei H. spielen (z. B. im 5. Kapitel der PhaÈnomenologie), dabei wird besonders H.s Auseinander-
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setzung mit Kant und dessen Ding an sich thematisiert. H.s Kritik der Physiognomik und SchaÈdellehre in der PhaÈnomenologie und in der EnzyklopaÈdie werden verglichen und die bedeutendsten Variationen problematisiert: In der PhaÈnomenologie ist die wissenschaftliche Vernunft vor den Hintergrund des ,Nous` gestellt, in der EnzyklopaÈdie ist der Bezugspunkt vielmehr der Geist. Wenn die Aufgabe des Idealismus die Konstruktion der Welt ist, dann helfen uns die Geisteswissenschaften viel mehr als die Naturwissenschaften.
Kain, Philip J.: Self-consciousness, the other an Hegel`s dialectic of recognition. ± In: Philosophy & social criticism. London [usw.]. 24 (1998), 105± 126. This article examines H.`s treatment of self-consciousness in light of the contemporary problem of the other. It argues that H. tries to subvert the Kantian opposition between theoretical and practical reason and tries to establish a form of idealism that can avoid solipsism. All of this requires that H. get beyond the Kantian concept of the object ± or the other. H. attempts to establish an other that is not marginalized, dominated, or negated. What he gives us is a valuable alternative to postmodernism, which attempts instead to deconstruct or dissolve the other.
Kain, Philip J: Hegel`s Critique of Kantian Practical Reason. ± In: Canadian Journal of Philosophy. Calgary. 28 (1998), 367± 412. Verf. lenkt Aufmerksamkeit darauf, daû H.s Kritik an Kants Ethik in der PhaÈnomenologie einen breiten Teil des 5. Kapitels umfaût und nicht zu den letzten zwei Abteilungen dieses Kapitels sich begrenzt. Erst bei einer solchen Auslegung kann man H.s Kritik nicht als verstuÈmmelt und unangemessen beachten. Es gilt also nicht zu vermuten, H. habe Kant falsch verstanden; eher soll man behaupten, daû Kants Verteidiger H.s Kritik an Kants Ethik miûverstehen.
Kain, Philipp J.: The Structure and Method of Hegel`s Phenomenology. ± In: Clio. Fort Wayne, Ind. 27 (1998), 593± 614. In einem kritischen Bezug auf H. S. Harris fragt Verf. nach der Natur und der LegitimitaÈt der Notwendigkeit der Bewuûtseinsgestalten in der PhaÈnomenologie. Die Dynamik, die die verschiedenen Etappen bis hin zum Absoluten verbindet, liegt im Skeptizismus. H. faÈngt nicht mit einem unzweifelhaften Prinzip, sondern auf die Kantische Weise mit der Erfahrung an.
Kang, Dae-Suk: Hegel oder Feuerbach? Der Einfluû von Dialektik und Materialismus auf die gesellschaftliche Entwicklung. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÏn`gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 375± 392. In diesem Aufsatz wird zunaÈchst untersucht, in welchen Punkten H.s und Feuerbachs Philosophie BezuÈglichkeit und GegensaÈtzlichkeit haben und welchen Einfluû sie auf die Entwicklung der europaÈischen buÈrgerlichen Gesellschaft gegeben haben. Auf der Grundlage dieser Untersuchung versucht Verf. zu zeigen, welche Bedeutung die Philosophie H.s und Feuerbachs fuÈr die Entwicklung der koreanischen Geschichte haben. Dabei betont er, daû fuÈr den koreani-
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schen geschichtlichen Zustand Feuerbachs anthropozentrischer Materialismus noÈtiger ist als H.s idealistische Dialektik.
Kang, Soon-Jeon: Logik des Widerspruchs. [Koreanisch.] ± In: HegelYoÏn`gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 279± 331. Verf. arbeitet in diesem Aufsatz den Grundzug der H.schen Begriff des Widerspruchs durch die Auseinandersetzung mit der Kritik Trendelenburgs an H.s Logik heraus. Der Begriff des Widerspruchs wird dabei weder auf der Seite der Metaphysik noch auf der Seite der bloûen Logik, sondern in der Ebene der Vereinigung von beiden Seiten dargestellt.
Kaufman, Alexander: Hegel and the Ontological Critique of Liberalism. ± In: American Political Science Review. Washington. DC. 91 (1997), 807± 817. Contemporary communitarians argue that a proper consideration of ontological questions of identity and community forecloses deontological liberalism as a viable option, since deontological liberalism cannot ground a sufficiently strong form of immediate identification with the ethical life of the community. H.`s ethical theory constitutes perhaps the most fully realized account of such identification. Yet, I argue, H.`s ethics does not require the strong form of immediate identification required by communitarians. My analysis emphasizes the strands in H.`s account which suggest that a weaker form of identification, reconcilable with deontological liberalism, can plausibly ground a stable form of civil society. In particular, H.`s notion of patriotic trust is designed to ground both a direct and a reflective relation between individuals and their ethical and political tradition. H.`s analysis anticipates and offers insights to supplement recent accounts of trust as a form of social capital.
Keller, Pierre: Hegel on the Nature of the Perceptual Object. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 47± 75. Verf. untersucht H.s Behandlung der Wahrnehmung und des Dings mit besonderer BeruÈcksichtigung der PhaÈnomenologie des Geistes (2. Kapitel) und der Wissenschaft der Logik (Wesenslogik). Der innere Widerspruch des Endlichen kommt in der Wahrnehmung (z. B. bei der Thematisierung des Dinges und seiner Eigenschaften oder bei den sinnlichen und begrifflichen Bestimmungen des Dinges selbst) am besten zum Ausdruck, was Leibnizens ,ens per se` und Kants ,Ding an sich` radikal in Frage stellt: Dinge sind bei H. real nur insofern, als sie sich aufeinander beziehen und sie beziehen sich aufeinander durch Gesetze, die uÈber das bloû Sinnliche hinausgehen.
Kelly, Frank: An Analysis of Hegel`s Theory of Social Morality: A Non-Normative Theory of Ethics. ± In: Archiv fuÈr Rechts- und Sozialphilosophie. Stuttgart. 84 (1998), 167 ±195. This research paper presents a textual analysis of H.`s theory of social morality and a critical analysis of some of the interpretative scholarship. Normative morality as ¹spirit in the condition of being certain of itselfª is analyzed in accordance with its three definite dialectics:
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pleasure and necessity, ¹law of the heartª and the ¹frenzy of self conceitª and virtue and the ¹course of the worldª. The weakness of normative morality is found to be its individuality, as opposed to universality. H. rejects the individual per se and the intrinsic value of traditional virtue through his analysis of purpose, intention and goodness of normative ethics. He also found these three characteristics of ¹MoralitaÈtª to be too highly susceptive to solve the problems of theoretical formalism, moral uncertainty, or rational egoism in ethical theory. When the empty form of the will furnishes itself with objective content, the ¹oughtª of normative imperatives becomes the ¹isª of human actions. In accordance with H.`s theory of the will, formal conscience also becomes true conscience. ¹MoralitaÈtª or individualist ethics of obligation is superseded by ¹Sittlichkeitª or a theory of social morality within the ethical Substance of Absolute Spirit.
Kerékgyártó, Béla: Auf dem Weg zu einem formalen Konzept der Sittlichkeit? Die Reinterpretation der Hegelschen Anerkennungstheorie bei Axel Honneth. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 203± 207. Im Anschluû an H.sche Anerkennungstheorie entwickelt A. Honneth eine ,normativ gehaltvolle Sozialtheorie`, die die Habermassche Trennung von Macht und Diskurs uÈberwinden soll. Kritisch ist gegenuÈber Honneths Konzeption einzuwenden, daû seine H.-Interpretation (1) zirkulaÈr ist, weil sie das Interpretationsergebnis bereits voraussetzt, daû sie (2) einen der wichtigsten Aspekte der H.schen Theorie, naÈmlich die Bildung der Institutionen als Resultat des Prozesses der Anerkennung, ausklammert, daû sie (3) mit metaphysischen PraÈmissen, wie absolute VersoÈhnung, operiert und damit den eigenen Anspruch, eine formale Theorie der Sittlichkeit zu sein, nicht einloÈsen kann.
Kern, Hartmut: ¹Es ist die Materie nur als reine Kraft, oder das ZeugungsvermoÈgenª. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 289± 298. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 186.
Kesselring, Thomas: Voraussetzungen und dialektische Struktur des Anfangs der Hegelschen Logik. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 90± 113. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 175.
Kiel, Albrecht: Von der Wissenschaft der Logik zur philosophischen Logik (¹Periechontologieª) von K. Jaspers. Ein Weg der Geschichte? ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 232± 237. Verf. analysiert die MoÈglichkeiten einer philosophischen Logik der Geschichte. Der Ansatz einer solchen Logik bei K. Jaspers setzt sich explizit von der H.schen Logik ab, greift aber zugleich deren Grundintention, das logische Selbstbewuûtsein des Zeitalters begrifflich zu fassen, auf.
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Kim, Chong-Gi: Der reale Gegensatz bei Kant und der Widerspruch bei Hegel. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÏn`gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 287± 313. Verf. geht von der PraÈmisse aus, daû sich H.sche philosophische Gedanken in der Auseinandersetzung mit Kant entwickelt haben. In diesem Aufsatz wird vor allem untersucht, welchen Ansatzpunkt Kants Gedanke uÈber den Gegensatz-Widerspruch fuÈr die Entwicklung der H.schen Logik liefert, und zwar wird hervorgehoben, daû H.s Gedanke uÈber den GegensatzWiderspruch nicht bloû dem von Kant entgegensteht, sondern auf diesem basiert und weiterhin ihn uÈberbot.
Kim, Chong-Ki: Die Form der Einheit von Denken und Sein in Hegels Lehre vom Begriff. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÏn`gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 332 ± 356. Verf. sieht die Aufgabe der Begriffslehre in H.s Logik darin, Begriff, Subjekt und Leben als Formen der Einheit von Denken und Sein zu betrachten. Durch die Untersuchung zu diesen Formen versucht er, die GrundzuÈge der H.schen Dialektik zu zeigen. Die Untersuchung wird in diesem Aufsatz aber auf den subjektiven Begriff eingeschraÈnkt.
Kim, Joon-Soo: Die Einsicht in die Notwendigkeit. Der Freiheitsbegriff im Kapitel uÈber die ¹Wechselwirkungª in Hegels Logik. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÏn`gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 309± 331. Verf. weist zunaÈchst darauf hin, daû die bisher gebrauchte Bestimmung des H.schen Freiheitsbegriffs als ¹Einsicht in die Notwendigkeitª nicht von H. selbst, sondern von F. Engels stammt und daû sich die Rezeption sowie die Kritik von und an H.s Freiheitsbegriff auf diese Bestimmung beziehen. Um die Richtigkeit der Engelsschen Deutung zu pruÈfen und die wahre Bedeutung des H.schen Begriffs der Freiheit zu erhellen, analysiert Verf. den Abschnitt uÈber die ¹Wechselwirkungª im zweiten Band der Logik der Wissenschaft, auf den sich Engels` Deutung bezieht.
Kim, Seock-Soo: Kant und die Rechtsphilosophie. Ein Vergleich mit dem Thomismus, Hegel und dem Rechtspositivismus. [Koreanisch.] ± In: Hegel-YoÏn`gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 393± 423. In diesem Aufsatz wird in erster Linie die Stellung und Bedeutung von Kants Rechtsphilosophie in der Geschichte der Philosophie dargestellt. Methodisch erlaÈutert Verf. die Standpunkte des Thomismus, H.s und des Rechtspositivismus, die sich alle gegen Kant richten. Er hebt die gegenwaÈrtige Bedeutung der Kantischen Rechtsphilosophie hervor, indem er deren Grundidee durch den Vergleich mit den genannten Standpunkten rechtfertigt.
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Bibliographie
Kimmerle, Heinz: Natur und Geschichte beim fruÈhen Jenaer Hegel. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 97 ±106. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 180.
Kimmerle, Heinz: Zeitbegriff und Entwicklungsbewuûtsein in Afrika und in der westlichen Welt. Mit besonderer BeruÈcksichtigung des fruÈhen Jenaer Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 187±196. Die SpezifizitaÈt der Entwicklung in Afrika, bei der das westliche Entwicklungsmodell auf seine Grenzen stoÈût, liegt in der Zeiterfahrung und ZeitverstaÈndnis des afrikanischen Kulturenkreises. Im Gegensatz zur HauptstroÈmung des westlichen Zeitdenkens, das von Aristoteles uÈber Kant bis hin zu H.s EnzyklopaÈdie eine lineare horizontale Erstreckung einer abstrakten Zeit vorsieht, wird die Zeit in der Tradition des afrikanischen Denkens konkret als ein Zusammenhang von Ort und Zeit aufgefaût. Eine Parallele dazu findet sich allerdings auch in einigen AnsaÈtzen des westlichen Denkens: in Heideggers Begriff des ,Ereignisses` sowie in den fruÈhen SystementwuÈrfen H.s aus der Jenaer Zeit. In den letzteren werde Zeit und Raum als eine untrennbare Einheit angesehen. Die Zeit wird hier nicht quantitativ, sondern qualitativ als eine ,differente Beziehung` aufgefaût.
Kirkland, Frank M.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770± 1831). ± In: Encyclopedia of Phenomenology. Ed. by L. Embree et al. Dordrecht [usw.] 1997. 292± 298. Der Lexikonartikel stellt die kritische Aufnahme der H.schen Philosophie im Umkreis des phaÈnomenologischen Denkens (im Sinne E. Husserls) dar. Verf. zeigt, wie M. Merleau-Ponty, P. Ricúur und J.-P. Sartre auf je unterschiedliche Weise Themen, Thesen und Begriffe insbesondere aus der PhaÈnomenologie uÈbernommen haben, waÈhrend man bei M. Heidegger und E. Husserl eher den Versuch findet, den eigenen Denkansatz von dem H.s abzugrenzen. Obwohl Husserl sich zudem kaum zu H. geaÈuûert hat, versucht Verf., im Bereich der Logik Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden aufzudecken.
Kiss, Endre: Das Globale ist das Unmittelbarwerden des Absoluten? ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 33 ± 41. F. Fukuyama deutete (im Anschluû an A. KojeÁves H.-LektuÈre) die historischen Prozesse der ¹Glasnostª und ¹Perestrojkaª als einen universalgeschichtlichen Vorgang. In Anlehnung an H. unterscheidet Verf. zwischen Geschichte, Geschichtsphilosophie und Universalgeschichte. Die Zweiteilung der Welt sei durch die genannten Prozesse zu einem Abschluû, einer neuen Globalisierung und einem ¹Ende der Geschichteª gelangt. Versucht wird, andeutungsweise anhand von Thematisierungen der Herr-Knecht-Relation, des Sowjetmarxismus und des Liberalismus zu ergruÈnden, inwieweit Rezeptionen Fukuyamas dessen Konzeption treffen.
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Kiss, Endre: Zur Fichte-Darstellung in Hegels Differenzschrift. ± In: Fichte-Studien. Amsterdam [usw.] 12 (1997), 247± 256. Verf. verfolgt den SchluÈssel H.scher Bestimmung des Standortes der Philosophie in der Differenzschrift nicht in den beruÈhmten Aussagen uÈber die Entzweiung, sondern in dem dort gezeichneten Bild der Freiheit des Subjektes. Dabei versucht H. nach dem Verf., den philosophischen Prozeû zu bestimmen und zu kontrollieren. Was die Darstellung Fichtes in dieser Schrift betrifft, beklagt sich Verf. daruÈber, daû die Bedeutung Fichtes in der damaligen philosophischen Debatte ungerechterweise vereinfacht wird: Fichte und Kant werden letzten Endes grundlos in etwa identifiziert.
Knahl, Andreas: Das BeduÈrfnis des Systems. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 197±201. Am Beispiel von H.s Bestimmungen der reinen QuantitaÈt sowie von Grundbegriffen der mathematischen Mengenlehre wird gezeigt, daû die kategoriale Bestimmung des Widerspruchs (Antinomie) auf den historischen Gang der wissenschaftlichen Entwicklung zuruÈckgreifen muû. Die dialektische Auffassung des absoluten Widerspruchs bei H. laÈût sich nicht konsistent interpretieren ohne die Reflexion auf partikulaÈre WiderspruÈche in den einzelwissenschaftlichen Grundlegungen.
Kobau, Pietro: La morte di Cristo. Questioni di estetica [Der Tod È sthetik]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero Christi. Fragen der A del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 515± 539. Verf. interpretiert den Tod bzw. die Vergangenheit der Kunst im VerhaÈltnis zum Tod Christi. Es wird gezeigt, daû H. in Jena die Philosophie des Geistes begruÈndet, in der folgende Faktoren erscheinen: a) die Lehre vom subjektiven theoretischen Geist, die so wichtig wurde fuÈr die Bestimmung der Kunst als ¹sinnliche Erscheinung der Ideeª; b) die metaphysische These von der Aufhebung des organischen Todes zur Geburt des geistigen Wesens. Verf. analysiert ferner die aÈsthetischen qua sinnlichen Voraussetzungen der Menschwerdung, des Todes und der Auferstehung Christi. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162, 164.
Kobayashi, Atsuko: Die VersoÈhnung der Welt mit Gott. Das Christentum und die Weltlichkeit in der Religionsphilosophie Hegels (1821). [Japanisch.] ± In: Studien zu Hegels Philosophie. Tokyo. 4 (1998), 41± 53. In seinem Manuskript von 1821 bestimmt H. das Christentum als ¹Religion der VersoÈhnung der Welt mit Gottª. In der ¹VersoÈhnungª sieht H. ¹die IdentitaÈt der Welt mit Gottª, d. h. die pantheistische Identifizierung der Welt mit Gott. Dabei versteht H. die Welt nicht als Natur wie Spinoza (Deus sive Natura), sondern als Staat.
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Bibliographie
Kobayashi, Atsuko: Hegel und Jacobi in der Vorlesung uÈber die Philosophie der Religion (1821). Zur Deutung von Hegels TrinitaÈtslehre. [Japanisch.] ± In: Annals of Ethical Studies. Kyoto, Japan. 28 (1998), 34 ± 46. È berwindung Jacobis, nicht H. setzte die Aufgabe der Philosophie der Religion (1821) in die U Schleiermachers. Jacobi lehnte amor Dei intellectualis ab, indem er behauptete, daû das Unendliche, das durch des Denken verendlicht wird, nicht mehr das Unendliche sei. Nach H. sei es jedoch moÈglich, die Kritik Jacobis zu widerlegen, indem H. in der TrinitaÈtslehre die SelbstOffenbarung Gottes (die Selbstverneinung des Unendlichen) findet.
Köhler, Dietmar: Der Geschichtsbegriff in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 35 ±47. Köhler, Dietmar: Hegels Gewissensdialektik. ± In: G.W.F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 209 ±225. Köhler, Dietmar: Hegels Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie. Anmerkungen zur Editionsproblematik. ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 53 ±83. Kolb, David: The Final Name God. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H.S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 162±175. Verf. untersucht H.s Begriff des Selbst-VerhaÈltnisses des Geistes, sofern er eine Definition der Religion in Beziehung zur Geschichte der verschiedenen Religionen darstellt. EroÈrtert wird die Frage nach dem VerhaÈltnis zwischen der vollendeten Religion und den anderen Religionen. Das Christentum erscheint hiernach zwar nicht als die beste Religion, wohl aber als diejenige Religion, in welcher der Geist sich selbst weiû und sein eigenes Wesen kennt.
Koslowski, Peter: Die Folgen des Hegelianismus: Systemanspruch und Systemherrschaft. EinfuÈhrung. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 1 ± 9. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 217± 219.
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È ber die universellen SynKoslowski, Peter: Philosophische Epen. U thesen von Philosophie, Poesie und Mythologie im Hegelianismus, Gnostizismus und in der Romantik. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 371± 397. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 217± 219.
Kreysing, Helmut: Boris UexkuÈlls Aufzeichnungen zum subjektiven Geist. Eine Vorlesungsnachschrift? ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 5 ±25. Edition und PraÈsentation der Aufzeichnungen UexkuÈlls, die Einsicht in die unmittelbare Wirkung Hegels verschaffen, aber nicht zum Hegelschen Erbe gehoÈren.
Kritschewskij, Andreij W.: Haben Atheismus und religioÈses Bewuûtsein einen gemeinsamen Sachgrund in Hegels Philosophie, und wie kommt es, daû sich zwei entgegengesetzte Weltanschauungsweisen auf dieselbe Metaphysik berufen? Warum ist Hegel so zweideutig? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 147±161. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Kruck, Günter: Christlicher Glaube und Moderne. Eine Analyse des VerhaÈltnisses von Anthropologie und Theologie in der Theologie Karl Rahners im Rekurs auf die Philosophie G. W. F. Hegels. ± In: Theologie und Philosophie. Freiburg, Basel, Wien. 73 (1998), 225± 246. H.s Theorie der Reflexionsbestimmungen ¹IdentitaÈtª, ¹Unterschiedª und ¹Grundª fungiert als Instrument fuÈr eine EroÈrterung der Beziehungen zwischen philosophischer Anthropologie und Theologie nach K. Rahner. Diese EroÈrterung impliziert eine ¹Debatte zwischen der Rahnerschen Theologie und einer philosophischen Theorie der Moderneª und traÈgt zu einer rationellen Grundlegung und Mitteilbarkeit des Glaubens bei.
Kubo, Yoichi: Die nachgelassenen Manuskripte Hegels uÈber das ¹BeduÈrfnis der Philosophieª (1803). [Deutsch und Japanisch.] ± In: Bulletin der Komawazawa UniversitaÈt ¹Bunkaª. Tokyo. 17 (1997), 137 ±150. Verf. transkribiert die Manuskripte H.s (Staatsbibliothek zu Berlin Preuûischer Kulturbesitz H. Nachlaû, Kassette 16, Bl. 7r. ± 10v.; ¹ist auf das Allgemeine ±ª, jetzt in GW. 5, 365 f.) und uÈbersetzt sie ins Japanische.
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Bibliographie
Kubo, Yoichi: IdentitaÈt und Notwendigkeit. [Japanisch.] ± In: Risoà [Das Ideal]. Tokyo. 1997, N. 660, 28± 39. Verf. untersucht, wie sich H. in der Jenaer Logik (1804/05) mit der Ontologie Kants auseinandersetzte und seine Ontologie entwickelte. Nach dem Verf. ist der Unterschied der beiden Ontologien vor allem in dem der Auffassung uÈber Relation und ModalitaÈt zu erkennen, um welche es in der Stelle ¹VerhaÈltnis des Seinsª geht.
Kuderowicz, Zbigniew: Philosophie ist stets ein Kind ihrer Zeit. Versuch einer Deutung. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 101 ±103. Die genauere Analyse des theoretischen Zusammenhangs, in dem bei H. der im Titel angefuÈhrte Spruch steht, zeigt, daû dessen Deutung im Sinne eines modernen geschichtlichen Relativismus ausgeschlossen ist.
Kudielka, Robert: According to what: Art and the Philosophy of the ¹End of Artª. ± In: History and Theory. Studies in the Philosophy of History. Middletown, Conn. 37 (1998), 87 ±101. In 1964, when Danto first encountered Wharhol's Brillo Box, Jasper Johns made a painting titled According to what. Danto's new book After the end of art also provokes this question because in his restatement of Hegel's verdict on arts historical role he drops an essential part of the implied definition of art: the issue of adequacy between content and presentation. Why dispense with this crucial point of quality judgement? My critique falls into three parts. The first part shows how the whole historical argument rests upon a shift of criteria. According to H. art reached its highest point of achievement in classical antiquity when adequate embodiment seemed indispensable to the presence of the spirit. It subsequently lost this exclusive rank ± first through Christianity, then through modern philosophy. Although Danto disputes the concept of absolute self-possession as the metaphysical vanishing point of H.'s construction, he nevertheless subscribes to its apparent evidence in late twentieth century art and culture. In the second part I discuss the characteristic distortions of H.ian-type historicism and confront them with both the obvious misrepresentation of the works of art themselves and the different code of conduct in practical art history. This leads to a rather disenchanting conclusion: According to an old, deeply ingrained philosophical prejudice there is no problem about quality in art, because the true yardstick and fulfilment of art is philosophy itself. The final part tries to unpack this tangle by showing that there was in fact, contemporaneous with H., a remarkably different interpretation of the self-same auspices of modern art which comes much closer to its actual achievements, and this without denying the basic philosophical predicament of which Danto has reminded us.
Kurosaki, Tsuyoshi: Die Argumentation des Anfangs in der Wissenschaft der Logik. Ein Vergleich der ersten und der zweiten Ausgabe. [Japanisch.] ± In: Studies in Hegel's Logic. Ed. by The Society for the Study of Hegel's Logic (Japan). Tokyo. 3 (1997), 114 ± 130. Verf. vergleicht die erste Ausgabe uÈber die Argumentation des Anfangs in Wissenschaft der Logik mit der zweiten und findet die konsequente Theorie, daû fuÈr den Anfang der Logik (als Ontologie) die zwei Bedingungen notwendig sind: die Vermittlung durch die Kritik des Be-
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wuûtseins und die Unmittelbarkeit als Anfang. Als Folge dieser Ergebnisse behauptet Verf., daû von dieser Logik H.s die SubjektivitaÈt der phaÈnomenologischen Ontologie im 20. Jahrhundert uÈberstiegen werden kann.
È ber die AktualitaÈt der Hegelschen Philosophie. Kurosaki, Tsuyoshi: U Eine Skizze von dem Wiederaufbau der Wissenschaft der Erfahrung des Bewuûtseins. ± In: Bulletin of Liberal Arts & Sciences Nippon Medical School. Kawasaki. 25 (1998), 15± 23. Verf. uÈbt Kritik an der weitverbreiteten Interpretation, daû die Wissenschaft der Erfahrung des Bewuûtseins in der PhaÈnomenologie des Geistes zugleich die PhaÈnomenologie des Geistes ist, weil sie die Erkenntniskritik mit der Ontologie verwechselt. Er macht einen Vorschlag, zuerst die Wissenschaft der Erfahrung des Bewuûtseins durchzufuÈhren und dann die Seinsweisen der Welt darzustellen.
È stheKwon, Jeong-Im: Die gegenwaÈrtige Bedeutung der Hegelschen A tik auf der Grundlage der Analyse der ¹symbolischen Kunstformª. È sthetik und Kunstwissenschaft. Seoul. [Koreanisch.] ± In: Studien zur A 8 (1998), 65 ± 87. In diesem Aufsatz wird zunaÈchst H.s Bestimmung der ¹symbolische Kunstformª aufgrund der neuen Quellen dargestellt. Indem Verf. diese im Zusammenhang der H.schen Frage nach der Bedeutung der Kunst in der modernen Welt erhellt, zeigt sie eine MoÈglichkeit, die gegenÈ sthetik durch seine Bestimmung der symbolischen Kunst zu waÈrtige Bedeutung der H.schen A diskutieren.
Kwon, Jeong-Im: Kunst und Geschichte. Zur Wiederbelebung der orientalischen Weltanschauung und Kunstform in Hegels Bildungskonzeption. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 147± 161. Lammi, Walter: Hegel, Heidegger, and Hermeneutical Experience. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 43 ± 58. Lampert, Jay: Locke, Fichte und Hegel on the Right of Property. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 40± 74. Eine Traditionslinie der philosophischen BegruÈndung von Eigentum fuÈhrt uÈber Locke und Fichte zu H. Alle drei Vertreter dieser Tradition eroÈffnen ihre rechtsphilosophischen Reflexionen mit dem Eigentumsrecht. Die Differenzen zwischen ihnen zeigen sich in der Rolle, die
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diese Eigentumsrechte in den sozialphilosophischen Kontexten spielen. ¹Property continues to be a determining category of political relations in Fichte and Locke, but it loses value in H. once relations between citizens take more complete formsª. Verf. rekonstruiert detailliert die genannten Eigentumstheorien vor dem Hintergrund der systematischen These, daû fuÈr jeden Philosophen ¹the more thoroughly property works its way through the social structure, the more the categories of property have to be overcome in other forms of social relationsª. H.s Behandlung des geistigen Eigentums zeigt sich als Grenze zwischen dem Eigentum als solchem und der indirekten Rolle des Eigentums im groÈûeren Kontext. Am Beispiel des Copyright laÈût sich zeigen, wie das Eigentumsrecht in ein anderes Recht transformiert oder (wie im Kriegsfall) aufgegeben wird.
Lauth, Reinhard: Eine Bezugnahme Fichtes auf Hegels ¹Wissenschaft der Logikª im Sommer 1812. ± In: Kant-Studien. Berlin. 89 (1998), 456 ± 464. Es handelt sich um einige Zeilen der Fichteschen transzendentalen Logik von 1812 (Hamburg 1982), wo drei Ansichten eines ¹neuen philosophischen Schriftstellersª verworfen werden: ¹1. Er wolle den transzendentalen Idealismus nicht gelten lassen: und somit den Dogmatismus wieder einfuÈhren; 2. Das Sein koÈnne sich nicht wandeln oder Grund eines Wandels sein; 3. Die reale Welt ist jedoch voll Wandel, und dies muû erklaÈrt werdenª (461). Aus der BeweisfuÈhrung des Verf.s ergibt sich, daû der gemeinte Schriftsteller mit groÈûter Wahrscheinlichkeit H. ist. Damit sollen neue Interpretationen der Wissenschaft der Logik entstehen.
Lécrivain, André: PheÂnomeÂnologie de l'esprit et Logique. ± In: Archives de philosophie. Paris. 60 (1997), 179± 196. For a period of more than one decade, 1804/5 to 1816, H.'s interest in logic never waned as is shown by The Logic at Jena, his correspondence, the courses in NuÈrnberg and lastly the publication of The Science of Logic. However in this same period. 1807, came The Phenomenology of Spirit. What links does this work have with the logical texts which precede it and which follow it, and what is the logic actually found at word, governing from the inside this monumental dialectical exposition of the cultural and spiritual development of consciousness? Finally, in what way did this book impel a shift in H.'s logical reflection and enable the writing and publication of The Science of Logic?
Lee, Woo-Baek: Die Absolutheit der Erfahrung und die Erfahrung des Absoluten. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 259± 286. In der philosophischen Diskussion wird eroÈrtert, daû das Erkennen durch die VerknuÈpfung von Subjekt und Objekt entsteht. Dabei laÈût sich nach dem letzten Grund der Erfahrung fragen, durch den Subjekt und Objekt verknuÈpftet werden. Im Hinblick auf diese Frage erlaÈutert Verf. H.s Bestimmung der Erfahrung in der PhaÈnomenologie des Geistes.
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Lee, Young Sook: Spirit and Beauty. ± In: The Journal of Aesthetic Education. Champaign. 31 (1997), N. 3, 15± 23. Adornos SchoÈnheitsbegriff ist dem oÈstlichen aÈhnlicher als der H.sche. Der Geist der SchoÈnheit habe kein Selbst und ist mit dem Geist des Wahren und Guten verwandt.
Leijen, Arie: Grote Goden, wie ben ik? Hegel, Merleau-Ponty en Kierkegaard over de verhouding tot het absolute [Groûe GoÈtter, wer bin ich? Hegel, Merleau-Ponty und Kierkegaard uÈber das VerhaÈltnis zum Absoluten]. ± In: De God van denkers en dichters [Der Gott der Denker und Dichter]. Hrsg. v. E. Berns u. a. Amsterdam 1997. 59 ±77. Wie verhaÈlt sich das Subjekt in der Religion zum Absoluten? Zur Beantwortung dieser Frage werden H., Merleau-Ponty und Kierkegaard herangezogen. H.s offenbarte Religion ist die vollendete Religion des Christentums: diese erscheint als goÈttliche Gemeinde, wodurch natuÈrliche und sittliche Bestimmungen zu Selbstbestimmungen des absoluten Subjekts werden. Verloren gegangen sind in dieser Deutung die AmbiguitaÈt der Kontingenz (Merleau-Ponty) und die individualisierte Einzelheit (Kierkegaard), die dem Subjekt selbst angehoÈren.
Lendvai, Ferenc L.: Marx und die Universalgeschichte. Hegelsche Grundlagen der Geschichtsphilosophie von Marx. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 228±231. È bereinstimmungen zwischen Marx und H. findet Verf. sowohl in der Einteilung der WeltU geschichte in vier Epochen als auch in der Auffassung, daû die Geschichte eine ¹gewisse innere Triebkraftª in sich birgt, bei H. ¹Weltgeistª, bei Marx ¹menschliche Naturª genannt. In beiden FaÈllen liegt dem Entwicklungsprozeû ,Geschichte` eine teleologische Struktur zugrunde, jedoch muû jede Phase dieses Prozesses als gleichwertig verstanden werden, da es immer dasselbe Subjekt ist, das sich jeweils verwirklicht. Beide AnsaÈtze beschreiben die Entwicklungsstufen des Subjektes der Geschichte analog zu denjenigen eines Menschenlebens, eine ¹noch tiefereª È bernahme des H.schen Schemas der ¹Negation der Negationª Verbindung sieht Verf. in der U durch Marx sowie in der gemeinsamen Auffassung, daû der Entwicklungsprozeû ¹zumindest qualitativª zu einem Abschluû gelangt, und in einen ¹relativ zugaÈnglichen Idealzustand der Zukunft muÈndetª.
Leydet, Dominique: Penser L`Histoire Critique: Le jeune Hegel et la Constitution de l`Allemagne. ± In: Archives de Philosophie. Paris. 60 (1997), 197± 215. H.'s series of pamphlets called The German Constitution contains a critical conception of history. The object of this article is to illuminate its development by relating H.'s unfinished work on the German constitution to the other philosophical fragments from the end of the Frankfurt period to the beginning of his stay in Jena. My analysis shows that it is H.'s coming to question the main categories of his ontology that made it possible for him to think of history in this way.
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Bibliographie
È berlegunLiebsch, Burckhard: Diesseits eines ¹neuen Ursprungsª. U gen zu Ricúurs VerhaÈltnis zu Hegel. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 269 ± 295. Liedmann, Sven-Eric: Hegel, die Ethik und das Projekt der AufklaÈrung. ± In: Hegel-Jahrbuch. Berlin 1997. 164± 167. Verf. rekonstruiert das ¹Projekt der AufklaÈrungª am Probierstein ¹Ethik und Wissenschaftª, wobei drei typische Auffassungen dieses VerhaÈltnisses unterschieden werden koÈnnen: Condorcet steht fuÈr den ersten Typus, Kant fuÈr den zweiten und Montesquieu und die Schotten fuÈr den dritten Typus. FuÈr Condorcet gibt es mit Hilfe des exakten Wissens ± eine genaue Vorherbestimmbarkeit menschlichen Handelns, Ethik als selbstaÈndige Wissenschaft ist damit uÈberfluÈssig geworden. Kants radikale Trennung von theoretischer und praktischer Vernunft macht dagegen alle GrenzuÈberschreitungen unmoÈglich. Auch fuÈr Habermas' energische Verteidigung des Projekts der AufklaÈrung ist Kants Dualismus entscheidend. Der dritte Typus stellt Ethik uÈberhaupt nicht in einen Zusammenhang mit Wissen und Fortschritt in der Erkenntnis. Moralischer Fortschritt ist nichts anderes als bessere Sitten. Diese Dreiteilung des AufklaÈrungsprojekts versteht Verf. als Werkzeug, um geschichtliche Prozesse besser verstehen zu koÈnnen. Verf. pruÈft die H.sche Moral- und Politikphilosophie mit diesem methodischen Werkzeug und kommt zu einer entschiedenen ZuruÈckweisung des Taylorischen Verdikts, daû wohl der romantische Partikularismus nicht aber der aufklaÈrerische Universalismus zum Kern der H.schen Philosophie gehoÈren: ¹Universalismus ist H. nicht Ausgangspunkt sondern Endzielª.
Lim, Sok-Zin: Die zweiseitige AnnaÈhrung von Seele und Geist in Richtung auf das Ganze und das Kosmische [Koreanisch.] ± In: HegelYon'gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 142 ±162. Verf. kennzeichnet das Grundprinzip der der ostasiatischen Philosophie zugrundeliegenden chinesischen Philosophie, einerseits durch den Begriff ¹Taoª, der als ¹das groûe Eineª bestimmt wird, und andererseits durch die PolaritaÈt von Yin und Yang, die sich aber stets auf eine Einheit richten. Das strukturell gleiche Prinzip mit diesem findet er in H.s Philosophie und dessen Dialektik der Entwicklung des Geistes, und er gewinnt dadurch einen Ansatzpunkt fuÈr die komparative Studie zum VerhaÈltnis von H.s Philosophie und der ostasiatischen Philosophie.
López-Domínguez, Virginia: La storicitaÁ della ragione: il caso di Fede e Sapere [Die Geschichtlichkeit der Vernunft: Das Beispiel von Glauben und Wissen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 106 ±119. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 160± 161.
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Losurdo, Domenico: Logik, Politik und soziale Frage: Hegelsche ¹Rechteª und Hegelsche ¹Linkeª. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 265±285. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 220.
Luc, Laurent-Paul: A corps perdu: Hegel et les espeÂrances terrestres. ± In: Science et esprit. Revue philosophique et theÂologique. Ville St.-Laurent, Quebec. 49 (1997), fasc. 3, 349± 363. Puzzled by the H.ian idea of the gift, the author is astonished by the fact that, from the Early Theological Writings the Encyclopedia of the Philosophical Sciences, H. has considered only the knowledge of the Self in the Other. The aims of the system may design our share of nature as a resting place for alterity, but never otherwise that against the background of its disappearance. Ungovernable, and even more: phantasmagorical H.ian truth!
Luc, Laurent-Paul: Vie et vie pensante dans le Systemfragment que Hegel reÂdigea lors de son seÂjour aÁ Francfort. ± In: Philosophiques. MontreÂal. 24 (1997), N. 2, 299± 311. At the end of his Frankfurt period, the young H. carries on the task that he had undertook in his previous research: ¹to think pure lifeª. We expect to achieve this task by subordinating philosophy to religion. But such a denial of philosophy is not an easy introduction to the experience of the Spirit, which is, according to the Systemfragment, the ¹vivifying lawª.
Lucas Jr., George R.: Recollection, Forgetting, and the Hermeneutics of History: Meditations on a Theme from Hegel. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 97± 115. Lucas, Hans-Christian: Die dialektische Deduktion der Kategorien und die sogenannte vormalige Metaphysik. Zum VerhaÈltnis von Hegels ¹Wissenschaft der Logikª (zur ¹Philosophie der Weltgeschichteª und) zu seiner ¹Geschichte der Philosophieª. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 18 ±26. Bezugnehmend auf die postmoderne Kritik an Hegel, er habe die Geschichte der logischen Struktur unterworfen, unternimmt Verf. eine KlaÈrung des VerhaÈltnisses von Zeit und Begriff bei H. An der Darstellung des Argumentationszusammenhanges in der Geschichte der Philosophie sowie der Logik zeigt Verf., wie die Zeitbestimmungen der Geschichte in die Struktur der logischen Denkbestimmungen gehoÈren.
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Bibliographie
Lucas, Hans-Christian: Hegels unvollstaÈndige ArchaÈologie der menschlichen Vernunft. Vom Ausbleiben einer Geschichte der Naturwissenschaften neben der konsequent durchgefuÈhrten Geschichte der Philosophie. ± In: Il Cannocchiale. Napoli. 1997, N. 1, 95 ±112. Verf. befaût sich mit dem MiûverhaÈltnis zwischen der geschichtlichen Entwicklung der Philosophie und der fehlenden geschichtlichen Betrachtung der Naturwissenschaften im H.s System. Aus H.s Sicht ist ,Entwicklung` die Bewegungsform des Geistigen in der charakteristischen ParallelitaÈt des logischen und des geschichtlichen Prozesses. Obwohl der Ganzheit der Natur ebenso ProzessualitaÈt anerkannt wird, ist diese nicht ausschlieûlich auf die Natur selbst zuruÈckzubeziehen. Anhand Kuhns Theorie der Paradigmenwechsel beurteilt schlieûlich Verf. die verfehlte MoÈglichkeit H.s, die VeraÈnderungen im Wissen der Natur anders zu schaÈtzen.
Lucas, Hans-Christian: Hegels Vergessen der (in Bern noch gewuÈrdigten) nordamerikanischen Revolution. Von der Cartschrift zu den Vorlesungen uÈber die Philosophie der Geschichte. ± In: Hegel in der Schweiz (1793±1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 207± 236. Lumsden, Simon: Absolute Knowing. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 30 (1998/1999), N. 1, 3 ±32. Verf. untersucht die Struktur des absoluten Wissens im Hinblick auf H.s PhaÈnomenologie. Mit Bezug auf die Positionen von W. Ludwig, R.R. Williams, J.C. Flay und St. Houlgate uÈber das absolute Wissen untersucht er zuerst die Implikationen des Models von der Einheit in der Differenz, dessen Beispiel die Liebe ist, und zeigt, daû dabei der Gedanke der Selbsttranszendierung nicht beruÈcksichtigt wird. Danach erarbeitet er das Model der durch die Selbsttranszendierung erreichten VersoÈhnung von Selbstbewuûtsein und Bewuûtsein und stellt als È berwindung des ¹Representationalismª der Religion dar. Sodas Beispiel dieses Models die U mit kommt er zu der These, daû die VersoÈhnung die Neuorientierung des SelbstverstaÈndnisses und zugleich der Erkenntnisrelation bedeutet: Einerseits wird die (Kantische) Spaltung von Selbstbewuûtsein und Bewuûtsein dadurch uÈberwunden, daû das bewuûte Subjekt die Bedingungen des Bewuûtseins als die Bedingungen seiner selbst als des Subjekts der Erkenntnis erfaût; andererseits wird das VerhaÈltnis des Selbst zum Objekt in das VerhaÈltnis des Selbst zum Begriff aufgehoben, wobei das neue VerhaÈltnis auf keins seiner Relate reduziert wird. Daraus ergibt sich nach Verf.s Meinung, daû die PhaÈnomenologie und die Logik das absolute Wissen zu ihrem gemeinsamen Thema haben, sie behandeln es jedoch auf verschiedene Weise.
Lutterfelds, Wilhelm: Das soziale Konfliktpotential der Anerkennung. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 208 ±212. In der Philosophie H.s und Fichtes wird die ¹Anerkennungª als eine soziale Praxis verstanden, die zur LoÈsung der zwischenmenschlichen Konflikte eingesetzt wird. Doch die Deutung der Anerkennung in der idealistischen Philosophie laÈût drei Typen einer solchen Praxis unterscheiden: Anerkennung als monologische Verallgemeinerung des eigenen Ich, als apriorische Akzeptanz gemeinsamer Lebensform und als bloû negative Achtung der fremden Frei-
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heit durch SelbsteinschraÈnkung der eigenen Autonomie. Diese drei Typen der Anerkennung sind in ihrem VerhaÈltnis zueinander nicht konfliktfrei und koÈnnen selbst konflikterzeugend wirken.
MacIntyre, Alasdair: Hegel on Faces and Skulls. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 213±224. Mahrenholz, Simone: Zeit- und Selbstkonstitution. Hegels MusikaÈsthetik systemtheoretisch betrachtet. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 263±269. Mit Hilfe des systemtheoretischen Begriffs der ,Autopoiesis` wird die H.sche Bestimmung der Musik erlaÈutert. Die Struktur der Musik wird durch die Zeitlichkeit konstituiert, die eine Differenz-Setzung in der Einheit darstellt. Eine strukturelle Parallele ergibt sich dabei zu der BewuûtseinstaÈtigkeit im Prozeû der Konstitution von Selbst.
Maier, Hans: ¹. . . diese dritte universale Gestalt des Weltgeistesª. Weltgeschichtliches Denken in Hegels Verfassungsschrift. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 15 ±33. Maker, William: The Very Idea of the Idea of Nature, or Why Hegel Is Not an Idealist. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 1 ± 27. Mao, Yihong: Die Stellung von Hegel und Marx im heutigen China. Historische Betrachtung und Bewertung in der Modernisierung. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 247± 261. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 222.
Markus, György: Political philosophy as phenomenology: on the method of Hegel's philosophy of right. ± In: Thesis Eleven. Cambridge, Mass. 48 (1997), 1 ± 19. H.'s Philosophy of Rights represent an unique theory type in the history of political philosophy. It is a normative theory that departs in its construction form am empirical facticity without re-
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ducing norms to facts. It unifies teleological and deontic considerations. It is a theory of normatively requisite institutional structures able to realize the demands of a historically particular form of individuality, and simultaneously it presents the phenomenology of modern subjectivity committed to the ultimate value of true freedom. In this way it aims to transform into genuine self-knowledge the illusory social-political self-image of its addressees. The paper discusses the connection between this phenomenological method and H.'s conception of freedom ± his critique of unconditional, abstract normativity, his solution to the problem of collision between equally valid norms and the possible relevance of this methodological principles to contemporary political philosophy.
Matz, Lou: Hegel's missing moral virtues? ± In: British Journal for the History of Philosophy. Bristol. 5 (1997), N. 2, 321± 338. Das Fehlen moralischer Tugenden wurde fuÈr H.s Konzeption der Rechtsphilosophie bislang ebensowenig zum Thema gemacht, wie die Stellung der Tugenden in diesem Ansatz H.s. Verf. geht diesem Problem im Zusammenhang der H.schen Kant-Kritik nach, und zeigt, daû H.s Interesse meist der politischen oder institutionellen Tugend gilt. ZunaÈchst pruÈft Verf. (II) Kants Beitrag zur Bestimmung eines Endzwecks sowie die subjektiven Bedingungen zur Verwirklichung dieses Endzwecks. H.s Auseinandersetzung mit diesem Ansatz bildet die Basis fuÈr die Rekonstruktion der H.schen Pflichtenlehre: Verf. zeigt, daû die fehlenden moralischen Tugenden fuÈr H. eingebettet sind in die ethische Beziehung des Staats.
McCumber, John, On Teaching Hegel: Problems and Possibilities. ± In: The Socratic Tradition. Ed. by Kasakoff, Tziporah. Lanham 1998. 197± 209. Verf. beschaÈftigt sich mit der Frage nach den MoÈglichkeiten, H.s Philosophie wegen ihrer besonderen sowohl sprachlichen als auch begrifflichen Schwierigkeiten an der UniversitaÈt zu lehren. Er bewegt sich insbesondere auf linguistischer Ebene und versucht, in H.s Sprache die ganze zeitgenoÈssische Tradition wiederzufinden. Verf. analysiert H.s spezifischen Gebrauch des Terminus ¹Wahrheitª. Er schlieût den Aufsatz mit einem Abriû fuÈr einen moÈglichen Kurs uÈber H.s Rezeption, der vielleicht einfacher sein wuÈrde als ein Kurs uÈber H. selbst.
McCumber, John: Hegel and Hamann: Ideas and Life. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H.S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 77± 92. Aus einem sprachlichen Gesichtspunkt ist systematische Philosophie eine Denkform, die dazu hilft, Worte fuÈr die gegenseitige Auffassung zu formulieren und zu benutzen. Von dieser Perspektive aus stellt Verf. einen Vergleich zwischen H. und Hamann an: fuÈr beide Philosophen stellt die Sprache die materiale Basis fuÈr das Denken dar. FuÈr H. reihen sich die Verschiedenheit und WiderspruÈchlichkeit der Bedeutungen in eine rationalistische Ordnung ein. FuÈr Hamann È bersetzung der goÈttlichen Sprache der Natur. Sein Fehler ist die menschliche Sprache eine U war, die UnausdruÈcklichkeit als Wesentliches anzunehmen, was negativ seine literarische Produktion und sogar seine persoÈnlichen Beziehungen bestimmt hat.
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McGowan, Todd: Condemned to the Absolute, Or, How Hegel Can Help Us Across Borders. ± In: Midwest Modern Language Association Journal. Iowa City, Ia. 30 (1997), N. 1 ±2, 114 ±130. Aufgrund einer kritischen LektuÈre von Derridas De l'esprit, seiner Deutung von Heidegger und seiner Auffassung der Dekonstruktion, aber auch in Bezug auf den H.-Aufsatz in Die Schrift und die Differenz problematisiert Verf. H.s angebliche Aneignung des Anderen in der absoluten Idee oder im absoluten Wissen und arbeitet seine ethische Dimension heraus. Das Absolute ist bei H. ein Versuch, gerade die Begrenzung des Denkens thematisch zu machen, das absolute Wissen ist nichts anderes, als das Wissen dieser BeschraÈnkung, d. h. es ist nicht eine epistemische Aneignung des Anderen, sondern eine Rekognition der Grenzen dieser Aneignung selbst, ein Versuch, das Trauma der Auseinandersetzung mit dem Anderen (mit dem Realen) aufzuarbeiten.
Meazza, Carmelino: Aristotele tra Hegel e Heidegger: tracce per una ricostruzione [Aristoteles zwischen Hegel und Heidegger: Spuren zu einer Rekonstruktion]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 295±334. Menegoni, Francesca: Da Glauben und Sein a Glauben und Wissen [Von Glauben und Sein zu Glauben und Wissen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 556± 564. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162.
Menegoni, Francesca: Elemente einer Handlungstheorie in der ¹MoralitaÈtª (§§ 104± 128). ± In: G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 125± 146. Menegoni, Francesco: La morale. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 123± 155. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
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Bibliographie
Merrill, David: Hegel's System of Needs: The Elementary Relations of Economic Justice. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 37 ±38 (1998), 51± 72. Im Gegensatz zu Allen Woods VerstaÈndnis von H.s Rechtsphilosophie in seinem H.'s Ethical Thought zieht Verf. die elementaren Beziehungen der Marktwirtschaft (buÈrgerliche Gesellschaft) in betracht und versucht H.s Rechtsphilosophie als eine normative Ethik zu lesen. Verf. analysiert die Bewegung des Einzelnen zum BeduÈrfnis, Genuû und Arbeit und meint, daû die Rechtsphilosophie eine systematische ,Rationalisierung` einer ethischen Sicht auf die Wirtschaft darstellt.
Mesemeres, Stamates: Spyridon Zampelios und Hegels ¹schoÈne IndividualitaÈtª. [Griechisch.] ± In: Historika. Athen. 14 (1997), 29± 52. Verf. analysiert H.s These, daû die griechische Kultur eine vergangene Geschichtsstufe sei, da sie nur die Freiheit der ¹schoÈnen IndividualitaÈtª und nicht die Einheit von Individuum und Gemeinschaft hervorgebracht habe. Wie er zeigt, betrachtet der Philosoph und Historiker Zampelios die griechische Idee der Isonomie als das dauerhafte utopische Ideal, das die Abgeschlossenheit der Geschichtsstufen, die H. behauptet hat, in Frage stellt.
Michels, Elisabeth: Die Tragik des idealistischen Denkens. Philosophische und theologische Probleme in HoÈlderlins Hyperion und in Werken Schellings und Hegel. ± In: Jahrbuch fuÈr Philosophie des Forschungsinstituts fuÈr Philosophie. Hannover. 8 (1997), 161±183. Dichtung, Philosophie und Religion gehen im 18. Jahrhundert in Deutschland ein seit dem Mittelalter nicht mehr gekannte Synthese ein. Sie verbinden sich im Naturbegriff, der zum traditionellen Gottesbegriff in Konkurrenz tritt und eine Geisteshaltung hervorbringt: das idealistische Denken. Dessen Problematik und fruÈhneuzeitliche Wurzeln werden im Vergleich von HoÈlderlins Hyperion mit ausgewaÈhlten Werken von Schelling und H. deutlich. Was diese philosophisch auf den Begriff bringen, gestaltet HoÈlderlin bildhaft und kunstreich. Bei den Philosophen zeigt sich die Problematik und Tragik des idealistischen Denkens in der Theorie; HoÈlderlin aber erfuhr ihre dem Gnostizismus verwandten Konsequenzen existentiell.
Mignucci, Mario: L'interpretazione hegeliana della logica di Aristotele [Die Hegelsche Deutung der aristotelischen Logik]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 29 ±49. Miller, Elaine P.: The Figure of (Self)-Sacrifice in Hegel's Naturphilosophie. ± In: Philosophy Today. Chicago, Ill. Suppl. 41 (1998),41± 48. Ausgehend von einem wenig bekannten Gedicht H.s, versucht Verf. zu zeigen, daû der Zyklus von Freiheit, natuÈrlicher Notwendigkeit, Entfremdung (oder EntaÈuûerung) oder Selbstaufopferung und RuÈckkehr zum Selbst auf jeder Ebene der organischen Natur stattfindet. H.s
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Naturphilosophie wird im Zusammenhang mit Georges Batailles Analyse der Erscheinungen von Tod und Opferbereitschaft in der PhaÈnomenologie gelesen.
Miller, Mitchell H. Jr.: The Attainment of the Absolute Standpoint in Hegel's Phenomenology. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 427 ± 443. Mitscherling, Jeff: The Identity of the Human and the Divine in the Logic of Speculative Philosophy. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H.S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 143±161. H.'s view of the relation between the human and the divine underlies not only his philosophy of religion but his system of speculative philosophy as a whole. The notion of the identity of the human and the divine is located as originating, for Western thought, in gnosticism. This Gnostic position was transformed in the thought of Eckhart and BoÈhme, and subsequently appropriated and logically reformulated in the presentation of H.'s system in the Encyclopedia, where it proves central to the structure of the logic of speculative philosophy. (Aus: The Philosopher's Index)
Mohr, Georg: Unrecht und Strafe (§§ 82 ± 104). ± In: G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 95 ±124. Moiso, Francesco, Hegel e la „scienza newtoniana“ [Hegel und die „Newtonianische Wissenschaft“]. – In: Rivista di storia della filosofia. Milano. 52 (1997), 563± 585. Verf.s Diskussion der H.schen Naturphilosophie hebt mit M.J. Schleidens Vorwurf von 1844 (in seinem: Schelling's und H.'s VerhaÈltnis zur Naturphilosophie) an H.s ,unwissenschaftliche` Naturphilosophie an. Verf. untersucht die Beziehungen zwischen H.s Idee der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und seiner spekulativen Onto-Logik im Kontext der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts. DaruÈberhinaus wird H.s VerhaÈltnis zur Newtons Idee der Wissenschaft dargestellt im Zusammenhang mit den Resultaten der von M. Petry 1989 organisierten Tagung: ¹H. and Newtonianismª.
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Bibliographie
Molcˇanov, Viktor. I.: SubjektivitaÈt und Vernunft. Husserl, Hegel, Kant. [Russisch.] ± In: FenomenologieÁeskaja koncepcija soznanija: problemy i al'ternativy [Die phaÈnomenologische Konzeption des Bewuûtseins: Probleme und Alternativen]. Moskva 1998. 70± 82. Das neue VerstaÈndnis von SubjektivitaÈt in der PhaÈnomenologie macht einen Vergleich mit den klassischen SubjektivitaÈtskonzeptionen erforderlich. Der fundamentale Unterschied der phaÈnomenologischen Bewuûtseinskonzeption gegenuÈber der transzendentalphilosophischen besteht darin, daû in ihr das Bewuûtsein (die SubjektivitaÈt) nicht aus einer wissenschaftlichen bzw. geschichtlichen Erfahrung rekonstruiert wird, sondern sich selbst aufgrund der inneren Erfahrung bzw. der inneren Zeiterfahrung konstituiert.
Molnár, László: ¹Das anerkennende Selbstbewuûtseinª bei Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 197± 202. Der Begriff der Anerkennung spielt in H.s Philosophie, insbesondere in der Konzeption der EnzyklopaÈdie, eine zentrale Rolle. Durch diesen Begriff kann H. die Prozesse der Entstehung von Staaten sowie der Ausbildung persoÈnlicher Freiheit erklaÈren. FuÈr die moderne Gesellschaftstheorie bietet diese H.sche Konzeption ein brauchbares philosophisches Modell zur ErklaÈrung des sozialen Wandels. Allerdings muû der Kontext der H.schen Theorie von dem der modernen Gesellschaftstheorien unterschieden werden, um den Miûdeutungen der Theorie der Anerkennung, wie z. B. bei F. Fukuyama der Fall ist, vorzubeugen.
Moretto, Antonio: Sul problema della considerazione matematica dell'infinito e del continuo in Aristotele e Hegel [Zum Problem der mathematischen Betrachtung des Unendlichen und des Kontinuums bei Aristoteles und Hegel]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 51± 101. Morresi, Ruggero: La philosophie et ses affiniteÂs dans le concept heÂgeÂlien d'histoire de la philosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 134 ±139. Die philosophischen Wahlverwandtschaften, die H. in der Einleitung zur Geschichte der Philosophie praÈsentiert, sind nicht konform mit denjenigen, die bei der Bestimmung der Idee der Philosophie im System der EnzyklopaÈdie eine konstitutive Rolle spielen.
Movia, Giancarlo: L'Uno e i molti: Sulla logica hegeliana dell` Essere È ber Hegels Logik des FuÈr-sich-Seins]. per se [Das Eine und die Vielen: U ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 335± 401.
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Muller, Philippe: Hegel und Gibbon. Oder wie der Philosoph dank der LektuÈre des Historikers zu sich selbst findet. ± In: Hegel in der Schweiz (1793± 1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 145 ±171. Navarro-Pérez, Jorge: Fichte, Humboldt und Ranke uÈber die Idee und die historischen Ideen. Mit einem Anhang uÈber Hegel und Droysen. ± In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, MuÈnchen. 107 (1997), 361± 373. WaÈhrend Humboldt seine ¹hermeneutische These, daû Subjekt und Objekt des Verstehens wesentlich miteinander verbunden sindª, durch die Annahme begruÈndet, daû es eine vorÈ bereinstimmung zwischen Subjekt und Objekt in den Ideen gibt, haÈlt er gemeinsam gaÈngige U mit Ranke die Erkenntnis eines goÈttlichen Weltplans im Unterschied zu Fichte fuÈr unmoÈglich; Gemeinsamkeit zwischen Humboldt, Ranke und Fichte besteht jedoch in der Auffassung von der ¹geistigen Natur des Menschenª. Ranke und Humboldt kritisieren weiterhin den Gedanken eines Fortschrittes (in Hinsicht auf die Verwirklichung der Ideen) und eines Ziels der Geschichte und betonen die IndividualitaÈt jedes Volkes als ¹Gedanke des goÈttlichen Geistesª (Ranke), wobei Rankes Ideenlehre als eine theologische Fassung von Humboldts Ideenlehre zu fassen sei. In einem Anhang analysiert Verf. das VerhaÈltnis Droysens zu Humboldt und H. und È bereinstimmung Droysens mit H. ± obwohl er die ¹Gleichsetzung des VernuÈnftigen sieht eine U und Wirklichenª bei H. zuruÈckweist ± Insofern, als auch Droysen von einem Zweck in der Geschichte ausgeht, der darin besteht, daû ¹die Idee der Freiheit werdeª und die Menschheit sich insofern in einem ¹steten Fortschreitenª befindet.
Neuser, Wolfgang: Das System der Sonne. Hegels Jenaer Naturphilosophie von 1804/05. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 281± 287. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 185± 186.
Neustädter, Carol: Die Unendlichkeit und die absolute Grenze. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 245± 249. Untersucht wird die MoÈglichkeit einer begrifflichen Erfassung der Unendlichkeit. Die H.sche È berschreiten der Grenze. DemgegenuÈber soll der Auffassung begreift sie nur einseitig als U Gedanke der absoluten Grenze geltend gemacht werden.
È ber einen Paradox der neuzeitlichen politischen Nikitina, A. G.: U Entwicklung. [Russisch.] ± In: Vestnik Moskovskogo universiteta [Bote der Moskauer UniversitaÈt]. Reihe 18, Soziologie und Politologie. 1998, N. 1, 21 ±33. Untersucht wird die Wandlung der Staatskonzeption in den Werken von Machiavelli, Hobbes und H.
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Bibliographie
Norris, Andrew: Carl Schmitt on Friends, Enemies and the Political. ± In: Telos. St. Louis, Mo. 1998, N. 112, 68 ±88. Critics of Carl Schmitt argue that Schmitt's attempt to establish the conceptual autonomy of the political reduces politics to a function of war. In this essay I argue that Schmitt's provocative formulations of the friend/enemy distinction should not lead us to this conclusion, as his political theory requires a prior substantive commitment to relations of ¹friendshipª and social solidarity. His account of political authority in particular rests upon an almost Hegelian understanding of an individual's relation to the community a relationship that modern forms of liberal representative democracy do not provide and that Nazism promised to restore. (Aus: The Philosopher's Index)
Nusser, Karlheinz: The French Revolution and Hegel's Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 282± 306. Nuzzo, Angelica: An Outline of Italian Hegelianism (1832±1998). ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 29 (1997/1998), N. 2, 165± 205. Der Aufsatz ist eine vollstaÈndige Darstellung der H. Rezeption in Italien von H.s Tod bis zur Gegenwart. Verf. stellt nicht nur eine ,Geschichte` der italienische Hegelianismus dar; sie bietet auch eine systematische Rekonstruktion der GruÈnde an, die in verschiedenen Zeiten zur Auseinandersetzung mit bestimmten Themen der H.schen Philosophie und entsprechend zur VernachlaÈssigung anderer Themen gefuÈhrt hat. Aufgrund der Wichtigkeit der Konfrontation mit H. in der Geschichte der italienischen Philosophie, bietet der Aufsatz zugleich einen Aufriû der Haupttendenzen italienischer Philosophie bis zur Gegenwart.
Nuzzo, Angelica: Die Differenz zwischen dialektischer Logik und realphilosophischer Dialektik. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 52± 76. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 177.
Nuzzo, angelica: La critica di Hegel al concetto kantiano di ¹ragion praticaª: la ¹tragedia dell'assolutoª [Hegels Kritik des Kantischen Begriffs der ¹praktischen Vernunftª: die ¹TragoÈdie des Absolutenª]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 540± 555. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162± 163.
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Nuzzo, Angelica: La logica. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 39 ±82. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Nuzzo, Angelica: Natur und Freiheit in Hegels Philosophie der Jenaer Zeit (bis 1803). ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 85 ±96. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 180.
Nuzzo, Angelica: Per una metodologia della storia della filosofia secondo Hegel. Le Introduzioni berlinesi alle lezioni sulla storia della filosofia (1819± 1831) [Zu einer Methodologie der Philosophiegeschichte nach Hegel. Von den Berliner Einleitungen zu den Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie (1819±1831)]. ± In: Il Cannocchiale. Napoli. 1997, N. 1, 5 ± 32. Verf. diskutiert das Problem der Methodologie der Geschichte der Philosophie und ihrer systematischen Stellung durch einen Vergleich der verschiedenen Einleitungen in die sechs von H. zu diesem Thema gehaltenen Vorlesungen. Verf. geht von dem der Philosophiegeschichte innewohnenden Paradox aus: Inwiefern ist eine Geschichte der Philosophie moÈglich, wenn die Philosophie die einzige und einheitliche Wahrheit ausdruÈckt? Das Kriterium des Parallelismus erweist sich als ungenuÈgend, die Struktur der Geschichte der Philosophie und des VerhaÈltnisses von objektivem und absolutem Geist zu verstehen.
È sthetikvorlesung von Olivier, Alain: Das Musikkapitel aus Hegels A 1826. Herausgegeben und erlaÈutert. ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 9± 52. Oncina Coves, Faustino: Il Saggio di una critica di ogni rivelazione di Fichte nel giovane Hegel [Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung beim jungen Hegel]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 565± 574. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162.
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Bibliographie
Onnasch, Ernst-Otto: Die NegativitaÈt und ihre TaÈtigkeit in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 217± 223. Die Bestimmung der ,NegativitaÈt` als eines grundlegenden philosophischen Prinzips sieht vor, daû sie nicht allein im Modus der geistigen bewuûtseinsmaÈûigen TaÈtigkeit, sondern auch im Modus der bewuûtlosen naturhaften Substanz ausgewiesen wird. Diese Ansicht bleibt jedoch in der PhaÈnomenologie lediglich vorausgesetzt und wird nicht im Fortgang der Argumentation eigens begruÈndet. Damit erweist sich die PhaÈnomenologie im Unterschied zur Logik, in der die Struktur der NegativitaÈt kategorial expliziert wird, als eine Wissenschaft mit nur einzelwissenschaftlichem Anspruch, da ihre Anfangsvoraussetzungen nicht in der immanenten BegruÈndung eingeholt werden.
Osakada, Hideyuki: Hegels Lehre von Begriff, Urteil und Schluû. Logik des reinen Denkens. [Japanisch.] ± In: Studien zu Hegels Philosophie. Tokyo. 3 (1997). 51 ±60. Verf. untersucht H.s Lehre von Logik des reinen Denkens. H.s Logik hat die reine Idee zum Gegenstand. Die Logik ist das Wissen von dem Denken in seiner Wahrheit. Sie ist daher die Logik des reinen Denkens. Wir haben es in der Logik mit den reinen Denkformen.
Osakada, Hideyuki: Logik der QualitaÈt als Sozialontologie. Rekonstruktion der Reflexionstheorie vom Standpunkt des unendlichen Urteils. [Japanisch.] ± In: Studies in Hegel's Logik. Tokyo. 4 (1998), 35± 45. Verf. untersucht die Wissenschaft der Logik vom Standpunkt des unendlichen Urteils im Rahmen der sozialontologischen Problematik. Sie will die Aufmerksamkeit auf die gleichguÈltigen Reflexionsbestimmungen ± Sein-fuÈr-Anderes und An-sich-Sein ± und auf die Struktur des ersten Subjekts richten und den Aufsatz uÈber die Logik der QualitaÈt, die aus der H.schen Bestimmung besteht, vorlegen.
Ottmann, Henning: Die Weltgeschichte (§§ 341± 360). ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 267± 286. Otto, Stephan: Logische Figur und geschichtliche Gestalt. Zur Lesbarkeit von Hegels ¹Metaphysikª der Geschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 27 ± 33. Verf. untersucht das H.sche Konzept der ¹geschichtlichen Gestaltª auf seinen Anspruch hin, die FaktizitaÈt der Geschichte zu begreifen. Vor dem Hintergrund moderner Geschichtstheorien, die in bezug auf die Geschichte nur die ErzaÈhlung als einziges geeignetes Darstellungsmittel zulassen und dementsprechend die Theorie der Geschichte an der Formulierung von ¹NarrativitaÈtskriterienª festmachen, erweist sich als erforderlich, die Logik der Darstellung von geschichtlicher FaktizitaÈt zu klaÈren. H. versuchte, die Geschichte nicht nur als Darstellung von Fakta aufzufassen, sondern auch ihre ¹begriffene Organisationª zu erschlieûen, die mit einem
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Anspruch auf Wahrheit verbunden ist. Seine Logik der Darstellung bleibt jedoch bei einem Dilemma von einer die Geschichte bestimmenden und einer die Geschichte ¹vernehmendenª Vernunft stehen.
Owsienko, Friedrich G.: Wie ist das VerhaÈltnis von Marxismus und Atheismus heute zu interpretieren? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 239± 246. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Pacho, Julián: Hegels philosophische ¹Umkehrungª des natuÈrlichen Bewuûtseins. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 224±229. H.s BegruÈndung seines philosophischen Vorhabens hebt in der PhaÈnomenologie mit der Position des ,natuÈrlichen Bewuûtseins` an. Doch die Bestimmung des ,natuÈrlichen Bewuûtseins` ist keineswegs eindeutig. Sie faÈllt vielmehr aporetisch aus, da bei H. die Fragen nicht geklaÈrt sind, ob das natuÈrliche Bewuûtsein nur eine Station des Geistes auf dem Weg zum ,wahren Wissen` von sich oder den ganzen Weg darstellt; ob es einen Teil der Darstellung des erscheinenden Wissens oder einen Teil des erscheinenden Wissens selbst bildet.
Pacho, Julián: Wie natuÈrlich darf das philosophische Weltbild sein? Bemerkungen uÈber Hegels ¹natuÈrliches Bewuûtseinª. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 84 ±89. Verf. analysiert H.s Bestimmung des VerhaÈltnisses der philosophischen Wissenschaft zum natuÈrlichen Bewuûtsein. In der ErlaÈuterung des Weges des natuÈrlichen Bewuûtseins in der PhaÈnomenologie, auf dem der Maûstab der Erkenntnis thematisiert und dadurch veraÈndert wird, bestehen bei H. einige Inkonsistenzen der BegruÈndung, die seine Bestimmung des VerhaÈltnisses der Philosophie zum natuÈrlichen Weltbild aporetisch erscheinen lassen.
Pagano, Maurizio: L'eternitaÁ come ricapitolazione del tempo nella prospettiva di Hegel [Die Ewigkeit als Zusammenfassung der Zeit in der Perspektive Hegels]. ± In: Il tempo in questione. Paradigmi della temporalitaÁ nel pensiero occidentale. A cura di L. Ruggiu. Milano 1997. 252± 255. Verf. leugnet auf Grund schon der Jenaer Naturphilosophie, daû bei H. eine Auffassung der Zeit als Reihe von nivellierten ¹Jetztª zu finden sei. Die gegen H.sche TemporalitaÈt gerichtete Kritik Heideggers ist grundlos und vernachlaÈssigt, ihre KomplexitaÈt zu pruÈfen. Die Struktur des Fortschrittes zu dem Ziel als RuÈckschritt zum Ursprung stellt eine ZirkularitaÈt vor, die der Zeit und dem logischen Begriff gemein ist. Die Tilgung der Zeit in den Begriff ist nach dem Verf. als eine innergeschichtliche, begriffliche Zusammenfassung der Zeit zu verstehen, die sich staÈndig der Geschichte oÈffnet.
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Bibliographie
Pantazakos, Panagiotes N.: Das Tragische bei Hegel und Sophokles. [Griechisch.] ± In: Hellenike Philosophike Epitheorese. Athen. 15 (1998), 280± 285. Nach Verf.s Meinung begeht H. einen Fehler, wenn er das Tragische von der griechischen TragoÈdie trennt, und erstellt eine Vision, wenn er es als den tragischen Konflikt von zwei Seiten versteht, die gleicherweise im Recht sind und am Ende in eine totale Harmonisierung aufgehoben werden. H.s Auffassung sei von beschraÈnkter GuÈltigkeit. WaÈhrend H. z. B. die Antigone fortschrittlich zugunsten eher der Sittlichkeit als des Staates interpretiere, sei Sophokles ein konservativer Dichter. Nur einige TragoÈdien von Aeschylos bestaÈtigen H.s Auffassung.
Park, John-Kyu: Hegel und Aristoteles. [Koreanisch.] ± In: HegelYon'gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 424± 441. Verf. stellt in Berufung auf R. Plants Darstellung des H.schen Gesichtspunkts fuÈr die Wirtschaft die Begriffe wie ,Bedarf`, ,Arbeit`, ,TaÈtigkeit` und ,Wechsel` bei Hegel dar. Die Bestimmungen dieser Begriffe werden unter H.s Gedanken uÈber eine sittliche Gemeinschaft gefaût. In Anlehnung an Hayeks Kritik der marxistischen Idee der Gesellschaft sowie an seine Aufwertung der wirtschaftlichen Ordnung (Katalaktik) der griechischen Antike eroÈrtert Verf. È hnlichkeit des H.schen Gedankens einer sittlichen Gemeinschaft mit dem des die strukturelle A Aristoteles`. Daher findet er es sinnvoll, auf Aristoteles zuruÈckzugehen, um H. richtig zu verstehen.
Peperzak, Adriaan: Hegels Pflichten- und Tugendlehre. Eine Analyse und Interpretation der Grundlinien der Philosophie des Rechts (§§ 142±157). ± In: G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 167 ± 191. Peters, John Durham: ¹The Root of Humanityª: Hegel on Communication and Language. ± In: Figuring the Self. Subject, Absolute, and Others in Classical German Philosophy. Ed. by David E. Klemm and GuÈnter ZoÈller. Albany 1997. 227± 244. Mit der Untersuchung der PhaÈnomenologie argumentiert Verf., daû H.s VerstaÈndnis des Selbst und seine Beziehung zu den anderen Selbst uns hilft, den Begriff der Kommunikation neu zu gestalten. Verf. betont H.s Einblicke in die Kommunikation durch H. s Behandlung von Anerkennung und Sprache als Dasein des Geistes in der PhaÈnomenologie (1807).
Petry, Michael John: Der Jenaer Hegel und die Mathematik. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 253± 265. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 183.
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Philipsen, Peter-Ulrich: ¹Die theatralische Exekution ist ein wirklicher PruÈfsteinª. Dramatische RepraÈsentation in der Philosophiegeschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 274± 281. FuÈr das Begreifen der H.schen These von der Aufhebung der Kunst in der Philosophie ist die rhetorische Figur der ,Hypotypose`, d. i. der bildlich-sinnlichen Darstellung eines Nichtsinnlichen, heranzuziehen. Die immanente Dynamik der Kunstentwicklung besteht in der Erreichung einer Form der RepraÈsentation, in der das Medium der RepraÈsentation verschwindet. È bergang von der Mit der restlosen Tilgung der endlichen RepraÈsentation vollzieht sich der U Kunst zur Philosophie.
Pinna, Giovanna: L'estetica. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 201±236. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Pinna, giovanna: Natura e arte negli scritti jenesi di Hegel [Natur und Kunst in Hegels Jenaer Schriften]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 184±195. Verf. analysiert die Begriffe der Kunst und der Natur beim Jenenser Hegel im Vergleich zu Schelling. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161, 164.
Pinto, Valeria: Pensare la rivelazione: la recensione di Hegel all'opera postuma di Solger [Die Offenbarung denken: H.s Besprechung der nachgelassenen Schriften Solgers]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 120±126. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Pippin, Robert: Hegel, Freedom, The Will. The Philosophy of Right (§§ 1 ± 33). ± In: G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 31± 53.
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Bibliographie
Plotnitsky, Arkady: Points and Counterpoints: Between Hegel and Derrida. ± In: Revue Internationale de Philosophie. EÂvry. 3 (1998), N. 205, 451± 476. Verf. behauptet, daû H. eine eigenartige Position in Bezug auf Derrida hat, und zwar nicht nur in Glas, seiner wichtigsten Auseinandersetzung mit H. Derridas Werk uÈberhaupt sei in gewisser Weise mit H. verwebt. Anhand einer geometrischen Metapher wie der des Punkts und des Kontrapunkts versucht Verf. dieses komplexe VerhaÈltnis aufzuzeigen.
Pöggeler, Otto: Hegel und die deutsche Romantik heute. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 345± 256. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 221± 222.
Pöggeler, Otto: Konkurrenz in Sachen Geschichtsphilosophie: Friedrich Schlegel und Hegel. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 165± 183. Pöggeler, Otto: Selbstbewuûtsein als Leitfaden der PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: G.W.F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 129± 141. Porcheddu, Raimondo: L'idea aristotelica di natura nell'interpretazione di Hegel [Die aristotelische Idee der Natur in Hegels Deutung]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 111 ± 133. Pott, Hans-Georg: Die sinnliche Gewiûheit und die Schrift. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegel-Forschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 251± 258. Verf. vertritt die These, H. denke in seiner PhaÈnomenologie ausschlieûlich im Medium der Schrift, die ein (idealisiertes) Allgemeinbewuûtsein ermoÈglicht, indem sie den Ereignischarakter muÈndlicher Kommunikation verdeckt. So versucht Verf. in einer Analyse des Kapitels uÈber die ¹sinnliche Gewiûheitª zu zeigen, daû sich das Allgemeine der ¹Wahrnehmungª nur dann als ihre Wahrheit erweist, wenn ¹Jetztª, ¹Hierª, ¹Ichª und ¹Diesesª als ¹Schriftworteª verstanden werden.
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Powell, Jeffrey: The Encyclopaedia of Madness. ± In: International Studies in Philosophy. Decatur, Ga. 30 (1998), N. 2, 93 ± 109. Obwohl eine positive Bewertung der VerruÈcktheit gewoÈhnlich in starkem Gegensatz zu H.s SystematizitaÈt dargestellt wird, hat H. selbst die VerruÈcktheit innerhalb der Vernunft und die Vernunft innerhalb der VerruÈcktheit betrachtet. In dieser Perspektive analysiert Verf. die Anmerkung H.s zum § 408 der EnzyklopaÈdie. Dabei bezieht er sich auch auf andere Werke H.s, wie die PhaÈnomenologie des Geistes und die PropaÈdeutik von 1808, und auf andere Autoren, wie Descartes, Foucault und Derrida.
Power, Nicholas: The Varieties of Practical Selfhood: An Analysis of Active Reason in Hegel's Phenomenology. ± In: Contemporary Philosophy. Dordrecht [usw.] 19 (1997), N. 3, 29 ± 35. Verf. zeichnet den Gedankengang von Kapitel V., B. der PhaÈnomenologie uÈber ¹Die Verwirklichung des vernuÈnftigen Selbstbewuûtseins durch sich selbstª zu Kapitel C., ¹Die IndividualitaÈt, welche sich an und fuÈr sich selbst reell istª, nach, um die entscheidende Bedeutung dieser Gestalten des Geistes fuÈr die Entwicklung des Selbstbewuûtseins zu erweisen. In H.s halb satirischer, halb ernster Darstellung sieht er keineswegs nur eine Typologie sozialen FehlÈ bergang zur ¹Sittverhaltens oder verfehlter SelbsteinschaÈtzung, sondern den eigentlichen U lichkeitª, insofern hier einerseits die konstitutive Rolle persoÈnlichen Erlebens fuÈr die ethische Erfahrung von Selbst und Welt, andererseits aber dann die Angewiesenheit der IndividualitaÈt auf soziale Interaktion herausgestellt wird.
Price, David W.: Hegel's Intertextual Dialectic: Diderot's Le Neveu de Rameau in the Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 272± 281. Prosch, Michael: The Korporation in Hegel's Interpretation of Civil Society. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 195±207. Puig Peñalosa, Xavier: HistoriciteÂ, symbolisme et sublimite dans L'estheÂtique de Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 270± 273. Verf. hebt als wesentlichen Unterschied zwischen H.s Begriff des Erhabenen und dem eines Burke und Schiller hervor, daû bei H. nicht die Selbsterfahrung des Subjekts im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr die Erfahrung eines ganz Anderen.
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Quante, Michael: ¹Die PersoÈnlichkeit des Willensª als Prinzip des abstrakten Rechts. Eine Analyse der begriffslogischen Struktur der §§ 34± 40 von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts. ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 73 ±94. Racinaro, Roberto: Note sulla storia della filosofia in Hegel [Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie bei H.]. ± In: Filosofia e storia della cultura. Studi in onore di Fulvio Tessitore. Vol. 2: L'etaÁ contemporanea. A cura di G. Cacciatore, M. Martirano, E. Massimilla. Napoli 1997. 525± 535. Verf. untersucht H.s Deutung der Philosophiegeschichte in ihrer Verbindung mit dem UnÈ bergang zu einer neuen Ordnung innerhalb des Prozesses tergang einer Welt und mit dem U einer stetigen VerjuÈngung des Geistes. Die Tradition wird den Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie gemaÈû nicht bloû haushaÈlterisch verwaltet, und das Erbe ist gleichzeitig ein Empfangen und ein Antreten, das die Hinterlassenschaft in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart stets transformiert. Besonders H.s Betonung der Erinnerung wird auch in ihrer Gadamerschen Deutung innerhalb von Wahrheit und Methode praÈsentiert: eigentlich ist es vielmehr die Gegenwart, die unseren Bezug zur Vergangenheit bestimmt und nicht umgekehrt.
Radosavljeviæ, Zoran: The Concept of Time in Hegel's Philosophy. [Serbokroatisch.] ± In: Theoria. Easopis Filozofskogo drustva Srbije. Beograd. 40 (1997), 29 ± 63. In this article, the concept of time within H.'s system is analysed in order to determine whether it is of the fundamental importance for H.'s foundation of philosophy as the Absolute Science. In the first chapter crucial points in the formation this concept in the pre-H.ian philosophy are considered (Aristotle, Kant). In the next one we pass to the immanent analysis of the concept of time and space is first considered; then we expose the thesis that the concept of time is constitutive for H.'s ontology, as H. has given it back its lost substantiality, by identifying it with the becoming (Werden), which is one of the key-terms in H.'s Logic, and which is given the meaning of time-becoming of spirit in H.'s system; and finally, H.'s epochal dialectical identification of the Concept (Begriff) and the Time is pointed out. The last chapter resumes the problems of time and sets them into the wider context.
Rameil, Udo: Die Entstehung der ,enzyklopaÈdischen` PhaÈnomenologie in Hegels propaÈdeutischer Geisteslehre in NuÈrnberg. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 261± 287.
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Rametta, Gaetano: La critica hegeliana a Fichte in Fede e Sapere [Hegels Kritik an Fichte in Glauben und Wissen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 76 ± 82. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Rathmann, János: Gemeinsame ZuÈge in Hegels, Vicos und Herders Geschichtsphilosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 102± 105. Obwohl der Name Vico nicht unmittelbar genannt wird, laÈût sich sein Einfluû in den geÈ berzeugung ausschichtsphilosophischen AnsaÈtzen Herders und H.s. in der gemeinsamen U machen, daû in der Geschichte GesetzmaÈûigkeiten vorherrschen sind, welche sich von denjenigen anderer Wissenschaftsbereichen unterscheiden. Die EigenstaÈndigkeit der Bewegungen auf dem Feld der Geschichte im Unterschied zu denjenigen der Natur, die bei Vico durch die Auffassung begruÈndet wird, daû die SchoÈpfer der Geschichte die Menschen selbst sind, wohingegen Gott als der SchoÈpfer der Natur zu verstehen ist, laÈût sich anhand der H.schen Rede von der ¹List der Vernunftª exemplifizieren. WaÈhrend Herder den spezifischen Charakter des Geschichtsprozesses als nichtlinearen, widerspruchsvollen kulturellen Fortschritt versteht, entwickelt erst H. ein Konzept, welches das ¹begriffliche Instrumentarium der historischen Dialektikª bereitstellt, und die MoÈglichkeit erschlieût, den historischen Wandel in seiner Gesetzlichkeit zu begreifen.
Reid, Jeffrey: Hegel, critique de Solger. Le ProbleÁme de la communication scientifique. ± In: Archives de Philosophie. Paris. 60 (1997), 255± 264. Solger's philosophical failure stems from the form of expression he applies to speculative content. H.'s review of this works attempts to show that the only expression appropriate to speculative truth is a language which is itself the concrete expression of truth.
Reisinger, Peter: Hegels PhaÈnomenologie des Geistes als Theorie der Systemtheorie. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 383±402. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 188.
Reisinger, Peter: Spekulation und Empirie bei Hegel, eine Mesalliance? ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 67 ± 83. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 225.
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Bibliographie
Requate, Angela: Das VerhaÈltnis von Geschichte und Philosophie bei Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 66 ±71. Das VerhaÈltnis von Philosophie und Geschichte bei H. laÈût sich aufgrund der Bestimmungen der Logik, die im Geist ihre Wirklichkeit haben, folgendermaûen darstellen: Philosophie ist transhistorisch als Logik, aber historisch als Erscheinung der absoluten Idee. Die Geschichte ist das Dasein der Idee als Begriff.
Rhee, Kang-Jo: Dialektische Auffassung der geschichtlichen Entwicklung und ihres Grundes. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 92 ±120. Verf. erlaÈutert die geschichtliche Konstellation fuÈr die Entstehung der H.schen Geschichtstheorie, in der die Synthese und Einheit von Freiheit und Notwendigkeit vorausgesetzt ist, und untersucht die Grundlage der MoÈglichkeit solcher Geschichtstheorie in der PhaÈnomenologie des Geistes.
Rhie, Dong-Hie: Hegels VerstaÈndnis des Buddhismus. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 108 ± 141. Verf. analysiert H.s VerstaÈndnis von dem Buddhismus im Hinblick auf drei Punkte: erstens die Stelle des Buddhismus in H.s Religionsphilosophie, zweitens die Konstellation der damaligen Diskussion um die Religion und den Buddhismus und drittens das VerhaÈltnis von H.s Philosophie und ¹Nagarjunaª, die den indischen ¹Mahajanaª-Buddhismus systematisch darstellt, in Anlehnung und Kritik an T. R. V. Murtis Arbeit.
Richard, Ricky G.: Le sens du projet moderne vu a travers Kant et Hegel: la fondation et l'enjeu de la libre subjectiviteÂ. ± In: Carrefour. Ottawa. 20 (1998), 91 ±121. Theories of modernity that fail to take Kant's philosophical insight into account are few and far between. This article examines Kant's moral philosophy as an ongoing legacy perpetuated by Anglo-American commentators who, while disagreeing amongst themselves, ultimately dispel some of the doubts surrounding his practical philosophy. First, three points of contention that could undermine the coherence of Kantian morality are explained. Second, a more specific attack on the supreme moral law does not deter his supporters in any way. (Aus: The Philosopher's Index)
Rinaldi, Giacomo: Die AktualitaÈt von Hegels Logik. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 27 ± 54. Im spekulativen Vernunftbegriff ist die wirkliche AktualitaÈt der Logik zu sehen; er ist der notwendige Gegenbegriff gegen die technische ratio sowie auch gegen den Begriff der menschlichen Entfremdung.
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Ritter, Joachim: Person und Eigentum. Zu Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts (§§ 34± 81). ± In: G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 55± 72. Wiederabdruck des Aufsatzes von 1962. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 7 (1972), 282± 293.
Rockmore, Tom: Hegel and the Social Function of Reason. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 117 ± 143. Rodin, Davor: Die Geschichte und die Geschichte der Philosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 72± 76. Die H.sche Bestimmung des VerhaÈltnisses der Philosophie zu ihrer Geschichte hat ihren Ursprung in der Logik der Schrift. H.s Ausweitung der Logik dieses Mediums zu einer Ontologie ist der Abschluû der Entwicklung von MoÈglichkeiten der Schrift.
È ber zwei Wurzeln der Zeit bei Hegel. ± In: HegelRodin, Davor: U Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 74 ±78. Ausgehend von der These, Zeit und RealitaÈt seien zwei inkommensurable GroÈûen und auf Geschichte und Natur seien zwei verschiedene Zeitbegriffe anzuwenden, analysiert Verf. H.s Kritik an der Kantischen Deutung von Raum und Zeit als Bedingung der MoÈglichkeit von Sinnlichkeit. H. erkennt zwar den Unterschied von Natur- und Geisteszeit an, hebt ihn dann jedoch in der ewigen, zeitlosen Idee auf. GegenuÈber der ¹fiktiven Vereinfachung der KomplexitaÈtª der Problematik durch H. plaÈdiert Verf. fuÈr eine Anerkennung von ¹wenigstensª zwei Wurzeln von Zeit, wobei die erste durch die Entdeckung der Meûbarkeit ¹des Abstandes zwischen zwei aÈuûeren Ereignissenª gegeben ist und die zweite durch die ¹Entdeckung, wie man diese aÈuûeren AbstaÈnde innerlich, d. h. grammatikalisch (sprachlich), unterscheiden und darstellen kann.ª
Rose, Gillian: The comedy of Hegel and the Trauerspiel of Modern Philosophy. ± In: Hegel's Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 105 ±112. Rozenberg, Jacques J.: Physiologie, embryologie et psychopathologie: une mise aÁ l'eÂpreuve de la conceptualite HeÂgeÂlienne. ± In: Archives de Philosophie. Paris. 60 (1997), 243±253. The formulation of H.ian philosophy was contemporaneous with the emergence of biology as a scientific discipline. However, beyond this merely historical convergence, there is the matter of locating the ¹traces of conceptual determinationsª which, in spite of giving form to
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Bibliographie
the thought patterns of biology, have never been recognized as such by the Life Sciences. In order to do this, it is necessary to analyse the examples which H. borrowed from the physiology and embryology of this time by re-situating them within the history of these two disciplines. Finally, this article strongly attempts, in a ¹bio-psychologicalª perspective, to articulate the concept of ¹livingª within the domain of pathology, and more precisely in psychopathology.
Rózsa, Erzsébet: ¹VersoÈhnungª in Hegels Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 140± 144. Der Begriff der ,VersoÈhnung' bildet den konstituierenden Interpretationshorizont der H.schen Auffassung der Geschichte der Philosophie. Demnach ist das gemeinsame Interesse aller Philosophien, die auftretenden theoretischen GegensaÈtze zu versoÈhnen.
Rühling, Frank: Anorganische Natur als Subjekt. Zum Problem des geologischen Organismus in Hegels Jenaer Naturphilosophie. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 359± 366. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 187.
Russon, John Edward: The Metaphysics of Consciousness and the Hermeneutics of Social Life: Hegel's Phenomenological System. ± In: The Southern Journal of Philosophy. Memphis, Tenn. 36 (1998), 81± 101. Verf. analysiert H.s Darstellung der ¹Wahrnehmungª in der PhaÈnomenologie und insbeÈ bergang zwischen ¹Wahrnehmungª und ¹Verstandª mithilfe der Dialektik des sondere den U ¹absoluten VerhaÈltnissesª der Wissenschaft der Logik. Er wendet dann die Ergebnisse dieser Analyse auf unsere philosophische Erfahrung. Daraus wird ersichtlich, daû sich die H.sche Systematik auf eine notwendige Progression metaphysischer sowie historischer Positionen gruÈndet (Aristoteles, Spinoza, Leibniz usw.), die im Sinne eine phaÈnomenologische Progression zu deuten ist.
Russon, John: ¹For Now We See Through a Glass Darklyª: The Systematics of Hegel's Visual Imagery. ± In: Sites of Vision. The Discursive Constitution of Sight in the History of Philosophy. Ed. by D. M. Levin. Cambridge, Mass., London 1997. 197± 239. Zwei einseitige Standpunkte werden dargestellt: der der AufklaÈrung, der an den Verstand und die Logik der Reflexion gebunden ist; und der der sittlichen Substanz, deren Wesen H. zufolge ¹nicht am Tage des Bewuûtseins liegtª. Mit Hinweis auf H.s Religionsphilosophie, zeigt Verf. wie die Spekulation beide Standpunkte in einem geteilten multikulturellen Bewuûtsein aufheben kann.
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Russon, John: Hegel's ,Freedom of Self-Consciousness' and Early Modern Epistemology. ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H. S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 286± 309. Verf. analysiert H.s Darstellung der ¹Freiheit des Selbstbewuûtseinsª in der PhaÈnomenologie, wobei er deren Gestalten auf Positionen neuzeitlicher Epistemologie bezieht. In der Gestalt des ¹ungluÈcklichen Bewuûtseinsª erkennt er den SchluÈssel zu H.s eigener Erkenntnistheorie, die den Rationalismus, Empirismus und transzendentalen Idealismus des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts (d. h. den Gegensatz von transzendentalem und empirischem Ich ebenso wie den Cartesischen Dualismus) uÈberwindet, indem sie die Vernunft als sich selbst bestimmende, sich selbst verkoÈrpernde begreift.
Sagnol, Marc: ¹Der Geist trauert uÈber den Verlust seiner Weltª. È berlegungen zu Hegel und Benjamin. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. BerU lin 1997. 118 ± 123. Verf. stellt die These auf, H. habe die PhaÈnomenologie wie eine Art ¹Trauerspielª im Sinne Walter Benjamins konzipiert und so AnsaÈtze zu einer Theorie der Trauer geliefert, die spaÈter in È sthetik und in der Religionsphilosophie ausgestaltet wird. Demnach verbindet sich fuÈr H. der A Trauer mit der ¹Entzauberung der Weltª durch die Vernunft, was am besten in dem Motiv des È bergang von der Sittlichkeit zum Trauerns des Geistes uÈber den Verlust seiner selbst (z. B. im U seiner selbst entfremdeten Geist und im Gedanken des Todes Gottes) zum Vorschein kommt.
Sallis, John: Bread and Wine. ± In: Philosophy Today. Chicago. 41 (1997), 219± 228. Verf. bezieht sich auf H.s Vorlesungen uÈber Religionsphilosophie (besonders auf das Manuskript fuÈr das Kolleg von 1821) und untersucht H.s Deutung der Kommunion nicht bloû als Zeichen und Symbol der Einheit vom Menschlichen und GoÈttlichen, sondern als deren PraÈsenz selbst: Im Sakrament wird der Bezug zum GoÈttlichen ein sinnlicher Genuû und eine unmittelbare Gewiûheit im Akt des Essens und des Trinkens. Die verschiedenen Deutungen der Kommunion ± sowohl mit Bezug auf die katholische, als auch auf die protestantische Sichtweise ± werden auch in ihren Variationen innerhalb der vier religionsphilosophischen Kollegs beruÈcksichtigt, sowie in ihren Verweisen zur PhaÈnomenologie. Auch auf dem Hintergrund einer Nietzsche oder Derrida LektuÈre wird schlieûlich HoÈlderlins Elegie Brot und Wein besprochen.
Sallis, John: Hegel's Concept of Presentation: Its Determination in the Preface to the Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 25 ± 51. Samona, Leonardo: Atto puro e pensiero nell'interpretazione di Hegel [Reiner Akt und Denken in Hegels Deutung]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 203±252.
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Sandkaulen, Birgit: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770±1831). ± In: Goethe-Handbuch. Hrsg. v. Bernd Witte [u. a.] Bd 4,1. Hrsg. v. H. D. Dahnke und R. Otto. Stuttgart, Weimar 1998. 468± 471. Verf. resuÈmiert die Beziehungen zwischen Goethe und H., ihre BeruÈhrungspunkte und Differenzen, wobei sich ¹in der Tat [. . .] ,UrphaÈnomen' und ,Absolutes', symptomatische Figuren einer natuÈrlichen Welt aÈsthetischer Anschauung und einer geistigen Welt begrifflicher VerÈ bermittlung, nur mit gewitztem Respekt begruÈûen (koÈnnen).ª Beiden gemeinsam sei eine U windung abstrakter Verstandesreflexion.
Savorelli, Alessandro: Spaventa e la via stretta a Spinoza tra Bruno e Hegel [Spaventa und der schmale Weg zu Spinoza zwischen Bruno und H]. ± In: Giornale critico della filosofia italiana. Firenze. 18 (1998), N. 1, 33 ±43. Der Hauptteil des Aufsatzes ist der Diskussion Bertrando Spaventas ,Hegelianismus' gewidmet. Da Spaventa sich innerhalb der italienischen philosophischen Tradition bewegt, ist seine H.-Rezeption von dieser Tradition maûgeblich beeinfluût. Nach dem starken ,Hegelianismus' seiner fruÈhen Jahre wendet sich Spaventa sowohl dem italienischen als auch dem Spinozistischen Pantheismus zu. Giordano Bruno ist daher einmal im Lichte H. gelesen, das andermal dagegen ist er fuÈr sich selbst, frei von der H.schen Dialektik und vielmehr im Lichte Spinozas interpretiert.
È thers und seine philoSchall, Christian: Hegels Begriff des A sophischen Implikationen. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 129± 150 Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 178.
Schelkshorn, Hans: Geschichte aus der Sicht der Marginalisierten. Zur Herausforderung der Geschichtsphilosophie der lateinamerikanischen ¹Philosophie der Befreiungª. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 157±163. In diesem Aufsatz werden einige Grundideen von E. Dussel und L. Zea dargestellt. (Sie sind einige der wichtigsten Vertreter der sogenannten lateinamerikanischen ¹Philosophie der Befreiungª.) Insbesondere werden die Kritik der Moderne, der H.schen ¹universalhistorischen Konzeptionª und des ¹Eurozentrismusª der Geschichtsphilosophie hervorgehoben. Diese Kritik soll in eine Rekonstruktion der eigenen Geschichte im universalhistorischen Rahmen fuÈhren, was eine Reformulierung des humanistischen Geschichtsbegriffs fordert. Ein Vergleich mit einigen Richtungen der aktuellen europaÈischen Philosophie soll das VerstaÈndnis dieser Theorien erleichtern.
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Schick, Friedrike: Die Rolle des GefuÈhls in der Genese des BewuûtÈ berlegungen zu Hegel und Fichte. ± In: Fichte-Studien. Amseins. U sterdam [usw.] 11 (1997), 331± 349. Das GefuÈhl in Fichtes und H.s Philosophie tritt als Element einer Theorie des Bewuûtseins auf. In beiden FaÈllen stellt das Bewuûtsein Aporien, welche die Theorie auf eine urspruÈnglichere Ebene, diejenige der SubjektivitaÈt, zu loÈsen versucht. In H.s Auffassung vermeidet die Unterscheidung, worin das Bewuûtsein besteht, die Schwierigkeit, auf das absolute Ich zu rekurrieren, anders als Fichte. Den beiden Theorien ist die Bewahrung einer Mittelstellung fuÈr die PhaÈnomene des FuÈhlens/Empfindens zwischen dem Bestimmtsein und dem sich bewuût Bestimmen gemein, worin Verf.s Erachtens eines der bewahrenswerten theoretischen Motive ihrer Theorie des GefuÈhls liegt.
Schild, Wolfgang: Der rechte Hegel: ein Rechtshegelianer? Bemerkungen zur Hegelschen Rechtsphilosophie. ± In: ¹. . . ob das alles so stimmt . . .ª Recht und Pluralismus. Hans-Martin Pawloswki zum 65. Geburtstag. Berlin 1997. 179± 216. Verf. will H.s Gedanken als System darstellen, ohne die Frage der Wahrheit an die zugrundeliegende Logik zu stellen. Im Zentrum stehen die Grundlinien der Philosophie des Rechts. Auf den ersten Blick laÈût dieser Text eine rechtshegelianische Deutung zu, wenn H. (Eigentums-)Recht und MoralitaÈt als abstrakte Rechtsformen qualifiziert, wenn H. daruÈber hinaus von einer Gegnerschaft zwischen buÈrgerlicher Gesellschaft und Staat ausgeht und wenn dieser Staat als Natur gedacht wird. Verf. untersucht (II) den Stellenwert der buÈrgerlichen Gesellschaft und macht deutlich, daû die buÈrgerliche Gesellschaft eine notwendige Differenz zu Familie und Staat darstellt. Ausgangspunkt fuÈr die Analyse des Staats als buÈrgerlicher Gesellschaft bildet jene Bestimmung, die der erste und zweite Teil der Grundlinien mit dem Personsein und dem Subjektsein entwickelt. Diese Bestimmungen werden nun hinsichtlich ihres VerhaÈltnisses befragt. Verf. weist hier auf H.s Anm. zu § 209, und die ¹formelle Allgemeinheitª, die dem hier herrschenden Zusammenhang zugrunde liegt. Aus dem Blickwinkel des dritten Teils der Grundlinien erweisen sich Familie und buÈrgerliche Gesellschaft als Gegenbild, ein Gegenbild das die Spannungen im Staat bestimmt. § 535 der EnzyklopaÈdie erlaÈutert die Dialektik dieser beiden Momente in der Formel ¹selbstbewuûte sittliche Substanzª. Abschlieûend klaÈrt Verf. (IV) die Formulierung vom ¹Geist eines Volkesª als die sich wissende Substanz des Staats.
Schirmacher, Wolfgang: Nach dem Weltgericht. Hegel als Philosoph des kuÈnstlichen Lebens. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 289± 295. H.s dialektischer Gerichtshof ist weiterhin offen fuÈr VeraÈnderungen und neue AnfaÈnge, so interpretiert Verf. den Sinn eines Endes der Geschichte nach dem Weltgericht, wobei H. als ein Vordenker unserer Gegenwart gilt. In seiner Rehabilitierung des Anthropomorphen bei der Erzeugung der menschlichen Welt und in der Dialektik der Negation der Negation erweist sich H.s Begriff der Weltgeschichte als dazu faÈhig, nach der Postmoderne eine andere Moderne denken zu koÈnnen, dessen Hauptkonzept des kuÈnstlichen Lebens besonders anhand des Beispiels einer neuzudenkenden und positiv zu bestimmenden Kultur des Todes exemplifiziert wird.
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Bibliographie
Schmidt, Klaus J.: Zum Unterschied zwischen wesenslogischer und seinslogischer Dialektik. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 32± 51. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 177± 178.
Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Die fruÈhen Abweichungen Hegels von der Naturphilosophie Schellings und ihre Folgen fuÈr das absolute System. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 231±249. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 182± 183.
Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Von Sinn und Ende der Geschichte. Fragen an Hegel und Marx angesichts des Exterminismus. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 279± 288. Entgegen der Geschichtsphilosophie H.s, dem es laut Verf. nicht um das ¹Begreifen eines wirklichen Prozessesª, nicht um die ¹menschliche Geschichteª, sondern um das Begreifen der Geschichte im Sinne des Zusichselberkommens des Geistes geht, wendet sich Marx dem Begreifen des Prozesses der Geschichte der Menschen zu. Die Marxsche Geschichtsphilosophie sieht in der revolutionaÈren Befreiung den Beginn einer Geschichte der ¹Bewuûtwerdung der in der Gesellschaft produzierenden Menschen fuÈr ihre die Geschichte gestaltende gesellschaftliche Praxis.ª In Hinsicht auf die heute moÈglich gewordene Selbstvernichtung der Menschheit sieht Verf. weder bei H., dessen ¹Vertrauen in die Weltgeschichte als Fortschritt im Bewuûtsein der Freiheitª angesichts des moÈglichen Menschheitstodes hinfaÈllig geworden sei, noch bei Marx, der glaubte ¹das Bedenken des Absoluten aus der Philosophie streichen zu koÈnnenª, eine Antwort und verweist statt dessen auf Kants Postulat des Daseins Gottes als ¹praktische Voraussetzung, ohne die kein menschliches Handeln denkbar und zu verwirklichen waÈreª, und auf Schellings ¹praxisphilosophische Aussageª, daû der ¹moÈgliche absolute Sinn der unvordenklichen Existenz, d. h. Gott, sich fuÈr uns erst geschichtlich durch unser Handeln erweisen lasse.ª
Schnädelbach, Herbert: Die Verfassung der Freiheit (§§ 272 ±340). ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 243±265. Schneck, Stephen: The Human Sciences and the End of History: Hegel, Nietzsche, Weber, and Foucault. ± In: International Studies in Philosophy. Atlanta. 29 (1997), N. 4, 59 ± 81. Verf. geht von der These aus, daû die im 19. Jahrhundert entstandenen ¹Geisteswissenschaftenª auf der Annahme einer geschichtlichen Ordnung fuûen, die ihren praÈgnantesten Ausdruck in dem H.schen Wort vom ¹Ende der Geschichteª gefunden hat. Der Aufsatz zeigt die Konsequenzen auf, die sich aus der veraÈnderten Geschichtsauffassung F. Nietzsches, M. Webers und vor allem M. Foucaults fuÈr die Geisteswissenschaften ergeben.
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Schneider, Helmut, Waszek, Norbert: Einleitung der Herausgeber: Hegel in der Schweiz. ± In: Hegel in der Schweiz (1793± 1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 3 ± 58. Schondorf, Harald S. J.: The Othering (Becoming Other) and Reconciliation of God in Hegel's Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 375±400. Schulte, Michael: Zur Beziehung von Ethik und TragoÈdienanalyse bei Hegel. ± In: Deutsche Zeitschrift fuÈr Philosophie. Berlin. 45 (1997), 711 ±740. Die Formulierung des Naturrechtsaufsatzes von der ¹TragoÈdie im Sittlichenª wird rekonstruiert. Dabei zeigt sich, daû H.s TragoÈdienkonzeption in auffaÈlliger Weise Kant-Kritik und Theorie der antiken TragoÈdie verbindet. Die Rekonstruktion konzentriert sich auf die relevanten Abschnitte der PhaÈnomenologie des Geistes. Die Kant-Kritik wird am Beispiel der Kantischen Verteidigung des Eigentums verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund der Kant-Kritik zeigt sich die TragoÈdienkonzeption des Kapitels ¹Der wahre Geist. Die Sittlichkeitª als geschichtsphilosophischer Entwurfª, als ¹rechtsphilosophisches Modellª und als ¹Theorie des Handelnsª, ja sie ist, so Verf., ¹Metaphysik, das heiût Philosophie des Handelns uÈberhauptª (725). Abschnitt (III) veranschaulicht abschlieûend diese Thesen an der Hegelschen Interpretation von Antigone und Oidipus tyrannos.
Sciacca, Fabrizio: Welche Freiheit? Zwei Modelle praktischer RationalitaÈt: Hobbes und Hegel. ± In: Archiv fuÈr Rechts- und Sozialphilosophie. Stuttgart. 84 (1998), 377± 382. In modern philosophy of law, it seems even harder to discuss liberty without involving equality. According to the societas naturalis only by submitting the idea of individual liberty and the sovereignty of law. Natural law doctrine entails an intersubjective conception, either founded on ¹forceª, or mediated by ¹spiritª: which leads to prevalence of equality on liberty (Hobbes), or liberty on equality (H.). Hobbes' equality, that is natural law, from H.'s critics takes on the shape of ,natural equality'. In this paper, I emphasize how the problematical evaluation of equality and liberty, in Hobbesian and H.ian state theories is a constitutive (although meaningfully different) element of two main concepts of practical rationality.
Sedgwick, Sally: Metaphysics and Morality in Kant and Hegel. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 37 ± 38 (1998), 1 ±16. Das Ziel des Aufsatzes ist die Herausarbeitung der metaphysischen Grundlagen der H.schen Kritik an der praktischen Philosophie I. Kants, um damit zu beweisen, daû es im Kern der Unterschied zwischen den beiden idealistischen Philosophien (H.s und Kants) ist, der dem Un-
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terschied im VerstaÈndnis der moralischen SubjektivitaÈt und den praktischen Gesetzen zugrundeliegt. Verf. beginnt mit der Analyse der Grundlagen der Moral Kants in der Lehre der Freiheit als absoluter SpontaneitaÈt, um zu zeigen, daû diese eines autonomen Subjektes bedarf, das frei von jeder AbhaÈngigkeit von der empirischen Welt ist (I ± II). Im Folgenden untersucht Verf. die Kritik H.s an den metaphysischen Voraussetzungen Kants als eine Kritik des Kantischen metaphysischen Dualismus von Form und Materie (III) und der HeterogenitaÈt von Natur und Vernunft (V). Abschlieûend vertritt Verf. ausgehend von den Vorlesungen zur Rechtsphilosophie die These, daû sich die Kritik H.s an der Moral Kants durch eine neue Betrachtung der Geschichte rechtfertigt.
Seelmann, Kurt: Hegel und die transzendental-pragmatische LetztÈ bers. von Kim, JoonbegruÈndung am Beispiel der Strafe. [Koreanisch. U Soo] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 359± 374. In der praktischen Philosophie des 17. Jahrhunderts ging es um die Befreiung von dem Selbstwiderspruch, d. h. das sich selbst Treubleiben bei einem Entschluû. In dem Aufsatz stellt Verf. den Selbstwiderspruch selbst in diesem engeren Sinne und zugleich das Argument des Selbstwiderspruchs in der BegruÈndung der staatlichen Strafe dar. In der Mitte seiner Darstellung steht insbesondere H.s Versuch der Rechtfertigung der Strafe durch das Argument des Selbstwiderspruchs. In diesem Versuch H.s findet Verf. den Vorgriff auf die Diskussion, die heute unter dem Motto der ¹transzendental-pragmatischen LetztbegruÈndungª gefuÈhrt wird.
Selinsky, Wladimir K.: Hegel und der Staat des absoluten Subjekts. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 319± 341. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Semplici, Stefano: Storia della filosofia e soggettivitaÁ della religione: l'identitaÁ ¹misticaª di Idee e Wirklichkeit [Geschichte der Philosophie und SubjektivitaÈt der Religion: die ¹mystischeª IdentitaÈt von Idee und Wirklichkeit]. ± In: Il Cannocchiale. Napoli. 1997, N. 1, 113 ±130. Es gibt keine Philosophie und keine Geschichte der Philosophie ohne die Religion und deren Vollendung. Verf. pruÈft diese grundlegende These anhand zweier Hauptpunkte der Geschichte der Philosophie H.s nach: die auf Christus zentrierte Verteilung der Geschichte der Philosophie und die Rolle von Bacon und Jakob BoÈhme als AnkuÈndiger der modernen Philosophie. Die Verbindung zwischen Philosophie und Religion liegt in der Negation der Negation als Bewegung der freien SubjektivitaÈt.
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Serbinenko, Wiatscheslav W.: Hegel und die russische religioÈse Metaphysik. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 163±172. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 219.
Seubold, Günter: Hegels ¹Aufhebungª des Naturrechts. ± In: Archiv fuÈr Rechts- und Sozialphilosophie. Stuttgart. 84 (1998), 326 ±339. H.'s ¹Sublationª of natural law: Even though he retains essential elements of natural law from both antiquity and modernity, H.'s theory of law deals a fatal blow to natural law, be in a classical or modern thought. This essay is an attempt to explicate the internal foundation of this ¹Sublationª; its goal is the H.ian philosophy of law conceived as a radical theory of the will. In this theory, the will is dependent neither upon a desired object, nor upon some notion of ¹natureª. Rather, the H.ian will turns its eye upon itself, thereby making itself fully present to itself. This is the will of ¹infinite greedª. It objectifies everything in the subjective realm and takes possession of everything that has an objective character: He is veritably absolute. After H., theories of law and of natural law can no longer be founded on the notion of an infinite will ± and, yet, neither can they return to a concept of natural law in any traditional sense, as the following article will demonstrate.
Severino, Giulio: Il tempo in Hegel [Die Zeit bei Hegel]. ± In: Il tempo in questione. Paradigmi della temporalitaÁ nel pensiero occidentale. Hrsg. v. L. Ruggiu. Milano 1997. 256± 265. Der Aufsatz behandelt in drei Paragraphen die Zeit in der Natur allgemein, die Zeit im Leben, hauptsaÈchlich im tierischen Organismus, und die Zeit in dem Geist. Die Zeit bildet die Grundstruktur des Geistes, der sich vom tierischen Organismus dadurch differenziert, daû er die natuÈrliche Begierde transzendiert und sich, wenn auch nicht vollstaÈndig, von der Zeit befreit und die Zeit beherrscht. Verf. beachtet aber auch die wichtige Rolle, die das Unbewuûte in H.scher Theorie der Zeit spielt.
Shapiro, Gary: Notes on the Animal Kingdom of the Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 225 ±239. Siemens, Robert: The Problem of Modern Poverty: Significant Congruencies between Hegel's and George's Theoretical Conceptions. ± In: American Journal of Economics and Sociology. New York. 56 (1997), 617± 637. This paper discusses the congruence between H.'s and George's conception of the most pressing problem of modern life: increasing poverty alongside increasing wealth. It also presents H.'s and George's solutions to the problem ± emigration and the land tax, respectively. Secondly the paper considers the generation of an urban rabble by modern society in terms of
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its destabilizing consequences for the relationships among the economy, language, and ethics. The conclusion addresses the insurmountable problem for H.'s system ± the effects of unjust land practices, which were repeated after European colonization of America ± as diagnosed by Henry George.
Siep, Ludwig: Die Bewegung des Anerkennens in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 107± 127. Siep, Ludwig: Vernunftrecht und Rechtsgeschichte. Kontext und Konzept der Grundlinien im Blick auf die Vorrede. ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 5 ±29. Sievers, Kathrin von: Schein oder Nicht-Sein. Eine Lesart des Beginns der Hegelschen Wesenslogik. ± In: Prima Philosophia. Cuxhaven. 11 (1998), 157± 163. Der auftretende Perspektivenwechsel zwischen Seins- und Wesenslogik ist demjenigen der RuÈckwendung des Selbstbewuûtseins von auûen nach innen analog, das die Differenz von Subjekt und Objekt hinterfragt. Die Selbstnegation des Seins faÈllt, obwohl sie das Gegenteil der Selbstreflexion ist, mit dieser zusammen.
Sievers, Kathrin von: Sein? Eine AnnaÈherung an den Anfang von Hegels Wissenschaft der Logik. ± In: Prima philosophia. Cuxhaven, Dartford. 10 (1997), H. 3, 335± 340. Der lt. H. einfache und voraussetzungslose Anfang der Wissenschaft der Logik steht in einem MiûverhaÈltnis zum schwer verstaÈndlichen Text ± zumal dem Einleitungskapitel. Die Behandlung des reinen Denkens als Anfang scheint widerspruÈchlich. Verf. versucht knapp, Themenkreise (Sein, Nichts, Werden) des Kapitels nachzuzeichnen.
Simon, Josef: ¹Zeit in Gedanken erfaûtª. Zum VerhaÈltnis von Begriff und Zeit bei Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 13 ±20. Untersucht wird der Bezug der Philosophie auf die zeitlich verfaûte Wirklichkeit in seinen einzelnen Aspekten, wie das VerhaÈltnis von der Sprache der Philosophie und der geschichtlichen IndividualitaÈt sowie das VerhaÈltnis von Begriff und zeitlichem Werden.
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Skowron, Michael: Unity and Plurality. ± In: Hegel-Yon'gu [HegelStudien]. Seoul. 7 (1997), 163± 196. Verf. haÈlt Einheit und PluralitaÈt fuÈr Hauptthemen der abendlaÈndischen Philosophie. Er betrachtet die verschiedenen Bestimmungen der Einheit und der PluralitaÈt in der philosophischen Geschichte. Dabei exemplifiziert er zunaÈchst die Bestimmung der Einheit in den drei Typen des philosophischen Monismus von Democritus, Platon und Spinoza wie in dem idealistischen Monismus von H. Die PluralitaÈt wird dann als das Wesen der Philosophie Nietzsches bezeichnet, die die Grundlage fuÈr den Beginn des postmodernen Pluralismus bildet.
Smith, John H.: Nietzsche's ¹Will to Powerª: Politics Beyond (Hegelian) Recognition. ± In: New German Critique. New York. 1998, N. 73, 133± 162. Auf der Ebene von (intellektueller) Geschichte, Nietzsches Gelehrsamkeit und philosophischer und politischer Theorie versucht Verf., eine dialektische Beziehung zwischen H. und Nietzsche, Selbstbewuûtsein und Anerkennung sowie Affekt und Differenzierung, Nationalismus und Anti-Nationalismus herzustellen.
Smith, John H.: Sighting the Spirit: The Rhetorical Visions of Geist in Hegel's Encyclopedia. ± In: Sites of Vision. The Discursive Constitution of Sight in the History of Philosophy. Ed. by D. M. Levin. Cambridge, Mass., London 1997. 241± 264. Mit besonderer BeruÈcksichtigung der AusfuÈhrungen in der EnzyklopaÈdie uÈber das ¹SelbstgefuÈhlª (§ 379) und ¹die fuÈhlende Seeleª (§§ 403 ff.), untersucht Verf. H.s Stellung zum sogenannten ¹animalischen Magnetysmusª. H.s Darstellung dieses PhaÈnomens ist ein rhetorisches und ironisches Instrument, um das Spekulative anschaulich zu machen.
Smith, P. Christopher: Hegel, Kierkegaard, and the Problem of Finitude. ± In: Hegel, History, and Interpretation. Ed. by Sh. Gallagher. Albany 1997. 209±226. Snelders, Henricus A. M.: Hegel und der romantische Physiker J. W. Ritter. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 347 ±357. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 185.
Sobotka, Milan: AnfaÈnge von Hegels Geschichtsphilosophie in seinen Jugendschriften. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 79 ±83. Der Ursprung des H.schen GeschichtsverstaÈndnisses liegt in der Auseinandersetzung mit Herder in H.s fruÈhen Manuskripten. Herders Gedanke des Volksgeistes als der Einheit von Sitten, Traditionen und Lebensweisen, sein Gedanke der KomplexitaÈt der menschlichen Kultur
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sowie der Gedanke des Zeitgeistes als Metapher der historischen KontinuitaÈt finden Eingang in die H.sche Konzeption einer Volksreligion.
Sobotka, Milan: PatocÏkas Vorlesung aus dem Jahre 1949 uÈber Hegels ¹PhaÈnomenologie des Geistesª. [Tschechisch.] ± In: Filosoficky Easopis. Praha 45 (1997), N. 2, 845±862. Der Beitrag analysiert die unvollendete Vorlesung von Jan PatocÏka aus dem Sommersemester 1948± 1949 uÈber die H.sche PhaÈnomenologie des Geistes. PatocÏka hat urspruÈnglich gedacht, die ganze PhaÈnomenologie systematisch auszulegen, doch im Sommersemester 1948± 1949 hat er nur bis zum Kapitel Die Verwirklichung des vernuÈnftigen Selbstbewuûtseins vorzudringen vermocht. Das Vorlesungsmanuskript, welches im Archiv von J. PatocÏka in Prag aufbewahrt wird, stellt demnach nur ein Fragment dar. Dessen ungeachtet handelt es sich um einen ungemein interessanten Text, weil er durch die franzoÈsischen existentialistischen Interpreten A. KojeÁve und J. Hyppolite beeinfluût wurde. Von anderen Interpreten hat sich PatocÏka vor allem auf W. Dilthey gestuÈtzt. PatocÏka akzentuierte in seiner Vorlesung vornehmlich das Motiv des endlichen Menschen als eines zerstoÈrerisch-schoÈpferischen Wesens. PatocÏka hatte vor, die PhaÈnomenologie als philosophische Anthropologie und Geschichtsphilosophie zu lesen, deren Sinn nicht im voraus festgesetzt sei, sondern unter hoÈchst dramatischen UmstaÈnden in der Geschichte geschaffen wuÈrde. (Zusammenfassung des Verf.s)
Solowjow, Erich J.: Der Begriff des Rechts bei Hegel und Kant aus der Sicht der Tradition und Gegenwart der russischen Philosophie. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 287± 302. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 220± 221.
Song, Byung-Ok: Zeit und Denken. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 173±211. Es handelt sich in diesem Aufsatz darum, das VerhaÈltnis von Denken, Raum und Zeit darzustellen. Dieses VerhaÈltnis eroÈrtert Verf. insbesondere angesichts der Bestimmung von Kant, Heidegger und H.
Sorondo, Marcelo Sánchez: Hegel: Life between Death and Thought. ± In: Analecta Husserliana. Dordrecht [usw.]. 59 (1998) 189 ± 203. Ausgehend von einer AnnaÈherung zwischen H. und Aristoteles beschreibt Verf. den H.schen Begriff des Lebens. Der wichtigste Punkt dieser AnnaÈherung beider Denker besteht in H.s Anerkennung des griechischen Begriffs der Entelechie, den H. aber in einem weiteren Sinne gebraucht, in dem er nicht nur den Begriff des natuÈrlichen Lebens einschlieût, sondern auch den eigentlichen ¹Gedanken des Gedankensª umfaût. Den unterschiedlichen Aspekten dieses Be-
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griffs des Lebens liegt das gemeinsame Prinzip der Selbst-TaÈtigkeit zugrunde. Diese setzt sich ihr eigenes Ziel und unterscheidet sich dadurch auch von der technischen (poietischen) TaÈtigkeit.
Soual, Philippe: Amour et Croix Chez Hegel.- In: Revue philosophique de la France et de l'EÂtranger. 123 (1998), tome 188, 71 ±96. H., refusing deism and its god of understanding, and pondering anew over the Lutheran theologia crucis, believes that Jesus Christ's death on the cross is the manifestation of the Trinity's divine love within the history in the world. God's eternal life that of the three divine persons embodying gift, the unravelling of ones self and common ecstasy. Now the cross reveals such a love through the kenosis of the son understood both as gift and death of death. Hence, H. strives at thinking not only gods death but, rather, the infinite life of god which is a conquest of its own truth through the trial of the absolute wrench of the abyss of the cross. Such a life becomes, through the experience of the cross, the glory of the love of the Trinity within the realm of the Spirit.
Soual, Philippe: Personne et proprieÂte dans les principes de la philosophie du droit de Hegel. ± In: Archives de Philosophie. Paris. 60 (1997), 217± 241. With respect to the question of property, H. justifies both the concept and institution in a manner which is rational rather than historical or empirical. He considers the principle and the right of the infinitely free person, which he both affirms and guarantees, by employing a conceptual hierarchy, first as spirits right to own its own interior and by extension, the right to own its own body and its life: then, the right to own exterior things. This right is the true principle of the world in its historical, moral and political aspects. H. affirms the absolute right of human being to be a person which entails the inalienable character of personality in all its attributes.
Speight, C. Allen: The Metaphysics of Morals and Hegel's Critique of Kantian Ethics. ± In: History of Philosophy Quarterly. Bowling Green. 14 (1997), N. 4, 379±402. Der Bezug H.s auf Kants Metaphysik der Sitten ist Verf.s Erachtens allgemein vernachlaÈssigt worden, obwohl das Kantische Werk wichtig fuÈr H. in der ersten ebenso wie in der reifen Phase seines Denkens war. Durch eine Analyse von dem Geist des Christentums und der reifen Rechtsphilosophie und durch den Vergleich mit Themen der Kantischen Metaphysik zeigt der Aufsatz, daû beide Philosophen auf eine vollstaÈndige Ethik zielen, die in der Lage sei, Pflichten und Endziele zu verbinden. WaÈhrend es bei Kant eine Trennung zwischen Begierden und vernuÈnftigen GruÈnden im Handeln bleibt, gelingt es H., beide Seiten durch eine Theorie der gesellschaftlichen Artikulation besser zu vermitteln. Es bleibt fraglich, warum gerade die von H. gezeichneten Institutionen entscheidend fuÈr das Handeln in der modernen Welt seien und wie man sie auf die zeitgenoÈssische Gesellschaft uÈbertragen koÈnne.
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Bibliographie
Stanley, John L.: Marx's Critique of Hegel's Philosophy of Nature. ± In: Science and Society. New York. 61 (1997± 1998), 449± 473. Despite the general acceptance of H.'s importance for Marx, virtually no one has paid sufficient attention to Marx's youthful critique of H.'s Philosophy of Nature. Even Alfred Schmidt, whose work refers to the Naturphilosophie most frequently, underestimates its importance in the formulation of Marx's own materialist philosophy of nature and comes close to replicating the very H.ian views that Marx is attacking. Yet the critique of the Naturphilosophie in Marx's Dissertation and the 1844 Manuscripts foreshadows Marx's later stated intention in Capital to turn H. right-side up. It affirms not only a theory of the ontological reality of the material word, but al dialectics of nature whose importance for Marx extends from the Paris Manuscripts to Capital. Marx's Naturphilosophie criticizes H.'s replacement of natural history with a Philosophy of Nature derived from logical categories. It affirms Engels' later view that natural history should be restored by discovering dialectics in nature rather than imposing dialectics on it.
Stefan, Jordan: Hegel und der Historismus. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. Weisser-Lohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 205± 224. Stegmaier, Werner: ¹Denkenª. Interpretation des Denkens in der Moderne. ± In: Studia Philosophica. Basel. 57 (1998), 209± 228. Thinking, which the European tradition took to be the grasping of truth, is itself an object of the interpretation of thinking. Taken in itself, it is necessarily unknown X. Influential modern philosophers first interpreted it by using the main distinctions of Aristotelian metaphysics: Substance and accident (Descartes), form and content (Kant), possibility and actuality (H.). These distinctions should ban the Heraclitean paradox that, if everything always changes, one cannot say anything that does not itself always change, or that truth has also its time and that we are therefore never able ¹to have itª (Nietzsche). But the paradox always returns. The insight into historical boundaries in the thinking of thinking (H.) shows that we are free to think the thinking in this and that way, and that we have to take the responsibility for the use we make of this freedom.
Stegmaier, Werner: Geist. Hegel, Nietzsche und die Gegenwart. ± In: Nietzsche-Studien. Berlin, New York. 26 (1997), 300± 318. Verf. vergleicht den Begriff Geist in H.s und in Nietzsches Denken. Die Untersuchung beginnt mit einem differenzierten Vergleich H.s mit Kant. Es wird besonders der Begriff des Geistes in der PhaÈnomenologie analysiert. ¹Geistª bei H. sei die Bewegung des Begriffs oder besser die Einheit der Begriffe in ihrer Bewegung. In bezug auf die Ethik sei Geist bei H. ferner der ¹Verzicht auf die moralische Diskriminierung anderer Moralen, der Begriff fuÈr einen moralischen Umgang mit Moralª. Aus diesem Grund verbinde ihn H. mit der offenbaren christlichen Religion. Anschlieûend zeigt Verf. Analogien zwischen H.s und Nietzsches Philosophie auf. In Also sprach Zarathustra sei ¹Geistª auch fuÈr Nietzsche der Begriff der Bewegung des Denkens. Der Unterschied zu H. sei, daû Nietzsche sich mit dem Begriff des Geistes auf die Individuen beziehe und diese von der Masse abtrenne, waÈhrend H. sich auf das Allgemeine beziehe. Somit sei der Geist bei H. versoÈhnend und verbindend, bei Nietzsche dagegen vereinzelnd. Verf. fragt sich am Ende, was die Bewegung des Begriffs im Geist fuÈr die Gegenwart bedeutet. H.s und Nietzsches Begriffe vom Geist schienen heute ihre eigene Bedeutung zu verlieren und deshalb
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nicht mehr notwendig zu sein. In der Gegenwart ¹Geistª zu begreifen heiûe, ¹die Orientierung als Orientierung zu begreifenª.
Steinbrenner, Jakob: The Unimaginable. ± In: History and Theory. Studies in the Philosophy of History. Middletown, Conn. 37 (1998), 115 ±126. Arthur Danto advocates the thesis that we cannot imagine the art of artwork of the future. This thesis is motivated primarily by his H.ian conception of history and secondarily by his holistic conception of art, which is informed by Wittgenstein. A first glance the thesis seems to conflict with Dantos solution to this problem is not very convincing. A more promising approach can be found in Kant's aesthetics and especially in his concept of genius.
Stepelevich, Lawrence S.: Hegel's Geometric Theory. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 71± 95. È ber den Stewart, Jon: Hegel und die Ironiethese. Zu Kierkegaards U Begriff der Ironie. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 157± 181. È ber den Begriff der Ironie nur als ein von H. Entgegen Thulstrups Behauptung zeigt Verf., wie U inspirierter Text und keineswegs als ein ironisches Vorgehen gegen ihn gelesen werden kann.
Stewart, Jon: The Architectonic of Hegel's Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 444± 477. Summerell, Orrin F.: Thinking the History of Philosophy While Rethinking the Destiny of the Same: Hegel and Heidegger. ± In: HegelJahrbuch 1997. Berlin 1998. 96 ±100. Verf. diskutiert die bei H. und Heidegger unterschiedlich beantwortete programmatische Frage, ob die Philosophie im Subjekt den SchluÈssel zu ihrem Schicksal hat oder ob sie im Sein ihren vorbestimmten Weg findet: An die Stelle der H.schen Hypothese eines Vordenkens des Denkens im Sein trete bei Heidegger die des Denkens als Nachdenken des Seins.
Sünkel, Wolfgang: Geschichte der Philosophie als PaÈdeutik des Denkens. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 125± 128. Sofern die Philosophie ihre eigene Geschichte thematisiert (wie erstmals durch H. geschehen), erweist sie sich als eine vermittelnde und aneignende TaÈtigkeit des Denkens in bezug auf sich selbst.
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Bibliographie
Takeshima, Ayumi: Erkennen die Gewissen einander an? Hegels Lehre vom Gewissen in der PhaÈnomenologie des Geistes. [Japanisch.] ± In: Journal of the Faculty of Letters Okayama University. Okayama, Japan. 29 (1998), 29 ±39. H. sieht in der Beziehung zwischen zwei Gewissen einen Anerkennungsprozeû. Am Ende dieses Prozesses fuÈhrt H. ein anderes Prinzip, naÈmlich die VersoÈhnung ein, um die Grenze der Anerkennung zu uÈberwinden. Die Problematik dieser Strategie wird von Verf. aufgezeigt.
Takeshima, Ayumi: Vereinigt sich die VersoÈhnung mit der VersoÈhnung? Die offenbare Religion und das absolute Wissen in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. [Japanisch.] ± In: Journal of the Faculty of Letters Okayama University. Okayama, Japan. 30 (1998), 55 ±65. Verf. will zeigen, daû H. in den zwei letzten Kapiteln der PhaÈnomenologie des Geistes die Verwirklichung der VersoÈhnung darstellt, daû aber in dieser Darstellung ein strukturelles Problem existiert. Verf. behauptet, daû die Beziehung zwischen der VersoÈhnung und der Anerkennung in den beiden Kapiteln unterschiedlich verstanden wird, und daû diese Inkonsequenz in der PhaÈnomenologie eine Ursache der MiûverstaÈndlichkeit ihrer Grundstruktur ist.
È berlegungen zum ¹Begriffª in Hegels BeTakeshima, Naohito: U griffslogik. [Japanisch.] ± In: Risoà [Das Ideal]. Tokyo. 1997, N. 660, 35 ± 52. In diesem Aufsatz gibt Verf. angesichts konkreter einzelnen Aspekte dem ¹Begriffª eine sachliche ErklaÈrung und sucht die Bedingungen der MoÈglichkeit seines Verstehens. Dann versucht er zu zeigen, daû eine davon, naÈmlich die Beziehung des ¹Begriffsª auf die Auûenwelt, eine nicht nur epistemologische sondern auch logische und ontologische Voraussetzung des Bestehens des ¹Begriffsª ist.
Tetaz, Jean-Marc: Protestantisme et moderniteÂ: Perspectives systeÂmatiques et constellations historiques. ± In: Revue de theÂologie et de philosophie. Genf. 130 (1998), 121±149. Die europaÈische AufklaÈrung zieht eine doppelte Verschiebung der soziokulturellen Rahmenbedingungen, in die sich das Christentum einfuÈgt, nach sich: Die rationale Religionskritik und die Privatisierung des Glaubens fuÈhren zu einem Prozeû der SaÈkularisation, auf den das Christentum reagieren muû. Um dies zu leisten, entwickelt der Protestantismus eine Theorie des Christentums, deren Paradigmen Kant, Schleiermacher und H. formulieren. Dank der selektiven AnknuÈpfung an diese drei Denker waÈhrend des 19. und des 20. Jahrhunderts verortet sich der deutsche Protestantismus in der modernen Welt, indem er sich darum bemuÈht, die soziokulturellen SphaÈren zu bestimmen, die es ihm erlauben, das Thema in den Mittelpunkt zu stellen, in dem sowohl seine theologische Wahrheit als auch seine soziokulturelle Relevanz zum Ausdruck kommt ± das Thema der Freiheit. Dieser theoretische Rahmen erlaubt es, die oft undeutlichen Konzepte der liberalen Theologie, des ,Kulturprotestantismus' sowie des Neoprotestantismus offen zu legen.
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Tilliette, Xavier: Hegel et l'intuition intellectuelle. ± In: Studia hermeneutica. Zagreb, Mainz. 3 (1997), 129± 142. Nach einer Erfolgsperiode am Ende des 18. Jahrhunderts erlebt der philosophische Begriff der intellektuellen Anschauung mit H. (besonders im Vorwort der PhaÈnomenologie) eine wirkungsmaÈchtige Krise, obwohl H. selbst in einer fruÈheren, von HoÈlderlin beeinfluûten Phase seines philosophischen Werdens ein poetisierendes Denken entworfen hatte und etwa in der Elegie Eleusis sogar eine Hymne an die intellektuelle Anschauung geschrieben hatte. Auch die sogenannten Theologischen Jugendschriften weisen in ihrem Rekurs auf die sinnliche oder schoÈne Empfindung mystische ZuÈge auf, in denen ein HoÈlderlinscher Reflex und eine Auseinandersetzung mit der Problematik der intellektuellen Anschauung wiederzuerkennen ist. In einem zweiten Schritt analysiert Verf. die Ergebnisse des symphilosophein von H. und Schelling in Jena, wobei H. zwar auf die Verwandtschaft zwischen intellektueller (oder transzendentaler) Anschauung und Spekulation verweist (Differenzschrift), wohl aber bei Beibehaltung einer eher kritischen Einstellung (besonders in Glauben und Wissen und in der sogenannten Realphilosophie). Mittel der Philosophie ist bekanntlich dem Vorwort der PhaÈnomenologie gemaÈû die Geduld des Begriffes, der nicht anschauend ist; solche entschiedene Stellungnahmen gegen die ZentralitaÈt der intellektuellen Anschauung werden auch in dem Schelling gewidmeten Kapitel der Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie wiederholt.
È ber das VerhaÈltnis von Herz und Vernunft im Denken Trawny, Peter: U Kants und Hegels. Anmerkungen zu einer Metapher. ± In: Kant-Studien, 89 (1998), 318± 334. Wie soll das Heideggersche Wort verstanden werden, ¹das Metaphorische gebe es nur innerhalb der Metaphysikª? AnlaÈûlich einer grundlegenden Analyse der Metapher des Herzens und dabei des Unterschiedes von Leib und Geist bei Kant und H. zieht Verf. den Schluû, daû wir in unserer nach-metaphysischen Zeit das Metaphorische nicht bloû verabschieden koÈnnen und der Gegensatz zwischen Leib und Geist in Wahrheit keiner ist.
Trincia, francesco saverio: De Negri, Heidegger e lo Hegel di Jena [De Negri, Heidegger und der Jenenser Hegel]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 91 ± 105. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Tschurenev, Eva-Maria: Deus sive natura sive historia? Zum VerhaÈltnis von Natur und Geschichte bei Hegel. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 90 ±94. Verf. geht es um die Herausstellung der Bedeutung der H.schen Naturphilosophie ± deren È bergaÈngen ± fuÈr den Bereich der Geschichte ansatzweise Akzentuierung von Prozessen und U und der SphaÈre des Geistes anhand des Lebensbegriffs beim fruÈhen H. und der Aufhebung der Natur ins Recht im Staat in der Geschichtsphilosophie. Die Vernunft der Geistesphilosophie ziele auf eine ¹VersoÈhnung mit der Naturª.
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Bibliographie
Tschurenev, Eva-Maria: Hegels Abwehr der Totalisierung des Galvanismus bei Ritter. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 319± 345. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 184± 185.
Tudor, H.: Comment. RuÈdiger Bubner: ¹Hegel's Concept of Phenomenologyª. ± In: Hegel's Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 53 ±55. Tunick, Marc: Hegel on Justified Disobedience. ± In: Political Theory. Beverly Hills, Calif. 26 (1998), N. 4, 514± 535. Verf.s Auseinandersetzung mit der H.-Literatur endet mit der Ansicht, daû die in H.s Grundlinien der Philosophie des Rechts dargestellte politische Theorie doch Raum fuÈr einen Begriff der ¹justified disobedienceª macht. Nach H. muû der BuÈrger den Staatsgesetzen wegen ihrer VernuÈnftigkeit gehorchen. Wenn aber diese Gesetze und Institutionen ihre RationalitaÈt verlieren, dann ist der BuÈrger gerechtfertigt, Widerstand zu leisten.
Tuschling, Burkhard: Natur und Geist im Jenaer Systementwurf I. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 71 ±83. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 180.
Tuschling, Burkhard: Objektiver Geist: Kapital. Dialektik bei Hegel, Dialektik bei Marx. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 193± 221. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 223± 224.
Valenza, Pierluigi: La Filosofia e la religione nella storia. Astoricita e storicita della filosofia nella prima concezione jenese di Hegel della storia della filosofia [Philosophie und Religion in der Geschichte. Nicht-Geschichtlichkeit und Geschichtlichkeit der Philosophie in der ersten Jenaer Konzeption der Philosophiegeschichte]. ± In: Il Cannocchiale. Napoli. 1997, N. 1, 67 ±94. Verf. betrachtet das in der H. Forschung bekannte Thema der Beziehung von Philosophie und Geschichte beim jungen H. sowohl in Hinsicht auf die Geschichte der Philosophie als auch mit Blick auf die Rolle der Philosophie in der Weltgeschichte. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf eine endguÈltige Antwort auf die Frage, ob der junge H. bereits die Geschichte der Philosophie problematisiert hatte. Verf. verweist jedoch auf einige besondere Gestaltungen der
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Philosophie, die als eine philosophiegeschichtliche Reihe interpretiert werden koÈnnen. Unter diesem Gesichtspunkt gelten die philosophiehistorische Kritik der Differenzschrift, die Gestalt des Sokrates und die Anerkennung der Entwicklung der antiken Ontologie durch H. als Beispiele fuÈr dessen Auffassung von der Geschichtlichkeit der einheitlichen Wahrheit der Philosophie.
Valenza, Pierluigi: La serietaÁ tragica della religione [Der tragische Ernst der Religion]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 313± 329. Verf. untersucht die Bedeutsamkeit des Tragischen bei H. im Hinblick auf zwei Schriften. Erstens analysiert er den Tod Gottes in Glauben und Wissen, zweitens die TraÈgodie im Sittlichen im Naturrechtsaufsatz. In diesen Schriften lasse sich eine Entwicklung des Begriffs der Freiheit beobachten, die Verf. auch mit H.s Kritik an Jacobi und an Schleiermacher in Beziehung setzt. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
Valls Plana, Ramón: Sociedad civil y estado en la filosofõÂa del derecho de Hegel [BuÈrgerliche Gesellschaft und Staat in der Rechtsphilosophie Hegel]. ± In: ToÂpicos. Revista de FilosofõÂa de Santa Fe (Argentina). 5 (1997), 3± 27. In drei AnnaÈhrungen stellt Verf. die H.schen Theorien der buÈrgerlichen Gesellschaft und des Staates dar, wobei die staatliche Allgemeinheit gegenuÈber der gesellschaftlichen Besonderheit hervorgehoben und ausfuÈhrlich behandelt wird. (Fortsetzung der Abhandlung in: 6 [1998], 115±140).
Varnier, Giuseppe: Hegel era cartesiano? Su Fede e sapere, le Lezioni sulla storia della filosofia e l'Enciclopedia [War Hegel ein Cartesianer? È ber Glauben und Wissen, die Vorlesungen uÈber die Geschichte der U Philosophie und die EnzyklopaÈdie]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 29 ±54. Verf. behandelt die These, daû H. zwar nicht am Anfang Cartesianer gewesen, aber spaÈter Cartesianer geworden sei, und daû Glauben und Wissen eine wichtige Rolle in dieser Wandlung H.s spiele. Die vernuÈnftige und objektive Ontologie H.s beginne zwischen 1803/1804. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161± 162.
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Bibliographie
Varnier, Giuseppe: Naturphilosophie, IdentitaÈtsphilosophie, vernichtende Logik. Natur und Geist beim Jenaer Hegel. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 57 ±70. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 180.
Vaz, Henrique C. de Lima: Da CieÃncia da LoÂgica aÁ Filosofia da Natureza: Estrutura do Sistema Hegeliano [Von der Wissenschaft der Logik zur Philosophie der Natur: Struktur des H.schen Systems]. ± In: Kriterion. Revista de Filosofia. Belo Horizonte. 38 (96) (1997), 33± 48. Verf. versucht die Verbindung zwischen dem letzten Teil der Logik und dem Anfang der Naturphilosophie im H.schen System zu verstehen. Verf. untersucht einige Aspekte der Rezeption dieses Problems und die Kritiken von F.W.J. Schelling, K. Marx und A. Trendelenburg zum Begriff der EntaÈuûerung in der Naturphilosophie, entsprechend der Formel von H. in der EnzyklopaÈdie. Aus den Paragraphen 243 ±244 der EnzyklopaÈdie von 1830 schlieût Verf., daû der È bergang von der Logik zur Naturphilosophie einer logisch internen Bewegung entspricht, U und nicht der reinen GegenuÈberstellung von zwei sich gegenseitig ausschlieûenden BloÈcken. Aufgrund der Tatsache, daû es H.s Absicht war, die Realphilosophien innerhalb einer logischen Struktur zu verstehen, war es ihm noÈtig aufzuzeigen, wie die Natur sich nur ausgehend von der Logik in ihrer Wirklichkeit und im VerstaÈndnis ihrer selbst sich offenbaren kann. So fuÈgt sich die Idee nicht an ein vollkommen fremdes Wesen an, sondern sie ist die eigentliche Bedingung fuÈr das VerstaÈndnis der realen Substanz. Deshalb betrachtet Verf. die traditionellen Kritiken an È bergangs von der Logik zur Naturphilosophie als unbegruÈndet. der H.schen Sicht des U
Verene, Donald Phillip: Hegel's Nature. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 209± 225. Verharen, Charles C.: ¹The New World and the Dreams to Which it May Give Riseª. An African and American Response to Hegel's Challenge. ± In: Journal of Black Studies. Thousand Oaks, Ca. 27 (1997), N. 4, 456± 493. Verf. untersucht zunaÈchst H.s Rechtfertigung der Versklavung und Kolonialisierung Afrikas in der Philosophie der Weltgeschichte und thematisiert insbesondere H.s Behandlung der afrikaÈ gyptens), sodann betrachtet er die H.-Kritik des senischen Geschichte und Kultur (z. B. A negalesischen Philosophen Cheikh Anta Diop (in Civilization or Barbarism: An Authentic Anthropology), schlieûlich beruÈcksichtigt er einige afrikanische und afroamerikanische zeitgenoÈssische philosophische Perspektiven, welche Antworten auf H.s Aufforderung geben (z. B. in dem Vorschlag einer ¹Afrocentricityª, etwa in den Schriften von M. Karenga, M. K. Asante, W. E. B. Du Bois, A. Locke). Amerika als Land der Zukunft erweist sich als solches gerade auch in der Aufarbeitung der afrikanischen Vergangenheit, welche aber gar nicht ± wie bei H. ± vergangenheitslos ist.
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Vernes, Paul-Monique: Hegel: libeÂration formelle et ineÂgalite dans la socieÂte civile bourgeoise. ± In: Dialogue. Kingston, Ont. 37 (1998), 693 ± 702. This article aims to show that, in the course of his analysis of Bourgeois Civil Society, H. formulates a philosophical theory of British society as it had been already described by A. Smith, and thereby anticipates our present ¹dualª societies which can be characterized by luxury and poverty. The Bourgeois Civil Society is seen as a necessary economical stage in the progressive satisfaction of social needs, but also as an insufficient one insofar as the abstract parallel sophistication of the needs themselves generates a plebeian class as a residue of the civil society which cannot eliminated through colonial expansion.
Verra, Valerio: G. W. Hegel: Filosofia moderna e riflessione in Glauben und Wissen. [Hegel: Moderne Philosophie und Reflexion in Glauben und Wissen]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 17 ±28. Analysiert wird vor allem die Beziehung zwischen dem Begriff des Protestantismus und H.s Kritik an Kant, Fichte und besonders Jacobi in Glauben und Wissen. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 160.
Verra, Valerio: La filosofia della natura. ± In: Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica, Religione, Storia. A cura di Claudio Cesa. Roma, Bari 1997. 83± 122. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 170± 174.
Vetö, Miklos: La ruse de la raison: TheÂorie de la connaissance et philosophie de l'histoire. ± In: Hegel-Studien. Bonn. 33 (1998), 177±190. Vieillard-Baron, Jean-Louis: Natural Religion: An Investigation of Hegel's Phenomenology of Spirit. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 351±376. Vieweg, Klaus: ¹daû mir Jena in den meisten StuÈcken gefaÈlltª. Briefe von Janos Samuel Dianovsky an Karl Georg Rumy aus den Jahren 1801 bis 1803. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 15 ±24. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 177.
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Bibliographie
Vieweg, Klaus: Die Jenenser Confusion. Philosophische Konstellationen waÈhrend Hegels ersten Jenaer Jahren. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 39± 55. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 177± 178.
Vieweg, Klaus: Prooemium in Plotinum ± Renaissance-Neuplatonismus und die indirekte Plotin-Rezeption beim jungen Hegel. ± In: Italienbeziehungen des klassischen Weimar. Hrsg. v. K. Manger. TuÈbingen 1997. (Reihe der Villa Vigoni. 11.) 197± 214. Konstitutiv fuÈr die Genese der H.schen Philosophie sei das ¹Gewicht neuplatonischer Denkmusterª. Vermittelte wie indirekte Rezeptionslinien werden hierbei skizziert, die den Gedanken von Proklos und Plotin in Philosophiegeschichten (D. Tiedemann, W. G. Tennemann) nachgeht und die Platon- und Plotin-Interpretationen und die All-Einheits- und Emanationslehre im Renaissance-Platonismus M. Ficinos, bei Leone Lebreo, in Jacobis Spinoza-Buch und seiner Darstellung G. Brunos und im ¹aÈsthetischen Platonismusª um 1800 erwaÈhnen. Verf. diskutiert diese Linien (mit Stichworten wie: Enthusiasmus und Ekstasis vs. reines Denken; Metaphysik der SchoÈnheit; Harmoniegedanke, das GoÈttliche als Geist im absoluten Idealismus) vor allem fuÈr die Frankfurter, Jenaer und Berliner Zeit H.s unter BeruÈcksichtigung dessen sich aÈndernden Denkens.
Villacanas, José L.: Hegel e la somma improbabilitaÁ della Teodicea [Hegel und die hoÈchste Unwahrscheinlichkeit der Theodizee]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 498± 514. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 162.
Vitiello, Vincenzo: Die Zeit der Philosophie und die Zeit der Geschichte. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 55 ±59. Ausgehend von der kritischen Analyse der oÈkonomischen Methode von K. Marx unternimmt Verf. eine KlaÈrung des VerhaÈltnisses zwischen der begrifflichen Auffassung der Zeit der Wissenschaft und der geschichtlichen Zeit des Individuums. Im Lichte dieser Unterscheidung wird das VerstaÈndnis von Zeit in der H.schen Dialektik erlaÈutert.
Wahsner, Renate: Hegels spekulativer Geozentrismus. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 299± 308. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 186.
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Walker, Nicholas: Hegel's Encounter with the Christian Tradition, or How Theological Are Hegel's Early Theological Writings? ± In: Hegel and the Tradition. Essays in Honour of H.S. Harris. Ed. by M. Baur, J. Russon. Toronto [usw.] 1997. 190 ±211. Verf. bespricht hauptsaÈchlich Texte aus dem Geist des Christentums und zieht daraus die Folge, daû schon darin die fundamentale Tendenz H.s Philosophie zu finden ist, den Geist zum SchluÈsselwort fuÈr eine philosophische Deutung der Erfahrung zu erheben. Im Gegensatz zu Kant meint H., die Glaubensgeheimnisse durch die Philosophie ganz erleuchten und deren Sinn in einer Auffassung der interpersonalen und intersubjektiven Beziehungen erschoÈpfen zu koÈnnen. In den Frankfurter Handschriften kuÈndigt sich also ein anfaÈnglicher Atheismus an, der niemals in H.s Denken fallen wird.
Wandschneider, Dieter: Die phaÈnomenologische AufloÈsung des Induktionsproblems im szientistischen Idealismus der ,beobachtenden Vernunft'. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 369±382. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 187± 188.
Wandschneider, Dieter: LetztbegruÈndung und Dialektik. [KoreaÈ bers. von Hae-Yong Park] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. nisch. U Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 255± 278. Verf. weist darauf hin, daû der auf der Tradition basierenden Logik die grundlogischen Bedingungen zugrundeliegen, daû die Logik als die Grundbasis fuÈr eine logische Konstruktion uÈberhaupt, die diese letztbegruÈnden kann, gelten muû. Hier laÈût sich dann fragen, was die Grundlogik ist. Die MoÈglichkeit fuÈr die Beantwortung dieser Frage findet Verf. in der Methode der ErlaÈuterung des Ichs, naÈmlich in der Form der dialektischen Logik H.s.
Wandschneider, Dieter: Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung. ± In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. v. D. Wandschneider. Bonn 1997. 114 ± 163. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 176.
Waszek, Norbert: ¹L'animo di salvare l'uomoª. Sul commentario di Hegel a James Steuart andato perduto [¹Das GemuÈth des Menschen rettenª. Zu Hegels verschollenem Kommentar uÈber James Steuart]. ± In: Fede e Sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel [Glauben und Wissen. Die Entstehung des Denkens des jungen Hegel]. A cura di R. Bonito Oliva, G. Cantillo. Milano 1998. 141± 156. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 161.
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Bibliographie
Waszek, Norbert: David Hume als Historiker und die AnfaÈnge der Hegelschen Geschichtsphilosophie. ± In: Hegel in der Schweiz (1793± 1796). Hrsg. v. H. Schneider, N. Waszek. Frankfurt a. M. [usw.] 1997. (Hegeliana. Bd 8.) 173±206. Waszek, Norbert: Gans' Erbrecht als rechtshistorische Anwendung der Hegelschen Geschichtsphilosophie und im Kontext des rechtswissenschaftlichen Methodenstreits seiner Zeit. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. WeisserLohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 185 ± 203. Weisser-Lohmann, Elisabeth: Reformation und Friedrich II. in den geschichtsphilosophischen Vorlesungen Hegels. ± In: Hegels Vorlesungen uÈber die Philosophie der Weltgeschichte. Hrsg. v. E. WeisserLohmann und D. KoÈhler. Bonn 1998. (Hegel-Studien. Beiheft 38.) 95 ± 121. Weisser-Lohmann, Elisabeth: Gestalten nicht des Bewuûtseins, sonÈ berlegungen zum Geist-Kapitel der PhaÈnomenologie dern einer Welt. U des Geistes. ± In: G. W. F. Hegel: PhaÈnomenologie des Geistes. Hrsg. v. D. KoÈhler und O. PoÈggeler. Berlin 1998. (Klassiker Auslegen. Bd 16.) 183± 207. Wenzel, Uwe Justus: Spiegelfechterei? Einige EinwaÈnde gegen LeÂvinas' Kritik des Prinzips ,Anerkennung'. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 220± 227. Verf. zeigt, wie Levinas den H.schen Begriff der ¹Anerkennungª als ein Prinzip der interpersonalen Symmetrie interpretiert und kritisiert, indem er sich auf die Asymmetrie der ethischen Beziehung zum Anderen beruft. Gegen diese Kritik wendet Verf. insbesondere ein, daû auch die gegenseitige Anerkennung nach H. kein ¹Spiegelspielª, sondern vielmehr ein Prinzip radikaler AlteritaÈt und der ¹Nicht-Indifferenzª ist, insofern sich die Individuen hier nur darin gleich sind, daû sie wechselseitig die Asymmetrie ihrer Beziehungen anerkennen. DaruÈber hinaus legt Verf. in Levinas' eigener PhaÈnomenologie des Antlitzes (in TotalitaÈt und Unendlichkeit) eine ¹anerkennungstheoretische Grundschichtª frei und stellt damit den von Levinas postulierten Primat der Ethik gegenuÈber Ontologie und Politik in Frage.
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Westphal, Kenneth R.: Hegel and Hume on Perception and ConceptEmpiricism. ± In: Journal of the History of Philosophy. St. Louis. 36 (1998), 99± 123. Verf. eroÈrtert die H.sche Rezeption des skeptischen Problems uÈber die Einheit des Gegenstandes und die PluralitaÈt seiner PraÈdikate, wie sie Hume im Treatise of Human Nature (I. iv § 2) dargelegt hat. H. hat sich mit diesem Problem seit dem Frankfurter Fragment Glauben ist die Art auseinandergesetzt, weiter 1801/02 und spaÈter auch in dem Kapitel Wahrnehmung seiner PhaÈnomenologie. Die LektuÈre des Treatise, von H. 1804 wieder aufgenommen, hatte entscheidenden Einfluû bei der Aufstellung seiner These uÈber die TaÈuschung in der PhaÈnomenologie des Geistes. H. kannte Humes Rezeption in Deutschland (Schulze, Reinhold, Maimon) sowie die Kantische LoÈsung des skeptischen Arguments bezuÈglich der Existenz der Substanz des Gegenstandes. Die von H. in der PhaÈnomenologie des Geistes fuÈr das Problem gefundene LoÈsung besteht in der Verteidigung der Ansicht, wonach das sinnliche Erkennen nicht einfach passiv ist; durch die TaÈtigkeit des Erkennens ergibt sich die Integration der Eigenschaften des physischen Gegenstands in seine Einheit. Die weiteren Probleme des vollstaÈndigen skeptischen Arguments Humes muÈssen von diesem Standpunkt aus analysiert werden.
Westphal, Kenneth R.: Hegel, Formalism, and Robert Turner's ceramic Art. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 259± 283. H.s Auffassung, daû die Kunst Form und Inhalt integriere, wird am Werk Robert Turners exemplifiziert. Dies verbindet formale mit materialen und funktionalen Elementen und suggeriert also, daû das Spezimen der zeitgenoÈssischen Kunst nicht unter das Verdikt des Todes der Kunst falle.
Westphal, Kenneth R.: Hegel, Harris, and the Spirit of the Phenomenology. ± In: Clio. Fort Wayne, Ind. 27 (1998), 551 ±572. Dieser Aufsatz kann als eine Rezension von Harris' Hegel's Ladder gelesen werden. Wenn das Werk als eine hervorragende Rekonstruktion von H.s Kulturkritik angesehen werden soll, kann man nur bedauern, daû Harris sowohl die wichtige Rolle von Hume in H.s Behandlung der Wahrnehmung als auch die H.sche Kritik an Kantischer Moral vernachlaÈssigt.
Westphal, Kenneth R.: Hegel, Philosophy, and Mathematical Physics. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 36 (1997), Fall-Winter, 1 ±15. I argue that H.'s ontology and theory of knowledge (in the Phenomenology, the Logic and the Encyclopedia) have been seriously misunderstood by persistent disregard or misunderstanding of H.'s view of natural science and its relation to philosophy. The newly published lectures by H.'s professor of mathematical physics, C. F. Pfleiderer, provide the necessary key for understanding H.'s phenomenological account of laws of nature, which purports to provide genuine comprehension of natural phenomena through a sophisticated regularity account of causal laws. This view bring into focus H.'s life-long interest in modern science, his nonreductive naturalism and his regressive, quasi-transcendental argumentative strategies. (Aus: The Philosopher's Index)
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Bibliographie
Westphal, Kenneth R.: Hegel's Solution to the Dilemma of the Criterion. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 76± 101. Westphal, Kenneth R.: On Hegel's Early Critique of Kant's Metaphysical Foundations of Natural Science. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 137± 166. Westphal, Kenneth: Comment. Harris: ¹Hegel, and the Truth about Truthª. ± In: Hegel's Phenomenology of Spirit: A Reappraisal. Ed. by Gary K. Browning. Dordrecht [usw.] 1997. 23 ±29. Westphal, Merold: Hegel and Family Values. ± In: In the Socratic Tradition. Essays on Teaching Philosophy. Ed. by Tziporah Kasachkoff. Lanham, [usw.]. 1998. 209± 213. Westphal describes two strategic moves he uses in teaching H.'s Philosophy of right. He explains the way in which these moves illuminate H.'s views, and the advantages of presenting H.'s political philosophy in this way.
Westphal, Merold: Hegel's Phenomenology of Perception. ± In: The Phenomenology of Spirit. Reader. Critical and interpretative Essays. Ed. by J. Stewart. Albany 1998. 122 ±137. Westphal, Merold: Kierkegaard and Hegel. ± In: The Cambridge Companion to Kierkegaard. Hrsg. v. A. Hannay. New York 1998, 101 ± 124. Die Hauptpunkte der H.-Kritik Kierkgaards werden dargestellt, naÈmlich die Unvereinbarkeit der Philosophie H.s mit dem christlichen Glauben, die UnmoÈglichkeit der Aneignung dieser Philosophie durch eine subjektive Existenz, ihre exzessiven AnspruÈche und die daraus resultierende SelbstvergoÈtterung des Menschen. Die Einheit dieser H.-Kritik wird in verschiedenen Werken Kierkgaards hervorgehoben.
Williams, Howard: Hegel's Philosophy of History and the Philosophy of Right. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 250±254. Verf. erkennt in H.s politischer Philosophie weniger eine Verwandtschaft zu Platon als zu Rousseau: Auch wenn H. sich nicht zu dessen AutoritaÈt bekenne, sei seine Idee eines auf rationalem Willen gegruÈndeten allgemeinen Standes und Staates eine Fortentwicklung von Rousseaus Idee des allgemeinen Willens.
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Williams, Robert R.: Towards a Non-Foundational Absolute Knowing. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 30 (1998/1999), N. 1, 83 ± 101. Verf. untersucht die Frage, ob das absolute Wissen bei H. das VerhaÈltnis ausschlieût (so die È berThese Houlgates) oder transformiert (so die These Lumsdens). Durch die Analyse des U gangs von der Vorstellung zum Begriff gewinnt er Argumente fuÈr die zweite LoÈsung. Seine eigene These ist, daû H.s Auffassung von der Liebe als Kenosis zu dem Schluû fuÈhre, das absolute Wissen sei keine Form von BegruÈndungswissen.
Winfield, Richard Dien: Space, Time and Matter: Conceiving Nature Without Foundations. ± In: Hegel and the Philosophy of Nature. Ed. by S. Houlgate. Albany 1998. 51 ± 69. Wischke, Mirko: Das Furchtbare und das SchoÈne. Hegel und Nietzsche uÈber die Bedeutung der Kunst. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 282±287. Verf. macht bei H. und Nietzsche gleichermaûen zwei gegenlaÈufige Deutungen der Kunst aus: Zum einen wird die Kunst als AusloÈser von VerstoÈrung und Verunsicherung betrachtet, zum anderen hebt H. die sichtbarmachende, humanisierende, Nietzsche die zum Leben verfuÈhrende Wirkung der Kunst hervor.
Wohlfahrt, Günter: Hegel und China. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 3 (1997), 135± 155. Behandelt wird das Bild des Orients ± insbesondere Chinas ± bei H. (beilaÈufig auch anderer deutscher Denker), der dann vergleichend Laozi (der in der Geschichte der Philosophie kurz behandelt wird) gegenuÈbergestellt wird. In Asien, so H., habe die Weltgeschichte begonnen, es stellt aber nur etwas VorlaÈufiges, Vorgeschichtliches und NatuÈrliches dar, in der chinesischen Welt gebe es kein Prinzip der IndividualitaÈt und keine subjektive Freiheit. Einer heutigen vergleichenden Philosophie, die weder eine uÈberschwengliche, fremdenliebende IdentitaÈt zwischen den Kulturen behauptet noch deren Gegenteil, die ausgrenzende Betonung ihrer Differenzen, gilt es, den kritischen Weg (IdentitaÈt in der Differenz) des GespraÈchs zu weisen.
Wokler, Robert: Contextualizing Hegel's Phenomenology of the French Revolution and the Terror. ± In: Political Theory. Beverly Hills, Calif. 26 (1998), 33 ±55. The author says that no more imaginative view of the connection between the theory and practice of politics is known to him than this treatment of the Terror in H.'s comments on ¹Absolute Freedom and Terrorª, in Phenomenology. There H.'s offers a conceptual history of modernity in terms of the self-transfiguration of philosophy into violence, which calls for much closer scrutiny than it has ever received before.
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Bibliographie
Wokler, Robert: The French Revolutionary Roots of Political Modernity in Hegel's Philosophy, or the Enlightenment at Dusk. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 35 (1997), Spring-Summer, 71± 89. This essay addresses H.'s treatment of the Enlightenment with respect to three themes. The first is his reading of ¹Rameau's Nephewª in the Phenomenology, as a manifestation of the ¹world spiritª of modernity. The second considers his debt to the political economy of the Scottish Enlightenment with respect to his distinction between the state and civil society. The longest section considers H.'s account of the genesis of the modern nation-state in the French Revolution. It argues that H.'s perceptive reading of the ideological sources of ¹The Terrorª is based largely on an inaccurate conflation of Rousseau, Sieyes and Robespierre. (Aus: The Philosopher's Index)
Wood, Allen W.: Hegel's Critique of Morality (§§ 129± 141). ± In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. L. Siep. Berlin 1997. (Klassiker Auslegen. Bd 9.) 147 ±166. Yamaguchi, Masahiro: Die AktualitaÈt der systematischen Philosophie in der Gegenwart. Kritik des Systems und kritisches System. [Japanisch.] ± In: Studien zu Hegels Philosophie. Tokyo. 3 (1997), 5 ± 19. Angesichts der gegenwaÈrtigen Kritik an dem systematischen Denken nach dem deutschen Idealismus untersucht dieser Aufsatz den Grund der Schwierigkeit der Systembildung bei Kant, Fichte und Schelling, und versucht die spezifischen ZuÈge des Systemgedankens bei H. herauszufinden. Im Gegensatz zur Herrschaft des Verstandes und der Reflexion bei jenen ermoÈglicht es H.s Begriff der Unendlichkeit, jeweils uÈber die Endlichkeit und Begrenztheit hinauszugehen und diese zu einem Moment des Systems zu machen. Sein System soll daher als ein offenes, kritisch-dynamisches angesehen werden, und jeden aÈuûeren Angriff aushalten koÈnnen. In diesem Sinne kann es noch heute die AktualitaÈt und Lebenskraft haben, was auch in der ErwaÈgung der H.-Kritik Adornos gelten soll.
Yamaguchi, Masahiro: Die philosophische Konstellation im deutschen Idealismus. Von der Bedeutung der PhaÈnomenologie in der Zeit des Systementwurfs. [Japanisch.] ± In: Shisoà [Der Gedanke]. Tokyo. Nr 884, 1998, 137± 155. FruÈher als H. hat Fichte das Problem des Schellingschen Begriffs der absoluten Indifferenz bemerkt und darauf hingewiesen. Im Gegensatz zur gemeinsamen Arbeit von H. und Schelling in ihrer Jenaer Zeit hat der spaÈte Fichte die spaÈtere Schelling-Kritik H.s vorweggenommen. Nach der Idee der PhaÈnomenologie in der Wissenschaftslehre von 1804, welche den Gedanken des erscheinenden Absoluten voraussetzen muû, koÈnnen die Stellung Fichtes im deutschen Idealismus sowie die VerhaÈltnisse von den drei Philosophen erneut diskutiert werden.
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Yamaguchi, Masahiro: Ursprung und Logik der Dialektik. Die Platon-Rezeption bei Hegel. [Japanisch.] ± In: Studies in Hegel's Logik. Tokyo. 4 (1998), 7± 31. Obwohl H.s Gedanken von der Dialektik in Platons Philosophie tief beeinfluût sind, ist sein Platon-VerstaÈndnis vom Neuplatonismus vermittelt und stark durch diesen bestimmt. Und zwar wird der von ihm hochgeschaÈtzte Dialog ¹Parmenidesª nicht immer gleich bewertet. Verf. versucht, sich einmal von H.s Interpretation, besonders des ¹Parmenidesª und des ¹Sophistesª, frei zu machen, und beide Philosophen zu vergleichen, um ihre Gedanken gegenseitig beleuchten zu lassen, wodurch der Unterschied ihrer Ansichten uÈber ¹IdentitaÈtª und ¹Widerspruchª sowie der Kernbegriff der H.schen Dialektik ¹das Gegenteil seiner selbstª klar werden.
Yamaguchi, Masahiro: Von der Bedeutung des deutschen Idealismus in der Gegenwart. Gottes Tod und Hegels Philosophie. [Japanisch.] ± In: Philosophie. Tokyo. Nr 27, Philosophie-Kongreû an der Sophia UniversitaÈt, 1998, 1 ±19. Die Frage nach der Bedeutung des deutschen Idealismus erinnert uns an ein Motiv des Philosophierens bei H. Seine Auffassung der neuzeitlichen Entzweiung als Quelle des BeduÈrfnisses der Philosophie gibt uns eine Veranlassung zum philosophischen Denken in der Zeit des Nihilismus. In Anbetracht dieses Umstandes kann H.s Gedanken des Absoluten auch gegenwaÈrtig diskussionswuÈrdig erscheinen. In dieser Abhandlung werden seine geschichtsphilosophische Bedeutung und die SpezifizitaÈt seiner logischen Struktur im Vergleich mit dem asiatischen Wahrheitsgedanken eroÈrtert.
È ber die sinnliche Erfahrung hinaus. Eine Bemerkung Yang, Ou-Sok: U zu Hegels Sicht der absoluten Erfahrung. [Koreanisch.] ± In: HegelYon'gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 231± 252. Verf. stellt die Frage, was die ¹Erfahrungª in unserem Leben ist. Er unterscheidet dabei zwischen der sinnlichen relativen und der absoluten Erfahrung. Indem er die absolute Erfahrung als diejenige, die die Basis fuÈr die relative Erfahrung bereits in sich enthaÈlt, bestimmt, entnimmt er von H. die Grundlage fuÈr die systematische EroÈrterung der Aufhebung der sinnlichen zur absoluten Erfahrung. Verf. charakterisiert H.s Begriff der Erfahrung als absolute Erfahrung, erlaÈutert ihn naÈher im Vergleich mit dem im britischen Empirismus (sinnliche Erfahrung), dem von Gadamer (hermeneutische Erfahrung) und dem von Heidegger (ontologische Erfahrung).
Yang, Woo-Suk: Ist Hegels Dialektik heute noch moÈglich? Das Problem der Realdialektik bei Hegel und Hartmann. [Koreanisch.] ± In: HegelYon'gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 314±344. H.s Satz, ¹daû die Aufeinanderfolge der Systeme der Philosophie in der Geschichte dieselbe ist als die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Ideeª, wird haÈufig kritisiert. Verf. versucht jedoch den eigentlichen Sinn dieses Satzes durch die ErlaÈuterung der H.schen Dialektik zu zeigen. FuÈr die ErlaÈuterung der H.schen Dialektik beruft er sich im wesentlichen auf N. Hartmanns Deutung der H.schen Philosophie.
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Bibliographie
Yon, Hyo-Sook: Dialektik der Skepsis und der Gewiûheit des Bewuûtseins von sich selbst. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 21± 230. Verf. analysiert in diesem Aufsatz die Vorrede der PhaÈnomenologie, insbesondere den Weg der Selbstuntersuchung des modernen Bewuûtseins, der sich durch die Momente der Selbstbezweifelung und Selbstnegation zur Selbstgewiûheit des Bewuûtseins vollendet. Es wird dabei È berwindung der geistigen Krise die Bedeutung des Bewuûtseins mit diesem Charakter fuÈr die U der Gegenwart hervorgehoben.
Yon, Hyo-Sook: Teleologische Struktur der Selbstverwirklichung des Seins. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 228± 258. Im Hinblick auf die Frage, auf welcher Grundlage das Seiende als abstrakte Allgemeinheit im konkreten Individuum verwirklicht wird, untersucht die Verf. die ontologische Struktur in der Selbstverwirklichung des Seins in Hegels Logik und charakterisiert diese als teleologische.
Yoo, Heon-Sik: Das Erscheinen des ¹neuenª Bewuûtseins und das Problem seiner Darstellung. Eine Analyse der ¹Einleitungª in Hegels PhaÈnomenologie des Geistes. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [HegelStudien]. Festschrift fuÈr Sok-Zin Lim zum 65. Geburtstag. Seoul. 8 (1998), 121± 172. In diesem Aufsatz untersucht Verf., wie sich die Erfahrung, die das Bewuûtsein mit dem Wissen und Gegenstand macht, zu einem neuen Bewuûtsein wandelt. Um dies zu erlaÈutern, analysiert er den Charakter des Bewuûtseins, den Hegel in der PhaÈnomenologie bestimmt.
Yoon, Byung-Tae: Struktur und System des Unterschiedsbegriffs in Hegels Logik. [Koreanisch.] ± In: Hegel-Yon'gu [Hegel-Studien]. Seoul. 7 (1997), 198±228. Der Begriff ¹Unterschiedª macht in H.s Logik die zweite Bestimmung der ¹Reflexionª aus. Daher findet Verf. die Funktion des Unterschieds fuÈr die konkrete Bestimmung des Wesens eben so wichtig wie die der IdentitaÈt und des Widerspruchs. Er erweitert H.s Bestimmung des Begriffs des Unterschieds als die in sich die Reflexion enthaltende NegativitaÈt des Wesens auf die Bestimmung dieses als die Macht des Nichts und betont die Bedeutung dieser im Sinne, daû Nichts sich erst hier als das die Stelle und die VeraÈnderung des Seins bestimmende Wesen plaziert.
Yorikawa, Joji: Der Weg zum System. Untersuchungen zum jungen Hegel. [Japanisch.] ± In: Literary Symposium. Toyohashi, Japan. 117 (1998), 33± 60. Verf. versteht die Philosophie des jungen H. als Weg zum System. Die Interpretation der philosophischen Entwicklung H.s verfaÈhrt geschichtlich. Noch dazu zieht sie die wech-
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1997 und 1998
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selseitigen Anregungen im Freundeskreis um HoÈlderlin, Schelling und H. in Betracht. Die philosophischen EntwuÈrfe H.s koÈnnen hinsichtlich ihrer Genese und systematischen Anlage nur in diesem Zusammenhang verstanden werden.
Yorikawa, Joji: Die Schritte des Denkens. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchung der Philosophie Hegels 1797 ±1806. ± In: Hegel-Jahrbuch 1997. Berlin 1998. 202±209. In diesem Aufsatz verfolgt Verf. die Schritte des H.schen Denkens. Die Rekonstruktion verfaÈhrt entwicklungsgeschichtlich. Sie beginnt mit den fruÈhen Schriften H.s; im Anschluû hieran untersucht Verf. weitere Schriften auf ihre Relevanz fuÈr die Schritte seines Denkens.
Zan, Julio de: Alte und moderne Sittlichkeit. ± In: Hegel-Jahrbuch 1996. Berlin 1997. 174±177. Verf. rekonstruiert die Differenzen zwischen alter und moderner Sittlichkeit bei H. vor dem Hintergrund der Jenaer Konzeption und der Rechtsphilosophie. Verf. verdeutlicht deren Differenzen insbesondere hinsichtlich der Rolle der SubjektivitaÈt.
Zhang, Shen: Die Hegelsche Dialektik und die chinesische Tradition dialektischen Denkens. ± In: Die Folgen des Hegelianismus. Philosophie, Religion und Politik im Abschied von der Moderne. Hrsg. v. P. Koslowski. MuÈnchen 1998. 357 ±370. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 222.
Ziche, Paul: Das VerhaÈltnis von Geometrie und Arithmetik. Historische und systematische Bemerkungen zu Hegels Auseinandersetzungen mit der Mathematik. ± In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. v. K. Vieweg. MuÈnchen 1998. 267 ±280. Vgl. die Besprechung im vorliegenden Band, 183± 184.
Zizi, Paolo: Il concetto metafisico di ¹interoª in Aristotele e in Hegel [Der metaphysische Begriff des ¹Ganzenª bei Aristoteles und Hegel]. ± In: Hegel e Aristotele. A cura di A. Ferrarin. Cagliari 1997. 103± 109.
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Bibliographie
NachtraÈge aus dem Jahr 1996 Attala, Daniel. A.: Critica e interpretacion del escepticismo en el articulo de Hegel Relacion del escepticismo con la filosofia, de 1802 [Kritik und Interpretation des Skeptizismus in Hegels Aufsatz VerhaÈltnis des Skeptizismus zur Philosophie]. ± In: Kriterion. Belo Horizonte. 35 (93) (1996), 123±133. This article analyses H.'s interpretation of philosophical scepticism as opposed to Dumont's and Schulze's. (Aus: The Philosopher's Index)
Barata-Moura, José: History of Philosophy, Philosophy of History, and Ontology in Hegel's Thought. ± In: Nature, Society and Thought. Minneapolis, Minn. 9 (1996), 297 ±309. Verf. beschaÈftigt sich mit der Bedeutung der Geschichte der Philosophie in H.s Werk. Verf. verteidigt die allgemeine These des Bezuges der Geschichte der Philosophie zu einer Philosophie der Geschichte und von dieser zu einer Ontologie des Geistes. Nur im Zusammenspiel dieser drei Dimensionen kann die Geschichtlichkeit des Denkens verstanden werden. Das philosophische Problem der Geschichte der Philosophie wird anhand verschiedener Versionen von H.s Vorlesungen uÈber die Geschichte der Philosophie analysiert. Als Ausgangspunkt dient die Frage, ob und wie das Denken Geschichte besitzt. Verf. betrachtet verschiedene Antworten auf die Frage nach der Geschichte der Philosophie, die H. in dieser EinfuÈhrung beschreibt, naÈher und stellt im folgenden H.s eigene Position dar: Geschichte der Philosophie ist weder ¹Aneinanderreihung von Meinungenª noch ¹externeª Geschichte, sondern Geschichte der Wahrheit, die sich im Wissen um sich selbst hervorbringt. H. zeigt, daû die Geschichte der Philosophie von einem ontologischen Horizont ausgeht, und daû die Zeitlichkeit ins Herz der Ontologie gelegt ist. Abschlieûend stellt Verf. fest, daû die These H.s ohne einen Bezug zu den theoretischen EntwuÈrfen von L. Feuerbach bis K. Marx nicht vollstaÈndig verstanden werden kann.
Bodei, Remo: Logica inconscia e soggettivitaÁ in Hegel [Unbewuûte Logik und SubjektivitaÈt bei Hegel]. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 95± 112. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 33 (1998), 254± 255.
Bykova, Marina F.: Neue Materialien zu Hegels Philosophie des Geistes. [Russisch.] ± In: Voprosy filosofii [Fragen der Philosophie]. Moskva. 1996, N. 9, 120±128. PraÈsentiert und im Kontext der Editionsgeschichte dargestellt wird der 1994 erschienene Band der Vorlesungen Hegels uÈber die Philosophie des Geistes.
NachtraÈge aus dem Jahr 1996
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Bykova, Marina F.: Prinzipien und Typen der Interpretation von Hegels Logik. Zur Geschichte der Hegel-Forschung. [Russisch.] ± In: Istoriko-filosofskij EzÏegodnik '95 [Philosophiehistorisches Jahrbuch]. Moskva 1996, 362±377. È bersicht der verschiedenen InterpretationsansaÈtze der H.schen Logik. Eine U
Capdelville García, Rubén: El hegelianismo de la posmodernidad [Der Hegelianismus der PostmodernitaÈt]. ± In: Estudios PolõÂticos. Mexico. 4 (1996), N. 11, 73± 83. The present article attempts to make clear some important elements of H.'s philosophy which are present in our postmodern culture and civilisation. It begins with a demarcation on the definition of Hegelianism as first step to clarify the actual postmodern unconsciousness, that should be understood as a real problem. Finally it analyses some concrete propositions of the H.ian philosophy which are approved today as original postmodern ideas. Taking this in consideration, the present article opens a discussion on the originality of the postmodern era as well as on the recurrence in our culture of some ¹superratedª thinkers and philosophers.
Carmo Ferreira, Manuel J. do: Nueva religioÂn. Un proyecto del Idealismo alemaÂn [Die neue Religion. Ein Projekt des deutschen Idealismus]. ± In: El inicio del idealismo alemaÂn. Oswaldo Market, Jacinto Rivera de Rosales (Coordinatores). Madrid 1996. 263± 277. Das Projekt einer neuen Religion fordert das Zusammenspiel von Vernunft, Religion und Geschichte ± Begriffe, die das Programm der fruÈhen Romantik und des deutschen Idealismus umgrenzen. Dieses Projekt ± dessen Wurzeln in Lessing zu suchen sind und dessen erste historisch-transzendentale Grundlegung in der Religionsschrift von Kant und Fichte zu lesen sind ± fand seine umfassendste Auffassung in der Forderung einer neuen Mythologie bei Fr. Schlegel und einer Revolution des Geistes bei H.
Chiereghin, Franco: Storia della filosofia e sistema: il significato storico-speculativo della trasformazione della metafisica in logica secondo Hegel [Geschichte der Philosophie und System: Die historischspekulative Bedeutung der Umformung der Metaphysik in die Logik nach Hegel]. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 25± 47. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 33 (1998), 253± 254.
Colón León, Virgilio: El concepto de ¹trabajoª en Hegel [Der Begriff der ¹Arbeitª bei Hegel]. ± In: DiaÂlogos. Santurce. 1996, N. 68, 63± 82. Verf. zeigt am Beispiel des Begriffs der ¹Arbeitª, daû bei der Auslegung der Philosophie H.s der Ausdruck mit der Metapher nicht vermischt werden darf. Diese Vermischung hat zur
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Bibliographie
Folge, daû z. B. die Arbeit als Wesen des Menschen im Rahmen einer Bewuûtseinsphilosophie behandelt wird, wobei der spekulative Sinn der Arbeit als Moment des Ganzen verloren geht.
Coltman, R. R.: Gadamer, Hegel, and the middle of language. ± In: Philosophy today. Chicago, Ill. 40 (1996), N. 1, 151± 159. Am Leitfaden des VerhaÈltnisses von Sprache und Denken, von der Dialektik vom Endlichen È bereinund Unendlichen und von der Logik des spekulativen Satzes untersucht Verf. U stimmungen und Unterschiede zwischen der Auffassung Gadamers von der spekulativen Struktur der Sprache und H. s spekulativer Dialektik.
Cordua, Carla: Hegel y La ParticipatioÂn PolõÂtica [Hegel und die politische Teilnahme]. ± In: Ideas y Valores. BogotaÂ. 1996, N. 100, 19 ± 36. This paper analyses H.'s ideas concerning the forms of political participation in the modern state. It submits that a fair account of H.'s position on democracy should consider aspects of his notion of political freedom, which have been usually neglected because of a few critical remarks of the philosopher. In particular, it should consider H.'s ideas on 1) modern freedom as Dabeisein; 2) modern citizenship as entailing Befriedigung. These two concepts are analysed in their larger philosophical and political contents and their import for H.'s thought.
Cutrofello, Andrew: ¹The Blessed Gods Mourn:ª What is LivingDead in the Legacy of Hegel. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 28 (1996±1997), N. 1, 25 ± 38. Verf. untersucht zunaÈchst, wie verschiedene Interpreten und Philosophen (Stepelevich, Stirner, Derrida, Marx, Croce) sich mit H.s Erbe auseinandergesetzt haben. Eine Problematisierung È sthetik geleistet, z. B. in der Deutung der Antigone, der Trauer wird bei H. besonders in der A oder bei der Behandlung des griechischen Kunstideals. Freuds Unterscheidung zwischen Trauer und Melancholie erlaubt, H.s These uÈber das Ende der Kunst zu interpretieren und die Leistungen von H.s Erinnerung als analog zu Freuds Trauerarbeit zu verstehen. Dieses lebt weiter auch in der zeitgenoÈssischen Diskussion, welche paradigmatisch von Heidegger und Levinas (d. h. von einer Ethik der Melancholie und einer Ethik der Trauer) charakterisiert wird.
d’Hondt, Jacques: Les formes de l'argumentation chez Hegel. ± In: Il Cannocchiale. Napoli. 1996, 5± 28. Die unbestreitbare StaÈrke, GroÈûe und Fruchtbarkeit der H.schen Philosophie implizieren bemerkenswerte Besonderheiten ihrer Darstellungsweise. Als spekulative TotalitaÈt ist sie evidentermaûen kein deduziertes System, obwohl ihre verschiedenartigen Momente Deduktion und Argumentation enthalten. Diese letztere weist spezifische Charakteristika und offensichtliche SchwaÈchen auf: eine allgemeine UnverstaÈndlichkeit, die H. selbst zugestehen muûte, manchmal eine gewisse Beliebigkeit sowie einige bezeichnenden LuÈcken. H. leitet seine Ideen dialektisch ab und benutzt Kriterien, die in der Philosophie wenig gelaÈufig sind, wie z. B. die HinfaÈlligkeit, mit dem Risiko einer Desorientierung des Lesers. (dt. nach: The Philosopher's Index)
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d’Oro, Giuseppina: Beauties of Nature and Beauties of Art: On Kant ans Hegel's Aesthetics. ± In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 33 (1996), 70 ±86. Verf. gibt in zwei aufeinanderfolgenden Teilen eine grobe Skizze von GrundzuÈgen der aÈsthetischen Konzeptionen Kants und H.s.
de Angelis, Marco: Die ,dunklen Jahre' von Hegels Entwicklung als Aufgabe der Hegelforschung. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 159± 163. È berlegungen zur Volksreligion in seiner TuÈbinger Verf. weist auf einige Quellen von H.s U Studienzeit hin, die in der Diskussion im TuÈbinger Stift um die Kantische Philosophie und deren Einfluû auf die Theologie liegen.
de Vos, Lu: Wie garandeert de vrijheid van de agora? Fichte en Hegel over het ,Eforaat' [Wer garantiert die Freiheit der Agora? Fichte und Hegel uÈber das Ephorat]. ± In: Van Agora tot Markt. Hrsg. G. Groot u. a. Rotterdam 1996. 165 ±171. Wo Fichte im Naturrecht (1796) das Ephorat als wesentlichsten Teil der Konstitution betrachtet, laÈût er dies unter dem Einfluû H.s und der historischen Erfahrung in der Rechtslehre (1812) ausfallen. Gegen die Probleme der Usurpation, die in dieser Rechtslehre gestellt werden, bietet Hegel die vernuÈnftige Kooperation der StaatsmaÈchte an.
Despot, Blanko: The Philosophy of Religion in the System of Freedom. ± In: Filozofska Istrazivanja. Zagreb. 16 (1996), 667±682. Philosophie der Religion setzt nicht die Gegebenheit der Religion voraus, sondern begreift die MoÈglichkeit und die Notwendigkeit des Seins der Religion (ReligiositaÈt) als eine Weise des Seins der Freiheit. Die Notwendigkeit der ReligiositaÈt liegt in der Freiheit, welche durch das geistige Mensch-Gott-VerhaÈltnis sich selbst in das Reich des HoÈchsten, des Heiligen und des Besten schlechthin (¹to aristonª) erhebt. Dieser Notwendigkeit entspricht die Notwendigkeit der Religionsphilosophie im System der sich durch alle MoÈglichkeit des Seins im Ganzen in ihrer Wahrheit realisierenden Freiheit. Die Logik als Wissenschaft der Wahrheit (der Freiheit) ist die FormalitaÈt und die TranszendentalitaÈt des Logischen uÈberwindend-aufhebende spekulative Logik. Im System der Freiheit ist die Philosophie der Religion die ¹letzte philosophische Wissenschaftª, d. h. die Philosophie der Natur, des endlichen und des unmittelbar absoluten Geistes voraussetzende und die Philosophie der Philosophie ermoÈglichende ¹Philosophieª. (Aus: The Philosopher's Index)
Doz, André: La penseÂe de la ¹creÂation du mondeª aujourd'hui. ± In: Diotima. Athenai. 24 (1996), 64± 68. Causality, as H. saw, is a shape of identity, which includes difference; radical identity is selfhood; on the other hand finite being lacks identity to itself. Our demand of identity, whose root is our own selfhood, cannot be satisfied but by creation ¹ex nihiloª, which results from the in-
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Bibliographie
finite Self. Creation can be thought only if the ¹worldª belongs to the coming-to-itself of finite self. That cannot be achieved without an eschatological state of the world. (Aus: The Philosopher's Index)
Duque, Félix: ¹SchoÈneres kann nicht sein und werdenª. Das Griechenlandbild bei Hegel und HoÈlderlin. ± In: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels. Hrsg. v. Ch. Jamme unter Mitw. v. F. VoÈlkel. Hamburg 1996. 27 ± 54. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 208.
Duque, Félix: El CorazoÂn del Pueblo. La ¹ReligioÂnª del Hegel de Berna [Das Herz des Volkes. Die Religion nach Hegel in seiner Berner Zeit]. ± In: El inicio del idealismo alemaÂn. Oswaldo Market, Jacinto Rivera de Rosales (Coordinatores). Madrid 1996. 237± 262. What firstly seems to be a revenge of H., a formerly student of the TuÈbinger Stift, against an ideological manipulation of Kantism, which makes his thought anew acceptable for Christianity, by putting together the spirit of criticism and biblical exegesis, became in 1795 a deep diatribe against the decadent Christianity and, generally speaking, against Modern Culture. H. will struggle against those ¹horrors of the objective worldª with the weapons of the Empfindung (a cordial impression of reality through the living folk traditions) an the Herz (i. e. the heart, as the sentimental innering of the life). He confronts pleroma and fetish. But this denunciation will prove inane, because this heart, from his biblical origins, is already a metaphor derived from monetary circulation. The wound keeps on open.
Espina, Yolanda (Übers.): Hegel, G. W. F. La musica. ± In: Anuario filosoÂfico. Pamplona 29 (1996), 195±232. The until now unpublished pages on music from H.'s last Lectures on aesthetics, read in Berlin in 1828±29. Bilingual German-Spanish edition of Karol Libelt's class notes. H. defines music as the art of pure interiority; after describing it regarding to its material, its own power and abstract elements (measure, rhythm and harmony), as well as its concrete element (melody), he develops, much more than in the other semesters, the performing aspect of music. The text is a contribution to the research on H.'s musical thought under the point of view of its evolution. (Aus: The Philosopher's Index)
Espina, Yolanda: La muÂsica en el sistema filosoÂfico de Hegel [Die Musik im philosophischen System Hegels]. ± In: Anuario filosoÂfico. Pamplona. 29 (1996), N. 1, 53 ±69. H.ian thought about music is part of a common idealistic way of treating the arts: a metaphysical way, regarding arts in its relation to truth. Thus it makes up to the way in which modern philosophy approaches aesthetics. Starting from a study of music we can make a new approach to the philosophy of H., its problems, and its relation to the period of Romanticism in which it arose.
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Estrada, Juan A.: Teodicea y sentido de la historia: la respuesta de Hegel [Theodizee und Sinn der Geschichte: Hegels Antwort]. ± In: Pensamiento. Madrid. 52 (1996), N. 204, 361 ±382. Verf. versucht, die AktualitaÈt H.s hinsichtlich des Problems des (moralischen) BoÈsen und des È bels aufzuweisen. Die SchluÈssel zur AufloÈsung der Fragen in diesen Bereichen (physischen) U finden sich nach der Perspektive H.s in der Auffassung der Geschichte als Theodizee. Mit H. verwandle sich die Theodizee in eine Anthropodizee, in welcher das Individuum zugunsten des Schicksals der HumanitaÈt als Kollektivum aufgegeben wird.
Fees, Konrad: Theoretische und praktische Bildung bei Hegel. ± In: Vierteljahresschrift fuÈr wissenschaftliche PaÈdagogik. Bochum. 72 (1996), 471± 486. Der Unterschied zwischen praktischer und theoretischer Bildung in der H.schen Philosophie ist nach Verf. insbesondere in Rechts-, Pflichten- und Religionslehre fuÈr die Unterklasse und in der Rechtsphilosophie angesiedelt. Im ersten Teil beschreibt Verf. den allgemeinen Begriff der Bildung als Befreiung oder auch Arbeit der hoÈheren Befreiung, durch die sich der Geist von den Fesseln seiner natuÈrlichen Existenz und seiner urspruÈnglichen Triebe zu befreien vermag und gleichzeitig die Sittlichkeit als ¹zweite Naturª schafft. Im zweiten Teil erlaÈutert Verf. den Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Bildung und unterscheidet dabei zwischen den Auffassungen H.s, Herders und W. von Humboldts. Ausgehend von der Rechtsphilosophie kommt Verf. zum Schluû, daû die theoretische Bildung das BemuÈhen um den Erwerb der intellektuellen FaÈhigkeiten des analytischen Denkens darstellt, waÈhrend die praktische Bildung den Erwerb der fuÈr die Arbeit notwendigen Geschicklichkeiten bezeichnet. Verf. bemerkt, daû H. die aÈsthetische Bildung nicht in eine gesonderte Kategorie eingeordnet hat.
Flashar, Hellmut: Hegel, Oedipus und die TragoÈdie des Sophokles. ± In: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels. Hrsg. v. Ch. Jamme unter Mitw. v. F. VoÈlkel. Hamburg 1996. l±25. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 207.
Gethmann-Siefert, Annemarie: SchoÈne Kunst und Prosa des Lebens. Hegels Rehabilitierung des aÈsthetischen Genusses. ± In: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels. Hrsg. v. Ch. Jamme unter Mitw. v. F. VoÈlkel. Hamburg 1996. 115 ±150. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 209± 210.
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Bibliographie
Hackenesch, Christa: ¹Es kommt darauf an, Hegel zu begreifen, statt ihn immer wieder zu paraphrasierenª. Neuere Literatur zur Philosophie Hegels. ± In: Philosophische Rundschau. TuÈbingen. 43 (1996), 143± 164. Sechs zwischen 1992 und 1994 in Deutschland erschienene Werke uÈber H.s Logik werden besprochen. Neben einigen positiven Bemerkungen, sieht Verf. in diesen Werken die Tendenz, eine echte Konfrontation mit H. durch das Hineinprojizieren der eigenen Thesen zu ersetzen. Die daraus resultierende WillkuÈr der Interpretationen sollte durch eine ¹philologische Buchstabentreueª behoben werden.
Hernández, Javier Domínguez: Posiciones filosoficas de Hegel y Danto sobre el ¹Fin del arteª [Philosophische Standpunkte von Hegel und Danto zum ¹Ende der Kunstª]. ± In: Estudios de Filosofia. Universidad de Antioquia. 1996, N. 13, 71± 87. Both, the position of H. and that of Danto, are not historiographical but also philosophical: the former is concerned with art in modernity, and the latter, in Postmodernity. For H. the ¹end of artª does not mean the end of all, but a radical change of function of the figures of truth that art has to share with religion and philosophy in modern times. The classical representation of truth as absolute gives up to the romantic one. For Danto, on the other hand, the ¹end of artª means that art enters in a posthistoric epoch, since history of art is no longer based on its inner necessity of constant change, and postphilosophical, since thought has turned art into a cognitive praxis of self thinking which makes it similar to philosophy.
Hetherington, Andy: The Legitimacy of Capital Punishment in Hegel's ¹Philosophy of Rightª. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 27 (1995/1996), 167±174. This paper examines an apparent tension within H.'s account of capital punishment: between his claim that criminals rightfully will their own punishment; and his contention that individuals cannot rightfully will their own death. I argue that certain crimes, including murder, necessarily require capital punishment because they constitute total negations of right, and so are themselves a kind of suicide according to H. By committing murder, an individual has already implicitly willed her own death, which makes state execution simply the last, necessary, stage in a process inexorably begun by the criminal. This understanding of capital punishment resolves the aforementioned tension. (Aus: The Philosopher's Index)
Heyde, Ludwig: Gebroken Zedelijkheid [Zerbrochene Sittlichkeit]. ± In: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 58 (1996), 62± 83. Wie kann sich die moralische Autonomie als wirkliche Sittlichkeit gestalten, wenn sie weder bloûe, normlose SubjektivitaÈt, noch ironische Tautologie sein moÈchte? Die LoÈsung koÈnnte in eine Wirklichkeit der Sittlichkeit zu finden sein, die sich vielmehr ± zerbrochen ± zeigt in oder aus dem, was von jedem ausgeschlossen wird (Sklaventum oder Folter z. B.), als in eine direkte, begeisternde Einheit der Gemeinschaft.
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Heyde, Ludwig: ¹Die Eule der Minervaª. Zur AktualitaÈt der Hegelschen Rechtsphilosophie. [Russisch.] ± In: Voprosy filosofii [Fragen der Philosophie]. Moskva. 1996, N. 9, 131 ±140. Die AktualitaÈt eines philosophischen Textes muû im Zusammenhang der Frage nach dem VerhaÈltnis von Wahrheit und Geschichte behandelt werden. Zwar sind die historischen UmstaÈnde, auf die sich H. in der Rechtsphilosophie bezieht, nicht mehr vorhanden, aber sein Anliegen, eine einheitliche Sicht der Gesellschaft im Rahmen der politischen Theorie zu formulieren, bleibt philosophisch bedeutsam.
Homem de Souza, Maria Carmelita: Hegel em Berlim ± Discurso Inaugural [Hegel in Berlin ± Rede beim Antritt des Lehramtes an der UniversitaÈt Berlin]. ± In: Revista Portuguesa de Filosofia. Braga. 52 (1996), N. 1 ±4, 831± 870. Verf. untersucht die Antrittsrede H.s 1818 in Berlin und ihre thematische Integration in der EnzyklopaÈdie der philosophischen Wissenschaften und in der Wissenschaft der Logik. Dabei arbeitet sie als wesentlichstes Problem die Beziehung zwischen Philosophie und Leben heraus. Verf. analysiert in der Folge die verschiedenen Aspekte dieses allgemeinen Problems und klaÈrt die Begriffe Vernunft, rationales Denken, spekulative Struktur des Philosophierens und ihr VerhaÈltnis zur endlichen Reflexion, Beziehung von Philosophie und Religion sowie FuÈhlen und Glauben.
Huang, Yong: God as Absolute Spirit: a Heideggerian Interpretation of Hegel's God-Talk. ± In: Religious Studies. Cambridge [usw.]. 32 (1996), 489± 505. Verf. behauptet, daû H.s Rede uÈber Gott, vermittelt durch Heideggers VerstaÈndnis vom Sein, die MoÈglichkeit einer neuen Theologie oÈffnet, die die Herausforderungen der Postmoderne È hnlichkeiten und Unernst nimmt. Dabei geht es Verf. nicht primaÈr um einen Vergleich von A terschieden, sondern vielmehr um die Feststellung einer wesentlichen KongenialitaÈt zwischen H. und Heidegger. Diese Feststellung orientiert sich an drei Themenkomplexen: 1) Gott ist kein metaphysisches Seiendes, sondern absolute AktivitaÈt; 2) Gott ist Nichts jenseits der Welt, sondern die ihr immanente AktivitaÈt der Transzendierung der Welt; 3) als geoffenbart, Gott ist nicht Auûen sondern im Innern der menschlichen Vernunft.
Jeck, Udo Reinhold: Parmenides ± Platon ± Hermes Trismegistus. Bemerkungen zu einer ¹hermetischenª Reflexion in Heideggers HegelTraktat Die NegativitaÈt. ± In: Bochumer Philosophisches Jahrbuch. 1 (1996), 153± 178. Heidegger's many observations about the philosophical thought of the Middle Ages, while often controversial, are deserving of attention. One of the lesser-known of these observations reflects his interest in hermetic philosophy, as found in his posthumously published treatise Die NegativitaÈt (1938/39), a critical engagement with H. with regard to the nature and ontological status of negation. Therein, Heidegger associates the sphaira of Parmenides with the sphaera intelligibilis of Hermes Trismegistus and the absolute Idea of H. and therewith Plato's doctrine of
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Bibliographie
the ideas in its absolute-idealist modification. Heidegger weaves these various strands of the tradition into a web of manifold significations representative of different yet philosophical intentions.
Jeck, Udo Reinhold: Sieben Jenaer Reflexionen Hegels uÈber Homer. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 55± 97. Mit dem Projekt einer neuen Mythologie um 1800, als Gegenentwurf zur griechischen GoÈtterwelt der Antike konzipiert, war auch ein verstaÈrktes Interesse an der antiken Dichtung verbunden. Verf. beleuchtet v.a. die Rezeption von Homers Naturpoesie bei H. in seiner Jenaer È sZeit, der Theorie des griechischen Epos in der PhaÈnomenologie des Geistes und der Berliner A thetik. Dabei werden Themen ausgefuÈhrt wie: die homerische Frage, der damalige Wertvergleich zwischen Homer und Vergil, ,plastische' Helden, gattungstheoretische Unterschiede und Vergleiche zu Schelling, den BruÈdern Schlegel, HoÈlderlin u. a.
Kain, Philip J.: Nietzschean Genealogy and Hegelian History in The Genealogy of Morals. ± In: Canadian Journal of Philosophy. Calgary. 26 (1996), N. 1, 123± 147. Verf. bietet eine Interpretation der Genealogie der Moral in der klargestellt werden soll, daû H.s Dialektik von Herr und Knecht einen wichtigen Einfluû auf dieses Werk ausgeuÈbt hat, und È berzwar in einer anderen Weise als normalerweise angenommen wird, denn Nietzsches U mensch zeigt nicht nur ZuÈge des Herrn sondern vielmehr des Knechts der PhaÈnomenologie des Geistes.
Keestra, Machiel: Het besluit tot handelen en reflectie. Naar aanleiding van Aristoteles en Hegel [Der Entschluû zum Handeln und Reflektieren. AnlaÈûlich Aristoteles und Hegel]. ± In: Van Agora tot Markt. Hrsg. G. Groot u. a. Rotterdam 1996. 159±164. Wahrheit ist in der praktischen Philosophie mit Unsicherheit verbunden. Diese letztere aber ist auch fuÈr die Philosophie kennzeichnend. Deshalb bedarf die Logik des Entschlusses zu denken und uÈberzugehen in die Natur.
Kin’ya, Nishi: ¹Form Should Not Be Tautologicalª: Hegel and Adorno È sthetik]. Tokyo. 47 (1996), 25± 36. on Form. [Japanisch.] ± In: Bigaku [A This essay attempts to explore the structural role of ¹antitautologyª in T.W. Adorno's form conception through examining his transformation of Hegelian form-content relation. First, I analyse how H.'s logic bears on Adorno's self-reflective critique. Adorno assimilates H.'s ¹movement against immediacyª as his critical method. This movement characterizes their logical structures and it enabled H. to elaborate the form-content relation. However, H.'s formulation could never be sufficient for Adorno. I secondly thematize in which point the latter's formulation of form differs from that of the former. (Aus: The Philosopher's Index)
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Kline, George L.: Hegel und Solovjev. [Russisch.] ± In: Voprosy filosofii [Fragen der Philosophie]. Moskva. 1996, N. 10, 84 ± 93. È bersetzung des Aufsatzes aus dem Sammelband ¹Hegel and the History of PhiloRuss. U sophyª (1974). Untersucht wird die Rezeption von und Kritik an H. bei Vladimir Solovjev.
È ber Architektur im Ausgang Kluxen, Wolfgang: Mensch und Erde. U von Hegel. ± In: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels. Hrsg. v. Ch. Jamme unter Mitw. v. F. VoÈlkel. Hamburg 1996. 151± 166. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 34 (1999), 210.
Kubo, Yoichi: ¹Vollendung der Philosophie Kantsª bei Schelling und Hegel (1792± 96). [Japanisch.] ± In: Gesammelte AufsaÈtze uÈber Schelling. Bd l. Schelling und Hegel. Hrsg. v. Takayama und Fujita. Kyoto 1996. 9 ± 38. Verf. untersucht die Gedanken des fruÈhen H. und Schellings, vor allem, was ihre Vollendungen der Philosophie Kants darstellen. Er behandelt zuerst die Gedanken beider in den Jahren 1792± 94, dann ihren Gedankenaustausch von Ende 1794 bis 1796.
Kubo, Yoichi: Bewuûtsein und Grund. Kritik an der Reflexion bei Schelling, HoÈlderlin und Hegel. [Japanisch.] ± In: Jahrbuch der Schelling-Gesellschaft Japan. Kyoto. 5 (1996), 46 ±55. Von 1797/98 bis 1801/2 haben Schelling, HoÈlderlin und H. die Kritik am Standpunkt der Reflexion bzw. des Bewuûtseins etwa gemeinsam geuÈbt. Nach dem Verf. konzipierte H. das ¹System der Reflexionª auf dem Standpunkt der Vernunft Schellings, nachdem er die Kritik HoÈlderlins an dem des Selbstbewuûtseins Fichtes uÈbernommen hatte.
È ber den Sinn der MetaKubo, Yoichi: Leben, Reflexion und Idee. U physik Hegels. [Japanisch.] ± In: Hegel Gakuhoà [Hegel-Studien]. Kyoto. 3 (1996), 29 ± 55. Verf. behandelt die EigentuÈmlichkeiten der Metaphysik H.s und das Problem ihrer Interpretationen und untersucht den Begriff ¹Ideeª in seiner spaÈten Zeit. Dann, um ihn in der Entwicklungsgeschichte aufzufassen, erklaÈrt Verf. den Sinn des ersten Versuchs der Metaphysik am Anfang der Jenaer Zeit von der Vereinigungsphilosophie in der fruÈhen Zeit her, also vom ¹Idealª der Jugend her.
Lecis, Pier Luigi: Assoluto, pensiero e realtaÁ. Eric Weil e la logica hegeliana. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 231± 252. Vgl. die Besprechung in Hegel-Studien 33 (1998), 256.
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Bibliographie
Legova, Elena S.: Hegel uÈber den Ursprung des boÈsen Willens. [Russisch.] ± In: Voprosy filosofii. Moskva. 1996, N. 11, 32± 42. Die Dialektik des BoÈsen fuÈhrt H. zuruÈck sowohl auf den Fanatismus der negativen Freiheit der Masse als auch die WillkuÈr der atomisierten IndividualitaÈt, die als Person nicht anerkannt wurde.
Lugarini, Leo: La trasformazione hegeliana della problematica categoriale [Die Hegelsche Transformation der kategorialen Problematik]. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 159 ±185. Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 33 (1998), 255± 256.
Marrades Millet, Julián: TeleologõÂa y astucia de la razoÂn en Hegel [Teleologie und List der Vernunft bei Hegel]. ± In: DiaÂlogos. Santurce. 67 (1996), 123±154. Verf. vergleicht den Kantischen und den H.schen Begriff der Teleologie, mit besonderer BeruÈcksichtigung der VerhaÈltnisse zwischen aÈuûerer und innerer ZweckmaÈûigkeit und ihre Folgen fuÈr das VerstaÈndnis von Natur, Arbeit und Geschichte. In diesem Rahmen zeigt Verf. den geschichtsphilosophischen Unterschied zwischen der List der Vernunft H.s und der kantischen Idee eines verborgenen Plans der Natur.
Meneses, Paulo: Hegel como Mestre de Pensar [Hegel als Meister des Gedankens]. ± In: SõÂntese. Nova Fase. Belo Horizonte. 23 (73) (1996), 149± 158. Verf. versucht nachzuweisen, daû H. nicht nur ein Autor philosophischer, leicht systematisierbarer und uÈbertragbarer Thesen war, sondern ein Lehrmeister des Denkens wie Sokrates und andere bedeutende Denker. Die Meisterschaft Hs. offenbart sich in seinem VerstaÈndnis von Philosophie als ¹Aneignung der Zeit durch das Denkenª, das heiût, als eine enzyklopaÈdische Aufgabe, die Grundlagen des menschlichen Wissens zu ordnen und zu strukturieren. Dem Autor zufolge ist die Dialektik das Zentrum des ¹denkenden Gedankensª von H. Verf. beschreibt dem Leser die Dialektik-Versionen von P. J. LabarrieÁre, B. Bourgeois und Padre Vaz, wobei er der letzten Version, des brasilianischen H.-Interpreten, den Vorzug gibt.
Merten, Thomas: Hegel's homage to Kant's perpetual peace: analysis of Hegel's Philosophy of Right § 321± 340. [Kroatisch.] ± In: Politicka Misao. Zagreb. 23 (1996), N. 1, 34 ± 54. At a few places in his Philosophy of Right H. directly addresses the discussion with his famous predecessor Immanuel Kant. These places indicate very clearly the distinction between the two philosophical standpoints. This article focuses on H.'s criticism of Kant's view on peace and international law. For two reasons however, it starts with H.'s rejection of Kant's moral point of view. First, this criticism is presupposed in H.'s rejection of Kant's view on politics. Second, at
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least a partial return to Kantian morality is implied in H.'s statement that war, although not to be condemned categorically, must be limited both quantitatively and qualitatively.
Mills, Jon: Hegel on the Unconscious Abyss: Implications for Psychoanalysis. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 28 (1996/1997), N. 1, 59 ±75. Verf. untersucht H.s Thematisierung des Unbewuûten als Abgrund des geistigen Lebens auch in ihrer NaÈhe zu Schelling, BoÈhme und Neuplatonismus, in ihrer Verbindung zur Problematisierung des GefuÈhls und in ihrer ZentralitaÈt innerhalb der PhaÈnomenologie des subjektiven Geistes. Der unbewuûte Geist als Unruhe der psychischen Turbulenz, in der die Dialektik sowohl die innere Organisation als auch den wahrhaften Inhalt ausmacht, stellt der strukturelle Grund des Selbst dar. Dieses stets aufgehobene Unbewuûte spielt bei H. eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Wahnsinn und Zerstreutheit und kommt Freuds allgemeiner Theorie der Neurose sehr nahe.
Molinu, Nino C.: Logica del comõÂnciamento in Hegel e Spinoza [Die Logik des Anfangs bei Hegel und Spinoza]. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 185± 229. Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 33 (1998), 256.
Movia, Giancarlo: Sulla logica hegeliana dell'Essere determinato È ber Hegels Logik des Daseins]. ± In: La logica di Hegel e la storia [U della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 253± 278. Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 33 (1998), 256± 257.
Murrmann-Kahl, Michael: ¹Schlachtbankª der VoÈlker? G. W. F. Hegels Beitrag zum modernen GeschichtsverstaÈndnis. ± In: Wiener Jahrbuch fuÈr Philosophie. Wien. 28 (1996), 113± 134. Verf. versucht die Stellung von H.s Geschichtsphilosophie innerhalb der systematischen Organisation der Philosophie und im Zusammenhang mit der EnzyklopaÈdie und den Grundlinien der Philosophie des Rechts zu klaÈren. Dabei versucht er zu verstehen, worin die ModernitaÈt dieses GeschichtsverstaÈndnisses besteht. Das vom Verf. hauptsaÈchlich diskutierte Problem ist das der DuplizitaÈt der Geschichtsbetrachtung bei H., die zum einen auf der Ebene des objektiven Geistes als Konsequenz der Analyse der Institutionen und des Nationsstaates als einziger Protagonist der universalen Geschichte stattfindet und zum anderen auf der Ebene des absoluten Geistes, als Geschichte der Kunst, der Religion und der Philosophie. Zwischen diesen beiden Aspekten des Begriffs der Geschichtlichkeit besteht nicht immer klare KontinuitaÈt. Der erste entspringt einer Wirklichkeit der zwischenstaatlichen Beziehungen mit ihrer Unvermeidlichkeit von Krieg, WillkuÈr und Gewalt, waÈhrend der zweite aus dem philosophischen Diskurs uÈber den Sinn der Geschichte als Fortschreiten des Freiheitsbewuûtseins hervorgeht.
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Bibliographie
Noonan, Jeff: The Human and the Inhuman: Hegel and the Politics of Postmodernity. ± In: International Studies in Philosophy. Decatur, Ga. 28 (1996), N. 1, 61 ± 72. Verf. behauptet, daû ein Begriff des menschlichen Wesens unentbehrlich fuÈr ein kritisches Urteil uÈber die soziale, politische, oÈkonomische und kulturelle VerhaÈltnisse ist. Die postmoderne Kritik der ModernitaÈt sei eine leere und formale Affirmation der Differenz, wenn sie diesen Begriff nicht neu aufgreife. Dabei koÈnne das vierte Kapitel von Hegels PhaÈnomenologie des Geistes einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie das menschliche Wesen uÈber die metaphysische Tradition hinaus in einer historischen Praxis gruÈndet, die eine freie Welt schafft.
Parades Martín, M. a del Carmen: El concepto de vida en el joven Hegel [Der Lebensbegriff beim jungen Hegel]. ± In: El inicio del idealismo alemaÂn. Oswaldo Market, Jacinto Rivera de Rosales (Coordinatores). Madrid 1996. 415±425. This paper provides an analysis of H.'s writings Die Liebe and Der Geist des Christentums (1798/99), from the Frankfurt period, on the concept of life. In the revised version of these texts there is the first occurrence of the H.ian notion of life as a triadic circle which will be interesting for his later concept of dialectics. The comparison between the first and the revised versions of these texts as are known for the time being helps to understand H.'s development in the metaphysical comprehension of life, under the influence of HoÈlderlin and Schelling.
Peperzak, Adriaan: Logic and History in Hegel's Philosophy of Spirit. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 49 ±70. (Ital. Fassung: Logica e storia nella Filosofia dello spirito hegeliana. ± Ebd 71± 93) Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 33 (1998), 254.
Petersen, Thomas: Widerstandsrecht und Recht auf Revolution in Hegels Rechtsphilosophie. ± In: Archiv fuÈr Rechts- und Sozialphilosophie. Stuttgart. 82 (1996), N. 4, 472 ±484. Verf. erlaÈutert, was die Rede vom Recht des Einzelnen bedeutet. Um das zu machen, behandelt Verf. die Frage der Revolution und geht dann weiter zum Problem des Rechts auf Widerstand. Um H. dabei gerecht zu werden, geht er zunaÈchst auf die Argumente Hobbes' und Kants gegen das Widerstandsrecht ein und bestimmt vor diesem Hintergrund H.s Position.
Poole, Ross: On Being a Person. ± In: Australasian Journal of Philosophy. Bundoora. 74 (1996), 38 ±56. This paper questions the assumption that the term person' designates what we essentially are or ought to be. I use H. to argue against Locke and Kant that personal identity is not the foundation of certain legal and moral practices but their effect; and Nietzsche to suggest that being a person is the price we pay for certain kinds of social life. The concept of a person is an abstrac-
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tion from our human and embodied existence, and to assume that it picks out what is central to our existence makes it impossible to understand the moral significance of birth, growth, dependence, sexuality, procreation and death. (Aus: The Philosopher's Index)
Puntel, Lorenz B.: LaÈût sich der Begriff der Dialektik klaÈren? ± In: Journal of General Philosophy of Science. Dordrecht [usw.]. 27 (1996), 131± 165. Can the concept of dialectics be made clear? The present article purports to answer the old question of whether the concept (and the method) of H.ian dialectic can be clarified. Three arguments are advanced in defence of the claim that H.'s conception is not in fact intelligible. The first argument shows dialectical negation leads to an infinite regress. The second argument analyses H.'s claim that the dialectical method yields a positive result and demonstrates that this claim remains completely unsubstantiated and unsubstantiable. The third argument comes to the conclusion that H.ian dialectic cannot pretend to be an acceptable explication of the ¹intuitiveª understanding of negation. An APPENDIX examines critically a new attempt by D. Wandschneider of reconstructing the first steps of H.ian dialectical logic by displaying ¹antinomic structuresª and by employing (at least to a limited extend) the techniques of formal logic.
Quante, Michael: Absolutes Denken: Neuere Interpretationen der Hegelschen Logik. ± In: Zeitschrift fuÈr philosophische Forschung. Frankfurt a. M. 50 (1996), 624± 640. Recent interpretations of H.'s Wissenschaft der Logik and of the ¹Logikª (EnzyklopaÈdie, Teil I) are discussed. It is argued that H. tries to give an absolute foundation (¹LetztbegruÈndungª) of the categories of thinking and being. So his logic has to be understood as an ¹onto-theo-logicalª project. It is suggested that H.'s logic can ± at least partly ± be justified if understood as a critique and an alternative to representationalism. His main thesis, that thinking and object are identical, is understood as a form of those versions of realism McDowell suggests in his Mind and World. Understanding H.'s logic this way doesn't allow to justify his theological interpretation of ¹ideaª, so his philosophical project can be made intelligible only in one of his central aspects. (Aus: The Philosopher's Index)
Ramos, Cesar Augusto: Hegel e Schmitt: uma relacao ambõÂgua em torno da afirmacao do politico [Hegel und Schmitt: ein zweideutiges VerhaÈltnis zur Affirmation der Politik]. ± In: SõÂntese. Nova Fase. Belo Horizonte. 23 (74) (1996), 371± 386. This article intends to show that certain categories which establish the necessity of the political realm are treated by H. and by Carl Schmitt within different theoretical frameworks. Both inquire about the nature of the State and the Foundation of (political) power. For H., these issues are analysed according to a logical-speculative normativity; for C. Schmitt according to anthropological-existential criteria.
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Bibliographie
Resta, Caterina: Il mito dell'autoctonia del pensiero. (Note su Hegel, Fichte, Heidegger) [Der Mythos der BodenstaÈndigkeit des Denkens. Anmerkungen zu Hegel, Fichte, Heidegger]. ± In: Geofilosofia. A cura di Marco Baldino, Luisa Bonesio und Caterina Resta. Sondrio 1996. 13 ± 37. Verf. thematisiert das Wohnen als philosophische Frage in ihrer NaÈhe zum Problem des Heimischen und Unheimlichen, des VoÈlkischen, FamiliaÈren und Fremden. Der Mythos der BodenstaÈndigkeit des Geistes steht im Mittelpunkt des H.schen Systems besonders bei seiner Deutung des griechischen Erbes, bei dem der Deutsche sich ¹heimatlichª fuÈhlt. Eine stringente Oiko-nomie und Auto-nomie regiert H.s Interpretation der griechischen Kultur und Philosophie, sowie seine Deutung des Geistes, welche in gleicher Weise faÈhig sind, sich das Fremde anzueignen und dadurch das Andere zum Identischen zu reduzieren. In Fichtes Reden an die deutsche Nation hat die deutsche Sprache als Ursprache eine aÈhnliche Funktion bei der Setzung des Unterschiedes zwischen dem Eigenen und dem Fremden und bei der Definition eines Urvolkes als eigentlichen Boden. Bei Heidegger ± besonders in seiner Auseinandersetzung mit HoÈlderlins VaterlaÈndischem ± ist die Frage nach einer abgruÈndigen BodenstaÈndigkeit, nach der schicksalhaften Heimatlosigkeit des zeitgenoÈssischen Menschen und nach einer Erfindung des Anderen aus dem Anderen her in dem Zwischen der Kunst maûgeblich: hier erweist sich Heideggers Polemologie als grundsaÈtzlich irreduzibel zum nationalsozialistischen Kampf.
Santos, Jose-H.: O ceticismo e a descoberta da razao na Fenomenologia do espirito de Hegel [Der Skeptizismus und die Entdeckung der Vernunft in der PhaÈnomenologie Hegels]. ± In: Kriterion. Belo Horizonte. 35 (93) (1996), 134± 145. Following H.'s Phenomenology of Mind, the article presents scepticism as a necessary step in the mind's self-formation process. In order to make this point the mind's dialectic development from sense certainty to reason is examined. (Aus: The Philosopher's Index)
Schalow, Frank: Textuality and Imagination: The Refracted Image od Hegelian Dialektik. ± In: Research in Phenomenology. Pittsburgh, Pa. 26 (1996), 155± 177. Verf. versucht die H.sche Dialektik in einer Weise darzustellen, die keine ¹historistische Interpretationª bietet und uÈber die ¹monolitische Strukturª der Dialektik hinausgeht. Sein Verfahren zielt auf eine dreifache Aufdeckung: 1) Aufdeckung der nicht-diskursiven Seite der Dialektik; 2) Aufdeckung der Rolle der Vorstellungskraft in der dialektischen Vermittlung; 3) Aufdeckung der Dissonanz zwischen der H.schen Rede von der ¹Arbeitª des Denkens und das ¹spielerischeª Verhalten der Dekonstruktion.
Schlitt, Dale M.: A Post-Hegelian Christian Philosophical Theology. ± In: Religious Experience and Ecological Responsibility. Ed. by D. A. Crosby, Ch. D. Hardwick. New York 1996. 505 ±526. Im Rahmen des Entwurfs einer ¹post-H.ian Christian philosophical theology built on the basis of a notion of spirit as movement of enriching experienceª, erwaÈhnt Verf. einige H.schen
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Themen und Kategorien, naÈmlich das ¹Andersseinª, die ¹schlechteª und ¹wahrhafte Unendlichkeitª sowie das Problem des absoluten Anfangs.
Scholtz, Gunter: Die Kunstwissenschaft und die Institutionen. Zum Wandel des VerhaÈltnisses von Kunst und Wissenschaft im Zeitalter Hegels. ± In: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels. Hrsg. v. Ch. Jamme unter Mitw. v. F. VoÈlkel. Hamburg 1996. 167± 189. Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 34 (1999), 211.
Schulz, Michael: Warum das Christentum die absolute Religion ist. Zu Hegels trinitaÈtsphilosophischer BegruÈndung. ± In: MuÈnchener Theologische Zeitschrift. St. Ottilien. 47 (1996), N. 4, 365± 384. Verf. versucht eine philosophische Vermittlung der theologischen Kritik an H.s Philosophie des christlichen Gottesbegriffs zu skizzieren. Verf. versucht zu zeigen daû die theologische Rezeption des H.schen Vermittlung von TrinitaÈt und Geschichte in der Auseinandersetzung um die begruÈndungstheoretische Bedeutung des SeinsverstaÈndnisses H. s einen philosophisch zu rechtfertigenden Orientierungspunkt gewinnt.
Shannon, Daniel E.: Hegel: On modern Philosophy versus Faith. ± In: Philosophy & Theology. Milwaukee, Wis. 9 (1996), N. 3 ±4, 351± 388. This paper considers H.'s treatment of the dispute between modern philosophy and faith in his Phenomenology of Spirit. The paper shows that H. is concerned with this dispute as part of his systematic program to advance the true philosophical concept of self and world, but, by doing so, he supports a humanistic reconciliation between Christianity and the secular values of the Enlightment. This paper contains extensive discussions of H.'s view on the French philosophes, and it shows how he used their writings in his criticism of the popular notions within denominational religion. It also shows why H. did not fully support the philosophes' assumptions, but, instead, he was willing to accept Christian notions of the incarnation and redemption.
Smith, Jeremy: Husserl, Derrida, Hegel, and the Notion of Time. ± In: International Philosophical Quarterly. New York. 36 (1996), N. 143, 287± 302. In seinem Essay antwortet Verf. auf Derridas ¹Deconstructionª von Husserls PhaÈnomenologie des Zeitbewuûtseins, wobei er auf Derridas Wurzeln bei H. eingeht und argumentiert, daû H.s Seinslogik als eine Analyse des Eins von ¹IdentitaÈtenª in der Zeit zu verstehen ist. Weiterhin versucht Verf., die Grenzen der Dialektik in der phaÈnomenologischen Reflexion des Zeitbewuûtseins zu zeigen.
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Bibliographie
Sobotka, Milan: Hegels Manuskripte aus der Berner Zeit. KantRousseau-Herder-Schiller. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 165± 189. Untersucht werden verschiedene EinfluÈsse, die in H.s fruÈhen Manuskripten, insbesondere in der Deutung der MoralitaÈt und Religion, ihren Ausdruck finden. Als wichtigster eigener Beitrag H.s in der Auseinandersetzung mit den Konzeptionen seiner VorgaÈnger wird seine Konzeption vom ,Ausguû der Liebe' angesehen.
Stadier, Christian: Die Hegelsche Fichte-Kritik und ihre Berechtigung. ± In: Prima Philosophia. Cuxhaven. 9 (1996), 399± 417. Fichte brachte eine Philosophie mit einem ersten absoluten Grundsatz hervor, auf dem alle weiteren SaÈtze systematisch aufgebaut sind. Dies sei methodisch ein hermetisches Verfahren und habe damit, so H., eine AnschluûfaÈhigkeit verhindert. Die PhaÈnomenologie sei als ¹Gegenentwurf zur Fichteschen Wissenschaftslehreª zu lesen. Zeit seines Lebens hat sich H. allerdings nur auf die WL von 1794 bezogen, gleichwohl seien Fichte und H. aber in der Entwicklung ihres Denkens ¹zu aÈhnlichen [. . .] LoÈsungen gekommenª. Verf. behandelt v. a. die Differenz-Schrift (die u. a. an Fichte kritisiert, daû der erste Grundsatz gar nicht unbedingt ist), Hegels Darstellung des Fichteschen Systems, die sich aber als einseitig und undifferenziert herausstelle, und Fichtes fruÈhe Konzeptionen der Wissenschaftslehre.
Stekeler-Weithofer, P.: Hegel's Logic as a Theory of Meaning. ± In: Philosophical Investigations. Oxford. 19 (1996), N. 4, 287 ±307. Verf. verteidigt sein Buch uÈber H.s Logik dem analytischen Publikum gegenuÈber. Auf Grund der Milde(charity) und der notwendigen rekonstruktiven Interpretation jedes Textes kann man fuÈr H.s Logik werben. H.s Problem ist, wie kann man systematisch beurteilen, inwiefern eine Rekonstruktion der impliziten Formen der Bedeutung gelingt. Wichtig dabei sind die Integration der anfaÈnglichen, skeptischen Position und die Einsicht, daû Objekt-Stufe und Metastufe nicht geschieden werden koÈnnen. Erst dann ist die richtige Bedeutung des menschlichen Lebens begreifbar.
Stewart, Jon: Die Beziehung zwischen der Jenaer Metaphysik von 1804/05 und der PhaÈnomenologie des Geistes. ± In: Jahrbuch fuÈr Hegelforschung. Sankt Augustin. 2 (1996), 99 ±132. Die Jenaer Metaphysik von 1804/05 wird als VorlaÈufer der PhaÈnomenologie analysiert. An erster Stelle versucht Verf. festzustellen, daû die Auffassung, nach welcher die Logik und Metaphysik zusammen genommen der PhaÈnomenologie entsprechen, nicht haltbar ist. Danach werden bestimmte Parallelen aufgezeigt, die beweisen sollen, daû die Jenaer Metaphysik fuÈr sich genommen den Bewuûtseins- und Selbstbewuûtseinskapitel entspricht.
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Stewart, Jon: Hegel's Doctrine of Determinate Negation: An Example from ¹Sense-Certaintyª and ¹Perceptionª. ± In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 26 (1996), N. 1, 57± 78. Verf. setzt sich mit H.s Begriff der bestimmten Negation auseinander, und zwar besonders in Bezug auf das Bewuûtseins-Kapitel der PhaÈnomenologie des Geistes. Nach einer allgemeinen È bergang von EroÈrterung der Dialektik und der Funktion der bestimmten Negation wird der U ¹Sinnliche Gewiûheitª zur ¹Wahrnehmungª als hervorragendes Beispiel fuÈr die Beschreibung dieses Begriffs hervorgehoben.
Tubbs, Nigel: Hegel's Educational Theory and Practice. ± In: British Journal of Educational Studies. Oxford. 44 (1996), N. 2, 181±199. This article examines four related aspects of H.'s approach to the teaching of philosophy and to the philosophy of the teacher. Specifically, it highlights some of the views H. expressed on education in general whilst Rector of the Nuremberg gymnasium; describes his opinions on the place of philosophy within the school curriculum and the structure of the philosophy course which he designed for his pupils; examines the pedagogy which he employed in teaching his system of philosophy; and offers preliminary comments on his insights into the contradictions which resist the abstract identity of the teacher.
Valentini, Francesco: Le prime categorie della Logica [Die ersten Kategorien der Logik]. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 113 ±125. Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 33 (1998), 254± 255.
Van-Dyke, Brian D.: Hegel and Evolution: A Reappraisal. ± In: Contemporary Philosophy. Boulder, Colo. 18 (1996), N. 6, 14 ± 21. H.'s relationship with biological has often been misunderstood as a precursor to Darwin, largely without foundation. This article attempts to explore the true roots of H.'s view of evolution in relation to his personal claims to religious orthodoxy. The impact of Goethe and Lamarck are key importance to a correct understanding of H.'s views and they are integrated into the body of the discussion. In the end H. offers us key insight into the correct interpretation of his thoughts via this test case. (Aus: The Philosopher's Index)
Vezjak, Boris: Hegelianism in Slovenia: A Short Introduction. ± In: Bulletin of the Hegel-Society of Great Britain. Sheffield. 34 (1996), 1± 12. The aim of this article is to outline the present philosophical situation in Slovenia, inasmuch as it is linked with the development of H.ian thought and influenced by the work of H. I briefly discuss some historical characteristics of its origin, and then introduce some aspects of H.'s philosophy, as understood by Slovenian ¹lacaniensª, trying to summarize their reading of H. and consequently point out how deeply their work on Lacan is inspired by him. (Aus: The Philosopher's Index)
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Bibliographie
Vieillard-Baron, J.-L.: Le MeÃme et l'Autre: du Sophiste de Platon aÁ la Logique de Hegel. ± In: La logica di Hegel e la storia della filosofia. A cura di G. Movia. Cagliari 1996. 127 ±142. (Ital. Fassung: Lo Stesso e l'Altro: dal Sofista di Platone alla Logica di Hegel. ± Ebd 143± 158) Vgl. die Besprechung Hegel-Studien 33 (1998), 255.
Vieweg, Klaus: El principio de reconocimiento en la teorõÂa filosoÂfica del derecho polõÂtico externo de Hegel [Das Prinzip der Anerkennung in der philosophischen Theorie des auûeren politischen Rechts bei Hegel]. ± In: Anales del Seminario de Historia de la Filosofia. Madrid. 1996, N. 13, 181± 208. Hier wird eine Aktualisierung des H.schen Denkens in Hinsicht auf die politische Philosophie des aÈuûeren Staatsrechts vorgeschlagen, die auf Spuren von Kants Zum ewigen Frieden folgt und zwar mit der Absicht, eine ¹mittlere Bestimmungª zwischen leerem Liberalismus bzw. abstraktem Universalismus und Multikulturalismus bzw. Relativismus (welcher, aufgrund der unverwechselbaren IdentitaÈt der VoÈlker, jede Verteidigung der allgemeinen WuÈrde der Person prinzipiell zerstoÈrt) zu finden. Dazu sieht man eine moÈgliche LoÈsung in der Idee einer innerstaatlichen ¹inhaltlichsubstantiellen Anerkennungª, die allmaÈhlich die Kriege durch ¹metaphorische Wettstreiteª ersetzen soll.
Wandschneider, Dieter: Eine auch sich selbst miûverstehende Kritik: È ber das Reflexionsdefizit formaler Explikationen. ± In: Journal for U General Philosophy of Science. Dordrecht u. a. 27 (1996), N. 2, 347± 352. The criticism formulated by L. B. Puntel concerning the theory of dialectic proposed by the author is rejected. Puntel's attempt at explicating predication by means of (second order) predicate logic fails: It misjudges predication being already presupposed for the possibility of predicate logic, thus belonging to the transcendental conditions of formal predicate logic, so that predication itself cannot be further explicated by means of such logic. What is in fact criticized by Puntel is something like an artefact of formalization. The unreflected application of formal logic here generates problems instead of solving them. (Aus: The Philosopher's Index)
Westphal, Merold: Laughing At Hegel. ± In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 28 (1996/1997), N. 1, S. 39 ±58. Gerade als ein Philosoph der dialektischen Vermittlung ist H. auch ein Denker der Differenz: In der Auseinandersetzung mit Derridas Deutung von H. untersucht Verf. besonders H.s Thematisierung der Unmittelbarkeit und der Vermittlung. In H.s Eschatologie verliert die Differenz allerdings ihre IrreduzibilitaÈt, da die Vermittlung durch das Andere in der Selbstvermittlung der TotalitaÈt aufgehoben ist und die Dialektik sich als Spekulation erweist: H. ist also ein Denker der irreduziblen Differenz und gleichzeitig ist er kein Denker der irreduziblen Differenz, da diese letztere nur eine vorletzte Instanz darstellt. Das Lachen als Bruch in der Bedeutung bei der ersten eher von Bataille vermittelten Auseinandersetzung mit H. hat bei dem letzten ethisch engagierten Derrida, der sich eher mit Marx oder Kierkegaard miût, wieder Platz fuÈr eine AnnaÈherung an Hegel gemacht.
NachtraÈge aus dem Jahr 1996
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Zueva, V. V.: Der Begriff des Individuums bei Kant und Hegel. [Russisch.] ± In: Novye idei v filosofii [Neue Ideen in der Philosophie]. Perm 1996, N. 4, 169± 173. Untersucht und verglichen wird die theoretische Bedeutung der IndividualitaÈt in den Konzeptionen beider Philosophen.